Project Gutenberg's Kreuz und Quer, Erster Band, by Friedrich Gerstäcker

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Title: Kreuz und Quer, Erster Band
       Neue gesammelte Erzählungen

Author: Friedrich Gerstäcker

Release Date: April 16, 2017 [EBook #54555]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Kreuz und Quer.

Neue gesammelte Erzählungen
von
Friedrich Gerstäcker.

Erster Band.

Leipzig,
Arnoldische Buchhandlung.
1869.

Inhaltsverzeichniß.

Seite
1. Den Teufel an die Wand malen 1
2. Booby-island 176
3. Zacharias Hasenmeier's Abenteuer 225
4. Das Hospital auf der Mission Dolores  280
5. Eine Polizeistreife in Cincinnati 330

Den Teufel an die Wand malen.

Erstes Kapitel.
Das Wandgemälde.

In seinem kleinen Atelier, drei Treppen hoch in der Osterstraße, stand der junge Maler Ernst Tautenau auf einer Art von Treppenleiter, die Kohle in der Hand, und entwarf auf der weiß getünchten Seitenwand eine groteske Figur in übermenschlicher Größe.

Es schien eine Art von Faun zu sein – ein nicht unschöner Kopf, aber mit gierig lüsternem Blick, und breiten, sinnlichen Kinnbacken – der nackt, nur mit einem breiten Gürtel von Weinlaub und – sonderbarer Weise Spielkarten um die Hüften, trotzdem ein paar große Epauletten auf den bloßen Schultern trug, aber in der Hand ein großes Herz hielt, wie man sie wohl von Pfefferkuchen macht, und eben im Begriff stand dasselbe auseinander zu brechen.

Er war noch eifrig mit der Ausführung der Figur beschäftigt, als sich, ohne vorheriges Anklopfen, die der Wand gegenüber liegende Thür öffnete, und ein junger Mann mit breitrandigem schwarzen Filzhut, den Zipfel des langen blauen Mantels über die linke Schulter geschlagen, dabei mit vollem weichen braunen Bart und ein paar großen ehrlichen Augen, lachend auf der Schwelle stehen blieb, und das neu erstehende Werk des Freundes betrachtete.

»Alle Wetter Ernst,« rief er dabei, »was malst Du denn da? ich glaube gar »den Teufel an die Wand.« Was fällt Dir denn ein?«

»Du könntest am Ende Recht haben, Frank,« sagte der Angeredete, der kaum den Kopf nach dem Eintretenden wandte, und sich auch in seiner Arbeit nicht stören ließ. »Der Bursche ist in der That mehr Teufel als Faun und eine kleine Aenderung kann da nachhelfen.« Noch während er sprach wuchsen der Gestalt an der Wand ein paar kurz aufsteigende spitze Hörner und zwischen den Kartenblättern und dem Weinlaub krümmte sich ein, mit einem dicken Haarbüschel versehener Schweif heraus.

»Hahaha,« lachte Frank, »der Teufel mit Epauletten – gewissermaßen in Generals-Uniform bei großer Gala – die Idee ist nicht schlecht. Aber, Menschenkind, was soll die Spielerei? oder arbeitest Du im Auftrag irgend eines Ministeriums, um vielleicht Frescobilder für einen Ständesaal zu entwerfen?«

»Und kennst Du den Burschen nicht?«

»Wen? Seine höllische Majestät mit dem Pfefferkuchen-Herz in der Hand? – Das muß gut zu dem Schwefel schmecken?«

»Ich meine das Gesicht.«

»Hm, in dem Gesicht liegt in der That etwas Bekanntes,« sagte Frank, es jetzt aufmerksamer betrachtend. »Also es ist keine Phantasie?«

»Nein.«

»Portrait?«

»Vielleicht – Du kennst das Original jedenfalls.«

»Zum Teufel auch, die Epauletten bringen mich darauf – der Major von Reuhenfels, wie?«

Ernst nickte stumm vor sich hin – »Allerdings,« sagte er endlich, »der Herr Major von Reuhenfels, den ich mir hier zu meinem besonderen Vergnügen abconterfeit habe.«

»Und liebst Du den so sehr, daß Du sein Bild immer vor Augen haben willst?«

»Ja,« sagte Ernst finster und mit fest zusammengebissenen Zähnen, »so innig, daß ich – aber zum Teufel auch, ich will mir den schönen Tag nicht verderben und habe mir nur den Spaß gemacht die Fratze hier an die Wand zu zeichnen.«

»Aber Du hast karrikirt – der Major ist wirklich was man einen schönen, stattlichen Mann nennt.«

»Ein Fleischklumpen mit einem paar Unterkiefern, wie eine Kuh.«

»Das spricht für seine gastronomischen Leistungen,« lachte Frank.

»Und mit einem paar Lippen wie ein Faun – selbst der Schnurrbart kann den widerlichen Zug derselben nicht verbergen.«

»Aber sage mir nur, weshalb Du eine solche Wuth auf den armen Teufel hast. Hat er Dir denn je etwas zu Leide gethan?«

»Ich habe noch nie ein Wort mit ihm gesprochen.«

»Also gefällt Dir blos sein Gesicht nicht.«

»Du setzest die Worte falsch – mir gefällt sein Gesicht nicht bloß, er sollte einen Schleier darüber tragen, wie der Prophet von Khorassan und ich glaube bei Gott, er hat in seinem Charakter Aehnlichkeit mit dem.«

Frank lachte, warf den Mantel und Hut auf den nächsten Sessel, sich selber in einen, der Staffelei schräg gegenüber stehenden Lehnstuhl und sagte dann, indem sein Blick an dem auf der Staffelei befindlichen und noch nicht vollendeten Bild haftete:

»Du hast etwas auf dem Herzen, Ernst, herunter damit, ich bin gerade in der Stimmung Dir als »älterer Freund« – denn Dein Geburtstag fällt auf den 25sten, meiner aber schon auf den 14ten Juni, einen guten und väterlichen Rath zu ertheilen. – Aber vorher sage mir erst einmal, was Du aus dem Bild da machen willst. Ich werde nicht daraus klug, und Du mußt es ja auch in den letzten zwei Tagen, wo ich Dich nicht gesehen, nur so auf die Leinwand geworfen haben.«

Das Bild stellte eine wilde Alpenlandschaft vor, mit rechts einer sogenannten »Lanne,« einem grünbewachsenen, ziemlich schräg abfallenden Bergabhang, an welchem ein paar einzelne Lärchen-Tannen wuchsen. An der einen stand eine Mädchengestalt, mit im Winde flatternden Locken, und den Baum, wie Schutz suchend, umklammernd. Oben an der, von der Lanne emporstrebenden Bergwand, setzte ein Rudel Gemsen in voller Flucht hinüber – die Thiere waren wenigstens flüchtig angedeutet.

»Was soll denn das vorstellen?« – fuhr er nach einer kleinen Weile fort – »willst Du noch irgendwo einen Räuberhauptmann anbringen, der die junge Dame überfällt? Sie umfaßt ja den Baum als ob sie ihn im Leben nicht wieder los lassen wollte.«

Trautenau hatte seine Arbeit indessen keinen Augenblick unterbrochen, und die Gestalt an der Wand nur noch immer mehr ausgeführt. Er verschönerte aber die Figur keineswegs, und schien fast Gefallen daran zu finden, den Ausdruck aller bösen Leidenschaften in das Gesicht hinein zu legen. Jetzt drehte er sich um, stieg herunter, warf die Kohle auf den Tisch, wusch sich die Hände in einem daneben stehenden Becken und sagte:

»Du sollst die Geschichte hören, Frank – wenn auch nur in ihren flüchtigen Umrissen – ich wollte es Dir schon lange erzählen, und Dich um Deinen Rath fragen. Aber wir müssen dazu ungestört sein, denn wenn ich einmal unterbrochen werde, weiß ich nicht, ob ich den Muth haben werde, zum zweiten Male zu beginnen.«

Damit ging er zur Thür, riegelte sie zu, warf noch einen festen Blick über das unvollendete Bild auf der Staffelei und begann dann, indem er mit untergeschlagenen Armen im Zimmer auf- und abging:

»Ich war im vorigen Herbst, wie Du weißt, in Tyrol, jene Gegend ist aus einem der dortigen Thäler; ich wanderte mit meiner Mappe durch den wilden Grund, als ich plötzlich einen gellenden Hülferuf höre, und aufschauend, gar nicht so weit über mir eine weibliche Gestalt in einem lichten Kleide und jener Stellung, wie Du sie hier auf dem Bilde findest, den Baum umklammern sehe. Nirgend weiter war mehr ein menschliches Wesen zu entdecken, und obgleich ich mir nicht denken konnte, weshalb die Dame schrie, denn eine Gefahr gab es ringsum nicht, säumte ich doch nicht, so rasch mich meine Füße trugen, dort hinauf zu eilen, was auch mit keinen großen Schwierigkeiten verbunden war.«

»Ich fand ein Mädchen – erlaß mir die Beschreibung – Du kennst sie auch wahrscheinlich selber, denn sie wohnt seit vorigem Winter mit ihrem Vater hier in M–«

»Und wie heißt sie?«

»Den Namen nachher. – Es war ein Wesen, so zart und duftig, als ob es dieser Erde gar nicht angehöre – eine Bergelfe, die ihre Zeit verpaßt, und am hellen Tag aus ihrem Schlupfwinkel herausgekommen war, um sich –«

»An einen Baum anzuklammern und zu schreien,« sagte Frank trocken.

»Du hast sie nicht gesehen und verstehst mich deshalb nicht,« erwiderte, verdrießlich über den prosaischen Einwurf, der Freund. »Was wußte das arme Kind von den Bergen. Muthwillig, in kindlichem Uebermuth war sie ihrer Gesellschaft davon gelaufen, um hier über den grünen Wiesenhang hin ein Stück vom Weg abzuschneiden, bis sie die Lanne steiler fand, als sie Anfangs geglaubt und nun schwindlich wurde und Angst bekam. Kaum erreichte sie noch den Baum, als sie ihn auch umfaßte, um sich daran zu halten, und nun durch ihr Rufen die übrige Gesellschaft herbei zu ziehen suchte.«

»Und Du warst der Glückliche, der sie fand.«

»Ja – ich sprach ihr Trost ein, ergriff ihre Hand, während sie sich fest und schüchtern an meinen Arm anklammerte, und führte sie den übrigen Theil der hier allerdings ziemlich steilen Lanne bis auf den durch das Thal laufenden Pfad hinab, wo wir auch gleich darauf ihre Gesellschaft bemerkten, die denselben nicht verlassen hatte, und nun etwas später eintraf.«

»Und wie heißt Deine Schöne?«

»Damals erfuhr ich nur ihren Vornamen: Clemence, wollte mich aber der Gesellschaft nicht aufdringen und zog mich bald darauf zurück, weil ich sie den Abend schon wieder in dem nächsten Gasthof zu finden hoffte. Ich hatte mich getäuscht – sie waren weiter gegangen – ich folgte ihnen, umsonst; auf der Landstraße endlich verlor ich ihre Spur, bis ich ihr hier, vor vierzehn Tagen etwa – Du kannst Dir meine Freude denken, in M– begegne.«

»Und hast Du schon um sie angehalten?«

»Du kannst Deinen Spott nicht lassen. Ich liebe sie aus voller, reiner Seele, aber – sie ist die Tochter des steinreichen Joulard und meine Liebe deshalb hoffnungslos.«

»Und was hat Dich vermocht, jenen Teufel dort an die Wand zu malen, und in welcher Beziehung steht er mit Deiner ganzen Erzählung, denn etwas Derartiges muß ich doch vermuthen.«

»Die Sache ist sehr einfach,« sagte Ernst ruhig. »Vor drei Tagen war ich zum ersten Male in dem Hause, ich könnte wohl sagen im Palais des Banquiers, denn er bewohnt in der That ein solches. Die Treppen sind mit schweren Teppichen belegt und mit Marmorstatuen verziert; die Vorsäle selbst haben getäfelte Wände und riesige Spiegel. Im Inneren der Räume war ich nicht; aus dem einen Zimmer trat der Major von Reuhenfels heraus, sein widerliches Gesicht strahlte in Seligkeit. Als ich einen der Diener frug, wer der Herr wäre, lautete die Antwort: »Der Verlobte des gnädigen Fräuleins Clemence.«

»Aha – deshalb!« meinte Frank still vor sich hinlächelnd. »Nun und weiter? Du wolltest meinen Rath.«

»Ja, ich weiß es,« sagte Ernst seufzend, »aber – er wird kaum mehr nöthig sein, denn ich sehe nicht ein, wie mir noch ein Mensch helfen oder rathen kann. Es bleibt mir ja doch Nichts weiter übrig, als eben einfach zu entsagen und jede Hoffnung auf ein dereinstiges Glück fallen zu lassen. – Sie sind verlobt.«

»Nun,« meinte Frank, »was das beträfe, so ist verlobt noch nicht immer verheirathet, und ich könnte Dir verschiedene Beispiele nennen, wo solche Verlobungen wieder rückgängig wurden, wenn Dir dadurch die geringste Aussicht auf einen Erfolg Deiner Werbung bliebe – aber Du bist doch wohl nicht wahnsinnig genug zu glauben, daß Dir der reiche Joulard seine einzige Tochter geben wird? Ich begreife sogar nicht, daß er dem einfach adligen Major eine solche Gnade zu Theil werden läßt; denn bis jetzt hieß es in der Stadt, daß er sich einen Herzog oder Prinz für sie ausgesucht.«

»Und weißt Du, was dieser Major für ein Charakter ist?«

»Ich kenne ihn gar nicht – kaum dem Namen nach und nur von Ansehen.«

»Aber ich habe mich desto sorgfältiger in den letzten Tagen nach ihm erkundigt. Ein berüchtigter Spieler und Roué, der mehr Schulden als Haare auf dem Kopfe hat, und das arme, engelgleiche Wesen elend machen wird.«

»Und was geht das Dich an?«

»Was das mich angeht? – Mensch, Du kannst mich mit Deinen kalten Fragen zur Verzweiflung treiben. Hab' ich Dir nicht gesagt, daß ich zum Tollwerden verliebt in das Mädchen bin?«

»In die Braut des Majors? Nun, Ernst, Du hast mich um meinen Rath gebeten und den will ich Dir nicht vorenthalten. Wenn Du dem also folgen willst, so bekümmerst Du Dich um die ganze Familie von diesem Augenblick an nicht weiter, als daß Du Dein »Ideal« meinetwegen aus der Ferne anbetest, und den Major, wenn es Dir Spaß macht, als Teufel oder sonst was an die Wand malst. Darin bleibst Du vollkommen harmlos, und kein Mensch kann es Dir verwehren oder wird dadurch geschädigt. Mische Dich aber um Gottes Willen nicht in fremde Familienangelegenheiten, in denen Dir nicht das entfernteste Recht zusteht, denn daß Du dadurch etwas zu Deinen Gunsten erreichen könntest, wirst Du selber nicht glauben, um andere Menschen – kümmere Dich aber nicht, wie sich Andere auch nicht um Dich bekümmern.«

»Aber wenn Clemence in der Verbindung mit jenem Menschen elend wird –«

»Wenn sie wieder schreit und Du bist in der Nähe, so komm ihr wie damals zur Hülfe – aber früher nicht.«

»Aber dann ist es zu spät. Soll ich sie denn rettungslos zu Grunde gehen sehen?«

»Lieber Freund,« erwiederte der junge Maler, »ihr Vater ist Banquier und Du wirst mir Recht geben, wenn ich Dir sage, daß alle derartigen Leute die Augen gewöhnlich offen halten. Thun sie es nicht, so ist es ihr eigener Schade und kein Mensch weiter hat sich darum zu quälen.«

»Und Clemence?«

Frank schwieg ein paar Augenblicke und sah sinnend vor sich nieder, endlich sagte er:

»Du wirst aller Wahrscheinlichkeit nach wüthend werden, wenn ich Dir irgend etwas gegen Dein »Ideal« einwerfe, aber es geht eben nicht anders. Was ich auf dem Herzen habe muß heraus, so sollst Du denn auch meine Meinung über Deine Auserwählte hören, die allerdings nicht so günstig lautet, als Du Dir vielleicht wünschen könntest.«

»Kennst Du sie?«

»Zufällig habe ich in einem Hause Zutritt, wo sie aus und ein geht, und ich gestehe Dir zu, daß sie ein bildhübsches, ja man könnte sogar sagen schönes Mädchen ist, mit edlen, wenn auch etwas stolzen Zügen, aber –«

»Aber? –«

»Sie ist dabei die ärgste Kokette, die mir im ganzen Leben vorgekommen, und herzlos bis zum Aeußersten.«

»Und woher willst Du das wissen?«

»Das kann ich Dir sagen. Als sie eines Tages jenes Haus verlassen wollte, und ihre Equipage hielt vor der Thür – ich ging hinter ihr die Treppe hinunter – wurde ein armes junges Nähmädchen, die irgend eine Arbeit dort hinauf gebracht hatte, ohnmächtig und fiel gleich neben dem gnädigen Fräulein, ja so dicht bei ihr, daß sie ihr wohl etwas an der Robe mußte beschädigt haben, auf der Flur nieder. Hätte sie ein weiches Herz im Busen, so würde sie sich der Armen angenommen und sie in ihrem eigenen Wagen fortgeschafft haben, so warf sie ihr nur einen Blick voll Abscheu und Ekel zu, sah nach ihrem Kleid und eilte dann so rasch sie konnte in den schon für sie geöffneten Schlag des Wagens, der dann gleich nachher mit ihr davon rollte.«

»Es giebt Menschen, die keinen Kranken, besonders Ohnmächtigen, sehen können,« sagte Ernst, »es geht mir selber so – ich muß mich dazu zwingen – das ist kein Beweis gegen sie.«

»Wenn Du einen Beweis wolltest, wäre der genügend,« meinte Frank, »aber in dem Fall wird Dich auch das Andere, was ich Dir noch sagen könnte, nicht überzeugen.«

»Und das wäre –«

»Daß sie die ganze Zeit, in welcher ich mit ihr dort oben im Salon zusammen war, sich so gesetzt hatte, daß sie sich fortwährend in dem Spiegel sehen konnte, und die Gelegenheit auch auf das Eifrigste benutzte.«

Ernst lachte. »Daß sich also ein junges hübsches Mädchen gern selber sieht und ein wenig eitel ist, rechnest Du ihr zum Verbrechen an, – und findest Du eine unter Allen, die davon frei wäre?«

»Gut! wir wollen uns auch darüber nicht streiten, denn die Sache hat keinen Zweck. Dir wird Fräulein Clemence kaum gefährlich werden können, denn wenn sie wirklich mit dem Major verlobt ist, werden wir auch wohl in allernächster Zeit von ihrer Verbindung hören. Solltest Du aber wahnsinnig genug sein, Einspruch thun zu wollen – was ich Dir aber nicht zutraue, denn eine Geistesstörung habe ich bisher noch nicht an Dir bemerkt, so bedenke wohl, daß Dir jedes Recht dazu fehlt. Was Du auch über den Major weißt, können nur Gerüchte sein, für die Du nie wirkliche Beweise bringen würdest, außer vielleicht für die Schulden, und was schadet es dem reichen Joulard, wenn sein Schwiegersohn ein paar tausend Thaler negatives Vermögen hat? Er wird sie eben bezahlen, und die Sache ist abgemacht. Aber wie ist's? Hast Du Lust einen Spaziergang zu machen? Ich komme eigentlich her, um Dich abzuholen.«

»Ich danke Dir – ich bin es jetzt nicht im Stande,« sagte Ernst, »nicht in der Stimmung – es geht mir zu viel, zu Schweres im Kopfe herum – ich muß allein sein – muß mich erst sammeln – aber wenn Du zurückkehrst, sprich wieder bei mir vor.«

»Also sammele Dich,« rief ihm Frank zu, »und ich bin überzeugt, Du wirst in die richtige Bahn hinein kommen. – Ich frage dann wieder vor und hoffe Dich gegen Abend ruhig und vernünftig zu finden. Ueberdieß haben wir heute Künstlerverein, und Du darfst da nicht fehlen.«

Mit diesen Worten warf er seinen Mantel wieder um, setzte seinen Hut auf und verließ das Zimmer. Sein Freund blieb aber in einer trüben, ja fast verzweifelten Stimmung zurück, denn er konnte sich nicht verhehlen, daß Frank in manchen – ja in vielen Stücken Recht hatte und da mit der kalten Vernunft eintrat, wo bei ihm nur Alles Feuer und Leidenschaft war. Was wußte der Vernunftmensch aber auch von Liebe – einer Liebe, die ihm selber das Herz zu verzehren drohte, und der er sich mit aller Zähigkeit hingegeben hatte, mit welcher wir manchmal in der Jugend einen Schmerz pflegen, nur um uns unglücklich zu wissen.

Unglückliche Liebe! Wer von uns Allen hat nicht schon das selige Bewußtsein gehabt unglücklich zu lieben und sich mit Stolz und Heroismus demselben hingegeben. Wir sind auch vielleicht wirklich unglücklich in dem Augenblick – wir verachten das Leben, das für uns nicht den geringsten Reiz mehr hat, begehen aber dabei den Fehler, daß wir uns gewöhnlich für »ewig verloren« halten – wie denn die Jugend mit dem Worte »ewig« einen argen Mißbrauch treibt. So hält sie auch ihren Schmerz für ewig, und weiß doch noch gar nicht was wirklicher Schmerz ist, bis das Leben selber ernst an sie herantritt. Aber dann ist auch ihre Kraft gestählt, und sie trägt und besiegt das Schwerste, wo sie früher unter dem Leichteren zusammenzubrechen drohte.

Ernst Trautenau war aber überhaupt gar keine schmachtende oder weiche Natur. Er rang dem Leben kräftig seine Existenz ab, und wenn ihn auch auf kurze Zeit vielleicht das romantische Gefühl seines Leidens bewältigen konnte, lange war es wenigstens nicht im Stand ihn niederzudrücken, denn der Haß gegen das ihm im Wege stehende Hinderniß gewann die Oberhand.

Wieder und wieder fiel sein Blick auf die Figur an der Wand. Die Kohlenzeichnung genügte ihm nicht mehr, und er beschloß das Bild al fresco in Farben auszuführen. Rasch ging er auch an's Werk – es war eine grimme Genugthuung für ihn, an dem verhaßten und glücklichen Nebenbuhler in solcher Weise seine Rache auszuüben, und kaum zwei Stunden später hatte er das Portrait eines gelbbraunen Satans, mit allen Insignien der Hölle, und noch einer Menge irdischer Zuthaten, in den grellsten Farben prangend, an der Wand vollendet.

Zweites Kapitel.
Der Besuch.

Am nächsten Morgen um elf Uhr saß Trautenau wieder an seiner Staffelei, aber er hatte das Bild, das er am vorigen Tag darauf gehabt, heruntergeworfen und die Leinwand zu einem neuen Gemälde aufgespannt. Mußte er Frank nicht Recht geben? – War es nicht Wahnsinn, da noch eine Hoffnung zu nähren, wo jede Aussicht schon in sich selber zusammenschwand? Ja, sah er auch nur selbst die Möglichkeit voraus, sich der Geliebten zu nahen? denn unter welchem Vorwand konnte er sich bei ihr melden lassen? – Als Retter in den Alpen? Wenn er die Sache ruhig überdachte, so war nicht mehr Gefahr dabei gewesen, als wenn er die fremde Dame über eine gewöhnliche Wiese hinüber geführt hätte – und gab ihm das überhaupt ein Recht sich bei ihr einzuführen? – Wahrlich nicht, ja er mußte erwarten, daß er als zudringlicher Fremder abgewiesen wurde; und eine solche Demüthigung wäre nur verdiente Strafe für seinen Uebermuth gewesen.

Was ging ihn des reichen Mannes Tochter an – sie war ihm so »unerreichbar wie die Sterne« und er mochte sich wohl an ihrem Glanz erfreuen, aber durfte auch weiter nicht die Hand nach ihr ausstrecken.

Er hatte sich heute Morgen eine recht prosaische Arbeit hervorgesucht. Es war das Portrait eines benachbarten Gewürzkrämers, der das Bild seiner neu verlobten Tochter als Hochzeitsgeschenk bestimmt hatte. Das Original erfreute sich dabei eines nicht allein alltäglichen, sondern sogar gemeinen Gesichts, mit einer rothen Nase und niederer, von struppigen Haaren eingedämmten Stirn, eines Paars dünner Lippen und sogar noch Blatternarben. Das war eine Physiognomie, wie der Maler sie jetzt brauchte, und er beschloß deshalb auch ganz besonderen Fleiß auf die mit großen unächten Steinen besetzte Tuchnadel, auf die goldene Kette und das gestickte Vorhemdchen zu wenden.

Aber die Staffelei stand so, daß er, wenn er nur zwei Schritte davon zurücktrat, gerade darüber hin den Kopf des teuflischen Majors erkennen konnte, der fast wie höhnisch, und jedenfalls mit einem ganz abscheulichen Ausdruck nach ihm herüber grinste, und der arme Gewürzkrämer kam dabei am Schlimmsten weg. Unwillkürlich arbeitete ihm Ernst mit ein paar Pinselstrichen auch im Gesicht herum, so daß er der Carrikatur dahinter täuschend ähnlich wurde.

Noch war er damit beschäftigt und schon auf dem besten Weg das vor ihm stehende Bild total zu verderben, als man plötzlich ziemlich herzhaft an die Thür pochte und Trautenau, der gerade wieder von seinem Portrait zurückgetreten war, um einen besseren Ueberblick zu gewinnen, sah, daß sich auf sein barsches »Herein« die Thür öffnete und ein Officier – sein eigenes Wandgemälde, wie es leibte und lebte, nur in etwas anderem Costüm, auf der Schwelle stand. –

»Habe ich das Vergnügen Herrn Portraitmaler Trautenau zu sprechen?« sagte der Fremde artig.

»Mein Name ist Trautenau,« erwiederte der junge Mann, in dem Moment doch etwas verlegen, denn er hatte keine Ahnung gehabt, daß sich das Original seines Teufels so bald einstellen würde.

»Mein Name ist von Reuhenfels,« erwiderte der Officier, – »Major, und Sie sind mir als ein so vortrefflicher Portraitmaler in der Stadt genannt, daß ich Sie ersuchen möchte, das Bild einer Dame in Lebensgröße zu übernehmen.«

»Einer Dame?« fragte Ernst, dem bei den Worten alles Blut in seinen Adern zum Herzen zurückströmte.

»Ja, mein Herr. Würden Sie vielleicht im Stande sein, ein solches Gemälde rasch in Angriff zu nehmen, und sobald als möglich fördern zu können? Es ist das Bild meiner Braut.«

Ernst wollte antworten, brachte jedoch kein Wort über die Lippen; die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Aber er fühlte auch, daß er, gerade vor diesem Menschen, nicht wie ein Schulknabe dastehen dürfe, und sich gewaltsam zusammenraffend, sagte er endlich:

»Ich denke wohl, Herr Major – wie heißt die Dame?«

»Fräulein Joulard – Sie werden sie wohl kaum kennen – Sie ist ein reizender Vorwurf für ein Bild – eine imposante, prachtvolle Gestalt – ein wahres Meisterstück der Schöpfung. Und wann können Sie damit beginnen? Meine Braut hat sich bereit erklärt, von morgen an dem Bild sitzen zu wollen, und zwar täglich eine Stunde von 12-1 Uhr, acht Tage lang. Wären Sie im Stande das Gemälde in der Zeit zu vollenden?«

»Zu untermalen jedenfalls; ich würde aber dann später noch um einige Sitzungen bitten müssen.«

»Hm, das wird schwer halten; sie hat einen kleinen Trotzkopf, so schön er ist, und wenn sie sich da einmal etwas hineinsetzt – alle Teufel,« unterbrach er sich aber plötzlich lachend, als sein im Atelier umherschweifender Blick auf das riesige diabolische Bild fiel – »Sie haben sich ja da im wahren Sinn des Wortes den Teufel an die Wand gemalt – famos – ganz ausgezeichnet – Hahahahaha.«

Trautenau fühlte wie er über und über roth im Gesicht wurde, und doch auch hatte die Sache wieder etwas unendlich Komisches, daß sich der Major über sein eigenes Bild amüsirte, ohne anscheinend eine Ahnung zu haben, daß es eben sein eigenes sein sollte.

»Verfluchte Idee,« lachte der Major aber noch immer weiter – »und ein Schurz von Wein- und Kartenblättern – famos allegorisch – ja wohl sind das die Attribute des Teufels, lieber Freund, und das Herz, das er mit den Krallen zerbricht, ergänzt die dritte Kraft im Bunde. Ganz ausgezeichnete Idee das – ganz ausgezeichnet. Sie haben Phantasie, mein junger Künstler, und der Teufel dort ist ein wahres Meisterstück.«

»Sie sind zu gütig, Herr Major,« entgegnete Trautenau, bei dem das Humoristische der Situation die Oberhand gewann, »also er gefällt Ihnen wirklich?«

»Ausgezeichnet, sage ich Ihnen – und die Epauletten – höhere Charge natürlich in seiner Beelzebubschen Majestät Armee; wundervoll! – Aber ich muß fort. Also bitte sich morgen früh um zwölf Uhr im Joulardschen Hôtel – wissen Sie wo Joulard wohnt?«

»Ja wohl.«

»Gut – also dort mit Allem was Sie brauchen, einzufinden. Ein kleines Atelier werden Sie auch da antreffen, indem die junge Dame selber viel Sinn für die Kunst hat, und auch zuweilen malt. Und dann noch eins – der Preis – ich glaube, daß Sie sich später darüber mit Herrn Joulard in für Sie sehr befriedigender Weise verständigen werden. Sie laufen dabei keine Gefahr. Also Sie kommen?«

»Ich werde mich pünktlich einfinden.«

»Und noch eine Bitte, bester Freund – könnten Sie nicht für mich eine kleine Skizze – und wenn es nur Aquarell ist – von diesem famosen Teufel machen – aber eine ganz treue Copie, wie? Sie würden mich unendlich verbinden.«

Trautenau sah ihn erstaunt an. War denn der Mann wirklich im Ernst und so ganz verblendet, daß er nicht einmal sein eigenes Portrait erkannte? Aber unwillkürlich lachte er doch auch über die merkwürdige Bitte desselben, und in einem Anfall von wildem Humor rief er aus:

»Sie sollen eine Copie bekommen, Herr Major, verlassen Sie sich darauf – eine treue Copie – und vielleicht schon in nächster Zeit.«

»Sie sind unendlich liebenswürdig, Herr Trautenau,« versicherte der Officier – »also unser Geschäft wäre soweit abgemacht – habe die Ehre,« und militairisch grüßend verließ er das Zimmer, während Trautenau wie in einem wachen Traum mitten in dem kleinen Gemach stehen blieb und ihm nachstarrte.

Konnte denn das auch Wirklichkeit sein? Der Major – sein Major, den er dort als diabolisches Eigenthum an der Wand besaß, war zu ihm gekommen, hatte das Bild betrachtet und sich darüber gefreut, und ihn selber zu Clemence, zu der Geliebten bestellt, um diese zu malen, um ihr Stunden lang in die guten, seelenvollen Augen zu sehen und ihrer zauberholden Stimme zu lauschen? Er vermochte das Riesige des Gedankens und der Consequenzen noch nicht zu fassen, und starrte noch immer, wie in einer Verzückung nach der Thür, als sich diese wieder rasch öffnete und Frank eintrat.

»Weißt Du wer eben hier im Hause war?« – rief er – »ich begegnete ihm unten in der Thür« –

»Der Teufel!« sagte Ernst.

»Er war doch nicht bei Dir?« fragte Frank rasch.

»Allerdings, und hat sich eine Copie von dem Wandgemälde bestellt.«

»Du willst mich zum Besten haben.«

»Ja, mehr als das – ich soll Clemence malen.«

»Und dazu hat Dich der Major aufgefordert?«

»Allerdings.«

»Und er hat wirklich das Wandgemälde dort gesehen?«

»Gewiß hat er, und war entzückt davon.«

»Ohne die Aehnlichkeit zu bemerken?«

»Er hat sich wenigstens Nichts merken lassen, mich jedoch wahrhaftig um eine Copie gebeten, die ich ihm auch versprochen.«

»Du willst dem Major eine Copie von dem Teufel da machen?«

»Gewiß will ich – und weshalb nicht?«

»Nun, mir kann's recht sein,« sagte der junge Maler, »wenn es ihn eben freut. Sobald er aber hinter die Aehnlichkeit kommt, – und gute Freunde werden ihn schon darauf aufmerksam machen, – wird er wüthend werden.«

»Und was weiter?« fragte Ernst trotzig. »Wenn er glaubt, daß ich ihm auch nur den Raum eines Schrittes weiche, so irrt er sich gewaltig.«

Frank lachte. »Wenn ich nur in dem Moment, wo er hinter die Aehnlichkeit kommt, bei ihm sein könnte, – was für ein prachtvoll dummes Gesicht er dann machen wird. Aber zu solchen Aufführungen bekommt man nie ein Billet. Uebrigens kam ich eben her, um Dir zu sagen, daß ich mich selber noch gestern und heute nach dem Major erkundigt und allerdings alles Das bestätigt gehört habe, was Du über ihn gesagt. Er scheint selbst bei seinem Regiment sehr schlecht angeschrieben, obgleich die Officiere natürlich nichts Nachtheiliges über ihn äußern werden.«

»Siehst Du, daß ich recht hatte.«

»Aber das ändert deshalb an der Sache nichts. Du selber stehst dabei der jungen Dame so fern als je, und wenn Du wirklich aufgefordert bist, sie zu malen, Ernst, so weisest Du, wenn Du auf meinen Rath nur das geringste Gewicht legst, den Auftrag rund ab.«

»Ich habe schon zugesagt.«

»Eine Ausrede läßt sich finden. Du brauchst den Verdienst auch nicht so nothwendig, denn was Du zum Leben bedarfst, werfen Dir eben so leicht andere Arbeiten ab.«

»Und sogar ihrem Begegnen soll ich feige ausweichen?« fragte Ernst trotzig, – »glaubst Du, daß ich mich vor der Dame fürchte?«

»Ich fürchte nur, daß Du einen dummen Streich machst, und um Dir die Folgen desselben zu ersparen, habe ich Dich gebeten, ihr auszuweichen.«

»Ich bin kein Kind mehr.«

»Nein, Du wärst alt genug, um selber zu wissen, was Du zu thun hast, aber – nimm mir's nicht übel, Ernst, – schon diese tolle Liebe, oder vielmehr der Glaube, daß Du sie liebst, denn Du kannst dies nach einem so flüchtigen Begegnen noch gar nicht wissen, spricht für Dein – kindliches Gemüth. In Dir steckt weit mehr Romantik, als Dir gut und zuträglich ist, und ohne daß Du es selber merkst, geht Dir einmal das Herz mit dem Verstand durch und läßt Dich dann in irgend einer unangenehmen Situation rettungslos sitzen. Denk' an mich.«

»Du hättest Schulmeister werden sollen, Frank,« sagte Trautenau lächelnd, »denn Du sprichst wirklich wie ein Buch, und wenn ich Dich nicht so genau kennte, würde ich Dich jetzt für einen furchtbaren Philister halten.«

»Ich gestehe Dir zu, daß ich jetzt vernünftiger spreche, als ich gewöhnlich denke,« erwiderte Frank – »ich setze mich auch selbst in Erstaunen, aber sei überzeugt, daß es mir nicht an praktischem Sinn fehlt, und nur die Sorge, Dich in eine peinliche – und doppelt peinliche, weil selbstverschuldete Lage gebracht zu sehen, läßt mich so zu Dir reden. Malst Du das junge bildhübsche Mädchen, in das Du bis über die Ohren verliebt zu sein selbst eingestehst, so läuft die Sache auch nicht so glatt ab, und ich fürchte, Du – ruinirst Dir ein groß Stück Leinwand um gar Nichts.«

»Ich kann nicht mehr ablehnen, was ich einmal angenommen habe.«

»Bah, wenn Du ernstlich wolltest, wäre Nichts leichter als das. – Ich will Dir einen Vorschlag machen: Wir wollen tauschen – ich habe das lebensgroße Bild des Grafen Stirnheld zu malen bekommen, und zwar nur durch Protection, denn meinen bescheidenen Verdiensten kann ich das kaum zumessen. Uebernimm Du die Arbeit. Was wir für beide Bilder bekommen legen wir dann zusammen und theilen.«

»Du bist ein Thor – durch das Bild des Grafen erhältst Du, wenn es Dir gelingt, Zutritt in alle aristokratischen Cirkel der Stadt.«

»Ich möchte Dich aus Joulard's Haus entfernt halten.«

»Ich danke Dir, Frank,« rief Trautenau, indem er ihm die Hand reichte und die seine herzlich schüttelte – »ich wußte vorher, daß Du es wirklich gut mit mir meinst, und Du hast mir dadurch einen neuen Beweis Deiner Liebe und Treue gegeben, aber – es bleibt dabei. Ich male Clemence und werde Dir zeigen, daß ich kein kindischer Thor mehr bin, der irgend einen unüberlegten Streich ausführt, ohne die Folgen zu bedenken. Liebt Clemence wirklich den Major, gut, so habe ich kein Recht, zwischen ein paar Seelen zu treten, die sich einander angehören wollen.«

»Und wie willst Du erfahren, ob sie ihn oder ob sie ihn nicht liebt, wenn sie Dir täglich ein oder zwei Stunden, und dann doch auch jedenfalls in Gesellschaft irgend einer Begleiterin sitzt?«

»Das überlaß mir,« meinte Ernst, »die Liebe sieht scharf und einen Plan habe ich mir überhaupt nicht entworfen, kann es auch gar nicht. Der Augenblick muß das bestimmen, aber ich verspreche Dir, mein kaltes Blut zu wahren – mehr kann ich nicht thun.«

»Gut, Du willst einmal Deinem Kopf folgen, und und ich kann Dir da nicht weiter helfen. Aber was hast Du denn da für eine Carrikatur auf der Staffelei. Der alte Spießbürger sieht ja ebenfalls genau so aus wie Dein Teufel da an der Wand. Ist die Aehnlichkeit zufällig?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete Ernst, indem er die beiden Bilder mit einander verglich – »wahrhaftig Du hast Recht. Ich glaube aber fast, ich habe meinem wackeren Gewürzhändler da Unrecht gethan. Nun er kommt morgen Nachmittag zu mir, und da werde ich wohl wieder in seine normalen Züge hineinfallen. Heute mag er sich so behelfen. Was ich Dich noch fragen wollte: Kennst Du Clemencens Vater persönlich?«

»Den Herrn Joulard? vom Ansehen ja – weiter nicht. Vorhin begegnete er mir auf der Straße und rannte mich fast über den Haufen, so in Gedanken vertieft war er. Der hat immer den Kopf voll von Speculationen – eine reine Rechenmaschine.«

»Ich denke, er ist sehr reich. Speculirt er denn da noch immer?«

»Das können die Börsenleute ebensowenig lassen, wie wir das Malen; es ist ihre zweite Natur geworden, und ich glaube sie würden sich zu Tode langweilen wenn sie sich nicht alle Tage wenigstens einmal eine Stunde über das Fallen oder Steigen ihrer Papiere ängstigen müßten. Das läßt uns ruhiger, nicht wahr Ernst?«

»Du magst Recht haben – ich wenigstens kenne, außer einer Banknote, kein einziges Werthpapier von Angesicht zu Angesicht. Schadet auch Nichts. Mit dem Geld kommen die Sorgen, und so lange wir haben was wir brauchen, sind wir am zufriedensten.«

»Was willst Du aber mit dem Carton machen?«

»Mit dem Blatt hier? Nun die Copie für den Major.«

»Bist Du denn wirklich des Teufels?«

»Laß mir doch meinen Spaß – ich habe mich jetzt einmal in das verhaßte Gesicht hineingelebt und fürchte fast, daß ich morgen Clemence denselben Ausdruck gebe – es wäre ein verwünschter Spaß.«

Frank lachte. »Mit Deinem Starrkopf ist doch Nichts anzufangen, so habe Deinen Willen. Uebrigens bin ich wirklich neugierig was der Major dazu sagt« – und dem Freund die Hand drückend, stieg er wieder die Treppe hinab um seinen eigenen Geschäften nachzugehen.

Drittes Kapitel.
Die erste Sitzung.

Ernst konnte die ganze Nacht kein Auge schließen, denn in seinem Herzen war ein Verdacht rege geworden, daß Clemence selber die Aufforderung an ihn, ihres Vaters Haus zu besuchen, veranlaßt haben müsse. Die Möglichkeit lag doch nicht soweit ab, daß sie ihn erkannt haben konnte. Sie war vielleicht an ihm vorüber gefahren, ohne daß er sie bemerkte, denn er achtete nie auf Equipagen, und leicht genug konnte sie dann von der Dienerschaft seinen Namen erfahren haben. Welche Seligkeit erfüllte ihn aber, wenn er die Möglichkeit – ja die Wahrscheinlichkeit eines solchen Glückes überdachte, denn wie wäre dieser Major gerade auf ihn gefallen, da es doch viele ältere und berühmtere Portraitmaler in der Stadt gab; es ließ sich nicht anders denken. Vielleicht hatte ihn Clemence doch noch nicht ganz vergessen, trug nur ungeduldig den ihr auferlegten Zwang und suchte Mittel und Wege ihm selber eine Annäherung zu ermöglichen. Frauen sind schlau; er durfte sich ruhig auf sie verlassen, sie würde es schon einzurichten wissen.

Und was dann? wenn er nun wirklich fand, daß die Verbindung mit dem Major eine erzwungene gewesen wäre, wenn sie sich dagegen sträubte? – Aber das Alles konnte er nicht jetzt überdenken, nicht in einem Augenblick, wo ihm das Blut wie Feuer durch die Adern rollte. Das mußte auch erst der Moment bringen, in welchem sich seine Träume zu wirklichem Leben gestalteten. Das allein konnte entscheiden wie er zu handeln habe, und was dann kam, ei dem wollte er auch keck und muthig die Stirn bieten. Nur dem Muthigen lächelt ja das Glück.

Mit diesem Vorsatz schlief er ein, erwachte aber am nächsten Morgen in einer ganz anderen, und viel ruhigeren Stimmung, denn es ist eine allbekannte Thatsache, daß Abends unsere Nerven viel aufgeregter und wir gewöhnlich geneigt sind, Schwierigkeiten, besonders in Herzensangelegenheiten, gar nicht anzuerkennen, während der Morgen die kaltblütige Ueberlegung und gewöhnlich ganz andere Resultate mit sich bringt.

Das Herz pochte ihm allerdings lebhaft, als er jetzt an das Zusammentreffen mit Clemence dachte, aber er fing an, die Sache in einem anderen Licht zu betrachten. Die Aufforderung des Majors konnte allerdings recht gut ein Zufall sein, und das junge Mädchen? – wie flüchtig – wie kurze Zeit nur hatte sie ihn damals in den Alpen gesehen, und war es denkbar, daß sie sich seiner Züge da noch erinnern sollte? hatte sie nicht vielleicht die ganze unbedeutende Begegnung mit ihm schon lange vergessen?

Er war wieder recht verzagt geworden, hatte aber auch nicht die geringste Lust zum Arbeiten und beschloß deshalb, langsam und in aller Ruhe seine Vorbereitungen zu der heutigen Sitzung zu treffen. Für diesmal brauchte er ja doch nur ein kleines Stück Leinwand, auf dem er die Skizze entwerfen konnte, um vor der Hand einmal die Stellung festzuhalten. Die Größe des Bildes mußte erst besprochen und festgestellt werden und manches Andere blieb dabei zu thun. Die Zeit verflog ihm dabei ungemein rasch, und es war elf Uhr geworden, bis er alles Nöthige – oder wenigstens was er für nöthig hielt, beendet hatte. Dann zog er sich an, rief einen Packträger von der Straße herauf, um ihn mit den nöthigen Utensilien zu begleiten und schritt nun fest und entschlossen, aber doch mit starkem Herzklopfen, dem Joulard'schen Palais entgegen, als ob er nicht beordert wäre nur ein Portrait zu beginnen, sondern als ob sein eigenes Schicksal sich gleich endgültig entscheiden müsse.

Er hatte das Joulard'sche Haus bald erreicht, aber hier beengte ihn der Glanz und die Pracht, die ihn umgab. Die Halle schon war mit Marmor ausgelegt – prächtige Statuen verzierten sie, kostbare Topfgewächse standen auf der mit einem reichen Teppich belegten Treppe und galonnirte Diener schlenderten müssig auf und ab.

Trautenau fühlte sich beklommen, als er, durch einen der Lakaien, der dem Träger seine Last abnahm, geleitet, die Treppe hinaufstieg, und das besserte sich nicht, als er in ein kleines reizendes Boudoir geführt und dort allein gelassen wurde.

Hier athmete Clemence; wie lieb, wie wunderbar reizend das Alles aussah, aber auch wie reich, wie ausgesucht, fast übertrieben prachtvoll. Wäre er ruhig und unbefangen gewesen, so würde das Gemach eher einen unangenehmen als günstigen Eindruck auf ihn gemacht haben, denn es war von Gegenständen überladen, die eine Zimmerzierde sein sollen, aber nie eine Zimmerlast werden dürfen. Die breiten goldenen Rahmen an den Wänden standen in keinem Verhältniß zu der Größe der Bilder, welche sie umschlossen, und das war mit allem Uebrigen der Fall. Marmor- und Bronze-Statuen und Statuetten drängten sich einander. Die schweren, mit Spitzen überwallten Seidengardinen wurden von goldenen Troddeln entstellt, prachtvoll eingelegte Möbeln rückten zu nahe aneinander und brachten eher ein Gefühl der Beengung als des Behagens hervor; der mit den seltensten Pflanzen gezierte Blumentisch war sogar so gestellt, daß er keine freie Bewegung in dem Raum gestattete. Sonderbarer Weise hing dazwischen auch eine Anzahl vergoldeter Bauer mit unseren heimischen Sängern herab, mit Finken, Nachtigallen und anderen, und auf einem gestickten Polster lag ein kleines silberweißes Wachtelhündchen und knurrte leise vor sich hin, als Trautenau das Heiligthum betrat, hielt es aber sonst nicht der Mühe werth, sich auch nur zu rühren.

Trautenau überflog das Ganze mit einem Blick, aber er sah auch, daß dieses Boudoir zugleich das kleine Atelier der jungen Dame bildete, denn ein mächtiges, mit einer einzigen großen Scheibe versehenes Fenster sah nach Norden hinaus und neben dem Blumentisch stand noch, von zwei Stühlen gehalten, eine Mahagoni-Staffelei, von der unser junger Freund allerdings nicht recht begriff, wie es möglich sein würde, sie hier in dem engen Raum aufzustellen.

Ehe er aber darüber ganz mit sich im Reinen war, hörte er plötzlich ein seidenes Kleid rauschen, die eine Thür wurde nur durch einen purpurdamastenen Vorhang verdeckt, dieser schob sich zurück, und wie er sich rasch dorthin wandte, stand er einem Wesen gegenüber, das ihm mehr dem Himmel als der Erde anzugehören schien.

Es war Clemence, – aber nicht mehr das junge schüchterne Mädchen aus den Alpen, das sich, Hülfe und Schutz suchend, an seinen Arm schmiegte. Wie eine Prinzessin schwebte sie herein, ein weißes Seidenkleid vom schwersten Stoff und mit Goldfäden durchwirkt, umschloß ihre schlanke, junonische Gestalt. Voll und schwer hingen ihr die dunklen Locken an den Schläfen nieder, ihren weißen Hals deckte ein Collier blitzender Brillanten, aber ihre beiden Augensterne überstrahlten sie alle, und wie sie mit königlichem Anstand vor dem jungen Manne stehen blieb und ihn mit diesen Augen ansah, war es, als ob ihr Feuer bis in seine innerste Seele drang. Er wurde über und über roth und stand so verlegen vor der Jungfrau, daß diese ein leichtes Lächeln kaum unterdrücken konnte. Aber sie schien nicht böse über den Eindruck, den sie auf ihn hervorbrachte, und sagte freundlich:

»Herr Trautenau, Sie haben Ihre Zeit pünktlich eingehalten und ich möchte Sie jetzt bitten Ihre Anordnungen hier in meinem kleinen Atelier zu treffen – Künstler folgen dabei am Liebsten ihrer eigenen Neigung. Das Licht ist, wie Sie sehen vortrefflich, und nur der Raum vielleicht ein wenig beschränkt, doch werden wir uns ja wohl einrichten.«

Trautenau bemerkte jetzt erst, daß eine andere Dame der Tochter des Hauses gefolgt war, von dieser freilich, in ihrem ganzen Wesen so verschieden wie Tag und Nacht – wie Sonnenstrahl und Kerzenschein.

Die Begleiterin entwickelte sich als eine kleine dicke Person mit einem Kropf, in einem schwarzseidenen, aber schon lange getragenen Kleid, und mit einer wunderlichen Coiffüre von grellrothen und gelben Blumen auf dem Kopf. Trautenau warf einen erstaunten Blick nach ihr hinüber, konnte aber nicht klug aus ihr werden, was sie vorstelle. Clemencens Mutter, Madame Joulard? – Diese war, so viel er gehört schon vor längerer Zeit gestorben. – Eine Gesellschafterin? Clemence würde sich sicherlich eine andere Persönlichkeit dazu ausgesucht haben, und eine Gouvernante brauchte sie ebenfalls nicht mehr. Vielleicht eine Duenna? Aber es blieb ihm keine Zeit, der Persönlichkeit eine weitere Aufmerksamkeit zu schenken, denn Clemence selber verlangte diese, und er ärgerte sich auch, daß er ihr gar so schülerhaft gegenüber stand.

»Wenn Sie mir erlauben, mein gnädiges Fräulein,« sagte er zu Clemence, »so will ich die Staffelei hier herüber stellen – an diesem Platz werden wir, glaub' ich, das beste Licht haben.«

»Wie Sie es für gut halten.«

»Aber die Symmetrie wird gestört, wenn der Blumentisch dort hinüber kommt,« bemerkte die Dame mit dem Kropf.

»Die Symmetrie wird durch Manches gestört, gnädige Frau,« entgegnete Trautenau, durch den albernen Einwurf geärgert, »was sich im Leben nun einmal nicht ändern läßt.«

Clemence lächelte verstohlen vor sich hin, drückte aber auch zu gleicher Zeit auf die auf ihrem Schreibtisch stehende Klingel, und bedeutete dann gleich den eintretenden Bedienten, die gewünschte Aenderung vorzunehmen.

Es war das rasch gemacht; Ernst half selber dabei, der Staffelei die richtige Stellung zu geben und zugleich einen passenden Platz für Clemence zu haben, wo das Licht voll auf sie fiel und ihre schlanke Gestalt gut beleuchtet wurde.

Jetzt erst bekam er Zeit, das junge Mädchen aufmerksam zu betrachten, und ach wie schön war sie – wie himmlisch schön. Die dunklen, vollen castanienbraunen Locken stachen wunderbar gegen den weißen Nacken ab, auf dem sie ruhten und diese Augen mit den Wimpern, – diese Lippen, die Zähne, wie Perlen an einander gereiht. So voll und aufmerksam, und sich selbst dabei vergessend, ruhte, ja haftete sein Blick an der verführerischen Gestalt, daß Clemence endlich erröthete und lächelnd sagte:

»Wie wünschen Sie, daß ich mich stellen soll?«

»Wie Sie wollen,« rief Trautenau begeistert; »es giebt immer ein prachtvolles Bild, aber – es wird matt gegen das Original werden, fürchte ich –«

»Mein Vater wünscht ein ähnliches Bild,« sagte Clemence, und ihre, noch eben lächelnden Züge nahmen einen weit strengeren Ausdruck an. »Sie werden also mit Ihren Farben wohl vollständig ausreichen. Dürfte ich Sie bitten, meine Stellung zu bestimmen.«

»Ich würde Sie ersuchen, sich diese selber zu wählen,« erwiderte der Maler, der die Zurechtweisung recht gut fühlte und leicht erröthete – »so natürlich und ungezwungen wie möglich, wenn ich bitten darf. Vielleicht dürfen wir zu der Stellung eine jener Vasen benutzen, und den großen Trumeau als Hintergrund.«

»Nein, das ist zu gesucht,« meinte Clemence »und macht Ihnen außerdem doppelte Arbeit – die Vase, ja. – Ich werde ein kleines Blumenbouquet in die Hand nehmen, bitte Sie aber, die Blumen nicht auszuführen, da ich Alpenblumen – Edelweiß, Alpenrosen und Genziane – dazu benutzen möchte.«

Trautenau fühlte, wie ihm das Herz lauter schlug. – Also auch sie erinnerte sich noch jener schönen Berge und schien sogar die Erinnerung daran zu lieben – hatte sie ihn aber ganz vergessen? Aber um ihr jene Scene in's Gedächtniß zurückzurufen, bedurfte er einer ruhigeren Zeit, als den Beginn der Sitzung – die mußte er abwarten.

Die Stellung der Dame nahm jetzt auch in der That seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, und wie ein electrischer Strom lief es durch seinen ganzen Körper, als er leise und ehrfurchtsvoll selbst ihren Arm berührte, um denselben etwas zu heben.

»Mademoiselle,« rief Clemence, als diese Vorbereitungen beendet waren, »bitte klingeln Sie einmal – ich lasse meinen Vater ersuchen, einen Augenblick herüber zu kommen, um zu sehen, ob ihm meine Stellung gefällt.«

Der Befehl wurde rasch ausgeführt. – Also eine Mademoiselle war die Dame mit dem dicken Hals – Wirthschafterin jedenfalls, oder gar eine Art von Duenna – und abschreckend genug sah sie für den letzteren Beruf aus.

Es dauerte übrigens nicht lange, so betrat Herr Joulard das Zimmer. Trautenau hatte ihn noch nie gesehen und er machte allerdings bei seinem ersten Erscheinen keinen besonders günstigen Eindruck. Es war eine kleine etwas schwammige Gestalt, dieser Millionair, mit halb zugekniffenen Augen und ziemlich rastlosem und unstätem Blick. Er hatte eine Glatze, aber eine hohe Stirn, die beiden Hände dabei in den Hosentaschen und dabei die Angewohnheit, sich mit dem Kinn in die schwarze Halsbinde hineinzuarbeiten. Uebrigens ging er einfach gekleidet und nur eine dicke schwere Goldkette hing ihm, als einziger Schmuck, über die braunseidene Weste.

Er trat in das Zimmer, ohne aber die Hände aus den Taschen zu ziehen und den jungen Maler auch kaum mehr als durch ein leichtes Kopfnicken grüßend, und in der Mitte des Boudoirs stehen bleibend, betrachtete er sich die Gestalt des jungen Mädchens ein paar Augenblicke wohlgefällig.

»Sehr schön mein Herz,« sagte er endlich – »sehr schön – allerliebst, wird sich recht gut machen. – Aber weshalb hast Du Dein Diadem nicht aufgesetzt? Das fehlt noch –«

»Ich möchte nicht mit dem Diadem gemalt werden, Papa,« sagte Clemence – »es sieht zu anspruchsvoll aus.«

»Zu anspruchsvoll! Unsinn,« rief lachend der alte Herr, »was Du für Ideen hast – Joulard's einziges Kind zu anspruchsvoll!«

»Es paßt mir auch nicht zu meiner Kleidung; ich werde ein Bouquet von Alpenblumen in die Hand nehmen.«

»Zur Erinnerung an das ewige Bergsteigen und die erbärmlichen Wirthshäuser,« meinte Herr Joulard – »Dein chinesischer Fächer würde sich viel besser machen.«

»Bitte laß mich das selber arrangiren,« entgegnete Clemence ziemlich bestimmt, »ich hatte Dich nur rufen lassen, um mir zu sagen, ob Dir meine Stellung so gefällt.«

»Nichts daran auszusetzen,« wiederholte der Vater, schon gewohnt, daß seine Tochter ihren eigenen Willen hatte – »wird sich ganz gut machen. Und weiß der Herr schon die Größe des Bildes?«

»Nein.«

»Gut; führe ihn nachher durch den Salon, daß er sich dort selber das Maaß nach dem Bild Deiner seligen Mutter nimmt. Es soll genau so groß werden.« Und sich dann abwendend, als ob gar keine weiteren Personen im Zimmer wären, verschwand er wieder durch die Thür.

Ernst ging jetzt rasch daran, die Skizze zu entwerfen, und die Dame in dem schwarzseidenen Kleid hatte es sich indessen in einem breiten Lehnstuhl, den sie aber so rückte, daß sie die Staffelei im Auge behielt, bequem gemacht. Sie war augenscheinlich nur dazu da, um der jungen Dame als Ehrenwache zu dienen.

Er arbeitete außerordentlich rasch; die gegebene Stunde war ihm aber doch nur zu bald entflogen und mit dem Glockenschlag Eins winkte ihm Clemence freundlich mit der Hand und sagte:

»Meine Zeit ist für heute um – ich hoffe, Sie morgen pünktlich wieder hier zu sehen, und jetzt bitte ich Sie nur noch, mir durch den Saal zu folgen, damit Sie den Rahmen zu Ihrer Leinwand bestellen können.«

Sie wartete auch gar keine Antwort ab, sondern schritt ihm voran durch das nächste Gemach hindurch in den eigentlichen Salon, in welchem Trautenau wieder alle erdenkliche Pracht verschwendet sah. Es fand sich aber hier der nämliche Uebelstand, wie in dem Boudoir.

