The Project Gutenberg EBook of Die Achatnen Kugeln, by Kasimir Edschmid

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Title: Die Achatnen Kugeln
       Roman

Author: Kasimir Edschmid

Release Date: March 27, 2012 [EBook #39277]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ACHATNEN KUGELN ***




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Cover

Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des Buches.

Die
Achatnen Kugeln

 

Roman

von

Kasimir Edschmid

 

 

 

 

 

 

Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin 1920

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1920 by Paul Cassirer, Berlin

 

 

 

Geschrieben Neunzehnhundertvierzehn bis Neunzehnhundertachtzehn

 

 

 

 

Gruß

an

René Schickele

 

 

 

Vorspiel

Nun stiegen sie schon die zweite Stufenreihe hinunter. Immer sahen sie auf der anderen Seite die schwarzen Schatten, die sich wie sie selbst bewegten.

Die Wasser rauschten langsam. Als sie die dritte Terrasse erreichten, kehrten sie um nach der anderen Seite, die schwarzen Schatten schwenkten und traten auf sie zu. Da kam aus dem See unten ein silberner Strahl, er glühte auf, Licht strömte die Neigung der Rasenterrasse herauf.

Das Schloß über ihnen schlug eine Mondflamme in den Himmel.

Zwei Herren traten zur Seite, die anderen bogen Halbkreise um die Gegner, die die Mäntel abwarfen und in weißen Samthosen, die Brust offen unter dem Hemd, sich gegenüberstanden. Ein flüsterndes Signal überklirrte das Metall. Aus dem dunklen Laubgang stöhnte ein Vogel. Ein Mann fiel um, den Säbel in der Gurgel, die Augen nach oben gebrochen.

Der andere warf sich aufs Knie. Schob mit dem Daumen die Lider des Liegenden probend herunter, sie schnellten wieder über die gläserne Pupille zurück und hefteten sich auf den Knauf des Degens, der ihn durch die Kehle auf das Rasenbeet kreuzigte. Da stand der andere auf, schüttelte die Haare. Das war vorbei.

Er sah sich um, empfand atmend die helle Nacht, die mächtig gewölbt war.

„Mein Herr . . .“ sagte der Sekundant des Gegners. Er deutete mit lockerem Handgelenk auf den Toten.

Der Marquis neigte den Kopf nach ihm. Was ihn erfüllte, verschwand. Die steife Gebärde des Todes löschte die Wut des Abenteuers. Er sah auf, die Seele nicht mehr zusammengezogen. Wie schien der Mond feurig und entflammte purpurrot die Zweige.

„Zaudern Sie nicht“ — flüsterte der Sekundant, „sofort zu begreifen, daß Sie im königlichen Garten sind. Jetzt noch zu leben, heißt nur bedingt und halb ein Lebender zu sein.“

Vaudreuil trat mit einer Verbeugung zurück. Ein spöttisches Lächeln kniff in seinen abwesenden Mund. Dann kam der Laubengang. Das Dunkel der Nacht saß darin, unaufgescheucht vom Licht. Die weißen Hermen glommen aus der blauen Dämmerung. Nun paradierte ihn die Wache.

Die Rondells mit den Fontänen waren beinahe rot, und die Tritone schäumten vor sich hin. Auf den Seiten verschwammen die Alleen flaumiger Dämmerung. Eine quecksilberne Säule stand das Schloß aufgerichtet neben ihm. Zwischen dem Schwung von zwei Koniferenästen zog sich der ganze Garten noch einmal zusammen. Dicht über dem tiefen Wasserspiegel am Ende der gesenkten Terrassen hing riesenhaft der Mond.

Im runden Ausschnitt der Tanne hing eine Spiegelung, wie aus Silber eine metallene Platte.

Nächte voll Schwärmerei und Lichtern hoben sich über dem Park, zogen rasch vorüber. Zuckende Frauenleiber sträubten sich vor ihm auf. Ein großer Ritt, der ihn mit Ruhm behängte, glitt durch die Luft, sein Bein hing blutend in der Bügelung. Ehrgeizige Spiele, sehr erleuchtete gläserne Säle . . . Teile des Gartens dampften, brachen auf, Nischen entlaubten sich, Gänge warden ohne Dunkel. Gab es nicht eine Frau?

Eine Frau, ohne Geheimnis am Körper, verlogenen reizlosen Hirnes, ohne Leidenschaft der Erfindung, gut für Lakaien. Dennoch schlug er sich heut um ihre roten Haare. Dies ist das Dasein. Er lächelte, als ob er die weiße Zofe in den Flieder herunterpfiff oder die Pikardin berührte, die bleich durch eine Laube in der Parkecke auf ihn wartete.

Das Bild brach ab.

Aus allen Bosketts flossen Blumenrüche. Eine Nachtigall jagte einen süßen wilden Schrei schlaftrunken ins Gebüsch.

Er sah ohne den Schleier der Spiegelung in den Park. Die Grimasse des Totengesichts, von seinem stählernen Witzwort in der Gurgel gefaßt, stak am Boden, bläkte ihn an. Das Schicksal riß durch sein Herz. Waren diese Terrassen nicht verbraucht bis zum Irrsinn, entblättert die Lauben beim dritten Knie schon, das er darin geöffnet. Blieb ohne die Erregung des eigenen Blutes, das sein Feuer zu fremden Abenteuern sich schuf, nichts übrig wie nackte Enttäuschung, schon oft Gelebtes, sinnlos Wiederholtes. Er zog den Degen an sich, fror am Eisen. Da sah der Marquis hinuntergleiten in den See, was ihn ausgefüllt hatte die Jahre. Die Herren, mit denen er soff und spielte und sich schlug, Damen daneben und Hunde, die an ihren Knieen wehmütig zitterten und leicht mit dem Kopf nickend ihn verließen. Dann trat das alles schon nicht mehr ihm zugehörig von der Neigung der letzten Rasenfälle in Berührung mit dem Wasser. Der Mond nahm es auf und bog es aus dem Park. Der Marquis sah zu, raffte sich auf, ohne Zorn, ohne Reue.

Als er sich aber umbog, überfiel ihn alles, und er krümmte sich vor Schmerz über den Abschied, so sehr hing sein Herz an der Erde, auch wenn sie verbraucht war.

Angst kam auf ihn, wenn er bleibe, daß er, eingekerkert in steinerne Mauern, keine Sonne mehr sehe. Wie liebte er die Freiheit.

Er machte zwei große Schritte, reckte sich steif, hoch, das Gesicht in Ruhe, ging überlegen und sicher . . . . wankte und zog den Mantel über den Kopf und weinte. „Nicht weinen Vaudreuil,“ rief er sein Herz an, stieß den Degen fluchend auf den Boden, biß in den Mantel, zerrte an dem Tuch, „was weinst du, Affe . . .“ Allein er konnte seinen Schmerz nicht kränken und schluchzte, als er, den Seitenflügel umschreitend, den großen Empfangshof betrat, der unter seinen Schritten leise aufscholl. Er blieb da stehen. Kein Garten stand mehr vor ihm. Das große Gebäude verdeckte ihm den Mond. Er hatte noch nie Abschied genommen.

In der Kehle ein Zittern riß ihm den Schmerz bis zu den Zehen. Dies flimmernde Weiß an den Rändern des Schlosses, die Pflastersteine, die der Mond blau schlug . . . er wollte sich daran halten, sein Herz klammerte sich an das Licht, an die Luft. Sie hielt nicht.

Lautlos, taumelnd ging er zum Tor. In weißen Samthosen, die Brust frei unter dem zerrauften Hemd. Die Wache trat vor, grüßte und grinste. Ein Soldat sprang in seinen Schatten und bog den Bauch in Verrenkungen hin und her. Sie hielten ihn für betrunken.

In der Dämmerung rannten die Pferde nach der Küste. Das zweite trug den Diener, das dritte Gepäck, Geldrollen, Hemden, Waffen.

Die Stirnen der Gäule wandten sich im Kreis, zuerst gegen Havre zur Täuschung, dann ganz herum gedreht nach Dieppe. Paris fiel zurück unberührt. Dann warfen sie die Gäule nach Westen, schoben eine südliche große Linie nach Rochelle. Als sie bogen, flammte die Sonne über Versailles. Tief im Süden sahen sie, rastend in einem Dorf, fern das Sommerschloß des Marquis. Er ritt davon weg. Dann von eigenwilligen Dämonen getrieben, ging die Fahrt im Zickzack. Eine Erhebung hinauf, schräg herunter . . . nach einer schweren Stunde waren sie wieder auf dem Hügel von der anderen Richtung her. Baptiste sagte kein Wort und folgte. Gegen Mittag fluchte der Marquis, sie jagten um einen See. Durch Schilf, über Wiesen mit Rehböcken, die spielten, ging es stundenlang. Baptiste zog die Riemen der Ledertaschen auf und zu. Am Mittag brachen sie aus Weidenunterholz und waren wieder an dem See. Der Marquis ließ die Gäule saufen, ritt rechts in ein Tal, sprang plötzlich wild über einen Gießbach und jagte zurück, an dem See vorbei in die Landschaft der Küste. Gegen Abend lahmte das Pferd. Baptiste stieg ab, massierte das Bein. Der Marquis stieg auf. Er ritt zweimal im Kreis, dann jagte er in den eigenen Spuren zurück. Gegen Abend kamen sie an den Hügel, später durch das Dorf. Die Sonne ging unter. Links lag das Sommerschloß. Sie ritten direkt darauf zu. Sanft stiegen über die Mauern die hellen Bogen der Springbrunnen. Aus der einstöckigen Front schimmerten die vielen bis zum Boden gesenkten Fenster. Die Kieswege, angelegt für die Zärtlichkeit von Frauenschenkeln, lagen träumerisch im Schein des südlichen Abends. Der Marquis ließ Baptiste vorreiten. Er ritt in den Bügeln stehend, die Mauer war hoch. Sie hielten nicht an, sprengten am Ende die Mauer wieder zurück, dann hatte der Marquis ein Messer verloren. Sie fanden es nicht. Sie ritten hinunter, dann in die Nacht, die anfing. Die Pferde liefen wie die Teufel.

Das Meer kam, vom Wind geschlagen. Nebel klatschten graue Wellen über die Küste. Der Segler lag weit draußen und löste die Anker. Matrosen warfen die Mantelsäcke in die Barke, griffen zu den Rudern. Vaudreuil sprang hinein. Der Steuermann stieß das eine Bein gegen den Pflock, sah auf. Oben stand Baptiste. Der Marquis erbleichte. Der Diener stand schlaff. Dann trat er einen Schritt zurück.

„Zwölf Jahre waren Sie bei mir . . . hielt ich Sie nicht wie einen Pagen . . .?“

Der Marquis stand aufgerichtet im Boot, das schwankte unter krachenden Wellen. Aber der Diener ballte die Faust, wies auf das Meer, das sich dunkel donnernd zusammenballte! „Bin ich ein Hund, daß Sie mich mitreißen auch da hinaus . . . zwölf Jahre habe ich Bügel gehalten, vor Frauenhäusern gelauert . . .“, er röchelte und verzerrte sein Gesicht vor Haß.

Da stieg dem Marquis das Grauenvolle des Abschieds bitter in die Kehle wie kein Schmerz. Einen Augenblick hob er wie bittend die Hand. Als er von diesem letzten schlechten Stück sich riß, versagte sein Herz, daß er es demütigte. Er bat eine Sekunde. Dann warf der Wind ihm die Haare über das Gesicht.

„Bleiben Sie ruhig,“ sagte er, „behalten Sie die Pferde. Gehen Sie zurück nach Versailles.“ Er schrie, denn die Flut machte die Luft voll unruhigem Geräusch. Das Boot schoß los, sauste eine grüne Welle hinunter. Der Marquis nickte vom Rücken der nächsten dem Diener zu.

Der Segler rollte auf hohen Wellen. Der Marquis sah zurück. Auf dem erhöhten Hügel der Mole lag Baptiste, das Gesicht stumm gegen den Herrn gerichtet, der ihn verließ. Nebel kamen, verwirrten. Lösten sich und immer brach sein Bild, auf den Knieen, die Arme verkreuzt, durch den Wasserstaub.

„Wie feig er ist“, sagte der Marquis, „und doch wie groß seine Sehnsucht.“ Da begann Baptiste zu schreien, als die Barke an den Segler rollte, die Arme in die Luft zu stoßen, sein Haß und das Schmierige stritten mit dem guten Gefühl. Vaudreuil litt mit dem Niederen. Aber er empfand seine Stärke mehr zu leiden mit schmerzlichster Beschwingung. Die Tiefe der Erschütterung gab ihm ungeahnte Kraft.

Taue klatschten aufs Wasser. Dreimal schoß eine breite Woge zwischen die Fregatte und sie, teilte sie. Dann faßte Vaudreuil die Schlinge. Wie ein Affe erkletterte er das Verdeck. Matrosenhände erfaßten seine nasse Taille, schoben ihn herein. Das Schiff hatte sich weiß beflaggt, bog sich und rauschte. Er sah die Küste nicht mehr. Möven lagen auf den Wellenspitzen. Dann kamen Tage, wo die Sonne nur da war, der Himmel sich seidig zusammenzog. Er sog den Geruch des Meeres ein, schaute auf das Spielen von Welle mit Welle, der letzte Strich des Horizontes gab seinem Gefühl die ruhig sich schaukelnde Sicherheit der Ruhe und des Glückes.

Am fünften Tag wurden die Segel gerefft, ein Sturm legte die Fregatte auf die andere Seite, stieß ein Leck in den Speicher. Seekrank lag Vaudreuil auf einem Haufen Taue in seiner Kabine. Sein Magen spie über Bett und Tisch. Sein Geist litt unter der Beschmutzung seiner Kleider. Sein kraftloser Körper, den nur einmal in Barbizon nach einer ausschweifenden Woche mit Lilotte, der Tänzerin des Dauphin, ein Purgier mit Schweiß befreite, litt unter der Ohnmacht und stemmte sich mit Wut dagegen. Aber die Dauer des Zustandes führte ihn in die Überwindung. Ohne Zorn fand er sich darein, daß seine Kabine stank wie ein Stall, daß er tagelang kotzte. Als er geduldig ward, befreiten ihn helle Tage. Die Angel lag auf dem spiegeligen Wasser. Matrosen saßen in den Takelungen. Mit weiß knatternden Spitzen schlug das Meer gegen den blau aufbrechenden Horizont. Er fing Germanen, köpfte sie, warf die Körper den Kabeljaus zum Fressen hinunter, briet die Köpfe. Nie aß er früher so weißes Fleisch. Erfinderisch geworden in der Ruhe, erfand er neue Speisen. Er röstete Flossen, briet Herzen. Der Tag ward ihm phantastisch, spielend überwand er die Melancholie der Abende.

Das Schiff wendete. Die Segel klatschten, standen dick voll Wind. Matrosen liefen mit Haken und Büchsen nach Backbord. Da stand am Horizont ein Schiff in der Form saletanischer Piraten, das braune Segelzeug schoß scharf drachenhoch vor dem Gelb. Der Kapitän schrie. Aus den Verstauräumen kamen Kanonen angeschleppt, die sonst das Gleichgewicht des Schiffs gegen den Wind stärkten. Da brauste es aus dem Sprachrohr des Drachenschiffs: „Vila“.

Da begannen die Matrosen zu grinsen, einer sang. Sie zogen die Hemden aus und winkten in ihren bronzenen Brüsten hell zwischen den Leinen und dem blühenden Himmel. Denn das Schiff war gascognisch. Vaudreuil blies die Backen auf und ging hin und her den Abend.

Zwischen zwei Felsen fuhren sie in den St. Lorenz. Die Wände standen wie Pyramiden. Schwärme langgehalster Vögel hoben sich, zogen endlose Spiralen immer höher und schrieen. Morgens booteten sie aus nach Quibek. Vaudreuil ging sofort zum Fort. Die Straße war kotig. Mit schmutzigen Schuhen und Strümpfen kam er, nach Tang riechend, an die Palisaden und nannte seinen Namen.

Abends erschien der Kommandant zum Bankett. Er hatte den ganzen Mittag die Finger seiner Hände hin und zurück gezählt, um nicht sofort hinzulaufen. Jedoch der Drang seiner Würde war größer als seine Neugier. Auf Vaudreuils anderer Seite saß der Bischof in violettblauer Sutane. Ihre Fragen umzingelten ihn, faßten ihn von immer neuen Seiten. Sie schlürften jedes Wort. Der Geruch Europas war noch an ihm. Sie hielten sich gerade, aßen mit Bewegungen, die ihren Namen entsprachen, wenn auch ihre Stoffe derb waren, ihre Schuhe aus Rindsleder, das roch. Er gab, was er wußte, vom Hof, den Städten, den Frauen, teilnahmslos, halb Gelöschtes aus seinem Gedächtnis. Der Bischof riß einen Fisch mit beiden Händen am Schwanz auseinander und frug: „Was planen Sie hier?“ Aber Vaudreuil zuckte die Schultern. Sie wurden verlegen. Der Kommandant trank rasch. Der Bischof leckte an seinen fetten Fingern. Sie schwiegen eine Zeitlang.

Beim Dessert verloren sie ihre Haltung. Vaudreuil kam beim Pharao in Verlust. Als sie zwei Rollen Louis gewonnen hatten, wurden sie höflicher vor seinen Mitteln. Um vier begannen sie, gebranntes Wasser zu saufen. Boys brachten Kübel. Um fünf saßen sie hinter den Karten. Vaudreuil hielt Bank, gewann zurück. Ein Fähnrich kam in Verlust, man verweigerte seine Bons. Er hockte sich in die Ecke, schrie: Germaine . . . sah nur Waden, beschrieb sie mit dem Finger, leckte das Maul. Ein Offizier fiel um wie vom Schlag gerührt. Der Kommandant zuckte die Achseln: „Er liebt, seinen Gewinst festzuhalten.“ Seine Hand schrieb eine Anweisung, die er rotglühenden Auges Vaudreuil hinüberreichte. Sie machten eine Pause, aßen kleine scharfe Fische.

Der Bischof hob den Arm. Schwenkte den andern auf, hob sie und senkte sie heftig, bis der Apparat rauschte, seine blecherne Stimme anfing zu singen. „Fettes Schwein“, sagte der Kommandant und schlug im Takt die Fäuste auf den Tisch. Ein Hauptmann taufte einen Eingeborenen. Das Zimmer dick vor Rauch.

Sie kehrten zurück zu den Karten. Die Sonne stand draußen. Der Bischof setzte die Sutane. Verlor. Der zweite Fähnrich begann ihn sofort zu entkleiden, wollte ihn als Adam durch den Morgen führen. Der Bischof quietschte mit Faseltönen, flatterte mit den Händen, umwirbelt von Dampf. Er stank aus jeder Pore. Dann weinte er und psalmodierte eine Beichte. Der Kommandant bog sich von seinem Stuhl, fiel krachend zurück in die Lehne, beugte sich wieder, krampfte die Arme über den Bauch und bekam das Maul nicht zu vor Geheul. Vaudreuil ging hinaus.

An der Palisade erreichten ihn Schreie. Die Fähnriche brachten die Sutane geschleift. Am Fenster hing der Mondbauch des nackten Bischofs. Eine Hand hob sich über ihm, klatschte auf feine fette Schulter. Des Bischofs Arme zeterten herunter, er wand sich. Seine Schinken hingen zum Fenster heraus. „Also doch . . .“ Vaudreuil bot Ohrfeigen mit, der flachen Hand. Sie zogen. „Germaine“, brüllte der eine und fuchtelte in der Luft. Vaudreuil schonte ihn, wandt sich zum anderen, der stieß ihm, schmalnasig und hager, im selben Augenblick leicht in die Achsel, warf seinen Degen weg, salutierte mit der Hand. „Es hätte auch die Kehle sein können.“ Vaudreuil packte die Sutane mit den Fingerspitzen, trug sie hinaus. In der Mitte des Zimmers lag ein Haufen Fett, das den Himmel vertrat, vor dessen Umarmung jede trübe Zofe flöhe. Er legte den blauen Rock auf den Haufen.

Den Rückweg verlegte der Kommandant an den Palisaden. „Den Degen.“ Der Fähnrich, zwölf Soldaten hinter ihm. Vaudreuil lachte, denn seine Stimme lallte und überschlug sich vor Besäufung. Er richtete die Spitze des Degens nach hinten, ging so auf die Wache zu. Sein Lachen steckte an. Zuerst prustete ein Soldat. Dann lachten sie alle, schlugen sich auf die Schultern, auf den Bauch, ohrfeigten sich, begannen eine Prügelei. Der Fähnrich zog ein Lächeln um den dünnen Mund und salutierte. Der Kommandant, Sergeant an Wuchs, donnerte wütend, die Soldaten johlten weiter. Der Kommandant torkelte einem an den Hals, umarmte ihn, fiel um, ward aufgehoben, schlug sich den Bauch vor Lachen. Er kommandierte die Wache zum Salutieren, es geschah unter Schwanken. Arm in Arm mit Vaudreuil verließ er das Fort.

An der Ecke blieb er stehen, stampfte auf, um fest zu stehen. „Ich muß Sie verhaften, ohne Zweifel.“ Er stemmte sich mit dem Rücken gegen ein Haus, rülpste Gelächter. „Ich warte bis zum Abend.“ Sie zogen durch die Kneipen. In der dritten entlieh er eine Rolle Louis. Vaudreuil schlug sie ab. Es gab einen Skandal. Mitten in der Szene vergaß er es wieder, versprach Vaudreuil Weiber, frug nach Paris, schlief schnarchend ein. Die Nase fiel auf den Tisch, begann zu bluten. Eine Rinne lief ganz langsam über die Platte, schwenkte nach rechts, lief nach links. Vaudreuil blieb sitzen, bis es ihn erreichte. Dann stand er auf.

Am Bootshaus lag sein Gepäck. Vor der Mole schaukelte ein großes Segelboot. Wohin? Nach Montreal. Er erklomm das Schiff an der Seite, wo Männer loteten; setzte sich unter ein Sonnensegel, zog ein Buch aus der Manteltasche, begann zu lesen. Die Eingeborenen sangen vor sich hin, indem sie die Segel besorgten. In der Stille verengte sich der Fluß, das Meer blieb stürmisch mit schlagenden Wellen zurück.

Plötzlich stand ein Mann vor ihm, sprach ihn an, verdrehte die Augen, schnitt Fratzen und bog die Nase nach oben. Zuckte mit den Achseln und zwitscherte wie ein Vogel. Öffnete die Hand, schloß die Hand, verkrümmte sich und blinzelte. Wandt sich von Vaudreuil, der weiter las, nach der anderen Seite der Bank, verneigte sich, schwang die Arme nach hinten. Da saß ein Offizier mit einem Orden, winkte mit der Hand, das Individuum verschwand unter den Fäusten der Matrosen. Vaudreuil sah auf, beugte sich etwas gegen den Offizier. Der erhob sich: „Courbisson“, der Gouverneur. Vaudreuil blinzelte, schob den Mund schief, begann weiterzulesen. Die Adlernase kam im Bogen, hing vor ihm, schnitt die Luft:

„Sie brachen heute mein Gesetz.“

„Es waren Schweine. Soll dieser Irrtum . . .“

„Haben Sie zu verlieren?“

„Das Leben.“

„Sie wissen es einzusetzen.“

„Der Ehre halber.“

„Das genügt nicht. Bei diesen Menschen bedarf es mehr.“

„Ich bin am Ende. Sah den Arsch des Bischofs die erste Nacht.“

Der Gouverneur griff an seinen Hut, grüßte, die Matrosen begannen zu schreien. Baumstämme kamen angeschwommen, sie halsten, bogen aus, im Schwung umschwebte sie eine betäubende Insel. Der Gouverneur strich den Knauf, aus dem ein Löwe in die Luft biß.

„Ich bitte um zwei Fragen . . . haben Sie Mittel?“

„Die Diskretion der ersten läßt mich auf die zweite verzichten.“

„Ich rede in einer dringlichen Sache meines Herzens geschäftlich,“ der Gouverneur verneigte sich. Ein Haar breit.

„Ich habe keine Geschäfte.“

Da stieß der Gouverneur einen Fluch in die schmalen Lippen. Vaudreuil machte eine unwillkürliche Bewegung. „Nein“, sagte der Gouverneur, lächelte zerstreut, gewinnend, Unruhe wölkte seine Stirn. Da legte Vaudreuil sein Buch hin, kam ihm entgegen: „Verhandeln wir.“

Courbisson errötete gegen die grauen Schläfen, begann sofort mit Charme zu reden. Vaudreuil sah ihn aus aufgerissenen Augen an. Beim zweiten Satze des Gouverneurs schlief er ein.

Als er erwachte, war es hoch im Mittag. Er war allein. Die Ketten rasselten, die Segel hingen eingerefft, gebunden, der Anker hielt. Eine Landschaft kam mit Wiesen heruntergespielt zum Fluß. Er sah große Fasane, stieg aus zur Jagd. Die Nacht brach er durch Büsche auf dem Rückwege, fand ein Blockhaus. Auf Heu schlief er. Morgens lockten die Stimmen der Tiere sein Blut, er bestieg das Schiff nicht, blieb acht Tage, streifte, jagte, brach in das Dickicht, das ihn schluckte, einsog.

Am neunten Tage trieb er ein Boot auf, fuhr langsam hinunter nach Montreal, kaufte fischenden Matrosen ihre Kleider für die Jagd, trat in ein Blockhaus, spreizte die Beine, warf den Kopf zurück und zeigte eine Landkarte, fixierte ein Stück mit dem Blei am Ufer. Hinter dem Tisch der breite Mann zog den Spitzbart. Vaudreuil sah in die Luft. „Das Stück ist zehn Klafter breit,“ sagte der Verkäufer. Vaudreuil zuckte die Achseln. Der andere zog die Lippen nach vorn, schrieb, Vaudreuil zahlte eine halbe Goldrolle, drehte um. An der Tür zögerte er kurz, ging hinaus, kehrte nach zehn Schritten um, zirkelte zu dem Flußgebiet, das er gekauft hatte, das ganze Hinterland dazu, sah fragend auf. Der Verkäufer grinste und schrieb ihm den Urwald noch dazu.

Er mietete ein Rudel Gesindel, fuhr mit ihnen hinauf, ließ Hütten bauen. Bald kamen Eingeborene. Mit Negern, die er kaufte, gründete er den Kral. Dann warf er das Geld gegen den Urwald. Ein wütender Kampf bellte auf. Der Wald wucherte mit Sumpf und Pflanzen gegen ihn auf. Tag um Tag fraß seine Horde sich in den Wald. Er wirbelte die Äxte hinein, schnitt mit Feuer Lücken, brach Boden auf Boden ab. Er umzingelte mit einer Gasse, die die Kerle schlugen, die dicksten Plätze, hungerte sie aus, verwüstete sie, ging zurück, brach vor. Die Sklaven starben an Fiebern. Er schaffte neue Scharen, trieb sie gegen den Wald. Ordnete kleine Gruppen, fiel von den Seiten, vom Rücken gegen das nie angegriffene Urstück. Tiere jagten nachts heraus. Ein Löwe sprang durch das Dach seines Hauses. Er gab nicht nach. Fauchend mit den Stimmen seiner Tiere wich der Wald zurück. Nun sogen Weiden das Wasser aus den modrigen Ufern. Pflüge rissen in das Herz des Landes. Ochsenwagen zogen nach dem Strom, warfen das Holz in die Boote, nahmen Saat zurück. Meer von Weizen schlug in schönen Wellen gegen den Wald. Herden suchten morgens, Boden schlagend, den Strom. Das erste Boot fuhr nach Quibeck. Zehn folgten. Seine Wolle fuhr über das Meer. Schon war der Wald eine ferne Linie am Horizont. In Tonnen und Schuppen stapelten die großen Fischzüge. Er legte einen Gürtel Ablagerungshäuser an. Eines Nachts flog ein Vogel vom anderen Ufer herüber, seine Flügel hatten eine grüne Färbung. Als er am Giebel saß, begann das Dach zu brennen. Es war der dreizehnte Schuppen. Vaudreuil ritt zum Inspizieren. Er fand nichts. Nach drei Tagen ritt er denselben Weg, ließ es wieder aufbauen. Nach einem halben Jahr kam er an einen Zug, der Tonnen Fische hinunterschleifte. Er sprach mit dem Führer, sie bogen um eine Waldecke, da nahte ein Zug, es kam eine Prozession. Vaudreuil stieg ein wenig in den Bügeln, kniff die Augen. Dann führte er seine Leute zurück, in einem Hohlweg mit steilen Wänden ließ er eine Tonne leeren, ritt weiter ein Stück, dann wieder zurück. Sie erreichten den Weg, als die Läufer der Prozession auf den Fischen ausglitten. Sie fielen auf Rücken und Bauch, streckten die Beine hoch, die Zungen heraus, rauften sich an den Haaren. Die dicken Priester fielen auf den Hintern und rutschten auf den Fischbäuchen die glatte Bahn herunter. Geschoß kam auf Geschoß. Den Bischof warf sein Esel ab, er flutschte vorüber, schlug mit den Armen wie ein Häher. Vaudreuil zog weiter. Zwei Wochen darauf klopfte es nachts an sein Haus.

„Woher?“

„Quibeck“.

Sie machten dem Fremden ein Lager im Flur und lauerten im Halbschlaf mit schrägen Augen, daß er nichts unternehme. Am Morgen ging Vaudreuil über die Diele. Da stand der Fremde auf, griff in die Mantelbrust und reichte ihm ein Papier. „Ich will es quittieren“, sagte Vaudreuil, kramte in Papieren, sandte dem Bischof für die Exkommunizierung eine Verschreibung von seiner eigenen Hand. Sie ging auf eine violettblaue Sutane. War vor sechs Jahren ausgestellt.

Vaudreuil badete, salbte sich ein Stück, zog Strohsandalen unter die Schuhe, es war Abend. Ging langsam zum Fluß, nahm ein Paddelboot, fuhr ab, legte, als der Flußwinkel überfahren war, an im Gebüsch, kehrte zurück, trat hinter einem Baum heraus mit einer Peitsche und verhieb Neger, die im Garten tanzten und seine Hüte trugen, entließ den Aufseher, der in der Küche sich Pasteten buk. Dann ging er über die Äcker zwei Stunden, bis er Wald erreichte. Eine halbe Stunde lang suchte er, die Nase wie ein Hund geneigt. Er fand einen Pfad, folgte ihm bis gegen Morgen. Dann schlief er ein wenig, lief den ganzen Tag weiter ins Innere. Es wurde Nacht, er roch Feuer, schlich sich heran, wartete eine Stunde, schnitt mit dem Messer Gestrüpp, verknotete Schlingpflanzen durch, machte einen Bogen, schaffte bis Mitternacht. Dann kam er an den Rücken eines Schattens, hob ein Tuch, war in einem Zelt, zündete ein Schwefelholz an, hielt es mitten in den Raum. Zehn Frauen saßen auf Fellen und schliefen. Eine stand auf, schlanker als die anderen, blies das Licht aus. Er nahm sie auf den Arm, trug sie durch das Lager in den Wald, das Kupfer ihrer Haut glänzte unter der Dunkelheit der Zweige. Sie kamen an sein Boot zum Fluß. „Naimi“, flüsterte sie. Ihre Augen der zahmen Antilope stellten sich in Rausch schräg gegen die Wipfel, die über den Mondwellen hingen. Das Rindenboot glitt unter Ästen mit singenden Vögeln. Ihre Haut roch nach ihren Speisen, nach Wildbret und Beeren. Er strich ihre junge Brust hoch. „Perlen“, sie lachte gegen die Hand, band sie in die blauschwarzen Haare. „Wie lange?“ Er zuckte die Achseln. Ihr aus den flimmernden Schatten des Waldes heraus geformter goldbraun geschwungener Leib zitterte. Sie hob das Gesicht über den Rand. Da sah sie in den Mondwellen die Perlen, warf sich nach vorn in die Knie, herüber zu ihm, den Kopf auf seine Hände, die Zunge fuhr über seine Brauen, die sich im Dreieck zur Stirne spannten. Er weckte sie aus dem Schlaf: „Naimi“. Sie forschte erschreckt in seinen Augen; als sie Liebe sah, begann ihre Haut sich zu färben. Sie banden das Boot an. Die Sonne ging über sie. Manchmal erhob sie sich, sah scheu nach ihm hinüber. Am Abend fuhren sie weiter. Das Rindenboot schlürfte am Ufer hin im leisen Takt des Stroms. Der Mond brach weich aus allen Ästen. Ihre Brust war fruchtreif und klein, sie flüsterte, erschreckt. Er sah sie an. Sie schlief ein. Sie näherten sich seiner Ansiedlung gegen Morgen. Als sie erwachte, ihn erblickte, war ihr noch munter. Später hieb er ihr gegen die Schenkel. Sie sah seine Stirn, erbleichte, knackte zusammen. Beim Aussteigen drehte sie sich einmal noch um, ihr schmales Gesicht sah ohne Ausdruck nach ihm. Dann sprang sie in den Wald. Er trieb allein gegen sein Haus.

Er kam in seine Faktorei, kontrollierte das Schreiben der Aufladung. Da trat ein Herr herein, grau an den Schläfen. Er ging ein wenig gebückt. „Ich treffe Sie doch in Geschäften“, lächelte dünn. Vaudreuil verbeugte sich wortlos: „Courbisson“. Der Gouverneur nahm Vaudreuils Arm, sie gingen durch den Garten, das Haus, die Anlagen, ritten den Strom herauf, vorbei an den Ausladehäusern. Sie gingen um die Schuppen, Courbisson prüfte mit der schmalen Hand die Maiskolben, den Weizen. Er hob die Hand, beschattete das Auge, blickte ins Innere. Er beugte sich noch tiefer: „Sie wissen nicht, daß ich das, was hier geleistet, von Ihnen wollte, als wir das erstemal uns trafen. Dies alles war meine Absicht.“ Er fuhr mit der Hand im Kreis herum. Dann nahm er wieder Vaudreuils Hand, er blieb bis zum Abend. Nach Tisch schlief er. Sie tranken Kaffee und spielten. Gegen die Dämmerung redeten sie monoton, einfach. Als es dunkel war, brachte Vaudreuil ihn zu seinem Schiff. Sie waren noch im Garten, und eine Kröte sprang schwerfällig über den Schuh des Gouverneurs. Er stand steifer: „Der Krach mit dem Bischof stellt alles in den Einsatz.“ „Ich weiß“, sagte Vaudreuil. Der Gouverneur ging weiter. Von einem Baum knallte eine Frucht. Das Kinn des Gouverneurs berührte einen Augenblick die Brust. Dann hoben sich seine Achseln, er atmete tief. Am Schiff gab er ihm die Hand: „Besuchen sie mich.“ Vaudreuils Brust hob sich hoch, senkte sich.

Am Morgen torkelten über die Felder eine Schar Weiber, kamen in die Umzäunung. Unter dem Schmutz erschien ihre weiße Haut. Sie kamen halbverhungert aus den Wäldern, wo sie breitschenkligen Huronen nachgelaufen waren, verlangten nach Essen. Sie waren derb und saftig, ihre Kleider von Dornen zerfetzt, manche fast nackt. Die meisten waren betrunken, schimpften vor sich hin. Er ließ sie hinaustreiben: Ein Neger erschien mit einem Seil, das ein anderer faßte. Eine nahm ein Federmesser und stach es ihm nach der Hüfte. Vaudreuil kam selbst heraus, langsam die Treppe herunter. Ließ die Sau auf einen Stuhl schnallen, schlagen. Die Neger rissen die Röcke hoch, schlugen ihr die Haut zu Striemen. Sie brüllte eine Weile. Dann ward sie still, verkroch sich in ihren Körper wie in eine fremde Hülle. Als sie losgebunden ging, öffnete sie den Mund, sang. Ihre Stimme war angenehm, nicht mehr rauh. Das Lied war von den Vorstädten von Paris. Vaudreuil ging die Treppe hinauf, er hatte sie im Rücken. Sie riß das Palais Royal vor ihm auf. Er biß die Lippen, aber er drehte nicht um. Sie hatte einen roten Strumpf. Dies verließ ihn nicht.

Im Sommer kamen die Meerwölfe ans Ufer, schlichen hinauf und schliefen. Sie fuhren mit ein paar Schiffen hinunter, kamen in der Dämmerung an, beschlichen die Plätze in der Frühe, hoben Gruben aus, versteckten sich, warteten. Als die Sonne heiß ward, pfiffen sie, sprangen heraus, liefen nach dem Strand und schnitten den Tieren den Rückweg ab. Dann schlugen sie sie mit Knüppeln tot. Die Tiere gaben kleine Pfiffe, wehrten sich in schnappigen Sprüngen mit dem Maul über die Luft rasierend. Müde von der Jagd ritt Vaudreuil in die Stadt, suchte ein schlichtes Haus, trat hinein zu Courbisson und aß mit ihm. Als er Abschied nahm, sah er, daß der Gouverneur sehr grau ward: Er lächelte. In der Hauptstraße standen vor kleinen Häusern europäische Weiber, hoben die Röcke, wiegten mit den Schenkeln und pfiffen. Er ging weiter, der Geruch gepflegten Fleisches war noch nicht aus ihm gewichen, und er, der die süße Frische der dunklen Weiber kannte, war der talentlosen Liebe, mit denen Frankreich überschwemmte, taub.

Der Mond kam aus den steifen, hohen Bäumen, er ging hinunter, das Pferd am Zügel, sah die Strecke an, kam bis an das Ufer, ritt es hinunter, wo der Lorenzo umbog. Da sah er zum erstenmal seit Jahren das Meer. Der Mond stürzte aus den Palmenwipfeln heraus, sank gegen das Wasser. Da brach aus ihm heraus, was er sieben Jahre bezwungen, was aber in der Reibung mit seinem Herzen wie ein Wolf gewachsen . . . er drückte sein Gesicht in den Bauch der Stute, zuckte mit den Achseln. Das Pferd hielt starr und hingebend, obwohl er den Hals mit den Armen ihm verschnürte.

Er sprang auf das Pferd, mit träumerischen Zügen trieb es langsam ins Wasser. Wo der Mondstrahl auffiel, spiegelte das Wasser wie Glas, das sich drehte: Das Schloß . . . mit buntem Kies, gebaut für die Zärtlichkeit der Frauen. Tiefe Fenster wühlten in der wollüstigen Blumendämmerung. Der Park stand voll vom Duft der Rosen und Jasminen. Schreibend früh morgens mit vier Sekretären, noch feucht von der Haut der Geliebten. Da schoß er Tiere. Warf den Körper in das Bassin, das ihn kristallen umschäumte. Dumpfe Nächte beim Kartenspiel durchschlug er mit schweißigem Haar. Ein großer Ritt, der ihn mit Ruhm behängt . . . eine Intrige, die in London sich kraus entfaltete . . . mit großen Orden, den Degen am Fuß empfing er eine Fürstin, die Hand am Schlag und sie warf ihm Blicke zu durch das Glas, das er geschmeichelt nahm. Dann nichts tun einen Sommer, als den Himmel ansehn durch den Regenbogen der Tritone . . . er trieb das Pferd mit Schlägen; das seichte Wasser schäumte. Er hob es am Zaum hoch und zwang es tiefer in die Flut. Indem begann der Mund sich zu öffnen, zuerst leise im Rhythmus, dann schreiend sang er, was von der Hure in ihm war. Das armselige Lied befriedigte seine Sehnsucht tief. Als der Gaul versank, schwamm er weiter, der Mond lag auf weißen Wellen. Er sang nicht mehr, das Wasser schlug an seiner Kehle und erstickte seinen Ton. Sein Herz war so irrsinnig, daß, als der Mund die Flamme nicht ausspeien konnte der Sehnsucht, es pochte dumpf den Namen der Frau, das Übelste an Erinnerung, die er verachtet, um die er sich geschlagen und die er jedem Lakaien gegeben. Das hatte noch sehr Gewalt in ihm.

Als die Kraft ihn verließ und er unterging, kam Wehmut über ihn, er arbeitete sich hoch, kam mit dem Kopf gegen die Küste, den Mond im Rücken. Da, als er das Land sah, verließ ihn alles, er wußte nichts als Leben und das Gefühl des Atmens durchstieß ihn so, daß er weinte vor Gier, dazubleiben, die Arme zu strecken, nicht zu sterben. Er mühte sich dreimal verzweifelt, die Welle schlug ihn zurück. Keuchend erreichte er Grund, kam an die Küste. Fand sein Pferd, das mit dem Schweif schlug und wieherte. Sein Atem schlug wie eine Säule über den Sand. Er stöhnte, machte drei Schritte, erreichte den Gaul nicht, sondern fiel mit dem Gesicht auf die Erde, breitete die Arme aus, schlief an ihr wie an einer Frau.

Spät am Morgen wachte er auf, drehte sich, nahm das Pferd am Halfter und ging nach der Stadt. Er drehte sich nicht nach dem Meer um, sah es nie wieder. Am Eingang zu den Häusern stieg er auf, glättete seine Kleider und ritt durch. Am anderen Ende kam ein Reiter ihm entgegen, stellte seinen Gaul etwas schräg, daß Vaudreuil halten mußte. Courbisson reichte ihm die Hand. Einen Augenblick verweilte des Gouverneurs Auge auf Vaudreuils Stirn. Er sah, daß er grau geworden war an der einen Schläfe. Er, täglicher Kämpfe hart im Inneren bewußt, lächelte, sagte nichts. In der Nacht in seinem Haus wartete Vaudreuil am Fenster. Der Mond flog zärtlich aus der Waldnacht im Osten. Er sah ihm nach.

Wochen ließ er sein Geschäft laufen. Er sah nach, aber ohne die Schärfe des Blicks. Eines Tags widersetzte sich ihm ein Arbeiter ins Gesicht. Er nahm ihn mit sich in sein Büro. Sie sprachen zwei Stunden. Der Arbeiter kam heraus mit verändertem Gesicht. Nach drei Tagen übernahm er die Leitung einer Abteilung. Vaudreuil rüstete sich aus, schaffte zwei Wochen geheimnisvoll. Als er frühmorgens mit seinem Pferd den Garten verließ, stand der Arbeiter an dem Pfosten: „Nehmen Sie mich mit?“ Vaudreuil ward zornig. Dann beherrschte er sich, sein Gesicht ward versteckt, starrte über die Bäume nach Norden. Er schüttelte abwesend den Kopf: „Ich muß hier einen Vertreter haben“, er gab dem Jungen, dessen Augen hell und ärgerlich über die Abweisung waren, die Hand. Mit ein paar Eingeborenen schlug er sich durch.

Als die Flüsse auf Rindenbooten durchfahren waren, kamen Steppen. Eines Morgens glänzte Weiß. Es war der Churchilriver, den noch kein Europäer sah. Er überschritt ihn. Zehn Tage weiter entdeckte er Pelztiere, durchforschte die Gegend, legte einen Schuppen, eine Kette Niederlassungen zur Küste an, brach weiter auf. Er kam zu einer Erdspalte, überstieg sie. Wie von Öl überglänzt, war die Ebene reich gegliedert von großen Seen. Wieder kamen Steppen. Am Rand blieben die Eingeborenen stehen und frugen achselzuckend, wohin er wolle. Er hieß sie schweigen und deutete nach Norden. Sie sahen ihn scheu an, folgten. Sie hatten drei Tage nichts zu trinken. Ein Indianer floh. Die anderen fingen ihn wieder. Er ließ ihn laufen mit so viel Verachtung, daß der sich hinwarf und flehte, er solle ihn nicht verstoßen. Aber er nahm ihn nicht weiter mit. Der Wilde folgte im Abstand, schlief, lagerte, aß mit ihnen. Am dritten Tag wurden die Stimmen heiser. Morgens tauchten drei blaue Punkte auf. Wilde nahten: hinter den Eisbergen sei das, was Menschen tilge . . . Er ward ungeduldig und schrie sie an. Sie senkten die Köpfe: er würde ein Greis, bis er die nördliche Küste erreiche. Sie wiesen Renntierhörnerkeule: es gäbe keine Tiere mehr zum Jagen, nur gefrorene Flüsse . . . Er zog die Brauen zusammen, daß sie im Dreieck standen. Es trieb ihn, er hatte keine Macht darüber.

Vier Tage zog er die Eingeborenen mit sich Sie froren die Zehen ab im Schnee. Sie wollten zurück. Er schalt: „Hunde.“ Sie zeigten ihre Füße. Er riß die Brust auf. Sie neigten den Hals. Er entließ sie. Im Abstand nur folgte ihm der eine, den er verjagt. Eines Morgens fehlte auch dieser. An diesem Tage traf er Eskimos. Er machte ihnen Zeichen. Noch eh er zu trinken bat, grub er das Zeichen des Meeres in den Schnee. Sie schüttelten den Kopf. Er würde den Punkt nicht erreichen, wo die Unendlichkeit der Ebenen und die Einsamkeit seines Herzens Europa am nächsten seien. Er würde nicht den magischen Pol seiner Sehnsucht erreichen, den sein Herz unruhig suchte, ohne daß er wußte, zu welchem Ziel, in welchem Sinn — — — er sah einmal den Kreis langsam herum, dann fiel er ab. Sie schleppten ihn mit sich südwärts. Als sie Lagerfeuer sahen, plünderten sie ihn aus, eh er ihnen schenken konnte, was sie nahmen, ließen ihn liegen. Halbverhungert wälzte er sich weiter, schrie und verlor die Besinnung. Am Morgen sah er, wie die Indianer aufbrachen, er erhob sich und winkte. Sie sahen ihn nicht. Als aber sein Leben dahinschwand mit den verschwimmenden Konturen der Zelte und Haarbüsche, kam die Kraft über ihn, daß er lief wie ein Ochse, sie erreichte, dort zusammenbrach. Sie pflegten ihn durch, zwei Monate lang. Es waren Iroquois. Als er gesund war, hob er nachts ein Zelttuch, sprang hinein, entzündete den Schwefelspan, hielt ihn in die Ecke. Eine Frau stand auf, der schlanke Brüste wie Zitronen saßen, die den Shawl mit einer gleitenden Leichtigkeit raffte. Sie hob den Kopf, blähte die Nüstern der bourbonischen Nase, als röche sie ihn, der Blick der wildsamtenen Antilopenaugen verdunkelte. Sie blies mit einer raschen, schönen Bewegung das Licht aus. Ihr Körper war glatt wie ein Fisch, golddunkel. Sie frug, wie lange, am Morgen. Er schüttelte den Kopf und nahm sie mit. Sie kam als erste in sein Haus. Der Arbeiter gab ihm die Übersicht der Bücher und trat ein wenig zurück. „Ich danke.“ Vaudreuil gab ihm die Hand. Der Arbeiter errötete, aber, da Vaudreuil nicht weiter sprach, wies er nochmals auf das Neue, seine zehn Pfade am oberen Lorenzo, den Hafen am Ontario. Vaudreuil nickte.

„Ist es nicht genug?“

Da sah Vaudreuil wieder über ihn hinaus wie am Morgen, als er aufbrach. Seine Sehnsucht hatte das Tätige nicht gestört. Er stapelte auf die Verträge von den großen Seen, die Abmachungen, die die Jagd am Sklavensee, am Makenziriver in seine Hand gaben. Nun flossen die Felle des Inneren nicht mehr zur Hudsonbay, nun durch ein neues Bett strömte das Innere zu ihm. Nun liefen die Pelze übers östliche Meer, nach Europa. Seine Besitzung am Lorenzo ein Strudel, der das Innere des Landes einsog und herriß. Was war das Bisherige gegen diese Leistung, diesen Horizont?

Er sah dem Arbeiter ins Auge: „Organisieren Sie es.“ Der zog den Mund zusammen, bückte sich einen Augenblick, hielt dann erstarrt mit geöffnetem Mund. Dann ging er hart. Nach einem Monat brachte er das Geschaffene. Er sah auf: Wegweiser, Faktoren, Dolmetscher zogen ins Eis. Die faule Jugend war diszipliniert, stieg in siebenjähriger Probezeit zu höherer Stellung, zu Beteiligung, zu Prämien für besondere Leistung. Für Ausdauer stand Lohn, für Ehrgeiz Befriedigung. Er machte Kräfte frei in gerechtem Wettstreit . . . „Gut,“ sagte Vaudreuil. Da nahm der Arbeiter seine Hand, sagte: „Verzeihen Sie.“ Er wollte kein Lob mehr. Kein Trotz war mehr in ihm. Er diente.

Als die Frau ihm einen Sohn ins Bett warf, schreiend, daß die Mägde im Haus den ganzen Tag zitterten, schenkte er ihr eine Kette mit gewundenem alten Dukatengold.

Daran hingen drei achatne Kugeln.

Courbisson hielt ihn zur Taufe über das Wasser, obwohl die Mutter braun war, denn seine Schätzung für den Menschen war noch geringer als die für das Beispiel, mit dem Vaudreuil für das Volk schuf. Am Mittag kam ein Bote, der die Nachricht hatte, daß ihm die Heimkehr frei sei, daß unter anderem Gesetz die Stadt stände. Er ging zurück in den Schatten, wohin die Kerzen nicht langten. Er würde Ruhm haben, Vermögen, Macht, Frauen. Er sah durch das Fenster, wo die schwere Silhouette des Waldes noch sichtbar in der Ferne schwang. Es ging über sein Gesicht von oben nach unten, von den Wangen über den Mund. Der Gouverneur zitterte an der Hand, die den Hut hielt. Vaudreuil äußerte sich nicht.

Im Frühjahr verschwand er einige Zeit. Rastete an Feuern, an Seen, Flüssen, den großen Hauch des Daseins spürend, ging mit Zeit, mit Woche und Jahr. Der Erde und ihrem Rücken verschwistert, die ihn mit Blut und Saft bis ins Hirn durchspülte, gingen die Nächte über ihn, die Schwingen des Sternkreises, der Monde. Er sprang in dieses Zelt, er zündete Hölzer an, er verließ es. Er hob das Tuch im Wald, auf der Steppe. Nahm jene, dieses, schwankte, ließ liegen, holte zurück unter Lachen. Schichtete um sich in Zellen brausend Gelebtes, reich Durchgegangenes, hielt nicht an dieser, jener Frau, glich sich aus in der Bewegung.

Am zwölften Geburtstag seines Sohnes kam er von einer Kontrollfahrt. Er ging sofort in das Zimmer, wo von einem Hausmeister und Lehrer er das Kind erziehen ließ. Von dort durch die Diele, kam er ins Boudoir seiner Frau. Er sah sie vom Rücken, sie stand vor einem Spiegel und kämmte ihr Haar. Ihre Lippen leuchteten voll und rot, der Nacken fiel mit der Glätte der Schlange und als sie sich ihm zudrehte, standen ihre Brüste klein und gegen ihn gereckt. Da sah er eine Flechte an ihrem Scheitel weiß, trat zurück, erbleichte. Ging vor bis dicht an den Spiegel, sah über den straffen dunklen Zügen sein Haar hell durchblitzt, stürzte hinaus. Drei Tage trieb er wie irrsinnig durch das Haus, durch den Park.

Des Nachts brach er auf. Am Pfosten der Tür versuchte er seinen Muskel. Er warf ihn auf. Sein Gesicht ward sicherer. Am Abend schmerzte ihn sein Fuß. Er wurde kleinmütig, ging gesenkten Kopfes, setzte sich auf einen Stein. Als er die Stelle untersuchte, war es eine Quetschung. Sein Auge hellte auf, als er die Ursache sah. Er kam an den Elkfluß. Zog nördlicher. Kam an den Athalaskasee. Schuf die Riesenfaktorei am Winnipegsee, nun würden Tauschwaren in alle Eisbezirke laufen. Der Norden war aufgesprengt. Keine Aufgabe weiter . . . Am Morgen erhob er sich, drang weiter vor. Unsinnige Angst, daß das Alter nahe, daß er nicht mehr folgen könne, wenn sein Herz ihn hineinstieß in das Sehnsüchtige, Dunkle. Er übertrieb seine Kraft, sich selbst davon zu überzeugen. Er lag zwei Monate krank in einem Hüttenlager. Gekräftigt, sofort trieb es ihn hoch hinauf. Er kreuzte durch verschneite Prärieen am Hudson. Eingeborene wiesen ihn östlich, wo große Herden der Pelztiere seien, Ebenen mit hohem Gras, Ochsen mit gestreifter Haut und säulenhohen Hörnern sprängen. Aber sein Herz schlug: Nach Norden . . . Er werde sterben. Es kümmerte ihn nicht. Sein Blut klopfte dumpf gegen das Dunkle vor ihm, sein Herz kannte nur in ungeheurem Zittern einen Pol.

Er kam an einen Fluß. Aus der Entfernung einer Meile kam sanftes Geräusch. Er schlich sich an. Ein Graben deckte ihn.

Wie Affen standen Tiere um einen Baum. Sie stützten sich auf breite Schwänze, hatten die Vorderbeine an die Rinde gelegt. Mit weißen Zähnen sägten sie nach gleichem Takt den Baum durch zwischen den Spalten ihrer Gänsefüße. An der Ecke saßen zwei andere, machten Gesten, schrieen; womit sie andere warnten, über die Linie zu treten, in deren Radius der Baum wohl fiel. Nach dem Ufer zu zog sich eine geordnete Kolonne, die Äste trugen. Der Fluß war eine unmeßbare Wabe, aus der die Kegelhütten hervorstachen mit den Spitzen. Dazwischen ein Gewimmel von Tieren, die am Damm bauten, so weit er sah.

Auf dem Fluß schaukelten Rosaschatten, der Abend fiel langsam. Die Dämmerung hüllte das friedhafte Summen der beständigen Arbeit in stumme Seligkeit. Der Mond schwang darüber, es nahm kein Ende. Der Mond bewegte sich in der Elegie des tätigen Konzertes, der Baum fiel, aber er stürzte, als der brausende Rhythmus der Tiere auf der Spitze der Empfindung schwoll. In langen Kantilenen zernagten sie die Äste, bauten, schufen, langsam klang die Nacht mit allem Geräusch in die beruhigende Kraft des Tieres.

Er machte eine Skizze, hielt den großen Biberplatz in der Hand, schlich zurück, kroch in seinen Schlafsack, warf sich zwei Stunden herum. Dann stand er auf. Zerriß den Plan. Hatte genug Vermögen. Langsam begann er zu weinen. Etwas stieg auf, erhob ihn und durchdrang den Überschwang an Dunklem, das seine Seele mit großen Trieben hinriß da und dort, aber immer in einer Richtung, die sinnlos war vor unbewußter Sehnsucht. Das Gefühl erfüllte ihn ganz bis in die Kammern des Herzens, bis in die Poren der Haut, den Wuchs des Haares und gab ihm eine Schwingung, die er nie gepackt. Hingerissen, zwischen den Schwüngen des rastlos Stoßenden, das ihn wegblies wie gegen den Mond und zurückstieß gegen den Boden, den er baute . . ., in einem unirdischen Ruhepunkt erlebte er die glücklichste Stunde seines Lebens. Er rührte kurz an die selige Beruhigung, die als Achse zwischen den Wagen seines Herzens stand. Auch dies verließ ihn nie.

Mit hölzernen Schlittschuhen trieb er das Eis der Flüsse südlich. Schon kam Grün, Frühjahr wucherte aus verhaltenen Ästen. Vögel begannen unwiderstehlich zu kommen aus den monderhellten Dunkelheiten des Waldes.

Von einem Hügel sah er zum Strom. Tausende Habitants, Sklaven, die die Maisfelder dunkel machten. Riesenbogen der Landschaft gegen den Wald gespannt. Eine Kette wie von ausgelaufenem Öl . . . die Schuppen, die den Fluß gürteten. Schiffe schwankend zum Meer und zurück, Herden, die brüllend aus den Weiden zum Wasser stampften . . . ein großes Tagewerk. Langsam schritt er hinunter. Was blieb noch?

Er ließ die Äxte Jahre gegen den Urwald trommeln. Feuer qualmte am Horizont. Menschen eroberten sich Erde, Acker. Es geschah mit Ruhe. Er verließ sein Haus nur zur Jagd. Sein Auge verschleierte sich langsam. Er lehrte den Sohn, den Wolf auf die glühenden Augen schießen. Eine Erkältung schlich ihm von den Beinen gegen die Brust. Er stemmte sich etwas dagegen. Dann lag er ruhig, als er sah, daß es nutzlos war. Er ließ das Bett herumstellen. Sein Scheitel stand zum Fluß. Sein Auge sah in die Landschaft. Bis an die Grenze der Wolken getürmt alles sein Werk. Er hob die Hand über die Brauen. Die Silhouette des Urwalds war zurückgewichen. Er sah sie nicht mehr. Dies wurzelte. Was blieb? Der Tod.

Er wartete acht Tage. Die Wolken staffelten Terrassen und flogen blitzend. Sein Herz begann zu schmerzen. Aber mit den Schmerzen löste sich der Bann und die ungeheure Treibkraft brach auf, und besinnungslos überfiel es ihn vor Angst des Todes. Das Quellende, Heiße, das was flatterte und sich bäumte, hob sich innen gegen dies kalt werdende Fleisch. Niemand kam zu ihm. Allein lag er stöhnend, wünschend. Dazwischen fluchte er, kämpfte mit aller Kraft. Er nahm ein Tuch und band es sich um das Kinn und den Kopf, daß er keinen Laut gebe. Aber seine Lippen sprengten sich auf und stöhnten: „Jardins . . . du . . . palais . . . royal. — — —“ Es war das Lied der Hure.

Aber auf der Spitze des Schmerzes fiel das Weh in sich selbst zusammen. Er ließ den Sohn rufen. Sein Gesicht war klar. Er lebte noch einen Tag. Als der letzte große Griff gegen das Herz ging, flüsterte er: „Der Biberplatz“.

„Ich verstehe dich nicht“, sagte der Sohn.

Der erste Abschnitt

Der schlief mit einer Dänin mit gelbem Fjordhaar. Er lebte ruhig, stiller als Männer, die seinen Stand hatten. Er kannte keine anderen Frauen. War rundherum sicher, wußte, was er tat. Als der Bogen beendet, starb er mit gleicher Ruhe, wie er dagewesen. Sein Sohn glich ihm genau. Er hinkte mit dem linken Fuß, hatte blaue Augen zu dunklem Haar. Der Besitz wuchs, indem er ihn erhielt. Er hatte drei Söhne, einen erschlug der Blitz, der andere schoß sich vor den Kopf. Der Letzte blieb. Er spielte am Strand, war träumerisch und ernst. Sie lebten nach innen in der ganzen Linie. Nichts stieß sie aus dem Kreis heraus, den Landschaft, Erdgeruch, Besitztum um sie schlug. In der Pause erholte sich die Generation, schöpfte Atem, schluckte nach innen, in sich hinein.

Als Daisy die Mutter verließ, flaggten die Schuppen bis Quibec, pfiffen die Dampfer Schleifen und Spitzen bis zu den Großen Seen. Die Sonne schlug durch den Zenith. Am Abend starb die Mutter.

Der Vater trat ins Zimmer, duckte den Nacken etwas, schwieg. Schalen flammten in kurzer Nacht, umglänzten Daisys ersten Tag. Der vierte Vaudreuil nahm die Hand des Bischofs, es sprühte in besinnungsloser Trauer ihm das Gefühl der Ehre. Chorknaben durchsangen die Räume, schwenkten das Rauchfaß. Abordnungen des Hudson neigten das Kinn gegen die Brust. Im Fensterglas spiegelte ein Segler, der mit halbgehißter Fahne vom Ontario kreuzte. Nach dem Essen legte Vaudreuil die feine hart gebogene Hand auf die des Bischofs: „Sie irren, Eminenz, ich setze sie im Garten bei.“

Er stand am Fenster, sah, ungerührt, bewegungslos den Bischof hinabgehn, die Turbine des Motors schäumte weg von ihm, warf ihm Blasen, Wellen zurück. Abends kam für Daisy eine eingeborene Nurse. In der Nacht verbrannte er seine Frau im Garten. Die Nurse senkte die Gardinen. In der Dämmerung erst ging Vaudreuil zurück ins Haus. Abends trat er in ihr Zimmer. Als er die leere Bettfülle sah, den faden Geruch spürte, begriff er erst.

Blieb die Nacht wieder draußen, baute mit vier Gärtnern eine Hütte über der Asche. Jeder Windstoß erregte ihn. Morgens ging Brise. Die Angst wuchs, die Asche werde verweht. Sie war das Letzte. Von Montreal brachte der Bote den Wagen mittags. Brown, anglikanischer Pastor, sprach Gebete. Früher wagte Vaudreuil nicht, die Asche zu sammeln, so schmerzlich seinem Herz, das ohne schlagende Dränge nur Liebe kannte zu Respekt und Hergebrachtem, der Priester anderer Konfession war. Er trug die Vase selbst ins Zimmer, mit straffen Beinen. Dort fiel er zusammen, schlug die Arme auf den Tisch. Langsam, fest wuchs er in Stunden zurück, bis er senkrecht saß. Er würde weiter leben. Auferlegtes Werk weiter verwalten, dies Schicksal tragen, dieses und jenes, wie alles, das er, Erbe, trug. Doch ohne diese Frau, . . . er schloß die Augen.

Brown zog in die Familie ein. Vaudreuil band ihn an Haus, Besitz und Tätigkeit. Hätte ihn um sich gehalten, stänke er wie Aas, vergaß ihm das Gebet nicht. Nichts hätte dies zwischen ihnen herausgejagt. Doch Brown gewann nicht ganz Boden. Der Lebensschlag verwirrte ihn hier. Liebe aber wischte ihm das andere immer hinweg. Er sprach eckig, unfrei, seine Handgelenke, unter flatternden, fliehenden Manschetten, waren gerötet. Einmal erleichterte er sein Gewissen, schlug den Übertritt vor zu seiner Konfession, dies eine Mal gab Vaudreuil keine Antwort. Nichts war gesagt worden. Brown war es los.

Vaudreuil rief den Vorstand der achten Abteilung, zog aus den Akten ein Bündel, legte ein Papier auf: „Sie irrten.“ „Ich würde bedauern.“ Der junge Bursche trug den Fehler selbstbewußt.

„Sie haben zum zweitenmal geirrt.“

„Zu Ihrem Vorteil.“

„Das spielt keine Rolle. Das dritte Mal entlasse ich Sie, so sehr Ihr Eifer anerkannt wird.“ Er drehte sich um. Der Vorstand trat vor, bleich, einen Zahn in der Lippe. Vaudreuil nickte über die Schulter, der ging, errötete vor Freude. Die Ledertür fiel. Vaudreuil senkte sein Gesicht. Das Gehaltene verließ ihn, die Augen sahen durch die Papiere, Holz, Wand. Er ging in den Garten. Jeden Tag ward die Frist größer, die er blieb, die Intensität erschreckender, mit der er die Arbeit zusammendrängte, durchfuhr. Brown sprang ein, wagte es (was allein er konnte), legte die Hand auf seine Schulter, schlug einen Wechsel vor, des Wohnorts, der Luft. Vaudreuil schüttelte es ab. Generationen hatten hier gelebt. Er blieb. Brown deutete den Kiesweg runter, wo die Nurse das Kind heraufschob. „Es handelt sich nicht um Sie.“ Vaudreuil erblaßte etwas, er erkannte. Schwankte, ohne zu zeigen, was vorging, einige Tage. Dann entschloß er, ging aufs Ganze. Teilte; arrangierte die Übersiedlung zu den Ottava-Mühlen. Nachts schlief er am Lorenz, war sein Plan. Morgens fuhr er im Auto zum anderen Stromhaus, abends wieder zurück. Er hielt auseinander. Da starb die Frau. Dort lag sein Werk. So hielt er Gleichgewicht, indem er nicht mischte.

