Project Gutenberg's Vier Jahre Politischer Mord, by Emil Julius Gumbel

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Title: Vier Jahre Politischer Mord
       Fuenfte Auflage von ZWEI JAHRE MORD (13. bis 18. Tausend)

Author: Emil Julius Gumbel

Release Date: May 11, 2012 [EBook #39667]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Fünfte Auflage von
ZWEI JAHRE MORD
(13. bis 18. Tausend)

Anita Orienter zu eigen

E. J. GUMBEL VIER JAHRE POLITISCHER MORD

VERLAG DER NEUEN GESELLSCHAFT

BERLIN-FICHTENAU

1922


»Ich überreiche dem Herrn Reichsjustizminister dieses Buch mit der formellen und öffentlichen Aufforderung, den einzelnen Fällen nachzugehen und uns über das Ergebnis seiner Untersuchungen Auskunft zu geben.«

Reichsjustizminister Radbruch als Abgeordneter im Reichstag, 5. Juli 1921

Copyright by Verlag der Neuen Gesellschaft
Berlin-Fichtenau


INHALTSVERZEICHNIS

VIER JAHRE MORD

Die Morde bis zum März 1919 9

Von der Ermordung Eisners bis zum Sturz der bayrischen Räterepublik 27

Die Ermordungen beim Kapp-Putsch 51

Individuelle Morde 64

Nicht aufgenommene Tötungen 82

ZUR SOZIOLOGIE DER POLITISCHEN MORDE

Das Werden der deutschen öffentlichen Meinung 87

Bayrische Räterepublik und Kapp-Putsch 95

Die Rechtsnatur der bayrischen Standgerichte und das Schicksal der Hinterbliebenen 108

Regierungsäußerungen zu den politischen Morden 118

Die Organisation der politischen Morde 124

Die öffentliche Meinung und die Morde 142


TABELLEN

161 von den Regierungstruppen in München Ermordete 43

Die von Rechts begangenen politischen Morde 73

Die von Links begangenen politischen Morde 79

Die Formen der politischen Morde 81

Die Sühne der politischen Morde 81

Kapp-Regierung und bayrische Räteregierung 99

Die strafgerichtliche Behandlung des Kapp-Putsches 100

Das Schicksal von 775 Kapp-Offizieren 101

Militärs der Kapp Regierung und der bayrischen Räteregierung 102

Kappisten und Räterepublikaner in der Provinz 105


Die folgenden Zeilen berichten über die politischen Morde, die seit dem 9. November 1918 in Deutschland vorgekommen sind. Dabei sind gleichmäßig die von Links und die von Rechts begangenen Morde dargestellt. Ein Fall wurde aufgenommen, falls es sich dabei um eine vorbedachte, gesetzwidrige, durch innerpolitische Motive verursachte Tötung eines namentlich bekannten Deutschen durch einen anderen Deutschen handelte, wobei der Vorgang sich nicht als Massenhandlung sondern als individuelle Tat qualifizierte. Ich habe nur solche Fälle aufgenommen, wo die erschießende Partei nicht behauptet hat, daß sie von der Menge angegriffen wurde, und wo es sich nicht um eine Lynchung durch eine namenlose Menge oder andersgeartete Massenhandlungen, sondern um ganz bestimmte Täter handelte.

In der Auswahl der Fälle bin ich bei den Morden von Rechts viel vorsichtiger verfahren als bei denen von Links. Ich habe daher mehrere Fälle von Links mitaufgenommen, die mehr den Charakter von Tumulten als von politischen Morden hatten.

Auf die Exaktheit der Angaben habe ich in jedem einzelnen Falle die größtmögliche Sorgfalt verwendet und versucht, überall aktenmäßige Genauigkeit zu erreichen. Ich habe mich gestützt auf Gerichtsakten, Urteile, Entscheidungen über Einstellung des Verfahrens, Zeugenaussagen, Mitteilungen von Rechtsanwälten, von Hinterbliebenen, endlich Zeitungsnotizen. Die Prozeßberichte habe ich hauptsächlich in den rechtsstehenden Zeitungen studiert. In allen Fällen, wo das Material nicht genau war, wurde an die Angehörigen und Berichterstatter geschrieben. Blieben die Nachrichten unvollständig, so blieben die betreffenden Fälle weg. Ich kann somit jede hier vorgebrachte Behauptung einwandfrei belegen. Prinzipiell wurden nur solche Fälle aufgenommen, in denen der Name des Opfers mir bekannt wurde. Wo sich im Text auch anonyme Fälle finden, dienen sie nur zur Veranschaulichung der betreffenden Vorgänge. Nur an zwei Stellen bin ich von diesem Prinzip abgewichen. (Seite 18 und 32.)

Der jeweilige Stand des Verfahrens war am schwierigsten zu ermitteln. Es ist daher möglich, daß in Fällen, wo mir kein Verfahren bekannt wurde, ein solches tatsächlich schwebt oder das Verfahren bereits eingestellt wurde. Dagegen glaube ich, daß die Zahl der von mir angeführten Bestrafungen vollständig ist.

Das Buch kann keinen Anspruch darauf erheben, alle politischen Morde darzustellen, die in den letzten Jahren in Deutschland vorgekommen sind. Ich bitte daher alle Leser, welche weitere Fälle wissen, hierüber an den Verlag der Neuen Gesellschaft, Berlin-Fichtenau, zu schreiben.

Das vorliegende Buch ist eine Fortsetzung und Erweiterung meiner Broschüre »Zwei Jahre Mord.« Ich hatte darin unter anderm die Behauptung aufgestellt, daß die deutsche Justiz über 300 politische Morde unbestraft läßt und hatte erwartet, daß dies nur zwei Wirkungen haben könne. Entweder die Justiz glaubt, daß ich die Wahrheit sage, dann werden die Mörder bestraft. Oder sie glaubt, daß ich lüge, dann werde ich als Verleumder bestraft. Tatsächlich ist etwas Drittes, völlig unvorhergesehenes eingetreten:

Obwohl die Broschüre keineswegs unbeachtet blieb, ist von behördlicher Seite kein einziger Versuch gemacht worden, die Richtigkeit meiner Behauptungen zu bestreiten. Im Gegenteil, die höchste zuständige Stelle, der Reichsjustizminister, hat meine Behauptungen mehrmals ausdrücklich bestätigt. Trotzdem ist nicht ein einziger Mörder bestraft worden.

Berlin, 16. Oktober 1922. [9]

VIER JAHRE MORD
DIE MORDE BIS ZUM MÄRZ 1919

Die Vorwärtsparlamentäre

Im Januar 1919 hatten revolutionäre Arbeiter sich des Vorwärtsgebäudes bemächtigt. Die Regierungstruppen belagerten das Haus. Die Vorwärtsbesatzung schickte am 11. Januar frühmorgens als Parlamentäre, durch entsprechende Abzeichen kenntlich und natürlich unbewaffnet, folgende Leute:

Redakteur Wolfgang Fernbach, Walter Heise, Werner Möller, Karl Grubusch, Erich Kluge, Arthur Schötler, Wackermann.

Fernbach gehörte nicht zur Besatzung. Er war erst am Nachmittag des 10. in das Gebäude gegangen, um jemand zu besuchen, und konnte wegen der Absperrung nicht mehr heraus. Die sieben Parlamentäre wurden in die Dragonerkaserne in der Belle-Alliance-Straße 6 abgeführt und morgens 10 Uhr erschossen. Nach der Meldung des Oberlts. v. Carnap an den Vater des erschossenen Fernbach wurden sie von eingedrungenen Soldaten gelyncht, obwohl sie waffenlos waren, ohne daß v. Carnap und der gleichfalls anwesende Major Franz v. Stephani irgend etwas dagegen machen konnten. Major von Stephani dagegen schrieb an Frau Fernbach:

»Fernbach hat sich mit unter den Spartakus-Anhängern befunden, die mit der Waffe in der Hand aus dem Vorwärts herausgeholt wurden und bei denen Dumdumgeschosse vorgefunden wurden. Sie hatten demgemäß während der Kampfhandlung ihr Leben verwirkt und der Tod hat durch Erschießen stattgefunden.«

Auch diese Behauptungen entsprechen nicht den Tatsachen. Im Ledebourprozeß hat Graf Westarp, der die Belagerung leitete, am 23. Mai 1919 als Zeuge vernommen, ausdrücklich erklärt, daß die sieben als Parlamentäre kenntlich waren, nicht mit der Waffe in der Hand ergriffen wurden und natürlich auch keine Dumdumgeschosse gehabt hatten. Auch Major von Stephani hat seine Behauptungen selbst später vor dem ersten Gardedivisionsgericht zurückgezogen (Erklärung des Kriegsgerichtsrates Hierholzer). Der wirkliche Vorgang war nach den übereinstimmenden, bei den Gerichtsakten befindlichen Aussagen des Soldaten Wilhelm Helms, des Soldaten Georg Schickram, der der ganzen Erschießung beiwohnte, des Sanitätsgefreiten Hans Stettin und des Soldaten Willi Köhn, schließlich den eigenen Aussagen v. Stephanis im Untersuchungsausschuß der preuß. Landesversammlung vom 3. Juni 1919 (vgl. den [10] amtlichen Bericht, Seite 48 und 49), daß Stephani selbst den Befehl zur Erschießung gegeben hat. Er berief sich dabei auf einen angeblichen Regierungsbefehl, der jedoch von der Regierung dementiert wurde (Aussage des Kriegsgerichtsrats Hierholzer vor dem Gericht der 1. Garde-Division, Reichswehrbrigade 3, Potsdam). Sogar die Namen von zwei der exekutierenden Soldaten, Wachtmeister Otto Weber, Feldkolonne 40, Staffelstab 10, Hannover, und Gefreiter Erich Selzer, Infanterieregiment 21 in Rudolstadt sind bekannt. Den sieben Toten waren die Schuhe und Kopfbedeckungen gestohlen (Bekundungen von Fernbach senior). Die Leiche des Möller wies (Bekundung der Frau Möller) zwei Bajonettstiche auf. Außerdem war ihm die linke Gesichtshälfte eingeschlagen. Auf eine Eingabe von Fernbach sen. vom 29. Januar 1919 erklärte die Staatsanwaltschaft, die Angelegenheit sei erledigt. Fernbachs Vater stellte am 26. März 1919 Strafantrag gegen Stephani wegen Mordes. Erst am 31. Januar 1920 teilte ihm das Gericht der Garde-Kav.-Div. in Potsdam mit, daß das Verfahren gegen Stephani wegen Ueberschreitung der Dienstgewalt demnächst stattfinden werde. Dies geschah aber nicht. Infolge Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit kamen die Akten am 10. Oktober 1920 an die Staatsanwaltschaft Berlin. Der Staatsanwaltschaftsrat vom Landgericht II, Dr. Ortmann, lehnte den Erlaß eines Haftbefehls gegen v. Stephani ab. Stephani wurde sogar weiter im Dienst verwendet und war bei den Kämpfen um München dabei (Sitzung des Untersuchungsausschusses der Landesversammlung vom 6. Mai 1919). Am 14. Juli 1921 hat das Landgericht II, gez. Hartmann, Siemens, Dr. Fränkel, die Beschuldigten v. Stephani, Weber und Seltzer »aus dem tatsächlichen Grunde mangelnden Beweises außer Verfolgung gesetzt.« Die Privatklage Fernbachs gegen v. Stephani wurde am 20. Dezember 1920 abgewiesen. Im März 1922 wurde sein Anspruch auf Schadenersatz gegen den Kriegsminister vom Landgericht I dem Grunde nach als berechtigt anerkannt. Bei den Klagen von fünf andern Hinterbliebenen verlangt der Fiskus den Identitätsnachweis. (Abschriften der Aussagen und Akten sind in meinem Besitz.)

Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg

Bei einer Haussuchung am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Wilmersdorf, ohne Haftbefehl, durch die Einwohnerwehr verhaftet und nach dem Edenhotel, dem Quartier der Gardekavallerie-Schützendivision, gebracht. Nach der amtlichen Darstellung vom 16. Januar wurde Liebknecht auf der Flucht erschossen, Rosa Luxemburg durch eine große Menge gelyncht. »Die Transportführer traf kein Verschulden.« Nach den Aussagen im Prozeß spielte sich die Ermordung jedoch folgendermaßen ab:

Der Platz vor dem Edenhotel war völlig leer. (Zweiter Verhandlungstag.) Karl Liebknecht wurde aus dem Hotel in ein Auto geführt. Der Jäger Runge schlug ihm darauf zweimal von hinten [11] mit dem Kolben auf den Kopf. Liebknecht sank halb bewußtlos zusammen. Die Offiziere saßen und standen um Liebknecht herum, ohne die Schläge zu verhindern. Das Kommando bestand aus den Offizieren Horst v. Pflugk-Hartung, Stiege, Liepmann, v. Ritgen, Schulze, Heinz v. Pflugk-Hartung und dem Jäger Clemens Friedrich, alle natürlich schwer bewaffnet. An Stelle nach Moabit fuhr das Auto am Neuen See entlang in der Richtung nach der Charlottenburger Chaussee. An einer Stelle, wo ein völlig unbeleuchteter Fußweg abging, erlitt das Auto angeblich eine Panne. Liebknecht, der durch die Schläge auf den Kopf noch ganz benommen war, wurde gefragt, ob er noch gehen könne. Zwei Leute stützten ihn rechts und links, zwei gingen vor und zwei hinter ihm. Alle mit entsicherten Pistolen und Handgranaten bewaffnet. Nach wenigen Schritten wurde Liebknecht, angeblich weil er einen Fluchtversuch machte, erschossen. Den ersten Schuß gab Kapitän v. Pflugk-Hartung ab. Nach der Tat war das Auto wieder gebrauchsfähig. Dann wurde die Leiche als »unbekannt« eingeliefert.

Als Rosa Luxemburg durch den Haupteingang fortgeführt wurde, stand derselbe Runge an der Tür. Hauptmann Petri hatte Befehl gegeben, man solle dafür sorgen, daß die Luxemburg nicht lebendig ins Gefängnis komme (Denkschrift des Vollzugsrates). Als Frau Luxemburg durch die Türe kam, schlug Runge ihr zweimal auf den Kopf, so daß sie umsank. Der den Transport führende Oberleutnant Vogel hatte nichts dagegen getan. Man schob Frau Luxemburg in den Wagen. Als der Wagen abfuhr, sprang ein Mann hinten auf und schlug sie mit einem harten Gegenstand auf den Kopf. Unterwegs schoß Oberleutnant Vogel der Frau Luxemburg noch eine Kugel durch den Kopf. Man fuhr zwischen Landwehrkanal und Zoologischem Garten entlang. Am Landwehrkanal stand eine Gruppe Soldaten. Das Auto hielt, die Soldaten warfen die Leiche auf Befehl Vogels in den Kanal.

Die am Mord Beteiligten ließen sich am Tage danach bei einem Gelage photographieren. (Vierter Verhandlungstag.)

Wochenlang geschah in dieser Sache nichts. Die Regierung überließ die Untersuchung derselben Division, der die Mörder angehörten. Die Arbeiterräte Rusch und Struve, die zur Untersuchung beigezogen waren, beantragten eine Reihe von Verhaftungen. Als diese Anträge abgelehnt wurden, traten sie zurück. (31. Januar, 1919; Denkschrift der Mitglieder des Zentral- und Vollzugsrates.)

Runge erhielt durch den Leutnant Liepmann falsche Papiere, wurde versetzt, dann flüchtig und war zunächst unauffindbar. Mitte April wurde er verhaftet, Oberleutnant Vogel am 20. Februar. Am 8. Mai begann die Verhandlung vor dem Kriegsgericht. Der Oberleutnant Grützner sagte aus, daß von Offiziersseite nachdrücklich auf ihn eingewirkt worden sei, die Wachmannschaften des Edenhotels zu einer günstigen Aussage zu bestimmen und ungeeignete Elemente von den Mannschaften zu entfernen. (Dritter Verhandlungstag.) Pflugk-Hartung gab zu, daß er dem Soldaten Peschel, [12] dem Lenker des Autos, in dem Liebknecht abtransportiert wurde, 500 Mk. »geborgt« habe. Die Soldaten Grantke und Weber beschworen, daß Oberleutnant Vogel den Schuß auf Rosa Luxemburg abgegeben habe (dritter Verhandlungstag) und die Leiche ins Wasser werfen ließ (vierter Verhandlungstag). Zwei Angeklagte und Vogel selbst bestritten das erstere. Das Urteil lautete:

»1. Der Jäger Runge wird wegen Wachvergehens im Feld, versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Mißbrauch seiner Waffe in zwei Fällen, in einem Fall mit erschwertem Wachverbrechen und Gebrauch von falschen Urkunden, zu zwei Jahren Gefängnis, zwei Wochen Haft und vier Jahren Ehrverlust und Entlassung aus dem Heer bestraft.

2. Leutnant Liepmann wird wegen Anmaßung einer Befehlsbefugnis in Verbindung mit Begünstigung zu sechs Wochen verschärften Stubenarrests verurteilt.

3. Oberleutnant Vogel wird wegen erschwerten Wachvergehens im Feld in Tateinheit mit Begünstigung in Ausübung des Dienstes, wegen Mißbrauch der Dienstgewalt und Beiseiteschaffung einer Leiche und wissentlich falscher Dienstmeldung zu zwei Jahren vier Monaten Gefängnis und Dienstentlassung verurteilt.«

In der Urteilsbegründung nahm das Gericht (Vorsitzender Kriegsgerichtsrat Erhardt) bei Runge an, daß er aus eigenem Antrieb gehandelt habe.

Bereits fünf Tage vor Beginn des Prozesses hatten Dr. Grabowski und Hauptmann Pabst dem Oberlt. Vogel durch das Polizeipräsidium Berlin und durch die Paßstelle des Auswärtigen Amtes einen Paß nach Holland verschafft. Am 14. Mai, dem letzten Verhandlungstag, teilte der Abgeordnete Cohn dies dem Kriegsminister Reinhardt und dem Ministerialdirektor Rauscher mit. Trotzdem konnte Vogel am 17. Mai mit Hilfe des Hauptmanns Jansen aus der Untersuchungshaft entführt werden und entkam nach Holland. (»Der Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg«. Verlag der »Freiheit«).

Runge legte am 6. Januar 1920 protokollarisch ein Geständnis ab, durch das die Urteilsbegründung völlig hinfällig wurde. Es heißt darin:

»Was die Sache Liebknecht anbetrifft, hatte ich strikten Befehl von Offizieren, diesen Lumpen niederzuschlagen mit dem Kolben an der Stelle, wo er herauskommt. Ich war neu und konnte die Offiziere nicht erkennen, sah aber nachträglich, daß es meist meine Mitangeklagten waren. Was die Luxemburg anbetrifft, kamen Offiziere zu mir und sagten: Ich gebe Ihnen den Befehl, daß die Luxemburg das Edenhotel nicht mehr lebend verläßt. Merken Sie sich das. Kapitänleutnant v. Pflugk-Hartung schrieb sich meinen Namen auf und sagte zu mir: Sie wird Ihnen ja durch den Oberleutnant Vogel in die Arme geführt, so daß Sie nur zuschlagen dürfen ... (was ich auch tat). Als die andern zurückkamen, brüsteten sie sich: »Liebknecht haben wir eine gebrannt. Es wurde eine [13] Panne markiert und so die Flucht künstlich herbeigeführt.« Das hat mir auch Oberleutnant von Ritgen in der Untersuchungshaft später noch einmal gesagt.

Die Untersuchung ist eine Komödie gewesen. Ich sprach mit Kriegsgerichtsrat Jörns wiederholt privat und er sagte mir: »Nehmen Sie ruhig alles auf sich, 4 Monate werden es nur, und Sie können sich dann immer wieder an uns wenden, wenn Sie in Not sind.« Die Zellentüren standen stets offen. Sämtliche Angeklagten machten den Richter, ich mußte den Angeklagten spielen, und es wurde immer gesagt, wenn ich meine Aussagen nicht richtig einlernte, läge mal eine Handgranate im Bett, wenn ich schlafen ginge. Mit dem Stab des Eden-Hotels stand ich öfters in telephonischer Verbindung. Ich mußte ihm vor meiner Flucht genau angeben, mit welchem Zug ich nach Flensburg fahre.

Husar Otto Runge.«

Hieraus (»Freiheit«, 9. Januar 1921) geht hervor, daß es sich in beiden Fällen um einen von den Offizieren wohlüberlegten Mord handelte. Trotzdem erfolgte nichts.

In einer neuen Aussage (»Vorwärts« 29. und 30. Mai 1922) hat Runge noch genauere Mitteilungen über die beiden Ermordungen gemacht und angegeben, daß er durch Angehörige des Freikorps Roßbach mit falschen Papieren versehen und zu einer Reihe von falschen Aussagen vor Gericht veranlaßt wurde. Nach ihm hat auch Leutnant Krull der Frau Luxemburg, als sie im Auto saß, eine Kugel durch den Kopf geschossen.

Gegen Krull war ein Verfahren wegen Mordes eingeleitet worden. Er gestand, beteiligt gewesen zu sein, widerrief aber dann. Darauf wurde das Verfahren mangels Beweisen eingestellt, später aber wieder aufgenommen. (»Vossische Zeitung« 22. August 1922.) Während er in Untersuchungshaft saß, erschien der Oberleutnant Siegfried Bracht in der Redaktion der »Roten Fahne« und bot die Uhr und Papiere von Rosa Luxemburg »gegen eine angemessene Entschädigung« an. Er behauptete, Deutschnationale hätten ihm 12000 M. dafür geboten. Am 30. Mai 1922 hatte sich Krull wegen Diebstahls und Bracht wegen Hehlerei vor der dritten Kammer des Landgerichts II (Vorsitzender Landgerichtsdirektor Dust, Staatsanwalt Dr. Ortmann) zu verantworten. Krull behauptete, die Uhr sei herrenloses Gut gewesen und im Edenhotel von Hand zu Hand gegangen.

Krull hielt eine Rede: »Nichts liegt gegen uns vor, was man uns zum Vorwurf machen könnte. Jeder Deutsche atmete auf, als diese beiden Lumpen ins Jenseits befördert wurden. Der Dank des Vaterlandes gebührt uns dafür. Gegen Leute wie Rosa Luxemburg und Liebknecht muß Richter Lynch auftreten.« Krull wurde wegen Diebstahl in zwei Fällen zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, Bracht wegen versuchten Betrugs zu 500 M. Geldstrafe. (Berliner Tageblatt, 2. Juni 1922.) Gegen das Urteil haben Staatsanwalt und Angeklagte Revision eingelegt. [14]

Die im Tegeler Forst Erschossenen

Am 17. Januar 1919 meldete der »Abend«, daß vier Spartakisten, namens v. Lojewski, Hermann Merks, Richard Jordan und Milkert, die während der Spandauer Spartakusumtriebe verhaftet worden waren, auf dem Transport nach Tegel im Tegeler Forst einen Fluchtversuch machten. Das Begleitkommando schoß auf die Flüchtigen und tötete sie sämtlich. Der gleichzeitig verhaftete Georg Merks, der beim selben Transport war, teilte jedoch der »Freiheit« (20. Januar 1919) mit: »Die 8 Verhafteten wurden in zwei offene Lastautos verladen. In jedem waren ca. 10 schwer bewaffnete Soldaten. Das Auto, in dem ich war, fuhr zuerst ab, in einem Abstand von 15 bis 20 Metern folgte das andere. Während beide Autos fuhren, wurde vom hinteren Auto plötzlich geschossen. Die Wachmannschaften erzählten dann, die Gefangenen seien geflohen. Bei einem wirklichen Fluchtversuch hätte das Auto natürlich gehalten.« Im Bericht der »Morgenpost« (18. Januar 1919) heißt es auch, daß »die Gefangenen versuchten, über das Geländer zu klettern, so daß die Erschießung im Wagen stattgefunden hat. Auf dem Auto standen Leutnant Pieper, Vizefeldwebel Plate, Grenadier Dahlke, 2 Grenadiere vom Regiment 5, 2 Trainsoldaten, ein Herr Sasse und ein ehemaliger Pionier Neese. Sasse gab den Befehl zum Schießen, der von den beiden Trainsoldaten ausgeführt wurde.« Trotz dieser präzisen Angaben, die die »Freiheit« am 1. März 1920 brachte und der Staatsanwaltschaft übergab, wurde kein Verfahren eingeleitet.

Ein Mord von links

Am 13. Januar 1919 wurde in Hervest die Sicherheitswehr entwaffnet, das Waffenlager und das Kommissariat erstürmt. Die Gewalt lag bis zum Einrücken des Korps Lichtschlag am 15. Februar 1919 in Händen der Arbeiterschaft.

Der Führer der bürgerlichen Parteien von Hervest, der Bureauvorsteher Kohlmann, zog sich während dieser Zeit die Feindschaft der Arbeiterschaft zu. Angeblich hat er auch die Regierungstruppen herbeigerufen. Am 10. Februar 1919 lauerten ihm die Bergleute Eduard Albrecht (Kommunist) und Karl Arnold (Mehrheitssozialist) auf und erschossen ihn.

Beide wurden wegen Mordes zum Tode verurteilt, dann zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt. (Aktenzeichen: 16 I. 283/19, Landgericht Essen.)

Morde im Rheinland 1919

Der Bergmann Aloys Fulneczek in Bottrop, Fulenbrockstr. 24, war am 19. Februar 1919 als Delegierter der K.P.D. mit Delegierten der anderen Parteien zum Kommandanten der einrückenden Truppen des Hauptmann Lichtschlag zwecks Verhandlungen gegangen. Auf dem Rückwege wurde er von den Truppen festgehalten, mißhandelt, ins Gerichtsgefängnis in Bottrop eingeliefert und dort in der Zelle [15] von dem Regierungssoldaten Heuer in Gegenwart eines zweiten Soldaten von hinten erschossen. Heuer wurde wegen Totschlags vor dem Militärgericht angeklagt, aber auf die Aussage seines Begleiters hin freigesprochen, weil er angeblich in Notwehr gehandelt.

Der Militärfiskus ist in I. Instanz zum Schadenersatz verurteilt.

Moritz Steinicke aus Gelsenkirchen, Reichstr. 15, wurde in der Nacht vom 20. zum 21. Februar 1919 von zwei Schutzleuten, zwei Soldaten und einem Zivilisten ohne Haftbefehl verhaftet und von dem Führer der Abteilung, Blumberg und einem Polizisten vor dem Hause Wilhelmstr. Nr. 51 »auf der Flucht« erschossen. Steinicke war Mitglied der U.S.P.D., es lag nichts gegen ihn vor. Das Verfahren wurde eingestellt, weil Blumberg »zur Verhinderung des Fluchtversuches von seiner Waffe Gebrauch gemacht und also gemäß der ihm erteilten allgemeinen Instruktion gehandelt habe«. (Aktenzeichen 7 a. J. 585/19 der Staatsanwaltschaft Essen.)

Die Lichtenberger »Greuel« und die Märzmorde

Im März 1919 kam es zu Kämpfen zwischen den in der Revolution aufgestellten republikanischen Verbänden, die aufgelöst werden sollten, und den unter dem Befehl von Reinhardt stehenden Regierungstruppen und Freikorps. Den republikanischen Truppen schlossen sich einige Arbeiter an.

In einem offiziellen Bericht vom 9. März 1919 teilte die Gardekavallerie-Schützendivision der Berliner Presse mit (vergl. z. B. »Deutsche Tagesztg.« vom 10. März): »Die Spartakisten führen zurzeit ihre Absicht, sich in Lichtenberg zu verschärftem Widerstand zu rüsten, aus. Das Polizeipräsidium wurde von ihnen gestürmt und sämtliche Bewohner, mit Ausnahme des Sohnes des Polizeipräsidenten, auf viehische Weise niedergemacht.«

Aehnlich teilte Regierungsrat Doyé vom Ministerium des Inneren dem »Berliner Tageblatt« am 10. März 1919 die Erschießung von 57 Polizisten mit.

Nach der »B. Z. am Mittag« vom 9. März wurden 60 Kriminalbeamte und viele andere Gefangene erschossen, und zwar wurden »Gefangene, die sich zur Wehr setzen wollten, teilweise von vier bis fünf Spartakisten gehalten, während der sechste ihnen mit der Pistole zwischen die Augen schoß.« Dabei stützte sich die »B. Z.« auf eine von »einer militärischen Befehlsstelle übermittelte eidliche Aussage von fünf Soldaten.«

Diese Nachricht ging durch die ganze deutsche Presse und beeinflußte die öffentliche Meinung in schärfster Weise gegen die Spartakisten. Tagelang wimmelte es von blutrünstigen Schilderungen. So meldete die »Vossische Zeitung« und natürlich ebenso die rechtsstehende Presse am 10. März sogar 150 Ermordete.

Alle diese Meldungen waren erlogen. Erst am 13. März meldete die »B. Z.«, daß die Beamten in Wirklichkeit entlassen worden waren. Am gleichen Tage erklärten die »Vossische« und der »Vorwärts« [16] auf Grund der Aussagen des Bürgermeisters Ziethen, »daß sich alle Nachrichten über die Massenerschießungen von Schutzleuten und Kriminalbeamten bei der Eroberung des Lichtenberger Polizeipräsidiums als unwahr erwiesen haben.« Endlich nach der »B. Z.« vom 14. März und dem Nachruf auf die Gefallenen stellte sich heraus, daß nur zwei Beamte tot waren. Davon war einer im Kampf gefallen und über die Todesart des andern konnte nichts festgestellt werden.

Auf Grund des Lichtenberger Beamtenmordes (»Deutsche Tageszeitung«, »Berl. Tageblatt« vom 10. März 1919) verhängte Noske als Oberkommandierender in den Marken über Berlin das Standrecht und erließ folgende Anordnung (W. T. B., 9. März):

»Die Grausamkeit und Bestialität der gegen uns kämpfenden Spartakisten zwingen mich zu folgendem Befehl: Jede Person, die mit den Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.«

Daneben erließ die Gardekavallerie-Schützendivision selbständig einen Befehl, wonach auch Leute zu erschießen wären, in deren Wohnungen Waffen gefunden würden. Ein Nachweis der Teilnahme am Kampfe sei nicht nötig. Der Befehl lautete:

»Garde-Kav.-Division. Abt. I a. Nr. 20 950.

Befehl für den 10. 3. nachm. und den 11. 3.

Div.-St.-Qu., den 10. 3. 1919.

Leitsatz: Wer sich mit Waffen widersetzt oder plündert, gehört sofort an die Mauer. Daß dies geschieht, dafür ist jeder Führer mitverantwortlich.

Ferner sind aus Häusern, aus welchen auf die Truppen geschossen wurde, sämtliche Bewohner, ganz gleich, ob sie ihre Schuldlosigkeit beteuern oder nicht, auf die Straße zu stellen, in ihrer Abwesenheit die Häuser nach Waffen zu durchsuchen; verdächtige Persönlichkeiten, bei denen tatsächlich Waffen gefunden werden, zu erschießen.

Ziffer 2 e: Jeder Hausbewohner oder Passant, der in unrechtmäßigem Besitz von Waffen gefunden wird, ist festzunehmen und mit kurzem Bericht in dem nächsten Gefängnis abzuliefern. Wer sich mit der Waffe in der Hand zur Wehr setzt, ist sofort niederzuschießen.«

Die »Politisch-Parlamentarischen Nachrichten« erklärten zwar am 18. März 1919, »daß ihnen von zuständiger Seite versichert worden sei, ein derartiger Erlaß sei nicht ergangen«. Tatsächlich hat sich aber Marloh in seiner ersten Aussage vom 4. Dezember 1919 ausdrücklich auf diesen Befehl gestützt und hat ihn wörtlich verlesen.

Die beiden Erlasse gehen weit über das Preußische Belagerungsgesetz vom 4. Juni 1851 hinaus. Denn darnach entscheidet über einen Angeklagten ein aus zwei Zivilrichtern und zwei dem Hauptmannsrang angehörigen Offizieren bestehendes Kriegsgericht. Bei Todesurteilen ist die Bestätigung des Oberbefehlshabers nötig, [17] außerdem liegt eine Frist von 24 Stunden zwischen Urteil und Vollstreckung. Hier aber liegt die Entscheidung über Leben und Tod vollkommen im willkürlichen Ermessen einzelner Personen.

Am 7. März, 11-1/4 Uhr, wurde der Angehörige der republikanischen Soldatenwehr des Depots 7, Fasanenstr., Adolf Riga (42 Jahre, Kurfürstenstr. 114), von einem Angehörigen des Freikorps Lüttwitz auf Befehl eines Offiziers entwaffnet, als er von der Wache kam, obwohl er seinen Ausweis vorwies. Dann setzte Riga seinen Weg waffenlos fort. An der Absperrung vor dem Edenhotel wollte ihn ein Posten nicht durchlassen. Es kam zu einer Auseinandersetzung. Der bei dem Posten stehende Offizier gab dem Soldaten einen Befehl, worauf dieser unter dem Ruf »Straße frei« ihn von hinten erschoß. (Die Aussagen der Zeugen R. E. Kaufmann und E. K. Rosenberg sind in meinem Besitz. Beide Zeugen wurden, weil sie den Sachverhalt protokollarisch festlegen ließen, zwei Tage später verhaftet und drei Wochen eingesperrt.) Weder gegen den Offizier noch gegen den Soldaten wurde ein Verfahren eingeleitet. Die Witwe bekam nach einem Prozeß gegen den Fiskus eine Rente zugebilligt.

Lynchungen im Lehrter Gefängnis

Die Vorgänge im Lehrter Gefängnis schildert ein Augenzeuge, der wegen Herausgabe einer satirischen Zeitschrift verhaftet war, folgendermaßen (Wieland Herzfelde: »Schutzhaft«): »Man führte uns (am 8. März, abends) an den Eingang des Gefängnisses. Es hieß: »Zuerst den Matrosen Peters hineinführen!« Wir anderen mußten vor der Glastüre, durch die wir nur undeutlich beobachten konnten, stehen bleiben. Kaum war der Matrose eingetreten, erscholl der Ruf: »Haut ihn, schlagt ihn tot, an die Wand!«, wobei ein entsetzliches Gebrüll das ganze Gefängnis erfüllte und aus allen Ecken Soldaten mit Gewehren herbeistürzten und auf den Matrosen einschlugen. Dieser zog ein verborgenes Messer und kämpfte nun mit der Kraft des Verzweifelten gegen die Soldaten. Allmählich gelangten so die Kämpfenden in den Hintergrund, woselbst wir nichts mehr wahrnehmen konnten, nur noch fortwährende Kolbenschläge hörten, woraus sich schließen ließ, daß der Matrose sich aufs äußerste verteidigte. Er wurde unserer Ueberzeugung nach totgeschlagen, denn verschiedene Offiziere und Chargierte stellten unter grausamem Schmunzeln und Händereiben fest, daß er zu »Hackepeter« verarbeitet worden sei.

Nachmittags um vier Uhr vernahmen wir plötzlich dasselbe Gebrüll wie am Vorabend. Dasselbe Herbeistürzen aus allen Ecken des Gebäudes und Rasseln von Gewehren, so daß wir uns sagten, daß die Lynchung nicht auf Erregung, sondern auf System zurückzuführen sei. Gegen Abend erfuhr ein Mitgefangener vom wachthabenden Unteroffizier, daß zwei Galizier totgeschlagen worden seien.« [18]

Der damalige Gouverneur von Berlin, Schöpflin, schrieb hierüber an die »Freiheit« folgenden Brief (23. April 1919.):

»Die beiden Galizier sind erschossen worden, nachdem sie vorher auch mißhandelt worden sind. Sie sollen Schußwaffen unter dem Mantel versteckt gehalten haben und befanden sich im Besitze von Juwelen und Wertsachen, die vermutlich von der Beteiligung an einer Plünderung herrührten. Der eine der Galizier heißt Abraham Melichowitsch und war russischer Kriegsgefangener. Die Erschießung ist bei hereingebrochener Dunkelheit erfolgt. Es wird angenommen, daß die Tötung von Soldaten des Transportkommandos vorgenommen worden ist, nachdem ein Offizier, der die Transportkolonne befehligte, bei der Einlieferung die beiden Erschossenen beschuldigt hatte, Waffen versteckt getragen und geraubt zu haben. Unverständlich bleibt die Erschießung der beiden Galizier wegen des ihnen zur Last gelegten Vergehens. Es muß angenommen werden, daß ihnen sowohl die Waffen wie die vermutlich geraubten Wertsachen schon vor der Einlieferung abgenommen worden sind. Auf Grund des Standrechts, das damals Gültigkeit hatte, hätten die beiden, wenn überhaupt, sofort erschossen werden können, nicht aber erst nach der Einlieferung und offenbar ohne Befehl, also rein willkürlich.«

Augenzeugen des Vorfalls berichten dagegen Folgendes: »Am 9. März lagen wir, ca. 30 Mann, verhaftet in der Waldschenke des Zoologischen Gartens. Von Waffenbesitz konnte, da alle Gefangenen vorher untersucht worden waren, keine Rede sein. Am späten Nachmittag wurden ca. 10 Mann in einem Auto verladen. Zwei Gefangene, von denen der eine ein Mitglied der Matrosendivision, der andere ein Russe war, wurden von den Lüttwitztruppen die Treppe heruntergeworfen, unter fortwährenden Kolbenschlägen vor das Auto geführt, wie ein Gegenstand hineingeworfen und auf dem Lastwagen in unbeschreiblicher Weise viehisch bearbeitet. Als sie blutend am Boden lagen, wurde ihnen befohlen, stramm zu stehen. Nachdem die beiden wie leblos dalagen, setzte sich das Auto in Bewegung. Etwas so Schreckliches hatten wir im ganzen Feldzug nicht erlebt. Als ein Soldat mit dem Messer auf sie losgehen wollte, ließ der Transportführer, ein jugendlicher Herr, der vorher unserer Vernehmung beim Kriegsgerichtsrat Jörns beigewohnt hatte, dies nicht zu. Die andern Mißhandlungen ließ er stillschweigend zu. Der Matrose hatte uns erzählt, er sei verhaftet worden, weil er mit dem Rad gegen einen Drahtverhau gefahren war. Der Russe, weil er auf der Straße gesagt hatte, Deutschland sei noch nicht reif zum Bolschewismus.

Vor dem Zellengefängnis angekommen, wurden die beiden, obwohl sie ganz hinten lagen, als erste herausgezogen. Sie waren also wohl schon gemeldet. Sie wurden in das Gefängnis geschleift, wir hatten den Eindruck, als wenn man Zeugen fernhalten wollte. Die Soldaten, Angehörige der Reinhardttruppen, mehr oder weniger betrunken, [19] empfingen die beiden mit tierischem Gebrüll. Wir sahen, wie die Gefangenen durch den Gefängnisflügel hindurchgeworfen wurden in den Hof. Ein Soldat kam zurück und zeigte sein abgebrochenes Gewehr mit den Worten: »Jetzt kommt die andere Hälfte auch noch dran.« Als wir vor die Schreibstube kamen, hörten wir im Hof Schüsse fallen.«

Die früheren Reichswehrsoldaten (Pioniere), Schlosser Adalbert Arndt und stud. ing. Arthur Schneider kamen am 20. März 1922 vor das Schwurgericht des Landgerichts I (Vorsitz: Landgerichtsdirektor Dr. Weigert). Zeugen bestätigten, daß die beiden mit Gewehrkolben auf die waffenlosen Gefangenen eingeschlagen hatten, andere, daß sie geschossen hatten. Die drei Leichen wurden zunächst auf einen Müllhaufen, dann von einem Lastauto, das Schneider lenkte, in den Tiergarten geworfen. Arndt und Schneider wurden wegen versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung zu je 1 Jahr und 6 Monate Zuchthaus verurteilt. (Berliner Volkszeitung, 21. und 22. März 1922.)

Die Erschießung von drei Jungen

Am 10. März kamen zu dem jungen Kurt Friedrich (16 Jahre) seine beiden Freunde Hans Galuska (16 Jahre) und Otto Werner (18 Jahre) in die Wohnung der Mutter des Friedrich, am Schlesischen Bahnhof 3, zu Besuch. Die drei jungen Menschen hatten sich nie mit Politik beschäftigt. Sie waren kaum beisammen, als 8 Regierungssoldaten auf Grund einer Denunziation ankamen. Sie durchsuchten die Wohnung, ohne daß ihnen auch nur ein einziges belastendes Stück in die Hände gefallen wäre. Darauf erklärten sie die drei jungen Menschen für verhaftet und führten sie ab. Die letzten Worte, die Kurt Friedrich sagen konnte, waren: »Mutter, meine Papiere sind in Ordnung, ich habe nichts auf dem Gewissen«.

Die Mutter begab sich in die Schule in der Andreasstraße, wo Reinhardttruppen lagen, und sah, wie die Drei abgeführt wurden und schrecklich heulten. Der befehlshabende Offizier ließ die Frau nicht zu Worte kommen. Am 12. März, nach zwei schrecklichen Tagen des Wartens, erhielt Frau Friedrich von Bekannten die Nachricht, Hans Galuska läge im Leichenschauhaus. Sie fand dort die drei jungen Freunde als Tote wieder. Sie waren am 11. März als »unbekannt« eingeliefert worden. Kurt Friedrich hatte einen Kopf- und Hüftschuß. Die neuen Stiefel waren ihm gestohlen. Hans Galuska hatte ebenfalls zwei Schußwunden, darunter eine an der Stirn, und mehrere Verletzungen durch Schläge. Es fehlten ihm: Hut, Kragen, Kravatte, Ulster, Jackett und Stiefel. Otto Werners Gesicht war beinahe unkenntlich, außerdem war der eine Arm völlig zerschossen, so daß anzunehmen ist, daß er ihn vors Gesicht gehalten hat. Die Sache wurde der Staatsanwaltschaft mitgeteilt. (»Freiheit«, 26. März 1919.) Es erfolgte jedoch weder gegen die beteiligten [20] Mannschaften noch gegen die verantwortlichen Offiziere ein Verfahren.

Dagegen haben nach einem Schreiben des Heeresabwicklungsamtes Preußen an den Anwalt der Frau Friedrich (Abschrift in meinem Besitz), »die umfangreichen Ermittelungen ergeben, daß Friedrich wegen Verdachts der Beteiligung an spartakistischen Umtrieben verhaftet und aus Anlaß eines Fluchtversuches erschossen wurde«. Zeugenaussagen für diese Behauptungen sind nicht aufgeführt.

Handgranatenstiele als Erschießungsgrund

Am 11. März wurde in der Wohnung des Tischlers Richard Borchard eine Haussuchung gehalten, da er angeblich geschossen hatte. Es wurde nur ein leerer russischer Patronenrahmen ohne Munition gefunden, den ein Verwandter 1914 als Andenken aus dem Feld geschickt hatte. Daraufhin wurde er verhaftet und kam in das Polizeipräsidium. Am Dienstag, den 18. März, fand die Frau ihren Mann als Leiche im Schauhaus wieder. Er hatte einen Schuß durch den Kopf erhalten. Dem Getöteten hatte man die neuen Schuhe und Strümpfe weggenommen.

Borchardt hatte sich politisch nie betätigt, er war ein Gegner des Aufstandes und stand auf seiten der Regierungstruppen. (»Freiheit«, 20. März 1919.)

Bei einer Waffensuche bei dem Arbeiter Paul Dänschel in der Andreasstr. 62 fanden Soldaten aus dem Korps Lüttwitz am 12. März zwei Handgranatenstiele und ein altes Seitengewehr. Die Stiele entstammten der Fabrik, in der der 19 jährige Sohn der Familie, Alfred, beschäftigt war. Er hatte die Stiele mit nach Hause genommen, um sich daraus ein Schreibzeug anzufertigen. Am 12. wurden Vater und Sohn aus dem Bett heraus verhaftet und, ohne daß irgendein Grund vorlag, in der Handwerkerschule Andreasstr. 1/2 erschossen. Die Vernehmung war durch den Leutnant Siegfried Winter aus Adlershof, Bismarckstr. 25, geleitet worden. Dieser gab auch Auftrag, die Leichen abzuholen. Als die Feuerwehr die Toten abholte, waren ihnen sämtliche Wertsachen und Papiere abgenommen, auch die Schuhe hatte man ihnen geraubt. (»Vorwärts«, 15., 17., 19. März 1919.) Winter wanderte nach Argentinien aus. Am 11. Dezember 1920 stellte der Oberstaatsanwalt vom Landgericht I, Berlin das Verfahren ein.

Die 29 Matrosen

Die amtliche Nachricht lautete (»Berl. Tageblatt«, 12. März 1919.): »In der Französischen Str. 32 wurde gestern die Kassenverwaltung der Volksmarinedivision von Regierungstruppen besetzt. Frühere Angehörige der jetzt aufgelösten Volksmarinedivision, die von dort noch Gelder holen wollten, sind festgenommen worden. [21] Die Gefangenen trugen teilweise noch Waffen. Infolgedessen kam es bei der Verhaftung zu tätlichem Widerstand. Die Mannschaften der Regierungstruppen ließen sich von ihren Führern kaum vor Uebergriffen zurückhalten, da die Erbitterung durch die Vorgänge der letzten Tage natürlich sehr angewachsen war. Es wurde Munition, darunter auch Dumdumgeschosse, beschlagnahmt. Von den rund 250 Gefangenen mußten 24 auf der Stelle erschossen werden. Die übrigen sind unter starker Bedeckung in das Moabiter Zellengefängnis eingeliefert worden und sehen dort einer Aburteilung durch das außerordentliche Kriegsgericht entgegen.«

Der wirkliche Vorgang war (vgl. Prozeßbericht, »Deutsche Zeitung« vom 5. bis 10. Dezember 1919): Am 11. März 1919 war ein Löhnungsappell der Volksmarinedivision angesetzt. General Lüttwitz gab dem Leutnant Marloh Auftrag, dort möglichst viele Mitglieder zu verhaften. Die 250 Matrosen, die völlig ordnungsliebende Elemente waren, — ein Teil hatte bei den Unruhen die Reichsbank bewacht, — kamen einzeln, beinahe alle unbewaffnet, um sich die ihnen zustehende Löhnung zu holen. Sie wurden einzeln überwältigt und gefangengesetzt.

Marloh fühlte sich durch die vielen Gefangenen bedroht und telephonierte an Oberst Reinhardt um Hilfe. Oberst Reinhardt sagte zu Leutnant Schröter: »Gehen Sie zu Marloh und sagen Sie ihm, er müsse durchgreifen. Denken Sie an Lichtenberg, wo 60 Polizeibeamte erschossen wurden«. Schröter meldete Marloh, er solle energisch durchgreifen. Marloh telephonierte gleich darauf nochmals um Hilfe. Darauf ließ Oberleutnant v. Kessel dem Marloh durch Leutnant Wehmeyer ausrichten (zweiter Verhandlungstag): »Bestellen Sie dem Oberleutnant Marloh, daß Oberst Reinhardt sehr wütend sei, weil er gegen die 300 Matrosen zu schlapp vorgehe. Er solle in ausgiebigstem Maße von der Waffe Gebrauch machen, und wenn er 150 Mann erschösse. Alles, was er erschießen könne, solle er erschießen. Die Verstärkung würde noch ein bis eineinhalb Stunden auf sich warten lassen. Oberst Reinhardt wisse auch gar nicht, wo er mit den 300 Leuten bleiben solle.«

Marloh gehorchte, sortierte die Leute, indem er diejenigen, die besonders intelligent erschienen, gute Anzüge oder Schmucksachen hatten, besonders stellte (erster Verhandlungstag, 4. Dezember 1919). Dann ließ er durch den Offizierstellvertreter Penther 29 Leute mit dem Maschinengewehr erschießen. »Die Schußwirkung war furchtbar. Vielen Leuten wurde die Schädeldecke völlig abgerissen. Die Gehirnmasse spritzte umher, Leichen und Verwundete fielen übereinander.« (Erster Verhandlungstag, 4. Dezember 1919.) Die Namen der Ermordeten sind nach der »Zukunft« (29. November 1919): Jakob Bonczyk, Paul Brandt, Theodor Biertümpel, Ernst Bursian, Kurt Dehn, Otto Deubert, Willy Ferbitz, Robert Göppe, Baruch Handwohl, Walter Harder, Alfred Hintze, Anton Hintze, Hermann Hinze, Walter Jacobowsky, Otto Kanneberg, Willy Kuhle, Max Kutzner, Martin Lewitz, Herbert Lietzau, Max Maszterlerz, Ernst Mörbe, Karl [22] Pobantz, Paul Rösner, Siegfried Schulz, Paul Ulbrich, Werner Weber, Karl Zieske, Gustav Zühlsdorf. Die anderen Matrosen wurden ins Gefängnis geschafft und bald darauf als unschuldig entlassen.

Marloh erstattete einen wahrheitsgetreuen Bericht an Oberleutnant v. Kessel. Auf Anraten Kessels ersetzte er ihn Mitte Mai durch einen anderen, wonach er die Erschießung durch eigenen Entschluß auf Grund des Noske-Erlasses vorgenommen habe. Zuletzt wurde in Gegenwart des Obersten Reinhardt noch ein dritter Bericht geschrieben. Marloh blieb monatelang unbehelligt. Erst als ein Haftbefehl am 2. Juni vorlag, riet ihm Kessel zu flüchten, und stellte ihm zu diesem Zwecke falsche Papiere aus, die Leutnant Wehmeyer dem Marloh übergab. Leutnant Hoffmann brachte ihm Geld. (Zweiter Verhandlungstag.) Am 9. Dezember wurde Marloh von der Anklage des Totschlags und des Mißbrauches der Dienstgewalt freigesprochen, wegen unerlaubter Entfernung zu drei Monaten Festung und wegen Benutzung gefälschter Urkunden zu 30 Mk. Geldstrafe verurteilt. In der Urteilsbegründung wurde festgestellt, »daß die Erschießungen objektiv unberechtigt waren, daß die Matrosen, die mit Waffen kamen, gültige Waffenscheine besaßen, daß keine Plünderer dabei waren, daß die Lage Marlohs nicht so bedrohlich war, daß er zum Waffengebrauch berechtigt war, daß er jedoch glaubte, einen Dienstbefehl vor sich zu haben« (Vorsitzender: Kriegsgerichtsrat Welt).

Der Ausschuß II für Feststellung von Entschädigung für Aufruhrschäden verneinte den Anspruch der Hinterbliebenen auf eine Rente, da die Erschießungen in Ausübung der Staatsgewalt als ein Akt der Strafvollstreckung erfolgt seien. Den meisten Hinterbliebenen wurden jedoch vom Fiskus im Vergleichswege nach einem Zivilprozesse größere Abfindungssummen ausbezahlt.

Kessel wurde Hauptmann, Hoffmann Oberleutnant bei der Sicherheitswehr (»Freiheit«, 7. Dezember.). Gegen Reinhardt und Kessel wurde wegen der Befehle, die sie Marloh gegeben hatten, kein Verfahren eingeleitet; gegen Kessel wurde nur ein Verfahren wegen eines im Verlauf des Prozesses geleisteten Meineids eingeleitet. (14. März 1921.) Am 23. März 1921 wurde er auch von der Anklage des Meineids freigesprochen. (Eingehende Prozeßberichte in der »Deutschen Zeitung«.) Zuletzt wurden Wehmeyer und Hoffmann wegen Beihilfe zur Flucht vom Schöffengericht freigesprochen. (»Deutsche Tageszeitung«, 27. 9. 21.)

Vizewachtmeister Marcus

Vizewachtmeister Marcus vom Freikorps Lützow hatte am 12. März Befehl, die Langestraße abzusperren. Er schritt mit 25 Mann die Straße ab und rief laut »Straße frei, Fenster zu!« Angeblich ist dieser Befehl nicht beachtet worden. Unter anderem sah er aus dem Fenster eines Hauses eine weibliche Gestalt auf die Straße [23] heruntersehen. Angeblich hat er darauf auf ein daneben befindliches blindes Fenster geschossen, aber das offene Fenster getroffen. Durch diesen Schuß wurde die zwölfjährige Schülerin Slovek getötet. Ein anderes Mädchen, Erwine Dahle, erhielt einen Herzschuß, als es aus einem Schlächterladen trat. Der 73 jährige Fliesenleger Karl Becker ist durch einen Kopfschuß getötet worden. Auf die gleiche Weise kamen dann noch drei Menschen um, die nicht die geringste Beziehung zu den damaligen Unruhen hatten.

Ursprünglich war gegen Marcus ein Verfahren wegen sechsfachen Mordes eingeleitet. Doch wurde dies eingestellt. Dagegen wurde er wegen vorsätzlicher, nicht mit Ueberlegung begangener Tötung von zwei Menschen vor dem Schwurgericht angeklagt. Bei der Verhandlung am 21. und 22. Januar 1921 (Verhandlungsbericht im »Vorwärts« vom 25.) berief Marcus sich auf die Befehle seiner Vorgesetzten und wurde von den als Zeugen vernommenen Offizieren zum Teil gedeckt. Marcus wurde wegen Totschlags freigesprochen, wegen einiger Unterschlagungen zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Gegen die Offiziere, die solche Befehle gegeben haben, wurde kein Verfahren eingeleitet.

