The Project Gutenberg EBook of Die Glücklichen, by Marie Bernhard

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Title: Die Glücklichen

Author: Marie Bernhard

Release Date: May 2, 2018 [EBook #57078]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE GLÜCKLICHEN ***




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Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist so dargestellt.

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.

Cover

Die Glücklichen.

Novelle

von

Marie Bernhard.

Leipzig

Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.


Nachdruck verboten.


[3]

1.

Die Glücklichen – so hatte Fräulein Rosa Hesse das junge Ehepaar getauft, welches, in Begleitung eines kleinen Töchterchens und einer ältlichen Dienerin, vor einigen Tagen seinen Einzug in das Pensionat Klinger gehalten hatte. Fräulein Rosa Hesse war der Schöngeist des Pensionats, sie hatte vor zwei Jahren eine Novelle in einem Familienjournal dritten Ranges erscheinen lassen, sie war in ihren Kreisen daheim in Frankfurt an der Oder als Gelegenheitsdichterin bekannt, sie las alles, wie sie mit besonderer Betonung zu versichern liebte … alles … und verschloß sich keiner Richtung in der Litteratur, weder der naturalistischen, noch der symbolistischen, denn Einseitigkeit war ihr ein Greuel.

Das Pensionat Klinger war bereits etwas zusammengeschmolzen, als das junge Ehepaar daselbst eintrat. Es war ein unfreundlicher, regnerischer Sommer gewesen. Klagen überall … aus der Schweiz – vom Salzkammergut her, wo der berüchtigte »Schnürlregen« tagaus tagein herabgoß – Klagen vom Ostseestrande und aus dem Engadin … Klagen endlich auch aus dem lieblichen Gebirgsnest in Süd-Bayern, in welchem man durch schönes Wetter sonst arg verwöhnt war.

Ein so reizendes Stück Erde! Tief gelegen – hoch gelegen, wie man's eben nehmen wollte, denn die zierlichen, wie aus der Spielzeugschachtel genommenen Häuschen kletterten hier waghalsig die Berge empor, versteckten sich dort eigenwillig unter breitästigen Obstbäumen tief drunten im Thal. Aber die Sonne fand sie alle und übergoß sie mit breiten Strahlenfluten hellen Goldes, und der Bergwind, wie er frisch und kühl vom Gebirge herunterfuhr, strich darüber hin – und ringsumher griffen die Berge wie die Glieder einer gewaltigen[4] Kette ineinander … einige grün, dicht bewaldet, die anderen kahl und schroff, hoch oben nur mit kümmerlichem Fichtenwuchs bestanden, und etwelche unter ihnen stolz zu den Wolken aufragend, ewigen Schnee auf dem Haupt, und in den Falten des Obergewandes blauschimmerndes Gletschereis!

Das Klingersche Pensionat lag auf einer mäßigen Höhe, wie von einer willfährigen Hand gerade dort hingeschoben, um den schärfsten Blick, die weiteste Umschau halten zu können … ein solid gebautes Haus, mit Reben umklettert, mit hübschen Altanen, da und dort und mit einem Garten, der in Terrassen zu den hinter dem Hause gelegenen Bergen aufstieg. Das Haus genoß eines guten Rufes seit Jahren schon, man war vortrefflich dort aufgehoben, man erhielt für gutes Geld gute Speisen und wurde sehr aufmerksam bedient. Heuer war der Besuch mäßig gewesen, der andauernde Regen hatte die Leute zurückgehalten.

Jetzt aber, gegen das Ende des August, da die Abende schon länger wurden und der Sommer sich dem Ende zuneigte, schien die Natur sich zu schämen ob all' der Unbill, die sie der armen Menschheit angethan. Nun wurde es lau und wohlig, nicht mehr schnob der Wind mit höhnischem Pfeifen von den Höhen herab – die Gebirgshäupter zogen langsam die Schleier nieder und sahen leuchtend ins Thal, goldfunkelnd strömte der Sonnenschein über das gesegnete Stückchen Erde, und es gab ein Aufatmen überall: Gottlob, wir haben den Sommer geschenkt bekommen!

In das Pensionat flogen Briefe von nah und fern, gleich weißen Friedenstauben – die späten Sommergäste meldeten sich. Viele hatten das Vertrauen verloren und wagten sich nicht mehr aus den Städten heraus, aber wer den Mut gehabt hatte, bereute es sicher nicht, denn die köstliche Bergnatur lachte vom hellen Morgen bis zum Abend in ungetrübter Herrlichkeit!

Fräulein Rosa Hesse war sich anfänglich etwas verwaist vorgekommen. Ja, ja, das alte Ehepaar aus Westpreußen[5] war gemütlich und gut, die zwei jungen Mädchen aus Dresden mit ihrem schwerhörigen Onkel schienen gut erzogen und legten ihr nichts in den Weg – aber war denn das ein Publikum für sie, den Schöngeist, oder ließ sich irgend etwas Romantisches, Anziehendes über diese Leute denken, die so ganz harmlos in den Tag hineinlebten, ihre Ausflüge besprachen, aßen, tranken und von höheren Interessen nicht den Schimmer besaßen?

Da war noch eine ältliche Dame aus Stettin in Pommern, die hatte ein feines, stilles Gesicht und kluge Augen … vielleicht hatte sie allerlei erlebt – aber sie ließ schwer an sich kommen. Sie schien leidend zu sein, suchte die Einsamkeit, grüßte sehr höflich, sprach mit sympathischer Stimme dann und wann ein paar Worte, die auch nichts besonderes sagten, und zog sich nach den Mahlzeiten sehr bald in ihr Zimmer zurück. Ein junger Handelsbeflissener, der mit den beiden älteren Herren zuweilen Skat spielte, und ein jüdischer Kaufmann aus Tarnopol vervollständigten die Gesellschaft – Fräulein Hesse ließ oft ihre Blicke mit stillem Seufzen über diese Tafelrunde gleiten und hielt sich mit Resignation an die ausgezeichnete Kost des Pensionates, obgleich materielle Dinge für ihre höher veranlagte Natur sonst wenig in Betracht kamen!

Da erschien wie eine Erlösung das junge Ehepaar.

Doktor Schott und Frau aus Augsburg, sagte das Fremdenbuch … aber Fräulein Rosas Inneres sagte viel mehr, ihre schlummernde Phantasie wurde wach und hob die Flügel – endlich, endlich Menschen, bei deren Anblick sich etwas denken ließ!

In der That, man brauchte kein Schöngeist und kein Enthusiast zu sein, um an diesen beiden ausgesuchten Exemplaren sein Wohlgefallen zu haben.

Die Frau, eine vornehme, zarte Erscheinung, lichtblond, wundervoll gebaut, mit köstlichen grauen, schwarzbewimperten Augen und einer Haut, wie weißer matter Samt – der Mann eine imposante Gestalt, gerade und stolz gewachsen,[6] gleich einer Gebirgstanne, der dunkle Kopf mit dem schmal auslaufenden schwarzen Bart an einen Spanier mahnend.

»Er ist doch eigentlich eine Schönheit!« äußerte Fräulein Hesse zu der ältlichen Dame aus Stettin. Warum sie »eigentlich« hinzufügte, erklärte sie nicht näher, aber zwei Minuten später konnte man sie zu den jungen Mädchen aus Dresden wiederum sagen hören: »Die Frau ist entzückend – und er ist doch eigentlich eine Schönheit!«

Daß Fräulein Hesse den glühenden Wunsch im Busen trug, den Objekten ihrer Bewunderung näher zu treten, wird ihr niemand verargen. Sie stellte sich bei Tisch in aller Form vor und legte in Blick und Ton eine gewisse Ehrfurcht, wie sie, ihrer Meinung nach, zwei von der Natur so offenbar bevorzugten Wesen zukam … aber Herr und Frau Doktor Schott erwiesen sich als ziemlich zurückhaltend; sie gaben höflich Rede und Antwort, indes in knapper Form, sie schienen nicht gesonnen, sofort Bekanntschaften anzuknüpfen.

»Ich wette, die junge Frau stammt aus adligem Geschlecht!« bemerkte Fräulein Hesse zu den jungen Dresdenerinnen, mit denen sie sich nachmittags im Garten erging. »Solch' eine Art, den Kopf hoch zu tragen und vornehm von oben herab zu grüßen, hat nur der feudale alte Adel. Glauben Sie es mir, ich habe den Blick dafür!«

»Hast du das Medaillon gesehen, Helene, das sie um den Hals trägt?« fragte das ältere Fräulein die Schwester. »Brillanten mit Türkisen – himmlisch!«

»Gott, und dies ganz schlichte weiße Wollkleid, wie ihr das steht, und was für Spitzen das hatte!«

»Reich müssen sie sein – und dazu bloß so schlichtweg Doktor Schott!«

»Was für ein Doktor, möchte ich wissen!«

»Das kleine Mädchen heißt Erna!«

»Süßer Name und neuerdings sehr in Aufnahme gekommen! Oberst von Stahls Töchterchen heißt auch Erna!«

»Wenn wir etwas Näheres wissen wollen, müssen wir das[7] Kindermädchen ausfragen. Diskret natürlich und so recht zutraulich, das ist für solche Leute das richtige!«

»Ach, Fräulein Hesse, wenn Sie das thäten!«

»Gewiß thue ich das! Mit allen Schichten der Bevölkerung den richtigen Ton treffen – verstehen Sie, mit allen – das ist das Siegel, welches eine umfassende Weltkenntnis uns aufdrückt – das ist das Geheimnis, das uns lehrt, in die Tiefen der menschlichen Natur zu dringen! Was mich treibt, ist nicht gemeine Neugier – nie dürfen Sie dies von mir denken! – es ist vielmehr der Drang, mich höher gearteten Wesen zu gesellen, sie zu erforschen und in ihrem Umgang meinem Dasein diejenige Abrundung zu verleihen, nach welcher der wahrhaft gebildete Mensch unablässig zu streben hat!«

Mit dieser wohlklingenden Sentenz verabschiedete sich Fräulein Hesse von ihren Begleiterinnen. Sie wäre wenig erbaut gewesen, hätte sie gehört, wie die jüngere Schwester zur älteren lachend sagte: »Ist doch 'ne verdrehte Schraube! Na, mir soll's recht sein, wenn sie etwas herausbekommt!« – Leider bekam sie nichts heraus.

Das Kindermädchen, eine ältere Person von stillem ernsten Aussehen, saß gegen Abend, während das junge Ehepaar einen weiteren Spaziergang unternahm, mit einem Strickzeug im Garten, die kleine Erna lud geschäftig Sand und Steinchen in einen buntgemalten Puppenwagen und blickte kaum auf, als Fräulein Hesse sie anredete: »Mein süßes kleines Mädchen, wie heißt du denn?«

»Erna Schott!«

Das dunkle Lockenköpfchen des Kindes wich unter der Berührung der fremden Hand, die schmeichelnd darüber hinstrich, zurück, die großen Augen blickten nicht ermutigend. Erna war sehr hübsch, eher dem Vater, als der Mutter ähnlich, und höchst zierlich und elegant gekleidet.

»Und kannst du mir auch sagen, wie alt du bist?«

»Drei Jahr und acht Monate!«

»Sieh, sieh, was du alles weißt! Und Doktor ist dein Papa?«

[8]

»Ja!«

»Ihr Herr ist wohl Arzt?« fragte Fräulein Hesse jetzt die Dienerin.

»Arzt ist Herr Doktor auch!« Die Person sah nicht auf und strickte emsig weiter.

»Mein Papa kann alles!« warf die Kleine selbstbewußt ein.

Fräulein Rosa lächelte wohlwollend.

»Du hast den Papa also sehr lieb?«

Erna warf mit einem Ruck den Kopf in die Höhe und sah die hartnäckige Fragestellerin mit einem merkwürdig erstaunten Blick an.

»Nun, meine Kleine?«

Das Kind blieb die Antwort schuldig und neigte sich wieder tief über den Puppenwagen, in den es mit beiden Händchen losen Sand füllte.

»Ist das kleine Mädchen immer so scheu?« wandte sich die Erforscherin der menschlichen Natur neuerdings an die Dienerin.

»Erna ist wenig an den Verkehr mit Fremden gewöhnt – Herr Doktor wünscht das auch nicht für sie!«

Das war deutlich! Fräulein Hesse war nah daran, sich zu entrüsten – schließlich – es war eben eine ungebildete Person, was konnte sie da verlangen!

»Ihre Herrschaft bleibt längere Zeit hier?«

»Ich weiß nicht!«

»Die gnädige Frau will vielleicht die Soolbäder hier gebrauchen.«

»Ich weiß nicht!«

»Adieu, mein Kind!« sagte Fräulein Hesse in hoffnungslosem Ton.

»Adieu!« sprach die Kleine in den Sandwagen hinein.

»Mach' einen Knicks, Erna, und sag' der Dame hübsch artig Lebewohl!« gebot die Wärterin.

Die Kleine gehorchte sofort. Sie richtete sich auf, wischte sich rasch entschlossen das sandige Händchen am Kleide ab und[9] reichte es mit einem tiefen Knicks und einem artigen »Grüß Gott!« der Dame hinauf.

»Wir werden noch die besten Freunde werden, nicht wahr, mein Herzchen?«

Wieder flog ein langer, messender Blick zu Fräulein Rosa empor, dann schüttelte Erna stumm, aber nachdrücklich den Kopf.

»Nun, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Zum Wiedersehen, meine Liebe!«

»Guten Abend!«

So endete Fräulein Rosa Hesses Versuch, in die untere Schicht der menschlichen Bevölkerung einzudringen.

»Es ist offenbar, die Leute isolieren sich absichtlich!« äußerte sie zwei Tage später gegen die beiden jungen Dresdenerinnen. »Diese endlosen Promenaden – diese großen Bergbesteigungen! Und bei Tisch so ganz miteinander beschäftigt, so total unzugänglich für alle anderen. Es muß ein ideales Glück sein, das sie so vollständig hinnimmt, ein Zustand völligen Ineinanderaufgehens – genau, wie es in dem Gedicht heißt: Vom ersten Kuß bis in den Tod sich nur von Liebe sagen! – Reich, schön, gesund, sich gegenseitig anbetend … beneidenswert! Die Glücklichen!«

»Ach Gott, ja!« seufzte Fräulein Helene noch. »Die Glücklichen.«

Fortan trug das junge Ehepaar diese Bezeichnung. Selbst der schwerhörige Onkel und das alte Ehepaar aus Westpreußen gewöhnten sich daran, die beiden so zu nennen.

»Sind die Glücklichen schon zurückgekommen?« »Haben Sie die Glücklichen heute bereits gesehen?« »Die Glücklichen wollen morgen früh nach der Klamm gehen!« So ging es in dem kleinen Kreise von Mund zu Mund – nur die alte Dame aus Stettin machte eine Ausnahme. Als ihr eine der jungen Mädchen kurzweg von »den Glücklichen« sprach, sah sie sie mit ihren klugen Augen an und sagte: »Sie meinen Doktor Schott und seine Frau? Ja, denen sind viele Bedingungen[10] zu dem, was man im Leben Glück zu nennen gewöhnt ist, gegeben!«

Fräulein Charlotte Hartwig – so hieß das ältliche Fräulein – wohnte in einem Seitenflügel der Villa Klingen, nur durch einen schmalen Korridor von den Zimmern »der Glücklichen« getrennt. Man kam wenig miteinander in Berührung. Eine zufällige Begegnung – ein höflicher Gruß, hier wie dort – eine gelegentliche Bemerkung über das herrliche Wetter, über diesen oder jenen Ausflug, den man unternommen – das blieben die einzigen Beziehungen der neuen Nachbarschaft. Fräulein Hartwig sah das Ehepaar mit Interesse an, sie fand beide schön und anziehend – sich aber darum an sie heranzudrängen, das fiel ihr nicht ein.

Bei Tisch war der Doktor nicht so schweigsam, wie seine schöne Frau. Er thaute allmählich auf, es ergab sich, daß er weite Reisen gemacht hatte und in anschaulicher Weise darüber zu reden wußte. Zuweilen hielt er einen förmlichen Vortrag, dem die ganze Tischgesellschaft voll Andacht lauschte – er nahm jede Unterbrechung auch sichtlich sehr übel auf, und hatte eine Art, Einwürfe, die ihm hier und da gemacht wurden, zurückzuweisen, die, bei aller Verbindlichkeit, etwas mitleidig herablassendes hatte, als habe er Kinder vor sich, denen man ein eigenes Urteil nicht zutrauen dürfe, die man eben reden lasse, um sie nicht zu kränken.

Für seine schöne Frau war er voll Aufmerksamkeit. Nie vergaß er, für sie zu sorgen, ihr das schönste Obst auszusuchen, ihr Weinglas zu füllen, sorgsam Thür oder Fenster zu schließen, damit ihr kein Luftzug nahe käme. Es war ein italienischer Händler mit hübschen alten Schmucksachen im Renaissancestil am Ort erschienen, die Damen hatten insgesamt die reizenden Sachen bewundert – Doktor Schott kaufte, ohne zu feilschen, den schönsten und teuersten Schmuck, den der Italiener besaß, für seine Frau, und diese erschien am folgenden Tage damit. Sie trug immer weiße Kleider von klarem oder dichtem Stoff und eine schwarzseidene breite Schärpe[11] um die schlanke Taille geknüpft; es sah aus wie Halbtrauer. Sehr häufig fand sie neben ihrem Teller einen kleinen Strauß der schönsten, auserlesensten Rosen, den der zärtliche Gatte für sie bestimmt hatte. Er selbst befestigte dann diese Blumen in ihrem Gürtel – fast schien es, als sei es ihr nicht lieb, das schlichte schwarz und weiß ihrer Toilette mit Farben zu beleben.

Die Dichterin Rosa Hesse schwärmte für Doktor Schott. In ihren Augen war er das Ideal eines Mannes – schön und stolz und klug – und sein ausgeprägtes Selbstbewußtsein gehörte zu ihm, es kleidete ihn gut. Er mußte so sein, fand sie – wenn ein Mann das Recht besaß, Selbstgefühl zur Schau zu tragen, dann war er es! Glückselig die Frau, die ihn sich errungen hatte, die die Wonne genoß, von ihm geliebt, beschützt und verwöhnt zu werden! Ob sie sich dieses Glückes in seinem vollen Umfang bewußt war – ob sie es ganz zu schätzen wußte, das erschien Fräulein Hesse leider zweifelhaft. Ein solcher Mann mußte, nach ihrem Dafürhalten, von seiner Gattin bedingungslos auf den Knieen angebetet werden … aber ob Frau Doktor Schott dies that? – Dem Anschein nach that sie es nicht, allein dies konnte nur weibliche Zurückhaltung, zarte Scheu sein! Fräulein Hesse indessen meinte, tiefer zu blicken: es wollte sie bedünken, als ob diese Frau diesen Mann nicht ganz verstand! – Sie war ein reizendes Geschöpf, das stand fest, das hatte wohl auch Doktor Schott, bei seinem ausgeprägten Kunst- und Schönheitssinn, bewogen, sie sich zur Lebensgefährtin zu wählen … allein, ob ihr Geist ihm genügte, ob ihre Seele der seinigen einigermaßen ebenbürtig war – das erschien der feinen Beobachterin mehr als zweifelhaft. Um den interessanten Mann in etwas zu entschädigen, gab Fräulein Hesse sein dankbarstes Publikum ab, sie lauschte seinen Worten, wie einem Orakel, sie saß mit vorgeneigtem Haupt und leuchtenden Augen da, wenn er sprach, bemüht, auch nicht einen Laut, der von seinen Lippen fiel, zu verlieren – sie rief entrüstet: »St!« oder »Bitte, bitte!« sobald jemand aus der Tischgesellschaft auch[12] nur mit einem halblaut gesprochenen Wort den Redefluß des Doktors unterbrach – und sie erlebte die Genugthuung, daß der Gegenstand dieses unermüdlichen Kultus nicht unempfindlich dagegen blieb, sondern meistens das Wort an sie richtete, wodurch ihre schwärmerische Verehrung noch beträchtlich gesteigert wurde.

»Die Glücklichen« machten erstaunlich zahlreiche und weite Ausflüge. Oft sah man sie schon beim frühen Morgen das Haus verlassen, den Doktor im praktischen Touristenanzug, die junge Frau in der kleidsamen südbayrischen Landestracht, so reizend lieblich und fremdartig darin anzusehen, daß die im Pensionat Klinger anwesenden Herren jedesmal eifrig aus Thür und Fenstern sahen, um früh am Tage schon ihre Augenweide zu genießen. Häufig wurde es Abend, die Dunkelheit brach herein, bis die beiden zurückkehrten, der Mann stattlich und elastisch wie am Morgen, seine junge Frau blaß und müde, sichtlich von den Strapazen einer solchen Bergwanderung angegriffen. Das hinderte das Paar indessen nicht, schon am folgenden Tage um sechs Uhr wieder auf- und davonzugehen und oft in einer einzigen Tour einen Weg zu machen, den andere in mehrfachen Absätzen zurückzulegen pflegten. »Ich kenne keine Ermüdung!« erwiderte Doktor Schott eines Mittags – es drohte stark mit Regen – auf Fräulein Hesses feurige Bewunderung seiner »phänomenalen Kraft« – und als jemand aus der Gesellschaft sich erlaubte, zu fragen: »Und Ihre Frau Gemahlin? Kennt auch sie keine Müdigkeit?« erfolgte mit souveränem Lächeln die Antwort: »Das ist leider noch zuweilen der Fall, muß aber überwunden werden. Ein normal gesunder Mensch hat über solche Schwäche Herr zu werden, und ich bin überzeugt, es wird hier mit der Zeit gelingen. Nicht wahr, liebe Melitta?«

Ein eigentümliches Lächeln glitt einen Augenblick schattenhaft über das Antlitz der blonden Frau. »Vielleicht!« antwortete sie leise und wandte sich dann sofort ihrer Nachbarin zu, die sie bat, ihr ein wenig Wasser ins Weinglas zu gießen.

[13]

»Das ist eine ganz heilsame Maßregel für Ihre Patienten, Herr Doktor!« bemerkte der alte Herr aus Westpreußen behaglich, erhielt aber ein abweisendes: »Ich praktiziere nicht!« als Antwort, so daß er ganz betroffen verstummte.

Es war gar nicht herauszubringen, was Doktor Schott eigentlich betrieb. Die übrigen Herren sprachen unbefangen von ihrem Beruf, dessen Licht- und Schattenseiten … er allein beobachtete Schweigen. Wofür hatte er den Doktortitel erworben? »Arzt ist mein Herr auch!« hatte das Kindermädchen gesagt – was sollte das bedeuten? Daß er sich auf seine medizinischen Kenntnisse viel zugut that, wußten alle, es war oft im Lauf des Gespräches hervorgetreten – an der Universität war er gleichfalls nicht, er hatte eine dahinzielende Frage mit einem kurzen »Nein!« beantwortet … was also trieb er? Was that er?

Es war gegen Abend desselben Tages. Ein starkes Gewitter hatte sich am frühen Nachmittag entladen, jetzt aber war die Luft prächtig gekühlt, ein lauer Rosenduft schwamm durch die klaren Lüfte, silberweiß umrissen zeichneten sich die Schneehäupter der höchsten Berge vom reinen Himmelsblau ab, und die schrägen Sonnenstrahlen umspannen die stolzen Gebirgsriesen mit einer flimmernden Glorie. Wie ein leuchtendes Netz zogen sich tausende von blitzenden Regenperlen über die weiten Grasflächen, und wenn die Sonne darauf hinspielte, zuckte es buntfunkelnd wie Diamantenpracht drüber weg.

»Schau, bitte, Mutterle, schau her, wie das goldig schön ist!« bat ein helles Kinderstimmchen draußen, und Fräulein Charlotte Hartwig öffnete leise das Fenster in ihrem Zimmer, bog sich hinter der Gardine hervor und spähte hinaus.

Das Kind, in seinem weißen kurzen Röckchen wie ein großer Schmetterling anzusehen, stand unten auf dem hellen Kiesweg und deutete mit den Händchen nach der flimmernden Pracht der tropfenübersäeten, sonnenbeschienenen Grasfläche. Wenige Schritte entfernt, dicht unter Fräulein Hartwigs[14] Fenster, so daß diese sie deutlich sehen konnte, lehnte die junge Frau in einem weit zurückgehenden Sessel, die Hände mit einer weißen Stickerei lässig im Schoß, das Köpfchen aufwärts gewendet. Offenbar hatte sie es gar nicht gehört, daß die Kleine sie anrief. Sie hatte geweint. Noch hingen schwere Tropfen an den dichten dunkeln Wimpern, die sich so schön von dem Blondhaar abhoben, um die süßen Lippen bebte es, und schwere Atemzüge hoben die Brust. Die dunkelumschatteten Augen sahen mit einem ergreifenden Ausdruck schmerzlicher Sehnsucht nach oben. Dort badeten die Berge ihre Häupter in flammendem Abendrot, es troff wie fließendes Gold von den Schneekanten, drüber stand der Himmel wie in hellem Feuer … ein glorreich schöner Sonnenuntergang, der den Tag wie triumphierend abschloß. Und dazu die schöne Frau mit der tiefen, tiefen Trauer im Gesicht, mit den schweren Thränen an den Wimpern – diesen Thränen, die sich jetzt eben loslösten und auf die ineinandergelegten Hände herabfielen.

Fräulein Hartwig zog sich leise vom Fenster zurück. Sie nickte vor sich hin, wie jemand, der eine gehabte Ahnung bestätigt findet.

»Schaust du denn nimmer all' die schönen bunten Perlen an, Mutterle, und da ganz hoch droben das viele Gold?« fragte wieder das helle Kinderstimmchen unten.

»Ja, Erna, ja, Mama sieht alles, und es ist wunderschön!« antwortete die junge Frau in gepreßtem Ton, als schnürte ihr ein Leid das Herz zusammen.

»Und du weinst auch nicht wegen Erna – gelt?«

»Nein, meine Kleine, du bist heut' gut und artig gewesen!«

Eine Weile blieb es still unten im Garten. Dann knisterte der Kies unter einem festen Männertritt, und eine sonore Stimme sagte: »Guten Abend, Litta. Wie, ganz allein? Und Thränen? Das ist doch wirklich kindisch – geradezu kindisch von dir! Als ob das Weinen einen anderen Zweck[15] hätte, als den, dir deine schönen, gesunden Augen gründlich zu verderben!«

»Zuweilen erleichtert es das Herz!«

»Das ist eine Phrase, mein Kind, nichts weiter, als eine althergebrachte thörichte Phrase – du denkst dir doch entschieden selbst nichts dabei, gesteh' einmal offen! Wann wird doch die Zeit kommen, da es mir gelungen ist, dich zu einer wahren Philosophin zu erziehen, die sich unbefangen des Gegebenen freut und es aufgiebt, um Verlorenes zu trauern?«

»Vielleicht niemals!«

»Wenn du fortfährst, in diesem sentimentalen und weinerlichen Ton zu mir zu sprechen, müssen wir unser Gespräch abbrechen!« Die Stimme des Mannes wurde hart und kalt. »Ich meine, du müßtest mir Dank wissen und einsehen lernen, daß ich dein Bestes wünsche. Du hast normale Geistesgaben, die zu entwickeln mir ein Genuß sein würde, aber das Gefühlsleben überwuchert alles andere bei dir in einer Weise, daß es mir faktisch oft unmöglich ist, mit vernünftigen Begriffen dir gegenüber zu operieren. Was ich sagen wollte … deine Thränen haben mich auf einen total anderen Gedankengang geführt … ich komme dich abholen. Das ganze Haus ist wie ausgestorben, alle sind zum Spaziergang fort – es ist prächtig draußen. Ich habe meinen alten Universitätsfreund Rothe zufällig auf meiner Wanderung getroffen, er ist seit heute früh mit Frau, Bruder und Schwiegereltern hier – der alte Kerl freute sich wie ein Spitz, mich zu sehen. Wir haben im »schwarzen Lamm« ein fideles Beisammensein verabredet, werden eine Bowle aufsetzen – es wird urgemütlich sein! Unser Abendessen hier im Pensionat habe ich schon bei der Hauswirtin abbestellt – Friederike wird Erna allein abfüttern. Ich habe alles vorgesorgt – du hast einfach deinen Hut zu nehmen und mitzukommen!«

Es trat eine Pause ein. Dann kam die weiche Stimme der jungen Frau schüchtern wieder.

»Es ist mir so leid, Udo, dir nicht den Willen thun zu[16] können – du weißt ja, ich füge mich immer sonst … immer! Aber diesmal heute – bitte, geh' allein! Ich kann heute nicht unter fremden Menschen sein – kann auch nicht lachen und froh erscheinen; es wäre eine erbärmliche Komödie. Du hättest es bedenken können – du weißt recht gut, daß heute der Tag ist, an dem« – – – sie konnte nicht weitersprechen.

