The Project Gutenberg EBook of Leid und Freud einer Erzieherin in Brasilien, by Ina von Binzer This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Leid und Freud einer Erzieherin in Brasilien Author: Ina von Binzer Release Date: November 16, 2019 [EBook #60701] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LEID UND FREUD EINER *** Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (Biblioteca Brasiliana Guita e José Mindlin) #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert. Fremdsprachliche Ausdrücke (auch Orts- und Personennamen) wurden weder korrigiert noch vereinheitlicht, sofern der Sinn des Texts dadurch nicht verfälscht würde. Das Inhaltsverzeichnis wurde der Übersichtlichkeit halber vom Bearbeiter hinzugefügt; Fußnoten wurden an das Ende der jeweiligen Briefe versetzt. Im Original erscheint der Brief vom 21. Februar 1882 vor demjenigen, der auf den 17. Februar 1882 datiert wurde. Die Reihenfolge der Buchausgabe wurde gleichwohl beibehalten. Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: kursiv: _Unterstriche_ gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ #################################################################### Leid und Freud einer Erzieherin in Brasilien. [Illustration] Leid und Freud einer Erzieherin in Brasilien. [Illustration] Von Ina von Binzer (Ulla von Eck.) [Illustration] Berlin. Richard Eckstein Nachfolger. (Hammer & Runge.) Alle Rechte vorbehalten. Inhalt Seite Fazenda de Saõ Francisco, den 27. Mai 1881 1 Saõ Francisco, den 9. Juni 1881 9 Saõ Francisco, den 20. Juni 1881 13 Saõ Francisco, den 11. Juli 1881 21 Saõ Francisco, den 25. Juli 1881 26 Saõ Francisco, den 14. August 1881 35 Saõ Francisco, den 1. September 1881 43 Saõ Francisco, den 17. September 1881 56 Saõ Francisco, den 5. October 1881 59 Saõ Francisco, den 22. Oktober 1881 68 S. F., den 3. Dez. 1881 70 Rio de Janeiro, den 24. Dezember 1881, Abends 71 Petropolis, den 15. Januar 1882 76 Rio de Janeiro, den 8. Februar 1882 83 Rio de Janeiro, den 12. Februar 1882 90 Rio de Janeiro, den 21. Februar 1882 94 Rio de Janeiro, den 17. Februar 1882 99 Rio de Janeiro, den 2. März 1882 107 Saõ Paulo, den 20. März 1882 109 Saõ Paulo, den 5. April 1882 114 Saõ Paulo, den 21. April 1882 120 Saõ Paulo, den 5. Mai 1882 124 Saõ Paulo, den 29. Mai 1882 133 Saõ Paulo, den 20. Juni 1882 138 Saõ Paulo, den 28. Juni 1882 144 Saõ Paulo, den 1. Juli 1882 146 Saõ Sebastiaõ, den 11. Juli 1882 148 Saõ Sebastiaõ, den 19. Juli 1882 156 Saõ Sebastiaõ, den 28. Juli 1882 163 Saõ Sebastiaõ, den 5. August 1882 169 Santos, den 20. August 1882 173 Santos, den 22. September 1882 179 Saõ Sebastiaõ, den 4. Oktober 1882 183 Saõ Sebastiaõ, den 27. Oktober 1882 187 Saõ Sebastiaõ, den 17. November 1882 197 Saõ Sebastiaõ, den 5. Dezember 1882 206 Saõ Sebastiaõ, den 18. Dez. 1882 209 Saõ Paulo, den 28. Dezember 1882 210 Santos, den 2. Januar 1883 214 Saõ Sebastiaõ, den 9. Januar 1883 215 Verlobungsanzeige 225 [Illustration] Fazenda de Saõ Francisco, den 27. Mai 1881. +Meine liebe Grete!+ Fazenda bedeutet Pflanzung. Es thut mir leid, daß es nicht Hacienda heißt, da Ihr das wahrscheinlich bis jetzt geglaubt habt, und ich Euch also gleich beim ersten Worte meines ersten Briefes enttäuschen muß. Ihr könnt Euch aber mit mir trösten, es ging mir ebenso, und es war doch so hübsch, als wir noch so unschuldig Spanisch und Portugiesisch verwechselten. So geht eine Illusion nach der andern verloren! Daß diese Fazenda Saõ Francisco heißt, ist durchaus nicht wunderbar; im Gegenteil, es wäre merkwürdig, wenn sie anders hieße; einundzwanzig Ortschaften in Brasilien heißen Saõ Francisco, und der Pflanzungen, die dieser beliebte Heilige unter den Schutz seines Namens nehmen muß, sind Legion. Eine zweite Enttäuschung wird Dir sein, daß ich Euch über meine Reise von Rio de Janeiro bis hierher nicht einmal von einem Indianerüberfall oder einem Tigerkampf berichten kann -- als Geringstes hättet Ihr doch eine Riesenschlange verlangen können -- und ich sehe vollständig ein, wie sehr es mich von vornherein andern Tropenreisenden gegenüber in Euer Aller Augen herabsetzen muß, daß ich ohne weiteren Unfall hier angekommen bin. Doch dem ist so. An der Eisenbahnstation holte mich Dr. Rameiro[1] selbst ab, und, denke Dir, Grete, in einer ganz bequemen europäischen Halbchaise! Selten hat mich wohl eine Halbchaise so geärgert wie diese! Wenn ihr doch wenigstens unterwegs ein Rad gebrochen wäre, oder der Negerkutscher versucht hätte, uns in irgend einen Abgrund zu fahren, etwa aus Rache für erlittene Züchtigung, denn der war doch wenigstens ein richtiger Sklave! Aber ich muß beschämt wiederum eingestehen, daß er recht gutmütig über seiner platten Nase dreinschaute und wahrscheinlich garnicht an einen Abgrund dachte. Nun, hoffen wir, daß das Geschick ein Einsehen hat und mich noch in eine recht gefährliche Situation geraten läßt.... aber so, daß ich sie Dir nachher noch beschreiben kann. Also Dr. Rameiro holte mich ab. Er wird „Doktor“ genannt. Warum, weiß ich nicht, und ich bezweifle, ob er selbst oder die, welche ihn so anreden, irgend eine befriedigende Auskunft darüber geben könnten außer der, daß jeder besser situierte Brasilianer ein natürliches Anrecht auf diesen Titel mit auf die Welt bringt, und es also einesteils unbescheiden, andernteils blödsinnig erscheinen müßte, wollte jemand von ihm verlangen, daß er sich denselben durch ein höchst überflüssiges Studium erst verdiente. Er sprach portugiesisch, ich französisch. Es soll kaum einen Brasilianer geben, der nicht französisch spräche, manchen aber auch, der nur einen sehr unvollkommenen Begriff hat von der Lage des dazugehörigen Landes oder davon, daß es in demselben auch noch einige andre Ortschaften giebt als Paris. In dem Kopfe meiner Negerin ist „Paris“ identisch mit allem und jedem außerhalb Brasiliens befindlichen Gebiet, und da ich ihre unbegrenzte Hochachtung vor diesem merkwürdigen Dinge „Paris“ sehe, dem ich natürlich auch entstamme, so habe ich mich wohl gehütet, dasselbe und die Leistungsfähigkeit seiner Kinder berichtigender Weise durch mein achttägiges Portugiesisch zu diskreditieren. „Meine Negerin“ -- nicht wahr, das ist bis jetzt noch das Beste an meinem Brief, das klingt doch nach was! Sie heißt sogar Olympia, was die Sache doch entschieden noch pomphafter macht, und sagt bei jeder Gelegenheit höchst unterwürfig „~Sim, Senhora~“, auch wenn ich sie schelte. Im Vertrauen will ich Dir zwar sagen, liebe Grete, daß sie das scheußlichste, dicklippigste schwarze Geschöpf ist, das je einen hochtrabenden Namen trug, und daß das „~Senhora~“ ganz etwas gewöhnliches hier ist, wie in Berlin z. B. „gnädige Frau“. Außerdem macht Einen das ewige „~Sim, Senhora~“ zuletzt ganz stumpfsinnig, da sie es überall und immer anwendet, zumal wenn sie mein Portugiesisch nicht verstanden hat, was einige Male am Tage vorkommt. Aber dies erzähle den Andern nicht, hörst Du! Dr. Rameiro besitzt noch gegen 200 Sklaven und Sklavinnen. Die meisten arbeiten natürlich draußen im Kaffee, aber hier im Hause sind auch eine ganze Anzahl, von denen einige auch etwas zu thun haben. In einem großen Saale mit Oberlicht, der eigentlich den Eindruck eines großen Flures macht, sitzen ein Neger und eine Negerin je an einer Nähmaschine und klappern den ganzen Tag. Rings umher an der Erde und auch in einem anstoßenden Raume, der wieder wie ein Flur aussieht und an die Küche stößt, sitzen zehn bis zwölf Negerinnen und nähen, und eine jede hat einen Korb aus Bambusgeflecht vor sich, worin ein kleines Kind liegt, von welcher Kollektion natürlich immer mindestens eines schreit. Da zu diesen Näharbeiten nur Negerinnen mit ganz kleinen Kindern, die sie nicht verlassen können, verwendet werden, so ist es klar, daß, wenn welche dasitzen, auch die Bambuskörbe nicht fehlen und mindestens aus einem derselben geschrieen wird. Das Küchenpersonal besteht aus drei Personen. Wer von ihnen kocht, habe ich in diesen Tagen noch nicht herauskriegen können; manchmal schmeckt das Essen so, als wären ihre Ansichten in Bezug auf die erforderlichen Zuthaten in den denkbarsten Diametralen auseinander gegangen und hätte schließlich jeder von ihnen die seinige durchgesetzt, manchmal scheint es, als haben sie sich um des lieben Friedens willen alle drei von der Sache zurückgezogen. Ein kleiner zwölfjähriger Mulatte mit unverschämtem Gesicht und einer scheinbar unbesiegbaren Anhänglichkeit an schmutzige Anzüge und Purzelbäume, in welchen letzteren er eigentlich +geht+, hat des Mittags mit einer kleinen Fahne (die jedenfalls jetzt bräunlich-grau ist, was sie auch früher gewesen sein mag) die Fliegen über dem Tisch zu verjagen, was meiner Ansicht nach viel unerträglicher ist als die Fliegen, und außerdem den Kaffee zu servieren. Aber trotzdem diese Erfrischung mindestens vier Mal am Tage eingenommen wird, kann diese Arbeit doch nicht als ausreichende Beschäftigung für einen ganzen Tag angesehen werden, und es läßt sich also garnicht absehen, bis zu welcher Virtuosität in Purzelbäumen diese kleine gelbe Kreatur es noch bringen kann, wenn er auch nur die Hälfte seiner freien Zeit auf ihre Vervollkommnung verwendet. „Freie Zeit!“ Ach, liebe Grete, bei dem Worte könnte ich elegisch werden. Weißt Du noch, wie wir es als unumstößlich richtig unter uns ausmachten, daß die Brasilianer den ganzen Tag weiter nichts thäten als fesch aussehen und rauchen, ihre Damen, in duftigste Gewänder gehüllt, sich in Hängematten wiegten und sich dabei von kleinen interessanten, weiß und roth gekleideten Negerknaben befächern ließen? Wie Orangen- und Bananenbäume in unsern Bildern eine merkwürdige Neigung hatten, zu den Fenstern hineinzuwachsen, und bunte Papageien und die „süßen“ kleinen Kolibris nur so um Einen herumflogen wie die Tauben in Lillis Park? Welche Idylle! Und natürlich würden solche idyllische Menschen auch von ihrer Erzieherin nicht so etwas Rohes wie wirkliche handfeste „Arbeit“ verlangen -- pfui -- man würde mit den Kindern im Schatten der Orangenbäume ruhen, sie gleichsam spielend die theure Muttersprache lehren, Papageien zähmen, Früchte essen, Gedichte machen, sich mit Blumen schmücken..... Ach, Grete! Ich sage nichts als „Ach!“ Dr. Rameiro raucht freilich -- es ist mir eigentlich noch nie aufgefallen, daß er +nicht+ rauchte -- aber fesch kann ich ihn mit dem besten Willen nicht finden! Weder wenn er mit gespreizten Beinen vor dem Hause steht oder wenn er in den Kaffeeräumen umhersteigt, noch wenn er abends thatenlos in der Hängematte liegt, hat er die geringste Ähnlichkeit mit den schönen Brasilianern auf der seligen Friedrich-Wilhelmstädtischen Operetten-Bühne. Es ist recht niederschlagend! Madame Rameiro liegt auch manchmal in der Hängematte, (diese spielen vollkommen die Rolle eines Möbels und sind in den Zimmern mit starken Haken an zwei passend zu einander gelegenen Thüren befestigt) aber sie ist eine etwas lebhafte Dame, sie hält es nie lange darin aus, und wenn ihre Energie erwacht, etwa ob einer schlechten Naht einer Derer mit den Bambuskörben, so höre ich sie im Schulzimmer (was hörte ich da +nicht+!) die Negerinnen anfeuern durch Wörter, die merkwürdigerweise eine auffallende Ähnlichkeit haben mit recht kräftigen heimischen Schimpfwörtern. Ich werde aber morgen im Lexikon nach der friedlichen Bedeutung von „~diabolo~“ oder „~canailla~“ suchen, um die gute Frau vor meinen eignen Augen zu rechtfertigen, was dem Lexikon jedenfalls glänzend gelingen wird. Von den Orangen und Bananen später. Jetzt nur noch ein Wort über die Papageien. Was Du auch thust, liebste Grete, bringe sie nie wieder in einer Idylle an, oder wenn Du es thust, begnüge dich mit +einem+ und laß +den+ taubstumm sein! In dem Zimmer mit den musikalischen Bambuskörben hängen ihrer sechs an den Wänden umher auf kleinen ½ Fuß breiten Ständern aus Blech, die wie Konsölchen aussehen. Des Morgens um vier beginnen sie auf’s Energischste ihren Kaffee zu verlangen und hören damit nicht eher auf als bis sie ihren Zweck erreicht haben, frühestens und unter günstigen Verhältnissen nach anderthalb Stunden; und dann plappern, schreien, quieken, kreischen und keifen sie den ganzen Tag lang mit einer Unermüdlichkeit, die beschämend sein würde, wenn sie Einen nicht, im Verein mit eilf andern Vögeln, den Nähmaschinen und den Bambuskörben gradezu rasend machte! Sie sind bis jetzt meine intimsten Feinde. In den ersten Tagen nährte ich eine unbestimmte Hoffnung, daß sie bald sterben könnten, seitdem mir jedoch vorgestern Molières hundertjähriger Papagei eingefallen ist, betrachte ich sie nur zu oft wie Mr. Pickwick das widerspänstige Pferd, d. h. ich überschlage im Geiste die möglichen Folgen davon, wenn ich sie alle sechs umbrächte. Natürlich höre ich auch sie im Schulzimmer. Man hört überhaupt in diesem idyllischen Hause überall alles, denn Thüren und Fenster stehen samt und sonders fortwährend offen, und kein Teppich, keine Gardine, kein Polstermöbel dämpft auch nur irgendwie einen Schall, der Lust hat, sich fortzupflanzen. Ach liebe Grete, diese Reitsäle von Zimmern, dieses grelle Licht, diese Korbgeflechtsophas und Wiener Stühle sind so entsetzlich unromantisch, so garnicht idyllisch! Und nun gar das ~dolce far niente~! Laß mich schweigen. Wir waren erstaunlich „jung“, als wir uns überzeugten, daß das hier meine Hauptbeschäftigung sein würde! Mit weiterem will ich heute Dein mitfühlendes Freundesherz nicht zerreißen. Ich werde es Dir so nach und nach beibringen. Für heute leb’ wohl: der Thee ist serviert, denn „eins, zwei, drei“ -- nämlich Purzelbäume des Mulattenjungen. Drei braucht er vom Eßzimmer bis hierher, und natürlich höre ich sie. Richtig, da murmelt er an der Thür: „~Chà, Senhora~“ -- also bis zu meiner nächsten Muße. Möge Dir die Zeit nicht allzu lang werden. +Deine Ulla.+ [1] Das ei in portugiesischen Wörtern ist gewissermaßen getrennt zu sprechen mit dem Ton auf dem e. [Illustration] Saõ Francisco, den 9. Juni 1881. +Liebste Grete!+ Weißt Du, was ich heute in die tiefsten Tiefen meines Koffers versenkt habe?... Unsern +Bormann+, d. h. seine „vierzig pädagogischen Briefe“. Sie passen nicht, Grete, sie passen hier nicht! Und ich hatte mich so darauf verlassen! -- Wenn mich unterwegs die Angst befiel, wie ich mit meinen brasilianischen Zöglingen fertig werden würde, dann dachte ich immer an das hülfreiche kleine Buch unter meinen Reiseeffekten und sagte mir beruhigt: So machst Du’s! Und nun.....! Ach Grete, ich glaube, Bormann hätte hier oft selber nicht gewußt, was er machen sollte. Man ärgert sich über so vieles, was sich garnicht greifen läßt, und was doch da ist und immer wieder da ist! In dieser gesegneten Familie sind zwölf Kinder, und sieben davon habe ich unter meiner pädagogischen Fuchtel. Um sieben Uhr morgens geht es los. Dann kommen erst „die Großen“ und nehmen eine deutsche Stunde. Dona Gabriella, Dona Olympia und Dona Emilia sind schon neunzehn, einundzwanzig und zweiundzwanzig Jahre alt, was für Brasilianerinnen schon dicht an der alten Jungfer ist und mich bei meinen eignen zweiundzwanzig sehr entsetzte; und dann denke Dir, eine Schülerin immerfort mit „Dona“ anreden zu müssen! Die ersten Morgende kamen sie regelmäßig zu spät in die Stunde, so daß ich mich zu dem Ersuchen veranlaßt sah, doch pünktlich zu erscheinen, denn damals lebte ich noch nach Bormann. Seitdem sitzen sie nun jeden Morgen, wenn ich hereinkomme, ernst und schweigend um den Tisch mit ihren blaßgelben, unbewegten brasilianischen Gesichtern, und auch das dumpfe, gleichgültige: „~Bon jour, mademoiselle~“ bringt keinerlei Ausdruck darauf hervor; keine Morgenfrische, keine Lernfreude, keine persönliche Sympathie -- ach Grete, dies Trio ist entsetzlich lähmend! Mir fällt jetzt immer bei ihrem Anblick die heilige Vehme ein, wo die Richter nicht ernster und kälter in der Runde gesessen haben können. Ich bin feige genug, bereits zu wünschen, ich hätte sie nicht um Pünktlichkeit ersucht. Wir würgen uns mühsam durch diese deutsche Stunde, natürlich immer durch das Medium des Französischen, und letzteres ist noch das Beste von der Sache, denn sowie sie anfangen, deutsch zu sprechen, verstehe ich keine Silbe mehr. Ich bin immer ganz erlöst, aber auch schon halb kaput, wenn dann um 8 Uhr „die Kleinen“ kommen. Wenn sie auch unartig sind, so sind es doch wenigstens Kinder, und nur die älteste von ihnen hat auch schon etwas von der heiligen Vehme an sich. Ach Grete, sie sind alle so „~provoking~!“ Sie thun alles, was ich sage, lernen alles, was ich aufgebe, und doch irritieren sie mich namenlos! Ich glaube gewiß, sie meinen nichts Böses, und manchmal finde ich meine „Kleinen“ auch ganz drollig. So saß ich neulich Sonntags ein Stündchen in dem paradiesischen Garten auf der Bank unter einem mächtigen Mangabaum und träumte -- ach Grete -- von deutschen Eichen, als mich plötzlich, wie ich aufblickte, eine scheußliche kleine schwarze Kreatur vor mir in die Tropen zurückschreckte. Denke sie Dir etwa zwölfjährig, mehr Affe als Mensch, bis an die Ohren grinsend, mit unappetitlichem Wollhaar, fingerbreitem Vorkopf, entsetzlich dickem Bauch und stockartigen schwarzen Beinen, die vor Staub ganz lilla schimmerten; denke Dir dies Ganze nur bekleidet mit der denkbar kürzesten Ausgabe eines Hemdes von undefinierbarer Farbe, und Du wirst begreifen, daß ich von diesem edlen Mitgeschöpf nicht grade hingerissen war. Im Gegenteil bin ich wol etwas erschrocken zusammengefahren, denn sogleich trat die kleine achtjährige Leonilla hinter einem Strauch hervor und sagte beruhigend und protegierend zu mir: „~N’ayez pas peur, mademoiselle, c’est Jacob~“, und dann, als mein Gesicht wohl immer noch nicht den genügenden Ausdruck der Begeisterung zeigte ob dieser ehrenden Bekanntschaft mit dem heiligen Erzvater, fügte sie, halb indigniert, halb erläuternd hinzu: „~Il est à moi, grand’maman m’en a fait cadeau à mon jour de fête.~“ Ich sage Dir, es war zu komisch; die kleine Sklavenhalterin sah so stolz auf dies lebendige „Geburtstagsgeschenk“, und das scheußliche kleine Besitzthum grinste so vergnügt zu dieser Eigentumserklärung, die es allerdings wohl mehr erriet als verstand, daß ich hell auflachen mußte. Überhaupt hat die Würde, welche hier durch das Bestehen der Sklaverei unwillkürlich schon die Kinder annehmen, oft etwas Komisches. Dagegen ist es wiederum rührend, wie sie auch anderseits an den guten, treuen Negern und Negerinnen hängen. Die kleine fünfjährige Maria da Gloria z. B. spart immer von ihrem Dessert etwas über für ihre frühere Amme, eine hübsche junge Mulattin, oder erbittet etwas für ihre kleine Milchschwester, und Alphonsina, die sich sonst selber gern putzt, verschenkt doch ihr buntestes Band, wenn sie denkt, daß die alte Anna es gern hätte. Sie geben alle sehr gern und erfüllen Einem jeden möglichen Wunsch -- und doch -- und doch....! Ach Grete, weißt Du, daß ich den Peter in der Fremde jetzt eigentlich für einen ganz gescheidten Menschen halte! +Deine Ulla.+ [Illustration] Saõ Francisco, den 20. Juni 1881. Ich wünschte, Gretel, Du könntest einmal zu einem brasilianischen Mittagessen dabei sein! Eingeladen würdest Du zwar nicht „zu Tische“, auch nicht einmal zu dem berühmten deutschen „Löffel Suppe“, sondern zu einem „Glase Wasser“. Du kannst es aber getrost daraufhin wagen, denn dies ~copo d’agua~ umfaßt ein recht vielseitiges Mittagessen und hat als Appendix einen musikerfüllten Abend, sowie eventuell ein Nachtquartier. Wir waren gestern zu unsern Gutsnachbarn gebeten, übrigens Nachbarn von fünf Meilen Entfernung, zu denen uns zwei mit je vier Maultieren bespannte Wagen in scharfem Trabe hinbrachten. Wir fanden schon einen größeren Kreis in der riesigen, siebenfenstrigen ~salla de visita~ beisammen. Das Wort „Kreis“ darfst Du allerdings nur als Gewohnheitsausdruck fassen, denn die Gesellschaft präsentierte sich so, daß je rechts und links von dem großen Rohrsopha, das in nebelhafter Ferne sich dem Eintretenden gegenüber zeigte, sich in scharfen rechten Winkeln eine Reihe von Stühlen abzweigte, die den Raum vor dem Sopha frei ließen, und die den Eindruck hervorbrachten, als sei man bei einem Gesellschaftsspiel. Der Eingeweihte weiß jedoch, daß er diese rechten Winkel in jedem brasilianischen Hause wiederfindet. Der Sophatisch steht in der Mitte des Saales. Wir schüttelten rings herum alle bekannten und unbekannten Hände, wobei ich als die neue „~professora~“ eingeführt wurde, und fragten einander der Sitte gemäß höchst teilnehmend: „Wie geht es Ihnen, geht es Ihnen gut?“ auch wenn man sich nie vorher im Leben gesehen. Nachdem ich dann, neben Dona Gabriella sitzend, eine Weile den linken Flügel einer jener Stuhlreihen occupiert hatte, meldete ein barfüßiger Negerjunge, daß „das Mittagessen auf dem Tisch“ sei, und würdevoll erhob sich die Hausfrau mit der Aufforderung: „~Vamus jantar~“ d. h. gehen wir essen. Zu beiden Seiten der Tafel standen barfüßige und nicht allzu saubere Mulattenjungen, mit langen Bambusstöcken bewaffnet, an deren Ende der eine eine kleine rothe Fahne, der andere einige in lange Streifen geschnittene Exemplare des Rioer „~Jornal de Commercio~“ schwenkte, um die Fliegen und Mosquiten zu verscheuchen. Mit solch einer Fahne war ich ja schon von Saõ Francisco her befeindet, jedoch gegenüber diesen abscheulich raschelnden Papierfetzen, für deren beleidigende Geschmacklosigkeit für Aug’ und Ohr aber außer mir niemand von der Gesellschaft Sinn zu haben schien, sondern die man gewiß als eine sehr geniale und liebenswürdige Erfindung betrachtete, bat ich dem kleinen schmutzigen Lappen daheim allen geheimen Zorn ab. Nachdem die Suppe gegessen war, begann ein Jeder das Gericht, das er zu verwalten hatte, in der Runde anzubieten. Denn hier wird keine Schüssel herumgereicht, sondern alles wird und zwar zu gleicher Zeit auf den Tisch gesetzt und dann von dem Betreffenden, der das Gericht vor sich hat, sei derselbe auch ein Gast, angeboten und serviert. Jeder stellt sich dann seine Gänge ~ad libitum~ zusammen. So begann auch ich denn tapfer mit meiner Schüssel schwarzer Bohnen, dem geliebten ~feijaõ~ der Brasilianer, das bei keiner Mahlzeit fehlt, zu wirtschaften: „~A Senhora quer feijaõ?~“ „~Um poco de feijaõ, Senhor Doutor?~“ -- ganz fesch, sage ich Dir, ich imponierte mir selber als „Brasilianerin“. Dazwischen wurde mir nun auch wieder angeboten. „Wollen Sie ein wenig Reis?“ glänzte die Tochter des Hauses mit einem deutschen Satz, in dem sie die Endsilbe von „wollen“ recht deutlich betonte, das g in „wenig“ wie k aussprach und alle s wie ß. „~Um poco de vinho, mademoiselle?~“ fragte der biedre Vater, der nie eine andre Sprache gelernt als die „~lingua dos brancos~“, wie das Portugiesische hier im Gegensatz zu den afrikanischen Ursprachen der eingeführten Negersklaven genannt wird. „~Vous offrirai-je des pommes de terre?~“ machte ein junger Herr, der eben aus „Paris“ zurück war (natürlich war er auch ~doutor~), und so setzte ich mir denn unter dem Schweinebraten, Rinderfilet, schwarzen Bohnen, Huhn, Reis, Kohl, Polenta, süßen Kartoffeln ein möglichst homogenes Mahl zusammen. Ein +warmes+ Mittagessen wirst Du aber bei Brasilianern schwerlich, oder doch nur mit Aufwand der größten Berechnung und Gewandtheit zu essen bekommen, denn jedesmal, wenn Du Dein „~S’il vous plaît~“ heraus hast, erwischt mit Blitzesschnelle der Arm einer der bedienenden Negerinnen (hier waren es vier) Deinen Teller und trabt mit ihm davon zu dem Verwalter der betreffenden Schüssel, um das Verlangte zu holen. Du siehst hieraus, daß Du um so ruhiger und um so wärmer essen kannst, je weniger verwickelt Du Dir Dein Mahl zusammensetzst, sintemalen jedes neue ~s’il vous plaît~ Deinen Teller wieder auf die jähe Rundreise schicken würde. Diese Manier zu speisen ist schon an und für sich entsetzlich beunruhigend, aber die raschelnden Papierstreifen, das gelegentliche energischere Schnalzen der kleinen Fahne, die laute, gestenreiche Unterhaltung der Brasilianer, das Umhertraben der Negerinnen, das alles wirkte gradezu betäubend auf meine deutschen Nerven, die schon die blendende Helle der gardinenlosen Räume angriff, so daß ich nur mit Beschämung die gleichgültigen Gesichter der übrigen Damen betrachtete, die sich zwar selbst auch wenig an der Unterhaltung betheiligten, an deren Nervenleben aber auch all dieser Lärm vollständig abzuprallen schien. Ich war hungrig gewesen von der Fahrt, aber ich konnte unter diesen Verhältnissen nicht essen. Ich bin eigentlich immer noch hungrig, seitdem ich zum letzten Mal auf dem Schiff gegessen habe, denn mein Magen befreundet sich nur sehr allmälig mit der Eintönigkeit des Essens und -- dem Schweinefett, mit dem hier alle Speisen zubereitet werden. Was mir zuerst die Sache noch unerträglicher machte, war das gänzliche Fehlen von Kartoffeln oder Brot auf dem Tisch, womit man die Aufdringlichkeit des Fettes hätte mildern können. Das Brot wird auf dem Lande durch sogenannte ~biscoitos~ ersetzt, ein Gebäck aus dem Mehl der Maniocawurzel, das ganz gut schmeckt, wenn es eben aus dem Ofen kommt, im Alter von einigen Stunden aber schon an Zähigkeit nichts mehr zu wünschen übrig läßt und nach zwei Tagen mit absolutem Erfolg eine Konkurrenz mit jungen Steinen aufnehmen könnte. Unsre gute Kartoffel gedeiht in diesen gesegneten Gegenden nur in süßen Exemplaren, den Bataten, die bis zu neun Pfund schwer werden und entweder einfach gekocht oder mit Zuckerzusatz als Dessert genossen werden. Die ersten Tage waren mir die großen bläulichen Dinger, die in Farbe und Geschmack an ihre erfrorenen Brüder im nordischen Winter erinnern, höchst widerlich, aber jetzt schmeckt mir, fast zu meiner Beschämung, das Kompott schon ganz gut. Auch befreunde ich mich mit den schwarzen Bohnen und dem dazugehörigen salzlosen Maismehlpudding, dem ~angú~, liebäugele bereits mit dem Mais- und Maniocamehl, das in Brotkörben auf den Tisch kommt und das sich die Brasilianer zwischen die saucenreichen Bohnen rühren -- und wie lange wird es noch dauern, da werde ich eine Passion haben für das an der Sonne gedörrte Hammelfleisch, mit dem man uns häufig zum Frühstück regalirt. Verachte mich nicht, Grete, es giebt nichts anderes hier! Denn wenn Du zu den ebengenannten Delikatessen noch Reis in Wasser gekocht hinzufügst, der vor lauter Tomaten so rot wie ein Ziegelstein auf den Tisch kommt, so hast Du das Menü für das ganze Jahr. Eine große Sache ist es hier um das Dessert, um die „~doces~“, und der Ruf der Brasilianer, im Bereiten wie im Vertilgen derselben Meister zu sein, bestätigte sich mir auch gestern wieder in vollem Maße: Herren wie Damen verzehrten unglaubliche Mengen von eingemachten Früchten, Chokoladen- und Eierkonfekt etc. und aßen dazu große Stücken Käse. Daß ich’s nur gestehe -- ich auch! Den ersten Tag freilich, als dieser neue Genuß meinem europäischen Gaumen zugemutet wurde, wies ich ihn empört zurück und bat um etwas Butter und Brot zum Käse. Es erschienen ~biscoitos~ im Stadium Nr. 2 und eine dänische Konservenbutter von einer Weichheit, Gelbheit, Salzigkeit.... laß mich schweigen! Mutig entschloß ich mich zu der landesüblichen Zusammenstellung, und ich glaube, ich that wohl daran. So war ich gestern doch wenigstens im stande, mein Mahl auf gut brasilianisch zu beschließen, und da ich auch schon so ziemlich alle Gerichte portugiesisch benennen kann (eine große Kunst, da täglich zwei Mal die gleichen auf dem Tisch erscheinen) und ein paar fehlerhafte aber dafür desto überschwänglichere Phrasen zu drechseln verstand, so fanden mich meine neuen Bekannten „~muito sympathica~“ und beehrten mich nach Tische sofort mit der Aufforderung, ihnen etwas vorzuspielen oder zu singen. Ich spielte einen Chopinschen Walzer, der ihnen sehr gefiel, und sang ihnen „Klein Anna-Kathrin“, was sie nach keiner Richtung hin verstanden. Nun singe ich nie mehr ein deutsches Lied vor brasilianischen Ohren, sondern immer nur italienische Etüden, von denen ich überzeugt bin, daß sie ihnen imponieren werden. Nach mir folgte mit ein paar französischen Tänzen unsre Dona Olympia, die ganz nett aber mit geschmackloser Auswahl spielt, und dann setzte sich eine sehr stille, sehr starke und sehr dunkeläugige Dame an das Instrument und begann den zweiten Akt des „Troubadour“ vorzutragen. Man sagte mir vorher, sie spiele „perfekt“, und so horchte ich gespannt.... Ach, Grete, bin ich denn so gar starr germanisch, daß ich diese Romanen mit dem besten Willen nicht interessant und geistreich finden kann! Aber es war nicht anders -- +mir+ sprach nichts aus den flinken abgerichteten Fingern, nichts aus dem unbeweglichen wachsgelben Gesicht der Spielerin, in dem die schwarzen Augen wie geistlose Tintenklexe standen, und doch war es wahr: sie spielte ~perfeitamente~! Ich ärgerte mich über mich selbst, daß ich mich nicht begeistern konnte und blickte ängstlich im Kreise umher, ob man es mir auch nicht anmerke. Alle Gesichter waren blaß, gelb und, aus lauter Hochachtung vor diesem „perfekten Spiel“, unbeweglich, alle bis auf eins. Seit ein paar Tagen ist nämlich ein junger italienischer Architekt bei uns zum Besuch, ein Neffe des Doktors von seiten seiner ersten Frau, die eine Italienerin war, und dieser Unglückliche schien ebenso antipodisch berührt wie ich. Ich lächelte unwillkürlich, als ich sein Gesicht sah, zumal unser gemeinsames Europäertum uns schon zu vielen gleichartigen Urteilen über hiesige Verhältnisse veranlaßt hat, und er schlug mit unendlich komischem Ausdruck die Augen zur Decke empor. Mittlerweile war der „Troubadour“ immer eindringlicher geworden, bereits spielte die stille, starke Dame eine halbe Stunde -- hatte sie Absichten auf den ganzen Akt? Ich schlängelte mich vorsichtig der Thüre zu, aber noch wagte ich nicht, dem Saal zu entschlüpfen, obgleich ich fühlte, daß mich eine fernere Viertelstunde unter der Wirkung dieses perfekten Spiels völlig überwältigt hätte. Da schob sich der junge Italiener an mir vorbei, er sah ganz erschöpft aus -- „~Je n’en peux plus~“, flüsterte er mir zu, „~j’ai déjà une indigestion de musique!~“ -- -- Und das in einem Lande, das erst +anfängt+, civilisiert zu werden und das erst +ein+ Konservatorium hat! Wehe künftigen Geschlechtern, wenn die Klavierseuche hier verhältnismäßig wächst! Aber halt -- da sagt mein Licht Valet! Grade als hätte es mir nur noch diesen trüben prophetischen Stoßseufzer erlaubt, flackert es eben auf seinem letzten Faden empor -- Lampen giebt es hier nämlich nicht! Gute Nacht also, meine Grete, oder wenn es Dir interessanter klingt: ~boa noite~ -- Deine noch immer musikerfüllte +Ulla+. [Illustration] Saõ Francisco, den 11. Juli 1881. +Liebe, einzige Grete!+ Die ersten Briefe aus der Heimath heute! Ich hätte den schmutzigen Negerjungen umarmen können, als eins, zwei, drei Briefe für die ~professora~ aus seiner Mappe herausspazierten, nachdem ich sie so viele, viele Tage umsonst sehnsuchtsvoll angeschaut. Dr. Rameiro läßt nämlich jeden Tag die Postsachen holen, was hier auf dem Lande sehr selten ist; die meisten Pflanzer schicken nur einmal in der Woche nach der Station. Gute Nachrichten von zu Hause, einen fröhlichen Brief von meiner Grete -- Gott, wie Einen so ein beschrieben Blättchen doch glücklich machen kann! Und wie geduldig man wird! Ich sage Dir, Gretel, ich komme mir manchmal vor wie Salas y Gomez. Weißt Du wohl, wie ich auf dem Seminar schon immer außer mir war, wenn der Briefbote einmal zwei Tage ausblieb -- und nun nach fast anderthalb Monaten die ersten Briefe! Ich werde so viele gute Eigenschaften von hier mit zurückbringen, daß ich in Europa gar keine Verwendung dafür haben werde! Aber heute brauchte ich grade eine kleine Erfrischung, alles war so lähmend gewesen von früh ab, und ich fühlte mich so beschwert! Zuerst hatte ich einen der härtesten Kämpfe mit meinen ~biscoitos~, die ich in Stadium Nr. 3 erhielt, dann war das Vehmgericht unbehaglicher als je, und endlich leide ich seit einer Woche an einer gräßlichen Neuralgie im Gesicht, so daß ich nur mit Mühe essen und sprechen kann. Das ist das allgemeine Leiden für den Europäer hier, und oft auch für Einheimische; es ist entsetzlich peinigend, zumal wenn man dabei unterrichten muß. Sie behaupten hier, ich habe es mir zugezogen dadurch, daß ich abends nach sechs Uhr draußen gewesen sei in dem ~sereno~, dem gefährlichen Abendthau -- aber, liebe Grete, ich wäre erstickt, wenn ich nie an die Luft gekommen wäre, zumal nachdem ich die 24 Tage auf dem Schiff von Morgen bis zum Abend draußen war. Hier aber ist Unterricht von 7-10, dann warmes Frühstück, wobei uns Madame Rameiro immer ganz nutzlos bis halb 11 Uhr warten läßt, so daß ich nachher nicht mehr hinaus kann, sondern sofort nach dem letzten Bissen wieder in die Stunde muß. Dann geht’s weiter bis um ein Uhr, wo eine halbe Stunde Lunchzeit ist; um halb zwei fangen aber schon wieder die Klavierstunden an, die bis um 5 Uhr dauern, wo gegessen wird. Nun frage ich Dich, wann soll ich da spazieren gehen außer nach sechs! Kannst Du eine andre mögliche Zeit am Tage entdecken? Sie wollen die „Bildung“ hier gradezu mit Löffeln schlucken und haben nie einen freien Nachmittag, nie einen Tag, geschweige denn eine Woche Ferien das ganze Jahr hindurch -- -- mir graut schon bei dem Gedanken daran, und die ganze Zeit über kein deutsches Wort! In den Stunden und bei Tische Französisch und mit den Schwarzen Portugiesisch -- ach, Gretel, es ist wirklich saurer, als man so von weitem denkt; überlege Dir’s lieber noch mal, ob ich mich für Dich hier umsehen soll, -- jedenfalls aber bringe dann Dein Bett mit. Es ist gewiß ein gut Ding um die Anspruchslosigkeit, man muß aber auch keinen Mißbrauch damit treiben. Ich will Dir mein Lager beschreiben -- weine dann eine stille Thräne um mich! Stelle Dir eine rohe hölzerne Bank mit Armstützen aber ohne Rücklehne vor, das ist mein Bettgestell. Darauf liegt eine „Matratze“, die, als ich sie auf ihren Inhalt prüfte, irgend ein wildes getrocknetes Gras ergab, dem man aus unbekannten Gründen verschiedenes Blätterwerk, anmutig mit Stöcken und Zweigen untermischt, beigesellt hatte. Auf dieser mit einem Leintuch bedeckten Folterbank verliert sich am Kopfende ein Miniaturkissen, von dem ich zuerst glaubte, die kleine Maria habe es aus ihrer Puppenwiege verloren; es soll aber thatsächlich mein Kopfkissen sein und ist mit einer trocknen gelben Blume, der ~marcella~, die etwas Ähnlichkeit mit unsern Immortellen hat, gestopft. Das Ganze krönt zum Zudecken eine englische wollene Decke. Ob es mir wohl noch gelingen wird, mich auch mit dieser Seite Brasilianertums zu befreunden? Ich hoffe es! Vorläufig strebe ich die Beruhigung an, sämtliche Stöcke in meiner Matratze persönlich zu kennen, und dann hoffe ich diesem Asketenlager auch ein klein wenig Wärme abzuschmeicheln, denn wenn es auch bei Tage heiß ist, so sind doch grade jetzt die Nächte oft empfindlich kalt. Ich wundre mich, daß diese sehr frischen Nächte den Pflanzen nicht schaden in unserm entzückenden Garten. Madame ist eine große Botanikerin und hat den Garten unter ihrer speziellen Leitung. Sie achtet darauf, daß jede seltene Pflanze gepflegt wird und läßt auch außerbrasilianische Tropengewächse mit großen Kosten aus Indien und Japan kommen, so daß sie aus diesem Fleckchen Land ein wahres Eden gemacht hat, ein Zauberland voll Märchenherrlichkeit. Die Gartenthür, von üppiger, graziöser Klematis überhangen, führt zunächst zu kleinen Gruppen seltener Coniferen und schöngeformten Beeten voll großer, fremdartiger Blumen von wunderbarer Farbengluth. Zwischendrein steht ein bunter Kiosk in chinesischem Styl. Ich sage Dir, Gretel, mit dem tiefblauen Himmel und der Tropensonne darüber, mit den reizenden kleinen Kolibris, die wirklich wie flatternde Edelsteine in der Sonne erscheinen, ist dies Plätzchen so südlich, so exquisit tropisch, wie man es nur träumen kann! Dann kommt man in eine herrlich schattige, feuchtkühle Bambusallee. Ihr zur Linken, etwas tiefer gelegen, ein kleiner, mit bunten Enten belebter See, rechts eine Anhöhe, sanft ansteigend und mit duftenden Orangenbäumen, die oft Blüte und Frucht zugleich tragen, besetzt. Neue Überraschung an ihrem Ausgang: Orangen, Palmen und Bananen überall, Zimmt- und Mandelbäume duften und Granaten glühen aus ihrem zierlichen Laub hervor; hier ein Theestrauch, dort ein Kaffeebaum; jetzt eine verlorne Baumwollstaude, dann ein Anis- oder Muskatpflänzchen, ja, selbst Vanilla und Patschouli giebt’s zu entdecken. Ich war zuerst ganz berauscht, Grete, und trank all das Zaubrische, Schöne, Fremdartige förmlich mit allen Sinnen ein.... aber, wunderbar -- weißt Du, welcher Eindruck hiervon für mich der nachhaltigste ist? Der des Fremdartigen, ja des absolut Fremden! Ich staune sie an, all diese südliche Pracht, ich bewundere sie, sie berauscht mich momentan mit ihrem verführerischen Zauber -- aber ich verstehe sie nicht; ich kann mir nichts mit diesen prächtigen Pflanzen erzählen, ich kenne sie nicht, und sie kennen mich nicht. Es ist doch etwas wunderbares um das +Vaterland+! Was doch alles so mit dazu gehört! Auch die Blumen und Bäume. Wir wissen doch daheim gleich etwas zu singen unter unsern prächtigen Eichen; welches junge Gemüt kennte nicht unsre reiche deutsche Lindenpoesie, und sowie man sprechen kann, lallt man schon sein weihnächtlich-heimliches „O Tannebaum, o Tannebaum“! Da grüßt man so einen Baum doch gleich ganz anders! Der mächtige Mangabaum inmitten des Gartens ist zwar sehr schön, aber ich überraschte mich dennoch neulich dabei, daß ich unter seinem Schatten das hübsche kleine Lied summte: „Ich hatte einst ein schönes Vaterland, Der Eichenbaum stand dort so hoch, Die Veilchen nickten sanft -- Es war ein Traum. Und als ich nun in’s ferne Ausland kam, Da war ein Mädchen zauberschön Und blond von Haar zu sehn, -- Es war ein Traum. Das küßte mich auf deutsch und sprach auf deutsch, Ihr glaubt es nicht, wie gut es klang, Das Wort: Ich liebe Dich -- Es war ein Traum ...“ Und erinnerst Du Dich, wie wir drüben es nie recht verstehen konnten, wenn Dranmor singt: „Ich gäbe diese ganze Herrlichkeit -- Für eine einz’ge schneebehang’ne Tanne“! Und jetzt.... Aber ich rede, darum schweige ich; sentimental darf man hier nicht werden. Deine deutscheste +Ulla+. [Illustration] Saõ Francisco, den 25. Juli 1881. +Liebste Grete!