The Project Gutenberg EBook of Ein Kampf um Rom. Erster Band by Felix Dahn This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Ein Kampf um Rom. Erster Band Author: Felix Dahn Release Date: February 16, 2010 [Ebook #31294] Language: German Character set encoding: UTF‐8 ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EIN KAMPF UM ROM. ERSTER BAND*** Ein Kampf um Rom. Historischer Roman von Felix Dahn. _Motto:_ »Wenn etwas ist, gewalt’ger als das Schicksal So ist’s der Mut, der’s unerschüttert trägt« _Geibel._ Erster Band. 48. Auflage. Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel. 1906. Alle Rechte, insbesondere auch das der Übersetzung, vorbehalten. Meinem lieben Freund und Kollegen Ludwig Friedländer zu eigen. INHALT Vorwort. Erstes Buch. Theoderich. Erstes Kapitel. Zweites Kapitel. Drittes Kapitel. Viertes Kapitel. Fünftes Kapitel. Sechstes Kapitel. Siebentes Kapitel. Zweites Buch. Athalarich. Erstes Kapitel. Zweites Kapitel. Drittes Kapitel. Viertes Kapitel. Fünftes Kapitel. Sechstes Kapitel. Siebentes Kapitel. Achtes Kapitel. Neuntes Kapitel. Zehntes Kapitel. Elftes Kapitel. Drittes Buch. Amalaswintha. Erstes Kapitel. Zweites Kapitel. Drittes Kapitel. Viertes Kapitel. Fünftes Kapitel. Sechstes Kapitel. Siebentes Kapitel. Achtes Kapitel. Neuntes Kapitel. Zehntes Kapitel. Elftes Kapitel. Zwölftes Kapitel. Dreizehntes Kapitel. Vierzehntes Kapitel. Fünfzehntes Kapitel. Sechzehntes Kapitel. Siebzehntes Kapitel. Achtzehntes Kapitel. Neunzehntes Kapitel. Zwanzigstes Kapitel. Einundzwanzigstes Kapitel. Zweiundzwanzigstes Kapitel. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Vierundzwanzigstes Kapitel. Fünfundzwanzigstes Kapitel. Viertes Buch. Theodahad. Erstes Kapitel. Zweites Kapitel. Drittes Kapitel. Viertes Kapitel. Fünftes Kapitel. Sechstes Kapitel. Siebentes Kapitel. Achtes Kapitel. Neuntes Kapitel. Zehntes Kapitel. Elftes Kapitel. Zwölftes Kapitel. Dreizehntes Kapitel. Vierzehntes Kapitel. Bemerkungen zur Textgestalt VORWORT. Die wissenschaftlichen Grundlagen dieser in Gestalt eines Romans gekleideten Bilder aus dem sechsten Jahrhundert enthalten meine in folgenden Werken niedergelegten Forschungen: Die Könige der Germanen. II. III. IV. Band. München und Würzburg 1862–1866. Prokopius von Cäsarea. Ein Beitrag zur Historiographie der Völkerwanderung und des sinkenden Römertums. Berlin 1865. Aus diesen Darstellungen mag der Leser die Ergänzungen und Veränderungen, die der Roman an der Wirklichkeit vorgenommen, erkennen. Das Werk ist 1859 in München begonnen, in Italien, zumal Ravenna, weitergeführt, und 1876 in Königsberg abgeschlossen worden. _Königsberg_, Januar 1876. *Felix Dahn.* Erstes Buch. THEODERICH. »_Dietericus de Berne, de quo_ _cantant rustici usque hodie._« Erstes Kapitel. Es war eine schwüle Sommernacht des Jahres fünfhundertsechsundzwanzig nach Christus. Schwer lagerte dichtes Gewölk über der dunkeln Fläche der Adria, deren Küsten und Gewässer zusammenflossen in unterscheidungslosem Dunkel: nur ferne Blitze warfen hier und da ein zuckendes Licht über das schweigende Ravenna. In ungleichen Pausen fegte der Wind durch die Steineichen und Pinien auf dem Höhenzug, welcher sich eine gute Strecke westlich von der Stadt erhebt, einst gekrönt von einem Tempel des Neptun, der, schon damals halb zerfallen, heute bis auf dürftige Spuren verschwunden ist. Es war still auf dieser Waldhöhe: nur ein vom Sturm losgerissenes Felsstück polterte manchmal die steinigen Hänge hinunter, und schlug zuletzt platschend in das sumpfige Wasser der Kanäle und Gräben, die den ganzen Kreis der Seefestung umgürteten. Oder in dem alten Tempel löste sich eine verwitterte Platte von dem getäfelten Dach der Decke und fiel zerspringend auf die Marmorstufen, – Vorboten von dem drohenden Einsturz des ganzen Gebäudes. Aber dies unheimliche Geräusch schien nicht beachtet zu werden von einem Mann, der unbeweglich auf der zweithöchsten Stufe der Tempeltreppe saß, den Rücken an die höchste Stufe gelehnt, und schweigend und unverwandt in Einer Richtung über die Höhe hinab nach der Stadt zu blickte. Lange saß er so: regungslos, aber sehnsüchtig wartend: er achtete es nicht, daß ihm der Wind die schweren Regentropfen, die einzeln zu fallen begannen, ins Gesicht schlug, und ungestüm in dem mächtigen, bis an den ehernen Gurt wallenden Bart wühlte, der fast die ganze breite Brust des alten Mannes mit glänzendem Silberweiß bedeckte. Endlich stand er auf und schritt einige der Marmorstufen nieder: »Sie kommen,« sagte er. Es wurde das Licht einer Fackel sichtbar, die sich rasch von der Stadt her dem Tempel näherte: man hörte schnelle, kräftige Schritte und bald danach stiegen drei Männer die Stufen der Treppe herauf. »Heil, Meister Hildebrand, Hildungs Sohn!« rief der voranschreitende Fackelträger, der jüngste von ihnen, in gotischer Sprache mit auffallend melodischer Stimme, als er die lückenhafte Säulenreihe des Pronaos, der Vorhalle, erreicht. Er hob das Windlicht hoch empor – schöne, korinthische Erzarbeit am Stiel, durchsichtiges Elfenbein bildete den vierseitigen Schirm, und den gewölbten durchbrochnen Deckel – und steckte es in den Erzring, der die geborstne Mittelsäule zusammenhielt. Das weiße Licht fiel auf ein apollinisch schönes Antlitz mit lachenden, hellblauen Augen; mitten auf seiner Stirn teilte sich das lichtblonde Haar in zwei lang fließende Lockenwellen, die rechts und links bis auf seine Schultern wallten; Mund und Nase, fein, fast weich geschnitten, waren von vollendeter Form, ein leichter Anflug goldhellen Bartes deckte die freundlichen Lippen und das leicht gespaltene Kinn; er trug nur weiße Kleider: einen Kriegsmantel von feiner Wolle, durch eine goldne Spange in Greifengestalt auf der rechten Schulter festgehalten, und eine römische Tunika von weicher Seide, beide mit einem Goldstreif durchwirkt; weiße Lederriemen festigten die Sandalen an den Füßen und reichten, kreuzweis geflochten, bis an die Kniee; die nackten, glänzendweißen Arme umzirkten zwei breite Goldreife: und wie er, die Rechte um eine hohe Lanze geschlungen, die ihm zugleich als Stab und als Waffe diente, die Linke in die Hüfte gestemmt, ausruhend von dem Gang, zu seinen langsameren Weggenossen hinunterblickte, schien in den grauen Tempel eine jugendliche Göttergestalt aus seinen schönsten Tagen wieder eingekehrt. Der zweite der Ankömmlinge hatte, trotz einer allgemeinen Familienähnlichkeit, doch einen von dem Fackelträger völlig verschiednen Ausdruck. Er war einige Jahre älter, sein Wuchs war derber und breiter, – tief in den mächtigen Stiernacken hinab reichte das dicht und kurz gelockte braune Haar, – und von fast riesenhafter Höhe und Stärke: in seinem Gesicht fehlte jener sonnige Schimmer, jene vertrauende Freude und Lebenshoffnung, welche die Züge des jüngern Bruders verklärten: statt dessen lag in seiner ganzen Erscheinung der Ausdruck von bärenhafter Kraft und bärenhaftem Mut: er trug eine zottige Wolfsschur, deren Rachen, wie eine Kapuze, sein Haupt umhüllte, ein schlichtes Wollenwams darunter, und auf der rechten Schulter eine kurze, wuchtige Keule aus dem harten Holz einer Eichenwurzel. Bedächtigen Schrittes folgte der dritte, ein mittelgroßer Mann von gemessen verständigem Ausdruck. Er trug den Stahlhelm, das Schwert und den braunen Kriegsmantel des gotischen Fußvolks. Sein schlichtes, hellbraunes Haar war über der Stirn geradlinig abgeschnitten: eine uralte germanische Haartracht, die schon auf römischen Siegessäulen erscheint und sich bei dem deutschen Bauer bis heut’ erhalten hat. Aus den regelmäßigen Zügen des offnen Gesichts, aus dem grauen, sichern Auge sprach besonnene Männlichkeit und nüchterne Ruhe. Als auch er die Cella des Tempels erreicht und den Alten begrüßt hatte, rief der Fackelträger mit lebhafter Stimme: »Nun, Meister Hildebrand, ein schönes Abenteuer muß es sein, zu dem du uns in solch’ unwirtlicher Nacht in diese Wildnis von Natur und Kunst geladen hast! Sprich – was soll’s geben?« Statt der Antwort fragte der Alte, sich zu dem Letztgekommnen wendend: »Wo bleibt der Vierte, den ich lud?« – »Er wollte allein gehen. Er wies uns alle ab. Du kennst ja seine Weise.« »Da kömmt er!« rief der schöne Jüngling, nach einer andern Seite des Hügels deutend. Wirklich nahte dorther ein Mann von höchst eigenartiger Erscheinung. Das volle Licht der Fackel beleuchtete ein geisterhaft bleiches Antlitz, das fast blutleer schien; lange, glänzend schwarze Locken hingen von dem unbedeckten Haupt wie dunkle Schlangen wirr bis auf die Schultern. Hochgeschweifte, schwarze Brauen und lange Wimpern beschatteten die großen, melancholischen dunkeln Augen voll verhaltner Glut, eine Adlernase senkte sich sehr scharfgeschnitten gegen den feinen, glattgeschornen Mund, den ein Zug resignierten Grames umfurchte. Gestalt und Haltung waren so jugendlich: aber die Seele schien vor der Zeit vom Schmerz gereift. Er trug Ringpanzer und Beinschienen von schwarzem Erz und in seiner Rechten blitzte ein Schlachtbeil an langem lanzengleichem Schaft. Nur mit dem Haupte nickend begrüßte er die andern und stellte sich hinter den Alten, der sie nun alle Vier dicht an die Säule, welche die Fackel trug, treten hieß und mit gedämpfter Stimme begann: »Ich habe euch hierher beschieden, weil ernste Worte müssen gesprochen werden, unbelauscht, und zu treuen Männern, die da helfen mögen. Ich sah umher im ganzen Volk, mondenlang: – euch hab’ ich gewählt, ihr seid die Rechten. Wenn ihr mich angehört habt, so fühlt ihr von selbst, daß ihr schweigen müßt von dieser Nacht.« Der dritte, der mit dem Stahlhelm, sah den Alten mit ernsten Augen an: »Rede,« sagte er ruhig, »wir hören und schweigen. Wovon willst du zu uns sprechen?« »Von unsrem Volk, von diesem Reich der Goten, das hart am Abgrund steht.« »Am Abgrund?« rief lebhaft der blonde Jüngling. Sein riesiger Bruder lächelte und erhob aufhorchend das Haupt. »Ja, am Abgrund,« rief der Alte, »und ihr allein, ihr könnt es halten und retten.« »Verzeih’ dir der Himmel deine Worte!« – fiel der Blonde lebhaft ein – »haben wir nicht unsern König Theoderich, den seine Feinde selbst den Großen nennen, den herrlichsten Helden, den weisesten Fürsten der Welt? Haben wir nicht dies lachende Land Italia mit all’ seinen Schätzen? Was gleicht auf Erden dem Reich der Goten?« Der Alte fuhr fort: »Hört mich an. König Theoderich, mein teurer Herre und mein lieber Sohn, was der wert ist, wie groß er ist, – das weiß am besten Hildebrand, Hildungs Sohn. Ich hab’ ihn vor mehr als fünfzig Jahren auf diesen Armen seinem Vater als ein zappelnd Knäblein gebracht und gesagt: »Das ist starke Zucht: – Du wirst Freude dran haben.« Und wie er heranwuchs – ich habe ihm den ersten Bolz geschnitzt und ihm die erste Wunde gewaschen! Ich habe ihn begleitet nach der goldnen Stadt Byzanz und ihn dort gehütet, Leib und Seele. Und als er dieses schöne Land erkämpfte, bin ich vor ihm hergeschritten, Fuß für Fuß, und habe den Schild über ihn gehalten in dreißig Schlachten. Wohl hat er seither gelehrtere Räte und Freunde gefunden als seinen alten Waffenmeister, aber klügere schwerlich und treuere gewiß nicht. Wie stark sein Arm gewesen, wie scharf sein Auge, wie klar sein Kopf, wie schrecklich er war unterm Helm, wie freundlich beim Becher, wie überlegen selbst den Griechlein an Klugheit, das hatte ich hundertmal erfahren, lange ehe dich, du junger Nestfalk, die Sonne beschienen. Aber der alte Adler ist flügellahm geworden! Seine Kriegsjahre lasten auf ihm – denn er und ihr und euer Geschlecht, ihr könnt die Jahre nicht mehr tragen wie ich und meine Spielgenossen –: er liegt krank, rätselhaft krank an Seele und Leib in seinem goldnen Saal dort unten in der Rabenstadt. Die Ärzte sagen, wie stark sein Arm noch sei, jeder Schlag des Herzens mag ihn töten wie der Blitz und auf jeder sinkenden Sonne mag er hinunterfahren zu den Toten. Und wer ist dann sein Erbe, wer stützt dann dieses Reich? Amalaswintha, seine Tochter, und Athalarich, sein Enkel: – ein Weib und ein Kind.« »Die Fürstin ist weise,« sprach der dritte mit dem Helm und dem Schwert. »Ja, sie schreibt griechisch an den Kaiser und redet römisch mit dem frommen Cassiodor. Ich zweifle, ob sie gotisch denkt. Weh’ uns, wenn sie im Sturm das Steuer halten soll.« »Ich sehe aber nirgends Sturm, Alter,« – lachte der Fackelträger und schüttelte die Locken. »Woher soll er blasen? Der Kaiser ist wieder versöhnt, der Bischof von Rom ist vom König selbst eingesetzt, die Frankenfürsten sind seine Neffen, die Italier haben es unter unsrem Schild besser als je zuvor. Ich sehe keine Gefahr, nirgends.« »Kaiser Justinus ist nur ein schwacher Greis,« sprach beistimmend der mit dem Schwert, »ich kenne ihn.« »Aber sein Neffe, bald sein Nachfolger, und jetzt schon sein rechter Arm, – – kennst du auch den? Unergründlich wie die Nacht und falsch wie das Meer ist Justinian: – ich kenne ihn und fürchte was er sinnt. Ich begleitete die letzte Gesandtschaft nach Byzanz: er kam zu unsrem Gelag: er hielt mich für berauscht: – der Narr, er weiß nicht, was Hildungs Kind trinken mag! – und fragte mich um alles, genau um alles, was man wissen muß, um – uns zu verderben. Nun, von mir hat er den rechten Bescheid gekriegt! Aber ich weiß es so gewiß wie meinen Namen: dieser Mann will dies Land, dies Italien wieder haben und nicht die Fußspur eines Goten wird er darin übrig lassen.« »Wenn er kann,« brummte des Blonden Bruder dazwischen. »Recht, Freund Hildebad, wenn er kann. Und er kann viel. Byzanz kann viel.« Jener zuckte die Achseln. »Weißt du’s, wie viel?« fragte der Alte zornig. »Zwölf Jahre lang hat unser großer König mit Byzanz gerungen und hat nicht obgesiegt. Aber damals warst du noch nicht geboren,« fügte er ruhig hinzu. »Wohl!« – kam jenem der Bruder zu Hilfe. – »Aber damals standen die Goten allein im fremden Land. Jetzt haben wir eine ganze zweite Hälfte gewonnen: wir haben eine Heimat, Italien, wir haben Waffenbrüder, die Italier.« »Italien unsre Heimat!« rief der Alte bitter, »ja, das ist der Wahn. Und die Welschen unsre Helfer gegen Byzanz! Du junger Thor!« »Das sind unsres Königs eigne Worte,« entgegnete der Gescholtene. »Ja, ja, ich kenne sie wohl, die Wahnreden, die uns alle verderben werden. Fremd sind wir hier, fremd, heute wie vor vierzig Jahren, da wir von diesen Bergen niederstiegen und fremd werden wir sein in diesem Lande noch nach tausend Jahren. Wir sind hier ewig die Barbaren!« »Jawohl, aber warum bleiben wir Barbaren? Wessen Schuld ist das als die unsre? Weshalb lernen wir nicht von ihnen?« »Schweig still,« schrie der Alte, zuckend vor Grimm »schweig, Totila, mit solchen Gedanken: sie sind der Fluch meines Hauses geworden.« Sich mühsam beruhigend fuhr er fort: »Unsre Todfeinde sind die Welschen, nicht unsre Brüder. Weh, wenn wir ihnen trauen! O daß der König nach meinem Rat gethan und nach seinem Sieg alles erschlagen hätte das Schwert und Schild führen konnte vom lallenden Knäblein bis zum lallenden Greis! Sie werden uns ewig hassen. Und sie haben Recht. Wir aber, wir sind die Thoren, sie zu bewundern.« Eine Pause trat ein: ernst geworden fragte der Jüngling: »Und du hältst keine Freundschaft für möglich zwischen uns und ihnen?« »Kein Friede zwischen den Söhnen des Gaut und dem Südvolk! Ein Mann tritt in die Goldhöhle des Drachen: er drückt das Haupt des Drachen nieder mit eherner Faust: der bittet um sein Leben: der Mann erbarmt sich seiner schillernden Schuppen und weidet sein Auge an den Schätzen der Höhle. Was wird der Giftwurm thun? Hinterrücks, sobald er kann, wird er ihn stechen, daß der Verschoner stirbt.« »Wohlan, so laß sie kommen, die Griechlein,« schrie der riesige Hildebad, »und laß dies Natterngezücht gegen uns aufzüngeln. Wir wollen sie niederschlagen – so!« und er hob die Keule und ließ sie niederfallen, daß die Marmorplatte in Splitter sprang und der alte Tempel in seinen Grundfugen erdröhnte. »Ja, sie sollen’s versuchen!« – rief Totila und aus seinen Augen leuchtete ein kriegerisches Feuer, das ihn noch schöner machte. – »Wenn diese undankbaren Römer uns verraten, wenn die falschen Byzantiner kommen –« er blickte mit liebevollem Stolz auf seinen starken Bruder – »sieh, Alter, wir haben Männer wie die Eichen.« Wohlgefällig nickte der alte Waffenmeister: »Ja, Hildebad ist sehr stark; obwohl nicht ganz so stark wie Winithar und Walamer und die andern waren, die mit mir jung gewesen. Und gegen Nordmänner ist Stärke gut Ding. Aber dieses Südvolk,« fuhr er ingrimmig fort – »kämpft von Türmen und Mauerzinnen herunter. Sie führen den Krieg wie ein Rechenexempel und rechnen dir zuletzt ein Heer von Helden in einen Winkel hinein, daß es sich nicht mehr rühren noch regen kann. Ich kenne einen solchen Rechenmeister in Byzanz, der ist kein Mann und besiegt die Männer. Du kennst ihn auch, Witichis?« – so fragend wandte er sich an den Mann mit dem Schwert. »Ich kenne Narses,« sagte dieser, der sehr ernst geworden, nachdenklich. »Was du gesprochen, Hildungs Sohn, ist leider wahr, sehr wahr. Ähnliches ist mir oft schon durch die Seele gegangen, aber unklar, dunkel, mehr ein Grauen als ein Denken. – Deine Worte sind unwiderleglich: der König am Tod – die Fürstin ein halbgriechisch Weib – Justinian lauernd – die Welschen schlangenfalsch – die Feldherrn von Byzanz Zauberer von Kunst, aber« – hier holte er tief Atem – »wir stehen nicht allein, wir Goten. Unser weiser König hat sich Freunde, Verbündete geschaffen in Überfluß. Der König der Vandalen ist sein Schwestermann, der König der Westgoten sein Enkel, die Könige der Burgunden, der Heruler, der Thüringe, der Franken sind ihm verschwägert, alle Völker ehren ihn wie ihren Vater, die Sarmaten, die fernen Esthen selbst an der Ostsee senden ihm huldigend Pelzwerk und gelben Bernstein. Ist das alles« – – »Nichts ist das alles, Schmeichelworte sind’s und bunte Lappen! Sollen uns die Esthen helfen mit ihrem Bernstein wider Belisar und Narses? Weh uns, wenn wir nicht allein siegen können. Diese Schwäger und Eidame schmeicheln, so lang sie zittern, und wenn sie nicht mehr zittern, werden sie drohen. Ich kenne die Treue der Könige! Wir haben Feinde ringsum, offene und geheime, und keinen Freund als uns selbst.« Ein Schweigen trat ein, in welchem alle die Worte des Alten besorgt erwogen: heulend fuhr der Sturm um die verwitterten Säulen und rüttelte an dem morschen Tempelbau. Da sprach zuerst Witichis, vom Boden aufblickend, sicher und gefaßt: »Groß ist die Gefahr, hoffentlich nicht unabwendbar. Gewiß hast du uns nicht hierher beschieden, daß wir thatlos in die Verzweiflung schauen. Geholfen muß werden: so sprich, wie meinst du, daß zu helfen sei.« Der Alte trat einen Schritt auf ihn zu und faßte seine Hand: »Wacker, Witichis, Waltaris Sohn. Ich kannte dich wohl und will dir’s treu gedenken, daß vor allen du zuerst ein männlich Wort der Zuversicht gefunden. Ja, ich denke wie du: noch ist Hilfe möglich, und um sie zu finden habe ich euch hierher gerufen, wo uns kein Welscher hört. Saget nun an und ratet: dann will ich sprechen.« Da alle schwiegen, wandte er sich zu dem Schwarzgelockten: »Wenn du denkst wie wir, so sprich auch du, Teja. Warum schwiegst du bisher?« »Ich schweige, weil ich anders denke, denn ihr.« Die andern staunten. Hildebrand sprach: »Wie meinst du das, mein Sohn?« »Hildebad und Totila sehen nicht die Gefahr, du und Witichis, ihr sehet sie und hoffet, ich aber sah sie längst und hoffe nicht.« »Du siehst zu schwarz, wer darf verzweifeln vor dem Kampf?« meinte Witichis. »Sollen wir, das Schwert in der Scheide, ohne Kampf, ohne Ruhm untergehen?« rief Totila. »Nicht ohne Kampf, mein Totila, und nicht ohne Ruhm, so weiß ich,« antwortete Teja, leise die Streitaxt zuckend. »Kämpfen wollen wir, daß man es nie vergessen soll in allen Tagen: kämpfen mit höchstem Ruhm, aber ohne Sieg. Der Stern der Goten sinkt.« »Mir deucht, er will erst recht hoch steigen,« rief Totila ungeduldig. »Laßt uns vor den König treten, sprich du, Hildebrand, zu ihm wie du zu uns gesprochen. Er ist weise: er wird Rat finden.« Der Alte schüttelte den Kopf: »Zwanzigmal hab ich zu ihm gesprochen. Er hört mich nicht mehr. Er ist müde und will sterben und seine Seele ist verdunkelt, ich weiß nicht, durch welchen Schatten. – Was denkst du, Hildebad?« »Ich denke,« sprach dieser sich hoch aufrichtend, »sowie der alte Löwe die müden Augen geschlossen, rüsten wir zwei Heere. Das eine führen Witichis und Teja vor Byzanz und brennen es nieder, mit dem andern steigen ich und mein Bruder über die Alpen und zerschlagen Paris, das Drachennest der Merowinger, zu einem Steinhaufen für alle Zukunft. Dann wird Ruhe sein, im Osten und im Norden.« »Wir haben keine Schiffe gegen Byzanz,« sprach Witichis. »Und die Franken sind sieben wider Einen gegen uns,« sagte Hildebrand. »Aber wacker meinst du’s, Hildebad. Sage, was rätst du, Witichis?« »Ich rate einen Bund, mit Schwüren beschwert, mit Geiseln gesichert aller Nordstämme gegen die Griechen.« »Du glaubst an Treue, weil du selber treu. Mein Freund, nur die Goten können den Goten helfen. Man muß sie nur wieder daran erinnern, daß sie Goten sind. Hört mich an. Ihr alle seid jung und liebt allerlei Dinge und habt vielerlei Freuden. Der eine liebt ein Weib, der andre die Waffen, der dritte irgend eine Hoffnung oder auch irgend einen Gram, der ihm ist wie eine Geliebte. – Aber glaubt mir, es kömmt eine Zeit, – und die Not kann sie euch noch in jungen Tagen bringen –, da all diese Freuden und selbst Schmerzen wertlos werden wie welke Kränze vom Gelag von gestern. Da werden denn viele weich und fromm und vergessen des was auf Erden und trachten nach dem was hinter dem Grabe ist. Ich kann’s nicht und ihr, mein’ ich, und viele von uns können’s auch nicht. Die Erde lieb’ ich mit Berg und Wald und Weide und strudelndem Strom und das Leben darauf mit heißem Haß und langer Liebe, mit zähem Zorn und stummem Stolz. Von jenem Luftleben da droben in den Windwolken, wie’s die Christenpriester lehren, weiß ich nichts und will ich nichts wissen. Eins aber bleibt dem Mann, dem rechten, wenn alles andre dahin. Ein Gut, von dem er nimmer läßt. Seht mich an. Ich bin ein entlaubter Stamm, alles hab’ ich verloren was mein Leben erfreute: mein Weib ist tot seit vielen Jahren, meine Söhne sind tot, meine Enkel sind tot: bis auf Einen, der ist schlimmer als tot: – der ist ein Welscher worden. Dahin und lang vermodert sind sie alle, mit denen ich ein kecker Knabe und ein markiger Mann gewesen, und schon steigt meine erste Liebe und mein letzter Stolz, mein großer König, müde in sein Grab. Nun seht, was hält mich noch im Leben? Was giebt mir Mut, Lust, Zwang zu leben? Was treibt mich Alten wie einen Jüngling in dieser Sturmnacht auf die Berge? Was lodert hier unter dem Eisbart heiß in lauter Liebe, in störrigem Stolz und in trotziger Trauer? Was anders als der Drang, der unaustilgbar in unsrem Blute liegt, der tiefe Drang und Zug zu meinem Volk, die Liebe, die lodernde, die allgewaltige, zu dem Geschlechte, das da Goten heißt, und das die süße, heimliche, herrliche Sprache redet meiner Eltern, der Zug zu denen, die da sprechen, fühlen, leben wie ich. Sie bleibt, sie allein, diese Volksliebe, ein Opferfeuer, in dem Herzen, darinnen alle andre Glut erloschen, sie ist das teure, das mit Schmerzen geliebte Heiligtum, das Höchste in jeder Mannesbrust, die stärkste Macht in seiner Seele, treu bis zum Tod und unbezwingbar.« Der Alte hatte sich in Begeisterung geredet – sein Haar flog im Winde – er stand wie ein alter hünenhafter Priester unter den jungen Männern, welche die Fäuste an ihren Waffen ballten. Endlich sprach Teja: »Du hast Recht, diese Flamme lodert noch, wo alles sonst erloschen. Aber sie brennt in dir, – in uns, – vielleicht noch in hundert andern unsrer Brüder. Kann das ein ganzes Volk erretten? Nein! Und kann diese Glut die Masse ergreifen, die Tausende, die Hunderttausende?« »Sie kann es, mein Sohn, sie kann es. Dank allen Göttern, daß sie’s kann. Höre mich an. Es sind jetzt fünfundvierzig Jahre, da waren wir Goten, viele Hunderttausende, mit Weibern und Kindern, in den Schluchten der Hämus-Berge eingeschlossen. Wir lagen in höchster Not. Des Königs Bruder war von den Griechen in treulosem Überfall geschlagen und getötet, und aller Mundvorrat, den er uns zuführen sollte, verloren: wir saßen in den Felsschluchten und litten so bittern Hunger, daß wir Gras und Leder kochten. Hinter uns die unersteiglichen Felsen, vor uns und zur Linken das Meer, rechts in einem Engpaß die Feinde in dreifacher Überzahl. Viele Tausende von uns waren dem Hunger, dem Winter erlegen: zwanzigmal hatten wir vergebens versucht, jenen Paß zu durchbrechen. Wir wollten verzweifeln. Da kam ein Gesandter des Kaisers und bot uns Leben, Freiheit, Wein, Brot, Fleisch, – unter einer einzigen Bedingung: wir sollten getrennt von einander, zu vier und vier, über das ganze Weltreich Roms zerstreut werden, keiner von uns mehr ein gotisch Weib freien, keiner sein Kind mehr unsre Sprache und Sitte lehren dürfen, Name und Wesen der Goten sollte verschwinden, Römer sollten wir werden. Da sprang der König auf, rief uns zusammen und trug’s uns vor in flammender Rede und fragte zuletzt, ob wir lieber aufgeben wollten Sprache, Sitte, Leben unsres Volkes oder lieber mit ihm sterben? Da fuhr sein Wort in die Hunderte, die Tausende, die Hunderttausende wie der Waldbrand in die dürren Stämme, aufschrieen sie, die wackern Männer, wie ein tausendstimmiges, brüllendes Meer, die Schwerter schwangen sie, auf den Engpaß stürzten sie und weggefegt waren die Griechen als hätten sie nie gestanden, und wir waren Sieger und frei.« Sein Auge glänzte in stolzer Erinnerung, nach einer Pause fuhr er fort: »Dies allein ist, was uns heute retten kann wie dazumal: fühlen erst die Goten, daß sie für jenes Höchste fechten, für den Schutz jenes geheimnisvollen Kleinods, das in Sprache und Sitte eines Volkes liegt wie ein Wunderborn, dann können sie lachen zu dem Haß der Griechen, zu der Tücke der Welschen. Und das vor allem wollt’ ich euch fragen, fest und feierlich: fühlt ihr es wie ich so klar, so ganz, so mächtig, daß diese Liebe zu unsrem Volk unser Höchstes ist, unser schönster Schatz, unser stärkster Schild? könnt ihr sprechen wie ich: mein Volk ist mir das Höchste und alles, alles andre dagegen nichts, ihm will ich opfern was ich bin und habe, wollt ihr das, könnt ihr das!« »Ja, das will ich, ja, das kann ich!« sprachen die vier Männer. »Wohl,« fuhr der Alte fort, »das ist gut. Aber Teja hat Recht: nicht alle Goten fühlen das jetzt, heute schon, wie wir und doch müssen es alle fühlen, wenn es helfen soll. Darum gelobet mir, von heut’ an unablässig euch selbst und alle unsres Volkes, mit denen ihr lebt und handelt, zu erfüllen mit dem Hauch dieser Stunde. Vielen, vielen hat der fremde Glanz die Augen geblendet: viele haben griechische Kleider angethan und römische Gedanken: sie schämen sich, Barbaren zu heißen: sie wollen vergessen und vergessen machen, daß sie Goten sind – wehe über die Thoren! Sie haben das Herz aus ihrer Brust gerissen und wollen leben, sie sind wie Blätter, die sich stolz vom Stamme gelöst und der Wind wird kommen und wird sie verwehen in Schlamm und Pfützen, daß sie verfaulen: aber der Stamm wird stehen mitten im Sturm und wird lebendig erhalten, was treu an ihm haftet. Darum sollt ihr euer Volk wecken und mahnen überall und immer. Den Knaben erzählt die Sagen der Väter, von den Hunnenschlachten, von den Römersiegen: den Männern zeigt die drohende Gefahr und wie nur das Volkstum unser Schild: eure Schwestern ermahnt, daß sie keinen Römer umarmen und keinen Römling: eure Bräute, eure Weiber lehrt, daß sie alles, sich selbst und euch opfern dem Glück der guten Goten, auf daß, wenn die Feinde kommen, sie finden ein starkes Volk, stolz, einig, fest, daran sie zerschellen sollen wie die Wogen am Fels. Wollt ihr mir dazu helfen?« »Ja,« sprachen sie, »das wollen wir.« »Ich glaube euch,« fuhr der Alte fort, »glaube eurem bloßen Wort. Nicht um euch fester zu binden, – denn was bände den Falschen? – sondern weil ich treu hange an altem Brauch und weil besser gedeiht, was geschieht nach Sitte der Väter – folget mir.« Zweites Kapitel. Mit diesen Worten nahm er die Fackel von der Säule und schritt quer durch den Innenraum, die Cella des Tempels, vorüber an dem zerfallenen Hauptaltar, vorbei an den Postamenten der lang herabgestürzten Götterbilder nach der Hinterseite des Gebäudes, dem Posticum. Schweigend folgten die Geladenen dem Alten, der sie über die Stufen hinunter ins Freie führte. Nach einigen Schritten standen sie unter einer uralten Steineiche, deren mächtiges Geäst wie ein Dach Sturm und Regen abhielt. Unter diesem Baum bot sich ihnen ein seltsamer Anblick, der aber die gotischen Männer sofort an eine alte Sitte aus dem grauen Heidentum, aus der fernen nordischen Heimat gemahnte. Unter der Eiche war ein Streifen des dichten Rasens aufgeschlitzt, nur einen Fuß breit, aber mehrere Ellen lang, die beiden Enden des Streifens hafteten noch locker am Grunde: in der Mitte war der Rasengürtel auf drei ungleich in die Erde gerammte hohe Speere emporgespreizt, in der Mitte von dem längsten Speer gestützt, so daß die Vorrichtung ein Dreieck bildete, unter dessen Dach zwischen den Speersäulen mehrere Männer bequem stehen konnten. In der so gewonnenen Erdritze stand ein eherner Kessel, mit Wasser gefüllt, daneben lag ein spitzes und scharfes Schlachtmesser, uralt: das Heft vom Horn des Auerstiers, die Klinge von Feuerstein. Der Greis trat nun heran, stieß die Fackel dicht neben dem Kessel in die Erde, stieg dann, mit dem rechten Fuß vorauf, in die Grube, wandte sich gegen Osten und neigte das Haupt: dann winkte er die Freunde zu sich, mit dem Finger am Mund ihnen Schweigen bedeutend. Lautlos traten die Männer in die Rinne und stellten sich, Witichis und Teja zu seiner Linken, die beiden Brüder zu seiner Rechten und alle fünf reichten sich die Hände zu einer feierlichen Kette. Dann ließ der Alte Witichis und Hildebad, die ihm zunächst standen, los und kniete nieder. Zuerst raffte er eine Hand voll der schwarzen Walderde auf und warf sie über die linke Schulter. Dann griff er mit der andern Hand in den Kessel und sprengte das Wasser rechts hinter sich. Darauf blies er in die wehende Nachtluft, die sausend in seinen langen Bart wehte. Endlich schwang er die Fackel von der Rechten zur Linken über sein Haupt. Dann steckte er sie wieder in die Erde und sprach murmelnd vor sich hin: »Höre mich, alte Erde, wallendes Wasser, leichte Luft, flackernde Flamme! Höret mich wohl und bewahret mein Wort: Hier stehen fünf Männer vom Geschlechte des Gaut, Teja und Totila, Hildebad und Hildebrand und Witichis, Waltaris Sohn. Wir stehen hier in stiller Stunde, Zu binden einen Bund von Blutsbrüdern, Für immer und ewig und alle Tage. Wir sollen uns sein wie Sippegesellen In Frieden und Fehde, in Rache und Recht. Ein Hoffen, Ein Hassen, Ein Lieben, Ein Leiden, Wie wir träufen zu Einem Tropfen Unser Blut als Blutsbrüder.« Bei diesen Worten entblößte er den linken Arm, die andern thaten desgleichen, eng aneinander streckten sich die fünf Arme über den Kessel, der Alte hob das scharfe Steinmesser und ritzte mit Einem Schnitt sich und den vier andern die Haut des Vorderarmes, daß das Blut aller in roten Tropfen in den ehernen Kessel floß. Dann nahmen sie wieder die frühere Stellung ein und murmelnd fuhr der Alte fort: »Und wir schwören den schweren Schwur, Zu opfern all unser Eigen, Haus, Hof und Habe, Roß, Rüstung und Rind, Sohn, Sippe und Gesinde, Weib und Waffen und Leib und Leben Dem Glanz und Glück des Geschlechtes von Gaut, Den guten Goten. Und wer von uns sich wollte weigern, Den Eid zu ehren mit allen Opfern« – Hier traten er, und auf seinen Wink auch die andern, aus der Grube und unter dem Rasenstreifen hervor: »Des rotes Blut soll rinnen ungerächet Wie dies Wasser unterm Waldwasen« – Er erhob den Kessel, goß sein blutiges Wasser in die Grube und nahm ihn wie das andre Gerät heraus: »Auf des Haupt sollen des Himmels Hallen Dumpf niederdonnern und ihn erdrücken, Wuchtig so wie dieser Wasen.« Er schlug mit Einem Streich die drei spannenden Lanzenschäfte nieder und dumpf fiel die schwere Rasendecke nieder in die Rinne. Die fünf Männer stellten sich nun mit verschlungenen Händen auf die wieder von Rasen gedeckte Stelle und in rascherem Ton fuhr der Alte fort: »Und wer von uns nicht achtet dieses Eides und dieses Bundes und wer nicht die Blutsbrüder als echte Brüder schützt im Leben und rächt im Tode und wer sich weigert, sein Alles zu opfern dem Volk der Goten, wann die Not es begehrt und ein Bruder ihn mahnt, der soll verfallen sein auf immer den untern, den ewigen, den wüsten Gewalten, die da hausen unter dem grünen Gras des Erdgrundes: gute Menschen sollen mit Füßen schreiten über des Neidings Haupt und sein Name soll ehrlos sein soweit Christenleute Glocken läuten und Heidenleute Opfer schlachten, soweit Mutter Kind koset, und der Wind weht über die weite Welt. Sagt an, ihr Gesellen, soll’s ihm also geschehn, dem niedrigen Neiding?« »So soll ihm geschehen,« sprachen die vier Männer ihm nach. Nach einer ernsten Pause löste Hildebrand die Kette der Hände und sprach: »Und auf daß ihr’s wißt, welche Weihe diese Stätte hat für mich, – jetzt auch für euch, – warum ich euch zu solchem Thun gerade hierher beschieden und zu dieser Nacht – kommt und sehet.« Und also sprechend erhob er die Fackel und schritt voran hinter den mächtigen Stamm der Eiche, vor der sie geschworen. Schweigend folgten die Freunde, bis sie an der Kehrseite des alten Baumes hielten und hier mit Staunen gerade gegenüber der Rasengrube, in welcher sie gestanden, ein breites offenes Grab gähnen sahen, von welchem die deckende Felsplatte hinweggewälzt war: da ruhten in der Tiefe, im Licht der Fackel geisterhaft erglänzend, drei weiße lange Skelette, einzelne verrostete Waffenstücke, Lanzenspitzen, Schildbuckel lagen daneben. Die Männer blickten überrascht bald in die Grube, bald auf den Greis. Dieser leuchtete lange schweigend in die Tiefe. Endlich sagte er ruhig: »Meine drei Söhne. Sie liegen hier über dreißig Jahre. Sie fielen auf diesem Berg, in dem letzten Kampf um die Stadt Ravenna. Sie fielen in Einer Stunde, heute ist der Tag. Sie sprangen jubelnd in die Speere – – für ihr Volk.« Er hielt inne. Mit Rührung sahen die Männer vor sich hin. Endlich richtete sich der Alte hoch auf und sah gen Himmel. »Es ist genug,« sagte er, »die Sterne bleichen. Mitternacht ist längst vorüber. Geht, ihr andern, in die Stadt zurück. Du, Teja, bleibst wohl bei mir: – dir ist ja vor andern, wie des Liedes, der Trauer Gabe gegeben – und hältst mit mir die Ehrenwacht bei diesen Toten.