Der Raum war mit kostbaren Verzierungen überfüllt und genug davon aufeinander gehäuft, um zwei solche Säle fürstlich auszustatten. Man sah bei jedem Schritt, daß man sich nicht in der Wohnung eines wirklich vornehmen Mannes, sondern in dem Hause eines Parvenus befand, der diese Räume nicht deshalb so reich ausgestattet hatte, um sich selber wohl und behaglich darin zu fühlen, sondern nur um damit zu prunken und seinen Reichthum zu zeigen.

Das Maaß von dem sehr großen Bilde, für welches Herr Joulard schon vorher eine Treppenleiter hatte herbeischaffen lassen, war bald genommen. Clemence wartete das aber nicht ab. Sich mit einer leichten Verbeugung verabschiedend, schritt sie in ihr eigenes Zimmer zurück und überließ es ihrer Begleiterin, dem fremden Künstler so lange Gesellschaft zu leisten, bis er fertig sein würde und ihm dann den Ausgang zu zeigen.

Viertes Capitel.
Das Bild.

Sechs Tage hatte Trautenau jetzt an seinem Bild gearbeitet und sich dabei mit immer wachsender Leidenschaft in die tadellos schönen Züge und Formen des jungen Mädchens versenkt, ohne es aber zu wagen, ihr die frühere Begegnung in's Gedächtniß zurückzurufen. Clemence war allerdings immer freundlich gegen ihn, aber nur mit jener höflichen Freundlichkeit, die wohl zuvorkommend erscheint, aber zugleich jedes vertrauliche Entgegenkommen mit einem kalten Lächeln zurückweist und dadurch unnahbar wird.

Auch ihren Vater hatte er in der ganzen Zeit nicht wieder gesehen und nicht ein einziges Mal den Major, der jedenfalls andere Besuchstunden haben mußte. Einmal wurde er allerdings gemeldet, während Trautenau arbeitete, Clemence ließ ihm aber, ohne sich nur im Mindesten aus ihrer Stellung zu rühren, sagen, sie bedaure sehr, jetzt keine Zeit zu haben, und bäte den Major, um halb zwei Uhr wieder vorzusprechen.

Das Bild war jetzt soweit in seiner Anlage und besonders in der Ausführung des Kopfes vorgerückt, daß man schon recht gut ein Urtheil darüber fällen konnte.

Der Dame in dem alten schwarzseidenen Kleid fing aber nachgerade die Geschichte an langweilig zu werden. Sie wußte, daß sie eigentlich nur Anstands halber da saß und benutzte gelegentlich die Zeit, um einen kleinen Morgenschlaf zu halten, in dem sie dann auch Niemand störte. Sie selber genirte das aber am meisten, sie schämte sich, wenn sie wieder aufwachte und es war in den letzten Tagen schon einige Male vorgekommen, daß sie aufstand, das Zimmer verließ und dann wahrscheinlich irgendwo ein wenig auf und ab ging, nur um wieder munter zu werden.

Clemence hielt dabei nicht mehr so pünktlich ihre Stunde ein; es mochte ihr wohl selber daran liegen, das Bild fertig zu bekommen und es wurde jetzt immer, sehr zum Leidwesen der Mademoiselle, ein Viertel nach Eins, auch wohl halb zwei Uhr, ehe sie das Zeichen zum Aufhören gab.

Heute war Clemence in einer kleinen Pause vor die Staffelei getreten, um selber dem Untermalen des Bouquets zuzusehen. Man hatte allerdings in dieser Jahreszeit keine wirklichen Alpenrosen beschaffen können, aber dafür künstlich gemachte von Paris verschrieben und die Farben zeigten sich lebendig genug.

»Lieben Sie die Alpenblumen, gnädiges Fräulein,« begann Trautenau, der jetzt nicht mehr länger schweigen konnte, denn die Gelegenheit bot sich ihm zu günstig dar.

»Gewiß liebe ich sie,« erwiederte Clemence, »sie haben freilich keinen Duft, aber so wunderbar schöne Farben. Wie herrlich ist allein das Laub der Alpenrosen.«

»Und erinnern Sie sich noch gern jener Zeit, in welcher Sie in den freien Bergen umherstreiften?«

»Sehr gern.«

»Aber Sie haben sich doch ein Bischen vor den steilen Wegen gefürchtet?«

»Wohl nicht mehr als jeder andere Bewohner des flachen Landes,« entgegnete Clemence ruhig.

»Auch nicht an der einen steilen Graslanne?« fuhr Trautenau, ohne die Augen von seinem Bild zu nehmen, still vor sich hinlächelnd, fort.

»An der Graslanne? – was wissen Sie davon?« rief Clemence, ihn verwundert ansehend.

»Und kennen Sie mich nicht mehr?«

»Ich? – Sie? – und doch,« setzte sie plötzlich tief erröthend hinzu, »es – es wäre wirklich möglich – Waren Sie jener junge Fremde?«

»Ich war wirklich jener Glückliche, der Ihnen damals den kleinen, leider nur zu unbedeutenden Dienst leisten durfte.«

»Damals habe ich mich allerdings recht ungeschickt benommen, und Sie werden oft über mich gelacht haben,« flüsterte Clemence, während sie wirklich blutroth wurde. »Es war zu thöricht, aber ich weiß nicht, ich wurde auf einmal schwindelig und hielt den Abhang auch für viel steiler, als er sich später zeigte.«

»Jene Lannen sind gar nicht so leicht zu begehen,« bemerkte Trautenau entschuldigend, »besonders nicht für Damen, die bei ihren langen Kleidern nicht genau sehen können, wohin sie den Fuß setzen und außerdem viel zu leichtes und glattes Schuhzeug tragen. – Ich hoffte damals Sie später in den Bergen wieder zu treffen, aber Sie waren so rasch und plötzlich verschwunden, daß ich selbst auf der breiten Heerstraße Ihre Spur verlor.«

»Ja – mein Vater eilte etwas, um nach Hause zurückzukehren,« erwiederte das junge Mädchen, während ihr Blick die Züge des Malers streifte, als ob sie den Sinn der eben gesprochenen Worte daraus lesen wolle.

Dieser hörte indessen, wie ihm sein Herz in der Brust schlug, die Mademoiselle schlief sanft – seine Hand zitterte so, daß er mit dem Malen inne halten mußte.

»Seit der Zeit,« fuhr er leise und bewegt fort, »ist es immer mein sehnlichster Wunsch gewesen, Ihnen wieder einmal nahen zu dürfen.«

»Der Wunsch war so bescheiden,« meinte Clemence lächelnd, »daß der Himmel ihn erfüllt hat. Nicht wahr, Mademoiselle,« setzte sie mit lauterer Stimme hinzu.

»Ja wohl – ja wohl – gewiß,« erwiederte die sanft ruhende Dame, aus ihrem Schlummer emporfahrend, »nur ein Bischen zu weiß ist das Kleid.«

»Wir sprachen gestern darüber, ehe Sie kamen,« fuhr Clemence fort, »finden Sie nicht auch, daß das Kleid ein wenig zu weiß ist? Mir kommt es vor, als ob das meinige einen mehr gelblichen Schimmer hat.«

»Es ist das Licht jenes gelben Vorhanges, der, wenn Sie hier stehen, darauf fällt,« antwortete Trautenau, und fühlte recht gut, daß sie absichtlich und fast gewaltsam dem Gespräch eine andere Richtung gegeben hatte; Mademoiselle war auch jetzt vollständig munter geworden und an eine Wiederaufnahme desselben nicht zu denken. Clemence brach aber gleich darauf die Sitzung ab. Sie hatte Kopfschmerzen bekommen, wie sie sagte, und wollte lieber morgen eine Viertelstunde nachholen.

Damit ging der Maler, er hatte keinen Vorwand mehr zu bleiben, aber er trug das beunruhigende Gefühl mit sich fort, weiter von seinem Ziele zu sein, als je, denn war es nicht augenscheinlich, daß Clemence beinahe ängstlich gesucht hatte die Unterredung abzubrechen? Fürchtete sie etwa deren Fortsetzung? dann wäre ihm noch eine Hoffnung geblieben. Oder war das Gespräch ihr nur lästig geworden? dann freilich durfte er Alles verloren geben.

In den nächsten Tagen zeigte sich auch nicht die geringste Gelegenheit das Gespräch wieder aufzunehmen. Clemence vermied jede Möglichkeit, um einer derartigen Unterhaltung den kleinsten Anknüpfungspunkt zu geben und Mademoiselle hielt ihre sonst so schläfrigen Augen fast krampfhaft offen. – Dann kam eine lange Pause – Ernst hatte das noch nicht beendete Bild nach Hause geschickt bekommen, um es, so weit es ohne das Original möglich war, auszuführen, und sich dann nur noch zwei Sitzungen erbeten, um es vollständig zu beenden.

Darüber waren mehre Wochen vergangen und in dieser Zeit durchliefen wunderliche Gerüchte über den Major die Stadt, die aber sein Verhältniß im Hause des reichen Joulard nicht zu stören schienen.

Von einer Seite wurde nämlich ausgesprengt, daß er eine sehr bedeutende Erbschaft gemacht habe – Thatsache war nur, daß er in den letzten Wochen viel mehr verausgabte, als seine monatliche Gage ausmachte – von anderer Seite hieß es, daß er seinen Abschied nehmen wolle – weshalb? wußte freilich Niemand zu sagen und die natürlichste Erklärung blieb dann immer, daß er, mit eigenem Vermögen und als Schwiegersohn des reichsten Mannes in der Stadt, die ewigen Scherereien des Dienstes satt bekommen und ein unabhängiger Mann zu werden wünschte. Es wäre jedenfalls thöricht gewesen, da noch länger Soldat zu bleiben. – Einige wollten aber behaupten, er müsse den Abschied nehmen, und es gab in der That eine Menge Leute in der Stadt, die da wissen wollten: der Major sei ein von Grund aus ruinirter Patron, der sich nur noch durch seinen altadeligen Namen halte, und nächstens einmal mit seinem ganzen Lug- und Truggewebe zusammenbrechen müsse. Diese begriffen dann freilich nicht, wie ein Mann wie Joulard ihm die Hand seines einzigen Kindes geben könne. Hatte er aber wirklich so viel Schulden, als einzelne behaupten wollten, so zahlte natürlich Joulard Alles, und des Majors Credit in der Stadt blieb deshalb auch, trotz aller Gerüchte, ein völlig unbeschränkter.

Trautenau allein vielleicht quälte sich um die Braut. Er fühlte selber, daß die Hoffnung, sie für sich zu gewinnen, eine wahnsinnige sei, aber er hielt es für seine Pflicht, vor ihr das nicht als ein Geheimniß zu bewahren, was die Stadt erfüllte, und was sie selbst als die künftige Gattin jenes Mannes am nächsten betraf. Er hatte es jetzt noch in seiner Hand, mit ihr zu reden, und hätte sich später die bittersten Vorwürfe machen müssen, wenn er da geschwiegen hätte, wo er durch eine freundliche Warnung vielleicht Elend und Jammer von einem theuren Haupt abwenden konnte.

Das Bild stand wieder im Boudoir von Clemence; er hatte noch höchstens zwei Tage zu malen, um es zu vollenden; aber der erste verging, ohne daß er im Stand gewesen wäre, seine Absicht auszuführen. Immer, wenn ihm schon das Wort auf den Lippen schwebte, fehlte ihm der Muth, und dann kam der Vater mit einem Paar alter Damen zu ihnen, um mit diesen das beinahe fertige Bild, das sich wirklich als vortrefflich gelungen zeigte, zu bewundern. Eine vertrauliche Unterhaltung war deshalb unmöglich geworden.

»Aber Sie haben ja noch etwas vergessen,« sagte da der alte Herr, indem er mit fast zugekniffenen Augen vor dem Gemälde stand, »daneben, auf dem Ofenschirm, fehlt ja noch der Chinese – das sieht zu leer aus. Soll der nicht hinein?«

»Doch,« entgegnete Trautenau, »aber erst morgen. Ich möchte heute das Bild soweit beenden, daß ich morgen das gnädige Fräulein gar nicht mehr, oder doch nur sehr wenig zu bemühen brauche. Die Herrschaften entschuldigen mich wohl, wenn ich wieder an meine Arbeit gehe – die Farben werden mir sonst trocken.«

Der Besuch war ihm lästig geworden und er suchte ihn zu entfernen, denn es war doch sehr zweifelhaft, ob er morgen, am letzten Tage, eine bessere Gelegenheit haben würde, mit Clemence zu sprechen. Aber es gelang ihm nicht. Den beiden alten Damen war es etwas Neues, einen Maler arbeiten zu sehen und sie wichen hartnäckig nicht von der Stelle bis die Zeit verstrichen war. Dann rauschten sie fort und Clemence verließ mit ihnen das Gemach.

Der nächste Tag kam; Trautenau hatte die ganze Nacht gekämpft und der Morgen fand ihn entschlossen, heute sich durch Nichts von seinem Plan abschrecken zu lassen und selbst in Gegenwart der schrecklichen Mademoiselle, wenn es denn nicht anders geschehen konnte, mit Clemence über seine Besorgnisse zu sprechen. Er mußte die Last von seinem Gemüth herunterwälzen – mußte mit sich selber ins Klare kommen, und das geschah am besten, wenn er sah, wie sich Clemence bei dem, was sie über ihren Verlobten hörte, benehmen würde. Erschrak sie – wurde sie bleich – aber was half es, sich jetzt schon darüber einen Plan zu machen. Das mußte der Augenblick bringen und dem Augenblick überließ er darum Alles.

Uebrigens fand er zu seinem Schrecken, als er dieses letzte Mal das Boudoir der jungen Dame betrat, diese nicht, wie er erwartet hatte und wie es bis jetzt immer der Fall gewesen, mit ihrer Begleiterin allein, sondern schon eine kleine Gesellschaft um das so gut wie beendete Bild versammelt. In dieser aber bemerkte er auch den Major, den er seit jenem Morgen nicht wiedergesehen hatte und der ihn jetzt mit Lobeserhebungen überschüttete. Er konnte gar nicht aufhören, die Aehnlichkeit sowohl, wie die künstlerische Auffassung des Bildes zu preisen.

»Aber wissen Sie wohl, mein verehrter Herr,« brach er plötzlich ab, »daß Sie noch in meiner Schuld sind? Der versprochenen Copie wegen, mein' ich nämlich. – Denken Sie sich, lieber Joulard, denken Sie sich, meine Damen, der Herr hat in seinem eigenen Atelier daheim den Teufel an die Wand gemalt, und einen so pompösen, humoristischen Teufel, wie ich ihn in meinem ganzen Leben nicht gesehen habe.«

Eine alte Generalin schüttelte darüber sehr bedenklich den Kopf und bemerkte sehr ernsthaft:

»Das ist sündhaft, mein lieber Herr, nehmen Sie mir das nicht übel. Das heißt Gott versuchen und den Bösen locken, denn wenn Sie ihm eine solche Einladungskarte geben, kommt er, darauf können Sie sich fest verlassen – er kommt gewiß.«

»Er hat mich auch schon besucht,« erwiderte der Maler lächelnd, »aber seien Sie versichert, gnädige Frau, der wirkliche Teufel ist nicht so schlimm, wie er gewöhnlich geschildert wird, und schon der Umstand, daß er sich nur das schlechteste Gesindel auf der Welt aussucht, um es für sich zu holen, zeugt von seiner Bescheidenheit.«

Herr Joulard und der Major lachten laut auf; die alte würdige Dame aber, die wahrscheinlich keinen Sonntag die Kirche versäumte und jedenfalls eine heilsame und pflichtgetreue Furcht vor dem Teufel hatte, schlug entsetzt die Hände zusammen und rief:

»Das ist ja eine Gotteslästerung.«

»Doch nicht, wenn er den Teufel lobt,« sagte lachend Herr Joulard, »Excellenz irren sich, und ich bin ganz Herrn Trautenau's Meinung. Wenn der Teufel wirklich so schwarz wäre wie er gemalt wird, würde ihn der liebe Gott gar nicht auf der Erde dulden. Aber meine Damen, wir müssen dem Künstler Platz machen, daß er an seine Staffelei treten kann. Vergessen Sie nur den Chinesen nicht.«

»Und meine Copie,« rief der Major.

»Vielleicht läßt sich Beides vereinigen,« versetzte der Maler in einer tollen Laune, »wollen die Herrschaften einen Augenblick Platz nehmen? Vielleicht kann ich Ihren beiderseitigen Wunsch zugleich erfüllen,« und die Palette aufnehmend, die er indessen in Stand gesetzt hatte, ging er daran, mit keckem Pinsel seine Teufelsfigur aus dem Atelier auf den Ofenschirm zu malen, wohin die Zeichnung, da der Schirm doch im Hintergrund und halb im Schatten stand, also nicht zu sehr hervortrat, vortrefflich paßte.

»Aber um Gottes Willen, Kind,« rief die alte Dame, die Herr Joulard »Excellenz« genannt hatte, wie sie nur merkte, welche Gestalt aus dem Ofenschirm herauswuchs. »Du willst doch nicht neben Deinem eigenen Conterfey den lebendigen Satan abmalen lassen?«

»Das wird, soviel ich bis jetzt sehe,« sagte Clemence, »kein Teufel, sondern ein Faun, wenn auch mit etwas wunderlicher Ausschmückung und – ganz absonderlichen Zügen,« setzte sie langsam und mit einem forschenden Seitenblick auf ihren Bräutigam hinzu, »aber irgend ein phantastisches Bild paßt an einen solchen Platz, und ich sehe nicht die geringste Gefahr für mich darin.«

»Es wird ja aber wahrhaftig der helle Satan mit Hörnern und Schweif,« rief die alte Dame entsetzt, während der Major neben dem jungen, eifrig malenden Künstler stand und einmal über das andere »Bravo, ganz vortrefflich!« rief. Er amüsirte sich ausgezeichnet und schien keine Ahnung zu haben, daß eben dieser belobte Teufel seine eigenen, fast sprechend ähnlichen Züge trug. Sonderbarer Weise fiel es auch, wie man das ja so oft hat, keinem Anderen der Anwesenden augenblicklich auf, denn das Gesicht war doch immer carrikirt. Nur Clemence verglich still, aber desto aufmerksamer das Antlitz des Officiers mit der Carrikatur, und ihr Blick suchte dabei einmal dem des Malers zu begegnen. Trautenau, obgleich er es merkte, wich ihr aber absichtlich aus – er wollte sich nicht vor der Zeit verrathen, und malte so emsig weiter, daß in kaum einer halben Stunde das kleine Bild vollendet war. Als aber von keiner Seite weiter Einspruch gegen das Sacrilegium geschah, wurde es der alten Excellenz zu eng im Raum. Sie mahnte zum Aufbruch und die Uebrigen folgten jetzt ebenfalls, um dem Maler den Platz zu überlassen, denn dieser hatte Clemence gebeten, ihm heute noch höchstens eine viertel Stunde zu sitzen, damit er den Kopf bis auf die letzten Kleinigkeiten vollende. Das Uebrige konnte er dann mit leichter Mühe im eigenen Hause fertig machen.

Mademoiselle hatte wieder ihren gewöhnlichen Platz im Lehnstuhl eingenommen – da sagte Clemence plötzlich:

»Ach, Mademoiselle, wenn ich Sie bitten dürfte, im blauen Zimmer, wo meine kleine Bibliothek steht, finden Sie das Buch der Lieder von Heine; dürfte ich Sie ersuchen, es mir zu holen. Es muß im dritten oder vierten Fach stehen.«

Mademoiselle seufzte; sie hatte fast den ganzen Morgen gestanden und sich eben erst recht bequem hingesetzt. Jetzt mußte sie wieder in die Höhe, aber es half Nichts: sie konnte den Dienst nicht verweigern, da keiner der Diener das Buch gefunden hätte.

Des Malers Herz klopfte heftig. Hatte Clemence selber die lästige Zeugin entfernt, um mit ihm allein zu sein? dann durfte er auch nicht blöde den günstigen Moment versäumen, er konnte nie wiederkehren, denn heute war seine Arbeit hier im Hause beendet. – Aber sein Entschluß sollte ihm erleichtert werden, denn kaum hatte sich die Thür hinter den Davongehenden geschlossen, als das junge Mädchen zu der Staffelei trat und den jungen Maler fest anblickend auf die Figur des Ofenschirms deutete und fragte:

»Wessen Portrait ist das, mein Herr?«

»Und muß es ein Portrait sein, mein gnädiges Fräulein,« rief Trautenau über den entschiedenen, fast harten Ton der Stimme frappirt.

»Sie leugnen also eine absichtliche Aehnlichkeit?«

»Nein,« sagte der Maler, denn er fühlte, daß der entscheidende Moment gekommen sei. »Wenn auch keine Aehnlichkeit, wollte ich doch eine Charakteristik geben.«

»Eine Charakteristik,« sagte Clemence erstaunt –, »wie verstehe ich das?«

»Ich will deutlich reden, denn nicht die Minuten, nein die Secunden sind mir zugezählt. Fräulein, von dem ersten Moment an, wo ich Sie sah, zog mich ein Etwas zu Ihnen hin, dem ich keinen Namen geben konnte.«

»Mein Herr!« rief Clemence, einen Schritt zurücktretend.

»Fürchten Sie keine Belästigung,« fuhr Trautenau fort, »lassen Sie mich ruhig ausreden, denn ich werde mich sehr kurz fassen, und es ist sogar nöthig, daß Sie es erfahren.«

»Sie sprechen in Räthseln,« erwiederte Clemence, während hohes Roth ihre Züge färbte.

»Die Ihnen augenblicklich klar werden sollen. Sie sind im Begriff sich mit dem Major von Reuhenfels zu vermählen.«

»Allerdings.«

»Wissen Sie was man in der Stadt von ihm spricht?«

»Von dem Major?«

»Von demselben: Daß er ein arger Spieler und Schuldenmacher, ja mehr als das, daß er ein schlechter Mensch sei.«

»Mein Herr, Sie sprechen von meinem künftigen Gatten!«

»Ich weiß es« rief Trautenau bewegt und weich – »und nur um Unglück von Ihrem theueren Haupt abzuwenden, wage ich etwas, wozu sonst nur ein Freund – kein Fremder, das Recht beanspruchen durfte – wage ich Sie zu warnen.«

»Zu warnen?«

»Ja, Clemence,« flüsterte Trautenau, der vor innerer Bewegung kaum die Worte über die Lippen brachte. – »Glauben Sie mir nur, daß mich allein die Sorge – die – Theilnahme für Sie bewegt, Ihnen das zu sagen. Uebereilen Sie den Schritt nicht, den Sie im Begriff sind zu thun, denn eine lebenslange Reue könnte ihn bestrafen. Sie sollen mir nicht glauben – kein Wort von dem, was ich Ihnen sage, ohne vorher Alles genau geprüft zu haben; aber prüfen Sie es wenigstens. Das Urtheil der Stadt über Ihren künftigen Gatten ist ein schweres, und Ihr Vater wenigstens muß wissen, was man ihm zur Last legt. Die Enttäuschung später wäre nachher zu furchtbar.«

»Haben Sie geendet?« fragte das junge Mädchen kalt.

Trautenau schwieg und sah sie erstaunt an.

»Dann ersuche ich Sie,« fuhr Clemence fort, »sich in Zukunft mit Anklagen, die meinen Bräutigam betreffen, an diesen selber zu wenden. Ich und mein Vater wissen, was in der Stadt aus Bosheit und besonders aus Neid gegen den Herrn böswillig geklatscht und verbreitet wird. Ich will annehmen,« setzte sie freundlicher hinzu, als sie die heftige Bewegung bemerkte, mit welcher der Maler emporfahren wollte, »daß Ihnen solche Gehässigkeiten fremd sind. Sie meinen es wahrscheinlich ehrlich und ich danke Ihnen dafür. Damit muß aber auch die Sache und zwar für immer, abgemacht sein. Ich selber wünsche wenigstens nicht weiter damit behelligt zu werden und nun bitte, beenden Sie Ihre Arbeit, denn meine Zeit ist beschränkt.«

»Wie Sie befehlen,« erwiederte Trautenau kalt, denn er fühlte diese Zurückweisung doppelt scharf. – »Vielleicht wünschen Sie nun auch, daß ich die Aehnlichkeit in dem Bilde des Ofenschirmes ändern soll.«

Clemence zögerte einen Augenblick mit der Antwort: endlich flog ein leichtes, fast neckisches Lächeln über ihre Züge.

»Nein,« sagte sie – »lassen Sie es so. Haben Sie dies nämliche Bild an Ihre Wand gemalt?«

»Ja, mein gnädiges Fräulein.«

Clemence erwiederte Nichts weiter; sie nahm ihre frühere Stellung wieder ein und in demselben Augenblick öffnete sich auch die Thür, in welcher Mademoiselle mit den Worten erschien, daß sie den ganzen Bücherschrank von oben bis unten durchgesucht habe, ohne das bezeichnete Buch darin zu finden.

»Ich danke Ihnen, vielleicht hat es mein Vater herausgenommen. Ich brauche es auch nicht mehr – wir sind gleich zu Ende,« sagte Clemence in einem gleichgültigen Ton.

Trautenau beeilte sich jetzt wirklich mit der unbedeutenden Arbeit, die er rasch vollendete und erst als sich Clemence bereit zeigte das Zimmer zu verlassen, sagte er herzlich und einfach:

»Mein gnädiges Fräulein, ich weiß nicht, ob ich jetzt, da ich das Letzte an dem Bild in meinem eigenen Atelier beenden muß, noch einmal die Ehre haben werde, Sie vor Ihrer Verheirathung zu sehen. Lassen Sie mich, der ich so manche glückliche Stunde hier verlebte, nicht so kalt und förmlich von Ihnen Abschied nehmen. Reichen Sie mir Ihre Hand.«

Er streckte ihr die seine treuherzig entgegen, und während die Mademoiselle über dieses sonderbare und außergewöhnliche Verlangen große Augen machte, zögerte Clemence, der Bitte zu willfahren. Aber sie mochte es auch nicht verweigern; schüchtern reichte sie ihm die äußersten Fingerspitzen. Der Maler nahm sie, hob sie leicht an die Lippen und flüsterte dann: »Gott gebe, daß diese Hand sich nur zum Glück in die eines Mannes lege. Seien Sie glücklich –« und seinen Hut aufgreifend, ohne die Mademoiselle weiter zu beachten, verließ er rasch das Zimmer.

Fünftes Capitel.
Zerronnen.

Ernst Trautenau war in einer recht trüben Stimmung nach Hause gekommen und diese wurde nicht gebessert als sein Auge auf das karrikirte Bild des Majors fiel, dessen grinsende Züge sich über ihn lustig zu machen schienen. Eine ganze Weile ging er auch mit verschränkten Armen in seinem Zimmer auf und ab, und in Trotz und Aerger fuhr sein Blick wohl manchmal nach der verhaßten Gestalt hinüber, ja es war als ob er mit einem finsteren Entschluß ringe. Aber was konnte, was durfte er Anderes thun als der Sache eben ihren Lauf lassen? Er hatte ja mit Clemence gesprochen und sie gewarnt und sie ihn auch genau genug verstanden, aber auch höflich zwar, doch kalt abgewiesen. Damit schien Alles erschöpft was ihn hätte veranlassen können weiter vorzugehen, ja des jungen Mädchens ganzes Benehmen zeigte deutlich, daß sie glaubte, er sei schon zu weit gegangen.

Und was sollte er jetzt thun? Er hätte sich gern mit Frank ausgesprochen, denn er wußte, daß der es treu mit ihm meine, Frank war aber seit einigen Tagen verreist und wurde in der nächsten Zeit nicht wieder zurück erwartet; so blieb ihm Nichts übrig, als Alles was ihn quälte, in der eigenen Brust zu verschließen.

Er war dadurch fast menschenscheu geworden, und als er Clemencens Bild, um es jetzt in seinem eigenen Atelier zu beenden, wieder in das Haus geschickt bekam, schloß er sich volle acht Tage damit ein, verkehrte mit Niemandem, antwortete auf kein Klopfen, und grub sich den Pfeil, diesem geliebten Zeugen gegenüber nur noch immer tiefer in die Brust. Ja er fand einen süßen Schmerz für sich darin, eine kleine Copie davon zurückzubehalten, er hätte sich ja sonst nicht von dem Bilde trennen können.

Endlich hatte er es fertig und es war abgeliefert worden. In der ganzen Zeit hörte er auch nichts von Joulard – er wollte nichts hören, bis er eines Morgens ein Schreiben des alten Herrn selber erhielt, in welchem dieser ihm mit wenigen Worten für das »sehr gelungene Gemälde« dankte, und ein Honorar beifügte, das Trautenau nie gewagt haben würde, so hoch zu fordern. Aus dem Couvert fiel aber auch noch eine kleine Karte zu Boden, die er vorher nicht bemerkt hatte. Er hob sie auf, es standen mit äußerst feiner zierlicher Schrift nur die beiden Namen darauf:

Major Kuno von Reuhenfels zu Berg,
Clemence von Reuhenfels zu Berg,
née Joulard.

Es war geschehen, die Hochzeit hatte, ohne daß er in seiner Abgeschlossenheit etwas davon gehört, stattgefunden und Clemence selber seine Warnung verachtet. Die Folgen kamen jetzt über sie.

Nun litt es ihn aber auch nicht mehr in der Stadt, er mußte fort. Um der Form zu genügen, schrieb er ein paar Zeilen an Herrn Joulard, worin er ihm den richtigen Empfang des Honorars dankend anzeigte und zugleich seine Glückwünsche für das jung verehelichte Paar beilegte. Dann ließ er noch einen Brief für Frank zurück, wenn dieser etwa wiederkehren sollte, packte seinen kleinen Koffer und seine Malergeräthschaften zusammen und verließ M–, um sich nach dem Süden – nach Italien, dem Paradies der Künstler, zu wenden.

Dort blieb er weit über zwei Jahre und vertiefte sich so vollkommen in seine Arbeiten, daß er von Deutschland wenig oder gar nichts hörte. Ja, er mied es sogar, Kunde von dort zu erhalten. Nur die Erinnerung wachte und bohrte noch in ihm. Clemencens Bild verließ ihn keinen Augenblick und ihre lieben Züge gab er manchem seiner Bilder, wie er denn auch die Züge des Majors nicht vergessen hatte.

Eines seiner Gemälde machte Aufsehen. Es war eine Scene aus der früheren italienischen Geschichte, wo Seeräuber von der afrikanischen Küste sich manchmal keck an die Ufer dieses Landes wagten, ihre Schaaren an den Strand warfen und von Menschen und Gütern raubten, an was sie in aller Schnelle die Hand legen konnten. Das Bild stellte den Moment vor, wie die Räuber wieder, während ein Theil von ihnen das andringende Landvolk zurücktreibt, mit der gemachten Beute fliehen, und den Mittelpunkt desselben bildete eine, mit furchtbarer Wahrheit ausgeführte Gruppe, in welcher der Capitain der Räuber ein junges bildschönes Mädchen, das sich aber in rasender Leidenschaft gegen ihn sträubt, zu dem nur noch wenige Schritte entfernt liegenden Boot hinunter schleppt.

Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, daß die Geraubte Clemencens Züge trug, während der Capitain dem verhaßten Major glich.

Gerade durch dies Gemälde aber, und daß er sich so lebendig wieder mit den alten besser begrabenen Erinnerungen beschäftigte, erwachte in ihm die Sehnsucht nach der Heimath stärker als je. – Clemence? – er wußte recht gut, daß er mit keiner Faser seines Herzens mehr an sie denken durfte, aber er wollte doch wenigstens in ihre Nähe zurückkehren. Er mußte sie noch einmal sehen, er mußte hören, daß es ihr gut gehe, daß sie sich glücklich fühle, und dann? Ei, dann hatte er weite Reisepläne vor. Er war noch jung, und die Welt lag vor ihm mit all ihren ungemessenen Schätzen.

Einmal mit dem Entschluß erst im Reinen, führte er ihn auch bald aus. Seine Gemälde hatte er fast alle auf Bestellung gemacht; für das letzte wurde ihm ein bedeutender Preis geboten; er nahm ihn an, und schon in der nächsten Woche trat er den Rückweg nach Deutschland an.

Als er M– erreichte, fuhr er vom Bahnhof in einer offenen Droschke durch die Stadt nach einem dem Kutscher bezeichneten Hôtel. Er wußte, daß er auf dem Weg Joulard's Palais passiren mußte und wenn er sich auch keine Hoffnung machte, Clemence dort zu sehen, wollte er doch wenigstens einen Blick nach ihren Fenstern werfen.

Dort lag das stattliche Gebäude vor ihm, aber er schrak fast zusammen, als er die Veränderung bemerkte, die mit demselben in der kurzen Zeit vorgegangen war.

Das war nicht mehr das Haus eines reichen Privatmannes, denn die Industrie hatte sich seiner bemächtigt, und große Schilder beklebten, entstellten es von oben bis unten. Die Parterrelokale waren parcellirt und zu eleganten Verkaufsräumen hergerichtet worden – in der ersten Etage hatte sich ein großes Spitzenlager von Aaron Hamburger etablirt, dessen riesiger Name fast die ganze Front einnahm, und oben war in der zweiten Etage eine Thür ausgebrochen und ein Krahnbalken eingeschoben worden, um dorthin Waaren gleich von der Straße aus, hinaufzuwinden.

»Hat denn Herr Joulard dies Haus verkauft?« frug Trautenau unwillkürlich den Kutscher; dieser zuckte aber mit den Achseln und erwiederte:

»Kann ich nicht sagen, ich bin erst seit einem halben Jahre in M– und weiß gar nicht, wem das Haus früher gehörte. Jetzt ist's der Stadt und die Läden werden vom Stadtrath selber vermiethet, denn ich weiß, mein Herr hätte gern die schönen Ställe da drin gehabt, aber sie forderten einen zu bärenmäßigen Zins dafür. Da war's denn Nichts.«

Nicht lange darauf hielt die Droschke vor dem bezeichneten Hôtel, und Trautenau's erste Frage, nachdem er sein Zimmer angewiesen bekommen, war nach dem Joulard'schen Hause. Der Kellner zuckte ebenfalls die Achseln.

»Das war eine faule Geschichte,« sagte er, »sind nun fast zwei Jahre, da brach der Schwindel zusammen. Die ganze Stadt hatte den Herrn Joulard für einen Millionär gehalten – ja wohl, eine halbe Million Schulden kam fast zusammen, es ging hoch in die Hunderttausende und auf einmal war er weg, wie Schnee im April, und kein Mensch weiß noch bis zu dieser Stunde, was aus ihm geworden ist.«

Trautenau schnürte es fast das Herz zusammen, aber er wagte nicht, den kurzjackigen, wohlfrisirten Menschen weiter zu fragen. Von diesen Lippen wollte er das Schicksal Clemences nicht erfahren. Er mußte sehn, ob er Frank nicht in M– traf.

Er zog sich rasch um und ging in dessen alte Wohnung, dort aber war er nicht mehr zu finden. Jedoch sollte er in der Stadt sein, wo er sich aber jetzt eingemiethet habe, würde Herr Trautenau wohl auf der Polizei am sichersten erfahren.

Dorthin ging er und hörte, daß Franz Rauling, Maler, sein eigenes altes Atelier bewohnte, wohin er sich denn natürlich augenblicklich begab.

Das Wiedersehen der beiden Freunde war herzlich. Wie viel hatten sie sich auch zu sagen und zu erzählen, und doch scheuten sich Beide eine lange Weile den einen Punkt zu berühren, der jedenfalls auf Beider Lippen lag und dem doch Keiner von ihnen zuerst Worte geben mochte.

Trautenau saß in einem alten lederüberzogenen Lehnstuhl, den Kopf in die rechte Hand gestützt, das linke Bein über das rechte geschlagen, und sein Blick hing, während er mit dem Freund sprach, fest und unverwandt an seinem eigenen Teufelsbild, das heute noch wie damals die Mauer zierte – oder entstellte.

»Und was ist aus dem da geworden?« brach er endlich durch alle Schranken durch, denn er mußte ja doch wissen, was mit Clemence geschehen.

»Aus dem da?« antwortete Frank und warf den Blick über die Schulter nach dem Wandgemälde – »weißt Du schon, was aus dem alten Joulard geworden ist?«

»Sein Haus hat er verkauft.«

»Er? – nein – aber seine Gläubiger haben es gethan. Das war einer der größten Schwindler, die je existirt. Und wie hat er unsere gute Stadt selber angezapft. Mit einer Frechheit ist er dabei aufgetreten, die gar nichts zu wünschen übrig ließ. Er verstand wie Keiner, den Leuten Sand in die Augen zu streuen und besaß dadurch einen ganz enormen Credit. Den benutzte er, so lange es anging, aber ewig konnte das natürlich nicht dauern – plötzlich und bald nachdem Du M– verlassen, brach es zusammen, und wie nur die erste drohende Wolke am Horizont aufstieg, ballte sich auch in wenigen Tagen, ja man könnte sagen in Stunden ein so furchtbares Gewitter über seinem Haupt zusammen, daß er es für gerathen fand demselben auszuweichen. Er verschwand und hat auch keine Spur hinterlassen, was aus ihm geworden. Einige wollten behaupten, daß er freiwillig den Tod gesucht, aber ich glaube es nicht – sein Leichnam ist nirgends gefunden worden und außerdem traue ich dem berechnenden Burschen eine solche That der Verzweiflung gar nicht zu, da er durch die Katastrophe ja nicht überrascht werden konnte. Er mußte vom ersten Augenblick an wissen, daß sie ihn früher oder später ereilen würde. Sie konnte nicht ausbleiben.«

»Und Clemence?« fragte Trautenau leise – »ist sie hier?«

Frank zögerte mit der Antwort. – »Nein« sagte er endlich, »aber ich sehe auch nicht ein, weshalb ich Dir etwas vorenthalten soll, was Dir doch hier in M– kein Geheimniß bleiben kann, denn die Sperlinge auf den Dächern haben fast ein Jahr lang davon geschwatzt. Jetzt ist es ruhiger geworden, denn das Publikum findet immer wieder etwas Neues, was die alten Geschichten vergessen läßt!«

»So ist etwas mit dem Major vorgegangen?«

»Allerdings, und zwar kurz vorher, ehe der Bankerott des Alten ausbrach. Wärest Du nur acht Wochen länger in M– geblieben, so hättest Du die ganze Sache mit erlebt.«

»Und was war es?«

»Du weißt, welche Gerüchte schon früher über ihn umliefen, und unbegreiflich ist es, daß Joulard selber Nichts davon gehört haben sollte.«

»Ich selber habe Clemence gewarnt.«

»Du?«

»Gewiß, wie ich sie das letzte Mal sah, aber sie wies mich kalt und stolz zurück.«

»Dann steckt auch mehr dahinter und dies bestätigt einen Verdacht, den ich schon lange gefaßt, daß nämlich der Major sowohl, als der alte Joulard ihre gegenseitigen Verhältnisse genau kannten. Uebrigens wurde später behauptet, daß Clemence gar nicht Joulards Tochter gewesen sei.«

»Und wessen sonst?«

Frank zuckte mit den Achseln. »Es würde schwer sein, das festzustellen, und käme auch Nichts mehr darauf an, denn er ist fort aus M– und wird wohl schwerlich hierher zurückkehren.«

»Und was ist sonst vorgefallen? Sage mir Alles.«

»Es ist mit kurzen Worten erzählt. Es kamen Dinge zur Sprache, die den Major auf das Aeußerste compromittirten. Er mußte seinen Abschied nehmen. Wechsel waren gefälscht worden, Cassengelder unterschlagen. Man sprach von falschem Spiel und einigen anderen Betrügereien und ging, mit Rücksicht auf den Schwiegervater und den adeligen Namen des Burschen, wohl schlaffer mit der Anklage gegen ihn vor, als man gegen einen Menschen aus niederem Stande vorgeschritten wäre. Auf einmal war der Major verschwunden.«

»Mit seiner Frau?«

»Mit seiner Frau, und als nun Joulard die Wechsel zahlen sollte, brach eben das ganze Kartenhaus zusammen.«

»Und wurde der Major nicht verfolgt?«

»Nein, man erzählte sich, oder wußte vielmehr, daß er bei Prinz Y– sehr gut angeschrieben stand, es gingen darüber allerlei tolle Gerüchte, die natürlich wenig ehrenhaft für den Major waren. Der Prinz zahlte, wenn auch seufzend, aber er zahlte doch, und die Klage gegen den Major, da sich die Gläubiger gern mit 50% abfinden ließen, wo sie schon gefürchtet hatten gar nichts zu bekommen, wurde niedergeschlagen.«

»Und wo hält er sich jetzt auf?«

»Kein Mensch weiß es. Ein Bekannter von mir wollte ihn neulich in Paris gesehen haben, schien seiner Sache aber doch nicht ganz gewiß. Unmöglich wär's freilich nicht, denn wenn er auch nicht in Deutschland mehr verfolgt wird, dürfte er es doch nicht wagen, sich in anständiger Gesellschaft blicken zu lassen, und ein solcher Zustand würde ihm bald unerträglich werden.«

»Und Clemence ist bei ihm?«

»Wenigstens mit ihm von hier fortgegangen.«

»Armes, unglückliches Geschöpf – wie furchtbar elend muß sie sich jetzt fühlen.«

Frank schwieg und sah still vor sich nieder. Es schien fast, als ob er noch etwas sagen wollte; Trautenau aber war zu sehr mit seinen eigenen schmerzlichen Gedanken beschäftigt, um es zu bemerken. Manche Gerüchte über Clemence hatten nämlich ebenfalls die Stadt durchlaufen, aber was konnte es nützen, dem Freund durch Wiederholung derselben wehe zu thun. Bewiesen war doch keins von allen worden, und ob Clemence nun Mitschuldige oder rein von jedem Fehl sei, was kümmerte das den Stadtklatsch, der überall seine Opfer suchte und dabei wahrlich nicht wählerisch in seinen Mitteln war.

»Und weißt Du nicht, was aus ihrem Bild geworden ist?« fragte der Andere nach einer längeren Pause. – »Sind denn auch selbst die Familienbilder unter den Hammer des Actionators gekommen?«

»Alles,« lautete Frank's Antwort, »Dein Bild soll übrigens ziemlich hoch von einem Engländer erstanden sein, der sich, Gott weiß, aus welchem Grunde, dafür interessirte. Ich glaube, der Ofenschirm hat ihm in die Augen gestochen. Das war doch eine verwünschte Idee von Dir, Ernst, den Bräutigam als Carricatur neben die Braut zu stellen, und ich begreife nur nicht, daß Clemence selber blind gegen die wirklich frappante Aehnlichkeit blieb.«

»Sie hat sie damals entdeckt.«

»Was? und den Schirm nicht übermalen lassen?«

»Ich erbot mich, es selber zu thun, aber sie wies es zurück.«

»Das ist in der That sehr sonderbar und zeugt wohl von einem ganz eigenthümlichen Humor der jungen Dame, aber nicht besonders von ihrer Verehrung für den Bräutigam.«

»Sie hat sich doch keinenfalls etwas Böses dabei gedacht.«

»Wer kann wissen, was sich so ein Mädchenkopf denkt – das ist unergründlich wie der Ocean. Aber was gedenkst Du jetzt zu thun? Bleibst Du hier in M–?«

»Ich weiß es nicht – weiß auch nicht, ob ich überhaupt in der nächsten Zeit Ruhe zum Arbeiten haben werde.«

»Aber Du hast gewiß eine Mappe voll prächtiger Studien mitgebracht.«

»Das allerdings, aber die können warten. Meine Casse ist ziemlich gefüllt und ich mache vielleicht noch, ehe ich den Pinsel wieder in die Hand nehme, vorher eine kurze Reise durch Deutschland. Ich habe eine Sehnsucht nach dem Rhein.«

»Höre, Ernst, mach' keinen dummen Streich,« sagte Frank, der ihn mißtrauisch ansah – »Du hast doch nicht etwa den tollen, abenteuerlichen Plan, Deiner früheren Flamme nach Paris zu folgen?«

Trautenau schüttelte leise den Kopf. »Nein, Frank,« erwiderte er, »meine Seele denkt nicht daran. Clemence ist jetzt das Weib des Majors und kann für mich natürlich von da an nur eine Fremde sein. Ja, ich würde sogar die Stadt, in der sie wohnt, meiden, um ihr nicht wieder zu begegnen. Weshalb auch? es hieße nur alte Wunden aufreißen, um sie frisch bluten zu sehen.«

»Ist das Dein voller Ernst?«

»Hier meine Hand darauf und mein Wort.«

»Gott sei Dank,« rief Frank, »denn ich fürchtete schon, daß die Nachricht ihres Unglücks jene alte hoffnungslose Liebe wieder anfachen könne.«

»Wenn ich sie verlassen und im Elend wüßte – ja – nicht an der Seite eines Gatten.«

»Dann will ich Dir etwas sagen, Ernst,« rief Frank lebendig. »Ich habe gerade verschiedene Arbeiten beendet – bin überhaupt das letzte Jahr merkwürdig fleißig gewesen, und hatte mir schon fest vorgenommen, diesen Sommer eine kleine Erholungsreise zu machen. Wenn Du jetzt noch zwei oder höchstens drei Tage auf mich warten kannst, begleite ich Dich, was meinst Du dazu, und wir kreuzen dann eine Weile am Rhein umher.«

»Der glücklichste Gedanke, den Du fassen konntest!« rief Ernst erfreut aus – »ich warte auf Dich und wenn Du eine volle Woche brauchst, um fertig zu werden. Oder kann ich Dir vielleicht helfen? Mir geschieht ein Gefallen damit, denn selbstständig kann ich doch noch Nichts arbeiten und möchte nicht die Zeit über ganz müssig liegen.«

»Desto rascher werden wir fertig,« entgegnete Frank lachend, »also dankbar angenommen, und hier in Deinem alten Atelier wird es Dir doppelt heimisch sein.«

Sechstes Kapitel.
In Wiesbaden.

Die beiden jungen Leute gingen jetzt, dabei mit einander plaudernd und erzählend, frisch an die Arbeit, um einige Kleinigkeiten, die Frank noch versprochen hatte abzuliefern, in den nächsten Tagen zu beenden. Das wurde auch rascher erledigt, als sie selber geglaubt, denn in der gemeinschaftlichen Thätigkeit flogen ihnen die Stunden nur so dahin. Am dritten Abend waren sie auch schon zur Abreise fertig gerüstet, und um auch keinen Moment mehr zu versäumen, benutzten sie selbst den Nachtzug, daß der sie dem flachen Lande entführe, und nur erst einmal hinein in die Berge bringe.

Am anderen Abend schon wanderten sie Arm in Arm den wunderbar schönen Rhein entlang, und das Herz floß ihnen in lautem Jubel und fröhlichem Gesang über. Giebt es ja doch nur einen einzigen solchen Strom in der ganzen weiten Welt, und wem das Herz an diesen Ufern nicht aufgeht und wärmer, freudiger schlägt bei den Wundern, die sich dort seinem Blick öffnen – ei, der mag ruhig fortgehen und sich in der lüneburger Haide oder im berliner Sande begraben lassen – auf Erden ist er doch zu Nichts mehr nütze.

Das war eine frohe, glückliche Zeit, die sie dort verlebten, und selbst Ernst, der sonst mehr zur Schwermuth neigte und sich nie wohler fühlte, als wenn er allein und einsam seine Bahn wandelte, lebte neu auf in der wunderbar schönen Natur und der Gesellschaft des stets fröhlichen und heiteren Frank.

Mit ihren Mappen wanderten sie von Bingen zuerst durch die Berge hinüber bis Bacharach, in dessen Nachbarschaft sie sich eine Zeitlang aufhielten, dann kreuzten sie hinüber nach dem Lurleifelsen und nach St. Goarshausen, bis sie sich in St. Goar eine Zeitlang festsetzten, und dann langsam sich wieder am rechten Rheinufer bis zu der reizenden Mündung der Lahn hinunterzogen. Es war ein vollkommen zielloses Umherstreifen, aber deshalb gerade so anziehend, weil es ihnen auch keine Stunde im Tag einen Zwang auferlegte, und ihre Mappen und Skizzenbücher bereicherten sie dabei ungemein.

So hatten sie vier volle Wochen glücklich verlebt, als Frank zuerst an den Heimweg dachte, da er nach M– zurückkehren mußte, um einige versprochene Arbeiten in Angriff zu nehmen. Trautenau beabsichtigte noch nach Köln hinunter zu gehen und sich dort einige Zeit aufzuhalten. Er wollte sich aber wenigstens nicht so lange von dem Freund trennen, als dieser noch den Rhein bereiste und beschloß, ihn deshalb bis Mainz oder Castell zu begleiten und dann die schöne Fahrt wieder stromab bis Köln zu machen.

Aber auch diese Rückfahrt übereilten sie nicht, denn auf eine Woche kam es dabei nicht an, und manchen hübschen Punkt, den sie auf der Niederfahrt übergangen, berührten sie jetzt und holten das damals Versäumte ein.

So kamen sie auch nach Bieberich, und Frank, der noch nie eine Spielbank gesehen hatte, zeigte Lust einmal auf ein paar Stunden nach Wiesbaden hinüber zu fahren. Ernst natürlich schloß sich ihm an und da der Abend schon dämmerte, beschlossen sie, die Nacht dort zu bleiben und dann mit dem Frühzug, der Eine wieder in das innere Land zurück zu kehren, der Andere seine Reise nach Köln fortzusetzen.

Das war ein reges Leben in dem Ort, denn Wiesbaden kann wohl als das Paradies der Spielhöllen betrachtet werden. Die Promenaden waren dicht gedrängt voll geputzter Menschen und in den prachtvollen Spielsalons preßte sich um die grünen Tische Kopf an Kopf, so daß man nicht einmal in ihre Nähe gelangen konnte.

Allerdings standen dort auch eine Menge von Neugierigen umher, die nur eben sehen wollten was gesetzt wurde und wer es gewann. Die Meisten ließen sich aber doch – hier und da durch einen augenblicklichen Erfolg einzelner Spieler angelockt – verleiten, kleine Summen da oder dorthin zu setzen und erst wenn die erbarmungslosen Krücken der Croupiers das Geld, das sie vielleicht Gott weiß wie nothwendig für sich und ihre Familien gebraucht hätten, einstrichen, zogen sie sich leise und beschämt zurück und suchten sich unter die Menge zu verlieren. Aber Niemand achtete auf sie; das waren ja doch nur Eintagsfliegen, Motten, die um das Licht flatterten und sobald sie sich einmal die Flügel leicht versengt, untauglich für weiteren Gebrauch wurden.

Die hartnäckigeren Spieler, Stammgäste, wie man sie nennen könnte, hatten ihren Platz am Tische selbst, auf weich gepolsterten Stühlen, mit kleinen Täfelchen neben sich, auf denen sie die verschiedenen Chancen des Spiels notirten und sich dabei so gleichgültig als irgend möglich gegen Gewinn oder Verlust zu zeigen suchten.

Die beiden jungen Leute verstanden das Spiel gar nicht, und sie dachten noch weniger daran, »ihr Glück« zu versuchen, wie man das gewöhnlich nennt, wie es aber besser heißen sollte »ihr Geld dem grünen Tisch zu opfern.« Nur beobachten wollten sie, und dazu bekamen sie vortreffliche Gelegenheit in den verschiedenen Physiognomien der bei dem Spiel interessirten Menschen.

Wie sie noch so langsam, bald hier, bald dort umherschlenderten und sich leise ihre Bemerkungen mittheilten, fiel plötzlich in einem der anderen Säle ein Schuß, und was nicht unmittelbar an dem nächsten Tisch interessirt war, zog sich augenblicklich davon zurück, um zu sehen, was vorgegangen sei. Es kommt ja allerdings gar nicht so selten vor, daß ein armer Commis, der Geld für seinen Principal eincassirt, und hier in wenigen Stunden – vielleicht Minuten, Alles verloren hat, mit einer Kugel oder auf sonstiger Weise seinem Leben ein Ende macht. Aber es geschieht doch nicht oft, daß er einen solchen verzweifelten Entschluß gleich an Ort und Stelle ausführt, und ist sicher für die Bankhalter immer ein sehr unangenehmer Fall, da nachher zu viel darüber gesprochen und geschrieben wird.

Um so mehr wollten die Meisten aber auch Zeugen einer solchen Scene sein, und nur die wirklichen und leidenschaftlichen Spieler berührte es nicht. Was war es auch – ein werthloses Menschenleben, was hier eben, inmitten von Pracht und Haufen Goldes, geendet hatte – ein ekelhafter, unangenehmer Leichnam, den die Aufwärter nun so rasch als möglich entfernen, und das Blut vom Parket wegwaschen mußten. In zehn Minuten konnte das Alles beseitigt sein und es dauerte wirklich kaum so lange.

Die beiden jungen Freunde zogen sich ebenfalls und unwillkürlich jener Stelle zu, wo wieder einmal dieser »Fluch des Rheins«, das höllische Spiel, ein Opfer gefordert hatte. Aber es war nicht möglich rasch dahin zu gelangen, denn durch die von den Tischen plötzlich zurückpressenden Leute wurde der Raum für kurze Zeit vollkommen angefüllt. Langsam rückten sie aber trotzdem am Tische hin und wollten eben links abbiegen um eine freiere Stelle zu gewinnen, als Frank plötzlich seinen Arm fast krampfhaft festgehalten fühlte, und als er sich erstaunt nach der Seite umdrehte, sah er des Freundes Augen, dessen Antlitz aschenbleich geworden war, an einem Punkt des noch immer besetzten Tisches haften.

Da er gar nicht wußte, was er aus dem Benehmen Trautenau's machen sollte, folgte er seinem Blick, konnte aber nicht das geringste Auffällige entdecken. An dem Tische saßen die gewöhnlichen Gestalten, Herren und »Damen« – wenigstens elegant angezogene Frauenzimmer, sehr decolletirt und in oft höchst unnöthigem Putz für diese Gesellschaft, dabei meist ältliche Herren mit verlebten, aber leidenschaftlich erregten Gesichtern, mit aufgestellten Rollen von Gold und Silber vor sich, von denen sie dann und wann kleine Haufen, ohne sie zu zählen und nur nach dem Gefühl herunternahmen und auf irgend einen Punkt setzten, oder auch gewonnene Summen wieder sorgfältig neben die anderen häuften. Diese Leute hatte der Schuß im anderen Zimmer auch nicht gestört; was kümmerte sie irgend ein fremder, alberner Mensch, der nicht einmal Tact genug besaß, sein unbedeutendes Leben außerhalb der Spielsäle abzuschütteln. Es wäre nicht der Mühe werth gewesen, auch nur den Kopf nach ihm umzudrehen, viel weniger das »jeu« seinethalben zu vernachlässigen.

»Aber was hast Du nur?« flüsterte Frank jetzt dem Freund zu, »Du drückst mir ja blaue Flecke in den Arm.«

»Kennst Du den Herrn, der dort unten an dem Tisch sitzt, gleich hinter jener Dame, die den Kopf von uns abdreht?«

»Hinter jener Dame im weißen Kleid?«

»Ja.«

»Nein, den kenne ich nicht – kann mich wenigstens nicht auf das Gesicht besinnen.«

»Und hast es in Deinem eigenen Arbeitszimmer an der Wand?«

»Der Major? Unsinn – Du träumst.«

»Lehre mich das Gesicht kennen, das ich unzählige Male gezeichnet habe – jeder Zug desselben steht mir so fest im Gedächtniß, daß ich es mit geschlossenen Augen mit Kohle an die Wand malen könnte. Er ist es, beim ewigen Gott.«

»Und jene Dame?«

»Das kann nicht Clemence sein, es ist nicht möglich. Sie würde sich doch nicht zwischen diese Gesellschaft an den grünen Tisch setzen. Nein, sie scheint zu dem jungen Herrn zu gehören, der hinter ihrem Stuhl steht und fortwährend mit ihr flüstert. Beide pointiren wahrscheinlich zusammen.«

»Du mußt Dich irren, Ernst.«

»Glaube mir, eine Täuschung ist dieser Gestalt gegenüber nicht möglich. Ich habe mir nicht den Teufel an die Wand gemalt, daß ich ihn nicht wiedererkennen sollte, wo auch immer. Findest Du ihn denn noch nicht in den Zügen?«

»Er hat allerdings Aehnlichkeit mit dem Major,« sagte Frank, der ihn indessen aufmerksamer betrachtet hatte. »Er trägt nur den Bart ganz anders als früher und mehr in französischer Art; ich habe ihn auch anfangs für einen Franzosen gehalten. Du könntest wirklich Recht haben – doch was liegt daran. Er ist wahrscheinlich mit anderem Gesindel von Frankreich herüber gekommen und treibt sich hier eine Zeitlang in den Bädern herum. Laß ihn und komm – was interessirt uns der Mensch.«

»Wenn ich nur wenigstens einmal das Profil der Dame, die neben ihm sitzt, sehen könnte,« entgegnete Ernst, der noch immer zögerte, dem Freund zu folgen.

»So laß uns an die andere Seite hinüber gehen.«

»Ich möchte nicht von ihnen gesehen werden – wenigstens jetzt noch nicht – nicht bis ich mich näher überzeugt habe.«

Das Publikum fing schon wieder an zu dem Tisch zurückzukehren, so rasch hatte man da drüben, in dem anderen Zimmer, den Leichnam wie die letzten Spuren der fatalen Angelegenheit beseitigt. Das Spiel durfte unter keiner Bedingung gestört werden. Kein Mensch sprach mehr über den Selbstmord des Unglücklichen, wie denn überhaupt eine laute Unterhaltung im Heiligthum der grünen Tische gar nicht mehr geduldet wurde. Alles verkehrte in Flüstern mit einander.