Brown nickte in der Sitzung: „Sie bleiben auf eignem Boden.“ Der Vorsteher der Büros zog zwei Kreise, die sich durchbohrten: „Der Schwerpunkt der Affären fällt nach Westen“. Nickte. War Franzose, der Plan war sein alter Plan. „Es geht um die Gesundheit, Fidley. Zaudern Sie nicht, das zu begreifen,“ sagte Vaudreuil.

Mittags fuhren sie im Auto den Lorenz hinauf, folgten ihm in Launen, Schlägen, Schnellen. Der Wald war dicht voll Saft, Sonne spielte in fetter Luft. Vögel schrieen. Schlugen hämmernd hinaus in Weizenebenen. Kühe tollten unter Bäumen, grad gesetzt, trächtig von Frucht. Blauer Himmel stieg vom Waldblock herauf, überflog sich taumelnd. Die Nurse saß neben Daisy. Der Wagen schwenkte nach Norden, fuhr an neuem Strom. Hinauf, hinauf. Ein Gartenhaus stand unter Blumen. Ottavagemurmel nickte, schwamm um jeden Kelch. Der Wagen hielt. Die Nurse packte Daisy. Sie stiegen aus. Daisy schrie hell und scharf, verstummte, wachte auf. Lange dunkle Wimpern brachen auf. Grau und stählern nahm der Blick die Landschaft, saugte sie ein, als besäße er sie.

 

Kam sie am Arm der Nurse schlenkernd herauf vom Fluß, rollten die weißen Sonnen der Sägen über ihr im Himmel. Gegen die Dämmerung heulten die Dampfhähne, Feuersignale schossen aus Schloten herauf, herab. Um sie wimmelten Menschen, grinsten mit gefletschten Zähnen, verbeugten sich, trugen Hüte in der Hand an ihr vorbei, Weiber drängten um sie Koseworte herum. Die Rollketten der Wegbahnen knatterten sich in endlosen Ellipsen um den Horizont herum. Am Garten begann Duft sie zu überfallen. Aus Kronen seltsam geformter Bäume schüttelten sich Schatten herunter, trieben im Geruch. Nachts schlief sie auf dem Geschaukel des Ottavageräuschs. Es füllte langsam, wachsend ihr Ohr.

Im Garten suchte sie Syg, Tochter der Nurse, hob die Goldregenzweige, suchte üppige Grasrosenstände durch, zirpte in Schneeballendickicht, Salmweiden: Syg. Sie schritten mit langen dünnen Beinen über den schiefrig blauen Kies; setzten sich auf die Bank in die Sonne, sahen nach dem Haus. Verschwand der Kopf der Nurse, streckten sie Zungen heraus. Erschien er, scharrten sie träumerisch mit den Füßen, preßten die Ellenbogen aneinander, verklucksten sich im Gegen-den-Boden-Lachen lautlos. Plötzlich drückte Daisys Hand die Sygs hart. Die Zweige hinter ihnen wogten und schluckten, fuhren rückwärts. Nach der leeren Bank flog der Nurse Geschrei.

Zuerst liefen sie durch Dickicht, Primelbeete, sodann kam das Hundeloch im Zaun. Hundert Meter dahinter flimmerte Prärie. Unten tief in der zitternden blauen Dunstwolke, die die Erdscheibe abbog, kam im Halbbogen das Atmen der Gräser in endlos wellender Flut sanft herauf. Unsichtbare Vögel sangen gedämpft aus dem Tau der Halme. Das Licht floß auf der Stille, wiegte, glitt. Sie schlichen bis zu drei Termitenhaufen. Unordnung kam in die brausende Stille, vom Zaun kamen Rufe. Sie lagen eine Stunde still im Zittergras, trauten der eingebrochenen Ruhe nicht, die über sie spielte, fürchteten das Spähauge, die schlaue Lauer der Nurse. Dann zog Syg die Mittelfinger aus den Ohren. Sie hatten nichts gehört. Daisy hob die Nase. Sprangen auf. Draußen kam ihnen Wind immer stärker, und wie sie liefen, knatternd sturmhaft um die Schläfen.

Sie banden vom Leib sich Tücher ab, ließen sie hinter sich schwenken. An der Erhöhung blieben sie stehen, drehten sie um sich langsam im Bogen. Die Sonne fing an, danach sich zu richten, lief mit ihnen im Kreis, sprang aus einem Tuch in das andere, mitten stand ein roter Knopf in das Viereck hineingerollt.

Hinter der Schanze kam der Nurse Hand, faßte Daisys Gelenk, Sygs Ohr. Auf Sygs Gequietsch legte Daisy die Hand auf der Nurse Leib, stampfte mit dem Fuß auf, das Weiß des Auges bekam einen kristallischen Kern. „Do . . . do . . . Daisy“, lockte die Nurse, knotete den Schürzzipfel, tuschelte damit zu dem Kind, schnalzte mit der Zunge, hob wie der Kordelhanswurst die Arme. Die Kinder lachten, hingen an ihren dicken Schenkeln.

Mit acht Jahren war das Tor frei, das Loch verachtet. Sie trugen gleicherweise dünne Seide, dieselben Röcke bis zu den Knieen, Shawls über den Schultern. Draußen zogen sie die Schuhe aus. Daisy bog sich in den Lenden vor, ging steif auf den Zehen, die Hand mit gerundetem Daumen nach unten. Sie schoß nach unten, hob eine Echse, genau am Hals gefaßt, ohne den Schwanz zu beschädigen, hoch. Der grüne Leib zuckte, der Kopf fuhr unruhig züngelnd herum. Riß einen roten großen Klapprachen auf. Ihn hielt Daisy an Sygs Hand. Die schrie und machte die Faust. Daisy hielt ihre Linke darüber, den Zeigefinger hinein. Wurde bleich, aber machte nichts, als es klappte. Es tat kaum weh.

Syg lag am Bachrain ohne Mucks. Kroch auf den Vieren weiter, blieb wieder Beine, Arme weggestreckt. Eine Grille schrie, Sygs Hand machte einen Bogen. Der Schatten des Armes aber lief eilender, das Tier verschwand. Auf den Knieen kreist sie herum, hing über dem Mausloch in Parade gegen die Sonne zu. Dann Ruck auf Ruck kam das Tier. Sie fing es wie eine Mücke ab, fegte es in die Faust. Stieß mißmutiges Geplärr aus, das Ungeduld bewies. Schlenkerte zu Daisy, blieb neben ihr, setzte von hinten das Tier ihr in die Brust. Daisy lief aufschreiend, beide Arme im Busen suchend, ein schmaler Hund lief mit, bellte leis auf, fraß die Grille, die unten aus dem Rock fiel. Sie tanzten zu dritt im Kreis, schlugen die Arme jedes quer über den Bauch vor Entzücken, traten das Gras, das unter ihren Beinen elastisch wieder sich erhob.

Tiefer in der Prärie bückte sich Daisy. Syg sprang ihr auf den Rücken, sah sich um.

Dann zogen sie die Hemden aus, schlichen, die dünnen schlanken Rücken neben den Gräsern, zitternd auf hohen Beinen nackt bis zum Baum. Sie legten die Hemden auf den Termitenberg, warfen zwei Steine hinein, sahen Tausende darüber wimmeln, Saft darauf spritzen. Erkletterte ein Outsider eine Wade, hupften sie rehhaft herum, schürten aus Rache neuerdings in dem Haufen. Dann griffen sie die Hemden heraus, liefen damit weit weg, schälten das letzte Tier heraus, schnauften, legten die Gesichter in das Leinen und sogen bis zum Rausch an dem Saftparfum. Als Pferde erklangen, lagen sie tief im Gras. Fidley ritt aus dem Hochgras. „Sie sehen sich ähnlich.“ Sie sahen sich an. „Syg ist dunkler,“ sagte Vaudreuil nach einer Weile.

Im neunten Jahr brachte Brown die Gouvernante ins Büro. Vaudreuil nickte hinter dem Schreibtisch. Die harte Figur der Frau schob sich zu einem Knotengeflecht zusammen. Dann wandte sie sich breit zu den Kindern. Daisy gab abwesend ihr die Hand. Vor Syg harrte die Frau einen Augenblick im Zweifel. Was in Daisys Blick an Zögerndem, Zweifelndem schwebte, ward fest. Sie nahm Sygs Hand, legte sie in die der weißen Frau. Dann trat sie zurück, lauernd, legte den Arm um die Taille der Nurse.

Nun lockte die Gouvernante den Widerstand aus Daisy heraus. Überraschte sie mit neuen Dingen, Sachen, Sprüchen, Bildern. Sie bezog alles, was sie gab, auf sich, als schenke sie den Eifelturm, sie den Tegernsee. Sie machte Geschenke, nichtswertendes Zeug, das aber überraschte, einen Haarring, ein Ericri. Sie sah die anknospenden kleinen Brüste, wo die Warzen schon unter sanftem Rotsaft standen. Lobte die Glieder, den Hüftschwung zum Becken, die Länge der Taille, die untadelige Wölbung, mit der der Schenkel abbog, mit der das Knie in die Wade absank. „Du, du. Welche Größe habt ihr an Land. Da werden Schiffe anfahren von drüben, Prinzen kommen, Daisy zu sehen, und diese und diese Fahne wird aufgehißt.“ Aber der Reflex war von Daisy ein stummes Fragen. Anders sah sie das Weib nie an.

Da machte diese den ersten Umweg und verwöhnte Syg. Sie behandelte sie gleich einer Dame. Da von Dienstboten Sygs Stellung gleich der Daisys gehalten ward, solange sie Kind schien, aber nicht gefestigt war für weiterhin, verwöhnte sie sie damit. „Du fährst dann in Autos. Durch Städte drüben, sitzest in Konzerten. Du hast Perlen, Syg.“ Syg lachte. Ihr imponierte mehr Kölnisches Wasser, das sie auf die Haut strich, das bitzelte und kühlte und roch. Ihre einfache Dankbarkeit kam der Frau entgegen. An Daisy aber glitt Sygs Lobgesang vorbei.

Nun schlug sie die zweite Umwegstour und machte sich an die Nurse, nannte sie Miß und schenkte ihr Tücher. Gab ihr einen Spiegel. Schwabbelnd hing die Nurse an ihren Röcken, sprach nur noch von ihr. Die Kinder lachten. Da machte das Weib die umgekehrte Taktik, versuchte die Nurse auszutreiben, weil hier der Liebespol der Kinder lag, den sie umleiten wollte. Sie nannte die Nurse Diebin, machte aus dem Spiegel eine verdrehte Geschichte. Aber mit Feuer traten die Kinder vor die Nurse. Das Bild der prallen Brüste, aus denen sie erstes Blut gesogen, lag ihrem Hirn so eingebrannt, daß kein Verdacht, selbst keine Tat es hinausgewischt hätte. Dies gab einen vollen Riß. Über ihn hinüber lauerten die Beiden. Da versuchte die Gouvernante das letzte, doch es war hirnlos. Sie rückte sich dem Gestirn zu, aus dem Schatten nach Vaudreuil, suchte ihm aufzufallen, an ihm sich zu halten. Er sah sie nicht.

Nachts kratzte es an Daisys Tür. Sie öffnete. Syg gab das Zeichen. Daisy zog die vom Weib verbotenen alten Seidenkleider an, sie verließen auf bloßen Zehen die Zimmer, zwischen denen das der Gouvernante lag. Mondlos. Dünne schwarze Schatten liefen sie unter dem Himmel. Zwischen Sternen schossen unaufhörlich Wolken. Sie hatten nasse Füße vom Grastau. „Syg . . . sieh.“ Sie hob die Hand über die Augen, die Nasenflügel bebten. Feuergeruch schwebte mit kleinen Rauchsäulen hintereinander deutlich herauf. „Weißt du es, Syg?“ Syg nickte.

„Weither?“ Syg starrte, sagte leis: „Viele Tage.“ Daisy legte die Handflächen auf den Mund. Aus dem Dunkel kamen breite große Flächen. Um die Ränder band sich weißer Rauch, sodaß es schien, sie flögen, dazu wellte der Fluß Nebel in zuckenden Linien um sie hoch. Die offenen Feuer schlugen in den Dampf hinein; brachten ihn zum Feuerexplodieren, Fächerstrahlen, Prismenschleudern. Gestalten huschten herum, sprangen schwarz von einem Ende zum andern. Ein riesenhaftes Ruder ward erfaßt von der Flammenspiegelung, bis an den Horizont aufgeschwungen. Lautlos glitten die Flöße so herunter.

Syg legte sich auf den Bauch. Die Stille summte von den Weiden herab. „Los“, stampfte Daisy ungeduldig. Syg legte die Wange gegen die Erde, stellte die Zunge gegen den Backen, ließ sie dann herausfahren. Zwei wimmernde Töne stiegen steil durch die Luft! „Pha . . . lux.“

Auf dem Fluß erfror die Stille. Eine Sekunde setzte der Flußlauf aus, gebar sich Leere, atemlos. Dann flog der gleiche Ton auf, langsam, weich und gedehnt am Anfang, zitterte auf, sank ab. Das zweite Floß fing ihn auf, ließ ihn nicht verhallen, setzte in der leisesten Verhallattitüde ein, schwang ihn hinauf, warf ihn hinter sich. Das dritte bog ihn, ferner schon und daher wehmütiger. Er schnellte den Fluß hinauf in Springkurven, fiel irgendwie in den Horizont, dessen Mondaufganglicht ihn hochsog.

Sie gingen Hände ineinander zurück, Syg mit Tanzzucken, das sie unterschlug, im Knie. Im Korridor stellte Daisy ihren Fuß genau so, daß sie mit dem anderen ihn schnitt. Stolperte, schlug mit den Händen gegen die Wand, stieß einen Säbel herunter. Syg hickelte erschreckt. Halbangekleidet stand die Gouvernante im Gang, mit strohigen Zöpfen, ein dünnes Nachtlicht in der Hand: „Woher?“

„Vom Garten.“

„Was war im Garten?“ Nichts war im Garten. Lauerndes Schweigen. „Syg,“ sagte die Gouvernante, die Stimme überschnappte sich. „Wir waren beide im Garten,“ sagte Daisy schnell. „Syg,“ ihr Licht schwankte, sie keifte. „Hier,“ Daisy warf Syg zurück, wiederholte Sygs dunklere Stimme, drang ins Dunkel vor, empfing zweimal die knochige kalte Hand ins Gesicht. Am Morgen saß sie auf der Terrassentreppe. Am Auto küßte sie sich mit Vaudreuil, gingen die Treppe hinauf. Als Vaudreuil sie vorgehen ließ durch die Tür, sah sie schräg zurück: „Was sagten Sie, wenn die Dame Syg schlüge?“ Eiskalt, neugierig ihr Blick. „Es würde an Syg liegen.“ Sie war stehengeblieben, etwas drängte ihn zurück, das hartnäckig tiefer herkam als die gleichgültige Frage. „Wenn es nicht an Syg läge . . .“ „Es würde wohl an Syg liegen . . .“ Da entfaltete sich ihre Stirn, hochmütig, sie gab es preis: „Sie irren Papa . . . aber — wenn sie Daisy schlüge und es läge nicht an Daisy . . . oder: es läge selbst daran.“ Die Frage schwebte zwischen ihnen, erhielt langsam Spannung. Vaudreuil sah die Wange, die ihm sich entgegenreckte. Sah kurz zu Boden. „Ich ordne es.“ Sie glitt zur Seite. Er ging hinein. Gegen Mittag fuhr das Auto vor. Die Gouvernante darin, Brown stieg zu, winkte an der Ecke. Die geröteten Handgelenke stiegen hoch, die Manschetten waren auf der Flucht.

Syg lief ein Stück nach, schwenkte eine Pfeifenstrauchrute. „Ich wollte noch sagen, es ist das gleiche: ich und Syg.“ Daisy sah auf ihre Nägel. Vaudreuil fuhr mit der Hand hoch, als ob er gähne: „Es ist nicht das gleiche. Aber du kannst es dafür halten.“ Sie sah nicht auf. Nach drei Tagen, als das Auto einfuhr, brachte Brown ein blondes Geschöpf, zitternd vor Angst, voller Hingebung, dünn an Organ und Haltung. Sie erschrak heftig vor Daisy, verehrte das Kind, war hilflos, gefällig. Diese Güte belästigte Daisy. Sie verachtete dieses Wesen ein wenig und bemitleidete es dunkel. Ein junger Mann tauchte später auf, lehrte alles, wußte alles, trug ein Pincenez auf kleiner Nase, zog einen steifen Kordon um sich, den seine korrekte Tätigkeit umschloß. In allem übrigen blieb er entfernt.

Die Mähder gingen im Blau des Damms wie im Himmel entlang. Kühe dampften vor den Wagen. Als der Stier brüllte, rasselte der Horizont es rundherum wie ein fliegendes Gong. Tausend kleine Blitze schossen im Gras die quer. Sie gingen über die Biberwiesen. „Syg, waren es Chipeways . . . sag.“ „Chipeways.“ Sie starrte in das Summen der Hitze. „Fahren sie lange auf den Flößen?“ Syg dachte an die Nurse: „Zwei Monate,“ sagte sie unsicher. Daisy zog einen Halm durch den Mund, kaute, schwieg.

Die Arme auf dem Rücken schlenderte sie vor die Nurse: „Du . . . du . . . ei, habe ich Chipewaysblut ein wenig von früher?“ „O . . . o . . . do . . . Daisy . . . das sind Hurons.“

„Aber sind diese größer?“ Kopfschütteln. Sie ging.

Ging sofort in das Büro, stellte sich neben die Ledertür an die Wand, lautlos. Der Sekretär raffte zusammen, knickte ein, ging. Ein Vorstand kam, referierte, ging rückwärts hinaus. An zwei Stenotypistinnen erging ein niederprasselndes Diktat. Eine Kommission trat ein. Da sah sie Vaudreuil. Sie ging sofort bis an den Tisch, legte die Hand darauf, sprach. Vaudreuil kniff die Mundwinkel ein, um kein Zucken zu verraten, nur die Lider blinzelten. „Du hast es von beiden, durch Mütter und Väter.“ Sie blieb stehen: „Syg hat auch von Chipeways.“

„Aber du hast edleres.“

Da errötete sie, ging eilig, sicher hinaus. Sagte Syg nicht, daß sie edleres habe. Liebte Syg über jedes Schweigen hinaus, wie nichts.

Zum vierzehnten Geburtstag schenkte Vaudreuil ihr ein eigenes Pferd. Abends ward sie ohnmächtig. Das Blut verließ zum erstenmal die Muttergrube, sprudelte aus ihrem Leib. Drei Tage lag sie. Als sie herauskam, war sie Frau. Auf der Haut saß ein glatter Reiz, um den Gang floß ungewisser Zauber, wiegte hinter ihr her noch wie Zurückgebliebenes. Nur die Augen wurden heller, besaßen mehr Kraft und Wissen zu durchdringen. Sonst zog sich alles von oben zur Brusthügelung, unten von Fuß und Knie und Hüfte zum Mittelpunkt des Leibes hin zusammen, sodaß das Weibliche, Auffangende und im Wechsel Hingegebene deutlich ward.

Das Fräulein spielte große Kantilenen. Die Wochen wurden lang dadurch und hingezogen. Es war, es käme Erlösendes, Rufendes von fern. Erlosch wieder. Die Jahreszeiten änderten sich, öffneten wie Kapseln ihr Gehäus, gebaren, stäubten ab, doch das Geheimnis, das ihnen innelag, äußerte sich nicht. Das Haus ward eng unter vieler Musik. Sie schlug den Blick zum Plafond, haßte Klavier und blonde Haare, aber sagte es nicht aus Bedauern. Auch der Garten war schon Grenze und selbst das Hinundherreiten, das ins Wunderbare ging und endete, hatte schon das Bekannte, hatte Meilensteine, Hürden, an denen es zerschellte und vor denen das Weite erst brüllend vor Verhaltenheit lag.

Noch ritten sie um das Rondell, sattelten selbst. Schon lag der Zauber halb verblättert, reckte darüber her anderer sich schon bitter, lockender und schwerer im Blut aus der Unbekanntheit her auf, ohne daß man wüßte, welcher, woher. In einer Lichtung bekamen sie Durst. Syg fand einen Ahorn, schälte ihn an, bohrte ein Loch hinein. Aus einem dicken Halm sogen sie den gelblichen Zucker. Als sie, satt, nach den Gäulen sah, umdrehte, starrte Sygs Kopf glasig und eingefallen. Die Kupferhaut war molkig. Über ihrem Kopf saß unregbar mit vorgeschossenem Kopf, noch schwebend, die Schlange. Daisy sprang vor. Nun war ihr, sie fliege. Nun kam, erhob sich Unbegreifliches, streifte sie mit Seligkeit. Ein ganz leiser Schrei verließ den Mund, die Augenbrauen standen im Dreieck. Grau und kühl, flimmernd, neigte ihr Blick sich gegen den des Tieres. Der Baum raschelte, es pfiff und klapperte im Geäst. Auch Syg drehte sich nun ihr zu, weinte in ihre Hand. Aber sie fieberte noch auf dem Pferd, hatte Aufruhr in den Knien, wogte mit der Brust. Unglücklich verging die Nacht. Es war aufgestanden in ihr etwas, hatte sie gestreift, sie wußte nicht, wie, wo, welche Sache. Es hatte gebäumt und sich geduckt. Sie fror.

Die Siebzehnjährigen bestiegen einen Dampfer, den Brown gechartert hatte, weiß wie Porzellan. Sie reisten ins Innere. Das Fräulein, der Lehrer bezogen Kabinen. In hellen Kleidern lehnten die Mädchen am Reeling. Vaudreuil winkte herauf vom Land. Browns Arme schlugen Rudertakt. Daisy schmollte den Mund schief. Noch einmal: „Komm“. Vaudreuil lachte, schüttelte den. Kopf. Man fuhr los. „Pa kommt nicht mit“, sagte Syg. In Daisys Stirn fiel eine Locke: „Du solltest dich nicht weiß anziehen. Du bist zu dunkel. Nimm blau.“

Vier Tage fuhren sie den Lorenz hinauf, die Hitze um sich, weiß. Abends ankerten sie spät, um solang als möglich Fahrtwind zu haben. Dann kam die Nachthitze traumhaft. Die schwüle Ruhe lastete mit sprengender Unausgesprochenheit. Spät kam ein Dachs ans Ufer, hob die Ohren, legte den Kopf fast auf die Luft, so weich, soff dann. Als nichts zu sehen mehr, erhob sich das Schlürfen anderer Tiere. Mit jähem Luftdruck schwebte ein Fregattenvogel von den Wellen glatt übers Deck. Aus dem blauen Dunkel formte sich Figur, Geschehen. In weiten aufschwellenden Kreisen vollzog sich Manches, nicht gesehen, aber gewußt und geahnt. Das Ufer, das versackt drüben lag, spannte sich herüber, kam hergeschwebt, riß zurück. Das Gebrumm der Mücken über dem Schlafnetz steigerte sich, bis, mit allem verwoben, es eine Höhe erreichte, die sich selbst nicht mehr ertrug. Da schlugen aus der Spannung von Masten, Geländerspitzen, kleine blaue Flammen auf.

Das Erregte ward nun lauschend, erwartungsvoll. Mit großen Augen überwanderte sie den Dunkelheitsbogen. Ihr Herz machte sich heran an jeden Laut, mit jedem Geräusch ging es hoch und tief. Schlug mit dem Gesäusel des abfahrenden Wassers an Backbord, mit jedem Astwedel, der schauerte. Doch kam es auch zurück. Sie fühlte in sich, als geschähe es in ihr, das träumerische Aufschnellen der Fische und das jagende Husch, wenn ein Nachtvogel die Seile durchschwamm. Irgendeinmal in solchen Nächten schlief man dann ein.

Nun kamen Inseln. Smaragdgrün und gelb war der Strom getupft. Sie loteten den Tag durch. Gemischtes aus unbekannten Blumen und Wasserfäule lag als Barriere davor, erstickte sie fast, als sie eindrangen. Betäubendes Labyrinth von Kanälen umgab sie. Die Inseln wurden kleiner. Ach diese, ach jene, deuteten sie, und schon war alles verwirrt, erkannten sie die erste nicht mehr. Sie sahen keinen Boden. Es wucherte nur. Nachts hingen Schlingpflanzen herunter, im Licht, wie Drähte gespannt, die wogten, durch die von Astlilien Kopfweh heruntersank und ein grausames Süßes, das sich kaum über dem Wasser trug, einsank, in die Wellen mischte, so schwer war es.

Morgens tat eine Bai sich auf. Silbern trat die Sonne aus dem Wasser am Horizont, der ruhig, endlos lag. Sie atmeten tief in das nun Geweitete, befreit. Am Mittag schwammen neue Inseln entgegen. Aus gewaltigen Grasbüschen wuchsen Bäume mit kalt geformten Blumen. Schlugen Brücken miteinander. Die Sonne war weg, der Himmel zu. Unten liefen Regenbogenfische. Oben schwirrten bunte Vögel, ohne Rast in Bewegung und Getön. Dazwischen wogte blauer heißer Dunst.

Abends kamen sie ins Freie. Sie liefen wehend zum Vorderschiff, winkten hinaus. Schrieen: „Das Meer!“ Doch im Untergang brach sich die Sonne in einem gespaltenen Rubinfächer hinter neuen Inselherden. Sie griffen sich auf, sammelten sich, umtrieben sie mit Kanälen und Buchten, in denen sie irrten. Syg holte Daisy in der Nacht, sie schlichen im Schatten der Pflöcke bis hinter die Taurolle. Am Reeling stand neben dem Fräulein der Lehrer, sie sagten nichts, berührten sich nicht. Er wies immer mit dem Kneifer gegen das Wasser. Da unten schwamm aber auch nichts. Jedoch sprang später aus einem Baum eine Katze auf Verdeck, fraß neben der Küche zwei Hühner, die Matrosen machten Jagd, und das Tier sprang durch die Glasscheibe in Browns Kajüte. Die nackten Beine sehr verhaart, sonst nur im schwarzen Predigtrock fuhr er entsetzt mit verschlafenen Haaren auf dem Deck herum, bis man ihn beruhigte. In der Nacht fuhr das Schiff weiter, es gab ziemlich Licht von oben.

Morgens erst schlugen Himmel und Wasser entfernt fest zusammen und machten einen Kreis. Erst da ward es endlos. „Das Meer“, sagte Daisy.

„Es ist auf der anderen Seite.“

„Ich weiß Syg.“ Sie machte einen Bogen, am Geländer saß Well, der Wolf des Steuermanns. Er legte den Kopf, als sie sich kauerte, auf ihr Knie.

Gegen Mittag ward der Ontario tiefblau, spannte sich in gebogenem Spiegel hinauf und in seidiger Biegung abebbend hinab. Im glänzenden Himmel begannen Striche zu wachsen. Hoch über dem Horizont, fast wolkennah schwebten drei große Schiffe. Der Mittag ward voller, ging auf wie ein Gestirn, kam aus sich selbst und zerrann. Toste von Farben. Der Horizont ward dunkel von Glut. Es ballte sich die Weite, durchdrang sich und lud die Atmosphäre mit einem gepreßten ausschwingenden Atem. Segler nahten da und dort, hingen Fahnen heraus, bogen über das glashafte Seidene des Sees herab. Von eigenen Masten flaggten Fahnen, das Deck zog festlich, schmal dahin. Unter der Brise legte das Schiff sich seitlich. Well sprang auf, knurrte, schnappte nach ihrer Hand, sie zog ihn an der Gurgel wieder herunter. Schaumdünn zog Land in einer reinen weißen Wölbung heran. Hinter ihnen sammelte sich das Geweitete, schwang ab in Klarheit mit dem berstenden Geknäul. In der dünnen singenden Luft begann das Segel über ihr sich plötzlich zu drehen. Geräusch von Ruder und geschaufeltem Wasser fiel aus ihr heraus. Mit dem davonschwingenden riesigen Segel flog es in ihr hoch. Es bäumte sich wieder, überrannte sie, stieg aus ihr und gab sich hinaus, erschauernd, tastend, eine Sekunde. Als ihre Haut zu zittern anfing darunter, sprang das Knattern und Schäumen wieder in sie. Vorbei. Sie bebte. Wandte sich um. Das Gewesene nahm plötzlich Platz in ihr wie vorher. Aus einem Hafen kamen Drähte, Stangen, Schorne, schoben auf sie zu, fesselten sie mit ihrer Gegenwart an. Sie fuhren ein in Toronto.

Brown brachte ein Tuch. Es ging auf. An der Mole flaggte es viermal. Sogar eine Rakete schoß hoch und knallte. Darauf kamen Wagen hergerollt aus einer schrägfallenden Straße. „Sie kommen“, sagte Brown, rieb sich die Hände, schmunzelte verschmitzt, es ward eine harte Grimasse. Sechs Wagen standen nebeneinander. Junge Leute sprangen herum, hatten schiefe Helme auf den Köpfen, sammelten sich, stampften, stellten im Kreis sich um einen starken Burschen und schrien Hurras. Der junge Mann sprang im Satz an Bord. Brown fing ihn auf, umarmte ihn, zog ihn beiseite, wisperte, sprach, kicherte. Hinter seinen Gesten sah der Bursch herüber, schnitt Fratzen vor Ungeduld, trippelte, hob den Nacken, grinste ins Blaue. Brown brach ab, schnickte den Kopf, nahm ihn am Arm, führte ihn sorglich hinüber, stellte ihn vor. Sein Neffe.

Drei Stunden Zeit. Sie erkletterten Wagen, die Peitschen stäupten auf. Fuhren den Strand entlang, sahen die Muscheln angeschwemmt in Wällen, einen Fisch, den Dampfer Skania verkracht, die Kessel gespießt von Klippen. Sahen grünseidene geschnittene Rasen abgleiten, Blumenschlangen, geordnete Beete. Sahen von Basalt umstellt eine wütende Quelle, die trommelte, schlug, aufstieß, im Schweigen noch bebte. Machten einen Korso. Stiegen ab, empfanden, es war gut, war schön. Sahen sich in die Augen, sahen die Hände, die Hälse, lachten. Tranken Wein, Schokolade. Lächelten, als Browns Neffe den Lapin setzte, Brown abschob, bei ihnen landete, das Trittbrett abhieb im Schwung. Sahen seine Achseln, das Braun des Gesichts, die Hände. Sahen das weißhelle Blau um die Pupille. Fuhren durch Spaliere, hohe Drähte mit Gärten, die schwebten. Durch eine Palmenallee, Bosketts mit Hyazinthen, Springbrunnen, durch Berge Duft. Fuhren durch Straßen mit Riesenfelsen, die selbst Dynamit nicht zerknackte, unbeugsam blieben. Fuhren unter Hebelwerken, sausenden Oberbahnen. Fahren durch ein Dickicht, ahnten Lichtes, spürten Bewegung, sahen dünn wie Lippen Gesträuch sich spalten. Sagten: „Ontario“. Sahen den See.

Sygs Tuch fiel.

Die Augen streiften, erzitterten. Drei junge Männer sahen nach einem alten Herrn, der ein Ei aufschlug, blieben daran, erröteten, drehten die Hälse zurück, schwiegen, wandten sich immer mehr um die Achse, verrenkten sich, sahen zuletzt in die Luft.

Daisy bückte sich, hob das Tuch selbst, ließ die Lider gesenkt, die Mundwinkel etwas erschlafft. Lehnte sich ins Polster. Sah Pferdeköpfe, Pferdehälse, Browns Manschetten kommen, näher, sich vorschieben, bog sich hinüber: „Zum Hafen“.

Ging rasch, behend, teilte Handdrücke aus, suchte den Kapitän, ersuchte, den Abend noch zu fahren, sah nicht zurück, pfiff dem Hund. Der Ontario lag wie Stahl. Zwei gelbe Segel flauschten groß im Mondschein vorüber. Das Wasser wellte, spielte um das Licht in riesigem Blaukreis. Sie schloß die Augen halb, zog den Kopf des Hundes in den Schoß, einen Zug Leids von der Braue nach der Stirn. Nicht um sich. Sie stand auf. Sie fuhren die Nacht durch, den Tag. Fuhren an Dörfern vorüber, wendeten, sahen sie das zweite Mal vorübergleiten. Kamen an eine Bucht, Gelächter erscholl beim Baden. Die Linie aber wich nicht von der Stirn, die sich zum erstenmal verbog, belastete, überschnitt. Sie fuhren nach Hamilton. Nach Oswego. Legten an bei Port Hope, stellten den Dampfer ins Dock, fuhren nach dem Huron. Zwei Stunden in der Bahn, erbleichte Daisy an den Schläfen, wimmerte hinter verbissenen Lippen, fiel in Ohnmacht, erwachte die Nacht, fiebrige Augen im Dunkel. Sie brachten Essen, Trinken. Sie starb fast unter dem Drängen. Gegen Morgen frug Brown: „Was willst du?“ „Zurück“.

Sie hielt dort an sich drei Tage, saß still bei der Mahlzeit im Garten, fixierte manchmal das Auto, das kam, fuhr. Knüpfte nach dem Lunch eine Hängematte auf die Veranda, stieß den Laden zum Privatbüro zurück, schaukelte; als Vaudreuils Kopf über ihr war, sprang sie auf, eilte über die Diele, trat in das Büro, bat, daß er Syg adoptiere, stand mit ausgebreiteten Armen gegen die Wand.

Der Marquis blieb am Fenster, legte ein Messer auf den Papierstoß, schnickte das Kinn hoch, zweimal, sah auf das aufgeschlossene Gesicht der Tochter, aus der die Bitte troff, ein Leid sich weit erhob, starrte, nickte, aber sein Blut, das ohne Dünkel war, sträubte sich gegen das andere Blut, auf das sein Name, sein Blut sich legen sollte. Sagte: „Sie muß sich gewöhnen, noch mehr Schmerz aus ihrem Blut zu haben.“ Tonlos, ohne Bewegung schlug Daisy die Lippe auf: „Sie würde es leichter tragen.“ Ein Spalt warf das Lächeln des Vaters über sie, überlegen, kühl: „Das ist kein Vorteil.“ Aber von ihrer Haltung ging es über ihn und was er vorbrachte hinaus: „Sie wird es stolzer überwinden.“ Da beugte der Marquis den angezogenen Nacken, machte eine Bewegung mit der Hand, unwillkürlich, schwach, aber mit einer Bedeutung, die sie ehrte und grüßte. Sie wurde rot, das Straffe, das sie geführt zum Erfolg, zur Sicherheit, ließ ab, entfaltete sich in eine rührende Bewegung. Sie ging hinaus.

 

An der Tür sah sie ihn gebückt, er schob eine Kassette auf, vernahm ihren Namen, weich eingehüllt von ihm. Er zog die Nickelschlüssel, gebogene, drahtschlanke, barocke, wählte klirrend, schob auf, kam auf sie zu, sie ging entgegen. Er sprach beiläufig, ruhig, gewohnt: „Die Frauen trugen sie zur Hochzeit. Dann ihr Leben. Ich gebe sie dir früher.“ Sie trug eine Kette aus gelbem geflochtenem Dukatengold, daran drei achatne Kugeln.

 

Lief stracks zum Schiff, winkte, kam näher, sprang auf das Brett, rief nach dem Steuermann. Sah seine Hand, die die Luke aufstieß, zerlegenes Haar, die Hemdsärmel, die Riemen, geblendete Iris. „Was willst du für Well,“ sie deutete mit dem Fuß auf den Wolfhund. Er fuhr mit dem Unterarm über die Stirn, rieb den Handrücken über die Augen, zeigte rasch die Zähne, schüttelte wirbelnd die Hand. Nein. Sie kam in der Dämmerung wieder, hob die Luke, stieg zur Kajüte, stellte sich in die Tür, ließ sie offen. Fragte. „Nein“. Sie lachte, kokettierte, betastete sein Messer, das grüne Glas, den Wandkork, verzog die schelmisch gestreiften Wangen, sagte zweimal plötzlich: „Ich lasse Sie entlassen,“ ging mit hängenden Armen. In der Nacht bellte es im Garten, ein Hund bellte wie auf der Jagd. Sie öffnete die Balkontüre. Well im Garten stand naß, triefend, außer sich. Sie öffnete unten die Haustür, ließ ihn herein, er legte den Kopf auf ihr Knie. Wie auf dem Schiff. Sie vergaß es nicht.

Ging früh zum Dampfer, trat aufs Brett, zog es ab, fuhr zurück, rief in die Luke, sah unten den Kopf des Steuermannes. „Ich bringe Well zurück.“ Ging mit langen Beinen rasch hinauf. „Do . . . do . . . Daisy . . .,“ schnatterte die Nurse, faßte ihr Kleid, küßte es, den Arm, schloß sie an den Busen an, schmatzte, schlug die flache Hand auf den Mund, tremolierte. Hatte von Vaudreuil ein kleines Haus, zwei Kühe, eine Magd. Klatschte in die Hände, summte still vor sich hin, trat mit dem rechten Fuß dazu auf. Im Gang tollte Well. Sie ließ ihn zurücktreiben. Saß allein in ihrem Zimmer, schob das Hemd ab, sah im Spiegel über dem bronzenen Körper die Kette mit den Kugeln, als liefe ihr Blut hinein, ihr Alleinsein, ihr noch Unbekanntes, Umschwebendes, ungeheuer Verhülltes, glänzender und kühler als ihre Haut, aber ihr zugehörig. Wie ihr Bein, ihre Warze, ihr Schmerz.

Der Steuermann am Morgen stand auf der Diele, zerknitterte den Hut, nickte mit dem Nacken, breitete das Maul aus, fletschte, hatte einen Sohn im Büro, spritzte Kautabak, fuhr Pelze seit Jahren, Schiffe, Städte, Stapel . . . kaute seine Frau heraus, gab ihr Reiz, Alter, ein schiefes Ohr, Zufriedenheit . . . riß den Hut hoch, die Tür auf. Well stob herein. Er war unbrauchbar. Sie hatte ihn verdorben. Er blieb nicht mehr. Er brachte ihn fluchend, Zwinkern in einem Auge. Sie suchte nach einer Note. Er nahm sie nicht, hätte ihn nie verkauft. Er wollte ihn nicht mehr. Gab ihn ab. Ging. „Gib ihm ein besseres Schiff,“ sagte Daisy Vaudreuil, „ich will nicht, daß er mir schenkt.“

Den zehnten Dezember fuhren sie nach Montreal, hoben Syg aus dem Auto, hoben sie adoptiert hinein, kauften den Tag über, machten Kommissionen, besahen, beschauten den Mittag, stopften ihn voll, eilend, häufend, bis er abbrach, die Dämmerung kam mit Laternen. In einer Schwebebahn glitten sie aus ihnen heraus. Weiß eingenietet brach die Landschaft gegen den Himmel. Das Nachtlicht flog eisern über Kanäle. „Halt“.

Daisy stieg aus, sie suchten ihren Schleier, fanden ihn, stiegen ein. Am Trittbrett wandte sie sich langsam herum: „Nehmen Sie vor uns Platz, Fräulein.“ Sie übersah den Lehrer, zog die Achseln ein wenig an, schüttelte sich, legte den Arm auf Sygs Schoß, die ihre Grausamkeit nicht begriff. Vor dem Schlafengehen gaben sie sich die Hand. „Du bist froh Syg?“ „Ja.“

Der Winter nahm Kurve auf Karneval, steigerte mit jedem Tag, den er vortrieb, das Gedrängte, Erhitzte. Männerstimmen jauchzten aus Schlitten zu, die die Gegend überkreuzten. Aus Pelzen hoben, winkend, beringte Frauenhände Tücher. Schellen überflirrten die Nacht. Auf Stahlringen der Flüsse kerbten Kufe. Damen fuhren mit Meuten, die vorrasten, sich überschlugen, Haken bogen, von Lachen aufgereizt, verärgert wurden, bis sie sich verbellten am Schlag wie ein Wespenschwarm. Pistolen funkelten in Wintersonne, schossen Salut am Portal. Illuminiert, aus jedem Loch Licht stoßend, hingen die Häuser der Seigneurs am Horizont. Kostüme kamen, bliesen Tuben.

Vier Fackelträger stiepten die Glut durch die beißende Luft. Alf fuhr sie in einer Kurve vors Portal, die Pferde stampften in einer Wolke, spritzten Schaum. Syg trug blaue Kleider. Diener stürzten auf die Treppe, zwischen Kerzen über Treppen. Der alte Fribaurt führte Daisy. Syg hatte sein Sohn, dessen weibische Lippen lächelten, ihre Knabenhände nachbebten, als sie eine Orange ihm schnitt. Im hohen Fensterbogen sah Daisy sie vorbeischwimmen, ihre Zähne leuchteten, den Körper eingespannt in den Schwung des Partners, ihr Gesicht glatt wie Frucht. Sah Syg hineingleiten in Unbekanntes, ohne Widerstand, ohne Bewußtsein, aufklingen in der Saalluft, Fremdenlust, Manngetanz. Sie zog die leise aufschwebende Linie zwischen Auge und Schläfe mit dem Finger aus. Im vierten Gang der Familienquadrille blieb ihr Blick im Fenster, ihr Fächer fiel, ein kleiner Schrei, die Paare verwirrten sich, das Arrangement schoß zum Teufel, die Augen suchten an ihr. Sie deutete auf den Fächer, der alte Fribaurt küßte ihr, zornkochend, ehrfurchtsvoll die Hand. Sie aber suchte sich noch einmal hineinzubegeben in das Umfassende, das sie nicht faßte. Sie spannte sich ihm entgegen mit aller Kraft und suchte es zu erreichen. Nahm den Arm des spanischen Vetters, gab sich seinen Pas hin, der Eleganz seiner ungewöhnlichen Kurven, schaukelte, am Platz drehend, durch alle Voluten der Geschmeidigkeit, trieb mit ihm in die Entfesselung der letzten Äußerung ihrer Körper. Zog zugleich die Kraft an und den Willen, tastete, drang vor, erreichte nichts, erreichte Fremdes, glitt ab mit der Seele. Sein Knie schob sich zwischen ihre Schenkel. Sie ließ die Arme los, die Nasenlinie ward schärfer. An der Ballustrade erwartete sie Syg.

Alf auf dem Rücksitz kreuzte die Arme im Muff, Daisy führte, das Eis schimmerte rosa. An der Ecke der Bucht knirschte das Eis, flimmerte im Frühlicht, wurde tief, herb, hielt drei Meter, brach. „Pha . . . lux.“

Sie blieben sitzen. Alf kniete auf dem Eis, haschte die Schlinge, zog sie an. Riß dem Gaul die Adern am Hals zusammen, zog sacht, langsam den Hals des strampelnden Tieres hoch. Der Bauch schwappte, die Beine traten immer mehr Eis hinein. Alf machte eine gewaltige Bewegung, das Tier ward ohnmächtig, ruhig, ging unter. Nun zog ers herauf, schleifte es aufs feste Eis, schlug die Schlinge ab. Massierte die Schlagadern am Halsstrang. Das Tier röchelte, schnappte tief Atem, sprang plötzlich auf die vier Beine, fing sich in der Kandare. Sie fuhren weiter. Syg klatschte mit den Nägeln auf den Daumenballen. Da brach das Eis zum zweitenmal. Alf würgte das Tier, um es zu retten, zog es herauf, frottierte es ins japsende Leben zurück. Als sie auf das Haus zu hielten, zog Vaudreuils Auto, vom Lorenz her, die Schleife am Fluß. Sie stiegen zugleich aus.

„Zweimal mußten wir das Tier erdrosseln,“ Syg küßte ihn. „Zweimal“, lachte Vaudreuil, schlitzte die Augen eng zur Seite. Daisy war bleicher, aber schöner, gespannter als Syg.

Der Winter kulminierte, schwang auf der Kurve noch, floß herunter. Ging vor den Fenstern irgendwie, irgendwo zu Ende, krepierte in den Mulden südlich, fraß sich satt noch hinter dem Waldgurt zum Hudson. Irgendwelches geschah, rauschte, färbte sich mit Männern und Frauen und Pferden hinter dem Glas, das ihrem Atem sich zuwölbte. Manchmal gings in der Nacht über den Horizont hin, wälzte sich, glühte sich breit aus, manchmal surrte es in der Saublutsonne, manchmal war es unter sackendem Schnee, brüllte um den Himmel, jagte an den Bäumen. Sie hob die Achseln, ging zum Stall. Das Eis sprang bis hoch in den Norden. Alf wartete mit Gäulen. Abends kamen sie von der oberen Mühle. Der Boden war fester. Blitzende Wolken flirrten zag und dünn herbei. Hirsche scharrten um eine verdeckte Quelle. Sie umschlich, kam heran, schoß nicht. Schoß einen Dachs, trug ihn ins Speisezimmer. Vaudreuil erlaubte den Ausflug mit Alf zu den ersten Faktoreien. Ihre Schenkel waren stark, sehnig, gereckt vor Grazie und Grausamem, die Hüften in beispiellos abfallender Glätte. Zwei Tage sattelten sie. Alf pfiff die Hunde heran, zurück. Ordneten, stapelten. Telephonierten, packten die Säcke für die Tiere, Teppiche, Pelze. Am vorletzten Tag kam ein Segler den Ottava herauf.

Unter den Hurras wimmelte es an Helmen am Anlegeplatz. Brown schwebte auf der Veranda, breitete die Arme, rief, was keiner verstand. Die Torontoner Studenten kamen in einem überlieferten Zug, vorn ein Dudelsack, dann zwei mit am Rücken gekreuzten Armen, hinten ein Trommler, ein Schaf, ein Kind, unterm Arm einen grün bemalten Hahn. Ans Tor kam der Marquis, empfing, lächelte ein wenig. Es waren Engländer.

Acht Tage fingen sie Fische. Lagen halbnackt auf den Balkonen. Schlachteten Ziegen, Schweine, Stiere. Tranken in einer Mondnacht eine Bowle, steckten eine Hütte an, fuhren mit Lampionruderern aufs Wasser, warfen um. Lungerten die Weiber um die Pavillons, schrien nachts, quietschten, machten Vaudreuil sein Schlafzimmer wechseln, kein Wort sagen. Spielten Dudelsack morgens, abends, boxten, schrien alle durcheinander, hieben aufeinander ein, entknäulten sich, zogen blitzschnell in Zweireihen singend ins Wasser. Spritzten, badeten, rauchten.

Mittags ritt Daisy mit Alf und Browns Neffen über einer Fuchsspur, folgten sie über einen Acker, trieben um einen Wald, durch einen Bach. Als der Mann ihn im Schuß hatte, wich er, als bocke der Gaul, zur Seite. Daisy kam ins Schußfeld, rümpfte die Nase über die Achsel, schoß nicht.

Alf wagte nicht zu schießen. Ritten stumm nach Haus. Ostwind hatte sich an den Pappeln hochgewirbelt, war über den Wald aufgebrochen, losgesaust, wellig, weiß, fließend ohne Pause stürzte er herunter. Sie fuhren ihm in Jollen schnäbelnd mit der Pinne entgegen, flogen wie Weberschiffe herauf, herab. Er faßte herüber nach ihrer Hand, da ließ sie den Fock los, der Großbaum knallte ihm über den Kopf, er wandte, warf sich herum. Faßte wieder ihre Hand, ihren Namen, ihren Namen vernahm sie, spürte sie, es wickelte sie ein, das Segel flatterte um sie wie Vögel. Sie hielt sich fest. Sie hörte immer ihren Namen flüstern, bis das Segel gegen den Wind stillstand, er am Anlegeplatz stand, ihr die Hand hinhielt. Sie nahm sie nicht. Sah durch seine ametystblauen Augen. Er hatte Syg übersehen, als sie farbig war. Der Tochter Vaudreuils nun, adoptierter, geschätzter, machte er Reverenz, Verbeugung. Er war feig. Sie wandte sich um, drängte dem entgegen, was seine Augen an ihre band, ihre zu seinen hintrieb. Fühlte seine Hand rückwärts an der Schulter, seinen Atem, die Lippen. Die Augen standen im Dreieck. Ein grauer Schein stieß ihn zurück, verlegen, stotternd, rot. Armselig und zornig stampfte er auf. Sie ging schon hochmütig, entfernt. Langsam wich der Raum zwischen ihm, zwischen ihr. Die Ecke bog am Bootshaus. Sie eilte, sprang hinter den Büschen, eilte auf der Treppe. Sagte das Essen ab, krümmte die Schultern verzogen zusammen, wimmerte im Sofa. Gab es eine Pause, kam das Bild zurück. Sie verzog das Kinn, den Mund wie unter sauren Kirschen, Galläpfeln, die Haut schüttelte sich. Zog die Bluse herunter, das Mieder ab, streifte das Hemd über den Rock, wusch Wasser über die Brust und den Nacken. Zog sich aus. Sah zum Fenster hinaus, legte die Hände mit den Flächen fest ins Gesicht. Sah den bronzenen, gebogenen Körper aus dem Spiegel entgegenkommen. Da nahm sie die Kette ab mit den Kugeln, raffte sie zusammen, schob sie in die Schublade. Schloß ab.

 

Vom Hügel trieb der Fluß weit und schräg hinunter. Die weiße Fahne Torontos leckte darauf, Segel schossen in die Tiefe hinab. Der Mond schlug noch über die Felder. Die weißen Räder standen still im Himmel. Nach zwei Stunden ließ sie Alf halten, ritt in ein Waldstück, kniete, wusch die Brust, den Nacken in einem Quell. Sie horchte. Er flüsterte weiter, silberte, verschwand im Laub. Blumenprärien kamen, ein Orchideenpark. Der Horizont war manchmal gelb, fast seifig, eine Sonne wuchs daran sich hoch, sanften Rots, später nahm der Wind ihren Glanz an, stimmte sich wie ein weichkupfernes Abendinstrument, Oboe und Flöte. Mittags wurde er kalt. An dem Bahnhof verluden sie die Tiere. Zwei Tage darauf kamen sie an die erste Lager-Station. Ein Pavillon war reserviert, es gab viel Jagd. Alf packte aus, Teppiche, Säcke, Gepäck. Am Morgen mußte er einpacken, sie ritten den Tag, kamen in ein Dorf, übernachteten, kamen an die zweite Station. Alf ging ein paarmal im Viereck um den Raum herum, schwang die Arme, sah unter sich. Sie ließ nicht auspacken. Als er lange genug gewartet, ging er hinaus, stieg in seinen Schlafsack, mummelte sich, fluchte, kämmte am Morgen den Bart nicht. Vor dem Stall knöpfte er sich verdammend seine langen Gamaschen. Ritt den Morgen hinter ihr her, blieb immer hinten, kam nie an die Seite ihres Gauls. Sie hob die Hand, äugte nach einem Reh. Fluchs hielt er seinen an, starrte ebenso. Sie hörte ihn in den Bart reden. Sie rief ihn heran. Kurz blieb er auf gleicher Höhe, dann sockelte er zurück, fiel ab, blieb hinten. Mittags trafen sie einen Jäger. Er gab ihnen Brot, zeichnete mit dem Daumen, da ihm der Zeigefinger fehlte, einen Halbkreis in die Luft. Sie näherten sich den Ringen.

Angezogen in ausgebuchteten riesenschweren Halbkreisen spannten sich die Faktoreien, gleich Wellen anschäumend, gegen das innere Gebiet. Sie lagen voreinander, Herden gleich, sprangen vor, bestürmten sich, wurden wilder, angerissener, warfen mit dem letzten Halbring sich vor die starre Endlosigkeit, nieteten sich gegen Eis, Horizont, blaue Klippen. Sie kamen gegen den ersten. Sie mußten langsamer reiten, Alf kam nicht nach. Sein Schimmel ging, als lahme er. Sie hörte, er glitt aus Fluchen ins Gejammer: au . . you . . . wai! Spuckte und flennte. Sie ritt zurück, stellte ihn gegen ihr Gesicht. „Ich werde entlassen.“

„Troll dich.“

Sie ritt weiter. Alf geknickt hinter ihr. Er durfte nur bis zur zweiten Faktorei, nicht zu den Bögen. Die Junge vor ihm ritt, als sei er nicht da. Es machte ihm Kummer, er zog den Nacken ein, wurde flau im Magen. Folgte. Der erste Schuppen kam der dritten Linie, der zweite kam. Am vierten traten sie von rückwärts ein. Alf schlich ins Nebenzimmer, sie nach. Ein Angestellter hängte den Hörer des Telephons rasch ein, begann vor sich hinzusingen. Ein bärtiger Riese trat ein, begann zu lachen, aufs Bein zu schlagen, hatte lang keine Frau gesehen. Ein anderer flüsterte ihm Namen ins Ohr. Es war deutlich: Sein Erstaunen war frisiert.

Sofort bot er Jagdplätze aus, erstand sich ihre Beachtung durch Hartnäckigkeit, trat sein Zimmer ab. Es war schon geheizt. Sie sah sich mit Alf an. Offenkundig Komödie. Sie waren erwartet, ohne gemeldet zu sein. Sie blieb drei Tage, fing eine große Forelle, mit der sie eine Stunde kämpfte. Sah sich nicht sonderlich um. Sie ritten weiter. Wurden an der fünften Station schon erwartet. An der sechsten stellte man sich unwissend, ungläubig, die Falte des Vorstehers bebte, gefiel ihr nicht. Am Morgen machten sie einen Haken, kehrten zur fünften zurück. Sie war fast leer nun. „Was sind das für Pelze?“ frug sie. Schwarze Arbeiter deuteten: für die Bay. Sie zog die Brauen hoch. Kein Wort. Alf bekam dunkelrote Schläfen und brummte vor sich hin vor Zorn. So liefen sie das Seil der Schuppen weiter, bis sie gegen die obere aufgespitzte Sichel kamen. Im Sand sahen sie immer eine Spur vor sich.

Sie schnitten ab, liefen nicht bis oben hin, sondern zogen eine Sehne in die Serpentine, kamen auf den neu geschwungenen Bogen, trafen Mittags die Spur wieder, frischer Abwurf zeigte: sie waren nah. Bald sahen sie einen Mann auf einem Esel, der zu entkommen suchte. Sie holten ihn ein.

Eine halbe Stunde ging es hin und her. Der junge Mann errötete tief, wilde Augen brachen sich um, staunten. Von selbst nahm er ein Papier, gab es ihnen. Sah noch einmal um, sie wiederholte ihm Wort für Wort, er prägte sich es ein, ritt auf seiner Spur zurück, murmelnd, daß er es nicht vergäße, jedes Wort im Mund haltend, wendend, beleckend, als sei es wertvoll, Gold, ein Stein.

Abends kamen sie zu Colonel Bol. Er hatte, ein alter Offizier, zwei Serpentinen unter sich, rollte die R, strich den parfümierten weißen Spitzbart, küßte ihr die Hand. Sie hatte ein Zimmer, verblüffend. Morgens früh strich sie mit Alf ins Gebüsch, es pfiff, durch die Lücke trat der Bursche mit dem Esel. Sie nickte. Er nickte wieder. Empfing ein Billet. Ritt nach Süden, zurück, immer rascher.

Bol genoß. Seine Spirituosen waren etikettiert, er ließ die Wahl. Fuhr sie am Weiher, stand er am Ufer, klatschte Applaus. Einen weißen Hirsch gab er zum Abschuß ihr, den er von Woche zu Woche als Dessert sich aufhob. Lieh ihr seine Gummiwanne. Das Blockhaus roch nach Seife, Talkpuder, Wassern der Walstreet. Unter Glas wuchsen Blumen, die Wasserpfeife stand im Brennpunkt des Kreises Seidenkissen. In seinen Pelzschuhen, praktischer und wärmer, kaum größer als ihre, hielt sie auf dem Anstand. Auf den Teppichen tanzte Adimokuh, mit Säbelbeinen und Hängebauch, ein Negerzwerg. Er schleifte das Traurigste der Welt auf seinen Knien. Tränen besternten vor Lachen die Gesichter der Zuschauer. Bol lächelte. In seinem schmalen Kopf saßen Augen des Elefanten. Spielte Whist abends mit Daisy, brachte sie bis an ihr Vorzimmer, ging hinaus. Im Vorzimmer schlief Alf.

Donnerstags galoppierten sechs Gäule am umgerodeten Lagerplatz. Fidley, der junge, zog den Hut. Die Jäger des Lorenz schossen vor Freude Flinten ab. Der Bursche, der südlich geritten, drängte sich heraus, war brauner, stärker geworden. Ritten zur Station. Aßen Lunch, eine Stunde, zwei. Tranken die etikettierten Liköre, Wein und wieder etikettierte. Aßen Geflügel, Braten, Gepökeltes, Rauchfisch, Muscheln, Schinken. Tranken Kaffee. Danach stand Fidley auf, hob das Glas, trank es. Sah Colonel Bol an: „Du bist entlassen.“

Kreidehell, mit zitternden Armen warf der sich im Stuhl zurück. Fidley legte ein Papier auf den Tisch, hob die Faust: „Lump. Hund.“ Langsam, vornehm richtete Bol sich hoch. Frug hochfahrend, mokanter Lippe, zur Seite geneigt, was den Irrtum ausmache. Fidley schlug auf den Tisch. „Die dritte Sektion betrügt. Die achte hat siebzig Prozent. Tosson liefert zur Bay.“ In der Tür stand der junge Mann, der die Südlichen geholt.

Bol sah ihn nicht.

Wandte sich herum im Kreis, zu Daisy. Sie sagte: „Bei Versva verfaulen zehn Ballen. Im ersten Bogen fehlt ein Schuppen. Die Staffel Bol ist halb, wird ganz bezahlt.“

Da sah Bol den jungen Mann.

Stand auf, gefaßt, die Haltung gereckt, schön im Spitzbart, küßte Daisy die Hand, ging hinaus, schoß sich zweimal durch den Bauch.

Vaudreuils Brief, aus Fidleys Tasche, hatte Gemischtes, Anerkennung, Staunen, Lob, das verwischt und gedämpft kam, zuletzt Befehl: zurück. Sie wog den Brief. Ritt allein los, ihn in der Hand. Alf folgte. Sie putschte ihn zurück wie einen Hund. Er widerstand nicht. Wollte nicht bremsen. Nur bei ihr sein. Weiter hatte er keinen Wunsch, tiefer ging das Hirn nicht. Zum erstenmal gab sie ihm die Hand. Aufheulend nahm er sie. Sie kam an den Rand des Hochplateaus.

Unter ihr brach es ab, zackte, wirbelte ein Stück hinunter, ward dann eingeschlungen in das endlose Getöse, das in den Norden sich einfraß. Sterne tummelten darüber auf wie Sand, der hochgeblasen kreist. Serpentinen jagten zuerst noch in Schlingen voran, blieben dann hängen, schwach, dünn, nichts. Aus dem grauen blitzenden Gewell kam etwas gegen sie, dem sich etwas in ihr entgegenspannte in einer entscheidenden Bestimmtheit. Etwas trat aus ihr, machte sie leicht, entstammt, entgegenschwingend. Sie hielt den juckernden Gaul mit den Schenkeln. In ihrer Hand der Brief band sie. Wog schwerer, hemmte das Überfließende. Staute es zurück, hart und schmerzlich. Zog sie zurück. Das Herz, der Mann, der sie gezeugt, Geruch des Stroms, der Gartenerde band sich an sie, riß sie zurück. Der junge Fidley übernahm den ganzen Bezirk. Ihre Abreise feierten die Boys, salbten sich mit Bols Parfüms, drehten die Haare, die Bärte, pomadisiert, in die Höhe. Der junge Bursche trat herein, protestierte bös. Hatte Bol gehaßt, gehetzt, erledigt. Verbot ihn zu schänden, wo er futsch war, im Weiher eingescharrt. Fidley gab Daisy Bols Pferd, das so feste Hufe hatte, daß mans nicht beschlug.

Als nach halber Tagestour die Eskorde zurückgeritten, glitt ihr Gaul aus an einem Bach, sie fiel herunter, verstauchte sich die Sehne. Alf wollte auf seinem sie reiten lassen, der Schmerz machte sie ohnmächtig. Er ritt zurück. Aber obwohl sie in Decken gut und weich gewickelt lag, kam die Nacht Fieber über sie, durch die Zunge sausten Stiche immerfort. Eingeborenenweiber, von Fidley geholt, zogen sie aus, warteten sie, pflegten. Wuschen, suchten Pretiosen im Achselhaar, fanden ein Zeichen am Arm, Fisch und Pfeil darin, quatschten die Nacht darüber, speichelten, summten, suckelten darum hin und her. Sie gaben ihr Milch mit Wurzelzeug, hineingekocht. Die Nacht gab ihr warmen Schweiß. In wochenlanger Pflege malten sie ihr mit dünner Nadel eine Sonne um den Nabel mit Strahlen und Mondzeichen des Tages, an dem sie sie fanden. Kuriere kamen dreimal die Woche die Kette der Faktoreien herauf, holten Nachricht, ritten zum Lorenz wieder runter. Später lag sie in der Sonne vor dem Haus.

Dabei spielte sie mit Getier, Hunden, Vögeln. Einmal umschlich ein Fuchs das Küchenfenster, wo Hühner hingen. Sie lächelte, gluckste, entsetzt sprang er zurück. Da rief sie, heller bestimmender, er hielt. Sie lockte, er kam. Nicht ganz, aber er stand im Kreise ihrer Stimme, die wie ein Lazo ihn umschlug. Sie erbleichte, rückte zurück, lauschte dem Ton ihrer Stimme, der nachklang. Versuchte sie wieder, versuchte sie neu. Als ströme aus ihr hinaus, Gesichertes, Bezähmtes in ein Gefäß der Worte, das sie berauschte und erregte bis in das Dunkel ihrer innersten Grenzen. Es sang und schwang das Belastende herauf, machte es leicht, wirbelnd, später sanft und gelöst. Sie entspannte sich in dem Rausch, hatte eine Macht und eine Befreiung. Wundersame Ruhe machte ihre Tage lang, klar, gut.

