The Project Gutenberg EBook of Goethes Briefe an Leipziger Freunde, by 
Johann Wolfgang von Goethe

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Title: Goethes Briefe an Leipziger Freunde

Author: Johann Wolfgang von Goethe

Editor: Otto Jahn

Release Date: June 18, 2014 [EBook #46021]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

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Anna Katharina Schönkopf

Anna Katharina Schönkopf.

Goethes Briefe
an
Leipziger Freunde.

Herausgegeben

von

Otto Jahn.


Mit drei lithographirten Bildnissen.


Leipzig,

Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel.

1849.

Herrn
Salomon Hirzel.

Sie haben, lieber Freund, nicht nur die erste Veranlassung zu diesem Buch gegeben, sondern auch auf Form und Inhalt desselben einen so bestimmenden Einfluß geübt, daß Sie sich es schon gefallen lassen müssen auch Ihren Namen dazu herzugeben. Ich weiß gewiß, daß Niemand mehr Freude an den Reliquien haben wird, die hier das Goethefest zum Vorschein brachte, Niemand aufrichtiger die Dankbarkeit gegen diejenigen mit mir theilen wird, deren Güte die Veröffentlichung derselben gestattete, als Sie. Deshalb werden Sie auch die etwas bunte Mischung des Inhaltes, für welche nicht einmal ein passender Titel zu finden war, mit gewohnter Nachsicht, wie ich hoffe, entschuldigen.

So bringe ich Ihnen das Buch als eine Erinnerung an einige in heiterer Thätigkeit angenehm verlebte Tage und an einen aufrichtigen, treuen Freund.

Leipzig am 18. October 1849.

Otto Jahn.

Inhalt.

Seite
Goethes Jugend in Leipzig1
Goethes Briefe an Joh. Jac. Riese53
Goethes Briefe an an Chr. G. Schönkopf und seine Tochter Käthchen65
Goethes Briefe an Adam Fr. Oeser und seine Tochter Friederike.
Einleitung103
An Adam Friedrich Oeser117
An Friederike Oeser136
Goethes Leipziger Lieder176
Goethes Briefe an Chr. G. und J. G. E. Breitkopf205
Goethes Briefe an Phil. Erasmus Reich212
Aus Briefen von Cornelie Goethe233
Goethes Briefe an Friedrich Rochlitz281

Goethes Jugend in Leipzig.

Eine Rede
von
Otto Jahn.

Gehalten am 28. August 1849 in der akademischen Aula in Leipzig.


Beim Anschauen des Olympischen Zeus vergaß der Grieche in stiller Bewunderung Leid und Kummer, gebannt unter den Zauber göttlicher Majestät fand er Frieden und Kraft, und ging mit dem stolzen Gefühl, ein Grieche zu sein, von dannen. Der heutige Tag giebt dem Deutschen ein ähnliches Gefühl. Heute ist es ihm vergönnt, selbst die schwerste Sorge, die Sorge um das Vaterland, den tiefsten Kummer um vereitelte Hoffnungen und Bestrebungen im Andenken an den großen Mann zurückzudrängen, der dem ganzen Vaterlande angehört, um auszusprechen, worin wir alle einig und frei sind, unsere Bewunderung und Verehrung gegen Goethe. Dankbarkeit und Anhänglichkeit auszusprechen, bedarf es keiner besonderen Berechtigung, Goethes Andenken zu feiern ist jeder berufen, der an deutscher Bildung Theil hat; für uns aber ist es eine mahnende Pflicht, das Bild des Dichters, der uns persönlich nahe angehört hat, mit einem Kranze der Erinnerung zu schmücken.

In Leipzig hat Goethe sein Studien begonnen, drei Jahre hindurch hat er unserer Universität angehört, ist hier durch den Verkehr mit Künstlern und Kunstfreunden angeregt und gebildet worden, Freundschaft und Liebe haben ihn hier mannigfach gefesselt, hier hat er die unruhvoll bewegte Zeit der ersten Selbständigkeit durchlebt — wahrlich kein unbedeutender Theil seines Lebens gehört uns an. Wir dürfen ihn selbst zum Zeugen seiner Anhänglichkeit an Leipzig nehmen, dessen Erinnerung ihm stets theuer und bedeutend war. „Wer kein Leipzig gesehen hat,“ schrieb er seinem Freunde Breitkopf nach der Heimkehr in Frankfurt, „der könnte hier recht wohl sein,“ in einer Stadt, „die zu sehr Antithese von Leipzig ist, um viel Annehmlichkeit für ihn zu haben.“ „Sie haben Recht, meine Freundin, daß ich jetzt für das gestraft werde, was ich gegen Leipzig gesündigt habe,“ heißt es in einem anderen Briefe; „mein jetziger Aufenthalt ist so unangenehm als mein Leipziger angenehm hätte sein können, wenn gewissen Leuten gelegen gewesen wäre, mir ihn angenehm zu machen.“ So urtheilte nicht nur der von dem Scheiden aus lieben und gewohnten Verhältnissen schmerzlich ergriffene Jüngling, der „draußen im Reich, in der Frankfurter Hungersnoth des guten Geschmacks“ die feinere, namentlich litterarische Bildung, den freien ungezwungenen Verkehr, besonders mit Frauen, wodurch Leipzig sich auszeichnete, gar sehr vermißte. Als später Goethe von Weimar aus in wiederholten Besuchen seine persönlichen Beziehungen zu Leipzig erneuete, schrieb er (December 1782) an Frau von Stein: „Seit 69, da ich von hier wegging, bin ich nie über ein paar Tage hier gewesen, auch habe ich nur meine alten Bekannten besucht und Leipzig war mir immer so eng wie jene ersten Jahre. Diesmal mache ich mich mit der Stadt auf meine neue Weise bekannt und es ist mir eine neue kleine Welt. — Ich wünschte, mich ein Vierteljahr hier aufhalten zu können, denn es steckt unglaublich viel hier beisammen. Die Leipziger sind als eine kleine moralische Republik anzusehen. Jeder steht für sich, hat einige Freunde und geht in seinem Wesen fort, kein Oberer giebt einen allgemeinen Ton an und jeder produzirt sein kleines Original, es sei nun verständig, gelehrt, albern oder abgeschmackt, thätig, gutherzig, trocken oder eigensinnig, und was der Qualitäten mehr sein mögen. Reichthum, Wissenschaft, Talente, Besitzthümer aller Art geben dem Ort eine Fülle, die ein Fremder, wenn er es versteht, sehr wohl genießen und nutzen kann. Er muß sich nur im Allgemeinen halten, und keinen Antheil an ihren Leidenschaften, Händeln, Vorliebe und Abscheu nehmen. Es leben hier einige Personen im Stillen, die, wenn ich so sagen darf, vom Schicksal in Pension gesetzt worden sind, von denen ich großen Vortheil ziehen würde, wenn es mir die Zeit erlaubte. Von dem allgemeinen Betragen gegen mich kann ich sehr zufrieden sein. Sie bezeigen mir den besten Willen und die größte Achtung, dagegen bin ich auch freundlich, aufmerksam, gesprächig und zuvorkommend gegen Jedermann.“ Und so ist Goethe nicht nur mit den in jenen Studienjahren ihm bekannt und vertraut gewordenen Personen in Verkehr geblieben, bis in die letzte Zeit haben Leipzigs bedeutende Männer — ich darf nur Gottfried Herrmann, Friedrich Rochlitz, Blümner nennen — ihm nahe gestanden. Freilich erging das Strafgericht der Xenien auch über Leipzig, und er fand auch wohl gelegentlich, daß bei Anwesenheit der Catalani sich die Leipziger absurd benahmen, und meinte, „es thäte Noth, daß man solchem verfluchtem Volke die Gaben Gottes in Spiritus aufhübe, damit sie solche, bei Gelegenheit vergleichen und eine der anderen unterordnen könnten;“[1] allein nicht lange vorher war er eifrig bemüht, die von Quandt hier aufgefundenen altdeutschen Gemälde, welche jetzt unser städtisches Museum schmücken, ihrem wahren Werth nach in weiteren Kreisen bekannt zu machen.[2] Überhaupt fühlt man leicht in so manchen kleinen Zügen die Theilnahme und Freude, mit welcher Goethe die Erinnerung an seinen Leipziger Aufenthalt wieder auffrischt und auf alles überträgt, was Leipzig angeht.

Bei einer Feier, welche seinem hundertjährigen Geburtsfest gilt, werden wir vor allem uns Goethe in Leipzig vergegenwärtigen wollen. Dies Bild zeigt uns zwar nicht den Mann in seiner vollendeten Kraft, nicht den Dichterfürsten im vollen Glanze seines Ruhmes, sondern den strebenden Jüngling, der die ersten Schritte auf seiner langen Siegesbahn beginnt, allein es zeigt uns schon den ganzen Goethe. Was uns bei der Betrachtung Goethes mehr als alles andere mit Staunen erfüllt, das ist die wunderbare Einheit und Kraft seiner Natur, welche ihn jede Stufe menschlicher Entwickelung so ganz voll und rein durchleben und darstellen ließ. Wer nicht beim Greise das rasche Feuer der Jugend, beim Jüngling die erfahrene Weisheit des Alters erwartet, vom Manne nicht stürmischen Übermuth, vom Jüngling nicht besonnene Sicherheit fordert, wer unbefangen die Schranken erwägt, welche der menschlichen Natur in ihrer Ausbildung gesetzt sind: dem wird Goethe von der Jugend bis ins hohe Greisenalter als ein Typus naturgemäßer Entfaltung einer großen und reichen Menschennatur erscheinen. Wäre zu unserer Zeit im Volke noch die dichterische Kraft schöpferisch lebendig, gewiß wäre Goethe durch die Sage zu einem Bilde des deutschen Geistes in seinen edelsten Richtungen verklärt worden: jetzt hat der Dichter selbst uns mit seltener Unbefangenheit und Klarheit sein eigenes Abbild entworfen. Wäre es die Aufgabe des Redners, mit Goethes Meisterwerk einen Wettkampf einzugehen, wer möchte sie übernehmen? Allein vergessen wir nicht, daß der reife Mann seine Jugend schilderte, auf deren Streben und Irren er mit Gelassenheit zurücksah, und daß diese Schilderung den Stempel einer Ruhe trägt, nach welcher jene Zeit vergebens rang. Versuchen wir daher, aus den leider nur spärlichen Nachrichten, welche uns aus jener Zeit in unmittelbarer mündlicher und schriftlicher Überlieferung grade hier zu Gebote stehen, uns eine anschauliche Vorstellung der Personen und Verhältnisse zu bilden, unter denen Goethe hier gelebt hat, und welchen Einfluß sie auf ihn gewonnen haben. Auch das unbedeutendere, das für ihn selbst später das Interesse verloren haben mochte, wird in diesem Zusammenhang einige Aufmerksamkeit verdienen.

Im Herbste des Jahres 1765 reiste Goethe, nicht lange erst 16 Jahr alt geworden, in Gesellschaft eines Buchhändlers Fleischer, der sich auf die Messe begab, und seiner Frau nach Leipzig. In jener Zeit wurde für die Kaufleute, welche zur Messe reisten, in den Kirchen gebetet; auch Goethe kam nicht ohne Unfall davon: bei Auerstädt wurde der Wagen umgeworfen, und Goethe strengte sich bei dem Aufrichten desselben übermäßig an, so daß er später noch die Folgen spürte. Hier angekommen miethete er sich in der Feuerkugel am Neumarkt zwei artige Zimmer, die in den Hof sahen, und wurde am 19. October von dem damaligen Rector, Hofrath Ludwig, als Student in der bayrischen Nation inscribirt.[3] So sah er sich denn in der glücklichen Unruhe des jungen Studenten, der zum ersten Mal der Aufsicht des väterlichen Hauses entledigt den festen Vorsatz hat, seine Freiheit und Selbständigkeit, die ihm doch mitunter noch unbequem ist, zu genießen, voll Zuversicht, daß ihm die Welt gehöre, wenn er sie gleich noch nicht zu gewinnen weiß, voll Vertrauen auf seine Zeit und sein Geld, die ihm unerschöpflich dünken, voll guten Willens, sich auf das Leben vorzubereiten, das er noch nicht kennt. Ein Versuch, eine Enttäuschung folgt der anderen, kein Streben wird befriedigt, Genuß und Entsagung, Arbeit und Zerstreuung verdrängen einander, Leidenschaft stürmt auf Leidenschaft: so zieht das mächtig eindringende Leben tiefe, schmerzliche Furchen in das jugendliche Gemüth, welches frisch und voll die Eindrücke desselben in sich aufnimmt, daß es zu männlicher Kraft erstarkt, seine Früchte bringe. Goethe giebt uns während der ganzen Zeit seines hiesigen Aufenthalts das Bild dieses unruhvollen Drängens und Treibens, das sich weder seines Ziels noch seiner Kräfte klar bewußt ist, mit um so größerer Hast bald dies, bald das entgegengesetzte ergreift, um schnell enttäuscht zu ermatten. Er war in seinen Beschäftigungen unstät, schwankend, nie mit sich zufrieden; aber so entschieden war die Richtung seiner Natur, so stark das innerste Bedürfniß seiner Seele, daß er sich immer wieder auf die künstlerische Production hingeführt sah. Nicht minder wechselnd war seine Stimmung, bald ausgelassen lustig, bald selbstquälerisch verstimmt, bald übermüthig und neckisch, bald weich und theilnehmend, aber stets offenbarte sich die Überlegenheit einer tiefen und großen Natur, welche seine Umgebung, wie er sie auch verletzen und quälen mochte, immer wieder versöhnte und beherrschte.

Goethe befand sich, da er die Universität bezog, in einem eigenthümlichen Zwiespalt. Sein Vater sah zwar seine dichterischen und künstlerischen Beschäftigungen als einen wohlanständigen Zeitvertreib in Mußestunden mit Wohlgefallen und beförderte selbst, daß er sie gründlich trieb; als Hauptstudium aber hatte er für ihn die Jurisprudenz bestimmt und ihn selbst auf dieselbe vorbereitet. Der Sohn aber fühlte sich von der Rechtswissenschaft in keiner Weise angezogen; sich allein zum Dichter auszubilden kam ihm freilich nicht in den Sinn, seine Neigung führte ihn zu gründlicher Erforschung des Alterthums, und deshalb hatte er nach Göttingen zu gehen und in Heyne's und Michaelis Schule sich zu begeben gewünscht. Allein der Vater bestand auf Leipzig. Ihm, dem strengen, pedantisch abgemessenen Mann, von seinem Vorhaben zu sagen, wagte Goethe nicht; der erste Gebrauch, den er von seiner akademischen Freiheit machen wollte, sollte der sein, sich von der Jurisprudenz förmlich und feierlich loszusagen und dem Studium der Alten und der Kunst hinzugeben. Offen und ehrlich theilte er dem Hofrath Böhme, an welchen er empfohlen war, seinen Entschluß mit; allein den ernsten Auseinandersetzungen desselben und mehr noch den wohlwollenden Vorstellungen seiner Gattin gelang es bald, ihn von demselben zurückzubringen. Aber der nun gefaßte Entschluß, der Jurisprudenz treu zu bleiben, scheint nicht viel fester gewesen zu sein. Zwar besuchte er Anfangs juristische und philosophische Vorlesungen, schrieb auch mit großer Selbstüberwindung eifrig nach, wenn er nicht etwa zur Erholung vorzog, den Rand seines Hefts mit Carricaturen zu illustriren, allein gegen Fastnacht geriethen die Collegien in einen gefährlichen Conflict mit den köstlichen Pfannkuchen, welche am Thomaskirchhof gebacken wurden — es ist dann von ihnen nicht viel mehr die Rede. Auch die grammatisch kritische Richtung der sächsischen Philologie scheint ihn nicht angezogen zu haben; bei Ernesti hörte er über Ciceros Redner, aber der berühmte Philolog entsprach den gehegten Erwartungen nicht, und auf die Richtung seiner Studien gewann er keinen Einfluß.

Der eigentliche Mittelpunkt und Kern derselben blieb das, wozu er berufen war, seine Ausbildung zum Dichter; was er sonst auch thun und treiben mochte, diente immer seinen dichterischen Bestrebungen zur Grundlage und führte ihn unvermerkt zu ihnen zurück. Leipzig hatte in der Entwickelungsgeschichte der deutschen Litteratur eine eigenthümliche und bedeutende Stellung eingenommen. Freilich konnte es dieselbe zu der Zeit, als Goethe hinkam, in Wahrheit nicht mehr behaupten, allein die Männer, deren Namen in aller Munde waren, lebten zum großen Theil noch, ihr Ruhm warf noch einen herbstlichen Schimmer auf ihre Umgebung, welche fortfuhr Ansprüche auf Verdienste zu begründen, von denen man nicht einsah, daß sie schon vergangen waren. Es ist in der That eine merkwürdige Schickung, daß der jugendliche Goethe hier in Leipzig noch persönlich den Eindruck jener Art zu dichten erhielt, von welcher er uns vollständig frei machen sollte.

Gottsched, der durch das, was er selbst anregte und leistete, wie durch die Polemik, welche er gegen seinen Schulzwang hervorrief, großen Einfluß geübt hatte, war noch am Leben, aber ohne Bedeutung nur noch eine Curiosität. „Gottscheden habe ich noch nicht gesehen,“ ist eine der ersten Nachrichten, welche Goethe seinem Freunde Riese mittheilt, aber schon nach wenigen Tagen schrieb er ihm: „Ganz Leipzig verachtet ihn. Niemand geht mit ihm um,“ nachdem er eine poetische Beschreibung von ihm entworfen:

„Gottsched, ein Mann so groß als wär er vom alten Geschlechte
Jenes der zu Gath im Land der Philister gebohren,
Zu der Kinder Israels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.
Ja, so sieht er aus und seines Körperbaus Größe
Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schue.“

So geht es eine Weile fort und lautet dann zum Schlusse:

„Ich sah den großen Mann auf dem Catehder stehn,
Ich hörte was er sprach und muß es Dir gestehn,
Es ist sein Fürtrag gut, und seine Reden fließen
So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich dem Riesen,
Auf dem erhabnen Stuhl. Und kennte man ihn nicht
So wüßte man es gleich weil er stets prahlend spricht.“

Das war der erste Eindruck; die komische Situation, in welcher er ihn bei einem späteren Besuche fand, wie er mit der einen Hand sich die Perücke aufsetzte, mit der anderen dem Bedienten eine furchtbare Ohrfeige versetzte, ist jedem bekannt. Von Einfluß konnte um so weniger die Rede sein, da Gottsched schon im Jahre 1766 starb.

Von den Schriftstellern einer jüngeren Generation, welche Gottsched nicht sowohl durch Polemik als ihre Leistungen überwunden hatte und einen Fortschritt in der deutschen Litteratur bezeichnen, waren Gellert und Chr. Fel. Weiße damals vor allen angesehen. Dem wohlwollenden, liebenswürdigen Weiße, der als Bühnendichter wie als Herausgeber der Bibliothek der schönen Wissenschaften in voller Thätigkeit war, trat er in persönlichem Umgange nahe und wurde durch eine dauernde Anhänglichkeit an ihn gefesselt; im Jahre 1801 noch läßt er sich durch Rochlitz dem verehrten Greise empfehlen. Gellert war als Mensch und Schriftsteller Gegenstand einer allgemeinen, ans Schwärmerische grenzenden Verehrung; die Einfachheit und Aufrichtigkeit seines Wesens, die Herzlichkeit seiner Theilnahme, selbst seine Kränklichkeit machten auch auf die Jugend einen tiefen Eindruck, so daß die weinerliche Weichheit seines Vortrages und sein Moralisiren weder ihre Abneigung noch ihren Muthwillen erregte. Auch Goethe finden wir als einen eifrigen Zuhörer Gellerts, der bemüht ist, aus seinen Vorlesungen wie aus seinen stylistischen Übungen allen Nutzen zu ziehen, und sich es angelegen sein läßt, die kaum erworbene Weisheit in seinen Briefen seiner Schwester mitzutheilen. Allein ein nachhaltiger Einfluß zeigt sich, wie zu erwarten, auch hier nicht, Lehrer und Schüler waren zu verschiedener Natur. Gellert mußte sich für den Einzelnen schwer zugänglich machen, eine persönliche, unmittelbare Einwirkung war nicht möglich; Ermahnungen zum fleißigen Kirchenbesuch bildeten den Hauptinhalt solcher Privatunterhaltung, für Goethe unbequem und drückend, der sich die akademische Freiheit durch kirchlichen Zwang nicht verkümmern wollte und damals im Gegensatz gegen frühere und spätere Richtungen allen theologischen Studien entsagt hatte. In den Stylübungen zog Goethe Gellerts besondere Aufmerksamkeit nicht auf sich, er verbesserte seine Aufsätze wie alle anderen, ohne sie auszuzeichnen. Sie zogen ihn nicht an, was uns sehr begreiflich erscheint, wenn wir die geringen Bruchstücke dieser meist in Briefform geschriebenen Aufsätze betrachten, die uns zufällig erhalten sind.[4] Sie zeigen eine Freiheit und Leidenschaft in Auffassung und Form, welche Gellert nicht wohl gefallen konnte, uns aber beweisen, daß Goethe auch in diesen Schulübungen nur das, was er wirklich erlebte, künstlerisch zu gestalten suchte.

Neben Gellert, den seine Kränklichkeit sehr beschränkte, war in ähnlicher Weise Clodius durch Vorlesungen und Übungen wirksam, die Goethe ebenfalls besuchte. Das Ansehen dieses, auch als Dichter thätigen und bekannten, Mannes war aber nicht wie bei Gellert in einer aufrichtigen Pietät fest begründet; die Schüler, welche sich mit Eifer selbst in der Dichtkunst versuchten, waren keineswegs geneigt sich seinem Urtheil unbedingt zu unterwerfen, sie fanden bald seine Schwächen und die Kunstgriffe seiner poetischen Technik heraus. Dazu kam, daß er durch das Auffallende seiner äußeren Erscheinung ihren Spott reizte, zu dessen Zielscheibe sie ihn häufig machten. So machte Goethe einst im Kuchengarten in harmloser Laune das Gedicht auf den Kuchenbäcker Händel, in welchem alle pomphaften Prachtwörter, welche Clodius zu gebrauchen pflegte, parodisch angebracht waren:

„O Händel, dessen Ruhm vom Süd zum Norden reicht,
Vernimm den Päan, der zu deinen Ohren steigt!
Du bäckst, was Gallier und Britten emsig suchen,
Mit schöpfrischem Genie, originelle Kuchen.
Des Kaffes Ocean, der sich von dir ergießt,
Ist süßer als der Saft, der vom Hymettus fließt.
Dein Haus, ein Monument, wie wir den Künsten lohnen,
Umhangen mit Trophä'n, erzählt den Nationen:
Auch ohne Diadem fand Händel hier sein Glück,
Und raubte dem Cothurn gar manch Achtgroschenstück.
Glänzt deine Urn' dereinst in majestät'schem Pompe,
Dann weint der Patriot an deiner Catacombe.
Doch leb! Dein Torus sei von edler Brut ein Nest!
Steh' hoch wie der Olymp, wie der Parnassus fest!
Kein Phalanx Griechenlands mit römischen Ballisten
Vermög Germanien und Händeln zu verwüsten.
Dein Wohl ist unser Stolz, dein Leiden unser Schmerz,
Und Händels Tempel ist der Musensöhne Herz.“

Als es mit einer boshaften Anwendung, welche Horn demselben auf Clodius durch sein Schauspiel Medon gegeben hatte, bekannt und später sogar gedruckt wurde,[5] erregte es allgemein großes Aufsehen und Mißbilligung, und Goethe war sehr unzufrieden darüber; indeß urtheilte Clodius selbst über die Sache und Goethes Benehmen bald billig; Goethe läßt in seinen Briefen stets Grüße an ihn ausrichten.

Es leuchtet ein, daß die Universität durch die Persönlichkeit ihrer Lehrer auf Goethe keinen bestimmenden Einfluß ausüben konnte. Jene einst leuchtenden Sterne waren im Verbleichen, Klopstock hatte schon auf Goethe als Knaben einen mächtigen Eindruck gemacht, Wieland wurde von dem Jüngling mit Bewunderung gelesen, und vor allem Lessing, selbst in Leipzig gebildet, hatte den Weg bereits betreten, auf dem ihm Goethe nachfolgen sollte. Seine Minna von Barnhelm (1730) „stieg wie die Insel Delos aus der Gottsched-Gellert-Weissischen Wasserfluth, um eine kreißende Göttin gnädig aufzunehmen“: kein Werk hatte einen ähnlichen Eindruck auf Goethe gemacht. In welchem Grade man dasselbe verehrte, wie man sich in dem Kreise, in welchem Goethe verkehrte, in dasselbe hinein gelebt hatte, das lehren uns kleine Züge noch anschaulich. „Konnte die Landsmännin der Minna anders schreiben?“ heißt es in einem Briefe an seine geliebteste Freundin und später: „Sie wissen, was mich unzufrieden, launisch und verdrießlich machte. Das Dach war gut, aber die Betten hätten besser sein können, sagt Franziska.“ Man hatte sich in einem freundschaftlichen Kreise an die Aufführung dieses Lustspiels gewagt und später noch nannte man sich unter einander mit den Namen der Rollen. „Was macht unsere Franziska?“ fragt er und erkundigt sich, ob sie, nachdem ihr Wachtmeister fort sei, sich nun mit Just vertrage. Minna von Barnhelm erfüllte ihn ganz als ein Werk, das ihn aufmerksam machte, „daß noch etwas Höheres existire, als wovon die damalige schwache litterarische Epoche einen Begriff hatte,“ und ermuthigte ihn da es lehrte, wie er es zu erreichen habe. Aber es war das einzige Werk seiner Art.[6]

Im Allgemeinen fand sich Goethe durch die Leistungen der Gegenwart wie durch den Verkehr, in welchen er in Leipzig trat, nicht sowohl angeregt und gefördert als verwirrt und unsicher gemacht. Er war an mehrere angesehene und gebildete Familien empfohlen und bei ihnen eingeführt. Die lebhafte litterarische Production, deren Mittelpunkt Leipzig seit geraumer Zeit war, hatte auch in weiteren Kreisen größere Theilnahme für die Litteratur hervorgerufen, welche durch Kenntniß und allgemeine Bildung unterstützt, ein gewisses Verständniß derselben, eine Fertigkeit im Urtheilen darüber verbreitet hatte. Allein diese Kritik, welche man zur Unterhaltung zu üben pflegte, und die höchstens dahin gelangte das mittelmäßige mittelmäßig zu finden, war mehr abstumpfend als fördernd; sie nahm dem Jüngling seinen Glauben und seine Verehrung, er fühlte sehnlichst das Bedürfniß nach Unterstützung in seinen Bestrebungen durch Beispiel, durch productive Anregung — sie gab ihm Steine statt Brod. Die natürliche Folge war Mißmuth, Unsicherheit, Unzufriedenheit mit andern und mit sich — eines Tags verbrannte er alles, was er bis dahin versucht und entworfen hatte.

Nicht blos in einer Hinsicht sollte er diese Erfahrung machen. Als er kaum erst nach Leipzig gekommen war, da lebte er

„So wie ein Vogel, der auf einem Ast
Im schönsten Wald, sich, Freiheit athmend wiegt.
Der ungestört die sanfte Lust genießt,
Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum
Von Busch zu Busch sich singend hinzuschwingen.“

Aber als er in die feine Welt eingeführt wurde, empfand er bald, daß das „klein Paris, das seine Leute bildet,“ Ansprüche an ihn machte, die ihm lästig genug waren. Weder seine Kleidung noch sein Benehmen hatte den rechten Zuschnitt, seine Frankfurter Aussprache und die kurze körnige Ausdrucksweise, welche er sich zu eigen gemacht, war nicht das reine Wasser des echten meißner Deutsch, und nicht alle suchten ihn so milde und freundlich zuzustutzen, wie die liebenswürdige Hofräthin Böhme, von der er auch Kartenspielen lernen mußte. Auch mit seinen Ansichten und Gefühlen sah er sich überall fremd, seine Begeisterung für Friedrich den Großen fand begreiflicher Weise keinen Widerhall, auch hier wußte man ihm seine Bewunderung zu zerstückeln. Die Unbehaglichkeit dieser Schulmeisterei, des Zwanges, den er sich überall anthun sollte, ertrug er nicht lange; so wie er die Vorlesungen fallen ließ, so zog er sich allmälig, besonders nach dem Tode der Hofräthin Böhme, auch aus diesem geselligen Verkehr zurück, der ihn, so vergnügt er auch übrigens war, dennoch allen Mangel eines gesellschaftlichen Lebens fühlen ließ, wie es seine Jugend befriedigen konnte. „Ich seufze nach meinen Freunden und meinem Mädgen,“ schreibt er an Riese (28. April 1766), „und wenn ich fühle, daß ich vergebens seufze

Da wird mein Herz von Jammer voll
Mein Aug wird trüber.“

Aber schon im zweiten Semester änderte sich dies und Goethe trat in einen ganz anderen Kreis ein. Johann Adam Horn, mit dem er schon in Frankfurt nahe befreundet war, kam ebenfalls nach Leipzig, dem an sich selbst und seinem dichterischen Beruf irre gewordenen durch seine unverwüstliche Heiterkeit und den Einfluß früher Jugendbekanntschaft ein großer Trost. „Horn hat mich durch seine Ankunft einem Teil meiner Schwermuth entrissen,“ schreibt er (28. April 1766) an Riese; „er wundert sich, daß ich so verändert bin,

Er sucht die Ursach zu ergründen,
Denkt lächelnd nach, und sieht mir ins Gesicht.
Doch wie kann er die Ursach finden,
Ich weiß sie selbsten nicht.“

Auch sein späterer Schwager, Johann Georg Schlosser, hielt sich eine Zeit lang in Leipzig auf und führte ihn in eine unterhaltende Tischgesellschaft ein, theils Studirender theils solcher, die ihre Studien nicht lange vollendet. Unter diesen wird der Bruder des Dichters Zachariae, Pfeil und der spätere Bürgermeister Herrmann genannt, der mit treuer Sorgfalt Goethe nachher in seiner Krankheit pflegte, durch gleichmäßige Tüchtigkeit seines Wesens ausgezeichnet. Ganz anderer Art war Behrisch, der Hofmeister des Grafen Lindenau. Er stammte aus einer adeligen Familie, war, obwohl sorglos in Geldangelegenheiten, rechtlich und brav, ein Mann von Kenntnissen, leidenschaftlicher Musikliebhaber, aber ein Original; so kleidete er sich modisch und fein, aber nur grau, das er in den verschiedensten Schattirungen und Stoffen anzubringen beflissen war. Er gehörte zu den Menschen, welche nie auf Universitäten ausgehen, die eine besondere Gabe haben die Zeit mit Geschick zu verthun und dabei sich und andere ironisiren, ebenso gefährlich für die mittelmäßigen und schwachen, als anziehend und selbst anregend für die bedeutenden. Der Humor, mit welchem er seine Thorheiten höchst ernsthaft und das Ernsthafteste possenhaft betreiben konnte, war unerschöpflich und unwiderstehlich, und fesselte auch Goethe an ihn, obwohl er ihn in barocker Weise fortwährend hofmeisterte. Auch an seinen dichterischen Arbeiten nahm er, ein Mann von feinem Geschmack, lebhaften Antheil und munterte ihn fortwährend auf sich darin fortzubilden; nur etwas drucken zu lassen hielt er ihn stets ab und schrieb dagegen die Gedichte, welche seine Kritik bestanden, mit einer seltnen, in seiner Familie heimischen, Kunst zur Belohnung höchst sauber in ein zierliches Buch. Als Behrisch von Leipzig nach Dessau fortging, wo er auf Gellerts Empfehlung, dessen Liebling er war, Erzieher des Erbprinzen, dann Pagenhofmeister wurde, entließ ihn Goethe mit Abschiedsoden von schwerem Caliber; später erneuerte er von Weimar aus die alte Bekanntschaft und fand ihn als feinen Hofmann bei Hofe wohlgelitten und allgemein geachtet, in seinem Humor aber ganz den alten „mit gescheiten Bemerkungen dumm ausgedrückt und vice versa.“[7] „Hab' ich es dir nicht gesagt?“ — damit empfing er ihn — „war es nicht gescheit, daß du damals die Verse nicht drucken ließest und daß du gewartet hast bis du etwas ganz gutes machtest? Freilich schlecht waren damals die Sachen auch nicht, denn sonst hätte ich sie nicht geschrieben. Aber wären wir zusammen geblieben, so hättest du auch die andern nicht sollen drucken lassen; ich hätte sie dir auch geschrieben und es wäre eben so gut gewesen.“[8] Langer, der nach Behrisch Hofmeister des Grafen Lindenau wurde, später Bibliothekar in Wolfenbüttel, ein Mann, der in einem bewegten Leben als Militair die mannigfaltigsten Erfahrungen gemacht und, ohne je studirt zu haben, sich die gründlichste, umfassendste Gelehrsamkeit erworben hatte, wurde für Goethe in seiner Krankheit ein großer Trost und gewann durch seinen milden Ernst eben so großen Einfluß auf sein Gemüth, als seine Kenntnisse und Erfahrungen ihn in seiner Bildung förderten.

Von den jüngeren Studiengenossen kennen wir Bergmann, später Prediger in Lievland, der als ausgezeichneter Fechter Goethe als Fuchs den Arm zeichnete,[9] Wagner, an welchen Goethe als Greis die Verse richtete:

„Ziehn wir nun die achtzig Jahr
Durch des Lebens Mühen,
Müssen auch im Silberhaar
Unsre Pflüge ziehen.
Führt doch durch des Lebens Thor
Traun! so manche Gleise,
Ziehn wir einst im Engelchor,
Gehts nach einer Weise“[10]

die beiden Brüder Breitkopf und Horn. Dieser, dessen kleine Gestalt und krumme Beine stets herhalten mußten,[11] war die lustige Person in der Gesellschaft, die er besonders durch sein Talent nachzumachen ergötzte, immer bereit zu mystificiren und sich mystificiren zu lassen: übrigens ein braver und treuer Mensch, was er in Goethes Krankheit bewährte.

Goethe gab nun den Mittagstisch, welchen nach damaliger Sitte Hofrath Ludwig für Studenten hielt, auf und schloß sich ganz diesem Kreise an, in welchem Geist und Bildung, ungezwungene Heiterkeit und Laune, jugendlicher Übermuth herrschten. Man fand sich Mittags und Abends am bestimmten Ort zusammen, die Vergnügungsörter, Apels (später Reichels) Garten, die Kuchengärten, Gohlis, Raschwitz, Konnewitz wurden fleißig besucht. Wie ausgelassen lustig es dabei hergehen konnte, das zeigt uns die Scene in Auerbachs Keller im Faust. Zwar ist es einer gründlichen Forschung noch vorbehalten die Leipziger Originale der dort auftretenden Personen nachzuweisen, allein die Localfarbe derselben ist unverkennbar, schon der Scherz mit Herrn Hans von Rippach erweist sie, den ohne Commentar zu verstehen noch jetzt das Vorrecht der Leipziger ist. Ebenso wenig als man hier im Genuß stets Maaß beobachtete, hielt man auch die übermüthigste Laune und den schonungslosesten Witz in Schranken, und gab so nach vielen Seiten Anstoß und Gelegenheit zu übler Nachrede. Liebschaften waren damals an der Tagesordnung und manche aus diesem Kreise hatten eine Neigung zu Mädchen, die zwar „besser waren als ihr Ruf,“ deren Umgang aber mindestens für den Ruf nicht vortheilhaft war. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß sowohl die Ansicht von dem Wankelmuth und der Unzuverlässigkeit der Frauen, als auch eine gewisse Leichtfertigkeit und Freiheit sinnlicher Leidenschaft, welche in Gedichten und Briefen jener Zeit sich ausspricht, aus diesem Verkehr hervorgegangen war. Dabei darf man freilich nie vergessen, daß die Vorstellungen von Schicklichkeit in Ton und Betragen gar sehr wechseln; schon ein Blick auf Bilder aus damaliger Zeit erklärt manches, was uns jetzt befremdet. Wenn Goethe in feuriger Jugendkraft rücksichtslos sich frischem Lebensgenuß ergab und sich wenig um ein geregeltes Leben kümmerte, so blieb die Strafe dafür, wie für andere Unvorsichtigkeiten, durch welche er seiner Gesundheit schadete, nicht aus. Ein Blutsturz brachte ihn an den Rand des Grabes und wenn ihn auch die sorgfältige Behandlung seines Arztes Reichel und die treue Pflege seiner Freunde rettete, so blieb er doch die letzte Zeit seines Aufenthalts in Leipzig und später noch in Frankfurt fortwährend leidend und kränkelnd. Dies hatte auf seine Stimmung keinen geringen Einfluß, auch nach der Genesung blieb sie gedrückt, der jugendliche Frohsinn und Übermuth war gebrochen. Er hatte es kein Hehl, daß er leichtsinnig auf seine Gesundheit eingestürmt sei, allein als er nun nicht nur sich selbst mit einer gewissen Ängstlichkeit schonte, sondern auch die Freunde gern zur Mäßigung ermahnte, entging er ihrem Spott nicht, wie es in einem seiner Lieder heißt:

„Ihr lacht mich aus und ruft: der Thor!
Der Fuchs, der seinen Schwanz verlohr,
Verschnitt jetzt gern uns alle.
Doch hier paßt nicht die Fabel ganz,
Das treue Füchslein ohne Schwanz,
Das warnt euch vor der Falle.“

Und dieser Scherz vom Füchslein muß in dem Freundeskreise sprüchwörtlich gewesen sein, denn auch in den Briefen wird er mehrmals erwähnt.

Vergessen wir aber nicht, daß diese lebenslustige Gesellschaft aus jungen Männern von bedeutender Fähigkeit und tüchtiger Gesinnung bestand, die über fröhlichem Genuß das ernste Streben nicht vergaßen. Der unschätzbare Gewinn des akademischen Lebens ist die Unbefangenheit im gegenseitigen Verkehr, die sich auf die gleichartigen jugendlichen Neigungen und das gemeinsame Streben nach wissenschaftlicher Bildung gründet, und gleich offen und entschieden in Liebe und Abneigung eine beständige Anspannung der Kräfte im regen Wetteifer hervorruft, die deshalb so heilsam ist, weil sie stets aus dem nächsten Anlaß des wirklichen Lebens unmittelbar hervorgeht. Hier fand Goethe eine ebenso warme Theilnahme als scharfe Kritik für das, was er hervorbrachte, dieser Verkehr bot ihm wahre Impulse seiner künstlerischen Production in den Erfahrungen eines wenn auch jugendlich beschränkten, doch frisch und frei bewegten Lebens. So entwickelte sich hier zuerst die Eigenthümlichkeit seiner dichterischen Natur, welche ihn groß vor allen, welche ihn zum Befreier der Deutschen Dichtkunst gemacht hat, daß er den einzigen Quell seiner Dichtung in seinem Gemüthe fand, daß alles, was ihn innerlich ergriff und bewegte, ihn mit Nothwendigkeit zur künstlerischen Darstellung trieb, welche ihn wie von einer Last befreite. Nichts aber hat sein Gemüth während seines hiesigen Aufenthalts so tief ergriffen und so anhaltend beschäftigt als die leidenschaftliche Liebe zu dem Mädchen, welche er uns als Ännchen geschildert hat, eine Liebe, welche aus seinen noch vorhandenen Briefen lebendiger hervortritt, als aus seiner späteren Darstellung.

Christian Gottlob Schönkopf, ein Weinhändler, war der Hauswirth, in dessen Wohnung[12] sich die Gesellschaft, zu welcher Goethe gehörte, Mittags einzufinden pflegte. Seine Gattin war eine geborene Hauk aus einer Frankfurter Patricierfamilie, eine geistvolle und lebendige Frau; mit der Landsmännin war Goethe bald vertraut geworden und fühlte sich dort heimisch, er war „ein Stück der Familie“ geworden, die er uns gleich in dem ersten Briefe aus Frankfurt vom 1. Oct. 1768 vor Augen führt. „Ihr Diener Herr Schönkopf, wie befinden Sie sich Madame, Guten Abend Mamsell, Petergen guten Abend. Sie müssen sich vorstellen, daß ich zur kleinen Nebenthüre hereinkomme. Sie Hr. Schönkopf sitzen auf dem Canapee am warmen Ofen, Madame in ihrem Eckgen am Schreibetisch, Peter liegt unterm Ofen und wenn Käthgen auf meinem Platze am Fenster sitzt, so mag sie nur aufstehen und dem Fremden Platz machen. Nun fangen wir an zu discouriren.“ Und nun erzählt er von seiner Reise und wie es ihm in Frankfurt schlecht behage, auch mit seiner Gesundheit nicht zum besten gehe; er entschuldigt sich, daß er nicht Abschied genommen habe, er sei dagewesen, habe die Laterne brennen sehen und an der Treppe gestanden — „zum letztenmal wie wäre ich wieder heruntergekommen?“ In vielen kleinen Zügen spricht sich in allen Briefen die innerliche Vertraulichkeit des Verkehrs mit der Familie und ihren Bekannten aus. Dort fand sich ein Kreis gebildeter Menschen zusammen, die in ungezwungener Heiterkeit, gelegentlich beim Glas Punsch,[13] des Lebens froh waren. Es wurde oft Musik gemacht; ein Kaufmann Obermann, der gegenüber wohnte, mit zwei Töchtern, von denen die älteste als Concertsängerin glänzte, Häser, der Vater der berühmten Sängerin, gingen aus und ein, Goethe blies die Flöte, bis die Krankheit es ihm verbot, und Peterchen, der jüngste Sohn, geboren im Jahr 1756, zeichnete sich schon als Knabe durch sein Klavierspiel aus. Eine Zeichnung, welche ihn am Klavier, daneben seine Schwester, Häser und Lelei, ebenfalls einen angesehenen Musiker, darstellte und von Goethe herrühren sollte, ist erst im Kriege verbrannt. Mitunter wurde auch Komödie gespielt, man hatte sich sogar an Minna von Barnhelm gewagt, und ganz besondere Freude hatte eine Aufführung des Lustspiels Herzog Michel von Joh. Christ. Krüger gemacht. Goethe hatte den Michel, Käthchen das Hannchen gespielt, und in einem Zimmer des Schönkopfschen Hauses war die Hauptscene in einem großen Wandgemälde dargestellt, das sich noch lange Zeit erhalten hat. Von Frankfurt aus erkundigte sich Goethe nach dem Directeur Schönkopf und seinen Acteurs, und schickte einen scherzhaften Brief an Mademoiselle, unterzeichnet von „Michel, sonst Herzog genannt, nach Verlust seines Herzogtums aber, wohlbestallter Pachter auf des gnädigen Herren hochadelichen Rittergute,“ der im Auftrage des Hrn. Goethe ihr eine mittelmäßige Scheere, ein gutes Messer und Leder zu zwei Paar Pantoffeln schickt. In diesem Kreise finden wir Reich, den Fürsten der Leipziger Buchhändler, mit dem Goethe auch später in einem großentheils durch Lavaters Physiognomik veranlaßten Verkehr stand, den Buchhändler Junius, Mademoiselle Weidmann, die Breitkopfsche Familie, Stock, „den närrischen Kupferstecher, der so wunderliche, auch wohl garstige Sachen zu sagen pflegte, “ wie Horn schreibt; den Ober-Geleits-Einnehmer Richter; von den jüngeren Kapp, den später berühmten Arzt, und Horn, der auch im Hause wohnte. Zum Schluß jenes ersten Briefes bittet er dann, daß ihm Käthchen schreiben möge, wenigstens alle Monat doch einen Brief.

Freilich fesselte Käthchen, wie sie im vertrauten Kreise genannt wurde, oder, wie sie mit vollem Namen hieß, Anna Katharine ihn an das Haus. Sie war am 22. August 1746 geboren, drei Jahr älter als Goethe, ein hübsches Mädchen, von mittler Größe und schönem Wuchs, mit einem vollen, frischen Gesicht, braunen Augen, klug und aufgeweckt, heiteren, munteren Sinnes und von einfachem, warmem Gemüth. Sie gewann bald des Jünglings leidenschaftliche Liebe, der ihr (23. Jan. 1770) schreiben konnte: „Sie wissen, daß ich, so lange als ich Sie kenne, nur als ein Theil von Ihnen gelebt habe;“ und sie erwiederte dieselbe. Halstuch, Fächer und Schuhe, die er für sie malt, sind hier, wie später in Sesenheim und Weimar, seine Liebesgaben. Sie theilte das Interesse für Poesie, er las ihr vor, auch an seinen eigenen Dichtungen nahm sie Antheil; später meldet er ihr seine Lieder an, die immer noch nicht gedruckt seien. „Lassen Sie Petern ein's spielen, wenn Sie an mich denken wollen.“ Das ruhige Glück dieser gegenseitigen Neigung störte Goethes heftige Eifersucht, durch welche er ohne allen Grund sich und das arme Mädchen fortwährend quälte, und wie oft er es auch bereuete, doch immer von neuem leidenschaftliche Scenen herbeiführte, wodurch er sich das Herz der Geliebten entfremdete. „Heut vor einem Jahr,“ schreibt er am 26. Aug. 1769, „sah ich Sie zum letztenmal. Vor 3 Jahren hätte ich geschworen, es würde anders werden. O könnte ich die dritthalb Jahr zurück rufen. Käthgen ich schwöre es Ihnen, liebes Käthgen ich wollte gescheuter sein.“ Außer vielen andern Gedichten, welche später vernichtet wurden, schrieb er zur eigenen Buße 1768 das Schauspiel, „die Laune des Verliebten,“ in welcher durch die anmuthig zierliche Form, die oft zugespitzte und hie und da geschnitzelte Ausdrucksweise, welche jener Zeit angehört, wie das Schäfercostüm, die volle Wahrheit selbst erlebter Zustände und schwer durchkämpfter Leidenschaft durchleuchtet und heute noch ergreift.[14] Allein jene künstlerische Sühne mochte den Dichter freisprechen, die Neigung der Geliebten konnte sie ihm nicht wiedergeben, er mußte sehen, wie sie sich einem andern zuwandte.

Daß er bei seinem Weggehen die volle Liebe zu Käthchen und die Hoffnung sie einst zu besitzen mit sich fortnahm, ist aus seinen Briefen klar. Jene Bitte wurde erfüllt, Käthchen schrieb ihm, und sogleich antwortete er (1. Nov. 1768) seiner geliebtesten Freundin, die seine ganze Liebe, seine ganze Freundschaft hat, und in einem beigelegten Blatt verbessert er auf ihren Wunsch die orthographischen Fehler, welche sie in ihrem Brief gemacht hatte. Sie war in Sorgen gesetzt um seine Gesundheit, sofort beruhigt er (30 Dec. 1768) seine beste ängstliche Freundin, es gehe ihm besser, er hoffe reisen zu können; wenn er aber dennoch vor Ostern sterben sollte, wolle er sich einen Grabstein auf dem Leipziger Kirchhof verordnen, „dass ihr doch wenigstens alle Jahr am Johannes als meinen Namens Tag das Johannesmännchen und mein Denkmal besuchen möget.“ Einen Monat später (31. Jan. 1769) beklagt er sich bitter, daß er krank und elend und dazu ohne Nachricht von ihr sei. Das war begreiflich, denn Ende Mai gelangte an Horn, der im April von Leipzig zurückgekommen war, die Nachricht von Käthchens Verlobung mit dem Dr. Christ. Karl Kanne, welcher von Goethe selbst eingeführt im Schönkopfschen Hause wohnte,[15] als dessen Gattin sie 1810 (20. Mai) gestorben ist. Während Horn sofort als Schulmeister und Ludimagister einen scherzhaften Gratulationsbrief erläßt, schreibt Goethe am 1. Juni 1769 einen Brief, der Anfangs zwar ruhige Fassung, im weiteren Verlauf aber immer mehr eine gereizte Bitterkeit zeigt, die sich selbst gegen die Geliebte wendet, deren gewissen Verlust er so schwer ertragen kann. Wir erkennen deutlich die Laune des Verliebten in diesem Briefe, die sich in Äußerungen ausspricht wie „Das liebenswürdigste Herz ist das, welches am leichtesten liebt, aber das am leichtesten liebt vergißt auch am leichtesten,“ aber der Ausruf: „Es ist eine gräßliche Empfindung seine Liebe sterben zu sehen!“ zeigt uns, wie tief sein Gemüth ergriffen war. Nach Leipzig werde er nun nicht kommen, da der abgethane Liebhaber eine schlechte Figur als Freund spielen werde; es müsse ihr doch komisch vorkommen, wenn sie an alle die Liebhaber denke, die sie mit Freundschaft eingesalzen habe, wie man die Fische einsalze, wenn man fürchtet, daß sie verderben, doch solle sie die Correspondenz mit ihm nicht ganz abbrechen, da er für einen Pöckling doch immer noch artig genug sei. Auch in den folgenden Briefen spricht sich das schmerzliche Gefühl ihres Verlustes bald mit heftiger Leidenschaftlichkeit, bald in einer ruhig wehmüthigen Stimmung aus, in welcher er in der Ahnung, daß sie schon verheirathet sei, Abschied von ihr nimmt und sie bittet ihm nicht wieder zu antworten. „Es ist das eine traurige Bitte, meine Beste, meine Einzige von Ihrem ganzen Geschlecht, die ich nicht Freundinn nennen mag, denn das ist ein nicht bedeutender Tittul gegen das was ich fühle. Ich mag Ihre Hand nicht mehr sehen, so wenig als ich Ihre Stimme hören mögte, es ist mir leid genug dass meine Träume so geschäfftig sind. Kein Hochzeitgedicht kann ich Ihnen schicken, ich habe etliche für Sie gemacht aber entweder druckten sie meine Empfindung zu viel oder zu wenig aus.“ Allein sie antwortete ihm dennoch und meldete ihm, daß sie noch nicht verheirathet sei — die Hochzeit fand am 7. März 1770 Statt — und daß sie erwarte, er werde auch ferner schreiben, kurz sie setzte ihm den Kopf zurecht. Darauf erwiederte er denn auch (23. Jan. 1770), er werde ihr schreiben, weil sie es verlange. Dieser Brief ist in einem heitern Humor geschrieben, in dem man den Wiederschein ihrer Liebenswürdigkeit erkennt, aber nicht minder ein tief schmerzliches Gefühl über ihren Verlust. Er zeigt ihr an, daß er ruhig lebe und frisch und gesund und fleißig, denn er habe kein Mädgen im Kopf, und daß er nun nach Straßburg gehen werde; dort werde sich seine Adresse verändern wie die ihrige und es werde auf beide etwas vom Doktor kommen: „und am Ende wäre doch Fr. Doct. C. und Fr. Doct. G. ein herzlich kleiner Unterschied.“ Er schrieb nicht wieder, in Straßburg verdrängte Friederike die letzte schmerzliche Erinnerung und fesselte ihn ganz; aber als er sie eben hatte kennen lernen, da dachte er in der glücklichsten Stimmung an alle die ihn liebten „und auch sogar an Käthchen, von der ich doch weiß, daß sie sich nicht verläugnen wird, daß sie gegen meine Briefe sein wird, was sie gegen mich war.“ Und bei seinem ersten Besuch in Leipzig (1776) suchte er auch sogleich „sein erstes Mädgen“ auf. „Alles ist wie's war, nur ich bin anders“ schrieb er an Fr. v. Stein, „nur das ist geblieben, was die reinsten Verhältnisse zu mir hatte damals — Mais ce n'est plus Julie.[16]

In eine andere Region führte ihn der Verkehr mit dem Breitkopfschen Hause, das der Mittelpunkt eines zahlreichen Kreises war, in welchem gründliche Bildung in Wissenschaft und Kunst und ganz besonders in der Musik heimisch war. Von den beiden Söhnen, welche Goethes Studiengenossen waren, zeichnete sich der ältere, Bernhard (geb. 1749), in der Familie der Magister genannt, welcher später in Petersburg gestorben ist, schon damals als Musiker aus. Mit seinen Melodieen, von denen manche, wenn man von einigen Zufälligkeiten der Mode absieht, noch heute gefallen werden, erschien die erste Sammlung Goethescher Lieder (1770) im Druck. Der jüngere, Gottlob (geb. 1750), welcher im J. 1800 als Vorsteher der Handlung starb, nicht minder tüchtig in der Musik gebildet, war wie Goethe von Frankfurt im August 1769 schreibt, von jeher ein guter Junge und hatte Menschenverstand und Gedanken wie ein Mensch der eine Sache begreift, und Einfälle nicht wie jeder. In diesem Verkehr war das Interesse für Musik wohl das vorherrschende, das ja auch Goethe nicht fremd war; denn ob er gleich keine hervortretende Anlage zur Musik hatte, war er doch nicht unempfänglich dafür und hatte selbst mehrere Instrumente zu spielen gelernt.[17] Hiller, dessen komische Opern damals in Aller Mund waren, lernte er kennen und wurde freundlich von ihm aufgenommen; er bekennt aber, daß dieser sich mit seiner wohlwollenden Zudringlichkeit, mit seiner heftigen, durch keine Lehre zu beschwichtigenden Lernbegierde so wenig als andere zu befreunden gewußt habe.[18] Auch Goethe war ein begeisterter Verehrer der beiden Sängerinnen, welche damals alles entzückten, der Mlle. Schmeling und Schröter. Als jene, die später als Madame Mara in ganz Europa berühmt war, im Jahr 1831 ihr Jubiläum feierte, erinnerte sich Goethe mit Vergnügen, wie er sie in Hasseschen Oratorien gehört und ihr „als ein erregbares Studentchen wüthend applaudirt hatte“[19] und richtete ein Gedicht an sie, das jene Jugenderinnerung auffrischte. Corona Schröter verehrte er als Student nur von ferne und machte für andere Gedichte an sie; später trat er ihr wiederum in Leipzig näher[20] und veranlaßte, daß sie nach Weimar kam.

Wichtiger für Goethe als die musikalischen Genüsse Leipzigs war das Theater[21]. Die künstlerische Entwickelung der Deutschen Bühne war von Leipzig ausgegangen und grade damals stand das Leipziger Schauspiel in seiner höchsten Blüthe. Koch war 1765 auf ein neues Privilegium mit einer stehenden Gesellschaft nach Leipzig gekommen, ein neues Haus wurde gebaut, und am 6. Oct. 1766 mit Schlegels Hermann eröffnet. Bald nach Goethes Weggang hörte diese glänzende Periode auf, denn am 18. Oct. 1768 schloß Koch die Bühne und verließ Leipzig. Das Interesse am Theater war damals allgemein und in allen Kreisen von litterarischer Bildung das vorherrschende. Der Einfluß auf Goethe, dessen Neigung alles in dramatische Form zu kleiden frühzeitig hervortrat — sie zeigt sich auch darin, daß er seinen stylistischen Übungen gern die Form eines Romans in Briefen gab — ist unverkennbar. Da ihm die köstliche Gabe verliehen war, „in nachklingende Lieder das eng zu fassen, was in seiner Seele immer vorging“,[22] so rief jede Veranlassung, die ihn in erhöhete Stimmung versetzte, lyrische Gedichte leicht hervor; sein Studium war hauptsächlich dem Drama zugewandt, und Übersetzung wie Nachbildung französischer Stücke beschäftigten ihn anhaltend und ernstlich, wovon nur eine geringe Spur uns in dem Bruchstück einer Bearbeitung von Corneilles Lügner erhalten ist.[23] Denn er verbrannte später fast alle Versuche aus jener Zeit und nur die Mitschuldigen legen durch ihre für diese Zeit bewundernswürdige Gewandtheit und Sicherheit in der Form und Technik, welche allerdings ohne vielfältige angestrengte Übung nicht erreicht werden konnte, Zeugniß seines ernstlichen Studiums ab.[24] In anderer Rücksicht ist dies Lustspiel wiederum ein merkwürdiger Beweis, wie Goethe schon damals sich von den Lebenserfahrungen, welche ihn quälten und beunruhigten, durch die Dichtung losmachen und befreien konnte. Schon in früher Jugend war er Zeuge und Theilnehmer innerlich zerrütteter Familienverhältnisse gewesen; nicht aus eigenem Behagen wählte er sich diesen Stoff für ein Lustspiel, er reinigte vielmehr sein Inneres von diesen Vorstellungen, indem er ihnen als Dichter eine Gestalt gab, wodurch sie von seinem Innern abgelöst ihm fremd wurden und außer ihm existirten.

Später hatte Goethe Gelegenheit seine Anerkennung und seinen Dank der Leipziger Bühne auszusprechen, als die Weimarsche Schauspielergesellschaft in Leipzig während des Sommers 1807 Vorstellungen gab. In dem schönen Prolog, welchen er auf Rochlitz's Wunsch dichtete, heißt es:

Belohnung! ja sie kann uns hier nicht fehlen,
Hier, wo sich früh, vor mancher deutschen Stadt,
Geist und Geschmack entfaltete, die Bühne
Zu ordnen und zu regeln sich begann.
Wer nennt nicht still bei sich die edlen Namen,
Die schön und gut aufs Vaterland gewirkt,
Durch Schrift und Rede, durch Talent und Beispiel?
Auch jene sind noch unvergessen, die
Von dieser Bühne schon seit langer Zeit
Natur und Kunst darbietend herrlich wirkten;
Gleicht jener Vorzeit nicht die Gegenwart?

Er sprach auch gegen Rochlitz die Erwartung aus, wie belehrend dieser Aufenthalt in Leipzig für die Schauspieler sein würde, und später seine Freude, daß dieses theatralische Unternehmen glücklich vollendet und mit Ehre und Vortheil belohnt worden sei; auch fand er es sehr artig, daß sogar das kleine Schäferspiel, das er 1768 in Leipzig geschrieben, auch noch auftauchen mußte und gut empfangen ward, eine Aufführung (am 29. Aug. 1807), bei der wohl Käthchen selbst gegenwärtig gewesen ist.

Wenn uns bisher eine hervorragende Persönlichkeit nicht entgegengetreten ist, welche einen bestimmenden Einfluß auf Goethe ausgeübt hätte, so finden wir diese auf dem Gebiet der bildenden Kunst in Adam Friedrich Oeser, der seit 1763 als Director der Kunstakademie in Leipzig lebte und dort als Maler und Bildhauer wie als Mensch in hoher Achtung stand. Goethe, dessen glückliche Naturanlagen für die bildende Kunst bereits im väterlichen Hause sorgfältig gepflegt waren, suchte sie auch in Leipzig weiter auszubilden und nahm bei Oeser Unterricht im Zeichnen, an welchem auch der nachmalige Staatskanzler Hardenberg,[25] der Fürst Lieven und Gröning aus Bremen Theil nahmen. Später begnügte er sich mit dem Zeichnen nicht, sondern wurde durch den Verkehr mit dem Kupferstecher Stock — dessen Töchter Minna, später die Gattin Körners, und Dora nachmals zu Schiller in ein so inniges Verhältniß traten — veranlaßt, sich auch mit dem Radiren zu beschäftigen, wovon noch jetzt kleine Platten für Schönkopf und Käthchen geätzt um ihre Bücher zu zeichnen,[26] und zwei größere Radirungen Zeugniß geben.[27] Oesers Verdienste als Künstler, welche seine Zeitgenossen überschätzten, hat Goethe später richtig gewürdigt; sein Einfluß auf Goethe aber reichte weit über die Belehrung von bildender Kunst hinaus; in seinem Verkehr war es ihm einleuchtend geworden, „daß die Werkstatt des großen Künstlers mehr den keimenden Philosophen, den keimenden Dichter entwickelt, als der Hörsaal des Weltweisen und des Kritikers.“ Er war ein sinniger, denkender Mann von kräftiger Eigenthümlichkeit und nicht geringer Bildung, durch hingeworfene Andeutungen mehr anregend als aufklärend, frisch und derb, heiter und jovial, kurz ein Mann, der auf die Jugend ungemein wirken mußte. Durch aufmunternde Anerkennung gewann er Goethes Vertrauen und Neigung und gab ihm in der bildenden Kunst einen sicheren Ausgangspunkt für die Erkenntniß des Schönen, um welche Goethe eifrig bemüht war, um sie auch auf anderen Gebieten fruchtbar zu machen. Oeser war Winckelmanns vertrauter Freund gewesen und hatte auch auf dessen Ansichten von der Kunst großen Einfluß geübt; die Begeisterung, mit welcher Winckelmann allgemein verehrt wurde, ließ Oeser in einem höheren Licht glänzen und der persönliche Eindruck dieses Mannes gab auch der Verehrung für Winckelmann einen bestimmten gleichsam persönlichen Charakter. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf daher alle die Nachricht von Winckelmanns Tode zu der Zeit, da man eben seinem Besuch entgegensah. Auch auf diesem Gebiet war es Lessing, der durch seinen Laokoon ein ungeahntes helles Licht in die jüngern Geister warf, und reinigend und stärkend wie kein anderer sie ergriff, indem er ihnen nicht sowohl die Wahrheit als den Weg zeigte, auf welchem sie zu derselben gelangen konnten, und mit sittlichem Ernst von ihnen verlangte, daß sie den Schweiß und selbst den Schmerz der Anstrengung nicht scheueten, um die Wahrheit zu erringen. Noch können wir die Spuren erkennen, mit welchem Eifer Goethe Lessing zu studiren und an ihm sich weiter zu bilden bestrebt war.[28]

Für Goethes ganze spätere Entwickelung ist es von der größten Bedeutung, daß er schon jetzt durch Oeser in dem Sinne mit der Kunst, und ganz besonders der des Alterthums, vertraut gemacht wurde, welchen er sein ganzes Leben hindurch bewahrt hat. Er hat lange zwischen der Dichtkunst und der bildenden Kunst geschwankt, und erst spät mit Schmerzen die Einsicht gewonnen, daß er in der letzteren nur Dilettant sein könne;[29] allein das plastische Element seiner Poesie hing mit dieser Richtung auf die bildende Kunst so eng zusammen, daß die Anschauung und Einsicht, welche er auf diesem Gebiet in früher Jugend gewann, fortwährend einflußreich und maßgebend gewesen ist. Mit der hingebendsten Dankbarkeit und einer wahrhaft ehrfurchtsvollen Liebe spricht er sich in seinen Briefen gegen Oeser aus und an Reich[30] schreibt er: „Oesers Erfindungen haben mir eine neue Gelegenheit gegeben, mich zu seegnen, dass ich ihn zum Lehrer gehabt habe. Er drang in unsere Seelen und man musste keine haben um ihn nicht zu nutzen. Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folge haben. Er lehrte mich, das Ideal der Schönheit sei Einfalt und Stille.“[31] Später wurde die Bekanntschaft von Weimar aus wieder erneuet. „Wie süß ist es,“ schreibt er an Frau von Stein (25. December 1782),[32] „mit einem richtigen, verständigen, klugen Menschen umgehn, der weis wie es auf der Welt aussieht und was er will, und der, um dieses Leben anmuthig zu genießen, keinen superlunarischen Aufschwung nöthig hat, sondern in dem reinen Kreise sittlicher und sinnlicher Reize lebt. Denke Dir hinzu, daß der Mann ein Künstler ist, hervorbringen, nachahmen und die Werke anderer doppelt und dreifach genießen kann, so wirst Du wohl nicht einen glücklichern denken können[33]. So ist Oeser, und was müßte ich Dir nicht sagen, wenn ich sagen wollte, was er ist.“ Ähnliche Äußerungen wiederholen sich, so oft er Oeser sieht und bezeugen, wie tief er auch in seinen Mannesjahren Oesers Werth empfand. Durch Goethe mit dem Weimarschen Hofe bekannt gemacht, ward er dem Herzog Carl August wie der Herzogin Amalia durch seine Kunstkenntniß und Erfahrung werth; die letztere gewann ihn besonders lieb und veranlaßte ihn zu wiederholten Besuchen in Weimar, wo seine lebensfrische, geistreiche Jovialität und seine weltmännische Klugheit ihn zu einem stets willkommenen Gast machten.

