The Project Gutenberg EBook of Nebel der Andromeda, by Fritz Brehmer

This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
www.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll have
to check the laws of the country where you are located before using this ebook.

Title: Nebel der Andromeda
       Das merkwürdige Vermächtnis eines Irdischen

Author: Fritz Brehmer

Release Date: July 7, 2020 [EBook #62575]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEBEL DER ANDROMEDA ***




Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
produced from images made available by the HathiTrust
Digital Library.






Fritz Brehmer
Nebel der Andromeda

Nebel der Andromeda

Das merkwürdige Vermächtnis eines Irdischen.

Von
Fritz Brehmer

Sechstes bis zehntes Tausend

L. Staackmann Verlag / Leipzig / 1920

Alle Rechte vorbehalten
Für Amerika: Copyright 1920 by L. Staackmann, Leipzig

Druck von C. Grumbach in Leipzig

„Es ist zwar ein befremdlicher und dem Anscheine nach ungereimter Anschlag, nach einer Idee, wie der Weltlauf gehen müßte, wenn er gewissen vernünftigen Zwecken angemessen sein sollte, eine Geschichte abfassen zu wollen; es scheint, in einer solchen Absicht könne nur ein Roman zustande kommen. Wenn man indessen annehmen darf, das die Natur selbst im Spiele der menschlichen Freiheit nicht ohne Plan und Endabsicht verfahre, so könnte diese Idee doch wohl brauchbar werden; und ob wir gleich zu kurzsichtig sind, den geheimen Mechanism ihrer Veranstaltung durchzuschauen, so dürfte diese Idee uns doch zum Leitfaden dienen, ein sonst planloses Aggregat menschlicher Handlungen, wenigstens im großen, als ein System darzustellen.“

Imm. Kant: „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“.

Ein Kapitän, der einige Jahre in den westindischen Gewässern kreuzte, traf dort, und zwar in Venezuela, mit einem Manne zusammen, dessen Erlebnisse zu dem Sonderbarsten zählen, von dem man gehört haben dürfte, und der auch sonst in seiner Persönlichkeit weit ab von den Bezirken des Alltäglichen stand.

Eine Verkettung von Umständen ließ den Kapitän in den Besitz der merkwürdigen schriftlichen Hinterlassenschaft des Mannes gelangen, und gab damit die Lösung eines geheimnisvollen Rätsels, über das hier berichtet werden soll, in seine Hände. –

Nachdem der Kapitän schon einige Male den venezolanischen Hafenplatz Porto Cabello angelaufen hatte, kam ihn dort eines Tages der Wunsch an, eine Wanderung in die Vorberge zu unternehmen, aus welchen der den Hafen bildende Fluß in einem Tale fließt, dessen wildromantische Schönheit sowohl wie seine Fruchtbarkeit sehr gerühmt werden.

Zwar befand sich das Land gerade wieder mitten in einer der dort üblichen Revolutionen, und ein Dutzend Meilen landeinwärts, beim Flecken San Felipe, war einige Tage zuvor gar eine Art von Schlacht geschlagen worden. Aber um den Hafen herum sollte noch alles ruhig sein.

Es empfahl sich also die Zeit zu nutzen, ehe die Kämpfe auch hierher übersprangen und das Spazierengehen in den Bergen unmöglich machten. –

Der Weg hat seine eigne Schönheit. Nach einer etwa einstündigen, recht heißen Wanderung durch die leichtansteigende Ebene gelangt man in den Taleingang, der von einem hochgelegenen, noch aus spanischer Kolonialzeit stammenden Bergfort bewacht wird.

Bald nachdem man in das Tal eingetreten ist, ziehen sich die Berge zu beiden Seiten enger zusammen. Der Fluß, der bisher dem Wanderer als ein träger, recht langweiliger und versandeter Wassergreis entgegengeschlichen kam, zeigt sich hier in dem Übermut tollender Jugend.

Mit sichtlicher Freude am Turnerischen springt er von Steinstufe zu Steinstufe, teilt sich gelegentlich vor widerborstig sich entgegenstemmenden mürrischen Felsen gewandt in mehrere Teile, vereinigt sich hinter den Verdutzten wieder mit gurgelndem Lachen zu verdoppelter Sprühkraft, spielt darauf in einem stillen, buchtartigen und tiefblauen Wasserbecken den Harmlosen, um sich gleich darauf wieder mit gewaltigem Satze brausend in eine Tiefe zu stürzen, friedliche Steine und allerlei ob der Störung verärgertes Geröll mit sich reißend.

Lustige Schlingels von Bächen springen ihm gelegentlich aus der Nachbarschaft zu, werfen sich sprühend und zischend in seinen Lauf und beteiligen sich an dem übermütigen Treiben. Sie kommen aus Nebentälern, in denen Kakaoplantagen ihre kostbaren Produkte gedeihen lassen oder in dunklen Orangenwäldern die goldenen Äpfel reifen. Im zerklüfteten Tale des Flusses stehen hohe Bäume, Bananen wachsen überall, und auf den Höhen ragen die Kokospalmen.

Ein reiches, überreiches Land, geschaffen für ein Leben in Glück und Friede, wenn seine Bewohner eben nicht – Menschen wären.

Am Flusse entlang ist von Fischern und Plantagenarbeitern ein Pfad ausgetreten und gelegentlich auch in den Felsen eingehauen, den jetzt langsam hinanzusteigen dem solcher Freuden entwöhnten Kapitän eine Wohltat war.

Nachdem er so, sich an der wechselnden Szenerie erfreuend, ein Stündchen einsam emporgeklommen war, bemerkte er, daß jetzt ein anderer Mann vor ihm schritt, den er wohl eingeholt haben mochte.

Allmählich näher kommend, stellte er fest, daß dieser ein Weißer war, ein hochgewachsener, fast riesenhafter Mann von ungewöhnlich schönem, ebenmäßigem Körperbau. Er schritt, sich auf einen hohen Stock stützend, langsam vorwärts. Sein Gang war elastisch, und bei jedem Schritte spielten seine nicht massigen, aber sichtlich stahlharten Muskeln.

Der Mann trug außer einer kurzen leinenen Hose und dem Korkhelm keinerlei Kleidung. Sein Gesicht war nicht zu sehen.

Da man in dieser Gegend außerhalb der Städte selten Weiße zu treffen pflegt, so bedeutete das Auftreten des Mannes ein Ereignis. Der nackte Mann, der wohl gemerkt haben mußte, daß ihm jemand folge, begann jetzt mit seinen langen sehnigen Beinen auszuschreiten, und nun war für den Kapitän nicht mehr daran zu denken, ihn einzuholen.

Dennoch wurde sein Wunsch erfüllt: Weit vorne über einem Grat sah man jetzt zwischen den sich teilenden Bäumen die Silhouette eines Reiters. Vorsichtig und anscheinend müde stieg sein Maultier bergab. Der Reiter schien nicht fest darauf zu sitzen. Er hing stark vornüber.

Als der nackte weiße Mann mit ihm zusammentraf, hielten beide an, und dann war zu sehen, wie der Reiter mit Hilfe des anderen mühsam vom Tiere stieg.

Der Kapitän, an die Gruppe herankommend, sah bald, daß der Reiter, der nur mit einer Hose, hohen braunen Stiefeln und einem kokardengeschmückten Filzhut bekleidet war, am Oberkörper schwere blutende Wunden trug und einen stark geschwächten Eindruck machte.

Der weiße Riese sprach mit ihm in dem verdorbenen Spanisch jenes Landes, das aber trotz zahlreicher indianischer Beimischungen leidlich verständlich ist.

Es handelte sich um einen Revolutionär, Halbindianer, gleich der Mehrzahl der übrigen Landesbewohner Mischblut der alten spanischen Kolonisten und der Ureinwohner dieser Berge. Er war in der Schlacht bei San Felipe verwundet von seinem Trupp abgekommen, hatte sich in den Bergen verirrt und war überdies durch Raub während des Schlafes seines Gepäcks, seiner Waffen und seiner Oberkleidung verlustig gegangen. Jetzt suchte er nach Porto Cabello zu gelangen. Seine Kräfte waren indessen schon derartig erschöpft, daß man ihn unmöglich allein weiterziehen lassen konnte.

Mit offensichtlicher Sachkenntnis untersuchte der weiße Mann die Wunden des armen, jämmerlich stöhnenden Kerls. Dabei stellte sich heraus, daß ein Geschoß den Brustkasten durchschlagen und, da sich auch Bluthusten zeigte, offenbar die Lunge verletzt hatte.

Es war dringend nötig, die Wunden zu verbinden, zumal sich schon Insekten darin festsetzten. Da aber natürlich kein Verbandzeug zur Hand war, entledigte sich der Kapitän kurzerhand seines leinenen Hemdes und zerschnitt es mit Hilfe des anderen in lange Streifen, aus denen dieser mit bemerkenswerter Geschicklichkeit einen Notverband herstellte. Gesprochen wurde dabei kein Wort.

Als die Prozedur des Verbindens beendet war, sank der Verwundete ohnmächtig zusammen, konnte aber durch einen Schluck aus der Flasche des Kapitäns wenigstens wieder so weit zu Kräften gebracht werden, daß man ihn auf sein Tier zu heben vermochte.

Der nackte Mann wandte sich nun zu dem Kapitän und fragte ihn mit wohltönender, tiefer Stimme in reinem Spanisch, ob er helfen wolle, den Verwundeten in seine, des Fragenden, unferne Wohnung zu bringen. Die Zustimmung verstand sich von selber.

So schritten sie, den armen Teufel von Revolutionär stützend, links und rechts neben dem Maultier bergan.

Der Kapitän konnte jetzt in Ruhe die Züge des sonderbaren Samariters betrachten, da dieser sich oft besorgt dem Verwundeten zukehrte, um dessen Zustand zu beobachten.

Der Mann war offenbar germanischer Herkunft. Man hätte ihn etwa für einen Nordländer halten können, jedenfalls ließ das schmale, bartlose Gesicht mit stark herausgearbeiteten Zügen eine solche Vermutung zu. Mund und Nase waren kräftig entwickelt, und das Antlitz trotz reichlich großer, aber gesunder Oberzähne von auffallendem Ebenmaß. Als er einmal den Korkhelm abnahm, erwies es sich, daß sein weiches volles Haar schon ergraut war.

Das Bemerkenswerteste an dem Gesicht waren die großen, wasserklaren, blauen Augen, die mit beinahe unheimlich langem Blicke die Dinge faßten.

Das Alter des Mannes war schwer zu schätzen: Er mochte ebensogut ein früh ergrauter Dreißiger wie ein jugendlicher Fünfziger sein.

Ein Gespräch, das der Kapiteln einige Male anzuknüpfen versuchte, verlief jedesmal im Sande. Der Riese ging zwar höflich darauf ein, antwortete jedoch mit derart knappen Worten, daß der andere es vorzog, weiterhin zu schweigen.

Nach einer kleinen halben Stunde beschwerlichen Weges an dem Flusse entlang war man am Ziele angekommen.

An einer Stelle, wo der Fluß ein stilles bewaldetes Becken bildete, mit kleinen Felseninseln darin, stand auf hohem Ufer, halb in den Fels hineingebaut, ein niedriges steinernes Haus. Zwischen den vorderen Ecken des Daches und zwei eingerammten Pfählen war ein altes Schiffssegel als Sonnendach ausgespannt, das die Tür und die beiden einzigen Fenster überschattete.

Unter dem Sonnensegel stand ein steinerner Tisch, und neben diesem ein bequemer großer Korbsessel, wie er in den Tropen benutzt wird.

Unweit des Hauses, von dem aus man einen freien Blick über das Becken und den unteren, mit einem Wasserfall beginnenden Flußlauf hatte, lag ein kleiner, dichter Orangenhain, symmetrisch angelegt, und bemerkenswerterweise von einem niedrigen, sauberen, festgezimmerten Holzzaune mit einer verschlossenen Tür umgeben. Rechts und links neben der Tür standen zwei hohe Zypressen. Die Anlage machte, zumal in dieser Umgebung, einen sonderbar ernsten und fast feierlichen Eindruck.

Der nackte Mann zog den Mulo unter das Sonnensegel und band ihn an einen der Pfähle. Gemeinsam hob man den verwundeten Revolutionsmann, dessen Zustand immer bedenklicher zu werden schien, herab, und führte ihn in den Korbstuhl.

Auf dem Tische standen die Reste eines Morgenmahles und daneben lag ein aufgeschlagenes Buch.

Der Herr dieses kleinen Anwesens lud den Kapitän mit einer wortlosen Gebärde ein, auf einem anderen Stuhle, den er aus dem Hause geholt, Platz zu nehmen. Dann ging er hinein und kam nach einigen Minuten wieder heraus. Währenddessen hatte der Gast das Buch aufgenommen und zu seinem Erstaunen es als Goethes „Dichtung und Wahrheit“, und zwar in der Sprache des Dichters, erkannt.

Nun trug man gemeinsam den Verletzten in das Häuschen, das nur einen einzigen Raum enthielt, dessen Wände, wie der Kapitän zu seinem Erstaunen feststellte, zum größten Teil mit Büchern bestanden waren.

Man legte den armen Menschen auf das große eiserne Bett, dessen Moskitonetz schon zurückgeschlagen war. Der Hauseigentümer brachte Wasser herbei, goß ein Glas voll, drückte eine Zitrone hinein, süßte es mit Zucker und gab es dem Verwundeten, der es gierig austrank und dann matt zurückfiel.

Der große Mann beugte sich über die Brust des Kranken und legte sein Ohr daran, drehte ihn dann behutsam auf die Seite, behorchte den Rücken und sagte, indem er sich achselzuckend aufrichtete, leise auf Spanisch: „Es geht zu Ende.“

Der Gast schlug vor, einen Arzt aus Porto Cabello zu holen. Der Nackte lehnte geringschätzig ab: Es seien Pfuscher. Als der andere aber erklärte, daß er der Führer eines im Hafen liegenden Kriegsschiffes sei, das einen Arzt an Bord habe, stimmte er zu, schlug jedoch vor, noch eine Stunde den weiteren Verlauf der Dinge abzuwarten. Vielleicht wäre es überhaupt zwecklos, den Arzt kommen zu lassen, der ohnehin kaum vor fünf Stunden oben sein könne. Vorderhand sei es das Richtigste, dem Kranken, der schon ein Sterbender wäre, Ruhe zu gönnen. Dies sagte er mit solcher Sicherheit, als sei ihm die Hilfeleistung in derartigen Fällen nichts Fremdes.

Darauf ging man hinaus und schickte sich an, indem man an dem Steintische Platz nahm, die verabredete Stunde zu warten.

Der Wirt ging ins Haus zurück, zog sich einen weißen Anzug an, brachte Wein, Weißbrot und Früchte heran, bot alles wortlos aber freundlich an, setzte sich dann und blickte in die Ferne.

Auch der Gast schwieg lange, vermochte aber doch seine Begierde, näheres über den merkwürdigen Einsiedler zu erfahren, auf die Dauer nicht zu unterdrücken. Nach einiger Zeit nahm er den aufgeschlagenen Band in die Hand und sagte in der Sprache Goethes: „Ein seltener Vogel in diesen Bergen!“

Der Wirt erwiderte, die Sprache aufnehmend: „Wohl möglich. Ein Singvogel. Die hiesigen singen nicht.“

Der Kapitän ließ nun nicht wieder locker, aber er belästigte seinen Wirt nicht mit Fragen, sondern begann über den neutralen Goethe zu sprechen, vorsichtig, wortknapp und wohlüberlegt.

Dem Wirte schien diese Art Unterhaltung, wohl des Gegenstandes wegen, nicht mißzubehagen. Er fand kurze, treffsichere Antworten, die eine gute Unterrichtung bewiesen.

Bald war man mitten in einem Literaturgespräch, zu welchem der tropische Wasserfall befremdet herüberbrummte.

Als der Kapitän nebenbei auf die große Zahl der Bücher im Hause hinwies, sagte der Wirt, sie seien vorzugsweise naturwissenschaftlicher und astronomischer Art. Im übrigen habe er in seinem Vaterlande Medizin studiert und auch die Staatsprüfung dort bestanden, ohne allerdings lange als Arzt beruflich tätig gewesen zu sein. Im weiteren Gespräch erfuhr der Gast noch, daß der Einsiedler auch Naturwissenschaften und Philosophie studiert habe. Über seine sonstigen Umstände aber schwieg er durchaus.

Das Gespräch war durch das Stöhnen und Husten des armen Teufels, der die Ursache dieser literarischen Zusammenkunft geworden war, öfters gestört worden. Der Wirt mußte mehrfach zu ihm hineingehen, und bedauerte, kein Morphium zur Hand zu haben, um ihm den Todeskampf zu erleichtern. Es sei schwer für ihn, seltenere Medikamente zu bekommen.

In der Tat währte es nicht mehr lange, bis der bedauernswerte Bursche zu Ende gelitten hatte. Wirt und Gast standen bei ihm in seinem letzten Augenblicke, und der erstere sprach, während er ihm die gebrochenen Augen zudrückte, ein ernstes und gütiges Wort über das arme, verirrte Menschlein, das hier sein junges Leben hingegeben habe für das Phantom einer neuen Freiheit, die doch nichts anderes sei, als eine neue Knechtschaft unter jene zahlreichen körperlichen und seelischen Tyrannen, die der Mensch zu eigener Qual sich selber zu schaffen nicht unterlassen könne.

Man ratschlagte, was jetzt zu tun sei, und kam zu dem Ergebnis, daß der Kapitän nach Porto Cabello zurückkehren, dort die Behörde benachrichtigen und sie veranlassen solle, den Toten am nächsten Tage in der Frühe abzuholen.

Weil es aber der tropischen Temperatur wegen nicht angängig war, die Leiche im Hause zu behalten, und der Wirt sein Bett ja auch selber brauchte, mußte der Tote dieses jetzt räumen, wozu der Gast seine Hilfe anbot.

Der Wirt schien zu überlegen, an welchen Ort er den toten Mann betten solle, faßte aber schnell einen Entschluß, nahm einen Schlüssel von der Wand, holte ein weißes Laken, und sie hoben nun miteinander den Toten auf. Der Wirt schritt führend voran.

An der Zauntür des kleinen umfriedeten Orangenhaines machte er Halt und legte seine traurige Last nieder, um mit dem Schlüssel die Tür zu öffnen. Darauf schritt der kleine Kondukt weiter, einen schmalen, zwischen den Orangenbäumen verborgenen, kurzen Fußpfad entlang, der in das Innere des kleinen Haines führte, das von Bäumen frei und mit Gras bestanden war.

Inmitten dieses fast hallenartigen Plätzchens, in dessen vier Ecken abermals Zypressen gepflanzt waren, lag in feierlichem Halbdunkel ein einzelnes, sorgfältig gepflegtes Grab. Ein kleines Stück Fels stand darauf, dessen Vorderseite glatt gehauen war. Hier war von ungeübter Hand, aber deutlich lesbar, ein einziges Wort eingegraben: IRID. Diesem oder dieser Irid gaben sie den toten Mann als traurigen Schlafgenossen, bedeckten ihn sorgfältig mit dem Laken gegen die Insekten, und gingen schweigend von dannen.

Wieder vor dem Hause angelangt, verabschiedete sich der Gast von dem Einsiedler. Dieser sagte dabei fast schüchtern und ohne Betonung: „Es würde mich freuen, wenn Sie wiederkämen.“


Die Persönlichkeit des einsamen Mannes hatte den Kapitän ungemein gefesselt, und zwar nicht nur der merkwürdigen Umstände wegen, unter denen er lebte. Noch nie war er einem Menschen begegnet, der, trotz herber Verschlossenheit, in solchem Maße anzuziehen vermochte. Eine Art innerer Kraft schien von ihm auszugehen, wie sie Leuten zu eigen ist, die später als Religionsstifter oder Heilige verehrt werden.

So geschah es, daß auf dem Rückwege zum Hafen die Gedanken des Kapitäns sich ausschließlich mit dem sonderbaren Einsiedler beschäftigten und des ernsten und eindrucksvollen Ereignisses des sterbenden Revolutionärs fast ganz vergaßen.

In Porto Cabello angekommen, verständigte er sofort den Konsul, der sogleich das Weitere veranlaßte.

Bei dieser Gelegenheit erfuhr der Kapitän, daß die Persönlichkeit des einsamen Mannes wohl bekannt war. Man erzählte von ihm das Folgende:

Er wohne schon seit längeren Jahren dort oben, führe ein vollkommen abgeschlossenes Leben und sei als merkwürdiger Sonderling verschrien, im übrigen aber ein nicht nur durchaus gutartiger, sondern auch stets hilfsbereiter Mensch.

Offenbar sei er früher in seiner Heimat Arzt gewesen, und er praktiziere auch jetzt als solcher oben in den Bergen. Eine Konzession der Regierung habe er allerdings nie nachgesucht, und würde sie auch der Hintertreibung der venezolanischen Ärzte wegen, die mit Recht seine Konkurrenz fürchteten, schwerlich erhalten haben.

Man dulde ihn stillschweigend, und zwar besonders der eingeborenen Bevölkerung wegen, die große Stücke auf ihn hielte, und ihn als eine Art Heiligen verehre, obwohl er nach allem, was der Konsul darüber in Erfahrung bringen konnte, niemals irgendwelche Wunderkuren oder Charlatanerien vollführe, sondern im Gegenteile höchst sachgemäß vorginge.

Allerdings bediene er sich in starkem Maße der Suggestion, und man sagte, daß er durch diese in der Tat gelegentlich ganz außerordentliche und fast rätselhafte Erfolge erziele. Niemand, der mit ihm zusammenkomme, auch der Konsul nicht, könne sich einer starken suggestiven Wirkung entziehen, die der Mann, sichtlich ohne es zu wollen, und bestimmt, ohne einen bösartigen Gebrauch davon zu machen, ausübe.

Man erzählte, daß er die Gewohnheit habe, in seiner Einsamkeit fast nackt zu gehen. In seinen Lebensbedürfnissen sei er ungemein anspruchslos. Seine Einkünfte bestanden ausschließlich aus Naturalien, die ihm die Eingeborenen, denen er auch außerhalb seiner ärztlichen Tätigkeit viel mit Rat und Tat beistehe, zutrügen.

Er habe einen regelrechten und wenn auch etwas eigenartigen, so doch sehr erfolgreichen Schulunterricht in seiner Behausung eingerichtet. Ferner fertige er fast die gesamten schriftlichen Arbeiten für die Eingeborenen des Distriktes der Vorberge an: Eingaben an die Regierung, Steuerangelegenheiten, Rechtsberatung und ähnliches. Bei Streitigkeiten untereinander pflegten die Bergbewohner seinen Schiedsspruch anzurufen, dem sie sich dann ohne Murren beugten.

Diese Tätigkeit übe er derartig verständig, klug und versöhnlich aus, daß der Distrikt hinsichtlich der Verwaltung als der bequemste der ganzen Provinz gälte. Alle bisherigen Provinzialregierungen hatten den Fremden daher nicht nur gern geduldet, sondern ihm sogar verschiedentlich Geldzuwendungen angeboten, die er annahm, aber nur in der Form von Büchern, welche die Behörden ihm auf seinen Wunsch durch Vermittlung des Konsuls beschaffen mußten.

Irgendeine andere Beziehung zu den Behörden, dem Konsul oder überhaupt zu einem Europäer oder Gebildeten, lehne er nachdrücklich, wenn auch nicht gerade verletzend ab. Es sei denn, daß jemand seinen ärztlichen Rat erbäte, den er dann aber stets ohne jedes Entgelt erteile. –

Diese Erzählungen allein hätten genügt, das schon geweckte Interesse des Kapitäns an dem seltsamen Manne zu erhöhen, der, wie der Kapitän erfuhr, Markus Geander hieß, von den Eingeborenen aber gerne heimlich „San Marco“ oder „el santo desnudo“, „der nackte Heilige“, genannt wurde, Namen, über die er aber sehr ungehalten sein sollte, da er sich gelegentlich als ein höchst unkirchlicher Mann und als ein ausgesprochener Atheist erwiesen hatte, wenngleich er die Eingeborenen auch in ihren kirchlichen Angelegenheiten in durchaus versöhnlichem Sinne beriet. Mehr aber noch als diese berichteten Dinge machte den Einsiedler ein tiefes und rätselvolles Geheimnis, das über seiner Herkunft lag, zum Gegenstande eines fast übersinnlich erregten Staunens.