Dadurch gruppirten sich die Zuschauer wieder fester um die eigentlichen Spieler, und Trautenau wie Frank konnten auch, unter deren Schutz, etwas näher an den entdeckten Major hinanrücken. Uebrigens war kaum Gefahr da, daß er sie bemerken würde, denn seine Augen wanderten für keinen Moment von dem Tisch selbst und dem darauf stehenden Golde ab. Was kümmert sich der Spieler um die Zuschauer.

Frank verstand allerdings das Spiel gar nicht, Trautenau dagegen hatte auf seinen verschiedenen Reisen schon öfter Gelegenheit gehabt es zu beobachten und zu verfolgen, und es konnte ihm bald nicht mehr entgehen, daß der Major ziemlich hoch und zwar nach einem bestimmten Plan spiele, während die Dame an seiner Seite, die aber noch immer den Kopf abgedreht hielt, bald da, bald dort pointirte und den hinter ihr stehenden jungen Mann dabei oft um Rath frug. Die Gestalt konnte aber nicht die Clemences sein. Sie schien allerdings von hoher, stattlicher Figur, kam Ernst aber weit stärker vor, als Clemence gewesen – auch die Contur der Wangen war voller als er sie gekannt. Nur das Haar glich dem ihrigen vollkommen und man hätte kaum glauben sollen, daß zwei Personen eine so ähnliche und wahrhaft prachtvolle Lockenfülle haben könnten. Aber sie war es trotzdem nicht; es ließ sich ja auch nicht denken, daß Clemence, das stolze, schöne Mädchen, so weit gesunken sein könne, um hier am grünen Tisch –

In dem Moment drehte sie den Kopf zur Seite – der bis jetzt hinter ihr stehende junge Herr hatte sie einen Augenblick verlassen, um zu einem anderen Spieler hinüber zu treten. Sie schien ihn zu suchen und ihr Blick streifte selbst Trautenau's Gestalt – wenn auch vollkommen gleichgültig, denn er trug nicht die bestimmten Formen, denen sie folgte.

»Beim ewigen Gott, sie ist es,« stöhnte da Ernst, indem er scheu und erschrocken einen Schritt zurücktrat – »Clemence!«

»Wahrhaftig? das ist allerdings merkwürdig,« sagte Frank, »und hier der Tisch wäre der letzte, hinter dem ich sie gesucht hätte. Sie scheint aber stärker geworden zu sein. Ah, da tritt auch ihr Courmacher wieder hinter ihren Stuhl. – Komm Ernst; ich glaube, wir haben genug gesehen, um nicht nach Weiterem zu verlangen. Die Dame scheint sich in ihrem neuem Beruf außerordentlich wohl zu fühlen.«

Trautenau erwiederte kein Wort; es schnürte ihm das Herz zusammen, der Athem wurde ihm schwer, und er drängte selber jetzt hinaus in's Freie, weil er den Anblick nicht länger ertragen konnte.

Das Interesse für die früher Geliebte war aber doch zu frisch und gewaltig geweckt worden, um es so rasch wieder abschütteln zu können, und da selbst Frank neugierig geworden war, zu erfahren, unter welchen Verhältnissen sich die beiden Gatten hier aufhielten, so ließen sie sich, in ihrem Hôtel angelangt, vor allen Dingen die Kurliste geben, um dort die Namen aufzusuchen und dadurch ihren Wohnort herauszubekommen.

Es dauerte allerdings einige Zeit, bis sie das alphabetisch geordnete und etwas voluminöse Actenstück durchstudirt hatten, aber den Namen Reuhenfels fanden sie nirgends angegeben – nicht in der alphabetischen Ordnung, nicht unter den einzelnen Hôtels. War er etwa hier in Wiesbaden ansässig? dann kam er allerdings nicht in die Kurliste. Aber auch im Adreßbuch stand er nicht. Da fiel, als Trautenau noch einmal die Kurliste aufschlug, sein Auge zufällig auf den Namen »Zu Berg« – Reuhenfels hatte ja – soviel erinnerte er sich, den Namen »zu Berg« bei dem eigenen. – Das mußte er jedenfalls sein und als Wohnung des »Baron und Gemahlin nebst Bedienung« war Hôtel Kompelt angegeben.

Also er reiste, wenn auch nicht unter falschem, doch jedenfalls verstellten Namen, und das schien erklärlich, denn er mochte Ursache haben, sich der Vergangenheit zu schämen. Auch der verschnittene Bart sprach dafür, der ihn allerdings so entstellte, daß ihn selbst Frank niemals unter demselben aufgefunden hätte.

Die beiden jungen Leute waren aber doch neugierig geworden, etwas mehr von den alten Bekannten zu hören. Besonders Frank, der recht gut wußte, daß man sich dafür in M– außerordentlich interessiren würde – und beschlossen deßhalb jedenfalls noch bis zum nächsten Mittag in Wiesbaden zu bleiben und Nachforschungen anzustellen, denn heute Abend war es dazu allerdings zu spät geworden.

Ernst aber konnte Clemences Bild, wie er sie an dem Spieltisch gesehen, nicht wieder aus dem Gedächtniß bringen. Wie hatten sie die wenigen Jahre verändert – wie gänzlich umgestaltet. Vermögenlos konnte sie allerdings nicht sein, denn sie prangte noch immer im höchsten Staat – aber wohin war der gute, liebe Ausdruck in ihren Zügen gekommen? wohin jene schüchterne Jungfräulichkeit, die er sonst darin zu finden geglaubt. Sie war wohl noch schön – oh so wunderbar schön wie je; aber mochte die Umgebung dabei die Schuld tragen, genug ihm machte es den Eindruck, als ob sie jene holde Weiblichkeit verloren habe, die gerade so bezaubernd auf das Männerherz wirkt und es fesselt. Auch ihr Blick, wenn sie ihn im Saal umherwarf, schien weit mehr keck und herausfordernd gewesen zu sein als er es gewünscht, und an dem Spieltisch sich wie zu Hause zu fühlen. Ja, er erinnerte sich jetzt sogar, daß sie eine kleine Geldkrücke in der Hand geführt und ein Blatt zum Controliren des Spiels neben sich gehabt, – ganz wie es alte Spieler gewöhnlich thun. Sie konnte doch nicht in den wenigen Jahren schon so tief gesunken sein.

Wie ihn die Gedanken quälten – und er grübelte und sorgte sich darüber, bis endlich die Müdigkeit seine Augen schloß.

Am andern Morgen war Ernst früh auf. In einem Badeort giebt es überhaupt wenig Langschläfer, denn schon die Kur erfordert viel Bewegung und die Damen wissen, daß sie in ihrem einfachen Morgenanzug oft ebenso hübsch, gewöhnlich aber in Wirklichkeit noch viel hübscher aussehen, als Nachmittags in allem Glanz einer Gesellschaftstoilette. Vor dem Kurhaus um den blitzenden Teich herum, in dem die Fontainen sprangen, ergingen sich denn auch schon eine Menge Damen, die, ihr Glas in der Hand, gewissenhaft ihre Promenade machten und dabei gar nicht so aussahen, als ob sie irgend wie nöthig hätten, ihrer Gesundheit wegen solch nichtswürdiges Wasser zu trinken. Aber die Form mußte beobachtet werden. Wenn sie auch nur ihres Vergnügens wegen, unter dem Vorwand von Nervenleiden, hierhergekommen waren und das eigentlich blos den Zweck hatte, eine reiche, dazu besonders angefertigte Garderobe zur Schau zu tragen, so durften sie sich doch der Kur nicht entziehen. Es hätte sonst der schmerzliche Fall eintreten können, daß ihnen der Gatte in der nächsten Saison die nothwendigen Reisespesen vorenthielt, und der Gedanke schon war furchtbar. Nein, da lieber Brunnen trinken.

Frank war zu Hause geblieben, um ein paar nothwendige Briefe zu schreiben, die, bei jetzt fest bestimmter Abreise seine Rückkunft daheim anzeigen sollten. Ernst dagegen machte vor allen Dingen einen Spaziergang nach dem Kurhaus, um dort erst einmal zu sehen, ob er Clemence nicht wieder begegnen könne. Die Musik spielte eben den unvermeidlichen Choral, um unmittelbar von demselben auf einen lustigen Schottischen überzuspringen; aber er suchte unter den dort auf und ab wandelnden Badegästen nach den lieben, bekannten Zügen der jungen Frau vergebens. Er konnte sie nirgends bemerken. Es gab allerdings in Wiesbaden auch noch andere Stellen, wo Brunnen getrunken, und zahllose, wo gebadet wurde, – möglicher Weise, daß sie sich dort irgendwo befand, aber dort hinaus konnte er sie in jeder Straße verfehlen, und er beschloß deshalb, ohne Weiteres in das von der Kurliste bezeichnete Hôtel zu gehen, um da womöglich einiges Nähere über das Ehepaar zu erfahren.

Clemence befand sich übrigens diesen Morgen nicht in dem gewöhnlichen Gedräng der Kurgäste, weder hier noch in einem anderen Theil der Stadt, sondern schritt nicht weit von der Stelle, wo das Grabmal der verstorbenen Herzogin steht, am Arm eines jungen, sehr elegant gekleideten Herrn – desselben, der gestern Abend hinter ihrem Stuhl am Spieltisch gestanden, – langsam durch das Gehölz. Beide schienen auch in ernster und eifriger Unterhaltung begriffen, in welche sie aber doch nicht genug vertieft waren, um nicht dann und wann wie scheu den Blick nach rechts und links zu werfen, als ob sie fürchteten beobachtet zu werden.

»Ich halte es beim Himmel nicht mehr aus, Armand,« sagte da die junge Frau. – »Er wird mit jedem Tage roher und unerträglicher – ein wahrer Teufel. Ach, jener Maler hatte Recht, der ihn in der Gestalt mit auf mein Bild brachte.«

»Nur noch eine kurze Zeit, Clemence, um meinetwillen,« bat da Armand. »Du weißt ja, daß ich meine Schwester hier nicht verlassen kann, und in acht Tagen spätestens, vielleicht schon früher, kommt ihr Gatte zurück. Dann sinnen wir auf Mittel und Wege, wie wir unsere Flucht bewerkstelligen.«

»Dann ist es zu spät,« sagte Clemence düster, »denn gestern Abend noch hat er mir erklärt, daß wir in den nächsten Tagen Wiesbaden verlassen werden.«

»Und wohin will er sich wenden?«

»Er weiß es noch nicht, oder würde es mir auch nie sagen, weil er unser Einverständniß ahnt, oder doch wenigstens Verdacht geschöpft hat. Er scheint auch nur von hier fortzugehen, um uns zu trennen.«

»So bald schon,« rief Armand erschreckt aus – »oh, ich kann Dich nicht verlieren, Clemence, ich würde elend mein ganzes Leben werden.«

»Aber, was läßt sich, was kann ich thun, um es zu verhindern? Ach, Alles Dir zu Liebe, Armand, sag' mir nur wie?«

»Du kannst mir schreiben wohin Ihr Euch gewandt, und ich folge Dir dann in wenigen Tagen nach.«

»Ich fürchte, ich fürchte,« stöhnte die arme Frau, »daß er beabsichtigt, mich weit hinweg zu führen. Irgend ein Vergehen muß ihn drücken – irgend etwas muß in der letzten Zeit geschehen sein, wovon ich keine Ahnung habe, denn verschiedene Anzeigen sprechen dafür. Nicht umsonst trägt er seinen Bart jetzt so, daß er ein ganz anderes Aussehen gewonnen hat. Dann fährt er oft, mitten in der Nacht, von schweren Träumen geschreckt, empor. Auch ein Revolver liegt fortwährend über seinem Kopfkissen, geladen im Bett, als ob er fürchte überfallen zu werden. Irgend etwas ist jedenfalls geschehen und er hat auch seitdem nirgends Ruhe mehr. Kaum sind wir acht Tage in einem Ort, so treibt es ihn wieder hinweg und in der letzten Zeit sprach er sogar manchmal von England und Amerika. Wenn er mich dort hinüber führt, bleibt mir ja Nichts übrig, als meinem elenden Leben in den Wellen ein Ende zu machen.«

»Clemence,« bat sie Armand.

»Wahrlich Armand, ich thäte es,« rief die junge leidenschaftliche Frau – »aber noch ist es nicht nöthig – noch bleibt mir ein Ausweg, wenn ich mich fest auf Dich verlassen kann.«

»Und zweifelst Du daran, Clemence?«

»Nein – dann bestimme mir nur einen Ort, wo ich Dich erwarten kann und ich reise morgen früh allein dahin ab. Ich gehe ja jeden Morgen, wie Kuno glaubt, zum Brunnentrinken. Die Bahn führt mich rasch fort von hier und dann –«

»Aber auf wen anders fiele dann sein Verdacht, als auf mich?« rief Armand, »und er würde mich nicht mehr aus den Augen lassen. Wie kannst Du auch allein reisen – es geht nicht.«

»Glaubst Du, daß ich mich fürchte?«

»Nein, aber die Spur einer einzelnen Dame, die überall auffällt, ist leicht verfolgt und wie gesagt, er hat hier so viele Späher, daß er mich augenblicklich würde beobachten lassen, und folgte ich Dir dann, so wäre unsere Flucht verrathen. Hast Du denn Niemanden hier, den Du genauer kennst – dem Du Dich anvertrauen könntest, um Reuhenfels wenigstens auf eine falsche Spur zu bringen? – Wir müssen sicher gehen oder Alles ist verloren!«

»Ich habe Niemanden,« sagte Clemence eintönig, »Niemanden, als jene frechen Spielgenossen Kuno's, die wohl zu einem Abenteuer geneigt wären, aber niemals einer armen unglücklichen Frau Schutz verleihen würden. Du kennst sie ja selber.«

»So will ich sehen, daß ich Jemanden finde,« sagte Armand nach einer kurzen Pause – »es muß sein – es muß, denn ich selber ertrüge dieses Leben nicht, wenn ich Dich in der Gewalt jenes Elenden länger wissen sollte.«

»Aber die Zeit drängt – denke Dir Armand, daß es vielleicht schon morgen zu spät ist.«

»Wo kann ich Dich heute Abend noch einen Augenblick sprechen?«

»An der zweiten Urne, wo wir uns im vorigen Jahr zum ersten Mal trafen,« sagte Clemence nach kurzem Bedenken – »wenn Kuno heute Abend in das Kurhaus geht, werde ich unter irgend einem Vorwand zurückbleiben. Es wird ihm nicht auffallen, denn ich habe es schon öfters gethan, weil mir der zu lange Aufenthalt unter den Gasflammen häufig Kopfschmerzen macht. Ich folge ihm dann gewöhnlich um acht Uhr – Du aber darfst im Saale nicht fehlen – halb acht Uhr nur suche einen Augenblick abzukommen; pünktlich zu der Zeit bin ich an der Urne, und werde auch heute Abend noch Alles packen, um jeden Augenblick bereit zu sein.«

»Ich danke es Dir mein ganzes Leben, Clemence,« sagte Armand herzlich – »doch noch eine Frage. Hast Du lange Nichts von Deinem Vater gehört? Zu ihm müssen wir, damit er das Band, das Dich an den rohen Burschen knüpft, wieder löse. Du sagtest mir ja selber, daß er mit Reuhenfels gebrochen habe.«

»Ja, sie haben sich, so eng sie früher auch befreundet schienen, veruneinigt. Was da vorgefallen ist, weiß ich nicht, aber harte Worte fielen zwischen Beiden, und ich durfte, als wir fortreisten, nicht einmal von dem Vater Abschied nehmen. Neuerdings schien sich wieder ein Verständniß anzubahnen. Wir waren bei ihm in Paris und Reuhenfels verkehrte viel geheim mit ihm, bis mein Vater eines Tages, ohne mir selber vorher ein Wort davon zu sagen, eine Reise machte. Er sandte mir nur durch Reuhenfels Botschaft, daß er vielleicht acht oder vierzehn Tage könne ferngehalten werden, und da mein Mann nicht so lange warten wollte, fuhren wir an den Rhein in die Bäder – zuerst nach Ems, dann nach Baden-Baden, jetzt hierher.«

»Aber Dein Vater ist jetzt doch jedenfalls wieder in Paris?«

»Ich weiß es nicht – ich habe seit der Zeit keine Nachricht bekommen, obgleich ich selber dreimal an ihn schrieb. Wir wechselten aber den Aufenthaltsort zu rasch, und ein Brief kann recht gut verloren gegangen sein. Ha! dort kommen Leute – verlaß mich jetzt Armand, wir dürfen nicht zusammen gesehen werden.«

»Also heute Abend halb acht Uhr.«

»An der zweiten Urne – oh, wenn der morgende Tag nur erst vorüber wäre,« seufzte sie.

Armand hatte sie an sich gezogen und drückte einen Kuß auf ihre bleiche Wange, aber sie entwand sich ihm rasch und eilte den Pfad entlang, während Armand in die nächsten Büsche glitt, und von dort ab einen andern Weg erreichte, auf dem er allein in die Stadt zurückkehren konnte.

In derselben Zeit, oder etwas später, suchte Trautenau das Hôtel Kompelt auf. Er konnte ja dort eine Tasse Caffee trinken und die Zeitung lesen, dabei gab es dann vielleicht eine Gelegenheit, um mit einem der Kellner ein Gespräch anzuknüpfen. Waren doch die untern Räume des Hôtels um diese Tageszeit fast immer menschenleer.

Der Oberkellner, der am Fenster stand und mit Nichts in Gottes Welt zu thun, hinaus auf die Straße sah, ging auch willig auf eine Unterhaltung mit dem einzelnen Gast ein. Irgend etwas, um die Zeit todt zu schlagen, schien ihm selber erwünscht. Trautenau steuerte indessen nicht direct auf sein Ziel los, sondern erkundigte sich erst nach der Saison im Allgemeinen, frug dann ob das Hôtel voll besetzt wäre, und blätterte in der Kurliste die Namen der dafür verzeichneten Gäste auf.

»Ah, zu Berg,« sagte er plötzlich – »die Familie ist mir bekannt, ich möchte wohl wissen, welcher Zweig derselben es ist. Können Sie mir darüber Auskunft geben, Herr Oberkellner?«

»Ein Herr und eine Dame« sagte dieser, »mit Kammerfrau – einer ganz allerliebsten kleinen Französin – zum Anbeißen sage ich Ihnen.«

»Noch jung?«

»Kaum achtzehn Jahr höchstens.«

»Nein, ich meine das Ehepaar.«

»Ach so, ich dachte, Sie frügen nach der Kammerfrau. Nun der Herr mag etwa in den vierzigern sein. Die Dame – auch eine sehr schöne, vornehm aussehende Frau, kann höchstens zweiundzwanzig sein. – Aber eine unglückliche Ehe.«

»Wirklich?«

»Ewig Streit und Skandal, wenn sie zu Hause sind. Der Herr Gemahl scheint etwas eifersüchtiger Natur, und hat auch vielleicht Ursache. Lieber Gott, in Badeorten fällt ja so Manches vor, und man darf sich eigentlich gar nicht darum bekümmern.«

Der Kellner wurde abgerufen und Trautenau blieb in tiefes Nachdenken versenkt, allein zurück. Still nickte er dabei vor sich hin mit dem Kopf – waren ihm doch nur eben seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt worden – Arme Clemence! Wie Recht hatte er gehabt, als er sie vor dem Menschen warnte, aber sie wollte ja nicht hören, und jetzt war sie vielleicht unglücklich für ihr ganzes Leben lang. Aber was konnte er dabei thun? Ihm stand kein Recht zu, sich in die Familienangelegenheiten ihm völlig fremder Menschen zu mischen. Daß er sie geliebt – daß er sie noch liebte? wie kam das in Betracht. Er stand auf – was sollte er auch länger hier in Wiesbaden, wo ihn nur der Schmerz, die Theilnahme um die Verlorene jede Stunde verbittert hätte. Er wollte noch an dem Mittag fort. Es war das Beste was er thun konnte.

Mit diesem Entschluß nahm er seinen Hut, und trat in die Thür, als er heftige Stimmen auf dem Vorsaal hörte. Es war ein Herr und eine Dame, die sich auf eine sehr lebhafte Art in französischer Sprache mit einander unterhielten, und er verstand eben nur noch die letzten Worte der Dame, die deutlich sagte:

»Du bist wie ein Thier, und ich schwöre es Dir zu, daß ich von diesem Augenblick an –« Sie schwieg plötzlich, denn sie gewahrte den Fremden. – Es war Clemence und zwar mit zornesbleichem Gesicht, das aber rasch Farbe bekam, als ihr Blick auf den, im Moment erkannten jungen Maler fiel.

Ernst konnte nicht gut umkehren, und obgleich er es lieber vermieden hätte, Clemence zu begegnen, blieb ihm doch jetzt keine andere Wahl, als eben gerade aus, und an den beiden Gatten vorüber zu gehen. Er mußte sogar grüßen, denn der jungen Frau Blick haftete starr, ja fast wie ersteckt auf ihm. Er zog den Hut. Auch der Major schien ihn wieder erkannt zu haben, wenn er sich auch vielleicht nicht gleich genau auf ihn besinnen mochte. Nur unwillkürlich griff er ebenfalls nach seinem Hut, sah sich noch einmal nach ihm um und sprang dann rasch die Stufen der Treppe hinauf, der Dame voran.

Clemence folgte ihm, aber auch sie warf noch einmal den Blick nach ihm zurück. Sie stieg auch die Stufen langsam hinauf und Trautenau sah, daß sie dabei den einen Handschuh auszog. Jetzt blieb sie stehen und wieder drehte sie den Kopf, und als sie fand, daß Trautenau's Blick noch immer, wie gebannt, an ihr haftete, bemerkte der junge Maler, daß etwas Weißes, an ihrem Kleid nieder, auf die Stufen fiel, wo es liegen blieb. Aber sie bückte sich nicht danach, und folgte jetzt, rascher als vorher dem Gatten.

Was war das? – ein Zeichen für ihn? Trautenau konnte es sich nicht erklären, denn schien es denkbar, daß Clemence Joulard ihm ein solches hinterlassen würde? Aber er wußte wenigstens daß dort etwas liegen geblieben war. Vielleicht hatte sie irgend etwas nur zufällig verloren, und er konnte es ihr dann durch den Kellner hinauf schicken.

Der Major wie Clemence waren schon oben im Gang verschwunden, und mit wenigen Sätzen sprang Ernst die Stufen hinauf und fand dort einen weißen, noch warmen Handschuh – mit einer Visitenkarte darin, auf welcher, in kaum lesbar feiner Schrift der Name Clemence zu Berg née de Joulard stand. Aber sonderbar – die Karte war oben am Rand sechsmal eingerissen.

Unten trat der Kellner in die Thür, Ernst barg seine Beute rasch in der Hand und wollte das Hôtel verlassen, denn zuerst mußte er mit Frank sprechen, wie er hier zu handeln habe, das Alles war so rasch gekommen, daß er kaum einen Gedanken fassen konnte.

»Das waren sie,« flüsterte der Kellner, als er an ihm vorüberschritt, indem er mit dem Daumen über seine Schulter zeigte. »Famose Person, heh?« Damit blinzelte er den jungen Fremden verschmitzt an, drückte sich seine Serviette unter den Arm und verschwand damit in der Küche.

Ernst schritt rasch der eigenen Wohnung zu, aber er begegnete dem Freund schon unterwegs, der eben seine Briefe zur Post gegeben hatte. Er nahm auch ohne Weiteres seinen Arm, und erzählte ihm, während er mit ihm die Straße hinabschritt, das Begebniß der letzten Stunde sowohl, wie das, was er von dem Kellner über die beiden Gatten gehört.

»Hm, zeig' mir einmal die Karte. Clemence de Joulard – eine kleine Eitelkeit – und sechs Risse darin.«

»Sie können zufällig hinein gekommen sein.«

»Sie können, ja – aber ich glaube es nicht. Frau von Reuhenfels sieht mir nicht so aus, als ob sie etwas zufällig thut.«

»Aber was können sie bedeuten?«

»Wenn irgend etwas, natürlich nur eine Zahl – also sechs, und das kann wieder nur sechs Uhr sein. Sie wünscht ein Rendezvous mit Dir.«

»Das ist nicht denkbar.«

»Bah, was ist bei einer jungen, intriguanten Frau nicht denkbar, noch dazu wenn sie einen Tyrannen zum Gemahl hat.«

»Die wenigen Jahre können sie nicht so verdorben haben, oder ihr Mann müßte mehr als ein Teufel sein.«

»Erstlich hast Du sie früher gar nicht so genau gekannt, und nur par distance angebetet, und dann weiß man auch in der That nicht, was Alles in der Zeit kann vorgefallen sein.«

»Vielleicht verlangt sie in irgend etwas meine Hülfe.«

»Höre Ernst, wenn Du meinem Rath folgst, so gehst Du der Dame entschieden aus dem Weg. Wir wissen jetzt, was wir von dem Paare wissen wollten, und wahrscheinlich auch Alles, was wir überhaupt erfahren werden. Hat sie Streitigkeit, oder lebt sie in Unfrieden mit ihrem Gatten, so kann und darf sich da natürlich kein Fremder hineinmischen – ich wenigstens möchte dafür danken. Und dann, was könntest Du ihr auch helfen? Also folge mir, alter Freund. Heute Nachmittag halb drei oder drei Uhr – ich weiß es nicht genau, gehen fast zu gleicher Zeit die beiden entgegengesetzten Züge nach Frankfurt und nach Köln ab. Ich werde jedenfalls den einen benutzen, setze Du Dich in den anderen, und laß die gnädige Frau nur ruhig allein ausessen, was sie sich dazumal eingebrockt.«

»Meine arme Clemence.«

»Werde nicht langweilig oder gar sentimental,« sagte Frank, »denn Du hast gar keine Ahnung davon, in welche höchst unangenehmen Verwickelungen Dich ein solcher Wahnsinn bringen könnte.«

»Und Du willst wirklich heute Mittag fort?«

»Ich muß jetzt. Ich habe meine Ankunft in M– fest auf übermorgen angezeigt und reichlich noch einen halben Tag, vielleicht sogar mehr, in Frankfurt zu thun. Ich kann nicht länger bleiben.«

Ernst schritt eine ganze Weile in tiefem Nachdenken neben dem Freund her. Er war unschlüssig, was er thun, wie er handeln solle. Seine Vernunft sagte ihm wohl, daß Frank vollkommen Recht habe, aber sein Herz drängte ihn doch immer wieder, der zu dienen, die lange Jahre hindurch nicht allein sein Ideal von Schönheit, sondern auch aller weiblichen Tugenden gewesen war. Er konnte sich den Glauben an sie wenigstens nicht so rasch erschüttern lassen.

»Und gehst Du heute mit dem Mittagszug nach Köln?«

»Ich weiß es nicht,« erwiederte Ernst zerstreut. »Ich weiß es wahrhaftig noch nicht, Frank.«

»Du irrst Dich, wenn Du glaubst, der Dame durch Dein Bleiben einen Gefallen zu erzeigen.«

»Ich werde ihr wahrscheinlich gar nicht wieder begegnen. Nur aus der Ferne möchte ich sie noch einen Tag beobachten. Ihr Benehmen dann soll nachher maßgebend für mich sein.«

»Ich will Dir etwas sagen, mein Junge,« bemerkte da Frank, »es ist ein ganz altes, ehrwürdiges Sprüchwort: Wer nicht hören will muß fühlen, und Du scheinst mir auf dem besten Weg dazu. Komm,« setzte er herzlich hinzu, »mach' den kleinen Umweg über Frankfurt und gehe mit mir. Ich gebe Dir mein Wort, ich lasse Dich hier nur mit recht schwerem Herzen zurück, und wollte zu Gott, wir hätten dies verdammte Wiesbaden im Leben nicht gesehen.«

»Ich bin ja doch kein Kind, Frank, daß ich tolle Streiche machen würde. Du darfst mir mehr zutrauen.« Frank seufzte, aber es ließ sich eben an der Sache nichts mehr ändern, Ernst mußte in der That wissen, was er selber zu thun hatte, und Beide schritten jetzt zu ihrer Wohnung zurück, um wenigstens die letzten Stunden noch zusammen zu verbringen. Frank redete dem Freund allerdings selbst noch auf dem kurzen Weg nach dem Bahnhof ernstlich zu, wenigstens das Haus des Herrn von Reuhenfels zu vermeiden und sich auf neutralem Boden zu halten. Ernst war aber recht einsylbig geworden, denn die bezeichnete Visitenkarte ging ihm im Kopf herum. Wenn Clemence nun wirklich nach ihm verlangte? – Wohl mußte er sich dabei sagen, daß er ihr gar Nichts helfen oder nützen könne – er wollte ja auch nur Gewißheit darüber haben, daß sie sich nicht unglücklich fühle – daß seine Befürchtungen ungegründet seien, und dann wieder kam das Bild der Frau dazwischen, wie er sie gestern Abend am Spieltisch gesehen, und wenn er sie dann dachte, wie er sie früher gekannt und geliebt hatte! Am Ende war es das Beste, er folgte Frank's Rath. Hätte er nur seine Sachen bei sich gehabt, er würde ihn selbst jetzt begleitet haben, aber dazu hatte er keine Zeit mehr.

»Hab' keine Angst um mich, Frank,« flüsterte er ihm aber noch in das Coupé hinein, »ich werde gewiß vernünftig handeln. Ich sehe ein, daß die jetzige Wirklichkeit nicht mehr mit meinem Ideal zusammenpaßt, ich werde mir eine noch bitterere Täuschung ersparen, und die Dame nicht besuchen, sondern den Handschuh einfach unten im Hotel abgeben.«

»Und versprichst Du mir das wirklich?«

»Hier hast Du meine Hand darauf.«

»Jetzt bin ich zufrieden und dann thu' mir nur noch die Liebe und mach' daß Du so rasch als möglich nach Köln hinunter kommst.«

Die Locomotive gab ihren schrillen Pfiff, der Zug that den ersten Ruck – Ernst reichte dem Freund noch einmal rasch seine Hand, dann zog sich die lange Kastenreihe am Perron hin, immer rascher rollten die Räder, und wenige Minuten später zeigte nur noch in weiter Ferne eine dichte weiße Dampfwolke, welche Richtung der davonbrausende Zug genommen.

Ernst schritt langsam nach der Stadt zurück, aber es litt ihn jetzt nicht zwischen den Häuserreihen. Er wollte hinaus in's Grüne, um dort noch ein paar Stunden zu verbringen. Diesen Abend spät ging noch ein Zug nach Bieberich, den konnte er benutzen, dann blieb er dort die Nacht im Rheinischen Hof, und fuhr am nächsten Morgen mit dem ersten oder zweiten Boot den schönen Strom hinab.

Allerdings dachte er wohl daran, gleich im Vorbeigehen den gefundenen Handschuh im Hotel abzugeben, und nur die Karte zum Andenken zu behalten, aber das hatte ja auch noch Zeit. Er mochte es sich freilich selber nicht eingestehen, doch zögerte er damit bis zur sechsten Stunde. Er war dabei fest entschlossen, Clemence nicht aufzusuchen, er hatte es ja auch dem Freunde versprochen, aber – er wollte doch einmal sehen, ob die sechsmal eingerissene Karte wirklich eine Bedeutung gehabt, oder nur durch einen harmlosen – wenn freilich wunderlichen Zufall, ihm in die Hand gespielt sei.

Es mußte und konnte ja auch nur ein Zufall gewesen sein. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr fühlte er sich davon überzeugt. Ein Zeichen? – Wie wäre die Frau nur im Stand gewesen so rasch einen Entschluß zu fassen, oder gar gleich danach zu handeln, denn das Ganze, von dem Augenblick an wo sie ihn erkannte, bis zu dem Moment wo der Handschuh auf die Treppe fiel, konnte kaum zwei Minuten Zeit in Anspruch genommen haben. Nein, so durchtrieben war Clemence nicht, und wäre er jetzt selber zu ihr gegangen, um ihr den Handschuh zurückzubringen, sie würde jedenfalls über ihn gelacht, oder sich auch vielleicht gar beleidigt gefühlt haben, daß er sie, einer solchen Kleinigkeit wegen, belästige; dem durfte er sich nicht aussetzen. Hätte er Frank auch das Versprechen nicht gegeben, war er doch jetzt fest entschlossen, die Rückgabe des Handschuhs durch einen Kellner zu erledigen.

Sonderbar nur, daß er sich auf dem ganzen Spaziergang immer und ausschließlich mit Clemence beschäftigte. Er passirte einige Punkte von denen man eine reizende Aussicht über die Stadt und das Thal hatte, aber er bemerkte sie gar nicht. Sein Auge blieb allein auf den Weg geheftet, und fast, ohne sich der Richtung die er nahm, klar bewußt zu sein, lenkte er doch immer wieder in einem größeren Bogen zu der Stadt zurück, um eben die sechste Stunde im Hotel nicht zu versäumen.

Achtes Kapitel.
Das Wiedersehen.

Er erreichte den Platz, an welchem das Hotel lag, wirklich pünktlich. Die Uhren schlugen gerade an, als er schräg über denselben hin, dem Hause zuschritt. Er beobachtete auch genau dabei die Fenster, ob er vielleicht irgend eine weibliche Gestalt an einem derselben entdecken könne – aber vergebens. Es zeigte sich Niemand und nur in der ersten Etage waren in einer Stube die Gardinen herunter gelassen, so daß er von unten natürlich nicht bemerken konnte, ob irgend Jemand dahinter stand. Doch was kümmerte das auch ihn – Frank hatte sein Wort, und er wollte nicht einmal im Hause nachfragen, in welcher Etage die Herrschaft wohne, um den gefundenen Handschuh abzugeben, – weiter Nichts, und das war ja in wenigen Secunden geschehen. Dann ginge er nach Hause, packte seinen Koffer und verließ Wiesbaden auf Nimmerwiedersehen.

Wie er das Hôtel betrat, kam ein junges Mädchen die Treppe herunter, das in großer Eile zu sein schien. Ernst beachtete sie aber nicht. Er trug den leichten Handschuh zwischen den Fingern und wollte sich eben damit rechts gegen den Speisesaal wenden, als ihm das Mädchen den Weg dorthin abschnitt, oder vielmehr direct auf ihn zukam und freundlich mit etwas fremdartigem Dialect sagte:

»Haben Sie vielleicht den Handschuh, den Sie da tragen, hier im Haus gefunden, mein Herr?«

»Allerdings, mein Fräulein,« erwiederte Ernst, »ich war auch eben im Begriff ihn wieder abzuliefern. Kennen Sie ihn?«

»Ja gewiß,« antwortete das junge Mädchen, das ihn nahm und betrachtete, »er gehört meiner gnädigen Frau.«

»Dann bitte empfehlen Sie mich der Dame, und sagen Sie ihr, daß ich mich –«

»Aber wollen Sie ihn nicht selber hinauftragen? No. 5. in der ersten Etage. Sie brauchen nur anzuklopfen.«

»Ich darf nicht wagen die Dame, einer solchen Kleinigkeit wegen zu stören,« meinte Ernst und wollte sich abwenden.

»Aber sie hat mich ja selber heruntergeschickt,« erwiderte fast ärgerlich die junge und wie es schien ziemlich gewandte Person. »Wenn ich Ihnen sage, daß sie sich freuen wird Sie zu sehen, so können Sie doch getrost hinauf gehen. Sie sind ein echter Deutscher, Monsieur. Einer von meinen Landsleuten wäre schon lange die Treppe hinauf.«

Ernst war blutroth geworden, denn jetzt blieb ja kein Zweifel mehr, daß die Einrisse in der Karte ein absichtliches Zeichen gewesen. Aber konnte er eine directe Einladung ausschlagen? Er hatte Frank freilich sein Wort gegeben, Clemence nicht wieder aufzusuchen, aber that er denn das jetzt? nein, die Dame selber ließ ihn durch ihr Kammermädchen bitten, den Handschuh zu ihr hinauf zu bringen, und es wäre ungezogen gewesen, dem nicht Folge zu leisten. –

»No. 5?« fragte er.

»Ja! gleich links im Gang über der ersten Treppe – die dritte Thür. Sie können gar nicht fehlen.«

Er war mit wenigen Sätzen hinauf, und vor dem bezeichneten Zimmer. – Wie ihm das Herz schlug. Kaum aber hatte er angeklopft, als auch schon ein nicht lautes, aber deutliches »Herein« ertönte, und wie er die Thür öffnete, stand Clemence mitten im Zimmer, und streckte ihm zum Gruß die Hand entgegen.

»Das ist sehr lieb von Ihnen,« sagte sie freundlich, »daß Sie alte Freunde nicht vergessen haben.«

»Gnädige Frau,« stammelte Ernst verlegen, denn er wußte sich die Anrede nicht zu erklären, da er im Joulard'schen Hause wenigstens nie wie ein Freund, sondern immer nur wie ein fremder Künstler behandelt worden. Er nahm aber die dargereichte Hand, zog sie ehrfurchtsvoll an die Lippen und sagte dann befangen: »vor allen Dingen erlauben Sie mir Ihnen Ihr Eigenthum zurückzuerstatten, das ich heute Morgen hier im Haus zufällig fand. Ich hätte auch nicht gewagt selber –«

Clemence winkte ihm mit der Hand.

»Herr Trautenau,« sagte sie ernst, aber mit tiefem Gefühl – »lassen Sie alle Entschuldigungen; uns bleibt keine Zeit dazu, denn selbst die Minuten sind mir zugemessen. Nur mit zwei Worten will und muß ich auf eine frühere – glückliche Zeit zurückkommen – ich war Ihnen früher nicht gleichgültig.«

»Clemence!« rief Trautenau bewegt.

»Sagen Sie Nichts darüber,« wehrte Clemence ab – »ich fühlte es, aber es war zu spät und mein Schicksal schon besiegelt. Ich mußte Sie streng in die Grenzen kalter Gleichgültigkeit zurückweisen – mich selber darin halten. Aber ich habe es Ihnen nicht vergessen, daß Sie damals der einzige Freund waren, der es wagte mich zu warnen, – wenn ich auch der Warnung nicht mehr folgen konnte.«

»Ach wären Sie ihr gefolgt,« seufzte Trautenau.

»Wär' ich –« flüsterte leise Clemence, »doch jetzt ist es zu spät,« fuhr sie lebendiger fort, – »zu spät wenigstens, um das Geschehene wieder gut zu machen, wenn auch nicht zu spät um weiterem Unheil – um dem Schlimmsten vorzubeugen, und Sie sind der einzige Freund, den ich hier habe. Wollen Sie mir helfen?«

»Oh wenn es in meinen Kräften steht, wie gern,« rief der junge Mann, der in dem Augenblick Frank's sämmtliche Warnungen und Ermahnungen vergessen hatte. »Sagen Sie mir nur wie – was ich thun soll.«

»Reuhenfels, mein Gemahl, der mich wie eine Sclavin behandelt,« fuhr Clemence fort, »hat die Absicht mich nach England und von da nach Amerika zu schleppen. Dort wäre ich ganz verloren und in seinen Händen, denn ich habe da keinen Freund mehr, der mich selbst vor seinen rohen Mißhandlungen schützen könnte.«

»Aber er wagt es doch nicht?« rief Ernst entsetzt.

»Er hat es gewagt,« sagte Clemence düster, »und nur eine Rettung giebt es für mich – Flucht!«

»Aber wohin? – zu wem?« rief Trautenau erschreckt, denn in dem Augenblick wäre er in der größten Verlegenheit gewesen, wenn er hätte sagen sollen wohin er selbst die Geliebte entführen könnte, obgleich ihm schon der Gedanke das Herz mit Seligkeit füllte.

»Sorgen Sie sich nicht,« beruhigte sie ihn aber – »ich habe Mittel genug zu unserer Flucht und auch ein Ziel – ich will zu meinem Vater zurück, der in Paris wohnt. Er allein kann und wird mich schützen, aber ich darf nicht allein in die Welt hinaus – ein armes schwaches Weib; ich brauche die Stütze eines starken Armes, und wenn Sie je der armen Clemence nur ein klein wenig gut gewesen sind,« setzte sie weich hinzu »oh so helfen Sie ihr zur Rettung aus diesem furchtbaren Elend –«

»Sagen Sie mir was ich thun soll,« rief der junge Maler, seiner Sinne kaum mehr mächtig bei den verführerischen Tönen, »was es auch ist – ich stehe Ihnen mit Leib und Seele zu Diensten.«

»Ich wußte es,« erwiederte Clemence, indem sie seine Hand wieder ergriff und ihn mit einer Thräne im Auge ansah, »und Dank – tausend Dank dafür, lieber, theurer Freund. Aber nun auch rasch zur That,« setzte sie lebendiger hinzu – »denn alles Weitere besprechen wir unterwegs. Sind Sie zur Abreise gerüstet?«

»Jeden Augenblick.«

»Gut – heute Abend ist es nicht mehr möglich. Ich muß jetzt in das Kurhaus oder Reuhenfels würde mich vermissen und augenblicklich nach mir suchen. – Morgen früh um sechs Uhr geht ein Zug nach Bieberich ab – Reuhenfels steht nie vor sieben Uhr auf und weiß mich dann jedesmal beim Brunnentrinken. Er wird vor acht Uhr, wo ich gewöhnlich zum Frühstück zurück bin, keinen Verdacht schöpfen.«

»Und wohin wenden wir uns von Bieberich?«

»Das bespreche ich mit Ihnen morgen unterwegs – jetzt fort, daß um Gotteswillen Niemand Verdacht schöpft oder Alles ist verloren. Sie begleiten mich nur bis zur französischen Grenze, oder wenn Sie sich mir soweit opfern wollen, bis nach Paris in die Arme meines Vaters. – Und noch eins – besuchen Sie heute Abend das Kurhaus nicht – mein Mann hat Sie erkannt. – Nicht gleich als wir Ihnen begegneten, wenn ihm auch Ihr Gesicht bekannt vorkam, aber er besann sich oben im Zimmer darauf, und er schwur, daß er Sie das Bild wollte entgelten lassen.«

»Er weiß jetzt, wer es sein soll?« lächelte Trautenau.

»Mehr als das,« erwiderte Clemence, »er behauptete sogar, daß Sie nur in eifersüchtigem Neid eine solche unwürdige Rache an ihm genommen, und bedauerte, die Bosheit nicht früher entdeckt zu haben, um Sie dafür zur Rechenschaft zu ziehen.«

»Bah, was kann er thun?«

»Er hat Sie heute schon im Kurhaus gesucht und wollte sogar nach Ihrer Wohnung gehen, nach der er sich auf der Polizei erkundigte – aber glücklicher Weise kam etwas dazwischen und seine Spielzeit versäumt er nie. Morgen früh würde er aber jedenfalls hartnäckig die Verfolgung wieder aufnehmen, und er ist furchtbar in seiner Rache.«

»Ich fürchte ihn nicht, Clemence,« sagte Trautenau ruhig, »und wenn es nicht Ihretwegen wäre, möchte ich ihn wirklich lieber erwarten.«

»Und mich wollten Sie dadurch elend machen und zu Grunde richten?«

»Nein, Clemence – nein!« rief Trautenau rasch, »Sie haben mein Wort, und beim ewigen Gott, ich halte treu zu Ihnen, so lange Sie meiner bedürfen.«

»Sie sind ein edler, braver Mann,« sagte das junge schöne Weib gerührt und weich, – »ich vertraue Ihnen ganz – Sie werden mich nicht verlassen. Aber nun auch fort – ich habe schon zu lange gezögert, denn wenn Reuhenfels nur im Geringsten mißtrauisch werden sollte, ist jede Hoffnung verloren. Gehen Sie, lieber Freund, gehen Sie und halten Sie morgen früh, ehe der Zug abgeht, drei Billette nach Bieberich bereit – ich nehme meine Kammerfrau mit mir. Lassen Sie uns bis dort erster Classe fahren, wir sind darin weniger der Gefahr ausgesetzt, Gesellschaft zu finden.«

Nochmals reichte sie ihm die Hand zum Abschied, die er rasch an seine Lippen drückte – dann drängte sie ihn selber freundlich der Thür zu und Ernst fühlte, als er das Hôtel verließ, kaum den Boden unter seinen Füßen.

In seiner Wohnung angekommen, machte aber doch dies erste Gefühl der Aufregung und des Entzückens einem etwas ruhigeren Ueberlegen Platz, und er konnte sich nicht gut verhehlen, daß er im Begriff sei, einen nicht allein außergewöhnlichen, sondern auch ziemlich tollen Streich zu begehen. Er wollte eine Frau ihrem eigenen Manne entführen, und wenn er auch Muth genug besaß, die Rache des Betrogenen nicht zu fürchten, so konnte er doch auch nicht gut umhin, die möglichen Folgen eines solchen Schrittes zu überdenken.

Daß er Clemence noch immer mit derselben Gluth als früher liebe, das fühlte er jetzt klar und deutlich. Er glaubte jene Leidenschaft in den letzten Jahren bekämpft zu haben, aber sie hatte nur geschlummert, und heute, wie er dem holden Wesen auf's Neue gegenüber stand und ihre Blicke so lieb und gut auf ihm hafteten, wie sie es nie gethan, loderte die alte Leidenschaft frisch und gewaltig auf's Neue in seinem Herzen empor. – Aber sie war nicht mehr frei – sie war vermählt, und ließ es sich denken, daß der Major, durch die Flucht der Gattin auf das Schwerste gekränkt und beleidigt, je selber und freiwillig das Band lösen würde, das sie an ihn fesselte – und was dann?

Daß er sich selber einen Hausstand gründen und eine Frau ernähren könne, wußte er; daß er an Clemence's Seite den Himmel auf Erden finden würde, davon fühlte er sich fest und innig überzeugt, und wenn sie auch in Glanz erzogen und dabei verwöhnt sein mochte, die Liebe zu ihm würde sie alles leicht überwinden lassen. – Und Clemences Vater? – Nur der Gedanke an diesen blieb ihm peinlich, denn sein Bankerott damals war, nach Allem, was er darüber von vorurtheilsfreien Männern gehört, eine zu offenkundige und freche Schwindelei gewesen, um sich darüber auch nur noch im Entferntesten einer Täuschung hinzugeben, und mit dem sollte er jetzt in nähere Verwandschaft treten? – Aber was konnte Clemence dafür? Trug sie die Schuld des Verbrechens? wahrlich nicht, und von dem gestohlenen Gelde wollte und brauchte er Nichts, wenn er die Kraft in sich fühlte, frei und unabhängig von irgend Jemandem sich seinen Lebensunterhalt auch selber zu erwerben.

Aber was zerbrach er sich jetzt über alle diese Dinge den Kopf, wo es ja vor Allem galt, die Geliebte aus den Händen eines rohen und tyrannischen Gatten zu befreien. Alles Andere fand sich später von selber. Lieber Gott, er wollte sie ja nur glücklich wissen, und wenn er dann auch noch Jahrelang auf ihren Besitz harren, oder wenn es nicht anders möglich war, selbst die Heimath verlassen mußte, um in einem fernen Welttheil das Glück zu suchen, das ihm hier starre Formen und Gesetze verweigerten.

Während er sich so in Gedanken um das Wohl der Geliebten absorgte, schritt Clemence zu dem Kurhaus hinüber, aber nicht auf dem direkten Weg, sondern auf einer etwas weiteren Bahn. Sie war, von ihrer Kammerfrau begleitet, in voller Toilette, aber sie schien eilig, denn es dunkelte schon, und sie hatte nicht viel Zeit mehr zu versäumen. Eben schlugen drinnen in der Stadt die Uhren die für das Rendezvous bestimmte Stunde.

Armand war eben so pünktlich gewesen als sie. Um jedoch auf der noch immer sehr belebten Promenade keinen Verdacht zu erregen, grüßte er sehr förmlich und achtungsvoll, und schritt dann, während sich die Kammerfrau tactvoll einige Schritte zurückzog, neben ihr her.

»Glückliche Nachricht,« flüsterte er ihr, wie das unbeachtet geschehen konnte, zu, »eben habe ich einen Brief bekommen, daß übermorgen, vielleicht schon morgen Abend mein Schwager eintrifft, und nun, da die Zwischenzeit so kurz ist, haben wir auch keine Gefahr weiter zu fürchten. Benutze jetzt die erste Gelegenheit, Geliebte, und erwarte mich dann in St. Goarshausen im goldenen Roß. Hinterlaß' für Reuhenfels aber einen Brief, worin Du ihn auf eine falsche Fährte schickst, und überlaß mir das Weitere. Natürlich folgt er Dir augenblicklich, aber er muß durch die Nachforschungen, die er genöthigt ist anzustellen, aufgehalten werden und ich bin dann vielleicht schon den nächsten Tag bei Dir. Nie im Leben wird er auch daran denken, in einem so kleinen abgelegenen Nest nach Dir zu suchen und es bleibt uns dort Zeit und Muße genug, unsere weiteren Pläne zu besprechen.«

»Ich habe einen Begleiter gefunden,« sagte Clemence rasch.

»Wen?« frug der junge Mann erstaunt.

»Einen alten Bekannten aus M–, einen braven jungen Künstler, der früher einmal für mich geschwärmt hat,« fuhr sie lächelnd fort. »Er ist treu und ehrlich und fühlt sich glücklich mir einen Dienst erweisen zu können.«

»Aber es ist jetzt kaum mehr nöthig,« meinte Armand, dem der Gedanke, einen früheren Anbeter mit seiner Geliebten reisen zu lassen, vielleicht nicht so ganz angenehm war.

»Aber auch unmöglich, es jetzt noch zu ändern,« erwiderte sie. »Er erwartet mich morgen früh um sechs Uhr am Bahnhof.«

»So früh willst Du fort?«

»Es ist die höchste Zeit, denn Reuhenfels hat mich heute Nachmittag aufgefordert, meine Koffer zu packen und jeden Augenblick zur Abreise bereit zu sein.«

»Dann kann es freilich Nichts mehr helfen. Dein Begleiter ist ein Deutscher?«

»Gewiß!«

»Und heißt?«

»Trautenau – ein Maler.«

»Derselbe, der Dein Bild gemalt, mit dem Major als Teufel auf dem Ofenschirm.«

»Derselbe.«

»Gut!« rief Armand lachend. »Wenn man das nur Deinem Gatten beibringen könnte –«

»Ich werde es ihm in dem Brief, den ich ihm zurücklasse, schreiben. Er hat Trautenau gestern selber gesehen und war schon früher eifersüchtig auf ihn.«

»Desto besser, dann folgt er jedenfalls einer ganz falschen Fährte und Richtung und wir sind vollkommen sicher.«

»Dort ist das Kurhaus – Du mußt mich jetzt verlassen! Reuhenfels wird schon zürnen, daß ich so lange fortgeblieben bin, und Dich auch vermissen.«

»Ich stand kurz vorher noch hinter seinem Stuhl und schlenderte dann langsam nach dem anderen Tisch hinüber; er weiß, daß ich nie bestimmt setze.«

»Also auf Wiedersehen, Armand – o wie mir das Herz klopft, wenn ich an die Zeit denke.«

»Und Du vergißt den Ort nicht?«

»St. Goarshausen – im goldenen Rosse.«

»Die Bahn geht von Bieberich den Rhein abwärts.«

»Ich weiß es,« und sich fest in ihren Burnus hüllend, eilte sie jetzt, so rasch sie konnte, dem ganz nahen Kurhaus und den Spielsälen zu, während ihr die Kammerfrau noch ein paar Schritt folgte und dann umdrehte, um nach Hause zurückzukehren. Sie hatte für morgen früh noch entsetzlich viel zu besorgen.

Neuntes Kapitel.
Verfolgend und verfolgt.

Der nächste Morgen kam, und in demselben Moment, als vor dem Kurhaus wieder (eine ganz merkwürdige Melodie für ein, zu Spielhöllen benutztes Gebäude) der Choral begann, läutete draußen am Bahnhof die Glocke, die Locomotive pfiff und in einem Coupé erster Classe saßen, glücklich entkommen, unsere drei Flüchtigen und dampften, unmittelbar an dem schönen Strom hinab, der Freiheit entgegen.

Von Reuhenfels lag indessen noch in seinem Bett und schlief sanft, denn er war gestern sehr lange mit Freunden auf und beisammen, und vielleicht etwas schärfer hinter der Flasche gewesen, als gewöhnlich. Es mochte halb acht Uhr sein, als er endlich aufstand, denn die in sein Zimmer fallenden Sonnenstrahlen genirten ihn. Er wusch sich und zog sich an, stopfte sich dann eine Pfeife, zündete sie an und lehnte sich damit zum Fenster hinaus, um die wundervolle Morgenluft zu genießen – aber er bekam Appetit nach dem Caffee und draußen schlug es schon acht Uhr. Wo blieb nur Clemence heute?

Er war nicht besonders guter Laune, denn er hatte gestern Abend wieder ein paar hundert Thaler verloren und doch gerade auf Glück gehofft, auch schmeckte ihm, nach der halb durchschwärmten Nacht, der Taback heute Morgen nicht besonders. Er wurde endlich ärgerlich, daß die Frau noch nicht zurückkam, und klingelte nach dem Caffee. Bis er kam, schritt er langsam und mit finster zusammengezogenen Brauen in dem kleinen, aber freundlichen Gemach auf und ab, als sein Blick zufällig auf den runden, in der Ecke stehenden Tisch fiel und er dort einen noch geschlossenen Brief bemerkte. Er nahm ihn und las die Adresse, aber das Herz stand ihm still dabei, denn die Aufschrift lautete nicht, wie er jetzt alle seine Briefe erhielt – Dem Herrn Baron zu Berg, sondern: Dem Major von Reuhenfels, und das war die Handschrift seiner Frau.

Mit zitternden Händen riß er das zierlich gefaltete Blatt auseinander und las, während seine Augen Feuer sprühten und seine Zähne sich fest zusammenbissen:

»Herr Major! Wenn diese Zeilen in Ihre Hände fallen, bin ich frei von einer verhaßten und unerträglich gewordenen Verbindung. Versuchen Sie nicht, mir zu folgen; es wäre nutzlos. Ich habe den Freund wiedergefunden, für den das Herz der Jungfrau in erster Liebe schlug – ich werde nie wieder von seiner Seite weichen. Meine Mutter wird das Geschäftliche mit Ihnen besorgen und die Verbindung lösen, die ich in unseliger Verblendung eingegangen. Leben Sie wohl.

Clemence Joulard.«

Einen Moment stand Reuhenfels sprachlos vor Wuth und Schreck und Staunen über das noch Unbegreifliche – aber das dauerte nicht lange. Er war wahrlich nicht der Mann, etwas derartiges ruhig und geduldig über sich ergehen zu lassen, und wie er nur erst wieder denken und überlegen konnte, fuhr er auch wild und entschlossen empor.

»Versuchen Sie nicht mir zu folgen?« rief er höhnisch vor sich hin – »hoho Madame. Sie haben sich in mir geirrt, wenn Sie glaubten, daß Sie mir entgehen könnten, und nur leichtsinnig und unüberlegt war es von Ihnen gehandelt, mir den Schurken zu bezeichnen, der es gewagt hat, in meine Rechte einzugreifen. Ich kenne ihn, diesen gemeinen tückischen Farbenschmierer der – aber alle Teufel!« unterbrach er sich plötzlich rasch, indem ein neuer Gedanke sein Hirn kreuzte. »Sollte Clemence? – Sie ist bei Gott schlau genug, um ihr etwas Derartiges zuzutrauen.« –

Rasch stellte er die, überhaupt schon lange ausgegangene Pfeife in die Ecke und beendete in Hast seine Toilette. Zugleich klingelte er nach dem Stubenmädchen, um zu erfahren, ob die Kammerfrau auf ihrem Zimmer wäre. Das Mädchen kam nach wenigen Minuten zurück und meldete, das Fräulein sei heute Morgen mit der gnädigen Frau nach dem Bahnhof gefahren und noch nicht zurückgekehrt.

»Es ist gut!« brummte Reuhenfels zwischen den Zähnen durch und war wenige Minuten später zum Ausgehen gerüstet. Aber nicht nach dem Bahnhof eilte er hinüber, sondern nach Armands Wohnung, zu dessen Zimmer er ohne Weiteres hinaufsprang.

Dort klopfte er an; aber Niemand antwortete. Die Thür war verschlossen und fast zitternd vor Wuth flog er wieder zu dem Portier hinab.

»Wann ist Monsieur Armand heute Morgen abgereist?« rief er hier mit heiserer Stimme.

»So viel ich weiß, gar nicht,« erwiederte der höfliche Portier. »Monsieur kamen etwas spät nach Haus und schlafen wahrscheinlich noch. Der Schlüssel ist wenigstens nicht unten.«

»Ich habe an der Thür gepocht; es hat mir Niemand geantwortet.«

»Monsieur hätten ein wenig stärker pochen sollen.«

»Er ist nicht oben.«

»Wir wollen gleich noch einmal nachsehen. Ich müßte ja doch sonst den Schlüssel hier haben, wenn der Herr ausgegangen wäre.«

Beide stürzten wieder die Treppe hinauf und wiederholten ihr Pochen, als von drinnen eine Stimme antwortete:

»Wer ist da?«

»Machen Sie auf, Armand.«

»Es ist nicht verschlossen – kommen Sie doch herein.«

Reuhenfels drückte auf die Klinke; die Thür öffnete sich in der That und der Major fand den jungen Franzosen noch im Bett und augenscheinlich erst aus festem Schlaf erwacht.

Der Portier zog sich mit einem Lächeln, das etwa sagen sollte: »Sehen Sie wohl, daß ich Recht gehabt?« zurück und Reuhenfels betrat das Zimmer, in welchem die Rouleaux noch niedergelassen waren. Er fand sich aber jetzt wirklich in einiger Verlegenheit, wie er seinen frühen Besuch entschuldigen sollte, denn was vorgefallen, mochte er gerade diesem Mann nicht eingestehen.

