The Project Gutenberg EBook of Die Liebe der Erika Ewald, by Stefan Zweig

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Title: Die Liebe der Erika Ewald
       Novellen

Author: Stefan Zweig

Release Date: January 27, 2012 [EBook #38686]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE LIEBE DER ERIKA EWALD ***




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Die Liebe der Erika Ewald


Von Stefan Zweig erschienen:

Silberne Saiten. Gedichte. Mit Schmuck von Hugo Steiner. Berlin 1901.

Gedichte von Paul Verlaine. Eine Anthologie der besten Übertragungen. Berlin 1903.

Ausgewählte Gedichte von Emile Verhaeren. Nachdichtungen. Buchschmuck von Théo van Rysselberghe. Berlin 1904.

Paul Verlaine. Eine Monographie. Berlin 1904.


Die Liebe der Erika Ewald

Novellen

von

Stefan Zweig

Buchschmuck von Hugo Steiner - Prag

vignette

Egon Fleischel & Co. Berlin 1904

Alle Rechte
vorbehalten


Inhalt


Seite
Die Liebe der Erika Ewald
1
Der Stern über dem Walde
61
Die Wanderung
77
Die Wunder des Lebens
87

chapterImage

Die Liebe der Erika Ewald

Camill Hoffmann
in inniger Freundschaft

image1
...... Aber das ist die Geschichte
aller jungen Mädchen, dieser sanften
Dulderinnen. Sie sagen nie, daß sie
leiden. Die Frauen sind zum Dulden
geschaffen. Es ist gewiß so ihr Schicksal,
sie erfahren es früh und sind darüber
so wenig erstaunt, daß sie noch immer
sagen, das Übel sei nicht da, wenn es
längst gekommen......
Barbey d'Aurévilly.

Erika Ewald trat langsam ein, mit dem vorsichtig-leisen Gang einer Zuspätkommenden. Der Vater und die Schwester saßen schon beim Abendessen; beim Geräusch der Türe blickten sie auf, um der Eintretenden flüchtig zuzunicken, dann klang nur wieder das Klingen der Teller und das Klappern der Messer durch den matterhellten Raum. Gesprochen wurde selten, nur hie und da fiel ein Wort, und das flatterte wie ein aufgeworfenes Blatt haltlos in der Luft, um dann ermattet zu Boden zu sinken. Sie hatten sich alle wenig zu sagen. Die Schwester war unscheinbar und häßlich; eine jahrelange Erfahrung, stets überhört oder bespöttelt zu werden, hatte ihr jene altjüngferliche stumpfe Resignation gegeben, die jeden Tag mit einem Lächeln scheiden sieht. Den Vater hatte eine langjährige gleichfarbige Bureautätigkeit der Welt entfremdet, und insbesondere seit dem Tode seiner Frau umfing ihn jene harte Verstimmung und trotzige Schweigsamkeit, mit der alte Leute gerne ihre physischen Leiden verbergen.

Auch Erika schwieg meistens an diesen eintönigen Abenden. Sie fühlte es, daß sich gegen die graue Stimmung, die sich wie dicke drohende Wetterwolken über diese Stunden legte, nicht ankämpfen lasse. Und dann war sie zu müde dazu. Die quälende Tagesarbeit, die sie von Stunde zu Stunde hetzte und sie zwang, Disharmonieen, tastende Akkorde, unmusikalische Brutalitäten mit rastloser Sanftmut zu ertragen, löste in ihr ein dumpfes Ruhebedürfnis aus, ein wortloses Verströmen aller Empfindungen, die die Gewalt des Tages überwuchert hatte. Sie liebte es, in diesen wachen Träumen sich selbst anzuvertrauen, weil ihr eine fast überreizte Schamhaftigkeit nie gestattete, anderen nur eine Andeutung ihrer seelischen Erlebnisse zu geben, ob auch ihre Seele unter dem Drucke ihrer ungesprochenen Worte bebte, wie ein überreifer Obstbaumzweig unter der Last seiner Früchte schwankt. Und nur ein leichter, ganz unmerklich feiner Zug um die schmalen blassen Lippen verriet, daß Kampf und Ringen in ihr war und eine unbändige Sehnsucht, die sich nicht von Worten tragen lassen wollte und nur manchmal ein wildes Beben um den festgeschlossenen Mund legte wie von jähem Schluchzen.

Das Abendessen war bald zu Ende. Der Vater erhob sich, sagte kurz einen Gutenachtgruß und ging in sein Zimmer, um sich die Pfeife anzuzünden. Das war so jeden Tag in diesem Hause, wo auch die gleichgültigste Tätigkeit zu starrer Gewohnheit versteinerte. Und auch Jeanette, ihre Schwester holte sich wie immer ihr Nähzeug her und begann beim Lampenlicht, stark vorgebeugt wegen ihrer Kurzsichtigkeit, mechanisch zu sticken.

Erika ging in ihr Zimmer und begann sich langsam zu entkleiden. Es war diesmal noch sehr früh. Sonst pflegte sie bis tief in die Nacht hinein zu lesen, oder sie lehnte in einem süßen Gefühle am Fenster und blickte hoch von oben über die hellen mondscheinbeleuchteten Dächer, die sich in lichter Silberflut badeten. Sie hatte da nie klare, zielstrebende Gedanken, nur das unbestimmte Gefühl einer Liebe für das Schimmernde, Blitzende und doch so sanft Verströmende des Mondlichtes, das die Tausende von Scheiben blank spiegelte, hinter denen sich die Geheimnisse des Lebens bargen. Aber heute empfand sie eine sanfte Mattigkeit, eine selige Schwere, die sich sehnt von milden, warm anschmiegenden Decken getragen zu werden. Eine Schläfrigkeit, die nichts anderes ist als Sehnsucht nach süßen, seligen Träumen, rann durch alle Glieder wie ein sacht erkaltendes, betäubendes Gift. Sie raffte sich auf, warf beinahe mit Hast die letzten Kleidungsstücke von sich, verlöschte die Kerze. Einen Augenblick noch – und dann dehnte sie sich im Bette....

Wie ein hurtiges Schattenspiel tanzten noch einmal die seligen Erinnerungen des Tages vorbei. Sie war heute bei ihm gewesen..... Gemeinsam hatten sie wieder geprobt zu ihrem Konzert, wo ihr Spiel seine Geige begleiten sollte. Und dann spielte er ihr vor – Chopin, die Ballade ohne Worte. Und dann die sanften lieben Worte, die er ihr sagte, die vielen lieben Worte!

Die Bilder eilten immer rascher vorbei, sie führten sie wieder nach Hause zu sich selbst, um rasch wieder hinwegzuirren in die Vergangenheit, zu dem Tag, da sie ihn zuerst kennen gelernt hatte. Und bald stürmten sie heraus über die Enge der Zeit und des Erlebens und wurden immer wilder und bunter. Noch hörte Erika, wie ihre Schwester nebenan zu Bette ging. Und ein toller merkwürdiger Gedanke kam ihr, ob er sie wohl auch zu sich gebeten hätte. Ein frohes übermütiges Lächeln wollte sich noch matt auf ihre Lippen schleichen, aber sie war schon zu schlaftrunken. Und einige Minuten später trug sie ein sicherer Schlaf zu seligen Träumen.


Beim Erwachen fand sie eine Ansichtskarte auf dem Bette. Nur ein paar Worte waren darauf, mit fester energischer Schrift hingeworfen, Worte, wie man sie auch an Fremde verschenkt. Aber Erika empfand sie als Gabe und Glück, weil er sie geschrieben hatte; ihr war es gegeben, aus dem Geringfügigen und Unscheinbaren die Ahnungen der wirklichen Fülle sich zu erschließen. Und so sollte ihr diese Liebe nicht nur wie ein milder Glanz werden, der jedes Wesen umleuchtet und erhellt, sondern so tief sollte dieses verklärende Gefühl sich verlieren, daß es wie ein Schimmer wurde, der in innigem Durchglühen von innen emporzuwachsen schien aus allem Leblosen und Unbeseelten. Schon von früher Jugend auf hatte das dunkle Gefühl ihres Ängstlichseins und ihrer zurückhaltenden Einsamkeit sie gelehrt, die Dinge nicht als kalt und leblos zu betrachten, sondern als verschwiegene Freunde, die Geheimnisse und Zärtlichkeiten dem anvertrauen, der auf sie hört. Bücher und Bilder, Landschaften und Musikstücke sprachen zu ihr, der das dichterhafte Vermögen des Kindes geblieben war, in bemalten Körpern, unbeseelten Dingen frohbewegte bunte Wirklichkeit zu sehen. Und das waren ihre einsamen Feste und Seligkeiten, ehe die Liebe zu ihr gekommen war.

So wurden ihr auch die wenigen schwarzen Schriftzüge auf dem Blatte Ereignis. Sie las die Worte so wie er sie zu sprechen pflegte, mit der weichen und musikalischen Betonung seiner Stimme, sie suchte in ihren Namen den heimlich-süßen Reiz zu legen, den nur die Sprache der Zärtlichkeit geben kann. Und sie horchte in den wenigen Sätzen, die ihrer Angehörigen wegen in kühler, fast respektvoller Form gehalten waren, den verborgen klingenden Unterton der Liebe und buchstabierte sich so langsam und traumverloren durch die Zeilen, daß sie beinahe ihren Inhalt wieder vergessen hätte. Und der war nicht so unwichtig. Sie möchte ihm doch mitteilen, ob ihr geplanter Sonntagsausflug zustande käme. Und noch ein paar unwichtige Worte wegen ihres gemeinsamen Auftretens in einem längst besprochenen Konzert. Dann ein freundlicher Gruß und eine hastige Unterschrift. Aber sie las die Zeilen immer wieder und wieder, weil sie in ihnen die starke und drängende Empfindung zu hören glaubte, die doch nur der Widerklang ihrer eigenen war.


Es war noch nicht lange her, daß diese Liebe zu Erika Ewald gekommen war und den ersten Glanz in ihr blasses gleichgültiges Mädchenleben getragen hatte. Und ihre Geschichte war still und alltäglich.

In einer Gesellschaft hatten sie sich kennen gelernt. Sie gab dort Klavierstunden, aber ihre diskrete und feine Art gewann ihr so sehr die Liebe des ganzen Hauses, daß sie nur mehr als Freundin betrachtet wurde. Und er war dort zu einer Veranstaltung geladen, sozusagen als pièce de résistance, denn sein Ruf als Geigenvirtuose war trotz seiner Jugend ein ganz ungewöhnlicher.

Die Umstände erwiesen sich selbst als bereitwillig, um ihre Verständigung zu unterstützen. Er wurde gebeten zu spielen, und es ergab sich als fast selbstverständlich, daß sie die Begleitung übernehmen sollte. Und da wurde er zuerst auf sie aufmerksam, denn sie ging mit soviel Verständnis auf seine Intentionen ein, daß er sogleich die Feinheit und Innigkeit ihres Wesens ahnte. Und noch mitten im stürmischen Applaus, der ihrem Vortrag folgte, machte er ihr den Vorschlag, ein bißchen zusammen zu plaudern. Sie nickte leise, ganz unmerklich leise.

Aber es kam nicht dazu. Man gab sie beide nicht so rasch frei, er konnte nur ab und zu mit einem verstohlenen Blicke ihre überschlanke biegsame Gestalt messen und einen schüchtern-staunenden Gruß ihrer dunklen Augen auffangen. Ihre Worte gingen unter in Gewöhnlichkeiten und Höflichkeiten, mit denen man sie überhäufte. Dann kamen wieder neue Menschen und hunderterlei Ablenkungen anderer Art, daß sie beinahe die Verabredung vergaß. Aber als alles vorüber war und sie sich empfahl, stand er plötzlich neben ihr und fragte sie mit seiner sanften zurückhaltenden Stimme, ob er sie nach Hause geleiten dürfe. Einen Augenblick war sie hilflos; dann lehnte sie mit so ungeschickten Worten seine Mühe ab, daß er seinen Willen schließlich leicht durchsetzen konnte.

Sie wohnte ziemlich weit draußen in der Vorstadt, und es war ein langer Weg in der mondhellen kalten Winternacht. Eine Zeitlang blieb ein Stillschweigen zwischen ihnen; es war dies keine Unbehilflichkeit, sondern nur die unbestimmte Furcht, die feiner durchbildete Leute haben, eine Unterhaltung mit Banalitäten zu beginnen. Dann begann er zu sprechen. Von dem Musikstück, das sie gemeinsam gespielt hatten, und von der Kunst überhaupt. Aber das war nur ein Anfang. Nur ein Weg zu ihrer Seele. Denn er wußte, daß alle, die in der Kunst ihre letzten Schätze so königlich verschwendeten, die ihr volles Gefühl in die musikalische Schönheit legten, im Leben ernst und verschlossen waren und sich nur dem Verstehenden offenbarten. Und sie gab ihm auch wirklich in ihren Ansichten über Schaffen und Reproduzieren viel von ihren geheimen psychischen Erlebnissen, vieles, das sie noch keinem anvertraute und manches, das ihr selbst bisher noch nicht zum Bewußtsein gekommen war. Später konnte sie es selbst nicht begreifen, wieso sie ihre stete, fast ängstliche Zurückhaltung damals überwunden hatte, später, als er ihr näher getreten war, ihr Freund und Vertrauter wurde. Denn an jenem Abend erschien ihr ein Künstler, ein Schaffender noch wie ein Gewaltiger, der nie in das Leben tritt, sondern in Fernen lebt, unnahbar und überragend, ein Verstehender und Gütiger, dem man nichts verschweigen darf. Bisher waren nur schlichte Leute in ihren Kreis getreten, Menschen, die sich zerlegen und berechnen ließen, wie eine Schulaufgabe, vorurteilsvolle und konservative Ketzerrichter, denen sie sich fremd fühlte, und die sie beinahe fürchtete. Und dann: es war eine stille und helle Nacht gewesen. Und wenn man in solchen schweigenden Nächten zu zweit geht, von niemandem gehört und gestört, und sich die dunklen Schatten der Häuser über die Worte senken und die Stimmen ohne Nachhall in der Stille verwehen, da ist man so vertrauensvoll, als ob man zu sich selbst spräche. Da wachen Gedanken aus den Tiefen auf, die in der bunten Unrast des Tages ungehört untergehen und denen erst die Stille des Abends sanfte Schwingen gibt; und die Gedanken werden zu Worten fast ohne daß man es will.

Der lange Gang in der einsamen Winternacht hatte sie einander nahe gebracht. Als sie sich zum Abschied die Hände reichten, blieben ihre blassen kühlen Finger lange hilflos in seiner starken Hand liegen wie vergessen. Und sie gingen wie alte Freunde voneinander.


Sie begegneten sich noch oft in diesem Winter. Zuerst war es ein günstiger Zufall, der aber bald Verabredung wurde. Ihn reizte dieses interessante Mädchen mit allen ihren Eigenarten und Seltsamkeiten, er bewunderte die vornehme Zurückhaltung ihrer Seele, die sich nur ihm offenbarte und sich zagend zu seinen Füßen warf wie ein erschrecktes Kind. Er liebte ihre tausendfachen Feinheiten, die schlichte Gewalt des Empfindens, die jeder Schönheit willenlos entgegenpulste und doch vor fremden Augen sich bergen wollte, um sich die reine Innigkeit des Genusses nicht zu stören. Aber diese zarten und innigen Empfindungen, die er so voll und hinreißend bei jemandem mitempfinden konnte, waren ihm selbst fremd. Schon von Jugend auf, noch ein halbes Kind, war er zu sehr von Frauen als Künstler verhätschelt und verführt worden, um in einer vergeistigten Liebe Befriedigung zu finden; er empfand zu wenig feminin, zu wenig jünglinghaft, weil die ganze unverständige wunschlose Süße der Gymnasiastenliebe sich nie in sein frühreifes Leben eingeschlichen hatte. Temperamentvoll und blasiert zugleich liebte er mit jenem schroffen Begehren, das der letzten sinnlichen Erfüllung zustrebt, um dort zu verbluten. Und er kannte sich selbst und verachtete sich wegen jeder Schwäche, die ihn überwältigte, er empfand jede dieser raschen Befriedigungen mit Ekel, ohne sich wehren zu können, denn Leidenschaftlichkeit und Sinnlichkeit durchbebten sein Leben wie seine Kunst. Auch die Meisterschaft seines Spieles wurzelte in dieser festen, temperamentvollen Männlichkeit; die letzten verhauchenden Nuancen, die wie leise Atemzüge einer schlummernden Melancholie sind, mußten seiner energischen und doch zigeunerhaft-süßen Bogenführung entgehen. Eine leise Furcht stand immer versteckt hinter der packenden Gewalt, mit der er zu überwältigen wußte.

Und so furchtsam und ergeben war auch ihre Liebe zu ihm. Sie liebte in seiner Person alle ihre Traumgestalten, die in den langen Jahren des Alleinseins eine gewisse Wirklichkeit gewonnen hatten, sie verehrte den Künstler, der sich in seinem Wesen verkörperte, weil sie den mädchenhaften Glauben hatte, daß ein Künstler auch in seiner Lebensführung die priesterliche Würde verwirklichen müsse. Manchmal sah sie ihn mit einem fremden und unsinnlichen Blick an wie ein seltsames Bild, in dem man vertraute Züge empfinden will, und ihr Anvertrauen war wie zu einem Beichtiger. Sie dachte nicht an das Leben, weil sie es nie gekannt hatte, sondern es erlebt hatte wie einen haltlosen Traum. Darum fehlte ihr auch jede Angst und jedes Bangen vor der Zukunft, sie glaubte an ein sanftes und seliges Weiterklingen dieser unsinnlichen verehrenden Liebe, die sie zuversichtlich machte mit ihrer künstlerischen Schönheit und innigen Reinheit.

Manchmal überraschte sie sich dabei, daß sie gar nicht das Bedürfnis hatte zu sprechen, wenn sie bei ihm war. Er spielte oder schwieg, und sie saß und träumte und fühlte nur, wie ihre Träume immer heller und lichter wurden, wenn er sprach oder sie anblickte. Das war alles verklungen, kein irrer Lärm drang mehr vom Tage herüber, nur Stille, Schweigen und silberne Feiertagsglocken tief im Herzen. Und ein sehnsüchtiges Zärtlichkeitsbedürfnis, ein Erwarten von lieben und leisen Worten, die sie doch eigentlich fürchtete, bebte dann in ihr. Sie ahnte, wie sie ganz in seinem Banne stand, wie er sie mit seiner Kunst beherrschen konnte, Schmerzen und Jubel geben mit seinen lockenden Tönen; sie fühlte sich wehrlos seinem Spiel gegenüber, und so unsäglich arm, weil sie nichts geben konnte und nur empfing, mit offenen zitternden Händen bei ihm bettelte.

Es war eine unabänderliche Gewohnheit geworden, daß sie mehrmals in der Woche zu ihm kam. Zuerst waren es Proben zu einem gemeinsamen Konzert, aber bald konnten sie die wenigen Stunden gar nicht mehr entbehren. Sie ahnte gar nicht die Gefahr, die in der wachsenden Intimität ihrer Freundschaft lag, sondern ließ die letzte Zurückhaltung ihrer Seele vor ihm fallen und offenbarte ihm ihre verborgensten Geheimnisse als ihrem einzigen Freunde. Sie merkte es oft gar nicht in ihrem heißen, fast visionären Erzählen, wie er ihre Hände in wachsender Erregung umspannte und manchmal die Lippen brennend zu ihren Fingern herabsenkte, während er ihr zu Füßen lag und zuhörte. Und sie erkannte auch nicht, wie er manchmal in den drängendsten und verlangendsten Tönen seiner Geige nur zu ihr sprach, weil sie in der Musik immer sich selbst suchte und ihre Träume. Ein Verstehen und eine Erlösung war ihr diese Zeit für das viele, das sie bisher nicht laut zu sagen wagte, und noch nicht mehr. Sie wußte nur, daß eine solche stille Stunde viel Glanz hineinbrachte in ihren öden, arbeitsvollen Tag und einen lichten Schein in ihre Nächte. Und mehr wollte sie nicht als still sein und selig sein; sie verlangte nur einen reichen Frieden in den sie flüchten konnte, wie zu einem Altar.

Aber sie hütete sich wohl, ihr Glück offen zu zeigen; ihre Lippen bargen oft ein Lächeln reinster Seligkeit mit so herbverschlossener Gewalt vor den Leuten und vor ihrer Familie, als sei es ein aufquellendes Weinen. Denn sie wollte ihre Erlebnisse bewahren vor fremden Blicken wie ein Kunstwerk mit hunderterlei flüchtigen Zusammenhängen, das in plumpen Fingern mit einem bangen Aufschrei zerbricht. Und sie baute kühle und abgenutzte Alltagsworte um ihr Glück und um ihr Leben, so daß es durch viele Hände gehen konnte, ohne verkannt zu werden und in wertlose Scherben zu zerbrechen.


Am Samstag abend vor dem Ausfluge besuchte sie ihn wieder. Als sie anklopfte, fühlte sie wieder jene merkwürdige Bangigkeit wie immer, wenn sie zu ihm ging, und die sich immer mehr steigerte, bis er selbst mit ihr war. Aber sie mußte nicht lange warten. Er öffnete rasch, geleitete sie in sein Studienzimmer, nahm ihr mit vorsichtiger Galanterie die Frühlingsjacke ab und streifte respektvoll mit den Lippen ihre schöne feingeäderte Hand. Und dann setzten sie sich zusammen auf ein kleines dunkles Samtsofa, das bei seinem Schreibtisch stand.

Es war schon düster im Zimmer. Draußen am Himmel verfolgten sich graue Wolken hastig im Abendwind, und ihre Schatten trübten unruhig das matte Dämmerlicht. Er fragte, ob er anzünden solle. Sie verneinte. Das matte süße Licht, das nicht mehr erkennen und nur ahnen läßt, war ihr so lieb mit seiner sanften Melancholie. Sie saß ganz still. Man konnte noch die geschmackvolle Einrichtung des Zimmers deutlich wahrnehmen, den prächtigen Schreibtisch mit einer Bronzestatue, rechts einen geschnitzten Geigenständer, dessen Silhouette sich scharf von dem grauen Stück Himmel abhob, das durch die Scheiben gleichgültig hereinblickte. Irgendwo tickte eine Uhr mit schwerem abgemessenem Schlag, als sei es der harte Schritt der mitleidslosen Zeit. Sonst war es still. Nur ein paar bläuliche Rauchstreifen von seiner vergessenen Zigarette stiegen ebenmäßig in das Dunkel. Und durch das geöffnete Fenster kam ein lauer Frühlingswind zu ihnen herein.

Sie plauderten. Zuerst war es ein Lächeln und Erzählen, aber ihre Worte wurden immer schwerer im drohenden Dunkel. Er sprach von einer neuen Komposition, einem Liebeslied, das sich an ein paar schlichte wehmütige Volksliedstrophen anschmiegte, die er einmal in einem Dorfe gehört hatte. Ein paar Mädchen waren es gewesen, die von der Arbeit kamen, ihre Stimmen klangen weit von ferne, daß er die Worte nicht mehr verstand und nur die leise, schweratmende Sehnsucht der Weise hörte. Und gestern war die Melodie wieder in ihm erwacht, spät am Abend und war ihm ein Lied geworden.

Sie sagte nichts, sondern sah ihn nur an. Und er verstand ihre Bitte. Schweigend trat er zum Fenster hin und nahm seine Geige. Ganz leise begann sein Lied.

Hinter ihm ward es langsam wieder hell. Die Abendwolken waren in Brand geraten und glühten in purpurnem Glanz. Das Zimmer begann widerzuleuchten von dem hellen Schein, der allmählich düsterer und gesättigter wurde.

Er spielte das einsame Lied mit wundervoller Gewalt, er verlor sich selbst in seinen Tönen. Und er verlor sein Lied und behielt nur die unendlich sehnsüchtige fremde Volksmelodie, die in allen seinen Variationen immer wieder dasselbe stammelte, weinte und jauchzte. Er dachte an nichts mehr, seine Gedanken waren fern und verwirrt, nur das strömende Gefühl seiner Seele formte mehr die Töne und gab sich ihnen zu eigen. Das enge dunkle Zimmer überflutete von Schönheit..... Die roten Wolken waren schon schwere, schwarze Schatten geworden, und er spielte noch immer. Längst hatte er schon vergessen, daß er dieses Lied nur ihr als Huldigung spielte; seine ganze Leidenschaft, die Liebe zu allen Frauen der Welt, zum Inbegriff des Schönen wachte in den Saiten auf, die in seliger Inbrunst erschauerten. Immer wieder fand er eine neue Steigerung und eine wildere Gewalt, aber nie die verklärende Erfüllung, es blieb auch im rasendsten Aufschwung immer nur Sehnsucht, stöhnende und jauchzende Sehnsucht. Und er spielte immer weiter, wie einem bestimmten Akkord zu, einer abschließenden Auflösung entgegen, die er nicht finden konnte.

Plötzlich brach er jählings ab.... Erika war mit einem dumpfen hysterischen Schluchzen auf dem Sofa zusammengebrochen, von dem sie sich in ihrer Ekstase erhoben hatte, wie angelockt von den Tönen. Ihre schwachen reizbaren Nerven unterlagen stets dem Zauber einer Gefühlsmusik; sie konnte weinen bei wehmütigen Melodien. Und dieses Lied mit seiner drängenden, aufpeitschenden Erwartung hatte in ihr alle Gefühle erregt, ihre Nerven in eine furchtbare atemlose Spannung versetzt. Wie einen Schmerz empfand sie die Wucht dieser niedergehaltenen Sehnsucht, sie hatte ein Gefühl, als ob sie aufschreien müßte unter dieser engenden Qual, aber sie vermochte es nicht. Nur in einem jähen Weinkrampfe löste sich ihre gesteigerte physische Erregung.

Er kniete bei ihr nieder und suchte sie zu beruhigen. Er küßte ihr leise die Hand. Aber sie bebte noch immer, und manchmal lief ein Zucken über ihre Finger wie von einem elektrischen Schlage. Er sprach ihr freundlich zu. Sie hörte nicht. Da wurde er immer inniger und küßte mit heißen Worten ihre Finger, ihre Hand und küßte ihren bebenden Mund, der unbewußt unter seinen Lippen erschauerte. Seine Küsse wurden immer drängender, dazwischen stieß er zärtliche Liebesworte hervor und umfaßte sie immer stürmischer und verlangender.

Mit einem Male fuhr sie aus ihrem Halbtraum und stieß ihn beinahe mit Heftigkeit zurück. Er stand erschrocken und unsicher auf. Einen Augenblick blieb sie noch stumm, wie um sich an alles zu besinnen; dann stammelte sie mit unruhigem Blick und gebrochener Stimme, er möge ihr verzeihen, sie habe öfters so nervöse Anfälle, und die Musik habe sie erregt.

Einen Augenblick blieb ein peinliches Schweigen. Er wagte nichts zu antworten, weil er fürchtete, eine niedrige Rolle gespielt zu haben.

Sie fügte noch hinzu, sie müsse jetzt gehen, es sei schon höchste Zeit, man würde sie zu Hause schon längst erwarten. Und zugleich nahm sie ihre Jacke. Ihre Stimme schien ihm kühl und fast frostig.

Er wollte etwas sprechen, aber es kam ihm alles so lächerlich vor nach den Worten, die er ihr noch eben in seiner leidenschaftlichen Trunkenheit gesagt hatte. Stumm und respektvoll geleitete er sie zur Türe. Erst wie er ihr die Hand zum Abschied küßte, fragte er zögernd: »Und morgen?«

»Wie wir verabredet haben. Ich denke doch?«

»Selbstverständlich.«

Er war freudig berührt, daß sie über sein Benehmen ohne ein Wort hinwegging, und bewunderte ihre feine Zurückhaltung, die ihm vergab, ohne es merken zu lassen. Ein flüchtiges Abschiedswort sagten sie sich noch, dann fiel die Türe dumpf ins Schloß.


Der Sonntagmorgen war ein wenig trübe und melancholisch gewesen. Ein schwerer Frühnebel legte sein dichtmaschiges graues Netz über die Stadt und ließ wie durch feine Ritzen ein leises Regenstieben auf die Straße niederzittern. Aber bald begann es in dem dunklen Netz zu funkeln, als ob sich eine schwere goldene Königskrone darin gefangen hätte, die immer schimmernder und heller wurde. Und schließlich zerriß das trübe Gewebe unter der lichten Last, und eine frische Frühlingssonne leuchtete herab und spiegelte tausendfältig ihr junges Antlitz in den blanken Scheiben und nassen Dächern, in den glitzernden Wassertümpeln, den sanft erglühenden Kirchturmkuppeln und in den heiteren Blicken der auslugenden Leute.

Nachmittags war schon helles Sonntagstreiben in den Straßen. Die vorüberrasselnden Wagen klapperten eine frohe Melodie, aber die Spatzen wollten noch lauter sein und schrieen um die Wette von den Telegraphendrähten herab, und dazwischen schrillten die Signale der Straßenbahn in hellem Durcheinander. Eine breite Menschenflut drängte sich auf den Hauptstraßen gegen die Peripherie zu wie ein dunkles Meer, aber ein lichtes schimmerndes Blitzen war darin von weißen Frühlingskleidern und hellen Farben, die sich zum ersten Male wieder ins Freie wagten. Und über dem allen lag Sonne, eine warme, lichtflutende Frühlingssonne mit einem blinkenden Leuchten.

Erika freute sich im Dahinschreiten, wie leicht und beseligt sie an seinem Arm ging. Am liebsten hätte sie getanzt oder getollt wie ein Kind. Und ganz kindlich und mädchenhaft war sie in ihrem einfachen glatten Kleide und dem aufgesteckten Haar, das sonst tief und schwer wie eine wetterschwere Wolke über der Stirne drohte. Und ihr Übermut war so überquellend und echt, daß er auch seinen Ernst bald ins Wanken brachte.

Sie hatten ihren ursprünglichen Beschluß, in den Prater zu gehen, bald aufgegeben, denn sie fürchteten den grellen stimmenlauten Sonntagstrubel, der in die feierliche Stille des prächtigen Parkes bricht. Ihr Prater, das waren die breiten wohlgepflegten Alleen mit den uralten Kastanienbäumen, die weiten schweifenden Auen, die in dunklen Waldungen enden und die hellen Wiesen, die sich in sattem Glanze sonnen und nichts mehr von der Millionenstadt wissen, die in unmittelbarer Nähe atmet und stöhnt. Aber am Feiertag verliert sich dieser Zauber und verbirgt sich vor den überströmenden Scharen.

Er schlug vor, gegen Döbling zu zugehen, aber weit hinter den eigentlichen netten Ort mit seinen freundlichen weißen Häuschen, die so kokett aus der dunklen Umhüllung schmucker Gärten herausblitzen. Er wußte dort ein paar stille und stimmungsvolle Wege, die durch schmale akazienblütenbeschneite Alleen sanft in die weiten Felder hinüberführen. Und die gingen sie auch heute. Sie kamen in den stillen Ort mit seinem fast ländlichen Sonntagsfrieden, der sie auf ihrem ganzen Spaziergange wie ein milder unfaßbarer Duft begleitete. Manchmal sahen sie sich an und fühlten, wie reich ihr Schweigen war, wie es die ganze selige Empfindung des vollströmenden Frühlings trug und mehrte.

Die Felder waren noch niedrig und grün. Aber der segensschwere Duft der warmen spendenden Erde kam zu ihnen wie ein verheißungsvoller Gruß. Ferne lag der Kahlenberg und der Leopoldsberg mit seinem uralten Kirchlein, von dem die Wand steil abfiel bis zur Donau hinab. Und dazwischen viel reiches Land, meist noch braun und unbestellt und voll gewärtiger Saat. Aber dazwischen schon viereckige Flächen mit gelber werdender Frucht, die sich eckig und unvermittelt vom dunklen Erdreich abhoben, wie abgerissene und zerschlissene Fetzen auf dem gebräunten kraftvollen Körper eines arbeitsharten Werkmannes. Und wie ein blauer Bogen darüber ein heiterer Frühlingshimmel gespannt, in den die flinken Schwalben mit zwitscherndem Jubel hineinsegelten.

Als sie durch eine alte breite Akazienallee kamen, erzählte er ihr, daß dies Beethovens Lieblingsgang gewesen sei, auf dem er im Spazierengehen viele seiner tiefsten Schöpfungen zuerst empfunden habe. Der Name stimmte sie beide ernst und feierlich. Sie dachten an seine Musik, die ihnen ihr Leben in vielen begnadeten Stunden reicher und inniger gemacht hatte. Alles schien ihnen bedeutender und größer, da sie an ihn dachten: sie empfanden die Majestät der Landschaft, deren fröhliche Heiterkeit sie nur vorher geschaut, und der schwere satte Duft der sonneglühenden fruchtschwellenden Erde gab ihnen das geheimste Symbol des Frühlings.

Ihr Weg ging weiter durch die Felder. Erika ließ im Vorübergehen das unreife Korn durch ihre Finger rauschen, aber sie fühlte es gar nicht, wenn ab und zu ein Halm unter ihrer Hand zerknickte. Das Schweigen zwischen ihnen gab ihr seltsame und tiefe Gedanken, in die sie sich träumend verlor. Es waren milde und heimliche Liebesgefühle in ihr erwacht, aber sie dachte nicht an ihn, der ihr zur Seite ging, sondern an alles, das um sie war und lebte, an das Korn, das sich leise im Winde wiegte und an die Menschen, denen es Arbeit und Glück schenkte; sie dachte an die Schwalben, die sich am Himmel hoch verfolgten und an die Stadt, die fern unten in einer grauen Dunstkapuze eingehüllt herüberschaute, sie fühlte wieder die allumfassende Gewalt des Frühlings in sich wie ein Kind, das mit frohen Sprüngen zum ersten Male jubelnd in das mildströmende Sonnenlicht hinausstürmt.

Sie gingen lange in den Wiesen und Feldern. Inzwischen neigte sich der Nachmittag seinem Ende zu. Es war noch nicht Abend, aber das scharfe Licht ging allmählich in eine weiche verhauchende Mattigkeit über, die sein Nahen verkündigte, und in der Luft zitterte ein leiser blaßrosa Ton. Erika war ein wenig müde geworden und, um sich auszurasten und ein wenig auch aus Neugier gingen sie in ein kleines Wirtshaus am Wege, aus dem ihnen fröhliche Stimmen in buntem Durcheinander entgegen klangen. Im Garten setzten sie sich nieder; an den Nachbartischen saßen Familien aus der Vorstadt, bessere Leute mit gemütlichen Mienen und lauten ungezwungenen Stimmen, die den Sonntag nach Wiener Art mit einem Ausflug feierten. Rückwärts in einer Laube waren ein paar Musikanten, drei oder vier Leute, die am Wochentag in der Stadt bettelnd herumzogen und nur des Sonntags ein Dach über sich hatten. Aber sie spielten die alten abgeleierten Volksweisen recht gut, und wenn sie einen besonders flotten und populären "Schlager" begannen, so fielen bald alle Stimmen ein und sangen die Melodie aus voller Kehle mit. Auch die Frauen stimmten ein, niemand genierte sich, alles war hier Gemütlichkeit und behäbige Zufriedenheit.

Erika lächelte ihm über den Tisch zu, aber ganz verstohlen, daß sich niemand beleidigt fühlte. Ihr gefielen diese schlichten unkomplizierten Leute mit den einfachen Empfindungen und Trieben, die sich nicht verbergen konnten. Und ihr gefiel die behaglich-ländliche Stimmung, die kein fremder Einschlag trübte.

Der Wirt, ein breiter, gutmütiger Mann kam mit jovialem Lächeln zum Tisch her. Er hatte in seinem Gast einen vornehmeren Mann bemerkt, den er selbst bedienen wollte. Er fragte, ob er ihm Wein bringen dürfe, und als das bejaht wurde, erkundigte er sich, ob das Fräulein Braut auch etwas wünsche.

Erika wurde blutrot und wußte ihm im ersten Augenblicke nichts zu antworten. Dann nickte sie nur verwirrt mit dem Kopf. Ihr "Bräutigam" saß gegenüber, und obwohl sie ihn nicht ansah, fühlte sie seinen lächelnden Blick, der sich an ihrer Verwirrung weidete. Sie schämte sich eigentlich, wie ungeschickt sie sich benahm einer naturgemäßen Verwechslung halber, aber sie wurde das peinliche Gefühl nicht mehr los. Und mit einem Male war ihr die Stimmung verdorben, jetzt fühlte sie erst, wie abgehackt und maschinenmäßig die Leute ihre Lieder abdudelten, jetzt erst hörte sie das häßliche Brüllen und Poltern der Bierbässe, die in toller Freude mitjohlten. Am liebsten wäre sie weggegangen.

Aber da begann der Geiger ein paar seltsame Takte. Mit weichen süßen Strichen spielte er einen alten Walzer von Johann Strauß, und die andern stimmten schmiegsam in die weiche, liebe Melodie ein. Erika fühlte wieder erstaunt, was für zwingende Macht die Musik über ihre Seele habe, denn mit einem Male war eine Leichtigkeit in ihr und ein Wiegen und Schweben. Und die Süßigkeit der Melodie ließ sie fremde Versworte mitsingen, ganz leise mitsummen, ohne daß sie es recht wußte. Sie spürte nur, daß wieder alles gut und froh sei, und das Blühen des Frühlings fühlte sie wieder und ihr eigenes tanzendes Herz.

Als der Walzer zu Ende war, stand er auf und ging. Sie folgte ihm gern, denn sie verstand sofort seine Absicht, sich die packende Gewalt der Melodie und ihre sonnige Innigkeit nicht durch einen öden Gassenhauer zerstören zu lassen. Und sie gingen den schönen Weg gegen die Stadt zu wieder zurück.

Die Sonne war schon gesunken, nur hinter den Kanten der Berge, durch die goldumglühten Bäume sickerten feine Lichtbäche von seltsam rosiger Färbung hinab ins Tal. Es war ein wundersamer Anblick. Ein rötliches Leuchten stand am Himmel wie von einem fernen Brande, und tief unten über der Stadt wölbte sich der Dunst in der intensiven Strahlenfärbung wie ein purpurner Ball. Und alle Geräusche verklangen im Abend in sanfter Harmonie: der ferne Gesang von heimkehrenden Ausflüglern, begleitet von einer Harmonika, das immer lauter werdende helle Gezirp der Grillen und das unbestimmte Sausen und Rauschen und Raunen, das in allen Blättern lebte, in allen Ästen wisperte und selbst in der Luft zu surren schien.

Plötzlich, ganz unvermittelt, fielen ein paar Worte von ihm in ihr feierliches, fast andächtiges Schweigen hinein: »Erika, das war doch komisch, wie Sie der Wirt meine Braut nannte.«

Und dann ein Lachen, ein mühseliges gezwungenes Lachen.

Erika fuhr aus ihrer Träumerei. Was wollte er damit? Sie fühlte, daß er ein Gespräch beginnen, erzwingen wollte. Sie hatte Furcht, eine dumme, sinnlose dunkle Angst. Sie gab keine Antwort.