+ Also in Elgersburg muß ich Euch jetzt mit meinen Gedanken suchen -- Du Glückliche, die Du das Wort „Ferien“ noch kennst und es in dem reizenden Thüringer Nest in die Praxis umsetzen kannst! Deiner armen Ulla werden derartige Dinge immer mehr zu körperlosen Begriffen -- was ist Freiheit, Erholung, Sommerfrische.... das heißt, nein! Was die „Frische“ angeht, da bin ich Dir entschieden über: ich konstatiere hiermit feierlichst, daß ich in diesen Tagen des öfteren vor Frost geklappert habe und auch jetzt mit ganz steifen Fingern schreibe. Und dazu habe ich das volle Recht, denn gestern war hier der kälteste Tag im Jahr, der Tag Johannis des Täufers. Es fror mich denn auch, zum größtem Gaudium der Familie, die der „kalten Deutschen“ das Recht dazu eigentlich völlig absprechen, so barbarisch, daß ich die liebevolle Anhänglichkeit segnete, die mich beim Einpacken in Berlin plötzlich inbezug auf meine alte Winterjacke überkommen hatte. Die Brasilianer selbst empfinden merkmürdigerweise die Kälte garnicht so sehr, wie mir das besonders gestern Abend auffiel bei der Namensfeier des heiligen Johannes, der ein großer Liebling der Nation ist. Dr. Rameiro veranstaltet jedes Jahr an diesem Tage, der auch zugleich der Namenstag eines in Europa (natürlich in Paris) befindlichen Sohnes ist, eine Art von Erntefest für die Sklaven, weil ungefähr um diese Zeit auch die Kaffee-Ernte vorüber ist. Es hatte mich schon immer interessiert, die Wagen voll Kaffeefrüchten aus den Plantagen hereinfahren zu sehen, die dann in prächtigen Anlagen und Maschinenräumen, die der Doktor eingerichtet hat, für den Handel zurecht gemacht werden. Letzten Sonntag fuhren wir durch eine Anpflanzung von einer halben Quadratmeile Ausdehnung. Die Bäume oder eigentlich Sträucher waren etwa wie größere Haselnußsträucher und saßen zum Theil noch voll Früchten zwischen den spitzen, glänzenden Blättern. Der Doktor meinte, dieser Bestand sei etwa 25 Jahre alt; dienen könne eine Anpflanzung ca. 40 Jahre, dann wird wieder ein neues Stück Land in Angriff genommen, das vorher rechtzeitig bepflanzt wurde. Es ist merkwürdig und kann Einen ordentlich neidisch machen, wie hier so eine Strecke Landes, die bei uns schon ein ganz hübsches Feld oder ein sehr respektabler Garten wäre, so gar keine nennenswerte Rolle spielt. Diese Pflanzung ist drei Quadratmeilen groß, aber die Bewirtschaftung ist eine merkwürdige. Das meiste Land liegt natürlich immer brach. Soll aber ein Stück in Benutzung genommen werden, so wird alles, was bisher darauf wuchs, heruntergebrannt, was auch manchmal schonungslos die herrlichsten Urwaldbestände trifft, deren Asche und faulende Stämme dann den prächtigsten Dung abgeben. Nichts sieht toller aus als so ein Maisfeld z. B., das zwischen wild und wüst durcheinander liegenden, halb und ganz verkohlten Baumstämmen frisch und fröhlich emporwächst! Bei uns kann man sich von solcher Unordnung und vor allem von solcher Verschwendung gar keine Vorstellung machen; auch hier kommt man immer mehr von dieser etwas kannibalischen Manier der Rodung zurück, die jedoch keineswegs schon so selten geworden ist, wie es die Brasilianer gern Wort haben möchten, und die früher ganz allgemein war. Und denke Dir, Gretele, daß auf der Pflanzung von Madame Rameiros Bruder erst vor 7 Jahren noch ein Negersklave bei einem derartigen Brande umgekommen ist, weil er sich nicht rechtzeitig aus dem an allen vier Seiten angezündeten Walde entfernt hatte! Das ist doch schauerlich und soll leider gar nicht einmal so selten vorgekommen sein. Als wir durch die Plantage fuhren, waren die Neger grade an der Arbeit, denn der Sklavensonntag auf dieser Pflanzung fällt auf den Mittwoch. Das Gesetz verlangt nur überhaupt einen Feiertag in der Woche für die Sklaven, überläßt es jedoch dem Besitzer, einen Tag auszuwählen, was dann gewöhnlich so geschieht, daß er nicht mit demjenigen der Nachbarpflanzungen zusammenfällt und man auf diese Weise im Stande ist, einen Verkehr der Schwarzen untereinander zu verhüten. Es sah wirklich malerisch aus, wie die schwarzen Gestalten in den hellen Blusen emsig pflückend mit ihren Körben zwischen den dunkelglänzenden Sträuchern standen. Die Neger werden auf dieser Pflanzung auch gut behandelt, und wer mehr als die ihm aufgegebene Anzahl von Körben voll pflückt, bekommt für den Überschuß eine Kleinigkeit bezahlt. Der Kaffee sieht am Baum fast aus wie große Schlehen und in der rotblauen fleischigen Hülle sitzen gleich Kernen immer zwei Bohnen mit der flachen Seite gegeneinander. Wenn nun ein Wagen voll aus der Plantage ankommt, so wird er in ein Wasserbecken entleert, wo die Früchte schon zum Teil die locker sitzenden Hüllen verlieren, dann fließt das Ganze durch rauhe Röhren mit besonderen Enthülsungsvorrichtungen hinunter in ein tiefer gelegenes Bassin, wo die Bohnen bereits freigemacht ankommen. Nachdem ihnen dann noch durch andre Manipulationen die dünnen Häutchen genommen sind, die wir manchmal noch bei uns an mangelhaft präparierten Bohnen entdecken können, wird er auf eine große Asphaltfläche zum Trocknen gebreitet, von wo er endlich in lange, hallenartige Räume wandert, wo er von Negerinnen verlesen und sortiert wird. Dann erst kommt er in Säcke und wird nach Ablauf einer Lagerzeit verschickt. Dr. Rameiro hat mir einen ganzen Sack voll geschenkt, denke Dir, einen ganzen Sack voll Kaffee, der schon drei Jahre lagert und daher seiner Ansicht nach grade so recht ist und will ihn durch seine Korrespondenten in Rio nach Hause schicken lassen. Dann laß Dich nur recht oft darauf einladen, Gretel! Für dies Jahr ist nun die Ernte vorbei und mit dem gestrigen Fest abgeschlossen. Dona Gabriella hatte mir schon vorher mit Stolz erzählt, am Saõ Joaõs Tag schlachteten sie immer einen Ochsen und zwei Schweine, und das würde alles von den Negern bei dem Festmahl verzehrt. In der That war gestern den ganzen Vormittag große Bewegung, und sogar das Vehmgericht beschäftigte sich in höchsteigner Person lebhaft mit der Anordnung des Ganzen, der Zubereitung von ~doces~, dem Herausgeben von Getränken etc. Als es dunkel wurde, begann die Feier. Auf dem Hofe, der von drei Seiten durch das Gebäude eingeschlossen und an der vierten mit Palmen abgegrenzt ist, war eine große Tafel in Hufeisenform gedeckt, wirklich mit weißen Tischtüchern gedeckt, denn es ist nicht der geringste Stolz der Neger bei diesem Feste, doch wenigstens einmal im Jahre von Linnen zu essen wie die ~senhores~. Auf den Tischen standen mächtige, geschnittene Braten, große Berge Reis (natürlich rot wie die Ziegelsteine von Tomaten), Riesenschüsseln mit schwarzen Bohnen und dazu ihr nie fehlender Kumpan der Maismehlpudding ~angú~; da war aber auch als Dessert Batatenkompott, in Milch gekochter frischer Mais (~canjica~) mit dazugehöriger Melasse, Guyabada, ein prächtiges, aus der Guyabafrucht zubereitetes ~doce~ und sogar -- Wein ~à discrétion~! Wie fein hatten sich aber auch die Schwarzen gemacht! Erst langsam und verlegen, dann zuversichtlicher und endlich einander drängend und den Rang ablaufend kamen zunächst die Älteren und Erwachsenen heran; die Jugend mußte warten, da nur etwa hundert Personen zugleich sitzen konnten. Es war zu drollig anzusehen, womit manche dieser guten Einfaltsmenschen sich „geschmückt“ hatten: Die Männer hatten augenscheinlich ihren Ehrgeiz in dem Tragen von Röcken gesucht, die sie entweder geschenkt bekommen oder wohl für ein Geringes von einem herumziehenden Trödler erstanden hatten; einer hatte sogar einen alten Frack an. Wer es aber nicht zu einem Rock hatte bringen können, der hatte doch wenigstens einen Hut, und zwar mit Vorliebe einen Cylinder, erworben. Graziöser schon präsentierten sich die Frauen, die sich mehr auf das Bunte geworfen hatten, und von denen einige mit äußerster Grandezza sämtliche Farben des Regenbogens zur Schau trugen: ein rother Turban, ein blaues Kleid und ein grüner Gürtel verursachen ihnen absolut keine Gewissensbisse. Ganz besonders hübsch und sehr eigenartig wurde das Bild, nachdem eine Menge bunter Lämpchen angezündet waren, die die Scene mit ihrem Flimmern phantastisch erleuchteten, und am kaltklaren Himmel darüber das Kreuz des Südens leuchtend ausgegangen war. Wir betrachteten das Ganze von den Fenstern des Hauses aus, und Du kannst Dir denken, wie besonders für uns Europäer das Bild fesselnd und interessant war. Auch ihre Tischrede und ihren Toast hatten die schwarzen Gäste. Die kleine Leonilla ergriff nämlich im Scherz ein Zeitungsblatt, reichte es zum Fenster hinaus einem alten Neger zu und rief: „Lies, Porphyrio!“ Porphyrio, ein famoser alter Neger mit ergrautem Krauskopf, nahm das Blatt, besah es mit halb komischem, halb wehmütigem Pathos von allen Seiten und fing dann an zu reden: „Meine kleine Senhora hat mir befohlen zu lesen, doch Porphyrio kann nicht lesen. Aber Porphyrio kann sprechen und er hat auch was zu sagen. Ich muß etwas beichten vor Senhor und Senhora -- sie leben --“ „Viva!“ schrieen die Neger. „Ich muß beichten, daß ich im vorigen Jahre schlecht gesprochen habe von Senhor, weil er uns kein Erntefest gegeben hat. Ich habe gesagt: „Warum hat Senhor die Säcke gezählt und hat uns arme Neger dann vergessen?“ Und ich bin zornig gewesen in meinem Innern. Aber dies Jahr hat sich Senhor unserer wieder erinnert und Senhora auch -- viva Senhor --“ „Viva!“ „Viva, Senhora --“ „Viva!“ „Und dafür wollen wir ihnen danken. Und für noch etwas wollen wir danken. Nämlich dies. Wie haben wir armen Schwarzen uns früher quälen müssen mit dem Reinigen des Kaffees, wie haben wir die Frucht der Ricinusstaude schlagen müssen, um ein wenig Öl zum Brennen zu gewinnen -- jetzt hat unser Senhor Maschinen kommen lassen aus fremden Ländern, die sie England und Deutschland nennen, so daß wir es viel besser haben. Dafür wollen wir danken: viva, Senhor --“ „Viva!“ „Viva, Senhora!“ „Viva!“ So ging es noch eine Weile mit den Vivas fort, bis dann die Erwachsenen den Halbwüchsigen und Kindern Platz machten und ihrerseits auf dem freien Platz vor dem Hause ihre geliebten Tänze begannen. Sie stellten sich im Kreise auf und dann ertönte eine ohrenzerreißende Musik. Aus Tonnen waren zwei Trommeln hergestellt, die zwei Neger in monotonen Schlägen bearbeiteten, eine Blechrassel vollführte die möglichst unmusikalische Begleitung, und dazu wurde eine eintönige Melodie von zwei Strophen gesungen, die ohne Ermüdung der Sänger wiederkehrte, bis ich 64 Mal gezählt hatte. Beim Klange dieser „Harmonien“ wurde also getanzt und zwar so, daß immer nur eine Person inmitten des Kreises den Tanz ausführte und dann eine andre zur Ablösung hervorzog. Ich muß zur Schande der weiblichen Theilnehmer gestehen, daß sie den männlichen an Grazie und Schwung bei weitem nachstanden, und zumal war unser kleiner unausstehlicher Purzelbaum-Muleque, der Tonino, ganz brillant in seinen geschickten schlangenartigen Bewegungen. Wer nicht tanzte, beschäftigte sich mit dem Feuerwerk, denn das ist eigentlich die Feier, die der heilige Johannes sich für seinen Namenstag in Brasilien ausbedungen zu haben scheint. Vor dem Hause waren zwei hohe Feuer nach Art unsrer Osterfeuer aufgeschichtet und erhellten mit phantastischem Flackern und Leuchten die Scene; tanzende Negerknaben warfen Leuchtkugeln und Raketen in die Luft, und unter dem kaltklaren, funkelnden Sternenhimmel dieses kältesten Tages im Jahr auf der freien weiten Rasenfläche erschien alles dies ungemein malerisch und poetisch. Unvergeßlich vor allem wird mir aber eine kleine Scene dieses Abends bleiben, die ich gewünscht hätte, mit Pinsel und Farbe festhalten zu können, um sie Dir in all ihrem Reiz zu veranschaulichen. Unter dem fortdauernden Lärm der Trommeln und Blechrasseln schritt eine graziöse Mulattin, das Gesicht gegen die Sterne gerichtet, die Augen geschlossen und den rechten Arm ausgestreckt, +barfuß+ durch die rotglühenden Kohlen des gesunkenen Feuers, während über ihr die bunten Leuchtkugeln aus der dunkeln Luft zurückfielen. Man glaubte, eine Somnambule zu sehen, so sicher schritt sie einher. Ich traute meinen Augen kaum und schaute ihr mit angehaltenem Atem und einer Art stummen Entsetzens zu. Allein ruhig lächelnd zog sie nachher ihre Schuhe wieder an: An Saõ Joaõs Tag verletzt das Feuer niemanden, sagen die Neger. Weißt Du auch, Gretele, daß mir schon ganz neidisch zu Mute wird, da ich eben nur an ein Feuer denke? Mit welcher Hochachtung werde ich den ersten Ofen wieder begrüßen! Dona Gabriella, die immer noch die Freundlichste ist von dem Vehmgericht, bot mir neulich an, mein Zimmer durch große Wannen voll heißes Wasser zu erwärmen, aber das würde gewiß nur die ohnehin schon ungesunde Feuchtigkeit des Zimmers erhöhen und dabei wenig helfen. Wer mir gesagt hätte, daß ich am meisten in meinem Leben in -- Brasilien frieren würde! Meine Neuralgie will auch immer noch nicht weichen, und ich verbleibe daher heute wie schon seit Wochen -- unter Zahnschmerzen Deine +Ulla+. [Illustration] Saõ Francisco, den 14. August 1881. +Herzensgretele!+ Die Neger spielen doch die Hauptrolle in diesem Lande, und ich finde, daß sie im Grunde viel mehr die Herren als die Sklaven der Brasilianer sind. Jede Arbeit wird von Schwarzen verrichtet, der ganze Reichtum durch +ihre+ Hände herbeigeschafft, denn der Brasilianer arbeitet nicht, und ist er arm, so schmarotzert er lieber bei wohlhabenderen Verwandten oder Freunden umher, als daß er redlich die Hände rührte. Auch jede +häusliche+ Dienstleistung geschieht von Negern. Da fährt Dich der schwarze Kutscher, da wartet Dir die Negerin auf, da steht der schwarze Koch am Herde, da säugt die Sklavin das weiße Kind -- ich möchte bloß wissen, was diese Menschen anfangen wollen, wenn einmal die Sklaven-Emancipation ganz und gar vollzogen ist! Wir waren uns ja drüben in Europa recht wenig klar über das diesbezügliche Gesetz hier und glaubten wol eigentlich, daß es die Sklaverei gänzlich aufgehoben habe. Dem ist aber nicht so. Es bestimmte nur, daß von dem Tage seiner Proklamation an, also vom 28. September 1871 an, kein Unfreier mehr in Brasilien +geboren+ werde. Was also bis dahin schon lebte und Sklave war, muß es bleiben bis zum Tode, bis zum Loskauf oder zur Freilassung. Was aber jetzt an solch kleinem schwarzen „Kroppzeug“ geboren wird, das hat keinen Wert für die Herren und nur die Bedeutung unnützer Esser. Es geschieht daher auch nichts für sie, es wird ihnen nicht einmal wie früher diese oder jene Handfertigkeit beigebracht, denn -- „man hat ja später nichts davon“. Anderseits werden sie wiederum als „freie“ Menschen von dem Brasilianer mit etwas mehr Hochachtung behandelt als die geborenen Sklaven. So wurden hier heute Mittag acht solcher kleiner Weltbürger feierlich getauft! Ich hatte schon beim Frühstück ein wunderliches altes Herrchen bemerkt, der wenig sprach und das Wenige in einer mir total rätselhaften Sprache, die Dr. Rameiro in dem ihm geläufigen Italienisch erwiederte, der mir aber durch ein riesenhaftes rotbuntes Taschentuch, an das er eine große Anhänglichkeit zu haben schien, auffiel und dadurch, daß er ungezählte Bananen ver -- schlang hätte ich beinahe geschrieben -- also +verzehrte+. Wie erstaunte ich, als er sich nachher als ein katholischer Reisepriester entpuppte, für den ich ihn niemals gehalten hätte, zumal er in gewöhnlichem Civilhabit reiste. Er war geborner Italiener, aber schon in allen Erdteilen gewesen und hatte die Weltsprache, die er spricht, gewiß schon erfunden, ehe in Europa jemand an so etwas dachte. So gegen zwölf Uhr wurde in der großen ~salla de costura~, vulgo Nähstube, ein mächtiger, büffetähnlicher Schrank geöffnet, über dessen Inhalt ich schon immer gegrübelt hatte, und zum Vorschein kam -- die Mutter Gottes nebst Jesuskind, Schleifen, Kränzen, Krone, Hals- und Armbändern und Ohrringen. Der Neger Felicio, den ich sonst nur als Hausschneider an der Nähmaschine zu sehen gewohnt war, amtierte, ebenso wie der Priester in Ornat, als Meßdiener. Das Ganze war merkwürdig für meine evangelische Seele, Gretel! Eine nach der andern erschienen nun die Negerinnen-Mütter mit ihren jüngsten Sprößlingen, die alle sehr nett, einige sogar mit weißen gestickten Kleidchen und bunten Schleifen herausgeputzt waren, und zwar durch die Güte des Vehmgerichts (hier darf ich sie wohl garnicht mal so nennen!), die sich zu ~madrinhas~ d. h. Patinnen dieser kleinen schwarzen Mitchristen hatten bereit finden lassen. Was übrigens die Farbe betraf, so wunderte ich mich über die sehr wenig dunkle, ja fast weiße Haut der meisten dieser Kinder. -- „Sie +werden+ schwarz“, sagte man mir mit einem Lächeln, das halb den Neger verachtete, halb meine Unwissenheit, „nur die inneren Handflächen und die Fußsohlen bleiben weiß. Sie sagen, als Ham nach Afrika ausgewandert sei, habe er auf Befehl des Herrn mit Füßen und Handflächen das Wasser des Jordan berührt, das dann vor ihm zurückgewichen sei; von dieser Berührung seien bei ihm und seinen Nachkommen jene Stellen weiß geblieben, auch im Sonnenbrand Afrikas.“ Die Ceremonie begann, und ich war stummer Zeuge, wie diese acht plattnäsigen, wollköpfigen kleinen Scheußlichkeiten die Namen: Cäsar, Felicio, Messias(!), Illyia, Angelica, Maria Salome, Marcella und Ruth erhielten. Warum sollten sie freilich auch nicht die schönsten Namen bekommen? Sind doch diese Taufnamen, die ihnen das alte portugiesisch-italienisch-lateinisch kauderwelschende Priesterlein auf Wunsch und Wahl der Herrschaft erteilte, die einzigen, mit denen sie sich ihr Lebelang begnügen müssen. Denn wenn auch die meisten dieser Mütter verheiratet sind, so haben ja auch diese keine Familiennamen. Deshalb nehmen die freigewordenen Sklaven aus Mangel an einem solchen nach ihrer Freilassung gewöhnlich den Namen ihrer früheren Herrschaft an -- -- angenehm für diese, nicht wahr!! Da ich nun aber einmal bei den Negern bin, muß ich Dir noch eine Geschichte erzählen, die hier neulich passierte. Es war eines Abends in der vorigen Woche und draußen so gar „kühl und labend“, dass es beim warmen Thee drinnen ganz gemütlich war, als vor dem Hause plötzlich ein schüchternes Händeklatschen ertönte, das alle unsre Hunde in Bewegung setzte und auch bei uns drinnen ein allgemeines Aufhorchen zur Folge hatte. Das Händeklatschen ersetzt hier nämlich die Hausglocke, und wenn man in ein Haus einzutreten wünscht oder eintritt, besonders auf dem Lande, muß man sich draußen oder im Flur auf diese Weise bemerkbar machen, wenn man nicht für einen Dieb gehalten werden will. Alles wunderte sich natürlich, wer so spät noch kommen könne, und Tonino wurde hinausgeschickt, um nachzuschauen. Er ging etwas ängstlich, purzelbaumte dann aber vergnügt wieder bis an die Schwelle. „Draußen sind zwei Onkels, Herr“, meldete er. Die älteren Schwarzen werden nämlich von den jüngeren ~tio~, Onkel, und ~tia~, Tante, genannt, auch wenn sie einander garnicht kennen, und ich finde, das darin ausgesprochene Verwandtschaftsgefühl dieser Paria hat etwas Rührendes; nicht wahr? Zwei Neger? Es war kaum anzunehmen, daß ein Nachbar noch so spät eine Botschaft sende, und was konnten sie sonst wollen! Dr. Rameiro ging hinaus und kam nach einer Weile zurück, sein sonst so joviales Gesicht ganz verdüstert! „Nun?“ riefen wir alle. „Zwei unglückliche Schwarze“, sagte er, „die mich um Jesu willen bitten, sie zu kaufen.“ „Wo kommen sie her?“ „Von Dr. Albus Pflanzung.“ „O, die Armen! Der ist bekannt dafür, daß er seine Neger quält“, sagte Madame. „Mein Mann braucht einem widerspänstigen Schwarzen nur zu drohen, ihn an Dr. Albu zu verkaufen, dann wird er gleich gehorsam.“ „Was wirst Du thun, Papa?“ fragte Dona Olympia. „Was +kann+ ich thun, mein Kind?“ rief der alte Herr erregt. -- „Er wird sie garnicht gern verkaufen wollen und mir also jedenfalls einen übermäßigen Preis stellen; außerdem ist er, wenn ich mich gegen ihn einlasse, mein unversöhnlicher Feind, und Du weißt, daß ich sehr wahrscheinlich ihm bereits den heftigen Waldbrand im vorigen Jahre verdanke, den sich niemand erklären konnte.“ „So müssen die armen Kerle zurück?“ fragte ich. „Ich kann sie nicht im Hause behalten. Es ist Eigentum, und behielte ich sie auch nur eine Nacht unter meinem Dache, so würde das schwerlich anders als wie eine Verhehlung flüchtiger Neger ausgelegt werden. Dem kann man sich nicht aussetzen, zumal wenn man selber noch Schwarze hat und haben muß. Diese Vertrauensbeweise sind ja an sich recht schön und schmeichelhaft, aber entsetzlich peinlich! Dies ist nicht das erste Mal, daß es mir so ergeht.“ „So giebt es also wirklich Pflanzungen, wo noch die schlimmen Zustände aus Onkel Toms Hütte wiederzufinden sind?“ erkundigte ich mich. „So arg dürfte es wohl nirgends bei uns sein und ist es wohl auch kaum je gewesen. Der Brasilianer ist gutmütiger als der Nordamerikaner, und die schwarze Race nimmt bei uns überhaupt eine andre Stellung ein. Sie sehen, sowie der Neger frei ist, wird er hier als gleichberechtigt behandelt: wir haben farbige Lehrer, Künstler, Ärzte, Abgeordnete, ja Minister, und die Prinzessin befiehlt auch Farbige zum Tanz. Die Verachtung auf der einen und demgemäß die Erbitterung auf der andern Seite ist hier nicht so groß wie bei unsern nordischen Brüdern. Freilich giebt es auch bei uns einzelne brutale Kreaturen, welche die armen Schwarzen in der That mißhandeln, wie Sie eben einen Beweis davon gehabt haben.“ „Was wird nun aus diesen beiden armen Teufeln?“ fragte ich. „Sie werden heute Abend noch tüchtige Hiebe bekommen und nur um so strenger gehalten werden; derartige Streiche sind zu thöricht. Dann werde ich sehen, ob ich sie entweder selber freikaufen kann oder sie einer Abolitionisten-Gesellschaft empfehlen.“ „Wenn ihr Herr sie nun aber nicht verkaufen +will+?“ warf ich ein. „Das muß er, sowie ihm ein annehmbarer Preis geboten wird.“ „Warum mögen sie sich denn nicht selbst an eine solche Gesellschaft gewandt haben?“ „Das ist ihnen zu schwer gemacht, da deren Mitglieder sehr unklug wären, sich auf den Pflanzungen sehen zu lassen, und da der Schwarze nicht schreiben kann; sie haben eben gar keine Kommunikationsmittel. Aber den meisten von ihnen ist es auch nur um eine gute Behandlung zu thun und um die Freiheit erst in zweiter Linie. Ideale haben sie nicht.“ „Das habe ich mir gedacht“, rief ich, „nach dem Wenigen, was ich habe beobachten können; denn sonst mußten ja auch selbst die Gutgehaltenen stets voll Groll und Mißmut sein.“ „Ja, und das werden Sie, ich darf wohl sagen, nie finden. Auf dieser Pflanzung werden Sie keinen aufrührerischen Schwarzen antreffen, denn ich halte streng auf ihre menschliche Behandlung und gute Versorgung. Ich habe manche, besonders Negerinnen, die sich längst hätten freikaufen können.“ „Wirklich! Womit verdienen sie sich Geld?“ „Wer darum bittet, bekommt ein Stückchen Land zum Bepflanzen, und gute Gemüse kauft man ihnen dann hier im Herrenhause gern ab, auch dürfen sie sich Hühner halten, deren Eier sie dann verkaufen, wenn ich nach der Post schicke, und dergleichen mehr. Die sonntägliche und die über die gesetzliche Stundenanzahl hinausgehende Arbeit wird ihnen bezahlt, und die Hausneger und Negerinnen erhalten oft Geldgeschenke, letztere besonders, wenn sie Ammen der Kinder sind oder waren. Unsre dicke grinsende Anna da z. B. ist eine ganz wohlhabende Erbtante; sie bleibt aber, weil sie es hier gut hat und sie die Kinder liebt. Das ideale Gut der Freiheit versteht sie nicht.“ Ich freute mich über diese Erklärung, wie man sich immer über Äußerungen freut, die eigne Gedanken und Schlüsse bestätigen. So konnte ich mir die Sache vorstellen. Daß Rohheit und tierische Grausamkeit den Sklaven gegenüber oft zu sehr traurigen Vorkommnissen führen, das konnte ich mir denken; aber anderseits, die idealen Anschauungen tiefgebildeter Menschen zu suchen bei einer Race, die durch Generationen geknechtet ist, unsre Begriffe von Freiheit bei den Männern, von Ehre bei den Frauen vorauszusetzen, das, merke ich wohl, wäre eitel dichterische Illusion. Aber ich sehe eben, daß ich Dir eine förmliche national-ökonomische Abhandlung zumute unter der Maske eines simplen Schreibebriefes -- nun, Du kannst Dich ja rächen, indem Du es drucken läßt, oder -- lies es im Kränzchen den Andern vor: geteilter Schmerz ist halber Schmerz. Jetzt werde ich schlafen gehen, indem ich Betrachtungen darüber anstelle, nach welcher Richtung hin mir die Neuralgie morgen wohl das Gesicht verzogen haben wird; mein Spiegel und ich, wir wundern uns über nichts mehr! Gute Nacht -- aber bei Euch ist es ja jetzt garnicht Nacht -- also Guten Morgen! Deine +Ulla+. [Illustration] Saõ Francisco, den 1. September 1881. Gestern sind wir von einer „Expedition in’s Innere“ zurückgekommen, d. h. von einer Reise nach der Provinz ~Minas geraes~, wo wir geholfen haben, eine Eisenbahn einzuweihen. Wenn ich noch daran denke, Grete, wie wir diesen Namen immer ausgesprochen haben in der Geographiestunde, zumal das ~geraes~! Und gedacht haben wir uns garnichts dabei, während es doch so einfach ist: ~geraes~ ist die Mehrzahl von ~geral~, allgemein, und ~Minas geraes~ heißt also nichts anderes als allgemeines Minenland oder minenreiches Land. Diese Provinz ist in Südbrasilien etwa das, was ein hochmütiger Westländer bei uns meint, wenn er von „Hinterpommern“ oder „Ostpreußen“ spricht: ein etwas ursprüngliches Stück Erde, mehr Gutmütigkeit bergend als Civilisation, und im ganzen ebenso verschrieen wie unbekannt. Was Minas aber vor jenen deutschen Provinzen voraus hat, ist sein Reichtum an edlen Metallen, vorzüglich an Gold. Die Hauptstadt der Provinz trägt ihre beiden Namen: ~Ouro preto~ d. h. schwarzes (dunkles) Gold und ~Villa rica~ d. h. reiche Stadt nach diesen Schätzen ihrer Berge und Flüsse. Es war mir hochinteressant, durch diese Gegenden zu fahren, die wieder so ganz verschieden sind von dem, was man in der Provinz Rio sieht. Rings um Dich her siehst Du die Flanken der Berge zerklüftet und zerfleischt wie von zahllosen offengelegten Maulwurfsgängen, und durch das Fernglas erkannten wir auch die geschäftigen schwarzbraunen und weißen Männer, die dort dem edlen Metall nachspüren. Auch entlang der Flüsse, die weite, grasreiche Thäler durchschneiden, sahen wir gebückte Gestalten, die da Tage und Wochen lang geduldig das Gold aus dem Sande waschen. Manche werden reich dabei, andre quälen sich gerade für’s tägliche Brot, wie’s Fortuna jedem gönnt; ich kaufte nachher in Saõ Joaõ einem armen schwarzen Schelm einen halben Fingerhut voll Korngold für 22 Mark ab, die Frucht von 8 Arbeitstagen, wie er mir sagte! Früher soll die Ausbeute überall gleichmäßiger und vor allem weit beträchtlicher gewesen sein, und eben dieser Goldreichtum des Landes hat denn auch wohl zuerst den Anlaß gegeben zu größeren Niederlassungen der erobernden Portugiesen in diesen damals noch ungleich mehr als jetzt unwirtlichen Gegenden, wo jegliche Beförderung, sei es von Menschen, sei es von Lebensmitteln und sonstigem Bedarf auf Eselsrücken geschah und zum größten Teil noch heute geschieht, wo man noch vor zwanzig Jahren Brot kaum kannte, und wo es ein Hotel noch heute nicht giebt. Alle die Gäste, die sich die kleine Stadt Saõ Joaõ del Rei zur Inauguration ihrer Eisenbahn geladen, wurden daher in Privathäusern beherbergt, und es scheint mir ungemein charakteristisch für Brasilien, wo die Mißverhältnisse an der Tagesordnung sind, daß ein Städtchen von etwa 700 Einwohnern sich ca. 800 Gäste eingeladen hatte, allen voran den Kaiser ~Dom Pedro II.~, der sein Erscheinen auch freundlich zugesagt. Von Dr. Rameiros Familie war auf sechs Personen gerechnet, da aber Madame (oder Dona Alfoncina, wie sie nach Landessitte genannt wird) eines heftigen Rheumatismus wegen absolut nicht fahren wollte, so forderten sie mich auf, an ihre Stelle zu treten, und Du weißt ja -- wo’s was zu sehen giebt, da bin ich dabei. Lustig zogen wir los, der Doktor, das Vehmgericht, der kleine Julio und meine Wenigkeit. Zuerst fuhren wir mit der schon bestehenden großen Eisenbahn „~Dom Pedro Segundo~“, an die sich dann erst in der Provinz Minas die neue Strecke anschließt, aber mit recht brasilianischer Liberalität beförderte diese ihre Gäste nicht nur im eignen Bereich ohne irgend welche Entschädigung, sondern sie hatte sich auch mit der großen Bahn arrangiert, so daß wir eine Strecke von über hundert deutschen Meilen ohne einen Heller Kosten zurücklegten. Vier Stunden vor unserm Bestimmungsort begann das Reich der neuen Eisenbahn. „Umsteigen so schnell wie möglich“, lautete das Feldgeschrei, sowie der Zug hielt. Die Hast mußte etwas zu bedeuten haben, denn sonst heißt’s in Brasilien immer: „~Paciencia~“, und niemand überstürzt sich. Alles eilt daher mit ungewohnter Behendigkeit nach dem andern Perron -- ah, der Grund wird hier klar! Da hättest Du die kleinste Eisenbahn sehen können, die Dir wohl je vorgekommen ist, Grete, Waggons und Lokomotive alles ~en miniature~. Schneller als der Blitz sitzen wir darin, um dann allerdings geduldig -- oder ungeduldig -- ¾ Stunden warten zu müssen, bis sich das Eisenbähnchen in Bewegung setze. Natürlich maßen wir u. a. zum Zeitvertreib den Wagen aus: er war 1 ~m.~ 65 ~cm.~ breit. Endlich ging’s los, erst langsam, dann rascher und immer rascher, keck durch Berge und über Brücken, als wenn sich das kleine Ding vor garnichts fürchte. Und es schien auch mehr ausrichten zu können als seine schwerfälligeren Brüder. Mit Erstaunen und Bewunderung sahen wir unsern kleinen Zug sich wie eine Schlange geschickt um einen hohen Bergkegel winden, allmälig aber sicher hinaufkriechend, indem er dreimal auf derselben Seite erscheint. Wie wir an Ort und Stelle d. h. in dem Städtchen Saõ Joaõ del Rei anlangen, ist es halb zwölf Uhr anstatt sieben, aber das thut nichts, im Gegenteil, wenn in Brasilien etwas recht pünktlich ausfällt, ist’s entschieden irgendwo nicht geheuer; jedermann war also zufrieden. Der Bahnhof ist beflaggt und mit Guirlanden geschmückt, eine Musikbande (meist Deutsche hier zu Lande) bläst lustig drauf los, und auf dem Perron drängt sich eine kaum entwirrbare Menschenmenge, um die Gäste zu bewillkommnen, in Empfang zu nehmen oder anzugaffen. Ein wohlwollender Heiliger läßt uns einen Wagen erhaschen, der uns über das gefährlichste Straßenpflaster hinweg, das je Menschen und Gespanne bedrohte, zu meinem Erstaunen heil und glücklich vor der Wohnung unserer Wirte abliefert. Ich werde diesen vorgestellt und suche mein bestes Portugiesisch hervor, um mein ungeladenes Erscheinen zu entschuldigen, doch ihre erstaunten Gesichter und kräftiges Händeschütteln, sowie die üblichen zwei Begrüßungsküsse der Damen belehren mich, daß man eben dies Erscheinen für völlig selbstverständlich hält, was mir natürlich um so lieber ist. Es sind noch mehr Gäste da, und man quält sich noch eine Weile damit hin, im „Salon“ auf den rechtwinkeligen Stuhlreihen zu sitzen und sich zu unterhalten; dann geht’s zu Bette. Wir sind in unserm Zimmer sechs Kameradinnen, aber nur ein einziger Waschtisch ist vorhanden, und mich friert entsetzlich in dem mehr als primitiven „Bett“, zumal durch allerlei Spalten und Ritzen im Fußboden dafür gesorgt wird, daß die frische Luft aus einer darunter befindlichen offenen Halle ungehindert hereindringe. Ich bin durchaus nicht erstaunt, als der andere Morgen mich belehrt, daß das kleine Haus unserer Wirthe in der Nacht 27 Gäste beherbergt hat. Man rühmt bei uns die brasilianische Gastfreundschaft und das mit Recht, nur darf man die Sache beileibe nicht nach europäischen Begriffen beurteilen. Der brasilianische Gast beansprucht nichts als eine Matratze und eine wollene Decke, er verzichtet auf jegliche Gemütlichkeit (von Komfort garnicht zu reden), und der brasilianische Wirt ist, wenn er ihm jenes giebt und ihn zu den Mahlzeiten an seinem Kaffee, seinen schwarzen Bohnen und dem gedörrten Fleisch teilnehmen läßt, seiner Pflichten als solcher los und ledig. Ich bin überzeugt, daß die Leute es herzlich gut meinen, aber bei uns würde man doch in solchen Masseneinladungen und in dem summarischen Verfahren bei Behandlung der Gäste eine große Rücksichtslosigkeit oder eine gewisse einfältige Unverschämtheit sehen. Aber wie gesagt, der Wille hier ist entschieden gut, und darum soll sie auch kein Undank treffen. Am Vormittag herrschte ein buntes Leben. Alle Gäste waren auf den Beinen, um sich das Städtchen anzusehen, und jeder, auch der ärmste Einwohner war stolz und liebenswürdig, denn er fühlte sich als Wirt. Wir besahen uns zunächst die Kirchen; der kleine Ort hatte deren nicht weniger als drei große aufzuweisen, was den Europäer und zumal den Protestanten in billiges Erstaunen setzen muß angesichts der Ursprünglichkeit der übrigen Verhältnisse. Und diese Kirchen sind nicht etwa hölzerne Kapellen oder Bethäuser, sondern große, massiv steinerne Gebäude, aus portugiesischem Marmor erbaut. Ihr Styl, weder ausgesprochen byzantinisch noch im geringsten gothisch, ist meist geschmacklos und überladen, am meisten immer dem sogenannten Jesuitenstyl nahekommend, und in ihrem Interieur entsetzten mich überall die schrecklichsten Abbildungen der heiligen Trinität, die in bunten Holzfiguren von über Lebensgröße zur Darstellung kamen; auch die Gemälde boten, zumal an Perspektive, das Wunderlichste, das mir je zu Gesicht gekommen. Und doch habe ich in größerer Bewunderung vor diesen Zeugen der Frömmigkeit eines Volkes gestanden, als ich solche je vor den ragenden Türmen des reizendes Münsters in Ulm oder dem Wunderwerke des Kölner Doms empfunden. Denke Dir mächtige, fußdicke und oft mehr als 2 Meter lange Steine, massive Pfeiler, Treppen und Wälle ringsum, und dann frage Dich, wie sie hierhergelangten! Dann sage Dir, daß jeder dieser Steine auf dem Rücken von Maultieren den Weg von der Küste in’s Innere zurücklegte, eine Strecke, die heute mit der Bahn 16-18 Stunden in Anspruch nimmt, und zu der die Thiere wohl 4-5 Monate gebrauchten; frage Dich einmal, abgesehen von dieser erstaunlichen +Arbeitsleistung+ nach den +Kosten+ eines solchen Werkes, und Du mußt billig mit mir erstaunen und den Geist der Frömmigkeit eines Volkes bewundern, das vor allem andern daran dachte, seinem Gott Altäre zu bauen und seine Heiligen angemessen unterzubringen. Der folgende Tag, der 29. August, war der eigentliche Tag der Inauguration, weil der der Ankunft des Kaisers. Schon früh am Morgen hatten sich die brasilianischen Schönen in Staat geworfen, und zwar erschienen sie zum Teil in den elegantesten Pariser Gesellschaftskleidern; wer irgend Geld und Verbindungen besaß, hatte sich eine prachtvolle Toilette wirklich aus Paris oder doch mindestens aus Rio kommen lassen und nutzte sie nun auch gründlich aus. Da konntest Du Damen, die sonst das ganze Jahr hindurch nichts wie ein Kattunfähnchen tragen, in hochroten oder kraßblauen, ja gelben und grünen[2] Seidenkleidern sehen, und die Nichte unsrer Wirte, die ein chamoisfarbenes Atlaskleid trug, das ungefähr ihrer eignen Hautfarbe Konkurrenz machte, wird mir nie aus dem Gedächtnis entschwinden. Es war mit rotem Sammet beflaggt und viereckig ausgeschnitten; die Schleppe, deren weißer Spitzenansatz halb abgerissen war, wirbelte im Staube; ihre braunen beringten Hände hielten einen der buntesten Fächer, und anstatt des Hutes hatte sie sich eine tolle Frisur gemacht, die gewiß eigens für diesen Zweck componiert war. Sie war mir am Tage vorher als ein ganz gutmütig dreinblickendes Geschöpf erschienen trotz ihres braunen pickeligen Gesichts und den unordentlich herabhängenden Zöpfen, und niemand hätte so treuherzig wie sie das „Wie geht es Ihnen, geht es Ihnen gut?“ an die Fremde gerichtet haben können, aber in diesem Costüm sah sie wirklich affreuse aus! Ob sie das doch instinctiv fühlte? Wenigstens strich sie einmal plötzlich sehr respektvoll an meinem fußfreien braunen Sammetkleide herunter, dessen Wärme ich sehr gut vertrug, und sagte so recht von Herzen: „~A Senhora esta muito civilisada!~“ An diesem Tage wurden auch endlich die Ehrenpforten aufgerichtet, die seit dem Tage unserer Ankunft halbfertig in den Straßen umherlagen. Es waren Rundbogen, aus dem biegsamen Bambusrohr auf das einfachste hergestellt, ein größerer in der Mitte und zwei kleinere zu den Seiten. Auf dem Straßenpflaster liegend, wurden sie mit farbiger Gaze umwunden, die in Zwischenräumen von 1 Fuß mit bunten Bändern abgebunden wurde; hie und da befestigte man ein Lampion. Diese Allee von Triumphbogen, die auf das kaiserliche Logis zuführte, hätte, passend decoriert, äußerst graziös sein können. Aber in ihrer steifen Umhüllung und dürftigen Beleuchtung machten dieselben, als sie endlich am dritten Tage aus dem Straßenstaub erstanden, einen höchst jämmerlichen Eindruck; zudem blieb, wo sie eingerammt waren, das Straßenpflaster aufgerissen, und die Steine lagen wild umher. Vor dem für den Kaiser bestimmten Hause schloß ein Thor diesen Bogengang, das aus Holz und Papier construiert war und in seiner plumpen und gedrungenen Erfindung einen recht handfesten Eindruck machte. In einer andern Straße erreichte ein Thor, das fast 2 Fuß dick und aus dunkelblauem, buntbemaltem Papier, das man auf Holz gezogen, gebaut war das Menschenmögliche an Geschmacklosigkeit. Eine ganze Straße hatte sich mit gelb und grün gestrichenen Tonnen vor den Thüren patriotisch zu „schmücken“ geglaubt, aus denen hier ein zerrissen Fähnlein flatterte, dort ein wenig Palmengrün hervorsah. Nur der Weg vom Bahnhof zur Stadt bot, auf beiden Seiten von leichten Säulen eingefaßt, auf denen schlankes Grün und zierliche Fähnchen standen, einen wohlthuenden Eindruck dar. Ich war ganz erstaunt über so viel Geschmacklosigkeit und Ungeschick! Was hätten wir nicht in unserm Deutschland allein schon mit diesem Reichtum an +natürlichem+ Schmuck zu machen gewußt, über den Brasilien verfügt! Gebt uns einmal weiter nichts als diese nickenden Palmzweige, diese pomphaften Bananenblätter, diese leuchtenden Orangen in ihrem dunkeln Grün, gebt uns die entzückend feinen Tannenarten Brasiliens, diese Schlingpflanzen von oft 10-20 Meter Länge, diese großen, glühenden, sattfarbenen Blumen, diesen seidetragenden Painabaum, dessen weiße Flocken Du wie Schnee verwehen kannst, gebt uns alles das und in solchem Ueberfluß wie hier -- und die kleinste deutsche Stadt würde ohne jene armseligen Tarlatanfetzen, ohne Hülfe von Holz und Papier sich ein märchenhaft Kleid anziehen. Meinst Du nicht auch, Gretel? Aber nun möchtest Du natürlich vom Kaiser hören. Also: Abends um 7 Uhr strömte, was einheimisch und fremd war, nach dem Bahnhof, wo ~Dom Pedro~ ankommen sollte, und da sich der Zug um fast 3 Stunden verspätete, auch kein einziger Schutzmann oder sonstiger Ordnungsbeamte die lieben Unterthanen in ihrem loyalen „Drängen“ hinderte, so hatte die Menge Zeit und Freiheit, sich zu einer ganz anständigen Mauer anzustauen. Endlich kam der Zug. Die Lokomotive war unterwegs zerbrochen, man hatte eine andere geholt, und der Kaiser hatte zwei Stunden lang auf der Station ~Entere Rio~ warten müssen, wo man eben am Malen und Tapezieren war. Alles das hatte ihm aber, wie es schien, die gute Laune nicht verdorben: „Hat man auch für ein Konzert oder einen Ball gesorgt?“ hörten wir ihn fragen. Er grüßte fortwährend mit dem Hute und der Hand, die Kaiserin nickte rechts und links, und dann wand sich der kleine Zug so allmälig mit Geduld und guten Worten durch die geschätzten Unterthanen aller Schattierungen hindurch, um im „Wartesaal“ (ich beleidigte einen Brasilianer durch meine Frage, ob das die Durchfahrt sei) offiziell von den Bahndirektoren empfangen zu werden. Unsere Gesellschaft benutzte diese Verzögerung, um so schnell als thunlich nach dem kaiserlichen Logis in der Stadt zurückzueilen, wo wir unserseits das hohe Paar mit „empfangen“ durften. Man hatte mittlerweile illuminiert. Einige -- ~entre nous~, schauderhafte -- Transparente waren das Bedeutendste dieser Leistung. Viele Häuser hatten sich damit begnügt, eine Art von Wagenlaternen zu beiden Seiten ihrer Fenster zu befestigen. Eine Straße hatte an einer Seite einen Bindfaden gezogen und ihn mit Lampions bereiht; die andere Seite war dunkel. Das Thor vor dem kaiserlichen Logis war durch eine Schnur kleiner Lämpchen erhellt, die beinahe gut ausgesehen hätten, aber die Lämpchen waren nicht alle angezündet, und die unterbrochene Lichterschnur war nun einfach störend. Es hat wirklich manchmal den Anschein, als würde der Brasilianer bei all seiner Neigung zum ~show~ nicht zufrieden sein, wenn er etwas Ordentliches leisten würde, als widerspräche es seinem Wesen, denn oft ist für die volle, gründliche Leistung garnicht einmal ein viel größerer Müheaufwand erforderlich. Oder +sehen+ sie dergleichen nicht?! Wir kommen an, werfen Hut und Plaid ab und ziehen den rechten Handschuh aus, denn die brasilianische Etiquette gestattet nicht, daß man die Majestäten mit Handschuhen anfaßt. Dann stellen wir uns im Hausflur auf -- nur 12 Personen! Die Menge schien bereits abgekühlt oder ihre Neugier befriedigt. Wir zwölf (denke Dir, Deine Ulla mit!) „machen die Wirte“. Das Haus war Privateigentum und nur „hergeliehen“ für den kaiserlichen Gast; es gehörte einer verwittweten Baronin, welche in Rio lebt, die für europäische Begriffe fast mehr als einfachen Rohrmöbel teils derselben Dame, teils andern Patrioten; wer etwas Hübsches besaß, hatte es herbeigetragen. Wir gingen rasch erst noch durch alle Zimmer; nirgend erschien es mir gemütlich außer in dem Speisesaal, wo eine kleine Tafel durch einen französischen Koch wunderhübsch gedeckt und besetzt war. Als wir wieder hinunter kamen, wurde gerade ein Piquet Soldaten vor der Thür in mir unverständlichen Kommandos von einem Korporal angeschrieen und vollführte ein „Rechtsum“, das mich in die beste Laune versetzte. Gretele, da machen’s unsere rekrutesten Rekruten besser! Der Korporal zog einen Mann am Knopf etwas nach vorn, drückte den andern mit dem Säbel ein wenig zurück, und dann überließ er es ihrem loyalen Gutdünken, ob sie so bleiben wollten. Jetzt aber rasselte ein Wagen über das Straßenpflaster ... „~O Imperador!