Der Eisenbahnarbeiter Alfred Musick wurde am 12. März 1919 in seiner Wohnung nach einer ergebnislosen Haussuchung durch Soldaten des Freikorps Lüttwitz verhaftet und nach der Andreasschule transportiert. Oberleutnant Wecke ließ ihn mit vier anderen abtransportieren. Die Fünf wurden beim Passieren der Schillingbrücke angeschossen und ins Wasser geworfen. (Aussagen der Begleitmannschaft: »Die Fünf schwimmen schon.«) Musick konnte sich schwerverletzt durch Schwimmen retten, wurde entdeckt und wieder in die Andreasschule geführt. Vizewachtmeister Marcus führte ihn in die Revierstube, kam zurück und erzählte: »Oben habe ich ihn vor die Wand gestellt und gesagt, gehen Sie nur herein; darauf antwortete er, hier ist ja keine Tür, in dem Moment hatte ich ihn schon in den Kopf geschossen«. Die Leiche wurde beraubt und als unbekannt in die Sammelstelle in der Distelmeyerstr. eingeliefert.

Wegen eines Streichholzes erschossen

Der Arbeiter Piontek wurde am 12. März 1919, angeblich weil er sich geweigert hatte einem Soldaten Feuer zu geben, verhaftet, und in der Normannenstraße von dem Gefreiten Ritter vom Infanterieregiment Nr. 50 und dem Unteroffizier Wendler erschossen. Wendler behauptete, ihm nur einen Gnadenschuß gegeben zu haben. Am 31. Januar 1922 verurteilte das Schwurgericht des Landgerichts III (Landgerichtsdirektor Mehlberg, Staatsanwaltschaftrat Weyermann) Ritter wegen versuchten Totschlags mit mildernden Umständen zu 3 Jahren Gefängnis, Wendler wurde freigesprochen. (Berliner Tageblatt, 1. Februar 1922.)

Am 12. März 1919 wurde der Schneider Otto Hauschild, Fruchtstraße 26, am Ostbahnhof erschossen, weil er ein Gewehr in [24] seiner Wohnung hatte; er besaß einen Ausweis der Republikanischen Soldatenwehr vom 10. März.

Am 13. März wurden Paul Biedermann und Hans Gottschalk auf dem Wege zur Arbeit in der Friedrich-Karl-Straße auf Grund einer Denunziation verhaftet, in ein Lokal eingesperrt und vom Posten durch das Fenster erschossen. (»Freiheit«, 18., 20. u. 22. März 1919.)

Berthold Peters (geboren 28. März 1888), Klempner, seit Kriegsausbruch Matrose, wurde am 13. März 1919, vormittags 9-1/2 Uhr von einem Trupp Soldaten unter Führung eines Offiziers in seiner Wohnung, Tilsiter Str. 49, verhaftet, zum Hauptmann Poll in die Patzenhoferbrauerei, von dort in die Bötzowbrauerei geführt und vor 1 Uhr erschossen. Die Leiche wurde ausgeplündert: Uhr, Kette, Ring, Brieftasche, Börse und Stiefel wurden geraubt. Er war von Nachbarn als Spartakist denunziert worden. Ein Strafverfahren fand nicht statt. Die Hinterbliebenen bekamen im Zivilprozeß gegen den Fiskus eine Rente von 500 M. monatlich zugebilligt.

Zwei Erschießungen durch Ltn. Baum

Bei einer nächtlichen Runde des Detachements v. Grothe trat ein unbekannt gebliebener Mann, der einen Ausweis des Reichswehrministers vorwies, auf den Leutnant Baum zu und sagte: »Herr Leutnant, lebt der Zigarrenhändler Müller noch? Wenn Sie den kriegen, erschießen Sie ihn, den habe ich zweimal hinter den Barrikaden gesehen!«

Baum begab sich nun am 12. März mit 10 Mann in das Zigarrengeschäft Memeler Str. 19. Johann Müller war gerade beim Rasieren und kam mit eingeseiftem Gesicht aus dem Hinterzimmer. Baum durchsuchte die Wohnung. Es wurden weder Waffen noch Munition gefunden.

Der Leutnant sagte zu Müller: »Sie agitieren ja für die Unabhängigen; Sie haben acht Karten mit verdächtigen Punkten. Ich habe von anderen gehört, Sie haben auf uns geschossen. Verabschieden Sie sich von Ihrer Frau. Es ist meine Pflicht, Sie jetzt zu erschießen!« Die Frau und Tochter schrien laut auf. Leutnant Baum erblickte in dem stillschweigenden Verharren des Müller ein Schuldbekenntnis. Müller verrichtete ein Gebet, wurde dann an die Wand gestellt und 6 Mann schossen auf ihn. Müller brach zusammen. Ein Sanitäter sollte sich von der Vollstreckung des Todesurteils überzeugen und die Leiche wegschaffen. Der Sanitäter fand den Müller noch lebend. Auf Befehl des Angeklagten gab der zur Patrouille gehörende russische Schüler Alexander Köhler dem Müller den Gnadenschuß. (»Vorwärts«, 16. August 1919.)

Bei der Verhandlung (»Berl. Tageblatt«, 1. Juni 1920) wurde Baum freigesprochen mit der Begründung, daß er dem Noske-Erlaß vom 9. März gefolgt sei, der besagt, daß jeder, der mit der Waffe kämpfend angetroffen wird, erschossen werden soll. [25]

Am 13. März 1919 wurde bei einer Haussuchung bei dem Gastwirt Wilhelm Bilski, Weidenweg 71, ein Revolver gefunden, den, wie sofort festgestellt, ein Gast als Pfand gelassen hatte. Bilski wurde abgeführt und »standrechtlich« erschossen. Durch Zeugen, besonders Frau Bilski, wurde als leitender Offizier der Leutnant Baum erkannt. Die Akten verschwanden von der Garde-Kav.-Schützendiv. Am 27. März 1920 wurde der Militärfiskus von der 26. Zivilkammer zu Schadenersatz verurteilt. In der Begründung wurde ausdrücklich anerkannt, »daß die Erschießung rechtswidrig war.« Das Verfahren gegen Baum wurde am 12. April 1920 eingestellt. (Akten in meinem Besitz.)

Zwei Erschießungen durch Ltn. Czekalla

Nach dem »Berliner Tageblatt« vom 15. März wurde in der Holzmarktstr. 61 ein Mann von über 60 Jahren namens Abrahamson ohne weiteres im Hof erschossen, weil er bei einer Haussuchung Waffen, die er besaß, nicht angegeben hatte. Der alte, schwächliche Mann leistete keinerlei Widerstand. Der Offizier (ein Leutnant Czekalla vom Freikorps Lützow, 1. Schwadron) sagte, er sei berechtigt, jeden zu erschießen, der Waffen verheimliche.

Ein Rechtsanwalt wurde bei dem Gespräch, das er zur Feststellung des Tatbestandes mit den Bewohnern des betreffenden Hauses führte, verhaftet, weil er »die Leute aufhetze«.

Der gleiche Leutnant Czekalla hat am 13. März, bei dem Klempnermeister Wallmann eine Haussuchung vorgenommen. Wallmann war ein angesehener Mann, deutschnationaler Gesinnung. Aus dem Felde hatte er ein französisches Infanteriegewehr mitgebracht, das unbrauchbar war. Es war ihm belassen worden und eine Bescheinigung darüber erteilt. Zu dem französischen Gewehr besaß er einige französische Patronen. Endlich war er seit vielen Jahren im Besitz einer Browningpistole, die er aus Liebhaberei angeschafft hatte. Als der Leutnant Wallmann fragte, ob er einen Browning besitze, holte er den Browning sofort aus dem Ofen heraus. Darauf ließ ihn der Leutnant nach der Alexanderkaserne abführen. Als seine Braut weinte, sagte Wallmann: »Weine doch nicht; ich komme ja bestimmt wieder, denn ich habe ja nichts getan.« Wallmann wurde in der Alexanderkaserne auf Befehl des Leutnants in einem Pferdestall erschossen. Die Leiche wurde von den Soldaten ihrer Stiefel beraubt.

Czekalla behauptet, auf direkten Befehl seines Vorgesetzten, des Rittmeisters Wilhelm von Oertzen gehandelt zu haben. Das Verfahren gegen beide schwebt beim Landgericht I Berlin. (»Berliner Volkszeitung«, 16. März 1922.)

Jogisches und Dorrenbach

»Am 10. März wurde auf Befehl Noskes der Redakteur der »Roten Fahne« Leo Jogisches durch Angehörige der Gardekavallerie-Schützendivision [26] verhaftet. Er sollte durch einen Soldaten dem Untersuchungsrichter zugeführt werden. Im Gebäude des Kriminalgerichts griff Jogisches den Soldaten« (Kriminalwachtmeister Ernst Tamschik, »Freiheit«, 27. Mai 1919) »an und wurde von ihm auf der Stelle niedergeschossen. Ein gleicher Fall war im Gebäude des Kriminalgerichts schon am Tage vorher vorgekommen.« (»Vossische Zeitung«, 11. März.)

Dorrenbach, ein früherer Offizier, hatte sich der Revolution angeschlossen und wurde Führer der Volksmarinedivision. Wegen der Berliner Spartakusunruhen schwebte gegen ihn ein Haftbefehl. In Eisenach wurde er am 12. Mai 1919 verhaftet (»Freiheit«, 18. Mai 1919) und am 17. Mai durch den Staatsanwalt vernommen. Beim Rücktransport ins Gefängnis soll er einen Fluchtversuch unternommen haben und wurde von den Soldaten niedergeschossen. Schwer verletzt wurde er in die Charité gebracht, wo er starb. Vor seinem Tod erklärte er seinem Rechtsanwalt ausdrücklich, er sei nicht geflohen. (Ledebourprozeß, 3. Tag.) Den tödlichen Schuß hatte ebenfalls Kriminalwachtmeister Ernst Tamschik abgegeben. Tamschik wurde später zum Leutnant bei der Sicherheitswehr Charlottenburg ernannt. Dann kam er zur Sicherheitspolizei nach Ostpreußen. (Bekundung des Oberwachtmeisters Kuhr in einem Prozeß, »Welt am Montag«, 25. Mai 1920.)

Zwei Erschießungen auf der Flucht

Am 13. März 1919 wurden der Maschinenschlosser Georg Fillbrandt und der Arbeiter Paul Szillinski in ihren Wohnungen Kastanienallee 29-30, nach ergebnislosen Haussuchungen, ohne daß ein Haftbefehl vorlag, durch 4 Offiziere bzw. Fähnriche verhaftet, zum Stab des 1. Streifbatl. Reinhardt in der Griebenowstraße gebracht, und nach einem kurzen Verhör auf dem Exerzierplatz an der Schönhauser Allee von den begleitenden Soldaten erschossen. Die Leichen wurden ausgeplündert und an Ort und Stelle liegen gelassen. Als die Frau des Szillinski und die Tochter des Fillbrandt sich bei dem Stab erkundigten, wurde ihnen ein Protokoll vorgelesen, daß beide auf der Flucht erschossen worden seien. Durch die Zeugen Wilh. Domke, Herm. Kastner, Martha Pertz und Erich Abraham, welche der Erschießung zusahen, wurde aber festgestellt, daß die Verhafteten ruhig neben den Soldaten gegangen waren, und als die Soldaten »Halt« kommandierten, noch um ihr Leben gebeten hatten. Das Gericht nahm an, daß die Soldaten ohne Auftrag gehandelt hätten, weil kein Protokoll geführt worden war. Am 14. Februar 1921 wurde der Reichsfiskus zur Zahlung einer Unterhaltsrente an Frau Fillbrandt verurteilt, da die Erschießung durch die Soldaten unberechtigt war. Eine Bestrafung der Täter und Ermittlung der verantwortlichen Offiziere ist nicht erfolgt. (Aktenabschrift in meinem Besitz.) [27]

VON DER ERMORDUNG EISNERS BIS ZUM STURZ DER BAYRISCHEN RÄTEREPUBLIK

Kurt Eisner

Kurt Eisner war Führer der Münchener Revolution vom 7. November und seither Ministerpräsident. Am 21. Februar wurde er auf dem Weg zum Landtag, wo er seinen Posten wegen der heftigen Angriffe gegen ihn niederlegen wollte (Mitteilung des W. T. B. vom 21. 2. 1919), von dem Leutnant Graf Arco-Valley durch zwei Kopfschüsse getötet. Arco wurde gleich darauf von einem Mann der Begleitung Eisners niedergeschossen, jedoch später wiederhergestellt. Am 20. Januar 1920 wurde Arco zum Tode verurteilt. »Als der Verurteilte nach Verlesung des Todesurteils die Bitte an die ihm Wohlgesinnten richtete, von unüberlegten Taten abzusehen und am nationalen Aufbau mitzuarbeiten, erfolgte ein elementarer Beifallsausbruch der Zuhörerschaft, der sich in immer wiederholten Bravorufen und Händeklatschen minutenlang fortsetzte ... Die Menge auf der Straße empfing den Transport mit brausenden Hochrufen, man schwenkte Hüte und wehte mit Tüchern.« (»Deutsche Tageszeitung«, 20. Januar 1920.) Arco wurde gleich darauf zu lebenslänglicher Festungshaft begnadigt. Im Jahre 1922 wurde die Haft über Arco derartig gemildert, daß er tagsüber als Praktikant auf einem in der Nähe von Landsberg befindlichen Gut arbeiten kann.

Major v. Gareis und Abgeordneter Osel

Eisner war bei den Arbeitern sehr beliebt. In der Erregung über seine Ermordung drang der Metzger Aloys Lindner und der Bäcker Georg Frisch in den Landtag ein. Lindner feuerte mehrere Schüsse auf den Minister Auer, der ein politischer Gegner Eisners war, da er glaubte, daß Auer mit der Ermordung Eisners zusammenhänge. Gleichzeitig fiel ein Schuß von der Tribüne, der den Abgeordneten Osel tötete. Als Major v. Gareis sich Lindner entgegenstellte, schoß Lindner auch auf ihn und tötete ihn. Lindner flüchtete mit Hilfe von Karl Merkerts und Georg Schlunds ins Ausland. Deutsch-Oesterreich lieferte ihn aber aus, unter der Bedingung, daß er nicht zum Tode verurteilt werde, da die Todesstrafe dort abgeschafft ist. Der Angabe Lindners, daß er sich v. Gareis gegenüber in Notwehr befunden habe, maß das Gericht keinen Glauben zu. Lindner wurde wegen versuchten Totschlags und wegen erschwerten Totschlags am 15. Dezember 1919 zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt. Frisch wegen versuchten Totschlags zu 3-1/2 Jahren Gefängnis verurteilt, Merkert und Schlund erhielten wegen Begünstigung 1-1/2 bzw. 2 Monate Gefängnis mit Bewährungsfrist. (Prozeßberichte in den »Münchener Neuesten Nachrichten«, 9. bis 15. Dezember 1919.) [28]

Die Erschießungen im Luitpoldgymnasium

Nach der Ermordung Eisners übernahm der Zentralrat die Macht. Die Kammer und das von ihr gebildete mehrheitssozialistische Ministerium Hoffmann floh nach Bamberg. Der Zentralrat erklärte am 7. April die Räterepublik. Die Führer waren Unabhängige und Mehrheitssozialisten. Durch einen Putsch gelang es am 13. April Anhängern der Regierung Hoffmann, einen Teil der Führer zu verhaften. Doch mißlang der Putsch. Die Betriebsräte ergriffen die Macht und proklamierten eine zweite kommunistische Räterepublik. Die Regierung Hoffmann sammelte Truppen dagegen. Bei dem Vormarsch wurden u. a. erschossen: 20 rote Soldaten, die am 29. April in Starnberg beim Essen unbewaffnet überrascht wurden, drei Sanitäter, die in Possenhofen beim Verwundetentransport waren und ein 68 jähriger Mann. (Dr. Schollenbruch im Münchener »Kampf«, 15. September 1919.)

Im Luitpoldgymnasium, das als Kaserne der Roten Armee diente, waren am 26. April die Stenotypistin Hella v. Westarp, der Eisenbahnsekretär Daumenlang, der Freiherr F. W. v. Seydlitz, die Kunstmaler Walter Neuhaus und Walter Deicke, endlich der Prinz von Thurn und Taxis als Mitglieder eines »germanischen Ordens«, auch »Thulegesellschaft« genannt, eingeliefert worden, weil man bei ihnen gefälschte Stempel mit dem Faksimile des Oberkommandanten Eglhofer, Stempel des Vollzugsrates sowie Eisenbahnstempel gefunden hatte. (Aussagen im Prozeß, 11. u. 13. September.) Auch hatten sich in den Klubräumen Waffenlager befunden. (Aussagen am 8. September.) Am folgenden Tag wurden ferner ein Offizier v. Teuchert und zwei Husaren der Armee v. Oven, Linnenbrügger und Hindorf, als Gefangene eingeliefert. Außerdem befand sich dort der Prof. Berger, weil er ein Plakat der Räteregierung abgerissen hatte, und eine Reihe von Geiseln.

Als immer neue Nachrichten von Erschießungen roter Soldaten kamen, entstand im Lager der Roten große Erregung. Das Infanterieleibregiment forderte den Oberkommandanten Eglhofer auf, als Repressalie seinerseits Gefangene zu erschießen. Am 30. April erhielt Fritz Seidel, der Kommandant des Luitpoldgymnasiums, angeblich hierzu den Befehl von Eglhofer. Doch hat Eglhofer selbst noch am gleichen Tage dies ausdrücklich bestritten. Zuerst wurden unter Leitung Schickelhofers und Kammerstädters die zwei Husaren erschossen. Dabei beteiligten sich Wiedl und Josef Seidl. Gleich darauf brachten Kick und Pürzer den schriftlichen Befehl Eglhofers zu weiteren Erschießungen. Hesselmann, Gsell und Haußmann beteiligten sich an der Auswahl der zu Erschießenden. Der Professor Berger schloß sich aus Mißverständnis dem abgeführten Trupp an. Seidl zitterte am ganzen Körper vor Aufregung und hatte jede Herrschaft über seine Soldaten verloren. Er konnte sie in ihrer Wut nicht mehr zurückhalten. Die Gefangenen wurden einzeln abgeführt und zwischen 4 und 5-1/2 Uhr nachmittags an die Wand gestellt und an [29] einem Misthaufen von den aufgestellten 8 bis 10 Schützen durch Gewehrsalven auf das Kommando »Legt an, Feuer« erschossen. Als Thurn und Taxis seine Unschuld beteuerte, wurde er nochmals in die Kanzlei geführt und nach Wiederholung des Befehls erschossen. Hannes, Lermer und Riedmayer beteiligten sich an der Aufstellung (nach der Urteilsbegründung), Fehmer und Pürzer an der Erschießung. So kamen zehn Menschen um. Doch befand sich unter den Erschossenen, wie aus der mir vorliegenden beglaubigten Abschrift der Urteilsbegründung hervorgeht, keine Geisel.

Haußmann, der verantwortlich war, beging am Abend der Erschießungen Selbstmord. Eglhofer wurde nach seiner Gefangennahme am 3. Mai in der Residenz ohne Urteil erschossen. Seidel und Schickelhofer wurden wegen je zweier Verbrechen des Mordes zweimal zum Tode verurteilt. Wiedl, Pürzer, Fehmer und Josef Seidl wurden wegen je eines Mordes zum Tode verurteilt. Kick, Gsell, Hesselmann, Lermer, Hannes, Huber und Riedmayer wurden wegen Beihilfe zu je 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. (Vorsitzender Oberlandesgerichtsrat Aull.) Die Todesstrafen wurden am nächsten Tage vollstreckt. (Eingehende Prozeßberichte in den »Münchener Neuesten Nachrichten«, 1.-19. September 1919.) In einem zweiten Prozeß wurde auch Kammerstädter zum Tode verurteilt und das Urteil am nächsten Tag vollstreckt. (15. Oktober 1919.) Ferner wurden L. Debus, A. Strelenko und R. Greiner zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, »weil sie den Mord gefördert haben, indem sie eventuell bereit waren, selbst zu schießen«. (Urteilsbegründung in den »Münchener Neuesten Nachrichten«, 14. Oktober 1919.)

Im 3. Geiselmordprozeß wurde am 12. Juni 1920 Ferdinand Rotter zu 7 Jahren Zuchthaus und Heinrich Walleshauser (17 Jahre alt) zum Tode verurteilt. Die Todesstrafe wurde vollstreckt.

Andere Ermordungen während der bayrischen Räterepublik

Max Weinberger war während der Räterepublik Stadtkommandant von München. Er wurde beschuldigt, an Bürgerliche, insbesondere an die Thulegesellschaft, Waffen und Passierscheine ausgegeben zu haben. (Aussage im Geiselmordprozeß, 8. September.) Er wurde abgesetzt und in der Polizeidirektion eingesperrt. Eines Nachts wurde er in einem Auto fortgeführt. Das Auto wurde von einem Unbekannten zum Halten gebracht. Weinberger wurde erschossen. Seine Leiche wurde erst Ende Mai im Englischen Garten gefunden. Der Fall blieb völlig unaufgeklärt.

In Miesbach tagte während der bayrischen Räterepublik ein Revolutionsgericht, um gegen Diebe und Plünderer vorzugehen. Vorsitzender war der Werkführer Richard Käs aus Mochenwangen. Beisitzer waren die Mitglieder des dortigen Aktionsausschusses, der Heizer Josef Mühlbauer aus Hofleiten, der Bergmann Michael Vogl aus Prien; Anklagevertreter der Stadtkommandant Radl. Da Käs [30] sich in Gerichtssachen als Laie fühlte, erbat er sich Aufschluß bei dem dortigen Oberamtsrichter Dollacker, der sich auch bei einer Verhandlung beteiligte. Als Protokollführer im Falle Lacher diente der Oberamtsgerichtssekretär Bruckmeyer.

In der Nacht vom 24. auf den 25. April 1919 kam der Rotgardist Ernst Lacher aus München, der schon vorher bei der roten Armee in Miesbach als stellvertretender Kommandant tätig war, mit Mannschaften, Maschinengewehren und Minenwerfern in einem Sonderzug nach Miesbach, um angeblich mit Ermächtigung des Oberkommandanten Eglhofer die in Miesbach stehenden Truppen wegen andauernder Ausschreitungen abzulösen und die Stelle eines Stadtkommandanten zu übernehmen. Das Unternehmen Lachers mißglückte und er wurde festgenommen.

Der Prokurist Georg Graf aus Zigelbarden, der beim Oberkommando der Münchener Räteregierung Chef der geheimen Militärpolizei war, war während dieser Zeit in Miesbach und forderte in den nach dem mißlungenen Unternehmen gehaltenen Sitzungen des Exekutivkomitees, daß Lacher erschossen werde und beantwortete auch nach seiner Rückkehr nach München die an ihn gerichteten Anfragen in diesem Sinne. Graf war im Felde verschüttet gewesen, hatte sich in einer Nervenheilanstalt befunden und war Morphinist. Am 27. April 1919 wurde Lacher unter dem Druck der wütenden Rotgardisten zum Tode verurteilt und das Urteil vollstreckt.

Am 13. Januar 1920 begann vor dem Volksgericht in München 2 der Prozeß gegen Graf und Genossen. Das Urteil für Graf lautete wegen Verbrechens der Beihilfe zum Hochverrat auf zwölf Jahre Zuchthaus und zehn Jahre Ehrverlust, Käs, Mühlbauer und Vogl wurden wegen je eines Verbrechens der Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Beihilfe zum Hochverrat zu je sechs, bzw. 3-1/2 bzw. vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Dollacker und Bruckmeyer, die behaupteten unter dem Druck der Rotgardisten gehandelt zu haben, wurden überhaupt nicht angeklagt. (»Münchener Neueste Nachrichten«, 14., 15., 16. Januar 1920.) Acht Mitglieder des Aktionsausschusses waren schon früher zu Festungsstrafen von einem Jahr drei Monate bis zu zwei Jahren verurteilt worden.

Der Stadtkommandant und Anklagevertreter Radl wurde nach dem Sturz der Räterepublik standrechtlich erschossen.

Den weiteren Nachforschungen der Polizei gelang es dann, die Namen der neun an der Erschießung beteiligten Rotgardisten zu ermitteln. Davon sind zwei tot, zwei unauffindbar. Gegen die übrigen fünf hat am 21. Februar 1922 der Prozeß stattgefunden. Sie behaupteten, sie seien von ihren dienstlichen Vorgesetzten zur Vollstreckung aufgefordert worden und seien von der Rechtmäßigkeit des Urteils überzeugt gewesen. Dies ist nicht unglaubwürdig. Denn man wußte damals in Südbayern nichts von der Existenz der Gegenregierung Hoffmanns, sondern hielt die Räteregierung für den einzigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt in Bayern. Trotzdem beantragte der Staatsanwalt die Todesstrafe gegen sie. Die angeklagten [31] früheren Rotgardisten Ebert, Blechinger und Essig wurden wegen Beihilfe zum Totschlag zu je 3 Jahren Gefängnis, Anzenberger zu 1 Jahr 6 Monate Gefängnis verurteilt. Der fünfte, Heuser wurde freigesprochen. (»Münchener Neueste Nachrichten«, 22. 2. 22.)

Die zwölf Ermordeten waren die einzigen Opfer der Räterepublik. Dagegen hat der Einzug der Regierungstruppen in München Hunderten von Unschuldigen das Leben gekostet.

Die Einnahme von München

Am 1. Mai zogen die Truppen der Regierung Hoffmann in München ein. In dem amtlichen Communiqué schreibt die Regierung:

»Nunmehr liegt das Ergebnis der von der Polizei angestellten Erhebungen über die Zahl der Opfer der Münchener Kampftage vom 30. April bis 8. Mai vor. Es bedurfte umfangreicher Arbeit, um diese Zusammenstellung anfertigen zu können. Die Leichenfrauen wurden angewiesen, alle Toten, die beerdigt wurden, zu melden. Auf Grund dieses Materials wurde dann durch die Kriminalkommissare bei den Angehörigen der nähere Sachverhalt erhoben. Bot dieser Weg auch keine Gewähr für die vollständige Richtigkeit, so war er doch der einzige, der eine einigermaßen verläßliche Zusammenstellung ermöglichte.

Die Zahl der Todesopfer der Kämpfe beträgt nach dieser Zusammenstellung 557. Davon fielen kämpfend 38 Mann der Regierungstruppen, 93 Angehörige der Roten Armee, 7 Russen und 7 Zivilpersonen. Standrechtlich erschossen wurden 42 Angehörige der Roten Armee und 144 Zivilpersonen. Bei 42 Toten konnte weder der Name, noch die Art des Todes festgestellt werden. Vermutlich befinden sich unter diesen 42 unbekannten Personen 18 Russen.

»Tödlich »verunglückt« bei den Kämpfen sind 184 Zivilpersonen, und zwar am 30. April 1, 1. Mai 36, 2. Mai 103, 3. Mai 16, 4. Mai 7, 6. Mai 21«. (»Münchener Neueste Nachrichten«, 10. Juni 1919.)

Den 38 Gefallenen der Regierung Hoffmann stehen also offiziell 107 Gefallene der Roten Armee, 186 standrechtlich Erschossene und 184 »tödlich verunglückte« Anhänger der Räteregierung entgegen. Diese Angaben beziehen sich aber nur auf den Stadtbezirk München. So fehlen z. B. die oben erwähnten, in der Umgebung von München von den Regierungstruppen Erschossenen. Ferner sind natürlich alle Fälle nicht aufgeführt, wo Leute spurlos verschwanden und die Leichen nicht eingeliefert wurden, z. B. der siebzehnjährige Johann Erb am 2. Mai. Die Zahl der Toten ist nach sozialistischen Angaben ungefähr tausend, eine Zahl, die nach Mitteilung beteiligter Soldaten des Generalkommandos Oven durchaus glaubhaft erscheint.

Die 184 »tödlich Verunglückten« wird man als Opfer politischer Morde betrachten müssen. Dies geht aus der oben zitierten amtlichen Zusammenstellung selbst hervor. Denn in den letztgenannten [32] 21 Fällen läßt sich die Technik des tödlichen Unglücksfalles genau nachweisen. Am 6. wurden nämlich die 21 katholischen Gesellen ermordet. (Vgl. Seite 41.) Außerdem bin ich in der Lage, weitere 140 in München in den Maitagen Ermordete namentlich aufzuführen. Wenn man also nicht annehmen will, daß der Regierungsbericht diese 140 Fälle vollkommen verschweigt oder den Tatsachen zuwider sie in eine der beiden andern Kategorien unterbringt und Fälle aus diesen Kategorien verschweigt, so ist man zu dem Schluß gezwungen, daß die 184 tödlich Verunglückten tatsächlich ermordet worden sind. Im folgenden einige Einzelfälle.

»Da haben wir Schwein gehabt«

Huber, Karl, Landsberger Str. 153, 27 Jahre alt, Mitglied der K.P.D., wurde am 30. April nachts aus dem Bett geholt und am andern Morgen nach kurzem Verhör erschossen. Zeugen bestätigen, daß Huber in keiner Weise an Kampfhandlungen beteiligt war. Huber hatte bei seiner Festnahme etwa 30 Mark in Bargeld, eine goldene Uhr, eine Uhr mit Stahlgehäuse, Gamaschen und eine Brieftasche bei sich. Sämtliche Gegenstände fehlten. Als die Schwester des Huber am 23. Mai wegen der Erschießung ihres Bruders Erkundigungen einziehen wollte, hörte sie zufällig, wie vor dem Hause, in dem die 2. Kompagnie des 1. Württembergischen Drag.-Regts. einquartiert war (Harlaching, Ueber der Klause), zwei Posten sich äußerten: »Mit dieser schweren Brieftasche und mit den Gamaschen haben wir mal Schwein gehabt.«

Bauer, Johannes, Arbeiter, Unterföhring Nr. 3, 48 Jahre alt, parteilos, und dessen Sohn Johann, 17 Jahre alt, wurden am 30. April auf Grund einer Denunziation aus der Wohnung geholt und kurz darauf ohne Verhör erschossen. Der Vater war parteilos. Der Sohn Mitglied der Arbeiterwehr. Er hinterließ Frau und vier unmündige Kinder.

Am 1. Mai wurden Peter Huhn und Georg Kistler in Großhesselohe und der Feinmechaniker Höpfl in Grünwald ohne Urteil erschossen; Verfahren wurde eingestellt, weil Täter nicht zu ermitteln.

Jakob Münch, Forstenrieder Str. 71, wurde am 1. Mai erschossen. Er wollte seine im Februar gefaßten Waffen abliefern und wurde dabei verhaftet.

Benno Huber, Metzger, Großkarolinenfeld, war bei der Roten Armee in Rosenheim gewesen und wurde am 2. Mai im Bett erschossen. Hinterläßt eine Frau mit zwei Kindern.

Der Schuhmacher Emeran Rötzer und der Arbeiter Kohlmann wurden am 2. Mai auf Grund von Denunziationen durch württembergische Truppen in ihren Wohnungen, Dreimühlenstr. 14, verhaftet und sofort ohne Urteil im Schlacht- und Viehhof erschossen. Sie hatten 3 Gewehre, die in ihrem Privatbesitz waren, darunter [33] 2 Jagdgewehre, am selben Vormittag abgeliefert. Eine Untersuchung fand nicht statt. Sie wurden beschuldigt, einen Regierungssoldaten umgebracht zu haben. In Wirklichkeit hatten sie einen auf der Straße aufgelesenen verwundeten Rotgardisten beherbergt. Dieser wurde im Bett mit Gewehrkolben geschlagen, dann erschossen. Rötzer hinterläßt drei Kinder.

Faust, Schreiner, leistete am 2. Mai freiwillig Sanitätsdienste bei der Armee v. Oven und trug eine Rote Kreuzbinde. Die Soldaten sahen dies für einen Ausweis der Roten Armee an und erschossen ihn. Kein Verfahren.

Der Schriftsteller Hans Schlagenhaufer in Unterhaching wurde am 1. Mai von dem Hauptmann Liftl aufgefordert, seine Waffen abzugeben. Er bestritt, Waffen zu besitzen. Doch wurde ein Gewehr gefunden. Er wurde verhaftet, nach Stadelheim abgeführt und dort am 2. Mai ohne gerichtliches Verfahren erschossen. Nach einer der Witwe zugestellten Entscheidung erfolgte die Erschießung wegen des Gewehres und »weil er sich als Mitglied und späterer Schriftführer der K.P.D. während der Umsturzbewegung besonders hervorgetan habe.« Der Schadenersatzanspruch der Witwe auf Grund des Unruheschadengesetzes wurde am 8. November 1921 vom Reichswirtschaftsgericht abgelehnt. (XVII. A. V. 950/21.) Das Verfahren gegen die Täter wurde eingestellt. Klage beim ordentlichen Gericht ist anhängig.

Gustav Landauer

Ueber die Art der »Unglücksfälle« orientiert weiter folgender Bericht in der Münchener »Neuen Zeitung« vom 3. Juni 1919: »Am 2. Mai stand ich als Wache vor dem großen Tor zum Stadelheimer Gefängnis. Gegen 1-1/4 Uhr brachte ein Trupp bayrischer und württembergischer Soldaten Gustav Landauer. Im Hof begegnete der Gruppe ein Major in Zivil (im Prozeß als Rittergutsbesitzer Freiherr v. Gagern festgestellt), der mit einer schlegelartigen Keule auf Landauer einschlug. Unter Kolbenschlägen und den Schlägen des Majors sank Landauer zusammen. Er stand jedoch wieder auf und wollte zu reden anfangen. Da rief ein Vizewachtmeister: »Geht mal weg!« Unter Lachen und freudiger Zustimmung der Begleitmannschaften gab der Vizewachtmeister zwei Schüsse ab, von denen einer Landauer in den Kopf traf. Landauer atmete immer noch. Unter dem Ruf: »Geht zurück, dann lassen wir ihm noch eine durch!« schoß der Vizewachtmeister Landauer in den Rücken, daß es ihm das Herz herausriß und er vom Boden wegschnellte. Da Landauer immer noch zuckte, trat ihn der Vizewachtmeister mit Füßen zu Tode. Dann wurde ihm alles heruntergerissen und seine Leiche zwei Tage lang ins Waschhaus geworfen.« Wegen dieses Artikels wurde die »Neue Zeitung« unter Vorzensur gestellt.

Das Oberkommando Oven brachte am 6. Juni einen Gegenbericht: »Landauer wurde von einem früheren Offizier geschlagen, [34] als er etwas zu den Soldaten sagen wollte. Nach Aussagen aller Zeugen, mit Ausnahme eines einzigen, hat er mit einer Reitpeitsche, nicht mit einem Knüttel geschlagen. Keiner der bisher vernommenen Zeugen konnte angeben, daß unter Lächeln und freudiger Zustimmung der Begleitmannschaften auf Landauer geschossen worden sei ... Unrichtig ist, daß ein Vizewachtmeister drei Schüsse auf Landauer abgegeben hat. Vielmehr ist erwiesen, daß zwei Infanteristen mit Gewehr oder Karabiner und daß ein Mann, der als Kavallerist, als Sergeant, als Vizewachtmeister und als Offizierstellvertreter bezeichnet wurde, mit der Pistole einen Schuß auf Landauer abgegeben hat. Davon, daß Landauer alles heruntergerissen wurde, hat kein Zeuge etwas angegeben. Festgestellt ist nur, daß Landauer die Uhr abgenommen wurde. Der Besitzer der Uhr wurde bereits ermittelt.« Demnach hat Landauer weder einen Fluchtversuch unternommen, noch eine andere provokatorische Handlung versucht oder ausgeführt.

Der Münchener Stadtrat Weigel teilt mir über die Agnoszierung der Leiche Landauers folgendes mit: »Landauers Leichnam fehlten Rock, Hose, Stiefel und Mantel. Nach dem Sektionsprotokoll waren drei Schüsse auf Landauer abgegeben, die alle tödlich waren. Der Brustschuß stammte nach Ansicht des Gerichtsarztes Dr. Schöpflin und des Prof. Oberndorfer wahrscheinlich nicht von einem Gewehr, sondern von einer Pistole. Doch wurde dies auf Ersuchen des Kriegsgerichtsrates Christoph nicht aufgenommen.«

Freiherr v. Gagern bekam vom Amtsgericht München am 13. September 1919 einen Strafbefehl über 300 Mark. Das Verfahren gegen weitere Beteiligte wurde eingestellt.

»Vor dem Kriegsgericht in Freiburg kam die Anklage gegen den Unteroffizier Digele wegen Tötung Gustav Landauers zur Verhandlung. Nachdem ein nicht ermittelter Soldat Landauer in den Kopf geschossen hatte, gab Digele auf Landauer einen Pistolenschuß ab. Der Angeklagte, ein Württemberger, der inzwischen bei den Baltikumtruppen zum Unteroffizier befördert wurde, berief sich darauf, daß er nur den Befehl eines Vorgesetzten ausgeführt habe. Das Gericht sprach ihn von der Anklage des Totschlages frei, weil er in dem Glauben sein konnte, nach Befehl zu handeln, und verurteilte ihn wegen Hehlerei, begangen durch Aneignung der Uhr des Toten, zu fünf Wochen Gefängnis, die durch die Untersuchungshaft verbüßt sind.« (»Münchner Neueste Nachrichten«, 22. März 1920.) (Ein ausführlicher Prozeßbericht, aus dem insbesondere die Richtigkeit der ersten Darstellung hervorgeht, findet sich in der Freiburger »Volkswacht« vom 22. und 23. März 1920.)

Ich konnte trotz gütiger Unterstützung durch Behörden nicht feststellen, ob Gagern mit dem Hauptmann Freiherr v. Gagern-Rickholt (geboren am 21. 1. 1887 in Worms) identisch ist, der am 25. 5. 1915 den belgischen Baron d'Udekem d'Acoz ermordete. Dieser wurde am 7. Juni 1916 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. [35] Am 16. 1. 1919 aber vom Präsidenten des Reichsmilitärgerichts freigelassen. (Erklärung der Reichsregierung, 11. 8. 1922.)

Außer Landauer wurden in den ersten Maitagen in Stadelheim noch über 30 wehrlose Gefangene von den Soldaten ohne weiteres Verfahren umgebracht. Herr Weigel teilt mir hierüber mit: »An der Wand eines inneren Gefängnishofes, dessen Tor auf den Friedhof hinausführt, habe ich an der Mauer in Brusthöhe 50 bis 60 Gewehreinschläge gesehen. Rekognosziert werden sollten 30 bis 40 Tote. Sie waren nach den Angaben der Gefängnisverwaltung aus dem Massengrab, wo sie ohne Särge lagen, herausgeholt und in die Särge gelegt worden. An das Massengrab zu gehen, wurde mir nicht gestattet. Nur wenige Särge wiesen Namen auf, darunter einen weiblichen.«

Elf Leichen konnten nicht agnosziert werden. (Münchener »Neue Zeitung«, 17. Juni 1919.)

Das Verfahren gegen die Täter ist noch nicht abgeschlossen, hat aber bisher zu keinerlei Resultaten geführt.

Erschießung — keine offene Gewalt

Der Hilfsarbeiter Josef Sedlmaier wurde am 2. Mai 1919 in seiner Wohnung, Winterstr. 8 II., verhaftet. Sedlmaier war niemals bei der Roten Armee und hatte niemals an Kämpfen teilgenommen. Er hatte lediglich 14 Tage bei der Arbeiterwehr Sicherheitsdienst gemacht und sein Gewehr am 27. April eingeliefert.

Nach den staatsanwaltschaftlichen Akten, A.V. XIX 1254/19, hat der betreffende Leutnant Möller, bayr. Schützenregiment 21, die Festnahme angeordnet, »weil er (Sedlmaier) mir nicht beweisen konnte, daß er sein Gewehr wirklich schon am 27. April abgeliefert habe.«

Zu gleicher Zeit wurden die im gleichen Hause wohnenden Gebrüder Altmann festgenommen. Nach den Angaben eines »unbekannten, nicht ermittelten Polizeiorgans« waren sie »gefährliche Spartakisten«.

Die drei Verhafteten wurden einer »Standgerichtskommission« unter Vorsitz eines Hauptmannes vom 1. bayr. Schützenregiment vorgeführt und zum Erschießen bestimmt. Sie wurden in den Hof einer Lederfabrik, Pilgersheimer Str. 39, geführt; als sie dort einen bereits Erschossenen liegen sahen, begannen sie auseinanderzulaufen. Darauf wurden alle drei wegen Fluchtgefahr erschossen.

Der Tumultschadenausschuß konstatiert aus den staatsanwaltschaftlichen Akten, daß alle Zeugen bezüglich des Sedlmaier nichts Belastendes bekundet haben. Schriftliche Aufzeichnungen über das »standgerichtliche« Verfahren wurden nicht gemacht. Der betreffende Hauptmann, der das »Standgericht« leitete, erklärte zu den Akten: »Ich habe in den ersten Tagen des Mai auf Grund von Angaben der Kriminalpolizei und von Vertrauenspersonen soviele Verhaftungen [36] vornehmen lassen, daß ich mich unmöglich auf die Namen von Festgenommenen besinnen kann; auch kann ich nicht angeben, ob Sedlmaier und die beiden Altmann mir vorgeführt wurden, oder ob sie auf dem Wege zu mir erschossen wurden, weil sie einen Fluchtversuch machten.«

Das Verfahren gegen Möller wurde eingestellt. Von einem Verfahren gegen den Hauptmann oder gegen die Soldaten, die die Erschießung vornahmen, ist nichts bekannt geworden, obwohl der Staatsanwaltschaft nach eigener Mitteilung die Namen bekannt sind.

Der Tumultschadenausschuß billigte der Witwe, welche zwei minderjährige Kinder hat, eine kleine Rente zu.

Hiergegen legte der Reichskommissär bei dem Tumultschadenausschuß Beschwerde zum Reichswirtschaftsgericht ein. Dieses hob den Beschluß auf und wies den Anspruch auf Entschädigung ab. In dem Beschluß heißt es:

»Zunächst ist der Schaden in keinem Falle durch offene Gewalt verursacht. Denn die vollstreckende militärische Stelle hat, wie auch der Fall gelagert gewesen sein mag, stets amtliche Befugnisse ausüben wollen. Selbst ein Mißbrauch und eine Ueberschreitung von Amtsbefugnissen kann niemals als offene Gewalt angesprochen werden. Weiter aber ist auch in keinem der möglichen Fälle der Tod durch die Abwehr der offenen Gewalt der Spartakisten unmittelbar verursacht worden. Sedlmaier wurde durch seine Verhaftung dem Kreise der gegen die Spartakistenherrschaft eingesetzten unmittelbaren Abwehrmaßnahmen entrückt. In diesem Augenblick begann für ihn die Abwicklung eines außerhalb der unmittelbaren Gewaltabwehr liegenden besonderen strafrechtlichen Verfahrens ...«

Nunmehr hat die Witwe eine Klage gegen den Militärfiskus beim ordentlichen Gericht eingereicht.

Zu dem Brothändler Josef Probst kamen am 2. Mai 5 Soldaten des Freikorps Epp. Sie durchsuchten nicht einmal die Wohnung, sondern forderten ihn nur auf mitzugehen, er komme gleich wieder. Er wurde sofort erschossen. Irgend ein gerichtliches Verfahren fand nicht statt. An den Kämpfen hatte sich Probst in keiner Weise beteiligt. Klage zum ordentlichen Gericht ist anhängig.

Erschießung wegen Beschimpfung der Offiziere

Josef Anton Leib, Daiserstr. 4, hatte eine Zeitschrift »Der Republikaner, Volksblatt für Süddeutsche Freiheit«, herausgegeben. Am 2. Mai bezog das Batl. Lindenfels, in der Mehrzahl aus Tübinger Studenten bestehend, Quartier in der Implerschule. Bei Leib wurden drei Haussuchungen abgehalten, es wurde aber nichts gefunden; dann wurde er mitgeschleppt und auf Befehl des Rittmeisters Freiherrn von Lindenfels im Hof des Restaurants Elysium erschossen. Als Begründung wurde angegeben, er habe »auf der Liste gestanden« [37] und habe die Offiziere beschimpft. Gegen Freiherr v. Lindenfels wurde am 2. August 1920 Anklage erhoben. Er wurde freigesprochen (Wehrkreis-Kommando V Abt. IV.).

Nach der Entscheidung des Tumultschadenausschusses hat L. sich am Kampfe nicht beteiligt und ist den Truppen nicht mit Waffen entgegengetreten. Da die Blätter geeignet gewesen seien, lebhafte Erregung in die Bevölkerung zu tragen, und da die Witwe zwar nicht mitgearbeitet, aber in Kenntnis der Sachlage die Einnahme aus den Blättern »bewußt mitgenossen« habe, erschien es nach Ansicht des Tumultschadenausschusses der Billigkeit entprechend, die Höchstrente der Witwe von damals 57 M 90 [Pf] monatlich auf 30 Mark monatlich herabzusetzen, die Renten der fünf damals sämtlich minderjährigen Kinder von je 23 M 80 [Pf] monatlich aber unverändert zu belassen.

Das Reichswirtschaftsgericht hob diese Entscheidung am 20. Oktober 1921 auf und wies nach ständiger Praxis sämtliche Ansprüche ab, denn »ein Mißbrauch von Amtsbefugnissen könne nie als offene Gewalt angesprochen werden.« (XVII A.V. 617/21.) Klage zum ordentlichen Gerichte ist anhängig.

Bauer, Josef, Monteur, Schönstr. 60, 20 Jahre, parteilos, wurde am 3. Mai in Schleisheim angeblich wegen eines bei ihm vorgefundenen Briefes festgenommen, kurz darauf erschossen und ausgeraubt.

Nagl, Josef, Maurerpolier, 31 Jahr, Sauerlach, wurde am 3. Mai in seiner Wohnung festgenommen und am Starnberger Bahnhof erschossen. Die Erschießung erfolgte, da angenommen wurde, Nagl sei Eigentümer eines in seiner Wohnung vorgefundenen Gewehres, das jedoch nachweislich einem bei Nagl wohnenden Alois Stöttel gehörte. Nach seiner Erschießung wurde die Leiche vollständig ausgeraubt. Es fehlten 100 Mark Bargeld. Nagl hinterläßt seine Frau.

Stettner, Josef, Xylograph, Baaderstr. 65, wurde am 3. Mai bei Hilfeleistung eines Verwundeten am Gärtnerplatz erschossen. Hinterläßt Frau und 6 Kinder.

Tischer, Johann, Maler, 37 Jahr, Zeppelinstr. 23, wurde am 3. Mai aus seiner Wohnung geholt, kam etwa nach einer halben Stunde zurück und wurde auf Grund einer Bemerkung, die er den Soldaten gegenüber gemacht hatte, wieder festgenommen und kurz darauf im Lehrerinnenseminar in der Frühlingstr. erschossen.

Zull, Josef, Kutscher, 20 Jahr, Winterstr. 4, wurde am 3. Mai in seiner Wohnung verhaftet, schwer mißhandelt, halb erschlagen und am Kandidplatz erschossen. Er war bei der Republikanischen Schutzwehr gewesen.

Anton Oswald wurde auf Grund einer Denunziation des Kriminalwachtmeisters Keitler am 3. Mai morgens aus dem Bett geholt, da er bei der Entwaffnung der Schutzleute geholfen hatte. Er wurde in eine Kiesgrube gestellt, um erschossen zu werden. Schwer verwundet konnte er, da auftauchende rote Truppen die Erschießung [38] verhinderten, sich in ein Haus schleppen, wo er ins Bett gelegt wurde. Dort wurde er gefunden, an einen Zaun geschleppt und endgültig erschossen. (Kein Verfahren.)

Der Ermordete ist schuld

Am 2. Mai 1919, nachmittag 5 Uhr, kamen zwei bewaffnete Soldaten des Freikorps Epp in die Wohnung Daisenhofener Str. 12 des Dr. Karl Horn, Professor für Mathematik und Physik, und brachten ihn nach dem Gefängnis Stadelheim. Dort verhörte ihn der Kommandant, Leutnant Heußer, und gab ihm einen Passierschein, auf welchem die Schlußworte standen: »Professor Dr. Karl Horn irrtümlich verhaftet«.

Horn kehrte um 8 Uhr abends in seine Wohnung zurück. Am nächsten Morgen früh acht Uhr traten abermals zwei Bewaffnete des Freikorps Epp in die Wohnung und brachten ihn in das Haus Tegernseer Landstraße 98, wo die Befehlsstelle mit dem Stab des 1. Bataillons des Schützenregiments I (Freikorps Epp) lag. Dort wurde er im Hofe von dem herbeigeholten diensttuenden Leutnant Josef Dinglreiter (Bataillonsadjutant) ohne Verhör kurz mit den den Worten abgefertigt: »Ab nach Stadelheim, erledigt« und drei Soldaten zum Transport übergeben. Horn versuchte umsonst, seinen Passierschein vorzuweisen.

Von einem dieser drei Soldaten wurde Horn auf der vor dem Haus Stadelheimer Str. 33 befindlichen Wiese um 8-3/4 Uhr durch einen Schuß von rückwärts durch den Kopf getötet. Die Begleitmannschaft raubte Schuhe, Uhr mit Kette und Anhänger, plünderte die Taschen und versuchten den Ehering abzuziehen. (Aussage des Augenzeugen Georg Gruber in meinem Besitz.) Die Leiche wurde quer über dem Fußweg liegen gelassen.

Der Täter, wahrscheinlich Unteroffizier Georg Grammetsberger, kehrte zur Stadt zurück, die beiden andern Soldaten gingen nach Stadelheim. Um 1/2-3 Uhr nachmittags wurde die Leiche von der Gattin und dem neunjährigen Sohne am Tatort gefunden. Das Verfahren gegen Grammetsberger wurde eingestellt. Gegen Dinglreiter fand kein Verfahren statt.

Sowohl das Landgericht München wie das Oberlandesgericht München haben die Klage der Witwe abgewiesen, da eigenes Verschulden des Getöteten vorliegt. Dieser habe zu »jenem Kreis von Leuten gehört, die die Bevölkerung aufgehetzt und dadurch mittelbar die Ausschreitungen der Soldaten selbst erzeugt haben.« Die Sache geht jetzt ans Reichsgericht.

Eine Frau als Zielscheibe

Georg Kling und seine Tochter Marie Kling taten am 2. Mai in Giesing freiwillig Sanitätsdienste bei der Roten Armee in einer Station an der Weinbauerstraße. Sie waren mit Roten Kreuzbinden [39] versehen. Am 3. Mai wurde Georg Kling auf die Polizeistation Tegernseer Landstraße transportiert, weil seine andere Tochter Anni angeblich Munition getragen habe. Marie ging freiwillig mit. Der Schutzmann Keitler behauptete, Marie habe mit der Sanitätsflagge den Roten Zeichen gegeben. Sie kam vor ein Standgericht, wurde auf Grund von Zeugenaussagen von Regierungstruppen freigesprochen und sollte am 4. Mai entlassen werden. Als der Vater sie morgens abholen wollte, war sie schon nach Stadelheim abgeführt. Augenzeugen bekunden, daß sie dort als Zielscheibe verwendet wurde. Zuerst wurde sie ins Fußgelenk, dann in die Wade, dann Oberschenkel, zuletzt in den Kopf geschossen. Eine Verhandlung gegen die Täter fand nicht statt. Denn bei der Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit waren die Akten »verloren« gegangen.

Peter Lohmar, Journalist, wurde am 3. Mai auf dem Transport in den Gasteiganlagen, angeblich, weil er sich gewehrt hatte, erschossen. Tatsächlich konnte er als Kriegsinvalide überhaupt nur am Stock gehen. Das Verfahren ist eingestellt.

Der Bankbeamte Hans Bulach wurde am 3. Mai auf dem Transport in den Gasteiganlagen von demselben Gefreiten angeblich auf der Flucht erschossen.

Der Tagelöhner Theodor Kirchner aus der Winterstr. 4 wurde am 3. Mai ohne jedes gerichtliche Verfahren in der Kirbacher Str. 11 erschossen, obwohl er sich weder an den Kämpfen beteiligt, noch sonst strafrechtlich verfehlt hatte. Ein Gewehr hatte er vorher schon freiwillig ohne Aufforderung eingeliefert. Er hinterließ eine Witwe und 2 Kinder im Alter von 2 und 4 Jahren.

Der Tumultschadenausschuß billigte den Hinterbliebenen eine Rente zu. Hiergegen legte der Reichskommissar beim Tumultschadenausschuß Beschwerde ein; in der Begründung derselben heißt es: »Als Kirchner erschossen wurde, war er vollständig wehrlos und von Kirchner drohte daher keinerlei offene Gewalt, demzufolge konnte seine Erschießung auch nicht die Abwehr einer offenen Gewalt von seiner Seite bezwecken, naturgemäß konnte durch diese Erschießung auch nicht die etwa von anderer Seite drohende Gewalt abgewehrt werden ...«

Das Reichswirtschaftsgericht hob die Entscheidung auf und wies die sämtlichen Ansprüche ab. Klage zum ordentlichen Gericht schwebt.

Der Privatier Christian Frohner, Paulaner Platz 27, wurde am 3. Mai wegen Verdachtes der Teilnahme an der Aufruhrbewegung von Truppen des Freikorps Lützow festgenommen. Am 5. Mai 1919 wurde er auf dem Transport vom »Standgericht« in der Hofbräuhaushalle zur Befehlsstelle der Gruppe Siebert von dem ihn begleitenden Gefreiten erschossen. Der Bescheid des Tumultschadenausschusses stellte fest, daß die Erschießung »angeblich aus Notwehr« erfolgte. Die Leiche wurde ausgeraubt. [40]

Der Antrag auf Zuerkennung einer Rente auf Grund des Tumultschadengesetzes wurde in beiden Instanzen abgelehnt. Klage zum ordentlichen Gericht ist anhängig.