Doktor Schott bohrte mit dem Stock so heftig in den Boden, daß der Kies umherstob.

»Natürlich weiß ich es – und glaubst du, ich hätte nicht daran gedacht? Es fiel mir sogar ein, während Rothe mich aufforderte, zum »schwarzen Lamm« zu kommen. Absichtlich habe ich auch für dich zugesagt – ich habe es mir fest vorgesetzt, es soll endlich einmal bei dir aufhören mit dieser ewigen Gefühlsschwelgerei!«

»Ein seltsamer Name für die tiefste und naturgemäß berechtigteste Empfindung!«

»Der einzig richtige Name! Naturgemäß berechtigt, sagst du? Durchaus nicht! Unser Verhältnis zu Siegmund war genau dasselbe, und siehst du mich etwa, gleich dir, in diesen haltlosen Schmerz versinken? Hätte die Natur dies vorgeschrieben, ich würde es zugestehen – so kann ich nur sagen: es ist ein individuelles Gefühl, das jeder von uns hegt –«

»Und wenn du deiner Individualität Berechtigung zugestehst, warum nicht der meinen?«

»Laß mich ausreden, Melitta, du weißt, ich kann es nicht vertragen, unterbrochen zu werden! Individualität! Du meine Zeit!« Die Stimme des Mannes nahm wieder den Ton herablassender Milde an, wie wenn er ein unvernünftiges Kind zurechtzuweisen hätte, »du bist ja eine Frau – noch dazu eine junge und schöne Frau – du stehst nicht im Kampf mit dem Dasein, wie leider heute so viele deines Geschlechtes. Ich habe dich gewählt, jung und bildungsfähig, wie du warst, ich sorge für dich, ich war und bin redlich bestrebt, deinem Wesen diejenige Form zu geben, die ich als richtige erkannt –[17] ein Streben, in welchem deine bisherige Erziehung mir leider nicht im geringsten vorgearbeitet hatte – wie kann da von Individualität deinerseits die Rede sein? Eine Frau, die, wie du, so jung in die Hände eines Mannes gerät, wie ich, hat durch ihn allein ihr Gepräge zu empfangen, und sollte es dankbar empfinden, wenn er sich unermüdlich dieser Aufgabe hingiebt, obgleich die Resultate ungleich geringer sind, als sich vor Jahren annehmen ließ. – Und jetzt genug davon. Erna, geh' zu Friederike hinein, sie soll dir dein Abendbrot geben.«

»Aber Mama hat doch erlaubt, ich darf noch dableiben, bis –«

»Noch ein Wort des Widerspruchs, und du gehst ohne Abendessen ins Bett. Ich denke, du weißt, wem du zu gehorchen hast. Küß' deiner Mutter die Hand und geh'!«

Wieder eine kurze Stille, dann wurde das bekümmerte, thränenschwere Stimmchen des Kindes laut, das, nach einem aus tiefster Brust hervorgeholten Seufzer: »Gut' Nacht, Mutterle!« sagte.

»Gute Nacht, mein Herzenskind, schlaf' süß!«

»Kommst du auch noch an mein Bett beten, gelt?«

»Gewiß, Liebling – nun lauf' schnell zu Friederike!«

»Also doch noch! Trotz meines Verbots! Wie oft habe ich dir gesagt: ich wünsche nicht, daß mein Kind mit solchen Faseleien großgezogen wird! Gebete! Das sind Dinge, die ihm das Hirn umnebeln, es untüchtig fürs Leben machen, jeden klaren Begriff verwirren. Mein Kind soll einen gesunden Verstand haben. – Du aber untergräbst ihn geflissentlich, wenn du ihn mit Vorstellungen nährst, die mit dem realen Leben kein Jota zu thun haben!«

»Müssen wir all' diese Dinge hier im Garten verhandeln? Es könnte uns doch jemand hören –«

»Unnötig, mich darum zu warnen! Ich sagte es dir schon zuvor: das ganze Haus ist wie ausgestorben, sie sind bei dem herrlichen Wetter alle noch zum Spaziergang hinaus, die[18] Wirtin hat es mir selbst gesagt – sie soll das Abendessen deshalb später auftragen. Morgen früh um fünf gehen wir mit Rothes zur Wendel-Alp hinauf, rüste nur dein Bergkostüm. Möchtest du dich jetzt fertig machen, und mit mir kommen?«

»Verzeih' mir, Udo – – nein! Ich muß wiederholen: ich bin es nicht imstande, heute unter fremden Menschen zu sein und ein fröhliches Gesicht zu zeigen!« Die Stimme Frau Melittas klang bei aller Sanftmut fest und sicher.

»Sagte ich dir nicht, ich hätte es Rothes versprochen, daß du mit mir kämest?«

»Ja, du hast es gesagt, aber du hättest dies in meinem Namen nicht versprechen dürfen. Entschuldige mich bei deinen Freunden, sage, mir sei nicht wohl! –«

»Das würde eine Lüge sein!«

»Doch nicht! Mir thut der Kopf weh vom Weinen!«

»Darf ich um deinen Puls bitten? – Völlig normal! Dies Kopfweh kenne ich – es hat seinen Sitz im Eigensinn!«

»Ich kann dich nicht hindern, das anzunehmen!« sagte die junge Frau müde. »Nenne es also Eigensinn; mit dir kommen kann ich nicht!«

»Melitta!«

»Ich kann nicht! Soll ich vor diesen fremden Leuten in Thränen ausbrechen?«

»Fremden Leuten! Rothe ist einer meiner ältesten Freunde!«

»Ich habe ihn nie gesehen!«

»Er freut sich, deine Bekanntschaft zu machen, er hat in Nürnberg durch Erlers viel von dir gehört. Genügt es dir nicht, daß ich den Mann kenne und schätze? Fühlst du dich nicht identisch mit mir? Sind wir nicht eins?«

Es erfolgte keine Antwort.

»Du scheinst in der That in einer unqualifizierbaren Laune zu sein. Es ist dir also ganz gleichgültig, wenn ich allein dorthin gehe?«

»Es ist mir am liebsten, heute allein zu bleiben!«

[19]

»Es ist dir ganz gleichgültig, daß ich mich vor diesen Leuten blamiere?«

»Ich glaube nicht, daß jemand es so auffassen könnte, wenn du bittest, deine Frau zu entschuldigen, sie fühle sich nicht wohl.«

»Einerlei! Ich fasse es so auf. Du weißt, ich bin es nicht gewöhnt, mit mir scherzen zu lassen!«

»Ich war nie weniger zum Scherzen aufgelegt, als jetzt!«

»Dein letztes Wort also: Du weigerst dich, mit mir zu kommen?«

»Ja!«

Wieder spritzten die kleinen, scharfkantigen Kiesel über den Gartenweg. Gleich darauf fiel unten dröhnend eine Thür ins Schloß, und ungestüme rasche Schritte liefen die Treppe empor.

Fräulein Charlotte Hartwig stand immer noch neben dem geöffneten Fenster. Sie hatte Bange gehabt, es zu schließen – wie unsagbar peinlich hätte es der jungen Frau sein müssen, bei diesem Gespräch einen Zeugen zu wissen, und gerade weil Fräulein Charlotte aufgeregt war, hätte sie eine unvorsichtige Bewegung leicht verraten können. Mit einem tiefen Aufatmen trat sie in die Tiefe des Zimmers zurück – da hörte sie schon wieder die laute, herrische Stimme des Mannes in ihrer unmittelbaren Nähe, und jetzt wollte sie lauschen. Sie schlich bis zu ihrer Thür und drückte sie vorsichtig auf.

Jenseits des schmalen Korridors lag das Stübchen, in welchem das Kind mit seiner Wärterin schlief. Auch wenn die leichte Thür, die dort hineinführte, fest verschlossen gewesen wäre, hätte man jedes Wort verstehen können.

»Erna hat geweint, sie will ohne Mama nicht essen!« berichtete Friederike in dem gleichmäßigen, sachlichen Ton, dem man niemals anhörte, ob und für wen sie etwa Partei ergriff.

»Du weißt, Erna, daß Papa kein unartiges Kind duldet. Wirst du auf der Stelle essen?«

Die Kleine fing laut an zu schluchzen.

»Hör' auf zu weinen – augenblicklich!«

[20]

Das Schluchzen wurde noch lauter.

»Wirst du auf der Stelle essen?« Das dumpfe Geräusch eines Schlages folgte auf diese Worte.

Das Kinderstimmchen erhob ein lautes, klägliches Geschrei, und die dumpfen Schläge kamen ununterbrochen dazwischen. Fräulein Charlotte fing an zu zittern und trat von der Thür zurück.

Jetzt flog ein leichter Schritt die Treppe herauf – und nun eine bittende, angstvolle Stimme: »Udo, Udo, um Gottes willen, schlage das Kind nicht so!«

Die Mahnung schien nicht zu helfen. Das laute Jammern des Kindes dauerte noch eine Weile fort – jetzt hatte sich das alte Fräulein in die entfernteste Ecke ihres Zimmers geflüchtet und hielt sich mit den flachen Händen die Ohren zu.

Endlich und endlich Stille. Dann das Knarren der Treppe unter den festen Männertritten – unten das Zuwerfen der Hausthür. Die unfreiwillige Lauscherin richtete sich auf und sah sich im Zimmer um, als ob sie geträumt habe; darauf schlich sie vorsichtig zum Fenster und hakte es ein.

Und nun, ihrem Gefühl nach gesichert, seufzte sie beklommen auf und ließ die Hände erschöpft heruntersinken. Im Geist sah sie Fräulein Rosa Hesse vor sich und hörte sie begeistert das Los dieser beiden beneidenswerten Menschen preisen: »Ich bitte Sie – so jung, so schön, gesund und reich, so begabt – wie könnte ihnen etwas fehlen? Was auf der weiten Welt bliebe ihnen zu wünschen?«

Die alte Dame nickte kummervoll vor sich hin.

»Die arme, schöne Frau, das arme süße Kind, wie viel werden sie noch leiden müssen! Und hier nennt man sie ›die Glücklichen!‹« – – –


2.

Der folgende Tag war ein Sonntag. In der Nacht war ein heftiges Gewitter losgebrochen – völlig unerwartet, wie das im Gebirge zu kommen pflegt. Abends hatten noch die[21] Sterne geschienen, und das ganze Haus hatte auf andauernd gutes Wetter gehofft – da kam aufs neue der böse Südwestwind auf, der tags zuvor das Gewitter gebracht, und er führte ein zweites Unwetter mit sich, schlimmer als das erste. Es tobte in den Lüften, es riß an Thüren und Fensterläden, es heulte um das Haus, als wäre die Hölle losgelassen – und dann fuhr sausend ein Blitz nieder, der den nachtschwarzen Himmel spaltete und eine stolze, alte Buche in der Nähe des Hauses niederschlug, daß sie mit einem dumpfen Krachen zu Boden stürzte. Unmittelbar darauf setzte der Donner ein mit einem schweren, betäubenden Schütten, dem ein langer, langer Nachhall folgte. Und die Berge ringsum nahmen das Getöse auf und gaben es weiter und schickten es wieder zurück, bis neuer Donner einsetzte, so daß es klang, als nehme das zornige Brüllen in den Lüften überhaupt kein Ende.

Im Klingerschen Pensionat war alles auf den Füßen. Einige hatten sich unten im Speisezimmer zusammengefunden, sie hatten ganz regelrecht Toilette gemacht, saßen mit blassen, verstörten Gesichtern beisammen und bemühten sich, einer den andern zu trösten … es müsse doch bald nachlassen – und strenge Herren regierten bekanntlich nicht lange – und wie das Gewitter so schnell habe wiederkommen können, nachdem die Luft sich doch so schön gekühlt habe … und was der Tröstungen und Vermutungen mehr waren.

Die meisten waren in ihren Zimmern geblieben. So Fräulein Charlotte Hartwig. Sie hatte sich die Lampe angezündet und saß auf dem Sofa, ihr war unbehaglich zu Mute, obgleich jede Furcht ihr fern lag; ein Gewitter verstörte ihr allemal die Nerven. Der Boden unter ihren Füßen zitterte, und die Fenster klirrten heftig unter den unausgesetzten Donnerschlägen.

Im Hause hörte man Thüren zuschlagen, ein eiliges treppauf, treppab – jenseits des kleinen Korridors erhob sich ein verängstigtes Kinderstimmchen in hellem Weinen, verstummte aber sehr bald. Im Geist hörte Fräulein Charlotte die junge[22] Frau bitten: »Udo, um Gottes willen, schlage das Kind nicht so!«

Das alte Fräulein schüttelte wehmütig den Kopf. Zu ihrer Erholung war sie hierher geschickt worden, und jetzt regte sie sich um fremder Leute willen so auf! Ihr Beruhigungsmittel, ihr Talisman sollte ihr helfen! – Sie öffnete die Tischschublade und holte ein flaches, schwarzes Lederkästchen daraus hervor; ein Druck mit dem Finger ließ die Feder springen – das Bildnis eines sehr ernst und sehr klug aussehenden Mannes kam zum Vorschein. Das war ihr Bruder, ihr Arzt, ihr bester Freund auf der Welt, der Sonnenschein ihres ganzen Lebens.

»Du!« murmelte sie vor sich hin. »Du!« – Zärtlich, wie eine Braut musterte sie das kleine Bild. »Wärest du sehr unzufrieden mit mir? Würdest du mich schelten? Scheinbar ja – aber eben auch nur so! Denn du hast ja selbst ein Herz, und ein so weiches, mitfühlendes dazu, wenn du dich auch auf alle Weise bemühst, es zu verstecken. Hätt' ich dich nur hier! Ohne dich ist's ja doch nur ein halbes Leben – aber freilich – du hast mich hierhergeschickt, damit ich mich erhole! Da heißt es gehorchen! Erholen wir uns also nach Kräften!«

Ein halb wehmütiges, halb humorvolles Lächeln spielte um ihre Lippen, wie sie dem Bilde zunickte, wie einem lebenden Menschen, und es dann sorgsam verschloß. Draußen war eine kurze Pause in den Donnerschlägen eingetreten – dafür raste der Sturm jetzt um das Haus, als wolle er es vom Erdboden wegfegen. Wieder kamen von drüben her ein paar vereinzelte Klagelaute, die bald verstummten. Charlotte sah im Geist das Kind zitternd und verängstigt in seinem Bette und die schöne Mutter darüber hingebeugt, bemüht, das kleine Geschöpf vor der Strenge des Vaters zu schützen. Mit einem Seufzer der Ungeduld darüber, daß die rebellischen Gedanken sich so wenig zügeln ließen, nahm sie ein Buch zur Hand und versuchte, zu lesen. –

[23]

»Schauen gnä' Fräul'n eben 'mal bloß die Sonn' an, was die für goldiges G'sicht macht und wie's lachen kann … recht, als thät's sich was ausschämen!« sagte Resi, das rosige Zimmermädel, am folgenden Morgen, als sie Fräulein Hartwig das Kaffeebrett ins Zimmer trug. »Dös is a Graus g'west bei die Nacht! So hab'n mir alle Glieder 'zittert!« Resi stellte das sehr ausdrucksvoll dar. »Die Annamirl und die Zenzl haben g'weint! Und jetzt schaut der Himmel wunderblau, und die Sonn' lacht, und kein Wind und kein nix! Aber die Weg schwimmen wassernaß, und von die Bäum' und Sträuch' tropft's alleweg! Wissen gnä' Fläul'n« – – hier trat Resi zwei Schritt näher und machte sich allerlei unnötige Hantierungen beim Kaffeegeschirr – »unser Herr Doktor Schott – nein – aber – der ist schon ein Wunderlicher! Hat er nicht heut' in der Fruha wollen für G'walt auf die Wendel-Alp aufsteigen – nach dem grauslichen Wetter und wo alles schwimmt – und hat nicht eher Ruh gegeben, als bis die fremde Herrschaft vom »schwarzen Lamm« herschickt hat, sie wollten auch nimmer auf die Alp, die Weg' sei'n zu schlecht nach dem Gewitter!«

»Ja aber, Resi, woher wissen Sie denn das alles?«

»I hab' halt 'horcht!« erklärte Resi lachend, mit vollster Unbefangenheit. »Mir müssen halt auch in d' Fruha heraus, und i hab' droben z'schaff'n g'habt, und da hat er in einsfort g'sagt: Ich will aber! Und ich will! Und sie hat einmal g'sagt: Ich thu's nimmer! Und wie er d'rauf ganz rabbiat worden ist, da hat's eben gar nix mehr g'sagt – nicht an einz'gs Wörtl! Und all' die Fremden von »schwarzen Lamm,« die kommen heut' hier zu uns speisen, und i muß 's Frühstück richten!«

»Da müssen Sie sich tummeln, Resi!«

»Wird schon wahr sein! Aber die Annamirl und die Zenzl soll'n halt auch was schaffen, zum Nixtum is ka einz'ger Mensch da!«

Mit dieser nützlichen Sentenz empfahl sich das Mädchen.[24] Fräulein Hartwig lag es schwer in den Gliedern und im Kopf nach der schlecht verbrachten Nacht, sie beschloß darum, einen Spaziergang zu machen – die frische Luft sollte ihr wohlthun.

Das that sie denn auch. Wie einen labenden Trank atmete die Menschenbrust diesen stählenden Hauch ein, der von den reinen Höhen herabwehte – von dort herab, wo die Bergesgipfel gleich getriebenem Silber standen und das Gletschereis im Sonnenstrahl bläulich funkelte. Unten aber diese Pracht auf Bäumen und Büschen! Das waren doch zahllose Wassertropfen nur, die auf den Blättern lagen und beim leisesten Anrühren wie kleine Bäche niederrieselten, aber die Sonne machte Millionen der köstlichsten Juwelen daraus, wob feenhafte Spitzenschleier um die Astkronen und ließ ganze Kaskaden aus Diamanten von den sanft bewegten Zweigen sprühen.

Auf der letzten Terrasse des Gartens, da, wo er bereits auffällig zu steigen und sich an das Gebirge zu schließen begann, war es immer einsam. Charlotte klomm den von Regen durchweichten Weg nicht ohne Mühe aufwärts, sie wußte eine Bank hier in der Nähe, auf der wollte sie rasten. Ein kleines Buch hielt sie in der einen Hand, in dem wollte sie lesen – Lessings »Nathan der Weise.« Tief und rasch atmend kam sie endlich an ihr Ziel. Über ihrem Haupt wölbten einige prachtvolle Buchen die schönen Wipfel zu einer natürlichen Schattenlaube – ein paar Vögel schwatzten droben eifrig miteinander und warfen zuweilen beim Weiterhüpfen von Zweig zu Zweig einen Perlenregen von Tropfen herunter – vom Thal klangen die Kirchenglocken herauf, ernst und volltönig, es klang immer, als riefen sie: »Kommt zu Gott! Kommt zu Gott!«

Fräulein Charlotte nickte, als habe sie jemanden, der sie angeredet, Antwort zu geben, und schlug ihren Lessing auf.

Seitwärts im Gebüsch raschelte es, leuchtete rot auf zwischen den biegsamen Zweigen – ein kleines Menschenkind kam auf flinken Füßen näher – stutzte – blieb stehen –[25] dann, von Fräulein Hartwigs Lächeln ermutigt, trippelte es bis zu ihren Knieen heran.

»Bist du hier ganz allein – gelt?«

»Ja, mein kleines Mädchen. Und du? Deine Friederike ist wohl mit dir?«

»Nein – Mama! Ich bin vorausgelaufen. Kannst du meine Mama sehen? Da oben steht sie!«

Das deutende Fingerchen wies auf einen mäßigen Felsvorsprung. Dort stand eine einzelne Frauengestalt, regungslos, den Blick in die Weite gerichtet – wie losgelöst von Welt und Menschen, wie schwebend über der grünen Tiefe zu ihren Füßen.

»Ruf' deine Mama nicht an, mein Kind! Sie könnte sich erschrecken und fallen. Wir wollen warten, bis sie von selbst aufmerkt und hierherkommt!«

»Ja, wir wollen warten!« wiederholte die Kleine altklug. Sie lehnte ihr zartes Körperchen zutraulich gegen Charlottes Kniee und sah ihr unverwandt mit forschenden, großen Augen ins Gesicht. Dies Gesicht war weder jung noch schön, aber dem Kinde mußte es gefallen, es lächelte und ließ sich willig von der sanften Hand des alten Fräuleins das krause, dunkle Köpfchen streicheln.

»Erna!« klang eine weiche Frauenstimme von oben. »Wo bist du? Erna!«

»Hier unten auf der Bank, Mutterle, bei Tante – – ja, wie heißt denn du?«

»Charlotte, mein Kind!«

»Bei Tante Charlotte. Komm' doch auch!«

Die helle Gestalt auf dem Felsen wandte sich und klomm langsam herab. Im Näherschreiten erkannte sie Fräulein Hartwig und lächelte ihr freundlich zu.

»Grüß' Gott! Sie genießen auch den köstlichen Morgen!«

»Und mit Entzücken; das ist eine schöne Entschädigung für das Unwetter in der Nacht. Sie werden wenig Schlaf gehabt haben, Frau Doktor, ich hörte die Kleine weinen –«

[26]

»Ach, das bissel!« unterbrach Erna beinahe geringschätzig. »Ich kann ganz viel anders schreien noch, aber Papa« – –

Frau Melitta legte ihre Hand auf das Plaudermäulchen, »du darfst Blumen suchen gehen, Herzblatt, aber nicht zu weit fortlaufen – immer so, daß Mama dich sehen kann. Wenn Sie gestatten, Fräulein Hartwig, setze ich mich zu Ihnen. Störe ich Sie bei Ihrer Lektüre?«

»Ich hatte noch nicht angefangen. Es wird Sie vielleicht befremden, daß ich am Sonntagmorgen kein Andachtsbuch in der Hand habe, aber, sehen Sie – der Inhalt dieses Buches – das ist nun so meine Andacht!«

Fräulein Charlotte schlug die erste Seite auf, und die junge Frau las über dem Titel in einer festen Handschrift die Worte: »Seiner lieben Charlotte zum Andenken an den 11. Oktober 1866. Walter.«

»Er ist mein einziger Bruder,« – eine schwache Röte trat in die feinen, welken Züge, und die Augen glänzten plötzlich auf. »Am 11. Oktober 1866 lasen wir zum erstenmal »Nathan der Weise« zusammen. Er war noch Gymnasiast damals und sehr jung – den Jahren nach hätte er kaum Verständnis für dies Hohelied der Toleranz haben können. Aber ich war immer sehr stolz auf seine Begabung und fand ihn seinen Altersgenossen weit voraus – wirklich, er war es auch! Und ich konnte kaum erwarten, zu sehen, welchen Eindruck mein Nathan auf ihn machen würde. Ich muß immer »mein« Nathan sagen, er ist für Kopf und Herz so ganz mein Eigentum geworden.«

»Nun – und weiter? Entsprach der Eindruck Ihren Erwartungen?«

»Sie müssen verzeihen, gnädige Frau – es kann Sie unmöglich interessieren – in Stettin wissen es alle meine Bekannten: mein Bruder ist ein gefährliches Thema für mich; ich kann nicht zu Ende kommen, und je älter ich werde, desto mehr verschlimmert sich das!«

[27]

Das liebreizende junge Gesicht neben Fräulein Hartwig lächelte.

»Ich gehöre aber nicht in Ihren Stettiner Bekanntenkreis hinein, und ich möchte gern mehr hören. Wir schließen uns nicht näher an die Hausgenossen an, schon weil wir so viel Bergtouren unternehmen –« dies klang ein wenig verlegen – »aber zu Ihnen hab' ich sehr bald, hab' ich gleich in den ersten Tagen einen stillen Zug gespürt, und es wollte mir scheinen, wenn es nicht anmaßend klingt, als wäre das gegenseitig!«

»Sie sind ein süßes, herziges Wesen, Frau Doktor, ich glaube, es wird mir so gehen, wie allen, die Sie nur sehen: man kann gar nicht umhin, sich für Sie zu interessieren, Sie reizend zu finden … nein, nein, Sie dürfen nicht denken, daß ich Ihnen schmeicheln will! Das ist nicht mein Fehler – wahrhaftig nicht! –«

»Wir wollen aber nicht von mir sprechen. Sie sollen mir von Ihrem Bruder erzählen. Sie haben ihn wohl erzogen?«

»Ja – von seinem sechsten Jahre ab. Ich bin so sehr viel älter als er; mir sind drei Geschwister, die zwischen ihm und mir standen, jung weggestorben. Diesen Kleinen nahm ich so für mein Spielzeug, und die Mutter, die damals schon sehr leidend war, ließ das geschehen – es kam nicht viel vernünftiges dabei heraus. Da kam eine Choleraepidemie und nahm uns in drei Tagen beide Eltern fort, und Vermögen war keines da, das wußte ich, denn meine Mutter war arm gewesen, und die Privatlehrer – mein Vater war einer! – haben niemals Schätze sammeln können. Was hatte ich nun gelernt, was konnte ich thun? Allerlei und doch nichts Rechtes, es war so viel halbes Wesen dabei, wie das so oft bei höheren Töchtern ist – und damals war mit den Mädchenschulen nicht viel zu machen, und an Examen dachte kaum ein Mensch. Eine Stelle in irgend einem reichen Haushalt hätte sich am Ende für mich gefunden, aber dann hätte ich mich von dem kleinen Jungen trennen müssen – und wohin mit ihm? Ich[28] mußte das Leben jetzt ernst nehmen, an die Zukunft denken und auch den kleinen Bruder anders anfassen als bis dahin – mit dem Spielzeug war es für mich vorbei! Also nahm ich nun in Gottes Namen alles an, was sich mir irgend bot, ich gab Klavierstunden, ich stickte für Fremde, ich unterrichtete ein paar kleine Mädchen im Lesen und Schreiben – es wurde alles damals schlecht bezahlt, und es wollte und wollte nicht reichen! Mein Vater war ein vielseitig gebildeter Mann gewesen, er hatte sich viel um mich bekümmert und mir Geschmack für allerlei geistige Nahrung beigebracht, von der ich jetzt so gut wie nichts mehr zu kosten bekam. Es ist sehr, sehr schwer, gute Lektüre, anregende Unterhaltung und jeden, auch den bescheidensten, Kunstgenuß zu entbehren – Sie sind sicher im Wohlleben aufgewachsen und werden das kaum verstehen können –«

Die junge Frau schüttelte den Kopf.

»Ich bin nicht im Wohlleben aufgewachsen!« sagte sie leise – dann, mit einer leichten Handbewegung, wie um etwas Überflüssiges beiseite zu thun: »Ich bitte – weiter!«

»Ja, und so wäre ich denn oft verzagt, wer weiß, gar zusammengebrochen, ohne den kleinen Bruder. Ein Geschöpf, das auf uns angewiesen ist! Ein Wesen, dem wir alles sein müssen, das ohne uns nicht bestehen kann! Sie sind Frau und Mutter, Sie werden mich begreifen können –«

Ein schwerer, nachdenklicher Blick aus den schönen, grauen Augen wanderte dort hinüber, wo das kleine Mädchen im Grase bei den Blumen kniete.

»Und er war so hilflos, so ganz allein nur für mich da, wie ich für ihn, wir hatten gar keine Verwandten. Ins Waisenhaus hätte er müssen, wäre ich nicht gewesen. Ich frage mich heute oft: war er wirklich so ganz anders als Kinder seines Alters sonst, oder kam er nur mir so vor? Er war ein fleißiges, ein, ich möchte sagen, rechtschaffenes Kind. Nie aß er unbekümmert das auf, was ich ihm vorlegte – er beobachtete, ob auch ich genug hatte, dann erst langte er[29] zu. In der Schule entwickelte er einen stillen Ehrgeiz, er hatte sich's von mir angewöhnt, schon als kleiner Junge, zu sagen: Ich muß vorwärts! Und vorwärts kam er. Gott, wenn ich an die stillen Winterabende zurückdenke – draußen ein Schneesturm und pfeifender Wind, und wir beide in unserem niedrigen Stübchen bei der kleinen Lampe, ich mit meiner Weißstickerei, er mit seinem Cornelius Nepos, den er laut lernte – und ich lernte mit!«

Das alte Fräulein sah mit feuchten Augen zu den sonnenbeschienenen Schneebergen hinauf.

»Da sind Sie wohl mit der Zeit eine sehr gelehrte Dame geworden?« fragte Frau Doktor Schott lächelnd.