« Teja nickte und setzte sich, ohne ein Wort, zu Füßen des Grabes, wo er stand, nieder. Der Alte reichte Totila die Fackel und lehnte sich Teja gegenüber auf die Felsplatte. Die andern Drei winkten ihm scheidend zu. Und ernst und in schweigende Gedanken versunken stiegen sie hinunter zur Stadt. Drittes Kapitel. Wenige Wochen nach jener nächtlichen Zusammenkunft bei Ravenna fand zu Rom eine Vereinigung statt, ebenfalls heimlich, ebenfalls unter dem Schutze der Nacht, aber von ganz andern Männern zu ganz andern Zwecken. Das geschah an der appischen Straße nahe dem Cömeterium des heiligen Kalixtus in einem halbverschütteten Gang der Katakomben, jener rätselhaften unterirdischen Wege, die unter den Straßen und Plätzen Roms fast eine zweite Stadt bildeten. Es sind diese geheimnisvollen Räume – ursprünglich alte Begräbnisplätze, oft die Zuflucht der jungen Christengemeinde – so vielfach verschlungen und ihre Kreuzungen, Endpunkte, Aus- und Eingänge so schwierig zu finden, daß nur unter ortvertrautester Führung ihre inneren Tiefen betreten werden können. Aber die Männer, deren geheimen Verkehr wir diesmal belauschen, fürchteten keine Gefahr. Sie waren gut geführt. Denn es war Silverius, der katholische Archidiakonus der alten Kirche des heiligen Sebastian, der unmittelbar von der Krypta seiner Basilika aus die Freunde auf steilen Stufen in diesen Zweigarm der Gewölbe geführt hatte: und die römischen Priester standen in dem Rufe, seit den Tagen der ersten Christen Kenntnis jener Labyrinthe fortgepflanzt zu haben. Die Versammelten schienen auch sich hier nicht zum erstenmal einzufinden: die Schauer des Ortes machten wenig Eindruck auf sie. Gleichgültig lehnten sie an den Wänden des unheimlichen Halbrunds, das, von einer bronzenen Hängelampe spärlich beleuchtet, den Schluß des niedrigen Ganges bildete, gleichgültig hörten sie die feuchten Tropfen von der Decke zur Erde fallen und, wenn ihr Fuß hier und da an weiße, halbvermoderte Knochen stieß, schoben sie auch diese gleichgültig auf die Seite. Es waren außer Silverius noch einige andere rechtgläubige Priester und eine Mehrzahl vornehmer Römer aus den Adelsgeschlechtern des westlichen Kaiserreichs anwesend, die seit Jahrhunderten in fast erblichem Besitz der höheren Würden des Staates und der Stadt geblieben. Schweigend und aufmerksam beobachteten sie die Bewegungen des Archidiakons, der sich, nachdem er die Erschienenen gemustert und in einige der einmündenden Gänge, in deren Dunkel man junge Leute in priesterlichen Kleidern Wache halten sah, prüfende Blicke geworfen hatte, jetzt offenbar anschickte, die Versammlung in aller Form zu eröffnen. Noch einmal trat er auf einen hochgewachsenen Mann zu, der ihm gegenüber regungslos an der Mauer lehnte und mit dem er wiederholt Blicke getauscht hatte: und nachdem dieser auf eine fragende Miene schweigend genickt, wandte er sich gegen die übrigen und sprach: »Geliebte im Namen des dreieinigen Gottes! Wieder einmal sind wir hier versammelt zu heiligem Werk. Das Schwert von Edom ist gezückt ob unsrem Haupt und König Pharao lechzt nach dem Blut der Kinder Israel. Wir aber fürchten nicht jene, die den Leib töten und der Seele nichts anhaben können, wir fürchten vielmehr jenen, der da Leib und Seele verderben mag mit ewigem Feuer. Wir vertrauen im Schauer der Nacht auf die Hilfe dessen, der sein Volk durch die Wüste geführt hat, bei Tag in der Rauchwolke, bei Nacht in der Feuerwolke. Und daran wollen wir halten und wollen es nie vergessen: was wir leiden, wir leiden es um Gottes willen, was wir thun, wir thun’s zu seines Namens Ehre. Dank ihm, denn er hat gesegnet unsern Eifer. Klein, wie des Evangeliums, waren unsre Anfänge, aber schon sind wir gewachsen wie ein Baum an frischen Wasserbächen. Mit Furcht und Zagen kamen wir anfangs hier zusammen: groß war die Gefahr, schwach die Hoffnung: edles Blut der Besten war geflossen: – heute, wenn wir fest bleiben im Glauben, dürfen wir es kühnlich sagen: der Thron des Königs Pharao steht auf Füßen von Schilf und die Tage der Ketzer sind gezählt in diesem Lande.« »Zur Sache!« rief ein junger Römer dazwischen, mit kurzkrausem, schwarzem Haar und blitzenden, schwarzen Augen; ungeduldig warf er das Sagum von der linken Hüfte über die rechte Schulter zurück, daß das kurze Schwert sichtbar wurde. »Zur Sache, Priester! was soll heut’ geschehn?« Silverius warf auf den Jüngling einen Blick, der lebhaften Unwillen über solch’ kecke Selbständigkeit nicht ganz mit salbungsvoller Ruhe zu verdecken vermochte. Scharfen Tones fuhr er fort: »Auch die an die Heiligkeit unsres Zweckes nicht zu glauben scheinen, sollten doch den Glauben an diese Heiligkeit bei andern nicht stören, um ihrer eignen weltlichen Ziele willen nicht. Heute aber, Licinius, mein rascher Freund, soll ein neues hochwillkommnes Glied unsrem Bunde eingefügt werden: sein Beitritt ist ein sichtbares Zeichen der Gnade Gottes.« »Wen willst du einführen? Sind die Vorbedingungen erfüllt? Haftest du für ihn? unbedingt? oder stellst du andre Bürgschaft?« so fragte ein andrer der Versammelten, ein Mann in reifen Jahren, mit gleichmäßigen Zügen, der, einen Stab zwischen den Füßen, ruhig auf einem Vorsprung der Mauer saß. – »Ich hafte, mein Scävola; übrigens genügt seine Person –« »Nichts dergleichen. Die Satzung unsres Bundes verlangt Verbürgung und ich bestehe darauf,« sagte Scävola ruhig. – »Nun gut, gut, ich bürge, zähster aller Juristen!« wiederholte der Priester mit Lächeln. Er winkte in einen der Gänge zur Linken. Zwei junge Ostiarii führten von da in die Mitte des Gewölbes einen Mann, auf dessen verhülltes Haupt aller Augen gerichtet waren. Nach einer Pause hob Silverius den Überwurf von Kopf und Schultern des Ankömmlings. »Albinus!« riefen die andern in Überraschung, Entrüstung, Zorn. Der junge Licinius fuhr ans Schwert, Scävola stand langsam auf, wild durcheinander scholl es: »Wie? Albinus? der Verräter?« Scheuen Blickes sah der Gescholtene um sich, seine schlaffen Züge bekundeten angeborne Feigheit: wie Hilfe flehend haftete sein Auge auf dem Priester. »Ja, Albinus!« sagte dieser ruhig. »Will einer der Verbündeten wider ihn sprechen? Er rede.« – »Bei meinem Genius,« rief Licinius rasch vor allen, »braucht es da der Rede? Wir wissen alle, wer Albinus ist, was er ist. Ein feiger, schändlicher Verräter« – der Zorn erstickte seine Stimme. – »Schmähungen sind keine Beweise,« nahm Scävola das Wort. »Aber ich frage ihn selbst, er soll hier vor allen bekennen. Albinus, bist du es, oder bist du es nicht, der, als die Anfänge des Bundes dem Tyrannen verraten waren, als du noch allein von uns allen verklagt warst, es mit ansahst, daß die edeln Männer, Boëthius und Symmachus, unsre Mitverbündeten, weil sie dich mutig vor dem Wüterich verteidigten, verfolgt, gefangen, ihres Vermögens beraubt, hingerichtet wurden, während du, der eigentliche Angeklagte, durch einen schmählichen Eid, dich nie mehr um den Staat kümmern zu wollen und durch urplötzliches Verschwinden dich gerettet hast? Sprich, bist du es, um dessen Feigheit willen die Zierden des Vaterlandes gefallen?« Ein Murren des Unwillens ging durch die Versammlung. Der Angeschuldigte blieb stumm und bebte, selbst Silverius verlor einen Augenblick die Haltung. Da richtete sich jener Mann, der ihm gegenüber an der Felswand lehnte, auf und trat einen Schritt herzu; seine Nähe schien den Priester zu erkräftigen und er begann wieder: »Ihr Freunde, es ist geschehen was ihr sagt, nicht wie ihr’s sagt. Vor allem wisset: Albinus ist an allem am wenigsten schuldig. Was er gethan, er that’s auf meinen Rat.« – »Auf deinen Rat?« – »Das wagst du zu bekennen?« – »Albinus war verklagt durch den Verrat eines Sklaven, der die Geheimschrift in den Briefen nach Byzanz entziffert hatte. Der ganze Argwohn des Tyrannen war geweckt: jeder Schein von Widerstand, von Zusammenhang mußte die Gefahr vermehren. Der Ungestüm von Boëthius und Symmachus, die ihn mutig verteidigten, war edel, aber thöricht. Denn er zeigte den Barbaren die Gesinnung des ganzen Adels von Rom, zeigte, daß Albinus nicht allein stehe. Sie handelten gegen meinen Rat, leider haben sie es im Tode gebüßt. Aber ihr Eifer war auch überflüssig: denn den verräterischen Sklaven raffte plötzlich vor weitern Aussagen die Hand des Herrn hinweg und es war gelungen, die Geheimbriefe des Albinus vor dessen Verhaftung zu vernichten. Jedoch glaubt ihr, Albinus würde auf der Folter, würde unter Todesdrohungen geschwiegen haben, geschwiegen, wenn ihn die Nennung der Mitverschwornen retten konnte? Das glaubt ihr nicht, das glaubte Albinus selbst nicht. Deshalb mußte vor allem Zeit gewonnen, die Folter abgewendet werden. Dies gelang durch jenen Eid. Unterdessen freilich bluteten Boëthius und Symmachus: sie waren nicht zu retten: doch _ihres_ Schweigens, auch unter der Folter, waren wir sicher. Albinus aber ward durch ein Wunder aus seinem Kerker befreit wie Sankt Paulus zu Philippi. Es hieß, er sei nach Athen entflohen und der Tyrann begnügte sich, ihm die Rückkehr zu verbieten. Allein der dreieinige Gott hat ihm hier in seinem Tempel eine Zufluchtstätte bereitet, bis daß die Stunde der Freiheit naht. In der Einsamkeit seines heiligen Asyles nun hat der Herr das Herz des Mannes wunderbar gerührt und, ungeschreckt von der Todesgefahr, die schon einmal seine Locke gestreift hat, tritt er wieder in unsern Kreis und bietet dem Dienste Gottes und des Vaterlands sein ganzes unermeßliches Vermögen. Vernehmt: er hat all sein Gut der Kirche Sanktä Mariä Majoris zu Bundeszwecken vermacht. Wollt ihr ihn und seine Millionen verschmähen?« Eine Pause des Staunens trat ein: endlich rief Licinius: »Priester, du bist klug wie – wie ein Priester. Aber mir gefällt solche Klugheit nicht.« – »Silverius,« sprach der Jurist, »du magst die Millionen nehmen. Das steht dir an. Aber ich war der Freund des Boëthius: mir steht nicht an, mit jenem Feigen Gemeinschaft zu halten. Ich kann ihm nicht vergeben. Hinweg mit ihm!« – »Hinweg mit ihm!« scholl es von allen Seiten. Scävola hatte der Empfindung aller das Wort geliehen. Albinus erblaßte, selbst Silverius zuckte unter dieser allgemeinen Entrüstung. »Cethegus!« flüsterte er leise, Beistand heischend. Da trat der Mann in die Mitte, der bisher immer geschwiegen und nur mit kühler Überlegenheit die Sprechenden gemustert hatte. Er war groß und hager, aber kräftig, von breiter Brust und seine Muskeln von eitel Stahl. Ein Purpursaum an der Toga und zierliche Sandalen verrieten Reichtum, Rang und Geschmack, aber sonst verhüllte ein langer, brauner Soldatenmantel die ganze Unterkleidung der Gestalt. Sein Kopf war von denen, die man, einmal gesehen, nie mehr vergißt. Das dichte, noch glänzend schwarze Haar war nach Römerart kurz und rund um die gewölbte, etwas zu große Stirn und die edel geformten Schläfe geschoren, tief unter den fein geschweiften Brauen waren die schmalen Augen geborgen, in deren unbestimmtem Dunkelgrau ein ganzes Meer versunkener Leidenschaften, aber noch bestimmter der Ausdruck kältester Selbstbeherrschung lag. Um die scharf geschnittenen bartlosen Lippen spielte ein Zug stolzer Verachtung gegen Gott und seine ganze Welt. Wie er vortrat und mit ruhiger Vornehmheit den Blick über die Erregten streifen ließ, wie seine nicht einschmeichelnde, aber beherrschende Redeweise anhob, empfand jeder in der Versammlung den Eindruck bewußter Überlegenheit und wenige Menschen mochten diese Nähe ohne das Gefühl der Unterordnung tragen. »Was hadert ihr,« sagte er kalt, »über Dinge, die geschehen müssen? Wer den Zweck will, muß das Mittel wollen. Ihr wollt nicht vergeben? Immerhin! Daran liegt nichts. Aber vergessen müßt ihr. Und das könnt ihr. Auch ich war ein Freund der Verstorbenen, vielleicht ihr nächster. Und doch – ich will vergessen. Ich thu’ es, eben weil ich ihr Freund war. Der liebt sie, Scävola, der allein, der sie rächt. Um der Rache willen – Albinus, deine Hand.« – Alle schwiegen, bewältigt mehr von der Persönlichkeit als von den Gründen des Redners. Nur der Jurist bemerkte noch: »Rusticiana, des Boëthius Witwe und des Symmachus Tochter, die einflußreiche Frau, ist unsrem Bunde hold. Wird sie das bleiben, wenn dieser eintritt? Kann sie je vergeben und vergessen? Niemals!« »Sie kann es. Glaubt nicht mir, glaubt Euren Augen.« Mit diesen Worten wandte sich rasch Cethegus und schritt in einen der Seitengänge, dessen Mündung bisher sein Rücken verdeckt hatte. – Hart am Eingang stand lauschend eine verschleierte Gestalt: er ergriff ihre Hand: »komm’,« flüsterte er, »jetzt komm’.« – »Ich kann nicht! ich will nicht!« war die leise Antwort der Widerstrebenden. »Ich verfluche ihn. Ich kann ihn nicht sehen, den Elenden!« – »Es muß sein. Komm, du kannst und du willst es: – denn ich will es.« Er schlug ihren Schleier zurück: noch ein Blick und sie folgte wie willenlos. – Sie bogen um die Ecke des Eingangs: »Rusticiana!« riefen alle. – »Ein Weib in unserer Versammlung!« sprach der Jurist. »Das ist gegen die Satzungen, die Gesetze.« »Ja, Scävola, aber die Gesetze sind um des Bundes willen, nicht der Bund um der Gesetze willen. Und geglaubt hättet ihr mir nie, was ihr hier sehet mit Augen.« Er legte die Hand der Witwe in die zitternde Rechte des Albinus. »Seht, Rusticiana verzeiht: wer will jetzt noch widerstreben?« – Überwunden und überwältigt verstummten alle. Für Cethegus schien das weitere jedes Interesse verloren zu haben. Er trat mit der Frau an die Wand im Hintergrund zurück. Der Priester aber sprach: »Albinus ist Glied des Bundes.« – »Und sein Eid, den er dem Tyrannen geschworen?« fragte schüchtern Scävola. – »War erzwungen und ist ihm gelöst von der heiligen Kirche. Aber nun ist es Zeit, zu scheiden. Nur noch die eilendsten Geschäfte, die neuesten Botschaften. Hier, Licinius, der Festungsplan von Neapolis: du mußt ihn bis morgen nachgezeichnet haben, er geht an Belisar. Hier, Scävola, Briefe aus Byzanz, von Theodora, der frommen Gattin Justinians: du mußt sie beantworten. Da, Calpurnius, eine Anweisung auf eine halbe Million Solidi von Albinus: du sendest sie an den fränkischen Majordomus, er wirkt bei seinem König gegen die Goten. Hier, Pomponius, eine Liste der Patrioten in Dalmatien: du kennst die Dinge dort und die Menschen: sieh zu, ob bedeutende Namen fehlen. Euch allen aber sei gesagt, daß, nach heute erhaltenen Briefen von Ravenna, die Hand des Herrn schwer auf dem Tyrannen liegt: tiefe Schwermut, zu späte Reue über all’ seine Sünden soll seine Seele niederdrücken und der Trost der wahren Kirche bleibt ihm fern. Harret aus noch eine kleine Weile: bald wird ihn die zornige Stimme des Richters abrufen: dann kömmt der Tag der Freiheit. An den nächsten Iden, zur selben Stunde, treffen wir uns wieder. Der Segen des Herrn sei mit euch.« Eine Handbewegung des Diakons verabschiedete die Versammelten: die jungen Priester traten mit den Fackeln aus den Seitengängen und geleiteten die Einzelnen in verschiedenen Richtungen nach den nur ihnen bekannten Ausgängen der Katakomben. Viertes Kapitel. Silverius, Cethegus und Rusticiana stiegen miteinander die Stufen hinauf, welche in die Krypta der Basilika des heiligen Sebastian führten. Von da gingen sie durch die Kirche in das unmittelbar darangebaute Haus des Diakonus. Dort angelangt überzeugte sich dieser, daß alle Hausgenossen schliefen bis auf einen alten Sklaven, der im Atrium bei einer halb herabgebrannten Ampel wachte. Auf den Wink seines Herrn zündete er die neben ihm stehende silberfüßige Lampe an und drückte auf eine Fuge im Marmorgetäfel. Die Marmorplatten drehten sich um ihre Achse und ließen den Priester, der die Leuchte ergriffen, mit den beiden andern in ein kleines, niedres Gemach treten, dessen Öffnung sich hinter ihnen rasch und geräuschlos wieder schloß. Keine Ritze verriet nun wieder, daß hier eine Thür. Der kleine Raum, jetzt mit einem hohen Kreuz aus Holz, einem Betschemel und einigen christlichen Symbolen auf Goldgrund einfach ausgestattet, hatte in heidnischen Tagen offenbar, wie die an den Wänden hinlaufenden Polstersimse bezeugten, dem Zweck jener kleinen Gelage von zwei oder drei Gästen gedient, deren zwanglose Gemütlichkeit Horatius feiert. Zur Zeit war hier das Asyl für die geheimsten geistlichen – oder weltlichen – Gedanken des Diakonus. Schweigend setzte sich Cethegus, auf ein gegenüber in die Wand eingelegtes Mosaikgemälde den flüchtigen Blick des verwöhnten Kunstkenners werfend, auf den niederen Lectus. Während der Priester beschäftigt war, aus einem Mischkrug mit hochgeschweiften Henkeln Wein in die bereit stehenden Becher zu gießen und eine eherne Schale mit Früchten auf den dreifüßigen Bronzetisch zu stellen, stand Rusticiana Cethegus gegenüber, ihn mit unwillig staunenden Blicken messend. Kaum vierzig Jahre alt, zeigte das Weib Spuren einer seltenen, etwas männlichen Schönheit, die weniger durch das Alter als durch heftige Leidenschaften gelitten hatte: schon war hier und da nicht graues, sondern weißes Haar in ihre rabenschwarzen Flechten gemischt, das Auge hatte einen unsteten Blick und starke Falten zogen sich gegen die immer bewegten Mundwinkel. Sie stützte die Linke auf den Erztisch und strich mit der Rechten wie nachsinnend über die Stirn, dabei fortwährend Cethegus anstarrend. Endlich sprach sie: »Mensch, sage, sage, Mann, welche Gewalt du über mich hast? Ich liebe dich nicht mehr. Ich sollte dich hassen. Ich hasse dich auch. Und doch muß ich dir folgen willenlos. Wie der Vogel dem Auge der Schlange. Und du legst meine Hand, _diese_ Hand, in die Hand jenes Schurken. Sage, du Frevler, welches ist diese Macht?« Cethegus schwieg unaufmerksam. Endlich sagte er, sich zurücklehnend: »Gewohnheit, Rusticiana, Gewohnheit.« »Jawohl, Gewohnheit! Gewohnheit einer Sklaverei, die besteht, seit ich denken kann. Daß ich als Mädchen den schönen Nachbarssohn bewunderte, war natürlich; daß ich glaubte, du liebtest mich, war verzeihlich: du küßtest mich ja. Und wer konnte – damals! – wissen, daß du nicht lieben kannst. Nichts: kaum dich selbst. Daß die Gattin des Boëthius diese wahnsinnige Liebe nicht erstickte, die du wie spielend wieder anfachtest, war eine Sünde, aber Gott und die Kirche haben sie mir verziehen. Doch, daß ich jetzt noch, nachdem ich jahrzehntelang deine herzlose Tücke kenne, nachdem die Glut der Leidenschaft erloschen in diesen Adern, daß ich jetzt noch blindlings deinem dämonischen Willen folgen muß, – das ist eine Thorheit zum Lautauflachen.« Und sie lachte hell und fuhr mit der Rechten über die Stirn. Der Priester hielt in seiner wirtlichen Beschäftigung inne, und sah verstohlen auf Cethegus; er war gespannt. Cethegus lehnte das Haupt rückwärts an den Marmorsims und umfaßte mit der Rechten den Pokal, der vor ihm stand: »Du bist ungerecht, Rusticiana,« sagte er ruhig. »Und unklar. Du mischest die Spiele des Eros in die Werke der Eris und der Erinnyen. Du weißt es, daß ich der Freund des Boëthius war. Obwohl ich sein Weib küßte. Vielleicht ebendeshalb. Ich sehe darin nichts Besonderes und du: – nun dir haben es ja Silverius und die Heiligen vergeben. Du weißt ferner, daß ich diese Goten hasse, wirklich hasse, daß ich den Willen und – vor andern – die Fähigkeit habe, durchzusetzen, was dich jetzt ganz erfüllt: deinen Vater, den du geliebt, deinen Gatten, den du geehrt hast, an diesen Barbaren zu rächen. Du gehorchst daher meinen Winken. Und du thust daran sehr klug. Denn du hast zwar ein sehr bedeutendes Talent, Ränke zu schmieden. Aber deine Heftigkeit trübt oft deinen Blick. Sie verdirbt deine feinsten Pläne. Also thust du wohl, kühlerer Leitung zu folgen. Das ist alles. – Aber jetzt geh. Deine Sklavin kauert schlaftrunken im Vestibulum. Sie glaubt dich in der Beichte, bei Freund Silverius. Die Beichte darf nicht gar zu lange währen. Auch haben wir noch Geschäfte. Grüße mir Kamilla, dein schönes Kind, und lebe wohl.« Er stand auf, ergriff ihre Hand und führte sie sanft zur Thüre. Sie folgte widerstrebend, nickte dem Priester zum Abschied zu, sah nochmal auf Cethegus, der ihre innere Bewegung nicht zu sehen schien und ging mit leisem Kopfschütteln hinaus. Cethegus setzte sich wieder und trank den Pokal aus. »Sonderbarer Kampf in diesem Weibe,« sagte Silverius und setzte sich mit Griffel, Wachstafeln, Briefen und Dokumenten zu ihm. »Nicht sonderbar. Sie will ihr Unrecht gegen ihren Gatten gut machen, indem sie ihn rächt. Und daß sie diese Rache gerade durch ihren ehemaligen Geliebten findet, macht die heilige Pflicht besonders süß. Freilich ist ihr dies alles unbewußt. – Aber, was giebt’s zu thun?« Und nun begannen die beiden Männer ihre Arbeit, solche Punkte der Verschwörung zu erledigen, die allen Gliedern des Bundes mitzuteilen sie nicht für ratsam hielten. – »Diesmal,« hob der Diakonus an, »gilt es vor allem, das Vermögen des Albinus festzustellen und dessen nächste Verwendung zu beraten. Wir brauchten ganz unabweislich Geld, viel Geld.« – »Geldsachen sind dein Gebiet,« sagte Cethegus trinkend. »Ich verstehe sie wohl, aber sie langweilen mich.« »Ferner müssen die einflußreichsten Männer auf Sicilien, in Neapolis und Apulien gewonnen werden. Hier ist die Liste derselben mit Notizen über die einzelnen. Es sind Menschen darunter, bei denen die gewöhnlichen Mittel nicht verfangen.« »Gieb her,« sagte Cethegus, »_das_ will ich machen« und zerlegte einen persischen Apfel. – – Nach einer Stunde angestrengter Arbeit waren die dringendsten Geschäfte bereinigt und der Hausherr legte die Dokumente wieder in ihr Geheimfach hinter dem großen Kreuz in der Mauer. Der Priester war ermüdet und sah mit Neid auf den Genossen, dessen stählernen Körper und unangreifbaren Geist keine späte Stunde, keine Anspannung ermatten zu können schien. Er äußerte etwas dergleichen, als sich Cethegus den silbernen Becher wieder füllte. »Übung, Freund, starke Nerven und,« setzte er lächelnd hinzu, »ein gutes Gewissen: das ist das ganze Rätsel.« »Nein, im Ernst, Cethegus, du bist mir auch sonst ein Rätsel.« – »Das will ich hoffen.« – »Nun, hältst du dich für ein mir so unerreichbar überlegenes Wesen?« – »Ganz und gar nicht. Aber doch für gerade hinreichend tief, um andern nicht minder ein Rätsel zu sein als – mir selbst. Dein Stolz auf Menschenkenntnis mag sich beruhigen. Es geht mir selbst mit mir nicht besser als dir. Nur die Tropfen sind durchsichtig.« – »In der That,« fuhr der Priester ausholend fort, »der Schlüssel zu deinem Wesen muß sehr tief liegen. Sieh zum Beispiel die Genossen unsres Bundes. Von jedem läßt sich sagen, welcher Grund ihn dazu geführt hat. Der hitzige Jugendmut einen Licinius: der verrannte, aber ehrliche Rechtssinn einen Scävola: mich und die andern Priester – der Eifer für die Ehre Gottes.« »Natürlich,« sagte Cethegus trinkend. »Andere treibt der Ehrgeiz: oder die Hoffnung, bei einem Bürgerkrieg ihren Gläubigern die Hälse abzuschneiden, oder auch die Langeweile über den geordneten Zustand dieses Landes unter den Goten oder eine Beleidigung durch einen der Fremden, die allermeisten der natürliche Widerwille gegen die Barbaren und die Gewöhnung, nur im Kaiser den Herrn Italiens zu sehen. Bei dir aber schlägt keiner dieser Beweggründe an und« – »Und das ist sehr unbequem, nicht wahr? Denn mittels Kenntnis ihrer Beweggründe beherrscht man die Menschen? Ja, ehrwürdiger Gottesfreund, ich kann dir nicht helfen. Ich weiß es wirklich selbst nicht, was mein Beweggrund ist. Ich bin selbst so neugierig darauf, daß ich es dir herzlich gern sagen und mich – beherrschen lassen wollte, wenn ich es nur entdecken könnte. Nur das Eine fühl’ ich: diese Goten sind mir zuwider. Ich hasse diese vollblütigen Gesellen mit ihren breiten Flachsbärten. Unausstehlich ist mir das Glück dieser brutalen Gutmütigkeit, dieser naiven Jugendlichkeit, dieses alberne Heldentum, diese ungebrochnen Naturen. Es ist eine Unverschämtheit des Zufalls, der die Welt regiert, dieses Land, – nach einer solchen Geschichte, – mit Männern wie – wie du und ich – von diesen Nord-Bären beherrschen zu lassen.« Unwillig warf er das Haupt zurück, drückte die Augen zu und schlürfte einen kleinen Trunk Weines. »Daß die Barbaren fort müssen,« sprach der andere, »darüber sind wir einig. Und für mich ist damit alles erreicht. Denn ich will ja nur die Befreiung der Kirche von diesen irrgläubigen Barbaren, welche die Göttlichkeit Christi leugnen und nur einen Halbgott aus ihm machen. Ich hoffe, daß alsdann der römischen Kirche der Primat im ganzen Gebiet der Christenheit, der ihr gebührt, unbestritten zufallen wird. Aber solange Rom in der Hand der Ketzer liegt, während der Bischof von Byzanz von dem allein rechtgläubigen und rechtmäßigen Kaiser gestützt wird« – »Solange ist der Bischof von Rom nicht der oberste Bischof der Christenheit, solange nicht Herr Italiens: und deshalb der römische Stuhl, selbst wenn ein Silverius ihn einnehmen wird, nicht das, was er werden soll: das Höchste. Und das will doch Silverius.« Überrascht sah der Priester auf. »Beunruhige dich nicht, Freund Gottes. Ich weiß das längst und habe dein Geheimnis bewahrt, obwohl du es mir nicht vertraut hast. Allein weiter.« Er schenkte sich aufs neue ein: – »dein Falerner ist gut abgelagert, aber er hat zu viel Süße. – Du kannst eigentlich nur wünschen, daß diese Goten den Thron der Cäsaren räumen, nicht, daß die Byzantiner an ihre Stelle treten: denn sonst hat der Bischof von Rom wieder zu Byzanz seinen Oberbischof und einen Kaiser. Du mußt also an der Goten Stelle wünschen – nicht einen Kaiser – Justinian, – sondern – etwa was?« – »Entweder« – fiel Silverius eifrig ein – »einen eignen Kaiser des Westreichs« – »Der aber,« vollendete Cethegus seinen Satz, »nur eine Puppe ist in der Hand des heiligen Petrus –« – »Oder eine römische Republik, einen Staat der Kirche –« – »In welchem der Bischof von Rom der Herr, Italien das Hauptland und die Barbarenkönige in Gallien, Germanien, Spanien die gehorsamen Söhne der Kirche sind. Schön, mein Freund. Nur müssen erst die Feinde vernichtet sein, deren Spolien du bereits verteilst. Deshalb ein altrömischer Trinkspruch: wehe den Barbaren!« Er stand auf und trank dem Priester zu. »Aber die letzte Nachtwache schleicht vorüber und meine Sklaven müssen mich am Morgen in meinem Schlafgemach finden. Leb wohl.« Damit zog er den Cucullus des Mantels über das Haupt und ging. Der Wirt sah ihm nach: »Ein höchst bedeutendes Werkzeug!« sagte er zu sich. »Gut, daß er nur ein Werkzeug ist. Möge er es immer bleiben.« Cethegus aber schritt von der Via appia her, wo die Kirche des heiligen Sebastian den Eingang in die Katakomben bedeckt, nach Nordwesten dem Kapitole zu, an dessen Fuß am Nordende der Via sacra sein Haus gelegen war, nordöstlich vom Forum Romanum. Die kühle Morgenluft strich belebend um sein Haupt. Er schlug den Mantel zurück und dehnte die breite, starke, gewaltige Brust. »Ja, ein Rätsel bist du,« sprach er vor sich hin; »treibst Verschwörung und nächtlichen Verkehr wie ein Republikaner oder ein Verliebter von zwanzig Jahren. Und warum? – Ei, wer weiß warum er atmet? Weil er muß. Und so muß ich thun was ich thue. Eins aber ist gewiß. Dieser Priester mag Papst werden: er muß es vielleicht werden. Aber Eins darf er nicht. Er darf es nicht lange bleiben. Sonst lebt wohl, ihr Gedanken, ihr kaum eingestandenen, die ihr noch Träume seid und Wolkendünste: vielleicht aber ballt sich daraus ein Gewitter, das Blitz und Donner führt und mein Verhängnis wird. Sieh, es wetterleuchtet im Osten. Gut. Ich nehme das Omen an.« Mit diesen Worten schritt er in sein Haus. Im Schlafgemach fand er auf dem Cederntisch vor seinem Lager einen verschnürten und mit dem königlichen Siegel gepreßten Brief. Er schnitt die Schnüre mit dem Dolch auf, schlug die doppelte Wachstafel auseinander und las: »An Cethegus Cäsarius, den Princeps Senatus, Marcus Aurelius Cassiodorus Senator. Unser Herr und König liegt im Sterben. Seine Tochter und Erbin Amalaswintha wünscht dich noch vor seinem Ende zu sprechen. Du sollst das wichtigste Reichsamt übernehmen. Eile sogleich nach Ravenna.« Fünftes Kapitel. Atembeklemmend lag bange Stimmung schwer und schwül über dem Königspalast zu Ravenna mit seiner düstern Pracht, mit seiner unwirtlichen Weiträumigkeit. Die alte Burg der Cäsaren hatte im Lauf der Jahrhunderte schon so manche stilwidrige Veränderung erfahren. Und seit an die Stelle der Imperatoren der Gotenkönig mit seinem germanischen Hofgesinde getreten war, hatte sie vollends ein wenig harmonisches Aussehen angenommen. Denn viele Räume, die eigentümlichen Sitten des römischen Lebens gedient hatten, standen mit der alten Pracht ihrer Einrichtung unbenutzt und vernachlässigt: Spinnweben zogen sich über die Mosaiken der reichen, aber lang nicht mehr betretenen Badgemächer des Honorius und in dem Toilettenzimmer der Placidia huschten die Eidechsen über das Marmorgesims der Silberspiegel in den Mauern. Dagegen hatten die Bedürfnisse eines mehr kriegerischen Hofhalts manche Mauer niedergerissen, um die kleinen Gemächer des antiken Hauses zu den weiteren Räumen von Waffensälen, Trinkhallen, Wachtzimmern auszudehnen. Und man hatte anderseits durch neue Mauerführungen benachbarte Häuser mit dem Palast verbunden, daraus eine Festung mitten in der Stadt zu schaffen. Es trieben jetzt in der »_piscina maxima_«, dem ausgetrockneten Teich, blonde Buben ihre wilden Spiele und in den Marmorsälen der Palästra wieherten die Rosse der gotischen Wachen. So hatte der weitläufige Bau das unheimliche Ansehen halb einer kaum noch erhaltnen Ruine, halb eines unvollendeten Neubaus: und die Burg dieses Königs erschien so wie ein Sinnbild seines römisch-gotischen Reiches, seiner ganzen politischen halbunfertigen, halbverfallenden Schöpfung. – An dem Tage aber, der Cethegus nach Jahren hier zuerst wieder eintreten sah, lastete ein Gewölk von Spannung, Trauer und Düstre ganz besonders schwer auf diesem Haus: denn seine königliche Seele sollte daraus scheiden. – Der große Mann, der von hier aus ein Menschenalter lang die Geschicke Europas gelenkt, den Abendland und Morgenland in Liebe und Haß bewunderten, der Heros seines Jahrhunderts, der gewaltige Dietrich von Bern, dessen Namen schon bei seinen Lebzeiten die Sage sich ausschmückend bemächtigt hatte, der große Amalungen-König Theoderich sollte sterben. So hatten es die Ärzte, wenn nicht ihm selbst doch seinen Räten verkündet und alsbald war es hinausgedrungen in die große volkreiche Stadt. Obwohl man seit lange einen solchen Ausgang der geheimnisvollen Leiden des greisen Fürsten für möglich gehalten, erfüllte doch jetzt die Kunde von dem drohenden Eintritt des verhängnisvollen Schlages alle Herzen mit der höchsten Aufregung. Die treuen Goten trauerten und bangten: aber auch bei der römischen Bevölkerung war eine dumpfe Spannung die vorherrschende Empfindung. Denn hier in Ravenna, in der unmittelbaren Nähe des Königs hatten die Italier die Milde und Hoheit dieses Mannes im allgemeinen zu bewundern und durch besondere Wohlthaten zu erfahren am häufigsten Gelegenheit gehabt. Ferner fürchtete man nach dem Tode dieses Königs, der während seiner ganzen Regierung, mit einziger Ausnahme der jüngsten Kämpfe mit dem Kaiser und dem Senat, in welchen Boëthius und Symmachus geblutet, die Italier vor der Gewaltthätigkeit und Rauheit seines Volkes beschützt hatte, unter einem neuen Regiment Härte und Druck von Seite der Goten zu befahren. Endlich aber wirkte noch ein Anderes, Höheres: die Persönlichkeit dieses Heldenkönigs war so großartig, so majestätisch gewesen, daß auch diejenigen, die seinen und seines Reiches Untergang oft herbeigewünscht hatten, doch in dem Augenblick, da nun diese Sonne erlöschen sollte, sich niedriger Schadenfreude nicht hingeben und ernsterer Erschütterung nicht erwehren konnten. So war die Stadt schon seit grauendem Morgen – da man zuerst vom Palast Boten nach allen Winden hatte jagen und einzelne Diener in die Häuser der vornehmsten Goten und Römer hatte eilen sehen – in höchster Erregung. In den Straßen, auf den Plätzen, in den Bädern standen die Männer paarweise oder in Gruppen beisammen, fragten und teilten sich mit, was sie wußten, suchten eines Vornehmen habhaft zu werden, der vom Palaste herkam und sprachen über die ernsten Folgen des bevorstehenden Ereignisses. Weiber und Kinder kauerten neugierig auf den Schwellen der Häuser. Mit den wachsenden Stunden des Tages strömte sogar schon die Bevölkerung der nächsten Dörfer und Städte, besonders trauernde Goten, forschend in die Thore Ravennas. Die Räte des Königs, voraus der Präfectus Prätorio Cassiodorus, der sich in diesen Tagen um Aufrechthaltung der Ordnung hohes Verdienst erwarb, hatten solche Aufregung vorausgesehen, vielleicht Schlimmeres erwartet. Seit Mitternacht waren alle Zugänge zum Palast geschlossen und mit gotischen Wachen besetzt. Auf dem Forum des Honorius, vor der Stirnseite des Gebäudes, war ein Zug Reiter aufgestellt. Auf den breiten Marmorstufen, die zu der stolzen Säulenreihe des Hauptportals hinaufführten, waren starke Scharen gotischen Fußvolks, mit Schild und Speer, in malerischen Gruppen gelagert. Nur hier konnte man, nach Cassiodors Befehl, Eintritt in den Palast erlangen und nur die beiden Anführer des Fußvolks, der Römer Cyprian und der Gote Witichis, durften die Erlaubnis dazu erteilen. Ersterer war es, der Cethegus einließ. Wie dieser den altbekannten Weg zum Gemach des Königs verfolgte, fand er in den Hallen und Gängen der Burg die Goten und Italier, denen ihr Rang und Ansehen Zutritt erwarben, in ungleichen Gruppen verteilt. Schweigend und traurig standen in der sonst so lauten Trinkhalle die jungen Tausendführer und Hundertführer der Goten beisammen oder flüsterten einzelne besorgte Fragen, während hier und da ein älterer Mann, ein Waffengefährte des sterbenden Helden, in einer Nische der Bogenfenster lehnte, seinen lauten Schmerz zu verbergen; in der Mitte des Saales stand, laut weinend, das Haupt an einen Pfeiler drückend, ein reicher Kaufmann von Ravenna: der König, der jetzt scheiden sollte, hatte ihm eine Verschwörung verziehen und seine Warenhallen vor der Plünderung durch die ergrimmten Goten gerettet. Mit einem kalten Blick der Geringschätzung schritt Cethegus an dem allen vorüber. Er ging weiter. In dem nächsten Gemach, dem zum Empfang fremder Gesandten bestimmten Saal, fand er eine Anzahl von vornehmen Goten, Herzogen, Grafen und Edeln beisammen, die offenbar Beratung hielten über den Thronwechsel und den drohenden Umschwung aller Verhältnisse. Da waren die tapferen Herzoge Thulun von Provincia, der die Stadt Arles heldenmütig gegen die Franken verteidigt hatte, Ibba von Liguria, der Eroberer von Spanien, Pitza von Dalmatia, der Besieger der Bulgaren und Gepiden, gewaltige, trotzige Herren, stolz auf ihren alten Adel, der dem Königshaus der Amaler wenig nachgab – denn sie waren aus dem Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten durch Alarich die Krone gewonnen hatte –, und auf ihre kriegerischen Verdienste, die