The Project Gutenberg EBook of Das Leben der Bienen, by Maurice Maeterlinck

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Title: Das Leben der Bienen

Author: Maurice Maeterlinck

Illustrator: Wilhelm Müller-Schoenfeld

Translator: Friedrich von Oppeln-Bronikowski

Release Date: March 8, 2020 [EBook #61584]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS LEBEN DER BIENEN ***




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MEINEM FREUNDE
ALFRED SUTRO
GEWIDMET

AUTORISIERTE AUSGABE IN DAS DEUTSCHE ÜBERTRAGEN VON FRIEDRICH v. OPPELN-BRONIKOWSKI

MIT SCHMUCKLEISTEN UND INITIALEN VON WILHELM MÜLLER-SCHOENEFELD

VERLEGT IN LEIPZIG 1901
BEI EUGEN DIEDERICHS

MAURICE
MAETERLINCK

DAS LEBEN
DER BIENEN


AUF DER SCHWELLE DES BIENENSTOCKES

Es ist kein Buch über Bienenzucht, kein Handbuch für Bienenzüchter, was ich hier schreiben will. Jedes Land besitzt treffliche Werke dieser Art, und es wäre zwecklos, sie noch einmal zu schreiben. In Frankreich hat man die Werke von Dadant, Georges de Layens, Bonnier, Bertrand, Hamet, Weber, Clément und Abbé Collin, auf englischem Sprachgebiete die Schriften von Langstroth, Bevan, Cook, Cheshire, Cowan und Root, in Deutschland die des Pfarrers Dzierzon, des Barons von Berlepsch, Pollmann, Vogel u. v. a.

Ebensowenig will ich eine wissenschaftliche Monographie über apis mellifica, ligustica, fasciata, dorsata u. s. w. schreiben, oder die Ergebnisse neuer Forschungen und Beobachtungen mitteilen. Ich werde fast nichts sagen, was nicht jedem, der sich ein wenig mit Bienenzucht befasst hat, geläufig wäre, und, um dieses Buch nicht unnütz zu beschweren, eine gewisse Anzahl von Beobachtungen und Erfahrungen, die ich in zwanzigjährigem Verkehr mit den Bienen gewonnen, mir für ein Spezialwerk vorbehalten, da sie nur von beschränktem, technischem Interesse sind. Ich will nur ganz einfach von den Bienen reden, wie man von einem vertrauten und geliebten Gegenstande redet, wenn man Nichtkenner darüber belehren will. Ich will weder die Wahrheit ausschmücken, noch, was Réaumur mit vollem Rechte allen seinen Vorgängern in der Bienenkunde vorwirft, ein hübsch erfundenes Märchen an die Stelle der ebenso wunderbaren Wirklichkeit setzen. Es giebt Wunder genug im Bienenstaat, und man braucht darum keine hinzu zu erfinden. Überdies habe ich schon lange darauf verzichtet, etwas Interessanteres und Schöneres auf dieser Welt zu finden, als die Wahrheit oder doch wenigstens das Trachten nach ihr. Ich werde im folgenden also nichts vorbringen, was ich nicht selbst erprobt habe oder was von den Klassikern der Bienenkunde nicht derartig bestätigt wird, dass jede weitere Beweisführung langweilig würde. Ich beschränke mich darauf, die Thatsachen ebenso zuverlässig wiederzugeben, nur etwas lebendiger und mit Weiterentwickelung einiger eingeflochtener, freierer Gedanken, sowie mit etwas harmonischerem Aufbau, als dies in den Handbüchern oder den wissenschaftlichen Monographien zu geschehen pflegt. Wer dies Buch ausgelesen hat, ist nicht gleich im stande, einen Bienenstock zu halten, aber er erfährt daraus nahezu alles Merkwürdige und Tiefe, alle feststehenden Einzelheiten über seine Bewohner, und zwar keineswegs auf Kosten dessen, was noch zu wissen übrig bleibt. Ich übergehe all die Fabeln, die auf dem Lande und in vielen Werken noch über die Bienen verbreitet sind. Wo Zweifel herrschen, die Meinungen auseinandergehen, etwas hypothetisch ist, wo ich zu etwas Unbekanntem komme, werde ich es ehrlich erklären. Wir werden oft vor dem Unbekannten innezuhalten haben. Ausser den grossen sichtbaren Vorgängen ihres Lebens weiss man sehr wenig über die Bienen. Je länger man sie züchtet, desto mehr wird man sich unserer tiefen Unkenntnis über ihr wirkliches Dasein bewusst, aber diese Art des Nichtwissens ist immerhin besser, als die bewusstlose und selbstzufriedene Unwissenheit.

Gab es bisher eine solche Arbeit über die Bienen? Ich glaube, nahezu alles gelesen zu haben, was über die Bienen geschrieben worden ist, aber ich kenne nichts ähnliches ausser dem Kapitel, das Michelet ihnen am Schlusse seines Werkes „Das Insekt“ widmet, und dem Essay von Ludwig Büchner, dem bekannten Verfasser von „Kraft und Stoff“, in seinem „Geistesleben der Tiere“.[1] Michelet hat den Gegenstand kaum gestreift; Büchners Studie ist ziemlich erschöpfend; aber liest man all die gewagten Behauptungen und längst widerlegten Fabeln, die er von Hörensagen berichtet, so kann man nicht umhin, zu glauben, dass er nie seine Bibliothek verlassen hat, um seine Heldinnen selbst zu befragen, und dass er nicht einen von den hundert summenden und flügelglänzenden Bienenstöcken geöffnet hat, die man vergewaltigt haben muss, bevor unser Instinkt sich ihrem Geheimnis anpasst, bevor wir mit dem Dunstkreise und dem Geiste des Mysteriums, das diese emsigen Jungfrauen bilden, vertraut werden. Das riecht weder nach Honig noch nach Bienen, und es hat denselben Mangel, wie viele unserer gelehrten Werke: die Schlüsse sind vielfach schon bekannt, und der wissenschaftliche Apparat besteht aus einer riesenhaften Anhäufung von unsicheren Geschichten aus jedermanns Munde. Indessen werde ich ihm in meiner Arbeit nicht oft begegnen; unsre Ausgangspunkte, Ansichten und Ziele liegen zu weit auseinander.

 

Die Bibliographie der Bienenkunde – denn ich möchte den Anfang mit den Büchern machen, um sie möglichst schnell zu erledigen und zu der Quelle zu kommen, aus der sie geschöpft sind – ist sehr umfangreich. Von Urbeginn an hat dies kleine seltsame Gesellschaftstier mit seinen komplizierten Gesetzen und seinen im Dunkeln entstehenden Wunderwerken die Wissbegier der Menschen gefesselt. Aristoteles, Cato, Varro, Plinius, Columella, Palladius haben sich damit beschäftigt, nicht zu reden von dem Philosophen Aristomachos, der sie nach Aussage des Plinius 58 Jahre lang beobachtet hat, oder Phyliscus von Thasos, der in öden Landstrichen lebte, um nur sie zu sehen, und den Beinamen „der Wilde“ trug. Aber das sind im Grunde Fabeln über die Bienen, und alles, was der Rede wert ist, d. h. so gut wie garnichts, findet sich zusammengefasst im vierten Buche von Virgils „Georgica“.

Die Geschichte der Biene beginnt erst im 17. Jahrhundert mit den Entdeckungen des grossen holländischen Gelehrten Swammerdam. Jedoch, um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss vorausgeschickt werden, dass schon vor Swammerdam ein vlämischer Naturforscher Clutius gewisse wichtige Wahrheiten gefunden hat, z. B. dass die Königin die alleinige Mutter ihres ganzen Volkes ist und die Attribute beider Geschlechter besitzt, aber er hat dies nicht bewiesen. Swammerdam war der erste, der eine wissenschaftliche Beobachtungsmethode einführte; er schuf das Mikroskop, sezierte die Bienen zuerst und bestimmte endgültig, durch Entdeckung der Eierstöcke und des Eileiters, das Geschlecht der Königin, die man bisher für einen König („Weisel“) gehalten hatte. Er warf ein unerwartetes Licht auf die politische Verfassung des Bienenstockes, indem er sie auf die Mutterschaft begründete. Ausserdem hat er Durchschnitte entworfen und Platten gezeichnet, die so tadellos waren, dass man sie noch heute zur Illustration von Werken über Bienenzucht benutzt. Er lebte in dem geräuschvollen, trübseligen Amsterdam von ehemals, voller Sehnsucht nach „dem süssen Landleben“, und starb im Alter von 43 Jahren, von Arbeit erschöpft. In deutlicher, frommer Sprache, mit schönen, schlichten Sätzen, in denen er beständig Gott die Ehre giebt, hat er seine Beobachtungen niedergelegt; sein Hauptwerk „Bybel der Natuure“ wurde ein Jahrhundert später von Dr. Boerhave aus dem Niederländischen ins Lateinische übersetzt (unter dem Titel Biblia naturae, Leyden 1737).

Nach ihm hat Réaumur, derselben Methode getreu, in seinen Gärten in Charenton eine Menge merkwürdiger Experimente und Beobachtungen gemacht und den Bienen in seinen „Mémoires pour servir à l’Histoire des Insectes“ einen ganzen Band gewidmet. Man kann ihn noch heute mit Erfolg und ohne Langeweile lesen. Er ist klar, ehrlich, gerade, und nicht ohne einen gewissen verschlossenen und herben Reiz. Er hat es sich vor allem angelegen sein lassen, eine Reihe von alten Irrtümern zu zerstreuen, – wofür er freilich einige neue in Umlauf gesetzt hat –; er gewann einen Einblick in die Entstehung der Schwärme, die politischen Gewohnheiten der Königinnen, kurz, er fand verschiedene verwickelte Wahrheiten und wies den Weg zu anderen. Er heiligte durch seine Wissenschaft die architektonischen Wunder des Bienenstaates, und alles, was er darüber gesagt hat, kann nicht besser gesagt werden. Man verdankt ihm schliesslich den Gedanken der Kasten mit Glaswänden, der in seiner späteren Vervollkommnung das ganze häusliche Treiben dieser unermüdlichen Arbeiterinnen ans Licht gebracht hat, die, wenn sie ihr Werk in blendendem Sonnenschein beginnen, es doch nur im Finstern vollenden und krönen. Der Vollständigkeit halber wären noch die etwas späteren Untersuchungen und Arbeiten von Charles Bonnet und Schirach zu nennen, welch letzterer das Rätsel des königlichen Eis gelöst hat; aber ich will mich auf die grossen Züge beschränken und gehe darum zu François Huber über, dem Meister und Klassiker der heutigen Bienenkunde.

Huber wurde i. J. 1750 in Genf geboren und erblindete schon als Knabe. Durch Réaumurs Experimente angeregt, die er zunächst nur auf ihre Richtigkeit prüfen wollte, empfand er bald eine Leidenschaft für diese Dinge und widmete mit Hilfe eines treuen und verständigen Dieners, François Burnens, sein ganzes Leben dem Studium der Bienen. In den Annalen des menschlichen Leidens und Siegens ist nichts rührender und lehrreicher, als die Geschichte dieses geduldigen Zusammenarbeitens, wo der eine, der nur einen unstofflichen Schimmer wahrnahm, die Hände und Blicke des Anderen, der sich des wirklichen Lichtes erfreute, mit seinem Geiste lenkte, und obschon er, wie versichert wird, nie mit eigenen Augen eine Honigwabe gesehen hat, durch den Schleier dieser toten Augen hindurch, der jenen andren Schleier, in den die Natur alle Dinge hüllt, für ihn verdoppelte, dem Geiste, der diesen unsichtbaren Honigbau schuf, seine tiefsten Geheimnisse ablauschte, wie um uns zu lehren, dass wir unter keinen Umständen darauf verzichten sollten, die Wahrheit herbeizuwünschen und zu suchen. Ich will hier nicht aufzählen, was die Bienenkunde ihm alles verdankt, ich könnte leichter sagen, was sie ihm nicht verdankt. Seine „Nouvelles Observations sur les Abeilles“, von denen der erste Band i. J. 1789 in Form von Briefen an Charles Bonnet erschien – der zweite folgte erst 25 Jahre später – sind der unerschöpfliche, untrügliche Schatz für alle Bienenforscher. Gewiss enthält das Werk auch Irrtümer und Unzulänglichkeiten, es sind seit diesem Buche in der mikroskopischen Bienenkenntnis und praktischen Bienenzucht, der Behandlung der Königinnen u. s. w. manche Fortschritte gemacht worden, aber nicht eine seiner Hauptbeobachtungen ist widerlegt oder als irrig erwiesen worden; sie sind im Gegenteil die Grundlage unseres heutigen Wissens.

 

Nach Hubers Entdeckungen herrschte einige Jahre Schweigen, aber bald entdeckte ein deutscher Bienenzüchter, der Pfarrer Dzierzon, von Karlsmarck in Schlesien, die jungfräuliche Zeugung (Parthenogenesis) und erfindet den ersten Kastenstock mit beweglichen Waben, durch den der Imker befähigt wird, seinen Anteil an der Honigernte zu gewinnen, ohne seine besten Völker zu zerstören und die Arbeit eines ganzen Jahres in einem Augenblick zu vernichten. Dieser noch sehr unvollkommene Kastenstock ist dann von Langstroth meisterhaft vervollkommnet worden. Er erfand den eigentlichen beweglichen Rahmen, der in Amerika Verbreitung fand und ausserordentliche Erfolge erzielte. Root, Quinby, Dadant, Cheshire, de Layens, Cowan, Heddon, Houward u. a. brachten dann noch einige wertvolle Verbesserungen an. Endlich erfand Mehring, um den Bienen Arbeit und Wachs, also auch viel Honig und Zeit zu sparen, Kunstwaben, die sie alsbald benutzten und ihren Bedürfnissen anpassten, während Major von Hruschka die Honigschleuder erfand, eine Centrifugalmaschine, die den Honig ausschleudert, ohne dass die Waben zerstört werden. Damit eröffnet sich eine neue Periode der Bienenzucht. Die Kästen sind von dreifachem Fassungsvermögen und dreifacher Ergiebigkeit. Überall entstehen grosse, leistungsfähige Bienenwirtschaften. Das unnütze Hinmorden der arbeitslustigsten Völker und die „Auslese der Schlechtesten“, welche die Folge davon war, hören auf. Der Mensch bekommt die Bienen wirklich in seine Gewalt, er kann seinen Willen durchsetzen, ohne einen Befehl zu geben, und sie gehorchen ihm, ohne ihn zu kennen. Er übernimmt die Rolle des Schicksals, die sonst in der Hand der Jahreszeiten lag. Er gleicht die Ungunst der einzelnen Jahreszeiten aus. Er vereinigt die feindlichen Völker. Er macht reich arm und arm reich. Er vermehrt oder verringert die Geburten. Er regelt die Fruchtbarkeit der Königin. Er entthront und ersetzt sie in schwer errungenem Einvernehmen mit dem beim blossen Argwohn einer unbegreiflichen Einmischung rasenden Bienenvolke. Er versehrt, wenn er es für nützlich hält, ohne Kampf das Geheimnis des Allerheiligsten und kreuzt die kluge und weitblickende Politik des königlichen Frauengemaches. Er bringt sie fünf oder sechs Mal hintereinander um die Früchte ihrer Arbeit, ohne sie zu verletzen, zu entmutigen und arm zu machen. Er passt die Honigräume und Speicher ihrer Wohnungen dem Ertrage der Blumenernte, die der Frühling über die Berghänge ausstreut, an. Er zwingt sie, die üppige Zahl der Bewerber, welche auf die Geburt der Prinzessinnen harren, herabzusetzen. Kurz, er thut mit ihnen, was er will, und erreicht von ihnen, was er fordert, vorausgesetzt, dass seine Forderungen mit ihren Tugenden und Gesetzen übereinstimmen, denn sie sehen über den Willen des unerwarteten Gottes hinaus, der sich ihrer bemächtigt hat und der zu ungeheuer ist, um erkannt, zu fremd, um begriffen zu werden, weiter als dieser Gott selbst, und sind nur darauf bedacht, in unermüdlicher Selbstverleugnung die geheimnisvolle Pflicht gegen die Gattung zu erfüllen.

 

Nachdem uns die Bücher nunmehr das Wesentlichste gesagt haben, was sie uns über eine sehr alte Geschichte zu sagen hatten, lassen wir die durch andere erworbene Erfahrungsweisheit fallen und sehen uns die Bienen selbst einmal an. Eine Stunde im Bienenstock sagt uns vielleicht Dinge, die zwar weniger gewiss, aber ungleich lebendiger und fruchtbarer sind.

Ich habe den ersten Bienenstand, den ich zu Gesichte bekommen und an dem ich die Bienen lieben gelernt habe, noch nicht vergessen. Es ist manches Jahr darüber verflossen. Es war in einem grossen Dorfe im flandrischen Seeland, jenem reinlichen und anmutigen Erdenwinkel, der noch kräftigere Farben entwickelt, als das eigentliche Seeland, der Hohlspiegel Hollands, und das Auge gefangen nimmt mit dem allerliebsten, tiefernsten Spielzeug seiner Tauben und Türme, seiner bemalten Wagen, seiner Wandschränke und Stutzuhren, die aus dem Dunkel der Korridore hervorleuchten, seiner Grachten und Kanäle mit ihren Spalier bildenden kleinen Bäumen, die auf eine fromme, kindliche Zeremonie zu warten scheinen, seiner Barken und Marktschiffe mit geschnitztem Bug, seiner buntfarbigen Fenster und Thüren, seiner prächtigen Schleusen und schwarzgetheerten Zugbrücken, seiner schmucken Häuschen, die wie glänzende, zartgetönte Topfwaaren leuchten, und aus denen Weiber wie grosse Klingeln, mit Gold- und Silberschmuck behängt, heraustreten, um auf die weissumzäunten Wiesen zu gehen und die Kühe zu melken, oder Wäsche auf dem in Ovale oder schräge Vierecke geteilten und peinlich grünen, blumenreichen Rasenteppich auszubreiten.

Ein alter Weiser, an den Greis Vergils erinnernd,

„Ein Mann, den Kön’gen gleich, ein Mann, den Göttern nah,

Und ruhig und zufrieden gleich wie diese“.

würde Lafontaine sagen, hatte sich dorthin zurückgezogen, wo das Leben enger scheinen könnte, als wo anders, wenn es möglich wäre, das Leben wirklich einzuschränken, und hatte seinen Alterssitz dort aufgeschlagen, nicht lebensmüde zwar, – denn der Weise kennt keine Lebensmüdigkeit, – aber ein wenig müde, die Menschen zu befragen, denn sie antworten weniger einfältig als Tier und Pflanze auf die einzigen Fragen von Belang, die man der Natur über ihre wahren Gesetze stellen kann. Sein ganzes Glück, wie das des Philosophen Skytha, bestand in einem schönen Garten, und unter dessen Schönheiten liebte er am meisten und besuchte er am häufigsten einen Bienenstand von zwölf Strohglocken, die er mit hellem Gelb, Rosenrot und vor allem mit zartem Blau angestrichen hatte, denn er wusste schon lange vor den Experimenten von Sir John Lubbock, dass Blau die Lieblingsfarbe der Bienen ist. Der Bienenstand befand sich an der Hausmauer, im Winkel einer jener kühlen und leckeren holländischen Küchen mit Porzellanbrettern an den Wänden und leuchtendem Zinn- und Kupfergeschirr darauf, das sich durch die offene Hausthür in einem stillen Kanal spiegelte. Und der Blick glitt über den Wasserspiegel mit seinen häuslichen Bildern, die ein Rahmen von Pappelbäumen umschloss, und fand seinen Ruhepunkt am Horizont mit seinen Mühlen und Weidetriften.

Hier wie überall, wo man sie aufstellt, hatten die Bienenstöcke den Blumen, der Stille, der milden Luft, den Sonnenstrahlen eine neue Bedeutung verliehen. Man griff hier mit Händen das festliche Gleichnis der hohen Sommertage. Man ruhte unter dem funkelnden Kreuzweg, von welchem die luftigen Strassen ausstrahlen, die sie vom Morgen bis zum Abend, mit allen Düften der Fluren beladen, geschäftig durchsummen. Man lauschte der heiteren, sichtbaren Seele, der klugen, wohlklingenden Stimme, man sah den Brennpunkt der Freude der sommerlichen Gartenlust. Man lernte in der Schule der Bienen das geheimnisvolle Weben der Natur, die Fäden, die sich zwischen ihren drei Reichen knüpfen, die unermüdliche Selbstgestaltung des Lebens, die Moral der selbstlosen, eifrigen Arbeit, und was ebensoviel wert ist, wie diese: die heroischen Arbeiterinnen lehrten den Geschmack an der unbestimmten Süssigkeit der Musse, sie unterstrichen mit ihren tausend kleinen Flügeln wie mit Feuerzeichen die fast unstoffliche Wonne jener jungfräulichen Tage, die in ewig gleicher Reinheit und Klarheit wiederkehren, ohne Erinnerungen zu hinterlassen, wie ein zu reines Glück.

 

Wir beginnen, um die Geschichte des Bienenstaates im Kreislaufe des Jahres so einfach wie möglich zu erzählen, mit dem Erwachen im Lenz und dem Wiederbeginn der Arbeit, und wir werden die Hauptstadien des Bienenlebens in ihrer natürlichen Reihenfolge einander ablösen sehen: das Schwärmen und was ihm vorangeht, die Gründung der neuen Stadt, Geburt, Kämpfe und Hochzeitsausflug der jungen Königinnen, die Drohnenschlacht und die Wiederkehr des Winterschlafes. Jede dieser Episoden erfordert die nötigen Erklärungen der Gesetze, Eigentümlichkeiten, Gewohnheiten und Ereignisse, die sie verursachen oder sie begleiten, sodass wir am Ende des Bienenjahres, das vom April bis Ende September reicht, alle Geheimnisse des Honigstaates kennen werden.

Vorderhand, ehe ich einen Bienenstock öffne, um einen allgemeinen Blick darauf zu werfen, mag es genügen zu wissen, dass er sich aus einer Königin, der Mutter des ganzen Volkes, vielen tausend Arbeitsbienen, d. h. unentwickelten und unfruchtbaren Weibchen, und einigen hundert männlichen Bienen oder Drohnen zusammensetzt. Aus den letzteren geht der einzige unglückliche Auserwählte der künftigen Herrscherin hervor, welche die Bienen nach dem mehr oder minder unfreiwilligen Scheiden der alten Königin auf den Thron erheben.

 

Wenn man zum ersten Male einen Bienenstock öffnet, so verspürt man etwas von der Erregung, die einen stets befällt, wenn man etwas Unbekanntes vergewaltigt, das voll von furchtbaren Überraschungen sein kann, wie z. B. ein Grab. Es spinnt sich um die Bienen eine Fabel von Gefahren und Drohungen. Man hat eine unbestimmte Erinnerung an die Bienenstiche, die einen zu eigenen Schmerz verursachen, als dass man wüsste, womit man ihn vergleichen soll; es ist ein trockenes, zuckendes Brennen, eine Art Wüstensonnenbrand, möchte man sagen, der sich bald über den ganzen Körperteil verbreitet. Es ist, als ob diese Sonnenkinder aus den glühendsten Strahlen ihrer Mutter ein leuchtendes Gift gesogen hätten, um die Schätze der Süssigkeit, die sie in ihren segenspendenden Stunden sammeln, desto wirksamer zu verteidigen.

Freilich, wird ein Bienenstock ohne Vorsichtsmassregeln geöffnet, von einem, der weder Charakter noch Sitten seiner Bewohner kennt und achtet, so verwandelt er sich im Nu in einen feurigen Busch von Zorn und Heldenmut. Aber es lernt sich nichts leichter als das bischen Geschicklichkeit, das erforderlich ist, um ihn ungestraft zu vergewaltigen. Es genügt etwas Rauch, den man von Zeit zu Zeit hineinbläst, etwas Kaltblütigkeit und Sanftheit, und die wohlbewehrten Arbeiterinnen lassen sich ausplündern, ohne daran zu denken, ihren Stachel zu zücken. Sie erkennen ihren Herrn nicht, wie behauptet worden ist, sie fürchten den Menschen nicht, aber wenn sie den Rauch riechen und die ruhigen Bewegungen in ihrer Wohnung sehen, so bilden sie sich ein, dass es sich nicht um einen Angriff oder einen Feind handelt, gegen den sie sich verteidigen können, sondern um eine Naturkraft oder Katastrophe, in die sie sich fügen müssen. Statt einen fruchtlosen Kampf zu wagen, wollen sie in ihrer diesmal getäuschten Klugheit wenigstens die Zukunft retten: sie stürzen sich auf die Honigvorräte und schlucken möglichst viel davon herunter, um sie wo anders, gleichgültig wo, aber sofort, zur Gründung einer neuen Stadt zu verwerten, wenn die alte zerstört ist oder sie gezwungen sind, sie aufzugeben.

 

Der Laie pflegt zuerst einigermassen enttäuscht zu sein, wenn man ihm Einblick in einen Beobachtungskasten[2] gewährt. Man hatte ihm versprochen, dass dieser Kasten ein ungeheures Maass von Thatkraft, eine Unzahl von weisen Gesetzen, eine erstaunliche Fülle von Geist, dass er Mysterien, Erfahrungen, Berechnungen, Wissen und Gewerbfleiss der verschiedensten Art, weise Voraussichten, Gewissheiten und Gewohnheiten voller Klugheit und eine Menge von seltsamen Tugenden und Gefühlen enthielte. Und nun erblickt er nur ein Gekribbel von rötlichen Beeren, die wie geröstete Kaffeebohnen aussehen, oder wie Rosinen, die massenhaft an den Scheiben sitzen. Sie scheinen mehr tot als lebendig und ihre Bewegungen sind langsam, unzusammenhängend und unverständlich. Er erkennt die herrlichen Lichttropfen nicht wieder, die noch eben ohne Unterlass in den gold- und perlenschimmernden Schoss von tausend geöffneten Blumenkelchen hinabtauchten und wieder hervorkamen. Sie zittern anscheinend in der Finsternis. Sie ersticken in einer unbeweglichen Menge; man möchte sagen, sie sind wie kranke Gefangene oder entthronte Königinnen, die nur einen glänzenden Augenblick unter den leuchtenden Blumen des Gartens leben, um alsbald in das scheussliche Elend ihres armseligen, engen Kerkers zurückzukehren.

Es ist mit ihnen, wie mit allen tiefen Realitäten. Man muss sie beobachten lernen. Wenn ein Bewohner einer andren Welt auf die Erde herabkäme und sähe, wie die Menschen durch die Strassen gehen, wie sie sich um einzelne Gebäude schaaren oder auf gewissen Plätzen zusammendrängen, wie sie ohne auffällige Gebärden in ihren Wohnungen sitzen und harren, so würde er auch zu dem Schlusse kommen, dass sie träge und bedauernswert sind. Mit der Zeit erst beginnt man die vielseitige Thätigkeit, die in dieser Trägheit liegt, zu erkennen.

In Wahrheit arbeitet jede dieser fast unbeweglichen kleinen Bienen unermüdlich, und jede thut etwas andres. Keine kennt die Ruhe, und gerade die z. B., welche scheinbar eingeschlafen sind und wie leblose Trauben an den Scheiben hängen, haben die geheimnisvollste und ermüdendste Arbeit zu verrichten, sie bereiten das Wachs. Aber wir werden auf diese Einzelheiten ihrer streng geteilten Thätigkeit bald näher eingehen. Inzwischen genügt es, die Aufmerksamkeit auf den Hauptcharakterzug der Bienen zu lenken, durch den sich das enge Beieinandersitzen in dieser mannigfachen Thätigkeit erklärt. Die Biene ist vor allem und mehr noch als die Ameise ein Gesellschaftstier, sie kann nur zu vielen leben. Wenn sie aus dem dichtbesetzten Stocke ausfliegt, so muss sie sich mit dem Kopfe einen Weg durch die lebenden Mauern bahnen, die sie umschliessen, und verlässt damit ihr eigentliches Element. Sie taucht einen Augenblick in den blumenreichen Raum, wie der Schwimmer in den perlenreichen Ocean, aber sie muss, wenn ihr das Leben lieb ist, von Zeit zu Zeit wieder in den Dunstkreis ihrer Gefährtinnen zurück, wie der Schwimmer wieder auftaucht, um Luft zu schöpfen. Bleibt sie allein, so geht sie auch bei den günstigsten Temperaturverhältnissen und dem grössten Blumenreichtum in wenigen Stunden zu Grunde, nicht infolge von Hunger oder Kälte, sondern von Einsamkeit. Die Menge ihrer Schwestern, der Bienenstock, ist für sie ein zwar unsichtbares, aber nicht weniger unentbehrliches Nahrungsmittel als der Honig. Dieses Bedürfnis muss man sich gegenwärtig halten, will man den Geist der Gesetze des Bienenstaates erfassen. Das Individuum gilt im Bienenstock nichts, es hat nur ein Dasein aus zweiter Hand, es ist gleichsam ein nebensächlicher Faktor, ein geflügeltes Organ der Gattung. Sein ganzes Leben ist eine vollständige Aufopferung für das unzählige, beharrende Wesen, zu dem es gehört. Sonderbarerweise lässt sich feststellen, dass dies nicht immer so war. Man findet auch heute noch unter den Honigwespen alle Stadien der schrittweisen Entwickelung unserer Hausbiene vor. Auf der untersten Stufe arbeitet sie allein im Elend; oft erblickt sie nicht einmal ihre Nachkommenschaft (wie bei den Prosopis und Colletes), bisweilen lebt sie im engen Familienkreise mit ihrer jährlichen Brut (wie bei den Hummeln), vereinigt sich dann vorübergehend zu Gesellschaften (Grabbienen, Hosenbienen, Ballenbienen) und erreicht schliesslich, von Stufe zu Stufe steigend, die nahezu vollkommene Gesellschaftsform unserer Bienenstöcke, wo das Individuum vollständig in der Gesamtheit aufgeht und die Gesamtheit wiederum der abstrakten, unsterblichen Gesellschaft der Zukunft geopfert wird.

 

Hüten wir uns, aus diesen Thatsachen voreilige Schlüsse auf den Menschen zu ziehen. Der Mensch hat das Vermögen, sich den Naturgesetzen nicht zu fügen. Ob es Recht oder Unrecht ist, von diesem Vermögen Gebrauch zu machen: das ist der wichtigste, aber auch der unaufgeklärteste Punkt unserer Moral. Inzwischen ist es nicht belanglos, den Willen der Natur in einer anders gearteten Welt zu belauschen, und gerade bei den Honigwespen, die nächst dem Menschen unzweifelhaft die intelligentesten Bewohner dieses Erdballes sind, tritt dieser Wille sehr deutlich zu Tage. Er trachtet sichtlich nach Veredelung der Art, aber er zeigt auch, dass er diese nur auf Kosten der individuellen Freiheit und des individuellen Glückes erreichen will oder kann. In dem Maasse, wie die Gesellschaft sich organisiert und erhebt, wird dem Sonderleben eines jeden ihrer Glieder ein immer engerer Kreis gezogen. Wo ein Fortschritt eintritt, geschieht dies durch ein immer vollkommeneres Opfer der persönlichen zu Gunsten der allgemeinen Interessen. Zunächst muss ein jedes Individuum auf eigenmächtige Laster verzichten. So findet man auf der vorletzten Kulturstufe der Bienen die Hummeln, die unseren Menschenfressern zu vergleichen sind: die ausgewachsenen Arbeiterinnen stellen nämlich unaufhörlich den Eiern nach, um sie zu fressen, und die Mutter muss sie mit aller Energie dagegen verteidigen. Ferner muss sich jedes Individuum, nachdem es die gefährlichsten Laster abgelegt hat, eine Anzahl von immer strenger gefassten Tugenden zu eigen machen. Die Arbeiterinnen bei den Hummeln lassen es sich z. B. noch nicht einfallen, der Liebe zu entsagen, während unsere Hausbiene in unbedingter Keuschheit lebt. Nun, wir werden ja bald sehen, was sie alles in Tausch giebt für das Wohlbefinden, die Sicherheit, die architektonische, ökonomische und politische Vollkommenheit des Bienenstockes, und wir kommen auf den Entwicklungsgang der Honigwespen in dem Kapitel über den „Fortschritt der Art“ noch einmal zurück.


DAS SCHWÄRMEN

Die Bienen des von uns erwählten Bienenstockes haben also die Starre des Winterschlafes abgeschüttelt. Die Königin beginnt von Anfang Februar an wieder Eier zu legen. Die Arbeitsbienen befliegen die Anemonen, Narzissen, Veilchen, Salweiden und Haselnusssträucher. Der Frühling hält seinen Einzug, die Speicher und Keller strotzen wieder von Honig und Blütenstaub, und tausende von Bienen erblicken täglich das Licht der Welt. Die ungeschlachten Drohnen kriechen aus ihren grossen Zellen, laufen auf den Waben herum, und der Bevölkerungszuwachs der Stadt wird bald so gross, dass hunderte von Arbeitsbienen, wenn sie abends vom Felde heimkehren, kein Unterkommen mehr finden und genötigt sind, die Nacht auf der Schwelle zuzubringen, wo viele vor Kälte sterben.

Eine allgemeine Unruhe ergreift das Volk, und die alte Königin gerät in Aufregung. Sie ahnt, dass sich ein neues Schicksal vorbereitet. Sie hat ihre Pflicht als Mutter gewissenhaft gethan, und nun führt ihre Pflichterfüllung zu Verwirrung und Trübsal. Eine unabweisliche Notwendigkeit bedroht ihre Ruhe: bald wird sie die Stadt ihrer Herrschaft verlassen müssen. Und doch ist diese Stadt ihr Werk, ihr eigenstes Ich. Sie ist keine Königin im menschlichen Sinne. Sie giebt keine Befehle; sie ist, wie die letzte ihrer Unterthanen, einer verhüllten Gewalt von überlegener Weisheit unterworfen, die wir einstweilen, bis wir sie zu entschleiern versuchen, den „Geist des Bienenstockes“ nennen wollen. Sie ist die alleinige Mutter und das Werkzeug der Liebe. Sie hat die Stadt in Unsicherheit und Armut gegründet. Sie hat sie unaufhörlich mit ihrem eignen Fleisch und Blut bevölkert, und alles, was darinnen lebt, – Arbeitsbienen, Drohnen, Larven, Nymphen und die jungen Prinzessinnen, deren baldiges Ausschlüpfen ihren Aufbruch beschleunigen wird und deren eine ihr vom „Geiste des Bienenstockes“ schon zur Nachfolgerin bestimmt ist, – ist aus ihren Weichen hervorgegangen.

 

Wo befindet sich dieser „Geist des Bienenstockes“ und wo hat er seinen Sitz? Er ist nicht wie der individuelle Instinkt des Vogels, der sein Nest mit Geschicklichkeit baut und andere Himmelsstriche aufzusuchen weiss, wenn der Tag des Wanderns wieder angebrochen ist. Er ist ebensowenig eine mechanische Gewohnheit der Gattung, die nur vom blinden Lebenswillen beseelt ist und sich an allen Ecken des Zufalls stösst, sobald ein unvorhergesehener Umstand die Abfolge der gewohnten Erscheinungen durchbricht. Im Gegenteil, er folgt Schritt für Schritt den allmächtigen Umständen, wie ein kluger und geschickter Sklave, der auch die gefährlichsten Befehle seines Herrn sich zum Vorteil zu wenden weiss.

Er verfügt ohne Rücksicht, aber gewissenhaft, als wäre ihm eine grosse Pflicht auferlegt, über Wohlstand und Glück, Leben und Freiheit dieses geflügelten Völkchens. Er bestimmt Tag für Tag die Zahl der Geburten und zwar genau nach der Blumenzahl, die auf den Fluren blüht. Er sagt der Königin, dass sie verbraucht ist oder dass sie ausschwärmen muss, er zwingt sie, ihren Nebenbuhlerinnen das Leben zu geben, erhebt diese zu Königinnen, schirmt sie vor dem politischen Hass ihrer Mutter und veranlasst oder verhindert, – je nach der Fülle des Blumensegens, dem früheren oder späteren Eintreten des Frühjahrs und den beim Hochzeitsflug zu befürchtenden Gefahren, – dass die erstgeborene unter den jungfräulichen Prinzessinnen ihre jüngeren Schwestern in der Wiege tötet. Oder auch bei vorgerückter Jahreszeit, wenn die Blumenstunden kürzer werden, gebietet er den Arbeitsbienen, die ganze königliche Brut zu vernichten, damit die Ära der Umwälzungen ein Ende hat und die fruchtbringende Arbeit wieder aufgenommen wird. Er ist ein Geist der Vorsicht und Sparsamkeit, aber nicht des Geizes. Er weiss anscheinend um die verhängnisvollen und etwas vernunftwidrigen Naturgesetze der Liebe, und duldet darum in den reichen Sommertagen, in denen die junge Königin ihren Liebhaber suchen geht, das Vorhandensein von drei- oder vierhundert thörichten, ungeschickten, bei aller Geschäftigkeit nur hinderlichen, anspruchvollen, schamlos müssigen, lärmenden, gefrässigen, groben, unsauberen, unersättlichen und ungeschlachten Drohnen. Aber sobald die Königin befruchtet ist, die Blumen ihre Kelche später öffnen und früher schliessen, ordnet er eines Tages gelassen an, dass sie alle miteinander ermordet werden. Er regelt die Arbeit jeder Biene nach ihrem Alter, er bestimmt die einen zur Pflege der Brut, die anderen zur königlichen Leibwache, welche die Königin zu unterhalten hat und sie nie aus den Augen verlieren darf, wieder andere zum Ventilieren: sie lüften mit ihren Flügeln den Stock, führen ihm Wärme oder Kälte zu und beschleunigen die Verdunstung des dem Honig zuviel zugesetzten Wassers; wieder andre verwertet er als Architekten, Maurer und Steinmetzen; sie hängen sich in Ketten auf, um Wachs zu bereiten, und bauen die Waben, während ein anderer Schwarm ausfliegt und einträgt: Nektar, der zu Honig verarbeitet wird, Blütenstaub zum Futterbrei für die Brut, und Stopfwachs (Propolis) zum Verkleben und Befestigen der Bauten. Er weist den Chemikern im Bienenstaate ihre Aufgabe an: den Honig haltbar zu machen, indem sie einen Tropfen Ameisensäure in die gefüllten Zellen thun, den Arbeiterinnen, welche diese Zellen verdeckeln, den Strassenkehrerinnen, die Strassen und Plätze in musterhafter Ordnung halten, den Totengräberinnen, welche die Leichen fortschaffen, und den Amazonen der Schildwache, die Tag und Nacht für Sicherheit des Eingangs sorgen, die Kommenden und Gehenden befragen, sich die jungen Bienen beim ersten Ausfluge merken, die Landstreicher, Bettler und Räuber fortjagen, Eindringlinge austreiben, gefürchtete Feinde in Masse angreifen und nötigenfalls das Flugloch verbarrikadieren.

Endlich bestimmt er die Stunde, wo dem Genius der Art das grosse Jahresopfer gebracht wird, ich meine das Schwärmen, wo das ganze Volk, auf dem Gipfel seiner Macht und seines Gedeihens angelangt, der nächsten Generation plötzlich alles überlässt, seine Schätze und Paläste, seine Wohnungen und die Frucht seiner Arbeit, um fern im Ungewissen und Öden eine neue Heimat zu suchen. Es ist dies ein Akt, der – bewusst oder unbewusst – über die menschliche Moral hinausgeht. Bisweilen zerstört er, immer verarmt er, und sicher zerreisst er das glückgesegnete Volk, damit es einem höheren Gesetze gehorche, als das Gedeihen der Stadt ist. Wo entsteht dieses Gesetz, das, wie wir sogleich sehen werden, nicht so fatalistisch und blind ist, wie man wohl glaubt? In welcher Versammlung, welchem Rat, welcher gemeinsamen Sphäre hat er seinen Sitz, dieser Geist, dem sich alle unterwerfen, und der selbst einer heroischen Pflicht, einer stets auf die Zukunft gerichteten Vernunft gehorcht?

Es ist bei unsren Bienen wie bei der Mehrzahl aller irdischen Dinge: wir beobachten einige ihrer Gewohnheiten, wir sagen, sie thun dies und jenes, sie arbeiten so und so, ihre Königinnen sorgen für Nachkommenschaft, ihre Arbeiterinnen bleiben Jungfrauen, und dann und dann schwärmen sie. Damit glauben wir sie zu kennen und fragen nicht weiter. Wir sehen sie von Blume zu Blume hasten, wir beobachten das behende Kommen und Gehen im Stock, und dieses Leben scheint uns höchst einfach und beschränkt, wie jedes Leben, das instinktiv nach Selbsterhaltung und Vermehrung trachtet. Aber sobald das Auge tiefer eindringt und sich Rechenschaft ablegen will, erkennt es die erstaunliche Kompliziertheit der einfachsten Erscheinungen, das Wunder des Verstandes und des Willens, der Bestimmungen und Ziele, der Ursachen und Wirkungen, die unbegreifliche Organisation der geringsten Lebensakte.

 

In unsrem Bienenstock bereitet sich also das grosse Opfer vor, das den anspruchsvollen Volksgöttern gebracht wird. Den Geboten dieses „Geistes“ gehorsam, der uns ziemlich unerklärlich erscheint, vorausgesetzt, dass er allen Instinkten und Gefühlen unsrer Art zuwiderläuft, – sind sechzig bis siebzigtausend von den achtzig bis hunderttausend Bienen des Gesamtvolkes im Begriff, die Mutterstadt zur gegebenen Stunde zu verlassen. Es ist kein Augenblick der Angst, in dem sie davonziehen, kein plötzlicher toller Entschluss, das durch Hunger, Krieg oder Seuchen verheerte Heimatland zu fliehen. Ihre Selbstverbannung ist seit langem vorbedacht und die günstigste Stunde wird geduldig abgewartet. Ist der Stock arm und durch Unglück im Königshause, schlechtes Wetter oder Plünderung geschwächt worden, so wird nicht geschwärmt. Sie verlassen ihre Stadt nur auf dem Gipfel ihres Wohlstands, wenn der mächtige Wachsbau nach harter Frühjahrsarbeit in seinen 120000 schnurgerade gebauten Zellen prangt und von frischem Honig strotzt, oder von jenem bunten Mehl, das zur Auffütterung der Brut dient und Bienenbrot genannt wird.

Nie sieht der Stock schmucker aus, als am Tage vor der heroischen Entsagung. Es ist für ihn die Stunde ohne Gleichen, die lebensvolle, etwas fieberhafte und doch so heitere Stunde des Überflusses und der Ausgelassenheit. Suchen wir ihn uns vorzustellen, nicht wie ihn die Bienen sehen, denn wir ahnen nicht, welche magische und furchtbare Gestalt die Dinge in den sechs- bis siebentausend Facettenaugen annehmen, die sie an der Seite haben, oder in dem dreifachen Cyclopenauge auf ihrer Stirn, sondern so, wie wir ihn sehen würden, wenn wir ihre Grösse hätten. Oben von der Wölbung, die noch ungeheurer ist, als die des St. Peter in Rom, bis auf den Fussboden herab gehen zahlreiche senkrechte, parallele Riesenmauern, die im Finstern und im Leeren hängen und die man – im Verhältnis gesprochen – wegen ihrer kühnen Bauart, ihrer Genauigkeit und Riesenhaftigkeit mit keinem menschlichen Bauwerk vergleichen kann. Jede dieser Mauern, deren Baustoff noch jungfräulich frisch, silbern, unbefleckt und duftend ist, besteht aus tausenden von Zellen und enthält Vorräte, von denen das ganze Volk wochenlang leben könnte. Hier und dort leuchten rote, gelbe, schwarze und veilchenfarbene Flecken; es ist Pollen, der befruchtende Blumenstaub der gesamten Frühlingsflora, in durchsichtigen Zellen bewahrt, und ringsherum in schweren, üppigen Goldgewinden mit starren, unbeweglichen Falten der Aprilhonig, der reinste und duftreichste, in zwanzigtausend schon verdeckelten Behältern, die nur in den Tagen der höchsten Not erbrochen werden. Weiter unten reift der Maihonig noch in seinen weit geöffneten Behältern, an deren Rand eine wachsame Schaar für ununterbrochenen Luftwechsel sorgt. In der Mitte, fernab vom Lichte, dessen Diamantstrahlen durch die einzige Öffnung dringen, schlummert im wärmsten Teile des Bienenstockes die Zukunft oder beginnt zu erwachen. Es ist dies der Bezirk des Brutraums, in dem die Königin und ihre Mägde hausen, etwa zehntausend Zellen, in denen die Eier ruhen, fünfzehn- oder sechzehntausend, die von den Larven bewohnt sind, und vierzigtausend, in denen die wachsbleichen Nymphen von tausenden von Pflegerinnen gewartet werden. (Diese Zahlen entsprechen genau einem stark bevölkerten Stock zur Zeit der Volltracht.) Endlich im Allerheiligsten des Kinderhimmels drei bis zwölf geschlossene, verhältnismässig sehr grosse Weiselzellen, in denen die jungen Prinzessinnen, in eine Art von Leichentuch gehüllt, unbeweglich und bleich ihre Stunde erharren und im Finstern genährt werden.

 

Dieser noch gestaltlosen Jugend räumt also zu einer gegebenen, vom „Geiste des Bienenstocks“ genau bestimmten Stunde ein Teil des Volkes das Feld, und auch er ist nach unerschütterlichen, untrüglichen Gesetzen hierzu erlesen. In der schlafenden Stadt zurück bleiben die Drohnen, aus deren Reihen der königliche Buhle hervorgehen wird, die noch ganz jungen Bienen, die die Brut füttern, und einige tausend Arbeitsbienen, die nach wie vor eintragen, den aufgehäuften Schatz beschirmen und die moralischen Traditionen des Bienenstockes aufrecht erhalten. Denn jeder Bienenstock hat seine besondere Moral. Man findet sehr tugendhafte und sehr verdorbene, und der unvorsichtige Imker kann ein Volk verderben, es die Achtung vor fremdem Besitz verlieren lassen, zum Plündern verleiten, ihm Eroberungsgelüste und Neigung zum Müssiggang beibringen, wodurch es zum Schrecken aller schwachen Völker der Umgegend wird. Er braucht die Bienen nur merken zu lassen, dass die Feldarbeit in den Blumen, von denen hunderte beflogen werden müssen, um einen Tropfen Honig zu liefern, weder das einzige, noch das bequemste Mittel zum Reichwerden ist, sondern dass es viel leichter ist, durch List in schlecht bewachte Städte oder durch Gewalt in solche einzudringen, deren Bevölkerung zu schwach ist, um sich zu wehren. Sie verlieren bald den Sinn für die glänzende, aber unbarmherzige Pflicht, die sie zu geflügelten Knechten der Blumen im hochzeitlichen Reigen der Natur macht, und es ist zuweilen garnicht leicht, ein so zuchtlos gewordenes Volk wieder auf den Weg der Pflicht zu bringen.

 

Alles das beweist, dass das Schwärmen nicht von der Königin, sondern vom „Geiste des Bienenstocks“ ausgeht. Es ist mit der Königin, wie mit den Führern der Menschen: sie scheinen zu befehlen, und gehorchen doch selbst nur Geboten, die gebieterischer und unerklärlicher sind, als die, welche sie ihren Untergebenen erteilen. Wann dieser „Geist“ den Augenblick für gekommen hält, muss er wohl schon bei Morgengrauen, ja vielleicht schon am Tage vorher oder zwei Tage vorher bekannt geben, denn kaum hat die Sonne die ersten Thautropfen aufgetrunken, so nimmt man rings um den Bienenstand eine ungewöhnliche Unruhe wahr, über deren Wesen sich der Bienenwirt selten täuscht. Manchmal soll selbst Uneinigkeit, Zaudern und Zurückweichen eintreten. Es kommt sogar vor, dass sich der goldig schimmernde, durchsichtige Schwarm mehrere Tage hintereinander bildet und ohne ersichtlichen Grund wieder verschwindet. Entsteht in diesem Augenblick am Himmel, den die Bienen sehen, eine Wolke, die wir nicht wahrnehmen, oder ein Heimweh in ihrem Geiste? Wird die Notwendigkeit des Aufbruches in einer geflügelten Ratsversammlung erörtert? Wir wissen davon ebensowenig, wie wir wissen, auf welche Weise der Geist des Bienenstocks seine Entschliessungen bekannt giebt. Wenn es auch feststeht, dass die Bienen sich Mitteilungen machen, so wissen wir doch keineswegs, ob sie dies nach Art der Menschen thun. Dieses honigduftende Summen, dieses trunkene Schwirren an schönen Sommertagen, welches eine der holdesten Freuden für den Bienenvater ist, dieser Hochgesang der Arbeit, der im Krystall der Luft rings um den Bienenstand bald steigt, bald fällt und gleichsam das fröhliche Flüstern des Blumenflors, das Preislied seines Glückes, der Widerhall seiner süssen Düfte ist, – sie hören ihn vielleicht nicht einmal. Trotzdem besitzen sie eine ganze Skala von Tönen, die wir selbst unterscheiden können und die von tiefer Seligkeit bis zu Drohung, Zorn und Trübsal reicht, sie besitzen ein Lied auf die Königin, ein Hoheslied des Überflusses und Klagelieder, und endlich stossen die jungen Prinzessinnen in den Kämpfen und Blutbädern, die dem Hochzeitsausflug vorausgehen, ein langgezogenes, seltsames Kriegsgeschrei aus. Sind das alles nur Laute von ungefähr, die ihr inneres Schweigen nicht berühren? Um die Geräusche, die wir rings um ihre Wohnungen machen, scheinen sie sich allerdings nicht zu kümmern, aber vielleicht sind sie der Meinung, dass diese Geräusche nicht zu ihrer Welt gehören und für sie keine Bedeutung haben. Wahrscheinlich hören wir unsererseits auch nur einen geringen Teil dessen, was sie sagen, und vielleicht verfügen sie über eine Menge von harmonischen Tönen, die nicht für unsre Organe gemacht sind. Jedenfalls werden wir weiterhin sehen, dass sie sich verständigen können und zwar mit einer oft wunderbaren Geschwindigkeit, z. B. wenn der grosse Honigdieb, der Totenkopf-Schmetterling, in den Stock dringt und dabei von Zeit zu Zeit eine eigentümliche, unwiderstehliche Beschwörungsformel murmelt. Sofort läuft die Kunde von Mund zu Mund und das ganze Volk von den Wachen am Eingang bis zu den letzten Arbeitsbienen, die auf den fernsten Waben arbeiten, gerät in Schrecken.

 

Man hat lange gemeint, die klugen Honigwespen, die für gewöhnlich so sparsam, nüchtern und weitblickend sind, gehorchten in dem Augenblick, wo sie die Schätze ihrer Wohnung im Stiche lassen, um sich selbst ins Ungewisse hinauszuwagen, einer Art von Wahnsinn und Verhängnis, einem instinktiven Trieb und Gattungsgesetz oder Naturgebot, kurz, jener dunklen Gewalt, der alle in der Zeitlichkeit lebenden Wesen unterworfen sind. Handelt es sich um die Bienen oder um uns selbst, uns scheint alles, was wir noch nicht verstehen, ein Verhängnis. Aber man hat den Bienen heute drei oder vier ihrer materiellen Geheimnisse abgewonnen, und da hat es sich erwiesen, dass dieser Auszug weder instinktiv, noch vom Schicksal verhängt ist. Es ist keine blinde Auswanderung, sondern ein anscheinend bewusstes Opfer, welches das lebende Geschlecht dem zukünftigen bringt. Der Bienenzüchter braucht nur die jungen, unausgeschlüpften Königinnen in ihren Zellen zu töten und, wenn viele Larven und Nymphen vorhanden sind, gleichzeitig Honig- und Brutraum des Volkes zu erweitern – und alsbald hört das ganze unfruchtbare Treiben auf, die gewöhnliche Arbeit wird wieder aufgenommen, Honig eingetragen, und die alte Königin, die jetzt unentbehrlich geworden ist und keine Nebenbuhlerinnen zu hoffen oder zu fürchten hat, verzichtet in diesem Jahre auf ein Wiedersehen des Sonnenlichtes. Friedlich nimmt sie ihre Mutterpflicht im Finstern wieder auf und legt methodisch, eine Spirale beschreibend, von Zelle zu Zelle, ohne eine einzige auszulassen, ohne je inne zu halten, jeden Tag zwei- bis dreitausend Eier.