»Hallo, zu Berg!« rief Armand, sich in seinem Bett emporrichtend, »was zum Henker führt Sie denn mit Tagesgrauen zu mir?«

»Tagesgrauen – es ist fast neun Uhr.«

»So spät? Ich habe unverzeihlich lange geschlafen, aber das letzte Glas Grog, das wir gestern Abend zusammen tranken, hat mir den Rest gegeben. Und womit kann ich dienen?«

»Ich – wollte Sie fragen, ob Sie hier in Wiesbaden einen deutschen Maler Namens Trautenau kennen.«

»Einen deutschen Maler? nein. Wollen Sie sich heute in aller Frühe ein Bild bei ihm bestellen?«

»Ich wollte, ich könnte ihn finden,« rief Reuhenfels, und er mußte sich in der That Mühe geben, die furchtbare Aufregung, in welcher er sich befand, zu verbergen. »Entschuldigen Sie, Armand, daß ich Sie gestört habe, aber da ich gerade hier vorbei ging, fiel es mir ein, Sie zu fragen.«

»Wenn Sie ein paar Minuten unten im Gastzimmer warten,« sagte Armand, »so komme ich hinunter und begleite Sie. Ich mache meine Toilette in unglaublich kurzer Zeit und muß doch zu Ihnen, denn ich habe Ihrer Frau Gemahlin gestern Abend versprochen, ihr heute Morgen eine Photographie von Salzburg zu bringen, die sie sich gewünscht.«

»Das eilt nicht,« entgegnete Reuhenfels kurz, »meine Frau ist – überdies wieder mit einer Freundin spazieren gegangen, und Sie würden sie jetzt nicht einmal treffen. Also auf Wiedersehen, Armand,« – und ohne sich in eine weitere Unterhandlung einzulassen, eilte er rasch nach Hause, raffte, was er zu einer kurzen Fahrt brauchte, zusammen, überlieferte seine Schlüssel dem Wirth und lief dann mehr als er ging auf den Bahnhof hinaus, um dort nur eine Spur von der Flüchtigen zu bekommen.

Hier half es ihm freilich Nichts, Erkundigungen einzuziehen, denn die eine Bahn führte nur nach Bieberich, von wo dann zwei verschiedene Geleise – eines stromauf, eines stromab – auszweigten. Wie aber sollte er sich dort, in dem Gewirr von Fremden, nach der Flüchtigen erkundigen – von wem sollte er Auskunft erlangen? Den einen Cassirer am Schalter nach Mainz und Frankfurt kannte er freilich und dort war Hoffnung, denn dieser kannte auch seine Frau und konnte ihm wenigstens sagen, ob er sie an dem Morgen im Bahnhof irgendwo gesehen habe. Er hielt sich deshalb auch gar nicht in Wiesbaden selber mit Fragen auf, sondern bestieg augenblicklich den gleich abgehenden Zug, um nur wenigstens erst einmal Bieberich zu erreichen. Der kleine Handkoffer, den er bei sich führte, enthielt auch ein paar vortreffliche Duell-Pistolen und er war fest entschlossen, Gebrauch von ihnen zu machen, wo er den Entführer antreffen mochte. Hegte er ja doch jetzt einen doppelten Haß gegen ihn, und seiner Rache sollte er wahrlich nicht entgehen.

In Bieberich angekommen, eilte er augenblicklich an die Casse und seine erste Frage war:

»Hat meine Frau hier heute Morgen den Zug benutzt?«

»Jawohl, Herr zu Berg,« sagte der alte Mann freundlich. »Frau Gemahlin waren da, – drei Billette genommen, glaub' ich – zwei oder drei: ich weiß es jetzt wahrhaftig nicht mehr genau. Lieber Gott, das ist jeden Morgen solch ein Gedränge – waren aber selber an der Casse.«

»Und wer war bei ihr?«

»Bin ich nicht im Stande zu sagen,« erwiederte der Mann achselzuckend; »das wimmelte nur so heute Morgen, aber die gnädige Frau erkannte ich den Augenblick wieder.«

»Sie wissen wohl nicht mehr, wohin sie sich hat einschreiben lassen?«

»Haben wohl die Frau Gemahlin verfehlt? – nach Mainz nahm sie Billette. Ich weiß es noch genau, ich mußte ihr einen Napoleonsd'or wechseln.«

»Ich danke Ihnen, – ja wir hatten uns verabredet, eine Vergnügungstour zu machen. Wann geht der Zug nach Mainz ab?«

»Wird kaum noch zehn Minuten dauern, – sobald der nach Coblenz gehende hereinkommt, und signalisirt ist er schon.«

»Gut, – bitte um ein Billet zweiter Classe Mainz.«

Reuhenfels nahm sein Billet und schritt indessen, bis die Abfahrt des Zuges angezeigt werden würde, mit verschränkten Armen und ganz seinen düsteren Gedanken nachhängend, auf dem Perron auf und ab, als er plötzlich seinen Namen hörte.

»Hallo, zu Berg! auch einmal nach Bieberich gekommen? Ja, die Saison geht jetzt zur Neige und da ziehen unsere Schwalben wieder fort!«

Reuhenfels sah auf und bemerkte einen Herrn von Plauen, dessen flüchtige Bekanntschaft er in Wiesbaden gemacht und der auf ihn zukam und ihm die Hand entgegenstreckte. Er war allerdings jetzt nicht in der Stimmung, sich mit irgend einem Fremden zu unterhalten, mochte aber auch nicht unhöflich sein und sagte nur ausweichend:

»Ja – aber nicht ganz – nur eine kleine Vergnügungstour.«

»Aha, mit Frau Gemahlin,« meinte der andere Herr, »habe sie heute Morgen schon gesehen.«

Reuhenfels biß sich auf die Lippen, aber er durfte den Fremden den wahren Stand der Sache nicht ahnen lassen, und sagte deshalb so gleichgültig, als es ihm irgend möglich war:

»Ja – wahrscheinlich. Sie ist nur nach Mainz vorausgefahren.«

»Nach Mainz? – ih bewahre,« rief Herr von Plauen, »sie saß ja im Coblenzer Zug.«

»Im Coblenzer Zug?« fragte Reuhenfels bestürzt, »das ist ja gar nicht möglich. Sie hat Billete nach Mainz genommen.«

»Dann ist sie in den falschen Zug gerathen,« sagte Herr von Plauen, »aber ich weiß es zu gewiß, denn in dem nämlichen Coupée in welchem sie mit einem Herrn und noch einer Dame saß, befand sich auch eine mir befreundete Familie, der Assessor Hörich mit seiner jungen Frau, dem ich noch, ein paar Secunden vorher ehe der Zug abging, die Hand in den Waggon reichte.«

»Und meine Frau war darin?«

»Gewiß! Ich bin der gnädigen Frau zwar nie vorgestellt worden, und ich weiß nicht einmal, ob sie mich kennt – bezweifle es sogar, aber die Dame ist nicht zu verkennen. Sie macht durch ihre Schönheit ja überall Aufsehen. Sie sah wieder reizend heute Morgen aus.«

»Und Sie haben keine Ahnung wohin sie gefahren sein kann?«

»Ja mein Himmel, wer soll das wissen, denn es giebt zahllose Zwischenstationen – aber sie wird jedenfalls auf dem ersten Halteplatz wieder ausgestiegen sein, sobald sie nur merkt, daß sie in den falschen Zug gerathen ist.«

»Jedenfalls – jedenfalls« sagte Reuhenfels zerstreut – »aber – was ich Sie gleich noch fragen wollte – Passagiere für eine bestimmte Station werden gewöhnlich zusammen in ein Coupée gethan. Wohin fuhr jener Herr – der Assessor sagten Sie, glaub' ich – heute Morgen?«

»Der Assessor? oh nicht weit, nur nach St. Goarshausen. Sie haben dort Verwandte, die sie erst auf einen Tag besuchen wollen.«

»So? ich danke Ihnen. Merkwürdig!«

»Ach solche Verwechselungen sind schon häufig vorgefallen,« meinte Herr von Plauen, der den Ausruf ganz anders verstand, »und auf unseren Rheinischen Bahnen hat es eben Nichts zu sagen, denn es gehen zu viele Züge, mit denen man sich immer rasch wieder helfen kann. Wenn Sie hier eine Stunde warten, kommt sie jedenfalls mit dem nächsten Zug wieder zurück.«

»Ich werde ihr lieber entgegen fahren, sie findet sich sonst am Ende nicht zurecht.«

»Ja, Damen sollte man nie allein reisen lassen, sie haben ein merkwürdiges Geschick darin, sich irgendwo festzufahren. Es war ganz das nämliche im vorigen Jahr mit meiner Frau, wo wir auch eine Tour nach –«

»Sie entschuldigen mich,« sagte Reuhenfels – »da kommt schon der Zug nach Coblenz und ich muß mir erst noch ein Billet lösen.«

»Oh Sie haben überflüssig Zeit,« war die Antwort – »jetzt wird erst der Zug nach Mainz expedirt und der Coblenzer hält wenigstens zehn Minuten an.«

»Ich will mich doch fertig machen, denn ich muß auch erst mein Gepäck hier unterbringen. – Guten Morgen lieber Plauen; herzlichen Dank für die Nachricht.«

»Bitte – bitte – sehr gern geschehen. Freut mich nur der gnädigen Frau wegen, daß ich Sie hier getroffen habe. Bitte mich gehorsamst zu empfehlen.«

Reuhenfels winkte ihm nur noch mit der Hand zu und eilte dann rasch an die Casse, um dort ein Billet für St. Goarshausen zu lösen. Hatte sich der alte Cassirer für den Mainzer Zug geirrt? Aber das blieb sich jetzt gleich – an einen Irrthum seiner Frau glaubte er nicht, und seine einzige Hoffnung war jetzt nur, die Flüchtige entweder unterwegs an den Zwischenstationen oder in St. Goarshausen zu erfragen.

Reuhenfels hatte übrigens an dem Morgen kaum mit dem Zug Wiesbaden verlassen, als drei sehr anständig gekleidete Herren in Civil, mit einem etwas militairischen Anstrich, unten im Hôtel Kompelt nach ihm frugen, und von dem Kellner bedeutet wurden, daß der Herr Baron heute Morgen einen Ausflug – aller Wahrscheinlichkeit nach bis Frankfurt gemacht habe.

»Und glauben Sie, daß er heute Abend zurückkehren wird?«

Der Oberkellner zuckte die Achseln.

»Ein Theil seiner Sachen ist allerdings noch da,« sagte er, »aber die gnädige Frau hat ihren Koffer und anderes Handgepäck schon vor Sonnenaufgang hinunterschaffen lassen, was allerdings auf einen längeren Ausflug deutet.«

»Sind sie Ihnen noch etwas schuldig?«

»Sehr unbedeutend – die Herrschaften zahlen hier im Hôtel immer jede Woche ihre Rechnungen, und der Herr Baron hat die seinige erst gestern berichtigt. Uebrigens kommt er jedenfalls zurück, denn er hat noch eine Menge von Sachen oben.«

Die fremden Herren erwiederten nichts weiter, sondern schritten zusammen auf den Platz hinaus, unterhielten sich aber dabei sehr angelegentlich in französischer Sprache miteinander.

»Der Vogel ist ausgeflogen,« sagte der Eine, als sie sich außer Hörweite des Kellners wußten – »daß wir auch nicht ein paar Stunden früher hier eintreffen konnten. Was nun?«

»Jedenfalls ist er mit der Eisenbahn fort, dabei brauchen wir aber nichts zu beeilen,« meinte der Andere, »denn der nächste Zug geht erst in zwei Stunden. Wie aber der Kellner sagt, hat er hier noch seine Sachen stehn, und es wäre der Mühe werth, die indessen zu untersuchen. Vor allen Dingen müssen wir nach den verschiedenen Stationen abtelegraphiren – vielleicht erhalten wir eine günstige Rückantwort, und dann visitiren wir das Nest da oben.«

Damit schienen die Anderen einverstanden und trennten sich jetzt erst wieder in der Stadt, um nachher aufs Neue hier zusammenzutreffen. Hinter den grünen Vorhängen der Fenster hatte sie aber der Oberkellner aufmerksam beobachtet, und rieb sich sehr bedenklich die Hände:

»Alle Teufel,« murmelte er dabei, »das ist, hol mich Dieser und Jener, Polizei; den Einen kenne ich; das ist der geheime französische Agent, der sich hier immer in Wiesbaden aufhält, und genau so thut, als ob er sich um keinen Menschen auf Gottes Welt bekümmerte – und ob der Halunke nicht Alles weiß was vorgeht – Einer mußte ein Fremder sein, aber der dritte war ja unser liebenswürdiger Meier – die rechte Hand vom Polizeidirector. Sollten die denn hinter dem Baron her sein? – wäre nicht übel, so ein vornehmer Herr. Wenn man ihm nur wenigstens einen Wink geben könnte, aber weiß der Henker wo der jetzt steckt. – Oder hat er vielleicht gar selber Wind bekommen? – Na dann können sie schnüffeln, denn der ist von klein auf in der Welt gewesen und weiß Bescheid.« – Und mit diesen Gedanken ging er, sich wieder vergnügt die Hände reibend, an seine gewöhnliche Morgenbeschäftigung – d. h. er setzte sich vor das große Hauptbuch und kratzte sich hinter den Ohren.

Zehntes Kapitel.
Die Entführung.

So ängstlich sich Clemence gezeigt, als sie an dem Morgen den Gatten verließ, so daß sie nur zitternd auf den Bahnhof eilte und dort der furchtbaren Aufregung, in welcher sie sich befand, kaum Herr werden konnte, so plötzlich war jede, auch die letzte Angst von ihr genommen, als sich der Zug in Bewegung setzte, denn von dem Augenblick an hielt sie sich für sicher. Trotzdem versäumte sie keine nur irgend mögliche Vorsicht, und da sie recht gut wußte, daß man sie in Bieberich, besonders an dem Mainzer Schalter kannte, ging sie selber dorthin um Billete zu lösen, während Trautenau die wirklichen Billete nach St. Goarshausen nahm. Die List wäre auch vollständig geglückt, wenn eben nicht Reuhenfels zufälliger Weise den Herrn von Plauen auf dem Bahnhof angetroffen hätte, der ihn freilich, ohne es zu wissen, auf die rechte Fährte setzte.

Indessen verfolgten die Flüchtigen ahnungslos ihren Weg, und erreichten nach einer kurzen aber reizenden Fahrt das ziemlich große Dorf St. Goarshausen, einen der schönsten Punkte am ganzen Rhein.

Trautenau war selig; er durfte neben der Geliebten sitzen, ihre Hand halten, ihr in die guten Augen sehen und ihrer silberreinen Stimme lauschen, ja da noch zwei Fremde, ein Herr und eine junge Dame im Coupé wenn auch an der anderen Seite saßen, wehte ihn sogar, als sie sich flüsternd zu ihm überbog, ihr warmer Athem an. Er hörte auch kaum was sie sprach; es war ihm genug in ihrer Nähe zu sein. Aber wie das Alles enden würde! Wie hätte er in diesem seligen Augenblick der Gegenwart nur an die Zukunft denken mögen oder können. Er war auch mit Allem einverstanden, was sie ihm vorschlug, daß sie jetzt erst einmal in St. Goarshausen, einem kleinen unbedeutenden Ort, ein paar Tage still liegen wollten, um Reuhenfels, der jedenfalls schon auf der Verfolgung begriffen sei, von ihrer Spur abzubringen. Gewiß suchte er sie auf den größeren Stationen, und hatte auch wohl Freunde veranlaßt, ihn dabei zu unterstützen, damit er sowohl den Norden als Süden im Auge behalten konnte. Waren aber erst einmal ein paar Tage vergangen, so mußte er sie natürlich fern glauben, und dann gelang es ihnen leicht, mit irgend einem Nachtzug von hier aus die französische Grenze zu erreichen.

Clemence schien auch in St. Goarshausen bekannt, denn sie beorderte augenblicklich, wie sie nun dort anhielten, ein paar Träger, um ihre Sachen in das goldene Roß hinauf zu schaffen. Es war das auch keines der ersten Hôtels dicht am Rhein, wo allerdings ein reger Fremdenverkehr statt fand, sondern lag etwas abseits vom Strom mitten in der Stadt und schien in früherer Zeit – gerade dem Gemeindehaus gegenüber, den behäbigen Bewohnern des kleinen Orts zum Mittelpunkt ihrer Versammlungen und Casinos gedient zu haben. Jetzt freilich, wo der Verkehr einen ganz anderen Aufschwung genommen und von verwöhnten Fremden weit größere Ansprüche gemacht wurden, hatten sich neue sogenannte Hôtels, fast nur mit englischen Namen, unmittelbar an's Ufer des Rheines gesetzt, und im goldenen Roß kehrten nur noch die alten spießbürgerlichen Honoratioren ein, denen die Fremden ein Dorn im Auge waren, und die ungestört von ausländischem »Kauderwälsch« einen »guten« Schoppen trinken wollten.

Für ihren Zweck lag der Platz aber in der That vortrefflich, denn hierher kam so leicht Niemand der Durchreisenden und wenn sie sich nicht draußen zeigten, hätten sie vielleicht einen Monat lang still und unbeachtet dort leben können.

Clemence übernahm aber hier ohne Weiteres die Leitung ihrer inneren Angelegenheiten. Sie bestellte zwei Zimmer, eins für sich und Jeannette, ihre Kammerfrau, eins für den Herrn, und befahl dem aufwartenden Mädchen – denn einen Kellner schien es im goldenen Roß gar nicht zu geben – ihnen das Frühstück heraufzubringen, das sie gemeinschaftlich verzehren wollten.

Trautenau war damit nicht ganz einverstanden; er hätte so gerne einmal eine Unterredung mit Clemence unter vier Augen gehabt – so Vieles war es ja, was sie noch besprechen mußten. Aber Clemence schien das gerade vermeiden zu wollen, und so freundlich, ja herzlich sie sich gegen ihn zeigte, wich sie, für jetzt wenigstens, geschickt einer solchen aus. Trautenau selber entschuldigte sie aber darin – es wäre unnatürlich gewesen, wenn sie sich anders gezeigt – unweiblich wenigstens, wo ihr die Neuheit dieser Situation doch noch immer die Seele beklemmen mußte. Morgen, wo sie eine Nacht Zeit gehabt, um ruhiger darüber nachzudenken, würde das anders – besser werden, und er beschloß deshalb auch, sie in dieser Zeit ganz sich selber zu überlassen.

Jeannette war dabei das wahre Muster einer Kammerzofe und arrangirte alles Nöthige so leicht und schnell, daß sich die Damen wenigstens in unglaublich kurzer Zeit vollständig eingerichtet hatten. Das Frühstück verlief ziemlich ruhig und einsylbig, denn Jeder war noch zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und der ernste, fast verzweifelte Schritt, den sie gethan, rechtfertigte das auch vollkommen. Trautenau war allerdings fest entschlossen, Clemence bis nach Paris und zu ihrem Vater zu begleiten, wie aber sollte er dort dem Mann, den er überdieß nicht achten konnte, als Entführer seiner Tochter und zugleich als Bewerber um ihre Hand entgegentreten? Der Gedanke peinigte ihn, wenn auch nicht in Clemencens Gegenwart, denn sobald er die lieben, so wunderbar schönen Züge der verführerischen Frau sah, und in diese Augen blickte, die manchmal ihn fast traurig anschauten und nur scheu den Boden suchten, wenn er ihnen begegnete, vergaß er alles Andere – vergaß er sich selbst. Aber als er wieder allein auf seinem Zimmer war, gingen ihm diese Dinge – und noch viele andere – wieder und wieder durch den Kopf, die er denn nicht so leicht abschütteln konnte.

Er konnte das Bild nicht aus seiner Erinnerung zwingen, wie er Clemence zum ersten Mal in Wiesbaden gesehen: an jenem grünen Tisch in der Spielhölle, den hübschen schlankgewachsenen Franzosen hinter ihrem Stuhl. – Er konnte den Blick nicht vergessen, den sie ihm einmal – gerade als sein Auge zufällig auf ihr haftete, zugeworfen – aber wenn ihr Mann sie nun gezwungen hätte, dem Spiel beizuwohnen? und es gab eigentlich nichts Natürlicheres, denn er konnte die junge Frau in einem solchen Badeort doch nicht den ganzen Abend allein, und sich selber überlassen. – Aber der Blick – dieser eine Blick. – Doch wie ungerecht war sein Verdacht, denn wenn sie zu jenem auch nur in der geringsten freundlichen Beziehung stand, so hätte sie doch wahrlich auch ihn um seinen Beistand bei ihrer Flucht gebeten, und sich nicht an den vollkommen Fremden gewandt. – Fremden? – nein, sie hielt ihn nicht für fremd – sie wußte ja ihren eigenen lieben Worten nach – wie lange er sie schon im Herzen getragen, und da sie das wußte und gerade ihn zu ihrer Hülfe wählte, mußte sie ihm doch auch ein klein wenig gut sein, oder sie würde es nicht gethan haben. Wie gern hätte er sich auch mit ihr ausgesprochen; aber die verwünschte Kammerzofe ging ihr nicht von der Seite. Und was für ein durchtriebenes kokettes Frauenzimmer das war. Bildhübsch in der That, mit einem kleinen kecken Stumpfnäschen und großen klugen und dunklen Augen; die aber hatte sie auch eben überall, und weshalb flüsterte sie nur immer so viel und geheimnißvoll mit Clemence? – Die Person hatte sie doch hoffentlich nicht zu ihrer Vertrauten gemacht? – es war ihm das ein peinlicher Gedanke. Aber er sah auch recht gut ein, daß sie eine weibliche Begleitung haben mußte und für die kurze Zeit mochte es denn ja auch gehen.

Der Aufenthalt in dem engen dumpfen und noch recht altväterlich gebauten Hause wurde ihm zuletzt drückend, und er beschloß, einen Spaziergang nach der Ruine hinauf zu machen. Gar zu gern hätte er Clemence um ihre Begleitung gebeten; aber er wagte es nicht. Es war heute der erste Tag, und er mußte ihr den ungestört lassen, um sich vollkommen auszuruhen. Sie blieben ja auch jedenfalls morgen noch hier, und dann erfüllte sie gewiß seinen Wunsch. Dann konnte er Alles, Alles mit ihr besprechen, was ihm auf dem Herzen lag und es war vielleicht sogar besser, daß das erst morgen geschah; er fühlte sich dann auch selber mehr mit sich im Reinen. Der morgende Tag sollte deshalb sein Schicksal entscheiden. Er that es auch wirklich.

Langsam stieg er den ziemlich steilen Pfad empor, der hinauf zu der alten prachtvollen Ruine führte – aber er traf zu viel Menschen unterwegs – Kinder aller Nationen, die hier zusammenkamen, um an den Wundern des Rheines zu schwelgen und den vortrefflichen Wein dazu zu trinken. Er fühlte sich heute wahrlich nicht in der Stimmung, unter ihnen zu verkehren und schlug sich seitab in die Büsche, wo er einen Platz suchte, auf dem er ungestört ausruhen und mit dem Rhein und der alten Ruine Rheinfels vor sich das prachtvolle Bild in voller Ruhe genießen konnte.

So lag er lange und träumend dicht versteckt im Gehölz, und wenn manchmal einzelne Gruppen von Spaziergängern in dem weiter oben hinlaufenden Pfad stehen blieben um die Aussicht zu genießen, so konnte er deutlich hören, was sie mit einander sprachen, ohne von ihnen dabei gesehen zu werden. Aber was interessirten ihn diese Unterhaltungen. Die Leute sprachen sich mit schaalen Phrasen über die Schönheit der Gegend aus oder zeigten sich von da oben aus die Stellen, wo guter Wein zu haben war. Einmal erzählten sie auch von der Eisenbahn, daß der letzte, von Mainz kommende Zug entgleist und dicht vor Rüdesheim liegen geblieben sei, so daß die Bahn verstopft wäre und man nicht wisse, ob sie heute noch wieder frei würde – dann gingen sie weiter und bedauerten noch dabei, daß sie nun wahrscheinlich das »Frankfurter Journal« nicht erhielten.

Der Zug entgleist? – aber was kümmerte ihn das? Es konnte höchstens nur zu ihren Gunsten sein, da dadurch die Verbindung mit den südlicher gelegenen Uferplätzen, wenn auch nicht abgeschnitten, doch jedenfalls erschwert wurde. – Aber die Zeit verging, er wußte gar nicht wie lange er schon gelegen und die Sonne neigte sich wieder den Bergen zu. Durfte er denn auch seine Schützlinge so lang allein lassen? Konnte er wissen, was indessen da unten vorfiel? Wenn nun der Zufall sein Spiel doch hatte. Er sprang, erschreckt von dem Gedanken, auf, und eilte, so rasch er konnte, in die Stadt zurück, um sich wenigstens darüber erst einmal zu beruhigen. Aber die Befürchtung war glücklicherweise grundlos gewesen, denn er fand dort Alles noch gerade so, wie er es verlassen hatte, nur, daß die Damen, wie es schien, mit dem Essen auf ihn gewartet hatten.

»Aber Monsieur,« rief ihn die Kammerzofe an, die ihm auf der Treppe begegnete – »wo bleiben Sie so lange? Wir haben gewartet und gewartet und Monsieur vielleicht indessen in aller Ruhe oben in der Stadt dinirt. Wir sind so hungrig, daß wir es kaum noch aushalten können.«

»Das bedaure ich in der That unendlich« rief Trautenau bestürzt, aber doch auch im Stillen erfreut, daß Clemence seinetwegen gewartet hatte. »Hätte ich eine Ahnung davon gehabt, ich wäre gewiß eine Stunde früher gekommen. Haben Sie das Essen schon bestellt?«

»Gewiß, das Mädchen hat Ordre es sofort zu bringen, sowie wir die Nachricht Ihrer Ankunft erhielten. Ich werde sie gleich rufen. Bitte gehn Sie nur hinauf zur gnädigen Frau.«

Am liebsten hätte er das freilich gethan, aber er mußte doch erst hinüber in sein Zimmer, um sich von der Hitze und dem Staub seines langen Spazierganges zu säubern, und als er das beendet, fand er Jeannette schon wieder bei ihrer Herrin, und das dralle Mädchen aus dem Wirthshaus eben emsig beschäftigt die bestellten Speisen aufzutragen. Wie er sich aber nun gegen Clemence seines langen Ausbleibens wegen entschuldigen wollte, unterbrach sie ihn freundlich und lächelte:

»Aber Sie sollen ja doch nicht unser Sclave sein, lieber Trautenau, wenn wir Sie zu unserm Ritter ausgewählt haben. Wir haben hier Nichts zu versäumen und der Abend bleibt uns ja so noch immer, um hier am offenen Fenster ein paar Stunden zu plaudern, oder vielleicht auch einen kleinen Spaziergang im Mondenschein am Rhein zu machen. – Aber bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Trautenau's Augen leuchteten. So herzlich hatte Clemence noch nie zu ihm gesprochen, selbst nicht als sie ihn um seine Hülfe bat – aber die Kammerjungfer war ihm im Weg; er hätte ihr so gern eben so geantwortet; in deren Gegenwart ging das nicht, denn wenn sie sich auch hie und da im Zimmer zu thun machte, wußte er doch recht gut, daß sie trotzdem jedes Wort bewachte, auf jeden Blick selbst paßte. Vielleicht erhielt er aber am Abend bei dem versprochenen Spaziergang Gelegenheit ihr zu sagen, wie glücklich sie ihn dadurch gemacht, und jetzt deshalb nur mit ein paar höflichen Worten erwidernd, setzte er sich mit den Damen zu Tisch.

Es war in der That spät geworden und die Sonne selbst schon untergegangen. Trautenau mußte aber während des Essens von seinem Spaziergang erzählen und that das in so lebendiger Weise, daß Clemence ihm gespannt und aufmerksam lauschte.

Da klopfte Jemand draußen laut und deutlich zwei Mal an die Thür und Jeannette fuhr entsetzt von ihrem Stuhl empor – Niemand antwortete – noch einmal klopfte es, als Trautenau, der sich den augenscheinlichen Schrecken auch in Clemencens Zügen nicht erklären konnte, ärgerlich über die Störung »Herein« rief. In dem Augenblick öffnete sich die Thür und in dem Dämmerlicht des Abends erkannte die kleine Gesellschaft den Major, der höhnisch lächelnd, mit triumphirendem Blick die überraschte Gruppe mit den Augen überflog.

»Ich störe doch nicht?« sagte er endlich mit seiner trockenen, aber unheimlich klingenden Stimme, denn die erregte Leidenschaft lauerte dahinter – »sollte mir wirklich leid thun Madame – et Monsieur aussi – da finde ich ja die ganze kleine Gesellschaft gemüthlich bei einander.«

»Herr von Reuhenfels,« stammelte Trautenau, der entsetzt von seinem Stuhl aufgesprungen war.

»Kuno!« hauchte Clemence und war bleich auf ihren Stuhl zurückgesunken. Selbst Jeannette wechselte die Farbe, obgleich sie für sich selber wenig oder nichts zu fürchten hatte. Reuhenfels schien sich aber an dem Schrecken, den seine Erscheinung unter den Flüchtigen verbreitete, mit fast teuflischer Schadenfreude zu weiden und selbst in der Ueberraschung des Augenblicks drängte sich Trautenau der Gedanke auf, daß der Major noch nie im Leben dem Bilde, das er an jener Wand entworfen, so ähnlich gewesen wäre, wie in diesem Augenblick.

Aber die Stille dauerte nicht lange. Haß und Rache, die in des betrogenen Gatten Augen blitzten, mußten endlich zum Ausbruch kommen und mit vor Wuth heiserer Stimme sagte er endlich:

»Also dahin ist es mit Ihnen gekommen, Madame, und mein Verdacht, den ich als gutmüthiger Thor selber einzuschläfern suchte, war doch begründet? Aber Sie sollen diesen nichtswürdigen Undank bereuen – bitter bereuen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, und daß ich mein Wort halte, wissen Sie, sollte ich denken – gut genug. Und nun zu Ihnen mein Herr, der Sie es gewagt haben, in das Heiligthum einer glücklichen Ehe die frevle Hand zu stecken. Ich weiß nicht, ob Sie ein Mann von Ehre sind – was ich bis jetzt davon gesehen habe, spricht wenigstens nicht dafür – wenn dem so ist, so folgen Sie mir in ein anderes Zimmer, daß wir das Nöthige dort besprechen können.«

»Ich stehe zu Ihren Diensten, Herr Major,« rief Trautenau, dessen Antlitz bei den beleidigenden Worten alles Blut verlassen hatte – »wo und wann Sie wollen und werde Ihnen beweisen, daß Sie gerade der Letzte sein dürfen, einen rechtschaffenen Mann an seine Ehre zu mahnen. Weitere Worte, glaube ich, werden wohl fortan unnöthig sein.«

»Ich glaube es auch,« zischte der Major in Haß und Bosheit, denn die Anspielung des jungen Mannes auf sein vergangenes Leben war zu deutlich gewesen um sie mißzuverstehen. »Folgen Sie mir, und Sie, Madame, werden dies Zimmer nicht verlassen, bis ich zurückkehre, um Ihnen meine weiteren Befehle kund zu thun.«

»Mein Herr!« rief jetzt Clemence erzürnt von ihrem Stuhl emporfahrend – Reuhenfels würdigte sie aber keines weiteren Blicks. »Ich weiß, daß Sie gehorchen werden,« sagte er tückisch und verließ das Zimmer, während Trautenau seinen Hut ergriff, um ihm zu folgen. So aber und ohne ein Wort des Abschieds konnte er Clemence nicht verlassen. Bewegt und zitternd vor Aufregung schritt er auf sie zu und ergriff ihre Hand.

»Fürchten Sie Nichts, Clemence,« sagte er leise und rasch – »so lange ich lebe haben Sie einen Freund, der Sie nicht verlassen soll.«

»Er wird Sie tödten,« hauchte Clemence – »er trifft mit der Pistole eine Schwalbe im Flug.«

»Ich selber bin nicht ungeübt darin,« erwiederte Trautenau trotzig, »ich schieße rasch und sicher. Noch ist es möglich, Ihnen Ihre volle Freiheit wieder zu geben.«

»Und für mich wollen Sie in den Tod gehen,« bat das junge schöne Weib, jetzt wirklich furchtbar ergriffen, »ach, ich habe es nicht um Sie verdient!« und Thränen glänzten dabei in ihren Augen.

»Jetzt komme was da wolle!« rief Trautenau jubelnd aus, denn diese Thränen waren ihm der erste Beweis ihrer Liebe – »Du weinst um mich, Clemence, und so möcht' ich sterben. Aber es lebt ein Gott! er wird mir nicht die höchste Seligkeit des Lebens zeigen, um mich dann nur verzweifelnd von der Erde zu nehmen. Lebe wohl, auf baldiges frohes Wiedersehen.« – Sie stürmisch in die Arme pressend, drückte er den ersten Kuß auf ihre Lippen, und wie er jetzt zur Thür hinauseilte, wäre er dem Bajonnetangriff eines ganzen Bataillons mit nackter Brust jauchzend entgegen gerannt.

Draußen empfing ihn der Major mit eisiger Kälte.

»Ist es gefällig?« sagte er, und öffnete eine Thür, die in einen jetzt leer stehenden düsteren Saal hineinführte. »Es ist allerdings schon etwas dunkel, aber zu dem, was wir zu reden haben, brauchen wir wohl kein Licht.«

Trautenau folgte ihm, und die Thür hinter sich zudrückend, fuhr der Major mit halblauter und jetzt vollkommen leidenschaftloser Stimme fort:

»Ich habe diesen Augenblick lange herbeigesehnt, denn von dem Moment an, wo ich entdeckte, welchen frechen Scherz Sie sich mit mir erlaubt, schwor ich es mir zu, daß unser erstes Begegnen auch unser letztes sein sollte. In Wiesbaden entschlüpften Sie mir freilich. – Sie wissen selber am Besten wie, jetzt hoffe ich aber, daß wir unser Geschäft mit einander erledigen, ehe wir uns trennen, denn ich möchte Ihnen doch gern eine Erläuterung dazu geben, was es heißt, »den Teufel an die Wand malen.«

»Ich sehe dieser Erläuterung mit großer Ruhe entgegen, Herr Major,« erwiderte Trautenau kalt. »Ich werde Ihnen dann auch beweisen können, daß ich Ihnen in Wiesbaden nicht »entschlüpft« bin, wie Sie sich auszudrücken belieben, sondern nur, um eine Frau von der teuflischen Tyrannei –«

»Halten Sie ein, mein Herr,« unterbrach ihn gebieterisch der Major, »wir wollen nicht mit Worten, sondern mit Waffen fechten. Heute Abend ist es freilich dafür zu dunkel – ich konnte leider nicht früher eintreffen, da der Zug entgleiste und ich das nächste Dampfboot benutzen mußte, um heute Abend noch den Ort hier zu erreichen. Da auch kein Zug vor morgen früh neun Uhr von hier wieder stromauf gehen kann, bleibt es sich gleich, und wir können das Tageslicht abwarten, um unsern – wie ich jetzt vermuthen muß – beiderseitigen Wunsch zu erfüllen. Sind Sie am anderen Ufer bekannt?«

»So ziemlich, ich war erst vor wenigen Wochen längere Zeit dort. Aber weshalb?«

»Weil ich auf nassauisches Gebiet zurückkehren muß, möchte ich unser Geschäft im Preußischen erledigt sehen. Kennen Sie den hinteren Thurm an der Ruine Rheinfels? Gleich darunter ist ein kleiner offener Platz.«

»Ich erinnere mich.«

»Gut – sein Sie dort morgen früh eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang, Waffen bringe ich mit. Haben Sie einen Secundanten?«

»Nein – ich kenne Niemanden hier.«

»Ich habe viele Officiere heute Abend in St. Goarshausen gesehen. Sie werden leicht einen der Herrn dazu bewegen können.«

»Ich denke ja.«

»Gut – weiteres ist nicht nöthig. Es bleibt Ihnen der ganze Abend dazu, da Ihre weitere Anwesenheit im Hôtel,« setzte er höhnisch hinzu, »doch nicht mehr verlangt wird. Für Madame werde ich selber sorgen. Sie kommen gewiß?«

»Schon die Frage ist eine unwürdige Beleidigung,« sagte Trautenau finster, »ich hoffe der Erste auf dem Platz zu sein.«

»Gut, mein Herr Maler,« erwiderte Reuhenfels sarkastisch, »ich werde Sie nicht lange warten lassen.«

Elftes Capitel.
Die Entscheidung.

Trautenau verließ das Hôtel, um an den Rhein hinab zu gehen. Wenn er aber auch sonst friedlicher, fast sanfter Natur war, und sein Pistolenschießen nur als eine interessante Uebung betrieben hatte, von der er nie im Leben einen ernstlichen Gebrauch erwartete, so konnte er jetzt kaum den anderen Morgen erwarten, wo er Dem gegenüberstehen sollte, den er nun als seinen ärgsten Feind kannte und haßte. Clemencens Kuß brannte ihm ja noch auf den Lippen, und er fühlte, daß Einer von ihnen Beiden – Reuhenfels oder er, die Erde räumen müsse – es war nicht Platz darauf für Beide.

Mit diesen Gedanken schritt er rasch den Rhein hinab, und es dauerte nicht lange bis er zwei nassauische Officiere traf, die Arm in Arm am Rhein spazieren gingen, und denen er ohne Weiteres sein Anliegen vortrug. Er war vollkommen fremd hier und hatte morgen früh, zum Schutz einer Dame, eine Ehrensache auszumachen – ob ihn Einer der beiden Herren dabei unterstützen wolle?

»Wie ist Ihr Name?« frug der Eine der Officiere.

»Trautenau – ich bin Maler, und nur zum Besuch an den Rhein gekommen.«

»Und wo ist das Rendezvous?«

»Dort drüben gleich hinter der Ruine; ich werde hier morgen früh etwas vor Sonnenaufgang ein Boot bereit halten, da wir eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang an Ort und Stelle sein müssen.«

»Ich werde Sie begleiten,« lautete die Antwort – »mein Name ist von Klingen – haben Sie Waffen?«

»Mein Gegner wollte sie besorgen.«

»Pistolen oder Säbel?«

»Pistolen.«

»Gut – ich werde zur Vorsorge noch meine eigenen mitbringen, die Herren können dann wählen – aber dann muß ich gleich nach Hause, um Alles in Stand zu setzen.«

Die jungen Leute drückten sich die Hand und Trautenau wanderte noch schweigend und seinen Gedanken nachhängend in die Nacht hinaus.

Er dachte an Frank und was der zu dem Allen sagen würde, wenn er es erfuhr. Der hatte ihn wohl genug gewarnt, aber konnte er denn anders handeln, als er es gethan? und würde sich Frank, an seiner Stelle, nicht genau so benommen haben? Arme Clemence! was wurde aus ihr, wenn er in dem morgenden Zweikampf fiel? war sie dann nicht elend für ihr ganzes Leben? Doch ihr Schicksal lag ja in Gottes Hand, und dem wollte er vertrauen, daß er noch Alles zum Besten führe. Wozu sich jetzt auch unnöthige Sorgen machen, die ihn nur weich stimmten und entmannten. Mit kaltem, ruhigen Blut mußte er an die Arbeit gehen, denn nur dann konnte er hoffen zu siegen.

Am nächsten Morgen war er lange vor Tag auf und in seinen Kleidern. Einen Schiffer hatte er sich noch am vorigen Abend bestellt, der auch schon mit seinem Boot wartete; der Officier fand sich ebenfalls pünktlich ein, und schon näherten sie sich dem anderen Ufer, als die ersten Strahlen der Morgensonne die höchsten Thürme der alten Ruine vergoldeten. Sie durften sich fest überzeugt halten, daß sie pünktlich und auch noch vor dem Gegenpart das Rendezvous erreichen würden, denn daß dieser schon vor ihnen aufgebrochen sei, ließ sich nicht gut denken.

Der Morgen war frisch, aber wunderbar schön und klar, und der Thau blitzte von allen Zweigen und Grashalmen funkelnd wieder. Aber Trautenau war nicht in der Stimmung, das heute zu beachten, denn er ging einen ernsten, schweren Weg, und wer wußte denn, ob nicht sein Blut bald häßliche Flecken auf diese Gräser werfen würde, wenn sie ihn, schwer verwundet oder todt wieder zurück zum Ufer trugen. – Doch gewaltsam schüttelte er alle diese Gedanken ab – er durfte sich ihnen nicht hingeben und sein einziger Wunsch war, jetzt den Gegner schon auf dem Platz zu finden, um – was sie zu erledigen hatten, so rasch als möglich abzumachen.

Aber der Platz, als sie ihn erreichten, war noch leer: nur die Vögel zwitscherten in den benachbarten Büschen und ein Zug Krähen strich krächzend von dem einen alten Thurm ab, hinüber dem Walde zu.

»Wir sind die Ersten,« begann der Officier, als er den Platz überschaute.

»Ich hoffe, wir werden nicht lange zu warten haben,« erwiederte Trautenau, »er versprach, pünktlich auf dem Platz zu sein.«

»Ich glaube, wir sind noch etwas vor unserer Zeit, aber desto besser; es ist immer ein unangenehmes Gefühl, den Gegner schon uns erwartend zu finden.«

Trautenau nickte schweigend mit dem Kopf und schritt, die Arme verschränkt, auf dem kleinen offenen Raum auf und ab, – aber Reuhenfels ließ lange auf sich warten, – höher und höher stieg die Sonne, und als der Secundant wieder und wieder auf seine Uhr sah, rief er endlich aus:

»Aber zum Teufel auch, der Herr ist jetzt wenigstens schon drei Viertel Stunden hinter seiner Zeit. Sind Sie auch gewiß, daß er überhaupt kommt?«

»Ich habe nicht den geringsten Grund, daran zu zweifeln, und begreife es selber nicht. Ob er am Ende kein Boot bekommen hat?«

»Zehne für eins, wenn er sie haben wollte. Zwischen den beiden Orten wechseln ja die Boote fortwährend herüber und hinüber. Das kann ihn nicht zurückgehalten haben. Welche Zeit hatte er Ihnen bestimmt?«

»Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang.«

»Die Sonne ist jetzt fast anderthalb Stunden hoch. Wir wollen noch eine halbe Stunde warten, dann sind wir aber an Nichts mehr gebunden. Sie wären jetzt schon völlig berechtigt, den Platz wieder zu verlassen.«

»Lassen Sie uns noch warten,« bat Trautenau, und wieder schritten die beiden Männer eine Zeitlang schweigend auf und ab, aber es erschien Niemand, ja noch kurz vor der gestellten Frist hörten sie sogar lautes Lachen und schwatzende Leute, eine Gesellschaft von Reisenden, die auf die Ruine gestiegen waren und jetzt wahrscheinlich einen Spaziergang in der Nachbarschaft machen wollten.

»Mein lieber Herr Trautenau,« sagte der Officier, indem er seinen kleinen Pistolenkasten unter den Arm nahm, »ich kann Ihnen bezeugen, daß Sie Ihre übernommene Pflicht auf das Vollständigste erfüllt und jedem Gesetz der Ehre genügt haben. Ihr Gegner ist – aus welchem Grunde auch immer – ausgeblieben. Lassen Sie uns zurückkehren und zusammen frühstücken, denn ich fange an hungrig zu werden.«

Zwischen den Büschen wurden in der That schon die hellen Gestalten der Spaziergänger sichtbar; sie durften hier gar nicht länger bleiben, wenn sie nicht auffallen wollten und Trautenau selber schritt jetzt an seines Begleiters Seite um die Ruine herum, damit sie den Fremden nicht mit dem Pistolenkasten in den Weg kamen. Unterwegs begegneten sie auch Reuhenfels nicht und Trautenau begriff nicht, was ihn abgehalten haben konnte; denn wie auch immer sein Charakter sein mochte, für feige hielt er ihn nimmermehr.

Unten in St. Goar angelangt, bestellten sie rasch ein Boot und setzten sich indessen in eines der nächsten Weinhäuser, um etwas zu frühstücken, denn der Magen verlangte sein Recht. Trautenau, von Ungeduld gepeinigt, wäre allerdings am liebsten gleich nach St. Goarshausen zurückgekehrt, aber der Officier ließ ihn nicht los und er konnte ihm die Gefälligkeit, noch eine Viertelstunde bei ihm auszuhalten, nach der ihm geleisteten nicht versagen.

Jetzt lag das Boot bereit und brachte sie wieder über den Strom hinüber, ihrem Ziel entgegen, und Trautenau eilte nun, so rasch ihn seine Füße trugen, in das goldene Roß hinüber, um dort den Major seines Wortbruchs wegen zur Rede zu stellen.

Im goldenen Roß hatte sich indessen eine andere Scene zugetragen, die allerdings das Ausbleiben des Herrn von Reuhenfels, soweit es seinen persönlichen Muth betraf, vollkommen entschuldigte.

Der genannte Herr war ebenfalls lange vor Tag aufgestanden und fertig zum Aufbruch, sah seine Pistolen noch einmal nach, ob auch Alles in tüchtigem Stand wäre, füllte das kleine Pulverhorn, das er in die Tasche schieben konnte, aus einem größeren, und hatte die Uhr dabei vor sich auf dem Tisch liegen, damit er den richtigen Moment nicht versäume.

Der Hausknecht stand unten im Flur und putzte die Stiefeln der verschiedenen Gäste, als die Hausthür geöffnet wurde und ein Fremder – zu so früher Stunde allerdings etwas Ungewohntes, darin erschien.

»Sagen Sie mir, lieber Freund,« redete er den Hausknecht an, »ist gestern Abend oder in der Nacht, wohl noch ein Fremder hier im goldenen Roß angekommen, der zu einem paar Damen gehört?«

»Heute Nacht nicht, aber gestern Abend,« sagte der Mann – »No. 11«.

»In der That? Wie sah er aus, wenn ich fragen darf?«

»Na, wie soll er aussehn – wie andere Fremde auch.«

»Trägt er einen Bart?«

»Ja, einen Backenbart glaub' ich – ein Bischen breit.«

»Aber keinen Schnurrbart?«

»Ich glaube nicht, aber da müssen Sie seinen Barbier fragen.«

Der Fremde drückte dem Hausknecht ein Guldenstück in die Hand, was dieser mit äußerstem Erstaunen betrachtete.

»Hollo?« rief er, »so früh Morgens? – der Tag fängt gut an.«

»Es war noch ein anderer Herr bei den Damen, wie?« frug der Fremde weiter.

Der Hausknecht nickte – »Ja und die Beiden haben sich mit einander gezankt,« erzählte er, denn der Gulden hatte ihn gesprächig gemacht, – »sie waren zusammen im großen Saal allein, und wie ich den fremden Herrn heute Morgen weckte, und ihm Licht ansteckte, hatte er einen offenen Pistolenkasten vor seinem Bett auf dem Stuhl stehen!«

»So? – das war der Letztgekommene?«

»Ja.«

»Und ist er noch auf seinem Zimmer?«

»Gewiß, aber lange wird er nicht mehr bleiben, denn sonst hätte ich ihn nicht vor Tag zu wecken brauchen.«

»Da kommt Jemand die Treppe herunter.«

Der Hausknecht sah hinauf, schüttelte aber mit dem Kopf, – »ne, das ist der Andere.«

Der Fremde zog sich in den Schatten des Geländers zurück, bis Trautenau das Haus verlassen hatte; dann folgte er ihm langsam bis zur Thür und blieb dort wohl noch zehn Minuten stehen. Endlich pfiff er leise auf einem kleinen Instrument und es dauerte nicht lange, so traten auch vier andere Männer in die Flur, von denen der Eine die Uniform der Landes-Polizei trug.

»Ich denke wir haben den Burschen,« meinte der Fremde jetzt, zu diesem gewandt, »denn was ich eben von dem Hausknecht gehört, läßt kaum noch einen Zweifel. Unser Extrazug wird sich wahrscheinlich bezahlt machen.«

»Daß wir nur keinen Verkehrten fassen,« entgegnete der Polizeibeamte, – »kennen Sie ihn persönlich?«

»Allerdings, – Herr von Reuhenfels, der sich in Wiesbaden »zu Berg« nannte, ist eine zu allbekannte Persönlichkeit, und war jeden Abend in der Spielbank zu treffen – ebenso wie seine schöne Frau.«

»Und was wird mit der Dame?«

»Es ist keine Anklage gegen die Dame erhoben; wir werden sie nicht belästigen.«

Oben wurde in diesem Augenblick geklingelt.

»Das ist auf No. 11,« rief der Hausknecht, – »ich soll ihm den Kasten hinunter zum Wasser tragen.«

»Gut – gehen Sie hinauf,« sagte der Polizeibeamte. »Wir sind hier um den Herrn zu verhaften. – Sollte er Widerstand leisten, so sind Sie verpflichtet, uns beizustehen. Sie haben mich doch verstanden?«

»Ja wohl – gewiß.«

»Und wenn Sie ein Wort oben äußern, könnten Sie in die schlimmste Lage kommen, lieber Freund.«

»Werde mich hüten,« brummte der Hausknecht; der Herr da oben schien aber ungeduldig, denn eben klingelte es zum zweiten Mal, und bedeutend stärker als vorher.

»Ja, ja, komme schon,« knurrte der Hausknecht, in eben nicht besonderer Laune, »na ja,« murmelte er dabei – »hier unten einen Gulden gekriegt und da oben das Trinkgeld verloren; wo bleibt da der Profit.« – Als guter Deutscher hatte er aber viel zu großen Respect vor der Polizei, um irgend einen anderen Gedanken, als den unbedingten Gehorsams zu hegen. Was ging ihn auch der Fremde auf No. 11 an, daß er sich seinetwegen hätte in böse Händel verwickeln lassen. Helfen konnte er ihm doch nichts. Er ging in das Zimmer und ließ die Thür angelehnt.

»Hier mein Bursche,« begann Reuhenfels, »nimm einmal den Kasten und komme mit mir zum Flußufer hinunter. Ist der andere Herr schon fort?«

»Oh wohl schon vor zehn Minuten.«

»So? Dann habe ich keinen Augenblick Zeit mehr zu versäumen – komm rasch.«

»Sie werden wohl noch einen Augenblick entschuldigen müssen, Herr Major von Reuhenfels,« sagte in diesem Moment die tiefe, ernste Stimme des französischen Polizei-Agenten, dessen Gesicht sich Reuhenfels erinnerte oft in Wiesbaden gesehen zu haben, wenn er auch wohl nie eine Ahnung von seiner Function hatte. Aber er erbleichte, denn hinter diesem traten noch vier andere Männer ins Zimmer und füllten den kleinen Raum, während sich der Hausknecht vor das Fenster zurückgezogen hatte, um eine Flucht dort hinaus zu verhindern.

»Was wollen Sie von mir?« rief Reuhenfels, und sein scheuer Blick verrieth deutlich genug, daß er kein reines Gewissen hatte. »Halten Sie mich nicht auf – ich habe eine Ehrensache abzumachen.«

»Weshalb wir kommen, mein Herr,« sagte der Beamte mit schneidender Kälte, »betrifft keine Ehrensache, sondern einen Bubenstreich – ja vielleicht eine Kette von solchen, und die Erledigung derselben muß diesmal der Ehrensache vorgehen. Sie sind mein Gefangener.«

»In wessen Namen?« fuhr Reuhenfels auf.

»Im Namen Sr. Majestät des Kaisers der Franzosen wegen Anklage auf Mord und Raub, wie anderer geringfügiger Vergehen.«

»Das ist eine schändliche Lüge!« rief der Verbrecher, aber Todtenblässe deckte seine Züge und der scheue Blick umher suchte nach Hülfe, vielleicht nach einer Waffe. Die Pistolen im Kasten waren aber nicht geladen und dieser auch verschlossen. Ueberhaupt gaben ihm die Polizeibeamten keine Zeit mehr, sich lange zu bedenken. Ehe er ernstlichen Widerstand wagen oder nur beschließen konnte, hatten sie sich auf ihn geworfen, und obgleich er sich jetzt wie ein Verzweifelter wehrte, fand er sich doch machtlos in der Hand der fünf baumstarken und gewandten Männer. Seine Kraft war auch gebrochen. Der Schlag hatte ihn zu rasch und plötzlich getroffen und zähneknirschend ergab er sich endlich in sein Schicksal.

Ehe man ihn abführte, verlangte er allerdings noch einmal seine Frau zu sprechen, der Beamte erklärte aber strengen Befehl zu haben, keine Unterredung weiter mit irgend wem gestatten zu dürfen. Er wußte überdies, daß ihm die Dame entflohen sei, und also keine Gefühlsrichtung diesen Wunsch hervorgerufen hatte. Der Gefangene wurde ohne Weiteres, mit Allem was man bei ihm fand (seine in Wiesbaden befindlichen Sachen waren schon mit Beschlag belegt) in Gewahrsam gebracht, bis der nächste Zug ging und dann fort transportirt, ohne daß die Leute im Haus weiter erfuhren, was mit ihm geschah.

Zwei Stunden später etwa kehrte Trautenau vom anderen Ufer zurück. Schon unten in der Hausflur erzählte ihm aber der Wirth, den er dort antraf, die Gefangennahme des fremden, gestern Abend angekommenen Herrn, der jedenfalls ein großes Verbrechen begangen haben müsse, denn als man ihn auf die Bahn gebracht, habe er Handschellen angehabt.

»Und die Damen?«

»Die Eine ist noch oben,« erwiederte der Wirth, »und wartet, glaube ich, auf den nächsten Zug, oder das nächste Boot – die andere ist mit einem jungen Herrn, einem Franzosen, gleich nachdem der Herr fortgeschafft wurde, oder etwa eine Stunde später, an Bord des zu Thal gehenden Bootes gefahren. Der Dampfer konnte ja kaum die Landung verlassen haben, als Sie heraufkamen.«

Trautenau war es, als ob das Haus mit ihm im Kreise herum ging. – Eine der Damen hatte das Hôtel mit einem jungen Franzosen verlassen – aber es war doch nicht möglich – nicht denkbar, daß Clemence –

Er drehte sich langsam ab und stieg die Stufen hinauf, die zu der oberen Etage führten. Dort lag das Zimmer, in welchem Clemence wohnte – Er klopfte leise an.

»Entrez!« lautete der ziemlich lebhaft gegebene Ruf, und als er die Thür öffnete, bemerkte er Jeannette, eben im Begriff, ihren Koffer zu packen, wie sie mitten in der Stube stand.

»Ah Monsieur Trautenau!« rief das junge Mädchen, indem sie auf ihn zuflog und seine Hand ergriff – »Sie sind zurückgekehrt? Ah das ist schön, das ist brav von Ihnen.«

»Mein liebes Fräulein,« erwiederte Trautenau, der das Alles noch gar nicht fassen konnte, »wollen Sie mir freundlichst sagen, was hier vorgegangen ist, denn der Wirth unten scheint mir verrückt – die ganze Welt muß wahnsinnig geworden sein, oder ich bin es am Ende selber.«

»Nein, Monsieur,« rief Jeannette lebhaft aber unter Thränen aus – »man hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Das Unerhörteste ist geschehen.«

»Clemence ist wirklich fort?«

»Heute Morgen, mit Monsieur Armand.«

»Mit dem Franzosen?«

»Dem ich gestern noch in der Nacht mit Lebensgefahr, denn der gnädige Herr hätte mich umgebracht, wenn er es erfuhr – telegraphiren mußte. Solch' ein Undank ist noch gar nicht dagewesen.«

»Sie haben ihm telegraphirt?«

»Jawohl – für die gnädige Frau, und heute Morgen, wie er ankommt, entläßt sie mich aus ihrem Dienst und reist allein mit ihm ab.«

»Clemence?«

»Nun versteht sich – mit dem ersten Boot, das stromab kam, sind sie fort. Ich habe sie selber an's Ufer begleitet.«

»Und kannte Madame jenen Monsieur Armand schon früher?«

»Ah gewiß,« rief Jeannette in Aerger über die erlittene Unbill. »Das Ganze war eine abgekartete Sache, und Monsieur Armand hat uns ja selber dies Hôtel bestimmt, um auf ihn zu warten.«

»So?« sagte Trautenau und es war ihm zu Muthe, als ob ihn Jemand mit eiskalter Hand sein Herz gefaßt und zerdrückt hätte – »also eine abgekartete Sache – und ich selber –?«

»Ah Monsieur, diese Dame ist eine durchtriebene, gefährliche Kokette. Sie wären verloren gewesen, wenn Sie vollständig in ihr Netz fielen.«

»Wahrhaftig?«

»Was ich Ihnen sage – diesen Armand liebt sie wie rasend. Mit Ihnen hat sie nur ihr Spiel getrieben, weil sie Jemanden brauchte, der den Verdacht ihres Gatten ablenkte.«

»In der That?«

»Und mich – die mit solcher Treue und Aufopferung an ihr hing, jetzt mit so schmählichem Undank zu lohnen; oh es ist schändlich! abscheulich!«

Trautenau wandte sich langsam ab und wollte das Zimmer verlassen, als ihn Jeannette zurückhielt.