»Nicht, das war doch komisch? Und wie Sie rot geworden sind!«

Sie sah hinüber, um seinen Gesichtsausdruck zu betrachten. Wollte er sie verspotten? – Nein! Er war ganz ernst und sah sie gar nicht an. Er hatte es absichtslos gesagt. Aber er wollte eine Antwort haben. Jetzt fühlte sie erst, wie gezwungen er das gesagt hatte; wie um einen Anfang zu machen. Es war ihr so bange, und sie wußte nicht, warum. Aber etwas mußte sie sagen, er wartete ja darauf.

»Mir war es weniger komisch als peinlich. Ich bin nun einmal so, daß ich Scherze nicht recht verstehen kann.« Sie sagte es hart und abschließend, fast wie gereizt.

Dann stellte sich wieder ein Schweigen zwischen beide. Aber es war keine selige Stille vereinten Genießens mehr, wie früher, kein sympathetisches Ahnen und Erfassen der ungeborenen Empfindung, sondern ein schweres und dunkles Schweigen, das ein Verschweigen war von irgend etwas Drohendem und Drängendem. Und sie hatte plötzlich Angst vor ihrer Liebe, daß sie auch so schmerzhaft und verzehrend werden sollte wie jedes Glück, das ihr begegnet war, wie die wehmütigen und leisen Bücher, über denen sie weinte, und die doch ihr liebstes waren und wie die brennenden Wellen der Tonfluten in Tristan und Isolde, die ihr höchste Seligkeit bedeuteten und sie doch quälten wie ein Schmerz. Das Schweigen drückte sie immer mehr und mehr und wurde wie ein dunkler, schwerer Nebel, der sich schmerzhaft auf ihre Augen legte. Allmählich befreite sie sich erst aus ihrer Bangigkeit. Sie wollte ein Ende machen, ihn klar und offen fragen.

»Mir ist so, als wollten Sie mir etwas verschweigen. Was ist Ihnen?«

Einen Moment blieb er ruhig. Dann sah er sie an mit dunklen, unbeweglichen Augensternen. Er überlegte und sah sie nochmals an, tiefer und sicherer, und seine Stimme klang seltsam voll und melodisch.

»Ich habe es lange nicht gewußt. Seit kurzem weiß ich es erst. Ich – sehne mich nach Ihnen.«

Erika erbebte. Sie hatte die Augen zu Boden gerichtet, aber sie spürte, daß er sie ansehe, tief, fragend, durchdringend. Sie dachte nun an das letzte Mal, wie sie bei ihm war und er sie geküßt hatte. Sie hatte ihm damals nichts gesagt, aber ihr Herz war ungestüm erwacht, sie wußte nicht, ob in Zorn oder Scham. Und das Bangen hatte sie erfaßt, das sie sonst spürte, wenn er so glühende und leidenschaftliche Lieder spielte, jenes selige Grauen mit Abgründen und Seligkeiten ohne Ende. Was sollte jetzt kommen? O Gott, o Gott!.... Sie fühlte, daß er weitersprechen würde und sehnte sich danach und fürchtete sich doch. Sie wollte es nicht hören. Sie wollte die Felder sehen, ja, den Abend, den herrlichen Abend. Nur nichts hören, nichts hören. Nur die Stadt ansehen mit ihrem dunklen Nebel, die Stadt und die Felder. Und die Wolken da oben.... Die Wolken, wie sie rasch am Himmel segelten! Ganz wenige waren noch oben. Eins ... zwei ... drei ... vier ... fünf ... ja fünf Wolken.... Nein! Nur vier waren es!..... Vier.....

Aber da begann er zu sprechen.

»Ich habe lange Angst gehabt vor meiner Leidenschaft, Erika! Ich habe immer geahnt, daß sie kommen werde und habe es nie glauben wollen. Nun ist sie da. Ich weiß es, seitdem Sie das letzte Mal bei mir waren, seit gestern.«

Einen Moment schwieg er und holte Atem aus tiefster Brust.

»Und – das macht mich traurig, unendlich traurig. Ich weiß, daß ich Sie nicht heiraten kann, ich weiß, es würde mich meine Kunst kosten. Das kann kein Fremder verstehen – Sie werden es verstehen, meine liebe, liebe Erika. Nur ein Künstler kann das verstehen, und Sie haben eine reiche, unendlich reiche Künstlerseele. Und Sie sind auch klug. Wir können nicht mehr weiter so zusammen verkehren .... es muß ein Ende gemacht werden...«

Er hielt inne. Erika fühlte, daß er noch nicht zu Ende war. Am liebsten wäre sie vor ihm bettelnd hingesunken und hätte ihn gebeten, jetzt nicht weiter zu sprechen. – Sie wollte jetzt nichts hören, nichts verstehen. – Nein, sie wollte nicht.... Und angstvoll begann sie wieder die Wolken zu zählen.... Aber die waren schon weg.... Nein, dort war noch eine.... Eine, die letzte, rosig überhaucht wie ein stolzer Schwan, der den dunklen Strom hinabsegelt.... Wieso fiel ihr das Bild ein? Sie wußte es nicht.... Ihre Gedanken wurden immer wirrer. Sie fühlte nur, daß sie bloß an die Wolke denken wollte.... Die zog jetzt fort, ja sie zog fort über den Berg hin.... Sie spürte, wie ihr ganzes Herz an ihr hing, wie sie sie am liebsten mit ausgestreckten Händen gehalten hätte, aber sie ging ... sie lief, lief schneller, immer schneller.... Und jetzt – jetzt war sie verschwunden.... Und Erika hörte nun wieder klar und unabänderlich seine Worte, unter denen ihr Herz in blinder Angst erbebte.

»Ich weiß nicht, ob du mich so ganz kennst. Ich glaube nicht, ich meine immer, daß du mich überschätzt. Ich bin kein großer Mensch, ich bin keiner von denen, die .... die über dem Leben stehen in ihrer sicheren Selbstgenügsamkeit. Ich wollte, ich wäre so, aber ich bin es nicht. Ich klebe am Leben, ich bin nicht eben viel mehr als einer, der das begehrt, was er liebt. Ich bin nur so, wie alle Männer sind, ich verehre nicht nur die Frau, wenn ich sie liebe, ich .... verlange sie auch..... Und .... mit Fremden will ich dich nicht betrügen. Ich will nicht, daß du mich verachtest. Du bist mir zu lieb dazu...«

Erika war blaß geworden. Nun erst verstand sie, was er meinte, und sie wunderte sich, daß sie nicht früher daran gedacht. Mit einem Male war sie wieder ruhig geworden. Es war alles gekommen, wie es kommen mußte.

Sie wollte ablehnend sprechen, aber sie vermochte es nicht. Das sanfte "du" seiner Rede hatte sie eigentümlich überwältigt mit seiner liebevollen Innigkeit. Sie verspürte wieder, wie sie ihn liebte; das Bewußtsein kam ihr plötzlich, wie ein vergessenes Wort, das wiederkehrt. Und sie fühlte auch, wie schwer sie ihn verlieren könnte, wie viel geheime Kräfte sie mit ihm verbanden. Wie ein Traum war ihr alles....

Er sprach weiter, und seine Stimme wurde mild wie eine Liebkosung. Sie fühlte seine Hand in ihren zärtlichen Fingern.

»Ich weiß nicht, ob du mich geliebt hast, ob du mich so geliebt hast, wie ich dich jetzt. Mit der letzten Hingabe und mit dem grenzenlosen Vergessen an alle Kleinlichkeiten, mit jener heiligsten Liebe, die nur schenken und nichts verweigern kann. Und ich glaube nur an die Liebe, die Opfer bringt um ihrer selbst willen.... Aber nun ist alles zu Ende. Und ich habe dich darum nicht minder lieb...«

Erika war wie von einem Rausch befangen. Ein sanfter Schauer überlief sie. Sie wußte nur, daß sie ihn verlieren sollte und nicht konnte. Und daß sie hoch über dem Leben stand. Alles war so fern, so weit. Abendstille lag über den Tälern und sanfte Feierlichkeit, die Stadt war fern und ihr Gebrause und alles, was an Wirklichkeit erinnerte. Sie fühlte sich in sonnigen Höhen, weit, weit oben über alle Häßlichkeit und Kleinlichkeit mit ihrer opferfreudigen, freien und spendenden Liebe, mit ihrer seligen Macht des Glückverschenkens. Keine Gedanken, kein kluges, rechnendes Besinnen war mehr in ihr, nur Gefühle, jauchzende, überströmende Gefühle, wie sie sie nie gespürt. Die Stimmung überwältigte sie und ihr eigenstes Wollen. Und so sagte sie leise und schlicht:

»Ich habe niemanden auf der Welt als dich. Und dich will ich glücklich machen.«

Alle Scham war von ihr gewichen, wie sie zu ihm sprach. Sie wußte nur, daß sie mit einem Worte viel, viel Glück verschenken konnte und sah nur seine leuchtenden Augen und ihren dankbaren Glanz.

Und er beugte sich nieder und küßte mit stiller Ehrfurcht ihren Mund.

»Ich habe nie an dir gezweifelt.«

Und dann gingen sie den Weg hinab, der Stadt, nach Hause zu.


Langsam kamen sie wieder in die dunkle, tagesmüde Stadt, und es war Erika, als stiege sie von den leuchtenden Firnen eines seligen Traumes ins harte, kalte und unerbittliche Leben nieder. Mit fremden und ängstlichen Blicken trat sie in die nebelfeuchten Vorstadtgassen, die vom häßlichen und aufdringlichen Lärm und Dunst erfüllt waren; und ein Gefühl schmerzhafter Öde senkte sich auf sie herab. Sie fühlte sich bedrückt von den rauchigen Häusern, die sich dunkel über ihr zueinander drängten, ein finsteres Symbol des Alltagslebens, das sich mit rücksichtsloser, drohender Gewalt in ihr Schicksal preßte, um es zu zermalmen.

Sie erschrak beinahe, als er sie plötzlich mit einem Liebeswort ansprach, und sie erstaunte, daß sie die zärtlichen Minuten und ihr Versprechen beinahe vergessen hatte. Wie fremd ihr alles hier plötzlich geworden war in dieser dumpfen, beengenden Umgebung, was ihr früher die jähe Impulsivkraft einer Rauschstimmung entlockt hatte. Sie sah ihn an, ganz vorsichtig von der Seite. Seine Stirne war kraftvoll gefaltet, und um den Mund lag die Ruhe eines Selbstsicheren, alles war unbeugsame und selbstgefällige Männlichkeit in seinem Gesichtsausdruck. Nirgends die sanfte Melancholie, die sonst seine Kräfte in eine schöne Harmonie bannte, nur triumphierende Härte, die vielleicht eine lauernde Sinnlichkeit war. Langsam wandte Erika den Blick. – Noch nie war er ihr so fremd und so ferne gewesen wie in diesem Augenblick.

Und plötzlich hatte sie Angst, tolle, unbändige Angst! Mit einem Male wachten tausend erschreckte Stimmen in ihr auf, die warnten und lärmten und sich selbst überschrieen. Was sollte jetzt kommen? Sie fühlte es nur dunkel, denn sie wagte es nicht auszudenken. Alles empörte sich in ihr gegen das Versprechen, das ihr eine Minute der Schwäche entrissen hatte, und ihre heiße Scham brannte wie eine Wunde. Sie war nie sinnlich gewesen, das spürte sie nun in allen Tiefen ihres Herzens, sie hatte kein Begehren nach einem Manne, nur Abscheu vor der brutalen, zwingenden Macht. Nur Ekel empfand sie in diesem Augenblick, und alles verfinsterte sich vor ihren Blicken und bekam eine häßliche und niedrige Bedeutung; der leise Armdruck, den sie fühlte, die Liebespaare, die im Nebel auftauchten und sich wieder verloren, jeder zufällige Blick, der sie im Vorübergehen traf. Deutlich und zornig klopfte ihr Blut an den schmerzenden Schläfen.

Mit einem Male ward ihr die tiefe Schmerzlichkeit ihrer Liebe bewußt, die unter den Enttäuschungen bebte, wie unter züchtigenden Schlägen. Was immer geschehen war, mußte wieder Erlebnis werden. Die Sinnlichkeit des Mannes mordete die sanfte Liebe des Mädchens und ihre heiligsten Schauer. Das Glück, das wie schimmernde Abendwolken über dem Dunkel gehangen, war nun zerbrochen, und die Nacht begann aufzusteigen schwarz und schwer mit drohender, leidvoller Stille und unbarmherzigem Schweigen....

Ihre Füße wollten kaum weiter. Sie merkte, daß er den Weg gegen seine Wohnung nahm, und dieses Bewußtsein betäubte sie. Sie wollte ihm alles sagen: wie ihre Liebe ganz anders sei als die seine, wie sie nur das Versprechen gegeben im Banne einer Stimmung, der ihr nervöses Empfinden unterlegen, und wie sich alles in ihr aufbäume gegen diese vorbesprochene Liebesszene. Aber die Worte fanden keine Laute, nur finstere und drängende Empfindungen, die ihre Seele quälten und marterten, ohne sie zu befreien. Dunkle und bange Erinnerungen streiften sie wie mit schwarzschattenden Schwingen. Und eine kam immer wieder, eine seltsame und doch so alltägliche Geschichte von einem Mädchen, die mit ihr zur Schule gegangen war. Die hatte sich einem Manne hingegeben, und als er sie verließ, aus Rache und Zorn einem andern und dann wiederum andern – sie wußte selbst nicht mehr, warum. Und Erika erschauerte immer, wenn sie an dieses Mädchen dachte, durch deren Leben die Liebe gegangen war wie ein dunkler Wettersturm; und das gewaltsame Widerstreben in ihr war mehr als die erste Scham eines unbefleckten Mädchens, das vor dem unbekannten Geschehen bangt, es war die schöne Schwäche einer zarten und schwächlich-scheuen Seele, die das laute Leben fürchtet und seine brutale Häßlichkeit.

Aber das Schweigen blieb kalt und scheidend zwischen den beiden, die nebeneinander hergingen, Arm in Arm. Gern wollte Erika den ihren losmachen, aber es war, als hätten ihre Glieder jede Bewegungsfähigkeit verloren, nur die Füße schoben sich in traumhafter Gleichförmigkeit nach vorwärts. Und ihre Gedanken wurden immer wirrer und schossen durcheinander wie glühende Pfeile, die sich mit feinen brennenden Widerhaken in ihrem Gehirn festbohrten. Und darüber legte sich immer dichter die schwarze Wolke der kraftlosen Furcht und der verzweifelten Ergebung. Ein Gebet wagte sich immer wieder auf ihre Lippen, daß jetzt plötzlich alles vorbei sein sollte, ein großes, dunkles, schmerzloses Nichts, ein Nichtfühlen und Nichtmehrdenkenmüssen, ein Aufhören, jäh und unvermittelt, wie das Erwachen, das aus einem bösen Traum befreit.....

Plötzlich blieb er stehen.

Sie fuhr auf und erschrak. Sie waren vor dem Hause, in dem er wohnte. Eine Minute blieb ihr Herz ohne Schlag, ruhig, ganz unbeweglich. Aber dann begann es wieder zu pochen, hastig und wild, mit hämmernder Angst und steigender Schnelligkeit.

Er sagte ihr ein paar Worte, liebe süße Worte. Sie hatte ihn beinahe wieder gern in diesem Augenblick, so herzlich und feinfühlig sprach er zu ihr. Aber als er ihren Arm fester erfaßte und ihren widerstandslosen Körper mit sanfter Zärtlichkeit drängte, da kam wieder die alte dunkle Angst, und sie war betäubender und furchtbarer denn je. Es war ihr so, als müßte plötzlich in ihr die Stimme freigebunden werden und laut ihn betteln und bitten, daß er sie freigebe, aber ihre Kehle blieb stumm und verschlossen. Halb bewußtlos ging sie an seinem Arm durch das große, düstere Tor, jenen Schmerz des Unabwendbaren in der Seele, der so tief ist, daß man ihn nicht mehr als Leid empfindet.

Eine dunkle Wendeltreppe gingen sie hinauf. Sie fühlte die kalte, muffige Kellerluft und sah die gelben, zitternden Gaslichter, die im kühlen Hauche bebten. Jede Stufe spürte sie, alle diese Bilder glitten an ihr vorüber, wie die Vorstellungen knapp vor dem Einschlafen, flüchtig und doch scharf, tief eindringend und doch wieder verfliegend im nächsten Augenblicke.

Nun standen sie in einem Gang. Sie wußte es, vor seiner Tür....

Er ging voraus und ließ ihren Arm.

»Einen Augenblick, Erika, ich will nur Licht machen.«

Sie hörte seine Stimme von innen, wie er hineinging und dort ein Licht anzündete. Der Augenblick gab ihr Mut und Erwachen. Die Furcht kam plötzlich über sie wie ein Fieberschauer, der die krampfhafte Starre löste. Und blitzschnell stürmte sie wieder die Treppe hinab, ohne in ihrer wahnsinnigen Eile auf die Stufen zu achten, rasch, nur rasch vorwärts. Ihr war noch, als ob sie seine Stimme von oben hörte, aber sie wollte gar nicht mehr zur Besinnung kommen, sondern lief und lief, ohne innezuhalten, immer vorwärts. Eine wilde Angst war in ihr erwacht, daß er ihr nachfolgen könne und eine Angst vor ihr selbst, sie möchte zu ihm zurückkehren. Und erst, als sie mehrere Straßen weit war und plötzlich sich in einer fremden Gegend sah, blieb sie mit einem tiefen Seufzer stehen, um dann langsam der Richtung ihrer Wohnung zuzuschreiten.


Es gibt leere, inhaltslose Stunden, die Schicksal in sich bergen. Sie steigen auf wie dunkle gleichgültige Wolken, die kommen, um sich wieder zu verlieren, aber sie bleiben hartnäckig und trotzig. Und wie ein schwarzer, steigender Rauch lösen sie sich auf, werden ferner und breiter, bis sie schließlich mit mattem, schwermütigem Grau unbeweglich über dem Leben schweben, ein Schatten, der sich unabwendbar und eifersüchtig an die Minute heftet und immer wieder seine drohende Faust erhebt.

Erika lag auf dem Sofa in ihrem dunkel heimlichen Zimmer, den Kopf in die Kissen gepreßt und weinte. Sie fand keine Tränen, aber sie spürte sie in sich verfließen, heiß, quellend und anklagend, und manchmal lief der jähe Schauer eines Schluchzens über ihren Körper. Sie fühlte, wie ihr diese schmerzvollen Minuten Erlebnis wurden, wie mit der ersten großen Enttäuschung sich das Leid tief in ihre Seele einsog, die sich ihm ahnungslos erschloß. Eigentlich bebte der Triumph in ihrem Herzen, daß ihr die Flucht gelungen war, noch im letzten entscheidenden Augenblicke, aber es wollte keine helle, blinkende Freude und kein Jubel werden, sondern blieb stumm wie ein Schmerz. Denn es gibt Naturen, in denen alle großen Ereignisse und alle überragenden Geschehnisse mit der allgemeinen Erschütterung der Seele auch die vorklingende dumpfe Saite einer verborgenen Schmerzlichkeit und innigen Melancholie anschlagen, deren Klingen so laut und drängend wird, daß alle anderen Stimmungen sich selbstlos in ihr auflösen. Und so war die Erika Ewald. Sie trauerte um ihre Liebe, die jung und schön gewesen war, wie ein spielendes Kind, das sich im Leben verliert. Und Scham war in ihr, heiße brennende Scham, daß sie entflohen war wie ein stummes hilfloses Wesen, statt ehrlich zu sein und zu ihm zu sprechen, kühl und mit herbem Stolz, dem er sich hätte fügen müssen. Und sie dachte an ihn und ihre Liebe mit einem seligen Schmerz und einer heißen Ängstlichkeit, und alle Bilder kamen wieder und wirrten durcheinander, aber sie waren nicht mehr hell und froh, sondern dunkel beschattet von der Wehmut der Erinnerung.

Draußen ging eine Türe. Sie erschrak jäh und unvermittelt. Ängstlich horchte sie jedem Geräusch und suchte sich jede leise Klangerregung zu deuten in einem unbestimmten Gedanken, den sie nicht recht zu denken wagte.

Da trat ihre Schwester ein.

Erika war verwirrt. Sie erstaunte, daß sie nicht daran, nicht an das Nächstliegende gedacht hatte, daß ihre Schwester kommen müsse, und sie spürte wieder mit einem merkwürdigen Gefühle, wie fremd, wie ungeheuer fern ihr doch alle diese Leute waren mit denen sie lebte.

Die Schwester begann sie über den Nachmittag zu fragen. Erika antwortete ungeschickt, und wie sie merkte, daß sie unsicher sei, wurde sie hart und ungerecht. Man sollte sie nicht immer mit Fragen belästigen, sie kümmere sich auch um niemanden. Und außerdem habe sie jetzt Kopfschmerzen und wolle Ruhe haben.

Die Schwester erwiderte nichts, sondern ging aus dem Zimmer. Mit einem Male fühlte Erika, wie ungerecht sie gewesen war. Und Mitleid empfand sie mit diesem stillen, schicksalsergebenen Wesen, das nichts erlebte und auch nicht bat darum, das nichts besaß vom Leben, nicht einmal einen reichen, adelnden Schmerz, wie sie selbst.

Das brachte sie wieder zu ihren Gedanken zurück. Und die zogen heran und verloren sich wieder in der Ferne, schwere, schwarzbeschwingte Boote, die sich durch die dunkle Flut gerungen ohne Lärm und Rauschen, ohne Färbung und tiefeinschneidende Spur, nur von unbekannten und unsichtbaren treibenden Gewalten gesendet und gelenkt. Aber ihre trübe Stimmung zitterte in Erikas Seele fortschwingend dahin und löste sich nach dunkelschweren Stunden in einer Müdigkeit, der sie sich willenlos ergab.


Die nächsten Tage brachten für Erika nur Harren und Bangen. Im geheimen wartete sie auf einen Brief, eine Nachricht von seiner Hand; sie sehnte sich selbst nach einem Schreiben mit harten, unbarmherzigen Vorwürfen und zornigen Worten. Denn sie wollte einen Abschluß haben, ein Ende, das sich über die Vergangenheit legte und ihr das geheime Hinübertreten in ihre kommenden Tage verwehren sollte. Oder es sollte ein Brief sein mit milden, verstehenden Worten, die zu ihrer Seele gingen und sie wieder zurückführten in den Reigen der seligen Stunden, aus dem sie geschieden.

Aber keine Botschaft kam, kein Zeichen stellte sich zwischen sie und die quälende Ungewißheit. Denn Erika war noch viel zu sehr im Banne ihrer Empfindungen und Erregungen, um zu wissen, ob ihre Liebe zu ihm noch lebte oder ob sie schon gestorben war oder sich am Ende im Umwandlungzustande neuer Phasen befand, von denen sie noch nichts ahnte. Sie spürte nur die Unruhe und Verworrenheit in sich, die fortwährende Spannung, die sich nicht lösen wollte und in ihr gereizte und häßliche Stimmungen erweckte. Nervös und mit Kopfschmerzen ging sie in die Stunden, die ihr furchtbarer wurden als je, weil sie alles Falsche und Unharmonische viel schärfer spürte. Und jedes Geräusch irritierte sie, die Außenwelt wurde ihr unerträglich in ihrem lauten Hasten und Drängen, und selbst die eigenen Gedanken verloren ihre sanfte, wohltuende Traumhaftigkeit und bekamen harte einschneidende Spitzen. In jedem Dinge verbarg sich ihr eine geheime Feindseligkeit und eine trotzige Absicht, die sie verletzen wollte. Die ganze Welt, die sie umschloß, schien ihr nur mehr ein großes, dunkles Gefängnis mit tausend verborgenen Marterwerkzeugen und erblindeten Scheiben, die dem Lichte den Eingang verwehrten.

Und diese Tage waren ihr unerträglich lang und wollten kein Ende nehmen. Erika saß beim Fenster und wartete auf den Abend, der ihr ein wenig Frieden brachte mit der sanften Milderung aller Kontraste. Wenn die Sonne sich langsam hinter den Dächern zu senken begann, und immer matter und mehr abgedunkelt die Widerscheine nachzitterten, wurde alles in ihr stiller und ruhiger. Dann fühlte sie auch, daß ihr ganzes Denken und Fühlen jetzt anders und fremder werden wollte, daß neue Geschehnisse und neue Gefühle vor der Pforte ihres Lebens standen und lärmten und Einlaß begehrten. Aber sie achtete ihrer nicht, denn sie glaubte, die Regungen, die in ihr wuchsen und sich formten, seien nur die letzten verscheidenden Zuckungen ihrer sterbenden Liebe.......


So gingen zwei Wochen dahin, ohne daß Erika eine Nachricht von ihm empfangen hätte. Alles schien vorüber zu sein und vergessen. Ihre Traurigkeit und Unbeständigkeit verlor sich noch nicht, aber sie befreite sich von ihrer häßlichen, gereizten Form und fand verfeinerten und durchgeistigten Ausdruck. Die schmerzlichen Empfindungen lösten sich leise und lind in schwermütigen Liedern, Melodieen mit tiefen, verhaltenen Mollklängen und melancholisch wehklingenden Akkorden. Manche Abende spielte sie so ohne Gedanken, sich in sanfter Abirrung vom eigentlichen Motive zu selbstgeschaffenen Verbindungen hinwendend, immer leiser und leiser werdend wie die Geschichte ihrer so leidvollen Liebe, die nun langsam in Vergangenheit verrinnen wollte.

Auch begann sie wieder zu lesen. Jene herrlichen Bücher wurden ihr wieder nahe, denen die Schwermut entströmt wie ein schwerer betäubender Duft aus seltsam dunklen und melancholischen Blüten. Die Maria Grubbe kam ihr wieder zur Hand, der das harte Leben eine heilige und tiefinnige Liebe zerstört, und die unglückliche Madame Bovary, die nicht entsagen wollte und ihr schlichtes Glück verstieß. Und das unsäglich rührende Tagebuch der Maria Bashkirceff las sie, zu der die große Liebe nie gekommen war, ob ihr auch ein reiches und sehnsuchtsvolles Künstlerherz erwartungsvoll die Hände entgegenhielt. Und ihre gequälte Seele tauchte in diesem fremden Schmerze unter, um den eigenen zu verlieren und zu vergessen, aber manchmal kam ein Erschrecken über sie, in dem Furcht sich dem Stolze verschwisterte; denn Worte kamen ihren Blicken entgegen, die auch in ihrem eigenen Leben standen, und deren schicksalsschweren Sinn sie verstand. Und nun fühlte sie, wie ihre Geschichte nicht Ungerechtigkeit und Haß des Lebens verkündigte, sondern nur schmerzlich war, weil ihr der frohe Tänzerschritt eines lachenden unbedeutenden Temperamentes fehlte, der rasch vergessend die dunklen, aber geheimnisreichen Abgründe des Schmerzes überspringt. Nur ihre Einsamkeit senkte sich noch drückend auf sie herab. Niemand stand ihr nahe. Eine sonderbare Scham, sich mit ihren Tiefen und geheimen Schönheiten einem Fremden zu geben, hatte sie von allen Freundinnen abgewandt; und ihr fehlte auch der seligvertrauende Glaube der Frommen, der zu einem Gotte spricht und ihm die verschwiegensten Geständnisse zu eigen gibt. Der Schmerz, der von ihr ausging, floß wieder in ihre Seele zurück, und dieses unaufhörliche Sichselbstanvertrauen und Zergliedern gab ihr schließlich eine dumpfe Müdigkeit und hoffnungslose Trägheit, die nicht mehr mit dem Schicksal ringen wollte und mit seinen verborgenen Gewalten.

Sonderbare Gedanken überkamen sie, wenn sie vom Fenster auf die Gasse herabsah. Sie sah Leute in wildem Durcheinander, Liebespaare, die in seliger Versunkenheit vorübergingen, dann wieder hastende Burschen, vorbeischießende Radfahrer, rasch dahinrollende Wagen mit schwirrenden Rädern, Bilder des Tages und der Gewöhnlichkeit. Aber ihr war alles das so fremd. Wie von ferne, aus einer anderen Welt schaute sie zu, als könnte sie nicht verstehen, warum diese Wesen so eilten und drängten und vorbeistürmten, wenn alle Ziele so klein und verächtlich waren. Als ob es etwas Reicheres und Seligeres geben könne als den großen Frieden, in dessen Bann alle Leidenschaften schlafen und alle Sehnsüchte; der doch wie eine wunderwirkende Quelle war, in deren milder und geheimkräftiger Flut sich alles Kranke und Häßliche ablöste, wie eine lästige Schicht. Und wozu dann alle die Kämpfe und Überwindungen? Und wozu die heiße nimmermüde Sehnsucht, die niemanden zurückweichen läßt?

So dachte die Erika Ewald manchmal und lächelte über das Leben. Denn sie wußte nicht, daß auch der Glaube an diesen großen Frieden nur eine Sehnsucht ist, das innigste und unvergänglichste Begehren, das uns nicht zu uns selbst gelangen läßt. Sie glaubte ihre Liebe überwunden zu haben und dachte ihrer, wie man eines Toten gedenkt. Die Erinnerungen bekamen milde, versöhnliche Farben, vergessene Episoden tauchten wieder auf, und zwischen Wirklichkeit und sanfter Träumerei liefen geheime, verbindende Fäden hin und her, bis sie sich unlöslich verwirrt hatten. Denn sie träumte von ihrem Erlebnis wie von einem eigenartigen und schönen Roman, den man vor langem gelesen; seine Gestalten treten langsam wieder heran und sprechen die Worte, die bekannt sind und doch so ferne, alle Räume werden wieder sichtbar, wie erleuchtet von einem plötzlichen aufblitzenden Licht, alles ist wieder wie einst. Und Erika dichtete sich in ihren Gedanken, die sich im Abend berauschten, immer wieder neue Abschlüsse dazu, aber sie fand keinen rechten, denn sie wollte ein mildes und versöhnliches Ende voll Hoheit und reifer Entsagung, mit kühlem freundschaftlichem Händereichen und tiefem Verstehen. Langsam gaben ihr diese romantischen Träume den innigen Glauben, daß auch er jetzt ihrer harre und in tausend seligen Schmerzen gedenke, und diese Idee, die sich in ihr allmählich zu einer unbeugsamen Tatsache verdichtete, ließ das Vertrauen immer sicherer sich entfalten, daß alles noch gut werden müsse und daß eine versöhnende, abschließende Konsonanz die seltsam bewegte Melodie ihrer Liebe erlösen müsse.

Nach langen, langen Tagen wagte sich jetzt manchmal ein Lächeln über ihre Lippen, wenn sie ihrer Liebe gedachte mit all ihren bitteren Wunden, die nun vernarben wollten. Denn sie wußte noch nicht, daß ein tiefer Schmerz wie ein finsterer Gebirgsbach ist, der sich unterirdisch, mit unruhvollem Schweigen durch das Gestein wühlt und in ohnmächtigem Zorne lange an ungebahnten Pforten pocht und pocht. Aber einmal zersprengt er die Wand und stürmt mit haltlosem Jubel vernichtend und kraftvergeudend in die blühenden Tale hinab, die sich in heiterem, ahnungslosem Vertrauen gewiegt.........


Es sollte alles anders kommen, als es Erika geträumt. Noch einmal trat die Liebe in ihr Leben, aber sie war anders geworden; nicht mehr so still und mädchenhaft nahte sie mit milden, segnenden Geschenken, sondern wie ein Frühlingssturm, wie eine heiße, begehrende Frau, die brennende Lippen hat und die tiefrote Rose der Leidenschaft im dunklen Haare trägt. Denn die Sinnlichkeit der Männer ist nicht wie die der Frauen; bei jenen glüht sie vom Anbeginne, von den Jahren der ersten Reife, aber zu manchen Mädchen kommt sie vorerst in tausend Verhüllungen und Gestalten. Sie schleicht sich als Schwärmerei ein und als selige Träumerei, als Eitelkeit und ästhetisches Genießen, aber einmal kommt ein Tag, da wirft sie alle Masken von sich und zerreißt die bergenden Hüllen.

Eines Tages war Erika alles bewußt geworden. Kein lautes Ereignis hatte ihr die Erkenntnis abgezwungen und auch kein Zufall. Vielleicht war es ein Traum gewesen mit verwirrenden Lockungen oder ein Buch mit heimlich verführender Gewalt, vielleicht eine ferne Melodie, die sie plötzlich verstanden oder ein fremdes, blühendes Glück – es war ihr nie klar geworden. Sie wußte nur plötzlich, daß sie sich wieder nach ihm sehnte, aber nicht nach gütigen Worten und schweigenden Stunden, sondern nach seinen kraftvollen Armen und nach den heißen Lippen, die einstmals verlangend auf den ihren gebrannt, ohne daß diese ihre stummen, bettelnden Worte verstanden. Vergebens widerstrebte ihre mädchenhafte Scham diesem Bewußtsein; sie suchte der früheren Tage zu gedenken, die nie auch nur ein schwacher Hauch schwüler Sinnlichkeit durchzittert, sie suchte sich vorzulügen, daß diese Liebe schon längst tot und begraben sei, indem sie jenes Abends gedachte, da sie aus seinem Hause mit innerlichem Abscheu geflüchtet. Aber dann kamen Nächte, da sie ihr Blut brennen fühlte von glühendem Begehren und ihre Lippen in die kühlen Kissen sich einknirschen mußten, damit sie nicht stöhnten und seinen Namen hinausschrieen in die stumme, mitleidslose Nacht. Und da wagte sie sich nicht länger zu täuschen, und die Erkenntnis machte sie erbeben.

Nun wußte sie auch, daß die dumpfen Wallungen, die sie in allen diesen Tagen empfunden, nicht das Absterben ihrer schönen und hellen Liebe bedeutet hatten, sondern das langsame Keimen dieser drängenden Gewalten, die nun ihre Seele durchwühlten. Und mit sonderbarer Scheu dachte sie dieser Neigung, die so schlicht und alltäglich gewesen war, und der doch unablässig neue Schmerzen entsprossen, die feindlichen Kinder eines dunklen Geschickes. In dieser Leidenschaft, welche wie ein später Herbst gekommen war, der seine Früchte in die leeren, fröstelnden Felder wirft, einte sich die Kraft der Unberührtheit mit der Fülle der unverbrauchten Jugendtage, die nie unter den drängenden Krisen des Blutes gelitten. Eine stürmische, siegende Gewalt war in ihr, gegen die es kein Widerstreben gab und kein Verweigern, weil sie über alle Schranken sprang und die letzte Überlegung ertötete.

Erika ahnte noch nicht, wie schwach sie gegen diese jähe Leidenschaft war. Sie fühlte nur das Verlangen in sich siegreich werden, daß sie ihn wieder sehen müsse, sei es auch nur von der Ferne, ganz von fern, ohne bemerkt zu werden, ohne daß auch eine Ahnung ihn überkommen könne, daß sie ihn sehe und ersehne. Sie holte sich wieder seine Photographie hervor, die in einer versteckten Lade beinahe verstaubt war und brachte ihr eine sonderbare Verehrung entgegen. Sie küßte in glühender Leidenschaft seinen Mund, dann stellte sie sie wieder vor sich hin und begann wirre und heftige Worte zu sprechen, die sie ihm selbst sagen wollte, daß er ihr verzeihen möge, weil sie damals kindisch und erschreckt gehandelt habe. Und dann erzählte sie ihm in sich übereilenden Sätzen von ihrer Sehnsucht, und wie sie ihn wieder unendlich liebe, mehr, als er es jemals werde verstehen können. Aber alle diese Ekstasen befriedigten sie nicht, denn sie wollte ihn selbst wiedersehen. Mehrere Tage lang wartete sie an den Ecken der Straßen, die er zu passieren pflegte, doch vergebens. Und so sehr steigerte sich ihre Ungeduld, daß manchmal, aber ganz furchtsam und unbestimmt, der Gedanke in ihr erwachte, sie sollte zu ihm in die Wohnung gehen und sich für ihr Benehmen von damals entschuldigen. Aber da fand sie in den Tagesblättern die Notiz, daß er nächstens in einem eigenen Konzerte auftreten wolle, eine Nachricht, die Erika wie mit einem seligen Rausche erfüllte, denn nun ergab sich die beste Möglichkeit, ihn zu sehen, ohne daß er es ahnte. Und langsam, furchtbar langsam verflossen ihr die Tage, welche sie von dem festgesetzten, sehnlichst herbeigewünschten Abende trennten.


Erika war eine der ersten im großen, mit tausend Lichtern flimmernden Konzertsaale. Eine sehnsüchtige Unruhe, die Minuten zu Stunden dehnte, hatte sie seit Tagesanbruch erfüllt und durchschauert, seit jener Stunde, da der Gedanke, daß sich heute alles begeben müsse, ihr den Schlaf von den Lidern riß. Und dann war sie alle die Stunden durch Traumland gegangen, ob auch die einzelnen Forderungen ihres Berufes sie immer wieder aufschrecken ließen aus ihren sinnenden Erwartungen und ihrer sanftruhenden Sehnsucht. Und als der Abend kam, nahm sie ihr bestes Gewand und legte es mit einer gewissen feierlichen Sorgfalt an, die nur Frauen haben, wenn sie den Blick des Geliebten erwarten. Eine Stunde zu früh begab sie sich zum Konzertsaal. Wohl hatte sie zuerst einen Spaziergang geplant, ein kurzes Rasten für ihre Nerven, die zu fiebern schienen, aber kaum daß sie die Straße betrat, fühlte sie eine dunkle Gewalt, die sie magnetisch einer Richtung zudrängte. Ihre anfangs bedächtigen Schritte wurden unruhiger und beschleunigter. Und mit einem Male stand sie, fast selbst überrascht, vor den breiten Stufen des Konzertgebäudes und schämte sich ihrer Unrast. Gedankenlos ging sie noch ein wenig dort auf und ab. Und als die ersten Wagen behäbig vorrasselten, mühte sie sich nicht mehr länger, sich zu bezwingen und ging mit beherzter Miene in den eben erleuchteten Saal.

Nicht lange blieb drinnen dieses breite und leere Schweigen, das zu fürchtigen Träumen lud. Dichter und dichter drängten sich die Leute. Erika sah nicht die einzelnen, sondern fühlte nur die hereinströmende Masse, fühlte vor ihren Augen die wandernden Streifen der farbigen Toiletten, das dunkle Durcheinanderschieben und die vielen wechselnden Gesichter, die ihr wie Masken schienen. Alles in ihr war Unrast und Erwartung. In ihren Augen stand nur ein Name, ein Wunsch, ein Wort.