Man berichtete darüber dem Kapitän das Nachfolgende:

Die Fischer der Bergflußgegend, in der er noch heute wohnte, hatten ihn, von dem damals noch nie jemand ein Wort gehört, eines Morgens bei Sonnenaufgang bewußtlos auf dem Felsen des Flusses, halb im Wasser liegend, gefunden. In seinen Armen hatte er ein, wie die Leute versichern, über alle menschlichen Begriffe schönes, gleich ihm vollkommen nacktes und bewußtloses junges Weib gehalten, dessen blonde Zöpfe fest um des Mannes Hals gebunden waren. Beide lebten noch. Er selbst hatte sofort nach dem Auffinden die Augen aufgeschlagen und offenbar für Sekunden das Bewußtsein wiedererlangt, um es dann aber sofort wieder zu verlieren.

Das junge Weib war gleich darauf, ohne die Augen geöffnet zu haben, gestorben, und man hatte sie begraben müssen, ehe der Mann aufs Neue zur Besinnung kam.

Als dieser, den eine Fischerfamilie bei sich aufgenommen hatte, nach Monaten von schweren inneren Verletzungen genas, hatte er den Wunsch geäußert, an dem Orte zu bleiben, wo man ihn und sein Weib gefunden und dieses begraben habe. Die Fischer und Plantagenarbeiter der Gegend, denen er sich während seiner langsamen Genesung anschloß, hatten ihm geholfen, das Häuschen zu errichten, das er jetzt bewohne.

Für die Wahrheit dieser Erzählungen, die gewiß merkwürdig klangen, verbürgten sich zuverlässige Augenzeugen: Die Fischerfamilie, die ihn damals aufnahm, lebte, jedenfalls in ihrer jüngeren Generation, noch heute. Die Leute waren durchaus intelligent, verständig und in ihren Aussagen glaubwürdig. Auch wurde der Vorfall von zahlreichen anderen Eingeborenen der Gegend bestätigt.

Es blieb nun ein undurchsichtiges und geradezu unheimliches Rätsel, wie der auffallende Mann, und noch dazu mit einer Frau, ohne von einem Menschen des Küstenstriches gesehen zu sein, in die einsame Berggegend gekommen war.

Wenn auch der Umstand der um den Hals des Mannes geknüpften Zöpfe auf die Absicht eines gemeinsamen Selbstmordes schließen ließ, so erhöhte die Tatsache, daß man nicht die geringste Spur irgendeiner Kleidung, nicht einmal Ringe an den Fingern gefunden hatte, die Rätselhaftigkeit des Falles noch bedeutend. Die Annahme einer Beraubung war bei der Ehrlichkeit der Indianer gänzlich ausgeschlossen.

Der Mann, von dessen Anwesenheit die Behörden übrigens erst erfuhren, als dieser schon mit der Bevölkerung ganz zusammengewachsen war, erklärte dann auf dringendes Befragen, nur seinen Namen sagen, über alles andere aber, solange er lebe, nie einem Menschen Auskunft geben zu wollen. Dabei war er bis heute geblieben.

Im übrigen hatte er zugesagt, die Gesetze des Landes zwar befolgen, sie aber nicht anerkennen zu wollen, da er außerhalb seiner selbst keinerlei Gesetz oder Überordnung irgendwelcher Art als bestehend ansähe. Er betrachte sich als den Mittelpunkt seiner Welt.

Man hielt ihn damals für geistesgestört, wenn auch gutgeartet, und sah das vermeintliche Leiden als Folge seiner rätselhaften Vergangenheit an, eine Ansicht, an der man in Porto Cabello noch heute festzuhalten schien, die der Kapitän aber nicht zu der seinen zu machen vermochte.

Als der Kapitän von der Einladung des seltsamen Mannes erzählte, war man allerseits verwundert. Es hatte zwar nie an Wissensdurstigen gefehlt, die immer und immer wieder versucht hatten, sich auf alle Art dem Sonderling zu nähern, um sein Vertrauen zu gewinnen, und dann vielleicht das Geheimnis zu enträtseln, aber auch die taktvollsten Anbahnungsversuche hatte er stets sofort als solche erkannt und ihnen die bündige Erklärung entgegengesetzt, er hege den Wunsch, ganz für sich allein zu leben. –

Es kostete den Kapitän nach diesen Eröffnungen einige Überwindung, seinem dringenden Wunsche, den Einsamen wiederzusehen, nachzugeben, aber die Überlegung, daß die Einladung ja, wenn auch nicht sehr nachdrücklich, so doch ganz freiwillig erfolgt war, und daß er sich im übrigen ja sofort wieder entfernen könne, sobald er etwa die Empfindung habe, dem Manne lästig zu fallen, veranlaßte ihn doch, an einem der nächsten Tage abermals den Weg das Flußtal hinauf zu machen. –

Der Einsiedler war, als der Kapitän anlangte, gerade dabei, etwa zehn oder zwölf Indianerkindern Unterricht zu erteilen. Gegen das Sträuben des Gastes bestand er darauf, seine Beschäftigung abzubrechen und erklärte überdies, daß es des Sonnenbrandes wegen unmöglich sei, vor Abend wieder in die Ebene hinabzusteigen.

Als die Kinder sich entfernt hatten, begrüßte er den Ankömmling noch einmal herzlich, aber doch mit einiger im Kontrast zu seiner sonstigen Sicherheit stehenden Befangenheit. Des Umganges mit Menschen seiner Bildungsstufe seit vielen Jahren entwöhnt, bedurfte es für ihn offenbar einiger Übung, sich wieder zurecht zu finden.

Der Kapitän rechnet den Tag, den er mit dem weltflüchtigen Manne dort oben verlebte, zu den reichsten und eindruckvollsten seines Lebens. Von Stunde zu Stunde gewann er den Ernsten, Rätselhaften lieber, der in seiner körperlichen Größe und Schönheit und vermöge seiner starken, wenn auch zurückhaltenden Suggestivkraft in der Tat dem Bilde zu gleichen schien, das man sich von einem Heiligen machen könnte.

Die Unterhaltungen drehten sich ausschließlich um Kunst, Literatur und Naturwissenschaften. In den beiden ersten Gebieten fragte der Wirt viel, als wolle er sich belehren lassen, obwohl er erheblich über das Mittelmaß europäischer Durchschnittsbildung hinaus unterrichtet war. Mindestens zeigte er, auch wo ihm fachliches Wissen etwa mangelte, einen sicheren Instinkt, und vermochte klar das Echte vom Gemachten zu unterscheiden.

In naturwissenschaftlichen Dingen aber, die er von einem hohen philosophischen Standpunkte aus behandelte, war er uneingeschränkt der Führer der Unterhaltung. Dem Gaste dünkte es ein seltener Gewinn, ihm da zuzuhören. Die Erscheinungen der organischen Welt waren dem Einsiedler nur das Material, aus welchem er seine Gedanken über Vergangenheit und Zukunft aufbaute.

Von der Technik hielt er nichts. Die riesenhafte Entwicklung der technischen Welt, von der er sehr wohl zu wissen schien, und die er übrigens einen Anfang nannte, interessierte ihn nur insofern, als sie naturwissenschaftliche Entdeckungen betraf. Die sinnvolle Anwendung aber dieser Entdeckungen schätzte er nicht als einen Gewinn für die Menschheit ein. Er sagte darüber etwa: Was nütze es, daß man heute in fünf Tagen von Paris nach New York fahren könne. Der Konkurrent kann es gleichfalls. Es dient letzten Endes nur der Übervölkerung, auf welche soziologische Erscheinung er überhaupt schlecht zu sprechen war. Und was nütze es, daß man bei strahlendem Lichte sitze? Kant habe bei einer Öllampe geschrieben, Shakespeare, Rembrandt und Cervantes wohl gar bei einem Kienspan, und Homer sei vielleicht gleich ihm, dem Einsiedler, mit Beginn der Dunkelheit zu Bett gegangen.

Die Technik der Nachrichtenübermittlung, die seit seiner europäischen Jugendzeit gewaltige Fortschritte gemacht hatte, verachtete er tief, und erklärte sie für einen der schlimmsten Feinde der Menschheit.

Es gäbe für ihn, so führte er aus, außerhalb der philosophischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnis nur ein einziges Gebiet, auf dem unser Zeitalter Fortschritte gemacht habe: die Gesundheitslehre. Und auch hier wäre nur ein Anfang.

Alles dies äußerte er aber keineswegs mit Anmaßung, sondern in Form und Inhalt bescheiden, und lediglich als Resultat seines Denkens.

Als das Gespräch einmal auf das Gebiet psychologischer Forschungen kam, lenkte er merkwürdig schnell ab. Ebenso vor kosmischen und astronomischen Fragen, für die der Gast als Seemann eine besondere Vorliebe hegte. Auffallend war dabei der Umstand, daß gerade auf diesen drei Gebieten eine besonders große Zahl von Büchern, und zwar ausschließlich gut und mit Sachkenntnis ausgewählte, vorhanden war.

Als der Gast sich nach reichem Tage am Abend verabschieden wollte, erklärte der Wirt, ihn bis zum Talausgang begleiten zu wollen. Es sei schwer, in der Dunkelheit den Weg zu finden.

So schritten die beiden noch stundenlang in die sinkende Nacht hinein. Obwohl dabei des schmalen beschwerlichen Pfades und der zahlreichen lärmenden Wasserfälle und Stromschnellen wegen nur wenig gesprochen wurde, so schien es dem Kapitän doch, als ob gerade die zweisame stumme Wanderung nach dem im geistigen Austausche verbrachten Tage das Hin- und Herfließen des sympathisierenden Fluidums zwischen ihm und seinem neuen sonderbaren Freunde merkbar verstärke.


Der Kapitän besuchte von nun an im Verlaufe seiner westindischen Kreuzfahrten, während derer die Umstände ihn noch mehrere Male veranlaßten, den Hafen von Porto Cabello anzulaufen, den Santo Desnudo, sooft er konnte.

Diese Besuche gehörten zu den schönsten Freuden seiner mittelamerikanischen Lebensepoche. Es bildete sich ein Verhältnis zwischen den ungleichen Männern heraus, dem das Kriterium wirklicher Freundschaft innewohnte, insofern als jeder der beiden Beteiligten im Geben und Empfangen gleich innige Freude empfand.

Niemals aber ward auch nur mit einem Worte das persönliche Schicksal des Einsamen erwähnt.

In der letzten Stunde aber, da der Kapitän, im Begriffe, nach Europa zurückzukehren, Abschied nahm, begann der Einsame in kurzen allgemeinen Sätzen von einem gewaltigen Erlebnis seiner Vergangenheit zu sprechen, dessen Inhalt er zu Papier gebracht habe. Die Niederschrift wolle er dem scheidenden Freunde als Vermächtnis überantworten.

Er übergab ihm dabei ein versiegeltes Bündel. Die Siegel waren mit einem groben, offenbar selbst geschnittenen Petschaft hergestellt.

An die Übergabe knüpfte er die Bitte, das Bündel nicht zu öffnen, bis die Nachricht seines Todes, für deren Übermittlung er Sorge tragen würde, bei dem Freunde eingetroffen sei. Dann aber könne dieser, wenn er es für richtig halte, den Inhalt der Öffentlichkeit preisgeben.

Vor einiger Zeit nun erhielt der Kapitän auf Umwegen ein amtliches Schreiben des jetzigen Konsuls aus Porto Cabello, in welchem dieser von dem Ableben eines gewissen Markus Geander Nachricht gibt. Der Verstorbene habe in dem Amtsbezirke des Konsulates gewohnt und sei an jener epidemischen Krankheit, die kürzlich die ganze Erde überzog, zugrunde gegangen. In seinem Nachlasse habe sich die Bitte an das Konsulat um Übermittlung dieser Nachricht gefunden.

Und somit läßt der Kapitän das Vermächtnis des einsamen Freundes hinausgehen, des merkwürdigen Mannes, der einen Blick in die Geheimnisse der Zukunft tat und dafür mit ewiger Traurigkeit bezahlen mußte.

Das Vermächtnis des Santo Desnudo.

In Einsamkeit und Schweigen versinken meine Tage.

Wenn aber der Tod die Qual des Lebens von mir genommen haben wird, dann soll der Mund des Mannes nicht mehr stumm bleiben, der einen doppelten Himmel sah, den Himmel des ewigen Kosmos und den Himmel der ewigen Liebe.

Darum schreibe ich in der Stille meiner Abende diese Blätter, deren Inhalt doch nicht mehr sein kann, als ein armseliger Faden durch den Reichtum des wundersamen Labyrinthes meines Erlebens.

Mein Bericht nennt nie gehörte Geschehnisse. Wer aber an seiner Wahrheit zweifeln sollte, den frage ich gleich Pilatus: Was ist Wahrheit?

Du armer, winziger Mensch, du dürftiges Glied einer kleinen Menschheit, die in den Jahrmillionen des Erdenlebens für wenige hundert Jahrtausende haften darf an diesem eifrig kreisenden und in all seiner Wichtigtuerei nichts bedeutenden Mitläufer einer jener Sonnen, denen das Weltall ist wie den Tropfen der Ozean, du weniger als mikrokosmisches Wesen, wie darfst du dich ermessen zu fragen, was Wahrheit sei!

Alle Erkenntnis ist dir nur eine Vorstellung. Aus Vorstellungen baust du das Kartenhaus deines Wissens. Vorgestellt vor die Wahrheit, gleich einem bemalten Wandschirme, bleibt stets das Bild, wie es allein deinen beschränkten Erkenntnisorganen zu erscheinen vermag. Nur das Bild auf dem Wandschirme siehst du.

Ereifere dich darum nicht zu sehr. Beschaue das Bild. Irgend etwas daran ähnelt immer der Wahrheit, die für alle Ewigkeit dahinter verborgen bleibt.

Ich entsinne mich deutlich, schon in meiner frühesten Jugend einen angeborenen Respekt vor dem Willen des Menschen empfunden zu haben.

Als der bedeutendste und jedenfalls wesentlichste Mensch erschien mir mein Vater, und ich glaubte fest, daß alles geschehen könne, was er wolle. Er brauche nur zu wollen, dann gäbe es keine Hindernisse. In der Tat hatte ich oft genug Gelegenheit, festzustellen, daß von seinem Willen das ganze Erdenrund meiner Kinderwelt beherrscht wurde.

Meine Mutter nannte mich eigensinnig. Heute weiß ich, daß dieser Eigensinn nichts anderes gewesen ist, als embryonale Willenskraft. Ich wage es heute allen Müttern zu raten, sich des Eigensinns ihrer Buben zu freuen. Die Güte des Himmels, die ja dafür sorgt, daß immer nur wenigen Auserwählten ein Besonderes beschieden sei, wird diese Buben vor solch’ ungewöhnlichen Folgen der Willenskraft bewahren, wie sie mir zuteil geworden sind.

Später, nachdem ich meine Studien beendet und die Nase in die Welt gesteckt hatte, ward ich mir mehr und mehr der Bedeutung der Willenskraft bewußt. Ich begann mich, auch außer meiner selbst, mit ihr planmäßig wissenschaftlich zu beschäftigen.

Dabei kam ich auf außergewöhnliche Wege: der Okkultismus, die Xenologie, winkte mit gefährlichen Lockungen. Doch blieb ich mit den Füßen auf dem Boden, und stellte fest, daß die greifbaren Beweise mancher scheinbar übersinnlichen Kräfte und Erscheinungen nichts sind als das Resultat eines auf einem ganz bestimmten Wege geführten, ungewöhnlichen Willens. Die unerhörten Dinge, die etwa über indische Fakire glaubhaft berichtet werden, erklärten sich mir auf diese Weise.

Überhaupt begann ich immer mehr und mehr zu erkennen, daß zu allen Zeiten und in allen Lebensbezirken gewisse erstaunliche Geschehnisse, die sich auf Erden zutragen und zugetragen haben, der Ausfluß entweder der Willenskraft oder ihres Erlahmens zu sein pflegen.

Die Menschheitsgeschichte bekam unter dieser Betrachtungsweise für mich ein eigenes, persönliches Aussehen. Ich sah willensstarke und willensschwache Völker. Ich sah das Wachsen und das Erlahmen der Willenskraft. Ich sah Werden und Vergehen. Ich skizzierte den Plan zu einer Geschichte der Menschheit als Subjekt und Objekt der Willenskraft.

Und dann erstand mir Giordano Bruno, der scholastischer Wertung des trockenen Intellekts die Kraft des Willens entgegenhielt gleich einer lodernden Fackel.

Giordano Bruno! Herrlichstes Menschentum in seiner gloriosen Synthese von Verstand und Geist, von Wissen und Ahnen, von physikalischem Denken und geniehafter Intuition! Hand in Hand mit jenem Lionardo aus Vinci schreitest du lächelnd durch die Haine der Ewigkeit. In weiter Ferne verglimmt das Feuer des Scheiterhaufens, auf dem man deinen armen Leib vernichtete, im ersten Jahre des Jahrhunderts, in welchem sie einen Shakespeare begruben, und selig zu preisende Mütter einem Rembrandt van Rhyn und einem Johann Sebastian Bach das Leben gaben. –

Um der Wahrheit willen aber muß ich berichten, daß mich bei meinen Beobachtungen über die Willenskraft bald nicht mehr so sehr die ethische Betrachtungsweise, die allein Giordano Brunos würdig gewesen wäre, anzog, als vielmehr die ungewöhnlichen Erscheinungen des physischen Willens. Ich dachte nicht etwa daran, meine Erkenntnisse zu nutzen, um das Niveau meines eigenen Ich zu heben, oder um meine Seelenkraft zu stärken für den Betrieb des Lebens, sondern ich beobachtete wissenschaftlich an mir selbst die Tatsache, daß die geübte Willenskraft imstande ist, rein physisch die unerhörtesten Leistungen zu vollbringen, ja, daß sie es sogar vermag, die scheinbar granitenen Fundamentsätze der Physik zu zerbrechen.

Der erste Versuch, der mir gelang, war folgender: Neben meinem Papier lag der Bleistift. Ich hielt die geöffnete Hand in einigem Abstande senkrecht über ihn, betrachtete ihn scharf und konzentrierte meine ganze, schon sehr geschulte Kraft auf die Forderung, daß der Bleistift sich in meine Hand bewegen solle. Nach einer gewissen Zeit erhob sich dieser in der Tat und flog, entgegen den Regeln der Schwerkraft, fast blitzartig gegen meine Handfläche. Allerdings, da ich zu überrascht war, um die Finger sofort zu schließen, fiel er gleich wieder auf den Tisch zurück. Erst später gelang es mir, ihn festzuhalten.

Ähnliche Experimente glückten mir immer mehr und mehr, so daß ich in meiner Vermutung vom Vorhandensein einer großen, außerhalb aller physikalischen Grenzen liegenden, für unsere Erkenntnis neuen Kraft immer mehr bestärkt wurde, einer Kraft, die lediglich durch ein für unsere Sinne unfaßbares geistiges Fluidum wirkt, und die in seinen Dienst zu zwingen der Mensch dadurch vermag, daß er sich gewissermaßen in die Schwingungen dieses geistigen Fluidums einschaltet, und zwar vermittels einer uns noch unbekannten Gehirnfunktion, die erregt werden kann, wenn der Wille aufs äußerste angestrengt wird. Diese Anstrengung, in Schwingungen umgesetzt, muß in einem bestimmten Augenblicke der Wellenlänge der unbekannten neuen Kraft gleichkommen. In diesem bestimmten Augenblicke ist die Einschaltung vollzogen und die Kraft steht im Dienste des Eingeschalteten.

Welche Zeitspanne ich jedesmal gebrauchte, um mit Hilfe meiner Willenskraft jenen Zustand zu erreichen, vermag ich nicht zu sagen, da die allergeringste Ablenkung von der Konzentration, wie etwa ein Blick auf die Uhr, das Gelingen des Experimentes unmöglich machte.

Von kleinen Versuchen ging ich allmählich zu größeren und schwierigeren über: Ich zwang andere Menschen, nach meinem Willen ungewöhnliche Handlungen zu verrichten, über die sie sich, ohne die Ursache zu ahnen, selber wunderten. Ich erreichte es, schwerere Gegenstände, wie etwa Möbelstücke, lediglich vermöge meines Willens vom Flecke zu bewegen. Ich ließ einen großen Hund sich in die Höhe heben, so daß er höchst verwundert und ängstlich winselnd haushoch in der Luft schwebte.

Ja, es gelang mir sogar, mich selber, der ich im Garten lag, so hoch zum Schweben zu bringen, daß meine Hände die Äste einer Linde erreichen konnten. Die Schwerkraft bot mir keine Hindernisse mehr. Mein Wille hatte sie überwunden!

Ich hielt diese Versuche und Beobachtungen streng geheim vor jedermann, und zwar einmal, weil ich fürchtete, daß mich fürs erste das Mitwissen anderer noch an der nötigen Willenszusammenfassung hindern würde, ferner aber auch des Entschlusses halber, erst dann damit hervorzutreten, wenn ich die Elemente meiner Entdeckungen wissenschaftlich ergründet haben würde und, gegen jeden Zweifel gewaffnet, fest in der Hand hielte. –

Ich muß gestehen, daß mich die Jahre dieser geheimen Tätigkeit nicht glücklich gemacht haben, wenn ich auch, meinem Ehrgeize nachgebend, hohe Hoffnungen auf die Zukunft setzte. Meine Nervenverfassung litt ungemein unter den häufigen Willensüberanstrengungen. Trotzdem ich mich des Besitzes außergewöhnlicher Körperkräfte erfreute, ward ich krank, ohne allerdings meine Umgebung dies wissen zu lassen.

Da in gleichem Schritte mit der Überanstrengung der Nerven auch die Forderungen meiner Sinne wuchsen, so fand ich mich oft dazu verführt, mittels der mir innewohnenden merkwürdigen Kraft auf Frauen zu wirken um sie für mich zu gewinnen.

Dieser letzte Umstand trug mir zwar manche vorübergehend glückliche Stunde ein, aber auch eine Fülle von Unbequemlichkeiten und ernsten Verlegenheiten, zumal wenn ich, was sich einige Male einstellte, seelisch beteiligt war.

In solchem Falle ward mir meine geheime Kraft zum Ekel. Mein Mannesstolz mußte erwarten, daß ich um meiner selbst willen geliebt wurde, das Bewußtsein aber, daß vielleicht nur mein eigener Wille die geliebte Frau in meine Arme führte, fraß als böser, giftiger Zweifel in mir und vergällte mir das wenige Glück, dessen ich genießen durfte.

Zwar glaube ich heute, daß einige Frauen mich redlich liebten, aber gerade die eine – Erna Maria – der meine heiße Leidenschaftlichkeit sich zuwandte, entzog sich mir kühl, als ich – um die Echtheit ihrer Gefühle auf die Probe zu stellen – einmal nur einige Stunden lang meine geheime Kraft ihr gegenüber unterdrückte.

Tief enttäuscht, körperlich und seelisch elender denn je, floh ich hinauf in die hohen Berge, zu einem alten Freunde, dem Förster.

Er wohnt im Tal. Aber hoch oben, an der Grenze der Vegetation, steht seine Diensthütte, mit Herd und Bett leidlich behaglich hergerichtet. Neben der Hauswand gurgelt aus einer Röhre ein kleiner Brunnen.

Eines Morgens stieg ich dort hinauf, wo nur Gemsen meine Nachbarn wurden, und gelegentlich ein neugieriger Hirsch mein Besucher. –

Die Tage auf dem Berge blieben sonnig und warm, und die Nächte sternenklar und lind. In der dritten Nacht erwachte ich aus irgendeinem bösen Traume in Schweiß gebadet und stellte fest, daß die Luft in meiner Hütte drückend, und daß es besser sei, im Freien zu liegen. Also nahm ich Matratze, Kissen und Decke, und bettete mich auf einem moosbewachsenen Felsvorsprung oberhalb meines Häuschens.

Dies Lager empfand ich in solchem Maße köstlich, daß ich nicht wieder zu schlafen vermochte. Ich lag regungslos ausgestreckt und meine Gedanken ballten sich zu plastischer Figürlichkeit. Das Rauschen der Föhren unter mir, das Gurgeln des Brunnens und all das melodische Geräusch der Bergeinsamkeit unter dem unbeschreiblich klaren, glitzernden Sternenhimmel wirkten auf mich mit fast zauberhafter Kraft.

Das Bild des deutschen Hirtenknaben Nikolaus von Cues trat vor meine empfangsbereite Seele. Im Purpur des Kardinals zu Rom stand er vor mir. Zweitausend Jahre nach Aristarchs Tode rief er in die geistige Enge des Mittelalters das Wort vom gewaltigsten Begriffe aller Zeiten: Unendlichkeit!

Und Giordano Bruno aus Nola zertrümmerte mit kühnem Schlage die letzte der gläsernen Sphären, die noch die Planetenharmonie des Kopernikus umgab, jenen Überrest des gigantischen Irrtums ptolomäischen Denkens, und stieß der Menschheit die Tore auf, hinter denen der Kusaner den freien Ausblick auf die Unendlichkeit verhießen hatte.