Was wäre in alledem fatalistisch als die Liebe des Volkes von heute zu dem von morgen? Diese Art von Verhängnis findet sich auch in der menschlichen Gattung, wenn auch nicht mit der gleichen Gewalt und Unbedingtheit, denn sie führt bei uns nie zu so grossen, einmütigen und vollständigen Opfern. Welchem weitblickenden Fatum, das jenes andre ersetzt, mögen wir gehorchen? Niemand weiss es, denn keiner kennt das Wesen, das uns so ansieht, wie wir die Bienen.

 

Aber der Mensch soll den Gang der Dinge in dem von uns beobachteten Bienenstocke nicht unterbrechen, und die feuchte Wärme eines langsam dahinfliessenden Sommertages, der seine Strahlen schon unter das Blattwerk sendet, beschleunigt die Stunde des Aufbruchs. Überall in den goldbraunen Gängen, die zwischen den senkrechten Riesenmauern laufen, rüsten die Arbeitsbienen sich zur Reise. Jede versieht sich mit einem Honigvorrat für fünf bis sechs Tage. Aus diesem Honig bereiten sie, durch einen noch nicht recht aufgeklärten chemischen Prozess, das zur Aufführung von neuen Bauten unmittelbar erforderliche Wachs. Ferner versehen sie sich mit einer gewissen Menge von Propolis, einer harzigen Substanz, die dazu bestimmt ist, die Spalten und Ritzen der neuen Wohnung zu verkitten, alles, was locker ist, zu befestigen, alle Wände zu firnissen und alles Licht abzublenden, denn sie arbeiten nur in einer fast völligen Dunkelheit, in der sie sich mit Hülfe ihrer Facettenaugen oder auch ihrer Fühler zurechttasten, denn diese scheinen in der That der Sitz eines unbekannten Sinnes zu sein, welcher die Finsternis fühlt und misst.

 

Sie vermögen also die Ereignisse des gefahrvollsten Tages in ihrem Dasein vorauszusehen. Heute leben sie nur für den grossen Akt und die vielleicht wunderbaren Abenteuer, die er mit sich bringt; heute haben sie keine Zeit, in Gärten und Wiesen hinauszuschwärmen, und morgen oder übermorgen kann es vielleicht regnen und stürmen, ihre kleinen Flügel können erstarren und ihre Blumen sich nicht mehr öffnen. Ohne diese Voraussicht wären sie dem Hungertode preisgegeben. Nichts käme ihnen zu Hülfe, und sie würden niemanden um Hülfe bitten. Von Stock zu Stock kennen sie sich nicht und helfen sich nie. Es kommt sogar vor, dass der Bienenzüchter den Bienenstock, in den er die alte Königin und den sie umgebenden Schwarm eingeschlagen hat, dicht neben den eben verlassenen Stock stellt. Welches Unglück sie nun auch trifft, man kann sagen, dass sie seinen Frieden, sein emsiges Glück, seine Reichtümer und seine Sicherheit unwiderruflich vergessen haben, und dass sie alle, eine nach der andern bis zur letzten, lieber bei ihrer unglücklichen Königin verhungern, als in ihr Elternhaus zurückzukehren, obschon der Duft seines Überflusses, welches der Duft ihrer verflossenen Arbeit ist, bis in ihre Trübsal herüberdringt.

 

Was, wird man sagen, würden die Menschen nicht thun; es ist dies ein Beweis dafür, dass hier trotz einer staunenswerten Organisation keine eigentliche Vernunft, kein Bewusstsein vorhanden ist. Was wissen wir davon? Sind wir, ganz abgesehen davon, dass es sehr wohl möglich ist, dass andere Wesen eine andere Vernunft haben als die unsre, eine Vernunft, die sich in ganz anderer Weise äussert, ohne darum minderwertig zu sein, – sind wir, die wir nie aus dem engen Kreise des Menschlichen herauskommen, so gute Richter über geistige Dinge? Wir brauchen nur zwei oder drei Personen hinter einem Fenster sprechen und gestikulieren zu sehen, ohne zu hören, was sie sich sagen, und schon wird es uns sehr schwer, den sie leitenden Gedanken zu erraten. Glaubt man etwa, ein Bewohner des Mars oder der Venus, der von einem Berggipfel herab die kleinen schwarzen Punkte, die wir im Raume sind, durch die Strassen und Plätze hin- und herwimmeln sähe, könnte sich aus dem Anblick unserer Bewegungen, unserer Gebäude und Kanäle oder Maschinen, eine genaue Vorstellung von unserem Verstande, unserer Moral, unserer Art zu lieben, zu denken und zu hoffen, kurz unsrem inneren und wirklichen Wesen machen? Er würde sich damit begnügen, gewisse erstaunliche Thatsachen festzustellen, ganz wie wir es im Bienenstock thun, und daraus würde er wahrscheinlich ebenso unsichre und irrige Folgerungen ziehen wie wir. Auf alle Fälle dürfte es ihm sehr schwer fallen, in den „kleinen schwarzen Punkten“ die grosse moralische Tendenz, das wunderbar einmütige Gefühl zu entdecken, das im Bienenstock zum Ausdruck kommt. „Wohin gehen sie?“ würde er sich fragen, wenn er uns Jahre und Jahrhunderte lang beobachtet hätte. „Was thun sie? Welches ist der Mittelpunkt und der Zweck ihres Lebens? Gehorchen sie irgend einem Gotte? Ich sehe nichts, was ihre Schritte lenkt. Heute scheinen sie allerhand Kleinigkeiten aufzuhäufen und aufzubauen, und morgen zerstören und zerstreuen sie sie. Sie kommen und gehen, sie versammeln sich und gehen auseinander, aber man weiss nicht, was sie eigentlich wollen. Sie bieten allerhand unerklärliche Anblicke. So sieht man z. B. etliche, die sich sozusagen nicht rühren. Man erkennt sie an ihren glänzenderen Gewändern. Oft auch sind sie von grösserem Umfange, als die, welche ihnen dienen. Ihre Wohnungen sind zehn oder zwanzig Mal so gross, auch zweckmässiger eingerichtet und reicher als die der andren. Sie halten darin Tag für Tag Mahlzeiten ab, die stundenlang dauern und sich bisweilen tief in die Nacht erstrecken. Alle, die ihnen näher kommen, scheinen sie ausserordentlich zu ehren; aus den Nachbarhäusern wird ihnen Nahrung zugetragen, und vom Lande her strömen sie in Massen herbei, um ihnen Geschenke zu bringen. Man muss wohl glauben, dass sie unentbehrlich sind und ihrer Gattung wesentliche Dienste leisten, wiewohl unsre Forschungen uns noch keinen Aufschluss darüber gegeben haben, welcher Art diese Dienste sind. Dann wieder sieht man andre in grossen Häusern, die mit kreisenden Rädern angefüllt sind, in düsteren Schlupfwinkeln an den Häfen, oder auf kleinen Erdgevierten, auf denen sie vom Morgen bis zum Abend herumwühlen, in unaufhörlicher, mühevoller Arbeit. Dies alles führt zu der Vermutung, dass ihre Thätigkeit eine Strafe ist. Man lässt sie in engen, schmutzigen und baufälligen Hütten wohnen. Sie sind mit einem farblosen Stoffe bekleidet. Und so gross scheint ihr Eifer bei ihrer schädlichen oder doch zum mindesten unnützen Thätigkeit, dass sie sich kaum zum Schlafen und zum Essen Zeit gönnen. Auf einen der vorhin genannten kommen ihrer Tausend. Es ist zu bewundern, dass sich die Gattung unter Umständen, die ihrer Entwicklung so ungünstig sind, bis auf diesen Tag erhalten hat. Übrigens muss man hinzusetzen, dass sie, wenn man von dem zähen Eifer absieht, mit dem sie ihr mühevolles Tagewerk betreiben, harmlos und willfährig erscheinen und sich in allem jenen andren anbequemen, die augenscheinlich die Hüter und vielleicht die Retter der Gattung sind.“

 

Ist es nicht sonderbar, dass der Bienenstock, den wir aus der Höhe einer andren Welt nur undeutlich erkennen, uns beim ersten Blick eine tiefe und gewisse Antwort giebt? Ist es nicht wunderbar, dass seine Bauten, seine Sitten und Gesetze, seine soziale und politische Organisation, seine Tugenden und selbst seine Grausamkeiten, uns unmittelbar den Gedanken oder Gott offenbaren, dem die Bienen dienen, der weder der unrechtmässigste, noch der vernunftwidrigste ist, den man sich vorstellen kann, wiewohl vielleicht der einzige, den wir noch nicht ernstlich angebetet haben, nämlich die Zukunft? Wir suchen in unsrer Menschheits-Geschichte bisweilen die moralische Kraft und Grösse eines Volkes zu bewerten, und wir finden keinen andren Maassstab, als die Dauerhaftigkeit und Grösse des von ihm verfolgten Ideals und die Selbstverleugnung, mit der es sich ihm hingiebt. – Haben wir oft ein Ideal gefunden, das dem Weltall näher steht, das fester, erhabener, selbstloser und offenkundiger ist und mit einer gänzlicheren und heldenhafteren Selbstverleugnung Hand in Hand geht?

 

O seltsame kleine Republik, so logisch und so ernst, so zweckvoll und so streng durchgeführt, so sparsam und doch einem so grossen und ungewissen Traume hingegeben! O kleines Volk, so entschlossen und so tief, von Licht und Wärme und allem Reinsten in der Welt genährt, vom Kelch der Blumen, das ist vom sichtbarsten Lächeln der Materie und ihrem rührendsten Streben nach Glück und Schönheit! Wer wird uns sagen, welche Probleme Ihr gelöst habt und uns zu lösen aufgebt, welche Gewissheiten Ihr erworben habt und uns zu erwerben noch übrig lasset! Und wenn es wahr ist, dass Ihr Probleme gelöst, Gewissheiten erlangt habt, indem Ihr nicht dem Verstande folgtet, sondern einem blinden und dumpfen Drange: welches noch unlösbarere Rätsel zwingt Ihr uns dann noch zu lösen? O kleine Stadt voller Glauben und Hoffen, und voller Mysterien, warum wird Deinen hunderttausend Jungfrauen eine Aufgabe zuteil, die kein menschlicher Sklave je auf sich genommen hat? Schonten sie ihre Kräfte, dächten sie ein wenig mehr an sich selbst, wären sie etwas weniger eifrig bei der Arbeit, sie sähen einen zweiten Lenz und einen neuen Sommer, und doch scheinen sie in dem grossen Augenblick, wo alle Blumen ihnen winken, von einer mörderischen Arbeitslust ergriffen zu werden, und mit geknickten Flügeln, mit eingeschrumpftem, wundenbedecktem Leibe finden sie fast alle in weniger als fünf Wochen den Tod.

„Tantus amor florum et generandi gloria mellis“, ruft Vergil aus, der uns im vierten Buche seiner „Georgica“, das den Bienen gewidmet ist, die holden Irrtümer der Alten überliefert hat, welche die Natur mit einem durch die glänzende Vision des Olymps geblendeten Auge betrachteten.

 

Warum entsagen sie dem Schlafe, den Wonnen des Honigs, der Liebe und der göttlichen Musse, die z. B. ihr geflügelter Bruder, der Schmetterling, kennt? Könnten sie nicht leben wie er? Der Hunger ist es nicht, der sie zur Arbeit treibt. Zwei oder drei Blumen genügen zu ihrer Ernährung, und sie befliegen stündlich zwei- oder dreihundert, um einen Schatz aufzuhäufen, dessen Süsse sie nie kosten werden. Wozu schaffen sie sich soviel Qual und Mühe, und woher kommt eine solche Entschiedenheit? Es muss also das Geschlecht, für das sie sterben, dieses Opfer wohl verdienen, es muss schöner und glücklicher sein und etwas thun, was sie nicht vermochten? Wir erkennen ihr Ziel, es ist klarer, als das unsre, sie wollen in ihren Nachkommen leben, solange die Welt steht: aber welches ist doch der Zweck dieses grossen Ziels und die Aufgabe dieses ewig wiederkehrenden Kreislaufes? – Oder sind wir, die da zweifeln und zaudern, nicht viel eher kindliche Träumer, die unnütze Fragen stellen? Sie könnten von Stufe zu Stufe gestiegen und allmächtig und glückselig geworden sein, sie könnten die letzten Höhen erklommen haben, von denen sich die Naturgesetze beherrschen lassen, sie könnten unsterbliche Göttinnen geworden sein, und wir würden sie immer noch befragen, was sie hofften, wohin sie gingen, wo sie Halt zu machen gedächten und sich am Ziel ihrer Wünsche glaubten. Wir sind so geschaffen, dass uns nichts befriedigt, dass uns nichts seinen eigenen Zweck zu haben und einfach, ohne Hintergedanken, zu existieren scheint. Haben wir uns bis auf diesen Tag auch nur einen Gott vorstellen können, so dumm oder so vernunftgemäss er auch sein mag, ohne dass wir ihn uns unmittelbar geschäftig und wirkend dachten, ohne dass wir ihn zum Schöpfer einer Menge von Wesen und Dingen machten und tausend Zwecke noch hinter ihm annahmen? Werden wir uns wohl je damit begnügen, einige Stunden lang ruhig eine besondere Form der wirkenden Materie darzustellen, um alsbald ohne Staunen und ohne Bedauern jene andre Form anzunehmen, welches die unbewusste, unbekannte, schlafende, ewige ist?

 

Indessen vergessen wir nicht unsren Bienenstock, dessen Schwarm die Geduld verliert, unsern Bienenstock, der schon von schwärzlichen, kribbelnden Fluten brodelt und überschwillt, wie ein klingendes Gefäss in der Sonnenglut. Es ist Mittag, und man möchte sagen, dass die Bäume mitsamt in der brütenden Hitze kein Blättchen bewegen, wie man seinen Atem anhält, wenn man vor etwas sehr Holdem, aber sehr Ernstem steht. Die Bienen schenken dem Menschen Honig und duftendes Wachs, aber was vielleicht mehr wert ist, als Honig und Wachs: sie lenken seinen Sinn auf den heiteren Junitag, sie öffnen ihm das Herz für den Zauber der schönen Jahreszeit, und alles, woran sie Anteil haben, verknüpft sich in der Vorstellung mit blauem Himmel, Blumensegen und Sommerlust. Sie sind die eigentliche Seele des Sommers, die Uhr der Stunden des Überflusses, der schnelle Flügel der aufsteigenden Düfte, der Geist und Sinn des strömenden Lichtes, das Lied der sich dehnenden, ruhenden Luft, und ihr Flug ist das sichtbare Wahrzeichen, die deutliche musikalische Note der tausend kleinen Freuden, die von der Wärme erzeugt sind und im Lichte leben. Sie lehren uns die zarteste Stimme der Natur verstehen, und wer sie einmal kennen und lieben gelernt hat, für den ist ein Sommer ohne Bienensummen so unglücklich und unvollkommen, wie ohne Blumen und ohne Vögel.

 

Wer die betäubende und wirre Episode des Schwärmens bei einem starken Bienenvolke zum ersten Male miterlebt, der ist ziemlich ausser Fassung und kommt nur furchtsam näher. Er erkennt die friedlichen und ernsten Bienen der Trachtzeit nicht wieder. Noch vor wenigen Minuten sah er sie aus allen vier Winden herbeifliegen, wie kleine emsige Bürgerfrauen, die sich durch nichts von ihren Haushaltungsgeschäften ablenken lassen. Erschöpft, atemlos, hastig und aufgeregt, aber leise, schlüpften sie fast unbemerkt in das Flugloch und die jungen Wächterinnen am Eingang nickten ihnen im Vorbeikommen mit den Fühlern zu. Kaum wechselten sie die drei oder vier Worte, die wahrscheinlich unerlässlich sind, und übergaben ihre Honigbürde hastig einer der jungen Trägerinnen, die stets im Innenhofe der Werkstätte postiert sind, oder sie gingen selbst hinauf und entleerten die zwei schweren Körbe von Blumenstaub, die an ihren Hinterschenkeln hängen, in den geräumigen Speichern, die rings um dem Brutraum liegen, um alsbald wieder davonzufliegen, ohne sich darum zu kümmern, was im Laboratorium, im Schlafraume der Nymphen oder im königlichen Palaste vorgeht, ohne sich auch nur eine Sekunde in das geschwätzige Treiben des öffentlichen Platzes vor dem Thore zu mischen, wo in den Stunden grosser Hitze eine Anzahl von Bienen für Luftzufuhr sorgt, indem sie, eine an der andern hängend, hin- und herschaukeln, als ob ein Bart im Winde flattert.

 

Heute bietet sich ein ganz anderes Bild dar. Eine Zahl von Arbeitsbienen fliegt allerdings nach wie vor, als wäre nichts geschehen, friedlich aus und ein, reinigt den Stock, klettert zu den Brutzellen hinauf und scheint von der allgemeinen Trunkenheit nicht fortgerissen zu werden. Es sind die, welche die Königin nicht begleiten werden, sondern im alten Heim zurückbleiben, um es zu beschützen, die neun- oder zehntausend Eier, die achtzehntausend Larven, die sechsunddreissigtausend Nymphen und sieben oder acht Prinzessinnen, die allein zurückbleiben, zu pflegen und zu ernähren. Sie werden zu dieser schweren Aufgabe auserkoren, ohne dass man wüsste, wie, noch durch wen und nach welchem Gesetze. Doch sind sie diesem Gesetze fest und unverbrüchlich treu, und wiewohl ich mehrmals das Experiment gemacht habe, eines dieser selbstverleugnenden Aschenbrödel, die man an ihrem ernsten und bedächtigen Wesen leicht aus dem schwärmenden Volke herauserkennt, mit einem Farbstoffe zu bestäuben, so habe ich doch nur selten eine von ihnen in der trunkenen Menge des Schwarmes wiedergefunden.

 

Und doch scheint der Reiz unwiderstehlich. Es ist der Wonnetaumel des – vielleicht unbewussten – gottverordneten Opfers, das Honigfest, der Sieg der Rasse und der Zukunft, es ist der einzige Tag der Freude, des Vergessens und der Ausgelassenheit, es ist der einzige Sonntag der Bienen. Und anscheinend auch der einzige Tag, wo sie nur für ihren Hunger essen, wo sie die ganze Süsse des von ihnen aufgespeicherten Schatzes empfinden. Sie sind wie freigelassene Gefangene, die sich plötzlich ins Land der Freiheit und des Überflusses versetzt sehen. Sie frohlocken, sie sind nicht mehr Herr ihrer selbst; sie, die nie eine unangebrachte oder unnötige Bewegung machen, sie kommen und gehen, fliegen ein und aus und immer wieder, um ihre Mitschwestern anzufeuern, um nachzusehen, ob die Königin bereit ist, um ihre Ungeduld zu betäuben. Sie fliegen höher, als es sonst der Fall ist, und das Laub der grossen Bäume rings um den Bienenstand bebt von ihrem Schwirren. Sie kennen keine Furcht und Sorge mehr. Sie sind nicht mehr wild, schnüfflerisch, argwöhnisch, reizbar, heftig und unbändig. Der Mensch, der unbekannte Herr, den sie nie anerkennen, und der ihrer nur dadurch Herr wird, dass er sich allen ihren Arbeitsgewohnheiten anpasst, alle ihre Gesetze achtet und Schritt für Schritt der Spur folgt, die ihr stets auf die Zukunft gerichteter Sinn, ihr durch nichts zu trübender, durch nichts von seinem Ziele abzulenkender Verstand dem Leben aufdrückt, – der Mensch kann ihnen nahen, kann den brausenden, kreisenden Schleier zerreissen, in den sie ihn goldig und sanft einhüllen, er kann sie in die Hand nehmen, sie einzeln abpflücken, wie Weinbeeren von der Traube; sie sind ebenso sanft, ebenso harmlos, wie ein Schwarm Libellen oder Nachtfalter. Sie sind an diesem Tage glücklich, obwohl sie nichts mehr besitzen, sie blicken vertrauensvoll in die Zukunft, und wenn man sie nicht von ihrer Königin trennt, die diese Zukunft in sich trägt, fügen sie sich in Alles und verletzen niemand.

 

Aber das eigentliche Zeichen ist noch nicht gegeben. Im Bienenstock herrscht eine unbegreifliche Aufregung und eine anscheinend durch nichts zu erklärende Unordnung. Sonst scheinen die Bienen, wenn sie heimgekehrt sind, zu vergessen, dass sie Flügel haben, und jede einzelne sitzt nahezu unbeweglich, wenn auch nicht unthätig, auf den Waben, und zwar an dem Flecke, der ihr durch die Art ihrer Arbeit zugewiesen ist. Jetzt fliegen sie wie unsinnig in dichten Ketten an den Seitenwänden hinauf und hinunter, wie ein bebender Teig, der von einer unsichtbaren Hand geknetet wird. Die Temperatur steigt im Innern jäh, oft so weit, dass der Wachsbau weich wird und sich zerdehnt. Die Königin, welche den Brutraum sonst nie verlässt, läuft aufgeregt und kopflos durch die Oberfläche der brausenden Masse, die sich gleichsam um sich selbst dreht. Geschieht dies zur Beschleunigung oder zur Verzögerung des Aufbruches? Befiehlt sie oder bittet sie? Verbreitet sie die wunderbare Aufregung oder unterliegt sie ihr? Nach dem, was wir von der Psychologie der Bienen im allgemeinen wissen, scheint es ziemlich erwiesen, dass das Schwärmen allemal gegen den Willen der alten Königin stattfindet. Im Grunde ist die Königin in den Augen der asketischen Arbeitsbienen, welche ihre Töchter sind, das unentbehrliche und geheiligte, aber auch ein wenig geistesschwache und oft kindliche Organ der Liebe. Sie behandeln sie darum auch wie eine Mutter, die unter Vormundschaft steht. Sie besitzen eine grenzenlose Verehrung und heldenmütige Anhänglichkeit gegen sie. Ihr bleibt der reinste, besonders geläuterte und fast restlos verdauliche Honig vorbehalten. Sie hat ein Gefolge von Trabanten oder Liktoren, wie Plinius sagt, eine Leibwache, die Tag und Nacht über sie wacht, ihr die mütterliche Arbeit erleichtert, die Zellen zum Eierlegen bereit macht, sie pflegt, liebkost, ernährt, reinigt, ja, selbst ihre Exkremente auffrisst. Wenn ihr das Geringste zustösst, verbreitet sich die Kunde durch das ganze Volk; alles umdrängt sie und klagt. Wenn man einem Stocke die Königin nimmt und die Bienen auf einen Ersatz nicht hoffen können, sei es, dass sie keine königliche Nachkommenschaft hinterlassen hat, sei es, dass keine Larven von Arbeitsbienen im Alter von weniger als drei Tagen vorhanden sind (denn jede Arbeitsbienenlarve unter drei Tagen kann durch besondere Ernährung in eine Königinnenlarve verwandelt werden; das ist das grosse demokratische Prinzip des Bienenstockes, welches die Vorrechte der mütterlichen Abkunft kompensiert), – wenn man, sage ich, unter diesen Verhältnissen einem Stocke die Königin nimmt und ihr Fehlen bemerkt wird – es vergehen oft zwei bis drei Stunden, ehe alle Bienen es wissen, so gross ist ihre Stadt, – so ruht alsbald fast jede Arbeit, die Brut wird im Stich gelassen, ein Teil des Volkes irrt im Stock umher und sucht nach seiner Mutter, ein anderer fliegt aus und sucht sie da, die Ketten der Arbeitsbienen, die am Wachsbau beschäftigt waren, zerreissen und lösen sich auf, die Honigsucherinnen befliegen ihre Blumen nicht mehr, die Schildwachen am Eingang verlassen ihren Posten und die fremden Räuber und Honigschmarotzer, die stets auf unverhoffte Beute lauern, kommen und gehen, ohne dass jemand daran denkt, den mühsam erworbenen Schatz zu verteidigen. Allmählich verarmt und verödet der Stock und seine trostlosen Bewohnerinnen sterben bald vor Trübsal und Elend, wiewohl der Sommer ihnen alle seine Blüten öffnet.

Giebt man ihnen ihre Königin aber wieder, ehe ihr Verlust ihnen zur vollendeten, unumstösslichen Thatsache geworden ist, ehe die Demoralisation zu sehr um sich gegriffen hat, – denn die Bienen sind wie die Menschen; Unglück und Verzweiflung brechen mit der Zeit ihren Charakter und trüben ihren Verstand, – giebt man ihnen die Königin nach einigen Stunden wieder, so bereiten sie ihr einen ausserordentlich rührenden Empfang. Alle umdrängen sie und rotten sich zusammen, klettern über einander weg und liebkosen sie im Vorbeilaufen mit ihren langen Fühlhörnern, die noch manche unaufgeklärten Organe enthalten, bieten ihr Honig dar und geleiten sie im Gedränge bis zu den königlichen Gemächern. Sofort ist die Ordnung wieder hergestellt und die Arbeit wird wieder aufgenommen, von den innersten Waben des Brutraumes bis zu den abgelegensten Vorbauten, in denen der Überschuss der Ernte gespeichert wird; die Honigsucherinnen fliegen in schwarzen Fäden hinaus und kehren oft schon drei Minuten darnach mit Nektar und Blütenstaub beladen heim; die Räuber und Schmarotzer werden vertrieben oder umgebracht, die Gänge gesäubert und der Stock ertönt wieder von dem sanften und eintönigen, eigentümlich freudigen Summen, welches gleichsam das Hohelied auf die Gegenwart der Königin ist.

 

Es giebt tausend Beispiele für diese unbedingte Treue und Hingebung der Arbeitsbienen an ihre Königin. Bei fast allen Missgeschicken dieser kleinen Republik, wenn einzelne Tafeln oder der ganze Bau durch menschliche Rohheit oder Unwissenheit zerstört werden, wenn das Volk durch Kälte, Hungersnöte oder Krankheiten dahingerafft wird, bleibt die Königin fast immer wohlbehalten und man findet sie lebend unter den Leichen ihrer treuen Töchter. Denn alle beschützen sie, erleichtern ihr die Flucht und schirmen sie mit ihrem eigenen Leibe, sparen für sie die bekömmlichste Nahrung und die letzten Honigtropfen. Und so lange sie am Leben ist, mag das Missgeschick noch so gross sein, die Verzweiflung bleibt der Stadt der Jungfrauen fern. Man mag ihnen zwanzigmal hintereinander die Waben zertrümmern, die Brut und die Lebensmittel nehmen, man macht sie doch nicht irre an der Zukunft. Mögen sie gezehntet, halb verhungert sein und kaum noch so viele Überlebende zählen, dass sie ihre Mutter vor den Augen des Feindes verbergen können, sie werden doch die Ordnung im Bau wiederherstellen, werden so schnell wie möglich für Vorräte sorgen und sich nach den neuen Ansprüchen ihrer unglücklichen Lage in die Arbeit teilen. Und sie werden diese Arbeit mit einer Geduld, einem Eifer, einer Umsicht und Beharrlichkeit verrichten, die man in der Natur nicht oft findet, obgleich die Mehrzahl ihrer Bewohner mehr Mut und Zuversicht zu entwickeln pflegt, als der Mensch.

Um der Verzweiflung vorzubeugen und die Arbeitslust wach zu erhalten, bedarf es nicht einmal des Vorhandenseins einer Königin: genug, wenn diese bei ihrem Scheiden die entfernteste Hoffnung auf Nachkommenschaft zurücklässt. „Wir haben“, sagt der ehrwürdige Langstroth, einer der Väter der modernen Bienenzucht, „ein Volk gesehen, das nicht Bienen genug zählte, um eine Fläche von zehn Quadratzentimetern zu bedecken, und doch suchte es eine Königin zu erziehen. Zwei volle Wochen gab es die Hoffnung nicht auf; endlich, als die Bienen auf die Hälfte reduziert waren, kroch die Königin aus, aber ihre Flügel waren so schwach, dass sie nicht fliegen konnte. Aber trotz ihrer Ohnmacht behandelten ihre Bienen sie nicht weniger ehrerbietig. Eine Woche darauf war nur noch ein Dutzend Bienen übrig und einige Tage später war die Königin verschwunden, einige verzweifelte Überlebende auf den Waben zurücklassend.“

 

Noch eine Thatsache, die der Mensch in seiner unerhörten tyrannischen Einmischung an diesen unglücklichen, aber unerschütterlichen Heldinnen erprobt hat, ein Experiment, an dem sich die letzte Geberde der kindlichen Liebe und Selbstverleugnung beobachten lässt. Ich liess mir mehrmals aus Italien geschwängerte Königinnen kommen, wie dies jeder Bienenfreund thut, denn die italienische Rasse ist besser, kräftiger und fruchtbarer, sie ist emsiger und von sanfterer Gemütsart, als die einheimischen. Man verschickt sie in kleinen durchlöcherten Kästen, giebt ihnen etwas Nahrung und einige Arbeitsbienen mit, die nach Möglichkeit aus den älteren Jahrgängen ausgesucht sind. (Das Alter der Bienen erkennt man ziemlich leicht an ihrem glatteren, mageren, fast kahlen Leib und vor allem an ihren abgenutzten und durch die Arbeit beschädigten Flügeln.) Diese Begleiterinnen haben die Aufgabe, sie zu ernähren, zu pflegen und während der Reise zu bewachen. In vielen Fällen kommt eine Reihe davon tot an. In einem Falle waren sogar alle verhungert, aber hier wie dort war die Königin unversehrt und kräftig, und die letzte ihrer Gefährtinnen war wahrscheinlich umgekommen, indem sie ihrer Herrin, der Verkörperung eines kostbareren und herrlicheren Lebens, als das eigene war, den letzten Honigtropfen gegeben hatte, den sie in der Tiefe ihrer Honigblase aufgespart hatte.

 

Die Erkenntnis dieser unverbrüchlichen Hingebung hat dem Menschen den Weg gewiesen, wie er den wunderbaren politischen Sinn der Bienen, ihre Arbeitslust, ihre Beharrlichkeit, Hochherzigkeit und Liebe zur Zukunft, die aus dieser Hingebung hervorgehen oder darin einbegriffen sind, zu seinem Vorteil zu benutzen hat. Durch sie ist es ihm seit einigen Jahren gelungen, die wilden Bienen, ohne dass sie es ahnen, bis zu einem gewissen Grade zu zähmen; denn sie weichen keiner fremden Gewalt und noch in ihrer unbewussten Knechtschaft dienen sie nur ihren eignen Gesetzen. Der Mensch kann glauben, dass er mit der Königin die Seele und das Geschick des Schwarmes in Händen hält. Je nachdem er sie verwendet, je nachdem er sozusagen mit ihr spielt, kann er z. B. das Schwärmen hervorrufen oder verhüten, künstliche Schwärme machen, Schwärme vereinigen oder teilen und die Auswanderung der Völker regeln. Die Königin ist im Grunde eine Art von lebendigem Symbol, das, wie alle Symbole, ein weniger sichtbares und allgemeineres Prinzip vertritt, und der Imker muss sich dessen wohl bewusst werden, wenn er sich nicht mancherlei Misserfolgen aussetzen will. Übrigens täuschen sich die Bienen keineswegs über ihre Königin und verlieren nie aus den Augen, dass hinter ihrer sichtbaren und kurzlebigen Gebieterin eine höhere, beharrende, geistige Macht steht, das ist ihr herrschender Gedanke. Ob dieser Gedanke bewusst oder unbewusst ist, darauf kommt es nur dann an, wenn wir die Bienen, die ihn haben, oder die Natur, die ihn in sie gelegt hat, insbesondere bewundern wollen. Wo er aber auch seinen Sitz hat, dieser herrschende Gedanke, in den kleinen zarten Bienenleibern oder in dem grossen unerkennbaren Weltkörper, er ist unserer Beachtung wert, und wenn wir uns nebenbei gesagt davor hüteten, unsre Bewunderung gewohnheitsmässig von örtlichen Nebenumständen abhängig zu machen, oder von der Herkunft eines Dinges, so würden wir nicht so oft die Gelegenheit versäumen, unsre Augen voll Bewunderung zu öffnen; denn nichts ist heilsamer, als sie so zu öffnen.

 

Vielleicht wird man sagen, dass dies sehr gewagte und allzumenschliche Annahmen sind, dass die Bienen wahrscheinlich keinen Gedanken dieser Art haben und dass die Begriffe Zukunft, Liebe zur Rasse und viele andre, die wir ihnen andichten, im Grunde weiter nichts sind, als die Formen, welche der Selbsterhaltungstrieb, die Furcht vor Schmerz und Tod oder der Lustreiz bei ihnen annehmen. Ich gebe zu, dass dies alles nur eine Ausdrucksweise ist und darum messe ich ihm auch keinen allzugrossen Wert bei. Das Einzige, was in diesem Falle – wie in allen andern Fällen – sicher feststeht, ist die Thatsache, dass die Bienen unter den und den Verhältnissen sich gegen ihre Königin so und so benehmen. Der Rest ist ein Mysterium, über das man nur Vermutungen haben kann, die mehr oder weniger annehmbar, mehr oder weniger zutreffend sind. Aber wenn wir von den Menschen so sprächen, wie es vielleicht klug wäre, von den Bienen zu sprechen, hätten wir dann wohl das Recht, mehr zu sagen? Auch wir gehorchen nur den Notwendigkeiten des Lebens, dem Lustreiz oder der Furcht vor Schmerz und Tod, und was wir unsern Verstand nennen, das hat den gleichen Ursprung und den gleichen Zweck wie das, was wir bei den Tieren Instinkt nennen. Wir vollziehen gewisse Akte, deren Folgen wir zu kennen meinen, wir unterliegen anderen, deren Gründe wir uns besser zu kennen schmeicheln, als sie selbst; aber abgesehen davon, dass diese Annahme durchaus nicht unanfechtbar dasteht, sind solche Akte unerheblich und im Vergleich mit der Unzahl der übrigen selten, und alle, die bestbekannten und die unbekanntesten, die kleinsten und die gewaltigsten, vollziehen sich in einer undurchdringlichen Nacht, in der wir fast ebenso blind sind, wie nach unserer Meinung die Bienen.

 

Man muss gestehen“, sagt Buffon, der gegen die Bienen eine höchst spasshafte Abneigung hat, „man muss gestehen, dass diese Tiere einzeln genommen weniger Witz haben als der Hund, der Affe und die meisten anderen Wesen. Man muss gestehen, dass sie weniger gelehrig und anhänglich sind und weniger Gemüt, kurz, weniger menschenähnliche Eigenschaften besitzen, und ferner, dass ihr anscheinender Verstand nur von ihrer vereinigten Masse kommt. Doch setzt diese Vereinigung selbst keinerlei Verstand voraus, denn sie vereinigen sich keineswegs aus moralischen Absichten, sie finden sich ohne ihre Einwilligung zusammen. Ihr ‚Staat‘ ist also nur eine physische Versammlung, von der Natur angeordnet und ohne irgendwelche Bewusstheit und Überlegung entstanden. Die Königin gebiert zehntausend Stück auf einmal und am nämlichen Fleck, also müssen diese zehntausend Stück, auch wenn sie noch tausendmal stumpfsinniger sein mögen, als ich annehme, sich um der blossen Lebenserhaltung willen irgendwie zusammenthun, und da sie alle miteinander mit denselben Kräften ausgerüstet sind, so müssen sie gerade durch den Schaden, den sie sich anfangs etwa thun, bald dahin kommen, sich möglichst wenig zu schaden, d. h. sich zu helfen; sie erwecken infolgedessen den Anschein eines Einvernehmens und eines gemeinsamen Zieles; wer sie beobachtet, wird ihnen also leicht Absichten und den Geist, der ihnen gerade fehlt, unterschieben, er wird bemüht sein, für jede Handlung eine Ursache zu entdecken, jede Bewegung wird bald einen Beweggrund haben, und daraus werden dann Vernunft-Ungeheuer oder Wundertiere ohne Gleichen; denn diese zehntausend Stück, die alle zugleich zur Welt gekommen sind, die zusammen gewohnt haben und fast alle zugleich die Metamorphose durchgemacht haben, können nicht umhin, alle dasselbe zu thun und, wenn sie auch noch so wenig Gemüt haben, die gleichen Gewohnheiten anzunehmen, sich in die Arbeit zu teilen und in dieser Gemeinschaft sich wohl zu fühlen, sich um ihre Wohnung zu kümmern, nach dem Ausfluge wieder zurückzukehren u. s. w. Daher kommt auch die Architektur, die Geometrie, die Ordnung, die Voraussicht und Heimatsliebe, mit einem Wort: die Republik und das, wie man sieht, auf der Bewunderung des Beobachters beruhende Ganze.“

Diese Art, unsere Bienen zu erklären, ist freilich eine ganz andere. Sie kann auf den ersten Blick als natürlicher erscheinen, aber sollte sie nicht gerade, weil sie so einfach klingt, garnichts erklären? Ich übergehe die sachlichen Irrtümer der eben zitierten Worte; aber wenn man sagt, sie passten sich, indem sie sich möglichst wenig schadeten, den Notwendigkeiten des gemeinsamen Lebens an, setzt man dann nicht eine gewisse Intelligenz voraus und zwar eine, die um so beträchtlicher erscheinen muss, je genauer man zusieht, auf welche Weise diese „zehntausend Stück“ sich zu schaden vermeiden und sich zu helfen wissen? Ist das nicht ebensogut unsere eigene Geschichte, die der alte ärgerliche Naturforscher da erzählt, und lässt sie sich nicht ganz genau auf alle unsere menschlichen Gesellschaften anwenden? Unsere Weisheit, unsere Tugenden, unsere Politik sind weiter nichts als die Früchte der herben Notwendigkeit, die unsere Einbildungskraft vergoldet hat; sie haben keinen anderen Zweck, als unsere Selbstsucht nutzbar zu machen und die ursprünglich schädliche Thätigkeit der Einzelwesen zum gemeinsamen Heile zu wenden. Und dann, um es noch einmal zu sagen: wenn man den Bienen jeden Gedanken, jedes Gefühl abspricht, das wir ihnen zugelegt haben: was liegt schliesslich an dem Gegenstande unserer Bewunderung? Wenn man es für unvernünftig hält, die Bienen zu bewundern, so können wir ja die Natur bewundern; es wird allemal ein Augenblick kommen, wo man uns unsere Bewunderung nicht mehr rauben kann, und wir werden dann nichts verloren haben, indem wir warteten und zurückwichen.

 

Wie dem aber auch sei, und um unsere Annahme nicht fallen zu lassen, denn sie hat wenigstens den Vorzug, gewisse mit der Wirklichkeit in Beziehung stehende Thatsachen auch mit unserem Geiste in Beziehung zu setzen, so ist es unstreitig weit mehr das unendliche Fortbestehen ihrer Rasse, was die Bienen in ihrer Königin anbeten, als die Königin selbst. Die Bienen sind keineswegs empfindsam, und wenn eine von ihnen mit so schweren Verletzungen von der Arbeit heimkommt, dass sie für dauernd arbeitsunfähig erachtet werden muss, so wird sie ohne Erbarmen verjagt. Und doch kann man nicht sagen, dass sie jeder persönlichen Anhänglichkeit an ihre Mutter bar sind. Sie erkennen sie unter allen anderen heraus. Selbst wenn sie alt, elend und gelähmt ist, werden die Wachen am Eingang keiner unbekannten Königin Einlass gewähren, so jung, schön und fruchtbar sie auch scheinen mag. Es ist dies freilich einer der Fundamentalgrundsätze ihrer Polizei, und nur in der grossen Trachtzeit wird er zu gunsten einiger fremden Arbeitsbienen aufgegeben, vorausgesetzt, dass diese mit Vorräten wohl beladen sind. – Wird sie schliesslich völlig unfruchtbar, so wird sie ersetzt, indem eine gewisse Zahl von jungen Königinnen erzogen wird. Was aber geschieht mit der alten Herrin? Man weiss es nicht genau, aber es begegnet dem Bienenzüchter bisweilen, dass er auf den Waben eines Bienenstockes eine prachtvolle Königin in der Blüte ihres Alters findet, und ganz im Grunde in einer dunklen Ecke die alte „Herrin“, wie sie in der Normandie heisst, abgemagert und gelähmt. Wie es scheint, haben sie sie in diesem Falle bis zuletzt gegen den Hass ihrer jugendstarken Rivalin geschützt, die ihren Tod will, denn die Königinnen haben stets einen unbezwinglichen Abscheu vor einander und stürzen auf einander los, sobald zwei unter demselben Dache vereinigt sind. Man ist also zu der Annahme geneigt, dass sie der alten Königin eine Art von friedlichem und bescheidenem Alterssitz in einem entfernten Eckchen des Stockes sichern, wo sie ihre Tage in Frieden beschliessen kann. Es ist dies eines der tausend Wunder dieses Wachskönigreiches, und wir können wieder einmal feststellen, dass die Politik und die Lebensgewohnheiten der Bienen nichts Fatalistisches und Engherziges an sich haben, und dass sie vielen weit verborgeneren Gesetzen gehorchen, als wir zu kennen wähnen.

 

Aber wir kreuzen alle Augenblicke die Naturgesetze, die den Bienen unerschütterlich erscheinen müssen. Wir versetzen sie alle Tage in die Lage, in der wir uns selbst sehen würden, wenn jemand plötzlich die Gesetze der Schwerkraft, des Lichtes und des Todes aufhöbe.

Was werden sie z. B. thun, wenn man dem Stocke durch List oder Gewalt eine zweite Königin beisetzt? Von Natur ist dieser Fall nie eingetreten, seit Bienen leben, dafür sorgen die Wachen am Eingang. Sie verlieren den Verstand indess nicht, sondern wissen die zwei Grundsätze, die sie wie Göttergebote zu achten scheinen, in einer wunderbaren Weise zu vereinigen. Der eine dieser Grundsätze ist der der ungeteilten Mutterschaft einer Königin, ein unverbrüchlicher Grundsatz, ausser wenn die herrschende Königin unfruchtbar ist (und auch in diesem Falle nur ganz ausnahmsweise). Der zweite ist noch sonderbarer, denn wenn er auch nicht übertreten werden darf, so lässt er sich sozusagen doch beugen. Es ist dies das Prinzip der Unverletzlichkeit jeder königlichen Person. Es wäre den Bienen ein leichtes, die Eingedrungene mit ihren tausend Giftstacheln zu durchbohren, sie würde auf der Stelle tot sein und sie hätten ihren Leichnam nur aus dem Bau zu schaffen. Aber obwohl ihr Stachel stets kampfbereit ist, obwohl sie ihn jeden Augenblick gebrauchen, um innere Zwistigkeiten auszufechten, die Drohnen oder die Schmarotzer des Bienenstockes zu töten, so brauchen sie ihn nie gegen eine Königin, ebenso wie die Königin den ihren nie gegen Menschen, Tiere oder Arbeitsbienen zückt: sie zieht ihre königliche Waffe, die nicht gerade ist, wie bei den Arbeitsbienen, sondern gekrümmt, wie ein Türkensäbel, nur im Kampfe mit ihresgleichen, d. h. gegen eine andere Königin.

Keine Biene wagt also, wie es scheint, einen unmittelbaren, blutigen Königsmord auf sich zu nehmen, und so suchen sie in allen Fällen, wo Ordnung und Gedeihen ihrer Republik den Tod der einen Königin erheischen, diesem Tode den Anschein eines natürlichen zu geben: sie teilen das Verbrechen in tausend Teile, und so wird es anonym.

Sie schliessen dann die Eingedrungene in einen dichten Knäuel ein und bilden eine Art von lebendem Kerker um sie, in dem sie sich nicht rühren kann, bis sie nach vierundzwanzig Stunden verhungert oder erstickt ist. Erscheint inzwischen aber die rechtmässige Königin und wagt den Kampf gegen die Nebenbuhlerin, so öffnen sich alsbald die lebendigen Kerkerwände, die Bienen ziehen sich zurück und schliessen um die beiden Gegnerinnen einen Kreis, ohne sich an dem Kampfe zu beteiligen. Aufmerksam, aber unparteiisch verfolgen sie diesen eigentümlichen Zweikampf, denn nur eine Mutter darf den Stachel gegen eine Mutter erheben, und nur die, welche zwei Millionen Leben in ihren Weichen birgt, scheint das Recht zu haben, mit einem Streiche zwei Millionen zu töten. Wenn aber der Kampf unentschieden bleibt, wenn die zwei gekrümmten Stachel an den schweren Chitinpanzern machtlos abgleiten, so wird die, welche Miene macht zu fliehen, die rechtmässige sowohl wie die fremde, ergriffen und wieder in den lebenden Kerker eingeschlossen, bis sie die Absicht kundgiebt, den Kampf von neuem aufzunehmen. Es muss übrigens noch hinzugefügt werden, dass bei den zahlreichen Versuchen dieser Art die regierende Königin fast immer Siegerin bleibt, sei es, dass sie im Gefühl zu Hause zu sein, mehr Wagemut und Kraft hat, als die andre, sei es, dass die Bienen nur im Augenblick des Kampfes unparteiisch, hingegen in der Art, wie sie die beiden Rivalinnen einschliessen, ziemlich parteiisch sind, denn ihre Mutter scheint unter ihrer Einkerkerung keineswegs zu leiden, aber die Fremde geht fast immer sichtlich gelähmt und zerquetscht daraus hervor.

 

Ein einfaches Experiment zeigt besser als alles andere, dass die Bienen ihre Königin wiedererkennen und eine wirkliche Anhänglichkeit an sie haben. Nimmt man einem Bienenstocke die Königin, so sieht man bald alle die Kundgebungen der Unruhe und Trübsal eintreten, die ich in einem früheren Kapitel beschrieben habe. Lässt man nach einigen Stunden dieselbe Königin wieder ein, so kommen alle ihre Töchter ihr huldigend entgegen und bieten ihr Honig dar. Die einen bilden Spalier vor ihr, die andern „präsentieren“ in grossen unbeweglichen Halbkreisen um sie herum, d. h. sie senken den Kopf, halten den Hinterleib hoch und schwirren dabei in eigentümlich zitternder Weise mit den Flügeln. Dieses sonderbare Gebahren ist der Ausdruck ihrer Freude über die glückliche Heimkehr und bedeutet in ihrem Hofceremoniell anscheinend feierliche Verehrung oder höchstes Wohlbehagen. Aber man glaube nicht, man könnte sie täuschen, und statt der rechtmässigen Königin eine fremde einführen. Wenn diese kaum einige Schritte vorwärts gemacht hat, so laufen die Arbeitsbienen von allen Seiten entrüstet zusammen. Sie wird auf der Stelle umringt, in das furchtbare Getümmel des Schwarms eingekerkert und darin gefangen gehalten, bis sie stirbt, denn in diesem besonderen Falle kommt es fast nie vor, dass sie lebend entrinnt.

Es ist darum auch sehr schwierig für den Bienenzüchter, Königinnen zu ersetzen. Es ist eigentümlich zu sehen, zu welchen Kniffen und komplizierten Listen der Mensch greifen muss, um seinen Willen durchzusetzen und diese kleinen klugen, aber stets im besten Glauben lebenden Insekten irrezuführen, die mit rührendem Mute die unverhofftesten Ereignisse annehmen und augenscheinlich nichts anderes in ihnen sehen, als eine neue unvermeidliche Laune der Natur. Auf jeden Fall rechnet der Mensch bei all seiner List und bei der trostlosen Verwirrung, die er mit seinen gewagten Manövern oft anrichtet, allemal auf den wunderbaren praktischen Sinn der Bienen, auf den unerschöpflichen Schatz ihrer Gesetze und merkwürdigen Gewohnheiten, auf ihre Ordnungs- und Friedensliebe, ihren Gemeinsinn, ihre Treue gegen die Zukunft, ihre so geschickte Charakterfestigkeit und ihren so selbstlosen Ernst, vor allem aber auf ihre unermüdliche Pflichterfüllung. Doch die Einzelheiten dieses Verfahrens gehören in das Gebiet der eigentlichen Bienenzucht und würden uns hier zu weit führen.[3]

 

Was aber die persönliche Anhänglichkeit betrifft, mit der ich hier zu Ende kommen möchte, so scheint es gewiss, dass sie vorhanden ist, ebenso gewiss aber, dass sie nicht lange im Gedächtnis bleibt, und wenn man eine Mutter, die mehrere Tage verschwunden war, wieder in ihr Reich einsetzen will, so wird sie von ihren erbitterten Kindern derart behandelt, dass man sich beeilen muss, sie der tötlichen Einkerkerung zu entziehen, welche das Loos der fremden Königinnen ist. Denn sie haben inzwischen Zeit gehabt, ein Dutzend Zellen für Arbeitsbienen in solche für Königinnen umzubauen, und die Zukunft des Volkes steht nicht mehr auf dem Spiele. Ihre Anhänglichkeit nimmt also in dem Maasse zu oder ab, inwieweit die Königin diese Zukunft vertritt. So sieht man, wenn eine Königin die gefährliche Zeremonie des Hochzeitsausfluges vollzieht, ihre Unterthanen häufig so besorgt, sie möchte verloren gehen, dass sie sie auf diesem tragischen Liebesfluge, von dem ich späterhin reden werde, begleiten. Das thun sie aber nie, wenn man ihnen ein Stück Zellenbau gegeben hat, der junge Brutzellen enthält, weil sie dann die Aussicht haben, andere Mütter aufzuziehen. Die Anhänglichkeit kann sogar in Wut und Hass umschlagen, wenn ihre Herrin nicht alle ihre Pflichten gegen jene abstrakte Gottheit erfüllt, die man die künftige Gesellschaft nennen könnte und die sie höher zu verehren scheinen, als wir. So hat man die Königin z. B. aus verschiedenen Gründen am Schwärmen gehindert, indem man ein Gitter am Flugloch anbrachte, durch das die dünnen und gelenken Arbeitsbienen ahnungslos hindurchschlüpften, während die arme Sklavin der Liebe mit ihrem beträchtlich schwereren und umfangreicheren Körper nicht hindurchkonnte. Beim ersten Ausflug merkten die Bienen, dass sie ihnen nicht gefolgt war, kehrten in die alte Wohnung zurück und stiessen, drängten und misshandelten die unglückliche Gefangene, die sie ohne Zweifel der Trägheit anklagten oder für etwas geistesschwach hielten, auf eine sehr unzweideutige Weise. Beim zweiten Ausflug schien ihr böser Wille festzustehen, der Zorn wuchs und die Ausschreitungen wurden ernster. Endlich beim dritten Ausflug waren sie der Meinung, dass sie ihrem Loose und der Zukunft der Rasse für immer untreu geworden war, und verurteilten sie zum Tode in dem königlichen Gefängnis.