»Ich habe viel vergessen seitdem! Damals aber – ja, da konnte ich meinen Horaz brav übersetzen, und wenn mein Walter aus der Ilias vorlas, dann hab' ich alles gut verstanden! Das waren Zeiten! Arm, wie wir waren … das waren doch Zeiten!«

»Und der Eindruck des Nathan?«

»O – großartig, sage ich Ihnen! Wie die Erzählung von den drei Ringen kam – das Gesicht vergeß ich mein Lebtag nicht! Und dann Nathans Gespräch mit dem Klosterbruder – Sie erinnern sich – da haben wir beide geweint, nur daß er sich schämte, es zu zeigen, und ich nicht! Wie ich nur Ihnen all' das so erzählen kann! Es muß Ihr Gesicht sein, das mir's vom ersten Tage angethan hat.« –

»Und ich freue mich dessen! Aber von dem Bruder will ich alles wissen, liebes Fräulein Hartwig! Jemand, der eines andern sympathischen Menschen ganzer Lebensinhalt ist, soll mich doch wohl interessieren dürfen!«

»Ganzer Lebensinhalt! Damit haben Sie es getroffen! Das ist das Wort! Als er ein Knabe war, habe ich das nicht so gefühlt, obgleich er mir immer mehr ins Herz wuchs. Es ist doch erst allmählich so gekommen, als ich aufhörte, immer nur die Gebende, er der Nehmende zu sein! Jetzt, seit Jahren schon, ist es umgekehrt: er giebt, und ich nehme,[30] und muß immer nur abwehren, nicht zuviel nehmen zu müssen!«

»Was ist aus ihm geworden? Hat er studiert?«

»Ja, er ist Arzt geworden! Die Studienjahre waren wohl schwer – pekuniär, meine ich – aber dann … seine Professoren haben sich alle für ihn interessiert, und wie ist er fleißig gewesen! Unvernünftig fleißig, sage ich Ihnen, Frau Doktor! Ich habe immer nur zu mahnen und zu bitten gehabt. Die Examina natürlich glanzvoll, die Dissertation Aufsehen erregend – ich bei alledem wie im Fieber … nicht, daß ich einen Augenblick am günstigen Ausgang zweifelte, aber nun war doch die Entscheidung über das ganze Schicksal da – der Beruf, das wichtigste für einen Mann – und ich hatte mich die ganze Zeit zuvor etwas überangestrengt, die Nerven spannten aus. Ich setzte all meine Kräfte ein, um ja nicht krank zu werden – es half mir nichts, ich wurde doch krank, aber mein junger Doktor der Medizin hat mich kuriert!«

»Und jetzt, nicht wahr, ist er ein gesuchter und geachteter Arzt in Stettin?«

»Sehr gesucht und sehr geachtet – zu sehr, möchte ich sagen. Schon Professor – und nun die große Praxis! Wenn ich so zurückdenke und sehe mich jetzt um! Wir haben eine schöne große Wohnung mit Garten, in dem das chemische Laboratorium steht – und prächtig alles eingerichtet – viel zu viel Bedienung nur, aber er läßt es ja nicht anders! Ich soll absolut gar nichts thun, muß leben wie eine Prinzessin. Und jetzt hat er mich hierher geschickt, ganz diktatorisch, nur Arzt, nicht Bruder! Mein nervöses Kopfleiden brauche Gebirgsluft und damit Punktum. Mein Gott, ja, das Kopfleiden habe ich, und ich fürchte, ich muß es auch behalten bis an mein seliges Ende – was ist denn an mir alten Person noch viel herumzudoktern? Wenn er es aber für notwendig hält – ich müßte nach China gehen, wenn er es für gut ansähe … ja, solch einen eisernen Willen hat er!«

»Sieht er Ihnen ähnlich?«

[31]

»Walter – mir? Ach, Gott bewahre, er sieht viel besser aus als ich! Das heißt, sie lachen mich oft in Stettin aus und sagen, hübsch könnte man ihn doch nicht nennen! Nun, ich weiß nicht! Soll denn ein Mann mit solch' großer, guter Figur, mit solchem bedeutenden Gesicht nicht hübsch sein? Es ist wahr, um die Schläfen herum wird er schon grau, und er ist kaum vierzig Jahre alt! Ich habe mein weißes Haar freilich noch früher bekommen – das war im Jahr siebzig, als er, kaum von der Schulbank herunter, als Freiwilliger in den französischen Krieg mitging – gar nicht zu halten, all' meine Angst und mein Flehen half nichts! Ich hab' ihn ja wieder bekommen, Gott sei ewig dafür gedankt, aber aus der Sorge um ihn werde ich zeitlebens nicht herauskommen! Er ist jetzt auch angegriffen – kein Wunder bei seiner Thätigkeit und den fachwissenschaftlichen Arbeiten, die er noch übernimmt – und doch ist er dies Jahr nur vier Wochen in Norderney gewesen, das ist die ganze Sommerfrische, die er sich gegönnt hat! Wie hab' ich ihn gebeten, mich von hier abzuholen, ein paar Wochen noch hier zu verweilen! »Vielleicht!« sagte er, aber das kenne ich schon! Steckt er erst einmal wieder in seiner Arbeit, dann läßt sie ihn sobald nicht mehr los!«

»Und er hat nie daran gedacht, Ihnen eine junge Schwägerin ins Haus zu bringen?«

»Ob er daran gedacht hat, kann ich nicht sagen, er ist sehr zurückhaltend in der Beziehung … gethan hat er's wenigstens nicht. Ach, und ich wäre so glücklich! Denn was ist eine alte Schwester gegen eine junge Frau! Er lacht, wenn ich das zu ihm sage, er behauptet immer, wir wären ein höchst passendes Paar und sehr glücklich verheiratet. Ich quäle ihn jetzt nicht mehr damit – wissen Sie, liebste Frau Doktor, vierzig Jahre sind bei einem Mann doch schon ein bedenkliches Alter! Ab und zu frag' ich ihn wohl noch einmal: »Walter, gefällt dir denn die und die nicht?« Dann nickt er ganz vergnügt und sagt: »Gewiß – sehr gut –« aber wenn ich ihn dann bedeutsam ansehe, lacht er mich aus[32] und sagt: »Lottchen, heiraten ist nicht!« Er geht auch immer seltener zu Gesellschaften, obgleich er oft eingeladen wird. – So nach und nach such' ich mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß das so bleibt, wie es ist, wenn's mir auch bitter leid thut – auch um die Neffen und Nichten, die ich haben könnte! Ich habe solch' kleine Geschöpfe zu lieb, und mein Bruder ist ein vollständiger Kindernarr, er ist ja auch ein berühmter Kinderarzt, kein ernstlicher Fall von Kinderkrankheit, da man ihn nicht zu Rat zieht, und wie viele von den süßen kleinen Wesen hat er schon gerettet und von den Eltern überschwänglichen Dank geerntet!«

Fräulein Charlotte, die, von dem Gegenstand fortgerissen, immer eifriger und fließender gesprochen hatte, bemerkte hier zu ihrem Staunen, daß sich die schönen Augen ihrer Zuhörerin bei ihren letzten Worten mit plötzlichen schweren Thränen gefüllt hatten. Das alte Fräulein hielt bestürzt inne – sie hätte sich gern entschuldigt, wußte aber nicht recht, wofür. Frau Melitta legte ihr leise die Hand auf den Arm.

»Nichts – bitte beachten Sie das nicht! Ich danke Ihnen, daß Sie mir von Ihrem Leben erzählten – ich könnte Sie beneiden – schwer und sorgenvoll, wie es vielfach gewesen ist! Es war doch Leben, und Sie haben ein schönes Ziel erreicht! Ich hoffe, wir haben uns nicht zum letztenmal so eingehend unterhalten. Für jetzt muß ich Ihnen Lebewohl sagen! Erna! Komm' zu mir, mein Kind, wir müssen gehen!«

Die Kleine kam herbeigesprungen, beide Fäustchen voll Blumen, wahllos abgerissen, die meisten mit zu kurzen Stielen. Sie legte ein Sträußchen in Fräulein Hartwigs, das andere in ihrer Mutter Schoß.

»Da!« sagte sie mit einem frohen Aufatmen. »Eins für Mutterle, eins für Tante!«

»Vielen Dank, kleine Erna!« Charlotte zog das Kind an sich und küßte es. »Pflückst du denn aber für deinen Papa kein Sträußchen?«

[33]

Das Kind schüttelte so energisch sein Köpfchen, daß ihm die dunklen Locken um die Stirn tanzten.

»Nie! Der mag das nimmer! Hat die Blumen nicht lieb. Gelt, Mama, jetzt kommt der Papa bald heim von dem Ding, was er trinken gegangen ist?«

Die beiden Damen lachten.

»Mein Mann ist zum Frühschoppen gegangen zu einem Universitätsfreund, den er gestern hier zufällig getroffen hat. Erna kann das Wort nicht behalten!«

»Schmeckt das schön – der Frühschoppen? So wie Schokolade mit Schlagsahne?«

»Ganz anders, Herzblatt. Jetzt komm' aber, die fremden Onkel und Tanten wollen alle zum Frühstück zu uns herüberkommen, und wir müssen uns noch schön machen. – Papa will das so!«

»Eins von meinen weißen gestickten Kleidern und die große rosa Schleife, gelt?«

»Ja, ja, du kleines Fragezeichen. Sag' Tante adieu!«

Erna stellte sich auf die Fußspitzen und hob beide Ärmchen zu Charlotte empor, um sich küssen zu lassen.

»Adieu, mein süßes Kind! Auf baldiges Wiedersehen!«

»Du kommst auch zum Frühstück, gelt?«

»Gewiß, komme ich!«

Es war dem alten Fräulein warm geworden bei den Erzählungen von ihrem Bruder, bei der herzlichen Teilnahme der schönen Frau und der Zutraulichkeit des Kindes. Sie blieb noch eine kleine Weile auf ihrer Bank sitzen, den zusammengeklappten »Nathan« auf den Knieen, und ließ ihre Augen gerührt und entzückt über die schöne Gebirgswelt, inmitten deren sie sich befand, hinwandern. Es war ihr so dankbar und glücklich zu Mut, das Leben war so schön, die Natur so köstlich – und wie gut waren die Menschen! Hätte sie noch ihren Walter hier – aber nein, das wäre zuviel Glück gewesen!

Langsam stand sie endlich auf und stieg abwärts. Sie[34] hatte beschlossen, sonntägliche Toilette zu machen und sich ihr Frühstück im Speisesaal an einem Seitentischchen servieren zu lassen; es war doch kein Unrecht, wenn sie ihre Beobachtungen zu machen wünschte – die reizende Frau, die so viel von Walter hören gewollt, hatte sich ihr förmlich ins Herz gestohlen.

Als Fräulein Charlotte eine knappe halbe Stunde später den Speisesaal betrat, waren die Fremden angekommen: Doktor Schotts Freund, Landrat Rothe, ein kleiner, runder, beweglicher Herr, ein wenig kahl bereits, ein vergnügliches, blondbärtiges Gesicht mit lustig zwinkernden Augen – die Gattin hatte ein unbedeutendes Allerweltsgesicht, und ihre Eltern waren zwei behäbige, spießbürgerliche Provinzler, brav und bieder ohne Zweifel, aber ohne eine Spur von Interesse zu erregen. Rothe der jüngere war entschieden die repräsentabelste Figur von allen: fast so groß wie Doktor Schott – stramme Haltung, der man den Militär augenblicklich ansah, ein gescheites, etwas spöttisch dreinblickendes Augenpaar, Hände und Bart sorgfältig gepflegt. Der Frühschoppen schien auf Leutnant Rothe nicht ohne Einfluß geblieben zu sein, ebensowenig auf Doktor Schott, dessen Stirn gerötet war und in dessen Augen ein eigenes Flackern glimmte – oder kam es Fräulein Hartwig nur so vor? – Ihr geräuschloses Eintreten wurde von niemand beachtet, alle standen in lebhaftem Gespräch bei einander. Resi hatte den Tisch aufs einladendste gedeckt und schleppte jetzt eben ein umfangreiches Tablett mit Flaschen und Gläsern heran.

»Ich habe sie an strenge Pünktlichkeit gewöhnt!« hörte Charlotte, die sich still im Rücken der Gesellschaft niedersetzte, den Doktor in seinem gewohnten diktatorischen Ton sagen. »Und ich bin überzeugt – ah, hier ist sie schon! Du gestattest, liebe Melitta: Herr und Frau Landrat Rothe, Herr und Frau Kommerzienrat Brandt, Herr Leutnant Rothe!«

Der alte Herr stutzte sichtlich, der Landrat setzte sich den Zwicker mit offenkundiger Bewunderung über den zwinkernden[35] Äuglein fest, der Offizier nahm die Hacken zusammen und stellte sich stramm in Positur – Frau Melittas Erscheinung hatte Erfolg.

Aber sie verdiente ihn auch! In dem langschleppenden schwarzen Gewande, dessen Spitzenärmel und herzförmiger Ausschnitt den prachtvoll geformten Hals, die weißen Arme zum Teil frei ließen, leuchtete ihre blonde Schönheit so zart, zu gleicher Zeit so wirkungsvoll hervor, wie ein lichtes Kleinod in dunkler Fassung. Nur ein paar weiße Rosen hatte sie seitwärts am Kleide befestigt – sie war so einfach, und in dieser Einfachheit so einzig schön!

»Ich bin hoch erfreut, meine verehrte gnädige Frau – in der That hoch erfreut!« versicherte der Landrat im glaubwürdigsten Ton, um gleich darauf seinem Freund, dem Doktor, ein humoristisches: »Du Mordskerl du!« zuzuraunen.

Die Stimmung ging in hohen Wogen. Erna mußte ihren Knicks machen, wurde von den Damen nach Gebühr laut bewundert und reizend gefunden, von den Herren mit Kuchen beschenkt und endlich fortgeschickt. Das Gespräch war sehr heiter, der Leutnant sprach beinahe unausgesetzt und verwandte kein Auge von seiner schönen Nachbarin. Der Wein wurde nicht geschont, Resis Flaschen wurden schnell leer.

Als nach einer guten Weile die Gesellschaft zum Aufbruch rüstete und ein neues Beisammensein verabredet wurde, neigte sich Doktor Schott zu seiner Frau herab, um allem Anschein nach flüsternd mit ihr Rat zu halten. Niemand als Fräulein Charlotte auf ihrem unbeachteten Seitenplatz konnte den heißen verzehrenden Blick sehen, den er auf die schlanke Gestalt, das süße Gesicht richtete. Seine Augen loderten in einem wilden Feuer, während seine Hand sich so fest um die Taille der jungen Frau legte, daß die weißen Rosen unter seinem Griff auf einmal entblätterten. – Und da sah die stille Beobachterin, wie das Gesicht, das eben noch so freundlich gelächelt hatte, blaß wurde bis in die Lippen hinein, wie es die schöne Gestalt gleich einem Schauer überlief und ein Ausdruck[36] mühsam unterdrückten Widerwillens in den Augen erwachte, während Melitta rasch zurücktrat. –

Im Vestibül traf Charlotte auf Fräulein Rosa Hesse, die ihr voller Emphase entgegenrief: »Sie Beneidenswerte haben dabei sein können, und ich habe von nichts gewußt! Sie müssen mir genau, haarklein alles erzählen, wie es war, Sie kommen ja soeben von den Glücklichen!«


3.

Es vergingen ein paar Tage. Sie brachten köstliches, sommerwarmes Wetter und eine ganze Reihe von Ausflügen, die das Ehepaar Schott mit den Fremden unternahm. Rothes waren noch nie hier gewesen, sie wünschten in einem gedrängten Auszug alles schönste und sehenswerteste, was um den reizenden Gebirgsort herumlag, kennen zu lernen, und Doktor Schott machte den Cicerone. »Die Leute haben ein Glück, einen Treffer – es ist zum Beneiden!« äußerte Fräulein Hesse mehr als einmal. »Einen besseren Führer als unseren Doktor kann es überhaupt nicht geben – es muß ein idealer Hochgenuß sein, mit ihm Gebirgstouren zu machen. Wenn er mich nur ein einziges Mal dazu auffordern wollte – mit Wonne ging ich mit ihm!« –

Es war richtig, Doktor Schott kannte die Gegend genau, er wußte die hübschesten Wege, die großartigsten Aussichtspunkte zu finden – aber er wanderte so energisch und so ohne jede Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit seiner Mitmenschen darauf los, daß Rothes Schwiegereltern schon nach zwei Tagen dem »idealen Hochgenuß« entsagten, von ihm geführt zu werden. Sie erklärten, sie wären ältere Leute, die solche Parforcetouren nicht mehr leisten könnten, und wenn es keine Maultiere oder Sänften gäbe, um auf die gepriesenen Berggipfel hinaufzukommen, dann müßten sie ergebenst danken, und sie rieten ihren Kindern unter vier Augen an, das gleiche zu thun, denn mit dem Doktor mitzulaufen, das sei ein Ding[37] der Unmöglichkeit, man könne mindestens eine Lungenentzündung davon haben!

Diese Mahnung zu befolgen, ging aber dem gutmütigen Landrat, der sich dem festen Willen seines Freundes gänzlich untergeordnet hatte, gegen den Strich. Er beschwichtigte seine, gleichfalls zur Opposition geneigte kleine Frau, rieb sich allabendlich die schmerzenden Kniee und Füße mit allerlei Salben und Wässern ein und that früh morgens tapferer, als ihm eigentlich zu Mute war, denn er war ein bequemer Herr, und Strapazen waren ihm sonst ein Greuel. Aber, lieber Himmel, Schott meinte es wirklich so gut und opferte sich auf für sie alle – man konnte ihn doch zum Dank dafür nicht vor den Kopf stoßen und sich obendrein noch von ihm auslachen und verspotten lassen! Und wenn diese zarte, schöne Frau solche Anstrengungen aushalten könne – zum Teufel, dann müßte man das doch auch fertig bringen! – Der Bruder Leutnant sagte kein Wort, der stand jeden Morgen pünktlich um fünf Uhr im tadellosen Kostüm des Salontirolers, den gewaltigen Alpenstock in der Hand, bereit und bewunderte pflichtschuldigst mit Ausrufen, wie: »Erhaben – in der That!« oder: »Einfach großartig!« alles, was ihm gezeigt wurde, obgleich der Sinn für Naturschönheiten nur schwach bei ihm entwickelt war – seine Begabung lag nach einer anderen Seite! Er hatte sich mit dem ersten Blick in Melitta Schott verliebt, er wäre, um in ihrer Gesellschaft sein zu können, blindlings auf den Chimborasso geklettert, wenn selbiger gerade in der Nähe gewesen wäre. Die schöne Blondine munterte ihn zwar mit keinem Wort, mit keinem Blick auf, aber der Leutnant war jetzt gerade so lyrisch und anspruchslos gestimmt und begnügte sich mit ihrer gelassenen Freundlichkeit … er hatte sehr verschiedene Stimmungen in seinem abwechslungsreichen Dasein zu verzeichnen.

Charlotte Hartwig sah jetzt wenig von ihrer jungen Freundin, nur des Abends traf man dann und wann, jedesmal im größeren Kreise, zusammen. Es bestand aber ein[38] stilles Einverständnis zwischen den beiden Damen seit jenem eingehenden Gespräch am Sonntagmorgen. Sie nickten einander stets besonders freundlich zu, tauschten oft Blick und Lächeln, plauderten zusammen, und wenn es nur ein paar Minuten waren, und es focht das alte Fräulein nicht das mindeste an, als sie bemerken mußte, daß Doktor Schott den herzlichen Verkehr seiner Gattin mit ihr offenbar mißbilligte und denselben, sobald es nur irgend thunlich war, unterbrach oder verhinderte. Ihm schienen die klugen, stillen Augen der alten Dame unangenehm zu sein, er fixierte sie ein paarmal von seiner stattlichen Höhe herab mit einem hochmütigen Staunen, als wollte er sie fragen, was sie eigentlich von ihm wünsche – ein Benehmen, das Charlotte keinen Augenblick aus der Fassung brachte. Sie beachtete den imposanten Doktor gar nicht und freute sich nur immer, ihren Liebling zu sehen, den sie von einem Tage zum anderen mit heimlicher Sorge musterte: das süße Gesichtchen sah so blaß und müde aus, und die dunklen Schatten um die Augen vertieften sich – wie konnte denn auch dieser Mann das zarte Geschöpf so rastlos und rücksichtslos abhetzen, sie von einer Gebirgspartie zur anderen jagen, da er doch sehen mußte, daß es sie ersichtlich angriff? Charlottens nervöses Kopfweh hatte nachgelassen, aber in ihrem Gemüt konnte sie nicht zur Ruhe kommen – ihr Walter schrieb auch so kurze Briefchen, herzlich zwar, und immer mit der Mahnung, sie solle sich recht pflegen und um Gottes willen nicht mit dem Gelde sparen – aber von ihm selbst, von seinem Leben stand bitter wenig in den knappen Postkarten zu lesen, und die zärtliche Schwester, das wußte er recht gut, interessierte sich doch für alles, was ihn anging!

Ein herrlicher Vormittag! Die Touristen waren in aller Frühe aufgebrochen, sie hatten heute eine sehr ermüdende Gletscherpartie vor sich und wollten zur Nacht gar nicht heimkehren. Fräulein Charlotte freute sich des köstlichen Wetters und eines vorzüglich geschriebenen Buches, das sie im Garten las: Michelangelos Leben von Herman Grimm, eine anregende,[39] höchst fesselnde Lektüre, in die sich die Dame mit der ihr eigenen »Andacht« vertiefte.

Ein Stückchen von ihr entfernt, gerade unter einem spätblühenden Rosenstrauch, saß Erna mit ihrer Puppe im Arm, von Friederike beaufsichtigt. Das Kind, in dessen Nähe Charlotte sonst schwer zum Lesen kam, weil es die Tante beständig etwas zu fragen hatte, saß heute still da, es plauderte und lachte auch nicht mit seiner Puppe, und der kleine Wagen, den es sonst nicht müde wurde, mit Sand und Steinchen zu füllen, stand leer im Wege.

Fräulein Hartwig sah gerade zufällig von ihrer Lektüre auf, als die Hauswirtin eilig bei der Kleinen vorüberkam, ihr mit einem freundlichen Scherzwort eine schöne, saftige Birne in den Schoß warf und dann rasch weiterging.

Erna hatte nur ein wenig das Köpfchen gehoben, ein leises: »Danke« gesagt und hielt jetzt die verlockende Frucht in der Hand, ohne hineinzubeißen, ohne sie auch nur weiter anzusehen.

Augenblicklich legte Charlotte das Buch hin und war mit wenigen Schritten neben dem Kinde.

»Nun, Mäuschen, freust du dich nicht über deine schöne Birne?«

Die Kleine wiegte wie zweifelnd den Kopf hin und her. »Magst du sie haben?« fragte sie zurück.

»Nein, ich dank' dir, Liebchen! Oder wollen wir sie zusammen verspeisen, was meinst du?«

Wieder Kopfschütteln.

»Sieh mich einmal an, Erna!«

Das Kind hob gehorsam sein Gesichtchen empor – es war sehr rot, und die sonst leuchtenden Augen hatten einen stumpfen Blick.

»Friederike, was ist mit dem Kinde? Es sieht ja ganz verändert aus!«

Friederike strickte gleichmäßig an ihrem Strumpf weiter. »Ich finde nicht, gnädiges Fräulein. Erna ist wie immer!«

[40]

»Hat sie denn in der Nacht gut geschlafen?«

»Sehr gut!«

»Aber sie scheint keinen Appetit zu haben!«

»Sie wird gestern Abend zu viel gegessen haben!«

Fräulein Hartwig wandte sich kopfschüttelnd von Friederike ab. Sie hatte die gemessene, kaltherzige Art des Mädchens nie gemocht und auch einmal zu der jungen Frau eine Bemerkung darüber gemacht. Diese hatte bekümmert ausgesehen und in gedrücktem Ton erwidert, ihr Mann habe Friederike gemietet, weil sie gute Zeugnisse besitze und ihm geeignet scheine.

»Thut dir etwas weh, Liebling?«

»Die Stirn ein bissel!«

»Willst du zu Tante auf den Schoß?«

Erna nickte und ließ sich willenlos emporheben. Sie lehnte das Köpfchen gegen Fräulein Charlottens Brust und schloß die Augen.

»Das ist doch kein gesunder Zustand bei einem Kinde, wie dies, das sonst lauter Lust und Lachen ist und aus dem Laufen und Springen nicht herauskommt! Wie heiß das Köpfchen sich anfühlt! Was meinst du, Mäuschen, möchtest du denn in dein Bett?«

»Weiß nimmer.«

Charlotte sah sich ratlos um. Gerade kam wieder die Hauswirtin eilfertig aus der Thür.

»Frau Eigener, auf einen Augenblick, bitte! Sagen Sie doch, giebt es hier im Ort einen Arzt?«

»Wir haben schon einen, gnä' Fräul'n, aber der ist jetzt nach München, da haben's ein Kongreß oder wie man's heißt. Vertreter hat er kein' g'funden – bei uns kommt halt selten was von Krankheit!«

»Und wo wäre der nächste Arzt zu finden?«

»Der nächst'? Drei starke Stund'n droben im G'birg. Haben gnä' Fräul'n Schmerzen?«

»Ich nicht – mir will scheinen, die Kleine ist krank!«

[41]

»O, die, das herzig' Hascherl! Was hast denn, Mädi, gelt? Wird sich haben 's Magerl bissel überladen – aber wegen dem brauchen gnä' Fräul'n nicht sorgen: der Herr Papa sind ja selber ein Doktor! Und wann er heut' Abend noch nicht da ist – ich koch' halt mein Thee, mein' Wurzenthee, der macht's Herzel wieder g'sund, der hilft für alles, 's ist schon wahr – für alles!«

Diese treuherzige Versicherung sollte sich nicht bewahrheiten. Das Kind war matt und unlustig, weigerte sich, zu essen, gab kaum Antwort, wenn man zu ihm sprach, und zeigte nur Neigung, sich niederzusetzen und den Kopf anzulegen. Ab und zu öffnete es die heißen Augen und sagte kläglich: »Mama!« Von Friederike wollte es nichts wissen, es blieb beinahe den ganzen Tag bei Fräulein Charlotte. Den vielgerühmten Thee, den Frau Eigener selbst heraufbrachte, trank es, auf Charlottens freundliches Zureden, gehorsam aus, aber die kleinen Händchen fühlten sich brennend heiß an, und der Blick blieb trübe.

Am anderen Morgen hatte sich der Zustand wenig geändert. Friederike behauptete, die Kleine habe ganz gut geschlafen, und bestand darauf, sie aufzunehmen und anzukleiden – niemals würde Herr Doktor erlauben, Erna wegen einer solchen Bagatelle im Bett zu halten. Charlotte schüttelte stumm den Kopf dazu, sie wußte sich keinen Rat. Nach ihrer Meinung war das Kind krank und bedurfte des Arztes – vielleicht aber war sie zu ängstlich, und es handelte sich wirklich nur um eine Magenverstimmung, die ihre Zeit ausdauern mußte! – Der schöne, goldene Sommertag schlich so hin. Das alte Fräulein hatte keinen Genuß und keine Ruhe bei ihrem interessanten Buch, sie mußte an das Kind denken. Von ihrem Spaziergang kam sie viel rascher als sonst zurück – die Sorge um das Kind trieb sie heim. Das kleine Geschöpf saß im Garten, den Kopf gegen Friederikes Kniee gelehnt, die Augen geschlossen. Auf Fräulein Hartwigs Frage, warum das Mädchen die Kleine nicht auf den Schoß nehme,[42] hieß es: »Herr Doktor haben das verboten – – das verweichlicht die Kinder!« – Hier wurden die Vorschriften des Herrn buchstäblich befolgt, das sah man zur Genüge. – Als Erna die bekannte Stimme hörte, schlug sie die Augen auf und murmelte wieder sehnsüchtig: »Mama!« Ohne ein Wort weiter an Friederike zu richten, setzte sich Charlotte neben sie auf die Bank, hob das Kind auf ihre Kniee und ließ es sein Köpfchen gegen ihre Schulter legen. Erna seufzte erleichtert auf, klammerte ihre heißen Fingerchen um Fräulein Hartwigs Hand und blieb regungslos sitzen.

So kam endlich der Abend heran, und die Gebirgswanderer stellten sich ein – sichtlich sehr ermüdet und, wie es schien, ziemlich verstimmt. Frau Rothe stützte sich offenbar schwer erschöpft auf ihres Mannes Arm und erklärte, nichts mehr sehen und genießen zu wollen – sie müsse nur Ruhe, endlich Ruhe haben! Diesmal stimmte ihr der Landrat ohne weiteres zu, augenscheinlich that ihm seine Frau leid, und er zeigte sich mit den eigenmächtigen Dispositionen seines Freundes Schott heute nicht so einverstanden wie sonst, denn sein Dank kam kurz und kühl heraus, und sein schwerfälliger hinkender Gang bewies zur Genüge, daß auch ihm die forcierte Fußtour schlecht bekommen war. Der Leutnant – nicht mehr so kokett und adrett anzusehen, wie am gestrigen Morgen – wich nicht von Melittas Seite und fragte immer wieder, ganz leise, damit es Schott nur ja nicht hörte, ob die gnädigste Frau sich auch wirklich wohl fühle – die gnädigste Frau, das wisse er, könne ja außerordentlich viel leisten und habe einen ganz ungewöhnlich starken Willen, eine geradezu bewunderungswürdige Selbstbeherrschung – aber die Gnädige sei so blaß, und das wäre am Ende nur natürlich, denn diese Parforcetour – anders könne man sie in der That nicht nennen – hätte auch robustere Konstitutionen als die einer Dame angreifen können. Immer wieder antwortete die junge Frau, ihr sei ganz wohl, es dürfe sich niemand um ihretwillen beunruhigen – aber sie sprach schließlich ganz mechanisch[43] dasselbe und wartete nur im stillen ungeduldig darauf, daß die Fremden endlich in ihr Hotel gingen – es fiel ihr auf, daß ihr Töchterchen ihr nicht, wie sonst, entgegengesprungen kam – hatte Friederike denn heute ausnahmsweise das Kind so früh zu Bett gebracht?