Das gegen den Gefreiten wegen Mord eingeleitete Verfahren wurde eingestellt, weil ein Zeuge nicht auffindbar gewesen ist. Derselbe Gefreite hat auch Bulach und Lohmar umgebracht.

Der Monteurhelfer Leonhard Dorsch, am Feuerbachl 6, wurde nach den der Witwe vom Tumultschadenausschuß mitgeteilten Feststellungen vom Militär am 4. Mai verhaftet, »da er der Zugehörigkeit zur Roten Armee verdächtig war«. Er wurde zunächst einem Gerichtsoffizier in der Wache des 16. Stadtbezirkes zum Verhör vorgeführt und später »auf nicht aufgeklärte Weise, vermutlich bei einem Fluchtversuch« erschossen. Kein Verfahren.

Die zwölf Perlacher Arbeiter

Am 4. Mai rückte das Freikorps Lützow in Perlach, wo niemals gekämpft worden war, ein. Die Offiziere konferierten mit dem protestantischen Pastor Hell. (Angeblich holten sie dort ein Wäschepaket ab.) Dann requirierten sie ein Zimmer im Gasthof zur Post und verhafteten die Arbeiter Johann Licht und Georg Koch. Um 3 Uhr morgens wurden dann auf Grund einer Liste u. a. folgende Perlacher Arbeiter, teils Parteilose, teils Mitglieder der Mehrheitssozialdemokratie, aus ihren Betten geholt: Adalbert Dengler, Georg Eichner, Sebastian Hufnagel, Georg Jacob, Josef Jakob, Johann Keil, Albert Krebs, Josef Ludwig, August Stöber, Konrad Zeller. Bei dem Hafnermeister Ludwig waren drei ergebnislose Haussuchungen vorausgegangen. Keil und Dengler hatten Waffen besessen, sie jedoch am 1. Mai laut Aufforderung abgeliefert. Als der Wirt den Verhafteten Kaffee geben lassen wollte, hieß es, »die brauchen nichts mehr«. Die Verhafteten mußten Brieftaschen, Messer und Geldbörsen abgeben, wurden in der Früh um 5 Uhr auf ein Lastauto verladen und nach dem Hofbräuhauskeller gebracht. Ludwig wurde gleich hinter das Auto geführt und um 6 Uhr morgens erschossen. Einige der Verhafteten wurden dann von Offizieren verhört. Keiner war bei der Roten Armee gewesen. Keiner hatte sich an den Kämpfen beteiligt, bei keinem waren Waffen gefunden worden, Zeugen schildern, daß die Gefangenen einen niedergeschlagenen, ja geistesabwesenden Eindruck machten und flehentlich um ihr Leben baten. Zwischen 11 und 1 Uhr wurden in Abständen erst zwei, dann drei Personen auf dem Hof auf einem Kohlenhaufen erschossen. Zwei weitere Gefangene, zuerst zurückgestellt, wurden später erschossen. Insgesamt wurden in Abständen 12 Gefangene ohne Urteil, ohne den Schatten eines Rechts erschossen. Nach der Erschießung wurden den Toten ihre sämtlichen Wertgegenstände und Papiere geraubt. Gegen keinen einzigen der Täter oder der verantwortlichen [41] Offiziere ist jemals auch nur verhandelt worden. (Aussagen von 14 Augenzeugen sind in meinem Besitz.) 12 Frauen und 35 minderjährige Kinder waren der Ernährer beraubt. Die von den Hinterbliebenen auf Grund des Aufruhrschadengesetzes erhobenen Rentenansprüche wurden vom Reichswirtschaftsgericht am 14. August 1921 mit der Begründung abgewiesen, die Erschießung sei keine offene Gewalt gewesen. (XVII, A.V. 747/21.)

Josef Graf, 18 Jahre, wurde am 3. Mai verhaftet. Ein Offizier teilte dem Vater mit, der Fall werde am nächsten Tag ordnungsgemäß verhandelt. Am 4. Mai, morgens 1/2-6 Uhr, wurde er auf offener Straße (Warngauer Straße) erschossen und die Leiche liegen gelassen. (Kein Verfahren.)

Josef Siegl, Sanitätssoldat, Rheintaler Str. 64, tat während der Räterepublik keinen Dienst und ging erst am 1. Mai wieder in Dienst. Auf dem Weg nach Hause wurde er am 5. Mai wegen seiner Roten Kreuzbinde erschossen. Die Leiche wurde ausgeraubt.

Schäffer, Josephine, Kaufmannsfrau, Hohenzollernstr. 72, wurde am 5. Mai auf dem Transport nach dem Abteilungsstab des Freikorps Lützow in der Nähe der Giselaschule erschossen. Nach der Erschießung wurde ihre Wohnung durchsucht und Gegenstände im Werte von 3000 Mark entwendet. Ihr Mann war in Haft. Ein Verfahren gegen die Täter ist nicht eingeleitet.

Die 21 katholischen Gesellen

Am 6. Mai fand eine Versammlung des katholischen Gesellenvereins St. Joseph wegen Theaterangelegenheiten im Vereinslokal, Augustenstr. 71, statt. Sie wurde als »spartakistisch« denunziert. Auf Grund eines Befehls des Hauptmanns v. Alt-Stutterheim wurden die Gesellen durch eine Patrouille unter Führung des Offizierstellvertreters Priebe verhaftet, weil ein Versammlungsverbot existierte. Hauptmann v. Alt-Stutterheim musterte die Verhafteten auf der Straße. Die Leute schrien, sie seien unschuldig; er sagte, das gehe ihn nichts an, und ließ es zu, daß die Leute furchtbar mißhandelt wurden. Sieben Gefangene wurden im Hof des Hauses Karolinenplatz 5 erschossen. Die anderen wurden in den Keller eingeliefert. Die Soldaten, zum Teil in angetrunkenem Zustand, trampelten auf den Gefangenen herum, stießen sie wahllos mit dem Seitengewehr nieder und schlugen derartig um sich, daß ein Seitengewehr sich verbog und daß das Hirn herumspritzte. So töteten sie weitere 14 Leute und plünderten dann die Leichen aus. Fünf Gefangene wurden schwer verwundet. »Die Leichen der Erschossenen schauten fürchterlich aus. Einem war die Nase ins Gesicht hineingetreten, andern fehlte der halbe Hinterkopf«. (Erster Verhandlungstag.) »Wenn einer der Verwundeten sich noch regte, wurde auf ihn eingeschlagen und eingestochen. Zwei Soldaten, die sich umfaßt hatten, führten einen wahren Indianertanz neben den Leichen auf, schrien und heulten.« [42] (»Bayr. Kurier«, 23. Oktober 1919.) Die Soldaten glaubten ein Recht dazu zu haben, da ihnen durch ihren Hauptmann Hoffmann erklärt worden war, wenn sie einen Spartakisten sähen, sollten sie gleich von der Waffe Gebrauch machen. Ein Soldat meldete sich denn auch dienstlich von der Erschießung der 21 Spartakisten zurück. Der größte Teil der Täter konnte nicht festgestellt werden. Das Sektionsprotokoll verschwand aus den Akten. Die Namen der Ermordeten waren: J. Lachenmaier, J. Stadler, F. Adler, J. Bachhuber, S. Ballat, A. Businger, J. Fischer, M. Fischer, F. Grammann, M. Grünbauer, J. Hamberger, J. Krapf, J. Lang, B. Pichler, P. Prachtl, L. Ruth, K. Samberger, F. Schönberger, A. Stadler, F. Stöger, K. Wimmer.

Am 25. Oktober 1919 wurde der Soldat Jakob Müller und der Vizefeldwebel Konstantin Makowski zu 14 Jahren Zuchthaus, Grabasch zu einem Jahr Gefängnis wegen Totschlags verurteilt. Gegen die verantwortlichen Offiziere der Gardedivision wurde kein Verfahren eingeleitet. Das Verfahren gegen den Hauptmann von Alt-Stutterheim wurde eingestellt. (»Münchener Neueste Nachrichten« und »Bayrischer Kurier«, 21. bis 26. Oktober 1919.) (Schlag, Das Blutbad am Karolinenplatz.) Vorsitzender war Oberlandesgerichtsrat Hieber, Staatsanwalt Dr. Mugler.

Am 4. November wurde der ehemalige Husar Stefan Latosi, der in der betr. Nacht blutbefleckt mit gestohlenen Uhren und Geldbörsen den Keller verlassen hatte, wegen Verbrechen des Totschlags freigesprochen, wegen schweren Diebstahls zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. (»Münchener Neueste Nachrichten«, 5. November 1921.)


Da mir leider der Platz fehlt alle Münchener »tödlichen Unglücksfälle« auch nur mit wenigen Worten zu schildern, begnüge ich mich, die mir bekannten in tabellarischer Form darzustellen. Der Vorgang ist eintönig immer dasselbe: Denunziation, Verhaftung, Erschießung an der nächsten Mauer, Plünderung der Leiche. Der Täter bleibt straflos, denn ein Verfahren wird gar nicht eingeleitet.


Die folgende Liste umfaßt 161 Ermordete und 273 Hinterbliebene. Sie enthält auch die im Text bereits aufgeführten Fälle. [43]

161 VON DEN REGIERUNGSTRUPPEN IN MÜNCHEN ERMORDETE

Lfd. Nr.NameWohnort, Beruf, Alter, Zahl der Hinterbliebenen, Datum, Ort der Ermordung, Bemerkung
1Adler, FranzKath. Ges.-Verein, Augustenstr. 41, Schlosser, Alter: 25, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, vollst. ausgeplündert
22 Brüder AltmannWinterstr. 8, Beruf: —, Alter: — , Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Pilgersheimerstraße 39, Verfahren eingestellt
4Aschenbrenner, M.Tegernseerlandstraße 18, Spengler, Alter: —, Hinterbliebene: 3, 7. V. 19, Hohenzollernschule
5 Bachhuber, JosefKath. Ges.-Verein, Maler, Alter: 19, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, vollst. ausgeplündert
6 Barth, GeorgLilienstr. 62, Hoteldiener, Alter: 30, Hinterbliebene: 1, Datum: — , Ort der Ermordung: —, Schuhe, Hose, Mantel geraubt
7 Barth, R. AntonNockherstr. 38, Kutscher, Alter: 18, Hinterbliebene: 1, 4. V. 19, Ostfriedhof
8 Bauer, JohannUnterföhring 3, Beruf: —, Alter: 17, Hinterbliebene: —, 30.IV. 19, Ort der Ermordung: —
9 Bauer, JohannesUnterföhring 3, Arbeiter, Alter: 48, Hinterbliebene: 5, 30.IV. 19, Ort der Ermordung: —
10 Bauer, JosefSchönstr. 60, Monteur, Alter: 20, Hinterbliebene: 6, 3. V. 19, Schleißheim, ausgeraubt
11 Bischl, MichaelOberländerstr. 11, Schlosser, Alter: 18, Hinterbliebene: 2, 2. V. 19, Ruprechtstr., erschlagen und erschossen
12 Bongratz, PeterWestendstr. 161, Gehilfe, Alter: 25, Hinterbliebene: 8, 5. V. 19, Schlachthof, gold. Uhr, 3 goldene Ringe, Ueberzieher, Hut geraubt
13 Bulach, JohannMariahilfstr. 3, Bankbeamter, Alter: 37, Hinterbliebene: 3, 3. V. 19, Gasteiganlagen
14 Bullat, SebastianKath. Ges.-Verein, Schmied, Alter: 19, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
15 Brucker, OskarHochstr. 31, Beruf: —, Alter: — , Hinterbliebene: 1, 3. V. 19, Salvatorkeller
16 Buscher, AndreasTegernseerlandstraße 28, Bauhilfsarbeit., Alter: 29, Hinterbliebene: —, 4. V. 19, Stadelheim
17 Businger, Anton Kath. Ges.-Verein, Buchbinder, Alter: 22, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
18 Crusius, LudwigWeinbauernstr. 1, Schlosser, Alter: 37, Hinterbliebene: 2, 2. V. 19, Knollwiese
19 Dal Sasso, JosefBavariastr. 9, Kutscher, Alter: 35, Hinterbliebene: 1, 3. V. 19, Menterschweige
20 Demann, Johann Wendelsteinstr. 9, Bahnarbeiter, Alter: 21, Hinterbliebene: 3, Datum: — , Ort der Ermordung: —
21 Dengler, AdalbertPerlach, Prinzregentenstr. 46, Taglöhner, Alter: 46, Hinterbliebene: 6, 5. V. 19, Hofbräuhausk.
22 Dietz, Theodori. d. Grube 25, Spengler, Alter: 30, Hinterbliebene: 2, 2. V. 19, Maximiliank.
23 Dorfmeister, Aug.Siebenbrunnerstr., Ingenieur, Alter: 28, Hinterbliebene: 4, 2. V. 19, Harlaching, erschlagen, erschossen, ausgeplündert
24 Dorsch, LeonhardFeuerbachl 6, Monteurgehilfe, Alter: 25, Hinterbliebene: —, 4. V. 19, Frauenhoferbrücke
25 Eckert, MaxMiliechplatz 1, Friseur, Alter: 45, Hinterbliebene: 4, 2. V. 19, Kühbachstr.
26 Effhauser, LorenzJahnstr. 31, Monteurgehilfe, Alter: 28, Hinterbliebene: 1, 1. V. 19, Stadelheim
27 Eichner, GeorgPerlach 196, Bahnarbeiter, Alter: 35, Hinterbliebene: 5, 5. V. 19, Hofbräuhausk.
28 Enzenberger, Joh.Winterstr. 13, Schleifer, Alter: 24, Hinterbliebene: 3, Datum: — , Harlachinger Weg, 143 M., Brieftasche, Ehering, Uhr, Windjacke geraubt
29 Ewald, JakobTegernseerlandstraße 71, Hilfsmonteur, Alter: — , Hinterbliebene: 2, Datum: — , Ort der Ermordung: —
30 Faltermeier, OttoPeißenbergstr. 1, Metzger, Alter: 28, Hinterbliebene: 3, 2. V. 19, Stadelheim
31 Faust, sen.Kistlerstr. 1, Schreiner, Alter: — , Hinterbliebene: —, 2. V. 19, i. d. Wohnung
32 Faust, jun.Kistlerstr. 1, Schreiner, Alter: — , Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Ort der Ermordung: —
33 Felser, MartinMondstr. 1, Bauarbeiter, Alter: 23, Hinterbliebene: 1, 3. V. 19, Stadelheim
34 Feigl, LudwigHerzogstandstr. 1, Metzger, Alter: 41, Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Ort der Ermordung: —
35 Fichtl, JohannPerlach 46, Hilfsarbeiter, Alter: 43, Hinterbliebene: 7, 5. V. 19, Hofbräuhausk.
36 Fischalk, AntonSchönstr. 60, Gärtner, Alter: 24, Hinterbliebene: 1, 2. V. 19, Krüppelheim
37 Fischer, JosephKath. Ges.-Verein, Schlosser, Alter: 23, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
38 Fischer, KarlRaintalerstr. 72, Hilfsarbeiter, Alter: 20, Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Knollhof, ausgeplündert
39 Fischer, MichaelKath. Ges.-Verein, Schneider, Alter: 21, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenplatz 5, ausgeplündert
40 Frohner, Christ.Paulanerplatz 27, Privatier, Alter: — , Hinterbliebene: —, 5. V. 19, Hofbräuhauskeller, gold. Zwicker, Uhr, Börse, Stock gestohl.
41 Ganserer, LudwigWohnort: — , Schlosser, Alter: — , Hinterbliebene: 1, 2. V. 19, Residenz, ausgeplündert
42 Geigl, MichaelUnterhaching 14, Schriftsetzer, Alter: 39, Hinterbliebene: 2, 1. V. 19, Stadelheim
43 Geltl, JohannSchönstr. 76, Hilfsarbeiter, Alter: 20, Hinterbliebene: 1, Datum: — , Knollkiesgrube, ausgeplündert
44 Gerhard, KarlOberanger 53, Kaufmann, Alter: 28, Hinterbliebene: 1, 2. V. 19, Jakobplatz
45 Goldbrunner, Joh.Tegernseerlandstraße 125, Eisendreher, Alter: 22, Hinterbliebene: 1, Datum: — , Giesingerberg, ausgeplündert
46 Graf, JosefGietlstr. 15, Schlosser, Alter: 18, Hinterbliebene: —, 4. V. 19, Warngauerstr.
47 Gramann, Franz Kath. Ges.-Verein, Schneider, Alter: 19, Hinterbliebene:—, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
48 Grünbauer, Math.Kath. Ges.-Verein, Schlosser, Alter: 24, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
49 Hamberger, Joh.Kath. Ges.-Verein, Schlosser, Alter: 19, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
50 Hain, LeoBelgradstr. 107, Masch.-Mstr., Alter: — , Hinterbliebene: 3, 8. V. 19, Karl Theod.-W., ausgeplündert
51 Hausler, Rich.Großhadern 19, Elektrotechn., Alter: 19, Hinterbliebene: 2, 1. V. 19, Großhadern
52 Hausmann, Wilh. Weißenburger Straße 2, Friseur, Alter: 30, Hinterbliebene: 1, 3. V. 19, i. s. Wohnung
53 Hecksteiger, MaxKühbachstr. 16, Maurer, Alter: 36, Hinterbliebene: 1, 3. V. 19, Ort der Ermordung: —
54 Heimerer, AntonTegernseerlandstraße 30, Eisenhobler, Alter: 49, Hinterbliebene: 5, 3. V. 19, Knollgrube, ausgeplündert
55 Heimkirchner, Jul.Elsenheimerstr. 28, Hilfsarbeiter, Alter: 21, Hinterbliebene: 1, 2. V. 19, Ausstellung, 230,— M., Uhr und Kette, Hut und Stiefel geraubt
56 Heinritzl, JosefWendelsteinstr. 2, Bauarbeiter, Alter: 22, Hinterbliebene: 1, 2. V. 19, Knollanwesen
57 Hillenbrand, Joh.Ackerstr. 116, Fensterreinig., Alter: 20, Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Siboldstr.
58 Hof, SebastianForstenriederstr. 2, Schlosser Alter: 32, Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Forstenrieder Ecke, Holzapfelstraße
59 Horn, KarlDaisenhofenerstraße 12, Prof. d. Mathematik, Alter: —, Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Stadelheimerstraße 33, Uhr, Kette, Schuhe geraubt
60 HöpflGrünwald, Feinmechaniker, Alter: — , Hinterbliebene: —, 1. V. 19, Grünwald
61 Hörl, MaxWeinbauernstr. 2, Schuhmacher, Alter: 33, Hinterbliebene: 3, Datum: —, Stadelheim
62 Huber, KarlLandsbergerstraße 153, Kutscher, Alter: 27, Hinterbliebene: —, 1. V. 19, Ort der Ermordung: —, 30 M., 2 Uhren, Gamaschen, Brieftasche geraubt
63 Hufnagel, Sebast.Perlach, Rosenheimerstr. 5, Taglöhner, Alter: 47, Hinterbliebene: 3, 5. V. 19, Hofbräuhauskeller, ausgeplündert
64 Huhn, PeterGroßhesselohe, Beruf: —, Alter: — , Hinterbliebene: —, 1. V. 19, Großhesselohe
65 Jakob, GeorgPerlach 104, Schreiner, Alter: 37, Hinterbliebene: 3, 5. V. 19, Hofbräuhausk., ausgeplündert
66 Jakob, JosefPerlach, Putzbrunnerstr., Maurer, Alter: 40, Hinterbliebene: 6, 5. V. 19, Hofbräuhausk., ausgeplündert
67 Kapfhammer, MaxRottmannstr. 23, Taglöhner, Alter: 50, Hinterbliebene: —, 3. V. 19, Stigelmeierpl.
68 Keil, JohannPerlach 46, Taglöhner, Alter: — , Hinterbliebene: —, 5. V. 19, Hofbräuhausk., ausgeplündert
69 Kollmeder, Blas.Baaderstr. 2, Beruf: —, Alter: — , Hinterbliebene: —, 200 M., Leuchtblattuhr geraubt
70 Kininger, RuppertReifenstuhlstr. 12, Monteur, Alter: 30, Hinterbliebene: 3, 3. V. 19, Schlachthof
71 Kirchner, TheodorWinterstr. 4, Taglöhner, Alter: — , Hinterbliebene: 3, 3. V. 19, Kühbachstr. 11
72 Kistler, GeorgGroßhesselohe, Beruf: —, Alter: — , Hinterbliebene: —, 1. V. 19, Großhesselohe
73 Kling, MariaEdelweißstr. 11, Kontoristin, Alter: 23, Hinterbliebene: —, 4. V. 19, Stadelheim
74 Kobahn, OttoPilgersheimerstr. 2, Schreinerlehrl., Alter: 16, Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Stadelheim
75 Koch, Aug. GeorgPerlach 46, Hilfsarbeiter, Alter: — , Hinterbliebene: 9, 5. V. 19, Hofbräuhausk.
76 Koller, IgnatzAbelestr. 1, Schäffler, Alter: 25, Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Kapuzinerstr., 80 M., Ring, Ueberzieher, Schuhe geraubt
77 Kohlmann, Joh.Dreimühlenstr. 14, Taglöhner, Alter: — , Hinterbliebene: 6, 2. V. 19, Schlachthof
78 Koyer, JosefFrauenstr. 3, Metzger, Alter: 20, Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Marienstr.
79 König, AntonMehring b. Augsb., Elektromont., Alter: 34, Hinterbliebene: 2, 2. V. 19, Schlachthof
80 Köstelmaier, XaverLandsbergerstraße 163, Malergehilfe, Alter: — , Hinterbliebene: 4, 1. V. 19, Schäftlarn
81 Krapf, JosefKath. Ges.-Verein, Schneider, Alter: 21, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
82 Kraus, KarlGallmeierstr. 6, Händler, Alter: 34, Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Ort der Ermordung —
83 Krebs, Albert Perlach 46, Gußmeister, Alter: 38, Hinterbliebene: 5, 5. V. 19, Hofbräuhausk., ausgeplündert
84 Lachenmaier, JosefKath. Ges.-Verein, Großhadern, Lindenallee 8, Herbergsvater, Alter: — , Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
85 Landauer, GustavWohnort: — , Schriftsteller, Alter: 49, Hinterbliebene: 1, 2. V. 19, Stadelheim, Rock, Hose, Stiefel, Mantel u. Uhr geraubt
86 Lang, JosefKath. Ges.-Verein, Schlosser, Alter: 26, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
87 Leib, AntonDaiserstr. 44, Redakteur, Alter: — , Hinterbliebene: 6, 2. V. 19, Elysium, Täter: v. Lindenfels
88 Link, KarlBarthstr. 2, Kutscher, Alter: 40, Hinterbliebene: 1, 2. V. 19, Hofbräuhausk.
89 Lohmar, JosefKühbachstr. 18, Fuhrmann, Alter: 41, Hinterbliebene: 5, 2. V. 19, Giesingerberg
90 Lohmar, PeterWohnort: — , Journalist, Alter: — , Hinterbliebene: —, 3. V. 19, Gasteiganlagen
91 Ludwig, JosefPerlach 134, Hafnermeister, Alter: 56, Hinterbliebene: 5, 5. V. 19, Hofbräuhausk., ausgeplündert
92 Mages, GeorgLandsbergerstraße 163, Bauarbeiter, Alter: 17, Hinterbliebene: —, 3. V. 19, Pettenkoferstraße 11
93 Mairiedl, Josef Großhadern, Bauerstr. 39, Schreiner, Alter: 35, Hinterbliebene: 1, 1. V. 19, v. d. Dorf Großhadern
94 Mandel, KarlWohnort: — , Redakteur, Alter: 33, Hinterbliebene: 3, Datum: — , Ort der Ermordung: —, größerer Geldbetrag gestohlen
95 Meißenhalter, Rupp.Wohnort: — , Taglöhner, Alter: — , Hinterbliebene: —, 3. V. 19, Tegernseerlandstr. 32
96 Nagl, JosefSauerlach, Maurerpolier, Alter: 31, Hinterbliebene: 1, 3. V. 19, Starnberger Bhf., 100 M. geraubt
97 Neumeier, HansLothringerstr. 11, Pflasterer, Alter: 23, Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Ostfriedhof
98 Niederreiter, JosefUntere Grasstr. 18, Pflasterer, Alter: 29, Hinterbliebene: 3, 3. V. 19, Ort der Ermordung: —, Uhr, Geld, Schuhe u. Ringe, geraubt
99 Noak, ErnstGroßhadern 36, Monteur, Alter: 27, Hinterbliebene: —, 1. V. 19, Waldfriedhof, ausgeplündert
100 Obermaier, Joh.Entenbachstr. 12, Metallgießer, Alter: 21, Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Ort der Ermordung: —, ausgeplündert
101 Oswald, AntonKesselbergstr. 2, Maurer, Alter: 31, Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Ort der Ermordung: —, 300 M., Uhr u. Kette [geraubt]
102 Pasch, Josef Wohnort: — , Beruf: —, Alter: — , Hinterbliebene: 1, 3. V. 19, Tegernseerlandstr. 132
103 Peller, JosefAlpenstr. 27, Hilfsarbeiter, Alter: — , Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Wiese a. d. Daiserstraße
104 Pichler, Bernh.Kath. Ges.-Verein, Tapezier, Alter: 26, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
105 Platzer, JosefBoosstr. 5, Spengler, Alter: 18, Hinterbliebene: 1, Datum: — , Ohlmüllerstr.
106 Prachtl, PaulKath. Ges.-Verein, Spengler, Alter: 29, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
107 Probst, JosefKirchenstr. 38, Brothändler, Alter: 30, Hinterbliebene: 2, 2. V. 19, Maximiliank.
108 Rabl, GeorgAignerstr. 16, Eisendreher, Alter: — , Hinterbliebene: 1, 3. V. 19, Pfarrhofstr.
109 Raffner, JosefKesselbergstr. 6, Beruf: —, Alter: — , Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Knollwiese
110 Raidel, JosefWirthstr. 1a, Hilfsarbeiter, Alter: 35, Hinterbliebene: 3, 3. V. 19, Wirthstr. 1a
111 Rainer, AugustGroßhadern 19, Beruf: —, Alter: — , Hinterbliebene: —, 1. V. 19, Neufriedenheim, Uhr u. Zigarettenetui geraubt
112 Reinhardt, ViktorArcostr. 9, Hilfsarbeiter, Alter: 23, Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Ort der Ermordung: —
113 Reith, LudwigKath. Ges.-Verein, Schneider, Alter: 22, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
114 Rieger, JosefBreisacherstr. 19, Maurer, Alter: 34, Hinterbliebene: 1, 2. V. 19, Stadelheim
115 Reischl, JosefZugspitzstr. 15, Maurer, Alter: — , Hinterbliebene: 2, 4. V. 19, Stadelheim
116 Rötzer, EmeranDreimühlenstr. 14, Schuhmacher, Alter: 42, Hinterbliebene: 3, 2. V. 19, Ort der Ermordung: —
117 Ruither, JosephHans Miliechstr. 10, Stuckateur, Alter: — , Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Cremmermühle, 80 M. u. Bekleidung geraubt
118 Russer, KarlZugspitzstr. 13, Steinmetz, Alter: 28, Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Ort der Ermordung: —, vollst. ausgeplündert
119 Samberger, Karl Kath. Ges.-Verein, Schneider, Alter: 25, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
120 Samisch, WilhelmPreisingstr. 8, Spengler, Alter: 45, Hinterbliebene: —, 3. V. 19, Herzogpark, ausgeplündert
121 Sammer, AlfonsKesselbergstr. 6, Hilfsarbeiter, Alter: — , Hinterbliebene: 4, Datum: — , Knollwiese
122 Sedlmaier, Jos.Winterstr. 8, Hilfsarbeiter, Alter: 42, Hinterbliebene: 3, 2. V. 19, Pilgersheimerstraße 39, Verfahren eingestellt
123 Seidl, Georg Trappentreustr. 32, Bauarbeiter, Alter: 32, Hinterbliebene: 1, 1. V. 19, Donnersbergbr.
124 Seidner, PhilippUnterföhring, Beruf: —, Alter: — , Hinterbliebene: —, Datum: — , Elsässer Str.
125 Sigl, JosefRaintalerstr. 64, Krankenwärter, Alter: 35, Hinterbliebene: 2, 5. V. 19, Ort der Ermordung: —
126 Sontheimer, Josef Erhardstr. 11, Kaufmann, Alter: 52, Hinterbliebene: —, 4. V. 19, Franziskaner
127 Schäffer, JosefineHohenzollernstr. 72, Kaufmannsfr., Alter: — , Hinterbliebene: —, 5. V. 19, Elisabethplatz, Wohnung vollständig ausgeplündert
128 Schermer, HeinrichBoschetsriedstr. 43, Schlosser, Alter: — , Hinterbliebene: 4, Datum: — , Ort der Ermordung: —, als Verwundeter erschossen u. ausgeraubt
129 Schlagenhaufer, H.Unterhaching, Redakteur, Alter: 54, Hinterbliebene: 1, 2. V. 19, Stadelheim
130 Schlagintweit, Jak.Tegernseerlandstraße 125, Beruf: —, Alter: — , Hinterbliebene: 4, 2. V. 19, Knollwiese
131 Schnellbögl, GeorgHumboldstr. 20, Maler, Alter: 54, Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Kirbachstr. 11, Uhr u. Kette geraubt
132 Schönberger, FritzKath. Ges.-Verein, Bäcker, Alter: 19, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
133 Schredinger, Joh. Daisenhofenerstraße 4, Schmied, Alter: 21, Hinterbliebene: 4, 3. V. 19, Stadelheim, ausgeplündert
134 Schwaiger, Jak.Dreimühlenstr. 9, Zimmerer, Alter: — , Hinterbliebene: 2, Datum: — , Sendlingertorpl.
135 Schwarz, JohannBreisacherstr. 16, Mechaniker, Alter: 21, Hinterbliebene: —, 4. V. 19, Stadelheim
136 Stadler, AntonKath. Ges.-Verein, Techniker, Alter: 35, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
137 Stadler, JacobKath. Ges.-Verein, Buchhalter, Alter: — , Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeplündert
138 Steidle, MaxParkstr. 13, Bäcker, Alter: — , Hinterbliebene: —, Datum: — , Zur roten Wand
139 Steingrübl, JosefPalmstr. 8, Mechanikerlhrl., Alter: 16, Hinterbliebene: —, 2. V. 19, Stadelheim
140 Stelzer, JohannOrleanstr. 61, Fuhrmann, Alter: 21, Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Ludwigsbrücke, ins Wasser geworfen
141 Stettner, JosefBaaderstr. 65, Xylograph, Alter: — , Hinterbliebene: 7,3. V. 19, Gärtnerplatz
142 Stiegler, LudwigKirchplatz 10, Hilfsarbeiter, Alter: — , Hinterbliebene: —, Datum: — , Stadelheim
143 Stöber, AugustPerlach, Arbeiter, Alter: — , Hinterbliebene: —, 5. V. 19, Hofbräuhausk., ausgeplündert
144 Stöger, FelixKath. Ges.-Verein, Schuhmacher, Alter: 24, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenplatz 5, ausgeplündert
145 Streicher, JosephSommerstr. 57, Hilfsarbeiter, Alter: 25, Hinterbliebene: 2, 2. V. 19, Stadelheim, 54 M. u. Uhr geraubt
146 Tischer, JohannZeppelinstr. 23, Maler, Alter: 37, Hinterbliebene: —, 3. V. 19, Seminar, Frühlingstraße
147 Trunk, JohannGietlstr., Bäcker, Alter: 23, Hinterbliebene: —, 4. V. 19, Stadelheim
148 Thuringer, Fried.Hirschbergstr. 20, Schmied, Alter: 18, Hinterbliebene: —, 3. V. 19, Zugspitzstr.
149 VogelFürstenfeldbruck, Matrose, Alter: — , Hinterbliebene: —, 30.IV. 19, Fürstenfeldbruck, geraubt Schuhe, Gamaschen, Brieftsch. 300 M, Täter: v. Lindenfels
150 Waffler, FranzSiebenbrunn 1, Taglöhner, Alter: 29, Hinterbliebene: 3, 2. V. 19, Krüppelheim, vollst. ausgeraubt
151 Wagner, KarlAventinstr. 8, Installateur, Alter: 37, Hinterbliebene: 3, 2. V. 19, Hofbräuhausk.
152 Walter, BaptistNockherstr. 23, Schlosser, Alter: 36, Hinterbliebene: 5, 4. V. 19, Ort der Ermordung: —
153 Waock, LudwigPreisingstr. 15, Taglöhner, Alter: — , Hinterbliebene: 3, 4. V. 19. Wasserburgerhof, 2 Goldringe, 1 Silberring geraubt
154 WiesheuWohnort: — , Dienstknecht, Alter: — , Hinterbliebene: —, 1. V. 19. Großföhren, Täter: Feldwbl. Maulbeck, Art.-Abt. 24, 3. Battr., Ingolstadt
155 Wimmer, KarlKath. Ges.-Verein, Zimmermann, Alter: 23, Hinterbliebene: —, 6. V. 19, Karolinenpl. 5, ausgeraubt
156 Wittmann, Johanna. d. Schweige 5, Lackierer, Alter: 46, Hinterbliebene: 1, 5. V. 19, Schlachthof, 50 M. u. Uhr geraubt
157 Wohlmuth, Alois Großhadern, Schweizer, Alter: 37, Hinterbliebene: 9, 1. V. 19, Großhadern
158 Woppmann, XaverSandstr. 30, Polier, Alter: 51, Hinterbliebene: 2, 3. V. 19, Hafemeier, Dachauerstr.
159 Zeller, KonradPerlach 116, Arbeiter, Alter: — , Hinterbliebene: 7, 5. V. 19, Hofbräuhausk., ausgeplündert
160 Zimmermann, Jos.Pilgersheimerstr. 76, Taglöhner, Alter: 29, Hinterbliebene: 4, 2. V. 19, Mondstr.
161 Zull, JosephWinterstr. 4, Kutscher, Alter: 20, Hinterbliebene: —, 3. V. 19, Kandidplatz

[50] Die vorstehende Liste ist keineswegs vollständig. Denn nach den amtlichen Angaben sind in München allein 184 Menschen »tödlich verunglückt«. Die Liste enthält aber nur 161 Namen, die sich außerdem auf München und Umgebung beziehen.

Auch die 186 »standrechtlichen« Erschießungen waren, wie auf Seite 112 eingehend bewiesen wird, völlig ungesetzlich. Da alle Unterscheidungsmerkmale zwischen beiden Kategorien fehlen, läßt sich nicht einmal im einzelnen nachweisen, wer »tödlich verunglückt« und wer »standrechtlich« erschossen worden ist. Trotzdem habe ich nur die amtlich als »tödlich verunglückt« Bezeichneten als ermordet gerechnet. Nur in 22 Fällen hat ein gerichtliches Verfahren stattgefunden. Nur vier Täter sind bestraft worden.

Der Polizeiagent Blau

Blau war Agent und Lockspitzel der politischen Polizei. Er gehörte im Aufstand vom Januar 1919 zur Besatzung der Büxensteindruckerei und hatte auch ein Auto beschlagnahmt. Nach dem Sturz der Räterepublik war er in München tätig und gab sich dort als flüchtiger, unterstützungsbedürftiger Kommunist aus. (Dritter und vierter Verhandlungstag.) Er wurde erkannt und nach Berlin gelockt. Dort wurde er in einer Kommunistenversammlung am 1. August 1919 als Spitzel festgestellt; wollte jedoch einen Gegenbeweis antreten. Er übernachtete mit Hoppe bei einem gewissen Pohl. Dort erschien dann nach Angabe Hoppes ein nicht ermittelter Polizeiagent und bot Hoppe Gift an, um Blau umzubringen. (Dritter Verhandlungstag.) Am nächsten Tag übernachteten Blau und Hoppe in der Wohnung Winklers. Dort erschienen nach Angabe Hoppes drei Leute, darunter wahrscheinlich der Polizeiagent Schreiber, boten ihm dieselbe Flasche Morphium an und forderten, man müsse mit Blau Schluß machen. Daraufhin habe er die Wohnung verlassen, sei jedoch zurückgekehrt. Unterdessen sei Blau ermordet worden. Die Leiche wurde dann in den Kanal geworfen. Dort wurde sie am 7. August gefesselt gefunden.

Am 24. Juni 1920 begann der Prozeß. Fichtmann und Hoppe waren wegen Mordes, Winkler wegen Beihilfe angeklagt. Fichtmann trat einen Alibibeweis an. Der Hauptbelastungszeuge Toifl sagte aus, es gebe eine organisierte Terroristengruppe. Doch mußte er sich sagen lassen, er sei der Anführer bei einem Raubüberfall auf den Diamantenhändler Orlowski gewesen und habe hierzu Waffen von der Reichswehr besorgt. Seine Behörde habe ihm sogar am Schluß noch gestattet, das geraubte Geld zu behalten. Ueber alle diese Dinge befragt, verweigerte er die Auskunft. Er gab zu, versucht zu haben, eine militärpolitische Abteilung der Kommunistischen Partei zu gründen und Befehle zu Ueberfällen auf Druckereien weitergegeben zu haben. (Sechster und siebenter Verhandlungstag.) Nach Aussage des Wachtmeisters Henke hatte die Garde-Kavallerie-Schützendivision allein 110 Spitzel. (Dritter Verhandlungstag.) [51]

Am 5. Juli wurde Fichtmann freigesprochen. Hoppe bekam wegen Beihilfe zum Totschlag unter Ablehnung mildernder Umstände 6 Jahre Zuchthaus, Winkler wegen Beihilfe 3 Jahre Gefängnis. Gegen die stark belasteten Polizeispitzel Schreiber und Toifl wurde kein Verfahren eingeleitet. (Eingehende Prozeßberichte in allen Berliner Zeitungen.)

DIE ERMORDUNGEN BEIM KAPP-PUTSCH

Stadtverordneter Futran

Als Kapp am 13. März 1920 Berlin eroberte, konnte, wie bekannt, Noske in ganz Berlin keinen regierungstreuen Soldaten finden. Alle Regimenter, die gesamte Sicherheitswehr und die Einwohnerwehr gingen über. So schrieb die Zentrale der Einwohnerwehren in einem Flugblatt von der »neuen Regierung der Arbeit«. Zur Abwehr organisierten sich die Arbeiter. Als Kapp entfloh, geschah dies unter der Flagge, die beiden Regierungen hätten sich geeinigt. Die Verhältnisse lagen völlig wirr und man wußte von den Truppen nicht, ob sie wieder zur Regierung Ebert-Bauer oder noch zur Gegenregierung Kapp-Lüttwitz hielten.

In Köpenick hatten sich die Arbeiter und auch Teile der Bürgerschaft unter Führung von Futran aus den dort liegenden Beständen bewaffnet. Innerhalb der Stadt blieb alles ruhig. Die sogenannte Rote Garde machte nämlich hauptsächlich Sicherheitsdienst zusammen mit der Polizei, bewachte die städtischen Lebensmittelvorräte usw. Das Potsdamer Jägerregiment, Btl. Nr. 3, rückte an. Auch politisch rechtsstehende Leute, wie der Bürgermeister Behnke (vgl. seine Aussage vor dem Standgericht), waren sich über den Charakter der anrückenden Truppen durchaus im unklaren, da sie noch das Zeichen der Regierung Kapp, das Hakenkreuz, am Helm trugen. Es kam zu einem Kampf, wobei Gefangene gemacht wurden. Als durch telephonische Anfrage in Berlin festgestellt wurde, daß die Truppen wieder zur Regierung Ebert hielten, gab Futran selbst Befehl, die Waffen niederzulegen. Eine Zeitfreiwilligen-Eskadron zog am 21. kampflos ein, erklärte den verschärften Belagerungszustand und errichtete ein Standgericht. Futran, der sich so unschuldig fühlte, daß er sogar aufs Rathaus ging, wurde am gleichen Tag wegen der Delikte, die er vor Verkündung des Belagerungszustandes begangen haben sollte, zum Tode verurteilt. Im Protokoll, das in meinem Besitz ist, heißt es:

»Gründe: Durch Zeugen und teilweise eigenes Geständnis des Angeklagten ist einwandfrei erwiesen, daß er das Haupt des kommunistischen Aufstandes gewesen ist, daß er eine Rote Armee organisierte und zu bewaffnetem Widerstande gegen die anrückenden Regierungstruppen aufgefordert habe. Ferner hat er die gefangenen Offiziere mit dem Tode durch Erschießen bedroht, sowie die verwundeten Gefangenen als Schwerverbrecher behandeln lassen. Das Urteil wurde sofort durch eine Gruppe der 4. Schwadron unter [52] Führung des Leutnants Kubich im Hofe der Bötzowbrauerei, Grünauer Straße, vollstreckt. Das Standgericht der 4. freiw. Eskadron v. Bebell, Kapitänleutnant; Hedal, Unteroffizier; Jacks, Freiwilliger; Kubich, Leutnant.«


Zur selben Zeit wie Futran wurden »standrechtlich erschossen« der Arbeiter W. Dürre auf Grund einer Denunziation, bei ihm seien Waffen versteckt, obwohl zweimalige Haussuchung das Gegenteil bewies; ferner der Arbeiter Fritz Kegel. Es war den Angehörigen Dürres und Kegels trotz aller Bemühungen bis heute unmöglich, eine Urteilsbegründung zu erfahren. (Zeugenaussagen sind in meinem Besitz.) Ferner wurde der Arbeiter Karl Gratzke und der 17 jährige, etwas beschränkte Karl Wienecke ohne irgend welches Verfahren auf der Stelle erschossen, weil sie Waffen versteckt hatten.

Die Truppen verließen die Stadt am gleichen Tage; am nächsten wurden die Standgerichte aufgehoben. Alle Versuche, eine Sühne dieser Taten zu erlangen, sind gescheitert.

Zehn Offiziere gegen einen Geisteskranken

Der geisteskranke Lokomotivführer Weigelt aus der Alvenslebener Straße 11, ein streng patriotischer Mann, versuchte am 24. März 1920 in die Kadettenanstalt Lichterfelde einzudringen, wo eine hauptsächlich aus Offizieren bestehende Freiwilligenabteilung lag, angeblich um sich »für den Schützengraben zu melden.« Er wurde vom Torposten festgenommen, in der Wachstube mit einem von ihm mitgebrachten Gummiknüppel so geschlagen, daß er am Kopf blutete, die Treppe heraufgeschleppt, so daß am andern Tag noch dort Blut lag und in das Zimmer des Leutnant Schütz (Regierungsbaumeister) gebracht. Dort waren 10 Offiziere, über die er angeblich herfiel. Obwohl er schrie: »Meine Herren Offiziere, lassen Sie mich doch laufen, ich bin doch krank«, wurde er durch einen Schuß des Leutnant Jansen und 3 Schüsse des Leutnant Schütz getötet. Die Schüsse gingen von oben durch die Schädeldecke, so daß anzunehmen ist, daß er am Boden lag. Schütz kam im Juli 1920 vor das Gericht der Zeitfreiwilligenabteilung, nach Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit am 24. Februar 1921 vor das Landgericht II (Landgerichtsdirektor Steltzer, Staatsanwaltschaftsrat Dr. Ortmann). Schütz wurde freigesprochen, da er angab in Notwehr gehandelt zu haben. (Prozeßbericht in allen Berliner Zeitungen.)

Beschießung einer offenen Stadt

In Mecklenburg hatte General v. Lettow-Vorbeck den Kapp-Putsch organisiert und die verfassungsmäßige Regierung verhaftet. Zur Abwehr waren die Arbeiter in den Generalstreik getreten.

Am 14. März beschloß eine Volksversammlung in Waren den Generalstreik zur Abwehr des Kapp-Putsches. Der »Führer des Reichswehrkommandos Boek«, Leutnant Peter v. Lefort, und der [53] »Beauftragte der Reichswehrbrigade für Waren«, Rittmeister Stefan v. Lefort, verlangten am 17. sofortige Ablieferung aller Waffen und Wiederaufnahme der Arbeit und drohten mit Todesstrafen. Das Ministerium in Schwerin und General von Lettow-Vorbeck erklärten auf Anfrage aus Waren, daß die genannten Dienststellen nicht existieren und daß kein diesbezüglicher Auftrag gegeben sei. Am nächsten Tage drohten die Leforts, »bei Nichterfüllung des Brigadebefehls Waren nach Artillerievorbereitung mit stürmender Hand zu nehmen.« Als Frist setzten sie 11 Uhr 43 Min. fest. Als ihnen eine Deputation entgegenfuhr, verlangten sie bedingungslose Uebergabe der Stadt und 30 Geiseln. Darauf feuerten sie 5 Granatschüsse auf die Stadt ab. Der Sachschaden war bedeutend, mehrere Einwohner wurden verletzt, der Arbeiter Dunn und der Friseur Schliecker getötet; der Schuhmachermeister Berg, der Kürschner Gerber und Fräulein Köhler starben an den Verletzungen. Stefan v. Lefort wurde durch Beschluß des Landgerichts Güstrow vom 20. V. 21 außer Verfolgung gesetzt. Der andere ist flüchtig und lebt zur Zeit in Oesterreich. Sie behaupten, »in Notwehr« gehandelt zu haben. (Vgl. Aktenmäßige Darstellung der Arbeiten der Stadtverwaltung von Waren vom 14. bis 22. März 1920.)

Erschießung auf Grund von Kappgesetzen

Bei dem Tagelöhner Wilhelm Wittke in Niendorf bei Wismar fand am 17. März 1920, morgens, eine Versammlung statt, bei der die streikenden Arbeiter beschlossen, wegen einer Lohndifferenz bei dem Gutsbesitzer Gesandten a. D. Baron Brandenstein vorzusprechen. Auch über den Kapp-Putsch wurde gesprochen. Baron Brandenstein ließ aus Schwerin Militär (Freikorps Roßbach, Reichswehrbrigade, Kommando 9) kommen. Darauf wurde nachts bei Wittke eine Haussuchung gehalten und Wittke vor das Haus des Barons Brandenstein geschleppt. Ein Soldat sagte dabei zu Frau Wittke: »Nehmen Sie man gleich Abschied, in einer Stunde ist der Kerl eine Leiche!« Gleichzeitig wurden auch die Arbeiter Johann Steinfurt, Fritz Möller und Adolf Möller dorthin gebracht. Baron Brandenstein trat aus dem Schloß, deutete auf Steinfurt und Wittke und sagte: »Das sind die Richtigen.« Daraufhin wurden die beiden von den Truppen Kapps vor ein angebliches Standgericht gestellt und zum Tode verurteilt. Noch in der Nacht wurden sie erschossen.

Die Staatsanwaltschaft in Schwerin hat das später wegen dieser Sache eingeleitete Verfahren eingestellt. (Die Aussagen des Fritz und Adolf Möller und der Frau Wittke sind in meinem Besitz. Baron Brandenstein, dem ich das Manuskript eingesandt habe, hat in einem Briefe den hier vorgebrachten Behauptungen nicht widersprochen, jedoch hinzugefügt, die Verurteilung sei »auf Grund der erlassenen Gesetze erfolgt«. Er persönlich habe sich gegen das Todesurteil ausgesprochen. In einem zweiten Brief behauptete er aber, der Name des verantwortlichen Offiziers sei ihm nicht bekannt.) [54]

Der Gutsbesitzer Herr über Leben und Tod

Am 18. März 1920 leitete der Arbeiter F. Slomski aus Karow in einer Wirtschaft in Hof Mecklenburg eine Versammlung streikender Arbeiter. Es erschienen Autos mit mehreren Offizieren und zirka 60 Mann des Freikorps Roßbach. Alle Leute mußten antreten. Darauf kam der Rittergutsbesitzer Bachmann, bei dem Slomski arbeitete, und suchte sich die Leute aus. Slomski wurde verhaftet und von den Soldaten schrecklich mißhandelt. Unterdessen verhandelten Bachmann und ein Offizier und bildeten ein angebliches Standgericht. Slomski wurde von acht Mann und zwei Chargen an seiner Wohnung vorbeigeführt, wo seine Frau und Kinder standen und schrecklich schrien. Kurz hinter dem Dorfe wurde er um 1/2-12 Uhr erschossen. Die Leiche wurde der Witwe ins Haus gebracht. Die Staatsanwaltschaft hat ein gegen Bachmann eingeleitetes Verfahren am 7. 10. 20 eingestellt, »da der Tatbestand einer vorsätzlichen, bewußt rechtswidrigen Handlung ausgeschlossen.«

(Die Aussagen der Zeugen Karl Ritentiedt zu Karow, Friedrich Mündt, Hof Mecklenburg, Wilhelm Schwarz, Hof Mecklenburg, Joachim Bliemeister, Hof Mecklenburg, Wilhelm Druwe zu Hohen-Viecheln, Carl Hopp zu Petersdorf, Ernst Bohnhoft zu Rosenthal sind in meinem Besitz.)

Taten der Demminer Ulanen

In Gnoien zogen am 18. März 1920 die Demminer Ulanen unter dem Rittmeister Obernitz ein, weil die Arbeiter dort die Herrschaft Kapps nicht anerkannten. Der Maurer Gräbler, Vorsitzender der dortigen U.S.P., wurde morgens früh aus dem Bett geholt und trotz allen Bittens seiner Frau und seiner sechs Kinder auf Befehl eines Offiziers ohne Verhör, 100 Meter von seinem eigenen Haus entfernt, auf offener Straße erschossen. Die Truppen verhafteten dann 96 Arbeiter und brachten sie nach Demmin. Dabei wurde der 63 jährige Puffpoff derartig mißhandelt, daß er zusammenbrach und nach kurzer Zeit starb. Kurz vor Demmin schossen dort aufgestellte Soldaten in den Gefangenentrupp hinein, töteten vier und verletzten sehr viele. (»Das freie Wort«, 4. April 1920, und persönliche Mitteilung des Redakteurs Kühn auf Grund der Verhandlungen im Mecklenburgischen Ministerium.) Das Ermittlungsverfahren wegen Gräbler schwebt beim Landgericht Rostock seit Juni 1920; das Verfahren wegen der Gefangenenerschießung beim Oberstaatsanwalt in Greifswald.

Am 19. März 1920 rückte die Reichswehr aus Demmin, unter Führung des Leutnants Meinecke, Bataillon »Jarmen« in Stavenhagen ein, wo alles ruhig war. Sie gaben Befehl: »Straße frei!« und als dies nicht sogleich erfolgen konnte, schossen sie in die Menge. Um zu vermitteln, ging der 60 jährige Stadtrat Seidel mit erhobenen Händen auf die Straße und wurde nach wenigen Worten sofort erschossen. Das Verfahren gegen Meinecke wurde eingestellt, »da er in Notwehr gehandelt habe.« (»Das freie Wort«, Schwerin, 24.3.1920.) [55]

Hermann Litzendorf

Am 19. März 1920 wurde der Arbeiter Hermann Litzendorf aus Bahrendorf auf der Landstraße bei Grevesmühlen auf Befehl des Rittergutsbesitzers Dr. Simon auf Schmachthagen festgenommen, in einen Keller des Gutes eingesperrt und am andern Morgen, als er zu fliehen versuchte, erschossen. Dr. Simon zahlte dem Vater des Litzendorf 5000 Mark als Entschädigung aus.

Nach Angabe der Zeugen Friedrich Siggelkow und Julius Waschull ist Otto Bobsien der Täter.

Die Staatsanwaltschaft beim Mecklenburg-Schwerinschen Landgericht stellte das Verfahren gegen Jürgen Bade, Felix Wimarn, Josef Bender, Otto Bobsien am 29. Oktober 1920 ein. In der Begründung heißt es: »Es ist mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Tod des Litzendorf durch den von Bender abgegebenen Schuß herbeigeführt worden ist. Doch hat er sich zu der Tötung für berechtigt gehalten und es konnte ihm nicht vorgeworfen werden, daß er bei genügender Ueberlegung die Unrichtigkeit dieser Annahme hätte erkennen müssen.«

Die Erschießung in der Sandgrube

Der Arbeiter Paul Jahnke in Hungersdorf, Funktionär des Landarbeiterverbandes, wurde am 20. März von 10 Zeitfreiwilligen unter Führung des früheren Leutnants Thormann auf Grund der Angabe seines Gutsherrn, v. Puttkammer, verhaftet. Eine Durchsuchung seiner Wohnung gab nichts Belastendes. Bei der Patrouille waren Leutnant Franz Harlinghausen, Kurt Wegner und Johannes Dickmann. Herr v. Puttkammer bat wiederholt, dafür zu sorgen, daß Jahnke nicht wiederkomme, was Harlinghausen versprach. Jahnke wurde abtransportiert und in eine Sandgrube geführt. Darauf erschoß ihn Harlinghausen mit zwei Schüssen aus unmittelbarer Nähe während Wegner und Dickmann nach ihren eigenen Angaben (im Prozeß) zusahen. Im Einverständnis mit dem Mörder meldete Thormann dann einen Fluchtversuch. Doch wurde durch andere Zeugen, besonders durch den Kutscher, der Vorgang ermittelt. Harlinghausen ging, als ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde, ins Ausland. Thormann, der Führer der Patrouille, Wegner und Dickmann, die zugaben, gewußt zu haben, daß Jahnke erschossen werden sollte, wurden am 8. Dezember 1920 freigesprochen, v. Puttkammer wurde nur als Zeuge vernommen. (»Das freie Wort«, Schwerin, 9. Dezember 1920; »Vorwärts«, 11. Dezember 1920.) Herr v. Puttkammer gab vor Gericht an, daß er eine Gehirnerschütterung erlitten habe und daß seine Worte daher nicht ernst genommen werden könnten. Das Verfahren gegen Harlinghausen, der vollständig geständig war, wurde auf Grund der Amnestie im März 1922 eingestellt. (»Freiheit«, 21. März 22.) [56]

Morde in Breslau

Am 13. März 1920 wurde in Breslau der Redakteur der »Schlesischen Arbeiterzeitung«, Bernhard Schottländer, Mitglied der U.S.P.D., von Soldaten des Freikorps Aulock zusammen mit über 30 anderen Personen verhaftet. Die Verhafteten wurden zunächst im Generalkommando mit Wissen der Offiziere gefoltert. »In der Nacht des 16. wurde er aus dem Gefängnis Kletschkaustr. von drei Soldaten zu einer Vernehmung nach dem Generalkommando abgeholt. Die Soldaten zeigten einen vom Militärbefehlshaber unterzeichneten Auslieferungsbefehl vor. Seitdem ist Schottländer spurlos verschwunden. Das Generalkommando und die zuständige Kommandantur wissen von nichts. Der Befehl soll gefälscht sein.« (Aufruf des Breslauer Polizeipräsidenten, März 1920.) Bei Oswitz hat die Oder seine Leiche ans Land gespült. (Vgl. Aulock-Prozeß, März 1921.) Der »Münchener Volkswille«, 5. Jan. 1921, meldete, die Ermordung sei auf Befehl des Oberleutnants Schmitz, z. Z. Linienschiffsstamm-Division Ostsee in Pillau, erfolgt. Dagegen ist nach der Meinung des Staatsanwalts (»Voss. Ztg.«, 16. Januar 1921) die Ermordung durch zwei Offiziere und zwei Soldaten, die alle vier bisher unauffindbar waren, erfolgt.