 

Man sieht, dieser Zukunft ist alles mit einer Voraussicht, einer Einstimmigkeit, einer Unbeugsamkeit und Geschicklichkeit im Auslegen und Benutzen der Umstände untergeordnet, dass man vor Bewunderung starr ist, wenn man bedenkt, wie unverhofft und übernatürlich unser Eingreifen den Bienen erscheinen muss. Man wird vielleicht sagen, dass sie sich in diesem Falle das Unvermögen der Königin, ihnen zu folgen, sehr schlecht deuten. Aber würden wir viel hellsichtiger sein, wenn ein anders gearteter Verstand in Verbindung mit einem so riesenhaften Körper, dass seine Bewegungen fast ebenso unfasslich sind, wie die einer Naturerscheinung, sich das Vergnügen machte, uns Fallen gleicher Art zu stellen? Haben wir nicht einige tausend Jahre gebraucht, um eine einigermassen annehmbare Erklärung für den Blitzstrahl zu finden? Jeder Intellekt ist mit Langsamkeit geschlagen, wenn er aus seiner eng begrenzten Wirkungssphäre heraustritt und sich Vorgängen gegenüber sieht, zu denen er nicht den Anstoss gegeben hat. Ausserdem ist nicht gesagt, dass die Bienen, wenn man das Experiment mit dem Gitter fortsetzen und verallgemeinern würde, nicht schliesslich doch dahinterkämen und einen Ausweg fänden. Sie haben schon manches andre Experiment begriffen und das bestmögliche Teil dabei erwählt, z. B. das Experiment mit den beweglichen Waben oder das mit den Aufsätzen, wo man sie zwingt, ihren überschüssigen Honig in die kleinen amerikanischen Honigkästen zu tragen, oder endlich das ausserordentliche Experiment mit den Kunstwaben, wo die Zellen nur durch einen dünnen Wachsumriss angedeutet sind und die Bienen sofort die Nützlichkeit begreifen und sie sorgfältig ausbauen, ohne Stoff und Arbeitskraft zu verlieren. Finden sie nicht unter allen Verhältnissen, die sich ihnen in Gestalt einer von einem böswilligen und hinterlistigen Gotte gestellten Falle darstellen müssen, stets die beste und einzig menschliche Lösung? Um nur einen ganz naturgemässen, aber abnormen Fall zu erwähnen: wenn eine Schnecke oder eine Maus in den Stock gerät oder darin umkommt – was werden sie wohl thun, um den Kadaver loszuwerden, der alsbald ihre ganze Wohnung verpesten würde? Wenn es ihnen nicht möglich ist, den Eindringling hinauszujagen oder zu zerstückeln, so schliessen sie ihn methodisch in ein hermetisches Grabmal von Wachs und Propolis ein, das unter den gewöhnlichen Bauten der Stadt einen bizarren Eindruck macht. Letztes Jahr fand ich in einem meiner Bienenstöcke ein Konglomerat von drei solchen Grabhügeln, die wie die Zellen des Wachsbaues nur durch eine gemeinsame Mittelwand getrennt waren, um möglichst viel Wachs zu sparen. Die klugen Totengräberinnen hatten sie über den Leichen dreier Schnecken errichtet, welche ein Kind in ihre Behausung hineingesteckt hatte. Gewöhnlich begnügen sie sich bei Schnecken damit, die Öffnung des Gehäuses mit Wachs zu verkleben. Aber hier, wo die Schale mehr oder weniger zerbrochen oder rissig war, hatten sie es für klüger gehalten, das Ganze zu begraben, und um den Eingang nicht zu verstopfen, hatten sie in dieser den Weg versperrenden Masse eine Anzahl von Gängen angebracht, die genau der Körpergrösse der Drohnen angepasst waren, welche zweimal so gross sind, wie die Bienen. Dies und der folgende Fall erlauben wohl die Annahme, dass sie eines Tages dahinterkommen könnten, warum die Königin ihnen durch das Gitter nicht folgen kann. Sie haben einen ganz ausgeprägten Sinn für Proportionen und den nötigen Spielraum, dessen ein Körper zu seiner Bewegung bedarf. In den Gegenden, wo der Totenkopfschmetterling (Acherontia atropos) häufig ist, errichten sie am Flugloche ihrer Stöcke kleine Wachssäulen, zwischen denen der nächtliche Räuber seinen dicken Leib nicht hindurchzwängen kann.

 

Aber genug davon, ich hätte erst garnicht damit angefangen, wenn es gälte, alle Beispiele zu erschöpfen. Um jedoch die Rolle und Lage der Königin noch einmal zusammenzufassen, so kann man sagen, dass sie das sklavische Herz des Schwarmes ist, während die Arbeitsbienen den Verstand darstellen. Sie ist die Alleinherrscherin, aber auch die königliche Magd, die gefangene Hüterin und die verantwortliche Vertreterin der Liebe. Ihr Volk dient ihr und verehrt sie, ohne darüber zu vergessen, dass es nicht ihrer Person unterthan ist, sondern der von ihr erfüllten Aufgabe und Bestimmung. Man wird schwerlich ein menschliches Gemeinwesen finden, dessen Plan und Anlage einen so beträchtlichen Teil der Wünsche und Sehnsüchte unseres Planeten erfüllt, eine Gesellschaft, deren Glieder eine grössere und vernünftigere Unabhängigkeit geniessen, und wo andererseits eine unerbittlichere und zweckmässigere Unterordnung herrscht, wo die Opfer härter und unbedingter sind. Man glaube nicht, dass ich diese Opfer ebenso bewunderte, wie ihre Resultate. Es wäre augenscheinlich zu wünschen, dass diese Resultate mit weniger Leid und Selbstaufopferung zu erreichen wären. Stimmt man dem Prinzip aber einmal bei – und vielleicht will die Vernunft unseres Erdballs dieses Prinzip – so ist seine Durchführung jedenfalls bewundernswert. Mag für die Menschen eine andere Wahrheit gelten oder nicht, im Bienenstock wird das Leben jedenfalls nicht als eine Reihe von mehr oder minder angenehmen Stunden angesehen, die man sich nur so weit verbittern und verdüstern darf, als zu seiner Erhaltung unerlässlich ist, sondern als eine grosse gemeinsame Pflicht, die auf eine von Weltbeginn an ewig zurückweichende Zukunft gerichtet ist. Jedes Individuum verzichtet hier auf mehr als auf sein halbes Glück und seine halben Rechte. Die Königin entsagt dem Tageslicht, den Blumenkelchen und der süssen Freiheit, die Arbeitsbienen entsagen der Liebe, fünf oder sechs Lebensjahren und dem Mutterglück. Die Königin sieht ihr Hirn zu Gunsten der Zeugungsorgane auf ein Nichts reduziert und die Arbeitsbienen eben diese Organe auf Kosten ihres Intellekts verkümmern. Es wäre unrecht zu behaupten, dass der Wille an diesen Verzichtleistungen keinen Anteil hat. Die Arbeitsbiene ist zwar nicht Herrin ihres eigenen Geschickes, aber sie bestimmt das Schicksal aller Nymphen ihrer Umgebung, die ihre mittelbaren Töchter sind. Wir haben gesehen, dass aus jeder Larve, wenn sie königlich ernährt oder untergebracht wird, eine Königin entstehen kann, und wenn man umgekehrt die Ernährung einer königlichen Larve ändert und ihre Zelle verkleinert, würde eine Arbeitsbiene daraus hervorgehen. Diese geheimnisvollen Wahlen finden jeden Tag in dem goldbraunen Schatten des Bienenstockes statt. Sie geschehen nicht auf gut Glück, sondern eine Klugheit, deren tiefehrlichen Ernst nur der Mensch missbrauchen kann, eine allzeit wachsame Weisheit, die sich von allem Rechenschaft ablegt, was ausserhalb und innerhalb des Stockes vor sich geht, lenkt sie in ihren Entschliessungen. Tritt ein unverhoffter Blumenreichtum ein, wird die Königin alt oder lässt ihre Fruchtbarkeit nach, wird es dem Schwarm infolge starker Vermehrung zu eng in seinen Wänden, so entstehen alsbald Königinnenzellen. Dieselben Zellen können aber wieder abgetragen werden, wenn die Ernte nicht hält, was sie versprach, oder wenn der Bienenstock grösser geworden ist. Sie werden oft nicht zerstört, so lange die junge Königin ihren Hochzeitsausflug noch nicht – oder noch nicht erfolgreich – ausgeführt hat, aber sofort geschieht dies, sobald sie heimgekehrt und das untrügliche Zeichen ihrer Befruchtung wie eine Trophäe hinter sich herschleppt. Wo befindet sich diese Weisheit, die Gegenwart und Zukunft so gewissenhaft abwägt und für die das noch nicht Sichtbare mehr in die Waage fällt, als alles, was man sehen kann? Wo hat sie ihren Sitz, diese unpersönliche Klugheit, die da entsagt und wählt, erhöht und erniedrigt, die so viele Bienen zu Königinnen machen könnte und aus sovielen Müttern ein Volk von Jungfrauen erzieht? Wir sagten weiter oben, dass sie im Geiste des Bienenstockes zu suchen sei, aber wo ist dieser Geist schliesslich zu finden, wenn nicht in der Masse der Arbeitsbienen? Vielleicht war es, um sich zu überzeugen, dass er hier seinen Sitz hat, nicht nötig, die Sitten und Gebräuche dieses republikanischen Königreiches so aufmerksam zu studieren. Es genügte, wie Dujardin, Brandt, Girard, Vogel und andere Entomologen gethan haben, den etwas leeren Hirnschädel der Königin und den prächtigen Drohnenkopf, an dem zwanzigtausend Augen glänzen, neben den kleinen undankbaren und kümmerlichen Kopf der jungfräulichen Arbeitsbiene unter das Mikroskop zu legen. Wir würden alsdann gesehen haben, dass sich in diesem kleinen Köpfchen das grösste und vollkommenste Schädelmark des ganzen Gemeinwesens windet, ja, selbst das schönste, komplizierteste und nächst dem des Menschen auch das vollkommenste in der ganzen Natur, wenngleich es auf einer ganz anderen Stufe steht und ganz anders beschaffen ist.[4] Hier wie überall in der uns bekannten Welt ist da, wo das Gehirn liegt, der Sitz der Autorität, der wirklichen Kraft, der Weisheit und des Sieges. Auch hier findet sich ein fast unsichtbares Atom jener geheimnisvollen Substanz, welche die Materie unterjocht und organisiert und den ungeheuren, trägen Gewalten des Nichts und des Todes ein gesichertes, dauerndes Plätzchen abzuringen weiss.

 

Doch kehren wir zu unsren schwärmenden Bienen zurück, die nicht auf das Ende dieses Exkurses gewartet haben, um das Zeichen zum Aufbruch zu geben. In dem Augenblick, wo dieses Zeichen gegeben wird, scheinen sich alle Thore der Stadt mit einem Male zu öffnen, wie von einem plötzlichen, irren Stosse, und die schwarze Menge strömt oder vielmehr stürzt heraus, je nach der Anzahl der Öffnungen in einem doppelten, dreifachen oder vierfachen, geraden, straffen, zitternden und ununterbrochenen Strahle, der sich alsbald in der Luft zu einem summenden Netze von hunderttausend wild schwirrenden, durchsichtigen Flügeln zerteilt. Einige Minuten schwebt dieses Netz über dem Bienenstock wie ein durchsichtiges, knisterndes Seidengewebe, das tausend und abertausend elektrisch bewegte Hände unaufhörlich zerreissen und wieder zusammenfügen; es schwankt hin und her, stockt und wallt von neuem zwischen den Blumen der Erde und dem Blau des Himmels auf und nieder, wie ein Schleier der Freude, den unsichtbare Hände beständig schwenken, zusammenraffen und wieder entfalten, als feierten sie die Ankunft oder das Scheiden eines hohen Gastes. Endlich senkt sich einer der Zipfel, ein andrer hebt sich, die vier sonnenglänzenden Enden des schimmernden Mantels stossen zusammen, und wie ein Zaubertuch im Märchen, das den Horizont durchsegelt, um irgend welche Wünsche zu erfüllen, steigt der Schwarm, bereits wieder geballt, nach dem nächsten Linden-, Birnen- oder Weidenbaum auf, um die heilige Trägerin der Zukunft wieder mit seinen Leibern zu bedecken. Denn die Königin hat sich dort bereits angesetzt, wie ein goldener Nagel, an den sich nun die brausenden Wellen des Schwarmes eine nach der andern anhängen, bis rings herum sich ein flügelglänzender Perlenmantel schlingt.

Dann wird es plötzlich still, und das laute Brausen dieser sonnenverfinsternden Wolke, die aus unendlichem Zorn und unzähligen Drohungen gewebt schien, der betäubende Goldhagel, der unaufhörlich über der ganzen Umgebung schwebte und tönte, verwandelt sich eine Minute darauf zu einer grossen, harmlosen und friedlichen Traube von tausend und abertausend kleinen, lebenden Beeren, die unbeweglich an einem Baumzweige hängt und geduldig auf die Rückkehr der Spürbienen wartet, die eine neue Wohnung auskundschaften.

 

Es ist dies das erste Stadium des Schwärmens, der s. g. erste oder Hauptschwarm, der allemal die alte Königin bei sich hat. Er legt sich gewöhnlich an einem Baume oder Busche in nächster Nähe des Bienenstocks an, denn die Königin ist mit ihren Eiern beschwert und hat das Licht seit ihrem Hochzeitsausflug oder dem vorjährigen Schwärmen nicht mehr erblickt, deshalb zaudert sie noch, sich dem weiten Luftmeer anzuvertrauen, ja, sie scheint den Gebrauch ihrer Flügel verlernt zu haben.

Der Bienenzüchter wartet, bis der Schwarm sich recht zusammengeballt hat. Dann geht er mit einem grossen Strohhut auf dem Kopfe (denn die harmloseste Biene macht unweigerlich Gebrauch von ihrem Stachel, sobald sie sich in die Haare verirrt, wo sie sich jedenfalls in einer Falle wähnt), aber ohne Bienenhaube, sofern er Erfahrung besitzt, und nachdem er die Arme bis an den Ellenbogen in kaltes Wasser getaucht hat, auf den Schwarm zu und schüttelt ihn von dem Aste, an dem er hängt, in einen umgestülpten Bienenkorb. Die Traube fällt schwer hinein wie eine reife Frucht. Oder, wenn der Ast zu stark ist, schöpft er den Klumpen mit einem Löffel auf und schüttet die vollen Löffel wie Getreide, wohin er will. Er braucht die Bienen, die um ihn herumsummen und ihm auf Gesicht und Händen herumkriechen, nicht zu fürchten. Vernimmt er doch ihr trunkenes Lied, den s. g. Schwarmgesang, das ihrem zornigen Summen ganz unähnlich ist. Er braucht nicht zu fürchten, dass der Schwarm sich teilt, wütend wird, sich zerstreut oder entschlüpft. Wie ich schon sagte, haben die geheimnisvollen Arbeiterinnen heute ihren Festtag und sind voll unwandelbaren Zutrauens. Sie haben sich von dem unter ihrer Obhut stehenden Schatze losgerissen und kennen ihre Feinde nun nicht mehr. Sie sind harmlos vor Glückseligkeit, und man weiss nicht, warum sie so glücklich sind: erfüllen sie doch nur das Gesetz. Aber alle Wesen kennen diese Stunden blinden Glücks, welche die Natur für solche Augenblicke aufspart, wo sie ihr Ziel erreichen will. Wundern wir uns nicht, dass sie die Betrogenen sind! Auch wir mit unserm vollkommeneren Gehirn, das sie seit vielen Jahrhunderten beobachtet, werden von ihr zum Besten gehalten und wissen noch nicht einmal, ob sie wohlwollend, gleichgültig oder niedrig grausam ist. –

Der Schwarm bleibt da, wohin die Königin gefallen ist, und wenn sie allein in den Bienenkorb gefallen ist, so ziehen alle Bienen, sobald sie dies merken, in langen, schwarzen Fäden nach dem mütterlichen Obdach, die meisten hastig eindringend, andre wieder an der Schwelle des unbekannten Thores stutzend und jenen Reigen feierlicher Freude bildend, mit dem sie glückliche Ereignisse zu begrüssen pflegen. Sie „präsentieren“, wie der Kunstausdruck lautet. Im Nu wird der unerwartete Unterkunftsort angenommen und bis in seine kleinsten Schlupfwinkel untersucht, seine Lage, Form und Farbe vermerkt und in die tausend kleinen, klugen und treuen Gedächtnisse eingegraben. Die Merkzeichen der Umgebung werden sorgsam eingeprägt, die neue Stadt mit ihrem Platze in Geist und Herzen aller Bewohnerinnen gegründet, und bald erschallt in ihren Mauern das Liebeslied der königlichen Gegenwart, während die Arbeit beginnt.

 

Wenn der Mensch den Schwarm nicht pflückt, so ist seine Geschichte hier noch nicht zu Ende. Er bleibt an seinem Aste hängen, bis die zur Rekognoszierung und zum Quartiermachen ausgesandten Spürbienen, die sich von Anbeginn des Schwärmens an nach allen Windrichtungen zerstreut haben, um eine neue Wohnung zu suchen, sich wieder eingefunden haben. Eine nach der andern kehrt zurück und berichtet, was sie gefunden hat, denn da wir nicht im stande sind, in das Denken der Bienen einzudringen, so müssen wir uns das Schauspiel, dem wir beiwohnen, wohl auf menschliche Weise erklären. Es ist also wahrscheinlich, dass man ihren Meldungen aufmerksam lauscht. Die eine rühmt gewiss einen hohlen Baumstamm, die andere die Vorteile einer alten Mauerspalte, einer Felsenhöhle oder einer verlassenen Grube. Oft geschieht es, dass der Schwarm zaudert und bis zum nächsten Morgen berät. Endlich wird die Wahl getroffen und die Einstimmigkeit erzielt. In einem bestimmten Augenblick beginnt der Schwarm zu kribbeln, sich zu zerteilen und mit ungestümem, andauernden Fluge, der jetzt kein Hindernis mehr kennt, über Hecken, Getreide- und Leinfelder, Heuschober und Teiche, Flüsse und Ortschaften hinweg, in gerader Linie einem bestimmten und jedesmal sehr entfernten Ziele entgegenzufliegen. Selten kann der Mensch ihnen auf diesem zweiten Teil ihres Fluges folgen. Sie kehren zur Natur zurück und wir verlieren die Spur ihres Schicksals.


DIE STADTGRÜNDUNG

Sehen wir indes zu, was der Schwarm in der von dem Imker dargebotenen Behausung macht. Und zunächst gedenken wir des Opfers, das die fünfzigtausend Jungfrauen gebracht haben, die nach Ronsards Wort

„Ein edles Herz in kleinem Leibe tragen.“

Bewundern wir noch einmal den Mut, dessen es bedarf, um in der Wüste, in die sie gefallen sind, das Leben fortzusetzen. Sie haben die vorratsreiche, prächtige Stadt verlassen, in der sie geboren sind, wo das Leben so gesichert, so wundervoll organisiert war, wo der Saft aller Blumen, die der Sonne entgegenblühen, dem Dräuen des Winters zu spotten erlaubte. Tausende und abertausende kleiner Töchter, die sie nie wieder sehen werden, haben sie in ihren Wiegen schlummernd zurückgelassen. Sie haben ausser dem riesigen Schatz von Wachs, Propolis und Blütenstaub, den sie aufgehäuft hatten, mehr als hundertundzwanzig Pfund Honig im Stich gelassen, d. h. mehr als das zwölffache Gewicht des ganzen Volkes und das sechsmalhunderttausendfache jeder Biene, was für den Menschen zweiundvierzigtausend Tonnen Lebensmittel vorstellen würde. Eine ganze Flotte von grossen Lastschiffen, mit kostbareren und vollkommeneren Lebensmitteln beladen, als die, welche wir kennen, denn der Honig ist für die Bienen eine Art von Lebenselixir und Nahrungssaft, der unmittelbar und fast restlos verdaulich ist.

Hier in der neuen Wohnung ist nichts vorhanden, kein Tropfen Honig, kein Wachsstreifen, kein Merkzeichen und kein Stützpunkt. Es ist die trostlose Nacktheit eines riesenhaften Bauwerks, das nur Dach und Mauern hat. Die glatten, kreisrunden Wände bergen nur Finsternisse, und die riesige Wölbung droben ründet sich über der grossen Leere. Aber die Biene kennt kein unnötiges Heimweh, jedenfalls hält sie sich damit nicht auf. Kaum ist der Bienenkorb wieder aufgerichtet und an seinen Platz gestellt, kaum die Betäubung und Verwirrung des geräuschvollen Falles etwas gewichen, so sieht man in der kribbelnden Masse eine sehr reinliche und ganz unerwartete Scheidung eintreten. Die grosse Mehrzahl der Bienen beginnt wie ein Heer, das einem bestimmten Befehl gehorcht, in dichten Reihen an den Seitenwänden des Gebäudes hochzuklettern. In der Kuppel angelangt, hängen die vordersten sich mit den Krallen ihrer Vorderfüsse darin auf, die folgenden an den ersten und so weiter, bis lange Ketten entstehen, die der nachdrängenden Menge zur Brücke dienen. Allmählich vermehren, verstärken und verschränken sich diese Ketten und es entstehen Guirlanden, die durch den fortwährenden Aufstieg der Massen schliesslich in einen dicken, dreieckigen Vorhang übergehen, oder besser in einen kompakten Kegel, dessen Spitze im höchsten Punkte der Kuppel hängt, während die Basis sich bis zur Hälfte oder Dreiviertel der Gesamthöhe des Bienenkorbes herabzieht. Hat die letzte Biene, die sich durch eine innere Stimme zu dieser Gruppe berufen fühlt, den im Dunkeln hängenden Vorhang erreicht, so hört das Klettern auf, jede Bewegung erstirbt allmählich und der seltsame Kegel wartet Stunden und Stunden lang in einem geradezu andachtsvollen Schweigen und in einer schier erschrecklichen Unbeweglichkeit auf das Mysterium der Wachsbildung.

Während dieser Zeit prüft der Rest der Bienen, d. h. alle die, welche im untern Teile des Bienenkorbes geblieben sind, das Gebäude und unternimmt die notwendigen Arbeiten, ohne sich irgendwie an der Bildung des wunderbaren Vorhanges zu beteiligen, in dessen Falten die Wundergabe herabzuträufeln beginnt, ohne sich auch nur versucht zu fühlen, dabei mitzuwirken. Sorgsam säubern sie den Fussboden und tragen welke Blätter, Hälmchen und Sandkörner Stück für Stück hinaus, denn der Reinlichkeitssinn der Bienen geht bis zur Manie, und wenn sie mitten im Winter zur Zeit der grossen Fröste allzulange verhindert sind, den „Reinigungsausflug“ zu unternehmen, wie der Imker es nennt, so gehen sie lieber massenhaft an grässlichen Unterleibsleiden zu Grunde, als dass sie den Stock besudelten. Nur die Drohnen sind unverbesserlich unsauber und beschmutzen schamlos die Waben, auf denen sie sitzen, und die Arbeitsbienen sind dann gezwungen, hinter ihnen rein zu machen. Ist das Säubern beendigt, so beginnen die Bienen derselben profanen Gruppe, die sich an dem in einer Art von Extase dahängenden Kegel nicht beteiligt, die Innenwände ihrer gemeinsamen Wohnung sorgfältig zu verkitten. Alle Spalten werden untersucht und mit Propolis zugestopft und die Wände von oben bis unten gefirnisst. Die Thorwache wird eingesetzt und bald fliegt eine Anzahl von Arbeitsbienen aus, um Nektar und Pollen einzutragen.

 

Ehe wir die Falten des geheimnisvollen Vorhangs lüften, unter dem die Grundmauern der eigentlichen Wohnung gelegt werden, versuchen wir doch einmal uns klar zu machen, welche Intelligenz unser Völkchen von Auswanderern entwickeln muss, welches Augenmass und welcher Fleiss nötig sind, um das neue Obdach wohnlich zu machen, den Stadtplan im Leeren zu entwerfen und in Gedanken den Platz für die einzelnen Gebäude festzulegen, die so sparsam und so schnell wie möglich erbaut werden müssen, denn die Königin hat es eilig mit dem Eierlegen und setzt die ersten bereits auf den Boden. Es ist in diesem Labyrinth der verschiedensten, bisher nur in der Vorstellung bestehenden Bauten, die durchaus nach keinem Schema errichtet werden können, sowohl den Gesetzen der Ventilation, wie denen der Haltbarkeit und Stabilität Rechnung zu tragen; die Widerstandskraft des Wachses, die Art der aufzuspeichernden Lebensmittel, die Bequemlichkeit der Zugänge, die Lebensgewohnheiten der Königin, die gewissermassen vorherbestimmte, weil organisch zweckmässigste Verteilung der Vorratshäuser und Wohnräume, der Strassen und Durchgänge und viele andre Fragen, deren Aufzählung hier zu weit führen würde, sind zu bedenken.

Nun aber ist die Form der Wohnungen, die der Mensch den Bienen anbietet, die denkbar verschiedenste; sie wechselt vom hohlen Baumstamm oder der Thonröhre, die in Asien und Afrika noch im Gebrauch ist, und von der klassischen Strohglocke, die in einem Gebüsch von Monatsrosen und Sonnenblumen im Gemüsegarten oder unter den Fenstern unserer meisten Bauernhöfe steht, bis zu den wirklichen Werkstätten der modernen Mobilzucht, wo sich oft mehr als 150 Kilogramm Honig in drei oder vier Wabenstockwerken übereinander in einem herausnehmbaren Rahmen befinden, der das Ausschleudern der Waben mit einer Honigschleuder und das Wiedereinsetzen derselben gestattet, ganz als ob man in einer wohl geordneten Bibliothek ein Buch nach Benutzung wieder an seinen Platz stellt.

Laune oder Erwerbssinn des Menschen führt den Schwarm also eines Tages in die eine oder andre dieser recht ungleichen Wohnungen ein, und es ist nun Sache des kleinen Insekts, sich darin zurecht zu finden, Pläne zu modifizieren, die eigentlich unveränderlich sein sollten, und in diesem ungewohnten Raume die Lage des Wintersitzes zu bestimmen, der innerhalb der Zone der von dem halb erstarrten Volke noch erzeugten Wärme liegen muss; endlich muss der Brutraum seinen richtigen Platz haben, er darf, wenn kein Unglück geschehen soll, weder zu hoch noch zu tief, weder zu nahe am Flugloch noch zu weit davon entfernt sein. Der Schwarm kommt z. B. aus einem umgestürzten hohlen Baumstumpf, der nur einen langen, engen Gang bildete, und nun sieht er sich in einer Wohnung, die turmhoch ist und deren Dach sich im Finstern verliert. Oder, um uns in sein gewöhnliches Erstaunen zu versetzen: er war seit Jahrhunderten daran gewöhnt, unter dem Strohdach unserer ländlichen Bienenwohnungen zu hausen, und nun sperrt man ihn in eine Art Wandschrank oder grossen Kasten, der drei oder viermal grösser ist, als sein Elternhaus, in ein Durcheinander von Rahmen, die bald parallel, bald senkrecht zum Flugloch über einander hängen und alle Wandflächen des Baues mit einem Netz von Gerüsten bedecken.

 

Und doch giebt es keinen Fall, wo ein Schwarm die Arbeit verweigert hätte, wo er sich durch die Seltsamkeit der Umstände hätte verwirren oder entmutigen lassen, vorausgesetzt, dass die ihm dargebotene Wohnung nicht schlecht riecht oder wirklich unbewohnbar ist. Aber selbst in diesem Falle tritt keine Entmutigung und Bestürzung oder Pflichtverweigerung ein: der Schwarm verlässt dann einfach die ungastliche Stätte und sucht sich anderswo etwas Besseres. Ebensowenig lässt sich sagen, dass man die Bienen je habe veranlassen können, eine sinnlose oder unzweckmässige Arbeit zu verrichten. Man hat nie festgestellt, dass die Bienen den Kopf verloren und nicht gewusst hätten, welchen Entschluss sie fassen sollen, dass sie planlose, missratene oder überflüssige Bauten unternommen hätten. Man schüttle sie in eine Hohlkugel, einen Trichter, eine Pyramide, einen ovalen oder eckigen Korb, eine Röhre oder eine Spirale, und man besuche sie einige Tage später, vorausgesetzt, dass sie die Wohnung angenommen haben, so wird man sehen, dass diese seltsame Vielheit von kleinen, selbständig denkenden Köpfen sich unmittelbar geeinigt und nach einer Methode, deren Grundsätze unwandelbar, aber deren Folgen lebendig sind, den günstigsten und oft den einzig brauchbaren Punkt der sonderbaren Wohnung ohne Zaudern gewählt hat.

Wenn man sie in einen der obengenannten grossen Kastenstöcke bringt, so beachten sie die darin befindlichen Rahmen nur insoweit, als sie ihnen zum Ausgangs- und Stützpunkt beim Bau ihrer Waben dienen, und das ist schliesslich auch ganz verständlich, da die Wünsche und Absichten des Menschen ihnen ja gleichgültig sind. Wenn der Bienenzüchter aber den oberen Rand einiger Rahmen mit einem schmalen Wachsstreifen versehen hat, so begreifen sie sogleich den Vorteil, der in dieser angefangenen Arbeit liegt, bauen den Streifen sorgsam aus und führen den angedeuteten Plan mit eigenem Wachs zu Ende. Desgleichen – und der Fall tritt bei dem intensiven Betriebe von heute häufig ein – wenn alle Rahmen des Stockes, in den man den Schwarm eingeschlagen hat, von oben bis unten mit angefangenen Kunstwaben bedeckt sind, so fangen sie keinen Zeit und Wachs vergeudenden Neubau an, sondern sie nehmen die Gelegenheit wahr, führen das begonnene Werk weiter und bauen die eingepressten Zellenansätze bis zur Normaltiefe fertig, wobei sie übrigens an Stellen, wo die künstliche Wabe von der haarscharfen Senkrechten abweicht, ihre Korrektur vornehmen. Auf diese Weise besitzen sie in mehr als einer Woche eine ebenso prächtige und wohlgebaute Stadt, wie die eben verlassene, während sie, auf sich allein angewiesen, zwei oder drei Monate gebraucht hätten, um dasselbe Gewirr von Speicherräumen und weissen Wachshäusern aufzuführen.

 

Dieses Anpassungsvermögen scheint die Grenzen des „Instinkts“ doch merklich zu überschreiten. Überdies ist nichts willkürlicher, als dieses Unterscheiden zwischen Instinkt und Intellekt. Sir John Lubbock, der über Ameisen, Wespen und Bienen ganz persönliche und sonderbare Beobachtungen gemacht hat, ist vielleicht infolge einer unbewussten und etwas ungerechten Vorliebe für die Ameisen, die er am genausten beobachtet hat, – denn jeder Beobachter will, dass das von ihm studierte Insekt intelligenter und bemerkenswerter sei als die andern, und man thut wohl daran, sich vor solchen kleinen Anwandlungen von Eigenliebe zu hüten – Sir John Lubbock, sage ich, ist sehr geneigt, der Biene jedes Unterscheidungsvermögen und jede Überlegung abzusprechen, sobald es sich nicht um ihre gewöhnlichen Arbeiten handelt. Als Beweis giebt er ein Experiment, das Jeder leicht wiederholen kann. Man thue in eine Wasserflasche ein halbes Dutzend Fliegen und ebenso viele Bienen, lege die Flasche wagerecht und drehe ihren Boden dem Zimmerfenster zu. Die Bienen werden sich stundenlang abquälen, einen Ausgang durch den Glasboden zu finden, bis sie schliesslich vor Erschöpfung und Hunger sterben, während die Fliegen in weniger als zwei Minuten zur entgegengesetzten Seite durch den Flaschenhals entschlüpft sind. Sir John Lubbock schliesst daraus, dass der Verstand der Biene äusserst beschränkt ist und dass die Fliege viel mehr Geschick besitzt, sich aus der Verlegenheit zu ziehen und ihren Weg zu finden. Dieser Schluss scheint nicht einwandsfrei. Man wende bald den Boden, bald den Flaschenhals dem Lichte zu, zwanzigmal, wenn man will, und die Bienen werden sich zwanzigmal umdrehen, und dem Licht entgegenfliegen. Was sie in dem Experiment des englischen Gelehrten herabsetzt, ist ihre Liebe zum Licht und ihr Verstand selbst. Sie bilden sich augenscheinlich ein, dass die Befreiung aus jedem Gefängnis auf der Lichtseite liegt, sie handeln also ganz folgerichtig, nur zu folgerichtig. Sie wissen nichts von dem übernatürlichen Mysterium, das für sie das Glas ist, diese plötzlich undurchdringliche Luft, die es in der freien Natur nicht giebt und die ihnen um so unverständlicher sein muss, je intelligenter sie sind. Die hirnlosen Fliegen, die sich um die Logik, den Ruf des Lichtes und das Wunder des Krystalls nicht kümmern, schwirren planlos in der Flasche herum, bis sie schliesslich mit dem Glück der Einfältigen, die sich oft da retten, wo die Weisheit verdirbt, in den guten Flaschenhals geraten, der sie befreit.

 

Derselbe Naturforscher giebt noch einen anderen Beweis von ihrer mangelnden Intelligenz, indem er sich auf den grossen amerikanischen Bienenzüchter, den ehrwürdigen und väterlichen Langstroth beruft. „Da die Fliege“, sagt Langstroth, „nicht dazu geschaffen ist, von Blumen, sondern von Dingen zu leben, in denen sie leicht ertrinken könnte, so setzt sie sich vorsichtig auf den Rand von Gefässen, die eine flüssige Nahrung enthalten, und saugt klüglich daraus, während die arme Biene sich kopfüber hineinstürzt und bald darin umkommt. Das traurige Geschick ihrer Mitschwestern hält die anderen nicht ab: sobald sie sich derselben Lockspeise nähern, setzen sie sich wie wahnsinnig auf Leichen und Sterbende, um alsbald ihr trauriges Loos zu teilen. Niemand kann ihren Wahnsinn ganz ermessen, wenn er nicht gesehen hat, mit welcher nimmersatten Gier sie schaarenweise in die Zuckersiedereien eindringen. Ich habe tausende aus dem Zuckersaft herausziehen sehen, in dem sie ertrunken waren, tausende auf den siedenden Zucker sich setzen; der Boden war mit Bienen bedeckt und die Fenster von ihnen verdunkelt; die einen krochen, die andren flogen, wieder andere waren so vollständig verkleistert, dass sie weder kriechen noch fliegen konnten; nicht eine von zehn war im stande, die verderbliche Beute heimzutragen, und doch war die Luft voll von Myriaden von Neuankömmlingen, die ebenso unsinnig waren.“

Auch dies erscheint mir nicht entscheidender, als für einen übermenschlichen Beobachter, der die Grenzen unserer Intelligenz feststellen will, der Anblick der Alkoholverwüstungen unter den Menschen oder eines Schlachtfeldes. Die Biene ist uns gegenüber in einer seltsamen Lage, sie ist geschaffen, um in der gleichgiltigen und unbewussten Natur zu leben, und nicht an der Seite eines Ausnahmewesens, das die festesten Gesetze rings um sie erschüttert und grossartige, unbegreifliche Erscheinungen hervorruft. In der Natur, im eintönigen Waldleben wäre der von Langstroth beschriebene Wahnsinn nur dann möglich, wenn ein honigstrotzender Bau durch irgend einen Zufall auseinanderbräche. Aber dann gäbe es keine tötlichen Fenster, keinen kochenden Zucker, keinen dicken Syrup, und folglich auch keine Toten und keine anderen Gefahren als die, welche jedem Beute machenden Tiere drohen.

Würden wir unsere Kaltblütigkeit besser bewahren als sie, wenn eine unbekannte Gewalt unsere Vernunft auf Schritt und Tritt auf die Probe stellte? Es ist für uns also sehr schwer, die Bienen zu beurteilen, die wir selbst toll machen, und deren Intelligenz nicht darauf gerüstet ist, unsere Fallen zu meiden, ebensowenig wie die unsere darauf gerüstet ist, der Listen eines heutigen Tages unbekannten, aber nichts destoweniger doch möglichen, höheren Wesens zu spotten. Da wir es nicht kennen, schliessen wir daraus, dass wir den Gipfel dieses Erdenlebens erklommen haben, aber im ganzen genommen ist das nicht unbestreitbar. Ich verlange nicht, dass wir uns bei ungereimten oder niedrigen Handlungen, die wir thun, in den Schlingen dieses Wesens wähnen, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies eines Tages Wahrheit sein wird. Andererseits kann man vernünftiger Weise nicht behaupten, die Bienen seien jedes Verstandes bar, weil es ihnen noch nicht gelungen ist, uns von dem Affen oder dem Bären zu unterscheiden, und sie uns behandeln, wie sie diese eingeborenen Bewohner des Urwaldes behandeln würden. Es ist gewiss, dass in und um uns Einflüsse und Mächte herrschen, die einander ebenso unähnlich sind und von uns doch nicht unterschieden werden.

Zuletzt, und um diese Apologie der Bienen abzuschliessen, mit der ich selbst ein wenig in die Anwandlungen von Eigenliebe verfalle, die ich dem Sir John Lubbock vorwarf, steht die Frage noch offen, ob man nicht intelligent sein muss, um so grosser Thorheiten fähig zu sein. Ist es doch stets so in dem ungewissen Bereich des Verstandes, welcher der unsicherste und schwankendste Zustand der Materie ist. In derselben Flamme wie der Verstand, ist auch die Leidenschaft, und man kann nicht einmal genau sagen, ob sie der Rauch oder der Docht der Flamme ist. Und hier ist die Leidenschaft der Bienen edel genug, um das Schwanken des Verstandes zu entschuldigen. Was sie zu dieser Tollheit treibt, ist nicht das tierische Verlangen, sich voll Honig zu saugen. Das hätten sie in den Zellen ihres Baues leichter. Man beobachte sie und verfolge sie in einem analogen Falle, und man wird sehen, dass sie, sobald ihre Honigblase voll ist, nach dem Bienenstock zurückkehren, ihre Beute abgeben und dreissig Mal in einer Stunde nach dem wunderbaren Erntefelde zurückkehren. Es ist also derselbe Trieb, der sie so viel Bewundernswertes thun lässt: der Eifer, dem Hause ihrer Schwestern und der Zukunft so viel Gutes zuzuführen, als sie vermögen. Wenn die Thorheiten der Menschen eine ebenso selbstlose Ursache haben, pflegen wir ihnen einen andern Namen zu geben.

 

Die ganze Wahrheit muss trotzdem gesagt werden. Angesichts der Wunder ihres Gewerbfleisses, ihres Gemeinsinnes und ihrer Opferfreudigkeit, muss uns ein Umstand immerhin in Erstaunen setzen und unsere Bewunderung etwas beeinträchtigen, nämlich ihre Gleichgiltigkeit gegen den Tod und das Unglück ihrer Mitschwestern. Es geht durch den Charakter der Bienen ein seltsamer Spalt. Im Bienenkorbe lieben und helfen sich alle. Sie sind so einig, wie die guten Gedanken derselben Seele. Verletzt man eine, so opfern sich tausend, um ihre Mitbürgerin zu rächen. Ausserhalb des Bienenstockes kennen sie sich nicht mehr. Man verstümmele oder vernichte – oder besser, man thue es nicht, es wäre eine unnötige Grausamkeit, denn die Thatsache steht fest, – aber gesetzt, man verstümmelte oder vernichtete auf einem Stück Wabenhonig, ein paar Schritte vom Bienenstand entfernt, zwanzig oder dreissig Bienen aus demselben Stocke, und die nicht getroffenen werden nicht einmal den Kopf drehen, sondern achtlos gegen die in Todeszuckungen Liegenden, deren letzte Bewegungen ihre Glieder streifen, deren Schmerzensrufe ihnen ins Ohr gellen, saugen sie nach wie vor mit ihrer phantastischen Zunge, die wie eine chinesische Waffe aussieht, den Saft, der ihnen kostbarer ist als das Leben. Und wenn die Wabe leer ist, klettern sie, um nichts zu verlieren, um auch den Honig, der an den Opfern klebt, noch zu gewinnen, ruhig über Leichen und Verwundete weg, ohne sich über das Vorhandensein der Einen aufzuregen und ohne den Anderen Hilfe zu bringen. Sie haben in diesem Falle also weder einen Begriff von der Gefahr, die sie laufen, denn der Tod, den sie um sich sehen, erschüttert sie nicht im Mindesten, noch das geringste Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Mitleids. Was die Gefahr betrifft, so ist das erklärlich: die Biene kennt in der That keine Furcht, und nichts in der Welt kann sie schrecken, ausser dem Rauche. Ausserhalb ihres Bienenkorbes ist sie voller Langmütigkeit und Friedfertigkeit. Sie weicht dem Störenfried aus und ignoriert das Vorhandensein alles dessen, was sie nicht unmittelbar angeht. Man möchte sagen, dass sie sich in einer Welt fühlt, die Allen gehört, wo Jeder Anspruch auf seinen Platz hat, wo man friedlich und nachsichtig sein muss. Aber unter dieser Nachsichtigkeit und Friedfertigkeit verbirgt sich ein so selbstgewisses Herz, dass sie garnicht daran denkt, sich zu behaupten. Sie weicht aus, wenn jemand sie bedroht, aber sie flieht nie. Andrerseits beschränkt sie sich im Bienenstock keineswegs auf dieses passive Ignorieren der Gefahr. Sie stürzt sich mit einer unerhörten Wucht auf jedes lebende Wesen, Ameise, Löwe oder Mensch, das ihre heilige Arche anzutasten wagt. Nennen wir das je nach unserer geistigen Veranlagung Zorn, Verbissenheit, Stumpfsinn oder Heroismus.

Aber über ihren Mangel an Solidaritätsgefühl ausserhalb des Bienenstockes weiss ich nichts zu sagen. Man muss wohl annehmen, dass es sich auch hier um jene unverhofften Grenzen handelt, die jeder Art von Verstand gezogen sind, und dass die kleine Flamme, die durch den schwierigen Verbrennungsprozess so vieler träger Stoffe nur mühsam dem Gehirn entstrahlt, jederzeit so ungewiss ist, dass sie einen Punkt nur auf Kosten vieler anderer erleuchtet. Man kann sich sagen, dass die Biene – oder die Natur in der Biene – die gemeinsame Arbeit, den Kultus der Zukunft und die Fernstenliebe in einer nie wieder erreichten Vollkommenheit durchgeführt hat. Sie lieben über sich hinaus und wir lieben vornehmlich, was um uns ist. Vielleicht genügt es, hier zu lieben, um dort keine Liebe mehr übrig zu haben. Nichts ist veränderlicher als die Richtung der Barmherzigkeit oder des Mitleids. Wir selbst wären ehedem über diese Fühllosigkeit der Bienen weit weniger erstaunt gewesen, und manchen alten Schriftstellern wäre es garnicht eingefallen, sie deswegen zu tadeln. Zudem können wir nicht ahnen, wie sehr ein Wesen, das uns so beobachten würde, wie wir sie beobachten, über uns in Erstaunen geraten würde.

 

Schliesslich müssten wir, um uns von ihrer Intelligenz eine genauere Vorstellung zu machen, festzustellen suchen, auf welche Weise sie sich mit einander verständigen. Denn dass sie sich verständigen, ist sonnenklar; ein Gemeinwesen von so grosser Volkszahl, dessen Arbeiten so mannigfach sind und doch so wunderbar harmonieren, könnte bei der Unfähigkeit seiner Mitglieder, in Verbindung miteinander zu gelangen und aus ihrer geistigen Vereinsamung herauszutreten, nicht bestehen. Sie müssen also die Fähigkeit haben, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken, sei es durch eine Lautsprache, sei es, was wahrscheinlicher ist, mit Hilfe einer Tastsprache oder einer magnetischen Übertragung, die sich vielleicht an Eigenschaften der Materie und an Sinne knüpft, die uns völlig unbekannt sind, und der Sitz dieser Sinne könnte sich in ihren geheimnisvollen Fühlern befinden, welche die Finsternis abtasten und fühlen und nach den Berechnungen von Cheshire bei den Arbeitsbienen aus zwölftausend Fühlfäden und fünftausend Geruchshöhlen bestehen. Dass sie sich nicht nur über ihre gewöhnlichen Arbeiten verständigen, sondern dass auch Aussergewöhnliches Platz und Namen in ihrer Sprache hat, das geht daraus hervor, dass jede gute oder böse, gewohnte oder übernatürliche Nachricht sich durch den Bienenstock verbreitet, z. B. Verlust und Wiederkehr der Königin, Eindringen eines Feindes, einer fremden Königin, Nahen eines Räuberschwarms, Entdeckung eines Schatzes u. s. w. Das Benehmen und die Töne der Bienen sind bei jedem dieser Ereignisse so verschieden, so charakteristisch, dass der gewiegte Bienenwirth unschwer errät, was in dem kribbelnden Dunkel des Bienenstockes vorgeht.

Will man einen deutlicheren Beweis, so beobachte man eine Biene, die auf einem Fensterbrett oder einer Tischecke ein paar Honigtropfen gefunden hat. Zuerst saugt sie sich so gierig voll, dass man sie in aller Musse, ohne sie in ihrer Arbeit zu stören, mit einem kleinen Farbfleck zeichnen kann. Aber diese Fressgier ist nur scheinbar. Der Honig kommt nicht in den eigentlichen, sozusagen persönlichen Magen der Biene, er bleibt im Honigmagen, der gewissermaassen der Magen der Gesamtheit ist. Sobald dieses Behältnis gefüllt ist, fliegt die Biene von dannen, aber nicht blind und unmittelbar, wie ein Schmetterling oder eine Fliege. Man wird sie im Gegenteil einige Augenblicke rückwärts fliegen sehen; sie schwirrt aufmerksam in der Fensteröffnung oder um den Tisch herum, den Kopf nach dem Zimmer gewandt. Sie prägt sich die Örtlichkeit ein und merkt sich genau die Stelle, wo der Schatz liegt. Dann erst fliegt sie nach dem Stock zurück, entleert ihre Beute in eine der Vorratszellen und ist in drei oder vier Minuten wieder da, um eine neue Ladung von dem wunderbaren Brett zu holen. Alle fünf Minuten kommt sie, solange noch Honig da ist, und wenn es bis zum Abend währt, ununterbrochen wieder und fliegt, ohne sich die geringste Ruhe zu gönnen, von dem Fenster nach dem Bienenstock und vom Bienenstock nach dem Fenster.

 

Ich will die Wahrheit nicht ausschmücken, wie Viele es gethan haben, die über die Bienen schrieben. Beobachtungen dieser Art sind nur dann von Interesse, wenn sie absolut ehrlich sind. Ich hätte vielleicht gesagt, dass die Bienen unfähig sind, sich über ein Ereignis ausserhalb des Bienenstockes zu verständigen, wenn ich gelegentlich einer kleinen experimentellen Enttäuschung ein Vergnügen daran gefunden hätte, wieder einmal zu konstatieren, dass der Mensch im Grunde genommen doch das einzige wirklich intelligente Wesen auf diesem Erdball ist. Und dann empfindet man, wenn man bis zu einem gewissen Punkte des Lebens gekommen ist, mehr Freude daran, etwas Wahres zu sagen, als etwas Auffälliges. Hier wie in allen Dingen muss man sich von dem Grundsatz leiten lassen: wenn die nackte Wahrheit uns im Augenblick weniger gross, edel oder anziehend erscheint, als der erträumte Schmuck, mit dem man sie behängen könnte, so liegt die Schuld an uns, weil wir die stets erstaunlichen Beziehungen, die zwischen unserm Wesen und den Weltgesetzen bestehen müssen, noch nicht zu erkennen vermögen, und es ist in diesem Falle also nicht die Wahrheit, die einer Vergrösserung und Veredelung bedarf, sondern unser Intellekt.

Ich will also eingestehen, dass die gezeichneten Bienen oft allein wiederkehren. Man muss wohl glauben, dass es unter ihnen dieselben Charakter-Unterschiede giebt, wie bei den Menschen, und dass die einen schweigsam, die andern mitteilsam sind. Jemand, der meinen Versuchen beiwohnte, bemerkte, dass es bei vielen Eitelkeit oder Egoismus sein könnte, was sie bestimmt, die Quelle ihres Reichtums nicht zu verraten, um den Ruhm einer Leistung, die der Schwarm für wunderbar halten muss, nicht mit andern zu teilen. Aber das sind recht niedrige Laster, die nicht nach dem reinen und frischen Duft des Hauses ihrer tausend Schwestern schmecken. Wie dem indes auch sei, es geschieht auch oft genug, dass die vom Glück begünstigte Biene mit zwei oder drei Gefährtinnen wieder kommt. Es ist mir bekannt, dass Sir John Lubbock im Anhang zu seinem Werke „Ants, Bees and Wasps“ ausführliche und gewissenhafte Beobachtungstabellen aufstellt, aus denen hervorzugehen scheint, dass fast nie andere Bienen der Wegweiserin folgen. Ich weiss freilich nicht, welche Bienenart der gelehrte Naturforscher beobachtet hat, oder ob die Umstände besonders ungünstig waren. Meine eigenen Beobachtungstabellen, die ich sorgfältigst aufgestellt habe, indem ich unter Benutzung aller möglichen Vorsichtsmassregeln verhinderte, dass die Bienen direkt durch den Honigduft angezogen wurden, ergaben, dass im Durchschnitt viermal in zehn Fällen andere Bienen von der ersten mitgebracht wurden.

Einmal betupfte ich einer besonders kleinen italienischen Biene den Leib mit einem Farbfleck. Beim zweiten Male kam sie mit zwei Schwestern wieder. Ich fing diese weg, ohne dass sie sich stören liess. Das nächste Mal kam sie mit drei Gefährtinnen wieder, die ich ebenfalls wegfing, und so fort, bis ich am Ende des Nachmittags achtzehn Bienen gefangen hatte. Sie hatte also achtzehn Schwestern die Mitteilung zu machen gewusst.

Alles in allem genommen, wird man bei solchen Experimenten zu dem Schlusse kommen, dass die Mitteilung an andere, wo nicht regelmässig, so doch häufig stattfindet, und dieses Vermögen der Bienen ist den Bienenjägern Amerikas so gut bekannt, dass sie es sich regelmässig zu nutze machen, wenn sie ein Nest ausspüren. „Sie wählen“, sagt Josiah Emmery, „zum Beginn ihrer Thätigkeit ein Feld oder ein Gehölz, das weitab von allen Bienenständen zahmer Bienen liegt. Hier angekommen, lauern sie einigen Bienen auf, welche die Blüten befliegen, fangen sie weg und sperren sie in einen mit Honig versehenen Kasten. Sobald sich die Bienen darin vollgesogen haben, lassen sie sie wieder fliegen. Nun kommt ein Augenblick des Wartens, dessen Dauer von der Entfernung des Bienennestes abhängt, aber bei einiger Geduld findet der Jäger seine Bienen allemal mit einem Gefolge von mehreren Gefährtinnen wieder. Er fängt sie von neuem ein, regaliert sie und lässt sie jede nach einer andern Seite fliegen, wobei er genau aufpasst, welche Richtung sie nehmen. Der Punkt, nach dem sie zusammenzustreben scheinen, giebt ihm die mutmassliche Lage des Nestes an.“ (Citiert von Romanes in „L’Intelligence des Animaux“, Bd. I, S. 117)

 

Man wird bei Wiederholung des oben genannten Experimentes bemerken, dass die mitgebrachten Freundinnen, die der Losung des Glückes gehorchen, nicht immer zusammen ankommen und dass oft ein Zwischenraum von mehreren Sekunden zwischen der Ankunft der einzelnen liegt. Man muss sich also über ihr Mitteilungsvermögen dieselbe Frage vorlegen, die Sir John Lubbock für die Ameisen gelöst hat: Thun die Gefährtinnen, die sich bei dem von der ersten Biene entdeckten Schatze mit einfinden, nichts weiter, als dass sie dieser folgen, oder sind sie vielleicht von ihr geschickt und finden ihn selbst nach deren Angaben und der von ihr gemachten Ortsbeschreibung? Es wäre dies, wie man leicht einsieht, ein gewaltiger Unterschied hinsichtlich der Höhe und Vollkommenheit ihrer Intelligenz. Dem gelehrten Engländer ist es mit Hilfe eines komplizierten und sehr sinnreichen Apparates von Gängen und Stegen, Wassergräben und fliegenden Brücken gelungen, nachzuweisen, dass die Ameisen in diesem Falle einfach der Fährte der Wegweiserin folgen. Solche Experimente sind nun zwar sehr sinnreich bei den Ameisen, die man zwingen kann, einen bestimmten Weg zu wählen, aber der Biene, die Flügel hat, stehen alle Wege offen und man müsste zu andern Hilfsmitteln greifen. Das Folgende habe ich angewandt, ohne jedoch zu entscheidenden Resultaten gekommen zu sein. In grösserer Vervollkommnung aber und unter günstigeren Umständen dürfte es doch zu befriedigender Gewissheit führen.

Mein Arbeitszimmer auf dem Lande liegt im ersten Stock über einem sehr hohen Erdgeschoss. Ausser in der Blütezeit der Kastanien und Linden pflegen die Bienen nie sehr hoch zu fliegen, sodass ich ein Stück entdeckelten Wabenhonig (d. h. gefüllte Honigwaben, von denen die Wachsdeckel entfernt waren) vor dem Experiment mehr als eine Woche lang auf dem Tische liegen hatte, ohne dass eine einzige Biene von dem Duft angelockt wurde und die Wabe beflog. Ich nahm nun eine italienische Biene aus einem unfern des Hauses aufgestellten Beobachtungsstock, trug sie in mein Arbeitszimmer hinauf und liess sie an dem Honig naschen, während ich sie mit einem Farbfleck betupfte.