Doktor Schott stand mit seinem überlegenen Lächeln, sich den Bart streichend, da, er schien an der ganzen übermüdeten Gesellschaft recht seine Freude zu haben. Ihm fehlte nichts, er hielt sich aufrecht, wie immer, die ganze Tour war ihm ein Kinderspiel gewesen. Lächerlich, was das alles für weichliche, entnervte Menschen waren – konnten nicht einmal ein paar Berge ersteigen! Da war er aus anderem Stoff, er kannte keine Nerven, hatte sich von früher Jugend an gehörig abgehärtet und machte sich einfach lustig über die Geschichte von der verschiedenen Beanlagung und körperlichen Differenz des Menschen. Sie sollten nur vernünftig leben, den Körper gehörig stählen, dann würde man schon sehen! Er hatte Medizin studiert und Naturheilkunde – er mußte es doch wahrhaftig wissen! Nun, seine eigene Frau würde er sich allmählich noch zum Genossen heranziehen, sie war auf gutem Wege, das Klagen hatte sie sich schon vollständig abgewöhnt, mit der Zeit würde sich noch die Freudigkeit einfinden, die er vorläufig noch an ihr vermißte!

Er lächelte spöttisch auf das zusammengebrochene landrätliche Paar herab und hatte sein Vergnügen daran, die beiden immer wieder durch eine erneute Frage oder Beantwortung zurückzuhalten, sowie auch seine Frau, der die Ungeduld aus den Augen sah. Der Leutnant war ins Haus gestürzt und kam mit ein paar gefüllten Weingläsern heraus – die Damen müßten sich durchaus vorerst ein wenig stärken, seine Schwägerin habe noch ein Stück zu gehen bis zu ihrem Hotel. Nach dem Doktor sah er sich kein einziges Mal um, während er seinen Labetrunk austeilte; der Mann war in seinen Augen roh und herzlos, ein paar harmlose Leute, die die Gegend nicht kannten, so ohne weiteres in die Berge zu schleppen und[44] dann noch hier zu stehen und spöttische Mienen zu ziehen und so unausstehlich maliziös zu lächeln! –

Endlich verabschiedete man sich voneinander – Melitta hastete die Treppenstufen empor und that, als hörte sie es nicht, daß ihr Mann in zurechtweisendem Ton ihren Namen rief.

In dem kleinen Hausflur trat ihr Charlotte Hartwig entgegen.

»Grüß' Sie Gott, liebste Frau Doktor – wie gut, daß Sie wieder hier sind! Soeben habe ich Ihre Kleine ins Bett gelegt, sie kommt mir schon seit gestern nicht recht frisch vor – nein, nein, Sie dürfen mich nicht so erschrocken ansehen! Friederike meint ja, es sei überhaupt gar nichts, und vielleicht hat sie auch recht, und ich bin zu ängstlich – sehen Sie, es sind nun schon gar zu viele Jahre her, seit ich bei meinem Walter Kinderkrankheiten behandelt habe!«

Die junge Frau hatte gar nicht zu Ende gehört, sie ergriff Fräulein Charlotte bei der Hand und zog sie hinter sich her in das Stübchen, in dem Erna lag. Friederike saß mit dem Strickstrumpf programmmäßig neben dem kleinen Bett und begrüßte ihre Herrin mit pflichtgemäßer Höflichkeit.

»Das gnädige Fräulein hat angeordnet, daß Erna zu Bett soll – ich habe mir nicht erlauben können, dem gnädigen Fräulein zu widersprechen. Erna hat gestern und heute sehr wenig gegessen und nicht viel Lust zum Spielen gezeigt – ich nehme an, sie hat sich den Magen verdorben!«

Melitta beugte sich tief über das Bettchen des Kindes, das in einem unruhigen Halbschlaf lag.

»Der Atem kommt so stoßweise – und wie heiß sie ist – finden Sie nicht?« flüsterte Melitta.

»Mir kommt das Kind verändert vor, und wenn es nach mir ginge, so schickten Sie zum Arzt, und wäre es nur, um sich Beruhigung zu verschaffen. Freilich wird das bis morgen bleiben müssen, denn der hiesige Arzt ist in München, bis zum nächsten Flecken sind es mehr als drei Stunden, und in[45] einer kleinen halben Stunde ist es finster. Bin ich aber einfältig!« unterbrach sich plötzlich Charlotte und zuckte, wie in Geringschätzung ihrer selbst, die Achseln. »Da rede und rede ich immer vom Arzt und vergesse ganz: Sie haben ja die beste Hilfe bei der Hand – Ihr Herr Gemahl ist ja Mediziner und wird sicher –«

Hier verwirrte sich die Rednerin von neuem, denn aus Melittas Augen traf sie ein Blick, den sie sich nicht erklären konnte – Furcht und Widerspruch lag darin, und über allem ein leidenschaftlicher Schmerz, wie er ein paarmal schon plötzlich und unvermittelt aus diesen schönen Frauenaugen gesprochen hatte.

Man hörte einen festen Schritt auf der Treppe.

»Ich bitte, bleiben Sie!« flüsterte die junge Frau und faßte Charlottens Hand noch fester. »Lassen Sie mich nicht allein – ich bitte Sie!«

»Aber mein liebes Kind –«

»O, ich bitte Sie!«

»Nun, wo steckt denn Erna?« fragte Doktor Schott noch an der Thür. »Ah, Pardon – ich wußte nicht, daß du hier Besuch empfängst, Melitta. Fehlt dem Kinde etwas? Warum liegt es im Bett?«

»Erna hat entschieden hohes Fieber – sie ist seit gestern –«

»Nun, wir werden ja sehen! Wie war es, Friederike?«

Das Mädchen wiederholte Wort für Wort ihre Anrede an die junge Frau.

»Wahrscheinlich ist es so, wie Sie sagen. Etwas überladener Magen, weiter nichts! Diese übertriebene Ängstlichkeit hat gar keinen Sinn! Wenn man Kinder bei jeder Gelegenheit gleich ins Bett stecken wollte, hätte man nichts als eine Herde elender Schwächlinge!«

»Sie verzeihen, Herr Doktor!« sagte Charlotte ruhig. »Das Kind hatte weder zum Umherlaufen noch zum Essen die geringste Lust, es schlief fortwährend auf meinem Schoß ein.[46] Offenbar ist ihm im Bett am behaglichsten, es war, meiner Ansicht nach, die einzige Wohlthat, die man ihm erweisen konnte!«

Der spöttische Zug in Doktor Schotts Gesicht trat stärker denn je hervor.

»Mein gnädiges Fräulein« – er betonte das Wort »Fräulein« besonders scharf – »Ihre sonstige Welt- und Menschenkenntnis in allen Ehren … allein auf dem Gebiet der Kinderkrankheiten dürfte Ihnen am Ende die Erfahrung fehlen, und Sie verzeihen es mir daher, wenn ich mich Ihrer Autorität nicht blindlings unterwerfe, sondern es vorziehe, mir als Arzt ein eigenes Urteil zu bilden. – Friederike – die Lampe!«

Melitta war zusammengezuckt, wie wenn ein körperlicher Schmerz sie träfe.

»Du thust Fräulein Hartwig großes Unrecht an, Udo! Sie hat sich unseres Kindes so liebenswürdig, in bester Absicht angenommen – – wir sind ihr nur Dank schuldig –«

»Bemühen Sie sich nicht weiter, liebe Frau Doktor!« Charlotte sprach in demselben gelassenen Ton wie zuvor. »Es genügt mir, von Ihnen verstanden zu werden; Sie wissen, wie herzlich lieb ich Sie und Ihre Kleine gewonnen habe. Ihren Herrn Gemahl zu überzeugen, kann mir nicht in den Sinn kommen, und, wenn ich offen sein darf – es ist mir auch nicht viel daran gelegen!«

Sie wandte sich zur Thür und hörte noch, wie Doktor Schott, als habe sie gar nicht gesprochen, in geschäftsmäßiger Weise sagte: »Den Thermometer, Friederike!«


4.

Die Ehegatten waren allein. Die junge Frau hatte finster die Brauen gefurcht, ihr liebliches Gesicht sah überraschend ernst und streng aus. Mit offenbarer Mühe unterdrückte sie eine Bemerkung, die ihr auf den Lippen schwebte – – – nein, sie mußte erst abwarten!

[47]

»Es scheint mir, Melitta,« begann Doktor Schott mit gedämpfter Stimme, »als suchtest du in letzter Zeit geflissentlich etwas darin, meinen sämtlichen Weisungen zuwiderzuhandeln. Ich habe dir gesagt, diese altjüngferliche Weisheit, diese Hartmann oder wie die Person heißt, sei mir unangenehm, und ich wünschte keinen Verkehr zwischen dir und ihr – die Folge davon ist, daß ich sie heute bei dir im Zimmer finde! Was soll das bedeuten?«

»Einfach das, was ich dir schon oft gesagt habe: daß ich meine eigenen Sympathien und Antipathien habe, wie du die deinen, und daß ich mich in meinem Benehmen danach richten werde, ebenso, wie du es thust!«

»Das ist also offener Trotz!«

»Nennst du es Trotz gegen mich, wenn du deinen Neigungen Raum giebst?«

»Ach – ich und du! Glaubst du etwa, dieselbe Stellung einzunehmen, dieselben Rechte zu haben, wie ich?«

»Als Mensch gegen Mensch genommen – ganz gewiß!«

Doktor Schott hob mitleidig die Schultern.

»Du hast dir von all' dem dummen Zeug, das heutzutage geschrieben wird, über allgemeine Menschenrechte und Frauenbewegung und Gleichstellung der Geschlechter den Kopf verdrehen lassen. Kann es dir im Ernst beikommen, dich mit mir – mit mir – in einen Kampf einzulassen?«

»Wenn du fortfährst, mich wie ein unmündiges Kind zu behandeln – ja!«

»Nun gut!« Ein grausames Lächeln, das dies schöne Männerangesicht bös entstellte, zuckte um des Doktors Lippen. »Wir wollen sehen, wer der Stärkere ist und wer den Sieg behält!«

Sie hatten beide leise gesprochen – Melittas Blick hatte keine Minute aufgehört, angstvoll das Kind zu beobachten, das von einem schweren Schlaf befangen dalag, hörbar atmete und die zu Fäustchen geballten kleinen Hände mehrmals rasch öffnete und schloß.

[48]

Friederike brachte die Lampe und den Thermometer.

»Gut – nun decken Sie das Kind ab, und heben Sie es in die Höhe.«

Die Kleine fuhr mit einem lauten Schrei empor, als das Mädchen sie anrührte. Die junge Frau riß das Kind ungestüm aus Friederikes Armen, nahm es auf den Schoß und wickelte es in die Bettdecke ein. Sie sprach der Kleinen liebkosend und begütigend zu, aber ihre Lippen bebten, und ihr Atem flog.

Der Doktor machte ein Ärmchen frei und hielt den Thermometer in die Achselhöhle; als er ihn wieder hervorzog, las die Frau 40½ Grad. Sie wandte sich um.

»Gehen Sie hinunter, Friederike, und fragen Sie Frau Eigener, ob es nicht möglich wäre, noch heute einen Boten ins nächste Gebirgsdorf zum Arzt zu schicken, damit er wenigstens morgen in aller Frühe hier sein kann!«

»Friederike, Sie bleiben hier – Sie werden diese Bestellung nicht ausrichten!«

Über dem Körperchen des Kindes trafen die Augen der Gatten ineinander.

»Ich befehle es Ihnen – Sie gehen hinaus, Friederike – Sie werden unten im kleinen Vorzimmer warten, bis Sie mich läuten hören!«

Es war Frau Melitta, die dies sagte – mit einem Blick, mit einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Das Mädchen warf noch einen fragenden Blick auf den Doktor, dieser zuckte nur die Achseln, zog einen kleinen Schlüssel aus der Westentasche und schloß ein Tischchen in der Nähe des Fensters auf. Friederike ging geräuschlos aus dem Zimmer.

Melitta beugte sich tief über das leise klagende Kind, das sich mit beiden Händchen fest an ihre Kleider klammerte.

»Nur ruhig sein, mein Liebchen, Mama ist da, Mama bleibt bei dir – nein, nein, niemand darf Erna anrühren, niemand wird Erna etwas thun! So leg' hier dein Köpfchen an – was sagst du? Was soll Mama? Singen?«

[49]

»Ja, singen – singen! Abend – und – Nacht!«

Die junge Frau holte einen tiefen Seufzer recht aus voller Brust. Am Ende … sie war die erste Mutter nicht, die am Bettchen ihres kranken Kindes singen mußte:

»Guten Abend, gute Nacht,
Mit Rosen bedacht« – –

Sehr umflort und gepreßt klang ihre weiche Stimme – aber über das heiße Kindergesichtchen ging es wie ein Lächeln.

»Morgen früh – wenn Gott will,
Wirst du wieder geweckt!«

Und noch einmal das Liedchen von Anfang und wieder von Anfang – die Kleine schien ruhiger zu werden, die Händchen griffen nicht mehr so krampfhaft in das Kleid der Mutter.

Doktor Schott hatte ein Pulver in ein Glas mit Wasser geschüttet und brachte es herbei.

»Was willst du ihr geben?«

»Natürlich etwas Fieberstillendes! Komm, Erna, sei ein gutes Kind – trink!«

Aber Erna wollte nicht! Sie warf den Kopf hintenüber, preßte die Zähne fest aufeinander und stieß mit den Händen nach dem Glase. Mehr als die Hälfte des Inhalts ging verloren, und nur während das Kind zum Schreien den Mund öffnete, gelang es, ihm etwas von der Flüssigkeit einzuflößen. Es dauerte diesmal lange, ehe Erna sich beruhigte. Der Anblick ihres Vaters schien sie ganz besonders aufzuregen, sie wurde erst still, als er ganz beiseite trat, sie ihn nicht mehr sehen konnte und die Mama ihr immer wieder sagte, Papa sei fortgegangen und werde nicht mehr hereinkommen.

Die junge Frau wiegte leise das aufgeregte Kind in ihren Armen hin und her, bettete das heiße Köpfchen bald so, bald so, sprach leise und beschwichtigende Worte, bis endlich, endlich Erna wieder einschlummerte. Die Mutter wagte es noch eine ganze Weile nicht, ihr Kind in das kleine Bett zurückzulegen – dann that sie es mit äußerster Behutsamkeit, immer noch herabgeneigt, mit verhaltenem Atem lauschend. Zuletzt wandte[50] sie sich von dem Bettchen zurück zu ihrem Gatten und winkte ihn in das Nebenzimmer.

»Ich werde jetzt selbst hinuntergehen und mit Frau Eigener wegen eines Boten zum Arzt sprechen!«

Doktor Schott vertrat ihr den Weg.

»Du wirst nicht! Sei verständig, Melitta! Was hätte es für einen Zweck, irgend einen ganz obskuren, ungebildeten Gebirgsarzt herzuholen, wenn ich da bin und die Behandlung des Kindes übernehme?«

»Du hast es mir damals feierlich gelobt und mir dein Ehrenwort gegeben, bei jedem ernsten Krankheitsfall einen Arzt zu Rate zu ziehen!«

»Arzt – Arzt – als ob ich keiner wäre!«

»Ist dies ein ernster Krankheitsfall oder nicht?«

»Wenn wir in einer großen Stadt wären, und ich könnte eine Kapazität heranziehen –«

»Ist dies ein ernster Krankheitsfall oder nicht?«

»Mein Himmel, Melitta, dies ewige Fragen ist fürchterlich! Ich muß es dir leider zugeben – es ist ein ernster Fall – Erna scheint mir bedenklich krank!«

Die junge Frau wankte und hielt sich mühsam aufrecht.

»Darum brauchen wir noch nicht zu verzweifeln. Das Kind hat eine kräftige Konstitution, kann viel Widerstand leisten – ist bisher nie krank gewesen –«

»Das kann sein – kann alles sein – aber ich – ich sterbe vor Angst!«

»Sei nicht so einfältig, mein Kind! Vor Angst ist noch niemals jemand gestorben!«

»Ich kann nicht meine Worte wägen jetzt! Laß mir den Weg frei!«

»Du wünschest wirklich, daß ich irgend einen plumpen dörflichen Bader zur Konsultation heranziehe und ihn »Herr Kollege« nenne?«

»Ich wünsche« – Melittas Stimme klang fest und kalt,[51] obgleich die junge Frau am ganzen Körper zu zittern begann – »daß du deine persönlichen Ansichten und deine Eitelkeit bei dieser Gelegenheit ganz aus dem Spiel läßt und nur an die Sache denkst, um die es sich handelt: um das Leben des Kindes! Ich wünsche, daß du dein mir heilig und teuer gegebenes Wort hältst, in jedem dringenden Krankheitsfall einen approbierten Arzt um Rat zu fragen!«

»Soll ich aus deiner Betonung des approbierten Arztes vielleicht entnehmen, daß du es mir zum Vorwurf machst, mich nicht dem Humbug eines Examens unterworfen zu haben?«

»Entnimm daraus, was du willst, aber halte dein Wort!«

»Traust du mir und meinem Wissen nicht zu, einen Fall wie diesen zu übersehen?«

»Es handelt sich nicht um dein Wissen, sondern um meine Angst als Mutter und um dein mir gegebenes Versprechen. Haltet ihr Männer euch nur untereinander euer Ehrenwort – und den Frauen gegenüber brecht ihr es, wenn es euch so besser paßt?«

»Melitta, das ist eine schwere Beleidigung!«

»Beweise mir das später – laß mich zur Thür!«

Sie wollte an ihm vorüber – er faßte sie bei beiden Handgelenken und hielt sie gewaltsam fest.

»Hör' mich an, Melitta – du mußt mich anhören!«

Sie war gezwungen, ihm den Willen zu thun, sie hätte Stühle beiseite rücken müssen, um an ihm vorüberzukommen; jede unvorsichtige Bewegung konnte das Kind wecken. Der Blick aber, mit dem die junge Frau zu ihrem Gatten emporsah, hätte diesen warnen müssen – es war offene Feindschaft darin, eine finstere Entschlossenheit, endlich ein Joch von sich abzuschütteln, das sie nicht länger ertragen wollte und konnte.

Auch Doktor Schott sah erregt aus. In sein dunkles, edelgebildetes Gesicht war eine jähe Röte gestiegen, auf der Stirn standen zwei tiefe Furchen. Diejenige Eigenschaft in ihm, die seinem ganzen Wesen die Richtung gab – eine maßlose Eitelkeit! – hatte einen empfindlichen Stoß erhalten.[52] Seine Frau hatte in der ersten Zeit ihrer Ehe wohl oft widersprochen, sie hatte sich nicht willig in alles gefügt, es war zu sehr heftigen Scenen gekommen. Allgemach aber hatte das aufgehört – das schrieb er selbstverständlich seiner Konsequenz, seiner Energie zu – er war eben der Stärkere gewesen, er hatte ihr das nutzlose »Räsonnieren« abgewöhnt. Daß sie in der Stille noch hundertmal protestierte, daß sie mit eiserner Selbstbeherrschung schwieg, duldete bis zum äußersten, um des Kindes willen – dieser Gedanke war ihm nie gekommen. Jetzt kam er ihm! Diese Frau, die ihn so schonungslos kritisierte, so scharf beobachtete, war nicht zum Schweigen und Nachgeben aufgelegt, hier, wo es sich um ihr wichtigstes, ihr Kind, handelte. Zum erstenmal sagte er sich, daß das Kind vielleicht das einzige Band sei, das diese Frau an ihn fesselte, und daß, wenn dieses Band zerriß …

Er nagte die Unterlippe und starrte mit brennenden Augen nach dem kleinen Bett hinüber, zwischen dessen weißen Kissen das fieberglühende Köpfchen lag.

»So sprich!« drängte Melitta ungeduldig – ganz mechanisch rieb sie ihre schmerzenden Handgelenke – sie sah neben ihm weg nach der Thür.

»Du mahnst mich an mein Ehrenwort – es ist wahr, ich gab es dir – aber in welcher Situation? Du wirst kaum mehr wissen, wie es damals um dich stand –«

»O ja,« unterbrach sie ihn, »ich weiß noch alles – alles!« Sie schauderte in sich zusammen.

»Dein ganzes Sein war aus den Fugen, man mußte ernstlich für deinen Verstand fürchten. Als du damals jenes – – jenes – Versprechen von mir fordertest, hielt ich mich, als Mensch sowohl, wie als Arzt, für verpflichtet, es dir zu geben; ich hätte dir damals, um dich einigermaßen zu beruhigen, jedes Versprechen gegeben, das du verlangtest!«

»Das will ich dir glauben! Es ist ja so leicht, Versprechungen zu machen, wenn man nicht gesonnen ist, sie zu halten!«

[53]

»Es könnte eher die Rede davon sein, dies zu thun, ich sagte es dir schon, wenn wir etwa in einer größeren Stadt –«

»Du hast mir dein Wort ohne jede Bedingung gegeben, ich verlange von dir, daß du es hältst!«

»Melitta, ich bitte dich, bedenke: was würde man hier von mir sagen, in welchem Licht stände ich vor den Leuten da? Man weiß hier allgemein, daß ich Arzt bin –«

»Du bist kein Arzt, du hast Chemie studiert, hast als junger Mensch von dreiundzwanzig Jahren den chemischen Doktor gemacht, und dann, durch die Erbschaft deines Vetters unabhängig geworden, hast du in den verschiedensten Wissenschaften herumdilettiert …«

»Du nimmst das Wort zurück, Melitta!«

»Ich sehe keine Veranlassung dazu! Du hast auf vielen Gebieten Studien gemacht, eifrige Studien, ich will es zugeben, aber um etwas Tüchtiges zu leisten, gehört mehr als bloßes Theoretisieren: dir fehlt die Erfahrung, ohne die man auf keinem Gebiet wirksam sein kann – und diese Thatsache, die du in deiner blinden Selbstüberschätzung geflissentlich ignoriert hast, hat meinem Knaben das Leben gekostet!«

Der Doktor war weiß geworden bis in die Lippen hinein, seine Hände ballten sich, er trat ganz dicht an seine Frau heran. Sie wich nicht zurück und sah ihm furchtlos in die Augen.

Es trat eine Pause ein.

»Und du glaubst« – seine Stimme klang heiser – »irgend ein Charlatan, der vor seinen Professoren die Prüfung bestanden hat und auf seinem Schild den Titel »praktischer Arzt« führt, hätte unseren Knaben gerettet?«

»Ich weiß das nicht – Gott allein ist Herr über Leben und Tod … ja, Gott allein, ob du noch so verächtlich den Kopf dazu schüttelst! Die klügsten, besten Ärzte werden oft daran erinnert – es ist unrecht von dir, sie Charlatane zu nennen, weil ihre Wissenschaft noch in der Entwickelung begriffen ist und sie für viele Krankheiten noch kein Heilmittel gefunden haben – vielleicht auch nie eines finden werden.[54] Aber in all' dem Schmerz wünscht der Mensch das eine: sich sagen zu können, er habe nichts versäumt, er habe alles das gethan, was in seinen Kräften stand, und kein Vorwurf kann ihn treffen. Ich aber mache mir Vorwürfe, Tag für Tag, nun schon seit mehr als einem Jahr – bittere, bittere Vorwürfe, daß ich nicht that, was einfach meine Pflicht war gegen meinen Knaben! Weh' mir, daß ich ihn vor mir sehe, beinahe jede Nacht im Traum, wie er seine kleinen Hände nach mir ausstreckte und um Atem rang – und wie er dann hintenüberfiel und steif und leblos ausgestreckt blieb – tot – mein Glück, mein Stolz, meine Zukunft! Und jetzt, da mein letztes auf dem Spiel steht, soll ich fragen, wie die Leute sich alles zusammenreimen werden und welches Licht auf dich fällt? Damals hab' ich auf den Knieen vor dir gelegen und um Hilfe gefleht für mein Kind – ich weiß es noch, daß ich, ehe die lange und tiefe Ohnmacht sich über mich erbarmte, ohne Aufhören geschrieen habe: »Ein Arzt! Ein Arzt!« Es war da freilich schon zu spät, das Kind lag schon im Todeskampf. – Jetzt werde ich nicht mehr knieen vor dir und dich bitten – ich erwarte von dir, daß du dein Wort hältst – erwarte es als mein gutes Recht!«

»Und wenn ich deinen Willen nicht erfüllen kann?«

»Setz' deine Worte anders! Du meinst, wenn du wortbrüchig wirst? Dann bist du ehrlos in meinen Augen, und ich werde nicht eine Stunde länger neben dir leben. Ich werde mein Kind nehmen und gehen!«

»Du willst es machen wie Ibsens Nora, für die sich deine überreizte Phantasie –«

Sie war an ihm vorüber zur Thür gegangen und hatte die Hand auf dem Drücker. Noch einmal wandte sie sich zu ihm zurück.

»Ich habe keine überreizte Phantasie, und hätte ich mir Ibsens Nora, die ich freilich gut genug verstehe, zum Vorbild genommen, dann wäre ich lange schon gegangen, denn ich weiß seit Jahren, daß unsere Seelen einander fremd sind[55] und sich nie zusammenfinden können. Aber dir meine Kinder lassen, wie Nora es thut – von ihnen fortgehen … nein, das konnte ich nicht! Ich habe Komödie vor fremden Leuten gespielt und mehr gelitten innerlich, als du ahnst und jemals ahnen wirst … thust du mir dies letzte aber an, dann kann ich nicht mehr neben dir weiterleben!«

Die Augen flammten aus dem blassen, reizenden Gesicht heraus, die Lippen waren dunkel gerötet. Seltsam und schön war die junge Frau in dem malerischen Nationalkostüm der bayerischen Tracht, das sie auf der Gletschertour getragen und noch nicht Zeit gefunden hatte, abzulegen. Die zerzausten blonden Löckchen hingen ihr wirr in die schmale, feine Stirn, ihre biegsame, elegante Gestalt trat plastisch hervor in dem dunklen, knappen, mit Silberketten verschnürten Mieder und dem hellgeblümten Brusttuch.

Doktor Schott fixierte das reizvolle Bild unter halbgesenkten Lidern; um seine Lippen vibrierte es.

»Gut!« sagte er langsam, in einem völlig veränderten Ton. »Hab' denn deinen Willen!«

Sie sah ihn mißtrauisch an, aber es war keine Zeit mehr zum Überlegen. In der nächsten Sekunde stand sie in dem kleinen Hausflur, erschrocken, zu bemerken, wie rasch die Dunkelheit eingefallen war. Das kleine Flurlämpchen war noch nicht angezündet – kaum sah man in dem matten Dämmerlicht noch die Stufen der steilen Treppe, die nach unten führte.

Es dauerte eine Weile, bis Frau Eigener zu finden war. Soeben war sie doch noch in der Leuteküche gewesen – nein, in der Herrenküche! Bewahre, Resi hatte sie in der Milchkammer gesehen – da war sie eben fort – ob sie nicht im Vorratsraum steckte? Zuletzt kam sie gemächlich, einen Leuchter mit brennender Kerze in der Hand, die Kellertreppe heraufspaziert. Atemlos stürzte die junge Frau ihr entgegen.

Frau Eigener sah sehr mitleidig und bekümmert drein, als sie hörte, um was es sich handelte – aber noch während Melitta sprach, schüttelte sie bedauernd den Kopf.