das Reich beschirmt und erweitert. Auch Hildebad und Teja standen bei ihnen. Das waren die Führer der Partei, die längst eine härtere Behandlung der Italier, welche sie haßten und scheuten zugleich, begehrt und die nur widerstrebend dem milden Sinn des Königs sich gefügt hatten. Wilde Blicke des Hasses schossen aus ihrer Mitte auf den vornehmen Römer, der da Zeuge der Sterbestunde des großen Gotenhelden sein wollte. Ruhig schritt Cethegus an ihnen vorüber und hob den schweren Wollvorhang auf, der den nächsten Raum abschied, das Vorzimmer des Krankengemaches. Eintretend begrüßte er mit tiefer Verbeugung des Hauptes eine hohe königliche Frau, die, in schwarze Trauerschleier gehüllt, ernst und schweigend, aber in fester Fassung und ohne Thränen vor einem mit Urkunden bedeckten Marmortische stand: das war Amalaswintha, die verwitwete Tochter Theoderichs. Eine Frau in der Mitte der Dreißiger war sie noch von außerordentlicher, wenn auch kalter Schönheit. Sie trug das reiche dunkle Haar nach griechischer Weise gescheitelt und gewellt. Die hohe Stirn, das große, runde Auge, die geradlinige Nase, der Stolz ihrer fast männlichen Züge und die Majestät ihrer vollen Gestalt verliehen ihr gebietende Würde und in dem ganz nach hellenischem Stil gefalteten Trauergewand glich sie in der That einer von ihrem Postament heruntergeschrittenen Hera des Polyklet. An ihrem Arme hing, mehr gestützt als stützend, ein Knabe oder Jüngling von etwa siebzehn Jahren, Athalarich, ihr Sohn, des Gotenreiches Erbe. Er glich nicht der Mutter, sondern hatte die Natur seines unglücklichen Vaters Eutharich, den eine zehrende Krankheit des Herzens in der Blüte seiner Jahre in das Grab gezogen hatte. Mit Sorge sah deshalb Amalaswintha ihren Sohn in allem ein Ebenbild des Vaters werden und es war kaum mehr ein Geheimnis am Hofe von Ravenna, daß alle Spuren jener Krankheit sich schon in dem Knaben zeigten. Athalarich war schön wie alle Glieder dieses von den Göttern stammenden Hauses. Starke schwarze Brauen, lange Wimpern beschatteten ein edles, dunkles Auge, das aber bald wie in unbestimmten Träumen zerfloß, bald in geisterhaftem Glanz aufblitzte. Dunkelbraune wirre Locken hingen in die bleichen Schläfe, in denen bei lebhafter Erregung die feinen blauen Adern krampfhaft zuckten. Der edeln Stirn hatte leiblicher Schmerz oder schwere Entsagung tiefe Furchen eingezeichnet, befremdlich auf diesem jugendlichen Antlitz. Rasch wechselten Marmorblässe und heißes Rot auf den durchsichtigen Wangen. Die hoch aufgeschossene, aber geknickte Gestalt schien meistens wie müde in ihren Fugen zu hangen und schoß nur manchmal mit erschreckender Raschheit in die Höhe. Er sah den eintretenden Cethegus nicht, denn er hatte, an der Mutter Brust gelehnt, den griechischen Mantel klagend um das junge Haupt geschlagen, das bald eine schwere Krone tragen sollte. – Fern von diesen beiden an dem offenen Bogen des Gemaches, der den Blick auf die von den Gotenkriegern besetzten Marmorstufen gewährte, stand, in träumerisches Sinnen verloren, ein Weib – oder war es eine Jungfrau? – von überraschender, blendender, überwältigender Schönheit: das war Mataswintha, Athalarichs Schwester. Sie glich der Mutter an Adel und Höhe der Gestalt, aber ihre schärferen Züge hatten ein feuriges leidenschaftliches Leben, das sich nur wenig unter angenommener Kälte barg. Ihre Gestalt, ein reizvolles Ebenmaß von blühender Fülle und feiner Schlankheit, mahnte an jene bezwungene Artemis in den Armen des Endymion in der Gruppe des Agesander, die, nach der Sage, der Rat von Rhodos hatte aus der Stadt verbannen müssen, weil diese marmorne höchste Einheit schönster Jungfräulichkeit und schönster Sinnlichkeit die Jünglinge des Eilands zu Wahnsinn und Selbstmord getrieben hatte. Der Zauber höchster reifer Mädchenschönheit zitterte über diesem Wesen. Ihr reichwallendes Haar war dunkelrot mit einem schillernden Metallglanz und von so außerordentlicher Wirkung, daß er der Fürstin, selbst bei diesem durch die prächtigen Goldlocken seiner Weiber berühmten Volk, den Namen »Schönhaar« verschafft hatte. Ihre Augenbrauen aber und die langen Wimpern waren glänzend schwarz und hoben die blendend weiße Stirn, die alabasternen Wangen leuchtend hervor. Die fein gebogene Nase mit den zartgeschnittenen manchmal leise zuckenden Flügeln senkte sich auf einen üppig schwellenden Mund. Aber das Auffallendste an dieser auffallenden Schönheit war das graue Auge, nicht so fast durch die ziemlich unbestimmte Farbe, wie durch den wunderbaren Ausdruck, mit dem es, meist in träumerisches Sinnen verloren, manchmal in versengender Leidenschaft aufleuchten konnte. In der That, wie sie da an dem Fenster lehnte, in der halb hellenischen, halb gotischen von ihrer Phantasie erfinderisch zusammengewählten Tracht, den weißen, hochgewölbten Arm um die dunkle Porphyrsäule geschlungen und hinaus träumend in die Abendluft, glich ihre verführerische Schönheit jenen unwiderstehlichen Waldfrauen oder Wellenmädchen, deren allverstrickende Liebesgewalt von jeher die germanische Sage gefeiert hat. Und so groß war die Macht dieser Schönheit, daß selbst die ausgebrannte Brust des Cethegus, der die Fürstin längst kannte, bei seinem Eintritt von neuem Staunen berührt wurde. – Doch wurde er sogleich in Anspruch genommen von dem letzten der im Gemach Anwesenden, von Cassiodor, dem gelehrten und treuen Minister des Königs, dem ersten Vertreter jener wohlwollenden, aber hoffnungslosen Versöhnungspolitik, die seit einem Menschenalter im Gotenreich geübt wurde. Der alte Mann, dessen ehrwürdige und milde Züge der Schmerz um den Verlust seines königlichen Freundes nicht weniger bewegte als die Sorge um die Zukunft des Reiches, stand auf und ging mit schwankenden Schritten dem Eintretenden entgegen, der sich ehrfurchtvoll verneigte. In Thränen schwimmend ruhte das Auge des Greises auf ihm, endlich sank er seufzend an die kalte Brust des Cethegus, der ihn für diese Weichheit verachtete. »Welch ein Tag!« klagte er. – »Ein verhängnisvoller Tag,« sprach Cethegus ernst; »er fordert Kraft und Fassung.« – »Recht sprichst du, Patricius, und wie ein Römer,« – sagte die Fürstin, sich von Athalarich losmachend, – »sei gegrüßt.« Sie reichte ihm die Hand, die nicht bebte, ihr Auge war klar. »Die Schülerin der Stoa bewährt an diesem Tage die Weisheit Zenos und die eigne Kraft,« sprach Cethegus. »Sagt lieber, die Gnade Gottes kräftigt ihre Seele wunderbar,« verbesserte Cassiodor. – »Patricius,« begann Amalaswintha, »der Präfectus Prätorio hat dich mir vorgeschlagen zu einem wichtigen Geschäft. Sein Wort würde genügen, auch wenn ich dich nicht längst schon kennte. Du bist derselbe Cethegus, der die ersten beiden Gesänge der Äneis in griechische Hexameter übertragen hat!« – »_Infandum renovare jubes, regina, dolorem._ Eine Jugendsünde, Königin,« lächelte Cethegus. »Ich habe alle Abschriften aufgekauft und verbrannt an dem Tage, da die Übersetzung Tullias erschien.« Tullia war das Pseudonym Amalaswinthas: Cethegus wußte das: aber die Fürstin hatte von dieser seiner Kenntnis keine Ahnung. Sie war in ihrer schwächsten Stelle geschmeichelt und fuhr fort: »Du weißt, wie es hier steht. Die Atemzüge meines Vaters sind gezählt: nach dem Ausspruch der Ärzte kann er, obwohl noch rüstig und stark, jeden Augenblick tot zusammenbrechen. Athalarich hier ist der Erbe seiner Krone. Ich aber führe an seiner Statt die Regentschaft und über ihn die Mundschaft bis er zu seinen Tagen gekommen.« – »So ist der Wille des Königs, und Goten und Römer haben dieser Weisheit längst schon zugestimmt,« sagte Cethegus. – »So thaten sie. Aber die Menge ist wandelbar. Die rohen Männer verachten die Herrschaft eines Weibes« – und sie zog bei diesem Gedanken die Stirn in zornige Falten. »Es widerstreitet immerhin dem Staatsrecht der Goten wie der Römer,« begütigte Cassiodor, »es ist ganz neu, daß ein Weib –« – »Die undankbaren Rebellen!« murmelte Cethegus, gleichsam für sich. – »Wie man darüber denken mag,« fuhr die Fürstin fort, »es ist so. Gleichwohl baue ich auf die Treue der Barbaren im ganzen, mögen auch einzelne aus dem Adel Gelüste nach der Krone tragen. Auch von den Italiern hier in Ravenna, wie in den meisten Städten, fürchte ich nichts. Aber ich fürchte – Rom und die Römer.« Cethegus horchte hoch auf: sein ganzes Wesen war in plötzlicher Erregung: aber sein Antlitz blieb eisig kalt. »Rom wird sich niemals an die Herrschaft der Goten gewöhnen, es wird uns ewig widerstreben – wie könnte es anders!« setzte sie seufzend hinzu. Es war, als ob die Tochter Theoderichs eine römische Seele hätte. »Wir fürchten deshalb,« – ergänzte Cassiodor, – »daß auf die Kunde von der Erledigung des Throns zu Rom eine Bewegung gegen die Regentin ausbrechen könnte, sei es für Anschluß an Byzanz, sei es für Erhebung eines eignen Kaisers des Abendlandes.« Cethegus schlug, wie nachsinnend, die Augen nieder. – »Darum,« fiel die Fürstin rasch ein, »muß, schon ehe jene Kunde zu Rom eintrifft, alles geschehen sein. Ein entschlossener, mir treu ergebener Mann muß die Besatzung für mich – ich meine für meinen Sohn – vereidigen, die wichtigsten Thore und Plätze besetzen, Senat und Adel einschüchtern, das Volk für mich gewinnen und meine Herrschaft unerschütterlich aufrichten, ehe sie noch bedroht ist. Und für dies Geschäft hat Cassiodor – dich vorgeschlagen. Sprich, willst du es übernehmen?« Bei diesen Worten war der goldne Griffel aus ihrer Hand zur Erde gefallen. Cethegus bückte sich, ihn aufzuheben. Er hatte nur diesen einen Augenblick für die hundert Gedanken, die bei diesem Antrag sich in seinem Kopfe kreuzten. War die Verschwörung in den Katakomben, war vielleicht er selbst verraten? Lag hier eine Schlinge des schlauen und herrschsüchtigen Weibes? Oder waren die Thoren wirklich so blind, gerade ihm dies Amt aufzudringen? Und wenn dem so war, was sollte er thun? Sollte er den Moment benutzen, sogleich loszuschlagen, Rom zu gewinnen? Und für wen? für Byzanz? oder für einen Kaiser im Abendlande? Und wer sollte das werden? Oder waren die Dinge noch nicht reif? Sollte er für diesmal – aus Treulosigkeit – Treue üben? Für all’ diese und manche andere Zweifel und Fragen hatte er, sie zu stellen und zu lösen, nur den einen Moment, da er sich bückte: sein rascher Geist brauchte nicht mehr: er hatte im Bücken das arglos vertrauende Gesicht Cassiodors gesehen und entschlossen sprach er, den Griffel überreichend: »Königin, ich übernehme das Geschäft.« – »Das ist gut,« sagte die Fürstin. Cassiodor drückte seine Hand. – »Wenn Cassiodor,« fuhr Cethegus fort, »mich zu diesem Amte vorgeschlagen, so hat er wieder einmal seine tiefe Menschenkenntnis bewährt. Er hat durch meine Schale auf meinen Kern gesehen.« – »Wie meinst du das?« fragte Amalaswintha. – »Königin, der Schein konnte ihn trügen. Ich gestehe, daß ich die Barbaren – verzeihe! – die Goten nicht gern in Italien herrschen sehe.« – »Dieser Freimut ehrt dich und ich verzeih’ es dem Römer.« – »Dazu kommt, daß ich seit Jahrzehnten dem Staat, dem öffentlichen Leben keine Teilnahme mehr zuwandte. Nach vielen Leidenschaften leb’ ich – ohne alle Leidenschaft – nur einer spielenden Muse und leichten Gelehrsamkeit, unbekümmert um die Sorgen der Könige, auf meinen Villen.« – »_Beatus ille qui procul negotiis_«, citierte seufzend die gelehrte Frau. – »Aber eben weil ich die Wissenschaft verehre, weil ich, ein Schüler Platons, will, daß die Weisen herrschen sollen, deshalb wünsche ich, daß eine Königin mein Vaterland regiere, die nur der Geburt nach Gotin, der Seele nach Griechin, der Tugend nach Römerin ist. Ihr zu Liebe will ich meine Muße den verhaßten Geschäften opfern. Aber nur unter der Bedingung, daß dies mein letztes Staatsamt sei. Ich übernehme deinen Auftrag und stehe dir für Rom mit meinem Kopf.« »Gut, hier findest du die Vollmachten, die Dokumente, deren du bedarfst.« Cethegus durchflog die Urkunden. »Dies ist das Manifest des jungen Königs an die Römer, mit deiner Unterschrift. Seine Unterschrift fehlt noch.« Amalaswintha tauchte die gnidische Rohrfeder in das Gefäß mit Purpurtinte, deren sich die Amaler, wie die römischen Imperatoren bedienten: »Komm, schreibe deinen Namen, mein Sohn.« Athalarich hatte während der ganzen Verhandlung stehend und mit beiden Armen vorgebeugt auf den Tisch gestützt, Cethegus scharf beobachtet. Jetzt richtete er sich auf: er war gewohnt, in seinen Formen die Rechte eines Kronfolgers und eines Kranken zu gebrauchen: »Nein,« sagte er heftig, »ich schreibe nicht. Nicht bloß, weil ich diesem kalten Römer nicht traue, – nein, ich traue dir gar nicht, du stolzer Mann! – es ist empörend, daß ihr, während mein hoher Großvater noch atmet, schon an seiner Krone herumtappt, ihr Zwerge nach der Krone des Riesen. Schämt euch eurer Fühllosigkeit. Hinter jenen Vorhängen stirbt der größte Held des Jahrhunderts – und ihr denkt nur an die Teilung seiner Königsgewänder.« Er wandte ihnen den Rücken und schritt langsam nach dem Fenster zu, wo er den Arm um seine schöne Schwester schlang und ihr schimmervolles glänzendes Haar streichelte. Lange stand er so, sie achtete seiner nicht. Plötzlich fuhr sie auf aus ihrem Sinnen: »Athalarich,« flüsterte sie, hastig seinen Arm fassend und hinausdeutend auf die Marmorstufen, »wer ist der Mann dort? im blauen Stahlhelm, der eben um die Säule biegt? Sprich, wer ist es?« »Laß sehn,« sagte der Jüngling sich vorbeugend, »der dort? ei, das ist Graf Witichis, der Besieger der Gepiden, ein wackrer Held.« Und er erzählte ihr von den Thaten und Erfolgen des Grafen im letzten Kriege. Indessen hatte Cethegus die Fürstin und den Minister fragend angesehen. »Laß ihn!« seufzte Amalaswintha. »Wenn er nicht will, zwingt ihn keine Macht der Erde.« Weiteres Fragen des Cethegus ward abgeschnitten, indem sich der dreifache Vorhang aufthat, der das Schlafgemach des Königs von allem Geräusch des Vorzimmers schied. Es war Elpidios, der griechische Arzt, der, die schweren Falten aufhebend, berichtete, der Kranke, eben aus langem Schlummer erwacht, habe ihn fortgeschickt, um mit dem alten Hildebrand allein zu sein: dieser wich nie von seiner Seite. Sechstes Kapitel. Das Schlafgemach Theoderichs, schon von den Kaisern zu gleichem Zweck benutzt, zeigte die düstre Pracht des späten römischen Stils. Die überladenen Reliefs an den Wänden, die Goldornamentik der Decke schilderte noch Siege und Triumphzüge der römischen Konsuln und Imperatoren: heidnische Götter und Göttinnen schwebten stolz darüber hin: überall in der Architektur und Dekoration waltete drückender Prunk. Dazu bildete einen merkwürdigen Gegensatz das Lager des Gotenkönigs in seiner schlichten Einfachheit. Kaum einen Fuß vom Marmorboden erhob sich das ovale Gestell von rohem Eichenholz, das wenige Decken füllten. Nur der köstliche Purpurteppich, der die Füße verhüllte, und das Löwenfell mit goldnen Tatzen, ein Geschenk des Vandalenkönigs aus Afrika, das vor dem Bette lag, bekundete die Königshoheit des Kranken. Alles Gerät, das sonst das Gemach erfüllt, war prunklos, schlicht, fast barbarisch schwer. An einer Säule im Hintergrund hing der eherne Schild und das breite Schwert des Königs, seit vielen Jahren nicht mehr gebraucht. Am Kopfende des Lagers stand, gebeugten Hauptes, der alte Waffenmeister, die Züge des Kranken sorglich prüfend: dieser, auf den linken Arm gestützt, kehrte ihm das gewaltige, das majestätische Antlitz zu. Sein Haar war spärlich und an den Schläfen abgerieben durch den langjährigen Druck des schweren Helmes, aber noch glänzend hellbraun, ohne irgend graue oder weiße Spuren. Die mächtige Stirn, die blitzenden Augen, die stark gebogene Nase, die tiefen Furchen der Wangen sprachen von großen Aufgaben und von großer Kraft, sie zu lösen und machten den Eindruck des Gesichts königlich und hehr: aber die wohlwollende Weichheit des Mundes bekundete, trotz dem grimmen und leise ergrauenden Bart, jene Milde und friedliche Weisheit, mit welcher der König ein Menschenalter lang für Italien eine goldne Zeit zurückgeführt und sein Reich zu einer Blüte erhoben hatte, die damals schon Sprichwort und Sage feierten. Lang ließ er mit Huld und Liebe das goldbraune Adlerauge auf dem riesigen Krankenwart ruhen. Dann reichte er ihm die magre, aber nervige Rechte. »Alter Freund,« sagte er, »nun wollen wir Abschied nehmen.« Der Greis sank in die Knie und drückte die Hand des Königs an die breite Brust. »Komm, Alter, steh’ auf: muß _ich dich_ trösten?« Aber Hildebrand blieb auf den Knieen und erhob nur das Haupt, daß er dem König ins Auge sehen konnte. »Sieh,« sprach dieser, »ich weiß, daß du, Hildungs Sohn, von deinen Ahnen, von deinem Vater her tiefere Geheimkunde hast von der Menschen Siechtum und Heilung, als alle diese griechischen Ärzte und lydischen Salbenkrämer. Und vor allem: du hast mehr Wahrhaftigkeit. Darum frage ich dich, du sollst mir redlich bestätigen, was ich selbst fühle: sprich, ich muß sterben? heute noch? noch vor Nacht?« Und er sah ihn an mit einem Auge, das nicht zu täuschen war. Aber der Alte wollte gar nicht täuschen, er hatte jetzt seine zähe Kraft wieder. »Ja, Gotenkönig, Amalungen Erbe, du mußt sterben,« sagte er: »die Hand des Todes hat über dein Antlitz gestrichen. Du wirst die Sonne nicht mehr sinken sehen.« »Es ist gut,« sagte Theoderich, ohne mit der Wimper zu zucken. »Siehst du, der Grieche, den ich fortgeschickt, hat mir noch von ganzen Tag vorgelogen. Und ich brauche doch meine Zeit.« »Willst du wieder die Priester rufen lassen?« fragte Hildebrand, nicht mit Liebe. – »Nein, ich konnte sie nicht brauchen. Und ich brauche sie nicht mehr.« – »Der Schlaf hat dich sehr gestärkt und den Schleier von deiner Seele genommen, der sie so lang verdunkelt. Heil dir, Theoderich, Theodemers Sohn, du wirst sterben wie ein Heldenkönig.« »Ich weiß,« lächelte dieser, »die Priester waren dir nicht genehm an diesem Lager. Du hast Recht. Sie konnten mir nicht helfen.« – »Nun aber, wer hat dir geholfen?« »Gott und ich selbst. Höre. Und diese Worte sollen unser Abschied sein! Mein Dank für deine Treue von fünfzig Jahren sei es, daß ich dir allein, nicht meiner Tochter, nicht Cassiodor, es vertraue, was mich gequält hat. Sprich: was sagt man im Volk, was glaubst du, daß jene Schwermut war, die mich plötzlich befallen und in dieses Siechtum gestürzt hat?« – »Die Welschen sagen: Reue über den Tod des Boëthius und Symmachus.« – »Hast du das geglaubt?« – »Nein, ich mochte nicht glauben, daß dich das Blut der Verräter bekümmern kann.« – »Du hast wohlgethan. Sie waren vielleicht nicht des Todes schuldig: nach dem Gesetz, nach ihren Thaten. Und Boëthius habe ich sehr geliebt. Aber sie waren tausendfach Verräter! Verräter in ihren Gedanken, Verräter an meinem Vertrauen, an meinem Herzen. Ich habe sie, die Römer, höher gehalten als die Besten meines Volkes. Und sie haben, zum Dank, meine Krone dem Kaiser gewünscht, dem Byzantiner Schmeichelbriefe geschrieben: sie haben einen Justin und einen Justinian der Freundschaft des Theoderich vorgezogen –: mich reut der Undankbaren nicht. Ich verachte sie. Rate weiter! Du, was hast du geglaubt?« – »König: dein Erbe ist ein Kind und du hast ringsum Feinde.« Der Kranke zog die kühnen Brauen zusammen: »Du triffst näher ans Ziel. Ich habe stets gewußt, was meines Reiches Schwäche. In bangen Nächten hab’ ich geseufzt um seine innere Krankheit, wann ich am Abend beim Gastgelag den fremden Gesandten den Stolz höchster Zuversicht gezeigt hatte. Alter, du hast, ich weiß, mich für allzu sicher gehalten. Aber mich durfte niemand beben sehen. Nicht Freund noch Feind. Sonst bebte mein Thron. Ich habe geseufzt, wann ich einsam war und meine Sorge allein getragen.« – »Du bist die Weisheit, mein König, und ich war ein Thor!« rief der Alte. »Sieh,« fuhr der König fort, – mit der Hand über die des Alten streichend –, »ich weiß alles, was dir nicht recht an mir gewesen. Auch deinen blinden Haß gegen diese Welschen kenne ich. Glaube mir, er ist blind. Wie vielleicht meine Liebe zu ihnen war.« Hier seufzte er und hielt inne. »Was quälst du dich.« – »Nein, laß mich vollenden. Ich weiß es, mein Reich, das Werk meines ruhmvollen, mühevollen Lebens kann fallen, leicht fallen. Und vielleicht durch Schuld meiner Großmut gegen diese Römer. Sei es darum! Kein Menschenbau ist ewig und die Schuld zu edler Güte – ich will sie tragen.« »Mein großer König!« – »Aber, Hildebrand, in einer Nacht, da ich so wachte, sorgte und seufzte über den Gefahren meines Reiches, – da stieg mir vor der Seele auf das Bild einer andern Schuld! Nicht der Güte, nein, der Ruhmsucht, der blutigen Gewalt. Und wehe, wehe mir, wenn das Volk der Goten sollte untergehn zur Strafe für Theoderichs Frevel! – _Sein_, _sein_ Bild tauchte mir empor!« Der Kranke sprach nun mit Anstrengung und zuckte einen Augenblick. »Wessen Bild? Wen meinst du?« fragte der Alte leise, sich vorbeugend. »Odovakar!« flüsterte der König. Hildebrand senkte das Haupt. Ein banges Schweigen unterbrach endlich Theoderich: »Ja, Alter, diese Rechte, – du weißt es, – hat den gewaltigen Helden durchstoßen, beim Mahl, meinen Gast. Heiß spritzte sein Blut mir ins Gesicht und ein Haß ohne Ende sprühte auf mich aus seinem brechenden Auge. Vor wenigen Monden, in jener Nacht, stieg sein blutiges, bleiches, zürnendes Bild wie eines Rachegottes vor mir auf. Fiebernd zuckte mein Herz zusammen. Und furchtbar sprach’s in mir: um dieser Blutthat willen wird dein Reich zerfallen und dein Volk vergehn.« Nach einer neuen Pause begann diesmal Hildebrand, trotzig aufblickend: »König, was quälst du dich wie ein Weib? Hast du nicht Hunderte erschlagen mit eigner Hand und dein Volk Tausende auf dein Gebot? Sind wir nicht von den Bergen in dies Land herabgestiegen in mehr als dreißig Schlachten, im Blute watend knöcheltief? Was ist dagegen das Blut des einen Mannes! Und denk’: wie es stand. Vier Jahre hatte er dir widerstanden wie der Auerstier dem Bären. Zweimal hatte er dich und dein Volk hart an den Rand des Verderbens gedrängt. Hunger, Schwert und Seuche rafften deine Goten dahin. Endlich, endlich fiel das trotzige Ravenna; ausgehungert, durch Vertrag. Bezwungen lag der Todfeind dir zu Füßen. Da kömmt dir Warnung, er sinnt Verrat, er will noch einmal den gräßlichen Kampf aufnehmen, er will zur Nacht desselben Tages dich und die Deinen überfallen. Was solltest du thun? Ihn offen zu Rede stellen? War er schuldig, so konnte das nicht retten. Kühn kamst du ihm zuvor und thatest ihm Abends, was er dir Nachts gethan hätte. Und wie hast du deinen Sieg benützt! Die Eine That hat all’ dein Volk gerettet, hat einen neuen Kampf der Verzweiflung erspart. Du hast all’ die Seinen begnadigt, hast Goten und Welsche dreißig Jahre leben lassen wie im Himmelreich. Und nun willst du um jene That dich quälen? Zwei Völker danken sie dir in Ewigkeit. Ich – ich hätt’ ihn siebenmal erschlagen.« Der Alte hielt inne, sein Auge blitzte, er sah wie ein zorniger Riese. Aber der König schüttelte das Haupt. »Das ist nichts, alter Recke, alles nichts! Hundertmal hab ich mir dasselbe gesagt, und verlockender, feiner als deine Wildheit es vermag. Das hilft all’ nichts. Er war ein Held, – der einzige meinesgleichen! – Und ich hab ihn ermordet, ohne Beweis seiner Schuld. Aus Argwohn, aus Eifersucht, ja – es muß gesagt sein, aus Furcht, – aus Furcht, noch einmal mit ihm ringen zu sollen. Das war und ist und bleibt ein Frevel. – Und ich fand keine Ruhe hinter Ausreden. Düstre Schwermut fiel auf mich. Seine Gestalt verfolgte mich seit jener Nacht unaufhörlich. Beim Schmaus und im Rat, auf der Jagd, in der Kirche, im Wachen und im Schlafen. Da schickte mir Cassiodor die Bischöfe, die Priester. Sie konnten mir nicht helfen. Sie hörten meine Beichte, sahen meine Reue, meinen Glauben, und vergaben mir alle Sünden. Aber Friede kam nicht über mich und ob _sie_ mir verziehen, – _ich_ konnte mir nicht verzeihen. Ich weiß nicht, ist es der alte Sinn meiner heidnischen Ahnen: – aber ich kann mich nicht hinter dem Kreuz verstecken vor dem Schatten des Ermordeten. Ich kann mich nicht gelöst glauben von meiner blutigen That durch das Blut eines unschuldigen Gottes, der am Kreuze gestorben.« – – Freude leuchtete über das Antlitz Hildebrands: »Du weißt,« raunte er ihm zu, »ich habe niemals diesen Kreuzpriestern glauben können. Sprich, o sprich, glaubst auch du noch an Thor und Odhin? Haben sie dir geholfen?« Der König schüttelte lächelnd das Haupt: »Nein, du alter, unverbesserlicher Heide. Dein Walhall ist nichts für mich. Höre, wie mir geholfen ward. Ich schickte gestern die Bischöfe fort und kehrte tief in mich selber ein. Und dachte und flehte und rang zu Gott. Und ich ward ruhiger. Und sieh, in der Nacht kam über mich tiefer Schlummer, wie ich ihn seit langen Monden nicht mehr gekannt. Und als ich erwachte, da schauerte kein Fieber der Qual mehr in meinen Gliedern. Ruhig war ich und klar. Und dachte dieses: »Ich habe es gethan und keine Gnade, kein Wunder Gottes macht es ungeschehen. Wohlan, er strafe mich. Und wenn er der zornige Gott des Moses, so räche er sich und strafe mit mir mein ganzes Haus bis ins siebente Glied. Ich weihe mich und mein Geschlecht der Rache des Herrn. Er mag _uns_ verderben: er ist gerecht. Aber weil er gerecht ist, _kann_ er nicht strafen dieses edle Volk der Goten um fremde Schuld. Er _kann_ es nicht verderben um des Frevels seines Königs willen. Nein, das wird er nicht. Und muß dies Volk einst untergehen, – ich fühl’ es klar, dann ist es nicht um meine That. Für diese weih’ ich mich und mein Haus der Rache des Herrn. Und so kam Friede über mich und mutig mag ich sterben.« Er schwieg. Hildebrand aber neigte das Haupt und küßte die Rechte, welche Odovakar erschlagen hatte. – »Das war mein Abschied an dich. Und mein Vermächtnis, mein Dank für ein ganzes Leben der Treue. – Jetzt laß uns den Rest der Zeit noch diesem Volk der Goten zuwenden. Komm, hilf mir aufstehen, ich kann nicht in den Kissen sterben. Dort hangen meine Waffen. Gieb sie mir! – Keine Widerrede –! Ich will. Und ich kann.« Hildebrand mußte gehorchen: rüstig erhob sich mit seiner Hilfe der Kranke von dem Lager, schlug einen weiten Purpurmantel um die Schultern, gürtete sich mit dem Schwert, setzte den niedern Helm mit der Zackenkrone auf das Haupt und stützte sich auf den Schaft der schweren Lanze, den Rücken gegen die breite dorische Mittelsäule des Gemaches gelehnt. »So, jetzt rufe meine Tochter. Und Cassiodor. Und wer sonst da draußen.« Siebentes Kapitel. So stand er ruhig, während der Alte die Vorhänge an der Thür zu beiden Seiten zurückschlug, so daß Schlafzimmer und Vorhalle nunmehr Einen ungeschiedenen Raum bildeten. Alle draußen Versammelten – es hatten sich inzwischen noch mehrere Römer und Goten eingefunden – näherten sich mit Staunen und ehrfürchtigem Schweigen dem König. »Meine Tochter,« sprach dieser, »sind die Briefe aufgesetzt, die meinen Tod und meines Enkels Thronfolge nach Byzanz berichten sollen?« »Hier sind sie,« sprach Amalaswintha. Der König durchflog die Papyrusrollen. »An Kaiser Justinus. Ein zweiter: an seinen Neffen Justinianus. Freilich, der wird bald das Diadem tragen und ist schon jetzt der Herr seines Herrn! Cassiodor hat sie verfaßt – ich sehe es an den schönen Gleichnissen. Aber halt« – und die hohe klare Stirn verdüsterte sich – »eurem kaiserlichen Schutze meine Jugend empfehlend.« Schutze? Das ist des Guten zu viel. Wehe, wenn ihr auf Schutz von Byzanz gewiesen seid. _Freundschaft_ mich empfehlend ist genug von dem Enkel Theoderichs.« Und er gab die Briefe zurück. »Und hier ein drittes Schreiben nach Byzanz? An wen? An Theodora, die edle Gattin Justinians? Wie! an die Tänzerin vom Cirkus? Des Löwenwärters schamlose Tochter?« Und sein Auge funkelte. »Sie ist von größtem Einfluß auf ihren Gemahl,« wandte Cassiodor ein. – »Nein, meine Tochter schreibt an keine Dirne, die aller Weiber Ehre besudelt hat.« Und er zerriß die Papyrusrolle und schritt über die Stücke zu den Goten im Mittelgrund der Halle. »Witichis, tapferer Mann, was wird dein Amt sein nach meinem Tod?« »Ich werde unser Fußvolk mustern zu Tridentum.« »Kein Bessrer könnte das. Du hast noch immer nicht den Wunsch gethan, den ich dir damals freigestellt nach der Gepidenschlacht. Hast du noch immer nichts zu wünschen?« »Doch, mein König.« »Endlich! Das freut mich, – sprich.« – »Heute soll ein armer Kerkerwart, weil er sich weigerte, einen Angeklagten zu foltern und nach dem Liktor schlug, selbst gefoltert werden. Herr König, gieb den Mann frei: das Foltern ist schändlich und –« »Der Kerkerwart ist frei und von Stund an wird die Folter nicht mehr gebraucht im Reich der Goten. Sorg dafür, Cassiodorus. Wackrer Witichis, gieb mir die Hand. Auf daß alle wissen, wie ich dich ehre, schenk ich dir Wallada, mein lichtbraun Edelroß, zu Gedächtnis dieser Scheidestunde. Und kommst du je auf seinen Rücken in Gefahr, oder« – hier sprach er ganz leise zu ihm – »will es versagen, flüstre dem Roß meinen Namen ins Ohr. – Wer wird Neapolis hüten? Der Herzog Thulun war zu rauh. – Das fröhliche Volk dort muß durch fröhliche Mienen gewonnen werden.« »Der junge Totila wird dort die Hafenwache übernehmen,« sprach Cassiodor. »Totila! Ein sonniger Knabe! Ein Siegfried, ein Götterliebling! Ihm können die Herzen nicht widerstehen. Aber freilich! Die Herzen dieser Welschen!« Er seufzte und fuhr fort: Wer versichert uns Roms und des Senats?« »Cethegus Cäsarius,« sagte Cassiodor mit einer Handbewegung, »dieser edle Römer.« – »Cethegus? Ich kenne ihn wohl. Sieh mich an, Cethegus.« Ungern erhob der Angeredete die Augen, die er vor dem großen Blick des Königs rasch niedergeschlagen. Doch hielt er jetzt das Adlerauge, das seine Seele durchdrang, ruhig aus, mit dem Aufgebot aller Kraft. »Es war krank, Cethegus, daß ein Mann von deiner Art sich solang vom Staat fern gehalten. Und von uns. Oder es war gefährlich. Vielleicht ist es noch gefährlicher, daß du dich – jetzt – dem Staat zuwendest.« – »Nicht mein Wunsch, o König.« »Ich bürge für ihn,« rief Cassiodor. – »Still, Freund! Auf Erden mag keiner für den andern bürgen! – Kaum für sich selbst! – Aber,« fuhr er forschenden Blickes fort, »an die Griechlein wird dieser stolze Kopf – dieser Cäsarkopf – Italien nicht verraten.« Noch einen scharfen Blick aus den goldnen Adleraugen mußte Cethegus tragen. Dann ergriff der König plötzlich den Arm des nur mit Mühe noch fest in sich geschlossenen Mannes und flüsterte ihm zu: »Höre, was ich dir warnend weissage. Es wird kein Römer mehr gedeihen auf dem Thron des Abendlands. Still, kein Widerwort. Ich habe dich gewarnt. – – Was lärmt da draußen?« fragte er, rasch sich wendend, seine Tochter, die einem meldenden Römer leisen Bescheid erteilte. »Nichts, mein König, nichts von Bedeutung, mein Vater!« – »Wie? Geheimnisse vor mir? Bei meiner Krone! Wollt ihr schon herrschen, so lang ich noch atme? Ich vernahm den Laut fremder Zungen da draußen. Auf die Thüren!« Die Pforte, welche die äußere Halle mit dem Vorzimmer verband, öffnete sich. Da zeigten sich unter zahlreichen Goten und Römern kleine fremd aussehende Gestalten, in seltsamer Tracht, mit Wämsern aus Wolfsfell, mit spitz zulaufenden Mützen und langen zottigen Schafspelzen, die über ihren Rücken hingen. Überrascht und bewältigt von dem plötzlichen Anblick des Königs, der hochaufgerichtet auf sie zuschritt, sanken die Fremden wie vom Blitz getroffen auf die Kniee. »Ah, Gesandte der Avaren. Das räuberische Grenzgesindel an unsern Ostmarken! Habt ihr den schuldigen Jahrestribut?« – »Herr, wir bringen ihn noch für diesmal – Pelzwerk, – wollne Teppiche, – Schwerter, – Schilde. – Da hangen sie, – dort liegen sie. Aber wir hoffen, daß für nächstes Jahr – wir wollten sehn« – »Ihr wolltet sehen, ob der greise Dieterich von Bern nicht altersschwach geworden? Ihr hofftet, ich sei tot? Und meinem Nachfolger könntet ihr die Schatzung weigern? Ihr irrt, Späher!« Und er ergriff wie prüfend eines der Schwerter, welche die Gesandten vor ihm ausgebreitet, samt der Scheide, nahm es mit zwei Händen fest an Griff und Spitze: – ein Druck und in zwei Stücken warf er ihnen das Eisen vor die Füße. »Schlechte Schwerter führen die Avaren,« sagte er ruhig. »Und nun komm, Athalarich, meines Reiches Erbe. Sie wollen dir nicht glauben, daß du meine Krone tragen kannst: zeig ihnen, wie du meinen Speer führest.« Der Jüngling flog herbei. Die Gluthitze des Ehrgeizes zuckte über sein bleiches Antlitz. Er ergriff den schweren Speer seines Großvaters und schleuderte ihn mit solcher Kraft auf einen der Schilde, welche die Gesandten an die Holzpfeiler der Halle gelehnt, daß er ihn sausend durchbohrte und die Spitze noch tief in das Holzwerk drang. Stolz legte der König die Linke auf das Haupt seines Enkels und rief den Gesandten zu: »Jetzt geht, daheim zu melden was ihr hier gesehen.« Er wandte sich, die Pforten fielen zu und schlossen die staunenden Avaren aus. »Gebt mir einen Becher Wein. – Leicht den letzten! Nein, ungemischten! Nach Germanen Art!« – und er wies den griechischen Arzt zurück – »Dank, alter Hildebrand, für diesen Trunk, so treu gereicht. Ich trinke der Goten Heil.« Er leerte langsam den Pokal. Und er setzte ihn noch fest auf den Marmortisch. Aber da kam es über ihn, plötzlich, blitzähnlich, was die Ärzte lang erwartet: er wankte, griff an die Brust und stürzte rücklings in die Arme Hildebrands, der langsam niederknieend ihn auf den Marmorestrich gleiten ließ, und das Haupt mit dem Kronhelm auf den Armen hielt. Einen Augenblick hielten alle lauschend den Atem an: aber der König regte sich nicht und laut aufschreiend warf sich Athalarich über die Leiche. Zweites Buch. ATHALARICH. »Wo wär’ die sel’ge Insel wohl zu finden?« Schiller, Wilhelm Tell. III. Aufzug. 