Sie spielte mit den Weibern, Kindern durch die Stimme. Lernte das Organ anzupassen, zu biegen in jede Leidenschaft, alle Bewegung. Spürte ihr Herz klopfen, dann den stillen Mollton des Bluts. Lernte von den Weibern den Dialekt. Als sie zum erstenmal ausging, trieben die Kleinen hinter ihr her. Sie scheuchte sie, zog sie zu sich „Go“ war: springen. „Fu“: erfroren fast halten. Mit Vögeln gab es andere Signale. Ein Hase hielt bezaubert von dünnem glasklarem Wimmern. Ein wenig blieb sie nachdenklich, ward traurig bei ihm, denn ihr kam in den Sinn Well. Sie kam schon bis zum Koniferenbaum. Dann bis zum Plateau. Das nördliche Flimmern tobte irgendwo unter ihr. Sie ging davon, ungerührt. Ging allein, verschmähte die Flinte, hatte Unlust zur Jagd. Allein im Gehen, Liegen, erfand sie Ton und Laut, der wie ihr Blut spritzte, säuselte und bebte. Gab sich hinein in Klang und Fülle der Vokale, als sei es ihr Anfang, ihr Teil, sich darin zu verbinden. So kam auch die Gegend ihr näher, wenn sie sie ansprach, du Strauch sagte, Silberlilie, lieber Dorn, mein Freund. Das wandte sich ihr zu dann, ward mit ihr gefüllt, lehnte sich hinüber zu ihr, empfing ihren Atem.

Es kamen Schwäne und Musketen, hinter ihnen mit einem Wagen von der Bay her Syg. Sie brach in das Verweilen ein, die Windstille des Daseins brachte Unruhe, Ahnung irgendwie von Glück. Trieb Altes, den Lorenzfall herüber in das Spiegeln des Weihers, blieb aber entfernter als sonst. Wagte nicht das zu sagen, nicht jenes, denn sie befremdete Ungekanntes an Daisy, das Nicht-Miterlebte, der Schauer der Krankheit und der ihr entquollenen großen Säfte und Ideen. Das lag ein wenig dazwischen.

Fidley schloß den Wagen. Weiber heulten. Die kleinen Affen liefen eine Zeit noch neben dem Schlag. Dann fiel es zurück. Ein Stück Land schob sich vor sie, glitt auch zurück. Ein Staffel Matrosen erreichte sie. Dann faßte sie fest in die Mähne des Gauls, schrie fast und erbleichte nach innen in einem Schreck, des sie nicht bewußt ward.

Unten, unter Dampf lag ein Schiff.

Dahinter das Meer.

Der Bogen der Sehnsucht schoß ab, die Sehne brauste. Es trat aus ihr hinaus, kein Brief, der es hemmte, kein Gedanke, nichts. Irgendwo in der vor Blau zitternden Unbegrenztheit des Horizontes traf sich das Innerste ihres Blutes mit etwas, dem sie sich hineingab, in das sie verströmte, die Lider naß. Alles andere war Spiel, vergessen, lieb, aber ohne Gewicht. Als das Dunkle in ihr hinrann in das Ausschweifendste und Hellste, an dessen äußerstem Rand dünn die Erscheinung hing der Städte, Inseln, irgendeines ungeheuren Daseins, schlug die Schiffuhr. Es war fünf Uhr am Abend. Die Sonne hatte größte Kraft. Sie ritt bis an den Strand. Dort stieg sie ab.

Das andere ging fast traumhaft. Zu sehr war sie eingehüllt schon in ein fernres Geschehen, vor dem der jetzige Augenblick nur als Pause stand. Sie kamen in den Lorenz. Ein Auto wartete. Well sprang hoch. Der Steg. Palmen hingen herunter. Kanonen lösten sich. Mövenschwärme in Spiralen. Wagen wühlten hinter ihr ein Geschiebe. Männer kreischten Namen, Gepäcke. Sie fühlte des Hundes Druck am Knie. Sie bewegte schmerzlich eine Sekunde die Hände im Fell des Tieres. Dann kam der Ottava. Rauschte dunkel schon entgegen auf Kilometer. Das Rauschen lag in der Luft wie ein Schneefeld, sprang in Lawinen ihr leis entgegen. Die Mühlen rochen. Die Schreie der Nurse blieben hinter Bäumen stecken. Das Gittertor kam, vertraut mit seinem kalten Eisen. Glitt zurück.

Des Vaters Hand faßte die ihre. Die Treppe. Sein Mund im Kuß. Er hielt sie stürmisch mit steifen Armen weg, sie ganz zu beschauen, spürte aus allen Poren ihres Leibes ihre Richtung, das Hingewandtsein ihrer Seele. Er erbleichte, senkte den Kopf. Glitt über ihren Leib mit dem Auge, die Brust, den Hals, das zärtliche und hochmütige Kinn. In ihrem Auge saß, schlagend und aufgedonnert das Meer. Das Aufgesparte und Vorbereitete in seinem nach innen gekehrten Leben verstand den Ausbruch. Lächelte. Gab ihr den Arm. Sie gingen hinein.

 

Das Lächeln hatte gewährt, Unausgesprochenem sich geneigt, bejaht. Es erlosch. Nichts gab Erinnerung daran. Es fiel in seine Augen wie in einen Schlund. Die Woche rollte zurück, wie gewohnt. Vaudreuil hütete sein Gesicht. Schenkte ihr ein neues Pferd, bestellte ein Reitkleid aus Leder. Griff vor, erwähnte Zukünftiges, das sich band an Ort und Zusammensein. Berief einen Unterrichter für ungewohnte Kreise, baute ihr Zimmer an, Tapeten kamen weiß geädert mit Gold. Besprach eine Überraschung für Sygs Geburtstag in vier Monaten. Malte den Stand der Rosenbosketts aus auf Papier, eine Pergola im Bogen vor den Terrassen, Fontänen, Vögel, glitzernde Fische, sprach vom folgenden Sommer, dem Herumgehen, dem Abend. Breitete die Zeit aus vor ihr, vor sich, uferlos, vorübergleitend über den augenblicklichen Zustand. Ohne Pause, ohne Intervall. Sah sie wenig, zwischen Mußestunden, bei der Mahlzeit, ging ohne Zögern von ihr. Ihre Erwartung allein spürte, wie tödlich er an den Sekunden hing. Sonntag bestellte er die Yacht nach dem Ontario. Sie bereiteten sich vor.

Montag früh berief er sie in das Büro, brach alles ab. Durch die Maske des gleichgültig gehaltenen Gesichts stieg von unten tief das Lächeln herauf. Gab Daisy von sich. Entfernte sie aus eigenem Entschluß. Löste sacht die Ventile von ihr, gab dem nach, was herausbrach, trieb Mauer und Wand zurück und bog sie hinter das draußen Strömende und Lockende zu einer tiefen Wölbung, in die er schmiegte, was aus ihr drang. Diktierte nicht. Folgte nur. Aber die Führung der Hand hatte die wissende Lindheit, die, nachgebend, bestimmt. So, als sei sein Plan, sein Wille, was er nur abbog, behütete. Widerlegte Widersprüche, die sie nicht erhob. Bewies Notwendiges, das sie nicht bezweifelte. Baute eine Verbindung, die nichts mehr löste zwischen ihm und ihr, indem er verstand und folgte, und das Kindliche, als es abtrieb, selber abhieb und damit unverlierbar sich gewann.

Als der Tisch beim Speisen ihr zur schrägen Scheibe ward, durch den Raum rotierte, Fidleys Pensionen, Schecks, Tips sie umflackerten, das Silber flimmernd wellte, wogte, Sygs Auge schmerzlich, neidlos, neugierig aufging, blieb ihr die Stimme Vaudreuils. Ruhig, gelassen wie im Nebel. Einen Augenblick ertrug sie nicht mehr den trostlosen Schmerz aus der Gefaßtheit des Tons, sie stand auf, wollte sagen, sie bleibe, nickte, schwieg, ging hinaus.

Sie lief um das Zimmer, betastete die Wand, den Kopf des Betts, die Girlande des Balkons. Der Garten. Wasserdunst lag, hob und senkte sich, ausgeatmet ihr entgegen von der Prärie. Hindurch, das Auto blinkte vor der Halle, stieß sich heraus, die gesiebte, durchlöcherte Brust fauchend, zermalmend die Luft. Sie beugte sich über den Fluß. Murmeln koste ihr entgegen, entzog sich ihr, floß tiefer, entfernter, uneinholbar. Drüben schleuderten am Rand des Vorstellbaren Schiffe, Städte, Bahnen sich vor ihr hin, rissen sie nach. Das Tiefe, Bleibende der Erde zog sie herunter, zu sich. Es ging nicht. Aber es riß zu Schmerz mit einer Stille, die verzehrte.

Sie legte sich auf den Bauch, senkte den Kopf zum Wasser. Über ihrem Nacken stand schwingend, kreiselnd in der Luft, aufziehend, Glück, Ahnung, in die sie hineinschwamm, sich hineinbegab, voll, ganz. Unter ihrem Gesicht brachen Tränen. Zwischen beidem lag sie, faßte die Binsen in die Hand. Sie wuchsen an ihrer Haut. Sie fühlte, erschüttert, wie sie sich vertauschte der Landschaft. Ihr Leib wuchs fest mit Geruch und Duft der Erde. Sie faßte das Gras, riß daran, es hielt. Sie tauchte die Arme ins Wasser, es war eins. Legte das Gesicht mit der Wange gegen den Weidenstrauch, den schlanken Baum, da blieb nichts übrig, was trennte, alles floß, verband sich, gehörte zueinander. Was trennte, riß entzwei.

Sie spürte plötzlich, das war das Glück. Schon hinter ihr. Nun, wo erkannt, verdorben, verloren für immer. Je mehr sie sich trennte, um so schärfer schnitt sie der Schmerz, um so hemmungsloser brach dies Gefühl vor ihr auf. Dies war ihre Heimat, durchspülte sie mit Erdsaft, machte sicher, frei, groß. Was kommen sollte, versackte in Staub, bekam feindlichen Atem. Städte lockten nicht, Menschen fielen schal ab wie von Drähten, Dampferschrauben wühlten durch ihr Fleisch. Der Tag schien wie Tod, wenn sie sich löse. Kraft und Sicherheit gingen aus den Adern. Es brach auseinander in ihr. Teilte sich. Unaufhörlich ging es von ihr: Geruch der Bäume aus den Adern, mit singenden Vögeln, lieben Namen von Booten, Wolken, Formen der Wellen. Spaltete sich ab von ihr. Sie hob das Gesicht aus dem Gras.

Frühstückte. Das Nickel des Wagens saß in der Sonne gleich einem schwingenden Insekt. Der Horizont ward heller. Sie ging zurück ins Zimmer. Schloß die Schublade auf, wühlte aus der Ecke eine Kette aus gelbem Dukatengold mit drei Steinen. Zog sie um mit einer langsamen Bewegung. Im Spiegel schien es zurück. Das Rot des Achats leuchtete glatt und kühl. Ihre Jugend stand darin, das Entfernte. Was hinter ihr lag. Die Stille, die sehnende Ruhe des Blutes. Der Umkreis des so Erlebten spiegelte von den Rundungen herab, das Land, die Wiese, das Gras. Sie warf den Hals im Ruck herum. Trat hinaus. Biß die Zähne zusammen. Das Auto schlug an. Es ging nicht anders. Sie folgte.

Fuhren Schleifen, den Fluß durch. Hielten am Lorenz. Hinter Zypressen ihr Geburtshaus. Vaudreuil gab ihr den Arm. Das Tor zum Park. Elastisch gab Vaudreuil Platz frei, ging dann rasch vor ihr. Als sie seinen Rücken sah, begriff sie plötzlich, wie sehr er diese Frau geliebt. Fühlte, was sie versäumt, stand ohne wissendes Blut des Verlustes, ertrug, was sie nie an Mütterlichem besessen, ganz hell, in einer Sekunde. Die Überlast erhärtete ihr Herz. Feindlich ging sie durch den Garten. Zedern reckten um die Bleivase sich in das frühe Rot, Tau perlte in Ketten herab. Die Tür fiel zu. Zurück, Wind strich über die Mauer, senkte sich brausend einen Moment herein. Dicker Regen platschte aus einer Fichte. Der Wagen zog an. Bei Montreal verabschiedete sich Vaudreuil. Plötzlich, daß sie erblaßte. Zusammengepreßt: „Willst du mich immer lieben?“

„Ja, Liebling.“ Sie gab ihm die kalte Hand. Tränen blieben hinter ihren Lidern. Fuhr weiter. „Nicht traurig“, spürte Sygs Hand herüberkommen, zuckte unter dem Schleier, zog ihn hoch. Zu dem blonden Fräulein: „Gehen Sie gleich aufs Schiff.“ Die Koffer stapelten sich. Das Meer schäumte leicht. Von der Barkasse läutete die Glocke. Neigte sich, küßte Syg. Spürte an ihrem Leib den Geruch wieder des Waldblocks, des Spiels im Garten, der Betten, die nebeneinandergestanden. Sie atmete heißer, blieb eine Sekunde. Dann stieg sie ins Boot. Syg winkte. Es war neblig geworden. Pendelnd, unsicher schlug Sygs Kopf aus. Bald rückwärts, bald zur Barkasse, die vorwärts stieß. Winkte noch einmal. Drehte um. Über dem Wagen, den schiebenden Gäulen stand Abglanz von Blau, Berge, See. Ging ihnen zu.

Das Ende.

Es schien ihr, es müsse geschehen etwas, irgendwie. Sie empfand jede Wolke. Jede Linie der Küste legte sich hart um ihr Herz. Die Pause ging. Nebel häufte sich dünn vor das Land, Die Barkasse drang weiter in Flut, entfernte sich, heulte, stieß vor. Nichts geschah. Da überwältigte sie der traurige Gedanke mit solcher Gewalt, daß sie den Messingknauf des Geländers zwischen die Hände preßte, die Stirn zusammenbog mit aller Durchdringung, in der Schmerzlichkeit der Flucht noch die übersinnliche Kraft des Glaubens: nun reiße die Küste ab, komme herüber, hielte sie. Da schwand das Land. Der Schrei blieb in der Kehle, erstarrte. Die Faust ballte sich ihr in Haß. Wandte sich zornig ab vom Boden, den sie liebte. Haßte jede neue Luftschicht, jede Fahne, Gaffel, Signale um sich. Trank Gift mit dem Atem, der ihr von der anderen Seite entgegenströmte. Wandte sich aber mit tieferer Ablehnung weg von dem, was hinter ihr lag. Vorbei. Das Letzte. Die Augen brannten hell, grau. In rotem Nebel begannen Maschinen zu stampfen, pufften den Boden auf unterm Fuß mit kleinen rhythmischen Schlägen. Sie wandte sich um. Die Achseln zuckten. Das Meer vor ihr aufgewölbt von Glut.

 

Zwei Tage Nebel vermiesten, das Pack johlte, die Feinen wurden nervös. Ein Matrose griff fehl, stürzte aufs Deck. Ein Gaul brach aus, sprang ins Schwimmbad, brach den Hals. Abends im Zwischendeck schlug sich ein Dutzend um eine braune Hure. Einer hatte einen Bruch, einer schlug hin auf den Bauch, heulte und schrie „maman“. Ein Weib lief mit halbem Ohr und sammelnd durch die Klassen. Rotteten sich zusammen, spießten einen Alten auf die Arme: „Vieux Ga . . ga.“ Eine dunkle Kugel schob aus dem Wasser, über ihr ein singender Tag.

Am abgesperrten Zipfel des Promenadendecks lagen drei Malariakranke. Zwei unterhielten sich den Vormittag, mittags wurden sie gereizt. Trommelten mit den Daumen, rauchten. Abends machte der eine Vorwürfe, gereizt, heftig, der andere pfiff leis. Der dritte schwieg.

Sah durch ein Glasfenster auf den Korso, langweilte sich am Geschauten, spiegelte sich allein in dem Glas: zerrissenes Gesicht, geschmeidigen Körper, rote Haare. Ein Mischling kam, schöner als ein Weib, flüsterte, verbeugte sich, kam mit Whisky. Der Mann deutete heftig aufs Glas, der Diener öffnete den Riegel, folgte dem Zeigefinger, sah eine Frau, einen hünenhaften Mann, nickte, verschwand. Kam in einer Viertelstunde zurück. Das Paar passierte von Norden her. Lackaugen vom Mann her wanderten herüber, blieben. Die Frau gähnte. Zwei Tage ging der Korso, zogen fern langsam Dampfer vorüber. Das Fieber sank, Temperatur ließ nach. Der Rote erhob sich. Ging am Arm des Dieners hin und her auf der Promenade, anderen Tags allein am Stock. Fiel auf, elegant, zerrissen, glatt, Augen voll Geist. Verschenkte Blumen, grüßte, ließ einen Windhund springen. Trug keinen Hut, die Haare glühend über dem pockennarbigen Gesicht gescheitelt. Eine Quintrone neben ihm, Chinchilla über der Schulter, schmalen blauen Auges, auf hohen Beinen.

Warf plötzlich die Quintrone ab. Benutzte einen Moment: Ging vor, ans Geländer, fuhr mit dem Tuch an die Stirn, knickte ohnmächtig gegen das Eisen, der Riese stieß einen kleinen Laut aus. In seinem Arm machte er die Augen auf, streckte sich lässig. Der Riese zog eine grüne Riechflasche, hielt den Arm rund, weich, damenhaft, den Kopf schräg. Er atmete rasch. Der Mischling Moki kam zu seinem Herrn, stützte den Roten. Der deutete aufs Meer, das violett erzitterte, drehte sich um: „Le Beau.“ Lächelte.

„Fribaurt“, sagte der Riese, sah nur den Diener. Le Beau lud den Riesen ein, zeigte ihm eine Sammlung Säbel. Ging mit ihm durch den Lesesaal, die Billardbälle. Gingen durch den Maschinensaal. Standen vor der schmiegsamen Wucht fressenden Metalls. Hörten die Pfiffe, schritten weiter. Ging mit ihm durch Regen übers Verdeck, sahen den Mond einschlucksen in grauen Brei, der innerlich geschwängert Blasen aufstieb, Ballone ins Meer setzte. Le Beau wickelte ihn ein, führte ihn im Kreis, in einer Spirale, streifte Moki, trieb ihn enger dem Willenspunkt zu, stieß ihn hinein.

Verlor Fribaurt, polierte er die Nägel. Gewann er in Bakkarat, Poker, Sieben, erschien Moki, servierte Zigaretten, Schnaps, Tee. Fribaurt juckte die Haut, der Blick schweifte rechts, schweifte links, hatte keine Konzentration, leckte über des Dieners Schenkel. Das Spiel blätterte auseinander, die beste Karte schlug gegen ihn zurück. Verlor. Spielte Paroli. Blähte die Nüstern, sog die Luft ein, die ihn verwirrte. Verlor. Rannte in Paroli. Verlor. Moki verschwand lautlos. Die Summe addiert. Fribaurt erbleichte. Schrieb einen Wechsel, legte ihn herüber. Le Beau rührte ihn nicht an. Polierte die Nägel, sah Fribaurt starr in die Pupille, führte ihn bis an den Rand der Spirale, in die er ihn schlug. Stellte ihn neben das Zentrum, stieß ihn endlich hinein. Sagte leis drei Sätze, abgehackt, deutlich, akzentuiert wie ein Ausländer. Fribaurt erblaßte ein wenig unter der Hypnose des Klangs. Erhob sich.

Nahm Daisy am Arm auf Deck wie eine Kusine. Die Namen fielen. Sie sah zwischen Pockennarben einen Blick, der elastisch in ihrem sich bog, ihn durchstieß, unter ihrem gestählten Zorn nicht brach. Von der harten, dunklen Stimme fielen Vokale mit glattem dunklem Wohllaut. Überrumpelt, gereizt sprang sie zum Englischen. Er folgte mit gleicher Gewandtheit, wie sein Körper, ihren führend, neben ihr ging, gebogen, nachgebend, hart, fordernd. Er stützte sich ein wenig auf den Stock. Ihr Schritt ward rascher, wogte auf und herab mit dem Schiffschaukeln. Er hielt. Über die Achsel sah sie zurück. Er beugte sich, hob ihr Tuch. „Holen Sie kalten Tee“. Es war heiß geworden. Er drehte um. Sie ging zur Kabine. Le Beau gab das Tablett dem Steward, warf sich in den Liegestuhl, wartete. In der Kühle kam sie herauf. Übersah ihn. Die Ablehnung traf ihn, verzog seinen Mund, lächelnd. Am Geländer spürte Daisy die Richtung eines Fächers, zog den Blick vom Rosafisch, der sprang, sah in die weiße Iris der Quintrone, während die Zähne hell sich öffneten. Sahen beide in das Aufzucken der Lichter, schlossen die Augen, sahen, wie das Schiff festlich, erhöht, auf eine Masse Lichter zufuhr, die höher wuchsen und stiegen und an ihnen vorbeiglitten. Die Dampfer tuteten, Lichtschnüre trennten sich, verblaßten. Fribaurt und Le Beau gingen vorbei. Die Kreolin neigte den Leib, sprach mit der ganzen Haut. Das Murmeln kam näher, spanische Missionsweiber psalmodierten, sahen in die Dämmerung, die fiel. Der Quibekaner flüsterte einer Frau zu, daß sie Regen beschwörten. Sie schrie auf. Er griff in der Dunkelheit fest in ihr volles Bein, damit die Bewegung ihn nicht verrate. Der Schrei deckte das Manöver. Am Schornstein applaudierten die Kanadier, sie gingen langsam hinüber.

Da sah sie: im Kreuzschein der großen Signallaternen bewegten sich Fribaurt und Le Beau wie Ratten, mit Brustschild und Maske, florettierend gegeneinander. Le Beau lag wundervoll in der Hüfte, bewegte sich in der Lendenwage nach oben gedreht mit fesselloser Kraft. Stieß vor, im Angriff, schien plötzlich müde. Übersah die Quintrone, die mit aller Haut atmend in seinen Blickkreis kam. Warf nur einen Blick seitwärts, der dirigierte Moki hinter seinen Rücken ins vollste Licht. Seine hitzig kalte, fast brausende Geschmeidigkeit verwirrte sich immer mehr in dem weichen unberechenbar eleganten Schlag, den Fribaurt in zu seiner Größe und Breite erstaunlichen fast mit dem Handgelenk gefächerten Etüden heraufwarf. Plötzlich machte Le Beau eine stumme eindringliche Geste. Mokis Körper schälte sich bronzeschmal aus der Dämmerung. Beau entblöste die Brust, fing Fribaurts unsicher schwankende Spitze in letzter Sekunde auf, pfiff von unten die Gegenlage, schleuderte aufspritzend das Florett des Gegners in die surrende Dunkelheit. Legte Brustschild, Maske ab, sagte Fribaurt kalt Schmeichelhaftes. Drehte Wasser an, wusch die Hände. Hob plötzlich den Kopf.

Sammelte das Gesicht zum erstenmal ganz, legte es in den Blick. Warf ihn mit einem wehenden Ruck herum, mitten in Daisys Gesicht. Entjungferte ihr Auge. Traf es mit einer Gewalt und Absicht in einer eindeutigen Sicherheit, daß sie wankte. Schmerz spürte, als durchstäche er sie. Ihr Blut aufflammen fühlte, zurückstürzen. In den Adern eine bäumende, auflösende Kraft. Sie gab den Blick nicht zurück, schloß über dem Vorgang die Lider herunter, ging mit dem Gefüllten rasch hinab, unsicher, überwältigt wie ein im Schlaf begattetes Tier, in der Haltung zart und süß, den Kopf mondhaft, nicht weinend, zur Seite gebogen.

 

Sie schnitt ihn. Er übersah es. Sie brüskierte ihn. Er sah es nicht. Sie reizte ihn, brachte ihn zu keiner Äußerung. Sie traf ihn auf Vorderdeck, drehte um. Am Lunchsaal strich sie ihn fast, sprach abgewendet zum Steward. Fuhr in seinen Satz, sprengte die Gruppe, in der er stand. Zeigte ihm ein Maß der Ablehnung, das sie derart steigerte, daß er ein Lächeln einmal abends darauf gab. Sie setzte die Kiefer fest aufeinander, behandelte ihn gleichgültig, suchte seine Nähe, die sie gemieden. Frug ihn nach der Zeit, lachend nach dem Barometer, scherzend, als glaube sie, es sei von der Jagd, nach den Narben seines Gesichts. Er nahm es gleichmütig, erinnerte in nichts an etwas, das traumhaft hinter ihrem Leben nun stand, sie trennte von allem. Sie aufhob und ungestüm machte nach einer Entfaltung. Ihr Drang nach Geben und Zurückströmen des Gefüllten war so groß, daß selbst die nichtssagende Bewegung ihres Ganges, die Haltung ihrer Zigarette eine Zugehörigkeit und Verbindung mit ihm annahm. Ihr nebensächlichstes Wort hatte eine Umkleidung, das ihn stach. Ihr Gespräch mit anderen nahm Richtung auf ihn. Er blieb gleich, unberührbar in seiner Glätte.

Sie wandte sich Fribaurt entgegen, holte den Klatsch herauf, trat ihn breit mit ihm, vermengte, versträhnte ihn, daß Le Beau schweigend hörte. Sie gähnte nicht mehr in des Riesen weibisches Gesicht. Holte neues heraus, Unerfindliches, Entferntes und breitete es hin. „Sie haben durch den Fächer bei der Quadrille einen Feind in meiner Familie. Mein Vater haßt Sie, daß er Sie fast liebt.“ Sie lachte ein Lachen, das kein Lachen war. Das Schweigen neben ihr blieb. Sie lockte es nicht heraus. Sie übernahm sich im Grauen davor, schob Fribaurt in Dialoge, denen er kaum folgte, erreichte die Spitze des Erreichbaren: das Gespräch brach ab. Eine Pause fiel.

Da machte Le Beau eine Bewegung. Moki begann auf der anderen Seite herumzulungern, glitt auf eine Bank. Fribaurt stotterte, zog den Hut, verschwand Ihr Alleinsein machte sie wortlos, verlegen, fühlte sich verloren. Was sie in ihn überleiten, ihm zurückgeben wollte, den Zwang . . . es bog sich herum, ward Leere und Fassungsloses in ihr. Sie wartete, daß er ihre Hilflosigkeit erkenne, benutze. Allein er schmiegte sich nicht hinein, ließ den Augenblick verklingen. Es kam eine Ruhe über sie. Ihre Hände ballten sich ein wenig zusammen. Er änderte seine Stimme nicht. In der Nacht hörte sie sie im Schlaf, sie stieg mit ihr herauf ins Erwachen. Sie bog die Beine herauf, legte das Gesicht darauf in schmerzhafter Umarmung. Da schlug ihr die Stimme heiß ins Gesicht aus jedem Knie.

In ihre Augen, Schalen, legte er, was er wollte. Es war Schmiegsames, Zartes, das sich mischte mit Stahl. Auf ihr Gesicht schrieb er Vorgänge, ohne sie anzusehen. In sie hinein sprach er, ohne Widerstand. Nichts stieß ihm entgegen. Gewölbt stand ihm offen das Ganze. Er schmiegte sich hinein. Warf sein Leben hinaus ans Meer, es prallte zurück, umgab sie. Dämpfte das Gute, hob das Schwanken. Baute sich aus in ihr, langsam, gespannt, weich mit einer eindringlichen Unerbittlichkeit. Die Sonne ging in weißem Bogen. Lauschend bog sie sich über den Tisch. Langsam sammelte es sich bei ihm. Kam diesmal ohne Wucht, aber mit bis ans Schreien unterdrückter Süßigkeit. Er flüsterte zwei Worte. Sie gab den Blick langsam, schwer zurück. Nickte.

Sie stand nachts auf. Es schlug zwei. Die Tür der Kreolin schloß sich, bei Fribaurt glitt es heraus, dunkel und braun, verschwand. Sie ging die Treppe hinauf, sagte die Nummer der Kabine mit weißen Lippen vor sich hin, suchte mit den Augen, den Händen in der Dämmerung des Korridors. Ihr Arm blieb stehen. Ihr Bein, magisch gezogen, ging unter ihr weiter. Ihre Haut glühte mit einem Ruck. Da hörte sie neben sich in der Nische ein Geräusch. Sie bückte sich, durch die Luke kam Nickellicht vom Wasser. Hinter Gittern kamen die roten Augen kleiner Hasen an sie heran. Ihr Finger berührte die bewegte Schnauze. „Go . . .“ Die Tiere hoben sich, neigten sich herauf. Begannen sich zu bewegen im Ruf, der sie traf. Ihre Stimme aber kam auf sie zu, umfaßte sie selbst wie von anderen gesprochen, breitete sich in ihr aus und verließ sie wieder in Seligkeit und Erfüllung. Was vorging, was sich sammelte aus ihr heraus im Ton, der sie umschwamm, brachte Ruhe in sie. Trieb sie in eine Klarheit. Stellte irgendwo etwas auf, dem plötzlich alles in ihr wie an Fahnen hingeweht sich zubewegte. Ihr Blut spannte sich dem entgegen. Es ging über alles hinaus. Trieb darauf zu mit der Kraft und der Inbrunst des Ziels. Sie lächelte. Kehrte zurück, fiel in Schlaf wie Traum.

Abgelenkt, vorbeigeführt innen an ihm, gab sie ihm die Hand. Keine Miene zeigt, daß ihn etwas enttäuschte, Unter den Sätzen warb seine Stimme um sie, um jeden, er blieb gleich. Sein katzenhaft gestraffter großer Körper blieb neben ihr. Hörner heulten aus dem gegen die Wellen trommelnden Abend. Blinkfeuer stachen kreuzend ins Licht. Aus Landduft quollen roh, verquatscht, Hupen. Die Räder gingen langsam, fielen zurück, die Mole hing voll Menschen gedrängt, wimmelnd, sich verlierend auf der tiefen Fläche. Unter den rücklaufenden Wogen schellten die Bojen los. Das Schiff stand. Da sprang plötzlich ihr Herz.

Die Barkasse legte an. Zwischen gestapelten Koffern irrten Passagiere, auseinandergespritzt. Hände durchglitten ihre. Das Fräulein stieg auf der Treppe hinunter zum Wasser. Sie sah scharf nach dem Ufer. Es kam auf sie zu.

Sie gab Le Beau die Hand. „Wohin?“ Sie wußte es. Er sagte: Paris. Lächelte plötzlich: „Wohin fährt ein Franzose . . .“ Sie lachte über die Schulter dem Reeling zu. Sie sah zurück: Versäumtes, Verfehltes lag auf seinem Gesicht plötzlich gesammelt, Schmerzhaftes zog es tief in ihn hinein. Es blieb. Verließ sie nicht. „Leben Sie wohl.“ Wind bewegte sein rotes Haar. Den Hut unterm Arm. Von unten sah sie ihn am Geländer verschwimmen. Zwischen den weißen Hosen der Kapelle brach der flackernde Untergang auf. Die Musik spielte über der Sonne. Die Barkasse legte sich fest an Land.

Der zweite Abschnitt

Da war Berlin, sie erkrankte an Grippe, ihre Umgebung fürchtete den schlechten Ausgang. Sie genas. In Zackstrahlen von diesem runden Verharrungspunkt ausgeschleudert, durchschwebte sie die neuen Schichtungen. Das Fräulein führte die Liste der Stunden. Die Tabellen verengten sich, gingen bis in die Nacht. Man holte sie. Sie schob sich selbst in das Drängen. Bald stand ein Defilé vor dem Haus. Mit Holl ging sie in Lewinskys Generalproben. Vom Bazartee kam sie mit Rosen, die Zofe brachte das Abendkleid ins Bad. Das Fräulein reichte die Tabelle. Sie runzelte die Braue etwas hinauf. Verreiste. Böhmer, Below traf sie bei der Holmberg, überging sie. Erlebte den Skandal, als Männer auf der Nizzapromenade sich um deren weißbemaltes Fleisch schlugen. Drei davon starben. Andere hätten sich gewälzt vor Wonne. Fuhr weiter. Drang von Schicht zu Zelle, lächelte. Es gab keine Grenze, Geld, Wille machten vor ihr alles frei, sie folgte traumhaft. Bei Utö kam von der Regatta Symes herauf, schlenkerte im Sweater auf sie zu. Sie sah zuerst vorbei, traf plötzlich seine Gestalt, spürte in den Knien, im Auge den Schlag, erblaßte. Lief am Strand auf und ab abends, allein. Reiste zurück nach Nizza die Nacht.

Bezauberte drei Tage von neuem die Holmberg, deren Hand schmeichelnd kam, fuhr mit ihr den Korso, dessen Blumenwoge symphonisch in den Himmelrand schlug. Ihr Blick hing fest irgendwo über ihr, zog etwas daraus fest in sich Die Gräfin fragte. Sie ward scheu, umschwebte mit dem Blick ihren Kopf, wich der Hand aus, verschwand. Sah in dem Parkfest eines dekadenten Mitteldeutschen Fürsten die Megrée auf gemeißelten Beinen kommen, auf einem Wallach, zwei Messer im Mund, abspringen, den Norweger Stefan umarmen, nicht tanzen, lachend abreiten. Der mit den eisernen Backenmuskeln wandte sich ruhig um, sah, überstürzte den Blick nach Daisy. Seit dem Tag war Stefan hinter ihr her, reiste Station auf Station nach, vermochte nicht zu bitten, versuchte einen Einbruch, setzte sich selbst herab, mußte sie unter Menschen ihn hören. Seine athletische Brust zuckte zurück vor ihrem grau geworfenen Auge. Sie sah ihn kaum. Sie gab sich hin, ließ sich aufnehmen wie willenlos, von diesem bald, von jenem Hauch. Kam es vom Meer, war es gut. Kam es vom Land war es gut. Ihr Gesicht selbst war verschleiert. Es war unsichtbar, was sich vollzog. Nur war das Obere deutlich nicht das Letzte. Etwas saß darunter, fest zusammengedrängt. Nur, je mehr sie sich dem Umstrahlenden anschloß, genoß, sog und hintertrieb, bedenkenlos die Stationen nahm, die sie umwölkten, war etwas in ihrer Hingebung, das sie dem so heftig Genahten tief entzog.

Es schwankte herauf und herab in dem Treiben, bald obere, bald untere Welt, Fahnen und Wagen, auch Meer. Sah Heringsdorf, Menschen bogen sich, verkrampften den Blick, sahen in die Sonne, neigten die Hälse, flüsterten, trieben Neugier aufs Gesicht. Durch solch gewölbte Gasse kamen Heroen: Lyonel, Böhmer, Brandt, Below. Umzischelt, vertuscht, aufgerissen. Vorbei. Sie lenkte den Blick kühl darüber, er trieb nicht ab, blieb nicht haften, kein Drang schlug dort hinaus. Sicher fast, in die Höhe gehoben, blieb er dort. Haftete. Sie spielte einen Preis im Single heraus. Das Lächeln, das sie zerstreut dem Preisrichter gab, lief durch Revuen, machte ihr Gesicht bekannt. Darauf, in Zopott, trat im Doppel Stefan gegen sie. Machte ihr Fehler hin, sie nutzte nicht aus. Schlug erstaunliche Drifs, sie bewunderte nicht. Schlug einen Ball gegen ihren Schenkel, mit einem Wehlaut sank sie zusammen. Seine Entschuldigung lenkte den Blick an ihm vorbei. Gewalt gegenüber war sie eisig verschlossen. In München schwärmte sie unter herber südlicher Sonne einen Festabend. Unter der Dielentür sah sie Caspare Symes, er sah sie nicht. Da schwankte ihr Gesicht, an den Molen des Innern brach sich es, schäumte herum. Sie stieg hinauf. Nahm den Spiegel. Ungewisses, Zögerndes stand vor ihr, schlug dort hinaus, woher sie kam. Sie bog ihr Gesicht auf, lernte eine Bewegung, die es zurückschlug, was tastend offen stand, hinein fuhr in die Tiefe. Das Harte, Gespannte, sammelte sich dichter unter dem Schleier, ward reifer, fiel fast als Frucht schon heraus.

Sie saß im Zirkus, wo Sägemehl und Pferdeschaum schwirrte. Mit Steinen um den verhaltenen Mund neben dem französischen Botschafter. Fuhr im Auto durch Eifel und Rhön, über Matten, zu den stählern gereckten Chausseebändern des Bennetrennen. Kinder, Frauen, hinter ihr her, hinter nie Gesehnem. Offiziere ritten neben ihr im Herbst. Im Lunapark verlor sie einen Ring, lachte. „Masseldoff“, flüsterte Holl. Sie sah zurück. Die Zeit staffelte sich darunter. Es ward klar. Was war das all? Nichts. Die Männer, es beschäftigte sie nicht. Hochmut sprang um den Mund, als sie aufsah. Was blieb, kannte sie.

Noch blieb sie in der Schwebe, blieb sich gleich, hingegeben noch wie stets dem, was bereits vorbei war. Unbestimmbar so auf Straße, Wagen, Park. Verdichtet aber im Innern. Sie hörte Stimmen, vernahm Dinge, hörte Stefan, Holls Regie. Wohlig streckte sie sich darin, es ging sie nichts mehr an. In Christiansand an einer weißen Mauer entschloß sie sich plötzlich, bestimmte die Rückkehr. An der Reede, von einem Schiff steigend, das kam, traf sie Symes. Er grüßte. Ihr Gesicht blieb kalt, wie sie es sich gelehrt. Aber Ohnmacht überfiel sie, so straff hielt sie unnatürlich die Maske. Es schlug sie den Fahrtmittag nieder, erweichte ihr Gesicht, das mit den heißen Wellen ging und kam. Gegen Abend warf sie den Aufruhr in sich nieder. Erreichte den Punkt wieder, wo ihr Blut hinhielt. Hielt die Richtung ein, verschärfte sie sogar aus Trotz über die Abschwenkung. Warf alles zurück auf das Zentrum. Der Schleier fiel ab. Das Gesicht fiel reifer heraus, suchend, ruhig, bestimmt.

In der Nacht kam sie an. Im Bett früh telephonierte sie nach Lewinsky. Er war nicht im Theater, nicht in der Wohnung. Sie hörte vom Diener, wo. Fuhr zu Guildendaal aufs Morgenfest im Park. Suchte die Wiese ab. Sah Perlhuhnhunde, des Einladers breite Glatze über Favorits, sah eine Polonaise am Teich. Darin am Ende Lewinsky. Da setzte sie sich beruhigt. Doch unterbrach ein Skandal. Es kam ein Anruf: die Megrée hatte sich erschossen. Man rottete sich zusammen. Holl eiferte gegen Stefan, hetzte fanatisch, jetzt noch in ihre tierhafte Anmut verliebt. Kam Stefan vorbei, schwiegen sie. Man hatte den Mut nicht, es ihm zu sagen. Fribaurt kniete neben ihr, erzählte den Fall das drittemal. Sie sah in den blauen Himmelausschnitt zwischen den Rotbuchen: wie feig sie waren. Sie sah deutlicher nach Stefan. Eine Stunde blieb sie, überflog die Versammelten, hielt Zusammenhang immer mit einem Kopf. Plötzlich ging Lewinsky, sie sah den Hut in seiner Hand. Da stand sie mit einemmal leicht auf. Sie legte, schon halb herumgewandt, die Hand mit unnachahmlicher Lässigkeit auf Stefans Schulter: „Die Megrée ist tot.“ Ihr Gesicht war anders wie das, was sie sagte. Fern nach anderen Dingen gewandt, erhielt die helle Schärfe eines Vogels. Am Wagen blieb ihr Kleid etwas gerefft hängen. Man sah ihr Knie. Sie fuhr die Allee hinaus.

Sie fuhr ein paarmal, um Zeit zu gewinnen, um das Viereck, nachdem Lewinsky vor ihr ausgestiegen. Ließ halten vor ihrer Villa, ging unter Flieder auf das gelb leuchtende Haus. Im Boudoir zog sie sich um, saß noch einige Minuten am Fenster. Über dem Kiesweg pflückte sie einen Zweig, schwang ihn hin und her. Der Gaul wieherte, als sie wieder losfuhr. Sie ließ sich nicht anmelden und wurde daraufhin abgelehnt. Da gab sie die Karte ab, die Türen gingen auf, im Arbeitszimmer stand Lewinsky, an ihr vorbei, ihn verlassend, ging Stefan. Sie stand an der Portiere und brachte Lewinsky aus der Fassung. Sie hatte ihn den Morgen getroffen, sich nicht annonciert, war plötzlich da. Sein Blick strich die Wände hinauf, da hingen große Männer seiner Zeit. Seine Haare waren in der Stirn geschnitten, er stieß mit der Zunge an, schlug die Arme über die herausfordernde Brust, um sicher zu scheinen. Er fragte, was sie will. Sie antwortet nicht, macht nur eine Bewegung, die sie ihm ganz öffnet. Erhebt ihre Stimme. Kein Mensch hat sie gehört. Sie fühlt sie schweben. Sie spricht eine halbe Stunde vor dem Gesicht, das an Höflichkeit aufrafft, was es kann. Sie fühlt die Vokale steigen, glänzen, singen. Es entspannt sich in ihr, vieles geht hinaus. Das Beste bleibt, ist gehemmt. Als sie eine halbe Stunde gesprochen hat, hebt sie das Auge auf zu ihm, erschrickt. „Es genügt nicht?“ Er spaltet den Mund nach den Seiten, schaut herauf ihre Figur, herab. Kämpft einen Augenblick mit den Kinnmuskeln. Dann schüttelt er den Kopf.

 

Viele Tage verließ sie das Haus nicht. Ihr Mut war so stark, daß der Mißerfolg sie nicht schlug, sie begriff ihn kaum. Er brachte sie nur deutlich zu sich, entfernte sie von dem Hin- und Herbewegen und legte sie fest. Sie sah durch das Straßenfenster, da ging gedämpft der städtische Verkehr der Grunewaldstraße, rasch, verwirrend, elegant. Sie ging zum andern, da war rauschender Park. Baumwipfel bogen sich im Wind ihr zu. Sie hob den Kopf entgegen dem Geräusch, hob ihm die Stimme entgegen. Es klang zusammen. Belebte sie, gab ihr Resonanz, sie kettete sich daran und bekam die Leichtigkeit, die sie selbst bezauberte und hinriß. Da war sie ganz enthalten in den Lauten, wenn sie allein sich preisgab dem Gefühl, das ausfloß. Da konnte sie Sätze biegen, Wonnen rauschen lassen in blanken Diphthongen, spielen mit Worten und ungefähren Dingen, die als Sternnebel um sie waren. Beglückt trat sie zurück.

Am vierzehnten Tag fuhr sie zur Florath. Die wollte sie ablehnen, sah das gute Kupee unten stehen, ward neugierig, winkte, sie hereinzuführen. Sie lag mit gelockerten Beinen auf dem Diwan, musterte Daisy mit den runden Wolfsaugen, leckte die Lippen und führte beide Arme verführerisch nach den hell gemalten Haaren. Daisy begann, ohne sich zu setzen, sprach, nicht lang, aber eindringlich. Beim ersten Laut spürte sie, es fehle, es stoße neben hinaus, was sie wollte. Als sie ins Gesicht der Schauspielerin sah, stürzten ihr Tränen in die Augen. Alles verließ sie. Kein Mut, keine Sicherheit. Mit kindisch unsicherer Haltung raffte sie ein Taschentuch auf, das ihr gefallen, und als sie wieder stand, sagte sie nach unten hin: „Ich hatte mich nicht in der Gewalt.“ Wieder suchte sie jenen Ton, den sie seither immer besaß, der ihr eigentümlich war wie ihre Hand. Sie glaubte, sie träfe ihn, begann von ihm aus sich aufzuschwingen. Als sie unsicher ward, half ihr der Trotz zu einer intensiven Kraft. Einmal stockte sie, sah die große Frau auf dem Diwan zusammengerollt, sie nickte ihr zu. Sie fuhr fort, schleifte es weiter und brach ab. Die Florath reckte die langen Beine, erhob sich, zog die Knie an, sagte mit ihrer schwärmerischen Stimme: „Gibt es denn nichts, was Sie sonst befriedigt . . .“, kam mit langen Schritten auf sie zu. Sie sah auf, wollte, was sich sprengte in ihr, sagen. Es kamen nur Tränen, sie stampfte ein wenig auf. Als sie den Arm der Florath im Nacken fühlte, wußte sie, daß jene sie mißverstand. Sie schwieg, verschloß in sich das Geheimnisvolle, das sie sofort wieder sicher machte. Demütigung, Verzweiflung bisher, nichts war umsonst gelebt, sie fühlte, es ward klar. Noch machte an der Tür die Florath eine Bewegung mit dem Kinn, das rätselhaft herabkam: „Die Welt ist voll Möglichkeiten, reizvollen, wenn Sie die Ihren suchen . . .“, die runden Wolfsaugen überglitten sie lächelnd, die Hand glitt über ihre Brust. Sie verneigte sich. Auf der Treppe ward sie wieder zäh wie vorher. Gelang dies auch nicht, sie spürte unbedingt, unauslöschlich die Stimme in sich An der Straßenecke stand Moki. Aus dem Laden trat Fribaurt, bedrängte, behing sie mit Geschwätz. Sie log ihm Krankheit vor, erklärte ihre Unsichtbarkeit damit, frug ihn, als er nicht wich, nach dem Diener. Er schmollte mit den Lippen, verschwand. Zu Haus fand sie einen Brief. Er riet ihr, zu Löw zu gehen. Rivale Lewinskys. Sie wußte nicht, von wem. Der Goldfischteich glänzte aus der hellen Dämmerung. Sie biß die Lippen zusammen über den Eingriff, der in ihr Leben kam, der Garten stand geweitet wie ein Flußtal, Fischflossen glänzten manchmal weich und rasch.

Der Papagei schrie lang und heiser. Sie kraute die gesträubten Haubenfedern. Der Schnabel kreuzte sich, orangen und grün flimmerte es aus der Ecke: „Dogo . . . Dogo.“ Sie wandte sich von ihm um. Nahm ein gepreßtes Buch, schlug es auf. Neben Lewinskys gesalbter Glattheit stand das wohlwollende menschliche Gesicht Löws. Es zog sie an. Sie sah auf den Boden. Im Garten, sangen Nachtvögel herauf, schwebten ihr mit Wind Flüstern entgegen und nassem Buschzeug aus dem Blau. Sie spürte, daß der Brief sie gut leiten wollte, zog den Finger aus den Blättern, empfand im Schließen, wie es sich in ihr spannte, und daß vor diesem Kreuzweg Ja und Nein des Lebens stand. Dann hatte sie etwas plötzlich, was alles vertrieb.

Sie fuhr zu Lewinsky. Er hatte sie einmal besiegt. Zeigte, wie schön sie sei. Hinter der Höflichkeit reckte sich seine Macht. Er gab ihr ein anderes Buch. Sie wollte es zwingen. „Der Text ist nicht gut.“ Ein anderes Spiel. Sie wechselte. Sie bäumte sich auf, klar und weitschweifend zu sein. Schon kämpfte sie gegen das Unfaßbare, da ging eine Tür hinter ihr, über den Spiegel huschte ein Schatten, eine dünne Bewegung. Es löste seine Oberfläche auf, er stand in Wellen, wurde tief und voll Horizont. Ein Springbrunn kam hereingeplätschert, ihr Mund spürte Blau und Goldregen und Baumbewegung. Es kam Geräusch der Ströme. Auf dem Ontario wogten Segel, hißten Fahnen, grüßten. Rührung und Hingabe legte sich in die Stimme, ward goldhell, posaunengroß, nun erlebte sich alles. Flog an den Drähten hinauf, sank zurück ins Blattgepischper. Trug eine Kraft, die schwoll und wuchs. Sprach zu den Tieren: Ihr Lieben. Zu den Weibern: ei welche Sonne da. Hatte den Ottawa im Traum, den Erddunst in den Nüstern der Vokale. Hatte ihr Herz. War voll. War da.

Ihr Auge frug nicht, ihr Mund hatte kein: Genügts? Lewinskys Kopf war entblättert. Macht, Höflichkeit, jede Maske war weg. Um die Lippen stand eine grausame, bebende Linie. Angst, daß ihm dies entgehe. Er versprach, was sie wolle: Erfolg, Geld, Ruhm. Der Spiegelschatten kam aus dem Polster, Stefan brachte sie an die Tür, hatte Ersticktes in der Stimme: „Erhielten Sie meinen Brief?“ Sie zögerte, sah Gesenktes an ihm, der Brief war gut. Dann hob sie schmal das Kinn: „Nein“. Er lachte heiser durch die Zähne. Ihr Blick blieb verwundert.

Dies war der Durchbruch. Die Arbeit begann. Lewinsky zeigte klug, was ihr fehle, wie, was sie in sich trug, nur die Flamme war, die das Gerüst entzündete und in die obersten Logen der Erfolge trug. Das Gerüst war zu lernen. Sie sah ein, sie konnte noch nichts. Nun gab es nur dies. Von allem schnitt es sie ab. Keine Segelfahrten lockten, an keinem Zirkus entzündete sich die Lust nach dem Dampf der pochenden Pferdebäuche. Fort gingen die Bahnen, die Wagen. Sie blieb.

Die Brauen bogen sich vor Spannung. Das I schärfte, jagte sie in den Plafond gegen Dogo, daß er flatterte und es zurückschrie. Das A baute sie zu Brücken, weiten Wölbungen, die funkelten vor Kuppelschwung und Material. Aus dem O kamen schwingende Trommeln, ferne Gewitterstürze, die erregten. Die Leidenschaften der Wälder, das Sichsagen der Leiber brannte aus dem U. Die Diphtonge glitten dazwischen. Sie trat ans Fenster, die Hände, die Brüste am Gitter.

Ein Lehrer kam, der den ausländischen Akzent abschliff. Nach acht Tagen sagte die Zofe ihm, es sei genug. Lewinsky sandte andere. Sie verbrauchte viel und rasch. Fand sie, wo sie einhaken konnte, blieb sie zäh dabei. Das Regulieren von Zunge und Zähnen, das Siebenmaldurchsprechen der Rolle, bis die Figur sich entschälte, das Hartnäckige und Sichere, das war ihr Fall, dem blieb sie treu. Ein Lehrer wies ihr die Bewegung im Raum, teilte ihn geometrisch, wies ihr die Plätze dekorativ. Stellte ihr die Gebärden, zog eine Kurve. Sie sah vorbei. Er stülpte den Ärmel hoch, den Arm auf zur Ekstase. Sie machte es nach mit der Linken, die Rechte gähnte. „Wozu?“, frug sie Lewinsky mit ermüdeter Schmerzlichkeit. Da brachte er Statisten, belebte mit Fleisch, mit Blut das Zimmer, suchte durch Lebendes ihre Verwöhnung zu überwinden. Er machte ein Kabinettstück, bezauberte mit seiner eigenen Regie, hetzte das Zimmer, die Luft zu Drama. Sie lächelte. Sie nahm drei Stühle. Sowie sie aus sich selbst sich bewegte, kam Leben in das Holz, ward Aufruhr und Ergebung. Sie entflammte es. Er zog beleidigt die Unterlippe ein, grinste impertinent, als sie den Rücken kehrte. Ließ sie aber tun, was sie wollte. Überzeugt selbst über seine Eitelkeit hinaus.

Einmal gönnte sie sich Erholung, als Dogo schrie, sie ihn im Hemd mit Tintenfischen fütterte auf der Veranda und die Morgenkühle ihr unter dem Leinen den Körper hinauf tastend lockte. Sie ritt mit Guildendaal und Rotbefrackten eine Allee hinauf. Die Hunde rannten Hasen nach im Gras. Von einer Pappelreihe her hob sich ein Staubkreisel, flackte über die Äcker und Weiden herbei. Als er die Allee berührte, fingen zwei Drosseln an zu schlagen, unaufhörlich. Da wandte sie um, trabte ohne Abschied herum, wie im Spiel, kam nach Haus, empfing von rückwärts in die Einsamkeit das Durchflogene, gab sich hin an das Wehen der Gräser, das Summen, Vorbereiten und dann dem Ansprung des jungen Winds, entfachte sie. Mit glücklichen großen Augen und einer ganz beschäftigten Stirn versank sie in die Arbeit.

Besuche nahm sie nicht an. Selbst machte sie keine. Holl, da er Regie hatte, traf sie manchmal, doch wünschte sie Tips. Ging sie aus, war es mit Freude und Spannung schon auf die Rückkehr, wo die Distanz zur Arbeit sie frischer machte, angriffslustiger, heiterer im Spiel. Moki suchte ihr etwas zu überreichen, sie nahm es nicht. In einer Gartenstraße schlich ein Mann und riß an ihrem Beutel. Das kleine Messer aus dem Gürtel in der Hand, begann sie den Widerstand. Doch ließ sie fast im gleichen Augenblick den Beutel fahren, steckte das Messer ein. Sie hatte wichtigeres vor, um dies zu riskieren. Der Dieb lief. Sie kleidete sich um. Fuhr den Abend ins Theater der Florath. Die war nicht da in der ersten Szene. Im Hintergrund der Loge bereitete eine Frau sie vor, schilderte ihr Bein, ihren Busen. Ihre Laster. Da kam sie wie ein Tier, das Kleid schaukelte erregt um sie, als sei ein Abstand zwischen Haut und Kleid. Selbst im Unsichtbaren war ihr Körper entblößt. Es war, als säße ihre Seele in den Hüften. Alles strömte zusammen da, erhielt dort den Ausdruck der Verhaltenheit, der erregte bis zur Stummheit. Sie lächelte einen Mann zu Tod. Er verschwand mit seinem blonden Bart. Später dirigierte sie sich gegen einen Slawen mit Bauernschultern, an seiner Stumpfheit blieb sie hängen. Schwebte eine Herzspanne in der Luft, das Verhüllte knisterte um sie. Sie sog die Sprache in sich hinein, hinter dem Marmor leckte schon tosend die Glut. Die aalglatte Hüfte stand fast ruhig, sie spielte mit einer Dose. Ließ sie fallen. Bäumte, brüllte wie ein Tiger.

Entsetzt, mitten in der Szene ging Daisy. Sie sah, was fehlte. Wie unheimlich jene mehr konnte wie sie. Lächelnd stumm in sich hinein, weil ihre Inbrunst größer war als die Routine der andern. Sie zog den Schluß: arbeitete heftiger, tief in die Nacht, schon gierig auf den Morgen.

Doch war die Nacht auf ihr heißes Decolleté gefallen, die Grippe in der Nacht zurückgerollt. Weinend, fiebrig, schleppte sie sich zum Diwan. Da stand die Aufgabe. Sie konnte nicht. Die Zofe schellte den Arzt herbei. Er frug nach Schmerzen, hielt an langen gepflegten Nägeln das Hörrohr ihr an die Brust. Sie delirierte: „Sie kann die Übergänge . . .“ Der Arzt neigte sich herunter: „Nehmen Sie alle zwei Stunden ein Pulver.“ Abends zur Zofe sagte sie: „Nehmen Sie drei.“

Achtundvierzig Stunden wimmerte sie, die Zofe verstand nichts. Am dritten Abend schlug sie die Augen auf, besann sich, bekam ein opaliges Licht hinein, wies auf ein Buch. Als sie es in der Hand hatte, fiel es ihr vor Schwäche heraus. Sie sagte: „Nehmen Sie vier.“

„Es ist zu viel.“

„Ich habe Eile“

Am fünften Tag war Sonne. Am achten kam sie in den Garten. In Zweigen und Flüstern bewegten sich sanft und weich die Sätze. Die Melancholie der Boskette träumte gold umrahmt vom Mondlicht. Ihr Entzücken entlud sich unaufhörlich quellend, gleitend auf einer wundervollen Bahn, der die Nachtigallen sich anschlossen, die aus dem abgeschüttelten Schlaf sich mit aller Inbrunst entfalteten in ihrer Elegie.

Fand im Garten, wo der Kies lehmig war, Spuren. Folgte mit dem Fräulein. Sie liefen durch den Busch zum Eisengitter. Sie zog an den goldgespitzten Lanzen. Drei gaben nach, machten ein Loch. Die Lanzetten waren angeschraubt. Nachts nun, wenn sie nicht schlief, ging auf der Straße der Schritt eines Passanten ruhelos auf und ab. Der Schritt gab Regen und Wolkenwind den Rhythmus, hallte, lief ohne Pause. Wo es schwarz war und undurchsichtig hinter dem Gebüsch, erschien ihr ein kreideweißes starrendes Gesicht manchmal, doch es war in ihr, sie sah es nicht nur draußen. Bei einer Pfütze blieb sie stehen, der Regenbogen darüber entführte sie, mit geröteten Wangen wickelte sich ihr auf ein Strom von Bildern, die zogen. Sie kehrte sich scheu ab. Holl warf das Mädchen an die Wand, stürzte herein, in jeder Hand Orchideen, verzweifelt, weil man ihn abwies. Sie öffnete die Fenster hinter ihm, das Szenenhafte nahm der Luft die Ruhe. Vaudreuil schrieb: Schlug Wechsel ihr vor, baute Pläne auf, was sie sehen, nehmen solle. Syg reiste nach Ägypten, kam an den Hafenstädten vorüber. Sie konnte mit. Es hob sich schmeichelnd vor ihr, die Schwester und der Bogen, der die Ferne einfügte in den Punkt, wo die Sehnsucht in ihr sich staute. Sie schluchzte eine Nacht. Dann war es vorbei. Sie ließ einen Hund in den Garten setzen, streichelte ihn und führte ihn am Gitter entlang. Die Spur ihrer Hände an ihm war noch nicht warm, da war er schon verschwunden. Sie empfing Lewinsky nach ihrer Krankheit erstmals, sprach nicht von dem Nächsten, der Arbeit, der Hoffnung mit ihm, sondern erzählte ihm, was all wünsche, sie zu entführen. Sein Augapfel ward grün, das Gesicht schwammig. Sie zeigte ihm die Gartenspuren. Er zuckte die Achseln: junge Leute schwärmten für sie. Er erzählte diese Geschichte, jene Geschichte. Erwärmte sich Sie sah ihm fest, forschend unter die Stirn. Dann schwamm es weiter, dies und alles. Sie warf sich der Arbeit hin.

Holte kleine Kinder, die an Konditoreien die Nase platt drückten, erfragte sie, erfüllte sie, nahm die Laute auf. Nahm von der Straße einen Bettler herauf, setzte ihn an ihren Speisetisch, wühlte in ihm. „Warum haben Sie Furcht?“, frug sie erstaunt. Erregt mit sich selbst redend, machte der sich pulde. Sie eilte ihm verständnislos nach, er war schon fern, sprang und lief.

Um zwölf Uhr schlief sie ein. Sie hatte Begeisterung auf der Zunge. Um Fünf erwachte sie. Alles war blöd und idiotisch. Schlaff sank sie zurück. Um Acht erhob sie sich, holte Frische und Lust aus dem Muster des Teppichs, dem Ton der Tapete. Im Schwanken erfuhr sie die Grenzen, erfuhr sie den Arbeitssinn. Stellte fest, wie weit sie vorkam, wie stark manches sie zurückwarf. Sie bemühte sich und erkannte, je näher sie kam einem Ziel, wie größere dahinter standen. Ihre Kindheit kam manchmal, rührte sie zu weichen Klängen. Manchmal fehlte sie, der Ton ging leer, verpuffte. Hatte sie etwas sicher, war es schon nicht mehr von Bedeutung, denn ein anderes hemmte. Sie lernte aus jedem Erfolg erst die rastlose Verantwortung, die Verpflichtung der Erfolge, das ungeheure kreisende Räderspiel der Kräfte, die sich bedingten und steigerten in einer nicht meßbaren Form. Sie sah, daß Ziel kein Punkt war und kein Ende, sondern nur Etappe, nur Weg, nur ein Stück der endlosen Bemühung, daß die Aufgabe wachse mit der Potenz der Kraft. Am Versagen spürte sie, was es bedeute genau wie beim Erreichen: heißer, heftiger zu streben. Aber manchmal, wenn nichts den Ausdruck ihr brachte, geschah das Wunderbare und Unerklärliche. Von dem Wind, von dem Grastau kam es. Von dem Teich stieg es auf die Veranda, vom Himmelabschnitt über der Ulme sank es blau und bebend. Da war es. Unverlangt und unerbeten. Es war da. Es umflockte sie hell, blau, klar und alles berührend, was sich danach in ihr streckte und sehnte. Das war das Äußerste und rauschte sie auf wie einen Baum.

Die Leistung atmete sich fort, ohne Gespräch, ohne Leitung. Das Geschaffene drang durch die Poren des Raums, durch die Straßen, die Stadt. Die Leistung erhielt die Ausbreitung, die Durchschlagkraft jeder Tat. Die Florath lud sie ein. Sie ging nicht. Lewinsky bat sie, sie kam. Bei Tisch warf Stefan Böhmer, der neben ihr saß, ein Billett zu. Nach drei Tagen erschoß er ihn. Das Lächeln, mit dem Böhmer das Papier geöffnet, begleitete sie einige Tage. Doch kam sie darüber, leicht, als sie sich bemühte, hinein in den Strom, der sie führte und weiterspielte. Erklomm solche Ausdehnung und Tiefe in ihm, daß Lewinsky den Schlußstrich zog. Er bereitete das erste Auftreten, legte Listen der Geladenen vor. Sie war glücklich den Tag, weich durch das Erreichte, spielte mit seinen Gästen, saß mit Holl bei Pharao, und, als sich vor Neid ihm die gebrannten Locken lösten, mit Fribaurt bei Quarante-et-un. Am Bassin traf sie auf Stefan. Er war versunken. Er hatte bis zum dreißigsten Jahr gekämpft, gelebt, zugeschlagen. Hatte die Kinnbacken angezogen, war damit über alles getreten, hatte alles sich, jede Laune, das Verbrecherische, Wüste zugebilligt. War wie ein Eber nach ihrem Leben gesprungen. Doch dieser Zug ging in die Luft. Er traf nichts. Stand erschüttert, verzaubert vor dem Widerstand. Sein Leben fiel von der Achse, formte sich darunter um, erhielt eine neue Einstellung. Es ging ums Ganze. Sein Auge drehte sich, besann sich. Hier war die Entscheidung. Er wollte sie erzwingen. Umlagerte sie von allen Seiten, spielte jede Note, die er beherrschte, zum Erfolg. Sie sah es nicht. Sie ging an ihm vorüber am Bassin. Er holte sie ein. „Ich war der Bettler.“ Zerriß ihren Weg. Es war spielerisch, was sie unternahm. Sie gab nicht dem Elenden, half nicht dem Gestank. Sie durchforschte ihn nur und das war ihm widerlich. Sie trat zurück, wütend. Da sah sie an seiner Haltung: es war gut, was er wollte. Hinter ihm trat hervor, was er geleistet: er war das Gesicht in den Büschen, die Spur im Garten. An seinem Knie rieb sich der verschwundene Hund. Sie spürte die Kraft, die auf ihr Ziel eindrang, es formen wollte, abreißen, hinüberzwingen zu sich Es kam mit Beherrschung, gezähmt zu Güte fast, es machte sie aufsehn, bedenken, es rührte sie, sie reichte ihm zum Ausgleich etwas zurück, eine Lüge, einen Trotz: „Ich danke für Ihren Brief.“ Langsam, leis. Es beeindruckte sie tief, wie er es nahm. Aber im gleichen Augenblick war nie der Widerstand stärker gegen das, was männlich sie hemmte, den Weg kreuzte. Sie hob sich, fast wild, übersprang es, schlug es zurück. Es blieb im Boskett, als sie darüber war. Kühle, Befreiung kam. Wie klar die Luft. Weich hingegeben, vom Erfolg und Sicherheit empfänglich und aufnehmend gemacht, sog sie Hyazinthen ein, die toll aufdufteten. Da sah sie zwischen Lampions einen Mann. Caspare Symes. Der Garten stürzte hell mit einer Flut Apfelbäume in die Nacht.