Durch Oeser waren Goethe die Kunstsammlungen Leipzigs, von denen die Winklersche einen großen Ruf mit Recht behauptete, geöffnet, um ihn sammelte sich ein Kreis von Kunstfreunden und Kennern, unter denen besonders neben Huber sich Kreuchauff auszeichnete, der früher Kaufmann gewesen war, später nur seinem Interesse für die Kunst lebte, das er auch durch Schriften bewährte. Dieser Kreis pflegte sich in Oesers überaus gastfreiem Hause in der Pleißenburg, im Sommer auf dem Landsitz, den er in Dölitz besaß, in ungezwungener Heiterkeit zu versammeln. Eine Predigt im Frankfurter Judendialekt, welche Goethe dort vorzutragen liebte, von ihm selbst aufgeschrieben, ist ein harmloses Zeugniß der jugendlichen Fröhlichkeit, welche dort herrschte. Die Seele dieser Gesellschaft war, für die Jugend zumal, Oesers älteste Tochter Friederike Elisabeth, geboren im Jahr 1748, unvermählt hierselbst gestorben im Jahre 1829. Von Jugend auf war sie der Liebling des Vaters gewesen und selbst wenn er arbeitete in seiner Gesellschaft. Durch ihren Muthwillen, welchen ihr phlegmatischer Bruder besonders empfinden mußte, ergötzte sie ihn als Kind, später stand sie ihm durch Verstand und Bildung nahe; er bediente sich ihrer Feder und ließ fast seine ganze Correspondenz von ihr führen. Ihr volles Gesicht mit dem Stumpfnäschen und den lebendigen braunen Augen stimmte zu ihrer kleinen raschen Figur, und wenn auch durch Blatternarben entstellt verrieth es lebhaften Geist und Verstand, und die fröhliche Heiterkeit ihrer Laune, womit sie dem Jüngling neckisch und übermüthig zusetzte, zu hart und unbarmherzig, wie er meinte, wenn er sich unglücklich und leidend fühlte. Denn zu ihr nahm er seine Zuflucht, wenn Liebe und Eifersucht ihn quälten, und sie hatte um so eher ein gewisses Übergewicht über ihn, da hier keine leidenschaftliche Neigung ins Spiel kam. In den nächsten Jahren nach seinem Fortgehen von Leipzig unterhielt er mit ihr eine belebte Correspondenz und schickte ihr ein Bild seiner geliebten Schwester Cornelie, das er auf einen Correcturbogen des Götz flüchtig gezeichnet hatte, als ein Zeichen seiner Anhänglichkeit. Im Wald und auf den Wiesen von Dölitz erging er sich gern in dichterischen Streifereien, und war auch Käthchen oder wie sie dem Dichter hieß, Annette, meistens Veranlassung und Gegenstand seiner Lieder, so wurden sie der fein gebildeten und scharf urtheilenden Friederike zur Prüfung vorgelegt. Eine Sammlung „Lieder mit Melodien Mademoiselle Friederike Oeser gewiedmet von Goethen,“ das älteste und eigenthümlichste Denkmal Goethescher Poesie, wird noch handschriftlich in einer Goethe-Bibliothek in Leipzig aufbewahrt. Als dieselben „davon ein Theil das Unglück hatte, ihr zu mißfallen“ — man kann wohl errathen weshalb — durch andere vermehrt später gedruckt wurden, „würde er sich vielleicht unterstanden haben, ihr ein unterschriebenes Exemplar zu wiedmen, wenn er nicht wüßte, daß man sie durch einige Kleinigkeiten leicht zum schimpfen bewegen könnte.“ Diese neuen Lieder in Melodien gesetzt von Bernh. Theod. Breitkopf erschienen 1770 ohne Goethes Namen. Hiller, der sie anzeigte, meinte, wenn man sie läse, werde man gestehen, daß es dem Dichter keineswegs an einer glücklichen Anlage zu dieser scherzhaften Dichtungsart fehle[34] — für uns sind sie ein schönes, ächtes Denkmal seines Leipziger Aufenthalts. Die Zueignung, welche den Schluß derselben macht:

„Da sind sie nun! Da habt ihr sie!
Die Lieder ohne Kunst und Müh
Am Rand des Bachs entsprungen.
Verliebt und jung und voll Gefühl
Trieb ich der Jugend altes Spiel
Und hab sie so gesungen.
Sie singe, wer sie singen mag!
An einem hübschen Frühlingstag
Kann sie der Jüngling brauchen.
Der Dichter blinzt von Ferne zu,
Jetzt drückt ihm diätätsche Ruh
Den Daumen auf die Augen.
Halb scheel, halb weise sieht sein Blick,
Ein bißgen naß auf euer Glück
Und jammert in Sentenzen.
Hört seine letzten Lehren an,
Er hat's so gut wie ihr gethan
Und kennt des Glückes Gränzen.“

drückte seine Stimmung so wahr und tief, so einfach und schön aus, wie schon damals kaum ein anderer Dichter es vermochte.

So ging er von Leipzig am 28. August 1768 fort. Weder er selbst noch seine Freunde ahnten in ihm die künftige Größe, zu der wir jetzt bewundernd hinaufschauen. Leipzig hat Goethe nicht den Lorbeer ins Haar gewunden, aber noch hat der Blumenstrauß, den der Jüngling hier gepflückt, frischen, unvergänglich frischen Duft.

[1] Briefe an Zelter II: S. 306. (28. Aug. 1816.)

[2] Morgenblatt 1815 N. 69 (März).

[3] Bis in die neueste Zeit gehörten alle Mitglieder der Universität, Docenten wie Studenten, einer der vier bei der Stiftung bestimmten Nationen an, der meißnischen, sächsischen, bayrischen oder polnischen. Als Frankfurter wurde Goethe der bayrischen zugeschrieben.

[4] Schöll, Briefe und Aufsätze von Goethe S. 20 ff.

[5] Ich theile hier das durch Horn abgeänderte Gedicht mit, wie es Christ. Heinrich Schmid in der Vorrede zu J. C. Rosts vermischten Gedichten (1769) hat abdrucken lassen:

„O Händel! dessen Ruhm vom Süd zum Norden reicht,
Vernimm den Päan, der zu deinen Ohren steigt,
Du bäckst, was Gallier und Britten ämsig suchen,
Mit schöpfrischem Genie, originelle Kuchen.
Des Kaffees Ocean, der sich vor dir ergießt,
Ist süsser als der Saft, der von dem Hybla fließt.
Dich ehrt die Nation, abwechselnd sanft in Moden,
Ihr Tribunal verbannt hin zu den Antipoden,
In trauriges Exil, den Kopf leer von Verstand
Der kein Elysium in deinem Garten fand.
Dein Haus ist ein Trophä von Spoljen unsrer Beutel,
Strahlt gleich kein Diadem dir um den hohen Scheitel,
Erhebt zu deinem Ruhm sich gleich kein Monument:
Auch ohne Purpur ehrt dich dennoch der Student —
Glänzt deine Urn' dereinst in majestätschem Pompe,
Dann weint der Patriot an deiner Katakombe;
Wann dann ein Autor dich uns im Kothurne zeigt,
Und du Sentenzen sprichst, wird unser Herz erweicht.
Wär es dem Marmor gleich, so darfst du uns erscheinen,
Wie Medon uns erschien und Myriaden weinen.
Doch leb! Dein Torus sei von edler Brut ein Nest,
Steh hoch, wie der Olymp, wie der Hymettus fest;
Kein Phalanx Griechenlands, nicht Römische Balisten
Vermögen je dein Glück, o Händel, zu verwüsten!
Dein Wohl ist unser Wohl, dein Leiden unser Schmerz
Und Händels Tempel ist der Musensöhne Herz.“

[6] Eckermann Gespräche II. S. 328 vgl. I. S. 340. Riemer Mittheilungen II. S. 663 f.

[7] Riemer Mittheilungen II. S. 60. Er starb 1809 in Dessau, unverheirathet, sechzig Jahre alt.

[8] Eckermann Gespräche II. S. 175 ff.

[9] Blum, ein Bild aus den Ostseeprovinzen S. 29.

[10] Originalien 1832 Nr. 83 f.

[11] „Wir würden uns doch gewiß recht gut dargestellt haben, denn ich hätte mir ein Postamentgen machen lassen“ schreibt Horn an Käthchen Schönkopf, und ein anderes Mal: „Auf der Reise wäre ich bald unglücklich gewesen, denn meine krummen Beine, wie die Mamsell spricht, hatten sich so mit den Andräischen verwickelt, daß man sie um uns zu trennen beynahe hätte zerbrechen müssen.“

[12] Das Haus liegt im Brühl Nr. 79 neben dem goldenen Apfel und ist bis vor wenig Jahren im Besitz der Familie geblieben; seitdem es in andere Hände gekommen ist, ist es fast ganz umgebaut worden.

[13] „Ich wünschte, daß ich diesen Abend bei Ihnen Punsch trinken könnte“ schreibt Horn, und ein andermal: „Was wollte ich darum geben, wenn ich nur noch einmal mit Ihnen Punsch trinken könnte!“

[14] Frl. v. Göchhausen schreibt (Riemer Mitth. II. S. 85 f.): „Gestern (20. Mai 1779) hat uns der Herr Geh. Leg. Rath ein Schäferspiel, die Launen des Verliebten, hier (in Ettersburg) aufgeführt, das er sagt in seinem 18. Jahr gemacht zu haben, und nur wenig Veränderung dazu gethan. Es bestand nur aus vier Personen, welche der Doctor, Einsiedel, das Frl. v. Wöllwarth und Mlle. Schröder vorstellten. Es ist von einem Act mit einigen Arien, welche der Kammerherr v. Seckendorf componirt hat. Es wurde recht sehr gut gespielt, und wir waren den ganzen Tag fröhlich und guter Dinge.“

[15] Horn schreibt am 9. April: „Hr. Dr. Kanne wird noch bei Ihnen seyn. Geben Sie ihm diesen Brief zu lesen. Er wird es nicht übel nehmen, daß ich nicht besonders an Ihn geschrieben habe. Im Grunde glaube ich ist es auch einerley ob ich an Sie oder an Ihn schreibe, denn so lange wir noch in Ihrem Hause wohnten, machten wir doch immer ein Stück von der Familie aus und Er hat noch ein größeres Recht dazu als ich, denn er ist ..... älterer Student.“

[16] Briefe an Frau v. Stein I. S. 19 f. 21.

[17]Goethe accompagne le clavecin de Mme (Brentano) avec la basse.“ Merck Briefe III. S. 86. Vgl. Eckermann Gespräche I. S. 79: „Goethe antwortete: Aber Sie finden kein Wort über Musik (in den Reisenotizen), weil das nicht in meinem Kreise lag.“

[18] Goethes Werke XXXII. S. 335.

[19] Briefwechsel mit Zelter VI. S. 129.

[20] Briefe an Frau v. Stein I. S. 20 f.

[21] Werke XXVII. S. 467 ff.

[22] Briefe an Frau v. Stein II. S. 69.

[23] Schöll Briefe und Aufsätze von Goethe S. 7 ff.

[24] Goethe bot die in Frankfurt nachgefeilten Mitschuldigen dem dortigen Buchhändler Fleischer vergebens zum Verlag an, sie wurden erst 1787 gedruckt, vorher aber wurden sie wiederholt auf dem Weimarschen Liebhabertheater gespielt, wo Goethe den Alcest, Bertuch den Söller, Musäus den Wirth, Corona Schröter die Sophie gab. Riemer Mittheilungen II. S. 36. 54. Briefe an Frau v. Stein II. S. 13. Böttiger litter. Zustände I. S. 277. Peucer in Weimars Album S. 72. Als ein Curiosum mag bemerkt werden, daß die Mitschuldigen in Leipzig zuerst in einer prosaischen Bearbeitung von Albrecht aufgeführt worden sind, Blümner, Geschichte des Theaters zu Leipzig S. 302.

[25] Werke VI. S. 440 f.

[26] Die erste ist unten als Vignette mitgetheilt.

[27] Fragmente aus einer Goethe-Bibliothek S. 16 f.

[28] Vgl. Schöll Briefe und Aufsätze von Goethe S. 108.

[29] Riemer Mittheilungen II. S. 301: „Von meinem längeren Aufenthalt in Rom werde ich den Vortheil haben, daß ich auf das Ausüben der bildenden Kunst Verzicht thue.“ Eckermann Gespräche I. S. 132: „Was ich aber sagen wollte, ist dieses, daß ich in Italien in meinem vierzigsten Jahre klug genug war, um mich selber insoweit zu kennen, daß ich kein Talent zur bildenden Kunst habe, und daß diese meine Tendenz eine falsche sei.“ S. 139: „Ich sage dieses, indem ich bedenke, wie viele Jahre es gebrauchte, bis ich einsah, daß meine Tendenz zur bildenden Kunst eine falsche sei, und wie viele andere, nachdem ich es erkannt, mich davon loszumachen.“

[30] Briefe an Lavater S. 164 f.

[31] Schöll Briefe und Aufsätze von Goethe S. 107 f.: „Rede bei Eröffnung der Londoner Akademie von Reynolds. Enthält fürtreffliche Erinnerungen eines Künstlers über die Bildung junger Maler; er dringt besonders auf die Correktion und auf das Gefühl der Idealischen stillen Größe. Er hat recht. Genies werden dadurch unendlich erhaben und kleine Geister wenigstens etwas.“

[32] Briefe an Frau v. Stein II. S. 279.

[33] Werke XXIV. S. 210.

[34] Fragmente aus einer Goethe-Bibliothek S. 1 f.

Goethes Briefe
an
Joh. Jac. Riese.


I.[35]

Leipzig 20. Oktober 1765.

Morgends um 6.

Riese, guten Tag!

den 21. Abends um 5.

Riese, guten Abend!

Gestern hatte ich mich kaum hingesetzt um euch eine Stunde zu widmen, Als schnell ein Brief von Horn kam und mich von meinem angefangnen Blate hinweg riß. Heute werde ich auch nicht länger bey euch bleiben. Ich geh in die Commoedie. Wir haben sie recht schön hier. Aber dennoch! Ich binn unschlüßig! Soll ich bey euch bleiben? Soll ich in die Commödie gehn? — Ich weiß nicht! Geschwind! Ich will würfeln. Ja ich habe keine Würfel! — Ich gehe! Lebt wohl! —

Doch halte! nein! ich will da bleiben. Morgen kann ich wieder nicht da muß ich ins Colleg, und Besuchen und Abends zu Gaste. Da will ich also jetzt schreiben. Meldet mir was ihr für ein Leben lebt? Ob ihr manchmahl an mich denkt. Was ihr für Professor habt. & cetera und zwar ein langes & cetera. Ich lebe hier, wie — wie — ich weiß selbst nicht recht wie. Doch so ohngefähr

So wie ein Vogel, der auf einem Ast
Im schönsten Wald, sich, Freiheit athmend wiegt.
Der ungestört die sanfte Luft genießt.
Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum
von Bußch zu Bußch sich singend hinzuschwingen.

Genug stellt euch ein Vögelein, auf einem grünen Ästelein in allen seinen Freuden für, so leb ich. Heut hab ich angefangen Collegia zu hören.

Was für? — Ist es der Mühe wehrt zu fragen? Institutiones imperiales. Historiam iuris. Pandectas und ein privatissimum über die 7 ersten und 7 letzten Titel des Codicis. Denn mehr braucht man nicht, das übrige vergißt sich doch. Nein gehorsamer Diener! das ließen wir schön unterwege. — Im Ernste ich habe heute zwei Collegen gehört, die Staatengeschichte bey Professor Böhmer, und bei Ernesti über Cicerons Gespräche vom Redner. Nicht wahr das ging an. Die andre Woche geht Collegium philosophicum et mathematicum an. —

Gottscheden hab ich noch nicht gesehen. Er hat wieder geheurathet. Eine Jfr. Obristleutnantin. Ihr wißt es doch. Sie ist 19 und er 65 Jahr. Sie ist 4 Schue groß und er 7. Sie ist mager wie ein Häring und er dick wie ein Federsack. — Ich mache hier große Figur! — Aber noch zur Zeit bin ich kein Stutzer. Ich werd es auch nicht. — Ich brauche Kunst um fleißig zu sein. In Gesellschaften, Concert, Comoedie, bei Gastereyen, Abendessen, Spazierfahrten so viel es um diese Zeit angeht. Ha! das geht köstlich. Aber auch köstlich, kostspielig. Zum Henker das fühlt mein Beutel. Halt! rettet! haltet auf! Siehst du sie nicht mehr fliegen? Da marschierten 2 Louisdor. Helft! da ging eine. Himmel! schon wieder ein paar. Groschen die sind hier, wie Kreuzer bei euch draußen im Reiche. — Aber dennoch kann hier einer sehr wohlfeil leben. Die Messe ist herum. Und ich werde recht menageus leben. Da hoffe ich des Jahrs mit 300 Rthr. was sage ich mit 200 Rthr. auszukommen. NB. das nicht mitgerechnet, was schon zum Henker ist. Ich habe kostbaaren Tißch. Merkt einmahl unser Küchenzettel. Hüner, Gänße, Truthahnen, Endten, Rebhüner, Schnepfen, Feldhüner, Forellen, Haßen, Wildpret, Hechte, Fasanen, Austern u. s. w. Das erscheinet Taglich. Nichts von anderm groben Fleisch ut sunt Rind, Kälber, Hamel u. s. w. das weiß ich nicht mehr wie es schmeckt. Und die Herrlichkeiten nicht teuer, gar nicht teuer. — Ich sehe, daß mein Blat bald voll ist und es stehen noch keine Verse darauf, ich habe deren machen wollen. Auf ein andermahl. Sagt Kehren daß ich ihm schreiben werde. Ich höre von Horn, daß ihr euch ob absentiam puellarum forma elegantium beklagt. Laßt euch von ihm das Urteil sagen daß ich über euch fällete.

Goethe.

[35] Joh. Jac. Riese war ein Jugendfreund Goethes und studirte in Marburg, während Goethe in Leipzig war. Bei seinem späteren Aufenthalt in Frankfurt verkehrte er wiederum lebhaft mit Riese (Werke XXII. S. 68 f.). Ein Portrait desselben in Lebensgröße in schwarzer Kreide von Goethe ausgeführt befindet sich noch im Besitze seines Neffen, Herrn J. Riese in Frankfurt; die Goetheschen Briefe sind leider alle bis auf diese Studentenbriefe vernichtet, welche H. König in Lewalds Europa (1837, I. S. 145 ff.) in buchstabengetreuer Copie bekannt gemacht hat; danach sind sie hier wiederholt. Die Handschrift der ersten beiden Briefe ist stumpf und derb, ohne viel Unterscheidungszeichen, im dritten viel zierlicher, die Feder scheint frisch geschnitten.

II.

Leipzig, d. 30ten Octbr. 1765.

Lieber Riese.

Euer Brief vom 27ten, der mich äuserst vergnügt hat, ist mir eben zugestellet worden. Die Versicherung daß ihr mich liebt, und daß euch meine Entfernung leid ist, würde mir mehr Zufriedenheit erweckt haben; wenn sie nicht in einem so fremden Tone geschrieben wäre. Sie! Sie! das lautet meinen Ohren so unerträglich, zumahl von meinen liebsten Freunden, daß ich es nicht sagen kann. Horn hat es auch so gemacht, ich habe mit ihm gekeift. Fast hatte ich Lust, mit euch auch zu keifen. Doch! Transeat! Wenn ihr es nur nicht wieder tuht. —

Ich lebe hier recht zufrieden. Ihr könnt es aus beiliegendem Briefe sehen, der schon lange geschrieben ist; ihr würdet ihn schon längst haben; wenn Horn nicht vergessen hätte mir eure Addresse zu senden. Die Beschreibung von Marpurg ist recht komisch.

Das beste Trauerspiel Mädgen sah ich nicht mehr. Wenn ihr nicht noch vor eurer Abreise erfahret, was sie von Belsazar denkt; so bleibt mein Schicksal unentschieden. Es fehlt sehr wenig; so ist der Fünfte Aufzug fertig. In 5füßigen Jamben.

Die Versart, die dem Mädgen wohl gefiel
der ich allein, Freund, zu gefallen wünschte.
Die Versart, die der große Schlegel selbst
und meist die Kritiker für's Trauerspiel
die schicklichsten und die bequemsten halten.
Die Versart, die den meisten nicht gefällt,
Den Meisten deren Ohr sechsfüßige
Alexandriner noch gewohnt. Freund, die,
die ist's die ich erwählt mein Trauerspiel
zu enden. Doch was schreib ich viel davon.
Die Ohren gällten dir gar manchesmahl,
von meinen Versen wieder drum mein Freund,
Erzähl ich dir was angenehmeres.
Ich schaute Gellerten, Gottscheden auch
und eile jetzt sie treu dir zu beschreiben.
Gottsched ein Mann so groß alß wär er vom alten Geschlechte
Jenes der zu Gath im Land der Philister gebohren,
Zu der Kinder Israels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.
Ja so sieht er aus und seines Cörperbaus Größe
Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schue.
Wollt ich recht ihn beschreiben; so müßt ich mit einem Exempel
Seine Gestalt dir vergleichen, doch dieses wäre vergebens.
Wandeltest du geliebter auch gleich durch Länder und Länder
Von dem Aufgang herauf biß zu dem Untergang nieder,
Würdest du dennoch nicht einen der Gottscheden ähnlichte finden.
Lange hab ich gedacht und endl. Mittel gefunden
Dir ihn zu beschreiben doch lache nicht meiner, Geliebter.
Humano capiti, cervicem jungens equinam
Derisus a Flacco non sine jure fuit.
Hinc ego Kölbeliis imponens pedibus magnis,
Immane corpus crassasque Scalpulas Augusti,[36]
Et magna, magni, brachiaque manusque Rolandi,
Addensque tumidum morosi Rostii[37] caput.
Ridebor forsan? Ne rideatis amici.
Dieß ist das wahre Bild von diesem großen Mann,
So gut als ich es nur durchs Beyspiel geben kann.
Nun nimm geliebter Freund die jetzt beschriebnen Stücke
So zeiget glaub es mir sich Gottsched deinem Blicke.
Ich sah den großen Mann auf dem Catehder stehn,
Ich hörte was er sprach und muß es dir gestehn.
Es ist sein Fürtrag gut, und seine Reden fließen
So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich den Riesen,
Auf dem erhabnen Stuhl. Und kennte man ihn nicht
So wüßte man es gleich weil er steets prahlend spricht.
Genug er sagte viel von seinem Kabinette
Wie vieles Geld ihn das und jen's gekostet hätte.

Und andre Dinge mehr, genug mein Freund Ich muß schließen. Du weißt doch er hat eine Frau. Er hat wieder geheurahtet, der alte Bock! Ganz Leipzig verachtet ihn. Niemand geht mit ihm um.

Apropos. Hast du nicht gehört? Der Hofraht beklagt sich über den Mangel der Mädgen zu Göttingen.

Zu was will er ein Mädchen?
Um die retohrischen Figuren auszuüben
Und nach der neuesten Art recht hübnerisch[38] zu lieben
Zu sehn ob die Protase ein hartes Herz erweicht.
Zu sehn ob man durch Reglen der Liebe Zweck erreicht
Zu sehn ob Mimesis, die Ploce, die Sarkasmen
So voller Reitzung sind wie Neukirchs[39] Pleonasmen
Und ob er in dem Tohne, wie er den Ulfo singt,
Mit des Corvinus[40] Versen, das Herz der Schönen zwingt.
Und ob — Mein Blat ist voll ich werde schließen müssen.
Die Mädgen meiner Stadt und Kehren sollt ihr grüßen.

d. 6. Nov. 1765.

Goethe.

[36] Du kennst ihn doch? den dicken Schornsteinfeger.

[37] Du wirst dich noch des Fuchsens Vaters erinnern.

[38] Joh. Hübner, der bekannte Geograph und Historiker, hatte auch „Fragen aus der Oratorie“ (Leipzig 1726-30. 5 Bde.) geschrieben.

[39] Benjamin Neukirch, Schlesischer Dichter, st. 1729.

[40] Corvinus, Advokat und Poet in Leipzig, st. 1746.

III.

Lieber Riese.

Ich habe euch lange nicht geschrieben. Verzeiht es mir. Fragt nicht nach der Ursache! Die Geschäfte waren es wenigstens nicht. Ihr lebt vergnügt in M. ich lebe hier eben so. Einsam, Einsam, ganz einsam. Bester Riese diese Einsamkeit hat so eine gewisse Traurigkeit in meine Seele gepräget.

Es ist mein einziges Vergnügen,
Wenn ich entfernt von jedermann,
Am Bache, bey den Büschen liegen,
An meine Lieben denken kann.

So vergnügt ich aber auch da bin, so fühle ich dennoch allen Mangel des gesellschaftlichen Lebens. Ich seufze nach meinen Freunden und meinen Mädgen, und wenn ich fühle daß ich vergebens seufze

Da wird mein Herz von Jammer voll,
Mein Aug wird trüber,
Der Bach rauscht jetzt im Sturm vorüber,
Der mir vorher so sanft erscholl.
Kein Vogel singt in den Gebüschen,
Der grüne Baum verdorrt
Der Zephir der mich zu erfrischen
Sonst wehte, stürmt und wird zum Nord,
Und trägt entrissne Blüten fort.
Voll zittern flieh ich dann den Ort,
Ich flieh und such in öden Mauern
Einsames Trauern.

Aber wie froh bin ich, ganz froh. Horn hat mich durch seine Ankunft einem Teil meiner Schwermuht entrissen. Er wundert sich daß ich so verändert bin.

Er sucht die Ursach zu ergründen,
Denkt lächlend nach, und sieht mir ins Gesicht.
Doch wie kann er die Ursach finden,
Ich weiß sie selbsten nicht.

Euer Brief redet von Geyern. Glaubt denn der ehrliche Mann, daß hier die Auditores hundert weise säßen. Er war ja ehemals in Leipzig. Aber, nicht wahr, wie leer waren seine Hörsäle.

Ich muß doch ein wenig von mir selbst reden.

Ganz andre Wünsche steigen jetzt als sonst
Geliebter Freund in meiner Brust herauf.
Du weißt, wie sehr ich mich zur Dichtkunst neigte,
Wie großer Haß in meinem Bußen schlug,
Mit dem ich die verfolgte, die sich nur
Dem Recht und seinem Heiligthume weihten
Und nicht der Mußen sanften Lockungen
Ein offnes Ohr und ausgestreckte Hände
Voll Sehnsucht reichten. Ach du weißt mein Freund,
Wie sehr ich (und gewiß mit Unrecht) glaubte,
Die Muße liebte mich und gäb mir oft
Ein Lied. Es klang von meiner Leyer zwar
Manch stolzes Lied, das aber nicht die Musen,
Und nicht Apollo reichten. Zwar mein Stolz
Der glaubt es, daß so tief zu mir herab
Sich Götter niederließen, glaubte, daß
Aus Meisterhänden nichts Vollkommners käme,
Als es aus meiner Hand gekommen war.
Ich fühlte nicht, daß keine Schwingen mir
Gegeben waren, um empor zu rudern.
Und auch vielleicht, mir von der Götter Hand,
Niemals gegeben werden würden. Doch
Glaubt ich, ich hab sie schon und könnte fliegen.
Allein kaum kam ich her, als schnell der Nebel
Von meinen Augen sank, als ich den Ruhm
Der großen Männer sah, und erst vernahm,
Wie viel dazu gehörte, Ruhm verdienen.
Da sah ich erst, daß mein erhabner Flug,
Wie er mir schien, nichts war als das Bemühn
Des Wurms im Staube, der den Adler sieht
Zur Sonn sich schwingen, und wie der hinauf
Sich sehnt. Er sträubt empor, und windet sich,
Und ängstlich spannt er alle Nerven an
Und bleibt am Staub. Doch schnell entsteht ein Wind,
Der hebt den Staub in Wirbeln auf. Den Wurm
Erhebt er in den Wirbeln auf. Der glaubt
Sich groß, dem Adler gleich, und jauchzet schon
Im Taumel. Doch auf einmahl zieht der Wind
Den Odem ein. Es sinkt der Staub hinab,
Mit ihm der Wurm. Jetzt kriecht er wie zuvor.

Werdet nicht über meinen Galimathias böse. Lebt wohl. Horn will meinen Brief einschließen. Grüßt den Kehr. Schreibt. Habt mehr Collegia in Zukunft. Horn soll 5 nehmen. Ich 6. Lebt wohl. Gewöhnt euch keine academistische Sitten an. Liebt mich. Lebt wohl. Lebt wohl.

Leipzig d. 28 Ap. 1766.

Goethe.

Goethes Briefe
an
Chr. G. Schönkopf und seine Tochter Käthchen.


I.[41]

d 1. Octb. 1768.

Ihr Diener Hr. Schönkopf, wie befinden Sie sich Madame, Guten Abend Mamsell, Petergen guten Abend.

NB. Sie müssen sich vorstellen dass ich zur kleinen Stubentühre hineinkomme. Sie Hr. Schönkopf sitzen auf dem Canapee am warmen Ofen, Madame in Ihrem Eckgen hinterm Schreibetisch, Peter liegt unterm Ofen, und wenn Käthgen auf meinem Platze am Fenster sitzt; so mag sie nur aufstehen, und dem Fremden Platz machen. Nun fange ich an zu discouriren.

Ich binn lange Aussengeblieben, nicht wahr? fünf ganze Wochen, und drüber dass ich Sie nicht gesehen, dass ich Sie nicht gesprochen habe, ein Fall der in drittehalbjahren nicht ein einzigmal passirt ist, und hinführo leider oft passiren wird. Wie ich gelebt habe, das mögten Sie gerne wissen. Eh das kann ich Ihnen wohl erzälen, mittelmäsig sehr mittelmäsig.

Apropos, daß ich nicht Abschied genommen habe werden Sie mir doch vergeben haben. In der Nachbarschafft war ich, ich war schon unten an der Türe, ich sah die Laterne brennen, und ging biß an die Treppe, aber ich hatte das Herz nicht hinaufzusteigen. Zum letztenmal, wie wäre ich wieder herunter gekommen.

Ich tuhe also jetzt was ich damals hätte tuhn sollen, ich danke Ihnen für alle Liebe und Freundschafft, die Sie mir so beständig erwiesen haben, und die ich nie vergessen werde. Ich brauche Sie nicht zu bitten Sich meiner zu erinnern, tausend Gelegenheiten werden kommen, bei denen Sie an einen Menschen gedencken müssen, der drittehalb Jahre ein Stück Ihrer Famielie ausmachte, der Ihnen wohl oft Gelegenheit zum Unwillen gab, aber doch immer ein guter Junge war, und den Sie hoffentlich manchmal vermissen werden. Wenigstens ich vermisse Sie offt — Darüber will ich weggehen, denn das ist immer für mich ein trauriges Capitel. Meine Reise ging glücklich, und mittelmäsig, alles habe ich hier gesund angetroffen außer meinen Großvater, der zwar wieder an der, durch den Schlag gelähmten Seite ziemlich hergestellt ist, aber doch mit der Sprache noch nicht fortkann. Ich befinde mich so gut als ein Mensch der in Zweifel steht ob er die Lungensucht hat oder nicht, sich befinden kann; doch geht es etwas besser, ich nehme an Backen wieder zu, und da ich hier weder Mädgen noch Nahrungssorgen habe die mich plagen könnten, so hoffe ich von Tag zu Tage weiter zu kommen.

Hören Sie Mamsell hat Ihnen mein Verwalter neulich die geringen Kleinigkeiten zugestellt die ich Ihnen auf Abschlag schickte, und wie haben Sie sie aufgenommen,[42] die übrigen Commissionen sind alle nicht vergessen, wenn sie gleich nicht alle ausgerichtet sind. Das Halstuch ist mit dem größten Gusto fertig, und wird mit ehster Gelegenheit folgen, Verlangen sie eines von inliegender Farbe, so dürfen Sie nur befehlen, und auch was für eine Farbe sie drauf haben wollen. Der Fächer ist in der Arbeit, er wird fleischfarb der Grund, mit lebendigen Blumen. Halten die Schue noch? Machen Sie mit Ihrem Schuster aus ob er sie, wenn sie recht fest gemahlt sind, so in acht nehmen will dass er sie nicht verdirbt, wenn er sie macht, und dann schicken Sie mir Ihr Schuemuster und da will ich Ihnen mahlen so viel sie wollen, und von was Farben Sie wollen, denn es geht geschwind. Was andere Dinge mehr sind wird die Zeit fügen. Schreiben Sie mir wann Sie wollen nur noch Vorm ersten November, denn da schreibe ich wieder an Sie und mehr, ich weiß doch Lieber Hr. Schönkopf dass sie nicht selbst schreiben, aber treiben Sie Käthgen ein Bißgen, dass ich bald Nachricht von euch kriege. Nicht wahr Madame das wäre unbillig wenn ich nicht wenigstens alle Monate einen Brief aus dem Hause bekäme, wo ich bißher alle Tage drinne war. Und schreibt ihr mir nicht; so tuhts nichts den ersten November schreib ich wieder.

Empfelungen, an Mad. Oberm. Hr. Obermann Madslle Obermann ganz besonders, Hr. Reich, Hr. Junius, ferner Madslle Weidemann die Sie um Vergebung bitten müssen dass ich nicht Abschied genommen habe. Adieu alle zusammen. Käthgen wenn Sie mir nicht schreiben so sollen Sie sehen.

fortgeschickt d 3ten Octbr.

[41] Diese Briefe sind im Besitz der Frau Präsidentin Sickel geb. Kanne in Leipzig, der Enkelin Schönkopfs und Tochter Käthchens, welche mir gestattet hat, dieselben bekannt zu machen. Auch hat sie mir eine Anzahl von Briefen Horns an die Schönkopfsche Familie anvertraut, aus welchen ich manche erläuternde Notizen ausgezogen habe. Derselben verehrten Frau verdanke ich die Mittheilung interessanter Erinnerungen an die Jugendzeit ihrer Mutter, welche ich dankbar benutzt habe.

[42] Goethe hatte ihr den scherzhaften Brief (Ia) zugeschickt.

Ia.

Mademoiselle,

Hr. Goethe dem bekanndt ist, daß Scheere, Messer, und Pantoffeln, diejenigen Mobielien sind die am meisten bey Ihnen auszustehen haben, schicket Ihnen hiermit, eine mittelmäsige Scheere, ein gutes Messer, und Leder zu zwey Paar Pantoffeln. Sie sind alle von gutem Stoffe, dauerhafft, und mein Herr hat ihnen noch überdieß die möglichste Geduld anbefohlen, doch aber glaubt ich nicht daß Klingen und Leder so lange bey Ihnen aushalten werden als Er. Nehmen Sie mir's nicht übel, ich sage wie ich's denke, drittehalbjahre das können Sie weder von einem Pantoffel noch von einem Messer, noch von — das lass ich dahingestellt seyn — Verlangen, denn grausam gehen Sie mit allem um was sich unter Ihre Herrschafft begiebt oder begeben muß. Zerreisen und zerbrechen sie alles, biß Ostern, da steht Ihnen neue Waare zu Diensten, und erinnern Sie Sich manchmal bey diesen Kleinigkeiten, daß mein Herr noch beständig wie sonst Ihnen ergeben ist. Selbst hat er nicht an Sie schreiben wollen, um sein Gelübte, nie vor dem ersten eines Monats Ihnen einen Brief zu schicken, nicht zu brechen. Mittlerweile, das ist, zwischen heut und dem ersten October, empfielt er sich durch mich ganz ergebenst, und ich nehme diese Gelegenheit, mich Ihnen Gleichfalls zu empfelen.

Michel, sonst Herzog genannt, nach Verlust seines Herzogtums aber, wohlbestellter Pachter auf des gnädigen Herren hochadelichen Rittergütern.[43]

[43] Mit Beziehung auf die S. 32 erwähnte Aufführung des Lustspiels von Krüger, in welchem ein Knecht Michel, der eine Nachtigall gefangen und von dem hohen Preise derselben gehört hat, mit dem Ertrage immer mehr zu gewinnen und zuletzt ein Herzogthum zu kaufen sich träumt, und schon als eingebildeter Herzog gegen seinen Herrn und dessen Tochter Hannchen sich beträgt. Da läßt er, wie er seine Pläne dem staunenden Mädchen ausmalt, seine Nachtigall fliegen, wird wieder vernünftig und tröstet sich mit ihrer Liebe.

II.

Franckfurt am 1. Nov. 68.

Meine geliebteste Freundin,

Noch immer so munter, noch immer so boshafft. So geschickt das gute von einer falschen Seite zu zeigen, so unbarmherzig einen Leidenden auszulachen, einen Klagenden zu verspotten, alle diese liebenswürdige Grausamkeiten, enthält Ihr Brief; und konnte die Landsmännin der Minna anders schreiben.

Ich danke Ihnen für eine so unerwartet schnelle Antwort, und bitte Sie auch inskünftige, in angenehmen muntern Stunden an mich zu dencken, und wenn es seyn kann an mich zu schreiben; Ihre Lebhafftigkeit, Ihre Munterkeit, Ihren Witz zu sehen, ist mir eine der grössten Freuden, er mag so leichtfertig, so bitter seyn als er will.

Was ich für eine Figur gespielt habe, das weiss ich am besten, und was meine Briefe für eine spielen, das kann ich mir vorstellen. Wenn man sich erinnert, wie's andern gegangen ist, so kann man ohne Wahrsager Geist rahten, wie's Einem gehen wird; Ich binn's zufrieden, es ist das gewöhnliche Schicksaal der Verstorbenen, dass Überbliebene und Nachkommende auf ihrem Grabe tanzen.

Was macht denn unser Principal, unser Direckteur, unser Hofmeister, unser Freund Schoenkopf?

Gedenckt er noch manchmal an seinen ersten Ackteur, der doch diese Zeit her, in allen Lust- und Trauerspielen, die schweren und beschwerlichen Rollen, eines Verliebten und Betrübten, so gut, und so natürlich als möglich, vorgestellt hat. Hat sich noch niemand gefunden, der meine Stelle wieder begleiten mögte, ganz mögte sie wohl nicht wieder besetzt werden; zum Herzog Michel finden Sie eher zehn Ackteurs, als zum Don Sassafras[44] einen einzigen. Verstehen Sie mich?

Unsre gute Mama hat mich an Starckens Handbuch[45] erinnern lassen, ich werde es nicht vergessen. Sie haben mich an Gleimen erinnern lassen; ich werde nichts vergessen. Ich dencke in Abwesenheit so gut als gegenwärtig, dem Verlangen derer die ich liebe gnüge zu tuhn. Ihre Bibliothek fällt mir sehr offt ein, ehstens soll sie vermehrt werden, verlassen Sie Sich drauf. Halte ich gleich nicht immer was ich versprochen, so tue ich doch offt mehr als ich verspreche.

Sie haben Recht, meine Freundinn, dass ich jetzt für das gestraft werde, was ich gegen Leipzig gesündigt habe, mein hiesiger Aufenthalt, ist so unangenehm, als mein Leipziger angenehm hätte seyn können, wenn gewissen Leuten gelegen gewesen wäre, mir ihn angenehm zu machen. Wenn Sie mich schelten wollen, so müssen Sie billig seyn, Sie wissen was mich unzufrieden, launisch, und verdrüsslich machte, das Dach war gut, aber die Betten hätten besser seyn können, sagt Franziska.

Apropos was macht unsre Franziska, verträgt sie sich bald mit Justen? Ich dencke's. So lang der Wachtmeister noch da war, nun da dachte sie an ihr Versprechen, jetzt da er nach Persien ist, eh nun, aus den Augen aus dem Sinn, da nimmt sie lieber einen Diener, den sie sonst nicht mochte, als gar keinen. Grüßen Sie mir das gute Mädgen. Sie formalisiren Sich über das ganz besondere Compliment an Ihre Nachbarinn.[46] Was für Sie übrig bleibt? Was das für eine Frage ist. Sie haben meine ganze Liebe, meine ganze Freundschafft, und das allerbesonderste Compliment, ist doch noch lange nicht der tausendste Teil davon, das wissen Sie auch, ob Sie gleich zur Plage, oder Unterhaltung, Ihres Freundes (denn beydes heisst bei Ihnen einerley) tuhn als ob Sie es nicht wüssten, wie Sie es in mehr Stellen Ihres Briefes getahn haben, Z. E. in der Stelle vom Abschied pp. das ich übergehe.

Zeigen Sie diesen Brief, und wenn ich bitten darf alle meine Briefe, Ihren Eltern, und wenn Sie wollen, Ihren besten Freunden, aber niemand weiter; Ich schreibe, wie ich geredet habe, aufrichtig, und dabey wünsche ich, dass es niemand, wer es falsch auslegen könnte zu sehen kriegte. Ich binn wie immer, unaufhörlich

ganz der Ihrige
J. W. Goethe.

[44] S. S. 82. Dieser Theaterheld ist nicht ausfindig gemacht.

[45] Wahrscheinlich H. Fr. Stark, tägliches Handbuch in guten und bösen Tagen. Frkf. a. M. 1739.

[46] Mlle. Obermann (s. S. 70), deren Eltern Schönkopfs gegenüber wohnten. Auch Horn läßt bald „die beiden guten Mädchen in Ihrer Nachbarschaft“ grüßen, bald „die hübsche Jungfer Nachbarin“, auch seine Jungfer Gevatterin; doch nennt er auch eine gewisse Mamsell Lauer. Man merkt an dem Ton, daß es dabei auf eine Neckerei abgesehen war.

III.

Franckf. am 30. Dec. 68.

Meine beste, ängstliche
Freundinn

Sie werden ohne Zweifel zum neuen Jahre, durch Hornen die Nachricht von meiner Genesung erhalten haben; und ich eile es zu bestättigen. Ja meine Liebe, es ist wieder vorbey, und inskünftige müssen Sie Sich beruhigen wenn es ja heissen sollte: Er liegt wieder! Sie wissen meine Constitution macht manchmal einen Fehltritt, und in acht Tagen hat sie sich wieder zurechte geholfen; diesmal war's arg, und sah noch ärger aus als es war, und war mit schröcklichen Schmerzen verbunden. Unglück ist auch gut. Ich habe viel in der Kranckheit gelernt, das ich nirgends in meinem Leben hätte lernen können. Es ist vorbey und ich binn wieder ganz munter, ob ich gleich drey volle Wochen nicht aus der Stube gekommen binn, und mich fast niemand besucht, als mein Docktor, der Gott sey Danck ein liebenswürdiger Mann ist. Ein närrisch Ding um uns Menschen, wie ich in munterer Gesellschafft war, war ich verdrüsslich, jetzt binn ich von aller Welt verlassen, und binn lustig; denn selbst meine Kranckheit über, hat meine Munterkeit meine Famielie getröstet, die gar nicht in einem Zustande war, sich, geschweige mich zu trösten. Das Neujahrslied, das sie auch werden empfangen haben, habe ich in einem Anfall von groser Narrheit gemacht, und zum Zeitvertreibe drucken lassen.[47] Übrigens zeichne ich sehr viel, schreibe Mährgen, und binn mit mir selbst zufrieden. Gott gebe mir das neue Jahr was mir gut ist, das geb er uns allen, und wenn wir nichts mehr bitten als das; so können wir gewiß hoffen dass er's uns giebt. Wenn ich nur biss in Aprill komme, ich will mich gern hinein schicken lassen. Da wird's besser werden hoffe ich, besonders kann meine Gesundheit täglich zunehmen, weil man nun eigentlich weiss was mir fehlt. Meine Lunge ist so gesund als möglich, aber am Magen sitzt was. Und im Vertrauen man hat mir zu einer angenehmen vergnüglichen Lebensart Hoffnung gemacht, so dass meine Seele sehr munter und ruhig ist. Sobald ich wieder besser binn, werde ich ausgehen in fremde Lande, und es soll nur auf Sie und noch jemand ankommen, wie bald ich Leipzig wiedersehen soll; Inzwischen dencke ich nach Franckreich zu gehen, und zu sehen wie sich das französche Leben lebt, und um französch zu lernen. Da können Sie Sich vorstellen was ich ein artiger Mensch seyn werde, wenn ich wieder zu Ihnen komme. Manchmal fällt mir's ein, dass es doch ein närrscher Streich wäre, wenn ich trutz meiner schönen Projeckten vor Ostern stürbe. Da verordnete ich mir einen Grabstein, auf dem Leipziger Kirchhof, dass ihr doch wenigstens alle Jahr am Johannes, als meinem Nahmens Tag, das Johannismännchen, und mein Denkmal besuchen möget.[48] Wie meynen Sie?

Empfelen Sie mich Ihren Eltern zu beständiger Freundschafft, Küssen Sie Ihre liebe Freundinn, und dancken Sie ihr für den Anteil den Sie an mir nimmt; ich werde bald an sie schreiben.

Ihre Nachbarinn bedaur' ich; sollte das nicht den grösten Strich in die Rechnung des verliebten Paars machen? Die armen Leute! Sie sind in grosser Noth, und unser Herr Gott mag ihnen helfen oder nicht, so werden sie's ihm nicht dancken, das werden Sie erleben, und darnach sagen Sie: hat's Goethe nicht gesagt. Es ist gar zu ein gros Ding um den Ehstand heut zu Tage, und kein's von beyden, wenigstens gewiß, eins von beyden, hat nicht für einen Sechser Überlegung. Heiliger Andreas, komm, und tuh ein Wunder, oder es giebt eine Sau. NB. dass niemand den Artickel sieht als wem er nütz ist. Leben Sie wohl meine Liebe, ich binn, kranck wie Gesund

ganz der Ihrige
Goethe

[47] Dieser Druck findet sich in dem „Catalog einer Goethe-Bibliothek“ nicht verzeichnet und scheint sich der Aufmerksamkeit auch der sorgsamsten Sammler bis jetzt entzogen zu haben.

[48] Es ist noch Sitte in Leipzig am Johannistag den Kirchhof zu besuchen und die Gräber mit Blumen zu schmücken; auch wird dann die in Holz geschnitzte Figur des Johannismännchen auf dem Brunnen aufgestellt und bekränzt.

IV.

Franckfurt am 31 Jan.

1769

Heute oder Morgen, es ist einerley wann ich schreibe, wenn Sie nur erfahren wie's mit mir ist. Es muss besser in Leipzig seyn als hier. Es schreibt weder Horn noch Sie, noch ein anderer; vielleicht habt ihr Bälle und Fastnachts Schmäusse, zu der Zeit da ich im Elend sitze. Traurig Carnaval. Seit vierzehn Tagen, sitz ich wieder fest. Im Anfange dieses Jahrs, war ich auf Parole losgelassen, das bissgen Freyheit ist auch wieder aus, und ich werde wohl noch ein Stückgen Februar im Käfigt zubringen. Denn Gott weis wenn's alle wird, ich binn aber ganz ruhig darüber, und ich hoffe, Sie werden es auch seyn. Den dritten März binn ich schon ein Halbjahr hier, und auch schon ein Halbjahr kranck, ich habe an dem Halbenjahr viel gelernt. Ich dencke Horn soll die Zeit über auch mehr gelernt haben, wir werden einander nicht mehr kennen, wenn wir einander wiedersehen. Gewiß Horn hat nicht halb so viel Lust mich zu sehn als ich ihn. Der gute Mensch soll aus Leipzig, und hat kein Blut gespien. Das mag schwer seyn. Sie sind so lustig, sagte ein sächsischer Officier zu mir, mit dem ich den 28 Aug. in Naumburg zu Nacht ass, so lustig und haben heute Leipzig verlassen. Ich sagte ihm, unser Herz wisse offt nichts von der Munterkeit unsers Bluts. Sie scheinen unpässlich, fing er nach einer Weile an. Ich binns würklich, versetzt ich ihm, und sehr, ich habe Blut gespien. Blut gespien, rief er, ja, da ist mir alles deutlich, da haben sie schon einen grosen Schritt aus der Welt getahn, und Leipzig musste ihnen gleichgültig werden, weil sie es nicht mehr geniessen konnten. Getroffen, sagt ich, die Furcht vor dem Verlust des Lebens, hat allen andern Schmerz erstickt. Ganz natürlich, fiel er mir ein, denn das Leben bleibt immer das erste, ohne Leben ist kein genuss. Aber fuhr er fort, hat man ihnen nicht auch den Ausgang leicht gemacht. Gemacht? fragt' ich, wie so. Das ist ja deutlich, sagte er, von Seiten der Frauenzimmer; Sie haben die Mine, nicht unbekanndt unter dem schönen Geschlecht zu seyn. — Ich bückte mich für's Compliment. — Ich rede wie ich's meyne, fuhr er fort, sie scheinen mir ein Mann von Verdiensten, aber sie sind kranck, und da wette ich zehen gegen nichts, kein Mädgen hat sie beym Ermel gehalten. Ich schwieg, und er lachte. Nun sagte er und reichte mir die Hand übern Tisch, ich habe zehen Thaler an sie verlohren, wenn sie auf ihr Gewissen sagen: Es hat mich eine gehalten. Top sagt ich Hr. Captain und schlug ihm in die Hand, Sie behalten ihre Zehen Tahler. Sie sind ein Kenner, und werfen ihr Geld nicht weg. Bravo, sagt er, dann seh ich dass sie auch Kenner sind. Gott bewahre sie darinn, und wenn sie wieder gesund werden, so werden sie Nutzen von dieser Erfahrung haben. Ich — und nun ging die Erzählung, seiner Geschichte los die ich verschweige, ich sass und hörte mit Betrübniss zu, und sagte am Ende, ich sey confundirt, und meine Geschichte und die Geschichte meines Freunds Don Sassafras, hat mich immer mehr von der Philosophie des Hauptmanns überzeugt.

Unglücklicher Horn! Er hat sich immer so viel auf seine Waden eingebildet, jetzt werden sie ihm zum Unglück gereichen. Lasst ihn nur lebendig weg.[49] Satt sehen könnt ihr euch noch an ihm, denn er ist der letzte Franckfurter in Leipzig, der gerechnet wird, und wenn der fort, da könnt ihr warten biss ihr wieder einen zu sehen kriegt. Doch tröstet euch, ich komme bald wieder.

Du lieber Gott, jetzt binn ich wieder lustig, mitten in den Schmerzen. Wenn ich auch nicht so munter wäre wie wollt ich's aushalten? Fast zwey Monat, an einem fort ganz eingesperrt.

Leben Sie wohl beste Freundinn, grüssen Sie Ihre Eltern, und ihre Freundinn, und wenn Sie einmal schreiben, so berichten Sie mir wie die Glieder der ehemahligen Sonntägigen Gesellschafft jetzt unter einander stehen. Lieben Sie mich

kranck oder gesund
biss an den Todt
Ihr Freund Goethe

[49] Horn kam Anfangs April wieder nach Frankfurt. In seinem ersten Briefe heißt es: „Goethe läßt Sie grüßen, Mamsel! Er sieht immer noch ungesund aus und ist sehr stipide geworden. Die Reichslufft hat ihn schon recht angesteckt. Ich muß machen, daß ich wieder wegkomme, sonst geht es mir ebenso und ich bin doch noch zu jung um stipide zu werden. Die Zeit wird mir aber entsetzlich lange, ob ich gleich selten allein bin. Goethe spricht, ich sollte mich hängen, aber hier mag ich nicht; wenn ich klug gewesen wäre, so hätte ich mich in Leipzig hängen sollen.“

V.

Franckf. am 1sten Juni 1769.

Meine Freundinn.

Aus Ihrem Brief an Hornen[50] habe ich Ihr Glück, und Ihre Freude gesehen, was ich dabey fühle, was ich für eine Freude darüber habe, das können Sie Sich vorstellen, wenn Sie Sich noch vorstellen können, wie sehr ich Sie liebe. Grüssen Sie Ihren lieben Docktor, und empfelen Sie mich Seiner Freundschafft. Warum ich so lange nicht geschrieben habe, das könnte wohl strafbar seyn wenn Sie meine Briefe mit Ungedult erwartet hätten; das wusste ich aber, und drum schrieb ich nicht, es war bissher eine Zeit für Sie, da ein Brief von mir so wenig Ihrer Aufmercksamkeit werth war als die Erlanger Zeitung und alles zusammengenommen, so binn ich doch nur ein abgestandener Fisch, und ich wollte schwören — Doch ich will nicht schwören, Sie möchten glauben es wäre mein Ernst nicht. Horn fängt an sich zu erholen, wie er ankam, war gar nichts mit ihm zu thun. Er ist so zärtlich, so empfindsam für seine abwesende Ariane dass es komisch wird. Er glaubt im Ernste was Ihr Brief ihm versichert dass Constantie[51] bleich für Kummer geworden wäre. Wenns auf's bleich werden ankommt, so sollte man dencken er liebte nicht starck denn er hat röthere Backen als jemals.[52] Wenn ich ihm versichere Fiekgen würde sich an ihrer Freundinn Exempel spiegeln, und nach und nach einsehen lernen pp, so flucht er mir den Hals voll, und schickt mich mit meinen Exemplen zum Teufel, er schwört dass die Buchstaben der Zärtlichkeit die seine mächtige Liebe in ihr Herz geschrieben unauslöschlich seyn. Der gute Mensch bedenckt nicht dass Mädgen Herzen nicht Marmor seyn dürffen. Das liebenswürdigste Herz ist das welches am leichtsten liebt, aber das am leichtesten liebt vergisst auch am leichtsten. Doch er denckt daran nicht, und hat recht, es ist eine grässliche Empfindung seine Liebe sterben zu sehen. Ein unerhörter Liebhaber ist lange nicht so unglücklich als ein verlassener, der erste hat noch Hoffnung, und fürchtet wenigstens keinen Hass, der andre, ja der andre — wer einmal gefühlt hat was das ist aus einem Herzen verstossen zu werden das sein war, der mag nicht gerne daran dencken geschweige davon reden.

Constantie ist ein gutes Mädgen, ich wünsch ihr einen Tröster; keinen von den leidigen, die sagen: Ja, es ist nun einmal so, man muss sich zufrieden geben; sondern so einen Tröster, der einem durch die Sache tröstet, indem er einem alles wieder ersetzt was man verlohren hat.[53] O sie wird nicht lange eines mangeln. Geben Sie drauf acht liebe Freundinn, wenn Sie jemand sehen der sie so führt, und mit ihr spazieren geht, und — nun das wissen Sie ja was alles dazugehört, woran man merckt, dass es nicht just ist; so schreiben Sie mir's, Sie können Sich leicht vorstellen, warum es mich freuen wird.

Meine Lieder sind immer noch nicht gedruckt, ich wollte Ihnen gerne wenn sie fertig wären, ein Exemplar davon schicken; aber ich habe nur niemanden in Leipzig dem ich es auftragen könnte. Wenden Sie die Paar Groschen die sie kosten werden an mich, und lassen Sie manchmal Petern eins spielen, wenn Sie an mich dencken wollen. Wie ich die Lieder machte, da war ich ein andrer Kerl als ich jetzt binn. Das arme Füchslein! Wenn Sie sehen sollten was ich den ganzen Tag treibe, es ist ordentlich lächerlich.

Das Schreiben wird mir sauer, besonders an Sie. Wenn Sie es nicht apart befehlen so kriegen Sie keinen Brief wieder vor dem October. Denn meine liebe Freundinn ob Sie mich gleich Ihren lieben Freund und manchmal Ihren besten Freund nennen, so ist doch um den besten Freund immer ein langweilig Ding. Kein Mensch mag eingemachte Bohnen so lang man frische haben kann. Frische Hechte sind immer die besten, aber wenn man fürchtet, dass sie gar verderben mögen, so salzt man sie ein, besonders wenn man sie verführen will. Es muss Ihnen doch komisch vorkommen wenn Sie an all die Liebhaber dencken, die Sie mit Freundschafft eingesalzen haben, grose und kleine, krumme und grade, ich muss selbst lachen wenn ich dran dencke. Doch Sie müssen die Correspondenz mit mir nicht ganz abbrechen, für einen Pöckling binn ich doch immer noch artig genug.[54]

Apropos dass ich's nicht vergesse, da schicke ich Ihnen was, machen Sie „mit“ was Sie wollen, entweder für Sie auf den Kopf, oder für jemand anders um die Hände. Das Halstuch und der Fächer sind noch nicht um einen Fingerbreit weiter. Sehen Sie, ich binn aufrichtig, wenn ich was mahlen will so bleibt mir's im Hals stecken. Nur in Frühlingstagen schneiden Schäfer in die Bäume, nur in der Blumenzeit bindet man Kränze, Verzeihen Sie mir, die Erinnerung ist mir zu traurig, wenn ich das für Sie thun soll was ich gethan habe ohne mehr zu seyn als ich binn.

Ich habe Ihnen immer gesagt dass mein Schicksaal von dem Ihrigen abhängt. Sie werden vielleicht bald sehn wie wahr ich geredet habe, vielleicht hören Sie bald eine Nachricht die Sie nicht vermuthen. Grüßen Sie Ihre lieben Eltern, und wer zu Ihrer Familie gehört. Empfelen Sie mich dem Obereinnehmer.[55] Ich binn so viel als möglich

Ihr ergebenster Freund
G.

[50] Sie hatte im Mai Horn ihre Verlobung mit Dr. Kanne angezeigt. Darauf schrieb ihr dieser einen Brief, den ich zur Vergleichung mit den Goetheschen mittheile.

Franckfurth d. 26 May 1769.

Werthgeschätzte Jungfer Braut!

Ohne Wasser würden wir verdursten, ohne Brod verhungern und ohne den Ehestand würde unser Leben kaum halb so angenehm seyn. Wie glücklich sind Sie, beste Jungfer Braut, daß Sie sich in einen Stand begeben wollen, der auch von den wildesten Nationen für den glücklichsten gehalten wird. — Ich als ordentlich installirter Schulmeister und Hochzeitbitter allhier zu Franckfurth und Sachsenhausen, empfinde darüber ein recht herzliches Vergnügen und schätze mich besonders glücklich, daß ich die Ehre habe, sowohl Ihnen als auch respective dem Hrn. Bräutigam hierzu Glückwünschen zu können. — Wir Menschen suchen unser gröstes Glück in dem gesellschaftlichen Umgang mit anderen, aus diesem Umgang entsteht nun, wenn es lauter Mannspersonen sind, die Freundschafft, und wenn Frauenzimmer dazu kommen, die Liebe, aus der Liebe die Ehe, aus der Ehe Kinder, aus den Kindern Enckel und so weiter. — Da nun meine werthe Jungfer Braut Ihnen alles dieses bevorsteht, so verursacht mir dieses wie billig eine außerordentliche Freude in meinem Schulmeisterlichen Hertzen. Wollte der Himmel, daß ich bei Ihrem Ehrentage tranchiren und mit meiner gantzen Gemeinde bei Ihrer Trauung das Lied: Wie schön ists doch! anstimmen könnte. Weil nun aber dieses wegen einer viertzigmeiligen Entferntheit unmöglich, so bleibt mir nichts anders übrig, als daß ich meine Amtsdienste vielleicht in eine poetische Ausdünstung verwandle und anstatt des tranchirens und Vorsingens an Ihrem Ehrentage Ihnen die fröliche Ausrufung meiner traurigen Muse überschicke. — Bitte deswegen demüthigst mir den Tag Ihrer Hochzeit bekannt zu machen, damit sich darnach richten könne

Ihr
Freund
Horn
Schulmeister und Ludimagister
zu Franckf. und Sachsenhausen.

Nachschrifft (zu Deutsch: Postscriptum)

Der König Horn läßt sich erkundigen, wie sich seine Ministers in dem hohen Schönkopfischen Hause befinden. Auch ertheilt er hiermit allen denen, die sich in demselben ehelich verlobt haben, die Erlaubniß die Hochzeit, sobald es nur Ihnen gefällt, rechtmäßig und mit allen Ceremonien zu vollziehen. So gegeben in seiner Residentz Stadt Franckfurth am Mayn d. 22 May 1769,

Hornius Rex.

Aber doch im Ernste gesprochen! Ich empfinde eine herzliche Freude, wenn ich itzo an das Schönkopfische Haus gedencke. Herr und Madam sind vergnügt, Mamsel eine Braut, Peter sieht der gantzen affaire mit Gelassenheit zu, fürwar, das muß mir recht angenehm seyn, wenn Sie wissen, wie vielen Antheil ich jederzeit an Ihrer Freude genommen habe. Wollte der Himmel, daß ich nur dabey seyn könnte am Hochzeittag, gewiß es sollte noch einmal so lustig zugehen. Sie kennen mich ja. Ich spielte ohne Ruhm zu melden immer die lustige Person. Doch für itzo ist mir aller Muth lustig zu seyn vergangen. Sie wissen was ich verloren habe. Ich führe hier ein gantz verdammtes Leben. Ich studire zum toll werden, weil ich mir mit nichts anders die Zeit vertreiben kann. Manchmal kriege ich einen Brief von Leipzig und der macht mich wieder aufgeräumt, ich habe ihn aber kaum gelesen, so verfalle ich in meine alte Melancholie. Wer weiß ob ich in meinem Leben wieder nach Leipzig komme. Ob ich jemals so glücklich seyn werde wie mein Freund Kanne durch Sie geworden ist. Man kann zwar nicht alle Hoffnung aufgeben, aber doch ist mein Glück noch sehr ungewiß. — Liebste Freundin vergessen Sie mich nicht. Gedencken Sie in Ihrem Glücke noch manchmal an die unglücklichen. Erinnern Sie sich meiner und meiner Constantie an Ihrem Hochzeittage. Ich wünsche Ihnen eben soviel Glück, als wir itzo unglücklich sind. — Leben Sie wohl und trösten Sie bald mit einem Brief


Grüßen Sie den Obereinnehmer. —
Goethe wird ehestens an Sie schreiben. —

Ihren
aufrichtigen Freund
Horn.