Und dann plötzlich begann das jähaufrauschende Murmeln und Bewegen, die vorbereitende Unruhe vor dem Schweigen, das leise Knacken der geöffneten Operngläser, das Klappern der Lorgnons, das Regen und Bewegen, jenes vieltönige Geräusch, das sich in stürmischen Beifall löste. Sie fühlte, daß er eingetreten war, jetzt eingetreten war. Und schloß die Augen. Sie wußte sich zu schwach, ihn in dieser stolzen Minute schweigend zu sehen. Sie hätte ja jubeln müssen oder ihn rufen, aufspringen oder ihm zuwinken, aber jedesfalls etwas Törichtes, Unüberlegtes, Lächerliches tun. Ihr Herz fühlte sie bis an die Kehle schlagen. Sie wartete. Sie wartete, mit geschlossenen Augen alles sehend, wie er hinaufschritt, wie er sich verneigte und jetzt, – jetzt mußte es ja sein – zum Bogen griff. Sie harrte, bis endlich die ersten Töne seiner Geige sich singend erhoben wie langsam steigende Lerchen, die aus den Feldern zum Himmel aufjubeln.

Dann schaute sie empor, leise, ganz vorsichtig, wie man in ein sehr grelles blendendes Licht sieht. Und sie fühlte eine warme Blutwelle, wie sie ihn sah, gleichsam emporgetragen von diesem dunklen, schweigenden Meer, das die funkelnden Gläser und suchenden Blicke wie zitternde Schaumkämme durchglänzten. Und sie fühlte sein Spiel und wieder die ganze zauberische Gewalt von einst. Und wie die Töne wuchsen und anschwollen, so füllte sich auch ihr Herz. Lachen und Weinen war in ihr, ein Fluten der Erregung, warme zitternde Wellen. Sie fühlte Jubel, Jubel aus tausend sonndurchglänzten Springstrahlen in ihr Herz sprudeln, sie fühlte es selbst aufschäumen zu ihrer Kehle wie den jauchzenden Strahl einer aufzuckenden Fontäne. Wieder verführte sie die Stimmung der Musik wie eine Blinde, die keinen Weg weiß und sich willig der fremden und lieblichen Hand vertraut. Und als dann der Jubel losbrach und dieses dunkle Meer im Saale, das gleichsam in bezaubertem Schlafe gelegen war, plötzlich in wilder, tosender Brandung aufschäumte, als von allen Seiten ein überwältigender Beifall dröhnte, da rauschte ein jäher Stolz in ihr empor. Ihre Seele jubelte bei dem Gedanken, von ihm begehrt worden zu sein. Alle Häßlichkeit und Herbe jener Minuten war zerronnen in diesem stolzen Bewußtsein, in dieser siegenden Stunde seines Künstlertums.

So ward dieser Abend ein lauteres und tiefes Fest für ihre suchende und unruhige Seele. Nur eine Frage drängte sie, ob er ihrer wohl noch gedachte. Und sie war ganz Demut in jener Stunde, eine Sehnsüchtige, die nur begehrt, sich verschenken zu dürfen. Sie dachte nicht mehr an sich und nur mehr an ihn, sah nur sein Verlangen und seine Inbrunst in dem lockenden Geigenspiel und nicht mehr Töne und Melodien.

Und da kam ihr eine seltsame und unendlich beseligende Antwort. Nach langen Beifallsstürmen hatte er sich noch zu einer Zugabe entschlossen. Und nur ein paar schlichte, langsame Takte hatte er gespielt, als Erika erblaßte. Sie lauschte und lauschte wie gebannt. In herbem Erschrecken hatte sie das Lied erkannt, das Lied jenes ersten seltsamen Abends, da er es ihr zuliebe in die Dämmerung gestammelt. Und sie träumte von einer Huldigung. Sie fühlte, daß es ihr gesungen sei, zu ihr gesungen sei. Sie hörte es nur als Frage, die über alle andern zu ihr hinabtastete in den Saal, sie sah eine Liedseele, die in den dunklen Saal flog, um sie zu finden. Eine rasche Gewißheit schaukelte sie in selige Träume. Sie verstand ein Geständnis, daß er ihrer, nur ihrer mehr gedachte. Und Seligkeiten brausten auf sie nieder. Wieder war es die Musik, die sie betörte und über alle Wirklichkeiten hob. Sie fühlte einen Flug nach oben, menschenhoch und erdenfrei. Fast so wie damals in jener Stunde, als sie hoch über der fernen, brausenden Stadt zusammen standen. Nur höher noch, viel höher über Schicksal und Welt, über allen Kleinlichkeiten und Bedenken. In den wenigen Minuten dieses Spieles überflog sie in seligem Traume alle Schranken und Wirklichkeiten.

Der unerhörte Jubel, der seinem Spiele folgte, erweckte Erika erst wieder aus ihren weltentrückten Träumen. Und in drängender Hast eilte sie dem Ausgange zu, um ihn zu erwarten. Denn nun wußte sie auch die helle und sonnige Antwort auf ihre letzte Frage, die sie beängstigt und sie zurückgehalten, sich ihm zu schenken – nun war es ihr offenbar, daß er sie noch immer liebte und glühender wie einst, mit einer viel schöneren, wilderen und größeren Liebe. Sonst hätte er nicht all diesen Menschen den leuchtenden Hymnus gesungen, den er ihr zur Feier und aus ihrer Liebe geschaffen, dieses herrliche Lied, dessen Macht sie damals überwältigt und besiegt hatte, ohne daß sie es geahnt. Aber heute wollte sie ihm die sorglich gehüteten Früchte ihrer schenkenden Neigung zu Füßen legen, daß er sie selig erhöhe.....

Mit Mühe drängte sie sich bis zum Ausgange durch, wo die Künstler herabzukommen pflegten. Wenige Flammen erhellten das matte Dunkel; dort drängten die Menschen nicht in so wilder Hast, und sie konnte sich ungestört wieder ihren Träumen hingeben, die sich in seliger Sicherheit wiegten. Sie hätte es doch schon lange, so lange wissen können, daß er sie nicht vergessen könnte – dieser Gedanke kehrte immer wieder und einte sich mit fröhlichen Verheißungen für die kommenden Tage. Mit übermütigem Lächeln dachte sie an seine Überraschung, wenn er ahnungslos die Treppen herabkäme und sich plötzlich der Wunsch verwirklichte, von dem er vielleicht eben geträumt. Und wenn......

Aber da kamen wahrhaftig schon Schritte, die immer lauter und näher tönten. Unwillkürlich zog sich Erika mehr ins Dunkel zurück.

Lachend und plaudernd stieg er die Treppe hinab – zärtlich hinabgebeugt zu einer Dame in spitzenbesetztem Kleide, einer kleinen, netten Sängerin von der Oper, die irgend eine alte Operettenmelodie trällerte. Erika zuckte zusammen. Da bemerkte er sie. Instinktiv griff er nach dem Hut, aber ließ die Hand auf halbem Wege müßig sinken. Ein böses, beleidigtes und höhnisches Lächeln schien auf seinen Lippen zu lauern, aber er wandte den Kopf zur Seite. Und dann führte er die kleine Dame im Spitzenkleid zu seinem Wagen, half ihr hinein und stieg selbst ein, ohne den Blick noch einmal zurückzuwenden zur Erika Ewald, die dort einsam stand mit ihrer verratenen Liebe.


Solche Erlebnisse erwecken oft mit ihrer jähen Gewalt ein Leid, das so furchtbar und tiefeinschneidend ist, daß man es nicht mehr als Schmerz empfindet, weil man die Fähigkeit des Begreifens und des bewußten Fühlens in seinem wilden Anpralle verliert. Man fühlt sich nur sinken, aus schwindelnden Höhen atemlos, willenlos und widerstandsunfähig herabsausen, einem Abgrunde zu, den man noch nicht kennt, den man aber ahnt, näher, näher und immer näher kommen fühlt mit jeder Sekunde, mit jeder verschwindend kleinen Zeiteinheit, die im wirbelnden Sturze verfliegt, jenem furchtbaren Ende zu, von dem man weiß, daß es zerschmettern und zerbrechen wird.

Erika Ewald hatte schon zu viel kleine Leiden ertragen, um einem großen Ereignis ruhig ins Auge sehen zu können. Jene kleinen Schmerzlichkeiten hatten ihr Leben erfüllt, die ein seltsames Glückseligkeitsgefühl in sich tragen, weil sie zu melancholischen, träumerischen Stunden leiten, zu sanften Verzagtheiten und zu jenen süßen Traurigkeiten, aus denen die Dichter ihre innigsten und wehmütigsten Verse schaffen. Aber sie hatte in jenen Stunden schon die mächtige Pranke des Schicksals zu verspüren geglaubt, und es war doch nur ein verrinnender Schatten seiner drohend ausgereckten Hand. Sie hatte gemeint, die finstere Gewalt des Lebens schon getragen zu haben und auf dieses Bewußtsein baute sie ihre starke Sicherheit, die jetzt zusammenbrach unter der Wirklichkeit wie ein Kinderspielzeug in einer nervigen Faust.

Und darum verlor ihre Seele so ganz ihre bindenden Kräfte. Das Leben kam zu ihr wie ein Hagelschauer, der Saaten und Blüten zerbricht. Nur mehr Öde war vor ihren Blicken und Finsternis, weite undurchdringliche Finsternis, die alle Wege versteckte, alle Blicke erblindete und die hallenden Angstrufe mitleidslos verschlang. Nur mehr Schweigen war in ihr, ein dumpfes, atemloses Schweigen, die Stille des Todes. Denn viel war in ihr gestorben in einem einzigen Augenblick: ein helles heiteres Lachen, das noch nicht geboren war, aber in ihr Leben wollte, wie ein Kind, das zum Lichte strebt. Und viel Jugend, jenes sehnsüchtige Empfangenwollen, das der Zukunft vertraut und Freude und Glanz hinter allen verschlossenen Pforten ahnt, die ihr Verlangen sich eröffnen soll. Und viel lautere und weltvertrauende Empfindungen, das Sichhingeben an alle Menschen und an die große Natur, die nur Feste und Wunder ihren gläubigen Schülern offenbart. Und endlich eine Liebe, die unendlich reich gewesen war, weil sie in den dunklen Quellen des Schmerzes sich gebadet hat und durch wechselnde Gestalten gegangen ist, um die Vollkommenheit zu finden.

Aber auch eine neue Saat war in dieser Enttäuschung, ein bitterer Haß gegen alles, was sie umgab und ein heißes Rachebedürfnis, das noch nicht wußte, wie es sich Bahn brechen sollte. In ihren Wangen brannte die Schmach, und ihre Hände bebten, als müßten sie jeden Augenblick losfahren in zorniger Gewalt gegen irgend etwas. Die Schwächlichkeit und Scham war von ihr gewichen, die drängende Macht des Handelns wurde immer deutlicher und unruhiger in ihr; ein Wesen, das sich vom Schicksal immer hatte formen und lenken lassen, wollte ihm nun entgegengehen und mit ihm ringen.

Und dieser ziellose ungebärdige Trieb ließ sie in den Gassen irren, ohne einen Entschluß. Die Wirklichkeit lag in weiter, weiter Ferne. Sie wußte nicht, wohin sie ging, in ihren Füßen war bleierne Müdigkeit, aber auch eine irre Bewegung, die sie weiter stieß. Immer mehr hüllte sie sich in ihre Gedanken, um den Schmerz, der jetzt wach werden wollte, wegzudenken und ihn im raschen Gehen zu vergessen; doch sie spürte einen Druck von Tränen, die noch nicht hervorbrechen konnten, aber innen brannten und tropften.......

Auf einmal stand sie vor einer Brücke. Unten der Fluß, schwarz und langsam gleitend, mit vielen hellen, glitzernden Punkten. Sterne waren das und Reflexe von den Brückenlaternen, die hinaufstarrten wie aufgerissene Augen. Und von irgendwo ein leises unaufhörliches Plätschern, die Strömung, die sich an einem Pfeiler bricht.

Einen Todesgedanken barg dieser Anblick, das fühlte sie. Ein Beben überlief ihren Körper. Sie wandte sich um. Es war niemand in der Nähe, hie und da schwarze Schatten, die vorüberhuschten. Manchmal ein Lachen aus der Ferne oder das Rollen eines Wagens. Aber in der Nähe niemand, keiner, der sie hindern könnte. Wie leicht, wie rasch das war; ein Griff, ein Schwung über die Rampe, dann noch ein paar häßliche ringende Minuten unten, dort unten in dieser schweigsamen Dunkelheit und dann Friede .... reicher, ewiger Friede, fern von allen Wirklichkeiten, der beruhigende Trost des Nichtwiedererwachens....

Aber dann ein anderer Gedanke! Eine verunstaltete Leiche, die man aus dem Wasser zieht, Neugierige, die sich belustigen, Gerede und Geschwätz – es tat ja nicht mehr weh! Aber einer war, der könnte es erfahren und dann vielleicht selbstbewußt lächeln, im Bewußtsein eines Siegers..... Nein – das durfte nicht sein! Das Leben war noch nicht erschöpft, das fühlte sie, denn es konnte noch Rache bergen, den letzten tastenden Versuch einer Verzweiflung. Und vielleicht war es sogar schön, und sie hatte nur falsch gelebt, sie war gut und vertrauend gewesen, mild und zurückhaltend, während man rücksichtslos, gierig und verschlagen sein sollte, wie ein Raubtier, das sich von fremdem Leben nährt.

Ein Lachen rang sich ihr aus der Brust, wie sie sich von der Brücke abwendete, ein Lachen, vor dem sie erschrak. Denn sie fühlte, wie sie sich selbst nicht ihre ungesprochenen Worte glaubte. Nur der Schmerz war wahr, und der glühende brennende Haß, die blinde Sucht nach Rache. Wie fremd sie sich doch geworden war, daß sie sich nicht einmal selbst mehr erkannte, wie schlecht und wie wertlos!

Ihr fröstelte. Sie wollte an nichts mehr denken. Sie ging wieder tiefer in die Stadt hinein ... irgend wohin .... nach Hause zu...... Nein – nicht nach Hause! Mit Furcht dachte sie daran. Dort war alles so finster und eng und dumpf, dort lauerten in allen Ecken Erinnerungen, die mit hämischen Fingern auf sie deuteten, dort war sie dann ganz allein mit ihrem großen Schmerz, dort konnte er seine schwarzen Flügel dicht ausbreiten, sie umfassen und eng, ganz eng an sie pressen, daß ihr der Atem verginge.

Aber wohin? Wohin? Die Frage zermarterte ihr das Hirn. Sie wußte nichts anderes mehr, ihr ganzes Denken konzentrierte sich in dieses eine Wort. –

Neben ihr lief ein Schatten.

Sie achtete nicht darauf.

Sie merkte es auch nicht, als er sich hart gegen den ihren neigte und mit ihm eine Zeitlang parallel lief. Jemand ging neben ihr, ein Freiwilliger, und betrachtete ihr Gesicht angelegentlich in dem Momente, als sie vor einer Laterne vorbeikamen. Erst wie er sie höflich ansprach, fuhr sie jäh aus ihren Gedanken auf. Sie brauchte einige Momente, um die Situation, in der sie sich befand, erst recht zu erfassen und antwortete nicht.

Der Freiwillige, ein Kavallerist, sehr jung noch und ein bißchen ungeschickt, ließ sich durch ihr Schweigen nicht einschüchtern, sondern redete in einem halb vertraulichen Ton, aber mit einer gewissen Reserve weiter. Offenbar war er mit sich nicht recht im klaren, mit wem er es eigentlich zu tun hätte; sie hatte ihm nicht geantwortet und war doch so vornehm – solid gekleidet. Und andererseits wieder dieses einsame langsame Spazierengehen spät in der Nacht – ganz recht bekam er's nicht heraus. Aber er redete unbekümmert weiter.

Erika schwieg. Instinktiv hatte sie ihn abweisen wollen, aber alle Dinge von früher hatten sie auf seltsame Gedanken gebracht. Sie wollte doch jetzt ein anderes Leben beginnen, nicht mehr dieses traumvolle Dahindämmern und müßige Sichsehnen, das ihr tausend Leiden geboren, es sollte ja für sie ein neues Leben beginnen, heiß verwegen und voll wilder Gewalt. Und dann dachte sie wieder an ihn – eine Rache wollte sie nehmen, eine furchtbare Schmach. Dem ersten besten, der gekommen, wollte sie sich verschenken; weil er sie verschmäht, die Erniedrigung auskosten bis zum letzten bittersten und vielleicht tödlichen Tropfen. Alles wurde rasch in ihr Plan und Entschluß, eine grausame Selbstpeinigung, die eine neue Schmach wählt, um die alte brennende zu vergessen .... wie sie zurecht kam, die Gelegenheit .... ein junger Mensch, ganz jung, der nichts davon verstand, nichts wußte, der sollte es sein, der erste beste.....

Und plötzlich antwortete sie ihm mit so hastiger Liebenswürdigkeit, er dürfe sie begleiten, daß er beinahe wieder schwankend wurde, mit wem er es zu tun hätte. Aber ein paar Fragen, das Opernglas, das sie vom Konzert mitbrachte und ihr vornehmes Benehmen, veränderten seine oberflächliche Haltung zu ihr. Er blieb recht befangen. Eigentlich war er noch ein halbes Kind, das in einer Uniform sich so seltsam ausnahm, wie in einem kriegerischen Maskenkostüm; und seine bisherigen Abenteuer waren so simpler Natur gewesen, daß sie keine Abenteuer mehr waren. Zum ersten Mal sah er sich einem wirklichen Rätsel gegenüber. Denn manchmal blieb sie Minuten still und unbeweglich, überhörte alle Fragen und ging wie im Traum, bis sie dann plötzlich wie mit einer provozierten Zärtlichkeit, die sie im Augenblick vergessen hätte, mit ihm lachte und scherzte; aber manchmal wollte es selbst ihm so erscheinen, als sei im Lachen ein falscher Ton.

Und in der Tat kostete es Erika nicht geringe Mühe, die Rolle einer Entgegenkommenden und Leichtsinnigen zu spielen, während ihr die tollsten Gedankenreihen durch den Kopf schwirrten. Sie wußte, was das Ende sein würde, und sie wollte es, aber eine geheime Angst beschlich sie immer wieder, daß sie gegen sich selbst frevle. Aber das Bedürfnis nach Rache, das sich positiv nicht betätigen konnte, hatte hier ein Mittel gefunden, sich zu entfalten, wenn auch in einer falschen Richtung, die die Spitze gegen sich selbst kehrte, aber es war so überströmend und machtvoll, daß sich ihre frauenhaften Empfindungen vergebens dagegen aufbäumten. Mochte geschehen, was da wolle, sollte eine Reue kommen ..... nur nichts wissen von jener Schmach ..... nur vergessen, wenn auch in einem Rausch, einem künstlichen und einem verderblichen .... aber nur nicht mehr daran denken müssen.....

So nahm sie auch gern den Vorschlag des Freiwilligen an, mit ihr in ein Restaurant in ein separiertes Zimmer zu gehen, obwohl sie dumpf ahnte, was das bedeutete. Aber sie wollte nicht daran denken ..... nur nicht sich immer besinnen müssen.....

Zuerst kam ein kleines Souper, dem sie aber nicht zusprach. Aber Wein trank sie, in gieriger Hast, Glas auf Glas, um sich zu betäuben. Ganz gelang ihr es noch nicht. Manchmal übersah sie die ganze Situation mit furchtbarer Klarheit. Sie betrachtete ihr Gegenüber. Das war eigentlich der Rechte, besser hätte sie sich ihn nicht wünschen können: ein guter Kerl, von einer gesunden rotwangigen Derbheit, ein bißchen eitel und nicht zu klug .... der würde nie ahnen, was in dieser Nacht geschehen sei, was für eine Rolle er gespielt in einem armen gequälten Menschenleben ..... der würde sie übermorgen vergessen haben. Und das wollte sie.....

In solchen Augenblicken der Überlegung bekamen ihre Augen einen träumerischen Ausdruck, und in ihrem Gesichte zeichnete sich der düstere Schatten eines inneren Schmerzes. Dann kam sie langsam ins Träumen hinein .... ihre Finger zitterten leise .... sie hatte alles vergessen, und die fernen versunkenen Bilder wollten langsam, ganz langsam wieder auftauchen.....

Dann erweckte sie wieder plötzlich ein Wort oder eine Berührung. Eine Sekunde brauchte sie immer, um sich wieder recht in alles hineinzufinden, aber dann faßte sie wieder ein Weinglas und leerte es auf einen Zug. Und dann noch eines und noch eines, bis sie spürte, wie ihr der Arm schwer herabsank.....

Der Freiwillige hatte sich inzwischen herübergesetzt und ziemlich dicht an sie angedrückt. Sie merkte es noch, aber scherzte ruhig weiter........

Allmählich aber begann sie die Wirkung des Weins zu fühlen. Ihr Blick wurde unsicher und sah wie durch trübe Wolken eines schweren breitverströmenden Dunstes; und die zärtlichen und überredenden Worte, die sie vernahm, schienen irgendwo von weiter, weiter Ferne herzukommen, ganz verschwommen und verloren. Ihre Zunge begann zu lallen, und sie merkte, wie trotz aller Bestrebungen ihr Gedankengang sich verwirrte und ein Blitzen und Surren vor ihren Augen funkelte, gegen das sie sich nicht zu wehren wußte. Aber mit der Müdigkeit, die sie immer enger und zärtlicher umfaßte, kam auch jene Schwermut wieder, halb die lallende unmotivierte Melancholie der Trunkenen, und halb der Schmerz, der schon den ganzen Abend ihre Brust durchstürmte und sich noch immer nicht Bahn gebrochen hatte. Sie war ganz in ihr Leid verloren, stumpf und gefühllos gegen die Außenwelt, taub gegen alle Worte und sanften Liebkosungen.

Der junge Bursch verstand ihr Verhalten nicht ganz und eine Unsicherheit überkam ihn, was er mit ihr beginnen sollte; er hielt sie für betrunken, wollte sie jedoch bewegen, wach zu werden, weil er sich schämte, ihre Trunkenheit sich zunutze zu machen. Aber ihre Apathie war nicht durch Zureden, noch durch schmeichelnde Küsse zu lösen; er fächelte ihr Kühlung zu; als er aber versuchte, ihr Kleid zu öffnen, geschah etwas Unerwartetes, das ihn erschreckte.

Denn im Augenblicke, da er sie umfaßte, fiel sie ihm plötzlich in die Arme und begann furchtbar zu weinen. Es war ein unendlich schreckvolles und leidvolles Schluchzen, nicht das wehmütige Duseln eines Trunkenen, sondern in ihrem Weinen war eine elementare Gewalt; wie ein Raubtier war es, das jahrelang im Käfig gefesselt war und mit einem Male in wilder Gewalt die Schranken durchbricht, es war ihr ganzer heiliger und tiefer Schmerz, der ihr nur dunkel bewußt gewesen war und sich jetzt in bebenden Schauern erlöste. Erika weinte aus tiefster Brust, alles, alles schien jetzt gut zu werden, da diese glühende Last der Tränen und die drückende Bürde der nichtentladenen Erregungen sich wie in mächtigen Gewitterstößen von ihr losrang; sie weinte und weinte, jähe Schauer liefen über ihren hilflos angeschmiegten Körper, aber die heißen Quellen ihrer Augen schienen nicht versiegen zu wollen; es war, als spülten sie all das bittere Leid mit sich hinweg, das sich langsam angesetzt hatte wie wachsende Kristalle, die sich verhärten und nicht weichen wollen. Nicht ihre Augen weinten, ihr ganzer schmaler und biegsamer Leib erbebte unter den harten Stößen, und ihr Herz erbebte mit.

Der junge Mann war diesem jähen und peinlichen Ausbruche gegenüber gänzlich hilflos. Er suchte sie zu beruhigen, strich ihr leise und zärtlich über die dunklen Flechten; wie aber ihre Anstrengungen sich immer verdoppelten, kam ein sonderbares Gefühl mitleidsvoller Zuneigung über ihn. Er hatte noch nie so weinen gehört, und dieses unerhörte Leid, von dem er nichts wußte, dessen Größe er aber ahnen mußte, flößte ihm eine achtungsvolle Furcht vor dieser Frau ein, die willenlos in seinen Armen lag. Wie ein Verbrechen erschien es ihm, ihren Körper zu berühren, der zu schwach war, den mindesten Widerstand leisten zu können; nach und nach kam ihm dann auch zu Bewußtsein, daß er sehr großartig dabei handle, und diese kindliche Freude an einem seltsamen Erlebnis stärkte seine Willenskraft. Er ließ einen Wagen holen und begleitete sie, nachdem er von ihr die Adresse erfahren hatte, bis zum Hause hin, wo er sich mit freundlichen und beruhigenden Worten verabschiedete.


Als Erika sich wieder in ihrem Zimmer befand, war auch der letzte Rest des Rausches verflogen. Nur das Geschehene der letzten Stunden war ihr unklar und verschwommen, aber sie dachte nicht mit scheuer Ängstlichkeit zurück, sondern mit friedevoller Ruhe. In diesen glühenden Tränen war ihre ganze junge Seele gewesen mit all ihrem Schmerz: mit der großen drückenden Liebe, mit der wilden und brennenden Schmach und der letzten, beinahe vollbrachten Erniedrigung.

Langsam kleidete sie sich aus.

Alles hatte so kommen müssen; denn es gibt Menschen, die nicht zur Liebe geboren sind, denen nur die heiligen Schauer der Erwartung blühen, weil sie zu schwach sind, die schmerzhaften Seligkeiten der Erfüllungen zu tragen.

Erika dachte über ihr Leben nach. Sie wußte nun, daß die Liebe nicht mehr zu ihr kommen würde, und daß sie ihr nicht entgegengehen dürfe; die Bitterkeit des Entsagens nahte ihr zum letzten Male.

Einen Augenblick zögerte sie noch in geheimer unverständlicher Scham; doch dann löste sie die letzten Hüllen vor dem Spiegel.

Sie war noch jung und schön. In ihrem blütenweißen Körper lag noch die hellschimmernde Frische früher Jahre, in sanfter, fast kindlicher Rundung bebten ihre Brüste, die in wilder innerer Erregung sich hoben und senkten, leise und zart in rhythmisch verfließendem Linienspiel. Stärke und Geschmeidigkeit prunkte in den Gliedern, alles war geschaffen und bereit, eine schenkende Liebe kraftvoll zu empfangen und zu erhöhen, Seligkeiten zu geben und zu nehmen im wechselnden Spiel, dem heiligsten Ziele entgegen zu schaffen und das verklärte Wunder der Schöpfung in sich zu erleben. Und das alles sollte ungenützt und unfruchtbar vergehen, wie die Schönheit einer Blume, die ein Wind verweht, ein taubes Korn im unübersehbaren Garbenfelde der Menschheit?

Eine milde versöhnliche Resignation kam über sie, die Hoheit der Menschen, die durch den größten Schmerz gegangen. Und auch den Gedanken, daß diese blühende Jugend einem, einem einzigen bestimmt gewesen sei, der sie begehrt und verachtet habe, auch diese letzte schwerste Prüfung fand keinen Groll mehr bei ihr. Wehmütig löschte sie das Licht und sehnte sich nur mehr nach dem leisen Glück milder Träume.


Diese wenigen Wochen umgrenzten das Leben der Erika Ewald. In ihnen lag alles beschlossen, was sie erlebte, und die vielen späteren Tage gingen an ihr vorüber, gleichgültig wie Fremde. Ihr Vater starb, die Schwester heiratete einen Beamten, Verwandte und Freunde trugen Glück und Unglück, nur in ihre einsamen Stunden ließ sie das Schicksal nicht mehr ein. Ihr konnte das Leben nichts mehr anhaben mit seiner stürmischen Gewalt; die tiefe Wahrheit war ihr bewußt geworden, daß der große heilige Friede, um den sie gerungen, nicht anders errungen wird, als durch einen tiefen läuternden Schmerz, daß es kein Glück gebe für den, der nicht den Weg der Leiden gegangen ist. Aber diese Weisheit, die sie dem Leben abgezwungen, blieb nicht kalt und unfruchtbar; die Fähigkeit zur spendenden Liebe, die einst ihr Wesen in heißen Konvulsionen erschüttert, zog sie nun zu den Kindern hin, die sie Musik lehrte und denen sie vom Schicksal und seinen Tücken erzählte, wie von einem Menschen, vor dem man sich hüten muß. Und so gingen ihre Monate, Tag für Tag dahin.

Und wenn der Frühling ins Land kam und warmer segnender Sommer, dann überströmten auch ihre Abende von inniger Schönheit....

Sie saß dann am Klavier beim offenen Fenster. Von außen zitterte ein feiner würziger Duft herein, wie ihn der erste Frühling bringt, und das Brausen der Großstadt war fern wie ein Meer, das seine stürmischen Fluten gegen die weißen Gestade wirft. Im Zimmer trällerte der Kanarienvogel die lustigsten Läufe, und draußen vom Gang hörte man die Knaben des Nachbars mit ihren tollen, übermütigen Spielen. Wenn sie aber zu spielen begann, dann wurde es draußen still; leise, ganz leise ging dann die Tür auf, und ein Knabenkopf nach dem anderen schob sich herein, um andächtig zu horchen. Und Erika fand wehmütige Melodieen mit ihren weißen schmalen Fingern, die immer heller und durchleuchtender zu werden schienen, dazwischen leise Phantasieen, bei denen verhallte Erinnerungen anklangen.

Und einmal, als sie so spielte, kam ihr ein Motiv, dessen sie sich nicht entsinnen konnte. Und sie spielte es immer wieder, bis sie es jählings erkannte; das Volkslied, die wehmütige Liebesweise, mit der er sein Liebeslied begonnen.....

Da ließ sie die Finger sinken und träumte wieder von der Vergangenheit. Ganz ohne Groll und Neid waren ihre Gedanken. Wer weiß, ob es nicht das Beste gewesen, daß sie sich damals nicht gefunden.... Und ob sie sich vertragen? Wer kann es wissen?....... Aber ..... – sie schämte sich beinahe des Gedankens – ein Kind hätte sie gerne von ihm gehabt, ein schönes goldlockiges Kind, das sie hätte wiegen und warten können, wenn sie allein war, ganz einsam war.......

Sie lächelte. Was für dumme Träumereien das doch waren!

Und tastend suchten ihre Finger wieder das vergessene Liebesmotiv.......


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Der Stern über dem Walde

Franz Carl Ginzkey
in herzlicher Gesinnung

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Einmal, als sich der schlanke und sehr soignierte Kellner François beim Servieren über die Schulter der schönen polnischen Gräfin Ostrowska herabneigte, geschah etwas Seltsames. Nur eine Sekunde währte es und war kein Zucken und kein Erschrecken, keine Regung und Bewegung. Und doch war es eine jener Sekunden, in die tausende Stunden und Tage voll Jubel und Qual gebannt sind, gleichwie der großen dunkelrauschenden Eichen wilde Wucht mit all ihren wiegenden Zweigen und schaukelnden Kronen in einem einzigen verflatternden Samenstäubchen geborgen ist. Nichts Äußerliches geschah in dieser Sekunde. François, der geschmeidige Kellner des großen Rivierahotels beugte sich tiefer hinab, um die Platte dem suchenden Messer der Gräfin besser zurecht zu legen. Doch sein Gesicht ruhte diesen Moment knapp über der weichgelockten duftenden Welle ihres Hauptes, und als er instinktiv das devot gesenkte Auge aufschlug, sah sein taumelnder Blick, in wie milder und weißleuchtender Linie ihr Nacken sich aus dieser dunklen Flut in das dunkelrote bauschende Kleid verlor. Wie Purpurflammen schlug es in ihm auf. Und leise klirrte das Messer an die unmerklich erzitternde Platte. Obzwar er aber in dieser Sekunde alle Folgenschwere dieser jähen Bezauberung ahnte, meisterte er gewandt seine Erregung und bediente mit der kühlen und ein wenig galanten Verve eines geschmackvollen Garçons weiter. Er reichte die Platte mit geruhigem Gange dem steten Tischgenossen der Gräfin, einem älteren, mit ruhiger Grazie begabten Aristokraten, der mit fein akzentuierter Betonung und einem kristallenen Französisch gleichgültige Dinge erzählte. Dann trat er ohne Blick und Gebärde von dem Tisch zurück.

Diese Minuten waren der Beginn eines sehr seltsamen und hingebungsvollen Verlorenseins, einer so taumelnden und trunkenen Empfindung, daß ihr das gewichtige und stolze Worte Liebe beinahe übel ansteht. Es war jene hündisch treue und begehrungslose Liebe, wie sie die Menschen sonst inmitten ihres Lebens gar nicht kennen, wie sie nur ganz junge und ganz alte Leute haben. Eine Liebe ohne Besonnensein, die nicht denkt, sondern nur träumt. Er vergaß ganz jene ungerechte und doch unauslöschliche Mißachtung, die selbst kluge und bedächtige Leute gegen Menschen im Kellnerfracke bezeugen, er sann nicht nach Möglichkeiten und Zufällen, sondern nährte in seinem Blute diese seltsame Neigung, bis ihre geheime Innigkeit sich aller Bespottung und Bemänglung entrang. Seine Zärtlichkeit war nicht die der heimlich zwinkernden und lauernden Blicke, die jäh losbrechende Kühnheit verwegener Gebärden, die sinnlose Brünstigkeit lechzender Lippen und zitternder Hände, sie war ein stilles Mühen, ein Walten jener kleinen Dienste, die um so erhabener und heiliger in ihrer Demut sind, als sie wissend unbemerkt bleiben. Er strich nach dem Souper über die zerknüllten Tischtuchfalten vor ihrem Platze mit so zärtlichen und kosenden Fingern, wie man wohl liebe und weichruhende Frauenhände streichelt; er rückte alle Dinge ihrer Nähe mit hingebungsvoller Symmetrie zusammen, als ob er sie zu einem Feste bereite. Die Gläser, die ihre Lippen berührt hatten, trug er sich sorgsam in sein enges dumpfes Dachlukenzimmer und ließ sie im perlenden Mondlicht nächtlich auffunkeln wie köstliches Geschmeide. Stets war er aus irgend einem Winkel der geheime Behorcher ihres Schreitens und Wandelns. Er trank ihre Sprache so wie man einen süßen und duftberauschenden Wein wollüstig auf der Zunge wiegt, und fing die einzelnen Worte und Befehle gierig wie Kinder den fliegenden Spielball. So trug seine trunkene Seele in sein armes und gleichgültiges Leben einen wechselnden und reichen Glanz. Nie kam ihm die weise Torheit, das ganze Ereignis in die kalten, vernichtenden Worte der Tatsächlichkeit zu kleiden, daß der armselige Kellner François eine exotische, ewig unerreichbare Gräfin liebte. Denn er empfand sie gar nicht als Wirklichkeit, sondern als etwas sehr Hohes, sehr Fernes, das nur mehr mit seinem Abglanz des Lebens reichte. Er liebte den herrischen Stolz ihrer Befehle, den gebietenden Winkel ihrer schwarzen, sich fast berührenden Augenbrauen, die wilde Falte um den schmalen Mund, die sichere Grazie ihrer Gebärden. Unterwürfigkeit schien ihm Selbstverständlichkeit, und die demütigende Nähe niederen Dienstes empfand er als Glück, weil er ihr zu danke so oft in den zauberischen Kreis treten durfte, der sie umfing.

So ward in dem Leben eines einfachen Menschen plötzlich ein Traum wach, gleich einer edlen und sorgfältig gezüchteten Gartenblüte, die an einer Straße blüht, wo sonst der Wanderstaub alle Keime zertritt. Es war der Taumel eines schlichten Menschen, ein zauberischer und narkotischer Traum inmitten eines kalten, gleichtönigen Lebens. Und Träume solcher Menschen sind wie die ruderlosen Boote, die ziellos in schaukelnder Wollust auf stillen, spiegelnden Wassern treiben, bis plötzlich ihr Kiel mit jähem Ruck an ein unbekanntes Ufer stößt.


Die Wirklichkeit ist aber stärker und robuster als alle Träume. Eines Abends sagte ihm der feiste Waadtländer Portier im Vorübergehn: »Die Ostrowska fährt morgen mit dem Acht-Uhr-Zug.« Und dann noch ein paar andre gleichgültige Namen, die er überhörte. Denn ein wirres Brausen und Wirbeln war aus diesen Worten in seinem Hirne geworden. Ein paar Mal fuhr er sich mechanisch mit den Fingern über die gepreßte Stirn, als wollte er eine drückende Schicht wegschieben, die dort lagerte und das Verständnis umdämmerte. Er machte ein paar Schritte; es war ein Taumeln. Unsicher und erschreckt glitt er an einem hohen goldgerahmten Spiegel vorbei, aus dem ihm ein fahles und fremdes Gesicht kreidig entgegenstarrte. Die Gedanken wollten nicht kommen, sie waren gleichsam festgemauert hinter einer dunklen nebligen Wand. Fast unbewußt tastete er am Geländer die breite Treppe in den umdämmerten Garten hinab, wo die hohen Pinien-Bäume einsam standen wie finstere Gedanken. Noch ein paar Schritte wankte seine unruhige Gestalt, gleich dem niederen und taumelnden Flug eines großen dunklen Nachtvogels, dann sank er auf eine Bank, den Kopf an die kühle Lehne gepreßt. Es war ganz still dort. Rückwärts zwischen den runden Sträuchern funkelte das Meer. Weiche und zitternde Lichter glühten dort leise, und in der Stille verlor sich der eintönig murmelnde Singsang fernplätschernder Brandungsquellen.

Und plötzlich war alles klar, ganz klar. So schmerzklar, daß er fast ein Lächeln fand. Es war einfach alles zu Ende. Die Gräfin Ostrowska fährt nach Hause, und der Kellner François bleibt auf seinem Posten. War dies denn so seltsam? Gingen nicht alle die Fremden fort, die kamen, nach zwei, nach drei, nach vier Wochen? Wie töricht, das nicht überdacht zu haben. Es war ja alles so klar, zum Lachen, zum Weinen klar. Er lachte ganz laut in seinem jähen ingrimmigen Schmerz. Und die Gedanken schwirrten und schwirrten. Morgen abend, mit dem Acht-Uhr-Zug nach Warschau. Nach Warschau – Stunden und Stunden durch Wälder und Täler, über Hügel und Berge, über Steppen und Flüsse und durch brausende Städte. Warschau! Wie weit das war! Er konnte es sich gar nicht ausdenken, aber im tiefsten fühlen, dieses stolze und drohende, harte und ferne Wort: Warschau. Und er.....