~“ donnerte eine Stimme, und „Viva!“ schrie die allerdings nicht sehr zahlreiche Menge draußen. Neugierig streckte ich den Kopf vor. Ein hoher stattlicher Herr im weißen Bart schüttelte Dr. Rameiro, der in der Thür stand, kordial die Hand, dann tritt der stattliche Herr in den Flur, schüttelt den Damen, die sich nur leicht verneigen, die Hände und dann den Herren. Ich hatte mich wohlweislich als Letzte in die Reihe gestellt, um alles nachmachen zu können, was die Brasilianerinnen thaten. Hinter dem Kaiser kam eine sehr kleine, etwas verwachsene Dame, in einfachstes Schwarz gekleidet, und ließ sich mit wohlwollendem Lächeln in der Runde die Hand küssen. Das waren der Kaiser und die Kaiserin von Brasilien! Du glaubst garnicht, Grete, wie mir zu Mute war. Es war so schrecklich einfach. Und ich hatte mir so einen Kaiserempfang bei den pomphaften Brasilianern so ganz anders gedacht -- es war so garnichts zum Eindruckmachen! Dom Pedro bietet seiner Gemahlin den Arm, und das einfache Paar steigt langsam die Treppe hinauf. Wir folgen. Oben setzt sich die Kaiserin in der salla de visita auf das Sofa, die anwesenden Damen schließen sich nach dem Beispiel der einzigen Hofdame rechts und links auf den rechtwinkligen Stuhlreihen an, und die arme alte ermüdete Fürstin quält sich für jeden noch ein freundliches Wort heraus, während der Kaiser wie ein Jüngling ohne die geringste Spur von Erschlaffung unter den Herren steht. Und denke Dir, Grete, er hat auch mit mir gesprochen! Ich erschrack zuerst so, als er mich anredete. Er fragte nach meinem New-Yorker Onkel, der lange Jahre in Brasilien gelebt hat und von Dom Pedro sehr bevorzugt wurde. Der Kaiser soll sehr gut deutsch sprechen, sprach aber zu mir französisch. Nach einem kurzen Anstandsverweilen verließen „die Wirte“ das Haus, die hohen Herrschaften waren nicht aufgelegt zu einem formellen Souper, und so wurde bald alles still und dunkel in dem Hause der verwittweten Baronin. Aber nicht lange war den hohen Gästen Ruhe gegönnt. Des Kaisers landwirtschaftlicher Minister, Buarque de Macedo, der sich mit unter seiner Begleitung befand, war schon unterwegs von einem heftigen Unwohlsein befallen worden, und um Mitternacht meldete man dem Kaiser, der diesbezüglich Befehl gegeben, daß derselbe wohl seinem Ende entgegensehe. Sofort begab sich der Kaiser selbst an Ort und Stelle; Dr. Rameiros Bruder, der Arzt ist und auch in unserm Hause logiert, wurde hinzugerufen. Zu spät! Da war keine Hülfe mehr möglich. Noch eine Zeitlang schwebte der Kranke zwischen Leben und Sterben, dann seufzte er auf: „Meine arme Familie!“ Kaum hatte der Kaiser noch Zeit, ihn über ihr Schicksal durch ein hastiges Wort zu beruhigen. Im Morgengrauen ging Dom Pedro über die geschmückten Straßen nach seinem Logis zurück; im nächsten Morgengrauen führte ihn sein Wagen wieder an den Bahnhof; alle weiteren Feierlichkeiten unterblieben. Ich glaube aber, wir haben wenig daran verloren, denn eine Aufführung der „Glocken von Corneville“, die wir einen Tag sahen, war entsetzlich, und bei einer musikalischen Matinée, wo das Orchester nach dem Metronom, und als das auch noch nicht half, nach dem energisch tactierenden Fuße des Leiters spielte, haben wir ungezogener Weise so gelacht, daß wir uns den regsten Unwillen der andächtigen „Eingebornen“ zuzogen. Ich fürchte übrigens nächstens den Deinigen, wenn ich diesen Brief noch länger werden lassen, darum für heute Schluß! Deine getreue +Ulla+. [2] Die brasilianischen Landesfarben. [Illustration] Saõ Francisco, den 17. September 1881. Ach liebste Grete, wenn Du wüßtest, wie sauer mir hier manchmal so ein Tag wird! Wie die Stunden schleichen, wie alles so schwerfällig erscheint! Die Kinder sind unartig, das Vehmgericht passiv, das ganze Haus laut, und man fühlt sich so allein, so unbeschreiblich vereinsamt! Zudem fängt die ganze Sache an, mich sehr anzugreifen. Die neuralgischen Schmerzen dauern fort, wenn auch Gottlob in vermindertem Maßstabe, und ich habe sehr oft Migräne, die ich besonders dem Lärm und der ganzen Unbehaglichkeit der häuslichen Einrichtungen zuschreibe. Die Nerven dieser Menschen müssen Stricke sein -- leider! Sonst würden sie Rücksichten auf Andre kennen! Stelle Dir einmal folgende Scene vor und dann appelliere an Deine eignen Nerven, ob sie es ertrügen. Ich gab der kleinen Leonilla eine Klavierstunde in dem sogenannten Arbeitszimmer von Dona Alfoncina, denn die Kinder haben ihre Stunden nicht auf dem Flügel in der ~salla de visita~, sondern auf einem ehrwürdigen Tafelförmigen. Besagtes „Arbeitszimmer“ liegt so ziemlich in der Mitte des Hauses, und allerlei Räume münden in dasselbe ein, nämlich eine Vorratskammer, das Badezimmer, das Schlafzimmer der Kinder, das des Vehmgerichts, ein Kleiderzimmer und die Nähstube. Nun kannst Du Dir eine kleine Vorstellung machen, wieviel Lärm in diesem angenehmen Raume schon unter normalen Verhältnissen gehört werden kann; heute aber war es gerade, als hätte der alte ~gentleman~ sein Spiel! Man hatte nämlich Mäuse in der Vorratskammer entdeckt, und ohne Verzug kommandierte Dona Alfoncina zwei Negerinnen und einen Neger herbei, die den ganzen Raum leer machen mußten, damit man die Löcher finde. Während ich also an dem verstimmten Tafelförmigen resigniert mein ~un~, ~deux~, ~trois~ zählte und Leonilla mit Ausdauer immer dieselben Fehler machte, baute sich unter lautem Kommando von Dona Alfoncina rings um uns eine Wagenburg von Kisten, Fässern, Säcken etc. auf. Der Lärm, der durch diese Prozedur verursacht wurde, die lauten Kommandos und gelegentlichen Mißfallensäußerungen der Herrin waren an sich schon betäubend. Dazu stand neben dem Klavier die Thür zur Nähstube offen, von wo heraus wir die zwei Maschinen klappern hörten; in dem Nachbarraum schrie’s aus einem Bambuskorbe und dazwischen frohlockten Papageien und andre Vögel. Zum Schluß wurde noch eine kleine Mulattin, die Dona Gabriella lesen lehrt, durch die sich aufbauende Wagenburg aus ihrer Ecke, wo sie „studierte“, fortgetrieben und stand plötzlich hinter meinem Stuhl, eintönig ihr b -- a ba, b -- e be, b -- i bi murmelnd! Das war zu viel! Wütend sprang ich auf, ergriff die Noten, rief Leonilla, mir in den Saal zu folgen und gab die Stunde da zu Ende. Man hat mir das furchtbar übel genommen und hält +mich+ bei der ganzen Sache für die Rücksichtslose! Ja, ja, wenn Menschen zu viel Nerven haben, ist es wohl schlimm, aber wenn sie garkeine haben, ist es noch peinvoller für Andre. Und so scheinen mir die Brasilianer geartet. Ich bezweifle, daß ich hier allzu lange mit meiner Gesundheit reiche! Schreibt mir nur recht oft, ich fühle mich sehr einsam und weltfern. Wenn ich doch nur wenigstens einmal ein deutsches Wesen zu sehen bekäme! Deine arme +Ulla+. Uebrigens habe ich mit dem Zimmer gewechselt, da es mir in dem vorigen, sonnenlosen vor Feuchtigkeit unerträglich wurde, ich auch eines Mittags eine Schlange unmittelbar vor meinem Fenster sah -- hu, die ekelhaften Tiere! Wir sehen oft welche. [Illustration] Saõ Francisco, den 5. October 1881. +Meine liebe Grete!+ Es ist gerade, als hätte die Vorsehung den Stoßseufzer in meinem letzten Briefe an Dich zu Gesichte bekommen! Das „deutsche Wesen“ ist da! Und das wunderlichste obendrein, das Du Dir vorstellen kannst -- das Gaudium des ganzen Hauses und, daß ich’s nur gestehe, meines auch. Es ist ein Naturforscher, ein älterer Herr, dem auf die Empfehlung eines italienischen Collegen hin Dr. Rameiro das Haus „zu Befehl“ gestellt hat für die Dauer seines Aufenthaltes in dieser Gegend Brasiliens. Unser guter Landsmann, dessen Französisch absolut unzulänglich ist, und der sich ziemlich vergeblich abmüht, sein deutsch accentuiertes Latein dem Portugiesischen anzupassen, wäre ohne mich als seinen Dolmetsch völlig verloren. Er ist ein „Gelehrter“, wie er in Büchern steht, und würde mit seiner Pedanterie und seiner wunderlichen Kleidung selbst bei uns komisch sein, hier aber sehe ich es dem Vehmgericht trotz ihrer unbeweglichen Gesichter an, wie es sie entzückt, sich über etwas Deutsches lustig machen zu können, und ich bin gewiß, daß sie überzeugt sind, alle Deutschen wären genau wie dieser Professor. Zu dem, was man so Plaudern nennt, ist er gerade nicht gemacht, aber er ist doch ein Landsmann, und ich höre doch wieder deutsche Worte! Was das für eine Wonne ist, Grete! Ich könnte den garstigen kleinen Pedanten küssen bloß dafür, daß er ein Deutscher ist! Aber ich wollte Dir eine Geschichte erzählen, die ihm gestern passierte, und über die ich gelacht habe, wie noch nie, solange ich hüben bin. Gestern war Sonntag, und als ich im Genusse meiner Muße am Nachmittage vor der Thür sitze, steht plötzlich die sonderbarst ausstaffierte Gestalt von der Welt vor mir. Eine große blaue Brille auf der Nase, einen weißen Strohhut auf dem Haupt, eine mächtige Botanisiertrommel an der Seite, ein grünes Schmetterlingsnetz über der Schulter, aus der rechten Rocktasche ein „Handbuch der Botanik“, aus der linken ein umfangreiches Werk über Insectenkunde -- wer konnte in diesen Attributen anders stecken als ein deutscher Gelehrter! Unser guter Professor forderte mich auf, die Genossin seiner ersten Entdeckungsreise auf der Pflanzung zu sein, allein die Sache hatte für mich wenig Reiz, und die Sonne war mir auch noch zu drückend; so bat ich ihn, mich zu entschuldigen. Die Kinder kamen heraus und spielten vor der Thür, und Dona Gabriella und der Doktor setzten sich zu mir auf die Bank. Als wir aber kaum ¾ Stunden da gesessen hatten, wurden wir plötzlich wild aufgeschreckt. Um die scharfe Biegung, die der Weg grade neben dem Hause macht, stürzte es hervor, atemlos, bis an den Hals beschmutzt, einen Stiefel von einem Schlamm-Überzug bedeckt, den andern dadurch ersetzt, brillenlos, hutlos, ohne Botanisiertrommel, das leere Schmetterlingsnetz wie eine Fahne in der Hand -- die Reste eines deutschen Gelehrten, der ausgezogen war, Natur zu forschen! Keuchend sank er auf die Bank nieder, entsetzt starrte ihn der Doktor an und blickte dann hilfeflehend auf mich, die ich schon mein: „Was ist denn nur geschehen?“ herausgestoßen hatte. „Geschehen! ach! oh! Ich werde verfolgt! Man will mich umbringen! Ermorden! Uff! ah, meine schönen Pflanzen -- eine solche Orchis! Und diese intressanten Sandflöhe, o, ich hatte ein Prachtexemplar unter der Lupe....!“ „Aber wer in aller Welt verfolgt Sie denn?“ „Wer? die Wilden, die Menschenfresser, die -- ach!“ „Welche Wilden denn?“ „Da, da, sehen Sie nur, wie der Kerl herbeistürzt, selbst sein Herr wird ihn nicht zähmen können, retten wir uns in das Haus!“ „Aber das ist ja ein Neger der Pflanzung!“ „Ja, ja, ja, meinetwegen, aber ich sage Ihnen, daß er wild ist und daß ich ihm nur mit Mühe entgangen bin“, schrie der arme kleine Mann in heller Verzweiflung und stürzte mit Aufraffung seiner letzten Kräfte in das Haus. Lächelnd und kopfschüttelnd übersetzte ich diese aufgeregten Aphorismen dem Doktor, der sie achselzuckend anhörte. Ganz atemlos kam jetzt der Neger näher, er hielt in der linken Hand das Handbuch der Botanik, in der rechten das von der Insectenkunde; er streckte eins mir, eins dem Doktor entgegen und keuchte dabei zwei Mal „~Sos kiss~“, „~sos kiss~“ hervor. „Was giebt’s?“ herrschte ihn sein Herr an. „~Senhor, sim senhor~“, sagte der Schwarze, „der deutsche Herr, der bei ~Senhor~ zum Besuch ist, ist verrückt.“ Wir konnten beide das Lachen nicht unterdrücken. „Er sagt, +ihr+ seid +wild+. Was habt ihr ihm gethan?“ „Nichts, Herr, nein Herr. Wir arbeiteten im Kaffee, da kam der deutsche Herr daher. Wir liefen auf ihn zu, um „~sos kiss~“ zu bieten. Der Herr sah uns nicht und ging rasch zu, ~sim Senhor~. So liefen wir etwas näher heran. Da begann er zu laufen, schnell, schnell, warf seine Schachtel ab, seinen Hut, seine Bücher, und lief auf den Morast beim Teiche von Sanct Hieronymus zu, ~sim Senhor~. Wir schrieen ihm zu, aber er wollte nicht hören und lief immer mehr. Wir schrieen lauter, daß der Herr nicht in den Morast laufen sollte, aber der Herr stürzte weiter, ~sim Senhor~, und ist durch den Morast gelaufen.“ Dieser Bericht wurde in vielen Absätzen und von zahllosen und oft, wie Du siehst, sinnlosen „~Sim Senhor’s~“ unterbrochen, hervorgestottert. Während dessen aber sammelten sich hinter dem Sklaven eine ganze Gesellschaft seiner schwarzen Genossen an: der eine hielt den Hut, der andre die Botanisiertrommel, der dritte die zertrümmerte Brille, der vierte den schlammigen Schuh des armen Gelehrten, und alle streckten uns diese mannichfachen Gegenstände mit ihrem stereotypen „~sos kiss~“ auf das bekümmertste entgegen. Die Scene, die ja bereits halb aufgeklärt erschien, war so unglaublich komisch, daß ich in ein unbändiges Gelächter ausbrach, in das Dr. Rameiro schließlich einstimmte, das aber unsere armen braven Schwarzen vollständig verblüffte. „Legt es nur dahin“ sagte endlich der Doktor, und gedankenvoll entfernten sich die Guten, die traurigen Reste einer Naturforscher-Expedition auf der Bank aufgereiht zurücklassend. „Was aber kann Ihren armen Landsmann von vornherein nur so erschreckt haben?“ fragte dann der Doktor, sich die Lachthränen trocknend. „Ich kann es mir denken“, sagte ich, die eigne Lustigkeit zähmend, -- „sollten es nicht etwa die ausgestreckten Hände gewesen sein und das „~sos kiss~“, das mir auch zuerst so geheimnisvoll war?“ Der Doktor lachte wieder auf. „Bei unsrer lieben Frau -- das kann es sein! Hahaha! Grade ihre Höflichkeit -- ihr Gruß! Ich gebe zu, daß in der steif und flach ausgestreckten Hand eine graziöse Geste schwer zu erkennen ist, und das „geheimnisvolle“ „~sos kiss~“ -- Sie haben Recht, wer sollte darin den schönen Gruß erkennen: ~Louvado seja noso Senhor Jesus Christus~[3]!“ Bis an die Kehle voll Heiterkeit, aber mit dem mitleidigsten Gesicht von der Welt ging ich zu meinem Professor, der abgespannt und pustend in seinem Schaukelstuhle lag; der Doktor folgte mir. „Aber was hat Sie denn nur so in Angst gesetzt?“ fragte ich deutsch. „In Angst gesetzt, in Angst gesetzt! O, es ist empörend! ist das Gastfreundschaft? das Bettelvolk von Schwarzen -- die ganze Gesellschaft wollte mich anbetteln! Daß das geduldet wird! Sie hätten nur die Anzahl der ausgestreckten Hände sehen sollen! Aber wer nimmt denn Geld mit zum Botanisieren? Ich that, als sähe ich diese Kannibalen nicht, da liefen sie mir nach und haben mich wild schreiend bis an das Haus verfolgt. Sie hätten nur diese Stimmen hören sollen!“ Ich lachte schon wieder. Der Doktor stand verlegen dabei. Der Professor schoß wütende und verächtliche Blicke auf mich. „Verzeihung“, brachte ich endlich hervor, „aber es ist zu komisch --“ „Komisch!!“ „Hören Sie nur --“ und ich erzählte ihm, was uns der Neger berichtet und welchen Zusammenhang die Sache habe. Das Gesicht des Professors machte dabei den ganzen Wechsel im Ausdruck von mißtrauischem Zorn über Erstaunen, Verlegenheit, Erleichterung, gutmütigen Humor bis zur ehrlichen Selbstironie und Heiterkeit durch, und schließlich lachten wir alle Drei. „Nun soll Ihr Landsmann sich doch einmal unsre Neger in der Nähe ansehen, damit er seine Menschenfresser-Ideen los wird“ sagte der Doktor Nachmittags, und so zogen wir zu Dreien aus, den Professor das Nichtfürchten zu lehren. Überall in der Nähe der Negerhütten liefen uns die kleinen schwarzen Halbaffen entgegen und murmelten ihr „~sos kiss~“, und tapfer antwortete jetzt unser Professor „~para semper~“. Wir sahen in die erste Hütte hinein. Eine Art rohester Bettstelle von Brettern, darauf eine Matte aus Maisstroh und eine rote wollne Decke, eine kleine blecherne Truhe, ein unbeschreiblich primitiver Tisch, das war, außer einigen Töpfen, Schüsseln und kleinen Geräten die ganze Ausstattung des fensterlosen Raumes. In einer Ecke brannte ein Feuer, über dem eine Frau irgend ein Gericht bewachte. „Wie schrecklich dies Feuer in der Hütte sein muß, sagte ich; erlauben Sie es nicht, daß die armen Menschen das bei der Hitze +vor+ dem Hause anzünden?“ „Erlauben? Ich habe es hundertmal durchsetzen wollen, aber der Schwarze ist unglücklich, gradezu krank, wenn man ihm sein Feuer nimmt. Er bedarf dessen Winter und Sommer und schläft nie ohne seine glimmenden Kohlen in der Hütte.“ „Wie fürchterlich!“ stöhnte der Professor -- „und obendrein keine Fenster!“ „Das mag wohl zuerst zur Verhinderung von Fluchtversuchen so eingerichtet gewesen sein, da sich Fenster doch nie so wie Thüren verschließen lassen. Aber der Neger ist jetzt auch so daran gewöhnt, daß, wenn sie als Freigewordene sich ein Hüttchen aufrichten, sie auch keine Fenster darin anbringen.“ „Was kochen denn die Frauen nur alle“, sagte ich, „die Sklaven werden ja doch wohl alle auf der Pflanzung gespeist?“ „Die Verheirateten nur Mittags; Abendbrot kochen ihnen ihre Weiber; sie erhalten Rationen zuerteilt.“ -- Vor einem der letzten Häuser erhoben sich ein paar ganz alte gebrechliche Neger: „~Sos kiss~“ stotterten sie, als wir uns näherten. „Wozu gebrauchen Sie denn die noch?“ fragte der Professor ganz entsetzt. „Zu nichts“, lächelte der Doktor, „aber ich kann sie doch nicht ersäufen. Sie sind in meinem Dienste grau geworden, jetzt bekommen sie das Gnadenbrot. Ich habe sie auch freigegeben, aber ich habe nicht das Herz, alte, abgebrauchte Neger mit ihrer Freiheit und ihrer Arbeitsunfähigkeit in das Elend oder auf den Bettel zu schicken -- mögen sie hier sterben.“ „Denken viele Pflanzer so?“ fragte ich. „Ja, Gott sei Dank, und es ist auch nicht mehr als billig. Zu solchen alten Menschen zu sagen: „Du bist frei, ich habe jetzt also nicht mehr für Dich zu sorgen, geh’ deiner Wege“, das ist eine Barbarei. Wer das Fleisch ißt, behält auch nachher die Knochen, sagt eins unsrer Sprichwörter.“ „Ich fürchte, Herr Doktor“, machte unser alter Professor mit Feinheit, „ich bin hier auf eine Pflanzung geraten, wo ich nur die guten Seiten des Sklaventums zu sehen bekomme!“ „Das würde auch nichts schaden!“ rief der Doktor liebenswürdig. „Es ist so viel über die gegenteilige Seite geschrieben und dabei übertrieben worden, daß die lichteren Seiten auch einmal hervorgekehrt werden können. Überdies irren Sie, wenn Sie denken, ich stehe vereinzelt da. Viele Pflanzer hier in Brasilien halten ihre Sklaven ebenso gut wie ich, manche schon aus Eigennutz! Die traurigen Seiten: der Mangel an Freiheit, die sittliche Verkommenheit vieler, die Unwissenheit aller, das alles wird bleiben, solange es Sklaven geben wird, die es ja vorläufig für uns leider noch geben +muß+.“ „Es ist aber eigentümlich, wie diese trüben Seiten sich mir hier viel weniger aufdrängen als es in Europa bei mir und ich glaube bei jedermann der Fall ist“, sagte ich sinnend. „Vielleicht sahen Sie da +nur+ die trübe Seite“, sprach lächelnd der Sklavenhalter. Weißt Du, Grete, ich habe es ihm schon längst verziehen, daß er nicht fesch aussieht und nicht so bunt angezogen geht wie der Operetten-Brasilianer der kleinen Handschuhmacherin -- er ist wirklich ein guter Mensch, und soweit es ihn und seine Frau angeht, bin ich ja hier auch ganz gut aufgehoben -- aber das Vehmgericht, das Vehmgericht! Deine +Ulla+. Der Professor reist morgen weiter. [3] Gelobt sei unser Herr Jesus Christus. -- [Illustration] Saõ Francisco, den 22. Oktober 1881. +Meine liebe Grete!+ Du fragst in Deinem letzten Briefe, ob ich denn nicht in der Nähe eine Kollegin hätte, mit der ich mich einmal aussprechen könne. Bestes Herz, ein „in der Nähe“ giebt es hier überhaupt nicht, die nächsten Pflanzungen sind alle 4-6 Meilen entfernt, und eine Stadt giebt es garnicht in erreichbarer Nähe. Zudem will mein Unstern, daß auf all den Pflanzungen, die allenfalls zu erreichen wären, nur erwachsene Kinder sind oder die Besitzer so einfach, daß sie keine „~professora~“ halten. So bin ich denn ganz allein in der Runde, die traditionelle einzig fühlende Brust; ich weine auch manchmal ganz furchtbar, aber das darfst Du auf keinen Fall meinem Mutting erzählen! Ich möchte so gern einmal heraus hier, wenigstens nach Rio, um mir die Stadt anzusehen, die ich bei meiner Ankunft nur so flüchtig gesehen habe, und die mir doch so schön erschien; auch habe ich ja noch meine Empfehlungsbriefe an eine deutsche Familie dort und an einen Geschäftsfreund meines New-Yorker Onkels, der sehr reich ist; es würde mich so sehr beruhigen, nur irgend welchen Halt in diesem fremden Lande zu haben.... Aber verzeih mir, Gretel, wenn ich schon schließe: -- ich bin totmüde und schwer, und wollte Dir nur einen Gruß senden. Deine +Ulla+. _S. F., den 3. Dez. 1881._ _Das war eine lange Pause, meine Grete, nicht wahr? Aber Du wirst mir schon verzeihen, wenn Du hörst, daß ich krank war. Ein abscheuliches Sumpffieber hatte mich richtig gefaßt und mich im Verein mit der Ueberanstrengung, die diese Stelle besonders in musikalischer Beziehung von mir fordert, für vier Wochen pädagogisch unschädlich gemacht._ _Heute an meinem Geburtstage (ach Grete, kein Mensch weiß davon, ich habe keinen Glückwunsch, keine Blume, keinen Brief, nichts!) bin ich zum ersten Mal aufgestanden und will in diesen Tagen nach Rio, um einen Arzt zu konsultieren. Es grüßt Dich herzlichst_ _Deine Ulla._ _Gieb diese Karte Deinem Brüderlein für seine Sammlung._ [Illustration] Rio de Janeiro, den 24. Dezember 1881, Abends. Weihnachtsabend und 25° Celsius im Schatten! Wie fremdartig, wie heimatfern und, ach Grete, wie traurig! Kein Mensch in dieser ganzen bunten, lärmenden Stadt scheint an Weihnachten zu denken; das öffentliche Leben wird garnicht davon berührt, und nichts erinnert an die heilige Zeit wie daheim. Vielleicht, daß einige wenige deutsche Familien auch in der Tropenstadt ein fremdartig Christbäumlein schmücken (unsere Tanne giebt es ja hier nicht) -- aber mir stralt doch keines! +Kleins+ haben mich so wenig freundlich empfangen, daß ich nicht wieder hingehe, und das wundert mich umsomehr, als Frau Klein früher selbst Erzieherin hier war und also weiß, wie solch’ einsamem Menschenkinde zu Mute sein muß! Onkels Geschäftsfreund konnte ich bisher nicht antreffen. So stelle Dir Deine Ulla nachträglich am heiligen Abend in einem einsamen Hotelzimmer vor, an Euch Lieben in der Heimat denkend und sich unbeschreiblich nach Euch und unserm schönen, lieben Deutschland sehnend! Draußen lärmt die Stadt mit ihrem Abendgetriebe. Durch die offenen Fenster kommt die eigentümliche, feuchtwarme Tropenluft herein, und ich sehe die Sterne an dem frühdunkeln Abendhimmel erscheinen; in dem Rahmen des Seitenfensters zeichnen sich die Palmen des Corcovado ab, jenes luftigen Bergkegels hinter der Botafogobai, dessen berühmte Quellen Rio mit herrlichem Trinkwasser versehen. Der Bewohner von Rio ist auch sehr stolz auf diese prächtige Naturgabe und sagt im Sprichwort: „~Quem bebeu a agua da Carioca~-(Quelle) ~Nunca toma outra agua na boca~.“ Wer einmal das Wasser der Cariocaquelle trank, nimmt nie wieder andres Wasser in den Mund. Wie poetisch könnten hier so manche Eindrücke sein, wenn man sie in Ruhe genießen könnte, aber so unbeschreiblich lärmend wie hier in Rio de Janeiro habe ich es noch in keiner Stadt gefunden, die ich kenne. In Berlin ist der Aufenthalt dagegen die reine Sommerfrische mit Nervenberuhigung, und nicht einmal in London habe ich es so laut gefunden. Da fahren zunächst Pferdebahn und Omnibus mit lautem Gerassel und häufigen Warnungspfiffen daher; kleine einsitzige Droschken, von den Engländern ~tilbury~ benannt, poltern im Galopp über das entsetzlichste Straßenpflaster, das Du Dir vorstellen kannst. Reitet jemand, so geschieht es ohne Gnade auch im Galopp, und ich bin schon einige Male in diesen Tagen an’s Fenster gestürzt, weil ich dachte, es gehe ein Pferd durch. Wasserverkäufer, Zeitungshändler (gerade diese sind fast so schlimm wie die Papageien auf der Pflanzung), Bonbons-, Cigaretten- und Sorbetverkäufer, Italiener, die Fische ausschreien, und dazu Drehorgeln und sonstige Instrumente, ganz abgesehen von den ungezählten Klavieren, die zu den offnen Fenstern hinaustönen, alles das tobt sich förmlich aus in den engen Straßen, wo jeder Schall doppelt hart stecken bleibt. Dabei haben diese Leute, besonders die erwachsenen Neger, oft ganz unmenschliche Stimmen, so daß man zusammenfährt, wenn man zufällig in ihre unmittelbare Nähe gerät. Vervollständige Dir diesen Ohrenschmaus durch das Geprassel von Feuerwerk, das man bei Tage und bei Nacht abbrennt, und nimm als selbstverständlich eine eintönige, hartstimmige Negerunterhaltung unmittelbar vor Deinem Fenster und ein ungeschicktes Guitarengeklimper in nicht allzu großer Entfernung hinzu, und dann -- beneide mich, wenn Du kannst! Aber auch hier staune ich wieder die Nerven der Einheimischen an: trotz dieses betäubenden Lärms lebt alles auf der Straße oder so gut wie auf der Straße. Wenn der Grundsatz jenes famosen alten Berliner Professors: „Der gebildete Mensch gehört in die Stube!“ überall rück- und vorwärts gefolgert würde, so ist es sicher, daß man hier um die gebildeten Menschen handeln könnte wie Abraham um die guten in Sodom. Der unbeschäftigte Schwarze ist absolut nirgend anders zu finden als vor der Hausthür, rauchend und spuckend, die Kinder wälzen sich vom Morgen bis zum Abend auf der Gasse umher. Der kleine Krämer, der Vendiste, ja und auch der bessere Kaufmann in den vornehmeren Straßen steht vor der Thür, wenn augenblicklich kein Kunde da ist, und schwatzt mit den Vorübergehenden, und sowie die Sonne es gestattet, ist jeder Balkon, jedes Fenster besetzt von müßig gaffenden Menschen. +Das Haus+ scheint für niemanden Anziehungskraft oder Beschäftigung zu haben, denn sonst würde es diese Leute doch nicht immer wieder amüsieren, in den Tumult der Straßen hineinzugaffen. Die Straße wirkt hier überhaupt auf entsetzlich plebejische Weise in das Haus hinein. In einem gut brasilianischen Zimmer sitzt man wie in einem Schaukasten, sämtliche Fenster stehen auf, da der Brasilianer der Ansicht ist, daß offne Fenster unter allen Umständen ein Haus kühl machen, und sämtliche Thüren obendrein. Ich gebe zu, daß letzteres nötig wird, um durch den dadurch bewirkten Zug die Thorheit des ersteren wieder gut zu machen -- aber warum schafft man nicht lieber eine weit gründlichere und angenehmere Kühle dadurch, daß man die Fenster gegen den Sonnenbrand der Tagesstunden verwahrt?! Ich begreife es jetzt schon viel besser, daß die Brasilianer noch nichts Bedeutendes an wissenschaftlichen Leistungen aufzuweisen haben: ihre Lebensweise läßt keinen geordneten Gedanken aufkommen. Zu geschlossenen Gedanken gehört ein geschlossener Raum, wo nicht tausenderlei äußere Dinge einen abziehen von dem, womit man sich beschäftigen will, und das meinte wohl auch der Berliner Professor mit seinem originellen Dictum. Natürlich ist Rio augenblicklich durchaus kein Aufenthalt für mich. Der Arzt war sehr unzufrieden mit dem Zustand meiner von Arbeit, Lärm und neuralgischen Schmerzen zerquälten Nerven und hat mir auch dringend geraten, die Arbeit in Saõ Francisco nicht wieder aufzunehmen, sondern dem Vehmgericht, den Papageien und den täglichen fünf Klavierstunden Valet zu sagen, vor allen Dingen aber erst auf vier Wochen nach Petropolis (dem berühmten, jenseits der Bai gelegenen Luftkurort) hinaufzugehen, um mich von dem Fieber zu erholen. Petropolis ist zugleich Sommerresidenz des Kaisers, und die ganze Diplomatie flüchtet in diesen Monaten dort hinauf vor der Hitze und dem gelben Fieber. Aber da läßt mich Mrs. Carson, die Frau des Hotelwirtes auffordern, mit ihnen zusammen in ihrem Privatzimmer Abendbrot zu essen. Carsons sind Engländer und sehr liebe Menschen. Ihre Kinder werden in England erzogen, und wenn sie daher auch keinen eigentlichen „Weihnachten“ feiern, so scheinen sie doch zu empfinden, wie schwer dieser Tag hier für ein einsames deutsches Herz sein muß. Und unsre eignen Landsleute -- --! Schreibe mir nur recht ausführlich, wie alles bei Euch und zu Hause war, beschreibe mir alles, alles, wie wir es als Kinder thaten, jedes Stück, was Du geschenkt bekommen hast -- es wird mir jedes Wort ein Stück Deutschland sein! Richte Deine Briefe hier an das ~Hôtel Carson, rua Catette~, und laß ihrer recht viele sein! Deine +Ulla+. [Illustration] Petropolis, den 15. Januar 1882. +Mein liebstes Gretele!+ Freue Dich mit mir, denn ich habe meinen Humor wiedergefunden, den ich verloren hatte -- oder sollte es nur der Racker Galgenhumor sein, den ich beim Kragen erwischt? Ich schreibe hier in einer Umgebung, die ein ganz nettes Modell für eine Trödelbude wäre. An den Nägeln in der Wand hängen meine Kleider und Jacken in malerischer Unordnung; auf dem Bette sind Schleifen, Hüte und Tücher ausgebreitet; auf allen Stühlen sonnt sich Wäsche. Von den Fensterbrettern aus gucken fünf Paar Stiefel und Schuhe andachtsvoll auf die Bananengruppe davor hinaus, und darüber flattern, auf einen Bindfaden gereiht, meine sämtlichen Handschuhe im Zephyr des Mittags. In diesem Zustande befinden meine Garderobe und ich uns alle drei Tage einmal, nachdem ich gleich zu Anfang die Entdeckung gemacht, daß andernfalls in diesem fruchtbaren Lande sich sogar Stiefel und Kleider mit der üppigsten Vegetation bedecken. Diese mühelose Pflanzenzucht ist ja im Uebrigen ganz hübsch, nur den Sachen nicht sehr bekömmlich, und besonders verfolgt das Schicksal in dieser Hinsicht Stiefel, Handschuhe und Seide; alle die schönen feinen Lederhandschuhe, die ich noch in Antwerpen gekauft, sind fleckig geworden! Doch ich will Dir meine Abenteuer von Anfang an erzählen: Als ich am zweiten Weihnachtstage nach Saõ Francisco zurückkam und erklärte, daß ich nicht länger bleiben könne, war man höchst unangenehm überrascht, aber meine vierwöchentliche Krankheit und mein immer noch elendes Aussehen hatten ihre Herzen doch insofern erweicht, daß sie meiner Abreise kein Hindernis in den Weg legten. Wir sagten einander Adieu, und fort war ich. Grete, solch ein Lebewohl habe ich in meinem Leben noch nicht gesagt! Nichts that mir leid zu verlassen, im Gegenteil, ich fühlte, daß mir keiner von ihnen schwer zu missen sein würde, und war mir ebenso sehr bewußt, daß auch in den Herzen der Kinder keinerlei Anhänglichkeit für mich vorhanden war, und daß man einzig die ~gêne~ bedauerte, eine neue Gouvernante suchen zu müssen; man wird eben nicht warm mit diesen Menschen hier! -- Am Sylvestertage reiste ich hierher, und zwar in drei Absätzen: erst mit dem Dampfer über die Bai, dann mit der Eisenbahn bis an den Berg, der Petropolis trägt, und dann mit einem Omnibus auf allerdings recht gut chaussiertem Wege hinauf.[4] Ich erwischte einen ziemlich guten Platz in einem der fünf Wagen und hatte auch die Beruhigung, zu sehen, daß meinem Koffer ein ähnliches Glück widerfuhr. Etwa auf der Hälfte des Weges wurde Station gemacht, und alles drängte sich um eine dort stehende Bude, wo Kaffee, Gebäck und Früchte zu haben waren. Ich war hungrig geworden und trank gierig meine Tasse Kaffee hinunter und biß ebenso eifrig in ein Stück Biscuit-Kuchen, das ich aufgegriffen. Es schmeckte etwas eigentümlich, und als ich es beim zweiten Happen näher besah, fand ich, daß es von Ameisen wimmelte, von denen ich also gewiß soeben eine erkleckliche Anzahl mit verschluckt hatte. Brrr! nicht wahr? Ja, siehst Du, ich war aber schon so verbrasilianert, daß ich nur gleichmütig den Rest der kleinen Gäste von meinem Biscuit abstreifte und diesen dann behaglich zu einer zweiten Tasse Kaffee verzehrte. Dies wird Deine Verachtung ebensosehr herausfordern, wie es entschieden die Ver- und Bewunderung eines jungen Franzosen erregte, der daraufhin eine lächelnde Bemerkung an mich richtete, die ich dummer Weise munter beantwortete, denn seitdem ödete mich dieser galante „Erbfeind“, der glücklicherweise in einem andern Wagen saß, an jeder Haltestelle, und wenn ich alles das hätte essen und trinken wollen, was er mir hinter einander anbot, so wäre ich wohl schwerlich lebend nach Petropolis hinaufgekommen. Hier ging ich erst in das deutsche Hotel und machte mich dann auf nach der Behausung des Herrn Goldschmidt, Onkels Geschäftsfreund, der hier ein schloßähnliches Haus mit herrlichem Park besitzt, das er in der heißen Zeit mit seiner Familie bewohnt. Da ich sie bei meinem Aufenthalt in Rio zuletzt noch getroffen hatte, so war dieser Besuch nicht mein erster. Ich wurde in den Saal geführt und gebeten, einen Augenblick zu verziehen. „Haben Sie keine Stelle?“ schrie es da plötzlich hinter mir, und Frau Goldschmidt, eine äußerst lebhafte Brasilianerin, die rasch aber falsch deutsch spricht, stand mit halb lachendem (sie lacht +immer+), halb ängstlichem Gesichte vor mir. Grete, die Angst dieser zwanzigfachen Millionärin, ich könne irgend etwas von ihr wollen, war so unbeschreiblich komisch, daß mir wie mit Zauberschlag der Humor zurückkam und ich laut herauslachte. Donna Albertina sah mich starr an. „Verzeihen Sie“, sagte ich nun auch etwas brutal, „aber es ist zu komisch, daß das Ihre erste Frage war! Nein, ich habe keine Stelle, aber ich werde eine finden, wenn es nötig sein wird.“ Dann kam der Gatte. „Sehen Sie, mein Fräulein“, dozierte er, „ich war immer ein reicher Mann, denn ich verbrauchte immer nur die Hälfte von dem, was ich einnahm. Ich kam nach Rio mit fünfzig Mark und besitze heute mehrere Millionen: Alles durch jene Praxis! Aber was ich sagen wollte -- gehen Sie jetzt zu unserer Miß Dahlmann; wir haben nämlich unsere Gouvernante nicht im Hause; es geniert mich, fremde Leute im Hause zu haben. Sie ist eine Deutsch-Engländerin und wohnt bei einer einfachen deutschen Familie im Dorfe; vielleicht kann sie Ihnen raten, wo sie am billigsten unterkommen; Sie verbrauchen im Hotel zu viel Geld, das ist schon falsch -- immer nach meinem Prinzip, mein Fräulein, immer nach meinem Prinzip!“ Der kleine Mann amüsierte mich unaussprechlich mit seinem ~mezza voce~ vorgebrachten Redeschwall und den fortwährend nach den Westenärmeln schnappenden Daumen. Seinen, wenn auch ungeforderten Rat betreffs meines Unterkommens beschloß ich jedoch insofern wenigstens zu befolgen, als ich diese Miß Dahlmann aufsuchen wollte, in der ich doch wenigstens eine Collegin fand. Donna Albertina forderte mich auf, an dem Frühstück teilzunehmen, das eben serviert wurde. „Sehen Sie, mein Fräulein“, begann der Gatte wieder (er scheint diesen Anfang sehr zu lieben), -- „ich lade nur zum Frühstück Leute ein, zu Mittag aber niemals. Wir essen um sechs; nachdem kommt gleich die Abendpost, die ich in Ruhe erledigen muß, und da ist es mir störend, wenn jemand Fremdes da ist. Verstehen Sie wohl? Aber zum Frühstück, da mag kommen, wer da will, da stört es mich weniger“ -- schwupp fuhren seine beiden Daumen in die Westenärmel. Es wurde Zeit, daß ich ging, Grete, sonst hätte ich den Leuten wieder ins Gesicht gelacht, denn die Heiterkeit steckte mir schon oben in der Kehle. Ich sagte, daß ich bereits gefrühstückt habe, ehe ich hergekommen, daß ich aber zu Miß Dahlmann gehen wolle, wenn sie mir den Weg beschreiben möchten. Daß sie mich so schnell los würden, hatten sie wohl kaum gehofft; in ihrer Freude darüber wurden sie plötzlich sehr liebenswürdig und bestanden darauf, mir einen Neger zur Führung mitzugeben, was ich denn auch annahm. Es geht doch nichts über gute Empfehlungen an Landsleute im fremden Lande -- da kann man doch absolut nicht verderben!! Miß Dahlmann ist einige Jahre älter als ich und etwas steif und „englisch“, war aber doch gutmütig genug, mir behülflich zu sein, daß ich bei ihrer eigenen Wirtin unterkam, wo wir auch essen. Sie ist meine einzige Gesellschafterin hier und, wenn auch nicht gerade herzlich, so doch auch nicht unliebenswürdig. Sie sieht das Leben im Ganzen weit kühler an als ich, und so verstehe ich es, daß sie bei Goldschmidts aushält. Ich habe mir schon manchen nützlichen, entweder beabsichtigten oder unwillkürlichen Wink von ihr ~ad notam~ genommen und denke ein ganz Teil „landesgewandter“ von hier fortzugehen, als ich kam. Petropolis +selbst+ ist meiner Ansicht nach ein elendes Nest, und das Hauptamüsement der Fremden besteht darin, jeden Nachmittag nach der Haltestelle der Omnibusse hinzugehen und die heraufkommenden Fremden anzugaffen. Das Palais des Kaisers ist ein langes, weitläufiges, aber schrecklich langweiliges Gebäude, an dem nichts zu sehen ist, wie viele Fenster. Ich bringe die Ansicht davon auf einem gläsernen Briefbeschwerer eingraviert mit, sowie auch ein paar kleine Vasen, auf denen ~Lembrança~ (Erinnerung) ~de Petropolis~ steht; diese Sachen sind aber sehr wenig interessant, da sie alle aus Europa kommen und hier nur graviert werden. Weit besser gefallen mir die feinen Drechsler- und Schnitzarbeiten eines Deutschen, der hier ein allerliebstes Häuschen hat und ein höchst gemütlicher alter Herr ist mit einer ebenso gemütlichen und sehr zahlreichen Familie. Dahin gehe ich manchmal, um ein Stündchen zu verplaudern, und lasse mir über die Anfänge von Petropolis erzählen; auch habe ich dort einen ganz prächtigen Tabaksbehälter gekauft, der aus einer Brotfrucht gefertigt und oben von einem geschnitzten Indianer gekrönt ist. Die übrigen hier ansässigen Deutschen sind fast alle ganz ungebildete Bauern. Sie haben sich ihre deutsche Sprache und einige deutsche Untugenden bewahrt, aber im Ganzen sind sie doch schon sehr von den Landessitten angestreift. Petropolis ist auch schon lange keine rein deutsche Colonie mehr, wie es ursprünglich war. Es wohnen hier Colonisten aus aller Herren Länder, und man hört alle Sprachen, unter welchen mir ein Kauderwelsch von Neger-Portugiesisch und Plattdeutsch am besten gefällt: „Kiek mal, ob dat noch schuwet“ (regnet) -- „Esperen (warten) Se mal en beten“ -- „Ich kann ainda (noch) nicht“, und dergleichen hört man viel. Die +Lage+ des Ortes ist herrlich, das muß man sagen! Hoch in den Bergen, zwischen unabsehbaren Waldungen gelegen, bietet derselbe prachtvolle Spaziergänge auf guten Waldwegen, die sonst in Brasilien etwas ungemein Seltenes sind, da das erste Eindringen in die Wälder schwer ist und alles gleich wieder zuwächst mit Gestrüpp und Schlingpflanzen. Ich bleibe hier wahrscheinlich noch diesen Monat und will dann doch einmal, um die Stadt kennen zu lernen, mein Heil in Rio versuchen; ich habe jetzt wieder bessere Nerven und mehr Courage! Tausend Grüße von Deiner alten +Ulla+. Neulich begegneten Miß Dahlmann und ich der Kaiserin, sie war zu Fuß mit einer Hofdame; und am Sonntag sahen wir den Kaiser, die Prinzessin und ihren Gemahl, den Grafen von Eu, sowie die drei kleinen Prinzen alle in +einem+ Wagen ausfahren. [4] Jetzt führt eine Bahn bis ganz hinauf. D. V. [Illustration] Rio de Janeiro, den 8. Februar 1882. +Mein Herzens-Gretchen!