»Und was gedenken Monsieur jetzt zu thun?«

»Ich? – oh, Nichts, ich darf Madame natürlich nicht mehr belästigen, und denke auch gar nicht daran. Ich werde in meine Heimath zurückkehren.«

»Und was wird aus mir?« rief Jeannette, indem sie ihn bittend ansah – »wollen Sie mich, ein armes, unbeschütztes Mädchen hier allein in dem fremden Land zurücklassen?«

»Hat Sie Madame auch um Ihren – Lohn betrogen?«

»Nein das nicht – Monsieur Armand ist reich; er war generös.«

»Und was verlangen Sie noch von mir?«

»Ist es Sitte in Deutschland, daß man unbeschützte Frauen allein reisen läßt?«

»Mein liebes Fräulein,« antwortete Trautenau, dem diese kaum versteckte Zumuthung doch ein wenig zu stark schien, – »Sie haben der gnädigen Frau getreu geholfen und beigestanden – es war an ihr, Sie dafür zu belohnen. Sie werden von mir hoffentlich nicht verlangen, daß ich mich zum Cavalier ihrer Kammerfrau aufwerfe, da sie selber es vorgezogen, einen anderen Schutz zu suchen. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise –« und sich abwendend schritt er aus der Thür und hörte nur noch den Ausruf der Empörung Jeannettens: »Oh diese Deutschen – diese Menschen von Holz!« – Aber er war geheilt – vollständig geheilt von seiner tollen Leidenschaft, und als er etwa drei Wochen später nach M– zurückkehrte, konnte er Frank sein Abenteuer – oder vielmehr seine Kette von Abenteuern mit lachendem Munde erzählen.

Drei Monat später druckte ein deutsches Blatt in M– einen Artikel aus einer französischen Zeitung ab – einen Criminalfall, der für M– besonderes Interesse hatte. Es war die Verurtheilung eines Deutschen, eines Herrn von Reuhenfels, der beschuldigt und überführt worden war, seinen Schwiegervater, einen geborenen Franzosen Monsieur Joulard, mit dem er früher Wechselfälschungen und anderen Betrug getrieben, in Paris ermordet, und in einem Keller vergraben zu haben. Er hatte das Verbrechen eingestanden und war, da ein vorbedachter Mord nicht nachgewiesen werden konnte, zu lebenslänglicher Galeerenstrafe verurtheilt worden.

Von Clemence hörten sie Nichts wieder. Möglich, daß sie als Madame Armand irgendwo in Frankreich lebte. Trautenau dachte nicht mehr an sie – er hatte ihr Bild, die Copie, die er damals behalten, gleich nachdem er nach M– zurückkehrte, zerstört, aber mit desto größerer Vorliebe zeichnete und malte er sich in seinem neuen Atelier den Major in der alten Staffage an die Wand, und wo ihm einmal wieder das Herz mit dem Verstand durchgehen wollte, bedurfte es nur eines Blickes auf das Bild, um all die alten, fast begrabenen Erinnerungen wieder wach zu rufen. Damit war denn auch jede Gefahr beseitigt, denn er hatte sich den Teufel als Schutzengel an die Wand gemalt.

Booby-island.
Australische Skizze.

Wenn der Leser die Karte von Australien in die Hand nimmt, so sieht er, daß im Norden dieses Welttheils, zwischen Australien und der großen Insel Neu-Guinea, eine schmale Meerenge hindurchführt, die noch außerdem mit zahlreichen Punkten – nichts als bösartige Klippen – gesprenkelt erscheint. In der That füllen eine Menge von Korallenriffen und Sandinseln diesen schmalen Meeresarm aus, und nur einzelne Passagen mit kaum fünf oder sechs Faden tiefem Fahrwasser ziehen sich hindurch und müssen von den Schiffen sorgfältig eingehalten werden. Da diese aber, wenn sie aus dem Stillen in den Indischen Ocean wollen, durch die Meerenge ein tüchtig Stück Weg abschneiden, so benutzen sie doch häufig den Weg, und bei ruhigem Wetter und einiger Vorsicht ist auch nicht eben viel Gefahr dabei.

Anders stellt sich freilich die Sache, wenn gerade an der Einfahrt, besonders von Osten her, wo die Passage nicht so leicht zu finden ist, stürmisches Wetter einsetzt. Manches arme Schiff ist dann schon an jenen sogenannten barrier-reefs (Riffbarrière) gescheitert, und die Mannschaft hat sich, wenn sie nicht gar an einer zu bösen Stelle strandete, in ihren Booten retten müssen.

Einmal erst in der Meerenge – welche die Torresstraße genannt wird – und die Boote haben auch in der That Nichts mehr von den selbst stürmischen Wogen des Oceans zu fürchten, da diese Korallenriffe die schwere Dünung vollständig abhalten. Sie befinden sich in der Meerenge selber in ruhigem glatten Wasser, und eine Menge Inseln liegen dort überall, auf denen sie selbst landen können. Freilich bieten diese Inseln auch gar Nichts weiter als eben Land, und nur einige der größten haben dürftige Quellen. Zu gewissen Jahreszeiten wachsen aber auch auf den meisten sehr delikate, dattelähnliche Früchte, die wie unsere deutschen Pflaumen aussehen, und mit denen und den zahlreichen Fischen im seichten Wasser könnten sich Schiffbrüchige eine Zeitlang das Leben fristen.

Stranden sie freilich zu einer Zeit, wo diese Früchte nicht reif sind, und haben sie – wenn sie rasch von Bord flüchten mußten – keine Gewehre bei sich, um von den dort häufig vorkommenden Tauben zu erlegen, so sind sie sehr übel daran, und ihre einzige Aussicht bleibt, »Booby-island« so bald als möglich zu erreichen.

Alle diese Inseln – selbst Mount Adolphus, die größte von ihnen mit tüchtigen Hügelrücken, sind unbewohnt, und nur in gewissen Zeiten kommen einzelne australische Familien oder Stämme vom Continent herüber, um hier zu fischen. Selbst aus dem ostindischen Archipel, von Timor-laut und anderen kleineren Inseln segeln mit dem günstigen Monsuhn (temporären Wind) die Malayen herüber, um hier dem Fischfang obzuliegen, und kehren erst, wenn diese, regelmäßig fünf Monate wehende Luftströmung nach der entgegengesetzten Himmelsrichtung umspringt, in ihre Heimath zurück.

Die ganze Torresstraße ist derart mit kleinen Inseln angefüllt, und die westlichste davon, die schon eine ziemliche Strecke draußen im indischen Ocean und von sehr tiefem Wasser umgeben liegt, ist Booby-island, nach den von den Engländern boobies genannten großen Seemöven so getauft.

Sie besteht allerdings nur aus kahlem Felsgestein, mit immergrünen Rankgewächsen überwuchert, zwischen denen nur einige niedere, kaum sechs Fuß hohe Büsche hervorragen. Kein Baum giebt dort Schutz gegen die brennenden Strahlen der Sonne, keine Quelle entspringt dem dürren Boden, keine Frucht wächst darauf, kein Fischfang ist selbst in dem tiefen Wasser möglich, und da die Insel noch dazu weit ab vom festen Lande und den übrigen Inselgruppen liegt, so fanden weder australische Eingeborene noch die in der Nähe vorbeifahrenden Malayen je eine Veranlassung, dort zu landen und den Platz näher zu untersuchen.

Englische Seefahrer hatten das aber schon längst gethan und eine besondere Eigenthümlichkeit dieses kleinen Eilands entdeckt, nämlich eine tief in den Fels hineingehende, sehr geräumige Höhle, die aber durch vorspringende Zacken ziemlich versteckt lag. Längst schon hatte man dabei das Bedürfniß gefühlt, in einer Gegend, wo Schiffbrüche gar nicht zu den Seltenheiten gehörten und wenigstens kein Jahr verging, daß nicht ein oder das andere Fahrzeug auf oder zwischen den Korallen scheiterte, irgendwo ein Depot anzulegen, in welchem die gerettete Mannschaft Wasser und einige Provisionen finden konnte.

Dazu erwies sich eben dies Booby-island ganz vortrefflich, und die praktischen Engländer ergriffen den hier gebotenen Vortheil auch ohne Weiteres. In den englischen Zeitungen wurde bekannt gemacht, daß jene Insel für diesen Zweck benutzt werden solle, und dieselbe dem Schutz und der Pflege englischer Seeleute empfohlen. Vorbeilaufende Schiffe legten dann dort bei und schafften Fässer mit Wasser und Schiffszwieback, gesalzenes Fleisch, trockenes Obst und verschiedene andere Lebensmittel in die Höhle. Selbst eine kleine Anzahl Flaschen spirituoser Getränke wurde nicht vergessen, wie etwas Tabak für schiffbrüchige Seeleute. Oben auf dem Felsen befestigte man dann noch eine kleine Flagge und etablirte eine »Postoffice« – freilich ohne irgend einen Beamten oder Aufseher.

Es stand dort oben nämlich ein, nur durch ein einfaches Bretterdach gegen den Regen geschützter Kasten – eine der gewöhnlichen starken und angestrichenen Seekisten, wie sie Matrosen statt Koffer gebrauchen. Darinnen lag etwas Papier, Bleistifte, Oblaten, Couverte etc., und ein Schild daneben deklarirte den Platz als »Postoffice«, und deutete an, daß an der Süd-Ostseite der Insel in einer Höhle Provisionen lägen – falls dort landende Schiffbrüchige sie nicht schon vorher gefunden hatten.

Fahrzeuge, welche die Torresstraße, von Osten kommend, passirt hatten, legten nun hier bei, sandten ein Boot an Land und hinterließen in diesem merkwürdigen Postbureau Namen und Zeit ihrer Durchfahrt, und das nächste nach Sydney durchgehende Schiff fand dann den Brief, nahm ihn mit und brachte dadurch die Nachricht nach dem Port viel rascher, als dies auf eine andere Weise möglich gewesen wäre.

So bestand diese Einrichtung viele lange Jahre, und noch im Jahre 58 hatte kein australischer Wilder den Platz betreten oder, wenn so, die ziemlich versteckte Höhle entdeckt. Die dort eingelegten Provisionen blieben wenigstens unberührt, und wenn auch einzelne der dort aufgehäuften Sachen, z. B. manche Fässer mit gepökeltem Fleisch in dem heißen Clima verdarben, so wurden sie doch immer wieder von Zeit zu Zeit durch andere frische ersetzt, und manche Bootsmannschaft, die sich bis hierher gerettet, segnete die wackeren Geber, die mitten im Ocean einen Tisch für sie gedeckt und ihren Hunger und Durst in einer Wüste gestillt hatten.

Es war im November des Jahres 59, daß zuerst ein Canoe der Australier dorthin, vielleicht auf einer Entdeckungsreise kam. Möglich, daß sie untersuchen wollten, ob dies kleine Eiland doch vielleicht irgend eine Art Frucht trage – denn auf den anderen Inseln waren die Früchte in dem Jahr nicht gerathen, möglich, daß sie nur Möveneier sammeln oder den Versuch machen wollten, in der dortigen Gegend zu fischen, kurz sie landeten, und ein englisches, gerade vorbeikommendes Fahrzeug sah die dunklen Gestalten kaum oben auf dem kahlen Felsen, als es auch näher heran hielt, einen seiner kleinen Böller löste und zwei Boote absandte, um die Wilden zu vertreiben. Es bedurfte aber der Boote nicht einmal; schon bei dem abgefeuerten Schuß hatten sich die erschrockenen Eingeborenen Hals über Kopf den Felsen hinunter geworfen, sprangen in ihr Canoe und ruderten in wilder Hast dem Festlande zu. Die Boote folgten ihnen wohl noch eine Strecke, aber das Canoe konnten sie nicht einholen; wie ein Pfeil glitt es über's Wasser, und da sie sich auch nicht zu weit von ihrem Schiff entfernen durften, kehrten sie auf die Insel zurück, um zu untersuchen, ob die schwarze, diebische Bande dort schon Schaden angerichtet habe.

Den Kasten oben mußten sie gefunden haben, denn das kleine ihn umgebende Mauerwerk mit dem Bretterdach darauf wie der Fahnenstange daneben – an der der Wind freilich nur noch ein paar dünne verbleichte Lappen gelassen hatte, war zu deutlich erkennbar; aber sie konnten ihn nicht berührt haben, denn Alles fand sich noch in vollständiger Ordnung wie vorher, und die Höhle hatten sie gar nicht entdeckt.

Möglicherweise daß sie den Kasten oben für irgend eine Begräbnißhütte der »bleichen Männer« gehalten, für irgend einen Zauber auch vielleicht, denn oben im Sand waren die Spuren ihrer nackten Füße überall zu erkennen, nur nicht unmittelbar an der »Postoffice«, die sie, wie man deutlich sehen konnte, scheu umkreist hatten, ohne ihr näher als zehn oder zwölf Schritte zu kommen.

Die Höhle unten konnten sie aber keinenfalls gefunden haben, denn dort hätten sie sich schwerlich gescheut, zuzulangen, da sie in dieser Art sonst gar nicht blöde sind. Die Gefahr war deshalb noch für dießmal abgewandt und dies Canoe kehrte sicher nicht so rasch dahin zurück – und andere? – Man mußte der Sache eben ihren Lauf lassen, denn es gab keinen Schutz für die dort deponirten Provisionen, als eben die öde und entfernte Lage der Insel selber. Die Boote fuhren deßhalb noch einmal zum Schiff, brachten ein Faß frisches Wasser herüber und gingen dann an Bord, um noch vor Nacht den günstigen Wind zu benutzen und ein Stück in den indischen Ocean hineinzukommen. Oben in den Kasten hatte der Steuermann aber für nachkommende Schiffe die Notiz aufgeschrieben, daß er australische Wilde auf der Insel gefunden und sie davon verjagt habe. Andere Fahrzeuge wurden gebeten, ein wachsames Auge auf die Canoe's zu halten.

Ende November und Anfang December legten dort noch vier oder fünf fremde Schiffe bei und notirten, daß sie Alles in Ordnung und keine Spur von Indianern gefunden hätten.

Ende December, und die letzte günstige Zeit benutzend, von Ost nach Westen die Straße zu passiren, lief ein kleiner englischer Schooner gegen die Barrierreefs auf, als es gegen Abend tüchtig zu wehen anfing und eins der hier sehr häufigen und starken Gewitter von Süden herüber zog. Der Kapitän hoffte noch Raines Einfahrt zu erreichen, aber die Nacht brach an, ehe er den auf Raines Eiland errichteten hölzernen Thurm erkennen konnte. Nur die Brandung an den Riffen selber war deutlich sichtbar und das dumpfe Brausen der sich überstürzenden Wogen drang klar und deutlich herüber. Nach seiner Mittags genommenen Observation mußte er sich aber etwa auf der Höhe der Einfahrt oder wenigstens dicht davor befinden, und um nicht durch das Wetter zu weit nach Norden aufgetrieben zu werden, hielt er ein wenig von den Korallenriffen ab und legte dann bei, denn zum Ankern ist die See dort viel zu tief.

Nicht lange dauerte es, so fegte der Sturm über das Meer, wühlte die Wogen auf und jagte die Kämme derselben wie dünnen Wasserstaub über die kochende Fläche. Blitze zischten dabei, der Donner rollte und es wurde eine bitterböse Nacht, so daß das kleine, außerdem leicht geladene Fahrzeug, nur vor seinem Vorstengenstagsegel liegend, kaum die Nase den immer wilderen Sturzseen entgegenhalten konnte. Gegen Mitternacht drehte sich der Wind nach Süd-Ost und dann fast nach Ost herum, und der Steuermann rieth jetzt, ernstlich abzufallen, um lieber aus ihrem Cours zu treiben, als der dringenden Gefahr ausgesetzt zu sein, an die Riffe geworfen zu werden; der Kapitän sträubte sich dagegen und da er selber von zwölf bis vier Uhr die Wacht hatte, bedeutete er seinem Offizier, er würde sehen wie sich das Wetter mache, und wenn es noch eine Stunde so anhalte, die Mannschaft an Deck rufen lassen.

Der Sturm ließ in dieser Zeit allerdings etwas nach und der Himmel zeigte schon an einigen Punkten wieder Sterne, aber der Wogengang hatte sich indessen auch geändert und drängte das kleine, tanzende Fahrzeug mehr und mehr nach Lee herüber und den gefährlichen Barrier-reefs zu.

Gegen zwei Uhr sprang der Steuermann an Deck; er hatte nicht schlafen können und das Toben der gar nicht mehr so fernen Brandung unten in seiner, sogar vom Lande abliegenden Coje gehört.

»Kapitän, um Gottes willen, ich glaube, wir treiben auf die Riffe!«

»Noch nicht, Mr. Brown, aber ich denke selber, daß es Zeit wird, abzufallen; der Wind hat etwas nachgelassen und wir dürfen ein wenig Leinwand zeigen. Rufen Sie Ihre Wacht an Deck.«

Die Wacht kam, schlaftrunken nach der kurzen Rast, langsam herausgeklettert; der Bug fuhr, dem Steuer rasch gehorchend, herum, und die Leute hingen eben an den Fallen, um die Gaffel des schweren Schoonersegels aufzuhissen, als es von Osten her mit erneuter Wuth über die See brauste.

Es war »eine frische Hand am Blasbalg«, wie die Seeleute sagen, und in der Dunkelheit hatten sich die dort schon lange aufquellenden Wolkenmassen nicht erkennen lassen. Wohl versuchten jetzt trotzdem die Leute ihr Aeußerstes, das Segel zu setzen, aber die Flanke dem Sturm zugedreht, war es der überdieß schwachen Bemannung nicht möglich, mit so furchtbarer Gewalt legte sich riesenschwer der Wind hinein. Aufdrehen konnten sie auch nicht mehr dagegen, und abfallen vor dem Sturm, den Riffen gerade entgegen? – und doch blieb nichts Anderes übrig; der Versuch mußte wenigstens gemacht werden.

Zu spät! »Brandung voraus!« schrie einer der Leute, der nach oben gelaufen war, um eins der Falle klar zu machen, und »Brandung in Lee!« tönte der Schreckensruf dazwischen. Die Leute ließen die Taue los, während sich der Sturm in dem nur etwas aufgehißten Segel fing – der Kapitän sprang selber zum Rad, um den Versuch zu machen, das seinem Geschick verfallene Fahrzeug von der gefährlichen Küste abzudrehen – zu spät! Die Wogen hatten es gefaßt und jagten es mehr und mehr dem schon deutlich und unheimlich leuchtenden Gürtel der Brandungswellen zu; der Bug gehorchte zwar noch einmal dem Steuer, aber ein anderer Windstoß schlug das Segel zurück. Der Kapitän schrie seine Befehle über Deck, aber Niemand verstand ihn in dem Aufruhr der Elemente, in dem furchtbaren Toben der Brandung. – Willenlos setzte das Fahrzeug nach Lee zu und jetzt – eine einzige wilde Brandungswoge jagte über Deck, der Schooner wurde wie von einer Riesenfaust emporgehoben, im nächsten Augenblick krachten Masten und Balken – ein dumpfer Stoß folgte, und der Steuermann, der das Gangspill in dem entscheidenden Moment umklammert hatte, fühlte plötzlich, daß das Wrack in ruhigem Wasser lag und dieselbe Brandungswoge, die eben noch über ihr Deck gestürzt, das gescheiterte Fahrzeug nicht mehr erreichen konnte.

Wie es geschehen war, wer hätte es sagen können; möglich schien es, daß die Woge, die den Schooner zertrümmern wollte, ihn selber über eines der niedern Riffe hinübergehoben und dadurch, für den Augenblick wenigstens, in Sicherheit gebracht hatte; möglich auch daß der Kiel zufällig eine Lücke in den Korallen getroffen und hindurchgeschoben war. Jedenfalls saßen sie fest in die Riffe eingekeilt, und an ein Wiederhinauskommen in tiefes Wasser mit dem verkrüppelten Fahrzeug durfte nicht gedacht werden.

Jetzt sammelte sich die Mannschaft auf dem etwas höher liegenden Quarterdeck, denn wie sich nachher zeigte, war der Bug zertrümmert und das Wasser schon in den innern Raum eingestürzt – zwei Mann fehlten; die Brandungswelle mußte sie über Bord gewaschen haben, und dann war freilich an Rettung nicht zu denken; der Kapitän hatte sich, von der Fluth emporgehoben, noch in der einen »Want« gefangen und dort angeklammert; die Meisten schienen nur wie durch ein Wunder dem sicheren Verderben entgangen.

Vorderhand ließ sich indessen gar Nichts thun, es war stockfinster, der Sturm heulte, und das einzige Licht, was einen matten Dämmerschein über Deck warf, kam von dem leuchtenden Kamm der Brandungswelle herüber. Den Tag mußten sie jedenfalls abwarten, und nur darüber suchten sie sich vorderhand zu vergewissern, ob sie noch der Gefahr des Sinkens ausgesetzt seien. Dem schien aber nicht so; das Hintertheil des Schooners saß fest auf den Klippen, ja sogar in einer Korallenspalte drin, denn kaum zwei Fuß unter dem Wasserspiegel fühlten sie mit dem ausgeworfenen Loth an der Starbordseite Grund, während der Top des großen umgestürzten Mastes auf einer hohen Sandklippe lag, so daß man dieselbe auf diesem hin recht gut hätte erreichen können.

Erschöpft und aufgerieben warfen sich die Leute jetzt an Deck, um den nicht mehr so fernen Tag zu erwarten; der Wind heulte noch, der Donner rollte und ein prasselnder Regen schlug nieder. Was that's – eines der Segel schnitten sie von dem Mast herunter, um sich dadurch nur etwas gegen den Regen zu schützen, und sanken dann bald in einen unruhigen, kurzen Schlaf.

Und der Morgen kam endlich, schien aber keineswegs eine Erleichterung zu bringen, sondern ließ sie nun erst das Trostlose ihrer Lage vollständig übersehen.

Der große Mast hatte in seinem Sturz die auf Deck befestigte Barkasse vollständig zerschmettert, so daß an eine Reparatur derselben nicht gedacht werden konnte; das ganze Hintertheil derselben war abgedrückt, und es blieb ihnen nur zur Rettung die kleine Kapitäns-Jölle, die hinten am Heck hing und sich noch glücklicherweise in brauchbarem Zustande befand – aber wie diese in offenes Wasser bringen? – Nach See zu war es ganz unmöglich, denn keine Lücke selbst ließ sich in der wälzenden Brandungswoge erkennen, die jetzt für einen Moment von den zackigen Klippen zurückwich, um im nächsten mit neugeschaffener Gewalt wieder darüber hinzustürzen. Nach dem Binnenwasser der Riffe zu lagen hingegen ganze Reihen starrer Felsen, hie und da von grünem, und oft von blauem, also sehr tiefem Wasser unterbrochen; welche Gefahren es aber barg, ließ sich noch nicht einmal erkennen, da es vom heftigen Winde gekräußt gehalten wurde. – Und sollten sie hier an Bord bleiben? Es wäre nutzlos gewesen, denn selbst ein vorbeisegelndes Schiff hätte ihnen durch diese Brandung hin keine Hülfe bringen können; sie mußten sich selber helfen.

Vor allen Dingen war es nöthig, den inneren Raum zu untersuchen, ob sie noch möglicherweise Provisionen: Wasser und Zwieback bekommen konnten. Der Koch und der Schiffsjunge – der Stewards-Dienste versah – wurden zu dem Zweck beordert, nachzusehen, während der Kapitän in seiner eigenen Kajüte die Schiffspapiere und sonstige Werthsachen zu bergen suchte. Glücklicherweise fand sich ein Korb mit Zwieback, aber von eingeschlagenem Seewasser ganz aufgeweicht; es war aber immer besser als Nichts. Doch zum Wasser konnten sie nicht kommen, denn die zwei Fässer, die an Deck geschnürt gelegen hatten, waren mit der Kambüse und dem ganzen Vordertheil durch die eine Sturzsee rein über Bord gewaschen worden. Gegen zehn Uhr fiel aber wieder ein kleiner Regenschauer und das eine Segel wurde jetzt aufgespannt, um so viel als möglich davon aufzufangen – es genügte freilich noch immer nicht. Dann packte der Kapitän ein, was er an Blechbüchsen für den Kajütstisch oben in seiner Coje hatte, und brachte doch so viel zusammen, um für kurze Zeit gegen den Hunger geschützt zu sein. Vielleicht half ihnen dann der Himmel mit einem frischen Regenschauer weiter.

So lange der Sturm wüthete, ließ sich nichts unternehmen, obgleich sie im Binnenwasser keine unruhige See zu fürchten hatten. Gegen Mittag klärte sich aber der Himmel auf; der Wind ließ nach, und etwa vier Uhr Nachmittags, während die See noch da draußen unruhig wogte und bäumte, regte sich schon kein Lüftchen mehr und das Binnenwasser war spiegelglatt.

Jetzt gingen sie an die Arbeit, um das kleine Boot flott zu machen und ihre Ladung wenigstens erst einmal auf die Sandbank hinüber zu schaffen. Das ging verhältnißmäßig rasch; auch über den Sand weg konnten die Leute das leichte Boot tragen und ziehen und auf der andern Seite in's Wasser lassen. Weit schwieriger war es aber, über die nächste Reihe von Korallenklippen hinüberzukommen, die mit ihren schlüpfrigen und spitzen Zacken keinen festen Fußhalt gestatteten, und da sie hier ihre Fracht nicht ausladen konnten, sahen sie sich genöthigt, eine lange Strecke daran hin zu fahren, bis sie endlich zu einer Stelle kamen, wo sie im Stande waren, sich hindurchzuzwingen.

Jetzt hatten sie etwa fünfzig Schritt breit glattes Wasser und dann wieder einen Korallengürtel, der aber gefährlicher aussah als er war. Er bestand nur aus neben einander liegenden Klippen und bot zahlreiche Durchfahrten, und die kleine Bootsmannschaft, die aus neun Personen bestand, ruderte nun bei gänzlicher Windstille auf eine hohe Sandbank zu, die sie für das feste Land hielten. Glücklicherweise war es nur eine etwa hundert Schritt breite Barre, und dahinter, als der Steuermann hinauflief, um sich von oben aus umzusehen, entdeckte er das offene Wasser der Binnenriffe, von einzelnen Inseln und Sandbänken nur überstreut.

Hier blieb ihnen allerdings noch eine tüchtige Arbeit, das Boot und dessen Ladung hinüberzuschaffen, und es war dunkle Nacht, ehe sie damit fertig wurden, aber dann stand ihrer weiteren Fahrt auch kein Hinderniß mehr im Wege. Die Nacht lagerten sie auf der Sandbank, und der nächste Morgen fand sie schon beim ersten Schimmer des anbrechenden Tages unterwegs, um vor allen Dingen erst einmal in das Fahrwasser der Schiffe zu kommen und die Möglichkeit zu haben, von einem oder dem anderen vorübersegelnden aufgenommen zu werden.

Instrumente und Compaß hatte der Kapitän gerettet, und die Karte der Straße ebenfalls, da diese schon zum Gebrauch bereit hinter dem Spiegel in der oberen Kajüte stak. Außerdem fehlte ihnen aber jeder Leitfaden, denn Keiner der Leute war je diesen Weg gekommen. Nur der Koch wollte einmal eine Fahrt durch die Torresstraße gemacht haben, da er sich aber nicht um die Führung des Schiffes zu bekümmern brauchte, wußte er auch sehr wenig darüber anzugeben. Nur auf das erinnerte er sich, daß Booby-island draußen vor den Klippen im freien Wasser lag, und daß sie damals dort beigelegt und ein Faß Wasser, ein Faß Zwieback und ein halb Faß gepökeltes Schweinfleisch an Land geschickt hätten. Im Boot war er aber selber nicht mit gewesen und wußte deßhalb auch nichts über die eigentliche Beschaffenheit der Insel zu sagen. Seiner Aussage nach sollte es nur ein großer Felsklumpen sein, um welchen eine Unmasse großer schwarzer Möven herumschwärmte; das war Alles. Uebrigens behauptete er, ihn augenblicklich wieder zu erkennen, sobald er ihn nur sehen würde.

Der Kapitän hatte indessen auch nicht versäumt, die Schiffswaffen mitzunehmen, da die australischen Eingeborenen in einem wohlverdienten schlechten Ruf standen und man gar nicht wissen konnte, in welcher Art man mit ihnen zusammentraf. Uebrigens gedachte er nicht, sie muthwillig aufzusuchen, und an eine Insel zu landen, von welcher man sich nicht vorher sorgfältig überzeugt hatte, daß keine Eingeborenen an Land oder wenigstens in unmittelbarer Nähe wären. Er hatte zu viel über ihre hinterlistige Schlauheit und Grausamkeit gehört, um sie nicht zu fürchten und jeden Zusammenstoß mit ihnen ängstlich zu vermeiden.

Die Aussagen des Kochs, der als einzige Autorität in diesem Meere galt, dienten ebenfalls nicht dazu, ihn zuversichtlicher zu stimmen, denn der Bursche – nach Art solcher Leute, die alles Gehörte entsetzlich übertreiben und wo möglich noch ihren Theil dazu erfinden – wußte nicht genug von den Scheußlichkeiten zu berichten, mit welchen sie Schiffbrüchige, die in ihre Händen fielen, behandelten. Daß sie dieselben schließlich auffraßen, war noch das Wenigste.

Zu Mittag legten sie an einer nackten Sandbank an und der Kapitän nahm hier erst einmal seine Observation, die ihm zeigte, daß sie sich nördlich von der eigentlichen Einfahrt befänden und deßhalb mehr nach Süden hinunter halten mußten. Sie sahen auch selber, daß dies kein Kanal für größere Schiffe sein konnte, denn mehrmals hatten sie Plätze passirt, in denen sie die Korallen so dicht und deutlich unter sich erkannten, daß man glauben mußte, man könne sie mit der Hand ergreifen. Allerdings waren da noch immer zwei bis drei Faden Wasser, aber oft trafen sie auch Klippen, die bis unter die Oberfläche reichten und zwischen denen sie sich selbst mit dem schmalen Boot kaum hindurchwinden konnten.

Erst gegen Abend erreichten sie eine der wirklichen Passagen und blieben die Nacht auf einer kleinen, nur mit niederen Büschen bewachsenen Insel, wo sie wenigstens nichts von feindlichen Indianerstämmen zu fürchten hatten – aber kein Regen fiel und ihr spärlicher Wasservorrath ging zu Ende.

Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch ruderten sie weiter und setzten auch das mitgenommene Segel, aber die Brise war sehr schwach und trieb sie, allerdings mit günstiger Strömung, nur langsam vorwärts. Wieder kamen sie aber hier, irregeführt durch die verschiedenen Inseln und Sandbänke, in einen falschen Kanal und erreichten erst lange nach Dunkelwerden die größere Insel Mount Adolphus, wo sie wenigstens Wasser zu finden hofften, denn das vom Regen aufgefangene war in der glühenden Hitze vollständig ausgetrunken.

Allerdings befinden sich dort dicht am Ufer in dem einen Felsen ein paar kleine Süßwasserquellen, wie sie aber den Platz erreichten, war hohe Fluth, und weiter in das Land wagten sie sich nicht hinein, da sie in den schmalen Thälern in einen Hinterhalt zu fallen fürchteten.

Einige Früchte hatten sie allerdings auf mehreren der kleinen Zwischeninseln aufgelesen, auch Eier gefunden, welche die Möven in den heißen Sand legen, um sie dort von der Sonne ausbrüten zu lassen – sonst nichts. Tauben, eine weiße prächtige Art mit dunkelbrauner Abzeichnung, sahen sie genug und schossen auch ein paar Mal danach, aber ohne irgend welchen Erfolg, denn ihre Munition bestand nur in Rehposten, nicht in Schroth, und die alten Musketen schossen nicht so sicher, daß sie einen so kleinen Gegenstand wie eine Taube damit aus den hohen Bäumen hätten herausholen können.

Auf Mount Adolphus, wo sie aber nur beilegten und sich nicht einmal getrauten das Boot zu verlassen, blieben sie aber wieder nur auf den Rest ihrer mitgenommenen Vorräthe angewiesen, und ihre einzige Hoffnung lag jetzt darin, jenes Booby-island zu erreichen und von den dort befindlichen Provisionen so lange zu zehren, bis sie eben ein durch die Torresstraße kommendes Schiff anrufen und mit diesem Batavia oder Singapore erreichen konnten.

Der Kapitän wußte übrigens von hier aus, da er die genaue Beschreibung und sogar Zeichnung der Conturen dieser Insel auf der Karte fand, genau die Richtung, die sie zu nehmen hatten. Schon um vier Uhr Morgens setzten sie auch mit einer günstigen Brise in dem hier ziemlich breiten Kanal aus, und Nachmittags um vier Uhr endlich, von brennendem Durst fast zur Verzweiflung getrieben, sichteten sie gerade im Westen den einzelnen Felsen im Meer, der nach jeder Berechnung das angegebene Booby-island sein mußte.

Der Koch wollte freilich nichts davon wissen; er behauptete, Booby-island sei ein ganz spitzer kleiner Felskegel, und das hier lag breit und flach auf dem Wasser; der Kapitän ließ sich aber nicht irre machen, denn seiner Karte und Berechnung nach stimmte es und er hielt gerade darauf zu.

Die Leute selber hatten sich bis jetzt ziemlich gut gehalten, nur der Zimmermann, der aber auch auf dem Fahrzeug Matrosendienste versah, jammerte und klagte über Durst und schöpfte mit der Hand das Seewasser, um seine Lippen zu kühlen. Damit machte er freilich das Uebel nur noch ärger, denn wenn es auch für den kurzen Augenblick etwas Erfrischendes haben mochte, der salzige Geschmack hintennach reizte und trocknete nur um so viel mehr, und er wimmerte leise vor sich hin.

»Geduld, Mann, Geduld,« sagte der Steuermann zu ihm, indem er ihn auf die Schulter klopfte, »da vorn liegt Wasser; in zwei oder drei Stunden können wir dort sein, und so lange werdet Ihr's doch bei Gott wohl aushalten. Schämt Euch doch vor dem Jungen, denn der hat noch nicht einmal geklagt.«

»Was weiß auch so ein Junge von Durst, Steuermann,« sagte der Angeredete mürrisch, »der kommt erst mit den Jahren. S'ist gerade so, als ob mir die Zunge im Hals springen und bersten müßte – und wer weiß denn, ob auch nur ein Tropfen Wasser auf dem blutigen Felsen zu finden ist. Kahl genug sieht er aus.«

»Darüber tröstet Euch, Zimmermann,« sagte der Kapitän. »The Yorkshire lady«, die vierzehn Tage vor uns ausgesegelt ist, hat dort angelegt und von Sydney besonders Wasser und Zwieback für den Zweck mitgenommen, um es dort zu lassen. Finden wir aber nicht genug, um eine Zeitlang liegen zu bleiben, nun so nehmen wir, was wir für den nächsten Tag brauchen, und laufen damit zu einer der Inseln im indischen Archipel hinauf. So weit ist die Fahrt ja nicht, und hohe See haben wir dort auch nicht zu fürchten.«

»Geb's Gott,« sagte der Zimmermann resignirt, und von jetzt ab wurde kein Wort weiter gesprochen, während sich die Leute nur schärfer in ihre Ruder legten, um den verheißenen Platz desto rascher zu erreichen.

Die Brise wurde lebhafter, sie konnten das Segel setzen, die Strömung half ebenfalls nach und das Boot glitt verhältnißmäßig rasch über das glatte Wasser seinem Ziel entgegen. Die ersehnte Insel, die bis jetzt nur wie ein kurzer Streifen auf dem Horizont gelegen und dadurch weit entfernter schien als sie wirklich lag, hob sich mehr und mehr, bis sie die Form eines Topfkuchens annahm und man jetzt deutlich schon den Fuß derselben, gegen den die Strömung wusch, erkennen konnte.

Die Brise, die hier mehr stoßweise kam, lullte nach einiger Zeit wieder ein, und vier von den Leuten hatten deßhalb die Ruder wieder aufgegriffen, die Uebrigen lagen, so gut es eben ging, ausgestreckt im kleinen Boot, und nur der Kapitän saß, das Gesicht dem Lande zugedreht, am Tiller und betrachtete sich das nicht mehr so ferne Eiland. Plötzlich richtete er sich etwas empor und schützte die Augen mit der flachen Hand gegen die schon im Westen stehende Sonne, die ihn auch überdieß durch das Blitzen auf dem Wasser blendete; dann ohne ein Wort zu sagen, nahm er das neben ihm liegende Telescop auf und hob es an's Auge. Kaum aber hatte er einen Blick hindurch geworfen, als er wirklich erschreckt ausrief:

»Damnation! Die Schwarzen haben Booby-island besetzt!«

»Was?« schrie der Zimmermann voller Entsetzen – »oh du grundgütiger Himmel – dann sind wir verloren.«

»Verloren?« brummte der Steuermann, mit einem wilden Fluch durch die Lippen, »hat sich was von verloren – Wie viele sind's, Kapitän?«

»Der Strand schwärmt von ihnen, und oben drauf tanzt auch etwa ein Dutzend herum – aber ich sehe keine Canoe's.«

»Die liegen jedenfalls hinter der Insel in ruhigem Wasser. Also haben die schwarzen Bestien den Platz endlich richtig gefunden!«

»Und was nun?« sagte der Kapitän.

»Was nun? Ei, wir müssen ihn wieder erobern.«

»Gegen den Schwarm?«

»Geben Sie mir einmal das Glas, Kapitän, daß ich einen Ueberblick kriege – immer zu, Jungen, laßt die Ruder nicht schleppen, hier können wir doch nicht liegen bleiben.«

»Wenn wir landen, fressen sie uns mit Haut und Haar!« klagte der Koch, der sich bestürzt emporgerichtet hatte und nach dem jetzt gefürchteten Land hinüberstarrte.

»Was fressen,« knurrte der Steuermann ärgerlich, während er durch das Glas sah – »erst müssen sie uns haben. Alle Wetter! es ist eine hübsche Portion und wir sind auch jedenfalls schon bemerkt worden, denn wie die Ameisen klettern sie da an den lichten Felsen in die Höh'. Jungens, Jungens, und wie werden sie den Vorräthen mitgespielt haben!«

»Wie viele sind's, Steuermann?«

»Ich zähle siebenundzwanzig, groß und klein,« erwiderte dieser, »aber da links heraus kommen noch mehr aus dem Felsen, das ist jedenfalls die Höhle – da sind noch drei, vier, fünf, sechs, sieben – es ist ein ganzer Schwarm, und wir werden Teufelsarbeit bekommen.«

»Wie viel Gewehre haben wir eigentlich im Boot?« frug der Kapitän, nachdem er selber das Glas genommen und durchgeschaut; sie waren der Insel aber indessen so nahe gekommen, daß sie die schwarzen nackten Gestalten schon mit bloßen Augen erkennen konnten.

»Es sollen sechs sein,« sagte der Steuermann, »aber an dem einen ist der Hahn abgebrochen – und dann Ihre Doppelflinte.«

»Und Pistolen?«

»Vier; aber noch ein halb Dutzend Lanzen.«

»So nahe dürfen wir den Halunken nicht kommen,« sagte der Kapitän kopfschüttelnd, »daß wir die gebrauchen könnten, sonst spicken sie uns mit ihren verdammten Wurfspeeren, mit denen sie vortrefflich umzugehen wissen.«

»Wenn wir aber zu kanoniren anfangen,« sagte der Steuermann trocken, »und mit den alten, von Rost halbzerfressenen Schießprügeln nichts treffen, so machen wir sie erst recht übermüthig, und wer dann unverrichteter Sache abziehen muß, sind wir.«

»Den ersten Schuß,« rief der Kapitän, »müssen wir jedenfalls über ihre Köpfe feuern, denn ich möchte die armen Teufel nicht todtschießen, wenn ich es irgend umgehen kann. Ich denke aber auch, das wird genügend sein, denn wenn sie nur den Knall eines Gewehres hören, laufen sie schon was sie laufen können. Schußwaffen fürchten sie mehr als ihren sogenannten Devil-Devil.«

»Ich will's wünschen,« brummte der Mate oder Steuermann, »ich habe nur so eine Ahnung, daß ihnen unser kleines Boot keinen besondern Respekt einflößen wird. Ja wenn wir mit dem Schooner angesegelt kämen und einen der kleinen Böller hätten lösen können, dann wär's vielleicht 'was Anderes, denn die machen mehr Spektakel, und so ein Schuß klingt als ob er von allen Seiten auf einmal käme.«

Es wurde jetzt kein Wort weiter gesprochen, denn das Boot näherte sich rasch dem Lande, und die gerettete Mannschaft nahm zu viel Interesse an dem, was sie dort erwartete, um sich nicht selber durch den Augenschein von der Zahl der Feinde zu überzeugen. Selbst die Rudernden drehten die Köpfe über die Schulter zurück, und deutlich konnte man auch jetzt den Schwarm erkennen, der mit wildem Jauchzen auf der Insel herumsprang, während eine Anzahl von ihnen grüne Zweige von den Büschen brach und damit hinüberwinkte. Fast Alle aber, wie der Kapitän deutlich durch sein Glas erkennen konnte, trugen ihre Lanzen in den Händen, und legten sie erst zwischen den Steinen nieder, als sie vielleicht glaubten, daß man sie vom Boot aus mit bloßen Augen erkennen könne.

»Ach Kapitän,« sagte der Zimmermann, »die thun uns ja nichts, die schwingen grüne Büsche; das ist immer ein Zeichen bei den wilden Hallunken, daß sie's gut meinen – Einen Tropfen Wasser geben sie uns gewiß.«

»Ja trau' Du denen,« knurrte der Koch – »mit denselben Zweigen braten sie Dich nachher.«

Dem Kapitän gefiel übrigens das Winken mit den Zweigen auch nicht. Durch sein gutes Glas sah er deutlich, wie eine Anzahl der Schwarzen, die wieder zum Strand hinabgeklettert waren, ihre Lanzen in eine Vertiefung – wahrscheinlich den Rand der Höhle – stellten, aber dicht dabei stehen blieben und dann aus Leibeskräften mit den grünen Büschen wehten, als ein Zeichen, daß das Boot dort landen solle. Er änderte seinen Cours nicht, sondern hielt vielmehr noch etwas nach rechts hinüber, um die nördliche Spitze der Insel anzulaufen, und die Wilden, wie er deutlich erkennen konnte, griffen jetzt ihre Waffen wieder auf und verschwanden hinter der Insel, um vorn nicht damit gesehen zu werden.

Das Alles deutete auf Hinterlist, und daß die Eingeborenen dieser Küsten Alles daran setzen, um in den Besitz eines guten europäischen Bootes zu kommen, wußte er schon zur Genüge aus den Erzählungen anderer Kapitäne. Geld hat für sie nicht den geringsten Werth. Kleidungsstücke beachten sie nicht, und selbst von Eisenwerk können sie nichts gebrauchen, als vielleicht ein Beil oder Messer, da ihre Lanzen aus den harten und schweren Hölzern bestehen, welche ihnen die Wildniß in Masse liefert, aber ein sicheres Boot war für sie von unschätzbarem Werth, denn damit konnten sie das Meer in jeder Jahreszeit befahren, und daß sie kein Mittel scheuen würden, um sich in den Besitz eines solchen zu setzen, ließ sich denken.

Wie viel Wilde befanden sich aber überhaupt auf der Insel und hatten sie auch schon Alle gesehen? – wohl schwerlich, denn von dem Augenblick an, wo sie nahe genug gekommen, um die Eingeborenen mit bloßen Augen zu erkennen, waren höchstens noch acht oder zehn sichtbar, die sich aber dafür durch das Schwingen von grünen Büschen um so bemerkbarer zu machen suchten. Wo waren die Anderen? Jedenfalls irgendwo hinter den Steinen oder in der Höhle versteckt, und hatten sie wirklich friedliche Absichten, so würden sie sich ungescheut gezeigt haben – daß ihnen die Weißen nichts nehmen konnten, wußten sie ohnedieß. Das Wichtigste also war: einen ungefähren Ueberblick über ihre Zahl zu bekommen, und das konnte nur dadurch geschehen, daß sie in Sicht der Canoe's kamen. Die Insel war auch gar nicht so groß, um das nicht leicht zu bewerkstelligen, und der Kapitän, der auf die Nordspitze zugesteuert hatte, änderte plötzlich seinen Cours, hielt wieder vom Ufer etwas ab und ruderte nun, seine Distance vom Land auf ungefähr hundert Schritte haltend, um das kleine Eiland herum zur Westküste, wo er allerdings einen ganzen Trupp nackter schwarzer Gestalten überraschte, die nicht schnell genug den kahlen Hang hinan kommen konnten und sich nun, so gut das gehen mochte, hinter Korallenbänken und Steinen niederkauerten.

Außerdem entdeckten die Seeleute hier auch eine kleine Flotte von elf Canoe's, die nebeneinander auf den Sand gezogen waren, und stärker an Mannschaft wäre es ihnen jetzt ein Leichtes gewesen, die schwarzen Diebe festzuhalten und zu züchtigen. Aber sie durften ihnen nicht das einzige Mittel, sich zu entfernen, selber abschneiden, denn an Zahl waren sie ihnen doch zu weit überlegen und das Schlimmste von Allem, nur Wenige der Seeleute wußten wirklich mit Feuerwaffen umzugehen, und verstanden besonders nicht, ein einmal abgeschossenes Gewehr auch rasch und ruhig wieder zu laden.

Der Kapitän behielt aber indessen seinen Cours bei; er wußte jetzt genau, daß er es mit einer verrätherischen Bande zu thun hatte, und war nicht gewillt, dieser auch nur den geringsten Vortheil über sich einzuräumen. Das Boot glitt dabei, immer noch in der sicheren Entfernung, um die Insel hinum der Südküste zu, wo sie die wieder überraschten, die vorher an der Höhle Posto gefaßt hatten.

»Sind die Gewehre alle geladen?« frug er ruhig.

»Ja, Sir,« sagte der Steuermann.

»Setzt frische Zündhütchen auf; die alten könnten die Nacht über feucht geworden sein.«

Das geschah lautlos.

»Wollen wir hier landen, Kapitän?« frug der Steuermann; »ich glaube es wäre besser, wenn wir das so dicht als möglich bei der Höhle thäten.«

»Sie haben Recht, Mr. Brown,« nickte ihm sein Vorgesetzter zu, »wir müssen ihnen Gelegenheit zur Flucht geben, sonst wehren sie sich um ihr Leben – Alle Teufel, was ist das da oben?« Er deutete zugleich mit dem Arm hinauf, und seine Leute erkannten dort auf einer eben in Sicht kommenden Felsspitze eine allerdings wunderliche Gestalt, die sich von den Uebrigen wesentlich unterschied.

Alle anderen Indianer waren vollkommen nackt und trugen nicht einmal, wie doch die meisten wilden Stämme, einen Schurz um die Lenden. Der da oben aber – oder war es ein Frauenzimmer? hatte einen weißen, wehenden Talar an, der in der Sonne schimmerte und bis über die Kniee hinabreichte; nur die Arme schauten nackt daraus hervor. Dort wo er stand, als man ihn zuerst entdeckte, war er auch durch den höheren und mit Büschen bewachsenen Hügelrücken gegen den jetzt wieder frischer wehenden Wind geschützt gewesen. Nun aber, als er sich bemerkt sah, sprang er die wenigen Schritte hinauf und stand im nächsten Augenblick in der Brise, und das Zeug, was er anhatte, knitterte und knatterte dabei.

»Gott straf' mich, das ist Papier!« rief der Steuermann aus, und in demselben Augenblick riß sich ein Stück der Kleidung los und flatterte, ehe es der danach greifende Wilde erhaschen konnte, aus in See, nach dem Boot hinüber, von dem es nicht weit entfernt auf das Wasser niederfiel.

Es war in der That ein Bogen weißes Schreibpapier, und jetzt kein Zweifel mehr, daß die Eingeborenen dort oben die Postoffice gefunden und geplündert hatten; welche Verwendung sie für das Papier fanden, zeigte sich dabei. Die Umfahrt um die Insel hatte den Seeleuten die Versicherung gegeben, daß sie es hier mit einer großen Anzahl gutbewaffneter Schwarzen zu thun bekämen, und wären sie nur wenigstens mit Wasser versorgt gewesen, so würde der Kapitän kaum daran gedacht haben, einen so ungleichen Kampf zu wagen. Mußten sie doch sogar jedes Handgemenge auf festem Land vermeiden, blieben immer noch der Gefahr ausgesetzt, daß die Wilden, erst einmal gereizt und zur Rache angetrieben, vielleicht sogar mit ihren Canoe's einen verzweifelten Angriff auf ihr Boot machten.

Aber was blieb ihnen Anderes übrig? Zurück gegen Wind und Strömung nach Mount Adolphus konnten sie nicht wieder, noch dazu, da sie im Inneren jener Insel vielleicht gerade so gut auf Eingeborene trafen und dann erst recht, bei Theilung der Mannschaft, ihr Boot und sich selber in Gefahr brachten; Wasser aber mußten sie haben, und das war hier noch zu bekommen, dort draußen im Westen lag dagegen eine weite See vor ihnen, die sie ohne dies nöthige Lebensbedürfniß nicht durchschiffen konnten, also blieb ihnen schon nichts weiter übrig, als sich ihren Weg zu erzwingen, im schlimmsten Fall mit Waffengewalt, und wenn die Schwarzen dabei zu Schaden kamen, hatten sie es sich selber zuzuschreiben.

Das Boot umruderte indessen das Südwestende der Insel und näherte sich der Südost-Ecke, wo, wie der Kapitän von anderen Collegen erfahren, die Höhle liegen sollte. Dort standen auch immer noch Eingeborene und winkten wieder, als das Boot in Sicht kam, mit den abgebrochenen Büschen.

»Wenn wir's nun einmal versuchten, Kapitän,« sagte da der Steuermann, »ob sie uns im Guten in die Höhle ließen? Der Eingang muß dicht am Wasser sein, und wir könnten ihn mit unseren Musketen recht gut frei halten.«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Mr. Brown,« meinte aber der Kapitän; »die Möglichkeit ist allerdings da, daß wir hinein kommen, aber schwerlich wieder heraus, denn die Kanaillen spielen da drin Versteckens. Auf Freundschaft ist mit ihnen nicht zu rechnen, und ich will die Verantwortlichkeit nicht auf mich laden, auch nur zwei von Euch an ein Experiment gewagt zu haben. Halten Sie Ihre Gewehre bereit; wissen die Leute, welche sie halten, auch ordentlich mit denselben umzugehen?«

»Die Meisten, Sir – mit einer Pistole verstehen sie es besser.«

»Die Pistolen helfen uns nichts,« sagte der Kapitän trocken, »und sind in dem engen Boot hier gefährlicher für uns selbst, als für die Schwarzen – ha, dort ist die Höhle – sehen Sie den dunklen Strich im Felsen?« – Er hatte sein Telescop wieder aufgenommen und sah hindurch.

»Ist das der Platz, Sir?«

»Ja – ich kann dort im Inneren schon aufgeschichtete Fässer erkennen. Sie wissen doch zu schießen?«

»Ay, ay Sir!«

»Gut, dann seien Sie so gut und halten Sie einmal, wenn wir noch ein klein Stück voraus sind und den Eingang breit haben, mitten in die Höhle hinein – aber hoch – verwunden Sie noch keinen; möglich doch, daß wir sie mit einem einzelnen Schuß in die Flucht treiben.«

Der Steuermann nahm sein Gewehr an den Backen und zielte mitten in die Höhle hinein – jetzt waren sie gerad vor dem Eingang, etwa noch hundert Schritte vom Land entfernt.

»Feuer!« rief der Kapitän, und in dem Moment krachte auch der Schuß, dessen Echo sich wohl in der gewölbten Höhlung noch tüchtig brechen mochte, denn mit Blitzesschnelle sprangen plötzlich zehn oder zwölf schwarze Gestalten, ihre Lanzen und Midlas[1] in den Händen, aus dem dunklen Grund der Höhle hervor und kletterten wie Katzen an den Felsen hinauf nach oben. An Widerstand schienen sie in der That nicht zu denken.

[1]: Die Midla ist ein kurzer, etwa dritthalb Fuß langer Hebel, der mit einem kleinen Widerhaken versehen hinten in die Wurflanze eingreift und sie beim Schleudern mit vermehrter Kraft vorwärts treibt. Mit Hülfe dieser Midla ist der australischen Wilde im Stande, seinen einfach hölzernen Speer auf sechzig bis achtzig Schritte – ja vielleicht noch etwas weiter – mit großer Sicherheit zu werfen, so daß er selbst kleineres Wild, wie die Känguru-Ratte, damit trifft und tödtet.

»Aha,« lachte der Steuermann, der von der alten Muskete einen Stoß bekam, daß er beinah hinten übergestürzt wäre – »das hat richtig geholfen; die haben wir hinausgeräuchert, und meinen Hals wollt' ich darauf verwetten, daß keine von den Canaillen mehr da drinnen steckt. Was nun, Kapitän? Ich denke, die Luft ist rein, und ich dächte, das Beste wäre, wir benutzten den ersten Schreck und räumten was wir brauchen aus, indeß Sie uns hier mit ein paar von den Leuten die Luft rein halten.«

»Ich denke auch, Mr. Brown,« sagte der Kapitän, der seinem Steuermann indessen das Gewehr abgenommen hatte und rasch wieder mit einer Patrone lud – »Nehmen Sie sich drei Mann mit – wieder zu euern Rudern, meine Jungens, und nun scharf an Land – und sehen Sie besonders zu, daß Sie ein Faß mit Wasser finden – Zwieback soll genug dort liegen, packen Sie auf was Sie fortbringen können, der Junge soll Sie mit dem Provisionskorb begleiten – aber um Ihr Leben, halten Sie sich nicht länger auf als nöthig ist. Daß Sie indessen Keiner da drinnen stört, dafür wollen wir schon mit den Gewehren sorgen.«

»Also ganz ohne Waffen –«

»Jeder von euch nimmt eine Lanze mit – drinnen könnt Ihr vielleicht das Faß gleich auf die Schäfte legen und damit herauslaufen – aber daß ihr kein faules Wasser bringt, denn einzelne sollen schon viele Jahre dorten liegen.«

»Aber wer zum Henker kann sie erst lange untersuchen,« meinte der Steuermann verlegen, »denn flink muß die Geschichte gehen, sonst ist's gefehlt, und wenn sie die schwarzen Halunken zerschlagen haben, sind wir ganz verloren, denn was wissen die Bestien davon, wie man mit einem Faß umgehen muß.«

»Lange können sie noch nicht da sein,« entgegnete der Kapitän, der die Natur dieser wilden Stämme besser kannte als sein weit jüngerer Steuermann, »sonst hätten sie die Canoe's schon beladen und wären fortgerudert. Daß sie sich hier vor unseren Schiffen nicht sicher fühlen, ist gewiß, und das beweist auch, wie treffliche Wacht sie gehalten haben müssen, denn unser kleines Boot war ja kaum in Sicht, als sie es augenscheinlich schon bemerkt hatten. Aber da sind wir – jetzt an's Werk, das Reden hilft nichts – ehe sie nur wissen, was wir eigentlich wollen, müssen wir's haben. Vorwärts, Steuermann – Ihr, Bill, Ned und John, eure Lanzen – das ist recht, mein Junge, den Korb packst du voll Zwieback – liegt ein Faß bei der Hand, so rollt's nur gleich hier herunter: wenn's auch an den Steinen zerbricht, werfen wir in's Boot, was wir brauchen. Vorwärts!«

Die Seeleute bedurften keiner weiteren Mahnung, denn jeder Einzelne von ihnen begriff recht gut, was von ihm verlangt wurde, während an der raschen Ausführung desselben sein eigenes Leben hing. Von den Wilden schienen sie in der That nichts weiter zu fürchten zu haben, und es war fast, als ob der eine, blind gefeuerte Schuß vollkommen genügt habe, sie zu Paaren zu treiben. Nur einzelne schwarze Köpfe schauten noch vorsichtig einen Moment über die Felsen nieder und verschwanden eben so rasch wie sie gekommen. Hatten sie sich in ihre Canoe's geflüchtet und die Insel bei Annäherung der gefürchteten Weißen verlassen? – Alle freilich noch nicht, denn Einzelne kamen immer dann und wann wieder zum Vorschein. Aber es blieb jetzt keine Zeit, nach ihnen auszusehen, denn wie nur der scharfe, eisenbeschlagene Bug des Bootes den Korallensand berührte, sprangen die bezeichneten Seeleute, lauter kräftige Burschen und jeder seine Lanze fest in der Hand gepackt, hinaus an Land und waren auch mit wenigen Sätzen in der Höhle verschwunden. Die Zurückgebliebenen aber, jeder seine Muskete im Anschlag, behielten mit ängstlicher Spannung die benachbarten Felsen im Auge, ob nicht von dort aus ein versteckter Feind seine Speere auf sie hinabschleudern könnte, und kein Wort wurde mehr gesprochen.

»Da kommen sie!« schrie plötzlich des Kochs ängstliche Stimme; und als der Kapitän, der bis dahin eine oben in den Büschen lauernde Gestalt im Auge behalten, rasch den Kopf ihm zuwandte, sah er nach rechts hinüber vier oder fünf Canoe's um die Inselspitze kommen, und fast zu gleicher Zeit drückte der feige Bursche auch sein Gewehr blind in die Luft hinein ab.

»Holzkopf!« schrie der Kapitän und riß ihm die Muskete aus der Hand, »wenn ich wüßte, daß sie Dich brieten, wollte ich ihnen selber ein Feuer dazu anzünden.«

»Oh bester Kapitän,« jammerte der Mann, »es ging mir ja von selber los!«

»Ruhe da und aufgepaßt!« rief aber der alte Seemann, indem er das Gewehr rasch wieder lud. Er sah dabei, wie die Rudernden einen Moment innegehalten hatten, als ob sie selber erst sehen wollten, ob der Schuß einen von ihnen getroffen. Jetzt stießen sie plötzlich ein wildes Jubelgeschrei aus, und fast zu gleicher Zeit rief auch der Zimmermann:

»Habt Acht, bester Kapitän – von drüben herüber kommen sie auch. Jetzt haben sie uns fest.«

In demselben Augenblick schien es aber, als ob die Felsen selber belebt würden. Unmittelbar über der Höhle konnte allerdings Keiner niederklettern, denn die Steine ragten dort schroff und steil empor; aber rechts und links davon sprangen sie herab, und sechs, acht Speere wurden zu gleicher Zeit in das Boot hinabgeschleudert, von denen einer dem Kapitän den Hut vom Kopfe riß, während ein anderer dem Koch durch den Arm fuhr und diesen laut aufheulen machte.