Als sie sich vollgesogen hatte, flog sie nach ihrem Bienenstock zurück. Ich ging hinterher und sah, wie sie hastig über die andern Bienen hinweglief, ihren Kopf in einer leeren Zelle verschwinden liess, den Honig entleerte und sich zum Ausfliegen anschickte. Zwanzigmal hintereinander wiederholte ich denselben Versuch mit verschiedenen Bienen und fing dabei jedesmal die geköderte Biene fort, sodass die andern ihrer Spur nicht folgen konnten. Ich hatte zu diesem Zwecke vor dem Flugloch einen Glaskasten angebracht, der durch eine Klappthür in zwei Abteilungen geschieden war. Kam die gezeichnete Biene allein heraus, so fing ich sie einfach weg und wartete dann in meinem Zimmer auf die Ankunft der Freundinnen, denen sie die Nachricht gebracht hätte. Kam sie mit zwei oder drei andern Bienen heraus, so hielt ich sie in der ersten Abteilung des Glaskastens gefangen und trennte sie so von ihren Gefährtinnen, denen ich einen Fleck von anderer Farbe auftupfte und dann die Freiheit gab, wobei ich sie mit den Augen verfolgte. Es ist klar, dass, wenn eine lautliche oder magnetische Mitteilung stattgefunden hätte, die eine Ortsbeschreibung und Orientierungsmethode in sich schlösse, ich eine Anzahl von Bienen, die auf die Fährte gesetzt waren, in meinem Zimmer hätte vorfinden müssen. Ich muss gestehen, dass sich nur eine einfand. Folgte sie den im Bienenstock empfangenen Anweisungen, oder war es reiner Zufall? Die Beobachtung war nicht ausreichend genug, aber die Umstände verstatteten nicht, sie fortzusetzen. Ich liess die Bienen wieder frei, und alsbald war mein Arbeitszimmer voll von der summenden Menge, der sie in ihrer gewohnten Weise den Weg zum Schatze gewiesen hatten.[5]

 

Aber auch ohne aus diesem unvollkommenen Versuch Schlüsse zu ziehen, sieht man sich zu der Annahme gezwungen, dass die Bienen in geistigen Beziehungen zu einander stehen, die über ein blosses Ja und Nein oder jene elementaren Mitteilungen, die durch Geberde oder Vorbild entstehen, weit hinausgehen. Man braucht nur die rührende Harmonie ihrer Arbeiten im Bienenstock, die überraschende Arbeitsteilung und die regelmässige Ablösung in der Arbeit zu bedenken. Ich habe oft beobachtet, wie die Beutemacherinnen, die ich am Morgen betupft hatte, ausser bei ungewöhnlichem Blumenreichtum Nachmittags damit beschäftigt waren, das Brutnest auszulüften oder zu „bebrüten“; andere fand ich unter der Schaar wieder, die jene geheimnisvollen, wie tot dahängenden Ketten bildet, in deren Mitte die Wachszieherinnen und Steinmetze arbeiten. Ebenso habe ich beobachtet, wie die Arbeiterinnen einen ganzen Tag lang Pollen eintrugen, am nächsten Tage dagegen ausschliesslich Nektar und umgekehrt.

Schliesslich wäre noch eine Erscheinung zu berücksichtigen, die der berühmte französische Bienenzüchter Georges de Layens „die Verteilung der Bienen auf die honigspendenden Pflanzen“ nennt. Allmorgendlich, wenn die Sonne aufgeht und die mit dem Morgenrot ausgesandten Spürbienen zurückkehren, erhält der erwachende Bienenstock sichere Nachrichten von draussen. „Heute blühen die Linden an den Kanalufern.“ „Der Weissklee leuchtet durch das Gras am Wege.“ „Steinklee und Salbei sind im Aufblühen.“ „Lilien und Reseda strömen von Pollen über.“ Da heisst es, sich schnell zusammenthun, Massregeln ergreifen und die Arbeit einteilen. Fünftausend von den stärksten werden hinauf zu den Lindenwipfeln fliegen, dreitausend jüngere den Weissklee besuchen. Die einen fahndeten gestern auf den Nektar der Blumenkelche, heute sollen sie ihre Zunge und die Drüsen des Honigmagens schonen; sie werden den roten Reseda-Pollen, den gelben Pollen der grossen Lilien eintragen, denn nie wird man eine Biene Pollen von verschiedenen Blumensorten und verschiedener Farbe ernten oder vermischen sehen, und das methodische Sortieren der einzelnen Arten dieses schönen duftigen Mehls, je nach Farbe und Herkunft, bildet eine der Hauptbeschäftigungen im Stocke selbst. So werden die Befehle von einem verborgenen Geiste ausgegeben, und alsbald kommen die Arbeiterinnen in langen Zügen hervor, um jede unbeirrt ihrer Aufgabe entgegenzufliegen. „Anscheinend“, sagt de Layens, „sind die Bienen genau informiert über Standort, Honiggehalt und Entfernung aller honigtragenden Pflanzen in einem gewissen Umkreise um den Bienenstock. Merkt man sich genau die Richtung, welche die Beutemacherinnen einschlagen, und kann man die Ernte, die sie von den verschiedenen Pflanzen der Umgegend eintragen, methodisch beobachten, so stellt sich heraus, dass die Arbeitsbienen sich sowohl nach der Quantität der Pflanzen einer Art, wie nach ihrem Honigreichtum in die verschiedenen Blumen teilen. Mehr noch: sie schätzen täglich ab, welcher Zuckersaft der beste zum Einernten ist. Wenn z. B. nach Abblühen der Sahlweiden noch nichts auf den Feldern erblüht ist und die Bienen auf die ersten Waldblumen angewiesen sind, so kann man sie beim regen Besuche von Anemonen, Schlüsselblumen, Narzissen und Veilchen sehen. Ein paar Tage darauf, wenn die Raps- und Kohlfelder in genügender Menge erblüht sind, sieht man sie ihre Waldblumen fast vollständig verlassen, obschon sie noch in voller Blüte stehen, und sich ganz den Raps- und Kohlblüten widmen. So verteilen sie sich täglich auf die Pflanzen, die in möglichst kurzer Zeit den besten Zuckersaft liefern. Man kann also sagen, das Bienenvolk weiss sowohl in seinen Erntearbeiten, wie im Innern des Bienenstocks eine rationelle Verteilung der Arbeitsbienen vorzunehmen und zwar unter strikter Anwendung des Prinzips der Arbeitsteilung“.

 

Aber, wird man sagen, was liegt uns daran, ob die Bienen mehr oder minder intelligent sind? Warum mit soviel Sorgfalt eine kleine, fast unsichtbare Spur der Materie verfolgen, als handelte es sich um ein Fluidum, von dem die Geschicke der Menschheit abhingen? Ohne zu übertreiben: ich glaube, das Interesse, das wir hieran nehmen, ist nicht genug zu schätzen. Indem wir ausser uns eine wirkliche Spur von Intelligenz finden, empfinden wir etwas von dem seltsamen Schauder Robinsons, als er den Eindruck eines menschlichen Fusses im Strandsande seiner Insel fand. Es scheint uns, dass wir weniger allein sind, als wir wähnten. Wenn wir uns über die Intelligenz der Bienen klar zu werden versuchen, so erforschen wir im Grunde genommen das Kostbarste unseres eigenen Wesens in ihnen und suchen ein Atom jenes seltenen Stoffes, der überall, wo er hervortritt, die wunderbare Gabe hat, die blinden Notwendigkeiten umzuformen und zu organisieren, das Leben zu verschönen und zu mehren und der hartnäckigen Macht des Todes, dem grossen gedankenlosen Strome, der fast Alles, was besteht, in ewiger Unbewusstheit dahinträgt, ein sinnfälliges Halt zu gebieten.

Wären wir im Alleinbesitz eines Teiles dieser Kraft in dem besonderen Blüte- und Glanzzustande, den wir Intelligenz nennen, so hätten wir einiges Recht darauf, uns für bevorzugt zu halten und uns einzubilden, dass die Natur ein Ziel in uns erreicht; aber da ist nun eine ganze Kategorie von Wesen: die Honigwespen, in denen sie fast dasselbe Ziel erreicht. Dies entscheidet nichts, wenn man will, aber die Thatsache nimmt doch einen Ehrenplatz ein in der Menge der kleinen Thatsachen, die zur Klärung unserer Lage auf Erden beitragen. Hier findet sich eine Parallel-Erscheinung für den unentzifferbarsten Teil unseres Wesens, eine Ablagerung von Schicksalen, die wir von einem höheren Standpunkt aus überschauen, als wir es für die Geschicke der Menschheit je vermöchten. Hier finden sich mit einem Worte die grossen, einfachen Linien, die wir in unserm eigenen, unverhältnismässig grösseren Wirkungskreis weder aufdecken, noch bis zu Ende verfolgen können. Hier findet sich Geist und Materie, Art und Individuum, Entwickelung und Beharren, Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod auf einen Raum zusammengeschaart, den wir mit der Hand umspannen und mit einem Blick überschauen können, und es drängt sich die Frage auf: hat die grössere Ausdehnung unseres Körpers in Raum und Zeit wirklich soviel Einfluss auf die geheimen Pläne der Natur, die wir im Bienenstock mit seiner kurzen, nach Tagen zählenden Geschichte zu erforschen suchen, wie in unserer grossen Menschheitsgeschichte, wo drei Geschlechter ein ganzes Jahrhundert ausfüllen.

 

Nehmen wir die Geschichte unseres Bienenstockes also wieder auf, wo wir sie fallen gelassen hatten, und versuchen wir eine der Falten des geheimnisvollen Vorhanges zu lüften, von dem jene seltsame Ausschwitzung herabzuträufen beginnt, die fast so weiss ist wie Schnee und leichter als Daunenfedern. Denn das Wachs ist im Augenblick seiner Entstehung anders als in dem allbekannten Zustand, in dem wir es finden; es ist fleckenlos und leicht wie Luft; es scheint wirklich die Seele des Honigs zu sein, der seinerseits wieder der Geist der Blumen ist, und wird durch eine regungslose Beschwörung hervorgezaubert, um späterhin in unseren Händen, gewiss im Angedenken an seinen Ursprung, in dem so viel Himmelsbläue, soviel keuscher und segenspendender Wohlgeruch liegt, zur duftenden Kerze unserer Totenbahre zu werden.

 

Es ist sehr schwer, die verschiedenen Phasen der Wachsbildung und des Wachsbaues bei einem Volke, das zu bauen beginnt, zu verfolgen. Es vollzieht sich alles in der Enge des Schwarmes, der sich immer dichter zusammenschliesst, um die zu seiner Ausschwitzung erforderliche Temperatur zu erzeugen; diese Ausschwitzung selbst ist das Vorrecht der jüngsten Bienen. Huber, der sie zuerst mit unsäglicher Geduld studiert hat, nicht ohne bisweilen in ernste Gefahr zu geraten, widmet diesem Vorgang mehr als 250 spannende, aber notwendigerweise zusammenhangslose Seiten. Ich, der ich kein technisches Werk schreibe, beschränke mich darauf, unter gelegentlicher Benutzung seiner trefflichen Beobachtungen nur das zu berichten, was jeder beobachten kann, wenn er einen Schwarm in einen mit Glaswänden versehenen Beobachtungskasten einschlägt.

Zunächst muss man gestehen, dass wir noch nicht wissen, durch welchen chemischen Vorgang der Honig in dem rätselreichen Körper unserer regungslos dahängenden Bienenketten sich in Wachs umformt. Man kann nur feststellen, dass nach einer Wartezeit von achtzehn bis zu vierundzwanzig Stunden und bei einer so hohen Temperatur, dass man glauben möchte, der Bienenstock glühte innerlich, weisse durchsichtige Schuppen aus den vier kleinen Taschen auf jeder Seite des Hinterleibes der Bienen hervortreten.

Sobald die Mehrzahl derer, welche den hängenden Kegel bilden, diese Elfenbeinblättchen am Hinterleib trägt, sieht man eine von ihnen, als ob sie einer plötzlichen Erleuchtung folgte, sich mit einem Male von der Menge ihrer Schwestern ablösen, über die ruhig dahängende Masse hinwegklettern und den höchsten Punkt der inneren Kuppel erklimmen. Hier angekommen, hängt sie sich fest auf, indem sie die Nachbarinnen, die ihr in ihren Bewegungen hinderlich sind, mit dem Kopfe beiseite schiebt. Dann packt sie mit Füssen und Mund eines der acht Plättchen ihres Hinterleibes, beschneidet und hobelt es, dehnt und durchkaut es mit ihrem Speichel, biegt und reckt es, zerdrückt und stellt es wieder her, wie ein geschickter Tischler, der eine kunstvolle Lade zimmert. Endlich scheint ihr das durchgekaute Wachs die richtige Form und Haltbarkeit zu haben, und sie klebt es in der Spitze der Kuppel an: es ist die Grundsteinlegung der neuen Stadt, oder vielmehr die des Schlusssteins, denn es handelt sich hier um eine umgekehrte Stadt, die vom Himmel herabwächst, statt von der Erde empor, wie eine Menschenstadt.

Dies geschehen, klebt sie an den im Leeren hängenden Schlussstein neue Wachsstückchen, die sie einzeln unter ihren Hornringen hervorzieht, giebt dem Ganzen die letzte Feile mit der Zunge und den Fühlern, und verschwindet darauf ebenso plötzlich, wie sie gekommen ist, in der Menge. Sofort tritt eine andre an ihre Stelle, setzt die Arbeit fort, wo jene sie liegen gelassen hat, fügt das ihrige hinzu, verbessert, was ihr mit dem Idealplan des Volkes nicht übereinzustimmen scheint, und verschwindet dann gleichfalls, während eine dritte, eine vierte und fünfte ihr unerwartet und plötzlich folgen, keine das Werk vollendend, aber alle ihr Scherflein zum allgemeinen Wohle beitragend.

 

Bald hängt ein kleiner, noch ungestalter Wachszipfel von der Decke herab. Sobald er ihnen die nötige Dicke zu haben scheint, sieht man aus der hängenden Traube eine andere Biene auftauchen, deren körperliche Erscheinung von der der ihr vorangegangenen Gründerinnen merklich absticht. Wenn man die Sicherheit ihres Auftretens und die Erwartung der sie umgebenden Schwestern sieht, so könnte man meinen, dass es eine erleuchtete Baumeisterin ist, die den Plan der ersten Zelle, welche die Lage aller anderen mathematisch nach sich zieht, im Leeren entwirft. Jedenfalls aber gehört sie zu der Klasse der Steinmetze und Bauleute, die kein Wachs hervorbringen, sondern das ihnen gelieferte Material nur bearbeiten. Sie wählt also den Platz für die erste Zelle aus, gräbt eine Vertiefung in den Wachsblock und zieht das Wachs, das sie aus dem Boden herausgräbt, nach den Rändern zu aus, die allmählich rings um die Grube entstehen. Dann lässt sie, ganz wie die Gründerinnen, ihr angefangenes Werk plötzlich liegen, eine ungeduldige Arbeiterin tritt an ihre Stelle und führt ihre Arbeit weiter, und eine dritte vollendet sie, während andere rechts und links davon nach derselben Methode der Arbeitsunterbrechung und Fortsetzung den Rest der Wachsfläche und die andere Seite der Wachswand bearbeiten. Man möchte sagen, dass ein wesentliches Gesetz des Bienenstaates den Arbeitsstolz verteilt und dass jedes Werk gemeinsam und namenlos sein muss, um desto brüderlicher zu sein.

 

Bald lässt sich die werdende Wabe erkennen. Sie ist einstweilen noch linsenförmig, denn die kleinen prismatischen Wachsröhren, aus denen sie besteht, sind ungleich lang und nehmen in regelmässiger Verjüngung von der Mitte nach den Enden zu ab. Sie hat jetzt fast das Aussehen und die Stärke einer menschlichen Zunge, die auf ihren beiden Breitseiten aus sechseckigen, mit den Seiten aneinander stossenden und mit den Böden sich berührenden Zellen besteht.

Sobald die ersten Zellen fertig sind, heften die Gründerinnen einen zweiten, dann einen dritten und vierten Wachsblock an die Wölbung an, und zwar mit regelmässigen, wohl berechneten Zwischenräumen, sodass, wenn die Tafeln ihre volle Stärke erreichen, was allerdings erst viel später eintritt, die Bienen immer Platz genug behalten, um zwischen den Parallelwänden durchzugehen.

Sie müssen also einen bestimmten Plan vor Augen haben, in dem die endgiltige Stärke jeder Tafel (22 bis 23 mm) vorgesehen ist, desgleichen die Breite der trennenden Strassen, die etwa 11 mm betragen muss, d. h. die doppelte Höhe einer Biene, denn sie müssen zwischen den Tafeln Rücken an Rücken an einander vorüber.

Übrigens sind sie nicht unfehlbar, und ihre Sicherheit hat nichts mechanisches. Unter schwierigen Verhältnissen machen sie manchmal recht bedeutende Fehler. Bisweilen ist zuviel Zwischenraum zwischen den Tafeln, oft auch zu wenig. Sie suchen dem später abzuhelfen, so gut es geht, sei es, dass sie die zu eng herangerückte Tafel schräg weiter führen, oder in den zu grossen Zwischenraum eine Zwischenwabe einbauen. „Bisweilen geschieht es, dass sie sich täuschen“, sagt Réaumur in Hinblick hierauf, „und gerade das scheint zu beweisen, dass sie urteilen“.

 

Wie bekannt, bauen die Bienen viererlei Zellen. Erstens die Königinnenzellen von ungewöhnlicher Bauart, wie Eicheln aussehend, zweitens die geräumigen Zellen zur Aufziehung der Drohnen und zum Aufspeichern von Vorräten in der Haupttrachtzeit, ferner die kleinen Zellen, die zur Erziehung der Arbeitsbienen und als gewöhnliche Speicher dienen und unter normalen Verhältnissen acht Zehntel des Baues einnehmen, und endlich, um zwischen den grossen und kleinen Zellen eine ordnungsmässige Verbindung herzustellen, eine Zahl von Übergangszellen. Abgesehen von der unvermeidlichen Unregelmässigkeit der letzteren, sind die Dimensionen des zweiten und dritten Typus so gut berechnet, dass Réaumur, als das Dezimalsystem festgesetzt wurde und man in der Natur nach einem festen Maasse suchte, das zum unumstösslichen Normalmaass erhoben werden konnte, die Bienenzelle vorschlug.[6]

Jede dieser Zellen bildet eine sechseckige Röhre mit pyramidaler Basis, und jede Wabe besteht aus zwei Schichten dieser Röhren, die mit der Basis gegen einander liegen, und zwar derart, dass jeder der drei Rhomben, welche die pyramidale Basis einer Zelle der Vorderseite bilden, auch drei Zellen der Rückseite zur Basis dient.

In diese prismatischen Röhren wird der Honig eingetragen. Um zu vermeiden, dass er in der Zeit des Ausreifens herausfliesst, was unvermeidlich eintreten würde, wenn sie, wie es den Anschein hat, genau horizontal lägen, geben die Bienen ihnen ein leichtes Gefälle von vier bis fünf Winkelgraden.

„Ausser der Wachsersparnis“, sagt Réaumur im Hinblick auf das Gesamtgefüge dieses Wunderbaus, „ausser der Wachsersparnis, die durch die Anordnung der Zellen erreicht wird, und abgesehen davon, dass die Bienen mit Hilfe dieser Anordnung die ganzen Tafeln anfüllen, ohne eine Lücke zu lassen, führt dieselbe auch zu einer grösseren Haltbarkeit des Baues. Der Bodenwinkel jeder Zelle, die Spitze der pyramidenförmigen Vertiefung, findet ein Widerlager in der Spitze zweier Ecken des Sechsecks einer andern Zelle. Die beiden Dreiecke oder Fortsetzungen der hexagonalen Seitenwände, die einen der ausspringenden Winkel der von den drei Rhomben begrenzten Vertiefung ausfüllen, bilden mit einander einen Flächenwinkel an ihrer Berührungsseite; jeder dieser Winkel, der im Innern der Zelle konkav ist, stützt mit seiner konvexen Kante eine der Kanten des Sechsecks einer anderen Zelle, und diese Kante übt ihrerseits wieder einen Gegendruck, ohne den der Winkel nach aussen getrieben würde; derart sind alle Kanten verstärkt. Alles, was man von der Haltbarkeit jeder einzelnen Zelle verlangen könnte, wird somit durch die Form der Zellen sowohl, wie durch die wechselseitige Anordnung derselben erreicht.“

„Die Mathematiker“, sagt Dr. Reid, „wissen, dass es nur drei Arten von Figuren giebt, um eine Fläche in kleine Teile von regelmässiger Form und gleicher Grösse ohne Zwischenraum zu teilen. Es sind dies: das gleichseitige Dreieck, das Quadrat und das gleichseitige Sechseck, das in Hinsicht auf die Bauart der Zellen vor den beiden anderen Figuren durch grössere Bequemlichkeit und Widerstandskraft den Vorrang verdient. Desgleichen besteht der Zellenboden aus drei in der Mitte zusammenstossenden Flächen, und es ist bewiesen worden, dass diese Bauart eine beträchtliche Arbeits- und Materialersparnis mit sich bringt. Es war auch die Frage, welcher Neigungswinkel der Flächen zu einander der grössten Ersparnis entspricht, ein Problem der höheren Mathematik, das von einigen Gelehrten, u. a. Maclaurin S., gelöst worden ist, man findet die Lösung dieses Gelehrten in den Berichten der königlichen Gesellschaft zu London.[7] Nun aber entspricht der derart errechnete Winkel dem Bodenwinkel der Bienenzellen.“

 

Gewiss, ich glaube es nicht, dass die Bienen diese komplizierten Berechnungen angestellt haben, aber ich glaube ebensowenig, dass der blosse Zufall oder die Gewalt der Dinge zu so erstaunlichen Resultaten führen. Für die Wespen, welche ebenfalls Tafeln mit sechseckigen Zellen bauen, war das Problem dasselbe, und sie haben es doch auf weit weniger sinnreiche Art gelöst. Ihre Zellen sind nur einfach gelagert und besitzen somit keinen gemeinsamen Boden, wie die doppelseitige Bienenwabe. Daher besitzen sie auch weniger Haltbarkeit und Regelmässigkeit und verursachen einen Zeit-, Raum- und Materialverlust, der etwa ein Viertel der unumgänglichen Arbeit und ein Drittel des notwendigen Raumes darstellt. Desgleichen bauen die Trigonen und Meliponen, die wirkliche Hausbienen sind, doch auf einer niedrigeren Kulturstufe stehen, ihre Zellen nur ein Stockwerk hoch und verbinden die horizontalen, über einander liegenden Stockwerke durch unförmige, zeitraubende Wachssäulen. Ihre Vorratszellen oder „Honigtöpfe“ sind grosse, regellos neben einander sitzende Schläuche und werden von den Meliponen, jeder Raum- und Materialersparnis zum Trotze, zwischen die Tafeln des regulären Wachsbaues eingeschoben. Und so machen denn ihre Nester, im Vergleich zu der mathematisch gebauten Stadt unserer Hausbienen, den Eindruck eines Marktfleckens von primitiven Hütten neben einer jener unerbittlich regelmässigen Städte, die das vielleicht reizlose, aber der menschlichen Logik mehr entsprechende Resultat eines immer härter gewordenen Kampfes gegen Zeit, Raum und Materie sind.

Nach einer landläufigen, übrigens von Buffon wieder aufgewärmten Theorie sollen die Bienen gar nicht die Absicht haben, sechseckige Cylinder mit pyramidaler Basis zu bauen; sie wollen nur runde Zellen in das Wachs eingraben, aber ihre Nachbarinnen und die auf der anderen Seite der Tafel arbeitenden graben zu gleicher Zeit mit der gleichen Absicht die gleichen Zellen, und folglich nehmen diese an den Berührungsstellen notwendigerweise eine sechseckige Form an. Dasselbe, sagt man, findet bei den Krystallen, den Schuppen gewisser Fische, den Seifenblasen u. s. w. statt. Es findet gleichfalls bei folgendem, von Buffon vorgeschlagenem Experiment statt. „Man fülle“, sagt er, „ein Gefäss mit Erbsen oder einer anderen, cylindrischen Hülsenfrucht, giesse soviel Wasser hinein, als zwischen den Körnern Platz ist, schliesse es und lasse es kochen. Alle diese cylindrischen Körner werden zu sechsseitigen Säulen werden. Der Grund ist leicht ersichtlich, er ist rein mechanischer Natur. Jedes Korn von cylindrischer Form hat beim Aufquellen die Tendenz, sich in einem gegebenen Raume so weit wie möglich auszudehnen; sie werden durch den wechselseitigen Druck also notwendiger Weise sämtlich sechseckig. Ebenso sucht jede Biene in einem gegebenen Raume soviel Platz wie möglich zu erlangen, und da der Körper der Bienen cylindrisch ist, so müssen ihre Zellen ebenfalls sechsseitig werden, eben infolge des wechselseitigen Widerstandes.“ –

 

In der That sind dies wechselseitige Widerstände von wunderbarer Wirkung, ebenso wie die Laster der einzelnen Menschen eine gemeinsame Tugend hervorbringen, die genügt, um der menschlichen Gattung, die in ihrem Individuum oft hassenswert ist, jedes Odium zu nehmen. Zunächst könnte man mit Brougham, Kirby, Spence u. a. Gelehrten antworten, dass das Experiment mit den Seifenblasen und Erbsen nichts beweist, denn in beiden Fällen führt der wechselseitige Druck nur zu ganz unregelmässigen Formen und erklärt jedenfalls nicht die Ursache des prismatischen Zellenbodens. Vor allem aber könnte man entgegnen, dass es mehr als eine Art giebt, aus den blinden Notwendigkeiten sein Teil zu ziehen. Z. B. kommen die Papierwespen, die Erdhummeln, die Meliponen und Trigonen Mexikos und Brasiliens bei gleichen Umständen und gleichem Zweck zu ganz anderen und offenbar minderwertigen Ergebnissen. Endlich könnte man sagen, dass die Bienenzellen, wenn sie den Gesetzen der Krystalle, des Schnees, der Seifenblasen und der gekochten Erbsen Buffons unterworfen sind, durch ihre allgemeine Symmetrie, ihre Anordnung in doppelseitigen Waben, ihre berechnete Neigung u. s. w. gleichzeitig noch vielen anderen Gesetzen gehorchen, welche die tote Materie nicht kennt.

Man könnte schliesslich noch hinzufügen, dass der menschliche Geist sich auch in der Form befindet, in der er aus den gleichen Notwendigkeiten sein Teil zieht, und dass uns diese Form nur darum als die bestmögliche erscheint, weil wir keinen Beurteiler über uns haben. Aber es ist besser, die Thatsachen selbst reden zu lassen, denn um einer Einwendung zu begegnen, die aus einem Experiment gezogen ist, giebt es nur ein Mittel: ein Gegenexperiment.

Um mich also zu vergewissern, dass der sechsseitige Bau der Zellen wirklich in den Geist der Bienen eingeschrieben ist, habe ich eines Tages aus der Mitte einer Wabe, und zwar an einer Stelle, wo sich Brutzellen und Honigbau befanden, ein rundes Stück von der Grösse eines Fünffrankenstücks herausgeschnitten. Nachdem ich dieses Stück in der Mitte durchgeteilt hatte, wo die pyramidalen Zellenböden aneinander stossen, legte ich auf die Schnittfläche der einen Hälfte ein Zinnblättchen von demselben Umfange und stark genug, dass die Bienen es nicht verbiegen konnten. Dann setzte ich den Ausschnitt wieder ein. Die eine Wabenseite war also ganz normal, da der Schaden derart repariert war, die andre dagegen enthielt ein grosses Loch, dessen Boden aus einer Zinnscheibe bestand, und in dem etwa dreissig Zellen fehlten. Die Bienen waren zunächst ganz verblüfft, kamen massenhaft herbei, um den unglaublichen Abgrund zu prüfen und zu erforschen, und liefen mehrere Tage ratlos herum, ohne zu einem Entschluss kommen zu können. Da ich sie aber jeden Abend stark fütterte, kam schliesslich ein Augenblick, wo sie keine Zellen mehr frei hatten, um ihre Vorräte zu bergen. Wahrscheinlich erhielten die grossen Baumeister, die Steinmetze und Wachszieherinnen nun Befehl, den unnützen Abgrund nutzbar zu machen. Eine dicke Kette von Wachsbereiterinnen bildete sich um das Loch, um die nötige Wärme zu erzeugen, andere kletterten hinein und begannen die Metallscheibe mit kleinen Wachsleisten in regelmässigen Abständen ringsherum an den Ecken der angrenzenden Zellen zu befestigen. Dann gingen sie an die Errichtung von drei oder vier Zellen in dem oberen Halbkreise der Scheibe, und zwar im Anschluss an die kleinen Leisten. Jede dieser Übergangszellen war am äusseren Rande mehr oder weniger unregelmässig gebaut, um sich dem ursprünglichen Bau anzuschliessen, aber die untere Hälfte bildete auf der Zinnscheibe stets drei genau abgezirkelte Winkel, und es entstanden bereits drei kleine gerade Linien, welche die erste Hälfte der nächsten Zelle andeuteten.

Nach 48 Stunden war die ganze Zinnscheibe mit angefangenen Zellen bedeckt, obschon höchstens drei Bienen in der engen Öffnung bauen konnten. Die Zellen waren zwar unregelmässiger, als bei gewöhnlichem Bau, und die Königin hütete sich wohl, als sie dieselben untersucht hatte, sie zu „bestiften“, denn die Brut, die daraus entstanden wäre, würde sehr unregelmässig ausgefallen sein. Aber sie waren alle vollständig sechseckig, ohne eine krumme Linie, eine abgerundete Ecke, wiewohl alle gewöhnlichen Voraussetzungen verändert waren. Die Zellen waren nicht, wie bei Hubers Beobachtung, in einen Wachsblock eingegraben, noch, wie nach Darwins Beobachtung, in einem Wachszipfel angelegt, erst kreisförmig und dann durch den Gegendruck derer Nachbarzellen sechseckig. Es war keine Rede von wechselseitigen Widerständen, denn sie entstanden eine nach der andern und ihre kleinen Anfangslinien entstanden frei auf eine Art von tabula rasa. Es scheint also festzustehen, dass das Sechseck nicht das Resultat mechanischen Druckes ist, sondern vielmehr der Absicht und Erfahrung, der Intelligenz und dem Willen der Bienen entspringt. Nebenbei gesagt, beobachtete ich noch einen anderen merkwürdigen Zug ihres Scharfsinns: die auf die Metallscheibe gebauten Zellen hatten keinen Wachsboden. Die Baumeister des Volkes hatten also augenscheinlich festgestellt, dass das Zinn stark genug war, um Flüssigkeiten abzudämmen, und darum hatten sie es nicht für nötig erachtet, es mit Wachs zu überziehen. Doch als kurz darauf ein paar Honigtropfen in zwei dieser Zellen gebracht wurden, bemerkten sie wahrscheinlich, dass sich der Honig bei Berührung mit dem Metall mehr oder weniger veränderte. Sie liessen sich dies also gesagt sein und überzogen die ganze Zinnfläche mit Wachs.

 

Wollten wir alle die Geheimnisse dieser geometrischen Bauweise ans Licht ziehen, so müssten wir mehr als eine seltsame Frage erörtern, z. B. die Form der ersten, an das Dach des Bienenstockes angehefteten Zellen, welche so gebaut sind, dass sie dieses Dach an möglichst vielen Stellen berühren.

Man müsste auch sein Augenmerk nicht sowohl auf die Anlage der grossen Strassen lenken, die durch den Parallelismus der Waben bedingt wird, als vielmehr auf die Verteilung der Gassen und Durchgänge, die hin und wieder durch die Tafeln hindurch oder um sie herum ausgespart sind, um den Verkehr zu erleichtern und Luftwege zu schaffen, und die durch ihre geschickte Anlage sowohl grosse Umwege wie zu grosses Gedränge verhindern.

Endlich müsste man die Bauart der Übergangszellen und die wunderbare Einmütigkeit studieren, mit der die Bienen ihre Zellen in einem gegebenen Augenblick erweitern, sei es, dass die Ernte besonders ergiebig ausfällt und grössere Gefässe erheischt, sei es, dass sie die Volkszahl für stark genug halten oder die Aufziehung von Drohnen notwendig wird. Zugleich müsste man die kluge Sparsamkeit und harmonische Sicherheit bewundern, mit der sie in solchen Fällen von den kleinen Zellen zu grossen und von den grossen zu kleinen, von der vollendeten Symmetrie zu einer unvermeidlich unsymmetrischen Bauart übergehen, um alsbald, wenn die Gesetze ihrer lebendigen Mathematik es erlauben, zur idealen Regel zurückzukehren, ohne eine Zelle zu verlieren, ohne in der Flucht ihrer Bauten ein aufgegebenes, kindliches, unreifes und barbarisches Stadtviertel, einen unbrauchbaren Bezirk zu hinterlassen. Aber ich fürchte, ich habe mich schon in viele belanglose Einzelheiten verloren, wenigstens sind sie belanglos für einen Leser, der vielleicht nie mit eigenen Augen einen Bienenschwarm gesehen hat oder sich nur im Vorbeigehen dafür interessiert, wie wir im Vorbeigehen an einer Blume, einem Vogel, einem seltenen Steine Gefallen finden, ohne etwas anderes zu verlangen, als eine kleine, oberflächliche Gewissheit, und ohne uns genugsam zu sagen, dass das geringste Geheimnis eines Dinges, das wir in der aussermenschlichen Natur erblicken, an dem tiefen Rätsel unseres Ursprunges und Zweckes vielleicht einen unmittelbareren Anteil hat, als das Geheimnis unserer glühendsten und mit besonderer Vorliebe erforschten Leidenschaften.

 

Um diese Studie nicht unnötig zu beschweren, übergehe ich auch die erstaunliche Thatsache, dass die Bienen die Ränder ihrer Waben bisweilen abtragen und zerstören, wenn sie dieselben erweitern oder verlängern wollen. Man wird mir freilich zugeben, dass zerstören, um neu zu bauen, vernichten, was man geschaffen hat, um es noch einmal und zwar regelmässiger zu machen, eine eigentümliche Spaltung des blinden Instinkts voraussetzt. Ich übergehe ferner einige bemerkenswerte Experimente, bei denen man sie zwingen kann, ihre Waben kreisförmig, oval oder in ganz bizarren Formen anzulegen; ebenso will ich nicht weiter erörtern, auf welche sinnreiche Weise sie es fertig bringen, dass die erweiterten Zellen der konvexen Seite mit denen der konkaven Seite der Tafel übereinstimmen. Nur möchte ich, ehe ich diesen Gegenstand verlasse, einen Augenblick dabei verweilen, auf welche geheimnisvolle Weise sie ihre Arbeit in Einklang setzen und ihre Massregeln ergreifen, wenn sie zu gleicher Zeit und ohne sich zu sehen, auf beiden Seiten einer Tafel arbeiten. Man halte eine dieser Tafeln gegen das Licht, und man wird aus dem durchsichtigen Wachs ein ganzes Netz von Prismen mit haarscharfen Spitzen und Kanten, ein ganzes System von Konstruktionen mit scharfen Schattenlinien hervortreten sehen, die so sicher geführt sind, als wären sie in Stahl geätzt.

Ich weiss nicht, ob sich jemand, der nie einen Blick in das Innere eines Bienenstockes geworfen hat, die Anordnung und das Aussehen der Waben richtig vorstellen kann. Man denke sich also, um den bäurischen Bienenstock zu nehmen, in dem die Biene sich völlig selbst überlassen ist, einen Stroh- oder Weidenkorb. Dieser Korb ist von oben bis unten in fünf, sechs, acht, bisweilen auch zehn genau parallele Wachstafeln geteilt, die wie grosse durchgeschnittene Brote aussehen und sich von der Spitze des Bienenstockes bis auf den Boden herab ziehen, indem sie sich der ovalen Form seiner Wände genau anschmiegen. Zwischen je zwei dieser Tafeln ist ein Raum von einer Zellenhöhe ausgespart, in dem die Bienen sich aufhalten und gehen. In dem Augenblicke, wo oben in der Spitze des Bienenstockes mit dem Bau einer dieser Tafeln begonnen wird, ist die angefangene Wachswand, die später ausgezogen und verdünnt wird, noch sehr stark und trennt die fünfzig oder sechzig Bienen, die auf der Vorderseite arbeiten, vollständig von den ebensovielen Bienen, die die Rückwand ausmeisseln, sodass sie sich gegenseitig nicht sehen können, vorausgesetzt, dass ihre Augen nicht die Gabe haben, die dunkelsten Körper zu durchdringen. Nichtsdestoweniger gräbt keine Biene der Vorderseite ein Loch oder klebt ein Wachsstück an, das nicht einer Aus- oder Einbuchtung auf der anderen Seite entspräche und umgekehrt. Wie fangen sie das an? Wie kommt es, dass die eine nicht zu tief und die andere nicht zu flach gräbt? Wie kommt es, dass alle Winkel der Rhomben stets so wunderbar zusammentreffen? Wer sagt ihnen, hier anzufangen und dort aufzuhören? Wir müssen uns wieder einmal mit der Antwort begnügen, die keine Antwort ist: „Das ist ein Mysterium des Bienenstocks.“ Huber hat versucht, dieses Geheimnis zu erklären; er hat gesagt, sie riefen durch den Druck ihrer Füsse oder ihrer Zähne in gewissen Abständen leichte Ausbuchtungen auf der entgegengesetzten Seite hervor, oder sie überzeugten sich von der grösseren oder geringeren Stärke der Wachswand durch den Grad der Biegsamkeit, Elastizität oder einer anderen physischen Eigenschaft des Wachses, oder auch, ihre Fühler schienen zur Untersuchung der zartesten, fernsten Umrisse gemacht und dienten ihnen zum Kompass im Unsichtbaren, oder endlich, die Lage aller Zellen ergäbe sich mit mathematischer Genauigkeit aus Anlage und Grössenverhältnissen der obersten Zellen, ohne dass es anderweitiger Maassnahmen bedürfte. Aber diese Erklärungen sind, wie man sieht, unzulänglich. Die ersteren sind unbeweisbare Hypothesen, und die anderen geben dem Mysterium nur einen anderen Namen. Und wenn es auch gut ist, mit den Mysterien so oft wie möglich einen Namens- und Ortswechsel vorzunehmen, so darf man sich doch nicht dem Irrglauben hingeben, dass solch ein Ortswechsel hinreichte, um sie zu zerstören.

 

Verlassen wir endlich die eintönigen Tafeln und die geometrische Einöde der Zellen. Hier sind fertige Waben, die bewohnt werden können. Wenn auch nur verschwindend Kleines sich zu verschwindend Kleinem fügt, ohne scheinbare Aussicht auf Fortschritt, und unser Auge, das so wenig sieht, hinblickt, ohne etwas zu sehen, so bleibt der Wachsbau doch keinen Augenblick stehen, weder bei Tage noch bei Nacht, vielmehr wächst er mit ausserordentlicher Geschwindigkeit. Mehr als einmal ist die Königin schon durch das Dunkel der wachsbleichen Werkstätten gelaufen, und sobald die ersten Reihen der künftigen Wohnung entstanden sind, ergreift sie von ihnen Besitz, und mit ihr das Gefolge ihrer Leibwache, ihrer Beraterinnen und Mägde, denn man kann nicht sagen, ob sie geführt oder begleitet, verehrt oder überwacht wird. An der Stelle angekommen, die sie für geeignet hält oder die ihre Ratgeberinnen ihr bezeichnen, krümmt sie den Rücken, beugt sich zurück und führt das Ende ihres langen, spindelförmigen Hinterleibes in eine der Zellen ein, während all die kleinen aufmerksamen Köpfe mit den grossen schwarzen Augen sie begeistert umringen, ihr die Beine stützen, die Flügel streicheln und mit ihren fiebernden Fühlern über sie hintasten, wie um sie zu ermutigen, zu drängen und zu beglückwünschen.

Die Stelle, an der sie sitzt, erkennt man leicht; sie bildet in jener gestirnten Kokarde, oder besser in jener ovalen Brosche, die den mächtigen Broschen unserer Grossmütter ähnelt, den Mittelstein. Es ist nämlich bemerkenswert, da sich die Gelegenheit, es zu bemerken, hier bietet, dass die Arbeitsbienen ihrer Königin niemals den Rücken zudrehen. Sobald sie einer Gruppe naht, stellen sich alle mit den Augen und Fühlern gegen sie und gehen rückwärts vor ihr. Es ist dies ein Zeichen von Ehrfurcht oder vielleicht von Besorgnis, die, so grundlos sie hier auch scheinen mag, nichtsdestoweniger immer rege und ganz allgemein ist. Kommen wir indes auf unsere Königin zurück.

Oft geschieht es bei dem leichten Krampf, der das Eierlegen sichtbar begleitet, dass eine ihrer Töchter sie in ihre Arme schliesst und Stirn an Stirn, Mund an Mund, mit ihr zu flüstern scheint. Sie bleibt diesen etwas überschwenglichen Liebesbezeugungen gegenüber jedoch ziemlich gleichgiltig; sie regt sich nie auf, nimmt sich stets Zeit und geht ganz in ihrem Berufe auf, der für sie mehr eine Liebeswonne als eine Arbeit zu sein scheint. Endlich, nach Verlauf einiger Sekunden, richtet sie sich ruhig wieder auf, macht einen Schritt zur Seite, dreht sich etwas um und steckt den Kopf in die Nebenzelle, um sich, bevor sie den Hinterleib in diese einführt, zu überzeugen, ob alles in Ordnung ist und ob sie dieselbe Zelle nicht zweimal bestiftet, während zwei oder drei Bienen aus ihrem Gefolge schnell nacheinander in die von ihr verlassene Zelle stürzen, um nachzusehen, ob das Werk vollbracht ist, und das kleine bläuliche Ei, das sie auf den Boden gesetzt hat, mit ihrer Fürsorge zu umgeben oder richtig hinzustellen.

Von nun an rastet sie bis zu den ersten Herbstfrösten nicht mehr im Eierlegen; sie legt, während sie gefüttert wird, und schläft, wenn sie schläft, im Legen. Sie ist fortan die Verkörperung jener alles verschlingenden Macht, die jeden Winkel des Stockes ergreift: der Zukunft. Schritt für Schritt folgt sie den unglücklichen Arbeitsbienen, die sich im Bauen der Wiegen erschöpfen, welche ihre Fruchtbarkeit heischt. Man kann auf diese Weise einem Wettkampfe zweier mächtiger Instinkte folgen, dessen Ausgang auf verschiedene Wunder des Bienenstockes genug Licht wirft, nicht um sie zu erklären, wohl aber, um auf sie hinzuweisen.

Es kommt z. B. vor, dass die Arbeitsbienen in ihrer treuen Hausfrauenfürsorge, die sie Vorräte für schlechte Zeiten aufspeichern heisst, einen Vorsprung gewinnen, indem sie die Zellen, die sie der Habsucht der Gattung abgerungen haben, in aller Eile mit Honig füllen. Aber die Königin kommt herbei; die materiellen Güter müssen dem Gedanken der Art weichen, und die Arbeitsbienen schaffen den lästigen Schatz voller Verzweiflung hastig bei Seite.

Es kommt auch vor, dass ihr Vorsprung eine ganze Wabe beträgt: dann haben sie das Symbol der Tyrannei einer Zukunft, die keine von ihnen je erblicken wird, nicht mehr vor Augen und bauen, sich dies zu Nutze machend, so schnell wie möglich eine Reihe von grossen, sogenannten Drohnenzellen, die viel leichter und schneller zu errichten sind. In dieser undankbaren Zone angelangt, bestiftet die Königin hie und da nicht ohne Widerwillen eine Zelle, überschlägt die meisten anderen und fordert, am Ende angelangt, neue Arbeitsbienenzellen. Die Arbeitsbienen gehorchen, verengern die Zellen allmählich und die unersättliche Mutter setzt ihren Rundgang fort, bis sie von den Enden des Bienenstockes wieder zu den ersten Zellen gelangt ist, die in der Zwischenzeit von der eben auskriechenden ersten Generation besetzt waren, welche sich aus ihrem dunklen Geburtswinkel soeben über die Blumen der Umgegend ergiesst, die Sonnenstrahlen bevölkert und die schönsten Stunden des Jahres belebt, um sich ihrerseits wieder dem nachfolgenden Geschlechte zu opfern, das sie in ihren Wiegen schon ablöst.

 

Und die Bienenkönigin, wem gehorcht die? Der Nahrung, die ihr gegeben wird, denn sie ernährt sich nicht selbst, sie wird wie ein Kind von eben den Arbeitsbienen gefüttert, die ihre Fruchtbarkeit erschöpft. Und diese Nahrung wiederum, die ihr die Arbeitsbienen zuteilen, hängt von dem Blumenreichtum und den Ergebnissen der Trachtzeit ab. Auch hier also, wie überall auf Erden, ist ein Teil des Kreises in Finsternis getaucht; auch hier, wie überall, kommt der höchste Befehl von aussen, von einer unbekannten Macht, und die Bienen gehorchen gleich uns dem namenlosen Herrn des aus sich rollenden Rades, das die es bewegenden Willenskräfte zermalmt.

Als ich einem Freunde kürzlich in einem meiner Beobachtungskästen die Bewegung dieses Rades zeigte, die so sichtbar ist, wie die einer grossen Wanduhr, als er die Unruhe und das zahllose Hin und Her auf den Waben, das beständige, rätselhafte, tolle Beben und Zittern der Pflegerinnen auf dem Brutnest, die lebenden Gänge und Leitern, welche die Wachszieherinnen bilden, die alles befruchtenden Spiralen der Königin, das mannigfaltige, unaufhörliche Schaffen des Schwarmes, die erbarmungslose und vergebliche Arbeit, den verzehrenden Eifer im Gehen und Kommen, das Fehlen jedes Schlafes, ausser in den Wiegen, welche von Arbeit umringt sind, ja selbst das Fernbleiben des Todes von einem Orte, der weder Krankheit noch Gräber zulässt – als er dies alles sah, da wandte er nach dem ersten Staunen die Augen ab und ich las darin Trübsal und Schauder.

In der That steht im Bienenstock hinter dem fröhlichen Eindruck des ersten Anblicks, hinter den leuchtenden Erinnerungen der schönen Tage, die ihn erfüllen und zur Juwelenlade des Sommers machen, hinter dem trunkenen Hin und Her, das ihn mit den Blumen, den Wasserbächen und dem blauen Himmel, mit dem friedlichen Überfluss aller schönen und glücklichen Dinge verknüpft – hinter all diesen äusseren Wonnen verbirgt sich in der That ein Schauspiel, das zu dem Traurigsten gehört, was man sehen kann. Und wir Blinde, die wir nur blöde Augen öffnen, wenn wir diese unschuldig Verurteilten ansehen, wir wissen wohl, dass es nicht sie allein sind, die wir zu sehen uns bemühen, dass es nicht sie allein sind, die wir nicht verstehen, sondern nur eine traurige Gestalt jener grossen Kraft, die auch uns beseelt.

Ja, wenn man will, so ist dies traurig, wie alles in der Natur, wenn man näher zusieht. Und es wird so lange traurig sein, solange wir ihr Geheimnis nicht wissen, noch ob sie eines hat. Und wenn wir eines Tages erfahren, dass sie keines hat oder dass dies Geheimnis schauerlich ist, dann werden andere Pflichten zu Tage treten, die vielleicht noch namenlos sind. Inzwischen möge unser Herz sich sagen, wenn ihm danach gelüstet: „Das ist traurig“, aber unsere Vernunft möge sich begnügen, zu sagen: „Das ist so“. Unsere Pflicht ist zu dieser Stunde, danach zu suchen, ob hinter diesem Traurigen nichts anderes liegt, und darum soll man die Augen nicht davon abwenden, sondern es fest anschauen und mit so viel Mut und Teilnahme erforschen, als wäre es etwas Freudiges. Es gebührt sich, die Natur zu befragen, ehe wir sie verurteilen und uns beklagen. –

 

Wir haben gesehen, dass die Arbeitsbienen, sobald sie durch die bedrohliche Fruchtbarkeit der Mutter nicht mehr gedrängt werden, Vorratszellen anlegen, die sich mit geringeren Mitteln bauen lassen und mehr Fassungsvermögen haben, als die Arbeitsbienenzellen. Wir haben andererseits gesehen, dass die Königin lieber die kleinen Zellen bestiftet und unaufhörlich nach solchen verlangt. Nichtsdestoweniger schickt sie sich, wenn keine da sind, in die Verhältnisse und legt in Erwartung neu zu erbauender Arbeitsbienenzellen ihre Eier auch in die grossen Zellen, die sie auf ihrem Wege findet.

Die Bienen, die aus ihnen hervorgehen, sind männliche Bienen oder Drohnen, wiewohl die Eier genau ebenso aussehen, wie die der Arbeitsbienen. Nun aber ist im Gegensatz zur Verwandlung einer Arbeitsbiene in eine Königin, nicht die Form und der grössere Umfang der Zelle für die Veränderung maassgebend, denn wenn man ein Ei, das in eine grosse Zelle gelegt ist, in eine kleine Zelle schafft (was schwer zu bewerkstelligen ist, weil das Ei sehr klein und verletzlich ist, so dass mir diese Umquartierung nur vier- oder fünfmal geglückt ist), so geht daraus ein mehr oder minder schmächtiges, aber unverkennbares Männchen hervor. – Die Königin muss beim Eierlegen also das Vermögen haben, das Geschlecht des Eies zu erkennen oder zu bestimmen und der Grösse der Zelle, über der sie niederhockt, anzupassen. Es kommt selten vor, dass sie sich täuscht. Wie geschieht das? Wie ist es möglich, dass sie bei den tausenden von Eiern, die ihre beiden Eierstöcke enthalten, die männlichen und weiblichen zu scheiden weiss, und wie gelangen diese nach ihrem Willen in den gemeinsamen Eileiter?

Wir stehen hier wiederum vor einem der Wunder des Bienenstockes, und zwar vor einem der unerklärlichsten. Es ist bekannt, dass die jungfräuliche Königin keineswegs unfruchtbar ist, dass sie hingegen nur Drohneneier legen kann. Erst nach der Befruchtung des Hochzeitsausfluges bringt sie Drohnen- und Arbeitsbieneneier zur Welt, und zwar bleibt sie von dem Hochzeitsausfluge an bis zu ihrem Tode mit den Samenfäden geschwängert, die sie ihrem unglücklichen Buhlen entreisst. Diese Samenfäden, deren Zahl Dr. Leuckart auf 25 Millionen schätzt, bleiben in einer besonderen Samentasche unter den Eierstöcken am Anfang des gemeinsamen Eileiters bewahrt und halten sich darin lebend. Man nimmt an, dass die enge Öffnung der kleinen Zellen und die Art, wie die Form dieser Mündung die Königin zwingt, sich zu bücken und niederzuhocken, auf die Samenfäden einen gewissen Druck ausübt, so dass dieselben herausquellen und das Ei im Vorbeigleiten befruchten. Dieser Druck findet nicht statt bei den grossen Drohnenzellen und die Samentasche öffnet sich dann nicht. Andere dagegen sind der Meinung, dass die Königin wirklich Herr der Schliessmuskeln ihrer Samentasche ist, und in der That sind diese Muskeln ausserordentlich zahlreich, ausgebildet und mannigfach. Ohne darum entscheiden zu wollen, welche von diesen zwei Hypothesen die bessere ist – denn je weiter man geht, desto mehr nimmt man wahr, je mehr man einsieht, dass man nur ein Schiffbrüchiger auf dem bisher fast unerforschten Meere der Natur ist, desto besser erkennt man, dass immer eine Thatsache bereit ist, aus dem Schosse einer plötzlich durchsichtiger werdenden Welle emporzutauchen und mit einem Schlage alles zu vernichten, was man zu wissen glaubte – so kann ich doch nicht leugnen, dass ich mehr zu der letzteren Annahme hinneige. Denn einmal beweisen die Experimente eines Bienenvaters aus Bordeaux, Namens Drory, dass die Königin, auch wenn alles Drohnenwerk aus dem Stocke entfernt ist, sobald der Augenblick zum Legen von Drohneneiern gekommen ist, nicht zögert, diese in Arbeitsbienenzellen zu legen, und umgekehrt Arbeitsbieneneier in Drohnenzellen, wenn man ihr keine anderen übrig gelassen hat. Ferner geht aus den schönen Beobachtungen von Fabre über die Mauerbienen (Osmiae), einsame Kunstbienen aus der Familie der Bauchsammler, zur Genüge hervor, dass die Mauerbiene das Geschlecht des Eies, das sie legen wird, nicht nur im Voraus kennt; auch die Geschlechtsbestimmung liegt in der Macht der Mutter, und diese richtet sich dabei nach dem ihr zu Gebote stehenden Platz, „der oft vom Zufall abhängig und nicht modificierbar ist“, indem sie hier ein männliches, dort ein weibliches Ei legt. Ich will auf die Einzelheiten der Experimente des grossen französischen Entomologen nicht näher eingehen; sie sind zu verwickelt und würden uns zu weit führen. Aber welche Hypothese auch zuletzt recht behält, sie würden beide die Vorliebe der Königin, nur Arbeitsbienenzellen zu „bestiften“, ganz ohne Hineinziehung der Zukunft erklären.