[56]

»Heut' Abend noch? Und 'nauf bis Leuten? Aber nein, aber nein, um 's Herrgotts willen, das ist ja rein unmöglich! Das ist ja ein Weg – ja, so ein Weg, da muß man beim Tag schon gut zusehen – alleweil hoch hinauf und steilzu, und g'fährliche Brucken hat's von Baumstämmen und Wildbäch' und schlimme Stiegen – und sehn's eben, Frau Doktorin, wen sollt' ich schicken? Meine beiden Leut', wo sicher sind, der Alois und der Pauli, die sind zur Stadt mit 's Getreid' – und 's Peterle – du liebe Zeit, das ist noch so jung und so dumm, das könnt' ich nicht 'mal beim Tag da hinaufkraxeln lass'n, und ich hab' die Verantwortung, 's Peterle hat noch ein' Mutter und ist ihr einz'ger – no, und von die Weibsleut' kann gar schon nimmer die Red' sein, hinauf nach Leuten!«

»Aber – aber …« die junge Frau faßte flehentlich die Hände der Hauswirtin … »Jemand aus dem Dorf wird doch – muß doch – ich will zahlen soviel wie« –

»Ja wär' schon ganz recht, Frau Doktorin, bei Nacht thut's keiner und wenn's ihm wollten beid' Händ' voll Gold füllen. Schaun's auch, was hätt's für Vernunft? Wer mit Vorsicht geht – und die braucht's bei so an Gebirgsweg! – der wandert bei Nacht mit Latern' und allem gut seine fünf, sechs Stund'n, und bei Tag thut sich's in drei! 's ist egal dieselbe Zeit, und man hat kein' Angst auszusteh'n, daß sich selbiger thut versteig'n oder 'nunterrutschen. Nu mein' ich so, Frau Doktorin: allsowie 's Frührot dämmert, bloß ein Schimmer und ein Flimmer, geht's Peterle los, da ist es um acht Uhr für's spätest' beim Medikus – und der hat ein Wägele und kann halt ein Stückl fahren, freilich bloß bis zum nächsten Dörfl, aber Zeit sparen thut's doch – und da is er eben um halb Elf, hin zu Elf, da. Das ist das best', ist das einzigst', was wir thun können, und thun will ich's und 's Peterle treiben, als wenn mein eigenes Mädel daliegen und warten thät'! Und Frau Doktorin müssen jetzt hübsch 'naufgehen und was bequemes auf sich ziehen, statt dem Zeug, und[57] ein festes, warmes Abendbrot müssen's essen – ich schick's nachher gleich 'nauf mit der Resi – und 's Erna-Schätzel wird 'leicht kaum so viel krank sein, Frau Doktorin sind so in Angst, weil's bloß das eine haben – aber 's Mäderl ist so rund und so schön immer g'wesen, wie'n Apferl, das kommt wieder zuweg. Und der Herr G'mahl, der Herr Doktor« – hier stockte die zungenfertige Rede, Frau Eigener machte große, runde Augen und schlug sich dann mit der flachen Hand schallend auf den Mund. »Nu, dös is aber – aber dös is kurios! Der Herr Doktor sind doch selber 'n Herr Doktor – jetzt dieselbig' Minut' fallt mir's ein! – der muß doch am besten wissen, was 'm Kindl fehlt, so grausam g'scheit, wie er thut – wegen was wollen denn Frau Doktorin den alten Medikus holen lassen aus Leuten?«

»Ist er kein tüchtiger Arzt? Haben Sie kein Zutrauen zu ihm?«

Frau Eigener kehrte die Handflächen nach außen.

»Ich kenn' ihn wenig, hab' ihn nie beim Krankenbett g'sehen – wenn bei uns eins siech g'wesen ist, haben wir unseren eigenen Herrn Doktor, der in München jetzt ist, holen lassen – der ist sehr brav und g'scheit!«

»Und die Leute? Was sagen die?«

»Heil'ger Vater Joseph – die Leut'! Soviel Köpf', soviel Sinne! Der sagt eins so und der zweit' anders – und der dritt' wieder so! Mag schon ein guter Herr sein – aber eben alt doch und bissel für sein' Bequemlichkeit und 's gute Leben!«

Die junge Frau seufzte aus tiefster Beklommenheit.

»Will denn der Herr G'mahl für G'walt ein' zweiten Arzt?«

Melitta blieb die direkte Antwort schuldig. Sie faßte noch einmal bittend die beiden Hände der Frau und fragte mit Thränen in den Augen: »Sie können nicht noch heute Abend schicken? Wirklich nicht?«

»Bei Nacht wahr und wahrhaftig nimmer, so bitterlich[58] leid mir's ist! 's hat ka Sinn und ka Zweck, der Bot' braucht dieselbig' Zeit, wie wenn er bei der Fruha geht, da verschwör' ich mein ewig's Heil dabei! 's ist mir so herzlich leid – bitte, bitte, nit weinen, Frau Doktorin!«

Die junge Frau senkte das Köpfchen und ging langsam, langsam wieder der Treppe zu; es war, als hoffe sie, die Hauswirtin würde sie doch noch einmal zurückrufen.

Aber das geschah nicht.

Auf der obersten Stufe stand Charlotte Hartwig und wartete. Sie legte einen Arm um Melitta und zog sie sanft an sich. »Nicht wahr, mein liebes Kind,« flüsterte sie, und ihre Stimme klang liebkosend und weich, wie die einer Mutter, »Sie sind mir nicht böse über das, was ich zuvor sagte, und Sie beurteilen mich nicht falsch, wenn ich jetzt nicht mit Ihnen komme und Ihnen für die Nacht meine Dienste anbiete? Gott weiß es, ich thäte es herzlich gern, und wer weiß, ob ich mich Ihnen nicht doch ein wenig nützlich machen könnte; … aber, wie die Dinge liegen, ist es am Ende besser, ich bleibe in meinem Stübchen. Meine Anwesenheit könnte die Situation vielleicht verschlimmern. Sollte es sich aber ereignen, daß Sie allein sind und mich brauchen können … ich habe einen sehr leisen Schlaf und bin in fünf Minuten bei Ihnen! Was meinen Sie?« – Statt aller Antwort umfaßte Melitta das alte Fräulein und drückte ihre frischen, weichen Lippen auf die welke Wange. Es machte keinen Eindruck auf sie, daß sich die Thür geräuschlos öffnete und ihr Mann heraussah. Er maß die beiden eng umschlungenen Frauengestalten mit einem kalten, spöttischen Blick, aber Melitta ließ Fräulein Charlotte nicht los, sie fragte nur mit gedämpfter Stimme: »Ist Erna wieder wach?«

»Nein – hast du mit Frau Eigener gesprochen?«

»Für heute ist es unmöglich, morgen mit dem frühesten will sie einen Boten nach Leuten schicken!«

»Wie – Sie wollen einen anderen Arzt zuziehen?« fragte Charlotte erstaunt.

[59]

Doktor Schott zuckte zusammen und sah sie über die Schulter hochmütig an, als wolle er fragen: was geht dich das an? während Melitta erwiderte: »Ja, es geschieht auf meine Veranlassung!«

Offenbares Erstaunen spiegelte sich in Charlottens Mienen wieder – wie kam ein so selbstherrlicher, geistesstolzer Mann wie Doktor Schott dazu, einen alten, obskuren Gebirgsarzt zu Rate zu ziehen? Ohne ihrem Befremden Worte zu verleihen, zog sich das alte Fräulein, mit einem letzten Händedruck für Melitta, auf ihr Zimmer zurück.

Die junge Frau fand Erna, wie sie sie verlassen hatte: in unruhigem Halbschlaf, den Kopf zwischen den Kissen hin- und herdrehend, die Löckchen feucht und heiß um die Schläfen geklebt. Ab und zu lallte der kleine, halboffene Mund einen einzelnen Laut, die Hände ballten sich, lösten sich wieder, und der Atem ging kurz und laut.

Melitta hatte lange über das Bettchen geneigt gestanden, jetzt schlich sie auf den Fußspitzen zum Nebenzimmer, dessen Thür sie offen ließ, um die Kleider zu wechseln. Sie zog die Nadeln, die sie drückten, aus dem Haar und war in dem weißen Morgenkleide mit dem offenen, seidenweichen Blondhaar um die Schultern reizender denn je.

Es klopfte kaum hörbar an die Thür – Resi brachte das Abendessen herauf. Mit einem mitleidigen Seufzer blickte sie nach dem kleinen Bett hinüber und ging rückwärts auf Strümpfen zur Thür hinaus. Das gesamte Hauspersonal liebte Erna und schwärmte für die junge Frau.

»Möchtest du nicht etwas essen, Melitta?« fragte der Doktor. Sie schüttelte stumm den Kopf und rückte ihren Stuhl dicht neben das Kinderbett.

»Du solltest doch. Trink wenigstens ein Glas Wein!«

Erneutes Kopfschütteln … dann, da er mit dem gefüllten Weinglas dicht vor ihr stehen blieb und sie seine Beharrlichkeit, die sie oft bis zur Verzweiflung getrieben, genügend kannte, setzte sie mit Überwindung das Glas an die Lippen und gab[60] es ihm geleert zurück. Noch immer blieb er dicht vor ihr stehen und sah sie unverwandt an – ihr stieg eine fliegende Röte in das weiße Gesicht, und halb mechanisch griffen ihre Hände in das offene Haar, um es zusammenzuflechten.

»Laß doch – bitte – laß!« sagte seine flüsternde Stimme. »Du bist am schönsten so!« Seine Hand suchte die ihre zurückzuhalten und geriet in das üppige, weiche Haar. Mit einem gestammelten Laut brachte er es an seine Lippen.

Im Nu war Melitta auf den Füßen, in ihren Augen flammte es; sie wollte reden, der Zorn raubte ihr die Sprache. Sie schüttelte ihr Haar, als habe ein giftiges Tier es berührt. Das Kind in seinem Bettchen stöhnte lauter. Es hatte jetzt die Augen groß offen und langte mit den Händen nach dem dunklen Schatten, der sich an der Wand bewegte.

»Nicht das – nicht das!«

»Was denn, Liebling, Herzblatt? Mama ist ja bei dir!«

»Fort das – nicht das!«

»Tritt zurück!« sagte Melitta. »Du siehst es doch, sie ängstigt sich vor dem Schatten!«

»Mama beten mit Erna!«

Die junge Frau faltete ihre Hände um die kleinen des Kindes.

»Hier knieen! Erna auch knieen!«

»Mein Kleines, du bist krank, du kannst leicht kalt werden!«

»Erna auch knieen!«

Melitta kniete und hielt das Kind aufrecht in ihren Armen; und nun sagten sie zusammen langsam und feierlich die zwei kleinen Gebetchen her, die Erna kannte. – Aber zwischendurch lachte das Kind – seine Gedanken wanderten; es wollte seinen Puppenjungen haben, Hansei hieß er, der den einen Arm verloren hatte – Mama sollte Hansei bringen, aber fortgehen sollte Mama nicht, nein – Erna fing bitterlich an zu weinen – Mama sollte bleiben, und Hansei sollte kommen!

»Friederike ist doch da – laß sie die Puppe suchen und herbringen!« sagte die junge Frau, ohne sich umzuwenden.[61] Aber bis Hansei gefunden wurde, dachte Erna nicht mehr an ihn. Jetzt wollte sie Pferdchen spielen mit Mamas langen Haaren, das sollten die Zügel sein. Mit beiden Händen griff sie in die seidene Pracht und zerrte daran.

»Laß los, Erna, du thust Mama weh!« gebot ihr Vater in rauhem Ton mit finsterblickenden Augen.

Das Kind warf sich hintenüber und fing zu schreien an.

»Sie hat mir nicht weh gethan – und wenn … als ob es darauf ankäme! Ein krankes Kind, ein Kind, das phantasiert!«

»Papa fortgehen! Papa nimmer wiederkommen!«

»Nein, nein, mein Liebchen, er soll nicht kommen. – So tritt doch zurück, daß sie dich nicht mehr sieht!«

»Ernas Ball, der rote, kleine – der so hupft!«

»Gleich, mein Herzblatt, Friederike soll ihn suchen!«

»Ernas Ball – und Ernas Bilderbuch, vom Schäfchen und von – und von – der Muh-Kuh!«

»Alles, alles soll das Kind haben!«

»Erna auf Mamas Schoß sitzen!«

Die Fieberunruhe packte und schüttelte das Kind gewaltig. Kaum hatte Melitta es in die Decke gewickelt und auf ihre Kniee genommen, da strebte es auch schon wieder ins Bett zurück – dann war das Bett ein kleiner Kahn, der auf dem Wasser fuhr, und Mama sollte ihn rudern und Erna schaukeln … aber tüchtig schaukeln, daß es spritzte! Und wo all die Vögelchen herkamen, die bunten, die immerfort um den Kahn flogen! Konnte Mama die denn nicht sehen? Aber sie kamen doch so dicht, so dicht an Ernas Kopf heran, rote und grüne und blaue, auch goldene, und wie sie sangen! Die Händchen griffen in die Luft, so hoch sie konnten, und faßten wieder Melittas Haar und verstrickten sich darin – jetzt war es ein Netz, in dem Erna kleine silberne Fische fangen wollte – dazu mußte sie doch ihr Netz auswerfen! Sie faßte das Haar mit aller Kraft und schleuderte es von sich, daß es wie ein Goldschleier über das weiße Bett gebreitet war.

[62]

Doktor Schott stand ganz zurück, so daß das kranke Kind ihn nicht sehen konnte; auf seiner Stirn waren finstere Falten, sein Atem kam gepreßt. Kaum konnte er dem Thun der beiden zusehen, es regte ihn namenlos auf. Er hatte die Kleine wohl lieb, wenigstens meinte er so, wenn er sich auch innerlich gestand, mit dem Sohn sei es anders gewesen. Den hatte er seinen »Kronprinzen« genannt, mit dessen Erziehung hatte er ein Meisterstück machen, hatte den Leuten zeigen wollen, wieviel, bei vernünftiger Leitung, aus einem geistig wie körperlich gut beanlagten Knaben werden könne. Das Töchterchen – – das blieb mehr der Frau überlassen, obgleich er selbstverständlich dafür Sorge tragen wollte, daß es die heutige verrückte Mädchenerziehung nicht bekommen dürfe … in seinem Hause, unter seinen Augen mußte alles »rationell« angefangen werden! – Jetzt, seit einem Jahr, da Erna sein einziges Kind geworden war, hielt der Doktor es für seine Pflicht, schärfer zuzufassen – Melitta verstand sich ja unglaublich schlecht auf die Behandlung von Kindern, sie hatte es ihm schon bei dem Sohn schwer genug gemacht, der allerdings in allen Stücken seiner Mutter Ebenbild war und mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit an ihr hing, ebenso, wie sie an ihm! Die leiblichen Mütter waren in des Doktors Augen die ungeeignetsten Erzieherinnen der Welt für ihre Kinder, fortwährend verloren sie das Ziel, um das es sich handelte, aus den Augen, begingen eine Inkonsequenz um die andere und ließen sich immer nur von ihren persönlichen Empfindungen leiten!

Auch jetzt wieder! Gewiß, das Kind war krank, das sah man ja, sehr krank sogar – aber mußte man ihm darum sklavisch jeden Willen thun? Es wäre viel nützlicher gewesen, ihm ernst zuzureden, es vielleicht, wenn das nichts half, tüchtig anzuschreien, es einzuschüchtern – dann hätte es ruhig gelegen und sich besser befunden. Es war eine Schwäche von ihm, dem Vater, daß er diese Unvernunft ruhig mit ansah, nicht, wie sonst, seinen Willen durchsetzte! Es war ihm eben nicht behaglich zu Mut! Melittas Ton und Blick wollte ihm[63] nicht aus dem Sinn, als sie ihm vor einer Stunde zugerufen: »Dann bist du ehrlos in meinen Augen, und ich werde nicht einen Tag länger neben dir leben. Ich werde mein Kind nehmen und gehen!«

Nun, das waren große Worte, die weiter keine Bedeutung hatten! Damit sind ja die Frauen so leicht bei der Hand! Ehrlos! Lächerlich! Weil er nicht gesonnen war, sich der Kontrolle, der Bevormundung irgend eines Dorfquacksalbers zu unterwerfen, sich zum Gespött der Leute machen zu lassen! Und gehen! Ja, wohin denn? Ihre nächsten Angehörigen waren tot, mit den entfernten Verwandten hatte sie keine Fühlung – er hatte Sorge dafür getragen, er hatte sie gänzlich isoliert – es »ging« sich nicht so ohne weiteres für eine Frau, die kein eigenes Vermögen besaß und, schön und verwöhnt wie sie war, vom wirklichen Leben und seinen Anforderungen so gut wie nichts wußte. Er glaubte auch keinen Augenblick ernstlich an solche Drohungen – nur sah er, daß sie jetzt maßlos erregt war und daß er nichts thun durfte, sie noch mehr zu reizen. In ihren Augen hatte, als er ihr Haar küßte, ein Ausdruck gelegen – – er konnte ihn mit nichts anderem bezeichnen als mit Widerwillen. Und wenn … Unsinn! Sie war außer sich vor Angst gewesen damals um den Knaben – sie war außer sich vor Angst jetzt um das Mädchen – doppelt weil es ihr letztes, ihr einziges Kind war! Frauen aber, die Furcht und Erregung halb von Sinnen bringt, darf man für ihre Blicke nicht verantwortlich machen, solche Blicke zählen nicht mit!

Und so sah denn Doktor Schott scheinbar ganz gelassen zu, wie seine Frau das Kind aus dem Bettchen nahm und wieder hineinlegte – und nochmals aufnahm und von neuem in die Kissen bettete – wie sie sich geduldig das Haar von den kleinen Händen zerraufen ließ – wie sie niederkniete und betete, und die Puppe, den Ball, das Bilderbuch auf die Bettdecke legte und zehnmal wieder aufhob, wenn die unruhigen Händchen alles von sich schleuderten. Auch singen mußte[64] Melitta von neuem: »Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt!« Und die Stimme war ihr so schwer von Thränen!

Friederike stand am Fußende des Bettes und wunderte sich in der Stille über den Herrn Doktor. Der ließ doch sonst nicht mit sich spaßen, und wenn Erna auch krank war – lieber Gott, der kleine Siegmund war ebenso krank gewesen, noch kränker sogar, und der Herr Doktor hatte alles allein bestimmt und besorgt, niemand durfte an das Kind heran, und es gab doch tüchtige Ärzte genug in Augsburg. Und hier wollte er dulden, daß ein alter Doktor oben aus dem Gebirgsdorf, der wahrscheinlich gar nichts verstand, kam und das Kind behandelte! Und er blieb ganz gehorsam in dem breiten Schattenstreifen, den der große, alte Kleiderschrank warf, stehen und ließ alles gehen, wie die junge Frau es anordnete! Diese rief dann und wann Friederike zu einer Handreichung heran – ihren Mann rief sie kein einziges Mal! Sie schien es nicht zu merken, daß er sie unausgesetzt beobachtete!

Wie sie doch schön war! Wie unter dem leichten, dünnen, in Hast übergeworfenen Morgenkleid die biegsamen Formen der anmutigen Gestalt so deutlich hervortraten! Wie das Haar, das sie so oft, als fiele es ihr lästig, mit einer ungeduldigen Bewegung zurückschüttelte, mattgolden schimmerte, und welch schwacher, lieblicher Duft davon ausströmte! Und diese feine Linie des herabgeneigten Profils, die schwarzen, aufwärts gebogenen Wimpern! Es brauchte kein Landrat Rothe zu kommen und aufgeregt zu versichern: »Aber Freundchen, deine Frau ist ja eine Schönheit, entzückend, wahr und wahrhaftig entzückend!« Es durfte kein Leutnant Rothe dastehen und sie mit bewundernden Blicken messen – Udo Schott wußte genau, was er hatte, er war eitel auf sie und für sie – ihm trug und kleidete sie sich viel zu einfach, er mußte ihr die kostbarsten Toiletten förmlich aufdrängen!

Indessen steigerte sich das Fieber bei Erna immer mehr – kaum war sie noch im Bett zu halten; sie wollte durchaus[65] heraus und im Freien mit Rino spielen. Das war doch Rino, der liebe, schöne Neufundländerhund aus Augsburg, mit dem sie so gern tollte, der es immer geduldig litt, daß sie sich auf ihm wälzte und seine langen, weichen Ohren um ihre Händchen wand. Und wie er bellen und sie in wilden Sätzen umkreisen konnte, wenn sie nach Hause kam! Zuweilen ritt sie auf ihm – dann schritt er langsam und gravitätisch einher – warum ließ man sie denn jetzt nicht auf Rino reiten? Und Erna weinte und warf sich ungestüm zurück, und dann mit einemmal klammerte sie sich an ihre Mutter fest, die Füße drehten sich umeinander, und das kleine Gesicht verzerrte sich … es war ein Gehirnkrampf eingetreten.

Weiß wie ihr Kleid, zitternd am ganzen Körper hielt die junge Frau ihr Kind fest, bis der Anfall vorüberging. Mit ihren warmen Lippen küßte sie die kleinen, kalten Glieder, hauchte auf die zusammengekrampften Hände und Füße und warf verzweifelte Blicke auf die kleine Wanduhr, deren Pendel und Zeiger sich mit schauerlicher Langsamkeit weiterbewegten. Kein Gedanke an das Grauen des Morgens! Tiefe, tiefe Nacht. –

»Kannst du nicht helfen? Weißt du kein Mittel?« Melitta fragte es kaum hörbar, mit bebenden Lippen, während das Kind ihr matt und erschöpft im Arm lag.

»Gewiß, weiß ich! Wenn du mir die Behandlung überlassen willst« –

»Nur bis der Arzt kommt! Daß sich der Anfall nicht wiederholt!« – – Sie sah nicht seinen Gesichtsausdruck, nicht sein Achselzucken – – – bei ihr ging jetzt alles unter in der bebenden Angst um das Kind. Ihm allein wollte sie die Kleine nicht anvertrauen, aber so viel verstand er doch von der Heilkunde, um ein Linderungsmittel zu finden, das dafür sorgte, daß dieser entsetzliche Anfall nicht wiederkam … so war Melittas Gedankengang; sie folgte ihrem Gatten mit den Augen, als er zu der kleinen Hausapotheke ging, die er auf Reisen immer mit sich führte, und sie zählte angstvoll die[66] dunkeln Tropfen, die er aus einem Fläschchen in den halb mit Wasser gefüllten Löffel fallen ließ.

»Es kann ihr bestimmt nicht schaden – nein?« flüsterte sie.

In seinen Augen flammte es auf.

»Du mußt wahrlich deiner Sinne nicht mächtig sein, um an mich … an mich – eine solche Frage stellen zu können!«

Sie wehrte seine Worte gleichsam mit einer gleichgültigen Handbewegung ab. Was galt ihr jetzt die verletzte Eitelkeit, das gesteigerte Selbstbewußtsein ihres Mannes – hier, wo es sich um Leben und Tod handelte? – – – Das Kind war von dem Krampf so erschöpft, daß es alles mit sich geschehen ließ. Die Mutter stützte das matt zurückgesunkene Köpfchen und goß den Inhalt des Löffels in den geöffneten Mund. Fürs erste hatten die Phantasien nachgelassen, aber wie verändert war das kleine runde Gesicht!

Die nächste halbe Stunde schlich so hin, dann ging das Phantasieren von neuem an, nur hatte es eine andere Gestalt angenommen. Erna erzählte nicht mehr, was sie, nach ihrer Meinung, deutlich vor sich sah, wollte kein Spielzeug, wünschte auch nicht mehr, daß Mama ihr vorsang oder mit ihr betete … sie hatte offenbar schreckliche Wahnvorstellungen, sah Dinge, die ihr kindliches Gemüt aufs äußerste entsetzten, war aber nicht imstande, sich darüber zu äußern oder um Hilfe zu bitten. Die kleine Brust flog vor Angst, der Atem krachte, die weitgeöffneten Augen sahen starr auf einen Punkt, und dazu stieß das kleine Geschöpf Schrei auf Schrei aus, als wenn es gefoltert würde. Kein Zureden, kein Bitten half, Erna kannte die Mutter und deren Stimme nicht mehr, sie stieß sie mit aller Kraft von sich – – und da war auch der fürchterliche Krampf wieder, der die Glieder starr und steif werden ließ und das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verzerrte! Die Tropfen wurden von neuem gegeben, aber sie thaten keine Wirkung, der Zustand blieb derselbe! –

Melitta kannte sich kaum vor Angst. Sie stürzte zum Fenster und riß den Vorhang hoch, um zu sehen, ob sich kein[67] Schimmer von Morgendämmerung am Himmel zeige, sie warf sich neben dem kleinen Bett auf die Kniee und stammelte unzusammenhängende Worte, halb Gebete, halb Drohungen: »Das kann doch dein Wille nicht sein? Dies eine – mein letztes – was würde mir bleiben, wenn … Ist es nicht genug an dem einen? Du darfst es – darfst es nicht geschehen lassen« – –

Sie war taub für jeden Zuspruch – was ihr Gatte zu ihr redete, wurde überhaupt nicht von ihr verstanden! Sie zählte die halben, die Viertelstunden an der Uhr – es konnte doch nicht erst Drei geschlagen haben, es mußte Vier gewesen sein! Und noch immer Nacht, noch immer nicht hell! Ihre Lippen murmelten immer in Zwischenräumen: »Ein Arzt! Ein Arzt! Es muß doch endlich ein Arzt kommen!« und der Fenstervorhang durfte nicht mehr heruntergelassen werden, damit sie es sofort sah, wenn der Tag kam! Draußen funkelten am nachtdunkeln Septemberhimmel die Sterne, die Luft ging frisch und kühl!

Und endlich! Die leuchtende Pracht droben fing an, zu erblassen, die schwarzen Schatten wurden grau, in unbestimmten, verschwommenen Umrissen begann es zu dämmern – der erste vereinzelte Hahnruf ließ sich hören.

Sie wollte selbst hinunter, den Boten wecken, ihm Eile einschärfen, ihm Geld geben – aber eben war wieder ein Anfall gewesen, schlimmer als zuvor, das Kind lag im Arm der Mutter in einem leichten Halbschlaf – oder war es nur völlige Erschöpfung? – Sie wagte es nicht, sich zu rühren. Ihr Gatte flüsterte ihr zu, er selbst wolle gehen, den Boten ein Stück begleiten, sie könne sich mit eigenen Augen überzeugen, in zehn Minuten spätestens werde sie beide vom Fenster aus fortgehen sehen. Sie nickte zu allem, es war ihr lieb, daß sie mit dem Kinde allein blieb, seine Gegenwart regte sie nur noch mehr auf.

Sie hörte ihn die knarrende Treppe hinuntergehen, hörte unten im Hause Thüren öffnen und schließen, es war ihr[68] auch, als vernehme sie gedämpfte Stimmen. Das Kind regte sich in ihren Armen, sie wagte kaum zu atmen, sie winkte Friederike, zum Fenster zu gehen. Schon sah die Morgendämmerung durch die Glasscheiben, die Lampe brannte wie in einem trüben Dunstkreis, von unten herauf tönte Hundegebell und ein beschwichtigender Zuruf – das Leben des Tages erwachte.