Nie im Leben hatte ich das Wesen der Unendlichkeit in solcher alles überwältigenden Größe gefühlt, wie in dieser köstlichen Bergnacht.

Ich sah das unübersehbare Firmament schimmernder Lichtpunkte über mir, und wußte, daß es ein Gewebe ist aus Sonnen, und wohl jeder einzelne Stern der Mittelpunkt eines gewaltigen Planetensystems, ähnlich dem, in welchem die Erde kreist.

Und da ich, versunken in dem göttlichen Gefühl des Zusammenfließens von Ewigkeit und Unendlichkeit, mich dem Kosmos nahe zu wähnen begann, erkannten meine geübten Augen an jener dunkeln Stelle des Himmels die winzige Spirale des Nebelschleiers im Sternbilde der Andromeda, und ein leises Erschauern zitterte durch meinen gemarterten Körper: das Schweben einer andern Welt!

Einer Welt, der die Fülle der Sonnen, die als Sternenzelt, als Milchstraße den Himmel unserer Erde bedeckt, nichts anderes gilt, als ein zarter, kaum erkennbarer Nebelhauch.

O irdische Erde, armes Sandkorn am Strande der Unendlichkeit, die kleinste Welle spült dich hinweg und läßt dich versinken im Ozean des Alls! Wer es vermöchte, dich zu verlassen und sich aufzuschwingen durch die Rätselhaftigkeiten des Äthers, zu jenen über jedes Begreifen fernen Bezirken, von wo die ganze getürmte körperliche Furchtbarkeit eines neuen Kosmos als nur ein winziges Wolkenflöckchen herüberdämmert!

Eine Nacht lang lag ich starr ausgestreckt, und meine Seele senkte sich tief in diesen schauervollen Wunsch.

Alles Körperliche fiel von mir ab. Ferne Melodien erklangen, und stundenlang lag mein zitternder Leib in der Wollust einer einzigen großen Empfängnis.

Meine Augen wichen nicht von jenem weltenfernen weißen Hauch, dem Andromeda ihren Namen gab. Ein anderer Perseus, war alles, was ich an Sehnsucht aufzubringen vermochte, und alle die Regungen der geheimnisvollen Kraft, die mir dienstbar geworden war, auf jene himmlische Andromeda gerichtet.

Meine Augenlider erstarrten im Krampf des Zwanges zum Geöffnetsein, und die ungeheure Konzentration meiner Seele ließ mich nicht erkennen, daß der Morgen dämmerte hinter den östlichen Bergnachbarn, und der erste Strahl der Sonne emporzuckte über den Felskuppen.

Da fühlte ich, wie aus der Ferne, mehr ahnungsvoll als körperlich, eine fremdartige Veränderung meines Zustandes: eine unbegreifliche Leichtigkeit kam über mich. Leib und Glieder schienen körperlos geworden, in luftiger Form zerflossen, zum Geistigen gewandelt.

Mir war, als schwebe ich frei über meinem Lager. Deutlich fühlte ich, wie ich mich mit langsam wachsender Geschwindigkeit zu heben begann. Ein frischer Luftzug strich über meine Wangen und Hände, ein leises Summen in meinen Ohren wuchs an zu mächtigem Brausen, und in einer heroischen Symphonie von Geigenklingen, Harfenschwirren, Orgelton und hohen Knabenchören, und in einem unbeschreiblich köstlichen Gefühle von Seligkeit schwanden mir die Sinne.

Mein Erwachen war schreckartig.

Kaltes Wasser schlug mir über dem Kopfe zusammen, drang in Mund und Nase und ließ meinen sich öffnenden Augen nichts als blaugrün-gläserne Undurchdringlichkeit.

Ich breitete die Arme aus, um nicht tiefer zu sinken, und fühlte, daß ich wieder stieg. Meine Glieder begannen zu arbeiten.

Ich sah deutlich den Wasserspiegel über mir, und ehe mir der Atem ausging, tauchte ich aus der Flut auf.

Als meine Augen frei wurden, sah ich, daß ich in einem klaren See von mäßiger Größe schwamm.

Um die nahen Ufer standen mächtige dunkle Laubbäume. Unweit der Stelle aber, an der ich auftauchte, war das Walddunkel gelichtet. Eine hellgrüne Wiese breitete sich ansteigend aus. In deren Mitte, in einiger Entfernung vom Wasser, stand ein kleines weißes Haus von kubischer Form mit einem lichtblauen Dache.

Dieser Wiese strebte ich zu. Die Arme zum Schwimmen breitend und die Beine von mir stoßend fühlte ich eine überraschende Kraft. Ein Gefühl von Jugend und Stärke war in mir, als sei eine Erneuerung des Fleisches vorgegangen.

Mein Geist aber widersetzte sich der körperlichen Umwelt. Ich fühlte nicht die Möglichkeit, über meine Lage und meinen Zustand nachzudenken. Den kleinen Ausschnitt des Weltbildes, das mich umgab, vermochte ich nicht mit meinem Denkvermögen in Einklang zu bringen.

Über der Wiese, unweit des weißen Häuschens, ging, strahlend im Frühglanze, die Sonne auf.

Als ich dem Ufer nahe kam, gewahrte ich, was mir die Blendung der morgendlichen Lichtflut bisher verborgen hatte, ein Bild von tiefer Einprägsamkeit.

Am Wasser stand hochaufgerichtet ein Weib. Die Sonne wob aus lichtblondem Haar eine Gloriole um sein Antlitz, und ließ durch das leichte Gewand die Silhouette des schlanken, edelgeformten Körpers erscheinen.

Das Weib breitete wie ekstatisch die Arme aus. Gleich einem lichtumflossenen Kreuz stand die Gestalt vor der Sonne.

Meine Füße fühlten jetzt Grund. In wenigen Augenblicken war ich am Strande, zitternd vor Kälte und Erregung.

Da ließ das Weib die Arme sinken, kniete nieder und senkte tief das Haupt.

Die seltsame Schönheit des Augenblicks ergriff mich tief. Ich kniete neben dem Weibe und nahm seine Hände in die meinen. Da hob es den Kopf, und es war schöner, als ich je ein Weib gesehen hatte.

Wie ich aber fühlte, daß sein Blick an mir emporglitt, sah ich, daß ich nackt war, und ich schämte mich.

Ich wandte mich ab, gab die Hände meiner Gefangenen frei und trat aufstehend hinter ihren Rücken, eine Möglichkeit suchend, mich zu verbergen.

Aber auch sie erhob sich, wandte sich zu mir und sah wortlos lange und tief in meine Augen.

Die ihrigen waren blau und dunkel zugleich, und mich deuchte, es gäbe nichts Köstlicheres auf der Welt als diese Augen.

Ich fühlte körperlich, wie ihr Blick fragend in mein Inneres drang, und empfand einen starken unbequemen Zwang.

Die tiefe Ruhe des Weibes, das dringende, wortlose Fragen und die peinliche Hilflosigkeit meiner Lage irritierten mich ungemein, und in einem aufkommenden Gefühl von Trotz stellte ich meine oft erprobte Suggestivkraft auf die Fremde ein.

Die Wirkung erhöhte meine Verlegenheit nur: Eine Weile hielt sie, meinem Blicke begegnend, stand, dann aber begann sie hell und fröhlich zu lachen und schüttelte mit einer bestimmten Gebärde nachdrücklich den Kopf.

Ich hatte keine Macht über sie. Da sie sah, daß ich hilflos und, ein zweiter Odysseus, mich körperlich schämend, abgewendet vor ihr stand, entledigte sie sich eines leichten Obergewandes, gab es mir lächelnd und half mir mit ruhigen Händen und ohne Scheu es um meine Hüften zu befestigen.

Welch ein hohes Maß von innerer Sicherheit muß dies Weib haben, dachte ich, und schickte mich an, woran mich die süße Fremdartigkeit der Lage bisher gehindert hatte, mit einigen gestammelten Worten um Vergebung zu bitten und zu fragen, was ich beginnen solle.

Das junge Weib sah mir einen Augenblick merkwürdig erschrocken in die Augen, wieder mit jenem tiefen, durchdringenden Blicke, dann legte sie ihre Fingerspitzen auf meine Lippen und deutete auf das weiße Häuschen. Schweigend schritten wir nebeneinander den sanften Abhang hinauf.

Ich wagte nicht, den Kopf zu heben, so sehr verschüchterte mich die Verlegenheit meiner Lage. Ich sah die Gräser und Blumen der Wiese im Morgentau, von meiner Begleiterin aber sah ich nur die Füße. Sie waren bloß, gleich den meinen, und so schön, als habe Praxiteles sie geformt.

Wir traten in das Häuschen ein.

Das untere Stockwerk enthielt nur einen einzigen Raum. Weiche Bastmatten bedeckten den Boden, einige niedere Ruhebetten, gleichfalls mit Bastmatten überzogen, standen an den Wänden. Nur weniges Gerät sah ich. Es erschien mir fremdartig, aber jedes einzelne war edel in der Form und offenbar von gutem Material.

Meine Gastfreundin führte mich durch den Raum. Im Hintergrunde ging eine kleine Treppe in die Höhe. Wir stiegen hinauf, wo im oberen Stockwerk einige nur mit hellen Vorhängen verschlossene Türen auf einen gemeinsamen Vorraum führten.

Sie schob den Vorhang einer der Türen beiseite und lud mich mit einer Handbewegung zum Eintreten, und mit einer anderen zum Platznehmen auf einem sauberen Bette ein.

Dann holte sie von anderer Stelle eine große wollene Decke, eine Schüssel mit köstlich ausschauenden fremdartigen Früchten, einen Teller mit feinem weißen Brot und ein Glas mit Honig. Endlich trug sie eine hohe kristallene Karaffe goldfarbigen Weines und ein schön geschliffenes Glas herein.

Das kleine Mahl richtete sie auf einem neben dem Bette stehenden niederen Tische her.

Ich saß währenddessen regungslos und sah ergriffen der Anmut ihrer Hantierungen zu. In heiterer Gelassenheit schritt sie ein und aus, einer jugendlichen Königin gleich. Alles an ihr leuchtete in Schönheit, Reinheit und Harmonie. Wie ihre über alle Begriffe vornehmen Hände die Gegenstände anfaßten, war reinster Gleichklang.

Als sie alles beieinander hatte, breitete sie beide Hände aus, machte lächelnd eine kleine Verbeugung und ging stumm hinaus. Ich war dankend aufgestanden.

In der Tür aber besann sie sich, kehrte noch einmal zurück, trat vor mich hin und sah mir abermals mit ihrem fragevollen tiefen Blicke in die Augen. Dann schüttelte sie leise den Kopf, als verstünde sie etwas nicht, und sprach ein einziges kleines Wort, das gleich einer winzigen Melodie erklang, mir aber unverständlich blieb.

Ich zuckte höflich bedauernd die Schultern. Sie lachte fröhlich, zeigte mit beiden Händen auf sich, verneigte sich ein wenig und wiederholte: „Irid“. Dann wies sie fragend mit dem Finger auf mich.

Ich verstand. Es war ihr Name. Und sie wollte den meinen wissen. Ich nannte ihn und kopierte dazu ihre Bewegungen: „Markus“.

Ich mußte das Wort noch einmal wiederholen. Dann sprach sie es mit ihrer melodienreichen Stimme lachend nach, nickte mir zu und ging, den Vorhang hinter sich schließend, hinaus. –

Nun ich allein war, begann ich mich in meiner traumhaften Lage einzurichten. Ich hüllte mich in das weite Tuch, stellte beim Betrachten der appetitlichen Mahlzeit fest, daß ich erheblichen Hunger verspüre, und griff wacker zu.

Der goldene Wein erwies sich als süß und schwer. Er tat meinem abgekühlten Körper ungemein wohl.

Ich wurde warm, lauschte den leisen Geräuschen, die gelegentlich von unten herauf tönten, und sehnte mich nach meiner Wirtin.

Irid! Fremd und sonderbar klingt dein Name. Ich muß ihn laut aussprechen. Irid. Er tönt meinem Ohre wohl.

Spräche ich deine Sprache, ich wollte dir sagen, daß ich dich liebe, Irid! Ich liebe auch deinen Namen, Irid!

Erna Maria sei vergessen und versunken!

Erna Maria? Ich tat zum ersten Male seit dem Erwachen im See, was ich längst hätte tun sollen: ich dachte nach.

Was war geschehen? Wo war ich? Vor Erna Maria war ich geflohen. Vor der Erkenntnis, daß meine Liebe diese Frau kalt ließ, sobald meine suggestive Willenskraft nicht auf sie wirkte.

Beim Förster auf dem Berge hatte ich geschlafen. Halt! Da war es: die Nebelspirale der Andromeda!

Mein Wunsch, auf einen Planeten jener Andromedawelt zu gelangen, meine gewaltige Willensanstrengung und meine Transfiguration, deren Beginn ich noch mit wachen Sinnen erlebt hatte!

Es war gelungen. Es gab keinen Zweifel: ich befand mich auf einem Planeten irgendeines Sonnensystems im Nebel der Andromeda!

Meine Gedanken begannen sich ob der Furchtbarkeit dieser Erkenntnis aufzulösen. Der süße Wein und der verwirrende Eindruck des unbeschreiblich köstlichen Empfanges – Irid! Irid! – taten das Ihre. Chaotisch türmten und überstürzten sich die Dinge in meinem Hirn und ich geriet in einen ekstatisch-fieberhaften Zustand, von dem eine Schilderung zu geben meiner Erinnerung heute wohl nur dürftig gelingen wird:

Ich prüfte mich ratlos und voll Unruhe, ob ich wache oder etwa träume. Ich kniff mir in die Glieder, ich sprang auf, ging umher, ich aß hastig, ich trank, ich trank sogar ziemlich viel, aber ohne Zweifel: nie bin ich mehr wach gewesen als jetzt!

Ich delirierte weiter: Zwar glaube ich meine Natur so weit zu kennen, daß ich sagen kann: ich bin wach. Aber ist nicht all unser Naturerkennen nur das Surrogat einer Erklärung?

Und dennoch: sehe ich nicht hier die Umwelt, wie ich sie schon immer sah: durch die Brille all der tausend Begriffe und Deutungen, die ich ererbt und erworben habe? Ich sehe sie wie immer: von meinem eigenen, erfahrenen Ich aus. Nur in ungewöhnlichen Formen.

Nicht etwa wie im Traume, wo ich, erlöst von dem durch unzählige Vererbungsreihen und gehäufte eigene Erfahrung pedantisch gewordenen Arbeiten meiner Psyche, die Dinge sehe, wie sie wirklich sind, bunt, reich, ungeheuer, vielgestaltig, freigemacht von den unwirklichen Zweckmäßigkeitsbegriffen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, losgelöst von dem willkürlichen Begriffe des Raumes!

Oder sollte ich dennoch träumen? Sollten die Regulierungs- und Hemmungsvorrichtungen meiner brav gedrillten Psyche einmal, einmal, wie im Traume, den Dingen in ihr wahres, wirkliches Gesicht schauen? So also wäre die Welt? Darauf trinke ich!

Also wäre der Satz nicht wahr, daß unser Glück von unserer Unwissenheit abhängt? Sollte ich nun wissend sein und – wie mich deucht – glücklich zugleich?

Sehe ich jetzt das „Ding an sich“, von dem ich glaubte, daß es immer im undurchsichtigen Dunkel bliebe?

Sind dieser köstliche, goldbraune Wein, dieses im doppelten und schönsten Sinne des Wortes himmlische Weib das „Ding an sich?“ Dann will ich es preisen mit Zimbeln und Schalmeien!

Aber bin ich überhaupt mit meinen Gedanken in der Gegenwart? Wer ist solches je?!

Und was ist Gegenwart? Ach was! Ich achte sie nicht mehr, diese grobe Zerhackung alles Geschehens in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft! Ich bin ich! Wo ich bin, sind alle drei in eins! – Wein her! – Schulbegriffe! Fächer eines Konferenzzimmer-Regals! Aristoteles war ein Registrator! Auf dein Wohl, Giordano Bruno aus Nola! Dieses Glas der Unendlichkeit!

Und nun kling an mit mir, Nolenser, auf den alten Aristarch, der schon Jahrhunderte vor der Geburt des Menschensohnes aus Bethlehem die Erde um die Sonne kreisen ließ, und der den Begriff der Unendlichkeit an der Wurzel packte. Wißt ihr heute, Menschen, was das heißt?! Preis und Lob sei ihm in Ewigkeit, Amen!

Man hat ihm nicht geglaubt, dem wackeren Manne aus Samos, wo auch ein heißer Wein wächst gleich diesem. Der Schwindel des Aristoteles ist durch die Jahrtausende gezogen.

Laßt uns auch auf Kopernikus anstoßen. Zwar wähnte er noch eine letzte gläserne Käseglocke über den Kosmos gestülpt, aber dennoch: Kopernikus!

Sagen Sie, Herr Kopernikus, warum sollte ich nicht auf einen Andromeda-Planeten gelangen? Bitte: warum nicht? Der Wille vermag, was er will. Daher hat er seinen Namen.

Wozu in aller Welt gibt es denn eine Atomisierung?

Entfernung? Was heißt „Entfernung“? Was heißt „Zeit“? Raum und Zeit sind von der Wirklichkeit unverbürgte Anschauungsformen! Mehr nicht! Zählen nicht mehr mit, wenn es um große Dinge geht! Ich höre da immer nur Worte.

Worte sind Rechenpfennige, gut für Kartenspiel. Große Geschäfte macht man nicht mit Rechenpfennigen. Gebt mir andere Zwischenwerte als Worte, meine Gedanken umzusetzen!

Irid, dein Wein ist reif und süß, wie der Duft deiner Brüste!

Andromeda-Nebel! Vor zwei Jahrhunderten hat dich ein wackerer Mann zuerst gesehen, der Simon Marius hieß. In einer eiskalten Nacht um Weihnachten, als ihm die Hände fast erfroren an seinem Teleskop, entdeckte er ihn, und dann schrieb er in sein Buch, er habe einen Stern gefunden, wie er noch keinen sah, der sähe aus wie eine ferne Lichtflamme hinter der Hornscheibe einer Stallaterne. Alter scharfsichtiger Simon Marius! Dein Name klingt weise! Ich will dich nicht auslachen, weil, ehe du ein Hofmathematikus wurdest, du der Musikus Mayer aus Gunzenhausen gewesen bist. Auch Astronomen sind nur Musikanten! Die Harmonie des Kosmos ist ihre Musik! Als du neun Tage vor dem großen Galilei die Jupitersmonde entdeckt hattest, holtest du deine Geige in die Fernrohr-Kuppel und hast in der stillen Nacht so schön darauf gespielt, daß, wie du endetest, vom ganzen Rund des Himmels ein leiser, ferner Applaus ertönte. Bravo, Simon Marius! Da capo! Und mir hast du die Andromeda geschenkt! Den Nebelschleier der Andromeda – –

Mein Gott, ich hätte mich ja auch auf einen andern Planeten atomisieren lassen können! Ich hatte ja die freie Wahl. Aber es muß wohl hier auf diesem Ball jemand gewesen sein, der mich anzog. Irid? Ich will mit ihr darüber sprechen.

Noch einer? Wer ist das? Ach ja, natürlich! Herr Scheiner aus Potsdam! Auch ein wackerer Astronaut dieser Herr Scheiner! Hat zuerst der Erde im Andromeda-Nebel eine andere Welt gezeigt. Eine andere Welt!

Und die Erde hat nicht gebebt bei dieser Entdeckung!

Die Erde ist dumm! Wer kennt Herrn Scheiner unter den Menschen der Erde?

Dumme Menschen! Lernen in der Schule von Kolumbus die abgeschmacktesten Eiergeschichten, aber von Scheiner, der eine andere Welt rekognosziert hat, haben sie nie gehört! Prosit, Herr Scheiner! Was ist Amerika gegen eine Welt voll Sonnen?! Wenn ich mal nach Potsdam komme – –

Aber nein doch! Ich bin jetzt eine halbe Million Lichtjahre von Potsdam entfernt.

Wein! Mich schwindelt!

Aber was sagt da Epikur, der die feine kluge Atomlehre des Demokrit – Aristoteles, Ruhe! – zu Ende gedacht hat?

Dieser Epikur, der ein Erz-Epikureer war und den Wein nicht verachtete! Da trink, Epikur!

Was sagtest du doch? „Die Zeit, in der sich Atome im leeren Raume bewegen, ist unmeßbar und unfaßbar klein.“ Na also! Gegen Atome sind Lichtstrahlen altersschwache Schnecken! Für Atome gibt es nur ein Schnelligkeitsmaß: der Wille! Wer sagt da noch etwas? Aristoteles? Du? Geh’ raus mit deinem Sphärenschwindel!

Ich war eben atomisiert, und mein Wille hat die Atome meines Körpers in Minuten durch den Weltenraum geschleudert. Das ist doch wissenschaftlich ganz klar!

Am Zielpunkte meines Willens war die Atomisierung beendet und mein Körper setzte sich neu zusammen.

Sehr erfrischt hat mich diese Auflösung. Man sollte so etwas öfters machen! Alle Krankheitskeime sind, so darf ich wohl hoffen, dabei ebenso zum Teufel gegangen, wie meine Kleider. Sieh’ da! Sogar der goldene Ring an meinem Finger mitsamt dem Stein ist fortgeschmolzen! Aber kein Haar scheint mir zu fehlen.

Dafür ist meine Haut frisch und straff, und die Nägel meiner Hände und Füße sind rosig wie die eines Mägdleins.

Irid! Irid! Nie sah ich Füße wie die deinen! Auf dein Wohl, Irid! Den letzten Tropfen dieses Weines auf dein Wohl! Ich will jetzt schlafen. Ich bin müde. Irid – – –

Ich mußte lange und tief geschlafen haben. Als ich erwachte, bedurfte es geraumer Zeit, bis ich mich in der Situation zurechtfand.

Es war warm geworden, und die Sonne stand schon kurz vor dem Untergehen.

Ich rieb mir die Augen. Was mochte die Uhr sein? Hatte dieser Globus überhaupt dieselbe Umlaufszeit, wie unsere Erde? Die Größe der Sonne da draußen allerdings schien der unsern gleich zu sein.

Überhaupt, welche Merkwürdigkeit: Alles, was ich bisher sah, erschien mir zwar fremd, aber doch in Form und Materie dem Irdischen durchaus ähnlich.

Vor allem Irid! Fremd und merkwürdig zwar scheint sie, aber ein Weib wie alle, die mich bisher gelockt hatten. Doch eine veredelte Blume gegen jene!

Sie mußte, während ich schlief, bei mir gewesen sein: die Reste meines Mahles waren fortgeräumt. Auch die leergetrunkene Flasche.

Der Wein ist reichlich schwer gewesen für meinen frisch atomisierten Körper, dem alle Giftstoffe entzogen waren. Trotzdem war mir sehr wohl, und ich reckte meine neugeborenen Glieder in bewußtem Kraftgefühl.

Als ich mich im Zimmer umschaute, fand ich zu meiner freudigen Überraschung Kleider und alles, dessen man sonst bedarf, um unter Menschen zu erscheinen. O kluge Irid! Oder ist ein Mann im Hause? Das wäre des Teufels!

Jedenfalls begann ich die Kleider anzulegen, eine Arbeit, die mir einige Mühe verursachte, da der Schnitt, wie ja alles in dieser neuen Welt, ungewöhnlich war.

Die Kleider zeigten eine entfernte Ähnlichkeit mit den griechischen Gewändern und waren gleich diesen buntfarbig, doch hielt ich sie für knapper anliegend. Auch glaube ich nicht, daß die Griechen Taschen in ihren Gewändern trugen.

Zuletzt blieben nur noch die Sandalen übrig, deren Anlegen mir erst nach einigen Mißerfolgen gelang.

Alles paßte glücklicherweise gut, und ich fand mich in einem Spiegel ganz stattlich und leidlich repräsentabel ausschauend.

So verließ ich denn mein Zimmer und trat zögernd auf die Treppe zu dem unteren großen Raume.

Da saß Irid an einem Fenster. Wieder schien die Sonne durch ihr lichtes, ungewöhnlich reiches Haar und schuf einen goldig-zarten Nimbus um ihren schönen Kopf.

Sie hatte ein großes Buch auf den Knien und war derartig vertieft in ihr Lesen, daß sie erst aufblickte, wie ich schon mitten im Raume stand. Solches Versunkensein eines jungen Weibes! Fast schien es, als habe sie geschlafen. Dem aber war nicht so.

Sie legte lächelnd ihr Buch beiseite, erhob sich, breitete die Hände ein wenig aus und machte eine leichte Verbeugung. Ich tat desgleichen.