Aus ihrer Brust riß alles mit. Die Knie standen eng aneinander. Alles war Bewegung aus ihr hinaus. Nur sein dunkler Kopf kam. Sie nahm ihn auf, in die Hände, öffnete die hochmütigen Lippen. Sein Mund war schmal, weich. Sie gingen, es gab keine Leidenschaft, keinen Zorn. „Caspare“. Der Garten glättete sich in der Lichtwelle. Besinnungslos hing die Minute um sie, kam auf sie zu. Alles bot sich an, voll Glück. Die Büsche stiegen in dunkelrotem Ring bis zum Goldbogen auf. Die Äste flammten mit einem Netz von seidenen Strahlen an den Lauben. Die Schläfen lagen fest aneinander. Es kam die Obstflut. Da fielen Blüten ins Gras ohne Pause. Es war der Fall seines Bluts, das von der Ader seiner Schläfe herübersprang. Ihr Blut hörte auf und setzte in seinen Takt ein. In diesen Bogen spannte sich alles ein, das Ende sah sie nicht, aber sie spürte, daß es gegen den Rand ihres Lebens hinunter sich neigte. Aber von der anderen Seite kam zum erstenmal wieder die Jugend herauf. Unbefangen, ganz das Ohr erfüllt, kam von fern die Lawine des Ottava und die Flöße. Der Ontario schliff sich blau mit wiegenden Segeln. Dazwischen stand die Sekunde, in der sie atmete, als sei sie dem Vergangenen zugehörig. Da fielen die Rosaenden der Blüten sanft herab, die Erde wogte mit Wurzeln innen entgegen. Und die Bäume bewegten sich nach dem Tempo ihres Atems. So war durch das Blut, das zusammen floß, diese Zeit und die andere vereinigt. Das unbefangene Glück der Kindheit zog an diesem Glück, zog es hinüber, als sei es abgeklärt, schön geworden und still. Sie schloß die Augen, ein Arm faßte fest um ihre Brust.

Sie wimmerte, stieß den Fuß auf, beugte den Leib nach vorn, zog ihn zurück, drückte den Nacken ein paar mal zum Rücken. Dann riß sie sich los, öffnete die Lider, lief den Kiesweg hinauf, das Tor. Sie sprang in den Wagen, der zuerst stand. Ein lahmer Klepper. Sie weinte, brüllte in das Tuch des Kleids. Der Horizont war angefüllt von einem Donner: Caspare . . . es würde klingen bis in die letzte Süßigkeit alles, was noch kommen konnte. Sie hielt nicht an, fuhr weiter. Ihr Garten kam. Ihr Zimmer. Die Onyxschale mit den drei Kugeln, es stach stumm wie von Augen nach ihr. Der Park grollte den Wipfelwurf ihr zu: den Namen. Die Spiegel fauchten ihn ihr zu. Sie zuckte die Schenkel, legte die Stirn ans Glas. Verloren. Bis in die Todesstunde nicht einzuholen. Sie lächelte: es war nicht gewesen, war drüben vor sich gegangen, wo alles lag, was schön war, sie befreite, die Jugend. Bis in das Ende des Haares, bis in die Höhle der Achseln empfand sie: dies war das Höchste, ihr Glück. Träumte sie es zurück, lag tausendfach Geschichtetes dazwischen. Noch unerreichbar, Arbeit und Erlösung und Bemühung lagen vor die Möglichkeit allein geschichtet. Irgendwo wie ein Lichtkegel öffnete diese Sekunde die Ruhe, das Später, oder vielmehr das Zurück, den einzigen Glückszustand, als die Ströme das Kind umrauschten. Es war so weit, daß sie die Sekunde kaum noch mit dem Bewußtsein erreichte.

Sie stellte drei Stühle auf. Gab jedem einen Partner. Erhob sich daran, aber mußte sich bald unterbrechen, denn die Tränen kamen mit einer wilden Wucht, die sie umwarf. Sie lag nur und weinte. Erst nach Stunden, gegen Morgen, gewann sie die grausame Ruhe, die nötig war zu solchem Gespräch.

 

Das gab Öl in die Sätze, Mark in das Wort, die große Kraft in die Bewegung. Das machte einen Boden, aus dem das Spiel der letzten Tage reif und sehr süchtig schoß. Sie probte den Tag vorher, in einer saftigen Linie lag der Akt. Sie war gefüllt mit Zufriedenheit, ohne Triumph. Am Abend kamen ihr die Köpfe des Parketts wie ein Strudel entgegen. Sie ging vor ein Bild, vor einen Boudoirtisch, nahm die Puderquaste, ihr Körper rauschte sehnig und voll gedrängtem Saft. Als sie zu sprechen begann, verließ sie etwas.

Sie starrte in den Raum, faßte sich, sprach weiter. Sie ließ den Silberstift, das Spiel ging nun in Tragödie. Sie machte den Aufschwung. Aber unter dem, was geschah, hörte sie dumpf, daß ihr entflog, was sie suchte. Der dunkle Ton, der Erguß, das selige Gefühl des Hingegebenhabens in die Worte . . . es fehlte. Sie suchte. Fand es nicht. Die Stimme flog voll Schmerz, aber das Blut spielte nicht mit.

Sie wartete, verzweifelt. Sie zwang es. Ging auf und ab, ganz neu und unerwartet. Warf Worte ein, die der Text nicht hatte. Die Taille verjüngte sich zu einer Wildheit, die die schmächtige Szene anriß und dehnte. Die Souffleuse hustetete, verwirrt. Ihr Bein stand federnd, abgezeichnet im Kleid, ins bleiche Gesicht des Partners drang sie vor, zerstörte es. Brach mit Leidenschaft ein in das schwankende Schicksal, die die Gefühlshöhe erweiterte, ihren Ausbruch und die Dichtung abhob. Grenzenloser wurde unter ihr das Leere.

Dabei spürte sie, ihr Spiel war gut. Augen hefteten sich gefesselt daran. Atmosphäre der Erregung band sie an das Parkett. Es genügte nicht. Eine Traurigkeit, die ihr Bewußtsein nicht traf, da es spielte, das es ahnte aber, wölkte wie unter ihren Füßen herauf. Sie brachte es fertig, nebenher zu denken, zu wünschen und herzurufen, was die Inbrunst wecken konnte. Was ihr Schönes seither gegeben, Zärtlichkeit, Pa und Syg und Brown und das Porzellanschiff. Es blieb entfernt. Ihr Gehör verdoppelte sich, sie vernahm sich selbst. Ihr Auge schärfte sich, sie sah sich spielen. Das Bewußtsein spaltete sich, war nur zur Hälfte beteiligt. Da spielte sie. Dort sah sie Köpfe, beschaute es müßig: Die Florath, vorgebeugt, der Kopf eine schamlose Entblößung. Fribaurt mit weibischem Lächeln gebannt an ihr Bein. Guildendaal, über den Favorits Froschaugen, Holls nervöse spielerische Stirn. Sie sah, sie hatte sie im Bann. Doch sie selbst, sie selbst . . . Es sank ab vor ihr, verschwand in der Tiefe. Ein Riß ging durch sie, doch sie verstand. Sie spielte die Szene zu Ende, sie steigerte sich, schmiß die Effekte, sah den Erfolg in der Pupille der Florath. Aber in einer Traurigkeit, die ihr Herz erreichte, wußte sie, es genügte nicht. Der große Ruf versagte. Es war vorbei.

Was war ihr Beifall? Erfolg? Nichts drängte sich dazu. Sie wollte, daß ihr Spiel ihr inneres Wesen erfülle. Daß sich darin restlos und ohne Sehnsuchtsrest ergieße, was sich aus ihr hob und senkte, was sie gegen das Meer getrieben und darüber geführt. Sie suchte, daß es in ihr klar werde. Nicht daß sie nach außen Wirkungen leiste, deren Sinn sie nicht faßte. Dies war ohne Bedeutung. Es zählte nicht. Und nun begriff sie, daß nicht zu zwingen sei, was vor den Menschen sich versagte. Es war das Wunderbare, das aus der Mondnacht, am Fluß und aus den Büschen manchmal schwankte und sie erhob bis an die Spitze der Sehnsucht. So umflog es sie. Aber sie hatte keinen Teil. Was in rollenden Kreisen sehnsüchtig, lockend und treibend vor ihr sich schwemmte, das war noch nicht gefüllt. Doch dies da war nicht der Weg. Umsonst. Vorbei.

Es stürzte ab mit jähem Ruck. Wehmütig kam es, für was sie sich bemüht. Das Erwachen am Morgen, die Seligkeit des Schaffens, die Befriedigung und der Stolz. Es war noch nicht am Ende. Irgendwo lag es, noch unfaßbar. Blieb ein Zwiegespräch zwischen ihr und der Ulme. Weiter nichts. Kein Ziel, keine Erfüllung. Ein Irrtum der Weg. Verworfen. Was erfolgreich daran war, hatte für sie keinen Sinn.

So entzog sie sich dem Beifall, entriß sich den Menschen, sah Lewinskys gerötetes Gesicht, kam durch den Seiteneingang ins Vestibül, auf die Straße. Ging weiter. Menschen quollen aus Toren, Gehsteigen, Häusern. Hindurch. Sie hielt nicht. Es röchelte neben ihr. Ein Pferd. Sie strich ihm über die Stirn. Ein Licht schien grell heraus. Im Spalt saß ein Paar, sie weinte, er senkte den Nacken. Die Steife blieb um ihren Mund. Dennoch empfand sie, daß sie mit nichts tiefer verbunden als diesen beiden. Ein Strom faßte sich an von ihr zu ihnen. Und zurück. Eine Sekunde empfand sie den Anschluß, das Mitleid, es löste sie fast aus. Doch es währte nur kurz. War noch nicht so weit. Eiskalt vor Schmerz ging sie weiter, bis an den Rand gefüllt mit sich selbst, verschlossen wieder. Sie hatte einundzwanzig Jahre, die Brust war herrlich, der Körper braun, schlank, schön. Sie begann zu laufen. Alles fiel von ihr ab. Nur der Geruch ihrer Möbel, die Wände ihres Zimmers lockten, waren da, waren ein Punkt, der stützte, wohltat, barg. Im Vestibül saß das Fräulein und stickte. Sie hielt kurz an bei der Pforte. Dann ging sie langsam auf das blonde Geschöpf zu, fiel hin, tat den Kopf in ihre Knie. Die Schultern zuckten.

Das Fräulein saß da, die Beine auseinandergerissen. Das Gesicht von nichts tief gezeichnet, blöd und sinnig, an dünner Sehnsucht erstickt. Sie war übersehen im Leben, zu einem Bündel gemacht, das Mitleid umspülte, Verachtung, kleiner Lohn. Kompost für Überfluß, häßlicher armer Lappen. Badete nicht täglich, war schlecht gekleidet, roch nach Korsett. In ihrem Gesicht entbrannte ein Staunen: „Auch sie muß weinen.“ Dumm sah sie in die Luft, stierte, faßte es nicht. Doch vom Elend einer Kreatur gereizt, gerührt, beginnt der ganze Erdball aufzuzucken, mitzuleiden. Sie heulte nicht. Es ging in die Hände. Die strichen sehr zart über den Kopf zwischen ihren spitzen Knien. Falteten die Strähnen auseinander, legten alles von ihr selbst Vernachlässigte, Versäumte in die Bewegung, flochten Zöpfe, berührten das Haar als seis ein Kind. So kam die Liebe über sie. Die Zunge machte einen Ruck, machte den Zug der Nurse, schnalzte, wiegte die Hüften, summte: „Do . . . do . . . do . . . Daisy.“ Pfiffs auf den Zähnen. Eine Sehnsucht gebar sich riesengroß. Wollte gern ihren Backen an Daisys Wange legen. Aber rührte sich nicht, obwohls nie heißer in ihr gezündet. Wagte es nicht. Tat es nicht. Sie brachte das Mädchen hinüber, machte Licht, zog es aus, legte es ins Bett. Löschte das Licht. Morgens fuhr Daisy ans Meer.

 

Windstille war. An den zweitausend Metern Grundschnur fuhren Kähne raus, man zog die Angeln an, warf die Kabeljaus ins Boot. Zwei große Ewer hielten die Schleppnetze ein, ließen Bramsegel vor den Wind fallen, kamen gegen Land, hochgeschwebt. Seeschwalben überjagten Steingebröckel, zuckten am Wasser, hakten mit gebogenen Schnäbeln: griä. Jüns hielt eine geschwollene Aalmutter in der Faust, drückte den Bauch, spritzte durch den Eiergang junge Zentimeterfische, eins nach dem andern. Sie waren durchsichtig und quallig, ein Darm ging durch und Aderfäden. Sie lachte mit ihm. Wind ging den Abend los, pfiff leis, klatschte an, strudelte schon hundert Meter hohe Pfeifen und Rollen. Krebse schoben über Miesmuschelkolonien, rolzten, ballten sich, schossen hinunter. Regenpfeifer sausten über den Sand. Hahnenfuß und Binsenkraut verschlangen sich Die feigen Sturmvögel klatschten sich an Häuser und Raine. Strandnelken und Butterloch knallten gegen Dünengras, die Weidenstümpfe. Die Wimmermöve schlägt an, der korallenrote Schnabel fliegt vor dem samtdunklen Kopf, ehs dunkelt hört sich nur noch ihr Schrein: gräik . . . gra . . . ik. Das Meer steht toll verliebt die Nacht vorm Gedün, dehnt sich und schlägt hinten am Horizont sich fest, beißt dann ans Land, türmt sich haushoch davor. Die Bäume im Binnenland liegen platt am Boden, die Amseln haben sich verkrochen in Mauslöcher und Ritzen. Die Keller stecken voll Fledermäuse. Das faulende Leberzeug der Maischollen duftet weg. Die Fenster sind geschlossen, Kugelblitze laufen über die Dünung, die weißkochend vor dem zerwühlten Meerbauch hängt. Daisy legt sich. Die Nacht spielt das Getös geil mit ihrem Bein, ihrem Ohr, treibt in ihr Blut. Die Kiesel knirschen draus ineinander.

Von einer hellen Flamme ist der Tag aufgerissen. Es ist der Wind, der blau, böig, bleibt. Es gibt Lärm, Stimmrufen. Ein Schellfischkahn, der getrieben, will beilegen. Es gelingt nicht. Sie stehen mit hochgekrämpten Hosen bis an die Hoden im Wasser, schreien und hantieren und es wird nichts draus. Sie kämpft sich durch den Wind gegen das Meer runter. Sie kommt durchs Getümpel noch geschützt, muß aber Schuhe, Strümpfe zurücklassen. An den Erlen hängt das Wassermerk fest, Berle und Hahnenfuß liegt klatschnaß. Im flachen Sand faßt der Wind sie, reißt unter die Röcke, nimmt sie vor, gattet sich an sie, schont den Busen nicht. Sie läuft gerötet durch die Tümpel. Taufrösche verschwinden schweigend, murren, grunzen hinterher. Feuerkröten wie aus einer Glasglocke donnern: ku . . . uh, lassen die angewachsene kreisrunde Zunge auf dem Paukenfell schlagen. Wasserläufer gleiten wie auf der Eisbahn über die Pfützen, in denen Flohkrebse, Steinsack, Laich liegt. Sie steigt, hält sich an Gras, versinkt im Sand, hält sich an Hahnenkamm, gelber Stranddistel. Wie sie den Kopf über den Damm hebt, kocht das Meer, rast drauf besinnungslos unter ganz blauem Himmel. Sie steigt gänzlich hinauf, bekommt einen Windschlag, springt hoch, lacht, fällt um, rollt zurück. Triebsand rutscht nach, verschüttet Knoblauchkröten unten, die wie Katzen jammern, sehr bunt waren. Eine Möve ist vom Sturm erschlagen worden. Zwölf Federn am Schwanz, die Brust pelzig im Gefieder. Der Wind hält durch, kommt jetzt vom Land, stößt das brüllende Wasser zurück.

Jüns wirft eine Muschel hin. Sie haben in dem Fischhaufen, Makrelen, Goldbutten, Affheringen, Schollen Aufruhr bemerkt, einen Seewolf mit grünlichen Jungen im Tang entdeckt. Voll rasender Wut wirft er sich, mit dem Schwanz hauend, herüber, beißt knackend die Muschel auf. Die Fischhaufen laufen schwammig aus, kriechen zum Strand und blenden mit den Schollenflecken. Die Milcher strotzen von Samen, die Weiber haben den Bauch voll Eier. Das Schellfischfleisch ist heller und weißer als das Fettbraun der Dorsche. Frauen heben den aufgestülpten Arm aus den Bütten. Kinder schmeißen die Körper in Kästen, hängen die Eingeweide an Angeln, fangen unter Wasser andere damit. Der Wind läßt nicht nach. Die Seeschwalben taumeln in Rudeln hoch. Der Strand ist freigeblasen.

Die Männer stechen draus Butten, Jungens hüpfen von Tümpel zu Tümpel und sammeln auf. Im Sand ist in der Ebbe viel geblieben. Froschkraut tastet wieder nach Grund, zuckt die Wurzeln zum Boden. Sattelmuscheln liegen fest, Wandermuscheln und wie Eier Steinbohrer. Das Wasser hat sich so gesenkt, daß die Pfahlgruppen von Ellern mit unsichtbaren Gärten auftauchen, von Miesmuscheln im Gezweig bedeckt. Schon fahren Kähne, die die Bäume aufzuziehen. Ein Taschenkrebs hängt an einem Rogen, schmaust, die Asseln zappeln da und dort. Das Riedohr stellt sich. Dahinter brummen die Kühe, die Körbe voll Kabeljauköpfen aufgeschüttet riechen, kauen und fressen. Schon stehen Segel drauf, Leberblumen fachen sich an, werden hell, trocken und sinken zurück. Sie geht nun durch Tang, Linsen. Seegras dörrt losgerissen unter der weiß und hoch stehenden Sonne. Sie kommt um die Düne. Nun hat sie weißen Sand unterm Fuß, der braunrosa sich eindrückt. Moosenten fallen hinter ihr ab. Auf den Granitklippen stehen blau und rot Gerüste. An Schwänzen hängen Fische in Bündeln daran, klinkern singend im Wind. Sie kommt an die Nehrung, muß steigen, fällt. Der kleine Schmerz macht sie irgendwie verrückt. Sie macht die Arme weit auf, preßt sie an die Seiten. Lachmöwen gauzen los. Eine Sturzentenschnur, blaugrün und weiß rauscht auf, zischt noch fern: rädzsch — — — räb . . . wek. Da steht alles voll Tümpeln. Im Schlick lauern eingebuddelte Klieschen auf die Flut. Die flachen Bäuche wackeln im Flugsand. Die nach oben verschmitzt stehenden Augen zucken mit der Stikhaut, verschleiert. Sie kniet, schaut hinein: sie sind grau. Ihr Auge fällt in sie zurück. Sie hält das Tuch darüber: sie sind weiß. Die Uhr: sie sind gold. Hinter ihr gehen Raben herunter, hacken sie auf. Landkrabben nehmen Deckung, graben sich im Sand vor, greifen mit den Klauen die Sandhupfer. Sie lacht. Ein Faß steht da und Jüns mit Merlans, weißblitzenden Bäuchen. Hinter der Bucht liegen Raubschwalben, wie nachts, betäubt vom Wind mit ausgebreiteten Flügeln im erwärmten Sand. Nun stoßen sie hoch. Alles schwebt nachher, auch das Wasser schwebt in der Sonne, die es wie von unten her hochschaukelt und hält. Es wird groß und unermeßlich am Knick. Wie sie es so sieht, zum erstenmal wieder, ist sie klar und frisch. Gleichgewicht durchbricht ihren Aderngang, die Enttäuschung ist weg, der Wind war an ihr, hat in den Saft gegriffen. Die Warzen tun ihr weh. Sie neigt plötzlich sich zurück. Was an Hals zum Vorschein kommt, ist heller wie all andere Haut an ihr. Sie faßt hinter sich einen Baum. Der Rücken lehnt daran. Schon tritt der Saft, der nach oben rauscht, in ihr Blut. Die Hüften fangen an, eine Bewegung zu bekommen, werden entdeckt, glühen etwas. An der Schlankheit des Baums wie an einem Tierrücken gleitet sie ab in den Sand, die Knie geöffnet. Die Sonne schlägt ihr in den Leib. Die Schenkel biegen sich lang und schön, als schliefe sie. Sie zittert, etwas ist freier geworden, entschwebt, durchbrochen am Horizont. Himmel und Meer haben sich vereinigt, wölben sich herüber. Sie springt auf und lacht, die Haut ist glatter geworden, das Auge von innen her feucht.

Sie fährt zurück, findet den Wagen nicht, nimmt die Tram, steigt aus, um den Rest zu Fuß zu gehen. Auf diesem Stück Trottoir sieht sie von einer Menschenmenge vorbeigespült, in ihr langsam wandelnd, Caspare Symes. Sie bleibt angedonnert, wiegt den Kopf hin und her, als sei sie alt geworden. Dann reckt sie sich, fährt um, ihm nach. Sucht ihn zu erreichen. Sie bohrt sich durch, hört Schelte, Wut, sieht den Schirm, den eine Frau nach ihr sticht. Sie kommt näher, kann seine Schulter fassen. Alles an ihr ist durchblutet, entfacht. Da läßt sie die Hand sinken. Es fehlt ihr die Kraft mit einemmal, ihre Bewegung wird armselig, er aber wächst und steigt maßlos, daß sie erblaßt. Sie findet den Mut nicht, jetzt das zu fordern, was sie überging, als sie noch erstrebte, was sie nun abgeworfen. Es geht süß durch sie hin, während sie stehen bleibt. Sie tut eine große Tat, indem sie sich nicht rührt, fühlt sie im Blut; was sie opfert, erhebt sie. Sie nimmt etwas auf sich, während ihr Auge dunkel wird. Sie bleibt immer stehen, sieht ihn zum letztenmal für immer, weiß daß dies das Höchste ist. Er biegt um einen Wagen, betrachtet einen Erker, geht über die Straße, ist verdeckt. Taucht auf zwischen hellen Mützen, dann dreht er ab. Mit einer unnachahmlichen Bewegung des Halses zieht sie die Linie nach, als er um die Ecke geht. Dann ist es vorbei.

 

Sie stellte den Fuß in die Schnur des Vogelbauer und hörte zu. Zuckte die Achseln. Sie wollte nicht. Als Lewinsky sie bedrängte, drehte sie um, ihre Ringe klirrten. Die Karte der Florath wies sie ab. Sollte sie am Neid der Wolfsaugen sehen, wie sehr diese sie fürchtete? Vom Tisch entfernten sich Bücher und Rollen. Mit diesem Tag verschwand das all. Einen Augenblick kreuzten sich ihre Blicke mit denen des Fräulein. Ein rascher Blick suchte in ihren Wärme, klatschte ab. Daisys Augen wurden schmaler, visierten die Schleife ihres Schuhs. Dann frug sie, das Fräulein stammelte. Ging hinaus, kam wieder, legte ein Blatt auf den Tisch. Es war Dienstag. Daisy schrieb einen Brief. Dann legte sie das Blatt der Gouvernante beiseite, hob es wieder, als röche sie daran. Ging hinaus in den Garten. Donnerstag früh kam Le Beau. Am Abend besuchte er sie wieder. Als er ging, löste sich ein Schatten im Garten, er pfiff. Der Schatten bewegte sich hinter ihm. Freitag brachte er sie aus dem Theater, half beim Aussteigen, steckte den Schlüssel ins Gartentor. Als sie sich umdrehte im weißen bauschigen Mantel, küßte er sie mitten in die Brust. Er machte dabei einen kleinen Schrei, sein langer, katzenhaft geschnellter Körper riß ihren mit allen Muskeln in seinen hinein. Der Nebel dampfte um sie, abenteuerlich durchschwammen Gebüsche den Laternenschein des Wagens. Langsam und wild wogte ihr Leib gegen seinen, sie seufzte, schrie ein wenig, aber heiser. Auf dem Parkweg lag Dunkel. „Ich bekam heute deinen Brief“, flüsterte Le Beau. Sie verstand ihn nicht. Er war durch Zufall gekommen . . . Er wies auf den Schatten, Moki. Er hatte ihn hergegeben, selbst Fribaurt, sich schüttelnd zwar, aber er war so nie ohne Tip von ihr. Sie schloß die Lider, sah doppelt, schwankte, warf sich über ihn, zog mit den zarten Schultern den Kopf herunter, fand seinen Mund, öffnete ihn.

Nachts sah sie, im Traum, einen Mann. Der kam aus einer engelhaften Beleuchtung. Trat heraus, machte eine Bewegung, die ihr wehtat, aus dem Herz was herausriß. Es ward leer in ihr, Traurigkeit schwemmte sich hoch. Sie fing im Schlaf an zu weinen. Er sah sie zornig an, sie ertrug diesen Blick nicht. Er sah aus gleich einem Skandinaven, gescheitelt, blond, mit einer jungen gefurchten Stirn. Es fehlte nicht viel, er ähnelte Symes. Das machte ihr sofort Ruhe, sie schlief weiter, wachte aber über Tränen auf. Le Beau lag neben ihr. Ihre Hand an seinem Mund. Er streichelte ihr Knie, den Muskel des Schenkels, der sich straffte, als sie das Bein aufstellte. Er küßte ihre lange braune Hand. Küßte jeden Zwischenraum der Finger, hing an jeder Hautphase, sog sie an, als stürbe er mit ihr, löste sich kaum von der Pore hier, der Pore da. Küßte Kreise um die Gelenke, legte den Knöchel wunderbar damit frei, umflutete ihn mit den Lippen, empfing ihn dann im Mund köstlich und rasend erregt. Wo sie Flaum hatte, blieb er, es strich seine Haut, er atmete schwer, flocht ihn um den Finger. Über den Leib glitt die Hand hoch, machte die Schwebung mit, die unerklärlich schön hinauflief, blieb an den zärtlichen Hügeln. Berührte wirbelnd mit dem kleinen Finger die Warze, sie spürte die Zunge. Das Zittern nahm ihr den Atem, sie stieß die Luft fest aus, und nun kam ihr Leib an seinen, entgegengeflogen, die aufgelösten Gelenke suchten Schutz an seinen. Ihr Blick brach, sie sah nur noch sein Bild unter dem Lid. „Sprich“, flüsterte sie. Es war zuviel. Er schwieg. Die Lippen trafen sich, bleich, wortlos. Sein Körper, ohne viel Fleisch und groß hingelegt, wie ein Römer, spielte auch in der Ekstase achtungsvoll mit, ward lasterhaft und verehrte zugleich. Die Küsse reizten sie langsam, wie er sie setzte. Sie verlor die Besinnung, blieb länger unter dem Bewußtsein, als er wollte, er küßte sie wieder heraus, preßte den Zahn in die Weiche, sog und fuhr mit der Hand die Rückenwirbel herab. Sie stürzte höher ins Unerträgliche: „Mehr“. Sein Kopf glühte zwischen ihren Knien. Seine Hände suchten ihren Rücken herunter, hielten das schmale Becken hoch. Ihre Haut ward nicht feucht, glättete sich unter den Umarmungen, dehnte sich so, daß er daran glitt wie an einer Frucht. Sie wimmerte nur noch, die Lenden zuckten. Da nahm er die Sehnsucht von ihr. Sie lag dann still, nur manchmal erschüttert von Schauern, die abflogen. Das Silber der Bürsten, der Draht der Ampel kamen in die Glückseligkeit. Die Vögel der Tapete musizierten paradiesisch durch die Seide, sie lächelte, drehte seinen Kopf dahin und streckte Wange an Wange, die Hände danach aus. Er flocht seine Kragenspange in ihren Flaum. Langsam begann er entzückte Dinge. Sagte über ihre Brust Vergleiche. Die schwarze kleine Warze der braunen Brust entflammte ihn wieder. Sie lauschte atemlos. Er erbebte unter seinen Worten, seine Hände entzündeten sich daran. So nahm er ihr Kinn, ihr Knie und genoß es mit den Augen, mit den Fingern. Durch die Dämmerung griff er aus der Schale eine der drei Kugeln, rollte sie über die Wade, die Bucht an der Lende, zwischen der Brust bis an das Ohr. Von da führte er es an den Mund, sie schluckte die Kugel. Er grub sie mit der Zunge heraus, küßte sie, steckte sie in die Tasche seines Pyjama. Der Wind warf die Gardine ein wenig auf, der Wind kam herein, malte dunkle rote Schatten auf die Bronzehaut. Sie erzitterte. Die Frauen ihres Geschlechts hatten die Steine alle vor ihr getragen, es gab eine Lücke im Hirn. Da kam seine Hand, suchte, liebkoste. Sie fiel zurück, stöhnend. Die Hand gewöhnte sich an eine Stelle des Fußes, strich weiter, blieb in der Mitte des Körpers. Die schlanken Hüften erbebten, hoben sich ein wenig. Ihm entgegen. Die Welle ging über sie.

Ein einzelner Baum stand wie Glas im Sternlicht, dann aber schwellte eine helle Flut heran. Sie zog den Kimono um den Hals fest. Die Terrasse bog sich mit den Stufen entgegen, krampfte sich unter dem Licht, was herauftrieb. Nun fiel das Tor zu. Sie schwenkte die Ampel noch einmal. Ging zurück, warf ihm eine Klavierwelle nach.

Die Sonne ging höher. Die Untergrundbahn rollte durch schmale Korridore. Sie empfand Le Beau durch die Körper, die sich zwischen sie keilten. Die Schienen gleißten stahlweiß, verschwanden. Die Türen knallten. Die Körper standen reglos aneinander gebäumt. Da sah sie in Stefans Gesicht. Er grüßte mit den Augen. Sie hörte seine rauhe Stimme gedämpft reden, aber es war zu weit, sie verstand sie nicht. Rückte gequält den Kopf zur Seite. Wie ein Vogel. Magnetisch wie eine Viper holte er ihn herum. Er hatte einen Koffer, einen Mantel, die Stirn flackerte. Er machte Zeichen. Sie verstand sie nicht. Die Station kam. Nun wuchs sein Kinn, strebte auf sie zu. Es gab keine Hemmung, der Gartenabend hatte ihr Leben irgendwie gebunden, aneinandergelegt. „Geben Sie . . . Geld.“ Sie nestelte an der Tasche, drängte sie gegen ihn, er faßte sie. Der Wagen hielt an, Er brach sich die Schulter frei, der Ruck warf ihn brutal herüber. Nahm es mit allem auf. Ein Mann stand noch zwischen ihnen. Rasch: „Leben Sie wohl!“ Sie ward verwirrt über ihre Kühnheit. Im Vorübergehen hörte sie seine Stimme, aber entfernt: „Es geht eben schlecht. Ich sehe Sie wieder.“ Als der Zug anfuhr, sah sie durch die Scheibe, daß er, draus auf dem Perron vorwärts strebend, bleich war. Er sauste ab. Hinunter. Le Beau riß es hoch zu ihr. Sie zuckte ein wenig die Achseln. Ihr Ohr vergaß aber nicht, was der andere gesagt, ihr Auge nicht, wie entfärbt er war. Dann drehte sie sich herum, glitt auf Claudius zu, es war leer geworden.

Er brachte ihr Katzen, sie behielt eine. Sie spielte mit ihr im Garten. Zog einen Strich, rief, sie sprangen beide über das Hyazinthenbeet. Drüben, im Sprung, fing sie das Tier wieder auf. Es legte sich an ihre linke Brust, hielt sich mit den Pfoten am Schlüsselbein und reckte sich in die Kurve der Weiche. „Anjá“, rief sie, fuhr mit der Hand blitzschnell gegen den Strich durch das elektrisch aufschäumende Fell. Das Tier bäumte den Rücken, daß Vorder- und Hinterfüße nebeneinander standen, sah in die Luft, mit gerecktem Schweif. Laue Schatten lagen um die rostbraun fallende Sonne, Raben standen zwischen unruhvoll blauen Wolken.

Anjá sprang auf die Schulter, von dort in einen Baum. Gegen jeden außer Daisy ward sie feindlich. Sie tauchte auf, sprang, man sah sie nicht. Steckte den Kopf in den Lichtschein um ihr Haar, legte die Schnauze auf den Brustansatz. Aus dem Horizont kamen schwarze Punkte, ruderten herauf, begannen rauh zu schreien. Daisy gähnte, hielt Anjá nieder, daß sie nicht fauche, die auf ihrer Hüfte sonnte. Le Beau stand vor ihnen. Ein Hauch schoß in ihre Haut. Sie sprang auf, gab ihm rasch die Katze hinüber, gab ihm das Warme, das das Tier von ihrer Lende noch an sich trug. Die Nüstern schwebten nach außen. Anjá sprang zurück. Sie sah sie bös an, warf sie zurück an Le Beaus Brust. Das laue faule Treiben der Natur um sie, das scholl und geschah und sie umkreiste, schwang ab. In den Kreis war Blut getreten, ihre Schulter hing untrennbar an der Le Beaus.

Mittags querte sie einen Platz, kein Mensch ging durch die Glut, dünne Bäume wagten keinen Schatten, ausgedörrt, elend, daß Hunde nicht einmal sie näßten. Der Kies und Sand flimmerte trocken und müd. Plötzlich sah sie eine Figur, ein Gesicht. Es schien auf sie zuzugehen, ja fast in sie hinein. Sie wich aus. Sah sich um, in der Mitte des Platzes ging eine Frau, sonst niemand, da kam der Mann wieder auf sie zu aus der anderen Richtung, ging an ihr vorbei. Sie sah ihm nach. Langsam, den Kopf gesenkt, schritt er auf die Bäume zu, er hatte sie nicht gesehen. Es war das Gesicht des Traums. Ihre Augen drückten sie, als seien sie von Blut überfüllt. Sie stieß den dünnen Stock in den Sand und sah rasch auf. Der Mann war echt. Ihr Schreck hatte ihr eine Vision gegeben. Sie zuckte die Achseln, spürte die Müdigkeit, die voll und groß abschwemmt, von der Nacht her. Schlief ein den Abend, aber im Augenblick, wo der Schlaf den Halbtraum abtrennt und hinunterreißt, standen die Augen des Skandinaven über ihr, quälten sie.

In der Dämmerung wachte sie auf. Die Vorhänge bogen sich auseinander. Le Beaus Kopf, sein Knie standen in der Morgenleuchte, er lachte, sprang herein. Er näherte sich ihrem Bett. Sie zitterte unter der frischen Luft. Er kam geschmeidig über den Teppich. Sie zog die Beine herauf bis unter die Brust. Aus seinem Mund kam so viel Frische und um die Raubtierzähne lag das Rosa des Fleisches so fruchtreif, duftend und voll schönem Saft, daß sie daran alles vergaß. Er hob sie mit den Kissen auf, schwebte sie schaukelnd hin und her, setzte sie auf den Diwan: „Sie werden auf die Zofe verzichten müssen.“ Er schloß das Strumpfband an ihr Korsett.

„Was ist?“, frug Daisy, in Strümpfen und einem Beinkleid, das großfaltig mit dünnen zahlreichen Plissees ihre schmalen Hüften umzischte. Sie bürstete das Haar zurück, die Muskeln liefen aus dem Arm in den Rücken mit einer Kraft und Grazie wie Meer. Er hob den Mund in die freie Achselhöhle.

„Auch auf das Bad.“ Er lächelte und stieß den Löffel in den Schuh. Er pfiff leise vor sich hin, suchte im Boudoir den kleinen Koffer, wählte in ihren Strümpfen, Dessous, warf zwei Necessaires hinein. Der Geruch der aufgewühlten Sachen erfüllte das Zimmer. „Wohin?“, frug sie ratlos, von innen lachend. Er schob Schubladen zu mit dem Knie, besah sich im Spiegel, riß sie an sich: „Du wirst es jede halbe Stunde dem Chauffeur sagen.“ Alles gepackt. Er gab den Koffer durchs Fenster. Eine Hand faßte ihn draußen, während Daisy die Nägel einrieb. Vögel schlugen herein, immer lauter, zogen sich an Rufen höher, immer andere fielen ein, kreisten auf. Büsche dufteten herüber, herein mit einer Gewalt und Hingabe, daß sie stehen blieb, ergriffen, gehalten. Sie sah um auf der Terrasse, das Gitter, die Päonien. Sie faßte den Schaukelstuhl. Verweilte auf dem Tisch, dem Springbrunn, der Flosse eines Goldfischs. Le Beaus Arme faßten unter ihre Kniekehlen, der Schwung in die Luft riß sie los. Nun fing er an zu laufen, schrie wieder etwas, mit großen Sätzen, sprang in den Wagen. Unter den tutenden Raubvogelrufen der Hupe brach wie ein gläsernes Gebäude die Stille, das Haus, der Park mit einem Ruck entzwei.

 

Sie schwankte, schmiegte sich in die Atmosphäre, reckte sich, faßte Fuß. Wirkung ging von ihr aus. Ihre Wünsche erfüllten sich, eh sie sie dachte. Die Inbrunst einer Blutwelle hüllte sie ein, verließ sie nie. So stieß sie an alles, durch die Wolke verhüllt. Die Lippen hochrot, die Finger voll Gestein, fuhr sie auf der Rue de Rivoli. Sie hatte den Hauterfolg. Trotz dunkler Tönung war sie durchsichtiger als die französische, schimmerte weiß auf Silber. Zwischen alten Tapeten, in Musik, bei den gepflegtesten Frauen fiel ihre Bewegung, selbst wenn sie den Finger nur hob, den Fuß umrückte, wild heraus, schlug ein, machte sie zur Mitte, lenkte das andere ab, schob alles gegen sie. Es verwirrte am Anfang sie etwas. Doch schloß die Welle sie ab. Sie hatte nur Klang und Richtung nach Einem. Es genügte. Gab der große Schneider, während Ballen vor ihr sich häuften . . . Manekins paradierten, um ihren ermüdeten Blick zu erfrischen, durchs Fenster im Parkschatten das Bild eines tanzenden Balletts, erstaunte sie nichts mehr, es glitt ab. Vorüber strich es, neigten sich Akteure bedeutenden Namens, Dichter ihr, selbst d’Annunzios Nelke. Es ging durch sie, wenn Frauen heiße Blicke warfen. Es blieb nur Kälte und Hochmut, lehnten die Herren an der Brüstung, sagten Eitelkeiten in die Loge, hatten aber hinter dem Blick, flüsterten innen kaum verhehlt: bichette, loulou, ma crotte en or. Le Beau umspannte ihren Horizont mit hartnäckiger Leidenschaft, erfüllte das Erdenkbarste für ihren Körper, jede Möglichkeit ihrem Geist. Zofen im Korridor, Wagen, Diener standen dressiert auf ihren Blick, ihre Hand, ihre Haut. Seine Nerven lauerten auf die Ahnung eines Wechsels, heut stürzte er in die bunte Pfauflamme der Folies Bergères, morgen sah sie steifstes klassisches Theater, am Abend fuhren sie vorn auf dem Seinedampfer in Geruch von Bäumen und Wassernacht. Stieß etwas aus ihr gegen die Welt, stieß es auf Le Beau. Es gab keine unvereinigte Sekunde. Im Musée Cluny begeisterte sie sich an alten Spitzen. Sie besaß sie am folgenden Morgen.

Sie kleidete sich an im Boudoir: „Es reizt mich nicht, wenn Sie Ihr Vermögen verschwenden . . . noch weniger aber, wenn Sie sich exponieren. Polizei ist mir widerlich.“ Er erbleichte ein wenig. „Es geschieht nicht Ihretwegen“, sagte er höflich. „Es ist eine Leidenschaft.“

Er griff in die Tasche, sein großer Körper funkelte in drei Spiegeln, das rote Haar war ein wenig in die Stirn gestrichen. Er gab ihr Briefe an sie, die auf verdächtige Weise kamen. Sie legte sie ihm vor, zurück, errötet vor Zorn, der seidene Unterrock umglockte sie, als sie sich bog. Er lachte. Das Haus ward Mitte von Versuchung. Sie gaben sich Handikap darum. Wo Daisy auftauchte, geschah ein Start. Breschen wurden versucht, leichte Minen gelegt. Le Beau suchte man zu übersehen. Er lächelte. Sie spürte es kaum. Ward es aufdringlich, schürzte sie den Mund ein wenig, ging darüber. Ihre Wirkung ward aufreizend; tauchte sie auf, war sie Zentrum, schloß um den Kreis, sich angliedernd, immer weiteres Herströmen. Vor der Oper fuhr mit rascher Biegung vor ihren Wagen ein fremder. Hände streckten sich ihr entgegen. Le Beau riß sie zurück. Nun trug er eine Falte, spürte Gefahr, streckte sich in eine wunderbare Abwehr. Es begeisterte sie, wie er Witterung nahm, ohne daß sie begriff, was vorging. Sie ruhte nur nach ihm hin. Als er bei ihr war, nachts, rief er etwas, sprang hoch und schoß durch das Fenster. Am Nachmittag, als er den Korridor querte, fing ein Diener an zu zittern, verbarg etwas, sank gegen die Wand. Er untersuchte nichts, hatte genug. Wartete nicht mehr.

Er löschte alle Lichter, ließ die Bedienung für den Abend ausgehn, veränderte sich, gab Daisy die Kleider einer kleinen Mimi, sich selbst die abgelegte Eleganz eines Alphonse. Durch den Garten aus dem Haus, im Boulevard tauchten sie unter. Wagen rollten, sie sprangen heraus, nahmen andere. Straßen schäumten auf, fielen donnernd zurück, Schatten bog sie in Parkviertel, Schleifen von Laternenstraßen schwangen vor ihnen stumm hinaus gegen das Ende. Sie griff nach seiner Hand, begriff plötzlich, wie es um sie herum sich sammelte. Nichts Freund war, nur Jagd. Aus der Weite, dem rotumhängten Horizont sammelte sich alles in sie zurück, verweilte eine Minute und schenkte sich ihm ganz hinein, wie nie. Als Reisende aus Tiflis bewohnten sie den Mont Martre, als kleine Juden zogen sie zur Concorde. Ein chilenischer Politiker führte im lateinischen Viertel sein Knie unterm Tisch an ihren Schenkel, zog es rasch zurück, winkte mit den Brauen, flüsterte mit seinem Nachbar. Um ihn lag eine Sinnlichkeit aufgespart, wie nur Weiber sie dicht an die Haut, an den Atem gebunden tragen. Erstaunt, abgelenkt einen Augenblick streifte sie ihn. Da öffnete sich der Mund, bebte mit den Lippen: „Zwei Uhr.“ Das Blut wallte in ihren Hals, in ihren Kopf.

Nachts klirrte die Klinke, Le Beau ging dem Geräusch nach, auf nackten Sohlen entflog ein Umriß. Sie lockte ihn zurück. Aber er folgte, hatte endlich eine Spur, setzte auf diese Nummer, lief einer Figur nach im spitzen Hut, die am Boulevard bald hochschwamm, bald untertauchte. Daisy wachte. Schon drang das Licht vom Haus ab, ergriff in einer weichen Spirale Notre Dame. Die silberne Brust schwankte, die Rippen starr gebläht wie von Glas trieb die Kathedrale in die Mondwelle, glänzte mit Porzellan aus allen Fenstern und schwebte. Bald auch waren die Türme eingelullt. Das Licht stieg weiter, ergriff die Seine, das breite Flußband schwang am Horizont hinauf und Kähne liefen gegen die Sternbilder hin. Dann fiel das Licht in einen Park und hatte es mit den Bäumen, fiel kurz darauf gegen das Haus. Es ward fast weiß. Die Gurte der Balkone herunter von einem entfernten Haus her, wo die Linien der Eisenschnüre schon fast zusammentrafen in einem spitzen Winkel, kam ein weißer Ballen, geschnellt, gesprungen. Es schlug zwei Uhr. Er tauchte in Mauerschatten, schwang ins Licht, überkletterte Barrikaden, klammerte sich an die Hausfront. Das Licht hob ihn, spülte ihn herüber, er war am dritten Haus. Von unten stieg es herauf, der Schritt Le Beaus hielt vor der Tür. Er kam, die Stirn mit der Hand umklammert. Ein Sandsack hatte ihn in einer Torflucht, in die er folgte, zusammengeschlagen. Nach der Ohnmacht kehrte er sofort zurück, sie hatte nur zwei Sekunden gedauert, denn im Augenblick des Schlags wußte er, er müsse zurück. „Du mußtest zurück,“ flüsterte sie mit geschlossenen Augen, die Angst um ihn stieß sie gegen ihn hin. Sie umschloß seinen Nacken, trat mit ihm auf den Balkon, flüsterte seinen Namen in die Nacht, besinnungslos: „Chéri . . . doudou . . .“, umwärmte ihn mit ihrem Körper, liebkoste sein Ohr, seinen Mund.

Ein weißer Ballen bäumte zurück am Nachbarbalkon. Durch die halboffenen Lider sah sie gehetzt vom Teufel eine Figur im Nachtweiß zurückfliehen. Zerrissen in der Balkonecke lag ein Tuch, von Speichel feucht. Sie trug es hinein.

Sie konzentrierte alles auf Flucht. Er widerstand, schon halb in neuer Ohnmacht. Die Zähne entblösten sich gierig, er war im Kampf, blieb auf dem Posten. Sie streichelte ihn: er stand nicht auf. Sie frug, was er mehr liebe, seine Eitelkeit gegen Gefahr oder sie, Daisy. Schmollte mit dem Mund und lächelte, und lauschte, während sie überredete, auf jedes Geräusch. Sein Blick fiel in den Spiegel, blieb am Bild seiner Kopfkompresse, schüttelte fiebrig den Kopf. Sie bat. Sie befahl. Unter dem Ton zuckte er zusammen, durchschaute den Klang, wehrte ab: „Kein Mitleid“. Je tapfrer er sich wehrte, wuchs in ihr das feste Ziel: ihn in Sicherheit zu wissen, das andere all war Abgrund. Sie drehte den Plan um, kam mit List, während er fasziniert vor sich hinsah. Sie lockte ihn weg von seiner Fechterei. Sprach von seinem Haus, dem Park, den Zimmern. Sprach, wie alles zerfließe, die Jagd ihr Ruhe nehme und Freude, wie sie in Sehnsucht ihr Leben sich anders gedacht. Wo sie froh gewesen, ihm entgegengereist, sei dort gewesen. Sie sah in ihren Schoß. Er nickte langsam, schwer überzeugt.

Sie wartete eine Stunde, verriet ihre Erfolgfreude nicht. In seinem Haus war wenigstens ein Wechsel des Orts, parierte Gefahr. Sie fuhren dann Place St. Michel, nahmen den Métro, erreichten Mont Parnasse, fuhren umsteigend zur Etoile, nahmen einen antrabenden Fiaker, stiegen irgendwo aus in einer Gasse, deren Dunkel sie selbst unbekannt umschwirrte, liefen, an den Händen gefaßt, in den Schattenbogen, drangen in ihn ein so tief, daß hinter ihnen nichts blieb, alles zurückfiel, nicht die Idee einer Verfolgung in der Luft hing. Vor einer Taverne standen Wagen. Bis dorthin hielt Le Beau sich. Vorm Einsteigen schwankte er wieder. Sie legte, während die Gassen, Straßen zurückblieben, in das Schwindelgewoge um ihn den Körper, die Hand in sein Gesicht, ihren Mund an sein Ohr: „Ich bin bei dir.“ Voll, scharf umrissen kam sein Gesicht ihrem entgegen.

Über die Dienertreppe stieg sie zum zweitenmal ins Haus des, der sie zuerst aufgebrochen. Ihr Blut suchte ihn sofort. Hier lebten sie nun. Niemand wußte es, es drang nicht nach außen. Ein alter Arzt behandelte ihn von der Erschütterung. Sie wartete, bis dies vorüber war, dann lockte sie jeder Platz, selbst der fernste, denn dort war Sicherheit. Aber als selbst der Siebzigjährige beim Untersuchen eine Schmeichelei hatte für ihren Arm, brach sie in Weinen aus, verließ das Zimmer, warf sich auf ihren Diwan, schloß ab, öffnete nicht vorm Abend. Maß sich die Schuld zu, ihrer Haut, dem Wuchs, dem Duft ihres Haares, daß Le Beau leide. Denn um ihretwillen zog er sich Feinde, erlitt er Angriff. Sie spürte, so lange sie da sei, schiebe sich dies und dies zwischen ihn und sie und bohre ihn weg, weil sie auffiel, weil sie reizte. Er aber trat ein, faßte das überall an, sagte: „Liebe ich das nicht, warum verletzt du es?“

Sie traten in die Parklauben, der Sommerduft strich darin herum, sie blieb stehen, an der Stirn getroffen, machte die Augen zu, küßte ihn besinnungslos. Gewärtig eines Überfalls hielt sie den Kuß an bis zum Ersticken, sah lauschende Köpfe aus dem Rosenbeet kommen, Leitern nachts gegen die Wand sich stellen. Von der Silberkugel zwischen den Staketen, wogte aus der Metalltiefe Zwielichtiges, Schatten, gedämpftes Ungeheures heran, gegen sie. Dies drängte ihr Leben zusammen, zielte es in einer unbekannten Verdichtung gegen ihn allein. Bleich vor Erregung strömte sie ihre Seele mit der Zunge in seinen Mund. Dachte nicht, selbst nie im Halbtraum, der fremde, sehnsüchtige Glieder formt, an andere Männer, ja haßte sie, wurden sie aufdringlich deutlich in der Phantasie. Die geschmeidige Stoßkraft seines Körpers gab ihr jede Seligkeit, die ihr Körper verlangte. Er trieb sie höher noch, als sie vermochte, schleifte sie in die letzte Wollust, schon besinnungslos. Oft lag sie über seinem Gesicht nachts, bog die Haare ihm aus der Stirn, lauschte, ob sie sein Traum sei. Legte die Hand auf sein Herz und zog mit dem Finger ihren Namen auf die Haut der Grube. Ging er von ihr, nur in das nächste Zimmer, war ihr, es sei für immer. An ihrer Angst wuchs ihre Liebe höher, weiter, als sie von ihm empfand. Er gesundete, war gefährdeter, je mehr er sich bewegte. Mit jedem Tag ward ihr Auge größer, erwartender, eingestellter auf Unheil. Er aber blieb gleich, umschürfte ihr Fleisch mit Witterung, griff an, quälte sie, liebte sie ohne Änderung, ein Marder, ein edles Tier, voll Geist, der nie die Beherrschung verlor, nie mit ihr sich traf in einer Höhe, die nur die übersinnliche wahnsinnige Angst ihrer Seele erreichte. Da blieb das Männliche zurück, sank zurück, wenn er sich ihr ergossen, flog nicht zu dem erlösenden Wort, das ihr Mut gab jenseits der Umschlingung der Körper. Während sie sich noch auftat, ihm entgegenatmete, durch seine Umarmung das Hemmungslose durchbrach und aufgeschleudert flog in eine leiblose Ergriffenheit, spürte sie unter wütenden Küssen das Zurückgleitende, Fremde an ihm, das, was sich nicht gab: den Mann. Sie schlug verschleiert die schräg gebrochenen Augen auf: „Du mußt mich mehr lieben.“ Schmeichelnd umwand sein Körper sie wieder, sein Geist begleitete seine Hände, gab ihnen Linde und glatte Bewegung, sagte ihr Worte der Liebe, toll, ausschweifender, als ihr Hirn es träumte, machte sie hingeflossen, in jeder Blutfaser geöffnet nach seinem Angriff — er trieb sie in den Abgrund, erhob sie aus den kleinen Seufzern und Stammeln zu Geschrei, bis ihr Kopf besinnungslos ward . . . aber erwachend spürte sie unsinnige Angst um ihn, daß sein Herz das letzte Zerschmelzen kühle, und empfand verzweifelt, was er nicht zu geben vermochte, was fehlte, und daß sie ihn darum auch lieben mußte, mehr als er sie.

Nachts kam er spät zurück. Zwei Arme fielen in der Pergola um seinen Nacken, eine Stimme, die kaum sprechen konnte, flüsterte seinen Namen. Zugleich strömte der Weiße-Flieder-Duft mit einem Hauch herunter, Dolden bebten am Parktor nieder und berührten ihre Gesichter. „Lieber“, atmete sie. Er hob ihr Gesicht ins Helle. Da hing es, nur sammelnd und aufnehmend, was sie erwartete, was auch kam. In den Tränen, die es übergossen, sah er mehr, als was sie bot. Es leuchtete tief in der Stunde und seinem guten Willen kam es entgegen herauf und er spürte ihr Warten, ihre Angst, die sie verschwieg. Sie hatte die halbe Nacht am Tor gewartet. In eins zerflossen gingen sie hinein. Weich von den Tränen und gerührt von seiner Milde mahnte sie sein Versprechen zum erstenmal die Nacht. Er spürte, wie schwer es ihr ward. Stand auf, hingegeben an solche Innigkeit, schob den Hochmut beiseite, brachte aus dem Nachtblau gelb aufflimmernd vom Fenster den Globus, legte ihn in ihren Schoß, brachte den lauen Blütenwind mit in ihr Bett: „Was willst du?“, frug er und bot ihr jeden Fleck, den sie benennen wollte mit dem Fingernagel. Dorthin führen sie morgen. Schon der Sonnenaufgang hieß Abreise, schon der Mittag Sicherheit. Ihre Liebe stieg aufs Äußerste. Sie verschmähte es.

Sie wählte nicht, nahm nicht. Sie schenkte ihm ihre Angst. Verzichtete auf die Ruhe, um zu leiden für ihre Liebe. Es war das Höchste. Unverlierbar nahm ihn ihr Auge; als sie ihm die Kugel zurückgab: „Ich will es nicht“, sagte sie, ihre Stimme trug keinen Laut mehr vor Verwebtheit. Legte sich zurück, unter ihm kaum mehr lebend, der über sie kam mit ungekannter Leidenschaft und grausamen Lippen. Was blieb noch, konnte noch kommen? Entzücken selbst der Tod.

Tage, Wochen kamen, gingen in der Erwartung. Sie lauerte auf eine Gefahr, die nicht kam. Manchmal glaubte sie sie nah, gewiß, schon im Vorsaal. Das stieg und fiel mit den Graden der Hingebung, die sie dem Mann verband. Manchmal, wenn sie ihm ferner war in ihrer Blutwoche, vergaß sie es, schrak aber dann zurück. Da die Wochen aber leer waren, ermüdete sich die Spannung, ihre Augen wurden beruhigter, matter. Menschen streiften das Haus, sie mischten sich an die ersten Vorposten heran, es ging ohne Zwischenfall. Ihr Name mit seinem hatte schon Patina in der Verschmelzung, keinen hörte man allein. Man achtete, nahm hin, was hier fest vereint schien, etwas resigniert, ein wenig gelangweilt. Es war ihnen fern schon, gegründet, kein Raub mehr. Nichts geschah. Kein Schrei, keine Hand gehoben zu ihrer Entführung. Niemand warf sich in Abenteuer. Die Lust umschlich sie kühl. Sie ermüdete mit einemmal. Aber Le Beau federte die Sicherheit erst recht, gab ihm knabenhafte Wildheit. Das Raubtierhafte, das verteidigte und lauerte, spielte nun mit dem Gefühl, tollte darin, daß er sie hatte. Allein der Bogen der Angst war zusammengewachsen mit ihrer Liebe. Es löste sich nicht ohne Lockerung auf dem Grund des Gefühls.

Sie ging spazieren, allein, ruderte einmal am Bois, ritt hin und wieder. Als ihre Schenkel den Gaul erstmals fühlten, traf sich ihr Herzschlag mit Entferntem, sie, wußte nicht mit was, war es ein Schwan im Uferduft, eine Mispel in der Pappelkrone, ein Auto, das den Horizont anrannte. Sie kam anders zurück. Als sie die Bibliothek kreuzte, wich ein bohnender Arbeiter aus, glitt ab, stürzte hinter ihr aufs Parkett, wobei er sich an ihrem Ärmel instinktiv hielt. Aufschreiend blieb sie zitternd an der Wand. Am Mittag in der Sonne lachte sie über die plötzliche Furcht, aber die komische Bewegung der Abwehr, die sie gesehen, verbreitete sich, machte sie düster, schweigsam. Ihre Liebe gliederte sich darin. Der Überschwang kehrte zurück. Der Schwung dämpfte sich. Was sie aus der innersten Tiefe gehoben, gefürchtet, die Angst und die Sorge, standen allein, kühl entfernt, die äußerste Spitze des, was sie durchlebt, war nichts, ein Betrug. Sie tötete diesen Gedanken und lächelte. Aber wartete nicht mehr in die Ferne, zitterte nicht mehr um ihn, wenn er ging und kam. Ein Gleichgewicht kam. Sie reisten.

Er frug nach Plänen, Wünschen, lauschte auf Ungesagtes, was ihr selbst nicht bewußt war, verwöhnte sie namenlos. Dirigierte die Reise, zeigte ihr kaleidoskopisch, kennerisch, abwechselnd, Wirkungen vertauschend, untermalend das Hauchdünne, verwischend das Grobe, die Schichtung der Welt, die man einsog, bewunderte, genoß. Suchte nach Flüssen, die im Rauschen ihr genehm, Wälder, deren Schattenfall ihrer Lunge lieb waren, Ebenen, die das Auto kielte, Gebirg, in dem der Aufschwung mit dem Tagaufgang über die Jacken rann. Doch einte die Landschaft sie nicht noch tiefer, die Bilder glitten harmonisch. Wo aber die Kontraste stiegen und rasten, gab es keinen Brennpunkt, in den ihr Gefühl zusammenfloß, sondern sie jagten auseinander, so dies und so das. An einem Abend sahen sie eine italienische Oper. In der Nacht sah Daisy Le Beau im hellen Licht neben sich.

Seine Beine wie aus Bronze spielten den Rumpf hinauf, der den Fechter zeigte, zusammengerissener und stählerner in der Spannung wie in den Marmorsälen die Ringer. Sein kluger Kopf war voll Geist, auch wenn die Lider sich schlossen. Sie sah es klar, zum erstenmal. Denn es trat in sie in dieser Nacht, zu sehen ohne Rausch und ohne Haß.

Das Licht flimmerte kühl, und es banden sich die Enden der großen Kantilenen der Sängerin an das Ende ihres erwachten Bewußtseins, und an der Höhe der Kantilenen ermaß sie die Höhe des, was sie erstrebt, erglüht, als ihre Stimme noch das Ziel war und ihre kindliche Sehnsucht glaubte, dort sei der Ruf. Sie drehte um. Sie sah den Körper neben sich, edel und schön wie wenige, auch liebte sie ihn. Sie fühlte alles, was von ihm zu ihr gekommen, Begeisterung, Hingabe und Wollust, aber es blieb unten. Genügte es? War es so viel, daß es sie erfüllte? Es war, was ein Mann an Liebe ihr geben konnte, fast mehr. Aber sie spürte wie Ziehendes, sie Beschwingendes und Reißendes die Spitze des abends eingeatmeten Gefühls über sich schweben, sah alles sich hinneigen nach der Höhe, erblaßt fiel ihr Kopf zurück. Die lange Strecke, die lag, zwischen dem, was sie erträumt und dem was sie erreicht und besaß, traf sie vernichtend. Lange lag sie kalt, halb schlafend. Ein Gesicht tauchte auf, sie lächelte, es verblaßte wieder. Lange lag sie gewiegt von Dingen, die sie streiften, nie entfachten. Aber im langen Wachen erkannte sie unerbittlich, wie leer ihr Zustand schwebe und daß dies nicht sie erfülle, und wie unendlich überlegen ihr Gefühl schon dem Augenblick geworden, in dem sie war.

Der dritte Abschnitt

Ein rotbärtiger Mann wartete. Der Vorsteher meldete das Verbot des Zuges. Der Parlamentarier ließ sich nicht sabotieren, stieg auf den Tender und verlangte eine Lokomotive. Das Personal machte ihm eine Ovation, fuhr sie heran. Es war Abend. Er redete von der Feuerung herunter. Dann gab er ganz behutsam Daisy die Hand, sie stieg herauf, bald waren die Lichter hinter ihnen. Sie fuhren durch die Provinz. Durch den Süden sprach er von Stadt zu Stadt. Dann kamen sie quer durch die Bretagne. Ein Telegramm rief ihn von St. Malo zurück. Wieder kamen Olivenbäume. Jeden Tag liefen rückwärtsgeschleudert erleuchtete Säle mit Menschenmassen zurück. Er kam aus dem Handdrücken der Komitees direkt in den Wagen. Sie gab ihm die Hände heraus, er stieg ein. Neue Chausseen bäumten sich, der Mond schwankte langsam durch die dünnen Alleebäume. Einmal küßte er ihr die Hand, sie lachte eine Zeitlang über seine Zärtlichkeit. Sie saß in der ersten Reihe, als in Valence er während des Sprechens die Budjetrede aus Paris erfuhr und eine wilde Kavalkade dagegen aufmachte. Er aß dann den ganzen Abend. Unterwegs stieg seine Wut. Abends nahten drei Laternen, sein Geburtsort Libourne. Seine Vettern erwarteten ihn mit den Weibern, die in Holzschuhen von einem Bein aufs andere sprangen. Sie staunten sie an, indem sie sich in den Taillen weit vorneigten, die Arme auf den Rücken schlugen. Er wurde verlegen, legte ungeschickt den Arm, daß sie fast zusammenbrach, auf ihre Schulter. Sie lächelte mit den Weibern, nahm sie unter den Arm. Als sie ihnen ein Schlafzimmer zu zweit anboten, lachte sie, ging hinaus und fuhr ins Hotel. Die Weiber klatschten auf die Schenkel, grinsten, verhöhnten den Rotbart. Er ging voll Wut ins Hotel, sie abzuholen, vor ihrem Gesicht begann er die Hände zu bewegen, als sei sie aus Glas. Er sprach kein Wort. In der Versammlung stellte er eine Resolution auf, die dem Budjetredner ein Wort ins Gesicht setzte, das man nur in Libourne verstand. Die Männer stampften wie die Ochsen und rissen die Mäuler bis gegen das Ohr auf. Sein Cousin Louis trug es aufs Postamt. Der Beamte weigerte sich. Da holte er den ganzen Saal, sie steckten die Gartenhütte an, legten ihn auf den Rücken und spritzten ihm aus einem Winzergummi Schnaps in die Gurgel, bis er es tickte. Am Mittag schlachtete er ein Schwein. Mit blutigen Armen stand er breitbeinig im Hof, hob den Kopf und sah sie mit seinen weit auseinanderliegenden Augen an, seine bloße Brust dampfte. Mittags spät saßen sie im Auto. Er strahlte und wagte sich zum erstenmal dicht neben sie zu setzen. Sie zog den Mund spitz, hob den Finger und streckte ihn nach dem Polster auf der anderen Seite. Sofort glitt er hinüber. In Toulouse zog er den Rock aus im überfüllten Saal, lief auf dem Podium herum und schrie wie ein Bär, er war fast heiser, sein Publikum raste. Dem Saaldiener schlug er in guter Laune auf den Rücken, der bekam einen Hustenanfall, wurde auf drei Stühle gelegt, bekam die Arme gehoben, den Bauch massiert. Sie ärgerte sich und beachtete ihn einen Tag nicht. Sie fuhren nach Nizza zu einer Kundgebung der italienischen Irredentisten. Da sie nicht mit ihm sprach, räusperte er sich nach der Uhr jede fünfte Minute. Sie sah hinaus. Die Bläue spielte um die Äste mit einer Leichtigkeit, als durchdrängen sie sich. Er benutzte den Augenblick, die Hand herüber auf ihr Knie zu legen. Zornig sah sie ihn an. Sein schwerer Nacken zog sich ein, die schmalen Augen wurden ängstlich. Er tat ihr leid, sie griff mit der Faust in seinen Bart, zog ihn von der einen Seite zur anderen, schüttelte ihn und ließ ihn fahren, er versuchte einen Griff wie nach einer Magd. Sofort zog er sich in die Ecke zurück, fragte traurig und kindisch: „Sie haben einen Zug um den Mund, was ist?“ Sie lachte. Er schüttelte sich vor Behagen und strich den Bart glatt.