Der Maschinenschlosser Alfred Schramm, Siebenhufnerstr. 72, der Bankbeamte Karl Boronow, Gräbschenerstr. 3, der Kohlenarbeiter Heinrich Romane, Gräbschenerstr. 77 und der Redakteur Demmig wurden in der Nacht zum 14. März durch Soldaten der Regierung Kapp unter Führung von Offizieren verhaftet. Seither sind sie spurlos verschwunden. Der Führer der Patrouille, die Boronow verhaftete, war Leutnant Kaufmann von der zweiten Marinebrigade. Der Schlosser Max Hoffmann wurde am 15. März wegen Verteilung sozialdemokratischer Flugblätter, der Eisenbahnschlosser Wilhelm Böhm, Herdainstr. 38, am 16. März als Streikposten, der Koch Heinz Herkenrat vom Hotel Riegner am 19. März auf Grund einer Denunziation einer Frau Neumann aus Skarsine durch Soldaten der Regierung Kapp verhaftet und »auf der Flucht« erschossen. Der Führer der Patrouille, die Herkenrat verhaftete, war Oberleutnant Müller. Herkenrats Leiche wurde ausgeplündert. (»Breslauer Volkswacht«, vom 31., 24., 22., 19. März 1920.)

Eine Bestrafung der Täter ist in keinem Fall erfolgt, im Gegenteil: Das Reichsgericht hat die über die Soldaten Walter, Biskup und Brefka wegen der Folterungen gefällten Urteile auf Grund der politischen Amnestie aufgehoben (18. Juni 1921). Sie wurden dann als Hilfsaufseher im Gefängnis Schweidnitz angestellt. (Preuß. Landtag, 14. Sept. 1921.)

Die 14 Arbeiter von Bad Thal

Beim Kapp-Putsch erklärte sich der Kommandeur der Reichswehrbrigade 15, Generalmajor Hagenberg, für Kapp. Die Regierung von Gotha jedoch hielt zur Verfassung, wurde für abgesetzt erklärt [57] und zum Teil im Namen des Reichskanzlers Kapp verhaftet. Freiherr v. Schenk, Bezirksbefehlshaber von Marburg, weigerte sich, am 14. März eine Erklärung zu geben, ob er zu Ebert oder zu Kapp halte, und erklärte, nur den Befehlen, die aus Kassel kämen, zu gehorchen. In Kassel aber war General von Schöler, der zu Lüttwitz hielt. Am 19. März forderte v. Schenk zur Bildung einer Studentenwehr auf. Am 20. März 1920 rückte das hauptsächlich aus Korporationsstudenten zusammengesetzte Zeitfreiwilligen-Bataillon unter Führung des Fregattenkapitäns v. Selchow von Marburg nach Thüringen aus, um dort »Ruhe und Ordnung« wiederherzustellen. (»Berl. Tageblatt«, 20. Juni 1920.) Die Studenten zogen mit Musik, mit Fahnen und Bändern geschmückt, aus. Der Rektor beschwor den Geist von 1914. Es kamen nämlich von den militärischen Dienststellen alle möglichen Schauermeldungen über das »in vollem Aufruhr befindliche Thüringen«, über die »Machtzentren der aufrührerischen Bewegung« in dem friedlichen Ruhla, über die »heftigen Kämpfe um Gotha, Erfurt, Eisenach«, über »Artillerie, Minenwerfer und zahlreiche Maschinengewehre«. (Broschüre des Feldwebels Schaumlöffel: »Das Studentenkorps Marburg in Thüringen«.) Trotzdem muß Schaumlöffel zugeben, daß das Bataillon am Tage darauf »vom Gegner unbehelligt in Eisenach einzog«, und vier Tage darauf zieht das Bataillon ebenso »unbehelligt«, ohne ein einziges Mal ins Gefecht gekommen zu sein, natürlich auch ohne einen einzigen Toten, Verwundeten oder Vermißten, in Gotha ein. (S. 66.)

Auch in Bad Thal war alles ruhig. (Angabe des Schultheißen und des Wachtmeisters Heß im Prozeß.) An Hand einer Liste, die auf Grund völlig beweisloser Denunziationen zusammengestellt war, wurden 15 Arbeiter festgenommen. Fünf davon waren Mitglieder der Demokratischen Partei (Obuch im Landtag, 24. Nov. 1920). Am 25. März, morgens 7 Uhr, trat das Bataillon den Vormarsch auf Gotha an. Die verhafteten »Spartakisten« (natürlich sämtlich unbewaffnet), von einer Anzahl Studenten bewacht, beschlossen, in 500 m Abstand von der Truppe, den Zug. Noch vor 8 Uhr morgens wurden sie alle 15 in der Nähe Mechterstedts von den Studenten teils auf der Straße, teils unmittelbar am Rand der Straße erschossen. Die Leichen blieben ganz einfach liegen, der Zug ging singend weiter. Angeblich hatten die Leute einen Fluchtversuch unternommen. Fast alle lagen nebeneinander. Alle mit fürchterlich zerschmettertem Kopf, also aus nächster Nähe erschossen. Die meisten Verletzungen waren derartig, daß der Sachverständige, Dr. Jänicke, im Prozeß aussagte, die Schädel seien total zertrümmert, so daß Feststellungen, von wo die Schüsse gekommen seien, nicht möglich waren. Bei zweien sei mit Sicherheit festzustellen, daß sie von vorne gekommen seien (Herzschuß), andere seien von hinten erfolgt. Einer geht von oben nach unten. (Vierter Verhandlungstag.)

Die Namen der Getöteten waren: Hornschuh, Hartmann, Döll, [58] Patz, drei Brüder Füldner, zwei Brüder Soldan, Wedel, Rössiger, zwei Brüder Schröder und Rosenstock, alle Bürger aus Thal. Am 19. Juni wurde der stud. jur. Heinrich Goebel aus Spangenberg, Leutnant a. D., als Hauptangeklagter, ferner die Studenten cand. med. Heinrich Engelbrecht aus Cassel, stud. med. Frank Jahn aus Eberswalde, cand. jur. Hermann Kraus aus Herne, Paul Herhaber aus Duisburg, stud. med. Heinz Schüler aus Cassel, cand. med. Ernst Nebelmann aus Mühlheim a. d. Ruhr, cand. med. Kurt Blum aus Gelnhausen, stud. dent. Julius Völker aus Oberkirchen, Alfred Voß aus Utsen, stud. med. Lorenz Lange, zum großen Teile ehemalige Offiziere, vom Kriegsgericht, d. h. von ihren eigenen Kameraden, freigesprochen. Einen Beweis für den Fluchtversuch konnten sie nicht erbringen. Das Verfahren wurde dann vom Schwurgericht wieder aufgenommen. Der Staatsanwalt hielt eine Rede, die die Studenten entlastete. Belastungszeugen, wie der Leutnant Duderstadt, wurden nicht vernommen. Die Studenten wurden von der Anklage des Totschlags und Mißbrauchs der Waffe freigesprochen. Da der Staatsanwalt auf Revision verzichtete, wurde das Urteil am 27. Dez. 1920 rechtskräftig. (»Deutsche Tageszeitung«, 29. Dez. 1920; Duderstadt: »Der Schrei nach dem Recht«.)

Das Verfahren gegen Goebel, Jonas und Gördt wegen Mißhandlung war auf Grund der Amnestie am 21. Februar 1921 eingestellt worden. Am 13. Februar 1922 verwarf das Reichsgericht die vom Staatsanwalt dagegen eingelegte Revision. (W. T. B.)

Tierarzt Neubert

In der Stadt Sömmerda waren die Arbeiter wegen des Kappputsches in den Generalstreik getreten, hatten die Einwohnerwehr entwaffnet und einige der Führer festgesetzt. Am 24. März 1920 rückte die Reichswehr an und beschoß die Stadt. Die Streikleitung schickte den Tierarzt Neubert zu den Truppen, um zu verhandeln.

Fest steht, daß Neubert von der Truppe vor der Stadt Sömmerda festgenommen wurde, als er als Parlamentär zum Kommandeur sich begeben hatte. Später wurde er in die Stadt geführt und dort im Rathauskeller untergebracht. Nach einiger Zeit wurde er auf Befehl des Truppenkommandeurs von Reichswehrsoldaten wieder vor die Stadt gebracht. Dieser Befehl wurde vom Kommandeur deshalb erteilt, weil Neubert in der Stadt vor der Wut der gegen ihn äußerst aufgebrachten Bevölkerung nicht sicher genug untergebracht war. Vor der Stadt lief Neubert weg, und es wurde hinter ihm hergeschossen. Schließlich wurde er von einem Soldaten auf kurze Entfernung getroffen, der dann noch mit dem Gewehrkolben auf ihn einschlug und einen zweiten Schuß auf ihn abgab. (Brief des Oberstaatsanwaltes in Erfurt N 6 I 1195/20 vom 20. August 1920, auf die Anzeige der Frau Neubert.)

Wegen der Erschießung des Neubert schwebte ein Verfahren beim Gericht der Reichswehrbrigade 11. Infolge der Aufhebung der [59] Militärgerichtsbarkeit wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft Erfurt übernommen. Am 9. Oktober 1920 stellte der Oberstaatsanwalt in Erfurt den Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung gegen vier Angehörige des Reichswehr-Inftr.-Reg. 21. Das Verfahren schwebt noch. (Aktenabschrift in meinem Besitz.)

Morde im Ruhrgebiet

»Ich will Ihnen mitteilen, daß auch noch in den letzten 14 Tagen eine Anzahl Personen erschossen worden sind, ohne daß man ein Gerichtsurteil abgewartet hätte. So ist mir mitgeteilt worden, daß in Essen zwei Personen, in Heißen sechs Personen ohne Urteil erschossen wurden.« (Steinbrink, Preuß. Landtag, 29. April 1920.)

Darauf antwortete der Minister des Innern, Severing:

»Es ist richtig, daß in Mühlheim, Duisburg, Essen und in anderen Orten willkürliche Erschießungen durch Soldaten vorgekommen sind« ... »Die Erschießungen von denen der Herr Abgeordnete Steinbrink gesprochen hat, waren nicht Vollstreckungen von Todesurteilen, gefällt von Standgerichten oder außerordentlichen Kriegsgerichten, sondern rein willkürliche Erschießungen; irgendeine Truppe, die dazu keinen Auftrag hatte, hat sich Leute herausgeholt, die im Geruch des Bolschewismus oder Spartakismus standen, und derartige Leute sind ohne Federlesen in einer ganzen Reihe von Städten erschossen worden. Das ist amtliches Material, das mir von den von mir eingesetzten Zivilkommissaren beweiskräftig zugetragen worden ist.«

Der Bergmann Jos. Soyka aus Bottrop, Trewsstr. 77, hat in der Sicherheitswehr bis zum 31. März Dienst getan und dann seine Waffen abgegeben. An Kämpfen hatte er nicht teilgenommen. Am 3. April morgens wurde er von 4 Leuten der Marinebrigade Löwenfeld aus seinem Haus herausgeholt. Nach einer Anfrage bei seinem Vorgesetzten ließ ihn Kapitänleutnant Meyerhofer aus Kiel ohne Untersuchung erschießen. Ein Verfahren ist nicht eingeleitet. Ein Zivilprozeß gegen den Militärfiskus schwebt unter 5. O. 305/21 beim Landgericht Essen.

Der Bergarbeiter Paul Graf und der Knappschaftsälteste Paul Langer, beide aus Duisburg-Beeck, wurden in der Nacht vom 4. auf 5. April 1920 von den Sipo-Wachtmeistern Mehl und Friedrich und einem dritten Unbekannten ohne Haftbefehl aus ihren Wohnungen geholt und »auf der Flucht« erschossen. Gegen beide lag nicht das geringste vor. Nach der ärztlichen Obduktion wiesen beide Verletzungen an Stirn und Brust auf. Das Verfahren gegen die Täter schwebt.

Rogowski aus Essen wurde beim Einrücken der Reichswehr am 6. April 1920 auf Grund einer Denunziation verhaftet und im Essener Rathause nach einem kurzen Verhör »zum Tode verurteilt« und auf Befehl des Gerichtsoffiziers Leutnant Linsemeier durch den Feldwebel Block erschossen. Der hinzugerufene Oberst v. Baumbach, der die grundlose Erschießung nicht mehr verhindern konnte, [60] hat der Familie sein Beileid ausgesprochen und sie pekuniär unterstützt. Gegen Block und Linsemeier ist ein Verfahren wegen Mord eingeleitet. Block ist in Haft.

Joh. Schürmann aus Essen, Holsterhauser Straße 1, und Engelbert Kläs aus Essen, Holsterhauser Straße 101, wurden am 6. April 1920 von Mannschaften der 3. Marinebrigade ohne jeden Grund verhaftet, mißhandelt, nach Mühlheim überführt, dort von Leutnant Sinnesheimer »zum Tode verurteilt«, und mit Kolben erschlagen. Der Reichsmilitärfiskus wurde zum Schadenersatz verurteilt. (Aktenzeichen 8. 0. 611/20 des Landgerichts Essen, 3 U. 177/21 Oberlandesgericht Hamm.) Gegen die Täter ist nichts veranlaßt.

Der Bergmann Friedrich Lichtenauer in Essen-Borbeck, Ardelhütte 68 und Hermann Riesner in Essen, Kesselstr. 56, hatten, auf Veranlassung des Bürgermeisters Basel in Essen und mit Wissen der Reichswehr nach der Auflösung der Roten Armee zwecks Verhütung von Plünderungen bis zum Einzug der Reichswehr, versehen mit einer weißen Armbinde und einem Ausweis, gestempelt von der Stadt Essen, Sicherheitsdienst getan. Die Reichswehr war davon benachrichtigt. Der Leutnant einer Patrouille, Wilhelm Goeke aus Schwelm, Kölnerstr. 78, ließ beim Einrücken am 6. April 1920 beide erschießen. Angeblich wurde Lichtenauer auf der Flucht, Reißner in Notwehr erschossen. Der Militärfiskus wurde in erster Instanz zum Schadenersatz verurteilt. (3 U. 300/21 Oberlandesgericht Hamm.) Ein Verfahren gegen Goeke ist eingestellt worden.

Hermann Witschel aus Essen und ein gewisser Rösner, Mitglieder der christlichen Gewerkschaften, waren als Freiwillige am 7. April 1920 in die Reichswehr (Korps Lützow, Abt. des Hauptmann Schmidt) eingetreten. Zwei Tage darauf wurden sie als angebliche Spartakisten von ihren Kameraden mit Kolben totgeschlagen, ausgeraubt und heimlich verscharrt. Ein Zivilprozeß schwebt unter 8. 0. 559/20 beim Landgericht Essen.

Der Straßenbahner Friedrich Siek aus Altenessen, Böhmerheide 122, wurde am 8. April 1920, morgens 1/2-4 Uhr von einem Wachtmeister und 2 Mann der Sipo ohne Haftbefehl verhaftet und 2 Minuten vom Hause entfernt »auf der Flucht erschossen«. Gegen Siek lag nicht das geringste vor. Das Verfahren gegen die beiden Täter ist eingestellt. (4. 0. 425/20 Landgericht Essen.)

Der Straßenbahner Max Maurer, Essen, Rankestr. 26, hatte am 17. April einen Heuwagen der Reichswehrtruppen versehentlich angefahren, wobei ein Feldwebel der Marinebrigade Löwenfeld unerheblich verletzt wurde. In der folgenden Nacht wurde er von 20 Angehörigen der Marinebrigade Löwenfeld, die in einem Lastauto von Bottrop kamen, verhaftet und »auf der Flucht erschossen«. Gegen die Täter Gaul, Grupat und Fuchs ist nichts veranlaßt. (Aktenzeichen 3 U. 343/21 Oberlandesgericht Hamm; vergl. auch Seite 116.)

Der Schlosser Borucki aus Bottrop, Weckelstr. 21, wurde in der Nacht vom 24. zum 25. April 1920 von Angehörigen der Marinebrigade [61] Löwenfeld unter der Führung des Sergeanten Adler verhaftet, ins Amtsgericht Bottrop gebracht, dort mißhandelt, aus seiner Zelle herausgeholt und in einem angrenzenden Gerstenfeld trotz seines Flehens erschossen. Der Reichsmilitärfiskus wurde zum Schadenersatz verurteilt. (Aktenzeichen 8. 0. 664/20 des Landgerichts Essen.) Gegen die Täter ist nichts veranlaßt.

Die Bergleute Rich. Peledun (Vertrauensmann der U.S.P.D.) und Jos. Mainka aus Bottrop (Tägtisbeckstr. 15, bzw. Westringstraße 33) wurden am 17. Mai von den Heereskriminalbeamten der Marinebrigade Löwenfeld, Grimm und Eversberg in Bottrop auf Grund eines militärischen Haftbefehls vom April 1920 verhaftet. Die Marinebrigade Löwenfeld war damals längst von Bottrop abgerückt. Der Haftbefehl, für den der Militärbefehlshaber überhaupt nicht zuständig war, hätte daher mindestens von der Polizeibehörde vollstreckt werden müssen. Gegen beide lag nichts vor. Sie wurden mit der Bahn bis Paderborn transportiert und dann nachts um 1/2-12 Uhr in einem Wald »auf der Flucht« erschossen, die Leichen beraubt. Ein Verfahren gegen die Täter ist nicht erfolgt.

Kapitän von Löwenfeld, der Führer der nach ihm benannten Marinebrigade wurde später Kommandant eines neuerbauten kleinen Kreuzers. (Anfrage im Reichstage, 17. Juni 1922.) Die Regierung antwortete darauf, Löwenfeld sei für die Vorkommnisse nicht verantwortlich. (Reichstag, 30. Juni 22.)

Am 1. April 1920 rückte die Reichswehr in Haltern ein. Aus Angst vor den Schüssen flüchteten 14 Kanalarbeiter mit ihren Werkzeugen in den Keller des Kolonialwarenhändlers Meis. Die Truppen drangen dort ein, und töteten alle 15. Die Namen der Ermordeten sind: Aug. Barth aus Rothenburg (geb. 8. 6. 87), Aug. Dann aus Rothenburg (15. 11. 97), Karl Edelmann aus Rothenburg (5. 2. 91), Leonhard Frankenberger aus Rothenburg (11. 5. 01), F. Gläßer aus Füllhammer (29. 12. 92), Paul Gläßer aus Schweidnitz (9. 10. 97), Joh. Hasenstab aus Rothenburg (15. 3. 01), Georg Helbling aus Reutlingen (7. 6. 91), Fr. Hurzera (15. 5. 68), Th. Ignazia aus Milzilmark (8. 12. 67), Fr. Joppe aus Ullersdorf (30. 7. 00), Rob. Krimm aus Rothenburg (8. 6. 87), Rob. Riesbeck aus Honst (22. 3. 83), Gottl. Rottenbücher aus Rothenburg (8. 6. 87), Händler Josef Meis.

»Eine Ausgrabung am 7. Juli 1920 ergab, daß bei 10 Leichen keine Schußwunden vorhanden waren, aber die Schädel waren eingeschlagen und die Hälse durchschnitten. Einige Leichen sind ohne Hosen und Schuhe begraben worden.« (Ludwig, Reichstag, 29. Juli 1920.) Die Namen der verantwortlichen Offiziere wurden ermittelt. Da sie aber angeblich nicht zu finden waren, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.

Eine Frau Käthe Pintsch aus Witten a. d. Ruhr wurde erschossen, weil sie angeblich einen Revolver im Strumpf verborgen hatte. Eine Krankenschwester bezeugte, daß sie der Frau einen Geldbetrag übergeben hatte, den sie im Strumpf verbarg. Den Befehl zur Erschießung gab nach Zeugenaussage (vgl. »Sozialist«, [62] Nr. 10, 7. Juli 1921) der Leutnant Horst Kohl aus München, Leopoldstraße 238. Ein Verfahren gegen ihn ist bisher nicht eingeleitet, obwohl die Zeugenaussagen natürlich sofort den zuständigen militärischen Behörden übergeben wurden.

Der Anstreicher Friedrich Steinbiß, wohnhaft Essen, Schlachthof, berichtete am 10. April 1920 im »Ruhrecho«:

»Am Donnerstag, den 8. April, spät nachmittags, wurden zwei Arbeiter, angeblich Rotgardisten, auf dem Schlachthof durch Militär eingeliefert. Aus dem Wachtraum hörte ich bald darauf Schreien, sodaß ich annahm, die Verhafteten würden geschlagen. Nach einiger Zeit, es war inzwischen dunkel geworden, wurden die beiden Leute aus dem Wachtraum herausgeschickt und entfernten sich in gewöhnlicher Gangart. Der eine ging durch die Tür in der Richtung nach der Stoppenbergerstraße, während der andere über den Hof an der Rampe vorbei sich der Eisenbahn zuwandte. Als der erste etwa 30-40 Meter draußen vor dem Tore war, wurde er durch einen Soldaten erschossen. Auch der zweite wurde kurze Zeit später tot aufgefunden. Die Soldaten behaupteten, beide hätten einen Fluchtversuch unternommen. Nach meiner Ansicht ist das ausgeschlossen. Beide sollen nur Sicherheitsdienst getan haben.«

Die Täter konnten nicht ermittelt werden. Der Oberstaatsanwalt in Essen stellte das Verfahren ein. (Aktenzeichen 18 I 738/20.)

Man lese den Bericht des sozialdemokratischen Abgeordneten Osterroth (»Freiheit«, 9. April 1920 und »Ruhrecho«, 20. April), die Rede des Abgeordneten Obuch vom 24. November 1920 und die Broschüre von Josef Ernst »Kapptage im Industriegebiet«. Hierin sind eine Reihe von weiteren Ermordungen im Ruhrgebiet zum Teil mit Namen aufgeführt.

»Ich kann für ihn nicht garantieren«

Am 1. April hatten in der Nähe von Hüls in Westfalen Kämpfe zwischen Angehörigen der roten Armee und Regierungstruppen stattgefunden. Im Anschluß daran wurde ein Haus in Hüls von der Reichswehr umstellt und alle Bewohner herausgeholt. Sie waren sämtlich waffenlos. Der Landjäger Hachmeyer erklärte, daß er für alle Bewohner bis auf den Bergarbeiter Hülsbusch garantieren könne, daß sie keine Spartakisten seien. Darauf wurde Hülsbusch an die Wand gestellt und von einem Unteroffizier erschossen. Seine Papiere wurden geraubt.

Wie in einem Beleidigungsprozeß des Hachmeyer gegen den Parteisekretär der U.S.P. Herwig in Recklinghausen vor dem Schöffengericht festgestellt wurde, hatte Hülsbusch sich an den Kämpfen nicht beteiligt. Herwig wurde wegen der Aussage, Hachmeyer sei Schuld am Tode des Hülsbusch, wegen Beleidigung zu 100 M. Geldstrafe verurteilt. (»Freiheit«, 24. April 1921, 20. Mai 1922.)

Die Witwe erhob Anspruch auf Grund des Tumultschadengesetzes, die in erster Instanz abgewiesen wurden. Am 15. Mai 22 war [63] Verhandlung vor dem Reichswirtschaftsgericht als Beschwerdestelle. Die Beschwerde wurde zurückgewiesen mit der Begründung, die Erschießung sei berechtigt gewesen, wenn Hülsbusch sich am Aufstand beteiligt hätte. Darüber, ob er sich beteiligt hätte, könne nicht auf Grund des Tumultschadengesetzes, sondern nur in einem ordentlichen Prozeß gegen den Reichsfiskus entschieden werden.

Linksmorde beim Kapp-Putsch

In der Gemeinde Kleinkugel bei Halle existierte eine Einwohnerwehr mit 14 Gewehren und einem Maschinengewehr. Während des Kapp-Putsches forderten die Arbeiter von den Gutsbesitzern Herausgabe der Waffen. Auf Anraten der Reichswehr versteckte der Gutsbesitzer Walter die Gewehrschlösser. Am 18. März holte die Reichswehr die Gewehre ab. Am 19. März fuhr sein Sohn per Rad nach Halle, um Geld dorthin zu bringen. Er nahm dabei die Gewehrschlösser mit. In Kanena wurde er von den Arbeitern aufgehalten, die Gewehrschlösser wurden gefunden. Walter wurde zur Grube Alwiner Verein als Gefangener geführt. Dort wurde ihm vorgeworfen, daß die Reichswehr auf sein Anraten Leute erschossen habe. Die Arbeiter beschlossen darauf ihn zu töten und teilten ihm dies mit. Er wurde von zwei Arbeitern zu einem Trockenschuppen geführt und dort um 3/4-10 Uhr durch einen Kopfschuß getötet. Der Arbeiter Rasch wurde bei der Verhandlung freigesprochen, da Zeugen beschworen, daß er nicht der Mörder sei.

Am 21. März 1920 kamen einige Kaliarbeiter aus Staßfurt zu dem Rittergutsbesitzer Henze in Trebitz und verlangten Wagen, um nach Halle fahren zu können. Die Bahn ging nämlich nur bis Wallwitz. Henze weigerte sich zunächst. Bald darauf kamen 40 weitere Arbeiter mit Handgranaten und entsicherten Gewehren. Henze und seine Schwester wurden umringt. Es kam zu einem heftigen Wortwechsel und Tätlichkeiten. Henze erhielt einen Lungenschuß und einen Kolbenschlag auf den Schädel, seine Schwester einen Herzschuß. Als Mörder des Henze wurde der Arbeiter Karl Felix aus Hechlingen, der den tödlichen Schlag getan, unter Zubilligung mildernder Umstände zu fünf Jahren Gefängnis und der Kesselschmied Erich Rolle aus Hechlingen zu 12 Jahren Zuchthaus, der Mörder von Fräulein Henze, der Arbeiter Karl Steinbach aus Wallwitz, ebenfalls zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Der Reichswehrsoldat Sametz wurde am 28. März 1920 von der roten Armee bei Dorsten gefangen genommen. Er wurde dem Maschinisten Gottfried Karuseit aus Gelsenkirchen als Abschnittskommandeur und Leiter der Kämpfe in Dorsten vorgeführt. Dieser ließ ein Kriegsgericht, bestehend aus den Kompagnieführern, die zunächst erreichbar waren, bilden. Die Kompagnieführer verurteilten den Sametz (einen früheren Baltikumer) wegen Spionage zum Tode. Karuseit, der sich später selber als Militärspitzel entpuppte, suchte die Leute zur Vollstreckung des Urteils aus und ließ Sametz noch [64] in derselben Nacht erschießen. Ein Verfahren gegen Karuseit wegen Mordes schwebt vor dem Schwurgericht Essen. (16. aJ. 597/20.)

Ernst Langensiepen aus Barmen wurde während der Herrschaft der roten Armee im Gerichtsgefängnis in Essen eingeliefert. In der Nacht des 3. April 20 wurde er von 4 Rotgardisten aus der Zelle geholt und im sogenannten Leichenkeller erschossen. Die Täter sind geflüchtet, die Untersuchung schwebt noch. Langensiepen soll Militärspitzel gewesen und deshalb zum Tode verurteilt worden sein.

INDIVIDUELLE MORDE

»Verräter verfallen der Fehme«

Hans Hartung war in Halle und München unter den Kommunisten als Spitzel tätig, gleichzeitig soll er geheime Waffenlager der bayrischen Einwohnerwehr an die Entente verraten haben. In Zusmarshausen waren Waffen der Einwohnerwehr von dem Rittmeister Gustav Beurer unter Mithilfe des Oberleutnants Dr. Josef Berger, des Amtsrichters Wanderer und des Bankbeamten Lorenz versteckt worden. Von Hartung fürchtete man Verrat. Anfang März 1921 wurde seine Leiche bei Zusmarshausen in einem Bach gefunden. Sie war im Auto dorthin gebracht worden. Wahrscheinlich hat Beurer ihn ins Auto gelockt und zusammen mit Berger erschossen. Die Leiche war mit Steinen beschwert, in eine vorher von Berger und Wanderer ausgesuchte tiefe Stelle des Baches geworfen worden. Berger, der sich im Rausch verraten hatte und Beurer wurden im März 22 verhaftet, bereits im Juni aber wegen »Mangels an Beweisen« entlassen. (»Berliner Tageblatt«, 26. 3. 22, »Münchener Neueste Nachrichten«, 3. 6. 22.)

Das Dienstmädchen Maria Sandmeier aus München, Tegernseerlandstraße 20, wurde am 6. Oktober 1920 im Forstenriederpark erdrosselt gefunden. Die Leiche war im Auto dorthin geschafft worden. Die Sandmeier hatte gedroht, dem Entwaffnungskommissar des Reichs ein Waffenlager anzugeben. Als Täter wurde der Leutnant Hans Schweighart vom Freikorps Oberland in Innsbruck im Dezember 1921 verhaftet (»Vossische Zeitung«, 8. 12. 1921) und an Bayern ausgeliefert. Eine Verhandlung fand bisher nicht statt.

Hans Paasche

Hans Paasche war zuerst Offizier in den Kolonien und war unter den Schrecken des Kolonialkrieges zum Pazifisten geworden. Während des Krieges schwebte gegen ihn ein Hochverratsprozeß, weil er ein Flugblatt, das ihm ein Agent provocateur im Auftrag der Polizei zustellte, verbreitet hatte. (Wolfgang Heine, »Deutsche Tageszeitung«, 26. Oktober 1920.)

Paasche hatte in den ersten Tagen der Revolution eine Rolle gespielt, sich aber dann auf sein Gut Waldfrieden in der Neumark [65] zurückgezogen. Auf Grund einer von Berlin ausgegangenen Denunziation, wonach bei ihm die Waffen für die kommunistische Kampforganisation untergebracht seien, fand bei ihm am 22. Mai 1920 unter Führung des Oberleutnants Koppe eine Haussuchung nach Waffen statt, die von 60 Soldaten unter Führung von zwei Offizieren durchgeführt wurde.

Paasche saß in Badehosen an seinem See und fischte, als der Gendarm Wendland ihn bat, ins Schloß zu kommen, weil dort Herrschaften auf ihn warteten. Ein Haftbefehl bestand nicht. Als Paasche die Postenkette erblickte, wurde er mißtrauisch, wandte sich um »zu einem Fluchtversuch«. Gemäß dem Befehl, »wonach sie zu schießen hätten, wenn eine festgenommene Person auf dreimaliges Haltrufen nicht stände« (amtl. Bericht des Oberleutnants Koppe, »Vossische Zeitung«, 1. Juni 1920), erschossen ihn die Soldaten. Den tödlichen Schuß gab der Schütze Diekmann ab. Um Stimmung zu machen, berichtete das Reichswehrschutzregiment in Deutsch-Krone am 25. Mai 1920 im »Berliner Tageblatt«: »Wie mitgeteilt wird, sollen bei Paasche eine größere Anzahl Dumdumgeschosse gefunden worden sein.« Diese haltlose Behauptung wurde später nicht mehr aufrecht erhalten. In den verschiedenen amtlichen Berichten, insbesondere dem des Preußischen Ministeriums des Innern (»Berliner Tageblatt«, 3. Juni 1920) wurde zugegeben, daß absolut nichts Belastendes gefunden wurde. Die Regierung versprach strengste Untersuchung und Bestrafung der Schuldigen. Die Untersuchung endete folgendermaßen:

»Herrn Viktor Fränkl, Justizrat, Berlin.

Das Verfahren ist am 27. November 1920 eingestellt, weil eine strafbare Handlung nicht nachweisbar ist. Der Tod des Paasche ist auf ein Zusammentreffen nicht voraussehbarer unglücklicher Umstände zurückzuführen, für welche niemand strafrechtlich verantwortlich zu machen ist.

Schneidemühl, den 6. Dezember 1920.

Der Oberstaatsanwalt. Unterschrift: (unleserlich).«

Eine Beschwerde hiergegen beim Generalstaatsanwalt wurde am 21. Februar 1921 abgewiesen.

Paul Hoffmann in Flensburg

Auf Grund der Angaben eines Spitzels namens Paul Reichardt wurde der Flensburger Kommunist Paul Hoffmann am 28. Dezember 1920 auf Befehl des Kommandeurs der Flensburger Sicherheitspolizei, Major v. Plüskow, verhaftet, weil er einen Putsch vorbereitet habe. Nachts wird er zur Kaserne gebracht. Als er am Morgen ins Untersuchungsgefängnis geführt werden sollte, hat Hoffmann angeblich dem Wachtmeister einen Stoß vor die Brust gegeben, um entfliehen zu können. Darauf habe die Wachbegleitmannschaft nach dreimaligem Haltrufen zwei Schüsse abgegeben. Hoffmann war sofort tot. Eine strenge Untersuchung wurde von [66] der Regierung zugesagt. Major v. Plüskow wurde strafversetzt. (»Deutsche Allgemeine Zeitung«, 4. Januar 1921; »Voss. Zeitung«, 4. Januar 1921; Minister Severing, Reichstag, 14. Januar 1921.) Sonst geschah nichts.

Wilhelm Sült

Sült, Führer der Elektrizitätsarbeiter bei mehreren Streiks, wurde am 30. März 1921 durch die politische Polizei (Abt. 1 A) in Schutzhaft genommen. Als er am 1. April zur Vernehmung ins Polizeipräsidium gebracht wurde, soll er nach dem amtlichen Bericht (»Vossische Zeitung«, 1. April) dem Beamten einen Stoß versetzt haben und die Treppe hinaufgesprungen sein, worauf der Beamte, Janike, zweimal auf ihn schoß und ihn in die Leber und Nieren traf. Sült erklärte seinem Rechtsanwalt Dr. Weinberg auf dem Totenbett, er habe weder den Beamten gestoßen, noch sei er geflohen. Als Sült am Boden lag, wurde er von einem Polizeioffizier mit dem Ruf: »Verrecke, Du Aas« (»Das Tagebuch«, 9. April), mit Füßen getreten. Zunächst wurde er einfach auf einer Pritsche liegen gelassen. Um 1/2-5 Uhr kam Dr. Eylenburg, wurde aber nicht vorgelassen mit der Begründung, Sült sei schon in der Charité. Erst um 7 Uhr abends kam er dorthin. »Vor der Operation hatte er schon 1-1/2 Liter Blut verloren« (Prof. Lubarsch). Am 2. April, morgens 4 Uhr, starb er. Gegen alle Vorschriften wurde die Leiche bereits am Vormittag seziert. Dr. Klauber, der verabredungsgemäß an der Sektion teilnehmen sollte, fand die Leiche bereits seziert vor. »Es fehlten sämtliche Eingeweide, so daß über die Art der Verletzung durchaus nichts mehr festgestellt werden konnte. Zu meiner großen Überraschung war die Stelle der Einschußwunde herausgeschnitten.« Durch die voreilige Sektion war die Möglichkeit einer weiteren Aufklärung beseitigt. Eine Bestrafung wegen dieses Falles ist nicht erfolgt. (Vergl. Preußische Landesversammlung vom 18. April, Berliner Stadtverordnetenversammlung vom 23. April, »B.Z. am Mittag«, 8. April, Eingehende Darstellung im »Tagebuch«, 9., 23., 30. April, 14. Mai.)

Max Hölz

Im März 1921 brach in Mitteldeutschland ein Aufstand aus. Die Schuld daran lag im wesentlichen bei den Kommunisten. Hölz war militärischer Führer einer sogenannten »Roten Armee«. Zu ihrem Unterhalt nahm sie eine Reihe von »Requisitionen« vor; auch wurden Gebäude in die Luft gesprengt. Zu dem Rittergutsbesitzer Heß in Roitschenhagen kam Hölz mit einem bewaffneten Haufen und verlangte Geld und Mäntel. Heß sagte zuerst zu, lief dann einige Schritte fort. Es entstand ein Tumult, in dem Heß durch mehrere Schüsse umkam. Genaueres darüber, wer alles geschossen hatte, war nicht zu ermitteln. Die Zeugen widersprachen sich. Das Gericht unterstellte es als wahr, daß Hölz unnötiges [67] Blutvergießen vermeiden wollte, und verurteilte ihn zu lebenslänglichem Zuchthaus. Nach der Urteilsbegründung »steht fest, daß Hölz sich an der Tötung des Gutsbesitzers Heß beteiligt hat. Das Gericht hat jedoch das Moment der Ueberlegung verneint. Es liegt also Totschlag vor«. (Prozeßberichte in allen Berliner Zeitungen, 13. bis 23. Juni 1921.)

Die Schupo in Mitteldeutschland

Als wegen der Märzunruhen 1921 eine Abteilung der Düsseldorfer Schutzpolizei sich Klostermansfeld näherte, ging ihr der stellvertretende Gemeindevorsteher Paul Müller (Kommunist) entgegen, erklärte, im Orte sei alles ruhig, und zog an der Spitze der Polizisten, zusammen mit dem Hauptmann, der das Kommando führte, in den Ort ein. Obwohl er die Arbeiter ausdrücklich gewarnt hatte, wurde aus dem Ort geschossen, wobei Müller natürlich ebenfalls bedroht war. Am Nachmittag wurde Müller aufgefordert, sich bei dem Hauptmann der Schutzpolizei zu melden, was er tat. Um 9 Uhr abends wurde er in Einzelhaft genommen. Am Morgen des 27. März wurde er auf der Chaussee nach Leinbach, etwa 150 Meter vom Orte entfernt, erschossen aufgefunden. Das Gefängnis, in das er angeblich gebracht werden sollte, lag in einer ganz andern Richtung. Die Leiche zeigte am Kopfe Spuren von Mißhandlungen.

Das Verfahren wurde am 21. April 1921 eingestellt, da »Müller wahrscheinlich auf der Flucht erschossen worden sei«, später jedoch wieder aufgenommen. (Aktenabschrift in meinem Besitz.)

Die im folgenden dargestellten Fälle beruhen auf den Verhandlungen des Untersuchungsausschusses der preußischen Landesversammlung betr. die Unruhen in Mitteldeutschland vom November 1921. Dabei hat sich u. a. herausgestellt, daß in keinem dieser Fälle ein Verfahren durch den Staatsanwalt eingeleitet worden war.

In Querfurt wurden am Ostermontag, 28. März, nach entsetzlichen Mißhandlungen die Gefangenen Peter, der Lagerhalter des Konsumvereins Straube (Kommunist) und ein Dritter erschossen.

Die Täter gehörten zur Düsseldorfer Schupo unter dem Grafen Poninski. Der Konsumverein wurde ausgeplündert.

In Besenstedt wurden der Sanitäter Kurt Herzau und der Arbeiter Gustav Thieleke, in Bischofsrode am 1. Ostertag acht Gefangene, darunter der Knecht Pawlack aus Helbra und der Bergmann Weiner und ein gewisser Dietrich durch Düsseldorfer Polizisten, in Schraplau am 2. Ostertag sechs Gefangene, darunter Martin Deutsch, Müller, Poblentz und Trautmann, in einem Kalkofen erschossen.

Bei der Einnahme des Leunawerkes sahen die Offiziere bei den Mißhandlungen durch Oberwachtmeister Heim und andere Sipoleute zu: Einem Gefangenen, bei dem eine Pistole gefunden worden war, wurde der Schädel eingeschlagen, sodaß das Gehirn an die Wand spritzte. Ein anderer mußte sich selbst erschießen. Insgesamt [68] wurden 9 Leute umgebracht, darunter Lederer, Isecke und Zillmann. In Mitteldeutschland war kein Standrecht verhängt worden. In keinem Fall hat eine Bestrafung stattgefunden.

Wie eine Erschießung auf der Flucht insceniert wird

Während des Märzaufstandes 1921 kam die Merseburger Polizeihundertschaft am 31. März durch Gröbers. Dort wurden ihnen von anderen Truppen die Leichen der verstümmelten Beamten gezeigt, die dort gefallen waren. So wurden sie zu Morden aufgestachelt. Der kommunistische Ortsvorsteher von Osmünde, Mosenhauer, war verhaftet worden. Auf der Straße nach Schkeuditz wurde er vom Auto geholt, unter furchtbaren Schlägen auf den Kopf ins Feld getrieben und von dem nicht zur Bewachungsmannschaft gehörigen Wachtmeister Rudolf Böhm »auf der Flucht« erschossen.

In seiner ersten Vernehmung am 28. April 1921 durch den Regierungsrat Dr. Kielhorn war Böhm geständig. Er sagte aus: »als ich sah, daß der Ortsvorsteher übers Feld ging, riß ich einem neben mir stehenden Beamten den Karabiner weg und schoß, in der Annahme, daß er fliehen wolle. Ich hatte nicht »Halt« gerufen.«

Nach der Aussage des Oberwachtmeisters Lichtenberg vor dem Untersuchungsausschuß des Preußischen Landtages wurde Mosenhauer zweimal absichtlich auf das Feld geschickt, damit man ihn erschießen könne. Beim ersten Mal gingen zufällig einige Telegraphenarbeiter vorbei, deshalb wurde er wieder zurückgerufen. Als die Zeugen sich entfernt hatten, schickte man Mosenhauer das zweite Mal hinaus. Er ging zögernd und sich häufig umwendend. Der Schuß fiel, als er das Gesicht nach der Straße zuwendete. Die tödliche Wunde erhielt er an der linken Brustseite vorn. Die Leiche lag mit dem Gesicht zum Auto. Am 31. Oktober 1921 wurde Böhm vor dem Schwurgericht Halle (Anklagevertreter Staatsanwaltschaftsrat Luther, Vorsitzender Landgerichtsdirektor Thorwest) freigesprochen. (Vergl. Erich Kuttner: Der Freispruch eines Geständigen. »Die Glocke«, 1. Mai 1922. Untersuchungsausschuß 29. Oktober 1921.)

Karl Gareis

Karl Gareis war Abgeordneter der U.S.P.D. im bayerischen Landtag. Er hatte sich verhaßt gemacht durch seinen Kampf gegen die Einwohnerwehr und durch Aufdeckung einer Spitzelaffäre, bei der ein gewisser Dobner wegen angeblichen Verrats eines Waffenlagers an die Entente von Studenten beinahe umgebracht worden war. Am 10. Juni 1921 wurde er nachts auf dem Heimweg vor seiner Wohnung erschossen. Zur Erklärung der Tat beachte man den Brief Meier-Koys, des früheren Vorsitzenden der bayerischen [69] Königspartei. Danach ist der zweite Landeshauptmann der bayerischen Einwohnerwehren, Kanzler, der Ansicht: »Die Verräter sind umzubringen, und zwar unter Hinterlassung eines Merkmals, das die Motive der Tat zweifelsfrei erscheinen läßt. Der Führer braucht bei der Ausführung nicht ängstlich zu sein. Hinter ihm (Kanzler) stehe der Ministerpräsident« (Reichstag, 17. Juni 1921). Als Täter kommt der oben auf Seite 64 genannte Leutnant Schweighart in Betracht. Wenigstens wurde dies bei seiner Auslieferung von den österreichischen Behörden vermerkt. (Vergl. auch S. 138.)

Kriminalwachtmeister Buchholz

Die »Hundertschaft zur besonderen Verwendung« unterstützte die aufrührerischen Truppen im Baltikum, indem sie durch Bestechungen von Eisenbahnbeamten den Transport von Geld dorthin ermöglichte. Beim Kapp-Putsch stellte sie sich sofort auf die Seite der einrückenden Marinebrigade. Trotzdem blieb sie unangefochten. Im Sommer 1920 wurde in ihr der geheime »Bund der Ringmannen« unter Hauptmann Stennes gebildet, der zahlreiche Waffen vor der Ablieferung versteckte. Eine Durchsuchung verlief ergebnislos, da die Hundertschaft vorher gewarnt worden war. Ueber die vermutlichen Verräter der Waffenschiebung wurde nachts ein Geheimgericht gehalten. (Vergl. Berliner Tageblatt, 10. September 1921.) Buchholz bezahlte auf Geheiß seiner Vorgesetzten bis in die Tausende gehende Beträge an Zivilangestellte, d. h. Spitzel.

Man befürchtete von Buchholz eine Aufdeckung dieser Vorgänge. Am 13. Juni 1921 wurde er in der Schloßkaserne Charlottenburg tot aufgefunden. Angeblich hat er wegen Unterschlagung Selbstmord begangen. Doch konnte eine Unterschlagung nicht nachgewiesen werden. Nach dem Gutachten des Gerichtssachverständigen, Medizinalrat Dr. Störmer (»Frankfurter Zeitung«, 18. August 1921), handelte es sich »bestimmt um Tötung durch dritte Hand.« Die Untersuchung gegen die Hundertschaft wurde zunächst niedergeschlagen, »da von Zeugen, die unter ständiger Bedrohung seitens der Hundertschaft stehen, wahrheitsgemäße Angaben nicht zu erwarten seien.« (Mitteilung des Polizeiwachtmeisters Asmus, »Berliner Tageblatt«, 24. Juli 1921.)

Am 2. Dezember 1921 wurden die Wachtmeister Erren und Meyer von der Anklage des Mordes freigesprochen. (Prozeßberichte in allen Berliner Zeitungen.) Erren war im Zimmer gewesen, »zum telephonieren«, als der zum fortgehen angezogene Buchholz aus einer Entfernung von über 30 cm von hinten die Kugel durch den Kopf, angeblich von eigener Hand, empfing.

Erzberger

Als Erzberger am 26. Januar 1920 das Gerichtsgebäude in Moabit verließ, feuerte der Schüler und Fähnrich a. D. Oltwig v. Hirschfeld [70] auf ihn zwei Schüsse ab, die ihn schwer verletzten. Bei der Vernehmung erklärte er, Erzberger sei ein Schädling und habe wissentlich gegen Deutschland gearbeitet. Er erklärte, seine Kenntnisse über Erzberger aus einer Broschüre Helfferichs zu besitzen. Hirschfeld wurde am 21. Februar 1920 wegen Körperverletzung zu 1 Jahr 6 Monate Gefängnis verurteilt. (Prozeßbericht in allen Berliner Zeitungen.)

Erzberger hatte sich, um den Ausgang seines Prozesses mit Helfferich abzuwarten, aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Am 26. August 1921 wurde er bei einem Spaziergange im Badeorte Griesbach im Schwarzwald von zwei jungen Leuten überfallen und erschossen. Sein Begleiter, der Abgeordnete Dietz, wurde verwundet. Als er schon am Boden lag, vergewisserten sich die Mörder durch weitere Schüsse (im ganzen 12), daß er tot sei. Dann entflohen sie.

Als man nach den möglichen Tätern suchte, stellte sich heraus, daß Hirschfeld bereits am 27. April 1921 angeblich wegen Krankheit aus dem Gefängnis auf vier Monate beurlaubt worden war und nicht zurückgekehrt war. (»Berliner Tageblatt«, 30. August 1921.) Er benutzte seinen Urlaub zu vielstündigen Radpartien. Zur Zeit der Begehung der Tat hielt er sich im benachbarten Calmbach auf. Er wurde in Berlin ermittelt und verbüßte ab 10. September den Rest seiner Strafe. (»Frankfurter Zeitung«, 15. September 1921.) Dann wurde er für geisteskrank erklärt, aus der psychiatrischen Klinik in Freiburg wieder entlassen, zuletzt aber doch zur Absitzung der Strafe verhaftet. (»Berliner Tageblatt«, 18. Mai 1922, »Lokal-Anzeiger«, 10. Mai 1922.)

Als Mörder wurden die in München wohnhaften Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen ermittelt. Beide sind frühere Offiziere, dann kamen sie in den Stab der Marinebrigade Ehrhard, (»Berliner Tageblatt«, 21. September 1921.) Zuletzt arbeiteten sie in der Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft bei Geheimrat Heim. Sie sind Mitglieder des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, der Arbeitsgemeinschaft Oberland, die früher in Oberschlesien als Freikorps war, und einer deutschnationalen Geheimorganisation, der Organisation C (Mitteilung des badischen Staatspräsidenten Dr. Trunk, 22. September 1921.)

Ziele der Organisation waren: Weiterverbreitung des nationalen Gedankens, Bekämpfung des Internationalismus, des Judentums und Sammlung entschlossener Männer. »Verräter verfallen der Fehme.« Die Mitglieder waren zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Schulz und Tillesen besaßen falsche Pässe auf den Namen Trost und Schwind. Sie flüchteten nach Ungarn. Als sie in Budapest eine Depesche an den Rechtsanwalt Adolf Müller in München aufgaben, wurden sie erkannt und verhaftet, aber auf telephonische Anordnung des Oberstadthauptmanns Dr. Hetheny wieder freigelassen. Vergl. Aussage des Kriminalinspektors [71] Schumacher im Offenburger Prozeß (»Berliner Tageblatt«, 9. Juni 1922.)

Der frühere Kapitänleutnant Manfred v. Killinger, der Vorgesetzte von Schulz und Tillessen in der Organisation C (offiziell: Bayerische Holzverwertungsgesellschaft) wurde angeklagt, den Mördern Beistand geleistet zu haben. Er hatte nämlich ihre Koffer in Verwahrung genommen, Briefe in Empfang genommen und auch nach dem Mord mit beiden verkehrt. Killinger war ursprünglich Offizier gewesen, dann kämpfte er gegen die bayerische Räte-Republik, machte den Kapp-Putsch mit und besetzte das Reichswehrministerium. Nach seiner Verhaftung fand man bei ihm einen Versuch einer Paßfälschung. Am 13. Juni 1922 wurde er vom Schwurgericht Offenburg freigesprochen (Berichte in allen Berliner Zeitungen).

Die einzige Verurteilung, die bis jetzt in der Erzbergersache erfolgte, betrifft den verantwortlichen Redakteur des Offenburger Tageblatts, Franz Huber. Dieser wurde nämlich, weil er Teile der Anklageschrift veröffentlicht hatte, zu 1000 M. Geldstrafe verurteilt. (»Berliner Tageblatt«, 17. August 1922.)

Walter Rathenau

Als Rathenau, Minister des Aeußeren, am 24. Juni 1922 von seiner Villa im Grunewald ins Auswärtige Amt fahren wollte, wurde sein Auto von einem andern, von Ernst Werner Techow (21 Jahre) geleiteten Auto, in dem der Oberleutnant a. D. Erwin Kern und Hermann Fischer saßen, überholt. Kern und Fischer schossen mit einer Maschinenpistole auf Rathenau und warfen eine Handgranate auf ihn. Rathenau war sofort tot. Das Auto hatten die Großindustriellen Johann und Franz Küchenmeister aus Freiberg in Sachsen, Mitglieder des Deutschen Schutz- und Trutzbundes, zur Verfügung gestellt. Die drei erstgenannten waren früher Mitglieder der Brigade Ehrhardt, dann der Organisation C und waren am Kapp-Putsch beteiligt gewesen. Die Maschinenpistole hatte Christian Ilsemann (21 Jahre), Sekretär des Schutz- und Trutzbundes in Schwerin, geliefert. Der angebliche Leutnant Willy Günther (27 Jahre), ein Psychopath und Deserteur, hatte den Plan mit ausgearbeitet und die Garage vermittelt. Er war Mitglied des Bundes der Aufrechten, des Deutschbundes, des Deutschen Offiziersbundes und des Deutschnationalen Jugendbundes. Auf einem »Nestabend« dieses Bundes ließ er sich als Mörder Rathenaus feiern. In seinem Besitz befanden sich Briefe von Helfferich, Ludendorff, Jagow und Oberst Bauer. Einer der zehn Briefe Ludendorffs enthielt unter anderm die Worte: »Lieber Günther« und: »mit herzlichem Gru?. Beihilfe leistete der Gymnasiast Hans Gerd Techow (16 Jahre). Der ehemalige Kadett Ernst v. Salomon (20 Jahre) vermittelte die Verbindung mit Waldemar Niedrig (22 Jahre), der ursprünglich das Auto lenken sollte. [72] Das Auto stand in Berlin bei den Garagebesitzern Schütt und Diestel.