Ein großer schöner Hund, der neben ihr gelegen hatte, kam auf mich zu, beschnupperte mich und sah mich mit klugen Augen an. Alles schien hier zu fragen. Irid rief ihn mit einem kurzen volltönenden Worte zu sich und lud mich zum Sitzen ein.

Und nun begann wieder dies seltsame, wortlose Fragen, das mir recht unbequem war und mich in Verlegenheit setzte. Fast schien es mir, als ob das junge Weib besondere innere Kräfte besitze, den meinen weit überlegen.

Einige Male schien sie Unbegreifliches in mir zu finden. Dann schüttelte sie lächelnd den Kopf.

Ich kam mir vor, wie in einem stummen Examen und wußte nicht, was alles dies zu bedeuten habe.

Dann aber stand sie auf, nahm mich bei der Hand und führte mich an einen kleinen hübsch gedeckten Tisch, den ich bisher nicht bemerkt hatte. Alles Geschirr darauf war dem unsern ähnlich, nur schien es leichter und von einfachen, edelsten Formen.

Als Irid nun eine kleine Glocke in Bewegung setzte, öffnete sich bald eine Tür neben der Treppe. Ein zweites menschliches Wesen trat ein.

Gespannt betrachtete ich es. Es war ein Weib, nur wenig älter als Irid, gleichfalls groß und gut gebaut, aber starkknochiger und nicht von dem Adel der Herrin. Die Kleidung war von derselben einfachen, losen und wenig verbergenden Art, wie sie Irid trug, aber dunkler. Das schöne, gleichmäßige Gesicht und die Ruhe der Bewegungen schienen kaum einer Dienerin eigen. Sie sprach kein Wort und nahm keine Notiz von meiner Anwesenheit.

Die Dienerin trug ein Mahl auf aus schönen, aber fleischlosen Speisen, denen nicht nur ich, sondern auch Irid kräftig zusprach. Ich freute mich der Feststellung, daß dies überirdische Geschöpf einen ganz menschlichen und, wie mir schien, durchaus irdischen Hunger zeigte.

Als sie einen leichten roten Wein einschenkte und ich, ihr zutrinkend, mein Glas gegen sie hob, lächelte sie fragend. Die Gewohnheit war ihr fremd. Aber gleich verstand sie den Sinn und ahmte nach, was ich ihr vormachte. Als unsere Gläser aneinander klangen, lachte sie belustigt auf.

Nachdem das stumme, aber freundliche Mahl beendet war, erhoben wir uns. Irid nahm mich bei der Hand und führte mich in ihrem Hause umher. Der schöne Hund, den sie Turu nannte, folgte uns.

Wenn auch, wie ich schon sagte, sich nur die nötigsten Gegenstände und Geräte vorfanden, und zwar ohne allen äußeren Schmuck, so schufen doch die edeln Proportionen und die wohl erwogenen Farben aller Dinge umher eine solche Harmonie, daß schönes Behagen und tiefe Ruhe die Wirkung des Gesamtbildes war.

Die geräumige Küche und die hübsche Wohnung der Dienerin lagen mit einigen Wirtschaftsräumen in einem besonderen Häuschen hinter dem Haupthause, mit diesem durch einen kurzen gedeckten Gang verbunden.

Außerdem war noch ein zweckmäßiges Badehäuschen mit einem kleinen Schwimmbade da.

Das obere Stockwerk enthielt außer meinem Zimmer, das mir ein Gastzimmer zu sein schien, nur noch zwei Räume: Irids Schlafzimmer und, mit diesem verbunden, eine Bibliothek.

Also schlief Irid neben mir! Ohne Türen, nur durch Vorhänge getrennt. Ein befremdlicher aber anmutiger Gedanke!

Wer ist dieses junge Weib? Ist es ein Mädchen? Eine Witwe? In welcher Einsamkeit lebt sie! Ich sah nichts von Nachbarn. Nur die ewig stumme Dienerin. Das Haus stand einzeln in einem kleinen Garten am Rande der auf drei Seiten von hohem Walde umgebenen Seewiese. Eine abgeschlossene Welt. Eine Welt des Rätsels und des süßesten Wunders!

Die Sonne war inzwischen untergegangen. Irid führte mich jetzt hinaus auf die Wiese und hinunter zum Waldsee. An der Stelle, auf der ich sie heute früh begrüßt hatte, hielt sie inne, lagerte sich im Grase und hieß mich desgleichen tun. Der Hund Turu war mit uns.

In der friedlichen Stille des Sommerabends lagen wir zu dritt nebeneinander, wortlos wie immer, Irid mit ihren stummen Fragen, ich voll der buntesten Gedanken und in tausend Zweifeln über meine Lage, wohl die merkwürdigste, in der sich je ein Mensch befunden hat, und Turu, der Hund, die Schnauze auf den Pfoten, behaglich träumend.

Die Gedanken jagten sich in mir. Läge nicht dies jugendschöne Weib neben mir, duftend in der reifen Sinnlichkeit ihres Körpers, Ängste hätten mich überfallen.

Ihre weißen Füße waren mir nahe, und ich konnte nicht unterlassen, mit der Hand darüber zu streicheln. Sie ließ mich gewähren, auch als ich begann die zarte Haut ihres schlanken Beines zu liebkosen.

Dann aber nahm sie meine Hände in die ihren, hielt sie lange fest, sah mir ernst in die Augen und gab sie mir zurück.

Ich fühlte, daß ich, trotz des halben Gewährenlassens und des körperlichen Naheseins, keine Berechtigung hatte, von Irid mehr zu fordern als sie freiwillig gab. Die Grenze lag einzig und allein in ihrer Hand. Sie war die Stärkere.

Ich begann eine Art Gefühl vor ihr zu bekommen, wie ein Kind vor der Mutter. Mir war, als wisse und verstehe sie alles in mir, und als leitete sie mich mit ihren überlegenen Gedanken.

Dieses Gefühl erweckte in mir, der ich unter Frauen immer der Herr gewesen war, einen Zustand der Unsicherheit und Abhängigkeit, wie er mir bisher fremd geblieben war.

Dennoch lag eine eigentümliche Süße in dem Bewußtsein, der Hörige dieser herrlichen Frau zu sein.

Als wir ein Weilchen gesessen hatten, sprach Irid einige Worte zu ihrem Hunde, der mit klugen Augen zuhörte, sich dann erhob, dem Hause zutrottete und nach einiger Zeit zurückkehrte, zu meiner Überraschung auf dem Rücken, gleich einem Sattel, eine große Decke tragend, die Irid ihm abnahm und, da die Wiese feucht zu werden begann, für uns ausbreitete. Auch der Hund bekam seinen Platz darauf.

Dies alles ereignete sich mit solcher Selbstverständlichkeit, als ob eine derartige Hilfe des Hundes das durchaus Alltägliche sei. Kein Zweifel: das Tier verstand die Sprache seiner Herrin!

Aber auch nur zu dem Hunde hatte diese bisher gesprochen, und zu mir. Mit der Dienerin war kein Wort gewechselt worden.

Rätselvolles Haus des Schweigens! Mir soll es recht sein. Ich liebe wortkarge Menschen.

Allmählich wurden die Sterne sichtbar, und ich begann darin zu suchen. Kein Sternbild war gleich dem unseres Erdenhimmels. Eine Milchstraße jedoch, ähnlich der uns von Kindheit an vertrauten, wölbte sich von Horizont zu Horizont.

Wo in dem kosmischen Gewimmel mochte meine Erdensonne sein?

Irid sah, was ich suchte. Sie verstand mein Denken. Sie wies mit dem Finger auf ein Sternbild von sechs Sternen, und bedeutete mich, es zu betrachten. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß sie mir den Ort unserer Sonne zeigte.

Nach und nach dunkelte es vollkommen, und die Sterne spiegelten sich im Waldsee. Irids Blicke hingen mit den meinen am Himmel.

Nach einem Weilchen stieß sie einen kleinen Laut aus und zeigte abermals in das Bild der sechs Sterne: Mitten darin stand jetzt die zarte Spirale eines Nebelwölkchens!

Ergriffen legte sie ihre Arme um meinen Hals und küßte meine Wangen. –

Dann gingen wir Hand in Hand die Wiese hinauf, dem Häuschen zu.

Irid brachte mich in mein Zimmer, grüßte mich stumm und freundlich, und bald hörte ich, als ich erregt auf meinem Bette saß, wie sie sich zur Ruhe legte, und wie nach einiger Zeit die ruhigen, festen Züge ihres Atems zu mir herüberdrangen.

Da legte auch ich mich nieder zu Träumen, die von nun an das wache Leben an Traumhaftigkeit weit hinter sich lassen sollten.

Am nächsten Morgen schaute Irid in meine Tür und winkte mir, der ich vom Geräusche ihres Erscheinens erwachte, fröhlich Guten Morgen zu. Sie kam in weitem weißem Mantel aus dem Bade, und ihr weiches, lichtes Haar bedeckte sie bis zu den Hüften.

Das Frühstück war im Gärtchen vor dem Hause angerichtet. Im nahen Walde sangen und zwitscherten die Vögel. Ich konnte mich nicht besinnen, je einen Tag köstlicher und friedlicher begonnen zu haben.

Nach dem Frühstücke nötigte mich Irid in die Halle, wies mir einen Stuhl im Hintergrunde an und legte, mich bedeutungsvoll ansehend, den Finger auf den Mund.

Aus dem Walde begannen jetzt Kinderstimmen laut zu werden, und bald stürmten drei kleine pausbäckige Buben von sieben oder acht Jahren in die Halle und hingen sich mit Hallo und Freudengebrüll an die Kleider der lachenden Irid, die sich der aggressiven Bürschchen kaum erwehren konnte.

Binnen kurzem sprang noch ein Pärchen herein, Junge und Mädel, und einige Minuten danach noch zwei kleine Mädchen. Alle Kinder waren etwa im gleichen Alter, sehr leicht, einfach und reinlich gekleidet und von prachtvoller Gesundheit. Mit dieser kleinen Schar kam Leben in die bisher stumme Welt.

Wenn auch die kleinen Geister nicht so viel plapperten, wie Kinder meiner Erde, und überdies Irid noch recht oft den Zeigefinger auf die Lippen legte, um das Mäulchenkonzert noch weiter abzudämpfen, so taten mir die jungen, menschlichen Stimmen nach all dem Schweigen doch wohl. Auch Irids schönes, volles Organ bekam ich nun öfter zu hören.

Die Kinder lagerten sich auf den Ruhebetten an den Wänden, Irid setzte sich auf einen Stuhl in der Mitte der kleinen Halle, und ich stellte fest, daß ein regelrechter Schulunterricht begann.

Auf mich achtete, nachdem jedes der Kinder mich durch eine kleine Verbeugung begrüßt hatte, niemand mehr. Es war für die Kinder, als ob ich nicht mehr da sei.

Ich muß gestehen, daß dieser Schulunterricht, von dem ich nicht das leiseste Wort verstand, mich erheblich mehr ermüdete als offenbar die Kinder, die oft mit Lachen und Fröhlichkeit den Ernst der Stunde unterbrachen.

Vorausberichtend will ich schon jetzt sagen, daß Irid Lehrerin von Beruf war. Sie unterrichtete die kleinen Abcschützen, die aber nicht vor vollendetem siebenten Jahre zur Schule geschickt werden. Der Unterricht findet für diese Kleinen in Gruppen von nicht mehr als acht Kindern, und ausschließlich in den Häusern der Lehrer statt. Diese Häuser sind, überall verteilt, an besonders schönen Punkten gelegen und werden, neben einer reichen Bezahlung, den Lehrern und Lehrerinnen von der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt.

Bei der dünngesäten Bevölkerung des Planeten und der weitläufigen Wohnweise seiner Bewohner ist es möglich, die Kinder in nur so geringer Zahl zu verteilen.

Der Lehrberuf, zumal der für die Kinder bis zu 16 Jahren, ist der angesehenste auf dem Planeten. Kinderlehrer zu sein gilt für die höchste Auszeichnung.

Die Ernennung seitens der Gemeinschaft der einzelnen Wohnkreise erfolgt schon seit undenklichen Zeiten nur nach eingehender Prüfung vor allem der menschlichen und seelischen Qualitäten des sich Bewerbenden, der sich die geforderte umfassende wissenschaftliche Vorbildung ganz nach eigener Neigung selber beschaffen muß.

Wer nicht über eine heitere, geduldige Sinnesart und über einen gesunden Humor verfügt, hat von vornherein keinerlei Aussichten. Ebenso wird nicht zugelassen, wer zur Pedanterie, zum leichten Verärgertsein, zu besonderer Ordnungsliebe neigt, oder wer die schlechte Angewohnheit, alle Dinge von der praktischen Seite anzufassen, nicht loswerden kann. Gesundheit, körperliche Frische und Gewandtheit, Lebenssicherheit und eine vollkommene Beherrschung aller Formen sind Voraussetzung. Alles dieses wird bei der Auswahl der sich Bewerbenden erheblich mehr beachtet als die wissenschaftliche Befähigung.

Da aller Unterricht, auch der höchsten Art, kostenlos erteilt wird, so steht es jedem frei, sich auf den vielgesuchten Lehrerberuf vorzubereiten. Wenige jedoch nur erreichen das Ziel. Den anderen ist das vielseitige Studium für ihre Geistesbildung nicht verloren.

Eine solche Lehrerin nun war Irid, und zwar stellte ich später mit Genugtuung fest, daß ihr Ruf weit über den ihres eigenen Wohnkreises hinausging. Zahlreiche andere Wohnkreise schon hatten sich um sie beworben. Sie aber zog es vor, in dem ihrer Geburt zu bleiben und sich mit dem vergleichsweise anspruchslosen Hause zu begnügen, das ihr hier zur Verfügung stand.

Ihre Jugend – sie war erst 23 Jahre alt – wäre nach unsern Begriffen ihrem Ruhm ein Hindernis gewesen. Dort aber bedeutet Jugend, wenn sie mit Tüchtigkeit verbunden ist, ein besonderes Guthaben in der allgemeinen Einschätzung. Jungen Leuten wird in allen Berufen, mit Ausnahme des der Totengräber, der Vorzug gegeben.

In den nächsten Tagen begann ich von Irids Unterricht wohl einiges zu begreifen, aber dies genügte mir, die gesamte gedankliche Grundlage der Bildung jenes Planeten als von der des unserigen grundverschieden zu erkennen, dergestalt, daß ich nur mit der größten Mühe überhaupt folgen konnte, und mich, der ich auf Erden geglaubt hatte, ein über den Durchschnitt hinausgehendes Maß von Intelligenz zu besitzen, schämte, hier hinter den Kindern zurückzustehen.

Ich sprach, um mich und Irid nicht bloßzustellen, im Unterricht kein Wort. Des Nachmittags aber, wenn ich mit dem Mädchen allein war, lehrte sie mich so gut es ging ihre Sprache verstehen.

Den tieferen Grund meiner für diese Welt geringen Begriffsgabe erfuhr ich erst später, erst nach meiner Bekanntschaft mit Irids Vater, von der ich bald berichten werde. –

Bis zum Beginn dieser Bekanntschaft zogen die Tage in gleichmäßiger Einförmigkeit hin. Ich sah außer Irid, der Dienerin, die Okk hieß, den Kindern und dem Hunde Turu niemanden, wohnte des Vormittags dem Schulunterrichte bei, erhielt des Nachmittags in wunderschönen Stunden Sprachunterricht, und verbrachte stumme, fragende und nicht immer glückliche Abende mit dem schönen Mädchen, zu dem mich ein immer stärker aufkommendes Liebesgefühl mit Leidenschaft hinzog.

Irids seelische Kraft und Sicherheit aber setzte eine unübersteigbare Mauer zwischen mich und ihre letzte Gunst.

Das Mädchen war von starken Sinnen. Ich fühlte das mit Bestimmtheit. Und daß sie mich gern habe, daß ich ihr vielleicht mehr als sympathisch sei, mußte ich allein aus der Tatsache meiner Aufnahme in ihrem Hause entnehmen. Auch ließ sie sich von mir kleine Liebkosungen gern gefallen, pflegte Hand in Hand mit mir zu gehen, legte ihren Arm um meine Schulter, bot mir oft Wange und Scheitel zum Kusse, zeigte sich ohne Scheu, aber auch ohne jede Spur von Koketterie, oftmals in der allerknappsten Kleidung vor mir, pflegte des Morgens, um mich zu wecken, mein Zimmer zu betreten, und liebte es überhaupt, sich mit mir auf einen derartig innigen Verkehrsfuß zu stellen, daß ich daraus das Allerglücklichste hätte für mich entnehmen können, wenn mich das Bewußtsein ihrer absoluten geistigen und seelischen Superiorität auch nur einen Augenblick hätte verlassen können. Dann ihren Widerstand zu brechen, dachte ich mir leicht.

So aber blieb ich der Hörige und Abhängige, und begann mich immer mehr, trotz aller hingebenden Güte und Freundschaft des Mädchens, als eine Art Genossen ihres Hundes Turu zu fühlen, in welchem Vergleiche ich überdies noch den kürzeren zog, da Turu vor mir voraus hatte, von der Sprache unserer gemeinsamen Herrin erheblich mehr zu verstehen, als ich.

Als wir dieses Leben einige Wochen geführt hatten, bedeutete mir Irid eines Tages, daß sie ausgehen würde.

Am Abend kehrte sie zurück. Sie war bei ihrem Vater gewesen.

Am nächsten Nachmittage kam dieser selber zu uns. Er wohnte, wie ich erfuhr, nicht weit von Irids Hause, und war einige Wochen verreist gewesen.

Ein hochgewachsener Mann trat ein, trotz seines Alters von elastischer und fast jugendlicher Haltung. Grauweißes, halblanges Haar umrahmte in leichten Locken ein kluges Antlitz von starken Zügen, dessen erster Eindruck Güte war.

Er erschien reich und sorgfältig gekleidet und stützte sich auf einen Stock mit goldenem Knopfe.

Irid begrüßte ihn herzlich und küßte seine Hände. Dann setzten wir uns.

Jene saßen Hand in Hand einander gegenüber und sahen sich wortlos lange in die Augen. Dabei verrieten aber ihre lebhaften Mienen, daß während dieses befremdlichen Anschauens allerlei in ihnen vorging. Eine regelrechte Unterhaltung mit Zustimmung, Verneinung, Freude, Überraschung oder anderen Empfindungen schien stattzufinden.

Ich hatte Ansätze zu solcher höchst merkwürdigen Unterhaltungsart schon zwischen Irid und ihren kleinen Schülern, und auch zwischen ihr und der Dienerin Okk zu bemerken geglaubt. Um was aber es sich handelte, konnte ich vorläufig nicht ergründen.

Die stumme Konversation schien sich jetzt offenbar um mich zu drehen, denn nun wandte sich der alte Herr zu mir, ergriff meine Hand und sah mir mit ebensolchen stummen Fragen in die Augen, wie es schon seine Tochter so oft getan hatte.

Ich gestehe, daß ich recht verlegen war und gewiß keine eindrucksvolle Rolle gespielt habe an diesem Abend. Der Vater meiner Herrin aber lächelte freundlich und strich mir über Haar und Wangen, wie man ein fremdes großes Tier streichelt, das sich als gutartig erwiesen hat.

Während des ganzen Abends wurden keine zwanzig Worte gewechselt. Nicht einmal als Irid Wein herbeitrug, kam ein hörbares Gespräch in Fluß.

Als nach dem stummen Abendbrote der alte Herr sich empfohlen hatte, blieben Irid und ich noch ein Weilchen beim Weine sitzen. Dann holte sie aus ihrer Bibliothek ein geigenähnliches Saiteninstrument, auf dem sie ein leidenschaftlich bewegtes Spiel begann.

Sie hatte nur wenige Takte gespielt, als ich zu meiner freudigen Überraschung eine Könnerin in ihr erkannte. Doch muß ich gestehen, daß es einiger Wochen gebrauchte, bis ich mich in den neuen ungewohnten Reichtum ihrer ungemein komplizierten und mir fremdartigen Harmonik einzufühlen vermochte.

Aber schon an dem ersten Abend empfand ich die schier unerschöpfliche Fülle dieser Musik, die in starkem Widerspruch zu dem gesetzten Wesen dieser wortgeizigen, gemessenen Menschen stand.

Als Irid geendet hatte und ich ihre Hände in die meinen nahm, fühlte ich, daß ihr Körper leise zitterte in innerer Erregung.

An diesem Abend duldete sie es, daß ich ihre Lippen küßte. Doch erwiderte sie meine Küsse nicht. Als ich meine Arme um sie schlang und mein Gesicht gegen ihre Brust preßte, hörte ich wohl ihr Herz schneller schlagen, aber meine Stunde war noch nicht gekommen.

Als die Dämmerung des nächsten Abends begann, gab mir Irid zu verstehen, daß wir ihren Vater besuchen würden.

Es war mein erster Ausgang auf dem Planeten. Ich nahm an, daß Irid mich bisher geflissentlich zurückgehalten und auch vor Besuchern geschützt habe, weil sie wollte, daß ich mich erst notdürftig in die neuen Verhältnisse einleben solle.

Wir gingen eine kleine Stunde weit auf guten Wegen zwischen hohen Wäldern hindurch und an einigen sorgfältig bestellten Feldern vorbei. Nur wenige Häuser inmitten schöner Gärten standen am Wege.

Die Vegetation glich ganz der meiner Erde, nur wollte mich dünken, als ob die Mehrzahl der hiesigen Pflanzen voller, reicher, üppiger sei. Ganz besonders fiel mir das am Korn auf: die Ähren schienen wenigstens die doppelte, oft auch die drei- oder vierfache Trächtigkeit der unsern zu haben. Gleich Weinbeeren quollen die Körner am Halme.

Die Häuser erwiesen sich durchgängig als vergleichsweise nur klein. Aber alle waren in ungemein wohltuenden Proportionen gebaut und leuchtend in der Farbe. Der geringen Zahl der Häuser entsprach auch die der Menschen, denen wir begegneten.

Diese Menschen waren ausnahmslos groß, gut gewachsen, von schönen Zügen und edler, sicherer Haltung. Ich, der ich daheim als eine Art Riese in meiner Umwelt wanderte, zählte hier unter den Männern keineswegs zu den besonders großen.

Wortlos, wie stets, ging ich neben meiner gut ausschreitenden Wirtin her. Gelegentlich wies sie auf Dinge, denen wir begegneten, und prägte mir ihre Namen ein.

Die Sprache jenes Planeten, um auch dies, was ich erst in mühseligen Studien später erfuhr, schon vorausgreifend zu berichten, ist gegen die unserige ungemein entwickelt: Sie bedient sich der einfachen Wortbegriffe unseres irdischen Inventars lediglich für konkrete Dinge, für ungedankliche Gegenständlichkeiten. Alles Abstrakte, Mentale dagegen drückt sie in merkwürdig konzentriert zusammengesetzten Begriffskomplexen aus, die, wenn man ihre Einzelelemente beherrscht, verblüffend bildhaft, anschaulich, fast anfaßbar wirken und die buntesten und reichsten Zusammensetzungen zulassen.

Gespräche gedanklichen Inhaltes werden dabei wie das Schauen in ein Kaleidoskop: zu immer neuen, überraschenden Bildern formen sich durch die leiseste Bewegung des Geistes die Einzelteile der Gedanken.

Sprachliche Zwischenglieder werden kaum angewendet. Man reiht die Gedankenkomplexe scheinbar verbindungslos aneinander. Bindung geben lediglich die innere Logik und der äußere tektonische Aufbau.

Jene Menschen denken und sprechen – soweit letzteres überhaupt geübt wird – nicht mehr in der alle Denkarbeit retardierenden Wortsprache unserer Erde, sondern in synthetischen Einzelbildern, gewissermaßen in gedanklich wunderbar tiefen und reichen Differenzialen oder Integralen.

Diese Einstellung gibt die Möglichkeit, den bunt durcheinander kollernden, sich überstürzenden Gedankenreichtum des Gehirns sofort zu greifen und in handlichen Formen festzuhalten, während bei der schwerfälligen, und dabei doch dünnen Wortsprache unserer Erde auch den größten Meistern der Rede eine Fülle der blitzartig kommenden und gehenden Gedanken unausgedacht, ungenutzt und kaum selbst geahnt im Äther verpufft. „Denken“ ist für uns irdische Menschen ja nur ein Name. Hinter das wahre Wesen sind wir noch nicht gekommen.

Inwieweit durch die hohe Entwicklung dieser Sprache auch deren schriftliche Fixierung eine ganz besondere Gestaltung erfahren hat, darüber will ich später einiges sagen, jetzt aber in Kürze – vorausgreifend – andeuten, daß auch die Logik jener Welt von der unsern erheblich verschieden ist: Das Kausalitätsgesetz besteht dort nur noch in der Geschichte der Philosophie: Man hat sich längst abgewöhnt, jede Zustandsänderung als Wirkung mit einer Ursache zu verknüpfen. Man nimmt die Geschehnisse in ihrer Gesamtheit.