+ Da wäre ich denn wieder in der bunten, südlichen Stadt und mitten in ihrem Lärm! Gretel -- schön ist dieses Rio, das muß man sagen, wunderbar schön und phantastisch, zumal von der Bai aus, wie ich es bei meiner Ankunft damals und jetzt wieder bei der Rückkehr von Petropolis erblickte. Wie ein Feenmärchen entfaltet sichs da vor unsern unverwöhnten norddeutschen Augen! Terrassenförmig wird von Brasiliens Küstenbergen die Stadt in die Bucht hinausgehalten, bunt und prächtig, ein einziges Licht- und Farbenmeer, nur unterbrochen, oder besser, noch vermannichfaltigt durch die schlanken Palmen und die großblätterigen Bananen, die überall ihre Plätze gefunden. Nichts von unserm eintönigen roten Gemäuer oder der uniformen grauen Tünche -- alles weiß oder bunt und in Brasiliens sattem Sonnenlicht schwimmend, sodaß selbst die kleinen Forts, die auf Inselchen vor dem Binnenhafen liegen, in ihrem Verstecke von Palmengruppen und Farben nicht wie grimme Verteidigungswerke dreinschauen, sondern wie reizende kleine Idyllen, die man für Wirklichkeit zu halten sich zwingen muß. Hier liegt auch die „Blumeninsel“, das erste Asyl für Auswanderer, wo es den armen Menschen zwar durchaus nicht beneidenswert ergehen soll, die aber in ihrem äußeren Anblick an die Idylle Dranmors erinnert, die sich in seinem Requiem findet: „Ich weiß ein schönes Eiland, wie verloren Im Stillen Ocean, ein waldbedecktes, In milden Sonnenstralen hingestrecktes, Wie ein Asyl, für Dichter auserkoren. Ein Eden, von der Trope Glut durchhaucht, Ein Eiland, wie ein Strauch von wilden Rosen Für die Betrübten, für die Heimatlosen Aus träumerischen Fluten aufgetaucht.“ Und drinnen in der Stadt erscheint’s auf den ersten Blick wie draußen: phantastisch, südlich, fremdartig und wunderbar reizvoll -- nur eines gesellt sich hier noch außer dem betäubenden Lärm hinzu, was man draußen gern vermißte: der Schmutz und die Unordnung! Die Straßen sind eng und schlecht gepflastert -- ich bin +ein+ Mal in einer Droschke darüber gefahren und +nie+ wieder -- die Trottoirs, besonders in der Geschäftsgegend, ebenso unsauber wie der Damm. Die Häuser sehen sich zwar recht lustig an mit ihrem Mantel von drei, vier und mehr Farben, aber es ist meistens nichts rein und vieles windschief daran vom Dach bis zur Schwelle. Alles erscheint uns strafferzogenen Norddeutschen nachlässig und die Menschen so -- ja, ich weiß nicht +wie+ -- ich glaube: +undiscipliniert+ wäre das Wort. Hier steht eine Gruppe rauchender, spuckender Neger, dort hocken Negerinnen in den Thüren der Magazine und lesen Kaffee aus. Vielfach wird auch ein Teil des Trottoirs eingenommen von Negern, Negerinnen oder Mulattinnen mit ihren Tischen und Körben, die Orangen, Bananen, Kokosnüsse, Feuerwerk und allerlei sonstige Nichtigkeiten feilbieten. Sie würden, schon der Fremdartigkeit des ersten Eindrucks wegen, vielleicht den europäischen Käufer anlocken, allein ein Blick auf die Umgebung ihres Standes, wo Apfelsinenschalen, Streichhölzer, Papierfetzen, Cigarrenstummel etc. sich mit allerlei sonstigem ~rubbish~ um den Vorrang streiten, und worin die Schleppe (!) des hellen Mousselinkleides der Verkäuferin umherfegt, verscheucht ihn wieder. In sehr vielen Kaufläden des eigentlichen Geschäftsviertels, ja sogar in einzelnen der eleganteren Stadtgegend, sah ich auf dem Fußboden Stroh, Packpapier, Bindfaden, zerbrochenes Gerät etc. umherliegen; es schien aber Niemand etwas Ungewöhnliches darin zu finden. Der Brasilianer bringt dieser Art von Unordnung eine gewisse kindliche Harmlosigkeit entgegen, die fast rührend ist, und ich glaube, Grete, wir Europäer gewöhnen uns mit der Zeit wenn auch nicht an den Schmutz, so doch daran, ihn von den Anderen unbeachtet zu sehen. An Läden habe ich nicht viel Schönes gesehen, und vor Allem nichts für dies Land Charakteristisches, ausgenommen ein Geschäft mit wunderhübschen Sachen, gefertigt aus den ungefärbten Federn der einheimischen farbenprächtigen Vögel; die vorhandenen Ballgarnituren waren ganz entzückend! Was Du aber sonst kaufst, ist fast ohne Ausnahme europäische Ware, und es dürfte außer den Rohprodukten des Landes kaum einen Gegenstand geben in den Geschäften, der nicht den atlantischen Ocean gesehen. Kleiderstoffe, Stiefel, Wäsche, Wollwaaren, Möbel, Beleuchtungsgegenstände, Kücheneinrichtung, Bücher, ja bis zum Papier und zur Stecknadel kommt alles aus Europa. Selbst die Kattunstoffe kommen dem Lande der Baumwolle aus Deutschland und Frankreich, wohin sie das Rohmaterial liefern, das sie selbst nur sehr mangelhaft in wenigen unbedeutenden Fabriken zu verarbeiten verstehen; und wenn sie hier weißen Hutzucker essen wollen, so läßt ihn sich das Land des Zuckerrohrs aus dem Lande der Runkelrübe kommen. Manche Dinge sind hier wunderbar! -- In der rua d’ Ouvidor, so einem Mittelding zwischen feiner Geschäfts- und Bummelstraße, giebt es einige große Magazine mit eleganten Damentoiletten. Die kommen alle direkt aus Paris hierher und sind horrend teuer, doch werden sie von den reichen Brasilianerinnen mit Kußhand zu den höchsten Preisen gekauft für die „Saison“, d. h. für die Vorstellungen einer italienischen Operngesellschaft, zu denen die Damen in den Logen in ausgeschnittener Balltoilette erscheinen; Privatgesellschaften giebt es wenige außerhalb der Grenzen des diplomatischen Korps, und der Kaiser repräsentiert nicht, was wohl zum Teil seiner bekannten persönlichen Einfachheit entspricht, teils durch die ungemein niedrige Civilliste der Herrscher von Brasilien bedingt wird: nur bei der Prinzessin finden Theeabende statt. Der große kaiserliche Palast in Saõ Christovaõ, einer Vorstadt von Rio, ist ein mächtiges, ödes Gebäude, das zwar einige prachtvoll eingerichtete Zimmer enthalten soll, jedenfalls aber eine sehr häßliche Lage hat. Wenn ich der Kaiser von Brasilien wäre, baute ich mir eine graziöse, luftige Villa in Botafogo, der jenseitigen, entzückenden Vorstadt von Rio, und überließe Saõ Christovaõ seiner Nachbarschaft von Viehschlächtereien und ihren Hunderttausenden von Krähen! Botafogo ist reizend; wie ein Kranz liegen die Villen mit ihren Gärten um die Bai gleichen Namens herum, hinten überragt von dem mächtigen Corcovado, vor sich in der Bai den merkwürdigen Paõ de Assucar, den Zuckerhutberg. Die Blumenpracht in dieser Vorstadt, wo nur vornehme, reiche Leute wohnen, ist bezaubernd! Die üppigsten Ranken von saftigem Grün überwuchern die Mauern, darinnen große, stralende, dunkelrote, lila, gelbe oder weiße Blumen. Mrs. Brassey, in ihrem netten Buche „~A voyage in the Sunbeam~“ hat ganz meine Empfindungen ausgesprochen, wenn sie sagt, in Brasilien seien ihr alle Blumenfarben weit satter vorgekommen, als irgendwo in der Welt, ja, selbst das Weiß schiene ihr dort intensiver zu sein. Diesen Eindruck hat man wirklich, und soweit die Natur mitspricht, ist hier alles bezaubernd! Der Larangeirasberg, der Santa Theresaberg, kurz, alle Hügel der Stadt sind mit Villen besetzt und, besonders der Santa Theresaberg, vielfach von fremden Kaufleuten bewohnt, die ihre Geschäftshäuser unten in der Stadt haben. Da ich mich bisher vergeblich um eine Thätigkeit hier in Rio bemüht habe, so habe ich mir die Stadt schon so ziemlich angesehen, aber es giebt nicht viel darin zu betrachten. Die Kirchen sind eine wie die andere, und keine ist durch besondere Kunstschätze interessant; das Museum (von dessen Existenz Viele hier gar nichts wissen und das die Wenigsten ansehen) ist, abgesehen von einer prächtigen Sammlung ausgestopfter, z. T. sehr seltener Vögel recht mäßig. Die Kunstakademie, die eine Gemälde- und Statuensammlung enthält, ist, was letztere betrifft, noch sehr in den Kinderschuhen, doch enthält sie einige sehr interessante Gemälde einheimischer Künstler, die mir ausnehmend gefielen an Farbengebung und lebendiger Anordnung. Ich lege die Photographie eines derselben bei, welches „die erste Messe in Brasilien“ darstellt, und bedauere nur, daß ich die einiger anderen nicht bekam, zumal die eines Kolossal-Schlachtenbildes von Meirelles. Im Ganzen ist es aber auffallend, wie wenig Sinn die Brasilianer zeigen für die bildende Kunst; zu verwundern ist es freilich nicht, denn die deklamatorischen Künste +müssen+ sie ihrer Natur nach mehr anziehen. Der Brasilianer ist der geborene Redner, er deklamiert, sowie er nur einen längeren Satz spricht, und alle lieben sie schwärmerisch die Musik, und zwar die Italiener, dann französische Operetten und -- Meyerbeer. Noch schwächer als mit der Malerei sieht es mit der Bildhauerei und der Architektur aus. Die Stadt hat absolut keinen architektonischen Schmuck an Gebäuden, Brücken oder Thoren aufzuweisen, Prachtbauten fehlen gänzlich, wenn man nicht die immerhin ziemlich einfache fiskalische Druckerei dahin rechnen will, und an Denkmälern habe ich nur zwei entdecken können, wovon eins obendrein einen Heiligen darstellt. Diese Armut an Denkmälern hat wohl z. T. darin seinen Grund, daß das Land seit seiner Selbständigkeit nur eine äußerst kurze Geschichte, also wenig historische Erinnerungen hat. Das einzige Denkmal, welches außer jenem Heiligen (ich glaube gar, es ist Saõ Francisco) vorhanden ist, verherrlicht denn auch den bedeutungsvollsten Augenblick von Brasiliens Geschichte: es stellt nämlich den ersten Kaiser, den Vater des jetzigen, Dom Pedro ~I.~ zu Pferde dar, wie er mit der Verfassungsurkunde in der Hand dahergesprengt kommt. Das Standbild ist von einem französischen Künstler, ist prächtig frisch aufgefaßt und mit jener Dosis von Pathos versehen, die ihm bei den Brasilianern den Erfolg sichert. Der Sockel trägt in Reliefs allegorische Darstellungen der vier Hauptströme des Landes, des Amazonas, Saõ Francisco, Orinoco und Madeira. Natürlich war ich auch in den Gärten von Rio, dem sehr graziösen und so ziemlich in der Mitte der Stadt gelegenen ~Jardim publico~, wo neulich eine deutsche Kapelle Mendelssohn’sche Duette spielte, ferner in einem neuen, großartig angelegten Garten am Ende der Stadt und ~last not least~ in dem berühmten botanischen Garten mit seiner noch berühmteren Palmenallee. Ja, Gretel, interessant und sehenswert für den Fremden ist diese Allee jedenfalls, aber so sehr schön finde ich die langen kahlen Stämme gerade nicht, und außerdem ist diese berühmte Allee unausstehlich schattenlos. Dies Urteil ist aber wieder etwas, das ich Dir nur unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit überlassen kann, sonst steinigen mich die traditionellen Bewunderer dieser Allee hüben und drüben, sei’s auch nur mit ~biscoitos~ Nr. 3! Die Allee ist merkwürdig und darum auch schön -- basta! Ich will versuchen, mir diese Meinung auch noch anzugewöhnen und fortan die +Palme+ als den +Alleebaum+ ~par excellence~ anzusehen. Ob es mir gelingen wird? Deine rebellische +Ulla+. [Illustration] Rio de Janeiro, den 12. Februar 1882. +Liebste Grete!+ Ich muß Dir schon wieder schreiben, denn denke Dir, seit vorgestern bin ich hier in einem Collegio engagiert! Ein Collegio ist eine höhere Töchterschule mit Pensionat, und ich habe da also durch vier Klassen die Töchter dieses Landes in die Geheimnisse der deutschen sowie der englischen Sprache einzuführen und außerdem eine Unzahl von Klavierstunden zu erteilen. Ach Grete, die beiden Sprachen, besonders aber das Deutsche, werden meinen Schülerinnen wohl ewig ein Buch mit sieben Siegeln bleiben; es ist merkwürdig, wie wenig sie bei mir lernen! Ich habe noch nicht herausfinden können, ob es an mir oder an ihnen liegt, vielleicht macht es auch der Racenunterschied zwischen Germanen- und Romanentum, denn Französisch lernen sie halb im Schlaf, und die Französinnen werden auch viel besser mit ihren Klassen fertig. Ich war schon wieder ein paar Mal in Versuchung, den Bormann hervorzuholen, ich habe ihn aber doch schließlich stecken lassen, weil ich weiß, daß ich zu viele Vorwürfe für mich darin finden würde. Da zu wenig Schulräume vorhanden sind, so gebe ich meine Stunden gewöhnlich mit einer andern Lehrerin zugleich in demselben Zimmer; wärend also am einen Ende des Saales z. B. portugiesische Gedichte deklamiert werden, versuche ich meinen unaufmerksamen „Donas“ die Verwicklungen der deutschen Deklinationen klarzulegen. Die drei Artikel mit ihren vier Fällen sind ihnen aber in ihren zwölfteiligen Dunkelheiten (die Mehrzahl garnicht gerechnet) so unsympatisch, daß ich ordentlich fühle, wie unser unschuldiges +der+, +die+, +das+ von der ganzen gelbblaßen Gesellschaft vor mir wie eine hinterlistige Erfindung angesehen wird, die eigens aus Tücke für Schulkinder gemacht wurde. Neulich, als ich einer kleinen schwarzäugigen Krabbe verbesserte: „Der Schirm steht hinter +der+ Thür“ -- warf sie mit sofort erscheinenden Wutthränen ihr Buch auf den Tisch und schrie in hellem Zorn: „Was! Sonst war es immer +die+ Thür, und jetzt ist es mit einmal +der+ Thür?!“ Grete, ich war ganz konsterniert und wußte im ersten Augenblick wirklich nichts zu machen. Aber derartige Scenen kommen hier oft vor. Die besseren Familien geben ihre Töchter überhaupt nicht in Collegios, und daher ist diese Gesellschaft gewöhnlich die wenigst gut erzogene und wildeste, die man sehen kann; sie toben und schreien oft, bis sie ganz kirschbraun im Gesicht sind. Unsere jüngere Französin ~Mademoiselle Lerôt~ sperrt sie dann immer in einen leeren Schrank, bis sie still sind. Die Vorsteherin sehen wir selten, eigentlich nur bei den Mahlzeiten; sie ist die Einzige, die Autorität hat bei der wilden Bande, vielleicht weil sie sich so wenig zeigt. Sie sitzt immer in guter Toilette in ihrem Wohnzimmer, empfängt die Eltern ihrer Zöglinge und giebt nur eine Lesestunde in jeder Klasse. Sie liebt es nicht, wenn wir uns in Schulangelegenheiten an sie wenden, und so wird mir auch nichts anderes übrig bleiben, als mir selbst zu helfen wie Mlle. Lerôt. Von einem Lehrplan oder auch nur einem Stundenplan habe ich bis jetzt noch nichts entdecken können, und alles erscheint mir hier vorläufig wie ein wüstes Chaos. Die Anzahl meiner Klavierschülerinnen habe ich bis jetzt beim besten Willen noch nicht feststellen können; wenn ich mich des Morgens um halb sieben ans Klavier setze, so erscheint bis um zehn Uhr alle halbe Stunde eine Andre mit ihren Noten, als ob sie von einem mechanischen Uhrwerk ausgespieen würden; ich notiere sie mir nun alle nach der Reihe und werde wohl so mit Mühe und List endlich zu einem gewissen Stundenplan durchdringen. Mich haben sie vorläufig noch ganz gern, und zwar, wie mir Mlle. Lerôt sagte, weil -- ich gute Toilette mache (womit man doch manchmal +Kinderherzen+ gewinnt!) und „nicht wie die andern Deutschen aussehe.“ Letzteres ist hier ganz entschieden als ein Lob zu fassen, es empörte mich aber nichts destoweniger; allein wie sollte von Kindern Rücksicht zu erwarten sein, wenn sich Erwachsene ähnlicher Taktlosigkeiten nicht schämen. Heute Morgen ging Madame mit einer brasilianischen Dame und Zöglingsmutter durch das Musikzimmer, und die Brasilianerin sagte ganz laut auf Portugiesisch: „Ist sie eine Deutsche? Ah, sie hat garnicht den deutschen Typ und ist ja auch sehr gut angezogen!“ Das Absprechen des „deutschen Typ“ war mir, der starren Germanin, wie Du wohl denken kannst, äußerst schmerzlich und zugleich bei meinem blonden Haar verwunderlich -- was aber mögen denn meine deutschen Vorgängerinnen und andre Kolleginnen hier für Gewänder getragen haben, wenn die Toilette der deutschen Damen so sehr das hohe Mißfallen der Brasilianerinnen erregt?! Übrigens findet man diese Geringschätzung deutscher Konfektion hier überall. Das Drastischste in dieser Beziehung begegnete mir neulich in einem Friseurladen, wo ich eintrat, um mir den kurzgeschorenen Kopf wieder einmal ordentlich durchbrennen zu lassen. Ich wußte nicht, daß das an sich schon etwas Auffallendes hier ist, da die Brasilianerin nie allein auf der Straße geht und sich keinenfalls außer dem Hause frisieren lassen würde. Der Jüngling mit der Tollscheere hielt mich zuerst für eine Französin, da ich mein Anliegen auf französisch vorgebracht; dann fragte er, ob ich Russin sei, und als er mich schließlich, halb zu meinem Ergötzen, halb zu meiner Entrüstung durch alle Nationen durchgefragt hatte, meinte er zuletzt: „~Mais enfin -- vous n’êtes pas allemande?~“ „~Et pourquoi non?~“ sagte ich, innerlich wütend. „~Ah bah~“, machte er verächtlich, „~ça se connaît; les allemandes sont toujours mal-vêtues et n’ont pas de chic.~“ „„~Les allemandes~“ bedanken sich“, dachte ich und ging von dannen, diesem Laden ewige Feindschaft schwörend. Aber da läutet es zum Thee. O dieser Collegio-Thee! Augenblicklich mache ich mir die große Hitze zu Nutze, um ihn häufig auszuschlagen und mir anstatt dessen die ~cajuada~, eine Limonade aus der Cajú-Frucht, die hier viel getrunken wird und sehr kühlend ist, zu bereiten. Das zweite Läuten -- ich eile! Deine +Ulla+. [Illustration] Rio de Janeiro, den 21. Februar 1882. O Gretel, dieses Collegio -- es wächst mir über den Kopf! Ich glaube, ich bin wirklich eine ganz miserable Lehrerin! Sie lernen nichts bei mir, sie lernen garnichts. Ob es hier wohl Schulinspektoren giebt? Dann blamiere ich mich entsetzlich. Ich finde mich so schlecht in dieses oberflächliche Tünchen hinein; beginne ich aber zu vergründlichen, dann wird es erst recht wüst -- ich bin ganz verzweifelt! Und nun gar die Disziplin! Schon das Wort allein macht mich schamrot. Denke Dir Folgendes. Als ich neulich in die Klasse trat, fand ich dieselbe sehr unruhig und lärmend, und in meiner Ratlosigkeit that ich nochmals einen verzweifelten Griff auf Bormann zurück. Sobald ich nämlich so viel Ruhe schaffen konnte, daß ich gehört wurde, kommandierte ich „Aufstehen -- setzen!“ fünf Mal hinter einander, was bei uns ja auch wirklich nie verfehlt, eine Klasse zu beschämen. Und hier -- ~o sancta simplicitas~! Nachdem ich ihnen erst überhaupt nur schwer begreiflich gemacht hatte, was ich von ihnen verlangte, waren die Kinder derartig weit entfernt, das Ganze für eine Strafe anzusehen, daß sie glaubten, es handle sich um einen guten Spaß, hopsten zuletzt immer noch von selbst wie die Perpendikel auf und nieder und amüsierten sich königlich. Grete, seitdem ist Bormann für mich +hier in Brasilien+ endgültig abgethan! Ich sehe wohl ein -- wenn hier eine Pädagogik eingeführt werden soll, dann muß sie brasilianisch sein und nicht deutsch -- brasilianisch in Bezug auf die ganze Auffassung und alle Voraussetzungen, sie muß dem Charakter des Volkes, den häuslichen Lebensverhältnissen dieser Leute angepaßt sein. Brasilianische Kinder sollten überhaupt nicht von Deutschen erzogen werden, es ist völlig verlorene Mühe, denn das fremde Reis, das der Jugend da aufgepfropft wird, gedeiht doch nicht! Mir geht es hier mit den Kindern, wie ich Dir von Saõ Francisco in Bezug auf die Pflanzen schrieb: wir verstehen einander nicht, wir reden äußerlich und auch seelisch eine fremde Sprache mit einander, und besonders letzteres macht mir die Existenz hier zu einer furchtbar unbehaglichen. Allerdings läßt auch meine äußere „Behaglichkeit“ einiges zu wünschen übrig. Mein „Zimmer“ ist ein fensterloser Alkoven, der sich von einem Zöglingssaal abzweigt und nur durch die Thür zu diesem Raum Luft und Licht erhält! Seine ganze Ausstattung besteht aus dem Bett (es ist eine +wohlfeile+ Ausgabe von dem in Saõ Francisco), einem Waschtisch und einem Stuhl. Ich besitze weder Schrank noch Kommode; mein Koffer dient als Leinzeugbehälter, und für meine besseren Kleider hoffe ich immer noch Mlle. Lerôt den Strafschrank abzuschmeicheln, wofür mir die Kinder jedenfalls sehr dankbar sein werden. Schreiben thue ich auch in dem Zimmer der Französin, mit der ich trotz der Erbfeindschaft hier im Hause noch am meisten sympathisiere. Ihr Zimmer ist zwar auch nicht viel besser als meines, aber sie hat einen Tisch darin und ein Fensterchen oben an der Decke, während ich in meinem dunkeln Loch, deren es in jedem brasilianischen Hause giebt, manchmal fast ersticke. Dazu kommt, daß wir in diesem Hause schrecklich unter den Baratten leiden, einem widerlichen Käfer, unserer Schabe ähnlich, doch von Maikäfergröße und pestartigem Geruch! Die Baratte ist eine allgemeine Landplage hier, aber so, zu Hunderten und Tausenden wie in diesem Hause, habe ich sie noch nicht auftreten sehen. Abends wenn ich mit den Kindern in ihren Schlafsaal trete, wimmelt es auf dem Fußboden von den eklen Tieren, und sofort wird mit Stiefeln und allen erreichbaren harten Gegenständen Jagd darauf gemacht. Hunderte rennen uns davon, aber hunderte von Leichen bleiben auch auf dem Schlachtfeld und werden dann erst ausgekehrt. Glaube nicht Grete, daß dies übertrieben ist, es soll in alten Häusern oft so schlimm sein, und gewiß könnte mir mancher andre Brasilienreisende Ähnliches bestätigen. Von den Mosquitos, den Ameisen, den Eidechsen und anderem Ungeziefer spreche ich garnicht, weil es gegen diese Baratten nichts ist, die außerdem noch alles anfressen und ruinieren, wo sie dazu kommen können; allein schon in diesen wenigen Nächten haben sie mir meinen Göthe ganz aus dem Einband gefressen! Überhaupt ist mein Enthusiasmus für Rio schon ziemlich abgekühlt. Das Leben hier im Collegio ist nicht sehr reizvoll, und das Wandern in den Straßen wird zur Pein durch -- die übergroße „Höflichkeit“ der Herrenwelt. Sie sind es von ihren Landsmänninnen nicht gewohnt, Damen allein auf der Straße zu sehen, und wenn sie auch wissen, daß wir Fremden diese Freiheit hier für uns in Anspruch nehmen +müssen+, so scheinen sie sich doch berechtigt zu glauben, europäische Damen, wenn sie allein sind, mit Anreden zu belästigen. „~Comment ça va-t-il, Mademoiselle?~“, „~Mais, ou allez-vous si vite, mon enfant?~“, solche und ähnliche Redensarten habe ich mir nun schon die Überwindung angeignet, ohne Thränen einfach zu ignorieren. Was sagst Du aber dazu, daß sich neulich, als ich eben einen Handschuhladen verlassen wollte, ein langer, dürrer Brasilianer grade vor mich hinstellte und mit der unverschämtesten Miene unter seinem Kneifer hervorgriente: „~Pas décidemment jolie, mais gentille, très gentille!~“ Ich stürzte aufgebracht von dannen, was ihn höchlich zu amüsieren schien. Ach, Grete, hätte ich wenigstens eine gleichgestimmte Seele hier! Mademoiselle Lerôt, Miß Dahlmann, ja, sie sind ja ganz freundlich und liebenswürdig -- aber so eine rechte Freundin möchte ich haben -- so eine Grete! Ach, Herz, wenn Du hier wärest -- -- aber nein, ich will es Dir doch nicht wünschen! Bleibe Du drüben, und (ganz heimlich ins Ohr flüstern) ich komme auch wieder -- sobald das Reisegeld reicht. Vorläufig ist große Ebbe im Schatz, und mein Collegio-Gehalt wird keine Flut hineinleiten; also noch heißt’s Stillsitzen, denn allein das Dampfer-Billet bis Hamburg kostet 30 £! Den 22. Heute war ich bei dem Pastor der hiesigen deutschen Gemeinde und auch bei dem deutschen Konsul; beide waren sehr liebenswürdig, und der Konsul, der ein feiner Mann ist und die Brasilianer auch nach Gebühr „würdigt“, empfiehlt mir, lieber nach der Provinz Saõ Paulo zu gehen, wenn ich dort irgend etwas bekommen könne; dies sei keine Stellung für mich, und in Saõ Paulo seien auch mehr Kolleginnen. Ich habe mir das gesagt sein lassen und studiere nun, wo ich es erhaschen kann, eifrig das ~Jornal de Commercio~, wo unter Annoncen entlaufene Neger betreffend und zwischen Sklavenverkaufsanzeigen auch „~professoras~“ mit zahllosen Fähigkeiten und Vollkommenheiten gesucht werden. Übrigens habe ich hier im Collegio gelernt, daß es „~professora~“ nur heißt, so lange man beliebt ist, sonst wird man auf das mindere „~mestra~“ herabgesetzt. Ein wahres Glück ist es, daß man hier keine Kontrakte macht oder Kündigungsfristen innehält, denn wenn man dabei freilich auch stets gewärtig sein muß, an irgend einem beliebigen Tage an die Luft gesetzt zu werden, so kann man doch auch selber sein Ränzel schnüren, wenn’s einem zu bunt wird. Adieu, mein Schatz; empfiehl mich dem Wohlwollen aller neun Musen, daß sie mich nach Saõ Paulo gelangen lassen! Deine +Ulla+. [Illustration] Rio de Janeiro, den 17. Februar 1882. Grete, bist Du schon einmal auf dem Wege zum Zahnarzt gewesen, um Dir einen festen Backenzahn ausreißen zu lassen? Vielleicht. Aber ist es Dir dann auch schon passiert, daß man Dir plötzlich an die sorgfältig behütete Wange ein hartes Etwas geschleudert hat, das daselbst zerplatzte und eine kleine Flut patchouliduftenden Wassers in Deinen Hals ergoß? Nein? Dann weißt Du auch nicht, wie viel Galle Du hast. Widersprich mir nicht -- Du weißt es nicht! Ich meinesteils wenigstens erhielt durch die eben erzählte Prozedur einen so unvermuteten Aufschluß über die Größe meines Quantums Cholerik, daß ich in meiner guten Meinung von mir ganz beträchtlich gedemütigt wurde. Es war in der ~rua dos Ourives~, wo ich meine Entdeckung machte. Ihre erste Wirkung war, wie gesagt, mir mit +einem+ Schlage die schönen Illusionen zu rauben, die ich in Bezug auf die Milde meiner Gemütsart gehegt -- allein „paff“ betäubte ein zweites hartes Etwas mit nachfolgender Wasserflut, das sich diesmal die entgegengesetzte Seite aussuchte, meine Selbstanklagen, und es wallte wieder zorniger in mir auf... „piff“ sauste es unmittelbar darauf an meiner Nase vorbei und zerplatzte an der Wand neben mir -- ich wollte mich bücken, um die Beschaffenheit dieser entsetzlichen kleinen Geschosse zu konstatieren -- „puff“ zerplatzte es dumpf in meinem Nacken und lief mir den Rücken hinab. Außer mir vor Zorn stand ich still und blickte um mich, meine Zahnschmerzen vollständig vergessend. Rings um mich her sah ich Gesichter von einer so impertinenten Heiterkeit, wie Gesichter sie nur anzunehmen pflegen, wenn sie sich in einem ohnmächtig-zornsprühendem Antlitz reflektieren dürfen; elegante Herren, schmutzige Mulattenjungen, Kommis, Straßenbummler, sogar die Damen auf den Balkons, alles verwandelte sich mir in ebenso viele grinsende Teufel, und alle zielten wie auf Verabredung auf mein unseliges, zahnwehbehaftetes Ich mit jenen infamen kleinen harten und wässrigen Geschossen. Mechanisch drückte ich mich an ein Haus, um wenigstens von hinten gesichert zu sein... sssrrr floß es in wohlberechnetem Guß auf meinen Hut (es war eine echte Feder darauf!) überschwemmte ihn und suchte einen Ausweg in meinen Kragen. Ich war vollständig betäubt. Was war dies? Was bedeutete es? Wachte ich wirklich und befand ich mich in einer der besten Straßen Rios, oder war dies alles ein wüster Traum?! Da lehnt sich eine junge Brasilianerin lächelnd zu dem Fenster hinaus, an dem ich wie angewurzelt stehe; ich wende mich an sie und will sie anreden, da hebt sie die Hand -- ein kleines blankes Flakon glänzt darin -- „huist“, „huist“ -- und meine beiden Augen waren momentan dienstunfähig. Das war zu viel! Ich war außer mir. Eine ohnmächtige Wut und zugleich eine unglaubliche Feigheit all diesen geheinmisvollen Feinden gegenüber bemächtigte sich meiner, und als ob der Böse selber mich verfolgte, legte ich den Rest meines Weges zurück. Am ganzen Körper bebend vor Zorn und bei jeder Bewegung Tropfen sprühend, sank ich, am Ziele angelangt, in Thränen ausbrechend auf ein Sofa im Wartezimmer von Dr. Müller, der mich seit einer Woche unter seiner zahnärztlichen Behandlung hatte. „Aber liebes Fräulein, was fehlt Ihnen?“ rief er aus dem Nebenzimmer; doch als er dann eintrat und mich so triefend dasitzen sah, verzog sich auch sein Gesicht zu einer Spielart jenes bereits erwähnten Heiterkeitsausdruckes, und ich sah, wie schwer es ihm wurde, nicht laut heraus zu lachen. „Ja, mein Gott“, rief ich außer mir vor Zorn, „was ist denn nur los, ist denn hier in Rio alles toll geworden!“ Jetzt lachte der Doktor los, faßte mich bei der Hand, führte mich an den Wandkalender und wies mit dem Finger auf eine Zeile des Monats Februar -- „+Fastnacht+“ -- las ich da und sank, dumpf aufseufzend, auf den nächsten Stuhl. Der Doktor begann an mir herumzupflücken. „Was machen Sie denn?“ fragte ich matt. „Ich sammle Ihnen wenigstens einige Wachsstücke ab.“ „Wachsstücke?“ wiederholte ich ebenso matt, aber erstaunt. „Nun ja, Sie haben, wie es scheint, eine gehörige Ladung von den Dingern bekommen, Wachseier mit Wasser gefüllt, unter deren Zeichen Rio nun bis zum Aschermittwoch fortwährend stehen wird.“ Bis zum Aschermittwoch, das waren damals noch eilf Tage! Mit stummem Entsetzen überschlug ich das mögliche Quantum von Patchouliwasser und Wachseier-Schalen, des aus Kübeln gegossenen Wassers garnicht zu gedenken, das sich in diesen eilf Tagen noch den Weg in meine Garderobe suchen konnte, und ingrimmig zerdrückte ich das Wachs einer halben Eierschale, die ich eben aus meiner triefenden linken Manschette zog. „Da ist wohl der Zahn noch für heute gerettet?“ lächelte der Doktor. „Nein, im Gegenteil“, rief ich mit einer Erneuerung meiner vorherigen „Energie“ -- „an etwas muß ich meinen Zorn auslassen, und sei es an mir selber; reißen Sie -- reißen Sie --“ Und so wurde ich um einen Weisheitszahn ärmer. Als ich in das Collegio zurückkam und meine Abenteuer erzählte, geriet die kleine Bande in eine schreckliche Aufregung -- „~Laranginhas, Laranginhas!~“ wurde das allgemeine Feldgeschrei. Die Brasilianer nennen diese abscheulichen kleinen Wachsgeschosse ~Laranginhas~ d. h. kleine Orangen, mit denen sie jedoch meiner Ansicht nach nicht die geringste Ähnlichkeit haben; sie haben vielmehr die Form und Größe von Hühnereiern, und die Kinder gießen sie selbst mittels einer hölzernen Form. Dutzende von solchen Formen kamen wie mit Zauberschlag in unserm ehrenfesten Collegio zum Vorschein, und ehe wir Lehrerinnen es uns versahen, war die Wasserschlacht im vollen Gange. Nicht nur, daß man sich in den Pausen mit ~laranginhas~ bombardierte, sondern sogar in den Stunden spritzten sich die Nachbarinnen mit den ~bisnagas~, die durch Gott weiß wen eingeschmuggelt wurden, Wasser in die Ohren und die Kleider, so daß an eine ruhige, gesammelte Stunde garnicht mehr zu denken war. (Die Bisnagas sind kleine Flakons genau wie unsre Farbenfläschchen, und man hat sie mit allen Parfüms gefüllt, bis zu den feinsten Sorten). Am Sonntag aber, als die Kinder nun nichts zu thun hatten, wurden sie ganz wild und begossen sich gegenseitig von oben bis unten mit Wasser aus großen Steinkrügen und Waschschüsseln. Das ganze Schlafzimmer schwamm, und Mlle. Lerôt und ich standen ratlos vor der wasserberauschten Gesellschaft, die wie die Wilden umhersprangen und schrieen, bis glücklicherweise Madame kam und der Sache ein Ende machte. Seitdem haben wir hier im Hause Ruhe. Draußen aber dauert dieser geschmackvolle Faschingssport ruhig fort, so daß ich mein Schicksal verwünsche, das mich grade jetzt alle Tage in die ~rua dos Ourives~ treibt, und halbe und ganze Stunden vergrüble über der Zusammenstellung möglichst wasserdichter Kostümierungen. Die Brasilianer aber sind selig in dieser Zeit, ganz „aus dem Häuschen“. Man sieht reiche junge Brasilianer die Straße entlang wandern eigens zum Zweck dieses wässrigen „Amüsements“, einen Negerjungen hinter sich, der in einem mächtigen Korbe ~laranginhas~ und ~bisnagas~ bereit hält, und hunderte von Franks sollen da von Einzelnen auf diese Weise verschleudert werden. Obgleich es in jedem Jahre von neuem verboten wird, geschieht es in jedem Jahre wieder, und an den Straßenecken stehen ganz naiv sogar die Negerinnen da, welche große Tablets voller ~laranginhas~ zum Verkauf feil halten. In den Pferdebahnen fürchtet ein Jeder einen Jeden, und wenn man eben anfängt, seinen Nachbarn mit ein wenig mehr Vertrauen zu betrachten, so fährt man im nächsten Moment entsetzt zusammen, da der Hintermann einem mit wahrhaft teuflichem Genuß ein ganzes Fläschchen Wasser in den Kragen gießt. Aber ärgern darf man sich nicht, denn wenn sie das sehen, so ist man erst recht verloren, und je mehr man sich in der Kleidung zu schützen sucht, desto nasser wird man. Jetzt naht sich aber die Sache glücklicherweise ihrem Ende, denn gestern war der große Faschingsumzug, und heute ist der beschließende Maskenball. Den Umzug habe ich mit angesehen von dem Balkon einer mit Madame befreundeten Familie in der ~rua d’ Ouvidor~, und ich kann nicht anders sagen, als daß er ganz brillant war. Viele der Wagen, deren Ausstattung man teils aus Lissabon, teils aus Paris hatte kommen lassen, waren sogar hochkomisch, so einer derselben, „das wahre Bild der Hölle“ betitelt, wo in Gestalt von lebensgroßen Strohpuppen Mönche verbrannt, Pfaffen geprügelt und Nonnen gerädert wurden. Und das in einem +katholischen+ Lande! Aber der Brasilianer ist nicht mehr so fromm wie seine Vorfahren. Mit Jubel begrüßt wurde zumal ein andrer Wagen, wo aus der Dachluke eines darauf stehenden Häuschens in regelmäßigen Intervallen von einigen Minuten die täuschend ähnliche Maske des hiesigen Telegraphendirektors heraussah, der mit einer Schere die über dem Hause weggeleiteten Telephondrähte zu zerschneiden suchte, was nämlich in der That auf sein Anstiften von den Unterbeamten geschehen sein soll. An die eigentlichen darstellenden Wagen schloß sich eine lange Reihe Kutschen mit Masken an, allerdings nur Herren mit Damen vom Theater und der Demimonde. Da der Zug nicht beworfen werden durfte, so konnte man ihn in Ruhe betrachten, aber dennoch kam ich die ganze Zeit über nicht aus der Gänsehaut heraus wegen der gruseligen Geschichten eines neben mir stehenden Brasilianers. Die eine handelte von einem deutschen Lehrer, der wegen eines herausfordernden Havelocks in der Faschingszeit vor einigen Jahren schließlich von zwei handfesten Negern erfaßt und in eine mit Wasser gefüllte Badewanne geschleppt worden war, worauf er die Cholera bekommen, die andre von einem Engländer, der sich aus den ~bisnagas~ und den ~laranginhas~ das gelbe Fieber und den Tod geholt. Als er die dritte anfangen wollte, die wahrscheinlich von einem Russen gehandelt hätte, bat ich ihn, mich zu verschonen. Nun -- Gute Nacht, mein Gretel -- es ist entsetzlich heiß, so daß das Licht vor mir sich biegt, aber ich kann es aushalten, da ich es selten drückend finde, indem die große atmosphärische Feuchtigkeit sehr mildernd wirkt. Die schlimmste Zeit ist nun auch bald vorüber und damit auch die Zeit des gelben Fiebers, die allerdings alljährlich nach dieser wilden Faschingszeit noch einmal einen Aufschwung nimmt; noch sterben wöchentlich gegen hundert Personen allein am gelben Fieber. Mich muß es nicht wollen, Grete, denn sonst hätte ich es bei meiner augenblicklichen schlechten Verpflegung längst bekommen müssen, zumal es immer zuerst „die weißeste Haut“ nimmt; Europäer, und besonders Engländer und Deutsche sind am meisten ausgesetzt, und zuletzt bekommen es die Neger. Übrigens ~à propos~ Verpflegung Grete! Die Zeit ist da, wo ich „eine Passion für das gedörrte Hammelfleisch“ habe; es ist wenigstens nicht so fett und läßt sich daher bei der Hitze am besten essen. Mit Appetit esse ich aber nur, wenn mich Carsons einmal zu einem guten englischen ~beef~ einladen, was sie thun, so oft ich abkommen kann. Sie sind überhaupt rührend gut zu mir, Grete, und viel von meiner Courage in diesem fremden Lande danke ich ihrem freundlichen Zuspruch; ~God bless them~! Aber Mademoiselle wird ungeduldig, ich muß schließen. Es küßt Dich, mein Gretel, +Deine Ulla.+ [Illustration] Rio de Janeiro, den 2. März 1882. In aller Eile ein paar Worte, Herzensgrete! Ich bin nach Saõ Paulo engagiert und zwar, denke Dir mein Glück, nach der +Stadt+ Saõ Paulo zu einer, wie es scheint sehr netten Familie. Herr Konsul Haupt war so sehr liebenswürdig, eine Annonce für mich in das ~Jornal de Commercio~ rücken zu lassen, wo er mich wohl sehr herausgestrichen haben muß, denn dieser Herr Costa ist eigens von Saõ Paulo hergekommen, um dies Wundertier von „~professora~“ (~vulgo~ „~mestra~“) zu engagieren. So geht’s denn morgen nach der „geistigen Hauptstadt von Brasilien“, wie der Paulistaner seine Stadt mit Stolz und Vorliebe nennt. Madame war höchst ärgerlich, als ich ihr sagte, daß ich fort wolle, und hat mir kaum Adieu gesagt, aber alle, die mir wohlwollen, raten mir zu. Weißt Du aber, was mir jetzt klar geworden ist, Gretel? Der Grund, warum meine deutschen Kolleginnen in ihrer Toilette nicht im Stande waren, den Beifall ihrer brasilianischen Mitschwestern zu erlangen! Ich werde wohl nächstens auch ohne denselben fertig werden müssen. Stelle Dir vor, wenn es Dir möglich ist, daß ich neulich für ein Kattunkleidel, das ich haben mußte und mir bei einer französischen Schneiderin anfertigen ließ, dieser edlen „Madame Victorine“ baare 78 Mark Macherlohn auf den Tisch des Hauses niederlegen mußte!! Ich war versteinert und werde nie mehr zu einer Madame Victorine gehen, wenn meine mitgebrachten Sachen nicht mehr reichen, sondern es machen, wie es wahrscheinlich meine Kolleginnen hier vielfach thun: ich werde selber zu Schere und Nadel greifen! Der erste „Erfolg“ dieses Kattunkleidels ist, daß ich Mr. Carson anpumpen mußte, um an meinen neuen Bestimmungsort zu gelangen, und ich schreibe Dir dies als ~exemplum tragicum~ zu Nutz und Frommen aller Derer, die es bethören sollte, wenn man ihnen in Brasilien 4-5000 Mark Gehalt bietet. Jetzt werde ich übrigens nur 3000 bekommen. Aber Courage habe ich doch noch, Gretel, unterkriegen lassen wir uns nicht. Wie sagt jener geistreiche Franzose? ~Il faut fatiguer l’infortune!~ Unverwüstlich Deine +Ulla+. [Illustration] Saõ Paulo, den 20. März 1882. +Meine einzige Grete!