Kapitän Powel warf den Blick umher, und dem Koch erst einmal mit dem Kolben seines Gewehrs einen Stoß in den Nacken gebend, der ihn vornüber sandte, rief er dem Zimmermann zu:

»Jetzt dürfen wir nicht mehr schonen – haltet in den dicksten Klumpen hinein, sobald sie näher kommen. In den schwanken Canoe's können sie mit ihren Lanzen doch nicht ordentlich treffen – Du, Peter, nimmst die Anderen, ziel' ruhig, Mann – wenn Du fehlst, sind wir verloren.« Zu gleicher Zeit hatte er sein eigenes, mit groben Posten geladenes Doppelgewehr angelegt und einen riesigen Schwarzen, der an der Höhle niederglitt, auf's Korn nehmend, feuerte er ihm den Schuß gerade in den Leib, daß er wie ein Sack herunterstürzte. Aber er sah nicht einmal nach ihm hin, denn die Feinde links nahmen seine Aufmerksamkeit ebensogut in Anspruch, während jetzt von den beiden Seeleuten ein eben so wirksamer, aber noch viel mehr Schaden anrichtender Schuß in die Canoe's hinein gefeuert wurde. Die Rehposten gingen in der größeren Entfernung mehr auseinander, und der Zimmermann besonders schien so gut gezielt zu haben, daß sich die fünf Canoe's nicht gleich weiter wagten oder auch vielleicht von den Verwundeten behindert wurden.

Zwei von den anderen dagegen kamen, so rasch sie die Fahrzeuge vorwärts treiben konnten, an, und alle trugen aus dem eisenharten Holz der äußeren Palmenrinde gefertigte Ruder. Diese aber, schwer und an den Kanten scharf geschnitten, können ebensogut als Keule dienen und sind dann eine furchtbare Waffe in der Hand eines starken Mannes.

»Noch einen Schuß, Zimmermann,« rief der Kapitän, während er in aller Hast sein eigenes Doppelgewehr wieder lud, »nehmt die geladene Muskete da neben Euch, aber zielt gut – der erste war vortrefflich.«

Wieder der Knall über das Wasser und dießmal hatte der Matrose nur das erste Boot voll auf's Korn genommen, in dem er aber eine arge Verwüstung anrichtete. Zwei der nach links überschlagenden Schwarzen drückten es sogar auf der Seite unter Wasser und es füllte. Wohl kamen die anderen Canoe's jetzt auch in vollem Lauf wieder näher, aber sie hatten ihre richtige Zeit versäumt. Kapitän Powel feuerte zuerst eine Ladung Rehposten zwischen einen Trupp hinein, der sich wieder an den Felsen zeigte, und schickte dann die andere Ladung mitten in die Canoe's, die jetzt dicht neben dem Boot an's Ufer liefen und wahrscheinlich einen Angriff zu Land versuchen wollten, da sie in den schwanken Fahrzeugen ihre Waffen nicht gebrauchen konnten. Kaum aber schoß der hohe Bug des ersten auf den Sand hinauf, als der Steuermann mit seinen drei Matrosen, die auf den Augenblick nur schienen gewartet zu haben, aus der Höhle sprangen und jetzt ihrerseits mit den Lanzen auf die Feinde einstürmten. Der Angriff kam aber zu plötzlich und aus zu unmittelbarer Nähe, und ohne sich nur zu besinnen sprang die ganze Mannschaft der Canoe's über Bord und tauchte unter. Wie durch Zauberei waren sie verschwunden.

In dem Moment schien es fast, als ob sämmtliche Schwarze von der Insel verschwunden wären; aber der Kapitän traute ihnen nicht und benutzte die ihm vergönnte kurze Zeit, um rasch die abgeschossenen Gewehre wieder zu laden, während die Seeleute indessen in aller Hast das schon bis an den Eingang gewälzte Faß Wasser jetzt aufhoben und heraustrugen. Allem Anschein nach war es das letzt hierhergeschaffte, denn es trug den Brand der Yorkshire lady. Auch der Junge war nicht müssig gewesen und mit einem gehäuften Korb von Zwieback angekommen, den er ohne Weiteres in's Boot schüttete und dann zurück in die Höhle sprang, um noch eine zweite Ladung zu holen. Den Zwieback mußten die Wilden nämlich zuerst entdeckt haben, denn das eine große Faß war auseinandergebrochen und der Inhalt über den ganzen Boden der Höhle zerstreut.

Ihr Boot wurde übrigens durch den neuen Proviant, besonders durch das Faß Wasser bedenklich tief geladen. In der Straße selber wäre das bei dem spiegelglatten Wasser gegangen, jetzt aber, wo sie in den indischen Ocean einlaufen wollten, mußten sie wenigstens darauf vorbereitet sein, unruhigere See zu bekommen – aber der Steuermann wußte Rath.

»Schafft das Canoe herbei, Jungens!« rief er, einen Blick umherwerfend, »das nehmen wir in's Schlepptau, bis wir draußen in See erst Alles richtig weggestaut und geordnet haben, und ein paar von Euch können damit nebenher fahren. Das Ding ist breit genug, Euch zu tragen – dort liegen auch Ruder.«

Es war im Nu geschehen; die Leute sprangen zu, schoben das Canoe in tieferes Wasser zurück und brachten es langseit. Die ganze Sache dauerte keine fünf Minuten. Trotzdem waren sie von den Wilden dabei beobachtet worden, denn wieder flogen vier oder fünf Speere nach ihnen herunter, aber zu kurz, denn die Schwarzen trauten sich nicht mehr in den Bereich der Schußwaffe.

»Fertig Alles?« rief der Kapitän.

»Alles klar, Sir,« lautete die Antwort.

»An Bord denn und fort – die Sonne ist gleich unter und nach Dunkelwerden möchte ich nicht mehr in der Nähe der schwarzen Halunken sein. Sie holten dann jedenfalls ein, was sie jetzt unterlassen haben – aus mit dem Boot!«

Der Befehl wurde fast so rasch ausgeführt, wie er gegeben worden, denn sie waren mit steigender Fluth gelandet und das Wasser mochte in der Zeit fünf bis sechs Zoll gewachsen sein. Die Leute sprangen alle in die Fluth, um es zurückzuschieben. Zwei von ihnen nahmen dann das Canoe und den eben mit einem anderen Korb Zwieback zurückkommenden Jungen ein, und wenige Minuten später stießen sie von der Küste ab – aber der Kapitän hielt noch nicht in See hinaus.

»Eine Lektion müssen wir den Burschen noch geben,« sagte er finster, »daß sie später das Eigenthum der Weißen mehr respektiren lernen oder wenigstens in einer heilsamen Furcht gehalten werden – Zimmermann, nehmt einmal Euer Beil und bearbeitet das Canoe dort drüben ein wenig.«

Der Zimmermann that dies mit Vergnügen und das Fahrzeug war im Nu unbrauchbar gemacht; dann nahmen sie ihren Cours um die Insel herum, um die übrigen ebenfalls abzuschneiden und die Schwarzen dadurch auf der Insel zu halten, bis ein größeres Schiff dort landete, das eher die Macht hatte, sie zu züchtigen. Die Eingeborenen schienen es aber vorgezogen zu haben, etwas Derartiges nicht abzuwarten, denn wie sie an den anderen Rand der Insel kamen, sahen sie die kleine Flotte von neun Canoe's schon unterwegs, und zwar in voller Flucht gen Süden, dem nächsten Festland zu haltend. Daß sie von dem schwergeladenen Boot der Weißen nicht verfolgt werden konnten, wußten sie gut genug, aber sie schienen auch gar nicht die Absicht zu haben, weit zu fliehen, denn draußen ein Stück in See lagen sie jetzt plötzlich auf ihren Rudern, um dort erst einmal abzuwarten, was die Feinde beginnen würden.

Der Kapitän war überzeugt, daß sie, sobald das Boot nur außer Sicht wäre, augenblicklich nach der Insel zurückkehren würden, nicht allein um ihre Todten abzuholen, sondern auch die begonnene Plünderung zu beenden. Das Alles ließ sich aber nicht mehr ändern. Der für den Seemann so wichtige Platz war einmal verrathen; die Schwarzen hatten das Geheimniß der Höhle entdeckt, und es durfte wohl schwerlich mehr an eine weitere Niederlage dort von Wasser und Provisionen für verunglückte Seeleute gedacht werden. Jenes diebische Gesindel revidirte jetzt gewiß regelmäßig die Höhle, um Alles mitzuführen, was sie fanden.

Das Boot – nachdem sich die Leute an dem erbeuteten Wasser gelabt – hielt eine nordwestliche Richtung bei, um irgend eine der Inseln des ostindischen Archipels anzulaufen, schon am zweiten Tag aber sichteten sie eine portugiesische Brigg, die, von Europa kommend, nach der portugiesischen Besitzung in Timor bestimmt war. Von dieser wurden sie an Bord genommen und gingen später mit einem holländischen Schiff nach Singapore, von wo aus sie leicht in ihre Heimath zurückkehren konnten.

Der Kapitän machte allerdings in Singapore die Anzeige des zerstörten Depots auf Booby-island, und ein nach Australien bestimmtes Kriegsschiff bekam auch Auftrag, dort anzulaufen; als es aber mit dem nächsten Monsuhn Booby-island berührte, fand es in der Höhle nur noch einen Haufen verdorbenes Fleisch, den die Schwarzen verschmäht hatten – alles Uebrige war ausgeräumt und selbst die »Postoffice« wahrscheinlich nach dem Festland geschafft worden.

Zacharias Hasenmeier's Abenteuer.

Erstes Kapitel.
Die Matrosenkneipe.

Da lebte einmal vor langen Jahren ein Handwerksbursch, und den freute die Welt nicht mehr, denn anders wurde es wohl mit der Zeit, wohin er auch kam, aber nie und nimmer besser.

Früher ja, da ließ sich's aushalten, da marschirte so ein armer Handwerksbursch nach Herzenslust im lieben deutschen Vaterland herum, Chaussee auf und ab, ging in den Dörfern fechten, schlief Nachts auf der Streu oder in einem Heuschober, setzte sich, wenn er unterwegs müde wurde, auf einer vorbeirollenden Extrapost hinten auf und dachte gar nicht daran, die Beine je lang unter einen Arbeitstisch zu strecken. Das ließ schon die Wanderlust nicht zu, und geschah es je einmal ausnahmsweise, so erfaßte ihn rasch die unbezwingbare Sehnsucht nach einer Pappelallee, der er nicht widerstehen konnte und wollte.

Da erfanden böse und hinterlistige Menschen, aus reiner Bosheit gegen die armen Handwerksburschen, die Eisenbahn, und mit dem lustigen Marsch auf der Landstraße war's vorbei. Extraposten und Lohnkutschen – wo bekam man sie noch zu sehen? der Dampf hatte die Zügel ergriffen und bei einem davonbrausenden Bahnzug – mit den groben Condukteuren – war kein Gedanke mehr hinten aufzusitzen.

Das macht zuletzt den besten Menschen verdrießlich und so war denn auch Zacharias Hasenmeier, ein »wasserdichter Hutmachergesell,« endlich zu dem verzweifelten Entschluß gekommen – nicht etwa seinem Leben ein Ende zu machen, nein – dazu besaß er zu viel Religion und zu wenig Courage – aber auszuwandern und sich irgend einen Platz auf der Welt zu suchen, wo es erstlich einmal keine Eisenbahnen gab, und wo ein reisender Handwerksbursch auch noch leben konnte, »wie sich's gehört und gebührt,« d. h. wo er ein Terrain zum fechten und hinten aufsitzen fand.

Mit dem Entschluß erst einmal im Reinen, hielt er sich denn auch nicht lange bei der Vorrede auf, packte seinen Tornister, mit ein paar neuen Stiefeln oben d'rauf, daß die blinkenden weißen Sohlen rechts und links unter der Klappe vorschauten, ließ sich eine neue Zwinge an seinen dicken Knotenstock machen, und ging danach auf die Polizei, um sein Wanderbuch visirt zu bekommen. Ordnung muß nämlich sein, und ob er nun zu den Chinesen oder Menschenfressern kam, sein Wanderbuch wollte er in Ordnung haben, denn den Chinesischen Gensdarmen traute er gerade so wenig wie den Deutschen.

Die Behörde besorgte ihm das auch. Gegen seine Auswanderung hatte sie, merkwürdiger Weise Nichts einzuwenden, und visirte ihm sein Wanderbuch, auf seine Anweisung, daß er nach Amerika, Australien und sonst wohin wollte, gewissenhaft und wörtlich:

»Nach Australien und weiter!«

wonach er dann lustig und wohlgemuth in die Welt hinaus wanderte.

Er hatte, als er die Stadt verließ, in der er zuletzt gearbeitet, den Hut keck auf die eine Seite gerückt, was andeuten sollte, daß er sich aus ganz Europa Nichts mehr mache, und mit dem buntgestickten Tabaksbeutel vorn im Knopfloch baumelnd (einen Orden besaß er nicht, den er hätte hinein thun können, und etwas muß der Mensch doch im Knopfloch haben) mit außerdem zehn Thaler siebenzehn und einen halben Silbergroschen in der Tasche, meinte er, daß er nun die Welt durchwandern könne. – Was weiß so ein wasserdichter Hutmacher überhaupt von der Welt!

Natürlich ging er gerade in einem Strich auf Hamburg zu, weil er gehört hatte, daß von dort ab fast täglich Schiffe nach aller Herren Ländern ausliefen, und man von diesem Hafen aus mit derselben Bequemlichkeit zu den Botokuden wie zu den afrikanischen Baumaffen kommen könne. Wohin? blieb sich aber vollständig gleich – Hüte brauchten Alle oder konnten ihnen doch wenigstens angepaßt werden, und er war von sich selber überzeugt, daß er sein Fortkommen in irgend einem Land der Welt finden würde – er müsse nur erst einmal dort sein.

»Der liebe Gott verläßt keinen Deutschen,« sagte er sich und mit dem schönen Liedchen: »Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus – Städtle hinaus,« ließ er sich wahrlich kein Gras unter die Sohlen wachsen, und wanderte, jede Eisenbahn von Grund seines gekränkten »wasserdichten Hutmacherherzens« aus verachtend, zu Fuß bis in die ferngelegene Hafenstadt, um sich dort nach einer womöglich wüsten Insel einzuschiffen.

Er fluchte allerdings jedesmal still vor sich hin, wenn ein Bahnzug vorüberrasselte, und die Leute darin aus den offenen Fenstern hinaussahen, und über den wunderlichen Menschen lachten, der zu Fuß hinterd'rein keuchte, während er doch hätte, für ein paar Groschen, so bequem darin fahren können; aber Zacharias setzte den Hut bei solchen Gelegenheiten nur noch immer schiefer, um seine Verachtung bildlich auszudrücken und wanderte trotzig seines Weges, ohne auch nur einmal nach ihnen umzuschauen.

Es ist überhaupt erstaunlich, mit welcher Genauigkeit sich menschliche Gemüthsbewegungen und Charaktere nur allein durch die verschiedene Stellung des Hutes ausdrücken lassen.

»In den Augen liegt das Herz,« lautet ein altes, wunderschönes Lied, aber es ist durchaus nicht wahr. Im Hute liegt es, und der aufmerksame Beobachter kann manchem Menschen nur allein durch den Hut direkt in's Herz sehen.

Wer z. B. den Hut recht gerade und steif auf hat, daß er ihm senkrecht auf dem Wirbel des Kopfes sitzt, das mag ein sehr guter rechtschaffener Mensch sein, aber er ist jedenfalls nach einer Richtung hin Pedant und geht unausweichlich, vielleicht praktisch, doch unter jeder Bedingung steif und trocken durchs Leben mit nicht einer Spur von Poesie. Ich gebe zu, daß er ein ausgezeichneter Beamter und vortrefflicher Geschäftsmann sein kann, aber ein guter Gesellschafter ist er keinesfalls.

Ein klein wenig geneigt – nach rechts oder links bleibt sich gleich – und welch' einem fabelhaften Unterschied begegnen wir hier. – Das sind die besten und interessantesten Menschen, mit gerade genug leichtem Sinn, um liebenswürdig zu sein und über das Nützliche einer Sache auch nicht das Angenehme zu vergessen – aber ja nicht zu viel – den Hut zu viel auf eine Seite bedeutet sehr großen Leichtsinn – ein keckes Herausfordern der Menschheit, um das sich gewöhnlich Niemand kümmert, Rauflust und verschiedene andere schlimme Leidenschaften. Solche Menschen werden auf die Länge der Zeit im Umgang unerträglich.

Der Hut weit hinten verräth Sorglosigkeit, aber auch Behaglichkeit, mit einer kleineren oder größeren Mischung von Eigendünkel. Leichtsinnige Schuldenmacher und Speculanten sind geneigt den Hut in solcher Weise zu tragen, und je weiter er nach hinten gerückt wird, desto gefährdeter ist ihre Position.

Dagegen deutet es Schwermuth und Niedergeschlagenheit, wenn der Hut, im entgegengesetzten Fall, weit in die Stirn gezogen wird: düsteren Groll, ein gepreßtes Herz oder gedrückte Lebensverhältnisse – auch unsaubere Wünsche; kurz der Hut zeigt den Menschen wie er wirklich ist, und Zacharias Hasenmeier, der leichtsinnigste »wasserdichte Hutmachergesell,« der diese Straße je passirt war, strafte mit seinem Hut keck auf dem linken Ohr diese Theorie wahrlich nicht Lügen.

Zacharias machte sich auch wirklich keine Sorgen, und erst nur einmal mit seinem Entschluß im Reinen hielt er alles Andere, was ihn möglicher Weise betreffen, oder ihm hindernd in den Weg treten könne, für Nebensache – und doch hatte er gerade da, wo er die Hauptschwierigkeit fand, keine erwartet.

Seine Begriffe von Reisespesen waren nämlich sehr unvollkommener Art, denn wenn er sonst von einer Stadt zur anderen wanderte – mochte sie auch noch so weit entlegen sein – so brachte er dorthin doch gewöhnlich noch immer ein paar Groschen mehr mit, als er von Hause aus mit genommen, denn er verstand die Kunst des Fechtens aus dem Grunde und wenig Familien, die er ansprach, konnten sich rühmen ihn unbeschenkt entlassen zu haben. Darnach berechnete er also auch die etwa zu zahlende Passage nach einem fremden Welttheil, und fand sich hier in Hamburg sehr enttäuscht, als die Kapitäne dort liegender segelfertiger Schiffe eine weit größere Quantität der landesüblichen Münzsorte verlangten, um ihn als Passagier aufzunehmen, als er im Stande war aufzuzeigen – selbst wenn er gewillt gewesen wäre, sich zu diesem Zweck von seinem ganzen Capital zu trennen.

Wo er an Bord kam, schüttelten die alten Seeleute mit dem Kopf und meinten, das reiche nicht, und unnützes Volk könne man nicht Monate lang umsonst an Bord füttern. Von dem Seedienst verstand er aber gar Nichts, Hutmacher wurden nicht unterwegs gebraucht, und so blieb das Resultat auf allen Schiffen dasselbe, so daß Zacharias, am Abend des zweiten Tages, den er auf solche Weise verwandt, mit in die Stirn gezogenem Hut – so keck er ihn auch noch an dem Morgen auf dem einen Ohr getragen, in sein Wirthshaus nahe am Hafen zurückkehrte, und sich mürrisch und der ganzen See grollend hinter ein Glas etwas dünnes Bier setzte.

Es war das eine der sogenannten Matrosenkneipen, in der fast nur Seeleute, oder mit der Schiffahrt zusammenhängende Personen, wie Segelmacher, Reepschläger etc. einkehrten, und es läßt sich denken, daß ein Handwerksbursch mit Tornister und Knotenstock und einer richtigen »Landschraube« auf dem Kopf nicht unbemerkt passiren konnte. Es war etwa gerade so, als ob ein ausgespannter Stier hinaus in den Wald ging, und sich einem Rudel Hirsche beigesellte, und die Matrosen steckten dann auch bald die Köpfe zusammen, und flüsterten und lachten über den wunderlichen Gesellen. Nachdem sie indeß ihren Spaß eine Weile gehabt, ohne daß er weiter Notiz von ihnen genommen, wollten sie ihn auch aufziehen, aber Zacharias war nicht auf den Kopf gefallen, und antwortete ihnen bald so scharf und treffend, daß sie jetzt selber Vergnügen daran fanden, sich mit ihm zu unterhalten – doch freilich nicht bei einem Glas Dünnbier, dem sich ihre ganze Lebensweise nicht zuneigte.

Grog wurde bestellt, und da Zacharias nicht den geringsten Grund sah, seine Absichten, die ihn hierher geführt, zu verheimlichen, so erfuhr die Gesellschaft bald, daß er aus dem inneren Land käme und auswandern wolle, aber kein Schiff finden könne, weil es ihm gerade am Besten fehle.

Die Matrosen, meist immer gutmüthig gegen Fremde, sobald sie keine Gelegenheit mehr finden sich über sie lustig zu machen, schlugen jetzt bald das, bald jenes Schiff vor, das knapp an Mannschaft, vielleicht doch hätte bewogen werden können, ihn mitzunehmen – Zacharias schüttelte aber immer mit dem Kopf, denn auf fast allen war er schon selber gewesen, und wenn auch noch ein oder das andere da lag, auf dem er noch nicht nachgefragt, so konnte er sich doch ziemlich genau denken, welche Antwort er dort bekommen würde. – Es war nicht der Mühe werth, es auch nur zu versuchen.

»Sag' einmal Landsmann,« frug der Wirth, ein breitschultriger, blatternarbiger Gesell, mit einer blauen, goldgestickten, aber entsetzlich schmutzigen Mütze auf den scharf gekräußten braunen Haaren und dabei mit ein paar kleinen verschmitzten Augen – »wo willst Du denn eigentlich hin?«

»Fort – hinaus in die Welt,« erwiederte der wasserdichte Hutmacher – »wohin, ist mir vollkommen gleich, zu den Menschenfressern oder Kannibalen – nur die Welt möcht ich sehen, und die verfluchten Eisenbahnen los werden.«

»So?« sagte der Wirth, »na, hast Du es denn da schon auf einem Wallfischfänger versucht?«

»Auf einem Wallfischfänger?« frug Zacharias erstaunt, »was ist das?«

»Nun ein Schiff, das hinaus in die Südsee fährt und Fische fängt, und dabei an allen Inseln anlegt, die es erreichen kann.«

»Damn it!« rief da Einer der Matrosen, »da liegt gerade die »Seeschlange« draußen im Fahrwasser, vor einem Anker und will morgen früh mit der Ebbe in See gehen – die braucht noch Leute, und nimmt was sie kriegen kann.«

»Aber ich kann gar nicht angeln,« sagte Zacharias.

»Angeln – hell!« rief der Wirth, »zu angeln brauchst Du auch nicht, und die nehmen Dich mit Kußhand, denn an Bord von einem Wallfischfänger brauchen sie Leute zu allerhand und wenn's auch nur wäre, um einen Schleifstein oder Schiemannsgarn zu drehen und Feuer unter den Kesseln zu halten.«

Die anderen Matrosen stimmten dem Wirth bei. Wallfischfänger waren in der That die einzigen Schiffe, die Jeden annahmen, der sich auf ihnen verdingen wollte, und dabei am Weitesten in der Welt herumkamen. An alle Inseln, die sie nur erreichen konnten, fuhren sie hinan und segelten jetzt an der Japanischen Küste – dann wieder im Eismeer, und vier, fünf Monate später zwischen den Corallen-Inseln der Südsee herum. Das aber war gerade was Zacharias wollte, denn hätte er sich an einer bestimmten Stelle niedergelassen, so wäre ihm doch zuletzt nichts Anderes übrig geblieben, als wieder zu arbeiten, und zu diesem letzten verzweifelten Mittel, sich eine Existenz zu sichern, wurde er noch immer zeitig genug getrieben.

Einer oder der andere von den Leuten am Tisch hatte aber auch schon eine Fahrt mit einem Wallfischfänger gemacht, und erzählte dann Wunderdinge, was er da draußen gesehen: von den Meerweibchen und See-Greisen und den Corallenhäusern, die sie in der See hätten, von fliegenden Fischen und Palmen, die mit den langen Blättern in der Luft herum föchten, von Schildkrötenjagd und dann dem lustigen Wallfischfahrerleben selber, wie sie in Booten hinter den großen Fischen herruderten, ihnen die Harpune in den Leib warfen und sie dann endlich todtstachen und einkochten, und den ausgekochten Speck für ein enormes Geld verkauften.

Zacharias saß mit offenem Mund daneben, und so gut wie ihm der Grog mundete, gerade so gefielen ihm auch die wunderbaren Schilderungen dieses fabelhaften Lebens, das die Matrosen – einer solchen Landratte gegenüber – denn auch noch tüchtig auszumalen wußten. Einer erzählte immer tollere Geschichten als der andere, und als sie endlich fort wollten, ließ sie Zacharias nicht und bestellte frischen Grog, nur um noch immer mehr zu hören, und jetzt konnte er schon die Zeit nicht erwarten, daß es wieder Tag würde, um sich auf einem solchen merkwürdigen Fahrzeug einzuschiffen, und all das Wunderbare selbst mit zu erleben.

Ein alter Segelmacher, der den tollen Erzählungen gelauscht, schüttelte zwar mit dem Kopf, denn es that ihm leid, daß sie den armen Teufel mit seinen verworrenen Ideen nur noch verrückter machten, und er meinte einmal:

»Kamerad, nimm Dich in Acht. Wenn das wahr ist, was ich von Wallfischfängern gehört habe, so ist verdammt wenig Vergnügen und heidenmäßige Arbeit dabei, und kriegst Du Einen von den Burschen zum Kapitän, wie sie hie und da auf den Schiffen stecken, so wollte ich lieber an Land irgendwo als Kettenhund in Condition treten, ehe ich mich an Bord eines solchen Schiffes verdingte.«

»Ach Unsinn, Mate,« lachte aber ein Anderer, »wenn das bischen Arbeit nicht wäre, machte Einen ja die Langeweile auf der langen Reise todt.«

»Na, wenn ihn weiter nichts todt macht, als die Langeweile,« nickte der Segelmacher vor sich hin, »so kann er zufrieden sein – mit Deckwaschen, Garnspinnen, Theerstreichen, Kettenklopfen, Thran einschneiden und auskochen und wie die angenehmen Beschäftigungen alle heißen, wird ihn die nicht viel plagen. Aber meinetwegen Kinder,« sagte er, von seinem Stuhl aufstehend und sein Glas zurückschiebend, »wer nicht hören will, muß fühlen, und wenn er's denn nicht anders haben mag, wird ihm eine dreijährige Lehrzeit auf einem solchen blutigen Kasten auch gerade Nichts schaden – viel Glück Mate und einen guten Fang –« und damit stieg er langsam zur Thüre hinaus.

Zacharias war wirklich ein wenig stutzig geworden, aber das Lachen und Erzählen der Anderen trieb bald jeden solchen Gedanken aus seinem Hirn. Das war eine Landratte, die überhaupt nicht mehr auf's Wasser hinaus mochte, und von dem lustigen Leben draußen wenig wußte. Nur ein Bedenken kam ihm noch – er konnte nicht schwimmen, und wenn er nun einmal aus dem Schiff herausfiel! Er theilte es dem neben ihm Sitzenden, der sich überhaupt am Meisten seiner angenommen hatte, mit, der aber lachte gerade hinaus: »Schwimmen?« rief er, »glaubst Du, Kamerad, daß Einer von uns Allen, die wir zur See gehen, schwimmen kann? fällt uns gar nicht ein. Daß wir uns etwa lange quälen müßten, wenn die Geschichte einmal schief geht, nicht wahr? – denken gar nicht daran. Fällt Einer über Bord, dann geht der Steuermann in seine Cajüte und schreibt's in's Logbuch, und damit ist's zu Ende – lustig gelebt und fröhlich gestorben, das hat dem Teufel die Rechnung verdorben,« und jubelnd stießen die wilden Burschen wieder mit ihren Gläsern an, und immer neuen Stoff mußte der Wirth herbeischaffen.

Endlich fingen sie an zu singen – ganz schrecklich lange Balladen, die mit ihren zahllosen Versen gar kein Ende nehmen wollten, und Zacharias wurde schläfrig und wäre richtig eingenickt, wenn sich nicht eines der Schenkmädchen, die bis dahin mit den Matrosen gelacht und getrunken, zu ihm gesetzt und mit ihm geplaudert hätte. Die erzählte ihm jetzt aber auch, daß der eine Wallfischfänger, der im Hafen läge – und es war in der That nicht der einzige – nur auf Tageslicht und Ebbe warte, um die Elbe hinunter und hinaus in See zu fahren, und wenn er die Zeit verpasse, könne er nicht mit und müsse hier bleiben.

Das machte ihn geschwind wieder munter, denn die Gelegenheit durfte er nicht ungenutzt vorüber lassen; sie bot sich vielleicht so bald nicht wieder. Das Mädchen wollte ihm noch einmal zu trinken geben, aber er fühlte, daß er genug hatte, denn da draußen dämmerte schon wieder der Tag – so lange geschwärmt zu haben erinnerte er sich gar nicht, verlangte aber jetzt noch eine Tasse Kaffee, nahm sich dann ein reines Hemd aus dem Tornister, um anständig vor dem Kapitän zu erscheinen, und ging, als es vollständig hell geworden war, mit einem der Matrosen, der ihn begleitete, zu dem bezeichneten Schiff.

Zweites Kapitel.
Zacharias Hasenmeier hält es nicht an Bord aus.

Hatte er aber früher Angst gehabt, daß es ihm hier wie auf den anderen Fahrzeugen gehen und der Kapitän ihn abweisen würde, so fand er sich angenehm getäuscht, denn der brauchte allerdings Leute, und wenn er zuerst auch genau so ein Gesicht schnitt, wie die Uebrigen, als er den Handwerksburschen mit seinem Tornister und Knotenstock sah, so schien er es doch wenigstens für möglich zu halten, einen Matrosen aus ihm zu machen. Er sagte, er wolle es jedenfalls versuchen. Zacharias wurde sein Platz angewiesen, wo er schlafen konnte, und mit dem Bewußtsein, jetzt endlich sein Ziel erreicht zu haben, und einem neuen Leben entgegen zu gehen, hing er dort seinen Rock an einen Nagel, hakte den Tornister darüber und – war eingezogen.

Aber es schien auch die höchste Zeit für ihn gewesen zu sein, an Bord zu kommen, denn in demselben Augenblick schon fast wurden die Segel ausgespannt, und das Schiff fuhr den Strom hinunter und in die See hinaus. – Wie das aber tanzte und schwankte und der arme Hutmachergesell, der schon so viel von der Seekrankheit gehört, sich aber noch nie eine richtige Idee davon gemacht hatte, sollte jetzt erfahren, wie das thue.

Die ganze Welt schien sich mit ihm zu drehen; Alles wirbelte im Kreis herum – er wußte nicht mehr was oben oder unten war, ob er auf dem Kopf oder auf den Füßen stand. – Er warf sich auf Deck nieder und breitete die Arme und Beine aus, um nicht noch tiefer zu fallen, kurz, er befand sich in einem Zustand, der sich wohl bedauern, aber nie im Leben beschreiben läßt.

Wie lange er so gelegen, wußte er gar nicht, und nur das einzige Bewußtsein war ihm dabei geblieben: der Wunsch zu sterben, um dieser Höllenpein, diesem qualvollen und unerträglichen Zustand ein Ende zu machen. – – Aber auch das ging zuletzt vorüber, das Schiff lag ruhiger, oder er fühlte vielleicht auch die Bewegung nicht mehr so stark, und als er eigentlich erst wieder ordentlich zu sich kam, befanden sie sich schon so weit draußen in See, daß er, wohin er auch blickte, kein Land mehr erkennen konnte. Er hatte seine Reise angetreten und ein Rückschritt war nicht mehr möglich.

Aber ob er sich eine Seefahrt anders gedacht haben mochte; er fühlte sich keineswegs behaglich und sehnte sich fortwährend danach, das ewig schwankende Schiff nur erst einmal wieder unter den Füßen los zu werden, und festen, sicheren Boden zu betreten. Reisen – war das Reisen, wo man in einemfort, wie ein Sack, hin- und hergeworfen wurde, und den einen Fuß nie vom Boden heben konnte, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, auf die Nase zu fallen? Da marschirte sich's anders in seinen festen soliden Pappelalleen und er bekam wieder das alte Heimweh nach seinem früheren Leben.

Und wenn sie ihn jetzt noch wenigstens zufrieden gelassen hätten, daß er sich ordentlich ausruhen und das häßliche schwindliche Gefühl überwinden konnte – aber Gott bewahre; kaum machte er die Augen wieder auf, so kam auch schon der Steuermann und stellte ihn an die Arbeit, und keine Entschuldigung half, daß er noch hundeelend sei.

Jetzt erfuhr er, daß der alte Segelmacher Recht gehabt, der ihm ganz genau prophezeiht hatte, was ihn hier erwartete. Wo er schon außerdem schwindlich war, mußte er noch eine große Schiemannsgarn-Winde oder gar einen schweren Schleifstein drehen, daß ihm der Kopf immer mit dabei herum ging – und dazu sollte er fetten Speck essen und harten Schiffszwieback kauen – so ein Leben – der Böse hätt's holen können, wenn es ihm recht gewesen wäre, aber es war ihm nicht recht.

Arbeiten – nun ja, er hatte in seinem Leben schon oft gearbeitet, und einen Hut zu walken und zu bügeln thaten ihm vielleicht Wenige gleich, aber was half ihm das hier? Statt des Bügeleisens bekam er einen alten schmutzigen Sandstein in die Hände und mußte damit das Verdeck abschleifen, und wenn das Deck nur wenigstens ruhig gelegen hätte, aber Gott bewahre; auf und nieder gings und im Kreis herum mit ihm und dann kam auch noch der Steuermann und hieb ihm mit einem Ende Tau eins hinten über, wenn er nicht rasch genug kratzte, daß er die dicken Striemen fühlen konnte.

O wie sehnsüchtig sah er jetzt über Bord, ob er nicht irgendwo Land erkennen und aussteigen könne, denn die Vergnügungstour hatte er schon bis oben hin satt; aber nichts war zu entdecken als Himmel und Wasser und immer weiter fuhren sie dabei in den großen Ocean hinein.

Wenn er dabei auch geglaubt hatte, er würde sich mit der Zeit an die Seereise gewöhnen, so fand er doch bald, daß er sich da schmählich geirrt. Je länger er fuhr, je schlechter wurde es ihm zu Muthe, der Kopf brannte ihm, als ob Feuer drinnen wäre, sein Magen revoltirte gänzlich gegen den ekelhaften Speck und er hielt sich um so mehr für schlecht und nichtswürdig behandelt, als es ausdrücklich in seinem Paß stand, daß alle Civil- und Militärbehörden unterwegs ersucht wurden, ihn frei und ungehindert passiren, auch ihm nöthigenfalls Schutz angedeihen zu lassen – und hier sollte er sich behandeln lassen wie einen Hund?

Er ging jetzt direkt zum Kapitän und verlangte wieder an Land gesetzt zu werden, aber der sagte weiter nichts als: »geh zum Teufel!« und drehte ihm den Rücken, und die Matrosen verhöhnten ihn und lachten ihn aus.

Und jetzt begann der Sturm wieder zu toben; die Segel mußten eingenommen werden, und das Schiff fing an zu tanzen, daß Zacharias manchmal meinte, es müsse sich überschlagen, so hoch hob es sich vorn in die Höhe und fuhr dann wieder in die Tiefe hinab, bis ihm ordentlich der Athem ausging und er Luft schnappen mußte.

Er wollte sich jetzt in sein Bett legen, denn auf den Füßen konnte er sich doch nicht mehr halten, aber was half es ihm? Kaum war er hineingekrochen und machte die Augen zu, so schlenkerte das Schiff nach der andern Seite hinüber, und warf ihn wie ein Bündel alte Kleider an die andere Wand, daß ihn alle Rippen im Leibe schmerzten. Wieder kletterte er hinein, hatte sich aber noch nicht einmal ordentlich fest gelegt, als er noch unsanfter als vorher hinaus geschleudert wurde, und jetzt bekam er's satt.

»Nein,« schrie er, »so ein Hundeleben soll ja der Teufel holen – ich thu' nicht mehr mit,« und zugleich fuhr er in seine Kleider, zog sich fertig an und nahm dann auch seinen Tornister vom Nagel, um ihn zu packen.

Die alten Matrosen, die ganz gemüthlich in ihrer Hängematte schaukelten, lachten, und frugen ihn, ob er an Land wolle und auch tüchtig lange Wasserstiefeln habe – aber er antwortete ihnen gar nicht, schnallte seinen Tornister, mit den noch unbenutzten hellglänzenden Stiefelsohlen oben, fest, knöpfte sich seinen Rock bis oben hin zu, setzte seinen Hut auf und zog ihn sich vorn tief in die Stirn, holte seinen Knotenstock vor und hing ihn sich mit dem Lederriemen an's rechte Handgelenk, sagte »adjes miteinander« und stieg an Deck.

Gegen Alles, was ihn nach Außen umgab, schien er völlig blind geworden, nur an sich selber dachte er und die ihm hier gewordene nichtswürdige Behandlung, und so schritt er denn auch fest und entschlossen auf den Kapitän zu, der in seinen wasserdichten Kleidern auf dem Quarterdeck auf- und abging, und die Augen auf das kleine Segel gerichtet hielt, das sie in dem Wetter noch führen konnten.

»Herr Kapitän, ich wollte Ihnen man blos Adjes sagen,« bemerkte hier Zacharias, indem er seinen Hut abnahm und eine Verbeugung machte.

»Junge,« rief der Kapitän, »wie siehst Du denn aus? Bist Du verrückt geworden?«

»Bitte,« sagte Zacharias, »wollte nur fragen, ob Sie sonst noch etwas zu bestellen hätten.«

»Aber wo willst Du denn hin? – gehst Du etwa so schlafen?« lachte der Seemann.

»Auf die Wanderschaft will ich,« erwiederte aber Zacharias Hasenmeier, indem er seinen Hut jetzt wieder keck auf ein Ohr stülpte, »also Adjes Kapitain, leben Sie recht wohl, denn die Wirthschaft hier hätt' ich satt,« und damit drehte er sich um, der See zu, wo gerade eine riesige Woge heraufgestiegen kam, daß sie mit dem hohen Hinterdeck vollkommen gleich lief. Dort trat er auch ganz ruhig, als ob er ein festes Stück Grund und Boden unter sich gehabt, auf das Wasser hinaus, und sank natürlich in demselben Augenblick, wo er die Welle nur berührte, mit ihr in die Tiefe.

Er wollte jetzt schreien, aber das ging nicht mehr – oben hörte er nur noch den wildverstörten Ruf: Mann über Bord, und wußte jetzt, daß der Steuermann nun in seine Coje gehen und in sein Tagebuch schreiben werde: Mittwoch den 13. August Nachmittags halb vier – soviel Grad Länge, soviel Grad Breite, Mann über Bord gegangen – Zacharias Hasenmeier – das war seine Grabschrift und damit fuhr er ab – tiefer und immer tiefer.

Drittes Capitel.
Wie Hasenmeier den ersten Seegreis trifft.

Eigentlich war er selber sehr überrascht worden, als er hinaus aus dem Schiff trat, dort erst merkte, daß er auf gar nichts mehr stand und zu gleicher Zeit fühlte, wie ihm das Wasser nicht allein in die Stiefeln, nein auch schon in die Halsbinde lief, und gleich darauf über seinem Kopf zusammenschlug.

»Du meine Güte,« dachte er, »das ist doch hier eine verzweifelte Einrichtung mit den Chausseen, und wenn ich nach Hause komme« – weiter dachte er aber nichts, denn so rasch schoß er in die Tiefe, daß ihm Luft und Gedanken ausgingen, während er umsonst versuchte, sich irgendwo festzuhalten. Nicht einmal der bekannte Strohhalm war bei der Hand, nach welchem sonst ein Ertrinkender gewöhnlich greifen soll, und er kam eigentlich erst wieder zur Besinnung, als er sich gar nicht mehr besinnen konnte, wo er sei und was mit ihm vorging.

Da er aber keinen festliegenden Gegenstand mehr um sich her erkennen konnte, fühlte er auch nicht mehr, daß er sank, und die ganze Welt kam ihm nur in dem Augenblick wie eine riesige, grüne Glasflasche vor, in welcher er eingestöpselt herumschwamm. – Er wollte dabei Athem holen, aber das ging nicht, denn sobald er den Mund aufmachte, lief ihm das Salzwasser hinein, und trotzdem befand er sich wohl dabei, und es beschlich ihn eine Empfindung, als ob er kaum so viel wiegen könne, wie ein Schneidergeselle gleichen Alters.

Wenn ihn aber während dieser Zeit nicht eine – wie bisher irrthümlich berichtete – purpurfarbene, sondern weit eher Bouteillenglasfarbene Finsterniß umgeben hatte, so bemerkte er jetzt zu seinem Erstaunen, daß sich die Dämmerung augenscheinlich lichtete, Gegenstände umher wurden sichtbar – hie und da begegnete er einem riesigen Seeungeheuer, das sich faul in seinem Element herumwälzte, und keine Ahnung von der Nähe eines fremden Hutmachergesellen zu haben schien – unangenehme Quallen und Blasen trieben sich dort umher, und Fische sah er hier und dorthin schießen – ob die aber aufwärts fuhren, oder er abwärts, war er nicht im Stand zu sagen, denn seine ganze Aufmerksamkeit blieb in diesem Augenblick auf den, unter ihm befindlichen Raum gerichtet, der mit jeder Secunde mehr aus der dichten Finsterniß heraustrat, und mit einem ganz eigenthümlichen Licht übergossen schien.

So mußte es einem Menschen zu Muthe sein, der aus hoher Luft in einem Ballon zur Erde niedersank, so daß unter ihm, je tiefer er kam, das weite Land heller und klarer sichtbar wurde, bis sich endlich die einzelnen Baumgruppen und Ortschaften und zuletzt Häuser und Menschen klar und genau erkennen ließen.

Dort lagen weiße, zackige Flächen, aus denen er nicht klug werden konnte, denn sie sahen aus wie beschneit – dort breiteten sich weite grüne Ebenen, mit Thieren auf der Weide, dort standen Häuser, die in jenem wunderbaren Licht funkelten und blitzten und in rasender Schnelle zu wachsen schienen. Ehe Zacharias aber nur einen Ueberblick über das Ganze gewinnen konnte, fuhr er plötzlich bis über die Kniee in weichen Sand hinein, blieb aber nicht darin sitzen, sondern wurde wie von selber wieder herausgehoben. – Und was das für eine curiose Gegend war, in der er sich befand!

»Jetzt – wenn ich nicht auf Reisen wäre,« brummte er leise vor sich hin, »sollt' ich meiner Seel' denken, die Pappelallee führte nach Halle hinein – aber puh, wo liegt Halle!«

Er befand sich in der That in einer langen, schnurgeraden Allee, die freilich aus den wunderbarsten Bäumen bestand. Sie sahen wohl so aus wie Pappeln, hatten aber gar keine Blätter, sondern nur dünne elastische und sich fortwährend bewegende Zweige. Gar nicht weit voraus aber lag ein Haus – er konnte das Dach im Lichte blitzen sehen und ohne sich lange zu besinnen, marschirte er darauf zu. – Aber sein Blick fiel dabei unwillkürlich auf den Weg, in dem er auch nicht die Spur von einem Wagengleis bemerkte – mit den Extraposten sah es jedenfalls windig aus.

Zu solchen Betrachtungen blieb ihm jedoch keine lange Zeit, denn viel rascher als er gedacht, erreichte er das Haus. Und wie sonderbar leicht sich das hier ging; den Tornister fühlte er fast nicht auf den Schultern, die Füße nicht auf dem Boden, und der schwere Knotenstock hob sich bei jedem Schritt immer ganz von selber wieder.

Und da lag das Haus: es war aus rauhen Korallenblöcken aufgeführt, aber mit den herrlichsten Perlmutterschalen gedeckt, und hatte Thüren und Fenster, wie die Häuser an der Oberwelt – die Fenster bestanden aber nicht aus Glas, sondern aus Hausenblase und der Thürgriff war aus Bernstein, wie der Thürklingelgriff aus einem Zahn des Spermacetiwals gemacht.

Aber nur einen Blick warf er auf diese äußeren Baulichkeiten, denn zu seinem Erstaunen bemerkte er jetzt, daß vor dem Haus, auf einer dort angebrachten Austerbank, ganz gemüthlich ein menschenähnliches Individuum saß, das ihn, anscheinend eben so überrascht, betrachtete.

Es war eine kleine dicke Gestalt mit einer runden Schuppenmütze auf, aber sonst wohl ganz kahlem Kopf und einem Gesicht, das weit eher einem Karpfen, als einem menschlichen Wesen glich. Uebrigens hatte es Arme und Beine, nur daß der untere Theil derselben an den Seiten Flossen zeigte, auch trug es eine Art Schlafrock aus irgend einer Seegrasart geflochten, der um den Leib mit einem Korallengürtel festgebunden war.

»Gu'n Morgen,« sagte der Fischschwänzige ruhig, und Zacharias erschrak ordentlich über die deutsche Anrede, aber alte Gewohnheit ließ vor der Hand kein anderes Gefühl in ihm aufkommen, und seinen Hut schnell herunterreißend, erwiederte er höflich:

»Armer reisender Handwerksbursch; seit drei Tagen keinen warmen Löffel im Leibe gehabt.«

»Jemine Junge,« lachte da der kleine Dicke vergnügt, ohne aber in die Tasche zu greifen, »das ist eine lange Zeit, seit ich keinen Handwerksburschen hier gesehen habe. Wo kommst Du denn her? Bist Du erst kürzlich ersoffen?«

»Bitte,« sagte Zacharias, »so viel ich mich erinnere, noch gar nicht – ich habe meinen ordentlichen Paß bei mir, und wollte nur einmal sehen wie's hier unten ausschaut – sehr hübsche Gegend.«

»So?« sagte der Kleine, aber dabei ungläubig mit dem Kopf schüttelnd, »also Du bist nicht ersoffen – das ist doch eigentlich merkwürdig. Woher kannst denn Du das Wasser vertragen?«

»Entschuldigen Sie,« sagte Zacharias, der die Möglichkeit eines Geschenkes noch nicht aufgab, und deshalb seine Höflichkeit bewahrte, »ich bin wasserdichter Hutmachergesell und da –«

»Ja so, das ist was Anderes,« nickte der Kleine, »aber Du bist noch nicht lang hier, wie? – gefällt's Dir hier bei uns?«

»Muß schon sagen, daß mir's gefällt,« meinte der Hutmacher, »nur ein Bischen feucht kommt mir die Gegend vor.«

»Aber man gewöhnt's,« meinte der Kleine wieder, »ich wohne nun jetzt schon etwas über zweitausend Jahr hier und befinde mich ganz wohl –«

»Donnerwetter, das ist eine schöne Zeit,« rief Zacharias, »und darf man fragen, was Sie eigentlich für ein Geschäft hier treiben, und wo Sie so gut deutsch gelernt haben?«

»Geschäft,« sagte der Kleine, »gar keins, ich bin Seegreis und beziehe meine jährliche Pension, und Deutsch hab ich von meinen neuen Nachbarn gelernt, die gar nicht weit von hier wohnen.«

»Deutsche?« rief Zacharias erstaunt aus.

»Ja wohl,« nickte Jener, »vor etwa fünfzig Jahren versank grad' über uns ein großes Schiff mit lauter Deutschen, die nach Amerika hinüber wollten, und die kamen denn grad herunter und siedelten sich da an. Wollen wir einmal hinüber gehen?«

Zacharias hätte gar nichts Erwünschteres angeboten werden können, denn der kleine komische Kauz hatte ihm noch nicht einmal einen Schluck Branntwein angeboten und er wußte, daß er bei Landsleuten jedenfalls besser behandelt würde. Der Kleine stand aber indessen auf, schwamm in's Haus hinein, kam aber gleich darauf wieder heraus und hatte, zu Zacharias' unbegrenztem Erstaunen einen Regenschirm unter der einen Flosse, den er dann aufspannte und sagte:

»So, nun kann's losgehen.«

»Aber entschuldigen Sie,« meinte der Hutmacher, »brauchen Sie denn hier im Wasser einen Regenschirm?«

»Regenschirm?« sagte sein Begleiter, »einen Schirm gewiß. Es fahren hier jetzt in letzter Zeit so eine Menge Schiffe drüber weg und die Leute darauf kehren sich den Henker darum, was sie über Bord werfen, so daß man nie sicher ist einmal unterwegs einen zerbrochenen Teller, oder sonstige Porzellan- und Glasscherben, alte Nägel und Gott weiß was, auf den Kopf zu bekommen. Ich gehe deshalb nie ohne Schirm aus.« Und damit schwamm er ganz behaglich die Allee entlang.

»Was sind denn das nur für komische Bäume,« sagte Zacharias, der nebenherkeuchte und kaum mitkommen konnte, »solche hab ich doch mein Lebtag noch nicht gesehen.«

»Bäume?« sagte der Seegreis, »da drüben stehen Bäume – Korallenbäume – andere haben wir hier unten nicht. Das hier sind Polypen, die in Reihen gepflanzt werden, weil's hübscher aussieht.«

»Polypen – 's ist die Möglichkeit,« rief Zacharias erstaunt aus, »wenn ich wieder nach Hause komme, glauben sie mir's gar nicht.«

»Nach Hause kommen,« sagte der Seegreis mit dem Kopf schüttelnd, »ich lebe nun hier unten über zweitausend Jahr, kann mich aber nicht besinnen, daß jemals irgend wer, der uns hier besuchte, wieder nach Hause gekommen wäre.«

»Das ist bei uns gerade so,« rief Hasenmeier, »die ältesten Leute in einem Orte wissen sich nie auf etwas zu besinnen – aber entschuldigen Sie, verehrter Seegreis, was ist denn das da drüben – das sind ja komische Thiere.«

Rechts, wohin er zeigte, dehnte sich eine weite grüne Seegraswiese aus und Hasenmeier bemerkte jetzt zu seinem Erstaunen, daß dort ein paar Hundert große Schildkröten auf der Weide herumgingen, während der Hirt, oder die Hirtin vielmehr, ein junges allerliebstes Seenixchen, wie er sie schon oft hatte abgemalt gesehen, mit einem Seehund neben sich, sie überwachte.

»Das ist ja ein allerliebstes Mädel,« fuhr der galante Hutmachergesell fort, der sie schmunzelnd betrachtete, denn sie gefiel ihm ausnehmend, »können wir nicht einmal dort vorüber gehen.«

»Warum nicht?« erwiederte der Seegreis gefällig, »wenn wir nachher schräg durch den Korallenwald halten, schneiden wir sogar ein tüchtiges Stück Weges ab, denn die Colonie liegt gerade dort hinüber,« und ohne Weiteres bog er rechts durch die Grasebene ein und hielt auf die kleine Nixe zu, die neugierig aufschaute, als sie den komischen, wunderlichen Fremden bemerkte.

Es läßt sich nicht leugnen, sie war eigentlich unanständig einfach gekleidet, und trug nichts als ihre langen grünen mit Meerrosen durchflochtenen Haare, aber die klugen großen Augen funkelten wie ein paar Sterne, und der Arm, den sie ihnen entgegenstreckte, war weiß und zart wie Elfenbein. Zacharias Hasenmeier fühlte auch, daß er hier die Gesetze der Höflichkeit nicht außer Acht lassen dürfe. Er nahm also den Hut ab, und das ihm schon aus alter Gewohnheit und mit der Bewegung zusammenhängende und auf den Lippen schwebende »Armer reisender Handwerksbursch« gewaltsam hinunter schluckend, sagte er mit größter Artigkeit:

»Mein schönes Fräulein, äußerst angenehm ihre werthe Bekanntschaft zu machen.«

Die kleine Nixe sah ihn lächelnd an, was ihm Muth zu einer größeren Freiheit machte: er hob also den Arm und wollte ihr mit dem Finger unter das Kinn greifen, zog aber die Hand blitzschnell zurück, denn das kleine Hirtennixchen, dessen Augen plötzlich einen grünen Schein annahmen, schnappte danach mit den Zähnen und der Seehund knurrte und fuhr ihm auch zu gleicher Zeit nach den Beinen.

»Donnerwetter,« rief Hasenmeier zurückspringend, und hatte eben noch Zeit, seinen Stock vorzuhalten, um wenigstens von dem Hund frei zu kommen.

»Ja, die beißt,« lachte der Seegreis, »Du darfst ihr nicht zu nahe kommen.«

»Das ist aber doch hier ganz anders als bei uns,« sagte Hasenmeier bestürzt, »bei uns beißen die Mädels nicht.«

»Ländlich, sittlich,« bemerkte der Seegreis, »aber laß uns weiter gehen, siehst Du, dort fängt schon der Wald an.«

Zacharias war nicht böse darüber, denn die kleine Nixe hatte auf einmal alle Reize für ihn verloren, und er warf nur noch einen Blick auf die wunderliche Heerde von Schildkröten, die auf ihren platten Bäuchen im Seegras herumkrochen und unter Obhut der kleinen bissigen Hexe standen. Vergebens sah er sich aber nach einem Wald um, denn das, worauf sie jetzt zuschritten, glich weit eher einer überzuckerten Hecke, als was er sich bis jetzt unter einem Wald gedacht. Als er aber hinein kam, sah er doch, daß es große stämmige Korallenbäume waren, die ihre zackigen laublosen Aeste nach allen Seiten hinausstreckten, so daß man kaum seine Bahn hindurch finden konnte.

Da blieb der Alte plötzlich unter einem der Bäume halten und zankte hinauf und als Zacharias erstaunt dorthin sah, bemerkte er oben in den Zweigen ein paar kleine Jungen, die sehr verdutzt zu sein schienen und sich hinter den Aesten zu verstecken suchten.

»Nichtsnutziges Gesindel,« schimpfte aber der Seegreis, »Ihr glaubt wohl, ich seh Euch nicht? Wollt Ihr machen, daß Ihr herunter kommt, und wenn ich Euch noch einmal dabei erwische, häng ich Euch bei den Flossen auf und laß Euch eine Woche zappeln,« – und rechts und links glitten die scheuen Bengel jetzt, wie blitzende Fische, durch die Wipfel hinaus, in deren Gewirr sie bald verschwanden.

»Aber was haben denn die da oben gemacht?« sagte Zacharias erstaunt.

»Was sie gemacht haben?« rief der Alte, »die Nester der fliegenden Fische nehmen sie aus und saufen die Eier aus – aber wartet, ich passe Euch auf den Dienst, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Jetzt sind wir übrigens gleich durch den Wald, – siehst Du, dort drüben stehen schon die Häuser Deiner Landsleute, und denen wollen wir nun einmal einen Besuch abstatten. – Die werden sich freuen, wenn sie Einen aus ihrem Lande zu sehen bekommen.«

Der kleine Korallenwald wurde hier schon lichter und bald betraten sie wieder eine offene Ebene, in der auf einem flachen Hügel, ganz nahe bei dem Wald, die Ansiedelung der damals gescheiterten deutschen Auswanderer lag. Daß sie aber zu Deutschen kamen sah Zacharias augenblicklich, denn die Wege waren hier nicht allein vortrefflich in Ordnung gehalten, sondern er kam auch bald darauf zu einem weiß und grün angestrichenen Wegweiser, dessen Arm gerade nach dem Dorf hinüberdeutete, und auf dem die Worte standen:

»Nach Seeburg, eine halbe Pfeife Tabak«

was die Entfernung andeutete, in welcher sie sich von dem Ort noch befanden. Hasenmeier mußte freilich die Beine tüchtig unter den Arm nehmen, um mit dem Seegreis Schritt zu halten, der trotz seiner zweitausend Jahre noch vortrefflich auf den Füßen schien, sie rückten dadurch aber auch rasch näher, und nach kaum einer halben Stunde, nachdem sie den Wald verlassen, erreichten sie die äußeren Einfriedigungen des Dorfes, das mit seinen reinlichen Straßen vor ihnen lag.

Allerdings hatten sie unterwegs noch ein paar Heerden von Seekühen mit ihren Kälbern und auch Schildkröten getroffen, die ebenfalls von kleinen allerliebsten Nixen gehütet wurden; der Hutmachergesell schien aber jede Lust verloren zu haben mit ihnen anzubinden, und es drängte ihn jetzt selber, wieder in »gesittete Gesellschaft« zu kommen.

Viertes Kapitel.
Der Kampf mit der Seeschlange.

Was unseren Handwerksburschen wunderte, war, daß er noch gar keinen Menschen auf der Straße sehen konnte, und er wollte sich eben deßhalb gegen seinen Begleiter aussprechen, als hinter einer Korallenhecke, die hier zum Einfassen der Gärten benutzt zu werden schien, plötzlich ein Gendarm hervortrat, und den Handwerksburschen mit barscher Stimme nach seinem Wanderbuch frug.

»Herr, du meine Güte,« rief Hasenmeier überrascht aus, »haben sie denn hier unten auch Gendarmen?«

»Hast Du schon ein deutsches Dorf gesehen, mein Bursche,« rief aber der Mann des Gesetzes trotzig, »wo keine gewesen wären?« – und in der That konnten sich weder der zweitausendjährige Seegreis noch der Hutmachergesell auf eins in der Geschwindigkeit besinnen – »also mach' rasch, denn ich habe keine lange Zeit.«

»Das ist merkwürdig,« murmelte der Handwerksbursch erstaunt vor sich hin; aber nicht gewohnt einer solchen Persönlichkeit gegenüber irgend eine Widersetzlichkeit zu zeigen, warf er seinen Tornister ab, schnallte ihn auf und suchte das Buch.