Friederike machte am Fenster ein Zeichen – es litt Melitta nicht länger – sie mußte sehen, selbst sehen. Leicht, wie eine Flaumfeder, ließ sie das Kind in die Kissen zurückgleiten und schlich auf den Fußspitzen zum Fenster. Da sah sie im fahlen Zwielicht, das vor Sonnenaufgang herrscht, zwei männliche Gestalten zum Hofthor hinausschreiten – die größere Gestalt wandte sich nach dem Fenster zurück, hob grüßend den Hut und winkte mit der Hand; die kleinere sah sich nicht um. Zwanzig – dreißig Schritte, und die beiden Wanderer waren in dem jetzt mit Macht aufqualmenden Frühnebel verschwunden. –

Die junge Frau am Fenster atmete auf, tief, tief, wie wenn die Bergeslast auf ihrer angstbeklommenen Seele ein klein wenig leichter geworden wäre. – Wieviel Stunden jetzt noch? – Drei Stunden zum Aufstieg, zwei mindestens, allermindestens für den Abstieg … im allergünstigsten Fall konnten sie in fünf Stunden hier sein! Würde ihr Mann die ganze Tour mit dem Boten zugleich machen? Mochte er immer! Helfen konnte er hier nicht, und er mußte es ja sehen, daß er ihr vollkommen überflüssig war – – wenn nicht schlimmer noch als das! Wieder mit ihm am Krankenbett eines Kindes, das ihm und ihr gehörte! Die Erinnerung packte die junge Frau wie mit schaudernden Händen und schüttelte sie wie ein Laub im Winde! Was hatte sie leiden müssen – was litt sie wieder! –

Draußen bebten die Bäume im Morgenhauch! Jenes Säuseln und Raunen, das das Nahen der Sonne verkündet, strich feierlich durch die Wipfel, die Nebel ballten sich zusammen und rollten sich auf, nur die Gebirgshäupter steckten noch tief[69] in ihren dichten Schleierhüllen. Der Nachtthau fiel in schweren Tropfen von den Blättern, und nun flog ein unsicheres, rosiges Dämmerlicht um die Baumkronen, zuckte stärker auf, vertiefte sich zu strahlendem Rot, goß eine verschwenderische Fülle strömenden Goldes über die erwachende Welt … die Sonne! – – Ihr siegender Strahl traf auch in das kleine Krankenstübchen, erzitterte wider in funkelnden Thränen, die rasch und unaufhaltsam aus den Augen der jungen Frau herabtropften. Sie hatte nicht weinen können, solange ihr Mann neben ihr stand! Aber jetzt! Alles, was sie vom Leben noch erwarten durfte, verkörperte sich in dem Kinde! Für sich selbst hoffte sie nichts mehr – aber für Erna, mit Erna zu hoffen, zu kämpfen, zu leiden, das war der Zweck ihres Daseins – ihr einziger! Wurde er ihr genommen … sie konnte den Gedanken nicht zu Ende denken! Wie oft hatte sie in wehmütig-süßen Zukunftsträumen auf das zu ihren Füßen spielende Kind herabgesehen! Wie mußte es schön sein, eine Tochter neben sich aufwachsen zu sehen, sich nach und nach eine Freundin in ihr heranzuziehen, die Teilnahme, Verständnis hat auch für die Dinge, die unausgesprochen bleiben müssen, selbst zwischen den Nächststehenden! Welch eine Quelle des Trostes – – Ein neuer Krampfanfall des Kindes schnitt jäh und schrecklich den Gedankengang seiner Mutter entzwei! – Wer hat nicht schon ein geliebtes Wesen müssen leiden sehen, machtlos, Abhilfe zu schaffen? Wer kennt nicht den Jammer, der uns das Herz in der Brust gleichsam umwendet, den Jammer menschlicher Ohnmacht gegenüber dem Tode, der seine eisige Hand nach unserem Liebsten ausstreckt? Und nun ein Kind, ein wehrloses, kleines Geschöpf, das mit den Augen flehentlich um Hilfe bittet, das es nicht anders kennt, nicht anders erwartet, als daß die Mutter ihm beisteht, wie sie bisher alle Last und Mühe bereitwillig auf sich genommen! Ein Herz, so ganz erfüllt von Liebe – ein Wille, so stark, daß er einer Welt Trotz bieten möchte, ein Opfermut, dem nichts – nichts zu schwer fiele … und machtlos – machtlos!! –

[70]

Charlotte Hartwig hatte an der Thür gelauscht und kam nun leise herein – sie fand das Kind verändert und entstellt, die junge Frau verzweifelt. Sie schickte Friederike hinunter und ließ Decken und Tücher wärmen, das Kind darin einzuwickeln; es wollte ihr nichts anderes einfallen – sie stand diesem Fall ratlos gegenüber – mit dem Bruder hatte sie ähnliches nie durchgemacht, und er, seitdem er Arzt war, sprach mit ihr niemals über seine ärztliche Thätigkeit, über die Mittel, die er etwa anwandte und deren Erfolge; es gehörte dies zu seinen Grundsätzen … der Arzt dürfe seinen Beruf nicht noch in seine Familie tragen, um seiner selbst und der Angehörigen willen! –

Das alte Fräulein hielt ihre junge Freundin im Arm und sprach mit ihrer weichen Stimme gute, warme Worte zu ihr – aber hörte, verstand sie Melitta auch? Immer derselbe starre, abwesende Blick, dasselbe einförmige Kopfschütteln, das heftige Zittern, das den schlanken Körper durchlief! Wahrlich, ein Anblick zum Erbarmen! – – – Die warmen Decken schienen dem Kinde wohlzuthun, es streckte sich darin aus, dehnte die kleinen Glieder, bekam einen Hauch von Farbe in das arme, bleiche Gesichtchen; die nächste Stunde verging ohne Anfall. Eine strahlende Morgensonne lachte zum Fenster herein, draußen vor den Scheiben glitzerten die im Frühwind sanft bewegten Blätter der Bäume vom frischen Morgenthau, die Vögel lärmten in den Zweigen, ein herber Duft stieg von der Erde auf.

Die zwei Frauen saßen still neben dem Bettchen, Friederike machte sich leise im Nebenzimmer zu schaffen. Noch zwei gute Stunden, dann konnte der Arzt da sein! –

Resi schlich sich mit einem Tablett herein, auf dem zugedeckte Teller und einladend dampfende Kännchen und Tassen standen – Frau Eigener habe sie heraufgeschickt und ihr verboten, bei Strafe der Entlassung, früher herunterzukommen, als bis sie mit ihren eigenen Augen gesehen habe, daß Frau Doktor esse und trinke. Für Fräulein Hartwig habe sie drüben[71] in Fräuleins Zimmer alles zurechtgestellt. – – – Alles dies wurde mehr pantomimisch als mit Worten ausgedrückt – die junge Frau weigerte sich anfangs standhaft, etwas zu sich zu nehmen, endlich setzte sie die Tasse an die Lippen, bat aber nun ihrerseits Fräulein Charlotte, in ihr Zimmer zu gehen und ihr Frühstück zu genießen … thäte sie das nicht, so werde auch sie – Melitta – keinen Bissen mehr essen. Das alte Fräulein stand eine kleine Weile zögernd da, zuletzt gab sie nach, deutete an, sie werde bald wieder da sein und ging leise über den schmalen Korridor in ihr Stübchen. – Eben goß sie sich die zweite Tasse des ungewöhnlich starken und heißen Kaffees ein, als die Thür sich sacht öffnete und Resi auf der Schwelle erschien.

»Was ist?« fuhr Charlotte erschreckt auf. »Hat Erna wieder – –«

»Nix und gar nix is!« winkte Resi ab und kam näher heran. »Die Frau Doktorin trinkt ganz brav ihr' Kaffee, und's Kindl schlaft – – oder wenigstens liegt's da, als wenn's schlaft! Wegen dem können gnä' Fräul'n in Ruh' weiter frühstück'n! 's is bloß« – – offenbar hatte Resi etwas auf dem Herzen, sie fältete an ihrem Schürzensaum, hustete ein paarmal kurz hinter der vorgehaltenen Hand und trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen.

»Ja, Resi, was giebt es denn? Wollen Sie mir etwas sagen?«

»Das möcht' i schon – gnä' Fräul'n sind gar so viel klug und doch auch alt eben, da weiß ma' schon, was ma' zu thun hat! Unserer Frau – was d' Frau Eigener is – trau' i mir's nimmer z' sagen, i weiß nimmer, was das abgeben thät!«

»Haben Sie einen Schatz, Resi?« fragte Fräulein Charlotte mit einem halben Lächeln.

»O mein – gnä' Fräul'n – wie's aber auch fragen! Nu freili hab' i ein'! Wie wär's denn bestellt mit unserein',[72] wenn's kein Schatz hätt'! Und das weiß auch d' Frau – wegen dem is' nimmer!«

»Also weswegen sonst?«

»Ja – das is« – Resi nahm einen förmlichen Anlauf, um sprechen zu können – »i bin heut' in aller Herrgottsfruha aufg'standen und bin zum Ziehbrunnen 'gangen wegen kalt' Wasser, war schier noch stickdunkel – gnä' Fräul'n werden wissen, wo der Brunnen liegt, ganz dicht unter grüne Bäum', g'rad' so umstellt, daß ka' Mensch ein'sehen kann, wenn er nit hat was z'schaffen selber am Ziehbrunnen. Und da, wie i den Eimer will heben, da hab' i g'hört, wie der Herr Doktor hat zum Peterl g'redt, leis' g'nug, ob der Peterl auch schweigen könnt' – und wie der hat »Ja« g'sagt – und wahr is schon, der Peterl kann's Maul halten, bei uns im Haus heißt man's alleweil »der Stumme!« – da hat der Herr Doktor ihm Geld 'geben und hat g'sagt, er braucht nimmer gehen bis Leuten, 's wär bloß so Spiel – oder wie – für d' junge Frau, weil die sich so viel verängst'gen thät'. Aber kein' fremden Doktor braucht's nimmer, und er allein könnt's Kindl g'sund machen und woll's auch g'sund machen, er wüßt' eben mehr als zehn so Dorfärzt' z'sammen. Und's Peterl sollt' eben gehen und e paar Stund' fortbleiben und sagen, er wär' droben g'wesen, und der Herr Doktor sei schon fortg'wesen – – und das sollt' a G'heim's bleiben, kein Mensch dürft' nicht kein Sterbenswörtl davon wissen – und später, wenn's Kindl g'sund daherspräng', woll' er's selber der Gnäd'gen sag'n … aber für jetzt sei das g'fehlt: sie woll' e' zweit'n Arzt, und er woll'n nicht – und weil sie so anstellig wär' – so wild, hat er g'moant, vor Furcht – d'rum müßt' man 's eben anlüg'n – und er wollt' auch so thun, als wär' er droben … ja, ja, um Gott's will'n – was bedeut' denn das?«

Hinter Resi, die eifrig auf Fräulein Charlotte einsprach, hatte sich die Thür aufgethan … Melitta stand im Rahmen derselben. Hatte sie Resis Bericht gehört oder nicht? Sie[73] war erschreckend blaß, ihre großen Augen hatten einen seltsamen Ausdruck. Sie sprach kein Wort, sie sah nur Fräulein Charlotte an.

»Steht es mit Erna schlechter?«

»Ja!« sagte die junge Frau tonlos. »Sie hat eben wieder einen Anfall gehabt!«

»Um Gottes willen! Ich komme sofort!«

Das alte Fräulein lief in ihrer raschen Bereitwilligkeit beinahe Resi um, die mit herabhängenden Armen, einen Ausdruck hilflosen Schreckens im Gesicht, gleich einer ertappten Sünderin dastand. Jetzt aber galt es nur das Kind, das starr und steif in Friederikens Armen lag, die Zähne fest aufeinandergebissen, die Lippen bläulich-weiß, die Augen nach oben gekehrt.

»Wir wollen noch einmal die Decken wärmen!« sagte Charlotte, mit Thränen in den Augen auf das gequälte kleine Geschöpf blickend. »Warten Sie, ich gehe selbst und sage es Frau Eigener, ich bleibe dabei, bis die Sachen durchwärmt sind, Sie können sich auf mich verlassen! Es schien mir doch, als thäte die Wärme unserem armen Liebling gut!«

Melitta nickte ein paarmal, ohne ein Wort zu erwidern. Fräulein Hartwig sah sie in großer Besorgnis an – – wenn sie doch nur um Gottes willen Resis unglückselige Erzählung nicht mit angehört hätte! Und wenn der alte Gebirgsdoktor wirklich kein sehr gescheiter Arzt war und Doktor Schott mehr, zehnmal mehr wußte, als er … die junge Frau wartete auf diesen Arzt wie auf den Heiland, sie brachte ihm Glauben und Vertrauen entgegen – – und, vor allen Dingen, ihr ohnehin schwer erschüttertes Verhältnis zu ihrem Gatten würde einen bedenklichen Stoß erleiden, wenn sie erfuhr, wie eigenmächtig er in dieser Angelegenheit gehandelt hatte. Wer konnte wissen, wie lange die Frau in dem kleinen Korridor vor der Thür gestanden – wieviel oder wie wenig sie von Resis Bericht vernommen hatte! Durfte man sie danach fragen – sich in eine so unendlich peinliche Sache mischen? –

[74]

Fräulein Charlotte entschied bei sich diese Frage mit »Nein,« und suchte nochmals ihre junge Freundin mit der Versicherung zu beruhigen, sie selbst werde das Erwärmen der Decken beaufsichtigen. – Melitta nickte wieder nur, ohne zu sprechen.

Um zur Küche zu gelangen, mußte Charlotte die Runde um das ganze Haus machen. Als sie eben in die halbgeöffnete Thür hineinschlüpfen wollte, wurde sie von Fräulein Rosa Hesse festgehalten, die eben in kleidsamer Morgentoilette die Stufen der Veranda herabkam – sie hätte gehört, die kleine Erna Schott sei erkrankt – merkwürdig, daß den »Glücklichen« hier, während der Sommerfrische, ein solches Malheur passieren müsse! – und der Doktor sei schon vor mehreren Stunden, mit Peterl als Führer, hinauf nach Leuten gegangen, um den Gebirgsarzt zu holen, auf Wunsch seiner Frau! Das sei noch ein Mann! Da sähe man wieder den eklatantesten Beweis für das ideale Verhältnis der »Glücklichen!« Sicherlich würde das so bald kein Mann thun – zu einem ganz obskuren, vielleicht sogar sträflich unwissenden Gebirgsdoktor zu gehen, bloß auf Verlangen der Frau, wenn man selbst ein eminent bedeutender Arzt sei …

»Woher wissen Sie, daß Doktor Schott ein eminent bedeutender Arzt ist?« konnte Fräulein Charlotte nicht umhin, zu fragen.

Die schöngeistige Dame sah halb geringschätzig, halb beleidigt drein.

»Woher ich das weiß? Aber, mein Himmel, das weiß doch hier ein jeder!«

»So?« sagte Fräulein Hartwig trocken.

»Ja – natürlich! Ein Mann, wie dieser, von solcher Begabung, solchem Wissen, muß ja ein bedeutender Arzt sein – er ist auf allen Gebieten zu Hause, so auch auf diesem. – Sie scheinen große Eile zu haben, verehrtes Fräulein.«

»In der That!« warf Charlotte ein.

»Wie geht es denn jetzt dem Kinde?«

»Schlecht! Es liegt in Krämpfen!«

[75]

»O, o – wie schrecklich! Und der Vater nicht da! Wie blind muß er diese Frau lieben, daß er jetzt das Kind allein läßt, um nur ihren Ideen zu folgen! Was haben Sie denn in der Küche zu thun?«

»Frau Eigener eine Bestellung zu machen!«

»So komme ich mit Ihnen! Ich weiß gar nicht, wo Resi heute steckt! Sonst hat sie mir um diese Zeit schon lange meinen Kakao gebracht – ich trinke nämlich des Morgens immer Kakao, ich halte das für weit bekömmlicher als Kaffee, und meine Gesundheit ist ein wenig zart.«

Mit Fräulein Rosa Hesse im Schlepptau betrat Charlotte die Küche und fragte nach Frau Eigener. Dieselbe mußte aus der Vorratsstube geholt werden – sie war ganz Teilnahme und Bereitwilligkeit … wenn gnä' Fräul'n ein fünf, sechs Minuten warten wollten, dann könnte sie die Decken schon mitgeben. Damit wischte sie eilfertig einen Küchenstuhl ab – »bitte, sich nur zu setzen!«

Unterdessen war Resi langsam, Schritt vor Schritt setzend, aus Fräulein Hartwigs Zimmer gekommen und stieg jetzt ebenso bedächtig die Treppe hinunter. Ihr ahnte nichts Gutes. Wenn die Frau Doktor die ganze Geschichte, die sie, die Resi, dem alten Fräulein erzählt, mit angehört hatte – und warum sollte sie das nicht gethan haben? – dann konnte das unangenehme Dinge nach sich ziehen! Für nichts und wieder nichts hatte der Herr Doktor den Peterl wohl nicht immer von neuem beschworen, reinen Mund zu halten und ihm Geld noch extra dafür gegeben – gefallen hatte es ihr, der Resi, gar nicht, daß der Herr Doktor so sein Spiel trieb mit der jungen Frau; Resi fand, wenn er ihr's versprochen hatte, den Leutener Arzt zu holen, so mußte er ihn eben holen, ob ihn das nun ärgerte oder nicht. Sie hatte ein ziemlich hartes Urteil für des Doktors Handlungsweise, und sie sagte sich, daß des Doktors eigene Frau, die Mutter des kranken Kindes, noch ein ganz anderes Urteil fällen dürfte als sie, das einfältige Zimmermädel. O je, o je, das konnte noch eine böse[76] Geschichte geben! Hätte bloß die junge Frau nichts gehört. Aber sie hatte so »wüste« Augen gehabt – zehn gegen eins zu wetten, ihr war kein Wort entgangen! –

In ihre trübseligen Gedanken über die Folgen ihrer Schwatzhaftigkeit verloren, fuhr Resi erschreckt zusammen, als sie sich am Fuß der Treppe von einer fremden Männerstimme angeredet hörte. Vor ihr stand ein Herr im Reiseanzug, er hatte eine etwas lässige Haltung, ein blondbärtiges, stubenblasses Gesicht und sehr kluge und gute Augen. In der Hand trug er einen Schirm und einen kleinen Koffer.

»Guten Morgen, Fräulein! Um Verzeihung – dies ist doch Pensionat Klinger?«

Resi knickste. »Ei ja freilich schon – z' dienen!«

»Ich habe meinen Wagen vor einer Viertelstunde fortgeschickt und bin das letzte Stückchen Weg durch den schönen Bergwald zu Fuß gekommen. Auch habe ich meine Schwester gern überraschen wollen – Sie werden sie ja gut kennen – Fräulein Charlotte Hartwig! Ich bin Professor Hartwig aus Stettin – können Sie mir sagen, wo – –«

Weiter kam er nicht. Die steile Treppe herab flog eine weibliche, weißgekleidete Gestalt mit offenem Blondhaar – er hielt sie für ein junges Mädchen – umklammerte seine freie Linke mit ihren beiden zitternden Händen und stammelte kaum verständlich: »Helfen Sie – um Gottes willen – helfen Sie mir –«

»Meine Gnädigste – mein Fräulein – ich –«

»Aus Erbarmen! Helfen Sie – um Ihrer Schwester willen, die mich liebt, die ich liebe! Das Kind muß – muß sterben, wenn nicht – wenn nicht – und es ist kein Arzt – keiner …« – Sie fiel in ihrer Aufregung und Verzweiflung vor ihm auf die Kniee, sie haschte nach seinen Händen, um sie an die Lippen zu führen.

»Nicht doch – um Himmels willen – wo ist das Kind? Führen Sie mich!«

Professor Hartwig gab Schirm und Koffer an Resi ab.

[77]

»Tragen Sie das einstweilen fort, und sagen Sie, bitte, meiner Schwester noch nichts, ich suche sie später auf. – Diese Treppe hinauf?«

»Ja!«

Resi sah den beiden, wie sie nebeneinander die Treppe hinaufstiegen, mit offenem Munde nach. Diesmal faßte sie den festen Vorsatz, zu schweigen.

Professor Hartwig warf einen kurzen prüfenden Blick auf seine Begleiterin, er sprach kein Wort weiter. Im Krankenzimmer angekommen, legte er seinen Hut auf das Fensterbrett und streifte die Handschuhe ab. Dann trat er an das kleine Bett. – »Wie lange ist das Kind schon in diesem Zustand?«

Melitta schöpfte zitternd Atem. Die Stimme wollte ihr nicht gehorchen.

»Ich – ich kann es nicht genau sagen. Wir hatten eine weite – eine weite Gebirgspartie unternommen, waren zwei Tage und eine Nacht unterwegs. Als ich mein Kind verließ, war es gesund gewesen – gestern des Abends sagte mir Ihre Schwester, es wäre ihr bald – bald nach unserem Aufbruch verändert erschienen – still und apathisch. Wir fanden es in hohem Fieber!«

»Und es ist kein Arzt hier?«

»Er ist nach München zu einer Versammlung, und bis nach Leuten hinauf sind es mehr als drei Stunden – ein beschwerlicher Aufstieg … in der Nacht wollte ihn niemand unternehmen!«

»Haben Sie gar kein Mittel bei dem Kinde angewendet?« »Doch!« Die junge Frau wurde rasch nacheinander rot und blaß. »Wir – ich – mein Mann weiß einiges – hat einige medizinische Kenntnisse – wenigstens interessiert er sich – –«

»Gut also! Was haben Sie gegeben?«

»Zuerst ein weißes Pulver – es sollte fieberstillend sein – dann diese Tropfen« – sie nahm das Fläschchen vom Tisch und reichte es dem Professor.

[78]

Dieser zog den Kork heraus, roch an dem Fläschchen, goß sich ein paar Tropfen in einen bereit liegenden Theelöffel und kostete. Ohne etwas Weiteres zu sagen, schloß er das Fläschchen wieder und setzte es beiseit.

»Wollen Sie jetzt das Kind aus dem Bett heben, ich muß es genau untersuchen. Haben Sie einen Thermometer zum Messen der Temperatur hier? Gut. Bitte, setzen Sie sich hierher neben das Bett, ich gebe Ihnen die Kleine auf den Schoß.« Er hatte gesehen, daß Melittas Hände stark zitterten.

»Wenn – wenn Erna bei Besinnung ist, wird sie sich nicht von Ihnen berühren lassen – sie wird sich sehr aufregen –«

»Ich hoffe nein! So, meine kleine Erna, komm zum Onkel Doktor – er bringt dich zu Mama!«

Die Kleine, mehr überrascht als erschrocken, hob ein wenig den schweren Kopf und sah dem fremden Mann aus glanzlosen Augen ins Gesicht. Er faßte sie sehr zart und behutsam an und hob sie so rasch und geschickt aus dem Bett, daß man auf den ersten Blick den erfahrenen, geübten Kinderarzt in ihm erkannte.

Die Untersuchung dauerte eine Weile. Professor Hartwig sprach kein Wort dabei, hatte keinen Blick für die junge Frau, er verwandte kein Auge von dem Kinde. Zuletzt fragte er die Kleine, wie sie heiße, welchen Namen ihre Puppe habe; er wiederholte seine Frage einigemal mit einer sehr sanften, sympathischen Stimme … Erna starrte ihn aus trüben Augen an und antwortete nicht.

Indessen öffnete sich seitwärts leise die Thür. Und Charlotte, die, ein Paket wollener Tücher im Arm, über die Schwelle treten wollte, blieb dort wie angewurzelt stehen. Sie glaubte, nach der halb durchwachten Nacht eine Vision zu haben. Es war doch nicht möglich! Der Herr, der dort neben Melitta stand, tief über das Kind gebeugt – das war doch – das mußte doch ihr Bruder Walter sein … nun, das konnte doch[79] nicht … sie trat ein paar Schritte näher, und die Decken fielen sämtlich auf die Erde.

Professor Hartwig blickte sich mit gerunzelter Stirn um. Als er seine Schwester erkannte, erhellte sich sein Blick.

»Grüß' Gott, Lottchen! Was hast du da? Wollene Decken? Die nützen nicht viel. Wenn du uns sobald wie möglich ein warmes Bad verschaffen könntest – – –«


5.

Das alte Fräulein kam halb lachend, halb weinend heran.

»Walter – mein Walter – wie bist du hergekommen? Seit wann? –«

»Nicht jetzt, Lottchen – später – jetzt müssen wir das Kind zurücklegen – so!«

Mit überfließenden Augen sah die Schwester seinem Thun zu. Nicht der eigene Vater konnte sein zärtlich geliebtes Kind sorgsamer betten, als ihr teurer Walter es jetzt that.

»Ist eine Apotheke am Ort?«

»Ja!«

»Ich möchte etwas aufschreiben!«

Er schritt zum Tisch und strich im Vorübergehen liebkosend über die Wange der Schwester, die ihn mit verklärten Blicken betrachtete.

»Das warme Bad – du sorgst wohl dafür, Lottchen! Es muß achtundzwanzig Grad mindestens haben – besser noch neunundzwanzig! – und verdeckt heraufgebracht werden! Dann muß man Eis herbeischaffen – ich denke, das kann hier nicht so schwer sein, vielleicht hat sogar die Hausfrau welches!«

»Ich – ich werde nachfragen. Ach, Walter, was für ein Segen ist es doch, daß du gekommen bist! Wenn du wüßtest – –«

»Bitte, nichts mehr! Ich möchte ein wenig nachdenken.«

Er setzte sich, nahm die Feder zur Hand, die Melitta auf den Tisch gelegt, und starrte mit gefurchten Brauen, wie in angestrengtem Sinnen, vor sich hin. Die längst eingetauchte[80] Feder schwebte immer noch unschlüssig über dem Papier, ein sorgenvoller Zug, der das Gesicht des Arztes um zehn Jahre älter erscheinen ließ, lag um Mund und Augen. Es war totenstill im Zimmer.

Endlich fuhr die Feder in raschen Zügen über das Papier, dann reichte er Friederike das Blatt hin.

»Bitte, gehen Sie sofort zur Apotheke, und warten Sie, bis die Medizin fertig ist.«

Melitta war neben ihn getreten – sie versuchte zu sprechen, es wollte ihr nicht gelingen. Charlotte eilte auf sie zu und legte den Arm um sie.

»Ist – ist große Gefahr vorhanden? Haben Sie noch Hoffnung?« kam es endlich leise, leise von Melittas Lippen.

Er sah mitleidig in das süße, weiße Gesicht.

»Ich kann Ihnen nichts sagen – wir müssen abwarten. Das Kind ist schwerkrank, aber seine Natur scheint sehr widerstandsfähig zu sein. Wir müssen alles thun, was in unsern Kräften steht, und versuchen, möglichst ruhig zu sein. Ihnen, gnädige Frau, verordne ich vorerst ein Glas Wein; ich hoffe, Sie gehorchen mir!«

»Ja!« sagte Melitta leise.

»Dann komm, Charlotte! Sobald das Bad fertig ist, bin ich wieder hier!«

Professor Hartwig verneigte sich leicht – die junge Frau vergaß, den Gruß zu erwidern. Mit einem ergreifenden Ausdruck von Glauben und Vertrauen hingen ihre Augen an seinem Antlitz. – –

»Mein Walter! Mein Walter!«

Draußen im Hausflur konnte sich's das alte Fräulein nicht versagen, den Bruder zu umarmen und zu küssen – eine Ceremonie, die er lächelnd, mit guter Miene, über sich ergehen ließ. »Ich bin so glücklich, so grenzenlos glücklich! Sage mir bloß, wie es gekommen ist, daß du kamst!«

»Hat ja Zeit, liebe Alte, wird alles werden! Vor allen Dingen: wie heißt sie denn?«

[81]

»Wer? Ach so – Melitta meinst du? Frau Doktor Schott aus Augsburg! Ist sie nicht wunderschön?«

»Hm! Und was treibt der Mann?«

»Ach – der! Komm hier in mein Zimmer, man könnte uns hören! Nach meiner Ansicht treibt der Mann nichts als Dummheiten! Ein arroganter Patron, ein Besserwisser, ein Mensch, der von allem wissen will –«

»So? Von Medizin versteht er aber nichts!«

»Er hat das Kind falsch behandelt, nicht wahr?« fragte Charlotte eifrig.

Ihr Bruder sah ihr sehr ernst ins Gesicht.

»Ich weiß, daß du schweigen kannst, Lotte – und daß du es hier thust, versteht sich von selbst! Ja denn! Das eine Mittel, das dieser Herr, der sich so für Arzneikunde interessieren will, dem Kinde gegeben hat, war harmlos – weder wirksam noch schädlich – mit dem zweiten sieht es bedenklich aus!«

»Und du meinst – was meinst du? Bleibt die Kleine am Leben? Muß sie sterben?«

Der Professor schüttelte den Kopf.

»Kein Mensch auf der Welt sollte mich so gut kennen wie du – und du thust es doch nicht! Nach meiner schon seit langen Jahren festgehaltenen Meinung ist der Arzt ein Narr, der Leben und Tod verspricht – er hat sein Bestes zu thun und abzuwarten, ob die Natur mithilft – oder Gott, wenn du so willst! – Und nun komm, wir wollen das Bad bestellen!«

»Aber, mein guter Walter, wie müde mußt du sein. Du bist wohl gar die Nacht durch gefahren? Nicht? Nun Gott sei Dank! Aber etwas zum Frühstück mußt du doch haben!«

»Ich werde nachher frühstücken, verlaß dich ganz fest darauf! Jetzt erst einmal das Bad!«

Drunten im Pensionat Klinger summte es durcheinander,[82] wie in einem Bienenschwarm. Unglaublich schnell hatte sich die Kunde verbreitet, Professor Hartwig aus Stettin, des alten Fräuleins Bruder, sei unerwartet angekommen und werde die Behandlung des kranken Kindes übernehmen … jetzt, da eben dieses kranken Kindes Vater den beschwerlichen Weg über den Gebirgskamm machte, um den Doktor aus Leuten herbeizuholen! Diese Thatsache fand eine sehr verschiedenartige Aufnahme. Die einen meinten, es sei ein Segen, daß der fremde Arzt gekommen – die anderen, Fräulein Hesse obenan, nannten es eine empörende Anmaßung von ihm, hier einzugreifen, da Doktor Schott doch unfehlbar das richtige getroffen habe und weiter treffen werde.