Eine Sekunde flatterte noch eine kleine träumerische Hoffnung auf. Er konnte ja nachfahren. Und dort sich verdingen als Diener, als Schreiber, als Fuhrknecht, als Sklave; als frierender Bettler dort auf der Straße stehn, aber nur nicht so furchtbar ferne sein, den Atem derselben Stadt nur atmen, sie manchmal vielleicht vorüberbrausen sehen, nur ihren Schatten sehen, ihr Kleid und ihr dunkles Haar. Schon zuckten eilfertige Träumereien empor. Aber die Stunde war hart und unerbittlich. Er sah das Unerreichbare nackt und klar. Er rechnete: hundert oder zweihundert Francs Ersparnisse im besten Falle. Das reichte kaum die Hälfte des Weges. Und was dann? Wie durch einen zerrissenen Schleier sah er auf einmal sein Leben, fühlte, wie arm, wie kläglich, wie häßlich es jetzt werden mußte. Öde leere Kellnerjahre, zermartert von törichter Sehnsucht, diese Lächerlichkeit sollte seine Zukunft sein. Wie ein Schauder kam es über ihn. Und plötzlich liefen alle Gedankenketten stürmisch und unabwendbar zusammen. Es gab nur eine Möglichkeit. –

Leise schwankten die Wipfel in einer unmerklichen Brise. Eine finstere schwarze Nacht stand drohend vor ihm. Da erhob er sich sicher und gelassen von seiner Bank und schritt über den knirschenden Kies zu dem großen, in weißem Schweigen schlafenden Hause empor. Bei ihren Fenstern blieb er stehen. Sie waren blind und ohne ein funkelndes Lichterzeichen, daran sich träumerische Sehnsucht hätte entzünden können. Nun ging sein Blut in ruhigen Schlägen, und er schritt wie einer, den nichts mehr verwirrt und betrügt. In seinem Zimmer warf er sich ohne jede Erregung auf das Bett und schlief dumpfen traumlosen Schlaf bis zum rufenden Morgenzeichen.


Am nächsten Tage war sein Gebaren gänzlich in den Grenzen sorgfältig gezirkelter Überlegung und erzwungener Ruhe. Mit kühler Gleichgültigkeit erledigte er seine Pflichten, und seine Gebärden hatten eine so sichere und sorglose Gewalt, daß niemand hinter der trügerischen Maske den herben Entschluß hätte ahnen können. Kurz vor der Stunde des Diners eilte er mit seinen kleinen Ersparnissen in das vornehmste Blumengeschäft und kaufte erlesene Blumen, die ihn in ihrer farbigen Pracht wie Worte anmuteten: feuergolden glühende Tulpen, die wie eine Leidenschaft waren, weiße breitgekränzte Chrysanthemen, die wie lichte und exotische Träume anmuteten, schmale Orchideen, die schlanken Bilder der Sehnsucht und ein paar stolze betörende Rosen. Und dann erstand er eine prächtige Vase aus opalisierendem funkelndem Glase. Die paar Francs, die ihm noch blieben, schenkte er im Vorübergehen einem Bettelkinde mit rascher und sorgloser Gebärde. Und eilte zurück. Die Vase mit den Blumen stellte er mit wehmütiger Feierlichkeit vor das Kuvert der Gräfin, das er nun zum letzten Male mit einer voluptuösen und langsamen Peinlichkeit bereitete.

Dann kam das Diner. Er servierte wie immer: kühl, lautlos und geschickt, ohne aufzuschauen. Nur zum Ende umfing er ihre ganze biegsame, stolze Gestalt mit einem unendlichen Blicke, von dem sie nie wußte. Und nie erschien sie ihm so schön, wie in diesem letzten wunschlosen Blick. Dann trat er ruhig, ohne Abschied und Gebärde vom Tische zurück und ging aus dem Saal. Wie ein Gast, vor dem sich die Bedienten beugen und neigen, schritt er durch die Gänge und über die vornehme Empfangstreppe hinab der Straße zu: man hätte fühlen müssen, daß er mit diesem Augenblick seine Vergangenheit verließ. Vor dem Hotel blieb er eine Sekunde unschlüssig stehen: dann wandte er sich den blinkenden Villen und breiten Gärten entlang einem Wege zu, weiter, immer weiter wandelnd in seinem nachdenklichen Promenadeschritt, ohne zu wissen, wohin.


Bis zum Abend irrte er so unstet in träumerischem Verlorensein. Er sann über nichts mehr nach. Nicht über Vergangenes und nicht über das Unabwendbare. Er spielte nicht mehr mit dem Todesgedanken, so wie man wohl noch in den letzten Augenblicken den funkelnden, mit tiefem Auge drohenden Revolver prüfend in der wägenden Hand hebt und wieder senkt. Längst hatte er sich das Urteil gesprochen. Nur Bilder kamen noch, in flüchtigem Fluge, gleich ziehenden Schwalben. Zuerst die Jugendtage bis zu einer verhängnisvollen Schulstunde, da ihn ein törichtes Abenteuer aus einer verführerisch winkenden Zukunft jählings in das Gewirre der Welt stieß. Dann die rastlosen Fahrten, Mühen um den Taglohn, Versuche, die immer wieder mißglückten, bis die große finstere Welle, die man Schicksal nennt, seinen Stolz zerbrach und ihn an einen unwürdigen Posten warf. Viele farbige Erinnerungen wirbelten vorüber. Und schließlich glänzte noch die sanfte Spiegelung dieser letzten Tage aus den wachen Träumen; und jählings stießen sie wieder das dunkle Tor der Wirklichkeit auf, das er durchschreiten mußte. Er besann sich, daß er noch heute sterben wollte.

Eine Weile sann er über die vielen Wege, die zum Tode führen, und wägte ihre Bitterkeit und Behendigkeit gegeneinander ab. Bis ihn plötzlich ein Gedanke durchzuckte. Aus trüben Sinnen fiel ihm jäh ein finsteres Symbol ein: so wie sie unwissend und vernichtend über sein Schicksal hinweggebraust war, so sollte sie auch seinen Körper zermalmen. Sie selbst sollte es vollbringen. Sie selbst ihr Werk vollenden. Und nun hasteten die Gedanken mit unheimlicher Sicherheit. In einer knappen Stunde, um acht Uhr ging der Expreß ab, der sie ihm entführte. Dem wollte er sich unter die Räder werfen, sich zerstampfen lassen von der gleichen stürmenden Gewalt, die ihm die Frau seiner Träume entriß. Unter ihren Füßen wollte er verbluten. Die Gedanken stürmten und stürmten gleichsam jubelnd einander nach. Er wußte auch den Ort. Weiter oben am Waldhang, wo die rauschenden Wipfel den letzten Blick auf die nahe Bucht verdunkelten. Er sah auf die Uhr: fast schlugen die Sekunden und sein hämmerndes Blut den gleichen Takt. Es war schon Zeit, sich auf den Weg zu machen. Nun kam mit einem Male Elastizität und Zielsicherheit in seine schlaffen Schritte, jener harte eilige Takt, der das Träumen im Vorwärtswandeln ertötet. Unruhig stürmte er in die dämmernde Pracht des südlichen Abends der Stelle zu, wo zwischen den fernen bewaldeten Hügeln der Himmel eingebettet war als purpurner Streif. Und er eilte vorwärts, bis er an das Geleise kam, das mit seinen beiden silbernen Linien vor ihm aufglänzte und seinen Weg geleitete. Und sie führten ihn in gewundenem Zuge aufwärts durch die tiefen duftenden Tale, deren dunstige Schleier das matte Mondlicht durchsilberte, sie lenkten ihn im steigenden Gange in das Hügelland, wo man sah, wie ferne das weite nachtschwarze Meer mit seinen funkelnden Strandlichtern aufglänzte. Und sie zeigten ihm endlich den tiefen, unruhig rauschenden Wald, der das Geleise in seinen sinkenden Schatten begrub.

Es war schon spät, als er nun schweratmend am dunklen Hange des Waldes stand. Schauerlich und schwarz reihten sich die Bäume um ihn. Nur hoch oben in den durchschimmernden Kronen spann ein fahles zitterndes Mondlicht in den Zweigen, die stöhnten, wenn sie die leise Nachtbrise in die Arme nahm. Manchmal zuckten seltsame Rufe ferner Nachtvögel in diese dumpfe Stille. Die Gedanken erstarrten ihm ganz in dieser bangenden Einsamkeit. Er wartete nur, wartete und starrte, ob nicht unten an der Kurve der ersten ansteigenden Serpentine das rote Licht des Zuges auftauchten wollte. Manchmal sah er wieder nervös auf die Uhr und zählte die Sekunden. Dann horchte er wieder nach dem fernen Schrei der Lokomotive. Aber es war eine Täuschung. Ganz still wurde es wieder. Die Zeit schien erstarrt zu sein.

Endlich glänzte fern unten das Licht. Er fühlte in dieser Sekunde einen Stoß im Herzen, wußte aber nicht, ob es Furcht oder Jubel war. Mit jäher Gebärde warf er sich hin auf die Schienen. Zuerst fühlte er einen Augenblick nur die wohlige Kühle der Eisenstreifen an seiner Schläfe. Dann horchte er. Der Zug war noch weit. Minuten mochte es wohl dauern. Noch hörte man nichts außer dem flüsternden Rauschen der Bäume im Wind. Wirr sprangen die Gedanken. Und plötzlich einer, der blieb und sich wie ein schmerzhafter Pfeil in sein Herz bohrte: daß er um ihretwillen starb und sie es nie ahnen würde. Daß nicht eine einzige leise Welle seines aufschäumenden Lebens die ihre berührt hatte. Daß sie nie wissen würde, daß ein fremdes Leben an ihrem gehangen, an ihrem zerschmettert sei.

Ganz leise keuchte von ferne durch die atemstille Luft der rhythmische Gang der steigenden Maschine. Aber der Gedanke brannte unvermindert und folterte die letzten Minuten des Sterbenden. Näher und näher ratterte der Zug. Und da schlug er noch einmal die Augen auf. Über ihm war ein schweigender blauschwarzer Himmel und ein paar rauschende Kronen. Und über dem Walde ein weißer blinkender Stern. Ein einsamer Stern über dem Walde.... Schon begannen die Schienen unter seinem Kopfe leise zu schwingen und zu singen. Aber der Gedanke brannte wie Feuer in seinem Herzen und in dem Blicke, der alle Glut und Verzweiflung seiner Liebe faßte. Alle Sehnsucht und diese letzte schmerzliche Frage fluteten über in den weißen leuchtenden Stern, der mild auf ihn niedersah. Näher und näher schmetterte der Zug. Und der Sterbende umfing noch einmal mit einem letzten unsagbaren Blick den funkelnden Stern, den Stern über dem Walde. Dann schloß er die Augen. Die Schienen zitterten und wankten, näher und näher stampfte der ratternde Gang des fliegenden Zuges, daß der Wald dröhnte wie von großen hämmernden Glocken. Die Erde schien zu taumeln. Noch ein betäubendes sausendes Schwirren, ein wirbelndes Getöse, dann ein schriller Pfiff, der ängstliche tierische Schrei der Dampfpfeife und das gelle Stöhnen einer vergeblichen Bremse.....


Die schöne Gräfin Ostrowska hatte im Zuge ein eigenes reserviertes Coupé. Seit der Abfahrt las sie einen französischen Roman, sanft gewiegt von der schaukelnden Bewegung des Wagens. Die Luft des engen Raumes war schwül und getränkt von dem drückenden Dufte vieler welkender Blumen. Schon nickten von den prächtigen Abschiedskörben die weißen Fliedertrauben müde herab wie überreife Früchte, erschlafft hingen die Blüten an den Stengeln, und die schweren und breiten Kelche der Rosen schienen zu welken in der heißen Wolke der berauschenden Düfte. Erstickende Schwüle wärmte diese schweren Duftwellen, die träge niederdrückten, selbst in der sausenden Eile des Zuges.

Plötzlich ließ sie mit matten Fingern das Buch sinken. Sie wußte selbst nicht, warum. Ein geheimes Gefühl war es, das sie aufriß. Sie fühlte einen dumpfen schmerzlichen Druck. Ein jäher, unverständlicher beklemmender Schmerz umpreßte ihr Herz. Sie glaubte ersticken zu müssen in dem schwülen betäubenden Dunst der Blumen. Und dieser ängstigende Schmerz wich nicht, sie fühlte jede Schwingung der sausenden Räder, das blinde Vorwärtsstampfen marterte sie unsäglich. Eine plötzliche Sehnsucht packte sie, den eilenden Schwung des Zuges hemmen zu können, ihn zurückzureißen von dem dunklen Schmerz, dem er entgegenstürmte. Nie hatte sie in ihrem Leben eine ähnliche Angst vor etwas Furchtbarem, Unsichtbarem, Grausamem ihr Herz umklemmen gefühlt, als in diesen Sekunden unverständlichen Schmerzes und unbegreiflicher Angst. Und immer wilder wurde dieses unsagbare Gefühl, immer enger der Druck um die Kehle. Wie ein Gebet stöhnte in ihr der Gedanke, daß der Zug anhalten möge.

Da plötzlich ein schriller Signalpfiff, der wilde warnende Schrei der Lokomotive und das klägliche knirschende Stöhnen der Bremse. Und verlangsamt der Rhythmus der fliegenden Räder, langsamer und langsamer, dann ein ratterndes Stammeln und ein stockender Stoß....

Mühsam tappt sie zum Fenster, um die kühle Luft zu trinken. Die Scheibe rasselt nieder. Draußen schwarze, stürmende Gestalten .... fliegende Worte von wechselnden Stimmen: ein Selbstmörder.... Unter den Rädern.... Tot.... Auf freiem Feld....

Sie zuckt zusammen. Instinktiv trifft ihr Blick den hohen schweigenden Himmel und drüben die schwarzen rauschenden Bäume. Und über ihnen ein einsamer Stern über dem Walde. Sie fühlt seinen Blick wie eine funkelnde Träne. Sie sieht ihn an und spürt jählings eine Traurigkeit, wie sie sie nie gekannt. Eine Traurigkeit voll Glut und Sehnsucht, wie sie in ihrem eigenen Leben nie war...

Langsam rattert der Zug wieder weiter. Sie lehnt in der Ecke und spürt leise Tränen über die Wangen tropfen. Die dumpfe Angst ist gewichen, sie fühlt nur noch einen tiefen seltsamen Schmerz, dessen Spur sie vergebens nachsinnt. Einen Schmerz, wie ihn verschreckte Kinder haben, wenn sie in finstrer undurchdringlicher Nacht plötzlich erwachen und fühlen, daß sie ganz einsam sind....


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Die Wanderung

E. M. Lilien
dem Künstler und dem Freunde

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Dunkle Gerüchte waren durch das Land gezogen und seltsame Worte, als sollte die Zeit sich erfüllt haben und der Messias nahe sein. Immer häufiger kamen Männer von Jerusalem zu den kleineren Orten Judäas und erzählten von Zeichen und Wundern, die sich ereignet hatten. Und wenn sie zu wenigen beisammen waren, dann senkten sie ihre Stimmen geheimnisschwer, um von dem seltsamen Manne zu künden, den sie Meister nannten. Allerorts hörte man sie dann gerne und glaubte ihnen mit banger Zuversicht, denn die Sehnsucht nach dem Erlöser war drängend und reif geworden im Volke, wie eine Blüte, die ihren Kelch zersprengt. Und wenn man der Verheißungen in den heiligen Büchern gedachte, so nannte man seinen Namen, und ein hoffnungsfrohes Leuchten flammte in den Blicken.

Damals lebte auch ein Jüngling im Lande, dessen Herz gläubig war und erwartungsvoll. Die armen Pilger, die des Weges von Jerusalem kamen, lud er in sein Haus, daß sie ihm vom Heilande berichteten, und wenn sie von ihm sprachen und von seinen wunderseligen Taten und Worten, da fühlte er einen dumpfen Schmerz im Herzen, denn sein Verlangen wurde jäh und ungestüm, das Angesicht des Erlösers zu schauen. Tag und Nacht träumte er von ihm, und seine rastlose Sehnsucht formte tausend Bilder seines Antlitzes voll Güte und Milde, er aber fühlte, daß sie doch nur stammelnde Abbilder einer großen Vollendung seien. Und ihm war, als müßte alle Unrast und Schmerzlichkeit seiner jungen Seele schwinden, dürfte er nur einmal den leuchtenden Glanz tragen, der von dem Herrn ausging. Noch aber wagte er es nicht, Heimat und Arbeit zu verlassen, die ihn ernährten, und dorthin zu gehen, wohin ihn seine Sehnsucht wies.

Einmal aber erwachte er plötzlich in tiefer Nacht aus einem Traum. Er vermochte sich seiner nicht mehr zu besinnen, nicht einmal, ob er ihm Glück gegeben oder einen Schmerz; er fühlte nur so, als ob ihn jemand von ferne gerufen hätte. Und da wußte er, daß der Heiland ihn zu sich entboten. Im schwersten Dunkel erwuchs ihm noch der jähe Entschluß, daß er nun nicht mehr zaudern dürfe, seines Herrn Angesicht zu schauen, und der sehnsüchtige Drang ward so siegreich und mächtig in ihm, daß er sich sogleich ankleidete, einen starken Wanderstab nahm und, ohne jemandem ein Wort zu sagen, aus dem schlummernden Hause ging, den Weg gegen Jerusalem zu.

Helles Mondlicht lag auf der Straße, und der Schatten seiner hastenden Gestalt eilte vor ihm her. Denn sein Schritt war beschleunigt und beinahe ängstlich; es schien, als wollte er das monatelange Versäumnis in dieser einen Nacht wett machen. In ihm bangte ein Gedanke, den er sich kaum zu sagen wagte: es könnte zu spät sein, und er würde den Heiland nicht mehr finden. Und manchmal überkam ihn auch die bange Furcht, er könnte den Weg verfehlen. Aber dann gedachte er des innigen Wunders, das er vernommen von drei Königen aus fernem Lande, die ein leuchtender Stern durch das Dunkel geführt. Und da verließ wieder die lästige Schwere seine Seele, und der eilende Wanderschritt hallte sicher und fest auf dem harten Pfade.

Einige Stunden eilte er so dahin, dann ward es Morgen. Langsam hob sich der Nebel und zeigte das farbensatte Hügelland mit seinen fernen Bergen und hellen Gehöften, die zur Rast einluden. Er aber hielt nicht inne auf seiner Wanderung, sondern strebte unablässig weiter. Langsam stieg die Sonne höher und höher. Und es ward ein heißer Tag, der sich schwer über das Land legte.

Bald wurde sein Schritt langsamer. Lichte Schweißperlen tropften von seinem Körper, und das schwere Feiertagsgewand begann ihn zu drücken. Zuerst legte er es über die Schulter, um es zu bewahren, und ging in ärmlicher Gewandung dahin. Bald aber begann er die Schwere der Last zu fühlen und wußte nicht mehr, was er mit dem Kleide beginnen sollte. Er wollte es nicht weggeben, denn er war arm und hatte kein anderes Feiertagsgewand, so daß er schon daran dachte, es im nächsten Dorfe zu verkaufen oder als Pfand für Geld zu geben. Aber als ein Bettler mühselig des Weges daherkam, dachte er seines fernen Meisters und schenkte das Gewand dem Armen.

Eine kurze Zeit ging er wieder rüstiger, doch dann verlangsamte sich von neuem sein Gang. Die Sonne stand schon hoch und heiß, und die Schatten der Bäume fielen nur als schmale Streifen über den staubigen Weg. Sehr selten kam ein schwacher Wind durch die stockende Mittagsschwüle, der aber trieb den breitkörnigen und schweren Staub der Straße mit sich, der sich an den schweißüberströmten Körper klebte. Und er fühlte ihn auch auf den vertrockneten Lippen brennen, die lange nach einem Trunke lechzten. Aber die Gegend war gebirgig und öde, nirgends war ein frischer Quell zu sehen oder ein gastliches Haus.

Manchmal kam ihm der Gedanke, er sollte umkehren oder doch wenigstens im Schatten einige Stunden rasten. Aber eine immer wachsende Unruhe trieb ihn weiter mit schwankenden Knieen und lechzenden Lippen seinem Ziele entgegen.

Inzwischen war es Mittag geworden. Die Sonne brannte heiß und stechend vom wolkenlosen Himmel herab, und die Straße glühte unter den Sandalen des Wanderers wie flüssiges Erz. Seine Augen waren rot und geschwollen vom Staube, der Gang wurde immer unsicherer, und die ausgetrocknete Zunge vermochte nicht mehr den seltenen Vorüberwandernden den frommen Willkommengruß zu erwidern. Längst hätten alle Kräfte versagt, aber es war, als triebe der Wille allein ihn noch vorwärts und die furchtbare Angst, er könnte sich verspäten und möchte das leuchtende Antlitz nicht mehr schauen, das seine Träume erhellte. Und der höhnische Gedanke, daß er ihm schon nahe sei, nur mehr zwei armselige Stunden von der heiligen Stadt, drohte ihm das Gehirn zu zersprengen.

Bis zu einem Hause am Wege schleppte er sich noch fort. Mit letzter Kraft warf er den knorrigen Wanderstab gegen die Tür und bat die öffnende Frau mit trockener und fast unhörbarer Stimme um einen Trunk. Dann brach er ohnmächtig über der Schwelle zusammen.

Als er wieder zur Besinnung erwachte, fühlte er wieder sichere und frische Kraft in seinen Gliedern. Er fand sich in einem kleinen Raum von wohltuender Kühle auf einem Ruhebette ausgestreckt. Und überall die Spuren einer mildtätig-sorglichen Hand; sein glühender Körper war mit Essig gewaschen worden und sorgfältig gesalbt, und neben seinem Lager stand noch das Gefäß, aus dem man ihn gelabt.

Sein erster Gedanke galt der Zeit, und er sprang rasch vom Lager, um nach der Sonne zu sehen. Die stand noch hoch, denn es war erst früher Nachmittag, so daß er wenig Zeit versäumt hatte. In diesem Augenblicke trat die Frau ins Zimmer, die ihm früher das Tor geöffnet. Sie war noch jung und dem Aussehen nach eine Syrierin; wenigstens hatten ihre Augen jenen dunklen raubtierartigen Glanz der Frauen dieses Volkes, und ihre Hände und Ohrgehänge verrieten die kindliche Freude am Schmuck, die allen diesen Frauen eigen ist. Ihr Mund lächelte leise, als sie ihm Willkommen in ihrem Hause bot.

Er sagte ihr warmen Dank für ihre Gastfreundschaft, wagte es aber nicht, gleich vom Abschied zu sprechen, so sehr ihn auch sein Herz auf den Weg drängte. Und nur ungern folgte er ihr in das Speisegemach, wo sie ihm eine Mahlzeit vorbereitet. Dort hieß sie ihn mit einer Gebärde sich niederzulassen, fragte ihn dann nach seinem Namen und um das Ziel seiner Reise. Und bald kamen sie ins Gespräch. Sie begann von sich zu erzählen, daß sie die Frau eines römischen Centurio sei, der sie aus ihrem Heimatlande entführt hatte und hierhergebracht, wo ihr das Leben in seiner Eintönigkeit, fern von ihren Stammesgenossen, wenig behage. Heute bliebe er den ganzen Tag in der Stadt, denn Pontius Pilatus, der Statthalter, habe die Hinrichtung dreier Verbrecher angeordnet. Und so sprach sie noch allerlei gleichgültige Dinge mit viel Geschäftigkeit, ohne auf seine unruhige und ungeduldige Miene zu achten. Und manchmal sah sie ihn mit einem eigentümlich lächelnden Blick an, denn er war ein schöner Jüngling.

Zuerst bemerkte er von alldem nichts, denn er achtete nicht auf sie und ließ ihre Worte wie ein sinnloses Geräusch an sich vorbeiströmen. Sein ganzes Denken verlor sich immer wieder in dem einzigen Gedanken, daß er weiterwandern müsse, um noch heute den Heiland zu sehen. Aber der schwere Wein, den er achtlos trank, gab seinen Gliedern Müdigkeit und Schwere, und mit der Sättigung überkam ihn auch das sanfte Gefühl einer trägen Behaglichkeit. Und als die sinkende Willenskraft ihn nach dem Mahle zu einem matten Versuche zwang, Abschied zu nehmen, hielt sie ihn mit Hinblick auf die drückende Hitze des Nachmittags ohne viel Mühe zurück.

Und lächelnd verwies sie ihm seine Hast, die mit wenigen Stunden geize. Wenn er schon Monate gezögert, dürfe er doch nicht mit einem einzigen Tage rechnen. Und mit ihrem seltsamen Lächeln kam sie immer wieder darauf zurück, daß sie allein zu Hause sei, ganz allein. Dabei bohrte sich ihr Blick verlangend in den seinen. Und auch über ihn war eine seltsame Unruhe gekommen. Der Wein hatte in ihm dumpfe Begierden geweckt, und sein Blut, das in dem kochenden, verzehrenden Brande der Sonne geglüht, pochte in seinen Adern mit einer seltsamen Schwüle, die sein Denken immer mehr überwältigte. Und als sie ihr Antlitz einmal nah zu dem seinen neigte und er den verlockenden Duft ihrer Haare einsog, riß er sie zu sich und küßte sie in stürmischem Überschwang. Und sie wehrte ihm nicht...

Und er vergaß seiner heiligen Sehnsucht und dachte nur derer, die er in seinen fiebernden Armen hielt, einen langen schwülen Sommernachmittag lang.

Erst die Dämmerung erweckte ihn wieder aus seinem Taumel. Jäh, fast feindselig riß er sich aus ihren Armen los, denn der Gedanke, er könnte den Messias versäumt haben um eines Weibes willen, machte ihn furchterfüllt und wild. In Hast nahm er seine Kleider, ergriff den Stab und verließ das Haus nur mit einer stummen Gebärde des Abschieds. Denn wie eine Ahnung war es in ihm, daß er dieser Frau nicht Dank sagen dürfe.

In unaufhörlicher Hast strebte er Jerusalem zu. Der Abend war schon gesunken, und in allen Ästen und Zweigen bebte ein Rauschen wie von einem dunklen Geheimnis, das die Welt erfüllte. Und ferne in der Richtung gegen die Stadt zu lagen ein paar dunkelschwere Wolken, die langsam im Abendrote zu glühen begannen. Und sein Herz erschrak in jäher und unverständlicher Angst, wie er dieses grelle Zeichen am Himmel erkannte.

Atemlos legte er den Rest des Weges zurück, und schon lag das Ziel vor seinen Augen. Er aber dachte immer wieder, daß er seiner Berufung untreu geworden sei, um einer flüchtigen Wollust willen, und die dumpfe Schwere in seinem Herzen wollte nicht leichter werden, ob er auch die hellen Mauern und blanken Türme der heiligen Stadt erblickte und die leuchtenden Zinnen des Tempels.

Nur einmal hielt er inne auf seiner Wanderung. Nahe der Stadt, auf einem niederen Hügel, sah er eine gewaltige Menge Menschen, die sich wirr durcheinander drängte und so laut lärmte, daß er die Stimmen selbst aus der Ferne vernahm. Und über ihnen sah er drei Kreuze ragen, die sich schwarz und scharf von der Himmelswand abhoben. Diese aber war überflutet von heller Glut, als sei die ganze Welt mit leuchtendem Flammenschein übergossen und in drohenden Glanz getaucht. Und die blanken Speere der Söldner glühten, als seien sie mit Blut befleckt....

Ein Mann kam auf dem menschenleeren Weg daher, mit ziellosem, unruhigem Gang. Den fragte er, was hier geschehe, um im nächsten Augenblick maßlos zu erstaunen. Denn das Antlitz, das der Fremde vom Boden erhob, war so schreckverzerrt und erstarrt, wie von einem jähen Schlage gerührt, und ehe sich der Fragende fassen konnte, stürmte er in wilder Verzweiflung davon, wie von Dämonen verfolgt. Verwundert rief er ihm nach. Der Fremde wendete sich nicht um, sondern lief fort und fort, aber dem Weiterwandernden dünkte es, als hätte er in ihm einen Mann aus Kerijoth, namens Judas Ischariot, erkannt. Doch er verstand nicht sein seltsames Gebaren.

Den Nächsten, der des Weges vorüberzog, befragte er ebenfalls. Der aber war eilig und sagte nur, es seien drei Verbrecher gekreuzigt worden, die Pontius Pilatus verurteilt habe. Und ehe er ihn weiter fragen konnte, war er vorüber.

Und da ging er selbst weiter gegen Jerusalem zu. Einmal warf er noch einen Blick zurück auf den Hügel, der wie mit Blut umwölkt war, und sah zu den drei Gekreuzigten hin. Zum Rechten, zum Linken und zuletzt zu dem in der Mitte. Aber er konnte sein Angesicht nicht mehr erkennen.

Und er schritt achtlos vorüber und wanderte zur Stadt, um das Antlitz des Erlösers zu schauen....


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Die Wunder des Lebens

Hans Müller
dem lieben Freunde

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Die graue Nebelfahne hatte sich tief über Antwerpen gesenkt und hüllte die Stadt ganz in ihr dichtes, drückendes Tuch. Die Häuser verflossen bald in einem feinen Rauch, und die Straßen führten ins Ungewisse: über ihnen aber ging wie ein Wort Gottes aus den Wolken ein dröhnendes Klingen und ein surrender Ruf, denn die Kirchtürme, aus denen die Glocken mit gedämpfter Stimme klagten und baten, waren zerronnen in diesem großen wilden Nebelmeer, das Stadt wie Land erfüllte und ferne im Hafen die unruhigen, leise grollenden Fluten des Ozeans umschlang. Hie und da kämpfte ein matter Lichtschein mit dem feuchten Rauche und suchte ein grelles Schild zu beleuchten, aber nur das verschwommene Lärmen und Lachen harter Kehlen verriet die Schenke, in der sich die Frierenden und die des Wetters Unlustigen zusammengefunden hatten. Die Gassen waren leer, und wenn Gestalten vorbeikamen, so war es nur wie ein flüchtiger Streif, der rasch in Nebel zerrann. Trostlos und müde war dieser Sonntagmorgen.

Nur die Glocken riefen und riefen ohne Unterlaß, wie verzweifelt, daß der Nebel ihren Schrei erstickte. Denn die Andächtigen waren spärlich; die fremde Ketzerei hatte Fuß gefaßt im Lande, und wer nicht abtrünnig geworden, war lässiger und matter im Dienst des Herrn, so daß eine morgendliche Nebelwolke genügte, um viele ihrer Pflicht zu entfremden. Alte, verhutzelte Frauen, die ihre Rosenkränze emsig surrten, arme Leute in schlichtem Sonntagsgewand standen wie verloren in den tiefen dunklen Hallen der Kirche, aus denen das schimmernde Gold der Altäre und Kapellen und das leuchtende Meßgewand wie eine milde und sanfte Flamme entgegenstrahlte. Wie durchgesickert durch die hohen Wände war der Nebel, denn auch hier wohnte die traurig-fröstelnde Stimmung der verlassenen, versponnenen Straßen. Und kalt, herbe, ohne den sonnigen Strahl war auch die Morgenpredigt: sie galt den Protestanten und war von wildem Zorn getragen, in dem sich Haß mit starkem Kraftbewußtsein vermählte, denn die Zeiten der Milde schienen vorbei, und von Spanien her kam den Klerikern die frohe Kunde, daß der neue König mit lobenswerter Strenge dem Werk der Kirche diene. Und mit den schildernden Drohungen des letzten Gerichtes vereinten sich dunkle Worte der Mahnung für die nächste Zeit, die vielleicht unter einer zahlreichen Hörerschar durch das raunende Gestühle weitergerauscht wären, so aber, in der dunklen Leere dröhnend und hohl zu Boden fielen, wie erfroren in der naßkalten schauernden Luft.

Während der Predigt waren zwei Männer rasch beim Hauptportal eingetreten, für den ersten Augenblick unkenntlich durch den hoch aufgeschlagenen hüllenden Mantel und das tief ins Antlitz verstürmte Haar. Der größere löste sich mit einem jähen Ruck aus der nassen Hülle: ein klares, nicht aber ungewöhnliches Gesicht, zu dessen wohlbehäbigem, bürgerlichen Schnitt die reiche Kaufherrntracht wohl paßte. Der andere war absonderlicher, wenn auch nicht phantastisch gekleidet: seine sanften und ruhigen Bewegungen harmonierten mit seinem etwas grobknochig-bäuerlichen, aber gutherzigen Gesicht, dem die weiße Wucht der herabwallenden Haare die Milde eines Evangelisten verliehen. Sie verrichteten beide eine kurze Andacht; dann winkte der Kaufherr seinem älteren Begleiter zu, ihm zu folgen, und sie gingen langsam und mit behutsamen Schritten in das Seitenschiff, das fast ganz im Dunkel lag, weil die Kerzen unruhig im feuchten Raume zitterten und vor den farbigen Scheiben die schwere Wolke lag, die sich noch immer nicht erhellen wollte. Vor einer der kleinen Seitenkapellen, die meist Stiftungen und Gelöbnisse der erbgesessenen Familien enthielten, blieb der Kaufherr stehen, und mit der Hand gegen einen der kleinen Altare hindeutend, sagte er kurz: »Hier ist es.«

Der andere trat näher und legte die Hand über das Auge, um die Dämmerung besser zu durchdringen. Der eine Altarflügel trug ein lichtes Bild, das im Dunkel nur noch weicher und milder in seiner Tönung zu werden schien und den Blick des Malers sogleich fesselte. Es war die Muttergottes mit dem vom Schwert durchbohrten Herzen, ein Bild, ganz sanft und versöhnungsvoll trotz seines Schmerzes und seiner Traurigkeit. Ein seltsam süßer Kopf war die Maria, nicht so sehr Mutter Gottes wie träumerische blühende Jungfrau, der ein leiser schmerzlicher Gedanke die lächelnde Anmut spielender Sorglosigkeit nimmt. Schwarze, dicht herabfließende Haare umschlossen zärtlich angepreßt ein schmales, blaßleuchtendes Gesicht, aus dem die Lippen rot entgegenbrannten, wie eine purpurne Wunde. Wundersam fein waren die Züge, und manche Linie, wie der schmale und sichere Schwung der Augenbrauen legten einen fast begehrlichen Schein und eine spielerische Schönheit über das zarte Antlitz, aus dem die dunklen Augen versonnen träumten, wie aus einer andern vielfarbigeren und süßeren Welt, der sie ein banger Schmerz entführt. Die Hände waren sanft ergebungsvoll gefaltet, und die Brust schien noch leicht schreckhaft zu erbeben vor der kalten Berührung des Schwertes, dem entlang die blutende Spur ihrer Wunde verströmte. All dies war in wundersamen Glanz getaucht, der ihr Haupt golden überflammte, und selbst ihr Herz glühte nicht wie warmes rauschendes Blut, sondern wie das mystische Licht des Kelches im farbigen Scheine der sonnedurchleuchteten Kirchenscheiben. Und die fließende Dämmerung nahm noch den letzten Schein der Weltlichkeit dieses Bildes, so daß der Heiligenschein über diesem süßen Mädchenhaupte so lebendig glühte wie wahrhaftiges Schimmern der Verklärung.

Beinahe ungestüm raffte sich der Maler aus seiner nachhaltigen und bewundernden Betrachtung auf.

»Das hat keiner von den Unsrigen gemalt.«

Der Kaufherr nickte zustimmend mit dem Kopf.

»Ein Italiener war es. Ein junger Maler. Aber das ist eine ganze Geschichte. Ich will sie Euch von Anfang an beginnen, und Ihr selbst sollt es sein, wie Ihr wißt, der Ihr den Schlußstein setzt. Doch seht: die Predigt ist zu Ende, wir wollen für Historien andern Platz suchen als die Kirche, wiewohl ihr unser Bemühen und gemeinsam Werk gelten wird. Laßt uns gehn!«

Der Maler blieb noch zögernd einige Augenblicke stehen, ehe er sich vom Bilde abwandte, das immer leuchtender zu werden schien, in dem Maße, als die rauchige Finsternis sich zu erhellen strebte und der Dunst immer goldener um die Fenster sich wölbte. Und es war ihm fast, als würde, wenn er andächtig betrachtend zurückbliebe, die sanft-schmerzliche Falte dieser Kinderlippen sich in ein Lächeln verlieren und neue Holdseligkeit ihm offenbaren. Doch sein Begleiter war schon vorausgegangen, und er mußte seinen Schritt beschleunigen, um ihn noch beim Portale zu erreichen. Gemeinsam, wie sie gekommen waren, traten sie aus der Kirche.

Aus dem schweren Nebelmantel, den der Vorfrühlingsmorgen der Stadt umgehängt hatte, war ein matter, silberner Flor geworden, der wie ein Spitzengewebe sich an den gegiebelten Dächern verfangen. Das enggesteinte Pflaster glänzte feucht-atmend wie Stahl, und schon begann sich das erste Sonnenflimmern goldig darin zu spiegeln. Der Weg der beiden ging durch die schmalen verwinkelten Gassen dem hellen Hafen zu, wo der Kaufherr wohnte. Und da sie langsam dahinschritten, in Gedanken und Erinnerung verloren, führte des Kaufherrn Geschichte schneller hin zum Ziele als ihrer Schritte träumerischer Gang.

»Ich hab Euch schon erzählt,« begann er, »daß ich in jungen Jahren in Venezia war. Und um nicht lang zu zögern: ich trieb es nicht sehr christlich. Statt meines Vaters Contor zu verwalten, saß ich in Schenken mit dem jungen Volk, das dort den lieben Tag in Saus und Braus verbringt, trank, spielte, wußte auch schon manches freche Lied und manchen bittern Fluch über den Tisch zu donnern, wie die andern. An Heimkehr dacht' ich nicht. Das Leben war mir leicht, wie meines Vaters Worte, die er mir dringender und drohender von Hause schrieb: man kannte mich und hatte ihn gewarnt, daß mich das Luderleben noch verschlingen würde. Ich lachte nur, manchmal mit Ärgernis: ein rascher Schluck von diesem dunkelsüßen Wein schwemmte mir alle Bitterkeiten weg, und tat's nicht er, so tat's ein Dirnenkuß. Die Briefe riß ich auf und bald entzwei: mich hatte ganz der böse Rausch gefaßt, ich dachte nie mehr loszukommen. Doch eines Abends ward ich alles frei. Sehr seltsam war's, und manchmal fühl' ich's heute noch so, als hätte sichtbarlich ein Wunder meinen Weg gebahnt. Ich saß in meiner Schenke: heut noch seh' ich sie mit ihrem Qualm und Dunst und meinen Kneipgesellen. Auch Dirnen waren mit, und eine war sehr schön; wir trieben's selten toller als in dieser Nacht, die stürmisch war und sehr unheimlich. Plötzlich, als eben eine unzüchtige Historie dröhnendes Lachen weckte, trat mein Diener ein und gab mir einen Brief, den der Kurier von Flandern gebracht hatte. Ich war sehr ärgerlich, weil ich die Briefe meines Vaters ungern sah, denn sie mahnten mich unablässig an meine Pflicht und an ein christlich Tun, zwei Dinge, die ich längst im Wein ersäuft hatte. Ich wollt' ihn nehmen: da sprang der eine meiner Kneipgesellen auf, ein schöner Bursch, geschickt und aller ritterlichen Künste Meister. »Laß doch den Unkenschrei! Was geht's dich an!« rief er und warf den Brief hoch, riß seinen Degen rasch heraus und stieß geschickt das niederflatternde Blatt tief in die Wand, daß die blaue geschmeidige Klinge zitterte. Er zog sie vorsichtig zurück – der geschlossene Brief blieb an seiner Stelle. »Da klebt die Fledermaus,« lachte er. Die andern schlugen in die Hände, die Dirnen sprangen freudig zu ihm auf, man trank ihm zu. Ich lachte selbst, trank mit, zwang mich zu toller Fröhlichkeit, in der ich Brief und Vater, Gott und mich vergaß. Wir gingen fort, ohne daß ich noch des Briefes dachte, zu einer andern Schenke, wo unsre Fröhlichkeit zur Torheit wurde. Ich war berauscht wie nie, und eine der Dirnen war schön wie die Sünde.« –

Der Kaufherr blieb unwillkürlich stehen und strich sich mit der Hand mehrmals über die Stirne, gleichsam, als wollte er ein unerfreuliches Bild von sich abstreifen. Der Maler merkte rasch die Peinlichkeit der Erinnerung und sah ihn nicht an, sondern ließ seinen Blick wie neugierig auf einer raschsegelnden Galeone ruhen, die sich mit vollen Segeln dem Hafen näherte, in dessen farbigem Gewirre die beiden langsam angelangt waren. Das Schweigen dauerte nicht lange, und der Erzähler fuhr mit Hastigkeit fort.