Nach der Tat erzählte Techow ihnen: »Die Sache hat geklappt. Rathenau liegt. Wir haben es getan, um die Roten zum Angriff zu reizen. Uns ging das Geld aus.« Dann fuhr er in seinen Tennisklub. Techow floh dann auf das Gut seines Onkels Behrens. Von diesem wurde er der Polizei übergeben. Behrens erhielt darauf eine Menge Drohbriefe.

Kern und Fischer wurden nach langem Suchen am 18. Juli auf der Burg Saaleck bei Bad Kösel in der Wohnung des Schriftstellers Dr. Hans Wilhelm Stein von der Polizei gestellt. Kern fiel bei der Schießerei mit den Beamten, Fischer erschoß sich selbst.

Am 3. Oktober 1922 begann die Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig. Günther bekam eine Sendung von Pralinen, die mit Arsen vergiftet waren. Er gab davon den andern Angeklagten, mit denen er während der Verhandlung verkehren durfte. Zum Teil erkrankten sie daran. Die Absender konnten nicht festgestellt werden. Am 14. Oktober wurden wegen Beihilfe zum Mord Ernst Werner Techow zu 15 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust, Hans Gerd Techow zu 4 Jahren und 1 Monat Gefängnis, Günther zu 8 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust, Niedrig und von Salomon zu 5 Jahren Zuchthaus und 5 bzw. 4 Jahren Ehrverlust, Ilsemann wegen Verstoß gegen die Waffenordnung, Schütt und Diestel wegen Begünstigung zu je 2 Monaten Gefängnis, Tillessen und Plaas wegen Nichtanzeige eines drohenden Verbrechens zu 3 bzw. 2 Jahren Gefängnis verurteilt. E. W. Techow wurde von der Anklage der Mittäterschaft freigesprochen. (Vorsitzender Dr. Hagens, Staatsanwalt Dr. Ebermayer.)

Gegen Tillessen schwebt noch eine Untersuchung wegen Beihilfe bei dem Attentat auf Scheidemann und wegen der Befreiung der Kriegsverbrecher Boldt und Dittmar. Auf die Organisation C wurde bei der Beweisaufnahme nicht näher eingegangen. Das Verfahren gegen Dr. Stein und gegen den Kapitänleutnant a. D. Wolfgang Dietrich, der den Tätern auf der Flucht neue Anzüge verschafft hatte, schwebt noch. Johann Küchenmeister, bei dem ein Waffenlager gefunden worden war und einer der Beteiligten, Günther Brandt sind flüchtig. Das Verfahren gegen den 17 jährigen Primaner Stubenrauch, der als erster den Plan gehabt hatte, Rathenau zu ermorden, wurde eingestellt. Er besucht weiter sein Gymnasium in Steglitz. (Berichte in allen Berliner Zeitungen.)


Im folgenden sind alle bisher behandelten Morde in tabellarischer Form zusammengestellt. [73]

DIE VON RECHTS BEGANGENEN POLITISCHEN MORDE

Lfd. Nr.Datum
Name des Getöteten
Art der Tötung
Name des Verantwortlichen
Schicksal
Name des Ausführenden
Schicksal
111. I. 19
W. Fernbach, W. Heise, W. Möller, K. Grubusch, E. Kluge, A. Schöttler, Wackermann
willkürl. Erschießung
Major Franz v. Stephani
keine Anklage
Weber, Seltzer
keine Anklage
8 15. I. 19
Dr. K. Liebknecht
»auf der Flucht«
H. v. Pflugk-Hartung
freigesprochen
Hr. v. Pflugk-Hartung, Stiege, Lippmann, Ritgen, Schulze, Friedrich
freigesprochen, Krull 3 Mon. G., Bracht 500 M. Geldstrafe
915. I. 19
Dr. Rosa Luxemburg
»gelyncht«
Oberl. Vogel
Vogel entkom.
Oberltn. Vogel, Jäg. Runge
Runge 2 J. Gef. 2 Wochen Haft
1017. I. 19
R. Jordan, H. Merx, v. Lojewski, Milkert
»auf der Flucht«
Sasse
kein Verfahren
2 Trainsoldaten
kein Verfahren
1419. II. 19
Fulneczek
angebl. Notwehr
unbekannt
unbekannt
Heuer
freigesprochen
1521. II. 19
M. Steinicke
»auf der Flucht«
unbekannt
unbekannt
Blumberg
Verf. eingest.
1621. II. 19
Kurt Eisner
willkürl. Erschießung

Graf Arco Valley
lebensl. Fest.
17 7. III. 19
Adolf Riga
willkürl. Erschießung
unbekannt
keine Anklage
unbekannt
keine Anklage
188. III. 19
Abr. Melichowitz u. ein Matrose; Peters
im Gef. gelyncht
unbekannt
keine Anklage
Arth. Schneider, Ad. Arndt
je 1 Jahr 6 Monate Zuchthaus
2110. III. 19
Leo Jogisches, Dorrenbach
»auf der Flucht«
Wachtmstr. E. Tamschik
Z. Ltn. beförd.
unbekannt
keine Anklage
23 10. III. 19
H. Galuska, K. Friedrich, O. Werner
»auf der Flucht«
unbekannt
keine Anklage
unbekannt
keine Anklage
2611. III. 19
Richard Borchard
angebl. Standrecht
unbekannt
keine Anklage
unbekannt
keine Anklage
2711. III. 19
Bonczyk, Brandt, Biertümpel, Bursian, Dehn, Deubert, Ferbitz, R. Göppe, Handwohl, Harder, A. Hintze, Hinze, Jakubowsky, O. Kanneberg, Kuhle, Kutzner, Lewitz, H. Lietzau, Maszterlerz, Mörbe, Pobantz, Rösner, Schulz, Ulbrich, Weber, Zieske, Zühlsdorf
willkürl. Erschießung
Oberst Reinhard, Hptm. v. Kessel
Reinhardt nicht angeklagt, v. Kessel freigesprochen
Offizierstellv. Penther, Ltn. Marloh
Marloh 3 Mon. Fest. u. 30 M. Geldstr., Penther z. Ltn. befördert
5512. III. 19
Sloveck, E. Dahle, K. Becker
willkürl. Erschießung
unbekannt
kein Verfahren
Vizew. Marcus
freigesprochen
5812. III. 19
P. u. A. Daenschel
angebl. Standrecht
Lt. S. Winter
Verfahr. eingestellt
unbekannt
keine Anklage
6012. III. 19
Otto Hauschild
angebl. Standrecht
unbekannt
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
6112. III. 19
Alfred Musick
»auf der Flucht«
Oberl. Wecke
kein Verfahren
Vizew. Marcus
kein Verfahren
6212. III. 19
Piontek
willkürl. Erschießung
unbekannt
kein Verfahren
Ritter u. Wendler
Ritter 3 J. Gef., Wendler freigsp.
63 12. III. 19
Joh. Müller
angebl. Standrecht
Leutnant Baum
freigesprochen
Alex. Köhler
kein Verfahren
64 13. III. 19
Wilh. Bilski
angebl. Standrecht
Leutnant Baum
Verf. eingest.
unbekannt
keine Anklage
6513. III. 19
Paul Biedermann, Hans Gottschalk
willkürl. Erschießung
unbekannt
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
67 13. III. 19
Berthold Peters
angebl. Standrecht
Hauptmann Poll
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
68 13. III. 19
Georg Fillbrandt, Paul Szillinski
»auf der Flucht«
unbekannt
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
70 13. III. 19
Abrahamsohn, Wallmann
angebl. Standrecht
unbekannt, kein Verfahren
Rtm. v. Oertzen, Verfahr. schw.
Lt. Czekalla, kein Verfahren
Lt. Czekalla, Verf. schwebt
72 30. IV. 19
1 Zivilist
»tödlich verungl.« (Namen in der Tabelle Seite 43)
Gen. v. Oven, kein Verfahren
(v. Gagern 200 M.)
—, kein Verfahren
Diegele 5 Woch. Gefängnis
73 1. V. 19
36 Zivilisten
»tödlich verungl.« (Namen in der Tabelle Seite 43)
Gen. v. Oven, kein Verfahren
(v. Gagern 200 M.)
—, kein Verfahren
Diegele 5 Woch. Gefängnis
109 2. V. 19
103 Zivilisten
»tödlich verungl.« (Namen in der Tabelle Seite 43)
Gen. v. Oven, kein Verfahren
(v. Gagern 200 M.)
—, kein Verfahren
Diegele 5 Woch. Gefängnis
212 3. V. 19
16 Zivilisten
»tödlich verungl.« (Namen in der Tabelle Seite 43)
Gen. v. Oven, kein Verfahren
(v. Gagern 200 M.)
—, kein Verfahren
Diegele 5 Woch. Gefängnis
228 4. V. 19
7 Zivilisten
»tödlich verungl.« (Namen in der Tabelle Seite 43)
Gen. v. Oven, kein Verfahren
(v. Gagern 200 M.)
—, kein Verfahren
Diegele 5 Woch. Gefängnis
235 6. V. 19
21 kath. Gesellen
»tödlich verungl.«(Namen in der Tabelle Seite 43)
Hptm. v. Sutterheim, Verf. eingest.
Offizierstell. Paul Priebe, Verf. eingest.
Jakob Müller, Makowski
je 14 Jahre Zuchthaus, Grabasch, Latosi 1 J. Gef., 10 J. Zhs.
256 21. III. 20
A. Futran, W. Dürre, Fritz Kegel, K. Wienecke, K. Gratzke
angeblich Standrecht
Kapt. Bebbel
keine Unters.
Ltn. Kubich
keine Unters.
261 13. III. 20
Schottländer
gelyncht
Oberl. Schmitz
Unters. erfolgl.
unbekannt
Unters. erfolgl.
26213. III. 20
Demmig, Schramm, Boronow, Romane
willk. Tötung
Lt. Kaufmann
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
26615. III. 20
Hoffmann, Böhm, Herkenrath
»auf der Flucht«
Obtlt. Müller
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
26917. III. 20
Wittke, Steinfurth
angebl. Standrecht
Baron v. Brandenstein
Verf. eingestellt
Freikorps Roßbach
Verf. eingestellt
271 18. III. 20
Slomski
angebl. Standrecht
Rittergutsbes. Bachmann
Verf. eingestellt
Freikorps Roßbach
Verf. eingestellt
27218. III. 20
Puffpoff
gelyncht
Rittm. Obernitz
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
27318. III. 20
Gräbler
angebl. Standrecht
Rittm. Obernitz
Verf. schwebt
unbekannt
Verf. schwebt
274 18. III. 20
Dunn, Schlieker, Berg, Köhler, Gerber
angebl. Notwehr
Stefan und Peter v. Lefort
Verf. schwebt
unbekannt
keine Anklage
279 19. III. 20
H. Litzendorf
»auf der Flucht«
Ltn. Simon (?)
Verf. eingest.
Bender
Verf. eingest.
28019. III. 20
Seidel
in Notwehr
Ltn. Meinecke
keine Unters.
unbekannt
keine Unters.
28120. III. 20
Paul Jahnke
willkürl. Erschießung
Ltn. Thormann
freigesprochen
Harlinghausen
Verf. eingest.
28225. III. 20
Hornschuh, Hartmann, Döll, Patz, 3 Füldner, 2 Soldau, Wedel, Rössiger, 2 Schröter, Rosenstock
»auf der Flucht«
Ltn. Göbel
freigesprochen
Engelbrecht, Jahn, Kraus, Herhaber, Schüler, Nebelmann, Blume, Völker, Voß, Lange
freigesprochen
296 24. III. 20
Tierarzt Neubert
»auf der Flucht«
unbekannt
Verf. schwebt
unbekannt
Verf. schwebt
29724. III. 20
Weigelt
angebl. Notwehr

Ltn. Schütz, freigesprochen
Ltn. Jansen, keine Anklage
2981. IV. 20
Hülsbusch
angebl. Standrecht
Hachmeyer
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
2991. IV. 20
A. Barth, E. Dann, K. Edelmann, L. Frankenberger, Fr. Glässer, J. Hasenstab, G. Helbing, F. Hurzera, Th. Ignasiak, Fr. Joppe, R. Krimm, R. Riesbeck, G. Rottenbücher, Meis
willkürl. Erschießung
unbekannt
Verf. eingestellt
unbekannt
Verf. eingestellt
314 3. IV. 20
Jos. Soyka
angeblich. Standrecht
Kap.-Ltn. Meyerhofer
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
3155. IV. 20
Paul Graf, Paul Langer
»auf der Flucht«
unbekannt
Verf. schwebt
Wachtm. Mehl, Friedrich
Verf. schwebt
317 6. IV. 20
Rogowski
angebl. Standrecht
Lt. Linsemaier
Verf. schwebt
Block
Verf. schwebt
3186. IV. 20
Joh. Schürmann, Eug. Kläs
angebl. Standrecht
Ltn. Sinnesheimer
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
3206. IV. 20
Fr. Lichtenauer, »a. d. Flucht«
Herm. Rießner, angebl. Notw.
Ltn. Goeke
Verf. eingest.
unbekannt
kein Verfahren
322 9. IV. 20
Herm. Witschel, Rösner
willkürl. Erschießung
unbekannt
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
3248. IV. 20
Fr. Sieck
»auf der Flucht«
unbekannt
Verf. eingest.
unbekannt
Verf. eingest.
325 17. IV. 20
Max Maurer
»auf der Flucht«
unbekannt
kein Verfahren
Gaul, Grupat, Fuchs
kein Verfahren
32625. IV. 20
Br. Borucki
willkürl. Erschießung
unbekannt
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
32717. V. 20
Rich. Peledun, Jos. Mainka
»auf der Flucht«
unbekannt
kein Verfahren
Grimm, Eversberg
kein Verfahren
329
Käthe Pintsch
willkürl. Erschießung
Ltn. Horst Kohl
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
33022. V. 20
Hans Paasche
»auf der Flucht«
Oberl. Koppe
Verf. eingest.
Schütze, Diekmann
Verf. eingest.
3316. X. 20
Marie Sandmeier
willkürl. Erdroßlung
unbekannt
Verf. schwebt
Lt. H. Schweighart
Verf. schwebt
33228. XII. 20
Paul Hoffmann
»auf der Flucht«
Maj. v. Plüskow
Verf. eingest.
unbekannt
Verf. eingest.
3334. III. 21
Hans Hartung
willkürl. Erschießung
unbekannt
Verf. schwebt
Rittm. Beurer, Oberl. Berger
Verf. schwebt
33426. III. 21
Paul Müller
»a. d. Flucht«
unbekannt
Verf. schwebt
unbekannt
Verf. schwebt
335 27. III. 21
Herzau, Thielecke, Pawlack, Weiner, Dietrich
unbekannt
Verf. schwebt
unbekannt
Verf. schwebt
34028. III. 21
Peter, Straube, Deutsch, Müller, Poblentz, Trautmann, Lederer, Isecke, Zillmann
angebl. Standrecht
unbekannt
Verf. schwebt
unbekannt
Verf. schwebt
349 31.III. 21
Mosenhauer
»a. d. Flucht«

Unterof. R. Böhm
freigesprochen
350 30. III. 21
Wilh. Sült
»a. d. Flucht«
unbekannt
kein Verfahren
Janicke
Verf. schwebt
35110. VI. 21
Karl Garels
willkürl. Erschießung
Lt. Schweighart?
Unters. schwebt
unbekannt
Unters. schwebt
35213. VI. 21
Buchholz
angebl. Selbstmord
Hptm. Stennes?
kein Verfahren
Erren (?), Meyer (?)
freigesprochen
35326. VIII. 21
M. Erzberger
willkürl. Erschießung
unbekannt
Unters. schwebt
H. Schulz, H. Tillessen
Unters. schwebt
35424. VI. 22
W. Rathenau
willkürl. Erschießung
unbekannt
kein Verfahren
E. W. Techow, Kern u. Fischer, Günther, Gerd Techow, Brand, Niedrig, v. Salomon, Ilsemann, Schütt, Diestel, Tillessen, Plaas
Kern gefallen, Fischer Selbstm., W. Techow 15 J. Zth., G. Techow 4 J. 1 Mon. Gef., Günther 8 J.Zth., Niedrig, v. Salomon je 5 J. Zth., Ilsemann, Schütt, Diestel je 2 Mon. Gef., Tillessen 3 J. Gef., Plaas 2 J. G.

Gesamtzahl: 354 politische Morde von rechts

Gesamtsühne: 90 Jahre, 2 Monate Einsperrung, 730 M. Geldstrafe und 1 lebenslängliche Haft [79]

DIE VON LINKS BEGANGENEN POLITISCHEN MORDE

Lfd. Nr.Datum
Name des Getöteten
Art der Tötung
Name des Verantwortlichen
Schicksal
Name des Ausführenden
Schicksal
113. II. 19
Kohlmann
willkürl. Erschießung

O. Albrecht, lebensl. Zuchthaus
K. Arnold lebensl. Z.
2 21. II. 19
Abg. Osel
willkürl. Erschießung

nicht ermittelt
Lindner 14 J. Z., Frisch 3-1/2 J. Gefängnis
321. II. 19
Major v. Gareis
angebl. Notwehr

Metzger, Lindner, Merkert 1-1/2 M. Gefängnis
Schlund 2 Mon. Gefängnis
4
Max Weinberger
willkürl. Erschießung
unbekannt
kein Verfahren
unbekannt
kein Verfahren
530. III. 19
F. K. v. Teuchert, F. W. v. Seydlitz, F. Linnenbrügger, Walter Hindorf, Prof. Ernst Berger, Sekr. Daumenlang, Hella v. Westarp, W. Neuhaus, W. Deicke, Prinz Thurn u. Taxis
als Repress. willkürl. erschossen
Eglhofer, Fritz Seidel
Eglhofer willkürlich erschl., Fritz Seidel z. Tode verurteilt
Josef Seidl, Kammerstädter, Schickelhofer, Kick, Gsell, Hannes, Huber, Hesselmann, Lermer, Wiedl, Fehmer, Pürzer, Riedmayer
Josef Seidl, Schickelhofer, Kammerstädter, Wiedl, Pürzer, Fehmer, Walleshauser z. Td. verurteilt, Kick, Gsell, Hesselmann, Lermer, Hannes, Huber, Riedmayer, Debus, Strelenko und Greiner zu je 15 Jahre Zuchth., Rotter 7 J. Z.
15 25. IV. 19
Ernst Lacher
angebliches Standrecht
Rich. Käs, Gg. Graf, Radl
Käs 6 J. Zuchth., Graf 12 Jahre Zuchth., Radl stdrechtl. ersch.
Blechinger, Ebert, Essig, Vogl, Mühlbauer, Anzenberger
Vogl 4 J. Zuchthaus, Mühlbauer 3-1/2 J. Zuchthaus, Anzenberger 1 J. 6 Mon. Gef., Ebert, Blechinger, Essig je 3 J. Gefängnis
16 2. VIII. 19
Polizeiag. Blau
erdrosselt
Polizeiagent Toifl?
kein Verfahren
unbekannt (Hoppe)
Hoppe 6 J. Z., Winkler 3 J. G.
17 19.III. 20
Gutsbesitz. Walter
willkürl. Erschießung
unbekannt
Verf. eingest.
unbekannt
Verf. eingest.
1821. III. 20
Gutsbesitz. Henze u. Schwester
willkürl. Erschießung

Felix, Rolle, Steinbach
Felix 5 J. Gef., Rolle und Steinbach 12 Jahre Zuchthaus
2028. III. 20
Sametz
angebl. Standrecht
G. Karuseit
Verf. schwebt
unbekannt
Verf. schwebt
21 3. IV. 20
E. Langensiepen
angebl. Standrecht
unbekannt
Verf. schwebt
unbekannt
Verf. schwebt
2230. III. 21
Gutsbesitzer Heß
willkürl. Erschießung
Max Hölz
Lebensl. Zuchth.
unbekannt

Gesamtzahl: 22 Morde von links

Gesamtsühne: 10 Erschießungen, 248 Jahre, 9 Monate Einsperrung, 3 lebenslängliche Zuchthausstrafen [81]

DIE FORMEN DER POLITISCHEN MORDE

»Tödlich verunglückt«184 Als Repressalie erschossen10
Willkürlich erschossen 73 Willkürlich erschossen8
»Auf der Flucht erschossen« 45   
Angebliches Standrecht 37 Angebliches Standrecht 3
Angebliche Notwehr 9 Angebliche Notwehr 1
Im Gefängnis oder Transport gelyncht 5    
Angeblicher Selbstmord 1    
Summe der von Rechtsstehenden Ermordeten 354 Summe der von Linksstehenden Ermordeten 22

DIE SÜHNE DER POLITISCHEN MORDE

Politische Morde   Gesamtzahl
begangen von
Linksstehenden
von
Rechtsstehenden
 
Gesamtzahl der Morde22354376
davon ungesühnt 4      326       330      
teilweise gesühnt 1      27      28      
gesühnt17      1      18      
Zahl der Verurteilungen3824 
Geständige Täter freigesprochen 23  
Geständige Täter befördert 3  
Dauer der Einsperrung pro Mord 15 Jahre 4 Monate  
Zahl der Hinrichtungen 10 
Geldstrafe pro Mord 2 Papiermark 

NICHT AUFGENOMMENE TÖTUNGEN [82]

Wie bereits in der Einleitung hervorgehoben, macht die vorliegende Sammlung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zunächst habe ich natürlich alle Körperverletzungen weggelassen, die nicht tödlich ausgingen, wie z. B. den Ueberfall auf von Gerlach, Dr. Magnus Hirschfeld, die Attentate auf den Abgeordneten Auer, auf Scheidemann, Harden usw., bei denen der Mordversuch offenkundig war.

Ferner habe ich in die Sammlung nicht aufgenommen:

1. Die Opfer von Demonstrationen, Straßenkämpfen und von Lynchungen durch eine erregte Menge, wie sie vielfach z. B. während der Märzunruhen in Berlin, während des Kapp-Putsches und im Rheinland vorgekommen sind. Während des Kapp-Putsches wurden Hunderte von Arbeitern durch die meuternden Truppen und auch manche Soldaten durch Arbeiter erschossen. So fiel z. B. Hauptmann Bertold im Straßenkampf gegen die Arbeiter von Harburg. Von anderen Opfern von Unruhen seien kurz erwähnt: die 20 in Königshütte am 2. Januar 1919 erschossenen streikenden Arbeiter, die 5 durch die Garde-Kav.-Schützendivision in der Weinmeisterstraße im Februar 1919 Erschossenen, die 34 in der Köpenicker Straße in Berlin im März 1919 erschossenen Kommunisten, die 5 Reichswehrsoldaten, die durch die Baltikumer in Soest im Juni 1920 erschossen wurden. Zuletzt die 2 durch die auf Borkum stationierte Küstenwehr am 31. Dezember 1920 Erschossenen. Von der linken Seite stehen dem u. a. eine Reihe von Lynchungen gegenüber, die durch eine erregte Menge vorgenommen wurden, z. B. der Fall des sächsischen Kriegsministers Neuring und des Oberstleutnants v. Klüber in Halle, die Fälle am Wasserturm in Essen, am Rathaus in Schöneberg usw.

2. Alle Fälle, wo die erschießende Partei behauptet, daß sie von der Menge angegriffen wurde, gleichgültig, ob dies nachweisbar ist oder nicht. Daher habe ich nicht behandelt: die Erschießung von 17 Arbeitslosen in Breslau am 13. Februar 1919, die Erschießung des Arbeiters Hermann Mark in der Müllerstraße in Berlin am 3. Oktober 1919, die Erschießung eines Kriegsbeschädigten in Spandau am 12. Dezember 1919, die Erschießungen von 42 Demonstranten vor dem Reichstag am 13. Januar 1920, die Erschießung des Arbeiters Jusselbeck bei einer Versammlung in Oberhausen am 16. Februar 1920.

3. Alle Ermordungen, denen keine deutschen innerpolitischen Motive zugrunde liegen, also alle Erschießungen in Oberschlesien, ferner die Ermordung des französischen Sergeanten Mannheim, die Ermordung eines polnischen Kommunisten Körner (Rozenblum) durch einen anderen Polen in der Petersburgerstraße in Berlin, und von verschiedenen Türken durch Armenier. Endlich alle Fälle, wo es sich wahrscheinlich um einen persönlichen Racheakt handelte, [83] wie die Ermordung des Abgeordneten Haase durch Voß und die Ermordung des Studenten Kahn in Baden-Baden.

4. Alle Fälle, wo die Erschießung auf Grund eines kriegsgerichtlichen Urteils erfolgte, weil hierbei meistens wenigstens das formale Recht gewahrt blieb. Daher ist die Erschießung von Leviné nicht aufgenommen. Dagegen habe ich die Erschießungen in Köpenick gebracht, da es sich hier meines Erachtens um Justizmorde handelt. Natürlich habe ich auch diejenigen Fälle erwähnt, wo »standrechtliche Erschießungen« durch meuternde Truppen auf Grund der Verordnungen Kapps vorgenommen wurden.

5. Alle Fälle, in denen es mir nicht gelungen ist, genügend Material zu bekommen. Hierunter fällt die Erschießung eines Sanitäters Hans Müller in der Neuenburger Straße in Berlin am 11. Januar 1919, die Erschießung von Pieser in Spandau am 11. Januar 1919, des Kommunisten Meseberg in Halle am 24. März 1919, die Erschießung des Arbeiters Pludra im März 1919 in Halle a. S. durch den Freiwilligen Hans Haneling auf Befehl des Oberleutnants Kornalewski (Feld-Art.-Reg. 45) und des Führers der 2. Streifkompagnie des Freikorps Halle Huberti alias Roth, ungefähr 50 willkürliche Erschießungen während der Märzunruhen in Berlin, z. B. die des Soldaten Neese am 12. März 1919, die Erschießung des Willi Bressert in Kottbus am 2. August 1919, die Erschießung des Kommunisten Hammer in Remscheid im September 1919, die Erschießung des 20 jährigen August Kluwig durch den Vizefeldwebel Moeßmann (6. Kompagnie des Freikorps Schütz) bei Hamborn im März 1920, die Erschießung des 19 jährigen Wilhelm Bölke in Adlershof am 19. März 1920, die Erschießung der Arbeiter Paul Reinke und Emil Dagner am 22. März 1920 auf Befehl des Major Kloß durch den Leutnant Schefler in Wesel, die Ermordung von Arbeitern durch Reichswehrsoldaten in Schallenberg und Tunzenhausen im März 1920, die Erschießung eines Arbeiters in Parin bei Grevesmühlen am 20. März 1920 auf Befehl des Wirtschafters des Gutes Oberhof, eine Reihe von Ermordungen von Bürgern bei Halle im März 1920, nämlich des Bergrats Dr. Vogelsang in Eisleben am 16. März, des Bürgermeisters von Osterfeld, des Rittergutsbesitzers Barth in Poserna, des Pastors Niehus in Burg Liebenau am 20. März, des Landesjägers Herr in Teutschenthal, des Schriftstellers Schott in Langenberg-Reuß, des Freiherrn von Knigge in Endorf, die Ermordung des Bürgermeisters Jaeckel in Osterfeld durch Kommunisten, die Erschießung des bolschewistischen Kuriers Paul de Mott am 5. April 1920 im Gefängnis Wesel durch den ihn bewachenden Gefreiten Getischorek »auf der Flucht« und die Ermordung des Arbeiters Karl Schluck am 15. April 1920 in Altenbochum durch Angehörige des Freikorps Epp; ferner die Erschießung des Arbeiters Otto Haase am 9. Juni 1921 in Berlin.

Selbst nach dieser scharfen Auswahl sind noch die geschilderten Fälle übrig geblieben. [87]

ZUR SOZIOLOGIE DER POLITISCHEN MORDE
DAS WERDEN DER DEUTSCHEN ÖFFENTLICHEN MEINUNG

Wenn man sich die oben geschilderten Morde und die noch schrecklichere Klassenjustiz ins Gedächtnis ruft, so drängt sich die Frage auf: Wie sind solche Dinge in einem früher so geordneten Land möglich, das sicher zu den führenden Kulturnationen unserer Zeit gehört und das nach seiner Verfassung eine freiheitliche, demokratische Republik ist?

Um dies zu untersuchen, müssen wir die historische Bedingtheit, das Werden dieses heutigen Geistes verfolgen. Drei Phasen sind dabei zu unterscheiden: Die Entwicklung vor dem Krieg, die während des Krieges und die nach dem 9. November 1918.

Schon vor dem Kriege hat Deutschland, wenn auch nicht ganz mit Recht, den Ruf besessen, ein militärisches, d. h. halb feudalistisches Land zu sein, das gegenüber den westlichen Demokratien im Rückstand sei. Dieser Auffassung widersprechen die sozialen Einrichtungen Deutschlands und die außerordentlichen Leistungen seiner Wissenschaft und Technik. Begründet ist diese Auffassung zunächst durch den überwiegenden Einfluß des Militärs auf Staat und Gesellschaft, dann aber auch durch die grundsätzlich negierende Stellung, die Deutschland gegenüber den Haager Konferenzen eingenommen hat. Es bleibe unerörtert, inwieweit diese Versuche einer Pazifizierung der Welt tatsächlich möglich und aussichtsreich waren. Worauf es ankommt, ist, daß durch diese Haltung die Meinung entstanden ist, daß Deutschland ein militaristisches Land sei. Diese Weltauffassung hat auch in der Tat die Außenpolitik in wichtigen Momenten, z. B. in der Frage der Schiedsgerichtsbarkeit entscheidend beherrscht.

Drei Ursachen des Militarismus

Als Hauptursachen dieser Einstellung wird man in Kürze folgendes anführen können.

(a) Die Entstehung Preußens auf einem Kolonialgebiet, wo eine ursprünglich dünne deutsche Oberschicht eine breite slavische Unterschicht beherrschte, und die ungünstige Lage Deutschlands machten früher einen großen militärischen Aufwand nötig. Schon zur Rechtfertigung seiner eigenen Existenz mußte dann das Militär die Möglichkeit der Erhaltung des Friedens auf einem andern Wege [88] als dem der Rüstung auch in Zeiten leugnen, wo dieser Weg nicht mehr wirkungsvoll, sondern umgekehrt sogar schädlich war.

(b) Gerade die relative Neuheit des deutschen Einheitsstaates, der ganz zu Unrecht als eine Erfüllung der demokratischen Träume der 48er hingestellt wurde, unterstützte die Wirksamkeit dieser Ideologie. Die bürgerliche Revolution von 48 hatte den nationalen Gedanken betont, nicht im Sinne des heutigen Imperialismus, sondern als ein freiheitliches Gegengewicht gegen die herrschende dynastische Staatsauffassung. Das Volk und nicht die Fürsten sollten es sein, worauf sich der Staat aufbaue. Den nationalen Gedanken, der ohne seinen sozialen Inhalt nur eine leere Form blieb, übernahm Bismarck als ein Mittel zur Machtvergrößerung der Dynastie Hohenzollern und so konnte die Fiktion entstehen, das Reich von 1870 sei eine Fortsetzung der revolutionären, demokratischen Tendenzen von 1848. Blut und Eisen hätten das von oben verwirklicht, was das revolutionäre Bürgertum von unten nicht hatte vollenden können. So wird der Militarismus künstlich mit einem idealen Schimmer umkleidet.

(c) Der große wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands nach 1870 wurde nicht als eine Folge des Fallens der inneren Zollschranken und der gleichzeitig überall steigenden Konjunktur, sondern als eine Folge des militärischen Sieges aufgefaßt. Daher bleiben die Offiziere, die »Begründer der deutschen Größe«, auch im Frieden die gesellschaftlich maßgebende Schicht. Ein Staat aber, in dem das Militär, sei es direkt, sei es durch das Reserveoffiziersunwesen, herrscht, muß seiner Natur nach kriegerisch auftreten.

Wir sehen also, daß das Bürgertum in Deutschland, das als Träger einer Demokratie in Betracht kam, selbst seinen Feind, den Militarismus stützte.

Zur Kriegsschuld

Die Auffassung aber, wonach Deutschland während langer Jahre nur davon geträumt habe, über die übrige, »demokratisch und friedlich gesinnte Welt« herzufallen, um sie zu erobern, ist falsch. Will man von einer deutschen Schuld sprechen, so müßte man folgende drei Gesichtspunkte unterscheiden: (a) Die Schuld des herrschenden Wirtschaftssystems überhaupt, das den Krieg und seine Vorbereitung zu einem für gewisse besitzende Klassen lohnenden Geschäft macht. Der Anteil Deutschlands hieran bestand z. B. in dem Ausbau des Dumping-Systems, der unsinnigen Marokko-Politik usw.; (b) die Schuld der deutschen Diplomaten, die im unbedingten Glauben an Blut und Eisen in den Julitagen von 1914 alle friedlichen Mittel solange verwarfen, bis sie den Krieg unvermeidbar gemacht haben; (c) eine Schuld des ganzen deutschen Volkes, das den Krieg als etwas Herrliches, Begeisterungswürdiges empfand.

Wenn ganz Deutschland den Krieg ursprünglich unbedingt bejahte, so darf man auch hierin nicht einen Beweis des militärischen [89] Eroberungswillens sehen. Der Glauben, von Rußland überfallen zu sein und die Meinung, tatsächlich die europäische Kultur gegen die Barbarei verteidigen zu müssen, war allgemein verbreitet. Der Krieg gegen Frankreich wurde mit der bekannten Lüge der Fliegerbombe von Nürnberg begründet, die allgemein geglaubt wurde. Der Ueberfall auf Belgien schien nur die berechtigte Abwehr gegenüber einem angeblichen früheren Einmarsch der Franzosen.

Die Lügentechnik der Presse

Die unorganisierte Verbreitung von Lügen wich bald einer systematischen Irreführung der öffentlichen Meinung.

Die Mittel hierzu waren Zensur, Belagerungszustand und Schutzhaft. Offiziell erstreckte sich die Zensur nur auf militärische Angelegenheiten. Daher hat man alles Politische als militärisch betrachtet. Beinahe täglich wurden den Redaktionen Richtlinien, Befehle oder Verbote zugesandt. Mehrmals wöchentlich wurde eine »Pressekonferenz« gehalten, um die »richtigen« Nachrichten zu lancieren und um zu verhindern, daß sich eine selbständige öffentliche Meinung bildete. Der Sinn der Anweisungen war stets: »So und so verhält es sich, aber so und so wünschen wir es dargestellt« (manchmal hieß es sogar wörtlich so). Sorgfältig wurde verhüllt, daß es überhaupt eine Zensur gebe. Hierzu diente auch das Verbot, von der Zensur gestrichene Stellen weiß zu lassen, was in allen anderen Ländern erlaubt war. Wurden im Reichstag Uebergriffe von Zensoren erörtert, so strich der betreffende Zensor in lokalen Berichten die ganzen Mitteilungen darüber (Reichstag 30. Mai 1916). Jahrelang hat man jede Theateraufführung, jede wissenschaftliche und künstlerische Bemerkung, jede Annonce, ja jedes Witzblatt sorgfältig darauf geprüft, wie sie auf die Stimmung des Volkes wirken. Jahrelang hat man verboten, gewisse unliebsame Ereignisse und die Namen gewisser unbeliebter Persönlichkeiten überhaupt nur zu erwähnen, sodaß das Volk nicht einmal erfuhr, daß es Menschen gab, die protestierten. Umgekehrt hat man gewisse Halbgötter für sakrosankt erklärt. Die oberste Heeresleitung, eine durch und durch politische Organisation, durfte nicht in den Bereich der Diskussion gezogen werden.

Auch über die Meinungen der Presse wurde das Volk völlig irregeführt. Man zwang die gesamte Presse, Regierungsmeinungen als redaktionelle Aeußerungen einzusetzen, ohne daß die Presse die Möglichkeit irgend welcher Kritik hatte.

Beim Ueberschreiten auch nur einer der vielen Zensurbestimmungen drohte den Zeitungen Verbot auf Tage, Wochen oder bis zum Kriegsende, den Redakteuren die schärfsten Strafen. (Reichstag, 28. Oktober 1916.) War ein Blatt mit all diesen Mitteln noch nicht klein zu kriegen, so kam es unter Vorzensur. Die Zensurbeschwerden mit allem, was dazu gehört, wie Belagerungszustand und Schutzhaft, füllen Tausende von Seiten der Reichstagsberichte. [90] Zur Zensur kamen dann noch die vielen kleinen Mittel, die der Regierung zur Verfügung stehen. Regierungstreue Organe wurden bei der Papierverteilung besonders berücksichtigt, die Redakteure der oppositionellen Blätter eingezogen. Neue oppositionelle Blätter durften nicht erscheinen. Man gründete Korrespondenzen, die umsonst abgedruckt werden durften (z. B. deutsche Kriegsnachrichten) und hatte so eine regierungstreue Provinzpresse.

Die Knebelung der öffentlichen Meinung

Abgesehen von der Presse hat man zur vaterländischen Lügenpropaganda das Theater, das Kino, das Plakat, das Trambahnbillett, die Zündholzschachtel, selbst das Abortpapier herangezogen. Mit allen Mitteln wurde die öffentliche Meinung unterdrückt.

Durch Schreibverbot, Schutzhaft, Einziehung zum Militär und Hilfsdienst, Redeverbot, Zwangsaufenthalt, geheime Brief- und Telephonzensur hat man unbequeme Leute mundtot gemacht. Ohne Möglichkeit einer Rechtfertigung saßen Tausende in Schutzhaft. Ein dichtes Netz von Spitzeln und Agents provocateurs umgab jedes politische Leben (Reichstag, 31. Oktober 1916). Durch Versammlungsverbote verhinderte man, daß der Volkswille manifestiert wurde. Unbeliebte Reichstagsabgeordnete durften nicht zu ihren Wählern sprechen. Gleichzeitig wurde den dadurch Betroffenen untersagt, das Verbot bekanntzugeben, sodaß es aussehen mußte, als wenn sie sich zu anderen Ansichten bekehrt hatten. Wurde eine Schrift beschlagnahmt oder eine Organisation aufgelöst, so wurde gleichzeitig jede Mitteilung hierüber verboten. Nicht nur gegen Einzelne ist man so vorgegangen, dem ganzen Elsaß-Lothringischen Landtag ist verboten worden, über die Lebensfrage des Landes zu sprechen, nämlich über seine künftige verfassungsmäßige Stellung (Reichstag, 6. und 26. Juni 1918).

Systematisch wurde die Denunziation gezüchtet. Der tapfere Leiter dieses Reichskrieges war der Polizeidirektor Henniger von der Abteilung Ia des Polizeipräsidiums. (Am 9. November entflohen, jetzt wieder im Amt.) Den Denkwilligen entzog man jedes Tatsachenmaterial. Geburt und Grab, Unglücksfälle und Verbrechen, Streiks, Volkskundgebungen, alles hat man unterschlagen. Nicht bekannt werden durfte z. B. die Zahl der im Kriege oder in der Heimat Gestorbenen, die Zahl des Geburtenrückganges, die exakten Zahlen der Ernte. Manche vollständigen Reichstagsstenogramme mußten illegal erscheinen; Mitteilungen des Gesundheitsamtes, selbst Artikel des Kriegsernährungsamtes wurden von der Zensur verboten. Auch dem Reichstag und selbst Regierungsstellen war keine Möglichkeit gegeben, sich wahrheitsgemäß zu unterrichten. So war das deutsche Volk völlig desorientiert und stand hilflos den Lügen gegenüber, die ihm Tag für Tag von der Regierung und der kriegshetzerisch feilen Presse geboten wurden. [91]

Die Revolution

Die Deutsche Republik ist, wie man weiß, nicht das Resultat des Aufstrebens der deutschen Bürger, sondern die Folge der Niederlage seiner Generale. Vor der Verantwortung retteten sie sich. Auf ihren Wunsch wurde eine neue fortschrittliche Regierung gegründet, deren Zweck nur sein sollte, sofort einen günstigen Waffenstillstand herbeizuführen. Rein militärische Gründe waren es, die zu diesem Schritt zwangen. Das deutsche Heer stand vor der größten Niederlage aller Zeiten. »Das Friedensangebot muß morgen noch herauskommen. Heute hielt die Truppe noch, was morgen ist, läßt sich nicht voraussagen«, so schreibt Ludendorff selbst. (Vorgeschichte des Waffenstillstands, Tel. Nr. 21.) Und Hindenburg telegraphiert an die Waffenstillstandskommission, wenn keine Milderungen zu erreichen sind, sind die Bedingungen anzunehmen. Ueber Nacht entstehen im Heer die Soldatenräte, die Arbeitermassen zwingen die Herrscher zur Abdankung.

Aber diese Revolution entspricht nicht dem üblichen Bild. Die wesentliche psychologische Ursache, die jahrelange Unzufriedenheit der Masse fehlte. Bis 1914 herrschte im allgemeinen Zufriedenheit. Das Standard of Life war gestiegen, das Land befand sich auf einer aufsteigenden Linie. Als die deutsche Politik Schiffbruch erlitt, folgte nicht ein Umsturz, sondern nur ein Einsturz, und da die Dynastien sich mit dem Militarismus identifiziert hatten, so schickte man sie zum Teufel.

Große Hoffnung bestand, daß dies der Ausgangspunkt einer demokratischen Entwicklung werden könne, daß ein Erwachen aus dem Bann der Lügen stattfinden würde.

Weimarer Verfassung und Wirklichkeit

Formal hat sich in Deutschland wirklich etwas geändert. Denn seit der Weimarer Verfassung ist Deutschland nominell eine Demokratie. Danach geht die Staatsgewalt vom Volk aus. Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Ausnahmegerichte sind unstatthaft, niemand darf seinem gesetzmäßigen Richter entzogen werden. Die Militärgerichtsbarkeit ist aufgehoben. Alle Deutschen sind vor dem Gericht gleich. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Personen, denen die Freiheit entzogen ist, sind spätestens am darauffolgenden Tage davon in Kenntnis zu setzen, von welcher Behörde und aus welchem Grunde die Entziehung der Freiheit angeordnet ist. Das Brief-, Telegraph- und Fernsprechgeheimnis ist unverletzlich. Eine Zensur findet nicht statt. In allen Schulen ist sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung, persönliche und berufliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums und der Völkerversöhnung zu erstreben.

Wer diese herrlichen Bestimmungen, wie sie in der Weimarer Verfassung niedergelegt sind, liest, wird schwerlich daran zweifeln können, daß Deutschland eine vollendete Demokratie sei. [92]

Aber es ist eine bekannte Tatsache, daß es leider unmöglich ist, aus dem Wortlaut einer Verfassung auf den Grad der Demokratie zu schließen, den ein Land hat. Wenn man z. B. nach den Pronunziamentos mancher Generale schließen wollte, wären sie wahre Engel und würden allen Menschen die Segnungen des Paradieses bieten. Dem ist nicht so. Man muß vielmehr noch die Ausführungsbestimmungen, die weiteren Gesetze, die Rechte der Polizei, den Geist der Verwaltung und vor allem den geistigen Zustand eines Landes berücksichtigen, um unsere Frage zu entscheiden. Hier bekommen wir nun sofort ein anderes Bild.

Die Leute des Ancien Régime werden in Deutschland noch immer hoch verehrt. Der Kaiser gilt als eine mystische Persönlichkeit, ja es konnte sogar in den extremen rechten Kreisen eine Christuslegende entstehen, wonach Wilhelm die Sünden seines Volkes auf sich genommen und durch seine freiwillige Verbannung sich für Deutschland geopfert habe. Entsprechend werden auch die Angehörigen seines Hauses, selbst wenn sie sich gemeiner Verbrechen schuldig gemacht haben, noch immer hoch verehrt. Ein Hohenzoller hat sich Verfehlungen gegen den § 175 (Homosexualität) zuschulden kommen lassen, ein anderer hat sich in eine Wirtshausrauferei eingelassen, ein dritter ist wegen Kapitalsverschiebungen rechtskräftig verurteilt worden. Weite Kreise des Volkes sehen in ihnen doch noch immer Menschen höheren Schlages.

Die Republik ist unerhört demokratisch — gegen ihre Feinde. Während die Hohenzollern 1866 nicht daran dachten, dem von ihnen gestürzten König und den Fürsten einen Pfennig Entschädigung zu zahlen und sie sogar ohne weiteres ihres Landes verwiesen, hat die Republik den Hohenzollern ihr ganzes Eigentum gelassen. Ja, auch wo es strittig war, ob es sich um Staatsgut oder Privatgut der Hohenzollern handelte, hat man ihnen nicht einen Pfennig genommen. Im Gegenteil, Jahr um Jahr schickte der gute deutsche Steuerzahler Millionen nach Amerongen, damit sein Kaiser in der Verbannung würdig lebe und damit ihm nicht die Möglichkeit genommen sei, die Kräfte zu sammeln, um die Republik zu stürzen. Kein einziger Thronprätendent ist des Landes verwiesen worden. Die Behörden haben die Bezeichnung »Königlich« und »Kaiserlich« nur zum Teil gestrichen. Z. B. steht selbst in dem Haus, wo der württembergische Staatspräsident wohnt, noch unangefochten ein Schild, wonach dieses Haus das »Königliche Ministerium des Aeußeren« sei. Auch die Berliner Akademie der Wissenschaften nennt sich noch immer königlich.

Um diese Mentalität zu verstehen, muß man folgendes beachten.

Tatsachen und Ueberzeugungen

Es ist sehr selten, daß die Menschen sich durch die Tatsachen wirklich überzeugen lassen. Meistens ziehen sie vor, besonders, wenn wie hier, die mächtigen mit dem Militär verschwägerten Interessen [93] des Großkapitals hinter der Bildung der öffentlichen Meinung durch die Zeitung stehen, aus der rauhen Wirklichkeit ins süße Reich der Märchen zu flüchten. Denn es ist bitter, langjährige Ueberzeugungen zu opfern. Daher wird zur Erhaltung des Prestiges noch heute geleugnet, daß Deutschlands Militärmacht an der vereinigten Militärmacht der ganzen Welt gescheitert ist. Vielmehr: »die Heimat hat die Front von hinten erdolcht«, sozusagen, das Volk hat die Generale verraten. Damit ist die nationale Eitelkeit der Unüberwindbarkeit gerettet, die ganze Politik der letzten 50 Jahre gerechtfertigt. Endlich ist ein Prügelknabe gefunden; die Zurückgebliebenen, die Drückeberger, die Juden sind an allem Schuld.

Daß von Regierungsseite das Volk nicht aufgeklärt wurde, liegt daran, daß die Regierung in ihrem zum Teil von ihr provozierten Kampf gegen die bolschewistische Linke die rechtsstehenden »Ordnungsleute«, auf die sie sich stützte, nicht allzusehr verschnupfen wollte. In ihrer Machtlosigkeit und verhängnisvollen Kurzsichtigkeit hat die Regierung sogar die Möglichkeit eines Militärputsches geleugnet, ihre eigenen Gegner bewaffnet, die Arbeiterschaft, auf die sie sich stützen konnte, entwaffnet. Der Kapp-Putsch scheiterte nicht etwa an der Abwehr der besitzenden und intellektuellen Klassen — diese haben im Gegenteil ihn jubelnd begrüßt — vielmehr an der entschlossenen Abwehr des Proletariats und an seiner mangelhaften politischen und technischen Ausbildung.

Die wirtschaftlichen Ursachen dieser psychischen Einstellung liegen auf der Hand. Das deutsche Bürgertum hat eine Zeitlang, ob mit Recht oder Unrecht spielt keine Rolle, die heute herrschende Wirtschaftsordnung, auf der seine Existenz beruht, für bedroht gehalten. In dieser Situation pflegt eine herrschende Klasse stets rücksichtslos ihre Prinzipien über Bord zu werfen, soweit sie sie in ihrem Kampfe hindern, nur um ihre Existenz zu retten. Auch die dritte französische Republik hat zu ihrem Beginn im Kampfe gegen den Kommunismus nach rein militaristischen Motiven gehandelt. Der Sturz der Kommune hat Tausenden das Leben gekostet, die Kommune selbst nur wenigen. Aehnlich schrecken die herrschenden Klassen Deutschlands wegen des ihrer Meinung nach noch immer drohenden Bürgerkriegs vor keiner Verletzung der demokratischen Prinzipien, ihrer eignen Grundlage zurück.

Der Frieden von Versailles

Eine wesentliche Ursache an diesen Zuständen ist auch die imperialistische Politik der Entente. Dem besiegten kaiserlichen Deutschland des 5. Oktober stellte die Entente mit Recht die denkbar schärfsten Waffenstillstandsbedingungen. Aber auch nach der Revolution hat die Entente die ursprünglichen Bedingungen aufrecht erhalten, ja sie noch verschärft. Dies war für eine mögliche deutsche Revolution ein schwerer Schlag. Denn es war die Hoffnung [94] aller geistig Selbständigen in Deutschland, die Entente werde beim Sieg ihr Wort wahr machen, dieser Krieg gelte nicht dem deutschen Volke, er gelte nur einem innerlich zermürbten Feudalismus, der den Frieden der Welt bedrohe. Die Mehrzahl der Deutschen muß also der Opposition mißtrauen, die ihnen die Sache der Entente als gerecht darstellte. Die Entente hat nichts getan, um die ehrlichen Kämpfer auf der anderen Seite, wie Eisner, zu unterstützen. Dadurch hat sie die Reaktion verstärkt und selbst dazu beigetragen, daß nach der Revolution vielfach die alten Leute an der Spitze blieben.

Auch nach dem Waffenstillstand hat die Entente ihre Politik, Unmögliches zu fordern, fortgesetzt und damit dazu beigetragen, daß Deutschland nicht bereit war, das Mögliche zu leisten. Denn diese Forderungen rechtfertigen in den Augen der Deutschen wieder die Politik der alten Regierung, und so treiben Verschärfungen der Ententebedingungen einerseits, und Anwachsen eines neuen deutschen Chauvinismus andrerseits, sich gegenseitig in die Höhe.

Am stärksten hat der Friedensvertrag von Versailles den Nationalismus wieder geweckt. Was man ihm vor allem vorwerfen muß, ist die Tatsache, daß er ein Diktatfrieden ist, daß er Deutschland mehr schädigt, als er der Entente nützt. Der Idee des verletzten Rechtes ist keineswegs Genüge geleistet worden, indem Elsaß-Lothringen auf Grund des angeblichen historischen Rechtes an Frankreich kam. Eine Volksabstimmung hätte den lebendigen Willen der Bevölkerung ergeben und hätte gleichzeitig den imperialistischen Schreiern in Deutschland den Mund gestopft. Posen und Westpreußen sind ohne Abstimmung an Polen gekommen. Die Abstimmung in Ostpreußen, wo die Verhältnisse ähnlich liegen wie in den beiden Provinzen, ergab 95 Prozent für Deutschland. Danzig und Memel wurden gegen ihren Willen von Deutschland abgetrennt. Eupen und Malmedy kamen ohne Abstimmung an Belgien. Die Bevölkerung hatte ein Recht zum Protest, das natürlich wegen der zu erwartenden Ausweisung von niemand ausgeübt wurde. Deutsch-Oesterreich, das in Volksabstimmungen in überwältigender Mehrheit den Anschluß an Deutschland forderte, wurde der Anschluß verboten. Wegen Oberschlesien hat man sich drei Jahre lang nicht zu einer definitiven Lösung entschließen können. Vielleicht wäre jede Lösung besser gewesen, als das Hinziehen und Warten und die dadurch entstandene Spannung.

Endlich hat die Entente so ziemlich in allen Punkten nachgegeben, wo sie nicht hätte nachgeben sollen und nicht nachgegeben in allen Punkten, wo sie hätte nachgeben sollen. Als Beispiel diene die Auslieferungsfrage. Die Entente hätte diese Forderung niemals stellen sollen. Wenn sie aber schon gestellt war, so hätte sie auch durchgeführt werden müssen, da sonst alle nationalen Instinkte erweckt wurden, ohne daß dem verletzten Recht Genüge geworden ist. Auch in der Entwaffnungsfrage hätte die Entente schärfer vorgehen [95] dürfen. Dagegen hätte man die riesigen Besatzungskosten weit besser zum Wiederaufbau Nordfrankreichs verwenden können. In den wirtschaftlichen Forderungen hat die Entente Deutschland sicher Unmögliches zugemutet, wie der katastrophale Sturz der Mark bewiesen hat. Jede ungerechte oder unmögliche Belastung Deutschlands stärkt aber den Nationalismus.

Ursachen der Ententehaltung

Auf der Seite der Entente haben die großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, unter denen sie (insbesondere Frankreich) zu leiden hat, und die Furcht, ein wirkliches demokratisches Deutschland werde die Opposition im eigenen Land zu sehr stärken, dazu beigetragen, den Imperialisten den Sieg zu verschaffen. Die Entente selbst unterstützt durch ihre Politik den deutschen Militarismus und dies aus dreierlei Gründen. Zunächst (im Jahre 1919) aus Furcht vor dem angeblichen Bolschewismus in Deutschland, zu dessen Bekämpfung ein Heer nötig sei. Dann mag die bekannte Theorie vom europäischen Gleichgewicht in der heutigen englischen Politik wieder eine Rolle spielen. Endlich aber wissen die französischen Militärs genau, daß ihnen nur die Existenz des preußischen Militarismus eine Lebensberechtigung gibt und sie hüten sich natürlich davor, durch seine tatsächliche Vernichtung ihre eigene Existenz zu untergraben.