2. Scene. Erstes Kapitel. Nicht ohne Grund fürchtete und hoffte Freund und Feind in diesem Augenblick schwere Gefahren für das junge Gotenreich. Noch waren es nicht vierzig Jahre, daß Theoderich im Auftrag des Kaisers von Byzanz mit seinem Volk den Isonzo überschritten und dem tapfern Abenteurer Odovakar, den ein Aufstand der germanischen Söldner auf den Thron des Abendlands erhoben, Krone und Leben entrissen hatte. Alle Weisheit und Größe des Königs hatte nicht die Unsicherheit beseitigen können, die in der Natur seiner mehr kühnen als besonnenen Schöpfung lag. Trotz der Milde seiner Regierung fühlten die Italier – und wir wollen uns hüten, solche Gesinnung zu verdammen – aufs tiefste die Schmach der Fremdherrschaft. Und diese Fremden waren als Barbaren und Ketzer doppelt verhaßt. Nach der Auffassung jener Zeit galten das weströmische und das oströmische Reich als eine unteilbare Einheit und, nachdem die Kaiserwürde im Occident erloschen, erschien der oströmische Kaiser als der einzige rechtmäßige Herr des Abendlands. Nach Byzanz also waren die Augen aller römischen Patrioten, aller rechtgläubigen Katholiken von Italien gerichtet: von Byzanz erhofften sie Befreiung aus dem Joche der Ketzer, der Barbaren, Tyrannen. Und Byzanz hatte Macht und Neigung, diese Hoffnung zu erfüllen. Waren auch die Unterthanen des Imperators nicht mehr die Römer Cäsars oder Trajans: – noch gebot das Ostreich über eine sehr ansehnliche, den Goten durch alle Mittel der Bildung und eines lang bestehenden Staatswesens unendlich überlegene Macht. An der Lust aber, diese Überlegenheit zur Vernichtung des Barbarenreiches zu gebrauchen, konnte es nicht fehlen, da das Verhältnis beider Staaten von vornherein auf Überlistung, Mißtrauen und geheimen Haß gegründet war. Vor ihrem Abzug nach Italien hatte die Goten, in den Donauländern angesiedelt, an Byzanz ein für beide Teile unerfreuliches Bundesverhältnis geknüpft, das in Folge des Ehrgeizes ihrer Könige, mehr noch der Treulosigkeit der Kaiser, fast alle paar Jahre in offnen Krieg zwischen den ungleichartigen Verbündeten umschlug: wiederholt hatte Theoderich, obwohl in Zeiten der Aussöhnung mit den höchsten Ehren des Reiches, mit den Titeln Konsul, Patricius, Adoptivsohn des Kaisers ausgezeichnet, seine Waffen bis vor die Thore der Kaiserstadt getragen. Um diesen steten Reibungen ein Ende zu machen, hatte Kaiser Zeno, ein feiner Diplomat, das echt byzantinische Auskunftsmittel getroffen, den lästigen Gotenkönig mit seinem Volk dadurch aus der gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen, daß er ihm als ein Danaërgeschenk Italien übertrug, das erst dem eisernen Arm des Helden Odovakar entrissen werden mußte. In der That, wie immer der Kampf zwischen den beiden deutschen Fürsten enden mochte: Byzanz mußte immer gewinnen. Siegte Odovakar, so waren die Goten und ihr furchtbarer König, denen man schöne Provinzen und schwere Jahrgelder hatte überlassen müssen, für immer beseitigt. Siegte Theoderich, nun, so war ein Anmaßer, den man zu Byzanz niemals anerkannt hatte, gestürzt und gestraft: und da Theoderich im Namen und Auftrag des Kaisers siegen und als Statthalter herrschen sollte, durch eine ruhmvolle Eroberung das Abendland wieder mit dem Ostreich vereinigt. Aber der Ausgang des feinen Planes war doch nicht der erwünschte. Denn als Theoderich gesiegt und sein Reich in Italien gegründet hatte, entfaltete sich alsbald die ganze Großartigkeit seines Geistes und erwarb ihm eine Stellung, in der, bei aller Höflichkeit in den Formen, doch jede Abhängigkeit von Byzanz völlig verschwand. Nur wo es ihm diente, so, um die Abneigung der Italier zu schwächen, berief er sich formell auf jenen Auftrag des Kaisers: in Wahrheit aber herrschte er auch über die Italier wie über seine Goten nicht als Statthalter und im Namen des Byzantiners, sondern kraft eignen Rechts, kraft seines Sieges, als »König der Goten und Italier«. Dies führte natürlich zu Mißhelligkeiten mit dem Kaiser, die wiederholt in offnen Krieg zwischen den beiden Reichen aufloderten. Es war also kein Zweifel, daß man zu Byzanz sehr bereit war, dem Seufzen Italiens nach Abwerfung des Barbarenjoches ein Ende zu bringen, so wie man sich stark genug fühlte. Und die Goten hatten keine Bundesgenossen gegen diese innern und äußern Feinde. Denn Theoderichs Ruhm und Ansehen und seine Politik der Verschwägerung mit allen Germanenfürsten hatten ihm doch nur eine Art moralischen Protektorats, keine sichre Verstärkung seiner Macht verschaffen können. Es fehlte dem Gotenreich, das eine geniale Persönlichkeit allzuverwegen und vertrausam mitten in das Herz der römischen Bildungswelt gepflanzt hatte, der unmittelbare Zusammenhang mit noch nicht romanisierten Volkskräften, es fehlte der Nachschub an frischen germanischen Elementen, der das gleichzeitig entstehende Reich der Franken immer wieder verjüngt und wenigstens dessen nordöstliche Teile vor der mit der Romanisierung verbundenen Fäulnis bewahrt hatte, während die kleine gotische Insel, auf allen Seiten von den feindlichen Wellen des römischen Lebens umspült und benagt, diesen gegenüber von Jahr zu Jahr zusammenschmolz. So lange Theoderich, der gewaltige Schöpfer dieses gewagten Werkes lebte, blendete der Glanz seines Namens über die Gefahren und Blößen seiner Schöpfung. Aber mit Recht zitterte man vor dem Augenblick, da das Steuer dieses gefährdeten Schiffes in die Hand eines Weibes oder eines kranken Jünglings übergehen sollte: Aufstände der Italier, Einmischung des Kaisers, Abfall der unterworfnen, Angriffe der feindlichen Barbarenstämme waren zu besorgen. Wenn der gefährliche Augenblick gleichwohl ruhig vorüberging, so war dies vor allem der unermüdlich eifrigen und vorsorglichen Thätigkeit zu danken, die Cassiodor, des Königs Freund und lang bewährter Minister, schon seit Wochen entfaltet hatte und jetzt, nach dem Tode Theoderichs, verdoppelte. Um die Italier in Ruhe zu erhalten, ward sofort ein Manifest erlassen, das die Thronbesteigung Athalarichs, unter Vormundschaft seiner Mutter, als eine bereits vollendete und in aller Ruhe vollzogene Thatsache Italien und den Provinzen verkündete. Sofort auch wurden in alle Teile des Reiches Beamte entsendet, die den Huldigungseid der Bevölkerung entgegennehmen, aber auch im Namen des jungen Königs eidlich geloben sollten, daß die neue Regierung alle Rechte und Freiheiten der Italier und Provinzialen achten und in allen Stücken die Milde, ja Vorliebe des großen Toten für seine römischen Unterthanen zum Muster nehmen werde. Gleichzeitig wurde aber auch dafür gesorgt, daß eine Furcht gebietende Entfaltung der gotischen Heeresmacht an den Grenzen und in den wichtigsten oder unruhigsten Städten des Reiches äußeren und inneren Gegnern die Lust zu Feindseligkeiten vertreibe, während mit dem Kaiserhof das gute Vernehmen durch Gesandtschaften und Briefe sehr verbindlicher Haltung befestigt oder erneuert wurde. Zweites Kapitel. Neben Cassiodor war es nun aber vor allen Ein Mann, der in jenen Tagen des Übergangs eine bedeutende und, wie es der Regentschaft schien, hochverdienstliche Rolle spielte. Das war kein andrer als Cethegus. Er hatte das wichtige Amt eines Stadtpräfekten von Rom übernommen. Er war, sowie der König die Augen geschlossen, spornstreichs aus dem Palast und den Thoren von Ravenna nach der ihm anvertrauten Tiberstadt geeilt und dort vor aller Kunde des Geschehenen eingetroffen. Sofort, noch eh’ der Tag angebrochen, hatte er die Senatoren in dem »Senatus«, d. h. dem geschaffenen Hallenbau Domitians nahe dem Janus Geminus, rechtsab vom Severusbogen, versammelt, darauf das Gebäude mit gotischen Truppen umstellt, die überraschten Senatoren – von denen er gar manchen erst neuerlich in den Katakomben gesehen und zur Vertreibung der Barbaren angefeuert hatte – von dem bereits vollzognen Thronwechsel benachrichtigt und, (nicht ohne einige auf die von dem Saal aus deutlich sichtbaren Speere der Gotentausendschaft gelinde hinweisende Worte,) mit einer keinen Widerspruch duldenden Raschheit für Athalarich in Eid und Pflicht genommen. Dann verließ er den »Senatus«, wo er die Väter eingeschlossen hielt, bis er in dem flavischen Amphitheater, wohin er eine Volksversammlung der Römer berufen, diese unter Beiziehung der starken gotischen Besatzung abgehalten und die leicht beweglichen »Quiriten« durch eine meisterhafte Rede für den jungen König begeistert hatte. Er zählte die Wohlthaten Theoderichs auf, verhieß gleiche Milde von dessen Enkel, der übrigens bereits von ganz Italien, den Provinzen und den Vätern dieser Stadt anerkannt sei, meldete eine allgemeine Speisung des römischen Volkes mit Brot und Wein als den ersten Regierungsakt Amalaswinthens an und schloß mit der Verkündung siebentägiger Cirkusspiele, – Wettfahrten mit einundzwanzig spanischen Viergespannen – mit welchen er selbst die Thronbesteigung Athalarichs und den Antritt seiner Präfektur feiern werde. Da erhob tausendstimmiges Jubelgeschrei die Namen der Regentin und ihres Sohnes, aber noch lauter den Namen Cethegus, das Volk verlief sich in heller Freude, die eingesperrten Senatoren wurden nunmehr entlassen und die ewige Stadt war für die Goten erhalten. Der Präfekt aber eilte nach seinem Hause am Fuß des Kapitols, schloß sich ein und schrieb eifrig seinen Bericht an die Regentin. – Jedoch ungestüm pochte es alsbald an der ehernen Vorthür des Hauses. Es war Lucius Licinius, der junge Römer, den wir in den Katakomben kennen gelernt: er schlug mit dem Schwertknauf gegen die Pforte, daß das Haus dröhnte. Ihm folgten Scävola, der Jurist, – er war unter den Eingesperrten gewesen – mit schwer gefurchter Stirn und Silverius, der Priester, mit zweifelnder Miene. Vorsichtig lugte der Ostiarius an der Thüre durch eine verborgne Luke in der Mauer und ließ, als er Licinius erkannte, die Männer ein. Heftig stürmte der Jüngling den andern voraus den ihm wohlbekannten Weg durch das Vestibulum, das Atrium und dessen Säulengang in das Studierzimmer des Cethegus. Dieser, als er die hastig nahenden Schritte vernahm, erhob sich von dem Lectus, auf den hingestreckt er schrieb, und verschloß seine Briefe in einer Capsula mit silberner Kuppel. »Ah, die Vaterlandsbefreier!« sagte er lächelnd und trat ihnen entgegen. »Schändlicher Verräter!« schrie ihn Licinius an, die Hand am Schwert: – der Zorn ließ ihn nicht weiter sprechen, er zückte halb das breite Eisen aus der Scheide. »Halt, erst laß ihn sich verteidigen, wenn er kann,« keuchte, dem Stürmischen in den Arm fallend, Scävola, der jetzt nachgekommen war. »Es ist unmöglich, daß er abgefallen von der Sache der heiligen Kirche,« sprach Silverius im Eintreten. »Unmöglich?« lachte Licinius, »wie? seid ihr toll oder bin ich’s? Hat er nicht uns, die Ritter, in ihren Häusern festhalten lassen? Hat er nicht die Thore gesperrt und den Pöbel für den Barbaren vereidigt?« – »Hat er nicht,« sprach Cethegus fortfahrend, »die edeln Väter der Stadt, dreihundert an der Zahl, in der Kurie wie soviel Mäuse in der Mausfalle gefangen, dreihundert hochadlige Mäuse?« – »Er höhnt uns noch! Wollt ihr das dulden?« rief Licinius. Und Scävola erbleichte vor Zorn. »Nun, und was hättet ihr gethan, wenn man euch hätte handeln lassen?« fragte der Präfekt ruhig, die Arme auf der breiten Brust kreuzend. »Was wir gethan hätten?« antwortete Licinius, »was wir – was du mit uns hundertmal verabredet! Sobald die Nachricht von dem Tod des Tyrannen eintraf, hätten wir die Goten in der Stadt erschlagen, die Republik ausgerufen und zwei Konsuln ernannt –« – »Namens Licinius und Scävola, das ist die Hauptsache. Nun, und dann? was dann?« – »Was dann? die Freiheit hätte gesiegt!« »Die Thorheit hätte gesiegt!« herrschte Cethegus losbrechend den Erschrocknen an. »Wie gut, daß man euch die Hände band: ihr hättet alle Hoffnung erwürgt, auf immer. Seht her und dankt mir auf den Knien!« Er nahm Urkunden aus einer andern Papyruskapsel und gab sie den Erstaunten. »Da, lest. Der Feind war gewarnt und hatte seine Schlinge meisterhaft um den Nacken Roms geschürzt. Wenn ich nicht handelte, so stand in diesem Augenblick Graf Witichis mit zehntausend Goten vor dem salarischen Thor im Norden, morgen sperrte der junge Totila mit der Flotte von Neapel im Süden die Tibermündung, und gegen das Grabmal Hadrians und das aurelische Thor war Herzog Thulun mit zwanzigtausend Mann von Westen her im Anzug. Hättet ihr heute früh einem Goten ein Haar gekrümmt, was wäre geschehen?« Silverius atmete auf. Die beiden andern schwiegen beschämt. Doch faßte sich Licinius: »Wir hätten den Barbaren getrotzt hinter unsern Mauern,« sprach er, mutig das schöne Haupt aufwerfend. – »Ja. So wie ich diese Mauern herstellen werde – eine Ewigkeit, mein Licinius: wie sie jetzt sind – nicht einen Tag.« – »So wären wir gestorben als freie Bürger,« sprach Scävola. »Das hättet ihr vor drei Stunden in der Kurie auch gekonnt,« lachte Cethegus achselzuckend. Silverius trat mit offnen Armen, wie um ihn zu küssen, auf ihn zu; vornehm entzog sich Cethegus: »Du hast uns alle, du hast Kirche und Vaterland gerettet! Ich habe nie an dir gezweifelt!« sprach der Priester. Da ergriff Licinius die Hand des Präfekten, die dieser ihm willig ließ: »Ich habe an dir gezweifelt,« rief er mit schöner Offenheit, »vergieb, du großer Römer. Dies Schwert, das dich heute durchbohren sollte, dir ist es fortan für ewig zu Dienst. Und bricht der Tag der Freiheit an, dann keine Konsuln, dann _salve_, Diktator Cethegus!« Und mit leuchtenden Augen eilte er hinaus. Der Präfekt warf ihm einen befriedigten Blick nach. »Diktator, ja, doch nur bis zur vollen Sicherheit der Republik!« sprach der Jurist und folgte ihm. »Jawohl,« lächelte Cethegus, »dann wecken wir Camillus und Brutus wieder auf und führen die Republik da fort, wo sie diese vor tausend Jahren gelassen. Nicht wahr, Silverius?« – »Präfekt von Rom,« sprach der Priester, »du weißt, ich hatte den Ehrgeiz, die Sache des Vaterlands wie der Heiligen zu leiten: ich hab’ ihn nicht mehr seit dieser Stunde. Dein sei die Führung, ich folge. Gelobe nur das Eine: Freiheit der römischen Kirche – freie Papstwahl.« – »Jawohl,« sagte Cethegus, »sowie nur erst Silverius Papst geworden. Es gilt.« – Der Priester schied mit einem Lächeln auf den Lippen, aber schwere Gedanken im Herzen. »Geht,« sagte Cethegus nach einer Pause, den Dreien nachblickend, »ihr werdet keinen Tyrannen stürzen: – ihr braucht einen Tyrannen!« Dieser Tag, diese Stunde wurden entscheidend für Cethegus: fast ohne seinen Willen ward er durch die Ereignisse fortgetrieben zu neuen Stimmungen und Anschauungen, zu Zielen, die er sich bisher nie mit solcher Klarheit vorgesteckt, oder doch nie als mehr denn Träume, die er sich als Ziele eingestanden hatte. Er erkannte sich in diesem Augenblick als alleinigen Herrn der Lage: er hatte die beiden großen Parteien der Zeit, die Gotenregierung und ihre Feinde, die Verschwornen, völlig in seiner Hand. Und in der Brust dieses gewaltigen Mannes wurde die Haupttriebfeder, die er seit Jahrzehnten für gelähmt erachtet, plötzlich wieder in mächtigste Thätigkeit gesetzt: der unbegrenzte Drang, ja das Bedürfnis, _zu herrschen_, machte sich mit einem Male alle Kräfte dieses reichen Lebens dienstbar und trieb sie an zu heftiger Bewegung. Cornelius Cethegus Cäsarius war der Abkömmling eines alten und unermeßlich reichen Geschlechts, dessen Ahnherr den Glanz seines Hauses als Feldherr und Staatsmann Cäsars in den Bürgerkriegen gegründet: – man sagte, er sei ein Sohn des großen Diktators gewesen. – Unser Cethegus hatte von der Natur die vielseitigsten Anlagen und die gewaltigsten Leidenschaften und durch seine gewaltigen Reichtümer die Mittel erhalten, jene aufs großartigste zu entfalten, diese aufs großartigste zu befriedigen. Er empfing die sorgfältigste Bildung, die damals einem jungen Adligen Roms gegeben werden konnte. Er übte sich bei den ersten Lehrern in den schönen Künsten. Er trieb zu Berytus, zu Alexandrien, zu Athen in den besten Schulen mit glänzenden Erfolgen das Studium des Rechts, der Geschichte, der Philosophie. Aber all das befriedigte ihn nicht. Er fühlte den Hauch des Verfalls in aller Kunst und Wissenschaft seiner Zeit. Die Philosophie insbesondre vermochte nur die letzten Reste des Glaubens in ihm zu zerstören, ohne ihm irgend welche Befriedigung in positiven Ergebnissen zu gewähren. Als er von seinen Studien zurückkam, führte ihn sein Vater nach der Sitte der Zeit in den Staatsdienst ein: rasch stieg der glänzend Begabte von Amt zu Amt. Aber plötzlich sprang er aus. Nachdem er die Staatsgeschäfte zur Genüge kennen gelernt, mochte er nicht länger ein Rad in der großen Maschine des Reiches sein, das die Freiheit ausschloß und obenein dem Barbarenkönig diente. Da starb sein Vater und Cethegus warf sich, nun Herr seiner selbst und eines ungeheuern Vermögens geworden, mit der Gewalt, mit welcher er alles verfolgte, in die wildesten Strudel des Lebens, des Genusses, der Lüste. Mit Rom war er bald fertig: da machte er große Reisen nach Byzanz, nach Ägypten, bis nach Indien drang er vor. Da war kein Luxus, kein unschuldiger und kein schuldiger Genuß, den er nicht schlürfte. Nur ein stählerner Körper konnte die Anstrengungen, die Entbehrungen, die Abenteuer, die Ausschweifungen dieser Fahrten ertragen. Nach zwölf Jahren kehrte er zurück nach Rom. Es hieß, er werde großartige Bauten aufführen; man freute sich, das üppigste Leben in seinen Häusern und Villen beginnen zu sehen, man täuschte sich sehr. Cethegus baute sich nur das kleine Haus am Fuß des Kapitols, bequem und von feinstem Geschmack, und lebte mitten in dem volkreichen Rom wie ein Einsiedler. Er gab unvermutet eine Schilderung seiner Reisen heraus, eine Charakterisierung der wenig bekannten Völker und Länder, die er besucht. Das Buch hatte unerhörten Erfolg; Cassiodor und Boëthius warben um seine Freundschaft, der große König wollte ihn an seinen Hof ziehen. Aber plötzlich war er aus Rom verschwunden. Das Ereignis, das ihn in jenen Tagen betroffen haben mußte, blieb allen Nachforschungen der Neugier, der Teilnahme, der Schadenfreude verborgen. Man erzählte sich damals, arme Fischer hätten ihn eines Morgens am Ufer des Tibers vor den Thoren der Stadt, bewußtlos und dem Tode nah, gefunden. Wenige Wochen später tauchte er wieder an der Nordostgrenze des Reiches in den unwirtlichen Donauländern auf, wo der blutige Krieg mit Gepiden, mit Avaren und Sclavenen raste. Dort schlug er sich mit todverachtender Tapferkeit mit diesen wilden Barbaren herum, verfolgte sie mit erlesenen, von ihm besoldeten Scharen freiwillig in alle Schlupfwinkel ihrer Felsen, schlief alle Nächte auf der gefrornen Erde. Und als der gotische Feldherr ihm eine kleine Schar zu einem Streifzug anvertraute, griff er statt dessen Sirmium an, die feste Hauptstadt der Feinde, und eroberte sie mit nicht geringerer Feldherrnkunst als Tapferkeit. Nach dem Friedensschluß machte er abermals Reisen nach Gallien und Spanien und Byzanz, kehrte von da nach Rom zurück und lebte dort jahrelang in einer verbitterten Muße und Zurückgezogenheit, alle kriegerischen, bürgerlichen, wissenschaftlichen Ämter und Ehren ausschlagend, die ihm Cassiodor aufdringen wollte. Er schien für nichts mehr Interesse zu haben, als für seine Studien. Vor einigen Jahren brachte er von einer Reise nach Gallien einen schönen Jüngling oder Knaben mit, welchem er Rom und Italien zeigte und väterliche Liebe und Sorgfalt erwies. Es hieß, er wolle ihn adoptieren: solange dieser sein junger Gast um ihn war, trat er aus seiner Einsamkeit heraus, lud die adlige Jugend Roms zu glänzenden Festen in seine Villen und war bei den Gegeneinladungen, die er alle annahm, der liebenswürdigste Gesellschafter. Aber sowie er den jungen Julius Montanus mit einem stattlichen Gefolge von Pädagogen, Freigelassenen und Sklaven nach Alexandrien in die gelehrten Schulen entsendet hatte, brach er plötzlich wieder alle Verbindungen ab und zog sich in seine undurchdringliche Abgeschlossenheit zurück, grollend wie es schien mit Gott und der ganzen Welt. Mit schwerer Mühe gelang es dem Priester Silverius und Rusticianen, ihn aus seiner ablehnenden Ruhe heraus und zur Teilnahme an der Katakombenverschwörung fortzuziehen. Er wurde, wie er ihnen sagte, Patriot aus eitel Langweile. Und in der That, bis zu dem Tod des Königs hatte er das Unternehmen, dessen Leitung doch in seiner und des Diakons Hand lag, fast mit Abneigung betrieben. Dies wurde jetzt anders. Der tiefste Zug seines Wesens, der Drang in allen möglichen Gebieten des Geistes sich zu versuchen, die Schwierigkeiten zu überwinden, alle Nebenbuhler zu überflügeln, in jedem Lebenskreise, den er betrat, zu herrschen, allein und ohne Widerstand und, sobald er den Siegeskranz genommen, ihn gleichgültig wegzuwerfen und nach neuen Aufgaben auszuschauen, hatte ihn bisher bei keinem Ziele volle Befriedigung finden lassen. Kunst, Wissenschaft, Genuß, Amtsehre, Kriegsruhm: – alles hatte ihn gereizt, alles hatte er wie kein andrer gewonnen und alles hatte ihn leer gelassen. Herrschen, der erste sein, über widerstrebende Verhältnisse mit allen Mitteln überlegner Kraft und Klugheit siegen und dann über knirschende Menschen ein ehernes Regiment führen, das allein hatte er unbewußt und bewußt von jeher erstrebt: nur darin fühlte er sich wohl. In stolzen, vollen Atemzügen hob sich darum in dieser Stunde seine Brust: er, der Eisigkalte, erglühte in dem Gedanken, daß er über die beiden großen feindlichen Mächte der Zeit, Goten und Römer, heute mit einem Zucken seiner Wimper gebot: und aus diesem Wonnegefühl der Herrschaft stieg ihm mit dämonischer Gewalt die Überzeugung empor, daß es für ihn und seinen Ehrgeiz nur noch Ein Ziel gab, welches das Leben der Mühe des Lebens wert machen könne, nur noch Ein Ziel, ein sonnenfernes, jedem andern unerreichbares: – er glaubte gern an seine Abkunft von Julius Cäsar und er fühlte das Blut Cäsars aufwallen in seinen Adern bei dem Gedanken: – Cäsar, Imperator des Abendlands, Kaiser der römischen Welt! – – – – Als vor Monaten dieser Blitz zum erstenmal seine Seele durchzuckt hatte, – kein Gedanke, – kein Wunsch, – nur ein Schatte, ein Traum, – erschrak er und lächelte zugleich über seine unermeßliche Kühnheit. Er Kaiser und Wiederaufrichter des römischen Weltreichs! Und Italien bebte unter dem Schritt von dreimalhunderttausend gotischen Kriegern! Und der größte aller Barbarenkönige, dessen Ruhm die Erde erfüllte, saß gewaltig herrschend zu Ravenna. Und wenn die Macht der Goten gebrochen war, so streckten die Franken über die Alpen, die Byzantiner übers Meer die gierigen Hände nach der italienischen Beute, zwei große Reiche gegen ihn, den einzelnen Mann! – Denn wahrlich, einsam stand er in seinem Volk! Wie genau kannte, wie bitter verachtete er seine Landsleute, die unwürdigen Enkel großer Ahnen! Wie lachte er der Schwärmerei eines Licinius oder Scävola, die mit diesen Römern die Tage der Republik erneuern wollten! Er stand allein. Aber gerade dies reizte seinen stolzen Ehrgeiz. Und gerade in diesem Augenblick, da ihn die Verschworenen verlassen hatten, da seine Überlegenheit gewaltiger als je ihnen und ihm selbst klar geworden war, gerade jetzt schoß in seiner Brust was früher ein schmeichelnd Spiel seiner träumenden Stunden gewesen mit Blitzesschnelle zum klaren Gedanken, zum festen Entschluß empor. Die Arme über der mächtigen Brust gekreuzt, mit starken Schritten, wie ein Löwe seinen Käfig, das Gemach durchmessend, sprach er in abgerissenen Sätzen zu sich selbst: »Mit einem tüchtigen Volk hinter sich die Goten hinaustreiben, Griechen und Franken nicht hereinlassen: – das wäre nicht schwer, das könnte ein andrer auch. Aber allein, ganz allein, von diesen Männern ohne Mark und Willen mehr gehemmt als getragen, das Ungeheure vollenden, und diese Memmen erst wieder zu Helden, diese Sklaven zu Römern, diese Knechte der Pfaffen und Barbaren wieder zu Herren der Erde machen: – das, das ist der Mühe wert. Ein neues Volk, eine neue Zeit, eine neue Welt schaffen, allein, ein einziger Mann, mit der Kraft seines Willens und der Macht seines Geistes: – das hat noch kein Sterblicher vollbracht: – das ist größer als Cäsar: er führte Legionen von Helden! Und doch, es kann gethan werden, denn es kann gedacht werden. Und ich, der’s denken konnte, ich kann’s auch thun. Ja, Cethegus, das ist ein Ziel, dafür verlohnt sich’s zu denken, zu leben, zu sterben. Auf und ans Werk, und von nun an: – keinen Gedanken mehr und kein Gefühl als für dies Eine.« Er stand still vor der Kolossalstatue Cäsars aus weißem parischem Marmor, die, das Meisterwerk des Arkesilaos und der edelste Schmuck, ja nach der Familientradition von Julius Cäsar selbst dem Sohne geschenkt, das Heiligtum dieses Hauses, gegenüber dem Schreibdivan stand: »Hör’ es, göttlicher Julius, großer Ahnherr, es lüstet deinen Enkel, mit dir zu ringen: es giebt noch ein Höheres als du erreicht: schon fliegen nach einem höheren Ziel als du, ist unsterblich und fallen, fallen aus solcher Höhe: – das ist der herrlichste Tod. Heil mir, daß ich wieder weiß, warum ich lebe.« Er schritt an der Bildsäule vorbei und warf einen Blick auf die auf dem Tisch aufgerollte Militärkarte des römischen Weltreichs: »Erst diese Barbaren zertreten –: Rom! – Dann den Norden wieder unterwerfen –: Paris! – Dann zum alten Gehorsam unter die alte Cäsarenstadt das abtrünnige Ostreich zurückheischen –: Byzanz! Und weiter, immer weiter: an den Tigris, an den Indus, weiter als Alexandros – und zurück nach Westen, durch Skythien und Germanien, an den Tiber – die Bahn, welche dir, Cäsar, der Dolch des Brutus durchgeschnitten. – Und so größer als du, größer als Alexander – o halt, Gedanke, halt ein!« Und der eisige Cethegus loderte und glühte; mächtig pochten seine Adern an den Schläfen: er drückte die brennende Stirn an die kalte Marmorbrust Julius Cäsars, der majestätisch auf ihn niederschaute. Drittes Kapitel. Aber nicht nur für Cethegus wurde dieser Tag von entscheidender Bedeutung, auch für die Verschwörung in den Katakomben, für Italien und das Reich der Goten. Hatten die Umtriebe der Patrioten, geleitet von mehreren Häuptern, die über die Mittel, ja sogar über die Zwecke ihrer Pläne nicht immer einig waren, bisher nur langsame und unsichre Fortschritte gemacht, so ward dies anders von dem Augenblick an, da der weitaus begabteste Mann dieser Partei, da Cethegus die Führung in die kräftige Hand nahm. Unbedingt hatten sich die bisherigen Häupter des Bundes, – sogar, wie es schien, Silverius – dem Präfekten untergeordnet, der seine Überlegenheit so mächtig bewährt und das Leben ihrer Sache gerettet hatte. Erst von jetzt an wurde der Geheimbund den Goten wahrhaft gefährlich. Unermüdlich war Cethegus beschäftigt, die Macht und Sicherheit ihres Reiches auf allen Seiten zu untergraben: mit seiner großen Kunst, die Menschen zu durchschauen, zu gewinnen und zu beherrschen wußte er die Zahl bedeutender Mitglieder und die Mittel der Partei von Tag zu Tag zu vermehren. Aber er wußte auch mit kluger Vorsicht einerseits jeden Verdacht der gotischen Regierung zu vermeiden, andrerseits jede unzeitige Erhebung der Verschwornen zu verhindern. Denn ein Leichtes wär’ es freilich gewesen, plötzlich an Einem Tage in allen Städten der Halbinsel die Barbaren zu überfallen, die Erhebung zu beginnen und die Byzantiner, die längst hierauf lauerten, zur Vollendung des Sieges ins Land zu rufen. Aber damit hätte der Präfekt seine geheimen Pläne nicht hinausgeführt. Er hätte nur an die Stelle der gotischen Herrschaft die byzantinische Tyrannei gesetzt. Und wir wissen, er verfolgte ein ganz andres Ziel. Um dies zu erreichen, mußte er sich zuvor in Italien eine Machtstellung schaffen, wie sie kein andrer besaß. Er mußte, wenn auch nur im stillen, der mächtigste Mann im Lande sein, ehe der Fuß eines Byzantiners es betrat, ehe der erste Gote fiel. Die Dinge mußten soweit vorbereitet sein, daß die Barbaren von Italien, das hieß von Cethegus, allein, mit möglichst geringer Nachhilfe von Byzanz, vertrieben würden, so daß nach dem Siege der Kaiser gar nicht umhin konnte, die Herrschaft über das befreite Land seinem Befreier, wenn auch zunächst nur als Statthalter, zu überlassen. Alsdann hatte er Zeit und Anlaß gewonnen, den Nationalstolz der Römer gegen die Herrschaft der »Griechlein«, wie man die Byzantiner verächtlich nannte, aufzureizen. Denn obwohl seit zweihundert Jahren, seit den Tagen des großen Konstantin, der Glanz der Weltherrschaft von der verwitweten Roma hinweg nach der goldnen Stadt am Hellespont verlegt und das Scepter von den Söhnen des Romulus auf die Griechen übergegangen schien, obwohl das Ost- und das Westreich zusammen der Barbarenwelt gegenüber Einen Staat der antiken Bildung bilden sollten, so waren doch auch jetzt noch die Griechen den Römern verhaßt und verächtlich, wie in den Tagen, da Flaminius das gedemütigte Hellas für eine Freigelassene Roms erklärt hatte: der alte Haß war jetzt durch Neid vermehrt. Deshalb war der Mann der Begeisterung und der Hilfe ganz Italiens gewiß, der nach Vertreibung der Barbaren auch die Byzantiner aus dem Lande weisen würde: die Krone von Rom, die Krone des Abendlands war sein sichrer Lohn. Und wenn es gelang, das neugeweckte Nationalgefühl wieder zum Angriffskrieg über die Alpen zu treiben, wenn Cethegus auf den Trümmern des Frankenreichs zu Aurelianum und Paris die Herrschaft des römischen Imperators über das Abendland wieder aufgerichtet hatte, dann war der Versuch nicht mehr zu kühn, auch das losgerissene Ostreich zurückzuzwingen zum Gehorsam unter das ewige Rom und die Weltherrschaft am Strand des Tibers da fortzuführen, wo sie Trajan und Hadrian gelassen. – Doch um diese fernher leuchtenden Ziele zu erreichen, mußte jeder nächste Schritt auf dem schwindelsteilen Pfad mit größter Vorsicht geschehen: jedes Straucheln mußte für immer verderben. Um Italien zu beherrschen, als Kaiser zu beherrschen, mußte Cethegus vor allem Rom haben: denn nur an Rom ließen sich jene Gedanken knüpfen. Deshalb wandte der neue Präfekt höchste Sorgfalt auf die ihm anvertraute Stadt: Rom sollte ihm moralisch und physisch eine Burg der Herrschaft werden, ihm allein gehörig und unentreißbar. Sein Amt bot ihm dazu die beste Gelegenheit: es war ja die Pflicht des Präfectus Urbi, für das Wohl der Bevölkerung, für Erhaltung und Sicherheit der Stadt zu sorgen. Cethegus verstand es meisterhaft, die Rechte, die in dieser Pflicht lagen, für seine Zwecke auszubeuten: leicht hatte er alle Stände für sich gewonnen: der Adel ehrte in ihm das Haupt der Katakombenverschwörung, über die Geistlichkeit herrschte er durch Silverius, der die rechte Hand und der von der öffentlichen Stimme bezeichnete Nachfolger des greisen Papstes war und dem Präfekten eine diesem selbst befremdliche Ergebenheit an den Tag legte. Das niedre Volk aber fesselte er an seine Person nicht nur durch vorübergehende Brotspenden und Cirkusspiele aus seiner Tasche, sondern durch großartige Unternehmungen, die vielen Tausenden auf Jahre hinaus Arbeit und Unterhalt – auf Kosten der gotischen Regierung – verschafften. Er setzte bei Amalaswintha den Befehl durch, die Befestigungen Roms, die seit den Tagen des Honorius durch die Zeit und durch den Eigennutz römischer Bauherren vielmehr als durch westgotische und vandalische Eroberer gelitten hatten, vollständig und rasch wieder herzustellen, »zur Ehre der ewigen Stadt und, – wie sie wähnte, – zum Schutz gegen die Byzantiner«. Cethegus selbst hatte – und zwar, wie die alsbald folgenden vergeblichen Belagerungen durch Goten und Byzantiner bewiesen, mit genialem Feldherrnblick, – den Plan der großartigen Werke entworfen. Und er betrieb nun mit größtem Eifer das Riesenwerk, die ungeheure Stadt in ihrem weiten Umfang von vielen Meilen zu einer Festung ersten Ranges umzuschaffen. Die Tausende von Arbeitern, die wohl wußten, wem sie diese reich bezahlte Beschäftigung verdankten, jubelten dem Präfekten zu, wenn er auf den Schanzen sich zeigte, prüfte, antrieb, besserte und wohl selbst mit Hand anlegte. Und die getäuschte Fürstin wies eine Million Solidi nach der andern an für einen Bau, an dem alsbald die ganze Streitmacht ihres Volkes zerschellen und verbluten sollte. Der wichtigste Punkt dieser Befestigungen war das heute unter dem Namen der Engelsburg bekannte Grabmal Hadrians. Dies Prachtgebäude, von Hadrian aus parischen Marmorquadern, die ohne anderes Bindungsmittel zusammengefügt waren, aufgeführt, lag damals einen Steinwurf vor dem aurelischen Thor, dessen Mauerseiten es weit überragte. Mit scharfem Auge hatte Cethegus erkannt, daß das unvergleichlich feste Gebäude, in seiner bisherigen Lage ein Festungswerk _gegen_ die Stadt, sich durch ein einfaches Mittel in ein Hauptbollwerk _für_ die Stadt verwandeln ließ: er führte vom aurelischen Thor zwei Mauern gegen und um das Grabmal. Und nun bildete die turmhohe Marmorburg eine sturmfreie Schanze für das aurelische Thor, um so mehr als der Tiber knapp davor einen natürlichen Festungsgraben zog. Oben auf der Mauer des Mausoleums aber standen, zum Teil noch von Hadrian und seinem Nachfolger hier aufgestellt, gegen dreihundert der schönsten Statuen aus Marmor, Bronze und Erz: darunter der Divus Hadrianus selbst, sein schöner Liebling Antinous, ein Zeus Soter, die Pallas »Städtebeschirmerin«, ein schlafender Faun und viele andere. Cethegus freute sich seines Gedankens und liebte diese Stätte, wo er allabendlich zu wandeln pflegte, sein Rom mit dem Blick beherrschend und den Fortschritt der Schanzarbeiten prüfend: und er hatte deshalb eine reiche Zahl von schönen Statuen aus seinem Privatbesitz hier noch aufstellen lassen. Viertes Kapitel. Vorsichtiger mußte Cethegus bei Ausführung einer zweiten, für seine Ziele nicht minder unerläßlichen Vorbereitung sein. Um selbständig in Rom, in _seinem_ Rom, wie er es, als Stadtpräfekt, zu nennen liebte, den Goten und nötigenfalls den Griechen trotzen zu können, bedurfte er nicht bloß der Wälle, sondern auch der Verteidiger auf denselben. Er dachte zunächst an Söldner, an eine Leibwache, wie sie in jenen Zeiten hohe Beamte, Staatsmänner und Feldherren häufig gehalten hatten, wie sie jetzt Belisar und dessen Gegner Narses in Byzanz hielten. Nun gelang es ihm zwar, durch früher auf seinen Reisen in Asien angeknüpfte Verbindungen und bei seinen reichen Schätzen tapfre Scharen der wilden isaurischen Bergvölker, die in jenen Zeiten die Rolle der Schweizer des sechzehnten Jahrhunderts spielten, in seinen Sold zu ziehen. Indessen hatte dies Verfahren doch zwei sehr eng gezogne Schranken. Einmal konnte er auf diesem Wege, ohne seine für andre Zwecke unentbehrlichen Mittel zu erschöpfen, doch immer nur verhältnismäßig kleine Massen aufbringen, den Kern eines Heeres, nicht ein Heer. Und ferner war es unmöglich, diese Söldner, ohne den Verdacht der Goten zu wecken, in größerer Anzahl nach Italien, nach Rom zu bringen. Einzeln, paarweise, in kleinen Gruppen schmuggelte er sie mit vieler List und vieler Gefahr als seine Sklaven, Freigelassenen, Klienten, Gastfreunde in seine durch die ganze Halbinsel zerstreuten Villen oder beschäftigte sie als Matrosen und Schiffsleute im Hafen von Ostia oder als Arbeiter in Rom. Schließlich mußten doch die Römer Rom erretten und beschützen und all seine ferneren Pläne drängten ihn, seine Landsleute wieder an die Waffen zu gewöhnen. Nun hatte aber Theoderich wohlweislich die Italier von dem Heer ausgeschlossen – nur Ausnahmen bei einzelnen als besonders zuverlässig Erachteten wurden gemacht – und in den unruhigen letzten Zeiten seines Regiments während des Prozesses gegen Boëthius ein Gebot allgemeiner Entwaffnung der Römer erlassen. Letzteres war freilich nie streng durchgeführt worden: aber Cethegus konnte doch nicht hoffen, die Regentin werde ihm erlauben, gegen den entschiednen Willen ihres großen Vaters und gegen das offenbare Interesse der Goten eine irgendwie bedeutende