Es ist dabei nicht ausgeschlossen, dass die Sklavin dieser Zukunft, die wir zu beklagen geneigt sind, vielleicht eine grosse Liebende, ein Ausbund von Wollust ist und in der Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzipes, die sich in ihrem Wesen vollzieht, eine gewisse Wonne und gleichsam einen Nachgeschmack der Trunkenheit ihres einzigen Hochzeitsausfluges empfindet. Vielleicht ist die Natur, die nie sinnreicher, nie hinterlistiger, weitblickender und erfindungsreicher ist, als wenn sie die Fallen der Liebe stellt, auch hier darauf bedacht gewesen, das Interesse der Gattung auf eine persönliche Wonne zu stützen. Aber seien wir vorsichtig und lassen wir uns nicht von unserer eigenen Erklärung blenden. Der Natur derart einen Gedanken zuschreiben und wähnen, das sei genug, heisst einen Stein in einen unerforschlichen Abgrund werfen, wie man ihn im Grunde mancher Höhlen findet, und sich dabei einbilden, der Schall, den dieser Stein im Fallen verursacht, wird auf alle unsere Fragen antworten und uns mehr offenbaren, als die Unermesslichkeit des Abgrundes.

Wenn man nachspricht: die Natur will dies, sie organisiert dieses Wunder, geht auf diesen Endzweck aus, so kommt das auf dasselbe heraus, als wenn man sagt: eine kleine Erscheinung des Lebens weiss sich in der Zeit, in der wir sie beobachten können, auf der ungeheuren Oberfläche der Materie, die uns leblos erscheint und darum von uns, anscheinend sehr zu Unrecht, das Nichts oder der Tod genannt wird, zu behaupten.

Ein durchaus nicht notwendiges Zusammentreffen von Umständen liess diese Erscheinung unter tausend anderen, vielleicht nicht minder sinn- und belangreichen, sich durchsetzen, während diese nicht die Gunst der Verhältnisse besassen und auf ewig verschwunden sind, ohne dass wir sie hätten bestaunen können. Es wäre tollkühn, wollte man mehr sagen, und alles Übrige, unsere Gedanken und unser hartnäckiger Glaube an Zwecke, unser Hoffen und unsere Bewunderung ist im Grunde etwas Unbekanntes, das wir in etwas noch Unbekannteres werfen, um ein kleines Geräusch zu verursachen, das uns ein Bewusstsein von der höchsten Stufe des besonderen Daseins giebt, die wir auf dieser stummen und unerforschlichen Oberfläche erreichen können, wie das Lied der Nachtigall und der Flug dem Kondor die höchste Stufe des besonderen Daseins ihrer Art offenbaren. Nichts destoweniger bleibt es eine unserer unzweifelhaftesten Pflichten, dieses kleine Geräusch hervorzurufen, ohne uns dadurch entmutigen zu lassen, dass es wahrscheinlich vergeblich ist.


DIE JUNGEN KÖNIGINNEN

Schliessen wir hier unsern jungen Bienenstock, wo der Kreislauf des Lebens von Neuem beginnt, wo das Leben sich ausbreitet und mehrt, um sich alsbald wieder zu teilen, wenn es den Gipfel seiner Macht und seines Glückes erreicht hat, und öffnen wir noch einmal den Mutterstock, um zu beobachten, was nach Abzug des Schwarmes darin geschieht.

Sobald die Aufregung des Aufbruches sich gelegt hat und zwei Drittel der Einwohner ohne Aussicht auf Wiederkehr ausgewandert sind, liegt der Stock verödet, wie ein Körper, der sein Blut verloren hat. Er ist matt, entkräftet, fast tot. Trotzdem sind einige tausend Bienen zurückgeblieben. Sie nehmen unerschüttert, wenn auch etwas gedrückt, die Arbeit wieder auf, suchen die Fehlenden so gut wie möglich zu ersetzen, entfernen die Spuren der vorangegangenen Orgie, verschliessen die zum Plündern freigegebenen Vorräte, befliegen die Blüten, wachen über die Speicher der Zukunft, kurz, sind sich ihrer Aufgabe bewusst und ihrer Pflicht, welche ein ganz bestimmtes Schicksal vorschreibt, treu ergeben.

Aber wenn die Gegenwart trübe erscheint, so ist alles, worauf das Auge fällt, von Hoffnungen erfüllt. Wir sind in einem jener Märchenschlösser der deutschen Sage, dessen Wände aus tausend und abertausend Phiolen bestehen, welche die Seelen der Ungeborenen enthalten. Wir sind an der Stätte des Lebens, das dem Leben vorausgeht. Überall ruhen in wohlverschlossenen Wiegen, in dem zahllosen Übereinander der wunderbaren sechseckigen Zellen, Myriaden von Nymphen, weisser als Milch, die Beine zusammengelegt und das Köpfchen über die Brust gebeugt, und warten auf die Stunde des Erwachens. Wenn man sie so sieht in ihrem einförmigen Grabe, das, aus seiner Umgebung herausgelöst, fast durchsichtig ist, so möchte man sagen, es sind eisgraue Zwerge in tiefem Sinnen oder Legionen von Jungfrauen, in die Falten ihres Leichentuches gehüllt und in sechskantige Prismen eingesargt, die ein unbezähmbarer Geometer bis zum Wahnsinn fort und fort gebaut hat.

Auf dem gesamten Umkreise dieser senkrechten Mauern, die eine werdende, sich wandelnde Welt umschliessen, die vier oder fünf Mal die Hülle wechselt und ihr Linnen im Finstern webt, tanzen ein paar hundert Arbeitsbienen flügelschlagend herum, um die nötige Wärme zu erzeugen und auch noch um eines dunkleren Zweckes willen, denn ihr Reigen weist aussergewöhnliche, methodische Bewegungen auf, die einen, wie ich glaube, bisher von keinem Beobachter erschlossenen Zweck haben.

Nach Verlauf weniger Tage reissen die Deckel dieser Myriaden von Urnen (man zählt deren in einem starken Bienenstock 60000 bis 80000), und zwei grosse ernste schwarze Augen kommen zum Vorschein, darüber ein paar Fühler, die das Dasein ringsum schon betasten, während die thätigen Kinnbacken die Öffnung erweitern. Sogleich kommen die Ammen herbei, helfen der jungen Biene aus ihrem Gefängnis heraus, stützen, bürsten und säubern sie und bieten ihr auf der Spitze ihrer Zunge den ersten Honig ihres neuen Lebens dar. Sie, die aus einer andern Welt kommt, ist noch betäubt, blass und schwankend; sie hat das hinfällige Aussehen eines kleinen Greises, der dem Grabe entronnen ist. Man möchte sagen, sie ist wie ein Wanderer, der mit dem flaumweichen Staube der unbekannten, zum Dasein führenden Strassen bedeckt ist. Im übrigen ist sie vom Kopf bis zu Füssen vollkommen entwickelt, weiss unmittelbar alles, was sie zu wissen hat, und begiebt sich, gleich jenen Kindern des Volkes, die sozusagen schon in der Wiege lernen, dass sie nie die Zeit haben werden, zu lachen und zu spielen, alsbald nach den noch verdeckelten Zellen, um ebenfalls mit den Flügeln zu schlagen, sich rhythmisch zu bewegen und ihre noch schlummernden Schwestern zu wärmen, ohne dass es ihr in den Sinn käme, das erstaunliche Rätsel ihrer Bestimmung und ihrer Gattung lösen zu wollen.

 

Einstweilen bleiben ihr die anstrengendsten Verrichtungen trotzdem noch erspart. Sie verlässt den Stock erst acht Tage nach ihrer Geburt, um ihren ersten „Reinigungsausflug“ zu machen und ihre Luftsäcke mit Luft zu füllen. Diese schwellen alsbald auf, weiten ihren ganzen Körper und vermählen sie von Stund’ an dem unendlichen Raume. Danach fliegt sie heim, wartet noch eine Woche und befliegt dann in Gemeinschaft mit ihren Altersgefährtinnen zum ersten Mal die Blüten, nicht ohne eine ganz bestimmte Aufregung, die dem Bienenzüchter wohl bekannt ist („das Vorspiel“). Man sieht in der That, wie sich die jungen Bienen fürchten, wie sie, die Kinder des Dunkels und der Enge, vor dem azurenen Abgrund und der unendlichen Einsamkeit des Lichtes schaudern, und ihre tastende Freude ist aus Schrecken gewebt. Sie bleiben vor der Schwelle stehen, sie zögern, fliegen zwanzig Mal aus und ein, wiegen sich in den Lüften, den Kopf beharrlich nach ihrem Geburtshause gewandt, beschreiben grosse Halbkreise nach oben und fallen plötzlich unter der Last eines Heimwehs herab; und ihre dreizehntausend Augen prüfen oder spiegeln wieder und behalten mit einander alle Bäume, den Springbrunnen, das Gitter, das Spalier, die Dächer und Fenster der Umgebung, bis die luftige Strasse, auf der sie heimwärts fliegen werden, so unwandelbar in ihr Gedächtnis eingegraben ist, als wäre sie mit dem Stahlgriffel in den Raum geritzt.

Da wir hier zufällig ein neues Mysterium berühren, so wollen wir es nicht unbefragt am Wege liegen lassen. Es ist immer vorteilhaft, ein Mysterium zu befragen, und wenn es keine Antwort giebt, so trägt doch selbst sein Schweigen zur Erweiterung unserer bewussten Unwissenheit bei, welche das fruchtbarste Feld unserer Thätigkeit ist. Wie also finden die Bienen ihre Wohnung wieder, die sie oft durchaus nicht sehen können, da sie meist unter Bäumen versteckt ist, und deren Flugloch jedenfalls nur ein unendlicher Punkt im Raume ist? Wie ist es möglich, dass man sie in einem Kasten zwei oder drei Kilometer vom Bienenstock fortbringen kann und sie ihn doch nur äusserst selten nicht wieder finden?

Sehen sie ihn durch die Gegenstände hindurch? Finden sie sich mit Hilfe von Merkzeichen zurecht oder besitzen sie etwa jenen besonderen, noch wenig bekannten Sinn, den wir gewissen Tieren, z. B. den Schwalben und Tauben, zuschreiben und den man den Richtungssinn nennt? Die Experimente von J. Fabre, Lubbock und vor allem Romanes („Nature“, 29. Oktober 1886) scheinen zu beweisen, dass sie von diesem seltsamen Instinkt nicht geleitet werden. Andererseits habe ich mehr als einmal die Erfahrung gemacht, dass sie Form und Farbe des Bienenstockes keineswegs berücksichtigen. Sie scheinen sich mehr an den gewohnten Anblick des Bienenstandes, an die Lage des Flugloches und die Stellung des Flugbrettes zu halten.[8] Aber selbst das ist nebensächlich, und wenn man z. B., während sie ihre Tracht holen, die Vorderseite ihrer Wohnung von oben bis unten verändert, so kommen sie nichtsdestoweniger aus den Tiefen des Horizontes direkt darauf zugeflogen und zögern nur in dem Augenblicke etwas, wo sie die unverkennbare Schwelle betreten. Ihre Orientierungsmethode scheint, soweit wir dies nach unseren Erfahrungen beurteilen können, vielmehr auf einem System von Merkzeichen zu beruhen und ausserordentlich fein und zuverlässig zu sein. Es ist nicht der Bienenstock, den sie wiedererkennen, es ist der Platz, den er unter den umliegenden Gegenständen einnimmt. Und dieser Ortssinn ist so wunderbar genau, so mathematisch sicher und so tief in ihr Gedächtnis eingegraben, dass, wenn der Bienenstock nach vier oder fünf Monaten der Einwinterung in einem dunklen Keller wieder an seinen Platz gestellt und das Flugloch wenige Zentimeter zur Seite gerückt wird, alle Bienen, wenn sie mit der ersten Tracht heimkehren, genau an der Stelle anfliegen, wo es sich im vorigen Jahre befand; nur allmählig finden sie tastend den verschobenen Eingang. Man möchte glauben, der Raum habe den ganzen Winter hindurch die unzerstörbare Spur ihrer Flüge sorgfältig bewahrt, und der Pfad ihrer Emsigkeit sei in der Luft eingegraben.

So kommt es auch, dass viele Bienen sich verirren, sobald man den Bienenstock wo anders hinstellt, ausgenommen, wenn es sich um eine grosse Reise handelt oder die ganze Gegend, die sie bis auf drei oder vier Kilometer im Umkreise genau kennen, völlig verändert ist, oder endlich, wenn man ein Brett vor dem Flugloche anbringt und ihnen dadurch begreiflich macht, dass sich etwas verändert hat, dass sie sich neu orientieren und andere Merkpunkte aussuchen müssen.

 

Indessen kehren wir zu dem sich allmählig wieder bevölkernden Bienenstocke zurück, in dem sich eine Wiege nach der andern öffnet und selbst der Stoff der Wände in Bewegung zu geraten scheint. Aber der Stock hat noch keine Königin. An den Rändern des Brutnestes erheben sich sieben bis acht bizarre Bauten, die an der rauhen Oberfläche der gewöhnlichen Zellen wie die Kreise und Protuberanzen aussehen, welche den photographischen Mondbildern ein so seltsames Gepräge geben. Es sind sozusagen runzelige Wachskapseln oder hängende, rundum geschlossene Eicheln, die den Raum von drei oder vier Arbeitsbienenzellen einnehmen. Sie sitzen gewöhnlich auf einem Fleck, und eine zahlreiche, eigentümlich unruhige und aufmerksame Wache beschirmt diesen Teil des Stockes, über dem irgend ein Zauber zu walten scheint. Es ist das Reich der Mütter. In jede dieser Zellen ist vor Aufbruch des Schwarmes ein Ei gelegt, das genau so aussieht wie die, aus denen die Arbeitsbienen hervorgehen, sei es von der Königin selbst, sei es, was wahrscheinlicher ist, obwohl es bisher nicht festgestellt wurde, von den Arbeitsbienen, indem diese es von einer der benachbarten Zellen hinüberschafften.

Nach drei Tagen entsteht aus dem Ei eine kleine Larve, die eine besondere, möglichst reichliche Nahrung erhält, und nun können wir die Natur in der Verfolgung einer ihrer beliebtesten Methoden belauschen, die, handelte es sich um Menschen, sogleich den anspruchsvollen Namen Verhängnis erhalten würde. Die kleine Larve macht infolge dieser Behandlungsart eine ganz besondere Entwickelung durch und ihr Geist und Körper verändert sich dergestalt, dass die Biene, die aus ihr hervorgeht, einer ganz anderen Insektengattung anzugehören scheint. Die Königin – denn sie ist es – lebt vier bis fünf Jahre, statt fünf oder sechs Wochen. Ihr Hinterleib ist zweimal länger, von hellerer, goldiger Farbe, ihr Stachel ist gekrümmt, ihre Augen zählen nur sechs- bis siebentausend Facetten, statt zwölf- oder dreizehntausend. Ihr Hirnschädel ist enger, aber ihre Eierstöcke sind mächtig entwickelt, und sie besitzt ein besonderes Organ, die sogenannte Samentasche, die sie gewissermassen zweigeschlechtig macht. Sie besitzt keinerlei Arbeitswerkzeuge, weder Organe zur Wachsbildung, noch Bürsten und Körbchen zum Einsammeln des Blütenstaubes. Sie hat keine der Gewohnheiten und Leidenschaften, die uns von der Biene unzertrennlich scheinen. Sie empfindet keinen Sonnendurst, kein Verlangen nach dem Luftraume, sie stirbt, ohne auch nur eine Blume beflogen zu haben. Sie verbringt ihr Dasein im Dunkeln und in der Enge des Bienenstockes, voll unermüdlichen Verlangens nach Wiegen für die Brut. Dafür lernt sie allein die Freuden der Liebe kennen. Sie weiss nicht, ob sie das Licht zweimal in ihrem Leben erblicken wird, denn das Schwärmen ist nicht unbedingt notwendig; vielleicht wird sie nur ein einziges Mal ihre Flügel gebrauchen, aber dieser einzige Ausflug gilt ihrem Geliebten. Es ist sonderbar zu sehen, dass so viele Dinge, Organe, Gedanken, Sehnsüchte und Gewohnheiten, kurz, ein ganzes Schicksal, sich dergestalt nicht in einem Samen befindet – dies wäre das gewöhnliche Wunder von Pflanze, Tier und Mensch –, sondern in einem fremden, trägen Stoffe: nämlich in einem Honigtropfen.[9]

 

Ungefähr eine Woche ist seit dem Scheiden der alten Königin verstrichen. Die königlichen Nymphen, die in ihren Kapseln schlummern, sind nicht alle gleichalterig, denn die Bienen haben ein Interesse daran, dass die Königinnen nur nach einander auskommen, je nachdem das Volk sich entscheidet, einen zweiten, dritten oder vierten Schwarm dem ersten nachzusenden. Seit einigen Stunden tragen sie die Wände der reifsten Zelle allmählig ab, und bald streckt die junge Königin, die von innen gleichzeitig an dem geründeten Deckel nagt, den Kopf heraus, kommt halb zum Vorschein und kriecht schliesslich mit Hilfe der Wärterinnen, die herbeilaufen, sie bürsten, reinigen und liebkosen, ganz aus, um ihre ersten Gehversuche auf der Wabe zu machen. Sie ist wie die auskriechenden Arbeitsbienen bleich und schwankend, aber nach zehn Minuten steht sie schon fest auf den Beinen und läuft voller Unruhe, in dem Gefühl, dass sie nicht allein ist, dass sie ihr Reich erobern muss, dass es irgendwo noch Prätendenten giebt, über alle Wachsmauern hin und sucht nach ihren Nebenbuhlerinnen. Hier greift nun die Weisheit, der Instinkt, der Geist des Bienenstockes oder die Masse der Arbeitsbienen mit einer geheimnisvollen Entscheidung ein. Am überraschendsten ist es, wenn man den Gang dieser Ereignisse in einem Bienenstock mit Glaswänden mit den Augen verfolgen kann. Denn man gewahrt nie das geringste Zaudern, die geringste Uneinigkeit. Man findet nie das geringste Zeichen von Zwist und Streit. Eine vorherbestimmte Einmütigkeit herrscht überall; es ist dies der Dunstkreis des Bienenstaates, und jede Biene scheint im voraus zu wissen, was die andern denken werden. Trotzdem ist der Augenblick für sie sehr ernst; es ist, genau genommen, der Augenblick, wo es sich um Leben und Bestand des Stockes handelt. Sie haben zwischen drei oder vier weittragenden Möglichkeiten zu wählen, die in ihren Folgen völlig verschieden sind und durch ein Nichts verhängnisvoll werden können. Sie haben die eingeborene Leidenschaft oder Pflicht der Vermehrung der Art mit der Erhaltung des Bienenstockes und seiner Sprösslinge in Einklang zu bringen. Bisweilen greifen sie fehl und senden nach einander vier oder fünf Schwärme aus, wodurch der Mutterstock übermässig geschwächt wird. Sie sind dann nicht mehr im stande, sich schnell genug zu vermehren, werden durch unser Klima überrascht, welches nicht das Klima ihres Ursprungslandes ist, das sie trotz allem noch immer in Erinnerung behalten, und gehen mit Einbruch des Winters zu Grunde. Sie werden so das Opfer des sogenannten Schwarmfiebers, das, wie das gewöhnliche Fieber, eine Art von zu heftiger Reaktion des Lebens ist, die über das Ziel hinausschiesst, den Kreis schliesst und mit dem Tode endigt.

 

Von diesen Entschlüssen, die sie fassen können, scheint keiner vorherbedingt zu sein, und der Mensch kann, wenn er blosser Zuschauer bleibt, nicht voraussehen, welchen sie wählen werden. Aber dass diese Wahl allemal überlegt ist, das geht daraus hervor, dass er sie beeinflussen und selbst herbeiführen kann, indem er gewisse Umstände modifiziert, z. B. wenn er den Raum, den er ihnen zur Verfügung stellt, verkleinert oder vergrössert, indem er gefüllte Honigwaben mit leeren Waben, die Arbeitsbienenzellen enthalten, vertauscht und umgekehrt.

Es handelt sich also für sie nicht darum, ob sie sofort einen zweiten oder dritten Schwarm aussenden werden; dies wäre, könnte man sagen, nur eine blinde Entschliessung, die durch die Launen und Reizungen einer guten Stunde veranlasst wird; es handelt sich vielmehr darum, vom Fleck weg und in voller Übereinstimmung Maassregeln zu ergreifen, die es ihnen ermöglichen, drei bis vier Tage nach Geburt der ersten Königin einen neuen Schwarm, und drei Tage nach Aufbruch der jungen Königin mit diesem Schwarme einen dritten Schwarm auszusenden. Man kann nicht leugnen, dass hierin ein ganzes System, eine ganze Kombination von zukünftigen Dingen liegt, die sich, wenn man die Kürze ihres Lebens in Erwägung zieht, über einen beträchtlichen Zeitraum erstreckt.

 

Diese Maassregeln nun betreffen die Pflege der jungen Königinnen, die noch in ihren Wachssärgen schlafen. Ich will annehmen, der „Geist des Bienenstockes“ entschliesst sich, keinen zweiten Schwarm auszusenden. Auch dann stehen noch zwei Wege offen. Sollen sie der Erstgeborenen unter den jungen Prinzessinnen, deren Geburt wir beiwohnten, gestatten, ihre feindlichen Schwestern zu vernichten, oder sollen sie abwarten, bis sie die gefährliche Zeremonie des Hochzeitsausfluges vollzogen hat, von der die Zukunft des Volkes abhängen kann? Zuweilen lassen sie den unmittelbaren Mord zu, oft auch widersetzen sie sich ihm, aber man sieht ein, dass es schwer zu sagen ist, ob dies in Voraussicht der Gefahren des Hochzeitsausfluges geschieht oder weil ein zweiter Schwarm ausgesandt werden soll, denn es ist oft beobachtet worden, dass sie sich zur Aussendung eines zweiten Schwarmes entschlossen, dann aber plötzlich ihren Willen geändert und die ganze, vor der Wut der Erstgeborenen beschirmte Nachkommenschaft vernichtet haben, sei es, dass die Witterung zu ungünstig wurde, sei es aus einem anderen, für uns undurchdringlichen Grunde. Aber nehmen wir einmal an, sie hätten auf das Schwärmen verzichtet und die Gefahren des Hochzeitsausfluges angenommen. Wenn also unsere junge Königin, von Eifersucht getrieben, sich dem Gebiet der königlichen Wiegen naht, so macht die Wache ihr Platz; sie stürzt sich in ihrer Eifersucht wutentbrannt auf die erste Zelle, die sie trifft, und sucht mit Füssen und Zähnen die Wachshülle zu zerreissen. Sie erbricht die Zelle, zerreisst das Gespinnst, mit dem die Innenwände bekleidet sind, entblösst die schlafende Prinzessin, und wenn ihre Nebenbuhlerin bereits erkenntlich ist, dreht sie sich um, führt ihren Stachel in die Zelle ein und bohrt ihn wild in den Leib der Gefangenen, bis diese den Wunden der vergifteten Waffe erliegt. Dann beruhigt sie sich; der Tod, der dem Hass aller Wesen eine geheimnisvolle Schranke setzt, scheint sie zu befriedigen, und sie zieht ihren Stachel heraus, um sich einer anderen Zelle zuzuwenden. Sie öffnet diese gleichfalls, lässt sie jedoch unversehrt, sobald sie nur eine Larve oder unentwickelte Nymphe darin findet, und hält erst dann inne, wenn sie, röchelnd und erschöpft, mit ihren Zähnen an den Wachsmauern kraftlos abgleitet.

Die Bienen, die um sie sind, sehen ihrem Thun zu, ohne daran teilzunehmen, und weichen zurück, um ihr freies Feld zu lassen, aber sobald sie eine Zelle erbrochen und zerstört hat, eilen sie herbei, zerren den Leichnam, die noch lebendige Larve oder die verletzte Nymphe hervor und schaffen sie aus dem Stocke, um sich alsdann voller Gier über die königliche Nahrung zu stürzen, die auf dem Zellenboden zurückgeblieben ist. Wenn schliesslich die Wut ihrer erschöpften Königin nachlässt, vollenden sie selbst den Mord der Unschuldigen, und das Königsgeschlecht verschwindet mitsamt seinen Häusern.

Es ist dies neben der Drohnenschlacht, die übrigens noch entschuldbarer ist, die furchtbarste Stunde des Bienenstockes, die einzige, wo die Arbeitsbienen dem Tod und der Zwietracht Einlass in ihr Haus gewähren, und auch hier, wie so oft in der Natur, sind es die Bevorzugten der Liebe, welche die aussergewöhnlichen Anzeichen des gewaltsamen Todes tragen.

Bisweilen – doch der Fall ist selten, denn die Bienen wissen ihm vorzubeugen – kommen zwei Königinnen zugleich aus. Dann entspinnt sich gleich nach Verlassen der Wiege der tödliche Zweikampf, der Huber Gelegenheit zu einer eigentümlichen Entdeckung gab.

Jedesmal, wenn die beiden Jungfrauen in ihren Chitinpanzern einander so gegenüberstehen, dass sie sich, wenn sie ihren Stachel zücken, gegenseitig durchbohren würden, scheint, wie in den Kämpfen der Ilias, ein Gott oder eine Göttin – vielleicht der Gott oder die Göttin der Rasse – sich ins Mittel zu legen, und die beiden Kriegerinnen lassen von einander ab, wie in plötzlichem Schrecken, und fliehen sich gegenseitig voller Entsetzen, um alsbald wieder auf einander loszufahren, sich abermals zu fliehen, wenn das zwiefache Verhängnis die Zukunft ihres Volkes von neuem bedroht, und so fort, bis es einer von beiden gelingt, ihre Nebenbuhlerin bei einer unvorsichtigen oder ungeschickten Bewegung zu überlisten und gefahrlos zu töten.

Denn das Gesetz der Gattung heischt nur ein Opfer.

 

Hat die junge Königin dergestalt die königlichen Wiegen zerstört oder ihre Nebenbuhlerinnen ermordet, so wird sie von dem Volke anerkannt, und es bleibt ihr, um wirklich zu regieren und so behandelt zu werden, wie ihre Mutter, nur noch eins übrig, nämlich den Hochzeitsausflug zu vollziehen; denn die Bienen kümmern sich wenig um sie und erweisen ihr wenig Ehre, so lange sie unfruchtbar ist. Aber oft ist ihre Geschichte nicht so einfach, und die Arbeitsbienen verzichten selten auf das Vergnügen, noch ein zweites Mal zu schwärmen.

In diesem wie in dem obigen Falle nähert sie sich, von demselben Verlangen getrieben, den Königinnenzellen, aber statt hier unterwürfige Dienerinnen und Zuspruch zu finden, prallt sie gegen eine zahlreiche, feindselige Wache, die ihr den Weg versperrt. Von ihrem fixen Gedanken getrieben, sucht sie zornig den Durchgang zu erzwingen oder zu umgehen, allein überall trifft sie auf Schildwachen, welche die schlummernden Prinzessinnen behüten. Hartnäckig versucht sie zum zweiten Male durchzubrechen, sie wird immer unwirscher zurückgewiesen und selbst misshandelt, und schliesslich begreift sie dunkel, dass die kleinen unbeugsamen Arbeitsbienen ein Gesetz vertreten, vor dem das ihre zurückstehen muss.

Zuletzt zieht sie sich zurück und tobt ihren ungestillten Zorn von Wabe zu Wabe aus, wobei sie jenes, dem Bienenzüchter so wohlbekannte, Kriegsgeschrei oder vielmehr jenen drohenden Klagegesang ertönen lässt, der wie ein ferner silberner Trompetenton klingt und doch so deutlich vernehmbar ist in seiner zornigen Schwäche, dass man ihn namentlich des Abends, durch die doppelten Wände des bestverschlossenen Stockes hindurch, auf drei oder vier Meter Entfernung hört.

Dieser königliche Zornruf ist von magischer Wirkung auf die Arbeitsbienen. Er versetzt sie in eine Art von Schrecken oder ehrfürchtiger Starre, und wenn die Königin ihn auf den verteidigten Zellen ausstösst, so halten die Wachen, die sie umringen und fortzuzerren suchen, plötzlich inne, neigen den Kopf und warten regungslos, bis er verklungen ist. Man nimmt übrigens an, dass der Totenkopfschmetterling (Acherontia atropos) diesen Ruf nachahmt und durch die bezaubernde Wirkung desselben in die Stöcke einzudringen und sich voll Honig zu saugen vermag, ohne dass die Bienen an eine Abwehr denken.

Zwei oder drei Tage, bisweilen auch fünf, irrt dies zornige Ächzen durch den Bienenstock und ruft die beschützten Prätendenten zum Kampfe heraus. Inzwischen haben diese sich völlig entwickelt, drängen zum Lichte empor und beginnen an ihren Zellendeckeln zu nagen. Eine grosse Gefahr scheint den Staat zu bedrohen. Aber der Geist des Bienenstockes hat, als er seine Entschliessung traf, alle ihre Folgen vorausgesehen, und die wohl unterrichteten Schildwachen wissen Stunde für Stunde, was sie zu thun haben, um Überraschungen von Seiten eines entgegengesetzten Instinktes zuvorzukommen und die beiden feindlichen Gewalten zum Besten zu führen. Es ist ihnen also wohl bewusst, dass die jungen Königinnen, die es in ihrem Kerker nicht mehr duldet, wenn sie wirklich auskämen, in die Hand ihrer bereits unbesieglichen älteren Schwester fallen und eine nach der anderen den Tod erleiden würden. Sobald also eine der lebendig Eingemauerten die Thore ihres Turmes von innen zu öffnen sucht, bauen sie von aussen eine neue Lage von Wachs vor, und die ungeduldige Gefangene arbeitet hartnäckig an ihrer Befreiung, ohne zu ahnen, dass sie eine Zauberwand durchnagt, die immer wieder nachwächst. Sie vernimmt dabei die Herausforderung ihrer Nebenbuhlerin, und da sie ihre Bestimmung und ihre königliche Pflicht kennt, noch ehe sie einen Blick ins Leben hat thun können, ehe sie weiss, wie ein Bienenstock aussieht, so antwortet sie aus der Tiefe ihres Kerkers. Da aber ihr Ruf durch die Wände eines Grabes dringen muss, so klingt er ganz anders, erstickt, hohl, und wenn der Bienenzüchter gegen Abend, wenn aller Tageslärm sich legt und das Schweigen der Sterne heraufzieht, am Eingang seiner Wunderstädte horcht, so vernimmt und versteht er das Zwiegespräch der umherirrenden Jungfrau mit den noch eingekerkerten.

 

Diese verlängerte Haft ist den jungen Prinzessinnen übrigens höchst heilsam. Wenn sie auskriechen, sind sie reifer und kräftiger, und schon zum Ausfliegen bereit. Andererseits hat das Warten auch die freie Königin gestärkt, so dass sie jetzt im stande ist, den Gefahren des Schwärmens zu trotzen. Der zweite oder Nachschwarm verlässt alsdann die Wohnung, an der Spitze die erstgeborene Königin. Unmittelbar nach ihrem Aufbruch lassen die im Stocke zurückgebliebenen Arbeitsbienen eine der Gefangenen frei, und diese zeigt alsbald dieselbe Mordlust, stösst denselben Zornesruf aus und verlässt drei Tage später an der Spitze des dritten Schwarmes ebenfalls den Stock u. s. w., im Falle des „Schwarmfiebers“, bis zur völligen Erschöpfung des Mutterstockes. – Der alte holländische Naturforscher Swammerdam erwähnt einen Bienenstock, der durch seine Schwärme und die Schwärme dieser Schwärme in einem Jahre dreissig Kolonien gründete.

Diese ausserordentliche Vervielfältigung lässt sich namentlich nach strengen Wintern beobachten, wie wenn die stets mit dem geheimen Willen der Natur vertrauten Bienen sich der ihrer Gattung drohenden Gefahren bewusst wären. Aber bei normaler Witterung und bei starken, richtig behandelten Völkern bricht das Schwarmfieber selten aus. Viele schwärmen nur einmal, manche überhaupt nicht.

Gewöhnlich verzichten die Bienen schon nach Absendung des zweiten Schwarmes auf eine weitere Volksteilung, sei es, dass sie eine übermässige Schwächung des Mutterstockes befürchten, sei es, dass die Ungunst des Wetters ihnen Besonnenheit auferlegt. Sie gestatten dann der dritten Königin, den Rest der Gefangenen zu morden, und das regelmässige Leben tritt wieder ein. Der Eifer, mit dem die Arbeit wieder aufgenommen wird, ist dabei um so grösser, als fast alle Arbeitsbienen noch sehr jung sind und ihr Stock verarmt und entvölkert ist, so dass grosse Lücken noch vor Einbruch des Winters ausgefüllt werden müssen.

 

Die Vorgänge beim Ausfliegen des zweiten und dritten Schwarmes sind genau dieselben wie beim ersten, nur sind diese Schwärme weniger volkreich und vorsichtig, denn sie senden keine Spürbienen aus, und die junge, jungfräuliche Königin mit ihrem unbeschwerten Körper fliegt in ihrem Eifer viel weiter und reisst den Schwarm nach dem ersten Anlegen zu einer grossen Entfernung vom Mutterstocke fort. Es kommt hinzu, dass diese zweite und dritte Auswanderung viel tollkühner und das Schicksal dieser Schwärme recht ungewiss ist. Sie haben als Vertreterin der Zukunft nur eine ungeschwängerte Königin bei sich, und ihr ganzes Geschick hängt von dem bevorstehenden Hochzeitsausfluge ab. Ein vorüberfliegender Vogel, einige Regentropfen, ein kalter Wind, ein Irrtum genügen, um das unabwendbare Verhängnis heraufzubeschwören. Die Bienen sind sich dessen so wohl bewusst, dass sie trotz ihrer schon festen Anhänglichkeit an ihre erst seit einem Tage bezogene Wohnung, und trotzdem die Arbeit schon begonnen hat, oft alles im Stiche lassen und ihre junge Herrin auf der Suche nach ihrem Geliebten begleiten, um sie ja nicht aus den Augen zu verlieren, sie mit tausend treuen Flügeln zu bedecken und zu schirmen, oder mit ihr unterzugehen, wenn die Liebe sie so weit von dem Stocke fortreisst, dass der noch ungewohnte Rückweg in ihrem Gedächtnis schwankt und sich verwirrt.

 

Aber das Gesetz der Zukunft ist so mächtig, dass keine Biene angesichts dieser Unsicherheit und dieser Gefahren zaudert. Die Begeisterung des zweiten und dritten Schwarmes kommt der des ersten gleich. Sobald der Mutterstock seine Entscheidung gefällt hat, findet jede der gefährlichen jungen Königinnen eine Schaar von Arbeitsbienen, die ihr Glück mit ihr versuchen wollen und sie auf ihrer Reise begleiten, auf der viel zu verlieren und nichts zu gewinnen ist, als die Hoffnung auf Befriedigung eines Triebes. Wer giebt ihnen diese Energie, die wir nie haben, mit der Vergangenheit zu brechen, wie mit einem Feinde? Wer wählt aus der Menge die aus, welche aufbrechen sollen, und die, welche bleiben? Es ist nicht die und die Altersklasse, die geht oder bleibt: hierher die Jüngsten, dorthin die Ältesten. Um jede der auf Nimmerwiedersehen aufbrechenden Königinnen scharen sich ganz alte und ebenso ganz junge Bienen, die sich zum ersten Mal dem schwindeltiefen Luftraum anvertrauen. Ebensowenig ist es der Zufall, die Gelegenheit, das vorübergehende Aufflackern oder Verblassen eines Gedankens, Instinktes oder Gefühls, was das Stärkeverhältnis des Schwarmes bestimmt. Ich habe mich oft bemüht, das Zahlenverhältnis zwischen den bleibenden und scheidenden Bienen festzustellen, und ich habe, wiewohl die Schwierigkeiten des Experimentes nicht zu mathematisch genauen Resultaten führten, doch feststellen können, dass dieses Verhältnis, – die Stärke des Brutnestes, d. h. der bevorstehenden Geburten, eingerechnet, – konstant genug ist, um eine wirkliche geheimnisvolle Berechnung durch den Geist des Bienenstockes anzunehmen.

 

Wir wollen den Abenteuern dieser Schwärme nicht folgen. Sie sind zahlreich und oft verwickelt. Bisweilen vermischen sich zwei Schwärme, manchmal kommt es auch vor, dass zwei oder drei der gefangenen Königinnen in der Aufregung des Aufbruches ihren Wachen entrinnen und der sich bildenden Traube anschliessen. Bisweilen benutzt auch eine der jungen Königinnen, wenn sie von Drohnen umringt wird, die Gelegenheit des Schwärmens, um sich befruchten zu lassen, und reisst dann ihr Volk zu einer ausserordentlichen Höhe und Entfernung mit fort. In der Praxis der Bienenzucht führt man diese zweiten und dritten Schwärme dem Mutterstocke wieder zu. Die Königinnen treffen im Baue wieder auf einander, die Arbeitsbienen bilden einen Kreis um ihren Kampfplatz, und wenn die Tüchtigere gesiegt hat, so entfernen sie in ihrer Ordnungsliebe und Emsigkeit alsbald die Leichen aus dem Stock, beugen künftigen Gewaltthätigkeiten vor, vergessen das Vergangene, klettern wieder in die Zellen hinauf und fliegen von neuem auf friedlichen Pfaden zu den ihrer harrenden Blumen.

 

Zur Vereinfachung unserer Darstellung wollen wir die Geschichte der jungen Königin da wieder aufnehmen, wo die Bienen ihr erlauben, ihre Schwestern in ihren Wiegen zu ermorden. Wie ich schon sagte, dulden sie diesen Mord oft nicht, auch wenn sie nicht die Absicht zu hegen scheinen, einen zweiten Schwarm auszusenden. Oft aber lassen sie ihn auch zu, denn der politische Sinn der einzelnen Bienenstöcke desselben Bienenstandes ist eben so verschieden, wie der der Nationen desselben Erdteils. Aber es steht fest, dass sie eine Thorheit begehen, wenn sie ihn zulassen, denn wenn die Königin bei ihrem Hochzeitsausfluge umkommt oder sich verirrt, so ist niemand da, der sie ersetzen könnte, und die Arbeitsbienenlarven sind zu alt geworden, um in Königinnenlarven verwandelt werden zu können. Doch die Thorheit ist nun einmal geschehen, und die erstgeborene unter den jungen Königinnen ist von ihrem Volke als alleinige Herrin anerkannt worden. Sie ist aber noch Jungfrau. Um ihrer Mutter, an deren Stelle sie getreten ist, in allen Stücken zu gleichen, muss sie in den ersten zwanzig Tagen nach ihrer Geburt den Gatten finden. Geschieht dies aus irgend einem Grunde später, so bleibt sie unwiderruflich Jungfrau. Nichtsdestoweniger ist sie, wie ich schon gesagt habe, auch als solche nicht unfruchtbar. Es handelt sich hier um jenes grosse Mysterium, jene Vorsicht oder Laune der Natur, die man Parthenogenesis nennt und die sich bei einer Reihe von Insekten findet, z. B. bei den Blattläusen, den Schmetterlingen der Gattung Psyche, den Hautflüglern aus der Familie der Gallwespen (Cynipidae) u. s. w. Die jungfräuliche Königin vermag also Eier zu legen, als ob sie befruchtet wäre, aber aus allen diesen Eiern, mögen sie in grosse oder kleine Zellen gelegt werden, entstehen nur Drohnen, und da diese nie arbeiten, sondern stets auf Kosten der (weiblichen) Arbeitsbienen leben, ja, nicht einmal ihre eigne Nahrung suchen noch für ihren Unterhalt sorgen können, so tritt wenige Wochen nach dem Tode der letzten erschöpften Arbeitsbienen der völlige Ruin und Untergang des Stockes ein. Die Jungfrau gebiert also nur tausende von Drohnen und jede dieser Drohnen oder männlichen Bienen besitzt Millionen von Samenfäden, von denen doch kein einziger in ihren Organismus eindringen kann. Das ist nicht erstaunlicher, wenn man will, als tausend analoge Erscheinungen, denn wenn man sich mit dergleichen Problemen beschäftigt, insbesondere mit denen der Zeugung, so scheint das Wunderbare und Unerwartete gar kein Ende mehr zu nehmen, und alles macht einen noch viel fabelhafteren Eindruck, als in den seltsamsten Märchen und Zaubergeschichten; man gerät auch bald in ein so beständiges Staunen, dass man ziemlich schnell das Gefühl der Verwunderung verliert. Aber die Thatsache ist darum nicht minder verwunderlich. Wie soll man sich andererseits die Absicht der Natur erklären, wenn sie die verderblichen Drohnen auf Kosten der nötigen und nützlichen Arbeitsbienen derart begünstigt? Fürchtet sie, der weibliche Verstand würde danach trachten, die Zahl dieser Schmarotzer über Gebühr zu beschränken? Oder ist es eine übermässige Reaktion gegen das Unglück einer unfruchtbaren Königin? Ist es einer jener Fälle von zu gewaltsamer, blinder Vorsicht, welche den Grund des Übels nicht erkennt, über das Ziel hinausschiesst und, um einem schlimmen Zufall vorzubeugen, eine Katastrophe herbeiführt? In der Wirklichkeit – doch vergessen wir nicht, dass diese Wirklichkeit nicht ganz die natürliche, primitive Wirklichkeit ist, denn im Urwalde könnten die einzelnen Kolonien weit mehr zerstreut werden, als heutzutage, – in der Wirklichkeit liegt, wenn eine Königin nicht geschwängert wird, die Schuld meist nicht an den Drohnen, die immer zahlreich sind und von sehr weit herbeikommen, sondern an Regen oder Kälte, durch die sie zu lange an den Stock gefesselt wurde, oder wohl gar an ihren unvollkommenen Flügeln, die es ihr unmöglich machen, den Drohnen auf ihrem hohen Fluge zu folgen. Trotzdem kümmert sich die Natur nicht im mindesten um diese tieferen Ursachen und hat nur das eine leidenschaftliche Streben, möglichst viel Drohnen hervorzubringen. Sie durchkreuzt noch andere Gesetze, um dies Ziel zu erreichen, und man kann in weisellosen Stöcken oft zwei oder drei Arbeitsbienen von einem solchen Verlangen nach Erhaltung der Art ergriffen sehen, dass sie sich trotz ihrer verkümmerten Eierstöcke zum Eierlegen zwingen. In der That schwellen diese Organe unter dem Drucke eines verzweifelten Willens auf und ergeben einige Eier, aber aus ihnen, wie aus denen der ungeschwängerten Königin, entstehen nur Drohnen.

 

Man kann hier einen überlegenen, aber vielleicht unüberlegten Willen, der den bewussten Willen einer Lebensform unrettbar kreuzt, gewissermaassen auf frischer That und mitten in seinem Eingreifen beobachten. Derartige Eingriffe sind in der Insektenwelt nicht selten. Es ist sehr eigenartig, sie hier zu beobachten; diese Welt ist bevölkerter und vielfältiger als die andern, gewisse Absichten der Natur treten deutlicher hervor und man überrascht sie hier bei Versuchen, die man für unabgeschlossen halten könnte. Sie hat z. B. ein grosses allgemeines Bestreben, das sie überall offenbart: die Verbesserung der Art durch den Sieg des Stärksten. Gewöhnlich bewegt sich der Kampf in ganz bestimmten Bahnen. Die Hekatombe der Schwachen ist ungeheuer, doch was verficht das, wenn dem Sieger nur ein wirksamer und gewisser Lohn zu teil wird? Aber es giebt Fälle, wo man sagen möchte, sie habe noch keine Zeit gehabt, ihre Kombinationen ins klare zu bringen, wo der Lohn nicht erfolgt, oder das Schicksal des Siegers ebenso verhängnisvoll ist, wie das der Besiegten. Um z. B. bei unseren Bienen zu bleiben, so wüsste ich nichts, was in dieser Hinsicht auffälliger wäre, als die Geschichte der Triangulinen der Gattung Sitaris colletis. Übrigens ist dabei zu bemerken, dass verschiedene Einzelheiten dieser Geschichte der des Menschen durchaus nicht so fern stehen, wie man versucht sein könnte, zu glauben.

Diese Triangulinen sind die Schmarotzer oder richtiger gesagt, die Läuse einer einsam bauenden wilden Biene (Colletes), die ihr Nest in Erdhöhlen hat. Sie lauern der Biene am Eingange ihrer Wohnung auf, hängen sich zu dritt, zu viert oder fünft, oft noch mehr, an sie und setzen sich auf ihrem Rücken fest. Wenn in diesem Augenblick der Kampf der Starken gegen die Schwachen stattfände, so wäre kein Wort weiter zu verlieren und alles würde nach dem allgemeinen Gesetze verlaufen. Aber ihr Instinkt gebietet ihnen, man weiss nicht warum – und folglich gebietet auch die Natur, – dass sie sich ruhig verhalten, solange sie auf dem Rücken der Biene sitzen. Während diese die Blumen befliegt, Zellen baut und mit Vorräten füllt, halten sie sich still und harren ihrer Stunde. Aber sobald sie ein Ei gelegt hat, schlüpfen alle darauf, und die harmlose Biene verschliesst die Zelle, die sie fürsorglich mit Vorrat versehen hat, ohne zu ahnen, dass sie den Tod ihrer Brut mit einschliesst. Sobald die Zelle verkapselt ist, bricht unter den Sitarislarven der unvermeidliche und heilsame Auslesekampf um das einzige Ei aus. Die Stärkste und Geschickteste ergreift ihre Nebenbuhlerin trotz ihres Panzers, hebt sie über ihren Kopf empor und hält sie derart Stunden lang in ihren Klauen, bis dieselbe tot ist. Aber während dieses Kampfes hat eine andere Sitarislarve, die allein geblieben oder ihres Gegners schon Herr geworden ist, sich auf das Ei gestürzt und es angebissen. Die, welche zuletzt gesiegt hat, muss jetzt also mit diesem neuen Feinde fertig werden, was ihr auch nicht schwer fällt, denn die Trianguline, die einen eingeborenen Heisshunger zu stillen hat, klammert sich so hartnäckig an ihr Ei an, dass sie gar nicht an Verteidigung denkt. Endlich ist sie auch getötet und die andere befindet sich im Alleinbesitze des kostbaren und so wohlfeil errungenen Eies. Gierig steckt sie den Kopf in die von ihrer Vorgängerin geschaffene Öffnung und macht sich an die lange Mahlzeit, die sie in ein vollkommenes Insekt verwandeln soll. Aber die Natur, die diese Kampfprobe will, hat den Siegespreis mit einem so kleinlichen Geize festgesetzt, dass ein Ei gerade ausreicht, um eine einzige Trianguline zu ernähren, „so dass“, sagt Mayet, dem wir den Bericht dieses erstaunlichen Missgeschickes danken, „unsere Siegerin um die Nahrung zu kurz kommt, die ihr letzter Feind vor seinem Tode verzehrt hat, und somit die erste Häutung nicht stattfinden kann. Sie stirbt also gleichfalls und bleibt an der Haut des Eies hängen oder vermehrt in dem flüssigen Zuckersafte die Zahl der Ertrunkenen.“

 

Dieser Fall liegt zwar selten so klar, steht aber in der Naturgeschichte nicht vereinzelt da. Doch der Kampf zwischen dem bewussten Willen der Trianguline, die leben will, und dem dunkeln, allgemeinen Willen der Natur, die ebenfalls will, dass sie lebt und zugleich will, dass sie ihr Leben so verbessert und kräftigt, wie es ihr aus freien Stücken nie einfallen würde, ist hier einmal blossgelegt. Nur führt durch eine seltsame Unachtsamkeit der Natur die erzwungene Verbesserung gerade den Tod der Besten herbei, und die Sitaris colletis wären längst ausgestorben, wenn nicht einzelne von ihnen durch Zufall, und ganz gegen die Absicht der Natur, allein blieben und so dem trefflichen und weitblickenden Gesetze, welches den Sieg des Stärksten fordert, auf diese Weise entrännen.

Es kommt also vor, dass die grosse Gewalt, die uns unbewusst erscheint, aber notwendigerweise vernünftig ist, denn das Leben, das sie hervorruft und erhält, giebt ihr jederzeit Recht, – es kommt also vor, sage ich, dass sie Fehlgriffe thut. Ihre höhere Vernunft, die wir anrufen, wenn wir mit der unseren am Ende sind, hat also Mängel. Und wenn dem so ist, wer wird sie wieder gut machen?

Aber kommen wir auf ihr gebieterisches Eingreifen in der Form der Parthenogenesis zurück. Und vergessen wir nicht, dass diese Probleme einer anderen Welt, die uns sehr fern zu liegen scheint, uns sehr nahe berühren. Wer wollte leugnen, dass ähnliche, noch geheimere, aber nicht minder gefährliche Eingriffe in die Sphäre des Menschen jederzeit stattfinden? Und wer hat in dem vorliegenden Falle recht, wenn man alles in allem nimmt, die Natur oder die Bienen? Was würde geschehen, wenn diese gelehriger oder intelligenter wären, wenn sie die Absicht der Natur nur zu gut verstünden und bis zur äussersten Konsequenz anwendeten, indem sie immerfort nur Drohnen hervorbrächten, wie sie gebietet? Würden sie nicht Gefahr laufen, ihre Gattung zu vernichten? Muss man glauben, dass es Absichten der Natur giebt, die zu begreifen gefährlich und denen allzueifrig zu folgen verhängnisvoll ist, und dass eine ihrer Absichten die ist, nicht alle ihre Absichten zu verstehen und zu befolgen? Und steht es nicht ebenso mit den Gefahren des Menschen? Auch wir fühlen unbewusste Kräfte in uns schlummern, die gerade das Gegenteil von dem wollen, was unser Verstand fordert. Ist es gut, dass unser Verstand, der sich gewöhnlich um sich selbst dreht und dann nicht mehr weiss, wohin, diesen Kräften Recht giebt und sein unerhofftes Gewicht dem ihren hinzufügt?

 

Haben wir das Recht, aus der Gefahr der Parthenogenesis zu schliessen, dass die Natur Mittel und Zweck nicht immer in Einklang zu bringen vermag, dass das, was sie zu erhalten wähnt, sich oft nur infolge von Vorsichtsmaassregeln erhält, die sie just gegen ihre Vorsichtsmaassregeln ergriffen hat, und oft gar durch fremde Umstände, die sie keineswegs vorausgesehen hat? Aber sieht sie überhaupt voraus, sucht sie etwas zu erhalten? Die Natur, wird man sagen, ist ein Wort, mit dem wir das Unerkennbare belegen, und es ist wenig Grund vorhanden, ihr ein Ziel oder Vernunft zuzutrauen. Allerdings handelt es sich hier um die hermetisch verschlossenen Gefässe, die den Hausrat unserer Weltanschauung bilden. Um nicht ewig die Aufschrift „Unbekannt“ darauf zu setzen, denn sie entmutigt und zwingt zum Schweigen, gebrauchen wir, je nach Form und Grösse, die Worte „Natur“, „Leben“, „Tod“, „Unendlichkeit“, „Auslese“, „Genius der Art“ u. v. a., wie die, welche vor uns lebten, die Namen „Gott“, „Vorsehung“, „Bestimmung“, „Lohn“ u. s. w. darauf anbrachten. Das ist es, wenn man will, und weiter nichts. Aber wenn der Inhalt auch verborgen bleibt, so haben wir doch das eine gewonnen, dass die Aufschriften weniger bedrohlich geworden sind, und dass wir den Gefässen näher treten, sie berühren und in heilsamer Wissbegierde das Ohr daran legen können.

Aber welchen Namen man ihnen auch giebt, so viel steht fest, dass zum mindesten eines dieser Gefässe, das grösste von ihnen, das auf seiner Ründung den Namen „Natur“ trägt, eine sehr reale Kraft birgt, vielleicht die realste von allen, und jedenfalls weiss sie auf unserem Erdballe eine ungeheure und wunderbare Quantität und Qualität von Leben mit so sinnreichen Mitteln zu erhalten, dass man ohne Übertreibung sagen kann, sie übertrifft alles, was Menschengeist zu ersinnen im stande wäre. Und diese Qualität und Quantität sollten sich plötzlich durch andere Mittel erhalten? Oder täuschen wir uns da, indem wir Vorsichtsmaassregeln zu erblicken wähnen, wo es sich vielleicht nur um einen vom Glück begünstigten Zufall handelt, der eine Million minder glücklicher Zufälle überlebt?