[51] Horn hatte ein Liebesverhältniß mit Sophie Constantie Breitkopf, von dem der Vater nichts wußte, dessen in seinen Briefen fortwährend Erwähnung geschieht. Später verehelichte sie sich mit Dr. Oehme und starb 1819.

[52] „Liebste Freundin“, schreibt Horn an Käthchen (30. Juni 1769), „Sie thun mir Unrecht, wenn Sie dem glauben, was Ihnen Goethe von mir blos in Spaß geschrieben hat. Sind denn rothe Backen immer das sichere Zeichen des Zustandes unserer Seele? Ich bitte Sie, meine Freundin, machen Sie mir keine Vorwürfe, die ich nicht verdiene.“

[53] Vgl. den Brief bei Schöll, Briefe und Aufsätze von Goethe S. 23 ff.

[54] Vgl. das Gedicht bei Schöll, Gedichte und Aufsätze von Goethe S. 233 f.:

Warum siehst Du Lina verdammt, den Sprudel zu trinken?
Wohl hat sie es verdient an Allen, die sie beschädigt
Und zu heilen vergessen; die an der Quelle des Lethe
Becher auf Becher nun schlürfen: die gichtischen Schmerzen der Liebe
Aus den Gliedern zu spülen, und will es ja nicht gelingen,
Bis zum Rheumatismus der Freundschaft sich zu kuriren.

[55] Obergeleitseinnehmer Richter, auch in den Oeserschen Briefen erwähnt.

VI.

F. d 26. Aug. 1769

Meine liebe Freundinn,

Ich dancke Ihnen für den Anteil den Sie an meiner Gesundheit nehmen, und ich muß Ihnen zum Troste sagen, dass das letzte Gerücht von meiner Kranckheit, eben nicht so ganz gegründet war, ich befinde mich erträglich, freylich manchmal weniger als ich es wünschen mögte. Sie können Sich vorstellen dass es nichts als Indisposition war, warum ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe, vielleicht werden bald andre Ursachen Sie abhalten mir zu schreiben. Es ist sonderbar, heut vor einem Jahre sah ich Sie zum letztenmal, es ist ein närrisches Ding um ein Jahr, was alles sein Gesicht in einem Jahre verändert; ich wette wenn ich Sie wiedersehen sollte, ich kennte Sie nicht mehr. Vor drey Jahren hätte ich geschworen es würde anders werden als es ist. Man soll für nichts schwören behaupte ich. Es war eine Zeit da ich nicht fertig werden konnte mit Ihnen zu reden, und jetzt will all mein Witz nicht hinreichen, eine Seite an Sie zu schreiben. Denn ich kann mir nichts dencken was Ihnen angenehm seyn könnte. Wenn Sie mir einmal schreiben, dass Sie glücklich sind, dass Sie ohne Ausnahme glücklich sind, das wird mir angenehm seyn. Glauben Sie das? Horn lässt Sie grüssen, er ist unglücklicher als ich. Wie aber alles wunderlich ausgetheilt ist, so hilft ihm seine Narrheit sehr zur Cur von seiner Leidenschafft. Leben Sie wohl liebe Freundinn, Grüssen Sie mir die l. Mutter und Peter. Ich binn heute unerträglich. Wenn ich in Leipzig wäre, da sässe ich bei Ihnen und machte ein Gesicht. Wie Sie sich dergleichen Specktackel noch erinnern können. Doch nein, wenn ich jetzt bey Ihnen wäre, wie vergnügt wollte ich leben. O könnte ich die dritthalb Jahre zurückrufen. Kätgen, ich schwöre es Ihnen liebes Käthgen ich wollte gescheuter seyn.

G.

VII.

Franckfurt am 12 Dec. 1769.

Meine liebe, meine theure Freundinn,

Ein Traum hat mich diese Nacht erinnert, daß ich Ihnen eine Antwort schuldig binn. Nicht als wenn ich es so ganz vergessen hätte, nicht, als wenn ich nie an Sie dächte, nein meine Freundinn, jeder Tag sagt mir was von Ihnen und von meinen Schulden. Aber es ist seltsam, und es ist eine Empfindung die Sie vielleicht auch kennen werden, die Erinnerung an Abwesende, wird durch die Zeit, nicht ausgelöscht, aber doch verdeckt. Die Zerstreuungen unsres Lebens, die Bekanntschafft mit neuen Gegenständen, kurz jede Veränderung unsres Zustandes, thun unsrem Herzen das was Staub und Rauch einem Gemählde thun, sie machen die feinen Züge ganz unkenntlich, dass man nicht weiss wie es zugeht. Tausend Dinge erinnern mich an Sie, ich sehe tausendmal Ihr Bild, aber so schwach, und offt mit so wenig Empfindung, als wenn ich an jemand fremdes gedächte, es fällt mir offt ein, dass ich Ihnen eine Antwort schuldig binn, ohne dass ich den geringsten Zug empfinde Ihnen zu schreiben. Wenn ich nun Ihren gütigen Brief lese, der schon etliche Monate alt ist, und Ihre Freundschafft sehe, und Ihre Sorge für einen Unwürdigen, da erschröcke ich vor mir selbst, und empfinde erst, was für eine traurige Veränderung in meinem Herzen vorgegangen seyn muss, dass ich ohne Freude dabey seyn kann, was mich sonst in den Himmel gehoben haben würde. Verzeihen Sie mir das! Kann man einem Unglücklichen verdencken dass er sich nicht freun kann. Mein Elend hat mich auch gegen das Gute stumpf gemacht, was mir noch übrig bleibt. Mein Körper ist wieder hergestellt, aber meine Seele ist noch nicht geheilt, ich binn in einer stillen unthätigen Ruhe, aber das heisst nicht glücklich seyn. Und in dieser Gelassenheit, ist meine Einbildungskrafft so stille, dass ich mir auch keine Vorstellung von dem machen kann was mir sonst das liebste war. Nur im Traum erscheint mir manchmal mein Herz wie es ist, nur ein Traum vermag mir die süssen Bilder zurückzurufen, so zurückzurufen dass meine Empfindung lebendig wird, ich habe es Ihnen schon gesagt, diesen Brief sind Sie einem Traume schuldig. Ich habe Sie gesehen, ich war bey Ihnen, wie es war, das ist zu sonderbaar als dass ich es Ihnen erzählen möchte. Alles mit einem Wort, Sie waren verheurahtet. Sollte das wahr seyn? Ich nahm Ihren lieben Brief, und es stimmt mit der Zeit überein; wenn es wahr ist, o so möge das der Anfang Ihres Glückes seyn.

Wenn ich uneigennützig darüber dencke, wie freut das mich, Sie, meine beste Freundinn, Sie, noch vor jeder Andern, die Sie beneidete, die Sich mehr dünckte als Sie, in den Armen eines liebenswürdigen Gatten zu wissen, Sie vergnügt zu wissen, und befreyt von jeder Unbequemlichkeit, der ein lediger Stand, und besonders Ihr lediger Stand ausgesetzt war. Ich dancke meinem Traum dass er mir Ihr Glück recht lebhafft geschildert hat, und das Glück Ihres Gatten, und seine Belohnung dafür dass er Sie glücklich gemacht hat. Erhalten Sie mir seine Freundschafft, dadurch dass Sie meine Freundinn bleiben, denn, auch biss auf die Freunde müssen Sie jetzt alles gemein haben. Wenn ich meinem Traum glauben darf, so sehen wir einander wieder, aber ich hoffe noch sobald nicht, und was an mir liegt will ich seine Erfüllung hinauszuschieben suchen. Wenn anders ein Mensch etwas wider das Schicksaal unternehmen kann. Ehmals schrieb ich Ihnen etwas räthselhafft, von dem was mit mir werden würde. Jetzt läßt sich's deutlicher sagen, ich werde den Ort meines Aufenthalts verändern, und weiter von Ihnen wegrücken. Nichts soll mich mehr an Leipzig erinnern, als etwa ein ungestümmer Traum, kein Freund der daher kömmt, kein Brief. Und doch mercke ich, dass mich es nichts helfen wird. Geduld, Zeit und Entfernung, werden das thun was sonst nichts zu thun vermag, sie werden jeden unangenehmen Eindruck auslöschen, und unserer Freundschafft, mit dem Vergnügen, das Leben wiedergeben, dass wir uns nach einer Reihe von Jahren, mit ganz andern Augen, aber mit eben dem Herzen wiedersehen werden. Biss dahin leben Sie wohl. Doch nicht ganz biss dahin. Binnen Einem viertel Jahre, sollen Sie noch einen Brief von mir haben, der Ihnen den Ort meiner Bestimmung, die Zeit meiner Abreise melden wird, und Ihnen das zum Überfluss noch einmal sagen kann was ich Ihnen schon tausendmal gesagt habe. Ich bitte Sie mir nicht mehr zu antworten, lassen Sie mir's durch meinen Freund sagen, wenn Sie noch was an mich haben sollten. Es ist das eine traurige Bitte, meine beste, meine Einzige von Ihrem ganzen Geschlechte, die ich nicht Freundinn nennen mag, denn das ist ein nicht bedeudtender Tittul gegen das was ich fühle. Ich mag Ihre Hand nicht mehr sehen, so wenig als ich Ihre Stimme hören mögte, es ist mir leid genug dass meine Träume so geschäfftig sind. Sie sollen noch Einen Brief haben; das will ich heilig halten, und von meinen Schulden will ich einen Theil abtragen, den andern müssen Sie mir noch nachsehen. Dencken Sie, wir kämen ja aus aller Konnexion wenn ich diesen letzten Punckt noch richtig machte.

Das grosse Buch das Sie verlangen sollen Sie haben. Es freut mich dass Sie dieses von mir verlangt haben, es ist das herrlichste Geschenck das ich Ihnen geben könnte, ein Geschenck das mein Andencken am längsten, und am würdigsten bey Ihnen erhalten wird.

Kein Hochzeitgedicht kann ich Ihnen schicken, ich habe etliche für Sie gemacht, aber entweder, druckten Sie meine Empfindungen zu viel oder zu wenig aus. Und wie konnten Sie von mir zu einem freudigen Feste ein würdiges Lied begehren. Seit — ja seit langer Zeit, sind meine Lieder so verdrüsslich, so übel gestellt als mein Kopf, wie Sie an den meisten sehen können, die schon gedruckt sind, und an den übrigen auch sehen werden, wenn sie gedruckt werden sollten.

Hagedornen und einige andere Bücher werde ich Ihnen ehstens schicken, möchten Sie ein Gefallen an diesem liebenswürdigen Dichter finden wie er es verdient. Übrigens empfelen Sie mich Ihrer lieben Mutter, dem nunmehr nicht mehr kleinen Bruder, der ohnezweifel ein starcker Musickus geworden seyn wird. Grüßen Sie mir alle lieben Freunde, und erneuern Sie mein Andencken, einigermassen um Sich her.

Leben Sie wohl, geliebteste Freundinn, nehmen Sie diesen Brief, mit Liebe und Gütigkeit auf, mein Herz mußte doch noch einmal reden, zu einer Zeit, wo ich nur durch einen Traum von der Begebenheit benachrichtiget war, die mir es hätte verbieten können. Leben Sie tausendmal wohl, und dencken Sie manchmal an die zärtlichste Ergebenheit

Ihres
Goethe.

VIII.

Frankf. d 23. Jan. 1770.

Meine liebe Freundinn

Wahrhafftig es war mein ganzer Ernst da ich meinen letzten Brief schrieb, keine Feder wieder anzusetzen, Ihnen zu schreiben; Aber, es war sonst auch offt mein ganzer Ernst, etwas nicht zu thun, und Käthgen konnte mich es thun machen wie es ihr beliebte, und wenn die Frau Docktorinn eben die Gabe behält, nach ihrem Köpfgen die Leute zu gouverniren, so werd ich auch wohl an Mad. Canne schreiben müssen, und wenn ich es auch tausendmal mehr verschworen hätte, als ich es gethan habe. Wenn ich mich recht erinnere so war mein letzter Brief einigermassen in einer traurigen Gestalt, dieser geht schon wieder aus einem noch munterern Tone, weil Sie mir biss auf Ostern Aufschub gegeben haben. Ich wollte Sie wären kopulirt und Gott weiss was noch mehr. Aber im Grunde schiert mich's doch, das können Sie sich vorstellen.

Ich weiss nicht ob Sie die Bücher von mir bekommen haben. Es war nicht zeit sie einbinden zu lassen. Und das kleine französische lassen Sie sich rekommandirt seyn. Sie haben eine Uebersetzung davon, und ich weiss doch dass Sie ein bissgen Französisch lernen.

Dass ich ruhig lebe, das ist alles was ich Ihnen von mir sagen kann, und frisch und gesund, und fleisig, denn ich habe kein Mädgen im Kopfe. Horn und ich sind noch immer gute Freunde, aber wie es in der Welt geht, er hat seine Gedancken, und seine Gänge, und ich habe meine Gedancken und meine Gänge, und da vergeht eine Woche und wir sehen uns kaum einmal.

Aber alles wohl betrachtet, Frankfurt binn ich nun endlich satt, und zu Ende des Merzens geh ich von hier weg. Zu Ihnen darf ich nun noch nicht kommen das merck ich; denn wenn ich Ostern käme so wären Sie vielleich noch nicht verheurahtet. Und Käthgen Schönkopf mag ich nicht mehr sehen; wenn ich sie nicht anders sehen soll, als so. Zu Ende Merzens geh ich also nach Strasburg, wenn Ihnen daran was gelegen ist, wie ich glaube. Wollen Sie mir auch nach Strasburg schreiben? Sie werden mir eben keinen Possen thun. Denn Käthgen Schönkopf — nun ich weiss ja am besten, dass ein Brief von Ihnen mir so lieb ist als sonst eine Hand.

Sie sind ewig das liebenswürdige Mädgen, und, werden auch die liebenswürdige Frau seyn. Und ich, ich werde Goethe bleiben. Sie wissen was das heisst. Wenn ich meinen Nahmen nenne, nenne ich mich ganz, und Sie wissen, dass ich, so lang als ich Sie kenne, nur als ein Theil von Ihnen gelebt habe.

Ehe ich von hier weg gehe, sollen Sie das restirende Buch bekommen; und einen Fächer und ein Halstuch bleibe ich Ihnen schuldig biss ich aus Franckreich zurückkomme.

In Strasb. werde ich bleiben, und da wird sich meine Adresse verändern wie die Ihrige, es wird auf beyde etwas vom Doctor kommen.

Von Strasb. ziehe ich nach Paris, und hoffe mich da sehr wohl zu befinden, und vielleicht eine gute Zeit da zu bleiben. Und hernach — das weiss Gott, ob daraus was wird. Nun auf Ostern wird dann hoffentlich Ihre Verbindung vor sich gehen. Eh nun wenn es Ostern nicht ist so ist's Michael, und wenn es ja Michael nicht geschähe, so häng ich mich gewiss nicht.

Wenn ich Ihnen den Fächer und das Halstuch selbst brächte, und noch sagen könnte Mdlle. S. oder Käthgen S. wie sich's nun weissen würde. Eh nun da wär ich auch Docktor und zwar ein französcher Docktor. Und am Ende wäre doch Fr. Dockt. C. und Fr. Dockt. G. ein herzlich kleiner Unterschied.

Inzwischen leben Sie schöne wohl und grüssen Sie mir Vater Schönkopf und die l. Mutter und Freund Petern.

Mit Breitkopfs binn ich fast aus aller Connexion, wie mit aller Welt. Ich habe zwar, erst kurz Briefe, aber es ist mir nicht um's Herz zu antworten.

Stenzel liebt noch den Riepel den Pegauer[56] zum Sterben, mir kömmt es einfältig vor, und ärgerlich, Sie können Sich dencken warum. Die Trauben sind sauer sagte der Fuchs. Es könnte wohl noch gar am Ende eine Ehe geben, und das wär ein Specktackel, aber ich wüsste doch noch eine Ehe, die im noch ein grösserer Specktackel wäre. Und doch ist sie nicht unmöglich, nur unwahrscheinlich.

Wir haben uns hier schön eingericht. Wir haben ein ganzes Haus, und wenn meine Schwester heurahtet, so muss sie fort, ich leide keinen Schwager, und wenn ich heurahte so theilen wir das Haus, ich und meine Eltern, und ich kriege 10 Zimmer alle schön und wohl meublirt im Frankf. Gusto.

Nun Käthgen, es sieht doch aus als wenn Sie mich nicht möchten, freyen Sie mir eine von Ihren Freundinnen, die Ihnen am ähnlichsten ist. Denn was soll das Herumfahren. In zwei Jahren binn ich wieder da. Und hernach. Ich habe ein Haus, ich habe Geld. Herz was begehrst du? Eine Frau!

Adieu liebe Freundinn. Heut war ich einmal lustig, und habe schlecht geschrieben. Adieu meinen beste.[57]

[56] Horn wurde im Scherz der Pegauer genannt; Stenzel ist Constantie.

[57] Am 5. März 1770 schrieb Horn: „Goethe läßt Sie diesmal grüßen. Er geht nach Straßburg;“ und am 9. April: „Goethe ist vor 8 Tagen in Straßburg angekommen. Ich habe ihn bis nach Maintz begleitet. Er wird Ihnen wohl bald einmal schreiben.“ Dies geschah freilich nicht, obgleich er sie nicht vergessen hatte.

Radirung von Goethe

Radirung von Goethe, s. S. 45.

In Mercks Briefen (III. S. 13) ist folgendes französische Gedicht mitgetheilt, welches Dr. Wolff in Darmstadt von Goethes Hand geschrieben besaß und als von ihm herrührend bezeichnete.

.... Que l'amour soit mon Maître
J'écouterai lui seul, lui seul doit me guider
Au sommet du bonheur, par lui je veux monter,
Au sommet de la science monté par l'industrie.
Je reviens, cher ami, pour revoir ma patrie
Et viens voir, en dépit de tout altier censeur,
Si elle est en état d'achever mon bonheur.
Mais il faut jusques-là, que votre main m'assiste.
Laissés parler toujours ce docte Moraliste.
Ecrivés moi. Que fait l'enfant autant aimé?
Se souvient-il de moi? ou m'a-t-il oublié?
Ah! ne me cachés rien, qu'il m'élève ou m'accable,
Un poignard de sa main me seroit agréable;
Ecrives. C'est alors que, de mon coeur chéri
Comme elle est mon amante, vous sérés mon ami.

Leipzig, le 2 Juin 1769.

Cher ....
le votre
Goethe.

Daß die Unterschrift falsch ist, liegt zu Tage. Denn am 2. Juni 1769 war Goethe nicht in Leipzig, sondern in Frankfurt, und der obige Brief vom 1. Juni 1769 läßt es nicht glaublich scheinen, daß er den Tag darauf dieses Gedicht geschrieben habe. Ist es in Leipzig gemacht und die Jahreszahl unrichtig, so wird es schwer sein die Situation auszufinden, in welcher er es schreiben konnte.

Goethes Briefe
an
Adam Fr. Oeser und seine Tochter Friederike.

Friederike Oeser

Friederike Oeser.

Adam Friedrich Oeser[58] wurde am 17. Febr. 1717 in Preßburg geboren, und zeigte in früher Jugend Neigung und Talent zur Malerei. Im J. 1730 ging er nach Wien, besuchte die dortige Akademie und bildete sich unter Donner in der Modellir- und Bildhauerkunst. Durch ein Bild, das Opfer Abrahams, erwarb er sich in seinem achtzehnten Jahr die goldene Prämie. Gegen Ende des Jahres 1739 begab er sich nach Dresden. Hier wurde Winckelmann mit ihm bekannt, der, nachdem er Nöthenitz 1754 verlassen, in Dresden bei ihm wohnte,[59] und dem er, als er in Italien war, für mancherlei Geschäfte der Vermittler war;[60] er nennt ihn seinen einzigen Freund, der es auch bleiben werde.[61] Oeser hatte, wie Winckelmann selbst dankbar anerkennt, auf die Ausbildung seines künstlerischen Sinnes (den er nach seiner Unterweisung auch durch Zeichnen zu schärfen suchte),[62] großen Einfluß, den man in der Schrift über die Nachahmung der alten Kunst vielfach wahrnehmen konnte[63], und zum Schlusse der Erläuterung sagt er selbst: „die Unterredungen mit meinem Freunde, Herrn Friedrich Oeser, einem wahren Nachfolger des Aristides, der die Seele schilderte, und für den Verstand malte, gaben zum Theil hiezu (zu der Schrift) die Gelegenheit. Der Name dieses würdigen Künstlers und Freundes soll den Schluß meiner Schrift zieren.“[64] Namentlich soll er auch auf Winckelmanns Schrift über die Allegorie, die von ihm schon in Dresden begonnen war, bedeutenden Einfluß gehabt haben,[65] und dies ist um so wahrscheinlicher, als die Neigung für das Allegorische bei Oeser so sehr vorherrschend war, daß sehr häufig das, was er sich nebenher dachte, vor dem eigentlich Künstlerischen seiner Werke hervortrat und jenes als das unwichtigere erscheinen ließ. Sein Freund Kreuchauff schrieb über Oesers neueste Allegoriegemälde (Leipzig 1783), wie früher auch über Gellerts Monument (Leipzig 1774).

Während des siebenjährigen Krieges lebte Oeser mehrere Jahre mit seiner Familie — er war seit 1745 verheirathet — in Dahlen und ging gegen das Ende desselben nach Leipzig, wo er 1763 durch Hagedorn, welcher sich Weißes als Vermittler bediente,[66] zum Director der neu errichteten Kunstakademie ernannt wurde. Zugleich war er Professor an der Dresdner Akademie und Hofmaler.

Wie anregend und nachhaltig sein Unterricht und Verkehr auf Goethe während seines Aufenthalts in Leipzig wirkte, das berichtet dieser selbst und noch lebhafter sprechen es die von Frankfurt an ihn geschriebenen Briefe aus. Auch in Straßburg[67] blieb er mit ihm in Verkehr; als er auf der Rückkehr in Mannheim zuerst einen Gipsabguß vom Laokoon sah (in Leipzig war nur ein Abguß des beckenschlagenden Fauns[68]), theilte er die Ansichten, welche ihm dabei aufgingen, Oeser in einem Briefe mit, der freilich auf seine Auslegung nicht sonderlich achtete, sondern den guten Willen mit einer allgemeinen Aufmunterung erwiederte.[69] Auch später schrieb er von Frankfurt aus an ihn[70]; doch ist aus dieser Zeit leider nichts erhalten. Als aber Goethe nach Weimar gekommen war, wurde wiederum ein persönlicher Verkehr mit Oeser angeknüpft.

Die Veranlassung dazu gaben die Reisen, welche der Herzog ziemlich jedes Jahr, gewöhnlich zur Zeit der Messe, nach Leipzig machte, auf welchen ihn Goethe zu begleiten pflegte, wo denn Oeser stets aufgesucht wurde. Schon im März 1776 kam Goethe nach Leipzig und blieb mehrere Tage dort, sah seine alten Freunde, Käthchen, Oeser wieder und lernte Corona Schröter jetzt näher kennen;[71] gegen Ende desselben Jahres wurde wieder ein Ausflug dahin unternommen.[72] Im Mai 1778 kamen sie wieder nach Leipzig[73] und gingen von da nach Dessau, Berlin und Potsdam; Wieland schreibt von dieser Reise: „Alle Lande, wo sie gewesen, sind ihres Ruhmes voll.“[74] Mit dem Herzog war Goethe auch im April 1780[75] und im Mai 1781[76] in Leipzig und wiederholte seinen Besuch im September desselben Jahres mit dem jungen Friedrich von Stein.[77] Im folgenden Jahr reiste Goethe wieder Ende December mit dem Herzog nach Leipzig, blieb aber, nachdem dieser am Weihnachtsabend fortgereist war, bis in den Anfang des nächsten Jahres, und machte sich nun mit der Stadt, die ihm eine neue kleine Welt war, auf neue Weise bekannt, indem er außer dem Kreise seiner alten Freunde viele neue Bekanntschaften machte. Auf einem Balle waren ungefähr 180 Personen zugegen, schöne Gesichtchen mitunter und gefällige Menschen; er dachte dabei: „warum hast du nun die Menschen vor 15 Jahren nicht so gesehen, wie du sie jetzt siehst? und es ist doch nichts natürlicher, als daß sie sind, was sie sind.“ Daß aber seine Liebe und Verehrung gegen Oeser die alte blieb, beweist die schöne Schilderung, welche er Frau v. Stein von ihm entwirft, wie der herzliche Brief, welchen er nachher an ihn schrieb.[78] Aus den folgenden Jahren wissen wir von keiner Reise nach Leipzig, erst Ende Decembers 1796 hören wir, daß Goethe wieder mit dem Herzog nach Leipzig reiste, wo er eine Menge Menschen, unter ihnen einige recht interessante, auch die alten Freunde und Bekannte sah, und auf einem großen Ball von den Herrn Dyk und Comp., und wer sich sonst durch die Xenien verletzt und erschreckt hielt,[79] mit Apprehension wie das böse Princip betrachtet wurde.[80] Die letzte Reise, die uns bekannt ist, fällt ins Jahr 1800 nach Oesers Tode.[81] Bei diesem Aufenthalt in Leipzig besuchte er G. Hermann und forderte ihn nach einem langen Gespräch über Metrik auf, eine Deutsche Metrik zu schreiben, worauf dieser erwiederte, ehe das geschehen könne, müsse Goethe die Deutsche Verskunst schaffen.

Oeser wurde durch Goethe auch mit dem Weimarschen Hofe bekannt, der Herzog lernte ihn in Leipzig kennen und verkehrte gern mit ihm;[82] er sah den alten Forster zuerst bei Oeser und freute sich, wie die beiden Männer mit einander umgingen. „Oeser stallt ganz vortrefflich mit ihm; er hat eine hohe Freude an dem tollen Seefahrer. Wie sich nun der alte Oeser leicht imponiren läßt in gewissen Studien und viel aufs Amüsiren hält, so vergißt er scheints Alles bei ihm und läßt sichs herzlich wohl sein.“[83]

Die nächste Folge waren Einladungen nach Weimar, welchen Oeser schon im Jahr 1776 folgte.[84] Diese Besuche wiederholten sich im folgenden Jahr[85] und später kam Oeser ziemlich jedes Jahr wenigstens einmal nach Weimar. Dort finden wir ihn im Januar,[86] im Juni[87] und nachdem er mit der Herzogin Amalie eine Reise nach Mannheim gemacht hatte, im Herbst des Jahres 1780,[88] im Frühjahr[89] und im Herbst 1782,[90] im Juli 1783[91] und im selben Monat 1785.[92] Er war nicht nur als erfahrner Kenner, dessen Rath und Vermittelung bei Erwerbung von Kunstsachen man gern in Anspruch nahm, in Weimar willkommen,[93] sondern nahm an allen künstlerischen Unternehmungen dort thätigen Antheil. „Oeser ist hier und gar gut,“ schreibt Goethe, „schon habe ich seinen Rath in vielen Sachen genützt. Er weis gleich wie's zu machen ist, das was bin ich wohl eher glücklich zu finden;“ und nachdem er fort ist, meint Goethe: „Wenn ich ihn nur alle Monat einen halben Tag hätte, ich wollt' andere Fahnen aufstecken.“[94] Er malte für das Liebhabertheater einen Vorhang und Decorationen, namentlich für die Vögel, welche am 18. August 1780 in Ettersburg aufgeführt wurden.[95] Ebenso half er durch Rath und That bei den Anlagen, welche im Park und in Tiefurt gemacht wurden, und verfertigte das Monument, welches die Herzogin Louise dem Herzog Leopold von Braunschweig errichten ließ. In einem Briefe an Knebel vom 25. Jan. 1780 theilt er ihm einen Entwurf dazu mit, welchen er mit einigen Bemerkungen erläutert; dann schließt er charakteristisch genug: „Ich denke nicht, daß ich mich dieser Idee zu einem Monument zu schämen habe, meines Wissens ist der Gedanke neu und ich hoffe den Beyfall der Kenner zu erhalten. Die, so der Herr General Superintendent angegeben, kan ich unmöglich verdauen, es kommt mir vor, als wenn es sich so ausnehmen würde, daß der Hr. G. S. und ich die Erwartung des Publicums mit nichts Besserm zu befriedigen wüßten, als daß er aus einem alten Autor eine Stelle herläse und ich das Buch dazu hielte, anstatt daß er und ich was neues sagen sollten, und uns den gerechten Vorwurf müßten gefallen lassen, daß das Publicum die Stelle selbst aufschlagen und lesen könnte und nicht brauchte danach zu gehen. Die Alten studiren oder copiren ist nach meinen Begriffen zweyerley.“

Der Mann voll Geschmack und Geist, der stille Künstler von Weltmanns Klugheit, wie ihn Goethe bezeichnet,[96] gefiel gar sehr durch seine heitere Laune und anziehende Unterhaltung und erwarb sich die allgemeine Zuneigung. In ganz vorzüglichem Maaß gewann er die Gunst der Herzogin Amalie, zu deren Geburtstag (24. October) ihr alter Oeser, wie sie ihn zu nennen pflegt, sich gewöhnlich mit mancherlei schönen Gaben einstellte.[97] „Die Herzogin,“ schreibt Goethe,[98] „war sehr vergnügt, so lang Oeser da war, jetzt geht's freilich schon ein wenig einfacher zu. Der Alte hatte den ganzen Tag etwas zu kramen, anzugeben, zu verändern, zu zeichnen, zu deuten, zu besprechen, zu lehren u. s. w., daß keine Minute leer war;“ und sie selbst schreibt:[99] „Unterdessen, daß Sie und fast Alles von hier diesen Sommer herumschwärmten, habe ich mich in mein kleines Tiefurt zurückgezogen, und meine Gesellschaft war der alte Professor Oeser von Leipzig, der 5 Wochen bei mir wohnte, und bei dem einem auch bei dem unfreundlichsten Wetter, womit uns dieser Sommer heimsuchte, keine Stunde zu lang wird.“[100] Mit gewohnter Liberalität unterstützte sie ihn auch bei der Erziehung seines Sohnes, wovon folgendes Billet von ihr an den Steuerrath Ludecus (im Album des Schillerhauses in Weimar) Nachricht giebt.

„Erinnern Sie sich nicht mehr, wie viel ich voriges Jahr dem jungen Oeser versprochen habe zu seiner weiteren Vorsetzung in der Welt. Der alte Vater hat sich wieder an mich gewandt zwar nur durch die dritte Hand. Ich bin es auf eine gewisse Art dem Alten schuldig, der Sohn verdient es nicht, aber der Vater. Wenn ich nicht irre so sind es 50 oder 100 fl. Wenn Sie sie haben, so bringen Sie sie selber an Goethe, der sie übermachen wird an den alten Vater. Leben Sie wohl.Amelie.“

In späteren Jahren hören wir von Oesers Besuchen in Weimar nichts, wovon sein vorgerücktes Alter die Ursache gewesen sein mag; doch scheint seit Goethes Italiänischer Reise der Verkehr mit ihm nachgelassen zu haben.

Oeser starb an einem Stickfluß den 18. März 1799; Goethe ehrte sein Andenken durch eine sein Verdienst anerkennende Würdigung in den Propyläen vom Jahr 1800 (III. S. 125 ff.).

Man hat sich, und nicht mit Unrecht, darüber gewundert, daß Goethe in der Schrift „Winckelmann und sein Jahrhundert“ Oesers mit keinem Worte gedenkt, der doch so großen Einfluß auf beide gehabt hatte. Dieses Stillschweigen, wie die etwas skeptische Weise, mit welcher Goethe in Wahrheit und Dichtung von jenem Einfluß Oesers auf Winckelmann spricht,[101] ist wohl eine Wirkung der Italiänischen Reise. Daß Oeser auf Goethes künstlerische Auffassung bedeutend einwirkte, und noch später ihm als Kenner und Künstler hochstand, liegt klar vor, der Aufenthalt in Italien aber modificirte sein künstlerisches Urtheil gar sehr. „Ich dachte wohl,“ sagt er,[102] „hier was rechts zu lernen; daß ich aber so weit in die Schule zurückgehen, daß ich so viel verlernen, ja durchaus umlernen müßte, dachte ich nicht.“ Auch hier ging er dankbar von Winckelmann aus und kehrte immer zu ihm zurück, aber er erkannte auch, daß von ihm der Begriff zwar richtig und herrlich aufgestellt, alles Einzelne aber noch im ungewissen Dunkel sei.[103] Da fand er nun einen Führer an Heinrich Meyer, der den sichern von Winckelmann und Mengs eröffneten Weg ruhig fortging.[104] „Er hat eine himmlische Klarheit der Begriffe,“ schreibt er von ihm. „Er spricht niemals mit mir, ohne daß ich alles aufschreiben möchte was er sagt, so bestimmt, richtig, die einzige wahre Linie beschreibend sind seine Worte. Sein Unterricht giebt mir, was mir kein Mensch geben konnte. Alles was ich in Deutschland lernte, vornahm, dachte, verhält sich zu seiner Leitung wie Baumrinde zum Kern der Frucht.“[105] Meyer war durch eine umfassende, auf sorgfältige Beobachtung gegründete Kenntniß der Kunstwerke ausgezeichnet, die er sich nach Winckelmanns System geordnet hatte, das er wohl inne hatte und auszubauen verstand. Er war durch seinen nüchternen, klaren Verstand und seine Ruhe von Oesern ganz außerordentlich verschieden und bot Goethe das dar, dessen er damals bedurfte. Nach einer andern Seite hin war der Verkehr mit Moritz[106] für die Auffassung des Schönen und der Kunst anregend und fördernd, auf welche Goethes naturwissenschaftliche Studien eine so eigenthümliche Einwirkung hatten. Ohne gegen Oeser undankbar zu werden, dessen früheren Einfluß auf sich er so wahr und warm geschildert hat, lernte er seinen Werth als Künstler und Kritiker unbefangner würdigen, und kam wohl zu der Überzeugung, daß das, was Winckelmann in früheren Jahren Oeser verdankte, zu hoch angeschlagen werde gegen das was er in Rom durch sich selbst und Mengs geworden sei. So schwieg er über Oeser, um nicht härter über ihn sich auszusprechen, als er selbst wohl wünschte.

Was von Goethes Briefen an Oeser und seine Tochter Friederike erhalten ist, befindet sich jetzt im Besitz der Bibliothek zu Weimar, von wo aus mir die Erlaubniß zur Veröffentlichung derselben gegeben worden ist. Ein Theil derselben war bereits im Morgenblatt 1846, Nr. 112 ff. 117. gedruckt worden.

Manche Papiere und Nachrichten, welche Oeser und seine Familie angehen, verdanke ich der gütigen Mittheilung seines Enkels, Herrn Geyser, in dessen Besitz sich auch das von Tischbein aus Cassel gemalte Bild von Friederike Oeser befindet, welches hier copirt ist.

[58] Vgl. Seume, N. Teutsch. Merc. 1799 II. S. 152 ff. Leipziger Kunstblatt 1817 N. 8. 9.

[59] Winckelmanns Briefe I. S. 102.

[60] Winckelmanns Briefe I. S. 105. 165.

[61] Winckelmanns Briefe I. S. 145. II. S. 292.

[62] Weimar. Herder-Album S. 456.

[63] Vgl. Werke I. S. 83 (222), 115 (224), 214 u. S. VIII.

[64] Werke I. S. 212.

[65] Werke I. Vorr. S. 4.

[66] Weißes Selbstbiographie S. 97.

[67] Vgl. Werke XXI. S. 183. Das Gedicht auf Gellerts Monument von Oeser gehört ebenfalls in diese Zeit.

[68] Werke XXIV. S. 287.

[69] Werke XXII. S. 66.

[70] Briefe an Reich IV.

[71] Briefe an Frau v. Stein I. S. 19 ff. an Merck II. S. 58. Riemer Mittheil. II. S. 24. Vgl. Briefe an Lavater S. 15. 18.

[72] Briefe an Frau von Stein I. S. 73. Riemer Mitth. II. S. 36 f.

[73] Als sie wieder zurückgekehrt waren, schrieb Goethes Diener Seidel an Reich: „Der Hr. Geh. L. R. hat bei seiner Durchreiße durch Leipzig einem Uhrmacher in oder neben dem Hotel de Bavière (dessen Namen der Bediente nicht weiß) eine goldne Uhr zu repariren gegeben. Haben Sie die Güte diese zurückzufordern, die Gebühr auszulegen und solche anher zu senden.“

[74] Briefe an Merck II. S. 146 vgl. S. 140. Goethes Briefe an Frau v. Stein I. S. 165. Riemer Mitth. II. S. 59.

[75] Briefe an Merck I. S. 241. 242. 243.

[76] Riemer Mitth. II. S. 128. Briefe an Merck II. S. 184 f.

[77] Briefe an Frau v. Stein II. S. 103. 105.

[78] Briefe an Frau v. Stein II. S. 277 ff.

[79] Die Xenien trafen in Leipzig besonders Dyk, Platner, Blankenburg, Heydenreich, den literarischen Anzeiger; sie scheinen aber meistens von Schiller herzurühren.

[80] Briefe an Schiller II. S. 302. III. S. 1. Werke XXVII. S. 61.

[81] Schiller Briefw. mit Körner IV. S. 177.

[82] Briefe an Merck I. S. 242. an Frau v. Stein II. S. 278.

[83] Briefe an Merck II. S. 185.

[84] Briefe an Oeser V.

[85] Riemer Mitth. II. S. 327.

[86] Briefe an Merck I. S. 204. 211.

[87] Briefe an Frau v. Stein I. S. 353. 362.

[88] Briefe an Frau von Stein I. S. 312 f. 316. 319. an Merck I. S. 252. 256. II. S. 177. an Knebel I. S. 116. 186. Riemer Mitth. II. S. 122.

[89] Briefe an Knebel I. S. 189.

[90] Briefe an Frau von Stein II. S. 256. an Merck II. S. 214 vgl. 212. an Knebel I. S. 193. Riemer Mitth. II. S. 162.

[91] Briefe an Frau v. Stein II. S. 327.

[92] Briefe an Merck I. S. 459. Riemer Mitth. II. S. 193.

[93] Briefe an Merck I. S. 242. 256. 328. II. S. 212. an Knebel I. S. 186.

[94] Briefe an Frau v. Stein I. S. 312. 321.

[95] Briefe an Knebel I. S. 116 f. an Frau v. Stein I. S. 312 f.

[96] Riemer Mitth. II. S. 162.

[97] Briefe an Merck I. S. 256. an Knebel I. S. 186. 193.

[98] Briefe an Merck I. S. 253 f.

[99] Briefe an Merck I. S. 459.

[100] Nicht lange vorher schrieb Wieland an Merck (I. S. 451), daß Alles davon gegangen sei, so daß die gute duchessa madre zu thun haben werde, sich der Langenweile zu erwehren. „Wenn uns (wie wir hoffen) der podagrische Freund Oeser nicht bald zu Hilfe kommt, so sei uns der Himmel gnädig.“

[101] Werke XXI. S. 115 ff.

[102] Werke XXIII. S. 179.

[103] Werke XXIII. S. 205. vgl. S. 176. 177 f. 186. 194. 195.

[104] Werke XXIV. S. 154.

[105] Werke XXIV. S. 164 f. vgl. Eckermann Gespräche I. S. 215. 341.

[106] Werke XXIV. S. 270 f.

An Adam Friedrich Oeser.

I.

Theuerster Herr Professor,

Zwölf Tage bin ich nun wieder in meiner wehrten Vaterstadt, von Anverwandten, und Freunden, und Bekanndten umgeben die sich über meine Ankunft teils freuen, teils verwundern, und alle sich bemüen, dem neuen Ankömling, dem halben Fremdling gefällig zu seyn, und ihm eine Stadt, die zu sehr Antithese von Leipzig ist um viel Annehmlichkeiten für ihn zu haben durch einen freundschafftlichen Umgang erträglich zu machen. Wir wollen sehen wie weit sie's bringen, jetzo kann ich nichts sagen, ich binn zu zerstreut, und mit meiner neuen Einrichtung zu sehr beschäfftigt, als daß mein Herz für das was ich verlohren habe, und für das was ich hier wieder finde, viel Empfindung haben sollte. Ich schreibe Ihnen auch für dießmal nichts, als daß meine Ankunft nach einer glücklichen Reise, eine erwünschte Ruhe über meine Famielie verbreitet hat, daß meine Kranckheit, die nach dem Ausspruch meiner hiesigen Ärtzte nicht so wohl in der Lunge als in denen dazu führenden Teilen liegt, sich täglich zu bessern scheint. Daß Ihr Tischer[107] nachdem er sich einige Tage bey uns aufgehalten, mit guten Empfelungsschreiben an den Ort seiner Bestimmung, in der Hoffnung seine Sache so gut als möglich auszuführen gereißt ist, und sich Ihnen und Ihrem ganzen Hause bestens empfelen läßt. Und das sey für diesesmal alles. Jede danckbaare Empfindung für alles was ich Ihnen schuldig binn, sey biß zu einer ruhigern und glücklichern Zeit aufgehoben, sobald ich diese so sehr erwartete Epoche werde erreicht haben, will ich Ihnen einen längern und bessern Brief schreiben; mittlerweile erhalten Sie mir Ihre Liebe, Ihre Freundschafft die mir so sehr geschmeichelt, die mich so sehr aufgemuntert hat, erhalten Sie mich in dem Andencken Ihrer verehrungswürdigen Gattin und Ihrer liebenswürdigen Kinder, und aller meiner Freunde; Hrn. Kreuchauf, Hrn. Cravinus, Hrn. v. Hardenberg, Hrn. v. Lieven, Hrn. Huber, bitte ich insbesondere meiner Ergebenheit zu versichern, und meinem Successor Hrn. Grönig den schnellsten Fortgang in der Kunst zu wünschen. Ich binn mit der beständigsten Hochachtung,

Theurester Hr. Professor

Franckfurt am Mayn,
am 13 Sept. 1768.

Dero ergebenster
J W Goethe

[107] Der nachher noch genannte Joh. Christ. Jung, Aufwärter bei der Kunstakademie auf der Pleißenburg, welcher seines Handwerkes ein Tischler war und den Titel eines Modelltischlers führte.

II.

Franckfurt, am 9 Nov.

1768.

Hochgeehrtester Herr Professor,

Das Aussenbleiben Ihres Junges, hat diesen Brief, den ich so balde zu schreiben schuldig war, um einen Monat und drüber verzögert. Mit ihm hoffte ich ein Paquet Briefe, und ein Paquet Kleinigkeiten nach Leipzig zu schicken, die nun auf eine andre Gelegenheit warten mögen.

Wenn Sie nicht mehr Nachricht von ihm haben als ich; so werden Sie unruhiger seyn als ich; denn ich dencke immer, er hat entweder an Sie geschrieben, oder ist durch einen andern Weeg zu Ihnen zurückgekehrt. Bald hoffe ich's zu erfahren; ein guter Freund hat es auf sich genommen, sich in Grehweiler zu erkundigen wie es mit ihm und seinen Sachen steht.

Meine Gesundheit fängt an, wieder etwas zu steigen, und doch ist sie noch nicht viel über's Schlimme. Inliegender Brief, den ich mich unterstanden habe an Ihre Mademoiselle Tochter zu schreiben, sagt mehr von diesem Punckte, und mehr von meinem übrigen Leben.

Die Kunst, ist, wie sonst, fast jetzt meine Hauptbeschäfftigung, ob ich gleich mehr drüber lese, und dencke, als selbst zeichne, denn jetzt da ich so allein lauffen soll, fühle ich erst meine Schwäche; es will gar nicht mit mir fort Herr Professor, und ich weiss vor der Hand nichts anders, als das Lineal zu ergreifen, und zu sehen, wie weit ich mit dieser Stütze in der Baukunst und in der Perspecktiv kommen kann.

Was binn ich Ihnen nicht schuldig, Theuerster Herr Professor, dass Sie mir den Weeg zum Wahren und Schönen gezeigt haben, dass Sie mein Herz gegen den Reitz fühlbaar gemacht haben. Ich binn Ihnen mehr schuldig, als dass ich Ihnen dancken könnte. Den Geschmack den ich am Schönen habe, meine Kenntnisse, meine Einsichten, habe ich die nicht alle durch Sie? Wie gewiss, wie leuchtend wahr, ist mir der seltsame, fast unbegreifliche Satz geworden, dass die Werckstatt des grossen Künstlers mehr den keimenden Philosophen, den keimenden Dichter entwickelt, als der Hörsaal des Weltweisen und des Kritickers. Lehre tuht viel, aber Aufmunterung tuht alles. Wer unter allen meinen Lehrern hat mich jemals würdig geachtet mich aufzumuntern, als Sie. Entweder ganz getadelt, oder ganz gelobt, und nichts kann Fähigkeiten so sehr niederreissen. Aufmunterung nach dem Tadel, ist Sonne nach dem Reegen, fruchtbaares Gedeyen. Ja Herr Professor wenn Sie meiner Liebe zu den Musen nicht aufgeholfen hätten ich wäre verzweifelt. Sie wissen was ich war da ich zu ihnen kam, und was ich war da ich von Ihnen ging, der Unterschied ist Ihr Werck. Ich weiss wohl, es war mir wie Prinz Biribinckern nach dem Flammenbaade,[108] ich sah ganz anders, ich sah mehr als sonst; und was über alles geht, ich sah was ich noch zu tuhn habe, wenn ich was seyn will.

Sie haben mich gelehrt demütig ohne Niedergeschlagenheit, und stolz ohne Präsumtion zu seyn. Ich würde kein Ende finden, zu sagen was Sie mich gelehrt haben; verzeihen Sie meinem danckbaaren Herzen diese Apostrophe, diese Sentenzen; das habe ich mit allen tragischen Helden gemein, dass meine Leidenschafft sich sehr gerne in Tiraden ergiesst, und wehe dem der meiner Lava in den Weeg kömmt.

Die Gesellschafft der Musen, und eine fortgesetzte schrifftliche Unterredung mit meinen Freunden, wird mir diesen Winter ein kränckliches einsames Leben angenehm machen, das ohne sie für einen Menschen von zwanzig Jahren eine ziemliche Folter seyn möchte.

Mein Freund Seekatz[109] ist einige Wochen vor meiner Ankunft gestorben. Meine Liebe für die Kunst, meine Danckbarkeit gegen die Künstler, werden Ihnen das Maas meines Schmerzens angeben. Sollte Hr. CrStEinnehmer Weise die Gefälligkeit für mich haben wollen, einige Nachrichten von seinem Leben und seiner Kunst in die Bibliotheck einzurücken: so wollte ich sie Ihnen zusenden.[110] Haben Sie die Gütigkeit, ihn bey Gelegenheit darum zu ersuchen. Idris habe ich eben gelesen, meine Gedancken hiervon ein andermal. Meine Eltern grüssen Sie und Ihre Famielie, mit der Liebe und Danckbaarkeit, die sie einem Manne schuldig sind, dem ihr Sohn so viel schuldig ist. Leben Sie wohl. Ich binn

Theuerster Hr. Professor
Der Ihrige
Goethe.

[108] In Wielands Don Sylvio von Rosalva. Th. VI. S. 215 f.

[109] Vgl. Goethes Werke XX. S. 29. 103. ff. 131 ff.

[110] In der Neuen Bibliothek der schönen Wissensch. findet sich nur eine kurze Notiz über Seekatz, die nicht von Goethe herrührt.

III.

Franckfurt, am 24 Nov. 1768.

Hochgeehrtester Herr Professor,

Junge, geht Morgen ab, sollte ich diese Gelegenheit versäumen, an Sie zu schreiben? Ich beneide alle Welt, die nach Sachsen geht, und meine Briefe dazu; und doch ist meine Correspondenz nach Sachsen, jetzt fast das einzige, daran ich ein würckliches Vergnügen finde.

Sie werden Sich verwundern, was Ihr Tischer für Kostbaarkeiten mitbringt; wir haben uns alle gefreut, dass seine Reise, die Kranckheit ausgenommen, so glücklich gewesen ist, und hoffen, dass seine Rückreise bey dieser schlimmen Jahrszeit, so gut gehen wird, als es wahrscheinlich ist.

Wäre der Weeg nach Leipzig, nur nicht gar so schlimm, und gar so lang; ich wollte Sie einmal recht unvermuhtet überfallen. Denn Ich habe Ihnen gar zu viel zu sagen. Sie wissen ich hatte immer einen hübschen Fond von Reflecktiohnen die ich Ihnen meistenteils vortrug, freylich gingen sie manchmal etwas queer, nun, da belehrten Sie mich eines bessern; aber es giebt tausend Dinge, die man ohne Bedencken sagt, die man aber groses Bedencken trägt zu schreiben.

Meine Gedancken über den Idris, und den Brief an Riedeln,[111] über den Ugolino, über Weissens Grosmuht für Grosmuht, über die Abhandlung von Kupferstichen, aus dem Englischen,[112] sind zwar zum erzälen ganz erträglich, zum Schreiben noch lange nicht ordentlich, nicht richtig genug.

Die Cabinette hier, sind zwar klein, dafür sind sie häufig und ausgesucht, mein gröstes Vergnügen ist, mich recht darinne umzusehen. Es ist gut dass Sie mich gelehrt haben, wie man sich umsieht.

Sonst leide ich viel der Kunst wegen; mein Glück, dass ich schon gewohnt binn, um meiner Freunde willen zu leiden. Apostel, Propheten und Poeten, schätzt man selten in ihrem Vaterlande, und noch seltner zu der Zeit, da man sie alle Tage sehn kann; und doch kann ich mich nicht enthalten den guten Geschmack zu predigen; richtet man gleich nicht viel aus, so lernt man doch immer dabey, und sollte man auch nur bey der Gelegenheit erfahren, dass weit ausgebreitete Gelehrsamkeit, tiefdenckende spitzfündige Weisheit, fliegender Witz und gründliche Schulwissenschafften, mit dem Guten Geschmacke, sehr heterogen sind.

Das Frauenzimmer liebt sich hier sehr das erstaunliche, vom schönen, naiven, komischen halten sie weniger. Desswegen sind alle Meerwunder: Grandison, Eugenie,[113] der Galeerensclave,[114] und wie die ganze fantastische Famielie heisst, hier im grossen Ansehn. Von der Wilhelmine, die doch dem Himmel sey Danck, dreymal aufgelegt ist,[115] habe ich trutz aller Nachfrage in keiner Damenbibliotheck Ein Exemplar auftreiben können. Nächstens ein mehreres von diesen betrübten Umständen.

Wenn der Rothstein und die schwarze Kreide gut sind, so steht Ihnen mehr zu Diensten. Empfelen Sie mich gütig, Ihrer Frau Gemalinn, und der ganzen Famielie; wie auch meinen Gönnern und Freunden, denen Herren Creuchauf, Weisse, Clodius Hubert, v. Hartenberg, Cravinus, Gröning, namentlich. Meine Eltern empfelen sich Ihnen. Und ich binn, mit der zärtlichsten Hochachtung,

Ihr
ergebenster Schüler
und Diener,
Goethe.

[111] Wielands Brief an Riedel war der ersten Ausgabe von Idris und Zenide (1767) vorgedruckt.

[112] An essay upon prints. Lond. 1768. 8.

[113] Eine Übersetzung der Eugenie von Beaumarchais (Paris 1767) erschien Leipzig 1768; vgl. Werke XXII. S. 147.

[114] Der Galeerensclave (Leipz. 1768) war eine Übersetzung von L'honnête criminel von Fenouillot de Falbaire (Par. 1766). Lessing dachte einmal an eine Bearbeitung desselben Stoffs, „denn er war mit dem französischen Stücke davon nicht zufrieden, soviel auch deren deutsche Vorstellung damals Beifall erhielt.“ Lessings theatr. Nachlaß I. S. XLVII.

[115] Thümmels Wilhelmine war in Leipzig 1764, 1766, 1768 erschienen; vgl. Werke XXII. S. 148.

IV.[116]

Ich bin verschwunden wie ich erschienen bin. Liebster Mann, tausend Danck für alles, und unveränderliche Liebe in saecla saeclorum. Grüsen Sie ihre ganze Famielie, und Beckern[117]. Vergessen Sie die Abgüsse nicht und schicken sie bald. Der Herzog hat auf meine Beschreibung Lust zu den Snayers gekriegt, man muss sehn wie sie ihm gegenwärtig behagen. Drum bitt ich Sie, mir sie wohl gesäubert und wohl gepackt mit dem Postwagen zu übersenden. — Ich habe Leipzig ungern verlassen, — M. Becker soll mir manchmal schreiben.

Weimar d. 6. Apr. 1776.

Goethe.

[116] Hier fehlen mehrere Briefe; s. oben S. 107.

[117] W. G. Becker, Herausgeber der Erholungen und des Taschenbuchs zum geselligen Vergnügen, später Aufseher der Antikensammlung in Dresden, welcher in Oesers Hause sehr viel verkehrte.

V.

Wir wollen der Hrz. Louise auf ihren Geburtstag auf unsern Brettern ein neu Stück geben[118] und bedürfen dazu eines hintersten Vorhanges zum Wald. Wir mögten auf diesem Prospeckt gern eine herrliche Gegend vorstellen mit Haynen Teichen, wenigen Architeckturstücken &c. denn es soll einen Parck bedeuten.

Hätten Sie so was vorräthig so schicken Sies doch aber mit nächster Post, allenfalls ein Kupfer von Poussin, oder sonst eine Idee, wir bitten recht sehr drum. Sie haben erinnere ich mich so was auf einem Vorhang in Leipzig. Die Büste kriegen Sie ehstens. Ihr Andencken ist lebendig unter uns. Herzoginn Louise hat mir Vorwürfe gemacht dass ich Sie nicht zu ihr gebracht habe, also müssen Sie bald wiederkommen das gut zu machen. Addio ist Ihnen nichts weiter von meiner Gottheit offenbaart worden?

d. 7 Jan. 77. Goethe.

[118] Proserpina wurde am 30. Jan. 1777 aufgeführt. Riemer Mittheilungen II. S. 38.

VI.

Wir sind durch einen andern Weeg wieder in unser Land gegangen, und haben Sie nicht mit nehmen können[119]. Es ist auch iezt Herzoginn Mutter in Ilmenau, ob Sies gleich wohl auch hätte freuen können Ihr dahin zu folgen.

Nun bitte ich inständig um die Basreliefs weil ich gern möchte die Rahmen fertigen lassen in ihrer Abwesenheit.

Gern unterhielt ich Sie von dem gebetnen Tische und von andern Sachen aber ich weis schon wies einem mit Ihnen geht.

Schicken Sie mir doch ein paar Zeichnungen zu steinernen Garten Bäncken ganz simpel aber schöne Formen.

Wenn ich von Ilmenau komme hören Sie mehr von mir.

Von dem Tische schreib ich Ihnen meine Gedancken. Ich hab mir wieder so ein fest Bild gemacht wie er aussehn soll und das ist wieder ein bisgen gothisch. Wir werden wieder Händel haben; es ist so schlimm was für mich zu machen als für irgend einen Philister. Schreiben Sie und schicken Sie bald.

d. 15 Jun. 78.
Goethe.

[119] Goethe war mit dem Herzog Anfang Mai in Leipzig gewesen, und dann mit ihm nach Berlin gereist, von wo sie Anfang Juni nach Weimar zurückkamen. Briefe an Frau v. Stein I. S. 165 ff. Merck Briefe II. S. 140. 146. Riemer Mittheilungen II. S. 59 f.

VII.[120]

Weimar den 10 Merz. 1780.

Meinen besten Dank werthester Herr Professor bezeige ich Ihnen für das gütig überschickte. Das Gefängniss soll abgezeichnet sogleich wieder zurückkommen.

Sie schreiben: „das mitfolgende auf Papier entworffene soll Schuman in des obigen Tone ausführen“ ich finde aber nichts worauf sich diese Linien beziehen könnten.

Die Zeichnung des Tischfuses liegt wieder bei ich wähle die terms und bitte Sie versprochnermassen so wohl um die Reinlichkeit des Details als um die Stellung, Construktion und Verbindung des Ganzen.

Auch ersuche ich sie mir bald möglichst einen Theaterleuchter zu schicken, denn wir sind bald so weit dass wir des Lichts bedürfen.

Sie stehen mein lieber Herr Professor mit noch verschiednen andern Sachen auf meinem Zettelein und ich bitte Sie aber und abermal ja Ihren Plan sicher zu machen, dass Sie mit eintretendem Frühjahr bei uns sein können.

Den Brief werd' ich besorgen und die Kiste erwarten.

Goethe

[120] Von hier an sind die Briefe nicht mehr von Goethes Hand geschrieben.

VIII.

Ihre Briefe habe ich übergeben und Ihre Aufträge ausgerichtet. Wahrscheinlich erhalten Sie mit der heutigen Post auch Ihre Büste und ich hoffe dass Sie einigermassen mit der Arbeit zufrieden sein werden.[121] Ich habe mit Clauern gesprochen, wegen des Verlangens das Sie haben ihn auf eine Zeit bei Sich zu sehen. Er scheint unentschlossen und ich wünschte selbst, ehe ich Durchl. dem Herzog etwas davon sage und um Urlaub für ihn bitte, näher unterrichtet zu sein, auf was für eine Art, wie lang und zu welchem Zweck Sie ihn bei Sich zu haben wünschen, denn nach allen diesem wird der Herr mich gewiss fragen. Klauer selbst scheint wegen einiger näherer Bestimmung verlegen und ich wollte selbst rathen mit ihm dadrüber so ausführlich und deutlich als möglich zu handeln. Es giebt bei Arbeiten des Künstlers die schweer zu schätzen sind meistentheils zulezt ein Misvergnügen, wenn man sich nicht gleich Anfangs zusammen auf einen festen Fus gesezt hat. Es bleibt ihm ohnedem auch hier noch verschiedenes zu thun, wo er unter ein Viertel Jahr schweerlich fertig wird.

Ich schicke hier versprochener massen ein Exemplar der berühmten Correspondenz, die ich mir zu seiner Zeit wieder zurück erbitte. Ich weis nicht ob es Ihnen gehen wird, wie mir, Sie ist mir in der Erzählung hübscher und lustiger vorgekommen als Sie mir gedruckt erscheint.

Wollen Sie etwa einige architektonische Zeichnungen für Durchl. den Prinzen[122] hierher schicken so würde ich sorgen dass sie kopirt werden.

In dem ich dieses schreibe sind Sie wohl in einer wichtigen Handlung begriffen, wozu ich alles Glück wünsche.[123] Vielleicht steht die Statue schon auf ihrem Plaz und ich bin recht neugierig sie zu sehen.

Leben Sie recht wohl. Denken Sie gelegentlich an die Aufträge mit denen wir Sie belästigt haben. Weimar den 3 Aug. 1780.

Goethe

[121] Der Bildhauer Klauer hatte, als Oeser im Sommer 1780 in Weimar war, dessen Büste modellirt, mit welcher Goethe seine Zufriedenheit wiederholt ausspricht, Briefe an Frau v. Stein I. S. 318. 319. 321 an Merck I. S. 252.

[122] Prinz Constantin, Bruder des Herzogs.

[123] Das Oesersche Standbild Friedrich Augusts III. auf dem Königsplatz in Leipzig wurde am 3. Aug. 1780 feierlich aufgerichtet.

IX.

In der Zerstreuung, in die mich vielerley Geschäfte bey meiner Ankunft versezen, kann ich nur mein bester Herr Profeßor Ihnen für die viele Liebe und Freundschaft danken die Sie mir bey meinem Aufenthalt in Leipzig bezeiget. Da mir meine Stunden so knapp zugemeßen waren, wie viel bin ich Ihnen nicht schuldig dass Sie mir den größten Theil davon so angenehm und nüzlich haben verbringen machen.

Da ich übermorgen als den 3t. schon wieder von hier abreisen muß,[124] so bitte ich Sie wegen der abzuschickenden Statue mit dem Herrn Rath Bertuch zu korrespondiren, dem ich den umständlichen Auftrag gegeben habe. Er wird auf Ihre Nachricht den Fuhrmann zur rechten Zeit nach Leipzig schicken, und das nöthige besorgen.

Ich empfehle mich Ihnen und den Ihrigen aufs beste, wobey sich mein kleiner Reisegefährdte[125] mit anschließt. Verzeihen Sie alle Beschwerden die ich Ihnen mache, und bleiben Sie meiner vollkommensten Ergebenheit versichert. Weimar d. 1 Okt. 1781.

Das bewußte Basrelief wird nächstens anlangen.

Goethe

[124] Nach Gotha. Briefe an Frau v. Stein II. S. 103 ff.

[125] Friedrich v. Stein. Briefe an Frau v. Stein II. S. 102 ff.

X.

Mein Dank kommt spät lieber Herr Professor und ist noch immer so warm als beym Abschiede, da ich gewiß sehr ungerne Leipzig verließ.[126] Sie haben mir meinen Aufenthalt so angenehm und nüzlich gemacht als möglich und ich bin wie immer bereichert von Ihnen weggegangen.

Zwar habe ich es gemacht wie das Volk Israel bey seinem Auszuge aus Egypten. Sie werden verschiedenes vermissen worunter besonders ein großer Pinsel ist, welchen ich aber mir ohne Furcht und Reue zugeeignet habe. Wenn wir so glücklich sind Sie aufs Frühjahr hier zu sehen[127] soll Ihnen alles vorgelegt werden was ich damit biß dahin zu Stande bringe. Die Farbe ist gekocht, die Kunststüke werden geübt, aber leider ists noch immer das Rähmchen was mir an solchen Arbeiten am besten gelingt.

Die verlangte Büste für Herrn Breitkopf ist eingepackt und geht mit dem Schaurischen Wagen ab. Den Riß des Observatorii habe ich in eine Schachtel an Rosten beypacken laßen, und auch dieser wird hoffentlich zur rechten Zeit anlangen.

Nun aber muß ich auf das dringendste um den berühmten Brunnen bitten. Der Versuch ist gemacht worden, man hat ihn in die Höhe gestaucht, welches wohl angeht. Freylich läuft er da in einer starken Röhre und in einem schwachen Spiegel. Haben Sie die Güte mir die Zeichnung so bald als möglich zu schicken, denn es warten die Anlagen der Weege und die Pflanzungen darauf und ob gleich die Jahrszeit strenge ist so sind doch immer unsere gnädigsten Herrn in Arbeit.