»Ei du mein Herrgottchen,« rief er dabei, »Alles klatsche naß – wenn hier nur ein Platz wäre, wo man sein Zeug ein Bischen trocknen könnte.«

»Trocknen?« sagte der Seegreis erstaunt, während der Gendarm es unter seiner Würde hielt, mit dem reisenden Handwerksburschen ein Gespräch anzuknüpfen, ehe sich dieser nicht vollständig legitimirt hatte – »was ist denn das?«

»Was trocknen ist?« rief Zacharias, »das nehmen Sie mir aber nicht übel –«

»Na wird's bald!« rief der Gendarm.

»Entschuldigen Sie gütigst,« meinte der Handwerksbursch, »hat ihm schon – hier verehrter Herr Gerichtsbehörde ist mein Paß – Alles in Ordnung – Civil- und Militärbehörden werden ersucht, mich gefälligst –«

»Schon gut,« unterbrach ihn der Mann des Gesetzes, indem er das Papier wieder zusammenfaltete und seinem Eigenthümer zurückgab, »können sich hier aufhalten, müssen den Paß aber beim Bürgermeister vorher visiren lassen.«

»Beim Herrn Bürgermeister, haben Sie denn hier auch einen Bürgermeister?«

»Ist das wieder eine dumme Frage,« brummte der Gendarm, »wo sechs Deutsche zusammen wohnen, brauchen sie doch auch eine Obrigkeit; wofür sollte man denn sonst nur Steuern erheben? – Alles hier wie oben – Alles genau so!«

»O du lieber Himmel,« seufzte Hasenmeier, aber ganz im Stillen, denn was er jetzt dachte, durfte er nicht laut werden lassen, »und deshalb die schreckliche Seereise gemacht.«

»Hutmachergesell?« frug der Gendarm lakonisch.

»Wasserdichter,« bestätigte Hasenmeier ebenso.

»Gut – können einmal meinen alten Filz wieder aufbügeln – ist ein wenig lappig geworden hier unten.«

Zacharias warf einen prüfenden Blick auf den besagten Toilette-Gegenstand und bemerkte allerdings, daß die Krempen des alten dreieckigen Filzhutes, der einmal mit silbernen Borden besetzt gewesen, eine sehr trübselige Form angenommen hatten.

»Wird mir eine Ehre sein,« erwiederte er höflich, »aber wo finde ich den Herrn Bürgermeister?«

»Ist gerade auf der Jagd,« sagte der Gendarm, »können so lange in's Wirthshaus gehen – zum goldenen Haifisch.«

»Wirthshaus?« rief Hasenmeier rasch, »alle Wetter, ist hier auch ein Wirthshaus im Ort?«

»Na, wenn ein Bürgermeister da ist, wird doch auch ein Wirthshaus da sein,« sagte der Gendarm, »gleich dort neben der Kirche – dem Haus mit dem kleinen Thurm.«

Hasenmeier schulterte vergnügt seinen Ranzen wieder und faßte seinen Knotenstock fester, denn jetzt fing ihn sein Leben an zu freuen. Das Eine nur genirte ihn, daß der Seegreis fortwährend um ihn herum schwamm, und ihn dabei immer über die Achsel ansah. Was sollte denn das eigentlich heißen? ob er sich vielleicht über ihn lustig machte, weil er sich hatte von dem Gendarmen so anfahren lassen? Bah, was verstand so ein Seegreis davon; wie Gendarmen behandelt sein wollten, das wußte er besser, und sich an den Alten gar nicht mehr kehrend, wanderte er vergnügt der bezeichneten Stelle zu.

Rechts und links standen Häuser, alle aus Korallenblöcken aufgebaut, und mit breiten Muscheln, wie mit Schindeln gedeckt. Auch Trottoirs hatte das Dorf, gar künstlich von Austernschalen gelegt, und an einer großen Oekonomie kam er ebenfalls vorüber, wo in einem mächtig breiten Stall eine Menge Seekühe mit ihren Kälbern standen, aber keinen einzigen Menschen konnte er entdecken – nirgends die Spur von Leben oder Thätigkeit, und das Ganze fing schon an ihm unheimlich vorzukommen. War das Dorf ausgestorben, und der Gendarm ganz allein zurückgeblieben?

Jetzt hatte er das Wirthshaus erreicht – fehlen konnte er's nicht, denn ein großes Schild mit einem goldenen Haifisch verrieth den Platz schon von Weitem, und rasch schritt er darauf zu, blieb aber ganz erstaunt in der Thür stehen, als er das ganze Gebäude, das etwa noch einmal so groß wie die gegenüberliegende Kirche sein mochte, gedrängt voll fröhlicher zechender Menschen sah.

»Ja, alle Wetter!« rief er erstaunt aus, »da wundert's mich freilich nicht mehr, daß ich Niemanden in den Häusern gesehen habe, wenn sie Alle im Wirthshaus sitzen.«

»Mach' die Thür zu!« rief ihn aber der Wirth an – eine große breitschultrige Gestalt mit Pockennarben, dessen Gesicht ihm merkwürdig bekannt vorkam – »Donnerwetter das ganze Wasser läuft ja herein.«

Hasenmeier zog rasch die Thür hinter sich zu und den Hut vom Kopf.

»Armer reisender Handwerksbursch,« sagte er dabei mit kläglicher Stimme, »bittet allerseits um ein kleines Geschenk.«

»Hurrah, ein Handwerksbursch!« lachten und schrien aber die Gäste durcheinander, und ein Toben entstand jetzt, wie es auf der Oberfläche der Erde nicht natürlicher hätte aufgeführt werden können.

Hasenmeier sah auch hier zu seinem Erstaunen, wie reichlich mit Getränken und Speisewaaren versehen die Bewohner dieser unterseeischen Station sein mußten, denn rings an den Wänden waren Massen von Fässern, mit allen nur denkbaren köstlichen Weinen und Spirituosen aufgeschichtet, während neben an, ein anderes weites Lokal die Speisekammer zu sein schien. Lange Zeit ließen ihm aber die Insassen nicht zum Umschauen, denn von allen Seiten wurden ihm Krüge und Gläser entgegengehalten, und Hasenmeier wußte gar nicht, wo er zuerst zulangen sollte.

»Wo habt Ihr nur alle die guten Sachen her?« rief er dabei, »Ihr lebt ja hier wahrhaftig, wie der liebe Gott in Frankreich.«

»Woher?« lachte der Wirth, »glaubst Du denn mein Bursch, daß alle die guten Sachen verloren gehen, die uns die Schiffe herunter schütteln – Ladungsweise bekommen wir sie, daß wir manchmal gar nicht wissen wohin damit – aber jetzt trink aus, denn wir müssen fort.«

»Fort? wohin?« frug der Handwerksbursch, der gar nicht daran dachte, sobald wieder fortzugehen, »hier ist's doch hübsch genug.«

»Ja es wird Zeit,« riefen aber auch die Anderen und holten jetzt aus Ecken und Winkeln alle nur erdenkbare Arten von Mordwaffen, Lanzen, Spieße, Flinten, Säbel, Pistolen und wer weiß was hervor.

»Aber was ist denn nur los?« rief Hasenmeier, »wollt Ihr in den Krieg? – Donnerwetter, halten Sie mir die Flinte nicht so auf den Leib; das Ding kann losgehen.«

»Was los ist, Kamerad,« sagte der Wirth, »das sollst Du gleich wissen. Hier ganz in der Nähe läßt sich nämlich seit einigen Monaten die Seeschlange blicken, und holt uns unsere Kühe und Kälber von der Weide, ja, hat neulich sogar ein kleines Nixchen, das mit einer Muschel nach ihr warf, mit Haut und Haaren aufgefressen.«

»Und hat denn das der Gendarm gelitten?« frug Hasenmeier.

»Ja, die kehrt sich wohl an einen Gendarm,« lachte der Wirth, »nein, wo wirklich etwas los ist, da müssen wir immer selber hinaus und uns Ruhe schaffen, denn solche Bestien giebt's leider nur zu häufig in unserer Gegend. Der Bürgermeister ist auch schon heut Morgen in aller Früh mit seinen Hunden ausgegangen, um einmal abzuspüren und wenn wir dann wissen, wo sie sich versteckt hält, wollen wir sie nachher schon kriegen.«

»Na, dann will ich derweile ein Bischen hier bleiben und mich ausruhen,« sagte Hasenmeier, dem Nichts ferner lag, als hier unten mit einer Seeschlange anzubinden, da diese allen früher gelesenen Beschreibungen nach ja ein ganz entsetzliches Beest sein sollte.

»Möchtest Du wohl,« meinte der Wirth lachend, »ne mein Bursche, wenn Du hier unten bei uns leben willst, gehörst Du auch mit zur Landwehr und mußt ausrücken.«

»Aber ich bin militärfrei,« rief Zacharias, »der Doctor hat mich untersucht und erklärt, ich hielte die dreijährige Dienstzeit nicht aus – und dann bin ich auch auf dem linken Ohr taub.«

»Papperlapapp!« riefen aber die Anderen, »das macht hier Alles Nichts – gebt ihm einmal eine Lanze oder sonst was und nun vorwärts, sonst schimpft der Herr Bürgermeister.«

Alle weiteren Gegenvorstellungen, daß er sich eine Blase unter den rechten Fuß gelaufen, und den Rheumatismus im Knie hätte, halfen ihm in der That Nichts. Sie schnallten ihm einen furchtbar großen Säbel um, der wohl einen Fuß hinten nach schleifte und ihm, wenn er sich umdrehen wollte, zwischen die Beine kam, und dann brach die ganze Gesellschaft auf, sammelte sich draußen auf der Straße und marschirte nun in Reih und Glied, während ein paar Jungen vorneweg auf Muscheln bließen, zum Dorf hinaus.

Hasenmeier war bei der Sache nicht recht wohl.

»Wenn ich das gewußt hätte,« dachte er bei sich, »so wäre ich lieber noch einen Tag an Bord geblieben,« aber es nützte ihm Nichts. Als Vaterlandsvertheidiger mußte er mit in Reih und Glied marschiren, und dabei auch noch vergnügt aussehen, wenn er nicht von seinen Nebenmännern verhöhnt sein wollte.

So zog der kleine Trupp, etwa vierzig Mann stark, durch die stillen Straßen der Stadt, und Hasenmeier bemerkte wohl, daß hie und da verstohlen ein Frauenkopf an die Fenster kam, um nach einem oder dem anderen der jungen Lieutenants hinunter zu schielen; aber es blieb ihm auch nicht viel Zeit zu solchen Betrachtungen, denn schon öffnete sich vor ihnen das weite Feld, eine mit hohem Seegras bewachsene Wiese, in der ihnen jeden Augenblick die gefürchtete Seeschlange unter den Füßen herausfahren konnte.

Dort draußen bewegte sich jetzt eine menschliche Gestalt, die ihnen zuzuwinken schien – das mußte der Bürgermeister sein und die Muschelbläser vorn wurden bedeutet, ruhig zu sein, denn man konnte ja nicht wissen, wie nahe die Bestie versteckt lag.

So rückten sie leise und geräuschlos vor, aber das Seegras war hier so tief und verwachsen, daß Hasenmeier kaum darin fortkonnte und immer ärger stöhnte und schwitzte.

Der Herr Bürgermeister, der seine Flinte in der Hand hielt, suchte indessen das nächste Feld ab und hielt plötzlich still und sah vorsichtig voraus. Zacharias bemerkte jetzt, daß er ein paar große Seehunde bei sich hatte, und der eine stand – der Bürgermeister winkte, daß sie sich ruhig verhalten sollten, und schritt leise vor. Der eine Seehund zog vortrefflich an – plötzlich fuhr ein Volk fliegender Fische aus dem Gras heraus und der Bürgermeister machte eine famose Doublette nach rechts und links, während die beiden Seehunde vorsprangen und jeder seinen Fisch apportirte.

Hasenmeier, von dem ermüdenden Marsch durch das Seegras vollständig erschöpft, war froh genug, einen, wenn auch nur kurzen Ruhepunkt zu gewinnen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich dann auf einen der nahebei befindlichen Korallenblöcke, die hier überall aus dem Gras hervorschauten. Mit einem lauten Aufschrei sprang er aber auch schon in demselben Moment wieder in die Höh', denn er hatte sich den Platz, auf den er sich niederlassen wollte, vorher nicht genau angesehen, und sich dabei mitten auf einen Meerigel gesetzt, der dort zusammengerollt lag.

Die Anderen lachten, aber es war jetzt doch keine Zeit zur Kurzweil mehr, denn der Bürgermeister kam heran und theilte den Leuten mit, daß er das Versteck des Meerungeheuers aufgespürt habe. Es sollte zusammengeknäult in einem kleinen Dickicht von Algen und Korallenbäumen liegen, die etwa tausend Schritt von dort entfernt standen und deutlich von hier aus zu erkennen waren.

»Wer ist der Neue da,« sagte der Bürgermeister plötzlich und streng, als sein Blick auf Hasenmeier fiel, »wo kommt er her?«

»Bitte um Entschuldigung, Herr Bürgermeister, ich wollte nur –« stammelte der Handwerksbursch.

»Paß in Ordnung?« fragte der Beamte.

»Alles – wenn Sie erlauben –«

»Nachher – jetzt ist keine Zeit dazu,« wehrte aber der Bürgermeister ab, der übrigens wie ein ganz gewöhnlicher Mensch aussah, nur daß er Schwimmhäute zwischen den Fingern trug – und Hasenmeier überzeugte sich jetzt, daß dies bei allen Uebrigen ebenso der Fall war. Der Bürgermeister aber fuhr fort: »Wir müssen das Dickicht umzingeln und dann zwei Mann hineinschicken – denn meine Hunde wollen nicht dran und ich mag sie auch nicht riskiren. – Zwei Mann, die das Beest aufstören und hinaus in's Freie treiben – und nun vorwärts marsch, damit wir nicht zu spät zum Essen kommen.«

Er hatte dabei sein Gewehr wieder auf eine ganz eigenthümlich rasche Art geladen und fort ging's auf's Neue, gerade auf das furchtbare Dickicht zu, dem Hasenmeier viel lieber, so weit er nur irgend gekonnt hätte, ausgewichen wäre. Es lag ihm auch jetzt gar Nichts daran, daß sie so rasch vorrückten, aber all diese verzweifelten Seemenschen schienen auf einmal eine ganz entsetzliche Eile zu haben, und ehe eine Viertelstunde verging, befanden sie sich dicht vor der Dickung, in welcher das Ungeheuer seinen Mittagsschlaf halten sollte.

Da winkte der Bürgermeister mit der Hand, denn die Seehunde drückten sich scheu zwischen seine Füße – ein sicheres Zeichen, daß die Bestie in der Nähe sei.

»Kameraden,« redete er die kleine Schaar an, »wir sind am Ziel. Da drinnen liegt das Ungeheuer, das unsere Heerden und Hirten frißt, und nächstens auch vielleicht einmal nach Seeburg hinein kommt, um Einen von uns zu holen. Das müssen wir verhüten, denn ein solcher Satan respektirt nicht einmal die Obrigkeit, also zieht Euch jetzt um das Dickicht herum und thut Eure Pflicht, wenn der richtige Moment naht. – Vorher aber zwei Freiwillige vor, die kühn in das Dickicht hineinbrechen und den tückischen Feind zum Weichen bringen – dann läuft er uns nachher von selber in die Hände. – Also habt Ihr mich verstanden? – zwei Freiwillige vor!«

Niemand rührte sich.

»Na?« rief da Bürgermeister entrüstet, und fuhr Hasenmeier an, »Hast Du es nicht gehört, Du Lump! Freiwillige vor! warum kommst Du nicht? soll ich Dir etwa erst Beine machen?«

»Aber bester Herr Bürgermeister,« rief Hasenmeier erschrocken, »als wasserdichter Hutmachergeselle –«

»Wirst Du Dein Maul halten und freiwillig vortreten oder nicht!« schnauzte ihn da noch einmal der Schreckliche an und Hasenmeier sah eben keinen anderen Ausweg als sich für das allgemeine Wohl zu opfern. Nur erst einmal im Dickicht drin, wollte er aber schon Sorge tragen, daß er dem Seeungethüm nicht zu nahe käme, denn es muthwillig aufzustören und böse zu machen, daran dachte seine Seele nicht. – Aber auch hierin sollte er sich getäuscht sehen, da sich der Wirth selber als zweiter Freiwilliger meldete, und jetzt, dem Hutmacher auf die Schultern klopfend rief:

»Und nun komm, Kamerad – es ist Zeit. Donnerwetter, Du hast Dich doch jetzt genug ausgeruht und die Seeschlange geht Dir sonst meiner Seel' durch!«

»Das wär' ein Unglück,« dachte Hasenmeier, aber was half's, vorwärts mußte er, und sich den Hut verzweifelnd in die Stirn rückend, sagte er:

»Na denn man zu, aber wenn das eine Behandlung ist für eine Civil- und Militärbehörde, so will ich Schulze heißen« – und mit den Worten sprang er so rasch in das Dickicht hinein, daß ihm der Wirth kaum folgen konnte. – Am meisten störte ihn aber dabei der lange Schleppsäbel, der bald in den Algen hängen blieb, bald zwischen seine Füße hineinkam, daß er darüber hinstürzen mußte. Aber er achtete das Alles nicht – vorwärts – weiter hatte er in diesem Augenblick gar keinen Gedanken, und ehe er nur recht wußte, wie er dahin gekommen, stak er mitten im Dickicht drin und in einem wahren Gewirr von Korallen und ekelhaften Seegewächsen.

Da raschelte etwas vor ihm, deutlich konnte er sehen, wie sich die langen grünen schleimigen Blätter bewegten, und in den Korallenästen krachte und brach es, daß die bröcklichen Zweige herumstoben. Der Wirth, der dicht hinter ihm war, faßte ihn jetzt an der Schulter und schrie ihm in's Ohr:

»Auf! auf! Hutmacher. Zieh den Degen! sie kommt!«

Hasenmeier wollte seinen Degen aus der Scheide reißen, aber es ging nicht – die verwünschte Klinge war in dem Seewasser fest eingerostet.

»Herr, du meine Güte!« schrie er, »das hat noch gefehlt.«

Vor ihm hob sich ein furchtbares Ungethüm aus dem Gebüsch und sperrte gierig den weiten, mit ganz entsetzlichen Zähnen bewehrten Rachen gegen ihn auf – heißer Dampf schoß daraus hervor, die kleinen grünen Augen blitzten ihn mit funkelnder Wuth an, und schienen das ausersehene Opfer schon voraus zu durchbohren.

Nur den Säbel jetzt heraus, daß er sich gegen das Scheusal wehren konnte – mit der Linken hatte er die Scheide gefaßt, mit der Rechten riß er an dem Griff, daß es ihm die Stirnader zu sprengen drohte – der Säbel saß fest – noch einmal – jetzt brach der Griff ab, als ob er von Glas gewesen wäre, und mit einem jähen Sprung warf sich das Ungeheuer auf ihn und faßte ihn mit den Zähnen.

»Hülfe! Hülfe!« brüllte Hasenmeier und hörte nur noch wie der Wirth ganz ruhig sagte:

»Aber was schreist Du denn so, Hutmacher – Donnerwetter, Mensch, Du alarmirst mir ja das ganze Haus.«

»Ja – ja – wo ist – wo ist denn die Seeschlange?« rief Hasenmeier und richtete sich erschreckt empor.

»Die Seeschlange?« lachte der Wirth, »die soll wohl auf Dich warten, die ist mit der Ebbe ausgesegelt und schon aus Sicht.«

»Die Seeschlange? – aber Du meine Güte – wo bin ich denn?« rief der arme Teufel sich erschreckt die Augen reibend, »wo ist denn der Bürgermeister und – ich war doch? –«

»Der Bürgermeister?« sagte der Wirth schmunzelnd, »von Civil- und Militärbehörden hast Du genug gefaselt, aber jetzt wach' einmal ordentlich auf – es ist bald Mittag und das Mädchen will die Stube rein machen.«

Hasenmeier saß in seinem Bett, aber im Kopf ging's ihm wie ein Mühlrad herum – da stand der Wirth aus dem goldenen Haifisch, und hier lag er in einer fremden Stube im Bett, und von Seeschlangen, Algen und Korallen keine Spur – nicht einmal den Säbel hatte er umgeschnallt.

»Aber wo bin ich denn, Herr Wirth,« rief er mit kläglicher Stimme, »was ist denn nur mit mir vorgegangen?«

»Was mit Dir vorgegangen ist, mein Bursche?« meinte der Blatternarbige, »nichts Besonderes – einen höllischen Rausch hast Du Dir gestern Abend angetrunken und geschlafen wie ein Ratz und das tollste Zeug dabei geschwatzt. – Jetzt mach aber, daß Du heraus kommst, denn das Zimmer soll gelüftet werden.«

Zacharias Hasenmeier war wie vor den Kopf geschlagen. Die Erinnerung an den gestrigen Abend stieg wohl dämmernd in ihm auf, aber Seegreise, Nixen, Schildkröten und Seeschlangen schwammen dazwischen herum, und seine Reise selbst – war denn das Alles nur ein Traum gewesen? – Angezogen wie er gestern in das Wirthshaus gekommen, lag er überdieß im Bett – nur die Stiefeln hatten sie ihm ausgezogen – nicht etwa seiner Bequemlichkeit, sondern des Bettes wegen und fast mechanisch griff er in die Tasche nach seinem Geld. – Herr du meine Güte, das war fort und – das machte ihn munter.

Wie der Blitz sprang er auf und visitirte bestürzt alle Taschen – nicht die Spur davon war mehr zu finden.

»Na was suchst Du Schatz?« sagte der Wirth, der ihn kopfschüttelnd betrachtet hatte, »Deine Brieftasche?«

»Nein, die ist da,« rief der Hutmachergesell – »aber mein Geld – zehn Thaler 17½ Silbergroschen.«

»So?« lachte der Blatternarbige, »einen ganzen Abend zechen und die Gesellschaft traktiren und den Mädels Geld schenken und dann soll am anderen Morgen auch noch die Baarschaft vollständig beisammen sein – wäre nicht übel. Einen solchen Geldbeutel wünschte ich mir auch.«

»Ja aber,« stammelte Hasenmeier, »hab' ich denn Alles bezahlt?«

»Soweit es reichte, ja,« lautete die Antwort, »drei Mark zehn Schilling bist Du aber noch schuldig, mein Bursch, und wenn Du die nicht zahlen kannst, werde ich indessen Deine neuen Stiefeln als Pfand behalten.«

Zacharias Hasenmeier saß, die Hände gefaltet, auf dem Bettrand und starrte wie verloren vor sich hin. Fortwährend schüttelte er dazu mit dem Kopf, und so wenig er im Anfang begriffen haben mochte, wie Alles zusammenhing, kam er doch jetzt endlich zu der Ueberzeugung, daß er der unglückseligste wasserdichte Hutmachergesell wäre, der je einer Pappelallee Fährten eingedrückt. Er machte allerdings einen Versuch seinen Unwillen und sogar einen Verdacht zu äußern, daß vielleicht nicht Alles mit rechten Dingen zugegangen sei, aber der Wirth wurde, nur bei der geringsten Andeutung dahin, so furchtbar grob, daß er das bald in Verzweiflung aufgab.

Und jetzt? – der Wallfischfänger, die »Seeschlange« war allerdings schon an dem Morgen ausgesegelt; wäre er aber auch noch vor Anker gelegen, Hasenmeier hatte, mit der Erinnerung an das Ausgestandene, alle Lust zur Seefahrt und zu fremden Ländern verloren und dankte sogar noch Gott, als er später in Hamburg selber Arbeit fand, um zuerst seine Stiefeln wieder auszulösen und dann neues Reisegeld zu verdienen. Von Schiffen wollte er aber Nichts mehr wissen und hütete sich von da an ganz besonders keiner Matrosenkneipe wieder zu nahe zu kommen.

Das Hospital auf der Mission Dolores.
Californische Skizze.

Es ist eine allbekannte Thatsache, daß viele Kirchen und Klöster, die nur gebaut wurden, um Gott darin anzubeten, ihrem ersten, frommen Zweck nicht immer erhalten werden konnten und die verschiedenste, oft nichts weniger als heilige Verwendung fanden. Besonders in Kriegszeiten geschah das häufig, wo die festen Mauern der Gotteshäuser wie die steinernen Einfassungen der Kirchhöfe als Festungen und Verschanzungen benutzt wurden; aber auch selbst im vollen Frieden trifft man hier und da Tempel und Kapellen, zu denen kein Küster oder Sakristan mehr die Schlüssel führt, sondern ein Markthelfer, weil man sie eben in Lagerhäuser oder Keller umwandelte.

Bei Buenos-Ayres besuchte ich einst, noch zu Rosa's Zeiten, ein in der unmittelbaren Nähe der Stadt gelegenes altes Kloster, das der Dictator einem Stamm der Pampas-Indianer zum Wohnort und zugleich zu einem halben Gefängniß angewiesen hatte, und in der Kapelle selbst lagerten die wilden, halbnackten Gestalten der braunen Krieger, während der Altar noch die Ueberreste einer, wohl zerrissenen und in Fetzen niederhängenden, aber reich gestickten Decke trug. Das Außerordentlichste in dieser Art fand aber doch wohl mit der dicht bei San-Francisco gelegenen californischen Mission Dolores statt; denn so urplötzlich wurde nach der Entdeckung des Goldes das Land von Einwanderern überschwemmt, und so rasend schnell folgte Schiff auf Schiff, daß die Anlangenden gar nicht gleich untergebracht werden konnten und alle Winkel und Räume schon vorhandener Gebäude füllten.

Das alte Missionsgebäude, das bis dahin still und einsam in wenig mehr als einer Wüste, und etwa drei englische Meilen von San-Francisco, der Hauptstadt des Landes, ab gelegen, entging denn auch dieser Umwandlung nicht.

Es war ein mächtiges Gebäude, aus ungebrannten Backsteinen aufgebaut und mehrere Stockwerke hoch, einen großen geräumigen Hof umschließend, während in der Front nach der Bai zu die Kirche selber lag. Das ganze übrige kasernenartige Haus hatten aber bis dahin nur eigentlich drei Menschen bewohnt: der Geistliche, dessen alte Haushälterin, und eine Art Factotum des katholischen Pfarrers, ein Deutscher – und welche Veränderung brachten da wenige Monate zu Stande!

Kaum war das Gold entdeckt und die Nachricht von jenen fabelhaften Schätzen zu gleicher Zeit fast über alle Welttheile verbreitet worden, als die Einwanderung begann, und das benachbarte Mexico und die Vereinigten Staaten zuerst ihre Schaaren hinüber sandten. Dann folgten die Bewohner der Westküste und Sandwich-Insulaner, dann Australier und Europäer, und selbst die Chinesen schwärmten herüber, um ihren Theil von dem Gold zu holen, und reiche Leute zu werden.

In San-Francisco sammelte sich natürlich Alles, aber nicht Jeder führte Zelt oder Wohnung mit, und nun mußte die Nachbarschaft ebenfalls unterbringen, was sie unterbringen konnte, da die einsetzenden Regen ein Lagern im Freien nicht mehr gestatteten. – Was wurde da aus dem alten Missionsgebäude!

Unten in einem der Flügel errichtete ein Deutscher eine Brauerei, mauerte einen Kessel ein und fing an zu kochen. In der vorderen Flanke, zunächst der Kirche, setzte sich ein Amerikaner fest und etablirte eine Restauration, wobei er es bald zweckmäßig fand, eines der alten, großen und öden Zimmer zu einem Tanzsalon umzuwandeln, in dem dann allwöchentlich ein paar Fandangos gehalten wurden.

Hierauf folgte ein Sohn der »grünen Insel« – ein Ire, der an die andere Seite noch eine gewöhnliche Branntweinkneipe setzte, und der Priester mußte es sogar geschehen sehen, daß eine chilenische alte Señora mit fünf jungen Damen, aber keinen Nonnen, in das alte Kloster einzog und nicht wieder zu vertreiben war.

Aber noch nicht genug. Von Buenos-Ayres war ein portugiesischer Arzt nach Californien gekommen, der in San-Francisco ein Hospital gründen wollte, dort aber keinen Platz fand und sich nun ebenfalls auf die Mission angewiesen sah.

Er ritt hinaus, um mit dem Priester eine Verabredung zu treffen, fand ihn aber nicht mehr, denn dem würdigen Herrn war der Lärm doch zu bunt geworden, da sich in den letzten Tagen auf der einen Seite ein Schwarm Indianer, und dicht unter seiner eigenen Wohnung auch noch eine Rotte von Mexikanern eingenistet, die des draußen niederstürzenden Regens wegen gar nicht mehr fortzubringen waren.

Anfangs hatte er, um sich die Lästigen aus seinem eigenen Hause zu halten, und nicht im Stande Gewalt anzuwenden, eine Anzahl Processe angestrengt, aber nur zu bald sollte er die traurigen Folgen derselben kennen lernen, denn er fiel dadurch einer ganzen Schaar von Geiern in die Hände, die alle Zahlung von ihm wollten, ohne daß sie das Geringste für ihn ausgerichtet hätten. Da wurde ihm der alte Platz zu warm, und eines Morgens war er spurlos verschwunden.

Der portugiesische Doctor aber sah das als kein Hinderniß an. Da er Niemanden fand, der ihm ein Quartier vermiethen konnte, nahm er das Gebäude selber in Augenschein, fand die Bodenräume zu einer Aufstellung von Betten passend und quartierte sich dabei ganz ungenirt in der verlassenen Priesterwohnung ein. Er war ein praktischer Mann, der recht gut wußte, daß das Recht des Besitzenden in diesem Land schwer anzutasten blieb. Schon am nächsten Tag trafen auch eine Anzahl von Maulthieren mit Matratzen und wollenen Decken ein, während mit höchster Fluth ein paar Wallfischboote, mit einer Anzahl eiserner Bettgestelle befrachtet, den schmalen Canal, der die Mission mit der Bai von San-Francisco verband, hinauf fuhren. Als Aushülfe hatte sich der Doctor dabei die müßig im Haus liegenden Mexikaner und Indianer gemiethet, und noch vor Sonnenuntergang standen zwanzig Betten dort oben, unmittelbar unter dem schrägen, an vielen Stellen defecten Ziegeldach auf dem offenen Boden, durch den der oft stürmische Wind nach allen Richtungen hin seinen Durchzug hatte. – Das war das Hospital, das jetzt seiner unglücklichen Bewohner harrte.

Die bisherigen Insassen des alten Gebäudes sahen allerdings mit nicht geringem Erstaunen diese Vorbereitungen und schüttelten auch wohl den Kopf, wenn die Vermuthung ausgesprochen wurde, daß dort hinauf Kranke geschafft werden sollten – noch dazu mitten in der Regenzeit, wo man da oben und in dem kalten Wetter nicht einmal ein Feuer anzünden konnte. Aber was war in damaliger Zeit in Californien nicht möglich, noch dazu mit armen Teufeln, die sich selber nicht mehr helfen konnten!

Schon am zweiten Tag traf der erste Kranke ein, – ein junger Matrose, bewußtlos und todtenbleich, der von vier Leuten die steilen Treppen hinaufgeschafft und in ein Bett gelegt wurde, Nr. 1. An dem nämlichen Abend langte noch ein kranker Portugiese an und wurde in No. 2 des Amerikaners Nachbar, und ehe eine Woche verging, waren von den zwanzig Betten schon siebenzehn mit solchen Unglücklichen gefüllt, die in diesem »Hospital« kaum besser als auf offener Straße lagen.

Die Bewohner des Missionsgebäudes wollten jetzt allerdings gegen eine solche Einquartierung protestiren, denn sie fürchteten nicht mit Unrecht durch irgend eine gefährliche und ansteckende Krankheit selber bedroht zu werden; aber es half ihnen Nichts. Das nämliche Recht, in dem alten Gebäude zu wohnen, das die Gesunden für sich geltend machten, mußte auch den Kranken werden, und welchen Ausgang gerichtliche Klagen in Californien nahmen, hatten sie nur zu deutlich an dem eigentlichen Besitzer der Mission, an dem katholischen Priester, gesehen, der durch die Gerechtigkeit des Landes von Haus und Hof getrieben worden war.

Welch ein entsetzlicher Aufenthalt war es aber für die unglücklichen Kranken selber, wenn der Regen auf die unmittelbar über ihren Köpfen befindlichen Ziegel schlug und oft sogar auf ihre Kissen tropfte, und der Wind dann durch all die tausend Ritzen und Spalten heulte und pfiff, denn nirgends war der Ort, an dem sie sich befanden, auch nur durch eine Bretterwand abgegrenzt, ja selber nach unten, zu der Brauerei führte nur die vollkommen offene Bodentreppe, und von dort her stieg, wenn da unten gebraut wurde und Feuer unter dem Kessel brannte, der dicke Qualm empor, und sammelte sich da oben zu solchen Schwaden, daß man kaum seine Hand vor Augen sehen konnte.

Der Doctor wollte diesem Uebelstand allerdings abgeholfen haben und beschwerte sich darüber bei den Brauern; aber was nützte ihm das? Die Brauerei hatte dort früher bestanden als das Hospital, und Niemand ihn gezwungen, seine Patienten dort unterzubringen. Allerdings schien sich die Brauerei verpflichtet zu haben, ihre Abtheilung des Bodens, wenn es je verlangt werden sollte, von der andern abzutrennen, aber es war nicht bestimmt, durch was, und so zogen die Eigenthümer, da eine feste Wand gar nicht zu bezahlen gewesen wäre, einfach dünnen Kattun querüber, und durch den ließ sich der Qualm natürlich nicht abhalten; er drang überall hindurch.

So vergingen Monate. Viele, viele Unglückliche waren in diesen entsetzlichen Aufenthalt geliefert, und nur sehr wenige gesund daraus entlassen worden; oft und oft aber kletterten Morgens mit Tagesanbruch vier oder sechs Männer, einen in eine Decke gewickelten Leichnam zwischen sich tragend, die steile und schmale Holztreppe hinab und legten den Verstorbenen unten auf dem kleinen Kirchhof, den die darüber hängende Dachtraufe in der Regenzeit zu kaum mehr als einem Sumpf wandelte, in sein kaltes, feuchtes Grab – nicht einmal einen Sarg bekam er mit; der hätte zu viel Geld gekostet.

Und immer wilderes Leben füllte die weiten, trostlosen Räume des alten Klosters, dessen Zimmer mehr Ställen und Kellern, als menschlichen Wohnungen glichen. Die Brauerei war allerdings indessen aufgegeben, aber an einen anderen Brauer verkauft, der nur noch nicht Besitz davon ergriffen hatte, und noch zwei neue Schenkstände wurden, der eine von einem Mexikaner, der andere von einem Amerikaner, eröffnet.

Zu dem Amerikaner hatten sich die chilenischen Mädchen gezogen, und hielten dort wilde Fandangos, zu welchen nicht selten das rohe Männervolk aus der Umgegend gezogen kam, während die dort in der Nachbarschaft ansässigen Californier mit ihren Frauen und Töchtern das Lokal des Mexikaners benutzten; denn sie haßten die Amerikaner, die ihnen ihr Land genommen und verkehrten nur wenig mit ihnen. Ohne Tanz konnten sie aber ebensowenig bestehen, denn auf der Mission wohnten doch wenigstens zehn oder zwölf californische Familien mit einer Anzahl erwachsener Töchter, und ganz allerliebste Mädchen unter ihnen, denen die kleinen Füße schon zuckten, wenn sie nur Musik hörten.

Eine der hübschesten unter ihnen, und dabei unstreitig die beste, zierlichste Tänzerin, war aber die Señorita Marequita, die Tochter eines dort ansässigen und ziemlich wohlhabenden Viehzüchters, und sobald sie bei einem der Fandangos zum Tanze antrat, wurden ihr nicht nur jubelnde Bravos zugerufen, sondern es flog sogar, nach californischer Sitte, mancher Silberdollar, ja manches Goldstück zu ihren Füßen nieder.

Es konnte auch in der That nichts Lieblicheres geben, als dies junge, bildhübsche Wesen den Fandango oder einen jener anderen spanischen Tänze auszuführen zu sehen. Da bemerkte man freilich Nichts von dem unanständigen Beinewerfen nachgemachter Spanierinnen, die sich bei uns produciren – jede Bewegung war züchtig, aber auch eben so graciös, und wie eine Elfe glitt sie herüber und hinüber. Die Schönheit und Liebenswürdigkeit der jungen Californierin war auch schon bis nach San-Francisco gedrungen, und häufig kamen die Amerikaner heraus, um sie zu bewundern, ja selbst von den in der Bai ankernden amerikanischen Kriegsschiffen trafen zu Zeiten einzelne Officiere ein, und man erzählte sich, daß Einer von Diesen schon sogar um ihre Hand angehalten habe. Aber er mußte mit einem Korb abgezogen sein, denn er ließ sich seit jener Zeit nicht mehr auf der Mission blicken, und die Californier selber zeigten sich danach nur noch soviel stolzer auf ihre Landsmännin, daß sie in keine Verbindung mit dem verhaßten amerikanischen Stamm gewilligt hatte.

Marequita wußte aber auch noch einen anderen Grund, weßhalb sie den freundlichen Worten des jungen Officiers nicht gelauscht, denn ihr Herz war schon seit Monden nicht mehr frei, und sie erröthete tiefer und tanzte befangener, wenn ein junger Franzose, Jerome – wie er von den Kameraden genannt wurde, den Tanzsaal betrat, und ihr in der ersten Zeit nur mit schüchterner Zurückhaltung die Hand zum Gruße bot. Nach und nach schien er aber doch dreister geworden zu sein, denn er besuchte die Mission häufiger, und jetzt auch sogar das Haus in dem Marequita's Vater wohnte, und faßte zuletzt sogar Muth genug, Diesen um die Hand seiner Tochter zu bitten, was der Californier vor allen Dingen mit einer Frage nach seinen Vermögensverhältnissen beantwortete.

Mit diesen stand es freilich nicht – wenigstens nach californischen Ansprüchen so, daß beide Theile hätten damit zufrieden sein können. Der junge Franzose besaß allerdings ein paar hundert Thaler Geld, aber Du lieber Gott! was wollte das in einem Lande sagen, wo man manchmal ebensoviel zu einem Souper verbrauchte, und das Resultat lautete denn auch demzufolge: der Vater würde gegen eine Verbindung des jungen Mannes mit seiner Tochter nicht das Geringste einzuwenden haben, wenn – Don Jerome nur erst einmal nachzuweisen vermöge, daß er im Stande wäre einen eigenen Hausstand zu beginnen und eine Frau zu ernähren. Das sah Don Jerome denn auch ein, nahm zärtlichen Abschied von dem lieben, unter Thränen zu ihm auflächelnden Kind, kaufte sich Handwerkszeug und schiffte sich frohen Herzens nach Sacramento ein, um oben in den nördlichen Minen sein Glück zu versuchen und so rasch als irgend möglich ein reicher Mann zu werden. Aehnliche Beispiele kamen ja alle Tage vor, und weßhalb sollte ihm das Glück nicht ebenso günstig sein als tausend Anderen, die es noch dazu nicht einmal verdienten oder zu benutzen verstanden, weil sie fast regelmäßig auch das Gewonnene gleich wieder an Ort und Stelle vertranken oder verspielten.

So vergingen wieder mehrere Monate. Der Sommer war vorüber, und die Regenzeit setzte aufs Neue ein, ohne daß Briefe von Jerome gekommen wären, und er hatte doch so fest versprochen dann und wann zu schreiben und Nachricht über sich und seine Erfolge zu geben. Aber das junge Mädchen fühlte sich dadurch eben nicht sehr beunruhigt, denn die Postverbindung zwischen San-Francisco und den Minen war eine noch so unvollkommene, und ruhte außerdem fast ganz in Privathänden, daß man auf den richtigen Empfang eines abgesandten Briefes nie rechnen konnte. Es kam sogar grade in dieser Zeit sehr häufig vor, daß derartige Leute, die übernommen hatten Briefe und Geldsendungen zu besorgen, entweder unterwegs überfallen und todtgeschlagen oder beraubt wurden, oder auch selber mit den ihnen anvertrauten Geldern zu Schiff und durchgingen.

Ja sogar in San-Francisco lag das Postwesen noch derart im Argen, daß irgend ein Fremder, wenn er vorgab beauftragt zu sein, Briefe abzuholen, auf dem Bureau sich aussuchen und mitnehmen durfte, was er wollte, – waren doch die Beamten nur froh, dadurch wieder ein Packet unbestellbarer und ihnen lästig werdender Briefe aus ihren Fächern zu bekommen. Ob die Briefe je an ihre Adressen befördert wurden, was kümmerte es sie, sobald sie nur das Porto dafür erhielten.

Auf der Mission hatte sich indessen Manches in sofern geändert, als die Verbindung mit San-Francisco eine weit bessere und leichtere geworden war. Früher mußte man die drei Meilen durch knöcheltiefen Sand Hügel auf und ab waten oder reiten, während Fuhrwerke nur mit Mühe und Noth ihren Weg durch den schweren Boden verfolgen konnten, und jetzt hatten die unternehmenden, thätigen Yankees eine breite, ebene, mit Planken durchaus belegte Straße gebaut, auf der das Fuhrwerk dahinrollte, wie auf einer Eisenbahn. Ueberall auf dem Weg ließen sich dabei Ansiedler nieder, theils auf den späteren Werth der Grundstücke speculirend, theils um gleich jetzt Wirthshäuser und Branntweinschenken zu errichten.

Auch mit der Mission selber war eine Veränderung vorgegangen, indem sich dort einige amerikanische Ackerbauer niedergelassen hatten und zum erstenmale den Pflug in den Boden brachten. Das Land erwies sich auch in der That viel fruchtbarer als man geglaubt, und es zeigte sich später als eine ganz vortreffliche Speculation, das Getreide, das man bis dahin mit schwerem Geld hatte in weit entfernten Hafenplätzen kaufen müssen, hier gleich an Ort und Stelle selbst zu bauen.

Dabei waren auch, um die Mission herum eine Menge von neuen Häusern theils schon entstanden, theils noch im Bau begriffen und ein reges Leben herrschte auf dem sonst so stillen und einsamen Platz. Nur das alte Missionsgebäude mit seiner buntgemischten, wunderlichen Bevölkerung lag noch wie früher träumend unter seinem defecten Ziegeldach, und wenn es auch seine Bewohner zeitweilig wechselte, blieb die Art des Verkehrs darin doch noch für lange Zeit die nämliche.

Der Besuch des Hospitals war allerdings ein geringerer geworden, weil man indessen in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt ein anderes und besseres gebaut hatte. Da übrigens der Doktor von seinen bis dahin enormen Preisen herunterging und billigere Bedingungen stellte, so wurden ihm doch noch von Zeit zu Zeit einzelne Patienten ausgeliefert, deren Mittel entweder nicht ausreichten, oder für welche Andere zu sorgen hatten, wobei sie die Vorsicht nicht versäumten, so wenig als möglich Auslagen zu haben.

In den Minen waren auch grade außergewöhnlich viel Krankheiten vorgekommen, denn so gesund das californische Klima an und für sich sein mochte, so trug doch die wilde, unregelmäßige Lebensart, wie die schwere, für Tausende ungewohnte Arbeit viel dazu bei, besonders hitzige Fieber zum Ausbruch zu bringen, die für die davon Betroffenen nur zu häufig aus Mangel an Pflege und ärztlicher Behandlung einen schlimmen und tödtlichen Ausgang nahmen.

Wie mancher arme Teufel, der mit goldenen Hoffnungen und Träumen in das Land gekommen, erhielt dort oben Nichts als sechs Fuß Erde und einen Steinring um das enge Grab, auch wohl noch ein rohes Kreuz mit dem Beil in den nächsten Baum eingehauen – das war Alles. Und daheim seine Lieben sorgten und ängstigten sich vielleicht noch Jahre lang um den Geschiedenen, mit sehnenden Herzen seiner Rückkehr harrend, und schrieben und frugen an bei Behörden und Regierung. Umsonst – wer kannte die Namen der Todten, die überall zerstreut unter den Eichbäumen des weiten Landes lagen – wer hatte je nach ihnen gefragt!

Glücklich waren noch Solche zu schätzen, welche Krankheit nicht allein und einsam in der Wildniß traf, und welche Freunde fanden, um sie aus den Bergen und Schluchten hinaus wieder in den Bereich der Civilisation und ordentlicher Pflege zu bringen. Allen aber half das freilich auch nicht; Viele starben schon unterwegs, Andere lebten gerade lange genug, um den Hospitalkirchhof zu erreichen, und Wenige, o wie entsetzlich Wenige von alle den armen hülflosen und gebrochenen Menschen konnten wieder soweit gebracht werden, mit gekräftigtem Körper ihre Arbeit auf's Neue zu beginnen!

Eins aber büßten Alle ein: das mitgebrachte Gold – denn eben nur mit Gold wurden in damaliger Zeit Arzneien aufgewogen und ein tüchtiger Arzt hatte seine beste und einträglichste Mine in den Krankheiten seiner Patienten. Was lag den Kranken auch an dem ausgewaschenen und erbeuteten Gold? – wo sie das gefunden, gab es mehr, und wenn ihr Körper nur seine alte Kraft wieder erlangte, alles Andere war nicht der Rede werth.

Draußen am langen Werft hatte auch heute wieder das von Sacramento kommende Dampfboot angelegt, und nachdem die Passagiere das Schiff verlassen, schafften die Matrosen noch ein paar schwer kranke Miner an's Land, oder vielmehr auf die Spitze des über eine halbe Meile langen Werftes hinaus, legten sie dort, in eine wollene Decke gewickelt, auf die Planken und kehrten dann an Bord zu ihrer Arbeit zurück. Die Freunde oder Kameraden der Leidenden mochten jetzt sehen, wie sie allein mit ihnen fertig wurden.

Zwei der Unglücklichen waren Amerikaner und ihr Kamerad lief das Werft entlang, um irgendwo eine Karre aufzutreiben, auf der er sie in ein Kosthaus, oder auch vielleicht in das Hospital schaffen konnte. Der Dritte schien ein Fremder, – sein Begleiter, der sich zu ihm überbog und einige Fragen an den halb Bewußtlosen richtete, sprach französisch mit ihm. Ein paar Yankee's, die auf dem Werft herumschlenderten, blieben neben den Beiden stehen und frugen endlich theilnehmend, was dem Armen fehle.

»O Gentlemen,« sagte der Franzose in sehr gebrochenem Englisch, »Fieber – schweres Fieber – Phantasieen, viel Phantasieen. Hab' ihn gefragt – Landsmann von mir – wohin er gebracht sein will – bin selber fremd hier – vor einem Jahr nur zwei Stunden in San-Francisco gewesen – Er sagt Nichts – nur Mission Dolores – weiter kein Wort.«

»Ist es Dein Kamerad?«

»Nein – habe ihn gefunden auf Dampfboot krank – sehr krank – weiß nicht, wie er heißt – aber Landsmann –«

»Also Mission Dolores sagt er?« frug der andere Amerikaner.

»Toujoursever – kein anderes Wort.«

»Dann will er auch in das Hospital auf der Mission geschafft sein,« sagt der Andere – »dort ist ein Hospital, das ein Fremder hält, ich weiß nicht, ein Spanier oder Franzose – er spricht jedenfalls französisch und hat Viele von Euren Landsleuten oben.«

»Und wo liegt die Mission?«

»Gleich dort drüben, um die Landspitze herum – rechts hinein geht ein schmaler Kanal, in den Ihr bei Fluthzeit einfahren könnt. Wenn ihr ein Boot miethet, bringt Euch das ganz bequem bis ziemlich dicht an's Missionsgebäude, und dort fragt nur nach dem Hospital – jedes Kind zeigt Euch den Weg dahin.«

»Dank' Euch – dank' Euch vielmals,« nickte der Franzose, der sich des armen todtkranken Landsmanns in der That erst unterwegs angenommen hatte, weil er sah, daß sich Niemand sonst um ihn bekümmerte. Keine Seele an Bord wußte auch, wie es schien, etwas von ihm. Er war allein und allerdings schon krank auf den Dampfer gekommen und hatte sich, nachdem er seine Passage bezahlt, in seinen Mantel gewickelt, auf Deck niedergeworfen; dort mußte das hitzige Fieber erst in ihm ausgebrochen sein, und von da ab war er auch nicht recht wieder zur Besinnung gekommen, um Rechenschaft über sich zu geben.

Sein Landsmann aber ließ ihn nicht im Stich, wie denn überhaupt die Franzosen in fremden Welttheilen besonders treu zu einander halten und uns Deutschen dabei mit einem – freilich selten beherzigten – guten Beispiel vorangehen. Er miethete ohne Weiteres eines der dort am Werft liegenden Boote, und da es gerade die günstige Zeit war, um die Mission Dolores zu Wasser zu erreichen – fast die höchste Fluth, – so hoben sie den Kranken in das Boot hinab und ruderten ihn, von der Strömung noch außerdem begünstigt, rasch die Bai hinauf, um Rincons Point hinum und in den schmalen Kanal hinein, dessen Landungsplatz kaum mehr als zweihundert Schritt von der Mission selber entfernt lag.

Der Franzose wußte sich hier, da er keine Seele am Ufer fand, auch nicht anders zu helfen, als daß er den Kranken noch unten im Boot ließ und indessen selber hinauf zum Arzt ging, um mit Diesem Rücksprache zu nehmen.

»Konnte der Kranke für seine Pflege und ärztliche Behandlung zahlen?« war die erste, vorsichtige Frage Desselben, die der Franzose dahin beantwortete, daß er an dem Gürtel seines Landsmannes, unter der Blouse, einen Lederbeutel mit Gold gefühlt habe. Der Mann kam aus den Minen und führte jedenfalls das dort Erworbene bei sich. Das genügte. Der fremde Arzt wußte recht gut, daß er sich im Fall einer mißlungenen Kur selbst bezahlt machen konnte, und hatte in solchen Fällen schon die Erbschaft von verschiedenen Kranken angetreten, deren Familien nicht ausfindig gemacht werden konnten – wenigstens nicht ausfindig gemacht wurden. Er sandte auch augenblicklich seine Krankenwärter hinunter, die den Patienten herauf holen mußten, und der junge Franzose begleitete den Armen dann noch die Treppe hinauf bis an sein Bett und schauderte freilich, als er den elenden Aufenthalt entdeckte, der dem Armen von jetzt ab Heilung geben sollte.

Das Hospital hatte sich auch in der That nicht – seit der Errichtung desselben – zu seinem Vortheil verändert, denn damals waren die Betten doch noch wenigstens neu und reinlich gewesen – und wie sahen die jetzt aus!

Es war vorgekommen, daß einzelne Kranke, die noch die Kräfte besaßen, wieder die Treppe hinunter schwankten und dann erklärten, lieber wollten sie auf Gottes freiem Erdboden, als dort oben in jenem entsetzlichen Aufenthaltsort liegen bleiben – aber das geschah doch nur im Verhältniß sehr selten und da Eines von diesen verwöhnten Subjekten eines Abends wirklich den Platz verließ und noch ein Stück den Hang hinan unter einen einzeln stehenden Baum kroch und dort in der Nacht starb, so wurde dieses Beispiel später etwa Widerspenstigen immer mit dem besten Erfolg vorgehalten.

Der junge kranke Franzose sah Nichts von seiner ganzen Umgebung; er wurde bewußtlos die Treppe hinan- und auf ein Bett getragen, dort genau von dem Doktor untersucht und dann zugedeckt. Der oben auf Wache befindliche Wärter bekam hierauf die Ordre, den Doktor augenblicklich zu rufen, sobald der letztgekommene Patient – Nr. 14, wie er nach seinem Bette genannt wurde – erwache; aber der Doktor brauchte nicht wieder an dem Tage gestört zu werden, denn Nr. 14 kam nicht zur Besinnung, phantasirte nur stark und schwatzte eine Menge tollen Zeuges, rief auch ein paarmal einen spanischen Frauennamen, und lag dann Stunden lang regungslos mit geschlossenen Augen da. Ein furchtbares Fieber schüttelte seine Glieder, und der Kopf glühte ihm, daß es fast seine Stirnadern zu sprengen drohte.

Am nächsten Tag erwachte er allerdings, zeigte sich aber als ein sehr unruhiger und auch unbequemer Gast, denn sein Geist schien zu wandern und er wollte auf und davon. Die Wärter hielten ihn zurück und der Doktor wurde gerufen; er verordnete, daß man den Patienten an sein Bett festbinden und ihm kalte Umschläge machen solle. Er wehrte sich dabei wie rasend, aber es half ihm Nichts; es wurde weitere Hülfe herbeigeholt, und kaum eine Viertelstunde später lag er, an Händen und Füßen festgeschnürt, auf seinem Schmerzenslager, während ihm einer der Wärter, mit einem Stalleimer voll Wasser neben sich, nach der Verordnung des Arztes nasse Tücher um den Kopf legte.

Der Gebundene lag eine Zeitlang still; die kühlen Umschläge schienen ihm gut zu thun – aber das dauerte nicht lange. Sobald er sich nur wieder einmal regte und die ihn haltenden Bande fühlte, so brach auch seine Wuth von Neuem aus. Er tobte und wand sich umher und schrie dabei, daß man es weit über die ganze Mission hören konnte, und die Frauen und Kinder sich davor fürchteten. Dieser Zustand dauerte viele Tage und Wochen und Jedermann dort wußte und erzählte sich, daß ein sehr bösartiger Geisteskranker oben im Hospital untergebracht sei und dem Doktor viel zu schaffen mache. Wo er herstamme und wer er sei, darum kümmerte sich Niemand; wer hätte auch all die Leute kennen wollen, die von Ost und West und Süd und Nord nach Californien geströmt waren, um dem Boden seine Schätze zu entreißen? Es war eben ein »Fremder«, und das Wort entsprach in damaliger Zeit allen Bedürfnissen, die man sonst vielleicht empfunden hätte, nach Namen und Stand zu forschen.

Auf das eigentliche tolle Leben in der Mission hatte dieser unheimliche Gast jedoch nicht den geringsten Einfluß. In beiden Flügeln des großen Gebäudes wurde ruhig fort musicirt und getanzt, und wenn auch einmal in einen ihrer Fandangos ein wilder, gellender Schrei hineintönte, so schraken die jungen Mädchen wohl zusammen und sahen sich scheu einander an, aber die Instrumente fielen dann nur um so rauschender und tönender ein und der Tanz verlangte sein Recht. Was hätte es auch dem armen Kranken da oben geholfen, wenn sie ihre Lust unterbrechen wollten? Dort wo er lag, konnte er nicht einmal die Musik hören, keinenfalls aber dadurch gestört werden.

Marequita hatte sich indessen in der ersten Zeit, nachdem Jerome sie verlassen, ziemlich fern von den sonst so häufig besuchten Fandangos gehalten. Sie kam wohl dann und wann hinüber und tanzte ein- oder zweimal, ließ sich aber nie verleiten länger zu bleiben, und verließ selbst ihr Haus nur selten. – Aber wie monoton war das Leben auf der Mission, wenn man sich auch noch die so spärlichen Vergnügungen versagen wollte, die von Zeit zu Zeit ein unschuldiger Tanz bot. Jerome ließ gar Nichts von sich hören; er hätte doch gewiß einmal schreiben können, wie es ihm ging, und ob er Hoffnung habe, bald zurückzukehren. Von allen Minen trafen außerdem Händler oder Goldwäscher in San Francisco ein, und wie leicht wäre es ihm gewesen, Einen von Diesen zu bewegen, ihnen Nachricht zu bringen. Aber Niemand ließ sich sehen – Niemand, und der Vater Marequita's frug viele Menschen aus den verschiedensten Distrikten; Keiner von alle Diesen wußte freilich etwas von einem Franzosen Jerome, oder hatte je von ihm gehört; war es denn ein Wunder, daß ihr zuletzt die Zeit lang wurde und sie den Bitten ihrer Freunde und besonders des jungen tanzlustigen Volkes nicht mehr so hartnäckig widerstand? Und wie jubelten ihre Landsleute nicht allein, nein, auch die Fremden, wenn sie sich wieder im »Saale« zeigte! Welche Triumphe feierte sie! und manchen Abend mußte sie die ihr geworfenen Dollarstücke sogar in der Mantille nach Hause tragen, weil sie das viele Geld gar nicht mehr in den Händen halten konnte.

Heute war der Vater wieder in San-Francisco gewesen und hatte dort, zum ersten Mal, so oft er sich auch schon erkundigt, einen Franzosen gesprochen, der Jerome genau kannte und sogar mit ihm gearbeitet hatte. Der aber behauptete, Jerome sei glücklich in den Minen gewesen und schon vor langen Wochen nach San-Francisco zurückgekehrt, wo er, wie er ihm erzählt, heirathen und ein kleines Hotel gründen wollte. Seit dem Tage aber habe er ihn natürlich nicht mehr gesehen, und wenn er sich jetzt nicht in der Stadt befinde, müsse ihm doch am Ende ein Unglück zugestoßen sein.