 

Mag sein, aber diese glücklichen Zufälle geben uns alsdann eine nicht geringere Lehre der Bewunderung, als die, welche wir von Dingen, die über dem Zufall stehen, empfangen. Wir brauchen gar nicht bei den Wesen stehen zu bleiben, die einen Schimmer von Intelligenz und Bewusstsein besitzen und gegen die blinden Gesetze anringen können, wir brauchen nicht einmal die ersten zweifelhaften Repräsentanten der untersten Stufen des Tierreiches, die Protozoën, ins Auge zu fassen. Die Experimente des berühmten Mikroskopikers M. H. J. Carter zeigen in der That, dass Wille, Absichten und Unterscheidungsvermögen schon bei Embryos von der Winzigkeit der Myxomyceten zu finden sind, dass Bewegungen, die eine List voraussetzen, sich schon bei Infusorien ohne jeden sichtbaren Organismus zeigen, z. B. bei der Amoebe, die den jungen Acineten an der Mündung der mütterlichen Eierstöcke auflauert, weil sie weiss, dass sie dann noch keine giftigen Fühlhörner haben. Dabei besitzt die Amoebe weder Nervensystem noch irgendwelche beobachtungsfähigen Organe. Gehen wir direkt zum Pflanzenreich über; die Pflanzen scheinen keine eigene Bewegung zu haben und allen äusseren Einflüssen ausgesetzt zu sein. Halten wir uns auch nicht bei den fleischfressenden Pflanzen auf, bei den Drosera z. B., die ganz wie Tiere auf Reize reagieren, sondern sehen und staunen wir, welches Genie manche unserer einfachsten Pflanzen entwickeln, um die kreuzweise Befruchtung, die sie nötig haben, durch eine die Blüte befliegende Biene sicher herbeizuführen. Betrachten wir das wunderbar komplizierte Spiel des Rostellum und der Pollinarien mit ihrem klebrigen Stielende und ihrer mathematisch-automatischen Vorwärtsneigung bei Orchis morio, der schlichten Orchidee unserer Himmelsstriche.[10] Verfolgen wir das doppelte, unfehlbare Schaukelspiel der Salbei-Antheren, die den Körper des die Blume besuchenden Insektes an dem und dem Punkte berühren, damit es die Narbe einer Nachbarblume genau an derselben Stelle berührt und befruchtet. Folgen wir ferner dem allmählichen Aufklinken und der Berechnung, welche die Narbe von Pedicularis silvatica zeigt; beobachten wir die Organe dieser drei Blumen, wie sie beim Hineinkriechen der Biene nach Art jener komplizierten Mechaniken funktionieren, die man in den Schiessbuden unserer Jahrmärkte hat, und die sofort in Bewegung treten, wenn ein guter Schütze ins Schwarze getroffen hat.

Wir könnten noch tiefer heruntergehen und, wie Ruskin in seinen „Ethics of the Dust“, den Charakter, die Gewohnheiten und Listen der Krystalle, ihre Kämpfe und Maassnahmen, wenn ein Fremdkörper ihre Absichten stört (die älter sind, als alles, was unsere Phantasie begreift), die Art und Weise, wie sie einen Feind annehmen oder abstossen, den möglichen Sieg des Schwächsten über den Stärksten u. s. w. beobachten. Z. B. giebt das allmächtige Quarz dem unscheinbaren, heimtückischen Epidot in zuvorkommendster Weise nach und lässt sich von ihm übertrumpfen, während das Bergkrystall mit dem Eisen einen bald furchtbaren, bald prachtvollen Ringkampf führt. Mancher durchsichtige Krystall hat ein regelmässiges, tadelloses Wachstum, eine ungetrübte Reinheit, denn er stösst von vorn herein alles Unreine ab, während sein Bruder neben ihm ein krankhaftes Wachstum, eine augenscheinliche Immoralität zeigt, da er alles Unreine annimmt und sich kläglich im Leeren windet. Endlich wäre auf die seltsame Erscheinung der krystallinischen Vernarbung und Reïntegration zu verweisen, die Claude Bernard studiert hat, aber dies Mysterium ist zu seltsam. Halten wir uns an unsere Blumen, als an die letzten Glieder eines Lebens, das zu dem unseren noch Beziehungen hat. Es handelt sich hier nicht mehr um Tiere oder Insekten, bei denen wir einen vernünftigen, eigenen Willen annehmen können, infolgedessen sie sich erhalten. Ihnen schreiben wir, mit Recht oder Unrecht, keinen solchen Willen zu. Jedenfalls können wir bei ihnen nicht die geringste Spur jener Organe entdecken, in denen Wille, Vernunft und Initiative zu einer Handlung ihren Sitz oder Ursprung haben. Folglich stammt das, was in ihnen solche Wunder wirkt, unmittelbar aus der Quelle, die wir sonst „die Natur“ zu nennen pflegen. Es ist nicht mehr die Intelligenz des Einzelwesens, sondern die unbewusste, ungeteilte Kraft, welche anderen Gebilden Fallen stellt. Sollen wir daraus folgern, dass diese Fallen keine reinen Zufälle sind, die durch zufällige Wiederkehr zur Regel geworden sind? Dazu haben wir noch kein Recht. Man kann sagen, dass diese Blumen ohne solche wunderbaren Vorrichtungen sich nicht erhalten hätten. Andere, die der kreuzweisen Befruchtung nicht bedurften, wären an ihre Stelle getreten, und niemand hätte das Nichtvorhandensein der Ersteren bemerkt, auch wäre das Leben uns darum nicht minder unbegreiflich, vielfältig und erstaunlich erschienen.

 

Und doch kann man sich schwerlich der Auffassung verschliessen, dass die Vorgänge, welche die glücklichen Zufälle herbeiführen und immer wieder herbeiführen, Akte der Klugheit und Intelligenz sind. Aber welches ist ihre Quelle, die Wesen selbst, oder die Kraft, aus der diese ihr Leben schöpfen? Ich sage nicht: „Was liegt daran?“ Im Gegenteil; es läge uns sehr viel daran, dies zu wissen. Einstweilen aber, bis wir erfahren, ob es die Blume ist, die danach trachtet, das von der Natur in sie gelegte Leben zu unterhalten und zu vervollkommnen, oder die Natur, die alles versucht, um das Stück Dasein, das die Blume darstellt, zu erhalten und zu veredeln, oder endlich der Zufall, der zuletzt den Zufall regelt, – lädt eine Menge von Erscheinungen zu der Annahme ein, dass etwas Ähnliches wie unsere höchsten Gedanken bisweilen aus einem gemeinsamen Muttergrunde hervorgeht, den wir bewundern müssen, ohne sagen zu können, wo er sich befindet.

Bisweilen scheint uns ein Irrtum aus diesem gemeinsamen Grunde hervorzugehen. Aber obwohl wir sehr wenig wissen, so haben wir doch oft Gelegenheit einzusehen, dass der „Irrtum“ ein Akt der Klugheit war, der nur über den Horizont unserer ersten Einfalt hinausging. Selbst in unserem kleinen Gesichtskreise können wir erkennen, dass die Natur, wenn sie sich hier täuscht, es für nützlich hält, ihre angebliche Unachtsamkeit dort wieder gut zu machen. Sie hat die drei Blumen, von denen wir reden, in eine so schwierige Lage gebracht, dass sie sich nicht selbst befruchten können, aber sie hält es für vorteilhaft, warum, wissen wir nicht, dass diese drei Blumen sich durch ihre Nachbarinnen befruchten lassen, und das Genie, das sie zu unserer Rechten vergessen hat, bekundet sie zur Linken, indem sie die Intelligenz ihrer Stiefkinder mehrt. Die Umwege, die sie macht, scheinen uns unerklärlich, aber ihr Genius bleibt stets auf der gleichen Höhe. Sie scheint in einen Irrtum herabzusinken, vorausgesetzt, dass ein Irrtum hier möglich ist, und sie erhebt sich unmittelbar darauf in dem Organ, das diesen Irrtum wieder gut zu machen hat. Wohin wir uns wenden, sie überragt uns überall. Sie ist der Kreisstrom Okeanos, der die Erde umfliesst, die ungeheure Wasserfläche ohne Ebbe, auf der unsere verwegensten und unabhängigsten Gedanken immer nur eine untergeordnete Schaumblase bilden. Wir nennen sie heute „die Natur“, und morgen haben wir vielleicht einen anderen Namen gefunden, der sanfter oder schrecklicher klingt. Inzwischen herrscht sie zu gleicher Zeit und in gleichem Geiste über Leben und Tod und liefert den beiden unversöhnlichen Schwestern die prunkhaften oder vertrauten Waffen, die ihren Busen völlig verändern und schmücken.

 

Ob sie Maassregeln ergreift, um das, was sich auf ihrer Oberfläche regt, zu erhalten, oder ob man den seltsamsten der Kreise schliessen muss, indem man sagt, dass das, was sich auf dieser Oberfläche regt, selbst Maassregeln gegen den Genius ergreift, der es beseelt: das sind Fragen besonderer Art. Es ist für uns nicht möglich zu wissen, ob eine Gattung trotz der Fürsorge des höheren Willens, unabhängig von ihm, oder schliesslich allein durch ihn sich erhalten hat. Alles, was wir feststellen können, ist, dass die und die Art sich erhält, und folglich hat die Natur in diesem Punkte recht. Aber wer kann uns sagen, wie viele andere, die wir nicht kennen, ihrer Achtlosigkeit oder Ungeduld zum Opfer gefallen sind? Alles, was wir noch feststellen können, sind die überraschenden und bisweilen bedrohlichen Formen, die, bald in absoluter Unbewusstheit, bald in einer Art von Bewusstheit, das ausserordentliche Fluidum annimmt, das Leben heisst, und das uns und alles übrige beseelt und unsere Gedanken hervorbringt, die es beurteilen, und unsere Stimme, die davon zu reden versucht.


DER HOCHZEITSAUSFLUG

Sehen wir indessen zu, auf welche Weise sich die Befruchtung der Bienenkönigin vollzieht. Auch hier hat die Natur ausserordentliche Maassregeln ergriffen, um die Vereinigung der beiden Geschlechter aus verschiedenen Stöcken zu begünstigen, ein seltsames Gesetz, zu dem sie durch nichts gezwungen wird, eine Laune vielleicht oder Unachtsamkeit, deren Wiederausgleichung die wundervollsten Kräfte ihrer Wirksamkeit verschlingt. Es ist höchst wahrscheinlich, dass, wenn sie zur Erhaltung des Lebens, zur Milderung des Leidens, zur Herbeiführung eines sanfteren Todes, zur Fernhaltung der schrecklichsten Zufälle halb so viel Geist aufgewandt hätte, als sie für die kreuzweise Befruchtung und einige andere willkürliche Einfälle vergeudet, das Rätsel des Daseins uns minder unbegreiflich und erbarmungswürdig erschienen wäre, als so, wie es sich jetzt unserer Wissbegier darstellt. Doch wir dürfen unser Bewusstsein und den Anteil, den wir am Dasein nehmen, nicht aus dem schöpfen, was vielleicht hätte sein können, sondern aus dem, was ist.

Die jungfräuliche Königin lebt in der kribbelnden Enge des Bienenstockes mit einigen hundert sie umschwärmenden Drohnen oder männlichen Bienen, die voller Übermut in stetem Honigrausche leben und keinen anderen Daseinsgrund haben, als die Vollziehung eines Aktes der Liebe. Aber trotz der ewigen Berührung der beiden Geschlechter, die überall wo anders alle Widerstände überwinden, findet die Begattung niemals im Bienenstock statt, und es ist noch nie gelungen, eine eingesperrte Königin zu schwängern.[11] Die sie umringenden Drohnen kennen sie nicht, so lange sie in ihrer Mitte weilt. Sie fliegen aus und suchen sie im Luftraum, in den verborgensten Winkeln des Horizontes, ohne zu ahnen, dass sie sie eben verlassen haben, dass sie mit ihr auf derselben Wabe schliefen und sie bei ihrem ungestümen Aufbruche vielleicht angerannt haben. Man möchte sagen, ihre prachtvollen Augen, die ihren ganzen Kopf mit einem blinkenden Helme bedecken, erkennen sie und verlangen nur dann nach ihr, wenn sie im blauen Äther schwebt. Jeden Tag von Mittag bis um drei Uhr, wenn die Sonne am höchsten steht, fliegt ihre federgeschmückte Horde zur Eroberung der Gattin aus, die königlicher und unvergleichlicher ist, als die unerreichbarste Märchenprinzessin, denn zwanzig oder dreissig Stämme sind von allen Stöcken der Nachbarschaft herbeigeströmt und umschwärmen sie: ein Gefolge von mehr als zehntausend Freiern, von denen ein einziger zu einer einzigen minutenlangen Umarmung auserkoren wird, die ihn dem Glücke, aber auch dem Tode vermählt, während alle anderen das engverschlungene Paar als unnütze Begleitung umschwirren und bald darauf umkommen werden, ohne das schicksalsvolle Zauberbild wiedergesehen zu haben.

 

Diese erstaunliche, unsinnige Verschwendung der Natur ist keineswegs übertrieben. In den volkreichsten Stöcken zählt man gewöhnlich vier- bis fünfhundert Drohnen. In entarteten oder schwächeren Stöcken findet man deren oft vier- oder fünftausend, denn je mehr ein Bienenvolk dem Verfall entgegenneigt, desto mehr Drohnen bringt es hervor. Man kann sagen, dass ein Bienenstand von zehn Kolonien im Durchschnitt ein Volk von zehntausend Drohnen in die Luft schickt, von denen höchstens zehn bis fünfzehn Gelegenheit haben werden, den einzigen Akt, zu dem sie da sind, zu vollziehen.

Derweilen erschöpfen sie die Vorräte des Volkes, und die unermüdliche Arbeit von fünf bis sechs Arbeitsbienen reicht kaum hin, um einen dieser anspruchsvollen und gefrässigen Schmarotzer, die nur mit dem Munde fleissig sind, zu erhalten. Aber die Natur ist stets verschwenderisch, wo es sich um die Funktionen und Privilegien der Liebe handelt. Sie knausert nur bei den Organen und Werkzeugen der Arbeit. Sie ist parteiisch und hart gegen alles, was die Menschen Tugend nennen. Dagegen spart sie die Diamanten und Gunstbeweise nicht, die sie auf den Weg der gleichgiltigsten Liebenden ausstreut. Sie ruft überall: „Vereinigt und vermehrt Euch, es giebt kein anderes Gesetz und Ziel als die Liebe“, – um dann halblaut hinzuzufügen: „und erhaltet Euch nachher, wenn Ihr es vermögt, das geht mich nichts weiter an.“ Umsonst, etwas anderes zu thun, etwas anderes zu wollen, man findet überall dieselbe Moral, die der unseren so zuwiderläuft. Man beobachte nur an denselben kleinen Wesen ihren ungerechten Geiz und ihre sinnlose Verschwendung. Die pflichttreue Arbeitsbiene muss von der Wiege bis zum Grabe hinaus in die dichtesten Wälder, muss tausend versteckte Blüten befliegen, muss im Labyrinth der Honigbehälter, in den verborgenen Schächten der Staubgefässe Honig und Pollen entdecken. Trotzdem sind ihre Augen und Geruchsorgane im Vergleich zu denen der Drohnen verkümmert. Diese könnten fast blind und ohne Geruchssinn sein, ohne darunter zu leiden, kaum ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie haben nichts zu thun, keine Beute zu verfolgen, ihre Nahrung wird ihnen fertig zugetragen, und ihr Dasein ist ein ununterbrochenes Honigfest. Aber sie sind die Vollstrecker der Liebe, und die ungeheuersten und unnützesten Geschenke werden mit vollen Händen in den Abgrund der Zukunft geworfen. Einer von tausend unter ihnen wird einmal in seinem Leben das Bild der königlichen Jungfrau im Azurblau erblicken. Einer von tausend wird im Luftraum einen Augenblick der Spur des Weibes folgen, das nicht flieht. Das genügt. Die parteiische Macht hat ihre unerhörten Schätze bis zum Übermaass und Wahnsinn aufgethan. Jedem dieser unwahrscheinlichen Liebhaber, von denen 999 einige Tage nach der Todeshochzeit des tausendsten geschlachtet werden, hat sie 13000 Augen auf jeder Kopfseite gegeben, während die Arbeitsbiene nur 6000 hat. Jeden ihrer Fühler hat sie, nach den Berechnungen von Cheshire, mit 37800 Geruchshöhlen versehen, gegen 5000, welche die Arbeitsbiene auf beiden Seiten hat. Wer den Charakter der Natur schildern wollte, so wie er sich aus derartigen Zügen ergiebt, der müsste eine ganz ungewöhnliche, unserem Ideal ganz unähnliche Gestalt entwerfen, obschon dieses Ideal doch auch von ihr stammen muss. Aber der Mensch weiss zu wenig, um ein solches Bild zu malen, er könnte nur einen grossen Schatten hinzeichnen und zwei oder drei ungewisse Lichter daraufsetzen.

 

Ich glaube, es sind sehr Wenige, die das Hochzeitsgeheimnis der Bienenkönigin belauscht haben, denn diese Hochzeit vollzieht sich in dem unendlichen, blendenden Brautbett des Sommerhimmels. Aber man kann den Aufbruch der Braut und die todkündende Rückkehr der Gattin unter Umständen beobachten.

Trotz ihrer Ungeduld wartet sie im Schatten ihrer Thore Tag und Stunde ab, bis ein wundervoller Morgen sich aus der Tiefe der azurenen Himmelsurne in den hochzeitlichen Raum ergiesst. Sie liebt den Augenblick, wo noch ein Rest von Thau auf Blatt und Blüten schimmert, wo die letzte Frische der sinkenden Morgenröte noch gegen die Glut des Tages anringt, wie eine Jungfrau in den Armen eines Kriegsmannes, und die krystallenen Laute des Morgens in dem Schweigen des nahenden Mittags noch nicht ganz verhallt sind.

Dann erscheint sie auf der Schwelle, unbeachtet von den Arbeitsbienen, die ihren Geschäften obliegen, oder auch von ihren bethörten Töchtern umringt, je nachdem sie Schwestern im Stocke zurücklässt oder nicht mehr ersetzt werden kann. Sie fliegt zuerst rückwärts, lässt sich zwei bis dreimal auf das Flugbrett nieder, und erst, wenn sie Lage und Anblick ihres Königreiches, das sie noch nie von aussen gesehen hat, genau in ihren Geist aufgenommen hat, fliegt sie in gerader Linie scheitelwärts ins Blaue, und erreicht so Höhen und eine Lichtzone, zu denen die anderen Bienen sich nie in ihrem Leben aufschwingen. Die Drohnen drunten, die sich träge auf den Blumen wiegen, haben die Erscheinung gesehen und den magnetischen Duft eingesogen, der sich alsbald bis zu den nachbarlichen Bienenstöcken verbreitet. Sofort sammeln sich die Horden und tauchen, ihrer Fährte folgend, in das Meer der Heiterkeit, dessen krystallene Grenzen sich immer weiter verschieben. Freudetrunken über den Gebrauch ihrer Flügel und dem herrlichen Gesetze der Art getreu, das ihr den Liebsten zuführt und nur den stärksten allein in ihre ätherferne Einsamkeit hinaufdringen lässt, steigt sie immerfort, und die blaue Morgenluft strömt zum ersten Male in ihre Luftgefässe und braust wie ein himmlisches Blut in den tausend strahlenförmigen Luftröhren ihrer beiden Lungen, welche die Hälfte ihres Körpers einnehmen und sich vom weiten Raume nähren. Sie steigt immerfort, bis sie eine öde Zone erreicht, wo kein Vogel ihr Mysterium mehr stört. Sie steigt immerfort, und schon zerteilt und vermindert sich der ungleiche Schwarm unter ihr. Die Schwachen und Kranken, die Greise und Missratenen, die schlecht Ernährten der kraftlosen und heruntergekommenen Völker stehen von ihrer Verfolgung ab und verschwinden im Leeren. Nur eine kleine Schaar von Unermüdlichen schwebt noch im unendlichen Raume. Noch eine letzte Anspannung der Flügel, und der Auserwählte der unbegreiflichen Mächte hat sie eingeholt, umarmt und durchdrungen, und von doppeltem Schwunge beflügelt, kreist das eng verschlungene Paar einen Augenblick im tötlichen Delirium der Liebe.

 

Die Mehrzahl der Wesen hat das dunkle Gefühl, dass Tod und Liebe nur durch eine durchsichtige Haut von einander getrennt sind. Sie meinen, die Natur wolle streng genommen, dass man in dem Augenblick, wo man neues Leben hervorruft, das seine lässt. Wahrscheinlich ist es diese angeerbte Furcht, die der Liebe solche Bedeutung verleiht. Hier wenigstens offenbart sich diese Absicht der Natur in ihrer primitiven Einfachheit, die ihren Schatten noch auf den Kuss zweier Menschen wirft. Sobald die Vereinigung stattgefunden hat, platzt der Leib der Drohne auf, das Werkzeug der Zeugung löst sich ab und zieht die ganzen Eingeweide nach; die Flügel erschlaffen, und der entleerte Körper stürzt, vom hochzeitlichen Blitze getroffen, kreiselnd in den Abgrund. Dieselbe Absicht, die in der Parthenogenesis die Zukunft des Bienenstockes durch die ungewöhnliche Vermehrung der Drohnen aufs Spiel stellte, opfert hier die Drohnen der Zukunft des Bienenstockes. Sie setzt immer in Erstaunen, diese Absicht; je mehr man in sie einzudringen sucht, desto ungewisser wird sie, und Darwin, um einen Forscher zu nennen, der sie von allen Menschen am leidenschaftlichsten und methodischsten studiert hat, Darwin verliert auf Schritt und Tritt die Fassung und weicht vor dem Unerwarteten und Unvereinbaren zurück. Man sehe nur zu – wenn anders man dem erhebend demütigenden Schauspiel des menschlichen Geistes im Ringen mit dem Unendlichen zusehen will – man sehe nur zu, wie er die seltsamen, unglaublich geheimnisvollen und zusammenhangslosen Gesetze der Unfruchtbarkeit und Fruchtbarkeit der Bastarde, oder die der Variabilität der Art- und Gattungscharaktere zu entwirren sucht. Kaum hat er ein Prinzip formuliert, so drängen sich schon zahllose Ausnahmen auf, und bald ist das bedrängte Prinzip froh, in einem Eckchen ein Obdach zu finden und als Ausnahme einen Rest von Dasein zu fristen.

Bei der Bastardierung wie bei der Variabilität (namentlich bei den gleichzeitigen Variationen, die man Korrelation des Wachstums nennt), beim Instinkt, wie bei den Vorgängen des Kampfes ums Dasein, bei der Auslese, der geologischen Aufeinanderfolge und geographischen Verteilung der organischen Wesen, bei den Verwandtschaften unter einander, kurz überall, ist die Natur tastend und nachlässig, sparsam und verschwenderisch, weitblickend und unaufmerksam, unbeständig und unerschütterlich, lebendig und regungslos, ein- und tausendfältig, grossartig und niedrig in demselben Augenblick und derselben Erscheinung. Da sie das unendliche, jungfräuliche Land der Einfachheit vor sich hatte, bevölkert sie es mit kleinen Irrtümern, kleinen, sich widersprechenden Gesetzen und kleinen schwierigen Problemen, die sich ins Dasein verlaufen, wie blinde Heerden. Freilich ist das nur in unseren Augen so, die nur das von der Realität widerspiegeln, was sich uns und unseren Bedürfnissen angepasst hat, und nichts berechtigt uns zu dem Glauben, dass die Natur ihre Ursachen und Wirkungen, die sich verlaufen haben, aus den Augen verlöre.

Jedenfalls gestattet sie ihnen selten, so weit zu gehen, dass sie widersinnig und gefährlich werden. Sie verfügt über zwei Kräfte, die stets Recht haben, und wenn die Erscheinungen gewisse Grenzen überschreiten, winkt sie dem Leben oder dem Tode, und diese stellen die Ordnung wieder her und zeichnen den Weg, der fürderhin zu beschreiten ist, gleichgiltig vor.

 

Sie entschlüpft uns überall, sie missachtet die meisten unserer Regeln und durchbricht alle unsere Maassstäbe. Rechts von uns steht sie weit unter unserem Denken, doch zur Linken überragt sie es plötzlich wie ein Gebirge. Sie scheint sich fortwährend zu irren, sowohl in der Welt ihrer ersten Versuche, wie in der der letzten, will sagen, in der Menschenwelt. Sie heiligt hier den Instinkt der dunklen Masse, die unbewusste Ungerechtigkeit der Zahl, die Niederlage der Intelligenz und Tugend, die flache Durchschnittsmoral, die den grossen Strom der Gattung lenkt und offenbar viel niedriger steht, als die Moral, wie sie ein Geist erhofft und versteht, der sich dem kleinen, klareren Strome anschliesst, welcher dem grossen entgegenläuft. Trotzdem fragt derselbe Geist sich vielleicht nicht mit Unrecht, ob es nicht seine Pflicht sei, alle Wahrheit, folglich auch die moralischen Wahrheiten, in dieser Masse und nicht in sich selbst zu suchen, wo sie verhältnismässig so klar und bestimmt zu Tage liegen.

Es fällt ihm nicht ein, die Vernünftigkeit und Tugendhaftigkeit seines Ideals, das so viele Helden und Weise geheiligt haben, zu verneinen, aber bisweilen sagt er sich doch, dass dieses Ideal sich vielleicht abseits von der grossen Masse gebildet hat, deren gestaltlose Schönheit er zu verkörpern wähnt. Er hat bisher mit gutem Grunde fürchten können, dass er durch Anpassung seiner Moral an die der Natur gerade das, was ihm die Krone der Natur zu sein dünkte, vernichten würde, aber heute, wo er sie etwas besser kennt und aus einigen noch dunklen, aber von unerwarteter Grösse zeugenden Antworten erkannt hat, dass ihre Pläne und ihre Vernunft ungeheuerer sind, als alles, was er in seiner Selbstbeschränkung hätte denken können, fürchtet er sie minder und bedarf darum nicht mehr so unbedingt der Zuflucht zu seiner Sondertugend und Vernunft. Er sagt sich, dass etwas, das so gross ist, keinen erniedrigenden Einfluss haben kann. Er möchte wissen, ob nicht der Augenblick gekommen ist, wo er seine Gewissheiten, Prinzipien und Träume einer gründlicheren Prüfung unterwerfen soll.

Ich wiederhole es: er denkt nicht daran, sein menschliches Ideal aufzugeben. Gerade das, was dieses Ideal zuerst widerrät, lässt ihn schliesslich darauf zurückkommen. Die Natur kann kein schlechter Ratgeber sein für einen Geist, dem jede Wahrheit, die nicht wenigstens auf der Höhe seines eigenen Strebens steht, nicht hoch genug erscheint, um endgiltig und des grossen Planes würdig zu sein, den er aufzudecken trachtet. Nichts wechselt seinen Platz in seinem Leben, ohne mit ihm zu steigen, und er wird sich noch lange sagen, dass er steigt, wenn er sich dem alten Bilde des Guten nähert. Aber in seinem Denken wandelt sich alles mit grösserer Freiheit, und er kann in seiner leidenschaftlichen Betrachtung ungestraft bergab steigen, bis er die grausamsten und unsittlichsten Widersprüche des Lebens wie Tugenden schätzt, denn er fühlt im Voraus, dass eine Menge von Thälern nach einander zu der ersehnten Hochfläche führen. Diese Betrachtung und diese Leidenschaft hindern ihn nicht daran, im Suchen nach dieser Gewissheit, selbst wenn dies Suchen ihn zum Gegenteil von dem führt, was er liebt, sein Verhalten nach der menschlich schönsten Wahrheit zu regeln und sich an das am höchsten stehende Vorläufige zu halten. Alles, was die wohlthätige Tugend mehrt, geht unmittelbar in sein Leben auf; alles, was sie schmälern würde, bleibt ungelöst darin, wie eines jener unlöslichen Salze, die sich erst zur Stunde des entscheidenden Experiments bewegen. Er kann eine niedrige Wahrheit annehmen, aber um danach zu handeln, wird er – vielleicht Jahrhunderte lang – warten, bis er erkannt hat, welche Beziehungen zwischen dieser Wahrheit und denen bestehen, die unendlich genug sind, um alle anderen einzubegreifen und zu überschatten.

Mit einem Worte, er wird die moralische Weltordnung von der intellektuellen trennen und in die erstere nur das aufnehmen, was grösser und schöner ist als ehedem. Und wenn es tadelnswert ist, diese beiden Ordnungen zu trennen, wie man es oft genug im Leben thut, um schlechter zu handeln, als man denkt, und das Bessere zu erkennen, aber dem Schlechteren zu folgen, so ist es doch immerhin heilsam und vernünftig, das Schlechtere zu erkennen, aber dem Besseren zu folgen und über seine Gedanken hinaus zu handeln, denn die menschliche Erfahrung giebt uns täglich mehr Hoffnung, dass der höchste Gedanke, den wir erfassen können, noch lange unter der geheimnisvollen Wahrheit stehen wird, nach der wir trachten. Und wenn von alledem auch nichts wahr wäre, so wird er doch von einem vertrauteren Gedanken und Gefühl geleitet. Je mehr Kraft nach seiner Meinung den Gesetzen innewohnt, die zur Selbstsucht, Ungerechtigkeit und Grausamkeit einzuladen scheinen, desto mehr bestärkt er jene anderen, die Grossmut, Mitleid und Gerechtigkeit lehren, denn indem er den Anteil des Weltalls und der eigenen Person gleichzusetzen und methodischer abzugrenzen beginnt, findet er in der letzteren etwas ebenso tief Natürliches.

 

Indessen kehren wir zu der tragischen Hochzeit der Bienenkönigin zurück. In dem uns beschäftigenden Falle will die Natur also in Anbetracht der kreuzweisen Befruchtung, dass Königin und Drohne sich nur im weiten Raume begatten. Aber ihre Pläne verstricken sich wie ein Netz, und ihre liebsten Gesetze müssen unaufhörlich durch die Maschen von anderen hindurch, und diese im nächsten Augenblick wieder durch die der ersteren. Da sie denselben Himmel mit ungezählten Gefahren bevölkert hat, mit kalten Winden, stürmischen Luftströmungen, Vögeln, Insekten und Wassertropfen, die auch unbeugsamen Gesetzen gehorchen, muss sie dafür sorgen, dass diese Paarung sich so schnell wie möglich vollzieht. Dies geschieht durch den blitzhaften Tod der Drohne. Eine Minute genügt, und der Rest der Befruchtung vollzieht sich in den Weichen der Gattin.

Diese kehrt von den blauen Höhen schnell in den Stock zurück und schleppt die langgezogenen Gedärme ihres Buhlen wie eine Oriflamme nach. Einige Bienenkenner behaupten, dass sie bei dieser hoffnungsschwangeren Rückkehr eine grosse Freude offenbarte. U. a. entwirft Büchner eine ausführliche Schilderung davon. Ich habe diese hochzeitliche Heimkehr nun oft genug belauscht, aber ich muss gestehen, dass ich nie eine ungewöhnliche Aufregung beobachtet habe, ausser wenn es sich um eine junge Königin handelt, die an der Spitze eines Schwarmes aufgebrochen ist und die einzige Hoffnung einer neu gegründeten, noch öden Stadt bildet. In diesem Falle stürzen alle Arbeitsbienen ihr wie bethört entgegen, um sie zu empfangen. Doch für gewöhnlich scheinen sie sie zu vergessen, obwohl die Zukunft des Volkes oft keine kleinere Gefahr läuft. Sie haben eben alles bedacht, bis dahin, wo sie den Mord der jungen Prinzessinnen zuliessen, aber weiter geht ihr Instinkt nicht; es ist wie ein Loch in ihrer Voraussicht. Sie machen also einen ziemlich gleichgiltigen Eindruck. Sie heben den Kopf, erkennen vielleicht auch das mörderische Wahrzeichen der Befruchtung, aber immer noch misstrauisch, wie sie sind, verraten sie nichts von der Heiterkeit, die wir von ihnen erwarten. Als positive, wenig illusionsfähige Wesen erwarten sie, bevor sie sich freuen, wahrscheinlich noch andere Beweise. Wir thun unrecht, wenn wir alle Gefühle dieser kleinen Geschöpfe, die uns so unähnlich sind, vermenschlichen und logisch machen wollen. Bei den Bienen, wie bei allen anderen Tieren, die einen Abglanz unseres Verstandes in sich tragen, kommt man selten zu so bestimmten Ergebnissen, wie sie in den Büchern geschildert werden. Es bleiben zu viele Umstände, die uns nicht bekannt sind. Warum soll man sie vollkommener machen, als sie sind, und etwas sagen, was nicht wahr ist? Wenn manche wähnen, dass sie anziehender wären, wenn sie uns glichen, so haben sie noch keinen richtigen Begriff davon, was einem aufrichtigen Geiste belangreich erscheinen muss. Das Ziel des Beobachters ist nicht, in Erstaunen zu setzen, sondern zu verstehen, und es ist interessanter, die Lücken eines Verstandes und alle Anzeichen eines von dem unseren abweichenden Zerebralsystems aufzuzeigen, als Wunder davon zu erzählen.

Trotzdem ist die Gleichgiltigkeit nicht allgemein, und sobald die Königin atemlos auf dem Flugbrett landet, bilden sich einige Gruppen und geleiten sie in die Vorhalle, in welche die Sonne, der Held aller Feste des Bienenstockes, mit kleinen, furchtsamen Schritten hineindringt, um die Wachswände und Honigguirlanden mit goldbraunem Helldunkel zu zieren. Übrigens regt die junge Gattin sich nicht mehr und nicht weniger auf, als ihr Volk; es ist nicht viel Raum für unnötige Wallungen in dem engen Hirn der praktischen Barbarenkönigin. Sie hat nur ein Verlangen, nämlich: sich sobald wie möglich von dem lästigen Angedenken an ihren Gatten zu befreien, das sie am Gehen hindert. Sie hockt auf der Schwelle nieder und entledigt sich sorgfältig der unnützen Organe, die alsbald von den Arbeitsbienen aus dem Stocke geschafft werden, denn die Drohne hat ihr alles gegeben, was sie besass, und weit mehr, als nötig war. Sie behält nichts bei sich, als in ihrer Samentasche die Samenflüssigkeit, in der Millionen Keime schwimmen, die einer nach dem andern beim Vorbeigleiten der Eier im Dunkel ihres Leibes die geheimnisvolle Vereinigung des männlichen und weiblichen Elementes vollziehen werden, aus der die Arbeitsbienen entstehen. Es ist eine seltsame Umkehrung der Dinge, dass sie das männliche Prinzip liefert und die Drohne das weibliche. Zwei Tage nach der Begattung legt sie ihre ersten Eier, und alsbald umgiebt das Volk sie mit peinlicher Fürsorge. Sie ist fortan zweigeschlechtig und ihr eigentliches Dasein nimmt jetzt seinen Anfang. Sie verlässt nie mehr den Stock, sieht nie mehr das Licht, ausser bei Begleitung eines Schwarmes, und ihre Fruchtbarkeit erlahmt erst bei ihrem Tode.

 

Eine seltsame Hochzeit! Die märchenhafteste vielleicht, die sich träumen lässt, voller Himmelsbläue und Trauerspiel, ein Aufschwung des Verlangens über das Leben hinaus, blitzhaft und unvergänglich, kurz und blendend, einsam und unendlich. Eine erhabene Trunkenheit, ein Tod im Reinsten und Schönsten, was es auf dieser Erde giebt. Im jungfräulichen, unendlichen Raume, in der majestätischen Klarheit des offenen Himmels schwebt der Augenblick der Wonne; im keuschen Lichte läutert sich alles Unreine, was der Liebe anhaftet, wird die unvergessliche Umarmung vollzogen und für eine lange Zukunft einem und demselben Leibe das doppelte Vermögen beider Geschlechter unzertrennlich verliehen.

Die tiefere Wahrheit hat freilich nichts von dieser Poesie; sie besitzt eine andere, für die wir weniger empfänglich sind, obwohl wir sie vielleicht dereinst auch begreifen und lieben werden. Die Natur hat keine Anstalten getroffen, um diesen beiden „abgekürzten Atomen“, wie Pascal sagen würde, eine glänzende Hochzeit, einen Augenblick idealen Glücks zu bescheren. Sie hat, wir haben es schon gesagt, nichts im Sinne, als die Verbesserung der Art durch die Befruchtung über Kreuz, und um diese sicherzustellen, hat sie das Organ der Drohne so eingerichtet, dass es keinen anderen Gebrauch zulässt, als im weiten Raume. Die Drohne muss durch andauerndes Fliegen ihre beiden grossen Luftsäcke vollständig ausdehnen, damit diese beiden luftgefüllten Gefässe den Unterteil des Hinterleibes herausdrücken, wodurch die Befruchtung stattfindet. Das ist das ganze physiologische Geheimnis – „wie trivial“, werden die einen sagen, „fast peinlich“, die anderen – des wunderbaren Liebesfluges, der blendenden Verfolgung und der seltsamen Hochzeit.

 

Und wir, fragt ein Poet, sollen wir unsere Freude denn stets über der Wahrheit suchen?

Ja, bei jeder Gelegenheit, in jedem Augenblick, in allen Dingen wollen wir unsere Freude stets zwar nicht über der Wahrheit suchen, was unmöglich ist, denn wir wissen nicht, wo sie zu suchen ist, wohl aber oberhalb der kleinen Wahrheiten, die wir erkennen. Wenn ein Gegenstand durch irgend welchen Zufall, eine Erinnerung, eine Illusion, eine Leidenschaft oder irgend einen Anlass sich unseren Augen schöner darstellt als den anderen, sei uns dieser Anlass zunächst lieb und teuer! Vielleicht ist es nur ein Irrtum, aber der Irrtum verhindert nicht, dass der Augenblick uns den Gegenstand am schönsten erscheinen lässt, wo wir nahe daran sind, seine Wahrheit zu erkennen. Die Schönheit, die wir ihm verleihen, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf seine wirkliche Grösse und Schönheit, die durchaus nicht leicht zu entdecken sind und in den Beziehungen aller Dinge zu den allgemeinen, ewigen Gesetzen und Kräften liegen. Die Fähigkeit zu bewundern, die wir an einer Illusion erprobt haben, ist für die Wahrheit, die ihr später oder früher folgt, unverloren. Mit Worten und Gefühlen der Vergangenheit, mit der Glut, die alte, imaginäre Schönheiten entfesselt haben, nimmt die Menschheit heute Wahrheiten auf, die vielleicht nie geboren wären, noch günstigen Boden gefunden hätten, wenn diese längst geopferten Illusionen das Herz und den Verstand, auf welche diese Wahrheiten sich herablassen wollen, nicht erfüllt und bestärkt hätten. Glücklich die Augen, die keiner Illusion bedürfen, um die Grösse des Anblickes zu ermessen! Die anderen lernen eben durch die Illusion aufschauen, bewundern und sich freuen. Und so hoch sie auch aufschauen mögen, sie werden nie zu hoch blicken. Je näher man der Wahrheit kommt, desto mehr erhebt sie sich, und je mehr man sie bewundert, desto näher kommt man ihr. Und so hoch sie sich auch freuen mögen, sie werden sich nie im Leeren freuen, noch über der unbekannten ewigen Wahrheit, die über allen Dingen wie eine unbestimmte Schönheit schwebt.

 

Heisst das, wir sollen uns der Lüge befleissigen, einer willkürlichen, unwirklichen Poesie nachtrachten und uns in Ermangelung eines Besseren an dieser erfreuen? Sollen wir etwa in dem vorliegenden Falle, der an sich nichts bedeutet, aber für tausend ähnliche Fälle und unsere ganze Stellung zu gewissen Thatsachenreihen typisch ist – sollen wir in diesem Falle etwa die physiologische Erklärung unterlassen und uns nur an die Empfindung halten, die uns dieser Hochzeitsausflug hinterlässt, der, was auch seine Ursache sein mag, immerhin einer der schönsten lyrischen Vorgänge jener plötzlich selbstlosen und unwiderstehlichen Gewalt bleibt, der alle Lebewesen gehorchen und die man Liebe nennt? Nichts wäre kindlicher, nichts wäre auch unmöglicher, dank den trefflichen Gewohnheiten, denen heute alle redlichen Geister huldigen.

Die kleine Thatsache, dass die Befruchtung durch die Drohne nur dann stattfindet, wenn die Luftsäcke aufgeschwellt sind, wollen wir mit Freuden aufnehmen, da sie unbestreitbar ist. Aber wenn wir uns damit begnügten, wenn wir nicht darüber hinausblickten, wenn wir daraus folgerten, dass jeder zu hoch fliegende oder zu weitgehende Gedanke notwendigerweise Unrecht hat, und dass die Wahrheit sich allemal in materiellen Kleinigkeiten befindet, wenn wir nicht irgendwo, vielleicht in Ungewissheiten, die von grösserer Tragweite sind, als die, welche durch die kleine Erklärung nun aufgehellt sind, z. B. in dem seltsamen Mysterium der kreuzweisen Befruchtung, der Fortdauer der Art und des Lebens, im Weltplan u. s. w. eine Fortsetzung dieser Erklärung, eine Fortdauer des Schönen und Grossen im Unbekannten suchen: ich möchte fast behaupten, dass wir unser Dasein dann in grösserem Abstande von der Wahrheit verbringen würden, als die, welche sich blind auf die poetische und völlig imaginäre Auslegung dieser wunderbaren Hochzeit verlegen würden. Sie täuschen sich ohne Zweifel über Form und Farbe der Wahrheit, aber sie leben weit mehr als die, welche sich schmeicheln, sie ganz und gar in Händen zu halten, in ihrem Dunstkreise und unter ihrem Einfluss. Sie sind darauf vorbereitet, sie zu empfangen, denn es ist ein gastlicherer Raum in ihnen, und wenn sie sie nicht sehen, so erheben sie ihre Augen doch zu dem Orte der Schönheit und Grösse, allwo es heilsam ist, sie zu suchen.

Das Ziel der Natur, welches für uns die alle anderen beherrschende Wahrheit ist, kennen wir nicht. Aber um diese Wahrheit zu lieben, um die Glut, mit der wir nach ihr trachten, in unserem Herzen zu nähren, müssen wir sie für gross halten. Und wenn wir eines Tages erkennen sollten, dass wir auf falscher Fährte sind, dass sie klein und unzusammenhängend ist, so werden wir diese Entdeckung doch nur der Anregung verdanken, die uns ihre vermeintliche Grösse gegeben hat, und wenn diese Kleinheit feststeht, wird sie uns lehren, was zu thun ist. Einstweilen ist es nicht zu viel gethan, wenn wir im Trachten nach ihr alles Mächtigste und Verwegenste in Bewegung setzen, dessen unser Verstand und Herz fähig ist. Und wenn das letzte Wort in alledem etwas Niedriges sein sollte, so ist es doch nichts Kleines, die Kleinheit oder Hohlheit des letzten Zieles der Natur aufgedeckt zu haben.

 

Es giebt für uns noch keine Wahrheit, sagte mir eines Tages einer unserer grossen zeitgenössischen Psychologen bei einem Spaziergange auf dem Lande. Es giebt noch keine Wahrheit, aber es giebt überall drei gute Wahrscheinlichkeiten. Jeder wählt sich eine davon aus, oder besser, sie wählt ihn, und diese Wahl, die er trifft, oder die ihn trifft, geschieht oft ganz instinktiv. Er hält sich fortan an sie, und sie bestimmt Form und Inhalt aller Dinge, die auf ihn eindringen. Der Freund, dem wir begegnen, das Weib, das uns lächelnd entgegengeht, die Liebe, die unser Herz öffnet, der Tod oder Kummer, der es schliesst, dieser Septemberhimmel, dieser schöne, anmutige Garten, in dem man, wie in Corneilles „Psyche“, grüne, goldumsäumte Lauben erblickt, und die weidende Herde und der Schäfer, der daneben schläft, und die letzten Dorfhäuser, und das Meer zwischen den Bäumen: das alles bückt oder erhebt sich, schmückt oder entkleidet sich seines Reizes, je nach dem Zeichen, das ihm die Wahl, die wir getroffen, macht. Lernen wir unter den drei Wahrscheinlichkeiten wählen. Am Abend meines Lebens, in dem ich so viel nach der kleinen Wahrheit und der physikalischen Ursache geforscht habe, beginne ich, zwar nicht das zu schätzen, was uns von diesen ablenkt, wohl aber das, was ihnen vorangeht, und namentlich das, was etwas über sie hinausgeht. –

Wir waren auf einer jener Hochebenen im Lande Caux in der Normandie angelangt, das so sanft ist, wie ein englischer Park, aber ein natürlicher Park ohne Grenzen. Es ist einer jener seltenen Erdenwinkel, wo das Land vollständig gesund und mit tadellosem Grün bedeckt ist. Etwas mehr nordwärts wird das Klima zu rauh, etwas mehr nach Süden wirkt die Sonne erschlaffend und sengend. – Am Saum einer Ebene, die sich bis ans Meer herabzog, türmten Bauern einen Getreideschober auf.

Sehen Sie, sagte er, von hier aus gesehen sind sie schön. Sie errichten ein einfaches und doch so wichtiges Ding; es ist das glückbedeutende und fast unveränderliche Denkmal des sich bejahenden Menschenlebens: ein Getreideschober. Die Entfernung und die Abendluft verwandeln ihre Freudenrufe in eine Art von Lied ohne Worte; es ist wie eine Antwort auf das Hohelied der Bäume, die über unseren Köpfen rauschen. Der Himmel über ihnen ist wundervoll, als ob gütige Geister alles Licht mit feurigen Palmwedeln nach dem Schober zugekehrt hätten, um ihrer Arbeit noch länger zu leuchten. Und die Spur der Palmen ist am Himmel geblieben. Sehen Sie die schlichte Dorfkirche halb zur Seite unter den rundwipfeligen Linden; sie überragt und überwacht sie. Und das Gras des heimatlichen Kirchhofes, der ins heimische Meer schaut. Sie errichten ihr Denkmal des Lebens harmonisch zwischen den Denkmälern ihrer Toten, die dieselben Bewegungen machten und in ihnen weiterleben. Fassen Sie nun das Ganze zusammen. Es ist ohne besondere, allzu hervorspringende Einzelheiten, wie man es in England, Holland oder der Provence finden könnte. Es ist das breite, beschauliche Bild eines natürlichen, glücklichen Lebens, alltäglich genug, um symbolisch zu wirken. Sehen Sie, welches Ebenmaass in der nutzbringenden Bethätigung des Menschenlebens liegt! Blicken Sie den Mann an, der die Pferde lenkt, den ganzen Körper des anderen, der die Garbe auf der Gabel hinaufreicht, die Weiber, die sich über das Getreide beugen, und die spielenden Kinder ... Sie haben keinen Stein verschoben, keine Erdscholle bewegt, um die Landschaft zu verschönern, sie thun keinen Schritt, sie pflanzen keinen Baum, säen keine Blume, wo es nicht notwendig ist. Das ganze schöne Bild ist nichts als das ungewollte Ergebnis des menschlichen Bemühens, sich eine kurze Zeit in der Natur zu erhalten. Und doch können die unter uns, die ein Bild der Anmut und des Friedens, ein Bild voll tiefer Bedeutung ersinnen oder schaffen möchten, nichts Vollkommeneres entdecken und kommen einfach hierher, um dies zu malen oder zu beschreiben, wenn sie uns Schönheit oder Glück darstellen wollen. Das ist die erste Wahrscheinlichkeit, die einige die Wahrheit nennen. –

Gehen wir näher heran. Hören Sie den Gesang, der dem Rauschen der grossen Bäume so frohgemut antwortete? Er besteht aus groben Worten und Schimpfreden, und wenn ein Lachen erschallt, so hat ein Mann ein Weib mit Dreck geworfen, oder sie ziehen den Schwächsten, den Buckeligen auf, der seine Bürde nicht heben kann, werfen den Lahmen hin oder zausen den Blöden.

Ich beobachte sie seit manchem Jahr. Wir sind in der Normandie, der Boden ist fett und leicht zu bebauen. Hier um den Schober herrscht ein bischen mehr Wohlstand, so dass man nicht überall eine Szene dieser Art vermutet. Folglich sind die Mehrzahl der Männer Alkoholiker, viele Weiber sind es gleichfalls, und ein anderes Gift, das ich nicht erst zu nennen brauche, verdirbt den Volksschlag vollends. Das Resultat davon sind die Kinder, die Sie da sehen. Dieser Knirps ist skrophulös, dieser Krummbeinige hat einen Wasserkopf. Alle, Männer und Weiber, junge und alte, huldigen den gewöhnlichen Lastern des Bauern. Sie sind brutal, heuchlerisch, verlogen, habgierig, verleumderisch, misstrauisch, neidisch, auf kleinen unerlaubten Profit bedacht, stets mit der niedrigsten Erklärung bei der Hand, schmeichlerisch gegen den Stärksten u. s. w. Die Not weist sie auf einander an und zwingt sie, sich gegenseitig zu helfen, aber wo sie es unbeschadet thun können, trachten alle insgeheim danach, sich zu schaden.

Die Schadenfreude ist die einzige wahre Freude des Ortes. Ein grosses Unglück ist der lange gehätschelte Gegenstand heimtückischen Ergötzens. Sie belauschen, beargwöhnen, verachten und verabscheuen einander. So lange sie arm sind, hegen sie gegen die Härte und den Geiz ihrer Brotherren einen zähen und verschlossenen Hass, und wenn sie selber Knechte haben, benutzen sie die Erfahrungen ihrer Knechtszeit, um die Härte und den Geiz, unter denen sie selbst gelitten haben, noch zu übertreffen. Ich könnte Ihnen manche Einzelheiten über die Schurkereien und Knickereien, die Tyrannei, Ungerechtigkeit und Ränkesucht erzählen, die dieser in Frieden und Himmelsschein ruhenden Arbeit zu Grunde liegen. Wir dürfen nicht glauben, dass der Anblick dieses herrlichen Himmels und des Meeres, das jenseits ihrer Kirche einen anderen greifbareren Himmel bildet, der die Erde umfängt, wie ein grosser Spiegel voller Bewusstsein und Weisheit, – dass dieser Anblick sie erhöbe und erbaute. Sie haben ihn nie genossen. Ihr Denken wird nur von drei oder vier ganz bestimmten Furchtempfindungen geleitet: der Furcht vor Hunger, der Furcht vor der Kraft, der öffentlichen Meinung, dem Gesetze, und in der Todesstunde der Furcht vor der Hölle. Um zu zeigen, was sie wert sind, müsste man sie einzeln vornehmen. Erst den grossen Burschen rechts, der so gemütlich aussieht und so schön die Garbe wirft. Vergangenen Sommer zerbrachen ihm seine Freunde bei einem Streit im Wirtshause den rechten Arm. Ich habe den Bruch geheilt, es war eine schlimme, komplizierte Geschichte. Ich habe ihn lange gepflegt. Ich habe ihn unterstützt, bis er wieder arbeiten konnte. Er kam alle Tage zu mir. Er hat sich das zu Nutze gemacht und im Dorfe verbreitet, er hätte mich in den Armen meiner Schwägerin überrascht, und meine Mutter tränke. Er ist nicht schlecht und will mir nicht böse, im Gegenteil, sein Gesicht strahlt von dem aufrichtigsten Lächeln, wenn er mich sieht. Es war kein sozialer Hass, der ihn dazu trieb. Der Bauer hasst den Reichen nicht, dazu hat er zu viel Respekt vor dem Reichtum. Aber ich denke, mein wackerer Gabelschwinger begriff nicht, warum ich ihn pflegte, ohne Vorteil daraus zu ziehen. Er witterte Ränke und wollte nicht der Genarrte sein. Mehr als einer, reich oder arm, hatte es vor ihm ebenso getrieben, oder noch schlimmer. Er glaubte nicht, dass er löge, als er seine Erfindungen verbreitete, er stand unter dem Drucke der Moralität seiner Umgebung. Er gehorchte unwissentlich und gewissermaassen wider Willen dem allmächtigen Gebote der allgemeinen Niedertracht ... Aber warum dies Bild weiter ausmalen? Wer einige Jahre auf dem Lande gelebt hat, der kennt es ja. Das ist also die zweite Wahrscheinlichkeit, die von den Meisten „die Wahrheit“ genannt wird. Es ist die Wahrheit des notwendigen Lebens. Es ist unzweifelhaft, dass sie auf den zuverlässigsten Thatsachen beruht, den einzigen, die jeder Mensch beobachten und erfahren kann. –

Setzen wir uns hier auf diese Garben, fuhr er fort, und sehen wir weiter zu. Verwerfen wir keine der kleinen Thatsachen, welche die eben genannte Realität ausmachen. Lassen wir sie von selber im Raum kleiner werden. Sie füllen den Vordergrund aus, aber hinter ihnen, das muss man wohl zugeben, steht eine grosse, höchst merkwürdige Kraft, die das Ganze in starken Händen hält. Hält sie es aber nur, oder vielmehr, erhebt sie es nicht? Die Menschen, die wir da sehen, sind nicht mehr in allen Stücken die wilden Tiere La Bruyère’s, die so etwas wie eine artikulierte Stimme hatten und sich des Nachts in Höhlen verbargen, wo sie von Schwarzbrot, Wasser und Wurzeln lebten ...