»– Ihr könnt Euch denken, wie es wurde. Ich war jung und verwirrt, sie frech und schön. Wir gingen zusammen, und ich war voll Unrast und Begierde. Aber ein Sonderbares geschah. Als ich in ihren buhlerischen Armen lag und sich ihr Mund an meinen preßte, da ward diese Zärtlichkeit mir nicht wilder, gern erwiderter Genuß, sondern in wunderbarer Weise mahnten mich diese Lippen an den sanften Abendgruß im Elternhause. Mit einem Male, wundersam und kaum glaublich, fiel mir in den Armen der Dirne meines Vaters zerknüllter, zerstoßener, ungelesener Brief ein und mir war, als fühlte ich den Stoß des Gesellen in meiner blutenden Brust. Ich fuhr auf, so unvermittelt und blaß, daß mich die Dirne erschreckten Blickes befragte, was mir zugestoßen sei. Aber ich schämte mich meiner törichten Angst, und ich schämte mich dieses fremden Weibes, in dessen Bett ich gelegen und deren Schönheit ich genossen, ohne ihr den törichten Gedanken eines Augenblickes anvertrauen zu wollen. Aber in dieser Minute hat sich mein ganzes Leben gewandelt, und heut wie damals fühle ich, daß nur Gottes Gnade solches wirken kann. Ich warf ihr Geld hin, das sie widerwillig nahm, weil sie fürchtete, daß ich sie verachte, und nannte mich einen deutschen Narren. Ich aber hörte nicht mehr, sondern stürmte fort in die kalte Regennacht und schrie wie ein Verzweifelter in die dunklen Kanäle hinaus nach einer Gondel. Endlich kam eine, die sich ihre Fahrt mit Gold aufwiegen ließ, aber mein Herz pochte in einer so jähen, unbarmherzigen und unbegreiflichen Angst, daß ich an nichts anderes dachte als an den Brief, den mir ein Wunder so jählings wieder in Erinnerung gebracht. Als ich bei der Schenke angelangte, brach die Begierde nach diesen Zeilen aus wie ein zehrendes Fieber; ein Rasender stürmte ich jäh in die Schenke, ohne der freudig-erstaunten Rufe meiner Genossen zu achten, sprang auf einen gläserklirrenden Tisch, riß den Brief von der Wand und rannte weiter, ohne das tolle Hohnlachen und zornige Fluchen hinter mir zu beachten. An der nächsten Ecke entfaltete ich den Brief mit zitternden Händen. Der Regen strömte nieder vom verwölkten Himmel, und der Wind riß an dem Blatt in meiner Hand. Ich ließ aber nicht früher ab, als bis ich mit überquellenden Augen alles entziffert hatte. Es waren nicht viel der Worte: meine Mutter sei zum Sterben krank, und ich möchte nach Hause kommen. Kein Wort des Tadels und Vorwurfs wie sonst. Aber wie brannte mein Herz in tiefster Scham, als ich sah, daß des Degens Klinge mitten durch meiner Mutter Namen gestoßen war.....«

»Ein Wunder, ein offenbarliches Wunderzeichen, nicht allem Volke verständlich, aber wohl dem, für den es erstanden,« murmelte der Maler, als der Erzähler tiefbewegt in Schweigen versunken war. Eine Zeitlang gingen sie wieder wortlos nebeneinander her. Fernüber leuchtete schon das prächtige Haus des Kaufherrn ihnen entgegen. Als der Kaufherr aufblickend es bemerkte, fuhr er hastig fort.

»Laßt mich kurz sein, laßt mich Euch verschweigen, in welchem Schmerz und reuevollem Wahnsinn ich diese Nacht verlebte. Laßt Euch nur sagen, daß mich der nächste Morgen knieend auf den Stufen der Markuskirche fand, wo ich in brünstigem Gebete der Muttergottes einen Altar gelobte, wenn sie mir vergönnen wollte, meiner Mutter Gruß und Verzeihung zu erlangen. Am selben Tage reiste ich ab, reiste Stunden und Tage der Verzweiflung und Angst nach Antwerpen, stürmte wild und verzweifelt zu meiner Eltern Haus. Vor dem Tore stand meine Mutter, gealtert und blaß, doch wohlauf. Als sie mich sah, breitete sie mir jubelnd die Arme entgegen, und ich weinte vieler Tage Sorge und vieler vergeudeter Nächte Schmach an ihrem Herzen aus. Mein Leben ist seitdem ein anderes geworden, ich darf beinah sagen ein gutes. Das Liebste, das ich hatte, jenen Brief, habe ich eingesargt in den Grundstein dieses Hauses, das meiner Hände Arbeit geschaffen hat, und mein Gelübde habe ich zu lösen gesucht. Bald nach meiner Ankunft ließ ich den Altar errichten, den Ihr gesehn habt, und bot alle Mühe auf, ihn würdig zu schmücken. Da ich aber unbekannt war in den Geheimnissen, nach denen ihr Eure Kunst zu werten wißt und der Muttergottes ein würdiges Bild weihen wollte, so wie sie mir ihr Wunder geoffenbart, schrieb ich an einen treuen Freund nach Venedig, er möge mir den Tüchtigsten der Maler senden, den er kenne, daß er mir das Werk meines Herzens würdig vollende.

»Monate vergingen. Eines Tages stand ein junger Mann vor meiner Tür, berief sich seiner Sendung und entbot mir Gruß und Brief meines Freundes. Der italienische Maler, dessen wunderbaren und seltsam traurigen Gesichtes ich mich noch wohl besinne, glich durchaus nicht den lärmenden und großsprecherischen Kumpanen meiner Venezianer Zechgelage. Eher hätte man ihn als Mönch empfangen, denn als Maler, weil sein Habitus schwarz und lang war, seine Haare schlicht gereiht und sein Antlitz von jener vergeistigten Blässe der Nachtwachen und Askesen. Der Brief bestätigte nur jenen günstigen Eindruck und zerstreute meine Bedenken ob der Jugend des Meisters; die alten Maler, schrieb mir mein Freund, seien in Italien stolzer als Fürsten, und es hielte schwer, sie auch mit dem verlockendsten Angebot aus ihrer Heimat zu entfernen, wo sie umringt seien von Freunden und Frauen, von Fürsten und Volk. Diesen jungen Meister habe nur der Zufall bestimmt: die Sehnsucht, wegen eines ihm unbekannten Grundes Italien zu verlassen, sei ihm dringender gewesen als alles Geldes Angebot, denn man kenne auch daheim des jungen Malers Wert und wisse ihn zu ehren.

»Es war ein stiller verschlossener Mann, den mir mein Freund gesandt. Nie habe ich von seinem Leben etwas erfahren, nur dunklen Andeutungen entnahm ich, daß eine schöne Frau schmerzlichen Anteil an seinem Geschicke habe und er um ihretwillen die Heimat verlassen. Und, wiewohl ich keinen Beweis dafür habe und mich solches Tun ketzerisch und unchristlich anmutet, so meine ich, daß jenes Bild, das Ihr gesehn und das er im Verlauf weniger Wochen ohne Vorbild und mühsame Bereitung aus der Erinnerung gemalt, jener Frau Züge erhalte, die er geliebt. Denn immer, wenn ich zu ihm kam, fand ich ihn, wie er das gleiche süße Antlitz, das ihr gesehen, von neuem versuchte oder träumend in seiner Betrachtung verweilte. Und als ich nach des Bildes Vollendung in heimlicher Angst ob der Gottlosigkeit, eine Dirne als Gottesmutter zu malen, ihm anbefahl, für das zweite Bild eine andere Gestalt zu wählen, da blieb er stumm. Und des nächsten Tages, als ich zu ihm ging, war er ohne ein Wort des Abschieds von hinnen gereist. Ich trug Bedenken mit diesem Bilde den Altar zu schmücken, doch der Priester, den ich befragte, verstattete es ohne jegliches Besinnen.....«

»Und er hat recht getan,« fiel der Maler beinahe erregt ein. »Denn woher sollten wir die holde Schönheit unserer lieben Frauen zu schildern wissen, wenn nicht von der Schönheit jeder Frau, die uns begegnet. Sind wir nicht nach Gottes Bilde geschaffen und muß nicht, um das Vollkommenste darzubieten, das Vollendetste unter den Menschen eine, wenngleich nur matte Folie des Unsichtbaren sein! Seht! Ich, den ihr bestimmt, das zweite Bild zu schaffen, ich bin einer der Armen, die nicht zu malen wissen ohne die Natur, denen es nicht gegeben ist, von innen zu bilden, sondern die in mühsamer Nachzeichnung des Wahrhaftigen ihr Werk erschaffen. Nicht meine Liebste würde ich wählen, um die Mutter Gottes würdig zu bilden, denn es wäre sündhaft, die Unbefleckte durch einer Sünderin Antlitz zu sehen, aber ich würde nach Schönheit spüren und diejenige malen, deren Antlitz mir am meisten unserer Gottesmutter Züge zeigte, wie ich sie in meinen frommen Träumen erschaut. Und glaubt, obgleich eines sündigen Menschen Antlitz, wenn ihr in frommer Hingebung es schafft, bleibt nichts von Schlacken der Begehrlichkeit und Sündhaftigkeit in diesen Zügen, ja dieser wunderbaren Reinheit Zauber wirkt oft weiter als ein Zeichen in der irdischen Frauen Angesicht. Dies Wunder meint' ich oftmals selbst zu sehn.«

»In jedem Fall – Euch traue ich. Ihr seid ein reifer Mann, der viel geduldet und gelebt, und so Ihr keine Sünde darin findet...«

»Im Gegenteil! Ich find' es lobenswert, und nur die Protestanten wie andere Sektierer eifern gegen den Schmuck des Gotteshauses!«

»Da habt ihr recht. Doch bitt' ich Euch, beginnt bald mit dem Bild, denn wie eine Sünde brennt dies ungelöste Gelübde auf mir. Durch zwanzig Jahre vergaß ich an das zweite Bild: erst jüngst, als ich meines Weibes gramvolles Angesicht sah, wie sie am Krankenbette meines Kindes weinte, fühlte ich diese Schuld und erneute mein Gelübde. Und Ihr wißt, auch diesmal hat die Muttergottes ein Wunder der Genesung dort gewirkt, wo alle Ärzte sich mit Verzweiflung abgewandt hatten. Ich bitte Euch, zögert nicht lange mit dem Werk.«

»Ich tue, was ich kann, doch frei herausgesagt, fast nie in meiner langen Schaffenszeit ist mir ein Werk so schwer erschienen, denn wenn es nicht als eines Stümpers leichtfertiges Gefüge neben dieses jungen Meisters Bild erscheinen soll – von dessen Wirken ich mehr zu wissen begehre – muß Gottes Hand mit meinem Werke sein.«

»Der fehlt seinen Treuen nie. Lebt wohl! Und schreitet wohlgemut zum Werk. Ich hoffe, Ihr bringt mir bald frohe Kunde ins Haus.«

Der Kaufherr schüttelte ihm vor seiner Pforte noch einmal innig die Hand und sah vertrauensvoll in die klaren Augen des Malers, die wie ein helleuchtender Gebirgssee, den verwitterte Zacken und Schroffen umgrenzen, aus dem derbdeutschen, kantigen Gesichte entgegenblauten. Der hatte noch ein entgegnendes Wort auf den Lippen, verschluckte es aber mutig und faßte mit festem Drucke die dargebotene Hand. In innig verstehenden Gefühlen schieden die beiden.

Der Maler ging langsam den Hafen entlang, wie es stets seine Gewohnheit war, wenn ihn nicht die Arbeit an seine Stube fesselte. Er liebte dieses wilde farbenreiche Bild, darin die Arbeit ungebrochen pulste, und manchmal setzte er sich auf einen Taupflock nieder, um irgend eines Schaffenden seltsame Körperbiegung nachzubilden und der schwierigen Kunst der Verkürzungen ein fußbreit Weges abzuringen. Ihn störte nicht der laute Ruf der Schiffer, das Rasseln der Wagen und das Meer, das sich mit seinem gleichtönigen lallenden Geschwätze an die Ufer warf, ihm waren jene Blicke gegeben, die zwar nicht leuchten vom Abglanz innerer selbstgeschauter Bilder, die aber in allem Lebenden, so gleichgültig es auch sich gebärden mag, jenen Strahl erkennen, der ein Kunstwerk zu erleuchten vermag. Darum ging er auch immer ins Leben, wo es sich am farbigsten ausstrahlte und verwirrende Fülle wechselnder Reize ausatmete; zwischen dem Matrosenvolk streifte er mit langsamen Schritten und suchendem Auge, ohne daß ihn jemand zu verlachen wagte, denn unter dem vielen lärmenden unnützen Volk, das ein Hafen ansammelt, so wie der Strand die tauben Muscheln und zerbröckelndes Gestein, fiel er durch sein stilles Gebaren und die Ehrwürdigkeit seiner Mienen auf.

Diesmal aber stand er bald von seiner Suche ab. Des Kaufherrn Geschichte hatte ihn im Tiefsten berührt, weil sie leise auch an ein eigenes Schicksal gestreift, und selbst der Kunst sonst so hingebender Zauber versagte heute seinen Dienst. Über allen Frauenantlitzen, und ob sie auch nur plumpe Fischergestalten waren, leuchtete der milde Glanz des Muttergottesbildes von des jungen Meisters Hand. Unschlüssig wandelte er in träumerischen Gedanken eine Zeitlang dem sonntäglich geputzten Getriebe entlang; dann aber mühte er sich nicht mehr, dem sehnsüchtigen Drange zu widerstehen, und durch das dunkle Netz der winkeligen Gassen suchte er wieder zur Kirche zurück zu jener milden Frau wundersamem Konterfei.


Einige Wochen gingen seit jener Unterredung dahin, in welcher der Maler seinem Freunde die Vollendung des Bildes für den Altar der Gottesmutter zugesagt hatte, und noch immer blickte die unberührte Leinwand vorwurfsvoll den alten Meister an, der sie beinahe zu fürchten begann und die Stunden immer lieber auf der Straße zubrachte, um nicht die grausame Mahnung und den schweigenden Vorwurf seiner Mutlosigkeit fühlen zu müssen. In diesem Leben regsamer Arbeit, das vielleicht sogar zu viel gewirkt hatte, um prüfend in sich selbst zu schauen, war seit jenem Tag, da der Maler des jungen Meisters Bild erblickt, eine Wendung geschehen; Zukunft und Vergangenheit waren jählings aufgerissen und blickten ihn an, wie ein leerer Spiegel, in den nur Dunkelheit und Schatten strömen. Und nichts Furchtbareres gibt es, als den Schauer eines Lebens, das schon auf dem letzten Grat seines Aufstieges aufblickt, vom mutvollen Schreiten und dann von sinnender Angst befallen, es habe den Fehlweg eingeschlagen, die Kraft verliert, die letzten leichtesten Fußtapfen nach vorwärts zu machen. Mit einem Mal schien dem Maler, der in seinem Leben schon hundert und aberhundert frommer Darbildungen gemalt, die Fähigkeit zerronnen, eines Menschen Angesicht würdig zu gestalten, daß es ihm selbst so schiene, als sei es göttlichen Wesens würdig. Er hatte Frauen gesucht, solche, die ihr Antlitz verkauften für die Stunde der Nachbildung, solche, die ihren Leib verkauften, Bürgersfrauen und sanfte Mädchen, deren Gesicht überleuchtet war vom durchglühenden Schimmer innerer Reinheit; aber stets, wenn sie nahe vor ihm standen und er den Pinsel ansetzen wollte zum ersten Strich, da fühlte er ihre Menschlichkeit. Er sah die blonde gefräßige Behäbigkeit in der einen, die wilde verhaltene Gier, sich im Liebeskampfe auszutoben, in der andern, er fühlte die leere Glätte hinter den kurzen glänzenden Mädchenstirnen und erschrak beim plumpen Schritt und bei der verbuhlten Hüftenbiegung der Dirnen. Und die Welt ward ihm mit einem Male so öde, alle diese Menschen, die er um sich sah: der Atem der Göttlichkeit schien ihm ausgelöscht, überwuchert von dem blühenden Fleische dieser begehrlichen Frauen, die nichts mehr wußten von dem mystischen Magdtum und den sanften Schauern unbefleckter Hingebung an die Träume einer andern Welt. Er schämte sich, die Mappen aufzuschlagen, die sein eigenes Werk enthielten, denn ihm schien, als hätte er sich selbst wie von der Erde entfernt und sei sündig gewesen, indem er plumpe Bauern zu Blutzeugen des Heilands und grasse Weiber zu seinen Dienerinnen erwählt. Dumpfer und drückender wölkte sich diese Stimmung über ihn herab. Er sah sich als jungen Knecht hinter seines Vaters hartem Pfluge gehen, lange bevor er zur Kunst entlief, mit harten Bauernhänden die Egge in die schwarze Erde stoßen und fragte sich, ob er nicht besser getan, gelbes Korn zu säen und Kindern wohlgehüteten Bestand zu wahren, als mit plumpen Fingern an Geheimnissen und Wunderzeichen zu rütteln, die nicht für ihn geschaffen. Sein ganzes Leben schien ihm in den Fugen zu wanken, emporgekeilt durch die flüchtige Erkenntnis einer Stunde, durch ein Bild, das seine Träume durchschwebte und seiner wachen Minuten Folter und Seligkeit war. Denn es war ihm nicht mehr möglich, die Muttergottes in seinen Gebeten anders zu empfinden, als sie auf jenem Bilde war, welches so holdseliges Konterfei bot und doch so abgewandt war von der Schönheit aller irdischen Frauen, die ihm begegnet, so verklärt in dem Scheine fraulicher Demut mit göttlicher Ahnung. Aller Frauen Bild, die er geliebt, verfloß in dem trügerischen Dämmer der Erinnerung in die wundersame Hülle dieser Gestalt. Und als er sich mühte, zum ersten Male, nicht dem Wirklichen abzulauschen, sondern eine Muttergottes nach dem Phantasiebilde zu schaffen, das ihn durchschwebte, Maria mit dem Kinde, sanft lächelnd und in froher ungetrübter Seligkeit, da sanken seine Finger, die den Pinsel führen wollten, kraftlos nieder, wie vom Krampf gelähmt. Denn der Strom versiegte, die Fertigkeit der Finger, des Auges Worte zu sprechen schien hilflos gegenüber jenem hellen Traum, den er mit seinem inneren Blick so deutlich sah, als sei er aufgemalt auf einer starren Wand. Wie ein Feuer brannte dieser Schmerz der Unfähigkeit, den schönsten und treuesten seiner Träume in die Wirklichkeit tragen zu können, wenn die Wirklichkeit nicht selbst aus ihrer Fülle eine Brücke bot. Und er stellte sich die bange Frage, ob er sich selbst noch Künstler nennen dürfe, da ihm solches geschah und ob er sein Leben lang nicht nur ein mühsam bildender Handwerker gewesen sei, der nur Farben nebeneinander gefügt, wie ein Kärrner die Steine zu einem Bau.

Solche selbstquälerische Betrachtung ließ ihn keinen Tag ruhen und trieb ihn mit zwingender Gewalt aus seiner Stube, wo ihn die leere Leinwand und die sorgsam bereiteten Utensilien wie höhnische Stimmen verfolgten. Mehrmals wollte er dem Kaufherrn seine Not beichten, aber er fürchtete, daß dieser zwar fromme und auch wohlgesinnte Mann ihn nie ganz verstehen könnte und eher an eine ungeschickte Ausflucht werde glauben wollen, als seine Unfähigkeit, ein solches Werk zu beginnen, wie er sie schon in großer Zahl und zum allgemeinen Beifall der Meister und Laien vollendet hatte. Und so irrte er gewöhnlich ratlos und rastlos in den Straßen umher, geheim erschreckend, wie ihn der Zufall oder eine verborgene Magie aus seinen wandelnden Träumen immer wieder vor jener Kirche erwachen ließ, gleichsam als binde ihn ein unsichtbares Band an dieses Bild oder eine göttliche Kraft, die seine Seele selbst im Traume regiere. Manchmal trat er ein, mit der geheimen Hoffnung, daß er Makel und Fehl entdecken könne und so der zwingende Zauber gebrochen sei; vor dem Bilde aber vergaß er gänzlich des jungen Meisters Schöpfung neidlich nach Kunst und Handwerk zu messen, sondern er fühlte es wie Schwingen um sich rauschen, die ihn auftrugen in Sphären sanfteren und verklärteren Genießens und Anschauens. Und erst wenn er die Kirche verließ und begann, seiner selbst und eigenen Bemühens zu gedenken, fühlte er den alten Schmerz mit doppelter Gewalt.

Eines Nachmittags war er wieder durch die hellerleuchteten Straßen geirrt, und diesmal fühlte er seine quälerischen Zweifel milder werden. Von Süden her war der erste Frühlingswind gekommen und trug, wenn auch nicht die Wärme, so doch die Helle vieler heranblühender Lenztage in sich. Zum ersten Male schien dem Maler jener graue stumpfe Glanz, den sein eigener Gram über die Welt gelegt, sich zu lösen und Gottes Gnade in sein Herz zu rauschen, wie immer, wenn das große Auferstehungswunder in flüchtigen Zeichen sich verkündete. Eine klare Märzsonne wusch alle Dächer und Straßen blank, die Wimpel wehten bunt im Hafen, der zwischen den sanft sich wiegenden Schiffen hervorblaute und im steten Lärmen der Stadt brauste es wie jubelndes Singen. Ein Pikett spanischer Reiter trabte über den Platz; man sah sie heute nicht mit feindlichen Blicken, wie sonst, sondern freute sich des sonnigen Widerspiels ihrer Rüstungen und der blinkenden Helme. Die weißen Hauben der Frauen, die der Wind mutwillig zurückschlug, wiesen frische und farbige Gesichter; über das Pflaster aber trappte flink der holzschuhklappernde Tanz der Kinder, die sich bei den Händen faßten und singend in Ringelreihn sich drehten.

Auch in den sonst so dunklen Hafengassen, denen sich nun der immer froher werdende Wandler zuwandte, flackerte ein leichter Schimmer, wie ein sinkender Regen des Lichts. Die Sonne konnte nicht ganz ihr leuchtendes Angesicht zwischen diese vorgeneigten Giebeldächer blicken lassen, denn die neigten sich dicht zusammen, schwarz und verknittert, wie uralte Hauben zweier Mütterchen, die in stetem geschwätzigem Gespräche stehen. Aber von Fenster zu Fenster gab sich das spiegelnde Leuchten weiter, wie wenn funkelnde Hände flirrend hinabgriffen und es hin- und herschnellten in übermütigem Spiel. Und manchen Fleck gab es, da das Leuchten still und mild blieb, wie ein träumendes Auge in der ersten Dämmerung des Abends. Denn unten, auf der Straße, lag das Dunkel, unbeweglich und seit Jahren, nur selten im Winter unter schneeigem Mantel geborgen. Und die da wohnten, trugen in ihren Augen die Unlust und Traurigkeit steter Dämmerung; nur die Kinder, denen die Seele brannte vor Sehnsucht nach Licht und Helle, ließen sich von diesem ersten Strahl des Frühlings vertrauensvoll verführen und spielten in leichter Gewandung auf dem schmutzigen, holprigen Pflaster, in ihrer Unbewußtheit tief beglückt durch den schmalen, blauen Streif, der zwischen den Dächern lugte und durch den goldenen Tanz der Sonnenkringel.

Der Maler ging und ging, ohne ein Müdewerden zu fühlen. Es war ihm, als sei auch ihm ein geheimer Jubel beschieden und als sei jedes Sonnenfunkens flüchtiger Schein Gottes leuchtender Gnadenstrahl, der zu seinem Herzen ginge. Alle Bitternis war verloschen in seinem Angesicht, das so milde und begütigend durchleuchtet war, daß die spielenden Kinder aufstaunten und ihn fürchtig grüßten, weil sie einen Priester in ihm zu sehen meinten. Er ging und ging, ohne an Ziel und Ende zu denken, denn in seinen Gliedern drängte der neue Frühlingstrieb, wie in alten verknisterten Bäumen die Blüten bittend an den haltenden Bast klopfen, daß er ihre junge Kraft aufschießen lasse ins Licht. Sein Schritt war froh und leicht wie der eines Jünglings; frischer und lebendiger schien er zu werden, obgleich der Weg schon Stunden währte, und rascher geschmeidiger Takt maß die rasch zurückgelegten Strecken.

Plötzlich hielt der Maler wie versteinert inne und fuhr sich mit der Hand schützend über die Augen, wie einer, den ein blitzender Strahl verletzt oder ein schrecksames und unglaubliches Ereignis. Aufschauend zum sonneüberleuchteten Schein eines Fensters hatte er den vollen Strahl des zurückspiegelnden Lichtes schmerzhaft in den Augen gefühlt, aber durch jenen Nebel von Purpur und Gold war eine seltsame Erscheinung, ein wunderbares Trugbild auf dem wirrenden Scharlachschleier erschienen: die Madonna jenes jungen Meisters, träumerisch und leise schmerzlich zurückgelehnt, wie auf jenem Bild. Ein Schauer überlief ihn, die grausame Angst der Enttäuschung vereint mit jenem selig zitternden Rausch eines Begnadeten, dem die wundersame Vision der Gottesmutter nicht im Dunkel eines Traumes, sondern in Tageshelle erschienen, ein Wunder, das viele bezeugten und wenige wirklich erschaut hatten. Noch wagte er den Blick nicht zu erheben, weil er sich nicht stark genug fühlte, um den niederschmetternden Augenblick unseliger Entscheidung auf seinen zitternden Schultern tragen zu können, weil er fürchtete, daß diese eine Sekunde sein Leben noch grimmiger zerstampfen könnte, als die unerbittliche Selbstqual seines verzagten Herzens. Erst als seine Pulse langsamer und ruhiger gingen und er nicht mehr schmerzvoll ihren Hammerschlag in der Kehle spürte, raffte er sich auf und sah langsam, unter der überschattenden, zitternden Hand zu jenem Fenster auf, in dessen Rahmen er das verführerische Bild gesehn.

Er hatte sich getäuscht. Es war nicht das Mädchen von des jungen Meisters Marienbild. Aber die erhobene Hand sank darum nicht verzagend herab. Denn auch das, was er erschaute, schien ihm ein Wunder zu sein, wenn auch ein viel lieblicheres, milderes und menschlicheres, als eines Gottes Erscheinung, die im glühenden Strahl einer begnadeten Stunde erscheint. Nur eine ferne und verlorene Ähnlichkeit hatte jenes Mädchen, das sich nachdenklich über die leuchtende Brüstung des Fensters lehnte, mit jenem Altarbild: auch ihr Gesicht war von schwarzen Locken umfaltet, und auch sie blühte in jener geheimnisvollen und phantastischen Blässe, aber ihre Züge waren härter, geschärfter, fast zornig, und um den Mund legte sich ein verweinter und trotziger Zorn, den nicht einmal der verlorene Ausdruck ihrer träumerischen Augen mäßigen konnte, aus denen eine alte und tiefe Trauer empordämmerte. Kindischer Mutwille und vererbtes vergrabenes Leid funkelten zusammen in dieser mühsam gebändigten Unrast. Eine Stille war in ihrem Ruhen, die sich jeden Augenblick in einer jähzornigen Bewegung lösen konnte, etwas Phantastisches und Abenteuerliches, über das kein sanftes Träumen hinwegtäuschen konnte; und der Maler fühlte an einem gewissen gespannten Ausdruck ihrer Züge, daß in diesem Kinde schon eine jener Frauen zu wirken beginne, die ihre Träume leben und mit ihren Sehnsüchten verwachsen, deren Seele sich an die Dinge klammert, die sie lieben, mit allen ihren Fibern und Fasern, und die sterben, wenn sie Gewalt von ihnen löst. Mehr aber als alle diese Sonderbarkeit und Fremdheit in ihrem Gesichte erstaunte ihn das Wunderspiel der Natur, das hinter ihrem Haupte im bespiegelten Fenster die sonnige Glut aufstrahlen ließ wie einen Heiligenschein, der sich um ihre Locken sammelte und sie funkeln ließ, wie schwarzen Stahl. Und in diesem Spiel meinte er deutlich die Hand Gottes zu spüren, die ihm den Weg wies, sein Werk wohlgefällig und würdig zu vollenden.

Ein Karrenführer stieß derb an den in Schauen versunkenen Maler an, der verloren inmitten der Straße stand. »Gottes Zorn! Könnt ihr nicht achtgeben oder hat es Euch alten Kerl die schöne Jüdin da angetan, daß ihr gafft wie ein Lümmel und den Weg versperrt?«

Der Maler fuhr auf, erschreckt, aber nicht verletzt durch den groben Ton, den er überhört hatte über der Kunde, die ihm dieser übelgekleidete und ruppige Genosse brachte. Und ganz erstaunt richtete er das Wort an ihn.

»Das ist eine Jüdin?«

»Ich weiß nicht, aber man sagt es. Jedenfalls ist es nicht der Leute Kind, sie haben es wo gefunden oder bekommen. Was schert's mich, meine Neugierde hat's nie geplagt und wird's auch nicht sobald. Fragt den Meister selbst, wenn ihr's wissen wollt, der weiß sicherlich besser als ich, wieso er dazu gekommen ist.«

Der "Meister", auf den er wies, war ein Wirt, der Besitzer einer jener dumpfen, verrauchten Schenken, in denen nie ganz das Leben und Lärmen erstirbt, weil Spieler und Matrosen, Soldaten und Müßiggänger sich dort einquartieren, um sie nur selten wieder zu verlassen. Breit, mit aufgequollenem, aber gutmütigem Gesicht stand er in der schmalen Türe, wie ein einladendes Schild. Ohne viel Besinnen trat der Maler auf ihn zu. Sie traten ein in die Schenke; der Maler setzte sich in eine Ecke an einen der beschmierten Holztische, ein wenig unruhig und erregt, und als der Wirt ihm das geforderte Glas vorsetzte, bat er ihn, einen Augenblick mit ihm den Platz zu teilen. Und leise, um ein paar Matrosen, die am Nebentische, schon ein wenig betrunken, vor sich hingröhlten, nicht aufmerksam zu machen, sprach er sein Anliegen aus. Er erzählte ihm in fliegenden, aber innerlich bewegten Worten von dem Wunderzeichen, das ihm erschienen und bat schließlich den Wirt, der erstaunt zuhörte und sich anscheinend bemühte, mit seinem langsamen, vom Wein verqualmten Fassungsvermögen dem Maler zu folgen, – er möge gestatten, daß ihm seine Tochter als Folie eines Marienbildes diene. Er vergaß nicht zu erwähnen, daß durch die gegebene Verstattung auch der Vater teilhaftig werde an dem gottesfürchtigen Werk und merkte wiederholt an, daß er bereit sei, den Dienst in barem Gelde zu vergüten.

Der Wirt antwortete nicht gleich, aber er wühlte mit seinem dicken Finger unablässig in den breiten, aufgeblähten Nasenlöchern. Endlich begann er.

»Ihr müßt mich nicht für einen schlechten Christen halten, bei Gott nicht, aber das Ding ist nicht so einfach, wie ihr denkt. Denn wäre ich der Vater und könnte zu meinem Kind sagen, geh hin und tu so, wie ich dir's befehle, ich sag' Euch, unser Handel wäre schon erledigt. Mit diesem Kind ist's aber eine eigene Sache..... Donnerwetter, was gibt's denn dort!«

Er war aufgesprungen, in hellem Zorn, denn er ließ sich ungern in der Rede stören. Am andern Tische hämmerte einer wie toll mit dem leeren Krug auf der Bank und begehrte neue Füllung. Unwirsch riß ihm der Wirt den Humpen aus der Hand und besorgte mit unterdrücktem Fluch die frische Ladung. Gleichzeitig nahm er auch ein Glas und die Flasche mit, stellte sie zum Tisch des Gastes und schenkte beide Gläser voll. Mit einem Ruck war das seine hinabgespült, und wie erfrischt wischte er sich den struppigen Schnauzbart ab und begann.

»Ich will Euch sagen, wie ich zu der Judendirne kam. Ich war Soldat, in Italien drunten und dann in Deutschland. Ein schlechtes Handwerk sag' ich Euch, nie schlechter als heute und damals. Ich hatt's auch über und wollt' eben durch Deutschland nach Hause ziehn und ein ehrbares Handwerk ergreifen, denn geblieben war mir just nicht viel; Beutegeld rinnt zwischen den Fingern durch, und Knauser war ich nie gewesen. Da kam's in einer deutschen Stadt; ich war just dort, als sich eines Abends ein großes Getöse erhob. Warum, weiß ich nicht mehr, doch das Volk hatte sich zusammengerottet, die Juden zu erschlagen, und ich zog mit, verlockt von der Hoffnung, etwas zu erhaschen, auch aus Neugierde, was geschehen möchte. Es ging toll zu, man stürmte, mordete, raubte, schändete, und die Kerle brüllten vor Lust und Begierde. Bald hatt' ich's satt und riß mich aus dem Haufen, denn mein ehrliches Kampfschwert mocht' ich nicht mit Weiberblut besudeln und mit Dirnen nicht um Beute streiten. Da, in einer Nebengasse, durch die ich heim will, springt ein alter Jude mit langem, zitterndem Bart und verstörtem Gesicht, im Arm ein kleines vom Schlaf aufgeschrecktes Kind, auf mich zu und stottert eine Flut kauderwelscher Worte. Alles, was ich von seinem Judendeutsch verstand, war, daß er mir viel Geld bot, wenn ich sie beide retten wollte. Mir tat das Kind recht leid, das mich erschreckt mit seinen großen Augen anstarrte, der Handel schien nicht übel, so warf ich ihm meinen Mantel über und führte sie in mein Quartier. Ein paar blieben stehn auf den Gassen und zeigten nicht übel Lust, auf den Alten loszugehen, aber ich hatte mein Schwert blank und so ließen sie die beiden ungeschoren. Ich brachte sie zu mir, und weil mich der Alte auf den Knieen beschwor, verließ ich noch am selben Abend die Stadt, in der Brand und Mord bis spät in die Nacht wütete. Weit am Wege sahen wir noch den Feuerschein, in den der Alte verzweifelt starrte, während das Kind ruhig weiter schlief. Lang blieben wir drei nicht zusammen: der Alte wurde nach wenigen Tagen auf den Tod krank und starb auf der Reise. Zuvor gab er mir noch alles Geld, das er bei seiner Flucht zusammengerafft hatte und ein beschriebenes Blatt in seltsamen Lettern, das ich in Antwerpen bei einem Makler abgeben sollte, dessen Namen er mir nannte. Sein Enkelkind befahl er mir noch sterbend an. Ich zog hierher und wies die Schriftzeichen vor, die seltsam wirkten: der Makler gab mir eine stattliche Summe Geldes, mehr als ich erwartet hatte. Ich war dessen froh, denn meines Wanderlebens wurde ich so frei, kaufte mir das Haus und diese Schenke, und der tollen Kriegszeit hab' ich bald vergessen. Das Kind behielt ich: es tat mir leid, dann hofft' ich auch, sie würde, wenn sie heranwachse, mir altem Hagestolz das Haus besorgen. Doch das kam anders.

»Wie Ihr sie jetzt gesehn, so ist ihr ganzer Tag. Sie gafft zum Fenster in die Luft hinaus, spricht niemand an und gibt nur scheue Antwort, gleichsam geduckt, als ob sie einer schlagen wollte. Mit Männern spricht sie nie. Anfangs dacht' ich, sie würde hier in meiner Schenke helfen und so mir manchen Gast anlocken, wie es drüben des Wirten junge Tochter tut, die mit den Gästen scherzt und sie anfeuert, daß sich ein Glas nach dem andern leert. Doch die ist zimperlich: faßt sie mal einer an, so schreit sie auf und saust zur Tür hinaus wie ein Wirbelwind. Und suche ich sie dann, so sitzt sie sicherlich irgendwo in einem Winkel zusammengeknäult und heult, daß einem das Herz brechen könnte und man dächte, es sei ihr, weiß Gott was für Leid geschehn. Ein sonderbares Volk!«

»Und sagt,« unterbrach der Maler den Erzählenden, der immer nachdenklicher in seiner Rede zu werden schien, »ist sie noch Jüdin oder schon zum Glauben bekehrt?«

Der Wirt kratzte sich verlegen den Kopf. »Wißt Ihr,« hub er dann an, »ich war ein Soldat und weiß von meinem Christentum selber nicht viel. Selten war ich in der Kirche und bin's auch jetzt nicht, so sehr mich's reut; und um das Kind da zu bekehren, schien ich mir immer zu töricht. Ich hab's nie recht versucht, weil mir so schien, als sei's bei diesem trotzigen Ding verlorne Liebesmüh. Einmal hat man mir schon die Priester auf den Hals gehetzt und mir die Hölle heiß gemacht; ich habe sie vertröstet, bis das Ding vernünftig werde. Doch damit hat's wohl noch lange Zeit, obwohl sie heute schon ihre fünfzehn Jahre hinter sich hat, denn sie ist ganz versponnen und trotzig. Wer kennt sich aus mit diesem Judenvolk, es sind so seltsame Menschen; der Alte schien mir gut, und die ist auch kein übles Ding, so schwer man auch an sie herankommt. Und was dann Eure Sache anlangt, die mir nicht übel gefällt, weil ich meine, daß ein ehrlicher Christ nie genug für sein Seelenheil tun kann und jedes Bemühn dereinst gewogen wird .... ich sage Euch offen, ich habe keine rechte Gewalt über das Kind, denn wenn sie einen mit ihren großen schwarzen Augen anschaut, hat man nicht rechten Mut, ihr was zuleide zu tun. Doch Ihr werdet ja sehn. Ich will sie rufen.«

Er stand breitspurig auf, schenkte sich noch ein Glas voll, das er stehend hinuntergoß und stapfte dann durch die Schenke, in die eben wieder einige Matrosen eingetreten waren, die einen undurchdringlichen Qualm aus ihren kurzen weißen Tonpfeifen emporstießen. Vertraulich schüttelte er ihnen die Hände, füllte ihre Gläser und scherzte derb mit ihnen. Dann erinnerte er sich seiner Absicht, und der Maler hörte ihn langsam und mit schweren wuchtigen Schritten die Treppe emporstampfen.