So sind denn die heutigen Zustände in Deutschland nicht die Folge irgendeiner spezifisch deutschen Mentalität, sie sind zunächst historisch bedingt. Und sie entstehen jeden Tag neu, einerseits durch die Angst des deutschen Bürgertums um seine Existenz, andererseits durch die Tatsache, daß das Verhalten der Entente gerade die Imperialisten in Deutschland stützt.

BAYRISCHE RÄTEREPUBLIK UND KAPP-PUTSCH

Die bayrische Räterepublik

Nach der Ermordung Eisners übernahm der bayrische Zentralrat die Macht und erklärte am 7. April 1919 die Räterepublik. Während ihrer Dauer wurden zwölf Menschen willkürlich umgebracht. Das Ministerium bildete sich in Bamberg neu, sammelte Truppen und eroberte am 1. Mai München. Dabei wurden 457 Menschen willkürlich umgebracht. (Vgl. Seite 113.)

Zur Aburteilung der Räterepublikaner wurden Sondergerichte, die sogenannten bayrischen Volksgerichte vom 12. Juli 1919 geschaffen. Diese sind so ziemlich für alle politischen Delikte zuständig. Sie bedeuten eine juristische Neuerung, da für Hoch- und Landesverrat das Reichsgericht zuständig sein sollte. Obwohl das beschleunigte Verfahren dieser Gerichte und das Fehlen der üblichen Rechtskautelen die Gefahren eines Justizirrtums erheblich vergrößern, [96] sind hier alle Rechtsmittel ausgeschlossen. Gegen die Urteile dieser Gerichte gibt es weder Revision noch Berufung, auch die Wiederaufnahme des Verfahrens findet nicht statt. Ein Rechtsirrtum kann und soll also nicht wieder gut gemacht werden. (Vgl. Felix Halle, Deutsche Sondergerichtsbarkeit, Berlin 1922.) Nach einer amtlichen Auskunft des bayrischen Bevollmächtigten von Nüßlein im Rechtsausschuß des Reichstags wurden wegen Beteiligung an der Rätebewegung 2209 Personen verurteilt, davon 65 zu Zuchthaus, 1737 zu Gefängnis, 407 zu Festung. (Kuttner, Warum versagt die Justiz, p. 61.) Nach der bayrischen Staatszeitung vom 20. Februar 1920 waren bis zum 20. Februar 1920 (also in einem halben Jahr) von den 25 Volksgerichten 5233 Strafprozesse erledigt worden. So rasch arbeiten die bayrischen Volksgerichte. Von den 12 Morden der Räterepublik wurden 11 gesühnt, die wesentlichen Führer teils willkürlich, teils gesetzlich (Leviné) getötet.

Der Kapp-Putsch

Am 13. März 1920 eroberte Kapp mit Baltikumern durch einen Handstreich Berlin.

Der einsetzende Generalstreik zwang ihn zum Rücktritt und zur Flucht. In Abwehr des Kapp-Putsches wurden von links, abgesehen von den in Straßenkämpfen und Tumulten Umgekommenen, nur zwei Menschen willkürlich umgebracht. Im Verlauf des Putsches wurden von Rechts 74 Menschen willkürlich umgebracht. Daß Kapp intellektueller Urheber der 74 politischen Morde ist, ergibt sich aus folgender Verordnung (Nr. 19):

»Die Rädelsführer, die sich der in der Verordnung zur Sicherung volkswirtschaftlicher Betriebe und in der Verordnung zum Schutz des Arbeitswesens unter Strafe gestellten Handlungen schuldig machen, desgleichen die Streikposten, werden mit dem Tode bestraft. Diese Verordnung tritt am 17. März 1920, 4 Uhr nachmittags, in Kraft. Der Reichskanzler, gez. Kapp«.

Ferner drahtete er an alle Truppenteile (vgl. Brammer: »Fünf Tage Militärdiktatur«, S. 21):

»Bitte allen Führern bekanntzugeben, daß ich jede entschlossene Dienstauffassung, auch wenn sie im Zwange der Not gegen einzelne bisherige Bestimmungen verstoßen sollte, persönlich decke. Es kommt mir ganz besonders darauf an, daß jeder Deutsche und insbesondere jeder militärische Führer künftig verantwortungsfreudig mehr leiste als der tote Buchstabe seiner Pflicht bisher gebot.«

Kapp flüchtete nach Schweden, stellte sich dann aber freiwillig, wurde sofort wegen einer Operation von der Untersuchungshaft befreit und starb am 13. Juni 1922 an einem Krebsleiden. Sein Rittergut war seinem Sohn zur Bewirtschaftung übergeben worden, obwohl Kapps Vermögen angeblich beschlagnahmt worden war. (Antwort [97] des preußischen Landwirtschaftsministers auf eine Anfrage, »Berliner Tageblatt«, 4. Oktober 1921.) Frau Kapp bezieht von der Landschaft eine Rente. (Preußischer Pressedienst, 12. Januar 1922.)

Das Verfahren gegen Lettow-Vorbeck wurde eingestellt. Als einziger Kapp-Anhänger wurde v. Jagow zu 5 Jahren Festung verurteilt. General Lüttwitz hat später sogar von der Regierung eine Pension gefordert. Auf eine diesbezügliche Anfrage (Reichstag, 14. Februar 1922) hat die Regierung erklärt, da die Akten noch nicht vorlägen, könne eine Antwort nicht erteilt werden.

Die Anhänger Kapps, die in höheren Posten der Verwaltung und des Heeres standen, wurden darin belassen. Die meisten Führer des Kapp-Putsches haben sich über ein Jahr in München und Umgebung aufgehalten. (Reichskanzler Dr. Wirth, 15. September 1921.)

Kapitän Ehrhardt wurde zuerst mit voller gesetzlicher Pension entlassen. Man wagte nicht, gegen ihn vorzugehen. (Vgl. »Vossische Zeitung«, 23. Oktober 1920.) Erst später wurde ein Haftbefehl gegen ihn wenigstens offiziell erlassen. Während dieser Zeit konnte er noch mit dem Münchener Polizeipräsidenten Pöhner »wegen Unterbringung einzelner Gruppen seiner Leute« verhandeln. (Staatssekretär Dr. Schweyer im bayrischen Landtagsausschuß, 17. September 1921.)

Seinen 3000 Soldaten von der Marinebrigade war für die Zeit des Putsches eine tägliche Zulage von 7 M. und für den Sturz der Ebertregierung eine Extrabelohnung von 50 M. von der Kappregierung versprochen worden. Die Ebertregierung zahlte diese Summe von 16 000 Goldmark (nach dem damaligen Stand berechnet) aus. (Vgl. Rudolf Mann, »Mit Ehrhardt durch Deutschland«, Seite 168 und 206.)

Keiner der durch Kapp verursachten Morde ist gesühnt. Gegen die Kappanhänger wurde nicht wie gegen die Räterepublikaner eine Sondergerichtsbarkeit ins Leben gerufen. Das zuständige ordentliche Gericht, das Reichsgericht hat so langsam gearbeitet, daß infolge der Amnestie die meisten Teilnehmer des Kapp-Putsches nicht einmal in Untersuchung genommen wurden.

Das größte Unrecht, das nach der Niederwerfung des Kapp-Putsches geschehen ist, besteht in der Art der Durchführung der Amnestie. Sie sollte nur die dummen Mitläufer von der Verantwortung befreien. Die Führer, die Urheber, die Anstifter sollten nicht darunterfallen. Daher wurde von den Gerichten, selbst bei den meisten Generalen und Ministern die Führereigenschaft verneint. Bei den gleichzeitigen Ausschreitungen der Arbeiterschaft dagegen wurde die Führereigenschaft selbst einfachen Parteifunktionären zuerkannt, so daß man sie trotz der Amnestie verurteilen konnte.

Das Reichsgericht nimmt nur neun Führer an. Welche Heroen der Tatkraft müssen sie gewesen sein, um allein fast ein ganzes Reich acht Tage lang zu beherrschen! Von 775 beteiligten Offizieren [98] ist keiner bestraft worden. Sie waren alle keine Führer, nur Mitläufer. Keiner der Offiziere hat Verantwortungsfreudigkeit genug gehabt, gegen diese Bezeichnung zu protestieren. Keiner hat erklärt: Wenn man mir nachsagt, daß ich bei einem so verantwortungsvollen Schritt, wie eine Rebellion, nur ein Mitläufer war, wenn man von mir behauptet, daß ich eine solche Handlung aus Blindheit mitmache, meine Pflicht nicht kenne, so leugnet man mein Führertum, meine Offiziersqualifikation überhaupt. Ich stehe zu meiner Tat. Ein einziger — Zivilist — hat es gewagt, so zu handeln — nachdem er im Ausland in Sicherheit war. Und als Kapp sich freiwillig stellte, tat er es nur, weil er nach dem Vorgang des Jagowprozesses wußte, daß er keine oder fast keine Strafe zu erwarten hatte.

Eine weitere Ungerechtigkeit der damals gewährten Amnestie besteht darin, daß sie sich nur auf die gegen das Reich gerichteten Unternehmen bezog. Dagegen galt die bayrische Räterepublik als ein nur gegen Bayern gerichtetes Unternehmen, obwohl die Räterepublik die Beziehungen zum Reich abgebrochen hatte und dem bayrischen Gesandten Weisung gegeben hatte, seinen Posten zu verlassen. So wurden die Räterepublikaner eingesperrt, die Kappanhänger amnestiert.

Interessant ist übrigens, daß eine gelegentlich des Kapp-Putsches herausgegebene Verordnung des Reichspräsidenten Ebert vom 19. März 1920 »zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung«, welche außerordentliche Kriegsgerichte einsetzte, sich nicht gegen Kapp und seine Anhänger richtete, sondern gegen die bei der Niederwerfung des Kapp-Putsches entstandenen kleineren Unruhen von Links. Obwohl der Kapp-Putsch eine viel größere Ausdehnung besessen hatte, wurde gegen ihn nicht mit Hilfe der Sondergerichtsbarkeit eingeschritten. (Vgl. Halle, Sondergerichtsbarkeit.)

Die folgenden Tabellen zeigen das Schicksal der Anhänger und Führer beim Kapp-Putsch und bei der bayrischen Räterepublik. [99]

KAPPREGIERUNG

Lfd. Nr.NameRang Schicksal
1Wolfgang KappReichskanzler gestorben
2Bang Finanzminister in Freiheit
3Dr. TraubPreuß. Kultusministeramnestiert
4Gottl. v. Jagow Minister des Innern 5 J. Festung
5ZumbroichReichsjustizministerin Freiheit
6Trebitsch-LincolnOberzensor im Ausland
7Dr. SchieleReichswirtschaftsminister Verf. eingest.
8 KrämerPreuß. Wirtschaftsminister in Freiheit
9v. Falkenhausen Chef der Reichskanzlei in Freiheit
10Dr. SönksenReichspostminister in Freiheit
11Frhr. v. WangenheimPreuß. Landwirtschaftsminister in Freiheit
12Eduard MeyerUniversitätsrektorin Freiheit
13Müller-Lobwitztätig in der Reichskanzlei in Freiheit
14Stubbendorftätig in der Reichskanzlei in Freiheit
15Dr. BredereckPressechef in Freiheit
16W. HarnischPressechef in Freiheit
17Dr. GrabowskiPropagandist in Freiheit
18Lensch im Presseamt in Freiheit
19A. de la Croixim Presseamt in Freiheit

Die strafgerichtliche Behandlung des Kapp-Putsches [100]

(Mitteilung des Reichsjustizminister an den Reichstag vom 21. Mai 1921)

Zahl der amtlich bekanntgewordenen Kapp-Verbrechensfälle705
 Davon: 412
  Amnestiert 412
  Durch Tod und andere Gründe in Wegfall gekommen109
  Verfahren eingestellt 176
  Noch nicht erledigt 7
  Bestraft 1

Schicksal von 775 Offizieren, die am Kapputsch beteiligt waren [101]

(»Amtliche Ergebnisse des Ausschusses zur Prüfung des Verhaltens der Offiziere während der Märzvorgänge«)

Art der ErledigungZahl der Offiziere in der MarineZahl der Offiziere im Landheer Gesamtzahl der Offiziere
Einstellung des Verfahrens 119 367 486
Beurlaubung 40 51 91
Versetzung 37 20 57
Dienstenthebung 18 30 48
Disziplinare Erledigung 12 1 13
Noch keine Entscheidung 5 69 74
Verabschiedung 4 2 6
  235 540 775

Gesamtstrafe: 5 Jahre

MILITÄRS DER KAPP-REGIERUNG [102]

Lfd. Nr.NameRang Schicksal
1Ludendorff General
(nahm an allen
Kabinettsitzungen der
Kappregierung teil)
keine Anklage
2Freih. v. Lüttwitz Reichswehrminister und
Oberbefehlshaber
im Ausland
3v. HülsenAdjutant d. Oberbefehlsh. in Freiheit
4v. Klewitz Stabschef b. v. Hülsen in Freiheit
5 v. TrothaAdmiral in Freiheit
6 v. OvenGeneral in Freiheit
7v. DasselGeneral in Freiheit
8 v. Watter General in die Ebertreg. übernommen
9v. LoßbergGeneralmajor in Freiheit
10BauerOberst im Ausland
11 Ehrhardt Kapitän
(Eroberer v. Berlin)
steckbrieflich verfolgt
12Hpt. Pabstpersönlicher Adj. Kapps in Freiheit
13 Freih. v. LützowFreikorpsführer in Freiheit
14 Maj. Schulz Freikorpsführer in Freiheit
15Ltn. RoßbachFreikorpsführer in Freiheit
16Hpt. Pfeffer v. Salomon Freikorpsführer in Freiheit
17v. LöwenfeldFreikorpsführer in Freiheit
18 AulockFreikorpsführer in Freiheit
19VaupelHauptmann in Freiheit
20v. KesselPolizeihauptmann in Freiheit
21v. PuttkammerHauptmann in Freiheit
22v. PatowHauptmann im Oberkom. in Freiheit
23Reinhardt Oberst
(erschien ohne Befehl
b. d. Brigade 15)
in Freiheit
24NeubarthBatterieführer in Freiheit
25v. Hülsen jun.Leutnant in Freiheit
26v. BorriesLeutnant in Freiheit
27v. KnobelsdorffOberleutnant in Freiheit
28v. AmmanMajor in Freiheit
29v. Auer Major in Freiheit
30v. BorriesGeneral in Freiheit
31v. BockMajor in Freiheit
32 Frh. v. BlombergOberst in Freiheit
33v. BernuthGen.-Leutnant in Freiheit
34Frh. v.Czettritz u. NeuhausOberleutnant in Freiheit
35Frh. v. DurantRittmeister in Freiheit
36Frh. v. ErffaLeutnant in Freiheit
37v. Falkenhausen Major in Freiheit
38 v. FrantzinHauptmann in Freiheit
39v. GrotheOberstleutnant in Freiheit
40 v. d. HardtGeneral in Freiheit
41Frh. v. Hadeln Oberstleutnant in Freiheit
42Frh. v. HammersteinOberleutnant in Freiheit
43 v. HagenMajor (Dessau) in Freiheit
44v. KnobelsdorffOberst (Pasewalk) in Freiheit
45v. KleistRittmeister in Freiheit
46v. LefortLeutnant in Freiheit
47v. MöhlGeneralmajor in Freiheit
48Frh. v. MirbachRittmeister in Freiheit
49 v. NeufvilleRittmeister in Freiheit
50v. PlatenMajor in Freiheit
51v. RudolphiMajor in Freiheit
52v. Rössing Oberstleutnant in Freiheit
53v. RosenOberst in Freiheit
54 v. SeydlitzRittmeister in Freiheit
55Frh. v. Schade Hauptmann in Freiheit
56Frh. Treusch v. Buttlar-BrandenfelsLeutnant in Freiheit
57v. UechtritzRittmeister in Freiheit
58v. WulffenMajor in Freiheit
59 v. ZiehlbergMajor in Freiheit
60 v. Heimburg. Oberleutnant in Freiheit

Gesamtstrafe: Null

BAYRISCHE RÄTEREGIERUNG

Lfd. Nr.NameRang Schicksal
1 E. Leviné Vorsitzender d. Vollzugsrates der Betriebsräte erschossen
2 Dr. Tobias Axelrod Mitglied des Vollzugsrats 15 Jahre Zuchthaus, n. Rußl. ausgetauscht
3 Ewald Ochel Mitglied des Vollzugsrats 1 J. 5 Mon. Festung durch Schutzhaft
4 Wilh. Duske Mitglied des Vollzugsrats 2 J. Festung
5 Fritz Schürg Mitglied des Vollzugsrats 2 J. Festung
6 Dr. A. Wadler Wohnungskommissar 8 J. Zuchthaus
7 Ernst Nikisch Vorsitzender des Zentralrats 2 Jahre Festung
8 Gust. Landauer Volksbeauftragter für Volksaufklärung im Gefängn. erschlagen
9 Dr. O. Neurath Vorsitzender der Sozialisierungskommission 1-1/2 Jahre Fest., entlassen
10 Hans Dosch Polizeipräsident 3 J. Festung
11 Ernst MehrerStadtkommandant 1-1/2 J. Festung
12 K. PetermaierAdjutant des Stadtkommandanten 1-1/2 J. Festung
13 PaulukumVerkehrsminister 3-1/2 J. Festung
14 Paul ZamertPropagandist 3 J. Festung
15 E. KiesewetterVerkehrskommission 2-1/2 J. Festung
16 Dandistel Kommission zur Unterstützung der politischen Flüchtlinge 6 J. Festung
17 Jos. Weigand Schreiber bei der Komm. zur Bekämpfung der Gegenrevolution 3 J. Festung
18Hanns Kullmann Betriebsrat 3 J. Festung
19Ad. Schmidt IIim Ministerium f. soziale Fürsorge 1 J. 6 M. Fest.
20 Karl Götz Kommission zur Bekämpfung der Gegenrevolution 1 J. 3 M. Fest.
21 Frieda RubinerPropagandaausschuß K.P.D. 1 J. 9 M. mit Bewährungsf.
22 H. WiedemannPropagandist 1 J. 3 M. Fest.
23 Frau ReichelBeihilfe z. Flucht Tollers 2 Mon. Festung
24 Hans ReichelBeihilfe z. Flucht Tollers 4 Mon. Festung
25 E. TrautnerBeihilfe z. Flucht Tollers 5 M. Gefängnis
26 Willy ReueKommission zur Bekämpfung der Gegenrevolution 1 J. 3 M. Fest.
27 Max StroblLeiter der Kommission z. Bekämpfung d. Gegenrevolution 7 J. Zuchthaus
28 F. MairgüntherPolizeipräsident in München 2 J. Gefängnis, 3 J. Festung
29 L. MühlbauerMitglied des Revolutionstribunals 1-1/4 J. Festung mit Bewähr.-Frist
30 Erich MühsamPropagandist 15 J. Festung
31 Paul Grassl Mitglied des Revolutionstribunals 1 J. 10 M. Fest.
32 S. Wiedenmann Obmann der K.P.D. 4 J. Festung
33V. BaumannRedakteur der Münchener Roten Fahne 1-1/2 J. Festung
34Alex. Strasserrevolutionärer Hochschulrat 1-1/2 J. Festungshaft m. Bewährungsfrist
35 Otto Hausdorfrevolutionärer Hochschulrat 1-1/2 J. Festung m. Bewährungsfr.
36 Cillebillerrevolutionärer Hochschulrat desgl.
37 Gertraud Kaestnerrevolutionärer Hochschulrat desgl.
38 Wilh. Hagenrevolutionärer Hochschulrat 1 J. 4 M. Fest. m. Bewähr.-F.
39 Lessie SachsSekretärin im Kriegsministerium 1 J. 3 M. Fest.
40 Dr. RothenfelderPropagandist 7 J. Festungsh.
41 Wilh. GerhardsBetriebsrat 1-1/2 J. Fest.
42 Willy ErtelSektionsführer d. K.P.D. 3 J. Festungsh.
43 SontheimerPropagandist erschlagen
44 K. SteinhardtBetriebsrat 9 M. Festungshaft
45 Ferd. Rotter Vors. d. Betriebsobleute 7 J. Zuchthaus
46 Kirmayer Komm. z. Bek. d. Gegenrevolution 4 J. Zuchthaus
47 Hans Schroll in der Verhaftungskomm. 5 J. Zuchthaus
48 Wernich in d. Beschlagnahmekomm. 3 J. Zuchthaus
49 Max Weberstellv. Polizeipräsident 1-1/4 J. Festung
50 MartensVors. Wirtschaftskomm. 6 J. Festung
51 SondheimerPropagandist 1-1/4 J. Festung
52 Kronauer Mitgl. d. Rev.-Tribunals 1-1/4 J. Festung

Gesamtstrafe: 135 Jahre 2 Monate

MILITÄRS DER RÄTE-REGIERUNG

Lfd. Nr.NameRang Schicksal
1 R. Eglhofer Oberkommandierender erschlagen
2 Eugen Maria Karpf Adj. d. Oberkommand. 12 J. Festung
3 Wilh. ReichartMitgl. d. Militärkomm. 3 J. Festung
4 Ernst TollerKommand. im Abschnitt Dachau 5 J. Festung
5 G. KlingelhöferAdj. des Kommandeurs 5-1/2 J. Festung
6 E. WollenbergKommandeur d. Infanterie 2 J. Festung
7 H.F.S. Bachmair Kommandeur d. Artillerie 1-1/2 J. Festung
8 R. PodubeckyKommand. d. Fernsprechtruppen 3 J. Festung
9Winkler Kommand. eines Abschn. 4 J. Zuchthaus
10 G. RiedingerAdj. d. Kommandeurs in Starnberg 1-1/2 J. Festung, entlass.
11 Er. Güntherin d. Kommandant. Dachau 1 J. 9 M. Fest.
12 Fritz Walter Rotgardist 3 J. Festung
13 Max Schwabim Kriegsministerium 4 J. Festung
14 H. TaubenbergerStreckenkommandant in Dachau 3 J. Festung
15 Gottfr. Bareth Rotgardist 1-1/2 J. Festung
16 Max HuberRotgardist 3 J. Festung
17 Peter ReglerRotgardist 2 J. Festung
18 Haßlinger Rotgardist 5 J. Festg. (begnadigt)
19 And. RauscherRotgardist 1 J. 4 M. Fest.
20 M. ReichertRotgardist u. Propagandist 1 J. 3 M. Fest.
21 Jos. VogtRotgardist 3 J. Festung
22 Josef FaustRotgardist 3 J. Zuchthaus
23 Rentsch Rotgardist 5 J. Zuchthaus
24 ZöllnerRotgardist 3 J. Zuchthaus
25 Karl ZimmetSoldatenrat 1 J. 3 M. Fest.
26 Karl Höhrat Soldatenrat 6 J. Festung
27 KuhnRotgardist 2 J. F., 2 J. 2 Mon. Gef.
28 Josef SeidelWachkommandant 3 J. Festung
29 SeidelRotgardist 4 J. Festung
30 Ernst Bauer Rotgardist 2 J. Festung
31 Rich. WagnerRotgardist 2 J. Festung
32 Thekla Egl Krankenschw. u. Parlamentärin 1 J. 3 M. Fest.
33 A. SchinnagelArzt in der Roten Armee 15 Mon. Fest.
34 70 Angehörige d. Leibregiments wegen Erstürmung von Rosenheim je 1-1/4 J. Fest. (n. Abbüß. ein. Teils entlass.)
35 ZillerSoldatenr. Eisenb.-Abt. I 3 J. Zuchthaus
36 Joh. TanzmeierPolizeiwachtmeister 4 J. Festung
37 MurböckTransportführer 4 J. Zuchth. (in Fest. verwdlt.)
38 MarschallKurier 3 J. Festung
39 Jos. AnreitherRotgardist 3 J. Festung
40Jak. Nickl Rotgardist 2-1/2 J. Festung
41 W. SeylerAdj. d. Kriegsministers 1 J. 6 M. Festg.
42 K. Kaltdorfim Kriegsministerium 1 J. 6 M.
43 H. TannenRotgardist 2 J. Gefängnis
44 Hans FrankParlamentär d. Augsburger Arbeiterrats erschossen
45 Karl Gans Zugführer 5 J. Zuchthaus
46 Joh. DemstedtZugführer 6 J. Zuchthaus
47 J. JackermeierZweiter Obmann K.P.D. 5 J. Zuchthaus
48 Joh. WittmannRotgardist (Rosenheim) 4 J. Zuchthaus
49 Jos. HagelKriminalpolizist 4-1/2 J. Zuchth.
50 Georg GrafMilitärpolizei 12 J. Zuchthaus
51 Phil. BöhrerRev.-Arbeiterrat (Augsb.) 12 J. Zuchthaus
52 HiltnerRotgardist 2 J. Festung
53 Otto KnieriemAkt.-Ausschuß Würzburg 5 J. Festung
54 Mich. SchmidtRotgardist 2 J. Festung
55 Albert Berger Erwerbslosenr. (Augsburg) 3 J. Festung
56ApplerRotgardist 4 J. Festung
57 Berk Flugzeugführer 4 J. Festung
58 IbelZahlmeister 1 J. 4 M. Fest.
59J. Toblasch Proviantmstr. i. Dachau 2-1/2 J. Festung
60 KolbingerRotgardist 2 Jahre Festung
61 J. WittmannRotgardist 2-1/2 J. Festung
62 Joh. StraussSoldatenrat 1 J. 6 M. Fest.
63 Ludwig HörlBahnhofswache 3 J. Festung
64 ErzbergerLazarettchef 1-1/2 J. Festung (entkommen)
65 Martin GruberAbteilungsführer 3 J. Festung
66 Hans StrasserBhf.-Kommand. (Dachau) 1 J. 6 M. Fest.
67 Otto MehrerMitgl. d. Militärkomm. 1 J. 6 M. Fest.
68 HoferKriegsministerium, Abtlg. Infanterie 4 J. Festung
69 Ferd. Killer Soldatenrat 5 J. Festung
70 Karl Gans Rotgardist 6 J. Zuchthaus
71 Paul HübschPropagandist 1 J. 6 M. Gefg.
72 Max PletzStadtkommandantur München 1 J. 6 M. Fest.

Gesamtstrafe: 276 Jahre 6 Mon. Einsperrung, 2 Erschießungen

KAPPISTEN IN DER PROVINZ [105]

Lfd. Nr.NameRang Schicksal
1 v. LevetzowKonteradmiral a. D. in Freiheit
2 v. Winterfeld Leiter der Sipo in Kiel in Freiheit
3 LindemannFrüh. Oberbürgermeister in Kiel in Freiheit
4 Frh. von u. zu SteinfurthLandrat in Freiheit
5 v. Pauly Regierungspräsid. (Kiel) in Freiheit
6Frh. v. WangenheimGarnisonältester, Oberst (Hamburg) in Freiheit
7 VölkersOberst (Hamburg) in Freiheit
8LedebourOberst (Hamburg) in Freiheit
9 HeideHauptmann (Hamburg) in Freiheit
10 v. Rauchhaupt Rittmeister (Hamburg) in Freiheit
11 v. Mackensen Hauptmann (Hamburg) in Freiheit
12 Dr. Jakobsohn, RechtsanwaltPropagandist (Hamburg) in Freiheit
13 v. SydowMajor (Hamburg) in Freiheit
14 v. MengesOberst b. d. Sipo (Altona) in Freiheit
15v. Lettow-Vorbeck Generalmaj. (Mecklenbg.) in Freiheit
16Dr. WendthausenMinisterpräsident in Freiheit
17 RibbentroppGeneralmajor (Mecklbg.) in Freiheit
18 v. EstorffGeneralleutnant (Königsberg) in Freiheit
19 August WinnigOberpräsid. in Freiheit
20 Graf Schmettow Generalleutnant (Breslau) in Freiheit
21 v. FriedeburgGeneral (Breslau) in Freiheit
22 Obst. SchwerkPolizeipräsident (Breslau) in Freiheit
23 v. Kessel (Ob. Glauche)Oberpräsident v. Schles. gestorben
24 v. GrodeggPropagandist (Magdebg.) in Freiheit
25v. Brüningfrüh. Landrat (Darmstadt) in Freiheit
26 v. HagenbergGeneralmajor (Weimar) in Freiheit
27HeimsMajor (Gotha) in Freiheit
28 v. Schöler General (Kassel) in Freiheit
29 Frh. v. Schenk Bezirksbefehlshab. (Marburg) in Freiheit
30 BankeMajor in Freiheit
31 CzettritzOberst in Freiheit
32 Frh. v. CoburgMajor in Freiheit
33 GuhrOberstleutnant in Freiheit
34 EckardtLeutnant. Rgt. 30 in Freiheit
35 Gallmeister Hauptmann in Freiheit
36 HumannFreg.-Kapitän in Freiheit
37 HüneckeMajor in Freiheit
38v. Heusinger Rittmeister in Freiheit
39KleindienstLeutnant in Freiheit
40LynkerMajor in Freiheit
41 MeinshausenHauptmann in Freiheit
42 NotnagelOberstleutnant in Freiheit
43NettesheimLeutnant a. D. in Freiheit
44 Rörig Oberleutnant in Freiheit
45 Scheele Leutnant (Aldenburg) in Freiheit
46SchmidtLeutnant (Aldenburg) in Freiheit
47 SchulzOberleutnant, Art. 9 in Freiheit
48StolzOberst in Freiheit
49StrauchHauptmann in Freiheit
50 Sturt Oberleutnant in Freiheit
51WaasHauptmann in Freiheit

Gesamtstrafe: Null

RÄTEREPUBLIKANER IN DER PROVINZ

Lfd. Nr.NameRang Schicksal
1Guido KoppVors. K.P.D. Rosenheim 4 J. Zuchthaus
2Gg. SchummArt.-Kommandeur in Rosenheim 6 J. Zuchthaus
3Josef RennerTruppenführer in Rosenheim 4 J. Festung
4 Hans MelerWirtschaftskomm. (Rosenheim) 1-1/4 J. Festung
5M. GnadRotgardist (Augsburg) 2-1/2 J. Festung
6 W. OlschewskyTruppenführer in Augsbg. 7 J. Festung
7 Max WeberPropagandist i. Augsbg. 1-1/2 J. Festung
8 Karl MarxPolitisch. Leiter in Augsburg 4 J. Festung
9Dr. A. Maier Politisch. Leiter i. Starnberg 6 J. Festung
10Joh. ElbertSoldatenrat (Lohr) 2 J. Festung
11Toni WaibelVorsitzender d. Aktionsausschusses in Würzbg. 15 J. Festung (entkomm.)
12 H. SchuchardtAktionsausschuß, Würzbg. 1-1/2 J. Festung
13Val. HartigMitgl. d. Aktionsaussch. 7 J. Festung
14 Rudolf HartigMitgl. d. Aktionsaussch. 2 J. Festung
15Fritz Sauber Propagandist (Würzburg) 12 J. Festung
16 A. Hagemeister Propagandist (Würzburg) 10 J. Festung
17 L. EgensbergerKommandeur (Würzburg) 7 J. Festung
18 Georg Hornung Mitgl. d. Aktionsaussch. Würzburg, Kriegsministerium München 10 J. Festung
19Leo ReichertSoldatenrat (Würzburg) 2 J. Festung
20 Paul FörsterSoldatenrat (Würzburg) 3 J. Festung
21A. WestrichKorps-Soldatenrat (Würzburg) 6 J. Festung
22Ludw. BedachtSoldatenrat (Würzburg) 5 J. Festung
23 Adolf SchmidtMitgl. d. Aktionsaussch., Kempten 3 J. Festung
24Cl. SchreiberMitgl. d. Aktionsaussch., Kempten 2 J. Festung
25 M. BohnenbergerMitgl. d. Aktionsaussch., Kempten 1-1/4 J. Festung
26Heinr. Pfeiffer Mitgl. d. Aktionsaussch., Landshut 1-1/2 J. Festung
27 Ludwig Vogl im Aktionsaussch. Landshut 1 J. 4 M. Fest.
28 Franz MüllerSoldatenrat Landshut 1 J. 4 M. Fest.
29 Peter BlösslAktionsaussch. Augsbg. 10 J. Festung
30Aug. HoeckRev. Arbeiterrat Augsbg. 4 J. Festung
31 E. RingelmannZensor in Würzburg 5 J. Festung
32 GöpfertBürgermeister v. Rosenheim 15 M. Festung
33 Langenegger Wohnungskommissar, Rosenheim 3 J. Festung
34J. Rheinheimer Stadtkommand., Rosenheim 4 J. Festung
35Hans Elbert Propagandist, Aschaffenburg 2 J. Festung
36 M. SchnellerArbeiterrat, Kempten 1 J. 3 M.
37W. Schmidt IAktionsaussch., Kempten 1 J. 3 M. Fest.
38 H. BohnenbergerAktionsaussch., Kempten 6 M. Festung
39 Alfr. KleinerRev. Arbeiterrat, Kempten 1 J. 3 M. Fest.
40Rich. Blähr Propagand., Reichartshofen 1 J. 3 M. Fest.
41 DreidlRev. Arbeiterrat, Kempten 6 Mon. Fest. m. Bewährungsfr.
42PenzlRevolut.-Trib. Miesbach 3 J. Zuchthaus
43BergmaierRevolut.-Trib. Miesbach 3 J. Zuchthaus
44ErtlRevolut.-Trib. Miesbach }
45 RassRevolut.-Trib. Miesbach }
46 Gruber Revolut.-Trib. Miesbach }
47Griesbeck Revolut.-Trib. Miesbach } je 1 J. 3 M. bis 2. J. Festung
48 ZimmermannRevolut.-Trib. Miesbach }
49 PrillerRevolut.-Trib. Miesbach }
50WaizmannRevolut.-Trib. Miesbach }
51 StohwasserRevolut.-Trib. Miesbach }
52R. SteuerUntersuchungsführer b. Rev.-Gericht, Kempten 1 J. 3 M. Fest.
53 J. MiglitschSicherheitsdienst d. A.- u. S.-Räte 1 J. 3 M. Fest.
54Ch. RaitbergerPropagandist 6 M. Festung
55 LichtenbauerRotgardist (Kempten) 2 J. Gefängnis
56 Jos. ZäunerArbeiterrat (Ingolstadt) 1 J. 3. Mon. Gef.
57 EllenbeckEntwaffnung von Schutzleuten 3 J. Festung
58 Hehret Entwaffnung von Schutzleuten 2-1/2 J. Festung
59Hans KainPropagandist (Starnberg) 6 J. Festung
60 Hans SeffertPolit. Leiter (Starnberg) 3 J. Festung

Gesamtstrafe: 204 Jahre, 2 Monate Einsperrung

Demnach [108]sind gegen die Anhänger der bayrischen Räterepublik Strafen von insgesamt 616 Jahren Einsperrung verhängt worden. Gegen die Anhänger des Kapp-Putsches 5 Jahre Einsperrung. Dabei ist noch zu beachten, daß die bayrischen Zahlen unvollständig, die Kapp-Zahlen vollständig sind.

DIE RECHTSNATUR DER BAYRISCHEN STANDGERICHTE UND DAS SCHICKSAL DER HINTERBLIEBENEN

Nach der Einnahme von München durch die Regierungstruppen am 1. Mai 1919 setzten sie »Standgerichte« genannte, wilde Feldgerichte ein, bei denen irgend ein Leutnant oder sonst jemand in der Weise Gericht spielte, daß er die Erschießung einfach anordnete. Sogar Unteroffiziere waren so Richter über Leben und Tod. Die Gerichte tagten in irgend einer Schenke ohne Anwendung irgend eines Gesetzbuchs. Akten wurden nicht geführt. In wenigen Minuten wurde das »Urteil« gefällt und an irgend einer Wand durch Erschießen vollstreckt.

Eine Unterscheidung zwischen den »tödlich Verunglückten« (184) und »standrechtlich Erschossenen« (186) (vergl. S. 31) ist, da alle Unterscheidungsmerkmale fehlten, gar nicht durchführbar. So sind z. B. »standrechtliche« Erschießungen wegen Beleidigung des Offizierkorps vorgekommen, ebenso wurden zahlreiche Personen erschossen, weil man angeblich bei ihnen Waffen gefunden hatte, und zwar zu einer Zeit, in welcher die von der Regierung und vom Oberkommando gesetzte Waffenablieferungsfrist noch nicht abgelaufen war.

Die 53 unbewaffneten Russen

Mit welcher Willkür bei diesem »Standrecht« vorgegangen wurde, beweist der Fall der 53 unbewaffneten Russen in Gräfelfing.

Die Räteregierung hatte die in den Gefangenenlagern befindlichen Russen befreit und zum Eintritt in die Rote Armee aufgefordert. Am 1. Mai wurden am Bahnhof Pasing 53 Russen, ohne Waffen, in deutscher Uniform, die aus München kamen, festgenommen. Sie wurden nach Lochham gebracht und dort, wie Augenzeugen berichten, schrecklich mißhandelt. Als einer aus der Reihe treten wollte, um seine Unschuld zu beteuern, wurde er niedergeschossen. Die andern wurden ins Feuerhaus in Gräfelfing eingesperrt. Die dort liegende württembergische Sicherheitskompagnie Nr. 21 forderte wütend ihre sofortige Erschießung. Am 2. Mai um 1/2-6 Uhr morgens wurden alle 52 von einem »Standgericht« auf einmal zum Tode verurteilt. Die Russen beteuerten, an Kämpfen nicht teilgenommen zu haben. Den Gegenbeweis hat das Standgericht gar nicht zu führen versucht. In der ganzen Umgebung war [109] nicht gekämpft worden. Um 1/2-9 Uhr vormittags wurden sie in einer Kiesgrube erschossen. Der Fall wurde vom Staatsanwalt untersucht, doch fand er keinen Grund einzuschreiten. (»Der Kampf«, München, 4. Dezember 1919.)

Das Standrecht des Dr. Roth

Generalmajor Haas, Oberbefehlshaber der Gruppe West, hatte unter juristischem Beistand durch den späteren bayrischen Justizminister Dr. Roth am 1. Mai folgenden Tagesbefehl erlassen:

I. a 628.

Zur Klärung der Befugnisse der Truppen gegenüber der Bevölkerung wird bekannt gegeben:

1. Wer den Regierungstruppen mit Waffen in der Hand gegenübertritt, wird ohne weiteres erschossen.

2. Für Gefangene, die sonst während des Kampfes gemacht werden und nicht unter Ziffer 1 fallen, hat der Gruppenkommandeur wie im Felde Feldgerichte zu bilden, die über die standgerichtliche Erschießung zu befehlen haben.

Das Urteil ist sofort zu vollstrecken unter Aufnahme einer Niederschrift.

3. In allen übrigen Fällen und wenn in Fall 2 nicht auf Erschießung erkannt ist, ist Ueberweisung der Festgenommenen an das standrechtliche Gericht nötig.

gez. Haas.

Auf Grund dieses Tagesbefehls wurde am 3. Mai der Angestellte am städtischen Schlacht- und Viehhof Josef Boesl (20 Jahre alt) nach einem »standgerichtlichen« Verfahren wegen angeblicher Teilnahme an den Kämpfen in München mit sechs anderen Personen in der Kapuzinerstraße erschossen. Das gegen den Generalmajor eingeleitete kriegsgerichtliche Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung wurde durch Verfügung des Gerichtsherrn des Württg. Gerichts der 27. Division, Abt. III, vom 16. März 1920 eingestellt.

In der Begründung heißt es: »Dieser Befehl wurde von Generalmajor Haas, dessen Stabschef Major Seiser und von Hauptmann d. R. Roth, Bezirkshauptmann bei der Polizeidirektion in München als juristischem Berater entworfen, beraten und gutgeheißen und vom Kommandeur verantwortlich gezeichnet. In seiner Ziffer 2 hatte dieser Befehl keine Stütze in den bestehenden Gesetzen« ... »Der Kampf der alten Regierung gegen die Räteregierung war ein Bürgerkrieg. Im Nationalitätenkrieg gelten geschriebene und ungeschriebene Gesetze, den Bürgerkrieg dagegen charakterisiert eine gewisse Gesetzlosigkeit.....

Jedenfalls befanden und fühlten sich die Regierungstruppen gegenüber den Rätetruppen in einem fortdauernden Zustand der Notwehr, auf Grund dessen schließlich jede Tat eine Entschuldigung hätte finden können. Um die Rechte der Regierungstruppen zu umschreiben [110] und nicht jeden Exzeß zu dulden, erging der Befehl; ein Befehl, der Exzesse verhindern, nicht sie fördern wollte, der auf keinen Vorgang Bezug nehmen konnte und für einen gesetzlosen Zustand erst eine feste Form schaffen mußte. Wenn dieser Befehl allein aus der Not geboren zu der voreiligen Füsilierung geführt hat, so ist dies entfernt nicht in der Absicht dessen gewesen, der ihn verantwortlich gezeichnet hat, auch konnte dieser Erfolg nicht vorausgesehen werden.... Wenn trotzdem Fehlgriffe in Gestalt übereilter Urteile und allzu rascher Vollstreckung derselben vorgekommen sind, so kann dem Beschuldigten hieraus kein Vorwurf, auch nicht der Vorwurf der Fahrlässigkeit der Verhinderung der Vollstreckung der Urteile gemacht werden, weil er von dieser überhaupt nichts erfuhr. Sich die Bestätigung jedes Todesurteils vorzubehalten, war bei den bestehenden Zuständen rein unmöglich und ein derartiger Befehl wäre von den Truppen gar nicht respektiert worden. Ausschreitungen waren leider in jenen kritischen Tagen nicht selten, aber sie hatten ihren Grund in der allgemeinen krankhaften Erregung aller; den Einzelnen dafür verantwortlich zu machen, hieße keineswegs der Gerechtigkeit dienen....«

Der Vater des Erschossenen wandte sich am 3. Juli 1919 mit einer Eingabe an das Generalkommando Oven. Dieses teilte ihm am 11. Juli 1919 mit, daß die Eingabe dem bayrischen Ministerium für militärische Angelegenheiten zur Begutachtung weitergeleitet wurde. Das Abwicklungsamt des früheren bayrischen Ministeriums für militärische Angelegenheiten teilte am 18. Oktober 1919 auf Anfrage des Vaters mit, daß die Erhebungen betreffend der Erschießung seines Sohnes Josef Boesl noch nicht zum Abschluß gebracht seien. Am 6. Dezember 1919 wurde von der gleichen Stelle mitgeteilt, daß sein Sohn von einem Standgericht des 1. Württg. Freiwilligen-Regts. wegen Beteiligung am Kampfe gegen die Regierungstruppen zum Tode verurteilt worden sei und daß das Urteil von diesem Regiment vollstreckt wurde. Seine Gesuche seien daher an das Abwicklungsamt Württemberg abgegeben worden. Das Kriegsministerium Stuttgart teilte mit Postkarte vom 10. Dezember 1919 mit, daß das Schreiben des Vaters vom 6. Dezember 1919 dem Wehrkreiskommando übergeben worden sei. Das Wehrkreiskommando teilte unterm 17. Dezember 1919 mit, das Schreiben sei dem Gericht der früheren 27. Division in Ulm zur zuständigen Verfügung übergeben worden. Eine Eingabe des Vaters an den Reichswehrminister vom 22. Mai 1920 wurde an das Heeresabwicklungsamt Preußen, Verpflegungsabteilung abgegeben, das dem Vater sachliche Belehrung erteilte. Ein weiteres Schreiben des Vaters vom 11. Juli 1920 an das Reichsabwicklungsamt wurde nach dessen Mitteilung an das Heeresabwicklungsamt-Hauptamt zur weiteren Bearbeitung geleitet. Das Heeresabwicklungsamt Württemberg teilte ihm unterm 7. Dezember 1920 auf den Schadensersatzantrag vom 10. Mai 1920 wörtlich mit: »Eine Rechtsverpflichtung der Heeresverwaltung [111] zum Schadenersatz liegt nicht vor. Das Heeresabwicklungsamt Württemberg bedauert, dem dortigen Gesuch nicht entsprechen zu können. Eine Wiederholung des Gesuches wäre zwecklos; die Auflösung der Abwicklungsstellen des alten Heeres ist außerdem zum 31. Dezember d. Js. angeordnet.«

Diese Behandlung der Hinterbliebenen ist typisch für die ganzen Münchener Fälle.


Der Ingenieur August Dorfmeister wurde am 2. Mai 1919 im Krüppelheim in der Harlachingerstr. erschossen. Nach den Feststellungen des Tumultschadenausschusses ist laut Bericht des Kriegsgerichtsrates bei der Reichswehrbrigade 13. Abteilung Ulm, »wahrscheinlich« von einem Standgericht verurteilt worden, das auf Grund des Befehls des Generalmajors Haas eingesetzt war. Der Beschluß des Tumultschadenausschusses stellt fest, daß dieser Befehl ungesetzlich war, und daß dem Toten irgendwelche Beteiligung an den Kämpfen oder Gewalttätigkeiten bei der Verfolgung seiner politischen Ziele nicht nachgewiesen worden seien.

Die in erster Instanz zuerkannte Rente wurde vom Reichswirtschaftsgericht nach ständiger Praxis gestrichen. Klage zum ordentlichen Gerichte ist anhängig.

Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen Unbekannt eingestellt.

Ein Befehl des General v. Oven

Einen Beweis dafür, daß sogar dem Militär die Rechtswidrigkeit der standrechtlichen Erschießungen bekannt war, bildet der folgende Befehl vom 5. Mai 1919:

Freikorps Lützow O. U., München, den 7. Mai 1919.

III Br. B. Nr. 0595

Abschrift von Abschrift.

Generalkommando v. Oven.

Ia/119/V/19 K. H. Qu. den 5. Mai 1919.

Betr. Verfahren gegen die Bevölkerung.

1. Wer mit der Waffe in der Hand betroffen wird, wird auf der Stelle erschossen.

2. Wer festgenommen ist, kann nur noch gerichtlich abgeurteilt werden; zuständig ist das standrechtliche Gericht.

3. Das standrechtliche Gericht wird seinen Sitz im Gebäude des Amtsgerichts haben.

4. Jedes andere Verfahren gegen Festgenommene ist unzulässig, insbesondere die Aburteilung durch militärische Feldgerichte. Wo derartige militärische Feldgerichte gebildet sind, sind sie sofort aufzuheben; etwa von ihnen gefällte Urteile dürfen nicht vollstreckt werden; mit dem Beschuldigten ist nach Ziffer 2 zu verfahren. [112]

5. Die bisher von den Truppen festgenommenen Personen, die sich noch im militärischen Gewahrsam befinden, sind von den Truppenteilen in Listen aufzunehmen. Diese Liste mit den beizulegenden Tatberichten sind der Stadtkommandantur zu übersenden.

gez. v. Oven,
Generalleutnant.
F. d. R.
V. s. d. G. K.
D. Ch. d. G. St.
gez. v. Unruh,
Major.

Zusatz des Freikorps. Sofort.

Vorstehende Bestimmungen sind den Mannschaften eingehend bekannt zu geben.
A. B. gez. Körner, Rittmeister.

Trotz dieses Befehls sind »standrechtliche« Erschießungen noch am 7., »tödliche Unglücksfälle« noch am 8. Mai vorgekommen.

Die Rechtswidrigkeit der bayrischen standrechtlichen Erschießungen

Durch die Verordnung des bayrischen Gesamtministeriums vom 25. April 1919 wurde für das rechtsrheinische Bayern das Standgericht verhängt und Standgerichte im Sinne des Kriegszustandes wurden eingesetzt. Aber die »standrechtlichen« Erschießungen sind nicht von diesen Standgerichten angeordnet worden.

Von dem gesetzmäßigen bayrischen Standrecht ist nur ein einziges Todesurteil gefällt worden, nämlich gegen Dr. Eugen Leviné.

Denn das bayrische Standrecht beruhte auf dem bayrischen Landesgesetze über den Kriegszustand vom 5. November 1912. (Gesetz- und Verordnungsblatt, S. 1161, Webers Gesetzsammlung, Bd. 41, S. 180.) Zu dem Gesetz sind Vollzugsvorschriften über das standrechtliche Verfahren ergangen in einer Ministerialbekanntmachung vom 13. März 1913 (Gesetz- und Verordnungsblatt, S. 97, Webers Gesetzsammlung, Bd. 41, S. 349.), sowie in einer Ministerialbekanntmachung die Vollstreckung der militärgerichtlich und standrechtlich erkannten Todesstrafen betreffend vom 17. März 1913. (Bayr. Justiz-Ministerialblatt, 1913, S. 53.)

Ein gesetzliches standrechtliches Verfahren im Sinne des Kriegszustandsgesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen lag danach nur dann vor, wenn das standrechtliche Gericht nach Maßgabe des Gesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen zusammengesetzt war und das gesetzmäßig vorgeschriebene Verfahren beachtete. Als Besetzung waren drei Berufsrichter, zwei Militärpersonen und zwei Laienbeisitzer ohne Stimmrecht (die Letzteren als eine Art [113] Kontrollpersonen) vorgeschrieben. Bezüglich des Verfahrens waren Art. 7. des Kriegszustandsgesetzes, die dort angegebenen Vorschriften des bayr. Feuerbachschen Strafgesetzbuches von 1813 (Webers Gesetzsammlung, Bd. 1, S. 414) mit den in Art. 7 und den Ausführungsbestimmungen dazu vorgeschriebenen Abänderungen maßgebend.

Da jedoch bei den sogenannten Standgerichten keine einzige dieser Bedingungen eingehalten worden ist, so waren diese »Standgerichte«, welche ohne Einsetzung durch eine dazu befugte Stelle und ohne irgend welche gesetzmäßige und verwaltungsmäßige Kontrolle tätig waren, nicht nur ungesetzliche, sondern durchaus gesetzwidrige Einrichtungen.

Dem somit bewiesenen Satz, daß die gesamten bayrischen Standrechtsurteile völlig ungesetzlich waren, haben sich, wie oben gezeigt, auch die maßgebenden Behörden angeschlossen.

Gesamtzahl der in München willkürlich Getöteten

Für die bayrischen Standgerichte waren also keinerlei gesetzliche Grundlagen vorhanden. Es ist auch von Regierungsseite nie versucht worden, das Vorgehen der Truppen als legal zu rechtfertigen. Trotzdem ist gegen keinen der Soldaten, die an den 184 »standrechtlichen« Erschießungen mitgewirkt haben, irgendeine Anklage erhoben worden. Im Fall Lacher dagegen, wo Rotgardisten ein ungesetzliches Standrecht eingesetzt hatten, wurden Gefängnisstrafen im Gesamtbetrag von über 50 Jahren verhängt.

Auch die Erschießungen wegen angeblicher oder tatsächlicher Beteiligung am Kampf waren natürlich, da sie von solchen »Standgerichten« angeordnet wurden, völlig ungesetzlich.

Faßt man die im Stadtbezirk »standrechtlich« Erschossenen 186 Mann und die 184 tödlichen »Unglücksfälle« zusammen und rechnet man dazu die 53 in Gräfelfing erschossenen Russen, die 20 in Starnberg, die 4 in Possenhofen, die 3 in Großhesselohe bezw. Grünwald und die 3 in Großhadern Erschossenen, ferner die in Schleißheim, Harlaching, Schäftlarn und Großföhren Erschossenen (je einer), so kommt man auf eine Gesamtzahl von 457 in München willkürlich Getöteten. Auch diese Zahl ist, da sie größtenteils auf amtlichen Angaben beruht, sicher zu klein. Im obigen Text (vergl. S. 50) habe ich jedoch nur die amtlich als tödlich verunglückt Bezeichneten als ermordet gerechnet.

Dabei hatte sich der die Operation gegen München leitende General von Oven in Ingolstadt dem Ministerpräsidenten Hoffmann gegenüber verpflichtet, daß er willkürliche Erschießungen nicht dulden würde. Vielmehr sollten alle Gefangenen, auch die Russen der Roten Armee vor ein Gericht gestellt werden. (Persönliche Mitteilung des jetzigen Abgeordneten Hoffmann.) [114]

Die Rechtslage der Hinterbliebenen

Trotz der Rechtswidrigkeit der Tötung ist die Rechtslage der Hinterbliebenen so ungünstig wie möglich. In allen Fällen, in denen wegen derartiger Erschießungen Anzeige gemacht wurde, wurde die Untersuchung durch die Militärgerichte und die Militärbehörde geführt. Abgesehen von den Mördern der katholischen Gesellenvereinsmitglieder, von denen zwei wegen Diebstahls und zwei wegen Totschlags verurteilt wurden, haben diese Behörden keinen einzigen Täter ermitteln können. In zahllosen Fällen, in welchen Mordanzeigen unter genauer Angabe der Persönlichkeiten der Täter, der Tatumstände und unter Anbietung von Beweisen gemacht wurden, geschah nichts. In einigen Fällen, wie z. B. der Ermordung von Gustav Landauer, wurde der betreffende Täter mit der Begründung freigesprochen, er hätte geglaubt auf Befehl zu handeln.

Die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche war von vornherein dadurch ungeheuer erschwert, daß drei Kontingente, das bayrische, preußische und württembergische (Reichswehr gab es damals noch nicht) in Frage kamen, daß also die Ersatzansprüche zivilrechtlicher Art sich naturgemäß gegen denjenigen Fiskus richten müssen, welchem der Täter wirklich oder mutmaßlich angehörte.