So hörte ich einmal Irids Vater einen Begriffskomplex äußern, der etwa bedeutete: „Es werden so viele Menschen geboren, die nie den Leib der Mutter sehen, und gerade diese halte ich für die wertvollsten. Ich glaube nämlich, daß durch den brutalen Akt der Zeugung und die sich daran anschließende höchst langsame Fleischwerdung das Beste im Menschen vernichtet wird.“

Ich erfuhr, daß man die Geburt des Menschen schon von dem Augenblicke an rechnet, in dem das Weib den Wunsch der Befruchtung durch einen bestimmten Mann verspürt, und der Befruchtungswille dieses Mannes sich gleichzeitig mit dem des Weibes kreuzt.

Der Trieb zur Befruchtung gilt also nicht als die Ursache der Entstehung eines Menschen, sondern ist schon der Mensch selber in seinem Beginne. –

Irids Vater empfing uns in seinem geräumigen, bequemen Hause mit einem reichlichen Mahle, dem aber auch leider, wie an Irids Tische, jegliche Fleischspeise fehlte.

Als ich hierüber einmal zu Irid eine Bemerkung gemacht hatte, war sie tief entsetzt und fast beleidigt gewesen. Ihr Vater erklärte mir später, daß man schon seit vielen Jahrtausenden kein Fleisch von toten Tieren äße. Diese fürchterliche Unsitte der Urmenschen sei, nachdem das Verzehren von Menschenfleisch schon früher sein Ende gefunden habe, längst erloschen, und nur mit Abscheu berichte die Menschheitsgeschichte von solchen Exzessen barbarischer Wildheit.

Der Vater, Worde mit Namen, war gleichfalls Kinderlehrer gewesen. Er hatte dann aber vor einigen Jahren sein Amt an Irid abgegeben, als diese die Qualifikation dazu erlangt hatte, und lebte nun ganz seinen privaten Studien.

Später erfuhr ich, daß er einen weittönenden Namen als Historiker führe, und stellte fest, daß er seine umfangreichen historischen Arbeiten auf soziologischer Grundlage aufbaue und auf für unsere Begriffe unergründliche tiefe naturwissenschaftliche und vor allem aber psychologische Kenntnisse stütze.

Die Psychologie überhaupt war die Wissenschaft, die alles andere weit hinter sich ließ, und die man als die große Wurzel des geistigen Lebens auf diesem Planeten betrachtete.

Wir tranken einen ausgezeichneten roten Wein zum Mahle und fühlten uns in aller unserer Wortkargheit recht heiter und vergnügt. Vater und Tochter pflegten sich in die Augen zu sehen und sagten sich dabei in ihrer stummen Sprache offenbar viele Dinge, die auch mich betrafen. Jedenfalls erwiesen sie mir oftmals lächelnd kleine Freundlichkeiten, strichen mir über das Haar, legten mir gute Bissen auf und tranken mir lachend zu, welche Sitte sie von mir erlernt hatten, und von welcher Worde übrigens sagte, daß sie ihm in uralten Niederschriften schon begegnet sei.

Nach Tische öffnete der alte Herr in der Halle eine Art Wandschrank, der den Spieltisch einer Hausorgel mit zwei Manualen, Pedal, Registern und Koppeln enthielt.

Und nun zogen die Klänge einer reinen vierstimmigen Fuge durch den Raum. Gleich einer Symbolik des Menschenlebens wob es dahin, ein sich Finden und sich Trennen, ein Zusammenklingen und Wiederauseinanderströmen, ein Verlieren, Suchen und glückliches Vereinigtsein, eine unendliche Harmonie der Linien und der Töne, die alles Irdische vergessen ließ und den Geist in Raume führte von unerschöpflicher Seligkeit.

Irid hatte ihren Kopf an meine Schulter gelegt. Ich sah, daß Tränen in ihren Augen standen.

Als der Vater geendet hatte, faßte sie mich mit beiden Händen und küßte mich auf den Mund.

Nach einem Weilchen stillen Versunkenseins und – wie ich gestehe, in der Erinnerung an Johann Sebastian Bach – einigem Heimweh meinerseits, trug Worde neuen Wein herbei, und wir wurden wieder fröhlich, bis ich dann mit Irid Arm in Arm durch die Nacht zu unserem Hause zurückwanderte.

Vor ihrer Schlafzimmertür küßte sie mich noch einmal, wehrte aber meinen Händen und bot mir Gutenacht.

Die Tätigkeit meines inneren Menschen bewegte sich zwischen zwei Polen: der von Tag zu Tag wachsenden Liebe zu dem über alles Begreifen schönen und für mich so rätselvollen jungen Weibe, zu dessen Gefährten mich ein großes Wunder gemacht hatte, und der Beobachtung der merkwürdigen außerirdischen Welt, die mich hier umgab.

Meine Liebe zu Irid war zu heißer Leidenschaftlichkeit gediehen, und das nahe Zusammensein mit ihr, ohne daß wegen der starken Hemmung durch ihre psychische Überlegenheit eine vollkommene Vereinigung zwischen uns möglich gewesen wäre, hätte mich aufgerieben und seelisch und körperlich krank gemacht, wenn ich nicht durch die sich mir von Stunde zu Stunde mehr erschließende Umwelt dauernd auf das lebhafteste gefesselt worden wäre.

Zumal der wohltuende Umgang mit dem alten Worde, der außer Irid fürs erste der einzige Mitwisser meiner kosmischen Herkunft blieb, gab meinem immer mehr erwachenden Wissensdurst reichliche Nahrung. Der alte Gelehrte, dem es bald leicht fiel, sich in der so außerordentlich viel primitiveren Wortsprache, welche allein ich beherrschen lernte, auszudrücken, begann mich immer mehr und mehr in sein Herz zu schließen, und führte mich allgemach in die Welt seines Planeten, soweit ich sie zu begreifen vermochte, ein.

Allerdings mußte ich mir gefallen lassen, mich als eine Art gebändigten Wilden oder günstigenfalls als ein großes Kind angeschaut zu wissen, wie denn auch die Wortsprache, die allein unser Verständigungsmittel blieb, die Ausdrucksform der Kinder ist. Worde sowohl wie Irid sprachen also mit mir, im Vergleiche mit ihrer eigenen „erwachsenen“ Ausdrucksweise, etwa wie bei uns törichte Mütter mit ihren kleinen Kindern zu plappern pflegen.

Ich hatte inzwischen erkannt, daß der Planet, auf dem ich jetzt meine Tage verbrachte, der Erde in allen seinen kosmischen und physikalischen Lebensbedingungen vollkommen gliche. Er kreist in einem gleichen Abstande und mit gleicher Umlaufszeit um seine Sonne, hat dieselbe Größe, dieselbe geologische Beschaffenheit und überhaupt dieselbe Gesamtverfassung, wie die Erde, so daß sich auf ihm, da die biologischen, chemischen und physikalischen Grundgesetze im ganzen Weltall die gleichen zu sein scheinen, und überdies jene Sonne eine der unsern gleiche Wärme spendet, dieselben Lebensformen entwickelten wie auf der Erde. Auch nur ein einziger Mondtrabant umkreist ihn.

Es mögen um die Milliarden und aber Milliarden von Sonnen des Weltalls wohl manche solcher Planeten kreisen, die Zwillings-Geschwister der irdischen Erde sind.

Daß gerade von einem solchen ich in meiner Atomisierung angezogen wurde, hatte seinen Grund nicht in meinem Willen, sondern lag, wie ich später erfuhr, in anderer Ursache.

Meine Unterhaltungen mit dem alten Gelehrten aber zeigten mir doch einen gewaltigen, grundlegenden Unterschied zwischen dem jetzigen Zustande der Erde und dem der „Drom“, wie jener Planet sich nannte: das war das Alter des Menschengeschlechtes. Die Drom-Menschheitsentwickelung wies gleich der unserer Erde verschiedene Epochen auf, die in ihren Anfängen ganz denen der Erde gleichen: Man unterscheidet dort, wie bei uns, eine Steinzeit sowie eine Kupfer- und Bronzezeit, auf die eine Eisenzeit folgte. Dann begann eine Maschinenzeit von kürzerer Dauer, die in eine ungemein intensive Elektrizitätszeit überging. Im ersten Anfange dieser letzteren Zeit etwa stand die Erde, als ich sie verließ.

Auf der Drom hatte die Elektrizitätszeit einen geradezu märchenhaften Aufschwung alles technischen Könnens gezeitigt. Die alte Geschichte enthält die phantastischsten Beschreibungen von unerhörten Wunderwerken der Elektrizität und anderer Kräfte.

Himmel, Erde, Feuer und Wasser boten dem menschlichen Verstande keine Hindernisse mehr.

Wenn man anfangs den Vogelflug mit Erfolg nachgeahmt hatte, so gelang dies später in noch vollkommenerem Maße mit dem der Insekten. Mit blitzartiger Geschwindigkeit und in vollkommenster Sicherheit durchsausten die damaligen Drom-Menschen die Lüfte. Ungeheure Tunnel, von denen Spuren noch heute erhalten sind, führten von Erdteil zu Erdteil. Die Hülle der Drom bohrte man an, um das Feuer daraus zu entnehmen. Die Stickstoffzufuhr aus der Atmosphäre wurde durch künstliche Entladungen vervielfacht: man setzte die Wirkung des Blitzes in das Wachstum der Pflanzen, die Muskelkraft des Tieres, die Gehirnsubstanz des Menschen um, man nutzte radioaktive Ausstrahlungen als Wärme- und Kraftquelle, und am Ende gar verstand man es, die Rotationskraft des Mondes als Vorspann zu nehmen.

Aber die Geschichte lehrt, daß all dies den heutigen Menschen unbegreifliche Getriebe jener versunkenen Fabelwelt kein Glück gebracht hat.

Inmitten ihrer grandiosen Erfindungen bekämpfte sich die Menschheit untereinander in unerhört gewaltigen Kriegen, von deren mörderischer Furchtbarkeit man sich heute keine Vorstellung mehr machen kann, und schlug sich in grauenhafter Bestialität gegenseitig zu Millionen und aber Millionen nieder.

Trotz dieser Abschlachtungen aber blieb die Drom-Oberfläche von unruhevollen, geschwätzigen und hastig arbeitenden Menschen derartig angefüllt, daß sie sich wie der Umkreis eines Ameisenhaufens ausgenommen haben mag.

Man sollte auch meinen, daß wenigstens die in der damaligen Urzeit höchst mangelhafte Kenntnis des menschlichen Körpers, die es nicht erlaubte, mit den Krankheiten fertig zu werden, die Menschheit verkleinert habe. Dem aber war nicht so: zwar raffte die Krankheit gleich dem Kriege unzählige Millionen dahin, aber wie Hydraköpfe wuchs die wuchernde Menschheit nach.

Der unerhörten Überschätzung verstandesgemäßen, technischen Könnens jener wilden Zeit entsprach eine unwirkliche, phantastische und barbarische Ethik:

Der große Irrtum der Menschen jener Drom-Epoche, der viele Jahrtausende angehalten hat, daß nämlich sich im Körper die Seele als besonderes Lebewesen, als eine Art Einwohner, aufhalten solle, führte dazu, dieser Seele übersinnliche Eigenschaften beizulegen, und ihr aus Gründen mangelnden Naturerkennens die Fiktionen von Gottheiten der verschiedensten Art vorzusetzen, vom einzigen Gotte bis zu einem ganzen Götter- oder Heiligenhimmel, oft auf das tiefsinnigste und gehaltreichste ausgedacht und mit unendlicher Liebe mystisch verklärt, um welche Gottheiten sich die Drom-Menschen dann dauernd bis aufs Blut uneinig waren.

Durch das ungeistige Wesen, das sie in ihrer Verblendung um die Gottheiten herum inszenierten, schufen sie den Begriff von Gut und Böse, und trieben durch Lehre und Beispiel sich selber gegenseitig immer von neuem unwiderstehlich zum Schlechten.

Zwar gab es auch schon in jenen Urzeiten Menschen, die den Mut besaßen, diese Gottheiten als Erzeugnisse der menschlichen Phantasie zu erkennen, als Produkte des menschlichen Bedürfnisses nach Anlehnung, Unterordnung, Unfreiheit, nach übersinnlicher Mystik oder doch als die gedachte transzendente Verlängerung einer zu kurzen sinnlichen Erkenntnis, als die bequeme Erklärung scheinbar rätselhafter Vorgänge. Aber diese wenigen Menschen wurden einerseits mit Haß und Abscheu oder wenigstens mit Geringschätzung behandelt, anderseits taten sie sich auf ihre Erkenntnis etwas Besonderes zugute, legten sich wissenschaftlich klingende Namen bei und machten ein aufdringlich großes Wesen von sich.

Daß in solch’ barbarischem Getriebe die Kunst unbeirrt die herrlichsten und köstlichsten Blüten trieb, erscheint uns heute auf den ersten Blick unverständlich, erklärt sich aber aus der blutwarmen, unverbrauchten, gärenden Jugend des damaligen Menschengeschlechtes, als dessen reinste Kräfte die Künste aus dem Grunde des brodelnden Kessels gleich Gasblasen durch alles siedende Aufwallen hindurch unverletzt zur Oberfläche aufstiegen.

Auch die Wissenschaft, soweit sie sich nicht zur Sklavin der Technik machte, stand bereits inmitten vergleichsweise hoher Erkenntnisse. Von dem Lebenswichtigsten allerdings, vom Menschen, wußte sie wenig.

Überhaupt kam der Mensch in dieser sonderbarsten und aufregendsten Zeit, die der Drom je beschieden war, am schlechtesten weg.

Die immer mehr wachsende Überfüllung des Planeten, die sich höchst unzweckmäßigerweise auf einigen ihrer Gebiete einstellte, während andere frei blieben, schuf von selbst die Notwendigkeit der Einteilung und Organisation der sich drängenden Menschheit.

Von jeher hatte in jenen Urzeiten eine merkwürdige Doppelschichtung bestanden, deren Lagerungen sich in unregelmäßigen Perioden veränderten.

Auf der einen Seite war dies die über die ganze Drom hinweggehende wagerechte Schichtung in eine dünne obere Lage und eine dichte untere Lage. Die obere Lage bestand aus den Besitzenden, die untere aus den Besitzlosen. Geistiges hatte damit nichts zu tun. Es handelte sich lediglich um das Materielle.

Dem stand auf der andern Seite die senkrechte Schichtung gegenüber. Sie teilte die Menschheit nach dem Ursprungsorte ihrer Sprachen und Stämme und der geographischen Lage ihrer Wohnsitze in allerhand größere oder kleinere Gemeinschaften, die sich „Nationen“ nannten, meist untereinander bitter verfeindet waren, und sich, wenn es irgend anging, auf das heftigste und in jeder Art bekriegten. Die Kriege pflegten dann die Grenzen der senkrechten Schichtungen über ihre ursprüngliche sprachliche und geographische Lage mehr oder weniger weit hin und her zu schieben, welche Verschiebungen immer neuen Anlaß zu weiteren Kriegen gaben. Oft gar nahmen diese Verschiebungen einen solchen Umfang an, daß eine der Nationen das Gebiet der andern ganz bedeckte.

Gelegentlich einigte man sich in der Menschheit dahin, daß die Kriege von nun an aufhören, und alle einen großen Freundschaftsbund schließen sollten. Diese Einigung pflegte aber nur den Mächtigeren der senkrechten Schichtungen zugute zu kommen, und zwar auch nur so lange, als diese sich untereinander vertragen, ein Zustand, der selten lange anhielt.

Auch die große wagerechte Doppelschichtung der Besitzenden und Besitzlosen änderte oftmals ihre Lage zueinander. Dieser Wechsel war stets von Kämpfen begleitet, die den Kriegen der Nationen an Furchtbarkeit nicht nachstanden.

Die dichtere Lage der wagerechten Schichtung, die Besitzlosen, strebte zudem dauernd danach, das System der senkrechten Schichtung in Nationen überhaupt aufzuheben, weil dieses System ihrem Streben, die Oberhand zu gewinnen, entgegenstand. Wenn tatsächlich die spätere und längere Geschichte der Drom-Menschheit eine solche senkrechte Schichtung der Nationen nicht mehr aufweist, und lediglich die Dichtkunst in Prosa und Vers die schönen Ursprachen jener Epochen auf uns überbracht hat, so ist das aber nicht als ein Erfolg der Schicht der Besitzlosen anzusprechen, sondern lediglich die Wirkung der großen Geisteszeit, die einsetzte, als mit dem Ende der Elektrizitätszeit die Drom-Geschichte einen Gipfelpunkt von goldener und blutroter Strahlung erreicht hatte, wie er nicht höher und machtvoller, aber auch nicht wilder und furchtbarer gedacht werden kann.

Ein gewaltiger, himmelragender Weltberg muß jener Gipfel gewesen sein, umlagert von den großen, immer gärenden und wechselnden Menschheitsorganisationen.

Das Einzelstudium der Geschichte jener Drom-Zeit weist, wie mich Worde lehrte, Organisationsformen der mannigfaltigsten Art auf.

Am verbreitetsten war gegen das Ende jener unseligen Zeit die sogenannte Republik, in welcher Einrichtung stets eine (meist nur geringe) Mehrheit der Minderheit die Gesetze vorschrieb, und in der es zuzugehen pflegte, wie auf einer jener schnell rotierenden Drehscheiben, wie man sie früher zur Volksbelustigung auf den Jahrmärkten vorführte. Auf ihnen hält sich immer, um nicht abgeschleudert zu werden, einer am andern fest. Nur einigen wenigen aber gelingt es, in der Mitte der Scheibe so lange festzusitzen, bis sie der Zug eines anderen, gleichfalls zur Mitte Strebenden aus dem Gleichgewicht bringt und der tangentialen Wirkung der Rotationskraft aussetzt.

Diese sogenannten Republiken gab es in allen Formaten und Spielarten. Stets aber mußte ein erheblicher Teil der Menschheit dem Willen des andern Teils untertan sein, obwohl das Wort „Untertan“ als in hohem Maße beleidigend galt.

Auch Republiken mit schön drapierten Herrschern waren darunter. Diese letzteren band man in der Mitte der Drehscheiben an für sie eingeschraubten goldenen Ringen bewegungslos fest.

Zeitweilig hatte sich auch eine ganz besondere Organisationsform aufgetan, die leugnete eine Republik zu sein und von sich behauptete, die Lösung der großen Menschheitsfrage bringen zu können.

In der Theorie war sie, das muß man ihr noch heute, nach langen Jahrtausenden, zugestehen, schon vergleichsweise recht unbarbarisch ausgedacht. Keiner sollte darin mehr bedeuten, mehr besitzen und mehr Gewalt haben als der andere. Alle die trennenden und aufregenden Schichtungen, sowohl die wagerechten in Besitzende und Besitzlose, wie die senkrechten in Nationen, sollten damals schon, wie es heute ist, aufgehoben werden.

Aber es blieb bei der Theorie, denn die Voraussetzung für ihre praktische Durchführung, die Vergeistigung der Menschheit, war in jenem Menschheitszustande der Barbarei noch nicht erfüllt.

Die Versuche zur Errichtung solcher Gemeinschaften waren begreiflicherweise dazu verurteilt, am Materiellen kleben zu bleiben, und erreichten nur, daß das Individuum sich wie in einem gewaltigen, alles nivellierenden Schafstalle vorkam, in dem keiner sich wohl fühlte, jeder unfreier war als zuvor, und daß sich neben und vor die reinen und gutgläubigen Gründer und Führer Unberufene, Eitle, Macht- und Blutdürstige drängten, die der Menschheit das Leben zur Hölle machten. Die Hauptsache aber, der oberhalb des geknebelten Individuums thronende „Staat“, ohne den die ungeistige Menschheit jener Barbarenzeit eben nicht bestehen konnte, blieb, wie sehr die Schöpfer der Organisation dies auch bestritten, unter anderem Namen nach wie vor am Leben.

Am wohlsten scheint sich nach den erhaltenen Inschriften und schriftlichen Überlieferungen die Menschheit noch in jenen seltenen Ausnahmefällen befunden zu haben, wo ein durch ungewöhnliche Gaben vor seinen Mitmenschen ausgezeichneter Einzelner, getragen von dem Vertrauen aller, diktatorisch an der Spitze der Organisation stand.

Aber auch die geringe Zahl dieser Einzelnen, von denen die Geschichte weiß, Führer im Geiste, blutgeborene Könige aus den Geschlechtern der Urzeit, oder geistesgeborene Söhne des Volkes, hatten unter dem Barbarismus und dem niedrigen Kulturniveau ihrer Umwelt schwer zu leiden.

Im ganzen betrachtet, bedeutete jede Änderung der Organisationsform, so hoch auch sie von ihren Anhängern als die endliche Erfüllung der ersehnten Freiheit gepriesen wurde und welcher Art sie auch gewesen sein mochte, nichts als günstigenfalls einen Gewinn für die Gesellschaft auf Kosten des Individuums.

Ich drang im Laufe unserer Abende in Worde, mich wissen zu lassen, wie sich die Dromgeschichte nach dem Versinken jener gewaltigen Elektrizitätsepoche gestaltet habe.

Es wurde dem alten Gelehrten nicht leicht, sich mir verständlich zu machen. Meine Welt, unsere irdische Menschenwelt, war gegen jene der Drom, das hatte ich inzwischen begriffen, um zahlreiche Jahrtausende in der Entwickelung zurück, mir aber mangelte die Erfahrung jenes gewaltigen Zeitunterschiedes.

Wiederholtes Geschehen gibt gleich addierten Zahlen eine Summe. Dies wiederholte Geschehen findet im Rahmen der organischen Welt seinen reichsten und letzten Ausdruck in der Vererbung. Da aber das höchste Organ die menschliche Psyche ist, entstanden in der Entwickelung ungezählter Zeiträume, so klingt in unserm Bewußtsein die Psyche aller hinter uns versunkenen Jahrtausende mit.

Mir aber fehlten in der meinen eine Anzahl von Jahrtausenden, und zwar gerade die letzten.

Der alte Gelehrte befand sich also mir gegenüber in einer Lage, als ob etwa auf unserer Erde jemand einen vielleicht aus der Steinzeit wieder auferstandenen Mann, dem man unsere Sprache, soweit er sie zu begreifen vermag, notdürftig beigebracht hat, die Entwickelung der letzten Jahrtausende erklären will.

Es gelang aber doch Wordes feinem psychologischen Verständnis, sich in mein primitives Denkvermögen hineinzufinden und mir den weiteren Verlauf der Dinge auf der Drom einigermaßen begreiflich zu machen.

Alle diese Menschheitsorganisationen, fuhr er fort, haben also nur eines erreicht: ihren eigenen Aufbau und Zerfall. Dem einzelnen Menschen gaben sie wenig oder nichts. Im Gegenteil: je stärker und machtvoller die Organisation als solche dastand, um so weniger bedeutete darin der einzelne Mensch, auf dessen Erhaltung, Freiheit, Wohlbefinden es jedoch letzten Endes ja allein hätte ankommen sollen.

Es hält heute schwer, sich eine Vorstellung von einer Welt zu machen, in der die Nahrungs- und Ordnungsorganisationen oberhalb der einzelnen Individuen standen, in der die Organe dieser Organisationen, deren Versammlungen, Kommissionen, ja deren einzelne Beamtete berechtigt und sogar verpflichtet waren, über den Menschen zu bestimmen, Regeln für sein Verhalten aufzustellen, ihm Befehle zukommen zu lassen, ihm Verbote zu erteilen, wie wir es unsern Haustieren gegenüber zu tun pflegen.

Aber nicht nur diese wirtschaftlichen Verbände, Staat, Gesellschaft, Gemeinschaft oder wie immer sie sich nannten, übten eine Gewalt über den einzelnen Menschen aus, auch merkwürdige, irreale Begriffe der verschiedensten Art hatte sich die Menschheit im Laufe der Jahrtausende ihres Urzustandes selber ausgedacht, von denen sie sich in jedem ihrer Schritte quälend beeinflussen ließ.

Religion, Sitte, Moral und wie sonst sie diese selbstgeschaffenen Begriffe nannten, die gleich unsichtbaren, nur in der naiven Phantasie jener Menschen vorhandenen Gespenstern ihre Geißeln über ihnen schwangen, sie mehr und mehr von der Natur und dem Selbstverständlichen fortführten, ihre psychischen Qualitäten von Jahrhundert zu Jahrhundert verschlechterten und unermeßliches Elend über die Menschheit brachten.