Große Steine sind auch zu dem berühmten Felsen hinzugeschafft und warten nur auf Ihre schöpferische Befehle um sich zu einem schönen Ganzen zu bilden. Lassen Sie nun unsere Hoffnungen nicht scheitern und kommen mit der ersten guten Jahreszeit.[128]

Empfehlen Sie mich den werthen Ihrigen und danken tausendmal für die viele gefällige Hülfe und freundliche Unterhaltung, womit sie bey meinem Aufenthalte gegen mich so freygebig gewesen sind.

Herrn Creuchauf recht viele Complimente.

Was macht mein Burscher? Werde ich balde ein Kunstwerk des neuen Hogarths sehen?

Ich habe auch gleich nach meiner Ankunft die feinen Pappen nachmachen laßen, sie sind aber zum erstenmale nicht ganz glücklich gerathen, es fehlt ihnen an dem nöthigen Leime, weswegen sich der Papiermacher mit der Witterung entschuldigt.

Wenn Sie zu uns kommen werden Sie Sich an den vortreflichen Eisenstufen ergözen die ich aus dem Trierischen erhalten habe. Sogar auch Ungarische sind mir zugekommen. Freylich nicht so schön wie die Ihrigen.

Geben Sie mir bald Gelegenheit, daß ich wenigstens einigermassen aus Ihrer Schuld komme in der ich so viel stehe.

Leben Sie nochmals auf das beste wohl.

Weimar 30 Jan. 1783.

Goethe

[126] Friederike Oeser schreibt an ihren Bruder 6. Jan. 1783: „Der Hr. Geheime Rath v. Goethe ist diese Feyertage in Leipzig gewesen, wo manches gesprochen worden ist.“

[127] Oeser kam im Juli nach Weimar, und „war gar lustig, Herder gut, Wieland gesprächig, Musäus gutmüthig und platt wie immer.“ Briefe an Frau v. Stein II. S. 327.

[128] Von der Theilnahme Oesers an diesen Anlagen zeugt auch ein Blatt, auf welches Goethe das Epigramm auf Amor, der die Nachtigall füttert, geschrieben hat und zwar in der Form, wie es in Tiefurt in den Stein gegraben ist, vgl. Briefe an Frau v. Stein II. S. 208. Sollte die kleine Statue von Oeser sein?

An Friederike Oeser.

I.[129]

Franckfurt am 6. Nov. 1768.

Mamsell,

So launisch, wie ein Kind das zahnt;
Bald schüchtern, wie ein Kaufmann den man mahnt,
Bald still, wie ein Hypochondrist,
Und sittig, wie ein Mennonist,
Und folgsam, wie ein gutes Lamm;
Bald lustig, wie ein Bräutigam,
Leb' ich, und binn halb kranck und halb gesund,
Am ganzen Leibe wohl, nur in dem Halse wund;
Sehr missvergnügt, dass meine Lunge
Nicht so viel Ahtem reicht, als meine Zunge
Zu manchen Zeiten braucht, wenn sie mit Stolz erzählt,
Was ich bey Euch gehabt, und was mir jetzt hier fehlt.
Da sucht man nun mit Macht mir neues Leben,
Und neuen Muht und neue Krafft zu geben;
Drum reichet mir mein Docktor Medicinä
Extrackte aus der Cortex Chinä,
Die jungen Herrn erschlaffte Nerven
An Augen, Fus und Hand,
Auf's neue stärcken den Verstand,
Und das Gedächtniss schärfen.
Besonders ist er drauf bedacht,
Durch Ordnung wieder einzubringen,
Was Unordnung so schlimm gemacht,
Und heisst mich meinen Willen zwingen.
Bey Tag, und sonderlich bey Nacht,
Nur an nichts reitzendes gedacht!
Welch ein Befehl für einen Zeichnergeist,
Den jeder Reitz bis zum Entzücken reisst.
Des Bouchers Mädgen nimmt er mir
Aus meiner Stube, hängt dafür
Mir eine abgelebte Frau,
Mit riesigem Gesicht, mit halbzerbrochnem Zahne,
Vom fleissig kalten Gerhard Dow
An meine Wand, langweilige Tisane
Setzt er mir statt des Weins dazu.
O sage Du,
Kann man was traurigers erfahren?
Am Körper alt, und jung an Jahren,
Halb siech, und halb gesund zu seyn?
Das giebt so melanchol'sche Laune,
Und ihre Pein
Würd' ich nicht los, und hätt' ich sechs Alraune.
Was nützte mir der ganzen Erde Geld?
Kein krancker Mensch geniesst die Welt.
Und dennoch wollt' ich gar nicht klagen,
Denn ich binn schon im Leiden sehr geübt;
Hätt' ich nur das, was uns die Plagen,
Die Last der Kranckheit zu ertragen,
Mehr Krafft als selbst die Tugend giebt.
Verkürzung grauer Regenstunden,
Balsam'sches Pflaster aller Wunden,
Gesellschafftsgeister die man liebt.
Zwar hab ich hier an meiner Seite
Beständig rechte gute Leute,
Die mit mir leiden, wenn ich leide,
Sie sorgen mir für manche Freude,
Es fehlt mir nur an mir, um recht beglückt zu seyn.
Und dennoch kenn' ich niemand, der die Pein
Des Schmerzens, so behende stillt, die Ruh
Mit Einem Blick der Seele schenckt, wie Du.
Ich kam zu Dir, ein Todter aus dem Grabe,
Den bald ein zweyter Todt zum zweytenmal begräbt;
Und wem er nur einmal recht nah um's Haupt geschwebt,
Der bebt
Bey der Erinnerung, gewiss so lang er lebt.
Ich weiss wie ich gezittert habe;
Doch machtest Du mit Deiner süssen Gabe,
Ein Blumenbeet mir aus dem Grabe;
Erzähltest mir wie schön, wie kummerfrey,
Wie gut, wie süss Dein seelig Leben sey,
Mit einem Ton von solcher Schmeicheley,
Dass ich, was mir das Elend jemals raubte,
Weil Du's besas'st selbst zu besitzen glaubte.
Zufrieden reisst ich fort, und was noch mehr ist, froh,
Und ganz war meine Reise so.
Ich kam hierher, und fand das Frauenzimmer
Ein bissgen — ja man sagt's nicht gern — wie immer,
Gnug bis hierher hat keine mich gerührt.[130]
Zwar sag ich nicht was einst Herr Schübler[131]
Von Hamburgs Schönen prädicirt,
Doch binn ich auch ein starcker Grübler,
Seitdem Ihr Mädgen mich verführt,
Die ich wohl schwerlich je vergesse;
Und da begreiffst Du wohl, dass jede leicht verliert,
Die ich nach Eurem Maasstab messe.
Du lieber Gott! an Munterkeit ist hie
An Einsicht, und an Witz Dir keine einz'ge gleich,
Und Deiner Stimme Harmonie
Wie käme die heraus in's Reich.
So ein Gespräch, wie unsers war, im Garten,
Und in der Loge noch, mit diesem seltnen Zug,
So aufgeweckt, und doch so klug,
Ja, darauf kann ich warten.
Binn ich bey Mädgen launisch froh;
So sehn sie sittenrichtrisch sträflich,
Da heisst's: der Herr ist wohl aus Bergamo?
Sie sagen's nicht einmal so höflich.
Zeigt man Verstand, so ist das auch nicht recht.
Denn will sich einer nicht bequemen
Des Grandisons ergebner Knecht
Zu seyn, und alles blindlings anzunehmen
Was der Dicktator spricht,
Den lacht man aus, den hört man nicht.
Wie seyd Ihr nicht so gut, so Euch zu bessern willig,
Auf eigne Fehler streng, und gegen fremde billig,
Und zum Gefallen ohnbemüht,
Ist niemand den Ihr nicht gewönnet.
Ah, man ist Euer Freund, so wenig man Euch kennet,
Man liebt Euch, eh man's sich versieht;
Mit einem Mädgen hier zu Lande,
Ist's aber ein langweilig Spiel,
Zur Freundschafft fehlt's ihr am Verstande,
Zur Liebe fehlt's ihr am Gefühl.
Drauf ging ich ganz gewiss, hätt ich nicht so viel Laune,
Bräch' ich mir nicht gar manche Lust vom Zaune,
Lacht ich nicht da wo keine Seele lacht.
Und dächt ich nicht, dass Ihr schon offt an mich gedacht.
Ja, dencken müsst Ihr offt an mich, das sage
Ich Euch, besonders an dem Tage
Wenn Ihr auf Euerm Landgut[132] seyd,
Dem Ort der mir so manche Plage
Gemacht, dem Ort der mich so sehr erfreut.
Doch Du verstehst mich nicht, ich will es Dir erklären,
Ich weiss doch Du verzeihst es mir.
Die Lieder die ich dir gegeben, die gehören
Als wahres Eigentuhm dem schönen Ort und Dir.
Wenn mich mein böses Mädgen plagte,
Wenn der Verdruss mich aus den Mauern jagte,
War ich verwegen gnug, und wagte
Dich aufzusuchen eh es tagte,
Auf Deinen Feldern die Du liebst,
Die Du mir offt so schön beschriebst.
Da ging ich nun in Deinem Paradiese,
In jedem Holz, auf jeder Wiese,
Am Fluss, am Bach, das hoffende Gesicht
Vom Morgenstrahl geschminckt, und sucht' und fand Dich nicht.
Dann schlug ich, angereitzt von launischem Verdrusse,
Den armen Frosch, am sonnbestrahlten Flusse,
Dann jagt' ich ringsumher, und fing
Bald einen Reim bald einen Schmetterling.
Und mancher Reim, und mancher Schmetterling
Entging
Der ausgestreckten Hand, die mitten
In ihrem Haschen stille stand,
Wenn aus dem Wald, von Stimmen oder Tritten
Den Schall, mein lauschend Ohr empfand.
Am Tage sang ich diese Lieder,
Am Abend ging ich wieder heim,
Nahm meine Feder, schrieb sie nieder
Den guten und den schlechten Reim.
Offt kehrt ich noch mit immer schlechterm Glücke
Auf die fatale Flur zurücke,
Biss mir zuletzt das günstige Geschicke
Noch einen Tag den ich nicht hoffte gab.
Doch ich genoss sie kaum die süssen letzten Stunden,
Sie waren gar zu nah am Grab.
Ich sage nicht was ich empfunden,
Denn mein prosaisches Gedicht
Stimmt diesesmal sehr zur Empfindung nicht.
Du hast die Lieder nun, und zur Belohnung
Für alles was ich für Dich litt,
Besuchst Du Deine seelge Wohnung;
So nimm sie mit;
Und sing sie manchmal an den Orten
Mit Lust wo ich aus Schmerz sie sang,
Dann denck an mich, und sage: dorten
Am Flusse wartete er lang,
Der Arme der so offt mit ungewognem Glücke
Die schönen Felder fühllos sah!
Käm er in diesem Augenblicke,
Eh nun, jetzt wär' ich da.
Jetzt, dächt ich nun, war's hohe Zeit zum Schliessen,
Denn wenn man so zwey Bogen[133] Reime schreibt,
Da wollen sie zuletzt nicht fliessen.
Doch warte nur wenn mich die Laune treibt,
Und Deine Gunst mir sonst versichert bleibt,
So schreib ich Dir noch manchen Brief wie diesen.
Willst Du mir die Geschwister grüssen,
So schliesse Richtern[134] auch mit ein.
Leb wohl! Und wird das Glück Dein Freund beständig seyn
Wie ich; so wirst Du steets des schönsten Glücks geniessen.

Goethe.

[129] Gedruckt in Goethes Werken VI. S. 56 ff. (1840) mit wenigen nicht bedeutenden Abweichungen, hier genau nach dem Original.

[130] Horn schreibt auch nach seiner Rückkehr nach Frankfurt: „Hier im Reiche ist es gar nicht auszuhalten, die Leute sind so stipide, als man es sich nur vorstellen kann. Manchmal muß ich drüber lachen, aber öfters ärgere ich mich darüber. — Die Mädchen! o die sind hier ganz unerträglich! sehr stoltz und ohne allen Menschenverstand. Ich mögte rasend werden, wenn ich an Leipzig gedencke. Nicht eine ist fähig eine discours zu führen, als etwa vom Wetter, oder von einer neumodischen Haube.“

[131] Daniel Schiebeler aus Hamburg hielt sich von 1765 bis 1768 in Leipzig auf, und beschäftigte sich mit Musik und Dichtkunst. Seine auserlesenen Gedichte gab Eschenburg heraus (Hamburg 1773). Goethe erwähnt ihn (Werke XXI. S. 138) und daß sein Singspiel „Lisuard und Dariolette“ von ihm und seinen Freunden begünstigt ward. Wie es scheint gehörte auch er dem Oeserschen Kreise an. Hier ist auf den Schluß seines Gedichtes „Pygmalion“ angespielt:

„Wenn stets dich zu erhöhen
Mein Herz, Gott Amor, eifrig war;
So fleuch itzt auf mein Flehen
Zur Stadt, die mich gebar.
Statüen wirst Du finden,
So schöne macht ein Künstler nie.
O Vater vom Empfinden!
Hauch zu! so leben sie.“

[132] In Dölitz, eine gute Stunde von Leipzig.

[133] Es sind wirklich zwei Briefbogen, sehr fest und sauber geschrieben.

[134] Den bereits oben genannten Obergeleitseinnehmer Richter.

II.

Mademoiselle,

Sie ist lang ausgeblieben, die Antwort! soll ich Sie wohl um Vergebung bitten? Nein gewiss, wenn ich das dürfte; Wenn ich sagen dürffte: Mamsell, verzeihen Sie, ich hatte viel, viel Geschäffte, daran sich Herckules den Arm aus der Pfanne hätte heben mögen, ich konnte ohnmöglich, die Tage waren kurz, mein Gehirn, wegen der Einstrahlung des Steinbocks und Wassermanns, etwas kalt und feucht, und noch die ganze Reihe von alletags Entschuldigungen, um nicht auf sich kommen zu lassen, man sey faul, dazugerechnet; Sehen Sie, wenn ich in Umständen wäre, so was zu sagen, ich schrieb lieber in meinem Leben nicht. O Mamsell, es war eine impertinente Composition von Laune meiner Natur, die mich vier Wochen, an den Bettfus, und vier Wochen, an den Sessel anschraubte, dass ich eben so gerne die Zeit über, hätte in einen gespaltenen Baum wollen eingezaubert seyn. Und doch sind sie herum, und ich habe das Capitel von Genügsamkeit, Geduld, und was übrigens für Materien ins Buch des Schicksaals gehören, wohl und gründlich studiert, binn auch dabey etwas kluger geworden; Sie werden mir also verzeihen wenn dieser Brief, mehr ein Commentar zu dem Ihrigen, als eine Antwort darauf wird; denn so viel Freude ich über das Blätgen gehabt habe, so viel habe ich auch dawider einzuwenden, und — Honneur aux Dames — aber wahrhafftig, Sie haben unrecht.

Wir müssen uns besser verstehn, eh wir uns weiter herauslassen. Vorausgesetzt, dass ich nicht mit Ihnen zufrieden binn! Und nun will ich anfangen, von Anfang biss zu Ende, ordentlich wie ein Cronickenschreiber; der Brief wird so lang werden, wie die Glosse eines Dompfaffen, über einen kleinen, leichten Text.

Sie wissens von Alters her, — wenigstens ist es meine Schuld nicht, wenn Sie es nicht wissen — Sie wissen, daß ich Sie für ein sehr gutes Mädgen halte, die schon, wenn Ihr dran gelegen wäre, einen ehrlichen Menschen mit dem weiblichen Geschlecht wieder versöhnen könnte, und wenn er aufgebracht wäre wie Wieland. Wenn ich mich irre; so ist das wieder meine Schuld nicht. Zwey Jahre beynahe, binn ich in Ihrem Hause herumgegangen, und ich habe Sie fast so selten gesehen, als ein Nachtforschender Magus einen Alraun pfeifen hört.

Von dem also zu reden was ich gesehen habe — die Kirche urtheilt nicht übers Verborgne, sagte Paris — So versichre ich Sie, dass ich davon bezaubert binn; aber wahrhafftig die ‘Philosophen’ von meiner Art, haben meist Ulysses Kräuterbüschel, unter den andern Galanterien, in einem Sachet bey sich, dass Ihnen die stärckste Bezauberung nicht mehr schadet als ein starcker Rausch, Kopfweh den andern Morgen, aber die Augen sind doch wieder helle. Dieses wohl begriffen, damit wir uns nicht missverstehen.

Sie sind glücklich, sehr glücklich; wenn mein Herz nicht jetzt für alle Empfindung todt wäre, ich wollte es Ihnen vorerzählen, vorsingen wollt' ich's Ihnen. Das möglichste von Gessners Welten; wenigstens bild ich's mir so ein. Und Ihre Seele hat sich sehr nach dem Glück gebildet, Sie sind zärtlich, fühlbaar, Kennerinn des Reitzes, gut für Sie, gut für Ihre Gespielen; aber nicht so gut für mich; und Sie müssen doch auch gut für mich seyn, wenn Sie ein ganzrechtgutes Mädgen seyn wollen. Ich war einmal kranck, und ward wieder gesund, eben genug, um mit Bequemlichkeit meinem letzten Willen nachdencken zu können. Ich schlich in der Welt herum, wie ein Geist, der nach seinem Ableben manchmal wieder an die Orte gezogen wird, die ihn sonst angezogen, da er sie noch körperlich geniesen konnte, jämmerlich schleicht er zu seinen Schätzen, und ich demütig zu meinem Mädgen, und zu meinen Freundinnen. Ich hoffte bedauert zu seyn; unsre Eigenliebe muss doch was hoffen, entweder Liebe oder Mittleiden. Betrogner Geist bleib in deiner Grube! Du magst noch so demütig, noch so flehend im weißen Rocke flehen und jammern, wer todt ist ist Todt, wer kranck ist, ist so gut wie todt; geh, Geist, geh, wenn sie nicht sagen sollen, du bist ein beschwerlicher Geist. Die Geschichten, die mich auf diese Betrachtung führten, gehören nicht hierher. Nur eine will ich Ihnen ausführlich erzählen, wenn ich mich sie noch recht besinne. Ich kam zu einem Mädgen, ich wollte drauf schwören, Sie wärens gewesen, die empfing mich mit grossem Jauchzen, und wollte sich zu Todte lachen, wie ein Mensch die Carickaturidee haben konnte, im 20sten Jahre an der Lungensucht zu sterben! Sie hat wohl recht, dacht ich, es ist lächerlich, nur für mich so wenig, als für den Alten im Sacke, der für Prügeln sterben möchte, über die eine ganze Versammlung fast für lachen stirbt.[135] Wie aber alle Sachen in der Welt zwey Seiten haben; und einem ein schönes artiges Mädgen, leicht schwarz vor weis verkaufen kann; und ich überhaupt leicht zu bereden binn, so gefiel mir das Ding so wohl, dass ich mir einbilden liess, es wäre alles Einbildung, und man wäre glücklich, so lang man vergnügt wäre, und so weiter; und da erzählte sie mir wie sie auf dem Lande so vergnügt gewesen wären, wie sie blinde Kuh gespielt, nach dem Topfe geschlagen, geangelt, und gesungen hätten, dass mir's ward wie's einem jungen Mädgen wird die den Grandison liesst; das ist ein feines Bissgen von einem Menschen, so einen möcht'st du auch haben, denckt sie. Wie gern hätte ich auch mitgemacht, und meine Kranckheit verschlimmert. Dem sey wie ihm wolle, Mamsell, es ist nichts so schlimm, dass das Schicksaal nicht zum Guten machen könnte, Ihre Unbarmherzigkeit in den letzten Tagen, gegen den armen Verurteilten, machte ihn starck; Glauben Sie mir, Sie sind alleine Schuld, dass ich Leipzig ohne sonderliche Schmerzen verlassen habe. Freudigkeit der Seele, und Heroismus ist so communicabel wie die Elecktricität, und Sie haben soviel davon, als die Elecktrische Maschine Feuerfuncken in sich enthält. Morgen seh ich sie wieder! ein Abschiedsgruss zu dem, den man auf die Galeeren schmieden will, ist wahrhafftig nicht der zärtlichste. Es sey! Mich hat er starck gemacht; und doch war ich nicht mit zufrieden. Die Grösse der Seele, ist meist unempfindlichkeit, unter uns gesagt. Wenn ich's wohl betrachte, so handelten Sie ganz natürlich, mein Abschied musste Ihnen gleichgültig seyn, mir war er's warrlich nicht. Ich hätte gewiss geweint, wenn ich nicht gefurcht hatte, Ihre weissen Handschuhe zu verderben; eine überflüssige Vorsicht, ich sah erst am Ende, dass sie gestrickt und von Seide waren, da hätte ich immer weinen können, doch da war's zu spät. Dass ich ein Ende mache. Ich ging aus Leipzig und Ihr Geist begleitete mich, mit der ganzen Munterkeit seines Wesens. Ich kam hier an, und fing an Betrachtungen zu machen, dazu ich bissher nicht Zeit gehabt hatte. Und sah mich hier nach Freunden um, und fand keine; nach Mädgen, die waren nicht so specificirt wie ich's liebe, und war im Jammer, und klage Ihnen das in wunderschönen Reimen, und dencke, ob Sie den wohl dich bedauern wird, und den unglücklichen Schwanen, durch ein Briefgen trösten wird! Da kam ein Brieflein! Nun das ist wohl wahr, erquickt war ich; denn Sie stellen sich die Trockenheit nicht vor, in der man hier, von Seiten einer angenehmen Unterhaltung lechzt; aber getröst war ich nicht; Ich sah dass Sie meynten, Poesie und Lügen wären nun Geschwister, und der Hr. Briefsteller könnte wohl ein sehr ehrlicher Mensch, aber auch ein starcker Poete seyn, der aus Vorurteil für das Clair obscür, offt die Farben etwas stärcker, und die Schatten etwas schwärzer aufstriche, als es die Natur thut. Bon, Sie sollen recht haben, wo sie's haben. Nur, das ist doch zu arg, Sachen bey mir zu supponiren, die ich doch so wenig besitze, als den Stein der Weisen. Einen gesunden Kopf, ein gutes Herz, nun dazu liess ich mich noch wohl bereden, zu glauben dass ich das hätte; aber gelehrige Schülerinnen, Freunde, wie sich's gehört, darauf wart ich noch; wenn ich sie erwischt habe, die Paradiesvögel, da will ich's Ihnen schreiben. Dass Sie also unrecht hatten, mir ein Rezept zu verschreiben, wozu die Species in Leipzig waren, dass mich das nothwendig kräncken musste, das sehen Sie nun wohl ein. Es ist sehr unbillig; Sie haben mein Herz gegen den Abschied von L. unempfindlich gemacht, Sie wollen gar haben daß ich es vergessen soll! O Sie kennen Sich und Ihre Landsmänninnen zu wenig! Wer die Minna hat zu Franckfurt aufführen sehen, der weiss besser was Sachsen ist. Sie haben also unrecht! Ich wiederhole es noch einmal, ob ich gleich in dem Augenblicke nicht weiss warum; denn ich habe so viel davon geschrieben, dass ich's drüber vergessen habe, wovon eigentlich die Rede war. Es mag nun seyn wie's will, so war die ganze Sache eine unparteiische, uneigennützige Erinnerung, an ein gewisses Frauenzimmer; dass zum rechten guten Herzen auch Mitleiden gehört; dass das noch lange nicht der höchste Grad von Empfindlichkeit ist, wenn man arme Leute und Lerchen füttert. Dass das Lachen gegen das reelle Unglück, so wenig eine gute Cur ist, als das aus dem Sinnschlagen. Dass wir wenn wir satt sind, eine Rede von Genügsamkeit sehr schlecht bey einem Hungrigen anwenden, und endlich, dass der liebenswürdigste Brief, nicht das hundertste Theil von dem Reiz der Unterredung enthält. Denn Sie hätten mir alles das, und noch mehr, und nicht einmal so schön, vorreden dürfen, so wäre ich confundirt gewesen, und hätte mich nie unterstanden, die geringste von diesen impertinenten Anmerckungen zu machen. Wenn die Frauenzimmer immer wüssten, was sie könnten, wenn sie wollten! — Es ist gut dass es ist wie's ist, ich will zufrieden seyn, dass sie unsre Schwächen nicht ganz kennen. Nun genug von dieser Materie, von der ich so viel geschrieben habe, weil ich nie wieder davon zu schreiben hoffe. Möchte ich doch einem Unglückligen gedient haben, den etwa das Schicksaal künftig in Ihre Hände übergiebt, die je niedlicher sie sind, desto grausamer peinigen können. Ich hoffe künftig Ihnen mit keinen Klagen, mit keinem Jammer beschwerlich zu fallen, ich hoffe das Mitleid nicht nötig zu haben, wozu ich Sie ermahne. Trutz der Kranckheit die war, trutz der Kranckheit die noch da ist, binn ich so vergnügt, so munter, offt so lustig dass ich Ihnen nicht nachgäbe, und wenn Sie mich in dem Augenblicke jetzt besuchten, da ich mich in einem Sessel, die Füsse wie eine Mumie verbunden, vor einen Tisch gelagert habe, um an Sie zu schreiben.

Hierher gehört auch dass ich in diesem neuen Jahre, eine Farçe gemacht habe, die ehstens, unter dem Titel: Lustspiel in Leipzig erscheinen wird. Den die Farçen sind jetzt auf allen Parnassen contrebande, wie alles aus der Zeit Ludwigs des Vierzehenden.

Es lebe Ihre Connexion in der Sie mit dem Schicksaale stehn, ich werde mich auch auf den Fus mit ihm setzen; und Ihr Wahlspruch, möchte auch noch hingehn, und gut und artig seyn, wenn er nur nicht eben vom Rhingluff,[136] oder Gott weis wie er heisst, genommen wäre, zwanzig Dichter haben es eben so gut, und besser gesagt, warum muss nun eben der Mensch, mit dem Barbarischen Nahmen, die Ehre haben; Denn unter uns gesagt ich binn keiner von seinen Freunden. Ich kenne ihn weiter nicht, aber seine Verse die ich kenne, dementiren den ehrwürdigen Bart, und das feyerliche Ansehn das ihm Herr Geyser[137] gegeben hat; ich will drauf schwören, in der Natur, sieht er jünger aus. Sind denn die Gesänge schlecht? Wer wird gleich solche Gewissensfragen thun! Genug ich weis nicht was ich mit machen soll. Mamsell, Sie sollen wenn Sie's verlangen, meine Meynungen über allerley Dinge wissen, sagen Sie mir die Ihrige, und es wird die angenehmste, fruchtbaarste Materie, für unsern Briefwechsel seyn; aber Erfahrung macht Misstrauen. Ich rede frey vor Ihnen, wie ich vor wenigen in Leipzig reden würde, nur lassen Sie niemanden sehn wie ich dencke. Seitdem Clodius freundschafftlichere Gesinnungen gegen mich blicken lässt, ist mir ein grosser Stein vom Herzen;[138] ich habe mich steets vor Beleidigungen gehütet. Rhingulff ist ohne Zweifel in Leipzig, vielleicht kennen Sie ihn. Ich weiss nichts, denn ich binn ausser aller Connexion, mit allen schönen Geistern. Ich dencke so von R. wie von allen Gesängen dieser Art. Gott sey Danck, dass wir Friede haben, zu was das Kriegsgeschrey. Ja wenns eine Dichtungsart wäre, wo viel Reichthum an Bildern, Sentiments oder sonst was läge. Ey gut da fischt immer! Aber nichts, als ein ewig Gedonnere der Schlacht, die Glut die im Muth aus den Augen blitzt, der goldne Huf mit Blut bespritzt, der Helm mit dem Federbusch, der Speer, ein paar Duzend ungeheure Hyperbeln, ein ewiges Ha! Ah! Wenn der Vers nicht voll werden will, und wenns lang währt, die Monotonie des Sylbenmaases, das ist zusammen nicht auszustehn. Gleim, und Weise und Gessner in Einem Liedgen, und was drüber ist hat man satt. Es ist ein Ding das gar nicht interessirt, ein Gewäsche das nichts taugt als die Zeit zu verderben. Forcirte Gemälde weil der Herr Verf. die Natur nicht gesehen hat, ewige egale Wendungen; denn Schlacht ist Schlacht, und die Situationen die es etwa reicht sind sehr genützt. Und was geht mich der Sieg der Teutschen an, dass ich das Frohlocken mit anhören soll, eh! das kann ich selbst. Macht mich was empfinden, was ich nicht gefühlt, was dencken was ich nicht gedacht habe, und ich will euch loben. Aber Lärm und Geschrey statt dem Pathos, das thut's nicht. Flittergold, und das ist alles. Hernach sind in R. Gemälde ländlicher Unschuld; sie möchten gut seyn, in Arkadien angebracht zu werden; unter Deutschlands Eichen, wurden keine Nymphen gebohren wie unter den Myrthen, im Tempe. Und was an einem Gemälde am unerträglichsten ist, ist Unwahrheit. Ein Mährgen hat seine Wahrheit, und muss sie haben, sonst wär es kein Mährgen. Und wenn man nun das Sujet so chiffonirt sieht, so wird's einem bang. Da meynen die Herren das fremde Costume sollte was thun! Wenn's Stück schlecht ist, was sind des Ackteurs schöne Kleider! Wenn Ossian im Geiste seiner Zeit singt, so brauche ich gerne Commentars, sein Costume zu erklären, ich kann mir viele Mühe darum geben; nur wenn neuere Dichter sich den Kopf zerbrechen, ihr Gedicht im alten Gusto zu machen, dass ich mir den Kopf zerbrechen soll, es in die neue Sprache zu übersetzen, das will mir meine Laune nicht erlauben. Gerstenbergs Skalden hätt ich lange gern gelesen, wenn nur das Wörterverzeichniss nicht wäre. Es ist ein groser Geist, und hat aparte Prinzipia. Von seinem Ugolino soll mann gar nicht urteilen. Ich sage nur bey der Gelegenheit: Grazie und das hohe Pathos sind heterogen; und niemand wird sie vereinigen dass sie ein würdig Süjet einer edlen Kunst werden, da nicht einmal das hohe Pathos ein Süjet für die Mahlerey dem Probierstein der Grazie; und die Poesie hat gar nicht eben Ursache ihre Gränzen so auszudehnen, wie ihr Advocat meynt.[139] Er ist ein erfahrner Sachwalter; lieber ein wenig zu viel als zu wenig; ist seine Art zu dencken. Ich kann, ich darf mich nicht weiter erklären, Sie werden mich schon verstehen; Wenn man anders als grosse Geister denckt, so ist es gemeiniglich das Zeichen eines kleinen Geists. Ich mag nicht gerne, eins und das andre seyn. Ein grosser Geist irrt sich so gut wie ein kleiner, jener weil er keine Schrancken kennt, und dieser weil er seinen Horizont, für die Welt nimmt. O, meine Freundinn, das Licht ist die Wahrheit, doch die Sonne ist nicht die Wahrheit, von der doch das Licht quillt. Die Nacht ist Unwahrheit. Und was ist Schönheit? Sie ist nicht Licht und nicht Nacht. Dämmerung; eine Gebuhrt von Wahrheit und Unwahrheit. Ein Mittelding. In ihrem Reiche liegt ein Scheideweg so zweydeutig, so schielend, ein Herkules unter den Philosophen könnte sich vergreiffen. Ich will abbrechen; wenn ich in diese Materie komme, da werd' ich zu ausschweifend, und doch ist sie meine Lieblings Materie. Wie möchte ich ein Paar hübsche Abende, bei Ihrem lieben Vater seyn; ich hätte ihm gar so viel zu sagen. Meine Gegenwärtige Lebensart ist der Philosophie gewiedmet. Eingesperrt, allein, Circkel Papier, Feder und Dinte, und zwey Bücher, mein ganzes Rüstzeug. Und auf diesem einfachen Weege, komme ich in Erkenntniss der Wahrheit, offt so weit, und weiter, als andre mit ihrer Bibliothekarwissenschafft. Ein groser Gelehrter, ist selten ein grosser Philosoph, und wer mit Mühe viel Bücher durchblättert hat, verachtet das leichte einfältige Buch der Natur; und es ist doch nichts wahr als was einfältig ist; freylich eine schlechte Recommendation für die wahre Weisheit. Wer den einfältigen Weeg geht, der geh ihn, und schweige still, Demuth und Bedächtlichkeit, sind die nothwendigsten Eigenschafften unsrer Schritte darauf, deren jeder endlich belohnt wird. Ich dancke es Ihrem lieben Vater; Er hat meine Seele zuerst zu dieser Form bereitet, die Zeit wird meinen Fleis seegnen, dass er ausführen kann was angefangen ist.


So ist's mit mir, wenn ich ins schwätzen komme, so verlier ich mich, wie Sie; nur dass ich mir nicht so bald helfen kann. Wenn ich sagte, ich habe viel geschwätzt, so passte das eher hierher, als es zu Ihrem Brief passte. Er war ein wenig kurz.


Lassen Sie sich durch mich zum Schreiben aufmuntern! Sie wissen nicht, wie viel Sie für mich thun, wenn Sie für mich, sich nur einige Zeit beschäfftigen. Und nur des seltsamen wegen, sollten Sie den Briefwechsel ins Reich unterhalten.

Noch einige Kleinigkeiten eh ich schliesse. Meine Lieder, davon ein Teil das Unglück gehabt hat, Ihnen zu missfallen, werden mit Melodien auf Ostern gedruckt, ich würde mich vielleicht unterstanden haben, Ihnen ein unterschriebnes Exemplar zu wiedmen, wenn ich nicht wüsste, dass man Sie durch einige Kleinigkeiten, leicht zum schimpfen bewegen könnte, wie Sie selbst zu Anfange Ihres Briefs sagen; den ich wohl glaube verstanden zu haben. Es ist mein Unglück dass ich so leichtsinnig binn, und alles von der guten Seite ansehe. Dass Sie meine Lieder von der bösen angesehen haben; Ist das meine Schuld. Werfen Sie sie ins Feuer, und sehen Sie die gedruckten gar nicht an; nur bleiben Sie mir gewogen. Unter uns, ich bin einer von den gedultigen Poeten, gefällt euch das Gedicht nicht, so machen wir ein anders.

Von Wielanden[140] möchte ich gar zu gerne was noch schreiben, fürchtet ich nicht die Weitläuffigkeit. Es giebt Materie zu einem andern Brief genug. Sie haben mir ia auch noch viel zu sagen, sagen Sie in Ihrem letzten Brief; (der der erste war) ey, nehmen Sie sich nur alle acht Tage eine Stunde, einen Monat will ich gerne warten, und da hoff' ich, wird ein freundschafftlich Packetgen mich trösten. Unter andern würden Sie mir eine sonderbaare Gefälligkeit erweisen, wenn Sie mir von den neusten, artigen und guten Schriften Nachricht gäben; hier erfährt mann's immer erst ein Vierteljahr nach der Messe. Ob ich gleich fast ganz auf die neue Literatur jetzo renuncirt habe, und keine Verse mehr, ausser wenn mich ein Räuschgen ermuntert, fliessen wollen, so mag ich doch den Neologismus nicht ganz auf einmal verlassen. Es hängt einem immer noch an, das Skarteckgenlesen, das in Leipzig offt für Gelehrsamkeit passirt.

Wie gern käm ich auf Ostern zu Ihnen, wenn ich könnte; wissen Sie was, kommen Sie zu mir, oder schicken Sie mir den Papa. Wir haben Plaz für Sie alle wenn Sie kommen wollen. Es ist mein ganzer Ernst. Fragen Sie nur den Meister Junge,[141] der wird Ihnen sagen dass das wahr ist. Und unser Tisch lässt sich so gut anstossen, wenn Gäste kommen, wie der Ihrige. Sie werden freylich diese Invitation nicht annehmen, die sächsischen Mädgen sind etwas delicat. Gut, zwingen will ich Sie nicht. Aber wenn Sie mich böse machen, so komm ich selbst, und invitire Sie in eigner Person. Wollen Sie es hernach auch nicht annehmen?

Franckfurt,
am 13. Febr.
1769.

Ich binn
Ihr ergebenster Freund
und Diener
Goethe.

[135] Bei Moliere, les fourberies de Scapin III, 2.

[136] K. Fr. Kretzschmann in Zittau hatte herausgegeben: „Der Gesang Ringulphs des Barden, als Varus geschlagen worden war“ (Zittau 1769); welcher in der Neuen Bibliothek der schönen Wissensch. 1769 VIII, 1 S. 76 ff. sehr gelobt wurde. Später erschien auch „Die Klage Ringulphs des Barden“ (Zittau 1771). In den Frankfurter Anzeigen machte sich Goethe noch über ihn lustig (Werke XXXII. S. 48): „Herr Kretschmann erscheint hier in einem ganz unvermutheten Lichte des Patrons, er steht nämlich mit der Goldsichel unter dem heiligen Eichenstamm und initiirt, als ein alter Barde, den Ankömmling Telynhard. Wer doch den Mann kennte, der ihn als Rhingulph eingeweiht hat, damit man's ihm ein klein wenig von Klopstock's und Gerstenberg's wegen verweisen könnte.“

[137] Der Kupferstecher, nachmals Oesers Schwiegersohn.

[138] Wegen der S. 17 f. erwähnten Parodie. Man sieht, Clodius beurtheilte diese Äußerung jugendlichen Übermuthes billig und verständig. Sein Sohn, der Professor C. A. H. Clodius, glaubte nach dem Erscheinen von Wahrheit und Dichtung die Ehre seines Vaters retten zu müssen durch einen Aufsatz im Morgenblatt (1812 N. 259 f.): „Über einige literarische Jugendurtheile des Herrn von Goethe“, in welchem er über der Pietät gegen seinen Vater die gegen den großen Mann vergessen zu haben scheint.

[139] Lessing im Laokoon.

[140] Vgl. an Reich I.

[141] S. oben S. 118.

III.

Franckfurt am 8. Apr. 1769.

Nun was ist denn das für ein gros Unglück, wenn ich Sie bitte, ein wenig zu plaudern? Wie kommen Sie drauf, einen ehrlichen Menschen der an nichts denckt, für einen Bösewicht anzuschreien, weil er einem Mädgen das Seine Zunge geläuffig und artig zu gebrauchen weiss, zu erkennen giebt, dass er diese vorzügliche Gabe Ihres Geschlechts zu schätzen weiss. Mich treffen alle Ihre vehemente Beschuldigungen, gar nicht; und Sie hätten besser gethan, wenn Sie nicht böse geworden wären.

Ich soll eine üble Idee vom schönen Geschlecht haben. Auf gewisse Art, ja! Nur müssen Sie mich verstehn, und meine Worte, nicht jedesmal mit einer schlimmen Glosse erklären.

Was ich erfahren habe, das weiss ich; und halte die Erfahrung für die einzige ächte Wissenschafft.[142] Ich versichre Sie, die Paar Jahre als ich lebe, habe ich von unserm Geschlecht eine sehr mittelmässige Idee gekriegt; und wahrhafftig keine bessre von Ihrem. — Nehmen Sie das nicht übel. — Sie haben mir's darnach gemacht; und selbst Sie, geben Sie mir nicht Anlass, in meiner Verstockung fortzufahren? Sie wollen mir Ihr Geschlecht, auf einer andern Seite zeigen! O, hätten Sie's bey der ersten gelassen, und Ihre Sache würde schlimm geblieben seyn, ohne schlimmer zu werden. Wie vortheilhafft ist denn diese neue Seite? Wir wollen sehen! — Dass jedes iunge, unschuldige Herz, unbesonnen, leichtgläubig, und desswegen leicht zu verführen ist, das liegt in der Natur der Unschuld. Läugnen Sie mir das! Und heisst denn das beschuldigen, wenn man die Sache sagt wie Sie ist. Und ist es denn Ihrem Geschlecht eine Schande leichtgläubig zu seyn? Es scheint als ob Sie's glaubten. Sie widersprechen mir, und wollen Ihr Geschlecht vertheidigen. — Dass nicht alle Mädgen Leichtsinnig sind das haben Sie bewiesen; ich muss es gestehen; Aber Sie haben mir zu einer gefährlichen Meynung geholfen: Der Klügere Theil ist also misstrauisch. Denn Misstrauen ist die Laune Ihres ganzen Brief's. Wodurch hab ich das verdient? O der Argwohn liegt in Ihrem Herzen, und da müssen nonchalante, grade, ehrliche Stellen meiner Briefe, boßhaffter Scherz seyn. Meine Blätter sind in Ihren Händen, und ich trutze drauf; Sie werden keine Bosheit drinne finden, die Sie nicht drinne suchen.

Das Urteil eines Frauenzimmers, über Wercke des Geschmacks ist bey mir wichtiger als die Kritick des Kritickers, die Ursache liegt am Tage, und alle Ihre Beredsamkeit soll mir meine Ehrlichkeit nicht verdrehen. Was ich sage, wenn Sie bekennen, dass das Versgen von Rhingulffen,[143] aus List hingesetzt war? Das werden Sie wohl rahten können. Ich werde sagen, dass Sie Ihre Mausfallen gut zu stellen wissen, und dass mir's lieb ist, dass ich mich habe fangen lassen. Sie können sehn, wie ehrlich ich binn; wären Sie grad gewesen, und hätten mich gefragt, ich würde nicht mehr und nicht weniger gesagt haben. Wäre Hr. Gervinus[144] nicht bey mir gewesen, so wüste ich gar nicht wie ich dran wäre. Aus seiner Erzälung habe ich weg; dass der Barde, in Leipzig wohl aufgenommen worden, dass er durchgehends gefallen hat; und ich sehe wohl dass er auch Ihnen gefallen hat, und dass ich übels von Ihrem Freund geschrieben habe. Es sey! Was ich geschrieben habe das habe ich geschrieben. Schreiben Sie's auf Rechnung des Brodneids, oder der wenigen Empfindung, dass mir der Barde nicht behagt. Mir ist's eins. Genug, ich kann nichts empfinden, wo nichts gedacht ist. Und der Republikanische Geist verläugnet sich nicht; Sachsen hat seine Wildheit und Kühnheit gemässigt, aber zu dem Concert des Lobs hat es ihn nicht stimmen können. Ich dancke Ihrem Vater, das Gefühl des Ideals; und die gedrehten Reitze des Franzosen, werden mich so wenig exstastiren machen, als die platten Nymphen von Dieterich, so nackend und glatt sie auch sind. Jede Art hat ihre Verdienste, nach ihrem Maasstab; ich binn ihr gehorsamer Diener allerseits, aber, wir wollen uns desswegen nicht entzweyen, Mamsell; seyn Sie immerhin, nicht so streng gegen die Autoren, nur seyen Sie auch nicht so streng gegen mich. Wie soll ich mich mit Ihrem Geschlecht aussöhnen, wenn Sie so fortfahren wie Sie angefangen haben. Und doch, wenn es Ihnen nicht anders möglich ist, so zancken Sie nur, Sie sind doch immer hübsch, Sie mögen freundlich, oder böse seyn.

Ihre Bäume in Delis[145] fangen nun bald an auszuschlagen, und so lang sie grün sind, hoffe ich auf keinen Brief von Ihnen. Unterdessen will ich Sie schon zwingen, manchmal an mich zu dencken; mein Geist soll so heftig an Ihre Büsche dencken, dass er Ihnen erscheinen wird eh Sie Sich's versehn; und meine Briefe, sollen Sie auf die Reitze des Landlebens, in Prosa und Versen aufmercksamer machen, trutz Hirschfelden dem Anatomicker der Natur; wenn keine andre Materie vorkommen sollte. Hr. Regis wird schweerlich mit uns zufrieden seyn können, es thut mir weh das ein so angenehmer Mann, hier so einen unangenehmen Accessit zum erstenmal gefunden hat. Ich binn — ich weiss selbst nicht recht, was — Aber doch so gut als jemals, von ganzem Herzen

Ihr
Freund und Bewundrer
Goethe.

[142] Vgl. Werke XXI. S. 111 ff.

[143] Vgl. S. 154.

[144] Friedr. Gervinus aus Zweibrücken studirte seit 1768 in Leipzig.

[145] Dölitz.


Mehr Briefe an Friederike Oeser fanden sich in ihrem Nachlaß nicht vor. Allein Schöll hat (Briefe und Aufsätze von Goethe S. 49) nach Copien, welche Goethe zurückbehalten hatte, zwei in Straßburg geschriebene Briefe herausgegeben, welche, wie ich glaube, ebenfalls an sie gerichtet waren. Der erste ist überschrieben „an Mamsell F.“; der Aufenthalt in Sesenheim hatte ihm die Tage zurückgerufen, welche er in ähnlichem Verkehr in Oesers Landhause in Dölitz zugebracht hatte; der zweite, ohne Überschrift, folgt unmittelbar darauf auf demselben Bogen und hier ist die Beziehung auf Leipzig klar. Käthchen wird darin erwähnt, über welche nun Niemand zweifelhaft sein wird, und Fränzchen, vermuthlich jene Freundin, welche in Minna von Barnhelm die Franziska spielte, und in einem Briefe an Käthchen (S. 75) genannt wird. Zwar ist der Ton von den vorhergehenden merklich verschieden; man spürt, daß Goethe gesund und reifer geworden ist, man fühlt den Hauch der frisch aufkeimenden, ihn still beseligenden Liebe, übrigens paßt der Ton ganz zu seinem Verhältniß zu Friederike Oeser und auch das Element der Reflexion, welches diesem eigen war, tritt stark genug hervor. Ich lasse dieselben deshalb hier folgen.

IV.

An Mamsell F.

Am 14. Oct. (1770).

Soll ich Ihnen wieder einmal sagen, daß ich noch lebe, und wohl lebe, und so vergnügt als es ein Mittelzustand erlaubt, oder soll ich schweigen, und lieber gar nicht, als beschämt an Sie denken? Ich dächte nein. Vergebung erhalten, ist für mein Herz eben so süß als Dank verdienen, ja noch süßer denn die Empfindung ist uneigennütziger. Sie haben mich nicht vergessen, das weiß ich; ich habe Sie nicht vergessen, das wissen Sie, ohngeachtet eines Stillschweigens, dessen Dauer ich nicht berechnen mag. Ich habe niemals so lebhaft erfahren, was das sei, vergnügt ohne daß das Herz einigen Antheil hat, als jetzo, als hier in Straßburg. Eine ausgebreitete Bekanntschaft unter angenehmen Leuten, eine aufgeweckte muntre Gesellschaft jagt mir einen Tag nach dem andern vorüber, läßt mir wenig Zeit zu denken, und gar keine Ruhe zum Empfinden, und wenn man nichts empfindet, denkt man gewiß nicht an seine Freunde. Genug mein jetziges Leben ist vollkommen wie eine Schlittenfahrt, prächtig und klinglend, aber eben so wenig fürs Herz als es für Augen und Ohren viel ist.

Sie sollten wohl nicht rathen, wie mir jetzo so unverhofft der Einfall kömmt, Ihnen zu schreiben und weil die Ursache so gar artig ist, muß ich's Ihnen sagen.

Ich habe einige Tage auf dem Lande bei gar angenehmen Leuten zugebracht. Die Gesellschaft der liebenswürdigen Töchter vom Hause, die schöne Gegend und der freundlichste Himmel weckten in meinem Herzen jede schlafende Empfindung, jede Erinnerung an alles was ich liebe; daß ich kaum angelangt bin, als ich schon hier sitze und an Sie schreibe.

Und daraus können Sie sehen, in wiefern man seiner Freunde vergessen kann wenn's einem wohl geht. Es ist nur das schwärmende, zu bedaurende Glück, das uns unsrer selbst vergessen macht, das auch das Andenken an Geliebte verdunkelt; aber wenn man sich ganz fühlt, und still ist und die reinen Freuden der Liebe und Freundschaft genießt, dann ist durch eine besondere Sympathie jede unterbrochne Freundschaft, jede halbverschiedene Zärtlichkeit wieder auf einmal lebendig. Und Sie, meine liebe Freundin, die ich unter vielen vorzüglich so nennen kann, nehmen Sie diesen Brief als ein neues Zeugniß, daß ich Sie nie vergessen werde. Leben Sie glücklich u. s. w.

V.

Saarbrück am 27 Juni (1771).

Wenn das alles aufgeschrieben wäre, liebe Freundin, was ich an Sie gedacht habe, da ich diesen schönen Weg hierher machte und alle Abwechselungen eines herrlichen Sommertages in der süßesten Ruhe genoß; Sie würden mancherlei zu lesen haben und manchmal empfinden und oft lachen. Heute regnet's, und in meiner Einsamkeit finde ich nichts reizenders als an Sie zu denken; an Sie, das heißt zugleich an alle, die mich lieben und auch sogar an Käthchen, von der ich doch weiß, daß sie sich nicht verläugnen wird, daß sie gegen meine Briefe sein wird, was sie gegen mich war, und daß sie — Genug, wer sie auch nur als Silhouette gesehn hat, der kennt sie.

Gestern waren wir den ganzen Tag geritten, die Nacht kam herbei und wir kamen eben auf's Lothring'sche Gebirg, da die Saar im lieblichen Thal unten vorbei fließt. Wie ich so rechter Hand über die grüne Tiefe hinaussah und der Fluß in der Dämmerung so graulich und still floß und linker Hand die schwere Finsterniß des Buchenwaldes vom Berg über mich herabhing, wie um die dunklen Felsen durchs Gebüsch die leuchtenden Vögelchen still und geheimnißvoll zogen; da wurd's in meinem Herzen so still wie in der Gegend und die ganze Beschwerlichkeit des Tags war vergessen wie ein Traum, man braucht Anstrengung, um ihn im Gedächtniß aufzusuchen.

Welch Glück ist's, ein leichtes, ein freies Herz zu haben! Muth treibt uns an Beschwerlichkeit, an Gefahren; aber große Freuden werden nur mit großer Mühe erworben. Und das ist vielleicht das meiste was ich gegen die Liebe habe; man sagt, sie mache muthig; nimmermehr! Sobald unser Herz weich ist, ist es schwach. Wenn es so ganz warm an seine Brust schlägt und die Kehle wie zugeschnürt ist, und man Thränen aus den Augen zu drücken sucht und in einer unbegreiflichen Wonne dasitzt, wenn sie fließen, o da sind wir so schwach, daß uns Blumenketten fesseln, nicht weil sie durch irgend eine Zauberkraft stark sind, sondern weil wir zittern sie zu zerreissen.

Muthig wird wohl der Liebhaber, der in Gefahr kommt, sein Mädchen zu verlieren, aber das ist nicht mehr Liebe, das ist Neid. Wenn ich Liebe sage, so verstehe ich die wiegende Empfindung, in der unser Herz schwimmt, immer auf einem Fleck sich hin und her bewegt, wenn irgend ein Reiz es aus der gewöhnlichen Bahn der Gleichgültigkeit gerückt hat. Wir sind wie Kinder auf dem Schaukelpferde immer in Bewegung, immer in Arbeit und nimmer vom Fleck. Das ist das wahrste Bild eines Liebhabers. Wie traurig wird die Liebe, wenn man so schenirt ist, und doch können Verliebte nicht leben, ohne sich zu scheniren.

Sagen Sie meinem Fränzchen, daß ich noch immer ihr bin. Ich habe sie viel lieb, und ich ärgerte mich oft, daß sie mich so wenig schenirte; man will gebunden sein wenn man liebt.

Ich kenne einen guten Freund, dessen Mädchen oft die Gefälligkeit hatte, bei Tisch des Liebsten Füße zum Schemel der ihrigen zu machen.[146] Es geschah einen Abend, daß er aufstehen wollte, eh es ihr gelegen war; sie drückte ihren Fuß auf den seinigen, um ihn durch diese Schmeichelei festzuhalten; unglücklicher Weise kam sie mit dem Absatz auf seine Zehen, er stand viel Schmerzen aus, und doch kannte er den Werth einer Gunstbezeugung zu sehr, um seinen Fuß zurückzuziehen.

[146] Vgl. das in Leipz. gedichtete Lied „Der wahre Genuß“ (S. 182):

Ich bin genügsam, und genieße,
Schon da, wenn sie mir zärtlich lacht,
Wenn sie beym Tisch des Liebsten Füße
Zum Schemmel ihrer Füße macht.

Unter einer nicht unbedeutenden Anzahl von Briefen und Concepten von Friederike Oeser, welche ich durchgesehen habe, fand sich leider keiner der an Goethe geschriebenen. Um ein lebendigeres Bild von seiner Correspondentin zu erhalten, wird es nicht ohne Interesse sein ein Bruchstück aus einem Briefe an einen Freund in Dresden vom 21. Jan. 1770 hier zu lesen.

„Ich war, wie Sie wissen, der Liebling meines Vaters und seine stete Gesellschaft, auch selbst bey seinen Geschäften. Tausend kleine Streiche, die ich meinem phlegmatischen Bruder Hanß spielte, verriethen ein anschlägisches Köpfchen und oft eine kleine ‘fühlbare’ Thräne, bei dem Unglück einer Yariko, und eine Erbitterung über Beatens harte Gabe, ein gutes Herz, bey alle dem wurde oft auch ein gut Theilgen Ehrgeiz wahrgenommen. Doch plötzlich kam der grausame Krieg, der mir, vielleicht auf ewig, meine geliebte Vaterstadt entrissen! wir flüchteten vor seiner Wuth auf ein gräfliches Schloß,[147] wo wir uns 3 glückliche Jahre, von allen Unruhen entfernt, aufhielten. Hier l. N. wurde Ihre Freundin ein kleines Bauermädchen, die am liebsten Erdäpfel raufte oder zur Kirmes gieng! mein Vater war die meiste Zeit von uns entfernt, jeden Monat glaubten wir aufzubrechen, es wurde also kein Lehrer angenommen außer einem Schreibemeister, den seine gros gewachsene Schülerin noch täglich durch eine erstaunenswürdige Hand verewigt![148] meines Vaters kleine Reisebibliothek war alles womit ich mir bei grosen Regen die Zeit verkürzen konnte, ich las auch sehr fleißig, bey so traurigen Umständen und in diesen Zeiten erwarb ich mir meine Begriffe von der grosen Welt. Ich hatte von Jugend auf über mein verstümmeltes Gesichte klagen gehört, ich wußte also, schon in meinem 9. Jahre, daß ich nicht hübsch war (große Wissenschaft für junge Mädchen!) ich kannte das Unglück nur halb und wußte mich darüber zu trösten. „Hast du keinen schönen Körper, so sorge doch für andere schöne Tugenden (sagte ich zu mir selbst), du mußt geschickter werden als die ganze Welt, alles besser lernen als Mädchen die schön sind es zu lernen brauchen, denn dieses muß nothwendig der zweite Weg seyn, auf welchem man glücklich zu gefallen weiß. Es giebt lauter gute vernünftige Leuthe in der Welt. Und wenn du nur einmal gros bist, so mußt du dich in ihrer Gesellschaft ohne Nachteil zeigen können; wenn man diese oder jene wichtige Frage an dich thut, so mußt du dich in keiner Verlegenheit finden, darauf richtig zu antworten.“ Kurz l. N. meine Welt war ein gröserer Sammelplatz von Seltenheiten als Rolands Entdeckungen in dem Mond! und nie kann mehr Ehrgeiz in einem jungen Busen gelodert haben, doch Ehrgeiz ohne Stolz; ich war fast ganz unempfindlich wenn man mich über etwas lobte, besonders wie ich mich in meine Vorstellungen betrogen fand, und nach und nach die Leipziger Welt, als meine Welt, kennen lernte. Ich lernte sie und mich besser einsehen und da ich erst aus Ehrgeiz Beyspiele vor Augen genommen hatte (doch ist hier bloß von Geschicklichkeiten die Rede, denn mein Herz hatte seine besondere Ökonomie) die ich nie erreichen konnte, und ich endlich diese Kenntniß, als das sicherste Mittel, mich für mehr als gewöhnlicher Eitelkeit zu bewahren, zu nuzen suchte, so war es mir leicht, mich von dieser unglücklichen Sucht ziemlich zu heilen. Ich folgte nun ganz den Eingebungen meines ehrlichen guten Herzens, ich ward gegen eine Welt fast gleichgültig, in der ich böses hörte und viel unnüzes sah. Ich lernte meine Fehler nach und nach einsehen, und desto mehr Nachsicht gegen die Schwachheiten meiner Freunde (die ich nur zu gut entdeckte!) haben. Ich überließ mich gänzlich meinen Lieblingsneigungen, besonders dem Hange zum Lesen, wo ich dabey dem Rath vernünftiger Personen folgte, doch las ich nur solche Bücher, die mich reformireten und vergnügten, in dem grosen weitläuftigen doch unentbehrlichen Buch der menschlichen Erfahrungen lernte ich endlich auch ein paar Blätter umwenden. Und so bin ich das Mädchen geworden daß ich bin! daß Sie sehr gut kennen, l. N., und daß sich wohl schwerlich jemals von seinen Mängeln und grosen Fehlern ganz heilen wird. Wie ist nun dieses Mädchen geschickt, gründliche Urtheile über diese oder jene Abhandlungen zu sagen, da es nur die Schönheiten, die es fühlt, seinem Herzen und nicht seiner Kenntniß zu verdanken hat? und auch nicht eine Regel weiß, wodurch man das Gegentheil bei dieser oder jener Stelle beweisen könnte! Wollen Sie diese Urtheile meiner Empfindung anhören? so bin ich bereit Sie Ihnen bei jeder vorfallenden Gelegenheit mitzutheilen, aber um die Ursache, warum ich so empfinde, dürfen Sie mich nicht fragen! ich würde Ihnen höchstens: daß weiß ich selbsten nicht! antworten.“

[147] Dahlen, ein Gut des Grafen Bünau.

[148] Ihre Hand ist sehr deutlich, fest und bestimmt.

Goethes Leipziger Lieder.

Die Lieder, von welchen in diesen Briefen öfter die Rede ist, und von denen Goethe auch in Wahrheit und Dichtung erzählt, daß sie ohne seinen Namen gedruckt aber wenig bekannt worden seien, daß er später die besseren seinen übrigen kleinen Poesien eingeschaltet habe,[149] diese „Knospen und Blüthen, die der Frühling 1769 trieb“[150], erschienen unter folgendem Titel

Neue Lieder

in Melodieen gesetzt
von
Bernhard Theodor Breitkopf.

Leipzig
bey Bernhard Christoph Breitkopf und Sohn.
1770.

Es geht indeß aus unseren Briefen (S. 96) hervor, daß die Sammlung bereits im Jahr 1769 gedruckt ist. Auf dieses „älteste Liederbuch“ hat zuerst Tieck wieder aufmerksam gemacht, welcher im sechsten Band der neuen Jahrbücher der Berlinischen Gesellschaft für Deutsche Sprache und Alterthumskunde die Lieder wieder abdrucken ließ, worauf sie auch Viehoff in seiner Erläuterung der Goetheschen Gedichte (I. S. 45 ff.) mitgetheilt hat.

Ein Theil dieser Gedichte ist auch im „Almanach der Deutschen Musen“ aufs Jahr 1773 (2. 3. 7. 16.) und 1776 (4. 6. 10. 13.), so wie in der Leipz. Zeitschrift „die Muse“ vom J. 1776 (3. 7. 11.) mitgetheilt worden und zwar mit einigen im Ganzen nicht wesentlichen Abweichungen, die einer früheren Bearbeitung angehören. Was sich vermuthen ließ, daß sie aus Abschriften entnommen seien, die aus Goethes Aufenthalt in Leipzig herrührten, ist jetzt zur Gewißheit geworden.

Es war nämlich im Nachlaß von Friederike Oeser das allerälteste Liederbuch Goethes aufbewahrt, ein geschriebenes Heft mit dem Titel

Lieder
mit Melodien
Mademoiselle
Friederiken Oeser
gewiedmet
von
Goethen

dieselbe Sammlung, von welcher in dem poetischen Briefe an sie (S. 142 ff.) die Rede ist. Es enthält nur zehn Lieder, von welchen neun in der gedruckten Sammlung sich finden;[151] das zehnte ist nicht in dieselbe aufgenommen, aber auch dieses ist in der „Muse“ (S. 126 f.) abgedruckt, und im Inhaltsverzeichniß Goethe als Verfasser angegeben. Wie die Lieder so zeigen auch die Melodieen in dem handschriftlichen Heft hie und da Abweichungen, aber nur geringfügige, von den gedruckten. In demselben Nachlaß fand sich auch eine, aber nicht von Goethes Hand herrührende Abschrift des Hochzeitliedes vor, in welcher offenbar die erste Gestalt desselben aufbewahrt ist.

Da man die Leipziger Lieder an dieser Stelle ungern vermissen würde, lasse ich sie hier folgen und theile die Abweichungen jener älteren Bearbeitungen sowie am Schlusse das noch unbekannte Gedicht mit.

[149] Werke XXI. S. 135.

[150] Briefe an Frau v. Stein I. S. 28.

[151] Es sind — in dieser Ordnung — 11. 7. 13. 3. 5. 4. 12. 6. 10.

1. Neujahrslied.

Wer kömmt! Wer kauft von meiner Waar!
Devisen auf das neue Jahr,
Für alle Stände.
Und fehlt auch einer hie und da;
Ein einz'ger Handschuh paßt sich ja
An zwanzig Hände.
Du Jugend, die du tändelnd liebst,
Ein Küßgen um ein Küßgen giebst,
Unschuldig heiter.
Jetzt lebst du noch ein wenig dumm,
Geh nur erst dieses Jahr herum,
So bist du weiter.
Die ihr schon Amors Wege kennt,
Und schon ein bißgen lichter brennt,
Ihr macht mir bange.
Zum Ernst, ihr Kinder, von dem Spaas!
Das Jahr! zur höchsten Noth noch das,
Sonst währt's zu lange.
Du junger Mann, du junge Frau,
Lebt nicht zu treu, nicht zu genau
In enger Ehe.
Die Eifersucht quält manches Haus,
Und trägt am Ende doch nichts aus
Als doppelt Wehe.
Der Wittwer wünscht in seiner Noth
Zur seelgen Frau, durch schnellen Tod
Geführt zu werden.
Du guter Mann, nicht so verzagt!
Das, was dir fehlt, das, was dich plagt,
Find'st du auf Erden.
Ihr, die ihr Misogyne heißt,
Der Wein heb' euern großen Geist
Beständig höher.
Zwar Wein beschweret oft den Kopf,
Doch der thut manchem Ehetropf,
Wohl zehnmal weher.
Der Himmel geb zur Frühlingszeit,
Mir manches Lied voll Munterkeit,
Und Euch gefall' es.
Ihr lieben Mädgen singt sie mit,
Dann ist mein Wunsch am letzten Schritt
Dann hab' ich alles.