Nach Artikel 2 des bayrischen Ausführungsgesetzes zur Zivilprozeßordnung vom 23. Februar 1879 (Ges.- und Verordnungsblatt, 1879, Seite 63 und 1899, Seite 401) konnte dabei der Klageweg gegen den Fiskus nur beschritten werden, wenn zuvor die höchste zuständige Verwaltungsbehörde (damals das bayrische Militärministerium) um Abhilfe angegangen worden war und innerhalb sechs Wochen das Abhilfegesuch entweder nicht oder abschlägig beantwortet hatte. Für den Ersatzanspruch kommt nach Bayrischem Rechte der Artikel 60 des bayrischen Ausführungsgesetzes zu B.G.B. vom 9. 6. 1899 und das bayrische Landesgesetz vom 6. Dezember 1913 über die Haftung des Militärfiskus für Handlungen von Militärpersonen (Gesetz- und Verordnungsblatt, Nr. 13, Seite 905) in Betracht. Nach diesen Bestimmungen konnte der in § 839 B.G.B. bezeichnete Anspruch nur dann gegen den Fiskus gerichtet werden, wenn eine Amtspflichtverletzung der in Frage kommenden Militärpersonen festgestellt werden konnte. Nicht dagegen, wenn eine rechtswidrige Handlung nur bei Gelegenheit der Amtsausübung begangen wurde. Die Feststellung einer Amtspflichtverletzung durch die Gerichte und eine Klage auf Schadenersatz wegen Amtspflichtverletzung ist nach bayrischem Landesrecht wiederum nur möglich, wenn zuvor der bayrische Verwaltungsgerichtshof eine »Vorentscheidung« darüber gefällt hat, daß die betreffende Militärperson in Ausübung der ihr anvertrauten öffentlichen Gewalt den Schaden vorsätzlich oder fahrlässig einem Dritten unter Ueberschreitung ihrer Amtsbefugnis oder Unterlassung einer ihr obliegenden Amtspflicht zugefügt hat. (Vgl. Artikel 7 Abs. II d. Bayer. Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 8. August 1878, Ausgabe von Prof. Dr. Ant. Dyroff.) [115]

Infolge dieser überaus komplizierten Rechtslage und des Umstandes, daß als Gegner im Zivilprozeß gerade diejenigen Militärfisci figurierten, welche zugleich die Untersuchung der Sache hatten und begreiflicher Weise mit dem Material zu ihrer eignen Haftbarmachung nicht herausrückten, ist in Bayern keine einzige Haftbarmachung des Fiskus wegen rechtswidriger Erschießung in den Maitagen gelungen.

Eine weitere Komplikation ergab sich daraus, daß es zweifelhaft war, welchen Fiskus die Haftung nach Aufhebung des bayrischen Militärfiskus und Organisation der Reichswehr eigentlich zu treffen habe, da die fraglichen Staatsverträge sich wohlweislich über diesen Punkt ausschwiegen.

Die Auffassung des Reichswirtschaftsgerichts

In Hinblick auf diese Schwierigkeiten suchen nun die betreffenden Hinterbliebenen sich dadurch zu helfen, daß sie sich wegen Entschädigung an die nach dem Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. Mai 1920 vorgesehenen Feststellungsausschüsse wenden. (§ 6 des Reichsaufruhrschädenges.)

Gemäß § 1 dieses Gesetzes bestehen Ersatzansprüche gegen das Reich wegen der Schäden an beweglichem und unbeweglichem Eigentum sowie an Leib und Leben, die im Zusammenhange mit inneren Unruhen durch offene Gewalt oder durch ihre Abwehr unmittelbar verursacht wurden. Auf Grund dieser Bestimmung haben die drei Münchener Ausschüsse zur Feststellung von Aufruhrschäden einer großen Anzahl von Hinterbliebenen die nach dem Aufruhrgesetz zuständigen Renten zuerkannt. Diese sämtlichen Bescheide sind auf Beschwerde der Fiskusvertreter von dem nach § 7 des Aufruhrschadengesetzes als Beschwerdeinstanz zuständigen Reichswirtschaftsgericht unter Abweisung der Schadenersatzansprüche aufgehoben worden. Die dürftigen Begründungen besagten, daß die Erschießung keine offene Gewalt im Sinne des § 1 sei, weil die Täter wenigstens amtliche Befugnisse wahrzunehmen glaubten und keine durch Abwehr offener Gewalt unmittelbar verursachten Schäden, weil durch die Verhaftung der Erschossenen der Kausalzusammenhang nach § 1 unterbrochen sei, d. h. wie das Reichswirtschaftsgericht sich sehr gewunden ausdrückt, weil durch die Verhaftung der Erschossenen diese dem Kreise der Maßnahmen entrückt waren, welche der unmittelbaren Abwehr der von den Aufrührern geübten offenen Gewalt dienen sollten. (Vergl. Seite 36.)

Die grundlegende Entscheidung hat das Reichswirtschaftsgericht am 24. August 1921 in der Sache der Wwe. Josefa Fichtner von Perlach und 12 Genossen unter XVII A.V. 747/21 gefällt. Seitdem ist eine große Reihe gleichartiger Entscheidungen ergangen, welche die fraglichen Ansprüche einfach schematisch abweisen. [116]

In diesen Bescheiden weist das Reichswirtschaftsgericht regelmäßig, was der reinste Hohn ist, darauf hin, daß die Betroffenen ja die Haftung des Militärfiskus auf Grund des § 839 und der landesrechtlichen Ausführungsgesetze über die Haftung des Militärfiskus in Anspruch nehmen können, wenn sie glauben, eine Amtspflichtverletzung von Militärpersonen feststellen zu können.

Das Resultat war in allen fraglichen Fällen bisher, daß die Hinterbliebenen der widerrechtlich Erschossenen der Armenpflege zur Last gefallen sind.

Die juristischen Grundlagen der Erschießungen »auf der Flucht«

Diese Kniffe der Gerichte sind übrigens keineswegs bayrische Sonderrechte. So lehnte das Oberlandesgericht Hamm eine einstweilige Verfügung zu Gunsten der Hinterbliebenen des angeblich auf der Flucht erschossenen Max Maurer (vergl. S. 60) am 31. Oktober 1921 mit folgender Begründung ab:

»Die Klägerinnen konnten mit ihrem Antrag nur durchdringen, wenn sie glaubhaft machten, daß den Mannschaften des Marineregiments 6 eine vorsätzliche oder fahrlässige Dienstverletzung zur Last fällt, gemäß den Bestimmungen des Preußischen Gesetzes über den Waffengebrauch des Militärs vom 20. März 1837. Dieses Gesetz ist weder früher (Entscheidung des Reichsgerichts, Bd. 100, S. 28) noch seit der Revolution abgeändert oder aufgehoben worden. Nach den §§ 1 und 5 des Gesetzes ist das Militär in allen Fällen zum Waffengebrauch befugt, wenn Verhaftete, Arrestanten oder Gefangene, welche ihnen zur Bewachung anvertraut sind, zu entspringen oder beim Transporte zu entfliehen suchen. Im § 10 des Gesetzes heißt es: »Daß beim Gebrauch der Waffen das Militär innerhalb der Schranken seiner Befugnisse gehandelt habe, wird vermutet, bis das Gegenteil erwiesen ist.« Diese Vermutung gilt, wie mit dem Reichsgericht anzunehmen ist, als Beweisregel des militärischen Rechtes, solange, bis sie durch den Nachweis des Gegenteils entkräftet ist. Der Behauptung des Beklagten gegenüber, daß der Ehemann und der Vater der Klägerinnen bei seinem Abtransport nach Gladbeck in der Nähe von Bottrop einen Fluchtversuch gemacht habe und dabei erschossen worden sei, war also von den Klägerinnen glaubhaft zu machen, daß ihr Ehemann und Vater ohne einen Fluchtversuch unternommen zu haben erschossen worden sei. Dieses konnte aber nicht für glaubhaft gemacht erachtet werden. Die Klägerinnen haben sich zur Glaubhaftmachung auf die Bekundung des Zeugen Sprenger bezogen, nach welcher Militärpersonen, welche Maurer festnahmen, erklärt haben, die Frau Maurer solle sich nur nicht so anstellen, der Mann komme nicht wieder. Aus dieser Aeußerung der Marinemannschaften wollen die Klägerinnen entnehmen, daß diese von vornherein die Absicht gehabt haben, ihren Ehemann und Vater ohne weiteres zu erschießen. Dadurch [117] sei, so machen die Klägerinnen geltend, die Behauptung des Beklagten, daß Maurer bei einem Fluchtversuch erschossen sei, widerlegt. Dem kann aber nicht beigetreten werden. Die Erklärung der Marinemannschaft, der Mann komme nicht wieder, von der gar nicht feststeht, in welchem Sinne sie abgegeben ist, beweist allein nichts gegen die Richtigkeit dieser Behauptung. Auch die Schußverletzungen, welche die Leiche des Maurer nach dem Attest des Dr. med. Farrenkopf zu Bottrop aufwies, sprechen nicht gegen diese Behauptung des Beklagten. Außer mehreren Schüssen im Rücken hat Maurer allerdings einen Halsschuß in der Höhe des Kehlkopfes ungefähr 2 cm links von der Mittellinie erhalten. Es sei aber nicht ausgeschlossen, daß er sich auf der Flucht umgesehen und dabei diesen letzten Schuß bekommen hat. Kann hiernach die Behauptung des Beklagten, daß Maurer einen Fluchtversuch gemacht habe und hierbei erschossen worden sei, nicht für durch die Klägerin widerlegt erachtet werden, so wird diese Behauptung im Gegenteil durch die übereinstimmende Bekundung des Obermaschinisten Fuchs, des Gefreiten Gaul und des Gefreiten Kruppe bestätigt. Nach diesen Bekundungen hat auf dem Transport nach Gladbeck in der Nähe von Bottrop, als der Gefreite Gaul kurze Zeit zurückblieb, Maurer diese Gelegenheit benutzt, um über das Feld davon zu laufen. Der Gefreite Kruppe hat ihm dreimal »Halt« zugerufen und dann, da Maurer weiterlief, mit dem Gefreiten Gaul zusammen eine Reihe von Schüssen auf ihn abgegeben, bis er zusammenbrach.

Bei dieser Sachlage konnte jedenfalls nicht für glaubhaft erachtet werden, daß den oben genannten Marinemannschaften nach den Bestimmungen des Gesetzes über den Waffengebrauch des Militärs vom 30. März 1837 eine Dienstverletzung zur Last fällt.

Der Antrag der Klägerinnen auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung war daher zurückzuweisen. Die Kosten des Verfahrens waren nach § 91 Z.P.O. den Klägerinnen aufzuerlegen.

gez. Eickenbusch, gez. Frencking, Graul, Kalthoff, Gernheim.
(Aktenzeichen 3 U 43—210 L G Hamm.)«

Die Begründung lautet also folgendermaßen: Wenn jemand von Soldaten erschossen wird, so ist nach dem Gesetz vom 20. März 1837 prinzipiell anzunehmen, daß die Soldaten dazu ein Recht hatten. Die Soldaten brauchen dies gar nicht zu beweisen, sondern die Hinterbliebenen müssen beweisen, daß die Soldaten bei der Erschießung ihre Befugnis überschritten haben und daß ein Fluchtversuch nicht vorgelegen hat, was natürlich so gut wie unmöglich ist. Die hier vorliegenden Beweise, die den »Fluchtversuch« widerlegen, werden nicht anerkannt. Der Ausspruch: »Ihr Mann kommt nicht wieder«, und der Schuß von vorn in den Hals beweisen nichts gegen den Fluchtversuch.

Nach diesem Preußischen Gesetz vom 20. März 1837, das nach dem Reichsgericht zu Recht besteht, [118] ist also durch das Zeugnis der Täter der Beweis der Rechtmäßigkeit der Tötung einwandfrei erbracht. Man ist es zwar in Deutschland gewohnt, daß die Mörder strafrechtlich nicht gefaßt werden. Bisher hatten aber wenigstens einige Zivilgerichte die Objektivität, den Angehörigen der Opfer eine zivilrechtliche Entschädigung zuzubilligen. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts wird selbst diese Möglichkeit so gut wie beseitigt.

REGIERUNGSÄUSSERUNGEN ZU DEN POLITISCHEN MORDEN

Die Stellung des Reichsjustizministers

Prof. Dr. Radbruch hatte in der Reichstagssitzung vom 5. Juli 1921 unter Berufung auf die Broschüre »Zwei Jahre Mord« sich für eine Bestrafung der politischen Morde eingesetzt. Als er selbst Reichsjustizminister geworden war, schrieb er dem Autor dieser Zeilen folgenden Brief:

Der Reichsminister der Justiz
Nr. IV c 6900 W Berlin W 9, den 3. Dez. 1921.
Voßstr. 4.

Für die auf Ihre Veranlassung durch den Verlag erfolgte Uebersendung eines Exemplars der 4. Auflage der Broschüre »Zwei Jahre Mord« danke ich verbindlichst. Schon mein Herr Amtsvorgänger hat Veranlassung genommen, mit den Justizverwaltungen von Preußen, Bayern und Mecklenburg in Verbindung zu treten. Nach den Mitteilungen der genannten Justizverwaltungen war in einer Reihe der in der Broschüre angegebenen Fälle ein Verfahren noch anhängig, in anderen Fällen wurde auf Grund der Angaben der Broschüre erneut geprüft, ob sich Handhaben für ein strafrechtliches Einschreiten bieten. Ich habe meinerseits die Aufmerksamkeit der Justizverwaltungen auf den erweiterten Inhalt der neuen Auflage hingelenkt und um kurze Mitteilungen des Sachverhalts und des Gangs des Verfahrens in den einzelnen Fällen gebeten: Mitteilung der Ergebnisse an den Reichstag ist beabsichtigt.

Auf Seite 50 der Broschüre wird zur Kennzeichnung des Verfahrens gegen Kapp darauf hingewiesen, daß sich der Reichsjustizminister Dr. Heintze in der Sitzung des Reichstags vom 27. Januar dieses Jahres wie folgt geäußert habe: »Auch wird man einer Vermögensbeschlagnahme gegen Kapp nähertreten«. Demgegenüber darf ich, um Irrtümern vorzubeugen, folgendes bemerken: Der Reichsjustizminister hat sich in der Sitzung des Reichstags vom 26. Januar dieses Jahres zu den Maßnahmen geäußert, die zur Verfolgung von Kapp und Genossen ergriffen sind. Nach den stenographischen Berichten des Reichstags, 57. Sitzung, S. 2148, lautete seine Ausführung wörtlich wie folgt:

»Gegen die Herren Kapp und die übrigen, die an der hochverräterischen Unternehmung beteiligt und strafrechtlich verfolgt sind, [119] ist Haftbefehl und Steckbrief erlassen und die Vermögensbeschlagnahme angeordnet und selbstverständlich pflichtgemäß die Maßnahmen getroffen, die zur Durchführung dieser Vermögensbeschlagnahme zu treffen sind.«

Dr. Radbruch.

Demnach hat der Reichsjustizminister auf die Behauptung, daß in Deutschland in drei Jahren über 300 politische Morde von Rechts unbestraft geblieben sind, nur erwidert, eine Ministerrede sei falsch zitiert. Dieses falsche Zitat wurde natürlich in der vorliegenden Ausgabe sofort beseitigt.

Die Kommunisten haben die Radbruch'sche Interpellation im Reichstag wieder aufgenommen. Die Abgeordneten Plettner, Hoffmann und Bartz haben am 14. September 1921 folgende kleine Anfrage Nr. 1027 an die Regierung gerichtet:

»Herr E. J. Gumbel hat in einer Broschüre »Zwei Jahre Mord« eine Zusammenstellung der politischen Morde seit dem 9. November 1918 der Oeffentlichkeit übergeben. Herr Gumbel stellt fest, daß während dieser Zeit sich die von Rechts begangenen Mordtaten auf 314 belaufen, 26 namentlich aufgeführte Personen stehen unter dem starken Verdacht der Mordbegünstigung oder Anstiftung, 35 namentlich aufgeführte Personen stehen unter dem dringenden Verdacht der Mordausführung. Herr Gumbel stellt weiter fest, daß bis heute noch kein politisches sowie militärisches Mitglied der Kappregierung bestraft wurde, wogegen allein gegen Mitglieder der bayrischen Räteregierung 519 Jahre 9 Monate Freiheitsstrafen und eine Anzahl Todesurteile vollstreckt worden sind.

In der Reichstagssitzung vom 5. Juli 1921 hat der Abgeordnete Radbruch obengenannte Broschüre dem Herrn Justizminister überreicht mit der formellen, öffentlichen Aufforderung, den einzelnen Fällen nachzugehen und über das Ergebnis seiner Untersuchung Auskunft zu geben.

Wir fragen an: Hat die Reichsregierung entsprechend der an sie gerichteten Aufforderung eine Untersuchung der in der Gumbelschen Broschüre aufgeführten Fälle veranlaßt?

Zu welchem Ergebnis hat die Untersuchung geführt?

Was gedenkt die Reichsregierung zu tun gegen die Staatsanwälte und Richter, die unter völliger Außerachtlassung jeder richterlichen Objektivität die Angeklagten freigesprochen oder das eingeleitete Verfahren eingestellt haben?«

In der Reichstagssitzung vom 30. September 1921 hat darauf Herr Werner, Geh. Regierungsrat, Ministerialrat im Reichsjustizministerium, Kommissar der Reichsregierung, folgendes geantwortet: »Die strafrechtliche Verfolgung der Vorfälle, die den Gegenstand der Broschüre »Zwei Jahre Mord« bilden, gehört nicht zur Zuständigkeit von Organen der Reichsjustizverwaltung. Der Reichsminister der Justiz hat aber Veranlassung genommen, die Aufmerksamkeit [120] der Justizverwaltungen von Preußen, Bayern und Mecklenburg auf die Broschüre zu lenken. Nach den von diesen eingegangenen Mitteilungen ist in einer Reihe der in der Broschüre angegebenen Fälle ein Verfahren anhängig, in anderen Fällen wird der Inhalt durch die zuständigen Organe der Landesjustizverwaltungen einer Prüfung nach der Richtung unterworfen, ob die gemachten Angaben neue Handhaben zu einem strafrechtlichen Einschreiten bieten.«

Darauf fragte der Abgeordnete Bartz weiter: »Ist die Regierung in der Lage, anzugeben, in welchen Fällen ein Verfahren eingeleitet worden ist?« Der Präsident Loebe aber schnitt die Diskussion ab mit den Worten: »Das Wort wird nicht weiter gewünscht, die Anfrage ist erledigt.«

Die Regierung hat also eine Untersuchung angestellt und das Resultat ist: Sie kann nicht behaupten (was sie doch sicher gern getan hätte), daß auch nur ein einziger der vielen dargestellten Fälle unrichtig sei. Damit ist also die Richtigkeit der Behauptungen zugegeben.

Die von Herrn Radbruch bereits am 3. Dezember 1921 angekündigte Denkschrift ist noch immer nicht erschienen. Als der Verfasser in einer Versammlung äußerte, daß diese Denkschrift nie erscheinen werde, schrieb ihm Herr Radbruch folgenden Brief:

Der Reichsminister der Justiz.
Nr. IV c 1144. W.

Berlin W 9, den 2. Mai 1922.

In der von dem »Bund Neues Vaterland« einberufenen öffentlichen Volksversammlung am 27. April d. Js. haben Sie Zeitungsnachrichten zufolge ausgeführt, daß ich zwar eine Denkschrift über die Fälle in Ihrer Broschüre »Zwei Jahre Mord« in Aussicht gestellt habe, daß diese Denkschrift aber niemals erscheinen werde. Demgegenüber lege ich Wert darauf, Ihnen an Hand der Akten Kenntnis von den Schritten zu geben, die ich unternommen habe, um dem Reichstag eine Darstellung des Sachverhalts und des Ganges des strafrechtlichen Verfahrens in den einzelnen Fällen zugänglich zu machen; ich würde es deshalb begrüßen, wenn ich Ihrem Besuch in der nächsten Zeit entgegensehen dürfte. Wegen des Zeitpunktes bitte ich um vorherigen telephonischen Anruf.

Dr. Radbruch.

Als der Schreiber dieser Zeilen darauf Herrn Radbruch besuchte, zeigte er ihm mit anerkennenswerter Offenheit die Vorarbeiten zu dem Weißbuch. Darin sind alle Behauptungen dieses Buches mit dürren Worten amtlich bestätigt. Noch mehr: Die Wirklichkeit übertrifft die Angaben um vieles. Und gerade deswegen ist der Autor dieser Zeilen heute mehr denn je überzeugt, daß die angekündigte Denkschrift trotz der guten Absichten des Ministers nie erscheinen wird. [121]

Die unzuständigen Staatsanwälte

Die Broschüre »Zwei Jahre Mord« war an sämtliche Staatsanwaltschaften Deutschlands geschickt worden, in deren Bereich Morde passiert waren. Im folgenden die Antworten:

Der Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht.
IX./199. Potsdam, den 28. Aug. 1921.

Den Empfang Ihrer mir zugesandten Broschüre »Zwei Jahre Mord« bestätige ich Ihnen mit Dank.

Insofern scheint aber bei Ihrer Zuschrift ein Irrtum obzuwalten, als Sie meine Zuständigkeit für die strafrechtliche Verfolgung »einer Reihe von Morden« annehmen. Ich habe bei der Durchsicht des Buches keinen einzigen Fall finden können, in dem durch den Ort der Tat meine Zuständigkeit in Betracht kommt. Es haben auch nach Ihrer eigenen Darstellung in allen Fällen bereits strafrechtliche Ermittlungsverfahren seitens der zuständigen Stellen stattgefunden.

In Vertretung: Unterschrift unleserlich.

Der Oberstaatsanwalt. Marburg, den 31. August 1921.
3a J 817/21

Auf Ihr am 29. August 1921 eingegangenes Schreiben unter gleichzeitiger Uebersendung der Broschüre »Zwei Jahre Mord« erhalten Sie den Bescheid, daß ich nicht in der Lage bin, wegen der darin geschilderten angeblichen Straftaten einzuschreiten, da in keinem der Fälle der Tatort im hiesigen Bezirk liegt, und auch keiner der Täter im hiesigen Bezirk seinen Wohnsitz hat.

I. V.: Ludwig.

Der Oberstaatsanwalt. Hagen i. W., den 19. Sept. 1921.
XV. 11/2227.

Betrifft:
Uebersendung des Buches:
»Zwei Jahre Mord«.

Von den in dem Buch geschilderten Ereignissen hat keines sich in dem mir unterstellten Bezirk abgespielt. Ich habe daher zu Maßnahmen keinen Anlaß.

gez. Schenk.
Stempel. Beglaubigt. Hoffmann, Kanzleiangestellter.

Verfahren schwebt

Der Generalstaatsanwalt. Hamm, den 8. September 1921.
Geschäfts-Nr. I 350
1. 3771.

Soweit die in Ihrem Buch »Zwei Jahre Mord« erwähnten Fälle sich im hiesigen Bezirke ereignet haben, schweben Ermittlungsverfahren.

I. V.: gez. Dr. Wilde.
Stempel. begl.: Fritz, Kzl.-Inspektor. [122]

Der erste Staatsanwalt
bei dem
Mecklenburg-Schwerinschen Landgericht
zu Rostock i. Meckl.
Nr. J. 3334/21.

Rostock, den 19. Sept. 1921.

Zu Ihrer Vernehmung vom 5. 9. 1921 betr. Ihre Broschüre »Zwei Jahre Mord« teile ich Ihnen hierdurch folgendes mit:

Ihre Ansicht, daß auch die angeblich in Niendorf bei Wismar begangene Bluttat zur Zuständigkeit der Rostocker Staatsanwaltschaft gehöre, ist falsch.

Es kommt Niendorf bei Kleinen in Frage, welches zur Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Schwerin gehört. Sie schreiben ja auch selbst, daß die Staatsanwaltschaft in Schwerin das Verfahren eingestellt hat.

Wegen des von Ihnen unter der Ueberschrift »Taten der Demminer Ulanen« behandelten Tatbestandes bemerke ich folgendes:

1. Wegen der Erschießung des Arbeiters Gräbler ist bei der hiesigen Staatsanwaltschaft seit Juni v. J. ein Ermittlungsverfahren anhängig, welches, da die Ermittlungen sehr schwierig und zeitraubend sind, bis heute noch nicht hat abgeschlossen werden können.

2. Wegen der Schicksale der übrigen seinerseits in Gnoien verhafteten Arbeiter hat hier gleichfalls zunächst ein Ermittlungsverfahren geschwebt. Nachdem sich aber herausgestellt hatte, daß die gelegentlich des Abtransportes der Gefangenen vorgekommenen Bluttaten auf preußischem Gebiet vor Demmin und in Demmin sich zugetragen haben, habe ich das betr. Verfahren insoweit zuständigkeitshalber am 14. Dezember 1920 an den 1. Staatsanwalt in Greifswald abgegeben.

3. Für die Erschießung des Stadtrates Seidel in Stavenhagen bin ich gleichfalls nicht zuständig.

Soviel ich weiß, ist dieserhalb ein Ermittlungsverfahren beim 1. Staatsanwalt in Güstrow anhängig gewesen.

Unterschrift unleserlich.

Der Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht.
II 38/93

Breslau, den 31. August 1921.

Ihr Buch »Zwei Jahre Mord« habe ich erhalten. Zu meinem Bedauern bin ich aber auf Grund der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht in der Lage, Ihnen Auskünfte über schwebende oder abgeschlossene Strafverfahren zu erteilen, soweit sie in Ihrem Buch behandelt sind und in den Bereich meiner Zuständigkeit fallen.

I. V.: Poppendick, Erster Staatsanwalt.
Stempel. Sterk, Kzl.-Inspektor.

Beglaubigt. [123]

Der Generalstaatsanwalt
beim Landgericht I.
i J. 328/22.

Berlin NW 52, Turmstr. 91, den 25. April 1922.

In Ihrer Broschüre »Zwei Jahre Mord« 4. Aufl. S. 19, berichten Sie über die Erschießung des Gastwirts Wilhelm Bilski und geben an, daß nach Aussage von Zeugen der die Erschießung leitende Offizier ein Leutnant Baum gewesen sei. Da sich diese Angabe in den Akten nicht befindet, so bitte ich Sie ergebenst um schleunige Mitteilung, worauf Ihre Kenntnis des Sachverhalts besteht und um Benennung aller Personen, die über die Tat oder die Täter irgend welche Auskunft zu geben vermögen.

I. A.: gez. Dr. Burchardi, Staatsanwaltschaftsrat.
Beglaubigt.

Stempel. Schmidt, Kanzleiangestellter.

Verfahren eingestellt

Der Oberstaatsanwalt.
3 J 2889/20
5

Flensburg, den 20. Okt. 1921.

Ihre Schrift »Zwei Jahre Mord« ist mir in Ihrem Auftrage vom Verlage »Neues Vaterland« zugesandt worden, da in ihm aufgenommen sind »eine Reihe von Morden, die innerhalb des für mich zuständigen Gebietes vorgekommen sind«. In Frage kommt aber lediglich die mit der Ueberschrift »Der Arbeiter Paul Hoffmann in Flensburg« auf Seite 47 erwähnte Erschießung dieses Mannes in der Nacht zum 19. Dezember 1920. Ueber diesen Vorfall ist am 29. Dezember 1920 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und am 3. Januar 1921 Voruntersuchung gegen den Major von Plüskow, Leutnant Dewald, Wachtmeister Arend und Kaufmann Reichardt beantragt worden. Nach ihrem Abschluß sind die Angeschuldigten durch Beschluß der Strafkammer des Landgerichts Flensburg vom 12. April 1921 außer Verfolgung gesetzt worden.

Da Sie nach dem Inhalt Ihrer Schrift sowie dem Begleitschreiben mit der Strafprozeßordnung sicher soweit vertraut sind, um zu wissen, daß ich in einem Fall wie dem des Arbeiters Hoffmann von Amts wegen einzuschreiten habe, trotzdem es aber nicht für richtig gehalten haben, vor Herausgabe Ihrer Schrift Auskunft über das Ergebnis meiner Ermittlungen zu erfordern, mir diese vielmehr erst zugesandt haben, nachdem sie in zweiter Auflage erschienen ist, glaube ich davon ausgehen zu dürfen, daß meine Begründung des Antrages auf Außerverfolgungsetzung der Angeschuldigten und die Gründe des ihm stattgegebenen Strafkammerbeschlusses für Sie ohne Interesse sind. [124]

Eine frühere Antwort war nicht möglich, da die Akten versandt waren.

I. A.: gez. St.-A.-Rat Stolterfoth.
Beglaubigt: Boese, Kanzleiinspektor.
Stempel.

Der Oberstaatsanwalt.
18 J 738/20

Essen, den 31. Oktober 1921.

Auf Ihre am 28. August 1921 hier eingegangene Strafanzeige betreffend die Erschießung zweier Arbeiter in Essen.

In der fraglichen Angelegenheit sind bereits April 1920 von mir und seitens der Militärbehörde eingehende Ermittlungen angestellt worden. Sämtliche in Frage kommenden Zeugen, auch die in Ihrer Broschüre benannten, sind vernommen worden. Die Täter haben jedoch nicht ermittelt werden können. Ich habe daher das Verfahren eingestellt.

Unterschrift: Unleserlich.

Von den 35 Staatsanwaltschaften haben 26 nicht geantwortet, insbesondere die Staatsanwaltschaft München, wo die meisten Fälle passiert waren. Alle Antworten betreffen entweder Zuständigkeitsfragen oder sie lehnen Auskunft ab oder sie geben die Richtigkeit meiner Angaben zu. Auf die Materie selbst geht keine Antwort näher ein. Kein Staatsanwalt hat versucht, die Richtigkeit meiner Darstellung zu bestreiten. Aber auch kein Staatsanwalt hat auf Grund der hier mitgeteilten Tatsachen ein eingestelltes Verfahren wieder aufgenommen oder ein neues eröffnet. 330 politische Morde, wovon 4 von links und 326 von rechts begangen wurden, sind und bleiben unbestraft.

DIE ORGANISATION DER POLITISCHEN MORDE

Ich habe die Mörderorganisationen als Illusion, als Hirngespinst, als exaltierte Meinung Einzelner angesehen, die irgendwelche Erscheinungen verallgemeinerten. Ich muß mit tiefer Erschütterung feststellen, daß ich an dieser Feststellung nicht mehr festhalten kann.

Abg. Stresemann, Reichstag am 5. Juli 1922

Wie oben gezeigt, sind in den letzten Jahren die meisten bedeutenden Führer der extremen und gemäßigten Linken bis in die Reihen des Zentrums durch ungesetzliche Handlungen beseitigt, dagegen ist kein einziger Führer der extremen Rechten getötet worden. Ueberhaupt sind von den Linksradikalen nur wenige Morde begangen worden, von den Rechtsradikalen sehr viele. Diese Morde sind außerordentlich differenziert. Jeder hat seine Eigenheit. Trotzdem lassen sich die bisherigen politischen Morde von Rechts auf drei Typen zurückführen, die sich im wesentlichen mit der Zeit ablösten. [125]

Die unorganisierten Morde

Es bricht ein Linksaufstand aus oder es wird ein solcher provoziert (Typ 1919). Einwohnerwehr, Studentenkorps und Freiwilligenverbände arbeiten an seiner Unterwerfung. Bei dieser Gelegenheit murkst man im Zeichen der »Ruhe und Ordnung« die persönlich oder durch Denunziation guter Freunde bekannten, ehrlichen Republikaner ab: Das sind Spartakisten. Weg damit!

Die Truppen begehen zum Teil im angetrunkenen Zustand, zum Teil durch falsche Nachrichten aufgestachelt eine Reihe von weiteren Scheußlichkeiten. Die Offiziere sind fast immer beteiligt.

Das bürgerliche Publikum, die sogenannte öffentliche Meinung, sieht in seiner blinden Angst um das heilige Eigentum nur die Gefahr, die ihm in dem Aufstand von Links droht. Die Verletzung des Rechtes aber, die in der Ermordung von angeblich am Aufruhr Beteiligten, meistens aber völlig Unbeteiligten besteht, läßt es kalt. Denn der Satz, daß ein Aufrührer auch ein Recht auf seinen Richter hat und nicht von einem kleinen Leutnant umgebracht werden darf, ist ihm keine Realität. Dies ist ein abstrakter Satz, der nichts mit dem Schutz des Eigentums zu tun hat.

Dieser sozusagen handwerksmäßige Mord ist im kleinen Umkreis wirksam. Doch nur hier. Unfähig ist er, die großen, bekannten Republikaner zu erfassen. Hierzu dienen andere, bessere Methoden industrieller Art.

Die halborganisierten Morde

Ein Putsch von Rechts wird benützt. Viel unverhüllter kann hier gemordet werden. Trotzdem legt man großen Wert auf Aufrechterhaltung der Fiktionen. So wird die Behauptung verbreitet, ein Aufstand von Links sei vorbereitet und man wolle nur der rechtmäßigen Regierung dagegen helfen. Dann verfährt man wie oben. Aber während man vorher willkürlich mordete, ist man jetzt bereits auf Auswahl der »Richtigen« bedacht. Längst durch geheime Organisationen vorbereitete Listen dienen diesem Zweck. Man ist nicht etwa weniger blutdürstig und scheut auch nicht vor Massenmord zurück, aber man ist zielstrebiger geworden. Die Widerstrebenden, die sich »dem Aufbau«, der »Regierung der Arbeit« widersetzen, werden »auf Grund der erlassenen Gesetze« durch Standrecht beseitigt. Gelingt der Putsch, um so besser, mißlingt er, so werden die Gerichte schon dafür sorgen, daß den Mördern nichts passiert. Und sie haben dafür gesorgt. Kein einziger Mord von Rechts ist wirklich gesühnt. Selbst gegen geständige Mörder wird das Verfahren auf Grund der Kapp-Amnestie eingestellt.

Die beiden Methoden sind trotz ihrer Wirksamkeit nicht zu allen Zeiten brauchbar. Vor allem nicht in ruhigen. Doch sind sie Vorarbeit; Bausteine zum Ziel: Tod allen Republikanern; Methoden zum Ausbau der Organisation. [126]

Der hochorganisierte Mord

Am auffälligsten sind die Morde, die in Zeiten vollkommener Ruhe begangen wurden, wo weder ein wirklicher noch ein fiktiver Aufstand von Links vorlag. Hier versagen die bisherigen Entschuldigungen und Beschönigungen. Es bleiben nur zwei Methoden übrig.

Erstens wird gesagt, es lohne nicht, darüber so viel Aufsehens zu machen. Der Mann war ja verrückt, er litt an Verfolgungswahn. Er glaubte, er werde eines Tages umgebracht. Ist dies nicht Beweis genug, daß er sein kommendes Los erkannte? Man sieht, was für Menschen zur Linken gehören. Indem man dem Toten sein einziges Gut, seinen guten Namen raubt, befreit man sich durch diesen leichenschänderischen Dreh von jeder Verantwortung. Immerhin verspricht die Regierung natürlich eine strenge Untersuchung. Von Zeit zu Zeit kommen immer kürzere Berichte über den ordnungsgemäßen Verlauf. Neue politische Probleme füllen die Zeitungen, nach einiger Zeit ebbt es in der Blätterflut ab. Nur einige Zeitungen, die immer schreien, kläffen noch. Bald ist der Tote vergessen.

Oder der Mord wird schon vorher der Oeffentlichkeit plausibel gemacht. Das Opfer muß derart verdächtigt werden, daß seine Ermordung als ein befreiender Schritt, als eine Heldentat angesehen wird. »Endlich ist Deutschland diesen Menschen los, der so viel Unglück über sein Vaterland gebracht hat«. Viele Feinarbeit, hohe Kultur, glänzende Vorbereitung, planmäßiges Zusammenwirken gehören dazu, bis das Opfer erliegt. Angesagt zählt doppelt. Daher zunächst in der Oeffentlichkeit systematische Hetze zum Mord: »Der Mann ist ein Schädling. Er muß weg. Nur die nationale Einheitsfront kann helfen.« So belfert die Presse. Bis selbst der Letzte der Letzten in Kleinkuhdorf das weiß.

Gibt es Mordorganisationen?

Mordorganisationen im eigentlichen Sinn des Wortes, d. h. Organisationen, deren einziger Zweck der politische Mord ist, gibt es im heutigen Deutschland wahrscheinlich nicht. Wohl aber Organisationen, die den politischen Mord als Nebenzweck oder als Mittel zum Zweck bejahen. Ihre eigentlichen Ziele sind nationalistische. Drei an sich trennbare Ziele vereinen sich in ihnen. Das erste ist das monarchistische. Daher wenden sich diese Organisationen gegen die Republik und vor allem gegen ihre Repräsentanten. Dabei sind sich jedoch die verschiedenen Organisationen weder über die Form der kommenden Monarchie (ob absolut oder konstitutionell) noch über ihren Umfang (Deutscher Einheitsstaat oder Rückkehr aller Herrscher) noch über die Person des künftigen Monarchen (Wittelsbach oder Hohenzollern) einig. Vor allem fehlt ein populärer Thronkandidat. Dieser glückliche Zufall wird vielleicht ähnlich wie in Frankreich nach 1870 die Republik retten. [127]

Die zweite Tendenz ist die imperialistische. Der Friedensvertrag von Versailles hat Deutschland zerstückelt und hat ihm Gebiete mit deutscher Bevölkerung genommen. Demgegenüber sind Bestrebungen auf Wiedergewinnung der gegen ihren Willen von Deutschland abgetrennten Gebiete und auf Verbesserung von Deutschlands ökonomischer Lage vollkommen berechtigt. Darüber hinaus befürworten diese Vereine eine ausgesprochen imperialistische Politik, insbesondere den Rachekrieg.

Die dritte Wurzel dieser Bewegungen ist der Antisemitismus. Er geht von ganz übertriebenen Vorstellungen über die Bedeutung und den Einfluß der Juden aus.

Auch diese drei Programme werden zum Teil offiziell nicht zugegeben. Sie treten der Oeffentlichkeit gegenüber hinter berufsständischen, anderen politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Zielen zurück. Bei manchen Organisationen wird sogar streng an der Fiktion der politischen Neutralität festgehalten. Ueberall spielen die Offiziere der alten Armee die größte Rolle.

Die drei Bewegungen kommen meistens untereinander vermengt vor. Die meisten Geheimbündler sind gleichzeitig Monarchisten, Imperialisten und Antisemiten. Die extremistische Einstellung der Organisationen führt sie zu dem Glauben, daß man mit der Tötung eines politischen Gegners gleichzeitig die von ihm vertretenen Ideen beseitigen könne. Eine zweite, davon prinzipiell verschiedene Wurzel von politischen Morden ist die manchmal zwingend auftretende Notwendigkeit der Beseitigung von unbequemen Mitwissern, von denen man einen Verrat der Organisation befürchtet.

Kommunistische Geheimorganisationen

Daß es auch kommunistische Geheimorganisationen gab, ist nicht zu bestreiten. Nach der Mentalität dieser Partei, die z. B. den Märzaufstand 1921 verursacht hat, ist an deren Existenz kaum zu zweifeln. Aber die Nachrichten hierüber haben sich in allen Fällen als maßlos übertrieben herausgestellt. Wo solche Organisationen tatsächlich bestanden, haben stets Spitzel und Provokateure von Rechtsparteien eine große Rolle gespielt. Das liegt daran, daß die Partei überhaupt mit Spitzeln stark durchsetzt ist. In München hat man sogar Bezirksführer, also Funktionäre, als Angehörige der Polizei entlarvt.

In vielen Fällen waren auch die Nachrichten über kommunistische Geheimorganisationen nach der bewährten Methode »Haltet den Dieb« einfach aus der Luft gegriffen. Zur Verbreitung der Berichte dienten eigene deutschnationale Nachrichtenstellen.

Auch ein Mann, dem man dies eigentlich nicht zutrauen sollte, General Ludendorff, hat sich neuerdings diesem Verfahren angeschlossen. [128] In einem Interview mit dem Berliner Korrespondenten der »Daily Expreß« (»Vossische Zeitung«, 25. Juli 1922) sagte er: »Die Erklärung der Ermordung Dr. Rathenaus liegt in der Tatsache, daß die Ermordung deutscher Minister vor mehr als einem Jahr von kommunistischen Organisationen beschlossen worden ist. In ernsten politischen Kreisen gibt es keine Mörderorganisation.« Einen Beweis für diese Behauptung hat Ludendorff nicht angetreten.

Ich will natürlich die Möglichkeit kommunistischer Geheimorganisationen nicht leugnen. Wahrscheinlich haben sie auch politische Schäden angerichtet. Sicher aber ist, daß sie für keinen einzigen politischen Mord verantwortlich zu machen sind.

Geschichte der Geheimorganisationen

Die Geheimbünde sind erwachsen auf dem Boden der Deutschen Vaterlandspartei. Nach der Revolution sammelten sie sich wieder in den offiziell unpolitischen Bürgerräten, Einwohnerwehren, Freikorps. Den größten Sammelherd, aus dem pilzartig die Geheimorganisationen entsprangen, bildete das Baltikumabenteuer. Unter einem angeblichen Fürsten Awalow-Bermondt und unter dem Grafen v. d. Goltz bildeten sich Armeen, z. B. die eiserne Division, die sogar eigenes Papiergeld (gedeckt durch die der deutschen Regierung gehörigen Waffenvorräte) ausgaben. Die Hoffnung auf Land trieb viele demobilisierte Soldaten dazu, sich von den von der deutschen Regierung öffentlich unterstützten Verbänden anwerben zu lassen. Nach dem kläglichen Scheitern des zuerst gegen die Bolschewisten, dann gegen die lettische Regierung geführten Kampfes fluteten die Baltikumer nach Deutschland zurück. Sie waren die Grundlage für den Kapp-Putsch, der ja auch mit der Fiktion des Kampfes gegen den Bolschewismus inszeniert wurde. Kaum war er gescheitert, so rief die Ebertregierung, die vor den aufrührerischen Truppen hatte flüchten müssen, dieselben Truppen zum Kampf gegen die Arbeiter ins Rheinland. Natürlich mußten so die am Kapp-Putsch beteiligten Truppen dieses Unternehmen für vollkommen legal halten.

Die Freikorps wurden zum großen Teil auf Betreiben der Entente aufgelöst. Dies ging nicht immer einfach vor sich. So sollte z. B. in Soest im Juni 1920 die Maschinengewehrkompagnie Libau (eine baltische Formation, die seit dem November 1919 in Deutschland verpflegt wurde) aufgelöst werden. Sie leistete Widerstand und es kam zu einer Schießerei mit der Reichswehr, bei der fünf Reichswehrsoldaten getötet und mehrere schwer verwundet wurden. Vor dem Kriegsgericht in Münster kam es zur Verhandlung. Die Baltikumer gaben an, sie hätten geglaubt, Bolschewiki vor sich zu haben und wurden auf Grund dieses Putativ-Spartakismus freigesprochen. (»Freiheit«, 23. Juni 1920.) [129]

Dagegen wurde ein Soldat namens Kaiser, der sich nach dem Kapp-Putsch unerlaubt aus der Ehrhardt-Brigade entfernt hatte, weil er von einem Offizier mißhandelt worden war, zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. (Preuß. Landtag, 22. Mai 1922.) Auf eine Interpellation antwortete die Regierung, die Strafe bestehe zu Recht, weil die Marinebrigade des Kapitän Ehrhardt eine Truppe im Sinne des Militärstrafgesetzes gewesen sei.

Aus dem Lebenslauf der einzelnen Individuen kann man den Werdegang der ganzen illegalen Bewegung studieren. Ein großer Teil der Mitglieder, soweit sie bekannt geworden sind, war nicht im Feld, weil sie damals noch zu jung waren. Zum Teil dienten sie als Hilfsdienstpflichtige oder als Jugendwehr. Dann wurden sie Mitglied einer Einwohnerwehr, kämpften in Freikorps gegen die bayerische Räterepublik, dann im Baltikum, machten den Kapp-Putsch mit und zuletzt finden wir sie beim Selbstschutz in Oberschlesien.

Oberschlesien

Zwei Zentren hat die Bewegung: Oberschlesien und München. Beide sind intim verknüpft. So hat z. B. das Freikorps Oberland in beiden »gekämpft«.

In Oberschlesien sollte nach dem Vertrag von Versailles eine Volksabstimmung stattfinden. Die Entente verschob jedoch den Termin der Abstimmung von Monat zu Monat. So entstand unerhörte politische Spannung. Resultat waren drei Aufstände der Polen. Die polnische Regierung lehnte zwar offiziell jede Beteiligung daran ab. Doch kann man es als gesichert hinnehmen, daß sie die Bestrebungen, ein fait accompli zu schaffen, wie etwa in Posen oder Wilna, insgeheim begünstigte. Den ersten Aufstand schlugen deutsche Truppen nieder. Von beiden Seiten sind dabei unerhörte Grausamkeiten vorgekommen. Beim zweiten Aufstand sammelten sich die Deutschen in eigenen Organisationen, dem sogenannten Selbstschutz, der ursprünglich nur aus geborenen Oberschlesiern bestehen sollte, dann aber auch aus dem übrigen Reich regen Zuspruch erhielt. Bald ging man dazu über, auch diejenigen Deutschen zu bekämpfen, denen man mit Recht oder Unrecht internationale Neigungen zuschrieb. Auch Angehörige der Besatzungstruppen wurden ermordet. Aus dem großen diesbezüglichen Material mögen nur einige typische Fälle aufgeführt werden: Dr. Milecki aus Kattowitz wurde am 17. August 1919 gelegentlich der Hilfeleistung bei einem polnischen Verwundeten ermordet. In Hallimba wurden am 17. August 1919 zwei Arbeiter »auf der Flucht« erschossen. Ende Mai 1920 wurde der Besitzer des Hotels »Deutsches Haus« in Krappitz, Valentzyk, aus dem Gefängnis geholt. Die Mannschaft bestand aus dem Pferdewärter Eduard Seirer [130] aus Pasing, dem Kriminalinspektor Fischer aus Bernburg (alias Friedrich) und dem Kriminalwachtmeister Josef Bump aus Carlskron. In Valentzyks Hotel war während der Besatzungszeit die französische Intendantur untergebracht gewesen. Auf Befehl des Freikorps Oberland wurde er an eine entlegene Stelle im Wald geführt und dort von Bump erschossen.

Am 30. Juli 1920 wurden drei Gefangene des Freikorps Oberland, Karl Görlitz aus Görlitz, Stefan Stellmach aus Bismarckhütte und ein gewisser Kauert, angeblich Kommunist, früher Freiwilliger des Bataillons Oesterreicher, von der Straße nach Kasimir weg in den Wald geführt und von Mußweiler (alias Weiland) erschossen. Die Leichen wurden ausgeplündert. (Paul Fröhlich »Wider den weißen Mord«.) Am 30. Juni 1921 wurde der Betriebsrat der »Bismarckhütte«, Bruno Bochymek »auf der Flucht« erschossen. Man erinnere sich ferner an den Ueberfall in Petersdorf, wo u. a. der Spitzel Seichter ermordet wurde. (WTB., 18. Mai 1922.) Auch in allerneuester Zeit sind Lynchungen durch den Selbstschutz vorgekommen. In Oppeln, Gleiwitz und anderen Orten Oberschlesiens wurden Frauen, die sich während der Besatzungszeit mit Franzosen eingelassen hatten, nackt ausgezogen, kahlgeschoren, mit Teer angestrichen und mit Peitschen durch die Straßen gehetzt. (»Deutsche Zeitung«, 13. Juli 1922.)

Der bayrische Partikularismus

Der Brennpunkt der ganzen Bewegung ist in München zu suchen. Der Ausnahmezustand, der dort jahrelang aufrecht erhalten wurde und die Sondergerichte, beides Organisationen, die sich ausschließlich gegen Links wandten, begünstigten in hohem Maß die Bildung und verbrecherische Tätigkeit der Geheimorganisationen.

Der andauernde Kampf gegen das Reich hat zum großen Teil den Sinn, die Geheimbünde zu schützen. Denn sie sind die Hauptträger der monarchistischen Propaganda und sind daher bei den im Grunde genommen monarchistischen Regierungen Kahr und Lerchenfeld beliebt. Die angeblich altbayrische Tradition der bayrischen Regierung ist eine reine Fiktion; denn Bayern war früher keineswegs ausgesprochen monarchistisch. Dazu kommt, daß die Hauptträger dieser bayrischen Fronde tatsächlich Ludendorff und die ihn umgebenden Teilnehmer der früheren obersten Heeresleitung, also gar keine Bayern sind.

Seit dem Reichenhaller Kongreß der russischen Monarchisten beginnen auch diese in Bayern eine Rolle zu spielen. In der Oeffentlichkeit treten sie natürlich nicht hervor.

Die augenblicklich in Bayern herrschende Stimmung wird wohl am besten durch die Tatsache beleuchtet, daß ein anerkannter katholischer Gelehrter, Domdekan Kiefel aus Regensburg, im Vorwort [131] seines Buchs »Katholizismus und modernes Denken« vom Grafen Arco, dem Mörder Eisners, schreiben konnte: »Unser jugendlicher Nationalheld dessen selbstloser Idealismus allein in unserem Volk neues Leben entzünden könnte«. Das Bild Arcos ist in vielen Schaufenstern zu sehen. Seine Heimatgemeinde gab sogar Notgeld mit seinem Bild heraus, das allerdings bald aus dem Verkehr gezogen wurde.

Namen von Geheimorganisationen

Im Folgenden einige Namen von solchen Organisationen: Verband nationalgesinnter Soldaten, Bund der Aufrechten, Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund, Stahlhelm, Organisation »C«, Freikorps und Reichsfahne Oberland, Bund der Getreuen, Kleinkaliberschützen, Deutschnationaler Jugendbund, Notwehrverband, Jungsturm, Nationalverband Deutscher Offiziere, Orgesch, Roßbach, Bund der Kaisertreuen, Reichsbund Schwarz-Weiß-Rot, Deutschsoziale Partei, Deutscher Orden, Eos, Verein ehemaliger Baltikumer, Turnverein Theodor Körner, Allgemeiner deutschvölkischer Turnverein, Heimatssucher, Alte Kameraden, Unverzagt, Deutsche Eiche, Jungdeutscher Orden, Hermansorden, Nationalverband deutscher Soldaten, Militärorganisation der Deutschsozialen und Nationalsozialisten, Olympia (Bund für Leibesübungen), Deutscher Orden, Bund für Freiheit und Ordnung, Jungsturm, Jungdeutschlandbund, Jung-Bismarckbund, Frontbund, Deutscher Waffenring (Studentenkorps), Andreas-Hofer-Bund, Orka, Orzentz, Heimatbund der Königstreuen, Knappenschaft, Hochschulring deutscher Art, Deutschvölkische Jugend, Alldeutscher Verband, Christliche Pfadfinder, Deutschnationaler Beamtenbund, Bund der Niederdeutschen, Teja-Bund, Jungsturm, Deutschbund, Hermannsbund, Adler und Falke, Deutschland-Bund, Junglehrer-Bund, Jugendwanderriegen-Verband, Wandervögel völkischer Art, Reichsbund ehemaliger Kadetten.

Ein großer Teil dieser Organisationen wurde auf Grund des Gesetzes zum Schutz der Republik aufgelöst. Bayern hat keinen dieser Verbände aufgelöst.

Betrachten wir die Organisationen im Einzelnen. Der Schutz- und Trutzbund ist wesentlich antisemitischer Natur, außenpolitisch nicht betont, jedoch zählt er in seinen Reihen zahlreiche Terroristen. Er soll 200 000 Mitglieder umfassen.

Der Alldeutsche Verband ist wesentlich monarchistisch. Er will das Kaisertum durch einen Diktator vorbereiten. Außenpolitisch ist er aggressiv, vor allem gegen Frankreich und Polen, Mitgliederzahl ca. 80 000. Sein Werk war der Kapp-Putsch.

Der Jungdeutsche Orden ist im Gegensatz zu den beiden obigen Verbänden militärisch organisiert und besitzt wohl heimliche [132] Waffenlager. Seine Mitglieder — angeblich ca. 80000 — haben sich durch einen Eid zu Gehorsam verpflichtet. Er gliedert sich in Gefolgschaften, Bruderschaften und Balleien.

Der Stahlhelm besitzt 300 Ortsgruppen und ca. 25000 Mitglieder.

Der Sportklub Olympia ist ein Versuch, das aufgelöste Regiment Reinhardt fortzusetzen.

Die Orka (Organisation Kanzler) steht in enger Beziehung zu dem früheren bayerischen Ministerpräsidenten v. Kahr und dem ehemaligen Kronprinz Rupprecht. Sie ist entstanden aus der Tiroler Abteilung der Orgesch.

Der Deutsche Waffenring ist eine Zusammenfassung der nationalistischen Studentenorganisationen.

Der Bund für Freiheit und Ordnung ist ein Versuch der Fortführung der aufgelösten Selbstschutzverbände von Groß-Berlin.

Orgesch und Freikorps Oberland sind spezifisch bayerische Organisationen, die zweifellos Waffenlager besitzen. Freikorps Oberland zählt nur wenige Mitglieder, ca. 2000, die Orgesch vielleicht 200000.

Am straffsten organisiert sind die Arbeitsgemeinschaften. Es sind dies frühere kleine Truppenteile, die in corpore auf einem großen Rittergut untergebracht sind. Die bekannteste ist die Arbeitsgemeinschaft Roßbach, welche aus Teilen des gleichnamigen Freikorps besteht. Der Stab verbirgt sich hinter der Firma »Deutsches Auskunfts- und Detektivbüro« Wannsee, Otto-Erich-Str. 10. In Mecklenburg heißt er »Bund für Berufsausbildung landwirtschaftlicher Arbeiter«. Aehnliche Organisationen sind: Hubertus, Aulock, Heidebrecht, Dewitz und Grenzmark.