»Aber welches?«

Du lieber Gott! aus den Minen zurückkehrende Goldwäscher wurden aber gar nicht etwa so selten von nichtsnutzigem Gesindel angefallen, todtgeschlagen und beraubt; Dampfbootkessel waren außerdem geplatzt, Boote zusammengerannt und gesunken. Er konnte auch San-Francisco glücklich erreicht und dort sein ganzes gewonnenes Gold am ersten Abend verspielt haben – wie oft geschah das! – und dann stak er jetzt vielleicht schon wieder oben in den Bergen, um sein Glück von Neuem zu erzwingen. Das Letztere schien auch in der That das Wahrscheinlichste, denn leicht gewonnenes Geld wird selten geachtet, und verschwindet oft rascher als es erlangt wurde, und die also Betrogenen schämen sich dann stets, ihren Leichtsinn einzugestehen.

Marequita weinte, als ihr der Vater die Kunde brachte – also das wäre die Liebe gewesen, die ihr Jerome geschworen, daß er das schon in den Händen gehaltene Glück auf trügerische Karten setzte, und ihr nicht einmal Kunde von seiner Rückkehr gab? Dann aber brauchte sie sich auch nicht mehr um den leichtsinnigen Menschen zu grämen, oder ihm gar ihre Jugend zum Opfer zu bringen. – Heute Abend war großer Fandango – die Offiziere eines in der Bai ankernden spanischen Kriegsschiffes hatten zugesagt, die Mission zu besuchen – lag es doch auch gerade dem Kanal gegenüber, und das junge Mädchen beschloß, sich heute Abend dem Tanz wieder mit der alten, unermüdeten Lust hinzugeben wie vordem.

Allerdings machte der Wirth auch die größten und ganz außergewöhnliche Anstalten, um die einst weiß gewesenen, trostlos nackten Wände seines Lokals für das Fest so freundlich als möglich zu decoriren, und ein Dutzend Indianer waren schon seit Tagesanbruch beschäftigt gewesen, grüne Büsche jenes lorbeerartigen Baumes, der in Masse an den nächsten Hängen wuchs, herbeizuschleppen, und den ganzen Raum in eine Laube zu verwandeln. Ueberall wurde gehämmert und gebohrt und recht unheimlich drang zu diesen Vorbereitungen einer frohen Lust manchmal das Geheul des Wahnsinnigen herunter, so daß sich der Wirth noch für den Abend eine große Trommel und zwei Trompeter extra bestellte, um mit der rauschenden Musik die unglückseligen Laute zu übertäuben. Er hätte das aber nicht nöthig gehabt, denn schon gegen elf Uhr schwiegen die Aufschreie – kein Ton wurde mehr gehört und bald brachte auch ein Krankenwärter die Nachricht herunter, der Unglückliche, der ihnen die letzten Wochen so viel zu schaffen gemacht, sei vor etwa einer halben Stunde plötzlich auf sein Lager zurückgefallen und gestorben.

»Grazias a Dios!« rief der Wirth, »Gott sei seiner armen Seele gnädig und gebe ihr den ewigen Frieden, aber ich bin froh, daß wir ihn los sind, amigo, denn das Geschrei war kaum noch zum Aushalten und ich selber schon im Begriff, den sonst so bequemen Platz zu verlassen, um mich wo anders anzusiedeln. Jetzt stört er uns auch heute Abend die fremden Gäste nicht, und die jungen Damen besonders werden dem Himmel danken, daß sie sich nicht mehr vor dem Tollen zu fürchten brauchen.«

Das war auch in der That ein reges Leben heute auf der Mission, und noch dazu Sonntag und prachtvolles Wetter, so daß ganze Schwärme von Lustwandelnden und Reitern und Wagen aus San-Francisco herüber kamen, um den Nachmittag hier draußen zuzubringen.

Und wie stolz betrachtete sich indessen der Wirth seinen so stattlich herausgeputzten Ballsaal, in welchem höchstens die Mittel zur Beleuchtung etwas zu wünschen übrig ließen. Aber Gas gab es freilich nicht, und Stearinkerzen, auf Leuchter mit Reflectoren von weißem Blech gesetzt, mußten da aushelfen.

Uebrigens dachte das tanzlustige Volk gar nicht daran, den Abend zu erwarten, um die Lustbarkeit zu beginnen; wozu sollten sie den ganzen schönen Tag versäumen? und der Wirth hatte wirklich Mühe, sie nur so lange zurückzuhalten, bis er seine nöthigsten Arbeiten im Innern beendet hatte, denn daß er nachher keinen Moment Zeit dafür behielt, wußte er gut genug.

Es war vier Uhr Nachmittags, als zwei Jöllen mit Offizieren von dem spanischen Kriegsschiffe abstießen und dem Lande zuruderten, und zugleich begannen auch die Musici als Introduction einen lustigen Marsch zu spielen, um die willkommenen Gäste damit zu empfangen. – In derselben Zeit drückte der Arzt da oben dem Todten die Augen zu und die Krankenwärter lösten ihm die bis jetzt noch immer gefesselten Arme und falteten ihm die Hände auf der stillen Brust, wuschen ihn auch und kämmten sein volles, lockiges Haar, das ihm bis jetzt wirr und wild um die Schläfe gehangen hatte. Dann wurden die Wärter hinunter auf den Kirchhof gesandt, um ein Grab für den Unglücklichen auszuwerfen. Heute war es schon zu spät geworden, aber morgen mit dem Frühesten sollte er beerdigt werden, denn länger konnte man ihn unmöglich dort oben zwischen den Lebenden lassen.

Draußen schaufelten, unmittelbar neben dem alten Missionsgebäude, die Männer das schmale Grab aus, und inwendig spielten mit Trommeln und Trompeten die Musici den lustigen Marsch und plauderten und lachten die jungen Mädchen mit einander, sich des schönen Tages freuend. Auch zu ihnen war wohl die Kunde gedrungen, daß der Wahnsinnige gestorben sei, aber auch sie freuten sich darüber, denn lange genug hatte er sie fürchten gemacht und auch wohl bös erschreckt, wenn manchmal mitten in der Nacht sein gellender Aufschrei zu ihnen herübertönte. Das war jetzt vorbei – aber es dachte Keine von ihnen länger als einen flüchtigen Augenblick an den Unglücklichen; andere Dinge gingen ihnen im Kopf herum, denn dort kamen die fremden Offiziere in ihren prächtigen Uniformen schon über den niederen Küstenhang vom Ufer herauf, und der Tanz nahm ihre ganze Aufmerksamkeit vollständig in Anspruch.

Indessen sammelte sich das »Volk« vor dem alten Missionsgebäude, und es war in der That wunderlich anzusehen, welche bunte Mischung von Stämmen und Trachten sich hier zusammen gefunden hatte. Das schienen auch nicht die Bewohner einer einzigen Stadt, die sich hier an einem Sonntag Nachmittag versammelten, das glich weit eher einem Carneval, der die Repräsentanten aller Zonen und Welttheile für kurze Zeit vereinigte, und alle Zonen, – mit Ausnahme vielleicht der kalten – waren wirklich vertreten.

Hier stand eine Gruppe von Yankees, in dem unvermeidlichen schwarzen Frack, den hohen Cylinderhut weit nach hinten auf den Kopf gedrückt, die Hände in den Taschen und goldene Uhrketten, Tuchnadeln, Hemdknöpfchen und Berloques eingehakt. Dazwischen drängte sich ein kleiner Schwarm von Chinesen herum, in ihren blauen Kattunjacken und weiten weißen Hosen, die langen Zöpfe wohl geflochten und gepflegt. Südsee-Insulaner waren da, die scheu und verwundert auf dem fremden Boden umhergingen, und oft nur in ihrer eigenen Sprache zusammen plauderten und lachten, wenn ihnen etwas gar zu Absonderliches in die Augen sprang – Mexikaner mit den, an der Seite bis oben hin aufgeschlitzten und mit silbernen Knöpfen besetzten Sammethosen und den kurzen, ebenfalls so garnirten Jacken, den breitrandigen Wachstuchhut auf dem Kopf; Californier mit ihrem langen, in den prachtvollsten Farben gewebten Ponchos, die ihnen fast bis auf die Knöchel hinabreichten und die ganze Gestalt verhüllten. Deutsche, Engländer, Franzosen, Irländer, Backwoodsmen in ihren ledernen Jagdhemden, die lange Büchse noch auf der Schulter, wie sie gerade über die Felsengebirge gekommen waren; Chilenen in den kurzen Ponchos, Neger und Mulatten in allen Schattirungen, und dazwischen die aus den Minen oft mit schweren Beuteln voll Gold zurückgekehrten Goldwäscher in den phantastischsten Costümen, die sich nur denken lassen – abgerissen in ihren Kleidern auf das Entsetzlichste, mit geflickten Hosen und Jacken, mit zerrissenen Stiefeln, und Hüten, die Monate lang am Tag der Sonne und dem Regen getrotzt und Nachts dann als Kopfkissen gedient hatten. Und in kleinen Gruppen standen dabei die Eingebornen des Landes, die eigentlichen, rechtmäßigen Herren des Bodens, und doch vielleicht die einzigen, vollständig Besitzlosen in der ganzen Masse, die ihr Leben jetzt durch Tagelohn kärglich fristen mußten.

Welch bunte Völkermischung trieb sich auf dem engen Platz umher, und dieser schlossen sich nun auch noch die spanischen Marine-Offiziere in ihren blitzenden, goldgestickten Uniformen an und vollendeten eigentlich erst das bunte, wunderliche Bild. Aber die rauschende Musik zog sich auch bald zu dem eigentlichen Knotenpunkt des Vergnügens hin, und so öde der Platz da drinnen sonst gewöhnlich aussah, so freundlich schien er ihnen heute nicht allein durch das frische Grün der Zweige, das die Wände deckte, nein auch durch die vielen, lieben Mädchengestalten, die sich hier versammelt hatten und jetzt nun verschämt und doch auch wieder mit vor Vergnügen blitzenden Augen des Tanzes harrten.

Wo alle Theile so willig waren, dauerte es aber auch nicht lange, bis er begann, und wie nur die kriegerischen Töne des Marsches schwiegen und in die allbeliebte muntere Weise des Fandango übergingen, hatten sich rasch einige gleichgesinnte Paare gefunden, die zusammen antraten – und Marequita war unter ihnen und ihr Tänzer einer der jungen Offiziere.

Es gab allerdings damals noch wenig Frauen in Californien, denn das wilde Leben im ganzen Lande bot noch keinen rechten Grund und Boden für eine Familie. Was deshalb von Amerika oder Europa an weiblichen Wesen herüber gekommen war, gehörte nur den Klassen an, die sich darin wohl fühlen konnten, und dazu hatte Chile die größte Zahl gestellt. Die Fremden, wenn sie wirklich anständige Damengesellschaft suchten, blieben deshalb allein auf die hier ansässigen Californierinnen angewiesen.

Zu diesem Fandango hatte übrigens auch die weite Nachbarschaft ihre schönen Gesandtinnen hergeschickt. Die Mission selber stellte fünf allerliebste Mädchen, und nicht allein befand sich gerade ein Besuch von Pueblo San-José hier, der drei reizende junge Damen aufweisen konnte, es waren auch noch flinke und hübsche Tänzerinnen theils vom Präsidio, theils von Sanchez Rancho angekommen. Ja selbst von der Mission San-Rafael hatten sich zwei junge Damen eingefunden.

Allerdings wären wohl noch immer am heutigen Tage auf eine Tänzerin mehr als zwanzig Tänzer gekommen, wenn sich Alle hätten dabei betheiligen können, aber die »Fremden« verstanden ja nicht den Fandango und seine verwickelten und doch so graziösen Touren, und nur die Chilenen, deren Sambacueca die größte Aehnlichkeit damit hat, durften es wagen, Theil daran zu nehmen. Sonst blieb der Boden, mit Ausnahme einiger Franzosen, die sich rasch hineingefunden, den Spaniern, Californiern und Mexikanern, und da stellte sich denn doch kein so bedeutendes Mißverhältniß in der Zahl heraus.

Kopf an Kopf gedrängt standen aber die Zuschauer wenigstens auf der einen Seite des Saals und im hinteren Theil desselben, nur eben genügend Raum für die Paare lassend, während die andere Seite, an welcher sich auch die Musici befanden, der einen Thür wegen, frei bleiben mußte, da der Wirth nur durch diese aus- und eingehen konnte. Seine durstigen Gäste verlangten Erfrischungen, denn die Hitze im Saal war fast erstickend. Wie aber die Nacht einbrach, änderte sich das, denn die meisten heutigen Besucher der Mission kehrten in ihre Wohnungen nach San-Francisco zurück, und die Yankees besonders bekamen es auch satt, allein ruhige Zuschauer bei einem Tanz abzugeben, den sie nicht einmal verstanden und deshalb auch nicht schön finden konnten. Dies ruhige Herüber- und Hinüberschweben gefiel ihnen nicht; es war, so anmuthig die Damen es auch ausführen mochten, doch viel zu monoton für sie und sie vermochten nicht einmal dem Takt zu folgen – ja wenn es ein tüchtiger »Reel« oder eine »Hornpipe« gewesen wäre, der hätten sie mit Hacken und Fußspitze schon Nachdruck geben wollen!

Die Miner und das übrige Volk hielten ebenfalls nicht viel länger aus, denn es gab keine Spielzelte auf der Mission, keinen Platz, auf dem sie ihr Glück versuchen, und das mühsam ausgegrabene Gold in leichter Weise verdoppeln – oder auch verlieren konnten, und sie verließen einzeln oder in Trupps die Mission wieder, um zu den Spielhöllen der Plaza zurückzukehren und sich der Aufregung des Monte hinzugeben. Viele Mexikaner thaten das Nämliche, aber die Chilenen, obschon dem Hazardspiel ebenso ergeben, hielten aus, auch die Offiziere der spanischen Fregatte wichen nicht vom Platze, ebensowenig die dort ansässigen oder benachbarten Californier, und der Raum blieb immer noch gefüllt, wenn er auch nicht mehr wie den Nachmittag über, gedrängt war.

Je mehr dabei die spanischen Gäste mit den jungen californischen Damen bekannt wurden, desto lebendiger gestaltete sich der Tanz, und Alles schien zu wetteifern, um neue und piquante Touren zu erfinden. Die Königin des Festes blieb aber, trotz vieler bildhübschen Rivalinnen, Marequita, der ihr Tänzer fast nicht mehr von der Seite wich, und bald war sie die Ausgelassenste und Lebendigste von Allen, und übertraf sich selber. Aber die spanischen Offiziere sollten sie heute Abend nicht blos tanzen sehen, sie sollten auch noch einige von den californischen Sitten und Gebräuchen kennen lernen, und Marequita flüsterte deshalb ihrem Bruder zu, rasch nach Hause zu springen und eine Anzahl von ausgeblasenen Eiern, die zu dem Zweck schon immer vorräthig gehalten wurden, in der bekannten Art zu füllen – galt es doch eine Ueberraschung.


Oben im Hospital des Missionsgebäudes herrschte tiefe Dunkelheit. Das Wetter war den ganzen Tag über schön und klar gewesen, und noch jetzt funkelten die Sterne in heller Pracht vom Himmel nieder, aber der Wind hatte sich erhoben, der über die niederen Küstenberge fast unablässig mit solcher Gewalt herüberweht, daß die dort einzeln wachsenden Bäume ihr Laub alle nach der entgegengesetzten Seite hinüber gedrückt tragen, und auch selber dorthin neigen, als ob sie den steten Stürmen entfliehen wollten und sich von ihnen abwendeten.

Wie das da oben auf dem dunklen Boden pfiff und zog! Die alten, moosbewachsenen Ziegel klapperten ordentlich dumpf und klanglos zusammen, und nur das Stöhnen und Aechzen der unglücklichen Fieberkranken mischte sich mit dem unheimlichen Laut.

Und dazwischen lag der Tod. Kalt und starr auf seinem Schmerzenslager ausgestreckt, ruhte der »Wahnsinnige«, wie er überhaupt seit den letzten Monaten von den Krankenwärtern nur genannt worden. Man hatte ihm eins von seinen neuen rothen Hemden und ein paar weiße Beinkleider angezogen – denn die Decke war augenblicklich zum Waschen gegeben, um wieder verwandt zu werden – und mit gefalteten Händen träumte er der Ewigkeit entgegen.

Träumte er? – die Betten rechts von ihm (denn man hatte ihn zunächst der Treppe gelegt, um ihn so fern als möglich von den übrigen Kranken zu halten, die er bis jetzt durch sein wildes Schreien nur zu oft gestört und erschreckt) standen leer. Das Hospital barg jetzt nicht so viele Patienten, um nicht Raum genug für die Anwesenden zu finden. Der arme Doktor hatte in dem Stadthospital Concurrenz bekommen, und sich doch so viele Mühe gegeben, seine Kranken behaglich unterzubringen.

Und wie still das heute Abend dort oben war! Ein paar Leidende wimmerten allerdings leise vor sich hin, aber sonst hörte man Nichts, als das dumpfe Rauschen und Pfeifen des Windes und gelegentlich mit dem Luftzug, die von unten herauf schallenden munteren Weisen der Trompeten und Violinen, wie zuweilen das dumpfe Hämmern der großen Trommel, die ein Mulatte mit unendlicher Ausdauer bearbeitete. Da unten herrschte Jubel und frische Lebenshoffnung – hier oben kauerte der Tod und zählte die ihm verfallenen Opfer.

Die alte Missionsglocke schlug die zehnte Stunde, und kein Wärter ließ sich sehen, obgleich der eine Fieberkranke schon lange nach einem Trunk Wasser gewimmert hatte. Wer konnte es ihnen auch verdenken, daß sie nicht da oben zwischen Jammer und Elend blieben, wo nur ein paar hölzerne Stufen sie mitten unter Lust und Freude brachten? Es war Fandango auf der Mission und ein paar Gläser agua ardiente (Branntwein) konnten ihnen gewiß nicht schaden, um den Körper zu erwärmen, und die lange mühselige Nachtwache nachher auszuhalten. Außerdem war der »Doctor« gerade heute nach der Stadt geritten, und sie brauchten deshalb nicht zu fürchten, daß er sie bei einer Vernachlässigung ihrer Pflicht ertappe, über welche sie sich selber wenig genug Gewissensbisse machten. Hatten sie doch seit Wochen fast den oberen Raum nicht verlassen dürfen, so lange der »Wahnsinnige« dort tobte und an seinen Banden riß. Heute war der erste freie Abend, den sie bekamen, und den wollten sie denn auch nach besten Kräften nutzen.

Hei, wie das durch die Ziegel pfiff! und drüben in der Lorbeerwaldung, die in der Richtung nach San-Francisco zu lag, hatten dazu die Wölfe ihr Abendconcert begonnen, die großen, braunen californischen Wölfe, und die Cayotas, das kleine Steppengesindel, das mit seinen feinen Stimmen den Diskant zu dem Grundbaß der ersteren heulte. Und wie deutlich konnte man das hier oben hören, da der Luftzug die Laute gerade herübertrug, und wie sonderbar das zu der Musik und dem Pfeifen des Sturmwinds klang!

Die Glocke draußen hatte eben ausgeschlagen, als ein heftiges Zittern den Körper des »Todten« überflog. Der Nachtwind wehte auch kalt genug, und dem von Krankheit abgeschwächten Körper fehlte die schützende Decke, die ihn sonst wenigstens warm gehalten.

Der Kranke hob staunend den Kopf und horchte den fremden, wunderlichen Lauten, die zu ihm herüberdrangen. Hatte er in einem Starrkrampf gelegen, der bis dahin seine Glieder gefesselt hielt? Er fuhr sich mit der Hand nach der Stirne – auch die Hand war nicht mehr gebunden – er hob sich vom Lager und fühlte seinen Körper frei und unbehindert – aber dunkle Nacht umgab ihn – er war nicht im Stande zu sehen, wo er sich befand, noch hatte er eine Ahnung, an welcher Stelle das sein könnte.

Wie schwach er auch geworden war! – als er zum ersten Mal wieder auf den Füßen stand, vermochten ihn seine Kniee kaum zu tragen, und er mußte sich zurück auf das Bett setzen, um nicht umzusinken. – Und wie das in seinem Kopfe hämmerte, und pochte, und mit wilden, unheimlichen Gedanken herüber- und hinüberzuckte! Aber die Musik da unten? – er horchte hoch auf – was war das? wohin hatte ihn das Schicksal geführt?

Er versuchte noch einmal aufzustehen, und als er herumtappte, trafen seine Finger auf einen dünnen Kattunvorhang, hinter welchem er ein festes Geländer fühlte. Er hob den Vorhang auf und glitt darunter durch; wie er aber vorsichtig weiter tappte, trat sein Fuß ins Leere und er merkte bald, daß er an einer Treppe stand. Einen Augenblick überlegte er, aber munterer als vorher ertönten in diesem Moment wieder die Instrumente von unten herauf, und ohne sich länger zu besinnen, stieg er hinab.


Wie das da unten lachte und jubelte und seiner unschuldigen Lust und Freude folgte! Die Eier waren angekommen, und Marequita's Tänzer erschrak nicht wenig, als ihm seine Tänzerin plötzlich, mitten im Fandango, die Mütze ein wenig zurückschob, und er gleich darauf einen wahren Schauer von Eau de Cologne an sich niederrieseln fühlte.

»Caramba, Señorita« rief er aus, indem er erschreckt zurücksprang, »was ist das?« – Aber lautes Jubeln und Lachen beantwortete seine bestürzte Frage und Marequita's Bruder hatte jetzt wirklich Mühe, nur noch einen Theil seiner sorgfältig präparirten Eier für die Schwester zurückzubehalten, denn von allen Seiten stürmten die jungen Mädchen auf ihn ein, um ihm ein paar abzubetteln, oder auch, wenn das nicht ging, durch List oder Gewalt zu entreißen, und jetzt brach der Muthwillen der jungen Damen voll und entfesselt los.

Und wie schön Marequita in dieser ungezwungenen Fröhlichkeit war – wie bildschön! Der arme Marineoffizier, der Jahre lang draußen auf öder See herumgeschwommen, und hier zum ersten Mal wieder dem Reiz weiblicher Liebenswürdigkeit begegnete und von dessen Zauber umsponnen wurde, war ganz hingerissen.

Der Tanz hatte einen Moment aufgehört, und jetzt begann ein neuer Fandango, noch lebendiger als der vorige.

»Marequita,« flüsterte er, indem er seinen Arm um ihre Taille legte, und sie leise an sich zog, – »Du bist eine Sirene, Mädchen, und ich könnte verrückt werden, wenn ich mir nur die Möglichkeit denken müßte, Dich je wieder zu verlieren – von Dir vergessen zu sein. Sei mein, Marequita – in kurzer Zeit kehre ich zurück, und dann folgst Du mir in mein schönes Vaterland!«

Marequita sah zu ihm auf, ihre Blicke begegneten sich, aber in dem ihrigen lag vielmehr Schelmerei als Liebe – sie hob ihre Hand, und im nächsten Moment fühlte er, wie sie sich aus seinen Armen wand, zugleich aber auch seine Mütze ergriff, sich aufsetzte, und damit einem andern Tänzer entgegenhuschte, mit dem sie im nächsten Augenblick den Fandango begann. Der junge Offizier wollte ihr nach, ein alter Californier aber, der schon den ganzen Abend die rauschende Musik mit seiner kaum hörbaren Guitarre begleitet hatte, hielt ihn zurück und rief aus:

»Caramba, Señor, das geht nicht – das ist ein Recht der californischen Señioritas beim Fandango, und wenn Ihr die Mütze wieder haben wollt, müßt Ihr sie auslösen.«

»O, wie gern!« rief der junge Mann, indem er einen Ring vom Finger zog und jetzt die Zeit nicht erwarten konnte, wo die Geliebte einen Augenblick vom Tanz zurücktrat.

Marequita hatte aber nur das Zeichen zu dem neuen Scherz gegeben, denn die andern jungen Damen folgten bald ihrem Beispiel, und allerliebst sahen sie in der That in den kecken Seemannsmützen aus.

Jetzt hielt Marequita dicht an der Thür, die in das Innere des Hauses führte, und der junge Galan war im Nu an ihrer Seite.

»Meine theure Marequita,« flüsterte er ihr zu, »wie glücklich machen Sie mich, daß Sie mir Gelegenheit geben, Ihnen ein Andenken zurücklassen zu dürfen – wollen Sie es tragen?« – Und dabei schob er ihr leise den kleinen goldenen, mit einem Brillant gezierten Reif an den Finger; »darf ich, Marequita?«

Hinter Marequita trat ein Mann in einem rothwollenen Hemd in die Thür. Das braungelockte Haar hing ihm aber über eine alabasterweiße Stirn – sein Antlitz selber sah todtenfahl aus, und nur die großen dunklen Augen überflogen erstaunt den sich vor ihm öffnenden, buntgeschmückten und hellerleuchteten Raum. Da traf der letzt geflüsterte Name sein Ohr, und rasch und wie erschreckt schaute er auf das vor ihm stehende junge Paar.

Marequita erröthete tief, als sie den Ring an ihrem Finger führte, und flüsterte leise:

»Tausend Dank, Señor, – ich – werde ihn tragen,« und der junge Mann, in der Erregung des Augenblicks selbst die Umgebung vergessend, zog sie an sich und preßte einen heißen Kuß auf ihren Nacken.

»Marequita,« sagte eine hohle, tonlose Stimme, und das junge Mädchen wandte bestürzt den Kopf. Da fiel ihr Blick auf die bleiche Gestalt und begegnete den stieren, entsetzlichen Augen, die glühend und wie verzehrend auf ihr hafteten.

»Ave Maria Purisima!« schrie da eine entsetzliche Stimme; es war einer der Krankenwärter, der sich in den Saal geschlichen, um hier zuzusehen: »der Wahnsinnige – der todte Wahnsinnige!«

»Jerome!« stöhnte Marequita und schlug, ehe der Offizier nur zuspringen konnte, um sie aufzufangen, schwerfällig und bewußtlos zu Boden nieder.

»Der Wahnsinnige!« von Mund zu Mund lief der Schreckensschrei, und entsetzt drängten die Mädchen von der Stelle hinweg, dem hinteren Theil des Zimmers zu.

Ob Jerome begriff, was hier geschah? Einen Moment stand er selber regungslos, und wie scheu und erstaunt flog sein Blick über den inneren Raum – über die wild vor ihm fliehenden Gestalten der Mädchen. Da schrie der Wärter wieder:

»Haltet ihn, um der Mutter Gottes willen laßt ihn nicht fort!« und als ob nur der Ton dieser Stimme ihn zum Leben zurückgerufen hätte, so zuckte der Unglückliche empor. Sein Auge glühte, seine ganze Gestalt hob sich – fast unwillkürlich öffnete er dabei den Mund und zeigte seine beiden Reihen blinkender Zähne, daß selbst die ihm nächsten Offiziere scheu davor zurückwichen.

»Haltet ihn! haltet ihn!« schrieen jetzt auch Andere, und drängten vor – nur der junge Offizier kniete, gar nicht auf den unheimlichen Fremden achtend, an der Seite der ohnmächtigen Geliebten und suchte sie zum Leben zu erwecken.

»Haltet ihn?« kreischte da Jerome, dessen ganze Wildheit bei dem Rufen auf's Neue erwachte – »haltet ihn?« und ehe ihn Jemand daran verhindern konnte, riß er den kurzen Schiffsdolch, den der spanische Seeoffizier an der Seite trug, aus seiner Scheide; »haltet ihn?« gellte er noch einmal, die Waffe mit einem entsetzlichen Lachen schwingend – »Raum da vorn!« und zum Stoß ausholend, warf er sich mit wildem Muth mitten auf den dichtesten Schwarm, der kaum so rasch zur Seite konnte, um ihm Bahn zu machen.

Wohl streckten sich hie und da Arme nach ihm aus, um ihn zu halten, aber nach rechts und links hinüber – unbekümmert, wen er traf, stieß der scharfe Stahl – nach rechts und links stürzten die Männer übereinander, zwei oder drei von ihnen schwer verwundet – wer hätte sich ihm entgegenwerfen wollen? und jetzt war er draußen im Freien, in der dunkelen Nacht.

»Marequita!« schrie seine gellende Stimme – »Marequita!« und sein Fuß berührte kaum den Boden, als er, die blutige Waffe noch immer in der Faust, an der Mission hin dem Ufer der Bai entgegenflog.

Einzelne der Tänzer und Zuschauer folgten ihm allerdings, oder thaten wenigstens so, als ob sie ihm folgen wollten, aber es holte ihn Niemand ein, und wenige Minuten später war er in der da draußen lagernden Finsterniß verschwunden.

Die Verwirrung, die jetzt in dem bis dahin noch so belebten Raum entstand, war nicht zu beschreiben, und an eine Fortsetzung des Tanzes kein Gedanke mehr. Zitternd und nur unter hinreichender Begleitung suchten die Mädchen ihre Wohnungen zu erreichen, und Fackeln wurden dann angezündet, um den entflohenen Kranken, bei dem es ein Räthsel blieb, wie er wieder vom Tode erwacht sei, doch noch vielleicht aufzufinden – aber vergebens. Der Boden war zu sehr von Menschen zertreten, um irgend einer bestimmten Spur folgen zu können, und unverrichteter Dinge kehrten die Männer erst spät in der Nacht zu der Mission zurück. Auch die Offiziere der spanischen Fregatte waren indessen wieder an Bord gerudert.

Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch begannen die Bewohner der Mission alle ihre Nachforschungen von Neuem und jetzt mit besserem Muth, denn es blieb immer ein unbehagliches Gefühl, in Nacht und Nebel einem bewaffneten Wahnsinnigen hinaus in die Dunkelheit zu folgen – war auch wohl Keinem von ihnen am letzten Abend rechter Ernst gewesen. Jetzt aber gestaltete sich die Sache anders; mit Sonnenlicht war wenigstens die Gefahr beseitigt, daß der entsetzliche Mensch im Finstern auf sie einspringen könne, und auf und ab durchsuchten sie die Nachbarschaft und selbst den sandigen Waldrand, wo sich die Fährten leicht erkennen ließen. Sogar nach San-Francisco wurden Boten gesandt, um das Geschehene zu melden und dort nach dem Flüchtling zu forschen.

Sie hätten nicht nöthig gehabt, so weit nach ihm zu suchen. Als die Fluth ablief, fanden Fischer seinen Leichnam auf dem Schlamm unmittelbar am Ufer in der See und zwar genau in der Richtung, die er gestern Abend auf seiner Flucht genommen, als er aus der Thüre des Missionsgebäudes sprang. Es war auch damals gerade Fluth gewesen und ob er im Dunkeln von dem steilen Ufer hinab in die See gestürzt, ob er absichtlich den Tod dort gesucht – wer hätte es sagen können?

Er wurde still in das schon für ihn ausgeworfene Grab gelegt, und drei Tage später verließ auch die spanische Fregatte die Bai von San-Francisco wieder, um einer nur ihrem Kapitän bekannten Richtung zuzusteuern.

Der junge Lieutenant war allerdings noch zweimal an Land und in dem Hause von Marequita's Eltern gewesen, wo er das arme Mädchen bleich und in Thränen fand.

Und wann kehrte er wieder? – Wer konnte es sagen; denn sein Weg ging durch eine weite Strecke – aber mit den heißesten Schwüren betheuerte er der Jungfrau seine Liebe, und als er sie endlich verlassen mußte, barg sie laut schluchzend ihr Antlitz an der Brust des Vaters. – Es war zu viel für das arme Kind gewesen; zu rasch war Schlag auf Schlag gefolgt. Von dem Tage an – tanzte sie nicht mehr, vier volle Wochen lang. Als ich aber – etwas nach dieser Zeit – Californien verließ, blüheten ihre Wangen wieder wie vordem, und sie war unstreitig das schönste Mädchen und die beste Tänzerin auf der Mission Dolores.

Eine Polizeistreife in Cincinnati.

Eine so friedliche und geschäftige Stadt das halb von Deutschen bewohnte Cincinnati ist, so hat sie doch trotzdem ihr »schlechtes Viertel,« und da sich mir die Gelegenheit bot, es eines Abends zu besuchen, so versäumte ich sie nicht.

In den Hauptstraßen der Stadt und im ganzen übrigen Theil derselben herrscht nämlich volle Sicherheit und man kann dort zu jeder Stunde der Nacht ungefährdet passiren; dieses Viertel aber dürfte von einem anständig gekleideten Menschen doch lieber zu vermeiden sein, denn der Auswurf der Bevölkerung hat dort seinen Wohnsitz aufgeschlagen, und wer sich dahinein mischt, hat sich die Folgen selber zuzuschreiben. Ermordungen fallen dort wenigstens gar nicht so selten vor, und noch am letzten Abend war ein Bootsmann in einer dieser Winkelgassen erstochen worden, ohne daß man bis jetzt im Stande gewesen wäre, den Thäter zu ermitteln.

Ein Fremder, der sich dort allein hineinwagte, würde außerdem nichts weiter zu sehen bekommen, als die der Straße zunächst gelegenen Trinklokale, und man ihm nie gestatten, weiter in diese Höhlenwirthschaft einzudringen. Dazu aber hat die Polizei das volle Recht und macht denn auch davon zu unregelmäßigen Zeiten Gebrauch, um hie und da einmal einem dort vielleicht versteckten Verbrecher auf die Spur zu kommen, oder die Insassen der verschiedenen, ihnen wohlbekannten Cabachen zu revidiren.

Einem solchen Streifzug, den zwei Polizeilieutenants (der Eine von ihnen ein Deutscher) unternahmen, schloß ich mich mit einem Freunde an, und etwa um acht Uhr Abends trafen wir uns auf der einen Polizeistation, die an sich schon manches Interessante bot.

Es sind das nämlich die Plätze, wo aufgegriffene Vagabonden oder auch Verbrecher festgehalten werden, bis ihre Untersuchung eingeleitet und ihre Strafe bestimmt werden kann, und die Art, wie man sie dort unterbringt, ist so eigenthümlich wie praktisch. Man sperrt sie nämlich keineswegs in kleine, aus dicken Mauern bestehende Zellen, mit eisenbeschlagenen Thüren und Schlössern und sorgfältig verwahrten Oefen, durch welche sie aber noch trotzdem manchmal ihren Weg zur Flucht suchen, sondern in einem großen Saal, am Tag durch Fenster, Nachts durch Gas erleuchtet, stehen vier oder fünf große viereckige, eiserne Käfige, aus starken Eisenblechbändern zusammengenietet und ebenfalls mit einem eisernen Boden versehen, zerstreut, und in ihnen befinden sich die verschiedenen Gefangenen. Die Zwischenräume zwischen den Eisenblechstreifen sind aber so weit, daß man überall leicht einen Arm durchstrecken kann, und gewähren dadurch über das Innere einen durch nichts gehemmten Blick. Polizeileute gehen außerdem fortwährend zwischen den verschiedenen Käfigen hin und her, und keiner der Insassen kann sich auch nur bewegen, ohne daß es bemerkt wird. An ein Ausbrechen ist deßhalb nicht zu denken, und ebensowenig können sie durch Feuer Unheil anrichten – das Eisen brennt nicht.

Eines der Zimmer übrigens mit eben solchen, aber nicht verschlossenen Käfigen ist für Obdachlose bestimmt, die selber bei der Polizei Schutz gesucht haben, und gerade an dem Abend hatten sich zwei Frauen mit kleinen Kindern da eingefunden, um hier die Nacht zuzubringen – ja vielleicht auch den andern Tag. Du lieber Gott, es war doch immer ein Schutz gegen Wind und Wetter und wer weiß, welches unsagbare Leid die armen Frauen erst durchgemacht, ehe sie diese letzte Hülfe in der Noth benützten.

Wir hielten uns übrigens nicht sehr lange bei der Besichtigung dieser verschiedenen Gruppen auf, sondern traten unseren Marsch an, der uns in die östlich gelegenen Distrikte der Stadt, oder in das sogenannte Negerviertel führte.

Zuerst besuchten wir hier eine Negerkirche, die sich, wenn auch an einem Wochentage, ziemlich stark besucht zeigte. Besonders ragten die »farbigen« Ladies durch bunten Putz und Schmuck hervor, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn sie es schon den »weißen« Ladies abgesehen hätten, nur deßhalb nämlich das Gotteshaus zu besuchen, um dort ihren bunten Plunder zur Schau zu tragen.

Der Geistliche – ein dunkler Mulatte, hielt eine schale, nichtssagende Predigt voll lauter Phrasen und dabei ohne jede Begeisterung oder Wärme und etwa mit einer Betonung auf jedem Wort, als ob er immer hätte sagen wollen: »Nun, hab' ich nicht recht? – ist die ganze Sache nicht sonnenklar, und kann irgend ein vernünftiger Mensch irgend etwas dagegen einzuwenden haben?« – Er blieb dabei auf der sehr breiten Kanzel auch nicht etwa stehen, sondern lief darauf hin und her, sich bald an diesen, bald an jenen Theil seiner Zuhörer wendend. Große Ruhe schien aber nicht beobachtet zu werden, denn fortwährend kamen und gingen Leute, und machten oft Lärmen genug dabei.

Uebrigens stand diese Kirche genau an der Grenze des berüchtigten Viertels, und von dort an begannen schon die einzelnen Buden und Trinklokale, aus denen hie und da der Ton einer einsamen Violine heraustönte. Es herrschte auch jetzt gerade kein rechtes Leben zwischen dieser Menschenklasse, denn der Fluß war zu niedrig, die Dampfboote konnten nicht fahren, und gerade die farbigen Dampfbootleute sind es, die hier ihre Orgien feiern und den schmutzigen Strudel in Bewegung halten.

Wir betraten jetzt einige der Plätze, in denen unten, bei der Beleuchtung eines einzelnen Talglichts, oder einer Petroleumlampe, schnöder Whisky und grauenvolle Cigarren feil gehalten wurden, und nicht einmal mehr geschminkte weiße und schwarze Dirnen, durcheinander gemischt, ihr Glas tranken und ihre Cigarre rauchten. Die Herren von der Polizei hielten sich aber nicht lange in diesen vorderen Räumen auf, denn was hier weilte, brauchte das Licht – wenigstens dieser Nachbarschaft – nicht zu scheuen. Sie wußten auch überall schon genau Bescheid, wohin sie sich zu wenden hatten; bald krochen sie, unmittelbar hinter dem Schenkstand, eine steile Treppe empor, die eher einer Leiter glich, bald wandten sie sich der Hinterthür zu, schritten über einen engen, stockfinsteren Hofraum und überraschten dadurch die Bewohner eines baufälligen, halbverfallenen Hinterhauses.

Wir folgten ihnen natürlich auf dem Fuß und: »Jammer, von keiner Menschenseele zu fassen!« hätte ich manchmal ausrufen mögen, wenn wir einzelne dieser höhlenartigen Wohnungen betraten.

Dort, unter Lumpen, lag auf einer schmutzigen Strohmatratze eine menschliche Gestalt zusammengekauert.

»Wer ist das?«

»Meine Schwester,« sagte eine alte, in der Ecke kauernde Frau, die man natürlich keines Grußes gewürdigt hatte, »sie ist krank.«

Auf dem Tisch flackerte ein fast niedergebranntes Talglicht seinen düsteren, unbestimmten Schein durch das Gemach, blies doch der kalte Nachtwind durch drei oder vier losgefaulte Planken in der Wand, aber der amerikanische Polizeilieutenant begnügte sich nicht mit der Antwort – war es doch ein zu gewöhnlicher Kniff dieser Art Leute, irgend Jemanden, den sie verstecken wollten, für einen Kranken auszugeben. Er zog ziemlich unsanft die Decke fort, und scheu und erschreckt schaute ein hohläugiges, bleiches Antlitz zu ihm auf. Es war in der That die kranke Schwester.

»Holla, Betsy, seit wann seid Ihr wieder nach Cincinnati gekommen?«

Die Kranke konnte nicht antworten und zog die Glieder fröstelnd zusammen, so daß der Lieutenant ihr die Decke wieder überwarf. Die Schwester antwortete für sie.

»Ihr Mann hat sie so mißhandelt und die wenigen Cents, die sie verdient, auch noch vertrunken, ohne ihr je nur einen Laib Brod in's Haus zu tragen. Da hat sie sich hier herunter geschleppt, um hier zu sterben.«

Es war ein Bild des Jammers, nicht des Verbrechens und doch lehnte daneben auf einer alten Schiffskiste ein halbtrunkenes schwarzes Mädchen, das nur noch genug Besinnung hatte, um die zerfetzten Oberkleider ein wenig zusammen zu raffen.

Wir gingen weiter. Aus diesem Hintergebäude gleich in ein anderes hinübersteigend – und der Weg war nicht angenehm, denn man sah gar nicht, wohin man den Fuß setzte, – erreichten wir ein niederes, schmales Haus, in welchem oben, in zwei verschiedenen Fenstern Licht brannte. Ohne Zögern stiegen wir die eine, durch die offenstehende, obere Thür matt beleuchtete Treppe hinan und fanden oben in dem Gemach Gesellschaft. Zwei junge, weiße Damen lebten hier in dem ärmlichen Raum, und auf einem dreibeinigen Stuhl saß ein Neger-Elegant, seinen Filzhut etwas verlegen in der Hand herumdrehend.

Der eine Polizeilieutenant trat, ohne die Gruppe mehr als eines flüchtigen Blickes zu würdigen, in das nächste Zimmer und leuchtete hinein – aber es war leer. Eines der beiden Mädchen wohnte wahrscheinlich darin, und war hier auch wohl weiter nichts Verdächtiges zu finden – nichts wenigstens, gegen was die Gesetze des Staates hätten einschreiten können.

Als wir die Straße wieder erreichten, hörten wir in einer der nächsten Negerspelunken Musik und fanden den Raum gedrängt voll Menschen. Ein paar von diesen drückten sich nun wohl ab, als sie die Polizeiuniformen erkannten, denn es giebt Konstitutionen, denen dieselben antipathisch sind; die meisten hielten aber wacker Stand, und wir fanden jetzt im Inneren einen alten Neger, beide Hände auf das Widerlichste verkrüppelt, der mit den Stumpfen eine Art von Banjo spielte und mit dicker, schwerer Stimme ein paar amerikanische Gassenhauer in seinem Negerdialekt sang.

Der eine Polizeilieutenant wünschte mir gern den Genuß eines Negertanzes zu machen, aber die Damen schienen sich zu geniren; es wollte keine den Anfang machen, bis er sich eine aus dem Schwarm herausfing und ihr ein Stück Papiergeld vorhielt, das sie haben sollte, wenn sie eine Jig tanzte. Sie schien allerdings, trotz dem Geld, keine besondere Lust dazu zu haben, sah aber auch, daß sie nicht wieder fortkonnte, denn er hielt sie fest, und griff deßhalb nach dem Gelde. Es war eine kleine dicke, wie es schien, unbehülfliche Gestalt, warf aber jetzt die Füße nach dem Takt der von dem alten Neger gespielten Musik mit außerordentlicher Geschicklichkeit um sich, daß sie mit Hacken und Zehen selbst die Zweiunddreißigstel zu den Achtelnoten schlug. Wie wir aber nun glaubten, daß sie jetzt selber warm in dem Tanz geworden wäre, machte sie plötzlich einen Seitensprung und tauchte mitten zwischen die laut auflachende Zuschauermasse unter, aus der sie natürlich nicht wieder herausgefischt werden konnte.

Das genügte übrigens auch vollständig für eine Probe, und wir schritten über die Straße nach einem anderen Gebäude hinüber, dem die Polizisten nicht recht zu trauen schienen. Dort fanden wir in einem Raum, den ein einzelner Mann fast beanspruchen würde, wenn er bequem leben sollte, eine ganze Kolonie von Familien, und zwar zwei Negerfamilien und – eine deutsche in Schmutz und Unrath dabei, den es nicht möglich wäre zu beschreiben. Ich konnte mir auch nicht helfen und frug den Deutschen, wie er nur im Stande sei, es in einer solchen Pesthöhle mit den Seinen auszuhalten, aber er zuckte die Achseln und meinte: »es wäre ihm hier in Amerika nicht besonders gut gegangen, und die Neger seien nicht so schlimm, als sie gemacht würden; es ließe sich recht gut mit ihnen leben.«

Der deutsche Polizeilieutenant sagte mir übrigens nachher, daß nicht etwa die Noth deutsche Familien in einen solchen Zufluchtsort dränge, sondern daß sich derartiges Volk wahrscheinlich schon daheim in ähnlicher Umgebung herumgetrieben habe, oder hier durch lüderliches Leben dazu gebracht sei. Uebrigens wären die Fälle gar nicht etwa so selten, und ich könnte verschiedene »deutsche Familien« in »ähnlicher Art« gehaust finden.

Wieder in die Straße hinüberkreuzend, betraten wir ein anderes Schenklokal, in welchem drei Neger Karten mitsammen spielten.

»Wo habt ihr denn den Einsatz?« frug sie der Polizeimann, und sie wußten recht gut, daß sie nicht um Geld spielen durften.

»O, Mister,« sagte der eine Neger grinsend, »wissen wohl, wir sind viel zu arm, als daß wir um Geld spielen könnten – spielen nur darum, wer von uns nächstes Jahr Präsident wird.«

Der Polizeilieutenant lachte und ging der Hinterthür zu.

»For Gods sake Massa!« sagte der eine Neger aufspringend, und mit ziemlich lauter Stimme: »Nehmen Sie sich in Acht, ist ein großes Loch im Hof.«

»Schon gut, mein Bursch,« rief aber der Polizeimann ärgerlich, »kümmere Du Dich um Dich; ich kenne den Platz vielleicht so gut wie Du« – und ohne sich weiter irre machen zu lassen, stieg er im Hof rasch einige in den Grund gestochene Stufen – die bei Regenwetter völlig unpassirbar sein mußten – hinauf und verschwand dann in dem oberen Haus oder vielmehr in der Dunkelheit. Ich muß jedoch gestehen, daß wir Anderen ihm viel vorsichtiger folgten, denn die Warnung mit dem tiefen Loch war an uns nicht so spurlos vorübergegangen. Wir erreichten jedoch glücklich das obere Gebäude, ohne freilich etwas Verdächtiges dort zu finden. Hatte sich irgend Jemand da versteckt gehabt, so war es ihm auch ein Leichtes gewesen, sich aus dem Staub zu machen, denn er brauchte nur über eine der nächsten, niederen Planken zu steigen, um damit schon vollständig aus Sicht und Bereich zu kommen.

In der nächsten Bude fanden wir, neben anderen weiblichen Gästen, eine junge, aber sehr leidend aussehende Frau, die nichtsdestoweniger ein Glas mit Whisky vor sich stehen hatte.

»Und bist Du wirklich hier wieder zurück in das Viertel gekommen, Margot?« sagte der Amerikaner, »hast Du nicht fest versprochen, daß wir Dich hier nicht wieder finden sollten?«

»Ich halte auch mein Versprechen,« sagte die junge Frau finster und leerte dabei das Glas auf einen Zug; »habt keine Furcht, daß Ihr mich hier wieder trefft, denn zum zweiten Mal möchte ich das nicht durchmachen. Nur hereingekommen bin ich, um meine Kiste abzuholen, aber vor einer Viertelstunde kam der Mann erst mit seinem Pferd nach Haus, und jetzt muß ich hier schon noch einmal die Nacht schlafen. Heute bringt er sie mir nicht mehr fort, und wenn ich ihm einen Dollar dafür böte.«

Es war überall das Nämliche: Jammer und Elend, aber nirgends Rauferei oder wüster Lärm, eine sichere Folge der schweren Zeiten. Bei nur geringem Verdienst konnten die Leute die fabelhaft hohen Whiskypreise nicht mehr erschwingen, denn wo sie sonst die Flasche um zehn Cents gehabt, sollten sie jetzt einen Dollar dafür bezahlen – deßhalb auch dieser anscheinend moralische Frieden in dem »schlechten Viertel.«

Auf dem Rückweg nach dem bessern Theil der Stadt sprachen wir noch, der Merkwürdigkeit wegen, in einem echten Negerbillardsaal vor, denn die schwarzen, neugebackenen »Gentlemen« haben sich jetzt eifrig diesem Spiele zugewendet. Der Besitzer desselben schien indessen ebenfalls unter den »schlechten Zeiten« zu leiden, denn wir fanden keinen einzigen Gast mehr in dem elegant genug ausgestatteten Raum, der, eine Treppe hoch gelegen, ein großes, hübsches Billard und einen reich ausgestatteten Schenkstand zeigte. Wir tranken auch dort einmal und ließen uns einige Cigarren geben und fanden beides, Getränk und Tabak, gut und preiswürdig.

Am nächsten Morgen wohnte ich auch einer Gerichtssitzung bei, wo die über Nacht aufgebrachten Vagabonden abgeurtheilt und verschiedene andere Dinge verhandelt wurden. Es war aber die alte, sich ewig wiederholende Geschichte: Trunkene, die in ihrem Rausch Prügeleien angefangen, Frauen, die von ihren Männern mißhandelt worden, und in ihrer Verzweiflung bei den Gerichten Schutz suchten, nichtsnutzige Dirnen, die einander in die Haare gerathen, und würdige dicke Damen, die Hüte mit allen möglichen seidenen Bändern und Blumen besteckt, die bezüchtigt waren, ein lüderliches Haus zu halten, das durch seinen ewigen Lärm die Nachbarschaft ununterbrochen störte. Es that Einem dann ordentlich in der Seele wohl, die gerechte Entrüstung zu sehen, mit welcher sie eine solche Verdächtigung von sich wiesen, und die Resignation zugleich, mit der sie sich zu fünfzig Dollars Strafe oder auch sechs Monat Gefängniß verurtheilen ließen. Ueberhaupt fiel mir auf, daß die Strafen von einem alten, sehr ruhigen Herrn, besonders für Straßenunfug, außerordentlich streng und unerbittlich diktirt wurden. Sechs bis zehn Monat Arbeitshaus kamen in den paar Stunden für gewöhnlichen Unfug mehrere Male vor, aber es mag auch unumgänglich nöthig sein, denn wenn man nur in die von Verbrechen und allen bösen Leidenschaften gefurchten Züge dieser Menschenklasse schaut, so kann man sich nicht verhehlen, daß sie eine leichte Strafe nur verspotten würden. Selbst diese kann sie nicht heilen, sondern entzieht sie nur für kurze Zeit ihrem lüderlichen und wüsten Leben, das sie, wenn wieder freigegeben, doch augenblicklich von Neuem beginnen.

Ein höchst interessanter Fall kam an dem Morgen vor, leider aber nicht zur Entscheidung, und zwar ein junges, der Brandstiftung beschuldigtes Mädchen. In der Nachbarschaft waren, bald hintereinander in unerklärlicher Weise, mehrere Brände ausgebrochen, und das halbe Kind, denn sie konnte kaum dreizehn Jahre zählen, wurde beschuldigt, das Feuer an allen diesen Stellen angelegt, ja es sogar gegen Einen der Zeugen gestanden zu haben. Aber keiner von Allen klagte sie an, die That böswillig verübt zu haben, denn dazu lag nicht der geringste Grund vor, der dagegen in einer Art von Wahnsinn, in einer Krankheit, gesucht werden sollte, die sie zwang, überall Feuer anzulegen, um sich nachher an der Gluth zu freuen.

Sie selber saß gebückt auf der Anklagebank, und das große Bonnet, das sie trug, beschattete ihre, nur selten sichtbaren Züge. Ihr Advokat saß an ihrer Seite, flüsterte nur manchmal mit ihr, und behauptete ihre Unschuld. Sie selber sprach fast gar nicht, nur wenn er sich mit einer Frage leise an sie wandte, schien sie mit ein paar ganz kurzen Worten zu erwiedern. Die gegen sie vorgebrachten Verdachtgründe reichten indessen noch lange nicht hin, sie zu verurtheilen – wirkliche Beweise waren gar nicht vorhanden, und der Fall mußte deshalb auf einige Zeit hinausgeschoben werden, um beiden Theilen Gelegenheit zu geben, sich zu Anklage wie Vertheidigung zu rüsten.

Leider verließ ich schon vor der Zeit Cincinnati.

Leipzig,
Druck von Giesecke & Devrient.

Hinweise zur Transkription

In "Den Teufel an die Wand malen" fehlen Kennzeichnung und Überschrift des siebten Kapitels.

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription werden gesperrt gesetzte Schrift sowie Textanteile in Antiqua-Schrift hervorgehoben.

Fehlende und falsch gesetzte Anführungszeichen wurden korrigiert, sowie gegebenenfalls "«," geändert in ",«".

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Billette" – "Billete", "Cajüte" – "Kajüte", "Compaß" – "Kompaß", "erwiderte" – "erwiederte", "Hôtel" – "Hotel", "müssig" – "müßig", "Paar" – "paar", "weshalb" – "weßhalb",

mit folgenden Ausnahmen,

Seite 1:
"hiel" geändert in "hielt"
(in der Hand ein großes Herz hielt)

Seite 1:
"," entfernt hinter "sie"
(wie man sie wohl von Pfefferkuchen macht)

Seite 1:
"," eingefügt
(ohne vorheriges Anklopfen, die der Wand gegenüber)

Seite 5:
"." eingefügt
(einen guten und väterlichen Rath zu ertheilen.)

Seite 5:
"grünbebewachsenen" geändert in "grünbewachsenen"
(einem grünbewachsenen, ziemlich schräg abfallenden)

Seite 5:
"irgend wo" geändert in "irgendwo"
(noch irgendwo einen Räuberhauptmann anbringen)

Seite 13:
"." geändert in "?"
(»Und woher willst Du das wissen?«)

Seite 25:
"So bald" geändert in "Sobald"
(Sobald er aber hinter die Aehnlichkeit kommt)

Seite 28:
"meist" geändert in "meinst"
(daß Du es wirklich gut mit mir meinst)

Seite 30:
"," eingefügt
(und fürchte fast, daß ich morgen)

Seite 33:
"," eingefügt
(aber er fing an, die Sache in einem anderen Licht)

Seite 33:
"," eingefügt
(und beschloß deshalb, langsam und in aller Ruhe)

Seite 34:
"ab" geändert in "ob"
(sondern als ob sein eigenes Schicksal)

Seite 40:
"ein" geändert in "eine"
(Also eine Mademoiselle war die Dame)

Seite 42:
"," eingefügt
(Papa,« sagte Clemence)

Seite 42:
"," eingefügt
(Unsinn,« rief lachend der alte Herr)

Seite 42:
"." geändert in ","
(»Nichts daran auszusetzen,« wiederholte der Vater)

Seite 47:
"Wären" geändert in "Waren"
(Waren Sie jener junge Fremde?)

Seite 53:
"," eingefügt
(fand ihn entschlossen, heute sich durch Nichts)

Seite 62:
"Sie" geändert in "sie"
(»Nein,« sagte sie)

Seite 62:
"Sie" geändert in "sie"
(setzte sie freundlicher hinzu)

Seite 74:
"." geändert in "?"
(»Und wo hält er sich jetzt auf?«)

Seite 76:
"du" geändert in "Du"
(Bleibst Du hier in M–?)

Seite 118:
"Biberich" geändert in "Bieberich"
(»Und wohin wenden wir uns von Bieberich?«)

Seite 122:
"hatt" geändert in "hatte"
(und sie hatte nicht viel Zeit)

Seite 123:
"," eingefügt
(»Ich habe einen Begleiter gefunden,« sagte Clemence)

Seite 136:
"vorrigen" geändert in "vorigen"
(ganz das nämliche im vorigen Jahr)

Seite 140:
vertauschte "," und "." korrigiert
(setzte, denn von dem Augenblick an hielt sie sich für sicher.)

Seite 144:
"so bald" geändert in "sobald"
(denn sobald er die lieben)

Seite 159:
"Trautena" geändert in "Trautenau"
(Aber Trautenau war nicht in der Stimmung)

Seite 160:
"," eingefügt
(»Wir sind die Ersten,« begann der Officier)

Seite 165:
"Hauskecht" geändert in "Hausknecht"
(was ich eben von dem Hausknecht gehört)

Seite 182:
"den" geändert in "denn"
(denn auf den anderen Inseln waren die Früchte)

Seite 184:
"Kapitan" geändert in "Kapitän"
(Der Kapitän hoffte noch)

Seite 186:
"ihre" geändert in "Ihre"
(Rufen Sie Ihre Wacht an Deck.)

Seite 189:
"," hinter "dem" entfernt
(fühlten sie mit dem ausgeworfenen Loth)

Seite 201:
"?" geändert in "!"
(Die Schwarzen haben Booby-island besetzt!)

Seite 214:
"," eingefügt
(Steuermann – Ihr, Bill)

Seite 222:
"Zimmermannn" geändert in "Zimmermann"
(Der Zimmermann that dies mit Vergnügen)

Seite 227:
"ihm" geändert in "im"
(Tabaksbeutel vorn im Knopfloch baumelnd)

Seite 238:
"mußte" geändert in "wußte"
(von dem lustigen Leben draußen wenig wußte)

Seite 252:
";" geändert in ":"
(seinen Hut schnell herunterreißend, erwiederte er höflich:)

Seite 263:
"keinen" geändert in "kleinen"
(dem Haus mit dem kleinen Thurm)

Seite 265:
"ihn" geändert in "ihm"
(Lange Zeit ließen ihm aber die Insassen nicht)

Seite 273:
"." eingefügt
(Und nun komm, Kamerad – es ist Zeit.)

Seite 276:
"," eingefügt
(von Seeschlangen, Algen und Korallen keine Spur)

Seite 278:
"." geändert in "?"
(stammelte Hasenmeier, »hab' ich denn Alles bezahlt?«)

Seite 278:
"," eingefügt
(bist Du aber noch schuldig, mein Bursch)

Seite 300:
"Aufenthalsort" geändert in "Aufenthaltsort"
(in jenem entsetzlichen Aufenthaltsort liegen bleiben)







End of the Project Gutenberg EBook of Kreuz und Quer, Erster Band, by 
Friedrich Gerstäcker

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZ UND QUER, ERSTER BAND ***

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