Es ist – um nur eines davon zu nennen – für uns heute unbegreiflich, welch’ ungeheuerliches, fürchterliches, dumm-geheimnisvolles Getue jene Menschheit mit dem reinsten und schönsten Dinge des Lebens, der Erotik anstellte! Die alte Geschichte lehrt, daß auf keinem Gebiete menschlicher Beziehungen mehr Unheil angestiftet wurde, als gerade hier. Mehr noch als in allen anderen Angelegenheiten ihres Lebens machten sich jene Menschen hier selber zu den armseligsten Sklaven. In unbegreiflicher Selbstqual verkümmerten sie sich künstlich den schönsten Ausdruck der Freiheit und des Lebens, den ihnen die Natur verliehen hat.

Es muß eine armselige, enge und dunkle Zeit gewesen sein inmitten aller ihrer Wunderwerke eines einseitig und künstlich hochgetriebenen Verstandes!

Das Höchste und Wertvollste an uns, unser Ich, die köstliche Freiheit, das zu tun oder geschehen zu lassen, wozu uns unser Wunsch und unser Wille treibt, von dieser Freiheit des Ich war in der Finsternis jener frühen Tage des Menschengeschlechtes nichts zu finden.

Der lange Weg vom behaarten Menschentiere, das in den Schachtelhalmwäldern nach Nahrung suchte, zum heutigen geistigen Menschentume führte durch eine gewaltige, öde Wüste, in der lediglich die Kunst Oasen einer allerdings köstlichen Erfrischung schuf.

Wie lange doch hat es gedauert, bis man sich dazu verstand, alle die unzähligen, phantastischen Selbstbeschränkungen über Bord zu werfen, zu lernen auf den eigenen Füßen seines eigenen Ich zu stehen und als einziges Gesetz anzuerkennen:

„Sei frei wie der Adler über den Bergen, aber nicht auf Kosten eines deiner Mitmenschen, deren jedem dein Handeln zu allen Stunden Vorbild sein soll.“

Um aber endlich die arme gemarterte und gefesselte Menschheit aus dem Dunkel der Sklaverei ins Licht der wahren Freiheit zu führen, bedurfte es erst der größten Umwälzung aller Zeiten: der Vergeistigung.

Wer diese höchste Tat vollbrachte, wer das große Menschenrätsel endlich löste, diese Frage ist schwer zu beantworten.

Schon in der vor-elektrischen Maschinenzeit begann jene Wissenschaft aufzukeimen, die man damals Psychologie nannte, eine unbegreiflicherweise gering geschätzte Wissenschaft, der man gerne die „Wissenschaftlichkeit“ absprach, und die man zeitweilig sogar als „materialistisch“ mit Haß verfolgte.

Die Erkenntnis nämlich, daß die Wahrheit, das „Ding an sich“, dem Menschen bis in Ewigkeit verschlossen bleiben wird, daß er seiner Umwelt gegenüber niemals aus der Menschenperspektive herauszutreten vermag, daß alles Denken und scheinbare Wissen nichts ist, denn eine Vorstellung, diese Erkenntnis führte zu dem innigen Wunsche, wenigstens diese Vorstellung zu bessern, zu veredeln, zu vergeistigen. Das Organ aber der Vorstellung ist die Psyche. Ziel und letzte Forderung menschlichen Strebens also ward die Beherrschung der Funktionen unserer Psyche.

Schon inmitten des fürchterlichen Getriebes der Elektrizitätszeit war von einigen wenigen gelehrten und zugleich einsichtsvollen Männern dieser Erkenntniskeim sorgfältig gehütet und gepflegt worden.

Man entdeckte dann in der Großhirnrinde den Sitz der Funktion des bewußten Willens.

In jahrhundertelangem stillen Denken und lautlosem Experimentieren gelang es dem immer größer werdenden Kreise der psychologischen Forscher, denen auch die Biologen und die übrigen Naturwissenschaftler eifrig dienten, als erste Erkenntnisstufe die Funktion dieses Willens derartig klar zu erfassen und in seinen einzelnen Elementen bloßzulegen, daß es darauf nur noch eines weiteren Schrittes bedurfte, um ihn seinem Besitzer, dem Menschen, als Instrument in die Hand zu geben, dessen er sich wie seiner übrigen Organe, Augen und Ohren, Geruch und Geschmack, ja wie seiner Glieder, nun willkürlich bedienen konnte.

Denn so unglaubwürdig es klingen mag, bis dahin hatte der Mensch seinen Willen zwar besessen und sich seiner auch in gewissem Umfange bedient, aber fast ausschließlich zu äußeren Handlungen. Im Innern lag die ungeheure Kraft des Willens brach.

Die Kenntnis der Funktion des inneren Willens nun endigte die Elektrizitätszeit, deren gewaltige Evolution die gesamte Drom-Menschheit zu armseligen Sklaven gemacht hatte.

Ihm trat der Überwinder entgegen, der einzelne Mensch, das Ich des Menschen. In herrschend erhobener Hand schwang er das unbesiegbare Schwert seines inneren Willens.

Nachdem der Mensch sich dergestalt auf sich selbst besonnen und sich von der Materie zum Geiste gewandt hatte, war die erste grundlegende Umformung, deren der neuerkannte Wille sich annahm, die Regelung der Zeugung:

Das frei gewordene Weib ward unabhängig vom blinden Zufall. Der Wille des Weibes bestimmte, ob der Akt der Zeugung, dem sie sich nun frei hinzugeben vermochte, mit der Schaffung eines Menschen enden solle oder nicht, und der Wille des Weibes bestimmte das Geschlecht des von ihm gewollten Kindes.

Ein ungeheurer Rückgang der Geburten war die Folge. Mutter wurde nur das Weib, das den innern Beruf dazu verspürte. Die Zahl der Kinder richtete sich nach der Fähigkeit der Mutter, sie zu erhalten.

Nachdem der Mensch ein Ich geworden und das hastende Gedränge der Überfüllung einer bequemen, weitläufigen Ruhe und inneren Sicherheit Platz gemacht hatte, wurde das Weib auch von dem Manne frei, und erst damit die wahre Mutter ihrer freien Kinder. Wo das Seelenband zerriß, hielt nichts mehr die Mutter beim Vater. Sie ward frei von ihm und er von ihr. Nur der freie Wille bestimmte fortan das Verhältnis der Geschlechter untereinander.

Das schönste Geschenk der Natur war von den Fesseln gelöst, die menschliche Beschränktheit ihm angelegt hatte: der freie Liebesgenuß!

Eine weitere Befreiung brachte der Instrument gewordene Wille: der Mensch ward Herr der Krankheiten.

Wohl vermochte er nicht dem Tode als dem Beschließer des Alters zu gebieten, wohl konnte er nicht verhindern, daß eine schwere Wunde entstand, wenn eine unachtsame Sense das Bein traf, aber von dem gewaltigen Heer der inneren Krankheiten verlor der größte Teil seine Kraft.

Schon die Urmenschheit kannte den psychischen Einfluß auf die inneren Erkrankungen, aber sie wußte ihn nicht zu meistern. Ratlos stand sie vor Tatsachen, wie solchen, daß nach einem schweren Schiffbruche alle geretteten Kranken der Besatzung, auch die mit heftigem Fieber behafteten, gesund waren und sich erst entsannen, überhaupt krank gewesen zu sein, als die Erregung des Unglücksfalles schwand. Man sah nicht, daß hier, noch unbewußt, der innere Wille die Krankheit beendet hatte.

Kranksein ward ein Zustand, der von nun an nicht mehr periodisch durch alle Menschenleben zog und in der addierenden Wirkung auf die Reihe der sich folgenden Geschlechter die Menschenkörper verkümmerte und die Psyche auf das ungünstigste beeinflußte. Von einem gesunden Vater gezeugt, von einer gesunden Mutter geboren, im Besitze eines alle seine inneren Vorgänge beherrschenden Willens, blieb der Mensch frei von hemmender Krankheit und nahm zu an Größe und Schönheit des Leibes. –

Eine neue Menschheit erstand, Abscheu und Grauen war in ihr vor allem Künstlichen, vor alle dem barbarischen Werke ungeistig hochgezüchteten und überschärften Verstandes, aber auch vor den entsetzlichen Menschenhäufungen, die man „Städte“ genannt hatte, und die in Wahrheit die Brutstätten aller Ungeistigkeit gewesen waren.

Keiner der fabelhaften Fähigkeiten der Vorzeit mehr bedurfte es, die Menschen in ihren Bedürfnissen zu erhalten. Die Frucht des Feldes und des Gartens genügte zu ihrer Ernährung.

Das Wort „Freiheit“, mit dem die früheren Jahrtausende sich vergeblich heiser geschrien hatten in brünstigem Verlangen, verlor sein Gewicht, nachdem es geworden war wie die Luft: keiner kann ohne sie leben, aber keiner ruft nach ihr, denn sie erfüllt den Raum.

Niemand war des anderen Herr oder Knecht. Nur ein Herr noch galt unter der Sonne: Ich!

Das Verhältnis der Menschen untereinander begann sich ganz natürlich nach Neigung und Fähigkeiten zu regeln.

Wer das Bedürfnis verspürte, als freier Mann oder als freies Weib in Sold zu stehen, oder wer nicht die Fähigkeiten fühlte, auf eigenen Füßen in der Welt zu leben, trat in eines anderen Dienst, ohne daß der andere Gewalt über ihn erlangte.

Die großen Menschheitsorganisationen, die Schichtungen, die wagerechten der Besitzenden und Besitzlosen sowohl wie die senkrechten der Völker, lösten sich ineinander auf.

Die Menschen, weit auseinander hausend, schlossen sich zu freiwilligen Wohnkreisen zusammen. Männer und Frauen fanden sich, die gemeinsamen wirtschaftlichen Dinge, wie Produktionsaustausch, Post, Hygiene und ähnliche Notwendigkeiten zu besorgen. Die Wissenschaft schuf sich selbst ihre eigenen Institutionen.

Niemals wieder aber bekam die Organisation Gewalt über irgendeinen der Einzelmenschen. Sie hing nicht mehr über den Köpfen der Organisierten, sondern lag unter ihren Sohlen.

Morgenröte war aufgegangen am Menschheitshimmel. –

Aber noch stand nicht die Sonne letzten Friedens am Himmel. Noch immer gab es Ruhestörer. Wenn auch ihre Zahl gering war, so bedurfte es doch noch der Gesetze und ihrer Güter. Noch fehlten zwei Stufen zum vollen Werke der Menschheits-Vergeistigung.

Jahrtausende des Suchens, Forschens und Erkennens lagen wieder zwischen jeder dieser Stufen.

Die erste war die Erkenntnis der Psyche des anderen.

Die Arbeit begann mit der Bloßlegung der Funktionen des Denkens, welch’ letzterer Beschäftigung man bisher wohl mit intensivster Hingabe, aber doch ohne irgendeine Kenntnis ihrer Elemente obgelegen hatte.

Nachdem aber der Organismus der Denktätigkeit wissenschaftlich erkannt war, gab man dem Menschen die Fähigkeit in die Hand, zwar noch nicht sein eigenes Denken planmäßig zu erkennen und zu kontrollieren, aber das jedes anderen Menschen bis in die letzten Zellenregungen zu beobachten.

Embryonale Anfänge zu solchem Erkennen anderer Menschen waren ja auch schon den Alten bekannt gewesen. Liebesleute, Freundespaare, Mutter und Kind und ähnliche Menschenverbindungen, zwischen denen eine tiefe Sympathie – welches Wort für einen unbekannten Begriff man einsetzte – bestand, glaubten sich in vielen Dingen zu verstehen, ohne miteinander zu sprechen. Von zwei Künstlern des Altertums erzählt man, daß sie den Abend miteinander schweigend verbrachten und sich dann unter gegenseitigen Worten des Dankes für die schöne Unterhaltung verabschiedeten.

Aber erst die wissenschaftliche Aufdeckung der Psyche ermöglichte es, jedes beliebigen Menschen psychische Regungen zu erkennen, auf den man sich einstellt.

Welche Wirkungen diese Fähigkeit, die im Laufe der Zeiten Gemeingut der gesamten Menschheit wurde, ausübte, liegt auf der Hand: die Lüge und die Falschheit, die bösen Geister vieler Jahrtausende, schwanden aus der Welt.

Da keiner dem andern mehr etwas verbergen konnte, so verkümmerte die Neigung der Menschen zu Verstellung und Entstellung, die nach dem Verlöschen der Religionen ohnehin schon erheblich an Verbreitung eingebüßt hatte, vollkommen. Nur bei Kindern, die ja die Phasen der Menschheitsentwickelung im einzelnen Individuum erkennen lassen, findet man noch Spuren davon.

An die Stelle der Lüge trat das Schweigen.

Von einem Weisen aus der alten Geschichte hat sich das Wort erhalten: „Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist.“

Es war eine Freude geworden, mit Menschen zu leben.

Über die letzte Stufe der Menschheitsvergeistigung sprach Worde noch nicht. Ich war ihm noch nicht reif genug.

In den Monaten dieser ersten Erkenntnisse, während derer unser äußeres Leben seinen unverändert ruhigen Gang weiter lief, änderte sich in meinen Verhältnissen zu Irid nichts, als daß meine Leidenschaft für das schöne und merkwürdige Mädchen immer mehr wuchs und damit die Qual des innigen Zusammenseins mit ihr.

Sie mied jeden Verkehr außerhalb des Hauses und wußte auch den ganzen Sommer über ihre wenigen Bekannten von sich ferne zu halten, so daß nur die stumme Dienerin Okk, der Hund Turu und des Vormittags die Kinder um uns waren. Selten kamen Geschäftsleute, Männer und Frauen, des Hausstandes wegen, oder Eltern der Kinder. Ihnen blieb ich fern.

Mit den Kindern aber befreundete ich mich immer mehr.

Sie waren Geist von meinem Geiste. Mit ihnen sprach ich die gleiche Sprache und dachte ich die gleichen Gedanken.

Ich glaube zwar, daß sie manches Mal über mich spotteten, wie Kinder ja geistig Armen mitleidslos entgegenzutreten pflegen, aber sie betrachteten mich doch als ihren Freund, mit dem sich gut schwatzen und spielen ließ.

Ich hatte mir in einem Kellerraume des Hauses eine kleine Werkstatt eingerichtet, wo ich mit Material, das mir Irids Vater gütig lächelnd beschaffte, allerhand technische Basteleien veranstaltete. Es tat meinem angestrengten Geiste wohl, einige Stunden des Tages, während derer ich mich manuell beschäftigte, ausruhen zu können.

Ich baute kleine elektrische Apparate einfacher Art, wie primitive Hausklingeln und ähnliches. Mein größtes Werk aber war eine Dampfmaschine, deren Hauptbestandteil ein mehrere Liter fassender Kessel bildete, der eigentlich Destillationszwecken der Apotheken dienen sollte. Im Anschluß an diese Leistung wagte ich mich gar an einen kleinen Dynamo.

Die Arbeit machte mir Freude, und auch den Kindern bereiteten meine Erzeugnisse viel Spaß, während Worde und Irid sie belustigt als nichts anderes betrachteten, denn als kindliche Spielereien, trotzdem ihnen der Mechanismus meiner gut laufenden kleinen Maschinerien durchaus unbekannt war und ihr Interesse hätte erregen müssen.

Irid blieb zu mir nicht nur stets gleichmäßig freundlich, gütig und warmherzig, sondern ließ mich auch zu meiner Tortur stets weiterhin fühlen, daß ich ihr körperlich sehr sympathisch sei.

Sie lebte nach wie vor auf das engste mit mir, ließ mit Wohlgefallen meine Liebkosungen geschehen und erwiderte sie wohl gar. Gelegentlich küßte sie mich in Gegenwart ihres Vaters oder der Dienerin. Die vollkommene Freiheit der Drom-Menschen untereinander läßt nicht einmal den Gedanken aufkommen, über irgend etwas, das der andere tut, abfällig zu urteilen. Nur sich selbst gegenüber bestehen sie auf strengster Kritik. Auf meiner Erde hatte ich das Gegenteil beobachtet.

Trotz Irids zärtlicher Freundschaft aber war, wie man begreifen wird, mein Leben mit ihr ein höchst unvollkommenes. Nie gehörte sie mir ganz, wie sie überhaupt noch keinem Manne gehört hatte.

Sie erklärte mir, daß sie sich erst mit dem Manne vereinigen würde, mit dem sie ein Kind zu zeugen gedächte.

Sie glaube bestimmt, daß das aus einer allerersten Liebesvereinigung hervorgegangene Kind höhere Lebensqualitäten besitze, als ein anderes. Die Auswahl des Mannes zu dieser Zeugung hielte sie für die wichtigste Aufgabe ihres Lebens.

Mir ward bei diesen sachlichen Auseinandersetzungen des jungen, gleich einer reifen Traube schwellenden und vor Sinnenbegierde bebenden Weibes unheimlich zumute. Sollte ich hier standhalten, mich namenlos quälen lassen in meiner fast tollen Liebessehnsucht, und dabei, wartend bis eines Tages jener andere käme, der Irid in seine Arme nehmen durfte, gleich einem verzogenen Haustiere leben?

Ich war oft sehr verzweifelt und verwünschte das Los, das mich in diese paradiesische Hölle gebracht hatte.

Ich beschloß, meine bewährte, irdische, ungeistige Willenskraft wieder zu üben, um mich zu gegebener Zeit von diesem Planeten fortzuheben.

Der Gedanke aber, Irid für immer verlassen zu müssen, bereitete mir viel Qual, und ich fühlte mich fürs erste noch nicht bewogen, ihn auszuführen, zumal ich noch nicht das Letzte über die Geschichte der Drom-Menschheit erfahren hatte.

Dies sollte erst im Beginne des Winters, der mit köstlichem Schneefalle eingesetzt hatte, geschehen.

Eines Abends, als wir beim Weine am Kaminfeuer saßen, fand Worde die Anknüpfung an den abgerissenen Faden seines Berichtes.

Die dritte Stufe der großen Evolution der Psyche, begann der alte Gelehrte, die alleine erst die Menschen unserer Drom endgültig zu dem machte, was sie heute sind, brachte zugleich die Erfüllung eines uralten Wunsches der Menschheit, eines Wunsches, der fast so alt ist als sie selbst.

Die Überlieferung der Urgeschichte berichtet von einem mystischen Hause, das die Menschen zu Ehren ihrer alten Götter errichtet hatten, und über dessen Eingange das Wort gestanden habe: „Erkenne dich selbst!

Aber ebenso stark, wie sich die Sehnsucht nach dieser letzten Erkenntnis regte, ebenso schwer war die Ausführung.

Wie sollte der Mensch sich selber erkennen, nachdem er noch nicht einmal die Vorstufen der Erkenntnis des Willens und der Erkenntnis der Psyche anderer erklommen hatte? Dann erst bedurfte es jahrhundertelanger Arbeit der nach Zahl der Mitarbeiter und Qualität des Denkens immer gewaltiger angewachsenen Wissenschaft, um das schwerste aller Rätsel zu lösen.

Atom für Atom wurde in unendlicher Mühe die Wahrheit zutage gefördert, bis endlich das so heiß und innig Ersehnte offen dalag.

Der gedankliche Apparat der Psyche war bis in seine letzten geistigen Fasern bloßgelegt, wie man einst das Großhirn seziert hatte. Man konnte nun die Schlüsse ziehen, und die Anwendung der Menschheit applizieren.

Die Fähigkeit des Selbsterkennens ist in den letzten Zeitepochen derartig ausgebildet und zum angeborenen, allgemeinen Besitztum der geistig nur halbwegs höher Organisierten geworden, daß nur noch Kinder und Halbidioten sich nicht in demselben Umfange selber zu erkennen vermögen, wie man in die Psyche seines Nebenmenschen schaut.

So wie ich weiß, was in diesem Augenblicke in deinen und Irids letzten Gedanken vorgeht, so weiß ich – den Alten möchte das wunderbar erscheinen – wie es in meinem eigenen Innern ausschaut.

Ja, es bedarf nur einer gewissen geringen Anstrengung der besonderen Funktion meines Hirns, um mich rein körperlich, physisch, außer mir selber zu sehen und zu hören.

So sehe ich jetzt hier, mir gegenüber, den alten Worde auf einem Stuhle sitzen, mit einigen Handbewegungen über längst selbstverständlich gewordene Dinge sprechen, und allmählich müde werden. Auf dein Wohl, alter Zwillingsbruder! Du sollst noch einige Jahre leben, dann aber fröhlich schlafen gehen!

Der Alte schmunzelte belustigt und stieß gleichsam mit sich selber an. Irid und ich mußten, so unheimlich auch mich die Angelegenheit anmutete, lachen. Wir nahmen unsere Gläser und ein allgemeines, ganz irdisches und heimatliches Anklingen ertönte.

Ich fragte Irid, ob auch sie sich so außerhalb ihrer selbst zu sehen vermöchte. Sie erklärte mir lachend, daß schon die Kinder das mit der Sprache ganz von selber lernen. Nur die Tiere nicht. Turu, der Hund, kann sich nicht selbst erkennen.

„Und – – –?“ warf ich leise ein. „Und nicht mein Freund Markus.“

Dabei nahm sie meinen Kopf in ihre Hände und küßte mich lachend.

Worde aber schenkte neuen Wein ein, legte sich behaglich zurück und fuhr fort zu berichten:

Während die Menschheit früherer Zeitepochen sich vom Tier lediglich durch die sogenannte Vernunft unterschied, hat sie durch die Vergeistigung vermöge der Beherrschung der Funktionen des inneren Willens, der Erkenntnis anderer und endlich der Erkenntnis ihrer selbst einen solchen Grad von Erhebung über jenen Urzustand erlangt, daß es schwer hält an eine noch weitere Entwickelung zu glauben.

Und doch steht uns ohne Zweifel eine solche noch bevor. Denn, wenn auch scheinbar all’ unser ganzes Wesen mehr und mehr von der Materie unabhängig geworden ist, so hat doch eines sich durch alle Zeiten und Wandlungen unverändert erhalten: der Zeugungstrieb. In ihm sind wir noch dem Tiere gleich, so sehr wir auch diese Urkraft schon differenziert zu haben glauben.

Aber schon jetzt ist die Wissenschaft zu bemerkenswerten Feststellungen über die Elemente dieses ersten, letzten und stärksten Antriebes zum Leben gekommen, so daß für künftige Jahrhunderte auch hier Entdeckungen bevorzustehen scheinen, die geeignet sein konnten, die Vergeistigung auch auf die geheimnisvollen Bezirke der Erotik auszudehnen.

Wenn es dann zum Gemeingut aller geworden sein wird, die Geschlechtsliebe, vom Körperlichen getrennt, nur im Seelischen zu erleben, dann ist die breite Treppe zum Katafalk der Menschheit erstiegen.

Die alte Drom aber wird bei der Totenfeier keine Tränen weinen. Sie hat einst Jahrmillionen die Sonne umkreist, ohne daß Menschen auf ihrer Rinde nisteten. Sie wird dann weitere Jahrmillionen ohne diese Mitfahrer ihre Kreise ziehen, bis einmal das Feuer der Sonne erloschen ist, und damit im Sonnenbereiche auch der letzte Rest von organischem Leben, oder, bis die Katastrophe eines kosmischen Zusammenstoßes ein schnelles Ende macht.

Ob nach der Menschheit andere organische Wesen als kleine Dromgötter auf ihrer Kruste schmarotzen werden, ob dies vielleicht schon vor der Menschenepoche der Fall war, wir können es nicht wissen.

Was heißt überhaupt „wissen“? Es heißt nur „annehmen“, „glauben“. Die Wahrheit erfahren wir ja nie, eben weil wir, auch in unserer größten zeitlichen Gesamtheit, nichts sind als aus Gnaden für ein Viertelstündchen Mitgenommene auf der Reise über jene lange Weltenstraße, die von der Unendlichkeit über das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit hinüberführt zur Ewigkeit.

Geschlecht folgt auf Geschlecht, so lange noch ein Grashalm wächst. Das Menschengeschlecht ist nur eines von vielen.

Es heißt da wenig, ein alter Mensch sein oder ein junger. Es heißt da, Markus, ebenso wenig, einer alten Epoche entstammen oder einer jungen.

Wir, Irid und ich, wir sind alte Menschen. Unsere Zeit ist der Abend.

Wir sind vor dir, der du im Morgen stehst, voraus kraft der Erbschaft der Jahrtausende, die das Alter unserer Planetenmenschheit von dem der deinen trennt.

Die ungeistige Zeit des Barbarismus, jene kochende, gärende, glühende, vernichtende, selbstsüchtige und genußgeile Zeit der Maschinen, der Elektrizität und aller der uns Alten lächerlich und spielerisch erscheinenden Undinge ist verklungen.

Aber das war der Morgen! Es war die vollsaftige, heißblütige, gläubige, sehnende und irrende Jugend der Menschheit!