Die Organisation der »Brüder vom Stein« wurde am 6. Juli 1921 im Hotel Hauffe, Leipzig, von derselben Versammlung gegründet, in der sich auf Befehl des Forstrats Escherich die dortige Orgesch auflöste. Geldgeber waren die Finanzausschüsse der sächsischen Industrie mit Hilfe der Bürgerbünde. Der Verein wurde beim Amtsgericht Leipzig eingetragen. Am 2. November besaß er bereits 700000 Mark Vermögen. Major a. D. Schneider in Bautzen war Leiter einer Selbstschutzorganisation, welche eine Fortsetzung der 1920 von der Orgesch und den Bürgerbünden aufgestellten Organisationen war. Der Fortbildungsschullehrer Ebersbach hatte hierfür in Cunnersdorf bei Frankenberg ein Waffenlager von über 600 Gewehren und vier Maschinengewehren errichtet, das am 27. Oktober 1921 beschlagnahmt wurde.

Auch die Brigade Ehrhardt hatte in Sachsen eine Abteilung im Klubgebäude der Studentenverbindung Saxonia, Elsterstraße, Leipzig. Dazu kam dann noch die Ritterschaft Zollern, eine geheime Jugendorganisation in Leipzig. In ihr war der Bruder von Tillessen Verbindungsmann der Organisation C. [133]

Der Sportverein Silbernes Schild stellte die Fortsetzung der aufgelösten militärischen Organisation der Zeitfreiwilligen dar. Dieser Sportverein hatte eine militärische Leitung und war geschlossen der Orgesch angegliedert. (Mitteilung des sächs. Innenministers Lipinski, 2. November 1921.)

Die soziale Struktur der Geheimbünde

Manche dieser Organisationen verschwinden schon nach kurzer Existenz. Eine Reihe von neuen wird gegründet. Dies scheint völlig planlos und chaotisch vor sich zu gehen und ist doch sehr einfach. Die Zersplitterung in Wanderklubs, Arbeitsgemeinschaften, Sportorganisationen, Regimentsvereine, Schützengilden, Kriegervereine, Offiziersbünde, Organisationen für völkischen, nationalen und monarchistischen Aufbau, das ständige Verschwinden einiger dieser Gruppen und das Auftauchen neuer hat nur den Zweck der Verschleierung. Dieses Verfahren ermöglicht bei Verboten die Organisation weiterzuführen, jede beliebige Verbindung zu leugnen, jede Identität zu bestreiten und etwa eingedrungene Spitzel durch rasche Umstellung auszuschalten. Die Verbindung von den leitenden Stellen bis zu den letzten Ausläufern der Bewegung ist manchmal sehr lose. Stets muß die Oberleitung in der Lage sein, jede solche Verbindung zu dementieren.

Wie lose diese Verbindungen bei strengem, gegenseitigem Vertrauen gehalten sind, zeigt das Attentat auf Harden, wo die einzelnen Stellen miteinander nur postlagernd verkehrten, ohne daß der Anstifter des Attentats seine vorgesetzte Stelle, die ihm das Geld schickte, überhaupt dem Namen nach kannte. Die Verbindung klappt so gut, daß es den Behörden bisher nicht gelungen ist, die Auftrag- und Geldgeber beim Rathenaumord festzustellen. Man hat zwar die Küchenmeister verhaftet, nicht aber die Köche, die diesen Brei rühren ließen.

Eine große Zahl der Teilnehmer steht in jugendlichem Alter. Studenten, ja sogar Gymnasiasten stellen das Hauptkontingent. Gymnasiasten von 17 Jahren haben bei der Ermordung Rathenaus entscheidend mitgewirkt. Da die heutigen Kinder trotz aller sozialdemokratischen Unterrichtsminister noch immer aus den alten Lehrbüchern lernen, welche auf das Kaisertum zugeschnitten sind, müssen sie die Ueberzeugung bekommen, daß das Kaisertum die einzig wahre Regierungsform ist und die Republik eine bedauerliche Verirrung, die man möglichst bald wieder gut machen müsse. Die jungen Terroristen handeln also durchaus bona fide und glauben echte Freiheitskämpfer zu sein, echte Nachfolger des Harmodius und Aristogeiton, des Brutus, wenn sie die wenigen Republikaner Deutschlands umbringen.

Durch die große Zahl dieser Organisationen darf man sich nicht zu der Meinung verleiten lassen, daß sie alle selbständig wären. Sie bestehen vielmehr zum großen Teil aus denselben [134] Leuten. Ein und dieselbe Person ist oft unter verschiedenen Namen Mitglied von zehn solchen Organisationen. Der Gesamtbestand der illegalen und halblegalen deutschnationalen Organisationen dürfte eine Viertelmillion nicht überschreiten. Was die Bewaffnung betrifft, so wird dieselbe auf allerhöchstens 150000 Gewehre mit je 10 Schuß Munition, 2000 leichte und 500 schwere Maschinengewehre geschätzt. Schwere Kampfwaffen dürften kaum in nennenswerter Zahl vorhanden sein.

Das größte Dunkel schwebt über den Geldgebern. Zu vermuten ist, daß die Großindustrie und die großen Rittergüter Geld zur Verfügung stellen. Ueber die Herkunft des Geldes ist im einzelnen nichts zu ermitteln. Nur die Herkunft kleinerer Summen hat sich nachweisen lassen:

Der Major a. D. Erich Hansen hatte in Preußen die Einwohnerwehren organisiert und war dann in die entsprechende Stelle des Reichswehr-Ministeriums gerufen worden. Die Mitglieder der Einwohnerwehren wurden bei zwei Versicherungsgesellschaften versichert. Die Provision von insgesamt 60000 Mark verwendete Hansen für einen schwarzen Fonds, der zur Vorbereitung des Kapp-Putsches diente. Hansen wurde wegen Bestechung angezeigt, aber vom Landgericht I freigesprochen. (»Berliner Tageblatt«, 24. Mai 1922.)

Wie leicht es möglich ist, für solche Zwecke Geld zu bekommen, zeigt folgender Fall: Als der Kapitänleutnant Killinger von der Organisation C (der Vorgesetzte der Erzberger-Mörder Schulz und Tillessen) wegen des Verdachtes der Teilnahme an der Ermordung Erzbergers in Haft saß, besuchte sein früherer Bursche Rabenschlag den Generalmajor von Chrismar in Freiburg, den Major Hildenbrandt in Oberkirch, den Major Max Fröhlich in Oberkirch und den Obersten von Pilgrim in Karlsruhe, Schatzmeister einer deutschvölkischen Organisation, und erhielt von ihnen unter dem Vorwand, für Killinger sorgen zu wollen und zu versuchen, ihn zu befreien, ohne weiteres über 22000 Mark, die Rabenschlag für sich selbst verbrauchte. In einem im Zusammenhang damit wegen Betrugs gegen die Staatskasse angestrengten Prozeß verweigerten die Offiziere die Auskunft (»Berliner Tageblatt«, 17. August 1922, Prozeßberichte in allen Berliner Zeitungen). Ein Verfahren gegen die Offiziere wurde nicht eingeleitet. Rabenschlag wurde wegen dieser und anderer Schwindeleien zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.

Die Besorgung falscher Papiere

Einen interessanten Beitrag zur Kenntnis der illegalen deutschnationalen Organisationen liefert das Geständnis Runges. Es heißt darin: »Am 19. Mai 1921 wurde ich aus dem Gefängnis entlassen. Ein Kommissar und ein Rittmeister von der Sipo kamen in meine Wohnung und erklärten mir, ich müsse noch in der Nacht [135] weggebracht werden, die Spartakisten könnten kommen und mich aufhängen. Ich wurde unter dem Namen Lange nach der Paulsborner Straße 4, Klinik von Professor Dr. Grauert, gebracht. Inzwischen war Leutnant Krull verhaftet worden und ich wurde als Zeuge gesucht. In die Klinik kam ein Dr. Schiffer, der in Schöneberg, Am Park 18, wohnt und einer nationalen Partei angehört. Schiffer verbot mir in ziemlich schroffer Weise, zur Vernehmung in Sachen Krull zu gehen und verschaffte mir falsche Papiere, die auf den Namen des Sergeanten Wilhelm Franz Rudolf aus Posen lauteten. Das erste Papier ist ein Entlassungsschein, datiert vom 1. April 1920, unterschrieben I. A.: Seeliger, Oberleutnant zur See. Es trägt den Stempel der Schiffsstammdivision der Ostsee. Das zweite Papier ist ein Stammrollenauszug auf denselben Namen mit der gleichen Unterschrift. Das dritte Schreiben ist ein Dienstleistungszeugnis für den Bürodiener Rudolf, ausgestellt vom Generalkommando des 7. Armeekorps. Es trägt das Datum: Münster, 15. Juni 1921 und ist unterzeichnet von Hauptmann von Chaulin. Man hat mich von der nationalen Klinik gar nicht erst nach Hause gelassen, sondern gleich mit einem Leutnant von Grabow nach Blankensee (Hinterpommern) geschickt. Später wurde ich nach Mecklenburg gebracht; immer auf den falschen Namen Rudolf.

Inzwischen wurde ich weiter als Zeuge in dem Prozeß gegen den Leutnant Krull gesucht. Es wurden nun alle Anstrengungen gemacht, damit ich nicht gefunden wurde. Nun ließ der Untersuchungsrichter in Sachen Krull, Herr Dr. Leiden, mir durch meinen Stiefsohn mitteilen, ich sollte angeben, wo ich bin. Diese Mitteilung erhielt ich in Mecklenburg auf dem Gut Kalsow bei Kadlow, Kreis Wismar. Es war dort eine militärische Organisation untergebracht. Die Leute lagen als angebliche Landarbeiter auf den Gütern herum, um im Bedarfsfalle als Soldaten bereit zu sein. Leiter war der Major Weber. Diesem sagte ich: »Ich fahre jetzt nach Berlin, ich werde immer tiefer in die Sache hineingerissen.« Darauf ließ man mich nach Berlin fahren, gab mir aber drei Offiziere, Leutnant Bender, Leutnant Fuss und Leutnant v. Dallwitz als Begleiter mit, die mich nicht aus den Augen ließen. Diese drei Offiziere brachten mich gleich nach Wannsee, Otto-Friedrich-Straße 10, wo das Büro der Arbeitsgemeinschaft Roßbach ist. Dort wirkten Leutnant Roßbach sowie andere Offiziere namens Barthold, Köpke usw. auf mich ein. Ich sollte die Sache totschweigen und einfach sagen, ich kenne Krull nicht, ich könnte mich auf nichts mehr erinnern. Dafür sollte ich eine gute Stellung bekommen. Ich habe mich bei meiner Aussage, bei der ich nicht vereidigt wurde, leider durch das Drängen dieser Leute dahin beeinflussen lassen, daß ich in ähnlichem Sinne ausgesagt habe. Darauf sollte ich nun nach Oberschlesien zur Arbeitsgemeinschaft Roßbach abgeleitet werden. Ich bin nicht nach Schlesien gefahren.« (»Vorwärts«, 30. Mai 1922.) [136]

Freikorps Oberland

Hauptorganisator des Freikorps Oberland und der sogenannten Nachrichtenzentrale München ist ein Hauptmann von Kessel (alias Kiefer). Sein Büro befand sich 1921 Fürstenfelder Str. 13 II. Andere Büros liegen am Isartorplatz, im Gasthaus Adelmann. Es existieren verschiedene Unterabteilungen, so eine Spionageabteilung gegen das feindliche Ausland (Leutnant Pongratz, alias Geher), eine Einbruchsabteilung (Oberleutnant Rail, er führt auch die Kasse), eine Abteilung zur Beseitigung und Beobachtung Unzuverlässiger in den eigenen Reihen (Fehme), und eine Spionageabteilung gegen politische Gegner (Oberleutnant Graf). Außerdem existiert ein Rollkommando, in Oberschlesien Wurfkommando genannt, in dem nur ganz zuverlässige Offiziere Verwendung finden. Führer ist Hauptmann Oesterreicher (Lullu). Diese Abteilung dürfte eine Mordorganisation im eigentlichen Sinn sein. Einzelheiten über die gut funktionierende Organisation sind schwer zu erlangen, da nicht einmal die Mitglieder der einzelnen Abteilungen miteinander in Berührung kommen. Zum Befehlsempfang werden die einzelnen Leute, meistens frühere Offiziere, zu verschiedener Zeit in die einzelnen Büros bestellt. Mitglieder der Organisation sind: Leutnant Gröhl, Fischer, Stremer, Hauptmann Römer, genannt Peppo, Oberleutnant Reindl, Friedrich, Weinzierl und Sondermayer. Gauleiter ist Major Horodam, Knöbelstr. 8, Stabsleiter Georg Ashton, Heßstraße 6. Dort ist ebenfalls ein Büro. Waffenoffizier ist Oberleutnant Knaut, Fürstenstr. 18. Leutnant Brandt ist Leiter der Waffen- und Munitionsbeschaffungsabteilung, Oberleutnant Fuhrmann hat die Transportmittel und das Kraftfahrwesen, Leutnant Lembert ist Offizier für das Artilleriewesen.

Das Depot der Wirtschaftsstelle ist in der Luftschifferkaserne. Ein Waffenmeister namens Schurk wohnt in der Morassistraße, der andere Waffenmeister Dieter in der Herzog-Wilhelm-Straße.

In der Fürstenstr. 18 a liegen die Stammrollen sämtlicher Offiziere und Mannschaften. Die Turn- und Sportabteilung der Nationalsozialisten arbeitet zusammen mit den Zeitfreiwilligen-Kompagnien 4 und 13.

In den Satzungen der Reichsfahne Oberland heißt es: »Wir werden uns nie auflösen, kein feindliches Diktat wird uns wehrlos und somit ehrlos machen.« Jedes Mitglied der Reichsfahne Oberland versichert ehrenwörtlich, der Reichsfahne Mannestreue zu halten bis in den Tod und unbedingten Gehorsam allen Führern der Reichsfahne zu halten. »Verräter und Wortbrüchige verfallen der Fehme.« Das Zeichen des Freikorps Oberland ist ein Dolch mit Eichenlaub und schwarzweißroter Binde.

Interessant ist ein Telegramm vom 4. September 1921 aus München an den angeblichen Geheimrat Berger, in dem es u. a. heißt: »Kohlen eingetroffen und Berichte. Ich bitte folgendes ungesäumt [137] durchzuführen: Außer Nicke und Bürckmayer alles restlos sofort nach Plan entlassen oder hierher beordern. Entlassener Stefan denunziert bei Neitze. Letzteren aufklären, ersteren zu Tiefstein schicken. Verhandlungen mit Festigkeit, Ruhe und Taktik führen. Nicht abreisen ohne Ziel völlig erreicht und möglichst weiter Etappisierung der umgewandelten N. Z. erreicht zu haben. Erbitte Vollzugsmeldung.« (»Münchener Post« vom 1. Oktober 1921.)

Nicke ist der Zahlmeister Ludwig Nicke aus der Kaulbachstraße, München. Er kam ins Gefängnis nach Breslau, weil er der Gruppe »Süd« 80000 Mark unterschlagen haben soll. Der Freiwillige Stefan hatte erzählt, daß er dem Kriminalkommissar Heinze in Neiße Mitteilungen über das Freikorps machen wollte. Dies wurde bekannt und deshalb sollte Stefan nach »Tiefstein« geschickt werden. Das bedeutete die Anweisung an die Abteilung »Friedrich« des Freikorps, den Stefan umzubringen. Der Ausdruck Tiefstein kommt daher, weil die Abteilung Friedrich ein früheres Mitglied Hochstein wegen Verrat erschossen hatte. Herr Ashton schickte natürlich der Münchener Post eine Berichtigung, welche all diese Dinge bestritt. (»Münchener Post«, 10. Oktober 1921. Die gesamten hier gebrachten Angaben stellen den Zustand von 1921 dar.)

Kessel wurde am 1. Oktober 1921 auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Breslau wegen Mordverdacht verhaftet, aber gleich darauf wieder entlassen. Am 23. Dezember 1921 wiederholte der Untersuchungsrichter beim Amtsgericht Breslau den Haftbefehl. Jetzt aber war Kessel natürlich längst über alle Berge.

Der Hauptmann Dr. Fritz Römer, ein sehr rühriges Mitglied des Freikorps Oberland, wurde zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte, um die Bundeskasse aufzufüllen, vorgeschlagen, ein nach Oberammergau fahrendes Fremdenauto zu überfallen. (»Berliner Tageblatt«, 12. September 1922.)

Ein Geheimschreiben der 25. Alarmkompagnie, Maschinengewehr-Sturmriege in München, das Verhaltungsmaßregeln für den Fall eines Rechtsputsches enthält, gibt interessante Einblicke in die dem Freikorps Oberland näherstehenden Kreise. Es heißt darin (»Freiheit«, 24. September 1921.): »Mit dem standrechtlichen Erschießen darf jetzt nicht mehr human verfahren werden, insbesondere müssen wir auf die Führer der republikanischen, sozialistischen und gewerkschaftlichen Organisationen unsere Späher wie auf das Wild hetzen ... Sozialistenführer und größere Schreier in der Wohnung gleich erschießen. Die Juden festnehmen und in den 4. Reserveplatz führen, wo sie samt und sonders gehenkt werden. Eher noch mit Sozialdemokraten Erbarmen haben, als mit Juden. Die Presse, mit Ausnahme der rechtsdemokratischen, nationalen und antisemitischen, ist sofort zu besetzen. Weigern sich Druckereiarbeiter für uns zu arbeiten, so sind die nächsten fünf zu erschießen und in den Druckereiräumen liegen zu lassen. Bei Sabotage an den Maschinen ist jeder sechste Mann zu erschießen. Straßenabsperrungen [138] müssen rücksichtslos durchgeführt werden. Wer trotz des Verbotes die Straße betritt, gleich ob Bürger oder Proletarier, wird erschossen.«

Die Affaire Dobner, der Ausgangspunkt zu einer Reihe von bayrischen Morden, zeigt, daß die Nationalisten auch bereit sind, vom Wort zur Tat überzugehen. Der frühere Reichswehrsoldat Dobner hatte erfahren, daß in Schloß Mirskofen Waffen versteckt waren. Er teilte dies durch Vermittlung des Polizeisekretärs Glaser (alias Seyfried) und des Polizeispitzels Bracher dem Oberleutnant und Tattersallbesitzer German Böhm (Polizeiname Pollinger) mit und erhielt hierfür 3000 Mark ausbezahlt. Im Auftrag Böhms sollte Dobner die Waffen den Studenten Schuster und Hermann Berchtold zeigen. In einem Auto Böhms, das Neunzer führte, wurde Dobner am 21. Oktober 1920 mit einem eisenbeschlagenen Stock auf den Kopf geschlagen und geknebelt. Die Studenten leuchteten mit einer Taschenlampe an ihm herum und sagten: »Der ist schon hin.« Der Chauffeur fragte: »Seid Ihr auch sicher, daß er schon tot ist?« Es gelang Dobner aus dem fahrenden Auto zu springen und zu entfliehen. Die Vermutung liegt nahe, daß man ihn beseitigen wollte, weil er das Waffenlager kannte. Im Prozeß wurde festgestellt, daß der Kaufmann Alfred Heller, Böhm und andere Angehörige der Polizei eine Waffenerwerbungskommission bildeten, welche die illegalen Waffenlager gegen Verrat (an das Reich, nicht etwa an die Entente) schützen sollten. Schuster und Berchtold wurden am 26. Januar 1921 zu je 250 Mark Geldstrafe verurteilt. Die Waffen, die einem Baron Fürstenberg gehörten, wurden gleich, nachdem die Sache publik war, weiter verschoben (Prozeßbericht in allen Münchener Zeitungen.)

Die Ermordung des Abgeordneten Gareis hängt eng mit der Affäre Dobner zusammen. Gareis hatte sich sehr für die Aufdeckung dieser Sache eingesetzt. Er kannte geheime Protokolle der Einwohnerwehren und ihre Waffenlager. Man befürchtete, daß er sie an das Reich verraten könnte. Der Abgeordnete Unterleitner stellte im Reichstag am 17. Juni 1921 die Behauptung auf, daß der Mörder der Münchener politischen Polizei nahestehe. Er nannte als beteiligt Alfred Heller, Bezirksführer der Einwohnerwehr, den bereits genannten Böhm und Glaser und die Studenten Schuster und Berchtold. Nach anderen Auffassungen ist Hans Schweighart, der vermutliche Mörder des Dienstmädchens Sandmeyer, auch der Mörder von Gareis. Die Untersuchung der Falles Gareis durch die Münchener Staatsanwaltschaft ist bisher vollkommen ergebnislos verlaufen.

Die Rolle der Münchener Polizei

Die Münchener Polizeidirektion unter Pöhner arbeitete mit dem Oberland zusammen. Die Verbindung wurde durch einen Leutnant Weil aufrecht erhalten. Zahlreiche Akten des Freikorps [139] Oberland gingen nach Zimmer 117 der Polizeidirektion, Referat 6a, politische Abteilung, Regierungsrat Frick. Auch ist der Verdacht geäußert worden, daß die Flucht der Mörder Erzbergers nach Ungarn mit Hilfe falscher Pässe bewerkstelligt wurde, die der Münchener Polizeipräsident Pöhner ausgestellt hat. Folgender Fall macht diese Vermutung wahrscheinlich. In einem Münchener Hotel wurde ein Kaufmann Hans Eickmann von einem Polizisten verhaftet, weil er zwei Pässe hatte. Als Eickmann dann dem Polizeipräsidenten vorgeführt wurde, sagte Pöhner: »Der eine Paß ist falsch, geben sie ihn sofort her. Ich habe den Herrn in einer politischen Sache nach Ungarn gesandt. Der Mann wird entlassen, führen Sie ihn aber nicht durch die politische Abteilung.« (Reichstag, 17. Juni 1921.)

Aller Wahrscheinlichkeit nach fällt die Ermordung der Sandmeyer, des Abgeordneten Gareis, das Attentat auf Auer, die Ermordung des Leutnant Schweighardt und des Spitzels Hartung auf das Konto des Freikorps Oberland oder von Kreisen, die ihm nahe stehen.

Bei alledem darf man sich nicht etwa vorstellen, daß in Bayern ständig eine bis zur Gluthitze gesteigerte politische Atmosphäre herrscht. Im Gegenteil, das offizielle Vertuschungssystem hat es mit sich gebracht, daß der Durchschnittsbürger von all diesen Vorgängen entweder überhaupt nichts erfährt oder sie als selbstverständlich betrachtet, ihre Erwähnungen aber als eine Berliner Hetze auffaßt. Denn die Presse, die abgesehen von den paar sozialistischen Organen politisch vollkommen rechts steht, auch wo sie sich demokratisch nennt, macht dieses Vertuschungssystem vollkommen mit.

Die Organisation »C«

Soweit Außenstehende dies zu beurteilen vermögen, scheint diejenige Organisation, in der die meisten Fäden zusammenlaufen, die Organisation »C« zu sein. Erwachsen ist sie ursprünglich aus einem Geheimbund der Garde-Kavallerie-Schützendivision. Heute stellt sie die direkte Fortsetzung der Brigade Ehrhardt dar. Ihr Name kommt daher, daß ihr Leiter, der frühere Kapitän Ehrhardt, innerhalb der Organisation den Namen Consul trug. Alle Mitglieder führen nämlich besondere Decknamen. Die Organisation zerfällt in eine Kampforganisation und eine Fehme. Die Fehme hat den Zweck, Persönlichkeiten, die sich den Zielen der Organisation widersetzen, zu bestrafen und unter Umständen zu ermorden. Ehrhardt hält sich gewöhnlich in Innsbruck auf, doch war er öfters auch in Budapest. Im Mai 1921 war er, obwohl steckbrieflich verfolgt, in Leipzig und traf dort mit Karl Tillessen zusammen. 1921 wurde aus der Organisation Consul der »Neudeutsche Bund«, ein gerichtlich eingetragener Verein, gegründet. Sein Leiter ist wiederum Kapitän Ehrhardt. (Vergl. »Berliner Tageblatt«, 19. August [140] 1922.) Zur Finanzierung wurde versucht, eine Ehrhardt-Bank zu gründen. Die Leiter des deutschen Konsortiums waren Eberhardt von Puttkamer und Emil Schäfer; einer der Angestellten der mit der Ermordung Rathenaus in Zusammenhang stehende ehemalige Kadett Ernst von Salomon (»Berliner Tageblatt«, 17. August 1922). Schäfer war früher in der Schweiz wegen einer Reihe von Schiebungen zu mehreren Jahren Zuchthaus und Landesverweisung verurteilt worden (»Freiheit«, 17. August 1922). An der Münchener Stelle der Organisation C arbeitet Müldner, Franz-Josef-Str. 3, der Oberamtmann Frick und der schon oben genannte Kriminalkommissar Glaser.

Die Organisation C hat nachweislich die Ermordung Erzbergers und Rathenaus und die Attentate auf Scheidemann und Harden durchgeführt.

Bei dem Studenten Günther, einem der Mitwisser des Rathenaumordes, der als Kurier der Organisation C zwischen Berlin und München hin- und herfuhr, wurden bei seiner Verhaftung zwei interessante Briefe entdeckt. Der eine ging vom Grafen Reventlow an den Dr. von Scheubner-Richter, München, Georgenstr. 42, der einen Wirtschaftsverband »Aufbau« leitet. Dieser dürfte die Verbindungsstelle zwischen den deutschen und russischen Monarchisten extremer Richtung darstellen. Der andere rührt von einem Mitarbeiter Reventlows, Petersen, her und ist an den Sanitätsrat Dr. Pittinger in München, den Nachfolger Escherichs bei den Einwohnerwehren, gerichtet. Die Briefe behandeln interne Differenzen zwischen den verschiedenen Organisationen und sind außerordentlich vorsichtig gehalten. (Vergl. »Vorwärts«, 9. Juli 1922.) Ludendorff wird darin mit Onkel Ludwig, Escherich als Onkel Emil bezeichnet. Man fand bei Günther auch einen Bericht über einen Besuch bei Herrn von Jagow in der Festung Gollnow und eine daran anschließende Münchener Reise. Herr Hemmeter, Nachfolger des Herrn v. Killinger in der Organisation C, teilte nach diesen Aufzeichnungen dem Günther mit, eine Wiederaufnahme des Jagowprozesses sei in München unerwünscht, weil man fürchte, Onkel Ludwig werde dabei vollends kompromittiert.

Wie man Mörder mietet

Am 3. Juli 1922 wurde Maximilian Harden in der Nähe seiner Wohnung im Grunewald von dem ehemaligen Leutnant Walter Ankermann und dem landwirtschaftlichen Beamten Herbert Weichhard aus Oldenburg überfallen und mit einer schweren Eisenstange niedergeschlagen. Harden wurde aus mehreren Wunden blutend von Passanten gefunden. »Nach der Festnahme Weichhards fand man in den Wohnungen der Beiden Stücke eines zerrissenen Telegramms, das auf Albert Wilhelm Grenz in Oldenburg als Anstifter hindeutete. Grenz und seine Frau wurden verhaftet. Nach anfänglichem Leugnen gestand er seine Beteiligung. Grenz vertreibt [141] antisemitische Schriften und ist Leiter und Vorsitzender der deutschvölkischen Organisation in Ostfriesland, ebenso Vorsitzender des deutschen Treubundes. In seiner Behausung wurde eine Liste aller deutschvölkischen Anhänger, die zu Taten bereit wären, und eine Liste der in Ostfriesland wohnenden Juden gefunden. Wie Grenz angab, erhielt er Anfang März einen anonymen Brief aus München, der die Aufforderung enthielt, zwei junge, tatenfrohe Männer zu suchen, die bereit seien, für ihr Vaterland alles zu tun. Ihre Sicherstellung werde erfolgen. Antwort umgehend unter A.W.G. 500, Hauptpostamt München. Grenz trat an Weichard heran, der sich sofort zur Tat bereit erklärte und kurz darauf mit Ankermann bei Grenz erschien. Nun schrieb Grenz an die angegebene Adresse nach München, er habe zwei brave deutsche Männer gefunden. Schon wenige Tage darauf kam aus München ein brieflicher Dank für Grenz und für die beiden Männer. Und die weitere Mitteilung, sofort nach Frankfurt a. M. zu fahren, wo unter A.W.G. 500 hauptpostlagernd weitere Nachricht für Grenz liege.

Diesem Verlangen kam Grenz nach; und bei seinem Eintreffen in Frankfurt a. M. lag dort ein Brief, in dem es heißt, daß zur Ausführung der Tat eine Summe beiliege, die entsprechend zu verteilen sei. Auch solle Grenz die beiden Leute förmlich verpflichten. Nach der Tat würde den beiden eine weitere Summe gezahlt werden, die die anliegende (es waren 23000 oder 25000 M.) erheblich übersteige. Außerdem wird beiden Leuten, wenn sie Wert darauf legen, durch Vermittlung Anstellung im bayerischen Staatsdienst in Aussicht gestellt. Ein beigefügter Zettel in Maschinenschrift enthielt nur die Worte »Maximilian Harden«. Ein anderer Zettel gab folgende Verhaltungsmaßregeln: »Keine Briefe und keine Telegramme senden, tunlichst Auto benutzen, nicht viel reden, alles auf die Sache Bezügliche vernichten, nach der Tat nach verschiedenen Himmelsrichtungen auseinandergehen.« Grenz fuhr nach Oldenburg zurück und benachrichtigte die beiden in Aussicht genommenen Täter. Er verpflichtete sie in seiner Wohnung durch Handschlag förmlich und machte sie darauf aufmerksam, daß den Verräter die gleiche Strafe treffen würde, die Maximilian Harden zugedacht sei. Ankermann erhielt 10000 Mark, Weichard 7000 bis 8000 Mark. Die beiden reisten ab, führten aber nicht, wie verabredet, noch Ende März oder Anfang April die Tat aus, trieben sich vielmehr zuerst in Berlin herum, besuchten Bars und schrieben erst nach der Ermordung Rathenaus an Grenz, daß trotz der ungünstigen Konjunktur das Geschäft binnen kurzem perfekt gemacht werde. Der Brief, der die Ermordung »spätestens Dienstag« melden sollte, lag in der Wohnung der Täter fertig. Hier sein Wortlaut: »Sehr geehrter Herr, wir teilen Ihnen hiermit höflichst mit, daß uns trotz ungünstigster Konjunktur der Geschäftsabschluß geglückt ist.

Wir sehen nunmehr Ihrem persönlichen schnellmöglichsten Kommen hierher entgegen und bitten höflichst und dringendst, alles [142] Nötige zur Aufrechterhaltung der einmal eingegangenen Geschäftsverbindungen in die Wege zu leiten und mitzubringen.

Nach dem jeweiligen Stand unserer Valuta halte ich baldmöglichstes Anbahnen der beabsichtigten Geschäftsverbindung mit der pp. Firma im Süden für unbedingt erforderlich. Ich verstehe darunter vorzugsweise die geplante baldigste Festanstellung unserer beiden Herren bei der pp. Firma, die ihnen ja auch vertragsmäßig in Aussicht gestellt ist. Für ihre und ihrer Familien Uebersiedlung ist naturgemäß Sorge zu tragen.

Gleichzeitig bitten wir, bei Einlösung der Devisen dafür Sorge tragen zu wollen, daß die vereinbarte Anzahlung auch die entstandenen Unkosten und Verpflichtungen decken kann, also mindestens sechzigtausend Mark. Wünschenswert wäre, wenn unser Chef sich dazu verstehen könnte, die Schuldsumme in Höhe von dreißigtausend Mark extra auszuwerfen, sodaß die Herren Agenten keine Einbuße des ihnen Zustehenden erleiden.

In der Hoffnung, daß unserem Bericht Ihrerseits der genügende Nachdruck verliehen wird, zeichnen wir mit ganz vorzüglicher Hochachtung
immer die Alten.

Da Ihnen unsere Anschrift bekannt ist, bitten wir, die Duplikatfrachtbriefe uns so schnell wie möglich zukommen zu lassen. Mündlich mehr.«

»Duplikatfrachtbriefe«: falsche Pässe und Prämien, »Firma im Süden«: Organisation »Consul«. Ankermann, einst Couleurstudent mit weißem Stürmer, dann Oberleutnant mit Eisernem Kreuz erster Klasse, Liebling und Kostgänger öffentlich umlaufender Mädchen, trat am Morgen nach dem völkisch-heldischen Versuch, von hinten, »ohne Risiko«, einem Wehrlosen den Schädel einzuschlagen, in das Berliner Büro der deutschnationalen Partei und fragte nach dem Herrn von Dryander. Nicht anwesend. Wer denn? Graf York. Zu diesem Grafen sprach der Herr Oberleutnant: »Ich habe gestern befehlsgemäß Harden erledigt, muß deshalb verschwinden und komme, mir Reisegeld zu holen.« Antwort: »Ich kann da nichts machen, glaube aber, daß wir Herrn von Dryander im Meister-Saal finden werden; kommen Sie mit.« Das bekundet Graf York; behauptet, in der Etage allein, drum außerstande zur Sistierung gewesen zu sein; die Meisterfalle habe Ankermann gerochen und sei ausgerückt. Die drei Herren blieben auf freiem Fuß.« (»Zukunft«, 8. Juli 1922.)

DIE ÖFFENTLICHE MEINUNG UND DIE MORDE

Die Nachwirkungen der politischen Morde

Während noch das Opfer zuckt, stimmt die Presse schon den entsprechenden Ton an. »Entsetzlich, entsetzlich« schreien »Lokalanzeiger«, »Zeit«, »Tägl. Rundschau«, »Deutsche Tageszeitung«, usw.: [143] »Wir mißbilligen politischen Mord von jeder Seite.« Doch schon ein leiser Unterton, der bald lauter und lauter wird: »Ja ist denn bewiesen, daß dies eine deutschnationale Tat ist?« Dick fließen die Krokodilstränen. Die Regierung erwacht für Minuten aus ihrer Lethargie: Scharfe Gesetze sollen die Republik schützen. Die Linken erheben laut Anklage gegen die Mörder. Da verstärkt sich der Unterton: »Wir sind gegen solche Ausschreitungen«, d. h. wir mißbilligen, daß man aufrichtig gegen den Mord ist, daß man eine Katze eine Katze und die deutschnationalen Geheimbündler Mörder nennt.

Die Mörder entkommen. Die großen Ueberschriften in den Zeitungen klingen ab. Die »Gesetze zum Schutz der Republik« werden von überzeugten Antirepublikanern ihren Zwecken leicht dienstbar gemacht. Die Zeitungen sprechen von den vom »kommunistischen Ausland« gedungenen Mördern: »Ein Deutscher kann so etwas nicht tun.«

Am interessantesten ist, was sich gleich nach dem Mord abspielt: Große Empörung im ganzen Land, besonders bei den Arbeitern, vereinzelt auch bei der Bourgeoisie. Als Protest gegen den Mord rufen die Arbeiterparteien entsprechend ihrer Einstellung zu Massenaktionen, Demonstrationsstreiks und Umzügen auf. Man weiß, daß bei besonnener Haltung der Polizei, insbesondere wenn man sie von der Straße vollkommen zurückzieht, infolge der großen Disziplin, die im allgemeinen bei den organisierten sozialistischen Parteien herrscht, eine solche Demonstration vollkommen ruhig ablaufen kann. Dies hat die Erfahrung in hunderten von Umzügen gezeigt. Aber ein solch ruhiger Verlauf liegt keineswegs im Interesse der Rechtsstehenden. Bezahlte agents provokateure, die durch Aufhetzung für Unruhe sorgen und provozierte Haltung der Polizei sorgen dafür, daß die Ruhe gestört wird. Es kommt zu einem Zusammenstoß der Menge mit der Polizei. Irgend woher fällt der berühmte erste Schuß. (Später kann nie festgestellt werden, von welcher Seite.) Rücksichtslos haut, schießt, schlägt, trampelt die gut organisierte Polizei auf die unbewaffnete Menge ein. Dutzende von toten Demonstranten, nicht etwa Polizisten, bedecken das Feld. Dies nimmt die Presse zu begründetem Anlaß, den fortwährenden Terror von Links, die Exzesse, nicht etwa der Polizei, sondern der Demonstranten, auf schärfste zu verurteilen, und zu schließen, daß die Demokratie, die Freiheit, die Verfassung bedroht sei — nicht etwa durch die Mörder, sondern durch die »von Hetzern sinnlos aufgepeitschten Arbeitermassen.« Diese Argumentation ist besonders wirkungsvoll, wenn die Arbeiter im Laufe der Demonstration irgendwelche Symbole des Kaisertums zerstört haben.

Bald ist die nötige Stimmung erreicht. Nicht die Mörder, die man bald vergißt, sind die Feinde der Republik, sondern die »Hetzer«, die zum ehrlichen Schutz der Republik riefen. Dann ist es nur gerecht, daß man die Mörder in Ruhe läßt und die Demonstranten einsperrt. Dieses Verfahren hat sich mit widerwärtiger Eintönigkeit [144] bei jedem der letzten politischen Morde wiederholt und ist beinahe empörender als die Morde selbst.

Die Haltung der deutschnationalen Presse

Nachdem allmählich die Erinnerung an den Rathenaumord verblaßt, geht die deutschnationale Presse wieder zum Angriff über. So hat die »Deutsche Zeitung« in Berlin, in der Nummer vom 3. August 1922 eine Liste von 276 angeblichen Morden von Links veröffentlicht. Diese Liste ist dann in vielen deutschnationalen Zeitungen nachgedruckt worden. Selbst wenn die Zahl 276 richtig wäre, wären demnach die politischen Morde von Links noch immer seltener als die von Rechts. Aber die Zusammenstellung entbehrt jeder Grundlage. Denn die »Deutsche Zeitung« hat alle diejenigen Kautelen gröblich verletzt, die bei der Statistik der politischen Morde zu beachten sind.

Zunächst sind in der Liste ca. 150 im Kampf Gefallene aufgenommen, ferner ist in keinem einzelnen Fall genau untersucht, ob überhaupt politische Motive dem betreffenden Mord zugrunde liegen. Endlich sind nur 38 Fällen die Namen angegeben. In ganz wenigen Fällen sind präzise Angaben aufgeführt über Ort und Tat, so daß eine Identifikation des betreffenden Falles möglich ist. In den meisten Fällen handelt es sich um leere Behauptungen, die überhaupt nicht nachprüfbar sind, wie z. B.: »Im März 1920 wurde im Ruhrgebiet ein Soldat aufs grausamste ermordet.« Dazu kommen noch eine ganze Reihe von Rechenfehlern, welche zeigen, daß die Arbeit in ganz oberflächlicher Weise durchgeführt wurde.

So heißt es in dieser Statistik:

Hier werden also einzeln 16 Soldaten und ein Offizier aufgezählt, die angeblich während der Märzvorgänge in Berlin ermordet wurden. Und dann werden 16 Soldaten und ein Offizier auf einmal aufgeführt, die in derselben Zeit und derselben Stadt ermordet wurden. Man ist zur Annahme gezwungen, daß hierbei einfach dieselben Fälle zweimal gezählt wurden.

Beim Märzaufstand 1921 führt der Verfasser 104 Bewohner Mitteldeutschlands ohne weitere Spezifikation als ermordet an. Auf Grund wessen soll man das glauben? Ein weiterer Beweis für die Ungenauigkeit dieser Statistik ist die Tatsache, daß sogar einige bekannte Fälle von Morden von Links fehlen.

Bei jeder Statistik ist es eine selbstverständliche Forderung, daß man die Quellen angibt, aus denen man geschöpft hat, sodaß eine Nachprüfung der betreffenden Angaben möglich ist. Da ich in meiner Naivität annahm, daß solche Grundlagen auch dem Artikel der »Deutschen Zeitung« zugrunde lagen, schrieb ich ihr einen höflichen Brief, in dem ich sie um diesbezügliche nähere Angaben bat — und habe natürlich niemals eine Antwort bekommen.

Zusammenfassend kann man also sagen, daß es sich bei der Liste der Deutschen Zeitung um eine ganz willkürliche Zusammenstellung handelt, der jede Beweiskraft fehlt.

Politische Differenzierung der Mordtechnik

Wie ist die ungeheure Differenz von 354 Morden von Rechts zu 22 von Links zu erklären? Falsch wäre es meines Erachtens ohne weiteres zu sagen: »Die Linken stehen eben moralisch höher.« Dies kann schon deswegen nicht geschlossen werden, weil ja hier nur eine einzige Verbrechensart untersucht wurde. So sind die Eigentumsverbrechen z. B. nicht in den Kreis der Betrachtung gezogen. Bei ihnen könnte man vielleicht vermuten, daß sie sich entsprechend der sozialen Struktur im linken Lager häufiger als im rechten finden. Freilich darf hierbei wiederum nicht vergessen werden, daß die Eigentumsverbrechen im Gegensatz zu den Verbrechen gegen das Leben auch eine soziale Komponente haben, daß sie durch die Tatsache der heutigen Eigentumsverteilung zum größten Teil selbst erzeugt werden. Und in einer Gesellschaftsordnung, die dem Einzelnen den Kampf ums Dasein erleichtert, sich sicher zahlenmäßig sehr vermindern würden. Daß aber auch die Eigentumsverbrechen, die von Rechts geschehen, keineswegs selten sind, ersieht man aus den zahlreichen Plünderungen und Ausraubungen der Leichen. So wurden von 184 in München tödlich »Verunglückten« in 68 Fällen die Leichen ausgeplündert.

Der wirkliche Unterschied zwischen den Parteien ist meines Erachtens kein moralischer, sondern ein technischer. Die Anhänger der Linksparteien sind durch Jahrzehnte gewerkschaftlicher Schulung [146] gegangen, die ihnen die Massenaktion als einzig wirksames Kampfmittel predigte. Denn der linken Bewegung liegt die materialistische Geschichtsauffassung zugrunde, welche die ökonomischen und technischen Momente als in der Geschichte wirkende Faktoren betont.

Bei der Rechten fehlt eine solche Gewerkschafts-Schulung. Ihr handelt es sich darum, die für sie durch die Worte »Ruhe und Ordnung« charakterisierte anarchische Wirtschaftsordnung aufrecht zu erhalten. Und diesem Ziel entsprechen individuelle Mittel, die in ihrer Wirkung der anarchistischen »Propaganda der Tat« identisch sind. Denn die Rechte ist Anhängerin der heroischen Geschichtsauffassung, wonach der Held die Geschichte »macht«. Entsprechend ist die Rechte geneigt zu hoffen, sie könne die linke Opposition, die getragen ist durch die Hoffnung auf eine radikal andere Wirtschaftsordnung, dadurch vernichten, daß sie die Führer beseitigt. Und sie hat es getan: Alle Führer der Linken, die sich offen dem Krieg entgegensetzten, zu denen die Arbeiterschaft Vertrauen hatte, Liebknecht, Rosa Luxemburg, Eisner, Landauer, Jogisches usw. sind tot. In neuerer Zeit geht man, wie die Attentate auf Erzberger, Auer, Scheidemann und Rathenau beweisen, auch dazu über, die Führer der gemäßigten Parteien zu ermorden.

Die Wirksamkeit dieser Technik für den Augenblick ist unbestreitbar. Die Linke hat keinen bedeutenden Führer mehr, keinen Menschen, von dem die Massen das Gefühl haben: Er hat soviel um uns gelitten, soviel für uns gewagt, daß wir ihm blindlings vertrauen können. Dadurch ist die Arbeiterbewegung zweifellos um Jahre zurückgeworfen. Der Erfolg ist um so größer, als in keinem Fall eine Bestrafung eingetreten ist.

Daß diese Methoden beim Militär (die ganzen Morde von rechts sind von Offizieren oder Soldaten begangen worden) eine solche Verbreitung fanden, liegt natürlich an der psychischen Verrohung durch den Krieg, wo das Leben des Einzelnen nichts mehr gelten durfte. Einen besonders großen Einfluß hatten in dieser Hinsicht die zahlreichen ausgesprochenen und unausgesprochenen Befehle, keine Gefangenen zu machen.

Politische Morde einst und jetzt

Auch die Gleichgültigkeit, mit der man heute in Deutschland den politischen Morden und den Opfern von turbulent verlaufenen Straßendemonstrationen gegenübersteht, ist nur durch die Tatsache zu erklären, daß der Krieg uns gegenüber dem Wert des Menschenlebens abgestumpft hat.

Die unglaubliche Milde des Gerichts ist den Tätern wohl bekannt. So unterscheiden sich die heutigen politischen Morde in Deutschland von den früher in anderen Ländern üblichen durch zwei Momente: Ihre Massenhaftigkeit und ihre Unbestraftheit. Früher gehörte zum politischen Mord immerhin eine gewisse Entschlußkraft. [147] Ein gewisser Heroismus war dabei nicht zu leugnen: Der Täter riskierte Leib und Leben. Flucht war nur unter außerordentlichen Mühen möglich. Heute riskiert der Täter gar nichts. Mächtige Organisationen mit ausgebreiteten Vertrauensleuten im ganzen Lande sichern ihm Unterkunft, Schutz und materielles Fortkommen. »Gutgesinnte« Beamte, Polizeipräsidenten geben falsche »richtige Papiere«, zur eventuell nötigen Auslandsreise. Diese Technik hat sich seit den Tagen des Oberleutnant Vogel sehr gehoben. Man lebt in den besten Hotels herrlich und in Freuden. Kurz, der politische Mord ist aus einer heroischen Tat zur alltäglichen Handlung, ja beinahe zu einer leichten Erwerbsquelle für »rasch entschlossene Käufer« geworden.

Die Mitschuld der Gerichte

Diese Zustände wären natürlich ohne die allerdings vielleicht unbewußte Mithilfe der Gerichte undenkbar. Man kann es sogar geographisch beweisen. Im Rheinland, im besetzten Gebiet, ist die Morddichte viel geringer, als im übrigen Reich. Man weiß, daß dort die Rheinland-Kommission nicht den Interessenstandpunkt der deutschen Richter teilen würde. (Wer in ihrem Land ähnliche Dinge vorkommen würden, so würde sie natürlich wahrscheinlich genau so urteilen.) Ein weiterer Beweis der unbewußten Mitschuld der Gerichte an den Morden liegt in der Tatsache, daß die wörtliche Aufforderung zur Ermordung namhafter Pazifisten keineswegs als Delikt angesehen wird. Einige Papiermark Strafe — und der Verbreiter der Aufforderung kann weiter die Saat des Hasses schüren. Am Tag nach der Ermordung Erzbergers stand im »Spandauer Tageblatt«: »Aufs Schaffott! Das zweite Opfer, Hello von Gerlach!« Der Autor, Lehmann, erhielt dafür von der Strafkammer des Landgerichts II 200 Mark Geldstrafe.

Diese meine These, daß die Milde der deutschen Gerichte eine Voraussetzung der politischen Morde ist, wird auch von den meisten rechtsradikalen Blättern vertreten. Häufig kann man dort Sätze lesen, wie: »Es ist schade, daß der Landesverräter Soundso (ein Pazifist, dem in strafrechtlicher Hinsicht nicht das Mindeste auch nur nachgesagt werden kann) nicht in Deutschland, sondern in einem andern Lande lebt. Dort kann ihn leider nicht wie Erzberger der Arm der strafenden Gerechtigkeit erreichen«. Man kann demnach einen politischen Gegner, der im Ausland wohnt, nicht ermorden, aber nicht etwa, weil es technisch unmöglich wäre (dies ist nicht der Fall) sondern weil man dort das Risiko trägt, bestraft zu werden.

Trotz dieser grauenhaften Tatsachen möchte ich die Behauptung, daß die deutschen Richter mit Bewußtsein das Recht beugen, nicht unbedingt bejahen. Sie lassen zwar über 300 Morde straflos ausgehen. Aber ich möchte für sie auf mildernde Umstände plaidieren. Es fehlt ihnen das Bewußtsein der Strafbarkeit ihrer Handlungen. [148] Aus der alten Zeit her, wo das heutige Wirtschaftssystem von äußeren Angriffen unbedingt geschützt war und wo die Anhänger der Rechtsparteien unbestritten die oberen Schichten bildeten, ist ihnen der Gedanke, daß aus dieser Kaste eine Reihe von Mördern und Mordanstiftern hervorgehen könne, unvorstellbar. Daher werden die Mörder freigesprochen.

Der größte Teil der öffentlichen Meinung stellt sich demgegenüber auf den von den zugrundeliegenden Interessen aus begreiflichen Standpunkt: »Roma locuta, causa finita«; die Gerichte haben die als Mörder Angeklagten freigesprochen. Sie sind unparteiisch. Die Sache ist erledigt. Nur ein geringer Teil protestierte und zwar im wesentlichen immer nur die Parteiangehörigen des jeweils Ermordeten. Diese Fiktion der Unparteilichkeit der deutschen Gerichte hat übrigens auch eine außenpolitische Ursache: Es soll gegenüber der Entente jeder Zweifel beseitigt werden, daß gegen die Kriegsverbrecher in Deutschland selbst gerechtermaßen eingeschritten wird.

Die Technik des Freispruchs

Die relativ wenigen Attentate gegen Reaktionäre sind so gut wie sämtlich durch schwere Strafe gesühnt, von den sehr zahlreichen Attentaten gegen Männer der Linken ist dagegen kein einziges gesühnt. Gutgläubigkeit, falsch verstandene Befehle, tatsächliche oder angebliche Verrücktheit waren hier immer Entschuldigungsgründe, soweit überhaupt ein Verfahren stattfand. Die meisten Verfahren werden von der Staatsanwaltschaft, die andern von den Strafkammern eingestellt.

Wenn der Mörder und der Verlauf der Tat genau bekannt ist, so entwickelt sich folgende juristische Komödie. Ein Offizier hat einen Befehl gegeben, der dahin aufgefaßt werden konnte, Spartakisten sind zu erschießen. Der Untergebene erschießt Menschen, die er für Spartakisten hält, und wird freigesprochen, weil er in dem Glauben sein könnte, auf Befehl zu handeln. Er wird also wegen »Putativspartakismus« freigesprochen. Genau wie seinerzeit der Leutnant Forster wegen Putativnotwehr. Gegen den Offizier wird aber nicht eingeschritten. Denn der Befehl hat entweder nicht so gelautet oder, wenn er so gelautet hat, dann war er eben kein Dienstbefehl. Der »Spartakist« ist natürlich tot. Schuld ist ... das Karnickel. So endet das Verfahren vor dem Staatsanwalt. Am interessantesten ist dieser Vorgang dann, wenn in einem gleichzeitig angestrengten Zivilprozeß der Fiskus wegen der durch einen Soldaten oder Offizier durchgeführten Ermordung zu Schadenersatz verurteilt wird. Denn dann ist es gerichtsnotorisch, daß die Tötung ungesetzlich war. Trotzdem geschieht nichts gegen die Täter.

Die öffentliche Meinung billigt im allgemeinen dies Verfahren. Denn eine geschickte Propaganda hat ihr beigebracht, jeder Feind [149] des Militarismus sei ein Spartakist, also ein Feind der Menschheit, also vogelfrei.

Wird ein Anhänger der linken Parteien von Rechts ermordet, so kann sich eben der Richter unwillkürlich nicht von der Vorstellung loslösen, daß der Ermordete sein Feind war, und schon durch seine Gesinnung eine schwere Strafe verdient hätte. Daß der Mörder eigentlich doch nur der strafenden Gerechtigkeit zuvorgekommen ist. Und schon deswegen mild zu behandeln ist. So kommt es häufig vor, daß bei der Gerichtsverhandlung nicht der Mörder, sondern der Ermordete moralisch vor dem Richter steht. Der Mörder aber gehört derselben sozialen Schicht, demselben Leben an wie der Richter. Unzählige soziale Bande verknüpfen den Mörder-Offizier mit dem Richter, der ihn freisprechen wird, dem Staatsanwalt, der das Verfahren einstellen wird, dem Zeugen, der den »Fluchtversuch« eingehend schildert. Sie sind Fleisch von einem Fleisch, Blut von einem Blut. Der Richter versteht ihre Sprache, ihr Fühlen, ihr Denken. Zart schwingt seine Seele unter der schweren Maske des Formalismus mit den Mördern mit. Der Mörder geht frei aus.

Wehe aber, wenn der Mörder links steht. Dem Richter, der selbst zu den früher auch offiziell »oberen« Klassen gehört, ist der Gedanke, daß diese Wirtschaftsordnung geschützt werden müsse, von altersher vertraut. Beruht doch auf ihr seine eigene Stellung. Und jeder Gegner dieser Wirtschaftsordnung ist an sich verwerflich. Der Angeklagte ist jeder Schandtat fähig. Und kann er auch nur annähernd überführt werden, so ist strengste Bestrafung sein sicheres Los.

Ich bin nicht optimistisch genug, um zu glauben, daß auf Grund meiner Arbeit auch nur einer der Mörder bestraft werden wird oder daß die politischen Morde aufhören. Sollte ich aber durch meine Zeilen dazu beigetragen haben, daß wenigstens die kommenden politischen Morde eine Sühne finden, so würde ich meine Aufgabe für erfüllt betrachten. [150]

Anmerkungen zur Transkription: Orignalschreibweisen wurden beibehalten.

Transcriber's Note: Original spelling variations have not been standardized.






End of Project Gutenberg's Vier Jahre Politischer Mord, by Emil Julius Gumbel

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