2. Der wahre Genuß.

Umsonst, daß du ein Herz zu lenken
Des Mädgens Schoos mit Golde füllst.
O Fürst, laß dir die Wollust schenken,
Wenn du sie wahr empfinden willst.
Gold kauft die Zunge ganzer Haufen,
Kein einzig Herz erwirbt es dir;
Doch willst du eine Tugend kaufen,
So geh und gieb dein Herz dafür.
Was ist die Lust die in den Armen
Der Buhlerinn die Wollust schafft?
Du wärst ein Vorwurf zum Erbarmen,
Ein Thor, wirst du nicht lasterhaft.
Sie küsset dich aus feilem Triebe,
Und Glut nach Gold füllt ihr Gesicht.
Unglücklicher! Du fühlst nicht Liebe,
So gar die Wollust fühlst du nicht.
Sey ohne Tugend, doch verliere
Den Vorzug eines Menschen nie!
Denn Wollust fühlen alle Thiere,
Der Mensch allein verfeinert sie.
Laß dich die Lehren nicht verdrießen,
Sie hindern dich nicht am Genuß,
Sie lehren dich, wie man genießen,
Und Wollust würdig fühlen muß.
Soll dich kein heilig Band umgeben
O Jüngling; schränke selbst dich ein.
Man kann in wahrer Freyheit leben,
Und doch nicht ungebunden seyn.
Laß nur für Eine dich entzünden,
Und ist ihr Herz von Liebe voll;
So laß die Zärtlichkeit dich binden,
Wenn dich die Pflicht nicht binden soll.
Empfinde Jüngling, und dann wähle
Ein Mägdgen dir, sie wähle dich,
Von Körper schön, und schön von Seele,
Und dann bist du beglückt, wie ich!
Ich, der ich diese Kunst verstehe,
Ich habe mir ein Kind gewählt,
Daß uns zum Glück der schönsten Ehe
Allein des Priesters Seegen fehlt.
Für nichts besorgt als meine Freude,
Für mich nur schön zu seyn bemüht.
Wollüstig nur an meiner Seite,
Und sittsam wenn die Welt sie sieht.
Daß unsrer Gluth die Zeit nicht schade,
Räumt sie kein Recht aus Schwachheit ein,
Und ihre Gunst bleibt immer Gnade,
Und ich muß immer dankbar seyn.
Ich bin genügsam, und genieße,
Schon da, wenn sie mir zärtlich lacht,
Wenn sie beym Tisch des Liebsten Füße
Zum Schemmel ihrer Füße macht.
Den Apfel, den sie angebissen,
Das Glas, woraus sie trank, mir reicht,
Und mir, bey halbgeraubten Küssen,
Den sonst verdeckten Busen zeigt.
Wenn in gesellschaftlicher Stunde,
Sie einst mit mir von Liebe spricht,
Wünsch ich nur Worte von dem Munde,
Nur Worte, Küsse wünsch ich nicht.
Welch ein Verstand der sie beseelet,
Mit immer neuem Reiz umgiebt!
Sie ist vollkommen, und sie fehlet
Darinn allein, daß sie mich liebt.
Die Ehrfurcht wirft mich ihr zu Füßen,
Die Wollust mich an ihre Brust.
Sieh Jüngling, dieses heißt genießen!
Sey klug und suche diese Lust.
Der Todt führt einst von ihrer Seite
Dich auf zum englischen Gesang,
Dich zu des Paradieses Freude,
Und du fühlst keinen Übergang.

3. Die Nacht.

Gern verlaß ich diese Hütte,
Meiner Liebsten Aufenthalt,
Wandle mit verhülltem Tritte
Durch den ausgestorbnen Wald.
Luna bricht die Nacht der Eichen
Zephirs melden ihren Lauf,
Und die Birken streun mit Reigen
Ihr den süßten Weihrauch auf.
Schauer, der das Herze fühlen,
Der die Seele schmelzen macht,
Flüstert durchs Gebüsch im Kühlen.
Welche schöne, süße Nacht!
Freude! Wollust! Kaum zu fassen!
Und doch wollt' ich, Himmel, dir
Tausend solcher Nächte lassen,
Gäb' mein Mädgen Eine mir.
3,2 ff.Meiner Schönen Aufenthalt,
Und durchstreich mit leisem Tritte
Diesen ausgestorbnen Wald.
5.Wandle mit vergnügtem Schritte. Alm.
7 f.Und die Birken, die sich neigen,
Senden ihr den Duft hinauf. Alm.
11.Wandelt im Gebüsch im Kühlen.
15.Tausend deiner Nächte lassen,

4. Das Schreyen.

Nach dem Italienischen.

Einst gieng ich meinem Mädchen nach
Tief in den Wald hinein,
Und fiel ihr um den Hals, und ach!
Droht sie, ich werde schreyn.
Da rief ich trotzig, ha! ich will
Den tödten der uns stört!
Still, lispelt sie, Geliebter, still!
Daß ja dich niemand hört.
4,1.Jüngst ging ich meinem Mädchen nach
8.Damit dich niemand hört.

5. Der Schmetterling.

In des Pappillons Gestalt
Flattr' ich nach den letzten Zügen
Zu den vielgeliebten Stellen,
Zeugen himmlischer Vergnügen,
Über Wiesen, an die Quellen,
Um den Hügel, durch den Wald.
Ich belausch ein zärtlich Paar,
Von des schönen Mädgens Haupte
Aus den Kränzen schau ich nieder,
Alles was der Tod mir raubte,
Seh ich hier im Bilde wieder,
Bin so glücklich wie ich war.
Sie umarmt ihn lächelnd stumm,
Und sein Mund genießt der Stunde
Die ihm güt'ge Götter senden,
Hüpft vom Busen zu dem Munde,
Von dem Munde zu den Händen,
Und ich hüpf um ihn herum,
Und sie sieht mich Schmetterling.
Zitternd vor des Freunds Verlangen
Springt sie auf, da flieg ich ferne.
„Liebster komm ihn einzufangen!
„Komm! ich hätt' es gar zu gerne,
„Gern das kleine bunte Ding.“
5,1.Und („so“ Muse) in Pappillons Gestalt

6. Das Glück.

An mein Mädgen.

Du hast uns oft im Traum gesehen
Zusammen zum Altare gehen,
Und dich als Frau, und mich als Mann;
Oft nahm ich wachend deinem Munde
In einer unbewachten Stunde,
So viel man Küsse nehmen kann.
Das reinste Glück, das wir empfunden
Die Wollust mancher reichen Stunden
Floh, wie die Zeit, mit dem Genuß.
Was hilft es mir, daß ich genieße?
Wie Träume fliehn die wärmsten Küsse,
Und alle Freude wie ein Kuß.
6.Mit der Überschrift: An Annetten.
7 ff.Sie sind die süß verträumten Stunden,
Die durchgeküßten sind verschwunden,
Wir wünschen traurig sie zurück.
O wünsche dir kein größeres Glücke;
Es flieht der Erden größtes Glücke,
Wie des geringsten Traumes Glück.

7. Wunsch eines jungen Mädgens.

O fände für mich
Ein Bräutigam sich!
Wie schön ists nicht da,
Man nennt uns Mama.
Da braucht man zum Nehen,
Zur Schul nicht zu gehen.
Da kann man befehlen,
Hat Mägde, darf schmählen,
Man wählt sich die Kleider,
Nach Gusto den Schneider.
Da läßt man spazieren
Auf Bälle sich führen,
Und fragt nicht erst lange
Papa und Mama.
7,1.Ach fände für mich
9 f.Da schickt man zum Schneider
Gleich bringt der die Kleider.

8. Hochzeitlied.

An meinen Freund.

Im Schlafgemach, entfernt vom Feste,
Sitzt Amor dir getreu und bebt,
Daß nicht die List muthwillger Gäste
Des Brautbetts Frieden untergräbt.
Es blinkt mit mystisch heil'gem Schimmer
Vor ihm der Flammen blaßes Gold,
Ein Weihrauchwirbel füllt das Zimmer,
Damit ihr recht genießen sollt.
Wie schlägt dein Herz beym Schlag der Stunde,
Der deiner Gäste Lärm verjagt!
Wie glühst du nach dem schönen Munde,
Der bald verstummt und nichts versagt.
Du eilst, um alles zu vollenden,
Mit ihr ins Heiligthum hinein,
Das Feuer in des Wächters Händen
Wird wie ein Nachtlicht still und klein.
Wie bebt von deiner Küsse Menge
Ihr Busen, und ihr voll Gesicht,
Zum Zittern wird nun ihre Strenge,
Denn deine Kühnheit wird zur Pflicht.
Schnell hilft dir Amor sie entkleiden,
Und ist nicht halb so schnell als du;
Dann hält er schalkhaft und bescheiden,
Sich fest die beyden Augen zu.
8,
Im Schlafgemach, fern von dem Feste
Sitzt Amor dir getreu und wacht
Daß nicht die List muthwill'ger Gäste
Das Brautbett dir unsicher macht.
Er harrt auf dich. Der Fackel Schimmer
Umgläntzt ihn, und ihr flammend Gold
Treibt Weihrauchdampf, der durch das Zimmer
In wollustvollen Wirbeln rollt.
Wie schlägt dein Herz, beym Schlag der Stunde,
Der deiner Freunde Lärm verjagt!
Wie blickst du nach dem schönen Munde,
Der dir nun bald nichts mehr versagt.
Du eilst dein Glücke zu vollenden
Mit Ihr ins Heiligthum herein,
Die Fackel in des Amors Händen
Wird wie ein Nachtlicht still und klein.
Wie glüht vor deiner Küsse Menge
Der Schönen reitzendes Gedicht,
Zum stillen Schertz wird Ihre Strenge,
Denn deine Kühnheit wird zur Pflicht.
Schnell hilft Ihr Amor sich entkleiden,
Und ist doch nicht so schnell als du,
Dann hält der kleine Schalck bescheiden
Sich fest die beiden Augen zu.

9. Kinderverstand.

In großen Städten lernen früh
Die jüngsten Knaben was;
Denn manche Bücher lesen sie,
Und hören dieß und das
Vom Lieben und vom Küssen,
Sie brauchtens nicht zu wissen.
Und mancher ist im zwölften Jahr,
Fast klüger als sein Vater war
Da er die Mutter nahm.
Das Mädgen wünscht von Jugend auf,
Sich hochgeehrt zu sehn,
Sie ziert sich klein und wächst herauf
In Pracht und Assembleen.
Der Stolz verjagt die Triebe
Der Wollust und der Liebe,
Sie sinnt nur drauf wie sie sich ziert,
Ein Aug entzückt, ein Herze rührt,
Und denkt ans andre nicht.
Auf Dörfern sieht's ganz anders aus
Da treibt die liebe Noth,
Die Jungen auf das Feld hinaus
Nach Arbeit und nach Brod.
Wer von der Arbeit müde,
Läßt gern den Mädgen Friede.
Und wer noch obendrein nichts weiß,
Der denkt an nichts, den macht nichts heiß;
So geht's den Bauern meist.
Die Bauermädgen aber sind
In Ruhe mehr genährt,
Und darum wünschen sie geschwind
Was jede Mutter wehrt.
Oft stoßen schöckernd Bräute
Den Bräutgam in die Seite,
Denn von der Arbeit, die sie thun,
Sich zu erhohlen, auszuruhn,
Das können sie dabey.

10. Die Freuden.

Da flattert um die Quelle
Die wechselnde Libelle,
Der Wasserpapillon,
Bald dunkel und bald helle,
Wie ein Cameleon;
Bald roth und blau, bald blau und grün.
O daß ich in der Nähe
Doch seine Farben sähe!
Da fliegt der Kleine vor mir hin
Und setzt sich auf die stillen Weiden.
Da hab ich ihn!
Und nun betracht ich ihn genau,
Und seh ein traurig dunkles blau.
So geht es dir Zergliedrer deiner Freuden!
10,11.Da hab ich ihn! Da hab ich ihn!

11. Amors Grab.

Nach dem Französischen.

Weint, Mädgen! hier bey Amors Grabe, hier
Sank er von nichts, von ohngefähr darnieder.
Doch ist er wirklich todt? Ich schwöre nicht dafür.
Ein Nichts, ein Ohngefähr erweckt ihn öfters wieder.
11,4.Von nichts, von ohngefähr erwacht er öfters wieder.

12. Liebe und Tugend.

Wenn einem Mädgen das uns liebt,
Die Mutter strenge Lehren giebt,
Von Tugend, Keuschheit und von Pflicht,
Und unser Mädgen folgt ihr nicht,
Und fliegt mit neuverstärktem Triebe
Zu unsern heißen Küssen hin;
Da hat daran der Eigensinn,
So vielen Antheil als die Liebe.
Doch wenn die Mutter es erreicht,
Daß sie das gute Herz erweicht,
Voll Stolz auf ihre Lehren sieht,
Daß uns das Mädgen spröde flieht;
So kennt sie nicht das Herz der Jugend,
Denn wenn das je ein Mädgen thut
So hat daran der Wankelmuth
Gewiß mehr Antheil als die Tugend.
12,7.So hat daran der Eigensinn
10.Daß sie das kleine Herz erweicht.

13. Unbeständigkeit.

Im spielenden Bache da lieg ich wie helle!
Verbreite die Arme der kommenden Welle,
Und buhlerisch drückt sie die sehnende Brust.
Dann trägt sie ihr Leichtsinn im Strome darnieder,
Schon naht sich die zweyte und streichelt mich wieder,
Da fühl ich die Freuden der wechselnden Lust.
O Jüngling sey weise, verwein' nicht vergebens
Die fröhlichsten Stunden des traurigen Lebens
Wenn flatterhaft je dich ein Mädgen vergißt.
Geh, ruf sie zurücke die vorigen Zeiten,
Es küßt sich so süße der Busen der Zweyten,
Als kaum sich der Busen der Ersten geküßt.
13,1.Auf Kieseln im Bache, da lieg ich wie helle!
9.Wenn flatterhaft dich ja ein Mädgen vergißt.

14. An die Unschuld.

Schönste Tugend einer Seele,
Reinster Quell der Zärtlichkeit!
Mehr als Byron, als Pamele
Ideal und Seltenheit.
Wenn ein andres Feuer brennet,
Flieht dein zärtlich schwaches Licht;
Dich fühlt nur wer dich nicht kennet,
Wer dich kennt der fühlt dich nicht.
Göttin! In dem Paradiese
Lebtest du mit uns vereint;
Noch erscheinst du mancher Wiese,
Morgens eh die Sonne scheint.
Nur der sanfte Dichter siehet
Dich im Nebelkleide zieh'n;
Phöbus kömmt, der Nebel fliehet,
Und im Nebel bist du hin.

15. Der Misanthrop.

A. Erst sitzt er eine Weile
Die Stirn von Wolken frey;
Auf einmal kömmt in Eile
Sein ganz Gesicht der Eule
Verzerrtem Ernste bey.
B. Sie fragen, was das sey?
Lieb oder lange Weile.
C. Ach sie sinds alle zwey.

16. Die Reliquie.

Ich kenn', o Jüngling, deine Freude,
Erwischest du einmal zur Beute
Ein Band, ein Stückgen von dem Kleide,
Das dein geliebtes Mädgen trug.
Ein Schleyer, Halstuch, Strumpfband, Ringe,
Sind wirklich keine kleinen Dinge,
Allein mir sind sie nicht genug.
Mein zweytes Glücke nach dem Leben,
Mein Mädgen hat mir was gegeben,
Setzt eure Schätze mir daneben,
Und ihre Herrlichkeit wird nichts.
Wie lach ich all der Trödelwaare!
Sie schenkte mir die schönsten Haare,
Den Schmuck des schönen Angesichts.
Soll ich dich gleich, Geliebte, missen,
Wirst du mir doch nicht ganz entrissen,
Zu sehn, zu tändeln und zu küssen,
Bleibt mir der schönste Theil von dir.
Gleich ist des Haars und mein Geschicke,
Sonst buhlten wir mit einem Glücke
Um sie, jetzt sind wir fern von ihr.
Fest waren wir an sie gehangen,
Wir streichelten die runden Wangen,
Und gleiteten oft mit Verlangen
Von da herab zur rundern Brust.
O Nebenbuhler, frey vom Neide,
Reliquie, du schöne Beute,
Erinnre mich der alten Lust.
16,4.Ein Strumpfband, einen Ring — ein Nichts
5-11 fehlen.

17. Die Liebe wider Willen.

Ich weiß es wohl, und spotte viel:
Ihr Mädgen seyd voll Wankelmuth!
Ihr liebet, wie im Kartenspiel,
Den David und den Alexander;
Sie sind ja Forçen mit einander,
Und die sind mit einander gut.
Doch bin ich elend wie zuvor,
Mit misanthropischem Gesicht,
Der Liebe Sklav, ein armer Thor!
Wie gern wär ich sie los die Schmerzen!
Allein es sitzt zu tief im Herzen,
Und Spott vertreibt die Liebe nicht.

18. Das Glück der Liebe.

Trink, o Jüngling, heilges Glücke
Taglang aus der Liebsten Blicke,
Abends gauckl' ihr Bild dich ein;
Kein Verliebter hab es besser,
Doch das Glück bleibt immer größer
Fern von der Geliebten seyn.
Ew'ge Kräffte, Zeit und Ferne,
Heimlich wie die Krafft der Sterne,
Wiegen dieses Blut zur Ruh.
Mein Gefühl wird stets erweichter,
Doch mein Herz wird täglich leichter,
Und mein Glück nimmt immer zu.
Nirgends kann ich sie vergessen,
Und doch kann ich ruhig essen,
Heiter ist mein Geist und frey;
Und unmerkliche Bethörung
Macht die Liebe zur Verehrung,
Die Begier zur Schwärmerey.
Aufgezogen durch die Sonne,
Schwimmt im Hauch äther'scher Wonne
So das leichtste Wölckgen nie,
Wie mein Herz in Ruh und Freude.
Frey von Furcht, zu groß zum Neide
Lieb ich, ewig lieb ich sie.

19. An den Mond.

Schwester von dem ersten Licht,
Bild der Zärtlichkeit in Trauer!
Nebel schwimmt mit Silberschauer
Um dein reizendes Gesicht.
Deines leisen Fußes Lauf
Weckt aus Tagverschloßnen Hölen
Traurig abgeschiedne Seelen,
Mich, und nächt'ge Vögel auf.
Forschend übersieht dein Blick
Eine großgemeßne Weite!
Hebe mich an deine Seite,
Gieb der Schwärmerey dieß Glück!
Und in wollustvoller Ruh,
Säh der weitverschlagne Ritter
Durch das gläserne Gegitter,
Seines Mädgens Nächten zu.
Dämmrung wo die Wollust thront,
Schwimmt um ihre runden Glieder.
Trunken sinkt mein Blick hernieder.
Was verhüllt man wohl dem Mond.
Doch, was das für Wünsche sind!
Voll Begierde zu genießen,
So da droben hängen müßen;
Ey, da schieltest du dich blind.

20. Zueignung.

Da sind sie nun! Da habt ihr sie!
Die Lieder, ohne Kunst und Müh
Am Rand des Bachs entsprungen.
Verliebt, und jung, und voll Gefühl
Trieb ich der Jugend altes Spiel,
Und hab sie so gesungen.
Sie singe, wer sie singen mag!
An einem hübschen Frühlingstag
Kann sie der Jüngling brauchen.
Der Dichter blinzt von ferne zu,
Jetzt drückt ihm diätätsche Ruh
Den Daumen auf die Augen.
Halb scheel, halb weise sieht sein Blick,
Ein bißgen naß auf euer Glück,
Und jammert in Sentenzen.
Hört seine letzten Lehren an,
Er hat's so gut wie ihr gethan
Und kennt des Glückes Gränzen.
Ihr seufzt, und singt, und schmelzt und küßt,
Und jauchzet ohne daß ihr's wißt,
Dem Abgrund in der Nähe.
Flieht Wiese, Bach und Sonnenschein,
Schleicht, sollt's auch wohl im Winter seyn,
Bald zu dem Heerd der Ehe.
Ihr lacht mich aus und rufft: der Thor!
Der Fuchs, der seinen Schwanz verlohr,
Verschnitt jetzt gern uns alle.
Doch hier paßt nicht die Fabel ganz,
Das treue Füchslein ohne Schwanz
Das warnt auch für der Falle.

„Vielleicht ist in der letzten Zeile euch für auch zu lesen.“

Tieck.

An Venus.

Große Venus, mächtge Göttin!
Schöne Venus, hör mein Flehn.
Nie hast du mich
Über Krügen vor dem Bachus
Auf der Erden liegen sehn.
Keinen Wein hab ich getrunken
Den mein Mädchen nicht gereicht.
Nie getrunken,
Daß ich nicht voll güt'ger Sorge
Deine Rosen erst gesäugt.
Und dann goß ich auf dies Hertze,
Das schon längst dein Altar ist,
Von dem Becher
Güldne Flammen, und ich glühte,
Und mein Mädchen ward geküßt.
Dir allein empfand dies Hertze
Göttin gieb mir einen Lohn.
Aus dem Lethe
Soll ich trinken wenn ich sterbe,
Ach befreye mich davon.
Laß mir Gütige — dem Minos
Sey's an meinem Todt genug —
Mein Gedächtniß!
Denn es ist ein zweytes Glücke
Eines Glücks Erinnerung.

16. Nur für dich empfand dies Herze (Muse).

Goethes Briefe
an
Chr. G. und J. G. E. Breitkopf.


I.[152]

Gebe dir Gott einen guten
Abend Bruder Gottlob.

Daß du ein rechtschaffner Mensch bist, und brav, und dich herausmachst, das sagen mir alle Leute die von Leipzig kommen, und das freut mich höchlich, daß du dich nicht außer zu deiner Avantage änderst, du warst von ieher ein guter Junge, und hattest Menschenverstand, und Gedanken wie ein Mensch der eine Sache begreifft, und Einfälle nicht wie ieder; besuche uns doch einmal, die Mädgen sind hier sehr auf deiner Seite, ich hab ihnen so allerley von dir erzählt, und es sind einige muntre Köpfgen unter ihnen, die meynen es wäre was mit dir anzufangen; schreibe mir doch einmal, lieber Bruder, in was für Umständen du ietzo bist.

Ich lebe erträglich. Vergnügt und still. Ich habe ein halb Dutzend englische Mädgen die ich offt sehe, und binn in keine verliebt, es sind angenehme Kreaturen, und machen mir das Leben ungemein angenehm. Wer kein Leipzig gesehen hätte, der könnte hier recht wohl seyn; aber das Sachsen, Sachsen! Ey! Ey! das ist starcker Toback. Man mag auch noch so gesund und starck seyn, in dem verfluchten Leipzig, brennt man weg so geschwind wie eine schlechte Pechfackel. Nun, nun, das arme Füchslein, wird nach und nach sich erholen.[153]

Nur eins will ich dir sagen, hüte dich ia für der Lüderlichkeit. Es geht uns Mannsleuten mit unsern Kräfften, wie den Mädgen mit der Ehre, einmal zum Hencker eine Jungferschafft, fort ist sie. Man kann wohl so was wieder quacksalben, aber es wills ihm all nicht thun.

Adieu lieber Bruder. Habe mich lieb, und vergiss mich nicht. Aufs Früjahr geh ich nach Strasburg. Wer weiß wann wir da wieder was von einander hören. Schreibe mir doch die Zeit einmal, und wenn Bruder Bernhard nicht schreiben will, so lass dir sagen, ob er mir was zu melden hat und setze es mit in deinen Brief. Grüsse Stocken und seine Dame, und sag ihm er machte recht artige Sachen.

Goethe.

[152] Gedruckt in den Fragmenten aus einer Goethe-Bibliothek. S. 3.

[153] S. oben S. 28. 88.

II.[154]

Sie werden es dem Vertrauen, das ich zu Ihrer Güte habe, zuschreiben, wenn ich mich in einer kleinen litterarischen Angelegenheit an Sie wende.

Im Jahre 1752 ward eine Ausgabe des Reineke Fuchs bey Ihnen gedrukt. In derselbigen sind Kupfer, um die es mir eigentlich gegenwärtig zu thun ist. Da sie sehr ausgedrukt, und an einigen Stellen aufgestochen sind, so läßt sich vermuthen, daß sie schon zu einer oder mehrern ältern Ausgaben gedient haben. Die älteste nun von diesen zu erfahren und, wo möglich, zu besizen, wünschte ich gar sehr, indem ich auf die Werke des Aldert van Everdingen, der sie verfertiget, einen großen Werth lege.[155] An wen könnte ich mich mit beßerer Hoffnung wenden, als an Sie, und bin wenigstens gewiß, daß ich einige sichere Nachricht durch Ihre Güte werde erhalten können. Sie verzeihen aus alter Neigung und Freundschaft der Freyheit, deren ich gebrauche, beehren mich mit einer baldigen Antwort und halten Sich versichert, daß ich Ihnen iederzeit mit vorzüglicher Hochachtung ergeben bleibe. Weimar den 20. Febr. 1782.

Goethe.

[154] Die folgenden Briefe sind an den Vater Joh. Gottlob Immanuel und an die Handlung gerichtet.

[155] „Wo du etwas von Everdingens Radirungen auftreiben kannst, schicke es doch ja. Seit ich diesen Menschen kenne, mag ich weiter nichts ansehen.“ Briefe an Merck II. S. 183 vgl. S. 181 f. 188. I. S. 213. 252. 258. 278. 284. an Frau v. Stein II. S. 60. 76. 118. 141.

III.

Im Zutrauen auf unsre ehmaligen guten Verhältnisse, nehme ich mir die Freyheit Ihnen einen jungen Mann zu empfehlen der Ihnen diesen Brief überreichen wird. Er wünscht in Leipzig zu bleiben und dort ein besseres Schicksal zu finden als er bisher hat erfahren müssen. Ich hoffe er wird Ihnen nicht beschwerlich seyn. Haben Sie die Güte ihm zu erlauben daß er Sie manchmal sehe, sich Ihnen eröffne. Verschaffen Sie ihm wo möglich einige Bekanntschaften und Connexionen, damit er durch litterarische Arbeiten etwas verdienen könne. Er heißt Vulpius und ist mir als ein gutartiger junger Mann bekannt.[156] Verzeihen Sie diese Bitte und bleiben meiner fortdauernden Freundschaft und Hochachtung versichert. Weimar, d. 31 Aug 89

J W Goethe.

[156] Vgl. Briefw. mit Jacobi S. 112 ff. 116. 120.

IV.

Ew Hochedelgeb. haben die Güte gehabt mir vor einiger Zeit drey Stücke der Bachischen Sonaten für Kenner und Liebhaber zu senden und zwar das       Stück. Sie versprachen mir die übrigen nachzusenden, ich habe sie aber bißher noch nicht erhalten. Sollten Ew Hochedelgeb. die drey fehlenden Stücke noch nicht gefunden haben oder es viele leicht gar unmöglich seyn sie aufzufinden, so bitte ich mir gefällige Nachricht davon aus, damit ich mich etwa anderwärts umsehen kann.

Ich lege einige Abdrücke meines Wapens bey welche Sie verlangten.

Mit besonderer Hochachtung unterzeichne ich mich

Weimar d.     Octbr. 1790.

Ew Hochedelgeb.
ergebenster
Goethe

V.

Da ich die noch fehlenden Bachischen Sonaten, und auch eine weitere Nachricht von Ew Hochedelgeb. nicht erhalten habe; so nehme ich mir die Freyheit die drey Stücke der Sammlung, die mir nun zu weiter nichts nütze sind zurück zu schicken, und selbige mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen zu begleiten.

Weimar d 4. Febr. 1791.

J W Goethe

Goethes Briefe
an
Phil. Erasmus Reich.


I.[157]

Franckf. am 20. Febr. 70.

Theuerster Herr Reich,

Es giebt gemischte Empfindungen, die Mendelssohn so richtig zeichnen, und Wieland so süsse mahlen kann, und von denen wir andre schweigen müssen. Davon war es eine die mich überfiel, als ich Ihren lieben Brief, mit dem angenehmsten Geschencke erhielt.[158]

Nichts war mir neu. Denn dass Wieland so ein Autor ist, dass Sie so ein Verleger und so gütig gegen mich sind, das weiss ich seitdem ich Sie und Wielanden kenne; allein in dem Grade! unter diesen Umständen! war mir alles neu. Meine Danckbaarkeit werden Sie leicht nach dem Werth Ihrer Freundschafft, nach der Fürtrefflichkeit des Buchs, und nach dem Vergnügen messen können, das man in dieser Franckfurter Hungersnoth des guten Geschmacks, sehr lebhafft fühlen muss, wenn man ein neues Buch geschwind in die Hände kriegt. Und auch darum lasse ich meine Erkänntlichkeit gerne schweigen; denn wahrhafftig Sie müssten sehr müde werden Dancksagungen anzuhören, wenn Ihre besondere Gütigkeit, nicht gleich iedem den Sie verbinden, ein ehrfurchtsvolles Stillschweigen auflegte.

Oesers Erfindungen haben mir eine neue Gelegenheit gegeben, mich zu seegnen, dass ich ihn zum Lehrer gehabt habe. Fertigkeit oder Erfahrung vermag kein Meister seinem Schüler mitzutheilen, und eine Übung von wenigen Jahren, Thut in den bildenden Künsten, nur was mittelmässiges; auch war unsre Hand, nur sein Nebenaugenmerck; er drang in unsre Seelen, und man musste keine haben um ihn nicht zu nutzen.

Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folgen haben. Er lehrte mich, das Ideal der Schönheit sey Einfalt und Stille, und daraus folgt, dass kein Jüngling Meister werden könne. Es ist ein Glück wenn man sich von dieser Wahrheit nicht erst durch eine traurige Erfahrung zu überzeugen braucht. Empfehlen Sie mich meinem lieben Oeser. Nach ihm und Schäckespearen, ist Wieland noch der einzige, den ich für meinen ächten Lehrer erkennen kann, andre hatten mir gezeigt dass ich fehlte, diese zeigten mir wie ichs besser machen sollte.

Meine Gedancken über den Diogenes werden Sie wohl nicht verlangen. Empfinden und schweigen ist alles was man bey dieser Gelegenheit thun kann; denn so gar loben soll man einen grosen Mann nicht, wenn man nicht so gros ist wie er. Aber geärgert habe ich mich schon auf Wielands Rechnung, und ich glaube mit Recht. Wieland hat das Unglück offt nicht verstanden zu werden, vielleicht ist manchmal die Schuld sein, doch manchmal ist sie es nicht, und da muss man sich ärgern wenn Leute ihre Missverständnisse dem Publiko für Erklärungen verkaufen. Jüngst sagte ein Recensent: die Rede vom Mann im Monde[159] sey eine feine Satyre auf die Philosophie der damaligen Zeiten, und ihre Tohrheit. Wem könnte so was einfallen? Doch ia! Er hat einen Gesellschaffter an dem Übersetzer des Agathon. Tableau des moeurs de l'ancienne Grece! So ohngefähr wird der Tittel seyn.[160] Ich glaube der Mensch hielte das Buch für eine Archaiologie.

Ich weiss nicht ob sich W. auch drüber ärgert, wenigstens hätte er's Ursach.

Wenn Sie diesem grosen Autor, Ihrem Freunde schreiben, oder ihn sprechen, so haben Sie die Gütigkeit, ihm einen Menschen bekannt zu machen, der zwar nicht Mann's genung ist seine Verdienste zu schätzen, aber doch ein genung zärtliches Herz hat sie zu verehren; mit dessen aufrichtigster Empfindung er sich auch nennt

Ihren ergebensten Diener.
Goethe.

[157] Einige dieser Briefe sind gedruckt bei H. Hirzel, Briefe von Goethe an Lavater S. 163 ff.

[158] Wieland, Dialogen des Diogenes. Leipz. 1770.

[159] Diogenes 34. Werke XIII. S. 141 ff.

[160] Histoire d'Agathon ou tableau philosophique des mœurs de la Grèce imité de l'Allemand de Mr. Wieland. Laus. 1768.

II.

Hochedelgebohrner
insonders Hochzuehrender Herr

Es ist mir sehr angenehm gleich mit dem Anfange des Neueniahrs Gelegenheit zu finden Sie an Ihre alte Gewogenheit gegen mich zu erinnern. Lavater trägt mir auf Ihnen beigehenden Anfang des Phisiognomischen Manuscripts zu übersenden mit dem es folgende Bewandniß hatt. Die Übersetzung der Einleitung habe ich zu besorgen,[161] dahingegen Sie die Fragmente selbst von p. 7 an von Herrn Hubern übersezen laßen werden. p. 17. wo ein † mit Bleistifft gezeichnet stehet, wie auch p. 21. werden vielleicht noch einige Zusäze eingesandt werden, sollten diese aber außen bleiben, so ist an beiden Orten zur Nachricht dem Sezer schon angemerkt daß diese Zeichen auf weiter nichts Beziehung haben. Wollten Sie mir den Empfang dieser Papiere gefälligst berichten, und zugleich etwa sonst einiges zu Beförderung und Ausführung dieses Werks gehöriges mir zu wißen thun, so will ich alles mit dem besten Eifer besorgen, da ohnedem die Spedition des Manuscripts meistens durch meine Hände gehen wird, da ich den öfters die Ehre haben werde Sie derienigen Hochachtung zu versichern mit der ich mich nenne

Frankfurt den 2 Jenner
1775

Ew. Hochedelgeb.
ganz ergebenster Diener
Goethe

[161] Goethe sollte die Einleitung durch Gotter ins Französische übersetzen lassen. (Brief von Lavater an Reich 20. Jan. 75.)

III.

Hier schick ich die Zugaben an den bemerckten Orten einzurücken, ich hoffe sie sollen zur rechten Zeit kommen wo nicht so bitte mirs gleich zu melden.

Sie werden die Folge nun auch schon empfangen haben, oder so gleich empfangen. Frfurt. d. 23 Jan. 1775.

Goethe.

IV.

Frankfurt den 14 Hornung 1775.

Ihr leztes geehrtes Schreiben habe durch Herrn Jonas richtig erhalten, wie auch gestern die Probebogen die ich sogleich weiter spediren werde. Wegen der Vignetten hab ich schon an Lavatern geschrieben. Der Judas nach Holbein ist nicht Vignette sondern große Platte, und ich glaube zuverläßig der Christus auch, ob ich ihn gleich noch nicht gesehn habe, doch das sollen Sie mit einander hören. Vielleicht hat Ihnen Herr Jonas geschrieben was wir auf ihr leztes vor das erste vorgekehrt. Da das Bücher-Commissariat eine förmliche Anzeige verlangt, so wird solche der Herr Bruder in Büdingen verfertigen, worinne die Darlegung des vierten und fünften Theils Gellertischer Schrifften[162], den klarsten und einfachsten Beweis gebrochener Kayserl. allerhöchster Verfügung abgiebt, da ich denn gerathen habe, dass man von der Commission ein Requisitionsschreiben an den Magistrat verlangen soll, wodurch derselbige in Obliegenheit gesezt wird wenigstens vorerst gegen den Schiller zu verfahren. Was die Niederlage der Sächsischen Bücher allhier betrifft[163], sehe ich die Sache zu wenig ein, als dass ich eine gegründete Meinung darüber fassen könnte, schweer würde es immer seyn einen Buchhändler dazu zu finden und zu engagiren. Was ich in dieser Sache dienen kann werd ich mit viel Vergnügen thun. Belieben Sie mich nur mit gefälliger Nachricht und Weisung zu versehen.

Mit der gestrigen Post sind abermals Zugaben zu dem neunten Phisiognomischen Fragmente an Sie abgegangen, wobei zugleich ein Einschluß an Hrn. Prof. Oeser ist den ich gütig abzugeben bitte.

Goethe Dr.

[162] Gellerts Moral war von Göbhardt in Bamberg nachgedruckt.

[163] Bezieht sich auf Reichs Plan, in Frankfurt ein Commissionslager norddeutschen Verlags zu errichten. Vgl. Sal. Hirzel im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1845 Nr. 6. 23 f.

V.

Ganz richtig! über Apoll ist die 21. Zugabe. A-E hab ich erhalten. Nach Fragment. 16 hab ich eine Zugabe willentlich weggelassen wie Sie am ausgestrichnen Ende gedachten Fragments sehen werden. Dass dies nicht etwa auch Irrung mache. Es folgt gleich Fragm. 17

d. 14 Merz. 1775.

Goethe

VI.

A. B. C. D. sind die vier ersten Phisiogn. Übungen, die übrigen werden alle apart gedruckt und eingehefftet also gewiss auch die. Dass Lav. verlangte ich solle den Abdruck der einen mitschicken, war dünckt mich nur dem Sezzer sinnlich zu zeigen dass Frag und Antworten gegen einander über auf zwey Seiten kämen, da dann die Tafel dazwischen würde gebunden werden. Doch schreib ich gleich deswegen und besorge die andern Vignetten. Die Trenckm. Geschichte hat mich sehr frappirt. d. 31 Merz 75.

G.

VII.

Die Vign. 000 werden Sie nun haben. Für die andern beyden nehmen Sie in Gottes Nahmen, ein Paar unbedeutende. NB nur streichen sie den Schluss iederzeit weg wenn er sich auf die fehlende Vignette beziehen sollte. Das Portrait des Margr. wird wohl auch kommen, ich höre es ist neu gravirt worden. Doch hab ich Lav. darum geschrieben.

G.

Ein Freund schreibt mir beykommendes, könnten Sie mir hierinne rathen? Oder das Buch selbst brauchen?[164]

[164] Vom 5. Apr. 75.

VIII.

Ein Umstand nöthigt mich zu verreisen, daher ich die Fragmente P.P. Q.Q. R.R. nicht ausarbeiten kann. Die Sie also aus beygehendem Verzeichniss auszulassen belieben. Dagegen ist hier Rameau P.P. und das lezte der phisiogn. Übungen. 19 Apr. 1775.

G.

IX.

Die Bogen der Phis. sind biss E.E. bey mir, ich erwarte die Exemplare, und so wär denn auch diese Ladung wieder ausgeschifft.

Wollten Sie selbst an Göbhard in Bamberg schreiben, sonst will ich es Thun. Er hat nicht das geringste Recht an das Buch, wenn er das Buch nicht von Seiten Hrn. Pfeffels selbst hat angetragen kriegt.

Wollten Sie mir gelegentl. ein Wort Antwort melden. Frf. d. 11 May 75.

G.

X.

Ich bitte sie lieber Hr. Reich mir unschweer zu melden, wie lange Zeit ich habe biss ich wieder etwas Manuscript zu schicken brauche — die Ursache ist die — Aus Lavaters Hand liegt nun alles fertig bey mir, aber ich möchte noch einige Zugaben machen, woran ich würcklich angefangen habe — Indessen kann alles wenns seyn muss stündlich an Sie abgehn. Leben Sie recht wohl. Frfurt d. 28 May. 1775.

G.

XI.

Ich muss Sie mein lieber Hr. Reich mit einer kleinen Bitte beschweeren: wollten Sie mir hier unten benannte Vignetten der Phisiogn. einzeln abdrucken lassen und die Abdrücke rings an dem Platteneindruck beschnitten, mit der reitenden Post überschicken.

1)p.V.Margr. Portrait.
2)43Knabe mit Zopf
3)56Drey Satyren
4)84Judas Kuss
5)91Heilands gesicht
6)95Lachverzerrend Gesicht
7)97Brandwein freund
8)109Zwey Doppelköpfe
10)111Ayes trois choses.

Der Ihrige.
Frfurt d 29 Aug
1775.

Goethe.

XII.

Für die lezte schnelle Besorgung der Vignetten dancke ergebenst. Dürft ich Sie bitten, Sich um nachfolgende Hamanische Schrifften[165] zu bemühen, und solche, oder was Sie davon auftreiben an meine gewöhnliche Adresse nach Franckfurt mit dem Postwagen zu schicken, und meine Schuld zu notiren.

1)Wolcken ein Nachspiel sokr. Denckwürdigk.
2)Hirtenbrief über das Schuldrama
3)Essai a la Mosaique
4)Schrifftsteller und Kunstrichter
5)Schrifftsteller und Leser.
6)Des Ritters v. Rosenkreuz lezte Willensmeynung über den Urspr. der Sprache
7)Zwo Rezensionen Nebst einer Beylage.
8)Beylage zun Denckwürdigk. des seel. Sokr.
9)Brief der Hexe von Kadmonbor.
10)Lettre perdue d'un Sauvage du Nord a un Financier de Pe-Kim.
11)Lettre provinciale neologique d'un Humaniste au Torrent de Kerith.

Sie verbinden dadurch Ihren allzeit

ergebensten Dr
Goethe[166]

[165] Vgl. Werke XXI. S. 240. XXII. S. 78 f.

[166] Vom 2. Nov. 75.

XIII.

Ich hoffe Sie werden die d. 5 Jan. abgegangne Phis. Papiere richtig erhalten haben. Hier abermal ein Stück, und in wenig Tagen den Rest des ersten Abschnittes. Seyn Sie so gütig mir iederzeit einen Aushängebogen hierher zu schicken, und was sonst vorfiele zu melden.

Weimar d. 15. Jan 76.

Senden Sie mir doch auch Hamans hierophantische Briefe.

Goethe.

XIV.

Das noch zu Beendung des XXII Fragments abgehende Blat sende nächstens. Bitte mir zu melden wie viel Bogen abgedruckt sind und wie weit Sie mit dem Mspt. kommen sind. Ich habe noch sehr viel in Händen und fürchte der zweyte Theil möge zu starck werden.

Weimar d. 10 Merz 1776

Goethe.

XV.

Hier schick ich Titelblat, Dedikation, Beschluss und Innhalt, und wünsche Glück, zu dem nun auch vollendeten zweyten Theil. Viel Glück zur Reise! — Sehen wir sie nicht vorher. W. d. 25. Apr 76

G.

XVI.

Herr Lenz lies mir gegenwärtiges bey seiner Abreise zurück, und glaubte ich würde die innen benandte Manusscripte beylegen können, ich finde sie aber nicht unter meinen Papieren. Seyn Sie also nur so gütig mit dem Drucke des Stücks[167] bis auf weitere Nachricht von ihm nicht vorzuschreiten.

Goethe.[168]

[167] Von Lenz erschienen die „Soldaten“ 1776 und „der Engländer“ 1777 in der Weidmannschen Buchhandlung.

[168] Vom 29. Nov. 76.

XVII.

Hier die Fortsezzung iezt ist nichts weiter in meinen Händen. Die Dedication bleibt an den Landgrafen von Hessen Homburg. Wegen Lenzen bitt ich Sie zu verfahren als wenn ich gar nicht existirte, wie ich auch an der ganzen Sache keinen Antheil habe, auch keinen dran nehme.d. 13 Jan 77 G.

XVIII.

Dancke recht sehr für den Meßkatalog, und bitte mir eine Chur Sächsische Accis Ordnung zu überschicken, auch wo möglich eine Preusische. Dann hab ich schon seit geraumer Zeit ein Paar Duzzend Lieder mit Melodien, von Kaysern in Zürch daliegen, ich weis dass es nicht die angenehmste Waare ist, drum hab ich bisher nichts davon gesagt. Er erinnert mich aber wieder dran, und so wollt ich fragen ob Sie sie brauchen oder mir sonst einen Verleger finden könnten. Sie sind wo ich sie gezeigt habe immer mit viel Vergnügen gespielt und gesungen worden.[169] Wenn Klinger in Leipzig ist,[170] und Sie hätten die Güte ihm ein Wort davon zu sagen, könnte der sich auch wohl nach iemanden umthun der sie übernähme. W. d. 28 Apr. 77.

Goethe

[169] Es sind die „Gesänge mit Begleitung des Claviers.“ Leipzig und Winterthur 1777. Auf dem Titel ist als Motto folgender Vers, gewiß von Goethe:

Tief aus dem Herzen hingesungen
Nehmt diese Lieder, Herzenein,
So ist mir jeder Wunsch gelungen,
So sind auch eure Freuden mein!

[170] Klinger war von 1776 bis 1778 Theaterdichter bei der Seylerschen Gesellschaft, welche in Gotha, Dresden und Leipzig Vorstellungen gab. In Kaysers Liedersammlung ist auch eins von Klinger.

XIX.

Ich schicke die ersten Bogen der Phisiognomick, und werde das übrige wie es ankommt nachsenden. Wollten Sie von der Güte seyn mir einige Leyhaus, Leybanck Ordnungen, welche Sie habhafft werden können zu schicken, und mir einmal ein Conto zu machen wie ich bey Ihnen angeschrieben stehe. W. d. 25 Nov 77.

XX.

Wenn der iunge Herr Tobler aus Zürich, ein Sohn des bekannten Chorherrn,[171] schon, ehe dieser Brief ankommt bei Ihnen gewesen ist, so werden Sie ihn, auch ohne meine Empfehlung wohl aufgenommen haben, weil er sich selbst auf das vortheilhafteste vorstellt. Eben dieses werden Sie finden, wenn er sich nach diesem Briefe bei Ihnen zeigen sollte. Ich bitte Sie nach Ihrer Gewohnheit ihm auch um meinetwillen gefällig zu sein, und ihm, wenn er zu einigen seiner wohlgeratenen Übersezungen aus dem Griechischen einen Verleger suchen sollte mit That, oder, wie es die Umstände erfordern, auch nur mit gutem Rath behülflich zu sein.

Der Herr Professor Garve ist so eben bei uns und erinnert sich seiner Leipziger Freunde mit vielem Antheil.[172]

Ich empfehle mich Ihrem gütigen Andenken. Weimar den 30 Mai 1781.

Goethe

[171] Briefe an Frau v. Stein II. S. 69.

[172] Briefe an Merck II. S. 186.

XXI.

Für die mir überschickten schönen Bücher[173] dancke ich auf das beste, sie sollen mit mir nach Eisenach wandern, wo Landschaffts Versammlung seyn, und wohin der Hof sich begeben wird. Vielleicht findet sich doch eine einsame Stunde um der Einsamkeiten geniesen zu können.

Ich empfehle mich zu geneigtem Andencken.

Weimar d. 24 May 84.

Goethe

[173] Zimmermann, über die Einsamkeit. Leipz. 1784 und 1785. 4 Thle.

XXII.

Ew Wohlgeb.

empfangen den lebhafftesten Danck für die Fortsetzung der glänzenden Ausgabe eines glänzenden Werckes.[174] Wenn ich etwas dabey vermisse; so ist es das Portrait Dr Oberreits[175], welches die Stirne des dritten Bandes hätte zieren sollen. Ich höre wir haben balde Hoffnung Sie hier zu sehen.

Weimar d. 3 May 1785.

Goethe

[174] Von Zimmermann.

[175] Oberreit, damals in Jena, Gegner Zimmermanns.

XXIII.

Ew Wohlgeb.

ersuche um die Gefälligkeit die beste Ausgabe meiner Schrifften, in vier Bände, in schönen englischen Band, mit grünem Schnitt binden zu lassen und mir solche wohlgepackt zu übersenden.

Es that mir sehr leid Sie bey Ihrem letzten hiesigen Aufenthalte nicht sehen und diejenige Hochachtung mündlich versichern zu können mit der ich mich unterzeichne

W. d. 22 Aug
1785

Ew Wohlgeb.
ergebenster Dr
Goethe

Aus Briefen
von
Cornelie Goethe.

Cornelia Goethe

Cornelia Goethe.

Nach Goethes Zeichnung

Während der Vorbereitungen zur Goethefeier kam in Leipzig eine Anzahl Briefe von Cornelie Goethe an eine ihrer Jugendfreundinnen zum Vorschein, welche in dem Nachlasse der letzteren unbeachtet da gelegen hatten. Goethes Äußerung über seine Schwester: „Nur durch das genaueste Detail, durch unendliche Einzelnheiten, die lebendig alle den Charakter des Ganzen tragen und, indem sie aus einer wundersamen Tiefe hervorspringen, eine Ahnung von dieser Tiefe geben; nur auf solche Weise hätte es einigermaßen gelingen können, eine Vorstellung dieser merkwürdigen Persönlichkeit mitzutheilen: denn die Quelle kann nur gedacht werden, insofern sie fließt“[176] — mußte zu Mittheilungen und Auszügen aus diesen Briefen auffordern; sie hier zu geben lag um so näher, als sie sich auf die Zeit beziehen, aus welcher Goethes hier mitgetheilte Briefe größtentheils herrühren. Sind es gleich nur kleine Züge, die wir hier gewinnen, so machen sie uns doch das Bild seiner so innig geliebten Schwester und der Verhältnisse, unter welchen sie lebten, klarer und bestimmter.

Die Freundin, an welche diese Briefe gerichtet sind, hieß Katharine Fabricius, war eine Tochter des fürstl. Leiningschen Raths und Syndicus Fabricius in Worms, und wurde später an einen Kaufmann Welcker in Leipzig verheirathet. Sie war im Sommer 1767 in Frankfurt bei einer Cousine zum Besuch gewesen und mit Cornelie bekannt geworden, die sich sehr verlassen fühlte; ihr Bruder war in Leipzig, von den Freundinnen, die uns diese Briefe kennen lehren, stand keine ihrem Herzen nahe: so schloß sie sich an diese neue Freundin an und eröffnete nach ihrem Fortgehen einen lebhaften Briefwechsel mit ihr. Gleich in dem ersten Brief spricht sie ihre Betrübniß aus, daß sie sie fortreisen lassen mußte ohne ihr Herz ganz vor ihr öffnen zu können, ohne ihr von einer traurigen Zeit Kunde zu geben, in welcher sie von Unruhe und Kummer gequält, von thörichten Wünschen gepeinigt war, auf welche sie endlich verzichtet und dadurch Ruhe ihrer Seele gewonnen hat: nun soll der Briefwechsel dies ersetzen.

Die Briefe sind in französischer Sprache geschrieben. Was die Veranlassung dazu gegeben hat, ist nirgend angedeutet. Man möchte vermuthen, daß der Vater, welcher Cornelie mit seinem Unterricht quälte, es so verlangt habe, allein auch der Theil dieses Briefwechsels, von dem er nichts wußte, den sie insgeheim für sich schrieb, ist französisch abgefaßt. Wir können das nur bedauern; denn abgesehen davon, daß das Französisch incorrect und ungelenk ist, so hat jedenfalls die fremde Sprache der Unmittelbarkeit und Eigenthümlichkeit des Ausdrucks gar sehr geschadet; man wird häufig an die Schule erinnert und glaubt mitunter einen aufgegebenen Aufsatz zu lesen. Das tritt selbst in dem Tagebuch hervor, in welchem sie mit großer Offenheit nicht nur ihre kleinen Erlebnisse, sondern alle ihre Gefühle schildert. Nachdem sie nämlich vom 1. October 1767 bis zum 28. Juli 1768 an ihre aimable, agréable, auch solide amie, wie die Anreden lauten, sechs Briefe geschrieben hatte, beginnt sie am 16. October 1768 Morgens 8 Uhr ein Tagebuch, das an die Freundin gerichtet ist, und ihr die innersten Regungen ihres Herzens, ihre Fehler und Schwächen aufrichtig offenbaren soll. Sie schreibt dasselbe in freien Augenblicken im Geheimen auf ihrem Zimmer, und beklagt sich deshalb, daß nach der Krankheit ihres Bruders dasselbe als Speisezimmer benutzt werde, weil sie jetzt die Zeit nach Tische nicht für sich benutzen könne. Niemand weiß darum, selbst ihr Bruder nicht, der übrigens an dem ostensiblen Briefwechsel mit der Freundin, welcher dabei fort geht, Theil nimmt, ihre Briefe liest und für Cornelie die Antwort übernimmt. Ein Brief dieser Art, welchen sie während der Krankheit ihres Bruders (3. Febr. 1769) geschrieben hat, sticht allerdings gegen das zu gleicher Zeit niedergeschriebene Tagebuch weniger durch die Form als durch den sehr äußerlichen Inhalt merklich ab. Natürlich wird auch der Freundin wiederholt ans Herz gelegt, daß sie diese Briefe niemand zeigen möge, erst später wird eine gemeinsame Freundin in Worms, Mlle. Meixner, welche Cornelie ebenfalls bei einem Besuch in Frankfurt hat kennen lernen, mit in das Geheimniß gezogen. Von Zeit zu Zeit wird das Tagebuch mit der Post abgeschickt, doch soll das Geheimniß auch dadurch gewahrt werden, daß, während die Briefe mit C. F. C. Goethe[177] unterzeichnet sind, die einzelnen Sendungen des Tagebuchs entweder gar nicht oder mit einem verschlungenen GC unterschrieben sind: freilich ein recht mädchenhaftes Incognito. Im Anfange ist dasselbe mit großem Eifer geführt, selten ist ein Tag ohne Aufzeichnung geblieben, mitunter schreibt sie an einem Tage mehr als einmal. Im Jahre 1769 fängt der Eifer an allmälig nachzulassen, im Juni, Juli und August sind nur wenige Blätter an einigen Tagen beschrieben, und auch der Inhalt ist dürftig und unbedeutend; daß gar wenig vorfiel, worüber sie sich beklagt, war wohl nicht der einzige Grund, das Verhältniß selbst scheint allmälig lockerer geworden zu sein.

In dem ersten bedeutenderen Theil des Tagebuchs ist die Darstellung sehr ausführlich und lebhaft. Die kleinen Begebenheiten Corneliens und ihrer Freundinnen werden sehr im Detail berichtet, und namentlich zeigt sich eine Vorliebe, die Personen redend einzuführen und ganze Gespräche mitzutheilen. Dazwischen treten lebhafte Äußerungen des Gefühls und der Leidenschaft, Betrachtungen über sich selbst, moralische Reflexionen. Ohne Zweifel würde alles sich unweit besser ausnehmen, freier und unbefangener erscheinen, wenn es deutsch geschrieben wäre, indeß ist jedenfalls eine gewisse schriftstellerische Absichtlichkeit in der Form dieser Aufzeichnungen nicht zu verkennen. Die Eigenthümlichkeit Goethes, seinen Erlebnissen und Gefühlen einen künstlerischen Ausdruck zu geben, hatte darauf gewiß einigen Einfluß, und da er ihr alles mittheilte, was er aus innerem Bedürfniß wie zum Studium niederschrieb, so mochte dadurch der Gedanke in ihr rege werden, sich in ähnlicher Weise zu versuchen, um wie er in dieser Thätigkeit Trost und Erleichterung zu finden. Daß der Erfolg bei ihr nicht derselbe war, darf uns nicht Wunder nehmen. Indessen hatte sie noch ein anderes Ideal, das sie zu diesem Unternehmen begeisterte — den Grandison. „Il y a longtemps que j'ai voulu commencer cette correspondence secrète, par laquelle je vous apprendrai tout ce qui se passe ici; mais pour dire la vérité j'ai toujours eu honte de vous importuner avec des bagatelles qui ne valent pas la peine qu'on les lise. Enfin j'ai vaincu ce scrupule en lisant l'histoire de Sir Charles Grandison; je donnerois tout au monde pour pouvoir parvenir dans plusieurs années à imiter tant soit peu l'excellente Miss Byron. L'imiter? folle que je suis; le puis je? Je m'estimerois assez heureuse d'avoir la vingtième partie de l'esprit et de la beauté de cette admirable dame, car alors je serois une aimable fille; c'est ce souhait que me tient au cœur jour et nuit. Je serois à blamer si je désirois d'être une grande beauté; seulement un peu de finesse dans les traits, un teint uni, et puis cette grace douce, qui enchante au premier coup de vue; voilà tout. Cependant ça n'est pas et ne sera jamais, quoique je puisse faire et souhaiter; ainsi il vaudra mieux de cultiver l'esprit et tacher d'être supportable du moins de ce côté là. — Quel excellent homme que ce Sir Charles Grandison; dommage qu'il n'y en a plus dans ce monde.“[178] Goethe hatte also die Verehrerinnen des Grandison (S. 125. 141) nicht weit zu suchen. Indessen würde man irren, wenn man glauben wollte, das Tagebuch sei eine Art von Roman oder auch nur romanhaft aufgeputzt; es ist durch und durch wahr.

Der allgemeine Eindruck, welchen dasselbe macht, ist schmerzlich und rührend. Überall spricht sich ein sittlicher Ernst mitunter nicht ohne Größe aus, nicht minder aber auch eine trübe, unruhige Stimmung, der die innere Befriedigung des Gemüthes fehlt. Die Charakteristik, welche Goethe von seiner Schwester gibt, wird aufs vollständigste bestätigt, nur daß hier, wo sie sich gegen eine vertraute Freundin ausspricht, manche Züge mädchenhaften Wesens hervortreten, welche man weniger erwarten möchte, z. B. das Interesse für Kleidung und Putz, Vergnügungen und Stadtgeschichten, so wie eine gewisse Neigung zur Moquerie, welche sich mitunter zeigt.

Das Leben, welches sie führt, ist allerdings, wie sie oft klagt, einförmig und bietet ihr wenige und bescheidene Zerstreuungen. Unter diese werden hauptsächlich Spaziergänge gerechnet, aber sie können nur in gewählter Begleitung unternommen werden, wenn man sich nicht unbarmherzigem Gerede aussetzen will; und sie muß sich um so mehr in Acht nehmen, als sie von gewissen Leuten scharf beobachtet wird, die sie freilich nicht achtet, denen sie aber um so weniger eine Blöße geben will. Zu den Vergnügungen gehörte auch das Brunnentrinken. „Je ne vous ai pas encore appris (schreibt sie den 28. Juli 1768), que je bois les eaux à l'allée; nous avons là une compagnie tout à fait charmante des dames et des chapeaux, dont le plus aimable est Mr. le Docteur Kölbele, que Vous connoissez, par son oration du mariage qu'il tient une fois en Votre présence; où il nous compara, nous autres femmes, à des poulets. Maintenant il nous donne des leçons sur la philosophie morale. Cependant rien n'est plus plaisant que quand il veut exercer la galanterie qui dort depuis longtems auprès de lui. Nos dames qui sont les plus gaies du monde la lui aprennent de nouveau. Elles se font mener par lui, porter le parasol, verser leur verres, ah, ma chère, il execute tout ça avec des gestes si modernes, qu'on le disoit être arrivé immédiatement de Paris. Nous avons aussi de la musique composée de dix instruments, savoir de cors de chasse, hautbois, flûtes, un contreviolon et une harpe. Vous pouvez Vous imaginer quel bel effet ça fait dans la verdure. Nous chantons aussi souvent pour plaire à notre charmant Docteur, car quoiqu'il soit très sérieux, il aime nonobstant de voir la jeunesse enjouée. Ce chanson s'accorderoit bien sur lui: Es war einmal ein Hagenstoltz, il s'est même bien plû à l'entendre.“ Das ist offenbar derselbe Kölbele, dessen große Füße Goethe zu seinem Bilde Gottscheds verwendet (S. 60).[179] Mitunter werden Gärten besucht bei einem Hrn. Glötzel und ihrem Oheim jenseits des Mains; auch besteigt sie einmal mit einer Gesellschaft den Pfarrthurm, wo sie sehr befriedigt von der Aussicht, dem Fernrohr, den großen Glocken zu erzählen hat. Von Landparthieen war der Vater kein Freund;[180] so nimmt sie auch an einer Parthie keinen Antheil, welche ihre Freundinnen nach dem Forsthaus machen, einem noch bestehenden ländlichen Belustigungsort im Stadtwalde unterhalb der Stadt auf dem linken Mainufer, den wahrscheinlich Goethe im Faust unter dem Jägerhaus gemeint hat.

Im Hause war das Clavierspiel, in dem sie, wie uns Goethe[181] erzählt, es weiter gebracht hatte als er, eine angenehme Zerstreuung. „Je jouerai un air sur le clavecin (schreibt sie einmal in großer Aufregung), que ces vapeurs passent.“ Mit großer Theilnahme spricht sie von dem unglücklichen Tode des Clavierspielers Schobert[182] in der Capelle des Prinzen Conti in Paris, der an giftigen Pilzen gestorben war (1. Oct. 1767). „Il a composé XV ouvrages gravées en taille douce, qui sont excellentes et que je ne saurois me lasser de jouer. Toute autre musique ne me plait presque plus. En jouant des sentiments douloureux percent mon âme, je le plains ce grand auteur, qui à la fleur de son age avec un tel génie a fallu périr d'une façon si misérable et inopinée.“ Von ihrer Lectüre ist wenig bemerkbar, außer dem Grandison werden die „lettres du Marquis de Roselle“ von Elie de Beaumont (Paris 1764) erwähnt. „Je vous ai envoyée (schreibt sie 14. März 1768) les lettres du Marquis de Roselle, lisez les avec attention, on y peut profiter beaucoup, le vice y est montré sous l'apparence de vertu dans toute sa forme. Le Marquis qui n'a pas l'expérience du monde, donne dans les filets de cette fausse vertu, et s'y enveloppe de façon, qu'il coute beaucoup à l'en tirer. Que tous les jeunes gens y prennent un exemple, qui comme lui ont le cœur droit et sincère et ne se doutent nullement de la tromperie que cette sorte de femmes exercent avec eux. C'est là une grande cause que notre jeunesse est si corrompue puisqu'un vice engendre l'autre. Relisez plusieurs fois la lettre où Mme. de Ferval parle de l'éducation de ses enfants. Si seulement toutes les mères en usoient de même, certe qu'on ne verroit pas tant de filles insupportables comme Vous en connoissez et moi aussi.“

Der gesellige Verkehr besteht hauptsächlich in Nachmittagsbesuchen, zu welchen man sich gegenseitig anmeldete, und welche um 8 Uhr Abends regelmäßig endeten (um 10 Uhr war Schlafenszeit); dazu kamen im Winter große Gesellschaften, welche alle Dienstag, abwechselnd, wie es scheint, in verschiedenen Familien gehalten wurden, und der Besuch des Concerts, welches alle Freitag im Saale des Hrn. Busch Statt fand, wo sich auch die vornehme Welt versammelte. Mitunter klagt sie freilich über Langeweile, welche sie in diesen Gesellschaften empfand, übrigens ist sie gegen diese Vergnügungen keineswegs gleichgültig — „je vis à présent, schreibt sie einmal, d'une façon très tranquille, mais cette tranquillité n'a point des charmes pour moi; j'aime la variété, l'inquiétude, le bruit du grand monde, et les divertissements tumultueux“ —; der Winter ist ihr durch dieselben vergangen, sie weiß selbst nicht wie; als Simonette Bethmann mit Hrn. Metzler verlobt ist, hofft sie, das werde wohl einen Ball geben, obgleich sie meistens durch ihre Gesundheit verhindert wurde, Bälle zu besuchen.[183] Aus dem Kreise der „verständigen und liebenswürdigen Frauenzimmer,“ welchen sie um sich versammelt hatte, und ohne herrisch zu sein beherrschte[184], lernen wir hier manche näher kennen. Allein wenn sie auch bei allen ihren Freundinnen ohne Ausnahme Achtung und Liebe genoß[185], so sehen wir hier, daß sie zu keiner derselben in einem nahen und innigen Verhältniß stand. Sie beklagt sich gegen Kath. Fabricius, daß sie in Frankfurt keine wahre Freundin habe, und die Weise, mit der sie von ihren Bekannten spricht, bestätigt es. Ihre hübschen und munteren Cousinen Antoinette, Charlotte und Katharine[186] sind ihr recht angenehm, Leonore de Sauffure unterhält sie durch ihre witzigen Bemerkungen in einer langweiligen Gesellschaft („la méchante Leonore fit quelques remarques, aux quelles je ne sûs resister; ces dames s'imaginerent je crois, que nous tenions un peu de la lune: n'importe ce sont des fades créatures“), Caroline und Lisette v. Stockum werden als große Schönheiten gepriesen; von einem näheren Verhältniß keine Spur. Von einer Mlle. B. erzählt sie, daß sie untröstlich sei über den Weggang ihres Geliebten T., der durch unglückliche Schicksale gezwungen war, in Braunschweig Schauspieler zu werden, sie meint aber, das werde nicht länger dauern, als bei einer jungen Wittwe, die am ersten Tage mit ihrem Manne sterben wolle, am zweiten sich tröste, am dritten sich nach einem neuen umsehe; sie berichtet denn auch nachher, daß sich ein Liebhaber schon wieder gefunden habe; indessen findet sie dieselbe später wieder untröstlich, daß sie einen von T. ihr geschenkten Ring verloren habe. Mlle. S. macht sich durch Putz- und Gefallsucht unausstehlich; unerklärlich ist bei ihrem sonstigen Charakter ihre treue und unerschütterliche Liebe für einen unwürdigen W., von dem sie nicht lassen kann, obwohl sie seine Fehler kennt und schmerzlich beweint, so daß man sie in dieser Hinsicht doch achten müsse. Denn treues Festhalten an dem einmal erkannten und liebgewonnenen erkennt sie an anderen vor allen an und bekennt, daß sie dies für eine ihrer guten Eigenschaften halte.