Streitmacht aus Italien zu bilden. Er begnügte sich, ihr vorzustellen, daß sie durch ein ganz unschädliches Zugeständnis sich das Verdienst erwirken könne, jene gehässige Maßregel Theoderichs in edlem Vertrauen aufgehoben zu haben und schlug ihr vor, ihm zu gestatten, nur zweitausend Mann aus der römischen Bürgerschaft als Schutzwache Roms rüsten, einüben und immer unter den Waffen gegenwärtig halten zu dürfen: die Römer würden ihr schon für diesen Schein, daß die ewige Stadt nicht von Barbaren allein gehütet werde, unendlich dankbar sein. Amalaswintha, begeistert für Rom und nach der Liebe der Römer als ihrem schönsten Ziele trachtend, gab ihre Einwilligung und Cethegus fing an seine »Landwehr«, wie wir sagen würden, zu bilden. Er rief in einer wie Trompetenschall klingenden Proklamation »die Söhne der Scipionen zu den alten Waffen zurück,« er bestellte die jungen Adligen der Katakomben zu »römischen Rittern« und »Kriegstribunen«: er verhieß jedem Römer, der sich freiwillig meldete, aus seiner Tasche Verdoppelung des von der Fürstin bestimmten Soldes: er hob aus den Tausenden, die sich daraus herbeidrängten die Tauglichsten aus; er rüstete die Ärmeren aus, schenkte denen, die sich besonders auszeichneten im Dienst, gallische Helme und spanische Schwerter aus seinen eignen Sammlungen und – was das Wichtigste – er entließ regelmäßig sobald als möglich die hinlänglich Eingeübten mit Belassung ihrer Waffen und hob neue Mannschaften aus, so daß, obwohl in jedem Augenblick nur die von Amalaswintha gestattete Zahl im Dienst stand, doch in kurzer Frist viele Tausende bewaffnete und waffengeübte Römer zur Verfügung ihres vergötterten Führers standen. Während so Cethegus an seiner künftigen Residenz baute und seine künftigen Prätorianer heranbildete, vertröstete er den Eifer seiner Mitverschwornen, die unablässig zum Losschlagen drängten, auf den Zeitpunkt der Vollendung jener Vorbereitungen, den er natürlich allein bestimmen konnte. Zugleich unterhielt er eifrigen Verkehr mit Byzanz. Dort mußte er sich einer Hilfe versichern, die einerseits in jedem Augenblick, da er sie rief, auf dem Kampfplatz erscheinen könnte, die aber andrerseits auch nicht, ehe er sie rief, auf eigne Faust oder mit einer Stärke erschiene, die nicht leicht wieder zu entfernen wäre. Er wünschte von Byzanz einen guten Feldherrn, der aber kein großer Staatsmann sein durfte, mit einem Heere, stark genug, die Italier zu unterstützen, nicht stark genug, ohne sie siegen oder gegen ihren Willen im Lande bleiben zu können. Wir werden in der Folge sehen, wie in dieser Hinsicht vieles nach Wunsch, aber auch ebenso vieles sehr gegen den Wunsch des Präfekten sich gestaltete. Daneben war gegenüber den Goten, die zur Zeit noch unangefochten im Besitz der Beute standen, um die Cethegus bereits im Geiste mit dem Kaiser haderte, sein Streben dahin gerichtet, sie in arglose Sicherheit zu wiegen, in Parteiungen zu spalten und eine schwache Regierung an ihrer Spitze zu erhalten. Das erste war nicht schwer. Denn die starken Germanen verachteten in barbarischem Hochmut alle offenen und geheimen Feinde: wir haben gesehen, wie schwer selbst der sonst scharfblickende, helle Kopf eines Jünglings wie Totila von der Nähe einer Gefahr zu überzeugen war: und die trotzige Sicherheit eines Hildebad drückte recht eigentlich die allgemeine Stimmung der Goten aus. Auch an Parteiungen fehlte es nicht in diesem Volk. Da waren die stolzen Adelsgeschlechter, die Balten mit ihren weitverzweigten Sippen, an ihrer Spitze die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza: die reichbegüterten Wölsungen unter den Brüdern Herzog Guntharis von Tuscien und Graf Arahad von Asta: und andre mehr, die alle den Amalern an Glanz der Ahnen wenig nachgaben und eifersüchtig ihre Stellung dicht neben dem Throne bewachten. Da waren viele, welche die Vormundschaft eines Weibes, die Herrschaft eines Knaben nur mit Unwillen trugen, die gern, nach dem alten Recht des Volkes, das Königshaus umgangen und einen der erprobten Helden der Nation auf den Schild erhoben hätten. Andrerseits zählten auch die Amaler blind ergebene Anhänger, die solche Gesinnung als Treubruch verabscheuten. Endlich teilte sich das ganze Volk in eine rauhere Partei, die, längst unzufrieden mit der Milde, die Theoderich und seine Tochter den Welschen bewiesen, gern nunmehr nachgeholt hätten, was, wie sie meinten, bei der Eroberung des Landes versäumt worden, und die Italier für ihren heimlichen Haß mit offener Gewalt zu strafen begehrten. Viel kleiner natürlich war die Zahl der sanfter und edler Gesinnten, die, wie Theoderich selbst, empfänglich für die höhere Bildung der Unterworfenen, sich und ihr Volk zu dieser emporzuheben strebten. Das Haupt dieser Partei war die Königin. Diese Frau nun suchte Cethegus im Besitz der Macht zu erhalten; denn sie, diese weibliche, schwache, geteilte Herrschaft, verhieß, die Kraft des Volkes zu lähmen, die Parteiung und Unzufriedenheit dauernd zu machen. Ihre Richtung schloß jedes Erstarken des gotischen Nationalgefühls aus. Er bebte vor dem Gedanken, einen gewaltigen Mann die Kraft dieses Volkes gewaltig zusammenfassen zu sehen. Und manchmal machten ihn schon die Züge von Hoheit, die sich in diesem Weibe zeigten, mehr noch die feurigen Funken verhaltener Glut, die zu Zeiten aus Athalarichs tiefer Seele aufsprühten, ernstlich besorgt. Sollten Mutter und Sohn solche Spuren öfter verraten, dann freilich mußte er beide ebenso eifrig stürzen wie er bisher ihre Regierung gehalten hatte. Einstweilen aber freute er sich noch der unbedingten Herrschaft, die er über die Seele Amalaswinthens gewonnen. Dies war ihm bald gelungen. Nicht nur, weil er mit großer Feinheit ihre Neigung zu gelehrten Gesprächen ausbeutete, in welchen er von dem, wie es schien, ihm überall überlegenen Wissen der Fürstin so häufig überwunden wurde, daß Cassiodor, der oft Zeuge ihrer Disputationen war, nicht umhin konnte, zu bedauern, wie dies einst glänzende Ingenium durch Mangel an gelehrter Übung etwas eingerostet sei. Der vollendete Menschenerforscher hatte das stolze Weib noch viel tiefer getroffen. Ihrem großen Vater war kein Sohn, war nur diese Tochter beschieden: der Wunsch nach einem männlichen Erben seiner schweren Krone war oft aus des Königs, oft aus des Volkes Munde schon in ihren Kinderjahren an ihr Ohr gedrungen. Es empörte das hochbegabte Mädchen, daß man es lediglich um ihres Geschlechtes willen zurücksetzte hinter einem möglichen Bruder, der, wie selbstverständlich, der Herrschaft würdiger und fähiger sein würde. So weinte sie als Kind oft bittere Thränen, daß sie kein Knabe war. Als sie herangewachsen, hörte sie natürlich nur noch von ihrem Vater jenen kränkenden Wunsch: jeder andre Mund am Hofe pries die wunderbaren Anlagen, den männlichen Geist, den männlichen Mut der glänzenden Fürstin. Und das waren nicht Schmeicheleien: Amalaswintha war in der That in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Geschöpf: die Kraft ihres Denkens und ihres Wollens, aber auch ihre Herrschsucht und kalte Schroffheit überschritten weit die Schranken, in welchen sich holde Weiblichkeit bewegt. Das Bewußtsein, daß mit ihrer Hand zugleich die höchste Stellung im Reich, vielleicht die Krone selbst, würde vergeben werden, machte sie eben auch nicht bescheidener: und ihre tiefste, mächtigste Empfindung war jetzt nicht mehr der Wunsch, Mann zu sein, sondern die Überzeugung, daß sie, das Weib, allen Aufgaben des Lebens und des Regierens so gut wie der begabteste Mann, besser als die meisten Männer, gewachsen, daß sie berufen sei, das allgemeine Vorurteil von der geistigen Unebenbürtigkeit ihres Geschlechts glänzend zu widerlegen. Die Ehe des kalten Weibes mit Eutharich, einem Amaler aus andrer Linie, einem Mann von hohen Anlagen des Geistes und reichem Gemüt, war kurz –: Eutharich erlag nach wenigen Jahren einem tiefen Leiden – und wenig glücklich. Nur mit Widerstreben hatte sie sich ihrem Gatten gebeugt. Als Witwe atmete sie stolz auf. Sie brannte vor Ehrgeiz, dereinst als Vormünderin ihres Knaben, als Regentin jene ihre Lieblingsidee zu bewähren: sie wollte so regieren, daß die stolzesten Männer ihre Überlegenheit sollten einräumen müssen. Wir haben gesehen, wie die Erwartung der Herrschaft diese kalte Seele sogar den Tod ihres großen Vaters ziemlich ruhig hatte ertragen lassen. Sie übernahm das Regiment mit höchstem Eifer, mit unermüdlicher Thätigkeit. Sie wollte alles selbst, alles allein thun. Sie schob ungeduldig den greisen Cassiodor zur Seite, der ihrem Geist nicht rasch und kräftig genug Schritt hielt. Keines Mannes Rat und Hilfe wollte sie dulden. Eifersüchtig wachte sie über ihre Alleinherrlichkeit. Und nur Einem ihrer Beamten lieh sie gern und häufig das Ohr; demjenigen, der ihr oft und laut die männliche Selbständigkeit ihres Geistes pries und noch öfter dieselbe still zu bewundern, der den Gedanken, sie beherrschen zu wollen, gar nie wagen zu können schien: sie traute nur Cethegus. Denn dieser zeigte ja nur den Einen Ehrgeiz, alle Gedanken und Pläne der Königin mit eifriger Sorge durchzuführen. Nie trat er, wie Cassiodor oder gar die Häupter der gotischen Partei, ihren Lieblingsbestrebungen entgegen; er unterstützte sie darin: er half ihr, sich mit Römern und Griechen umgeben, den jungen König möglichst von der Teilnahme am Regiment ausschließen, die alten gotischen Freunde ihres Vaters, die, im Bewußtsein ihrer Verdienste und nach alter Gewohnheit, sich manches freie und derbe Wort des Tadels erlaubten, als rohe Barbaren allmählich vom Hof entfernen, die Gelder, die für Kriegsschiffe, Rosse, Ausrüstung der gotischen Heere bestimmt waren, für Wissenschaften und Künste oder auch für die Verschönerung, Erhaltung und Sicherung Roms verwenden: – kurz, er war ihr behilflich in allem, was sie ihrem Volk entfremden, ihre Regierung verhaßt und ihr Reich wehrlos machen konnte. Und hatte er selbst einen Plan, immer wußte er seine Verhandlungen mit der Fürstin so zu wenden, daß sich diese für die Urheberin ansehen mußte und ihn zu dem Vollzug seiner geheimsten Wünsche als _ihrer_ Aufträge befehligte. Fünftes Kapitel. Begreiflicherweise bedurfte es, um solchen Einfluß zu gewinnen und zu pflegen, häufigeren Aufenthalts am Hof, längerer Abwesenheit von Rom als seine dortigen Interessen vertrugen. Deshalb strebte er danach, in die Nähe der Königin Persönlichkeiten zu bringen, die ihm diese Mühe zum Teil ersparen könnten, die ihn immer gut unterrichten und warm vertreten sollten. Die Frauen von mehreren gotischen Edeln, welche grollend Ravenna verließen, mußten in der Umgebung Amalaswinthens ersetzt werden und Cethegus trug sich mit dem Gedanken, bei dieser Gelegenheit Rusticiana, die Tochter des Symmachus, die Witwe des Boëthius an den Hof zu bringen. Die Aufgabe war nicht leicht. Denn die Familie dieser als Hochverräter hingerichteten Männer war in Ungnade aus der Königsstadt verbannt. Vor allem mußte daher die Königin umgestimmt werden für sie. Dies freilich gelang alsbald, indem die Großmut der edeln Frau gegen das so tief gefallne Haus wachgerufen wurde. Dazu kam, daß sie an die niemals vollbewiesene Schuld von zwei edeln Römern nie von Herzen hatte glauben mögen, deren einen, den Gatten Rusticianas, sie als großen Gelehrten und in manchen Gebieten als ihren Lehrer verehrte. Endlich wußte Cethegus zu betonen, wie gerade diese That, sei es der Gerechtigkeit, sei es der Gnade, die Herzen all’ ihrer römischen Unterthanen rühren müsse. So war die Regentin leicht gewonnen, Gnade zu erteilen. Viel schwerer ward die stolze und leidenschaftliche Witwe des Verurteilten bewogen, diese Gnade anzunehmen. Denn Wut und Rachedurst gegen das Königshaus erfüllten ihre ganze Seele und Cethegus mußte sogar fürchten, ihr unbeherrschbarer Haß könnte sich in der steten Nähe der »Tyrannen« leicht verraten. Wiederholt hatte Rusticiana trotz all’ seiner sonst so großen Gewalt über sie dieses Ansinnen zurückgewiesen. Da machten sie eines Tages eine sehr überraschende Entdeckung, die zur Erfüllung der Wünsche des Präfekten führen sollte. Rusticiana hatte eine kaum sechzehnjährige Tochter, Kamilla. Aus ihrem echt römischen Gesicht mit den edeln Schläfen und den schön geschnittenen Lippen leuchteten dunkle schwärmerische Augen: der eben erst vollendete Wuchs zeigte feine, fast allzuzarte Formen, rasch und leicht und fein wie einer Gazelle waren alle Bewegungen dieser schlanken Glieder. Eine reiche Seele mit schwungvoller Phantasie lebte in dem lieblichen Mädchen. Mit aller Inbrunst kindlicher Verehrung hatte sie ihren unglücklichen Vater geliebt: der Streich, der sein teures Haupt getroffen, hatte tief in das Leben des heranblühenden Mädchens geschlagen; ungestillte Trauer, heilige Wehmut, mit der sich die leidenschaftliche Vergötterung seines Martyriums für Italien mischte, erfüllten alle Träume ihres jungfräulichen Entfaltens. Vor dem Sturz ihres Hauses ein gern gesehener Gast am Königshof war sie nach dem Schicksalsschlag mit ihrer Mutter über die Alpen nach Gallien geflohen, wo ein alter Gastfreund den betrübten Frauen monatelang eine Zufluchtstätte bot, während Anicius und Severinus, Kamillas Brüder, anfänglich ebenfalls verhaftet und zum Tode verurteilt, dann zur Verbannung aus dem Reich begnadigt, aus dem Kerker sofort nach Byzanz an den Hof des Kaisers eilten, wo sie Himmel und Hölle gegen die Goten in Bewegung setzten. Die Frauen waren, als sich der Sturm der Verfolgung verzogen, nach Italien zurückgekehrt und lebten ihrem stillen Gram im Häuschen eines treuen Freigelassenen zu Perusia, von wo aus freilich Rusticiana, wie wir gesehen, den Weg zu den Verschworenen in Rom wohl zu finden wußte. Der Sommer war gekommen, die Jahreszeit, in der vornehme Römer noch immer, wie zur Zeit des Horatius und Tibullus, die dumpfe Luft der Städte zu fliehen und in seine kühlen Villen im Sabinergebirge oder an der Meeresküste sich zu verstecken pflegten. Mit Beschwerde trugen die verwöhnten Edelfrauen den Qualm und Staub in den heißen Straßen des engen Perusia, mit Seufzen der herrlichen Landhäuser bei Florentia und Neapolis gedenkend, die sie, wie all’ ihr Vermögen, an den gotischen Fiskus verloren. Da trat eines Tages der treue Corbulo mit seltsam verlegenem Gesicht vor Rusticiana. Er habe längst bemerkt, wie die »Patrona« unter seinem unwürdigen Dach zu leiden und mancherlei Ungemach schon durch seine Hantierung – er war seines Zeichens Steinmetz – zu erdulden gehabt und so habe er denn an den letzten Calenden ein kleines, freilich nur ein ganz kleines, Gütchen mit einem noch kleineren Häuschen gekauft, droben im Gebirge bei Tifernum. Freilich, an die Villa bei Florentia dürften sie dabei nicht denken: aber es riesele doch auch dort ein selbst unter dem Sirius nicht versiegender Waldquell, Eichen und Kornellen gäben breiten Schatten, um den verfallnen Faunustempel wuchre üppig der Epheu und im Garten habe er Rosen, Veilchen und Lilien pflanzen lassen, wie sie Domna Kamilla liebe und so möchten sie denn Maultier und Sänfte besteigen und wie andre Edelfrauen ihre Villa beziehen. Die Frauen, von dieser Treue des Alten gerührt, nahmen dankbar seine Güte an und Kamilla, die sich in kindlicher Genügsamkeit auf die kleine Veränderung freute, war heiterer, belebter als je seit dem Tod ihres Vaters. Ungeduldig drängte sie zum Aufbruch und eilte noch am selben Tage mit Corbulo und Daphnidion, dessen Tochter, voraus, Rusticiana sollte mit den Sklaven und dem Gepäck so bald als möglich folgen. Die Sonne sank schon hinter die Hügel von Tifernum, als Corbulo, Kamillens Maultier am Zügel führend, aus den Waldhöhen auf die Lichtung gelangte, von wo aus man das Gütchen zuerst wahrnehmen konnte. Längst hatte er sich auf die Überraschung des Kindes gefreut, wenn er ihr von hier aus das anmutig gelegene Haus zeigen würde. Aber erstaunt blieb er stehen: – er hielt die Hand vor die Augen, ob ihn die Abendsonne blende, er sah umher, ob er denn nicht an der rechten Stelle: aber kein Zweifel! da stand ja an dem Rain, wo Wald und Wiese sich berührten, der graue Markstein in Gestalt des alten Grenzgottes Terminus mit seinem spitz zulaufenden Kopf: der rechte Ort war es, aber das Häuschen nicht zu sehen: vielmehr an seiner Stelle eine dichte Gruppe von Pinien und Platanen: und auch sonst war die ganze Umgebung verändert: da standen grüne Hecken und Blumenbeete, wo sonst Kohl und Rüben, und ein zierlicher Pavillon prangte, wo bisher Sandgruben und die Landstraße sein bescheidnes Gebiet begrenzt hatten. »Die Mutter Gottes steh’ mir bei und alle obern Götter!« rief der Steinmetz, »bin ich verzaubert oder die Gegend? Aber Zauber ist los!« Seine Tochter reichte ihm eifrig das Amulet, das sie am Gürtel trug: aber Aufschluß konnte sie nicht geben, da sie zum erstenmal das neue Besitztum betrat und so blieb nichts übrig, als das Maultier zur größten Eile zu treiben und springend und rufend begleiteten Vater und Tochter den Trab des Grauchens die Wiesenhänge hinunter. Als sie nun näher kamen, fand Corbulo allerdings hinter der Baumgruppe das Haus, das er gekauft: aber so verjüngt, erneuert, verschönt, daß er es kaum erkannte. Sein Staunen über die Umwandlung der ganzen Gegend stieg aufs neue zu abergläubischer Furcht: offnen Mundes blieb er zuletzt stehen, ließ die Zügel fallen und begann eine wieder seltsam gemischte Reihe von christlichen und heidnischen Ausrufen, als plötzlich Kamilla ebenso überrascht ausrief: »Aber das ist ja der Garten, wo wir gewohnt, das Viridarium des Honorius zu Ravenna, dieselben Bäume, dieselben Blumenbeete, und auch an jenem Teich, wie zu Ravenna am Meeresufer, der Tempel der Venus! o wie schön, welche Erinnerung! Corbulo, wie hast du das angefangen?« Und Thränen freudiger Rührung traten in ihre Augen. – »So sollen mich alle Teufel peinigen und Lemuren, wenn ich das angefangen habe. Doch da kommt Cappadox mit seinem Klumpfuß, der ist also nicht mit verhext. Rede, du Cyklope, was ist hier geschehen?« Der riesige Cappadox, ein breitschultriger Sklave, humpelte mit ungeschlachtem Lächeln heran und erzählte nach vielen Fragen und Unterbrechungen des Staunens eine rätselhafte Geschichte. Vor drei Wochen etwa, wenige Tage nachdem Cappadox auf das Gut geschickt war, es für seinen Herrn, der auf längere Zeit in die Marmorbrüche von Luna verreist war, zu verwalten, kam von Tifernum her ein vornehmer Römer mit einem Troß von Sklaven und Arbeitern und mit hochbepackten Lastwagen an. Er fragte, ob dies die Besitzung sei, welche der Steinmetz Corbulo von Perusia für die Witwe des Boëthius gekauft. Und als dies bejaht wurde, gab er sich als den Hortulanus Prinzeps d. h. als Oberintendanten der Gärten zu Ravenna zu erkennen. Ein alter Freund des Boëthius, der aus Furcht vor den gotischen Tyrannen seinen Namen nicht zu nennen wage, wünsche, sich insgeheim der Verfolgten anzunehmen und habe ihm den Auftrag gegeben, den Aufenthalt derselben mit allen Mitteln seiner Kunst zu schmücken und zu verschönern. Der Sklave dürfe die beabsichtigte Überraschung nicht verderben und halb mit Güte, halb mit Gewalt hielt man den staunenden Cappadox auf der Villa fest. Der Intendant aber entwarf sofort seinen Plan und seine Arbeiter gingen unverzüglich ans Werk. Viele benachbarte Grundstücke wurden zu hohen Preisen hinzugekauft und nun hob an ein Niederreißen und Bauen, ein Pflanzen und Graben, ein Hämmern und Klopfen, ein Putzen und Malen, daß dem guten Cappadox Hören und Sehen verging. Wollte er fragen und drein reden, so lachten ihm die Arbeiter ins Gesicht. Wollte er sich davon machen, so winkte der Intendant und ein halb Dutzend Fäuste hielten ihn fest. »Und« – schloß der Erzähler – »so ging’s bis vorgestern Morgen. Da waren sie fertig und zogen davon. Anfangs war mir angst und bang, da ich die kostspieligen Herrlichkeiten aus dem Boden wachsen sah. Ich dachte: am Ende, wenn Meister Corbulo das alles bezahlen soll, dann weh über meinen Rücken! Und ich wollte dir’s melden. Aber sie ließen mich nicht und obenein wußt’ ich dich fern von Haus. Und wie ich nachgerade das unsinnig viele Geld des Intendanten verspürte und wie der mit den Goldstücken um sich warf wie die Kinder mit Kieseln, siehe, da beruhigte sich allmählich mein Gemüte und ich ließ alles gehen wie es ging. Nun, o Herr, weiß ich wohl: du kannst mich dennoch in den Block setzen und prügeln lassen. Mit der Rebe oder sogar mit dem Skorpion. Du kannst es. Denn warum? du bist der Herr und Cappadox der Knecht. Aber gerecht, Herr, wäre es kaum! bei allen Heiligen und allen Göttern! Denn du hast mich gesetzt über ein Paar Kohlfelder und siehe, sie sind geworden ein Kaisergarten unter meiner Hand.« Kamilla war längst abgestiegen und davongeschlüpft, ehe der Sklave zu Ende. Mit vor Freude hochklopfendem Herzen durcheilte sie den Garten, die Lauben, das Haus: sie schwebte wie auf Flügeln, kaum konnte ihr die flinke Daphnidion folgen. Ein Ausruf der Überraschung des freudigen Schreckens jagte den andern: so oft sie um eine Ecke des Weges, um eine Baumgruppe, bog, wieder und wieder stand ein Bild aus jenem Garten von Ravenna vor ihrem entzückten Auge. Als sie aber ins Haus gelangte und ein kleines Gemach desselben genau so bemalt, ausgerüstet, geschmückt fand wie jener Raum im Kaiserschloß gewesen war, in dem sie die letzten Tage der Kindheit verspielt und die ersten Träume des Mädchens geträumt, dieselben Bilder auf den bastgeflochtnen Vorhängen, die gleichen Vasen und zierlichen Citruskästchen und auf dem gleichen Schildpatttischchen ihre kleine zierliche Lieblingsharfe mit den Schwanenflügeln, da, überwältigt von so vielen Erinnerungen, und noch mehr von dem Gefühl des Dankes gegen so zarte Freundschaft, sank sie schluchzend in freudiger Wehmut auf den weichen Teppichen des Lectus zusammen. Kaum konnte sie Daphnidion beruhigen. »Es giebt noch edle Herzen, noch Freunde für das Haus des Boëthius,« rief sie wieder und wieder. Und sie sandte das innigste Gebet des Dankes gegen Himmel. – Als am Tage darauf die Mutter eintraf, war sie kaum weniger ergriffen von der seltsamen Überraschung. Sogleich schrieb sie nach Rom an Cethegus und fragte, welcher Freund ihres Gatten wohl in diesem geheimnisvollen Wohlthäter zu suchen sei? Es war ihr eine stille Hoffnung, an ihn selbst dabei zu denken. Aber der Präfekt schüttelte nachdenklich den Kopf über ihren Brief und schrieb ihr zurück: er kenne niemand, an den ihn diese zartfühlende Weise mahnen könne. Sie möge scharf jede Spur beachten, die zur Lösung des Rätsels führen könne. Es sollte sich bald genug enthüllen. – Kamilla wurde nicht müde, den Garten zu durchstreifen und immer neue Ähnlichkeiten mit seinem trauten Vorbild zu entdecken. Oft führten sie diese Gänge über den Park hinaus und in den anstoßenden Bergwald. Dabei pflegte sie die muntre Daphnidion zu begleiten, die ihr gleiche Jugend und treue Anhänglichkeit rasch zur Vertrauten gemacht. Wiederholt hatte diese der Patrona bemerkt, ein Waldgeist müsse ihnen nachschleichen. Denn vielfach knacke es hörbar in den Büschen und rausche im Grase hinter oder neben ihnen. Und doch sei nirgends Mensch oder Tier zu sehen. Aber Kamilla lachte ihres Aberglaubens und nötigte sie immer wieder in die grünen Schatten der Ulmen und Platanen hinaus. Eines Tages entdeckten die Mädchen, vor der Hitze tiefer und tiefer in die Kühle des Waldes flüchtend, eine lebhafte Quelle, die reichlich und klar von dunkeln Porphyrfelsen traufte. Doch sie rieselte ohne bestimmtes Rinnsal und mühsam mußten die Durstenden die einzelnen Silbertropfen erhaschen. »Wie Schade,« rief Kamilla, »um das köstliche Naß! Da hättest du die Tritonenquelle sehen sollen im Pinetum zu Ravenna. Wie anmutig sprudelte der Strahl aus den aufgeblasenen Backen des bronzenen Meergotts und fiel gesammelt in eine breite Muschel von braunem Marmor, wie Schade!« Und sie gingen weiter. Nach einigen Tagen kamen beide wieder an die Stelle. Daphnidion, die voranschritt, blieb plötzlich laut aufschreiend stehen und wies sprachlos mit dem Finger auf die Quelle. Der Waldquell war gefaßt. Aus einem bronzenen Tritonenkopf sprudelte der Strahl in eine zierliche Muschel von braunem Marmor. Daphnidion, jetzt fest an Geisterspuk glaubend, wandte sich ohne weiteres zur Flucht: sie floh mit den Händen vor den Augen, die Waldgeister nicht zu sehen, was für höchst gefährlich galt, nach dem Hause zu, der Herrin laut rufend, ihr zu folgen. Aber Kamilla durchzuckte der Gedanke: der Lauscher, der uns neulich hierher gefolgt, ist gewiß auch jetzt in der Nähe, sich an unsrem Staunen zu weiden. Scharf sah sie umher: an einem wilden Rosenbusch fielen die Blüten von schwankenden Zweigen zur Erde. Rasch schritt sie auf das Dickicht zu. Und sieh, aus dem Gebüsch trat ihr mit Jagdtasche und Wurfspeer ein junger Jäger entgegen. »Ich bin entdeckt,« sagte er mit leiser, schüchterner Stimme, anmutig in seiner Beschämung. Aber mit einem Schreckensruf fuhr Kamilla zurück: »Athalarich« – stammelte sie – »der König!« Eine ganze Meerflut von Gedanken und Gefühlen wogte ihr durch Haupt und Herz, und halb ohnmächtig sank sie auf den Rasenhang neben der Quelle. Der junge König stand in Schrecken und Entzücken sprachlos einige Sekunden vor der hingegossenen zarten Gestalt: durstig sog sein brennendes Auge die schönen Züge, die edeln Formen ein: flüchtiges Rot schoß zuckend wie Blitze über sein bleiches Gesicht. »O sie – sie ist mein heißer Tod« – hauchte er, endlich beide Hände an das pochende Herz drückend – »jetzt sterben, – sterben mit ihr.« Da regte sie den Arm. Das brachte ihn zur Besinnung zurück. Er kniete neben ihr nieder und sprengte das kühle Naß des Brunnens auf ihre Schläfe. Sie schlug die Augen auf: »Barbar – Mörder!« schrie sie gellend, stieß seine Hand zurück, sprang auf und floh wie ein gescheuchtes Reh hinweg. Athalarich folgte ihr nicht. »Barbar – Mörder,« hauchte er in tiefstem Schmerz vor sich hin. Und er verbarg die glühende Stirn in den Händen. Sechstes Kapitel. Kamilla kam in so hoher Aufregung nach Hause, daß Daphnidion sich’s nicht nehmen ließ, die Domna müsse die Nymphen oder gar den altehrwürdigen Waldgott Picus selbst gesehen haben. Aber das Mädchen warf sich in wilder Bewegung in die Arme der erschrockenen Mutter. Der Kampf verworrener Gefühle löste sich in einem Strom von heißen Thränen und erst spät vermochte sie, den besorgten Fragen Rusticianas Antworten und Aufschluß zu geben. In der tiefen Seele dieses Kindes wogte ein schweres Ringen. Es war dem am Hofe zu Ravenna heranreifenden Mädchen nicht ganz entgangen, daß der schöne, bleiche Knabe oft mit seltsamem, träumendem Blick die dunkeln Augen auf ihr ruhen ließ, daß er wie mit Andacht dem Tonfall ihrer Stimme lauschte. Aber niemals war diese Ahnung inneren Wohlgefallens ihr bestimmt ins Bewußtsein getreten; der Prinz, scheu und verschlossen, hatte die Augen niedergeschlagen, wenn sie ihn über einem solchen Blick ertappte und ihn unbefangen fragend ansah: waren sie doch beide damals beinahe noch Kinder. Sie wußte nicht zu nennen, was in Athalarich vorging – kaum wußte er es selbst – und nie war es ihr eingefallen, nachzudenken, warum auch sie gern in seiner Nähe lebte, gern dem kühnen, von der Art aller andrer Gespielen abweichenden Flug seiner Gedanken oder Phantasien folgte, gern auch schweigend neben dem Schweigenden im Abendlicht durch die stillen Gärten wandelte, wo er oft mitten aus seinen Träumereien abgerissene, aber immer sinnige Worte zu ihr sprach, deren Poesie, die Poesie schwärmerischer Jugend, sie so völlig verstand und würdigte. In das zarte Weben dieser knospenden Neigung schlug nun die Katastrophe ihres über alles geliebten Vaters. Und nicht nur sanfte Trauer um den Gemordeten, glühender Haß gegen die Mörder ergriff die Seele der leidenschaftlichen Römerin. Von jeher hatte Boëthius, selbst in der Zeit seiner höchsten Gunst am Hofe, ein hochmütiges Herabsehen auf das Barbarentum der Goten zur Schau getragen, und seit seinem Untergang atmete natürlich die ganze Umgebung Kamillas, die Mutter, die beiden rachedürstenden Brüder, die Freunde des Hauses nur Haß und Verachtung: nicht nur gegen den blutigen Mörder und Tyrannen Theoderich, nein, gegen alle Goten und vorab gegen Tochter und Enkel des Königs, die seine Schuld zu teilen schienen, weil sie dieselbe nicht verhindert. So hatte das Mädchen Athalarichs fast gar nicht mehr gedacht. Und wann er genannt wurde oder wann, was ihr manchmal begegnete, sein Bild im Traume vor ihre Seele trat, so gipfelte all’ ihr Haß gegen die Barbaren in höchstem Abscheu gegen ihn. Vielleicht gerade deshalb, weil im geheimsten Grund ihres Herzens jetzt eine widerstrebende Ahnung von jener Neigung zitterte, die sie zu dem schönen Königssohn gezogen. – Und nun – nun hatte es der Frevler gewagt, ihr argloses Herz mit tückischem Streich zu treffen! Sie hatte, sowie sie ihn aus dem Dickicht schreiten sah, sowie sie ihn erkannte, blitzschnell erfaßt, daß er es war, der, wie die Fassung der Quelle, so die Umgestaltung der ganzen Villa geschaffen. Er, der verhaßte Feind, der Sproß des verfluchten Geschlechts, an welchem das Blut ihres Vaters klebte, der König der Barbaren! All die Freuden, mit welchen sie in diesen Tagen Haus und Garten durchmustert, brannten jetzt wie glühend Erz auf ihrer Seele. Der Todfeind ihres Volkes, ihres Geschlechts, hatte gewagt, sie zu beschenken, zu erfreuen, zu beglücken. Für ihn hatte sie Dankgebete zum Himmel gesandt. Er hatte sich erkühnt, ihren Schritten zu folgen, ihre Worte zu belauschen, ihre leisesten Wünsche zu erfüllen: – und im Hintergrund ihrer Seele stand, schrecklicher als all’ dies, der Gedanke, warum er das gethan. Er liebte sie! Der Barbar erkühnte sich, es ihr zu zeigen. Der Tyrann Italiens, er wagte wohl gar zu hoffen, daß des Boëthius Tochter – O es war zu viel! und schmerzlich schluchzend barg sie das Haupt in den Kissen ihres Lagers, bis dumpfer Schlaf der Erschöpfung auf sie niedersank. Alsbald erschien der eilig herbeigerufene Cethegus bei den ratlosen Frauen. Rusticiana hatte ihrem wie Kamillens erstem Gefühle folgen, sofort die Villa und die verhaßte Nähe des Königs fliehen und ihr Kind jenseit der Alpen bergen wollen. Aber der Zustand Kamillas hatte bisher den Aufbruch verhindert und sowie der Präfekt das Haus betrat, schien sich die Flamme der Aufregung vor seinem kalten Blick zu legen. Er nahm Rusticianen allein mit sich in den Garten: ruhig und aufmerksam hörte er daselbst, den Rücken an einen Lorberstamm gelehnt, das Kinn in die linke Hand gestützt, ihrer leidenschaftlichen Erzählung zu. »Und nun rede,« schloß sie, »was soll ich thun? Wie soll ich mein armes Kind retten? wohin sie bringen?« Cethegus schlug die Augen auf, die er, wie er bei angestrengtem Nachsinnen pflegte, halb geschlossen hatte. »Wohin Kamilla bringen?« sagte er. »An den Hof, nach Ravenna.« Rusticiana fuhr empor: »Wozu jetzt der giftige Scherz!« Aber Cethegus richtete sich rasch auf. »Es ist mein Ernst. Still – höre mich. Kein gnädigeres Geschenk hat das Schicksal, das die Barbaren verderben will, in unsren Weg legen können. Du weißt, wie völlig ich die Regentin beherrsche. Aber nicht weißt du, wie völlig machtlos ich bin über jenen eigensinnigen Schwärmer. Es ist rätselhaft. Der kranke Jüngling ist im ganzen Gotenvolk der einzige, der mich, wenn nicht durchschaut, doch ahnt. Und ich weiß nicht, ob er mich mehr fürchtet oder mehr haßt. Das wäre mir ziemlich gleichgültig, wenn der Verwegne mir nicht sehr entschieden und sehr erfolgreich entgegenarbeitete. Sein Wort wiegt natürlich schwer bei seiner Mutter. Oft schwerer als das meine. Und er wird immer älter, reifer, gefährlicher. Sein Geist überflügelt mächtig seine Jahre. Er nimmt ernstlichen Teil an den Beratungen der Regentschaft. Jedesmal spricht er gegen mich. Oft siegt er. Erst neulich hat er es gegen mich durchgesetzt, daß der schwarzgallige Teja den Befehl der gotischen Truppen in Rom erhielt, in meinem Rom! Kurz, der junge König wird höchst gefährlich. Und ich hatte bisher nicht einen Schatten von Gewalt über ihn. Zu seinem Verderben liebt er Kamilla. Durch sie wollen wir den Unbeherrschbaren beherrschen.« »Nimmermehr!« rief Rusticiana. »Nie, so lang ich atme. Ich an den Hof des Tyrannen! Mein Kind die Geliebte Athalarichs! des Boëthius Tochter! Sein blutger Schatte würde –« »Willst du diesen Schatten rächen? Ja! willst du die Goten verderben? Ja! Also mußt du wollen, was dahin führt.« – »Nie, bei meinem Eide!« – »Weib, reize mich nicht. Trotze mir nicht. Du kennst mich! Bei deinem Eide! Wie? Hast du mir nicht Gehorsam geschworen, blinden, unbedingten, wie ich dir Rache verheißen? Hast du’s nicht geschworen auf die Gebeine der Heiligen, dich und deine Kinder verflucht für den Eidbruch? Man sieht sich vor bei euch Weibern. Gehorche oder zittre für deine Seele.« »Entsetzlicher! Soll ich all meinen Haß dir, deinen Plänen opfern?« »Mir? Wer spricht von mir? _Deine_ Sache führ’ ich. _Deine_ Rache vollend’ ich: _Mir_ haben die Goten nichts zuleid gethan. _Du_ hast mich aufgestört von meinen Büchern. Du hast mich aufgerufen, diese Amaler zu vernichten. Willst du nicht mehr? Auch gut! Ich kehre zurück zu Horatius und der Stoa! Leb wohl.« »Bleib, bleibe. Aber soll denn Kamilla das Opfer werden?« »Wahnsinn! Athalarich soll es werden. Sie soll ihn ja nicht lieben, sie soll ihn nur beherrschen. Oder,« fügte er, sie scharf ansehend, hinzu, »fürchtest du für ihr Herz?« – »Deine Zunge erlahme! Meine Tochter? _ihn_ lieben? eher erwürg’ ich sie mit diesen Händen.« Aber Cethegus war nachdenklich geworden. Es ist nicht um das Mädchen, sagte er zu sich selbst. Was liegt an ihr! Aber wenn sie ihn liebt – und der Gote ist schön, geistvoll, schwärmerisch .... »Wo ist deine Tochter?« fragte er laut. »Im Frauengemach. Auch wenn ich wollte, sie würde nie einwilligen, nie.« »Wir wollen’s versuchen. Ich gehe zu ihr.« Und sie traten ins Haus. Rusticiana wollte mit ihm in das Gemach. Aber Cethegus wies sie zurück. »Allein muß ich sie haben!« sprach er und schritt durch den Vorhang. Bei seinem Anblick erhob sich das schöne Mädchen von den Teppichen, auf denen sie in ratlosem Sinnen geruht. Gewöhnt, in dem klugen, beherrschenden Mann, dem Freund ihres Vaters, stets einen Berater und Helfer zu finden, begrüßte sie ihn vertrauend wie die Kranke den Arzt. »Du weißt, Cethegus?« – »Alles.« – »Und du bringst mir Hilfe.« – »Rache bring ich dir, Kamilla!« Das war ein neuer, ein mächtig ergreifender Gedanke! Nur Flucht, Rettung aus dieser qualvollen Lage hatten ihr bisher vorgeschwebt. Höchstens eine zornige Abweisung der königlichen Geschenke. Aber jetzt Rache! Vergeltung für die Schmerzen dieser Stunden! Rache für die erlittene Schmach! Rache an den Mördern ihres Vaters! Ihre Wunden waren frisch. Und in ihren Adern kochte das heiße Blut des Südens. Ihr Herz frohlockte über Cethegus’ Wort! »Rache? wer wird mich rächen? du?