Vom Zug kamen sie direkt ins Theater. Ein trentiner Dichter sprach eine Hymne an das italienische Meer. Der Raum war mit italienischen Flaggen geschmückt neben den französischen. Der Dichter trat einen Augenblick in die Loge, den Parlamentarier zu begrüßen. Ihre Blicke kreuzten sich einen Moment. Doch der Franzose stellte ihn ihr nicht vor. Sie sah einen Schatten von seinem Auge, als er hinausging. Die Verse langweilten den Parlamentarier, er wurde müde und schnarchte, aber er mußte bleiben, da er nachher sprach. Daisy stand auf bei der zweiten Nummer, ging leis hinaus. Sie ging durch das Foyer. Nun schritt sie gegen einen Spiegel, sah sich, erreichte die Treppe. Als sie den Pelz um den Hals fester zog an der Tür, trat mit zwei großen, aber langsamen Schritten der Dichter von dem Pfeiler. Sie nahm seinen Wagen.

Der Frühling stieg mit sehr blauen zarten Morgenstunden aus dem Luxembourg. An einem Abend, den die Boulevardbäume mit einer blassen Schwermut trugen, stiegen Ballone aus einem Hoteldach, stiegen mit kleinen Kerzen und erleuchteten an dem Ende der schwärmerischen Kurve den Himmel mit ihrem Namenszug. Vor Fontainebleau machte ein Torpedoauto eine ovale Schleife, ihr Wagen bremste und fuhr in den Graben auf zwei schleifenden Hinterrädern. Der kleine Spritzer hatte gedreht und verschwand hinter einer grauen Staubwand. Auf der Chaussee lag ein Strauß Narzissen mit einer italienischen Schleife. Später fand sie einen Brief darin.

Er kam am Morgen. Selbst sein Parfüm fragte nach ihren Wünschen, die er erriet, daß es sie bestürzte, denn er brachte ihr keine Geschenke, aber er lauerte auch auf das Unbewußte jedes Reizes in ihrer Seele. In seinen Arbeiten kam ihr mit aller Genauigkeit dieser und jener Tag und Gedanke wieder, nur aus der Frage zum Endgültigen geführt, entgegen. Seine Schöpferkraft sammelte sich in Verkleidungen um sie, er drang in das Dunkelste und Träumerischste ihres Lebens und erregte mit der tastenden Verführung seines Geistes. Sein Kopf war antik-haarlos, die Augen tief und umschattet, aber der Zauber seines Hirns verstrickte mit einer Überlegenheit, selbst wo er bat, daß er sich aufhob. Als sie ihn nicht empfing, sandte er ihr das Gedicht, das die Adria zur Revolte aufrief, aus dem Theater in Nizza, um ihr zu zeigen, daß dieser Ehrgeiz und sie das Verehrungswürdigste seien in seinem Leben. Die Aufrichtigkeit führte sie dicht zu ihm.

Der französische Staat ließ ihm als Gast Notre Dame allein läuten. Er kam zu ihr: „Es war keine Schönheit, da du fehltest.“

Er sagte drei Stunden vor Beginn der Premiere ab, denn Daisy lag an Grippe. Das Telephon rasselte ohne Unterlaß. Er stellte es ab. Vor dem Zimmer stand ein Boy, der niemand einließ.

„Drei Monate Reklame . . . .“ flüsterte der eine der Direktoren, als sie den Boy bestochen hatten, im Salon. Er zuckte die Achseln, als sie den Tantiemensatz um fünf in die Höhe hoben. „Acht“, sagte der andere leis und bebend vor Wut, denn sein Gegenüber nahm den Finger nicht von der Lippe. Daisy schellte. Er ging hinein. Sie war aufgewacht: „Gehen Sie doch“. Er machte eine geringschätzige Gebärde, er sagte ihr, es läge nichts daran, denn diesen Ruhm verachte er, es gäbe nur jenen einen, der ihn in der Öffentlichkeit reize, und er wies auf das Gedicht, das sie auf dem Tisch liegen hatte. Er ging leis hinaus, als sie die Augen schloß.

„Zehne“, sagte der Direktor vom Fenster her, wo er mit den Nägeln das Glas zum Zittern brachte. Er schüttelte stumm den Kopf. Da bekam der andere einen Kopf wie ein Puter, der erstickt, hob die Stimme und schrie nach ihm: „Schieber“.

„Buffone“, er hatte Schaum auf den Lippen. „Marquis de la bouche.“

Mit einer aalglatten Bewegung gab er sofort nach, zog sie auf den Korridor, besprach sich, sagte zu, vergaß die Beleidigung — denn er fürchtete, daß ihre Stimmen Daisy weckten.

Gegen Morgen kam er zurück, niedergeschlagen. Sie wagte nicht zu fragen, es schien eine Niederlage. Sie war frischer, machte Puppen aus den Kissenenden, schmollte mit ihnen, ließ sie tanzen, lächelte nach der Seite, bis er auf den Knien lag. Mit dem Frühstück kamen Zeitungen. Sie sah, daß sein Erfolg riesig war. Er sagte, da sein Blick den ihren nicht traf in der Loge, habe er die Niederlage gewünscht. Denn ihr Auge allein habe ihm sagen können, daß dieses Rufen bedeutend für ihn, ja eine Freude sei.

Er saß auf dem gelben Stuhl ohne Lehne und plauderte den Nachmittag mit ihr, den sie noch lag. Ein Brief kam, er erbrach ihn, biß die Zähne in die Oberlippe, drehte sich um und schlug die Hände vor das Gesicht.

Sie las den Brief. Er kam bis ans Bett, als die Augen sich trafen, sah sie, wie er schwankte. In der Tiefe, hinter den goldbraunen Ringen entfernte es sich. Zwei Falten preßten die Augenschlitze gegen die Nase. „Laß packen“, sagte sie.

„Du bist noch krank.“ Sie nickte ein wenig und schellte der Zofe. Er senkte den Kopf, ging hinaus.

Im Zug schmerzte sie der Rücken bis zum Knie, dann die Arme. Wie sie sich legte, linderte sie nur die Sekunde. Im Tunnel verlor sich das Fieber, gegen Mittag kam es heftig zurück. Im Schlafwagen lag sie eine Stunde. Das Decklicht irrte in blauen Kreisen um sie. Sie setzte sich in die Ecke, in Decken gehüllt. „Laß dich nicht stören“, sagte sie. Seine Augen waren feucht, kalt nach innen gerichtet, wo er angespannt sich beschäftigte. Sie nahm eine Zeitung, hielt sie vor das Gesicht, als lese sie, damit er ihre Schwäche nicht sehe. Er hielt die Hände nebeneinander und sah durch die dünne Haut auf sie. Die roten Lichtreflexe machten eine unruhige Zartheit auf ihren Gliedern durch dies Transparent von rosanem Blut.

Sie kamen bei Regen an. Ein Kommissionär mit schwachsinnigen Augen umkreiste sie wie ein Hund und fing plötzlich mit den Armen zu drehen und zu schreien an. Hinten begann eine rasende Musik. Der Regen ward so toll, daß, als sie auf der Terrasse standen, über den Platz die Herangelaufenen mit hochgeschlagenen Kragen in die Cafés zurückstürzten. Schwarze Männer standen auf der Treppe, ein langer Frack warf vom Gaskandelaber den Hut hoch, knickte die Knie, fuhr hoch, stank aus dem Mund wie ein Fisch. Im Wagen begann Daisy zu weinen vor Müdigkeit. An der Ecke sah sie die dünne Erscheinung über den leeren Platz rennen.

Gegen Abend blickte sie vom Balkon, der Nebel erfrischte. Eine Ziegenherde kam aus der Nebengasse. Ein Radfahrer bog um und fuhr dem Leittier in die Beine. Es sprang um, jagte auf die Straße. Die Tiere liefen mit geblendeten Augen an die Häuser. Einige Geiße bockten, liefen irrsinnig im Kreis, warfen Kinder um, verletzten einen Gendarmen im Gesicht. Der Hirte suchte das Leittier, sprang durch die Gruppen und pfiff auf dem Fingergelenk. Da nahte Musik, alles verlief sich Die Musik hielt vor dem Hotel. Daisy ließ sich auskleiden.

Später drang rote Glut in die Fenster. Als er vom Balkon hereinkam, hob sie den Kopf aus den Kissen. „Die Unterbeamten“, rief er, schon im Salon. Sie schloß die Augen unter der Müdigkeit der Schlafpulver. Dann gingen im Nebenzimmer immer Türen, ein Organ sprach, als gurgle es den Mund voll, das schläferte ein. Die Türen klappten rascher, die Reden gingen wie ein Bad, es umplätscherte sie aus der Ferne. Sie hatte Durst, bog den Kopf zur Seite zum Trinken. Da sauste er vorbei, sie griff nach seiner Hand. „Deputationen“, flüsterte die Zofe. In der halbgeöffneten Tür, als sie hinausging, stand ein fetter Herr und verbeugte sich tief mit einem fiesen Lächeln.

Immer ging seine Stimme wie ein Uhrzeiger durch die anderen, die herumwanderten, leis klangen, bald spitz, manchmal quatschisch schäumten. Sie bekam Sehnsucht, ihn zu sehen. Sie sah ihn nur im Sprung. Später erwachte sie, es war Lärm auf der Straße, sie sah in sein überhitztes Gesicht. „Der vierte Zug“, rief er ihr zu, als er auf den Balkon stürzte. Als er zurückkam, frug sie: „Was war es“; sie hatte geschlafen in der Zwischenzeit. „Studenten“, stöhnte er. Sie verstand ihn nicht. „Was wollen sie?“ „Provinzen.“ Sie begriff im Halbschlaf die Zusammenhänge nicht mehr und schlief sofort ein.

Sie sah in tiefblauen Himmel, gewölbt und fließend wie Glas. Er stand an ihrem Bett. Sie sah hinunter. Singende irredentistische Vereine zogen zum Hafen. Der Schlaf hatte sie erholt, sie legte sich herum, um liegen zu bleiben. Er nahm sie an der Hand, sie stand auf. Beim Anziehen bekam sie Fieber. Sie hielt ihm den Puls hin. Er fühlte, verfärbte sich ein wenig, dann drehte er sich um. Sie sah nicht, was vorging. Es dauerte nur kurz. Dann sah er sie fragend an. Sie zog sich weiter an, eine solche Spannung lag in seinem Blick. Er hob sie hinüber ins Boot. Die Molen waren schwarz. Auf der Triere ward eine Fahne gelegt. Er trat darauf. Sie hörte jedes Wort aus dem Theater. Die Schärpen standen grell über den Hemden wie auf Schilder gelegt. In der weißen Glut platzten die Köpfe fast. Sie standen wie Zinkknöpfe, heiß und schwitzend. Um sie herum lagen Schiffe mit Tribünen, von denen die Photos unaufhörlich knackten. Ein amerikanisches Boot suchte ständig die Sperre zu durchfahren. Die Menge wartete, bis die Glocken den Berg herunterkamen. Dann schaukelten Tücher über dem Schwarz. Eine Brandung erhob sich am Ufer. Aus Marmor stieg ein Adler von der Klippe. Eine dumpfe Salve knatterte hinter der Halbinsel. Dann sprach er jene mystische Revolte, hatte die Hände gegen die Brust gestemmt, die Beine eine kleine Spanne auseinander. Auf seinem Kopf lag eine Entschlossenheit der Wollust, als wiege sein Hirn sich in dem Gedanken, den er mit großen Rhythmen durchmaß. Unter seinen Sätzen aber, die ihm die Höhe seines Lebens waren, kam aus der Tiefe des Meeres der Glanz langsam herauf. Aber wie er schloß, überkam sie eine sinnlose Traurigkeit, sie fiel fast zusammen.

Das Meer schäumte ein wenig, als sie zurückfuhren. So lange sie fuhren, streichelte er unter dem Mantel ihre Hand. Sie ging sofort in ihr Zimmer, schloß ab, kleidete sich aus. Dann sprang sie heraus, ließ sich anders anziehen, legte sich auf den Rücken. Im Nebenzimmer telephonierte er nach dem Arzt. Er verlangte Rom, einen Spezialisten, rief Summen ins Telephon, trommelte an ihre Tür. „Öffnen Sie“, sagte sie der Zofe. Im Halbdunkel beugte er sich über das Bett. Sie brachte den Blick nicht gegen seinen zum Fixieren. „Welches Unglück“, stöhnte er. Er fluchte, verwünschte den Tag, maß sich die Schuld zu, daß sie hierher gefolgt, aufs Meer gekommen. Sie lächelte. Das Telephon rief ihn hinaus. Im Dämmern sah sie auf dem Tisch etwas Helles. Es mußte vom Mittag liegen. „Schließen Sie“, sagte sie der Zofe. Sie machte das Telegramm auf, las, bückte sich, krümmte sich wie eine Katze.

Er klopfte an die Tür. Er rief durch das Schlüsselloch, er störe sie nicht, nur bitte er, daß sie den Arzt empfange, wenn er komme. Dann ward es still. Später kam er noch einmal, sie hörte ihn hin und hergehen, sein Schritt war beängstend leis, verhalten.

Nur sie habe Sinn für ihn, murmelte er. Er sprach lange mit sich, die Portiere dämpfte es. Auf dem Tisch stand sein Bild. Daisy sprang auf. „Der Arzt“, schrie es im Gang, im Nebenzimmer flog das Fenster auf, sie hörte einen stehenbleibenden Motor. Sie nahm eine Nadel, zielte dreimal nach dem Bild, steckte sie rasch in ihr Haar, sie kam durch ihre Tür zum Korridor, durch die zweite Treppe auf den Gang, dann in das Vestibül. Sie fuhr über Mailand nach Turin. Dann nach Lyon. Das Fieber ließ nach, sobald sie härtere Luft atmete, in einer Stunde war es vorbei. Von da fuhr sie bis Calais. Mit dem Fünf-Uhr-Dampfer kam Syg. Sie schritt mit dem Tuch, ohne aufzuhören, winkend über den Steg auf sie zu.

 

Der Mond flog, ein Vogel, durch den Apfelbaum; Die Syringen hingen schwer und rot über den Kies; Über den Hyazinthen strudelte die Luft in einer Kupferfäule. Zwischen den Zweigen des Gebüschs fing das Dunkel erst an und bebte. Bienen stürzten in die Höhe und von ihren übervollen Poren schaukelten hochgetragene Blüten langsam und taumelnd in das Wasser zurück. Die tiefgesenkten Gartenfenster brachen mit runden Quecksilberbogen aus den Säulen heraus. Die magische Tiefe des Glases blätterte sich nach innen in den schimmernden Kreisen und sog den Kiesweg mit den Tulpen in einer Spirale hoch und in sich auf. Aus der Gartenhütte taumelte ein Gegenstand mit unheimlichem Schütteln, schlug wild gegen den Apfelbaum, kam in den Mondschein, torkelte in ihm über die Wiese nach einer Maus. Dann hielt er, verdrehte die Augen, schrie „Do . . . go — — go. Dogo . . .“, schnurrte und steckte den Schnabel zwischen die Flügel. Der Mond, wie ein unsichtbar geschlagenes Schild, war weiß von Metall, zitterte durch den Himmel.

Dies alles brachte ihr die Heimat nahe, wenn sie Sygs Hand hielt. Sie gingen angeschmiegt durch den blauen Dunst der angefachten Nacht. Aber es trug sie nicht hinüber, sie hatte nur Abwehr. Die Unruhe war gewichen, sobald sie Syg sah und spürte. Dies aber, dachte sie im Bett, was sie froh machte, war nur die Gegenwart der Schwester, Sygs Figur und Stimme, vor deren naher Gewalt das Gelebte zurückfiel. Sie empfand Ruhe und Stille. Sie empfand sogar in Vaudreuils Grüßen das geheime Suchen und Fragen, aber sie war so sicher, daß sie sie unbefangen zurückgab.

Elfmal schlug die Uhr, dünn und silbern. Der Ton ging hinaus, wo der Glanz nicht nachließ. Syg konnte nicht schlafen, legte sich herum. Sie lächelten sich in das Gesicht. Der große helle Raum stand voll Mondstaub. Vor dem Fenster schwankten Weidengerten auf und nieder, obwohl kein Wind ging, wie der bebende Rücken eines Tieres. Nun begannen im Boudoir die Silbersachen zu leuchten, die Bettseide wurde ein Netz von zartestem Weiß, nun stand der Mond mitten im Rahmenkreuz und durchstieß gelb und flutend das Fenster.

Daisy richtete sich auf, als lausche sie: „Und Well?“ frug sie und horchte hinterher . . . „und Well? . . .“ Syg sprang aus dem Bett. Der Balkon war mit wogendem Lichtnebel über den Kletterrosen zugezogen. Die Nacht wurde immer wärmer und durchsichtiger, schon traten die Figuren vor der hintersten Hecke deutlich heraus. „O“, flüsterte Syg und führte die flache Hand über das Geländer. Stück auf Stück der Jugend gaben sie sich in die Hände, hinüber, herüber wie Bälle, und spielten sie sich zu . . . die Bäume, die Gouvernante, die vertrocknete Fischkugel, den Ameisenbau. Wie sich die kleinen Dinge, deren zärtliche Erinnerung sie am sorgfältigsten erfüllte, aus ihrer Erinnerung hoben, schmolz sie das Gefühl zusammen, daß die Jahre hinaustraten zwischen ihnen . . . Tage flogen auf und hoben sich in sanften Farben wie aus Strohhalmen abgesandte Kugeln und schwammen in den Garten hinein. Im Scheitel der Nacht hing der Mond fröstelnd und starr.

Die Uhr schlug. Vögel sangen, den Kopf noch an der Brust, in das wollüstige Grauen. Das Gras begann zu leben, und der Tau glühte mit einer hingegebenen Leidenschaft an der Erde. Daisy bog sich aus ihrem Bett über Sygs klares Gesicht. Sie empfand, daß ihr Kopf wie ein Spiegel denselben Ausdruck trage. Sie empfand das Glück dieser Gegenwart mit einem berückenden Gefühl.

„Wie lange hattest du Fieber, Syg?“

„Acht Wochen.“

„Arme, doch wirst du in Firenze nichts tun wie liegen und blaue Luft atmen.“ Sie legte den Kopf an Sygs Brust und liebkoste sie mit der Wange, denn die Erinnerung der Schmerzen, die Syg gelitten, quälte sie in dieser Stunde der Seligkeit mehr, als sei es ein eigenes Leid.

Die Uhr schlug. Syg gähnte; zog die Beine herauf und schüttelte die Locken, reckte die Arme. Sie war zu faul zum Aufstehen. Sie schellten nach dem Frühstück. Die Zofe brachte es zuerst Daisy an die linke Seite des mit breiten Stäben gegliederten Messingbettes. Sie wies nach Syg. Das Mädchen sah verwirrt von einer zur anderen. Sygs blaues Haar wallte um das ovale Gesicht, sie hatte das Kinn auf die Hand gestützt. Sie sah mit den Augen, die tief und wundervoll ausgeschnitten und mit leidenschaftlichen Schatten befiedert waren, dem Mädchen zu. In ihrem Weiß lag ein violetter Schimmer.

Sie wurden ohne Pause verwechselt. Die Bonnen kannten sich nicht aus. Der Kutscher stammelte. Ärgerlich rief Daisy: Pha . . . lux . . . Freunde vertauschten sie. Aber dies band sie nun erst aneinander, denn in jenem Wechseln der Körper und Erscheinung fühlten sie hingegebener die Harmonie. Sie lachten sich an vor dem Spiegel. Sie zogen sich verschieden an, machten sich unähnlich.

Syg trug die Haare hoch um einen dreigezackten Pfeil, Daisy zog sie unter einer Perle, die über der Stirn lag, halb über die Ohren und scheitelte den Kopf. Syg trug dunkle Seide. Daisy ging ganz weiß, der Wind schmiegte sich in die kleinen Blumen des Battists und der Boa.

Umsonst.

Sie tauschten den Puder, die Korsetts, die Rotstifte. Syg blaßte ab wie ein Pierrot. Daisy ging mit anmutig erhellten Wangen. Doch wie sie sich bemühten, stieg die Verwirrung. Da gaben sie nach, Syg hatte eine Grimasse, sie tauschten die Rollen.

„Sie baten mich, die Kette zu besorgen“, sagte ein junger Kanadier, reichte Daisy ein Etui.

„Es war meine Schwester“, sagte sie. Sie trug ein silbriges Abendkleid mit Schwarz, ging hinaus, Syg zu rufen.

Sie kam zurück mit Goldpuder und einem roten Samt. Er überreichte es ihr. Sie dankte. Die Tür ging auf. Syg kam in einem blauen Schneiderkleid wie von der Straße, gab ihm die Hand und frug: „Haben Sie meine, Kette, John?“

Verblüfft sprang der junge Mann auf: „Haben Sie noch eine Schwester und wel . . .“ Syg klatschte in die Hände, nahm ihn bei den Ohren, schenkte einen Kognak ein.

Jeden Tag schob Syg die Abreise hinaus, jeden Morgen freute sich Daisy und jeden Abend litt ihr Gefühl, das um Syg Sorge trug und doch nicht vermochte, sich von ihr zu trennen. Die Tage gingen wie ein blauer Mond nach dem anderen am Fenster vorüber, und Dogo saß in jedem, auf dem Zweig des Faulbaums sich schaukelnd.

Fribaurt rief an auf der Durchreise, Syg nahm den Hörer. Er kam nach einer halben Stunde. Daisy empfing ihn. Er sah ihr von unten in die Augen, und da er ein geschärftes Ohr hatte für das herbere in Sygs Organ, frug er, den Rücken weich, hündisch, biegend: „Wozu die Komödie?“ Sie gingen auf die Veranda. Sie hob den Finger an die Lippen.

Unter ihnen stand Syg, vor ihr ein junger, schlanker Gärtner. Sie tollte und sprang um ihn herum, verzog das Gesicht, schüttelte den Kopf. Sie frug ihn, er sagte etwas. Sie preßte die Hände in die Hüften, daß die Ellenbogen nach auswärts standen und lachte. Ihre Bewegungen waren in diesem Augenblick ganz unerlöst und kindlich. Dann frug sie wieder. Er sagte einen slawischen Namen und zischte. Sie schüttelte den Kopf und lachte noch heller. Sie faßte ihn unter dem Kinn, richtete sein Auge nach ihrem (denn er schlug es nieder) und horchte angespannt, dabei bewegte sie die Nüstern in Spott.

Er errötete, dann schrie er mit voller Stimme: „Zsigis“. Syg blieb ganz ernst, hob die Hand, fuhr ihm die Grenze der Stirn entlang, sagte ihm etwas ins Ohr und ging lachend die Treppen zur Veranda hinauf. Oben blieb sie stehen: „Pony“ . . . rief sie. Er hielt an, wandte sich um, errötete und blickte hinauf. Dann wurde er ganz blaß. Sie winkte. Er ging.

„Warum nennst du ihn Pony?“

„Wegen der Haare.“ Auch ihre Locken hingen gefächert in die Stirn.

Daisy preßte plötzlich die Hände fest zusammen: „Fribaurt fährt Donnerstag nach Italien . . .“ Sie stockte. Mit einem seltsamen und nie gesehenen Ausdruck sah Syg an Fribaurt hinauf und wieder herab, zuckte kaum deutlich die Schultern. Aber Fribaurt, der stark nach einem süßen Wasser roch, sah es nicht, denn sein Blick folgte dem Gärtner, der in den Büschen verschwand.

Aber Daisy vergaß den Ausdruck nicht, mit dem Syg den anderen angesehen. Sie blieb den ganzen Tag dicht neben ihr, als ob schon die Entfernung eines Zimmers, der Raum einer Wand sie trenne.

„Ich danke, daß du bleibst“, sagte sie stockend, als sie in den breiten Mondstrom hineingingen. Sie kamen dreimal um das Bassin, dessen Rotunde in Marmor glühte. Das Gras war blau und Dogo hing in einem Kreis von Fächerschatten. Als sie um die Hecken bogen, stand der Mondschein gezackt als Segel über dem Garten, der unter ihren Füßen schwebte.

„O“, sagte Syg mit plötzlich ganz erhelltem Gesicht, „ich freue mich, daß du dies sagst.“, Sie gingen hinein, Daisy stumm vor dem Glücksgefühl, das diese Antwort ihr gab. Aber auf der Treppe zögerte ihr Fuß. Sie spürte, wie unrecht es sei, daß auch ihr Wunsch nur Syg halte. Aber sie sagte nichts.

Am nächsten Tag fuhr Syg im Métro zur Etoile, besuchte eine Dame in der Avenue Wagram, schloß das Tor, fuhr zur Seine, stieg an der Madeleine aus und suchte zur Oper zu ein Geschäft. Sie sah in ein vorübergleitendes Auto. Ein Herr sprang heraus, in höchster Erregung auf sie einsprechend, sie sah seinen Bart zittern, die Leute blieben stehen, als er schrie. Sie nahm ihr kleines Stilet, drängte ihn bis an den Rand, er sprang in sein Auto, verdeckte das Gesicht. Sie sah um. Ein Photograph knipste und kurbelte neben ihr. Ein Herr mit einem Notizbuch zog den Hut. Sie machte eine rasche gewandte Bewegung, glitt zwischen dem Haufen durch, mitten in ein Orchester, das vor dem Café konzertierte. Sie saß eine halbe Stunde vor einem Whisky. Dann fuhr sie heim.

Zwei Tage sprach sie kein Wort über den Vorfall. Sie lebte neben Daisy. Aber die Worte, die sie gehört und die nicht ihr galten, sondern Daisys Leben herausrissen aus Stunden, die sie nicht ahnte, entfielen ihr nicht. Nachts setzte sie sich neben Daisys Bett und sah sie stumm an. Aber die Worte spannten sich zwischen sie und die Schwester und trieben sie auseinander. Sie vermochte nicht mehr, den Blick unbefangen auf Daisy zu heften.

„Du hustest?“ frug Daisy und fuhr aus dem Schlaf.

Syg schüttelte den Kopf. Daisy preßte die Lippen, als die Schwester schlief. Sie fühlte, wie die Unbefangenheit riß, die Ruhe wankte, sie bangte um die Schwester und wagte nichts zu sagen, denn sie fürchtete, daß dann das Helle aus dem Himmel falle und die Kraft daraus lösche. Sie lag lange wach. Plötzlich öffnete Syg die Augen, schloß sie wieder. Mittwoch Nacht sagte sie, daß sie reise. Daisy sagte kein Wort. Sie gingen nebeneinander durch den Garten, als sie fuhr. Zwischen den Winden und Bohnen stand mit hohen, schlanken Beinen der Gärtner. Sie stiegen ein.

Die Räder rollten.

Sie fuhr zurück.

Eine schmutzige Faust reckte sich in ihren Wagen. Sie nahm die Zeitung. Der Wagen stockte im Lauf eine Sekunde. Sie gab den Sou. Wieder spannten die Motore sich an. Sie las, ihre Lippen verzerrten sich. Sie verstand zum erstenmal. Ein maßloser Schreck, dann Zorn verdeckten ihr die Augen. Ekel schüttelte sie, daß sie die eine Hand mit der anderen festhielt und geschlossenen Auges zurück sich warf in das Polster. — Sie sah die Karikaturen auf den Parlamentarier, sah die Photos, die die Kinos von seinem Überfall her spielten, sie begriff die Verwechslung . . . die Folies Bergères trugen die Nummer in ihrer Revue. In der Ecke unten unflätige Telegramme, die er aus der Provinz, wohin er vor dem Skandal geflohen, gedrahtet. Sie biß auf den Daumen vor Schmerz, der Wagen rauschte in den Garten.

Sie saß auf der Diele. Das tiefe Fenster hinaus nach dem Bassin lag wie ein niedergelassener Vorhang. In der Tiefe des Gartens stand Pony und arbeitete. Seine Beine und seine trainierte Brust wiegten mit den elastischen Ruten der Büsche und Stauden. Der Abendnebel flammte den Geruch der Erde rötlich um seine Hüften hinauf.

Sie warf die Hände gegen die Brust und empfand zum erstenmal, wie sie, gleich einem verlassenen Tier, allein sei. Sygs Zug glitt irgendwo in die Dämmerung und aus ihrem Leben. Sie blieb zurück, um eine Lüge beraubt, die sie sich vorgeredet jede Sekunde des Daseins und der Gegenwart der Schwester. Sie fröstelte. Jugend und Heimat fielen an ihr nieder, hart, als klirrten Ringe auf der Diele. Woran ihr Herz (sei es auch nur wie ein Traum) und unwissentlich trotz des Hasses gehangen, nun lag es nackt verschwunden. Mit kaltem Grauen empfand sie die Einsamkeit, aus der die zarten Gefühle weggeschwungen. Einsamer und verzweifelter schluchzte sie auf als jede Stunde, die sie gelebt.

Es kam ihr, wie lind es sei, wenn sie weinen könne. Aber sie konnte es nicht.

Es genügte noch nicht.

Sie fühlte sich frei und verantwortungslos mit einem Male. Aus der Tiefe des Blutes kam ein Strom, der sie zu einer Unbedingtheit zwang, deren zügelloses. Streifen sie zu Gelöstheit erhob, die den Atem benahm. Die Lippen bebten übereinander. Nichts hielt sie, bedingte ihr Tun, gab Verantwortung für ihre Handlung. Mit einer zerstörerischen Wollust empfand sie ihr Ausgestoßensein, das ihr eine Kühnheit verlieh, die sie fast berauscht empfand. Nun trat Pony aus dem Dampf ins Helle. Sie begann zu winken. Das Fenster lag wie eine aufgeschlagene Terrasse in dem Garten. Tritte schlichen herauf. Dogo schrie in seinem Ring und stieß die Flügel gegen die Wand, als zerbräche er Glas. Sie stand auf.

 

Zwischen dem dritten und vierten Tanz hob die Kleine, die zwischen den Stühlen schaukelte, stehend die Hand nach der Seite. Daisy ging hinüber. In der Toilette brannte eine weiße Flamme. Sie hob den Schleier, zog Rot über die Lippen. Im Spiegel sah sie die zögernd Eintretende. Ihre Augen trafen sich in dem Glas. In dem Gesicht der Tänzerin ging ein Schreck auf, sie flüsterte etwas und glitt zurück. Daisy ging zu Léons Tisch hinaus. Beim Hinausgehen fragte sie den Kabarettportier nach ihrem Namen. Sie bestellte sie in das Hotel. Sie kam und bat, zart wie eine Libelle, daß Daisy ihr den Mann nicht nehme. Sie sah zitternd auf den gefalteten wollüstigen Mund der Frau vor ihr. Daisy nickte gleichmütig, prüfte sie mit einem Blick, schenkte ihr Strümpfe, Hosen, Dessous. Oft, wenn sie abends frei war, kam Renée herauf, ein Band umgab sie. Bald hatten sie kein Geheimnis. Daisy wußte jede Bewegung des Attachés, seine Lieblingsworte, seine geheimen Sätze, aber es reizte sie nicht. Sie fuhr mit Léon baden, sie stieg in das Wasser, das ihren Körper aufsog; ihre Haut aus dem Wasser heraus selbst trübte ihm die Augen vor Erregung. Auf der Rückfahrt suchte seine Hand nach ihrer. „Das andere Ufer“, kommandierte sie, er mußte wenden. Sie ging am Abend mit Renée in den Florissant.

Zwischen orangenen Lampions drehten Matrosen und Mädchen. Als ihre Hüfte unter den anderen erschien und in der abendlichen Dämmerung in die Tanzschleife wogte, umgab sie Gedränge, Blicke, Augen. Ein großer Steuermann von der savoyischen Linie faßte sie, brach die Finger fast an ihren Korsettstäben. Sie tanzte mit starrem Blick, ihr Zofenkleid machte sie noch herber, sie bog in den Vorsaal. Er taumelte, fiel in das Knie, schäumte, erhob sich, sie führte, sie schwindelten, sie tanzten in den Garten. Er konnte sich nicht helfen und stammelte Flüche. Sein Kopf fiel auf ihre Schulter und er schlug sie auf den Arm. Sie ließ nicht nach, bis sie langsam mit zitternden Knien hineinging in den Dampf, der Mann besinnungslos auf dem Kiesbeet lag. — Ein Kolonialoffizier erschoß sich, einen Ring von ihr auf der Brust, durch den er die Kugel gesandt hatte. Kam sie mit hochroten Lippen durch die Rue du Purgatoire, ward der See eine Tönung blässer, der Montblanc steiler am Horizont. Die Augen der Männer wanderten ruhelos nach ihr. Verkleidet im Mannskostüm bei einem Ball jeute sie im Kursaal, trat hinaus vor die Schnüre von Lichtern, die die Fassade umlohten, ihr Blick tauchte in den eines ganz jungen Studenten, er fuhr sie hinaus. Ihre langgeformten Knie, die eine wundervolle Sehnsucht in seine Seele zeichneten, verzückten ihn, daß er ins Wasser sprang und am Ufer schreiend davonlief. Sie ging mit zwei weißen Windhunden durch die Palmgefieder des Parc des Eaux Vives. Sie blieb stehen, kehrte langsam um. Auf einer Bank saßen Léon und Renée. Ein Zug seines Mundes erinnerte sie den Abend lang an Pony.

Sie fuhr zu ihm. Er hatte den Garten, den sie ihm geschenkt, geschnitten, begossen, bestellt. Ihren Namen mit Ranunkeln gesetzt, in die vier Bäume des Eingangs geschnitten. Auf der Höhe des Belchens ihr Wappen mit Steinen zusammengesetzt. All seine einsamen Tage erstanden als Monument seiner Liebe. Hinter dem Strohdach sank die Vogesennacht feucht und traurig. Sie stiegen hinunter am Morgen. Kuheuter und Wiesen rochen unter dem roten Mond, über dem Rhein lagen die Schwarzwaldtage mit silbernen Wolken. Über den Grat der Vogesen rollte die purpurne Kugel groß und träg.

„Hast du die Harmonika?“ Er nickte. Nur ein scheuer Blick nach aufflatternden Vögeln zeigte, daß er Sehnsucht hatte. „Ich schreibe deiner Schwester“, sagte sie am Morgen. Sie arrangierte ihren Hutkauf, sogar eine Stelle und nahm ihm mit einem Brief die große Sorge. Aus den Weinbergen glühte blau die Sonne. Sie lockte unter seinem Fenster. Als er in die Hecke ihr nachstieg, ließ sie seine Lippen ihn aufmachen und legte ihm seidenschwarze Brombeeren eine nach der anderen in den Mund, der feucht und schmal und rot war. Seine Tierischkeit, die die einfältigen schönen Formen der Natur edel befolgte, gab ihr jeden Tag das Neue. Ringe kamen, Nadeln für ihn. Er spiegelte sich im Rücken seines Zigarettenetuis.

Er erbrach sich nachdem er zu viel gefressen. Sie saß an seinem Bett, er fürchtete sich vor dem Unbekannten, das ihm Leiden brachte, verehrte sie wie eine Mutter, indem seine Seele zum Schutz dicht an ihre sich schmiegte. Er tollte in die Gesundung, riß den Schwanz der Hühner aus, saß auf den Bäumen, ward traurig am Abend, wusch sich nicht, roch nach Schweiß und Erde, sie fand ihn schöner als je.

Sie bekam Sehnsucht nach Wasser, als nach einem Gewitter ein Bach neben dem Haus herabstürzte. Sie fuhren zurück, zusammen diesmal. Neben ihr zwischen den Hunden schritt Pony in weißen Hosen und Schuhen durch die Rue du Rhône. Er blieb am Geländer stehen, schaute träumerisch in den tiefblauen Schuß, der aus der Brücke kam, die Insel umrahmte und überschwungen blieb von unwahrscheinlichen Schwanenherden. Sie pfiff durch die Zähne. Zwei Passanten blieben stehen, sahen nach. An der Brücke flog eine Autotür auf, ein Herr, indem er die Kurve nahm, als sause eine Kugel in einer gebogenen Schiene, starrte sie an. — Auf dem Balkon saß Renée im Lederstuhl, die Knie hochgezogen. Ihre Atropinaugen, tief untermalt, glänzten einen milden Schein, sie starrte auf Pony, flog darauf Daisy an den Hals. Der Abend schoß durch die Platanen. Renée legte die Gabel hin, kniff ein Fünffrancstück ins Auge, legte dem Kellner den Absynthstrohhalm über das Ohr und breitete die Arme aus. Pony sah auf das Wasser. Die Küste wich zurück. Schwärmerische Raketen überwanderten den immer neu geäderten Himmel. Ein Konzertstück wie eine rosa Wolke lag mitten im See. Auf den Fußspitzen wiegte Renée erwartend den ganzen Körper langsam über die Lehne, blieb einige Minuten von einem unaufhörlichen Zittern durchflossen. Plötzlich wühlte sie den Bauch in den Mondschein, bebte in der Wage der Hüften in einer pfeilschnellen Schwingung, tauchte aus dem Licht, fuhr mit einer kreisenden tollen überschwingenden Eile wieder hinein — dann kamen die Lenden in ein glücklicheres beruhigtes Schweifen, die Muskeln des Leibes ebbten zurück und wurden spiegelglatt, fast ohne Atmung. Sie tanzte nur noch mit den Knien, die den Körper in einem fast gläsernen Taumel ertrugen. Die Hüften malten sich unbeweglich und zart in die Schatten. Nur der Rock rauschte, Daisy preßte dagegen, sie schwangen atemlos, ihre Leiber bedeckten sich, sie küßten sich — „Warum brachtest du mich her?“ frug Pony schauernd in ihrem Arm die Nacht. Sie lachte: „Reizt es dich nicht zu größerer Liebe?“ Sie zog ihn auf ihren Mund: „Pony.“ Er schloß die Augen.

Eines Nachts brachte sie von den Anlegeplätzen vor Versoix Jérôme mit, im Sweater ohne Kragen und Ärmel. Selbst wenn er flüsterte, war seine Stimme rauh und biß sich durch die Dunkelheit. Im Zimmer nebenan lag Pony, die Wand war so dünn, daß das Geräusch einer Fliege im einen Raum im anderen noch lauter scholl. Sie legte die Kleider langsam ab. Am anderen Tag mußte Jérôme sie rudern, hinaus, zurück, in die Rhône, um die Insel, dann immer um ihr Haus. Eine Kette von Schwänen verfolgte das Boot, ihre Weiße verblich am Abend mählich der Blässe ihrer schimmernden Haut. Sie sah immer auf Jérômes Nacken, wo die braunen Halsmuskeln wie Fächer zusammenschnellten. Abends ging sie einsam und allein nach Haus. Die Schwäne geleiteten sie noch eine Weile in der Dunkelheit am Ufer. Als Léon von der Gesandtschaft in Bern zurückkam, lag er verzweifelt im Boot vor ihr, berührte ihre Hände, ihre Schuhe. Sie schüttelte den Kopf. Sogar das Wasser erhielt eine Feierlichkeit und schäumte leicht in dunkler Erregung, wie sie mit langen braunen Beinen immer tiefer hineinstieg. Auf der Terrasse des Café du Nord ballte Léon die Hände und hörte auf zu atmen nach seiner Frage. Sie ging hinweg über Pony, schaute ihn einen Augenblick an, die Bernsteinkörper in seinen Augen ihr gegenüber erstarrten, sie ließ eine Sekunde schweben, dann sagte sie auf sein Drängen, wie er es wage, mit ihr zu reden, habe er doch Renée. Ihr Hochmut ließ ihn bei diesem Namen eine Bewegung machen, als lege er dies nebenhin als ohne Gewicht für sein Leben. Sie zeigte nichts, aber er strich sich damit aus ihrem Dasein. Aber Renées Geschrei machte sie müde am anderen Tage, denn sie tobte in ihren Zimmern, weil sie Léon liebte. Die Zarte irrte wie ein Vogel auf den Balkon gegen das Blaue und zurück in das Zimmer. Daisy sah sie lange an. Sie sagte kein Wort, gab ihr Geld und zwei Koffer. Am Abend ging sie zum Zug. Renée weinte gerührt an ihrem Hals. Als der Zug weg war, sah sie einen Männerschatten am Bahnhofeingang, sie nickte mit dem Kopf. Zu sich selbst.

Léon griff sie stürmischer an, befreiter, beim Segeln, auf den Quais. Sie bedeutete ihn ruhig, daß das Opfer, mit dem er sich brüste, ihr nichts bedeute, denn es sei eine Selbstverständlichkeit und ohne die kleinste Verpflichtung für sie. Sie kam mit Pony wieder und den Hunden am Abend die Anlage her, als die Rhône sanft, tiefblau vorüberströmte, schon die Dämmerung aufnehmend, während ihr Anfang noch biegsam und stählern mit den Schneebergen glühte. Léon flehte sie an, Pony zu verlassen.

„Gab ich nicht Renée?“ Es verstörte sie eine Sekunde, an die Tänzerin zu denken. Doch glitt es schon weiter, hinter sie. Sie zog die Augen an, daß sie schräg standen.

Am Morgen war sie verreist. Enttäuscht von der Brust eines glatten Fischers kam sie von Beaurivage. Der Morgen fiel prall und von seraphischer Bläue in die Schwebe getragen auf den weißen Ufersand. Erstaunt sah sie Genf wieder auftauchen. In der Betäubung des irrsinnigen Suchens fiel Gelebtes sofort hinter sie, Leidenschaften verschwammen wie nie geatmet nach Tagen. Die Landschaft der Woche vorher, das Haus, ihre Gedanken prallten schon im Wesenlosen. Als Léon, die Hand am Steuer, den Großschot in der anderen seilend, in ekstatisch erhellter Nacht, in der der Mont Blanc wie ein weißer Ballon schwamm, schwor, Pony zu erschießen, wenn sie ihn nicht verjage, sein Auge den fiebrigen Wahnsinn bestätigte, wies sie ihn zurück mit Nein. Kalt vor Zorn verließ sie ihn über die Drohung, mehr voll Liebe zu Pony wie je. In dieser Nacht weigerte sich Pony zum erstenmal, sein gequälter Körper gab ihm Mut, den sein Geist nicht hatte. Sie sprang aus dem Bett: „Gut . . . du wirst Bonnen wieder haben.“ Am Abend kreuzte Léon Ponys Abreise, sie hatte ihn nicht begleitet. Er nahm einen Wagen, jagte. Er kam als Sieger. Auf dem Tablett kam mit ihm ein Brief, Daisy nahm ihn, als Léon eintrat und legte ihn sofort wieder zurück. „Welche Eitelkeit in Ihrem Gesicht“, höhnte sie und wandte sich um nach dem Shawl und dem Spiegel. Bestürzt, zerschmettert kehrte Léon um. Am Ende des Zimmers hielt er, nahm eine Vase und schlug sie hin, blickte starr und ging hinaus. Daisy trat auf die Rampe des dunkel gewordenen Hauses, um das die Brust des Wassers langsam stieg und fiel. Sie pfiff. Zwei grüne Lichter bewegten sich auf dem Anlegeplatz, stachen ins Wasser, kamen im Bogen heran. An Léon vorbei, strich Jérôme in das Haus. Plötzlich hob er den wirren braunen Kopf und lauschte. Im untersten Fenster sang eine weiche berückende Männerstimme: „Andulko me dite —vy se mne libite . . .“ „Was ist das?“ frug Jérôme. Sie lauschte. Pony war zurückgekehrt. Sie lachte, zog ihn wie einen Hammel am Fell. „Einer der Hunde?“ frug sie ihn; er fletschte die Zähne. Sie bückte sich, hob den Brief auf. Die Schrift war von Syg. Sie ließ ihn in das pfaublaue Wasser hinunterflattern. Am Morgen brachte sie Pony selbst in die Bahn.

Ringe in Blumen . . . sie gab die Buketts, ohne sie zu sehen, dem Zimmermädchen. Ein Kreuz mit Ametyst auf Rosenholz, vom Athos, lag auf ihren Kissen. Ein Pferd stände bereit, schrieb man. Léon schmiegte sich manchmal durch die Dämmerungsschatten draußen. Eine Yacht trug ihren Namen am Lee unter dem Fenster vorbei. Eine kalte Verschwendung trug die Luft jedem aus ihrem Leben zu, die erzittern machte, wer in ihren Kreis trat. Sie atmete, sah Augen, Tage, blaue Ausschnitte über dem Salève, kurz und farbig blitzten Blicke in ihren, schon entrann es zu anderem. Es floß zurück wie in einen Bogen, in dessen Kurve ihre Seele unermüdlich schwang. Irrsinnig eines Abends erstürmte Léon die Treppen, kam in ein Zimmer, wo sie las, streifte die Kleider ab. Sie eilte hinaus, schloß ab, klingelte. Er flehte. Sie wollte den Skandal. Dann überlegte sie, sie schloß einen Vertrag, legte ihm auf, daß er sie mitnahm auf die Gesandtschaft in Bern. Er kompromittierte seinen Namen, die Stellung. Doch er sah sie nur entfernt wie immer. Sein Diener erzählte ihm von dem Kreis und den Monden auf ihrem Leib, er ward ohnmächtig. Sie frug ihn nach seiner Arbeit, den Geheimnissen des Berufs, sein Leben. Seine Nägel ballten sich in die Handflächen, aber sie sah die geheimsten Akten. „Wäre ich eine Agentin?“ Er zuckte die Achseln, schon war ihm alles gleich. Seine Familie steckte ihn in ein Sanatorium. Er folgte. Vorher bestach er die Zofe, erhielt eine ihrer Hosen, schluchzend fuhr er damit im Zug. Er hatte sie nicht gehabt. Er hatte wenigstens dies. Am Abend spielte sie in einen Mann verkleidet auf einem Kostümfest, an den „Kleinen Pferden“, verlor, konnte nicht alles zahlen, bat ihren Partner mitzukommen. Er wartete im Vestibül. Als sie die Treppe zurück herunterkam, erstarrte er. Sie kam als Frau.

Er neigte sich über ihre langen Finger. Wie sie in den Wagen stieg, sprang Jérôme hinter einem Busch heraus und schrie: „Hure“. Etwas blaß, unsichtbar durchglüht trat sie zögernd ein wenig zurück. Als sie ihn aber ansah, ließ er die Hände sinken, schlug sie um den Nacken und lief brüllend davon. Der Wagen rollte. Sie trat mit ihrem Partner ein Treppenhaus mit Marmor hinauf. Die rote Weste eines Dieners leuchtete hinauf neben ihr unter einem zehnkerzigen Halter. Die Fräcke im Saal glitten durch einen dünnen silberbläulichen Rauch, den der Atem des Tanzes und der Getränke schon zum Rausch gemacht hatten. Sie legte den Arm auf eine Schulter, der blasse Schein einer Nische umglitt sie. Ein Mund fiel auf ihre Achsel. Sie zuckte zusammen. Ihre Glieder wurden kalt und abwesend wie oft in unerklärlichem Wechsel. Sie starrte vor sich hin. Sie hatte einen Brief eingesteckt, als sie sich umzog. Es fiel ihr ein, sie öffnete ihn. Sie stand auf. Der Mann hielt sie. „Was?“ Ein verzweifeltes Gesicht krallte sich in ihr Auge. „Hast du mich nicht wahnsinnig gemacht?“ Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte ihn kaum bemerkt, ihre Gedanken kreisten irgendwo entfernt, es fiel ihr nicht ein. Mitten im Saal schrie der Mann ihr nach: „Hure“ . . . Sie zuckte kaum merkbar die Schultern. Sie hörte es zum zweitenmal heute. Allein es drang auf keinen Punkt in ihr ein, der ihr Gefühl bewegte. Vorbei schon. „Ein Opfer“, lächelte ein übergroßer lässig gebeugter Herr im Monokel. Schon suchten an seinem Mund vorüber gleichmütig ihre Augen nach Neuem. Ein olivenfarbener Jüngling, der wie ein Mädchen tanzte, legte den Arm um sie. Lächelnd glitten sie Ring auf Ring herum, gewiegt von einer Klarheit der Füße wie nie in diesen Sekunden. An einer Ecke des Saals fiel ihr das zweifach gesagte Wort mit einem Mal ein und sie setzte sich. Es war, als zerschmetterte es etwas in ihr. Sie trat an das Fenster. Unten im Garten hörte sie deutlich eine Frau weinen. Das faßte sie wie mit Schrauben, sie glitt hinaus. Eine Bank. Es war, als ströme mit dem Weinen in dem Busch, ihr Leben weg, bräche ein wie in Eis, zerrinne haltlos zwischen ihren Händen. Sie sah, wie sie Stück auf Stück verloren hatte, unter dem Schmerzenston brach es zusammen. Sie versuchte nicht, sich zu wehren. Perlmutten flauschte im Mondschein ein Segel vorüber und rückte ins Dunkel. Zerfetzte Trümmer lagen um sie, was sie gesehnt, gedacht, begehrt im Blut . . . es knallte um sie zusammen.

Da erst, wie angezogen von der anderen Stimme, konnte sie weinen und je länger die Tränen über ihr Gesicht strömten, fühlte sie, wie in ihr die Verzweiflung und das gierige Suchen brach. Sie fühlte sich elend wie nie, aber gleichzeitig verband sie ein Strom ungekannter Süßigkeit mit der anderen Weinenden. Es war ihr, wie, als sie erkannte, daß die Stimme versage, und jedes Leidende, jede Kreatur dicht ihr Herz berühre. Sie stand in einer wunderbaren Empfindung. Schon rissen die Wochen hinter ihr wie unwirklich und ihrem Wesen ungehörig sich ab und stießen ins Wesenlose. Aus der Tiefe des Elends aber zog sie ein Gefühl von einer ergreifenden Harmonie in die Höhe. Sie empfand, als stehe sie auf anderem Boden, wie plötzlich ihr Schicksal sich zusammenlegte mit Tausenden von Menschen, an die sie nie gedacht, daß ihr Schmerz sie erhob und verband, und daß, wie sie verzweifelt gesucht auf der Jagd und mit den greifenden Händen, in ihr lag mit einer stillen Verantwortung, die nichts übertraf. Sie sah die Welt plötzlich anders. Es stieg eine Kraft aus ihrem Elend, die sich in ihr bäumte. Ein Glücksgefühl überfloß sie. Demütig grüßte sie den Fall der Jetée, die Neigung der Berge, das träumerische Schleifen der Schwäne. Herauf kam der Kleinen Gesicht, aber die Schuld, die sie empfand, drückte sie nicht, sondern entflammte sie zur vollen Anspannung. Ihr war, als ruhe die Achse alles, was Hülfe bedurfte, in ihrem Herzen in dieser Nacht und ihr Herz drehte es in einem wunderbaren Stolz. Sie schaute lange unter der vorgehaltenen Hand ins Wasser. Ein Gesicht kam zurück von der glatten Fläche. Sie schauten sich an. Dann ging sie hinein.

Sie hatte ein anderes Gesicht gesehen.

 

Sie ließ ihre Sachen verteilen. Jérôme sandte sie einen Ring. „Ay . . . ay . . .“ rief sie an der Gasse. Die arabischen Weiber küßten ihre Hände und Füße. Die Zofen kamen, nahmen. Die Bonnen gingen mit Ballen, zitternden Händen. Die Kostbarkeiten wurden versteigert. Die Depots sperrte sie. Die Spitzen rannen ihr durch die Finger. Eine frische stolze Hure in einem Kleid, daß ihrer Haltung zu gering war, zog sie aus dem Tanzsaal. Die Hosen, deren Plissees rauschten, in matter Seide zu Dutzenden fielen, durchfühlte sie mit der Hand, gab sie ihr. Mit jedem Stück, das sie verließ, schenkte sie sich zurück. Und die Wollust des Hingebens verband sie den Dingen um sie. Gebend lebte sie drei Tage und fühlte, wie unter dem Hinweggehen ihres seitherigen Daseins Freiheit in sie strömte.

Eine kleine Summe füllte sie in ihr Portemonnaie. Sie besaß einen Koffer noch und ein weiches helles Kleid aus indischer Seide. Sie schellte Marguerite, die Manikure. Vor dem Spiegel die Figur und den Kleidschnitt abmessend, bot sie ihr den Tausch an. Die lehnte ab, da es zu kostbar war, errötete, ließ sich langsam zwingen, küßte Daisys Hand. Mit kleinen Sachen ging sie auf die Straße, gab dem, jenem, Frauen, Kindern. Es reizte sie nicht, zu wissen, wer es besaß, denn jede Tat der Entäußerung entlastete sie zu Glück. Sie beschäftigte ein halbes Dutzend Agenten. Ihre Pariser Wohnung ward verkauft. Pferde untergebracht. Möbel, Schmuck versteigert. Die Summen festgelegt, geschlossen. Selig fühlte sie alles entgleiten. Dem prächtigen Körper eines verlotterten Mädchens, dessen Anmut sie rührte, schenkte sie ihr Kleid. Sie stand in Hosen plötzlich am Badestrand abends. Verlegen ging sie in die Kabine, sandte ein Kind mit dem Portemonnaie zu der Manikure. Das Kind kam mit einem Kleid, brachte das Geld zurück. Sie zog ihr Armband aus, es Marguerite zu senden, runzelte die Stirn und blieb eine Minute in einem merkwürdig erhellten Zustand. Darauf schenkte sie es dem Kind für sich selbst. Küßte es, tief getroffen. Mit der Entledigung zog die Einsamkeit des Reichtums aus ihr. Sie besaß noch zwei Ringe. Einen warf sie den Schwänen zu, vom Geländer, abends.

Der vierte Abschnitt

Vierzehn Tage wohnte sie Mont Martre, stieg hinab zu den Hallen, nach drei Wochen war sie Mont Parnasse, geriet in ein falsches Haus; ein Kind fiel die Treppe herunter, sie nahm es hoch, es schrie. Ein Mann brüllte sie von oben herunter an, ging in sinnloser Wut auf sie zu. Sie strich das Kind über den Kopf, legte es der Frau an die Brust. „Verzeihen Sie“, sagte sie, schlug die Augen herunter und ging mit einer Stille, daß der Mann, verstummt, sie grüßte. Sie wohnte Rue Bonaparte, die so eng war, daß vor der Ecole des Beaux Arts nur eine Linie der Autos vom rechten zum linken Seineufer durchfuhr, und die ohne Pause zitterte. Sie bewohnte die Hotels am Boulevard Sebastobol, wo Huren und Apachen nachts schrien. Sie ging durch die Straßen, früh, mittags, die Nacht. Beim Löwen von Belfort sah sie Ringer und Stemmer in Trikots unter den Bäumen turnen. Kokotten pfiffen ihr nach. Rue Richelieu schlugen Huren sie nachts, weil sie glaubten, sie breche marodierend in ihr Männerquartier. Abends in der Olympia Bar fletschten vierzig Mulattinnen die Zähne um sie, im Saale der roten Papageien und drei Kapellen drehte sie sich, tanzte, ging allein, als die Rudel schönbeiniger Frauen lachend aus der Revue mit dem Geruch ihrer Haut und der Tierbewegung der Hüften und langen Schenkel kamen. Auf Imperials rollte sie von Quartier zu Quartier, Liebespaare, Trunkene, Studenten mit zerrissenen Schuhen, Russen, alte Böcke, aufgegeilt hinter Midinettes her, neben sich. Im Hotel des Etrangers schrie ihr Nachbar in Herzkrämpfen auf. Sie saß drei Nächte, kühlte ihm die Brust mit Eis. Als er hochkam, beschloß er sie dankbar unter die Decke zu ziehen, griff in ihr Bein. Am Panthéon erschoß sich ihr Visavis, ein blonder Student, der morgens mit roten Lippen gleichzeitig wie sie die Milchkaraffe in Unterkleidern in seine Tür hineinzog, an Syphilis. Sie wohnte Rue Monsieur Le Prince, Vaugirard, Champollion, zählte die Schornsteine, Betrunkene an ihrer Tür, die Fenster, Mondaufgänge.

Sie wohnte Rue Gay Lussac. Ihr Geburtstag trüb Quai de Valmy. Kehrte zurück, als die Seine sie drückte, zu Mme Fleurquin, in das Zittern der Rue Bonaparte, Bäume schwankten Boulevard St. Germain. Square Monge erlebte die Überschwemmung. Rue des Bernardins verließ sie das Hotel im Kahn, half Emigranten retten, ward als Diebin verhaftet, lächelte sich frei. Ging auf die Mairie neunzehntes Arrondissement, vierundsiebzigstes Quartier, gab sich hin für Überschwemmtenhilfe, empfing ein ironisches Ziehen des Mundes, ging wieder. „Geben Sie, Notre Dame des Lorettes willen, einen Sou zum Métro, damit ich die Kaserne erreiche,“ flehte in der Rue Pigalle ein Piou-Piou. Sie gab ein Fünfzig-Centimes Stück. Er lachte sie aus, suchte sie zu umarmen. „Kommen Sie, es ist warm darin,“ sagte ein großer Mann, glaubend, sie friere, nahm sie mit in das Café Cluny, las die Zeitung, ignorierte sie, zahlte für beide, ging mit einem Gruß. Erstaunt suchte sie ihn drei Tage, fand ihn nie wieder. Sie wohnte gegenüber Ecole Polytechnique, wo nach Regen Abenddächer mit weißen ovalen Schilden blitzten, dumpf Seinehörner tuteten, sah die Zöglinge der höchsten Artillerieschule farbig an Kanonen seltsame Bewegungen machen. Saß Closerie des Lilas, hörte die Revolte der Kunst. Aux trois Poulards schlug ein Mann einer Frau durch den Schädel, nahe den Hallen, warf sich heulend über sie. Sie belauschte das Gespräch zweier Absynthe-Weiber, Ausgedörrte, die gleich Hyänen gegeneinander stürzten und von der Berührung des Fingers schon umfielen, in den Pausen der Schlacht, wo sie, unfähig aufzustehen, nebeneinander in der Gosse lagen. Sie machte dem Trio an der Sorbonne Platz, dem Star-Mann, dem beinlosen Singenden auf dem Räderbrett, dem jungen Louis, sie warfen ihr Schlüpfriges nach. Sie aß mit der Papageienverkäuferin, studierenden Negern, österreichischen Spitzeln, Lesbierinnen der Place St. Michel, mit spanischen Zöglingen der Schneiderakademie, Chauffeuren, Gasarbeitern, Deutschen.

Sie ging zum Löwen von Belfort, wo Ringer und Stemmer unter den Bäumen turnten. „Wie elend zum Kotzen dies Leben“, sagte ein gesunder Mann, der Postkarten verkaufte, mit weißen Zähnen lachte. Da brach eine fremde Frau in Tränen aus. „Haben Sie Hunger?“ frug Daisy mit einem Blick auf den Ellenbogen der Frau; die aber stieß ihr durch das Kreisloch den spitzen Knochen in den Leib, schrie, fluchte, drückte sich hinaus. Sie wohnte Porte Maillot, wo Métros aus der Erde stießen, Menschenmassen aufquollen, Korsos zum Bois wallfahrten, selige Benzingerüche in Parkwipfeln schäumten, lange Frauenketten in Wagen unhörbar, mit Pelzen und süßen Pferden zu Wiesen zogen. Sie wohnte Impasse Bérthier, Rue de la Rochefoucauld mit der Grabesruhe und Sacré Coeur blitzend darüber mit weißen Türmen, Rosenkränzen, Zitronen. Moulin Rouge brannte das Parterre aus, vom dritten Stock sprang ein dicker Offizier ab, zerschellte unter dem Flammenschein. Sie wohnte Quartier Ternes, fleißige kleine Bürger arbeiteten in offenen Fenstern. Stand Champs Elysées vor Luxushotels, sah Autos anfahren, gepflegte Frauen, helle Glacés, Skunks, weiße wundervolle Füchse. Sah an sich herunter. Sah gespannter lang hinüber. Wohnte Rue Delambre, zweiter Hof, dritte Baracke, Numéro Vierundachtzig. Wohnte neben Jardin du Luxembourg. Wohnte Parc Monceau, diese Nacht selig von Bodengerüchen. Wohnte Bastille-Platz. Wohnte zwei Nächte nirgends. Wohnte St. Germain des Près, sah um sich Pfauenräder der Lichtkaskaden zum Himmel brennen über dem rötlichen süßen Straßengefieber, folgte einem Ruf, stieg zwei Treppen zu Musik, sah sich um, prüfte, wer gerufen, ging zurück. Am zweiten Tage hier folgte sie einer Bluse in ein Kaffeekonzert.

Einen warfen sie heraus neben ihr, zehn Meter unter der Erde, der zweite Keller, schrieen: „Sortez-le!! Peschärsche, Affenschwänze, Bauchzimbel, Irrgebrunste, Saligots!!“ Im Rauch fiel ein Sergeant gegen die bemalte Kalkwand, weiß im Gesicht, beugte sich im Gesäß. „Rotz-Lumpen“, er verschwand. Ein ungarisches Violinstück kam aus der Ecke. Sie ging über den Boden, in dessen Lehm ihr Absatz leicht sank, saß nieder der Bühne gegenüber unter dem zweiten Lampion. Ein Rosablusenmädchen besah im Spiegel die Zungenwurzel genau und angespannt, schüttelte den Kopf lachend gegen den Rauch. Eine unsichtbare Stimme, siehe, rief: „Schlaf mit mir, süße Freundin.“ Sie erhob sich und warf sich einer sanften Schwimmenden gleich in den Dampf.