+ Heute bekam ich einen ganzen Haufen lieber freundlicher Briefe von Mr. Carson nachgeschickt, und ich wundre mich nur, daß sie alle angekommen sind! Du bedauerst mich so sehr wegen des „abscheulichen Collegio“, Du Gute, aber das sind ja glücklicherweise jetzt schon wieder ~tempi passati~, wie Du siehst, und ich fühle mich dagegen hier in Saõ Paulo wie im Himmel. Schon die Reise hierher war mir sehr interessant, da sie mich durch eine recht vielseitige Landschaft führte. Um neun Uhr Morgens installierte mich Mr. Carson in einem Coupé erster Klasse der Saõ Paulo Railway -- +erster+ Klasse, Grete, nicht etwa aus Hochmut oder aus plötzlich eingetretener Kassenflut (im Gegenteil, Du weißt ja: Madame Victorine!) sondern weil es in diesem Lande überhaupt nur zwei Eisenbahnklassen giebt, und in der zweiten nur der ~nigger~ aller Schattierungen fährt. Mein Aufenthaltsort hatte auch wenig gemein mit unsern heimischen Coupés erster Klasse, mehr mit einem solchen dritter. Ungeteilt bot der Waggon mit seinen 24 Plätzen auf Sitzen von Rohrflechtwerk, seinen acht offenen Fenstern, die Wind, Sonne und Staub zugleich hereinließen, einen möglichst ungemütlichen Aufenthalt. Es reisten fast nur Herren in dem Wagen, und Nichtraucher- oder Damen-Coupés, wohin ich mich hätte zurückziehen können, giebt es hier zu Lande nicht. Sobald der Zug sich in Bewegung setzte, holten die Brasilianer jeder ein großes weißes Laken hervor, das rings mit Franzen besetzt war und in der Mitte ein Loch hatte, durch welches sie den Kopf steckten, so daß das Laken um sie herumfiel. Diese Dinger nennt man ~ponchos~, und wärend die leichten gegen den Staub benutzt werden, so dienen wärmere, buntfarbige gegen Regen und Kälte. Die meisten der Herren versanken sehr bald hinter die riesigen Blätter ihrer ~Jornals de Commercio~, und es dauerte nicht lange, da erinnerten sie sich auch zu meinem Entsetzen ihrer Cigarretten. War die Fahrt bisher nur mäßig angenehm gewesen, so wurde sie jetzt zu einer wahren Kreuzfahrt. Nicht wegen des Rauches; Du weißt, Grete, ich bin nicht so zimperlich, aber -- für den rauchenden Brasilianer scheint die Welt um ihn her nichts zu sein als ein großes +Spucknapf+. Der offen zur Schau getragene Ekel der Fremden, ja, manche recht blamable Scenen in Restaurants und auf den englischen Küstendampfern haben bis jetzt nichts an dieser widerlichen Unsitte ändern können. Der Brasilianer sieht das fortwährende Umsichspucken für etwas ganz Harmloses an, worauf er in seinen Häusern auch auf das Gründlichste eingerichtet ist, denn neben jedem ihrer ungemütlichen Rohrsofas wirst Du zu beiden Seiten die schönsten, buntesten Spucknäpfe erblicken, immer gleich paarweise und so groß und schwungvoll, daß ich sie zuerst immer für Blumentöpfe hielt. Ich machte den Versuch, mich meiner Umgebung einigermaßen zu entziehen, die sich gelegentlich um zwei und drei rauchende, schwatzende Schaffner vermehrte, indem ich aufstand, um mir durch das offne Fenster die Gegend zu betrachten. Aber mit diesem Einfall machte ich ein klägliches Fiasko. So ein brasilianischer Zug, wenn er einmal im Gange ist, rast mit unglaublicher Schnelligkeit, aber er wackelt auch ebenso unglaublich hin und her, und wenn man dazu noch seinen Fuß in der (natürlich unbefestigten und zerrissenen) Fußmatte verwickelt, so darf man froh sein, wenn man sich nach drei Sekunden mit einer Beule an der Stirn, im Übrigen aber mit heilen Gliedern auf seinen Sitz zurückgeschleudert findet. Diese Schnelligkeit des Beförderns zusammen mit so manchen Unzulänglichkeiten und Naivetäten hat Etwas, was sich am besten durch „ungebildet Civilisiertes“ ausdrücken ließe, Etwas, das unwillkürlich lächeln macht, ein Eindruck, den ich schon oft in diesem Lande empfangen habe. Trotz alledem und alledem gelang es mir doch, die Natur rings im Großen und Ganzen aufzufassen und ihren Reichtum, ihre Großartigkeit und ihre Weite zu würdigen. Es ist alles großartiger als bei uns, es ist überall wie ein Überfluß an vorhandenem Raum, und es kommt mir immer so vor, als habe die Natur mit großem Griff Berg und Thal hier verteilt, um nur erst zu füllen, worauf sie’s dann freute, wiederum mit vollen Händen ihr Werk zu schmücken mit großblättrigen Bäumen und deren seltsamen Früchten, mit graziösem Strauchwerk, das hier aber auch immer Baum zu werden trachtet, und mit großen, intensiv gefärbten Blumen, wie um den kleinen Menschen über diesem phantastischen Schmuck ihre gewaltige Größe weniger drückend empfinden zu lassen. Berg und Thal wechselte fortwährend, und wir passierten dreizehn Tunnels, von denen der längste vier Minuten Fahrzeit in Anspruch nahm. Hier auf dem Bahnhof holte mich Dr. Costa (+natürlich+ „Doktor“) mit meinen beiden ältesten Zöglingen ab. Das Mädel von zwölf Jahren, Lavinia, machte mir gleich einen sehr netten, frischen Eindruck, und ich kann wohl sagen, daß ich sie seitdem schon wirklich lieb gewonnen habe. Überhaupt, Grete, fühle ich mich hier wie im Himmel, nachdem das Collegio wie ein wüster Traum hinter mir liegt. Zwar schütteln die Kolleginnen den Kopf über mein Entzücken und meinen, die Costaschen Jungen seien in der ganzen Stadt berüchtigt wegen ihrer Ungezogenheit, so daß sie +hier+ schon keine Erzieherin mehr bekämen. Ich mag aber vorläufig von nichts hören und bin froh, daß ich hier bin und mit Kolleginnen und andern +Menschen+ verkehren kann. Hier in Saõ Paulo sind ziemlich viele Deutsche, aber meistens Handwerker, und ich verkehre eigentlich nur im Hause des deutschen Apothekers, den ich zuerst in seiner Eigenschaft als Konsul aufsuchte. Das sind Prachtmenschen, sage ich Dir, Gretel! Hochgebildet und doch schlicht dabei, klug, liebenswürdig und gastfreundlich. Schon mancher deutsche Brasilienreisende hat in ihrem Hause ein paar frohe, anregende Stunden oder Tage verlebt, und selbst fürstliche Gäste haben sich wohl gefühlt in dem freundlichen Schaumannschen Hause. Ich bin am Sonntag zu Mittag dagewesen und lernte bei der Gelegenheit zwei sehr nette Kolleginnen kennen, Frl. Meyer und Frl. Harras, die ich Dir wohl noch öfter nennen werde; da ich außerdem schon die Bekanntschaft einer dritten, älteren Kollegin gemacht hatte, die schon seit Jahren die Vettern und Kousinen meiner Schüler erzieht, so siehst Du, daß es mir hier golden vorkommen muß gegen meine bisherigen brasilianischen Erfahrungen. Ich bin doch unter Menschen, ich bin doch nicht so entsetzlich allein! Bei Schaumanns trifft man Gesellschaft aus aller Herren Länder, so daß doch auch einmal wieder von einer Unterhaltung die Rede sein kann. Da kamen neulich gegen Abend ein alter origineller dänischer Ingenieur und früherer Hauptmann, ein französischer Musiklehrer, ein deutscher Arzt und ein englischer Ingenieur, ein sehr netter Mensch, der sich fast ausschließlich mit mir unterhielt und sich über mein Englisch freute, das er sehr gut fand. Er heißt Mr. Hall und wohnt seit einem halben Jahr hier in Saõ Paulo, wo er die Vertretung einer großen englischen Maschinenfabrik hat. Er sieht aus wie -- nein, doch nicht! Ich glaubte, eine Ähnlichkeit gefunden zu haben, aber er sieht doch eigentlich niemandem ähnlich. Ach Gretele, ich bin so froh, daß ich hier bin, so sehr froh! Deine glückliche +Ulla+. [Illustration] Saõ Paulo, den 5. April 1882. +Mein liebes, herziges Gretele!+ Es ist wirklich wahr: Saõ Paulo ist der beste Platz für Erzieherinnen in Brasilien, die Stadt sowohl wie die ganze Provinz, denn hier kokettieren Männlein und Weiblein, d. h. die jüngere Generation, mit der „Wissenschaft“ und spielen sich mit Vorliebe auf das Gelehrten- und Philosophentum heraus. Man ist +Universitätsstadt+! Allerdings darfst Du Dir darunter kein Bonn oder Heidelberg vorstellen, schon darum nicht, weil diese ~Academia~ nur eine Facultät besonders pflegt, nämlich die juristische. Weiter im Innern der Provinz, bei den Padres (der Name des Ortes ist mir entfallen), werden die Pfaffen zurechtgemacht, hier die Advokaten und in Rio de Janeiro die Jünger Aeskulaps, die „Doktoren“ ~par excellence~. Zu Advokaten passen die Brasilianer insofern ausgezeichnet, als sie da ihr deklamatorisches Talent verwerten können. Sie +sprechen+ für ihr Leben gern, wenn sie auch nichts +sagen+; mit dem Pathos, das sie an eine einzige Rede verschwenden, könnte man bei uns bequem deren zehn ausstatten, und dennoch haben sie keine eigentliche Begeisterung noch auch individuelle Impulse -- denn alle reden in dem gleichen traditionellen Tonfall, der auch bei allen Gelegenheiten derselbe zu bleiben scheint. Alles ist äußerlich, alles Halbbildung und Geste. Dieses pomphafte Phrasieren, dies hochtrabende Pathos ist an sich schon immer verdächtig und komödiantenhaft, aber wenn Du wirklich einmal die Probe darauf machst und die Leute nach etwas fragst, so können sie Dir keine Rechenschaft geben. Da sind Leute, die an der Spitze der republikanischen Partei stehen, und sie kennen weder die Geschichte noch die Verfassung ihres Landes, geschweige die andrer Nationen, da giebt es andere, die sich zu dem philosophischen System des geistreichen Contes zu bekennen behaupten, und sie haben nicht seine elementarsten Lehren begriffen, da geben sie Urteile über die Sprachen fremder Nationen ab und können Dir keine Regel der eigenen erklären. Alle neuen Erfindungen auf technischem Gebiet müssen sie sofort haben, aber die Ingenieure zur Einrichtung kommen gleich mit aus Europa, und wenn sie wieder fort sind und es geht etwas an der betreffenden Maschinerie entzwei, dann kann ein Einheimischer sie gewiß nicht reparieren. Gründlichkeit herrscht nirgends, und wenn sie auch äußerlich Anschluß an deutsche Bildung zu suchen scheinen auf allen Gebieten der Wissenschaft -- so lange sie sich nicht zugleich auch deutschen Fleiß und Ernst, deutsche Ausdauer und Gewissenhaftigkeit aneignen können, bleibt es doch nur Pantomime. Sie gehören eben innerlich nicht zu uns, mir drängt sich dies Gefühl immer von neuem auf, und die Brasilianer selbst bethätigen die Richtigkeit desselben instinktiv, indem sie mit ihrem +Herzen+ doch immer wieder den Franzosen und andern romanischen Völkern zuneigen, wenn ihnen auch deutscher Geist oder englische Thatkraft mehr +imponieren+. Aber ich merke, daß ich +predige+ -- darum schnell zu etwas Anderem. Meine jetzigen „Erziehungssubstrate“ sind in der That wahre Muster-Exemplare von Wildheit, und nur bei Lavinia hat sich diese berechtigte(?) Familieneigentümlichkeit zu einer angenehmen Frische abgeschwächt. Mit den Jungen habe ich einen schweren Stand, und mehr als einmal haben sich die beiden Brüder schon in der Stunde beim Kragen gehabt, ehe ich mich dessen versah. Da braucht der eine blos eine falsche Antwort zu geben, dann wirft der andre eine lebhafte vorlaute Verbesserung dazwischen, wofür ihm jener schneller als der Blitz eins mit dem Lineal überzieht -- dann haben wir die schönste Rauferei, und es ist für mich keine Kleinigkeit, diese Brüderzwiste immer rasch wieder zu schlichten; neulich habe ich mich dazu aufgerafft, den kleineren einfach vor die Thür zu setzen, und finde das Mittel eigentlich ganz probat. Aber ich will versuchen, hier auszuhalten; man muß streben, solche arme, schlechterzogene Kinder zu bessern. Meinst Du nicht auch, meine süße Grete? Ich möchte doch nicht schon wieder fort. Gestern traf ich zufällig auf Mr. Hall, als ich zu Frl. Meyer ging, und er begleitete mich ganz bis an das Haus. Weißt Du Grete, er ist wirklich sehr nett, garnicht wie die Brasilianer, fast wie ein Deutscher; er hat so aufrichtige große blaue Augen und sieht so männlich aus. Er fragte mich, ob ich nicht Sonntags in die englische Kirche ginge; eine deutsche ist hier nämlich nicht. Ich bin zwar bis jetzt noch nicht hingegangen, aber es ist wirklich wahr, ich sollte es thun; es ist recht unrecht, daß ich bis jetzt nicht dagewesen bin. Nächsten Sonntag muß ich bestimmt hingehen. Es küßt Dich tausendmal Deine +Ulla+. ~P. S.~ Anliegend schicke ich Dir zwei Verdeutschungen eines brasilianischen Gedichtes von Goçalves Dias (in Europa gedichtet), das wohl so eine Art von Anspruch auf Volkstümlichkeit hat, wenn man in diesem Lande, wo es eigentlich gar kein Volk giebt, und wo ich +niemanden+ finde, der mir den Text der Nationalhymne sagt, von so etwas sprechen kann. Die eine ist von Herrn Schaumann und fast wörtlich übersetzt, die andre, freiere, von unserm verehrten Dranmor; Du wirst da den +Dichter+ sofort erkennen. Ich schicke die wortgetreuere Übersetzung voraus. Lied des Verbannten. Meine Heimat, die hat Palmen, Und dort singt der ~sabia~, Anders zwitschern hier die Vögel, Anders zwitschern sie da. Unser Himmel hat mehr Sterne Und mehr Leben unsre Wälder Und mehr Liebe unser Leben Und mehr Blumen unsre Felder. Dort des Abends, wenn alleine, Wie viel süßer träumt’ ich da! Ach, mein Heimatland hat Palmen, Und dort singt der ~sabia~. Volles Glück beut meine Heimat, Wie ich hier noch keines sah, Und des Abends, wenn alleine -- Wie viel süßer träumt’ ich da! Ja, mein Heimatland hat Palmen, Und dort singt der ~sabia~. Wolle Gott nicht, daß ich stürbe, Ohn’ daß ich es wiedersah, Ferne von dem Glück der Heimat, (Ach, ich finde es nur da!) Ferne von der Heimat Palmen Und dem Lied des ~sabia~. Und nun die Übertragung des Poeten: Lied aus der Verbannung. Palmen schmücken meine Heimat, Und so traulich ist es da, Wo von grünen Blätterkronen Uns begrüßt der Sabia. Zeigt mir holden Waldesschatten, Fluren, die den unsern gleich, Sterne, wie sie niederleuchten Auf der Liebe Zauberreich. In den trüben Winternächten O, wie gramvoll denk’ ich da An das Land der Palmenhaine Und des Sängers Sabia. Denn es stralt in Schönheitsfülle, Wie ich sonst sie nirgends sah, Und in allen Traumgebilden Ist es meiner Sehnsucht nah Mit dem Flüstern seiner Palmen, Mit dem Gruß des Sabia. Laß, o Gott, erst dann mich sterben, Wenn mein Land ich wiedersah, Und die Heimat mich beglückte, Wie es hier noch nie geschah, Wie die Palmen es verkünden Und der Ruf des Sabia. [Illustration] Saõ Paulo, den 21. April 1882. Heute ist in unserm Hause etwas passiert, worüber sich Herr Costa und seine Frau sehr geärgert haben, was ich aber nicht umhin kann, doch wieder sehr komisch zu finden. Wir hatten hier nämlich einen Sklaven im Hause, einen kräftigen Burschen von etwa 25 Jahren, der in dieser Zeit, wo niemand neue Sklaven kauft und auch keine mehr heranwachsen, für seinen Herrn sehr wertvoll war. Dieser Gute war nun vorgestern zu irgendwelchen Besorgungen in die Stadt geschickt, erschien aber nicht wieder. Zuerst glaubte man, ihm sei ein Unglück geschehen, und ließ ihn suchen, aber nichts fand sich. Dann nahm man an, er sei entlaufen, und Herr Costa ließ es sofort in die Zeitung setzen. Gestern früh bekommt er plötzlich eine Zuschickung von der hiesigen „Gesellschaft für Abolierung der Sklaverei“, des Inhalts, der Sklave Tiberio habe sich im Büreau der Gesellschaft zum Loskauf gemeldet und 200 Milreis (ca. 400 M.) deponiert, die man ihm nun für denselben als Kaufpreis biete; man werde den Schwarzen bis zur Entscheidung da behalten. Herr Costa schimpfte und tobte wie ein Wilder im Hause herum, nannte sich selbst einen Esel, daß er den Sklaven nicht längst auf die Pflanzung geschickt habe, und stellte schließlich eine Gegenforderung von 2000 Mark. Heute Morgen war nun der Termin, wo ein Arzt und ein andrer Sachverständiger über den Wert dieser menschlichen Ware entscheiden sollte. War aber unser guter Herbergsvater gestern schon wütend gewesen, so kam er heute gradezu wie besessen zurück, fluchte und zeterte, daß die Wände bebten. Was hatte man nämlich gethan? In der Zwischenzeit von vorgestern bis heute war dem Tiberio +ein+ Purgativ über das andre eingegeben worden, bis der früher so kräftige Bursche auf dem Termin natürlich als eine elende knieschlotternde Kreatur erschien, die Arzt und Taxator selbstverständlich nicht höher als 200 Milreis einschätzen konnten. Wie findet Ihr dies? Ehrliche Arbeit ist es ja nicht, aber es ist auch wieder ein gut Teil Humor dabei. Es wird jetzt überhaupt sehr viel von der Sklaven-Emancipation gesprochen, die Sache scheint plötzlich in Schwung zu kommen. Der Staat wirft jedes Jahr einen Fond zum Loskauf im Budget aus, in den Provinzen bilden sich Emancipationsgesellschaften, und viele Sklaven werden frei durch Privat-Initiative. Gewiß ist diese Bewegung sehr schön, aber was wird dabei auch für Staub aufgewirbelt! Was für Schmutz kommt dabei zum Vorschein! Die deutsche Zeitung in Rio bringt hin und wieder interessante Streiflichter über diese Sachen. In der Provinz ~Espirito santo~ kaufte man aus den staatlichen Fonds vor einiger Zeit zwei Sklaven im Alter von 69 und 70 Jahren ihren Herren für je 1000 Mark ab. Wem zu Nutzen geschah das: den alten, verbrauchten Sklaven, die der Tod sowieso bald erlöst hätte, und die jetzt ihr Brot erbetteln müssen -- oder ihren Herren? Bei einem andern Sklavenhalter verheiratete sich eine 72jährige Sklavin mit einem 75jährigen Freien. Da aber die an Freie verheirateten Sklaven oder Sklavinnen beim Loskauf immer zuerst berücksichtigt werden sollen, so empfahl ihr Herr die 72jährige junge Frau dem Emancipationsfonds für 2000 Mark und -- bekam sie! In Tatuhy wurde ein Sklave, der sich im letzten Stadium der Schwindsucht befand, aus den Mitteln des staatlichen Emancipationsfonds für die Summe von 1 Conto 500 Milreis (3000 Mark) freigekauft. Aber diese und ähnliche Durchstechereien und Betrügereien sind nichts gegen die Entdeckung, daß +längst verstorbene Neger+ als durch den Emancipationsfonds freigekauft in den Listen figurierten und ihre früheren Herren natürlich die Loskaufssumme für sie einsteckten, worauf man sie nach einiger Zeit dann zum zweiten Male und endgültig sterben ließ!! Anderseits ist aber auch viel wirklicher Edelmut zu verzeichnen, und täglich kann man in den Zeitungen ganze Spalten angefüllt sehen mit den Namen solcher Besitzer, die ihre Sklaven freiwillig entließen. Man darf dies nicht zu gering anschlagen, und wenn ich jetzt im Geiste Euer „Nun, das ist aber so natürlich!“ höre, so sage ich mir freilich, daß ich in Europa ebenso gedacht haben würde, aber auch zugleich, daß man hier an Ort und Stelle anderer Meinung werden muß! Erstens sind die Sklaven ein, wenn auch nicht humaner, so doch ein ebenso rechtmäßig erworbener Besitz wie jeder andre, anderseits aber heißt „alle seine Sklaven plötzlich entlassen“ für die meisten Pflanzer nichts anderes als: „sich ruinieren“. Denn was Ersatzschaffen für 80-100 oder 200 gehorsame Sklaven heißt, ganz besonders aber in Brasilien, wo es keinen freien Arbeiterstand giebt, und auf entlegenen Pflanzungen heißt, davon kann man sich nur schwer einen Begriff machen, wenn man nicht einmal mit angesehen hat, was freie Arbeit heißt in einem Sklavenlande, und wenn man selbst in einem Lande lebt wie Deutschland, wo das Angebot der Arbeitskraft ihre Verwendbarkeit übersteigt. Ich kann es mir also sehr gut erklären und finde es durchaus gerechtfertigt, wenn auch sonst humane Pflanzer sich weigern, ihr bisheriges Vermögen, die Sklavenarbeit, ohne Kampf und vor allen Dingen ohne Aufschub und Frist herzugeben. Ich glaube nicht, daß irgend ein Europäer anders denken würde, und Du mußt deshalb nicht glauben, mein Gretel, daß sich Deine Ulla hier zur hartherzigen Sklaverei-Schwärmerin ausbildet. Im Gegenteil, sie ist weichherzig wie immer und hat neulich sogar -- ein +lyrisches Gedicht+ gemacht! Das ist doch gewiß tröstlich! Deine +Ulla+. Vor mir stehen ein paar herrliche Rosen, die mir Mr. Hall gestern gegeben hat; ich war ihm neulich zufällig wieder begegnet, und er hatte sie eben zufällig gekauft. [Illustration] Saõ Paulo, den 5. Mai 1882. +Mein Herzensgretele!+ In Deinem letzten Briefe „lächelst Du eine Bemerkung“ über den hochtrabenden Namen meiner kleinen Schülerin: +Lavinia!+ Ja, das ist aber nur der Anfang zu einer ganzen antiken Gallerie, die ich hier unter meiner pädagogischen Zuchtrute habe. Der älteste Junge heißt Cajus Gracchus, mein dritter Zögling Plinius; er sollte zuerst Tiberius heißen, erzählte mir Lavinia, doch wurde dieser Name als speziell „negerhaft“ dann wieder verworfen. Auf ihn folgen ein paar Römer+innen+: Clölia und Cornelia, die ich immer noch hoffe, einmal mit reinen Gesichtern zu erblicken, wenn man das überhaupt von echten und rechten, in der Wolle gefärbten Republikanerkindern verlangen darf. Die Namen seiner Kinder machen nämlich einen Teil des politischen Glaubensbekenntnisses von Herrn Costa aus. Bis zur Cornelia kann ich ihm ja auch folgen; -- was ihn jedoch veranlaßt haben kann, sein jüngstgebornes Knäblein Vercingetorix zu nennen, das ist mir ein undurchdringliches Rätsel! Sollte er die Gefühle des biedern alten Galliers für seine Lieblingsnation, die Römer, so gröblich mißkennen?! Daß er für die nötigen zwei feindlichen Parteien beim Soldatenspiel hätte sorgen wollen, ist nicht wahrscheinlich: brasilianische Kinder spielen nie Soldat, und außerdem würden da auch schon die Vettern Rat schaffen, die bereits, ebenfalls die landläufigen Joaõ, Luiz oder Carlos verschmähend, einen Themistokles und einen Perikles unter sich aufweisen. Friedfertiger lassen sich die großen und kleinen Kousinen an. Da rivalisiert keine Sappho oder Aspasia mit unsern Römerinnen, dafür verwirren sie aber einen armen Europäer-Verstand um so ausgiebiger durch eine überwältigende Einigkeit unter ihren Namen: Dona Maria, Dona Maria Salome, Dona Maria Magdalena, Dona Maria da Gloria, Dona Maria da Conceicaõ, Dona Maria da Cruz -- und so mit Grazie ~ad infinitum~. Und dann zu sehen, mit welcher Sicherheit die Brasilianer unter all diesen Marien herumunterscheiden, und sogar womöglich noch wissen: Dona Maria Magdalena, Tochter von Dona Maria das Dores etc.! In diesem Bevorzugen der Vornamen liegt aber eine gewisse Unzivilisiertheit, es erinnert so an Adam und Eva, die auch keine Familiennamen hatten. Und es wäre doch so viel leichter, alle jene Marien auseinander zu halten, wenn man ihren Familiennamen hinzufügte, anstatt des Vornamens der Mutter, denn die oben genannten sind +nur+ zwei- und dreiteilige Vornamen. Auch schokiert es mich immer von neuem, so eine alte Dame von dem jüngsten Jüngling etwa mit „Dona Gabriella“ oder einen alten weißhaarigen Großvater mit „Senhor Carlos“ anreden zu hören. Da lobe ich mir doch unsre Titel! Wenn es heißt „Frau Geheimerätin“, „Frau Oberamtmann“, „Frau Superintendent“, da weiß man doch wenigstens, daß nicht von der 17jährigen Tochter die Rede ist, wärend man hier nie weiß, wie hoch oder wie niedrig auf der Staffel der Jahre man so eine „Dona“ einzuschätzen hat. Wolltest Du jedoch eine Dame z. B. „Senhora Maria“ anreden, so würdest Du sie sehr beleidigen, denn „Senhora“ ist in der guten Gesellschaft nur ohne Namensanschluß zulässig und wird mit Namen für die untere Klasse der Freien, freie Mulattinen etc. gebraucht. Wir deutschen Erzieherinnen und wohl auch andre Ausländerinnen werden in den Geschäften etc. gewöhnlich mit der Anrede „Madamma“ beglückt, ein schon für’s Ohr abscheulich häßliches Wort, das aber noch unleidlicher erscheint, da man sich sagen muß, daß der brasilianische Hochmut es eigens erfunden hat, um die ~estrangeiras~ (bitte, sprich das immer mit der gehörigen Verachtung aus) von den +~Brazileiras~+ zu unterscheiden. Die Dame des Hauses heißt in jeder Familie für die Bedienung +Sinha+[5], der Herr +Sinho+, die älteste Tochter stets ~Sinhasinha~, der älteste Sohn ~Nhonho~; letztere beiden Bezeichnungen werden auch unter den Geschwistern gebräuchlich. Für die übrigen Kinder kommen dann noch hinzu: Nhonhosinho, Nhanha, Senhara, Nunu, häufig auch Bébé und ähnliche Benennungen, eine immer häßlicher als die andere. Man denke sich eine Geschwisterreihe wie folgt: Sinhasinha, Nhonho, Nhanha, Senhara, Nunu, Nhonhosinho, Bébé -- für unsre Ohren doch das Erreichbare an Geschmacklosigkeit, in Brasilien aber faktisch in jeder Familie vertreten. Mädchen, die Maricota heißen, werden mit Vorliebe in „Cocotte“ abgekürzt! Zahlreiche Leute gehen hier unter sogenannten ~appelidos~, Beinamen oder Rufnamen. Diese Sitte wird ja auch wohl in Oberbayern und Tyrol gefunden, doch sind dort die Rufnamen doch immer wirkliche Namen, wärend sie hier oft ein ganz unerklärlicher Blödsinn sind. Auf Saõ Francisco war als Erdarbeiter ein Portugiese beschäftigt, der nie anders als „Johann mit dem Hut“ genannt wurde; selbst Dr. Rameiro sprach so von ihm mit dem gleichmütigsten Gesicht, und ich bin überzeugt, er stand auch so im Lohnbuch. Und als der Doktor einmal nach einer kleinen Nachbarstadt ritt und nach dem Hause eines Senhor Carlos de Oliveira fragte, konnte ihm kein Mensch dasselbe zeigen, wogegen er, sich glücklich dessen dummen Appelidos „Nhonho Padre“ (kleiner Herr und Pater) erinnernd, sofort Auskunft erhielt. Anderseits erscheint es wieder, als könne dem Brasilianer sein Name nicht prunkend genug sein, und er stellt ihn sich so mannichfaltig zusammen, wie er nur irgend kann. Weißt Du noch, wie wir in der Pension die kleine Brasilianerin oder eigentlich ihren herrlich-prunkenden Namen unterthänigst verehrten? Julieta Olympia Leite da Costa Pinto! Was war dagegen Anna Schulze, oder wie empfand man bei dem Bewußtsein, daß es Leute gäbe, die Meier heißen! Aber, aber -- die Illusionen weichen! Stelle Dir vor, daß Leite Milch heißt, Costa die Küste und Pinto das Kücken, und Du wirst Dich, wie ich es gethan, mit Schulze, Müller und vielleicht gar mit Meier aussöhnen. Und grade einen dieser Namen Costa, Pinto, Leite führen hier wohl 50% aller Einwohner in irgend einer Verbindung. Chaves bedeutet Schlüssel, Machado Axt, und nun gar Leitaõ lautet im erbarmungslosen Deutsch: Ferkel! Ja, der Marquis de la Marlinière hat Recht: „die deutsche Sprak ist ein arm Sprak, ein plump Sprak --“! Durch all unsre leidigen Consonanten verlaufen die meisten unsrer Namen auch so armselig und „klanglos“ im Sande! Wie viel besser endet sich’s doch da auf ein a oder o oder gar auf oa! Ja, wenn es bei uns im guten Deutschland auch so leicht wäre wie hier, sich einen schönen Namen zu verschaffen, ich glaube, da würden die sogenannten „Sammelnamen“ bald aussterben, und wie würde das Geschlecht der Cohne aufatmen! Gefällt +hier+ jemandem sein Name nicht oder giebt er zu Verwechselungen Anlaß, so legt er sich einfach einen andern bei, läßt das in die Zeitung setzen und damit basta. Frl. Meyer ist hier in einer Familie, wo der Hausherr und seine beiden rechten Brüder total verschiedene Namen haben. Sie nehmen da übrigens das Gute, wo sie es finden. Es giebt im Lande Leute, die sich Montmorency, Medina-Coeli etc. nennen, und zahlreich sind die Pedro de Alcantara, wie Du weißt, der Hausname des Kaisers. Seit dem letzten Jahrzehnt haben auch einige deutsche Namen Gnade vor brasilianischen Augen gefunden. Einer Veröffentlichung zufolge wollte sich ein Namens-Unzufriedener fortan noch Habsburgio zubenennen, was mich ja an und für sich ziemlich kalt lassen würde, wenn nur nicht plötzlich ein deutscher Forscher Wind bekommt von der Existenz dieses Namens in Brasilien und uns, in enthusiastischer Entdeckungsfreude, noch eine ausgewanderte Linie der Habsburger mit allerlei verwickelten Daten und Zahlen in die Geschichtstabellen hineinforscht. Na, ich bewahre den Zeitungsausschnitt auf, bis Du das Examen wenigstens glücklich hinter Dir hast. Neulich habe ich übrigens ob dieses Namens-Unfugs meinen gehörigen kleinen Zorn gehabt, als nämlich ein wenig reputierliches Individuum, das wegen Ruhestörung sistiert wurde, seinen Namen als Joaõ Leaõ +Bismarckio+ angab[6]. Wenn der Kaiser sich alle die Pseudo-Pedro de Alcantara in seinem Lande gefallen lassen will, und der Sklavenbaron es duldet, daß seine freigewordenen Sklaven sich +seinen+ Familiennamen beilegen, so sagen wir: „~De gustibus non est disputandum~“ -- allein, ich denke, wir Deutschen halten unsre großen Namen heiliger, und man müßte sich dergleichen auch im fremden Lande verbitten. Jetzt bin ich aber so in den Ärger hineingeraten, daß ich mich auf dem Wege des Übergangs nicht wieder herausfinde; Du bist darum wohl nicht böse, liebe Grete, wenn ich einen Sprung mache; es ist ja das ohnehin modern, unsre Schriftsteller machen ja oft wahre ~salto mortales~, wenn die Handlung nicht so recht schreiten will. Ich finde das bequem, also..... denke Dir, daß mich neulich ein junger Brasilianer zum Tanz aufforderte mit den Worten: „Haben Euer Excellenz schon einen Partner?“ Auf der einen Seite neben mir saß sein jüngerer Bruder, an dem andern Stuhl lehnte ein Cello -- blieb nur ich für die „Excellenz“ -- Der Mensch sah zu einfältig aus, um mich aufziehen zu wollen, also die Excellenz tanzte. Die Sache amüsierte mich aber so, daß ich sie bei erster Gelegenheit lachend an Lavinia’s Mutter erzählte -- da kam ich aber schön an! Das erfordre die einfachste Höflichkeit, hieß es (bitte, versuche nicht, Dir eine Vorstellung von der komplizierten danach zu machen, es könnte Dir zu Kopf steigen), und „~Vossa Excellencia~“ klinge doch entschieden schöner als das simple „~A Senhora~“ -- -- Dagegen ließ sich absolut nichts einwenden, und „schluckuhrig“ zog ich mit dieser Belehrung von dannen. Das Titelwesen hier ist das reine Studium und meiner Ansicht nach viel komplizierter als bei uns. Über die Titulatur der Damen habe ich Dir schon gesprochen. Die Herren heißen alle Senhor; der „Don“ kommt im Portugiesischen, wo es Dom geschrieben wird, nur den Prinzen zu. Aber mit „Senhor“ kannst Du freigiebig sein, das ist jeder, der nicht Sklave ist, auch der barfüßige Erdarbeiter, doch haben sie in solchem Falle eine pfiffige Art, das Wort ganz kurz, etwa wie „Sior“ auszusprechen, so daß der Mann den Abstand begreift. Auch im Satz heißt die Anrede meistens Senhor und Senhora: „Würde mir der Senhor dies Buch leihen?“ „Wünscht die Senhora ein Glas Wasser?“ ~Vossé~ ist unserm Du gleich, man redet die Sklaven so an und die Kinder, wogegen diese Vater und Mutter Senhor und Senhora und nur selten Papa und Mama titulieren. So ziemlich zwischen ~vossé~ und Senhor resp. Senhora steht ~Vosse mercé~, was Du im Ollendorf mit „Euer Gnaden“ übersetzt findest; es bedeutet aber thatsächlich bei weitem nicht so viel, kommt vielmehr unserm einfachen „Sie“ am nächsten und ist im Ganzen sehr wenig gebräuchlich. Etwas unterwürfiger wiederum als das einfache Senhor ist ~Vossa Senhoria~, und da erzählte mir neulich unser sehr verdienter Landsmann Gruber hier, der durch sein Wirken und seine Verbindungen auch einigen politischen Einfluß hat, eine nette kleine Steigerungsgeschichte. Er hatte mit einem ganz einfachen Brasilianer vom Lande (man nennt die Leute ~Caïpira~) wegen einer Wahl verhandelt und ihn dabei einfach ~vossé~ angeredet. Als aber der Mann seinerseits ihn ~vosse mercé~ titulierte, hatte Gruber ihm an Höflichkeit nicht nachstehen wollen und folglich dieselbe Anrede aufgenommen. Da sprang aber unser guter ~Caïpira~ zu Senhor und dann zu ~Vossa Senhoria~ über, wohin ihm Herr Gruber auch noch folgte. Als jener aber dann sofort eine Stufe höher rutschte und sich zu ~Vossa Excellencia~ verstieg, sagte unser Landsmann lachend: „Na, mein Bester, nun wollen wir man stoppen, wir können uns doch schließlich nicht einander ~Vossa Majestade~ anreden!“ Schicke doch den nächsten Titelhasser, der Dir begegnet, einmal herüber, Grete -- hier würde er alle unsre einheimischen Titel segnen lernen, die so oft die Zielscheibe des Spottes fremder Nationen sind. Das Wunderbarste ist die Adels-Aristokratie dieses Landes, es giebt darunter Leute, die als barfüßige Erdarbeiter s. Z. aus Portugal eingewandert sind, aber die Barone, Marquis und Vicondes aus Dom Pedros Adelsfabrik bringen dem Staate ein hübsches Sümmchen ein. Schade nur, daß so ein teuer erstandener Marquis oder der bar bestrittene Vicomte mit dem glücklichen Käufer begraben wird! Dom Pedro traut seinem heißblütigen Völkchen nicht; der Vater ein Baron und der Sohn vielleicht ein Bummler -- da wird nichts dergleichen vererbt. Was aber solch eine Aristokratie dem Lande nur soll! Sehr selten und nur aus besonderer Gunst, und wenn der Kaiser den Betreffenden wirklich ehren möchte, wird das „von“ oder der Titel einfach zu dem Namen des Belehnten gesetzt, sonst wird er fast immer mit einem Ortsnamen verbunden. Die meisten dieser Ortsnamen sind der alten einheimischen Guarany-Sprache entnommen, der noch unzählige Orte hier in Brasilien ihre Benennung verdanken. So giebt es z. B. einen Marquis de Itanhaem d. h. „vom steinernen Mörser“; einen Visconde de Suassuna d. h. „vom schwarzen Reh“; einen Visconde de Uruguay d. h. „vom Hahnenschwanzflusse“; einen Visconde de Muritiba d. h. „von dem Orte, wo es Fliegen giebt“; einen Baron de Cambathy d. h. vom „schwarzen Affen“; einen Visconde de Iroumitatá d. h. von „bringe mir Feuer“ etc. Manche Namen sind natürlich auch portugiesisch, und da übt der Kaiser denn manchmal seinen Spott daran aus. Ein Baron „Groß-Mogul“, den er creïrt hat, ist noch lange nicht das Schlimmste, es soll sogar Bewerber genug gegeben haben, die der erfinderische Spott des kaiserlichen Titelfabrikanten abgeschreckt hat. Und dennoch, liebe Grete -- mit den Wölfen muß man heulen: Wenn Du mir wieder schreibst, so bitte adressiere den Brief: ~Illustrissima Excellentissima Senhora Dona Ulla von Eck.~ Das ist das mindeste, was dazu gehört, sonst halten sie mich hier für gar zu simpel. Womit ich verbleibe D. O. [5] nh ist überall wie nj zu sprechen, entspricht also dem französischen ~gn~. [6] Deutsche Allgemeine Ztg. für Brasilien vom 30. Juni 1883 [Illustration] Saõ Paulo, den 29. Mai 1882. +Meine liebe gute Grete!+ Meine antiken Zöglinge sind wirklich sehr ungezogen, und ich habe alle möglichen pädagogischen Finessen nötig, um mit ihnen fertig zu werden. Besonders kann ich die beiden Jungen nie allein unten im Schulzimmer arbeiten lassen, wenn Lavinia oben Klavierstunde hat. Es kommt mir immer vor wie die Geschichte mit dem Wolf, der Ziege und den Kohlköpfen, die ein Schiffer einzeln über den Fluß zu setzen hatte und von denen er doch niemals Ziege und Kohl oder Wolf und Ziege unbeaufsichtigt zusammen zurücklassen konnte. Neulich hatte Cajus Gracchus -- sein Vater nennt ihn immer pomphaft „~Gracho~“ -- als der Stärkere, wenn auch weniger Begabte von beiden, seinen Bruder einfach zu dem niedrigen Parterre-Fenster hinausgesteckt, und dieser stand nun zeternd davor und warf Sand und Steine hinein -- Du kannst Dir den Zustand meines Zimmers nachher vorstellen! Die Eltern kümmern sich absolut nicht um das, was die Kinder thun, vielleicht gehört das zu Herrn Costas republikanischem „System“. Die drei ältesten sind ganz meiner geistigen Fürsorge anvertraut, und die jüngeren Römer werden von den Negerinnen so gut oder so schlecht versorgt, wie es diesen paßt. Neulich sah ich den kleinen zweijährigen Mucius vollständig nackt im Garten umher laufen, nachdem er eben gebadet war, und die Grachenmutter, sowie die tapfere Schwimmerin Clölia erblicke ich nur selten anders als in den ersten Toilettenstadien. So sehr überhaupt bei „Gelegenheiten“ und auf der Straße die Brasilianerinnen das sind, was der Engländer ~dressy~ nennt, so primitiv ist ihre Haustoilette. Auch die vornehmste und reichste Brasilianerin geht im Hause vom Morgen bis zum Abend in einem einfachsten, völlig besatzlosen Kattunrocke und weiter Jacke, sowie mit herabhängenden Zöpfen. In der heißen Zeit ist das ja allerdings ganz angenehm und erquicklich, allein in den kühleren Monaten ist es absolut nichts als Faulheit, denn da ist ein fester Anzug sehr gut zu vertragen, ja wünschenswert. Aber die Wollkleider hängen im Schrank, oder sie haben überhaupt keine: im Hause wird Kattun getragen, auf der Straße trägt man feinere Waschstoffe und vielfach Seide; sie finden die wollnen Kleider auch unreinlich, weil sie nicht alle acht Tage gewaschen werden können! Weißt Du, Grete, diese Brasilianer haben eine wunderbare Art von Reinlichkeit und Ordnung an sich. Sie baden oft, die meisten jeden Tag, und doch sind viele Kinder und Erwachsene nie so recht „zweifelsohne“ um Ohren und Hals herum; sie wechseln sehr oft Wäsche und Kleidung, aber wie oft ist beides zerrissen und unordentlich! Es besteht hier über diesen Punkt zwischen Einheimischen und Fremden eine kleine Gereiztheit. Viele Gewohnheiten der Brasilianer erregen wohl mit Recht den Widerwillen der letzteren, wenn’s auch nicht ganz so schlimm ist, wie Herr Zöllner macht. Dafür rächen sich dann die Brasilianer mit der Anekdote von jenem Deutschen, der, als sein Wirt ihm am zweiten Tage seines hübenschen Aufenthaltes, wie am ersten ein Bad angeboten, ganz empört geantwortet habe: „nein, so ein Ferkel sei er nicht, daß er jeden Tag zu baden brauche“, auf welche Anekdote dann natürlich wieder mit deutschen und englischen, z. T. weit derberen Geschichten gedient wird. Nun, derlei Streitereien sind unfruchtbar und werden vor allen Dingen nichts ändern an eingeborenen und durch das Klima begünstigten Eigenschaften. Ich persönlich leide unter diesen Landeseigentümlichkeiten besonders nach der Seite der Fußbekleidung hin. Hier im Hause wird außer meinen kein Stiefel gewichst, und Du machst Dir keinen Begriff von den Manipulationen, Listen und Mühen, die nötig waren, um den Haushalt mit einer Wichs-Einrichtung, und eine Negerin mit der Fähigkeit auszustatten, dieselbe angemessen zu benutzen; letzteres ist auch bis heute noch sehr unvollkommen geglückt. Herr Costa läßt seine Stiefel mit Lack einschmieren, was ja sehr bequem ist und den Negern daher weit besser gefällt als das Wichsen, Madame trägt im Hause Pantoffeln, auf der Straße feine Halbstiefelchen oder Bronzeschuhe; ordentliche, feste Chauffüre brauchen die hiesigen Damen nicht, da sie bei schlechtem Wetter einfach nicht ausgehen. Die Kinder laufen mit ungepflegtem Schuhzeug einher, bis es ihnen sozusagen in Fetzen von den Füßen fällt, was z. B. bei Plinio alle 14 Tage der Fall ist. Schuhwerk ausbessern zu lassen, ist den Brasilianern fremd; es wird eben so lange getragen, bis es schlecht wird; dann wird es weggeworfen und durch neues ersetzt. Es giebt hier auch gar keinen ordentlichen Schuhmacher, sondern nur Läden mit fertiger, meist aus Frankreich bezogener Ware, so daß es für uns Ausländer sehr schwierig ist, etwas ausgebessert zu bekommen, es sei denn, daß man die Sache den umherziehenden italienischen Flickern anvertraue, die vor der Hausthür die Stiefel flicken wie die Kesselflicker bei uns die Töpfe. Ein tüchtiger Handwerkerstand fehlt hier überhaupt noch fast ganz, und vor allem wird man selten einen +brasilianischen+ Handwerker finden; die wenigen, die vorhanden sind, sind meist Deutsche, Portugiesen und Italiener. Dieser Mangel verteuert hier das Leben sehr, insofern als man zwar die fertigen Sachen kaufen kann, aber nicht die Möglichkeit hat, sie sich durch gelegentliches Ausbessern oder Aufarbeiten zu erhalten. Ich meine, für fleißige Handwerker wäre hier ein weit dankbareres Feld als für den einwandernden Landmann, der Klima, Bodenverhältnisse, Absatzwege etc. nicht kennt, der augenblicklich durch die Sklaven-Emancipation die ungünstigsten Verhältnisse vorfindet, und dessen Auskommen schon durch die bereits vorhandene Überproduktion des einen großen Export-Artikels, des Kaffees, erschwert wird. Was der +Handwerker+ arbeitet, hat aber stets seinen Markt, und fleißige, tüchtige Leute bringen es nach dieser Richtung hin hier immer zu etwas. Nur einmal habe ich in diesen Tagen Gelegenheit gehabt, den Mangel an tüchtigen „erhaltenden“ Kräften zu preisen. Cajus und Plinius besaßen nämlich jeder ein Velociped, ersterer sogar ein ganz modernes Bicycle, das Herr Costa ihm aus England hatte kommen lassen. Auf diesen unseligen Vehikeln brachten nun die Römerjünglinge außer den Schulstunden ihr Dasein zu und entwickelten eine derartige Anhänglichkeit an dieselben, daß sie sogar „vom hoh’n Velociped herab“ zu Mittag speisten. Da die Eltern gleichmütig dabei saßen, mochte ich nicht wehren, aber meine Mahlzeiten wurden durch Plinio’s bedrohliche dreirädrige Nachbarschaft entschieden in ihrer Gemütlichkeit nicht gehoben; zumal waren die Momente beunruhigend, wenn er von kleinen zerstreulichen Rundfahrten um den Tisch, die er in seinen Essenpausen unternahm, auf seinen Platz zurückkehrte. Nachdem er denn auch richtig einmal derartig in meinen Stuhl gefahren war, daß er mich fast mit dem Gesicht in meinen Teller schickte, bekam er zwar eine Rüge, aber das aufregende Vehikel blieb zu Rechtens bestehen. Jetzt ist aber das abscheuliche Ding glücklich zerbrochen, und wärend ich hier unten in meinem Zimmer schreibe, rollt doch wenigstens nur das große Zweirad über meinem Kopfe herum, auf dem der Grache sich im Eßzimmer Bewegung macht, da es draußen regnet. Es ist eine ordentliche Erlösung! Ich erzählte es neulich Mr. Hall, und er sagte, sie hätten zwar unter ihren Arbeitern einen, der es würde ausbessern können, doch wolle er ihn zu Gunsten meiner Nerven „unterschlagen“, wenn er danach gefragt würde. Das ist doch nett von ihm, nicht wahr, Gretele? Er heißt George mit Vornamen; er gab mir neulich einen Brief von seiner Schwester an ihn zu lesen, da habe ich es gesehen. Aber nun schnell zum Schluß, denn da kommt Frl. Harras; sie kommt jeden Montag zu mir, und Donnerstags gehen wir zusammen zu Fräulein Meyer... da ist sie schon. Sie läßt „die Grete“ grüßen, von der ihr schon so viel erzählt hat Deine +Ulla+. [Illustration] Saõ Paulo, den 20. Juni 1882. +Mein Herzensgretele!