Sollen wir uns freuen, daß schon Abend ist? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, daß wir uns nicht überheben sollen! Jedes Ding steht für sich. Jeder Mensch steht für sich. Jede Zeit steht für sich. Ist das Alter mehr als die Jugend?

Markus, die Jugend soll leben! Markus der Barbar, Markus der Wilde soll leben!

Worde hob lächelnd sein Glas. Irid aber sah mir in die Augen, und ich wußte, daß sie mein sein würde.

Arm in Arm, wie immer, waren Irid und ich durch die weiße Nacht nach Hause gegangen.

Zum ersten Male seit ich bei ihr lebte, begann das Gefühl jener Inferiorität, das bisher wie eine Mauer zwischen meiner und ihrer Seele gestanden hatte, zu weichen.

Die Gedanken des Alten hatten mir einen Teil meines Selbstgefühls wiedergegeben. Es stieg in mir auf, daß ich die psychische Überlegenheit Irids, die sie ja nur der Erbschaft ihrer langen Ahnenreihe verdankte, zu hoch eingeschätzt habe, und ich ward mir wieder eines bewußt, das mich früher nie verlassen hatte: meiner Mannheit.

Irids Gedanken schienen einen ähnlichen Pfad zu wandeln. Mir war, als schritte nicht mehr die Herrin neben mir, die meinen Arm nur als Stütze brauchte und mich als ungefährliches Spielzeug, vielmehr hing ein junges Weib schwer an mir: Sie ließ sich führen statt mich zu leiten.

Als wir in unserm Hause anlangten, fanden wir die Halle noch warm. Ich warf einige Scheite in die verglimmende Glut, und Irid blies sie an. Es war keine Verabredung, daß wir, unserer Gewohnheit entgegen, nach der Rückkehr vom Hause des Vaters noch nicht unsere Schlafzimmer aufsuchten.

Wir entledigten uns unserer Oberkleider und setzten uns nebeneinander nieder.

Meine tastende Hand fühlte, wie das Herz des Mädchens laut schlug. Meine Finger umspannten die tief atmende junge Brust und mein Mund suchte den ihren.

Zum ersten Male wich sie mir aus, nahm meine Hände in die ihren und sagte: „Höre, Markus!“

Sie nannte selten meinen Namen, dessen Aussprache ihr fremd war. Ich aber hörte kein Wort lieber von ihr.

Und nun begann sie zu sprechen. Lebhafter, wortreicher als sonst floß ihre Sprache, und der Ton klang anders denn bisher.

Anders auch war ihre Haltung. Es deuchte mich, als sähe sie zu mir empor, und in ihren Worten war Respekt, ja etwas wie eine ferne Furcht.

Sie begann von der Zeit zu erzählen, da ich noch nicht bei ihr gewesen war.

Sie sei von Männern viel besucht worden. Da ihr ja nichts verborgen blieb, so habe sie auch gewußt, daß alle diese Männer sie begehrten.

Oft habe sie eine heiße Lust gehabt, dem Begehren, zumal des einen, nachzugeben. Es sei ihr unendlich schwer geworden zu widerstehen. Und doch habe sie die Kraft aufgebracht, ihrem Vorsatze, sich erst mit dem Manne zu vereinigen, der der Vater ihres einzigen Kindes werden solle, treu zu bleiben.

Es hatte ihr aber keiner genügen können.

Alle seien sie weise, ruhig, schweigsam, von letzter Selbstzucht gewesen, gleich jeglichen Menschen ihrer Welt und gleich ihr selbst. Sie wußte, sie hätte mit jedem von ihnen einen schönen, harmonischen und ruhigen Menschen gezeugt.

Ein starkes inneres Gefühl, wohl atavistischer Herkunft, jedoch drängte sie zu anderem. Das Bewußtsein von der alternden Menschheit war in ihr, und ein heftiges Sehnen nach Jugend stieg in ihr auf.

Sie konnte sich keine Rechenschaft darüber abgeben, welch’ einer Jugend dies Sehnen galt, denn die Männer, die schweigend um sie warben, waren jung, stark und schön, aber im Gefühl war es vorhanden, und so schritt sie ihre Pfade mit sehnenden Sinnen und suchte den Mann der Jugend, dem allein sie ihre reiche Liebe schenken wollte.

Im vergangenen Frühsommer, nach der Schlaflosigkeit erotisch-heißer Stunden, war sie in der schwindenden Nacht hinuntergeschritten zum See. Dort hatte sie sich niedergesetzt, und ihr Blick war zu den Sternen hinaufgegangen und fand in jener Spirale feinen Nebels die andere Welt.

In der heißen Phantasie der glühenden, liebesehnenden Erregung sah sie dort einen andern Planeten mit Männern von ungebändigt junger Kraft, Männern von Blut und Feuer, laut, lärmend, fordernd, gebietend, Männern, die statt schweigenden Mitfühlens die Geißel schwangen über dem sich widersetzenden Weibe.

Eine erotische Ekstase sei über sie gekommen. Sie habe einen bestimmten Mann gesehen, nackt, barbarisch, sie begehrend. Alle ihre Kraft, all ihr Denken und Wollen und all ihr sinnliches Fühlen habe sich in wonnevoller Konzentration auf ihn gerichtet.

In diesem paroxystischen Zustande habe sie lange Zeit verharrt. Er habe auch angehalten, als das Licht der Sterne verlosch; und wie sie fühlte, daß die Sonne sich erhob hinter ihr, habe sie gewußt, daß jetzt der Mann kommen müsse.

Mit ausgebreiteten Armen, einer Trunkenen gleich, sei sie dem See zugeschritten, und als der Mann dem Wasser entstieg, nackt, wie ihre innere Glut ihn gesehen hatte, wäre die Kraft in ihr zusammengebrochen, und fassungslos, zum ersten Male in ihrem Leben, sei sie in die Knie gesunken.

Nie bisher hatte sie über den Tag meiner Ankunft gesprochen. Stets war sie abgebogen, wenn etwa einmal die Rede darauf kommen wollte in unsern knappen Gesprächen. Jetzt flossen ihre Worte mir zu, gleich einem lange eingedämmten Strome.

Sie habe mich geliebt, schon ehe sie mich sah. Ihr Wunsch, ihr eigener Wille hätte mich ihr zugetragen. Ihre erotische Kraft habe mich geboren. Ich sei ihr Geschöpf. Aber gerade dieses Bewußtsein wieder habe sich wie ein kalter Ring um ihre Leidenschaft gelegt.

Dann, als sie sah, daß mir alle die selbstverständlichen Eigenschaften mangelten, die in ihren Augen den Menschen vom höheren Tiere schieden, als sie sah, daß ich schwatzhaft war und spielerisch gleich den Kindern, eitel und ohne Selbstzucht gleich den Tieren, daß ich Torheiten sprach und töricht handelte, ohne es zu bemerken, daß sie die stärksten Gedanken haben konnte vor mir, ohne daß ich eine Spur davon empfand, vor allem aber als sie sah, wie ich wie ein Haustier um sie war, abhängig von ihren Gedanken und ohne Freiheit vor ihr und vor mir selbst, als sie alles dieses sah und fühlte, sei der Zweifel in ihr aufgestiegen an mir, an der köstlichen Vision jenes Morgens und an ihr selbst.

Wohl glaube sie mich zu lieben. Wohl zögen sie ihre Sinne zu mir – nie habe sie mir das verborgen – aber nicht vermöchte sie es sich mit mir zu vereinigen.

Erschöpft und mit Tränen in den Augen erhob sie sich, wehrte meinen Worten und wehrte mir, ihr zu folgen.

Ich aber wußte, daß sie noch in dieser Stunde mein sein würde.

Im hohen Triumphe dieses Gefühls reckte ich mich und genoß das erste Kraftbewußtsein unter diesen Menschen.

Was bedeutete mir jetzt noch Überlegenheit des Geistes! Was überhaupt Vergeistigung! Was bedeutete das vor der Kraft meiner Arme und vor meinem Willen zum Besitze!

Ich liebe dieses Weib, und packe ich sie mit meinen Armen, dann soll sie mein sein durch Himmel und Hölle, durch Leben und Tod!

Ich habe mich düpieren lassen von den Jahrtausenden! Was sind Jahrtausende?! Der alte, weise Worde hat es gesagt: Ein Viertelstündchen auf der großen Weltenreise. Was bedeutet eine Viertelstunde früher oder später?! Der Augenblick ist alles!

Ich sprang die Treppe hinauf. Ich riß den Vorhang zur Seite von Irids Schlafzimmer.

Fast entkleidet stand sie vor mir in ihrer herrlichen Jungfräulichkeit.

Abwehrend hob sie die Arme. Ich sprang ins Zimmer.

Sie floh in eine Ecke. Mit angstvoller Stimme, wie ich sie bisher nie gehört hatte, rief sie: „Ich fürchte mich!“ Ihre Lippen zitterten.

Ich sprang auf sie zu. Ich griff hart mit beiden Händen nach ihrem Leibe. Der letzte Rest der Kleidung blieb in Fetzen zwischen meinen Fingern.

Da schrie sie wie in Todesangst laut auf: „Markus!“

Der Schrei vergellte in der Einsamkeit der Winternacht.

Mit meinen Händen hob ich sie jäh empor, hoch über meinen Kopf.

Das Schreien und Sträuben ihrer starken Jugend war umsonst: in ihrem Bette lag sie in meinen Armen.

Keine Mauer mehr gab es nun zwischen Markus und Irid!

Ein schwaches Weib wand sich wimmernd in der höchsten Stunde ihres Lebens unter meiner Kraft.

Als die Wintersonne aufstieg über dem Schnee, erwachte ich aus tiefem Traum. In meinen Armen schlief Irid.

Ihr reiches, blondes Haar lag wirr über dem zerstörten Bett, aber ihre Brust atmete ruhig.

Als sie unter meiner leisen Liebkosung die Augen aufschlug, fiel ein unendlich rührender Blick süßer, ergebener Weiblichkeit auf mich, und ihre Lippen flüsterten meinen Namen. –

Über jedes menschliche Begreifen reiche und köstliche Monate folgten dieser Nacht.

Jeder beginnende Tag ward uns zum Ereignis, und jede neue Nacht bescherte uns neue Kostbarkeiten.

Unsere Liebe ward uns zu einem Borne, den auszuschöpfen uns nie verliehen zu sein deuchte.

Alles was die Welt an Großem und Schönem geschaffen und besessen in den Jahrtausenden, schien uns winzig gegen die überquellende Fülle unserer immer wachsenden Leidenschaft.

Ein Hauch dieses süßen Mundes war mir mehr als alle Weisheit des alternden Menschengeschlechtes, inmitten dessen ich lebte als eine neu aufgesprossene Jugend.

Die Frucht, die unserem Bunde entsprießen sollte, dünkte uns der Keim zu einem Rinascimento der Menschheit. –

Seit jener ersten Nacht war Irids geistige Überlegenheit gewichen. Der Stärkere war jetzt ich. Was ihr bisher an mir barbarisch geschienen hatte, ward ihr nur lieb und wert.

Ihre Sprache floß von Tag zu Tag leichter. Es machte ihr Freude, zu sprechen. Immer mehr schwand die angeborene Neigung zum nur inneren Verarbeiten ihrer Gedanken.

Ich begann, sie meine eigene Sprache zu lehren. Sie begriff sie überraschend schnell, und bald redeten wir ein lustiges Kauderwelsch ihrer hochentwickelten Gedankensprache, von der ich ja nur weniges beherrschte, und meiner primitiven Wortsprache, in die sie sich mit Inbrunst immer tiefer hineinlebte.

Auch meine einfache Art zu denken begann ihr geläufig zu werden. Sie vergaß es bald, ihre Gedanken zu Begriffskomplexen zusammenzuballen, und erlernte die einfache Urform des logischen Denkens ihrer Vorfahren mit seiner übersichtlichen Gliederung in Ursache und Wirkung.

Ich fand, daß es offenbar leicht fällt, in der Erbreihe rückwärts schreitend, zu den primitiven Gewohnheiten einer längst versunkenen Vergangenheit zurückzukehren, während es unendlich viel schwerer ist, einen Sprung nach vorwärts zu machen.

Mein Verhältnis zu Irid hatte sich dergestalt geändert, daß nicht mehr ich zu ihr, das Körperliche zum Vergeistigten, hinaufschritt, sondern sie zu mir hinab, in halb unbewußter Preisgabe ihrer überlegenen Fähigkeiten.

Daß diese reziproken Bewegungen in gewissem Umfange auch einen Ausgleich unserer persönlichen Qualitäten verursachten, war für uns beide ein Gewinn, und das allmählich aufkommende Bewußtsein dessen ein hohes Glück. –

In eigenartiger Weise veränderte sich Irids Fähigkeit als Kinderlehrerin durch ihr Verhältnis zu mir.

Ich stellte fest, daß durch ihr Fortschreiten in der primitiven Denkart und der einfachen Logik meiner Urwelt ihre Fähigkeit, sich den Kindern mitzuteilen und von diesen verstanden zu werden, immer mehr wuchs: sie ward selber ein Kind, „redete wie ein Kind und hatte kindliche Anschläge.“

Es war eine Freude, zu sehen, wie sie sich immer mehr den Kindern seelisch näherte und diese zu ihr heranwuchsen, und wie in seltener Weise Lehrer und Schüler sich zu einem Gemeinsamen zusammenschlossen.

Aber gerade der Kinderunterricht sollte für Irid den ersten Anlaß zu Kummer geben: Es begann sich herauszustellen, daß sie nicht mehr das Interesse und vor allem auch nicht die psychische Kraft aufzubringen vermochte, die Kinder fernerhin in derselben vergeistigten Weise und in denselben Dingen zu unterrichten, die Zeit und Umwelt von ihr forderten.

Auch in ihrem Verhältnis zum Vater, der bisher allem mit tiefem Verständnis gefolgt war, begann sich manches zu trüben. Ihr Bedürfnis nach Mitteilung gegen ihn war geringer geworden, dagegen hatte, was dem Alten unendlich banal vorkommen mußte, sich ein Hang zur mündlichen Aussprache, in seinem Sinne zur Schwatzhaftigkeit, eingestellt.

Ferner – es mochte wohl der Ausfluß einer Art von bösem Gewissen sein – bemühte sie sich, ihr Herabsteigen zu mir vor ihrem Vater zu verbergen, welcher Rückfall in die barbarische Gewohnheit der Verstellung diesen auf das schmerzlichste bewegte.

Das Bedenklichste aber war, daß Irid nicht nur die Freiheit ihres eigenen Denkens aufgegeben hatte und sich als einen Teil von mir fühlte, in demselben Maße meine Hörige, als vor unserer Vereinigung ich der ihre gewesen war, sondern vor allem, daß sie auch aufhörte, diese persönliche Freiheit als das unter allen Umständen allein menschenwürdige zu betrachten.

Sie stand nicht an, zu erklären, daß der barbarische Zustand der Urzeiten, in welchem das Weib im geliebten Manne zu einer köstlichen zweisamen Einheit von Seele und Leib ganz aufzugehen vermöchte, das Höhere und Edlere sei.

Irid war zur Barbarin geworden!

Als mir das Verständnis aufging für die Konflikte, die sich mit unbedingter Notwendigkeit hieraus ergeben mußten, war es schon zu spät. Im übrigen hätte ich doch nicht vermocht ein Naturereignis aufzuhalten.

Ich bemühte mich nun wie in der ersten Zeit unseres Beieinanderseins, mich Irids früherem Denken und Sprechen wieder zu nähern. Ich drang darauf, daß sie meine Unterrichtung in ihrer Sprache mit größerer Intensität betriebe. Ich fand auch große Freude daran, mich in der schweren Schriftsprache ihrer späten Welt unterrichten zu lassen.

Diese Schriftsprache ist eine Synthese von Buchstaben- und Zeichenschrift. Konkrete Dinge werden wesentlich in Buchstabenschrift gegeben, abstrakte dagegen, Haupt- wie Zeitwörter, in Zeichenschrift, und zwar dergestalt, daß man in einer geistvollen und inhaltsreichen Weise die Zeichen der einzelnen Grundelemente zu neuen Gruppenzeichen, die dann die auszudrückenden Begriffe ergeben, vereinigt.

So kann man sich, um ein Beispiel zu geben, das gesprochene Wort „Liebe“ auf die mannigfaltigste Weise geschrieben denken, je nach der seelischen oder vielleicht auch rein körperlichen Art der bestimmten „Liebe“, von der die Rede sein soll:

Will man etwa von der ersten keuschen Liebe eines knabenhaften Jünglings zu einem noch halb kindlichen Mädchen sprechen, so vereinigt man in gewisser Weise, je nach Geschmack, Phantasie und Absicht, vielleicht die Zeichen für Knospe, Herz, Sonnenaufgang und Liebessehnsucht zu einem neuen synthetischen Zeichen. Oder aber man will eine rein erotische, ohne seelische Beteiligung stattfindende, lediglich geschlechtliche Liebe ausdrücken, so finden sich Zeichen mehr anatomischer Genesis zu einem Gesamtbegriff zusammen.

Man sieht, daß diese Art des Schreibens sich stark der kollektivistischen Denk- und Ausdrucksmethode der Drom-Menschen nähert.

Aber so sehr mir auch die Beschäftigung mit dieser Schrift Freude bereitete, und je mehr ich darin fortschritt, Irids Interesse neigte sich immer mehr und mehr dem Primitiven zu.

Der innere seelische Grund hierzu lag natürlich letzten Endes in ihrer Liebe zu mir, die alles, was mit mir zusammenhing, in besonders günstigem Lichte erscheinen ließ.

Aber es schien mir doch, als ob auch eine gewisse, schon im Untergrunde, ihr selbst nicht bewußt, vorhanden gewesene Übersättigung durch die Leidenschaft für mich nur geweckt worden wäre.

Ich hatte ähnliche Beobachtungen mehr genereller Art von Rückfall in die Neigung zum Primitiven als Folge der Übersättigung schon auf meiner Erde gemacht.

Eines Umstandes will ich noch Erwähnung tun, der sehr wesentlich dazu beitrug, Irid mir seelisch zu nähern. Das war die Beschäftigung mit der Kunst, für die wir beide eine gleich tiefe Neigung empfanden.

Es hatte sich die merkwürdige Tatsache ergeben, daß in diesen Bezirken menschlicher Geistesbetätigung der Unterschied unserer Betrachtungsarten keineswegs so groß war, als es nach der Differenz unseres Gattungsalters hätte vermutet werden müssen.

Je länger nämlich ich auf der Drom lebte, um so mehr war ich zu der Erkenntnis gelangt, daß die allgemeine Vergeistigung der Kunst nicht zum Gewinn gereicht hatte.

Es schien mir vielmehr unwiderleglich, daß die Menschheitsjugend, der ja auch ich angehörte, mit ihrer ursprünglichen, barbarischen Frische und Naivität der Kunst einen weit fruchtbareren Boden bereitet hatte, als das vergeistigte Alter es vermochte.

Das Wesen der Vergeistigung ist Trennung von der Materie. Für die Kunst bedeutet das Loslösung von der empirischen Natur.

Ich will nun keineswegs bestreiten, daß die Kunst der Drom in ihrer Naturbefreiung nicht auch Bedeutendes und Großes geleistet habe. Ich sah, um nur eines zu erwähnen, auf öffentlichen Plätzen gigantische, buntfarbige Glasflüsse, hochragend gleich Kathedralen, deren Eindruck zu dem Gewaltigsten gehört, das man sich zu denken vermag. Man setzte sie, um Taten des Geistes, die der Menschheit Dienste geleistet hatten, zu ehren.

Aber doch hat die Scheu, sich wieder dem Vorbilde der Natur zu nähern, im Laufe der letzten Zeitepoche geradezu zu einem Sterben der Kunst geführt.

Die Malerei, nicht mehr imstande Landschaften, Bildnisse oder andere gegenständliche Dinge der Erfahrungswelt zu gestalten, erschöpfte sich in immer neuen abstrakten Farben- und Linienkompositionen von derartig vergeistigtem Wesen, daß zuletzt eine glatte Fläche von einfarbigem Blau, Rot, Gelb, Grün oder Weiß dem ermüdeten Auge eine Wohltat dünkte.

Als dann gar die Erkenntnis aufkam, daß der Regenbogen der Atmosphäre an abstrakter Farbengebung jegliches Menschenwerk weit hinter sich läßt, war das Ende der Tafelmalerei erreicht.

Der Maler kehrte zurück zur Urform seiner Kunst: Er bestrich die Häuser und die Geräte mit schönen Farben, und versah sie, in abgeklärtem Geschmacke, mit knappen, einprägsamen Zieraten.

Dem Plastiker, dem sein Schönstes, das Spiel mit dem Menschen- und Tierleibe, genommen war, fand keinen vollen Ersatz im Errichten abstrakter, phantastischer Formengebilde oder im Erfinden schöner, edler Proportionen. Auch seine Kunst senkte sich dem Abend zu.

Die Genügsamkeit, die weise Selbstbeschränkung und die dünne Verbreitung der alternden Menschheit nahm auch dem Architekten die jugendliche Freude am Werke seines Geistes. Allerdings gehörten die kleinen Häuser und die einfachen Gebäude der Manufakturen, an denen fast ausschließlich er seine Kunst betätigen konnte, in dem rhythmischen Gleichmaß ihrer Verhältnisse zu dem Wohltuendsten, das ich je gesehen habe.

Am meisten hatte an ursprünglicher Frische und Gestaltungskraft die Dichtkunst eingebüßt.

Die Formung des nur Geistigen widerstrebt der Dichtkunst. Die Abneigung gegen die Gestaltung der menschlichen Beziehungen hatte zu einer nur aphoristisch-philosophischen Dichtart geführt, die zwar tiefer und letzter Weisheit voll war, aber dennoch nicht einmal den Anspruch des Erstmaligen erheben konnte, denn schon aus den Uranfängen der überlieferten Literatur sind philosophische Dichtwerke höchster und letzter Potenz auf uns gekommen, die niemals überboten werden konnten.

Die Schauspielkunst, die all’ ihr Lebensblut aus der Menschengestaltung sog, war schon längst nicht mehr. Schon die Vergeistigung der Materie, des Körperlichen, hatte ihr schweres, unheilbares Siechtum gebracht. Als aber gar die Lüge und die Verstellung aus der Welt schieden, deren edle und schöne Seite sie ihr Leben lang den sonst nur gemein und bösartig betrogenen Menschen gezeigt hatte, legte auch sie sich aufs Sterbelager.

Die Musik aber lebte über Raum und Zeit!

In ihren edelsten Formen schon von jeher frei von der Materie, schwebte sie körperlos und ohne Beziehung zu Körpern durch den Raum als der Schöpfung erster, letzter und reinster Ausdruck.

Musik war, als der Urmensch im Dreitakt an den hohlen Baum schlug, als das Krescendo des Trommelwirbels der Wilden an den Nerven riß, Musik war, als die Trompeten der Barbaren schmetterten auf den Schlachtfeldern, als die Pauken und Posaunen dröhnten über dem lodernden Katafalk des Helden. Musik war, als die armen kleinen Kantoren auf den wurmstichigen Orgelbänken ihren Gott lobten in vierstimmigen Sätzen von solch’ himmlischer Seligkeit, daß der Gott klein ward vor der Größe der bescheidenen Musikanten.

Der erste Strahl des Lichtes, das die Welt durchfloß, war Rhythmus seiner Wellen. Harmonie ist der Donnergang des Kosmos. Rhythmus und Harmonie sind die Musik der Welten. Musik war im Anbeginn und Musik wird sein von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Je mehr Irid in mir aufging, je mehr sich ihre Seele in die meine verkroch und ihr Leib von dem meinen lebte, um so mehr schloß sie sich von der Außenwelt ab. Sogar ihre Dienerin Okk wollte sie entlassen, und nahm nur auf mein nachdrückliches Abraten davon Abstand.

Dabei wurden ihr Körper, ihr Antlitz, der Ausdruck ihrer Augen immer herrlicher und lockender.

Seit sie Muttergefühle zu verspüren glaubte, schien sie neu zur Welt gekommen. Ihre Stimme, die wie Silber geklungen hatte, war die einer geheimnisvoll läutenden Glocke geworden. Ihre Schritte, jede ihrer Bewegungen waren Verheißungen, und ein Duft von sinnlichem, blühendem, schwellendem Leben ging aus von ihrem weißen Körper. Ich atmete Seligkeiten.

Unsere Wünsche kannten keine Steigerung mehr. –

Nicht daß ihr Vater sie wegen ihrer Sinnesänderung getadelt hätte. Dazu war der Begriff der persönlichen Freiheit zu tief eingewurzelt in jener Welt.

Aber er verstand zum ersten Male seine Tochter nicht mehr, und da diese jetzt in einer andern Welt lebte, so verstärkte sich das Mißverstehen von Tag zu Tag.