« – »Du dich selbst! Das ist süßer.« Ihre Augen blitzten. »An wem?« – »An ihm. An seinem Haus. An allen unsern Feinden.« – »Wie kann ich das? Ein schwaches Mädchen?« – »Höre auf mich, Kamilla. Nur dir, nur des edeln Boëthius edler Tochter sag ich, was ich sonst keinem Weib der Erde vertrauen würde. Es besteht ein starker Bund von Patrioten, der die Herrschaft der Barbaren spurlos austilgen wird aus diesem Lande: das Schwert der Rache hängt über den Häuptern der Tyrannen. Das Vaterland, der Schatte deines Vaters beruft dich, es herabzustürzen.« »Mich? ich – meinen Vater rächen? sprich!« rief hocherglühend das Mädchen, die schwarzen Haare aus den Schläfen streichend. »Es gilt ein Opfer. Rom fordert es.« – »Mein Blut, mein Leben! wie Virginia will ich sterben.« – »Du sollst leben, den Sieg zu schauen. Der König liebt dich. Du mußt nach Ravenna. An den Hof. Du mußt ihn verderben. Durch diese Liebe. Wir alle haben keine Macht über ihn. Nur du hast Gewalt über seine Seele. Du sollst dich rächen und ihn vernichten.« »Ihn vernichten?!« – Seltsam bewegt klang die leise Frage; ihr Busen wogte, ihre Stimme bebte in der Mischung ringender Gefühle, Thränen brachen aus ihren Augen, sie verbarg das Gesicht in den Händen. – Cethegus stand auf. »Vergieb,« sagte er. »Ich gehe. Ich wußte nicht, – – daß du den König liebst.« Ein Weheschrei des Zornes wie bei physischem Schmerz drang aus des Mädchens Brust. Sie sprang auf und faßte ihn an der Schulter: »Mann, wer sagt das? Ich hasse ihn! Hasse ihn, wie ich nie gewußt, daß ich hassen kann.« – »So beweis’ es. Denn ich glaub’ es dir nicht.« – »Ich will dir’s beweisen!« rief sie. »Sterben soll er! Er soll nicht leben!« Sie warf das Haupt zurück, wild funkelten die blitzenden Augen, ihr schwarzes Haar flog um die weißen Schultern. Sie liebt ihn, dachte Cethegus. Aber es schadet nicht. Denn sie weiß es noch nicht. Sie haßt ihn daneben. Und das allein weiß sie. Es wird gehn. »Er soll nicht leben,« wiederholte sie. »Du sollst sehen,« lachte sie, »wie ich ihn liebe! Was soll ich thun?« – »Mir folgen in allem.« – »Und was versprichst du mir dafür? was soll er erleiden?« – »Verzehrende Liebe bis zum Tod.« – »Liebe zu mir? ja, ja, das soll er!« – »Er, sein Haus, sein Reich soll fallen.« »Und er wird wissen, daß durch mich –?« – »Er soll es wissen. Wann reisen wir nach Ravenna?« »Morgen! Nein, heute noch.« Sie hielt inne und faßte seine Hand: »Cethegus, sage, bin ich schön?« »Der Schönsten eine.« »Ha!« rief sie, die losgegangenen Locken schüttelnd. »Er soll mich lieben und verderben! Fort nach Ravenna! Ich will ihn sehen, ich muß ihn sehen!« Und sie stürmte aus dem Gemach. – Sie sehnte sich mit ganzer Seele, bei Athalarich zu sein. Siebentes Kapitel. Noch am nämlichen Tage wurde die kleine Villa verlassen und der Weg nach der Königsstadt angetreten. Cethegus schickte einen Eilboten voraus mit einem Brief Rusticianas an die Regentin. Die Witwe des Boëthius erklärte darin, daß sie die durch Vermittelung des Präfekten von Rom wiederholt angebotene Rückberufung an den Hof nunmehr anzunehmen bereit sei. Nicht als eine That der Gnade, sondern der Sühne, als ein Zeichen, daß die Erben Theoderichs dessen Unrecht an den Verblichenen gut machen wollten. Diese stolze Sprache war wie aus Rusticianas tiefstem Herzen und Cethegus wußte, daß solches Auftreten nicht schaden, nur alle verdächtige Auslegung der raschen Umstimmung ausschließen werde. Unterwegs noch traf die Reisenden die Antwort der Königin, die sie am Hof willkommen hieß. In Ravenna angelangt wurden sie von der Fürstin aufs ehrenvollste empfangen, mit Sklaven und Sklavinnen umgeben und in dieselben Räume des Palastes eingeführt, die sie ehedem bewohnt. Freudig begrüßten sie die Römer. Aber der Zorn der Goten, die in Boëthius und Symmachus undankbare Verräter verabscheuten, wurde durch diese Maßregeln, die eine stillschweigende Verurteilung Theoderichs zu enthalten schienen, schwer gereizt. Die letzten Freunde des großen Königs verließen grollend den verwelschten Hof. – Einstweilen hatten die Zeit, die Zerstreuungen der Reise und der Ankunft Kamillas Aufregung gemildert. Und ihr Zorn konnte sich um so eher beschwichtigen als ihr viele Wochen zu Ravenna verstrichen, ehe sie Athalarich begegnete. Denn der junge König war gefährlich erkrankt. Am Hof erzählte man, er habe bei einem Aufenthalt zu Aretium, – er wollte dort, mit geringer Begleitung, der Bergluft, der Bäder und der Jagd genießen – in den Wäldern von Tifernum in der Hitze der Jagd einen kalten Trunk aus einer Felsenquelle gethan und sich dadurch einen heftigen Anfall seines alten Leidens zugezogen. Thatsache war, daß ihn sein Gefolge an jener Quelle bewußtlos niedergesunken gefunden hatte. Die Wirkung dieser Erzählung auf Kamilla war seltsam. Zu dem Haß gegen Athalarich trat jetzt ein Zug von leisem Bedauern. Ja eine Art von Selbstanklage. Aber andrerseits dankte sie dem Himmel, daß durch diese Krankheit eine Begegnung hinausgeschoben wurde, die sie jetzt in Ravenna nicht minder fürchtete als sie dieselbe, da sie noch fern von ihm in Tifernum war, lebhaft herbeigewünscht hatte. Und wenn sie jetzt in den weiten Anlagen des herrlichen Schloßgartens einsam wandelte, hatte sie immer und immer wieder zu bewundern, mit welcher Sorgfalt das kleine Gütchen des Corbulo diesem Muster nachgebildet worden war. Tage und Wochen vergingen. Man vernahm nichts von dem Kranken, als daß er zwar auf dem Weg der Besserung, aber noch streng an seine Gemächer gebunden sei. Ärzte und Hofleute, die ihn umgaben, priesen ihr oft seine Geduld und Kraft in den heftigsten Schmerzen, seine Dankbarkeit für jeden kleinen Liebesdienst, seine edle Milde. Aber wenn sie ihr Herz ertappte, wie gern es diesen Lobesworten lauschte, sagte sie heftig zu sich selbst: »Und meines Vaters Ermordung hat er nicht gehindert!« und ihre Brauen zogen sich zusammen und sie legte heimlich die geballte Faust auf das pochende Herz. In einer heißen Nacht war Kamilla nach langem friedlosen Wachen endlich gegen Morgen in unruhigen Schlaf gesunken. Angstvolle Träume quälten sie. Ihr war, als senke sich die Decke des Gemaches mit ihren Reliefgestalten auf sie nieder. Gerade über ihrem Haupte war ein jugendlich schöner Hypnos, der sanfte Gott des Schlafes, von hellenischer Hand gebildet, angebracht. Ihr träumte, der Schlafgott nehme die ernsteren, trauervollen Züge seines bleichen Bruders Thanatos an. Langsam und leise senkte der Gott des Todes sein Antlitz auf sie nieder. – Immer näher rückte er. – Immer bestimmter wurden seine Züge. – Schon fühlte sie den Hauch seines Atems auf ihrer Stirn. – Schon berührten fast die feinen Lippen ihren Mund. – Da erkannte sie mit Entsetzen die bleichen Züge, das dunkle Auge. – Es war Athalarich – dieser Todesgott. – Mit einem Schrei fuhr sie empor. Die zierliche Silberlampe war längst erloschen. Es dämmerte im Gemach. Ein rotes Licht drang gedämpft durch das Fenster von Frauenglas. Sie erhob sich und öffnete es; die Hähne krähten, die Sonne tauchte mit den ersten Strahlenspitzen aus dem Meer, auf das sie, über den Schloßgarten hinweg, freien Ausblick hatte. Es litt sie nicht mehr in dem schwülen Gemach. Sie schlug den faltigen Mantel um die Schultern und eilte leise, leise aus dem noch schlummernden Palast über die Marmorstufen in den Garten, aus dem ihr erfrischender Morgenwind von der nahen See her entgegenwehte. Sie eilte der Sonne und dem Meere zu. Denn im Osten stieß der Garten des Kaiserpalastes mit seinen hohen Mauern unmittelbar an die blauen Wellen der Adria. Ein vergoldetes Gitterthor und jenseit desselben zehn breite Stufen von weißem hymettischem Marmor führten hinab zu dem kleinen Hafen des Gartens, in welchem die schwanken Gondeln mit leichten Rudern und dem dreieckigen lateinischen Segel von Purpurlinnen schaukelten, mit silbernen Kettchen an den zierlichen Widderköpfen von Erz befestigt, die links und rechts aus dem Marmorquai hervorragten. Diesseit des Gitterthors, nach dem Garten zu, fanden die Anlagen ihren Abschluß in einer geräumigen Rundung, die von weit schattenden Pinien dicht umfriedet war. Ihre Bodenfläche, von üppigem, sorgfältig gezognem Graswuchs bedeckt, wurde von reinlichen Wegen durchschnitten und von reichen Beten stark duftender Blumen unterbrochen. Eine Quelle, zierlich gefaßt, rieselte den Abhang hinab in das Meer. Die Mitte des Platzes bildete ein kleiner, altersgrauer Venustempel, den eine einsame Palme hochwipflig überragte, indes brennendroter Steinbrech in den leeren Halbnischen seiner Außenwände prangte. Vor seiner längst geschlossenen Pforte stand zur Rechten ein eherner Äneas. Der Julius Cäsar zur Linken war schon vor Jahrhunderten zusammengestürzt. Theoderich hatte auf dem Postament ein Erzbild des Amala errichten lassen, des mythischen Stammvaters seines Hauses. Hier, zwischen diesen Statuen, an den Eingangsstufen des kleinen Fanum genoß man des herrlichsten Blickes durch das Gitterthor auf das Meer mit seinen buschigen Laguneninseln und einer Gruppe von scharfkantigen malerischen Felsklippen, »die Nadeln der Amphitrite« genannt. Es war ein alter Lieblingsort Kamillas. Und hierher lenkte sie jetzt die leichten Schritte, den reichen Tau von dem hohen Grase streifend, wie sie mit leis gehobnem Gewand durch die schmalen Wieswege eilte. Sie wollte die Sonne über das Meer hin aufglühen sehen. Sie kam von der Rückseite des Tempels, ging an dessen linker Seite hin und trat eben auf die erste der Stufen, die von seiner Stirn zu dem Gitter hinabführten, als sie rechts, auf der zweiten Stufe, halb sitzend, halb liegend, eine weiße Gestalt erblickte, die, das Haupt an die Treppe gelehnt, das Antlitz dem Meere zuwandte. Aber sie erkannte das braune, das seidenglänzende Haar: es war der junge König. Die Begegnung war so plötzlich, daß an Ausweichen nicht zu denken. Wie angewurzelt hielt das Mädchen auf der ersten Stufe. Athalarich sprang auf und wandte sich rasch. Eine helle Röte flammte über sein marmorbleiches Gesicht. Doch faßte er sich zuerst von beiden und sprach: »Vergieb, Kamilla. Ich konnte dich nicht hier erwarten. Zu dieser Stunde. Ich gehe. Und lasse dich allein mit der Sonne.« Und er schlug den weißen Mantel über die linke Schulter. »Bleib, König der Goten. Ich habe nicht das Recht, dich zu verscheuchen – und nicht die Absicht,« fügte sie bei. Athalarich trat einen Schritt näher. »Ich danke dir. Aber ich bitte dich um eins,« setzte er lächelnd hinzu, »verrate mich nicht an meine Ärzte, an meine Mutter. Sie sperren mich den ganzen Tag über so sorgsam ein, daß ich ihnen wohl vor Tag entschlüpfen muß. Denn die frische Luft, die Seeluft thut mir gut. Ich fühl’s. Sie kühlt. Du wirst mich nicht verraten.« Er sprach so ruhig. Er blickte so unbefangen. Diese Unbefangenheit verwirrte Kamilla. Sie wäre viel mutiger gewesen, wenn er bewegter. Sie sah diese Unbefangenheit mit Schmerz. Aber nicht um der Pläne des Präfekten willen. So schüttelte sie nur schweigend das Haupt zur Antwort. Und sie senkte die Augen. Jetzt erreichten die Strahlen der Sonne die Höhe, auf der die beiden standen. Der alte Tempel und das Erz der Statuen schimmerten im Morgenlicht. Und eine breite Straße von zitterndem Gold bahnte sich von Osten her über die spiegelglatte Flut. »Sieh, wie schön!« rief Athalarich, fortgerissen von dem Eindruck. »Sieh die Brücke von Licht und Glanz.« Sie blickte teilnehmend hinaus. »Weißt du noch, Kamilla?« fuhr er langsamer fort, wie in Erinnerungen verloren und ohne sie anzusehen, »weißt du noch, wie wir hier als Kinder spielten? Träumten? Wir sagten: die goldne Straße, von Sonnenstrahlen auf die Flut gezeichnet, führe zu den Inseln der Seligen.« – »Zu den Inseln der Seligen!« wiederholte Kamilla. Im stillen bewunderte sie, mit welcher Zartheit und edlen Leichtigkeit er, jeden Gedanken an ihre letzte Begegnung fern haltend, mit ihr in einer Weise verkehrte, die sie völlig entwaffnete. »Und schau, wie dort die Statuen glänzen: das wundersame Paar, Äneas und – Amala! Höre, Kamilla, ich habe dir abzubitten.« Lebhaft schlug ihr Herz. Jetzt wollte er der Ausschmückung der Villa, der Quelle gedenken. Das Blut stieg ihr in die Wangen. Sie schwieg in peinlicher Erwartung. Aber ruhig fuhr der Jüngling fort: »Du weißt, wie oft wir, du die Römerin, ich der Gote, an diesem Ort in Wettreden den Ruhm und den Glanz und die Art unserer Völker priesen. Dann standest du unter dem Äneas und sprachst mir von Brutus und Camillus, von Marcellus und den Scipionen. Ich aber, an meines Ahnherrn Amala Schild gelehnt, rühmte Ermanarich und Alarich und Theoderich. Aber du sprachst besser als ich. Und oft, wenn der Schimmer deiner Helden mich zu überstrahlen drohte, lachte ich deiner Toten und rief: »das Heute und die lebendige Zukunft ist meines Volkes!«« »Nun, und jetzt?« – »Ich spreche nicht mehr so. Du hast gesiegt, Kamilla!« Aber indem er so sprach, schien er so stolz wie nie zuvor. Und dieser überlegne Ausdruck empörte die Römerin. Sie war ohnehin gereizt durch die unnahbare Ruhe, mit welcher der Fürst, auf dessen Leidenschaft man solche Pläne gebaut, ihr gegenüberstand. Sie begriff diese Ruhe nicht. Sie hatte ihn gehaßt, weil er es gewagt, ihr seine Liebe zu zeigen. Und jetzt lebte dieser Haß auf, weil er es vermochte, diese Liebe zu verbergen. Mit der Absicht, ihm weh zu thun, sagte sie langsam: »So räumst du ein, König der Goten, daß deine Barbaren den Völkern der Menschlichkeit nachstehen?« »Ja, Kamilla,« antwortete er ruhig, »aber nur in einem: im Glück! Im Glück des Geschickes wie im Glück der Natur. Sieh dort die Gruppe von Fischern, die ihre Netze aufhängen an den Olivenbäumen am Strande. Wie schön sind diese Gestalten! In Bewegung und Ruhe, trotz ihrer Lumpen: lauter Statuen! Hier das Mädchen mit der Amphora auf dem Haupt! dort der Alte, der, den Kopf auf den linken Arm gestützt, im Sande liegt und hinaus träumt ins Meer. Jeder Bettler unter ihnen sieht aus wie ein entthronter König. Wie sie schön sind! Und in sich eins und glücklich! Ein Schimmer ungebrochenen Glücks liegt über ihnen. Wie über Kindern! Oder edeln Tieren! Das fehlt uns Barbaren!« – »Fehlt euch nur das?« – »Nein, uns fehlt auch Glück im Schicksal. Mein armes, herrliches Volk! Wir sind hier herein verschlagen in eine fremde Welt, in der wir nicht gedeihen. Wir gleichen der Blume der hohen Alpen, dem Edelweiß, die vom Sturmwind vertragen ward in den heißen Sand der Niederung. Wir können nicht wurzeln hier. Wir welken und sterben.« – Und mit edler Wehmut blickte er hinaus in die blaue Flut. Aber Kamilla hatte nicht die Stimmung, diesen weissagerischen Worten eines Königs über sein Volk nachzusinnen. »Warum seid ihr gekommen?« fragte sie mit Härte. »Warum seid ihr über die Berge gedrungen, die ein Gott als ewige Marken gesetzt hat zwischen euch und uns. Sprich, warum?« – »Weißt du,« sprach Athalarich, ohne sie anzublicken, wie mit sich selber und für sich selber fortdenkend, »weißt du, warum die dunkle Motte nach der hellen Flamme fliegt? Wieder, immer wieder! Von keinem Schmerz gewarnt! bis sie verzehrt ist von der schönen, lockenden Feindin? Aus welchem Grund! Aus einem süßen Wahnsinn! Und solch’ ein süßer Wahnsinn ist es, ganz derselbe, der meine Goten aus den Tannen und Eichen hinweggezogen hat zu Lorber und Olive. Sie werden sich die Flügel verbrennen, die thörichten Helden. Und werden doch nicht davon lassen. Wer will sie drum schelten? Sieh um dich her. Wie tief blau der Himmel! wie tief blau das Meer! und darin spiegeln die Wipfel der Pinien und die Säulentempel voll Marmorglanz! und fern da drüben ragen schön gewölbte Berge und draußen in der Flut schwimmen grüne Inseln, wo sich die Rebe um die Ulme schlingt. Und drüber hin die weiche, die warme, die kosende Luft, die alles erhellt. Welche Wunder der Formen, der Farben trinkt das Auge und atmen die entzückten Sinne! Das ist der Zauber, der uns ewig locken und ewig verderben wird.« Die tiefe und edle Erregung des jungen Königs blieb nicht ohne Eindruck auf Kamilla. Die tragische Gewalt dieser Gedanken ergriff ihr Herz: aber sie wollte nicht ergriffen sein. Sie wehrte sich gegen ihre weicher werdende Empfindung. Sie sagte kalt: »Ein ganzes Volk gegen Verstand und Einsicht vom Zauber angezogen?« und kalt und zweifelnd sah sie ihn an. Aber sie erschrak: denn wie Blitze loderte es aus den dunkeln Augen des Jünglings und die lang zurückgehaltne Glut brach plötzlich aus den Tiefen seiner Seele: »Ja, sag’ ich dir, Mädchen!« rief er leidenschaftlich. »Ein ganzes Volk kann eine thörichte Liebe, einen süßen, verderblichen Wahnsinn, eine tödliche Sehnsucht pflegen so gut wie – so gut wie ein einzelner. Ja, Kamilla, es giebt eine Gewalt im Herzen, die, stärker als Verstand und Wille, uns sehenden Auges ins Verderben reißt. Aber du weißt das nicht! Und mögest du’s nie erfahren. Niemals. Leb wohl!« Und rasch wandte er sich und bog rechts vom Tempel in den dichten Laubgang von rankendem Wein, der ihn sofort vor Kamilla wie vor den Fenstern des Schlosses verbarg. Sinnend blieb das Mädchen stehen. Seine letzten Worte klangen seltsam fort in ihren Gedanken: lange sah sie träumend ins offene Meer hinaus und mit wundersam gemischter Empfindung, mit verwandelter Stimmung, kehrte sie endlich wieder dem Schlosse zu. Achtes Kapitel. Noch am nämlichen Tage fand sich Cethegus bei den Frauen ein. Er war in wichtigen Geschäften von Rom herbeigeeilt und kam soeben aus dem Regentschaftsrat, der in des kranken Königs Gemach gehalten wurde. Verhaltner Zorn lagerte auf seinen herben Zügen. »Ans Werk, Kamilla,« sprach er heftig. »Ihr säumt zu lang. Dieser vorlaute Knabe wird immer herrischer. Er trotzt mir und Cassiodor und seiner schwachen Mutter selbst. Er verkehrt mit gefährlichen Leuten. Mit dem alten Hildebrand, mit Witichis und ihren Freunden. Er schickt Briefe und empfängt Briefe hinter unsrem Rücken. Er hat es durchgesetzt, daß die Königin nur noch in seiner Gegenwart den Rat der Regentschaft beruft. Und in diesem Rat kreuzt er all’ unsre Pläne. Das muß aufhören. So oder so.« – »Ich hoffe nicht mehr, Einfluß auf den König zu gewinnen,« sagte Kamilla ernst. – »Weshalb? hast du ihn schon gesehen.« Das Mädchen überlegte, daß sie Athalarich versprochen, seinen Ungehorsam nicht an die Ärzte gelangen zu lassen. Aber auch sonst widerstrebte es ihrem Gefühl, die Begegnung dieses Morgens zu entweihen, zu verraten. Sie wich daher der Frage aus und sagte: »Wenn der König sich sogar seiner Mutter, der Regentin, widersetzt, wird er sich nicht von einem jungen Mädchen beherrschen lassen.« – »Goldne Einfalt!« lächelte Cethegus und ließ das Gespräch ruhen, solang das Kind anwesend war. Aber insgeheim trieb er Rusticianen, zu veranlassen, daß ihre Tochter den König fortan häufig sehe und spreche. Dies ward möglich, da sich dessen Befinden jetzt rasch besserte. Und wie äußerlich, wurde er innerlich zusehends männlicher, fester und reifer: es war, als ob das Widerstreben gegen Cethegus ihm Leib und Seele kräftige. So verbrachte er bald wieder viele Stunden in den weiten Anlagen des Gartens. Dort war es, wo ihn seine Mutter und die Familie des Boëthius in den Abendstunden häufig trafen. Und während Rusticiana die Huld der Regentin mit voller Freundschaft zu erwidern schien und aufmerksam ihren vertrauenden Mitteilungen lauschte, um sie wörtlich dem Präfekten wieder erzählen zu können, wandelten die jungen Leute vor ihnen her durch die schattigen Gänge des Gartens. Oft auch bestieg die kleine Gesellschaft eine der leichten Gondeln in jenem Hafen und Athalarich steuerte wohl selbst eine Strecke ins blaue Meer hinaus, nach einer der kleinen, grünbuschigen Inseln, die nicht weit vor der Bucht lagen. Auf dem Heimweg aber spannte man die purpurnen Segel auf und ließ sich von dem frischen Westwind, der sich bei Sonnenuntergang zu erheben pflegte, langsam und mühelos zurücktragen. – Oft waren es auch der König und Kamilla allein, die, nur von Daphnidion begleitet, sich dieser Wanderungen im Grünen und auf den Wellen erfreuten. Wohl sah Amalaswintha darin die Gefahr, dadurch die Neigung ihres Sohnes, die ihr nicht entgangen war, zu steigern. Aber vor allen andern Erwägungen segnete sie dankbar den günstigen Einfluß, den dieser Umgang augenscheinlich auf ihren Sohn übte: er wurde in Kamillas Nähe ruhiger, heiterer und war dann auch weicher gegen seine Mutter, der er sonst oft heftig und schroff gegenüber trat. Auch beherrschte er sein Gefühl mit einer Sicherheit, die bei dem reizbaren Kranken doppelt befremdete: und endlich würde die Regentin, im Fall sich diese Liebe ernster geltend machte, sogar einer Verbindung nicht abgeneigt gewesen sein, die den römischen Adel völlig zu gewinnen und jedes Andenken einer unseligen Blutthat auszulöschen versprach. – In dem Mädchen aber ging eine wundersame Wandlung vor. Täglich mehr fühlte sie ihren Groll und Haß schwinden, wie sie täglich klarer die edle Zartheit der Seele, den schwungvollen Geist, das tiefe, poesiereiche Gemüt des jungen Königs sich entfalten sah. Nur mit Anstrengung konnte sie gegen diesen wachsenden Zauber sich immer wieder das Schicksal ihres Vaters als Talisman ins Andenken zurückrufen: immer mehr kam sie dazu, unter den Goten und Amalern, die jenes Schicksal herbeigeführt, mit Gerechtigkeit zu unterscheiden: immer bestimmter sagte sie sich, wie unbillig es sei, Athalarich um eines Unglücks willen zu hassen, das er nur nicht verhindert hatte und wohl schwerlich hätte verhindern können. Längst hätte sie ihn am liebsten völlig frei gesprochen: aber sie mißtraute dieser Milde: sie scheute sie wie eine schwarze Sünde gegen Vater, Vaterland und eigne Freiheit. Mit Zittern nahm sie wahr, wie unentbehrlich dies edle Menschenbild ihr wurde, wie mächtig sie sich sehnte, diese melodische Stimme zu hören und in dies dunkle, sinnige Auge zu blicken. Sie fürchtete die frevelhafte Liebe, die sie sich nur schwer noch verhehlen konnte, und die einzige Waffe, mit der sie sich noch dagegen wehrte, der Vorwurf seiner Mitschuld an des Vaters Untergang, wollte sie sich nicht entwinden lassen. So schwankte sie in wogenden Gefühlen, desto unsichrer, je rätselhafter ihr Athalarichs geschlossene Sicherheit blieb. Sie konnte ja nicht daran zweifeln, daß er sie liebe, nach allem was geschehen – aber doch! Nicht eine Silbe, nicht ein Blick verriet diese Liebe: jene Äußerung, mit der er sie damals am Venustempel rasch verlassen, war das bedeutsamste, ja das einzige bedeutsame Wort, das ihm entschlüpfte. Sie ahnte nicht, was die hochwogende Seele des Jünglings durchgekämpft und durchgelitten, bis seine Liebe zwar nicht erlosch, aber entsagte, und noch weniger, in welch’ neuem Gefühl er die männliche Kraft solcher Entsagung gefunden. Ihre Mutter, die ihn mit aller Schärfe des Hasses beobachtete und darüber das eigne Kind zu überwachen vergaß, schien noch mehr erstaunt über seine Kälte. »Aber Geduld,« sprach sie zu Cethegus, mit dem sie oft hinter Kamillas Rücken Beratung pflog, »Geduld, bald, binnen drei Tagen, wirst du ihn verwandelt sehen.« – »Es wäre Zeit,« meinte Cethegus; »aber auf was vertraust du?« – »Auf ein Mittel, das noch nie getäuscht hat.« »Du wirst ihm doch kein Liebestränklein brauen?« lächelte der Präfekt. – »Allerdings, das werd’ ich thun; das hab’ ich schon gethan.« – Jener sah sie spöttisch an: »Auch bei dir solcher Aberglaube, bei der Witwe des großen Philosophen Boëthius! In Liebeswahn sind alle Weiber gleich!« »Nicht Wahn und Aberglaube,« sagte Rusticiana ruhig. »Seit mehr als hundert Jahren lebt das Geheimnis in unsrer Familie. Ein ägyptisch Weib hat es dereinst am Nil meine Ureltermutter gelehrt. Und es hat sich bewährt. Kein Weib unseres Hauses hat ohne Erhörung geliebt.« – »Dazu braucht’s keinen Zauber,« meinte der Präfekt: »ihr seid ein schönes Geschlecht.« – »Spare deinen Spott. Der Trank wirkt unfehlbar und wenn er bis heute nicht wirkte –« – »So hast du wirklich – Unvorsichtige! wie konntest du unvermerkt?« – »Am Abend, wann er vom Spaziergang oder von der Gondelfahrt mit uns zurückkommt, nimmt er einen Becher gewürzten Falerners. Der Arzt hat es ihm verordnet: es sind Tropfen arabischen Balsams darin. Der Becher steht immer bereit auf dem Marmortisch vor dem Venustempel. Dreimal schon gelang es, den Trank hineinzuschütten.« – »Nun,« meinte Cethegus, »es hat bis jetzt nicht sonderlich gewirkt.« – »Daran ist nur deine Ungeduld die Ursache. Die Kräuter müssen im Neumond gebrochen werden – ich wußte das wohl. Aber, gedrängt von deinen Mahnungen, versucht’ ich’s schon im Vollmond und du siehst, es wirkte nicht.« – Cethegus zuckte die Achseln. – »Aber gestern Nacht trat Neumond ein. Ich war nicht müßig mit meiner goldnen Schere und wenn er jetzt trinkt –« »Eine zweite Locusta! Nun, mein Trost sind Kamillas schöne Augen. Weiß sie von deinen Künsten?« »Kein Wort zu ihr! Sie würde das nie dulden. Stille, sie kommt.« Das Mädchen trat ein in lebhafter Erregung, die lieblichen Wangen gerötet, eine Flechte des dunklen Haares war losgegangen und spielte um den feinen Nacken. »Saget mir, ihr, die ihr klug seid und menschenerfahren, sagt mir, was soll ich denken? Ich komme aus dem Schiff. O, er hat mich nie geliebt! der Hochmütige, er bemitleidet, er bedauert mich! Nein, das ist nicht das rechte Wort. Ich kann es mir nicht deuten.« Und in Thränen ausbrechend, barg sie das Haupt am Halse der Mutter. – »Was ist geschehen, Kamilla?« fragte Cethegus. – »Schon oft,« begann sie tiefaufatmend, »spielte ein Zug um seinen Mund, sprach eine Wehmut aus seinem Auge, als sei Er der tief von mir Gekränkte, als habe Er uns edel zu vergeben, als habe er mir ein großes Opfer gebracht –« – »Unreife Knaben bilden sich immer ein, es sei ein Opfer, wenn sie lieben.« Da blitzte Kamillas Auge, sie warf den schönen Kopf zurück und wandte sich heftig gegen Cethegus: »Athalarich ist kein Knabe mehr und man soll ihn nicht verhöhnen.« Cethegus schwieg, ruhig die Augen senkend. Aber Rusticiana fragte erstaunt: »Hassest du den König nicht mehr?« – »Bis zum Tode. Man soll ihn verderben, nicht verhöhnen.« »Was ist geschehen?« wiederholte Cethegus. – »Heute stand jener rätselhafte, kalte, stolze Zug deutlicher als je auf seinem Antlitz. Ein Zufall äußerte ihn in Worten. Wir waren eben gelandet. Ein Käfer war ins Wasser gefallen: der König bückte sich und zog ihn heraus: das Tierchen aber wehrte sich gegen die mildthätige Hand und biß mit den Zangen des Kopfes in den Finger, der ihn hielt. »Der Undankbare,« sagte ich. – »Oh,« sprach Athalarich, bitter lächelnd, und er setzte den Käfer auf ein Blatt: »man verwundet die am meisten, die am meisten für uns gethan.« Und dabei flog sein Blick mit stolzer Wehmut über mich dahin. Doch rasch, als ob er zuviel gesagt, schritt er kalt grüßend hinweg. Ich aber« – und ihre Brust wogte, ihre fein geschnittenen Lippen schlossen sich – »ich aber trage das nicht mehr. Der Stolze! er soll mich lieben – oder sterben.« – »Das soll er,« sagte Cethegus kaum hörbar, »eins von beiden.« Neuntes Kapitel. Wenige Tage darauf wurde der Hof durch einen neuen Schritt des jungen Königs zur Selbständigkeit überrascht: er selbst berief den Rat der Regentschaft, ein Recht, das bisher nur Amalaswintha geübt. Die Regentin war nicht wenig erstaunt, als ein Bote ihres Sohnes sie in dessen Gemächer beschied, wo der König bereits eine Auswahl der höchsten Beamten des Reiches um sich versammelt habe, Goten und Römer, unter diesen Cassiodor und Cethegus. Dieser hatte zuerst beschlossen, auszubleiben, um nicht durch sein Erscheinen das Recht anzuerkennen, das sich der Knabe herausnahm: ihm ahnte nichts gutes. Aber ebendeshalb besann er sich bald eines andern. »Ich darf der Gefahr nicht den Rücken, die Stirn muß ich ihr bieten,« sprach er, als er sich zu dem verhaßten Gang anschickte. Er fand in dem Gemach des Königs alle Geladenen bereits versammelt. Nur die Regentin fehlte noch. Als sie eintrat, erhob sich Athalarich – er trug eine langfaltige Abolla von Purpur, die Zackenkrone Theoderichs glänzte auf seinem Haupt und unter dem Mantel klirrte das Schwert – von seinem Thronsessel, der vor einer durch einen Vorhang geschlossenen Nische stand, ging ihr entgegen und führte sie zu einem zweiten höheren Stuhl, der aber zur Linken stand. Als sie sich niedergelassen, hob er an: »Meine königliche Mutter, tapfre Goten, edle Römer! Wir haben euch hieher beschieden, euch unsern Willen kund zu thun. Es drohten diesem Reiche Gefahren, die nur wir, der König dieses Reiches, abwenden konnten.« Solche Sprache hatte man aus diesem Munde noch nicht vernommen. Alle schwiegen betroffen, Cethegus aus Klugheit: er wollte den rechten Augenblick abwarten. Endlich begann Cassiodor: »Deine weise Mutter und dein getreuer Diener Cassiodor« – – »Mein getreuer Diener Cassiodor schweigt, bis sein Herr und König ihn um Rat befrägt. Wir sind schlecht zufrieden, sehr schlecht, mit dem was die Räte unsrer königlichen Mutter bisher gethan haben und nicht gethan. Es ist höchste Zeit, daß wir selbst zum Rechten sehn. Wir waren dazu bisher zu jung und zu krank. Wir fühlen uns nicht mehr zu jung und nicht mehr zu krank. Wir künden euch an, daß wir demnächst die Regentschaft aufheben und die Zügel dieses Reiches selbst ergreifen werden.« Er hielt inne. Alles schwieg. Niemand hatte Lust nach Cassiodors Beispiel zu reden und dann zu verstummen. Endlich fand Amalaswintha, die diese plötzliche Energie ihres Sohnes gleichsam betäubt hatte, die Sprache wieder: »Mein Sohn, dies Alter der Mündigkeit ist nach den Gesetzen der Kaiser« – – »Nach den Gesetzen der Kaiser, Mutter, mögen die Römer sich richten. Wir sind Goten und leben nach gotischem Recht. Germanische Jünglinge werden mündig, wann sie das gesammelte Volksheer waffenreif erklärt. Wir haben deshalb beschlossen, alle Heerführer und Grafen und alle freien Männer unsres Volkes, so viele ihrer dem Rufe folgen wollen, aus allen Provinzen des Reichs zur Heeresschau zu laden nach Ravenna. Mit dem nächsten Sonnwendfest sollen sie eintreffen.« Überrascht schwieg die Versammlung. »Das sind nur noch vierzehn Tage,« sprach endlich Cassiodor. »Wird es möglich sein, in so kurzer Frist noch die Ladungen zu besorgen?« – »Sie sind besorgt. Hildebrand, mein alter Waffenmeister, und Graf Witichis haben sie alle bestellt.« – »Wer hat die Dekrete unterschrieben?« fragte Amalaswintha, sich ermannend. – »Ich allein, liebe Mutter. Ich mußte doch den Geladnen zeigen, daß ich reif genug, allein zu handeln.« »Und ohne mein Wissen!« sprach die Regentin. – »Und ohne dein Wissen geschah es, weil es sonst gegen deinen Willen geschehen mußte.« Er schwieg. Alle Römer waren ratlos und wie betäubt von der plötzlich entfalteten Kraft des jungen Königs. Nur in Cethegus stand sogleich der Entschluß fest, jene Versammlung zu verhindern, um jeden Preis. Er sah den Grund all seiner Pläne wanken: gern wär’ er mit aller Wucht seines Wortes der vor seinen Augen versinkenden Regentschaft zu Hilfe gekommen: gern hätte er schon mehrere Male in dieser Verhandlung das kühne Aufstreben des Jünglings mit seiner ruhigen Überlegenheit zu Boden gedrückt: – aber ihm hielt ein seltsamer Zufall Gedanken und Zunge wie mit Zauberbanden gefesselt. Er hatte in der Nische hinter dem Vorhang Geräusch zu vernehmen geglaubt und scharfe Blicke darauf geheftet: da bemerkte er unter dem Vorhang durch, dessen Fransen nicht ganz bis zur Erde reichten, die Füße eines Mannes. Freilich nur bis an die Knöchel. Aber an diesen Knöcheln saßen Beinschienen von Erz eigentümlicher Arbeit. Er kannte diese Beinschienen, er wußte, daß sie zu einer vollen Rüstung gleicher Arbeit gehörten, er wußte auch in unbestimmter Gedankenverbindung, daß der Träger dieser Rüstung ihm verhaßt und gefährlich: aber es war ihm nicht möglich, sich zu sagen, wer dieser Feind sei. Hätte er die Schienen nur bis ans Knie verfolgen können! Gegen seinen Willen mußte er die Augen immer und immer wieder auf jenen Vorhang richten und raten und raten. Und das bannte seinen Geist jetzt, – jetzt, da alles auf dem Spiele stand. Er zürnte über sich selbst, aber er konnte Gedanken und Blicke nicht von der Nische losreißen. Der König jedoch fuhr, ohne Widerstand zu finden, fort: »Ferner haben wir die edeln Herzoge Thulun, Ibbas und Pitza, die grollend diesen Hof verlassen, aus Gallien und Spanien zurückgerufen. Wir finden, daß allzuviele Römer, allzuwenig Goten uns umgeben. Jene drei tapfern Krieger werden mit Graf Witichis die Wehrmacht unsres Reiches, die Festen und die Schiffe untersuchen und alle Schäden aufdecken und heilen. Sie werden nächstens eintreffen.« Sie müssen sogleich wieder fort, sagte Cethegus rasch zu sich selbst. Aber seine Gedanken fuhren fort: Nicht ohne Grund ist jener Mann dadrinnen versteckt. »Weiter,« hob der königliche Jüngling wieder an, »haben wir Mataswinthen, unsre schöne Schwester, zurückbeschieden an unsern Hof. Man hat sie nach Tarent verbannt, weil sie sich geweigert, eines betagten Römers Weib zu werden. Sie soll wiederkehren, die schönste Blume unseres Volkes, und unsern Hof verherrlichen.« »Unmöglich!« rief Amalaswintha: »Du greifst in das Recht der Mutter wie der Königin.« – »Ich bin das Haupt der Sippe, sobald ich mündig bin.« »Mein Sohn, du weißt, wie schwach du warst noch vor wenigen Wochen. Glaubst du wirklich, die gotischen Heermänner werden dich waffenreif erklären?« Der König wurde rot wie sein Purpur, halb vor Scham, halb vor Zorn; eh’ er Antwort fand rief eine rauhe Stimme an seiner Seite: »Sorge nicht darum, Frau Königin. Ich bin sein Waffenmeister gewesen: ich sage dir, er kann sich messen mit jedem Feind: und wen der alte Hildebrand wehrfähig spricht, der gilt dafür bei allen Goten.« Lauter Beifall der anwesenden Goten bestätigte sein Wort. Wieder gedachte Cethegus einzugreifen, aber eine Bewegung hinter dem Vorhang zog seine Gedanken ab: Einer meiner größten Feinde ist es, aber wer? »Noch eine wichtige Sache ist euch kund zu thun,« begann der König wieder, mit einem flüchtigen Seitenblick nach der Nische, der dem Präfekten nicht entging. Etwa ein Anschlag gegen mich? dachte er. Man wollte mich überraschen? Das soll nicht gelingen! – Aber es überraschte ihn doch, als plötzlich der König mit lauter Stimme rief: »Präfekt von Rom, Cethegus Cäsarius!« Er zuckte, aber rasch gefaßt, neigte er das Haupt und sprach: »Mein Herr und König.« – »Hast du uns nichts aus Rom zu melden? Wie ist die Stimmung der Quiriten? Was denkt man dort von den Goten?« »Man ehrt sie als das Volk Theoderichs!« – »Fürchtet man sie?« – »Man hat nicht Ursach, sie zu fürchten.« – »Liebt man sie?« – Gern hätte Cethegus geantwortet: Man hat nicht Ursach’, sie zu lieben. Aber der König selbst fuhr fort: »Also keine Spur von Unzufriedenheit? Kein Grund zur Sorge? Nichts besonderes, das sich vorbereitet.