+ Ich schreibe in einer Atmosphäre von Pulverdampf! Wirf nur einen Blick auf das Datum oben, und Du wirst vielleicht von selbst darauf kommen, warum. Es ist nämlich gestern wieder der Tag des Täufers gewesen, (schon ein Jahr, seitdem ich Dir damals von Saõ Francisco aus schrieb!) und hier in der Stadt merkt man erst so recht, was das in Brasilien sagen will! Schon seit einigen Tagen spukte der Heilige vor; jeden Abend wurde gefeuerwerkelt, und selbst dem hellen Sonnenlichte prasselte man lustig seine Raketen entgegen. An dem pomphaften Knall des Feuerwerks und seinem momentanen Scheinen und Blenden scheint der Brasilianer noch mehr Gefallen zu finden, als an seinem wässrigen Faschingssport, wenigstens schmuggelt er die Sitte, Feuersport zu machen, eigentlich durch das ganze Jahr hindurch, während er die Wasserfreuden doch auf die Karnevalszeit beschränkt. In Rio de Janeiro ist es uns an schönen Abenden öfters begegnet, daß wir aus dem Garten in das Haus flüchten mußten, weil in der Nähe gesportet wurde und es dem brasilianischen Feuerwerkler ganz gleichgültig ist, wohin er seine Rakete richtet, oder wem seine Leuchtkugeln um den Kopf fliegen, wenn’s nur gut aufsprüht und gehörig knattert und knistert. Auf dem Verkaufsstand jeder Negerin in den Städten kannst Du das ganze Jahr hindurch einfacheres Feuerwerk zum Verkauf ausliegen sehen, und jeder Muleque (Mulattenjunge mit der Bedeutung unseres „Straßenjungen“) der ein paar ~reis~ sein eigen nennt, kauft neben den beliebten Süßigkeiten und Papier-Cigaretten gewiß sein Feuerwerkstengelchen oder seinen ~cracker~, um an dem Gespritze und Geknattere sein Herz zu erfreuen. Die letzte und vorletzte Nacht habe ich kein Auge geschlossen: in allen Straßen, auf allen Höfen, in sämtlichen Gärten unsrer Umgebung knisterte, knatterte, puffte, knallte und zischte es in einer solchen Profusion und mit einer solchen Ausdauer, daß ich glaube, jetzt eine ungefähre Vorstellung davon zu haben, wie sich’s anhören muß, wenn man in einem heftigen Kleingewehrfeuer steht. Die ganze Stadt riecht nach Pulver, und mein Schlafzimmer, das wieder so ein Alcoven ohne direkte Lüftung ist, ist derartig solide eingeräuchert, daß ich wohl noch mehrere Nächte nicht in die Gefahr kommen werde, den heiligen Johannes zu vergessen. Gestern war es geradezu gefährlich, die Straßen zu passieren. Am frühen Morgen begann der Sport, bei dem natürlich die Studenten die schlimmsten waren. Ein ganz besonderes Vergnügen fand man daran, anscheinend harmlos einherzuschreiten und dann plötzlich dem Begegnenden, zumal aber dem leicht erkannten Fremden, ein halbes Dutzend Knallerbsen auf einmal vor die Füße zu prasseln oder ihm eines der bekannten kleinen Handstengelchen von Sternfeuerwerk unter die Nase zu halten. Früher waren die Krone des ganzen Feuersports sogenannte Schlangen gewesen, die brennend auf der Erde umherkreisten, und die man demgemäß ein ebenso kindisches wie frevelhaftes Vergnügen gefunden hatte, weiblichen Personen gegen Füße und Kleider zu jagen. Der Spaß dauerte so lange, bis einmal ein allzu geschickter Musensohn das leichte Kattunkleid einer Mulattin in Feuer setzte, und diese selbst erhebliche Brandwunden davontrug. Da fand man es denn freilich an der Zeit, diesen Brunnen zuzudecken -- ein wenig spät, sintemalen das Kind darin lag, doch muß man hier in Brasilien, scheint’s, in derlei Dingen für alles dankbar sein. Du kannst Dir denken, Gretele, daß die Antiken völlig außer Rand und Band waren; mich wundert nur, daß sie uns nicht das Haus über’m Kopf angezündet haben! Daß der Gracche sich das Haar versengt und Plinius sich einen Finger gehörig angeschmort hat, gehört so sehr zu den Selbstverständlichkeiten, daß ich es kaum zu erwähnen brauchte; selbst Lavinia artete ein wenig aus und hat ein Kleid völlig mit Brandwunden bedeckt. Der gestrige Abend war der Feuerwerksabend ~par excellence~, und Herr Costa forderte mich noch besonders feierlich auf, nach dem Abendbrot oben zu bleiben, sie wollten „ein wenig Feuerwerk machen“. Natürlich -- es war ja auch bis dahin noch zu wenig darin geschehen! Erstaunlicherweise hatte sich die Polizei zu einer Verordnung aufgerafft, daß an diesem Abend kein Feuerwerk in den Straßen oder zu den Straßenfenstern hinaus abgebrannt werden dürfe, und was noch mehr war, dem Verbote wurde nachgekommen! Ich glaubte daher in meiner europäischen Einfalt, Herr Costa würde in dem Gärtchen, das hinter dem Hause liegt und vom Eßzimmer zu übersehen ist, durch die Neger ein hübsch geordnetes Feuerwerk aufführen lassen: mit bengalischem Licht, kerzengraden Raketen, sanftglänzenden Leuchtkugeln und stralenden Feuerrädern, wie wir uns daheim ein solches Schauspiel ungefähr vorstellen würden. Bestärkt wurde ich in diesem Glauben durch die Anwesenheit von 10-12 Gästen, und so trat ich denn erwartungsvoll an eines der in die Höhe geschobenen Fenster heran. Aber Grete, ich habe Pech mit den brasilianischen Lieblingssports, denn.... ßßßscht! -- begrüßte es mich, und entsetzt prallte ich zurück vor den letzten Sprühfunken einer mißleiteten Rakete, mit der ein geschickter Verherrlicher des umknallten und umzischten Heiligen die Richtung nach oben zu Gunsten unsrer Fenster verfehlt hatte. Mehrere Damen und Kinder, die mit mir zugleich herangetreten waren, sprangen lachend und kreischend zurück, ja, die ganze Sache erregte eigentlich geradezu einen entzückten Jubel bei ihnen, so daß ich ganz verblüfft in meine eigne innere Empörung blickte. Ist diese Gutmütigkeit richtig, sind wir etwa daheim gar zu „discipliniert“?! Nun begann aber unser Vergnügen auch, und zwar bestand es zu meiner größten Enttäuschung darin, daß -- wir selbst uns Feuerwerk vormachen sollten; die Brasilianer allerdings amüsiert das weit mehr als ein ruhiges Zusehen, und die Jungen zappelten schon vor Ungeduld. Herr Costa hatte eine Unmasse von Feuerwerk eigens für diesen Abend aus Rio kommen lassen, das er nun auf das Freigiebigste verteilte. Lange Rohre mit Sprühregen und englische ~crackers~ spielten dabei die Hauptrolle; jeder bekam, so viel er wollte. Die vier Fenster des Raumes waren dicht umdrängt, und aus jedem derselben ragten drei bis vier solcher Sprühstöcke hervor, gehalten von braunen beringten Damenhänden oder den ungeduldigen Fingern der kleinen wilden Rangen, die gewöhnlich die noch unausgebrannten Rohre in den Hof hinunterwarfen, nur um schleunigst ein neues oder etwas anderes ergreifen zu können. Nach und nach füllte sich trotz der offenen Fenster das Zimmer mit dem abscheulichsten Pulverdampf, den die Sprühstöcke wahrscheinlich nicht bescheidentlich entwickelten, und den der Abendwind zu uns hereintrieb. Die Scene hatte für den kaltblütigen Zuschauer etwas unendlich Komisches: diese buntgekleideten, goldbehangenen Schönen mit den qualmenden Stöcken in der Hand, die mit abgewandtem Gesicht und zugekniffenen Augen den -- Rauch ihres Feuerwerks genossen, die lärmenden, aufgeregten Jungen, die mit heißen Köpfen wie toll im Zimmer umhersprangen und einen ~cracker~ nach dem andern zu den Fenstern hinauswarfen, dem kein Mensch nachsah, so daß nur das Zerplatzen auf dem Steinpflaster des Hofes von seiner Ankunft meldete, dazu der unerschütterliche Ernst, mit dem der Hausherr sein Feuerwerk verteilte, und das Ganze eingehüllt in eine dicke Atmosphäre von Pulverdampf -- ich gestand mir, daß ich ein derartiges „Vergnügen“ noch nicht mitgemacht hatte. Nach einer Stunde war für sechzig Francs Stoff verpufft, die ganze obere Etage des Hause für die Nacht und den nächsten Tag verpestet und zwei fremde sowie ein antiker Finger verbrannt, allein -- die Hinterthür des Hauses, die Waschleinen auf dem Hof und der windschiefe Gartenzaun, hoffen wir’s, hatten sich amüsiert! Plinio möchte seine verbrannte linke Hand zum Vorwand machen, um mit der rechten nicht zu schreiben, und war höchlich aufgebracht, als mir das nicht ebenso sehr wie ihm einleuchtete. Ach ja, Grete, schlimm sind die Antiken, aber ich will Geduld haben; Mr. Hall meint auch, ich solle nur auszuhalten versuchen. Aber was Bormann betrifft -- Du siehst selbst, Grete, daß er auf brasilianische Kinder mit republikanischer Erziehung nicht vorbereitet gewesen ist! Na, Kopf oben, er ist ja oben gewachsen! Deine alte +Ulla+. [Illustration] Saõ Paulo, den 28. Juni 1882. Denke Dir, Grete, was für ein Schlag aus heiterm Himmel mich getroffen hat! Ich muß fort aus Saõ Paulo! Das ist des Schicksals Rache für meine Flucht aus dem Collegio! Nun werde ich wieder auf eine Pflanzung wandern müssen und wieder allein sein und zwischen Schlangen und Negern hausen! Aber höre. Ich schrieb Dir schon in meinem letzten Briefe, den Du wahrscheinlich mit diesem zusammen erhalten wirst, daß die Römlinge ganz aus Rand und Band gewesen seien in diesen Tagen des Feuersports; wie weit das aber gegangen war, wußten wir selbst nicht. Sie müssen unbedingt „Max und Moritz“ studiert haben, sie haben so viel in’s Brasilianische übertragene Ähnlichkeit mit diesen Klassikern der dummen Streiche! Was, denkst Du wohl, war ihr Hauptstreich am Sanct Johannestage? Sie waren nach der Hauptstraße gelaufen und hatten den Pferden der Trambahn Feuerwerk vor die Füße geworfen und Knallerbsen auf die Schienen gelegt und sich dabei natürlich wie die jungen Teufel amüsiert, bis sie schließlich ein Pferd zum Stürzen gebracht hatten, das denn auch richtig ein Bein gebrochen. Gestern wurden sie nun von dem Direktor der Trambahn bei ihrem Vater verklagt, dieser muß das Pferd bezahlen und hat den Ärger gratis. Dieses vergnügliche Intermezzo hat den Republikaner und Römervater aber doch so in Harnisch gebracht, daß er seine Jungen sofort zu den Mönchen zur Erziehung schicken will; Lavinia, für die allein eine Erzieherin zu halten ihm nicht lohnt, soll in ein Collegio. Arme Lavinia! Aber auch arme Ulla, die nun wieder wandern muß! Es gefiel mir hier sonst so gut in Saõ Paulo! Da kann ich wirklich mit dem Trompeter seufzen: „All Jahr’ wächst eine andre Pflanz’ Im Garten als vorher -- Das Leben wär’ ein Narrentanz, Wenn’s nicht so ernsthaft wär’!“ Ach Grete, ich bin mit einem Male schrecklich mutlos geworden; ich möchte immerfort weinen. Ich habe auch nichts wie Unglück! Mr. Hall, dem ich es heute Abend erzählt -- ich ging zu Fräulein Meyer, weißt Du, und er begegnete mir zufällig -- meinte auch ganz betroffen: „~It’s too bad, yes, this is too bad!~“ Fräulein Meyer glaubt eine Stelle für mich zu wissen bei den Cousinen ihrer eignen Zöglinge, aber das ist wieder auf dem Lande, und so muß ich fort aus Saõ Paulo, das ich doch so sehr liebe! Ach Grete, ich sage Dir, ich liebe Saõ Paulo schwärmerisch, ich werde unglücklich sein, wenn ich fort bin, ganz elend! Das Leben ist doch recht schwer, Grete! Deine sehr betrübte +Ulla+. [Illustration] Saõ Paulo, den 1. Juli 1882. Ja, Gretel -- „sie muß auf’s Land“. Aber es ist glücklicherweise nicht weit; nur zwei Stunden mit der Bahn von hier bis zur Station, zu der die Pflanzung gehört. Das tröstet mich schon einigermaßen, da ist man doch nicht ganz aus der Welt. Die Kinder, drei Mädchen, sollen auch sehr gut geartet sein, und die Mutter, Dona Maria Louisa, ist als liebenswürdig bekannt und hat eine große Vorliebe für alles Deutsche; sie selber hat bereits deutsche Erzieherinnen gehabt, und den einzigen Sohn lassen sie auch in Deutschland erziehen. Nur sagte man mir, daß ich es äußerst primitiv auf der Pflanzung finden würde, die noch ganz nach altem Landesstyl eingerichtet sein soll. Halb graut mir vor diesem „Styl“, halb bin ich aber auch neugierig darauf, das echte, brasilianische Landleben kennen zu lernen, von dem viele Hunderte, die Brasilien besuchen, nie einen Begriff bekommen. In dieser Weise sind wir Erzieherinnen im Vorteil gegen die Kaufleute und andere Europäer, von denen die wenigsten je die Küstenplätze verlassen, sondern die meisten nach zehn und zwanzig Jahren nach Europa zurückkehren, ohne das Land oder das Leben der Brasilianer im geringsten zu kennen, während wir, die wir direkt in den Familien leben, auf diese Weise ja alle Chikanen mitmachen müssen. Nun also, auf denn nach Saõ Sebastiaõ. ~Variatio delectat!~ Ich schreibe bald, wie dieser neue Heilige sich anläßt. Deine getreue +Ulla+, „fahrende“ Lehrerin. [Illustration] Saõ Sebastiaõ, den 11. Juli 1882. +Meine liebe Grete!+ Das ist wahr, Sanct Franziscus war entschieden der elegantere Heilige, wir sind hier sehr ursprünglich -- und dennoch vertrage ich mich besser mit dem heiligen Sebastian! Die Familie hier ist die liebenswürdigste, die ich bisher unter den Einheimischen kennen gelernt, sie sind auch in jeder Weise verständiger, ich möchte sagen europäischer (trotz der Urzustände auf der Pflanzung) und nicht so schwerfällig und faul wie die meisten ihrer Landsleute. Zu dem „Europäischen“ rechne ich zunächst, daß Herr de Souza mich selbst von der Bahn abholte. Die Brasilianer haben nämlich sonst so wundersame Begriffe von dem, was sich schickt, daß sie es höchst unpassend finden, wenn eine junge Erzieherin den Weg von der Station nach der Pflanzung in der Gesellschaft des Vaters ihrer Zöglinge zurücklegt, dagegen sehr angemessen, wenn dies allein mit dem Negerkutscher oder zu Pferde mit einem freien Arbeiter, einem sogenannten „~camarada~“, geschieht, wie man es neulich erst von Saõ Paulo aus einer Collegin für einen 7stündigen Weg zugemutet hatte! Herr de Souza war sogar sehr nett und unterhielt sich auch mit mir, während sonst, nach Frl. Meyers drolliger Behauptung, wir Europäerinnen es uns immer als eine Höflichkeit vonseiten der brasilianischen Herren anrechnen müssen, wenn sie uns ignorieren. Leider hat sie damit so ganz Unrecht nicht, und darum bin ich um so froher, daß ich hier unter verständige Menschen geraten bin. Wir legten den Weg von der Station nach der Pflanzung, der in der heißen, nassen Jahreszeit nur zu reiten gewesen wäre, zu Wagen zurück und fuhren fast fünf Stunden. Manchmal dachte ich, wir würden nicht heil in Saõ Sebastiaõ ankommen, so wild ging’s die steilsten Abhänge bergab und bergauf, durch riesige Pfützen und sonstige abnorme Variationen eines „Weges“. Ich lernte hier einen gewaltigen Unterschied kennen gegen die Provinz Rio oder speziell den Weg nach Saõ Francisco, der fast so gut wie eine Chaussee war. Aber interessanter ist es doch eigentlich hier, Grete; es hat mehr „Lokalfarbe“. Wir passierten auf unserm Wege eine ganze Strecke Urwaldes, wo der Weg ziemlich schlecht und eigentlich nur für ein Reittier berechnet war; die Pflanzer der Gegend haben unendliche Mühe, sich solch einen Weg offen zu halten, da er so leicht wieder zuwächst und dabei in der nassen Jahreszeit nicht einmal gut zu bearbeiten ist. Wenn er gebessert und frei gemacht werden soll, schickt jeder Fazendeiro, der den Weg mit benutzt, eine Anzahl Sklaven nach der Station, von wo aus dieselben alle mit einander zurück arbeiten; allmählich fallen dann die einzelnen Parteien ab, entweder bei der betreffenden Pflanzung, oder, wenn diese nicht unmittelbar am Wege liegt, da, wo derselbe dahin abbiegt. Unsere Waldfahrt hatte wenig Ähnlichkeit mit einer solchen durch heimische Buchenwälder oder Tannenforsten, da so ein Wald hier ganz anders ausschaut als daheim. Von Ordnung oder Pflege ist nichts zu entdecken, und hineingehen oder auch nur hindurchsehen kann man auch nicht. Jene gewisse Feierlichkeit, die uns daheim so leicht in stillem Waldesdom überkommt, darf man hier nicht suchen; das Ganze hat mehr etwas Aufregendes, halb Phantastisches und Geheimnisvolles, halb Beängstigendes und Beklemmendes; der Zauber des Urwaldes und was ihm Reiz verleiht, ist eben ganz etwas anderes als der Eindruck, den unsere Wälder machen. Du mußt nicht denken, daß die Bäume darin grade so sehr dick und mächtig wären -- zuerst macht das Ganze sogar einen viel weniger gewaltigen Eindruck als z. B. einer der großen holsteinischen oder westfälischen Buchenwälder, und ich brachte das Vehmgericht s. Z. einmal fürchterlich in Harnisch durch meine Behauptung, ich, ein Forstmannskind, hätte in Brasilien noch keinen ordentlichen Wald gesehen, denn diese langen, dünnen, den verschiedensten Holzarten angehörenden Stämme, die in der ungleichsten Entfernung von einander stehen, könne ich keinen Wald nennen. Man muß, wie ich jetzt sehe, hindurchfahren oder reiten, um einen Eindruck zu haben. Dann sieht man, was so recht den Urwald ausmacht, was aber auch wohl zugleich verhindert, daß die einzelnen Stämme sehr umfangreich werden. Schier undurchdringlich steht nämlich das Unterholz um dieselben herum, und wer da eindringen wollte, müßte sich in der That seinen Weg Schritt für Schritt mit der Axt in der Hand bahnen. Daß die Bäume nicht dicht stehen, sieht man auch nur von weitem, wo die grauen, lang hinausragenden Stämme mit ihrer spärlichen Kronen-Belaubung das Einzige sind, was ins Auge fällt. In der Nähe sieht man, wie die einzelnen Bäume einander näher gerückt sind oder doch scheinen durch märchenhaft üppige, fünfzehn bis zwanzig Meter lange Lianen, die an ihren Stämmen emporklettern und wieder herabhängen, ja die oft von einem Stamme zum andern sich ranken, eine grüne, zitternde Wand bildend, aus der seltsame, dunkellilla oder rot gefärbte Blumen großäugig herausschauen. Ich kam weit zufriedener in Saõ Sebastiaõ an, als ich bei meinem Abschied aus Saõ Paulo für möglich gehalten hätte, und wurde es noch mehr, als ich Dona Maria Louisa und meine Schülerinnen sah. Erstere ist zwar ebenso wenig eine Schönheit wie alle Brasilianerinnen, die ich bisher gesehen habe, sie geht zwar auch in dem obligaten Kattunröckchen und mit herabhängenden Zöpfen einher, aber sie hat etwas sehr Liebenswürdiges und Frisches und hat die kleinen Mädchen gut erzogen. Meine älteste Schülerin, Maricota, ist ein sehr liebes Geschöpf, obgleich ihre große Schweigsamkeit ihr leicht etwas Moroses giebt, und die beiden Kleinen sind so artig, daß mir zuerst ganz unheimlich dabei wurde. Wir arbeiten sehr nett zusammen, wobei ich Maricota besonders auf das Englische hinlenke, das ihr immerhin noch leichter wird als Deutsch, und Du weißt ja, daß ich Englisch auch sehr liebe. Mr. Hall fand auch immer, daß ich es sehr gut spräche -- er war auf der Bahn, als ich abfuhr, was mir aber eigentlich gar nicht sehr angenehm war, denn einzelne Kolleginnen haben mich schon viel mit ihm geneckt. Aber zurück zu meinem Berichte von hier. Es ist wahr, diese Pflanzung läßt sich mit Saõ Francisco nicht vergleichen. Sie stammt noch von den Großeltern Herrn de Souzas und ist lange Jahre von der Familie nicht bewohnt worden. Auch jetzt dient sie ihnen gewissermaßen nur als Arbeitsstation, und man verwendet keinen Luxus auf sie. Mein Zimmer ist bei all seinen Mängeln doch das besteingerichtete im Hause, und das ist auch der Grund, weshalb ich über nichts klagen will; ich sehe ja, daß die Familie selbst sich noch weit mehr begnügt, und die Stube ist wenigstens luftig und hell. Die ~salla de visita~ ist ein großer fünffenstriger Raum mit weißgetünchten Wänden und ausmöblirt durch ein Rohrsopha, 12 Wiener Stühle, eine Hängematte und eine Singer-Nähmaschine. Auch hier keine Gardine am Fenster, kein Teppich auf den rohen Bohlen, kein Bild an der Wand -- nur, und ich konstatiere das als eine höchst vorteilhafte Ausnahme hier zu Lande, eine stets richtig gehende Uhr! Dona Maria Louisa hält auf Pünktlichkeit und besonders, was sehr dankenswert ist, auf Pünktlichkeit inbezug auf die Mahlzeiten, so daß nach denselben immer noch ein Viertel- oder halbes Stündchen zur Erholung bleibt, ehe der Unterricht wieder beginnt. Punkt neun Uhr Morgens und Punkt 3 Uhr Nachmittags finden wir uns in der „Veranda“ zum Frühstück, resp. Mittagessen zusammen. Veranda nennen die Brasilianer, abweichend von +unserm+ Begriff einer Veranda, immer das Eßzimmer, und die unzähligen Thüren und Fenster, mit denen der Raum gewöhnlich gesegnet ist, rechtfertigen ja auch einigermaßen diese Bezeichnung. Die rustikale Veranda ist nun meistens noch dadurch ausgezeichnet, daß ihre Außenthür zugleich Hinterthür des Hauses ist und unmittelbar ins Freie führt, wodurch dieselbe alle Eigenschaften einer Berliner Hintertreppe gewinnt. So ist es auch hier. Durch sie gehen die dienenden Neger und Negerinnen hin und her; Wasser, Holz, Vorräte, Wäsche, alles wandert dort in großen Kübeln und Körben auf den Köpfen der Schwarzen aus und ein, und da der Raum meistens auch noch mit der Küche und häufig sogar mit der Kammer der Negerinnen in directer Verbindung steht, so wird auf diese Weise für die Hausfrau ein ähnlich bewundernswerter Kontrolposten geschaffen, wie die Küche der holländischen Häuser ihn bieten soll. Dona Maria Louisa übt nun aber auch, im Gegensatz zu den meisten brasilianischen Hausfrauen, diese Kontrole wirklich aus; sie ist überall und sieht den Negerinnen auf die Finger, sie bäckt selber ausgezeichnetes Weißbrot, so daß ich glücklicherweise hier den ~biscoitos~ entrinne; sie macht selber Butter auf die mühsamste Weise, indem sie die Sahne in einer Satte schlägt, bis sie zu Butter geworden. Sie näht auch unermüdlich an der Singermaschine und fördert Kleider und Wäsche für die Kinder, ja, Hemden und derbe Winterjacken für die Hausneger, kurz, sie ist thätiger, als manche berühmte „deutsche Hausfrau“ und unter schwierigeren Verhältnissen obendrein, so daß sie mir wirklich imponiert und ich sie sehr gern habe. Sie hat auch viel Humor und amusierte sich königlich über mein Entsetzen beim Anblick der hiesigen Veranda, die allerdings noch ganz nach dem mir bereits in Saõ Paulo avisierten „alten Styl“ sein muß. Ich will sie Dir beschreiben. Der sehr große, aber mehr lange als breite Raum ist weder plafoniert noch gedielt. Der Fußboden ist zur einen Hälfte mit Backsteinen ausgelegt, während die andere ungeniert den Lehmboden zeigt, auf dem das Haus steht, das, wie alle brasilianischen Häuser, nicht unterkellert ist. In diesem Lehmboden ist eine Feuerstelle, um die sich an kalten Abenden die Familie sammelt, wie man bei uns im Winter am Ofen zusammenrückt; natürlich ist bei dieser Einrichtung der Mangel eines Plafonds nur wohlthuend, da kein anderer Abzug für den Rauch vorhanden ist als der, den die Löcher und Ritzen in der Ziegeldeckung über den Dachbalken gewähren. An der einen Seite dieses wunderbaren Saales steht der Eßtisch, wo gefrühstückt, Mittag gegessen und Abends beim Schein eines Stearinlichtes Thee getrunken wird. Gleich am ersten Abend bekam ich da von meinem Platze aus einen Begriff von der vielseitigen Nützlichkeit dieser Veranda. Während wir tranken, stand in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes eine Negerin und plättete Wäsche, was mir schon von vornherein für meine eigenen Sachen ein gewisses Grauen einflößte, denn in jenem Winkel mußte es erstens stockfinster sein, und dann bewegte sie auch sekundenlang das Eisen garnicht, sondern starrte mit offenem Munde zu uns herüber; man kann nur hoffen, daß es nicht sehr heiß war. Neben ihr knetete eine zweite Brotteig aus Weizenmehl. Dies und die Uhr, sowie das ungezwungenere Wesen der ganzen Familie hatte mir schon die größte Befriedigung abgerungen, als mich ein neuer Anblick ganz und gar entzückte. Du wirst Dir nicht denken können, was es ist, drum will ich es lieber gleich sagen: es war ein stiefelputzender Mulattenjunge, der in einer anderen abgelegenen Gegend dieses bewundernswerten Saales etabliert war. Also Ausnahme Nummer drei: -- Nichtvorhandensein der allgemeinen brasilianischen Aversion gegen Wichse! Die Zufriedenheit mit meinem neuen Lose wuchs. Dieser kleine Mulatte -- er ist übrigens zugleich Mittags der Fahnenjunge -- war urkomisch anzusehen. Das einförmige, im langsamsten Tempo vollführte Wichsen mochte wohl eine unüberwindlich einschläfernde Wirkung auf ihn ausüben, denn alle Augenblicke stockte seine Thätigkeit, und er stand mit geschlossenen Augen und gehobener Bürste, gegen die Wand gelehnt, bis ihn das Fallen des Wichsinstrumentes oder ein aufscheuchendes „Nun, Ivo?“ der Hausfrau wieder in eine schläfrige Bewegung setzte. Nach gethaner Arbeit mußte er der Herrin die ganze Stiefelreihe an den Tisch bringen, wo die Dame sie musterte und den schmutzigen kleinen Kerl dann in Gnaden entließ. Nach einigen Augenblicken kam er jedoch wieder hereingelaufen und meldete: „Cäsario bringt noch das Schwein, Senhora.“ „Mein Gott, wie lästig, so spät!“ rief die Herrin -- „nun, dann hilft es nichts, er komme, aber schnell!“ Herein zu der famosen Hinterthür kam „Cäsario“, der ein kleines ausgenommenes Schwein auf dem Rücken trug, das er auf einen ihm zurechtgerückten Tisch deponierte und dort zu zerlegen begann. Wahrlich, diese Veranda war ein ~non plus ultra~ von Vielseitigkeit, und ihre ausgedehnte Nutzbarmachung als Backstube, Plättkammer, Wichskabinett und Schlachthaus erspart jedenfalls, was man auch sonst davon denken mag, der Herrschaft manchen Schritt und -- manches Scheltwort. Hier ist lange nicht so viel Geschrei wie in Saõ Francisco, weil von vornherein mehr Kontrole ist und daher weniger Fehler gemacht werden. Also der „alte Styl“ -- er lebe! Deine urwäldliche +Ulla+. [Illustration] Saõ Sebastiaõ, den 19. Juli 1882. +Liebste Grete!+ Ich bin ganz glückselig -- mein längst gehegter Wunsch ist in Erfüllung gegangen: ich +reite+ jetzt! Vor einigen Tagen hatte ich meinen ersten und einzigsten Unterricht. Umständlich war er nicht. Dona Maria Louisa lieh mir ihren Reitrock, bis für mich einer genäht sein wird, und sagte dabei lächelnd: „~Mais ne tombez pas, mademoiselle.~“ Dann half mir Herr de Souza aufs Pferd und meinte schmunzelnd: „~Nao caïa,[7] mademoiselle~“, und als ich oben saß, beschloß Maricota diese ausgiebigen Anweisungen durch eine dritte Variation desselben Themas: „~But don’t fall off, miss~“, rief sie von ihrem eigenen Gaul herunter mir zu, und dann trabten wir drei los, Herr de Souza voran und ich der größeren Sicherheit wegen in der Mitte. Da meine Rosinante aber nach der Gewöhnung der hiesigen Pferde immer genau dem vorangehenden Tier folgt, ich also mit dem Lenken nichts zu schaffen hatte, so war das Festsitzen nicht so schwer, oder ich habe, wie Herr de Souza meinte, das Talent zum Reiten mit auf die Welt gebracht. Seitdem haben wir schon zweimal wieder kleine Ritte auf dem Gebiete der Pflanzung unternommen, und ich komme jetzt auch schon ohne einen geehrten Vorreiter zurecht. Müssen doch manche Kolleginnen, frisch wie sie aus Europa kommen, an der Station aufs Pferd und stundenweit bis an ihren Bestimmungsort reiten! Die Damensättel kommen vielfach aus England und Nordamerika, doch hat man auch hiesige, während in Herrensätteln meist einheimische Arbeit genommen wird, die allerdings auch in diesem Fache ausgezeichnet ausfällt. Sehr drollig ist es zu sehen, wie die Schwarzen die Pferde einfangen, wenn wir ausreiten wollen. Ställe giebt es hier nämlich nicht, weder für das Rindvieh noch die Schweine, noch auch für die Pferde; diese werden auch weiter nicht gepflegt, als daß sie ab und zu zum Salzfressen herangetrieben werden. Im Übrigen laufen sie frei umher und fressen, was sie an Gras und Kräutern finden, was manchmal recht wenig ist, da auch nach dieser Richtung hin nichts für das Land geschieht, und man z. B. keine ordentliche Wiese hier sieht. Sollen nun Pferde gebraucht werden, so jagt ein Bursche so viel Tiere als der Zufall ihn erreichen läßt, in den inneren Hof; dort greift man die, die man haben will, heraus und läßt die anderen wieder laufen. Diese Freiheit, in der die Haustiere hier leben, ist ja an sich recht schön, aber fett werden sie nicht dabei, und in den jetzigen kalten Nächten, die hier im Hochland manchmal recht sehr frisch sind, erfriert manch ein armes Tier im Walde, besonders von den Jungen. Wie viel Vieh sie besitzen, wissen Souzas garnicht, eine Kontrole ist darin schwer möglich, die Kühe kalben im Walde und kommen dann eines schönen Tages mit den Kälbern an. Natürlich herrscht auch auf diese Weise absolut keine Regelmäßigkeit in der Milchgewinnung; gewöhnlich kommen allerdings die Kühe zum Melken herein, wenn es aber sehr kalt ist, bleiben sie im Walde, und dann meldet Cäsario einfach: „Heut’ giebt’s keine Milch, Senhora, ’s ist keine Kuh hereingekommen.“ Es ist eben alles urwüchsig unter der Ägide des heiligen Sebastian. Am besten haben es die kleinen schwarzen Schweine, die sich hier beängstigend vermehren, von denen aber allerdings auch fast jeden Tag eines daran glauben muß, da die Pflanzung viel verbraucht. Sklaven sind hier fast gar keine, da sowohl Herr de Souza wie Dona Maria Louisa die Sklavenwirtschaft nicht lieben; man hat nur wenige Schwarze hier für den unmittelbaren Hausdienst, und die Außenarbeit wird von freien Arbeitern gethan. Alle übrigen Sklaven, die die Familie besitzt, arbeiten auf einer zweiten Pflanzung, Saõ Luiz, unter einem portugiesischen Administrator, und Herr de Souza reitet nur alle 2-3 Wochen einmal die 9 Stunden hin und zurück, um alles dort zu inspizieren. Saõ Luiz ist Kaffeeplantage, während wir hier Zucker und Baumwolle haben und vor allem eine Holzschneidemühle, was ja alles weniger Arbeitskräfte verlangt als die Kaffeekultur. Ich glaube, es ist ganz klug von den Brasilianern, sich allmählich auf den „~camarada~“ einzuarbeiten: +leicht+ ist es aber +nicht+, das sehe ich hier: ich würde mich über solche Menschen zu Tode ärgern! Die „~camaradas~“ sind Brasilianer, vielfach Halbindiauer, Caboclos genannt, oder auch ganz verarmte Nachkommen der eingewanderten Portugiesen, bettelhaft armes und zerlumptes Volk, in ihrem Aussehen weit elender als die Sklaven, aber -- sie sind +frei+ in einem Sklavenlande! Was sie daraufhin für einen Hochmut entwickeln und für Ansprüche machen, das ist unglaublich! Dabei arbeiten sie natürlich höchstens halb so viel wie ein Sklave. Unseren deutschen Gutsbesitzern würden die Haare zu Berge stehen, wenn sie mit solchen Menschen zu thun hätten! Als die jetzt hier vorhandenen hier ankamen, hat Herr de Souza ihnen erst alles Material zu ihren Hütten gegeben und die eigenen Leute beim Bau derselben helfen lassen. Dann bekam jede Familie eine Summe Geldes vorgestreckt, um davon zu leben, bis das eigene Bohnen- und Maisfeld Erträge lieferte. Natürlich sollte dies allmählich wieder vom Lohn abgezogen werden. Nun aber „kaufen“ diese Menschen, nachdem sie das Geld verbraucht, alle ihre Bedürfnisse hier im Hause, d. h. sie entnehmen Speck, Mehl, Kaffee, Mais und Zucker in unbescheidenen Mengen und verheißen, auch dies wieder abzuarbeiten. Da sie jedoch häufig garnicht zur Arbeit kommen und gewöhnlich eine große Familie haben, die viel verbraucht, so werden ihre Schulden nicht kleiner, sondern größer. Herr de Souza behauptet, er könne da wenig thun; weigere er ihnen die Lebensmittel, so zögen sie ab, und wenn er auch einen Contrakt mit ihnen habe, so nütze ihm der doch garnichts; da sie nichts haben, könne man ihnen nichts nehmen, und zur Arbeit zwingen könne man sie auch nicht. So läßt er alles dies gehen, so gut es will, und nimmt so viel Arbeitsleistung mit, als er kriegen kann; wird es ihm dann zu bunt, so jagt er die Leute fort; die vorige Serie hat er mit 2000 Mark Schaden zum Kuckuck geschickt. Wenn man diese Verhältnisse mit ansieht, kann man sich wahrlich nicht wundern, wenn der größere Pflanzer sich mit Händen und Füßen gegen die Aufhebung der Sklaverei sträubt. Woher soll er denn seine Arbeiter nehmen! Die freigewordenen Neger bleiben nicht auf den Pflanzungen, so wenig wie sie das in andern früheren Sklavenstaaten gethan haben, und europäische Arbeiter sind ihnen oft zu teuer oder zu unbequem. Portugiesen und Italiener suchen nur viel Geld zu verdienen, um dann mit einer kleinen Wohlhabenheit in die Heimat zurückkehren zu können, und Deutsche streben nach dem selbständigen Erwerb von Grund und Boden. Die Arbeiterfrage ist hier wie bei uns eine ganz böse, nur daß es dort zu viele giebt und hier eigentlich keine. Ich spreche viel über diese Zustände mit Herrn de Souza und Dona Maria Louisa, die, wie mir scheint, sehr verständige Ansichten darüber haben. Sie selbst verwerfen die Sklaverei im Prinzip und wünschen, daß sie aufhöre, aber sie haben auch ein offenes Auge für die Gefahr, die dem Lande dadurch zunächst insofern droht, als viele seiner wohlhabenden Grundbesitzer durch die Emancipation ruiniert werden oder doch verarmen, und zwar gestaltet sich die Sache um so schwieriger, je entfernter die betreffende Pflanzung von den Küstenplätzen gelegen ist, welche die Einwanderer zuerst bekommen. So kann man sich einerseits nicht wundern, wenn der Brasilianer die fremden Gäste nur als Ersatz für die Sklaven wünscht, anderseits kann es aber allerdings nicht der Zweck sein für unsere nach Brasilien auswandernden Landsleute, sich hier wiederum in Abhängigkeit zu begeben und sich als Knechte einer fremden Nation zu verdingen. Wer dem Lande seine und seiner Nachkommen Arbeit zuwendet, der beansprucht Selbständigkeit und eigenen Anteil an eben diesem Lande, und das mit Recht. Die Brasilianer sollten sich +in ihrem eigenen Volke+ einen Arbeiterstand heranziehen, den sie so wenig wie einen Handwerkerstand bis jetzt haben, und sie könnten dies mit einem wenigstens teilweisen Erfolg thun, wenn sie die freien Negerkinder an eine regelmäßige Arbeit zu gewöhnen suchten. Es geschieht aber gerade das Gegenteil. Das Emancipationsgesetz vom 28. September 1871 befiehlt u. a. auch jedem Sklavenbesitzer, diese Kinder im Lesen und Schreiben unterrichten zu lassen, aber es giebt wahrscheinlich im ganzen Kaiserreiche keine zehn Häuser, wo diesem Gesetze nachgekommen wird. Auf den Pflanzungen ist seine Befolgung auch eigentlich unmöglich. Hier im Innern giebt es ja keine Dorfschulmeister wie bei uns, und wenn es sie gäbe -- soll der Fazendeiro denn etwa jeden Tag zwischen 20 und 50 Tiere satteln lassen, um die kleinen Neger in das nächste, gewöhnlich sehr entfernte Städtchen zu schicken, oder soll er einen besonderen Erzieher für die kleine Bande halten? Man mag diese Fragen beantworten, wie man will -- jedenfalls thut hier niemand dergleichen, und so wächst das freigeborene Sklavenkind vollständig ohne Erziehung und Unterricht auf und wird demgemäß dereinst mit den Wilden auf gleicher Stufe stehen, denn es hat nicht einmal den Vorteil, daß ihn die Herrschaft dies und jenes an körperlicher Arbeit erlernen läßt, wie es beim Sklaven geschah -- sie sind ja frei, warum soll man sich zu Gunsten Anderer Mühe und Kosten machen, man hat ja nichts davon. Wunderbarerweise denken auch Herr de Souza und Dona Maria Louisa ebenso, die doch sonst sehr human und auch klug sind. Ob man denn gar nicht bedenkt, daß man auf diese Weise eine Generation von „Mitbürgern“ für die eigenen Kinder heranwachsen läßt, wie sie schlimmer nicht gedacht werden kann?! Aber ich merke, daß ich schon wieder predige und Dich mit einer vollständigen national-ökonomischen Abhandlung beglückt habe. Du glaubst aber auch nicht, wie sehr sich einem hier alle diese Verhältnisse aufdrängen, und wie sie fast ausschließlich Gesprächsthema sind -- da wird selbst die harmloseste Seele zum Socialpolitiker. Und nun kann ich diesem Briefe auch nicht einmal mehr ein leichteres Anhängsel verleihen, damit Du nicht allzu sehr unter dem Eindrucke dieses sozialen Vortrages bleibst, denn da erscheint eben der Zimmermann, der hier gearbeitet hat und heute Abend wieder zur Stadt zurückkehrt, und der aus Gefälligkeit unsere Postsachen mitnimmt. Denn Herr de Souza schickt nur des Donnerstags zur Post -- ich bin richtig ganz und gar in den „alten Styl“ hineingeraten. Also ein Lebewohl für heute und nächstens mehr von Deiner +Ulla+. [7] Fallen Sie nicht! [Illustration] Saõ Sebastiaõ, den 28. Juli 1882. +Liebste, beste Grete!+ Denke Dir meine Freude, hier ist eine Pflanzung ganz in der Nähe, die amerikanischen Ansiedlern gehört, also ganz zivilisierten Menschen! Niemand hatte mir davon erzählt, bis sie uns heute besuchten -- man wußte ja nicht, wieviel mir das wert sein konnte! Ach, Grete, so nett diese Souzas auch sind, fremd bleiben die Brasilianer einem doch, fremder sogar als alle anderen Fremden hier, die schon ein gewisses Gefühl der Zusammengehörigkeit als Gäste auf hiesigen Boden zusammenzieht. Zudem ist mir doch immer das ganze Wesen und Sein germanischer Volksstämme weit sympathischer als diese Romanen; schon beim Klange der englischen Sprache atmete ich auf, ganz abgesehen davon, daß Mr. Quimby und seine Schwägerin wirklich sehr liebenswürdig und nett waren. Mrs. Quimby war zu Hause geblieben bei den kleinen Kindern, während das älteste zwölfjährige Mädchen schon flott mitgeritten war. Es war am vorigen Sonnabend, als sie kamen und -- „Wollen Sie morgen mit uns zur Kirche?“ fragten sie mich plötzlich. „Zur Kirche?“ wiederholte ich erstaunt -- „wo?“ „O, hat man Ihnen noch nicht von unserer Kirche erzählt? Nun, ein Prachtgebäude ist sie freilich nicht, aber wir können doch so jeden dritten Sonntag im Monat unseren Gottesdienst haben. Kommen Sie mit und übernachten Sie bei uns, wir reiten dann morgen alle zusammen hin, wenn Sie wollen.“ Ob ich wollte! Natürlich wollte ich. Schnell war ein Pferd gesattelt, und vergnügt galloppierten wir die zwei Meilen bis zu Mr. Quimbys Pflanzung zurück. Ich „galloppiere“ nämlich jetzt auch schon flottweg, und Mr. Quimby schmeichelte meiner empfänglichsten Schwäche, als er meinte: „~You look as if you’d been born and bred on your horse.~“ Mrs. Quimby empfing mich herzlich wie einen erwarteten Gast, und in den Hängematten sitzend, verbrachten wir plaudernd den Rest des Abends. Am andern Morgen um 9 Uhr brach eine ganze kleine Kavalkade zur Kirche auf, denn noch einige Damen und Herren aus der Umgegend schlossen sich uns an. Solange der Weg auf dem Terrain der Pflanzung lag, war er nicht gar zu schlecht, obgleich Du Dir unter dem Worte „Weg“ auch nichts weiter als einen grade für +ein+ Pferd hinreichenden Pfad vorstellen darfst, dann aber wurde er stellenweise so schlecht, daß man bei uns wohl überhaupt davon abgestanden wäre, ihn zu passieren. Aber brasilianische Pferde sind nicht verwöhnt; obgleich unbeschlagen, gehen sie sehr sicher ihren Weg, und man kann es ihnen bei schwierigen Stellen getrost selbst überlassen, sich denselben auszusuchen. Recht seltsam malerisch nahm sich unsere kleine Gesellschaft aus: die hellen Kleider und Hüte der Damen, die weißen Staubmäntel der Herren, und die großen, meist auch weißen Sonnenschirme -- alles hellglänzend beschienen von einer bereits recht brennend werdenden Sonne, und hin und wieder verschwindend und wieder auftauchend zwischen den mannshohen Farren, die die Pferde durchschnitten, einmal sogar sich spiegelnd in einer großen, einem See gleichenden Lache, wo die Tiere bis an den Bauch im Wasser gingen. Ich war noch nie um diese Tageszeit geritten, da wir auf Saõ Sebastiaõ immer den frühen Morgen oder den späten Abend wählen, daher empfand ich die Sonne doch ziemlich unangenehm; der Weg zeigte unglücklicherweise, so weit das Auge reichte, nicht einen einzigen Baum, einzelne lange Palmen abgerechnet, deren graziöse, doch spärlich bewachsene Kronen aber keine Kühlung schufen und keinen Schatten auf den Boden warfen. Da habe ich denn doch gesehen, welche Erschlaffung einen doch nach nur dreistündigem Ritt in der Tropensonne befallen kann; die Hitze der Luft wäre ja noch zu ertragen, aber das unmittelbare Einwirken der Sonne ist das Schlimme! Es schien auch allen mehr oder weniger zu gehen wie mir, denn unsere Unterhaltung wurde immer einsilbiger und war zuletzt ganz verstummt. Da zeigte sich bei einer Biegung des Weges plötzlich ein langes, strohbedecktes Lehmgebäude. „Wer kann sich denn hier auf der Roça (das ungerodete Feld) eine Scheune gebaut haben, so abgelegen von allen Pflanzungen?“ äußerte ich erstaunt. „Das ist die Kirche“, sagte Mr. Quimby mit halbem Lächeln und bog zugleich in einen kleinen Seitenweg ein, dem Gebäude zu. Mein Erstaunen war fast Entsetzen -- +dies+ eine Kirche, diese Scheune mit den durchlöcherten Lehmwänden, dem Strohdach, den Fensterluken ohne Rahmen, geschweige denn mit Fenstern! Aber ich konnte nicht länger zweifeln: unsere Gesellschaft ritt auf, die Herren sprangen von den Pferden, halfen uns von den unsrigen und befestigten die Tiere an einigen Bäumen neben dem Gebäude. Jetzt bemerkte ich auch eine Anzahl anderer Pferde und Maultiere, die rings umher standen, sowie deren Reiter und Reiterinnen, welche hie und da im Schatten oder bereits in der „Kirche“ saßen, und die nun Mr. Quimby und seine Familie zu begrüßen kamen. „~How do you do?~“ erklang es von allen Seiten, dazwischen vielfach das gemütliche „~How d’ye?