Daisy stand mit ihr auf, ging zwischen gesäten Tischen, den Blick fest nach vorn. Ein altes Weib neben den Kulissen auf einem Faß zog über ihre schamlosen Beine einen Keuschheitsgürtel, stampfte im Tanz, grimassierte den Bauch, zwischen gelben Zähnen: „Elle avait un petit cadnaz . . .“ Auf der Bütte in dem Winkel gegenüber schwang die Kitschfanfare eines militaristischen Fanfarengauls. Sozialisten schrien sich am Ausgang zu: „Allons Camerades“, stürmten, warfen die Bütte um, schwangen einen Kreis um die Alte. Daisy stand auf, ging weiter nach vorn. Sie saß in der ersten Reihe. Auf der Rampe über ihr stand ein Mädchen, und die ungewöhnliche Zierlichkeit und Anmut ihrer Beine machte ein Loch in den Lärm. Daisys Blick blieb lange an der Biegung ihrer Lippen, dem Schwung ihres Leibes, der kindlichen aufreizenden Geste, mit der sie sich entzog. Sie saß nun ganz an der Spitze des ersten Tisches. Als im Vorgang des Schattenspieles ein schwarzes Mädchen ohnmächtig ward, der Mittelpunkt des Abends unter Gemurre schwankte, sagte sie entschlossen: „Ich“, trat hinter das aufgespannte Leinentuch, fand dort Renée, die den Stoff ihres Kleides prüfte, ihre Augen dicht ansah, lachte und sie küßte, neben dem Conférencier Philippe.

Sie lieh ihre Stimme einem Schwan hin, der an Philippes Hand grotesk in Schatten verzogen auf der Fläche tanzte und es nicht unterließ, in heftigen Perfidien dem Präsidenten der Republik nahezutreten, den Abend zu retten.

Sie gingen eingehängt zum Boulevard St. Michel, überquerten den Platz, hielten an der Boulangerie. Trabten weiter. Stießen auf d’Harcourt, passierten, liefen zur Bar, standen vor der Luxembourg-Fontäne, gingen in die Source, trieben heraus. Wurden aufgehalten, Philipp erkannt, umringt. Studenten schwenkten die Biretts, drückten aus ihren Mimis süße Schreie. Einer löschte die Laterne, einer kitzelte den Sergant de Ville. Sie zogen durchs Croissant, grüßten mit Zuruf Jaurès, stoben im Hinterzimmer über das Klappern der Jetons, warfen einen Spieltisch um, beknurrt vom Haß der Tische hinaus. Zurück zu d’Harcourt. Dann zur Source. Reichere Studenten schrien den Mimis Preise zu. Im Panthéon fiel ein Mann klatschend auf einen rundoffenen lackierten Hurenmund. Damen von dreißig bis sechzig Franken stießen verächtliche Parfümwolken aus gegen die Mimis, die frech und ängstlich an den Armen ihrer Freunde schwebten. Auf dem Boulmich verdrehte die Mimi Madeleine die Augen, fiel um, blutete aus einem Achselgeschwür. Sie schafften sie in die Brasserie Lorraine, gaben sie ab, saßen um einen Tisch, klatschten in die Hände, hoch im Rhythmus, wieder herunter und dann monoton in einer Schleife. Daisy schlich hinaus, vermochte sich nicht zu entziehen, denn am Ausgang stieß sie neben der Kranken auf Philippe. Sein Gesicht, wie er, unermüdlich, helfend, gekniet, beschäftigt war, hielt sie fest. Sie beugte sich vor, ging überflüssig zurück. Renée tanzte schon auf dem Tisch, die blanken hellen Scheitel der Dänen blendeten in einem Kreis um sie, wieder sah sie ihre unvergleichlich schönen Beine. Man ging Rue des Ecoles, Notre Dame, eine Brücke, Place St. Michel, Rue St. Jaques, Rue des Etrangers, wühlte sich ins Dreieckkreuzfeuer der Lichter vor der Nacht-Boulangerie. Zwei wurden abgefaßt beim Gebäckdiebstahl. Die Spionin, die im Gewühl der aus allen schließenden Cafés sich hier um warme Hörnchen massierenden Massen lauerte, griff die Gelenke, die Kassadame keifte, vom Pult brüllte der fette Chef mit aufgeschlagenen Ärmeln: „Steck ihr Pferdäpfel ins Maul. Kanalsau.“ Man riß einige mit aus dem Haufen, wechselte ein blombiertes Fünffrancsstück, warf ein Pißhaus um, rollte es über die Trottoirs. Man kam Rue Guijas. Die Droschke mit Madeleine kam an. Man rettete sich aus der Clique ins Hotel, trug Madeleine vornher, riß Renée aus den Armen der Studenten in den Chauffeurmänteln, knallte die Tür hinter sich zu, riegelte ab.

Sie stiegen durch die drei Hurenetagen zur sechsten der Artisten und Studenten, trugen Madeleine ins Zimmer Philippes. Er schlug sein Bett für sie auf, legte ein reines Taschentuch auf das Kissen. Beim Abstieg zum zweiten Stock in Renées Couloir gab es im dritten Skandal. Zwei Weiber, eine im Korsett, eine im Hemd, die schimpfte, standen vor zwei Männern mit Zylindern im Genick, die Kerzen hielten, und einer sagte: „Alte Sau . . .“ Die Hure hieb zu, traf nicht den Hut, sondern das Licht. Das Dunkel stürzte, eine Tür knallte, es schoß. Aus den Gängen quollen Weiber. Männer in Pyjamas fluchten, drückten Knipslaternen. Atemloses Geschrei verwirrte alles, plötzlich lief man. An Daisys Körper griff eine Hand.

Sie flog an einen schlanken Körper, der sie rasend küßte. Erstarrt hielt sie in dem Zug, der sie einsog, in Besitz nahm mit den Lippen, plötzlich schrie sie. In Renées Alkoven aber schlief sie im Traum die Nacht mit jenem blonden Skandinavier, der die erste Nacht, wo sie auf den Mann traf, bei Le Beaus Umarmung ihr die Nacht zerfleischte, sie hinaushob über die Seligkeit des Franzosen und sie an eine Wonne hochstieß, gegen die nichts im späteren auch nur gering bestand. Der mit der Hand aus ihr streng heraushob, was ihr Schmerzen machte bis dahin. Er tat nichts, was ihr zurückgab, aber er küßte ihr Bauch und Bein, durchwühlte sie, ward blitzscharf am Rande des Körpers, aber im Gesicht milder, als er sie verließ. Dies blieb in ihrem Schlaf, so daß sie aus dem Traum mit dem Engel glücklicher und befreiter erwachte als je aus einer Männernacht. Sie stellte die Schüssel auf die Kiste, wusch sich, schüttete das Wasser in den Schacht, aus dem mit einer Wolke das Gekeif in das kurz geöffnete Fenster hineinstieß. Sie schloß auf zu Renée, sah Bewegungen in ihrem Bett, roch den Schweiß des Kampfes. Sie wartete still, geduldig. „Hundert Sous“ im Nebenzimmer. Die Tür klappte. Sie trat hinein zu Renée, die sich müde im Rücken nach der Schüssel bückte. „Nein,“ sagte Daisy mit unbegreiflichem Lächeln, „laß mich“, und sie hob die Schüssel auf ihre Knie und wusch Renée das Gesicht und die Brust. Erbleichend sah sie am eigenen Hals, wie sie sich vorneigte, die Dukatenkette vorschwingen. Es fehlte seit der Nacht eine Kugel.

Sie hatte nur noch eine.

 

Für Madeleine, die ins St. Denis-Hospital gefahren ward, sprach sie allabendlich im Schattenspiel Philippes Sätze. Ward seine Angestellte, Vertraute, Sekretärin. Sie erlitt das Kneifen ins Bein zwischen den Tischen durchgehend, Zurufe Besoffener, während sie sprach und ihre Stimme einen Schmelz annahm, der sie nie beflügelt. Sie schrieb unter der Petrollampe seine Briefe, sein Diktat. Sie schloß, war er weg, die Dachluke, räumte sein Zimmer, besorgte seine armselige Wäsche. Wurde ihr Auge verzerrt von Gesehenem, gab seines ihr Haltung. Rief er, Kommis und Louis zu ergötzen, die Nummern des Programms in fanatisch heldischer Pose, las sie zu Haus, was er schrieb. Ging sie mit ihm neben den Bahnen, verschleierte die Straße sich in wohltuenden Nebel. Als im Jardin des Plantes der Tiger aus aufgeklafftem Rachen heulte und sie mit ihm ans Gitter trat, sah sie die Jungen, nur an den Zitzen spielend, ruhig saufen. Er wehrte jede Hilfe ab, bot ihr als Ausgleich von seinen sieben Centimes, blieb streng dabei, als sie lächelte. Bald konnte sie nur tun für ihn, was er nicht merkte.

Am Tage des Bastillesturms gab er drei Vorstellungen. Am Mittag darauf kam sie in sein Zimmer. Er schlief auf dem Stuhl. Sie suchte bis mitten in das Zimmer zu kommen. Dann schlich sie hinaus. Nach einer Stunde kam sie wieder. Er schlief noch. Sie preßte das Kinn wider die Brust, weckte ihn, gab ihm den offenen Brief, ihre Augen trafen sich, er nickte.

Sie gingen durch den Park, wo Kinder kleine Segelboote fahren ließen, durch Rosahüte, Militärmusik, sanfte Alleen mit Dogcarts. Kamen in Gassen, Geruch von Fischen, Kartoffeln, süßlichem Kinderschmutz. Eine Wolke Karbol umstand sie. Eine Schwester mit spöttisch grünem Blick versagte den Eintritt, Philippe sah sie an, nahm ihre Hand. Sie schwankte, öffnete die Tür. Als sie eintraten, lauerte eisiges Schweigen, eine Frau wälzte sich lautlos auf dem Rücken im Kot. Zwei fuhren auf aus den linealstarren Bettkolonnen, schrien, mit Armen die Kissen zerreißend, nach dem Mann: „Reiß die Mempel aus! Schlammbeißer, Creusot!“ Sie rülpsten, ihre Köpfe waren verbunden und geschwollen, Eifersüchtige sich wähnend, schmissen die im letzten Stadium Irren über sechs Betten, die sie trennten, sich ihren Schleim, ihre Wut ins Gesicht. Er trat heran, sie zu beruhigen, indem er die Schwester leicht zurückdrängte. Aber als er der einen sich näherte und das Gesicht herabsenkte, begann sie zu zittern, fiel auf den Rücken, zog das Hemd auf und stülpte den zerfressenen Schoß ihm entgegen. Er wollte etwas sagen, doch die Schwester riß ihn zurück, hinaus. Daisys Rock ward gezogen. Eine dünne Stimme: „Zu mir?“ Aus grauenhafter Sehnsucht kehrte ein gläserner Blick wieder zum Plafond zurück. Die Frau vom Boden stieß sie zur Seite, lief bis an die Tür, wo der Mann verschwunden, wimmerte, brach zusammen, umfaßte mit den Fingern die Klinke, die er berührt. Links war die Krankheit schon Agonie bei einer Kette Betten, rechts saß ein Kind und lächelte, vierzehn Jahre. Nun kam Daisy zum Fenster, blieb fünf Minuten bei Madeleine, gab ihr Äpfel, Rosinen, Bananen, Brot. Dann gingen sie auf die Nachbarbetten zu, legte bald auf jenes Kissen, bald auf dieses Tuch Frucht, und wie sie austeilte mit einer Armbewegung, die fast nicht da war vor innerer Inanspruchnahme, begann, ohne daß sie sprach, es immer stiller zu werden. Als sie fertig war, peitschte ein Schrei, stand, stieß, zerbrach. Zwei neueingekleidete Mimis, die Kette mit der Indikation der Maladie um den Hals, die frech herein kamen, bekamen andere Augen, andere Bewegungen, zerbrachen irgendwie unter dem Schrei. Neben der Toten stand die Schwester. Madeleine sah auf das Grün im Garten, zurück zu Daisy, ließ ihre Hand nicht bis zur Türe. „Zu mir?“ frug die gläserne Stimme, wandte das zarte Profil sich hinauf. In die geklemmte Tür noch zwängte Madeleine den Hals, sah Daisy nach, bis sie verschwand.

„Dies ist ein Zuchthaus.“

„Aber auch von St. Denis sehen sie den Himmel“, sagte Philippe.

Ihr Blick blieb nachdenklich, zugeschüttet, an dem glänzenden Lack der Kinderhüte und dem weißen Crepe, der die Hemden der Croquetspieler leuchten ließ auf der Luxembourgterrasse, als streichle er empört ihre Zartheit.

Abends nahmen und sperrten Apachen unter Jeannot das Café Guijas ihres Hotels. Sie blieben mit einem Teil, während die meisten Studenten und Mimis durch den Keller flohen. Jeannot mit sympathischen Augen aß mit Kameraden um einen Tisch, drei standen Wache. Nach dem Dessert zog er die schmale Ly herüber, knutschte sie durch, fuhr ihr an den Bauch, lachte, legte sie aufs Billard. Alle umstellten es im Kreis, sahen zu, reichten ihre Röcke nach rückwärts. Jeannot strich seine Mouche, herrenhaft amusiert und wandte sich schon wieder ab, lachend über die Kuriosität der Hermaphrodite, als diese, außer sich, ihm einen Siffon an den Kopf schmiß. Kellner und Wirt, bleich vor Angst, dienernd vor Jeannot, schrien sie an. Der irische Aufwischer faßte sie wie ein Schwein, tat den größten Schimpf, warf sie aus der Tür. Sie wehrte sich, weinte, biß, kratzte, hielt sich an jedem Tisch, an jedem Arm. „Gut zum Schlafen, wäre sie nicht . . .“ sagte Jeannot achselzuckend zum Ringkampf, dem er lässig zusah, wandte sich ab. Sie schlug vor den Scheiben in die Gosse, das Gesicht im abspülenden Regenstrom, wimmernd: „On m’a sortie.“ „Fiaker?“ frug ein Kutscher, der vorbeifuhr, gröhlte in sich hinein, hieb die Gäule um die Ecke. „Hilf“, sagte Daisy leis, als sie rangen. Aber Philippe blieb unbeweglich, bis sie im Schmutz lag, ging dann hinaus, tröstete sie, nahm sie am Arm, führte sie zurück vorbei an Jeannot, der die Pfauenbrauen zuckte, umdrehte, dem Iren mit der flachen Handkante ins rote Genick schlug, daß der in die Knie schoß und über ihn kindlich herüberlächelte.

Sie legten sie in Daisys Zimmer. Um Zwei klopfte es. Philippe brachte zwei Männer, einer betrunken, der andere fiebernd. Sie teilte die Matratzen. Sie machte mit Freundlichkeit Platz, haßte ihn nachts, morgens schlich sie in sein Zimmer, alles aus ihr stürzte in sein Wesen zurück.

Sie ward seine Begleiterin, nichts geschah ohne sie. An Betten, bei Kranken war sie hinter ihm. Sein Ausdruck flog ihr an. Mit seinem Wort gab sie Erhebung. Sie stand unsichtbar, ein sorgender Schatten, vor seiner täglichen Existenz. Sie wies Renée aus dem Zimmer, die mit den Waden nach einem Literaten kokettierte, die Stunde störte, wo er sich gab. Sie stand an der Wand, las er seinem Publikum, Russen, Kranken, Bettlern, Studenten. Ihre Seele schwang mit, glühte fromm mit seiner, pries er das Unglück, das tiefer forme, Hunde inniger, Pferde schöner mache. Sie bewunderte ihn, wie er gab, schenkte, sich teilte und verdoppelte mit einer Freude, die seinem Gesicht nie die weiche Erfülltheit nahm.

Sie strebte, ihm zu gleichen.

Sie warf jeden Gedanken aus dem Hirn, der von seiner Richtung abwich, kasteite sich, übertraf eine Stunde mit der anderen. Sie gab das Letzte, was sie trug, den Ring an Ly, die ihn bewunderte wie eine Legende, ihn vor Freude in den Mund steckte, darauf biß und ihn fast verschlang. Sie begleitete ihn zu Guigui, sprach mit ihr hinter dem Gitter des Gefängnisses, vergaß nicht den Zug des Rehhalses am Eisen, kam über die Korridore mit ihm heraus und begann, als die Sonne herabströmte, zu weinen.

Doch die unbewegliche Güte seines Gesichts brachte sie ins Gleichgewicht zurück und sie vergaß die Auflehnung und den Druck, mühte sich stark zu sein, ihn zu übertreffen.

Sie mogelte Geld in seine Kasse, hungerte um ihn, kürzte den Schlaf, brachte ihm Menschen, die sie instinktiv auflas, in seinen Abend, gab ihm, wenn sie beschwingter ihm folgten, einen Wirkungskreis, der öffentlich ihm fehlte, da er Elend lobte.

Sie sah ihn, Vorbild, gerührt ins Letzte, den Vorschuß des Café-Konzert an ein Kleid Renées geben, Essen für Guigui. Er speiste auf einer Bank im Monceau, damit sie nicht sah, daß er trockenes Brot aß. Sein Bett lieh er aus, blieb die Nacht im Stuhl. Er sprach freundlich zur Concièrge, obwohl er wußte, daß sie seine Manschettenknöpfe stahl. Lächelte, als das Sopha unter ihm brach. Ging still neben Ly, ohne Protest, als sie unschuldig wegen des Ringes als Diebin abgeführt ward. Sie sah mit einem schaudernden Mitleid, wie er sich verschwendete, Unfruchtbares tat jeden Tag, ohne Tat und Ziel, das half, wie er Hohn bekam, belacht, verschimpft ward, aber unrührbar blieb in seiner Weise.

Die Liebe aber zu seinem Vorbild wuchs daran über jeden Begriff, wuchs an jedem höhnischen Lächeln, das man auf ihn zielte. Bedenkenloser stellte sie sich vor ihn. Sie suchte noch mehr, ihm alles leicht zu bereiten. Sie sah, wie er sich quälte, das neue Schattenspiel zu stellen, Ordinäres und Geistloses aus den Tageskämpfen zog, Unterleib und Hirn des Pöbels zu reizen, um so die armseligen Sous für sein Leben zu gewinnen, die er doch wieder weggab. Und schien ihr sein Kampf verfehlt und schlecht eingesetzt am ungünstigen Hebel in mancher Sekunde, so schien die Stärke, die ihn überwindend führte, doch ungeheuerlich im Großen, daß sie über alles hinweg sich diesem hingab, restloser bemüht, zu sein wie er, Übel zu vergessen, Trost zu geben, ihm Stütze zu sein. Sie überwand sogar, was schwerer schien wie das andere, was ihr Geist vollbrachte, sie überwand ihren Körper. Holte Leder und Federn, übte die Tänze ihrer Heimat, deren Bauchkonvulsionen hinrissen, um seine schwache Nummer zu stützen und gab ihren Leib den geilsten Blicken.

Aber ihr Hirn erreichte selbst in der Opferung kein Glück.

Sie konnte, wo er sie gelehrt, tiefer zu schauen, die Abgründe nicht mit ihren Händen zusammenschweißen, die aus der Not verfluchter Zeit und dem Zwang, sie zu lindern, sich ergaben, und Dienen und Helfen schlugen ihr gleich Gewichten aus der Hand, wenn bei aller Hingabe keine letzte Befriedigung kam.

Sie blieb allein. Lief durch die Gassen. Erbleichte unter seinem Anblick, schloß sich ihm demütig an. Sie kamen ins Café, als Ly von einem Krampf ergriffen auf dem Rücken lag und schrie. Philippe ging auf sie zu und, indem er die Hand ausstreckte nach ihrer Stirn, gelang es, daß sie beruhigt aufstand. Daisy neben ihr auf dem Barstuhl. Renée verkaufte sich einem blassen Deutschen feilschend um ihre Taxe: hundert Sous. Sie frug nach Luison. Achselzucken. Sylvie, die mit einem Amerikaner zog, der ihr Opium ins Gedärm gab, eh er mit ihr schlief . . . „May?“ „Die Krankheit.“ „Riette?“ „Die Krankheit.“

St. Denis.

Das Wort schlug wie ein Hammer sekündlich in ihre Seele. Verheerte, verwüstete sie, trieb Wut heraus und Auflehnung, bis sie flammte. Schlichtete ihr Glaube sich an Philippes Nähe sanfter und demütig, ein jeder Besuch, ein jeder Tag rieb sie an der Unvollkommenheit, dem Irrsinn der Welt. Bald sah sie nur noch so, daß sie Kontraste maß, Distanzen spürte, das Riesige, was die Menschen schied und sie unglücklich machte, nur als geringe Strecke, als kleine Unterscheidung empfand und unverstehend blieb an der Hartnäckigkeit, mit der gestempelte Dummheit das Glück hintertrieb.

Samstag verschwand Renée, sie sah sie nicht wieder. Abends brach eine kastilische Mimi zusammen, spie das Lokal voll Blut. Man warf sie in einen Karren, er rollte los. Herauf schwankte ein Beerdigungswagen, ein Auto mit bemalten Kokotten schnitt die Bahn. Da fiel sie ohnmächtig zurück, wie vom Blitz zerschmettert von dem einstürzenden Gefühl der Unzulänglichkeit ihres seitherigen Lebens.

Die Nacht kam sie zu Philippe. Er hatte die Augen weit und sehnsüchtig auf sie gerichtet, wie sie, das Licht über dem nackten Arm, hereintrat. Sie ging bis an sein Bett, kniete auf das Holz. Sie neigte sich zu ihm, und es fiel ihr schwer zu sagen: „Wäre es nicht schöner, Philippe, du hättest Ly geholfen, statt mit ihr zu gehen?“

Er schwieg.

Dann sagte er: „Ich kann nicht bestimmen, auch du nicht, was ihr Glück ist. Aber ich suchte zu helfen, als sie litt.“ Es gab für ihn keinen anderen Weg.

Sie ging, sagte nie mehr ein Wort. Von ihrem Gesicht nahm stets sein Auge die Auflehnung hinweg.

Aber sie sah, wie das Café mit neuen Mimis sich füllte, wie die wieder verschwanden, zu rasch durchgekeltert, zerbrochen, verbraucht. Wie neue Wellen der Boulevard hereinwarf. Die Lues wütete. St. Denis sich füllte, gespeist aus tausend Lokalen, Schicksal sich vollzog, in der Maschine des Hospitals das Fleisch gesiebt ward, die beiden ersten Stadien noch mit Grazie vergingen, das dritte aber wie Pestilenz die jungen Körper durchwütete . . . . wie Verlebtes herausschoß, Angenagtes hineinkam, wie die Maschine kaute, fraß, schlang — — und nichts half an der Wurzel, nichts umstülpte, was gemeinhin half. Gott nicht unterstützte. Was blieb als helfen? Nachts bohrte ihr Hirn, sie schlug an die Wand, riß an der Tapete. Ging sie mit Philippe, gab sie Hingebung, Duldung, Erquickung. Ihr Lächeln bezauberte. Louison beantwortete es zwischen einer Hungerohnmacht. Madeleine schien es, sie empfange mit ihren Bananen Himmel, Musik, Freiheit. In Philippes Leben stand sie und fühlte, daß er es brach wie Brot, zu heben, finden zu lernen, Stärke in Ruinen zu bauen.

Ihr Hirn jedoch bäumte sich dagegen und ihr Blut, das frisch mit den Dingen des Daseins strömte, daß er dem Ende der Tragödie sich nur hingab, in schon Zerschlagenem erst das Menschliche züchtete, statt an der Quelle groß und sicher die alten Schleußen zu zerschlagen und neue aufzubauen. Und mit Haß empfand sie seine große Begrenzung, die wohl das Eigentliche wollte und im Zerbrochenen gleich das Geläuterte sah, aber keinen Sinn hatte für Anfang und Ende des qualvollen Weges, der das Menschliche verdarb und vergeudete in einer ungeheuerlichen Preisgabe. Sie konnte nicht unterlassen zu denken, während er Madeleine sein Geld gab, ihre Geschwüre seien nicht, flöge ein Paragraph in die Luft; Guigui sei frei, blase ein Tapferer ein dünnes Vorurteil auf wie Seifenschaum. Wohl empfand sie süß aus jeder hilfreichen Bewegung, das Wichtigste sei, die Menschen zu bessern am Beginn, Menschen zu schaffen mit Vorbild und Beispiel, aber was half es, dauerte es Jahrhunderte. Ihr Herz, das mit tausend Fasern in die Zeit schlug, bewegte bei jedem Zusammenstoß mit dem Elend ihres Cafés, ihres Hotels, ihres Zimmers sie, einzugreifen, statt mitzuleiden, und der Irrsinn, der Hundert zerschmetterte, um wenige sinnlos zu heben, benahm ihr den Atem und ließ sie in Gedanken sündigen stündlich gegen seinen Sinn. Denn da im Umschwung des Daseins sie aus der oberen Kuppel des Theaters hinabgestürzt aus dem Willen ihres Blutes in die hintersten Parterre, empfand sie die Kontraste deutlicher und schicksalshafter wie er, der im Bodensatz nur lebend liebte und tröstete.

Und mit der Berührung des Primäraffekts erlebte sie erst die ganze Rundheit des Daseins und mehr als je klaffte ihr von dieser Tiefe ihrer Existenz nur die eine Losung: „Hilfe dem Menschen“, und aus Dreck und Kot und Unzucht kamen die Übersicht und die Entscheidung in ihr Leben.

Noch hielt sie seine Güte, noch brach nicht aus, was sich wehrte, noch rührte die Liebe zu ihm und sein Bild sie zu solchem Mitleid, daß sie nachts hinausschlich, seine Schuhe reinigte, dem Kaffee, wenn er morgens an ihrer Etage vorbei ihn sich durch den Garçon bringen ließ, einen Zucker noch, den er liebte, hinzufügte, wozu sie eine halbe Stunde harrend auf der Treppe stand. Sie mühte sich, in die Seineantiquariate zu laufen, Kolibris, Lederfransen und Muscheln zu kaufen, ihr Kostüm heller zu verzieren und ihren Tanz zu Schleifen zu bringen, die das Letzte, was Scham ihr noch ließ, preisgaben, damit sie seine Premiere sichere und ihm Ruhe gebe. Sie schwieg, während ihr Innerstes sich elementar schon empörte, rückte näher an ihn, schmiegte sich in seine verborgensten Falten, lebte selbst in seinem eingeschlafenen Gesicht.

Am Abend der Neuaufführung glühte der Kellereingang phantastisch. Die Stühle um zwanzig vermehrt. Sie stand im Kostüm halbnackt. Da arretierte ein Sergeant de Ville ihm die unersetzbare Sprecherin des Uhu. Das Spiel fiel aus sieben Minuten vor Beginn. Das Weib war im achten Monat, der Sergeant riß sie schleifend die Treppe hinauf.

Da überstieg der Zorn über das, was er am Guten verfehlte, an falschen Plätzen vergeudete und verpraßte und nicht aufhob für das Donnernde, das seinem Leben Ziel und Erhebung geben konnte, all das in ihr einen Augenblick lang, das an ihm hing. Geröteten Gesichts unter der Schminke bat sie heftiger, er solle sich wehren, nicht gefalteter Hand sich selbst zerstören und abbauen, statt zu schaffen. Aber er wehrte sie mit der Hand leicht ab und einem Ausdruck um den schöngeschlossenen Mund, daß ihre Hand, Verzeihung erbittend, die seine strich.

Aber sie verlor nicht das Gefühl, wie sehr die Unzulänglichkeit seines Lebens das ihre bedränge und daß sie sich zerstöre und fessele, lebte sie weiterhin wie seither. Sie verstummte verzweifelt. Sie empfand zum ersten Male die Ungenügendheit der Menschen, in denen die Führer taub und falsch gerichtet lagen und an denen zerbrach, was glühte.

Sie tanzte mit einem Lächeln, das sein Gesicht nicht ausließ, steigerte sich zu den schamlosesten Gebärden, hob Bauch und Schenkel, daß nichts ihr blieb, alles ins Publikum fiel an Reiz und Erregung ihres unbegreiflich schönen gebogenen Körpers. Während ihre Füße in Unzucht gingen, lobte ihr Mund nur sein Gesicht, forderte ihr Auge sein Lächeln.

Sie sammelte, durchbrach die knatternden Applause, stellte den gehäuften Teller vor ihn, strich über seine Hand. Ging.

In seinem Zimmer begann sie zu schluchzen. Sie sah sich um, verließ es.

Sie lebte vor Cafés, auf Imperials. Lebte Rue Richelieu, Rue Bonaparte. Kam Quartier Ternes, fuhr auf einem Karussell mit Affen am Etoile. Glühender Scheibe gleich sauste der Kreis des Daseins vorbei. Sie blieb draußen. Atemlos. Ohne Besinnung. Die Zähne aufeinander. Ohnmächtig Knie an Knie. Immer wars, es stürze wie über Terrassen das Gesehene und Erlebte ab von ihr. Ihre Verzweiflung trieb die hellsten Tage zurück. Der Papagei der Savoyardin im Luxembourg, der sie kannte und liebte und dessen Hals sie kraute seit Wochen in schöner Zärtlichkeit, rieb den grünen Kopf an ihrer Hand. Sie sah ihn nicht. Sie fuhr nach St. Germain. Vom Imperial brach die Stange vor der Station, ein Latschmützer sauste ab, hielt sich, stürzte eine alte Frau auf die Chaussee, sie brach die Beine, schrie aus kreisrundem Mund „Adolphe“. Kondukteur und Arzt herbei, der Apache bestach, blieb an der Ecke, höhnte: „un plomb“, der Schaffner warf das Bleistück wütend auf die Erde, ging mit roten Fäusten auf die Apachen, die die Zigaretten in den anderen Mundwinkel steckten, ihn über einen Zaun schmissen. Der Arzt reinigte sich, unter Gequietsch rollte ein Handwagen mit der Frau ab, die Männer sagten „merde“, schlenderten weiter. Die Vögel sangen toll. Aus einer blauen Woge trieb sich der Park gleich einer Wolke heran und stand zitternd in der duftenden Luft. Der Wind wogte golden um den Hochstieg der Sonne. Die Boskettes fluteten vor Licht. Sie nahm eine Bank. Hinter dem Brunnen ward der rote Strumpf eines Mädchens deutlicher, stieg, die Hand eines Mannes hob, der Rock flog auf wie ein Pfau. Als die kristallene Abendwölbung kam, hing eine rote Windfahne über dem Schloß, ein Mandelbaum, der fast weiß ward vor Hingabe, roch wie im Traum.

Frierend fuhr sie zurück.

Wohnte Trocadero, sah Flugzeuge silbern am Himmel surren. Rue du Château d’eau schlief sie bei der Concièrge, spielte abends in Porte St. Martin. Stand mit Heiligenbildern vor St. Sulpice. Wohnte Porte de Bercy, Bois de Vincennes. In einer Gärtnerei Neuillys goß sie Blumen, hütete ein Kind, bis es schrie und lief unter dem Schreien plötzlich davon. Stand fest vor der Porte Maillot mit „Intransigeant“, „La Presse“, empfing das Trinkgeld der Soldaten, hielt unter den Wasserpalmwedeln durchsausender Automobile, spielte Karten mit den Zollwächtern der Barrikade. War eine Negerin im Odeon, entblößte den Bauch und schwang ihn wie ein kupfernes Schild zwischen den zärtlichen Hüften. Hielt Narzissen in einem Kiosk der Place des Vosges. Stand auf dem Wagen der demonstrierenden Studenten der juristischen Fakultät, umbrüllt von Jugend, Benzin, Fleisch. Verkaufte „Les Trois Couleurs“, mit denen der „Matin“ den Deutschland-Frankreich-Rekordflugpreis des „Journal“ bekämpfte. Wohnte Rue St. Jaques, die barock vom Panthéon steil und dämmerig zum Boulevard de Port Royal steigt. Sah Madeleine aus einem Auto, verhüllte ihr Gesicht. Fiel zurück in das Getriebe, sah Gare St. Lazare die Auslandszüge über den starren Friedhof brausen, drückte Blériots schwielige Faust. Stieß im Louvre auf Guigui, die mit schwarzem Lorgnon, elegant gekleidet, an ihr vorbei auf einen zottigen Rumänen sich lanzierte. Sah die blauen Monde elektrischer Laternen die Sommernacht der Boulevards schwärmerisch durchschwimmen. Wohnte Tuilerien zwischen Hecken und Marmorbildern. Kam in ein Musikcafé, eine Geige riß ihr ins Herz, löste sie wundervoll auf und zog aus dem Verschütteten mit dem schon über das Menschliche hinausgehenden Hinreißenden ihrer Stimme sie in die Höhe. Sie ging hinaus, begann zu weinen, kam auf die Bahnhofsbank des Boulevard Montparnasse. „Kommen Sie“, sagte eine Stimme hinter ihr. Durch Tränen sah sie den Mann, der im Café Cluny neben ihr die Zeitung gelesen, ihren Kaffee bezahlt hatte. Atemlos nahm sie seinen Arm. Da sie ausgedurstet war nach einer menschlichen Stimme, wäre sie gefolgt, wäre sie rauher noch und befehlender gewesen wie diese. Verscholl.

 

Aus den Sonnenblumen des Rangunschen Weibergemeinschaftshauses brechend, schlug Stefan ihr die Arme um den Hals von rückwärts, drückte, schob einen Knebel in ihren Mund, warf sie auf einen Gaul, das Tier lag in den Knien, ein anderer Pferdekopf schob sich vor, sie war frei, da rasten die Gäule, eine Hand riß ihren Zaum. Sie ritten die Nacht durch. Ihre Augen zählten die Äcker, sieben Bäche, sie lauschte. Geräusche. Alarm. Wasserzüge leuchteten Metall. Mond über einem Ölbaum. Der Mann schlug Schleifen, ritt ein Stück mit ihr im Fluß. Der Küstenstrich war alarmiert, er ritt zurück. Eine Finte. Seine Ohren standen steif vor Anspannung. Die Gäule stoben durch Gestein zurück auf einen Hügel. Vor dem Himmel gebrochen hingen Bergzüge in die Weißnacht, darüber eine Kuppe wie ein Segel geflaggt. Hinzu trieben sie in Wälder. Als sie den Gurt durchbrachen, Zweige um sie schnellten, flammte die Sonne auf. Sie kamen an ein Bambushaus. Er stellte die Leiter an, ging in den Verschlag, zog die Leiter hinter ihr ab. Als er sich umdrehte, ward sie unwohl, die Periode erfüllte sie mit Nebel, warf sie um. Abends, als sie die Augen aufschlug, entdeckte er es. „Vier Jahre“, sagte er, seine Hände zitterten. Sie sah an seinen Fingern hinauf, hinab, schlief ein. Anderen Tages mußte sie reiten. Sie ritt.

Sie ritt mit ihm, der unter holländischem Lampenhut das Kostüm des nördlichen Chinesen trug, um die Wette. Schlief bei Tage. Fuhren nachts in Lagerfeuer. Eingeborene zwischen spritzenden Spänen sausten, die Fäuste in den Augen, in die blonden Felder. Ölbäume zitterten erregt unten in Ebenen. Sprach kein Wort mit ihm, nur an seinen Händen sah sie die Sehnsucht von Jahren. Als sie wohl ward, kniete sie, beugte sich über den Kopf, der quadratisch geschlossen schnarchte. Beugte sich tiefer, roch ihn, empfand die Gewalt, schlug die Zweige zurück, auf Schuhspitzen und Handflächen schlich sie in eine Rinne, kam an den Rand, pfiff die Gäule, ritt nach der Küste zurück. Hielt am Mittag. Von ihrem Gesicht fiel ab, was sie gelebt das Jahr und was sie erwartete. Sie lauerte, überströmte sich mit Blut. Kehrte um, wandte den Rücken, schlug Stefan einen Pfiff, machte Bogen, führte die Gäule rechts und links am Halfter, rannte mit ihnen ins Wiesenwachs, ließ los . . . zwei Bogen sausten in den Horizont. Sie schlug sich morgens zu einer Karawane. Um sie Sand. Nach dem Berg zu. Allein.

Mitten trugen sie einen Alligator, vorn ein Parah mit Weibern für Bergradjahs. Die Armenier liefen beim Halt nach vorn, starrten in das Kattun. Daisy gab einem Ceylonier ein Messer für einen Esel. Er sah auf ihre Weiberhand, mißtraute ihr in dem Jünglingsrock mit abgeschnittenen Haaren, bedachte, es sei ein politischer Emissär, meckerte, sah Rebbach in der Beziehung, blieb treu neben ihr. Abends hob sich der Kattun des Vorderkamels. Hüften schaukelten prall und weiß. Ein Tuch fiel. Eine Auge grell nach Fleisch suchte das ihre, die Lider senkten sich, der Kattun verschluckte nicht das Zeichen. Es galt ihrer männlichen Kleidung, der tänzerinnenhaften Bronzeschlankheit. Am Morgen kreuzte sie eine Karawane. In der zweiten Reihe ritt Stefan auf sie zu, sie erstiegen einen Palankin, sie schloß die Augen. Wieder roch sie seinen Körper, dessen breite Muskeln sie fast zerbrachen. Demütig nahm sie seinen Zorn, seine Beglückung. Sie hoben sich aus den Knien. Der Kattun beim Vorderkamel stieg in die Höhe, das Zeichen des ersten Feuers kam. Dolche sahen in den erhellten Palankin. Wütend schlug der Kattun zurück. Das Weib heulte die Nacht, geschändet in ihrem Geschlecht, denn das Tun der beiden Männer im Palankin war ein Greuel. Am Gebirge bremsten sie, trennten sich von der Masse, schlugen sich in die Täler. Ein sanftes Gesicht wandte sich ihm zu, als sie allein hinter einer Düne standen. Allein die Fremdheit dieser Ergebung füllte ihn mit Mißtrauen so, daß er sie mehr beobachtete, als hätte sie Fäuste in sein Gesicht geschlagen. Doch sie tat keinen Laut, ergab sich und war in ihrem Erleiden und sich Schenken von einer Entferntheit, die ihn rasend machte hinter seinem steinernen Gesicht. Entfernte sie sich: „Halt“. Ging er vor ihr, sahen zwanzig Augen aus seinem Rücken. Führte sie, fraß sie sein Blick. Doch je mehr er sich bemühte, um so mehr gab sie sich ihm schrankenlos in die Hand. Allein er empfand auch hierin nur, was sie verschwieg.

Als ihr die Milz schwoll vor Feuchtigkeit, Fieber ihr Hirn verwirrte, trug er sie am Leib an einen Sonnenabhang. Das gesteigerte Blut wehrte sich, sie schlug ihm das Gesicht auf. Als das Licht das Fieber aus ihrem Körper warf, sah sie das Blut. „Ich schlug dich nicht“, sagte sie. Er schwieg. Da küßte sie seine Hand; „Verzeih.“ Sie lag wie ein Kind an ihn geschmiegt. Er sagte nichts, denn er besaß.

Je mehr er besaß, um so stärker zog er sie in den Kreis, den seine Kraft um sie schloß und sie bedingungslos ihm gab. Bronzekörper fielen hinter sie zurück, Geschlitzte trieben Yaks auf Abhänge, tranken Alkohol, schrieen die Nacht. Er band sie mit jedem Gedanken, als es schneefrei ward. Ihren Willen schied er aus. Seinen pumpte er ein. Ihr Schritt ward bestimmt. Das Moos für den Fuß bezeichnet. Selbst ihren Gang, da das Unaussprechliche ihrer Ergebung ihn wie mit tausend Widerständen peinigte, regelte er nach Tempo, Biegung, er hätte versucht, sein Blut ihren Adern einzuführen, das dunkle Letzte suchend, was er besitzen wollte. Die Nacht nahm er ihr die letzte der achatnen Kugeln. Im Morgengewölk entblätterte die Spitze. Ein schnurgerader Weg in Fels gemeißelt blitzte hinauf. Links, rechts sausten Abgründe. Am Ende oben stand ein Bau. Zweimal stieß Stefan vor, kam zurück. Das drittemal war er bleich. Er untersuchte die Abstürze, den Stein, blieb die Nacht weg. Am Morgen kam er: Aus. Rot im Weiß des Auges. Die Hände hingen schlaff. Sein Mund murmelte die Stationen, die in vier Jahren die Sehnsucht ins Irrsinnige gesteigert: „Paris . . . Marseille . . . Kalkutta . . . Pegu.“

Sie lächelte, band den Gürtel schräg, torkelte, strich die Sandalen ab und ging mit einem kühlen Schatten neben sich los. Auf das Tor zu. Klopfte den vierfachen Rhythmus, es schloß sich hinter ihr. Sie glitt in die Welle, die im Kreis des Hofes brauste. Senkte den Kopf, schritt mit, strich nach zwei Stunden von der Peripherie, sah ein gelbes Band, kam in den zweiten Stern, sprach eine Minute, glitt durch die Barriere in die innere Drehung. Die gelbe Binde verschwand, bückte sich. Ein anderer wiegte an der Seite. Sie kam näher der Kuppel am Mittag. Der Kreislauf faßte sie enger um die Mitte, schlang sie ein, trieb sie in den innersten Kern, sie flog von Schleife in Schleife, glitt an ein Metall, es erzitterte, nach fünf Minuten kam sie bleich mit einer Tafel. Den Kopf gesenkt, die Welle nahm sie auf. Langsamer und vorsichtiger spie sie sie aus. Ihr Bein tat weh im Torkeln, aber das vergangene Jahr verließ sie nicht. Sie strömte durch das Brausen, die Flügel des Umschwungs geleiteten sie mählich, hochmütiger aus dem Herz des Sternes. Gegen Abend zog die Menschen-Mühle mit Schweigen, sie bog in die äußerste Peripherie, stand abgestoßen vor dem Tor.

Es war dunkel. „Komm“, sagte sie.

Sie überschritten den Steg, ein schmales Tal schmiegte sich entlang, am Ende ein Tor. Die Türen sperrten, die Nacht zischte in der Laterne, die ihr Gesicht überflog, das Licht fiel auf die Tafel, das Gegentor schoß auf. Die Ebene lag vor ihnen. Sie lächelte. In seine Hand gab sie die Tafel, sie konnte sein Gesicht nicht sehen, später erst ward der Himmel heller, fiel weiß im Bogen gegen den Grenzfluß. Unter dieser Bewegung spürte er, daß das Unwägbare in ihr, was er gesucht und nie erreicht, solang er gezwungen, ihm näher nun, wo sie sich über ihn schwang, war als je. Dies schlug ihn ganz zusammen. Sie übersah es. Blieb die gleiche. Frug ihn nach Weg, Leitung, gab ihm die Führung, folgte ohne Zögern. Sprach ruhig zu ihm von Wäldern und Flüssen und Dingen, die sie umgaben. Von sonst nichts. Sie häufte alles auf ihn, was ihm das Ansehen, den Ausschlag, die Leitung gab. Als es ihn zu sehr bedrückte, ergab sich eine stillschweigende Harmonie, sie wünschte, er tat, aber sie zeigten, sprachen es nicht aus. Er verstauchte das Knie eines Tags. Sie blieb erschrocken, da fraß ihn das, was ihm Komödie schien, ans Herz, er brauste auf, die Schläfen wölbten sich, die Fäuste wuchsen. Sie aber unterzog sich dem ohne Betonung, demütig, nahm es hin wie vorher. Dies wischte seine Erregung weg, und von diesem Augenblick blieb er in einer gefaßten Ruhe, die jede Schwingung seines Blutes in einer ehrfürchtigen Entfernung hielt. In diesem Gefühl fand er sich wieder, wurde stolzer, sicherer, und so empfand er die Entfernung, die sie wirklich von seinem Erleben trennte und zu deren Aufstieg der große Weg ihn noch trennte. Von weißem Licht bespült, fast unirdisch in der Ruhe der Fächerabende kreiselte ihr Floß, dessen Ränder sie bewohnten. Der Himmel hatte die Farbe des Perlhuhns, seiden in der Berückung der Flötendämmerung. So entglitt sie ihm immer ferner, je tiefer er sie in Wahrheit erkannt und empfand, und indem sie das sprengte, was er bis zu diesem Tage als höchstes Vertrauen seiner Kraft in sich hielt, befreite sie in ihm die Freiheit, die mit schmerzlicher Glut ihn ganz erfüllte. Aus einem Abend stachen Dampferlichter. Unter senkrechter Flamme entzündete sich ein Hafen. Eine Stadt mit Musik, Cafés, Papierlaternen und Lichtern kam aus der Wölbung. Als sie in der Bahn abfuhr, sagte er wie im Garten Guildendaals: „Du bist der Wirbel, der mein Leben einfängt“, aber er sagte es mit einem schmerzlich veränderten, zu anderen Entschlüssen umgebrochenem Gesicht. Sie nickte zurück. Aus dem Aufschlag ihres groß bewimperten Auges blieb eine träumerische Bewegung in der Luft, die bald rot ward. Die Ebene glitt in dunklem Samt zurück, der Himmel berauscht, bebend wie eine Trommel, grau mit tierischem Glänzen der Fluß. Sie schloß die Augen und es kam nur das lösende Gefühl mit grenzenloser und gütiger Kraft: Schlaf.

 

Sie sieht ihren schmalen bronzenen Körper im tiefen Glanz des Spiegels erscheinen. Sie reißt das einzige, was außer der leeren Halskette an ihrem Leib ist, von ihrem langen Schenkel über dem Knie das Band, zieht die Schließen an. Verkauft die zwei Perlen. Im Palankin fährt sie ins Hafenquartier, klopft, verschwindet. Fährt im Männeranzug im Wagen zurück, mit dem kurzgeschnittenen Haar einem Mischling gleichend, zu einem Magazin, füllt einen Koffer, fährt zu einer Pension, nimmt einen Raum. Dort klirrt die Glocke des Rockes um ihre Hüften, zögert die wundervolle kleine Brust in der Bluse. Da reitet, ißt sie als Herr.

Ihr Mund hat einen hinreißenden aufbrechenden Zug. Das Auge sucht, hebt sich, erstarrt, sinkt. Von zwei Seiten durchwühlt sie den Menschenhaufen. Er fällt nicht vor ihr zurück, gleitet nicht mehr ab. Sie reißt, aus der Einsamkeit her gesammelt und hoch schon über jeder Enttäuschung, zu sich jetzt, was sie erwittert. Das Auge glättet, schmeißt auf, enthüllt, zerlegt . . . die Pupille sinkt. Innerlich voll Spannung, fiebernd erregt. Nach außen, von vieler Erfahrung her, demütig überlegen. Als Frau zieht sie den Mann an allen Instinkten, reizt ihn mit Geist, mit der Drehung der Hüfte. Spürt seinen Blick im Ausschnitt, im Nacken. Sieht den Mut seiner Erregung, führt ihn, zieht ihn nach, sieht endgültig vor Zielen, Aufgaben ihn entflammt — spürt aber, mäßigt sie ihr Blut zu Kühle, ihn zurückgeschraubt im Thermometer seiner Begierde. Die Pupille sinkt. Sie bohrt von der anderen Seite sich ins Geheimnis. Selbst in der Maske des Mannes desavouiert sie ihn in seiner Beziehung zur Frau. Erst hinter dem Weib, das ihn aufschwänzt, in der Einstellung auf Bauch und Besitz ihn als Klasse sofort uniform macht (wohl auch riskant und alles in die Wagschale werfend, doch nur spielerisch und daher unbestimmt und ohne Verlaß), dahinter erst entdeckt sie den Mann. Ungestört von weiblicher Schwingung trifft sie die Nüchternheit seiner grauen Stunden, die Lüge seiner Frische gegenüber Weiblichem. Teilt seine Barnächte, Dürftigkeit seines Spiels, die Phantasielosigkeit seines Hirns. Außerhalb der Polspannung der Geschlechter empfindet sie die Indiskretion gegen jede Frau, seine Kameradschaft gegen das Weib. Sie konsumiert mehr Menschen, ihr Auge wird heißer im Erkennen, die Pupille sinkt. Ihr Leben wird rastloser. Sie weiß, der Mensch versagt, und Enttäuschung peitscht sie auf. Lauschend sitzt sie in den Ecken. Aufmerksam verfolgt sie die Ereignisse der Straße. Sie mischt sich, wo Meinungen kreuzen, Kräfte aufeinanderstoßen. In Nankingkleidern treibt sie sich am Hafen hin, kommt arbeitend an die, welche der Instinkt der anderen als Überlegene, Wollende, Visierende zeigt. Treibt mit Smith vier Tage um die Fischeransiedlungen, hört, öffnet ihr Ohr weiter, stärker, erreicht die Grenze. Starrt ihn an, die Pupille sinkt. Kehrt zurück zu den Baggern, Transportern, aufgeregter Meute in großer körperlicher Bewegtheit Schaffender. Schwenkt ab zu den Stillen, Vergrabenen, an Maschinen, in Kellern, Hangars Angeschmiedeten. Findet Abgegrenztes. Wo Ziele sind, schwach fundiert. Erstrebtes nur im automatischen Gang. Hinter dem Programm das Nackte, Ehrgeiz, Erfolg des Ich. Sie rettet sich in einem Bogen, mischt sich unter die Weiber, trägt Armband, Ringe, duftet, rauscht mit Dessous. Nur Holzbein, Titus und Zwicker denken, und die Ergebnislosigkeit solch nüchternen Schwungs stößt zurück. Doch sie läßt sich nicht schrecken. Die Menschen versagen. Aber sie hält nicht. Will. Muß.

Mischt sich in einen Streik, schmiegt sich an die Leitung, spürt, wittert, die Pupille sinkt. Schon mißt sie den Einzelnen, den sie sieht, auf seine Befähigung, richtet ihn nach ihrer Forderung, fast nach dem Geruch, durch den untrüglichen Instinkt, der sie vorwärts führt. Sie sieht einen Gentleman einen Hund mit Lebensgefahr retten, pflegen, säubern. Sie schließt sich ihm an. Sein gutes Herz sieht nur den blinden Einzelfall, spannt sich nicht aus. Sie zuckt die Achseln. Nicht genug. Die Pupille sinkt. Im Klub mit Abenteurern spürt sie Fabelhaftes, aber es vollzieht sich nur aus Rausch. Verschwenderisch, doch unbrauchbar. In der Tiefe die wilde Grimasse aus Kneipe und Bordell, die sich einsetzt und stirbt, nur Aufflammen ungezügelten Instinkts. Traf sie auf Ideen, waren es Schwächlinge, Schwärmer, die Locken nach der Sternansammlung schwenkten. Kein Handgelenk und Griff. Die Pupille sinkt. Sie sucht nicht für sich, denkt nicht für sich, wird unermüdlicher, gläubiger. Leid, das sie aus jeder Stunde anschreit, wirft sie nicht um, hetzt, feuert sie an. Empfindsam, gleich einem Apparat, zeichnet sich auf sie ab die Struktur des Daseins, sie mißt, urteilt, findet den Hebelpunkt — weint, daß sie eine Frau ist. Lächelt über die Hilflosigkeit des Geschlechts, beißt den Mund fest und sucht heftiger, strackser. Schon wachsen Ansätze zu Plänen. In der Dürre des Erfolgs selbst beschwingt sich ihre Seele zu größerem farbigstem Feuer. Wohnt in Baracken, wohnt im Hotel als Dame, wohnt an der Quarantäne. Wohnt ein Stück im Lande. Sieht fischende Frauen im Abendlicht mit Bastkörben von Stein zu Stein springen. Boote vorüberfahren. Dampfer rauschen. In der Pension als Reiter. Seglerin des Hotels. Lernt aus jeder der Sekunden. Sieht den Saft aus der Erfahrung, bekommt schärferen Glanz, mildere Schönheit ins Auge, reift mit Brust und Hüfte in eine schlanke Rundung. Prüft, hofft, verwirft. Spannt sich in den Glauben mächtig zum Dehnen. Die Pupille sinkt. Das Lid hebt sich. Die Figur eines Kapitäns schneidet sich aus einem Dampfer. Der Schall eines Agitators verzückt erregt. Das Raunen einen Slowenen in einem asyle de nuit sinkt ins Blut. Die Haltung eines Kaufmanns zu seinem Diener verblüfft. Der Blick wird grau, das Dreieck spannt sich über die Stirn. Die Pupille erweitert sich, erschlafft. Sinkt. In einer Barnacht singt die unsterbliche Stimme eines Dichters die Brüderlichkeit. Am Meer ist seine Seele läpsch wie ein Schalet. Sie folgt einer Revolte. Es sind Betrunkene. Sie wohnt an dem Segelhalteplatz, beim Sport. Wohnt in einem kleinen Garten mit Holzhaus, wird braun wie die Eingeborenen, sieht die Haut der englischen, indischen, französischen Frauen. Folgt zwei singenden Vögeln. Die Heide schlägt sich um sie auf im Abend. In der stürzenden Dunkelheit bauen zwei Parteien ein Duell, legen Knipslaternen auf Steine, reißen zwei Lichtkegel zwei Figuren aus der Dämmerung.

Ein Schuß pitscht. Sie weicht zurück, fast umgeschleudert. Ein Auto biegt vor dem, welcher schießen will. Ein Arm aus dem Auto greift die Hand, schleudert die Pistole mit einer unbeschreiblich ablehnenden Gebärde auf den Rasen, springt hinaus, tritt darauf, reißt den Mann mit sich in den Wagen. Sie hört ihn sagen: „Ich habe andere Aufgaben für dich.“

Die Pupillen stehen weit in Kreisen glasig erhellt, offen, bekommen Facetten, glühen vor Licht.

Sinken nicht. Sie springt in den Wagen. Sie nehmen sie kühl auf. Sie sieht nur den einen. Sie sitzt den Abend zusammen mit Gordon, Raffaeli, Di Conti. Die anderen schweigen. Di Conti spricht. Gegen Mitternacht werden außer seinem die Gesichter mißtrauisch. Ihres glüht. Mit schief im schwarzen Bart gestrecktem Mund fragt Raffaeli: „Was geben Sie?“ „Mich!“ Gordon umreißt mit gierigem Blick ihre Figur. Raffaeli zuckt die Achseln, die Nase biegt sich skeptisch in den Flügeln, vibriert. Di Conti wiederholt die Frage kalt. Da lächelt sie, verschenkt sich an sein Gesicht mit aller grenzenlosen Hingabe. Die von keinem Sou des Angehäuften seither nahm und lebte, sperrt auf die gesamten Depots.

 

Jeden Traum sah sie in seiner Hand schon fertige Waffe. Keine Ahnung, die ihm nicht schon zum Abfeuern geladener Plan. Sein Glaube war so ungeheuer, daß er ihn schon jenseits der Ekstase mathematisch beherrschte. Aus dem Herz die Flamme gerann ihm im Hirn. Seine Kühle war unbeschreiblich über dem barbarischen Feuer, das gebändigt darunter tobte. Selbst Raffaelis fanatische Unerbittlichkeit schmolz, Gordons nicht ausmeßbare Aktivität folgte nur seinem Druck. Ihr schwindelte, wenn der Tag sie in die fassungslose Nacht entließ, wo ohne die Gemeinschaft das Ganze in Schlagschatten zerrann. Ihm war, was sie als Entfernung der Welten ohne Brücke sah, aus ungeheurem Wollen geringe Distanz geworden, ihm gab es keine Hemmungen in seinem Bau. Hatte gewogen, geschaut, gedacht, die Rechnung gefertigt, die Summe gezogen. War kalt geworden, bedacht vor Ergebnissen. Trieb nun vor. Sah in dem Ruhenden, Daseienden, im Pathos bloßer Tradition den Feind, das Erwürgende, sprach gelassen gegen die Schwerkraft, gegen die Anziehung der Kräfte. Stemmt gegen die drehende Erde sich mit der Kühle des Überlegenen wie am Schalter eines Automaten. Ihr kam nachts, daß aus der ungeheuren Kraft seines Wollens, die alle überströmte, er in die See hinaus, die Tag und Nacht die Fahrt umschäumte, neue Bewegungen, seinen Rhythmus und Zweck dem Schiff, den Schornen und der Flutung diktieren könnte. Er stand am Schalter, wies ihr die Spannungen, die Drähte, sogar die Klingelzeichen der unterirdischen Erregungen. Der Traum machte ihr sein Bild wahnsinnig. Gordon, der von Marokko bekannt, verfolgt war wegen Desertion, Aufruhr, Agitation, ging morgens neben ihr auf dem Verdeck, ließ sie das Spiel seiner Muskeln spüren, Feuer und Lust seiner Kraft, in diesem Kampf zu führen. Doch Di Conti gewann ohne Kampf, besaß mit Nichts. An ihm fand sie die Lösung. Er drahtete vom Schiff, diktierte, erklärte, schrieb, zeichnete Karten, sah auf, lächelte beherrscht. Gordon trat mit englischem Backenbart aus der Kajüte, ging geschnellt auf den Ballen, sprach deutschen Dialekt, hatte einen Steckbrief wegen Agitation im Heer. Raffaeli sah das Meer nicht, sah nach innen. Das eigene Vaterland ließ Di Conti kühl, es lag an der Peripherie, entwickelte sich im Lauf des Zentralproblems, fiel später unter Raffaelis Durcharbeitung. Er selbst zielte aufs Herz Europas, stach nach Paris, um von dort das Blut in den Körper des Erdteils zu treiben. Für die asiatische Welle hatte er Aufmerksamkeit, nicht mehr, empfing Depeschen aus Genf, lauschte auf Berichte der Vertrauensmänner, verglich, maß die Stadien der Siedespannungen am Barometer, verglich die Leidenschaft der Massen, gab Ordres, zögerte, tat einen Ruck, setzte andere Spieler ein. Zielte zuerst gegen den Kitt, die umfangenden Reifen, die Macht, das Militär. Rettete darum Gordon, der den menschlichen Bruch und Riß trug, im Persönlichen so schwach zu sein, daß seine Eitelkeit ihn in eigenen Dingen das allgemeine verleugnen, in jede Tollheit sich werfen ließ. Hatte die Organisation es aufzuschälen, die Schaukel dann aufzutreiben, die aus Jahrhunderten rotierende Gesinnung zu stürzen, Massen aufzuwerfen, gerecht die Erde zu nivellieren. Das Leid der Irren, Kranken, Sklaven, falscher Sehnsucht endete hier. Sein Paradies war willkürlich, geschaffen, diktiert, es kümmerte ihn nicht. Gegen Raffaeli hatte er die Kühnheit zum weiteren Schritt, die Gerechtigkeit zu verleugnen, um sie endgültig einzusetzen. Sein fachlicher Befehl, der Definitionen verachtete und aus der Berechnung, die tausendfaches Gefühl ihm geformt, sprach, war bestimmender als Raffaelis Glut. Er kannte nur kalt Herrschende und Blinde, die sich nicht befreien konnten, da ihre törichten Herzen die Erkenntnis zum Handeln nicht zu fassen wagten. Er trug darum die Verantwortung seines Entschlusses mit präziser Automatigkeit. Zwei Tage vor der Landung kamen Nachrichten von Gärungen in Lyon, am folgenden putschte Marseille im Hafen, in Nancy erschoß ein Unbekannter einen Oberst. Mit zusammengepreßtem Herzen, zitternd, sahen sie das Land. „Es ginge nicht ohne Sie“, verbeugte sich durch die Dämmerung Raffaeli mit Schätzung und Verachtung zugleich auf das Geld, mit dem er arbeiten mußte. Es wurde dunkler, Laternen blitzten. Di Conti stand an der Reeling, hielt ein Papier in der Hand. „Gott selbst könnte sich nicht widersetzen. Wagte er das Sinnlose, seine Welt liefe taub aus. Eine furchtbare Gonorrhöe.“ Er hatte den Kopf zurückgeworfen, sein Mund war blaß geworden vor Zusammengedrängtem. Die Nacht sprach er mit ihr zum erstenmal allein und lang. Sie ward erfüllt von dieser Stunde, daß ihr Leben sich verankerte in ihr. Nie verließ sie das, nahm Besitz von Blut und Kräften in einer Durchdringung, die fast den Mond und den Meerraum mit hineingab in sie. Bei der Ankunft wehte irgendwo eine Flagge. Ein Kind strauchelte und stieß Raffaeli. Der Portier hatte Briefe, nahm eine Perücke ab mit einem Zeichen innen. Drei Tage darauf meuterte ein Regiment in der Aube. Gordon wurde verhaftet. Di Conti schlug zu.

 

Als sie den Boulevard heraufkam, stand, die Hände über den Augen, Raffaeli an der Ecke. Sie nickte. Er verschwand. Um zehn Uhr betrat sie das Cafe Rue Guijas. Drückte sich bis zur Wand, schob die Achsel vor. Vier Frauen standen am Schießapparat, zielten, schnellten den Hebel, schossen für einen Sou die Freimarke zum Café für vier. Sie gelangte ans Büfett, ein Mann stieg vom hohen Stuhl. Sie kletterte, der Neger im Hufeisen ließ eine Tasse in der Schiene gleiten, ein Porzellan mit Gebäck, erhaschte sie mit einem Schielblick, schob einen Brief nach. Sie hatte Röte an den Schläfen. Sah fest nach dem Eingang. Während Mädchen an den Wänden hingen, sangen, plärrten, Queues das Billard umkreuzten, trieb trotz der Frühe eine Unterschicht herein, breitete sich aus, füllte heftiger, ein Zittern durchlief die Körper der Gruppen. Sie drängte weiter. Auf der Erde wieder wand sie sich herum auf dem Absatz. Der Ire stieß sie zur Seite, brach sich zum Apparat durch, griff den Studenten am Apparat, der, eingeschossen, gewann, an seine Brust, stemmte ihn hoch, warf ihn hinaus. Sie sagte etwas, fast laut. Ein Mann nickte. Ein Mann sah sie fragend an. Sie gab ihm einen Zettel. Sie hörte Worte, helle, gedämpfte, zischten vorbei, schlugen vorüber. Eine Gruppe löste sich, ward um sie ein Kreis. Sie kniff die Augen zusammen, sah in die Höhe. Stieß ein Weib an, versehens, neigte rasch den Kopf, beglückte eine Sekunde mit den Augen. Hob rasch die Lider, schloß sie fest, öffnete groß und sah dasselbe in dem Gesicht eines großen Mannes. Sie durchdrückte die Welle, die auch um die Dominotische schon brauste. Mimis saßen, setzten, bauten, die sie nicht kannte. Wie von St. Denis hierher die Kette heraufschwang, ihr Gefühl faßte, der Rachen aufbrach, schlang, wütete in diesem Fleisch, glomm Stolz in ihrem Auge. Sicher ging sie vorüber. Etwas schwankte von ihr wie Trost fest um den Tisch. Ihre Hände berührten Hüften. Eine Stimme drehte sich ihr zu, ohne Ton, heiser wie Blech. Der Mund war noch schön: Ly. Es bohrte hinter den glasigen Augen, faßte es nicht, schluchzte in der Gurgel. Das Hirn faßte das Gefühl nicht, sie heulte auf, erkannte Daisy nicht genau, wußte nur dies und dies und die, nichts Eindeutiges, bückte sich: „Gib mir zehn Sous.“ Sie gab. In der Bewegung der Hand erfüllte sie das Geben ganz zu Glück. Trat aus ihr hinaus, sie fühlte, daß in diesen Tag ihr Leben Fülle und Bedeutung erhielt. Zwei Männer hielten sie an, einer küßte ihre Hand. Sie hörte, während er sprach, Lys Stimme dahinter: „Combien . . .? Trapez mit dir — Sau von Geiz . . .“ Bleich vor Angst ein Preuße vor ihr, sie steigerte ihn über die Taxe. Sie löste sich, schon war sie darüber. Nichts drückte sie mehr. Glühend flog es auf in ihr. Am letzten Tisch verwirrte sich ihr Auge in einen Glanz. Le Beau stand gegen die Wand, ein Mann neben ihm, der auf sie zeigte. Durch Gedränge und Stimmen hielt ihr Atem, ihr Sichsehen fest. Das Gefühl floß, sie wußte, es würde sie immer verbinden bis in den Tod. Das erste Erleben des Blutes hielt sie zusammen, nichts wischte das weg, keine Tiefe. Ein Trauring lag um seinen Finger. „Ruiniert.“ Sein Auge war voll Geist, stolz. Über den Plafond strich es aus Jahren: Autos, Feste, das Haus des Boulevard Raspail . . . es lag zurück wie tot. Sein Blick tastete atemlos nach ihr, mißverstand die Pause, die sie ihm gönnte, bog eine Frage aus ihr heraus. Der Punkt, den sie festhielt, war der Eingang. Dorther füllte es sich mit einem Maß reifer und übermütiger Freude. Bleich sah er die Linie der Nase, zog die Luft nach, die sie zurückließ, ging mit dem Detektiv hinaus. Er hatte sie gesehen. Abgewandt, ihm gehörig, hoffnungslos. Sie aber, entzündet weit und hoch über ihm und seinem Lebenskreis, durchbrach die Barrikade von vier Männern, deren Leiber alles abhielten. Sie kam durch. Ein luftleerer Raum kam, ein Stern von Stühlen. Sie stellte sich daneben, kam endlich mit dem Rücken an die Wand.