Ihm war sehr seltsam zumute. Das selige Vertrauen, mit dem ihn diese glückliche Bewegung beschenkt hatte, begann sich zu trüben in dem schwellenden Lichte dieser Schenke. Straßenstaub und dunkler Qualm legte sich über das schimmernde Bild seiner Erinnerung. Und immer und immer wieder die dunkle Angst vor der Sünde, diese feiste und viehische Menschheit, die sich überall mit den Gestalten der irdischen Trägerinnen so erlauchter Gedanken vermengte, emporzutragen zu dem Thron seiner frommen Träume. Ihm schauderte, aus welchen Händen er die Gabe empfangen sollte, zu der ihm geheime und offenbare Wunderzeichen den Weg gewiesen.

Der Wirt trat wieder ein in die Stube, und in seinem schweren breiten schwarzen Schatten zeichnete sich die Gestalt des Mädchens ab, das unschlüssig und wie erschreckt von dem gröhlendem Qualm an der Schwelle stehen geblieben war und sich mit den schmalen Händen wie hilfesuchend an den Türpfosten festhielt. Ein derbes Wort des Wirtes, das sie eintreten hieß, scheuchte ihren flüchtigen Schatten eher noch mehr in das Dunkel des Treppenganges zurück, doch schon war der Maler aufgestanden und auf sie zugetreten. Mit seinen beiden alten, derben, aber doch so milden Händen faßte er die ihren und fragte sie leise und vertraulich, indem er ihr voll in die Augen schaute: »Willst du dich nicht einen Augenblick zu mir setzen.«

Das Mädchen sah ihn erstaunt an, im tiefsten überrascht durch diesen tiefen Glockenton der Milde und geklärten Liebe, der ihr zum ersten Mal aus dem verräucherten Dunkel der Schenke entgegenschlug. Und sie fühlte die Milde seiner Hände und die zärtliche Güte seiner Augen mit dem süßschauernden Erschrecken derer, die Wochen und Jahre nach Zärtlichkeit hungern und sie eines Tages mit staunender Seele empfangen. Ihres toten Großvaters Bild erstand jäh in ihrem inneren Blick, als sie die schneeige Milde dieses Hauptes umfaßte, und vergessene Glocken schlugen an in ihrem Herzen und schlugen so laut und jubelnd durch alle Adern und bis in die Kehle hinauf, daß sie kein Wort der Antwort wußte. Sie errötete nur und nickte heftig, fast wie im Zorn, so eckig und hart in der plötzlichen Bewegung. Bangend und erwartend folgte sie ihm an seinen Platz und setzte sich halb an seine Seite, ohne die Bank recht zu berühren.

Der Maler beugte sich zärtlich zu ihr nieder, ohne zu sprechen. Vor dem klaren Blick des alten Mannes glühte jäh die Tragödie der Einsamkeit und stolzen Fremdheit auf, die so früh schon in diesem Kinde kämpfte. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen und ihr einen segnenden, beruhigenden Kuß auf die Stirne gedrückt, aber er fürchtete sie zu erschrecken und fürchtete die Augen der andern, die einander lachend die seltsame Gruppe zeigten. Er verstand dieses Kind so ganz, ohne ein Wort von seinen Lippen zu wissen, und ein brennendes Mitleid stieg in ihm empor, wie eine heiße strömende Flut, denn er kannte die Schmerzlichkeit jenes Trotzes, die nur so hart und jähzornig und drohend ist, weil er Liebe ist, eine große und unfaßbare Fülle der Liebe, die sich verschenken will und sich verstoßen fühlt. Sanft fragte er sie: »Wie heißt du, Kind?«

Sie sah vertrauend, aber verwirrt zu ihm auf. Noch war ihr alles zu seltsam, zu fremd. Und ein schüchternes Zittern lag in ihrer Stimme, als sie leise und sich halb abwendend sagte »Esther.«

Der alte Mann aber fühlte dennoch, daß sie Vertrauen zu ihm hege, es nur noch nicht zu zeigen wage. Und sanft begann er:

»Ich bin ein Maler, Esther, und ich will dich malen. Es wird dir nichts Übles geschehen, und du wirst manches Schöne bei mir sehen und manchmal werden wir vielleicht zusammen sprechen, wie gute Freunde. Nur eine oder zwei Stunden wird es jeden Tag dauern, so lange, als es dir behagt. Willst du zu mir kommen, Esther?«

Das Mädchen wurde noch röter und wußte nicht zu antworten. Dunkle Rätsel taten sich plötzlich vor ihr auf, zu denen sie keine Wege fand. Schließlich sah sie mit einem unruhig fragenden Blick den Wirt an, der neugierig daneben stand.

»Dein Vater erlaubt es und sieht es sogar gerne,« beeilte sich der Maler zu sagen. »Von dir allein hängt die Entscheidung ab, denn zwingen möchte und kann ich dich nicht. Willst du also, Esther?«

Er hielt ihr seine große gebräunte Bauernhand einladend entgegen. Sie zögerte einen Augenblick, dann legte sie verschämt und wortlos ihre kleine weiße Hand zustimmend in die des Malers, die sich eine Sekunde lang darum schloß, wie um eine gefangene Beute. Dann gab er sie mit freundlichem Blick frei. Der Wirt staunte über den so rasch abgeschlossenen Handel und rief einige Matrosen von den Tischen herbei, um ihnen das seltsame Geschehnis zu zeigen. Aber das Mädchen, das sich verschämt im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit fühlte, sprang plötzlich auf und schoß wie der Blitz zur Türe hinaus. Überrascht schauten ihr alle nach.

»Donnerwetter,« sagte der Wirt ganz verwundert, »Ihr habt da ein Meisterstück gemacht. Nie hätte ich gedacht, daß das scheue Ding einwilligen würde!«

Und wie zur Bekräftigung goß er wieder ein Glas hinab. Der Maler, dem es unbehaglich zu werden begann in dieser Gesellschaft, die langsam vertraulich wurde, warf Geld auf den Tisch, besprach mit dem Wirte alles nähere und schüttelte ihm dankbar die Hand, beeilte sich aber aus der Schenke zu treten, deren Dunst und Lärm ihn anwiderte, und deren saufende und gröhlende Insassen ihn mit Ekel erfüllten.

Als er auf die Straße trat, war die Sonne schon gesunken, und nur mattrosa Dämmerung umhüllte noch den Himmel. Der Abend war mild und rein. Mit langsamem Schritt ging der alte Mann heimwärts und dachte der Ereignisse, die ihm so seltsam und so begütigend dünkten wie ein Traum. Und gottesfürchtige Stimmung umfing sein Herz, das selig zu erzittern begann, wie nun von einem Turme die erste Glocke zum Gebete rief und Glockenstimmen von allen Türmen der Runde einfielen, mit hellen und tiefen, dumpfen und freudigen, klingenden und murrenden Stimmen, wie Menschen in Freude und Sorge und Schmerz. Unglaublich dünkte es ihm zwar, daß über ein Herz, das ein Leben lang schlicht im Dunkel geraden Weges gegangen, noch spät die milden Leuchten göttlicher Wunder sich entzündeten, aber er wagte nicht mehr zu zweifeln; und diesen Glanz erträumter Gnade trug er durch das Dunkel der verdämmernden Straßen heimwärts in ein seliges Wachen und einen wundersamen Traum....


Tage waren verflossen, und noch immer stand die Leinwand unberührt auf des Malers Staffelei. Nun war es aber nicht Verzagtheit mehr, die seine Hände fesselte, sondern ein sicheres inneres Vertrauen, das nicht mehr mit Tagen rechnet und zählt, das nicht hastet, sondern sich wiegt in seliger Stille und verhaltener Kraft. Esther war gekommen, scheu zwar und verwirrt, aber bald hingebender, sanfter und schlichter werdend in dem wärmenden Lichte der väterlichen Güte, das der Seele dieses schlichten und fürchtigen Menschen zu entstrahlen schien. Sie hatten diese Tage nur zusammen verplaudert, wie Freunde, die einander nach langen Jahren begegnen und sich gleichsam wieder erkennen wollen, ehe sie die alten herzlichen Worte wieder mit innigem Empfinden durchtränken und den Wert der alten Stunden erneuern. Und bald verband ein geheimes Bedürfnis diese zwei Menschen, die sich so ferne waren und doch so ähnlich in einer gewissen Einfachheit und Einfalt ihrer Empfindung: der eine ein Mensch, den das Leben gelehrt, daß es in seinem tiefsten Grunde nur Klarheit und Stille ist, ein Erfahrener, den lange Tage und Jahre schlicht gemacht. Und die andre eine, die das Leben noch nicht empfand, weil sie wie in einer Dunkelheit versponnen sich verträumt hatte und den ersten Strahl, der aus der lichten Welt zu ihr kam, im Innersten auffing und in einfarbigem stillen Leuchten zurückspiegelte. Und beide waren sie allein zwischen den Menschen; so wurden sie sich ganz nahe. Der Geschlechter Unterschied sprach nicht zwischen beiden; bei dem einen war der Gedanke erloschen und warf nur noch den Abendschein klärender Erinnerung herüber in sein Leben, und dem Mädchen war das dunkle Empfinden ihrer Weiblichkeit noch nicht bewußt geworden und wirkte nur als milde, sehr unsichere und unruhige Sehnsucht, die sich noch kein Ziel weiß. Eine leise und schon erzitternde Wand stand noch zwischen ihnen: die der Fremdheit des Volkes und der Religionen, die Zucht des Blutes, sich immer fremd sehen zu müssen und feindlich, ein Mißtrauen zu hegen, das erst ein Augenblick großer Liebe überwindet. Ohne diesen unbewußten Halt hätte sich längst das Mädchen, in der Liebe, versparte und edelste Liebe nach vorwärts drängte, weinend an die Brust des alten Mannes geworfen und ihm ihre heimlichen Schauer und werdende Sehnsucht, den Schmerz und Jubel ihrer einsamen Tage gestanden; so aber verriet sie das Geheimste ihrer Seele nur in Blicken und Verschweigungen, in unruhigen Gebärden und Andeutungen, denn immer, wenn sie fühlte, wie alles in ihr zum Lichte strömen wollte und sich in den klaren und überströmenden Worten innigster Empfindung verraten, da faßte sie wie eine dunkle unsichtbare Hand die geheime Kraft und preßte die Worte zusammen. Und auch der alte Mann vergaß nicht, daß er in seinem Leben an den Juden, wenn nicht auch gehässig, so doch mit dem Gefühl der Fremdheit vorbeigegangen sei. Ein Zögern hielt ihn zurück, mit dem Bilde zu beginnen, weil er hoffte, daß ihm dieses Mädchen nur in den Weg gewiesen worden sei, um zum wahren Glauben bekehrt zu werden. Nicht an ihm sollte das Wunder gewirkt werden, sondern er sollte es wirken. Er wollte in ihrem Blicke die tiefe Heilandssehnsucht sehen, die die Gottesmutter selbst getragen haben mußte, als sie mit seligem Erwarten seiner Erscheinung entgegenbangte. Er wünschte ihr Wesen erst mit Gläubigkeit zu erfüllen, um eine Madonna schaffen zu können, in der noch die Schauer der Verkündigung beben, aber schon vereint mit dem süßen Vertrauen der Erfüllung. Und rings dachte er sich eine milde Landschaft in Vorfrühlingsstimmung, weiße Wolken, die wie Schwäne durch die Luft wanderten, als zögen sie an unsichtbaren Fäden den warmen Frühling hinter sich, ein erstes zartes Grün, das der Auferstehung entgegendrängte und schüchterne Blumen, die wie mit dünnen Kinderstimmen die große Seligkeit verkündeten. Aber des Kindes Augen waren ihm noch zu verschüchtert und zu demutsvoll; die mystische Flamme der Verkündigung und der Hingebung an eine dunkle Verheißung wollte sich noch nicht in diesen unruhigen Blicken entzünden, in denen noch der tiefe verschleierte Schmerz des Volkes lastete und manchmal der flackernde Trotz der Auserwählten, die mit ihrem Gotte gehadert. Noch kannten sie die Demut nicht und nicht die sanfte unirdische Liebe.

Er suchte sorgfältige und vorsichtige Wege, um den Glauben ihrem Herzen näher zu tragen; denn er wußte, wenn er ihn ihr hell und in seiner ganzen Fülle erglühend entgegentrüge wie eine Monstranz, in der die Sonne tausendfarbig funkelt, daß sie nicht erschauernd niedersinken würde, sondern sich schroff und hart abwenden, um das feindliche Zeichen nicht zu sehen. In seinen Mappen ruhten viele Bilder aus der heiligen Geschichte; eigene und viele großer Meister, die er in seiner Lehrzeit und auch später noch manchesmal, von lebhafter Bewunderung überwältigt, nachgezeichnet hatte. Die suchte er nun heraus, und sie betrachteten gemeinsam, Schulter an Schulter die Bilder; bald fühlte er den tiefen Eindruck, den manches der Blätter in ihrer Seele erzeugte, an der Unruhe ihrer blätternden Hände und den raschen Atemzügen, die warm an seine Wangen wellten. Eine farbige Welt von Schönheit tauchte plötzlich vor diesem einsamen Mädchen auf, das seit Jahren nur mehr die verquollenen Gestalten der Schenke, die verrunzelten Gesichter alter schwarzgekleideter Frauen und die schmutzige Plumpheit der schreienden und sich balgenden Straßenkinder gesehn hatte. Und hier waren sanfte, in wunderbare Gewande gehüllte Frauen von bezaubernder Schönheit, traurige und stolze, begehrliche und verträumte, Ritter in Rüstungen und langen Prunkgewanden, die mit diesen Frauen scherzten oder sprachen, Könige mit langwallenden weißen Locken, auf denen goldene Kronen schimmerten, schöne Jünglinge, deren Leib von Pfeilen durchbohrt sich am Marterstamm niedersenkte oder unter Qualen verblutete. Und ein fremdes Land, das sie nicht kannte und dessen Anblick sie süß, wie eine unbewußte Heimatserinnerung berührte, tat sich auf mit grünen Palmen und hohen Zypressen, mit einem leuchtenden blauen Himmel, der über Wüsten und Berge, Städte und Fernen in gleichem tiefen Glanze lag und viel leichter und freudiger zu sein schien, als dieser nördliche, der selbst wie eine einzige graue ewige Wolke war.

Nach und nach fügte er ihr kleine Erzählungen bei. Er erklärte ihr die Bilder mit den einfachen und so dichterischen Legenden des Testamentes und sprach von den Wundern und Zeichen der heiligen Tage mit solcher Glut, daß er die eigene Absicht vergaß und das gläubige Vertrauen, welches ihm die erträumte Gnade der letzten Tage verliehen, in ekstatischen Farben verkündete. Und dieses alten Mannes begeisterter Glaube erschütterte tief das Herz dieses Mädchens, die selbst sich nun fühlte wie in einem erschlossenen Wunderlande, das sich jählings aus dem Dunkeln mit umfangenden Pforten geöffnet. Stärker und stärker begann ihr Leben zu wanken, das aus tiefster Nacht plötzlich in purpurner Dämmerung erwachte. Nichts schien ihr unglaublich, seitdem sie selbst so seltsames erlebt, nicht jene Legende von dem silbernen Sterne, hinter dem drei Könige aus fernem Lande gingen, mit Pferden und Kamelen, auf denen eine schimmernde Flut von Kostbarkeiten ruhte, – nicht daß ein Toter von einer segnenden Hand berührt, wieder zum Leben erstand, denn an sich selbst schien sie ähnliche Wundergewalt zu verspüren. Bald blieben die Bilder unbeachtet beiseite. Der alte Mann erzählte aus seinem Leben, manches Gotteszeichen mit den Legenden der Bücher vermählend; vieles, das er in den stummen Tagen seines Alters in sich versponnen und verträumt, hoben jetzt seine Worte ins Licht, ihn selbst erstaunend, wie etwas Fremdartiges, das man prüfend von eines andern Hand übernimmt; gleich einem Prediger war er, der in der Kirche mit einem Gotteswort begonnen, um es zu erläutern und zu durchleuchten; mit einem Male aber vergißt er Hörer und Ziel und gibt sich nur der dunklen Wollust hin, alle die rauschenden Quellen seines Herzens in ein tiefes Wort strömen zu lassen, wie in einen Kelch, in dem alle Süße und Heiligkeit des Lebens ist. Und über das niedere Volk seiner betroffenen Hörer, die nicht mehr reichen bis zu seiner Welt und murren und sich bestarren, fliegt sein Wort höher und höher und ist selbst allen Himmeln nahe in seinem verwegenen Traum der vergessenen Erdenschwere, die sich plötzlich wieder bleiern an seine Schwingen hängt....

Der Maler schaute plötzlich um sich, wie noch umrauscht von dem purpurnen Nebel seiner ekstatischen Worte; die Wirklichkeit wies ihm wieder ihr geordnetes kaltes Gefüge. Aber was er sah, war schön wie ein Traum.

Zu seinen Füßen saß Esther und schaute zu ihm auf. Sanft an seinen Arm gelehnt und in diese stillen, blauen, geklärten Augen blickend, in denen sich plötzlich so viel Licht gesammelt, war sie nach und nach an ihm herabgeglitten, ohne daß er es in seiner gottnahen Aufwallung bemerkte, und kauerte an seinen Knieen, den Blick zu ihm erhoben. Alte Worte aus eigener Kinderzeit rauschten wirr in ihrem Kopfe, Worte, die der Vater an manchen Tagen im langen schwarzen Feiergewand, umhangen von weißen zerfaserten Binden, aus einem alten und ehrwürdigen Buche vorgelesen hatte, und die auch so voll dröhnender Feierlichkeit waren und voll inbrünstiger Andacht. Eine Welt, die sie verloren und von der sie wenig mehr wußte, ward in dämmernden Farben wieder wach und erfüllte sie mit weher Sehnsucht, die Tränenglanz in ihren Augen erschimmern ließ. Und als der alte Mann sich zu diesen schmerzlichen Blicken niederbeugte und ihre Stirne küßte, fühlte er, wie ein Schluchzen ihre zarten kindlichen Glieder in wildem Fieber schüttelte. Und er mißverstand sie. Denn er meinte, daß das Wunder sich vollendet habe und Gott in einem großen Augenblicke seiner sonst schlichten und wortkargen Sprache die glühenden Feuerzungen der Beredsamkeit geschenkt habe, wie einst den Propheten, da sie zu dem Volke gingen. Und er meinte, dieses Schauern sei die bange und noch fürchtige Seligkeit einer, die den Heimweg zu dem wahren und aller Seligkeiten Fülle tragenden Glauben gefunden habe und die zittert und schwankt, wie einer Fackel jäh entflammte Flamme, die noch unsicher hoch in die Luft tastet und wieder in sich zusammensinkt, ehe sie sich klärt zu stillem geruhigem Leuchten. Dieser Irrtum umfing mit jubelnder Freude sein Herz, das sich mit einem Male seinen fernsten Zielen nahe wähnte. Eine Weihe überkam seine Worte.

»Ich habe dir von Wundern erzählt, Esther! Viele sagen, daß sie vor Zeiten waren, ich aber fühle und sage, daß sie noch heute sind, nur daß sie stiller geworden sind und nur in den Seelen derer erstehen, die sie erwarten. Was zwischen uns war, ist ein Wunder, meine Worte und deine Tränen, sie sind eines in einer unsichtbaren Hand, die sie aus unserem blinden Innern gestoßen, ein Wunder der Erleuchtung. Da du mich verstanden, gehörst du schon zu uns; in diesem Augenblicke, da dir Gott diese Tränen geschenkt, bist du schon Christin....«

Er hielt erstaunt inne. Denn bei diesem Wort war Esther von seinen Füßen mit abwehrenden Händen emporgefahren, wie um diesen Gedanken zurückzustoßen. Erschrecken flackerte in ihren Augen und der unbändige zornige Trotz, von dem man dem Maler gesprochen. Sie war schön in diesem Augenblick, da die Herbe ihrer Züge Trotz und Zorn wurde, die Linien um ihren Mund wie Messerschnitte so scharf, und in ihren zitternden Gliedern eine katzenhaft zur Verteidigung bereite Gebärde. Die ganze Glut, die in ihr schäumte, brach in einer Sekunde wildester Verteidigung empor....

Dann ward wieder alles ruhiger. Sie schämte sich der Gewalttätigkeit dieser wortlosen Abwehr. Aber die Wand, die schon ganz durchleuchtet gewesen war von den Strahlen einer übersinnlichen Liebe, starrte wieder schwarz und hoch zwischen beiden. In ihren Blicken war Kälte, Unrast und Beschämung, nicht Zorn mehr und nicht mehr Vertrauen, nur Wirklichkeit und nicht mehr mystisch erschauernde Sehnsucht. Und schlaff fielen die Hände an ihrem schmalen Körper herab, wie Schwingen, die auf hochrauschendem Fluge zerbrochen. Noch immer war ihr das Leben ein Rätsel von Schönheit und Seltsamkeit, aber sie wagte nicht mehr den Traum zu lieben, aus dem sie so niederschmetternd erwacht war.

Auch der alte Maler fühlte, daß ihn ein voreiliges Vertrauen betrogen hatte, aber es war nicht die erste Enttäuschung seines langen suchenden Lebens, das nur Treue und Vertrauen war. So kam ihn kein Schmerz an, sondern nur Erstaunen und dann wieder fast Freude über ihre rasche Beschämung. Sanft faßte er ihre beiden schmalen Kinderhände, in denen noch das Fieber glühte. »Esther, du hast mich beinahe erschreckt mit deiner jähen Aufwallung. Ich meine es doch nicht schlecht mit dir. Oder denkst du das?«

Sie schüttelte beschämt ihren Kopf, um sich im nächsten Momente wieder aufzurichten. Und ihre Worte wurden beinah wieder trotzig:

»Aber ich will keine Christin sein. Ich will nicht. Ich« – sie würgte an dem Worte lange, ehe sie es mit gedämpfter Stimme sagte – »Ich.... Ich hasse die Christen. Ich kenne sie nicht, aber ich hasse sie. Was Ihr mir gesagt habt von der Liebe, die alle umfaßt, ist schöner, als jedes Wort, das ich in meinem Leben je erhört. Aber die Menschen um mich sagen auch, daß sie Christen sind, aber sie sind roh und gewalttätig. Und .... ich weiß nicht mehr alles klar, es ist schon zu lange her .... aber wenn wir zu Hause von den Christen sprachen, so war eine Angst und ein Haß in den Worten.... Alle haßten sie.... Und ich auch..... Denn wenn ich mit meinem Vater ging, so schrieen sie uns nach und einmal warfen sie Steine nach uns..... Mich selbst hat einer getroffen, daß ich blutete und weinte, aber mein Vater zog mich ängstlich fort, als ich nach Hilfe schrie.... Mehr weiß ich nicht von ihnen.... Doch, ich weiß noch.... Unsere Gassen waren dunkel und eng, wie die hier, wo ich wohne. Und nur Juden wohnten darin.... Aber drüben die Stadt war schön. Ich habe sie einmal hoch von einem Hause gesehn.... Ein Fluß war darin, der so blau und klar vorüberfloß und drüben eine breite Brücke, auf der Menschen in hellen Gewandungen gingen, wie ihr mir sie auf den Bildern gezeigt habt. Und die Häuser waren mit künstlichen Figuren geschmückt und mit Gold und Giebeln verziert. Dazwischen standen hohe, ach, so hohe Türme, in denen die Glocken sangen, und die Sonne kam herab bis in die Straßen. Es war alles so schön.... Als ich aber meinem Vater sagte, er möge hinübergehn mit mir in die helle Stadt, da wurde er ernst und sagte: "Nein, Esther, die Christen würden uns töten".... Ich erschrak bei dem Wort..... Und seitdem haßte ich die Christen....«

Sie hielt inne in ihren Träumen, denn es ward wieder alles licht in ihr. Was sie längst vergessen hatte, was verstaubt und verschleiert in ihrer Seele gelegen, funkelte wieder auf. Sie ging wieder die dunklen Ghettogassen entlang bis zu dem Hause. Und mit einem Male waren Zusammenhänge da, alles wurde so klar, und sie erfaßte, daß was sie manchmal für einen Traum hielt, Wirklichkeit und vergangenes Leben war. Mühsam hasteten die Worte den klaren vorübereilenden Bildern nach.

»Und damals dieser Abend.... Plötzlich riß man mich aus dem Bett .... ich erkannte meinen Großvater, der mich in den Armen hielt, mit bleichem zitternden Gesicht .... das ganze Haus brauste und zitterte, die Luft war voll Schreien und Lärmen.... Aber jetzt dämmert es mir auf, ich höre wieder, was sie schrieen: die Fremden, die Christen.... Mein Vater schrie es oder meine Mutter.... Ich weiß nicht mehr.... Mein Großvater trug mich hinab in die Dunkelheit durch schwarze Gassen und Straßen.... Und immer das Lärmen und derselbe Schrei: die Fremden, die Christen.... Wie hab' ich das vergessen können!?... Und dann ein Mann, mit dem wir gehen.... Ich weiß nicht mehr, ich glaube, ich schlief.... Als ich erwachte, waren wir tief im Land, mein Großvater und der Mann, bei dem ich lebe.... Die Stadt sah ich nicht mehr, aber der Himmel war sehr rot, dort, von wo wir gekommen.... Und wir reisten weiter...«

Wieder hielt sie inne. Die Bilder schienen sich zu verlieren, langsamer dunkler zu werden.

»Ich hatte drei Schwestern.... Sie waren sehr schön, und jeden Abend kamen sie an mein Bett und küßten mich.... Und mein Vater war groß, ich reichte nicht hinauf zu ihm, und so trug er mich oft in seinen Armen.... Und meine Mutter.... Ich habe sie nie mehr gesehen.... Ich weiß nicht, was mit ihnen ist, denn mein Großvater sah weg, wenn ich ihn fragte und schwieg.... Und als er starb, wagte ich niemanden zu fragen...«

Und wieder hielt sie inne. Ein Schluchzen brach aus ihrer Kehle mit weher Gewalt. Ganz leise fügte sie bei:

»Jetzt weiß ich alles.... Wie konnte das alles so dunkel sein für mich? Mir ist, als stände mein Vater neben mir und spräche das Wort, das er damals mir zur Antwort gesagt – so deutlich klingt es in meinen Ohren.... Nun frage ich niemanden mehr...«

Ihre Worte wurden Schluchzen, stummes trostloses Weinen, das in ein tiefes trauriges Schweigen verklang. Das Leben, dessen helles Bild sie noch vor wenigen Minuten verführt, gähnte ihr nun wieder dumpf und dunkel entgegen. Und der alte Mann hatte längst Absicht und Ziel vergessen über der hingegebenen Betrachtung dieses Schmerzes. Stumm stand er vor ihr, und ihm war so weh, als müßte er sich zu ihr setzen, um mit ihr zu weinen, was er nicht in Worten sagen konnte: daß seine große Menschenliebe diesen Schmerz in ihr, den er unbewußt erweckt, fühlte als eine Schuld. Erschauernd spürte er die Fülle von Segen und lastender Schwere, die in einer Stunde sich die Hände reichten, und die schweren Wogen, die sich auf und nieder senkten, und von denen er nicht wußte, ob sie sein Leben erheben wollten oder in die drohenden Tiefen ziehen. Aber er fühlte sich matt und stumpf gegen Furcht wie Hoffnung; nur Mitleid für dieses junge Leben erfüllte ihn, vor dem noch so viel Wege und Ziele sich breiteten. Vergebens suchte er nach Worten: sie waren alle so schwer wie Blei und klangen wie falsches Metall. Was wog ihre Fülle gegen den Schmerz einer einzigen Erinnerung?

Traurig strich seine Hand über ihr zitterndes Haar. Sie schaute auf, verwirrt und zerfahren; mit mechanischer Gebärde ordnete sie sich ihre Haare und erhob sich mit umherirrenden Augen, als müßte sie sich wieder zurechtfinden in der Wirklichkeit. Schlaffer und müder wurden ihre Züge und nur in den Augen flackerte noch der dunkle Schein. Brüsk raffte sie sich zusammen und stieß die Worte rasch hervor, um zu verbergen, daß noch das Schluchzen in ihnen vibrierte. »Ich muß jetzt gehn. Es ist spät. Und mein Vater erwartet mich.«

Mit harter Gebärde schüttelte sie grüßend den Kopf, raffte ihre Sachen zusammen und wandte sich zum Gehen. Aber der alte Mann, der sie mit seinen sicheren verstehenden Blicken beobachtet hatte, rief sie noch einmal zurück. Mühsam wandte sie sich um, denn in den Augen leuchtete ein feuchter Schimmer von Tränen. Und wieder faßte der alte Mann mit seiner bezwingenden innigen Gebärde ihre beiden Hände und sah sie an. »Esther, ich weiß, du willst jetzt gehen und nicht mehr wiederkommen. Du glaubst mir und glaubst mir nicht, denn eine geheime Angst betrügt dich.«

Er fühlte, wie ihre Hände sich sanfter und vertrauender in den seinen lösten. Und er fuhr zuversichtlicher fort. »Komm aber wieder, Esther! Wir wollen alle Dinge ruhen lassen, die hellen und die traurigen. Morgen werden wir mit dem Bilde beginnen und mir ist, als wollte es gelingen. Und sei nicht traurig mehr, laß das Vergangene schlafen und rüttle nicht daran. Morgen wollen wir mit neuer Arbeit beginnen und mit neuer Hoffnung. Nicht wahr, Esther?«

Sie nickte unter Tränen. Und sie trug die Ungewißheit und Bangigkeit vor ihrem Leben wieder nach Hause zurück, wie vordem, nur mit dem Bewußtsein tieferer Fülle und vielfacheren Inhalts, als sie bisher gemeint.

Der alte Mann blieb in tiefem Sinnen zurück. Der Glaube an das Wunder war ihm nicht fremd geworden, aber das Wunder war ihm viel feierlicher und göttlicher erschienen, da es ihm nur ein Spiel des Lebens von göttlicher Hand dünkte. Und er entsagte dem Gedanken, Glauben an mystische Verheißungen in einem Antlitz aufleuchten zu lassen, dessen Seele vielleicht schon zu verzagt war, um noch zu glauben. Nicht mehr überheben wollte er sich und Mittler Gottes sein, sondern nur schlichter Diener, der ein Bild nach bestem Mühen schafft und es demütig am Altare niederlegt, sowie ein andrer eine Gabe. Er fühlte den Fehler, den Zeichen nachzugehen und sie zu suchen, statt zu warten, bis ihre Stunde käme und sie sich ihm offenbarten....

Tiefer und tiefer neigte sich sein demütiges Herz. Warum hatte er Wunder wirken wollen an diesem Kinde, die ihm niemand geheißen? War es nicht genug Gnade, daß in sein Leben, das schon leer und kahl wurzelte wie ein alter Stamm, der nur noch mit den Ästen sehnsüchtig ins Blau aufgriff, ein andres junges Leben getreten war, das sich ängstlich und vertrauensvoll an ihn schmiegte? Ein Wunder des Lebens war ihm geschehen, das fühlte er; die Gnade war ihm geworden, die Liebe, die seine späten Tage noch überflammte, geben und lehren zu dürfen, sie einzusenken wie einen Samen, der noch wundersam entblühen kann. Hatte ihm das Leben nicht genug damit gegeben? Und hatte ihm nicht Gott den Weg gewiesen, auf welchem er ihm dienen sollte? Eine Gestalt hatte er seinem Bilde ersehnt und, sie war ihm begegnet; war dies nicht Gottes Wille, daß er sie zum Bildnis schüfe, und nicht, daß er ihre Seele einem Glauben zuführte, den sie vielleicht nie würde verstehen können? Tiefer und tiefer neigte sich sein demütiges Herz.

Der Abend kam in sein Zimmer und die Dunkelheit. Der alte Mann stand auf; er fühlte eine Unrast und ein Bangen in sich, wie selten in seinen späten Tagen, die sonst so lind waren wie kühle klärende Herbstsonne. Langsam entzündete er das Licht. Dann ging er hin zum Schrank und suchte ein altes Buch. Sein Herz war aller Unrast müde. Er nahm die Bibel, küßte sie mit bebender Inbrunst; dann schlug er sie auf und las bis in die späte Nacht....


Das Bild wurde begonnen. Esther saß nachdenklich zurückgelehnt in einem weichen, wohligen Lehnstuhle und hörte bald den erzählenden Worten des alten Malers zu, der ihr mit allerhand Geschichten aus seinem und anderer Leben die eintönigen Stunden gleichmäßigen Sitzens zu vertreiben suchte, bald träumte sie gelassen in die tiefe Stube hinein, deren Wände mit Gobelins, Bildern und Zeichnungen geschmückt immer wieder ihren Blick anzogen. Die Arbeit ging nicht rasch vonstatten. Der Maler fühlte, daß alle diese Studien, die er machte, nur Versuche seien und noch nicht die endgültige überzeugende Stimmung. Es fehlte ihm noch etwas in dem Gedanken seiner Skizzen, das er in Worten und Begriffen sich nicht klären konnte, tiefinnerlich jedoch mit solcher Deutlichkeit empfand, daß ihn oft eine fieberhafte Eile von Blatt zu Blatt trieb, die er dann genau miteinander verglich, immer aber unzufrieden, so getreulich seine Schöpfungen auch sein mochten. Zu Esther sprach er nicht davon. Aber es war ihm, als läge in ihrem harten Zuge, der sich selbst in den Augenblicken sanfter Träumerei nie ganz von ihren Lippen ablöste, ein Widerspruch gegen die milde Erwartung, die seine Madonna verklären sollte, als sei noch zuviel kindhafter Trotz in ihr, der noch nicht reif sei, die süße Schwere des Muttergedankens zu tragen. Er fühlte, daß Worte ihr nicht recht die Düsterkeit würden abringen können, daß sich nur von innen diese Härte würde mildern können. Aber diese weiche, frauliche Regung blieb ihrem Antlitz fern, wenn auch die ersten Frühlingstage ihr rotes Sonnengold durch alle Fensterritzen ins Zimmer warfen und die schöpferische Regung einer ganzen Welt verkündeten, wenn alle Farben auch weicher und tiefer zu werden schienen so wie die Luft, die warm durch die Gassen wallte. Schließlich ermattete der Maler. Der alte Mann war erfahren und kannte die Grenzen seiner Kunst, deren Überschreitung er nicht erzwingen konnte. Er gab den Plan auf, so wie er ihn gefaßt hatte, rasch und der lauten Stimme einer plötzlichen Intuition gehorchend. Und nachdem er die Möglichkeiten gegeneinander abgewogen hatte, entschloß er sich, in Esther nicht den Gedanken der Verkündigung zu malen, da ihr Antlitz nicht die Schauer der ersten Zeichen der gläubig erwachenden Weiblichkeit trug, sondern sie als Madonna mit dem Kinde zu schaffen, dem schlichtesten und tiefsten Symbole seiner Gläubigkeit. Und er wollte sogleich damit beginnen, denn die Verzagtheit begann sich wieder in seiner Seele einzufinden, da der Glanz der erträumten Wunder mählich und mählich mehr verblaßt war, ja schon fast in die schwere, lastende Dunkelheit gesunken. Und ohne Esther zu verständigen, löste er die Leinwand, die einige flüchtige Spuren voreiliger Versuche trug ab und setzte eine neue an ihre Stelle, wie er sich überhaupt mühte, dieser neuen Vorstellung in sich freien Weg zu bahnen.

Als Esther am nächsten Tage sich in gewohnter Weise niedergelassen hatte und sanft zurückgelehnt auf den Beginn der Arbeit wartete, die ihr gar nicht unwillkommen war, sondern in die Armut ihres einsamen Tages reiche Worte und freudige Minuten säte, hörte sie zu ihrer Überraschung die Stimme des Malers nebenan in freundlicher Wechselrede mit einer derben, bäuerlichen Frauenstimme, die sie nicht kannte. Neugierig horchte sie hin, ohne aber deutliches vernehmen zu können. Bald verstummte die Frauenstimme, eine Tür fiel ins Schloß und schon trat der alte Mann herein und auf sie zu, etwas Helles in den Armen tragend, das sie beim ersten Anblick nicht erkannte. Und vorsorglich legte er ihr ein kleines, nacktes, derbes Kind von mehreren Monaten in den Schoß, das sich anfänglich unruhig bewegte, dann aber unbeweglich blieb. Esther sah mit erstarrten Augen den alten Mann an, von dem sie so sonderbaren Scherz nicht erwartet hatte. Doch dieser lächelte nur und schwieg. Und als er sah, daß sich ihre ängstlich fragenden Blicke nicht von ihm abwenden wollten, erklärte er ihr ruhig und mit bittendem Tone seine Absicht, sie mit dem Kinde auf dem Schoße zu malen. Die ganze Herzlichkeit und Güte seiner Augen legte er in diese Bitte. Die tiefe väterliche Liebe, die er zu diesem fremden Mädchen gefaßt hatte und das innige Vertrauen auf ihr unruhiges und gläubiges Herz durchleuchteten seine Worte und noch sein beredtes Schweigen.

Esthers Gesicht war blutig überloht. Eine unbändige innere Scham zerquälte sie. Kaum wagte sie mit einem ängstlichen Seitenblick das kleine, blühende, nackte Kind zu betrachten, das sie auf ihren erzitternden Knieen widerwillig hielt. Die Strenge des ganzen Volkes, in dessen Abscheu der Nacktheit sie erzogen war, ließen sie dieses gesundfröhliche und jetzt ruhig schlummernde Kind mit Ekel und geheimer Furcht betrachten; sie, die unbewußt vor sich selbst ihre Nacktheit verhüllte, schauerte zurück vor der Berührung dieses weichen, rötlichen Fleisches wie vor einer Sünde. Eine Angst war in ihr, und sie wußte nicht, warum. Alle Stimmen in ihr streckten ängstlich ihre rufenden Arme aus, aber das harte, kurze Nein wollte nicht den milden begütigenden Worten dieses alten Mannes entgegen, den sie mit wachsender Liebe verehrte. Sie fühlte, daß sie ihm nichts verweigern konnte. Und sein Schweigen und die Frage seiner gespannt wartenden Blicke lasteten so schwer auf ihr, daß sie hätte aufschreien mögen, blind, tierisch, ohne Zweck und ohne Worte. Wahnsinnig packte sie der Haß gegen dieses ruhig schlummernde Kind, das in den Frieden ihrer einzig stillen Stunde hereingebrochen war und ihre träumerische Traulichkeit zerstörte. Aber sie fühlte sich schwach und wehrlos gegen die gütige Weise dieses alten geruhigen Mannes, der wie ein weißer, einsamer Stern über ihrem dunklen, tiefen Leben stand. Und wieder, wie zu jeder seiner Bitten, neigte sie demütig und verwirrt das Haupt.