~“ der Südstaaten, und dann wurden solche Neuigkeiten ausgetauscht, wie sie sich seit dem letzten „dritten Sonntag im Monat“ in dieser Zurückgezogenheit ereignet hatten. Ein Trunk aus der nahen Quelle erfrischte in etwas die erschlafften Lebensgeister, und dann traten wir in das Gebäude ein, wo wir, nachdem wir die Bänke mit einem dazu vorhandenen Besen abgefegt, dankbar für eine Weile der kühlen Stille genossen, während sich allmählich 50 bis 60 Personen ansammelten, fast ohne Ausnahme von ihren Pflanzungen oder der Kolonie Santa Barbara kommende Amerikaner. Durch ein großes Loch in der Lehmwand neben mir beobachtete ich die Scene draußen, wie sie sich immer bunter gestaltete durch neu aufreitende Personen, ihre Pferde und Maulesel, die rings umher grasten, und durch die bunten, in die Bäume gehängten Reitröcke der Damen. So hatte ich noch nie in einer Kirche gesessen, dachte ich, als hinter mir eine junge Mutter vergeblich ihren jüngsten schreienden Sprößling zu beruhigen suchte, dem der Ritt wohl nicht behagt haben mochte, und dann ein altes, weißhaariges Mütterchen sich neben mir niederließ, die ich eben durch meine Wand angestaunt hatte, wie sie so munter auf ihrem Maulesel herangetrabt war. Nach einer Weile kam der Prediger, und der Gottesdienst begann. Ein noch junger Mann ohne Talar oder sonstiges geistliches Abzeichen trat mit großer Einfachheit vor den hölzernen Altar (eine Kanzel war natürlich nicht vorhanden) und, nur ein Testament in der Hand, hielt er eine sehr durchdachte, wirklich schöne Predigt über Christi Antwort auf die Frage des Täufers: „Bist Du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Anderen warten?“ Grete, da konnte man fromm werden. Es war tief ergreifend, die Bibelworte, die wir Zivilisationsmenschen gewohnt werden, mit der Katechismusstunde oder den geheiligten Hallen unserer Kirchen zu verbinden und sie gewissermaßen unwillkürlich dahin zu bannen, diese Bibelworte dort in jener Lehmhütte, in der tropischen Umgebung und so wenig unterstützt durch äußere Heiligungs-Hülfsmittel erklingen zu hören. Und sie klangen nicht anders als daheim, nicht weniger ernst oder feierlich als in geschmückten Kathedralen, unter herrlich ragenden Säulen und hinter bunten Fahnen. Ich war lange nicht in einer Kirche gewesen, aber ich bezweifle, ob die glanzvollste Messe in Sankt Peters Dom auf mich auch nur nahezu den Eindruck gemacht hätte, wie unser einfacher evangelischer Gottesdienst in der Lehmhütte, auf diesem verlorenen Posten im Innern Brasiliens. Der Gedanke von der Allgegenwart des Christengottes und die Predigt: „Gott wohnet nicht in Tempeln von Menschenhänden gemacht“, drängte sich dort mit einer gewaltigen Unmittelbarheit und einer gewissen rührenden Größe sicherlich auch denen auf, die einen solchen Eindruck nicht suchten. Die drückende Hitze hatte nach und nach etwas nachgelassen, ein leichter Wind machte sich auf und plötzlich sah ich durch mein Wandloch einzelne große Regentropfen herabfallen.... O weh, die Sättel! Rasch wurde der Regen stärker, so daß nichts übrig blieb, als Sättel und Reitkleider hereinzuholen in die Kirche, wollte man sich nicht einen höchst unangenehmen Heimweg schaffen. Gegen 60 Sättel und einige 30 Reitkleider fanden in einem Winkel der Kirche ein Unterkommen, und lächelnd mußte ich daran denken, wie sich, was hier ganz natürlich erschien, wohl in einer europäischen Kirche oder Kapelle ausnehmen würde. Plötzlich, wie er gekommen, hörte aber der Regen wieder auf, und als der Gottesdienst beendet war und man einander Lebewohl gesagt hatte für einen Monat, konnten die Sättel wieder aufgelegt werden. Mit weit besserem Humor gings nun in der kühleren, staubfreien Luft heimwärts, und abends brachten mich Mr. Quimby und seine Schwägerin wieder nach Saõ Sebastiaõ zurück, versprechend, mich bald wieder einmal abzuholen. Aber da ruft die alte dicke Anna an meiner Thür: „~Chà, Senhora~“ -- ich schließe. Schreibe bald Deiner feschen Amazone +Ulla+. [Illustration] Saõ Sebastiaõ, den 5. August 1882. +Herzensgretele!+ Dieser Brief wird wohl etwas zerfahren ausfallen, denn ich schreibe bei dem Gebell von 37 Hunden. Hier ist nämlich seit gestern Treibjagd, und Herr de Souza hat dazu 6 Herren eingeladen, von denen jeder ein Pferd oder zwei und so viel Hunde mitgebracht hat, als er besitzt; denn die Jagd ist um so viel schöner und forscher, je größer die Meute ist. Gestern sah ich den Zug oben am Walde vorbeirasen, ein Rehbock voraus -- es sah ganz gut aus und ist jedenfalls eine Art zu jagen, wie sie für dies Land paßt. Aber von der Beute hat man nichts. Zwei erlegte Tiere hängen seit gestern an der Wand des Geschirrhauses, und als ich Dona Maria Louisa fragte, wann sie denn als Braten auf den Tisch kommen würden, lächelte sie und meinte, Rehe seien doch für Menschen nicht eßbar, die bekämen die Hunde! Mein Haar wollte sich schon wieder mal aufrichten, als ich mich noch zur rechten Zeit erinnerte, daß mir Herr Schaumann in der That einmal gesagt hatte, das Rotwild hier habe eine zu große Strenge, als daß es für Menschen genießbar sei. So essen wir denn unser ~carne de porco~ frisch und fröhlich weiter, obgleich ich sagen muß, daß Dona Maria Louisa alles thut, um Abwechslung in das Essen zu bringen; wir haben schon alles mögliche Getier gegessen, sogar einmal Gürteltier, das aber ganz gut, etwa wie zartes Kalbfleisch oder Huhn schmeckte. Der Panzer dieses Tropenbewohners prangt als Dekorationsstück in meinem Zimmer; wenn er eben abgezogen ist, ist er ganz weich und läßt sich in jede Form biegen, die man ihm geben will, und in welcher er dann beim Eintrockenen völlig verhärtet und beharrt. Überhaupt sammle ich an Merkwürdigkeiten, was ich bekommen kann, obgleich dies weit schwerer ist, als man es bei uns gemeiniglich denkt. Wir stellten uns die Sache doch ungefähr so vor, als raffte man hier die Indianerpfeile und andere wunderbare Dinge nur so nebenher am Wege zusammen, und ich sehe jetzt, daß die Sachen hier sehr teuer sind und schwer zu bekommen. Ich begnüge mich also mit einem sehr bescheidenen Naturalienkabinett eigener Sammlung. Die Neger bringen mir alles an, was sie draußen Merkwürdiges finden, und strahlen förmlich, wenn ich mich darüber freue; sie nennen mich „~a professora que gosta dos bixos feios~“ (die Gouvernante, die die häßlichen Tiere liebt), und fast jeden Tag finde ich auf meinem Fensterbrett irgend einen Käfer oder eine Raupe oder eine merkwürdige Pflanze aufgebaut. Eine Schlange, und zwar eine hübsche Korallenschlange, habe ich mir auch schon „eingemacht.“ Besonders aber habe ich eine Sammlung von reizenden Nestern, worunter entzückende Kolibrinester verschiedener Sorten und ein höchst merkwürdiges, mächtig großes Nest von Lehm, das sich ein mittelgroßer Vogel baut, den sie nach seiner Wohnung ~Joaõ de barro~ d. h. Lehmjohann nennen. Das Lehmnest ist noch etwas größer, als ein Menschenkopf und der Eingang so sinnreich seitwärts gearbeitet, daß es absolut nicht hinein regnen kann; inwendig befindet sich dann erst das eigentliche weiche Nestchen. -- Meine letzte Errungenschaft ist ein Fischotternfell und das allerliebste Fell eines schwarzen Affen, den ein ~camarada~ hier neulich auf der Pflanzung getötet hat; und gestern brachte mir Maricota, die immer sehr lieb und gut ist, eine sehr nette Sammlung von 21 Holzarten, die sie sammeln und zu zierlichen gleichmäßigen Proben hatte zuschneiden lassen. Mit Holz verschwenden sie übrigens hier in Saõ Sebastiaõ nach unseren Begriffen fürchterlich; so ist z. B. meine Kommode, ein schweres, ungeschickt gearbeitetes Ding, ganz aus Cedernholz gemacht, und auch die plumpen Möbel im Schulzimmer bestehen aus dem kostbarsten Holzmaterial, wiederum ein Beispiel von den vielen Mißverhältnissen hier zu Lande an Verschwendung auf der einen Seite und Unzulänglichkeit auf der anderen. +Abends.+ Gretele, ich bin ganz außer mir vor Freude -- vorhin unterbrach mich Maricota mit der entzückenden Nachricht, daß wir in etwa 8 Tagen nach Santos an die See gehen, um dort 5-6 Wochen Bäder zu nehmen! So bald soll ich mein geliebtes Saõ Paulo schon wiedersehen! Denn dahin müssen wir zuerst. Wir bleiben dort 1-2 Tage bei Dona Maria Louisas Eltern und fahren dann über die Serra nach Santos, dem großen Kaffeehafen der Provinz Saõ Paulo. Dort werden wir an der „Barra“, d. h. am Strande außerhalb der Stadt und vor dem Hafen wohnen in einem Hause, das der ganzen Familie gemeinschaftlich gehört und immer von denen benutzt wird, die es gerade für die Bäder brauchen. Adieu, adieu, ich muß schnell an Fräulein Meyer schreiben, die augenblicklich auch mit der Familie in Santos ist; sie wird sich freuen, Gesellschaft zu bekommen. Deine glückliche +Ulla+. [Illustration] Santos, den 20. August 1882. +Meine liebe, gute Grete!+ Ich sage Dir, dies Haus ist furchtbar poetisch -- verzeih’, ich muß erst diese Wespe vertreiben... also, was ich sagen wollte: das reine Idyll! Draußen rauschen und branden die Wogen -- Donner und Doria, das ist heute die fünfte handgroße Spinne! -- und die Sonne funkelt darauf und macht sie -- schon wieder eine Fliege im Tintefaß? -- glitzern wie Silber. Der Garten ist ein wenig vernachlässigt, aber gerade darum um so roma... na, da sehe ich eben, daß mir die Baraten auch meine neue Schreibmappe schon angefressen haben! -- romantischer. Reizend ist es, wenn wir die Schiffe so von weitem hereinkommen sehen -- o diese Mosquiten, verzeih den Klex -- und die vorhandenen Operngläser wandern, wenn ein großes Fahrzeug in Sicht ist, auch immer sofort heraus, um die Nationalität zu bestimmen. -- Ach, ich Ärmste, da wimmelt’s auf dem Tisch vor mir von Ameisen! Warum habe ich auch den Zucker stehen lassen! Nun heißt’s erst Pause und Ameisenjagd... Später. Du siehst, mein Gretele, daß hier die Poesie mit Schwierigkeiten verknüpft ist, das Ganze hier ist eine Idylle mit Hindernissen. Diese Chakara (so nennen sie hier derartige Gebäude, die halb Villa, mehr Landhaus sind) ist jedenfalls früher einmal für menschliche Bewohnungszwecke gebaut worden, doch haben anscheinend seit längerer Zeit Baraten, Spinnen, Eidechsen und Ameisen sich hier derartig häuslich und unbehelligt einrichten können, daß es ihnen nicht zu verdenken ist, wenn sie jetzt uns gegenüber den Standpunkt unbedingter Herrschaft nur schwer und sehr allmälig aufgeben. Meine erste Nacht hier war nichts wie ein einziger „Kampf mit dem Insekt“, aber seitdem ich dann alle meine Mußestunden auf Grübeln über die besten Verteidigungsmittel verwendet habe, kommt es mir vor, als finge ich doch allmälig wieder an, diesen herrschsüchtigen Mitgeschöpfen gegenüber den richtigen Standpunkt als Mensch zu gewinnen. Mein Bett steht in der Mitte des Zimmers, wie ich überhaupt kein Möbel an die Wand gerückt habe; diese gebe ich „dem Insekt“ frei. Unter +Möbeln+ verstehe ich den Waschständer, einen Tisch, einen Stuhl und meinen Koffer. Letzterer dient als Kommode und überhaupt als Aufbewahrungsort für all mein Besitztum außer den Kleidern. Diese habe ich, nachdem ich eine breite alte Gardine untergenagelt, malerisch an der Wand gruppiert und sie mit einem Bettlaken verhangen, doch benutze ich sie auch nach diesen Vorsichtsmaßregeln immer nur wie solche Medizinen, die das Etiquette tragen: „Vor dem Gebrauch zu schütteln“, und die Anhäufung einer kleinen Insektensammlung auf dem Fußboden bei solcher Prozedur lehrt, wie weise ich daran thue. Bei meinem Waschständer habe ich, seitdem er den Wänden fern, wenigstens die Befriedigung, jetzt meine Seife allein zu verbrauchen und sie nicht des Morgens halb von den Baraten genossen zu finden, die sie als ganz besondere Delikatesse zu betrachten schienen. Das meiste Nachdenken kostete es mich, mein Bett unter möglichst günstige Insekten-Verhältnisse zu bringen. Die erste Nacht stand es an der Wand zum größten Gaudium der heimischen Spinnen, Baraten, Eidechsen und Ameisen, die zweite Nacht rückte ich es ab, so daß nur das Kopfende an der Wand blieb, doch legte auch dies, wie ich sah, den ebengenannten Hausbewohnern keine wesentliche Beschränkung in der Bewegung auf. So rückte ich denn am dritten Tage in die Mitte der Stube, welcher luftige Standort noch den übrigen Vorteil gewährt, daß er mich lehrt, auch im Schlafe Balance zu halten, denn die erste derartig „im Freien“ zugebrachte Nacht begann damit, daß ich auf der einen Seite von meinem Spartanerlager, das natürlich wieder jede Seitenwand verschmäht, herunterrutschte und einige Baraten totfiel. Nachdem ich mich bei derselben Gelegenheit überzeugte, daß diese angenehmen Tierchen auch eine besondere Vorliebe für die Reibeflächen der Schwedenschachteln haben und einen so angesichts der vollen Streichholzschachtel einer unerleuchtbaren Finsternis preisgeben können, quittierte ich auch den Stuhl neben meinem Bett, stelle jetzt das Licht in armlanger Entfernung auf die Erde und stecke die Schachtel Schweden nebst Uhr und Taschentuch geheimnisvoll unter mein Kopfkissen, auf dem sich’s allerdings seitdem, da es von bekannter brasilianischer Größe, recht holprig schläft. Nun galt es nur noch, die Ameisenfrage zu lösen, der ich aber schließlich auch beigekommen bin, indem ich nachmachte, was ich neulich in einem Bahnhofsrestaurant an einem Tische gesehen: ich habe alle vier Bettfüße in Blechgefäße mit Wasser gestellt, so daß jetzt -- hurrah! -- das Insekt auf die Angriffe beschränkt bleibt, die es von der Decke herab auf mich vollführen kann. Im Übrigen sind diese interessanten Mitbewohner unserer Chakara insofern wertvoll, als sie dauernd für unsere Unterhaltung sorgen. Des Morgens beim Kaffee muß jedesmal die Zuckerdose hinauswandern, damit die Ameisen ausgeräuchert werden, während Maricota und ich die Milch ausfischen; des Mittags sind wir jetzt so sehr an Fliegen auf den Tellerrändern gewöhnt, daß ich mir ein Essen ohne diesen Zierrat eigentlich schon recht öde vorstelle, und abends, wenn die Baraten munter werden, ist der Hauptspaß. Maricota und ich sitzen dann gewöhnlich in meinem Zimmer über unserem Dickens, und nebenan im Eßzimmer spielen Dona Maria Louisa, ihre Schwester und Herr de Souza Whist mit ’nem Strohmann. Plötzlich entsteht dort ein Heidenlärm, man kreischt auf, und sämtliche Morgenschuhe fliegen; sofort ergreifen auch wir die immer bereitstehenden Stiefel und schleudern sie gegen die Thür, denn durch ihre handbreite Spalte über der Schwelle saust das bedrohte Insekt von den Whistspielern herein zu uns Pickwickiern, um hier so ziemlich sicher den Untergang zu finden, denn auf Baratenmord bin ich noch vom Collegio her eingeübt. Das „Leben in und mit der Natur“ ist überhaupt hier die Devise unseres Banners. Um fünf Uhr früh, so ungefähr, wenn der Mond zum Abschied noch der Sonne sein schiefstes Gesicht zuschneidet, stürzen sich sämtliche menschliche Hausbewohner in den Schoß der Wellen. Männlein und Weiblein, Schwarz und Weiß, alles läuft in flanellenen Badeanzügen durch den Garten an den Strand und ins Wasser, um dort in schönster Harmonie beim Mondenschein die Glieder zu erfrischen. Es ist ein heilloses Gekreische, das mich immer schon für den ganzen kommenden Tag betäubte, und da mir Seebäder überhaupt nicht sehr gut bekommen, so habe ich mich nach den ersten 5 Tagen aus dem Gewimmel zurückgezogen und bade nun nach wie vor im Zimmer in einer der üblichen großen runden Blechwannen, die die Negerinnen auf dem Kopfe hereintragen. Der Abend endet nach anderer Richtung hin in recht harmloser Weise. Unsere Chakara steht nämlich sehr einsam, da sich auf der einen Seite ein großer Garten, auf der andern eine unbewohnte Chakara befindet; trotzdem ist sie von der Strandseite ganz unverschließbar. Da wird nun des Abends einfach eine Barrikade aus einem Tisch und zwei daraufgetürmten Stühlen vor der Glasthür aufgeführt, und damit Gott befohlen für die Nacht.... Wie ich Dich kenne, würde Dich diese Seite unserer Strandidylle ganz besonders anmuten! Der Unterricht geht fort wie gewöhnlich, nur daß zur Betrübnis der Familie und +meiner+ höchsten Wonne -- das Klavier fortfällt. Das betrachte ich als meine Badereise! Aber ich habe Dir noch garnicht erzählt, wie es in Saõ Paulo war. Wir sind zwei Tage dageblieben und logierten bei Maricotas Großeltern. Den ersten Tag war ich Nachmittags bei Schaumanns und den zweiten mit Fräulein Harras bei Fräulein Meyer, die leider, leider mit ihrer Familie von hier wieder abgereist war und in Saõ Paulo zurück. Am dritten Vormittag fuhren wir dann hier herunter, den imposanten Weg über die Serra mit der Seilbahn, und denke Dir, wer auch herunterfuhr -- -- Mr. Hall! Er saß neben mir im Coupé und erzählte mir, daß er nach Santos ginge, weil eine Sendung Maschinen aus England avisiert sei, die er gern selbst aus dem Zoll nehmen wollte. Seitdem habe ich ihn noch nicht wiedergesehen, aber, Grete, ich glaube -- wir freuten uns +beide+ über die netten Maschinen, die grade jetzt ankommen mußten. Ach, Gretele, ich bin so froh! Und es ist doch eigentlich ganz hübsch in Brasilien. Nächstens mehr von Deiner +Ulla+. [Illustration] Santos, den 22. September 1882. +Meine Herzensgrete!+ Unsere Strandidylle nähert sich ihrem Ende, und es werden wohl kaum noch 8 Tage vergehen, da werden die 32 Stück Gepäck, mit denen wir hier eingezogen, wieder zusammengepackt und heim nach Saõ Sebastiaõ dirigiert werden. Ich bedaure das wirklich von Herzen, denn ich habe mich, trotz der mehr für Insektologen als für sonstige Sterbliche geeigneten Verhältnisse so sehr an diese Chacara gewöhnt, daß ich sie ordentlich lieb gewonnen habe; ob auch das +Unmusikalische+ unseres hiesigen Aufenthaltes dabei ein Wort mitspricht, darüber wollen wir ein wohlwollendes Auge zudrücken. Als Ersatz für die Klavierstunden habe ich übrigens den einzigen Sohn von Dona Lydia, der Schwester von Dona Maria Louisa mit zu unterrichten gehabt für diese Badezeit. Dona Lydia ist Wittwe und hat gewöhnlich keine eigene Erzieherin gehalten, sondern ihren Luiz-Guilherme (Ludwig-Wilhelm) immer mit bei einer ihrer vielen Schwestern in Saõ Paulo pädagogisch zu Gaste gegeben; sämtliche ~professoras~ der Familie kannten ihn bereits und behaupteten, ihn nach Gebühr zu „schätzen.“ Ich war daher nur sehr wenig entzückt, als ich gefragt wurde, ob ich ihn mit zu Maricota in die Stunden nehmen wollte, denn ich fürchtete eine Wiederholung meiner Zeit des klassischen Altertums in Saõ Paulo. Aber siehe da, er entpuppte sich als ein ganz traitabler, sogar ziemlich liebenswürdiger und recht intelligenter Junge von 13 Jahren, der auf den Spaziergängen schon den Cavalier spielt, und dem ich bis jetzt weiter keine Verdrehtheiten angemerkt habe, als daß er steif und fest behauptet, er habe die Gicht in den Füßen. Ich bin die 14. unter den Lehrern und Lehrerinnen, die er in seinem, wie Du siehst, wechselreichen Schulleben bisher gehabt hat; und daß er neulich zu seiner Mutter gesagt, ich sei von allen 14 der vernünftigste Mensch, darauf bin ich demgemäß nicht wenig stolz, denn Du mußt zugeben, daß ihm eine gewisse Urteilsfähigkeit in dieser Beziehung wohl nicht gut abzusprechen sein dürfte. Luiz-Guilherme ist mein hauptsächlichster Versorger in der Richtung +Muschel+. Ich sammle natürlich auch darin auf geradezu gemeingefährliche Weise, und ein kleines leeres Zimmer neben dem meinen, sowie mein eigenes Fensterbrett „duften“ fortwährend auf das Penetranteste nach Seetang und faulenden Muscheltieren. Es ist ein rechtes Kreuz für mich, aber ich mache hier die Erfahrung: wenn den Menschen einmal die Sammelwut packt, da ist ihm zuletzt nichts mehr heilig, nicht einmal die eigene Nase! Heute kommt Herr de Souza zurück von der Fazenda, wo er einmal nach dem Rechten gesehen hat. Während seines Fortseins war es hier natürlich nicht gerade anheimelnder, zumal da einige Tage oder vielmehr Nächte vor seiner Abreise ganz in unserer Nähe eingebrochen und gestohlen worden war. Am Morgen seiner Abreise trat er daher beim Frühstück mit einem großen Revolver auf mich zu und meinte, ich sei ja wohl noch die Tapferste von der zurückbleibenden ewig weiblichen Gesellschaft, und er lege daher die Verteidigung des Platzes in meine Hände. Ich muß gestehen, daß dies auch meine erste Bekanntschaft mit Revolvern oder sonstigen Mordinstrumenten war, allein ich übernahm kühn meine Rolle als wehrhafte Besatzung der Chakara und ließ mir nur zur größeren Sicherheit -- +meiner selbst+ -- das Ding von einem mir bekannten deutschen Herrn in unserer Nachbarschaft erklären. Seitdem droht es nun von meiner Wand herab und macht in der That neben meinen Kattunkleidern und Röcken einen höchst schreckhaften Eindruck, dessen erste Wirkung sich auf die Negerin warf, welche seitdem kaum zu bewegen ist, das Zimmer aufzuräumen. Eine weitere Vorsichtsmaßregel war, daß wir sämtliche Damen alle die Tage über ganz ohne Schmuck und in den schlechtesten Kleidern ostentativ auf der Praia, d. h. am Strande spazieren gehen mußten, um den Dieben zu demonstrieren, daß bei uns nichts zu holen sei, eine Maßregel, die gewiß nicht verfehlt hat, auf die Diebe den größten Eindruck zu machen! Endlich wurde der Barrikadenbau des Abends etwas raffinierter betrieben. Ein disponibles Rohrsopha wurde dem Tische hinzugefügt, und die Stühle wurden in der Anzahl auf 5 erhoben, sowie etwas „kippeliger“ aufgebaut; das Werk krönten ein paar leere Schubladen (+meine+ Erfindung!) und das Ganze machte stets, wenn es fertig gestellt war, einen erhebenden Eindruck auf uns alle. Mit heute werden wir denn wohl wieder zu Barrikade Nr. ~I~ zurückkehren, und ich werde die Verteidigung des Platzes in Herrn de Souzas Hände zurücklegen. Ob er mir einen Brief von meiner Grete aus Saõ Sebastiaõ mitbringen wird? Adieu, mein Herzle, das Licht brennt, Dickens tritt in seine Rechte, und die Baratenstunde naht. Deine +Ulla+. [Illustration] Saõ Sebastiaõ, den 4. Oktober 1882. +Meine gute Grete!+ Da sitzen wir wieder in Saõ Sebastiaõ und warten auf die Hitze und die Zuckerrohrernte, auf das letztere mit großer, auf das andere mit mäßiger Sehnsucht. Unsere Abreise von der guten alten schmutzigen Chakara und der Abschied von dem Insekt wurde uns schwer trotz alledem und alledem, und außer Herrn de Souza und Dona Maria Louisa mußten wir alle darüber getröstet werden, die Kinder mit der kommenden „süßen“ Zeit, ich mit dem kleinen muntern Lazaõ, meinem Lieblingspferd, das ich immer geritten, und mit dem mir Herr de Souza lachend ein Wiedersehen schon an der Station versprach. Es ist wahr, das Reiten ist hier mein schönstes Vergnügen, ja, meine +einzigste+ Zerstreuung, und wenn mir die Einsamkeit einmal gar zu traurig wird, kann ich leicht wieder froh gemacht werden durch einen besonders schönen Ritt. Es ist wirklich bezaubernd und giebt einen fast berauschenden Begriff von dem Reichtum und dem Reiz der Tropenwelt, wenn wir so langsam und schweigend neben dem abendlichen Wald herreiten, manchmal Viertelstunden lang begleitet von dem wollüstigen Duft prachtvoller Orchideen, die in selbstgenügsamer Schöne hier an den uralten einsamen Stämmen tief im Walde blühen, oder wenn am Nachmittag im hellen Sonnenlicht handgroße blaue Schmetterlinge paarweise, die Köpfe unserer Pferde fast streifend, vorüberflattern. Aber wir +gehen+ auch viel spazieren, bei welchen Gelegenheiten ich meine „Naturalien“-Sammlung zu vervollständigen suche. Neulich fand ich eine ganze Anzahl riesengroßer leerer Häuser von Erdschnecken, und von Schlangen könnte ich schon eine ganze Collection haben, wenn ich alle aufheben wollte, die hier getötet werden. Vor einigen Tagen habe ich selber mit meinem Regenschirm ein kleineres Exemplar von diesen Unholden totgeschlagen, und das Kindermädchen bringt, wenn sie mit den Kleinen spazieren geht, öfters solche ekelhafte Reptilienleichen an, für die wir uns ein besonderes „Massengrab“ eingerichtet haben. Meine Käfersammlung aber habe ich in ihren Anfängen verkümmern lassen müssen; ich konnte das Morden nicht mehr aushalten, Grete. Wenn ich sie eben mit Chloroform getötet zu haben glaubte und sie dann vor das Fenster in die Sonne zum Trocknen legte, dann lebten sie nach einer Stunde oft wieder auf und krochen schwerfällig umher. Das war mir zu ekelhaft, meine Kaltblütigkeit scheint sich nur auf Baraten und Schlangen zu beschränken. Von ersteren haben wir hier, Gott sei Dank, so gut wie gar keine, wie denn überhaupt das Insect auf dieser hochgelegenen Pflanzung glücklicherweise nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Worunter wir am meisten leiden, ist die auch hier herrschende große atmosphärische Feuchtigkeit, deren Regiment jetzt mit der heißen Zeit, wo es fast jeden Tag regnet oder gewittert, wieder beginnt. Da werde ich denn wohl von Zeit zu Zeit eine Trödelbude aus meinem Zimmer machen müssen, wenn mir nicht alles verstocken soll. Übrigens habe ich jetzt als vortreffliches Mittel gegen Stockflecke in Handschuhen gelernt, diese in einer Schachtel mit Hirschhornholz aufzubewahren, wobei man nur die Knöpfe zu umwickeln hat, da diese sonst anlaufen. Heute fördert’s schlecht mit meinem Briefe, Herzensgretel, denn vor meinem Fenster auf dem freien Platz werden schwarze Bohnen ausgedroschen. Sechs Neger stehen einander zu je dreien gegenüber und schlagen mit langen Bambusstöcken auf die Bohnen los; das eintönige, taktmäßige Geräusch geht nun schon seit heute Morgen um 7 Uhr vor sich und hat uns auch durch sämtliche Schulstunden begleitet. Das gelegentliche Singen unserer Drescher daheim wird hier ersetzt durch einen beliebigen aber rhythmischen, oft allerdings ganz blödsinnigen Satz, den der erste Drescher erfindet oder doch vorspricht, und den die anderen mitsprechen, und nach dessen Takt gearbeitet wird. „~Que bom chà, que bom~“ (Welch’ guter Thee, welch’ guter) ist Cäsarios geistreiche Erfindung, nach der hier die schwarzen Bohnensträucher geprügelt werden, und ich darf wohl mit Wahrheit behaupten, daß ich diesen imaginären Thee heute wohl einige tausend Mal habe loben hören. Übrigens trinke ich hier jetzt keinen chinesischen Thee mehr, weil er mir Schlaflosigkeit verursacht, sondern ich nehme des Abends auf Dona Maria Louisas Rat statt dessen Thee von Kopfsalat zu mir, der mir anfangs natürlich schauderhaft schmeckte, an den ich mich jetzt aber sehr gewöhnt habe, zumal er in der That eine leicht beruhigende Wirkung hat. Was gäbe ich um ein kleines Fläschchen Bier hier am Abend! Aber das ist auf den Pflanzungen nicht zu halten und kostet schon an den Hafenplätzen einen Milreis, also 2 Mark die Flasche! Mit Getränken ist man überhaupt schlecht daran in Brasilien! Mittags wird von den Brasilianern ein kleines Glas Portwein getrunken, wie wir es zum Frühstück nehmen, aber die Sorte ist gewöhnlich so schlecht, daß wir daheim sie verschmähen würden, und dann ist das doch auch kein Wein, der in größeren Mengen als Tischwein genossen werden kann. Unser Wasser hier in Saõ Sebastiaõ ist recht schlecht und oft ganz gelb und lehmig, und den roten Lissabon-Wein, den mir Herr de Souza aus Saõ Paulo hat kommen lassen, trinke ich nur aus Courtoisie. Der Brasilianer ist kein Weinkenner und trinkt überhaupt wenig außer Wasser und Kaffee, von welchen beiden Flüssigkeiten er allerdings tagsüber erstaunliche Mengen zu sich nimmt. Widme mir das erste Glas Bowle, Gretele, das Du nach Empfang dieses Stoßseufzers zu Dir nimmst, und verurteile nie mehr einen Studenten, wenn er singt: „Ein Bursch wie ich, säuft ganze Fässer aus -- Fässer aus“ -- vielleicht will er nach Brasilien gehen und trinkt Vorrat, +woran er recht thut+! Mit welchem höchst forschen und schneidigen Ausspruch ich für heute schließe. Deine +Ulla+. [Illustration] Saõ Sebastiaõ, den 27. Oktober 1882. +Meine süße Grete!+ Heute muß ich Dir eine vollständige kleine Geschichte erzählen, und hoffentlich wirst Du sie nicht allzu unsympatisch finden, weil sie von einem -- Aussätzigen handelt. Die ganze Sache hat mich so beschäftigt und erinnerte mich zugleich unwillkürlich an die rührende Erzählung Xavier de Maistre’s: „~Le lépreux d’Aoste~“, daß ich nicht umhin kann, sie meiner Grete mitzuteilen. Es ist schon eine Zeitlang her und war vor unsrer Reise nach Santos, da ging ich eines Abends mit den Kindern langsam dem berittenen Neger entgegen, der die Briefe für die Pflanzung von der Station holte. „Da kommt er“, rief ich freudig aus, als sich vor uns in der Dämmerung etwas bewegte. „Ach, das ist ja gar kein Reiter“, lachte die kleine Albertina, „das ist Ignacio.“ „Wer ist Ignacio?“ „Nun -- Ignacio, wissen Sie.“ „Ist er ein Neger der Pflanzung?“ „O ja, aber er arbeitet nicht, er ist krank.“ „Was fehlt ihm denn?“ „Weiß nicht, er hat ein Loch unterm Fuß und an der Hand auch eins, und das will gar nicht heilen.“ Du weißt ja, Greteherz, daß ich einen fast krankhaften Ekel gegen alle Hautleiden habe, und so bog ich etwas seitwärts ab, als wir dem Neger nahe kamen. Eine große und durchaus nicht unkräftige Gestalt stand, als wir vorbeigingen, mit dem Hute in der Hand still, grinste und murmelte „~Soss kiss~“, um dann aber auf der Kinder freundliches „Guten Abend, Ignacio, wie geht’s, Ignacio?“ uns ein wiederholtes „danke, danke, Senhora; guten Abend, meine kleine Herrin, gelobt sei Jesus Christus“ nachzurufen. Die entsetzlich zerlumpte und schmutzige Kleidung des Schwarzen, das verwilderte Wollhaar und der große, struppige, für einen Neger ungewöhnlich starke Bart gaben dem auf seinen Stock Gestützten und sich mühsam weiter Schleppenden ein so abstoßendes Aussehen, daß der Widerwille in mir das Mitleid bei weitem überwog, und die Kinder nicht so ganz unrecht hatten, als sie nachher lachend zu Hause verkündeten, Mademoiselle habe sich vor Ignacio „gefürchtet.“ „Was fehlt ihm?“ fragte ich wieder statt aller Verteidigung. „~Quem sabe!~“ machte Dona Mara Louisa, „er hat überall am Körper Löcher und wunde Stellen, gegen welche auch die bewährtesten Blätter und Kräuter nicht helfen, so daß wir jetzt fast glauben, er ist lazaruskrank.“ Das wurde so ruhig hingesagt, als wenn man erzähle, es habe jemand einen Schnupfen. Grete, es überlief mich kalt. Ein Gefühl unsäglichen Jammers für den Unglücklichen, den die Schickung nicht tief genug demütigen zu können schien, überkam mich. Neger -- Sklave -- aussätzig! Es war fast eine Erleichterung zu denken, daß ihn nun nichts Schlimmeres mehr treffen könne. Was seine eignen Gedanken wohl darüber waren? Ob er um Hülfe rufen würde, wenn er in’s Wasser fiele? Ob er uns haßte, die wir gesund waren? Ich grübelte den ganzen Tag über diesen unglücklichen, vom Geschick gezeichneten Paria, und sein Bild ängstigte mich im Traum. Einige Tage später erzählte man mir, Ignacio sei aus der nächsten Umgebung des Hofes verbannt und der Verkehr mit ihm den Negern untersagt, damit er niemanden mit seiner traurigen Krankheit anstecke. Wie erbärmlich selbstisch ist doch der Mensch! Mein erstes unbewachtes und wie instinktives Gefühl war das der Erleichterung, daß ich die verwilderte, hinkende Gestalt des zerlumpten Aussätzigen nicht wiedersehen sollte, dann erst dachte ich an +sein+ Elend und -- suchte schließlich auch das zu vergessen. Bald darauf machte ich eines Morgens meinen gewohnten Frühspaziergang. Dabei schmetterte ich im Frohgefühl meiner Gesundheit und Kraft ein vergnügtes deutsches Lied in die brasilianische Landschaft hinein.... Plötzlich aber brach der Ton in meiner Kehle ab -- da kam ja der Aussätzige auf mich zugehinkt! Dem ersten blitzartigen Impuls gehorchend, kehrte ich jäh um und maß bereits mit eiligen Schritten meinen Weg zurück, als ich zur Besinnung kam. „Edel sei der Mensch, hülfreich und gut“ -- ich wagte es garnicht, Grete, diesen unseren Lieblingsspruch auszudenken, als er mir einfiel. Pfui ob meiner verletzenden Hast!... Dann war eine Stimme da, die mich entschuldigen wollte: die Erscheinung war so plötzlich gewesen, ich hatte auch gar nicht an den verkommenen Neger gedacht. -- -- Aber wiederum nein, nein, es half nichts, ich schämte mich, o wie sehr! Am folgenden Morgen ging ich zur gleichen Stunde denselben Weg. Das war meine Buße. An der nemlichen Stelle, wie am Tage vorher, traf ich den Aussätzigen. Sein unbedecktes Haar stand im Morgenwind, die Kleider umhingen zerlumpt den großen Körper, die dick umwickelten Füße erinnerten an seine Krankheit. Ein Schauer überlief mich, doch zwang ich mich, weiterzugehen. Da, als er ungefähr zehn Schritte von mir entfernt war, bog der Schwarze seitwärts in das wegelose Gestrüpp ein und schritt so, sich in ziemlicher Entfernung haltend, mit dem Gruße: „Gelobt sei Jesus Christus“ an mir vorüber. Mir brannte das Gesicht vor Scham in Gedanken an meine gestrige Flucht -- wie unsäglich klein war das gewesen! Ob er das wohl auch gedacht hatte? Ich wünschte, er wäre mir nicht so sorgfältig ausgewichen. Auf meinem Rückwege sah ich ihn nicht, aber der Lazaruskranke begann, fortan in meinem Gemütsleben eine Rolle zu spielen. Ich quälte mich mit dem Gedanken an ihn herum, fand mich jetzt klein und erbärmlich in meiner Scheu, dann wieder läppisch und überspannt in meinem Kampf gegen einen Ekel, den jedermann offen zur Schau trug, und dessen Berechtigung sein unglücklicher Gegenstand offenbar selbst anerkannte. Warum sollte ich allein mich überwinden, einem Menschen zu begegnen, den jedes glückliche Geschöpf floh! Ohne Ergebnis jedoch in diesem Gedankenstreit fand mich der folgende Morgen zunächst wieder auf dem alten Wege. Wie an den beiden anderen Tagen traf ich den Aussätzigen. Wieder bog er tief in das Gestrüpp ein, als wir an einander vorüberschritten, aber es fiel mir auf, daß er reinere Kleider trug und einen Hut auf dem Kopfe, den er lebhaft abzog, als er mir zweimal eifrig sein „~Soss kiss~“ zurief. Der Gedanke kam mir, als könne der arme Ausgestoßene diesem Austausch eines Morgengrußes mit einem der glücklicheren Wesen, aus deren Nähe ihn sein Elend bannte, mit einer gewissen Freude entgegen gesehen haben, und der Streit in mir war beendet. Ich beschloß, er solle dieses kleinen Trostes nun nie mehr entbehren. Da mich der folgende Morgen ein wenig früher als gewöhnlich hinausführte, so traf ich erst auf Ignacio, als derselbe eben aus einer kleinen Hütte von Bambus und Lehm trat, die zwischen Farren und Gesträuch lag. Als er mich sah, blieb er zurück. „Ist das Deine Hütte, Ignacio?“ rief ich ihm zu. „Ja, Senhora, meine“, rief er mit strahlendem Gesicht zurück. „Wohin gehst Du jeden Morgen?“ „Wasser holen zum Kaffee, Senhora.“ Seit wieviel Tagen, vielleicht Wochen mochten dies seine ersten Worte wieder sein! Jeden Morgen brachte ich nun dem Unglücklichen seinen Gruß aus der Welt der Menschen, und es war mir jedesmal eine Befriedigung, in der Entfernung sein Gesicht freudig aufleuchten zu sehen hinter dem hohen Ginster hervor, durch den er sich allmählich einen vollständigen Weg gemacht hatte. Dennoch blieben meine Morgenspaziergänge, die früher der schönste Teil des Tages gewesen, noch lange eine Überwindung -- vor allen Dingen sang und jubelte ich nicht mehr unterwegs. Dann kam unser Aufenthalt in Santos, und der Gedanke an den Aussätzigen wurde in den Hintergrund gedrängt. Kurz nach unserer Rückkehr sollte ich wieder an ihn erinnert werden. Eines Tages sah ich nämlich, wie Dona Maria Louisa verschiedene große Papierdüten mit Kaffee, Reis, Zucker und schwarzen Bohnen füllte. „Für wen ist das?“ fragte ich. „Die Lazaruskranken sind da“, war die Antwort. „Ignacio?“ „Nein, die Aussätzigen von Santa Barbara, eine ganze Anzahl dieser Kranken, die dort in der Nähe eine Art von Kolonie bilden und ihren Unterhalt erbetteln, um nicht durch das Geld[8] und den Eintritt in die Venden[9] ihr schreckliches Leiden zu übertragen. Die mittellosen Kranken sind auf diese Weise besser daran als in einsamer Verbannung, und wer daher z. B. einen lazaruskranken Sklaven hat, schickt ihn gewöhnlich dorthin. Sie leiden keine Not, denn jeder giebt ihnen reichlich.“ „Warum lassen Sie Ignacio sich ihnen nicht anschließen?“ „Er will nicht, weil er seine Tochter hier hat; wir haben es ihm oft vorgeschlagen.“ Trauriger und rührender Gedanke, diese Familie von Parias, die, durch einen gemeinsamen Fluch von der übrigen Welt geschieden, sich zu gegenseitiger Samariterschaft verbrüderte -- die Freimaurer des Elends.... Ich blickte der weiterziehenden Schar der Kranken nach, und ihr dankbares „Gelobt sei Jesus Christus“ schnitt mir ins Herz. Am folgenden Tage traf ich Ignacio nicht, so daß ich annahm, er sei ein Stück Weges mit seinen Leidensgenossen einhergezogen; als man ihn aber dann auch am anderen Tage bei der Rationenverteilung auf seinem Posten hinter der Barriere vermißte, wurde ein alter Neger hingeschickt, um nach ihm zu sehen. Der Auftrag war wohl ein unliebsamer, der Bericht jedenfalls ein liebloser: Ignacio behaupte, krank zu sein, hieß es, doch könne er nicht sagen, wo es ihm fehle, und demnach würde wohl das ganze Übel nichts weiter als Trägheit sein, er wolle bedient werden und scheue gar die kleine Mühe des Kochens. Ich war erstaunt und verletzt zu sehen, ein wie bereitwilliges Echo diese lieblose Äußerung fand, und sann nach, was zu thun sei, wenn dies fortdauere. Am nächsten Morgen traf ich jedoch den Aussätzigen, der aber schmutzig und nachlässig aussah, und dessen unglücklicher Gesichtsausdruck und matter Gruß mir das größte Mitleid abnötigten. Derselbe Tag brachte einen Regen, der mich durch seine Heftigkeit und Dauer mehrere Tage am Ausgehen hinderte. Ich dachte während der Zeit öfter an Ignacio, und ob er genügenden Mundvorrat und trocknes Brennholz in seiner Hütte haben werde; bei der Rationenverteilung fehlte er wiederum, und so oft ich täglich nach der Richtung seiner Hütte blickte, nie sah ich dort ein Rauchwölkchen aufsteigen. Grete, da kämpfte ich mit einem schweren Entschluß: sollte ich eintreten in die Hütte des Aussätzigen?! Ein Grauen schüttelte meinen ganzen Körper bei dem bloßen Gedanken daran. Aber: „Edel sei der Mensch, hülfreich und gut“ mahnte es wieder in mir. Was hatte ich denn bisher gethan für den Unglücklichen, was war mein Samaritertum gewesen? Ich errötete bei dem Gedanken, wie viel Überwindung mir das Wenige gekostet hatte, und mehr noch, da ich mir sagen mußte, daß meine Scheu vor dem Kranken weit weniger auf der Furcht vor Ansteckung beruhe, die bei mir immer sehr gering ist, vielmehr fast einzig in einem rückhaltlos groß gezogenen Ekel zu suchen sei. Um so mehr glaubte ich, mich überwinden zu müssen, und wiederholte mir, daß ich nichts gethan habe, wenn ich nicht dies eine thäte. Der Kampf war hart, und das erbitterte Ringen gegen mich selbst machte mich fast fieberisch. Einen Augenblick wies ich die Idee, bei dem Aussätzigen einzutreten, als eine wahnsinnige von mir und verspottete mich selbst ob meiner eingebildeten Samariterpflichten da, wo der Priester und der Levit vorübergingen; mochten doch seine Herren für den Leibeigenen sorgen, was ging er mich an! Dann wieder graute mir vor meiner eigenen Lieblosigkeit, und ich hatte ein Gefühl, als hätte mir die Vorsehung diesen Unglücklichen so recht besonders in den Weg geführt, als ginge er mich sehr viel an, mich vor allen andern, und als würde ich mehr als irgend jemand freveln, wenn ich ihn am Wege liegen ließe.... Ich faßte endlich den Entschluß, in die Hütte des Aussätzigen einzutreten, aber Grete -- ich will es Dir gestehen -- ich hatte am Abend vorher eine wilde, fieberhafte Hoffnung, in der Nacht zu sterben...! Früh am nächsten Morgen pochte es an die Hausthür. Einer der Holzfäller, die von der nächsten Kolonie hierher kommen, meldete, er habe aus der Hütte des Ignacio im Vorbeigehen ein vernehmliches Stöhnen hervordringen hören, habe sich jedoch gegraut, hineinzugehen, der arme Teufel sei gewiß recht krank. Ein Neger wurde hingeschickt, um nach dem Unglücklichen zu sehen und ihn mit Stärkungsmitteln zu versorgen. Ich begann meine Stunden, konnte aber meine Aufregung kaum bemeistern! Grade als wir Pause hatten, kam der Bote zurück. Er hatte einen +Toten+ gefunden. Gretele, da drang mir ein Erlösungsschrei aus der immer doch menschlichen Brust hervor, und „~homo sum~“ mußte ich mit Beschämung erkennen. Als aber dann ein heftiges Weinen mir die angespannten Nerven gelöst hatte, konnte ich ohne selbstischen Nebengedanken dem unglücklichen Paria die ewige Ruhe gönnen, und ich konnte nicht anders als mir vorstellen, wie das Wort, das fast das einzige war, das ich aus seinem Munde gehört, gewiß auch sein letztes gewesen sei: „Gelobt sei Jesus Christus.