Die ungünstigste Schilderung wird von einer Cousine der Kath. Fabricius gemacht; sie ist einfältig und langweilig, benimmt sich steif und albern und brüstet sich mit der Lectüre vieler Bücher, von denen sie nichts versteht „Ha ha, riez; elle eut dernièrement sa grande compagnie, j'y fus; qu'elle scène misérable; ah, ma chère, Vous connoissez celles qui la composent; nous parlâmes d'économie, de la lecture, des arts, des langues. Qu'en dites Vous? Pour moi, j'eus si mal d'une conversation, dont je ne pouvois détourner la fadeur, qu'il me falloit bien de temps à me remettre. Je pouvois là à loisir examiner le caractère de chacune et j'entrevis clairement, que c'est l'éducation, qui les rend si sottes. Elles font les dévotes forcées, ne regardent point d'homme, parce qu'on leur défend absolument de converser avec tout autre, que celui qui sera leur mari; d'éviter toute connoissance particulière avec qui ce soit; et que si elles parlent très peu, se tiennent bien droites et font les précieuses, qu'alors elles sont accomplies. N'est ce pas là une éducation bien pitoyable et peu digne d'être imitée? puisque au lieu des filles spirituelles on ne trouve que des statues, qui ne prononcent autre chose que oui et non.“ Auch sie hat einen Liebhaber, Namens Steinheil, der später fortreist; sie tröstet sich bald darüber. Es scheint als ob sie Baumann hieß, und dann war sie dieselbe, welche mit einem Kopfputz „en forme de pyramide ou pour mieux dire à la rhinoceros“ bei Cornelie zum Besuche war, als ihr Bruder hereintrat. „Elle prit une de ses mines, que Vous connoissez, la tête levée et les yeux baissées et ne parla pas le mot.“ Darin erkennen wir die Art zu verkehren, welche Goethe nach seinem Aufenthalt in Leipzig so unangenehm entgegentrat,[187] und Cornelie spricht das unumwunden aus, was Goethe sich nicht getraut zu sagen (S. 140). Wenn nun auch die anderen jungen Mädchen zum großen Theil sehr verschieden waren, so machen es doch Corneliens Äußerungen sehr begreiflich, daß er in ihrem Umgang nicht Gefahr lief sein Herz zu verlieren.[188]

Das einzige Mädchen, von welchem sie mit lebhaftem Interesse spricht und mit dem sie sich fortwährend beschäftigt, ist Lisette Runkel, welche als eine schöne, anmuthige Erscheinung auftritt. Anfangs spricht sie von ihr als einer lieben Freundin und einem verständigen Mädchen mit warmer Zärtlichkeit. Allein nach einiger Zeit tritt bei ihr eine große Eitelkeit, eine Putzsucht und Coquetterie hervor, die ihren beschränkten Verhältnissen ebensowenig angemessen ist, als die Anmaßung, welche sie zu zeigen anfängt. Endlich erfährt man, daß B., der reiche Besitzer des Hauses „der König von England,“ ein Wittwer von sechs und vierzig Jahren, ihr den Hof macht, und daß sie, in der Hoffnung ihn zu heirathen, jetzt die große Dame spielt. Mit ihm hat sie im Phaethon eine Reise nach Darmstadt gemacht und dort bei den Hoffesten durch ihre Schönheit und die Pracht ihres Anzuges eine glänzende Rolle gespielt. „Elle étoit vêtue en Vénitienne, une juppe de satin bleu doublée en argent, un corset de la même couleur et un survêtement de satin cramoisi, le tout garni de pelisse brune et de dentelles d'argent. Ses cheveux pendoient flottants, ils étoient noués en façon romaine et entrelacés de perles et de diamans. Sur le milieu de la tête il étoit attaché de la crêpe blanche, qui pendoit jusqu'à la taille, et de là par terre étant serrée au milieu avec une riche écharpe d'argent.“ Sie erregte allgemeines Aufsehen, die Prinzen und Prinzessinnen drängten sich um sie; Prinz Georg tanzte allein mit ihr und litt nicht, daß ein anderer sich ihr näherte. Der Tod des Landgrafen störte die Fortsetzung dieser Freuden.[189] Trotz der Entfremdung, welche durch dieses Benehmen zwischen Lisette und Cornelie eingetreten war, sahen sie sich doch und jene zeigte mitunter wahre Anhänglichkeit. Bei einem Besuch, den sie Cornelie geputzt wie eine Prinzessin macht, theilt sie ihr mit, daß jene Heirath mit dem Wittwer, der ihr allerdings seine Hand angeboten habe, nicht zu Stande kommen werde, und eröffnet ihr später, daß ein junger reicher Kaufmann aus Amsterdam, Namens Dorval, sie auf der Reise in Frankfurt gesehen und sich in sie verliebt habe und daß sie mit ihm verlobt sei. Die beiden Freundinnen sind nun wieder versöhnt. Cornelie, welche alles aufs ausführlichste erzählt, hat die größte Freude an dem Glück Lisettes, welche, damit nichts fehle, auch noch eine Erbschaft macht; sie nimmt das lebhafteste Interesse an ihrer Liebe, bewundert das Feuer und die Ausdauer der Zärtlichkeit Dorvals, der einer der vorzüglichsten Menschen sein müsse, und liest seine Briefe an Lisette so aufmerksam, daß sie sie aus dem Gedächtniß theilweise wieder aufschreiben kann; sie findet sie freilich etwas übertrieben und romanhaft, aber doch so vortrefflich, daß man sie wohl drucken könnte. Dieses gute Verhältniß aber dauert nur einige Monate; bei Lisette tritt die Eitelkeit und Coquetterie wieder zu sehr hervor, sie ist während Dorvals Abwesenheit von Anbetern umschwärmt, von denen sie sich den Hof machen läßt, und beträgt sich durchaus nicht liebenswürdig. Jener Wittwer gibt einen glänzenden Ball, auf welchem Lisette die Krone sein wird; Cornelie ist wie ihre Cousine Katharine durch Unwohlsein verhindert, daran Theil zu nehmen, mindestens wollen sie deren Schwester auf eine Weise putzen, daß sie Lisettes Diamanten ausstechen könne. Sie fühlt, daß sie an ihr keine treue Freundin mehr hat. „Vous et Mlle. Meixner Vous êtez mes seules amies en qui je puis me confier. Je croyois en avoir une éternelle en Lisette, mais son terme a peu duré, l'applaudissement général du grand monde l'a gaté. Fière de ses conquêtes elle méprise tout le monde et quoique Dorval est uniquement aimé, l'encens de tant de cœurs lui plait au delà de l'expression, elle s'en vante partout et triomphe secrètement de Vous abaisser par ses charmes. Jugez, ma chère, si avec ces sentiments elle peut être amie fidèle. Il y avoit un tems où peu connue du monde elle se crut heureuse par mon amitié, mais ce tems n'est plus, et je vois par là, que c'est le train du monde.“ Endlich kommt es zu einem förmlichen Bruch. „Que direz Vous, ma chère, si je Vous apprends que Miss[190] Lisette et moi nous sommes totalement brouillées et d'une façon qui ne sera pas à remettre. Si j'avois le tems je Vous ferois part de toute l'histoire, mais elle est trop longue; il suffit à Vous de savoir, que la mère et la fille m'ont accusée de médisance et de trahison, et que j'ai trouvée ces termes trop viles pour m'abaisser à une justification. Cette affaire m'a causée une révolution de quelques jours, mais elle est passée et j'ai reprise ma tranquillité, qui a l'air de durer longtems, si un accident nouveau ne la chasse.“

Dieses Zerwürfniß hatte aber noch einen anderen Grund. Im Runkelschen Hause hatte Cornelie einen Herrn G. kennen lernen, einen ehrlichen, gutmüthigen, aber wie es scheint etwas ungeschickten Menschen, der während dieser ganzen Zeit als ihr treuer, unermüdlicher Liebhaber erscheint, von ihr aber mit der äußersten Kälte behandelt wird. Er wird mit dem Namen le misérable oder le miséricordieux bezeichnet, „qui fait tout par miséricorde, Vous m'entendez bien.“ Gleich im ersten Brief erzählt sie, wie sie ihm mit äußerster Verachtung den Rücken zugekehrt habe, später freut sie sich, daß Lisette — „elle devient tous les jours plus sage et naturellement plus grande“ — ihn jetzt eben so sehr hasse und verachte, wie sie selbst. Dann erfährt man den Grund ihrer Entrüstung. „J'eus jusqu'ici une très mauvaise opinion de lui, croyant toujours qu'il étoit coupable et qu'il avoit raisonné de moi d'une manière peu décente, comme je Vous l'ai appris.“ Da ihr Betragen gegen ihn seit einem Jahr so auffallend war, hatte er sich darüber beklagt und erfahren, was man ihm Schuld gebe. Empört hatte er es für Verleumdung erklärt: „cette méchante vipère de Rst inventa tout ceci par haine ou par jalousie,“ und um eine Zusammenkunft mit Cornelie gebeten, damit er sich rechtfertigen könne. „Je le vis, il se justifia, convaincue de son innocence je le remis dans mes bonnes graces ... et voilà la paix faite — hahaha! C'est bien court me direz Vous, je m'attendois à une description particulière. Pardonnez moi ... je ne saurois; de peur d'étouffer de rire. Ma chère si Vous aviez été dans un coin, Vous n'auriez pas subsisté ... Représentez Vous notre situation, la sotte figure que nous fìmes en nous abordant. Suffit.“ — So wenig dieser Spott zu der moralischen Betrachtung paßt, mit welcher sie ihre Erzählung einleitet — „mon principal but est de faire réparation d'honneur à une personne, que j'aie noircie dans Votre esprit étant alors préoccupée des rapports malins qu'on m'en avoit faites. Il est vrai, mon enfant, nous avons touts le défaut de croire plutôt le mal de notre prochain que le bien; c'en est un grand je le confesse“ — so bleibt diese Stimmung doch die vorherrschende, und der gute G. bekommt, so viel Mühe er sich auch gibt, von den bonnes graces wenig zu spüren. Um sich ganz zu rechtfertigen, sucht er eine Zusammenkunft mit Cornelie und der Rst., „pour lui dire, qu'elle est la plus infame créature et de la forcer d'avouer la verité en ma présence;“ eine Zusammenkunft, welche sie begreiflicher Weise eben so sehr vermeidet. Unermüdlich sucht er Cornelie in Gesellschaft und im Concert zu sehen und zu sprechen, ohne etwas zu erreichen; wenn sie ihn nicht vermeiden kann, fertigt sie ihn kurz ab, hält sich über ihn auf — „j'étouffe de rire“ ist fast allemal der Schluß. Endlich bietet sich ihm die günstige Gelegenheit, sie mit ihrer Cousine Katharine aus dem Concert nach Hause zu begleiten. „Enfin notre carrosse arriva, nous descendìmes, il se faisoit gloire de me mener par toute la foule, mais moi j'en étois choquée. L'aimable Cathérine vit ma peine, fachée de ne pouvoir y remédier, elle me serra la main en me conjurant de prendre patience. Nous la menâmes chez elle et enfin me voila seule avec cet homme. Chère Miss, me dit il en mettant sa main sur la mienne, ce procédé Vous paraitra peutêtre libre; mais j'ai taché depuis longtems à Vous parler sans temoins, l'occasion est si favorable et Vous me pardonnerez cette liberté. Ce commencement me paru trop ridicule pour ne pas éclater; il ne s'en apperçoit pas et continua.“ Er bittet sie um Aufrichtigkeit, er habe den Eindruck, welchen Cornelie auf ihn gemacht, unvorsichtig Lisette Runkel und ihrer Mutter mitgetheilt, welche dadurch eifersüchtig gemacht, ihm mit der Rst. bei Cornelie zu schaden gesucht hätten und noch suchten. „Je fus prédestiné à être malheureux et je le serai toujours, si Vous ne me rendez pas Votre affection. Dites moi, Miss, me hairez Vous sans cesse? prononcez une seule parole et je suis le plus heureux des mortels. — Si ça Vous rend tranquille, Monsieur, je la prononcerai. Je Vous assure de mon estime et de mon amitié. Soyez heureux, c'est ce que je souhaite de tout mon cœur. — Je n'y tiens plus, ma chère, j'étouffe de rire.“ Hierdurch aufmerksam gemacht entdeckt sie nun, daß Lisette und ihre Mutter zu verhindern suchen, daß sie mit jenem G. zusammenkomme, ja daß sie sogar, um dies zu hintertreiben, Bestellungen in ihrem Namen erfinden, unter dem Vorwand, ihr dadurch einen Gefallen zu erweisen; gegen diese Falschheit und Betrügerei erklärt sie sich sehr bestimmt, und veranlaßt nun selbst eine Einladung zu einem Besuch, bei welchem auch er gegenwärtig sein wird. „En entrant chez Lisette j'y trouvai sa mère et une dame de leur connoissance; après le café nous jouâmes quadrille. A six heures Monsieur se fait annoncer et entre dans le même instant. Il nous salue généralement, puis se postant vis à vis de moi il me regarde pendant un quart d'heur entier. Il n'ose approcher de moi, mais Madame l'en prie d'un ton moqueur et il s'assied entre nous deux filles. Je lui parle avec beaucoup de complaisance, Lisette me contemple d'un air jaloux et Madame qui se trouve piquée s'en veut venger en me raillant de ma distraction et de mon inattention pour le jeu; je fis semblant de ne pas comprendre ce qu'elle vouloit dire.“ Zum großen Verdruß der beiden begleitet G. Cornelie nach Hause und auf dem Wege kommt es zu neuen Erklärungen. „Que m'apprit-il là, ma chère? des inventions infernales pour nous désunir, des mensonges ouvertes; enfin que Vous dirai-je? je vis, mais trop tard, que je lui avois fait tort pendant le cours de quatre années, que ma credulité en étoil la cause, et qu'il n'a commis aucune faute que celle de me trop estimer. Ne suis-je pas la plus blamable des filles? Grondez moi, ma chère, car je le mérite.“ Als sie an ihr Haus kommen, hat er ihr noch vieles, ja die Hauptsache zu sagen — „La porte s'ouvrant alors j'entre le cœur dechiré par mille pensées diverses. Ne me plaignez pas, je le mérite.“ Diese mitleidige Stimmung dauert aber nicht lange. Vor seiner Abreise sieht G., welchen sie nach jener Aufklärung nicht mehr mit seinem Spottnamen bezeichnet, sie noch einmal. „Ma chère, si Vous aviez entendue ce discours Vous auriez fait des éclats de rire; pour moi j'étois si serieuse, que l'occasion le demandoit.“

Diese Abneigung ist übrigens eine rein persönliche gegen diesen armen G., sonst zeigt sich Cornelie nicht unempfindlich; „sie war so liebebedürftig, als irgend ein menschliches Wesen.“[191] Goethe erzählt von einem Liebesverständniß zwischen ihr und einem jungen Engländer, der sich in der Pfeilschen Pension bildete.[192] Er verkehrte viel mit Goethe, trieb Englisch mit ihm und seiner Schwester, für welche er eine leidenschaftliche Neigung faßte und die ihrige gewann. Nach Goethes Bericht entstand dieses Verhältniß, ehe er nach Leipzig fortging, und müßte während der ganzen Zeit seiner Abwesenheit bestanden haben, denn wir sehen hier, wie es im October 1768 endigt; wenn man nicht etwa annehmen will, daß ein zweiter Engländer ihre Neigung gewonnen habe, was wenig wahrscheinlich ist. Allein vielleicht hat auch Goethe nicht chronologisch genau berichtet, wie er denn, und gewiß mit gutem Recht, in der Schilderung der Frankfurter Verhältnisse manches hier erwähnt, was erst in spätere Zeit fällt. Wahrscheinlich hat er den jungen Engländer schon vor seinem Abgang kennen lernen, dessen Neigung zu Cornelie (welche damals 15 Jahr alt war) wird erst später entstanden sein, und Goethe fand das Verhältniß zwischen beiden ausgebildet vor, als er zurückkam.

Im Anfange ihres Tagebuches gesteht sie sich für Grandison besonders deshalb so sehr zu interessiren, weil er ein Engländer ist. „Si je puis croire, qu'il y a encore quelqu'un qui lui ressemble, il faut qu'il soit de cette nation. Je suis extrèmement portée pour ces gens là, ils sont si aimables et si sérieux en même tems, qu'il faut être charmée d'eux.“ Noch am Nachmittag desselben Tages erfolgt ein halbes Geständniß. „Je viens dans ce moment de la table, et je me suis derobée pour Vous entretenir un peu; Vous ne devez rien attendre de prémédité dans ces lettres, c'est le cœur qui parle et non pas l'esprit. Je voudrois bien Vous dire quelque chose, ma chère Cathérine, et cependant j'appréhends ... mais non, Vous me pardonnerez; ne sommes nous pas tous ensemble susceptible de foiblesses? Il y a ici un jeune Anglois, que j'admire beaucoup; ne craignez rien, mon enfant, ce n'est pas de l'amour, c'est une pure estime que je lui porte à cause de ses belles qualités; ce n'est pas ce Milord dont Mlle. Meixner Vous aura parlé sans doute, c'est un import ... st st! il est aussi Anglois, et n'aime-je pas toute la nation à cause de mon seul aimable Harry? Si Vous le vissiez seulement, une physionomie si ouverte et si douce, quoiqu'avec un air spirituel et vif. Ses manières sont si obligeantes et si polies, il a un tour d'esprit admirable; enfin c'est le plus charmant jeune homme que j'ai jamais vu.[193] Et, et ... ah, ma chère, il part dans quinze jours, j'en suis fort affligée quoique ce ne soit pas une douleur pareille à celle quand on aime. J'aurois souhaité de demeurer dans la même ville que lui pour pouvoir lui parler et le voir toujours, je n'aurois jamais eu une autre pensée, le ciel le sait, et il est ... mais j'en serai privée, je ne le reverrai plus. Non, non, je ne puis le quitter tout à fait, j'ai une pensée en tête, qui s'exécutera, il faut que ça soit, oui en verité.“

Dieser Plan ist folgender. Sie hat einen jungen Maler kennen gelernt, welcher aus Paris gekommen ist und die Fertigkeit besitzt, rasch und verstohlen in Gesellschaft die Portraits anwesender Personen zu zeichnen; sie hat sich mit ihm verabredet und denkt am Sonntag eine musikalische Gesellschaft bei sich zu versammeln. „Harry sera invité parce qu'il joue admirablement du violon; et le peintre viendra pour faire une visite à mon frère et agira comme s'il ne savoit pas qu'il y a de la compagnie. On fera alors très bien ses affaires et justement quand le plus aimable des hommes joue sur son instrument — je m'y perds ma chère.“ In dieser Hoffnung ist sie ganz glücklich. „Plus ce jour desiré s'avance,“ schreibt sie am Freitag, „plus mon cœur palpite. Et je le verrai donc! je lui parlerai! mais à quoi ça me sert-il? — Hé bien folle, ne l'auras tu pas puis pour toujours — du moins son image, et que pretends tu de plus? Ah, ma chère, je suis pleine de joie; Vous en aurez une copie, surement Vous ne me donnerez pas tort de l'aimer — Qu'ai je dit? effacerai-je ce mot? non je le laisserai pour Vous faire voir toute ma foiblesse. Condamnez moi. — Aujourdhui je n'écoute que le plaisir, je danse par toute la maison, quoique quelquefois il me vienne une pensée qui me dit de me modérer et qu'il peuvent arriver plusieurs obstacles. Mais je ne l'écoute pas, en m'écriant dabord: Il le faut.“ Am folgenden Tag schickt sie den Bedienten fort, um die Damen einzuladen, ungeduldig erwartet sie seine Rückkehr. „Un rêve qui j'ai eu cette nuit m'inquiète. J'entendis dire une voix: Tu ne le verras plus! — — Ah, ma chère, que ferais-je? le domestique est de retour et les dames ne viennent pas — malheureuse — tout est fini. Mon orgueil est bien puni maintenant. — Il faut que ça soit — j'avois bien sujet de dire ainsi. — Ayez pitié de moi. — Je suis dans un état à faire compassion — il m'est impossible de poursuivre — pardonnez moi toutes ces folies.“ Einige Tage darauf schreibt sie ruhiger: „La fin de ma dernière lettre étoit très confuse, pardonnez le moi, je ne savois ce que je disois et une sorte, de saisissement s'empara alors de mon âme. Je m'étonne quelquefois de moi même, j'ai des passions si fortes, que dabord je suis portée à l'excès; mais ça ne dure pas longtems et c'est là un grand bonheur pour moi, car il n'y auroit pas le moyen d'y subsister. Pour maintenant je suis assez tranquille, espérant que dans cinq jours il y aura encore un dimanche — taisons nous de peur que si nous manquons encore une fois, on aura sujet de se moquer de nos dessins. Vous le feriez surement, n'est ce pas, ma chère? et je le mériterois. S'il part dans cette semaine ... ne donnons point de lieu à une idée si choquante, la seule pensée me fait frémir.“ Aber diese Furcht war gegründet, er reiste wirklich während dieser Tage fort. „Vous attendrez,“ schreibt sie, „surement des exclamations douloureuses, si je Vous dis, que mon aimable Anglois est parti, qu'il est parti sans pouvoir me dire le dernier adieu, que je n'ai pas son portrait, qu'enfin toutes mes mesures ont manqués. — Mais, ma chère, je me comporterai comme il me convient; quoique ça Vous étonnera après ce que je Vous ai déja écrit. - Mon cœur est insensible à tout. — Pas une larme, pas un seul soupir. — Et quelle raison en aurois-je aussi? aucune je pense. — Cependant, ma chère amie, y avoit-il jamais un souhait plus innocent que celui de voir toujours son image? j'avois toujours un extrème plaisir à le regarder, et j'en suis privée maintenant — mais ça ne fait rien — vous voyez toute mon indifférence — l'état de mon âme approche à l'insensibilité.“

Dies ist das einzige Verhältniß, bei welchem von einer wahrhaften Neigung Corneliens die Rede ist, sonst aber verräth sie im Verkehr mit Männern eine eigenthümliche Reizbarkeit, ein Schwanken zwischen spröder Zurückgezogenheit, und dem Wunsche und der geheimen Hoffnung auf sie einen günstigen Eindruck zu machen, worüber sie mit sich selbst nicht im Klaren ist, aber in leidenschaftliche Bewegung und Unruhe geräth. Dies tritt in der folgenden kleinen Begebenheit sehr deutlich hervor.


Mercredi ce 26 Octobre 1 à 2 heures après diné.

„Dans ce moment mon frère est allé voir deux jeunes Seigneurs de qualité, qui viennent de Leipzig, où il a eu connoissance avec eux. Je le priai de me les décrire, ce qu'il a fait avec plaisir. Monsieur de Oldrogg[194] l'ainé, me dit-il, a environ vingt six ans, il est grand, de belle taille, mais son visage a des traits peu flatteurs, il a beaucoup d'esprit, parle peu, mais tout ce qu'il dit, montre la grandeur de son âme et son jugement élevé; il est très agréable en compagnie, pousse la civilisation jusqu'au plus haut bout, supportant avec condescendance les personnes d'un mérite inférieur, enfin il possède toutes les qualités requises pour rendre un cavalier aimable. Son frère aura vingt ans, il a la taille moins haute que l'ainé, mais ses traits sont d'une beauté charmante, comme vous aimez à les voir vous autres filles, il est beaucoup plus vif que l'autre, parle souvent, quoique quelquefois mal à propos, il a le caractère aimable, mélé avec beaucoup de feu ce qui lui va très bien; encore un peu d'étourderie, mais ça ne fait rien. Il suffit à toi de savoir que c'étoient là les cavaliers les plus distingués de toute notre académie. — Je suis charmée de cette description, ne l'êtez Vous pas aussi, ma chère? car je Vous assure que quand mon frère loue quelqu'un il faut qu'il ait beaucoup de mérite.


à six heures du soir.

Il est de retour; pensez, mon enfant, demain ils viendront chez nous; je suis curieux de les voir, mais j'ai honte de me présenter à eux. Voilà une de mes grandes foiblesses, il faut que je l'avoue; Vous connoissez mes pensées là dessus, et Vous me pardonnerez si je rougis en pensant de montrer à des personnes d'un tel mérite une figure si humiliante et si peu digne d'être vue. C'est un désir innocent de plaire, je ne souhaite rien — Ah, ma chère, si Vous voyez les pleurs — non, non je n'en verse pas, ce n'est que — ce n'est rien.


Jeudi à 10 heures du matin.

Si je pouvois Vous déployer l'état présent de mon âme, je serois heureuse, du moins je comprendrois alors ce qui se passe en moi. Mille pensées mortifiantes, mille souhaits à demi formés et rejetés dans le même moment. Je voudrois — mais non je ne voudrois rien. — Je Vous envie presque, ma chère, le repos que Vous goutez étant contente de Vous même, ce que Vous avez sujet; au lieu que moi — je ne saurois poursuivre.


à 2 heures après midi.

Que ferai-je? Je me suis habillée pour sortir et je n'en ai pas le courage. Je m'en irai; il m'est impossible de les voir; voyez la folle, comme le cœur lui bat. Vingt fois les escaliers furent descendues et autant de fois mes pas me ramenèrent dans ma chambre. Mon frère m'a demandé si je sortois aujourdhui et je lui repondue qu'oui, ainsi je ne saurais reculer — Adieu, je m'en vais pour la dernière fois, prenons courage; vite, point de grimaces. Ne suis-je pas bien ridicule?


à cinq heures.

Me voilà revenue, je me suis trouvée mal, je crains à tout moment une foiblesse. — Je vais me deshabiller. — Ils sont là, ma chère, et pensez, il est arrivé justement un de mes cousins qui étoit depuis quelque tems à la cour, il est aussi auprès de ces Seigneurs, s'il lui venoit en tête de me voir. — J'ai été surprise, mon frère est entré et j'ai caché vitement ma lettre; ah, ma chère, il a été envoyé de mon cousin qui veut me voir absolument, il a déja fait mon éloge à Messieurs de Oldrogg — je me suis excusée, disant que je me trouvois mal; mon frère étoit effrayé en me regardant, car je suis pâle comme la mort. Je n'y saurois aller — que vais-je devenir? j'entends la voix de mon cousin qui s'écrie: il faut qu'elle vienne — il entre, ah, ma chère, sauvez moi!


à 7 heures.

J'y ai donc été; hé bien sotte, qu'avois du besoin de craindre? Je suis si gaie maintenant — écoutez moi, je Vous dirai tout ce qu'il se passa.“

Sie erzählt, wie ihr Vetter sie fast mit Gewalt halb besinnungslos in den Saal geführt habe, wo sie nach den ersten Begrüßungen sich so fern vom Licht als möglich gesetzt habe, um den Blicken der Fremden nicht ausgesetzt zu sein, und allmälig mit Mühe einigermaßen die Fassung gewonnen habe. Nach einigen Complimenten lenkt der Vetter das Gespräch auf ihren Bruder. „Ma chère cousine je ne Vous ai pas encore communiqué la joye que j'ai ressentie en trouvant à mon retour ici un cousin si aimable; on a sujet de Vous féliciter d'un frère si digne d'être aimé. — Je suis charmée, Monsieur, que Vous aites convaincu à présent combien j'avois raison d'être affligée de l'absence de ce frère chéri; ces trois années ont été bien longues pour moi, je souhaitois à tout moment son retour. — Ma sœur, ma sœur, et maintenant que je suis là personne ne désire de me voir, c'est tout comme si je n'y étois pas. — Point de reproches, mon frère, Vous le savez Vous même, que c'est ne pas là ma faute; Vous êtez toujours occupé et je n'ose Vous interrompre si souvent que je le voudrois. — Mais, ma chère cousine, comment va donc la musique? Vous excelliez déja l'hiver passé, que ne sera ce maintenant! Oserois-je Vous prier de me faire entendre Vos nouveaux progrès? je suis sur que ces Messieurs en seront charmés. — Il faut Vous dire, ma chère, que je me portois mieux à tout moment, et je commencois à recouvrir toute ma présence d'esprit. Je me levai d'abord et lorsqu'ils virent que je marchois vers mon clavecin ils se postèrent tous autour de moi; le cadet se mit de façon à pouvoir me regarder à son aise pendant que je jouois. Je le surpris quelque fois. Je fus deconcertée un peu sans savoir pourquoi, je rougissai — mais, ma chère, pourquoi me regardoit il aussi? — cependant j'exécutai assez bien mon concert. Mon cousin me ramena à ma chaise et en me demandant ce qu'il devoit faire encore pour m'obliger je le priai de reprendre sa place, Vous saurez qu'elle étoit vis à vis de moi. — Je vois à quoi ça aboutit, s'écriat-il, Vous voulez que je m'éloigne, c'est Vous Monsieur, dit-il au jeune d'Oldrogg, qu'elle a élu pour être toujours près d'elle. — Ah, ma chère, que le cœur me battoit, je ne sus que dire; le jeune d'Oldrogg étoit en peine pour moi, je le vis à l'émotion peinte sur son charmant visage. Il me regardoit timidement comme s'il eut craint de m'offenser. Je ne pouvois me défendre le plaisir de le contempler, je crus voir mon aimable Harry, je ne sais plus que ce je pensois alors. — Mon frère pour donner un tour à la conversation parla de Leipzig, du tems agréable qu'il y avoit passé et en mème tems il commença à se plaindre de notre ville, du peu de goût qui y regnoit, de nos citoyens stupides et enfin il s'émancipa que nos demoiselles n'étoient pas supportables. Quelle différence entre les filles Saxonnes et celles d'ici, s'écria-t-il.[195] — Je lui coupai la parole et m'adressant à mon aimable voisin, Monsieur, lui dis-je, ce sont ces reproches, qu'il faut que j'entende touts les jours. Ditez moi, je Vous prie, si c'est en effet la vérité, que les dames Saxonnes sont tant supérieures à celles de toute autre nation? — Je vous assure, Mademoiselle, que j'ai vu le peu de tems que je suis ici beaucoup plus de beautés parfaites qu'en Saxe; cependant j'ose Vous dire, ce qui porte tant Ms. Votre frère pour elles c'est qu'elles possèdent une certaine grace, un certain air enchanteur — C'est justement, interrompit mon frère, cette grace et cet air qui leur manque ici, je suis d'accord qu'elles sont plus belles, mais à quoi me sert cette beauté, si elle n'est pas accompagnée de cette douceur infinie, qui enchante plus que la beauté même? — Juste ciel, il sonne dix heures, il faut aller me coucher, je n'ai pas soupée aujourdhui pour pouvoir Vous dire tout ça. Le cadet prit un congé très poli de moi, il baisa ma main, la serra à plusieurs reprises, je crus presque qu'il ne vouloit plus me la rendre. Qu'avoit il besoin de se comporter tellement? J'envie ces belles dames qu'il a vu ici, n'y auroit il pas une douceur infinie de plaire à un tel homme? — Mais pourquoi dis-je cela? Vous voyez, que le sommeil m'égare.“

Auch am folgenden Tage erzählt sie von den Brüdern Olderogge, daß sie einige hundert Meilen weit herkämen und nun nach vollendeten Studien eine große Reise durch Europa machten, daß ihr Bruder den ganzen Tag mit ihnen sei und daß sie ihn um dies Glück beneide. Dann schreibt sie am Mittwoch: „Messieurs de Oldrogg viendront cet après-midi, je m'en rejouis — du moins je verrai encore une fois cet aimable visage, qui a tant de ressemblance... st, st. — On m'interrompt — c'est mon frère, que va-t-il dire? — Ah, ma chère, plaignez moi — tout s'accumule pour me faire désespérer — ils partent ce matin — que ferai-je? — Si Vous vissiez ma peine, elle est audessus de mes forces — tous les plaisirs que je me promets me manquent — à quoi suis-je encore reservée? — Ils passeront par Worms et y logeront à l'empereur Romain — Vous les verrez peut-être. — Mon frère s'en est allé dans ce moment pour leur dire adieu — ah! quelle pensée s'offre à mon esprit — non, non — Adieu.“

Die Leidenschaft, mit welcher sie sich hier ausspricht, ist durch die Ähnlichkeit des jüngeren Olderogge mit ihrem Harry nicht vollständig erklärt. Die Abreise des letzteren fällt in die Zeit dieses Besuches und man fühlt sich fast versucht, die Ruhe, mit welcher sie dieselbe erträgt, zum Theil auf das für die Freunde des Bruders erregte Interesse zu schieben. Wenn es gleich begreiflich ist, daß sie in dieser Zeit ungewöhnlich aufgeregt war, so zeigt sie doch auch sonst eine ähnliche Reizbarkeit und Unruhe, welche einen tieferen Grund haben. Die Art, wie sie über die Liebesverhältnisse ihrer Freundinnen sich äußert, zeigt, wie sehr sie sich mit denselben beschäftigt und in ihrer Phantasie sich selbst in einer gewissen Weise damit verflicht. Die feurige Neigung und die treue Anhänglichkeit Dorvals bewundert sie lebhaft und hebt sie gegen Lisettes Flatterhaftigkeit mit einem eigenen sympathetischen Gefühl hervor. Etwas Ähnliches tritt in einem anderen Verhältniß höchst wunderbar hervor.

Marie B., die Tochter eines der reichsten Reformirten, hat sich mit einem Herrn St. Albain verlobt, einem jungen, schönen Mann, voll Geist und ernsthafter als man von einem Franzosen erwarten sollte. Cornelie ist die vertraute Freundin von Marie, und St. Albain aus diesem Grunde sehr freundlich gegen sie, ja in einer Weise aufmerksam, daß Marie, wenn sie des Herzens ihres Verlobten nicht ganz sicher wäre, wohl eifersüchtig werden könnte. „Hier au soir il me mena en carrosse chez moi. Il gardoit longtems le silence, puis tout d'un coup comme s'il éveilloit d'un songe il me demande avec empressement: Chère Miss, quand Vous reverrai-je? — Eh, lui repondis-je en riant, que Vous importe de me voir. — Ma aimable Miss, Vous ne savez pas ... Vous ne croyez pas ... que dirai-je? mais non, je ne dirai rien ... Miss, venez Vous demain au bal? — Non je n'y vais pas, on me l'a défendu par rapport à ma santé; Miss Marie y ira et cela Vous suffit. Heureux St. Albain, Vous serez bientôt lié à cette admirable fille, que désirez Vous de plus? — Moi? ... rien que ... votre amitié ... me la promettez Vous? — Oui, Saint Albain, et voilà ma main pour gage, tant que Votre charmante épouse m'honorera de son amitié, Vous avez droit sur la mienne, je Vous estimerai toujours, nous vivrons ensemble, en amis, nous nous verrons souvent ... Souvent, Miss! est-ce bien vrai? conservez ses pensées! mais ... Eh bien mais, qu'y a-t-il encore? — C'est là que la carrosse s'arrêta, il prit ma main. Vous ne viendrez donc pas au bal? — Non, Vous dis-je, mais mardi prochain chez Miss Philippine. — Adieu donc jusqu'à là, j'y verrais sûrement, n'oubliez pas Votre promesse. — Non, non, Saint Albain, je ne l'oublierai pas. — Que vouloit-il dire par tout cela, ma chère? Sotte que je suis, il s'est cru obligé de me faire quelques compliments et voilà tout. Je ne saurois Vous dire combien je l'estime et combien il mérite de l'être.“

Auf diesem Ball erhitzt sich St. Albain, wird krank und stirbt in wenig Tagen. Cornelie ist außer sich vor Schmerz über den Tod dieses liebenswürdigen jungen Mannes, bei dem Gedanken an seine Braut, an seine Eltern; der Tag, an welchem sie versprochen hatte, ihn in Gesellschaft zu sehen, ist der Tag seines Begräbnisses. Allmälig wird sie ruhiger, aber diese ruhige Trauer ist ihr wohlthuend und wird ihr lange bleiben. Mit großer Überwindung geht sie ins Concert, die Musik macht keinen Eindruck auf sie, sie denkt nur an St. Albain und fürchtet, daß man mit ihr von ihm sprechen möge, sie malt sich den Jammer der trostlosen Braut aus. Zu ihrem Erstaunen tritt diese in ausgesuchter Trauerkleidung in den Saal, setzt sich in ihre Nähe, und sie hört die frivolsten Äußerungen von ihr, Trauer habe sie gar nicht empfunden, sei heiterer als je und verwünsche die düstere Kleidung, die sie tragen müsse. Sie ist außer sich und verbirgt mit Mühe ihre Entrüstung, da aller Augen auf sie gerichtet sind; im Innern preist sie St. Albain glücklich, daß er diese Frau nicht bekommen habe, die seiner so unwürdig ist, und deren Freundin zu sein sie aufhört, da sie dieselbe kennt. Später, als jener G. sie im Wagen nach Hause begleitet, kommt St. Albain ihr ins Gedächtniß. Wenn er an ihrer Seite wäre! Doch sie hat sich das Wort gegeben, von ihm nicht mehr zu sprechen.

In allen diesen Zügen spricht sich die tiefe Sehnsucht eines fühlenden Herzens nach Liebe aus, das innere Bewußtsein, einer treuen und festen Neigung fähig und bedürftig zu sein, aber auch dieser eigenthümliche Widerspruch, daß sie an sich selbst zweifelt und dadurch verhindert, daß dieses Bedürfniß in der Wirklichkeit Befriedigung finde, während sie sich in phantastische Verhältnisse hineinträumt. Daher die fortwährende leidenschaftliche Anspannung und Unruhe ihres Gemüths, welche indeß ihre edle Gesinnung und ihren sittlichen Ernst nie verdeckt. Nirgends tritt in allen diesen Äußerungen auch nur die geringste sinnliche Regung hervor, ebensowenig ein Bewußtsein ihrer überlegenen Geisteskräfte; sie hat nur das schmerzliche Gefühl, daß sie den Eindruck nicht mache, welcher für ein weibliches Wesen der natürliche und darum allein befriedigende ist. Aus ihren eigenen Aufzeichnungen, die auch in dieser Hinsicht eine rührende, ja großartige Offenheit zeigen, wie aus Goethes Charakteristik ergiebt sich ein wesentlicher Grund dieser unglücklichen Stimmung: es war das Gefühl, daß sie durch ihr unschönes Äußere unfähig sei, Liebe einzuflößen.[196]

„Sie war,“ so beschreibt Goethe seine Schwester, „groß, wohl und zart gebaut und hatte etwas natürlich würdiges in ihrem Betragen, das in eine angenehme Weichheit verschmolz. Die Züge ihres Gesichts, weder bedeutend noch schön, sprachen von einem Wesen, das weder mit sich einig war noch werden konnte. Ihre Augen waren nicht die schönsten, die ich jemals sah, aber die tiefsten, hinter denen man am meisten erwartete, und wenn sie irgend eine Neigung, eine Liebe ausdrückten, einen Glanz hatten ohne gleichen; und doch war dieser Ausdruck eigentlich nicht zärtlich, wie der, der aus dem Herzen kommt und zugleich etwas sehnsüchtiges und verlangendes mit sich führt; dieser Ausdruck kam aus der Seele, er war voll und reich, er schien nur geben zu wollen, nicht des Empfangens zu bedürfen.“

„Was ihr Gesicht aber ganz eigentlich entstellte, so daß sie wirklich manchmal häßlich aussehen konnte, war die Mode jener Zeit, welche nicht allein die Stirn entblößte, sondern auch alles that, um sie scheinbar oder wirklich, zufällig oder vorsätzlich zu vergrößern. Da sie nun die weiblichste, rein gewölbteste Stirn hatte und dabei ein Paar starke schwarze Augenbraunen und vorliegende Augen; so entstand aus diesen Verhältnissen ein Contrast, der einen jeden Fremden für den ersten Augenblick wo nicht abstieß, doch wenigstens nicht anzog. Sie empfand es früh, und dies Gefühl ward immer peinlicher, je mehr sie in die Jahre trat, wo beide Geschlechter eine unschuldige Freude empfinden, sich wechselseitig angenehm zu werden.“

„Niemandem kann seine eigene Gestalt zuwider sein, der häßlichste wie der Schönste hat das Recht, sich seiner Gegenwart zu freuen; und da das Wohlwollen verschönt, und sich jedermann mit Wohlwollen im Spiegel besieht, so kann man behaupten, daß jeder sich auch mit Wohlgefallen erblicken müsse, selbst wenn er sich dagegen sträuben wollte. Meine Schwester hatte jedoch eine so entschiedene Anlage zum Verstand, daß sie hier unmöglich blind und albern sein konnte; sie wußte vielleicht deutlicher als billig, daß sie hinter ihren Gespielinnen an äußerer Schönheit sehr weit zurückstehe, ohne zu ihrem Troste zu fühlen, daß sie ihnen an inneren Vorzügen unendlich überlegen sei.“

Die Zeichnung,[197] welche Goethe von seiner Schwester mit Bleistift flüchtig auf dem breiten Rand eines Correcturbogens vom Götz,[198] also im Jahre 1773,[199] entworfen hat, macht uns diese Beschreibung anschaulich. Die Ähnlichkeit der beiden Geschwister, welche so groß war, daß man sie in früheren Jahren für Zwillinge halten konnte,[200] ist unverkennbar, besonders wenn man das im Jahr 1779 von May gemalte Bild Goethes[201] vergleicht. Allein die stark ausgesprochenen Formen geben dem weiblichen Gesicht etwas Schroffes und Herbes, und auch dem Ausdruck desselben fehlt Freiheit und Sicherheit. Daß jener unvortheilhafte Kopfputz mit Recht Goethe so sehr mißfiel, davon kann man sich nun auch überzeugen.

Wie richtig Goethe seine Schwester beurtheilte, geht aus ihren Briefen hervor. Wie nahe sie sich auch standen, so daß sie sich gegenseitig ihre kleinen Herzensangelegenheiten, ihre Liebes- und andere Händel mittheilten,[202] so ist es nur natürlich, daß das Mädchen gegen ihre Freundin manches offner aussprach als gegen ihren Bruder. Sie scheut sich nicht das, was sie selbst mitunter als thörichte Eitelkeit tadelt, merken zu lassen, den Kummer über ihr unvortheilhaftes Äußere und den Wunsch zu gefallen (s. S. 239 f. 261 f. 266). Eines Morgens überrascht ein neu angekommener Resident,[203] der ihrem Vater seinen Besuch macht, sie bei der Toilette in ihrem Zimmer, das auch als Besuchzimmer dient; in der äußersten Verlegenheit entfernt sie sich auf eine sehr ungeschickte Weise. „Je repris mes forces en venant dans le froid, et lors que je me regardai dans une glace je me vis plus pâle que la mort. Il faut Vous dire en passant, que rien ne ma va mieux que quand je rougis ou pâlis par émotion. Tout autre que Vous me croiroit de la vanité en m'entendant parler ainsi; mais Vous me connoissez trop pour m'en croire susceptible et cela me suffit.“ Wenige Tage darauf sieht sie ihn im Concert, sie findet ihn so liebenswürdig, daß sie ihn zum Modell wählen würde, wenn sie den Liebesgott malen sollte; dabei denkt sie an die traurige Figur, welche sie vor ihm gespielt. Sie hört, wie er mit dem Marquis von Saint Sever sich lebhaft über ein schönes Mädchen unterhält, die großen Eindruck auf beide gemacht hat. Glückliches Mädchen! denkt sie. Es ist Lisette v. Stockum, deren Schönheit ihr schon früher die Äußerung entlockt: „Quel avantage que la beauté! elle est préférée aux graces de l'âme.“ Nachher wendet sich der Resident auch an sie und unterhält sie artig: nun ist sie glücklich und zufrieden.

Ein andermal schreibt sie: „Je Vous pris de ne plus me faire rougir par Vos louanges que je ne mérite en aucune façon. Si ce n'étoit pas Vous, ma chère, j'aurois été un peu piquée de ce que Vous ditez de mon extérieur, car je pourrois alors le prendre pour de la satire; mais je sais que c'est la bonté de votre cœur qui exige de Vous de me regarder ainsi. Cependant mon miroir ne me trompe pas s'il me dit que j'enlaidis à vue d'œil. Ce ne sont pas là des manières, ma chère enfant, je parle du fond du cœur et je Vous dis aussi que j'en sois quelquefois pénétrée de douleur, et que je donnerois tout au monde pour être belle.“

Sie giebt deshalb auch allen Glauben an ein Glück, das sie durch die Liebe finden könnte, auf. „Qu'en ditez Vous, ma chère, que j'ai renoncé pour jamais à l'amour. Ne riez pas, je parle sérieusement, cette passion m'a fait trop souffrir, pour que je ne lui dise pas adieu de tout mon cœur. Il y eut un tems, où remplie des idées romanesques je crus qu'un engagement ne pût être parfaitement heureux sans amour mutuel; mais je suis revenue de ces folies là.“

Noch herber und mit einer grausamen Kälte gegen sich selbst spricht sie später ihre Hoffnungslosigkeit aus: „Quel don dangereux que la beauté! je suis charmée de ne pas l'avoir, du moins je ne fais point de malheureux. C'est une sorte de consolation et cependant si je la pèse avec le plaisir d'être belle, elle perd tout son mérite. Vous aurez déja entendue que je fais grand cas des charmes extérieures, mais peutêtre que Vous ne savez pas encore que je les tiens pour absolument nécessaires au bonheur de la vie et que je crois pour cela que je ne serai jamais heureuse. Je Vous expliquerai ce que je pense sur ce sujet. Il est évident que je ne resterai pas toujours fille, aussi seroit-ce très ridicule d'en former le projet. Quoi-que j'ai depuis longtems abandonnée les pensées romanesques du mariage je n'ai jamais effacée une idée sublime de l'amour conjugal, cet amour, qui selon mon jugement peut seul rendre une union heureuse. Comment puis-je aspirer à une telle felicité ne possédant aucun charme qui pût inspirer de la tendresse. Epouserai-je un mari que je n'aime pas? Cette pensée me fait horreur et cependant ce sera le seul parti qui me reste, car où trouver un homme aimable qui pensât à moi? Ne croyez pas, ma chère, que ce soit grimace; Vous connoissez les replis de mon cœur, je ne Vous cache rien, et pourquoi le ferois-je?“

Der Anblick dieser durch eine rücksichtslose Schärfe des Verstandes über ein leidenschaftliches Herz schwer errungenen Resignation, welche die hohe Vorstellung von dem wahren Glück der Liebe in ihrer Reinheit festhält, aber aus Mißtrauen gegen sich selbst es aufgiebt, dasselbe zu erreichen, ist um so erschütternder, wenn man sich vergegenwärtigt, wie diese traurige Ahnung später an ihr in Erfüllung gegangen ist. Es wird hiedurch noch klarer, daß der Grund, weshalb sie in der Ehe mit Schlosser, dem man gewiß keine Ursache hat eine Schuld anzuweisen, keine Befriedigung fand, tief in ihrer Natur lag, und gewiß hat sie durch das fortgesetzte strenge Reflectiren über sich selbst die Fähigkeit sich unbefangen hinzugeben mehr und mehr erstickt. Übrigens tritt auch die Kränklichkeit, welche später auch ihren gemüthlichen Zustand so schwer und trübe machte,[204] schon jetzt hervor. Sie klagt wiederholt über ihre Gesundheit, sie werde hypochonder, bald heftig und leidenschaftlich, bald stumpf und gleichgültig. Die trübe Stimmung, welche der allgemeine Grundton dieser Aufzeichnungen ist, spricht sich in dem aus, was sie an ihrem Geburtstag niederschreibt.


Mercredi ce 7 Decemb. (1768)

C'est aujourd'hui le jour de ma naissance où j'ai dix-*huit ans accomplis.[205] Ce tems est écoulé comme un songe, et l'avenir passera de même, avec cette différence qu'ils me restent plus de maux à éprouver que je n'en ai senti. Je les entrevois.


Daß Cornelie ihrer Eltern nie erwähnt, ist begreiflich, da sie, wie Goethe erzählt, gegen den Vater, der sie mit seiner pedantischen Lehrhaftigkeit plagte und ihr so manche unschuldige Freude verhinderte und vergällte, die ganze Härte ihres Charakters wandte, zum großen Kummer ihrer Mutter, der sie aber, wie es scheint, auch nicht nahe stand.[206] Von dem Bruder ist dagegen, obgleich diese Aufzeichnungen größtentheils ihre eigensten Angelegenheiten berühren, oft die Rede. Er war noch leidend von Leipzig zurückgekommen und sein Zustand machte den Seinigen Sorge.[207] An ihrem Geburtstage (1768) ward er von einer heftigen Kolik befallen, so daß er die furchtbarsten Schmerzen litt, vergebens suchte man ihm einige Linderung und Ruhe zu verschaffen; sie hatte es nicht länger aushalten können, ihn in einem Zustande zu sehen, der ihr das Herz zerriß, ohne daß sie ihm helfen konnte. Zwei Tage hielt dieser schreckliche Zustand an, dann wurde er etwas besser, doch konnte er noch keine Viertelstunde sich aufrecht erhalten; indessen hofft sie, wenn nur die Schmerzen erst aufhören, werden die Kräfte sich schon wieder einstellen.[208] Sein Zustand erregt allgemeine Theilnahme, wo sie sich in Gesellschaft zeigt, drängt alles sich um sie, Freunde und Freundinnen, um von seinem Befinden Nachricht zu erhalten. Anfang Januar 1768, da er ganz wieder hergestellt ist, giebt der Rath Moritz,[209] um das frohe Ereigniß zu feiern, ihm eine Gesellschaft. Allein nicht lange nachher tritt ein neuer Anfall der Krankheit ein.[210]

Wie die Geschwister alles mit einander theilten, so auch das Interesse für ihre Freunde. Cornelie theilt ihrem Bruder Briefe von Katharine Fabricius mit, welche ihm so lebhaftes Interesse einflößen, das er, ohne sie gesehen zu haben, mit ihr in einen Briefwechsel tritt und auch für Cornelie die Correspondenz übernimmt; sie überläßt ihm um so lieber die officiellen Briefe zu schreiben, da sie mit dem Tagebuch beschäftigt ist, von welchem auch er nichts weiß. Übrigens meint sie, die Freundin werde gewiß an den Briefen ihres Bruders Freude haben, und bittet sie ihm zu antworten, dem das zumal in seiner Krankheit eine angenehme Zerstreuung sei;[211] und an ihren Briefen finde er solche Gefallen, daß er ihrer jüngeren Schwester, welche ihm einen Brief von ihr gezeigt, so lange mit Bitten zugesetzt habe, bis sie ihm denselben überlassen habe. Je näher sie ihn kennen lerne und sein Betragen beobachte, desto mehr werde sie sich von seiner Aufrichtigkeit überzeugen und daß er nicht anders spreche als er denke: wie er das auch von sich selbst sagt.[212] Wiederum vertraut sie ihr auch an, daß ihr Bruder sich mit seinem Freunde Müller nicht mehr so gut stehe wie früher; ihre Grundsätze seien zu verschieden, denn die Philosophie ihres Bruders gründe sich auf Erfahrung, die seinige nur auf Lectüre. Auch habe er sich bei der Krankheit des Bruders recht kalt benommen, und sie sehe nun wohl ein, daß seine Principien für das praktische Leben und die Welt nicht passen. Man sieht daraus, daß Goethe die Erfahrung, mit welcher ihm Behrisch so viel Noth machte und um die er sich so große Mühe gab,[213] auch gegen Cornelie geltend machte, wie er sich denn auch sonst darauf nicht ohne Stolz beruft.[214] Ein eigenthümlicher Beweis von Goethes Einfluß auf seine Schwester ist ihre Handschrift. Anfangs ist sie deutlich und fest, aber sehr steif, allmälig wird sie schlanker, freier und nähert sich der seinigen immer mehr, mit der sie zuletzt die größte Ähnlichkeit hat. Von seinen Arbeiten spricht sie leider weniger als man wünschte; er zeichnet ihr allerliebste Köpfe, von welchen sie der Freundin einige zu schicken verspricht, er liest ihr alles vor, was er schreibt, und sie hört ihm mit außerordentlichem Vergnügen zu;[215] da sie schreibt (16. Nov. 1768), ist er gerade mit einer neuen Komödie beschäftigt. Ob die Mitschuldigen gemeint sind, an welchen er in Frankfurt fortwährend besserte,[216] oder die oben (S. 153) erwähnte Farce, oder sonst etwas anderes — wer kann das wissen?

[176] Werke XXI. S. 13.

[177] Ihr voller Name war Cornelie Friederike Christiane.

[178] Vgl. S. 149.

[179] Joh. Balth. Kölbele, Dr. jur. und Rechtspraktikant, auch Schriftsteller und Judenbekehrer, starb 1778.

[180] Werke XX. S. 181.

[181] Werke XX. S. 139. 143. 150.

[182] Er hieß eigentlich Schubart und kam 1760 nach Paris. Bei Gerber ist sein Todesjahr falsch 1768 angegeben.

[183] Eckermann Gespr. II. S. 331.

[184] Werke XXII. S. 68.

[185] Werke XXI. S. 17.

[186] Es sind dieselben Mädchen aus der Familie Gerold, welche in Goethes Briefwechsel mit Hel. Elis. Jacobi (S. 9. 11. 14) erwähnt werden, und von denen einige Cornelie in Emmendingen Gesellschaft zu leisten pflegten, Werke XXII. S. 346 (wo der Name Gerock ein Versehen zu sein scheint.)

[187] Vgl. S. 141 f. 151.

[188] Vgl. S. 98. 139. 208.

[189] Landgraf Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt starb den 17. Octob. 1768 (Cornelie schreibt den 19. Oct.). Der zweite Sohn desselben war Prinz Georg Wilhelm, geb. 1722, gest. 1782.

[190] Diese Benennung Miss kommt sehr häufig vor; ob sie damals durch die englischen Romane Mode geworden war, oder nur eine Liebhaberei von Cornelie, weiß ich nicht zu sagen.

[191] Werke XXI. S. 151.

[192] Werke XXI. S. 18 ff.

[193] Goethe sagt von ihm: „Er war groß und wohlgebaut, wie sie, nur noch schlanker; sein Gesicht, klein und eng beisammen, hätte wirklich hübsch sein können, wäre es durch die Blattern nicht allzusehr entstellt gewesen; sein Betragen war ruhig, bestimmt, man durfte es wohl manchmal trocken und kalt nennen; aber sein Herz war voll Güte und Liebe, seine Seele voll Edelmuth und seine Neigungen so dauernd als entschieden und gelassen.“

[194] Johann Georg v. Olderogge studirte in Leipzig seit 1764, sein jüngerer Bruder Heinrich Wilhelm kam ein Jahr später dahin; sie waren aus Lievland. Goethe erzählt (Werke XXI. S. 65), daß mehrere Lievländer zu seiner Tischgesellschaft gehörten.

[195] Vgl. S. 139 f.

[196] Werke XXI. S. 15 ff. vgl. Eckermann Gespr. II. S. 331 f.

[197] Sie befand sich im Nachlaß von Friederike Oeser.

[198] „Es war mir fast unmöglich, bei meinen Zeichnungen ein gutes, weißes, völlig reines Papier zu gebrauchen; graue, veraltete, ja schon von einer Seite beschriebene Blätter reizten mich am meisten, eben als wenn meine Unfähigkeit sich vor dem Prufstein eines weißen Grundes gefürchtet hätte.“ Werke XXI. S. 11.

[199] In diesem Jahr erschien Götz von Berlichingen; und am 14. Novemb. 1773 reisten die kurz vorher vermählten Schlossers von Frankfurt ab, Goethes Briefw. m. Jacobi, S. 12.

[200] Werke XXI. S. 14.

[201] Briefe an Merck I. S. 169.

[202] Briefe XXII. S. 127.

[203] Friedr. Sam. v. Schmidt, Herr zu Rossan und Hullhausen, wurde den 14. Nov. 1768 zum Residenten für Baden-Durlach ernannt (Fichard, Frankfurt. Archiv II. S. 362); der Besuch fand am 11. Dec. Statt.

[204] Vergl. die Briefe von Cornelie in den Briefen an die Gr. Stolberg. S. 139 ff. an Frau v. Stein I. S. 41. 66.

[205] Nicolovius giebt den 8. Decbr. als ihren Geburtstag an (J.G. Schlosser S. 36). Sie war ein Jahr jünger als Goethe, Werke XX. S. 77.

[206] Werke XXI. S. 150.

[207] Vgl. S. 69. 120. 146.

[208] „Eine gestörte und man dürfte wohl sagen für gewisse Momente vernichtete Verdauung brachte solche Symptome hervor, daß ich unter großen Beängstigungen das Leben zu verlieren glaubte und keine angewandten Mittel weiter etwas fruchten wollten.“ Werke XXI. S. 156 f. Vgl. oben S. 76 f.

[209] Werke XX. S. 135 f. XXII. S. 229 f. Reliquien der Frl. v. Klettenberg S. 244 f.

[210] Vgl. S. 80. 153.

[211] Vgl. S. 159.

[212] Vgl. S. 164.

[213] Werke XXI. S. 111 ff.

[214] Vgl. S. 163.

[215] Werke XXII. S. 128. 149.

[216] Werke XXI. S. 165 f.

Goethes Briefe
an
Friedrich Rochlitz.


I.[217]

Sie sind überzeugt daß ich herzlichen Antheil an dem sonderbaren Glückswechsel nehme, der Sie so unvermuthet betroffen hat. Da dieser Faden gerissen ist so säumen Sie ja nicht andere wieder anzuknüpfen und wäre es auch nur zuerst sich zu zerstreuen. Mögen Sie mir manchmal schreiben, so soll es mir angenehm seyn. Ich bin zwar nicht der beste und treuste Correspondent, indessen ließe sich ja wohl manchmal etwas über dramatische Kunst verhandeln, in der Sie schon die artigen Proben gegeben haben.

In eben dem Sinn wiederhole ich meinen Wunsch daß Sie um den ausgesetzten Preis mit concurriren möchten.[218] Denn indem Sie das thun, regt sich denn doch eine kleine Welt in Ihrer Einbildungskraft und zieht Sie ab, von andern Gedanken, die sich Ihnen in der Zeit vielleicht aufdringen würden.

Das kleine neue Stück[219] gedenke ich, ohne Nahmen, aufführen zu lassen, nicht weil ich es für geringer halte als das vorige,[220] sondern um desto reiner zu sehen welchen Effect es thut.

Ich werde einige kleine Veränderungen daran machen und Ihnen kürzlich alsdann die Ursachen anzeigen.

Für das überschickte Geld folgt hierbey die Quittung. Unsere Canzleyleute werden sich für den reichlichen Überschuß einen guten Feyertag machen.

Manches was ich über Ihren Fall schreiben könnte weiß sich ein gebildeter Mann selbst zu sagen, einiges, das ich aus meiner langen Erfahrung wohl darüber sagen möchte, darf ich nicht schreiben. Vielleicht treffen wir bald irgend wo zusammen und mein Vertrauen soll dem Ihrigen von Herzen begegnen.

Gehen Sie, mit völlig wieder erlangter Gesundheit, ins neue Jahrhundert hinüber und nehmen Sie, wie bisher, mit Geist und Talent an demjenigen Theil was etwa den Menschen zunächst bescheert seyn mag und erhalten mir eine freundschaftliches Andenken.

Jena am 25 Dec. 1800.

Goethe

[217] Goethes Briefe an Rochlitz sind durch Vermächtniß in den Besitz des Hrn. Keil übergegangen, welcher deren Veröffentlichung gestattet hat. Es sind nur wenige von Goethe selbst geschrieben, diese sind mit einem Sternchen bezeichnet; nicht selten aber hat Goethe zum Schluß einige Worte mit eigener Hand hinzugefügt, diese sind mit gesperrter Schrift gedruckt.

[218] Vgl. Schillers Brief VI. S. 54 f. an Körner IV. S. 237 f. Goethe an Schlegel S. 45.

[219] Jedem das Seine. Lustspiel in einem Aufzuge.

[220] Es ist die rechte nicht. Lustspiel in 2 Akten.

II.

Die Aufführung des kleinen Stücks ward von Zeit zu Zeit, wie es bey Theatern zu gehen pflegt, aufgeschoben; desto angenehmer ist mirs daß ich gegenwärtig von einer sehr guten Aufnahme desselben sprechen kann, ohngeachtet ich mit der Darstellung nicht ganz zufrieden war. Daß ich den Verfasser verschwieg erregte von einer Seite Neugierde und ließ von der andern den Eindruck desto unbefangner. Das nächstemal soll es noch besser werden, indessen hat doch schon eine Liebhabergesellschaft, die sich hier befindet, sich das Stück ausgebeten, welches denn auch ein gutes Zeichen ist.