Frau Eigener gehörte jedenfalls der ersten Partei an. Sie hatte in ihrem Innern den pomphaften Doktor immer einer wenig schmeichelhaften Kritik unterzogen und die junge Frau ebenso reizend als bedauernswert gefunden – jetzt stellte sie sich selbst, wie ihr ganzes Haus, dem Geschwisterpaar Hartwig ohne weiteres zur Verfügung. Das Bad werde in kürzester Frist bereit sein, es flamme den ganzen Tag ein tüchtiges Feuer auf ihrem Herde, und ein paar große Kessel voll Wasser wären im Nu heiß. Und Eis? Nun, natürlich hätte sie welches, ihr seliger Mann hatte ihr noch den Eiskeller aufmauern lassen – bei dem Fremdenverkehr in ihrem Haus, und wenn sich alles frisch erhalten solle, müsse man das ja haben … ob das alles sei, was Herr Professor zu bestimmen hätte? Ihr wäre nichts zu viel, wenn nur das Hascherl, das Herzerl, die Erna wieder gesund werden möchte! –

Vorläufig sah es nicht danach aus. Das Bad zog eine schwere Erschöpfung nach sich, die ersten Löffel Medizin blieben ohne jede Wirkung, und die Eisblase wurde unaufhörlich von dem ruhelos umhergeworfenen Köpfchen geschleudert. Professor Hartwig hatte die Kleine selbst gebadet. »Lassen Sie mich nur machen!« sagte er mit seiner ruhigen Bestimmtheit, und dann rief er die Mutter zu Handreichungen herbei, und sie setzten sich zusammen an das kleine Bett und reichten die[83] Medizin und hielten abwechselnd die Eisblase fest und die Händchen, die immer wild nach der Stirn fuhren, um das kalte kleine Bündel herunterzureißen. Wenn der Professor nicht schon um des Kindes willen, das er für bedenklich krank hielt, geblieben wäre – – um der Mutter willen hätte er es thun müssen. Er machte keine neue Erfahrung an diesem Krankenbett; oft schon hatte er es in seiner Praxis erlebt, daß von seiner Persönlichkeit, seiner Art, sich zu geben, diese seltsam beruhigende, sympathische Wirkung auf die Umgebung der Patienten überging, Pfleger und Pflegerinnen wie unter einem wohlthätigen Einfluß standen, daß seine Ruhe, seine Zuversicht sich ihnen mitteilte und ihnen selbst ihr schweres Amt solchergestalt zehnfach erleichterte. – So auch hier. Diese junge Frau, die ihm in fiebernder Exaltation, mit beinahe irrem Blick und Wesen vor kurzer Zeit entgegengestürzt war, deren Hände derartig gebebt hatten, daß sie das Kind nicht halten konnten, die die Worte mühsam hatte suchen müssen, um sich ihm nur verständlich zu machen … sie saß still und aufmerksam neben ihm, folgte jeder seiner Bewegungen, verstand den leisesten Wink, störte ihn nicht mit einem Ausruf, einer Frage … und er hatte ihr doch noch kein einziges aufmunterndes oder auch nur beruhigendes Wort sagen können! – Seine Macht über die Menschen, die sein Beruf ihm nahe brachte, war in seinen Patientenkreisen beinahe sprichwörtlich geworden, und er hatte nicht umhin gekonnt, sich darüber oft zu freuen – – aber noch nie hatte er sich dessen so gefreut wie eben jetzt!

Seiner schlichten Art lief alles, was wie Übertreibung aussah, schnurgerade zuwider, das wußten seine Bekannten und verschonten ihn mit großem Lob und Danksagungen. Auch hier war freilich davon keine Rede – aber die ausdrucksvollen Augen der jungen blickten mit einer so schwärmerischen Innigkeit und Verehrung zu ihm auf, daß ihm dieselbe leicht zuviel hätte werden können. Bei ihr wurde sie ihm nicht zuviel! Es waren so wunderschöne Augen! Und dann that ihm das[84] arme süße Geschöpf, nach allem, was ihm Charlotte in aller Eile ins Ohr geflüstert hatte, auch rein menschlich leid … schließlich war man ja doch nicht nur Arzt und immer wieder nur Arzt … man war ja doch am Ende auch Mensch! Und als Mensch sah »man« auch, welch herrliches seidenfeines Haar diese Frau hatte und welch einen schönen, schmiegsamen Wuchs! – Wenn er ihr das Kind doch retten könnte! –

Charlotte schlich dann und wann herein und sah die beiden nebeneinander sitzen – »Gott verzeih' mir's wie ein Ehepaar, das am Bettchen seines Kindes wacht!« sagte sich das alte Fräulein in ihren Gedanken. »Wenn einer das liebe Kind durchbringen kann, dann ist er es!« dachte sie weiter. »Armes Geschöpfchen, was es wohl leiden muß! Aber er hat so vielen geholfen, er hat ja so viel Geschick, ein so geniales Auge für den Sitz der Krankheit! Wie anbetend Melitta ihn ansieht! Ja, aber auch mein Walter! Gottlob nur, daß ihr Mann noch nicht kommt!«

Aber endlich kam er doch.

Es wurde ein rascher fester Tritt auf der Treppe hörbar, – die junge Frau fuhr zusammen und wurde sehr blaß, aber sie blieb am Bett des Kindes sitzen. In der nächsten Minute stand Doktor Schott im Zimmer.

Der Professor hatte sich erhoben, die junge Frau that es ihm nach, sie stand zwischen den beiden Männern, die in ihrer äußeren Erscheinung einen starken Gegensatz bildeten. Hier der Mann der Wissenschaft, der Gelehrte, stubenblaß, überarbeitet aussehend, den Kopf mit dem um die Schläfen grau angeflogenen Haar etwas vorgeneigt, die hohe Gestalt überschlank, schmächtig – daneben der andere mit seinem stolzen, kraftvollen Wuchs, der breiten Brust, dem schöngeschnittenen, ausdrucksvollen Kopf, der luftgebräunten, frischen Farbe! Der merkbarste Unterschied lag aber doch im Gepräge der beiden Gesichter – dieser gleichsam nach innen gekehrte Blick des Forschers, und die selbstbewußte, alles in Besitz nehmenwollende Miene des Mannes, der alles zu können, alles zu beurteilen[85] meinte … es gab ein eigenartiges Bild, diese beiden nebeneinander zu sehen.

Doktor Schott mußte unten niemand vom Hauspersonal gesprochen haben – sichtlich traf ihn des Professors Anwesenheit ganz unerwartet. In seiner hochmütigen Manier die Augenbrauen emporziehend, warf er einen erstaunten Blick auf seine Frau, einen Blick, der bedeuten wollte: »Was soll das heißen? Wie konntest du es wagen – –«

Sie machte eine leichte Bewegung mit der Hand.

»Professor Hartwig, Fräulein Charlottes Bruder aus Stettin, hat gütigst, auf meine Bitten, die Behandlung Ernas übernommen!«

»Ah!« Doktor Schott richtete sich noch straffer auf als bisher und machte die knappste Verbeugung, deren er fähig war. »Nun sieh, mein Kind, wie dir der Zufall zu Hilfe gekommen ist! Indessen ich oben in Leuten erfahren mußte, daß der alte Gebirgsdoktor schon vor Morgengrauen zu Wagen aufgebrochen war – man wußte mir nicht zu sagen, wohin – und erst gegen Abend zurück erwartet wurde, sind deine heißen Wünsche um einen auswärtigen Arzt erhört worden.«

»Ja,« unterbrach sie ihn, »Gott sei ewig dafür gedankt!«

Mit einem sarkastischen Zucken der Lippen wandte sich ihr Gatte von ihr fort und dem Professor zu.

»Darf ich um Ihre Diagnose bitten, mein Herr?«

»Ich stehe zu Diensten,« sagte der Professor höflich, »vorausgesetzt, daß es Sie nicht befremdet, in der Behandlung einen Weg eingeschlagen zu sehen, der dem bisherigen total entgegengesetzt ist!«

Doktor Schott maß den Sprecher von Kopf bis Fuß mit einem funkelnden Blick. Der Professor stand ruhig da, mit der Miene eines Mannes, dem das Aussprechen seiner innersten Meinung etwas Selbstverständliches ist.

»Ich wäre begierig!« sagte der Doktor scharf.

»Liebe Charlotte,« wandte sich der Professor an seine Schwester, »du gestattest wohl, daß wir zu dieser medizinischen[86] Auseinandersetzung in dein Stübchen hinübergehen – ein Krankenzimmer ist dazu so ungeeignet wie nur möglich. Ich hoffe, das Kind wird ruhig bleiben unterdessen!« Mit einem geschickten Griff lockerte er das Kissen unter dem fieberheißen Köpfchen auf und bettete es höher. Die junge Frau war sehr bleich geworden und blickte ihn angstvoll fragend an – auch Charlotte sah beunruhigt aus. Der Professor sah ihnen beiden mit seinen klugen, gütigen Augen ins Gesicht und schüttelte ein klein wenig den Kopf, als wollte er versichern: »Keine Sorge!« Dann machte er eine Gebärde, um Doktor Schott den Weg zu weisen; auf ein überhöflich betontes »Bitte!« desselben, schritt er ruhig voran. Im nächsten Augenblick waren die beiden Männer verschwunden.

»Gehen Sie hinunter zu Frau Eigener, Friederike, und kommen Sie nicht früher herauf, als bis ich Sie rufe!« sagte Melitta wie mit einem plötzlichen Entschluß. – – Und kaum hatte sich die Thür hinter dem Mädchen geschlossen, da ergriff die junge Frau mit einer flehentlichen Gebärde beide Hände des alten Fräuleins und sagte in dringendem, unwiderstehlich bittendem Ton: »Nicht wahr, Sie haben mich lieb? Nur ein wenig – ein ganz klein wenig nur – –«

»Nein!« sagte Charlotte, zog sie an sich und küßte sie. »Nicht ein klein wenig! Sehr lieb – – von Herzen lieb!«

»Und wollen mir helfen?«

»Helfen? Wozu?«

Melitta schöpfte tief Atem. »Ich will von ihm fort – für immer! Ich kann nicht mehr bei ihm bleiben!«

»Kind, um Gottes willen, Sie wissen nicht, was Sie sprechen – Sie reden im Fieber –«

»Nein – nein – nein!« stieß die junge Frau in immer sich steigernder Energie heraus. »Ich weiß recht gut – und ich habe schon lange, so lange mit mir gekämpft – jetzt kann ich nicht mehr! Sie wissen ja nicht … aber Sie sollen wissen – und wenn man uns jetzt nicht ungestört läßt – dann später –«

[87]

»Aber wie ist es nur möglich –«

»Hören Sie – hören Sie nur, Sie sollen mich verstehen lernen!« Mit ihren heißen, bebenden Händen umfaßte Melitta Fräulein Hartwigs Rechte. »Hier, an Ernas Bett, meines einzigen Kindes, da werden Sie mir doch glauben, daß ich nicht lüge, nichts beschönige! Ich habe damals geglaubt, ihn zu lieben – sogar sehr zu lieben – wie hätte ich ihn sonst heiraten können? Denn so jung ich war – kaum siebzehn – das hätt' ich nie gethan, eine Ehe geschlossen um der Versorgung willen! Und damals war er keine glänzende Partie – Doktor der Chemie und hatte keine Stelle, nur die Aussicht, bei einer großen Farbefabrik angestellt zu werden. Und ich war eine arme, ganz arme Offizierstochter aus Norddeutschland, und all' meine adligen Verwandten waren dagegen, weil ich so jung und – recht – recht gefeiert war; sie glaubten, mir werde sich viel Besseres bieten. Aber ich sah zu ihm auf und fand ihn so schön und stolz, und daß er immer sagte, er wolle mich erziehen und bilden – auch das gefiel mir, ich war ja fast noch ein Kind, er so viel älter und klüger! Hätte er einen Beruf, eine feste Thätigkeit gehabt, es hätte nicht so werden können, wie es nun kam! Aber so – wir hatten eben geheiratet – machte er eine große Erbschaft, ganz unerwartet fiel sie ihm zu, und an demselben Tage noch, als er das erfuhr, kündigte er seine Stelle auf, in deren Ausfüllung er von Anbeginn nur einen seiner unwürdigen Sklavendienst gesehen hatte – und nun wollte er seine vielfache Begabung sich frei entfalten lassen, auf allen Gebieten etwas leisten, jeder Wissenschaft gerecht werden – ein Universalmensch wollte er sein, das war seine Idee, sein Schlagwort! Mir wäre ein bestimmter Beruf für ihn lieber gewesen, ich fragte ihn, ob er nicht entweder Naturforscher oder Arzt oder Chemiker sein wolle – aber er wollte alles das sein und kaufte sich Bücher und hörte Vorträge und lud sich solche Leute ins Haus, die ihm nur schmeichelten und von seiner enormen Vielseitigkeit sprachen und ihn vermöge seiner[88] Eitelkeit enorm ausnutzten. Ich fing erst allmählich an, das zu durchschauen – – still, hörten Sie nichts?«

Melitta, die bis dahin in einem rapiden, aufgeregten Flüsterton gesprochen hatte und so im Fieber war, daß ihr nicht ein einziges Wort fehlte, stockte hier plötzlich und schlich auf den Fußspitzen zur Thür, die sie lautlos öffnete. Man hörte zuerst nichts, dann den Schall einer gedämpften, gleichmäßig fortsprechenden Männerstimme, dazwischen ein paar harte, herrische Laute.

Melitta schloß wieder sacht die Thür und kam zurück. Das Kind lag jetzt still, die Händchen griffen nicht mehr nach dem Eisbeutel, sie tasteten nur zuweilen unsicher auf dem Deckbett umher.

»Trotz all' dieser Studien,« fuhr die junge Frau in derselben heftigen Weise fort, »blieb ihm doch viel freie Zeit, er konnte sich ja alles nach seinem Belieben einrichten, und da er leidenschaftlich in mich verliebt war« – ihr ging ein Zittern durch den Körper, wie sie dies sagte – »so war er auch viel um mich und suchte mir das abzugewöhnen, was ihm an mir mißfiel. Zunächst das Kirchengehen, das Beten, den Glauben an Gott, was er alles Kinderei nannte – überwundenen Standpunkt, Albernheit. Er las mir stundenlang Strauß und Feuerbach vor, er zwang mich, das Gelesene mit ihm durchzusprechen, er wollte, daß ich alles, was mir bis dahin verehrungswürdig und heilig gewesen war, verspotten sollte. Ich sollte mir Rechenschaft von jeder Empfindung ablegen, jede Sympathie oder Antipathie begründen, meine »planlose« Begeisterung für alles, was Kunst und Schönheit hieß, aufgeben, neue Lektüre, neuen Umgang wählen, meine alten Freunde, die mich geistig nicht genügend förderten, beiseite lassen, auf die Musik, die ich leidenschaftlich liebte, Verzicht leisten, da sie nur eine unklare Gefühlsschwärmerei bei mir begünstige – ich wäre bald, bald völlig verzweifelt, hätte ich nicht die Kinder gehabt. Erna war noch ganz klein, ich mußte mich damit begnügen, sie körperlich gut zu verpflegen, aber[89] mein Siegmund – mein Junge – –« Ein nasser Dunst schwamm ihr vor den Augen, die Lippen zitterten ihr, die Worte überstürzten sich mehr denn je, es war, als spräche ein fremdes Element aus ihr, unaufhaltsam, die übervolle Seele lösend.

»Er war anders als Erna, äußerlich, wie im Wesen« – Charlotte nickte – sie erriet, er hatte die Blonde, sonnige Schönheit seiner Mutter geerbt, er war ihr Herzenskind, ihr Liebling gewesen! – »Alle, die ihn sahen, staunten, wie gut und rasch er sich entwickelte, körperlich, wie geistig – er liebte mich zärtlich, er war mein Stolz, mein Trost, meine Hoffnung. Was alles hab' ich für ihn geplant, von der Zukunft erwartet! Nichts war mir zu groß und zu kühn gedacht für mein schönes, begabtes Kind – ich weiß nicht, ob sich alles erfüllt hätte – ach, ich glaube es doch – was glaubt eine Mutter nicht! Es geschah alles, alles, um mir auch diese Freude zu nehmen, eine stille, verzehrende Eifersucht auf das Kind entstand, fügte mir tausend Kränkungen zu, suchte mir den Knaben zu entziehen, meinen Einfluß auf ihn zu untergraben, … das war umsonst, alles umsonst! An dieses Kindes unerschütterlicher Liebe zu mir scheiterte Zorn und Strafe, Verbot und Bestechung, sie war die Sonne in meinem Leben! Und dann wurde mein süßes Kind krank, ganz plötzlich, er, bis dahin ein Bild von Kraft und Schönheit, und noch nie eine Stunde krank gewesen – und ich sah es gleich, es war große Gefahr da! Auch er sah das und that alles, was er konnte; auf seine Art liebte er das Kind, ebenso, wie er sich einbildet, mich zu lieben, aber auf eine Weise, die – die … genug! – Als alle angewandten Mittel nichts halfen, die Gefahr stieg und stieg, da wollte ich einen zweiten Arzt dazu haben, aber er litt es nicht! Er sagte, er könne die Krankheit deutlich übersehen, er wisse genau, wie man sie bekämpfen müsse, er dulde keine fremde Einmischung – und wie ich auch flehte und bat – er setzte seinen Willen durch. Und dann starb mein Knabe – wie ein Licht losch es aus, sein süßes Leben[90] – und ich … ich … nein, ich kann es Ihnen nicht und kann es keinem schildern, was ich litt! Sich sagen zu müssen, dies geliebte Leben hätte gerettet werden können, wenn nicht Eitelkeit und Hochmut an ihm zum Mörder geworden wären – – still, sagen Sie nichts dagegen! Sie können mich hierin nicht verstehen und niemand kann es! Ich weiß, Sie werden mir sagen, auch der zweite und dritte Arzt hätte möglicherweise mir meinen Sohn nicht erhalten können, … dann hätte ich mich unter Gottes schwere Hand gebeugt und mir gesagt, ich that alles, nach meinem besten Wissen, was uns armen Menschen gegeben ist, ein furchtbares Schicksal abzuwenden! Aber so! Ich war schwach gewesen, ich hatte nachgegeben – und wenn ich es hundertmal erfahren hatte bisher, daß in ewiger Nachgiebigkeit mein einziges Heil lag, wollte ich nicht unwiderruflich mein Joch abwerfen … diesmal, dies eine Mal hätte ich nicht nachgeben dürfen! Daß ich nicht wahnsinnig geworden bin damals – daß ich meinen Verstand behielt!«

Die junge Frau grub die beiden Hände in ihr volles Haar und ließ sie dann langsam sinken.

»Aber ich hatte ja noch ein Kind, für das ich leben mußte, und mit einem heiligen Eidschwur' hab' ich mir's gelobt, für dies einzige, letzte, wenn es not that, das zu thun, was ich für das verstorbene nicht gewagt hatte. – Wir lebten also weiter, vor der Welt scheinbar sehr gut und harmonisch, für mein Empfinden in einer sich oft bis zur Unerträglichkeit steigernden Qual. Ich konnte ihm den Tod des Kindes nicht vergessen und nicht vergeben, meine Seele wußte lange schon nichts mehr von der seinen, meine Denk- und Empfindungsart entfernte sich mit jedem Tage mehr von der seinigen, ich war innerlich verzweifelt, alles in mir rang nach Selbständigkeit, nach eigenem Fassen und Festhalten, … und dabei … ihm gehören müssen, diese Leidenschaft zu dulden« – –

Wieder ging der Schauder über sie hin, daß ihre ganze Gestalt sich schüttelte.

[91]

»Und jetzt dies noch – dies letzte – dies gebrochene Wort – eine Behandlung, die ein unmündiges Kind kaum ertragen könnte, wieviel weniger eine verzweifelte Mutter, … nein, nein, ich kann es nicht länger tragen. Gott selbst zeigt mir den Weg, er hat mir Ihren herrlichen Bruder geschickt, der mein Kind retten wird, er hat mir Sie geschickt, und Sie werden mir helfen!«

Charlotte trocknete sich die überfließenden Augen.

»Mein Liebling, mein armes Herz, wie gern – wenn ich nur kann! Was wollen Sie –«

Wieder horchte die junge Frau mit verhaltenem Atem nach der Thür hin; es blieb alles ruhig.

»Sehen Sie,« begann sie in fliegender Hast aufs neue und drückte Fräulein Charlottes Hand mit aller Kraft, »ich habe ja oft schon gedacht, ich ertrage es nicht länger und wie ich es anfangen würde, für mich und Erna zu sorgen, wenn ich fortginge. Ich habe ein kleines Kapital von einem Onkel meines verstorbenen Vaters geerbt, über das ich frei verfügen kann. Es sind nur ein paar tausend Mark, aber damit kann ich ein oder ein paar Jahre hindurch ein Konservatorium besuchen und Musik studieren, für die ich immer viel Begabung und Neigung gehabt habe. Reicht mein Können nicht zur Konzertspielerin aus, so hoffe ich bestimmt, ich werde Klavierunterricht erteilen können – ich will gern und freudig arbeiten, nichts soll mir zu viel und zu schwer sein, wenn ich mit allem Luxus, der mich jetzt umgiebt, zugleich alle Fesseln von mir werfen und frei sein – – frei sein kann – –«

Die Brust dehnte sich ihr, sie sprach und blickte wie im Rausch. Dem alten Fräulein schnürte sich angstvoll das Herz zusammen.

»Und Sie meinen, er – Ihr Mann – werde Sie gutwillig gehen lassen?«

»Nicht gutwillig – nein! Aber kann er mich bei sich halten, wenn ich gehen will?«

[92]

»Und das Kind – wird er Ihnen das Kind lassen, falls – –«

Charlotte war im Begriff, zu sagen: »Falls es am Leben bleibt« – sie unterdrückte das und setzte stockend hinzu: »Falls es zur Trennung kommt?«

»Er liebt das Kind nicht – sein Herz hängt nicht an ihm, ebensowenig, wie an mir. Was ihn so an mich fesselt, ist – ist – nicht Liebe in dem Sinn, wie Sie und ich Liebe auffassen. Wäre ich nicht mehr jung und gut aussehend … keinen Augenblick würde er sich besinnen, mich von sich gehen zu lassen, denn ich bin ihm mit der Zeit eine immer unbequemere Frau geworden. Die Liebe, mit der eins das andere stützt und veredelt und immer tiefer verstehen lernt, die kennt er nicht und wird sie nie kennen.«

Draußen vom Flur her klang eine Thür, es kamen Schritte näher.

»Ich darf auf Sie zählen, nicht wahr?« flüsterte Melitta in fliegender Hast, während sie Charlottes Hand ergriff und, ehe diese es zu hindern vermochte, an die heißen Lippen führte. »Sie werden mich nicht mißverstehen und, wenn ich Sie bitte, mir eine hilfreiche Hand zu reichen, dann werden Sie mich nicht von sich stoßen!«

Die alte Dame konnte nur bestätigend nicken und sich rasch die Thränen aus den Augen wischen – zum Antworten blieb ihr keine Zeit mehr. Sie sah mit einem Blick, daß die beiden Herren keine friedliche Auseinandersetzung gehabt hatten – freilich hätte sich das voraussagen lassen können. Des Doktors stark gerötetes Gesicht war finster wie eine Gewitterwolke anzusehen, und den Ausdruck in ihres Walters Mienen kannte die Schwester ganz genau – diese leicht vorgeschobene Unterlippe, diesen geraden, festen Blick, der deutlicher als tausend Worte sagte: »was ich einmal für richtig erkenne, davon lasse ich nicht – das setze ich durch!«

»Sie verzeihen, gnädige Frau,« begann der Professor jetzt mit seiner tiefen, gedämpften Stimme, »wir haben Sie lange[93] warten lassen, Sie werden sich beunruhigt haben. Ihr Herr Gemahl und ich hatten eine ausführliche Auseinandersetzung, die bedauerlicherweise dennoch zu keinem Resultat geführt hat. Herr Doktor Schott ist mit den von mir getroffenen Maßregeln in keiner Weise einverstanden und wünscht eine total veränderte Behandlungsweise einzuschlagen …«

»Ich wünsche, in diesem speciellen Fall, dir die Entscheidung zu überlassen!« fiel der Doktor dem Redenden ins Wort. »Ich darf dich wohl nicht an meine jahrelangen eifrigen Studien auf medizinischem Gebiet, sowie an den Umstand erinnern, daß ich die Konstitution und Beanlagung unseres Kindes von seinem ersten Tag her kenne, mithin in der Lage bin, ein eingehenderes Urteil darüber zu fällen als ein Fremder, der es vor zwei Stunden zum erstenmal gesehen hat.«

Die junge Frau sah ihm ruhig ins Gesicht.

»Ich wünsche, daß Herr Professor Hartwig die Behandlung des Kindes in seinem Sinn weiterführt – ich bitte ihn darum!«

»Melitta – es ist nicht möglich, daß – du könntest in der That –«

»Ich bitte Herrn Professor Hartwig, die Behandlung des Kindes in seinem Sinn weiterzuführen!« wiederholte sie noch einmal deutlich und fest.

»Soll das heißen, daß du mich in den Augen dieses Herrn und seiner Schwester für einen Ignoranten erklärst, daß du mir nicht zutraust, diesen Fall zu übersehen?«

»Ich will dir meine Meinung darüber später sagen, es wundert mich, daß das noch notwendig ist, nach dem, was vorangegangen. Du hast in dieser Sache mir die Entscheidung überlassen … dies ist meine Entscheidung! – Ob wir Erna die Medizin eingeben, Herr Professor? Zeit wäre es dazu, aber es scheint mir, sie schläft jetzt!«

Ohne sich nur noch nach ihrem Gatten umzuwenden, trat Melitta neben Hartwig und blickte vertrauensvoll mit ihren sprechenden Augen zu ihm auf.

[94]

»Es wird kein gesunder Schlaf sein, mehr ein Hindämmern, aber selbst wenn sie schliefe: die Medizin ist zu wichtig, wir müssen sie geben!«

Hartwigs Stimme klang ganz ruhig, er war anscheinend nur bei dem kranken Kinde, nur bei seinem Beruf. Aber Charlotte mußte wohl noch etwas anderes aus den sachlich klingenden Worten herausgehört haben, sie musterte den Bruder verstohlen mit einem aufmerksam prüfenden Blick.

»Dann wäre ich wohl hier am Bett meines Kindes vollkommen überflüssig!« bemerkte Doktor Schott bitter.

Es antwortete ihm niemand. Melitta und der Professor waren um das Kind bemüht, das die Medizin nicht gutwillig nehmen wollte; die Mutter hielt es im Arm und redete ihm sanft zu, der Arzt benutzte einen Augenblick, bog Ernas Kopf zurück und goß ihr geschickt den Inhalt des Löffels in den Mund.

»Das wäre geschehen!« sagte er tief aufatmend. »Nun wollen wir einmal stark die Füße frottieren. Liebe Charlotte, bitte, die Bürste, die dort liegt, und du könntest gleich hierhertreten und die Kleine halten, sie wird nicht gutwillig still liegen. Nein, du mußt an dieser Seite stehen, und sieh nur zu, daß die Eisblase an ihrer Stelle bleibt. Wollen Sie die Füße frei machen, gnädige Frau!«

Hinter den drei emsig Beschäftigten wurde eine Thür geschlossen. Keiner von ihnen wandte den Kopf zurück.


6.

Es war etwa zwei Stunden später.

Erna hatte noch mehrmals Medizin bekommen, danach war endlich etwas Schweiß eingetreten, was der Arzt sehnlichst gewünscht hatte, und sie schlief jetzt wirklich. Ihre Mutter ebenfalls zum Schlafen zu bewegen war völlig nutzlos, sie lächelte nur immer, schüttelte stumm den Kopf und rührte sich nicht von ihrem Sessel neben dem kleinen Bett. Man mußte sie gewähren lassen. Keinen Augenblick schien ihr mehr der Gedanke[95] zu kommen, daß für ihr Kind noch Gefahr sei, daß es ihr doch noch entrissen werden könne. Als sei mit Professor Hartwig die Hilfe, die Rettung in Person über ihre Schwelle getreten, so zuversichtlich, so gläubig blickte sie zu ihm empor. Er hatte ihr noch kein erlösendes Wort gesagt, nur angedeutet, daß er mit dem bisherigen Verlauf der Krankheit nicht unzufrieden sei, daß die Medizin gute Wirkung zu haben scheine … Melitta war sichtlich damit beruhigt.

Von Doktor Schott hatte man nichts weiter seitdem gesehen. Ob er seine Freunde im »schwarzen Lamm« aufgesucht oder einen weiteren Gang angetreten hatte – niemand wußte es zu sagen.

In Charlotte Hartwigs Stübchen saß diese neben ihrem Bruder auf dem braunen Ledersofa vor einem sehr reichhaltigen und einladenden Frühstück. Die besorgte Schwester nötigte ihren Walter unausgesetzt zum Zulangen.

»Es ist doch nicht möglich, daß du schon satt sein kannst – du wirst überhungert haben, das ist das Ganze. So iß doch wenigstens noch eine Kleinigkeit!«

»Keinen Bissen mehr, Lottchen, ich bin tüchtig dabei gewesen, und hab' mir's redlich schmecken lassen – jetzt muß ich aber endlich die Waffen strecken!«

»Aber noch einen Schluck Wein!«

Der Professor deckte die Hand über sein Glas.