« »Ich habe nichts dir anzuzeigen.« – »Dann bist du schlecht unterrichtet, Präfekt, – oder schlecht gesinnt. Muß ich, der in Ravenna kaum vom Siechbett ersteht, dir sagen, was in deinem Rom unter deinen Augen vorgeht? Die Arbeiter auf deinen Schanzen singen Spottlieder auf die Goten, auf die Regentin, auf mich, deine Legionare führen bei ihren Waffenübungen drohende Reden. Höchst wahrscheinlich besteht bereits eine ausgebreitete Verschwörung, Senatoren, Priester, an der Spitze: sie versammeln sich Nachts an unbekannten Orten. Ein Mitschuldiger des Boëthius, ein Verbannter, Albinus, ist in Rom gesehen worden; und weißt du wo? im Garten deines Hauses.« Der König stand auf. Die Augen aller Anwesenden richteten sich, erstaunt, erzürnt, erschrocken auf Cethegus. Amalaswintha bebte für den Mann ihres Vertrauens. Aber dieser war jetzt wieder völlig er selbst. Ruhig, kalt, schweigend, sah er dem König ins Auge. »Rechtfertige dich!« rief ihm dieser entgegen. »Rechtfertigen? gegen einen Schatten? ein Gerücht, eine Klage sonder Kläger? Nie!« – »Man wird dich zu zwingen wissen.« Hohn zuckte um des Präfekten schmale Lippen. »Man kann mich ermorden auf bloßen Verdacht, ohne Zweifel, – wir haben das erfahren, wir Italier! – nicht mich verurteilen. Gegen Gewalt giebt es keine Rechtfertigung, nur gegen Gerechtigkeit.« – »Gerechtigkeit soll dir werden, zweifle nicht. Wir übertragen den hier anwesenden Römern die Untersuchung, dem Senat in Rom die Urteilsfällung. Wähle dir einen Verteidiger.« – »Ich verteidige mich selbst,« sprach Cethegus kühl. »Wie lautet die Anklage? Wer ist mein Ankläger? Wo ist er?« – »Hier,« rief der König und schlug den Vorhang zurück. Ein gotischer Krieger in ganz schwarzer Rüstung trat hervor. Wir kennen ihn. Es war Teja. Dem Präfekten drückte der Haß die Wimper nieder. Jener aber sprach: »Ich, Teja, des Tagila Sohn, klage dich an, Cethegus Cäsarius, des Hochverrats an diesem Reich der Goten. Ich klage dich an, den verbannten Verräter Albinus in deinem Haus zu Rom zu bergen und zu hehlen. Es steht der Tod darauf. Und du willst dies Land dem Kaiser in Byzanz unterwerfen.« »Das will ich nicht,« sprach Cethegus ruhig; »beweise deine Klage.« – »Ich habe Albinus vor vierzehn Nächten mit diesen Augen in deinen Garten treten sehen,« fuhr Teja zu den Richtern gewendet fort. »Er kam von der Via sacra her, in einen Mantel gehüllt, einen Schlapphut auf dem Kopf. Schon in zwei Nächten war die Gestalt an mir vorbeigeschlüpft: diesmal erkannt ich ihn. Als ich auf ihn zutrat, verschwand er, ehe ich ihn ergreifen konnte, an der Thür, die sich von innen schloß.« – »Seit wann spielt mein Amtsgenoß, der tapfre Kommandant von Rom, den nächtlichen Späher?« – »Seit er einen Cethegus zur Seite hat. Aber ob mir auch der Flüchtling entkam, – diese Rolle fiel ihm aus dem Mantel: sie enthält Namen von römischen Großen und neben den Namen Zeichen einer unlösbaren Geheimschrift. Hier ist die Rolle.« Er reichte sie dem König. Dieser las: »Die Namen sind: Silverius, Cethegus, Licinius, Scävola, Calpurnius, Pomponius. – Kannst du beschwören, daß der Vermummte Albinus war?« »Ich will’s beschwören.« – »Wohlan, Präfekt. Graf Teja ist ein freier, unbescholtener, eidwürdiger Mann. Kannst du das leugnen?« »Ich leugne das. Er ist nicht unbescholten: seine Eltern lebten in nichtiger, blutschänderischer Ehe: sie waren Geschwisterkinder, die Kirche hat ihr Zusammensein verflucht und seine Frucht: er ist ein Bastard und kann nicht zeugen gegen mich, einen edeln Römer senatorischen Ranges.« Ein Murren des Zornes entrang sich den anwesenden Goten. Teja’s blasses Antlitz aber wurde noch bleicher. Er zuckte. Seine Rechte fuhr ans Schwert: »So vertret’ ich mein Wort mit dem Schwert,« sprach er mit tonloser Stimme. »Ich fordere dich zum Kampf, zum Gottesgericht auf Tod und Leben.« – »Ich bin Römer und lebe nicht nach eurem blutigen Barbarenrecht. Aber auch als Gote: – ich würde dem Bastard den Kampf versagen.« – »Geduld,« sprach Teja und stieß das halb gezückte Schwert leise in die Scheide zurück. »Geduld, mein Schwert. Es kömmt dein Tag.« Aber die Römer im Saale atmeten auf. Der König nahm das Wort: »Wie dem sei, die Klage ist genug begründet, die genannten Römer zu verhaften. Du, Cassiodor, wirst die Geheimschrift zu entziffern suchen. Du, Graf Witichis, eilst nach Rom und bemächtigst dich der fünf Verdächtigen, durchsuchst ihre Häuser und das des Präfekten. Hildebrand, du verhafte den Verklagten, nimm ihm das Schwert ab.« – »Halt,« sprach Cethegus, »ich leiste Bürgschaft mit all’ meinem Gut, daß ich Ravenna nicht verlasse, bis dieser Streit zu Ende. Ich verlange Untersuchung auf freiem Fuß: das ist des Senators Recht.« »Kehr dich nicht dran, mein Sohn,« rief der alte Hildebrand vortretend, »laß mich ihn fassen.« – »Laß,« sprach der König, »Recht soll ihm werden, strenges Recht, doch nicht Gewalt. Laß ab von ihm. Auch hat ihn die Klage überrascht. Er soll Zeit haben sich zu verteidigen. Morgen um diese Stunde treffen wir uns wieder hier. Ich löse die Versammlung.« Der König winkte mit dem Scepter: in höchster Aufregung eilte Amalaswintha aus dem Gemach. Die Goten traten freudig zu Teja. Die Römer drückten sich rasch an Cethegus vorbei, vermeidend, mit ihm zu sprechen. Nur Cassiodor schritt fest auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter, sah ihm prüfend ins Auge und fragte dann: »Cethegus, kann ich dir helfen?« – »Nein, ich helfe mir selbst,« sprach dieser, entzog sich ihm und schritt allein und stolzen Ganges hinaus. Zehntes Kapitel. Der heftige Schlag, den der junge König so unerwartet gegen den ganzen Grundbau der Regentschaft geführt hatte, erfüllte bald den Palast und die Stadt mit Staunen, mit Schrecken oder Freude. Zu der Familie des Boëthius brachte die erste bestimmte Kunde Cassiodor, der Rusticianen zum Trost der erschütterten Regentin beschied. Mit Fragen bestürmt erzählte er den ganzen Hergang ausführlich: und so bestürzt oder unwillig er darüber war, auch aus seinem feindlichen Bericht leuchteten die Kraft, der Mut des jungen Fürsten unverkennbar hervor. Mit Begierde lauschte Kamilla jedem seiner Worte: Stolz, Stolz auf den Geliebten – der Liebe glücklichstes Gefühl – erfüllte mächtig ihre ganze Seele. »Es ist kein Zweifel,« schloß Cassiodor mit Seufzen, »Athalarich ist unser entschiedenster Gegner: er steht ganz zu der gotischen Partei, zu Hildebrand und seinen Freunden. Er wird den Präfekten verderben. Wer hätte das von ihm geglaubt! Immer muß ich daran denken, Rusticiana, wie so ganz anders er sich bei dem Prozeß deines Gatten benahm.« Kamilla horchte hoch auf. »Damals gewannen wir die Überzeugung, er werde zeitlebens der glühendste Freund, der eifrigste Vertreter der Römer sein.« – »Ich weiß davon nichts,« sagte Rusticiana. – »Es ward vertuscht. Das Todesurteil war gesprochen über Boëthius und seine Söhne. Vergebens hatten wir alle, Amalaswintha voran, die Gnade des Königs angerufen: sein Zorn war unauslöschlich. Als ich wieder und wieder ihn bestürmte, fuhr er zornig auf und schwur bei seiner Krone, der solle es im tiefsten Kerker büßen, der ihm noch einmal mit einer Fürbitte für die Verräter nahe. Da verstummten wir alle. Nur Einer nicht. Nur Athalarich, der Knabe, ließ sich nicht schrecken, er weinte und flehte und hing sich an seines Großvaters Knie. Kamilla erbebte: der Atem stockte ihr. »Und nicht ließ er ab, bis Theoderich in höchstem Zorn emporfuhr, ihn mit einem Schlag in den Nacken von sich schleuderte und den Wachen übergab. Der ergrimmte König hielt seinen Eid. Athalarich ward in den Kerker des Schlosses geführt und Boëthius sofort getötet.« Kamilla wankte und hielt sich an einer Säule des Saales. »Aber nicht umsonst hatte Athalarich gesprochen und gelitten. Tags darauf vermißte der König an der Tafel schwer den Liebling, den er von sich gebannt. Er gedachte, mit welch edlem Mut er, der Knabe, für seine Freunde gebeten, als die Männer in Furcht verstummten. Er stand endlich auf von seinem Abendtrunk, bei dem er lange sinnend saß, stieg selbst hinab in den Kerker, öffnete die Pforte, umarmte seinen Enkel und schenkte auf seine Bitte deinen Söhnen, Rusticiana, das Leben.« »Fort, fort zu ihm!« sprach Kamilla mit erstickter Stimme zu sich selbst und eilte aus dem Saal. »Damals,« fuhr Cassiodor fort, »damals mochten Römer und Römerfreunde in dem künftigen König ihre beste Stütze sehen und jetzt – meine arme Herrin, arme Mutter!« und klagend schritt er hinaus. Rusticiana saß lange wie betäubt. Sie sah alles wanken, worauf sie ihre Rachepläne gebaut: sie versank in dumpfes Brüten. Länger und länger schon fielen die Schatten der hohen, starken Türme in den Schloßhof, auf welchen sie hinausstarrte. Da weckte sie der feste Schritt eines Mannes im Saal, erschrocken fuhr sie auf: Cethegus stand vor ihr. Sein Antlitz war kalt und finster, aber eisig ruhig. »Cethegus!« rief die Bekümmerte und wollte seine Hand fassen, aber seine Kälte schreckte sie zurück. »Alles verloren!« seufzte sie, stehen bleibend. »Nichts ist verloren. Es gilt nur Ruhe. Und Raschheit,« setzte er, umblickend im Gemach, hinzu. Als er sich allein mit ihr sah, griff er in die Brustfalten seiner Toga. »Dein Liebestrank hat nicht geholfen, Rusticiana. Hier ist ein andrer, – stärkrer. Nimm.« Und rasch drückte er ihr eine Phiole von dunklem Lavastein in die Hand. Mit banger Ahnung sah ihn die Freundin an: »Glaubst du auf einmal an Magie und Zaubertrank? Wer hat ihn gebraut?« – »Ich,« sagte er, »und _meine_ Liebestränke wirken.« – »Du!« – es durchlief sie ein eisiges Grauen. »Frage nicht, forsche nicht, säume nicht,« sprach er herrisch. »Es muß noch heute geschehen. Hörst du? Noch heute.« Aber Rusticiana zögerte noch und sah zweifelnd auf das Fläschchen in ihrer Hand. Da trat er heran, leise ihre Schulter berührend: »Du zauderst,« sagte er langsam. »Weißt du, was auf dem Spiele steht? nicht nur unser ganzer Plan! Nein, blinde Mutter. Noch mehr. Kamilla _liebt_, liebt den König mit aller Kraft der jungen Seele. Soll die Tochter des Boëthius die Buhle des Tyrannen werden?« Laut aufschreiend fuhr Rusticiana zurück: was in den letzten Tagen wie eine böse Ahnung in ihr aufgestiegen, ward ihr gewiß mit diesem Einen Wort: noch einen Blick warf sie auf den Mann, der das Grausame gesprochen und hinwegeilte sie, zornig die Faust um das Fläschchen geballt. Ruhig sah ihr Cethegus nach. »Nun, Prinzlein, wollen wir sehen. Du warst rasch, ich bin rascher. – Es ist eigen,« sagte er dann, die Falten seiner Toga herabziehend, »ich glaubte längst nicht mehr, noch solche heftige Regung empfinden zu können. Jetzt hat das Leben wieder einen Reiz. Ich kann wieder streben, hoffen, fürchten. Sogar hassen. Ja, ich hasse diesen Knaben, der sich unterfängt, mit der kindischen Hand in meine Kreise zu tappen. Er will mir trotzen – meinen Gang aufhalten, er stellt sich kühn in meinen Weg: Er – mir! wohlan, so trag’ er denn die Folgen.« Und langsam schritt er aus dem Gemach und wandte sich nach dem Audienzsaal der Regentin, wo er sich absichtlich der versammelten Menge zeigte und durch die eigne Sicherheit den bestürzten Herzen der Hofleute einige Ruhe wiedergab. Er sorgte dafür, zahlreicher Zeugen für all’ seine Schritte an diesem verhängnisvollen Tag sich zu versichern. Beim Sinken der Sonne ging er mit Cassiodor und einigen andern Römern, seine Verteidigung für den nächsten Tag beratend, in den Garten, in dessen Laubgängen er sich umsonst nach Kamilla umsah. Diese war, sowie sie Cassiodors Bericht zu Ende gehört, in den Hof des Palastes geeilt, wo sie zu dieser Stunde den König mit den andern jungen Goten seines Hofes beim Waffenspiel zu treffen hoffte. Nur sehen wollte sie ihn, noch nicht ihn sprechen und ihm zu Füßen ihr großes Unrecht abbitten. Sie hatte ihn verabscheut, von sich gestoßen, ihn als mit dem Blut ihres Vaters befleckt gehaßt – ihn, der sich für diesen Vater geopfert, der ihre Brüder gerettet hatte! Aber sie fand ihn nicht im Hof. Die wichtigen Ereignisse des Tages hielten ihn in seinem Arbeitszimmer fest. Auch seine Waffengesellen fochten und spielten heute nicht: in dichten Gruppen beisammenstehend, priesen sie laut den Mut ihres jungen Königs. Mit Wonne sog Kamilla dieses Lob ein: stolz errötend, selig träumend wandelte sie in den Garten und suchte dort an allen seinen Lieblingsstätten die Spuren des Geliebten. Ja, sie liebte ihn: kühn und freudig gestand sie sich’s ein: er hatte es tausendfach um sie verdient. Was Gote, was Barbar! Er war ein edler herrlicher Jüngling, ein König, der König ihrer Seele. Wiederholt wies sie die begleitende Daphnidion aus ihrer Nähe, daß diese nicht höre, wie sie wieder und wieder den geliebten Namen selig vor sich hin sprach. Endlich am Venustempel angelangt versank sie in süße Träume über die Zukunft, die unklar, aber golden dämmernd, vor ihr lag. Vor allem beschloß sie, dem Präfekten und ihrer Mutter schon morgen zu erklären, nicht mehr auf ihre Mithilfe gegen den König zählen zu sollen. Dann wollte sie diesem selbst ihre Schuld abbitten mit innigen Worten und dann – dann? sie wußte nicht was dann werden solle: aber sie errötete in holden Träumen. Rote, duftige Mandelblüten fielen aus den nickenden Büschen: in dem dichten Oleander neben ihr sang die Nachtigall, eine klare Quelle glitt rieselnd an ihr vorüber nach dem blauen Meer und die Wellen dieses Meeres rollten leise wie ihrer Liebe huldigend zu ihren Füßen. Elftes Kapitel. Aus solchem Sinnen und Sehnen weckte sie ein nahender Schritt auf den Sandwegen. Der Gang war so rasch und so bestimmt der Tritt, daß sie nicht Athalarich vermutete. Aber es war der König: verändert in Haltung und Erscheinen, männlicher, kräftiger, fester. Hoch trug er das sonst zur Brust gebeugte Haupt und das Schwert Theoderichs klirrte an seiner Hüfte. »Gegrüßt, gegrüßt, Kamilla,« rief er ihr laut und lebhaft entgegen. »Dein Anblick ist der schönste Lohn für diesen heißen Tag.« So hatte er noch nie zu ihr gesprochen. »Mein König,« flüsterte sie erglühend: einen leuchtenden Blick noch warfen die braunen Augen auf ihn: dann senkten sich die langen Wimpern. Mein König! so hatte sie ihn nie genannt, solchen Blick ihm nie geschenkt. »Dein König?« sagte er, sich neben ihr niederlassend, »ich fürchte, so wirst du mich nicht mehr nennen, wenn du erfährst, was alles heute geschehen.« »Ich weiß alles.« – »Du weißt? Nun dann, Kamilla, sei gerecht: schilt nicht, ich bin kein Tyrann.« Der Edle, dachte sie, er entschuldigt sich um seine schönsten Thaten. »Sieh, ich hasse die Römer nicht, der Himmel weiß es, – sie sind ja _dein_ Volk! – ich ehre sie und ihre alte Größe, ich achte ihre Rechte. Aber mein Reich, den Bau Theoderichs, muß ich beschützen, streng und unerbittlich, und weh der Hand, die sich dawider hebt. Vielleicht,« fuhr er langsamer und feierlich fort, »vielleicht ist dies Reich schon verurteilt in den Sternen – gleichviel, ich, sein König, muß mit ihm stehen und fallen.« »Du sprichst wahr, Athalarich, und wie ein König.« »Dank dir, Kamilla! wie du heut gerecht bist oder gut! Solcher Güte darf ich wohl anvertrauen, welcher Segen, welche Heilung mir geworden. Sieh’, ich war ein kranker, irrer Träumer, ohne Halt, ohne Freude, dem Tode gern entgegenwankend. Da trat an meine Seele die Gefahr dieses Reichs, die thätige Sorge um mein Volk: und mit der Sorge wuchs in meiner Brust die Liebe, die mächtige Liebe zu meinen Goten, und diese stolze und bange und wachsame Liebe für mein Volk, sie hat mein Herz gestärkt und getröstet für ... für andres bitter schmerzliches Entsagen. Was liegt an meinem Glück, wenn nur dies Volk gedeiht: sieh, der Gedanke hat mich gesund gemacht und stark und wahrlich! des Größten könnt’ ich jetzt mich unterwinden.« Er sprang auf, beide Arme wiegend und schwingend. »O, Kamilla, die Ruhe verzehrt mich! O, ging es zu Roß und in waffenstarrende Feinde! Sieh, die Sonne sinkt. Es ladet die spiegelnde Flut. Komm, komm mit in den Kahn.« Kamilla zögerte. Sie blickte um. »Die Dienerin? Ach laß sie! Dort ruht sie unter der Palme an der Quelle, sie schläft. Komm, komm rasch, eh’ die Sonne versinkt. Sieh die goldne Straße auf der Flut. Sie winkt!« – »Zu den Inseln der Seligen?« fragte das liebliche Mädchen mit einem holdseligen Blick und leicht errötend. »Ja, komm zu den seligen Inseln!« antwortete er glücklich, hob sie rasch in den Kahn, löste dessen Silberkette von den Widderköpfen des Quais, sprang hinein, ergriff das zierliche Ruder und stieß ab. Dann legte er das Ruder in die Öse zur Linken: und im hintern Gransen des Schiffes stehend steuerte und ruderte er zugleich, eine schöne und malerische Bewegung, und ein echt germanischer Fergenbrauch. Kamilla saß vorn, nahe dem Schnabel des Kahns, auf einem Diphros, dem griechischen zusammenlegbaren Feldstuhl, und sah ihm in das edle Antlitz, das von der rotschimmernden Abendsonne beleuchtet war: sein dunkles Haar flog im Winde und herrlich waren die raschen und kräftigen Bewegungen des fein gebauten Ruderers zu schauen. Beide schwiegen. Pfeilschnell schoß die leichte Barke durch die glatte Flut. Flockige, rosige Abendwölklein zogen langsam über den Himmel, der leise Wind führte von den Mandelgebüschen des Ufers Wolken von Wohlgeruch mit sich, und rings war Schimmer, Ruhe, Harmonie. Endlich brach der König das Schweigen und sprach, dem Bot einen kräftigen Druck gebend, daß es gehorsam vorwärts schoß: »Weißt du, was ich denke? Wie schön muß es sein ein Reich, ein Volk, viel tausend geliebte Leben mit der starken Hand durch Wind und Wellen sicher vorwärts zu steuern zu Glück und Glanz. – Was aber sannest du, Kamilla? Du sahst so mild, es sind gute Gedanken gewesen.« Sie errötete und blickte seitab in die Flut. »O sprich doch, sei offen in dieser schönen Stunde.« »Ich dachte,« flüsterte sie vor sich hin, das feine Köpfchen noch immer abgewendet, »wie schön muß es sein, von treuer, geliebter Hand, der man so ganz vertraut, gesteuert werden durch die schwanke Flut des Lebens.« – »O, Kamilla, glaub mir, auch dem Barbaren kann man sich vertraun« – – »Du bist kein Barbar! Wer zart empfindet und edel denkt und sich hochherzig überwindet und schweren Undank mit Huld vergilt, ist kein Barbar, er ist ein edles Menschenbild, wie je ein Scipio gewesen.« Entzückt hielt der König im Rudern inne, das Schiff stand: »Kamilla! träum ich? sprichst du das? und zu mir?« »Mehr noch, Athalarich, mehr! ich bitte dich, vergieb, daß ich dich so grausam von mir gestoßen. Ach, es war nur Scham und Furcht.« – »Kamilla, Perle meiner Seele« – Diese, welche das Gesicht dem Ufer zuwandte, rief plötzlich: »was ist das? Man folgt uns. Der Hof, die Frauen, meine Mutter.« So war es. Rusticiana hatte, von des Präfekten furchtbarem Wink getrieben, ihre Tochter im Garten gesucht. Sie fand sie nicht. Sie eilte nach dem Venustempel. Umsonst. Umherschauend sah sie plötzlich die beiden, ihr Kind mit ihm allein, auf dem Schiff, fern im Meer. In höchstem Zorn flog sie an den Marmortisch, an dem die Sklaven eben den Abendbecher des Königs mischten, schickte sie die Stufen hinab, eine Gondel zu lösen, gewann so einen unbelauschten Augenblick an dem Tisch und stieg gleich darauf mit Daphnidion, die ihr zorniger Ausruf geweckt, die Stufen hinab nach dem Schiff. Da bogen zur Rechten aus dem dichten Taxusgang der Präfekt und seine Freunde, die ihr Lustwandeln ebenfalls an diese Stelle führte. Cethegus folgte ihr die Stufen hinab und reichte ihr die Hand, in den Kahn zu steigen. »Es ist geschehen,« flüsterte sie ihm dabei zu und die Gondel stieß ab. In diesem Augenblick war es, daß das junge Paar auf die Bewegung am Ufer aufmerksam wurde: Kamilla stand auf, sie mochte erwarten, der König werde das Schiff wenden. Aber dieser rief: »Nein, sie sollen mir diese Stunde nicht rauben, die schönste meines Lebens. Ich muß noch mehr von diesen süßen Worten schlürfen. O, Kamilla, du mußt mir mehr, du mußt mir alles sagen. Komm, wir landen auf der Insel dort, da mögen sie uns finden.« Und mächtig ausgreifend drückte er mit aller Kraft auf das Ruder, daß das Fahrzeug wie beflügelt dahinschoß. »Willst du nicht weiter sprechen?« »O, mein Freund, mein König – dringe nicht in mich.« Er sah nur ihr in das liebliche Antlitz, in das leuchtende Auge, nicht mehr auf Weg und Ziel. »Nun warte – dort auf der Insel – dort sollst du mir« – – Ein neuer leidenschaftlicher Ruderschlag – da erdröhnte ein dumpfer Krach, das Schiff war angeprallt und fuhr schütternd zurück. »Himmel!« rief Kamilla aufspringend und nach dem Schnabel des Schiffes sehend: ein ganzer Schwall von Wasser sprudelte herein ihr entgegen. »Das Schiff ist geborsten – wir sinken,« sprach sie erbleichend. – »Hierher zu mir, laß mich sehen,« rief Athalarich vorspringend. »Ah, das sind die Nadeln der Amphitrite – wir sind verloren.« Die Nadeln der Amphitrite – wir wissen, man konnte sie von der Terrasse des Venustempels kaum erkennen – waren zwei schmale scharfzackige Klippen zwischen dem Ufer und der nächsten der Laguneninseln: sie ragten kaum über den Wasserspiegel, bei leisestem Wind gingen die Wellen über sie weg. Athalarich kannte die Gefahr dieser Stelle und hatte sie immer leicht vermieden: aber diesmal hatte er nur in der Geliebten Augen geblickt. Mit einem Blick übersah er die Lage. Es gab keine Rettung. Ein Bret im Boden des leicht gezimmerten Gefährts war durch den Anprall an der Klippe zertrümmert, gewaltig drang das Wasser durch den Leck. Das Schiff sank von Sekunde zu Sekunde. Schwimmend mit Kamilla die nächste Insel oder das Ufer zu erreichen, konnte er nicht hoffen und das Ruderschiff Rusticianens hatte kaum erst abgestoßen. Mit Blitzesschnelle hatte er all’ das überschaut, erwogen, eingesehen, und warf einen entsetzten Blick auf das Mädchen. »Geliebte, du stirbst,« jammerte er verzweifelnd, »und ich, ich hab’s verschuldet.« Und er umfaßte sie stürmisch. »Sterben?« rief sie, »o nein! nicht so jung, nicht jetzt sterben! Leben, leben mit dir.« Und sie klammerte sich fest an seinen Arm. Der Ton, die Worte durchschnitten sein Herz. Er riß sich los, er sah nach Rettung ringsumher, umsonst, umsonst – immer höher stieg das Wasser, immer rascher sank das Schiff. Er warf das Ruder weg. »Es ist aus, alles aus, Geliebte. Laß uns Abschied nehmen.« – »Nein! nicht mehr scheiden! Muß es gestorben sein: – o dann hinweg alle Scheu, welche die Lebendigen bindet« – und glühend drückte sie das Haupt an seine Brust – »o laß dir sagen, laß dir noch gestehn, wie ich dich liebe, wie lange schon, seit – seit immer. All’ mein Haß war ja nur verschämte Liebe. Gott, ich liebte dich schon, da ich wähnte, ich müsse dich verabscheuen. Ja du sollst wissen, wie ich dich liebe.« Und sie bedeckte ihm Augen und Wangen mit eiligen Küssen. »O, jetzt will ich auch sterben – lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Aber nein« – und sie riß sich von ihm los – »du sollst nicht sterben – laß mich hier, springe, schwimme, versuch’s, du allein erreichst die Insel wohl – versuch’s und laß mich.« »Nein,« rief er selig, »lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Nach so langem, langem Sehnen endlich Erfüllung! Wir gehören einander auf ewig von dieser Stunde. Komm, Kamilla, Geliebte, laß uns hinab.« Schauer der Liebe und des Todes rieselten durcheinander. Er zog sie an sich, umschlang sie mit dem linken Arm und stieg mit ihr auf den kaum noch Hand breit über Wasser ragenden Steuergransen: schon schickte er sich zum jähen Sprunge an, – da entrang sich beiden ein froher Schrei der Hoffnung. Blitzschnell bog vor ihren Augen um die schmale Landspitze, die unfern von ihnen ins Meer ragte, ein Schiff mit vollen Segeln, das gerade auf sie los eilte. Das Schiff vernahm ihren Schrei, es erkannte jedenfalls die Lage des sinkenden Kahns, vielleicht die Person des Königs: vierzig Ruder, aus zwei Stockwerken von Ruderbänken zugleich in die Flut getaucht, beförderten den Flug des raschen Fahrzeugs, das brausend vor ganzem Wind mit allen Segeln daherschoß. Die Leute auf dem Deck riefen ihnen zu, auszuharren und bald – es war die höchste Zeit – lag der Bauch der Bireme neben der Gondel, die augenblicklich versank, nachdem das Paar durch die Lukenpforte des untern Ruderstockwerks an Bord gerettet war. Es war ein kleines gotisches Wachtschiff, der goldene, steigende Löwe, das Wappen der Amalungen, glänzte auf der blauen Flagge: Aligern, ein Vetter Tejas, befehligte es. »Dank euch, wackre Freunde,« sprach Athalarich, da er wieder Worte gefunden, »Dank! ihr habt nicht euren König nur, ihr habt eure Königin gerettet.« Staunend sammelten sich Krieger und Matrosen um den Glücklichen, der die laut weinende Kamilla in seinen Armen hielt. »Heil unsrer schönen jungen Königin!« jauchzte der rotblonde Aligern und die Mannschaft jubelte donnernd nach: »Heil, Heil unsrer Königin!« In diesem Augenblick rauschte der Segler an dem Kahn Rusticianens vorbei: der Schall dieses Jubelrufs weckte die Unselige aus der Erstarrung von Entsetzen und Betäubung, die sie ergriffen, da die beiden erschrocknen Rudersklaven die Gefahr des jungen Paares auf dem sinkenden Boot entdeckt und zugleich erklärt hatten, es sei ihnen unmöglich, sie rechtzeitig aus den Wellen zu retten. Da war sie besinnungslos Daphnidion in die Arme gefallen. Jetzt erwachte sie und warf einen irren Blick umher. Sie staunte: war es ein Traumbild, was sie sah? oder war es wirklich ihre Tochter, die dort auf dem Deck des Gotenschiffs, das stolz an ihr vorüberrauschte, an der Brust des jungen Königs lag? und jauchzten wirklich dazu jubelnde Stimmen: »Heil Kamilla, unsrer Königin?« Sie starrte auf die vorübergleitende Erscheinung, sprachlos, lautlos. Aber das rasch fliegende Segelschiff war schon an ihrem Kahn vorüber und dem Lande nah. Es ankerte außerhalb der seichten Gartenbucht, eine Barke ward herabgelassen, das gerettete Paar, Aligern und drei Matrosen sprangen hinein und bald stiegen sie die Stufen der Hafentreppe hinan, wo, außer Cethegus und seiner Begleitung, eine Menge von Leuten sich versammelt hatte, die vom Palast oder vom Garten aus mit Schrecken die Gefahr des kleinen Schiffes wahrgenommen und jetzt herbeieilten, die Geretteten zu begrüßen. Unter Glückwünschen und Segensrufen stieg Athalarich die Stufen hinan. »Seht hier,« sprach er, vor dem Tempel angelangt, »sehet, Goten und Römer, eure Königin, meine Braut. Uns hat der Gott des Todes zusammengeführt, nicht wahr, Kamilla?« Sie sah zu ihm auf, aber heftig erschrak sie: die Aufregung und der jähe Wechsel von Schrecken und Freude hatten den kaum Genesenen übermächtig erschüttert: sein Antlitz war marmorblaß, er wankte und griff wie Luft schöpfend krampfhaft an seine Brust. »Um Gott,« rief Kamilla, einen Anfall des alten Leidens fürchtend, »dem König ist nicht wohl. Rasch den Wein, die Arznei!« Sie flog an den Tisch, ergriff den Silberbecher, der bereit stand, und drängte ihn in seine Hand. Cethegus stand dicht dabei und folgte mit scharfem Blick jeder seiner Bewegungen. Schon setzte er den Becher an die Lippen, aber plötzlich ließ er ihn nochmal sinken, er lächelte: »du mußt mir zutrinken, wie’s der gotischen Königin ziemt an ihrem Hof,« und er reichte ihr den Pokal: sie nahm ihn aus seiner Hand. Einen Augenblick durchzuckte es den Präfekten siedend heiß. Er wollte hinzustürzen, ihr den Trank aus der Hand reißen, ihn verschütten. Aber er hielt sich zurück. That er’s, so war er unrettbar verloren. Nicht nur morgen als Hochverräter, nein, sofort als Giftmörder angeklagt und überführt. Verloren mit ihm seine ganze Ideenwelt, die Zukunft Roms. Und um wen? – Um ein verliebtes Mädchen, das treulos zu seinem Todfeind abgefallen. – Nein, sagte er kalt zu sich, die Faust zusammendrückend, sie oder Rom: – also sie! Und ruhig sah er zu, wie das Mädchen, hold errötend, einen leichten Trunk aus dem Becher nahm, den der König darauf tief schlürfend bis zum Grunde leerte. Er zuckte zusammen, da er ihn auf den Marmortisch niedersetzte. »Kommt hinauf ins Palatium,« sprach er fröstelnd, den Mantel über die linke Schulter schlagend, »mich friert.« Und er wandte sich. Da traf sein Blick auf Cethegus: er stand einen Augenblick still und sah dem Präfekten eindringend ins Auge. »Du hier?« sagte er finster und trat einen Schritt auf ihn zu: da zuckte er nochmal und stürzte mit einem jähen Schrei neben der Quelle aufs Antlitz nieder. »Athalarich!« rief Kamilla und warf sich taumelnd über ihn. Der alte Corbulo sprang aus der Schar der Diener zuerst hinzu: »Hilfe,« rief er, »sie stirbt – der König!« »Wasser! rasch Wasser!« sprach Cethegus laut. Und entschlossen trat er an den Tisch, ergriff den Silberbecher, bückte sich, spülte ihn schnell, aber gründlich in der Quelle und neigte sich über den König, der in Cassiodors Armen lag, indeß Corbulo das Haupt Kamillens auf seine Kniee legte. Ratlos, entsetzt umstanden die Hofleute die beiden scheinbar leblosen Gestalten. »Was ist geschehen? Mein Kind!« mit diesem Schrei drängte sich Rusticiana, die soeben gelandet, an der Tochter Seite. »Kamilla!« rief sie verzweifelt, »was ist mit dir?« »Nichts!« sagte Cethegus ruhig, sich prüfend über die beiden beugend. »Es ist nur eine Ohnmacht. Aber den jungen König hat sein Herzkrampf hingerafft. Er ist tot.« Drittes Buch. AMALASWINTHA. »Amalaswintha verzagte nicht nach Frauenart, sonder kräftig wahrte sie ihr Königtum.« Prokop, Gotenkrieg I. 2 Erstes Kapitel. Wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel traf Athalarichs plötzliches Ende die gotische Partei, die an diesem nämlichen Tage ihre Hoffnungen so hoch gespannt hatte. Alle Maßregeln, die der König in ihrem Sinne angeordnet, waren gelähmt, die Goten plötzlich wieder ohne Vertretung in dem Staat, an dessen Spitze jetzt die Regentin ganz allein gestellt war. Am frühen Morgen des nächsten Tages stellte sich Cassiodor bei dem Präfekten ein. Er fand diesen in ruhigem, festem Schlaf. »Und du kannst schlafen, ruhig wie ein Kind, nach einem solchen Schlag!« – »Ich schlief,« sagte Cethegus sich auf den linken Arm aufrichtend, »im Gefühle neuer Sicherheit.« – »Sicherheit! ja für dich, aber das Reich!« »Das Reich war mehr gefährdet durch diesen Knaben als ich. Wo ist die Königin?« – »Am offenen Sarge ihres Sohnes sitzt sie, sprachlos! Die ganze Nacht.« Cethegus sprang auf: »das darf nicht sein,« rief er. »Das thut nicht gut. Sie gehört dem Staat, nicht dieser Leiche. Um so weniger, als ich von Gift flüstern hörte. Der junge Tyrann hatte viele Feinde. Wie steht es damit?« »Sehr ungewiß. Der griechische Arzt Elpidios, der die Leiche untersuchte, sprach zwar von einigen auffallenden Erscheinungen. Aber, wenn Gift gebraucht worden, meinte er, müßte es ein sehr geheimes, ihm völlig fremdes sein. In dem Becher, daraus der Arme den letzten Trunk gethan, fand sich nicht die leiseste Spur verdächtigen Inhalts. So glaubt man allgemein, die Aufregung habe das alte Herzleiden zurückgerufen und dieses ihn getötet. Aber doch ist es gut, daß man dich von dem Augenblick, da du die Versammlung verließest, immer vor Zeugen gesehen: der Schmerz macht argwöhnisch.« »Wie steht es um Kamilla?« forschte der Präfekt weiter. – »Sie soll von ihrer Betäubung noch gar nicht erwacht sein; die Ärzte fürchten das Schlimmste. – Aber ich kam, dich zu fragen: Was soll nun weiter geschehen? Die Regentin sprach davon, die Untersuchung gegen dich niederzuschlagen.« – »Das darf nicht sein!« rief Cethegus. »Ich fordre die Durchführung. Eilen wir zu ihr.« – »Willst du sie am Sarge ihres Sohnes stören?« – »Ja, das will ich! Deine zarte Rücksicht bebt davor zurück? Gut, komme du nach, wenn ich das Eis gebrochen.« Er verabschiedete den Besuch und rief seine Sklaven, ihn anzukleiden. Bald darauf schritt er, in dunkelgraues Trauergewand gehüllt, hinab zu dem Gewölbe, wo die Leiche ausgestellt lag. Gebieterisch wies er die Wachen und die Frauen Amalaswinthens hinweg, die den Eingang hüteten und trat geräuschlos ein. Es war die niedrig gewölbte Halle, in der ehedem die Leichen der Kaiser mit Salben und Brennstoffen waren für den Scheiterhaufen bereitet worden. Das schweigende Gelaß, mit dunkelgrünem Serpentin getäfelt, von kurzen dorischen Säulen aus schwarzem Marmor getragen, war nie von der Tageshelle beleuchtet: auch jetzt fiel auf die düstern byzantinischen Mosaiken auf dem Goldgrund der Wandplatten kein andres Licht als von den vier Pechfackeln, die an dem Steinsarkophag des jungen Königs mit unstetem Schimmer flackerten. Dort lag er, auf einem tiefroten Purpurmantel, Helm, Schwert und Schild zu seinen Häupten. Der alte Hildebrand hatte ihm einen Eichenkranz um die dunkeln Locken gewunden. Die edeln Züge ruhten in ernster, bleicher Schöne. Zu seinen Füßen saß in langem Trauerschleier die hohe Gestalt der Regentin, das Haupt auf den linken Arm gestützt, der auf dem Sarkophage ruhte: der rechte hing erschlafft herab. Sie konnte nicht mehr weinen. Das Knistern der Pechflammen war das einzige Geräusch in dieser Grabesstille. – Lautlos trat Cethegus ein, nicht unbewegt von der Poesie des Anblicks. Aber mit einem Zusammenziehen der Brauen war dies Gefühl wie ein Anflug von Mitleid erstickt. Klarheit gilt es, sprach er zu sich selbst, und Ruhe. Leise trat er näher und ergriff die herabgesunkene Hand Amalaswinthens. »Erhebe dich, hohe Frau, du gehörst den Lebendigen, nicht den Toten.« Erschrocken sah sie auf: »Du hier, Cethegus? Was suchst du hier?« »Eine Königin.« »O, du findest nur eine weinende Mutter!« rief sie schluchzend. – »Das kann ich nicht glauben. Das Reich ist in Gefahr und Amalaswintha wird zeigen, daß auch ein Weib dem Vaterland den eignen Schmerz opfern kann.« »Das kann sie,« sagte sie, sich aufrichtend: »Aber sieh auf ihn hin. – Wie jung, wie schön –! Wie konnte der Himmel so grausam sein.« – »Jetzt oder nie,« dachte Cethegus. »Der Himmel ist gerecht, streng, nicht grausam.« »Wie redest du? was hatte mein edler Sohn verschuldet? Wagst du ihn anzuklagen?« – »Nicht ich! Doch eine Stelle der heiligen Schrift hat sich erfüllt an ihm: »Ehre Vater und Mutter, auf daß du lang lebest auf Erden.« Die Verheißung ist auch eine Drohung. Gestern hat er gefrevelt gegen seine Mutter und sie verunehrt in trotziger Empörung: – heute liegt er hier. Ich sehe darin den Finger Gottes.« Amalaswintha verhüllte ihr Antlitz. Sie hatte dem Sohn an seinem Sarge seine Auflehnung herzlich vergeben. Aber diese Auffassung, diese Worte ergriffen sie doch mächtig und zogen sie ab von ihrem Schmerz zur liebgewordenen Gewohnheit des Herrschens. »Du hast, o Königin, die Untersuchung gegen mich niederschlagen wollen und Witichis zurückberufen. Letzteres mag sein. Aber ich fordere die Durchführung des Prozesses und feierliche Freisprechung als mein Recht.« »Ich habe nie an deiner Treue gezweifelt. Weh mir, wenn ich es jemals müßte. Sage mir: ich weiß von keiner Verschwörung! und alles ist abgethan.