Da begann ein Wirbel von der Tür her durch die Menge durchzufluten. Der Raum zitterte, die Luft kam ins Wogen, die Masse brach nicht. Eine Kette schob vorbei zu den Nischen, eh der Kern sichtbar ward. Sie wurde gegen die Wand geschüttelt. Fester sog sie sich an dem Eingang fest, mehr glühte ihr Auge dorthin, ihr Leib streckte sich unmerklich in diese Richtung. Dabei drehte die abgeschobene Kette neben ihr um, es gab freieren Raum, im Vorbeihuschen sah sie einen Augenblick Philippes Gesicht. Zum erstenmal grüßten sie gegeneinander wieder. Da sie nicht mit Worten dastand, unter denen sie litt, sondern wie an keinem Tage heute zur Höhe getrieben, entflammt, kam einen Augenblick Triumph in ihren Mund. Doch sie hielt ihn nicht. Wurde sanfter in den Lippen. Was sie erfüllte, gab ihrem Hochmut Duldung für ihn. Er hatte sie schauen gelernt, die Liebe gezeigt. Sie sah ihn abgeglitten von der steileren Aufgabe, rechnete nicht mit ihm, der sich lächelnd nach innen hinein abwandte . . . Schon löste sich ihr Auge hiervon. Im Vorderteil hob sich Tumult. Die Mitte drehte sich in einer Spirale, durchdrang sich. Aus der Eingangstür kamen Kommandos. Sie reckte sich ganz hoch. Bestimmungen erschollen. Parolen. Ein Schild schwankte. Meerhaft wogte die Gruppe. Noch höher, unbedingter wuchs sie in die Richtung. Häusernamen kamen herüber, scharf die Straßenreihen. Arme hoben sich. Die Masse zuckte auf, riß, ein Gang wölbte sich. Langsam trat ein häßlicher kleiner schwarzer Mann heraus, es traf sie das Auge Di Contis.

In ihrer Hand lag der Brief. Er las nicht, nickte, sprach schon zur Seite. Nur wie er zur Uhr, hastig und scharf, sah, bewies ihr, wie heftig er sie erwarte. Sie ging. St. Sulpice schlug halb zwölf. Quetschte sich durch die Haufen, eilte, bog in Rue Monsieur Le Prince. An der Ecke kam in das Fliegende, Stolze in ihr eine Traurigkeit, die ihr Gesicht rötete. Sie ging durch den sonnenleeren Garten, durch die Wolke Karbol. Stand an Renées Bett. Die Schwester beugte sich darüber, nahm ein Tuch weg. Das Gesicht im Krampf zerrissen, in der Mitte eine Höhle, aus der pilzig Fleisch wucherte. Die Lider fielen Daisy, sie suchte einen Ton. Fand keinen Ton. Die Schwester suchte Renée zu wecken. Unmöglich seit Tagen. Sie atmete, stank, sprach nicht mehr. Drei Jahre spannten sich von dem Gesicht zu dem ihren. Wie sie sich bückte, blitzte der Glanz vor ihrem Auge, mit dem, unvergleichlich und bezaubernd in der Schönheit der Beine, Renée die Hüfttänze in Genf gewiegt. Sie sah das andere nicht mehr, bog sich tiefer, mit dem Mund zum Ohr: „Es wird gut sein, Geduld.“ Malte, schilderte, versprach, hörte nicht auf mit der Tröstung. Aber Renée hörte nichts, sperrte röchelnd den Mund kreisrund, roch nach fauligem Gewebe. Sie sprach weiter, sah verzerrt plötzlich das Gesicht, schwieg langsam, drehte um. An der Tür hielt eine Hand ihren Rock, aus dem Kopf eines jungen Mädchens traf sie ein verzweifelter Ausdruck: „Zu mir?“ Zwei Augen kehrten starr enttäuscht, zur Decke zurück. Es traf, verwundete Daisy nicht.

Schatten fielen aus den feuchten dumpfen Gassen, in Lücken glitzerte gewitterig die Sonne. Sie spürte das Stück Schuld, das, neben der Welt, sie an diesem Kadaver trug, aber wie alles Elend dieses Tages löste es Freude in ihr, trieb in ihr hinauf, denn sie empfand es als Ende. Von hier begann das Glück. Freude ging über ihre Zunge, Verantwortung und Glaube machten eine Sicherheit in ihr, die undurchdringlich ward. Gordon befreit, Kasernen gestürzt, europäische Mauern gesprengt . . . neue Beziehungen trafen von Herz zu Herz. Es kam als Strom, sie empfand Contis Herz. Sie empfand, wie er sie besaß und erhob. Eilte, fing alles Unglück ein, nahm es mit, verarbeitete es . . . nichts konnte es antun ihrer Entzückung. Keine schöne Taube würde sinnlos zerstört, kein Schoß zertrümmert, kein Wahnsinn herrschte, tat Unrecht, verdarb, sie kämpfte sich weiter auf den Boulevard, traumhaft befestigt in klarer Ruhe, machte Bogen. Die Straßen hingen voll Gedränge. Um Eins kam sie Rue Guijas, sprang in einen Wagen. Sie hörte Erfolg. Streiks im Borinage, in Brest, in Perpignan, auf der Loire. Unruhen in Bordeaux. Eine rote Fahne auf Marseille. Sympathieausstand in Mailand. Meuterei in der Dauphinée. Sie bückte sich, legte die Stirn auf das Hebelrad, nickte, küßte Contis Hand. Um Zwei begann die Demonstration.

Der Verkehr stockte. Um halb Drei sperrte Gendarmerie die Eingänge der Seitenstraßen. Die Seitenstraßen standen gepfropft mit Menschen. Der Boulevard stand kilometerweit schwarz. Fahnen zeigten die Kolonnen. Plakate riefen das Volk auf. Eine dünne Kette Polizei stand zwischen der wogenden Masse des Boulevard und dem Druck der Nebengassen. Um drei brach die Masse los. In der ersten Reihe Gordons Bild. Malerei gegen die Legion. Hinter den Führern mit Schärpen Di Conti. Der Zug schwankte, zog langsam zum Montparnasse, machte eine Schleife, stand um Vier wieder am Observatoire, eine Lawine. Um dreiviertel Vier waren die Häute gerissen, die Gendarmerie überschritten. Alle Seitenstraßen mit hermetischem Druck in den Boulevard hineingeplatzt. Die Masse brodelte an der Spitze. Einer sprang vor, reckte etwas, immer höher. Es schoß los.

Alte Gesichter kamen, junge kamen, Weiber. Straßenbahnwagen, hunderte, hintereinander, besät. Automobile dazwischen. Ohne Musik. Schritte gingen in dem Boulevard, vereinigten sich, gaben einen einzigen Ton, der sich band, hallte, brauste. Die hellen Normannen, ehemalige dunkle Soldaten, die Kokotten der Hallen, Apachen mit Tüchern, Araber, Studenten des Quartiers gingen in dem sausenden Ton. Er ward dumpfer in der Tiefe, schlug hinauf die Häuser. Die Straße vor dem Zug war ausgestorben, glühte. Vor dem Zug schlossen sich die Fenster, Läden der Verkaufshäuser rasten herunter. Die Kolonnen drängten sich, verbogen sich, kreuzten Rue Monsieur Le Prince, Rue Guijas, Rue des Etrangers. Aus den Gassen bohrten Keile herein. Ein Knabe von einem Baum schrie: „Es lebe die Freiheit.“ Eine Lawine kam vom Luxembourg. Der Zug stockte, verdunkelte in der Gedrängtheit, löste sich ein wenig, ballte sich tiefer zusammen. Verfing sich in sich selbst, hing wie ein Haken im eigenen Fleisch. Sie brüllten sich zu: dein Kopf, deine Hand, die Schulter. Hand hing so dicht an Hand, daß sie sie nicht rührten. Eine Wolke Schweiß brach aus. Zwei große Fahnen flaggten über sieben Etagen herunter. Sie lasen die Inschrift, eine donnernde Stimme rief über den leeren Raum die Straße herauf etwas, das die erste Woge traf, sie bäumte. Die Häuser zitterten unter dem Druck, in oberen Stöcken klirrten die Scheiben. Die Fahnen hingen starr herunter, erregten, die Stimme ward lauter. Da brach die Masse, fast schreiend, schwankte, mußte nach vorwärts, dehnte sich auf die Seite, daß der Stein an den Hüften knirschte, bewegte sich, flutete. Laternen standen, Bäume im Weg. Eine Sekunde zitterte die Barriere. Dann gingen die Kolonnen als Fluß, strömten, unwiderstehlich. In ihrer Mitte hoch, vor den Wagen, den Autos, schwankten die Laternen, Bäume. Reißend goß es sich auf die Place St. Michel, füllte sie voll und rund.

Di Conti sprach.

Die Kühle war gerissen, die Flamme schlug vom Denkmalrand. Der Donner machte das gefüllte Platzbassin totstill. Er bückte sich wie ein Ringer, stieß den Arm zum Kreis, zwang die Stille noch tiefer herunter. Sprach. Formte im Reden die Gesichter unten, zerrte sie auseinander, wischte sie aus, entleerte sie. Riß sie rasend hinauf, verklärte sie langsam, füllte begeistert an. Zog die Reihen, sanft einander verschmolzen, dichter heran. Wuchs. Stieg höher, stand am oberen Rand des Denkmals, bog den Nacken zurück, rang einen Augenblick die Hände, entfaltete sich mit einer ungeheueren Bewegung, zog die Masse mit auf, warf sie auf, über sich ihre Herzen, stemmte sie höher, fabelhaft sich entfaltend, hoch die Arme geschleudert, wankte und wuchs mit der Last, die er hielt.

Sprach.

Ging auf der schmalen Leiste des Bassins hin und her, atmete wie ein Pferd, zog die Menge im Krampf zusammen, quetschte sie aus, hieb das Bittere in ihre Visagen, machte Drohung, bestürzte Wut aus den Mäulern, donnerte, roch den Zorn aufgeballt. Faßte rückwärts, packte hinter sich den Kopf der Chimäre mit beiden Fäusten, fiel nach vorn, schräg, kam näher, tief herunter mit dem Gesicht gegen die Masse, war fast bei ihnen. Einigte sie in eine atemlose Pause. Sprach. Warf die Drohung aus den Augen. Scheinwerfer zuckten die Sätze. Sprach. Sie drangen in die Herzen. Sprach. Sie drangen durch die Kleider, die Hemden, die Röcke, trieben in die Pulse, gaben sich von Leib zu Leib. Das Blut bekam eine Bahn, einzige Wärme, gleichen Schlag. Floß den Boulevard hinauf, löste, machte Spiralen, schlug aus, blühte aus jeder Haut. Die Lawine brach los, Stöße kamen herunter, keilten gewaltig, drängten den Platz ab bis zum Kordon. Dort stemmte es sich zurück. Conti sprach. Die neue Woge wälzte heran, erstarrte. Sprach. Die Hände Schallbecher vor dem Mund. Erreichte größere Distanz, durchmaß mehr Menschen. Es rollte herunter vom Montparnasse. Daisy hielt mit beiden Armen am Sockelstein sich, die Beine wurden mitgerissen, der Leib drehte sich, die Augen kamen zum Himmel. Sie sah Di Conti, lächelte, faßte wieder Fuß. Der Druck der Dreikilometersäule platzte den Pfropfen, schmiß viertausend gegen die Seine. Conti sprach. Warf sich in die neue Welle, inbrünstig, verzehrte die Kraft, warb, zerfetzte, diktierte, sänftete, riß die Herzen plötzlich steil, unnachahmlich erschütternd, hoch, über sich mit beispiellos schmerzendem Ruck. Die Säule stieß weiter vom Boulevard herunter, warf, schoß die Menge vom Platz, stürzte sie gegen die Massen vor dem Kordon, Bäume, Laternen kamen über den Kolonnen gegen die Seine an. Stießen den Druck unaufhaltsam weiter. Gegen den Kordon Gendarmerie.

Er verschwand unter ihren Füßen.

Das Ufer herauf, rechts, links, ritten Kürassiere, Haarschwänze vom Kupferhelm auf dem Rücken tanzend, Karabiner auf dem Schenkel, warfen sich vor die Brücke, bewachten vor der Emeute des linken das rechte Ufer, das Herz der Stadt, Boulevards der Bourgeoisie. Die Wellen kamen, gedrängt, gedrückt, spieen heftiger an, schlugen wider die Gäule. Sie riefen: „Camarades, Freiheit, Hunde, Hunde.“ Sie sahen in die kleinen dunklen Löcher, auf das Metall der Drücker. Der Stoß in ihrem Rücken stürzte sie in Massen gegen die Pferdeköpfe. Ein Pflasterstein flog. Es knallte. Steine stoben durch das Licht, sausten. Eine dünne Stimme rief: „Tirez.“ Die Kürassiere zitterten, die dunklen Löcher hoben sich über den Schenkeln höher, steiler, feuerten in die Luft. Vom Blut der Stürmenden ging es hinüber auf die anderen, durchdrang sie, säugte sie. Die dünne Stimme schrie wie ein Triller. Ein Mann gab einem Soldaten die Hand. Die Säule stieß durch, ein ungeheurer Schrei. Körper an Körper gedrängt, Soldaten, Arbeiter, hatten einen Sinn nur, eine Richtung, gleichen Herzschlag. Ein spitzes Winseln, sie steckten brennende Zigarren dem Gaul unter den Schwanz, der Unteroffizier zeigte ein kalkweißes Gesicht, das Tier klatschte hinunter ins Wasser. Gäule zerstampft. Fraternisierend strudelte die Masse, wälzte über die kupferrote Abendbrücke in die Stadt.

Vom Brunnen fiel Di Conti, einen Schuß in der Weiche. Von der unteren Seineseite durchstach eine Kompagnie von hinten enge Gassen, kam seitlings auf den Platz, trieb einen Keil in die dünne Masse. „Weg du“, schrie ein roter Bart. Eine Frau hielt vor Schmerz blaß die Hand zwischen die Knie. Die Masse floß in den Brückenstrudel, abgelenkt, gerissen. Das Denkmal ward umzingelt. Di Conti aufgehoben . . . hinter Bajonetten gesichert. Daisy warf sich auf ihn. Sie schlugen ihr eine Koppel auf den Kopf. Sie konnte die Hand nicht rühren, ließ nicht nach, biß sich in seinen Rock. Ein Druck kam auf ihren Kopf, das Gesicht von ihr ward schwarz, noch einmal flüsterte sie: „Conti —.“ Die Masse begriff, schäumte auf, warf sich herüber, gegen den neuen Kordon, feuerte ihn zurück, Daisy ward zurückgetragen. Conti schleppten Soldaten durch die Gassen in die Métrohalle. Zu spät.

Aber er lebte. Zwei Tage war Daisy irrsinnig. Dann empfing sie. Kühl, Dame, Freunde nahmen ihre Hand: „Wir werden ihn befreien.“ Deputierte sprachen: „Wir werden ihn befreien.“ Der Schlag der Masse pulste herauf zu ihr: „Wir werden ihn befreien.“ Sie hörte, die Verwundung wär leicht . . . Ihm werde des Volkes Stimme dauernder Ruhm. Sie reckte sich, steif, ging zurück, lachte. Ruhm? Bot man so Geringes? Glaubte jemand, dies sei ein Wort für dies Gefäß? Maß für diese Tat? Dies Geschenk für Narren und Kinder wagte Geschwätzigkeit hinzugeben für Blut? Behängte diese Maske ihn nicht zum Komödianten . . . stand sein Gesicht doch, das schlicht nur dem Ganzen wirkte, brüllend und wie aus Marmor vor dem Gewissen der Macht. Sie winkte ab, ging auf und nieder, steckte die Hände in die Taschen, die Augen im Dreieck. Ein eisgrauer Glanz kam aus dem Blick. Hinab mit Geschwätz und Trauer. Eins war zu tun, das Ziel erreichen, die Leistung verdoppeln, Angriff steiler schrauben, unbedingter sich mühen. Di Conti mußte frei sein. Hierfür war zuerst zu leben. Sie nahm es auf sich. Allein. Ging einen festen graden Weg.

Die Lichtflut stieß Breschen ins Dunkel. Die Seine floß gläsern unten. Sie sah einen Schatten, er löste sich von der Pforte und glitt an ihr vorbei. Sie drückte ihre Hand fest in seine, das Papier knitterte. Ein Wachtraum im Keller sprang auf, dreigezackt brannte ein grünes Gaslicht schmetternd gegen den Kalk. Sie legte ihre Hand auf den Tisch. Als sie sie zurückzog, blieb etwas.

Sie trat in das Büro ihrer Gesandtschaft. Sie ging durch drei Räume. Ihre Karte lief vor ihr. Fünf Minuten sprach sie mit einem eleganten Herrn mit exotisch flimmernden Augen. Sie gab ein Telegramm auf an ihren Vater. Darauf gab ihr der Herr seine Karte mit einigen Worten.

Damit fuhr sie die Champs Elysées hinunter, Bäume streichelten die Luft, Helligkeit und Süße wob in den Zweigen. Sie fuhr darunter hin, unbeteiligt. In einer Schleife glitt der Wagen ins Riesenbassin der Concorde . . . der Wagen glitt, bog, hielt. Über die Teppichstufen des Ministeriums. Aufgehalten, mit der Karte durchbrechend, gehemmt, vor Achselzucken, lächelnd, die Karte vor sich . . . sie stand in einem Salon. Ein schöner Mann im schwarzen Schnurrbart, der elegisch das Kinn rahmte, trat ein, stutzte. Sie ging mit raschen Schritten an den Tisch, legte ein Bündel in perlgeschmücktem Etui auf die Kante. Sein Blick leckte nach ihrem Hals, zögerte, fiel auf den Tisch, er verneigte sich, stieß eine Tür auf. Ein größerer Salon. In der Mitte eine Jungfrau, die auf einem Brabanter ritt. Die blaue Seide der Wände, der geschwungenen Stühle verwirrte, sie lernte die Teppichmuster, sagte immer ein Wort, ein Wort, ein Wort. Eine Stunde. Ein grauer schmaler Herr trat ein, hinkte, ein Monokel an schwarzer Schnur flog ins Auge. Er war nicht groß, kam langsam näher, äugte, bis er genau sie sah, schob mit drei Fingern einen Lehnstuhl zurecht, indem er ihn kaum berührte. In seiner mageren Hand spielte ihre Karte, er las, sah ihr mitten ins Gesicht. Blut schoß ihr auf unter dem jähen Anprall. Er sah auf die Erde neben seinem Schuh: „Ausländer? . . . Italiener . . . in der Tat.“ Sie sah nur seine Brauen. Er notierte den Namen, flüsterte ihn nochmals, stand auf, ging ans Fenster, trommelte mit den Fingerspitzen ans Glas, murmelte, sah auf ein knallendes Buchenholz im Kamin zerstreut. Die Lippen Daisys saßen wie Tiere aufeinander, die Brauen seidenschmiegsam ineinander sich wölbend. Er trat zurück. Ein drittes Gesicht sprach mit ihr, die Stimme schlürfte etwas, stieß an die Zunge, die Handbewegung voll zarter Höflichkeit. Er führte immer, sie folgte. Lauernd. Erschreckt. Er blieb gleich. Kanadische Jagd, die Quadrille Fribaurts, er kannte es. Versailles wuchs zwischen seiner Geste, schmeichlerisch, mit Märzwind. Eine Fahrt über St. Malo. Er neigte das Kinn: daß die Oper Ballette belebe, welcher Zug. Er stand auf, ging zum Fenster, elastisch in dem Knie, hinkte nicht — ob ihr Wagen warte, Pelze darin seien. Setzte sich wieder, ruhig, besorgt. Sie wartete, faltete die Lippen, daß es käme. Er spielte, lauerte, führte herauf, hinunter, eilte, pausierte, sie sah sein Gesicht nicht. Seine Grazie schmeichelte sich in ihre Haut. Plötzlich schlug er die weiße Hand, die nicht welk war, laß gegen das Knie, der Kopf fuhr auf, sein Blick prallte ihr wieder ins Gesicht. Sie stand auf. Er hob sich halb: „Wann darf ich den Wagen senden?“ Sie knotete die Hände: „Neun Uhr.“ Er läutete, als sie sich schon wandte, ein kakadufarbener Page öffnete geräuschlos eine Tapetentür.

Vierundzwanzig Stunden vorher speiste Conti, verdrehte die Iris, schwankte, bekam Kälte in die Finger, Blei in die Knie, verzerrte die Zähne über die Regie der dritten Republik, die selbst die Einrichtungen der Küche pragmatisch ordnete. Als Daisy morgens heimkam, war Di Conti tot. Sie kam hin mit einem Gehenlassen der Glieder, das alles hinter sich hat, abgeschüttelt, selbst ohne Erkenntnis und Bedeutung des Opfers, innerlich lediglich gerichtet auf das Ziel.

Sie bog die Lippen tiefer, versteinte an den Schläfen, zwischen Wange und Mund. Was konnte noch kommen? Ein Telegramm Fidleys: Pa tot. Sie legte das Papier auseinander, legte es zu dem anderen, frühstückte, badete, ließ sich massieren. Fuhr in den Luxembourg, fuhr zurück. Am Abend in die Oper, Verdi rauschte, Sommerhimmel erbrausten, sie speiste, schlief. Stand auf am Morgen. Nichts war zu schlagen. Je mehr sie spürte, was sie verlor, um so ungeheuerlicher fühlte sie aus sich brechen das Bewußtsein der Stärke und der Sammlung. Allein nun empfand sie, wie gefüllt und selbst sie war, voll, traubenhaft geschwellt, ausbiegend aus ihr mit einer Glut, die sie erblaßte. Di Conti war in ihr, mehr heute als je. Geballter als im Menschlichen. Unverlierbar. Vermächtnis besaß sie, beherrschte und durchtrieb sie unausdenkbar an Berufung. Sie ging gestärkt, wunderbar entzügelt. Eine Ruhe umgab sie, die den Schmelz der sehnigen Schenkel und das flimmernde Spiel der Hüften unter der kleinen Brust begehrenswerter, zarter heraushob. Sie verlor kein Glück. Sie besaß sein Werk.

 

Pa tot. Fidleys Telegramme, Weisungen stäubten. Es geschah am Horizont. Syg einem Mann gefolgt. Es geschah in der Ferne. Ihr Mittelpunkt blieb unerregt. Der Körper hielt stand. Der Geist sah manchmal Bilder. Raffaelis Bruder, Arzt, sagte, wünschte, befahl Erholung. Sie machte eine kindliche Gebärde. Er verstand. Sie wurde klug verführt. Sie fuhr mit Briefen, Papieren Contis zu Freunden nach Kopenhagen. Der Platz der Zusammenkunft war leer. Die Fahrt im Zug war dumpf, ausgespieen fuhr sie, allein, dennoch voll Glut. Sie mußte weiter nach Christiania. Nach zwei Tagen stand sie am Hafen, traf Fribaurt nach einer schmerzlichen Sitzung. Er fuhr mit der Segelyacht nach einem ungewissen nördlichen Punkt. Sie nahm es sofort. „Ich komme mit.“

Die Tage füllten sich mit dem und jenem, Ungenauem, doch ungeheuer in der Berührung mit schrankenloser Natur, Menschen, deren Geist abgewandt war, mit denen der eigene sich schön traf beim Rauchen, dem Reffen der Leinen, Hinaussehen auf glatte See bis zu entfernten Dampferwolken. Inseln kamen. Riffe türmten sich wie steigende Esel. Gedörrte Fische hingen an den Felswänden, wie sie die Ufer hinausfuhren. Granit, Urblasen erstarrt, schaukelte bunte, rote, grüne Häuser wie Spielzeug. Auf den Klippen saßen Rypen: „ka . . . bauh.“ Schneehühner: „j . . . ak — j . . . ak.“ Es rauschte. Ein Kreis mit heißen Wallungen bäumte um sie. Sie badeten in einem Fjord, abends ward das Wasser papageirot. Jerkins, Christianias größter Jäger, stieß auf ein Signal mit der Kupfertrompete dazu. Kam mit Schneeschuhen aus dem Gebirge. Stunden, ehe er einlief, sahen sie ihn im Glas oben wie ein metallenes Insekt flitzen in Stemmbogen und Telemarks. Ein Tal kam aus den Felsen gegen das Meer geflossen, grün, schwärmerisch. Sie übernachteten im Dorf. Am Ende, eingekeilt, schon zur Ebene zu, hing über Sandwüsten ein weißes, Licht schleuderndes Haus. Jerkins führte im Bogen heran, sein Finger überschrieb die Gegend: „Nördliche Lepra“. Der Kreis war verseucht. Er zuckte die Achseln unwillig, sah Daisy ins Gesicht, führte sie dennoch heran. Zerfressene Gesichter sahen aus den Fenstern: „Hüten Sie sich.“ Ein Schrei. Sie gingen zurück, warfen den Fock aus. Das Morgenwasser zischelte . . . Die Nordsee leckte gierig, blau an Lee. Die Windtrommel saß in dem Segel, schmetterte.

„Geh in meine Kajüte.“

Der Schiffsjunge schloß die entzündeten Augen, kroch in die Kabine und schlief sich aus. Sie lag unter dem Segeldach und gab statt seiner acht. Das Steuer war angebunden, die Luft ging ganz stät. Die Lappin wurde aufs vordere Verdeck gerufen. Die Sonne malte auf den Holzplanken. Fribaurt und Jerkins lagen auf dem Bauch. Das Weib mußte sich legen, äugte schielend mit schrägen grünen Augen nach Daisy. Sie spielten Karten, lernten die Lappin zum siebentenmal an, schlugen Atouts auf den Boden, das Weib lauerte, bekam einen Rippenstoß, zuckte, legte klatschend mit fetter Hand ihre Karte nach. Die Segel schlappten plötzlich, klatschten hohl hin und zurück zum Großbaum . . . eine Musik umschwirrte sie . . . eine Wolke Papageitaucher, die wie Rypen zirpten, flog eilig nach dem Land. Jerkins schoß, auf dem Rücken liegend, eine Möve, die hinter ihnen her war, fischte sie herein, zog ihr, die schrie, Kopf und Atlas ein wenig auseinander. Vorbei. Er fuhr mit der Hand in den orangegelben Flaum und ließ die Federn einzeln zu Daisy fliegen. „Schöne Frau von der Seefahrt.“ Fribaurt sang mit dunklem Bariton. Der schaukelnde Wind ließ nach, das Meer ward tierisch faul, eine Brise kam, schwand. Sie lagen still. „Welche Harmonie,“ gähnte Fribaurt, stieß einen Pfiff aus, hielt die Shagpfeife in der Hand und warf die Karten auf, „wir haben maßlose Zeit, meine Freunde.“ Das Segel aufgerefft, die Lappin in Hosen an der Gaffel mit klebriger Behendigkeit . . . der Tag stand still. Fribaurt band ein rotes Tuch um den Kopf. Jerkins hob das Weib hoch, legte es wieder auf den Bauch. Dann bluffte er wie toll, verlor einen Haufen Geld und lachte, bei jedem Verlust aus Vergnügen. Fribaurt lächelte ein Diplomatengesicht: „Zu grob.“ Er legte auf: „Street.“ Die anderen warfen zusammen, zuckten die Achseln. Plötzlich schob Jerkins auseinander, runzelte die Stirn, griff hinüber, legte die Karten der Lappin nebeneinander: „Zu früh . . . zu schick . . .“ er bog sich vor Lachen über Fribaurt. Umgewendet: „Die Sau . . . die Sau . . .“ Die Lappin kroch ein Stück davon aus Angst auf dem Leib. „Was hat sie?“ Jerkins hob die Hand von der Kartenflöte. Sie wälzten sich zu zweit: „Royal Fluch.“ Fribaurt zur Lappin geneigt: „Süße Freundin, welch verschwenderische Tollkühnheit des Glückes . . .“ Jerkins teilte aus, schaute zu Daisy: „Die phantastische Quote . . . und hat es nicht gewußt.“ Weißbrüstig hing eine Brise vor dem Meer. Geigen im Baum, ein dunkler Frühstrich vor ihr her wirbelte das Meer mit einem bläulichen Schatten, der Bogen sauste heran. Jerkins sprang auf, leierte am Großschot, die Lappin ließ das Segel zwischen zwei Tauen herab, Jerkins wickelte, machte einen Schifferknoten mit den Daumen, das Segel wechselte, flog hinaus . . . der Stoß kam und erzitterte jeden Nagel, Fribaurt schmiß das Ruder herum, tänzelnd lief das Boot, sie kamen dem Ufer näher, die Gaffel wechselte . . . nun fuhren sie in der Windschwankung parallel.

Das Ufer neben ihnen, ein hoher Damm, scharf vor den Himmel gelegt. Auf ihm fuhr in gleicher Linie wie sie ein Pferd. Es zog ein Karreol, flach und groß wie ein Kanoe. Drin saß ein Mann. Sie fuhren nebeneinander. Fribaurt deutete mit der Spitze der Pfeife nach ihm. Der Wind zog stärker. Die Blase des Segels neigte sich schaumig gegen das Wasser. In silbernem Regenbogen hing eine Springwelle an Lee. Sie starrten hinüber. Es war, als bewege sich keines, nicht sie, nicht das Pferd, . . . als blieben sie festgehaftet wie Brennpunkte in dieser Ovalen von Himmel und See. Fribaurt zog die Augen zu Schlitzen zusammen. Jerkins, die Hände vor dem Mund, die Brust aufgesogen wie ein Schwamm: „Hall . . . lo . . . o!“ Sein Organ schlug den Wind mitten durch und traf drüben auf. Der Wall schickte vier Echos herüber. Keine Antwort von dem Mann. Jerkins quoll blau am Hals: „Hallo . . . y . . . lo!“ Eine Pause zitterte, die dünnen Echos quirlten . . . dann kam die Antwort, kalt: „Holla!“ Jerkins stand am Großbaum, klemmte die Wange ans Holz. „Haltet Ihr die Wette nach Aarvik?“ Sie lauschten. Dann eine schneidende helle Stimme: „Am Arsch.“ Sein Pferd sprang über eine Wolke, Staub ringelte sich in einer umgelegten Säule hinter ihm. Der Damm bog landeinwärts, eine rötliche Spirale. Daisy verstand nicht, was er norwegisch rief. Sie sah nach Jerkins. Er machte ein verschlossenes Gesicht. Der Schiffsjunge fletschte ein Grinsen von Ohr zu Ohr. Daran verstand Fribaurt die Antwort. Sein Schnurrbart zuckte, er wandte sich zu Daisy und lobte die Farbe der Mövenfedern.

Jerkins warf das Ruder herum, halste, das Ufer zog sich tief zurück . . . um eine Halbinsel, einen kleinen Fjord. Der Berg hob sich von zwei Seiten. Auf der jenseitigen mitten in der Spirale peitschte der Fahrer sein Pferd, am Ende des anderen Abfalls lag unten Aarvik. Sie warfen Anker, gingen im Beiboot ans Land. Ein helles Wirtshaus mit einem Garten, die Terrasse mit Bäumen, dahinter die Ebene vom Morgen . . . die flimmerte . . . unten am Fluß mit roten Dächern Aarvik . . . idyllisch unter dem Berg. Auf seiner Spitze hob sich eine Flamme Staub, das Pferd kulminierte, die Karriole kam in die Schleifen des ihnen zugewandten abfallenden Teils, verschwand in einer Schlinge. Nach einer Viertelstunde klapperte sie an hinter dem Haus. Ein Schock Matrosen lungerte um die Kneipe, graue Zipfelmützen im Nacken. Der Wirt schmiß sie heraus. Sie drängten nach. Einer stieß mit dem Knie einer Magd in den Hintern, sie schrie: „Dumme Schicksen.“ Der Wirt zeigte auf ein Holzbrett, sie schüttelten die Fäuste. Er nahm es herunter, hielt es sich vor den Bauch. „Ein kleines Faß,“ schrieen sie, „wir scheißen auf das Verbot.“ „Dåd og Pine . . .“ mit Knie und Faust drückte sie der Wirt die Steintreppe runter. Sie maulten, einer zog den Wirt an einem Westenknopf neben sein rothaariges Gesicht und flüsterte in sein Ohr. Der Wirt brüllte auf, stieß ihn in den Magen, daß er wie ein Messer einknickte. „Kotzt Lumpen“, seine Zunge hing raus vor Wut, er trat dem Mann auf die Schenkel, der sich verkroch. Da fuhr die Karriole auf den Hof. Sie sahen den Aussteigenden nur vom Rücken. Er schrie durch den Radau, seine Matrosen rieben sich die Hände an den Hosen. Er rief nach dem Weg über die Brücke. „Abgerissen.“ Wieder gab es einen kurzen Krach, da die Matrosen sich beschwerten. Der Wirt dienerte. Zwei der Leute schirrten den Gaul aus. Der Geprügelte riß plötzlich dem Wirt die Hosen auf die Knie. „Had djävelen . . . ich schlag dir in die Fresse.“ Die Matrosen gröhlten, steckten die Hände in die Taschen und johlten, bewegten sich mit den Hüften vor und zurück. Ein Faß rumpelte. Der Fremde winkte, die Matrosen kicherten und verrollten sich langsam. Der Wirt verzog das Maul, stellte das Brett zur Seite, schielte giftig zu den Abtrollenden. Der Fremde warf seine Gamaschen einer Magd zu. „Hafer . . . mir ein Bett . . .“ Der Gaul hob den Schwanz und strich einen großen Furz. Die Matrosen quakten herüber, schlugen sich die Schenkel vor Lachen. Der Fremde sprang ins Haus.

Jerkins schlenderte, die Hände in den Taschen, ins Haus, kam zurück. „Wer?“ fragte Fribaurt. „Sven Mair.“ Daisy bog sich zu Fribaurt: „Wer ist Sven Mair?“ Fribaurt lächelte mit dem Schnurrbart, strich seine Hand mit der anderen: „Jerkins Feind.“

Die Zimmer lagen nach der Seite des Flusses. Eine lange Nacht voll Geräusche. Die Hunde bellten, wurden plötzlich still. Aus dem Bootshaus soffen die Matrosen in die Gegend, sangen, rollten langsam in ihre Kabinen. Kurz die Stimme des Fremden unter seinen Leuten, dann Stille wie Blei. Das Meer stand in uferlosem Schweigen. Die Felsen kühl und geheimnisvoll über dem Wasser, panische Stille . . . sie schloß unter ihrem Druck die Augen. Stunden gingen. Schlaf und Wachsein verschwebten in einander. Plötzlich riß sie wilder Spektakel auf. Sie eilte ans Fenster. Zwei Karriolen rollten vor das Haus. Die Nacht war weiß. Kupfriger Schein spann über die Landschaft. Drei Burschen bläkten die Zähne, schrieen:

„Sven.“

Schritte gingen über ihr, die Gesichter schauten hinauf. Ein Pfiff, ein gedämpfter Ruf von oben: „Skideriks.“ Sie grinsten nach oben. Ihre Nasen, ihre Ohren, die Farbe der Augen — alles sichtbar. Angelgeräte auf den Wagen, die Pferde bissen schaumkauend auf dem Eisen. „Sven . . .“ Da trat er heraus aus der Tür unter ihr, ein Schatten lief vor ihm rasch über den bläulichen Boden. Er hatte Lachszeug über der Schulter, schmiß es in seine Karriole, krempte die Hosenbeine bis zum Bauch, nahm zwei Pferde, trieb sie in den Fluß. Schreiend warfen die aus den anderen Karriolen sich auf die Gäule. Der Fremde drehte sich um, sah nach dem dritten Gaul, bis an die Knie im Wasser. In der Helligkeit sah sie sein Gesicht. Da wuchs aus der Nacht der Schlag, hieb besinnungslos in sie, stürzte wie eine Feuersbrunst zum Herz:

Dies Gesicht ähnelte Caspare Symes.

Sie ging vom Fenster zurück, fiel mit dem Rücken auf das Bett, hörte Pferdegeplätscher im Wasser, zwei Rufe, bleierne Stille. Im Plafond über sich sah sie das Gesicht. Sie warf sich herum. Eingebrannt im Boden glühte es sie an. Sie starrte durchs Fenster. Es füllte den Rahmen, peitschte sie auf. Erschöpft sank sie in die Kissen, schloß die Augen. Da stand es innen in den Lidern mit einer Zärtlichkeit des tiefsten Schmerzes und sah durch die Iris ihr in die Brust. Ihr Herz zog sich zusammen. Stunden, die sie lag. Kämpfte mit dem Kopf. Derselbe Ausdruck in seinen Zügen mit dem Unbekannten, der im Traum ihren Bauch umschlungen in der Nacht Le Beaus, im Traum des Hotels neben Renée. Mit tödlicher Schärfe riß ihr Dasein herauf, sie erkannte die Rechenschaft über ihr eigenes Lebens, die er brachte, kannte, forderte, ungestüm. Er schlug als Zentrum in den Kreis, den sie gelebt. Kein Leid, das sie gelitten, ohne daß es bestimmt war für dies. Keine Sehnsucht, keine Handlung, die nicht zielte in diesen magischen Punkt. Er hob sich, als sie am entferntesten schien, und wie von einem Wellenbrecher rauschte ihr Leben davor zurück. Nichts blieb außer ihm für sie: Dinge eitel, Menschen verworfen. Das Meiste umsonst getan. Höllischer Schmerz verzehrte ihr Auge, ihr Blut. So unerbittlich klar stand in dem Kontur das Glück, Bestimmung des Leibes, der Sehnsucht unerfüllbar, nicht erfüllt seither, . . . sie schrie um Gerechtigkeit, starr, ohne die Glieder zu bewegen, wandte sich an Gott, wandte sich ab, verzweifelte. Der Schmerz ward so tief, daß sie ihn nicht mehr ertrug, glaubte, sie sterbe. Da drehte er um und erfüllte sie mit Seligkeit, die alles an sich rief, was sie erduldet.

Langsam wuchs sie aus dem Zweifel, überwand ihre Sehnsucht, sah weit vor sich die Aufgabe, das Gestreckte, Winkende, Rufende, was sie größer füllte. Und je mehr es in ihr glühte und Di Contis Glaube und Ziel sich erhellte auf einer Seite, sank der Kopf auf der anderen, das Spiel der Wage ging hinab. Wohl lag zwischen dem Kopf und allem Geschehen eine Kluft, die nichts überbrückte: nur ihr Blut. Sie gab es. Litt. Gab es hinüber in das Unbedingtere, gab sich auf und ganz in die Aufgabe. Verzichtete. Sah zum ersten Male das Unbeschreiblichste, erkannte, am Nichtgewesen, an allem, was sie versäumte, ihr großes Glück. Gab es auf, ließ es. Legte den Kopf weinend in die Hände. Entsagte. Aus Di Contis Atem kam die Befreiung, lösend, hart, aber tief.

Das Silber zitterte heller. Sie lag, die Augen wie Stein. Dann stand sie auf, als ein Boot unten vorbeifuhr. Ging hinaus über die Schwelle.

Die Arme standen etwas ab. Die Sonne kam. Eine Fahne wehte, das Georgskreuz, schon vorüber. Welch unendliche Kühle des Sommermorgens. Welche Frische des Blaues. Sie ging weiter. Der Staub ward rötlich. Die Riffe des Kessels ballten sich dunkel, unerreicht noch vom Licht. Sie ging. Gezackte Wolken am Horizont . . . Mövenflügel in Spiralen hoch sich schleudernd . . . die Eidern weich geschaukelt in der Bucht — — — der Tag stieg, wölbte Licht. Aus der Wiese kam ein Gaul auf sie zugelaufen, hielt, hob das rosane frische Maul, legte es auf ihre Schulter. Lief davon.

Das Kupferbergwerk glühte aus dem Fels. Sand . . . Sonne leckte darauf . . . die Ebene kam. Oben das spitze Tal. Sie ging hindurch. Fahlweißes Licht prallte ihr entgegen. Sie stand vor dem Haus wieder, von der anderen Seite, das, ein Nabel, zwischen der Ebene und dem Gebirge lag. Aus einem oberen Fenster sah ein blauzerquollenes Gesicht. Ungetrübt durch Schmerz wehte es rein in ihr auf, durch sie hin. Die Liebe quoll verdichteter in ihr. Sie schlug die Augen auf. Mit unerbittlich weichen Buchstaben stand über dem Eingang vor dem Himmel geschrieben: Hilfe den Menschen.

Eine grelle Stimme: „Was wollen Sie?“

„Hinein.“

Der fünfte Abschnitt

Die zwanzigste Schüssel . . . sie hing das Tuch an den Ständer, goß den Zuber aus, stülpte die letzte auf die Neunzehn. — „Durst.“ Sie brachte Wasser an ein Bett. Sie schaukelte den Zuber in die Badewanne, ließ heißes Wasser einlaufen, nahm Soda, griff in Schmierseife, schlug Schaum mit einer Bürste. Nun kamen die Näpfe. Mit einem Zangenpinsel fuhr sie in den Hals der Urinenten, bog den Draht, schabte den Kalk innen ab. Das Wasser sprudelte. Sie wusch den Nachtstuhl aus. Die Tür weit offen . . . es dampfte nach Kaffee. Sie schaukelte das Wasser in die Wanne, wusch die Wanne aus mit Seife und Sand, schaukelte den Zuber mit den Henkeln auf der Wanne unter den Hahn.

Neues heißes Wasser . . . es lief nicht mehr. Sie schob den Schalter langsam herum und hielt ein Streichholz daran. Der schmale Gasofen an der Wand spie nach unten Ruß, nach oben die blaue Flamme, es donnerte. Sie sprang in die Flamme, schob den Schalter zurück. „Langsamer öffnen“, sagte eine Stimme hinter ihr. Sie öffnete langsam, entzündete das Holz. Der Ofen explodierte. „Langsamer sage ich . . .“ Ihr rußiges Gesicht sah um. Langsam öffnete sie, die Stichflamme schoß in das Zimmer, das Gas knatterte irrsinnig, an der Decke das Licht losch aus.

„Schreiben Sie auf: der Ofen wird repariert.“

Sie nahm ihr Buch, notierte es. Es stand zum drittenmal mit Blei geschrieben. Jedesmal untereinander. Der Ofen wurde nicht repariert.

Die Türe fiel hinter dem Arzt.

In der Dämmerung wusch sie die Becken im kalten Wasser. Dann trug sie Bürste, Pinsel, Stuhl hinaus. Auf dem Gang standen Sechs vor einem Tisch in Hemden und wuschen sich Hals und Brust. „Meine Zahnbürste.“ „Schlappmaul . . . meine.“ Ein Rippenstoß . . . sie torkelten im Korridor. „Laßt mich durch.“ Sofort wichen sie zur Seite. Das Klosett verschlossen: „nicht in Ruhe einmal scheißen . . .“ Sie wartete ruhig. Sie bückte sich unter den Tisch. „Deine Zahnbürste — — —“ Der Mann winselte. Im Klosett keifte es. In hängenden Hosen erschien er dann in der Tür, ungekämmt, rieb sich die Augen mürrisch. Als er sie sah, ging er auf die Seite, wich ihr aus, senkte den Blick. „Falle nicht,“ sagte sie, „der Boden ist naß.“ Die sich wuschen, tuschelten nur noch miteinander, Mund an Ohr. Sie machte das Fenster auf im Klosett, zog die Wasserspülung, wusch den Boden auf, rieb das Porzellan glatt. Der Schnee draußen schimmerte frostig. Sie schloß das Fenster.

Ihr Name flatterte zweimal im Flur. Sie stand neben einem Bett. Sie nahm zwei Beine, hob sie hoch. Die dicke Schwester, die den Kopf hielt, schrie den Mann an mit drohendem Baß, die andere band ihm die Hände fest. Der Schwären auf seiner Weiche juckte ihn so, daß er nun hüpfte im Bett. Die Dicke gab ihm Kaffee in den Mund, das Brot.

Sie fuhren die Betten in die Ecke. Achtzehn. Die freie Seite kehrten sie, wanden Lumpen um die Besen, wuschen auf, ließen trocknen, fuhren die Betten herüber, bewältigten die andere Seite.

„Daisy . . .“ Bittender Ruf. Sie ging mit. Naga hing in ihrem Arm. Sie gingen über zwei Korridore in den höheren Stock. „Bist du müde?“ Die Brust der kleinen festen Schwester schmiegte sich an ihren Arm. In dem Zimmer standen zwei Kolonnen Betten, alle belegt. Die Luft roch scharf nach nassem Tuch. Große Scheiben gingen ins Land. Aus jedem Bett ragte ein Bein, ein Arm . . . und lag in einem Gefäß mit Wasser. Naga hielt Bein um Bein, Arm um Arm. Daisy trug die Wannen hinaus, leerte sie von eitrigem Gerinnsel, scheuerte sie, füllte sie neu. Das siebente Bett . . . ein junger Mann warf sich im Fieber herum — — — „Ja, wir werden deiner Mutter schreiben.“ Das elfte Bett . . . die Fieberkurve gestiegen — sie machte ein Kreuz auf das Brett, drückte auf einen Knopf. Der Kranke kannte die Bewegung, begann zu winseln, das Bein blau, geschwollen . . . er warf sich knirschend herum. Sie drückte wieder auf den Knopf. Jeder kannte die Bewegung. „Nur ein kleiner Schnitt.“ Er lächelte ungläubig, sie nickte.

Ihr Name auf der Treppe.

Sie trug mit der großen breiten Schwester Mann auf Mann ins Bad. Sie hielt sie unter den Armen, die andere an den Knöcheln. Im Bad stand ein Schemel. Darauf lag wechselnd ein verbundenes Bein, ein Knie, ein Arm. Einer lag darübergekrümmt auf der Seite. Sie wuschen die Leute ab mit Seife und dicken Bürsten. Sie hoben sie heraus auf den Stuhl, trockneten sie mit den Fingerspitzen ab:

„Du hast Naga geholfen.“

Sie nickte.

„Sie soll es nicht tun, wenn sie der Aufgabe nicht gewachsen ist.“

„Ich habe nichts versäumt.“

Sie trugen einen anderen herein. Als sie schruppten, ging die Haut ihm ab wie einer Schlange. Er hatte sich gekratzt, „Du Schwein . . .“ Er sah die große Schwester an, er sprach kein Wort. Daisy rieb vier Leuten den Rücken, die Schenkel ab mit Spiritus, gab Puder darauf, ging zu Nagas Station, setzte sich zu dem Fiebernden, horchte, sprach, schrieb . . .: „Liebe Mutter — — — ich bin nicht schuld . . .“

Sie aß zu Mittag, ging vor das Haus auf einen Liegestuhl, deckte sich zu und schloß die Augen. Die Sonne brannte auf den Schnee und färbte ihr Gesicht. Sie ließ die Glieder sich lösen, Müdigkeit floß an ihr herab, halb schlafend flog ein Zug zufriedenen Liegens ihr an den Mund.

Sie stand neben dem Arzt. Ein neuer Kranker ward eingeliefert, ein junger Prediger, der entsetzt in die Brille des Arztes stierte: „Sie werden gut tun, sich damit auseinanderzusetzen, daß Sie hier bleiben. Die Welt draußen ist vorbei. Sie werden hier sterben. Wenn Sie so denken, werden Sie ruhiger leben, weil Sie ein kluger Mensch sind.“

Sie ging still mit dem Arzt hinaus, trat von dem Flur in das Nebenzimmer. Ein Raum dick voll Rauch. Gesichter schwankten mit Bärten zerfließend in der geballten Luft . . . deutsche Matrosen mit Scharbock von Grönland. Die leichte Abteilung, nichts gegen die Tragödie drüben. Gesang:

Isch un du

Mir hawwe uns so gern

un leck’st de misch bei Dag am Arsch

da brauchst de kei Laddern.

Sie stand auf dem Sims, wusch mit Petroleum das Lambris, wusch das Fenster. Sie zog ein Spinnweb aus der Ecke. Sie kehrte die Asche der Zigarren am Boden zusammen, unter der Heizung jagte sie Flocken, putzte das Messing der Klinken. Immer ein freier Raum um sie. Immer der fremde Gesang. Die Männer kaum sichtbar in dem Qualm:

Isch un du

mir hawwe uns so gern

un leck’st de misch bei Nacht am Arsch

da scheine der die Schdern.

Sie ging auf den Zehen an das Bett des Geistlichen. Sein Auge sah starr, gebrochen vor Melancholie in die Ecke. Er spürte nichts wie die Vernichtung. Hier Ende seines Lebens. Aufgezogen von einer schönen Frau, seiner Mutter, hier nun verfaulen. Unmöglich zu fassen, das konnte nicht sein, seine guten Glieder . . . dieser Mund, der schöne und tapfere Dinge sagte . . . wenn Gott war, so war dies unbegreiflich . . . ein schwaches Lächeln — er glaubte es nicht — . . . als die Lippen anschwollen, starrte er vor sich hin. Fassungslos dies große Ungeheure vor sich, sein Geist zu enge Öffnung, als daß so Maßloses sich in ihn schon so rasch ergösse. Zu klein sein Hirn für solchen ungeahnten Gott. Acht Tage lag er steif. Dann fraß ihn das Neue, indem es ihn an sich gewöhnte. Da gab er sich Wochen der Wut und der Anklage. Der Ausschnitt seines Zimmers, das Stück kümmerliche Landschaft ward ihm die Welt. Der Mond, entsetzlich aufsteigend . . . er würde ihn nie mehr sehen von anderem Ort, die Blumengerüche, der Dampf der regenbeschwerten Erde . . . ein Bauernmädchen, das vorbeiging . . . nichts zu halten, in die Ferne gerückt, nie zu berühren und zu haben . . . welches Schicksal. An das Fenster treten, dies alles inbrünstig sehen, nie haben werden, mit aller Wildheit begehren, kein Gott, der es ihm in die Hände geben würde . . . warum diese Grausamkeit . . . warum ihm . . . — — Jahre stiegen auf in dem Fensterbogen, entfalteten sich, zeigten jede Sekunde mit einer Eindringlichkeit, die die Augen schmerzte . . . Spiele der Jugend . . . eine schmale Frau trat an sein Bett, ein Garten abends . . . er hielt es nicht mehr . . . schrie. Daisy kam, stellte Wasser neben ihn, rückte einen Stuhl zurecht, legte Bücher darauf — und ging. Er folgte ihr mit dem Blick, bog ihn zu dem Fenster. Da stand seine Jugend. Wie war es zu tragen . . . Nun litt er mit geschlossenem Gesicht. Als der Pendel durchschwang, der Kern des Leides durchlitten war, löste es sich in schmerzliche Seligkeit, er begann beim Abebben des Zorns eines Nachts zu weinen. Hell wie ein Kind. Das ganze Haus hörte ihn. Nach Wochen sagte er zu Daisy: „Wenn ich begreife, daß ein Körper wie meiner verfault — — wie soll ich fassen, daß Sie in einer Arbeit wie dieser leben können.“ Da sah er ihren Blick zum erstenmal, der mehr Abgeschlossenes hatte mit den Dingen wie der seine, fuhr hoch. „Was wundert Sie?“ fragte Daisy. Da begann sein Blick an ihrem sich zu erstaunen und zu kräftigen. Ihm schien Sterben nicht mehr schwer von dieser Sekunde. Sein Auge folgte dieser Schwester, wo es sie sah.

Der Arzt nahm sie mit in sein Kabinett: „Sie werden mir operieren helfen. Sie sind ohne Laune, ruhig.“ Die große Schwester haßte sie von diesem Tag. Sie hetzte einen Saal auf. Nachts auf dem Korridor umarmte sie einer von hinten, fiel unter ihrer Parade schreiend zurück. Licht fiel auf sein Gesicht: „Ich sage es diesmal nicht dem Arzt.“ Er verkroch sich. Auf diesen Mann konnte sie sich verlassen von nun ab, unbedingt.

Sie hatte das Zimmer über dem Operationsraum, eine Glaswand trennte diesen in Manneshöhe von ihr. Sie sah nachts einen Schatten, der die Instrumente beschmutzte und zerwühlte. Sie stand früh auf und ordnete es wie neu.

Es kam eine alte Frau, saß an dem Bett des Fiebernden: „Ist das mein Sohn?“

„Ihr Sohn.“

„Das ist ungeheuerlich.“

Der Kloß verdrehte die Augen, flüsterte, schlug die roten Deckel zurück, die, ohne Lider, nur im engen Schlitz sich noch öffneten. „Das ist ungeheuerlich. Das ist nicht mein Sohn. Das soll ein Mensch sein . . . Warum erschlägt man das nicht. Ist das Gottes Güte? . . . Mein Sohn, den ich auf die Steuerschule schickte . . .“

„Haben Sie den Mut, es leicht zu nehmen.“

„Sind sie wahnsinnig, Schwester?“

„So haben sie — zum mindesten — soviel Liebe, tapfer zu sein.“ Die Frau blieb starr unter dieser plötzlich harten Stimme, neigte den Kopf. Daisy legte ein nasses Tuch auf die Augen des Kranken, wischte sie aus und ging. Sie ging durch den Flur. Auf der Schwelle saßen Zwei und droschen Karten: „Mitspielen . . .“ Verschmitzte Gesichter. Sie lachte hell: „Ihr Dorsche . . .“ Tief befriedigt brüllten die Zwei in sich hinein. Im Garten der Frühling. Grün überall leuchtend . . . Eine Amsel schlug an, hob den silbernen Lauf und bog ihn elegisch in die Höhe. Daisy wiederholte. Die Amsel pfiff die Läufe zarter und inniger zurück.

Die Uhr schlug. In einem weißen Zimmer allein stand eine Wanne. Der Zigeuner darin schlief, die Arme auf den Rändern aufgestützt. Sie band das Wachstuch weg, legte eine Glocke mit einem Rohr in das Wasser, sog an dem Schlauch, hing das Ende in einen Eimer, ließ Eimer auf Eimer heraus. Dann wusch sie mit Spiritus und Watte den Körper ab, immer im Bogen um die offenen Stellen. Sie nahm die Füße, rieb sie mit Äther aus und gab gelbe Vaseline darauf. Sie waren im Wasser wie Hirne geworden, weiß, tief gefurcht. Dann trug sie die Eimer heißes Wasser in die Wanne.

Der Kranke ließ seinen Urin hinein.

Sie setzte die Glocke an, leerte aus, goß wieder neues Wasser ein. Eine Stunde. Der Kranke sah zu, folgte jeder ihrer Bewegungen katzenhaft. Ein Pfarrer kam, wandte sich zu ihm, allein er schloß die Augen, als schlafe er. Als Daisy fertig war, grinste er und gab seinen Darm in das frische Wasser; Daisy sog das Wasser heraus, gab wieder neues zu. Wohltätiger Besuch kam aus der Stadt. Der Zigeuner zog das Wachstuch weg und zeigte, um zu größeren Geschenken zu rühren, seinen zerfleischten Körper. Die Dame schluckte, übergab sich noch im Zimmer und eilte hinaus. Daisy zog das Erbrochene auf, der Zigeuner warf wütende Blicke.

„Sie mißt mich falsch“, sagte er dem Arzt.

„So . . .“, sagte er und zog den Mund herunter. Der Zigeuner sah zur Seite.

„Scheißen“, rief er. Sie ließ das Wasser aus, zog den Gummiring unter ihm weg, schob den Stechnapf hinein. Es war eine Lüge. Sie gab ihm neues Wasser.

Er ließ den Arzt holen. Sie petze ihn . . . „Du Schwein“, sagte der Arzt und schlug ihn aufs Ohr. Zwei Tage darauf vertraute er der großen Schwester an, indem er weinte und sie zu Fragen zwang, er sei traurig, Daisy speise ihm sein Essen. Sie meldete es, der Pflicht folgend, dem Arzt. „Wie können Sie . . .?“ Sie sagte gegen sein Brausen: „Das Statut.“ Der Arzt untersuchte und gab dem Zigeuner wegen Verleumdung einen Tag Hunger. An diesem Tag speiste ihn Daisy mit ihrem Essen. Bei der Morgenvisite zeigte er es an. Seine Stimme lauerte auf den Verweis. Der Arzt tat ihm nicht den Gefallen, sondern bestrafte die Bosheit mit zwei Tage Hunger. „Es wird durchgeführt.“ Ein Blick in die Runde. Die Tür fiel zu.

Daisy folgte, setzte sich für ihn ein: „Warum?“ Zwei Brillengläser funkelten sie an. Sie lehnte an den Tisch: „Er wird sein Leben im Wasser liegen. Sein Haß gegen alles andere ist natürlich. Aber — Strafe wird ihn nie bessern.“ „Nein,“ sagte der Arzt „das ist nicht meine Sache . . . aber die Autorität wird gewahrt.“ In diesen zwei Tagen ließ Daisy von Naga sich vertreten, tauschte mit ihr die Station. Sie wohnte in Nagas Zimmer. Ein Gartenbusch lehnte herein. Die Blumenterrasse dahinter schwoll herein, der Rasen roch. Morgens die Luft blau und gold, Vögel darin, die unsichtbar sangen. Im Garten Naga, in den Hüften gebeugt. Eine Eidechse lief über den Kies, grün, glatt, rollte sich über einen heißen Stein, hob die Augen, züngelte herauf, lief weiter. Naga bückte sich, huschte rasch, geschmeidig die Hand darauf, hob die Faust, aus der oben der toderschreckte Tierkopf, unten steif der Schwanz heraussah, federte den schlanken Körper herum . . . ein Gesicht fassungslos aufgegangen in der Freude. „Bleib“, sagte Daisy, ging hinauf auf ihre Station, besorgte das Nötige auf der Nagas, die hinter einem Busch saß, Wolken ansah, die aus dem Meer stiegen.

Zwei Männer kamen durch den Garten. Sie wiesen ihre Papiere. Sie kamen von einem spanischen Segler. „Scharbockabteilung. In vier Wochen kommt Ihr wieder raus.“ Naga führte sie hinauf. Sie wurden ausgekleidet, gebadet, geräuchert, frisch gekleidet. Naga überwachte es. In der Nacht wiegte ein Gemurmel, lange halb undeutlich, als striche Wind mit Bäumen. Dann schwoll die Bewegung, die Wände des Gebäudes gaben sie weiter, echoten leis, knaxten. Stimmen schwebten hindurch, mischten sich. Plötzlich sang einer heiser und laut.

Naga ging dem Geräusch nach, blitzte mit der Laterne auf leere Betten, kam durch Tür und Türen näher. Sie stand vor dem Operationssaal. Den Schlüssel vergessen abzuziehen . . . sie erbleichte. „Coño“, rief der eine Spanier und warf seinen Mantel auf den Tisch. Links lagen Flaschen auf dem Boden. Eingeschmuggelt . . . zu wenig Achtung auf ihre Mäntel . . . der Garten. Sie ging hinein, rasch, fest. Die Fenster waren geöffnet, die Bettücher hingen als Flaggen hinaus. Patienten der Lepra mit Flaschen am Mund, taumelnd, in der Hand . . . die Spanier tanzend und krähend eine Orgie . . . Naga stand stumm eine Sekunde, verzog den Mund zum Weinen und ging starr auf den Spanier zu, riß an der Flasche, da ging der Schwarze in das Knie, zupfte mit kurzen Rucken an ihrem Rock, er fiel nieder, er preßte den Kopf an ihre Knie. Entsetzt fühlte sie den Druck, schon nach der Tür . . . Geheul . . . versperrt der Ausgang. Sie sah die Leine, hing sich daran, schellte Alarm, riß die Schnur ab . . . die Patienten machten Jagd, stöhnten ihr nach . . . um den Operationstisch. — — Da schnitt eine Stimme herein. Das Licht wurde dreifach, ein Reflektor glühte aus der offenen Tür. Weit geöffnet schrie der Mund des hereinkommenden Arztes. Sie wurde ohnmächtig. Schwestern, Gehilfen drangen herein. Der Spanier ward gefesselt, ein Lepröser in die Zwangsjacke gesteckt, er schäumte. „Still hinüber“; zwei kurze Befehle: „Me caco de la puñedra y jodida alma de la grandissima puda madre qué te caco . . .“ Ein steiler Arm hob sich kurz vor Daisy, die ihn unter dem Tisch entdeckte. Hinaus . . . Einen Augenblick stand ein Kreis noch erregt plaudernd um den Arzt, der sich in Sublimat wusch. Dann gingen Türen. Als alles still war, öffnete sich leis Daisys Tür. Naga kam, schmiegte sich auf dem Bett an sie: „Ich kann nicht mehr . . .“

Es war dunkel: „Wie lange hast du Kontrakt?“

„Oktober.“

„Geh sofort.“

Doch Augen kamen ihr im Kissen entgegen, die getröstet werden wollten, gehalten, die noch nicht gehen wollten: „Aber du kannst es doch. Arbeitest du nicht wie Vier. Hast du nicht Kraft, alle Sehnsucht zu verdrängen. Hast du dazu nicht mehr gesehen, erlebt wie wir?“ Sie zog sie neben sich: „Der Wille genügt nicht. Nichts wird vom Ende aus begonnen. Geh, lebe. Kommst du nicht wieder, fandest du Gegebeneres für dein Schicksal. Kommst du wieder, ist nichts so entsetzlich, du trügest es nicht mit einem Lächeln.“ Nagas verweintes Gesicht suchte auf dem Kissen nach ihrem. Tränen an ihrem Mund. Schluchzen . . . was sollte dies Kind hier. Erst hindurch durch das andere . . . was das Leben zärtlich und schön macht. „Geh.“ Naga ging schlafen. Die Nacht darauf hatte Daisy Wache bei dem Zigeuner. Er stellte sich fiebrig, damit sie nicht zum Schlafen komme. Es klirrte im Nebenraum. Daisy ging hinein, schloß die Tür hinter sich, reichte Pakete hinaus, ein Kuß mit Tränen, die im Mund blieben. „Mut“, geflüstert ein heißes Wort zurück, kaum verständlich vor Weinen. Das Fenster geschlossen . . . zurück zu dem Zigeuner . . . auch dies vorüber. Naga würde nun fehlen. Kein Lächeln mehr im Hause sein.