Die Rasse, werden Sie mir sagen, ist weniger kräftig und gesund. Wohl möglich. Das Alkohol und die andere Plage sind Zufälle, deren die Menschheit auch Herr werden muss. Vielleicht sind es Prüfungen, die manchen unserer Organe, z. B. dem Nervensystem, zum Heile gereichen werden, denn wir sehen das Leben aus den Übeln, die es überwindet, regelmässig Vorteil ziehen. Überdies kann ein Nichts, das vielleicht morgen gefunden wird, sie unschädlich machen. Dies ist es also nicht, was unseren Blick beschränken darf. Diese Menschen haben Gedanken und Empfindungen, welche diejenigen La Bruyère’s noch nicht hatten. – Ich mag die einfache, nackte Bestie lieber, als das abstossende Halbtier, murmelte ich. – Da sprechen Sie ganz im Sinne der ersten Wahrscheinlichkeit, die wir ins Auge fassten, entgegnete er. Vermischen wir sie nicht mit der, die wir jetzt prüfen wollen. Diese Gedanken und Empfindungen sind klein und niedrig, wenn Sie wollen, aber das Kleine und Niedrige ist schon ein Fortschritt gegen das Nichts. Sie gebrauchen sie nur, um sich zu schädigen und in ihrer Mittelmässigkeit zu beharren, aber es geht in der Natur oft so zu. Die Gaben, die sie gewährt, werden zuerst nur zum Bösen gebraucht und machen das, was sie scheinbar verbessern wollte, nur noch schlimmer, aber zuletzt entspringt diesem Übel doch ein gewisses Gutes. Übrigens bin ich gar nicht darauf aus, den Fortschritt zu beweisen. Er ist je nach dem Standpunkte, von dem man ihn betrachtet, etwas sehr Grosses oder etwas sehr Kleines. Die Lage des Menschen etwas menschenwürdiger, etwas weniger qualvoll zu gestalten, das ist ein grosses Ziel, das ist vielleicht das sicherste Ideal, aber wenn man von den materiellen Folgen einmal absieht, so ist der Abstand zwischen dem Menschen, der an der Spitze des Fortschrittes schreitet, und dem, der blindlings hintendreinläuft, nicht beträchtlich. Unter diesen jungen Bauernflegeln, deren Hirn nur von verworrenen Gedanken erfüllt ist, haben mehrere die Möglichkeit, den Grad von Bewusstsein, in dem wir leben, in kurzer Zeit zu erlangen. Man wundert sich oft, wie klein der Unterschied zwischen der Unbewusstheit dieser Menschen, die man für vollständig hält, und dem Bewusstsein ist, das wir für das höchste ansehen.

Überdies: woraus besteht denn dies Bewusstsein, auf das wir so stolz sind? Aus weit mehr Schatten, als aus Licht, aus weit mehr erworbener Unwissenheit als aus Wissen, aus weit mehr Dingen, auf deren Erkenntnis wir mit vollem Bewusstsein verzichten müssen, als aus bekannten. Trotzdem liegt in ihm alle unsere Würde, unsere wirklichste Grösse, und vielleicht ist es die erstaunlichste Erscheinung auf der Welt. Es lässt uns die Stirn zu dem unbekannten Prinzip erheben und zu ihm sprechen: „Ich kenne Dich nicht, aber etwas in mir erfasst Dich schon. Du wirst mich vielleicht zerstören, aber wenn Du aus meinen Trümmern keinen besseren Organismus zusammensetzen kannst, als ich bin, so bist du meiner nicht wert, und das Schweigen, das dem Tode der Art folgt, zu der ich gehöre, wird Dich lehren, dass Du gerichtet bist. Und wenn Dir nicht einmal daran liegt, eine gerechte Verurteilung zu erfahren, was liegt dann an Deinem Geheimnis? Wir wollen es dann nicht mehr ergründen. Es muss stumpfsinnig und schauderhaft sein. Du hast durch Zufall ein Wesen hervorgebracht, zu dessen Erzeugung Du nicht das Vermögen hattest. Ein Glück für den Menschen, dass Du ihn durch einen entgegengesetzten Zufall wieder ausgemerzt hast, ehe er den Abgrund Deiner Geistlosigkeit ermessen hat, und noch mehr Glück für ihn, dass er die unendliche Abfolge Deiner scheusslichen Zufallsspiele nicht mehr erlebt. Er gehörte nicht in eine Welt, in der seiner Vernunft keine ewige Vernunft entsprach, in der sein Trachten nach dem Besten kein wirkliches Gut erreichen konnte.“

Noch einmal: der Fortschritt ist nicht unbedingt erforderlich, damit das Schauspiel uns begeistert. Das Rätsel genügt, und dieses Rätsel hat in jenen Bauern ebensoviel Grösse und mystischen Glanz, wie in uns. Man findet es überall, wenn man dem Leben bis auf seinen allmächtigen Urgrund nachgeht. Dieser Urgrund erhält von Jahrhundert zu Jahrhundert einen anderen Namen. Einige waren deutlich und bestimmt, und waren tröstlich. Man hat erkannt, dass dieser Trost und diese Bestimmtheit illusorisch waren. Aber mögen wir ihn Gott, Vorsehung, Natur, Zufall, Leben, Geist, Materie, Verhängnis nennen, das Mysterium bleibt sich gleich, und alles, was wir in Jahrtausende langer Erfahrung gelernt haben, ist, ihm einen immer weiteren, uns menschlich näher stehenden Namen zu geben, der dem, was wir erwarten, und dem, was sich nicht vorhersehen lässt, Rechnung trägt. Diesen Namen führt er heute bereits, und darum ist er niemals grösser erschienen. – Dies ist einer der zahlreichen Fälle der dritten Wahrscheinlichkeit und auch ein Stück Wahrheit.


DIE DROHNENSCHLACHT

Bleibt nach dem Hochzeitsausfluge der Königin der Himmel noch klar und die Luft warm, sind die Blumen noch ergiebig an Nektar und Pollen, so dulden die Arbeitsbienen in einer Art von Nachsicht und Vergesslichkeit, oder vielleicht aus übertriebener Vorsicht, noch eine Zeit lang die lästige und verderbliche Anwesenheit der Drohnen. Diese gebährden sich im Stocke, wie die Freier der Penelope im Palast des Odysseus. Sie tafeln und schmausen und führen das müssige Leben von verschwenderischen und rücksichtslosen Ehrenliebhabern. Selbstzufrieden und breitspurig, wie sie sind, versperren sie die Gänge, verstopfen die Thore, stören die Arbeit, rämpeln und werden gerämpelt und stehen blöde und wichtig da, von blinder, gedankenloser Verachtung aufgeblasen, aber selbst mit Bewusstsein und Hintergedanken verachtet, und ohne eine Ahnung von der Erbitterung, die sich still häuft, und dem Schicksal, das ihrer harrt. Um nach Herzenslust zu schlafen, wählen sie sich die wärmste Ecke des Stockes zur Ruhestätte, erheben sich lässig, um aus den offenen Honigzellen, die am schönsten duften, nach Belieben zu saugen, und beschmutzen die Waben, auf denen sie sitzen, mit ihrem Unrat. Die langmütigen Arbeitsbienen gedenken der Zukunft und machen den Schaden stillschweigend wieder gut. Von Mittag bis um drei Uhr, wenn die Landschaft in bläulichem Sommerduft liegt und unter dem sieghaften Auge der Juli- oder Augustsonne in seliger Müdigkeit bebt, fliegen sie aus. Sie tragen einen Helm aus riesigen schwarzen Perlen mit zwei hohen lebendigen Federn, ein Wams von falbem Sammet mit lichten Perlen, ein zottiges Fell und einen vierfachen, starren, durchscheinenden Mantel. Dabei machen sie einen furchtbaren Lärm, drängen die Schildwachen beiseite, stören die Lüfterinnen und rennen die Arbeitsbienen um, die mit ihrer Tracht beladen heimkehren. Sie haben das geschäftige, auffällige und rücksichtslose Auftreten von unentbehrlichen Göttern, die geräuschvoll nach einem grossen, dem gemeinen Volke unbekannten Ziele aufbrechen. So vertrauen sie sich nacheinander stolz und unwiderstehlich dem weiten Luftraum an, um sich alsbald friedlich auf die nächsten Blumen niederzulassen und ihr Mittagsschläfchen zu halten, bis die abendliche Kühle sie wieder aufweckt. Dann kehren sie in demselben gebieterischen Fluge in den Stock zurück, laufen dort, stets von der gleichen, unentwegten Absicht erfüllt, wieder an die Honigbehälter, stecken den Kopf bis zum Halse hinein, saugen sich wie Schläuche voll, um ihren erschöpften Kräften aufzuhelfen, und schreiten dann wieder schweren Schritts zum Lager, wo der gute Schlaf ohne Sorgen und Träume sie bis zum nächsten Mahle umfängt.

 

Aber die Geduld der Bienen reicht nicht so weit wie die der Menschen. Eines Morgens läuft die längst erwartete Losung durch den Stock, und die friedlichen Arbeitsbienen werden zu Richtern und Henkern. Man weiss nicht, wer die Losung giebt, sie scheint aus der kalten, verstandesmässigen Entrüstung der Arbeitsbienen plötzlich hervorzubrechen und erfüllt, sobald sie ausgesprochen ist, wie es der Geist des einmütigen Gemeinwesens will, alsbald aller Herzen. Ein Teil des Volkes steht vom Beutemachen ab, um sich ganz dem Werke der Gerechtigkeit zu widmen. Die schamlosen Müssiggänger, die klumpenweise auf den honigspendenden Wänden sitzen, werden in ihrer Sorglosigkeit überrascht und durch ein Heer von zornigen Jungfrauen plötzlich aus dem Schlaf gerissen. Sie wachen glückselig auf, und doch unsicher, sie trauen ihren Augen nicht recht, und ihr Erstaunen dringt allmählig durch ihre allgemeine Gleichgiltigkeit hindurch, wie ein Mondstrahl durch ein sumpfiges Wasser. Sie bilden sich ein, sie seien das Opfer eines Irrtums, blicken starr um sich, und da der leitende Gedanke ihres Lebens in ihren dicken Hirnschädeln zuerst lebendig wird, so wenden sie sich nach den Honigbehältern, um sich zu stärken. Aber es ist jetzt nicht mehr die Zeit des Maihonigs, des Blumenweins der Linden und seines ambrosischen Seitenstückes, der Salbei, der Esparsette und des Majoran. Statt des freien Zugangs zu den schönen, vollen Behältern, die ihre gefälligen Zuckerränder unter ihrem Munde öffneten, finden sie ringsum ein grimmes Gestrüpp von gesträubten Giftstacheln. Der Dunstkreis der Stadt hat sich verändert, und statt des freundlichen Nektarduftes weht der bittere Anhauch des Giftes, das in tausend Tröpfchen auf den Spitzen der Stachel funkelt und Hass und Rache verbreitet. Aber noch ehe die verblüfften Schmarotzer sich dieser unerhörten Verletzung ihres gesegneten Schicksals bewusst werden, ehe sie den Umschwung der Glücksgesetze des Bienenstaates begriffen haben, stürmen schon drei bis vier Gerichtsfrauen auf sie los, versuchen ihnen die Flügel zu kappen, den Hinterleib vom Brustkasten abzutrennen, die fiebernden Fühler zu amputieren, die Füsse auszurenken und einen Spalt zwischen den Ringen ihres Panzers zu finden, um ihr vergiftetes Schwert hineinzutauchen. Die ungeschlachten, wehrlosen Tiere denken nicht an Verteidigung, sondern suchen zu entfliehen oder bieten ihr dickes Fell den auf sie niederregnenden Schlägen dar. Auf dem Rücken liegend, wehren sie mit ihren starken Fussenden die erbitterten Feindinnen ab, die nicht von ihnen ablassen, oder sie laufen im Kreise herum und reissen den ganzen Haufen zu einem tollen Wirbel mit fort, der indessen bald erlahmt. Nicht lange, so sind sie schon so mitleidswürdig, dass das Mitleid, welches in unserem Herzen nie weit von der Gerechtigkeit wohnt, sofort die Oberhand erlangt und um Gnade bitten würde. Aber umsonst, die harten Arbeiterinnen kennen nur das tiefe, harte Naturgesetz. Die Flügel werden den Ärmsten zerrissen, die Fusswurzeln abgetrennt, die Fühlhörner abgebissen, und ihre prachtvollen schwarzen Augen, in denen der Blumenflor sich spiegelte und der unschuldige Prunk des azurenen Sommerhimmels widerstrahlte, brechen im Schmerz und der Trübsal der Todesangst. Die einen erliegen ihren Wunden und werden von zwei oder drei ihrer Henkerinnen sofort nach den abliegenden Kirchhöfen geschleppt. Andere, die weniger schwer verletzt sind, retten sich in einen Winkel, wo sie eng zusammengedrängt sitzen und von einer unerbittlichen Wache blockiert werden, bis sie elendiglich sterben. Vielen gelingt es auch, den Ausgang zu gewinnen und in den Luftraum zu entweichen, wohin ihre Feindinnen sie verfolgen. Aber am Abend, wenn Hunger und Kälte sie quälen, kehren sie scharenweise nach dem Stocke zurück und flehen um Obdach. Doch auch hier finden sie eine erbarmungslose Wache. Am nächsten Morgen beim ersten Ausfluge räumen die Bienen die Leichenhügel der unnützen Riesen von der Schwelle fort, und mit ihnen verschwindet die Erinnerung an das Schmarotzergeschlecht aus dem Bienenstock bis zum nächsten Frühling.

Oft findet die Drohnenschlacht, in einer grossen Zahl von Kolonien desselben Bienenstandes gleichzeitig statt. Die reichsten und geordnetesten geben das Zeichen zum Morden. Einige Tage später folgen die weniger begünstigten kleineren Republiken. Nur die ärmsten und kläglichsten Völker, deren Königin sehr alt und fast unfruchtbar ist, lassen ihre Drohnen, in der Hoffnung, dass die junge Königin, die sie erwarten, noch geschwängert wird, bis zum Einbruch des Winters am Leben. Dann kommt das unausbleibliche Elend, und der ganze Schwarm, Mutter, Schmarotzer und Arbeitsbienen, ballt sich zu einem darbenden, dicht verschlungenen Knäuel zusammen und geht im Dunkel des Stockes still zu Grunde, bevor der erste Schnee gefallen ist.

Nach dem Strafgericht der Müssiggänger nehmen die starken und wohlhabenden Völker die Arbeit wieder auf, doch mit vermindertem Eifer, denn die Blumen werden immer seltener. Die grossen Feste und die grossen Trauerspiele sind vorüber. Trotzdem füllen die nahrungspendenden Wände sich zur Vervollständigung der unentbehrlichen Vorräte noch mit Herbsthonig, und die letzten Behälter werden mit dem weissen unverderblichen Wachssiegel verschlossen. Der Wachsbau hört auf, die Geburten nehmen ab, die Todesfälle zu, die Tage werden kürzer und die Nächte länger. Regen und ungünstige Winde, Frühnebel und die Fallen der allzufrüh sinkenden Dämmerung bringen hunderten der emsigen Arbeiterinnen den Tod vor den Thoren, und das ganze kleine Volk, das so sonnensüchtig ist wie die Cicaden Attikas, sieht der drohenden Winterkälte entgegen.

Der Mensch hat sich seinen Anteil an der Ernte schon vorweggenommen. Jeder der guten Bienenstöcke hat ihm 80 bis 100 Pfund Honig geliefert, – und die reichsten geben bisweilen 200, – den Ertrag riesiger Lichtmeere und endloser Blumenfelder, die sie Tag für Tag und Blüte für Blüte beflogen haben. Jetzt wirft er noch einen letzten Blick auf die der Winterstarre entgegengehenden Völker. Den reichsten nimmt er ihre überflüssigen Schätze und verteilt sie an die stets durch unverdientes Missgeschick verarmten Bewohner dieser emsigen Welt. Er deckt ihre Wohnungen zu, schliesst die Eingänge halb, nimmt die unnützen Rahmen heraus und überlässt die Bienen ihrem langen Winterschlaf. Sie ziehen sich dann nach der Mitte des Bienenstockes zusammen und hängen sich an die Waben, aus denen während der Frosttage der Ertrag des Sommers geschöpft werden soll. In der Mitte sitzt die Königin, umgeben von ihrer Leibwache. Die erste Reihe der Arbeitsbienen hängt an den gedeckelten Zellen, über ihnen eine zweite Reihe, auf dieser eine dritte u. s. w. bis zur letzten, die den anderen zur Decke dient. Fühlen die Bienen dieser Deckschicht sich von der Kälte überwältigt, so verschwinden sie in der Masse und werden durch andere ersetzt. Die hängende Traube ist wie eine dunkle Kugel, die durch die Honigwände geteilt wird und sich unmerklich auf und ab, vorwärts und zurück bewegt, je nachdem die Zellen, an denen sie hängt, nachgeben. Denn das Leben der Bienen steht im Winter nicht ganz still, wie man allgemein glaubt, sondern es pulsiert nur langsamer.[12] Durch Zittern mit ihren Flügeln, den kleinen überlebenden Schwestern der Sommerglut, und indem sie je nach den Schwankungen der Aussentemperatur bald stärker, bald schwächer „brausen“, unterhalten sie in ihrem Winterlager eine gleichmässige Temperatur von der Wärme eines Frühlingstages. Dieser verborgene Frühling aber quillt aus dem Honig, der nichts anderes ist, als ein vormals verwandelter Wärmestrahl, der nun zu seiner ersten Form zurückkehrt und wie ein edles Blut durch ihren Wintersitz strömt. Die Bienen, die auf den offenen Zellen sitzen, reichen ihn ihren Nachbarinnen und diese geben ihn wieder weiter. Er geht derart von Hand zu Hand, von Mund zu Mund und erreicht schliesslich die letzten Glieder des Schwarmes, in dessen tausend kleinen Herzen nur ein Gedanke und ein Schicksal lebt. Er ersetzt ihnen Sonnenschein und Blumen, bis sein älterer Bruder, die Sonne, an einem schönen Frühlingstage wieder durch die halbgeöffnete Pforte blickt, um mit seinen lauen Blicken, unter denen die Veilchen und Anemonen erblühen, die Bienen vom Winterschlaf zu erwecken und ihnen zu bedeuten, dass der Himmel wieder sein blaues Kleid angethan hat und dass der ununterbrochene Kreislauf des rastlosen Lebens und des frühzeitigen, aber thätigen und glückseligen Sterbens wieder begonnen hat.


DER FORTSCHRITT DER ART

Ehe ich dieses Buch schliesse, wie wir den Bienenstock über dem Schweigen der Winterstarre geschlossen haben, möchte ich noch einem Einwand begegnen, der fast immer erhoben wird, wenn man die Wunder des Bienenstaates, seinen politischen Sinn und Gewerbfleiss, dem Beschauer vor Augen führt. Ja, heisst es gewöhnlich, das alles ist wunderbar, aber unveränderlich und starr. Seit abertausenden von Jahren leben sie unter bemerkenswerten Gesetzen, aber diese Gesetze sind seit abertausenden von Jahren die gleichen geblieben. Von Urbeginn an bauen sie ihre wunderbaren Waben, denen man nichts nehmen und nichts hinzusetzen kann, und in denen sich das Wissen des Chemikers mit dem des Mathematikers, Architekten und Ingenieurs in gleicher Vollendung paart; aber diese Waben sind genau dieselben, wie in den Sarkophagen, oder in den Darstellungen auf Steinen und in den Papyrusrollen Ägyptens. Man nenne uns eine Thatsache, die den geringsten Fortschritt bedeutet, eine Einzelheit, in der sie eine Neuerung getroffen, einen Punkt, wo sie von ihrer Jahrhunderte alten Gewohnheit abgewichen wären, und wir werden uns beugen, wir werden anerkennen, dass in ihnen nicht nur ein wundervoller Instinkt lebt, sondern auch ein Verstand, der ein Recht hat, sich dem des Menschen zu nähern und mit ihm auf irgend ein höheres Geschick zu hoffen, als das der unbewussten, unterworfenen Materie.

Es sind nicht nur die Laien, die so reden. Auch Entomologen vom Range Kirbys und Spences haben dasselbe Argument gebraucht, um den Bienen jede Intelligenz abzusprechen, ausser der, die sich in dem engen Kerker eines wunderbaren, aber unveränderlichen Instinktes verworren kundgiebt. „Man zeige uns“, sagen sie, „einen einzigen Fall, wo sie unter dem Drucke der Verhältnisse darauf gekommen sind, an Stelle von Wachs oder Propolis z. B. Thon oder Mörtel zu verwerten, und wir werden zugeben, dass sie der Überlegung fähig sind.“

Dieses Argument, das Romanes „the question begging argument“ nennt – man könnte es auch das unersättliche Argument nennen – gehört zu den allergefährlichsten und würde uns, auf den Menschen angewandt, sehr weit führen. Wohl betrachtet, stammt es aus jenem gesunden Menschenverstande, der oft Schaden genug stiftet und dem Galilei antwortet: „Die Erde bewegt sich nicht, denn ich sehe die Sonne am Himmel wandeln, des Morgens emporsteigen und des Abends untergehen, und nichts kann das Zeugnis meiner Augen widerlegen“. Der gesunde Menschenverstand ist als Grundlage unseres Geistes vortrefflich und notwendig, aber nur, wenn ein erhabener Zweifel ihn stets überwacht und ihm seine unendliche Unwissenheit nach Bedarf vorhält; anderenfalls ist er nichts als eine Angewohnheit der unteren Stufen unseres Verstandes. Aber die Bienen haben die Einwendung von Kirby und Spence selbst beantwortet. Sie war kaum gemacht worden, als ein andrer Naturforscher, Andrew Knight, der die kranke Rinde gewisser Bäume mit einer Art Zement aus Wachs und Terpentin bestrichen hatte, die Beobachtung machte, dass seine Bienen kein Propolis mehr eintrugen und nur dieses unbekannte Material benutzten, das sich bald bewährte und angenommen wurde, da sie es vollständig fertig und in grossen Mengen in der Nähe ihrer Wohnung fanden.

Überdies läuft die Hälfte aller Bienenkunde und Bienenzucht darauf heraus, der Initiative der Bienen Vorschub zu leisten und ihrem praktischen Verstande Gelegenheit zu geben, sich zu üben und wirkliche Entdeckungen, wirkliche Erfindungen zu machen. Wenn z. B. wenig Pollen in der Natur vorhanden ist, so streut der Bienenwirt zur Auffütterung der Brut, zu der viel Pollen nötig ist, in der Nähe des Bienenstockes Mehl aus. Im Naturzustande, im Schoosse der Urwälder oder asiatischen Thäler, in denen sie vor der Tertiärzeit wahrscheinlich gelebt haben, ist ihnen ein derartiger Stoff jedenfalls nicht begegnet. Trotzdem braucht man nur einige darauf aufmerksam zu machen, indem man sie in das Mehl setzt, und sie werden es betasten, kosten und seine dem Blütenstaub verwandten Eigenschaften erkennen, sie werden in den Stock zurückkehren, ihre Schwestern von ihrer Entdeckung benachrichtigen, und alsbald wird ein ganzer Schwarm erscheinen, um dies unerwartete und unbegreifliche Nahrungsmittel einzuernten, das in ihrem anererbten Gedächtnis von den Blumenkelchen unzertrennlich ist.

 

Es ist kaum hundert Jahre her, dass man nach Hubers Vorgang die Bienen ernstlich zu beobachten und die ersten Fundamentalwahrheiten zu entdecken begonnen hat, die ein erfolgreiches Studium erlauben. Etwas mehr als fünfzig Jahre sind es her, dass sich durch die Erfindung der beweglichen Waben und Kastenstöcke des Pfarrers Dzierzon eine rationelle und praktische Bienenzucht anbahnt, dass der Bienenstock nicht mehr ein unverletzliches Haus ist, wo alles in Mysterien gehüllt bleibt, bis der Tod es entschleiert, wenn es nicht mehr ist. Schliesslich sind es weniger als fünfzig Jahre her, seit durch Vervollkommnung des Mikroskops und des Handwerkszeuges der Entomologen das Geheimnis der Hauptorgane der Arbeitsbienen, der Königin und der Drohnen blosgelegt ist. Ist es da erstaunlich, dass unser Wissen nicht weiter reicht, als unsere Erfahrung? Die Bienen leben seit Jahrtausenden, und wir beobachten sie seit zehn oder zwölf Lustren. Und wenn es auch bewiesen wäre, dass sich im Bienenstocke nichts verändert hat, seit wir ihn geöffnet haben, so haben wir doch noch kein Recht, daraus zu folgern, dass sich nie etwas darin geändert hat, ehe wir ihn befragten. Wissen wir nicht, dass in der Entwickelung einer Gattung ein Jahrhundert wie ein Regentropfen ist, der sich im Strom verliert, und dass im Leben der Materie die Jahrtausende ebenso schnell vergehen, wie die Jahre im Leben eines Volkes?

 

Aber es ist unbewiesen, dass sich in den Gewohnheiten der Bienen nichts verändert haben soll. Prüft man sie ohne vorgefasste Meinung und ohne das kleine Feld unserer heutigen Erfahrung zu verlassen, so wird man im Gegenteil sehr merklicher Veränderungen gewahr. Und wer nennt die, welche uns entgehen? Ein Beobachter, der etwa einhundertfünfzigmal unsere Grösse und siebenhunderttausendmal unseren Umfang hätte (es sind dies die Zahlenverhältnisse zwischen unserer Statur und Schwere und denen der kleinen Honigbiene), ein Beobachter, der unsere Sprache nicht verstünde und mit ganz anderen Sinnen begabt wäre, als wir, würde vielleicht entdecken, dass sich in den zwei letzten Dritteln des verflossenen Jahrhunderts recht sonderbare materielle Veränderungen vollzogen haben, aber von unserer moralischen, sozialen, religiösen, politischen und ökonomischen Entwickelung könnte er sich keinen Begriff machen.

Eine höchst wahrscheinliche wissenschaftliche Hypothese wird uns sogleich erlauben, unsere Hausbiene an den grossen Stamm der Apinen zu knüpfen, der alle wilden Bienen umfasst, und in dem vielleicht ihre Vorfahren zu suchen sind.[13] Wir werden dann physiologischen, sozialen, ökonomischen, architektonischen und industriellen Wandelungen beiwohnen, die selbst unsere menschliche Entwickelung in Schatten stellen. Zunächst jedoch wollen wir uns an unsere Hausbiene halten, deren man etwa sechszehn Arten zählt. Aber ob Apis dorsata, die grösste, oder Apis florea, die kleinste, die man kennt, es ist immer dasselbe Insekt, durch Klima und Umstände, denen es sich hat anpassen müssen, mehr oder minder verändert. Alle diese Arten sind sich nicht viel unähnlicher, als ein Engländer einem Russen oder ein Japaner einem Europäer. Indem wir unsere Vorbemerkungen dermassen beschränken, wollen wir hier nur das feststellen, was wir mit eigenen Augen und zu dieser Stunde sehen können, ohne unsere Zuflucht zu irgend einer Hypothese zu nehmen, mag sie noch so wahrscheinlich und unabweislich sein. Wir wollen auch nicht auf all die Thatsachen Bezug nehmen, die man hier heranziehen könnte. Einige der bezeichnendsten mögen in schneller Aufzählung folgen.

 

Die wesentlichste und radikalste Verbesserung, die einer ungeheuren Arbeitsleistung in der Menschenwelt entsprechen würde, ist zunächst der Schutz des Gemeinwesens nach aussen.

Die Bienen wohnen nicht wie wir in Städten unter offenem Himmel, die den Launen von Wind und Wetter ausgesetzt sind, sondern ihre Siedelungen sind ganz und gar mit einer schützenden Hülle umgeben. Im Naturzustande und in einem idealen Klima ist das nicht der Fall. Wenn sie nur den Tiefen ihres Instinktes Gehör gäben, so würden sie ihre Waben offen bauen. In Indien sucht die Apis dorsata nicht allzubegierig hohle Bäume und Felshöhlen auf. Der Schwarm legt sich an einen Astwinkel an und die Wabe entsteht, die Königin legt, die Vorräte häufen sich ohne ein anderes Obdach, als die Leiber der Arbeitsbienen. Man hat bisweilen beobachtet, dass unsere nördlichen Bienen sich durch einen zu milden Sommer täuschen liessen und diesem Instinkt wieder Gehör gaben, und man hat Schwärme gefunden, die so im Freien im Buschwerk lebten.[14]

Aber selbst in Indien hat diese anscheinend eingeborene Gewohnheit oft unangenehme Folgen. Sie verdammt einen Teil der Arbeitsbienen zur Unbeweglichkeit. Die nötige Wärme für die am Wachsbau und an der Errichtung von Brutzellen thätigen Bienen zu erzeugen, ist ihre einzige That, und infolge dessen baut die Apis dorsata, die an den Ästen hängt, nur eine Wabe. Das bescheidenste Obdach erlaubt ihr vier oder fünf und noch mehr anzulegen, und um soviel hebt sich auch die Bevölkerungszahl und der Wohlstand des Volkes. Darum haben auch alle Bienenrassen der kalten und gemässigten Zone diese ursprüngliche Methode aufgegeben. Augenscheinlich hat die natürliche Auslese die kluge Initiative des Insektes geheiligt, indem sie nur die volkreichsten und geschütztesten Stämme den nordischen Winter überdauern lässt; und was zuerst nur ein Gedanke war, der dem Instinkte zuwiderlief, ist allmählich zur instinktiven Gewohnheit geworden. Aber darum steht es doch fest, dass es zuerst ein kühner und wahrscheinlich an Beobachtungen, Erfahrungen und Überlegungen reicher Gedanke war, dem weiten, angebeteten, natürlichen Lichte Valet zu sagen und sich in den Höhlen eines Baumes oder Felsens zu bergen. Man möchte fast sagen, diese Erfindung war für die Geschicke der Hausbiene ebenso bedeutungsvoll, wie die Entdeckung des Feuers für das Menschengeschlecht.

 

Neben diesem grossen Fortschritte, der, obwohl alt und erblich, doch jedesmal neu errungen werden muss, finden wir eine Fülle von unendlich veränderlichen Einzelheiten, die uns beweisen, dass Politik und Gewerbfleiss des Bienenstaates nicht in eherne Formen gegossen sind. Wir erwähnten schon den klugen Ersatz von Pollen durch Mehl und den von Wachs durch eine künstliche Zementmasse. Wir haben gesehen, wie geschickt sie die oft verzweifelt ungastlichen Wohnungen, in die man sie einschlägt, ihren Bedürfnissen anzupassen wissen. Wir haben gleichfalls gesehen, mit welcher unmittelbaren, überraschenden Gewandtheit sie sich die Kunstwaben, die ihnen der erfinderische Sinn des Menschen darbot, zu Nutze gemacht haben. Hier ist die sinnreiche Ausnutzung eines wunderbar brauchbaren, aber unvollständigen Dinges geradezu staunenswert. Sie haben den Menschen mit seinen halben Andeutungen thatsächlich verstanden. Man stelle sich vor, wir bauten unsere Städte seit Jahrhunderten nicht mit Kalk, Steinen und Ziegeln, sondern mit einer hämmerbaren Substanz, die wir mit Hilfe von besonderen Organen mühsam aus unserem Körper ausschieden, und eines Tages setzt uns ein allmächtiges Wesen mitten in eine fabelhafte Stadt. Wir erkennen, dass sie aus einem ganz ähnlichen Stoffe besteht, wie wir ihn ausscheiden, aber im übrigen ist es ein Traum, der just durch seine Logik, eine verzerrte und gewissermaassen reduzierte und konzentrierte Logik, mehr verwirrt, als die Zusammenhangslosigkeit selbst. Unser gewöhnlicher Bauplan findet sich darin wieder, alles ist so, wie wir es erwarten können, aber nur in Potenz und sozusagen durch eine eingeborene feindliche Macht erdrückt, im Entstehen aufgehalten und nicht zur vollen Entfaltung gediehen. Die Häuser, die vier oder fünf Meter hoch sein sollen, bestehen nur aus kleinen Anschwellungen von Handbreite. Tausend Mauern sind durch einen Strich angedeutet, der ihr Schicksal und zugleich das Baumaterial, aus dem sie gebaut werden sollen, in sich schliesst. Dazu findet sich manche grosse Unregelmässigkeit, die zu verbessern bleibt, Abgründe müssen ausgefüllt und mit dem Ganzen in Einklang gebracht, weite lockere Flächen versteift werden. Denn das Werk ist unverhofft brauchbar, aber unfertig und in seinem jetzigen Zustande geradezu gefährlich. Es scheint von einer überlegenen Vernunft ersonnen, die unsere meisten Wünsche erraten hat, aber durch ihre eigene Riesenhaftigkeit behindert wurde, sie anders als ganz grob zu verwirklichen. Es handelt sich also darum, das alles zu entwirren, sich die geringsten Absichten des übernatürlichen Gebers zu Nutze zu machen, in wenigen Tagen das zu bauen, was sonst Jahre in Anspruch nehmen würde, auf seine organischen Gewohnheiten zu verzichten und seine Arbeitsmethoden von Grund aus umzuwerfen. Ganz gewiss bedürfte es aller unserer Anspannung, um die auftauchenden Probleme zu lösen und nichts von den Vorteilen zu verlieren, die eine grossmütige Vorsehung uns darböte. Aber dies ist ungefähr dasselbe, was die Bienen in unseren modernen Mobilstöcken thun.[15]

 

Selbst die Politik des Bienenstaates ist wahrscheinlich nicht stets dieselbe geblieben, sagte ich. Es ist dies der dunkelste und am schwersten nachzuweisende Punkt. Ich will mich nicht bei der veränderlichen Behandlungsweise der Königinnen aufhalten, noch bei den jedem Volke eigenen Gesetzen des Schwärmens, die sich von Geschlecht zu Geschlecht zu vererben scheinen. Neben diesen Thatsachen, die nicht ganz fest umschrieben sind, giebt es noch andere, die weder schwankend noch unbestimmt sind und deutlich beweisen, dass nicht alle Arten der Hausbiene auf derselben Stufe politischer Gesittung stehen, dass es solche giebt, deren politischer Geist noch tastet und vielleicht nach einer andern Lösung des Problems der Königin trachtet. Die syrische Biene z. B. zieht gewöhnlich einhundert und zwanzig Königinnen auf und mehr, wogegen unsere Apis mellifica höchstens bis auf zehn oder zwölf kommt. Cheshire berichtet von einem syrischen Volke, das keineswegs abnorm war und bei dem sich einundzwanzig tote Königinnen und neunzig lebende und freie befanden. Dies ist der Ausgangs- oder Endpunkt einer recht seltsamen sozialen Entwickelung, und es verlohnte sich, ihr mehr auf den Grund zu gehen. Übrigens steht die cyprische Biene in Bezug auf die Aufziehung der Königinnen der syrischen sehr nahe. Ist dies ein tastender Rückfall vom monarchischen Prinzip zur Oligarchie, zur vielfachen Mutterschaft nach der erprobten einzigen? Jedenfalls war die syrische und cyprische Biene, die der ägyptischen und italienischen nahe verwandt ist, wohl die erste, die der Mensch unter seine Botmässigkeit gebracht hat. Zum Schluss noch eine Beobachtung, die noch deutlicher zeigt, dass die Sitten und die weitblickende Organisation des Bienenstaates nicht das Ergebnis eines ursprünglichen Triebes sind, der sich mechanisch von Jahrhundert zu Jahrhundert und von Klima zu Klima forterbt, sondern dass der Geist, der diese kleinen Gemeinwesen lenkt, den veränderten Umständen Rechnung trägt, sich ihnen fügt und daraus Vorteil zieht, wie er den früheren Gefahren vorzubeugen wusste. Wird unsere schwarze Biene also nach Australien oder Californien gebracht, so verändert sie ihre Gewohnheiten vollständig. Vom zweiten oder dritten Jahre an, d. h. sobald sie gemerkt hat, dass ewiger Sommer herrscht und nie Blumenmangel eintritt, lebt sie in den Tag hinein, begnügt sich damit, soviel Pollen und Honig einzutragen, als zum täglichen Gebrauche nötig ist, und da ihre neue, verstandesmässige Beobachtung über ihre erbliche Erfahrung Herr wird, so trägt sie keinen Wintervorrat mehr ein. Man erhält sie sogar nur dadurch in Thätigkeit, dass man ihr die Früchte ihrer Arbeit fortnimmt.[16]

 

Soviel können wir mit unseren Augen sehen. Wie man zugeben wird, sind dies ein paar ausschlaggebende Thatsachen und ein gutes Argument gegen die Ansicht derer, die da meinen, dass aller Verstand unbeweglich und in eherne Formen gegossen ist, ausgenommen der menschliche.

Wenn wir die Hypothese der Entwickelung aber einen Augenblick zugeben, so wird das Schauspiel grösser, und sein unbestimmter, gewaltiger Schein reicht bis an unsere eigenen Geschicke. Es ist nicht augenscheinlich, aber wer sich ernstlich damit beschäftigt, für den ist es nicht mehr zweifelhaft, dass in der Natur ein Wille herrscht, der danach trachtet, einen Teil der Materie auf eine höhere, vielleicht auch bessere Stufe zu erheben und ihre Oberfläche allmählich mit jenem geheimnisvollen Fluidum zu überziehen, das wir zuerst das Leben, dann den Instinkt und kurz danach den Verstand nennen, ein Wille, der die Existenz alles dessen, was einem unbekannten Ziele zustrebt, zu sichern, zu organisieren und zu erleichtern trachtet. Es steht nicht fest, aber viele Beispiele, die wir um uns haben, laden zu der Annahme ein, dass die Materie, die sich von Urbeginn an dergestalt erhoben hat, gesetzt dass man sie wägen und zählen könnte, nicht aufgehört hat, zuzunehmen. Ich wiederhole es: die Annahme steht auf schwachen Füssen, aber es ist die einzige über die verborgene Kraft, welche uns lenkt, zu der wir ein Recht haben, und das ist viel in einer Welt, in der unsere erste Pflicht die Zuversicht zum Leben ist, selbst dann, wenn man keine ermutigende Gewissheit darin entdecken würde, und solange es keine gegenteilige Gewissheit giebt.

Ich weiss, was man gegen die Entwickelungslehre alles einwenden kann. Sie hat zahlreiche Beweise und starke Gründe für sich, aber sie sind nicht notwendig überzeugend. Man darf sich den Wahrheiten seines Zeitalters nie rückhaltlos anvertrauen. In hundert Jahren werden vielleicht viele Kapitel in unseren Büchern, die von ihr durchtränkt sind, deswegen veraltet sein, wie heute die Werke der Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts, die von einer zu vollkommenen Menschheit ausgehen, die es nicht giebt, oder so viele Werke des siebzehnten Jahrhunderts, die durch den Gedanken des kleinlichen und strengen Gottes der von so vielen Lügen und Eitelkeiten entstellten katholischen Tradition befleckt werden.

Trotzdem ist es gut, wenn man die Wahrheit über eine Sache nicht wissen kann, die Hypothese anzunehmen, die sich in dem Augenblick, wo der Zufall uns ins Leben gerufen hat, dem Verstande am unabweislichsten aufdrängt. Man kann wetten, dass sie falsch ist, aber solange man sie für wahr hält, ist sie nützlich, belebt sie die Gemüter und giebt unserer Wissbegier eine neue Richtung. Es mag auf den ersten Blick weiser erscheinen, diese feinsinnigen Hypothesen durch die einfache, tiefere Wahrheit zu ersetzen, dass wir nichts wissen. Aber diese Wahrheit wäre nur dann erspriesslich, wenn es bewiesen wäre, dass wir nie etwas wissen werden. Inzwischen würde sie uns in einer Unbeweglichkeit erhalten, die verderblicher ist, als die thörichtesten Illusionen. Wir sind so geschaffen, dass uns nichts höher und weiter trägt, als die Sprünge unserer Irrtümer. Im Grunde danken wir das Wenige, was wir wissen, den gewagtesten, oft geradezu absurden Hypothesen, die zumeist weit unkluger sind, als die heutige. Sie waren vielleicht sinnlos, aber sie haben die Glut der Erkenntnis in uns geschürt. Mag der, welcher am Herde der Herberge der Menschheit wacht, blind oder im höchsten Alter sein: was thut das dem Wanderer, der friert und sich an seine Seite setzt? Wenn das Feuer unter seiner Obhut nicht erloschen ist, so hat er gethan, was der Beste nicht besser machen könnte. Übertragen wir diese Glut, und zwar nicht wie sie ist, sondern gesteigert; und nichts kann sie so mehren, wie diese Entwickelungshypothese, die uns zwingt, alles, was auf und unter dieser Erde, in den Tiefen des Meeres und an der Veste des Himmels ist, fortan nach strengeren Methoden und mit anhaltenderer Leidenschaft zu befragen. Was giebt es zum Ersatz für sie, und was sollen wir an ihre Stelle setzen, wenn wir sie verwerfen? Etwa das grosse Geständnis der gelehrten Unwissenheit, die sich selbst erkennt, ein Geständnis, das gewöhnlich so thatlos und für die Wissbegier, die dem Menschen nötiger ist, als selbst die Weisheit, so entmutigend ist, oder die Hypothese von dem Beharren der Arten und der göttlichen Schöpfung, die noch unbewiesener ist, als die unsere, und die den lebensvollsten Teil des Problems für immer von sich abschiebt, indem sie das Unerklärliche zu befragen vermeidet?

 

An diesem Aprilmorgen im Garten, der unter dem frischen Himmelstau zu neuem Leben erwachte, sah ich an den Rosenbeeten und den zitternden Primeln in ihrer Einfassung von weissem Täschelkraut, das auch Alysse oder Steinkraut genannt wird, die wilden Bienen schwirren, die Urmütter der unserem Willen und Begehren unterworfenen, und ich gedachte der Lehren meines alten seeländischen Bienenfreundes. Mehr als einmal ist er mit mir durch seine bunten Blumenbeete gegangen, die so gehalten und angelegt waren, wie zu Zeiten des Vater Cats, jenes guten, prosaischen und unversieglichen holländischen Dichters. Sie bildeten Rosetten, Sterne, Guirlanden, Ohrringe und Armleuchter am Fusse einer Weissdornhecke oder eines Obstbaumes, der als Kugel, Pyramide oder Spindel zugeschnitten war, und die Buchsbaumeinfassung lief wie ein wachsamer Schäferhund um alle Ränder, um zu verhüten, dass die Blumen auf den Weg wuchsen. Ich lernte die Namen und Gewohnheiten der einsamen Kunstbienen kennen, die wir nie beachten, da wir sie für gemeine Fliegen, schädliche Wespen oder stumpfsinnige Käfer halten. Und doch trägt eine jede von ihnen unter ihrem doppelten Flügelpaar, das sie im Insektenlande kennzeichnet, den Lebensplan, die Werkzeuge und den Gedanken zu einem ganz besonderen und oft wunderbaren Schicksal. Da sind zunächst die nächsten Verwandten unserer Hausbiene, die zottigen, untersetzten Hummeln, bisweilen winzig, meist aber riesig und wie die Urmenschen in ein unförmiges Fell gekleidet, um das sich kupferne oder zinnoberrote Spangen schlingen. Sie sind noch halbe Barbaren, vergewaltigen die Kelche, zerreissen sie, wenn sie Widerstand leisten, und dringen unter die atlasschimmernden Schleier der Blumenkronen, wie ein Höhlenbär unter das seiden- und perlenglänzende Zelt einer byzantinischen Prinzessin.

Neben ihnen, und grösser als die grösste unter ihnen, steht ein in Finsternis gehülltes Ungetüm, von düsterem Feuer glühend, grün und violett: die Holzbiene (Xylocopa violacea), der Riese in der Bienenwelt. Ihr folgen in der Grösse die ernsten Mörtelbienen (Chalicodoma), die in Schwarz gekleidet sind und sich aus Lehm und Kies Wohnungen erbauen, die hart wie Stein sind. Dann kommen mit einander die Bürsten- oder Hosenbienen (Dasypoda) und die wespenähnlichen Ballenbienen (Halictus), die Erd- oder Sandbienen (Andrena), die oft einem phantastischen Schmarotzer zum Opfer fallen, dem Stylops, der ihr Aussehen vollständig verändert, die zwerghaften, stets schwer mit Pollen beladenen Grabbienen und die vielgestaltigen Osmien (Mauerbienen), die hundert verschiedene Industriezweige haben. Eine von ihnen, die Osmia papaveris, begnügt sich nicht mit dem Brot und Wein, den ihr die Blumen liefern, sie schneidet sich auch grosse Purpurlappen aus den Mohnblumen heraus, um damit den Palast ihrer Töchter fürstlich auszutapezieren. Eine andere Biene, die kleinste von allen, ein Staubkorn, das auf vier elektrisch bewegten Flügeln schwebt, der Blattschneider (Megachile centuncularis), sägt haarscharfe Halbkreise, die man mit der Maschine ausgeschnitten meint, aus den Rosenblättern, faltet sie zusammen und formt daraus jene wundervoll regelmässig zusammengesetzten fingerhutförmigen Zellen, deren jede zur Aufnahme einer Larve dient. Aber ein Buch würde kaum genügen, um die mannigfachen Gewohnheiten und Talente der honigsuchenden Schaar aufzuzählen, die sich in jedem Sinne auf begierigen und unthätigen Blüten tummelt, wie zwischen geketteten Brautpaaren, die der Liebesbotschaft harren, welche zerstreute Gäste ihnen bringen.

 

Man kennt etwa 4500 wilde Bienenarten. Wir werden sie selbstredend nicht alle durchgehen. Vielleicht wird eines Tages ein gründlicheres Studium in Verbindung mit Beobachtungen und Experimenten, die noch nicht gemacht sind, und die mehr als ein Menschenleben in Anspruch nehmen würden, ein entscheidendes Licht auf die Entwickelungsgeschichte der Bienen werfen. Diese Geschichte ist meines Wissens noch nicht methodisch geschrieben worden. Und doch ist dies zu wünschen, denn es würde damit mehr als ein Problem berührt, das ebenso gross ist, wie die vieler Geschichten der Menschheit. Was uns betrifft, so wollen wir keine Behauptungen mehr aufstellen, denn wir betreten hier das dunkle Gebiet der Vermutungen, sondern wir wollen uns damit begnügen, einem Zweige der Immen auf seinem Wege zu einem durchgeistigteren Dasein, zu etwas mehr Wohlstand und Sicherheit zu folgen und die springenden Punkte dieses mehrtausendjährigen Aufstieges mit einfachen Strichen anzudeuten. Der Zweig, den wir verfolgen wollen, ist, wie wir schon wissen, der der Apinen[17], deren Merkmale so genau bestimmt und deutlich sind, dass ihre Abkunft von einem gemeinsamen Ahnen nicht unwahrscheinlich ist.

Darwins Schüler, insbesondere Hermann Müller, halten eine kleine wilde Biene, die in der ganzen Welt vorkommt, die Prosopis, für den gegenwärtigen Repräsentanten der Urbiene, von der alle uns bekannten Arten abstammen sollen.

Die arme Prosopis steht zu den Hausbienen in etwa dem Verhältnis, wie der Höhlenmensch zum glücklichen Grossstadtbewohner. Vielleicht hat jeder von uns, ohne darauf zu achten, und ohne zu ahnen, dass er hier die ehrwürdige Urmutter vor sich hat, der wir vielleicht die Mehrzahl unserer Blumen und Früchte verdanken – denn man glaubt thatsächlich, dass über hunderttausend Pflanzenarten nicht mehr sein würden, wenn die Bienen sie nicht beflögen und dadurch befruchteten – und wer weiss? vielleicht auch unsere Zivilisation, denn alles greift bei diesen Mysterien in einander über – vielleicht hat jeder von uns sie schon öfter in einem entlegenen Winkel seines Gartens um Gestrüpp herumfliegen sehen. Sie ist hübsch und lebhaft, und die, welche in Frankreich am häufigsten vorkommt, ist elegant mit weiss auf schwarzem Grund gesprenkelt. Aber unter dieser Eleganz verbirgt sich eine unglaubliche Armut. Sie führt ein Hungerleben. Sie ist fast nackt, während ihre Schwestern in warme, prächtige Pelze gekleidet sind. Sie hat keine Schenkelkörbchen zum Einsammeln von Pollen, wie die Apiden, oder an ihrer statt Schienenbürsten, wie die Andrenen, oder Bauchbürsten wie die Bauchsammler. Sie muss den Blumenstaub mit ihren kleinen Krallen hervorscharren und verschlucken, um ihn einzutragen. Sie hat kein anderes Werkzeug, als ihre Zunge, ihren Mund und ihre Füsse, aber die Zunge ist zu kurz, ihre Füsse sind schwächlich und ihre Kauwerkzeuge ohne Kraft. Sie kann weder Wachs erzeugen, noch Löcher in Holz bohren oder in die Erde graben. Sie legt ungeschickte Gänge im weichen Mark der trockenen Brombeeren an, baut ein paar grobe Zellen hinein, versieht sie mit etwas Nahrung für die Brut, die sie nie erblicken wird, und nach Erledigung dieser armseligen Aufgabe, deren Ziel sie nicht kennt, ebensowenig wie wir es kennen, stirbt sie, einsam auf dieser Welt, wie sie gelebt hat, in einem Winkel.

 

Wir übergehen viele Zwischenstufen, wo die Zunge allmählich länger wird, um einer immer grösseren Zahl von Blumenkelchen ihren Nektar zu entreissen, wo sich Sammelwerkzeuge für Pollen, Haare und Franzen, Schenkel-, Fersen- und Bauchbürsten bilden und entwickeln, wo die Füsse und Kinnbacken kräftiger werden, während nützliche Ausscheidungen des Körpers eintreten und über dem Wohnungsbau ein Geist schwebt, der erstaunliche Verbesserungen aller Art zu suchen und zu finden weiss. Dies darzustellen, würde ein Buch für sich beanspruchen. Ich will nur ein Kapitel daraus skizzieren oder noch weniger als ein Kapitel, eine Seite, die uns das Zaudern und Tasten des Lebenswillens in seinem Trachten nach Glück und die langsame Entstehung, das Wachstum und die Selbstgestaltung der sozialen Vernunft zeigt.

Wir haben gesehen, wie die unglückliche Prosopis in dieser ungeheuren Welt voll schrecklicher Gefahren ihr kleines einsames Leben schweigend erträgt. Eine gewisse Anzahl ihrer Schwestern, die zu Rassen mit besseren Werkzeugen und grösserer Gewandtheit gehören, wie z. B. die reich gekleideten Seidenbienen (Colletes) oder die sonderbaren Blattschneider des Rosenstockes (Megachile centuncularis), leben in derselben tiefen Vereinsamung, und wenn zufällig ein anderes Wesen mit ihnen zusammenwohnt und ihr Obdach teilt, so ist es ein Feind oder gar ein Schmarotzer. Denn die Bienenwelt ist mit weit absonderlicheren Gespenstern bevölkert als die unsere, und manche Art hat einen geheimnisvollen, unthätigen Doppelgänger, der dem von ihm auserkorenen Opfer in allen Stücken gleicht, ausser dass er durch seine unvordenkliche Faulheit alle Arbeitswerkzeuge nacheinander verloren hat und nur noch auf Kosten des emsigen Typus seiner Rasse leben kann.[18]

Indessen regt sich schon bei den Bienenarten, die man etwas zu kategorisch als „einsame Bienen“ bezeichnet, der soziale Instinkt wie eine unter dem Druck der auf allem primitiven Leben lastenden Materie erstickte Flamme. Hier und da, an unvermuteter Stelle, züngelt er in furchtsamer und bisweilen bizarrer Weise, wie um zu zeigen, dass er da ist, allmählich aus dem auf ihm lastenden Holzstoss hervor, der eines Tages seinem Triumphe die Nahrung zuführen wird.