“ Ein alter, fast unbrauchbarer Ochsenwagen wurde bespannt, und, in eine Hängematte gelegt, fuhren zwei Neger den Toten zu seiner letzten Ruhestatt. Es war schon stark dämmerig gewesen, als sie im Dorfe anlangten und vor der Wohnung des Kaplans hielten, um diesen um Beerdigung der Leiche in einem der immer bereiten Gräber zu ersuchen. Aber so spät eine Beerdigung, und nun gar eines Schwarzen -- eines Sklaven -- eines Aussätzigen -- unverschämtes Ansinnen! Rauh war ihnen bedeutet worden, bis zum anderen Morgen zu warten. „Es geht nicht, wir müssen heim, Herr, wo sollen wir auch die Nacht über bleiben?“ hatten die Neger remonstriert. „Erlaubt denn, daß wir die Leiche in den Kirchhof stellen und selber umkehren.“ Auch dies war ihnen barsch verweigert worden, so daß die aufgebrachten Leute endlich gedroht hatten, die Leiche des Aussätzigen dem christlichen Geistlichen auf die Schwelle zu legen. Da befahl ihnen der Priester, die Aussätzigen der Kolonie herbeizuholen und von diesen die Leiche während der Nacht vor dem Kirchhofsthor hüten zu lassen. Die stille Krankenbrüderschaft ist dann gekommen, und es haben dem früheren Genossen ihres Elends, den die Menschen selbst über den Tod hinaus aus ihrer Gemeinschaft stießen, diese Paria der Menschheit die nächtliche Totenwacht gehalten. Ich erinnere mich, daß in jener Nacht hellglänzend das Sternbild des Kreuzes am Himmel stand. Aber jetzt muß ich oft denken bei dem heiligen Zeichen: Warum bescheint es +die Erde+! Ich will heute nichts mehr hinzufügen mein Gretele, aber ich schicke dieses erst mit dem nächsten Briefe zusammen ab. [8] In Brasilien zirkuliert fast nur Papiergeld. [9] Krämereien. [Illustration] Saõ Sebastiaõ, den 17. November 1882. Heute ging es mir und den Kindern wie dem Reiter über’n Bodensee; wir haben einen tüchtigen nachträglichen Schreck davongetragen. Bei unserem Spaziergange, den wir, durch das prächtige Wetter verlockt, ziemlich weit ausdehnten, kamen wir auch an einer großen Zuckerrohrplantage vorbei, wo wir an einer Stelle das kaum reife Rohr in einem großen viereckigen Stück herausgeschnitten fanden. Wir wunderten uns alle über diese merkwürdige stückweise Ernte und erzählten davon zu Hause. „O, das sind Maraõs, Senhor“, sagte Cäsario, der dabei stand, „ich habe in dieser Zeit auch manchmal geglaubt, spät Abends da drüben im Walde Rauch aufsteigen zu sehen, aber es war zu dunkel und neblig, um es genau zu unterscheiden.“ Du magst Dir meinen Schreck vorstellen, als mir auf meine Frage „was sind Maraõs?“ geantwortet wurde: „O, vor denen müssen Sie sich sehr in Acht nehmen und dürfen jetzt nie mehr allein so weit gehen. Maraõs nennen wir entlaufene und verwilderte Sklaven, die sich in die Wälder geflüchtet haben und dort wie die Wilden leben, die Nachbarschaft plündernd, wo sie können. Sie stehlen ihren Unterhalt meist auf den Pflanzungen zusammen, seltener bauen sie selbst im Walde etwas Bohnen und Mais; sie sind gefürchteter als die Indianer. In letzter Zeit gesellen sich auch manchmal +freigelassene+ Neger zu ihnen, die zu faul sind, um zu arbeiten. Diese Banden sind eine schlimme Wunde für Brasilien und würden dies noch mehr sein, wenn sie nicht durch das wilde Leben häufig zu Grunde gingen oder überhaupt sich mehr fortpflanzen könnten; Frauen gehen sehr selten mit, und so hoffen wir, wird dies mit einer Generation abgethan sein.“ Von jetzt ab werde ich wohl kaum den Mut haben, mehr zu thun, als feige ein wenig um’s Haus zu schleichen, denn diese Maraõs haben mir die Freude an unseren weiteren Spaziergängen auf’s Gründlichste verdorben. Was überhaupt diese schwarze Race für ein Druck auf Brasilien ist, und daß die Sklaverei schließlich ein weit größerer Fluch für die Sklaven+halter+ als für die Neger ist, das zeigt sich jetzt so recht, wo sie aufgegeben werden soll. Was, um Gotteswillen, soll aus den Millionen von freien Schwarzen hier werden! Bei uns in Deutschland, wo man die inneren Verhältnisse Brasiliens so gut wie garnicht kennt, wird man vielfach denken (und ich hätte das wahrscheinlich dort auch behauptet), sie würden gewiß meistens auf den Pflanzungen ihrer bisherigen Herren bleiben und dort als freie und bezahlte Leute weiter arbeiten, schon die Not würde sie lehren, tüchtige Menschen und nützliche Staatsbürger zu werden! Hier sehe ich aber, daß nichts dergleichen der Fall sein wird. Selbst ein Vergleich mit den Verhältnissen in der nordamerikanischen Union ist unangebracht. Erstens haben sie hier nicht das Beispiel der Tüchtigkeit vor sich wie dort. Der Nordamerikaner achtet die Arbeit und den Arbeitenden; er schafft selber und legt ungeniert mit Hand an; er verachtete in dem Schwarzen nur die untergeordnete Race. Der Brasilianer, weniger peinlich, aber anderseits hochmütiger und doch wieder ungebildeter, verachtet gradezu die Arbeit und den Arbeitenden. Er selbst arbeitet nicht, wenn er es irgend vermeiden kann, er sieht das Nichtsthun als ein Attribut des Freien an, und woher will man denn erwarten, daß der in tierischer Unwissenheit erzogene Sklave sich über solche Ansichten hinwegsetze, sich eine selbständige philosophische Ansicht gebildet habe oder bilden werde?! Er wird’s ruhig der weißen Race nachmachen und so wenig wie möglich arbeiten, und +wie+ wenig dieses „Mögliche“ ist, kann man nur hier an Ort und Stelle angesichts der Freundlichkeit der Tropennatur und der schier unglaublichen Anspruchslosigkeit jener Leute ermessen. Ich habe, seitdem ich hier bin, natürlich unendlich viel mehr als früher Interesse für diese Dinge genommen, lese auch viel darüber, und da sehe ich denn, daß manch ein geistreicher Tropenkenner zu den gleichen Ansichten gekommen ist, wie sie sich mir hier aufdrängen. Absolut das Gleiche, was ich eben behauptete, sagt Smarda, in seinem Ausspruche: „In den Tropen arbeitet niemand zum Vergnügen -- warum sollte es der bedürfnißlose Neger thun?“ Lewes schreibt: „Hunger ist das wahre Lebensfeuer, von dem alle Anregung zur Arbeit und Thätigkeit ausgeht, und wir mögen hinblicken, wohin wir wollen, wir finden in ihm die bewegende Kraft, welche die unermeßliche Kette menschlichen Treibens und Schaffens in Thätigkeit und Bewegung setzt. Laßt Nahrung im Überfluß vorhanden sein und leicht zu erringen -- und die Zivilisation wird unmöglich werden.“ Das paßt hierher; die Notdurft ist vorhanden oder doch leicht zu beschaffen, und Ehrgeiz oder Erwerbssinn (portugiesisch heißt beides mit dem gleichen Wort ~ambiçaõ~), die ihn zu persönlichen Anstrengungen geneigt machen könnten, liegen dem Sklaven und selbst dem Freigelassenen mit seltenen Ausnahmen fern; warum sollten sie sich also plötzlich in seinen vollkommen müßig aufgewachsenen Kindern finden? Und der geistreiche Fernando Schmidt (Dranmor), der 40jährige Beobachter brasilianischer Verhältnisse, sagt in einem seiner Leitartikel: „Keiner menschlichen Kreatur ist Feldarbeit verhaßter, als dem freien Neger. Nicht wie in den Südstaaten der amerikanischen Union heißt es bei uns, „wenn Dir die Sonne auf den Scheitel brennt, erringe im Schweiße deines Angesichts das, womit Du Deines Körpers Blöße bedecken kannst, wenn eisiger Frost sich über den Erdboden lagert“ -- in dem gesegneten Brasilien, in jenen Distrikten wenigstens, wo zur Zeit noch leider nur Zwangsarbeit die großen tropischen Handelsartikel erzeugt, ist uns die afrikanische Race darin überlegen, daß sie Jahr aus, Jahr ein dem ihren Aspirationen angemessenen Schlaraffenleben zu fröhnen versteht, und sobald sie der Zucht entrinnt, sich für die tägliche, leicht zu beschaffende Atzung keine großen Sorgen zu machen braucht. Eine geistige Regeneration kommt nicht in Betracht.“ Es geht eben hier in Brasilien, wie es nach einer Notiz in einer älteren Nummer des „~Economiste français~“, die mir neulich in die Hände fiel, in Jamaica seiner Zeit gegangen ist. Das Blatt sagt: „Neben der Aufhebung der Differentialzölle hat besonders die Sklaven-Emancipation die Prosperität der früher blühenden englischen Besitzung Jamaica vernichtet. Die Neger ergaben sich der Faullenzerei, und noch heute verdienen sie ihren Unterhalt nicht in den Pflanzungen; die Insel bedarf hunderttausend Kulies.“ Ich habe nach meinen Beobachtungen den Eindruck, daß auch Brasilien zunächst furchtbar leiden wird durch die Aufhebung der Sklaverei, zumal da man sich immer noch nicht entschließt, europäischen und besonders den nützlicheren germanischen Einwanderern günstigere Bedingungen zu stellen. Es wird nach zwei Seiten hin leiden, einmal durch den Wegfall der Arbeitskräfte auf dem Lande und dann durch die plötzliche Überschwemmung seiner Städte mit faulen und im besten Falle unnützen Bevölkerungs-Elementen. Man sieht ja jetzt schon so ziemlich, was Brasilien wenigstens von den ersten beiden Generationen seiner freien schwarzen Mitbürger erwarten und hoffen darf. Von den Männern bleibt nur ein verschwindend kleiner Teil auf dem Lande als freie Feldarbeiter; nur ein geringer Prozentsatz von Allen wurde bisher, wenn auch nicht zu besonders fördernden, so doch auch nicht zu störenden oder schädlichen Mitgliedern der freien Gesellschaft. An ein Plus von Arbeit und Schaffen der schwarzen Bevölkerung aber, über die eigenen bescheidensten Bedürfnisse hinaus, ein Plus, das also indirekt dem Lande zugute käme, sei es was Bodenkultur, sei es was Industrie anbetrifft, ist wohl noch in vielen Jahrzehnten nicht, wenn überhaupt zu denken. Von den alten, verbrauchten Freigelassenen schrieb ich Dir schon, daß sie oft dem größten Elend ausgesetzt sind; von einer alten Negerin las ich einmal, daß sie in der Nacht nach ihrer Freilassung aus Mangel an Obdach in einem hochgelegenen Bergstädtchen erfroren sei, und mit was für einer Unzahl von Bettlern beiderlei Geschlechts die Sklaven-Emancipation die Städte beglückt hat, ist gradezu überwältigend. Ich weiß nicht, ob es Selbstironie sein sollte, was in Saõ Paulo die Polizei bewog, die dortigen -- mit Nummern zu versehen!! Die jüngeren Frauen, besonders die Mulattinnen, sind zum großen Teil moralisch verkommen und rühren gewiß keine Arbeit an, wenn sie anders existieren können. Die älteren Weiber schmarotzern sich so durch, essen heute bei der früheren Herrschaft, morgen bei deren Eltern, einmal in der Küche befreundeter Sklavinnen, ein ander Mal wird das Mittagbrot aus einigen Bananen und etwas Brot billig zusammengesetzt. Wer die Schlafstelle einer Negerin kennt, weiß, daß sie überall aufzuschlagen ist: eine Matte und ein Tuch über dem Kopf ist leicht irgendwo gewährt. Das wenige Geld, dessen sie doch etwa noch benötigen, verdienen sie meistens durch Waschen oder Nähen, öfter noch durch Früchte- oder Konfekt-Verkauf in den Straßen; doch darf bei ihrer Arbeit nicht im entferntesten an eine regelmäßige und angestrengte Thätigkeit gedacht werden. Selbst wenn sie in einen Dienst treten, so ist ein ewiges Wechseln desselben die Hauptsache dabei. Und zu alledem giebt es jetzt (1882) etwa noch eine Million Sklaven in Brasilien. Wie werden die Zustände nun erst werden, wenn die alle auch noch frei sind! Und dieser Zeitpunkt wird nicht mehr allzu fern sein, denn die Emanzipation schreitet täglich vorwärts. Der staatliche Fonds reicht ja allerdings nicht entfernt aus, aber die provinziellen Verbände helfen, und unzählige Sklaven werden frei durch Privat-Initiative. Ein Verwandter von Herrn de Souza, der sehr reich ist, hat alle seine Sklaven, deren gegen 300 waren, freigegeben und sie mit enormen Kosten durch „Kolonisten“ aus der Schweiz und Tyrol ersetzt; und dies Beispiel ist nicht das einzige seiner Art. Auch manch deutschen Namen sieht man unter der Zahl solch edelmütiger Herren. Bei besonders erfreulichen Familienereignissen oder sonstigen Anlässen ist es jetzt allgemein Brauch, seiner Freude durch Befreiung eines oder mehrerer Sklaven Ausdruck zu geben; bei der Geburt eines Kindes, bei der glücklichen Rückkehr eines in Europa erzogenen Sohnes, bei einer besonders günstig ausgefallenen Ernte oder Spekulationen erhält mancher Sklave seine „Carta“. Wenn Maricotas Bruder Bento aus Cassel zurückkommt, erhält das hiesige Factotum, Cäsario, die seine, wurde mir neulich anvertraut. Eine Menge Sklaven werden frei durch testamentarische Verfügung, doch wird von den Besitzern ein derartiges Testament streng geheim gehalten, da sie sonst fürchten, vergiftet zu werden. Alleinstehende Leute machen sogar manchmal ihre Sklaven zu, natürlich freien, Erben ihrer Pflanzung, doch scheint mir diese Art von Humanität recht wenig angebracht, da die Schwarzen in solchem Falle gewöhnlich schon nach kurzer Zeit Besitzer einer Wildnis sind und dieselbe sämtlich verlassen, um in den Städten ein mäßiges Vagabundenleben zu führen, das ihren Neigungen weit mehr entspricht, als ein geordnetes, arbeitsvolles Dasein. Daher wußte eine kürzlich verstorbene Dame aus Minas geraes auch wohl, was sie that, wenn sie bestimmt hatte, daß eine ihrer Pflanzungen nur für eine bestimmte Anzahl von Jahren ihren 32 freizulassenden Negern zur Nutznießung überlassen werden und dann an zwei milde Stiftungen fallen solle. Von dem eklatantesten Fall aber, wie gefährlich unbedachte Humanität wirken kann, erzählte mir neulich Dona Maria Louisa. Eine alte Schwarze, die ihr früher einmal gehört hatte, war vor einiger Zeit zu ihr gekommen, um ihre Not zu klagen. Sie war bei ihrer neuen Herrin nach deren Tode auch Miterbin der Pflanzung geworden und erzählte nun, daß auf derselben ein schrecklicher Zustand herrsche. Einige der früheren Sklaven und jetzigen Besitzer arbeiteten und ernteten, die Faulen verlangten dann, von deren Mühen mitzuleben, was ihnen jene natürlich weigerten. Darüber käme es dann oft zu blutigen Raufereien, bei denen schon fast die Hälfte der Neger um’s Leben gekommen sei. „Nein“, hat sie ganz überzeugt geschlossen, „damit hat unser Senhor keinen Segen gestiftet, daß er uns die Fazenda hinterlassen hat, dafür kommt er in die Hölle!“ Das scheint mir nun allerdings für den seligen Sklavenbaron und sein gewiß gutgemeintes Testament ein etwas gar zu hartes Prognostikon, aber es liegt thatsächlich eine enorme Ungeschicklichkeit darin, ohne Übergang den Sklaven zum Herrn zu machen, so durchaus abhängig erzogene Wesen plötzlich mündig zu erklären. Aber das Ganze „mutet an“, nicht wahr? Die Zustände sind so recht behaglich und vertrauenerweckend? Ich kann Dir nur sagen, Grete, daß ich auf einer großen Sklavenpflanzung jetzt nicht sein möchte. Aber nun wirst Du wohl genug haben von Negern und Sklaverei, und da kommt auch Albertina, mich zu holen, damit ich das längste Zuckerrohr ansähe, das ich je gesehen hätte! Adieu, mein Herzensgretel, schreibt mir nur ja rechtzeitig zu Weihnachten; nächste Woche müßten Eure Briefe dazu schon abgehen; ob Ihr wohl daran denkt? Deine alte +Ulla+. [Illustration] Saõ Sebastiaõ, den 5. Dezember 1882. +Meine liebe Grete!+ „Das längste Zuckerrohr, das ich je gesehen“, steht in der Veranda in einer Ecke; das feierliche Herbeibringen des längsten Rohres ist hier, was bei uns der Erntekranz. Die Zuckerernte ist in vollem Gange und -- alles klebt. Es ist scheußlich. Die Kinder kauen von Morgen bis zum Abend „~canna~“, das sie manchmal hübsch abschälen und in Stückchen schneiden lassen, gewöhnlich aber einfach aussaugen, so gut es die Rohrschale erlaubt, und die Reste um sich herum spucken. Die kleinen Neger konntest Du die letzten Tage absolut nicht anders erblicken, als mit Zuckerstöcken in den Mündern, über deren mögliche Bewältigung einen nur die Verhältnismäßigkeit ihrer Kauwerkzeuge beruhigte. Jetzt ist die rohe ~canna~-Periode vorbei, und wir sind in das Zeichen des Syrups eingetreten, ein recht zweifelhafter Fortschritt. Gestern wurde die Maschine aufgestellt, die das Rohr zermalmt und auspreßt, und heute Morgen vor dem ersten Frühstück brachten die Kinder mir triumphierend einen großen Becher Zuckersaft, wie er unmittelbar den ausgepreßten Stangen entquillt. Er ist dann grünlich, verhältnismäßig klar und dünnflüssig wie Wasser und schmeckt merkwürdigerweise lange nicht so ekelhaft süß, wie man vermuten sollte; Klein und Groß vertilgt ihn literweise. Dieser Saft läuft durch Röhren in große Kessel, wo er gekocht wird und sich so zu Melasse verdickt, die, abgesehen von einem etwas feineren Geschmack, völlig unserem Syrup entspricht. Heute Mittag brach diese „Melado“-Periode an, wir hatten welchen zu Tisch mit ~canjica~ (gekochtem Mais) zusammen, und seitdem sind die Kinder schon zwei Mal umgezogen worden. Alles schwelgt in der Zuckerernte, sogar, oder vor allem, die Schweine, die die ausgepreßten Rohre bekommen und dabei zusehends an Umfang zunehmen. Die ganze Natur rings um die Fazenda riecht, aber nicht unangenehm, nach dem gekochten Saft. Wenn die Melasse dick genug ist, kommt sie in große hölzerne Behälter zum Krystallisieren, und damit dies schneller und besser vor sich gehe, wird sie mit -- Kuhmist bedeckt! So wenigstens machen es die meisten kleinen Pflanzer, sagte mir Dona Maria Louisa; hier wird glücklicherweise statt dessen eine besonders fette Lehmsorte genommen, die sie auf der Pflanzung haben. Im Großen wird die Zuckerbereitung in Brasilien eigentlich nur vom Staat betrieben, und in dem fiskalischen Etablissement sind die ganzen Einrichtungen auch modernerer Art; die Pflanzer bauen meistens nur, was sie zum eigenen Verbrauch benötigen, und wer die Rohrkultur in größerem Maßstabe betreibt, der verkauft gewöhnlich die rohe ~canna~ an den Staat. Den 11. Wir sind in eine neue Zuckerphase getreten; die Melasse hat regelrecht ihre Metamorphose zum gelben Streuzucker durchgemacht, und dieser liegt nun in hellen Haufen auf Matten im Hofe aufgeschüttet, um zu trocknen. Grete, weißt Du, worüber ich mich bei der ganzen Sache am meisten freue? -- Daß ich nicht immer dabei bin, denn sonst wäre ich wahrscheinlich nicht im Stande, hier noch irgend etwas Süßes zu genießen. Von den unzähligen Mosquiten, Fliegen, Wespen, Bienen und Ameisen, die sich ihr Scherflein von dem Zuckerhaufen holen, will ich noch garnicht einmal reden, aber da keinerlei Umzäumung diese süßen Berge schützt, so kommen auch Katzen und Hunde zu Gaste und wollen ihr Teil an der allgemeinen Zuckerfreude von Saõ Sebastiaõ. Diesen ersten, noch ziemlich dunkeln Zucker bekommen allerdings nur die Neger zu ihrem Kaffee, aber ich habe so meinen leisen Verdacht, als würde er zum Kochen doch auch für uns in die Küche geschmuggelt. Der für die Herrschaft bestimmte Zucker wird raffiniert, aber auch nur hier auf der Pflanzung und auf die ursprünglichste Manier. Ganz hell wird er überhaupt nicht, und absolut weißen Zucker sieht mancher Brasilianer nicht, so alt er wird. Du siehst auch in den besten Häusern hier keinen Brodzucker, und die Kinder amusierten sich neulich höchlich darüber, daß in ihrem französischen Lesebuch von einem „Stück“ Zucker die Rede war; sie hielten das für einen wunderbaren schriftstellerischen Lapsus. Weißt Du, Gretele, im Ganzen, glaube ich, können wir mit unserem Runkelrübenlande zufrieden sein -- etwas appetitlicher scheint es mir denn doch da zuzugehen. Schließe sie mit in das bewußte Glas Bowle ein: Deutschland und -- seine Runkelrübe! Deine +Ulla+. _Saõ Sebastiaõ, den 18. Dez. 1882._ _Gretele, Herzensgretele, denke Dir, ich reise zu Weihnachten nach Saõ Paulo! Schaumanns haben mich eingeladen, und ich gehe am 22. hin. Ich kann mich gar nicht fassen vor Glück! Wie anders wird es sein als im vorigen Jahr! Und ich werde sie alle wiedersehen, die lieben Menschen, Schaumanns vor allem und Fräulein Meyer und die kleine Harras und -- und -- alle!_ _Ach, Grete, ich bin ja_ _Deine so glückliche_ _Ulla!_ [Illustration] Saõ Paulo, den 28. Dezember 1882. +Meine einzige Grete!+ Ist das eine hübsche Weihnachtszeit mit deutschen Menschen, deutschen Liedern, deutschem Festtagskuchen! Nur daß die Tropensonne dreinleuchtet und sengt, als wolle sie sich rächen für unser Versenken in die Bräuche der kalten nordischen Heimat, und die Bananen draußen scheinen unzufrieden zu rascheln, und die Palmen schütteln die Häupter, wie wenn sie sagen wollten: „Wie könnt ihr bei unserem Anblick an düstere Tannen denken!“ Und doch -- und doch, Grete! Dranmors „einzige, schneebehang’ne Tanne“, sie hat mich diese ganzen Tage über verfolgt, denn der Christbaum fehlte, wenn auch sonst alles weihnachtlich war, und man mit überreichen Gaben freundlich auf den Gast bedachte. Was doch an solch einem Baum für eine Poesie haften kann! Mein Bruder behauptete immer, ihm wäre nicht eher weihnachtlich zu Mute, als bis diverse Wachsflecke den Fußboden zierten und es durch alle Stuben nach versengten Tannennadeln röche. Ich wußte auch früher, daß er auf dem Grunde dieser immer halb spöttisch vorgebrachten Äußerung die Poesie der Weihnachtszeit mehr empfand, als er es je Wort haben wollte, aber wie viel daran war, merke ich erst jetzt, wo ich vergeblich den „Weihnachtsduft“ in den Zimmern suche. Und selbst draußen -- ach Grete, wie viel schöner ist doch solch’ ein weißer, schneeiger Platz in Berlin, auf dem in langen Reihen die Tannen stehen, als dieser sonnengetränkte südliche Garten mit seinen Rosen und Palmen... Ich bin undankbar, wirklich, ich muß es sein, denn die Menschen sind so unendlich lieb zu mir, und das Land ist so märchenhaft schön, und dabei kann ich es nicht ändern, daß mir immer der Refrain des Liedes durch den Kopf summt, das wir neulich sangen: „’S ist zwar schön im fremden Lande, Doch zur Heimat wird es nie!“ Gestern war ich nämlich bei einer Erzieherin, die ein Klavier im Schulzimmer hat und ein deutsches Volkslieder-Album besitzt; wir waren im ganzen 6 deutsche Mädchen und haben das Album bis auf das letzte bekannte Lied durchgesungen, so daß ich heute noch heiser bin. O grüße es mir, grüße mir mein schönes Deutschland und seinen frohen Sang! +Den 29. Abends.+ Soeben komme ich von der englischen Familie, mit der ich zur Zeit meines klassischen Römertums bekannt geworden war, und die mich zum Christmas-Pudding eingeladen hatten. Mr. Hall hat mich nach Hause gebracht, denn er war auch da, wie er überhaupt sehr befreundet mit Emersons ist. Aber ich weiß garnicht, Grete, was mit ihm vorgegangen ist, seitdem er damals mit nach Santos hinunter fuhr: er hat kein Wort gesprochen den ganzen Weg über, so daß wir völlig stumm neben einander hergeschritten sind, denn ich sagte auch nichts. Und hier vor der Thür war er noch sonderbarer. Erst hielt er meine Hand eine Zeitlang fest und sah mich an (er hat wirklich bezaubernde blaue Augen!) als ob er etwas sagen wolle, dann ließ er sie rasch los, stieß hastig ein kurzes „~Good night~“ hervor und war so unartig, davonzulaufen, ehe ich die Thür aufgeschlossen hatte. Was sagst Du dazu, und was soll ich davon denken? Ob er verletzt war, daß ich garnicht gesprochen habe auf dem Wege? Aber es war doch seine Sache, von irgend etwas zu beginnen, und ich wußte auch wirklich nichts zu sagen, Grete. Es war ganz komisch; ich schwatze doch manchmal das Blaue vom Himmel herunter, aber vorhin fiel mir absolut nichts ein, was ich hätte sagen können, oder was mir einfiel, war dumm. Nun, die ganze Sache ist ja auch gleichgültig, und ich brauche ja nicht mehr daran zu denken. Morgen sollte ich eigentlich mit Emersons nach dem Maschinenlager gehen, wo er uns einige interessante Sachen zeigen wollte, aber jetzt werde ich +nicht+ hingehen, sondern dafür mein verwichenes klassisches Altertum aufsuchen, von dem ich allerdings wohl nur die kleineren Heldinnen vorfinden werde; die großen werden wohl in den ~collegios~ geblieben sein, die Brasilianer machen sich ja nichts aus Weihnachten. Adieu für heute, mein Gretel. Deine +Ulla+. ~P. S.~, +den 30. früh+. Soeben bringt die Post aus Santos eine Einladung zum Sylvesterball in der dortigen „Germania“ für Fräulein Schaumann und Bruder und „Besuch.“ Das bin ich, und so ist das Blauseidene denn doch nicht vergebens von Saõ Sebastiaõ hierher gewandert! Wie drollig kommt mir’s vor, hier zu einem Ball und sogar zu einem +deutschen+ Ball gehen zu können. Nur warm wird’s werden! [Illustration] Santos, den 2. Januar 1883. Liebe Grete! Der Ball ist gewesen und das Blauseidene auch. Wir haben viel getanzt, und es war furchtbar staubig und heiß in dem kleinen Saal. Was soll ich Dir sonst noch davon erzählen -- Du weißt ja, wie ein Ball ausschaut. Es ist eigentlich ein kindisches Vergnügen, nicht wahr, Grete? Ich habe mich im Grunde gelangweilt. Von Saõ Paulo war außer uns nur noch ein einziger deutscher Kaufmann da; ich hatte geglaubt, man würde sehr Viele von dort einladen. Ach Grete, manche Vergnügungen der Jugend sind doch recht thöricht! Ich werde jetzt verständig werden und mich so allmählich in die alte Jungfer hineinkapseln, das ist doch das einzig Richtige! Wie geht es Dir? Hoffentlich besser als Deiner +Ulla+. Das heißt, mir fehlt eigentlich nichts. -- [Illustration] Saõ Sebastiaõ, den 9. Januar 1883. Greteherz -- er war hier! Mr. Hall! Herr de Souza hat neue Maschinen gekauft, und da war er so gewissenhaft, selbst ihre Aufstellung zu überwachen. Ich war so überrascht und erschrocken! Aber ich muß Dir die ganze Geschichte erzählen, es war zu drollig! Wundre Dich nur nicht, wenn eine Melone die Hauptrolle in meiner Geschichte spielt -- sie verdient es! Wie ich von Saõ Paulo zurück- und in Santa Barbara auf der Station ankam, stand Cäsario schon da mit seinem Wagen. Ich wäre eigentlich lieber geritten, aber da ich Gepäck hatte, so mußten wir fahren. Santa Barbara ist berühmt wegen der prachtvollen Wassermelonen, die dort von nordamerikanischen Ansiedlern gezogen werden, und weil der Wagen nun doch einmal da war, so kaufte ich die größte, die ich bekommen konnte. „Die wiegt gut ihre 12 bis 15 Pfund“, grinste der Jüngling, von dem ich sie erhandelte, und der mir sie an den Wagen trug. „Nun, Cäsario“, sagte ich, vergnügt über meinen famosen Handel, „wo bringen wir denn diesen zierlichen Gegenstand noch unter? Er ist für die Kinder.“ Cäsario kraute sich das schwarze Wollhaar. „Hm, Senhora, es ist nirgend Platz.“ „Was“, rief ich, „ein ganzer Wagen und kein Platz für eine Melone -- hier ist ja ein Kasten unter dem Sitz.“ „Darin ist Senhoras Handköfferchen und Fleisch aus dem Dorf und etwas Weißbrot, es geht nichts mehr hinein.“ „So nimm die Melone auf den Bock.“ „Ja, Senhora, gern, Senhora, aber sie wird hinunterfallen, denn ich habe die vier Maultiere und die Peitsche.“ „Nun, so wird sie stolz neben mir auf dem Sitz fahren, gieb her“, entschied ich, als in der That der Wagen keinen weiteren Raum für die schöne Frucht zu haben schien. Das kleine offene Gefährt hatte auf einem höckerigen Rasenplatze hinter dem Stationsgebäude gehalten, aus dessen Höhen und Tiefen ihn jetzt wieder herauszuarbeiten, keine kleine Aufgabe war. Aber Cäsario wußte seine Tiere zu nehmen. Er verfügt über eine erstaunliche Menge ermunternder Zurufe und illustriert sie auf das Geschickteste durch kleine geeignete Peitschenbewegungen. Die Maulesel faßten endlich einen Entschluß und zogen an. „Hoho“, schrie ich zu gleicher Zeit, denn -- die Melone war zum Wagen hinaus. Alles, was ich bei dem plötzlichen Ausbruch von Eselsenergie hatte thun können, war, meinen Hut auf dem Kopf zu behalten, meinen Regenschirm aufzufangen, als er eben auf seinem Wege zum Wagen hinaus war, und selber darin zu bleiben, was ich auch nur mit Hülfe der verwickeltsten equilibristischen Kunststücke fertig brachte... „Halt, Cäsario, meine Melone!“ Glücklicherweise lag sie unversehrt in einer der Untiefen des höckrigen Rasens; Cäsario kletterte vom Bocke herunter und brachte sie wieder heran. „’S ist schlimm damit, Senhora“, sagte er, die große Frucht ratlos angrinsend. Aber ich war zuversichtlich: „O, ich werde sie jetzt schon besser festhalten“, behauptete ich, und Cäsario stieg wieder auf. Die ganze Serie von Schmeicheleien, Drohungen und Ermunterungen für die Maulesel wurde wiederholt; als diese dann aber wiederum einen Entschluß faßten, brachten sie den Wagen mit seinem ganzen Inhalt, Regenschirm und Wassermelone eingerechnet, glücklich aus dem Bereich des fatalen Rasenplatzes heraus. Eine mächtige Pfütze unter dem Schlagbaum, der das Bahnhofsterrain abgrenzt, brachte die glatte Frucht nochmals in nicht unerhebliche Gefahr, der sie nur dadurch entging, daß ich aufopfernd die rechte Seite meines Kattunkleides dem Einfluß der spritzenden Räder preisgab und der Melone beide Hände widmete. Aber nun sah der Weg vor uns friedlich aus. Ich versuchte es, die große grüne Kugel jetzt nur mit einer Hand zu stetigen und der Erfolg war zufriedenstellend, obgleich mir das Vergnügen, das große Ding vier Stunden lang festhalten zu sollen, bereits anfing, in zweifelhaftem Glanze zu erscheinen. Wenigstens wollte ich den Schirm aufspannen, ich brauchte mich wegen der dummen Melone doch nicht zum Mohren brennen zu lassen! Grete, ich sehe mich selbst noch, wie ich langsam, langsam den festen Griff, mit dem ich sie gepackt, ein wenig lockerte, dann vorsichtig die Hand emporhob und wachsam mit den Augen die Bewegungen der Frucht verfolgte, die unter meinen gespreizten Fingern immerhin noch mißtrauenerweckend genug wackelte. Aber es ging wirklich! Man konnte sie einen Augenblick loslassen! Der Schirm war aufgespannt und die Melone sich selbst überlassen -- wie erleichtert ich war! Nur beobachten muß man sie noch ein Weilchen... Ein Seitenblick: -- alles in Ordnung. Ob sie aber auch nicht nach vorn wegrutscht? Wieder ein Blick -- nein, da ist sie ja auf derselben Stelle... Aber sie konnte von der Seite unter dem Armgeländer wegschlüpfen... ein dritter Blick! Ach, da kann sie ja gar nicht durch.... In der Gegend, wo wir grade fuhren, wird die Landschaft sehr hübsch; einzelne Palmen auf den welligen Hügeln heben sich sehr malerisch gegen den südlichen Himmel ab und -- +nur+ eine rasche Wendung nach links: ja, sie ist da -- und dort die kleine Ansiedlung, das weidende Vieh -- Herrjeh, die Melone! Ach was, sie ist ja auf derselben Stelle.... Da hast Du einen Begriff, wie mich das lästige Ding quälte, das ewige Hin- und Herdrehen des Kopfes war nicht zu ertragen, lieber hielt ich sie wieder fest! Endlich kamen wir an eine Biegung, von wo aus, wie ich wußte, der Weg eine ganze Zeitlang sanft ansteigt -- hurrah, jetzt war ich wieder Herr über beide Hände. -- „Hier +kann+ sie nicht fort“, jubelte ich, und ich glaube, ich habe meine glatte und doch so ungefüge Peinigerin ordentlich triumphierend angelächelt. Aber, aber, Grete, das war die Rechnung ohne den Wirt gemacht oder hier ohne die mutwillig erstandene Frucht! Das Ding hatte wahrhaftig die perfidesten Einfälle, die man gewiß je an einer Wassermelone wahrgenommen. Nach vorn konnte sie nun allerdings nicht wegrutschen, aber nun begann sie, in Übereinstimmung mit dem leichten Trab der Maultiere, mir in regelmäßigen Intervallen von 30 Sekunden gegen die Seite zu prallen mit einer Vehemenz, die sich absolut nicht ignorieren ließ, und gegen die es einen passiven Widerstand nicht gab. Ich war empört auf die Melone, auf mich selbst, auf den Jüngling, der sie mir verkauft und noch grinsend ihre 12 bis 15 Pfund Gewicht betont hatte; es war grade, als hätte er gewußt, wie sich das große Geschöpf benehmen würde. Ein Versuch, die Melone, ohne sie mit der Hand zu stetigen, vor mir auf dem Schooß zu balancieren, scheiterte an einer Serie urkräftiger, auf meine Magengegend gerichteter Püffe von Seiten der Melone -- es war dem teuflischen Ding mit List nun einmal nicht beizukommen, sie war voller Ressourcen. Ein besonders lebhafter Zornesausruf von meiner Seite veranlaßte Caesario zu dem Rat, den Plagegeist auf den Boden des Wägelchens zu legen und ihn mit den Füßen zu halten. Dies schien mir eine glänzende Idee! Aber es war auch nichts mit ihr. Die schwere Frucht rollte den sie einschließenden Füßen nach vorn weg, und als ich diese dann mit zorniger Energie heftiger anpreßte, glitt das unleidliche glatte Ding auf der einen Seite hinüber, und ich mußte wieder allerlei gymnastische Kunststücke vollführen, damit sie nur nicht unter die Räder kam. Einen Augenblick war mir allerdings der Gedanke durch den Kopf geblitzt, was für eine Erleichterung es gewesen wäre, sie los zu sein, aber dann wieder dachte ich auch: „Nein, nun erst recht nicht!“ und stellte die Melone von neuem, jetzt aber auf ihre Spitze, zwischen meine Füße. Das ging auch ein Weilchen gut, und ich dachte schon, ich hätte nun wirklich und endgültig den Vorteil über sie errungen, als plötzlich Caesario es für gut befand, das rechte Rad des Wagens in eine tiefe Furche zu schicken, während das linke oben blieb. -- Ja, da half kein Widerstreben! Zwar klammerte ich mich mit eigensinnig zusammengekniffenen Lippen an den Armstütz des Wägelchens, zwar suchte ich mit aller Kraft auch die Melone zu dem gleichen Beharrungsvermögen zu zwingen, allein, Grete, dem Ungestüm einer fünfzehnpfündigen Wassermelone, die entschlossen ist, ihren Willen zu haben, ist man nicht gewachsen: abwärts rutschten Fuß und Frucht, und hinaus zum Wagen war die tückische Melone und lag in empörender Ruhe im Wegestaub, ehe ich mich noch von dem Schrecken, beinahe mit aus dem Wagen geschleudert worden zu sein, erholt hatte. Caesario hatte bereits gehalten und überreichte mir die wiederum unversehrte Frucht mit dem gleichen verlegenen Grinsen wie das erste Mal, während ich meinem Grimm gegen dieselbe auf deutsch Luft machte. Allein, hatte ich mich so lange mit dem dummen Ding gequält, so wäre es doch thöricht gewesen, jetzt in der letzten Stunde die Geduld zu verlieren. Ich gab der Melone ihren alten Platz auf dem Wagensitz wieder und verdammte wiederum meine linke Hand dazu, ihre Fluchtversuche zu vereiteln. Der Wagen stuckerte weiter. Die Sonne war schon seit einiger Zeit hinter Wolken getreten, und einzeln, wie zögernd fielen endlich die ersten Regentropfen aus der Luft. Ich will es Dir nur gestehen, Gretele: ich war mittlerweile schon so ärgerlich und nervös geworden, daß ein zorniger kleiner Faustschlag die Melone traf, als sei sie unfehlbar auch an dieser Prüfung schuld, und der verzweifelte Ausruf: „Und dabei keinen Regenmantel!“ begleitete ihn, ohne daß beides jedoch die hartherzige Melone in ihrem aufregenden Wackeln und Rucksen irre gemacht hätte. Nur Cäsario ließ ein, dem deutschen Ausruf ~au hasard~ angepaßtes „Sim, Senhora“, hören. Rasch wurde der Regen stärker, und mein wieder aufgespannter Entoutcas bedeutete sehr bald nur noch eine Traufe, die sich mir auf Schultern, Hut und in den Kragen hinein entleerte, je nachdem die Bewegungen des Wagens den Schirm dirigierten. Und zu alledem immer die Melone! Da lag das unförmliche Ding und triefte von Regenwasser, dem sich der aufgesammelte Staub liebreich gesellte und als Schmutz dem hellen Handschuh, der darauf herumzurutschen verdammt war, bald eine völlig undefinierbare Farbe verlieh. Ich hätte schließlich weinen können vor Zorn! Mit förmlichem Haß betrachtete ich die widerspänstige große Melone, erwägend, ob ich mich während der noch fehlenden Stunde Wegs mehr über etwaige neue Chikanen derselben oder darüber ärgern würde, wenn ich sie jetzt noch aus dem Wagen schleuderte. Ein plötzlicher heftiger Anprall des Wagens an einen Stein, der die Melone zu dem entsprechenden Angriff gegen meine Seite veranlaßte, entschied die Frage. Der unnütze Schirm wurde energisch zugeklappt, und mit beiden Händen ergriff ich die abscheuliche Frucht, um sie aus dem Wagen zu schleudern. „Was wollen Sie denn mit der schönen Melone thun?“ fragte in demselben Augenblick auf englisch eine Stimme hinter mir und ich sah, mich umwendend, einen Reiter unmittelbar hinter meinem Wagen... Grete, ich hätte in die Erde sinken können vor Scham! Das war Mr. Hall, und ich in dieser Verfassung! Das Kleid bespritzt, total verregnet, mit schmutzigen Handschuhen und mit dem zornigen Gesicht über der großen grünen Frucht -- ich war versteinert vor Schreck und wünschte ihn, ja denke Dir, im Ernst, ich wünschte ihn lieber tausend Meilen entfernt, als gerade in dem Augenblicke vor mir! Er ritt langsam neben dem Wagen her, während ich ganz rot und verlegen auf die Melone starrte, die ich noch steif in Händen hielt. „~Well?~“ machte er und lächelte. Da sah ich ihn an, und da lachten wir beide. „Das große Ding war auch zu unleidlich geworden“, sagte ich, begann jedoch unwillkürlich, ich weiß nicht warum, das „unleidliche“ Ding mit erneuter Sanftmut zu halten. „Geben Sie her“, sagte Mr. Hall, „ich werde sie Ihnen für den Rest des Weges tragen.“ „Ah! -- aber wie?“ „Hier in diesem Sack; den kann ich so an meinen Sattel hängen... Sehen Sie, so!“ „O danke!“ Grete, wenn ich nur nicht so zerzaust ausgesehen hätte! Ich freute mich förmlich, daß es nicht mehr weit war bis nach Saõ Sebastiaõ. Aber wo mochte Mr. Hall hinwollen, und wo kam er her? Ich scheute mich, ihn zu fragen, aber ich hätte es zu gerne gewußt. Wir sprachen überhaupt wenig, aber ich hatte so eine Ahnung, als +müsse+ er nach Saõ Sebastiaõ reiten. Jetzt kam ein Seitenweg, da wollte ich es schon erfahren. „Sie sollen um meinetwillen aber keinen Umweg machen“, sagte ich. Gretel, das war doch gewiß fein ausgedacht, und ich dachte, er würde nichts merken, aber er machte ein so drolliges Gesicht zu dieser Bemerkung und ich wurde so rot dabei, daß ich sie augenblicklich zehntausendmal mehr verwünschte, als vorhin die Tücken der Melone. „Ich reite meinen Weg“, lächelte Mr. Hall. „Ja, wollen Sie denn auch --“ „Nach Saõ Sebastiaõ, ja, genau wie Sie; ich komme von der Fazenda Santa Catharina.“ „Aber was --?“ Es machte ihm augenscheinlich Spaß, mich neugierig zu machen, was er in Saõ Sebastiaõ wolle, bis er mir zuletzt die Maschinen-Angelegenheit erzählte. So kamen wir zusammen auf Saõ Sebastiaõ an. Du kannst Dir denken, daß Souzas nicht wenig erstaunt waren zu finden, daß wir beide uns recht -- oder ziemlich -- ich meine, daß wir beide uns schon kannten. Er blieb nur einen Tag, aber diesmal war es so, als sei ich dazu bestimmt gewesen, mich einfältig zu betragen. Was mag er nur jetzt von mir denken! Als er nämlich gegen Abend fortreiten wollte, kam er, um mir Adieu zu sagen, in’s Schulzimmer, wo ich allein war und sang. Ich stand auf vom Klavier und reichte ihm die Hand. Da hielt er sie wieder fest in der seinen, wie an jenem Abend in Saõ Paulo und sah mich ebenso an wie damals. Diesmal aber sagte er auch etwas -- viel war es nicht -- nur „Ulla“ -- aber, Grete, mir war’s, als hätte ich meinen Namen noch nie zuvor gehört. Mir wurde einen Augenblick ganz wirr und betäubt zu Mute und dann -- -- bin ich dumme, ungezogene Gans davongelaufen und habe mich nicht wieder blicken lassen, bis er fortgeritten war. Werde ich denn ewig kindisch bleiben! Deine unartige +Ulla+. Er hat mir auch gesagt, Emersons wollten mich nächstens zum Ball einladen; ich freue mich schon furchtbar darauf -- ein Ball ist doch ein entzückendes Vergnügen, meinst Du nicht auch, Herzensgrete? Himmel, was er nur denken mag! Ulla von Eck George Hall Verlobte. +Saõ Paulo+, im Januar 1883. Süße Grete, es war auf dem Ball! Ich habe ja immer für Bälle geschwärmt!! Nun schreibe ich nicht mehr. Wir kommen bald beide, und ich -- als Deine überglückliche +Ulla Hall+. Wie drollig sich das anhört! Druck von Greßner & Schramm in Leipzig. End of the Project Gutenberg EBook of Leid und Freud einer Erzieherin in Brasilien, by Ina von Binzer *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LEID UND FREUD EINER *** ***** This file should be named 60701-0.txt or 60701-0.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/6/0/7/0/60701/ Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (Biblioteca Brasiliana Guita e José Mindlin) Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. 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