Der Zigeuner fluchte. Sie lächelte, einzige Antwort. Bosheit verzerrte sein Gesicht, er klotzte wie ein Neger. Sie hatte ihn kurz verlassen . . . er beschimpfte sie. Sie hatte Unrecht, ihn eine Sekunde zu verlassen, sie nahm seinen Vorwurf hin: Du hast recht. Unbeugsam blieb ihr Mund durch seine Tücke. Er kam in Raserei, gab ihr jeden Fluch seiner Jugend. „Schlaf“, sagte sie mild. Er spie ihr in das Gesicht. „Du Armer.“ Sie setzte sich in eine Ecke. Dunkel nun im Raum, halb licht vom Morgen. Ganz allein in der Nacht ihr Wachen . . . unendliche Stille ausgegossen in ihr. Die Fenstergardinen schwankten . . . Di Contis Atem ging mit dem Wind durch den Raum. Die Liebe ging auf in ihrem Gesicht. Sie saß bis tief in den Morgen.

Die Sonne kam weiß aus dem Meer. Das Wasser ward spiegelig grau mit einem dunklen Rand. Der Sommer auf der Höhe . . . das Wasser stank faulig. Die Hitze lag kreiselnd am Himmel. Sand, Meer, Gebirge: eine Ebene erstickendster Trockenheit, von der ein giftiger Hauch am Mittag gegen das Haus fiel. Aus heißem Bett, schlaflos, fiel sie morgens, die Nerven zitternd, in den Operationsraum . . . Puls halten, Apparate reichen . . . sie hielt an einer Zange ein Bein. Zwei Finger des Arztes bohrten im Fleisch, suchten einen Knochen. Da riß der Gummi des Handschuhs.

„Äther“, schrie der Arzt.

„Hier.“ Er riß den Stöpsel ab, leerte es über die Hand, stöhnte auf.

„Jod . . .“, schrie er, die Augen quollen. „Schlafsenkel . . . Gans . . . ist das Jod?“ Schon verbanden ihn andere. Über dem Waschbecken knurrte er weiter. Vor dem Weggehen warf er ihr einen wütenden Blick zu. Unter den anderen stehend nickte sie mit dem Kopf. Was war das Unrecht? Hätte sie nicht wissen müssen, daß er irrte, klüger sein wie er in der Stunde der Not . . . auch dies. War es ein Unrecht . . . sie nahm es mit in den Dienst. Es reichte nicht an ihre Ruhe.

Zwanzigmal das Wasser leeren . . . Gestank. Das eitrige Wasser faulte unter der Hand. Geruch von Brake und Schlachthaus auf den Korridoren, Schweiß in den Krankenräumen . . . ein satanischer Sommer. Die Fenster, weit ausgehängt, lauerten auf Zugluft. Aus den Poren der Mauer kam Hitze. Die Kranken badeten in ihrem Schweiß, der sie anfraß. Die offenen Schenkel wurden brandig. Die Gurgeln wurden trocken, krächzten. Einmal begann einer zu schreien, besinnungslos. Sie stand neben ihm, gab ihm Packungen. Sie kam zu dem Fiebernden: „Nimm dir Wasser.“ Er hob den Hals, konnte sie nicht ansehen, die umschlossenen, nie mehr zu öffnenden Augen winselten Dankbarkeit. Sie spritzte mit einer Blumenfontäne Wasser ohne Pause in die Luft. Dünner Regen kam aromatisch nieder, Trost einer Sekunde. Ein Atemzug Glück . . . vorbei. Durch das Zimmer fliegend, sah sie das glanzlose Auge des jungen Priesters. Erstaunt: „Auch Sie . . .“ Er schüttelte den Kopf, kein Kleinmut, er lächelte, solches fiel schwerer ab, was ihm menschliche Gewöhnung gelernt, zu schätzen, dies: „Der Geruch.“ Ihr linkes Augenlid senkte sich kurz. Sie brachte eine Flasche Eau de Cologne. Er entkorkte die Flasche, roch sie, Tränen schon in den Augen: dies war die Welt. Er drehte sich um. Am Ende bei ihrem Vorbeigehen senkte sich ein maulender struppiger Banditenkopf gebändigt. „Ein Gewitter kommt,“ sagte sie, mit dem Leinentuch wehend zum anderen Ende, „den Abend wird es frisch vom Meer.“ Im Nebenzimmer, wie Fledermäuse ausgetrocknet, hockten die Matrosen, sangen nicht mehr, Hunde mit trockenen Schnauzen. Lächelnd: „Geduld, Struppige . . . Wind.“ Sie bekamen Ausdruck in die Blickwinkel, schielten sich an, stießen die Ellenbogen sich in die Seiten, grinsten, schaukelten auf den Stühlen. „Geduld“, sie wehte zeigend mit dem Tuch nach dem Himmel. Alle sahen hin, alle in Spannung, sahen nach einer Wolke. Der ganze Saal sammelte sich nach dem Himmel, lag auf der Lauer. Sie stand im Zimmer: „Mut.“ Der Glaube trat aus ihr heraus. Trat in zwanzig Halbverweste. Vierzig Augen sahen auf sie, traten in sie ein mit ihrer Hoffnung, klammerten sich an sie, schauten gläubig, mit ihrem Mut gestärkt, nach der Erlösung. Rochen nicht mehr ihren Eiter, spürten nicht mehr Schweiß, der ihr Geschwür biß. Keiner, der haderte, niemandes Schmerzruf . . . ganz verhaltene Stille. Der Glaube von zwanzig Unglücklichen ballte sich heftiger als von tausend anderen, der Glaube von zwanzig Unglücklichen stand in dem Zimmer, wuchs in den Räumen. In allen Zimmern stand er auf. Bald das Ende der Qual, bald Wind und Mut, weiter das andere zu tragen. Ein kleiner Windhauch nur . . . welch ein Trost. Die Zimmer verbanden sich mit einer Schicht Vertrauen, die früher nicht herrschte. Die einzelnen kamen sich näher, fühlten sich als Genossen, lachten sich zu. Die Deutschen sangen wieder. Freude stand über den Betten. „Dank.“ Sie rief zurück: „Mut.“ Der Tag vorüber, die Nacht rot vor Hitze, der Morgen graublau, entsetzliche Last. Durch die Zimmer gehen, immer ein Lächeln. Hinaussehen zum Horizont. Die, die nachts nicht geschlafen, die halb irrsinnig waren vor Schmerzen, alle, die beginnen wollten zu lästern . . . alle einigten sich an diesem Lächeln, unternahmen nichts, wurden still, sahen hinaus auf den Horizont. Sie beruhigte, entflammte still, flüsternd von Ohr zu Ohr, wenn sie sich bückte: „Geduld . . . es kommt.“ Der Glaube wuchs in den Zimmern, heftiger, tiefer . . . der Glaube der vierzig Augen stieg, die anderen glaubten, wuchs in die Räume, ballte sich den Tag . . . die ganze Nacht. Schaum am nächsten Morgen am Meer, am Mittag die lähmendste Stille. Gegen Abend wuchs ein Segel, schoß in den Himmel wie ein Gaul, bäumte, riß in einem Rad den Himmel als Strudel in sich . . . Blitze zuckten flatternd, irr . . . Kühlung kam. Die Augen geschlossen . . . die Hingabe erhob sich zu ihr, aller Gefühl: „Dank.“

„Wofür . . .?“ Sie starrte hinaus.

Ein Wagen traf ein. Ein Brief.

 

Das Verhängte lockte. Das Elend des Einzelnen, der ihr Blut berührt, riß sie von dem, was sie hielt. Der Brief hatte nichts von Gewalt, viel Unterwerfung. Ihr Herz rührte sich ihm zu. Sie unterbrach, reiste drei Tage, fuhr eine Mauer unter Oliven, hörte das Meer, traf in dem Park vor einem kleinen einstöckigen Schloß Stefan, den sie tödlich getroffen glaubte, er wandte sich um, warf eine Bananenscheibe weg, kam über den Rasen. Sie erstarrte, wandte halb um, voll Schmerz und Wut. Hörte seine Stimme. Er log nicht, sie kam nicht umsonst. Sie kannte sein Leben, das zwang, niederhielt, bebenden Boden mit den Beinen feststampfte, sieben Balken im Schweben hielt. Er hatte Minen um sich gelegt. Flog eine, sauste er mit. Er hatte genug, ließ sie fliegen. Es reizte ihn nichts mehr. Er lebte allein seit langem. Er wollte sie sehen, ehe er verreckte.

Ihr Herz war festgebohrt. Es genügte nicht. Sie drehte ganz. Seine Stimme holte sie ein. Das Raubliebende besaß einen Klang, der sie bannte: „Nimmst du mir den Rest Erlösung?“ Sie sah das Zerrissene seines Lebens darin, das nun der Erfüllung nahe war. Schicksal, vom Tag, wo sie zuerst ihn sah, hineingeschrieben in jede Falte des Gesichts, erfuhr unerbittlich seine Bestimmung. Wie diese Fahrt seines Blutes nun landete in Reue, sich selbst verwarf, und das Starke sich hinschmiß und bat, ergriff sie mit Rührung, die alles hinüberneigte zu ihm, zagend und nicht ohne Befremden, doch bezaubert: „Gehen wir hinein.“

Sie stellte ihr Leben unter seines, trug im Unbewußten die Last, fühlte seinen Schmerz, seine Seligkeit, sah die Grenze, die bald alles schloß, kannte sie nicht, roch die Katastrophe, bäumte sich vor ihr, legte in ihn hinein, was ihm das Letzte klar machte, beruhigend, sicher, Aufflug und Klarheit.

Sie ritt sich die Schenkel wund, er sandte Reithosen und Salbe. Sie rieb sich die langen schlanken Beine. Durch Gras, durch Fliederhecken, ein Bogen. Ein verfallener Tempel, ein kupferner Mond darauf, Lusthaus der Frauen des passierten Jahrhunderts. Dahinter fielen Terrassen. Vor den tiefen Fenstern des Schlosses tauchten Tritone auf, warfen Wasserlanzen, bliesen aus Hörnern in den blauen Abend. Sie ging zurück, zog sich ins Zimmer, speiste, schlief, suchte ihn morgens. Er saß über Papieren, schrieb. Sie wich zurück. Er sah den Schatten, fuhr herum: „Du störst nicht. Nie.“ Das Geschriebene flog vom Tisch. „Doch.“ Sie wollte gegen seinen Willen, ihm es leicht machen, wandte sich. Er, ihr sich hingebend, wußte nichts anderes: „Bleib.“ Sie blieb.

Die Luft ward silberblau. Blüten rochen herüber in der Nacht. Im gläsernen Bauch des Sommers stand noch der Frühling mit Kastanie und Flieder. Es rauschte Tag auf Tag über die Hängematte. Morgens beim Frühstück frug Stefan: „Reiten wir?“ Sie nickte. Kein Vorschlag, den sie nicht annahm. Nach einem Galopp schon sah er die dunklen Ringe unter ihrem Auge, verstand sie, ihre Woche, verlangte, daß sie sofort absteige: „Welch ein Irrsinn . . .“ Doch sie log. Wozu Sorge noch mehr ihm geben, diese Stunden vergällen. Lächelnd: „Du irrst.“ Weiterreiten unter Schmerzen. Reden mit frischen Lippen. Seine Schläfe lief dick an vor Qual.

Sie stand am Morgen früh auf, öffnete die Tür ihres Zimmers, ging hinaus auf den Rasen, die hohe Mauer entlang. Der Morgen, dunkelrot, verführte mit Pracht, sie ging um das Moorstück mit den dunklen Blumen, bog um den Pavillon. Sie stand unter den Palmen, kam zurück auf die Terrasse. An dem Rondell setzte ein Schmetterling sich auf ihre Achsel. Sie drehte sich herum, da trat Stefan hinter einer Figur vor. „So früh?“ sagte er, der spät aufstand. „Nicht sehr!“ sagte sie, verschwieg den Weg, den er ihr ansah.

Zwischen den Oliven stand die Sonne hell, klar. Der Horizont gewölbt, kreisrund und stählern, süß die Luft darunter, schwärmerisch die Verzückung des Abends. Eine Lampe auf der Terrasse . . . der samtene Rasen blau in der Dämmerung. Eine Syrinx flog über die Mauer. Sie stand auf, müde. Er begleitete sie bis an ihr Zimmer. Sie drehte sich halb um . . . er folgte nicht.

Sie lag die Nacht wach, in gelber Gardine schwamm der Mond. Das Silber der Stutzuhr im Dunkeln . . . Bilder entblößter Damen, degentragender Herren steif an den Wänden, undeutlich im Dunkel . . . ein Spiegel glomm tiefer und ungründiger in seinen matten Glanz hinein auf dem Toilettetisch . . . kein Geräusch. Kein Vogel. Sie horchte auf Laute. Still und abenteuerlich der Park. Sie wartete.

Den Morgen blieb sie lange liegen, wartete auf die Stunde seines Aufstehens. Als sie hinauskam, sah sie ihn über die Terrasse herkommen. Sie errötete. „So früh?“ Er sah auf seine verstaubten Schuhe. „Nicht sehr!“

Ein weißer Blitz setzte über ihre Hängematte am Mittag, schoß über das Rondell, flitzte in den Mittelpavillon. Sie sprang ihm nach. Nach links war der Flügel geschlossen, nach rechts folgten Räume, große Zimmer, vorüber im Lauf bemalte Wände, goldene Rebstöcke, japanische Tapeten, Mosaike, silberne Leuchter . . . die Fenster gingen bis zu dem Rasen . . . da stand Stefan neben einer kleinen Fontäne mitten im Zimmer. Auf seine Schultern hatte ein weißer Windhund die Pfoten gelegt, seine Hand fuhr an dem geschmeidig zitternden Rücken herunter. Er sah ihr Gesicht in der Portiere, ging ungestüm auf sie zu, unterdrückte eine Wallung: „Nimm den Hund. Ich gab ihn weg, weil ich zu sehr ihn verzog. Heute kam er zurück —.“ „Ach,“ sagte sie, „nein, ich bitte dich, ihn zu behalten.“ Er liebte ihn, wie konnte sie ihn nehmen! Blieb fest Beim Abendspeisen sah sie, daß er litt. Sie hatte ihn abgewiesen, um ihn zu freuen. „Verzeih“, sagte sie an der Schwelle ihrer Tür, berührte schwach seinen Arm, sah über die Schulter. Seine Hand zitternd am Pfosten. Die Tür schloß, er folgte nicht. Blumengeruch toll die Nacht. Schlaflos bei aufgerührtem Herzen. Wohin trieben solche Konflikte, helfen wollen und verletzen . . . annehmen und gegen das Opferbereite verstoßen . . . Leid auf jedem der Wege . . . Brausen der Springbrunnen in der Nacht . . . diese Erquickung. Sie sprang hinaus, löste am Bassin der Tritone die Matinee, tauchte in das Wasser. Eine Wasserrose trug eine Tauperle. Sie stieß daran, das Kristall flutete vor Licht, zerbrach, der Himmel ward erschüttert von diesem Fall. Die Büsche schlugen auseinander. Stefan im Pyjama, den Ginster auseinanderbiegend, oben über den Figuren . . sie schloß die Augen zitternd . . . sie sah auf. Stefan war fort. Nichts in seinem Gesicht, das davon sprach den Mittag. Keine Gebärde anders in diesem Kopf. An seiner Ruhe spürte sie die Gespanntheit vor dem Schlag. Sorgen, Trauer, die sein Hirn verwüsteten, die Erwartung der tötlichen Minute, vielleicht schon aus dem Wipfel eines Baums gezückt. Blieb er unrührbar, lief sie heftiger in ihn ein, erschütterte sie seine Haltung unbedingter zu ihm hin. Einmal schoß sein Blick unverhüllt von der Seite, sie sah ihn im Spiegel. Sofort bändigte er ihn wie ein Tier. Sie spürte, wieviel ihm fehle, was er unterdrücke und wie es ihn fast sprengte, daß er sich überwand, sie nicht nahm. Ihr Mitleid erreichte die Tiefe, der blitzhafte Aufriß seines Herzens, das demütig solche Kraft überwand, wies sie zu vertiefterer Aufgabe. Sie mußte den Himmel ihm schöner überrunden, sich unendlicher mit dem Blut unter ihn betten, ganz sich verschenken an das, was sie verschmähte. In der Nacht, als sie schlief, öffnete ein Gewitterwind die nach innen geschliffenen Rundfenster, stürzte sich auf sie, schreiend fuhr sie auf, ergriff den Leuchter, rannte los, sah Stefan an einer Portiere, lief in seinen Arm, entsetzt von Schlaf und Schrecken. Sein Arm kam. Entfesseltes schlang um ihre Taille, noch tastend, zag. Dem Zögernden unterzog sie sich, gab sich hinein. Ein seltsamer Ruf, es schwoll heraus, ihr Hemd schwand, ein Mund nahm ihren. Hände über ihrem Bauch, die langen Beine fuhr es hinunter. Die Kissen schwollen über ihr. Lippen zogen über ihren Leib, küßten die Sonne, die um den Nebel lag, alle Strahlen, die rot wurden. An jede Hautpore wuchs die Hand, unverlierbar nahm sie, ließ wieder, erfaßte Neues. Tiefster Schmerz durchjubelte die Hingabe. „Daisy.“ Hell, hingegeben dem Schmerzlichen in der heiseren Frage, ohne Zögern: „Ja.“ Die Hand über den Hüften griff zu, Nebel riß über den Augen. Haare lagen zerstört und locker um den Körper, dessen feuchte glänzende Bronze das Kerzenflackern überschwemmte. Sie lag, als er schlief. Sie lächelte über das Geschenk, das sie ihm gab. Es war das Letzte, was sie konnte. Vom verflossenen Gewitter duftet der Garten herein, durchbricht den Raum. Es war ihr, sie erreiche die verschlossenste Grenze seines Wesens, habe ihn erfüllt. Am Morgen öffnete er ihr den versperrten linken Flügel. „Ich sparte es auf bis heute.“ Sie trat ein.

 

Das Wappen hielt sie fest, lang. Sie zündete die Kerze an. Schlug das Buch auf, zerfuhr es mit den Fingern, blickte um mit einem rätselvollen Gesicht. Einen Augenblick trat der Raum hinein. Sie sah nicht die Rebstöcke aus Gold. Fontänenwasser kam in die verzehrende perlmutterne Schale. Es kamen gerade Herren, golddunkle Bilder, Damen auf der altjapanischen Tapete und Jäger mit demantener Agraffe. Es kam ein Degen. Zersplittert, in den Trümmern gerahmt ein Spiegel mit dem Pistolenschuß in der Mitte. Es kam auf dem Tabourett in Wachs mit blauen Adern ein Kopf, eine rechte Hand. Es trat wieder aus ihr hinaus. Sie sah nur das Wappen. Es hielt. Es war das eigene, kam herauf aus den gestrichenen Jahrzehnten, wurzelte unten im Schoß der Generation. Ihr Blut griff zu, vermählte sich. Saß über holzgeschnittenen Signets. Es kamen ungeschickte, gestammelte Worte. Geschnörkelte Zeichnungen machten den Übergang unsicher. Hochmütige Sätze kamen, Buchstaben großer Form. Der Wahlspruch schien auf: Wenn ihr mit Männern spielt, so wißt mit wem . . . Und ist es mit Frauen, um was ihr spielt. — Aus dem Buch stieg der Saft des Gelebten. Der Raum erhielt Gewalt. Aus den Blättern der Miniaturen quoll der angesammelte Atem der Generationen. Die Farbe der Gewänder bekam Gewalt und blühte.

Die Miniaturen platzten unter den Muskeln, die sich reckten. Der Stolz der Frauen sprengte die Taillen und die Sanftmut der Elfenbeinfarben. Die Wangen röteten sich unter dem Puder und glühten, Lider hoben sich schwarz und flammten sie an. Degen und brokatene Mäntel zuckten. Ein kühnes Auge traf sie wild. Ein Turban erschien mit den Augen der Gazelle darunter in der Galerie der Frauen. Von da ab waren die Köpfe ähnlich wie der ihre, wie ihres Vaters.

Sie sah den Ahnen, der dies Haus sich baute. Sein Körper war größer und gewandter wie der der anderen. Sein Gesicht glatt und gefurcht von zwei großen leidenschaftlichen Linien. Unter dem Feuer seines Auges fingen die Spiegel des Raumes zu leuchten an, in ihrem verschleierten Glanz begannen weiche Hüften der Frauen zu wiegen, braune Torsos schlangen sich dagegen. Atem wilden Genusses rauschte mit Lachen in der Seide. Dies Gesicht führte ihr Geschlecht auf den höchsten Punkt ihres Blutes.

Sie sah seine Schrift, seine Briefe. Frauenleiber wandten sich ihm zu und sträubten sich auf vor ihm. Ehrgeizige Spiele, sehr erleuchtete gläserne Säle . . . ein großer Ritt, der ihn mit Ruhm behängte, glitt durch die Luft. An einem heißen Abend begann er, dies Schloß zu bauen für den Sommer und die Zärtlichkeit der Frauen. Er stand davor, als er ankam. Die tiefen Fenster wühlten in der wollüstigen Nacht. Terrassen bogen sich kühl hinunter zwischen dem Taxus und den Hermen. Der Park stand wild voll Duft der Rosen und Jasminen. Fontänen bohrten sprühende Lanzen in die blaue Blumendämmerung. Ein Zimmer war erleuchtet mit vielen Kerzen. Er trat hinein. Am Morgen schrieb er mit vier Sekretären, noch feucht von der Haut der Geliebten. Dann ging die Sonne auf, er erhob sich und weckte sie aus Träumen von ihm. Da jagte er die Tiere. Die Sommer wechselten und fielen heiß herunter einer in die Spur des anderen. Da liebte er Dirnen. Er schoß die Saue. Das Pferd rannte unter dem Spiel seiner Schenkel. Kerzen blitzten um nächtliche Spiele. Lange Profile hingen wie Glas gegen den Schatten. Die Edelleute naher Höfe schwitzten um seinen Kartenschlag. Da fuhr er in Wagen. Da schlug er Hunde und küßte die Nägel ungeliebter Frauen. Ein einsamer Sommer umgab ihn ganz allein. Er wanderte, die Arme über die Brust gekreuzt, die Wege herauf, die Wege herunter. Seine Augenbrauen schoben sich im Dreieck zueinander. In einem zitronen trockenen Juli sah er auf der Landstraße ein braunes Kind, das in den Himmel lachte und nicht sprach. Er nahm es mit sich. Aus heißen Ritten warf er den Körper in das Bassin, das kristallen um ihn schäumte. Dumpfe Nächte durchschlief er mit schweißigem Haar. Mit großen Orden, den Degen zum Knie gesenkt, empfing er eine Fürstin, den Fuß am Schlag. Sie warf ihm Blicke zu durch das Glas ihrer Equipage, die er geschmeichelt nahm. Er diktierte Briefe, Befehle, Politik. Er arbeitete eine Intrige aus, die in London sich kraus gestaltete. — Dann schlief er allein durch einen ganzen Sommer sich durch, locker in der Kleidung, zufrieden und still das Gesicht . . nichts weiter tuend, als den Himmel ansehen durch den Regenbogen der Tritone . . .

Das Buch blieb geschlossen, die Lider stellten sich nach innen. Der Raum trat aus ihr heraus, wie die Fenster sich öffneten alle in den Parkmorgen. Stefan rief herein, sie ging neben ihm. Blätter, Büsche, Esel tanzten vorbei. Sie gingen. Das Ende kannte sie, seine Arbeit, seinen Tod. Es hatte ihre Jugend durchdrungen, ihrem Dasein Luft gegeben, Liebe. Daher kam sie. Das Vorspiel war neu, unwichtig, aber bestimmend. Er ging vor ihr her, die gleiche Kurve unten am Rand des Geschlechts, der gleiche Schnittpunkt führte sie wie ihn. Aus dem Knax kam sein Werk. Sein Rausch wurde Sinn, als die Gegenströmung in seine Sehnsucht sauste. Die Summen zog er aus dem Entsagen. Sie reckte sich, spürte sich mit ihm durchblutet. Er ging vor ihr, war der Vordere, ließ ihr ein Vermächtnis. Sie lächelte, sicher genug in sich, aber die Rechtfertigung ihres Daseins aus dieser mystischen Quelle bog sie auf vor Befriedigung. Sie gingen. Luft strömte frischer, die Beeren leuchteten. Sie gingen rascher. Er hatte gelitten, geschafft, die Lippen zerbissen, ausgeschlagen, sie empfand jede seiner Minuten. Das Vermächtnis wuchs. Von Vaudreuils Herzschlag vorwärtsgeschnellt fühlte sie sich getrieben. Fortsetzung seines Handelns kam an sie nach der Pause des Geschlechts, nach der Ruhe. Sie führte zurück in die Gemeinschaft, was er restlos erwarb. Er eroberte. Sie half. Das Angehäufte veredelte nun. Er schuf Platz für Menschen, siedelte, schaffte Arbeit. Sie aber befreite, die Sklaven geworden in diesem Beruf. In ihrem Blut saß die Vertrautheit seines Schicksals so, als habe er sie gezeugt, erzogen, seine Adern hinübergeführt in ihre. Und jeder Tropfen Blut trieb, forderte, verhieß Vollendung, Wirkung, aufbäumenden Zwang zur Tat. Die neue Kraft, die bestätigte, bestürzte sie, machte sie gierig nach Tätigkeit, wenn diese Mission vollendet, die sie noch umfing. Sie neigte sich zur Seite, nahm Stefans Hand. Es würde vorübergehen. Sie gingen.

Das Gefühl durchdrang den Tag, machte Weichheit hingegebener an das Umgebende, das Umgebende tiefer verliebt in sie. Die Riesennelken der Beete brachen auf unter ihrer Berührung, die Zinnfiguren trugen ihr Lächeln, die Mauern wichen tief vor ihrem Blick in den Himmel. Das Tor fiel auf. Unter den Lerchen flog betäubend der Horizont auf. Bienen schossen in dunklen Bogen, die Wiese, die sie berührte, flammt gelb und zart. Sie gingen, nahmen auf, gaben aus. Liebkosten Rehe, scheuten die Saue auf, lachten sie zurück. Nahmen Pferde an der Ferme, trabten durch die Feigen, um den dreizackigen Wolkenberg, speisten Zwiebel, Butter, Brot, sanken im tiefen Schatten in Schlaf. In die violette Dämmerung ergoß sich ihre Ruhe. Kein Wort. Er hielt ihren Halfter, sie gaben die Gäule ab. Ein Fasan lief über den Weg, Pfaue gingen in einer Kette. Die Bäume der Allee fielen in rosane Glut. Stefan nahm eine Göttin, hob sie auf die Erde ins Gebüsch, stellte Daisy auf den Sockel. Sie senkte die Beine in einer von Anmut so erfüllten Bewegung, daß ihr Knie seine Stirn traf, dann seinen Mund. Sie spürte ihn, war plötzlich allein. Suchte, rief seinen Namen. Kam an den Pavillon, verwirrte sich in den Gladiolen, lief in der Gartenstrecke, kam an die Lichtung. Die Terrassen hingen beleuchtet. Ein Fest. Die Fenster hell, Springbrunnen fluteten durch die Nacht. Atemlose Stille. Ihr Name kam breit und voll Sehnsucht geworfen. Sie ging hinein in den Namen, besinnungslos.

Sie verließ ihn, ging hinaus, sah den roten Mond durch die Pappel schwimmen. Das Wasser. Das Bassin überschäumte weiß, bläulich ihre Haut. Tritone sangen über ihr. Den breiten Guß eines Löwen fing sie mit der Brust. Die Blumen schwelgten in der heißen Luft. Das silberne Füllhorn schäumte unter der Sichel. Es überkam sie Sehnsucht, mehr ihm sich noch zu geben, Furcht, etwas zu versäumen, Schreck, daß das Schicksal niedersause. Sie überließ sich dem Wasser. Langsam kam die Ruhe, die einbezog sie in das Geschehen der Nacht. Im Stillerwerden der Luft ward es klarer in ihr, bis sie den Ausgleich erreichte, wo nichts sie rührte, alles sie verband. Sie ging hinein, suchte, traf ihn in seinem Schlafzimmer, die Stirn am Fenster, er hatte ihr zugesehen. Sie lächelte. Ihr Blick sah hinter ihm im Kreis der Lampe eine Schale. Sie erbleichte. Zog zwei Kugeln heraus, nickte zu einer, hielt die andere sprachlos ihm auf der offenen Hand entgegen. Ihr Augen säumten sich, wurden klein.

Sie frug mit dem Blick.

Ihre Lippen trugen den Namen.

Heiser sagte er:

„Le Beau.“

 

Befreite er ihn, klappte das Messer, riß die Schlinge, flog die Mine, die ihn erledigte. Er hatte noch kurze Zeit, bis das Schicksal fiel, lebte, die Uhr in der Hand. Solange bedurfte er die Sicherheit gegen jede Möglichkeit. Er hatte Jahre sie gesucht. Paris, Marseille, Kalkutta, Pegu . . . hatte sein Leben umgestülpt, auf sie gerichtet, wurde gut an ihr. Was wog die Ausnahme gegen das Ganze? Nichts. Das Gewaltige seiner Änderung umfing sie, als sie verglich, trieb sie zu ihm, unter ihn: „Ich bin bei dir.“

Nachts stand der andere auf, forderte. Sie tat Unrecht, um Liebe zu erweisen. Sie hörte die fadendünne Stutzuhr, sah die Sonne prallen gegen die Rideaux. Wischte die Nacht weg. Aus den mähnigen, windgestrählten Sonnenblumen trat Stefan. Sie sah über ihm die Katastrophe. Was galt Überlegung vorm Tod. Es flog aus ihr, bedingungslos, hinweg.

Sie grübelte den Abend, die Ausnahme drückte sie. Sie maß ihr keinen Sinn zu. In der Nacht wurde sie riesig: Es kam nicht an auf die Größe, nur auf den Sinn. Da sprang durch die Portiere der Windhund, den er ihr geschenkt, weil er ihn liebte, den sie zurückwies aus Rührung. Der schmale lange Kopf strich an ihrer Wange. Sie hielt, was Güte an Stefan sie fesselte. Kein Gedanke quälte mehr. Im Halbschlaf gegen Morgen fuhr sie auf. Ein Mensch litt um sie. Sie ertrug es nicht. Schleifte den Hund aus dem Nebenzimmer herein. Der Hund genügte nicht mehr. Sie schwankte, ging herum, besah ihr Ohr im Spiegel, pflückte Glyzinen am Fenster, bückte sich, wechselte die Farbe. Stieg die Leiter zum Bad hinauf, drehte ab, kam herunter, atmete, sah in den Park. Legte sich nieder. Erhob sich, packte einige Dinge in einen kleinen Koffer. Ging an die Portiere seines Zimmers, sah ihn schlafen, schwer, fest, Mücken um seinen Kopf. Sein Schicksal, das er kindlich nahm, wühlte sie so auf, daß sie erbleichte. Als er erwachte, konnte sie nicht vermeiden, vorzutreten. Als er den Arm reckte, war seine Not eine Sekunde so groß, daß sie ihn nicht verließ, hineinging wieder in sein Schicksal. Als sie erwachte in seinem Arm, hob sie den Kopf, lauschte, bog die Brust aus seinem Muskel, glitt herunter, sah zurück. Sah nichts mehr als das Unrecht, sah nur den Gefangenen, der litt. Nahm das Gepackte. Hörte einen Wagen in der Nacht rollen. Holte ihn ein. Kam in das Dorf, in die Stadt. Schrieb ein Telegramm, das Le Beau befreite. Hob die Brust, nun atmete sie sicher, sah zurück aus dem Wagen. Konnte nicht anders. Das flog nun in die Luft. Vorbei. Es mußte sein — und getragen werden. Von beiden.

 

Der Wagen kam an eine Barriere, einen Bach, einen Fluß. Der Motor stockte. Am Mittag saß sie in der Nische über einem kleinen See. Die weißen Hotelwände prallten von Sonne . . . Sie denkt: Nun ist Le Beau frei. Er fragt: durch wen? Sieht die Depesche. Weiß: durch sie. Macht sich auf. Noch einmal fliegt seine Stunde. Das Auge blitzt vor Geist. Er fragt sich durch, beschäftigt Menschen. Er kommt an das Hotel, fordert. Sie will auch ihm dienen, seiner Enttäuschung sich unterbreiten, dem Geschlagenen nah sein . . . Ein Raum schiebt sich zwischen sie und den See. Sie schaut durch die geschlossenen Lider. Sie kommt gegangen über die Terrasse, geht durch das Zimmer des Ahnen, öffnet das Schiebfach, hebt die Kerze hinein. Sieht seinen Kopf, beginnt zu weinen. Eine Stimme aus dem Dunkel: „Ist es Sommer?“ Sie ist tapfer, sagt hell: „Ja, Claudius.“ Sie fährt mit der Hand über sein rötliches Haar: „Ché . . . mon ami . . . ché . . . doudoux.“ Er lächelte: „Mit Gewalt macht es der andere nie.“ Sie sagt: „Ich befreie dich.“ Sie kommt mit einem Dolch, versucht das Fenster aufzubrechen. Unmöglich. Sie nimmt den Spaten, gräbt ein Loch von außen. Da steht Stefan im Fliederrondell, die Brust leuchtet phosphorisch, die Augen geschlossen. Sie stürzt in sein Zimmer, er liegt, schläft. Sie beißt die Zähne, zurück, stößt das Messer ins Schloß, das wie ein Kuhmagen gefächert ist, die Spitze bricht ab. Er ist bleich, lächelte aus dem verwüsteten Gesicht. Sie schreit laut: „Ich befreie dich.“ Er lächelt mehr: „Das sollst du nicht.“ Fast in der Ohnmacht fragt sie: „Was . . . was kann ich tun?“ Sie ist außer sich. Sein Auge schließt sich:

„Denk an mich.“

„Ja.“

Es gelang. Pappeln gigantisch reckten sich vor bleiernem Himmel, Duft der Syringen lüstern auf die Terrassen gestreckt, sie kam aus Gebüsch. „Traurig?“ „Nein, da du mich liebst.“ Sie beginnt mit den Drähten, arbeitet eine Stunde, es ist der letzte Plan, in der Pause erschöpft: „Daß du so leidest.“ Er hebt die an ihren Händen verkrampften Augen: „Leide ich, wenn du mich liebst?“ Sie beginnt wieder, steif vor Verzweiflung. Sie schafft eine halbe Stunde, Uhren schlagen, der Haken faßt, es gelingt die Flucht. Ein Gewitter bricht über den Wagen, weiße geballte Kugel saust überm Himmel. Nun sind sie vereinigt. Sie haben ein Haus. Fischerboote laufen unter ihrem Fenster, Motore überspielen delphinisch die Bucht, der Fjord wird größer, schlägt sich auf. Sie sehen sich an. Wochen, Monate. Sie gibt sich jedem Druck seiner Seele, scheucht das Gewesene, Trauer fällt ab, Stille umgibt sie. Atmet er ruhig, beglückt sie es, streift seine Hand sie, fühlt sie sein Glück. Eine Nacht wartet sie auf ihn. Er kommt nicht, sie wartet die Minuten, Stunden, zählt die tickende Uhr. Am Morgen erscheint er Sie ruft: „Deine Frau?“ Er winkt ab. Sie ist erledigt, kein Gedanke streift sie. Aber der Schatten gräbt sich in ihre Seele. Sie übergeht ihn. Im Unterdrückten wächst er. Sie bekämpft ihn. Sie hat diesen befreit, will ihm Jahre ersetzen, Glück, das er Jahre erstrebt, bereiten. Aber ihr Herz leidet mit der Verstoßenen, sieht den Ring im Traum an Claudius Hand vor der Demonstration, schreit im Schlaf. Sie kann nicht leben auf Kosten der Frau. Aber sein Gesicht ist heiß, beschwört sie, fordert Liebe. Sie lächelt, gibt ihm aufmerksamer. Doch er will mehr. Er will das Strömende, nicht das Bewußte. Nicht das gut Gegebene, will den freiwilligen Akt. Sie sieht auf ihre leeren Hände. Sie hat es nicht, verstellt sich, macht, als seien sie gefüllt. Allein er sieht ihre leeren Hände, schreit verzweifelt. Sie hört den Ton, er reißt den Raum weg.

Sie hebt die Lider . . . . — —

Ein Traum erließ ihr, was sie mit Stefan an Partie gespielt, verloren, dasselbe mit Le Beau.

Die feinen samtenen Lider senkten sich über den eisgrauen Blick. Der schmale ovale Kopf hob sich scharf. Schrieb ein Billet, für den Fall, daß er käme, sie suche, das ihn zurücktrieb und ihn anfeuerte zugleich. „Du bist elend. Bin ich glücklich? Suche nach Befriedigung wie ich. Um dich wie um mich stehen Ungezählte. Der Gedanke, daß wir da sind, hilft uns beiden. Mehr kann der Einzelne nicht tun.“ Sie packte, fuhr. Ihre Mission, ihr Abschweifung, war zu Ende. Sie kehrte zurück, der große Schwung riß sie zu sich. Die beiden, die ihr Blut unvergeßlich zuerst erregt, fielen aus, schieden, sie hatte geirrt, ins Einzelne sich verwirrt, versagt. Erkannte die magische Grenze der Kraft, die sie zurückzog. Wollte sich nicht verlieren, konnte nicht, apokalyptischer Hure gleich, dem, jenem, diesem, Schoß des Mitleids sein, sich verzetteln, sündigen gegen das Ziel. Sie reckte sich, befreit, jeder Verantwortung ledig gegen ihr Leben. Die beiden, die ihr Dasein immer gekreuzt, bis in die Tiefe der Demut durchgelebt ihr Schicksal, stürzten zurück. Was blieb: das Werk. Sie fuhr, stieg steiler. Saugte sich voll des Horizonts, der perlgrau vor sie sich schmiedete. War voll Gewinnst bis zum Rand. Trieb über die Nächsten ihres Bluts, die überwunden, dem Ganzen zu. Wie frei die Bahn vor ihr. Wie geschleudert die Straße gegen den Himmel hinaufgestreckt. Fuhr auf den Scheitel der Chaussee hinauf, fast schwingend. Gestrafft in jeder Muskel der Seele. Sicherer wie jede Sekunde, die sie gelebt. Angezogen auf der Sehne des eigenen Blutes ein Pfeil, der sich zum Losschwung spannte. Fuhr über den Scheitel der Straße. In der Senkung blieben die beiden: Wegweiser — — — hin zu den Menschen. Da standen Tausende.

 

Sie ließ Minsk, kam mit Empfehlungen nach Kiew, sah Contis Liste nach, traf die Zentrale, ward nicht abgewiesen, mißtrauisch behandelt, trat in ein offizielles Büro, sah die Taktiken, kam durch politische Korridors höher, spürte den Gegenschlag, enträtselte ihn nicht ganz, fiel vor der letzten Erkenntnis, zog eine Meute Männer, über die sie gesprungen, hinter sich her, verschwand. Bedurfte nichts weiter, hatte den Kernpunkt nicht, spürte aber die Maschinerie, das System. Es genügte. Gab es nach Minsk, blieb acht Tage im Südviertel, schaltete die Organisation nach der offiziellen, verzichtete auf Begleiter. Legte das erste Hebelwerk, pumpte es entgegen, in der gespanntesten Atmosphäre der Länder, der verfolgenden, war im Vorsprung, da die Technik die gleiche, Kenntnis der anderen nur bei ihnen. Glitt die Fäden weiter, wechselte Pässe. Sah in den Listen nach, machte Abschriften aus Angst, sie zu verlieren, legte die mit Contis Handschrift in den Safe einer Mittelstadt. Folgte der Linie, Tyska legatione, Stockholm, in Upsala eine Verschwörung gegen Lund, tastete tiefer, traf den letzten Zirkel der Jungsozialisten, maß die Spannung zu Wallenberg drüben, Undên, Branting auf der Gegenseite. Tauchte in Genua auf, studierte Quarantänen, Auswandererbaracken, Krankenhäuser. Erhielt Verstärkung, Staffetten, Abwechslung der Reviere. Spannte ein Seil nach Minsk. Vervollständigte die Listen, füllte Skizzen aus. Kaufte ein kleines Haus Rue du Purgatoire, Genf, aus Holz, vier Zimmer. Setzte Gordon hinein, beobachtete durch die Zentrale jede Kaserne, jeden Offizier, Stimmung der Eingekleideten, führte darüber Buch, bohrte, trieb, jagte den Geist, Auflehnung, Umstülpung, Bessern in jede Lücke. Rue St. Jacques hinter der Sorbonne kontrollierte sich die Presse, Gerichte, suchte Menschen auf, setzte sie in Stand, sondierte, suchte, setzte sie ein, entflammte. Fühlte mit neuen Kräften die äußersten Spitzen radikaler Kräfte ab. Schob Raffaeli vor. Trieb weiter, wo Geistiges verkalkte, Soziales verfettete, Unehrliches scharfes Ziel verfälschte. Zog die Linie von hüben und drüben. Sah die Listen nach. Schuf eine Mauer, machte, wurde klar. Schoß Druckschriften durch die Netze, Löcher der zementenen Mauer, hörte die Explosion. Sah Bordelle Budapests, Kaschemmen Altonas, Vorhäuser Bergens. Tabellen, Pläne verquickten sich, es rollte sich mehr rundend ein Ganzes gegen die Hebel. Kam der Schlag, der schleuderte, fuhr es auf, glitt in die neue Form. Sauste die Schaukel herunter, flog die andere auf, schmolz die letzte Etappe des Unglücks, verengte sich die Distanz unter Menschen, erstickte Ungerechtigkeit, irgendwo war Paradies, weiter. Sah vieles, verstand an den Wurzeln Gutes, Gemeines — alles fuhr in das Bild, das Conti in der Pupille trug von der Welt, das sein Hirn dachte: Umschwung der Erde. Traf im Coupé eine Frau, die zu kreißen begann, gab ihr ein Papier. Ein Mann sprach sie an, schlicht, sachlich, vornehm, strich über das schwarze Haar, erbat Mittel für eine Mission. Sie lächelte, das linke Auge schloß sich. Der Mann erbleichte, begriff ein Überlegenes, ohne daß er verstand. Sie setzte nur auf den großen Schlag, hielt dicht die Depots zusammen, verbesserte nicht. Wollte ändern. Traf nicht die Haut, wollte das Herz. Gab nicht verschlampter heuchlerischer Wohltätigkeit verlogener Gesellschaft einen Sou, tat nichts in verlorenes verspätetes Spiel. Sah in die Listen. Spürte durch die Zeilen das zischende vulkanische Geräusch aufsteigender Kräfte. Sie sagten ihr: Wohlfahrt der Massen. Sagten: Erleichterung der Bürden. Sie horchte: Bildung des Volkes. Verzog den Mund, höhnisch. Züchtete junges Fleisch, legte nichts mit lächerlicher Gebärde ins Faule. Ein Mann kam, eine Mütze mit Metallschild funkelte in den Händen. Sie unterzeichnete ein Papier: Administration des Prisons. Empfing ein Paket, „als ihr Eigentum bezeichnet“. Öffnete. Es waren die Haare, die Stefan bei der Flucht in die Berge ihr abschnitt, daß sie einem Jüngling glich. Er trug sie in seinen Kleidern. Sie kamen zurück. Sie lächelte, nur die Augenecken bebten. Führte die Fäden in ein Netz, legte es in Raffaelis Hand. Zog neue Linien. Vom Grabe Di Contis drang ungeheure Kraft. Gab Wind in sie, Sturm, nie Pause. Ging in ihre Sprache, ihre Ordnung, ihren Befehl, ihr Unterwerfen. Sein Geist schnellte von ihrer Zunge, trieb hoch, erwählte, forderte Unbedingtes — ging in ihrem Bein, entzündete durch ihr Herz. Bauern starrten blöd auf die Agierende, lachten sich an breitmäulig, gespalten, gingen heim, vergaßen es nie. Traf mit ihrem Blick ins Schwankende, vollführte die Entscheidung. Stieß, wie als Kind die Schlange, Falsches zurück, riß Geeignetes an sich, mit sich hoch. Männer nahmen den Blick von ihrer Hüfte. Jünglinge gaben sich ihr mit einem Ruck vorbehaltlos: nimm. Sah die Listen, ließ die Zentren, teilte Kreise, Quadrate, suchte Provinz, begann Kleines, spritzte Agenten aus aufs Land, schuf Agitatoren, die es nicht wußten, ließ erkennen, hatte Vertrauensleute, die es nicht ahnten. Warf Summen in die Siedepole, weißglühende Spannung, Rußland, Indien. Blieb im Hintergrund, schaffte, verbarg sich, war kleine Agentin, wußte nicht, wann ereignet es sich, wann gewinnt mein Ziel. Sah in die Listen. Es genügte. Führte sie. Sie tat das Vermächtnis. Es war genug.

Trat in eine Förderation, die kleine Huren erquickte, ihren Bauch ausruhte. Raffaeli schob den Mund schief im Bart: „Sie sind eine Frau.“ Sie schüttelte die Haare, lachend, machte die Ausnahme, stellte sich gegen die Polizei der Gesinnung, sah das Blödsinnige wohl ihrer Handlung, in diesem Falle Aussichtslose der Besserung. Tat es dennoch, hatte zu viel hier gesehen, zu sehr selbst erlebt, konnte nicht warten, bis das Leben sich umdrehte, empfand Linderung im Gedanken, es werde gelindert. Belog sich, wußte es, sah Raffaeli an, er senkte das Auge. Sie zwang Vertrauen auch im Traum. Blieb sonst eisig. Blieb verborgen, Reisende, spanische Tänzerin, Studentin, Dame. Sah die Listen, folgte der Kurve, sie ging nach aufwärts. Noch nicht die Höhe. Erweiterte das Einzelne, vervollkommnete, verlängerte. Strich durch, verwarf, erneuerte, erhöhte. Gründete ein Restaurant Rue Monsieur Le Prince, wo gegen Ausweis Abgemühte ihres Geistes Essen erhielten. Gab Raffaeli das Schloß, bog den Rausch des alten Vaudreuil ein in den Sinn ihrer Existenz. Warf die Schatten der Frauen hinaus. Geschlagene ihres Schlachtfeldes gingen auf den Terrassen. Sie selbst sah es nie mehr. Studierte die Krankenhäuser großer, kleiner Städte, machte eine Tabelle, zog eine Gleichung, ward nachdenklich. Machte Verzeichnisse, wog ab. Gab unter der Boulmichlaterne einem schmalen Dichter aus Renées Genfer Kabarett zwanzig Francs, traf ihn die Nacht mit Mimis im Absyntherausch, traf ihn wieder Rue Guijas, schlug ihm Geld ab, gab Anweisung auf Brot: „Schwärmen Sie, ich bin nicht Pedant. Aber essen Sie, damit Sie tauchen.“ Raffaeli schluckte, errötete, schloß die Augen zum Schlitz: „Verzeihen Sie wegen der Förderation.“ Sie schlug einen Kreis um das Grab Di Contis, befreite. Sprach mit einem Sergeanten, ließ ein Haus reinigen, gab es einem Balten, machte damit eine Kulisse, brachte die Häuser an sich, besiedelte sie mit seinen Leuten, armen Menschen. Empfing, ließ gehen, erhielt, gab aus. Reiste, erschien wieder, blitzte auf, verscholl, kam mit neuem Plan, dichtete das Netz. Hatte einen Reiz auf Menschen, der unwiderstehlich entzündete, gierig machte, umschlug, die Augen veränderte, das Leben. Tätig machte mit ihr, fortzog, dienend, hochmütig vor Verantwortung. Reiste nördlich. Zog am Todestag Contis die Liste heraus. Verglich, zeichnete, ging ans Fenster, sah die Maste und Schorne steif nebeneinander, ein Wald gereckt. Schloß die Liste. Legte den Kopf zurück: Fast erreicht, fast erfüllt.

Gab sich der Ruhe hin, Tage, Wochen. Lebte, gab sich preis dem Hafen, dem ungeheuer Kommenden, Gehenden. Fühlte den Herzschlag des Bodens, Wiegen des Horizonts. Mit den Schiffen ging sie hinaus, kehrte sie voll zurück. Traf ein kleines braunes Kind, das die Antennen eines Dampfers visierte, wo die silbernen Sonnen der drahtlosen Netze blitzten. Nahm es mit, badete es, legte es zu sich, hörte die Nacht wieder Herzschlag an ihrem. Wachte, ward nachdenklich, suchte die Gleichung, die Tabellen. Fuhr hinauf über Christiania, fahles Licht prallte ihr entgegen. Die Schiebetür des Lazaretts tat sich auf. Sie sprach den Arzt, die Brillengläser standen scharf auf ihr, er prüfte, legte beiseite. Sie blieb ein paar Tage. Ihr Zimmer stand leer. Andere Pläne umgaben sie, andere Pflichten. Sie blieb dennoch. Sie war nicht draußen nötig, hatte erfüllt, was ihre weibliche Kraft konnte: angeschmiegt an die Aufgabe, diese vorwärts getrieben unhemmbar. Sie kleidete sich um, schritt hinunter zum Saal: „Ist Naga hier?“ „Nein.“ Am Morgen trat sie in das Zimmer des Zigeuners. Er starrte schweigend: „Durst.“ Sie brachte Wasser. Er schiffte in die Wanne. Sie schöpfte sie aus. Grinsend ließ er seinen Darm hinein. Sie legte die Glocke ins Wasser, sog den Schlauch an, ließ altes Wasser heraus, neues hinein. Er lallte einen Fluch. Die Zunge gehorchte ihm nicht mehr. Er sprach undeutlich. Sie ging in Nagas Saal. Daß sie fehlte. Gut . . . wie schön, das Leben heiter und reizvoll zu nehmen. Der Fiebernde zog an den Lidern. Sie gingen nicht mehr auf. Dunkelheit immer um ihn. Keine Mutter am Bett. „Deine Mutter?“ „Tot.“ Ihre Hand auf seiner Stirn . . . er erkannte sie. Licht ging hoch auf seinem Gesicht. Unruhige Schatten schwankten, wenn sie sie löste.

„Sie . . . da“, des Predigers Auge irrte unstät von ihr zum Fenster. Er sah die Welt hinter ihr, roch sie in der Luft, die sie noch umgab. Ein Bogen schlug sich von ihrer Schulter übers Meer: dort die Welt, unmeßbar gepreßt, verführerisch, sein Schicksal! Haß kam in seine Augen, brannte auf sie. Sie neigte sich zurück: „Glauben Sie es immer schön . . . leicht?“ Er wollte es nicht hören: „Nur dort sein.“ Sie lächelte: „Und dann?“ . . . . . . . . . . Weiter. Auf und ab die Räume. Blicke gebannt an ihr . . . . . . die Hitze kam. Der Wind ihres Atems brachte Ergebung, Ruhe. „Wasser“, sie eilte, kühlte, verband. Wie leicht das Schwerste zu tragen, stand sie daneben. Welches Glück im Verzweifeln, sah man sie nur fern. Sie teilte aus, schlichtete, sprach zu, freundlich, unbewegt auch durch Trotz, Feindschaft prallte ab, ward Neigung. Die große Schwester kam in der Tür mit ihr zusammen. „Verzeih,“ sagte sie, neigte den Kopf, „daß ich deine Instrumente einmal beschmutzte.“ „Schon damals verzieh ich.“ Die Schwester küßte ungeschickt nach ihrer Hand, traf sie nicht, sondern die Klinke. Aus dem Garten ein Zug . . . ein neuer Kranker, den Blick wie ein Fisch, resigniert ohne Kampf — — — unmögliches Dasein. Sie stachelte ihn auf, zeigte ihm täglich das Neue, Buntes, geliebte Landschaft, Bilder von Karussells und Kirmis. Seine Sehnsucht wuchs, stieg, ward tödlich. Als sie vorbei war, gefestigt in dem Überwundenen, hatte er Heiterkeit. — — — Sie machte Schaum aus Soda, Schmierseife, heißem Wasser. Tag auf Tag beginnend mit Schüssel und Schüssel . . . trotz der Hitze sangen die Matrosen: „Es kommt Gewitter.“ Sie sagte es zehnmal, jedesmal mit erneut gesteigerter Kraft. In der Unmöglichkeit wuchs der Glaube nur stärker, verbreitete sich, trat aus. War das Haus eine Kasematte schmelzenden Bleies in weißer Hitze, lauschten schon halb erquickt die Insassen dem Regenfall, den sie versprach. Der Glaube der Männer stieg, stand in dem Raum wie eine Wolke. Der Blick des Predigers traf sie, erstaunt, ohne Haß. „Ich sollte nicht Kraft haben, zu dulden, wo Sie Ungeheures vermögen?“ Sie schnitt ihm das Fleisch, legte die Messer hin: „Wie gering ist das alles.“

Nachts beim Füllen des Wassers fiel sie ohnmächtig um neben der Wanne des Zigeuners. Sie sah auf, erwacht. Die große Schwester drückte ihr ein kaltes Wasserkissen auf die Brust, schielte mit den Augen zwinkernd nach der Seite, ein noch nie erblicktes Lächeln um den harten Mund. Der Zigeuner saß in größter Erregung. Er hatte geschrieen, jetzt beruhigte er sich. Als sie allein mit ihm war, stammelte er, Sprechens kaum mehr fähig: „Die . . . vorher . . . schlug mich.“ Er tanzte im Wasser auf und ab. Die Angst, sie zu verlieren, löste ihn. Er schlug in die Hände: „Bitte . . . bitte . . .“ Dann schwieg er.

Der letzte Sieg. Auch diesen halbverfaulten Kretin, der vor Bösem strotzte, überwand sie.

In diesem Augenblick fühlte sie verzweifelt, daß etwas fehle. Schwer atmend ging sie durch den schwülen Raum. Die Luft vor der Küste war zusammengezogen von silbernen Nebeln. Die Erde, aufgetan, dampfte zarteste Glut. Sie ging, erschrak, öffnete sich mit maßlosem Entzücken: das Meer. Es lag hinter dem Schleier, schlug groß und dumpf. Ein Vogel flog auf, stob über den Boden, setzte sich wieder. Sie erreichte ihn. Er flog zur anderen Seite, wischte den Nebel zu großen Strudeln. „Rype“, rief sie ihm. Ein Hase mit hell leuchtendem Pelz. Der Bach geschliffen, stählern. Langsam das Rauschen einer schwimmenden Otter wie aus der Ferne. Die Gegend ging heller, von seinem Dunst ins Gespenstische zugezogen. Möven schlugen sich hoch. O Möven. Der Mond fiel platt auf das Wasser. Dunkelblau gemeißelt stieg das Meer, ungeheuer gereckt mit metallen gekühlter Wut. Die Möven, hochgerollt, hingen eine unbewegliche Schlange vor dem Himmel. Alles trug ihren demütigen Sieg ihr zu. Am höchsten Triumph spürte sie die Lücke. Es genügte nicht. Das Letzte fehlte. Woher?

Sie hatte Sehnsucht, wußte nicht wohin.

Was Menschliches zu tun war, flammend war es getan. Sie war zufrieden. Nichts störte ihr Treiben. Im Lallen des leprosen Idioten formte sich glühend ein Glück. Hatte entsagt dem Eigenen. Nichts Einzelnes sog, lockte, begehrte. Entwichenes pries nur ihre Unermüdlichkeit. Kein Phantastisches, Gewähntes verwirrte. Dennoch fehlt das Letzte, stieg das Sehnsüchtige unerträglich. Dreieck spannte sich aus den Brauen, ihr eisgrauer Blick streifte das Meer.

Ihr Rücken stieß an etwas.

Ein Baum.

Der Saft zog in sie, ihren Leib, die Schenkel, das Herz. Das Meer ward ein Spiegel, scharf, nebellos: Smaragdene Inseln tauchten aus Fächern der Sonne. Abends kamen sie ins Freie. „Meer“, schrieen sie. Die Sonne sank blutrot über Herden neuer Inseln. Phalux. Der Ottava rauschte, Flöße und Feuer. Warum flog der Körper nicht über das Segel. Tausend Klüver wiegten auf dem Ontario, schliffen träumerisch den Horizont stahlblau . . . .

Sie senkte die Lider, hielt die Sehnsucht fest im Innern, sie durchdrang sie mit dem Saft in jeder Pore. Ihr Leib und der Baum hoben sich, ineinandergeflochten, zum schlankesten Instrument der Sehnsucht. Standen im Traumgrau der Landschaft aufgerichtet, eine Flöte. Der Klang des Blutes, weich sich hebend, nur nach Getrenntem gierig, war Schmerz des Rohrs nach der Weide, aus der es geformt. Wurde tigerhaft, stürzte durch die Gefäße, ein Aufschrei: zurück zur Heimat.

Der Morgen ging auf.

Ein Segelschiff bootete aus. Sie nahm es. Eine Stadt entschwand. Nebel rollten unter der Sonne. Unter braunen Segeln entschwand glühend das Kupferbergwerk in die Klippe. Noch einmal standen die Flaggen starr. Dann fraß das Meer mit einem Ruck das Ganze.

Stand am Schornstein, ging auf Verdeck mit großen raschen Schritten, schaukelte mit jeder großen Woge, ging hinunter, hinauf, es kam ihr entgegen. Der magische Pol ihrer Jugend streifte ihr zu, je näher sie rückte. Studierte Barometer, Karten, die Lotung. Traf Beamte, frug, sah den Kapitän, lächelte. Wind trug ihr Frische zu. Schaum, vom Bug heraufgeschlagen, legte sich köstlich auf ihre Haut, Schmelz blühte sie hoch. Abends unter der eingeholten Fahne kam es: Sie hatte Kraft verbraucht, ihr Leben hingegeben, Stück für Stück vergeben, gezahlt im Guten wie im Bösen. Die Spannung blieb wohl, die sie schnellte. Aber erst der Saft der Erde, aus der sie kam, durchdrang sie neu, strebte ihr entgegen. Kräftigte sie und machte sie schön, glühend, auf langen Beinen die zarterhaltenen Brüste, der wilde Zug um den demütigen Mund, die heißen großen Lippen: daß sie die Stärke habe, tätig und unermüdlich wachsend und handelnd zu warten, Di Contis Vermächtnis erfüllend, daß irgendetwas, Erdbeben, ein Komet, die faulige Erde (geschminkt zwar und kokottenhaft noch lächelnd in ihrer Raserei), durchwühle und stürze, daß Schicksal sich balle und sie selbst zurückkehre, die Maschine zu entfachen in den großen Kreis der Tat, gespeist aus dem Atem ihrer Jugenderde zu Mut und unentspannbarer Dauer.

Ein Mittag scholl. Klippen. Der Lorenzo. Möven in Spiralen durchwälzten die Luft. Kanonen brüllten. Der erste Halteplatz kam. Sie raffte die Plaids. Langsam zählte sie die Koffer, etikettierte, ging über den Steg ins Boot, ans Land. Das Gepäck häufte sich um sie in der Morgendämmerung, noch grau unter Bäumen. Ein Park von Wagen scharrte um sie. „Hinweg . . . hinweg —“, ein Diener stieß sie an, rief einen Namen, rief den Namen, rief ihn dreimal. Hinter ihr Kommende drückten, kamen vor sie, verdeckten. Da dienerte ein Neger. „Nein.“ Er lutschte die Zunge zurück, steckte die kleinen Finger in die Ohren, wiegte auf den Beinen. Über ihrer Achsel schwebte etwas, ein Eselmaul schrie, den Hals hoch neben ihrem Ohr. Etwas fiel vor ihr hin, als klatsche ein nasser Fisch auf Stein. Sie bückte sich, faßte ihr Paket, sah rasch auf. Ein Schatten blitzte vorüber. Sofort schloß sie die Augen, griff namenlos entsetzt an die Brust. Es spielte sich beißend ab unter den geschlossenen Lidern: Ein Mann mit Lichtkonturen machte eine Bewegung, aber er riß nichts heraus, sondern streifte die Hand nach ihr, schob etwas in sie hinein. Eine Beglückung durchfuhr sie, stieg in ihre Haut, in die Warzen der Brust. Sie schwebte. Sein Gesicht war blond, gescheitelt, das eines Skandinaven, die Figur ihres Traumes, ihrer Sehnsucht. Ihre Augen hoben sich, es verschwand, das Erhobene, Blutsüße blieb. Gepäckträger häuften ihre Koffer auf einen Wagen. Sonne stach durch das Grau, brauste mit einer Welle durch die Zweige. Ein Wagen streifte ihre Schulter, schmiß sie fast um. Sie drehte unter der Gewalt des Stoßes sich um die Achse. Eine rauhe Stimme brüllte: „Idiot.“ Sie steckte das Paket in die Manteltasche, wieder blitzte der Schatten, nur ähnlicher, sie erbleichte. Zitternd hob sie mit der Hand aus der Tasche die drei achatenen Kugeln. Zurück? Sie dreht sich wild herum. Die Wagen scharren alle, bewegen sich, ein Gewölk unter den Palmen. Eine Lichtung entsteht.

Da steht darin Caspare Symes. Neben ihm ein Pferd.

Die Kluft ist zu groß — ihr Herz erstarrt — zwischen ihm und ihrem Leben. Sie hat überwunden, längst. Die unbefangenen Gefühle fehlen zu dem, was im Menschlichen ihr am erstrebenswertesten schien. Vorbei. Sie zieht den Mund ein.

Als er den Kopf bewegt, hebt sie die Achseln, ein wenig, zuckend. Sie schüttelt den Kopf. Nun rast ihr Herz.

Da sieht sie erschreckend, daß sein Gesicht verändert ist. Di Contis Atem schlägt ihm aus der Haut, sein Geist vom Auge. Seuche, Leidenschaft, Erlebnis haben ihn geschlossen zu unsterblich menschlicher Schönheit.

Da erkennt sie in ihrer tiefsten Minute plötzlich: Daß dies ihr aufgespart war, damit sie vor eigenem Glück das Größere, Menschliche erst erfahre. Und da sie tapfer gekämpft bis auf die Höhe, schlägt der andere Pol ihres Lebens ins Zentrum, wächst, beglückt, ist da, ist da.

Und da sie nicht enttäuscht und feig vom Dasein kam, sondern durch größte Bemühung nur der Weisheit näher ein Geringes gekommen, geladen mit Kraft, gegen die Welt zu stoßen, sie zu ändern und Contis Hebel aufzuschlagen aus dem nun unfehlbaren Gehäuse, wandte sie ihm, der auf sie zuging, kurz und heiß die Hand zu:

„Komm.“

Anmerkungen zur Transkription


Die folgenden Korrekturen am Originaltext wurden vorgenommen:






End of the Project Gutenberg EBook of Die Achatnen Kugeln, by Kasimir Edschmid

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ACHATNEN KUGELN ***

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