Da sprach er nicht weiter, sondern machte sich daran das Bild zu beginnen. Zunächst zeichnete er nur den Umriß. Denn, um den inneren Gedanken seines Werkes darzustellen, war Esther noch viel zu unruhig und zu verwirrt. Der träumerische Ausdruck war gänzlich gewichen. In ihren Blicken lag etwas Krampfhaftes und Gezwungenes, weil sie es unausgesetzt vermied, dem Anblick des nackten schlafenden Kindes auf ihrem Schoße zu begegnen und in endloser stumpfer Wiederholung die Wandhöhe mit den ihr innerlich gleichgültigen Bildern und Zierraten fixierte. Auch in ihren Händen war dieser Ausdruck der Gezwungenheit und Steifheit von der Furcht aufgezwungen, sie möchte den Körper berühren müssen. Dazu fühlte sie die Last schwer auf den Knieen, ohne eine Regung zu wagen. Nur ein gespannter Zug in ihrem Gesichte verriet stärker und stärker die qualvolle Anstrengung, so daß der Maler schließlich selbst, obwohl er nicht ihren ererbten Abscheu, sondern nur mädchenhafte Scheu voraussetzte, ihr Unbehagen zu ahnen begann und die Sitzung unterbrach. Das Kind schlief ruhig weiter, wie ein sattes Tier, und merkte nichts, wie es der Maler mit sorgfältigen Händen von dem Schoße des Mädchens abhob und es im Nebenzimmer auf das Bett legte, wo es blieb, bis seine Mutter, eine derbe holländische Schiffersfrau, die für einige Zeit nach Antwerpen verschlagen war, es wieder abholte. Aber, ob man sie auch von der körperlichen Last befreit, fühlte sich Esther doch noch von dem Gedanken schwer bedrückt, daß Tag für Tag sie gleiche Bangigkeit erfüllen sollte.

Unruhig ging sie und unruhig kam sie wieder in den nächsten Tagen. Im geheimen hegte sie die Hoffnung, daß der Maler auch diesen Plan aufgeben würde und der Entschluß wurde drängender und überquellender, ihn mit einem ruhigen Worte darum zu bitten. Aber nie vermochte sie es; ein innerer Stolz oder eine geheime Scham hielten die Worte zurück, die schon auf ihren Lippen zuckten, so wie schwungbereite Vögel, die prüfend ihre Schwingen flattern lassen, bereit, sich im nächsten Augenblicke frei emporzustoßen in die Luft. Aber während sie Tag für Tag kam und ihre Unruhe gewissermaßen schon mit sich trug, wurde diese Scham nach und nach eine unbewußte Lüge, denn sie hatte sich schon damit vertraut gemacht, wie mit einer lästigen Selbstverständlichkeit. Es fehlte nur noch der Augenblick der Erkenntnis. Das Bild schritt inzwischen wenig fort, obwohl der Maler ihr es mit vorsichtigen Worten andeutete. In Wirklichkeit umfaßte sein Rahmen nur die leeren und unwichtigen Linien der Gestalten und ein paar flüchtige versuchende Tönungen. Denn der alte Mann wartete, bis Esther sich mit dem Gedanken ausgesöhnt hätte und suchte nicht zu beschleunigen, was er mit Sicherheit erhoffte. Vorläufig kürzte er nur die Stunden der Sitzungen und sprach viel von allerlei gleichgültigen Dingen, die Anwesenheit des Kindes und Esthers unruhige Erregung mit Absicht übersehend. Er schien heiterer und sicherer als je.

Und sein Vertrauen betrog ihn diesmal nicht. Denn einer dieser Vormittage war hell und warm, das Fenster umschnitt mit seinen Kanten eine lichte und durchsichtige Landschaft: Türme, die ferne waren und doch ihren goldglänzenden Schein wie von nahe schimmern ließen, Dächer, von denen der Rauch leise und sanftgekräuselt sich in das tiefe und wie damastene Himmelsblau verlor, weiße Wolken, die ganz nahe standen, als wollten sie sich niedersenken wie ein flaumiger flatternder Vogel in dieses dunkelflutende Meer der Dächer. Und mit vollen Händen warf die Sonne ihr Gold herein, Strahlen und tanzende Funken, rollende Kreise wie kleine klirrende Münzen, schmale schneidende Streifen wie glänzende Dolche, flatternde Formen ohne Deutung und Sinn, die mit springender Behendigung wie kleine schimmernde Tiere über die Bohlen sprangen. Und dieses flirrende und prickelnde Spiel hatte das Kind aus dem Schlafe geweckt, indem es wie mit seinen spitzigen Fingern an die geschlossenen Augenlider pochte, bis sie sich auftaten und blinzelten und starrten. Unruhig begann es sich auf dem Schoße des Mädchens zu bewegen, das es mit unwilliger Gebärde behütete. Aber es strebte nicht von ihr weg, sondern haschte nur ungeschickt mit seinen kleinen täppischen Händen nach diesen Funken, die es umtanzten und umspielten, ohne daß es sie fassen konnte und dieser Mißerfolg steigerte nur seine Aufmerksamkeit. Immer eiliger suchte es die kleinen dicken Finger zu bewegen, die vom sonnigen Lichte rötlich durchleuchtet die warme Flut des Blutes durchdämmern ließen, und dieses naive Spiel erfüllte die ganze kleine unfertige Gestalt mit wundersamem Liebreiz, der auch Esther unbewußt bezwang. Lächelnd und innerlich das vergebliche Bemühen überlegen bemitleidend, sah sie diesem endlosen Spiele zu, ohne zu ermüden oder sich ihres Widerwillens gegen dieses unschuldige hilflose Wesen zu erinnern. Zum ersten Mal webte ein menschliches und innig menschliches Leben für sie in diesem kleinen glatten Körper, dessen fleischige Nacktheit und stumpfe Sättigung sie bisher nur empfunden; und mit kindlicher Neugier folgte sie jeder Regung. Der alte Mann sah zu und schwieg. Mit Worten fürchtete er den Trotz und die vergessene Scham in ihr wieder wachzurufen, aber ein befriedigtes Lächeln eines, der die Welt und ihre Wesen kennt, wollte nicht weg von seinen milden Lippen. Nichts Sonderbares sah er in diesem Wechsel, sondern nur ein Berechnetes und Erwartetes, ein Vertrauen auf jene tiefrauschenden Gesetze der Natur, die nie versagen und vergessen, Wahrheit zu werden. Er fühlte sich wieder so ganz nahe einem jener ewigen, sich immer wieder erneuernden Wunder des Lebens, das aus den Kindern die hingebende Güte der Frauen mit einem Male erstehen läßt, die wieder hin zu den Kindern geht, von Werden zu Werden, und so eigene Kindheit nie verliert, sondern zweimal lebt, in sich und in denen, der sie begegnen. Und war dies nicht das Gotteswunder Marias, die Kind war, um nie Frau zu werden, sondern weiterzuleben in ihrem Kinde? Hatte nicht jedes Wunder seinen Spiegel in der Wirklichkeit und jeder erschaute Augenblick eines werdenden Lebens einen Glanz des Unnahbaren und ein Brausen des Ewig-Unverständlichen?

Der alte Mann fühlte wieder tief jene Wundernähe, deren göttlicher oder irdischer Gedanke ihn nun seit Wochen umpreßte, ohne ihn freizugeben. Aber er wußte, daß dies eine dunkle und verschlossene Pforte war, vor der sich alles Sinnen demütig wieder wenden müsse, ohne mehr zu erringen, als einen ehrfürchtigen Kuß auf die versagte Schwelle. Und so griff er zum Pinsel, um mit Arbeit die Gedanken zu verjagen, die sich schon in düstre Wolkentiefen verloren. Wie er aber hinblickte, um der Wirklichkeit das Nachbild abzulauschen, blieb er für einen Augenblick gebannt. Denn ihm war, als sei er bisher mit seinem Suchen in einer Welt gegangen, die von Schleiern umhangen war, ohne daß er es wußte, und nun erst glühte sie ihm in ihrer unmittelbaren Kraft und Verschwendung entgegen. Vor seinen Augen lebte das Bild, das er gesucht. Mit leuchtenden Augen und haschenden Händen wandte sich das blühende gesunde Kind dem Lichte entgegen, das seinen nackten Körper mit einem mattschimmernden weichen Glanz übergoß und ihm so seraphischen Schein verlieh. Und über diesem spielenden Haupte ein zweites, das sich zärtlich betrachtend niederneigt und selbst gleichsam von dem Glanze erfüllt ist, den dieser helle lichterfüllte Körper ausstrahlt. Und schmale kindhafte Hände, die behütend zu beiden Seiten warten, um alles Unheil und Verderben von diesem Kinde abzuwehren. Und über dem Haupte ein flüchtiger Glanz, der sich in den Haaren verfangen hat und gleichsam von ihnen auszustrahlen scheint wie ein inneres Licht. Sanfte Bewegung, vereint mit tändelndem Licht, Unbewußtheit mit noch träumender Erinnerung, alles rann zusammen in ein flüchtiges und schönes Bild, das nur hingehaucht schien und aus gläsernen Farben geschaffen, die ein Augenblick jäher Bewegung zerschmettern kann.

Wie eine Vision sah der alte Mann dieses Paar, das ein flüchtiges Spiel des Lichtes so verschwistert hatte und gleichsam aus fernem Traume fiel ihm des italienischen Malers fast vergessenes Bild ein und seine Gottesmilde. Und wieder schien es ihm, als hörte er göttlichen Ruf. Aber diesmal verlor er sich nicht an Träume, sondern schenkte seine ganze Kraft dem Augenblick. Mit heftigen Zügen hielt er dies Bewegungsspiel dieser kindischen Hände und die sanfte Neigung dieses sonst so harten Mädchenhauptes fest, als wollte er sie der Vergänglichkeit des Momentes für immer entraffen, der sie zusammengefügt. Er fühlte Schöpferkraft in sich wie heißes junges Blut. Sein ganzes Leben war ein Rinnen und Rauschen, ein Einschlürfen des Lichtes und der Farbe in dieser Minute, ein Formen und Umfassen seiner zeichnenden Hand. Und in dieser Minute, da er dem Geheimnis göttlicher Kräfte und unbegrenzter Lebensfülle so nahe stand wie noch nie, da sann er nicht ihren Wundern und Zeichen nach, sondern lebte sie, indem er sie selbst erschuf.

Dieses Spiel währte nicht allzu lange. Das Kind ermüdete endlich bei dem unablässigen Haschen, und auch Esther war befremdet, wie sie den alten Mann plötzlich mit fieberhafter Glut und geröteten Wangen arbeiten sah; wieder war in seinem Antlitz die gleiche visionäre Helle, wie an dem Tage, da er von Gott und seinen tausendfältigen Wundern zu ihr gesprochen hatte, und wieder fühlte sie begeistertes Erschauern für die Größe, die sich so ganz in die schöpferischen Welten verlieren konnte. Und in dieses umfassende Gefühl verlor sich ganz die kleine Beschämung, daß sie der Maler in dem Augenblicke überrascht hatte, da sie ganz von dem Anblick des Kindes erfüllt war. Sie sah nur eine Fülle des Lebens; und die Vielfältigkeit und Größe solcher Momente ließen sie immer jenes Erstaunen wiederempfinden, das sie zuerst gefühlt, als ihr der Maler die Bilder ferner und unbekannter Menschen, traumhaft schöner Städte und üppiger Landschaften gezeigt hatte. Und die Armut ihrer eigenen Tage und der monotone Gleichklang ihrer seelischen Erlebnisse färbten sich am Rausche des Fremden und von der Pracht des Fernen. Aber eigene Schöpfersehnsucht brannte tiefinnerst in ihrer Seele, wie ein verborgenes Licht im Dunkeln, von dem niemand weiß.

Dieser Tag war eine Wende in Esthers und des Bildes Schicksal. Der Schatten war gesunken. Nun ging sie mit hellen und hastenden Schritten zu jenen Stunden, die ihr so flüchtig schienen, weil sie eine wechselnde Reihe kleiner Erlebnisse aneinander ketteten, deren jedes ihr bedeutsam war, da sie den Wert des Lebens nicht kannte und sich reich glaubte mit den kleinen kupfernen Münzen unwertiger Begebnisse. Unmerklich trat die Gestalt des alten Mannes in den Hintergrund gegen den unbehilflichen kleinen rosigen Körper des Kindes. Ihr Haß war jählings in eine wilde und fast gierige Zärtlichkeit umgeschlagen, wie sie Mädchen oft gegen Kinder und kleine Tiere haben. Ihr ganzes Wesen erschöpfte sich in Beobachtung und Liebkosung, unbewußt lebte sie den erhabensten Gedanken der Frau, die Mutterschaft, in einem hingebenden leidenschaftlichen Spiel. Der Zweck ihres Besuches entglitt ihr. Sie kam, setzte sich mit dem kleinen blühenden Kinde, das sie bald erkannte und das ihr drollig entgegenlachte, in den breiten Lehnstuhl und begann ihre innigen Tändeleien, ganz vergessend, daß sie um des Bildes willen gekommen und daß sie einst dieses nackte Kind wie einen Druck und eine Last empfunden hatte. Das schien ihr so ferne, wie einer ihrer unzähligen falschen und verlogenen Träume, die sie früher in der dunklen traurigen Gasse in langen Stunden emsig aneinander gesponnen hatte, und deren Gewebe zerflatterte beim ersten vorsichtigen Atemzuge der Wirklichkeit. Und nur in diesen Stunden glaubte sie auch jetzt noch zu leben; ihr Verweilen zu Hause war ihr eine Fremde, wie die Nacht, in die man schlafend hinabtaucht. Wenn sie mit ihren Fingern die dicken fleischigen Händchen des Kindes umfaßte, fühlte sie, daß dies kein blutloser Traum war. Und das Lächeln war keine Lüge, das ihr aus diesen blauen großen Augen entgegenblinzelte. Das war alles Leben, und sie verzehrte sich in einer inneren Gier nach Verschwendung an die Welt, die ein reiches und unbewußtes Erbteil ihres Stammes war und nach Hingebung, der fraulichen Sehnsucht, ehe sie noch Weib war. In diesem Spiel barg sich schon der Keim tieferen Verlangens und tieferer Lust. Aber noch war alles ein tändelnder Reigen zärtlicher Einfälle und inniger Bewunderung, spielender Anmut und törichten Traums. Wie Kinder die Puppen schaukeln, so wiegte sie dieses Kind, aber sie träumte dabei, wie Frauen und Mütter träumen, – in eine süße zärtliche grenzenlose Ferne.

Der alte Mann fühlte die Wandlung mit der ganzen Fülle seines wissenden Herzens. Er spürte, daß er ihr ferner wurde, nicht fremder, und daß er nicht mehr in ihrem Wunsche stand, sondern schon abseits, wie eine milde Erinnerung. Und er freute sich dieses Umschwungs, so sehr er auch Esther liebte, denn er sah junge starke und gütige Triebe in ihr, von denen er hoffte, daß sie schneller die Trotzigkeit und Verschlossenheit ihrer ererbten Art zerbrechen würden als sein Bemühen. Und er wußte, daß ihre Liebe an ihn, den Alten, Absterbenden Verschwendung war, während sie in junges Leben Segnung und Verheißung tragen konnte.

Wunderbare Stunden verdankte er dieser erwachten Zärtlichkeit Esthers zu dem Kinde. Viele Bilder von bezwingender Schönheit formten sich vor ihm, alle Paraphrasen eines einzigen Gedankens und doch alle verschieden. Bald war es ein zärtliches Spiel: Esther mit dem Kinde tändelnd, selbst ganz Kind in ihrer unbändigen Mitfreude, geschmeidige Bewegungen ohne Härte und Leidenschaft, milde Farben in sanfter Vereinung, zärtliches Zusammenfließen zarter Formen. Und dann wieder Augenblicke der Stille, wenn das Kind träge auf dem weichen Schoße eingeschlafen war und die schmalen Hände Esthers über ihm wachten wie zwei Engel, wenn in ihren Augen jene zärtliche Freude seligen Besitzes aufglänzte und die verschwiegene Leidenschaft, das schlafende Antlitz mit Zärtlichkeiten zu erwecken. Dann wieder Sekunden, da sich die vier Augen ineinander einsenkten, unwissend, unbewußt und suchend die einen, innig hingebend und selig leuchtend die andern. Dann waren wieder Momente entzückender Verwirrungen, wenn das Kind mit seinen unbehilflichen Händen an der Brust des Mädchens emportastete, von der es die mütterliche Spende erwartete; dann rötete wieder die Scham Esthers Wangen wie rosiges Licht, aber es war keine Angst mehr, die sie erfüllte, und kein Unwille, sondern nur eine verlegene Aufwallung, die in ein beglücktes Lächeln zerrann.

Und diese Tage wurden die Schöpferstunden des Bildes. Aus tausend Zärtlichkeiten schuf er eine, aus tausend tändelnden, beseligten, ängstlichen, glücklichen, innigen Blicken einen Mutterblick. Ein stilles großes Werk wuchs empor. Ganz schlicht war es. Ein spielendes Kind und eines Mädchens sanft sich niederneigendes Haupt. Aber die Farben waren mild und klar, wie er sie nie gefunden, und die Formen standen so scharf und klar, wie dunkle Bäume gegen die heilige Glut des Abends. Es war, als müßte irgend ein inneres Licht verborgen sein, von dem sich jene geheime Helle entzünde, eine Luft in ihm weben, die weicher, umschmeichelnder und klarer sei als die aller irdischen Welt. Nichts Überirdisches war darin und doch eine heimliche Mystik des Lebens, das es geschaffen. Denn zum ersten Mal fühlte der alte Mann, der in seiner langen emsigen Schaffenszeit stets sorglich Strich an Strich gesetzt, ein inneres Wachsen und Werden an seinem Bilde, von dem er nichts wußte. Wie in der alten Volksmäre die zauberischen Geister ihre Werke erschufen, verborgen und doch mit so schaffender Eile, daß des Morgens die Menschen mit staunenden Augen die nächtige Vollendung schauten, so fühlte der Maler, wenn er nach Minuten schöpferischen Rausches vom Bilde zurücktrat und es mit prüfendem Auge betrachtete. Wieder pochte der Gedanke des Wunders an sein Herz, das kaum noch zögerte, ihm Einlaß zu gewähren. Denn dieses Werk schien ihm nicht nur seines ganzen Ringens leuchtende Blüte, sondern etwas viel Ferneres und Höheres, das sein niederes Werk nicht würdig sei zu tragen, wenn auch als seine Krönung. Und seines Schaffens Heiterkeit senkte sich tiefer und wurde fürchtige Stimmung, ein Bangen vor diesem eigenen Werk, in dem er sich nicht mehr wieder zu erkennen wagte.

So wurde auch er Esther ferner, denn sie schien ihm nur die Mittlerin des irdischen Wunders, das er vollbracht. Mit alter Güte behütete er sie, aber seine Seele erfüllte sich wieder mit den frommen Träumen, die er schon ferne geglaubt. Die schlichte Kraft des Lebens ward ihm mit einem Male so wunderbar. Wer konnte ihm Antwort geben? Die Bibel war alt und heilig, sein Herz aber irdisch und stand noch tief im Leben. Durfte er da fragen, ob die Schwingen Gottes hinabrauschten bis in diese Welt? Gingen noch heute Zeichen Gottes durch die Welt, oder waren es nur schlichte Wunder des Lebens?

Der alte Mann überhob sich nicht, da Antwort wissen zu wollen, so Seltsames auch in seinem Leben geschah. Aber er war seiner selbst nicht mehr so sicher wie einst, da er an das Leben glaubte und an Gott und nicht nachsann, wer die Wahrheit war. Und jeden Abend umhüllte er sorglich das Bild. Denn einmal in diesen Tagen, als er heimgekehrt war und der silberne Schein des Mondes segnend über dem Bilde hing, da war es ihm, als hätte die Gottesmutter ihm ihr Antlitz enthüllt. Und wenig fehlte, daß er sich betend hingeworfen hätte vor seinem eigenen Werk.....


In diesen Tagen aber geschah noch ein anderes im Leben Esthers, das nichts Seltsames und Unwahrscheinliches war, aber doch wie ein aufwirbelnder Sturm bis in die Tiefen ihres Lebens hinabgriff, daß sie erschauerten in wildem und unverständlichem Schmerz. Sie fühlte die ersten Mysterien der Reife und ward Weib aus einem Kinde. Viel ratlose Verwirrung erfüllte ihre Seele, die niemand führte und unterwies, die einsam einen wundersamen Weg zwischen tiefen Dunkelheiten und mystischem Leuchten ging. Und viel Sehnsucht ward wach, die keinen Weg wußte. Ihr unbändiger Trotz, der früher allen Gespielen abweisend ausgewichen war und jedes unnötige Wort mit ihrer Umgebung vermieden hatte, brannte wie ein Fluch in diesen Tagen dunkler Verlorenheit. Denn so fühlte sie nicht die heimliche Süße, die in diesem Werden sich birgt, wie eine Saat, deren Fülle noch ferne ist, und nur der dumpfe, irre und so einsame Schmerz blieb zurück. Und in diese Unwissenheit glänzten die Legenden und Wunder, von denen der alte Mann ihr erzählt, wie verführerische Lichter, denen ihre Träume in die unsinnigsten Möglichkeiten gierig folgten. Die Erzählung von der milden Frau, deren Bild sie gesehen, die Mutter ward nach wundersamer Verkündigung, durchbebte sie mit einer jähen und fast freudigen Angst. Und doch wagte sie nicht zu glauben, denn noch von anderem war da gesprochen worden, das sie nicht verstand. Aber sie meinte, daß in ihr selbst irgend ein Wunder wirke, weil sie sich so verändert fühlte in ihrem ganzen Empfinden, weil die Welt und alle Menschen um sie mit einem Male anders zu sein schienen, tiefer, seltsamer und voll geheimer Triebe. Alle Dinge schienen zusammen zu gehören und ein inneres Leben zu haben, das sich entgegendrängte und wieder zurückstieß, eine Gemeinsamkeit, von der sie nicht wußte, wo sie sich berge; ihr schien alles zusammenzuhalten, was so vereinzelt stand. Und sie selbst fühlte diese innere Kraft, die sie hineinzog in das Leben und zu den Menschen, aber sie war unsinnig und wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte und hinterließ nur diesen gleichen drängenden, pressenden und quälenden Schmerz unverbrauchter Sehnsucht und unterbundener Kraft.

Was Esther bisher unmöglich erschienen, versuchte sie jetzt in verzweifelten Stunden, wenn ihre Verlorenheit sich erkannte und die Sehnsucht nach einem Dinge, an das sie sich anklammern könnte, ihr Herz überwältigte. Sie sprach mit ihrem Ziehvater. Bisher war sie ihm ausgewichen, instinktiv, weil sie die Ferne fühlte, die zwischen ihnen war. Aber nun stieß sie dieser blinde Drang über die Schwelle. Sie sprach mit ihm von allen Dingen, erzählte ihm von dem Bilde, griff tief in sich hinein, um aus diesen Stunden etwas emporraffen zu können, was ihm von Wert sein könnte. Und der Wirt, sichtlich erfreut über diese Wandlung klopfte ihr derb begütigend auf die Wangen und hörte zu. Manchmal warf er ein Wort drein, aber es war so lässig und unpersönlich wie die Gebärde, mit der er den zerkauten Tabak zur Erde spuckte. Schließlich erzählte er selbst in seiner ungeschickten Weise, was gerade vorgegangen war, aber Esther horchte vergebens. Er wußte ihr nichts zu sagen, er versuchte es gar nicht. Alle Dinge schienen nur bis an seinen Körper heranzukommen und nichts nach innen zu fließen, eine Gleichgültigkeit gegen alles schlug ihr aus seinen Worten entgegen, die sie mit Ekel erfüllte. Was sie früher nur dumpf geahnt, wußte sie jetzt: es gab keinen Weg von solchen Menschen zu ihr und ihrer Seele. Es gab ein Nebeneinandersein, aber kein Erkennen, eine Öde und kein Verständnis. Und er schien ihr noch der beste von all den Menschen, die in dieser traurigen Kneipe aus und ein gingen, weil eine gewisse biedere Derbheit in ihm war, die in manchen Augenblicken sogar Herzlichkeit werden konnte.

Diese Enttäuschung aber konnte die drängende Kraft dieser unbändigen Sehnsucht nicht zerbrechen und die ganze Wucht strömte wieder zu den beiden Wesen zurück, die Aufgang und Niedergang ihres Tages umspannten. Sie zählte die einsamen Stunden der Nacht, die sie noch vom Morgen entfernten, mit Inbrunst und die Stunden des Tages, die vor ihrem Besuche bei dem Maler lagen, mit fiebernder Glut, die sich auf ihrem Antlitz verriet. Und einmal auf der Gasse warf sie sich ganz in den Arm ihrer Leidenschaft, wie ein Schwimmer in eine aufschäumende Flut, und stürmte wie verzweifelt durch die ruhig vorwärtsstrebenden Menschen, um erst Halt zu machen, wenn sie mit gerötetem Gesicht und verwirrten Haaren vor dem Tore des ersehnten Hauses stand. Eine Unbändigkeit und Lust an freier leidenschaftlicher Gebärde hatte in dieser Zeit der Umformung Gewalt über sie gewonnen und gab ihr eine wilde begehrliche Schönheit.

Und diese gierige, fast verzweiflungsvolle Art ihrer Zärtlichkeit ließ sie das Kind vor dem alten Manne bevorzugen, in dessen freundlicher inniger Milde etwas Ablehnendes, Abgeklärtes gegenüber aller stürmischen Leidenschaft lag. Er wußte nichts von der fraulichen Wandlung Esthers, aber er ahnte sie aus ihrem ganzen Wesen, dessen so jäh erwachte Ekstatik ihn befremdete. Ihr Schranken zu setzen, versuchte er nicht, weil er die elementare Kraft spürte, die sie vorwärts trieb in diese zähe Leidenschaft. Und er verlor darum nicht die väterliche Liebe zu diesem einsamen Kinde, wenngleich auch sein Sinn sich ganz wieder dem fernen Spiel der geheimen Lebenskräfte zugewandt hatte. Er freute sich ihrer Gegenwart und suchte sie sich zu bewahren. Das Bild war schon vollendet, er sagte es aber Esther nicht, weil er sie nicht trennen wollte von dem Kinde, das sie mit Zärtlichkeit gleichsam überflutete. Ab und zu tat er noch einen Pinselstrich, aber es waren immer nur unwichtige Äußerlichkeiten, ein Faltenwurf, eine leichte Schattierung des Hintergrundes oder eine flüchtige Nuance im Spiel des Lichtes. Dem eigentlichen Gedanken des Bildes und seiner innerlichen Empfindung wagte er nicht mehr zu nahen, denn der Zauber der Wirklichkeit war langsam gewichen und das Doppelantlitz des Bildes schien ihm das vergeistigte Wesen jenes wundervollen Schöpfertraumes, der ihm immer weniger Vollführung irdischer Kraft schien, je weiter zeitlich die Erinnerung jenes Augenblickes zu verdämmern begann. Jeder Versuch der Verbesserung schien ihm nicht nur Torheit, sondern Sünde. Und im Innersten beschloß er, nach diesem Werke, da seine Hand offenbarlich geleitet war, nicht weiteres Stümperwerk zu schaffen, sondern seine Tage in tieferer Frömmigkeit und in Erspähung der Pfade zu verbringen, die sein Leben emporführen könnten in jene Höhen, deren goldenes Abendleuchten er in diesen späten Lebensstunden noch verspürt hatte.

Esther spürte mit dem feinen Instinkte, den die Verwaisten und Zurückgestoßenen in ihren Seelen wie ein geheimes Netzwerk empfindsamer Fäden haben, das alle Worte und auch die verschwiegenen umspannt, die leichte Entfernung des alten und ihr so lieben Mannes, und sie litt beinahe unter seiner gleichen milden Zärtlichkeit; sie fühlte, daß sie gerade jetzt seines ganzen Wesens und der befreiten Fülle seiner Liebe bedurft hätte, um ihre Seele mit ihren wachsenden Schmerzlichkeiten offenbaren zu können und Antwort zu verlangen von den Rätseln, die sie umringten. Sie horchte auf den Augenblick, da sie die Worte aus sich befreien konnte, die in ihr drängten und überschäumten, aber das Erwarten ward endlos und machte sie müde. Und da wandte sie ihre ganze Zärtlichkeit dem Kinde zu. Ihr ganzes Empfinden formte sie in diesen kleinen unbeholfenen Körper, den sie mit heißer Gewalt umfing und küßte, so ungestüm und vergessend, daß das Kind oft nur den Schmerz der Umarmung spürte und zu klagen begann. Dann wurde sie zurückhaltend, behütend, beruhigend, aber auch diese Ängstlichkeit war Ekstase, sowie ihr Empfinden kein mütterliches war, sondern ein ängstlich-suchendes Emporwallen erotischer und dumpf sehnsüchtiger Triebe. Eine Kraft in ihr drängte empor, und ihre Unwissenheit ließ sie an diesem Kinde verschäumen. Es war ein Traum, den sie lebte, und eine schmerzliche Betäubung; sie hielt sich nur krampfhaft an dieses Wesen, weil es ein warmes Herz hatte, das pochte, so wie das ihre, weil sie alle Zärtlichkeiten, die in ihr glühten, an diese stummen Lippen verschenken konnte, weil ihre Arme, in denen eine unbewußte Sehnsucht war, ein Lebendes umklammern konnten, ohne den Augenblick der Beschämung fürchten zu müssen, der sie überfiel, wenn sie sich nur mit einem einzigen Worte einem Fremden anvertraut hätte. Stunden und Stunden verbrachte sie so, ohne zu ermüden und ohne zu fühlen, wie sie sich selbst betrog.

Dieses Kind umschloß nun für sie den Begriff des Lebens, nach dem sie sich so wild gesehnt. Rings um sie verwölkten sich die Zeiten, sie merkte es nicht. Abends standen die Bürger zusammen und sprachen von der alten Freiheit und dem guten König Karl, der sein Flandern so sehr geliebt, mit Bedauern und heimlichem Zorn. Unruhe wühlte in der Stadt. Die Protestanten einten sich insgeheim, lichtscheues Gesindel rottete sich zusammen, kleine Aufstände und Zusammenstöße mit den Soldaten häuften sich, getragen von drohenden Botschaften aus Spanien; und in diesem unruhigen Gezänke wetterleuchteten schon die ersten Flammen von Krieg und Rebellion. Die Vorsichtigen begannen schon jetzt ihren Blick gegen das Ausland zu richten, die andern trösteten und beruhigten sich, aber das ganze Land war mitgerissen in eine fröstelnde Erwartung, die sich in jedem einzelnen spiegelte. In der Schenke setzten sich die Männer in den Ecken zusammen und sprachen mit gedämpfter Stimme, und zwischen ihnen durch scherzte der Wirt in seiner derben Weise von Krieg und seinen Schrecknissen, doch das Lachen wollte allen nicht recht aus der Kehle. Die sorglose Fröhlichkeit der üppigen Menschen verlosch in Angst und unruhiger Erwartung.

Esther fühlte nichts von dieser Welt, nicht ihre gedämpfte und furchtsame Art und nicht ihr geheimes Fieber. Das Kind war still wie immer und lachte sie in seiner unbeholfenen Weise an, – so merkte sie keine Veränderung in ihrer Umgebung. Ihr Leben trieb einer einzigen Strömung nach in eine unselige Verwirrung; die Dunkelheit um sie ließ die phantastischen Träume ihrer leeren Stunden ihr als Wirklichkeit erscheinen, so ferne und fremd, daß sie für immer verloren war für die kühle besonnene Verständigkeit der Welt. Ihre erwachte Weiblichkeit schrie nach einem Kinde, aber dieses bange Mysterium wußte sie nicht, sondern sie erträumte es sich in tausend Formen, in der schlichten Wunderbarkeit der biblischen Legende, wie in der zauberischen Möglichkeit einsamer Phantasieen. Hätte ihr jemand dieses Rätsel des Alltags in einfachen Worten erklärt, so hätte sie vielleicht mit jenem verschämt betrachtenden Blicke wie sie Mädchen in dieser Zeit haben, die Männer gemustert, die an ihr vorbeigingen. So aber dachte sie ihrer nicht, sondern sah nur die Kinder auf den Straßen spielen und dachte träumerisch jenes seltsamen Wunders, das ihr vielleicht auch eines Tages ein solches rosiges spielendes Kind schenken könne, ein Kind, das ganz ihr gehörte und ganz ihre Seligkeit wäre. Und so unbändig war der Wunsch in ihr, daß sie sich vielleicht dem ersten besten hingegeben hätte, alle Scham und Ängstlichkeit vernichtend, nur um dieses ersehnten Glückes willen; aber sie wußte nichts von dieser schöpferischen Einung, und ihre Sehnsucht ging blinde und nutzlose Pfade in die Irre. Und so kehrte sie immer und immer wieder zu diesem fremden Kinde zurück, das ihr schon wie ein eigenes schien, so innig war ihre Zärtlichkeit geworden.

So kam sie eines Tages zu dem Maler, der mit geheimer Unruhe ihre übertriebene und fast krankhafte Leidenschaft zu dem Kinde bemerkt hatte, mit ihrem leuchtenden Gesicht und der funkelnden Unrast in den Augen. Das Kind war nicht, wie gewohnterweise, zur Stelle. Das beunruhigte sie, aber um es nicht einzugestehen, trat sie auf den alten Mann zu und fragte ihn nach dem Fortgang des Bildes. Das Blut stieg ihr in die Wangen bei dieser Frage, denn mit einem Male fühlte sie die stumme Beleidigung aller dieser Stunden, in denen sie nie Aufmerksamkeit weder ihm noch seinem Werke geschenkt. Die Vernachlässigung dieses so gütigen Menschen drückte sie wie eine Schuld. Aber er schien nichts zu bemerken.

»Es ist fertig, Esther,« sagte er mit einem leisen Lächeln, »und sogar schon lange. Nächster Tage werde ich es übergeben.«

Sie wurde blaß. Eine böse Ahnung befiel sie, die sie nicht auszudenken wagte. Ganz leise und verschüchtert fragte sie. »Und ich darf dann nicht mehr zu Euch kommen?«

Er streckte ihr beide Hände entgegen. Es war die alte milde bezwingende Gebärde, die sie immer wieder gefangen nahm. »So oft du willst, mein Kind. Und je öfter, desto lieber. Du siehst ja, daß ich hier einsam bin in meiner alten Stube und, wenn du da bist, dann ist es allein fröhlich und hell den ganzen Tag. Komm oft, recht oft, Esther.«

Ihre ganze alte Liebe zu diesem Manne flutete auf, wie wenn sie nun alle Dämme überrauschen wollte und sich in Worten ergießen. Wie groß und gut war er! War seine Seele nicht wahr und die des Kindes nur ihr eigener Traum? Ihr Vertrauen war wieder groß in diesem Augenblick, aber der Gedanke ihres Lebens hing noch lastend über dieser reifenden Saat wie eine Gewitterwolke. Der Gedanke an das Kind peinigte sie. Sie wollte diese Qual unterdrücken, sie preßte das Wort immer hinab und hinab, aber es quoll auf, ein wilder verzweifelter Schrei. »Und das Kind.«

Der alte Mann schwieg. Aber seine Züge wurden härter, beinahe unbarmherzig. Daß sie in diesem Augenblicke, da er ganz ihre Seele sein Eigen hoffte, seiner vergaß, das stieß ihn zurück wie ein zorniger Arm. Kalt und gleichgültig sagte er: »Das Kind ist fort.«

Er fühlte ihre Blicke gierig und in einer rasenden Verzweiflung an seinem Munde hangen. Aber die finstere Gewalt in ihm zwang ihn, trotzig und grausam zu sein. Er fügte nichts hinzu. In diesem Augenblicke haßte er dieses Mädchen, das so undankbar die viele Liebe vergaß, die sie von ihm empfangen, und der gütige und so milde Mensch empfand die Wollust einer Sekunde, sie zu quälen. Doch es war nur ein flüchtiger Moment der Schwäche und eigenen Verneinung, der wie eine einsame Welle in diesem unendlichen Meere der sanften Klärung verrann. Und, von dem Bangen ihres Blickes mit Mitleid erfüllt, wandte er sich ab.

Aber sie ertrug nicht dieses Schweigen. Mit wilder Gebärde stürzte sie an seine Brust und umklammerte ihn schluchzend und stöhnend. Nie brannte größere Qual in ihr, als in den verzweifelten Worten, die sie weinte und schrie. »Ich muß es wieder haben, das Kind, mein Kind. Ich kann nicht anders leben, es ist ja das einzige kleine Glück, das man mir stiehlt. Warum wollt Ihr mir es nehmen?.... Ich war schlecht gegen Euch, aber verzeiht und laßt mir das Kind. Wo ist es? Sagt es mir! Sagt es mir! Ich muß es wieder haben.....«

Ihre Worte verschlugen sich in ein tonloses Schluchzen. Tieferschüttert beugte sich der alte Mann über sie herab, die in langsam erschlaffendem Krampfe weinend seine Brust umklammerte und tiefer und tiefer herabsank wie eine ersterbende Blüte. Sanft strich er über dieses lange, dunkle, gelöste Haar. »Sei klug, Esther! Und weine nicht. Das Kind ist fort, aber....«

»Es ist nicht wahr, nein, es ist nicht wahr,« fuhr sie empor.

»Es ist wahr, Esther. Seine Mutter hat das Land verlassen. Die Zeiten sind schwer für die Fremden und die Ketzer, aber auch für die Fürchtigen und Treuen. Nach Frankreich sind sie oder nach England. Aber warum willst du verzagen .... sei doch klug, Esther ..... warte ein paar Tage .... es wird alles wieder gut werden...«

»Ich kann nicht, ich kann nicht,« röchelte ihr irres Weinen. »Warum hat man mir das Kind genommen.... Ich hatte doch sonst nichts .... ich muß es wieder haben .... ich muß, ich muß..... Es hatte mich gern, es war das einzige Wesen, das mir, das ganz zu mir gehörte .... wie soll ich jetzt leben.... Sagt mir doch, wo es ist, sagt mir....«

Klagen und Schluchzen flossen zusammen in ein wirres und verzweifeltes Reden, das immer leiser und sinnloser wurde und schließlich in ein stumpfes Weinen verquoll. Wie wirre Blitze zuckten die Gedanken durch dieses zermarterte Gehirn, das nicht Klarheit und Ruhe gewinnen konnte; alle Empfindung und Betrachtung schwang in wahnsinnig kreisender Drehung um diese eine schmerzhafte Idee, die nicht loszureißen war aus ihren Reden, sondern mitschwang und mitkreiste, rastlos mit unbarmherziger wirbelnder Kraft. Das unendliche stumme Meer ihrer suchenden Liebe rauschte empor als verzweifelter und lauter Schmerz. Und die Worte strömten wirr und heiß nieder, wie tropfendes und quellendes Blut aus einer Wunde, die sich nicht schließen will. Verzagt schwieg der alte Mann, der versucht hatte, diesen Schmerz mit sanften Worten zu stillen. Die elementare Gewalt dieser Leidenschaft und ihre finstere Glut schienen ihm stärker, als alle Kraft der Begütigung. Er wartete und wartete. Manchmal schien der aufschäumende Strom zu stocken und die Erregung sich zu mildern, aber immer und immer stieß ein Schluchzen verlorene Worte empor, die halb Schrei und halb Weinen waren. Eine reiche und blühende Seele verblutete in diesem Schmerz.