Wenn alles auf Erden Stoff ist, so kann man hier die unstofflichste Bewegung des Stoffes beobachten. Es handelt sich um den Übergang vom egoistischen, unsicheren, unvollkommenen Leben zum brüderlichen, etwas gesicherteren und glücklicheren Dasein. Es handelt sich darum, im Geiste zu vereinigen, was in der Körperwelt getrennt ist, die Selbstverleugnung des Individuums zu Gunsten der Art und die Ersetzung des Sichtbaren durch das Unsichtbare anzubahnen. Ist es da erstaunlich, dass den Bienen das, was wir von unserem privilegierten Platze aus noch nicht erreicht haben, von dem der Instinkt nach allen Seiten ins Bewusstsein strahlt – dass den Bienen das nicht mit einem Schlage gelingt? Es ist wunderbar, fast rührend zu sehen, wie die neue Idee zuerst in der Finsternis tastet, die alles auf Erden Entstehende umhüllt. Sie geht aus der Materie hervor und ist noch ganz Materie. Sie ist nichts als Hunger, Furcht und Kälte, in etwas noch Gestaltloseres umgesetzt. Sie schleicht unsicher um die grossen Gefahren, die langen Nächte, den Einbruch des Winters und einen zweideutigen Schlaf herum, der schon fast Tod ist.

 

Holzbienen (Xylocopa) sind starke Bienen, die ihr Nest in trockenes Holz graben. Sie leben immer einsam. Trotzdem kommt es gegen Ende des Sommers vor, dass man einige Exemplare einer besonderen Art, der Xylocopa cyanescens, in einem Asphodelenkelche frostig bei einander kauern sieht, um den Winter gemeinsam zu verbringen. Diese zögernde Brüderlichkeit ist eine Ausnahme bei den Holzbienen; aber bei ihren nächsten Verwandten, den Ceratinen, wird sie schon zur unveränderlichen Gewohnheit. Hier kommt die Idee zum Vorschein. Sofort hält sie wieder inne, und bis hierher ist sie bei den Holzbienen über die erste dunkle Linie der Liebe nicht hinausgekommen.

Bei anderen Apinen nimmt die sich noch suchende Idee andere Gestalt an. Die Mörtelbienen (Chalicodoma) oder Maurerbienen, die Bürstenbienen (Dasypoda) und Ballenbienen (Halictus) vereinigen sich in zahlreichen Kolonien zum Nesterbau. Aber dies ist ein illusorisches Gemeinwesen von lauter Einsiedlern. Keinerlei Einvernehmen, keine gemeinsame That. Eine jede ist in der Menge tief vereinsamt und baut sich ihre Wohnung für sich selbst, ohne sich um ihre Nachbaren zu kümmern. „Es ist“, sagt J. Perez, „ein einfaches Zusammenkommen von Einzelwesen, die derselbe Geschmack, dieselben Fähigkeiten am gleichen Platze versammeln, wo der Grundsatz ‚jeder für sich‘ auf das strengste durchgeführt wird. Es ist ein Schwarm von Arbeitern, der lediglich durch seinen Fleiss und seine Zahl an einen Bienenstock erinnert. Solche Vereinigungen sind also die einfache Folge einer grossen Zahl von Einzelwesen, die auf demselben Fleck wohnen.“

Aber bei den Grabbienen, den Vettern der Dasypoden, dringt plötzlich ein kleiner Lichtstrahl hervor und wirft einen Schein auf die Entstehung eines neuen Gefühls in dem zufälligen Beieinander. Sie vereinigen sich nach Art der vorigen, und jede gräbt ihre eigene unterirdische Höhle für sich, aber der Eingang, das von der Erdoberfläche nach ihren getrennten Behausungen führende Schlupfloch, ist gemeinsam. „So beträgt sich jede“, sagt Perez, „was die Arbeit in den Zellen betrifft, wie wenn sie allein wäre, aber alle benutzen den gemeinsamen Zugang und benutzen so die Arbeit einer einzigen, wodurch sie die Zeit und Mühe sparen, sich jede einen besonderen Gang anzulegen. Es wäre interessant festzustellen, ob diese vorläufige Arbeit selbst nicht gemeinsam ausgeführt wird, und ob sich nicht verschiedene Weibchen abwechselnd darin ablösen.“

Wie dem aber auch sei, die Idee der Brüderlichkeit ist einmal durch die Mauer gedrungen, die zwei Welten schied. Es ist nicht mehr der Winter, der Hunger oder die Todesfurcht, der sie dem Instinkt in entstellter und thörichter Form abzwingt, es ist das thätige Leben, das sie einflüstert. Aber auch diesmal kommt sie nicht weit in dieser Richtung. Trotzdem verzagt sie nicht, sie versucht andere Wege einzuschlagen. So dringt sie bei den Hummeln durch, nimmt in ihrer veränderten Atmosphäre Gestalt an, reift und bewirkt die ersten entscheidenden Wunder.

 

Die Hummeln, diese grossen, zottigen, geräuschvollen, furchteinflössenden und doch so friedfertigen Bienen, die wir alle kennen, sind zunächst einsam. Von den ersten Tagen des März an beginnt das fruchtbare, überwinterte Weibchen sein Nest zu bauen, entweder unterirdisch oder in einem Busche, je nach der Art, zu der es gehört. Es ist allein auf der Welt im erwachenden Lenze. Es räumt die gewählte Stelle auf, gräbt ein Loch und tapeziert es aus. Dann legt es ziemlich unförmige Wachszellen an, versieht sie mit Honig und Pollen, legt Eier, bebrütet sie, pflegt und ernährt die auskriechenden Larven und sieht sich alsbald von einer Töchterschaar umgeben, die bei allen inneren und äusseren Arbeiten Hand anlegt und zum Teil gleichfalls Eier legt. Der Wohlstand nimmt zu, der Zellenbau wird besser, die Kolonie wächst. Die Gründerin bleibt die Seele und Hauptmutter des Ganzen und steht an der Spitze eines Königreiches, das schon ein Ansatz zu dem unserer Hausbiene ist. Übrigens ein recht grober Ansatz. Der Wohlstand ist beschränkt, die Gesetze sind unklar und werden schlecht befolgt, der Kannibalismus und Kindermord der Urzeit tauchen immer wieder auf, die Architektur ist formlos und weitläufig, aber was beide Stadtbildungen am meisten unterscheidet, ist, dass die eine permanent und die andere vorübergehend ist. In der That verschwindet die Hummelstadt im Herbst vollständig, ihre drei- bis vierhundert Bewohner sterben, ohne eine Spur ihres Daseins zu hinterlassen, all ihre Arbeit ist umsonst; es überwintert nur ein einziges Weibchen, das im nächsten Frühjahr in derselben Einsamkeit und Armut die fruchtlose Arbeit der Mutter wieder aufnehmen wird. Nichtsdestoweniger ist die Idee sich hier ihrer Kraft bewusst geworden. Wir sehen sie bei den Hummeln diese Grenze nicht überschreiten, aber sogleich wird sie sich, ihrer Gewohnheit getreu, in einer Art von unermüdlicher Seelenwanderung inkarnieren, noch zitternd über ihren letzten Triumph, aber allmächtig und fast vollkommen, und zwar in einer anderen Sippe, der vorletzten der Rasse, der unmittelbaren Vorgängerin unserer Hausbiene, die ihre Krone bildet, nämlich in der Sippe der Meliponiten, die in die tropischen Meliponen und Trigonen zerfällt.

 

Hier ist bereits Alles so organisiert, wie in unserem Bienenstocke: eine einzige Mutter[19], unfruchtbare Arbeiterinnen und Drohnen. Einige Einzelheiten sind sogar besser eingerichtet. Die Drohnen sind z. B. nicht vollständig müssig, sie schwitzen Wachs aus. Das Eingangsthor ist sorgfältiger geschlossen, in kalten Nächten durch eine Thür, in warmen durch eine Art von Vorhang, der die Luft durchlässt.

Aber das Gemeinwesen ist weniger stark, das gemeinsame Leben weniger gesichert, das Gedeihen beschränkter als bei unseren Bienen, und überall, wo man diese einführt, beginnen die Meliponiten vor ihnen zu weichen. Der Gedanke der Brüderlichkeit ist bei ihren beiden Stämmen gleichfalls prächtig entwickelt, nur in einem Punkte ist er bei dem einen nicht über das hinausgekommen, was im engen Familienbau der Hummeln schon erreicht war. Es ist dies die mechanische Organisation der gemeinsamen Arbeit, das genaue Haushalten mit den Kräften, mit einem Worte, die Architektur der Stadt, die hier offenbar noch sehr rückständig ist.[20] Hinzugefügt sei noch, dass bei unseren Apiten alle Zellen sowohl zur Aufziehung der Brut wie zur Aufspeicherung der Vorräte geeignet sind, und ebensolange vorhalten, wie die Stadt selbst, während sie bei den Meliponiten nur zu einem bestimmten Zwecke benutzt, und wenn sie den jungen Nymphen zur Wiege dienen, nach deren Auskriechen abgetragen werden.

Bei unserer Hausbiene hat dieser Gedanke also seine vollkommenste Form erreicht, und somit wäre das rasch entworfene und unvollständige Bild seines Entwickelungsganges hier beendet. Sind nun aber die einzelnen Stufen dieses Entwickelungsganges bei jeder Art konstant, und besteht die Verbindungslinie zwischen ihnen nur in unserer Vorstellung? Wir wollen auf diesem noch wenig erforschten Gebiete keine voreiligen Schlüsse wagen. Begnügen wir uns zunächst mit vorläufigen Annahmen, und neigen wir, wenn wir wollen, lieber den hoffnungsvollsten zu, denn wenn es unbedingt zu wählen gälte, so zeigt uns hier und dort ein schwacher Schein, dass die am meisten herbeigewünschten die gewissesten sein werden. Überdies müssen wir wieder einmal eingestehen, dass wir garnichts wissen. Wir fangen erst an, die Augen zu öffnen. Tausend Versuche, die gemacht werden könnten, haben noch nicht stattgefunden. Wäre es z. B. nicht möglich, dass die Prosopis, wenn sie in Gefangenschaft gehalten und gezwungen würden, mit ihresgleichen zu hausen, mit der Zeit die Eisenschwelle der vollkommenen Einsamkeit überschreiten und Freude daran finden würden, sich wie die Hosenbienen zu vereinigen und einen Schritt zur Brüderlichkeit zu thun, wie die Grabbienen? Und diese wiederum, würden sie unter abnormen, aufgezwungenen Verhältnissen den gemeinsamen Schlupfgang nicht mit einer gemeinsamen Wohnung vertauschen? Würden die Hummelmütter, wenn sie zusammen überwintert und in Gefangenschaft aufgezogen und gefüttert würden, sich nicht schliesslich zur Arbeitsteilung verstehen? Hat man den Meliponiten je Kunstwaben gegeben? Hat man ihnen künstliche Gefässe gegeben, um ihre sonderbaren „Honigtöpfe“ zu ersetzen? Würden sie dieselben annehmen und sich zu Nutze machen, und wie würden sie ihre Gewohnheiten dieser ungewohnten Bauart anpassen? Dergleichen Fragen sind an sehr kleine Wesen gerichtet und schliessen doch die Lösung unserer grössten Geheimnisse ein. Wir können nicht darauf antworten, denn unsere Erfahrung ist von gestern und ehegestern. Von Réaumur an gerechnet, ist es jetzt kaum anderthalb Jahrhunderte her, dass man die Gewohnheiten gewisser wilder Bienen studiert hat. Réaumur kannte nur einen Teil davon, wir haben einige andere beobachtet, aber hunderte, vielleicht tausende, sind bis heute nur von unwissenden oder hastigen Reisenden befragt worden. Die, welche wir seit den schönen Arbeiten des Verfassers der „Mémoires“ kennen, haben an ihren Gewohnheiten nichts geändert, und die Hummeln, die sich in den Gärten von Charenton voll Honig sogen und wie ein köstliches Murmeln des Sonnenlichtes goldbestäubt umhersummten, glichen in jedem Punkte denen, die sich im nächsten April einige Schritte weiter in den Wäldern von Vincennes tummeln werden. Aber von Réaumur bis auf unsere Tage ist es nur ein Augenzwinkern der Zeit, das wir beobachten, und mehrere Menschenleben hintereinander bilden nur eine Sekunde in der Geschichte eines Naturgedankens.

 

Wenn der Gedanke der Gesellschaftsbildung, dessen schrittweiser Verwirklichung wir in diesem Buche mit den Augen gefolgt sind, seine vollkommenste Gestalt bei unseren Hausbienen erreicht hat, so ist damit nicht gesagt, dass im Bienenstock alles auf der Höhe sei. Ein Meisterstück, die sechseckige Zelle, erreicht freilich die absolute Vollkommenheit in jeder Hinsicht, und alle Genies zusammen könnten nichts mehr daran verbessern. Kein lebendes Wesen, selbst der Mensch nicht, hat in seiner Sphäre das erreicht, was die Biene in der ihren verwirklicht hat, und wenn ein Geist aus einer anderen Welt auf die Erde herabstiege und die vollkommenste Schöpfung der Logik des Lebens zu sehen begehrte, so müsste man ihm die schlichte Honigwabe zeigen.

Aber wie gesagt, es steht nicht alles auf gleicher Höhe. Wir sind schon einigen Fehlern und Irrtümern begegnet, die bisweilen auffällig, bisweilen geheimnisvoll sind, wie der Überfluss an müssigen und verderblichen Drohnen, die jungfräuliche Zeugung, die Gefahren des Hochzeitsausfluges, das Schwarmfieber, der Mangel an Mitleid, die geradezu ungeheuerliche Aufopferung des Individuums zu Gunsten der Art. Dazu käme noch eine seltsame Vorliebe zum Aufspeichern unmässiger Quantitäten von Pollen, die unbenutzt bleiben und daher ranzig und hart werden und die Waben verstopfen, ferner das lange unfruchtbare Interregnum, das vom ersten Schwärmen bis zur Befruchtung der zweiten Königin reicht, u. a. m.

Von diesen Fehlern ist der schwerste und der einzige, der unter unseren Himmelsstrichen fast immer verhängnisvoll wird, das wiederholte Schwärmen. Aber vergessen wir nicht, dass in dieser Hinsicht die natürliche Auslese der Hausbiene seit Jahrtausenden vom Menschen gekreuzt wird. Vom Ägypter der Pharaonenzeit bis zu unserm heutigen Bauern hat der Bienenzüchter den Wünschen und dem Vorteil der Gattung stets zuwider gehandelt. Die Bienenstöcke, die am besten gedeihen, sind die, welche zu Beginn des Sommers einen einzigen Schwarm aussenden. Sie befriedigen damit ihren mütterlichen Instinkt, sichern die Erhaltung des Stammes durch die notwendige Erneuerung der Königin, und ebenso die Zukunft des Schwarmes, der volkreich und früh abgesandt ist und darum Zeit hat, sich eine dauerhafte und mit Vorräten wohl versehene Wohnung anzulegen, ehe der Herbst kommt. Es ist klar, dass wenn die Bienen sich selbst überlassen wären, nur diese Stöcke und ihre Ableger aus den Prüfungen des Winters lebend hervorgegangen wären, während die von anderen Instinkten beseelten Völker ihnen fast regelmässig erliegen würden, und dass sich die Regel des beschränkten Schwärmens bei unsern nördlichen Rassen dadurch fast durchgehends herausgebildet hätte. Aber es sind gerade diese weitblickenden, reichen und wohl akklimatisierten Stöcke, die der Mensch stets vernichtet hat, um sich ihres Schatzes zu bemächtigen. Er liess und lässt auch heute noch in der hergebrachten Praxis nur die Stämme und Kolonien am Leben, die erschöpft sind, die zweiten und dritten (Nach-)Schwärme, die gerade soviel haben, um den Winter zu überdauern, oder denen er einige Honigabfälle giebt, um ihre kläglichen Vorräte zu vervollständigen. Das Resultat davon ist wahrscheinlich eine Schwächung der Rasse und eine erbliche Neigung zum Schwarmfieber, sodass heute fast alle unsere Bienen, insbesondere unsere schwarzen Bienen, zu viel schwärmen. Seit einigen Jahren wird diese gefährliche Angewohnheit durch die neuen Methoden der Mobilzucht bekämpft, und wenn man sieht, mit welcher Schnelligkeit die künstliche Auslese auf die meisten unserer Haustiere, Rinder, Schafe, Hunde, Pferde und Tauben wirkt, – um nicht noch mehr zu nennen, – so darf man der Hoffnung Raum geben, dass wir in kurzem eine Bienenrasse haben werden, die auf das natürliche Schwärmen fast ganz verzichtet und ihre ganze Thätigkeit der Honig- und Pollenernte zuwendet.

 

Aber was die anderen Fehler betrifft: würde ein Verstand, dem Zweck und Ziel des Gesellschaftslebens deutlicher wäre, sich nicht davon befreien können? Es wäre viel über diese Fehler zu sagen, die bald aus den unbekannten Tiefen des Bienenstockes hervordringen, bald nichts als eine Folge des Schwärmens und seiner Irrtümer sind, an denen wir mitschuldig sind. Aber nach dem, was man bisher gesehen hat, kann jeder nach seinem Geschmack den Bienen alle Intelligenz zu- oder absprechen. Ich will sie nicht verteidigen. Mich deucht, sie zeigen unter manchen Verhältnissen ein Einvernehmen, aber wenn sie auch alles, was sie thun, nur blindlings thäten, meine Wissbegier würde darum nicht kleiner werden. Es ist so anziehend zu sehen, wie ein Gehirn in sich die ausserordentlichen Hilfsquellen entdeckt, um gegen Frost, Hunger, Tod, Zeit, Raum, Einsamkeit und alle Feinde der belebten Materie anzukämpfen, aber wenn es einem Wesen gelingt, sein kleines verwickeltes und tiefes Leben zu erhalten, ohne den Instinkt zu überschreiten, ohne etwas zu thun, was nicht ganz gewöhnlich ist: das dünkt mich erst recht anziehend und ausserordentlich. Das Gewöhnliche und das Wunderbare fliessen in einander über und halten sich die Wage, sobald man sie auf ihren wirklichen Platz in der Natur stellt. Nicht mehr sie, die Träger angemasster Namen, sondern das Unerklärliche und Unverstandene ist es, was unsere Blicke auf sich lenken, unsere Thätigkeit belohnen und unseren Gedanken, Worten und Gefühlen eine neue, gerechtere Form verleihen soll. Es ist Weisheit darin, sich mit nichts weiter zu befassen.

 

Wir sind überdies garnicht im stande, die Fehler der Bienen im Namen unserer Intelligenz zu richten. Sehen wir nicht, wie lange Intelligenz und Bewusstsein bei uns inmitten von Fehlern und Irrtümern leben, ohne sie zu bemerken, und länger noch, ohne ihnen abzuhelfen? Wenn es ein Wesen giebt, das durch seine Bestimmung besonders, ja fast organisch, berufen scheint, sich aller Dinge bewusst zu werden, das Gesellschaftsleben nach den Regeln der reinen Vernunft zu gestalten und zu leben, so ist es der Mensch. Und doch: was macht er daraus? Und nun vergleiche man die Fehler des Bienenstaates mit denen unserer menschlichen Gesellschaft. Wenn wir Bienen wären, welche die Menschen beobachteten, so würde unser Erstaunen gross sein, wenn wir z. B. die unlogische und ungerechte Verteilung der Arbeit bei einem Geschlechte beobachteten, das im übrigen mit hervorragendem Verstande ausgerüstet scheint. Wir sehen die Oberfläche der Erde, die einzige Stätte alles gemeinsamen Lebens, von zwei bis drei Zehnteln der Gesamtbevölkerung mühsam und unzureichend bebaut; ein anderes Zehntel zehrt in absolutem Müssiggange den besten Teil der Produkte jener Arbeit auf, und die sieben übrigen Zehntel sind zu ewigem Halbverhungern verdammt und erschöpfen sich unaufhörlich in seltsamen und unfruchtbaren Anstrengungen, von denen sie doch nie etwas haben werden, und die nur den Zweck zu haben scheinen, das Dasein der Müssiggänger noch komplizierter und unerklärlicher zu machen. Wir würden daraus folgern, dass Vernunft und Moralbegriffe dieser Wesen einer Welt angehören, die von der unseren gänzlich verschieden ist, und dass sie Prinzipien gehorchen, die zu begreifen wir nicht hoffen dürfen. Aber gehen wir unsere Fehler nicht weiter durch, sind sie unserem Geiste doch stets gegenwärtig, wenn ihre Gegenwärtigkeit auch keine grosse Wirkung thut. Höchstens, dass sich von Jahrhundert zu Jahrhundert einer erhebt, einen Augenblick den Schlaf abschüttelt, einen Schrei des Erstaunens thut, den schmerzenden Arm unter seinem Kopfe wegzieht, sich anders hinlegt und wieder einschläft, bis ein neuer Schmerz, wiederum eine Folge der traurigen Erschlaffung der Ruhe, ihn von neuem erweckt.

 

Die Entwickelung der Apinen, oder doch wenigstens der Apiten, sei einmal zugegeben, da sie wahrscheinlicher ist als die Starrheit. Welches ist dann aber ihre beständige und allgemeine Richtung? Sie scheint dieselbe Kurve zu beschreiben, wie die unsrige. Sie hat ersichtlich die Tendenz, Kraft zu sparen, die Unsicherheit, das Elend zu mindern, den Wohlstand, die günstigen Verhältnisse und die Autorität der Art zu mehren. Diesem Ziele opfert sie ohne Zaudern das Individuum, dessen überdies illusorische und unglückliche Unabhängigkeit im Zustande der Einsamkeit durch die Kraft und das Glück der Gesamtheit wieder ausgeglichen wird. Man möchte sagen, die Natur denkt wie Perikles bei Thukydides, dass die Individuen im Schosse einer Stadt, die als Ganzes gedeiht, glücklicher sind, selbst wenn sie darunter zu leiden haben, als wenn das Individuum gedeiht und der Staat zu Grunde geht. Sie begünstigt die arbeitsame Sklaverei in der mächtigen Stadt und überlässt den pflichtenlosen Wanderer den namen- und gestaltlosen Feinden, die in allen Winkeln von Raum und Zeit, in allen Bewegungen des Weltalls lauern. Es ist hier nicht der Ort, diesen Gedanken der Natur zu erörtern, noch sich zu fragen, ob der Mensch gut thue, ihm zu folgen, aber das steht fest, dass überall da, wo die unendliche Materie uns den Ansatz zu einem Gedanken zu zeigen scheint, dieser Ansatz denselben Weg der Entwickelung nimmt, dessen Ziel man nicht kennt. Was uns betrifft, so genügt es uns zu sehen, mit welcher Fürsorge die Natur es sich angelegen sein lässt, in der sich entwickelnden Rasse alles das zu erhalten und festzulegen, was der feindlichen Trägheit der Materie einmal abgerungen ist. Sie bucht jedes erfolgreiche Bemühen und zieht gegen den Rückfall, der nach dem Vorstoss unvermeidlich sein würde, eine Schranke von besonderen, wohlwollenden Gesetzen. Dieser Fortschritt, der sich bei den intelligenteren Arten kaum ableugnen lässt, hat vielleicht keinen anderen Zweck, als den der Bewegung, und er weiss nicht, wohin er strebt. Auf alle Fälle ist es in einer Welt, in der nichts, ausser einigen Thatsachen dieser Art, auf einen bestimmten Willen schliessen lässt, recht bezeichnend zu sehen, wie sich gewisse Wesen von dem Tage an, wo wir die Augen aufthaten, derart von Stufe zu Stufe ununterbrochen erheben; und wenn die Bienen uns nichts anderes offenbart hätten, als diese geheimnisvolle Spirale zum Lichte in der allmächtigen Nacht, so wäre dies doch genug, und wir hätten die Zeit nicht zu bedauern, die wir dem Studium ihrer kleinen Gebärden und bescheidenen Gewohnheiten gewidmet haben, die unsern grossen Leidenschaften und stolzen Geschicken so fern und doch so nahe stehen.

 

Vielleicht ist das alles eitel und unsere Spirale zum Licht, wie die der Bienen, ist nur dazu da, um die Finsternis zu belustigen. Vielleicht aber auch giebt ein ungeheurer Zufall, der von aussen kommt, von einer anderen Welt, oder von einer neuen Erscheinung, diesem Streben einen endgiltigen Sinn oder den endgiltigen Tod. Inzwischen wollen wir unsern Weg weiter gehen, als ob nichts Ungewöhnliches geschehen sollte. Wüssten wir, dass morgen eine Offenbarung – etwa in Form einer Verbindung mit einem älteren und lichtvolleren Planeten – unsere Natur über den Haufen werfen und die Leidenschaften, Gesetze und Grundwahrheiten unseres Wesens aufheben kann, so wäre es das Klügste, unser Heute ganz diesen Leidenschaften, Gesetzen und Wahrheiten zu widmen, sie in unserem Geiste in Verbindung zu setzen und unserem Schicksal treu zu bleiben, welches darin besteht, die dunklen Gewalten des Lebens in uns und um uns zu unterjochen und um einige Stufen zu erheben. Es ist möglich, dass in der neuen Offenbarung nichts davon bestehen bleibt, aber unmöglich ist es, dass die Seele derer, die diesen Beruf, welcher der menschliche Beruf vor allem ist, bis zu Ende erfüllt haben, nicht im Vordertreffen steht, um diese Offenbarung zu empfangen, und selbst wenn sie von ihr nur das lernten, dass die einzige wahre Pflicht das Gegenteil von Wissbegier und der Verzicht auf das Unerkennbare ist, so werden sie besser als die anderen im stande sein, diesen Mangel an Wissbegier und diese endgiltige Entsagung zu begreifen und ihren Vorteil daraus zu ziehen.

 

Auch sollten unsere Phantasien sich garnicht in dieser Richtung bewegen. Die Möglichkeit einer allgemeinen Vernichtung sollte unsere Thätigkeit ebensowenig beeinflussen, wie das wunderbare Eingreifen eines Zufalls. Wir sind bisher, trotz der Verheissungen unserer Einbildungskraft, stets auf uns selbst und auf unsere eigenen Hilfsquellen angewiesen geblieben. Alles Nützliche und Dauerhafte, was auf Erden besteht, ist das Werk unseres bescheidenen Strebens. Es steht uns frei, von einem fremden Zufall das Beste oder das Schlimmste zu erwarten, aber nur unter der Bedingung, dass diese Erwartung sich nicht in unsere menschliche Aufgabe hineinmischt. Auch darin geben uns die Bienen eine vortreffliche Lehre, wie jede Lehre der Natur vortrefflich ist. Sie haben wirklich solch einen wunderbaren Eingriff erfahren. Sie sind mehr als wir in den Händen eines Willens, der ihre Gattung vernichten oder verändern und ihren Geschicken einen anderen Lauf geben kann. Und doch bleiben sie ihrer ursprünglichen, tiefen Aufgabe unbeirrt treu. Und gerade die unter ihnen, die diese Pflicht am treusten erfüllen, sind auch am besten im stande, aus dem übernatürlichen Eingriff, der heute das Loos ihrer Gattung erhebt, ihren Vorteil zu ziehen. Nun aber ist die unfehlbare Pflicht eines Wesens leichter zu entdecken, als man glaubt. Man kann sie jederzeit in den Organen lesen, durch die es sich vor andern auszeichnet und denen alle anderen untergeordnet sind. Und ebenso wie es auf der Zunge, dem Munde und Magen der Bienen geschrieben steht, dass sie Honig hervorbringen müssen, ebenso steht es in unseren Augen, unseren Ohren, unserem Mark und allen Fibern unseres Kopfes, im ganzen Nervensystem unseres Körpers geschrieben, dass wir dazu geschaffen sind, alles Irdische, was wir in uns aufnehmen, in eine besondere Kraft von einer auf diesem Erdball einzigen Art umzusetzen. Kein uns bekanntes Wesen ist so wie wir befähigt, jenes seltsame Fluidum hervorzubringen, das wir Denken, Verstand, Intelligenz, Vernunft, Seele, Geist, Zerebralvermögen, Tugend, Güte, Gerechtigkeit, Wissen nennen, denn es besitzt tausend Namen, obwohl es immer dasselbe ist. Alles in uns ist ihm geopfert worden. Unsere Muskeln, unsere Gesundheit, die Beweglichkeit unserer Gliedmassen, das Gleichgewicht unserer animalischen Funktionen, die Ruhe unseres Lebens – alle tragen mehr und mehr die Last seines Übergewichtes. Es ist der kostbarste und schwierigste Zustand, zu dem man die Materie erheben kann. Feuer, Licht, Wärme, das Leben selbst, der Instinkt, der feiner ist, als das Leben, und die Mehrzahl der unfasslichen Kräfte, welche die Welt vor unserem Erscheinen krönten, sie sind vor dem neuen Fluidum verblasst. Wir wissen nicht, wohin es uns führen, was es aus uns machen wird, noch wir aus ihm. Von ihm werden wir es zu erfahren haben, sobald es in unumschränkter Machtfülle regiert. Inzwischen wollen wir nur darauf bedacht sein, wie wir ihm alles geben und opfern können, was es verlangt, alles, was seiner vollen Entwickelung frommt. Es ist kein Zweifel, dass hier die erste und grösste unserer augenblicklichen Pflichten liegt. Die anderen werden wir von ihm erfahren, je mehr es wächst. Es wird sie nähren und erweitern, je nachdem es selbst genährt wird, wie das Wasser der Höhen die Bäche der Ebenen speist und erweitert, wenn es seine wunderbare Nahrung von den Gipfeln empfangen hat. Zerbrechen wir uns den Kopf nicht, wer von dieser Kraft, die sich derart auf unsere Kosten anhäuft, einst Nutzen haben wird. Die Bienen wissen auch nicht, ob sie den Honig essen werden, den sie anspeichern. Und ebenso wissen wir nicht, wem die Geisteskraft, die wir in die Welt einführen, einst frommen wird. Wie sie von Blume zu Blume fliegen, um mehr Honig zu ernten, als sie und ihre Kinder bedürfen, so wollen auch wir von Realität zu Realität schreiten und alles sammeln, was dieser unbegreiflichen Flamme zur Nahrung dienen kann, damit wir im Gefühl der Erfüllung unserer organischen Pflicht auf alles, was da kommen mag, vorbereitet sind. Nähren wir sie mit unseren Gefühlen und Leidenschaften, mit allem, was man sehen, fühlen, hören, fassen kann, und mit ihrem eigenen Wesen, welches der Gedanke ist, den sie aus allen Entdeckungen, Erfahrungen und Beobachtungen zieht und aus allem einträgt, was sie besucht. Dann wird ein Augenblick kommen, wo sich für einen Geist, welcher der wahrhaft menschlichen Pflicht mit bestem Willen gedient hat, alles so natürlich zum Besten wendet, dass selbst die Befürchtung, all sein Streben und Trachten könnte umsonst sein, die Glut seines Forschens noch heller, reiner, selbstloser, unabhängiger und edler entfacht.

ENDE

ANMERKUNGEN

[1] (SEITE 6). Man könnte noch die Monographie von Kirby und Spence in ihrer „Introduction to Entomology“ erwähnen, aber sie ist fast ausschliesslich technisch.

[2] (SEITE 18). Ein Beobachtungskasten ist ein Bienenstock mit Glaswänden und schwarzen Vorhängen oder Läden. Die besten sind die, welche nur eine einzige Wabe enthalten, sodass man sie von beiden Seiten beobachten kann. Diese Kästen lassen sich ohne weiteres und ohne jede Gefahr in einem Wohn- oder Arbeitszimmer aufstellen, vorausgesetzt, dass sie einen Ausgang nach aussen haben. Die Bienen meines Beobachtungskastens, den ich in Paris in meinem Arbeitszimmer habe, tragen selbst in der Steinwüste der Grossstadt genug ein, um zu leben und fortzukommen.

[3] (SEITE 63). Man setzt eine fremde Königin gewöhnlich in einem kleinen Käfig aus Eisendrähten bei, den man zwischen zwei Waben aufhängt. Die Thüröffnung wird mit Wachs und Honig verschlossen, den die Bienen, wenn ihr Zorn verraucht ist, fortnagen. Die so befreite Gefangene wird von ihnen oft wohlwollend aufgenommen. Mr. S. Simmins, der Leiter der grossen Bienenwirtschaft von Rottingdean, hat kürzlich eine andere Methode gefunden, die ausserordentlich leicht zu befolgen und fast immer erfolgreich ist, weshalb sie auch bei den gewissenhaften Bienenwirten immer mehr Verbreitung findet. Die Schwierigkeit bei der Einführung von Königinnen liegt nämlich in dem Benehmen der Königin selbst. Sie ist aufgeregt, flieht, verbirgt sich, gebärdet sich wie ein Eindringling und erweckt dadurch den Verdacht der Arbeitsbienen, der sich nach näherer Prüfung alsbald bestätigt. Mr. Simmins isoliert darum die beizusetzende Königin vollständig und lässt sie eine halbe Stunde fasten. Dann lüftet er die Innendecke des weisellosen Stockes ein wenig und setzt die fremde Königin auf das oberste Ende einer Wabe. Die vorangegangene Einsamkeit hat sie so unglücklich gemacht, dass sie jetzt froh ist, sich wieder unter Bienen zu sehen, und in ihrem Hunger die ihr dargebotene Nahrung begierig annimmt. Die Arbeitsbienen lassen sich durch ihr sicheres Auftreten täuschen und stellen keine Untersuchung an. Sie bilden sich vielleicht ein, dass ihre alte Herrin wiedergekehrt ist, und nehmen sie mit Freuden auf. Aus diesem Experiment scheint hervorzugehen, dass sie, im Gegensatz zu Huber und allen Beobachtern, ihre Königin nicht wieder zu erkennen vermögen. Wie dem aber auch sei, die beiden Erklärungen sind gleich annehmbar, wenn die Wahrheit vielleicht auch in einer dritten liegen mag, die uns noch nicht bekannt ist, und jedenfalls zeigen sie wieder einmal, wie verwickelt und unklar die Psychologie der Bienen noch ist. Und es lässt sich, wie aus allen Lebensfragen, auch hieraus nur der eine Schluss ziehen, dass wir in Ermangelung eines Besseren die Wissbegier in unserm Busen walten lassen müssen.

[4] (SEITE 71). Das Gehirn der Biene beträgt nach den Berechnungen von Dujardin 1/174 des Gesamtgewichtes ihres Körpers, das der Ameise nur 1/296. Dafür sind die strangförmigen Körper, die sich im gleichen Verhältnis entwickeln, wie der Intellekt, bei den Bienen etwas geringer, als bei den Ameisen. Aus diesen Schätzungen scheint – wenn man das hypothetische derselben und die ganze Dunkelheit des Gegenstandes mit in Betracht zieht – sich zu ergeben, dass Ameise und Biene sich in Bezug auf Intellekt ungefähr gleich stehen müssen.

[5] (SEITE 99). Ich habe das Experiment bei der ersten Frühlingssonne dieses ungünstigen Jahres wiederholt, und zwar mit dem gleichen negativen Ergebnis. Ein mir befreundeter Bienenzüchter, der ein sehr geschickter und sehr zuverlässiger Beobachter ist und von mir dieses Problem vorgelegt erhielt, schreibt mir, er hätte bei demselben Experiment vier Fälle zu verzeichnen, wo unweigerlich eine Mitteilung stattgefunden haben müsste. Die Thatsache verdient festgestellt zu werden, doch die Frage bleibt ungelöst. Auch ich bin überzeugt, dass mein Freund sich durch das sehr begreifliche Verlangen, sein Experiment gelingen zu sehen, irreführen liess.

[6] (SEITE 109). Man hat übrigens gut gethan, dieses Normalmass nicht zu wählen. Der Zellendurchmesser ist von wunderbarer Regelmässigkeit, doch wie alles, was auf organischem Wege entstanden ist, nicht von mathematischer Unveränderlichkeit. Überdies haben die verschiedenen Bienenarten, wie Maurice Girard nachgewiesen hat, bei ihren Zellen eine ganz bestimmte Seitenachse, so dass das Mass von Stock zu Stock ein andres sein würde, je nach der darin wohnenden Bienenart.

[7] (SEITE 111). Réaumur hatte dem berühmten Mathematiker König folgendes Problem gestellt: „Unter allen sechskantigen Zellen mit pyramidalem, aus drei gleichen und ähnlichen Rhomben bestehendem Boden die zu bestimmen, die am wenigsten Baustoff erfordert.“ König antwortete, es wäre diejenige, deren Boden aus drei Rhomben bestände, deren grosse Winkel je 109° 26' und die kleinen je 70° 34' betrügen. Nun aber hat ein anderer Gelehrter, Maraldi, die Winkel der Rhomben in den Bienenzellen so genau wie möglich nachgemessen und gefunden, dass die grossen 109° 28', die kleinen 70° 32' betragen. Zwischen beiden Lösungen bestand also nur eine Differenz von zwei Minuten! Und es ist wahrscheinlich, dass der etwa vorliegende Irrtum von Maraldi begangen wurde, und nicht von den Bienen, denn es giebt kein Instrument, das die Zellenwinkel, die nicht so scharf hervortreten, mit untrüglicher Sicherheit nachzumessen erlaubte.

Ein anderer Mathematiker, Cramer, hat dasselbe Problem noch mehr im Sinne der Bienen gelöst; er fand 109° 28½' für die grossen und 70° 31½' für die kleinen Winkel. Maclaurin, der Königs Berechnung berichtigt hat, giebt 70° 32' und 109° 28' an, Léon Lalanne 70° 81' 44" und 109° 28' 16". Siehe über diesen Streitpunkt auch: Maclaurin, „Philos. Trans. of London“, 1743; Brougham, „Recherch. anal. et expér. sur les alv. des ab.“; L. Lalanne, „Note sur l’Arch. des abeilles“ u. s. w.

[8] (SEITE 136). Das Flugbrett ist oft nichts als eine Fortsetzung des Brettes, auf dem der Bienenstock ruht, und bildet eine Art Vorhof oder Ruheplatz vor dem Haupteingang, dem sogenannten Flugloch.

[9] (SEITE 140). Einige Bienenzüchter behaupten, dass Arbeitsbienen und Königinnen, sobald sie das Ei verlassen haben, dieselbe Nahrung erhalten, eine Art stickstoffreicher Milch, welche die Pflegerinnen aus einer Kopfdrüse ausscheiden. Doch werden die Arbeitsbienenlarven nach einigen Tagen entwöhnt und fortan mit gröberer Nahrung, Honig und Pollen, gespeist, während die junge Königin bis zu ihrer vollständigen Entwickelung reichlich mit jener kostbaren Milch ernährt wird, die man den „Königstrank“ genannt hat. Wie dem aber auch sei, der Erfolg und das Wunder bleiben die gleichen.

[10] (SEITE 162). Es ist unmöglich, die Einzelheiten dieser von Darwin beobachteten Fälle hier wiederzugeben. Der Vorgang ist in grossen Zügen folgender. Der Pollen von Orchis morio ist nicht staubförmig, sondern ballt sich zu kleinen Klumpen, welche die sogenannten Pollinarien bilden. Diese (es sind ihrer zwei) haben einen stielartigen Fortsatz, der an seinem unteren Ende in einer klebrigen Rundung endigt (dem Caudiculum) und von einem membranartigen Beutelchen (dem Rostellum) umschlossen wird, das bei der leisesten Berührung platzt. Steckt nun eine die Blüte befliegende Biene den Kopf in den Kelch, um den Nektar zu saugen, so streift sie dies Beutelchen, dasselbe zerreisst und die beiden klebrigen Rundungen treten zu Tage. Die Pollinarien bleiben infolge des Klebestoffes, der an den Rundungen sitzt, am Kopfe des Insekts haften und dieses trägt sie beim Verlassen der Blume wie ein paar zwiebelartige Hörner von dannen. Wenn diese zwei Pollenhörner nun steif und gerade blieben, so würden sie in dem Augenblick, wo die Biene die nächste Orchidee befliegt, das membranartige Säckchen derselben berühren und einfach zum Platzen bringen, aber nicht bis zu der Narbe (dem weiblichen Organ) der zweiten Blume dringen, die befruchtet werden muss und unter dem membranartigen Säckchen liegt. Die Orchis morio hat diese Schwierigkeit genial erkannt, und darum vertrocknet nach dreissig Sekunden, das heisst in der kurzen Spanne Zeit, die das Insekt braucht, um den Nektar vollends aufzusaugen und eine andere Blume zu befliegen, der Stengel des kleinen Kolbens und schrumpft zusammen, und zwar stets nach derselben Seite und im gleichen Sinne; die den Pollen enthaltende Zwiebel sinkt herab, und ihr Neigungswinkel ist so genau berechnet, dass sie sich in dem Augenblick, wo die Biene in die benachbarte Blume hineinschlüpft, genau in der Höhe der Narbe befindet, auf die sie ihren befruchtenden Staub entleeren muss. Siehe für alle Einzelheiten dieses intimen Dramas der unbewussten Blumenwelt die prachtvolle Studie von Darwin „Über die Befruchtung der Orchideen durch Insekten und die guten Wirkungen der Kreuzung“, 1862.

[11] (SEITE 169). Es ist dem Professor McLain kürzlich gelungen, einige Königinnen künstlich zu befruchten, aber nur mit Hilfe von komplizierten und schwierigen chirurgischen Operationen. Übrigens war die Fruchtbarkeit dieser Königinnen nur beschränkt und vorübergehend.

[12] (SEITE 204). Ein starkes Volk braucht während der Überwinterung, die in unseren Himmelsstrichen etwa sechs Monate dauert, d. h. vom Oktober bis Anfang April, gewöhnlich zwanzig bis dreissig Pfund Honig.

[13] (SEITE 211). In der wissenschaftlichen Einteilung nimmt die Hausbiene (Apis mellifica) folgenden Platz ein. Klasse: Insekten. Ordnung: Immen (Hymenoptera). Familie: Eigentliche Bienen (Apidae). Sippe: Apis. Art: Mellifica. Die Bezeichnung Mellifica stammt aus der Linné’schen Einteilung. Sie ist nicht sehr glücklich gewählt, denn alle Bienen, mit Ausnahme einiger Parasiten, sind Honigbienen. Scopoli sagt cerifera, Réaumur domestica, Geoffroy gregaria. – Apis ligustica, die italienische Biene, ist nur eine Abart von Apis mellifica.

[14] (SEITE 212). Der Fall tritt auch bei Nachschwärmen häufig genug ein, denn sie sind weniger erfahren und vorsichtig, als der Vorschwarm. An ihrer Spitze befindet sich eine junge, leichtsinnige Königin, und sie bestehen meist aus ganz jungen Bienen, in denen der ursprüngliche Instinkt um so lauter spricht, weil sie die Strenge und Wetterwendigkeit unseres nordischen Himmels noch nicht kennen. Übrigens lebt keiner dieser Schwärme über die ersten Herbststürme hinaus, und sie vermehren die unzähligen Opfer der langsamen und dunklen Versuche der Natur.

[15] (SEITE 215). Da wir uns hier zum letzten Male mit den Bauten der Bienen beschäftigen, wollen wir eine Eigentümlichkeit der Apis florea nicht unerwähnt lassen. Einzelne Drohnenzellen sind bei ihr cylindrisch, statt sechseckig. Es scheint also, dass sie noch nicht dauernd von der einen Form zur anderen übergegangen ist und endgiltig die bessere angenommen hat.

[16] (SEITE 217). Etwas ähnliches berichtet Büchner: Auf der Insel Barbados, wo viele Zuckersiedereien sind und die Bienen das ganze Jahr hindurch Zucker in Überfluss finden, befliegen sie keine Blüte mehr. Ein Beweis mehr, dass die Anpassung an die Umstände nicht langsam, etwa im Laufe von Jahrhunderten stattfindet oder unbewusst und fatalistisch ist, sondern dass sie unmittelbar eintritt und auf Überlegung beruht.

[17] (SEITE 223). Man verwechsele nicht Apinen, Apiden und Apiten. Diese drei Ausdrücke werden durcheinander gebraucht, wie sie sich in der Klassifikation von Emile Blanchard vorfinden. Der Stamm der Apinen umfasst alle Familien der Bienen, die Apiden bilden die erste Familie derselben und zerfallen ihrerseits in Apiten, Meliponiten und Bombinen (Hummeln). Die Apiten endlich umfassen die verschiedenen Arten unserer Hausbiene.

[18] (SEITE 225). Zum Beispiel die Hummeln, deren Schmarotzer die Psithyrus oder Schmarotzerhummeln sind, die Steliden, die auf Kosten der Anthidien leben. „Man ist“, sagt J. Perez („Les Abeilles“) sehr richtig, „wegen der häufig vorkommenden Ähnlichkeit der Schmarotzer mit ihren Opfern zu der Annahme gezwungen, dass beide Arten nur zwei Formen desselben Typus bilden und engstens mit einander verwandt sind. Für die der Entwickelungslehre huldigenden Naturforscher ist diese Verwandtschaft nicht nur ideell, sondern real. Die Schmarotzerart ist nach ihnen nur eine Abart der anderen und hat ihre Sammelwerkzeuge durch Anpassung an das Schmarotzerleben verloren.“

[19] (SEITE 230). Es steht freilich nicht fest, ob das Prinzip des Königtums oder der Mutterschaft einer Einzigen bei den Meliponiten sehr streng durchgeführt wird. Blanchard glaubt mit Recht, dass wahrscheinlich mehrere Weibchen in einem Stocke leben, da sie sich bei ihrer Stachellosigkeit nicht so leicht töten können, wie die Bienenköniginnen. Aber dies ist bisher nie festgestellt worden, weil die Weibchen und Arbeiterinnen sehr schwer zu unterscheiden sind und die Meliponiten in unseren Himmelsstrichen durchaus nicht gedeihen.

[20] (SEITE 231). Siehe auch die ausführlichere Darstellung auf Seite 112.

BIBLIOGRAPHISCHES

Eine vollständige Bibliographie der Bienenkunde würde die Grenzen, die wir uns gesteckt haben, überschreiten. Ich begnüge mich damit, auf die interessantesten Werke zu verweisen.

I. HISTORISCHE ENTWICKELUNG DER BIENENKUNDE:

a) Die Alten. – Aristoteles, „Geschichte der Tiere“, passim; Varro, „De agricultura“, L. III, 16; Plinius, „Historia naturae“, L. XI; Virgil, „Georgica“, IV; Columella, „De re rustica“; Palladius, „De re rustica“, L. I, 37, etc.

b) Die Neueren. – Swammerdamm, „Biblia naturae“, 1737; Maraldi, „Observations sur les abeilles“ (Mém. Acad. des Sciences), 1712; Réaumur, „Mémoires pour servir à l’histoire des insectes“, 1740; Ch. Bonnet, „Oeuvres d’histoire naturelle“, 1779-1783; A. G. Schirach, „Physikalische Untersuchung der bisher unbekannten, aber nachher entdeckten Erzeugung der Bienenmutter“, 1767; J. Hunter, „On bees, philosophical transactions“, 1732; A. Janscha, „Hinterlassene vollständige Lehre von der Bienenzucht“, 1773; François Huber, „Nouvelles Observations sur les abeilles“, 1794, etc.

II. PRAKTISCHE BIENENZUCHT:

Dzierzon, „Theorie und Praxis des neuen Bienenfreundes“; Langstroth, „The honey bee“, ins Französische übersetzt von Ch. Dadant („L’abeille et la ruche“), eine Verbesserung und Vervollständigung des Originals; Georges de Layens und Bonnier, „Cours complet d’apiculture“; Frank Cheshire, „Bees and bee-keeping“ (Band II, Praxis); Dr. E. Bevan, „The honey bee“; T. W. Cowan, „British bee-keeper’s guide book“; A. J. Cook, „Bee-keeper’s guide book“; A. Root, „The ABC of Bee culture“; Henry Alley, „The Bee-keeper’s Handy book“; Abbé Collin, „Guide de propriétaire d’abeilles“; Ch. Dadant, „Petit cours d’apiculture pratique“; Ed. Bertrand, „Conduite du rucher“; Weber, „Manuel pratique d’apiculture“; Hamet, „Cours complet d’apiculture“; de Bauvoys, „Guide de l’apiculteur“; Pollmann, „Die Biene und ihre Zucht“; S. Simmins, „A modern bee farm“; F. W. Vogel, „Die Honigbiene und die Vermehrung der Bienenvölker“; Baron A. von Berlepsch, „Die Biene und ihre Zucht“; Jeker, Kramer und Theiler, „Der Schweizerische Bienenvater“ etc.

III. ALLGEMEINE MONOGRAPHIEEN:

F. Cheshire, „Bees and Bee-keeping“ (Band I, Wissenschaft); T. W. Cowan, „The Honey Bee“; J. Perez, „Les abeilles“; Girard, „Manuel d’apiculture“ (die Bienen, ihre Organe und deren Funktion); Shuckard, „British bees“; Kirby and Spence, „Introduction to Entomology“; Girdwoyn, „Anatomie et physiologie de l’abeille“; F. Cheshire, „Diagrams on the anatomy of the Honey Bee“; Gundelach, „Die Naturgeschichte der Honigbiene“; Ludwig Büchner, „Geistesleben der Tiere“; O. Bütschli, „Zur Entwickelungsgeschichte der Biene“; J. D. Haviland, „The social instincts of bees, their origin and natural selection“.

IV. SPEZIELLE MONOGRAPHIEEN:

(Organe und deren Funktionen, Arbeiten u. s. w.): Ed. Brandt, „Recherches anatomiques et morphologiques sur le système nerveux des insectes hyménoptères“ (Comptes rendus de l’Académie des Sciences, 1876, Band LXXVIII, S. 613); F. Dujardin, „Mémoires sur le système nerveux des insectes“; Dumas und Milne-Edwards, „Sur la production de la cire des abeilles“; E. Blanchard, „Recherches anatomiques sur le système nerveux des insectes“; L. R. D. Brougham, „Observations, demonstrations and experiences upon the structure of the cells of bees“ (Natural Theology, 1856); P. Cameron, „On Parthenogenesis in the Hymenoptera“ (Trans. nat. soc. of Glasgow, 1888); Erichson, „De fabrica et usu antennarum in insectis“; B. T. Lowne, „On the simple and compound eyes of insects“ (Phil. trans., 1879); G. K. Waterhouse, „On the formation of the cells of Bees and Wasps“; Dr. C. T. E. von Siebold, „On a true Parthenogenesis in Moths and Bees“; F. Leydig, „Das Auge der Gliederthiere“; Pastor Schönfeld, „Bienenzeitung“, 1854-1883, „Illustrierte Bienenzeitung“, 1885-1890; Assmus, „Die Parasiten der Honigbiene“.

V. VERSCHIEDENE BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE HONIGWESPEN:

E. Blanchard, „Histoire naturelle des insectes“, „Métamorphoses, moeurs et instincts des insectes“; Darwin, „Origin of species“; Fabre, „Souvenirs entomologiques“ 3 (Séries); Romanes, „Mental evolution in animals“, „animal intelligence“; Lepeletier St. Fargeau, „Histoire naturelle des Hyménoptères“; V. Mayet, „Mémoire sur les moeurs et les métamorphoses d’une nouvelle espèce de la famille des Vésicants“ (Ann. Soc. entom. de France, 1875); H. Müller, „Ein Beitrag zur Lebensgeschichte der Dasypoda hirtipes“; E. Hoffer, „Biologische Beobachtungen an Hummeln und Schmarotzerhummeln“; Jesse, „Gleaning in natural history“; Sir J. Lubbock, „Ants, Bees and Wasps“, „The senses, instincts and intelligence of animals“; Walkenaer, „Les Haclites“; Westwood, „Introduction to the study of insects“; V. Rendu, „De l’intelligence des animaux“; Espinas, „Animal Communities“, u. s. w.

INHALTSVERZEICHNIS

AUF DER SCHWELLE DES BIENENSTOCKES 4
DAS SCHWÄRMEN 23
DIE STADTGRÜNDUNG 77
DIE JUNGEN KÖNIGINNEN 132
DER HOCHZEITSAUSFLUG 168
DIE DROHNENSCHLACHT 198
DER FORTSCHRITT DER ART 206
ANMERKUNGEN 245
BIBLIOGRAPHISCHES 253

Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert. Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):






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including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    gbnewby@pglaf.org

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

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facility: www.gutenberg.org

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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