Das Original sende ich mit Dank zurück. Die wenigen Veränderungen die ich gemacht habe, betreffen einige harte Worte, welche man unter Personen einer gewissen Art, besonders unter Soldaten, mit Recht vermeidet, sodann einige Scherze welche sich auf Philosophie beziehen, die ich im doppelten Sinne nicht billigen kann, weil man entweder dadurch keine Wirkung hervorbringt, oder weil man die Menge veranlaßt über etwas zu lachen das sie nicht versteht und das sie wenigstens verehren sollte.[221]

Verzeihen Sie diese Pedanterie; man weiß aber nicht eher als nach einem längern Lebenslauf was ächte Maximen, die uns über das Gemeine heben, für einen hohen Werth haben, der so selten anerkannt wird.

Darf ich Sie nun mit einigen Aufträgen beschweren?

Ich wünschte Nachricht von einem Manne, welcher sich Johann Leonhardt Hoffmann nennt, und einen Versuch einer Geschichte der Farbenharmonie 1786, in Hendels Verlag, zu Halle, herausgegeben. Die Dedication an Herrn Gottfried Winkler, in welcher sich der Verfasser einen Franken nennt, ist von Leipzig aus datirt, wo er sich eine Zeit lang aufgehalten und mit Oeser Umgang gehabt haben mag. Vielleicht haben Sie Gelegenheit etwas näheres über diesen Mann zu erfahren, der mir von gewissen Seiten interessant geworden ist.[222]

Alsdann hätten Sie wohl die Güte mir ein gebundnes Exemplar, von dem im October 1800 geschlossnen Jahrgang der musikalischen Zeitung zu verschaffen. Den ersten bis zum October 1799 besitze ich. Die Auslage werde ich mit Dank sogleich erstatten.

Sollte Ihnen nicht ein Liedchen bekannt geworden seyn, das von Capellmeister Himmel componirt ist, es drückt die Unruhe eines verliebten Mädchens aus, das sich seinen Zustand nicht erklären kann, jeder Vers endigt sich mit einer Partikel z. B. Ich weiß nicht woher, wohin, warum. Es ist ein Scherz, den man in einer Gesellschaft wohl gern einmal hören mag.

Die Fragen wegen Wilhelm Meisters möchte ich am liebsten einmal mündlich beantworten. Bey solchen Werken mag der Künstler sich vornehmen was er will, so giebt es immer eine Art von Confession und zwar auf eine Weise von der er sich kaum selbst Rechenschafft zu geben versteht. Die Form behält immer etwas unreines und man kann Gott danken, wenn man im Stand war so viel Gehalt hinein zu legen, daß fühlende und denkende Menschen sich beschäfftigen mögen, ihn wieder daraus zu entwickeln. Die Recension in der allgemeinen Litteraturzeitung[223] ist freylich sehr unzulänglich, für jeden, der selbst über das Werk gedacht hat; doch ist sie nicht ohne Verdienst, wenn man sie als die Meinung eines einzelnen ansieht, der seine Gedanken darüber äußert. Freylich hat man Ursache von einer Recension mehr zu verlangen, besonders von einer so späten.

Ich wünsche, daß Ihre Gesundheit wieder hergestellt seyn möge, so wie ich mich auch von den Übeln, die mich betroffen haben, nach und nach wieder erhole.[224]

Darf ich bitten mich unserm verehrten Weise bestens zu empfehlen.

Weimar d. 29 März 1801

Goethe

[221] Vgl. Werke XXVII. S. 124.

[222] Vgl. XVIII. Werke XXXIX. S. 417 ff.

[223] Jen. Allg. Litt.-Ztg. 1801, I. N 1. f.

[224] Werke XXVII. S. 75 ff. Schiller Br. an Körner IV. S. 205. Goethe Br. an Friedr. v. Stein. S. 165 f.

III.

Mögen Ew. Wohlgeb. mir noch bis zum neuen Jahre wegen des Stückes Frist geben so soll alsdann darüber die Schuldige Erklärung folgen. Bis jetzt hat die Beurtheilung der dießjährigen Kunstausstellung, mir und meinen Freunden viel Zeit weggenommen. Zum neuen Jahre soll der Aufsatz deshalb als Beylage der Litteraturzeitung erscheinen. Auch beym Theater haben uns einige kühne, doch glücklich vollbrachte Unternehmen, diese Zeit her, beschäftigt. Die Brüder nach Terenz von Herrn von Einsiedel und ein reducirter Nathan,[225] beyde sind schon mehrmals wieder verlangt worden und sie gehen bey jeder Vorstellung besser.

Von Faust kann ich nur so viel sagen: dass in den letzten Zeiten wohl manches daran gearbeitet worden; in wie fern er sich aber seiner Vollendung, oder auch nur seiner Beendigung nahen dürfte, wüßte ich wirklich nicht zu sagen.[226]

Leben Sie recht wohl und erhalten mir ein freundschaftliches Andenken.

Weimar am 17 Dec. 1801.

Goethe

Noch einen Wunsch muß ich äussern, dessen Erfüllung ich durch Ihre Gefälligkeit hoffe. Ich besässe nämlich sehr gern, wenn die winklerische Auction vorbey sein wird, einen Katalogen derselben, wozu die Preiße geschrieben wären. Ich habe schon, bei vorhergegangenen Rostischen Versteigerungen, dem Secretair Thiele und andern ähnliche Aufträge gegeben; aber niemals, ich weiß nicht warum, zu meinem Zweck gelangen können. Vielleicht können Sie mir durch Ihre Verbindungen dazu verhelfen. Ich will sehr gern demjenigen, der die Bemühung übernimmt, was Sie für billig halten, bezahlen.

[225] Schillers Briefw. m. Körner IV. S. 283.

[226] Vgl. Schiller Br. an Körner IV. S. 212.

IV.

Ob die Meynung, welche Sie mir über den Gegensatz der Recitation und des Gesanges, in Ihrem letzten Briefe äußern, die wahre und richtige sey, will ich nicht entscheiden; so viel aber kann ich sagen: daß sich die meinige selbst sehr dahin neigt.[227] Sobald ich mich in einer ruhigen Lage befinde, theile ich meine Gesinnungen kürzlich mit.

Heute komme ich mit einem kleinen Ansuchen und zwar folgendem:

Zu der, durch den Tod unseres Batsch, erledigten Stelle, bey dem neuen Botanischen Institut, im Fürstengarten, zu Jena, ist unter andern auch Herr Doctor Schwägrichen[228] aus Leipzig empfohlen. Von seiner litterarischen Laufbahn, so wie von seinen Reißen und andern Bemühungen, sind wir so ziemlich unterrichtet; nun möchte ich aber noch von Ihnen ein vertraulich Wort, über seine Person, sein Äußeres, seine Lebensweise und seinen academischen Vortrag vernehmen.

Es ist mir bey Besetzung dieser Stelle außer dem Wohl des Ganzen auch noch mein eigenes Verhältniß vor Augen, indem das Institut seit seiner Gründung geleitet worden und meine Neigung zu diesen Kenntnissen mir einen sittlichen mittheilenden und umgänglichen Mann wünschenswerth macht.

Nächstens auch ein Wort über die Oper.

Mich zu geneigtem Andenken empfehlend.

Weimar am 6 December 1802.

Goethe

[227] Rochlitz hatte die Ansicht ausgesprochen und weiter ausgeführt, daß in der alten Tragödie nur die lyrischen Stellen gesungen worden seien, wo der Chor am Dialog Theil nehme, sei alles vom Chorführer allein gesprochen. Veranlassung dazu gab ihm das Gerücht, in Weimar solle eine alte Tragödie aufgeführt werden. Diese Briefe scheint Goethe im Sinne zu haben, Werke XXVII. S. 120.

[228] Professor der Naturwissenschaften in Leipzig.

V.

Indem beyliegender Brief schon geschlossen[229] ist fällt mir ein dass Sie mir ein freundliches in Berlin geschriebenes Wort über die Natürliche Tochter zusagten. Lassen Sie mich solches ja nicht entbehren. Bey dem seltenen Charivari, das gleich im deutschen Publicum entsteht, wenn man vor ihm irgend eine Production aufstellt, hat der Schrifftsteller warlich nöthig diejenigen zu vernehmen die sich einstimmend verhalten ich bitte daher um jenes Blatt um so mehr, als ich zur Fortsetzung wirklich Aufmunterung brauche.

G.

[229] Dieser Brief fehlt, er war vom Jahr 1804, in welchem „Revanche,“ ein Lustspiel in 2 Aufzügen von Rochlitz, in Weimar aufgeführt wurde, worauf Schillers Brief an Goethe (VI. S. 281) sich bezieht.

VI.

Ew. Wohlgebornen

seit langer Zeit auch wieder einmal zu schreiben veranlaßt mich die vorseyende Expedition unsres Theaters nach Leipzig, das ich Ihnen auf das beste zu empfehlen wünschte. Sie haben immer viel Güte für unsre braven Künstler gehabt, die sich gewiß viel Mühe geben, wenn ihnen auch nicht immer ihre Zwecke gelingen sollten.

Ew. Wohlgebornen werden gewiß den Vorstellungen mit Aufmerksamkeit beywohnen, und ich wünschte daß Sie Ihre Bemerkungen mir künftig mittheilten. Es ist noch manches das ich anders wünschte, und doch läßt sich theils nicht alles leisten wovon man überzeugt ist, und man gewöhnt sich auch nach und nach an Menschen und an Manieren und läßt geschehen was geschieht; Dagegen ein frischer scharfer Blick manches entdeckt und der gute Rath eines Fremden manches leichter und wirksamer anregt als die Lehren eines lange bekannten und gewohnten Vorgesetzten.

Diesen Ihren guten Rath bitte ich unsern Schauspielern bey ihrem Aufenthalt in Leipzig nicht zu entziehen, besonders da der Übergang von einem kleinen auf ein großes Theater für die erste Zeit immer seine Schwierigkeiten hat. Dringen Sie gefälligst besonders darauf, daß man die Schauspieler an allen Ecken und Enden des Hauses verstehen müsse.

Verschiedene von Ew. Wohlgebornen Stücken sind eingelernt. Haben Sie die Güte die Proben zu besuchen, damit sie zu Ihrer Zufriedenheit mögen gegeben werden.[230]

Diesen Wünschen füge ich noch eine Empfehlung hinzu. Wahrscheinlich kommt in einiger Zeit ein Engländer der Chevalier Osborn[231] nach Leipzig, ein schon bejahrter, höchst erfahrner und interessanter Mann von dem besten Charakter. Er ist Mitglied der königl. Societät zu London und wünscht den Leipziger Gelehrten aufgeführt zu werden. Sie erzeigen ihm wohl um seinet- und meinetwillen diese Gefälligkeit. Der ich mich mit vorzüglicher Hochachtung unterzeichne

Weimar den 3 April 1807.

Goethe

[230] Von Rochlitz wurde gegeben „Es ist die rechte nicht.

[231] Werke XXVII. S. 220.

VII.

Ew. Wohlgebornen

empfangen meinen lebhaften Dank für Ihren vertraulichen Brief, dessen Inhalt ich bestens zu benutzen gesucht habe. Unsre Regie wird sich gleich bey ihrer Ankunft Ihren fernern gütigen Rath erbitten.

Einen Prolog habe ich nach Ihren Wünschen auch mitgegeben.[232] Wollten Sie die Gefälligkeit haben, ihn durchzusehen und zu beurtheilen ob er am Platz paßt, welches man in der Entfernung nicht so gut empfinden kann.

Da übrigens die älteren Schauspieler Ihnen schon bekannt sind und sich eher zu produciren wissen; so wollte ich Ihnen besonders unsere jüngeren empfehlen, den Nachwuchs, dessen Emporkommen uns bey der Lage unseres Theaters höchst angelegen seyn muß.

Demoisell Elsermann, ein munteres Kind, von gutem Betragen, wird Ihnen gefallen und Sie vielleicht anlocken ihr über diese oder jene Rolle etwas zu sagen. Sie hat etwas Manier von Berlin mitgebracht, worüber sie aber schon aufgeklärt ist und nur manchmal einer kleinen Erinnerung deshalb bedarf.

Die Herren Lorzing und Deny sind gute gesittete Leute, nicht ohne Talent und vom besten Willen. Da sie nun mehr in Routine kommen, so wird es auch mit ihnen vorwärts gehen.

Im Ganzen bin ich überzeugt, daß der Aufenthalt in Leipzig für unsre Gesellschaft sehr wohlthätig seyn wird, besonders wenn sich einige Kenner und Freunde zu Mittelspersonen zwischen ihr und dem Publicum machen wollen; welches höchst nothwendig ist, damit man sich bald wechselseitig befreunde und keine Mißverständnisse entstehen.

Ich wünsche, daß alles gut gehen möge, und daß Ew. Wohlgebornen zuletzt mit Zufriedenheit das Amt eines Epilogisten übernehmen möchten. Denn wenn man einen Prolog noch allenfalls in der Ferne schreiben kann, so darf der Epilog nur aus einer unmittelbaren Nähe entspringen.

Zu Ende dieses Monats geh' ich nach Carlsbad und hoffe dort für meine von Zeit zu Zeit sich wieder zeigenden Übel, wo nicht völlige Genesung, doch Linderung. Möge dieser mein Brief auch Sie von jedem Anfall befreyt antreffen. Gesundheit brauchte man wohl niemals mehr als gegenwärtig. Mich zu geneigtem Andenken empfehlend.

Weimar
den 12 May 1807.

Goethe

[232] Werke VI. S. 411 ff.

VIII.

Ew. Wohlgeboren

haben mir ein sehr großes Vergnügen gemacht. Denn gewiß ist eine Theater-Direction ein sorgenvolles Geschäft, besonders wenn man den Kennern und der Menge zugleich gefallen, die Fortbildung der Künstler und gute Einnahmen zugleich erleben will. Ihr Schreiben setzt alle die Verhältnisse so klar auseinander, daß ich gegenwärtig zu seyn und sehr bekannte Zustände mit eigenen Augen zu sehen glaubte. Haben Sie die Güte den Antheil, den Sie dieser Anstalt gegönnt, immer fort zu erhalten, auch wenn einiges vorkommen möchte was nicht ganz Ihre Billigung hat. Leiten und Lenken Sie dieses Schifflein aufs Beste.

Sehr gern hätte ich Ihnen gegen Ihre Betrachtungen auch die meinigen mitgetheilt, die beym Lesen Ihres Briefs in mir erregt wurden; doch ist man durch diese Brunnen-Cur so zerstreut und verstört, daß man nicht leicht brieflich etwas kluges zusammen bringt. Haben Sie jedoch indessen die Güte mir von Zeit zu Zeit einige Nachricht zu geben, welche mir, je ausführlicher und umständlicher sie ist, nur zur angenehmeren Unterhaltung dienen wird. Für den Augenblick habe ich den Effect des Brunnens sehr zu loben. Könnte es in der Folge so bleiben, so wäre das sehr erwünscht. Mich bestens empfehlend

Carlsbad
den 5 Juni 1807.

Goethe

IX.

So ist denn unser theatralisches Unternehmen in Leipzig glücklich vollendet, mit Ehre und Vortheil belohnt und was mir gleich lieb ist, ich sehe unsre Schauspieler nach dieser Epoche froher williger thätiger, und hoffe sowohl für uns einen unterhaltenden Winter als auch künftig für Leipzig eine neubelebte Sommerunterhaltung. Denn wir haben mancherley artige und mitunter seltsame Dinge vor uns, an denen wir uns zu üben gedenken.

Haben Sie, mein werthester Herr Rath, den besten Dank für Ihren freundlichen Antheil. Ich weiß die stille geräuschlose Behandlungsart recht gut zu schätzen, mit der Sie den unsrigen nachzuhelfen wußten. Wenn es mit dem Epilog eine Irrung gab,[233] so bin ich vielleicht selbst daran Schuld, weil ich mich nicht deutlich erinnere, ob ich unserer Regie deshalb geschrieben habe, mich auf einen natürlichen Gang der Sache und auf Ihr Einwirken, wie bey dem ersten Abschied,[234] verlassen habe. Auch dafür nehmen Sie Dank, was Sie gewollt gethan und verschwiegen.

Ihre Briefe nehme ich manchmal wieder vor mich und habe sie schon öfter gelesen. Sie dienen mir zum Leitfaden in dem täglichen Theaterlabyrinth, das einer der wunderlichsten Irrgärten ist, die ein Zauberer nur erfinden konnte. Denn nicht genug, daß er schon sehr wunderlich bepflanzt ist, so wechseln auch noch Bäume und Stauden von Zeit zu Zeit ihre Plätze, so daß man sich niemals ein Merkzeichen machen kann, wie man zu gehen hat.

Leider ist hier in Weimar die sondernde Critik nicht sehr zu Hause. Man nimmt alles zu sehr im Ganzen. Stücke, Schauspieler, Aufführung, alles wird entweder nur gebilligt oder gemißbilligt, wobey denn Vorurtheil und Laune herrschend werden, und man sich weder des Lobes recht erfreuen, noch den Tadel sehr zu Herzen nehmen kann.

Daher ist es mir unendlich viel werth, daß unsere Schauspieler wenigstens gewahr geworden, daß eine solche Critik existirt, welche die Mängel begünstigter und die Tugenden gleichgültiger, ja unbegünstigter Personen zu würdigen weiß.[235] Ich selbst werde diesen Winter das Schauspiel öfter besuchen, und meine innern und äußern Sinne zu genauerer Prüfung schärfen. Denn ich gestehe gern, das hiesige Publicum machte mir durch willkührliche Zuneigung und Abneigung oft so böse Laune, daß ich, jemehr ich mir in den Proben Mühe gegeben hatte, desto weniger Lust fühlte, der Aufführung selbst bey zu wohnen. Nun aber, da mich eine Stimme von außen her aufregt und bestätigt, so werde ich wieder eine Weile auf meinem Wege strecklings fortgehen und mich der Resultate vielleicht selbst erfreuen.

Die gute Aufnahme meiner Stücke hat mir eine besonders angenehme Empfindung gemacht. Ich dachte wohl, daß sie auch einmal Epoche haben könnten, aber nach der Lage des deutschen Theaters glaubte ich's nicht zu erleben. Artig ist es, daß sogar das kleine Schäferspiel, das ich 1768 in Leipzig schrieb, auch noch auftauchen mußte und gut empfangen ward.[236]

Nochmals vielen Dank, den ich gerne mündlich abgestattet hätte, wenn ich nicht, da mir die Brunnenkur ganz wohl bekommen ist, mich vor einer allzuraschen Geselligkeit gefürchtet hätte. Jetzt will ich sehen, ob ich meine stille Nachkur auch zu Ihrem und Ihrer Mitbürger künftigen Vergnügen benutzen kann. Leben Sie recht wohl, und wenn es möglich ist, so besuchen Sie uns diesen Winter.

Weimar
d. 21. Sept. 1807.

Goethe

[233] Mad. Wolf sprach einen Epilog von Mahlmann. Vgl. 295.

[234] Am 5. Juli wurde Mehuls „Je toller je besser“ gegeben und zum Schluß ein „Lebewohl“ gesungen. Dann ging die Gesellschaft nach Lauchstädt und eröffnete am 4. August wieder ihre Vorstellungen in Leipzig, welche am 29. August beschlossen wurden.

[235] Eine Kritik in Goethes Sinne wurde in der Bibliothek der redenden und bildenden Künste III. und IV. ausgesprochen. Die „niederträchtige, detractive Opposition,“ welche früher von Berlin aus erfahren zu haben Goethe sich beschwert (Briefw. m. Zelter I. S. 281) machte sich in einer kleinen Schrift Luft: „Saat von Goethe gesäet dem Tage der Garben zu reifen. Ein Handbuch für Ästhetiker und junge Schauspieler.“ Weimar und Leipzig 1808. Man vergleiche damit, wie Goethe und Schiller über die frühere Leipziger Gesellschaft urtheilen, Briefw. mit Schiller V. S. 273 f., mit Körner IV. S. 232 f.

[236] Vgl. S. 44.

X.

Wenn ich Ew. Wohlgebornen auf Ihr früheres Schreiben nicht antwortete und das Stück nicht zur Aufführung brachte, so waren die Zweifel daran Schuld, die bey mir aufstiegen und welche sie gewissermaßen selbst angeregt hatten. Wenn das Stück seine Wirkung thun soll, so gehört nothwendig ein Mann in Jahren dazu, den man gewöhnlich den zärtlichen Alten nennt, den man aber eigentlich den würdigen Alten nennen sollte. Er muß Zutrauen und Neigung erregen und in seiner Art liebenswürdig seyn, in dem Grade daß, wie bey Ihrer Privataufführung der Fall war, wenn ihm die Actrice den Korb giebt, eine Zuschauerinn allenfalls geneigt wäre ihn zu entschädigen. Ich glaube nicht, daß einer unsrer Schauspieler sich anmaßt diese Wirkung völlig rein hervorzubringen, ob sie sich gleich auch in unserm Verhältniß bis auf einen gewissen Grad denken läßt. Ich habe daher das Stück das nunmehr gedruckt ist einigen Personen zu lesen gegeben, und werde es Herrn Becker zustellen um es mit nach Lauchstädt zu nehmen. Ew. Wohlgeboren kommen ja wohl selbst hinüber und geben einige Anregung, daß das Stückchen nach Ihren Wünschen und Überzeugung aufgeführt werde; wozu ich vor meiner Abreise nach Carlsbad, welche bald erfolgen wird, das Nöthige einleiten werde. Leben Sie wohl und fahren Sie fort meiner mit Neigung zu gedenken.

Weimar
den 2. May 1808.

Goethe

XI.

Ew. Wohlgebornen

erhalten hierbey das mitgetheilte der Antigone mit Dank zurück. Es wäre in mehr als einem Sinn sehr Schade, wenn Sie diese Arbeit nicht fortsetzen wollten. Auch auf dem Theater glaube ich daß sie Glück machen werde. Ist das Stück vollendet, so bitte mir es zuzuschicken. Ob und wie man eine solche Production auf die Bühne bringen könne, darüber läßt sich zum Voraus nichts entschieden aussprechen, weil sich gar zu viel unvorhergesehene Hindernisse in den Weg stellen, und ich selbst vielleicht weniger als sonst das Ungewohnte einleiten mag. Doch ist es mein Wunsch und Vorsatz Ihre Antigone zu Anfang künftigen Jahrs auf die Bühne zu bringen, deshalb ich sie mir Anfang Decembers wo möglich erbitten müßte. Der ich recht wohl zu leben wünsche und mich zu geneigtem Andenken empfehle

Weimar
den 30 October 1808.

Goethe

XII.

Ew. Wohlgebornen

danke vielmals für die überschickte Antigone.[237] Sie hat mir bey einem flüchtigen Durchlesen gar wohl gefallen und dem ersten Anblick nach sollte ich glauben sie müßte ausführbar seyn. Ich werde sie in ruhigen Stunden mit dem Original vergleichen, damit ich einsehe, wie Sie verfahren sind.

In dem Vertrauen das ich zu Ihnen hege kann ich indessen nicht verbergen, daß unser Theater in einer Crise steht, bey welcher ich noch nicht übersehen kann, ob ich die Direction, die ich für den Augenblick niedergelegt, wieder aufzunehmen werde im Fall seyn, deswegen ich mir das Nähere jenes Stück betreffend vorbehalten muß.

Nun aber eine Bitte. Ich bin Herrn Dr. Kappe[238] soviel Dank schuldig, daß ich ihm wenigstens etwas Gefälliges erzeigen sollte. Mein Gedanke ist, ihm ein Velin Exemplar meiner Werke anzubieten. Wenn Sie erlaubten so würde ich es wohlgepackt an Sie addressiren; es ist nur broschirt, ich wünschte aber daß es in Leipzig durch Ew. W. Vorsorge geschmackvoll gebunden würde. Was würde man für 12 Bände zu bezahlen haben? Ich würde das Geld gleich beyliegen. Mit Bitte um baldige Antwort empfehle ich mich bestens

Weimar
den 8 December 1808.

Goethe

[237] Rochlitz: Antigone, Tragödie nach Sophokles in drei Abtheilungen; in der Auswahl Th. II.

[238] Dr. Kapp, Goethes Tischgenoß auf der Universität (s. S. 23), früher Arzt in Leipzig, später in Dresden, welcher ihn in Karlsbad behandelte. Briefw. m. Zelter I. S. 266. Vgl. XIII. XIV. XV. XXI. Werke XXVII. S. 240. 299.

XIII.

Ew. Wohlgebornen

bin so frey das Exemplar für Herrn Doctor Kappe zu übersenden. Ist es gebunden, so erbitte mir die Anzeige des Kostenbetrags. Sie hätten ja wohl die Gefälligkeit bey Dr. Kappe anzufragen, ob Sie es in Leipzig lassen oder ihm nach Dresden schicken sollen. Ich schreibe ihm alsdann auf alle Fälle selbst. Bis dahin kann ich wohl auch etwas näheres von dem Schicksal unsers Theaters und Ihrer Antigone schreiben. Eins scheint mir unerläßlich, daß Sie sich nun auch die gleiche Mühe mit Ödipus, und Ödipus auf Colonus geben: denn eigentlich thut Antigone nur den vollkommnen Effect in Gefolge von jenen beyden Stücken. Sie könnten um sich ein Stück Arbeit zu ersparen, die Solgersche Arbeit zu Grunde legen und diese nur deutschen Ohren mehr annähern. Doch davon läßt sich weiter sprechen wenn wir erst dazu kommen, Antigone voraus aufzuführen.

Ich wünsche recht wohl zu leben und bitte meines Antheils und Danks gewiß zu seyn.

Weimar den 26 December
1808.

Goethe

XIV.

Ew. Wohlgebornen

erhalten abermals einen Brief von mir, mit Bitte um eine kleine Gefälligkeit.

Ein junger Mensch, Fr. Wessel bey der Dessauer-Bühne, die sich gegenwärtig in Leipzig befindet, hat sich hier gemeldet und will in jugendlichen seriosen Baßpartieen auch komischen Rollen etwas leisten, sowie auch im Schauspiel nicht ganz unnütz seyn. Dürfte ich Ew. W. ersuchen mir etwas über ihn zu sagen, besonders wie es mit seiner Stimme und seinem Gesang beschaffen ist; doch ohne Jemand deshalb etwas merken zu lassen.

Schon aus diesem Auftrag ersehen Sie, daß ich wieder bey unserm Theater einzugreifen bin veranlaßt worden. Ihre Antigone wird ausgeschrieben und wahrscheinlich noch im Januar gegeben. Verzeihung, wenn ich heute nicht mehr sage.

Weimar
den 9 Januar
1809.

Goethe

XV.

Ew. Wohlgebornen

bin ich höchlich dankbar für die ausführliche Nachricht den Schauspieler und Sänger Wessel betreffend. Wie lehrreich müßte es seyn, mehrere Theaterglieder so recensirt zu sehen! Ja, wie sehr wäre es zu wünschen, daß man werdenden Schauspielern solche klare Spiegel vorhalten könnte; freylich vorausgesetzt, daß sie einen so deutlichen Anblick ihrer selbst ertrügen. Erinnern Sie sich eines Weidners bey der Dresdner Gesellschaft, der mir von einem Reisenden als Chorführer in der Braut von Messina sehr gelobt worden, so sagen Sie mir ja auch wohl ein Wort über ihn.

Für die Besorgung der Bände gleichfalls meinen aufrichtigen und lebhaften Dank. Hierbey einen Brief an Herrn Hofrath Kapp. Der Geldbetrag folgt mit der fahrenden Post. Heute nichts weiter als meine besten Wünsche.

Antigone ist auf den 30. angesetzt. Leider füllt sie nicht den ganzen Abend und ich muß eine kleine Operette hinter her geben. Bis jetzt weiß und vermuthet noch Niemand den Autor.

Weimar
den 22 Januar 1809.

Goethe

XVI.

Ew. Wohlgebornen

erhalten hierbei die 9 Thaler Sächß. Sollte noch irgend eine Auslage sich nöthig gemacht haben, so bitte mir es zu melden.

Von Antigone habe ich die Leseprobe und eine Theaterprobe gehört. Sie wird gut gesprochen und anständig gespielt. Mir macht es sehr große Freude diesen herrlichen sophocleischen Schatz in einer Art von Auszug zu sehen und zu vernehmen. Heute Abend ist Hauptprobe; morgen Aufführung. Das was wir in unsern Tagen Effect nennen kann das Stück nicht machen; aber ich glaube doch es wird sich in den Kreis der ruhig edlen Darstellungen, die wir von Zeit zu Zeit vortragen, mit einschließen und sich erhalten. Mehreres nächstens

Weimar
den 29 Januar 1809.

Goethe

XVII.

Weimar den 1 Februar 1809.

Nur mit Wenigem sage ich, daß Antigone Mondtag den 30sten glücklich aufgeführt worden.[239] Der Effect war, den ich voraussah. Das Stück hinterließ einen sehr angenehmen erfreulichen Eindruck. Jedermann war zufrieden und halb erstaunt, indem man von dieser Klarheit und Einfalt kaum etwas kennt. Die verständliche Sprache brachte hiebey den größten Vortheil. Die Schauspieler haben durchaus deutlich und richtig gesprochen, manche vortrefflich durchaus, wo man Madam Wolff als Antigone und ihren Gatten als ersten Chorführer zu rühmen hat, andere theilweise sehr gut, und wie gesagt, man konnte überhaupt völlig zufrieden seyn. Heute wird es wieder gegeben und ich hoffe das Stück soll sich immer mehr bey dem Zuschauer einschmeicheln. Über Ihre Behandlung selbst wüßte ich auch nur Gutes zu sagen; daß sie zweckmäßig sey, hat die Ausführung bewiesen. Etwas von der angegebenen Musik habe ich weggelassen, damit Recitation und Declamation nicht gestört werden. Was ich hie und da geändert, ist nicht der Rede werth. Herr Unzelmann ist nicht zu vergessen, dem ich den Krieger im Anfange und den Boten zuletzt zugleich aufgetragen: er hat trefflich erzählt. Also nur soviel für dießmal mit meinem Dank. Wer der Verfasser sey ist bis jetzt ein Halbgeheimniß geblieben.

Goethe

[239] Werke XXVII. S. 270.

XVIII.

Ew. Wohlgebornen

verzeihen, daß ich auf einen schon lange erhaltnen Brief noch nicht geantwortet. Ich habe hier einige Monate auf die Bearbeitung und auf den Druck eines Romans verwendet, der in wenig Tagen die Presse verlassen wird.[240]

Da Sie sich in diesem Fache selbst so löblich hervorgethan; so wünschte ich wohl Ihre Meynung über meine Arbeit zu hören, und wenn es Ihnen gelegen wäre, öffentlich. Es giebt, wie Sie selbst wissen, mehr als eine Art dergleichen Productionen zu beurtheilen: eine gedrängte, welche die Hauptmomente hervorhebt, würde mir sehr willkommen seyn.

Daß die Theatercommission Ihre kleine Schuld bey Herzogl. Canzley saldire, nehmen Sie wohl freundlich auf. Wir sind Ihnen so mancherley schuldig, daß wir wenigstens nicht unterlassen können, bey dieser geringen Gelegenheit Ihnen unsre dankbare Aufmerksamkeit zu bezeigen.

Der ich mit den besten Wünschen für Ihr Wohlseyn mich zu geneigtem Andenken empfehle

Jena
den 28 September
1809.

Goethe

[240] Die Wahlverwandtschaften.

*XIX.

Das Vertrauen womit ich mir ein Urtheil über mein Neustes von Ihnen erbat ist durch Ihren liebenswürdigen Brief gar schön belohnt worden; ich danke Ihnen dafür auf das herzlichste. Billig ist es wohl daß die Freunde des Schönen und Guten mir ein tröstliches Wort über diese Production sagen, die wenigstens ein fortgesetztes redliches Streben andeutet und die mich in manchem Sinne theuer zu stehen kommt; ja, wenn ich die Umstände bedencke unter denen das Werckchen fertig geworden; so scheint es mir ein Wunder daß es auf dem Papier steht.

Seitdem es abgedruckt ist habe ich es nicht in der Folge gelesen, eine solche Prüfung pflege ich gewöhnlich zu verspäten. Ein gedrucktes Werck gleicht einem aufgetrockneten Fresko Gemälde an dem sich nichts mehr thun läßt. Soviel es mir noch im Sinne schwebt und wie es sich mir durch Ihre Bemerckungen vergegenwärtigt, möchte ich wohl noch einige Schraffuren anbringen der Verknüpfung und Harmonie willen. Weil aber das nicht angeht; so tröste ich mich damit daß der gewöhnliche Leser dergleichen Mängel nicht gewahr wird, und der Kunstgebildete, eben indem er die Forderungen macht, für sich selbst das Werk ergänzt und vollendet.

Daß Sie ein solcher Leser und Schauer sind wußte ich wohl und erfahre es auch diesmal. Haben Sie doppelten Danck für die Theilnahme und für die Mittheilung; haben Sie dreyfachen daß Sie es in einer Zeit thun in welcher mancher andre, mit Fug und Recht, seinen Freunden schwiege und sich mit seinem eigenen Glück beschäftigte. Möge das Gute das Ihnen bereitet ist so klar zu Ihnen treten als Sie Welt und Kunst erblicken und so beständig bey Ihnen verweilen als Sie Ihren Freunden zuverlässig sind. Meines fortdaurenden Anteils bleiben Sie gewiß.

Weimar
d. 15. Nov 1809

Goethe

XX.

Ew. Wohlgebornen

gehe schon wieder mit einer Bitte an, wobey ich doch ausdrücklich bemerke, daß es mit der Erfüllung derselben keine Eile hat. Wenn die Nachricht die ich wünsche, auf Weihnachten zu mir gelangt, so kommt sie noch zeitig genug.

Indem ich mich mit der Geschichte der Chromatik beschäftige, treffe ich wieder auf einen Mann, von dessen Lebensumständen ich schon längst eine nähere Nachricht gewünscht hätte.[241] Er heißt Johann Leonhard Hoffmann, und sein Buch: Versuch einer Geschichte der mahlerischen Harmonie überhaupt und der Farbenharmonie insbesondre, mit Erläuterungen aus der Tonkunst und vielen practischen Anmerkungen. Halle, in Joh. Christ. Hendels Verlage 1768.

Die Dedication ist Leipzig im Sommermonat desselbigen Jahrs datirt, an Herrn Gottfried Winkler gerichtet. Daraus, und aus der Art wie in der Vorrede von Oesern gesprochen wird, sieht man, daß der Verfasser sich eine Zeit lang in Leipzig aufgehalten hat. Er scheint ein zarter, wohl denkender Mann gewesen zu seyn, der schöne Kenntnisse sowohl in der Mahlerey als in der Musik verräth, und wenn er seinem Unternehmen auch nicht ganz gewachsen ist, doch wegen feiner und glücklicher Bemerkungen alle Aufmerksamkeit und in der Geschichte eine ehrenvolle Erwähnung verdient. Könnten Ew. Wohlgebornen mir von den Lebensumständen dieses Mannes einige Nachricht verschaffen, so würden Sie mich sehr verbinden.

Theilte wohl Ihr Freund etwas von seinen Zeichnungen nach Faust auf kurze Zeit mit; so würde es mir und manchem unsrer kleinen Gesellschaft zu großem Vergnügen gereichen. Sie sollten bald wieder zurückerfolgen.

Mich bestens empfehlend

Weimar
den 20 November
1809.

Goethe

[241] Vgl. S. 286.

XXI.

Durch Demoiselle Longhi von Neapel,[242] eine schöne und treffliche Harfenspielerinn, wünsche ich mein Andenken bey Ihnen, mein Werthester, wieder aufzufrischen, und ich hoffe, es soll mir gelingen. Ich bin überzeugt, Sie werden diesem Frauenzimmer um ihrer selbst- und meinetwillen freundlich seyn.

Eigentlich aber bewegt mich nicht sowohl das schöne Talent, das sich wohl selbst empfiehlt, zu dem gegenwärtigen Schreiben: das gute Kind ist hier in den bedenklichen Fall gerathen, daß ihre zwey kleinen Finger auf eine rheumatische Weise geschwollen sind; das Schlimmste wohl, was derjenigen begegnen kann, die sich auf Harfe und Pianoforte bis Petersburg zu produciren gedenkt. Ist unser vortrefflicher Kapp,[243] dem ich selbst soviel schuldig geworden bin, in Leipzig; so haben Sie ja die Gefälligkeit, ihn für diese hübsche Italiänerinn zu interessiren, indem Sie zugleich von mir tausend Empfehlungen ausrichten. Mehr sage ich nicht und brauche es nicht, weil es hier nur einer kurzen Einführung bedarf, und dieser Brief noch spät geschrieben wird. Möchten Sie durch gegenwärtiges veranlaßt, mir einmal wieder ein Wort von sich zu vernehmen geben, so würden Sie mir sehr viel Freude machen. Mit den besten Wünschen!

Weimar
den 22 April
1811.

Goethe

[242] Später Frau des Concertmeisters Möser in Berlin.

[243] Vgl. S. 303.

XXII.

Ew. Wohlgebornen

sind versichert, daß es mir sehr leid gethan hat, Sie bey Ihrer Durchreise nicht begrüßen zu können. Sich einmal wieder anzutreffen und über manches auszureden, giebt auf mehrere Jahre ein wo nicht besseres doch gewiß entschiedeneres und klareres Verhältniß. Indessen will ich mich durch die Sicherheit Ihrer Neigung und Ihres Wohlwollens trösten.

Wenn Sie wünschen, daß ich dem braven Freyherrn von Truchseß[244] meine Bearbeitung des Götz für das Theater mittheilen möge; so will ich deshalb mein Bedenken eröffnen. Er hat an dem Stücke, wie es zuerst herausgegeben worden, so vielen und warmen Antheil genommen, ja sich gewissermaßen selbst in die Person des alten biedern Helden versetzt, daß es ihm gewiß nicht angenehm seyn würde, nunmehr manches ausgelassen, umgestellt, verändert, ja in einem ganz andern Sinne behandelt zu sehen.

Eigentlich kann diese Umarbeitung nur durch den theatralischen Zweck entschuldigt werden,[245] und kann auch nur in so fern gelten, als durch die sinnliche Gegenwart der Bühne und des Schauspiels dasjenige ersetzt wird, was dem Stücke von einer andern Seite entzogen werden mußte. Da ich also überzeugt bin, daß beym Lesen Niemand leicht die neue Arbeit billigen werde, weil nicht zu verlangen ist, daß der Lesende die mangelnde Darstellung sich vollkommen supplire; so habe ich bisher gezaudert diese Bearbeitung drucken zu lassen, ja selbst meine nächsten hiesigen Freunde, die das Manuscript zu sehen verlangt, an die Vorstellung gewiesen, von der sie denn nicht ganz unzufrieden zurückkehrten.

Ich bin überzeugt, daß Ew. Wohlgebornen sowohl als der würdige Truchseß-Götz, es nicht misbilligen, wenn ich diesen meinen Gründen soviel Gewicht gebe, um die gewünschte Mittheilung abzulehnen. Verzeihen Sie daher und erhalten mir ein freundliches Andenken.

Ein etwas wunderliches biographisches Bändchen erhalten Sie zu Michael. Wilhelm Meisters Wanderjahre durchzuführen haben mich meine eigenen Wanderungen abgehalten. Bey jenem Büchelchen aber bitte ich Sie sich zu überzeugen, daß Sie unter diejenigen gehören, für die ich es schreibe. Mit entfernten Freunden und Geistesverwandten mich zu unterhalten, ist dabey meine einzige Absicht: denn diese sind es ja eigentlich nur, die man zu Zeugen seines vergangnen Lebens und Treibens, und zur Theilnahme am gegenwärtigen aufrufen kann.

Weimar
den 11. September
1811.

Ew. Wohlgeb.
wahrhaft zugethaner
Goethe.

[244] Christian von Truchseß von der Bettenburg, „der in früheren Jahren durch redliche Tüchtigkeit sich in die Reihe der Götze von Berlichingen zu stellen verdient hatte.“ Werke XXVII. S. 98.

[245] Werke XXVII. S. 160. Eckermann Gespr. I. S. 250 f. Briefw. m. Schiller VI. S. 276 f. Riemer Mitth. II. S. 500 ff.

XXIII.

Mit vielem Danke, mein Werthester, sende ich den mitgetheilten Aufsatz zurück. Wer das deutsche Publicum kennt, dessen selbstische Eigenwilligkeiten Sie so gut schildern, wer zunächst erfahren hat, daß sie vor allem Neuen, so sehr sie darnach gierig sind, wenn es einigermaßen problematisch ist, eine ängstliche Apprehension fühlen, und daher den Miswollenden freyes Spiel geben, um sich nur jener Furcht entledigt zu sehen — der weiß gewiß dankbar anzuerkennen, wenn ein Freund als Mittelsperson auftreten mag, damit die Menschen sich geschwinder mit dem befreunden, was ihnen fremd und wunderlich erscheint.[246] Besonders in den letzten zwanzig Jahren mußte man große Geduld haben: denn mehrere meiner spätern Arbeiten brauchten zehn und mehr Jahr, bis sie sich ein größeres Publicum unmerklich erschmeichelten; wie denn ja mein Tasso über 20 Jahr alt werden mußte, ehe er in Berlin aufgeführt werden konnte. Eine solche Langmuth ist nur dem zuzumuthen, der sich bey Zeiten den Dédain du Succès angewöhnt hat, welchen die Frau von Staël in mir gefunden haben will.[247] Wenn sie den augenblicklichen leidenschaftlichen Succès meint, so hat sie recht.[248] Was aber den wahren Erfolg betrifft, gegen den bin ich nicht im mindesten gleichgültig; vielmehr ist der Glaube an denselben immer mein Leitstern bey allen meinen Arbeiten. Diesen Erfolg nun früher und vollständiger zu erfahren, wird mit den Jahren immer wünschenswerther, wo man nicht mehr viel Stunden in Gleichgültigkeit gegen den Augenblick zuzubringen und auf die Zukunft zu hoffen hat.[249]

In diesem Sinne machen Sie mir ein großes Geschenk durch Ihren Aufsatz und bethätigen dadurch abermals die frühere mir schon längst bewährte Freundschaft. Doch darf es mich nicht einmal überraschen, daß Sie in meine Intentionen auch bey dieser Arbeit so tief eindringen, da Sie unter diejenigen abwesenden Freunde gehören, die ich mir vergegenwärtige, wenn ich mir meine alten Mährchen in der Einsamkeit zu erzählen anfange; und ich darf wohl versichern, daß der nächste und eigentliche Zweck ist, gegen solche auf indirectem Wege wieder einmal laut zu werden, da die directe Communication so manches Hinderniß erfährt.[250]

Daß Sie meine asiatischen Weltanfänge[251] so freundlich aufnehmen, ist mir von großem Werth. Es schlingt sich die daher für mich gewonnene Cultur durch mein ganzes Leben, und wird noch manchmal in unerwarteten Erscheinungen hervortreten: wie ich denn von Ihrem liebevollen Glauben hoffen kann, daß Sie überzeugt sind, der erste Theil sey mit Bewußtseyn und mit Absicht geschrieben, und enthalte auch nicht das kleinste geringfügig scheinende, was nicht künftig einmal nach seinem Geschlecht und Art in Blüthe und Frucht hervortreten soll. Freylich, das Publicum, wenn man es an ein Saatfeld führt, bringt gleich die Sicheln mit, und bedenkt nicht, daß noch mancher Monat bis zur Erndte hingeht, ja wohl noch das ganze grüne Feld eine schöne Zeit unter einer Schnee- und Eisdecke zu ruhen hat.

Es würde mir unendlich interessant seyn, wenn Sie mir mittheilen wollten, was Sie über die Farbenlehre aufgesetzt haben. Die Wirkung von dieser wird noch mehr retardirt, als die Wirkung meiner andern Sachen. Denn hier kann man das Publicum am leichtesten irre führen, indem man mir anderes Verdienst wohl läßt, aber in dieser Sache, die ja nicht in mein Fach schlage, ein verzeihliches Travers Schuld giebt. Indessen macht es mich schon glücklich, daß ich diese Arbeit, die ich so lange mit mir herumgetragen, endlich losgeworden. Was für eine große Übung es für mich gewesen, diesen Gegenstand durchzuarbeiten, ermessen Sie selbst; und welche wichtigen Bemerkungen ich mache, indem ich meine Gegner beobachte, wage ich kaum auszusprechen. Doch ist es ja kein Geheimniß, daß Niemand überzeugt wird, wenn er nicht will.

Warum sollte ich nun nicht auch wünschen, meine Freunde kennen zu lernen und besonders Ihre Ansicht, die mir in so mancher Betrachtung werth seyn muß.

Mich zu daurendem Wohlwollen empfehlend

W. d. 30 Jan.
1812.

Goethe

[246] Man vergleiche nur eine Recension des ersten Theils von Dichtung und Wahrheit in der Bibliothek der redenden und bildenden Künste VIII. S. 261 ff., deren Verfasser „Hrn. v. Goethe während seines Leipz. Aufenthalts ziemlich genau gekannt, mit ihm bei Ernesti Collegia gehört, mit ihm bei Oeser gezeichnet hat;“ wobei er denn wahrnehmen konnte, daß „Hr. v. Goethe mit der deutschen Sprachlehre dazumal noch im Kampfe war — eine Folge seines mangelhaften, unclassischen Hausunterrichts als Knabe.“

[247] De l'Allemagne II, 7: „On apperçoit le dédain du succès dans Goethe à un degré qui plait singulièrement, alors même qu'on s'impatiente de sa négligence.“ Vgl. Goethe Werke XXVII. S. 150.

[248] „Ich ging auf meinem Weg ruhig fort, ohne mich um den Succeß weiter zu bekümmern.“ Eckermann Gespr. I. S. 147.

[249] „Bedenke ich es aber jetzt genauer, so finde ich hier den Keim der Nichtachtung, ja der Verachtung des Publicums, die mir eine ganze Zeit meines Lebens anhing und nur spät durch Einsicht und Bildung ins Gleiche gebracht werden konnte.“ Werke XX. S. 53.

[250] Vgl. S. 325.

[251] In Dichtung und Wahrheit. Werke XX. S. 153 ff.

XXIV.

Da mich das herannahende Frühjahr wahrscheinlich bald von Weimar weg und nach Böhmen locken wird, so will ich nicht versäumen Ew. Wohlgeb. nochmals zu schreiben, und mich Ihrem Andenken bestens zu empfehlen.

Das mitgetheilte Blatt über meine Farbenlehre folgt hierbey mit vielem Dank zurück, nur Schade, daß es nicht mehrere waren. Gerade diese Art von unschuldigen augenblicklichen Äußerungen sind mir unendlich werth und besonders hier, wo ich mit Vergnügen sehe, wie eine Sache, mit der ich mich so viele Jahre beschäftiget, auch in dem Gemüthe eines Freundes aufgeht, und sich dasselbe nach und nach zu gewinnen weiß.

Diesen Winter hat mich das Theater sehr von anderen Thätigkeiten abgezogen, ich muß erwarten, ob die Carlsbader Einsamkeit, die ich wenigstens im Monath May hoffen darf, mir Raum giebt, etwas für Poesie, Wissenschaft, oder was es sonst wäre, zu thun.

Leben Sie unterdessen recht wohl, und lassen Sie Sich in litterairischen Dingen nichts anfechten; wir haben unsere Kräfte zu nothwendigerem Gebrauch jetzt aufzusparen.

Das Gemäldeverzeichniß habe ich höheren Orts mitgetheilt, und bin nicht ganz ohne Hoffnung einiges Erfolgs, leider genießt man jetzt kaum, was man besitzt, wie sollte man noch mehr zu besitzen wünschen! Sollte sich die Aussicht nach Norden wieder erheitern, so wäre vielleicht dort etwas zu thun.

Mit den besten Wünschen mich zu freundschaftlichem Andencken empfehlend

W. d. 7 Apr.
1812.

Goethe

*XXV.[252]

Mögen Sie, theuerster Mann, Morgen, mit den werthen Ihrigen, an meinem Familientische Theil nehmen; so sind Sie herzlich willkommen.

Wollten Sie Sich um zwölf einfinden; so hätten wir noch Zeit einige Kunstwerke zu betrachten. Ich sende den Wagen. Mich bestens empfehlend

W. Dienstag
d. 7ten Dec. 1813.

Goethe

[252] Rochlitz war in Weimar. Werke XXVII. S. 299.

*XXVI.

Wenn ich bey Ihrem Besuche, mein werthester, etwas zu erinnern habe, so ist es daß er nicht lange genug dauerte. Auch das Zusammenseyn hat seine Jahreszeiten, deren eine sich aus den andern entwickelt.

Lassen Sie diese schönen kurzen Tage auch in der Entfernung Frucht tragen.

Mögen Sie aus dem Duzzend Entwürfen Sich viere herauslesen;[253] so soll mirs angenehm seyn sie in Ihren Händen zu wissen. Mir geben diese Blätter eine bestimmte Erinnerung eines vergangenen Augenblicks und ihre Mängel dürfen mir daher so werth seyn, als wenn es Vorzüge wären. Mag ein Freund dies mit empfinden, so muß es mich freuen.

Erhalte Sie Ihr guter Geist über der Woge des Augenblicks gedencken Sie meiner in Liebe und bleiben überzeugt daß ich Ihre schöne Persönlichkeit rein zu schätzen weiß. Die Meinigen wünschen Ihnen und den Ihrigen bestens empfohlen zu seyn.

W. d. 28 Dez
1813

Goethe

[253] Vier Zeichnungen von Goethe, jetzt im Besitze des Herrn Keil.

XXVII.

Ew. Wohlgeboren

danke verbindlichst für den übersendeten Catalog, und bitte mir die Erlaubniß aus, gegen Michael dieselben mit einigen Aufträgen beschweren zu dürfen.

Bey Gemälden, noch mehr aber bey Zeichnungen, kommt alles auf die Originalität an. Ich verstehe hier unter Originalität, nicht, daß das Werk gerade von dem Meister sey, dem er zugeschrieben wird, sondern daß es ursprünglich so geistreich sey, um die Ehre eines berühmten Namens allenfalls zu verdienen.

Die Nummern des Catalogs, auf welche ich meine Aufmerksamkeit richte, werde ich Ew. Wohlgeboren übersenden, mit besondern Bemerkungen dabey, was ich nach der Analogie hoffe oder erwarte. Mögen Ew. Wohlgeboren hiernach die Blätter beschauen, berutheilen und würdern, und solche erstehen oder erstehen lassen, so werd' ich es dankbar erkennen, und alles was Sie beschlossen und angeschafft ohne Weiteres mit Vergnügen genehmigen, überzeugt, daß ich mich selber nicht besser hätte berathen können. Anweisung auf eine proportionirte Summe erfolgt zugleich.

Diese Bemühungen wage ich um desto eher, Ihnen, mein verehrter Freund! anzusinnen, als Sie durch eine so gütige auszeichnende Aufnahme meines biographischen Versuchs, Sich gleichsam als meinen wohlwollenden Schuldner bekennen. Fahren Sie fort mich auf meinem Wege mit guten Wünschen und Theilnahme zu begleiten. Der Verlust den wir alle mehr oder weniger erlitten haben, und der Sie, leider! so hart betroffen, kann nur verschmerzt werden, wenn wir uns immer treuer an einander schließen, und der Deutsche immer mehr einsehen lernt, daß nirgends für ihn Heil zu finden sey als bey seinen Landleuten. Unter diesen frommen Wünschen und Vorsätzen, dürfen wird freylich nicht an's Öffentliche denken, welches leider schon durch die traurigsten Spaltungen zu zerfallen droht. Möge dies Glück wenigstens Privatpersonen aufbewahrt seyn, daß sie fortfahren einander zu schätzen und zu lieben.

Weimar den 27. Febr. 1815.

ergebenst
Goethe

XXVIII.

Mit Beantwortung Ew. Wohlgeboren freundlichen Schreibens, vom 29 July komme leider erst nach dem Feste. Hätte ich gleich im Frühjahr die Aufträge, wie ich sie zu geben gedachte niedergeschrieben, so würden Ew. Wohlgeb. solche entweder selbst oder durch einen Freund, gewiß zu meiner Zufriedenheit haben ausrichten lassen. Nun aber hielt mich meine Reise zu lange am Rhein und Mayn, und in den ersten Augenblicken meines Hierseyns konnte zu keiner Fassung gelangen, und leider entschlüpfte mir so die schönste Gelegenheit meine Sammlung abermals mit bedeutenden Kunstwerken zu vermehren. Nehmen Sie jedoch auch in dem gegenwärtigen Falle meinen aufrichtigen Dank für Ihre gütigen Bemühungen, und die aufrichtige Erklärung, in welcher ich Ihren längst erprobten Charakter aufs neue mit besonderer Rührung anerkannt. Seyn Sie überzeugt, daß ich in ähnlichen Fällen mich vollkommen beruhigen werde, wenn Sie, oder diejenigen denen Sie Ihr Vertrauen schenken, zu meinem Vortheile würken mögen. Gegenwärtig aber würden Sie mir eine besondere Gefälligkeit erweisen, wenn Sie mir einen Catalog mit beygefügten Preißen für die Gebühr verschaffen möchten. Die Durchsicht desselben, wenn sie mir auch hie und da vielleicht eine unangenehme Empfindung erregte, würde für mich auf alle Fälle belehrend seyn, und ich werde Ihnen dieses, sowie so manches andere Gute herzlich verdanken.

Mit Bitte, mich allen werthen Gönnern und Freunden angelegentlichst zu empfehlen

Weimar
den 23. Octbr.
1815.

ergebenst!
Goethe

XXIX.

Ew. Wohlgeb.

schöne Gabe[254] ward mir schon längst und diente mir in trüben Stunden zur angenehmsten Erheiterung, besonders gab die Schreckensgeschichte jener Schlachttage einen bedeutenden Wink, wie man geringeren Übeln nicht unterliegen solle, da der Mensch die größten besteht und aus ihnen oft gerettet wird.[255]

Die Bildung Ihres Charakters und Styls, erscheint hier im vortheilhaftesten Lichte: es thut immer eine große Wirkung, wenn der Mann auch seine schlimmsten Erfahrungen würdig darzustellen weiß.

Mit dem Altern ist es freylich so eine Sache. Die Jahre könnte man allenfalls noch wohl ertragen, wenn sie flüchtig wie die früheren vorüber gingen, da sie aber so manches, auch von Außen, heranschleppen, womit sich die Jugend selbst nicht befaßen möchte, so spürt man freylich den Mangel an Kraft und Ausdauer doppelt und dreyfach. Hat man indeßen so lange des Guten genoßen und sich in das Schlimme gefügt, so bleibt wohl nichts übrig, als daß man seine Kräfte zusammen nehme, um bis ans Ende etwas werth zu seyn.

Erhalten Sie mir Ihre Theilnahme und bleiben der meinigen gewiß. Empfehlen Sie mich den werthen Ihrigen und auch in dem Löhrisch-Keilischen Hause.

Schließlich, da ich mich zu Ihnen versetzt hatte, fällt mir noch ein Wunsch ein: könnten Sie mir gelegentlich eine recht gute Federzeichnung von Guercin um billigen Preiß verschaffen, es sey Landschaft, Kopf, oder Halbfigur, so geschähe mir ein ganz besonderer Gefalle. In jener von mir versäumten Auction waren deren mehrere.

Nochmals mich bestens empfehlend.

Weimar d 10. Decbr.
1816.

ergebenst
Goethe

[254] Neue Erzählungen von Fr. Rochlitz. Leipz. 1816.

[255] „Der Tag der Gefahr,“ vgl. XLVI. Werke XXVII. S. 319. XXXII. S. 336 f.

XXX.

Ew. Wohlgebornen

geneigtes Schreiben hat mir viel Freude gemacht, ich sehe daraus daß mein Andenken bey Ihnen lebendig ist, und daß Sie auf die freundschaftlichste Art meine Neigung zu befriedigen wünschen und mir für belehrende Unterhaltung Sorge tragen wollen. Ich nehme daher das Anerbieten wegen des Guercin. Bildes dankbar auf, bitte mir solches zu senden, und nicht zu verhehlen was ich dafür schuldig werde.

Die geschnittenen Steine betreffend, so laßen Sie Sich nicht reuen mir davon gemeldet zu haben. Seine Waare muß man ausstellen, ausbieten, wenn man sie los werden will. Unsere gnädigsten Herrschaften sind gegenwärtig nicht geneigt dergleichen anzuschaffen; ich habe jedoch einen andern Gedanken: Wir stehen mit den Hanauer Goldarbeitern[256] in gutem Verhältniß theils wegen des Falkenordens, theils wegen mancher Geschenke welche die Fürsten öfters abreichen müßen. Solche Fabriken haben hunderterley Gelegenheit auf Dosen, bey Schmuck, Ringen und d. gl. dergleichen anzubringen. Möchten Sie mir ein detaillirtes Verzeichniß zusenden, was die Steine vorstellen, von welcher Größe sie sind, vielleicht legten Sie auch einige Gypsabgüsse der größten, oder für vorzüglich gehaltenen bey; so wollt ich das alles nächstens nach Hanau spediren, da ich ohne dem etwas dort zu bestellen habe. Es sollte mir Freude seyn Ihren Wünschen hiedurch entgegen zu kommen.

Möchte ich vernehmen daß Sie sich wohl und heiter befinden.

Weimar d. 20. März
1817.

ergebenst
Goethe

[256] Vgl. Werke XX. S. 181.

*XXXI.

Ew. Wohlgeb.

können, mitten in Leipzig, umgeben von eignen Kunstschätzen und Sammlungen andrer, Sich unmöglich einen Begriff machen wie es mir zu Muthe sey, in dem zwar geistvollen; doch gestaltlosen Jena, auf einmal eine so liebwerthe Erscheinung zu sehen als das Bild, mir zur freundlichsten Gabe dargereicht.[257] Es hat mich schon zu hundert Betrachtungen veranlaßt, und soll immer vor meinen Augen, mich an Ihr Verdienst und Ihre Neigung zu mir täglich erinnern.

Nehmen Sie meinen vorläufigen eiligen Danck und verzeihen wenn ich das schöne Geschenck nicht so unbewunden annahm als Sie es anboten. Wer sich fast unabläßig mit der wilden Welt herumbalgen muß vermißt oft das Zarte Gefühl den Händedruck eines Freundes gebührend zu erwiedern; lassen Sie mich also doppelt und dreyfach Ihren ethischen Schuldner bleiben.

Jena d. 9 Apr. 1807.

ergebenst
Goethe

Herr Angermann hatte die Artigkeit mir das Kästchen hier persönlich zu überreichen.

Wegen der Gemmen nächstens.

[257] Werke XXVII. S. 332.

XXXII.

Ew. Wohlgeboren

herzlicher, aus freier Brust geschriebener Brief, hat mir große Freude gemacht.[258] Ich hatte freilich auf Sie gezählt, daß Sie aber so schnell, augenblicklich, unmittelbar sich äusern, dafür weiß ich Ihnen den größten Danck. Freund Meyer, dessen Um- und Übersicht alter und neuer Zeit, Sie in dem kühnen Aufsatze[259] nicht verkennen werden, trägt mit mir diese Gesinnungen schon viele Jahre auf dem Herzen, und es schien gerade der rechte Augenblick, wo das Absurde sich selbst überbietet, wo alle ächte Gleichzeitigen, besonders die Väter und Pfleger talentvoller, durch diesen Zeitwahnsinn verrückter Söhne, in Verzweiflung sind, mit historischem, billigem, das Talent würdigendem die Abweichung scharf bezeichnendem Vortrag aufzutreten. Tausend und aber Tausend Wohldenkende, werden sich gewiß schnell versammeln, der reine Menschen- und Kunstverstand wird laut werden, und wir kommen auch denen zu statten, die jetzt wider Willen dem Strohm in den sie sich eingelassen haben gehorchen.

Von dem Überschwenglichen der Tollheit wie Sie es mir schildern, hatten Wir freilich noch keinen Begrif, da Wir aber, es entstehe daraus was wolle, immer auf diesen Fleck zu schlagen gedenken, so haben Sie die Gefälligkeit, mich von Zeit zu Zeit von dem Besondern zu unterrichten. Wir mögten, wie auch schon in dem ersten Aufsatz geschehen, das talentvolle Individuum schonen und fördern, wie Sie auch thun und gethan haben, aber auf die falschen, kranckhaften und im tiefsten Grunde heuchlerischen Maximen, derb und unerbittlich loßgehen, und, wie sie ganz richtig anrathen und verlangen, dasjenige immer und dümmer[260] wiederholen, was würcken soll. Das nächste dritte Heft wird nicht allein in diesem Fache, sondern auch in andern aufrichtig seyn.

Haben Sie die Güte mir alles anzuzeigen, was Sie von Persönlichkeiten und Individualitäten wissen, ich mache keinen Gebrauch davon, ehe ich Ihnen die Redaction vorgelegt habe. Es ist eine Gewissenssache mit der wir zusammen würcken müssen. Die Masse ist breit, aber schwach, und ich denke ihnen noch, von ein paar andern Seiten in die Flancke zu fallen.

Hievon nur diese Andeutung! Wie erfreulich ist mir, der reine, freie Ausdruck Ihres Briefes, auch nur als Sprachäusserung betrachtet, und zu welchen ekelhaften, befremdeten[260] Narrheiten, wollen uns die Deutschen Männer zwingen! auch gegen die werden wir auftreten, und welche wackere junge Theilnehmende wir für unsere Überzeugung hoffen können, davon zeugt beiliegendes Heftchen.

Kennen Sie schon den Aufsatz? so ist es Ihnen wohl angenehm ihn zu besitzen, und Freunden mitzutheilen. Man muß jetzt auch Parthei machen das Vernünftige zu erhalten, da die Unvernunft so kräftig zu Wercke geht. Lassen Sie uns bedenken, daß wir dies Jahr das Reformationsfest feiern, und daß wir unsern Luther nicht höher ehren können, als wenn wir dasjenige was wir für Recht, der Nation und dem Zeitalter ersprießlich halten, mit Ernst und Kraft, und wäre es auch mit einiger Gefahr verknüpft, öffentlich aussprechen, und wie Sie ganz richtig urgiren, öfters wiederholen.

Das mir geneigt gespendete Bild, gewährt mir immer viel Freude. Aus einem Kunstwerk, das wahrhaft gut ist, läßt sich viel heraussehen, und was es anregt ist immer unendlich.