Unsere Besuche beim alten Worde wurden seltener, und auch er entschloß sich nicht mehr so leicht als früher in unser Haus zu kommen.

Und noch ein Anderes ereignete sich: Vasen Ott stellte sich wieder ein.

Vasen Ott, von dem ich, da auch ich ihn bisher nur aus den Erzählungen meiner Freunde kannte, noch nicht berichtet habe, war eine Erscheinung aus Irids Leben vor meiner Zeit. Ein großer Mensch von schlanker Gestalt und mit tiefdunkeln, träumerischen Augen.

Er hatte gleichfalls den Ehrgeiz gehabt, Kinderlehrer zu werden, konnte aber die Qualifikation dazu nicht erwerben, und war in die Laufbahn der Beamteten des Wohnkreises übergetreten, zu welcher Tätigkeit seine Eigenschaften ausreichten. Seit einiger Zeit stand er an der Spitze der Beamteten und galt als umsichtiger und zuverlässiger Verwalter der allgemeinen und öffentlichen Angelegenheiten.

Er kannte Irid von Jahren gemeinsamen Studiums her und liebte sie seit langem. In der Zahl der Männer, die um sie geworden hatten, war er derjenige gewesen, der ihre Sympathien am meisten besaß. Mehrere Male glaubte sie dicht davor gewesen zu sein, seinem stillen, wortlosen Verlangen nachzugeben. Aber immer hatten sie jene Gedanken, von denen ich jetzt wußte, abgehalten, ihm ihre Liebe zuzuwenden.

Vasen Ott zog sich schließlich enttäuscht von ihr zurück, und eine andere Frau wurde dann später die Seine. Die beiderseitige Liebe hatte aber nicht länger als zwei Jahre vorgehalten und, jetzt, da er wieder allein lebte, wandte sich sein Begehren abermals Irid zu.

Er begann mit Besuchen bei Worde, der, als einer der Ältesten des Wohnkreises, ohnehin in öffentlichen Geschäften mit ihm, als dem ersten Angestellten, manches zu tun hatte.

Von Worde erst erfuhr Vasen Ott über das merkwürdige Auftreten des vom Himmel gefallenen Wilden in Irids Hause.

Da die Barbaren-Erfindung der Zeitungen seit undenklichen Zeiten nicht mehr bestand, und man sich auch sonst grundsätzlich niemals unaufgefordert um die Angelegenheiten seiner Mitmenschen kümmerte, so war es, was nach irdischen Begriffen unwahrscheinlich erscheinen müßte, durchaus möglich, daß ich jahrelang hätte bei Irid wohnen können, ohne daß Leute, die mich nicht persönlich kennenlernten, überhaupt etwas von mir erfuhren. Irgendeine Registrierung der Einwohner, anders als lediglich nach der Kopfzahl, stand den Angestellten der Wohnkreise nicht zu.

Vasen Ott erfuhr von Worde, da es ja zwischen jenen Menschen keine Geheimnisse gibt, daß Irid von dem Wilden ein Kind erwarte.

Weit davon entfernt, Irid, deren vollkommenste Freiheit ihm ebenso heilig war, wie die jedes anderen seiner Mitmenschen, dieserhalb zu zürnen, erschrak er doch heftig und beschloß, um ihr Schicksal, zumal in seelischer Hinsicht, besorgt, sie aufzusuchen.

Eines Nachmittags trat er bei uns ein. Irid empfing ihn mit freundlicher Begrüßung und stellte mich als ihren Gefährten vor.

Vasen Ott, der schon wußte, daß man sich mit mir lediglich in der Kindersprache verständigen könne, fragte Irid vorsichtig, ob es möglich sei, den Wilden jetzt zu entfernen. Er wolle mit ihr allein sprechen.

Irid wurde rot, aber bat mich, der ich ihre kurze Unterhaltung nur halb verstanden hatte, sie mit dem Gaste allein zu lassen. Dabei küßte sie mich. Ich ging hinaus.

Nach einiger Zeit sah ich von einem Fenster aus den schönen Mann davongehen und zwar bewegte er sich mit in diesem Lande des gemessenen Benehmens ungewöhnlich hastigen Schritten. In der Gartenpforte drehte er sich noch einmal nach dem Hause um, und in seinen vorher so stillen Rehaugen war ein ungewöhnliches Leben.

Da hörte ich schon Irids Schritte draußen. Ich eilte ihr entgegen, und zu meinem ernsten Erstaunen warf sie sich, wie ein Kind weinend und schluchzend, an meine Schulter.

Ohne daß sie ein Wort sagte, wußte ich, der Mann habe sie beleidigt. Meine schnelle Frage bestätigte es mir.

Ein ganz irdischer, höchst ungeistiger Zorn stieg in mir auf. Daß der unverschämte Kerl die Entfernung des „Wilden“ verlangt hatte, war schon, nicht so sehr meinetwegen als Irids halber, die ihn als ihren Gefährten vorgestellt hatte, ein starkes Stück gewesen. Es hatte mich schon einige Mühe gekostet, davon Abstand zu nehmen, den feinen jungen Herren kurzerhand vor die Tür zu befördern.

Jetzt aber kochte es in mir einigermaßen über. Ich stürzte, die erschrockene Irid verlassend, hinauf, ergriff in der Tür meinen dort hängenden derben Wanderstock, rief meinen Freund Turu, den Hund, und dann liefen wir beide den Weg entlang, auf dem dieser traumäugige Heilige davongegangen war.

Schon auf dem Waldwege bekam ich ihn in Sicht. Ich hetzte Turu, der, glücklich über die wilde Jagd, bellend an mir hochsprang, hinter ihm her.

Der kluge Hund, der ohnehin der Unterredung der beiden beigewohnt und gewiß gefühlt hatte, daß Irid den Mann nicht im Guten entließ, fegte nun mit wütenden Sätzen vor mir her.

Vasen Ott, die wilde Jagd hinter sich herkommen hörend, blieb gravitätisch stehen.

Der große Hund sprang ihm mit bösem Geheul an der Schulter hoch, und stand, ihm seinen Hundeatem ins Gesicht blasend, bis ich heran war.

Dann tat ich, was mir mein Zorn gebot, nämlich den vergeistigten Herren ganz irdisch und barbarisch zu verprügeln, bei welcher seinen Instinkten angenehmen Beschäftigung Turu sich durch Vernichtung eines sehr wichtigen Teiles der Vasen Ottschen Kleidung beteiligte.

Ein Heldenstück ist diese Tat allerdings, trotzdem der Mann mir an Größe mindestens glich, auch einen Handstock trug, nicht gewesen, denn einmal war er überrumpelt worden, vor allem aber ist unter den geistigen Menschen jener Welt jegliche Gewalt, und sei es auch nur im Spiel der Kinder, in solchem Maße verpönt, daß man auf Erden schon einen kompletten Menschen totschlagen muß, um sich ein solches Maß von Mißbilligung zuzuziehen, wie die alternde Menschheit der Drom sie dem zuteil werden ließe, der es unternähme, einen Menschen im Zorn auch nur am Rockkragen zu fassen.

Vasen Ott, der Traumäugige, hatte also nicht die geringste Übung in solchen Lebenslagen, und konnte gewiß auch, trotz Turus aggressiven Benehmens, eine derartige Handlungsweise von mir nicht vermutet haben.

Aber da es sich ja für mich keineswegs darum gehandelt hatte, in ritterlichem Kampfe meine Kräfte mit dem Störenfriede zu messen, sondern vielmehr ausschließlich ihn für die Beleidigung, die er Irid zugefügt hatte, zu züchtigen, so kehrte ich befriedigt und im angenehmen Bewußtsein des erreichten Zweckes mit Turu nach Hause zurück.

Als ich Irid berichtete, was sich zugetragen hatte, war diese anfangs namenlos entsetzt, fand sich aber doch überraschend schnell in die Situation.

Für meine Handlungsweise an sich konnte sie zwar das volle, irdische Verständnis kaum ganz aufbringen, aber was ich tat, war in ihren Augen gut, und trotz aller Vergeistigung durch Jahrtausende alte Kultur, die uns trennte, schien doch ein Fünkchen jenes menschlichen Urgefühls der Rache für erlittene Unbill in ihr verblieben zu sein, das sich jetzt mit Genugtuung meldete.

Da Vasen Ott ein öffentlicher Angestellter war und sogar als deren erster auch nur vorübergehend schwer zu ersetzen, so konnte es nicht verborgen bleiben, als er arg verbläut einige Tage seiner Tätigkeit fern sein mußte.

Nun gibt es auf der Drom keine Gesetze mehr, die den einzelnen zu treffen vermöchten. Es war also nicht möglich, mich nach irdischen Begriffen für meine Tat zu strafen.

Dafür aber pflegte in den überaus seltenen Fällen, da ein Mensch einem anderen Ungemach zugefügt hatte, und dieser vor den Ältesten des Wohnkreises Klage erhob, ein alter Gebrauch angewandt zu werden: die öffentliche Bekanntmachung der Tat und des Namens des Täters in den Versammlungen der Einwohner. Eine andere Folge trat nicht ein.

Aber schon diese zwangsweise Preisgabe des Namens an die öffentliche Beurteilung wird als ein demütigend tiefer Eingriff in die persönliche Freiheit empfunden. Da sonst niemals, auch nicht in Gedanken, ein Mensch über einen anderen irgend ein tadelndes Urteil fällt, in diesem besonderen Falle aber Alle zur Kritik aufgefordert werden, so ist das eine Ungeheuerlichkeit.

Man kann sich, aufgewachsen in den unzähligen und nie endenden Beschränkungen des unfreien Menschen unserer Erde, schwer eine Vorstellung von dem Wesen vollkommenster, auch gedanklicher, Freiheit machen, das jener Menschheit so viel späterer Jahrtausende zur selbstverständlichen Gewohnheit geworden ist. –

In der nächsten Versammlung der Kreisinsassen ward mein Name und meine Tat bekanntgegeben. Seit mehreren Jahrzehnten war Derartiges nicht mehr erfolgt.

Worde, wie berichtet, selber einer der Ältesten des Kreises, war, obwohl natürlich der Name seiner Tochter nicht genannt wurde, tief betrübt, mehr aber über den Ausbruch tierischer Wildheit des Geliebten seiner Tochter als über die kränkende Strafe.

Für Irid war dieses Ereignis nur der Anlaß, sich noch mehr als bisher von der Außenwelt abzuschließen und sich ganz auf mich zurückzuziehen.

In das hohe Glück unserer zweisamen Tage aber mischte sich drückend das Bewußtsein des Dualismus in Irids Seele.

Sie stand zwischen zwei Welten. Ihre Vergangenheit, die unendliche Reihe ihrer Vorfahren, die Erbschaft von Jahrtausenden, hielt sie fest in der Welt ihrer Geburt. Ihr inneres Wollen aber, ihr warmes Sehnen, ihr ganzes starkes Ich, das als die höchste Macht und das einzige Gesetz zu betrachten sie mit ihrer gesamten Mitwelt gewohnt war, zog sie zu der jungen, barbarischen Menschheitsstufe des geliebten Mannes.

Dazu kam noch, daß ihr schöner Lehrerberuf sie in ernste seelische Verlegenheiten brachte, seit sie innerlich dem Barbarismus zuneigte.

Die größte Sorge aber bereitete ihr der Knabe, den sie in nicht mehr dreiviertel Jahren zu gebären hoffte.

Empfangen in einer Stunde heißester Wildheit, so meinte sie jetzt, gezeugt von einem Vater von, wie sie wähnte, urmenschlich quellender Jugendkraft, mußte die Zwiespältigkeit des Gefühls, wie es jetzt sie erfüllte, in ihm dereinst zur Tat erstehen, und statt eines Erneuerers der alternden Menschheit müsse er, wie sie nun in Stunden seelischer Depression vermeinte, an ihr zum Verbrecher werden. –

Eines Abends, nachdem sie den Tag nachdenklich verbracht hatte, veranlaßte sie mich, mit ihr an den See hinunter zu gehen.

An der Stelle, wo wir voreinander gekniet hatten bei meiner Ankunft, hatte ich eine Bank errichtet.

Hier ließen wir uns nieder, und Irid begann mit dringenden Worten die Forderung an mich zu richten, in meine Welt zurückzukehren und sie mit mir zu nehmen, auf daß sie dort ihres Knaben genesen, ihn unter Menschen seines eigenen Blutes aufziehen und mit mir leben könne im Rhythmus und in den Gedanken meiner Welt.

Ich hielt ihr die Gefahren der furchtbaren kosmischen Reise entgegen, die Unsicherheit der Ankunft, und die Möglichkeit, daß dort drüben vielleicht bittere Enttäuschungen ihrer warten möchten.

Sie aber blieb fest in ihren Bitten. Was ihr Wohlbefinden in jener Welt beträfe, so könne es nirgends größer sein als da, wo ich wäre, und wenn wir unser Ziel nicht erreichen sollten, im Äther zerstöben oder an Weltkörpern zerschellten, so würde es uns gemeinsam treffen und ein schöner Tod sein, denn mit ihren Haaren wolle sie uns aneinander fesseln. –

An diesem Abend beschlossen wir von dannen zu gehen, sobald sich der Tag meiner Ankunft gejährt habe.

Noch etwa eine Woche hatten wir vor uns. Irid nutzte sie, um in der Stille ihre Angelegenheiten zu ordnen. Unter heißen Tränen schrieb sie einen Abschiedsbrief an den geliebten Vater. Auch ich fügte Worte des innigsten Dankes hinzu.

Die letzten Tage, nachdem sie alles erledigt hatte, lebte sie wie in einer Art von Ekstase. Ihre Augen leuchteten in innerer Glut, ihre Füße schienen, wenn sie schritt, kaum den Boden zu berühren, und ihr Mund, der so mitteilsam gewordene, war wieder verstummt und flüsterte nur noch meinen Namen. –

Am Abend vor der Nacht unsres Fortgehens trat sie nackt in mein Zimmer. Wie ein goldschimmernder Mantel lag ihr Haar um das Weiß ihres herrlichen, makellosen Körpers.

Gleich einer Priesterin breitete sie die Arme aus, und ihre Augen waren wie die Verheißung des Paradieses.

Ich kniete vor ihr und küßte ihren Leib.

Als die Nacht halb vorüber war, schritten wir, noch trunken von Wollust, nackt hinunter zum See, wo ich ein Lager bereitet hatte.

Irid flocht ihr Haar in schwere Zöpfe. Wir legten uns nieder, verbanden uns durch Irids Zöpfe, umschlangen uns fest und blickten, all’ unser Inneres auf den einen Gedanken unsres Ziels richtend, hinauf zu dem winzigen Nebel, in dem meine Erde kreiste.

Gleich einem einzigen Körper und einem einzigen Gedanken lagen wir ineinander gefügt in einer nie gefühlten Fülle sinnlichen Vergehens.

Als der Himmel sich rötete, war mir, als ob mein Körper sich zu erleichtern begänne. Fester umschlangen meine Arme den zitternden Leib meines jungen Weibes, dessen Mund im Paroxysmus den meinen suchte.

Das Klingen, Harfenschwirren hub an, ein tiefer Orgelton erfüllte die Luft, und als die ersten Sonnenstrahlen über den Wald huschten, war die Verbindung mit dem Lager gelöst:

Ich schwebte frei empor und – durch die Wollust der Ekstase hindurch fühlte ich die Freude über den Erfolg – Irid blieb fest in meinen Armen.

Ihr Atem floß heiß über mein Gesicht. In allem Brausen der beginnenden Transfiguration vernahm ich deutlich das süße Wimmern ihres Mundes, wie sie meinen Namen stammelte. Dann schwand mir das Bewußtsein.

Auch heute, lange einsame Jahre nach den Ereignissen, deren Schilderung ich hier qualvoll niederschreibe, Jahre, da kein Tag versank, an dem nicht diese Stunden mir nahe waren, auch heute noch muß ich mich zwingen, den tiefen Schmerz meiner Seele zu bannen, um in sachlicher Folge zu berichten, was nun geschah:

Als mein Bewußtsein zurückkehrte, war das erste, dessen ich gewahr wurde, ein furchtbarer körperlicher Schmerz. Aber ich fühlte dennoch, daß Irid noch in meinen Armen war. Ich vermochte die Augen aufzuschlagen und sah uns auf felsigem Untergrunde halb im Wasser liegen. Irids Augen waren geschlossen. Mich deuchte, daß ihr Mund, wie im Traume, lächelte.

Einige Menschen umstanden uns, und ich hörte Stimmen. Dann schwanden mir wieder die Sinne. –

Zum anderen Male erwachte ich im Helldunkel eines engen Raumes. Beizender Rauch zog mir in die Nase. Wieder fühlte ich schwere Schmerzen in Kopf und Gliedern.

Vor mir saß ein altes Weib mit schwarzem, strähnigem Haar und rotgelben, faltigen Zügen. Alte, verbrauchte Decken waren über mich gelegt.

Das Weib sprang, da sie mich die Augen öffnen sah, hoch, kreischte, anscheinend freudig erregt, auf, und begann eilig mir irgendwelche Nahrung einzuflößen. Bei dieser Prozedur fiel ich wieder in Ohnmacht.

Als ich abermals erwachte, war Nacht umher. Ich vermochte vor Schmerzen kaum meine Gedanken zu sammeln, griff aber doch um mich, um Irid zu fassen. Ich fand sie nicht und rief ihren Namen. Ein Stöhnen nur mag es gewesen sein.

Jemand in meiner Nähe rührte sich, und eine grunzende Männerstimme ließ sich vernehmen. Dann wieder erlöste mich die barmherzige Bewußtlosigkeit.

So bin ich tagelang zwischen Leben und Gestorbensein hin und her gezogen worden, bis eines Morgens mein Zustand sich so weit gebessert hatte, daß mir nicht sofort nach dem Erwachen wieder die Sinne schwanden.

Ich stellte fest, daß ich in einer armseligen Hütte lag. Um mich war eine Familie von rotbraunen, halb nackten Menschen kaum mittelgroßer Gestalt, die sich hilfsbereit um mich bemühten.

Von Irid war nichts zu sehen. Ich begann nach ihr zu fragen. Man schien mich nicht zu verstehen.

Ich wurde in meiner Angst unruhig. Ich rief laut Irids Namen.

Man gebot mir, durch Zeichen, zu schweigen und ruhig zu liegen.

Die jüngere aber der beiden Frauen schien zu ahnen, was ich wolle. Sie machte eine Bewegung mit den rundgeformten Händen vor ihrem mageren Körper, als ob sie volle Brüste fasse, hob dann die Hand über ihren Kopf, wie um körperliche Größe anzudeuten, zuckte wie bedauernd mit den Achseln und wies nach draußen. Es war möglich, daß sie Irid meinte, die also außerhalb der Hütte sei. –

Noch viele Tage war meine Kraft zu schwach und der Schmerz in Kopf und Körper zu heftig, als daß ich vermocht hätte, irgend etwas in der Richtung meines Wunsches zu tun.

Dann aber, nachdem ich durch das bewundernswert liebevolle Verhalten der unbekannten, gastlichen Hüttenbewohner, die mir köstliche Früchte brachten, Bananen, Orangen, auch gekochte Fische und eine schöne braune Kakaosuppe, einigermaßen wieder zu Kräften gekommen war, führten mich die beiden Männer der Familie, halb mich tragend, hinaus.

Es war eine tropische Vegetation um mich, ich blickte über ein felsiges Flußtal, und in der Nähe rauschte stark ein Wasserfall.

Sie setzten mich auf einer Bank vor der Hütte nieder, neben welcher ein Fischernetz zum Trocknen hing.

So saß ich in der warmen Sonne, noch nackt, wie sie mich gefunden hatten. Zum Schutze gegen die Strahlung legten sie mir eine Decke um und setzten einen Basthut auf meinen Kopf.

Von Irid vermochte ich nichts zu erfahren. In Zeichen gegebenen Fragen wich man aus oder verstand sie nicht. Ich verging fast vor Qual.

Später, wieder in der Hütte, fand ich ein Stück alter Zeitung, in spanischer Sprache geschrieben und in Porto Cabello gedruckt, welchen Ort ich nicht kannte, ihn aber der Umstände wegen richtig im nördlichen Südamerika wähnte.

Nach einigen weiteren Tagen war ich, trotz noch erheblicher Schmerzen, so weit wieder hergestellt, daß ich unter Hilfeleistung der Männer einige Schritte gehen konnte.

Als ich nun mit Hilfe spanischer Brocken, deren ich mich jetzt entsann, dringlicher als bisher nach meinem Weibe fragte, wechselten die Männer ernste Blicke, nahmen mich unter die Arme, führten mich in eine zwischen der Hütte und dem Flußtale liegende kleine Orangenwaldung und wiesen auf einen frisch aufgeworfenen Hügel von Erde und Steinen.

Die Urkraft meines starken Körpers klage ich an.

Ich klage sie der Überwindung des schweren Siechtums an, in das ich zurückfiel.

Ich klage sie des Fortschrittes meiner Genesung an, während derer ich in stummer Dumpfheit auf dem Grabe saß, bis das brutale Muß des Lebens, der Zwang, meinem Leibe durch eigene Arbeit Nahrung zu verschaffen, mich zu dem machte, als der ich dieses niederschreibe.

 

L. Staackmann Verlag, Leipzig

Rudolf Hans Bartsch

Heidentum

Die Geschichte eines Vereinsamten

Einbandzeichnung von Alfred Keller-Wien

40. Tausend
Geheftet M. 14.– :: Pappband M. 20.–
Leinen M. 22.50

„Schubert und Stifter sind zugleich in dieser Naturphilosophie, die ein göttliches Heidentum aufrichtet aus tiefster Andacht vor allem Lebendigen. Das Ethos und seine innigbeseelte Melodie klingt zeugend und rein aus diesem gefühlsstarken Buch an die Seelen, die der Andacht ihre Tore öffnen.“

Das literarische Echo.

L. Staackmann Verlag, Leipzig

Robert Hohlbaum

Unsterbliche

Novellen

Umschlag und Buchschmuck von K. Alex. Wilke, Wien

5. Tausend
Geheftet M. 6.–, gebunden M. 9.–

Aus den zahlreichen glänzenden Pressestimmen:

„Ein Buch der Liebe und des Mitleidens. Die Arbeit eines künstlerisch erlebenden Menschen über die großen Dichter unseres Volkes.“

Reclams Universum.

„Es sind durchweg Kunstwerke von einer erstaunlichen Innigkeit der Einfühlung in die Zeiten sowohl, als auch in die grundverschiedensten Charaktere. Die Größe und seelische Wucht der einzelnen Helden wird weder theatralisch aufgeputzt, noch aber auch sentimental verbürgerlicht.“

Die Lese, Stuttgart.

L. Staackmann Verlag, Leipzig

Marx Möller

Die Spieluhr

Gedichte und Spiele (1892-1919)

Einbandzeichnung v. Kurt Möller-Fernau

Geheftet M. 7.50, gebunden M. 9.50

„Marx Möller – selbst ein ausgezeichneter und mitreißender Sprecher – hat in seiner „Spieluhr“ auf Grund langjähriger Erfahrungen alles zusammengestellt, was sich aus seinen eigenen und den von ihm übertragenen Dichtungen als besonders wirkungsvoll auf den Leser und Hörer erwies. Das Buch umfaßt also nicht nur Gedichte des Heimatlandes und Spiele in mittelalterlicher deutscher Art, sondern bringt auch eine große Auswahl aus malayischen Mythen, aus den Lagerliedern Rudyard Kiplings, aus altjapanischen Spielen und aus schönen Legenden. Der Geschmack des Künstlers hat dafür gesorgt, daß nur das Beste sowohl an gemütreichen als auch humorvollen Dichtungen vertreten ist.“

L. Staackmann Verlag, Leipzig

A. De Nora

Die Rächer

Novelle aus der Revolutionszeit

Einbandzeichnung von Professor Hugo Steiner-Prag

5. Tausend
Pappband M. 7.–

„Eines der wild-heißesten Bücher seit langer Zeit. Nur ein kurzer Abriß aus der Zeit der Pariser Schreckensherrschaft, als der gefräßigen Madame Guillotine täglich hunderte von Köpfen des französischen Adels zum Opfer fielen.“

Berliner Tageblatt.

Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert. Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):






End of the Project Gutenberg EBook of Nebel der Andromeda, by Fritz Brehmer

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEBEL DER ANDROMEDA ***

***** This file should be named 62575-h.htm or 62575-h.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/6/2/5/7/62575/

Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
produced from images made available by the HathiTrust
Digital Library.

Updated editions will replace the previous one--the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
specific permission. If you do not charge anything for copies of this
eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
performances and research. They may be modified and printed and given
away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
trademark license, especially commercial redistribution.

START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    gbnewby@pglaf.org

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.