Endlich konnte er zu ihr sprechen. Aber Esther hörte ihn nicht. In ihren feuchten und starren Augen stand ein einziges Bild, und ein Gedanke erfüllte ihr Empfinden. Wie aus Fieberphantasieen stammelte sie fort. »Wie lieb es lachte... Mir gehörte es ja nur, mir ganz allein..... Diese vielen schönen Tage.... Ich war seine Mutter... Und ich soll es nicht mehr haben... Wenn ich es nur sehen könnte, nur noch einmal sehen..... Nur sehen, nur einmal.....« Und wieder verlosch die Stimme in hilfloses Schluchzen. Langsam war sie von der Brust des alten Mannes herabgesunken und umklammerte mit den matten, durchschauerten Händen nur noch seine Kniee, ganz zusammengekauert in die fließende Flut ihrer schwarzen Strähnen. Ihr zerknickter zuckender Körper mit dem überwallten und versteckten Antlitz schien wie zerschmettert von zornigem Schmerz. Und monoton, mit verlorenen erschlafften Gedanken lallte sie das Wort immer wieder. »Nur sehen ... nur einmal sehen ... nur einmal ..... nur sehen.«

Tief beugte sich der alte Mann zu ihr herab.

»Esther!«

Sie rührte nicht ein Glied. Die Lippen lallten noch die Worte weiter ohne Sinn und Betonung. Er wollte sie emporheben; ihr Arm, den er faßte, war kraftlos und ohne Regung wie ein abgebrochner Ast; schlaff fiel er wieder zurück. Nur die Lippen stammelten eintönig und unbewußt ihren traurigen Spruch weiter. »Nur einmal .... nur sehen ... nur einmal sehen...«

Da überkam ihn ein seltsamer Gedanke in seiner suchenden Ratlosigkeit. Er neigte sich zu ihrem Ohre. »Esther! Du sollst es sehen, einmal und so oft du willst!«

Sie fuhr auf, wie aus einem Traum gerüttelt. Durch alle Glieder schienen diese Worte zu fließen, denn jähe Bewegung erfaßte ihren Körper, und sie richtete sich auf. Langsam schien die Klarheit wiederkehren zu wollen. Noch war ihr der Gedanke nicht ganz klar, denn instinktiv glaubte sie nicht an ein so großes Glück, das sich aus dem Schmerze wieder erschließen sollte. Unsicher sah sie den alten Mann an, wie mit schwankenden Sinnen. Sie begriff ihn nicht ganz und wartete auf seine Worte. Alles war ihr so unklar. Aber er sprach nicht, er sah sie nur mit gütiger Verheißung an und nickte ihr zu. Lind umfaßte er sie mit seinem Arm, als hätte er Angst, ihr wehe zu tun. Es war also kein Traum und nicht die Lüge eines Augenblicks. Ihr Herz schlug und schlug in wirrer Erwartung. Willig wie ein Kind ging sie an ihn gelehnt, ohne ein Ziel zu wissen. Aber er führte sie nur ein paar Schritte bis zur Staffelei. Und mit rascher Bewegung löste er das hüllende Tuch von dem Bilde.

Im ersten Augenblicke blieb Esther reglos. Ihr Herz stand still wie erstarrt. Aber dann stürzte sie gierig auf das Bild zu, als wollte sie dieses liebe lächelnde rosige Kind aus dem Rahmen reißen, wieder zurück ins Leben, um es zu wiegen und zu umschmeicheln, um die Zartheit seiner unbeholfenen Glieder zu spüren und das Lachen um diesen kleinen törichten Mund zu erwecken. Sie dachte nicht, daß dies nur ein Bild war, ein Stück bemalter Wand, das nur der Traum des Lebens war, sie überlegte nicht, sondern fühlte nur, und ihre Blicke flatterten in seligem Rausche. Reglos blieb sie knapp vor dem Bilde stehen. Ein Zittern und Reißen war in ihren Fingern, die sich sehnten, die blühende Weiche dieses Kindes wieder erschauernd fühlen zu können, ein Brennen in ihren Lippen, den erträumten Körper mit zärtlichen Küssen bedecken zu können. Ein seliges Fieber durchlief ihren Leib. Und dann brachen die warmen Tränen empor. Aber sie waren nicht mehr zornig und anklagend, sondern wehmütig und beglückt, sie waren nur ein Quellen und Überquellen von vielen seltsamen Gefühlen, die plötzlich ihre Seele erfüllten und empordrängten. Leise löste sich der Krampf, der sie mit seinen harten Händen umklammert, und eine unsichere, aber milde und versöhnliche Stimmung hielt sie umschlungen und wiegte sie sanft und süß in einen wachen, wunderbaren Traum, der ferne war von allen Wirklichkeiten.

Der alte Mann fühlte wieder jenes fragende Bangen in seiner Freude. Wie wundersam war dieses Werk, daß es selbst diejenigen, die es geschaffen und gelebt, so mystisch beseelte, wie unirdisch war diese sanfte Erhebung, die ihm entstrahlte! War dies nicht wie die Bilder und Zeichen der Heiligen, die man verehrte, und bei denen die Beladenen und Bedrückten jählings ihren Schmerz vergaßen und heimgingen, von einem Wunder geläutert und befreit? Und waren dies nicht heilige Flammen in den Blicken dieses Mädchens, das ihr eigenes Bild besah, ohne Neugierde und ohne Scham, sondern hingegeben und gottverloren? Er fühlte, es müsse ein Ziel geben, zu dem so sonderbare Wege führten, es müsse ein Wille da walten, der nicht blind sei, wie der seine, sondern hellsichtig und aller seiner Wünsche Meister. Und wie fromme Glocken jubelten diese Gedanken durch sein Herz, das sich erwählt dünkte für aller Himmel leuchtende Gnade.

Vorsichtig nahm er Esther bei der Hand und führte sie weg vom Bilde. Er sprach nicht, denn auch er fühlte das warme Quellen von Tränen, die er nicht zeigen wollte. Ihm war, als ruhte auf ihrem Haupte noch ein warmer fließender Glanz, wie im Madonnenbilde, und als sei in dem Zimmer bei ihnen noch etwas Großes und Unsagbares, das mit unsichtbaren Schwingen vorüberrauschte. Er sah in Esthers Augen. Sie waren nicht mehr verweint und trotzig; nur ein sanfter spiegelnder Flor schien sie noch zu überschatten. Alles schien ihm heller, milder und verklärter ringsum. Wundernähe und Heiligkeit wollte sich ihm in allen Dingen offenbaren.

Lange blieben sie noch beide zusammen. Sie begannen wieder zu sprechen, wie in alter Zeit, aber ruhiger und geklärter, wie zwei Menschen, die sich nicht mehr suchen müssen, sondern sich ganz verstehen. Esther war still geworden. Der Anblick dieses Bildes hatte sie seltsam berührt und sie so selig gemacht, weil er ihr das Glück ihrer schönsten Erinnerung wieder schenkte, weil sie ihr Kind wieder besaß, aber nun viel heiliger, viel tiefer und mütterlicher als in der Wirklichkeit. Denn nun war es nur ganz mehr Hülle ihres Traumes, ganz eigen und ganz ihre Seele. Nun konnte es niemand mehr nehmen. Dies Bild gehörte ihr allein, wenn sie es sah, und sie durfte es ja immer sehen. Gerne hatte der alte, von mystischen Ahnungen durchschauerte Mann ihr die zage Bitte verstattet. Nun hatte sie Tag für Tag gleiche Seligkeit und Lebensfülle, ihre Sehnsucht mußte nicht mehr bangen und begehren; und diese kleine blühende Gestalt, die den andern der Heiland der Welt war, war auch dem einsamen Judenkinde unbewußt ein Gott der Liebe und des Lebens.

So kam sie noch einige Tage. Doch der Maler besann sich seines Auftrags, den er beinahe vergessen hatte. Der Kaufherr kam, das Bild zu betrachten, und auch ihn, der nichts von den heimlichen Wundern dieser Schöpfung wußte, überwältigte die milde Form der Muttergüte und die schlichte Weihe des ewigen Symboles in diesem Bilde. Begeistert drückte er seinem Freunde die Hand, der alle Lobsprüche mit bescheidener und frommer Gebärde zurückwies, als sei es nicht sein eigen Werk, vor dem er stand. Und sie beschlossen nicht länger dem Altare seinen Schmuck vorzuenthalten.

Am folgenden Tage schon schmückte das Bild den andern Altarflügel, der verwaist gewesen. Und seltsam war nun dieses fremde Paar der beiden Madonnen mit ihrer leichten Ähnlichkeit und so verschiedener Gebärde. Wie zwei Schwestern schienen sie, von denen die eine noch der Süße des Lebens sich vertrauend hingibt, während die andere schon die dunkle Frucht des Schmerzes verkostet hat und die Schauer ferner Zeiten kennt. Aber über beider Haupt leuchtete ein gleicher Schein, als ob über ihnen Sterne der Liebe glühen würden, unter denen ihr Weg ein Leben lang ginge durch Freude und durch Schmerzlichkeit.....

Und auch in die Kirche folgte Esther dem Bilde, als sei es ihr eigen Kind, das sie hier finde. Langsam verrauschte die Erinnerung in ihr, daß ihr das Wesen fremd war, und ein Mutterglaube erwachte, der einen Traum zur Wahrheit werden ließ. Stundenlang lag sie hingestreckt vor dem Bilde, wie eine Gläubige vor des Heilands Bild. Um sie lebte ein andrer Glaube; die Glocken riefen mit ihren donnernden Zungen zu einer Andacht, die sie nicht kannte, Priester, deren Worte sie nicht verstand, sangen tiefe brausende Chöre, die wie dunkle Wellen die Kirche durchrauschten und aufflogen in die mystische Dämmerung, die wie eine duftende Wolke hoch, hoch über dem Gestühle hing. Und Frauen und Männer, deren Glauben sie haßte, waren rings um sie, und ihre murmelnden Gebete überraunten die leisen Zärtlichkeiten, die sie zu ihrem Kinde sprach. Aber sie fühlte alles nicht, ihr Herz war zu verwirrt, um sich zu suchen und zu erspähen; sie gab sich nur blind an diesen einen Wunsch hin, tagtäglich ihr Kind zu sehen und dachte nicht mehr an die Welt. Die Stürme ihres reifenden Blutes hatten sich geklärt, alle Sehnsüchte waren verloren oder verströmt in diesen einzigen Gedanken, der sie immer und immer wieder hin zu dem Bilde trieb, wie ein magnetischer Zauber, den keine Kraft zu lösen vermag. Nie war sie so selig gewesen, wie in diesen langen Stunden in der Kirche, deren erhabene Feierlichkeit und geheime Wollust sie fühlte, ohne sie zu verstehen. Und ihr einziger Schmerz war, daß ab und zu ein Fremder vor dem Bilde kniete und gläubig aufblickte zu diesem Kinde, das doch nur ihr, ihr allein gehörte. Dann flackerte der alte unbändige eifersüchtige Trotz wild in ihr auf, eine Wut brannte in ihrer Seele, die sie zum Schlagen und zum Weinen treiben wollte; ihr Sinn verwirrte sich mehr und mehr in solchen Augenblicken, sie wußte nicht mehr zu scheiden zwischen dieser Welt und der ihres Traumes. Und erst, wenn sie vor dem Bilde hingestreckt ruhte, kam wieder die große Stille in ihr Herz. –

So war der Frühling mild und gütig gegangen, in dem sich die Schöpfung vollendet hatte, und es schien, als wollte nun der Sommer nach all den Stürmen und Blüten ihr die große, feierliche Mutterstille schenken. Die Nächte wurden warm und hell, aber das Fieber war gewichen, und sanfte zärtliche Träume neigten sich nieder auf Esthers Haupt. Nun schien ihr Leben geklärt zu sein, ein gleiches Wiegen zwischen gleichen Stunden im Rhythmus friedlicher Leidenschaft, und alle Ziele, die im Dunkel sich verloren, wollte ihre hellen Wege deuten weit, weit in die Zukunft hinein.


Die Sommertage brachten endlich ihre leuchtendste Blüte, das Marienfest, Flanderns schönsten Tag. Über die goldenen Felder, die sonst emsige Arbeitsmühe erfüllt, schreiten die langen geschmückten Prozessionen mit wehenden Wimpeln und sich bauschenden Fahnen. Wie eine Sonne leuchtet die Monstranz über die Saaten, welche des Priesters erhobene Hände segnen, und von betenden Stimmen ist so sanftes Gebrause, daß die Garben erzittern und sich demütig neigen und neigen. Hoch aber in den Lüften rufen die hellen Glocken unaufhörlich in die Ferne, und von weitherüberleuchtenden Kirchentürmen antworten die freudigen Freundesstimmen, und ihr jubelndes Schwingen ist gewaltig, als ob die Erde selbst singen würde und die trotzigen Wälder und das rauschende Meer.

Und dieser Glanz strömt aus dem blühenden Lande in die Stadt und überspült die drohenden Mauern. Das trostlose Gelärme der Handwerker verstummt, die keuchenden Stimmen des Tagwerks schweigen; nur Spielleute ziehen mit Pfeife und Dudelsack von Gasse zu Gasse und in ihr fröhlich Musizieren jauchzen die hellsilbernen Stimmen der tanzenden Kinder. Die seidenen Gewande, die in den bergenden Spinden das ganze Jahr verträumen müssen, leuchten mit ihrem vergilbten Putz der Sonne entgegen; feiertäglich geschmückt einen sich plaudernde Gruppen zum Kirchgange. In dem Dome aber, dessen ladende Pforten mit blauen Weihrauchwellen und duftender Kühle die Frommen empfangen, blüht ein Frühling von gestreuten Blumen und üppigen Guirlanden, die sorgsame Hände um Bilder und Altäre gebreitet. Tausende von Kerzen durchleuchten mit magischem Licht dieses duftende Dunkel voll Orgelbrausen und Gesang, aus Tiefen und Höhen zittert geheimnisvolles Leuchten und mystische Dämmerung.

Und dann scheint plötzlich diese fromme und fürchtige Stimmung sich auf die Straßen zu ergießen. Ein Zug Andächtiger formt sich, die Priester heben das vielberühmte Marienbildnis des Hauptaltars, das gleichsam umrauscht ist von den Gerüchten vieler vollbrachter Wunder, auf ihre Schultern und eine feierliche Prozession beginnt. Und mit dem Bilde tragen sie gleichsam die Stille unter die lärmenden Gestalten der Straße, denn ein Schweigen und Neigen geht durch die Menge. Und so zieht eine breite Furche der Andacht hinter dem Bildnis her, bis es wieder zurückgelangt in die tiefe und kühle Kirche, die es in ihr duftendes Grab aufnimmt.

In diesem Jahre aber überschatteten trübe Wolken die fromme Feier. Seit Wochen lastete ein dumpfer Druck über dem Lande, dunkle und unbestätigte Nachrichten mehrten sich, daß die alten Privilegien für null und nichtig erklärt werden sollten. Die Geusen und Protestanten begannen sich zu regen. Böse Gerüchte kamen aus dem Lande: von den protestantischen Predigern, die vor Tausenden auf freien Plätzen vor den Städten predigten und den bewaffneten Bürgern das Abendmahl reichten. Spanische Soldaten waren überfallen worden, und beim Sange der Genfer Psalmen sollten Kirchen gestürmt worden sein. Noch war alles dies unverbürgt, aber man fühlte das heimliche Flackern eines werdenden Brandes, und der bewaffnete Widerstand, den die Besonnenen in ihren Stuben bei heimlicher Beratung planten, artete in jähen Trotz und Unbotmäßigkeit aus bei den vielen, die nichts zu verlieren hatten.

Der Festtag hatte jene erste schmutzige Welle nach Antwerpen gespült, jenen heillosen Pöbel, der nie geeint ist und sich nur bei Revolten plötzlich zusammenrottet. Finstere Gestalten, die niemand kannte, tauchten mit einem Male in den Schenken auf, fluchten und drohten wild den Spaniern und den Pfaffen. Aus den Winkeln und verrufenen Gäßchen quoll seltsames tagscheues Volk mit trotzigem und gereiztem Gebaren. Die Händel mehrten sich. Ab und zu gab es kleine Zusammenstöße, aber sie griffen nicht über in die allgemeine Erregung, sondern erloschen wie einsam aufzischende Funken. Noch hielt der Prinz von Oranien strenge Zucht und überwachte dieses habgierige zanksüchtige und böswillige Gesindel, das nur um des Gewinnes willen mit den Protestanten gleiche Sache machte.

Die große und prunkvolle Feierlichkeit der Prozession reizte nur den Grimm der unterdrückten Instinkte. Zum ersten Mal mischten sich derbe Scherzworte in den Sang der Gläubigen, blinde Drohungen flatterten auf und höhnisches Lachen. Manche sangen den Text des Geusenliedes auf die fromme Melodie, ein junger Bursch ahmte zum Gaudium seiner Genossen mit quäkender Stimme den Prediger nach, andere grüßten das Bildnis mit koketter Hutschwenkung, wie eine geminnte Dame. Die Soldaten und die wenigen Gläubigen, die sich zur Feier gewagt hatten, waren machtlos und mußten mit verbissenen Zähnen den Spott ertragen, der immer übermütiger wurde. Und immer ungebärdiger wurde das ungezügelte Volk, seitdem das Bewußtsein seiner trotzigen Kraft erwacht war. Fast alle schon gingen in Waffen. Und der finstere Wille, der sich jetzt nur in Flüchen und wuchtigen Drohungen Bahn brach, begehrte nach Taten. Wie eine Gewitterwolke lastete diese drohende Unruhe am festlichen Tage und an den folgenden über der Stadt.

Die Frauen und die Besorgteren unter den Männern hüteten seit den ärgerlichen und gefahrdrohenden Szenen bei der Prozession das Haus. Dem Pöbel und den Protestanten gehörte die Straße nunmehr allein. Auch Esther war daheim geblieben in den letzten Tagen. Aber sie wußte von all diesen Stürmen und Geschehnissen nichts. Sie merkte dumpf, daß sich mehr und mehr in der Schenke die Menschen drängten, daß sich kreischende Dirnenstimmen in den erregten Chor der streitenden und fluchenden Männer mischten, sie sah rings verstörte Frauengesichter und heimlich tuschelnde Gestalten, aber eine dumpfe Lässigkeit allen Dingen gegenüber erfüllte sie dermaßen, daß sie nicht einmal ihren Ziehvater darum fragte. Sie dachte nur mehr an das Kind, an jenes Kind, das längst in ihren Träumen das ihre geworden war; alle Erinnerung verdämmerte in diesem einen Bilde. Nicht mehr fremd schien ihr die Welt, sondern wertlos, weil sie ihr nichts zu geben hatte; in dem Kindesgedanken verlor sich ihre liebende Hingebung und das glühende Gottesbedürfnis ihrer Jahre. Nur die eine Stunde, da sie sich zu dem Bilde, das ihr Gott und Kind zugleich war, hinschlich, atmete sie wirkliches Leben, sonst war ihr Tun und Treiben nur das sehnsüchtige Irren einer Verträumten, die an den Dingen wie eine Mondsüchtige vorübergeht. Tag für Tag und einmal auch eine lange und von heißen Düften schwere Sommernacht, da sie verstohlen aus dem Hause geflüchtet war und sich in die Kirche hatte einschließen lassen, lag sie auf den Knieen vor diesem Bilde, das ihre unwissende Seele sich zum Gott gekrönt.

Und diese Tage lasteten schwer auf ihr, denn sie versperrten ihr den Weg zu ihrem Kinde. Während des Marienfestes erfüllten festliche Mengen die hohen Gänge und das orgelbrausende Kirchenschiff; gekränkt und demütig wie eine Bettlerin mußte sie sich aus dem Gewirre der Frommen wieder zum Ausgange wenden, denn Gläubige umstanden unablässig an diesem Tage die Marienbilder, und sie mußte fürchten erkannt zu werden. Traurig und fast verzweifelt ging sie zurück und fühlte all die schwere Sonnenhelle des Tages nicht, weil ihr der Anblick des Kindes versagt war. Neid und Zorn packte sie beim Anblicke der unablässig heranpilgernden Scharen, die in frommer Wallfahrt durch die hohe Pforte der Kathedrale in das blaue duftende Dunkel traten.

Und trauriger wurde ihr noch der nächste Tag, da man es ihr versagte, auf die mit gefährlichen Gestalten durchzogene Straße zu gehn. Ihre Stube, zu der der Lärm der Schenke aufbrauste wie ein dicker häßlicher Qualm, wurde ihr unerträglich. Ihrem verwirrten Herzen war ein Tag, da sie das Kind auf dem Bilde nicht sehen durfte, wie eine dunkle finstere Nacht ohne Schlaf und ohne Träume, eine Nacht nur mit Qual, Dunkel und Sehnsucht angefüllt. Noch war sie nicht stark genug, eine Entbehrung zu tragen. Spät abends, als ihr Ziehvater in der Schenke mit seinen Gästen saß, stieg sie ganz leise und behutsam die Treppen hinunter. Sie tastete an die Pforte und atmete auf: sie war offen. Leise und schon mit einem linden Gefühle lang entbehrter Lust schlüpfte sie durch die Türe und eilte der Kathedrale zu.

Die Straßen, die sie im Laufen durchmaß, waren dunkel und voll dumpfen Gedröhnes. Allerorts hatten sich einzelne Scharen zusammengerottet, und die Nachricht von der Abreise des Prinzen von Oranien hatte alle zügellosen Gewalten entfesselt. Die drohenden Worte, die tagsüber nur einzeln und unüberlegt aufgezuckt waren, klangen jetzt wie Kommandorufe. Dazwischen heulten die Trunkenen und sangen die Begeisterten die Rebellionslieder, daß die Fenster dröhnten. Die Waffen wurden nicht mehr versteckt, Beile und Haken, Schwerter und Pflöcke blitzten im unruhigen Fackelschein; wie eine gierige Flut, die nur noch minutenlang zögert, alle Dämme mit Schaum und Wogen zu überspringen, so ballten sich diese finsteren Massen zusammen, denen niemand zu wehren wagte.

Esther hatte nicht acht auf diese ungebärdige Schar, ob sie auch im Vorbeischlüpfen einmal einen rohen Arm zurückstoßen mußte, der nach ihrem hüllenden Kopftuche neugierig und begehrlich griff. Sie fragte gar nicht, warum solche Raserei plötzlich die Rotten erfüllte, deren Treiben und Rufen sie nicht verstand; nur Ekel und Angst überkam sie, und ihr Schritt beschleunigte sich mehr und mehr, bis sie endlich atemlos vor der hohen, mit weißen Mondschleiern überwebten Kathedrale stand, die tief in die Schatten der Häuser gebettet schlief.

Beruhigt und mit einem leise erschauernden Beben trat sie bei einer Seitenpforte ein. Es war ganz dunkel in den hohen lichtlosen Gängen, nur um die mattfarbigen Scheiben zitterte ein mystisches mondsilbernes Licht. Menschenverlassen war das Gestühle. Kein Schatten schwankte in den weiten atemstillen Räumen, und die Heiligengestalten standen vor den Altären in schwarzem reglosen Erz. Und wie leise aufzuckendes Glühwurmblinken flackerte aus der Tiefe, die endlos schien, das schwankende Leuchten des ewigen Lichtes über den Kapellen. Alles war heilig und still in dieser unbewegten Ruhe, so daß sie, erfüllt von der schweigsamen Majestät des Raumes, ihre tappenden Schritte fürchtig dämpfte. Mühsam tastete sie sich so zum Seitengange durch und ließ sich erschauernd, mit einem unendlichen und doch mystisch gedämpften Jubel vor dem Bilde nieder, das in dem fließenden Dunkel aus dichten und duftenden Wolken herabzublicken schien, unendlich nah und unendlich ferne. Und nun dachte sie nicht mehr. Es war wie immer: das ganze wirr-sehnsüchtige Fühlen ihrer werdenden Mädchenseele zerspann sich in phantastische süße Träume, die Inbrunst schien allen ihren Fibern zu entströmen und sich als berauschende Wolke ihrer Stirn zu umschmiegen. Wie ein süßes und sanft betäubendes Gift waren diese langen Stunden vereinter unbewußter Gläubigkeit und unbewußter Liebessehnsucht, sie waren eine dunkle Quelle, die selige Hesperidenfrucht, die alles göttliche Leben erhält und nährt. Denn in diesen süßen, haltlosen und wollustdurchschauerten Träumen war alle Seligkeit. Einsam pochte ihr erregtes Herz in die große Stille der leeren Kirche. Vom Bilde kam ein ganz leichter, heller, gleichsam silberdunstiger Glanz, wie von einem tief innen strahlenden Lichte, aber sie erkannte ihr Kind in den ekstatischen Träumen, die sie von den frierenden kalten Stufen emportrugen in eine milde warme Sphäre erträumten Lichtes. Längst wußte sie nicht mehr, daß dies ein fremdes Kind gewesen sei, das sie nur gekannt. Sie träumte den Gott in ihm und den Gott einer jeden Frau, das eigene blutwarme Wesen ihres Leibes; dumpfe Gottessehnsucht, sucherische Ekstatik und werdende Muttersehnsucht spannen zusammen das lügnerische Netz ihres Lebenstraumes. Für sie war nun Helle in dieser lastenden breiten Dunkelheit, ein zartes Tönen harfte auf in der schauernden Stille, die nichts wußte von Menschenwort und Uhrenschlag. Über ihren hingestreckten Körper ging die Zeit mit unhörbaren Schritten...

Ein jäher Stoß erschütterte mit einem Male die Pforte. Und ein zweiter und dritter, daß sie entsetzt auffuhr und in das furchtbare Dunkel starrte. Und neue donnernde Stöße, daß das ganze hohe stolze Gebäude erzitterte und die einsamen Lampen wie feurige Augen durch das Dunkel rollten. Wie hilfloses Schreien gellte das Feilen des gesprengten Türriegels durch den leeren Raum, dessen Wände sich die schaurigen Geräusche wirr und heftig zuwarfen. Gieriger Zorn vieler Menschen hämmerte an der Pforte, und ein Brausen erregter Stimmen dröhnte in die hohle Einsamkeit, als hätte das Meer donnernd alle Dämme zerrissen und stände mit seinen anprallenden Wogen vor den ächzenden Türen des schlafenden Gotteshauses.

Esther horchte verstört, wie aus einem Traume geschreckt. Aber da schmetterte endlich das Tor nieder. Ein dunkler Strom Menschen quoll heftig herein und füllte mit jähem Johlen und Toben die gewaltige Halle. Und mehr, immer mehr. Tausende schienen draußen noch zu warten und sie anzufeuern. Und trunkene Fackeln funkelten plötzlich hoch auf wie gierige Hände, und ihr irrer blutiger Schein fiel auf wilde, von blindem Eifer verzerrte Gesichter, aus denen die Augen heiß quollen wie sündige Begierden. Nun ahnte Esther erst dumpf die Absicht der finsteren Rotten, denen sie unterwegs begegnet war. Und schon knatterten die ersten Axtschläge nieder in das Holz der Kanzel, Bilder sausten zu Boden, Statuen knickten um, Flüche und Hohnworte wirbelten auf aus diesem dunklen Schwall, über dem die Fackeln unruhig tanzten, wie erschreckt von dem wahnwitzigen Gebaren. Wirr ergoß sich die Flut gegen den Hauptaltar, plündernd und vernichtend, schändend und entweihend. Hostien flatterten zu Boden nieder wie weiße Blüten, eine ewige Lampe sauste von wilder Faust geschleudert wie ein Meteor durch das Dunkel. Und immer mehr Gestalten drängten nach, die Fackeln flackerten häufiger und häufiger. Ein Bild fing Feuer und die Flamme leckte hoch auf wie eine züngelnde Schlange. Irgend einer hatte die Orgel gepackt; die irren Töne ihrer zerschmetterten Pfeifen schrieen gell und hilfesuchend durch das Dunkel. Und Gestalten tauchten auf wie aus wirren und wahnsinnigen Träumen. Ein toller Geselle mit einem blutigen Gesicht schmierte sich unter dem tierischen Jubel der andern die Stiefel mit dem heiligen Öle, zerlumpte Schelme stolzierten in reichbestickten Bischofstogen, eine kreischende Dirne trug in ihrem wirren schmutzigen Haar einer Statue goldenen Heiligenreif. Diebe tranken sich Wein zu aus den heiligen Gefäßen, und am großen Altar kämpften zwei mit blinkenden Messern um eine edelsteingeschmückte Monstranze. Dirnen tanzten geile und trunkene Tänze vor den Heiligtümern, Trunkene spieen in die Weihebecken, Zornige zerschmetterten mit ihren blinkenden Äxten, gleichgültig, was es traf, vor sich hin. Das Lärmen schwoll in ein Chaos polternder Laute und kreischender Stimmen; wie ein ekler und dichter Pestdunst qualmte das Toben empor zu den schwarzen Höhen, die finster auf das springende Leuchten der Fackeln herabblickten und unbeweglich, unerreichbar schienen für diesen verzweifelten Menschenhohn.

Esther hatte sich halb ohnmächtig in den Schatten des Altars versteckt. Ihr war, als müsse dies alles geträumt sein und plötzlich verschwinden, wie ein trügerischer Spuk. Aber schon stürmten die ersten Fackeln in die Seitengänge. Gestalten, die in fanatischer Leidenschaft bebten, wie im Rausche, sprangen über die Gitter oder zerhieben sie mit dröhnenden Streichen, stürzten die Statuen und rissen die Bilder von den Schreinen. Dolche blitzten wie feurige Schlangen im zuckenden Fackellicht und zerbissen zornig Schränke und Bilder, die mit zerschmetterten Rahmen zu Boden sausten. Näher und näher taumelte die Schar mit ihren qualmenden, zuckenden Leuchten. Esther blieb atemlos und preßte sich tiefer ins Dunkel. Ihr Herz hörte auf zu schlagen vor Angst und quälender Erwartung. Noch wußte sie nicht recht, die Geschehnisse zu deuten und fühlte nur Furcht, jähe unbändige Furcht. Ein paar Schritte kamen heran. Und ein stämmiger wüster Kerl zerhieb mit einem Schlage das Gitter.

Schon glaubte sie sich entdeckt. Aber erst im nächsten Augenblicke erkannte sie die Absicht der Eingedrungenen, als am Nebenaltare eine Statue der Madonna mit gellem Todesschrei zersplittert zu Boden sank. Die Angst wurde in ihr wach, man wolle auch ihr Bild, ihr Kind vernichten, und sie wurde Gewißheit, als Bild um Bild, im unsichern Fackelschein unter Jubel und Hohn herabgezerrt, zerstoßen und zertreten wurde. Ihr ganzes Denken strömte brausend zusammen in die furchtbare blitzartig aufzuckende Idee, man wolle das Bild ermorden, das in ihren wirren Träumen längst eines war mit ihrem eigenen lebendigen Kinde. In einer Sekunde flammte alles auf wie in blendendes Licht getaucht. Ein Gedanke, der Gedanke all ihrer Tage, tausendfach gedacht in diesem einen Augenblicke, entzündete ihr Herz: Das Kind zu retten, ihr Kind. Und in dieser Sekunde umfingen sich in ihr Traum und Wirklichkeit mit verzweifelter Inbrunst. Schon stürmten die zelotischen Zerstörer auf den Altar zu. Eine Axt flog hoch auf in der Luft – und in diesem Augenblicke verlor sie alles wache Besinnen und sprang schützend mit ausgebreiteten Armen vor das Bild....

Und wie ein Zauber war es. Dumpf schmetterte die Axt aus der kraftlos niedersinkenden Hand zu Boden. Und aus des andern erstarrenden Faust zischte die Fackel verlöschend nieder. Wie ein Blitz fuhr es unter diese berauschten lärmenden Menschen. Alles war verstummt, nur einem erstarb in der Kehle der gurgelnde Ruf: »Die Madonna ... die Madonna.«

Kreidefahl und zitternd standen sie alle. Ein paar fielen betend in die schlotternden Kniee. Keiner war, der nicht ins tiefste erschauert wäre. Überwältigend war die wundersame Täuschung. Denn für sie gab es keinen Zweifel, daß sich hier ein oft beglaubigtes und erzähltes Wunder ereignet hatte, daß die Madonna, die offenbarlich des Bildes Züge trug, ihr Bild beschützt hatte. Ihr aufgepeitschtes Gewissen riß sie mit, als sie die Züge des Mädchens sahen, die ihnen nicht anderes schien als das verlebendigte Bild. Und nie waren sie gläubiger, als in diesem raschen und flüchtigen Augenblick.

Aber da stürmten schon andere herbei. Fackeln erhellten die erstarrte Gruppe und das Mädchen, das sich halberstarrt an den Altar preßte. Lärm überflutete das Schweigen. Rückwärts kreischte eine Dirnenstimme: »Vorwärts ... das ist ja nur das Judenmädel des Wirts.« Und jählings war der Zauber gebrochen. In Scham und Wut stürmten die Gedemütigten hinauf. Eine rauhe Faust stieß Esther zur Seite, daß sie taumelte. Aber sie raffte sich auf; sie kämpfte für das Bild, als gelte es wirklich eigenes blutwarmes Leben. Blindwütend und in altem Trotze schlug sie mit einem schweren silbernen Leuchter gegen die Bilderstürmer; einer stürzte auffluchend hin, aber einer sprang erbittert vor. Ein Dolch zuckte wie ein kurzer roter Blitz und Esther taumelte nieder. Und schon regneten die Splitter und Stücke des Altars auf sie herab, die keinen Schmerz mehr fühlte. Das Bild der Madonna mit dem Kinde und das der Madonna mit dem wunden Herzen, beide fielen sie unter einem einzigen wütenden Axthieb.

Und weiter stürmte das Rasen; von Kirche zu Kirche eilten die Plünderer, die Straßen mit heillosem Lärm erfüllend. Eine furchtbare Nacht sank auf Antwerpen herab. Schrecken und Beben schlich in die Häuser mit der Kunde, hinter den verriegelten Toren schlugen ängstliche Herzen. Aber die Flamme des Aufruhrs flaggte wie eine Fahne über das ganze Land. –

Auch der alte Maler erschauerte in dieser Nacht in unbändiger Angst, als er die Nachricht vom Bildersturm vernahm. Seine Kniee zitterten, und er faßte mit flehenden Händen ein Kruzifix, um die Rettung des Bildes zu beschwören, das ihm doch Gottes offenbare Gnade geschenkt. Eine wilde und finstere Nacht quälte ihn der fürchterliche Gedanke. Und im frühesten Morgengrauen hielt es ihn nicht länger zu Hause.

Vor der Kirche schlug seine letzte Hoffnung nieder, wie eine gefällte Gestalt. Die Tore waren zerbrochen, Fetzen und Splitter, wie blutige Spuren deuteten den mitleidslosen Weg der Bilderstürmer. Mühsam tappte er durch das Dunkel zu seinem Bilde. Seine Hände griffen nach dem Schrein. Aber sie irrten, irrten ins Leere. Und sanken müde herab. Das Vertrauen in seiner Brust, das viele Jahre sein frommes Lied zu Gottes Dank und Gnade gesungen, verflog jäh, wie eine gescheuchte Schwalbe.

Endlich faßte er sich und schlug ein Licht an. Ein flüchtiger Schein zuckte vom Zündsteine auf und hellte ihm einen Anblick, der ihn taumelnd zurückfahren ließ. Auf dem Boden zwischen Trümmern lag des italienischen Meisters traurig-süßes Madonnenbild, die Madonna mit dem blutenden Herzen, vom Schwertstoß durchdrungen. Aber nicht das Bild, sondern die Gestalt, die Madonna selbst.... Kalter Schweiß stand auf seiner Stirne, als das schnelle Aufleuchten wieder erlosch. Er glaubte einen bösen Traum zu leben. Aber als er wiederum das Licht entflammte, erkannte er Esther, die mit tödlicher Wunde hingestreckt war. Und durch ein seltsames Mirakel offenbarte sie, die sein Madonnenbild im Leben verkörpert, des fremden Meisters Madonnenzüge und ihr blutendes Schicksal im Tode.....

Es war dies ein Wunder, ein offenbares Wunder. Aber der alte Mann wollte an keine Wunder mehr glauben. In dieser Stunde, da er sie, seiner letzten Lebenstage mildleuchtende Blüte tot sah, neben seinem zerschmetterten Bilde war die gläubig klingende Saite seiner Seele zerbrochen. Er verleugnete den Gott seiner siebzig Jahre in einer Minute. Konnte dies denn des weisen und milden Gottes Hand sein, die so viel Schöpferseligkeit und werdende Pracht nur schenkte, um sie wieder zwecklos ins Dunkel zu reißen. Dies konnte kein Wille sein, nur das Spiel eines tändelnden Willens! Nur ein Wunder des Lebens und nicht Gottes, ein Zufall, wie Tausende durch den Tag rauschen, sich verschlingend und sich wieder lösend. Nicht mehr! Könnten denn Gott die guten und lauteren Seelen so wenig sein, daß er sie hinwarf im lässigen Spiel? Zum ersten Male stand er in einer Kirche und verzweifelte an Gott, weil er ihn groß und gütig geglaubt hatte und nun seine Wege nicht mehr verstand.

Lange sah er nieder zu der jungen Toten, die so viel frommes Abendlicht über seine letzten Jahre gegossen. Und er ward milder und gerechter, als er die verhaltene Seligkeit um ihre gebrochenen Lippen sah. Demut kam wieder über sein gütiges Herz. Durfte er denn wirklich fragen, wer dies seltsame Wunder vollbracht, daß dieses einsame Judenmädchen für der Madonna Ehre in den Tod gegangen war? Durfte er rechten, ob Gott, ob das Leben dies gefügt? Durfte er die Liebe mit Worten umkleiden, die er nicht wußte, durfte er sich gegen Gott auflehnen, weil er sein Wesen nicht verstand?

Der alte Mann erschauerte. Er fühlte sich sehr arm in dieser einsamen Stunde. Er fühlte, daß er in den langen Jahren einsam geirrt war zwischen Gott und dem Leben, daß er zwiefach hatte begreifen wollen, was einfach und doch undeutbar war. Waren es denn nicht gleiche wundersam wirkende Sterne gewesen über dem tastenden Wege dieser aufknospenden Frauenseele – waren sie denn nicht in ihr und in allem Eines gewesen, Gott und die Liebe?...

Über den Fenstern glühte leise das erste Morgenrot. Aber es erhellte ihn nicht, denn er hatte keine Sehnsucht mehr nach neuen werdenden Tagen, nach dem Leben, das er in so langen Jahren durchschritten, berührt von seinen Wundern und nie doch ganz durchleuchtet. Und ohne Bangen fühlte er sich nun jenem letzten Wunderbaren nahe, das nicht mehr Täuschung und Traum ist, sondern die ewige dunkle Wahrheit.







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refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
https://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org.  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at https://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit https://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including including checks, online payments and credit card
donations.  To donate, please visit: https://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     https://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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