»Ich habe eine reichliche halbe Flasche getrunken, das ist mehr wie genug. Mit Essen und Trinken hab' ich dir nun deinen Willen gethan – jetzt thu' du mir den meinen!«

»Aber natürlich, Walter – wenn ich nur weiß – –«

»Du weißt nicht? Hast du mir nicht zuvor versprochen, mir ganz ausführlich alles zu erzählen, was du über diese – diese Leute – dies Ehepaar meine ich – und ihr Verhältnis zu einander weißt?«

»Ja so! Soll ich von Anfang an ausholen?«

»Bitte!«

»Und wird dich das auch nicht ermüden?«

[96]

»Du bist komisch, Lottchen! Wenn ich dich extra um eine Sache ersuche –«

»Sonst sagst du doch immer gleich, ich erzähle viel zu weitläufig!«

»Heute werde ich das nicht sagen!«

Und er sagte es auch nicht, trotzdem Fräulein Charlotte in der That weitläufig erzählte. Ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen, die Augen gesenkt, mit einem Tischmesser emsig an einer Äpfelschale herumschnitzelnd, hörte er alles mit an, von dem ersten Auftreten des Ehepaars Schott, von Fräulein Hesses und der übrigen Pensionäre Bezeichnung »die Glücklichen,« der Scene, die Charlotte damals im Garten belauscht, der Unterredung, die sie mit der jungen Frau gehabt, bis zu Ernas Erkrankung – Resis Bericht über des Doktors Auftrag an Peterl und endlich Melittas Beichte an Charlotte. Als dies letzte zur Sprache kam, legte der Professor das Messer und die Äpfelschale weg und sah seiner Schwester gespannt ins Gesicht.

»Also das sagte sie? Und ganz bestimmt? Sie will fort von ihm – – meinst du, daß sie es durchsetzt?«

»Ich müßte mich gewaltig irren, wenn nicht! Das ist ja kein Mißverständnis und kein Zerwürfnis von heute – das arbeitet schon jahrelang in ihr, und die jetzigen Erlebnisse haben eben das Maß voll gemacht. Wenn sie Resis Erzählung mit angehört hat – und sie hat es, meinen Kopf zum Pfande! – dann war das eben der Tropfen, der das volle Gefäß zum Überlaufen brachte. Und überhaupt … ich habe sie beobachtet und es mehr als einmal wahrgenommen – sie hat ein Grauen vor ihm! Seine Leidenschaft widert sie nur noch an – ich kann dir das nicht so sagen –«

Er bewegte ein wenig die Hand. »Das ist nicht nötig!«

»Nun eben, siehst du! Und wenn er sie nicht freiwillig losläßt … sie ist imstande, ihn böswillig zu verlassen, um einen Scheidungsgrund zu haben – und unüberwindliche Abneigung kommt gleichfalls ins Spiel – aus dem Kinde[97] macht er sich nichts, meint sie, und ich glaube, sie hat recht. Wie könnte er sonst das arme Geschöpfchen so hart behandeln? Wäre Erna ein Junge, dächte er vielleicht anders, aber so …«

»Und was sagtest du, wollte sie anfangen? Musik? War es nicht so?«

»Ja! Sie scheint sehr musikalisch zu sein, sie erwähnte einmal früher, wie weit sie in ihrem Studium gekommen, was sie alles gespielt und auswendig gewußt habe – Chopinsche Impromptus und Schumanns Phantasiestücke und Bachsche Fugen – sie hat heimlich doch immer fortstudiert. Nun möchte sie auf ein Konservatorium, von da entweder in den Konzertsaal oder an irgend ein Institut als Lehrerin – so hab' ich sie verstanden. Was willst du sagen?«

Der Professor nahm seine Schnitzelei wieder auf.

»Ich meine, es – es – wäre noch nicht das schlechteste, wenn sie – falls alles so kommt, weißt du – nach Stettin herüberkäme. Ich könnte ihr doch da … ich meine, wir könnten ihr doch da – erheblich von Nutzen sein – wenn sie doch, wie du meinst, nicht viel Anhang hat in der Welt und er, dieser – dieser – Mensch, sie so absichtlich von allem Verkehr isoliert hat! Ich – in meinem Patientenkreis – mir wär es ein Leichtes, sie da einzuführen, zu mir haben die Leute wirklich viel Vertrauen – und eine Dame, für die ich mich warm interessiere …«

»Ja, Walter, interessierst du dich denn warm für sie?«

Er ließ das Messer unter den Tisch fallen, bückte sich danach, ließ nunmehr die Äpfelschale fallen und bückte sich noch einmal – er war von dem mehrmaligen Bücken ganz rot im Gesicht geworden.

»Warum soll ich nicht, Lottchen?« fragte er herausfordernd. »Findest du etwas dabei, wenn ich mich für eine Dame, die so – so tapfer und – und energisch sich benimmt und am Krankenbett so gut zu brauchen und die Mutter eines so – so – niedlichen kleinen Mädchens ist, die außerdem[98] ein so schweres Schicksal hat … wenn ich mich für die interessiere?«

Fräulein Charlotte lächelte.

»Gott bewahre, nein, Walter, ich finde nichts dabei! Interessiere du dich in Gottes Namen. Aber weißt du, was deine Patienten sagen werden, wenn du ihnen diese musikalische Kraft zuführst? Sie werden weder denken, daß diese Dame sich so tapfer und energisch benimmt, noch daß sie am Krankenbett zu brauchen ist, weder daß sie ein niedliches Töchterchen und ein schweres Schicksal hat – sondern – sie werden einfach sagen –«

»Was denn, Lottchen?«

»Sie werden einfach sagen: sie ist eine reizende junge Frau, und unser lieber Hausarzt, Professor Hartwig, hat sich in sie verliebt!«

Der Professor klopfte ein paarmal mit der flachen Hand auf den Tisch und goß sich dann, trotz seines vorherigen Protestes, in aller Geschwindigkeit ein frisches Glas Wein ein – alles, ohne zu sprechen. Als er das Glas zum Munde führen wollte, hielt Charlotte ihm die Hand fest. In ihren Augen glänzte es feucht.

»Hätten die Leute recht, wenn sie so sagten, Walter?«

Seine klugen, guten Augen gaben Antwort, indes sein Mund stumm blieb. Da goß sie sich ebenfalls mit etwas zitternder Hand ein Glas Wein ein und stieß es mit hellem Klang an das seine.

»Sie heißt Melitta!« sagte sie dazu.

Ein leichtes Rauschen von Frauenkleidern wurde vor der Thür hörbar, leise, leise klopfte es an.

Der Professor fuhr empor, wie wenn man ihn bei einem Verbrechen ertappt hätte.

»Um Gottes willen, Lottchen!« flüsterte er in Hast. »Kein Wort – keinen Laut von dem, was ich eben – was du eben – es ist ja noch alles im Monde, man weiß ja nicht – es ist so über mich gekommen – alles, wie ein Traum –«

[99]

Die Schwester nickte ihm beruhigend und herzlich zu.

»Auf mich kannst du dich verlassen – ich denke, das wissen wir! – Herein!«

Auf der Schwelle stand Melitta, die Augen leuchteten ihr groß und glückselig, um den süßen Mund bebte es.

»Ach, Sie verzeihen mir gewiß – bitte, bitte! Aber ich mußte kommen und es Ihnen sagen: soeben ist Erna aufgewacht, und sie hat mich erkannt und ist ganz bei Besinnung! Das ist doch gewiß ein gutes Zeichen, und ich muß, ich muß Ihnen jetzt endlich danken!«

Leicht, leicht, wie von ihrem dankbaren Glück auf Flügeln getragen, kam sie herbei und nahm des Professors Rechte in ihre beiden Hände.

»Solange ich lebe, will ich Ihnen das nicht vergessen, was Sie heute gethan haben, und solange ich lebe, will ich Ihnen dafür danken!«

Seine Schwester verstand den eigentümlichen Blick zu deuten, mit dem er auf die blonde, schöne Frau hinsah. »Ich werde dich beim Wort nehmen!« stand in diesem Blick zu lesen. Im übrigen aber verriet nichts an ihm die plötzliche Wandlung in seinem Innern, diese rasche Liebe, die dem gesetzten, verständigen Arzt beim ersten Begegnen gekommen war. Sie war die Frau eines anderen, noch hatte sich nicht das mindeste in Bezug auf die Lösung dieses Bundes entschieden, noch konnte niemand wissen, ob in Melittas Herzen neben der begeisterten Dankbarkeit für den Retter in der Not irgend ein persönliches wärmeres Gefühl sich regte … so blieb der Professor streng sachlich, fragte, ob Erna noch im Schweiß liege und ob Aussicht vorhanden sei, daß sie bald von neuem einschlafe – am Ende erklärte er, selbst nachsehen zu wollen und ging den beiden Damen voraus in das Krankenzimmer.

Melitta zögerte einen Augenblick, ehe sie ihm folgte. Sie zog aus ihrer Kleidertasche einen zusammengelegten Zettel, den sie in Charlottens Hand drückte – ein Knabe hätte ihn vor einer halben Stunde gebracht.

[100]

Es stand folgendes darauf zu lesen: »Ich halte es für das beste, angesichts deines nichtachtenden, mich vor diesen fremden Leuten total kompromittierenden Wesens, ähnlichen Vorkommnissen, wie denjenigen von heute früh, durch mein einstweiliges Fernbleiben vorzubeugen. Ich bin im »schwarzen Lamm« zu finden, falls Ernas Zustand sich verschlimmert und du meiner bedarfst. Im anderen Fall bitte ich, mich erst dann zu benachrichtigen, wenn ich sicher bin, Professor Hartwig nicht mehr in deiner Umgebung anzutreffen, da dieser Herr sich erlaubt hat, mir Dinge zu sagen, die mir ein nochmaliges Zusammentreffen mit ihm nicht wünschenswert erscheinen lassen. Was dein heutiges Benehmen mir gegenüber betrifft, so bin ich bereit, es mit deiner, wie damals, als Siegmund starb, bis zur Sinnlosigkeit gesteigerten Angst und Aufregung entschuldigen zu wollen, falls du diese Thatsache mir gegenüber ohne weiteres einräumst und meine Verzeihung dafür erbittest. Daß ähnliches sich niemals wiederholt, soll fortan meine Sorge sein!

Udo Schott.«

Fräulein Hartwig hatte das Briefchen hastig mit den Augen überflogen und gab es jetzt zurück.

»Was werden Sie thun?« fragte sie besorgt.

»Warten, bis Ihr Bruder mir Ernas Zustand aus freien Stücken als gänzlich gefahrlos bezeichnet – dann ihn hierherrufen und ihm sagen, was ich zu sagen habe!«

Die junge Frau sprach das so einfach und ruhig aus, als sei es die selbstverständlichste Sache von der Welt – in ihren Augen stand ein klares Licht, das nicht von bevorstehenden, sondern von überwundenen Kämpfen zeugte.

»Sie sind ganz mutig, ganz mit sich einig?« fragte Charlotte.

»Vollkommen! Ich weiß es selbst nicht, woher diese stille Zuversicht stammt. Es ist wie eine fremde Kraft in mir – sie weist mir den Weg, den ich zu gehen habe!«

Das alte Fräulein seufzte recht aus tiefster Seele.

[101]

»Gott wolle alles zum besten lenken!« sagte sie inbrünstig. – – –

Im »schwarzen Lamm« gab es große Aufregung. Landrat Rothe hatte eigentlich schon heute mit seiner Frau abreisen wollen, sie fühlten sich aber allesamt von der »Parforcetour« in die Berge zu angegriffen und hatten beschlossen, noch einen Tag zuzugeben. Nun war ihnen ganz unerwartet Doktor Schott ins Hotel hineingeschneit und schien sich wunderbarerweise fürs erste da festsetzen zu wollen. Die ausgiebigen Fragen nach seiner Gattin beantwortete er sehr obenhin – die Kleine sei nicht ganz wohlauf, es sei aber nicht schlimm, seine Frau natürlich wäre nicht vom Krankenbett fortzubringen. Die Freunde mußten aber sehr bald merken, daß die Sache keineswegs so einfach sei, wie er sie darzustellen wünschte, denn Schott war von einer immer sich steigernden Unruhe ergriffen, die sich kaum unterdrücken ließ und der Umgebung je länger je deutlicher wahrnehmbar wurde. Er saß entweder teilnahmlos da, ohne ein Wort zu äußern, oder seine Beredsamkeit hatte etwas geradezu fieberhaft erregtes, in seinen Augen funkelte ein grelles Feuer – dazu lief er in immer kürzeren Zwischenräumen zum Portier des Hotels, fragen, ob keine Nachricht für ihn gekommen sei – und als es Abend wurde und immer noch keine Botschaft da war, ging es mit dem Rest seiner Selbstbeherrschung zu Ende. Er konnte die Gesellschaft der Freunde und ihr harmloses Gespräch nicht länger ertragen, er ließ sich ein Zimmer anweisen und verbrachte dort einsam den Abend, nur wenige Bissen genießend, in ruhelosem Hin- und Herwandern.

Am nächsten Tage gegen Mittag reisten die Freunde fort. Der Abschied von Doktor Schott fiel nach dem so herzlich gefeierten Wiedersehen, ziemlich erzwungen und förmlich aus, und nur das allseitige Bedauern, seine reizende Frau nicht mehr sehen zu können, kam echt heraus. Für den Zurückbleibenden hatte sich die Situation nicht geändert – es war noch immer aus Pensionat Klinger keine Nachricht für ihn da.


[102]

Endlich, am Morgen des nächsten Tages wurde für Doktor Schott ein Briefchen abgegeben.

»Erna gänzlich fieberfrei und auf dem besten Wege vollständiger Genesung. Professor Hartwig und Schwester heute früh nach G… weitergereist.«

Weiter kein Wort – keine Bitte, kein Versprechen, kein Zeichen der Verabredung.

Des Doktors Gesicht sah sehr düster aus, als er das Hotel zum »schwarzen Lamm« verließ, aber noch unendlich viel düsterer war es anzusehen, als er, nach etwa zweistündiger Abwesenheit, wiederkam.


Es hatte sich in Stettin niemand aus Professor Hartwigs Patientenkreis über die Einführung einer neuen jungen und schönen Musiklehrerin wundern und einen Vers daraus machen dürfen. Es war gar nicht dazu gekommen. – Zwar, in Leipzig am dortigen Konservatorium war eine reizende blonde Frau mit einem Töchterchen aufgetaucht – die einen sagten, sie sei eine Witwe, die anderen, sie sei eine geschiedene Frau, genaues darüber erfuhr man nicht. Sie wohnte bescheiden, kleidete sich einfach und lebte sehr zurückgezogen – mit alledem hörte sie nicht auf, schön zu sein und so eifrig zu studieren, daß die Lehrer am Konservatorium ihr Mäßigung anzuempfehlen hatten. Sie zeigte viel Talent, eine tüchtige Technik, eine eigene Auffassung – dennoch hielt man sie zur Konzertspielerin für ungeeignet, ihr mädchenhaft-zurückhaltendes Wesen schien zum öffentlichen Auftreten nicht geschaffen. Eine Musikschülerin, ein ganz junges Mädchen, wohnte mit der interessanten Frau in einem Hause und verehrte sie so schwärmerisch, warb so beharrlich mit reizenden Blumensträußen um ihre Neigung und mit Bonbons und Puppen um die Gunst des kleinen Mädchens, daß zuletzt wirklich eine Art von Freundschaft zwischen diesen drei sehr verschiedengearteten weiblichen Wesen zustande kam. Das junge Fräulein kam jetzt oft in Frau Melittas kleine, überaus zierlich eingerichtete Wohnung,[103] und eines Tages – sie mochten wohl beide etwas über ein Jahr Musik studiert haben – fand sie in eben dieser Wohnung eine sympathisch aussehende alte Dame, die ihr Frau Melitta als »ihre liebe Freundin Fräulein Hartwig aus Stettin« vorstellte. Es ergab sich im Lauf des Gespräches, daß die beiden Damen seit ihrer ersten Bekanntschaft stets eifrig miteinander korrespondiert hatten, sie schienen sich sehr nahe zu stehen, die junge Musikschülerin wurde förmlich eifersüchtig auf Fräulein Hartwig, zumal auch Erna sich auf Tante Charlottes Schoß sofort zärtlich eingenistet hatte. Nach einigen Tagen fuhr die alte Dame ab, mit einem sehr glücklichen, freudigen Gesichtsausdruck, und dann vergingen ein paar Monate, und es ereignete sich weiter nichts, als daß Melitta einmal auf zwei Tage verreiste und daß ihr der Postbote des öfteren große, amtlich gesiegelte Briefe brachte. Darüber war das Frühjahr herangekommen, ungewöhnlich schön und warm, und an einem prachtvollen Maitage kam abermals Besuch für die junge Frau: es war wieder Fräulein Charlotte Hartwig aus Stettin, aber diesmal kam sie nicht allein. Sie brachte einen Herrn mit, der weder besonders schön, noch besonders jung aussah, und dennoch mußte man gern in sein kluges und gutes Gesicht sehen, er sah, wie die Musikschülerin zu ihrer Tante bemerkte, geradeswegs zum Liebhaben aus! – Nun das mußte auch Frau Melitta finden, denn sie kam am Arm des besagten Herrn zu ihrer jungen Freundin, die eine Treppe höher wohnte, herauf und präsentierte Herrn Professor Hartwig aus Stettin als ihren Verlobten. Des Abends wurde im kleinen Salon der Braut im intimsten Kreise eine stille Verlobungsfeier bei einer Maibowle begangen, und Melitta war entzückend anzusehen in einem schlichten Wollkleide, mit einem vollen Strauß Maiglöckchen an der Brust. Schwer war es zu sagen, wer das glücklichere Gesicht hatte – Professor Hartwig oder seine reizende Braut – und Fräulein Charlotte konkurrierte gleichfalls darum, sie konnte sich an den beiden nicht satt sehen und holte immer von neuem ihr Taschentuch[104] hervor, um sich die Augen zu trocknen, während ihre Lippen lachten. Erna wanderte aus einem Arm in den anderen und vertraute ihrer jungen Freundin mehrmals geheimnisvoll, mit strahlendem Gesichtchen: »Aber, du, jetzt bekomm' ich einen guten Papa!« eine Bemerkung, deren Sinn das junge Mädchen halbwegs erriet. Jetzt stellte es sich heraus, daß Fräulein Charlotte damals im Spätherbst nur nach Leipzig gekommen war, persönlich zu »sondieren, weil es Walter so angst und bange geworden sei und er gemeint habe, er müsse sich einen Korb holen, denn wenn alte Junggesellen mit grauem Haar um junge, schöne Damen freiten« – – zu Ende kam er nicht mit seinem Satz, eine weiche, kleine Hand deckte sich über seinen Mund, und zwei glückselig leuchtende Augen lächelten ihn an.

Da hob Fräulein Charlotte ihr Glas und sagte leise: »Laßt mich euch einen Toast ausbringen und zwar mit einem bekannten Wort, das einmal auf zwei Menschen angewendet wurde, für die es nicht paßte, denn es war nur Schein, und, wie so oft im Leben, trog der Schein auch hier. Ich aber weiß es besser heute, und wir alle wissen es, wenn wir jetzt die Gläser heben und unserem Brautpaar zurufen: Es leben ›die Glücklichen!‹«

Ende.


Deutsche Erzähler und Erzählerinnen der Gegenwart

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Achleitner, Eisenbahnstreik. 4557/58. Geb. 80 Pf.

–, Geschichten aus d. Bergen. 2625. 2696. 2769. 2963. 3323.

Adlersfeld-Ballestrem, Die blonde Ida und and. Humoresken. 4440.

–, Halali. – Fall Stachelberg. 4329.

Algenstaedt, Frau Rübezahl u. a. Novellen. 5338.

Baudissin, Von nah und fern. 4910.

Bernhard, Die Glücklichen. 4050. Geb. 60 Pf.

Bierbaum, Reife Früchte. 5171/72. Geb. 80 Pf.

Bleibtreu, Bei Jena und andere Novellen. 4840. Geb. 60 Pf.

–, Friedrich der Große bei Kolin. 5098/99. Geb. 80 Pf.

Blüthgen, Gedankengänge eines Junggesellen. 3700.

–, Aus gärender Zeit. 4232–35. Geb. M. 1.20.

Bock, Die Meßfahrt u. a. Nov. 5435.

Böttcher, M., Künstlerehe. 5094/95.

Boy-Ed, Aus Tantalus Geschlecht. 4211–14. Geb. M. 1.20.

Briesen, Gemütsmenschen. I. 5420. II. 5421. Zus. geb. 80 Pf.

Busse-Palma, Reif im Frühling und andere Novellen. 5461.

Carmen-Sylva, Aus d. Leben. 5400. Geb. 60 Pf.

David, Ein Poet und andere Erz. 5154. Geb. 60 Pf.

Dürow, Zwei arme Junker. 4498.

Eckstein, Der Besuch im Karzer. 2340. Geb. 60 Pf.

–, Humoresken. 621. 1640.

Enking, O., Heine Stölting u. and. Erzählungen. 5401. Geb. 60 Pf.

Ernst, O., Vom Strande des Lebens. 5000. Geb. 60 Pf.

Eysell-Kilburger, Brillanten u. and. heitere Geschichten. 4560.

Fleischer, Bauerngeschichten. 5062.

Franzos, Die Hexe. 1280.

Fraungruber, Ausseer G'schichten. 4850. 4887. 5386.

Frenzel, Hausfreund. 1820. Geb. 60 Pf.

Frenzel, Berliner Märztage. 5366. Geb. 60 Pf.

Gensichen, Zu d. Sternen! 5208/9. Geb. 80 Pf.

Gerhard, Die Stangenjäger u. and. Erzählungen. 5187. Geb. 60 Pf.

Glümer, Frau Domina. 4285/86.

–, Lutin und Lutine. 4577/78.

Gottschall, Die Adlerhexe. 2608.

–, Der Verräter. 2570.

Grabein, Der tolle Hans. 5288/89. Geb. 80 Pf.

Greinz, Die Steingruberischen. – Der Kooperator. 3186.

–, Lustige Tiroler Geschichten. 5100. Geb. 60 Pf.

Groller. Eine Panik u. and. humoristische Erzählungen. 4935.

–, Vom kl. Rudi. 5077. Geb. 60 Pf.

Gubalke, Locken-Berta und andere Novellen. 4800.

Gunkel, Chr., Ohne Heim. 5039/40. Geb. 80 Pf.

–, Intermezzo. 5286.

Hansjakob, Der Theodor. 4997. Geb. 60 Pf.

Haushofer, Der Floßmeister. – Scharka. 5355. Geb. 60 Pf.

Heiberg, Die Andere. – Einmal im Himmel. 3381/82. Geb. 80 Pf.

Herzog, Komödien des Lebens. I. 5049. II. 5050. Zus. geb. 80 Pf.

Heyse, Zwei Gefangene. 1000. Geb. 60 Pf.

Hirschberg-Jura, Hans im Glück. 4666/67.

Höcker, Leichtsinniges Volk. 3212.

Hochstetter, Die Tafeln im Walde u. and. Feld-, Wald- und Wiesengeschichten. 4894.

Hollaender, Der Pflegesohn u. zwei and. Novellen. 5300. Geb. 60 Pf.

Holzamer, Der Held und andere Novellen. 5200. Geb. 60 Pf.

Hopfen, Böswirt. 4400. Geb. 60 Pf.

–, Mein Onkel Don Juan. 4641–44. Geb. M. 1.20.

Jensen, Die Erbin von Helmstede. 4421–23. Geb. M. 1.

–, Hunnenblut. 3000. Geb. 60 Pf.

Junghans, Wisel. – Das Gelübde. 4981.

Kleinecke, Bergbauern und Stadtleut'. 4196.

Kretzer, Der Baßgeiger. 3207.

Krickeberg, D. Krähe u. a. Nov. 5250.

Kröger, Wohnung d. Glücks. 4570. Geb. 60 Pf.

Külpe, Der Silbergarten. – Der Stein des Pietro. 5336.

Land, Ja – die Liebe! und andere Novellen. 5330. Geb. 60 Pf.

Lingg, Byzantinische Novellen. 3600. Geb. 60 Pf.

Mackay, Die letzte Pflicht u. Albert Schnells Untergang. 5236/37. Geb. 80 Pf.

Milow, Novellen 5005. Geb. 60 Pf.

Molo, Totes Sein. 5419. Geb. 60 Pf.

Muellenbach, Waldmann u. Zampa u. and. Nov. 4500. Geb. 60 Pf.

Olden, Eine brillante Idee. – Die Versöhnung. 4496.

Ortmann, Der Teufelswalzer und sieben andere Novellen. 4428.

Perfall, Die Uhr. 4130.

–, Das verlorene Paradies. 4801/2.

–, Dämon Ruhm. Roman. 5317–20. Geb. Mk. 1.20.

Peschkau, Am Abgrund. 2219.

–, Suzons Ende. 5112.

Pötzl, Hoch vom Kahlenberg. 3844. 3888. 3905. Geb. M. 1.

–, Die Leute von Wien. 2629/30. Geb. 80 Pf.

–, Der Herr von Nigerl u. a. humor. Skizzen. 3005/6. Geb. 80 Pf.

Presber, Das Eichhorn und and. Satiren. 4715. Geb. 60 Pf.

–, Der Untermensch und andere Satiren. 4688. Geb. 60 Pf.

Proelß, Modelle. 4169/70.

Raabe, Zum wilden Mann. 2000. Geb. 60 Pf.

Reichenbach, Oberschlesische Dorfgeschichten. 4240.

Resa, Mein erster Freier u. a. H. 3708.

Reuter, Gabriele, Eines Toten Wiederkehr und andere Novellen. 5001. Geb. 60 Pf.

Roberts, Um den Namen. 4249/50. Geb. 80 Pf.

Rosegger, Geschichten und Gestalten a. den Alpen. 4000. Geb. 60 Pf.

Rüttenauer, Sommerfarben. 2499.

Schanz, Wolken. 4959/60. Geb. 80 Pf.

Schnitzer, Wunderliche Lebensläufe. 5255.

Schönthan, Fr., Der General. 4444. Geb. 60 Pf.

Skowronnek, Fr., Garbata. – Der Kawaljer. 5131.

Spielhagen, Alles fließt. 4270. Geb. 60 Pf.

–, Dorfkokette. 4100. Geb. 60 Pf.

–, Was die Schwalbe sang. 4138–4140. Geb. M. 1.

Stern, Gluck in Versailles. – Nanon. 4960. Geb. 60 Pf.

–, Die Wiedertäufer. 1625.

Telmann, Unheilbar. 3750.

Torrund, Weiße Narzissen und and. Novellen. 4540.

–, Sein Herzenskind. 4950. Geb. 60 Pf.

Trinius, Tauwind u. a. Thüringer Geschichten, 3649.

Villinger, Sünde d. heil. Johannes u. and. Nov. 4900. Geb. 60 Pf.

Voß, Amata. – Liebesopfer. 5324. Geb. 60 Pf.

–, Stärker als der Tod und zwei andere Novellen. 5460.

–, Narzissenzauber. – Das Wunderbare. 4991. Geb. 60 Pf.

–, Rolla. 5221–24. Geb. M. 1.20.

Weiser, Ein genialer Kerl. 3400.

Westkirch, Diebe. 3800. Geb. 60 Pf.

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Wichert, Ein Komödiant. 3878.

–, Am Strande. 1227. Geb. 60 Pf.

Wichmann, Parze. 4501. – Psanac. 5084.

Wickenburg, Franz Mooshammer. Roman. 5409/10. Geb. 80 Pf.

Wildberg, Dunkle Geschichten. 5160. Geb. 60 Pf.

Wilda, Ein Urlaub. 5359.

Willomitzer, Eine Nacht im Mittelalter u. a. Gesch. 5340. Geb. 60 Pf.

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Vierteljahrspreis

ohne Zustellungsgebühr für 13 Hefte in Deutschland 4 Mk. In Österreich-Ungarn 5 Kr., in der Schweiz 5 Fr. 35 Cts., in Rußland 2 Rubel 40 Kop. Bei Kreuzbandsendung nach den übrigen Ländern einschl. Porto 8 Mk. Die auf feinstes Papier gedruckte Luxusausgabe kostet ohne Zustellungsgebühr vierteljährlich 6 Mk.

Probehefte geg. Einsend. von 20 Pf. Porto direkt vom Verlag von Philipp Reclam jun. in Leipzig


Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

Der vordere Teil des Buchkatalogs wurde ans Ende verschoben.

Korrekturen:

S. 69: er zitterte → erzitterte
erzitterte wider in funkelnden Thränen

S. 77: Lenten → Leuten
nach Leuten hinauf sind es mehr als drei Stunden

S. 85: Lenten → Leuten
Indessen ich oben in Leuten erfahren mußte






End of the Project Gutenberg EBook of Die Glücklichen, by Marie Bernhard

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE GLÜCKLICHEN ***

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