Ich weiß nicht ob ich schon gemeldet habe, daß meine Vorliebe fürs Sechszehende Jahrhundert mich auch verleitet hat, eine ansehnliche Sammlung Majolika aus Nürnberg mir eigen zu machen,[261] welche, glücklich angekommen, einen vergnüglichen Anblick geben, dabey aber auch aussagen, daß dergleichen subalterne Kunstwerke nur in Masse können beurtheilt werden, wo sowohl ihre Vorzüge als ihre Mängel zur Schau stehen. Finden Sie, um billige Preise, von dieser Art in Leipzig, so erzeigen Sie mir den Gefallen davon Notiz zu geben.

Die Abdrücke der Sammlung geschnittener Steine sende in diesen Tagen zurück. Zu jenem ersten Vorschlag bewog mich die Meynung[262] es sei eine Sammlung Cameen, die zu Schmuck, Putz und Modezwecken, für Kenner und Nichtkenner brauchbar sind. Mit Intaglios will man siegeln, und da möchte man interessante beliebte Personen, deren sich, besonders für die neue Denkweise, unter der Folge römischer Kaiser wohl wenige finden möchten.

Den Abdruck eines Titelblatts sende hiebey, vielleicht bald nach Johanni das Heft selbst.[263] Meinen längern Aufenthalt in Jena, benutze, da ich gerade nicht Lust zu frischem Thun empfinde, zum Wiederabdruck älterer, auf Natur sich beziehende Schriften. Zu Sichtung und Redaction aufgehäufter Manuscripte. Bey dieser Gelegenheit erscheint, beinahe zum Entsetzen, wie wir von den disparatesten Gegenständen afficirt, aufgeregt, hingerissen werden können. Hiedurch nun, werde ich genöthigt mancherley Stückwercke mit Lebensereignißen in Verbindung zu bringen, damit das Ganze nicht allzu verworren und seltsam aussehe. Und gerade diese Mittelglieder sind es die ich Ihrem Antheil empfehlen möchte. Lassen Sie zunächst unsere wechselseitige Unterhaltung auf das lebhafteste würken, es giebt Epochen, wo es räthlich ja unvermeidlich ist das Eisen gemeinschaftlich zu schmieden.

Mit vielem Antheil und Vergnügen höre ich, daß Sie Konnewitz[264] wieder hergestellt, und sich und den Ihrigen einen angenehmen Aufenthalt bereitet haben. Ich mußte mehrmals meine Existenz aus ethischem Schutt und Trümmern wieder herstellen, ja Tag täglich begegnen uns Umstände, wo die Bildungskraft unserer Natur, zu neuen Restaurations-Reproductions-Geschäften aufgefordert wird, helfe der Geist nach, so lange es gehen will.

Hier also ein Abschluß weil doch einmal zu schließen ist. Baldige Erwiederung hoffend

Jena
den 1. Juny
1817.

ergebenst
Goethe

[258] Goethe theilte Rochlitz's Brief sogleich H. Meyer mit. Riemer Briefe von und an Goethe. S. 108 ff.

[259] Kunst und Alterthum I. 2. S. 7 ff.: „Neudeutsche, religiös-patriotische Kunst.“

[260] Kein Druckfehler, aber gewiß ein Schreibfehler.

[261] Vgl. Werke XXVII. S. 332.

[262] Vgl. S. 329.

[263] Zur Naturwissenschaft überhaupt, von Goethe. Erster Band. Stuttg. u. Tüb. 1817.

[264] Ein Dorf, eine Stunde von Leipzig, wo Rochlitz ein Landhaus besaß.

XXXIII.

Ew. Wohlgeboren

verpflichten mich abermals durch ein so freyes und wohlgedachtes Schreiben, das so viele reine Erfahrung und gemüthliche Thätigkeit voraussetzt. Wie sehr freut mich, daß die Hoffnung der Weimarischen Kunstfreunde auf lebendige Mitwirkung gleich denkender Männer so schön erfüllt wird. Von dem Mitgetheilten werde mit Vorsicht später hin Gebrauch machen, denn es möchte gut seyn vor der Hand zuzusehen wie jene Äußerung im Publikum wirkt und wo man am schicklichsten nachhilft.

Nun eine kleine Bitte: In dem Catalog von Dauthe S. 92. No. 81 (das Blättchen lege bey,) stehn die Cartons aus Hampton-Court. Da nun die Worte hinzugefügt sind: vortreffliches Werk, so vermuthe ich daß es gute Abdrücke sind und als dann möcht' ich sie gerne besitzen. Gäben Sie wohl jemand den Auftrag welcher die Abdrücke beurtheilen könnte und sie für mich acquirirte, so geschäh mir ein besonderer Gefalle. Zehn bis Zwölf Thaler wohl auch mehr wollte ich dafür geben. Die Auslage ersetze sogleich dankbar.

Da ich zu Ende July, vielleicht Anfang August, wahrscheinlich nach Carlsbad gehe, so hab' ich das Vergnügen Sie in Franzensbrunn zu treffen und hoffe einen Abend mit Ihnen zuzubringen, worauf ich mich von Herzen freue. Mögen Sie, nach Ihrer Ankunft daselbst, mir ein Wort schreiben: wie es dort aussieht, so werden Sie mir einen Vorschmack unseres Zusammentreffens geben.

Das Kästchen mit den Siegelabdrücken ist wohl durch die Post schon zu Ihren Händen gelangt? — Mehr sag ich nicht denn auch ich bin sehr gedrängt manches zu arrangiren, das, wo nicht geendigt doch gefördert werden muß.

Möge die persönliche Erneuerung und Anfrischung unseres schönen Verhältnisses uns bald gegönnt seyn

Weimar d. 26. Juny
1817.

in Hoffnung!
G

Anfragende Nachschrift.

Sollte nicht in der seltsamen Sammlung des Bauschreiber Dedike irgend etwas befindlich seyn das einen Kunstfreund erfreuen könnte? es ist fast unmöglich daß ein Sammler zeitlebens dem Absurden nachjage, ohne daß ihm nicht auch einmal irgend was Schätzbares in die Hände liefe. Haben nicht vielleicht einen Freund fähig dergleichen zu beurtheilen und gefällig es zu erstehen? Unter den kleinen bronzenen Figuren sollte sich vielleicht etwas finden, vielleicht auch unter den getriebenen halb oder schwach erhobenen Bildern, wo nicht von alter doch von neuer guter Kunst, sollte nicht unter den Tellern etwas von Majolika stecken? Da diese Dinge schwerlich zu hohen Preißen weggehen, so würde man kaum irren können

Weimar d. 27 Juny 1817.

G

XXXIV.

Verzeihen Sie, werthester, daß ich erst spät auf Ihre Anfrage zur Antwort komme; ich führe jetzt ein etwas unstätes Leben, und spiele rouge et noir[265] zwischen Weimar und Jena[266], wo es an beiden Enden zu thun giebt, zwar nicht außer meiner Sphäre, doch auch innerhalb derselben nicht ganz erfreulich.

Haben Sie herzlichen Danck für alle Bemühung und Theilnahme, auch für Ihre Betrachtung über mein Thun und Wesen. Das Liebste muß ich immer liegen lassen, und für lauter Treiben und Arbeiten komme ich zu keinem Genuß, am wenigsten zu einer Besinnung, was man erhalten, fördern, fahren lassen, oder verbrennen soll. Wir wollen sehen wie lange wir's treiben, und was wir noch vor uns bringen. Gönnen Sie mir Ihre Theilnahme für und für, und erhalten mir und meinem Andenken guten Willen in Ihrem Wirkungskreise.

Das übersendete Kupfer ist leider wie Sie selbst sehen, keineswegs trostreich; dem guten Manne der so wunderlich aus dem Blättchen heraussieht, wird das Denken äußerst schwer, und der Beschauer kann sich einer peinlichen Empfindung nicht erwehren. Der Fehler, den die Künstler durch Vergleichung selbst gefunden haben, ist freilich sehr entstellend. Der Keim zu allen diesem, lag schon im Original, das ich den wackern Boisseres übersendete, von Copie zu Copie ist es immer schlimmer damit geworden.

Mögen Sie das mit Schonung an die guten Leute bringen, die mit so vielem reinen Willen ihre Kunst geopfert haben, denn der Stich ist wircklich verdienstlich. Ich selbst muß die Sache ignoriren, denn als ich hier einigen Freunden das Blatt vorzeigte, wurde ich übel angelassen. Dieses wenige zu sagen, finde ich in Jena gerade eine ruhige Stunde; kommen Sie in Fall mir etwas zu schicken oder zu fragen, so senden Sie es nach Weimar, und bleiben meiner Theilnahme und Danckbarkeit versichert.

Jena
den 24 Novembr.
1817.

ergebenst
Goethe

[265] Briefw. m. Jacobi S. 262.

[266] Briefw. m. Zelter II. S. 415.

XXXV.

Daß Ew. Wohlgeboren nicht schon längst auf Ihren werthen Brief geantwortet, ist der verspätete Druck beykommenden Heftes eigentlich Schuld. Nehmen Sie es freundlich auf und gedenken dabei vergangener Zeiten.

Briefe, wie Sie solche wünschen, finden sich wohl unter meinen Papieren. Leider verbrannte ich 1797 eine zwanzigjährige geheftete Sammlung aller eingegangener Briefe, die ich mir bei meinen biographischen Arbeiten sehnlichst zurückwünschte; die neueren, bis auf wenige Jahre, stehen in Kisten geschlagen in Bodenkammern, wo jetzt unmöglich zu arbeiten ist. Ferner habe ich eine schöne Sammlung eigenhändiger Briefe der Schriftzüge wegen gesammelt,[267] auch diese will ich durchgehen um etwas für Sie herauszufinden. Nur gegenwärtig bitte um Geduld! Außer mancherley äußern Zudrang habe ich noch meinen Divan auf die Messe zu bringen und was dergleichen mehr ist.

Nun noch eine vertrauliche Frage, die ich mir baldigst zu beantworten bitte. Nach der augenblicklichen Erschütterung von Jena möchten wohl auch die Griechen daselbst, zwölf an der Zahl, auswandern. Ich kenne mehrere davon, vorzügliche, fleißige und stille Menschen.[268] Sollten sie wohl sämmtlich oder zum Theil in Leipzig Unterkommen finden wenn sie sich gebührend meldeten? Sagen Sie mir, da Sie die dortige Constellation kennen, wie Sie hierüber denken, es soll, was Sie mir vertraulich äußern, niemand erfahren. Über die wunderlichen Zustände des Tages kein Wort, jeder muß diese Vorfälle bei sich selbst verarbeiten.

Mit unwandelbarer Neigung und Vertrauen

Weimar d. 4. April
1819.

Goethe

[267] Werke XXVII. S. 212. Briefw. m. Zelter I. S. 350.

[268] Werke XXVII. S. 337 f. 353.

XXXVI.

Ew. Wohlgeboren

danke nur mit wenig Worten für die gegebene Nachricht. Können Sie gelegentlich diesen jungen Männern ohne Beschwerde einige Freundlichkeit erzeigen, so werden Sie ein gutes Werk thun. Empfehlungsschreiben, wie sie wohl verdienten, habe ich ihnen nicht mit gegeben. Dagegen habe einem Stuttgarder Musikus, Namens Kocher, Sie in meinem Namen zu begrüßen aufgetragen; er hat mir durch musikalischen Vortrag und Gespräch wirklich Interesse abgewonnen. Mögen Sie ihm einige Aufmerksamkeit schenken und mir Ihre Gedanken über ihn und seine Composition eröffnen da ich mir in einer fremden Kunst wohl Antheil aber kein Urtheil erlaube.[269]

Wegen gewünschter Briefe ging mir in diesen Tagen der Gedanke bei: meinen Freund von Knebel, in Jena, deshalb anzusprechen. Er führt seit vielen Jahren mit allen deutschen Literatoren Correspondenz und vielleicht gewinnen wir da einige Ausbeute.

Mit den herzlichen Wünschen

Weimar den 15 April 1819.

aufrichtig ergeben,
Goethe

[269] Vgl. S. 40.

XXXVII.

Es ist der Mühe werth gelebt zu haben wenn man sich von solchen Geistern und Gemüthern begleitet sieht und sah; es ist eine Lust zu sterben wenn man solche Freunde und Liebhaber hinterläßt, die unser Andenken frisch erhalten, ausbilden und fortpflanzen. Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank für Ihren herrlichen Brief, dessen ich mich als des schönsten Zeugnisses zu rühmen habe. Nächstens erhalten Sie ein Exemplar meines Divans, dem ich gleichfalls eine günstige Aufnahme versprechen darf.

Wahrscheinlich kommen meine Kinder auf einer kleinen Reise[270] durch Leipzig, die ich in Ihr Connewitz[271] zu führen bitte, damit sie mir, nach dem Augenschein, die Wiederherstellung Ihres so lieben und auf eine zeitlang verleideten Lustsitzes bescheinigen.

Weimar d. 18. Aprl.
1819.

und so fort und ewiglich
verbunden
Goethe

[270] Briefw. m. Zelter III. S. 10 ff.

[271] Vgl. S. 336.

XXXVIII.

Ew. Wohlgeb.

erhalten hiebey eine geringe Ausbeute, der ersten beiden Buchstaben meiner Handschrift Sammlung, damit ich vorläufig meinen guten Willen beweise. Diese vier Briefe haben wenigstens das Interesse, daß man in gewiße Zeiten, Zustände und Charaktere hineinsieht, von denen wir kaum mehr einen Begriff haben. Bodmers Hand zu entziffern möchte wohl die größte Schwierigkeit seyn, doch ist es interessant genug zu sehen welche Bücher man damals zu lesen anrieth. Finden sie diese Blätter einer Abschrift zu künftigem Gebrauche werth, so erbitte sie mir sodann zurück. Ich gehe die Sammlung nach und nach durch und sende mehr vielleicht auch Bedeutenderes.

Weimar
den 27. May.
1819.

Mit aufrichtigen Wünschen
danckbar anhänglich
J W Goethe

XXXIX.

Sie haben mich, theurer, trefflicher Mann, mit immer gleichem Schritt und unverwandter Gesinnung durchs Leben begleitet und mich, der ich so viele Mißklänge von außen zu vernehmen hatte, stets mit reiner, wahren, ächten Theilnahme erfreut, daß ich sehr undankbar sein müßte wenn ich nicht eine darbietende Gelegenheit ergriffe, meinen Dank endlich auszusprechen. Nehmen Sie daher im Ganzen freundlich auf, was Ihnen im Einzelnen zusagte[272] und gedenken mein jetzt und künftig in Geist und Liebe.

Lassen Sie mich noch eine Bemerkung hinzufügen welche einem alten Autor wohl ziemen mag. Es giebt dreierley Arten Leser: Eine, die ohne Urtheil genießt, eine dritte, die, ohne zu genießen urtheilt, die mittlere die genießend urtheilt und urtheilend genießt; diese reproducirt eigentlich ein Kunstwerk aufs neue. Die Mitglieder dieser Classe, wozu Sie gehören, sind nicht zahlreich, deshalb sie uns auch werther und würdiger erscheinen. Ich sage nichts Neues, Sie haben hierüber gleichfalls erfahren und gedacht.

Leben Sie recht wohl und seyen meinen Kindern freundlich, wenn sie auf ihrer Rückreise von Berlin[273] in Leipzig verweilen sollten wovon ich noch keine gewisse Nachricht habe.

Weimar d. 13 Juny.
1819.

und so fort und ewig
verbunden
Goethe

[272] Die Ausgabe von Goethes Werken in 20 Bänden war in diesem Jahr vollendet.

[273] Briefw. m. Zelter III. S. 19.

XL.

Nichts Angenehmeres hätte vor meiner Abreise nach Carlsbad bey mir einlangen können als ein Brief von Ihrer Hand, mein Theuerster, überschrieben. Die Lesung des Vorigen erregte mir ein Gefühl das ich in ähnlichen Fällen mehrmals empfand, das nämlich, daß mich keine Furcht für Sie anwandlen wollte. Eben aber, die Reise nach Böhmen anzutreten endlich bestimmt, wollte ich, zu meiner Beruhigung bey andern anfragen und in demselben Augenblick erfahre ich, von freyen Stücken, durch Sie selbst, Ihre Genesung. Lassen Sie mich dazu aufrichtig Glück wünschen und nach einem solchen Sturze eine dauerhafte Gesundheit hoffen. Der vielfache Drang vor meiner Abreise verbietet mir mehr zu sagen, deshalb ich auch auf Ihren ferneren geneigten Antrag zu antworten bis auf meine Rückkunft verschiebe: denn dergleichen überraschende, wohlmeynende Gesinnungen anzunehmen oder abzulehnen ist gleich bedenklich. Leben Sie inzwischen recht wohl und empfangen meinen aufrichtigen Dank, sowohl für baldige Nachricht Ihrer Beßerung, als die sogleich gegen uns gewendete Neigung Ihres lieben Gemüthes.

Möge ich bey meiner Rückkehr das Gute und Beßere von Ihrem Befinden vernehmen.

Jena
den 23. August.
1819.

treulichst verbunden
Goethe

XLI.

Nun möchte denn doch auch wieder einmal Zeit seyn bey Ihnen, mein werthester Herr und Freund, theilnehmend anzuklopfen nach Ihrer Thätigkeit zu fragen, damit man doch wieder als mitlebend erscheine. Seit dem August vorigen Jahrs hab' ich mir viel auferlegt und ist mir viel auferlegt worden, so daß diese Zeit, ob ich gleich gar keiner Zerstreuung Raum gebe und der entschiedensten Einsamkeit genieße, auch Tag und Stunde zu nützen suche, ich dennoch immer in Rückstand verbleibe. So schleicht sich denn auch die Erfahrung ein, daß das Alter weniger fördert als die Jugend und man nicht mehr von einer Thätigkeit zur andern so schnell übergehen kann.

Nehmen Sie ein Exemplar meines Divans als Zeichen des Zutrauens und der Hochachtung. Da ich mich einmal in jene Regionen gewagt, so hab ich, wie es auf Reisen zu gehen pflegt, mich länger verweilt, mehr Zeit und Kräfte verwendet, als billig, auch zuletzt keine Anstrengung gescheut um nur endlich wieder nach Hause zu kommen. Sagen Sie mir nun auch etwas von sich und wie es mit Ihren literarischen- und Kunstbeschäftigungen geht? Herr Weigel schreibt mir mit Entzücken von den Abenden, wo Sie Freunden eine Beschauung Ihrer Schätze gewähren. Möcht ich doch auch Theil daran nehmen können!

Weimar
den 3. April
1820.

treulichst
Goethe

XLII.

Ihre werthe Sendung mein Theuerster, ist mir keineswegs klein: denn sie sagt mir, daß Sie meiner gedenken, und nicht etwa nur im Augenblick des Schreibens, sondern auch in Zuständen, wo unser Wollen und Vollbringen im Conflict ist. Da ich nun auch auf gleiche Weise, mich gegen das Leben verhalten muß, in bewegter Ruhe, in ruhiger Bewegung, wenn nicht gar die ganze Weltgeschichte, wie schon ein paar mal geschehen, über uns herpoltert; so nehme ich immer im Stillen reinen Antheil an denen, die mit mir, früher oder später, heran kamen, gleiche Gesinnungen gehegt und gleiche Schicksale erlebt haben.

Und so sey Ihnen Dank für das niedliche Stück,[274] das Gelegenheit gab Ihrem Schreiben. So viele Jahre früher wäre es schon aufgeführt, unter gegenwärtigen Umständen habe es den zeitigen Machthabern eingehändigt, welche sich deßen gerne bedienen und auf die Fortsetzung begierig seyn werden.

Aus beyliegendem nehmen Sie auch freundlich Ihren Antheil.

Jena
den 3. Octobr.
1820.

treulichst verbunden
Goethe

[274] Die Freunde, Schauspiel in 1 Akt. Auswahl Th. V.

XLIII.

Ew. Wohlgeb.

verzeihen wenn ich erst späte und nur mit wenigen Worten vermelde: daß wirklich an dem ersten Band von Wilhelm Meisters Wanderjahren gedruckt wird, damit er Ostern erscheinen könne. Auch dieser wunderlichen, verspäteten Production erbitte Gunst und Antheil.

Ihren auserlesenen Arbeiten[275] werde gern manche ruhige Stunde widmen und, wie sonst, daraus mannigfaltiges Vergnügen schöpfen. Erhalten Sie mir ein geneigtes Andenken! Gedrängt von vielen Seiten! Eiligst.

Weimar
den 18. Febr.
1821.

aber treulichst
Goethe

[275] Auswahl aus Fr. Rochlitz's sämmtlichen Schriften. Züllich. 1821. 22.

XLIV.

Wenn der Unglaube, wie das Alte und Neue Testament behauptet, die größte Sünde ja die Sünde der Sünden ist, so haben Sie, mein Werthester, viel abzubüßen, da sie an der guten Wirkung Ihrer allerliebsten Productionen immerfort Zweifel hegen. Gerade im Gegentheil kann ich versichern daß ich in den mitgetheilten werthen Bänden mich mit ältern Freunden und Bekannten gar gern unterhalten, neuere mit Heiterkeit begrüßt und so die angenehmsten Stunden verlebt habe.

Nehmen Sie nun von Ihrer Seite meinen Wanderer freundlich auf, wie er sich denn hiermit bescheiden und heiter darstellt. Da es uns Deutschen nun einmal nicht gegönnt ist in entschieden geistreicher Gesellschaft des Lebens zu genießen und uns gegenwärtig in Person an einander auszubilden: So möge denn was dem Einsamen gelingt zuletzt gesellig zusammentreten und uns empfinden lassen wie wir nachbarlich mit einander gelebt und uns wechselseitig liebend gefördert. Erhalten Sie mir ein fortdauerndes freundliches Andenken.

Weimar
den 21. Juny
1821.

treulichst
Goethe

Erlauben Sie noch Anfrage und Bitte. Bei Ihrem Mitbürger Fr. Peters sind Streicherische Flügel zu haben in Mahagonie Holz für 245 Thlr. in Nußbaum 200 Thlr. Conventionsgeld. Gewiß kennen Sie Mann und Waare, dürfte ich Sie ersuchen die Gegenwärtigen anzusehen und zu prüfen, mir auch alsdann Ihr Urtheil zu eröffnen, da ich denn eher einen Entschluß faßen könnte als auf allgemeine Empfehlung. Verzeihen Sie dies Bemühen; wir werden dagegen in unserm häuslichen Kreise desto öfters dafür erinnert werden.

LXV.

Ew. Wohlgebornen

unterlasse nicht zu vermelden, daß der empfohlene Flügel gestern glücklich angekommen,[276] sogleich von Herrn Hartknoch, einem Schüler unseres verdientesten Capellmeister Hummel, geprüft und, sowohl von ihm, als den sämmtlichen Zuhörern probat befunden worden. Nehmen Sie den besten Dank: mir eine so schöne Acquisition versichert zu haben und seyn überzeugt daß wir uns bey manchem Genusse Ihrer freundlichen Theilnahme dankbar erinnern werden.

Möge Ihr Sommer-Aufenthalt in dem herrlichen Schandau durch gute Witterung und Gesellschaft beglückt seyn. Ich hoffe gleiches in Böhmen, wohin ich mich, mehr der Veränderung und Zerstreuung als der Cur willen, nächstens begebe.

Lassen Sie, nach beiderseitiger Rückkehr uns von einander vernehmen.

Weimar d. 15 July
1821.

treulichst
Goethe

[276] Werke XXVII. S. 398.

XLVI.

Schreiben und Sendung, mein Theuerster, hat mich höchlich erfreut. Wer aus innerem Triebe treulich liebevoll arbeitet und mittheilt, darf an reiner Aufnahme nicht zweifeln. So haben Sie mich durch Ihre römische Geschichts Epoche[277] ganz eigentlich gefördert, indem ich, bei Veranlaßung der von Knebelschen Übersetzung des Lukrez, mich in der Zeit aufhalte die der welche Sie betrachten unmittelbar vorhergeht;[278] suche ich mich also in Ihrem Sinn recht eigentlich zu finden und übertrage Ihre Ansichten nur einige Schritte rückwärts, so bringt es mir gar viel Vortheil; denn es ist einer mündlichen Unterredung zu vergleichen.

Ihre treffliche mir wohlbekannte Schilderung jener Leipziger Unglückstage lese ich wieder[279] und bewundere abermals die besondere Fügung daß ein Mann von Ihrem Geist und Sinn, in Augenblicken wo uns die Sinne vergehen, das Übergewicht eines angebornen und wohlgeübten Talents empfindet, zur Feder greift das Unerträgliche in der Gegenwart zu schildern. Sie erhalten nächstens dagegen einen treuen Abriß meiner wunderlichen Militairlaufbahn; auch durch diese Erbkrankheit der Welt mußt ich einmal durch, damals ging ich der Weltgeschichte entgegen, nachher hat sie uns am eigenen Heerde aufgesucht.

Daß Sie Sich aus dem letzten Stücke von Kunst und Alterthum gerade dasjenige aneignen,[280] was ich im besten Humor geschrieben freut mich sehr. Der Zustand des Schreibenden, theilt sich dem wahren Leser sogleich völlig mit, und ich erkenne dankbarlich, den schönen Wiederklang freundschaftlich-einstimmiger Gesinnung.

Ist die Melodie von Zelter: Um Mitternacht, zu Ihnen gelangt? ich bin so oft ich sie höre, sehr davon erbaut.[281] Was Sie Selbst über Musik mittheilen wollen soll mir höchst willkommen seyn.

Möge Ihre schöne Thätigkeit von allen Seiten her belohnt werden.

Weimar,
den 22. Aprl.
1822.

treulich verbunden
J W Goethe.

[277] Umrisse eines Gemäldes von Rom in den Jahren 60-44 v. Chr. Auswahl Th. IV.

[278] Werke XXXII. S. 276. XXVII. S. 387.

[279] Vgl. S. 327.

[280] Das gleich erwähnte Lied in Kunst und Alterth. III. 3. S. 170.

[281] Vgl. Briefw. m. Zelter II. S. 453 f. III. S. 82. Werke XXXII. S. 341. 354.

XLVII.

Ew. Wohlgeb.

haben durch Ihr werthes Schreiben mir Hoffnung und Wunsch erfüllt, denn da ich selbst nicht sonderlich mehr mobil bin, so kann mir nichts erfreulicher seyn als wenn Freunde, deren Denkart und Gesinnung ich kenne, von ihren Reisebemerkungen Urtheilen und Gefühlen vertrauliche Mittheilung schenken, und so hab ich denn auch mit großem Vergnügen gesehen daß Sie genug Gutes und Löbliches von Wien und den dortigen Zuständen zu sagen wißen.

Auch ich war dieses Jahr wieder in Böhmen, fand meine alten Freunde und Neigungen wieder gewann neue dazu und fühlte mich in diesem Kreise sehr behaglich; auch nahm ich Theil an dem neueinzurichtenden Prager Museum und denke das nächste Jahr an die Fortsetzung einer längst gewohnten Lebensweise.

Betrübt haben mich deswegen Ihre Worte: „dazu nun das Volk, ich meyne die große Masse, in seinem Wohlstande, (Böhmen abgerechnet, das es nicht besser haben will, als es hat, und es besser zu haben schwerlich werth ist)“. Ich weiß recht gut daß dort nicht alles ist wie es seyn sollte; aber Ihre Worte scheinen mir doch zu hart und zu hauptstädtisch; ich darf Sie daher wohl bitten sich näher zu erklären und mir dadurch Anlaß zu geben bey meiner Rückkehr in jene Gegenden besser aufzumerken und da ich meine Neigung nicht wohl aufgeben kann, doch ohne allzu entschiedenes Vorurtheil meine Liebschaften prüfen zu können.

Von Paulus und Johannes wünschte doch auch nähere Schilderung.

Möge Ihnen alles Gute gegönnt und verliehen seyn! Das erste säuberliche Exemplar das mir vom Buchbinder zukommt erhalten Sie sogleich, ich darf es Ihrer herkömmlichen, mir so werthen Theilnahme nicht erst umständlich empfehlen.

Es ist mir in dieser Zeit gar vieles Gute begegnet; Hr. Dr. von Henning in Berlin hat Vorlesungen gehalten über meine Farbenlehre, ich lege seine Einleitung bey, die wohl für jeden gebildeten Geist verständlich und nicht ohne Intereße seyn möchte.

In Hoffnung baldigen Erwiederns wünsche Ihrer fortwährenden Theilnahme immer versichert zu bleiben.

Weimar
den 20. Septbr.
1822.[282]

treulichst
Goethe.

[282] Am 26. Febr. 1823 theilte August v. Goethe Rochlitz die Nachricht von der schweren Erkrankung seines Vaters mit und sprach die Hoffnung aus, daß nun die Gefahr beseitigt sei; wörtlich wie an Zelter, Briefw. III. S. 292 f.

XLVIII.

Ew. Wohlgeb.

haben durch Ihre wahrhaft liebenswürdige Sendung,[283] ganz eigentlich meinem Hause Seegen gebracht. Ihre herzlich eindringende Darstellung des Messias, erregte den unwiderstehlichen Wunsch die alten verklungenen Gefühle in mir zu erneuen und nun unter Anleitung des wackern Eberweins durch freundliche Theilnahme von Künstlern und Liebhabern vernehme soviel von dem köstlichen Werck daß ich aufs neue darüber entzückt seyn und Ihnen für diesen Genuß aufs verbindlichste danken muß.[284]

Da nun hiebey das herrliche, sich immer gleichbleibende Piano, wie vor Kurzem unter den Fingern der Madame Szymanowska,[285] eine Hauptrolle spielt, so sind Sie dem Geiste nach manchen schönen Abend unter uns.

Vergönnen Sie daß ich von diesen häuslichen Festen, in Bezug auf Ihre Veranlaßung, öffentlich einige Worte verlauten laße, wie ich denn auch des übrigen Inhalts Ihres Bandes mit Hinblick auf die früheren Arbeiten zu gedenken habe.[286] Möge Ihnen alles wohlgelingen und Sie mich den so viele Jahre geschenckten Antheil auch fernerhin genießen laßen.

Weimar
den 2. Aprl.
1824.

fort und fort
J W Goethe

[283] Für Freunde der Tonkunst von Fr. Rochlitz. Leipzig 1824.

[284] Eckermann Gespr. I. S. 148. Briefwechsel m. Zelter III. S. 404. 417. 421. 430.

[285] Briefw. m. Zelter III. S. 329 f. Sie war im October 1823 in Weimar. Eckermann Gespr. I. S. 72 f. 77 f.

[286] Kunst u. Alterth. V. 1. S. 154 ff. Werke XXXII. S. 334 ff.

XLIX.

Ew. Wohlgeb.

gefällige Mitwirkung in einer kleinen, obschon für mich nicht unbedeutenden Angelegenheit mir zu erbitten, sehe ich mich in diesen Tagen veranlaßt.

Die Weygandische Buchhandlung, welche zuerst meinen Werther verlegt und einige weitere Ausgaben, ich erinnere mich nicht wieviel, davon veranstaltet hat, machte mich vor einiger Zeit mit der Absicht bekannt eine nochmalige zu versuchen, wünschte meine Anerkennung und eine Vorrede, wie sies nannten.

Gegen den neuen Abdruck war nichts einzuwenden, ob ich irgend einige einleitende Worte finden könnte mußte ich einer günstigen Stimmung überlassen.

Jetzt melden sie mir daß der Abdruck im Gange sey und nun von mir die öffentliche Anerkennung durch irgend ein Vorwort nöthig werde, wie sie denn das Honorar meinem billigen Ermessen anheim stellen.

Nun ist hier freylich kein großer Gewinn zu hoffen, doch möchte wohl jedermann von Zeit zu Zeit sich oder den Seinigen einen billigen Wunsch versagen zu dessen Befriedigung er sich ein zufälliges Mittel wünscht. Sie sehen leicht daß es in diesem Falle unerfreulich wäre direct zu handeln und vielleicht gar zu markten, darum ich dieselben ersuche die Vermittlung über sich zu nehmen, wozu folgendes möge die Einleitung seyn.

Ich lege funfzig Reimzeilen bey, denen ich Ihren Beyfall wünsche;[287] sie könnten den guten Leuten vorgewiesen werden, ohne jedoch solche bis zu abgeschlossenener Sache aus Handen zu geben. Ew. Wohlgeb. sind selbst Autor und haben mit den Verlegern genugsamen Verkehr um zu wissen was in dieser Sache recht und billig wäre.

An einen Contrakt für die Zukunft war vor funfzig Jahren nicht zu denken und ich erinnere mich kaum jener frühern Verhandlungen, auch möchte nach so vieler Zeit, nach den großen Veränderungen im Buchhandel gegenwärtig dieses als ein ganz neues Geschäft anzusehen seyn. Haben Sie die Güte die Betheiligten anzuhören und ihre Meynung zu vernehmen.

Es ist hier darum zu thun meine Zustimmung zur neuen Auflage zu honoriren, die denn durch das beykommende Gedicht, welches auch seinen Werth haben mag, deutlich ausgesprochen und vor dem Gesetz und dem Publicum legitimirt wird. Haben Sie die Güte mir deshalb Vorschläge zu thun in Bezug auf jene Erkundigungen nach eigenem Ermeßen und behalten wie schon gesagt das Gedicht an sich, bis zum Abschluß, wie ich denn auch alsdann wegen des Titels einiges zu bemerken wünsche.

Die herkömmlich gebundenen gehefteten und allenfalls rohen Exemplare haben Sie die Gefälligkeit mir auszudingen.

Laßen Sie mich gestehen daß es etwas eigen Reitzendes für mich hat, nach meinem neulichen, für sittlich und ästhetische Mittheilungen dankbaren Briefe, diesen ökonomisch-rücksichtlichen sogleich abzulaßen. Möge dies auch zu dem bestandenen guten Verhältniß noch einen freundlichen Bezug hinzufügen.

Weimar d. 30 Aprl.
1824.

redlich
theilnehmend,
aufrichtig ergeben
Goethe

[287] Werke II. S. 92 ff.

L.

Ew. Wohlgeb.

nehmen den allerverbindlichsten Dank für die geneigte Vermittlung; im Beygehenden erhalten Sie das Nöthige zu Beendigung des kleinen Geschäfts. Ein bejahrter deutscher Autor, weiß nur zu gut, daß er weder Engländer noch Schottländer ist und daß in solchen Fällen eigentlich nur von Anerkennung eines Rechtes, nicht von dem Äquivalent einer Arbeit die Rede seyn kann. Also nochmals aufrichtigen Dank, daß Sie mir ein unmittelbares Mißgefühl, worauf es insolchen Fällen meistens hinauszugehen pflegt, ersparen wollen.

Ich bedinge mir also funfzig vollwichtige Ducaten, wie man sie im Österreichischen ohne Widerrede annimmt, sogleich durch die fahrende Post gesendet; auch in der Folge 24 Exemplare gutes Papiers, einige hübsch gebunden, wie man es in Leipzig versteht und ausübt. Wollte man Titel und Gedicht alsobald abdrucken und mir den Bogen zur Durchsicht schicken, so würde es angenehm seyn.

Wäre dies nicht, so hätten Sie wohl die Güte eine Revision zu übernehmen, damit der poetischen Sorgfalt ihr Recht wiederfahre.

Daß Ihr neuster Band glückliche Wirkung thun würde, schloß ich aus dem was bey mir erregt worden. Nächstens übersende das neuste Heft Kunst u. Alterth. und bitte mit einem naiven Zeugniß meiner treulichen Theilnahme geneigt vorlieb zu nehmen.[288] Bey mir geht es immer etwas rascher zu als ich wohl wünschen möchte, doch wird sich zunächst auch wohl nachkommen laßen.

Weimar
den 22. May
1824.

und so ferner
treulichst
Goethe

[288] Vgl. S. 358.

LI.

Wenn Sie, mein theurer, vielgeprüfter Freund, räthselhaft finden sollten daß mit dem Gegenwärtigen einige Fasanen anlangen; so gehört folgende Auflösung dazu.

Eine Gesellschaft von Musikfreunden, nachdem sie sich einen Abend mannigfaltig ergötzt hatte, gedachte, beym frohen Mahl, daß man Ihnen den größten Theil dieses Vergnügens schuldig sey, indem Sie uns mit einem so trefflichen, sich immer wohlhaltenden Instrumente versehen;[289] man trank Ihre Gesundheit und wünschte daß Sie von den guten Jagdbissen mitgenießen möchten. Hiernach ward nun der gute Gedanke laut, daß die Vögel sich gar wohl zu Ihnen bewegen könnten. Ein Jagdfreund übernahm die Besorgung und nun kommen sie, begleitet von den besten Wünschen zum neuen Jahr und in Hoffnung, daß Sie solche gleichfalls mit Freunden theilnehmend, und unsrer eingedenk genießen werden.

Weimar d. 18. Januar
1826.

treulichst
J W Goethe

[289] Vgl. S. 352.

LII.

Ja wohl, mein Theuerster, war der freundliche Besuch den Sie uns gönnten ein schöner Beweis daß wir uns im Lebensgange an einander nicht geirrt haben; es zeigte sich daß wir, wenn gleich in einiger Entfernung, parallel nebeneinander fortgingen und, beym Wiederzusammentreffen, keiner am andern etwas Fremdes empfand; es war Ihnen bey mir behaglich, eben so mußt es wechselseitig seyn. Sie konnten der Freund meiner Freunde werden, es ergab sich alles ganz natürlich, ohne daß irgend etwas wäre auszugleichen gewesen, und so mußten wir wünschen Sie hätten noch einige Tage verweilt. Schwiegertochter und Kinder waren wiedergekommen; Herr Rauch traf ein[290] und wir hätten Sie herzlich gern an den guten Stunden des Wiedersehens und heitern Empfangs auch Ihren genugsamen Theil nehmen lassen. Auch hätte ich der guten Ottilie so gern einen Musickliebenden Gast entgegengeführt.

Hier nun will ich schließen, mit dem treusten Dank für Ihr werthes baldiges Schreiben, mit reinen Wünschen und Grüßen an die theure Ihrige und mit Ankündigung einer Rolle, deren Inhalt wir einen geneigten Empfang erbitten.

Weimar
den 3. Juli
1829.

und so fortan!
J W Goethe

[290] Briefw. m. Zelter V. S. 254. 261.

LIII.

Möge der beykommende ernste Scheinbau, so wie die fromme Dreyheit dem theuersten Freunde eben solche vergnügte Empfindungen beym fortdauernden Anschauen verleihen als mir und meiner Umgebung die verunglückten Wagenlenker gewähren. Mögen diese Blätter als schöne Denkmale immer den Theilnehmenden vor Augen seyn, eines erneuten Verhältnisses, welches für alle Zukunft die anmuthigsten Folgen gewinnen muß.

Unter den mannigfaltigsten Erinnerungen und Grüßen nur noch den treusten Zuruf.

Weimar
den 5. Jul.
1829.

und so fortan!
J W Goethe

LIV.

Lassen Sie uns noch immer einige Briefe wechseln! Denn das ist ja der Vortheil einer, nach langen Jahren erneuten, persönlichen Gegenwart, daß, aus der wechselseitigen Erkennntniß der eben obwaltenden besondern Zustände, ein neuer Antheil hervortritt, weil der Geist nunmehr erfährt wohin er seine Richtung nehmen soll, und das Gemüth sicher ist eine reine Theilnahme werde günstig aufgenommen werden.

In diesem Sinne empfind ich dankbar: daß Sie mir die Stellen bezeichnen wollen welche Sie in den neuen Wanderjahren Sich angeeignet. Eine Arbeit wie diese, die sich selbst als collectiv ankündiget, indem sie gewissermaßen nur zum Verband der disparatesten Einzelnheiten unternommen zu seyn scheint, erlaubt, ja fordert mehr als eine andere daß jeder sich zueigne was ihm gemäß ist, was in seiner Lage zur Beherzigung aufrief, und sich harmonisch wohlthätig erweisen mochte.

Wenn ich daher die von Ihnen, mein Theuerster, angedeuteten Stellen wieder aufschlug, war es eine angenehme Unterhaltung mit einem abwesenden Freunde, wo ich, in Spiegelung und Wiederschein, gleiche Gesinnung, gleiches Bestreben, zu eigner Bestärkung gewahrte. Denn das darf ich wohl sagen: was ich in meinen Schriften niedergelegt habe ist für mich kein Vergangenes, sondern ich seh es, wenn es mir wieder vor Augen kommt, als ein Fortwirkendes an, und die Probleme die hie und da unaufgelöst liegen, beschäftigen mich immerfort, in der Hoffnung daß, im Reiche der Natur und Sitten, dem treuen Forscher noch gar manches kann offenbar werden.

Daß Sie die Weimarischen Zustände, und darin auch das Nächste was sich auf mich bezieht, konnten gewahr werden, und zwar mit Ihrer so rein-sinnigen als lebhaft-ergreifenden Beobachtungsgabe, ist, ganz ohne Frage, ein vielfaches Eingreifen in die Glieder einer, sonderbar genug verschränkten socialen Kette. Erhalten Sie sich und uns das dabey gewonnene werthe Verhältniß. Alle die sich gleichzeitig heranbildeten haben Ursache sich zusammen- und ihren Kreis gewissermaßen geschloßen zu halten; die Nachkommenden wollen vieleicht was besseres, gewiß aber etwas anderes.

Im Garten am Park
Weimar d. 28. Jul.
1829.

In treuem Verharren,
J W Goethe

LV.

Die letzten Wochen bin ich, im Drange eigenen Thuns und äußeren Einwirkens, in die Unmöglichkeit versetzt worden mich nach entfernten Freunden umzusehen; auch habe deswegen Ihren lieben, mir sehr willkommenen Brief nicht erwiedert. Ich möchte Sie ersuchen mit Betrachtungen über die Wanderjahre fortzufahren und mir von dem Einzelnen was besonders auf Sie gewirkt, was ein Weiteres aufgeregt, wo sichs angeschlossen und wie man alle solche gute Folgen nennen möchte gelegentlich ohnschwer Kenntniß zu geben. Es ist mir dies, wenn es von Freunden geschieht, die größte Belohnung für die Aufmerksamkeit die ich dieser Arbeit gewidmet. Die Umbildung der darin enthaltenen, schon einmal in anderer Form erschienener Elemente war für mich ein ganz neues Unternehmen, wozu mich nur die Liebe zu einzelnen Theilen, welche, mehr und mehr, auf eine zierliche Weise, einander anzunähern hoffte, bewegen und mich in einer anhaltenden thätigen Aufmerksamkeit freudig erhalten konnte.

Schon werd' ich von manchen Seiten her, von zart aufnehmenden Lesern wirklich auf die anmuthigste Weise belohnt, von solchen die, was ihren Gesinnungen und Gefühlen gemäß ist ergreifen, und sich als Menschen gegen den Autor, insofern er menschlich ist, verhalten.

Nun wird es mich sehr freuen auch von Ihnen mein Theuerster, der sich übersichtlich, denkend und vergleichend in solchem Falle verhält, manches gute Wort zu hören. Denn dem Autor in solchem Falle muß dran gelegen seyn zu erfahren, daß ihm seine Absichten nicht mißglückt, sondern daß vielmehr die geistigen Bolzen und Pfeile dahin gereicht und da getroffen, wohin er sie gerichtet und beabsichtigt.

Nun aber verpflichteten Dank für die ausführliche Kenntniß, die Sie mir von der Aufführung Fausts geben. Es ist wunderlich genug daß diese seltsame Frucht erst jetzo gleichsam vom Baume fällt. Auch hier hat man ihn gegeben, ohne meine Anregung, aber nicht wider meinen Willen und nicht ohne meine Billigung der Art und Weise wie man sich dabey benommen. Mögen Sie mir die Folge der Scenen wie man sie dort beliebt gelegentlich wissen lassen, so geschieht mir ein Gefalle; denn es ist immer wichtig zu beobachten wie man es angegriffen um das quasi Unmögliche, zum Trutz aller Schwierigkeiten, möglich zu machen.

Liebenswürdig ist es von den Deutschen daß sie das Werk nicht zu entstellen brauchten um es von dem Theater herab erdulden zu können. Die Franzosen mußten es umbilden und an die Sauce noch starkes Gewürz und scharfe Ingredienzien verschwenden. Nach der Kenntniß, die uns davon gegeben ist kann man begreifen wie das Machwerck dort große Wirkung thun mußte.

Soviel für jetzt und nicht weiter, damit dieses Blatt baldigst zu Ihnen gelange.

Weimar
den 2. Septbr.
1829.

und so fortan!
Goethe

LVI.

Den allerschönsten Dank, theuerster Mann, für die gefällig mitgetheilte Nachricht wie es meinem redigirten Faust vor und nach der Aufführung ergangen. Bey meiner vieljährigen Theaterverwaltung hab' ich eine solche oft verlangte ja dringend geforderte Vorstellung niemals begünstigt und sie auch jetzt hier am Orte im eigentlichsten Sinne nur geschehen lassen. Was man auch übrigens von der Aufführung halten mag, so geht doch besonders aus der in Leipzig die alte Wahrheit: man solle den Teufel nicht an die Wand mahlen, aufs deutlichste hervor.[291]

Wegen der freundlichen Anfrage welche Ihr lieber Brief enthält, will ich folgendes aufrichtig erwiedern.[292] Des Herrn Grafen Ankunft in Weimar, würde, nach der mir gegebenen Kenntniß, in den December fallen, einen Monat, der mich schon seit vielen Jahren, besonders aber in meinen alten Tagen, nicht zum besten behandelt, wo ich mich meist in meinem Zimmer aufhalte und leider nur den nächsten Freunden zugänglich bin. Einen so werthen Gast kann ich also auf diese Zeit nicht einladen, da ich keinen Tag und keine Stunde von meinem Befinden sicher bin.

Dies hindert aber nicht, daß ich in günstigen Augenblicken Durchreisende, hier verweilende würdige Personen sehe, spreche und mich mehrmals mit ihnen unterhalte. Würden also Herr Graf Mannteufel in jener Zeit Weimar besuchen, wo die beyden Höfe und eine mehrfach interessante Gesellschaft bedeutenden Fremden einen angenehmen Aufenthalt zu bereiten wissen; so würde ich mich glücklich schätzen jede gute mir gegönnte Stunde mit einem solchen Manne zuzubringen, ihm von dem Meinigen was ihn interssiren könnte mitzutheilen, und dagegen an den Schätzen seiner Erfahrung und Sammlung freudigen Antheil zu nehmen. Mögen Sie dies, mein Theuerster, gefällig mit meinen besten Empfehlungen ausrichten und mittheilen, so werde solches dankbarlichst anerkennen.

Freylich fiel Ihr Besuch in die gute Jahreszeit, wo die Räume meines Hauses am heitersten zu benutzen sind und dem wohlmeinenden Wirthe bessre Gelegenheit geben seine Gesinnungen gegen Besuchende auszudrücken.

Mit den treusten Wünschen mich geneigtem Andenken und fortgesetzten Mittheilungen angelegentlichst empfehlend.

Weimar
den 29 Septbr.
1829.

Und so fortan!
J W Goethe

[291] Bei der Aufführung des Faust in Leipzig hatte die akademische Jugend bei einigen Stellen einen so ausgelassenen Beifall kund gegeben, daß man in Dresden für nöthig fand die Wiederholung auf einige Zeit zu untersagen.

[292] Rochlitz hatte Goethe den Wunsch des kaiserl. Russ. Geh. Raths Grafen Manteuffel ausgesprochen, ihn in Weimar zu besuchen, und ihn gebeten eine Zeit dafür zu bestimmen.

LVII.

Ja, und so wäre es ganz recht, und vertraulichem Verhältnisse wohl angemessen, daß man sich zur Unterhaltung ohne eigentlichen entschiedenen Zweck niedersetze und das Schreiben beginne. Veranlaßt durch Ihren lieben Brief fühle ich mich geneigt, nicht gerade in Beantwortung, vielmehr in Erwiederung Einiges ergehen zu lassen.

Über das Allgemeine was in den Wanderjahren etwa beabsichtigt, in welchem Sinne sie geschrieben, haben Sie, mein Theuerster, gar manches Gute und Ausreichende gesagt. Mit solchem Büchlein aber ist es wie mit dem Leben selbst: es findet sich in dem Complex des Ganzen Nothwendiges und Zufälliges, Vorgesetztes und Ungeschlossenes, bald gelungen, bald vereitelt, wodurch es eine Art von Unendlichkeit erhält, die sich in verständige und vernünftige Worte nicht durchaus faßen noch einschließen läßt. Wohin ich aber die Aufmerksamkeit meiner Freunde gerne lenke, und auch die Ihrige gern gerichtet sähe, sind die verschiedenen, sich von einander absondernden Einzelnheiten, die doch, besonders im gegenwärtigen Falle, den Werth des Buches entscheiden. Da würden Sie mir denn eine besondere Gefälligkeit erzeigen, wenn Sie bemerken wollten, was sie vorzüglich, (wie man zu sagen pflegt) angesprochen, was Ihnen als neu oder erneut gegolten, was mit Ihrer Denk- und Empfindungsweise zusammen getroffen, was derselben widersprochen, was Sie, in Gefolg dessen, einstimmig oder im Gegensatz, weiter bey sich auszuführen geneigt gewesen. Das Büchlein verläugnet seinen collectiven Ursprung nicht, erlaubt und fordert mehr als jedes andere die Theilnahme an hervortretenden Einzelnheiten. Dadurch kommt der Autor erst zur Gewißheit, daß es ihm gelungen sey, Gefühl und Nachdenken in den verschiedensten Geistern aufzuregen. Hierüber habe ich in Briefen die anmuthigsten Äußerungen, und wie selbst junge und weibliche Seelen von ganz gelinden aber gründlichen Zügen ergriffen werden. Wollen auch Sie auf diese Weise mir wohlthätig seyn, so erkenne es mit verbindlichstem Dank. Nicht leicht unterhält man sich über dergleichen mündlich; eine gewisse Scheu hält uns ab; dagegen ist man im Schreiben freyer, und man vertraut wohl sein Innerstes gern in die Ferne.

Gar manches Wechselseitige, Wirksamkeit zu erregen entschieden geeignet, verspare für nächste Mittheilungen. Herr Canzler ist so eben aus Italien zurück und hat wohlgethan dem Zug nach Rom nicht zu widerstehen; er wird sich selbst anmelden und des freundlichen Empfangs auch von Ihnen gewiß seyn.

Da noch Raum übrig ist füge Einiges hinzu:

Handle besonnen, ist die praktische Seite von: Erkenne dich selbst. Beides darf weder als Gesetz noch als Forderung betrachtet werden; es ist aufgestellt wie das Schwarze der Scheibe, das man immer auf dem Korn haben muß wenn man es auch nicht immer trifft. Die Menschen würden verständiger und glücklicher seyn wenn sie zwischen dem unendlichen Ziel und dem bedingten Zweck den Unterschied zu finden wüßten und sich nach und nach ablauerten, wie weit ihre Mittel denn eigentlich reichen.

So weit! die treusten Wünsche für Ihre Zufriedenheit aussprechend; was Sie für Unterhaltung für den Winter sich ausgedacht haben wünsche zu erfahren.

Weimar d. 23. Nvbr. 1829.

herzlichst
G

LVIII.

Um auf Ihren erfreulich erquicklichen Brief sogleich auch nur Weniges dankbar zu erwiedern bringe das zu Papiere was schon längst Ihnen zuzusenden die Absicht war.

In jenen traurigen Stunden, wo wir keine Hoffnung auf die Erhaltung unsrer verehrten Fürstin mehr haben konnten, sie aber doch noch am Leben wußten und uns immer noch mit irgend einem Wiederaufathmen einer so lange geprüften Natur schmeicheln mochten, war Ottilie bey mir auf dem Zimmer und Ihre neusten Bände[293] lagen eben vor. Sie ergriff einen und las in dem heiter geschriebenen Leben das wunderlich unschuldige Benehmen des seltsamen Organisten, sodann das Urtheil über die Reichardtischen Lieder und was sonst noch folgte, das alles unsre Aufmerksamkeit fesseln und unsre Neigung anziehen konnte, dergestalt daß ich diesen wahren geistreichen Darstellungen in solchen Tagen und Stunden sehr viel schuldig geworden.

Dieses wollte ganz einfach vermelden und hinzufügen: wie sehr es mich gefreut hat meine italiänische Reise von Ihnen so von Grund aus reproducirt zu sehen. Wie möchten wir denn vergangene Zustände uns selbst wieder hervorrufen und der Welt getrost mittheilen, wenn wir nicht Glauben und Überzeugung hätten es werden sich begabte Geister finden, die das alles aufnehmen wie es gegeben ist, in welchen gleiche Gesinnungen auf- und absteigen, gleiche Erfahrungen zu denselben Resultaten führen.

Und so bin ich mit meinen ältern und neuern Productionen in diesem Sinne gar wohl zufrieden. Ich habe mich möglichst vor allem didactischen gehütet und es durchaus in ein poetisches Leben einzugeisten gesucht. Nun muß es mich höchlich freuen wenn ein so löblich Mitarbeitender, Mitlebender auch sich selbst und Verwandtes in meinen Heften findet, sich an den Mängeln wie an den Tugenden erbaut; weil das Ganze zuletzt von einem redlichen Streben nach einem edlen Zwecke Zeugniß giebt, der nie erreicht, aber immer im Auge behalten, den Muth giebt Kräfte zu steigern, um sich und andern, bald einsam bald gesellig, einen Weg zu bahnen, der, zurückgelegt, selbst schon als erreichter Zweck betrachtet werden kann.

Hier muß ich aufhören um nicht gar ins Abstruse zu gelangen, ob ich gleich mich in keine Region begeben könnte, wohin Sie mich nicht, mit Beystimmung und Zufriedenheit, begleiten möchten.

Eilig sey dies Blatt zusammengelegt um nicht einen Posttag länger zu verweilen. Mit den treusten Wünschen von Herzen angehörig

Weimar
den 6. Aprl.
1830.[294]

J W Goethe

[293] Für ruhige Stunden. Leipzig 1828. 2 Thle.

[294] Am 15. Nov. theilte Kanzler v. Müller in Goethes Auftrage die traurige Nachricht vom Tode seines Sohnes mit, die er dem Vater selbst hatte bringen müssen, welcher sie mit großer Fassung und Ergebenheit aufgenommen und ausgerufen hatte: non ignoravi me mortalem genuisse! während seine Augen sich mit Thränen füllten. Später erfolgte von demselben Bericht über Goethes Befinden.

LIX.

Lassen Sie uns doch ja, mein Theuerster, der Anmuth einer nachbarlichen schnellen Communikation genießen; eine solche Halbgegenwart ertheilt eigene Reize.[295] Und so sey es denn gesagt: daß ich mich in einem leidlichen, aber freylich nicht präsentablen Zustand befinde; aufnehmen und verarbeiten kann ich wohl, aber nicht erwiedern; so wie ich schon seit acht Tagen nicht dazu komme das Nächste wegzuräumen. Geduld also und Beharrlichkeit zum Bessern!

Der Anblick unschätzbarer Blätter dient zur innersten Wiederherstellung. Die wahre Universalmedizin ist das Vortreffliche. Ich werde mich, diese Stunden, unausgesetzt daran erfreuen, bis wir uns dabey zusammen stärken und kräftigen können.

Die musikalischen Mittheilungen hat mich Ottilie, zu meiner Erquickung, mit freundlicher Stimme vernehmen lassen. Ich darf Ihnen diese treue Musickschülerin nicht zu geneigter Förderniß empfehlen.

Sagen Sie mir von Ihren Tages- und Stunden-Ereignissen; wobey unser thätiger Freund sich gewiß im eigentlichsten Sinne bewährt.

Mehr nicht als die hoffnungsvollsten Grüße.

Weimar
den 28. May
1831.

G

[295] Rochlitz war in Weimar und dort krank geworden, auch Goethe war unwohl. (Briefw. m. Zelter VI. S. 196.) Unter denselben Umständen ist auch der folgende Brief geschrieben.

LX.

Wie doppelt lästig mir diese Tage her eine Abstumpfung alles Geistigen und ein Mißbehagen aller körperlichen Thätigkeiten geworden, darf ich wohl nicht aussprechen. An und für sich wäre das schon schwer zu erdulden gewesen, da ich Sie aber, theuerster Herr und Freund, nur einige Hundert Schritte von mir entfernt, von gleichem Übel befangen und uns in solcher Nähe eben so getrennt fühlte als wenn Meilen zwischen uns lägen; so gab das einen bösen hypochondrischen Zug; wie ein mißlungenes Unternehmen, eine so nah und in der Erfüllung getäuschte Hoffnung, nur störend in unsre Tage hineinschieben können. Sie empfinden eben dasselbe und auch, in meinen Sinn sich versetzend, schärfer, weil in höheren Jahren, man immer weniger geneigt wird auf die Genüsse des Augenblicks Verzicht zu thun.

Wenn ich nun auch eben in diesem Alter nach Besitz weniger habsüchtig bin als sonst; denn warum sollte man das zu erlangen suchen, was man zunächst verlassen soll; so lebt aber doch, in gewissen Fällen, die alte Begierde wieder auf, und es begegnet mir gerade jetzt, indem ich mich anschicke Ihr herrliches Portefeuille, welches, für mich und mit Freunden, immer Ihre Gegenwart vermissend, auf das aufmerksamste durchgesehen, zurückzusenden im Begriffe bin.

Wie dem auch sey: ein gewisses Gefühl heißt mich den Wunsch des Kunstliebhabers von den Freundesworten zu trennen. Die Form eines Promemorias soll Ihnen völlige Freyheit lassen meine, vielleicht indiscreten Äußerungen nach ganz eignem Gefühl und Convenienz zu erwiedern.

Weimar
d. 4 Juni 1831.

Aufs Frische verbunden und
verpflichtet
J W Goethe

Zu geneigter Aufnahme.

Unter den trefflichen Kupferstichen welche uns in dem höchst bedeutenden Portefeuille mitgetheilt worden findet sich einer, dessen Besitz für mich von dem größten Werth wäre. Das Blatt stellt vor vier Kirchen-Vater die sich über eine wichtige Lehre des christlichen Kirchthums vereinigen, nach Rubens von Cornelius Galae. Von dieser höchst durchdachten und ausgearbeiteten Composition, besitze ich die Original Gouache von Rubens, genau in derselben Größe und man kann sich von der Ausführlichkeit derselben, durch das Kupfer den deutlichsten Begriff machen. Ich würde sie beylegen wenn sie nicht in den vielbepackten Portefeuilles begraben läge.

Einem Kunstfreund und Kenner darf ich nicht sagen wie zwey solche Blätter neben einander gelegt den Werth wechselseitig erhöhen indem eins von dem andern Zeugniß giebt was der Maler beabsichtigt und geleistet und wie der Kupferstecher, beym Übertragen und Übersetzen, einer so hohen Aufgabe sich würdig erwiesen; ja es läßt sich sagen: daß man beides erst neben- und miteinander kennen lerne und eigentlich besitze.

Möge, wie irgend sonst eine Leidenschaft, die sich nicht entschuldigt weil sie sich nicht helfen kann, auch dieser nicht zurüchzuhaltende Wunsch freundlich betrachtet werden. Der Liebende verzeiht dem Liebenden wohl einen Fehltritt, der Kunstfreund dem Kunstfreunde eine, vielleicht unbequeme, Anmaßung, die man einem geprüften Angehörigen vorzulegen wagt, ohne ihm die Freyheit des Entschlusses, nach Gefühl und Bezug, im mindesten schmälern zu wollen.

Weimar
d. 4 Juni
1831.

vertrauensvoll
J W Goethe

LXI.

Erlauben Sie, theuerster Mann, die treuste lakonische Erwiederung.

Zur ersten Seite Ihres Briefes: jede Mittheilung soll mir angenehm seyn, Erwiederung sey Tagen und Stunden überlassen.

Zur zweyten Seite, dem Postscript:

ad 1.)mit der größten Theilnahme haben wir Ihre unerfreuliche Rückreise vernommen und uns unterdessen aus unsern Unbilden auch zu erholen gesucht. Dem, nach so viel Seiten hin thätigen, von so viel Seiten her bedrängten Freunde Hrn. von Müller, ist eine kleine Stockung des Briefwechsels wohl nachzusehen.

ad 2.)
Ich las jenes absichtliche Schreiben an Hrn. v. Müller vorerst, und rieth ihm dasselbe niemand sehen zu lassen, gewisse unangenehme Eindrücke befürchtend. Ich weiß nicht ob er mein Gutachten befolgte.
ad 3.)Möge das allgemeine Übel, wie man es auch nennen mag, das uns alle bedrängt, so leise als möglich auf Sie wirken.
ad 4.)Des „Malitiösen“ bedienen Sie Sich nur nicht gegen mich; es hat mich, jung, mit den allerschönsten Mädchen auseinander gebracht.

Was ich aber bey den Hindernissen Ihres Hierseyns, bey der für beyde Seiten unbefriedigten Abreise, vorzüglich schmerzlich empfand, war daß Sie, unmittelbar, an dem vorzüglichen Pianoforte gesessen hatten, welches wir Ihnen schuldig sind, ohne daß meine Enkel Ihnen, auch nur wenige Minuten, darauf vorgespielt hätten, um recht sinnlich auszudrücken: daß dieses Organ zu unserm häuslichen Daseyn vollkommen unentbehrlich ist.

Soviel für heute, einen freundlichen Gegengruß mir versprechend.

Weimar
den 30. Jun.
1831.

unwandelbar
J W Goethe

LXII.

Auf Ihr freud- und leidvolles Schreiben, theuerster Freund, will ich, da sich nichts entscheiden läßt, zwischenredend wenigstens einiges vermelden.

Unser werther und thätiger von Müller ist nach dem Rhein gereist, und wenn er auch hier wäre würde er auf Ihr höchst schätzenswerthes Anerbieten nichts erwiedern können. Wir erhalten die Briefe von Berlin durchstochen, wie sonst nur von Constantinopel, von Nordosten droht uns ein unsichtbares ungeheures Gespenst, von Südwesten ein halbsichtbares, aufgeregter Völkerschaften von welchem Übel sogar in Leipzig die gefährlichen Symptome nicht fehlen. Und so haben wir nur Ihrer edlen Weise zu folgen, still und gefaßt auf unserm Flecke zu seyn und das Unvermeidliche über uns weg, und, wenn das Glück gut ist, an uns vorbeygehn zu lassen.

Mehr nicht für heute und nur das Wenige zum, gewissermaßen unnöthigen, Zeugniß: daß wir in wahrer hochachtungsvoller Theilnahme Ihnen unausgesetzt zur Seite sind.

und so fortan!

Time and hour runns through the rougest day!

Weimar
den 11. Septbr.
1831.

Goethe






End of the Project Gutenberg EBook of Goethes Briefe an Leipziger Freunde, by 
Johann Wolfgang von Goethe

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