« – Sie schien seine Beteurung zu erwarten. Cethegus schwieg eine Weile. Dann sagte er ruhig: »Königin, ich weiß von einer Verschwörung.« »Was ist das?« rief die Regentin und sah ihn drohend an. – »Ich habe diese Stunde, diesen Ort gewählt,« fuhr Cethegus mit einem Blick auf die Leiche fort, »dir meine Treue entscheidend zu besiegeln, daß sie dir unauslöschlich möge ins Herz geschrieben sein. Höre und richte mich.« – »Was werd’ ich hören?« sprach die Königin wachsam und fest entschlossen, sich weder täuschen noch erweichen zu lassen. »Ich wär’ ein schlechter Römer, Königin, und du müßtest mich verachten, liebte ich nicht vor allem andern mein Volk. Dies stolze Volk, das selbst du, die Fremde, liebst. Ich wußte, – wie du es weißt – daß der Haß gegen euch als Ketzer, als Barbaren in den Herzen fortglimmt. Die letzten strengen Thaten deines Vaters hatten ihn geschürt. Ich ahnte eine Verschwörung. Ich suchte, ich entdeckte sie.« – »Und verschwiegst sie!« sprach die Regentin, zürnend sich erhebend. – »Und verschwieg sie. Bis heute. Die Verblendeten wollten die Griechen herbeirufen und nach Vernichtung der Goten sich dem Kaiser unterwerfen.« – »Die Schändlichen!« rief Amalaswintha heftig. – »Die Thoren! Sie waren schon soweit gegangen, daß nur Ein Mittel blieb, sie zurückzuhalten: ich trat an ihre Spitze, ich ward ihr Haupt.« – »Cethegus!« – »Dadurch gewann ich Zeit und konnte edle, wenn auch verblendete Männer von dem Verderben zurückhalten. Allgemach konnte ich ihnen die Augen darüber öffnen, daß ihr Plan, wenn er gelänge, nur eine milde mit einer despotischen Herrschaft vertauschen würde. Sie sahen es ein, sie folgten mir und kein Byzantiner wird diesen Boden betreten bis ich ihn rufe, ich – oder du.« »Ich! rasest du?« – »Nichts ist den Menschen zu verschwören! sagt Sophokles, dein Liebling. Laß dich warnen, Königin, die du die dringendste Gefahr nicht siehst. Eine andre Verschwörung, viel gefährlicher als jene römische Schwärmerei, bedroht dich, deine Freiheit, das Herrschaftsrecht der Amaler, in nächster Nähe – eine Verschwörung der Goten.« Amalaswintha erbleichte. »Du hast gestern zu deinem Schrecken ersehn, daß nicht deine Hand mehr das Ruder dieses Reiches führt. Ebensowenig dieser edle Tode, der nur ein Werkzeug deiner Feinde war. Du weißt es, Königin, viele in deinem Volk sind blutdürstende Barbaren, raubgierig, roh: sie möchten dies Land brandschatzen, wo Vergil und Tullius gewandelt. Du weißt, dein trotziger Adel haßt die Übermacht des Königshauses und will sich ihm wieder gleichstellen. Du weißt, die rauhen Goten denken nicht würdig von dem Beruf des Weibes zur Herrschaft.« – »Ich weiß es,« sprach sie stolz und zornig. – »Aber nicht weißt du, daß alle diese Parteien sich geeinigt haben. Geeinigt gegen dich und dein römerfreundlich Regiment. Dich wollen sie stürzen oder zu ihrem Willen zwingen. Cassiodor und ich, wir sollen von deiner Seite fort. Unser Senat, unsre Rechte sollen fallen, das Königtum ein Schatte werden. Krieg mit dem Kaiser soll entbrennen. Und Gewalt, Erpressung, Raub über uns Römer hereinbrechen.« – »Du malst eitle Schreckbilder!« – »War ein eitles Schreckbild, was gestern geschah? Wenn nicht der Arm des Himmels eingriff, warst nicht du selbst – wie ich – der Macht beraubt? Warst du denn noch Herrin in deinem Reich, in deinem Hause? Sind sie nicht schon so mächtig, daß der heidnische Hildebrand, der bäuerische Witichis, der finstre Teja in deines bethörten Sohnes Namen offen deinem Willen trotzen? Haben sie nicht jene rebellischen drei Herzoge zurückberufen? Und deine widerspenstige Tochter und –« – »Wahr, zu wahr!« seufzte die Königin. »Wenn diese Männer herrschen – dann lebt wohl Wissenschaft und Kunst und edle Bildung! Leb wohl, Italia, Mutter der Menschlichkeit! Dann lodert in Flammen auf, ihr weißen Pergamente, brecht in Trümmer, schöne Statuen. Gewalt und Blut wird diese Fluren erfüllen und späte Enkel werden bezeugen: solches geschah unter Amalaswintha, der Tochter Theoderichs.« »Nie, niemals soll das geschehen! Aber –« »Du willst Beweise? Ich fürchte, nur zu bald wirst du sie haben. Du siehst jedoch schon jetzt: auf die Goten kannst du dich nicht stützen, wenn du jene Greuel verhindern willst. Gegen sie schützen nur wir dich, wir, denen du ohnehin angehörst nach Geist und Bildung, wir Römer. Dann, wenn jene Barbaren lärmend deinen Thron umdrängen, dann laß mich jene Männer um dich scharen, die sich einst gegen dich verschworen, die Patrioten Roms: sie schützen dich und sich selbst zugleich.« »Cethegus,« sprach die bedrängte Frau, »du beherrschest die Menschen leicht! Wer, sage mir, wer bürgt mir für die Patrioten, für deine Treue?« »Dies Blatt, Königin, und dieses! Jenes enthält eine genaue Liste der römischen Verschwornen – du siehst, es sind viele hundert Namen: dies die Glieder des gotischen Bundes, die ich freilich nur erraten konnte. Aber ich rate gut. Mit diesen beiden Blättern geb’ ich die beiden Parteien, geb’ ich mich selbst ganz in deine Hand. Du kannst mich jeden Augenblick bei den Meinen selbst als Verräter entlarven, der vor allem _deine_ Gunst gesucht, kannst mich preisgeben dem Haß der Goten – ich habe jetzt keinen Anhang mehr, sobald du willst: ich stehe allein, allein auf dem Boden deiner Gunst.« Die Königin hatte die Rollen mit leuchtenden Augen durchflogen. »Cethegus,« rief sie jetzt, »ich will deiner Treue gedenken und dieser Stunde!« Und sie reichte ihm gerührt die Hand. Cethegus neigte leise das Haupt. »Noch eins, o Königin. Die Patrioten, fortan deine Freunde wie die meinen, wissen das Schwert des Verderbens, des Hasses der Barbaren über ihren Häuptern hangen. Die Erschrocknen bedürfen der Aufrichtung. Laß sie mich deines hohen Schutzes versichern: stelle deinen Namen an die Spitze dieses Blattes und laß mich ihnen dadurch ein sichtbar Zeichen deiner Gnade geben.« Sie nahm den goldnen Stift und die Wachstafel, die er ihr reichte. Einen Augenblick noch zögerte sie nachdenklich: dann aber schrieb sie rasch ihren Namen und gab ihm Griffel und Tafel zurück: »Hier, sie sollen mir treu bleiben, treu wie du.« Da trat Cassiodorus ein: »o Königin, die gotischen Großen harren dein. Sie begehren dich zu sprechen.« »Ich komme! Sie sollen meinen Willen vernehmen,« sprach sie heftig: »du aber, Cassiodor, sei der erste Zeuge des Beschlusses, den diese ernste Stunde in mir gereift, den bald mein ganzes Reich vernehmen soll: hier der Präfekt von Rom ist hinfort der erste meiner Diener, wie er der treuste ist: sein ist der Ehrenplatz in meinem Vertrauen und an meinem Thron.« Staunend führte Cassiodor die Regentin die dunkeln Stufen hinan. Langsam folgte Cethegus: er hob die Wachstafel in die Höhe und sprach zu sich selbst: »Jetzt bist du mein, Tochter Theoderichs. Dein Name auf dieser Liste trennt dich auf immer von deinem Volk.« – – Zweites Kapitel. Als Cethegus aus dem unterirdischen Gewölbe wieder zu dem Erdgeschoß des Palastes aufgetaucht war und sich anschickte, der Regentin zu folgen, ward sein Ohr berührt und sein Schritt gefesselt durch feierliche, klagende Flötentöne. Er erriet, was sie bedeuteten. Sein erster Antrieb war, auszuweichen. Aber alsbald entschloß er sich zu bleiben. »Einmal muß es doch geschehen, also am besten gleich,« dachte er. »Man muß prüfen, wie weit sie unterrichtet ist.« Immer näher kamen die Flöten, wechselnd mit eintönigen Klagegesängen. Cethegus trat in eine breite Nische des dunklen Ganges, in welchen schon die Spitze des kleinen Zuges einbog. Voran schritten paarweise sechs edle römische Jungfrauen in grauen Klageschleiern, gesenkte Fackeln in den Händen. Darauf folgte ein Priester, dem eine hohe Kreuzesfahne mit langen Wimpeln vorangetragen wurde. Hierauf eine Schar von Freigelassenen der Familie, angeführt von Corbulo, und die Flötenbläser. Dann erschien, von vier römischen Mädchen getragen, ein offener, blumenüberschütteter Sarg: da lag auf weißem Linnentuch die tote Kamilla, in bräutlichem Schmuck, einen Kranz von weißen Rosen um das schwarze Haar: ein Zug lächelnden Friedens spielte um den leicht geöffneten Mund. Hinter dem Sarg aber wankte, mit gelöstem Haar, stier vor sich hinblickend, die unselige Mutter, von Matronen umgeben, welche die Sinkende stützten. Eine Reihe von Sklavinnen schloß den Zug, der sich langsam in das Totengewölbe verlor. Cethegus erkannte die schluchzende Daphnidion und hielt sie an. »Wann starb sie?« fragte er ruhig. – »Ach, Herr, vor wenigen Stunden! Oh die gute, schöne, freundliche Domna!« – »Ist sie noch einmal erwacht zu vollem Bewußtsein?« »Nein, Herr, nicht mehr. Nur ganz zuletzt schlug sie die großen Augen nochmal auf und schien rings umher zu suchen. »Wo ist er hin?« fragte sie die Mutter. »Ach, ich sehe ihn,« rief sie dann und hob sich aus den Kissen. »Kind, mein Kind, wo willst du hin?« weinte die Herrin. »Nun, dorthin,« sagte sie mit verklärtem Lächeln: »nach den Inseln der Seligen!« und sie schloß die Augen und sank zurück auf das Lager und jenes holde Lächeln blieb stehen auf ihrem Mund – und sie war dahin, dahin auf ewig!« – »Wer hat sie hier herab bringen lassen?« – »Die Königin. Sie erfuhr alles und befahl die Tote als die Braut ihres Sohnes neben ihm auszustellen und zu bestatten.« »Aber was sagt der Arzt? wie konnte sie so plötzlich sterben?« – »Ach der Arzt sah sie nur flüchtig; er hatte alle Gedanken bei der Königsleiche und die Herrin litt ja gar nicht, daß der fremde Mann ihre Tochter berühre. Das Herz ist ihr eben gebrochen: daran mag man wohl sterben! Aber still, sie kommen.« Der Zug ging in derselben Ordnung, ohne den Sarg, zurück. Daphnidion schloß sich an. Nur Rusticiana fehlte. Ruhig schritt Cethegus den einsamen Gang auf und nieder, sie zu erwarten. Endlich stieg die gebrochne Gestalt die Stufen herauf. Sie wankte und drohte zu fallen. Da ergriff er rasch ihren Arm. »Rusticiana, fasse dich!« »Du hier? O Gott, du hast sie auch geliebt! Und wir, wir beide haben sie ermordet!« Und sie brach auf seine Schulter zusammen. »Schweig, Unselige!« flüsterte er, sich umsehend. »Ach, ich, die eigne Mutter, habe sie getötet. Ich habe den Trank gemischt, der ihm den Tod gebracht.« Gut, dachte er, sie ahnt also nicht, daß sie getrunken, geschweige, daß ich sie trinken sah. »Es ist ein grausamer Streich des Geschicks,« sagte er laut; »aber bedenke, was sollte werden, wenn sie lebte? Sie liebte ihn!« – »Was werden sollte?« rief Rusticiana, von ihm zurücktretend. »O, wenn sie nur lebte! Wer kann wider die Liebe? Wäre sie sein geworden, sein Weib, – seine Geliebte, wenn sie nur lebte!« – »Aber du vergißt, daß er sterben mußte.« – »Mußte? warum mußte er sterben? auf daß du deine stolzen Pläne hinausführst! O Selbstsucht ohnegleichen!« – »Es sind deine Pläne, die ich ausführe, nicht die meinen; wie oft muß ich dir’s wiederholen? Du hast den Gott der Rache heraufbeschworen, nicht ich: was klagst du mich an, wenn er Opfer von dir fordert? Besinne dich besser. Lebe wohl.« Aber Rusticiana faßte heftig seinen Arm: »Und das ist alles? Und weiter hast du nichts, kein Wort, keine Thräne für mein Kind? Und du willst mich glauben machen, um sie, um mich zu rächen habest du gehandelt? Du hast nie ein Herz gehabt. Du hast auch sie nicht geliebt – kalten Blutes siehst du sie sterben – ha, Fluch – Fluch über dich.« – »Schweig, Unsinnige.« – »Schweigen? nein, reden will ich und dir fluchen. O, wüßt’ ich etwas, das dir wäre, was mir Kamilla war! O, müßtest du, wie ich, deines ganzen Lebens letzte, einzige Freude fallen sehen, fallen sehen und verzweifeln. Wenn ein Gott ist im Himmel, wirst du das erleben.« Cethegus lächelte. »Du glaubst an keine Macht im Himmel, die vergelte? wohlan, glaub’ an die Rache einer jammervollen Mutter! Du sollst erzittern! ich eile zur Regentin und entdecke ihr alles! Du sollst sterben!« – »Und du stirbst mit mir.« »Mit lachenden Augen, wenn ich dich verderben sehe.« Und sie wollte hinweg. Aber Cethegus ergriff sie mit starkem Arm. »Halt, Weib. Glaubst du, man sieht sich nicht vor mit deinesgleichen? Deine Söhne, Anicius und Severinus, die Verbannten, sind heimlich in Italien, in Rom, in meinem Hause. Du weißt, auf ihrer Rückkehr steht der Tod. Ein Wort – und sie sterben mit uns: dann magst du deinem Gatten auch die Söhne, wie die Tochter, als durch dich gefallen zuführen. Ihr Blut über dein Haupt.« Und rasch war er um die Ecke des Ganges biegend verschwunden. »Meine Söhne!« rief Rusticiana und brach auf dem Marmorestrich zusammen. – Wenige Tage darauf verließ die Witwe des Boëthius mit Corbulo und Daphnidion den Königshof für immer. Vergebens suchte die Regentin sie zu halten. Der treue Freigelassene führte sie zurück auf die verborgne Villa bei Tifernum, die je verlassen zu haben sie jetzt tief betrauerte. Sie baute daselbst, an der Stelle des kleinen Venustempels, eine Basilika, in deren Krypta eine Urne mit den Herzen der beiden Liebenden beigesetzt wurde. Ihre leidenschaftliche Seele verband mit dem Gebet für das Heil ihres Kindes unzertrennlich die Bitte der Rache an Cethegus, dessen wahre Beteiligung an Kamillens Tod sie nicht einmal ahnte: nur das durchschaute sie, daß er Mutter und Tochter als Werkzeuge seiner Pläne gebraucht und in herzloser Kälte des Mädchens Glück und Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Und kaum minder unablässig als das Licht der daselbst gestifteten ewigen Lampe stieg das Gebet und der Fluch der vereinsamten Mutter zum Himmel empor. Die Stunde sollte nicht ausbleiben, die ihr die Schuld des Präfekten ganz enthüllte und auch die Rache nicht, die sie dafür vom Himmel niederrief. Drittes Kapitel. Am Hofe von Ravenna aber wurde ein zäher und grimmiger Kampf geführt. Die gotischen Patrioten, obwohl durch den plötzlichen Untergang ihres jugendlichen Königs schwer betrübt und für den Augenblick überwunden, wurden doch von ihren unermüdlichen Führern bald wieder aufgerafft. Das hohe Ansehen des alten Hildebrand, die ruhige Kraft des zurückberufenen Witichis und Tejas wachsamer Eifer wirkten unablässig. Wir haben gesehen, wie es diesen Männern gelungen war, Athalarich zur Abschüttelung der Oberleitung seiner Mutter zu verhelfen. Jetzt gelang es ihnen leicht, unter den Goten immer mehr Anhang zu finden gegen eine Regentschaft, in welcher der ihnen als Hochverräter verhaßte Cethegus mehr als je in den Vordergrund trat. Die Stimmung im Heer, in der germanischen Bevölkerung von Ravenna war genügend zu einem entscheidenden Schlage vorbereitet. Mit Mühe hielt der alte Waffenmeister die Unzufriedenen zurück, bis sie, durch wichtige Bundesgenossen verstärkt, desto sicherer siegen könnten. Diese Bundesgenossen waren die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, die Amalaswintha vom Hofe verscheucht und ihr Sohn soeben zurückberufen hatte. Thulun und Ibba waren Brüder, Pitza ihr Vetter. Ein andrer Bruder der ersteren, Herzog Alarich, war vor Jahren wegen angeblicher Verschwörung zum Tode verurteilt und seit seiner Flucht verschollen. Sie stammten aus dem berühmten Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten die Königskrone getragen hatte und den Amalungen kaum nachstand an Alter und Ansehn. Ihr Stammbaum führte, wie der des Königshauses, bis zu den Göttern hinauf. Ihr Reichtum an Grundbesitz und abhängigen Colonen und der Ruhm ihrer Kriegsthaten erhöhten Macht und Glanz ihres Hauses. Man sagte im Volk, Theoderich habe eine Zeit lang daran gedacht, mit Übergehung seiner Tochter und ihres unmündigen Knaben, zum Heile des Reiches den kräftigen Herzog Thulun zu seinem Nachfolger zu bestellen. Und die Patrioten waren jetzt, nach dem Tode Athalarichs, entschlossen, für den äußersten Fall, das heißt, wenn die Regentin von ihrem System nicht abzubringen sei, jene Gedanken wieder aufzunehmen. Cethegus sah das Gewitter heranziehen: er sah, wie das gotische Volksbewußtsein, von Hildebrand und seinen Freunden wachgerufen, sich immer heftiger gegen die romanisirende Regentschaft sträubte. Mit Unmut gestand er sich, daß es ihm an wirklicher Macht fehle, diese Unzufriedenheit niederzuhalten: Ravenna war nicht sein Rom, wo er die Werke beherrschte, wo er die Bürger wieder an die Waffen gewöhnt und an seine Person gefesselt hatte; hier waren alle Truppen Goten und er mußte fürchten, daß sie einen Haftbefehl gegen Hildebrand oder Witichis mit offnem Aufruhr beantworten würden. So faßte er den kühnen Gedanken, mit Einem Zug sich aus den Netzen, die ihn zu Ravenna umstrickten, herauszureißen: er beschloß, die Regentin, nötigenfalls mit Gewalt, nach Rom zu bringen, nach seinem Rom: dort hatte er Waffen, Anhang, Macht. Dort war Amalaswintha ausschließlich in seiner Gewalt und die Goten hatten das Nachsehen. Zu seiner Freude ging die Regentin lebhaft auf seinen Plan ein. Sie sehnte sich hinweg aus diesen Mauern, wo sie mehr eine Gefangene als eine Herrscherin erschien. Sie verlangte nach Rom, nach Freiheit und Macht. Rasch wie immer traf Cethegus seine Maßregeln. Auf den kürzern Weg zu Lande mußte er verzichten, da die große Via flaminia sowohl als die andern Straßen von Ravenna nach Rom durch gotische Scharen, die Witichis befehligte, bedeckt waren und daher zu fürchten stand, daß ihre Flucht auf diesem Wege zu früh entdeckt und vielleicht verhindert würde. So mußte er sich entschließen, einen Teil des Weges zur See zurückzulegen: aber auf die gotischen Schiffe im Hafen von Ravenna konnte man zu einem solchen Zweck nicht zählen. Zum Glück erinnerte sich der Präfekt, daß der Nauarch Pomponius, einer der Verschwornen, mit drei Trieren zuverlässiger d. h. römischer Bemannung an der Ostküste des adriatischen Meeres, zwischen Ancona und Teate, auf afrikanische Seeräuber Jagd machend, kreuzte. Diesem sandte er Befehl, in der Nacht des Epiphaniasfestes in der Bucht von Ravenna zu erscheinen. Er hoffte vom Garten des Palastes aus, unter dem Schutz der Dunkelheit und während kirchliche und weltliche Festfeier die Stadt beschäftigte, leicht und sicher mit Amalaswintha die Schiffe zu erreichen, die sie zur See über die gotischen Stellungen hinaus bis nach Teate bringen sollten: von da aus war der Weg nach Rom kurz und ungefährdet. Diesen Plan im Bewußtsein – sein Bote kam glücklich hin und zurück mit dem Versprechen des Pomponius, pünktlich einzutreffen – lächelte der Präfekt zu dem täglich wachsenden, trotzigen Haß der Goten, die seine Günstlingsstellung bei Amalaswintha mit Ingrimm betrachteten. Er ermahnte diese, geduldig auszuharren und nicht durch einen Ausbruch ihres königlichen Zornes über die »Rebellen« vor dem Tag der Befreiung einen Zusammenstoß herbeizuführen, der leicht alle Pläne der Rettung vereiteln konnte. Das Epiphaniasfest war gekommen: das Volk wogte in dichten Massen in den Basiliken, auf den Plätzen der Stadt. Die Kleinodien des Schatzes lagen geordnet und gepackt bereit, ebenso die wichtigsten Urkunden des Archivs. Es war Mittag. Amalaswintha und der Präfekt hatten soeben ihren Freund Cassiodor von dem Plan unterrichtet, dessen Kühnheit ihn anfangs erschreckte, dessen Klugheit ihn alsbald gewann. Sie wollten gerade aus dem Gemach der Beratung aufbrechen, als plötzlich der Lärm des Volkes, das vor dem Palast auf und niederflutete, lauter und heftiger anschwoll: Drohungen, Jubelrufe, Waffenklirren wild durcheinander. Cethegus schlug den Vorhang des großen Rundbogenfensters zurück: doch er sah nur noch die letzten Reihen der Menge nachdrängen in die offenen Thore des Palastes. Die Ursache der Aufregung war nicht zu entdecken. Aber schon stieg im Palatium das Getöse die Treppen hinan, Zank mit der Dienerschaft wurde hörbar, einzelne Waffenschläge, bald nahe, schwere Tritte. Amalaswintha bebte nicht: fest hielt sie den Drachenknauf des Thronstuhls, auf den Cassiodor sie zurückgeführt. Cethegus warf sich indessen den Andringenden entgegen. »Halt,« rief er, unter der Thüre des Gemaches hinaus, »die Königin ist für niemand sichtbar.« Einen Augenblick lautlose Stille. Dann rief eine kräftige Stimme: »Wenn für dich, Römer, auch für uns, für ihre gotischen Brüder. Vorwärts!« Und wieder erhob sich das Brausen der Stimmen und im Augenblick war Cethegus, ohne Anwendung bestimmter Gewalt, von dem Andrang der Masse wie von unwiderstehlicher Meeresflut bis weit in den Hintergrund des Saales zurückgeschoben, und die Vordersten im Zuge standen dicht vor dem Thron. Es waren Hildebrand, Witichis, Teja, ein baumlanger Gote, den Cethegus nicht kannte, und neben ihm – es litt keinen Zweifel – die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, in voller Rüstung, drei prachtvolle Kriegergestalten. Die Eingedrungnen neigten sich vor dem Thron. Dann rief Herzog Thulun nach rückwärts gewendet mit der Handbewegung eines gebornen Herrschers: »Ihr, gotische Männer, harret noch draußen eine kurze Weile; wir wollen’s in eurem Namen mit der Regentin zu schlichten suchen. Gelingt es nicht – so rufen wir euch auf zur That – ihr wißt, zu welcher.« Willig und mit Jubelrufen zogen sich die Scharen hinter ihm zurück und verloren sich bald in den Gängen und Hallen des Schlosses. »Tochter Theoderichs,« hob Herzog Thulun an, das Haupt zurückwerfend, »wir sind gekommen, weil uns dein Sohn, der König, zurückberufen. Leider finden wir ihn nicht mehr am Leben. Wir wissen, daß du uns nicht gerne hier siehst.« »Wenn ihr das wißt,« sprach Amalaswintha mit Hoheit, »wie könnt ihr wagen, dennoch vor unser Angesicht zu treten? Wer gestattet euch, wider unsern Willen zu uns zu dringen?« – »Die Not gebeut es, hohe Frau, die Not, die schon stärkere Riegel gebrochen als eines Weibes Laune. Wir haben dir die Forderungen deines Volkes vorzutragen, die du erfüllen wirst.« – »Welche Sprache! Weißt du wer vor dir steht, Herzog Thulun?« – »Die Tochter der Amalungen, deren Kind ich ehre, auch wo es irrt und frevelt.« – »Rebell!« rief Amalaswintha und erhob sich majestätisch vom Throne, »dein König steht vor dir.« Aber Thulun lächelte: »Du würdest klüger thun, Amalaswintha, von diesem Punkt zu schweigen. König Theoderich hat dir die Mundschaft über deinen Sohn übertragen, dem Weibe: – das war wider Recht, aber wir Goten haben ihm nicht eingeredet in seine Sippe. Er hat diesen Sohn zum Nachfolger gewünscht, den Knaben: – das war nicht klug. Aber Adel und Volk der Goten haben das Blut der Amalungen geehrt und den Wunsch eines Königs, der sonst weise war. Niemals jedoch hat er gewünscht und niemals hätten wir gebilligt, daß nach jenem Knaben ein Weib über uns herrschen solle, die Spindel über die Speere.« »So wollt ihr mich nicht mehr anerkennen als eure Königin?« rief sie empört. »Und auch du, Hildebrand, alter Freund Theoderichs, auch du verleugnest seine Tochter?« »Frau Königin,« sprach der Alte, »wollest du selbst verhüten, daß ich dich verleugnen muß.« Thulun fuhr fort: »Wir verleugnen dich nicht – noch nicht. Jenen Bescheid gab ich nur, weil du auf dein Recht pochst und weil du wissen mußt, daß du ein Recht nicht hast. Aber weil wir gern den Adel des Blutes ehren – wir ehren damit uns selbst – und weil es in diesem Augenblick zu bösem Zwiespalt im Reich führen könnte, wollten wir dir die Krone absprechen, so will ich dir die Bedingungen sagen, unter denen du sie fürder tragen magst.« Amalaswintha litt unsäglich: wie gern hätte sie das stolze Haupt, das solche Worte sprach, dem Henker geweiht. Und machtlos mußte sie das dulden! Thränen wollten in ihr Auge dringen: sie preßte sie zurück, aber erschöpft sank sie auf ihren Thron, von Cassiodor gestützt. Cethegus war indessen an ihre andre Seite getreten: »Bewillige alles!« raunte er ihr zu, »’s ist alles erzwungen und nichtig. Und heute Nacht noch kömmt Pomponius.« »Redet,« sprach Cassiodor, »aber schont des Weibes, ihr Barbaren.« – »Ei,« lachte Herzog Pitza, »sie will ja nicht als Weib behandelt sein: sie ist ja unser König.« »Ruhig, Vetter,« verwies ihn Herzog Thulun, »sie ist von edlem Blut wie wir.« »Fürs erste,« fuhr er fort, »entläßt du aus deiner Nähe den Präfekten von Rom. Er gilt für einen Feind der Goten. Er darf nicht die Gotenkönigin beraten. An seine Stelle bei deinem Thron tritt Graf Witichis.« »Bewilligt!« sagte Cethegus selbst, statt Amalaswinthas. »Fürs zweite erklärst du in einem Manifest, daß fortan kein Befehl von dir vollziehbar, der nicht von Hildebrand oder Witichis unterzeichnet, daß kein Gesetz ohne Genehmigung der Volksversammlung gültig ist.« Die Regentin fuhr zornig auf, aber Cethegus hielt ihren Arm nieder. »Heute Nacht kommt Pomponius!« flüsterte er ihr zu. Dann rief er laut: »Auch das wird zugestanden.« »Das dritte,« hob Thulun wieder an, »wirst du so gern gewähren, als wir es empfangen. Wir drei Balten haben nicht gelernt, in der Hofburg die Häupter zu bücken: das Dach ist uns zu niedrig hier. Amaler und Balten leben am besten weit von einander – wie Adler und Falk. Und das Reich bedarf unsres Arms an seinen Marken. Die Nachbarn wähnen, das Land sei verwaiset, seit dein großer Vater ins Grab stieg. Avaren, Gepiden, Sclavenen springen ungescheut über unsre Grenzen. Diese drei Völker zu züchtigen, rüstest du drei Heere, je zu dreißig Tausendschaften und wir drei Balten führen sie als deine Feldherrn nach Osten und nach Norden.« Die ganze Waffenmacht obenein in ihre Hände: – nicht übel! dachte Cethegus. »Bewilligt,« rief er lächelnd. »Und was bleibt mir,« fragte Amalaswintha, »wenn ich all das euch dahingegeben?« »Die goldne Krone auf der weißen Stirn,« sagte Herzog Ibba. »Du kannst ja schreiben wie ein Grieche,« begann Thulun aufs neue. »Wohlan, man lernt solche Künste nicht umsonst. Hier dies Pergament soll enthalten – mein Sklave hat es aufgezeichnet – was wir fordern.« Er reichte es Witichis zur Prüfung: »Ist es so? Gut. Das wirst du unterschreiben, Fürstin. – So, wir sind fertig. Jetzt sprich du, Hildebad, mit jenem Römer.« Doch vor ihn trat Teja, die Rechte am Schwert, zitternd vor Haß: »Präfekt von Rom,« sagte er, »Blut ist geflossen, edles, teures, gotisches Blut. Es weiht ihn ein, den grimmen Kampf, der bald entbrennen wird. Blut, das du büßen« – der Zorn erstickte seine Stimme. »Pah,« rief, ihn zurückschiebend, Hildebad, – denn er war der baumlange Gote – »macht nicht soviel Aufhebens davon! Mein goldner Bruder kann leicht etwas missen von überflüssigem Blut. Und der andre hat mehr verloren als er missen kann. Da, du schwarzer Teufel,« rief er Cethegus zu und hielt ihm ein breites Schwert dicht vor die Augen, »kennst du das?« »Des Pomponius Schwert!« rief dieser erbleichend und einen Schritt zurückweichend. Amalaswintha und Cassiodor fragten erschrocken: »Pomponius?« »Aha,« lachte Hildebad, »nicht wahr, das ist schlimm? Ja, aus der Wasserfahrt kann nichts werden.« »Wo ist Pomponius, mein Nauarch?« rief Amalaswintha heftig. »Bei den Haifischen, Frau Königin, in tiefer See.« »Ha, Tod und Vernichtung!« rief Cethegus, jetzt fortgerissen vor Zorn, »wie geht das zu?« »Lustig genug. Sieh, mein Bruder Totila – du kennst ihn ja, nicht wahr? – lag im Hafen von Ancona mit zwei kleinen Schiffen. Dein Freund Pomponius, der machte ihm seit einigen Tagen ein so übermütiges Gesicht und ließ so dicke Worte fallen, daß es selbst meinem arglosen Blonden auffiel. Plötzlich ist er eines Morgens mit seinen drei Trieren aus dem Hafen entwischt. Totila schöpft Verdacht, setzt alle Leinwand auf, fliegt ihm nach, holt ihn ein auf der Höhe von Pisaurum, stellt ihn, geht zu ihm an Bord mit mir und ein paar andern und fragt ihn, wohinaus?« »Er hatte kein Recht dazu, Pomponius wird ihm keine Antwort gegeben haben.« »Doch, Vortrefflicher, er gab ihm eine. Wie der sah, daß wir zu sieben allein auf seinem Schiff, da lachte er und rief: »Wohin ich segle? Nach Ravenna, du Milchbart, und rette die Regentin aus euren Klauen nach Rom.« Und dabei winkte er seinen Leuten. Da warfen aber auch wir die Schilde vor und hui, flogen die Schwerter aus den Scheiden. Das war ein harter Stand, sieben gegen dreißig. Aber es währte zum Glück nicht lang, da hörten unsre Bursche im nächsten Schiff das Eisen klirren und flugs waren sie mit ihren Boten heran und erkletterten wie die Katzen die Wandung. Jetzt waren wir die mehreren: aber der Nauarch – gieb dem Teufel sein Recht! – gab sich nicht, focht wie ein Rasender und stieß meinem Bruder das Schwert durch den Schild in den linken Arm, daß es hoch aufspritzte. Da aber ward mein Bruder auch zornig und rannte ihm den Speer in den Leib, daß er fiel wie ein Schlachtstier. »Grüßt mir den Präfekten,« sprach er sterbend, »gebt ihm das Schwert, sein Geschenk, zurück und sagt ihm, es kann keiner wider den Tod: sonst hätte ich Wort gehalten.« Ich hab’s ihm gelobt, es zu bestätigen. Er war ein tapfrer Mann. Hier ist das Schwert.« Schweigend nahm es Cethegus. »Die Schiffe ergaben sich und mein Bruder führte sie zurück nach Ancona. Ich aber segelte mit dem schnellsten hierher und traf am Hafen mit den drei Balten zusammen, gerade zur rechten Zeit.« Eine Pause trat ein, in welcher die Überwundnen ihre böse Lage schmerzlich überdachten. Cethegus hatte ohne Widerstand alles bewilligt in der sichern Hoffnung auf die Flucht, die nun vereitelt war. Sein schönster Plan war durchkreuzt, durchkreuzt von Totila: tief grub der Haß diesen Namen in des Präfekten Seele. Sein grimmiges Rachesinnen ward erst durch den Ausruf Thuluns gestört: »Nun, Amalaswintha, willst du unterzeichnen? oder sollen wir die Goten zur Wahl eines Königs berufen?« Rasch fand bei diesen Worten Cethegus die Fassung wieder: er nahm die Wachstafel aus der Hand des Grafen und reichte sie ihr hin: »Du mußt, o Königin,« sagte er leise, »es bleibt dir keine Wahl.« Cassiodor gab ihr den Griffel, sie schrieb ihren Namen und Thulun nahm die Tafel zurück. »Wohl,« sagte er, »wir gehn, den Goten zu verkünden, daß ihr Reich gerettet ist. Du, Cassiodor, begleitest uns, zu bezeugen, daß alles ohne Gewalt geschehen ist.« Auf einen Wink Amalaswinthens gehorchte der Senator und folgte den gotischen Männern hinaus auf das Forum vor dem Schlosse. Als sie sich mit Cethegus allein sah, sprang die Fürstin heftig auf: nicht länger gebot sie ihren Thränen. Leidenschaftlich schlug sie die Hand vor die Stirn. Ihr Stolz war aufs tiefste gebeugt. Schwerer als des Gatten, des Vaters, ja selbst als Athalarichs Verlust traf diese Stunde ihr Herz. »Das,« rief sie laut weinend, »das also ist die Überlegenheit der Männer. Rohe, plumpe Gewalt! o Cethegus, alles ist verloren.« »Nicht alles, Königin, nur ein Plan. Ich bitte um ein gnädiges Andenken,« setzte er kalt hinzu, »ich gehe nach Rom.« »Wie? du verläßt mich in diesem Augenblick? Du, du hast mir all diese Versprechungen abgewonnen, die mich entthronen, und nun scheidest du? O besser, ich hätte widerstanden, dann wär ich Königin geblieben, hätten sie auch jenem Rebellenherzog die Krone aufgesetzt.« Jawohl, dachte Cethegus, besser für dich, schlimmer für mich. Nein, kein Held soll mehr diese Krone tragen. – Rasch hatte er erkannt, daß Amalaswintha ihm nichts mehr nützen könne – und rasch gab er sie auf. Schon sah er sich nach einem neuen Werkzeug für seine Pläne um. Doch beschloß er, ihr einen Teil seiner Gedanken zu enthüllen, damit sie nicht auf eigne Faust handelnd jetzt noch ihre Versprechungen widerriefe und dadurch Thulun die Krone zuwende. »Ich gehe, o Herrin,« sprach er, »doch ich verlasse dich darum nicht. Hier kann ich dir nichts mehr nützen. Man hat mich aus deiner Nähe verbannt und man wird dich hüten, eifersüchtig wie eine Geliebte.« »Aber was soll ich thun mit diesen Versprechungen, mit diesen drei Herzogen?« »Abwarten, zunächst dich fügen. Und die drei Herzoge,« setzte er zögernd bei – »die ziehn ja in den Krieg: – vielleicht kehren sie nicht zurück.« »Vielleicht!« seufzte die Regentin. »Was nützt ein vielleicht!« Cethegus trat fest auf sie zu: »Sie kehren nicht zurück – sobald du’s willst.« Erschrocken bebte die Frau: »Mord? Entsetzlicher, was sinnst du?« – »Das Notwendige. Mord ist das falsche Wort dafür. Es ist Notwehr. Oder Strafe. Hattest du in dieser Stunde die Macht, du hattest das volle Recht, sie zu töten. Sie sind Rebellen. Sie zwingen deinen königlichen Willen. Sie erschlagen deinen Nauarchen, den Tod haben sie verdient.« »Und sie soll’n ihn finden,« flüsterte Amalaswintha, die Faust ballend, vor sich hin, »sie soll’n nicht leben, die rohen Männer, die eine Königin gezwungen. Du hast Recht – sie sollen sterben.« – »Sie müssen sterben – sie, und,« fügte er ingrimmig bei, »und – – der junge Seeheld!« »Warum auch Totila? Er ist der schönste Jüngling meines Volks.« »Er stirbt,« knirschte Cethegus, »o, könnt’ er zehnmal sterben.« Und aus seinem Auge sprühte eine Glut des Hasses, die, plötzlich aus der eisigkalten Natur brechend, Amalaswintha in Schrecken überraschte. »Ich schicke dir,« fuhr er rasch und leise fort, »aus Rom drei vertraute Männer, isaurische Söldner. Die sendest du den drei Balten nach, sobald sie in ihren Heerlagern eingetroffen. Hörst du, _du_ sendest sie, die Königin: denn sie sind Henker, keine Mörder. Die Drei müssen an Einem Tage fallen – Für den schönen Totila sorge ich selbst! – Der Schlag wird alles erschrecken. In der ersten Bestürzung der Goten eile ich von Rom herbei. Mit Waffen, dir zur Rettung. Leb wohl.« Er verließ rasch die Hilflose, an deren Ohr in diesem Augenblick von dem Forum vor dem Palatium jubelndes Freudengeschrei der Goten schlug, die den Erfolg ihrer Führer, die Besiegung Amalaswinthas feierten. Sie fühlte sich ganz verlassen. Daß die letzte Verheißung des Präfekten kaum mehr als ein leeres Trostwort zur Beschönigung seines Abgangs war, ahnte sie mit banger Seele. Gramvoll stützte sie die Wange auf die schöne Hand und verlor sich eine Weile finster in ihren ratlosen Gedanken. Da rauschten die Vorhänge des Gemaches: ein Palastbeamter stand vor ihr: »Gesandte von Byzanz bitten um Gehör. Justinus ist gestorben: Kaiser ist sein Neffe Justinian. Er bietet dir seinen brüderlichen Gruß und seine Freundschaft.« »Justinianus!« rief die ganze Seele der bedrängten Frau. Sie sah sich ihres Sohnes beraubt, von ihrem Volk bedroht, von Cethegus verlassen: ringsumher hatte sie in trübem Sinnen vergeblich Hilfe und Halt gesucht und aufatmend aus tiefer Brust wiederholte sie jetzt: »Byzanz – Justinianus!« Viertes Kapitel. In den Waldbergen von Fiesole findet heutzutage der Wandrer, der von Florenz heranzieht, rechts von der Straße die Ruinen eines ausgedehnten villenartigen Gebäudes. Epheu, Steinbrech und Wildrosen haben um die Wette die Trümmer überkleidet: die Bauern des nahen Dorfes haben seit Jahrhunderten Steine davongetragen, die Erde ihrer Weingärten an den Hügelrändern aufzudämmen. Aber noch immer bezeichnen die Reste deutlich, wo die Säulenhalle vor dem Hause, wo das Mittelgebäude, wo die Hofmauer stand. Üppig wuchert das Unkraut auf dem Wiesgrund, wo dereinst der schöne Garten in Zier und Ordnung prangte: nichts davon hat sich erhalten als das breite Marmorbecken eines längst vertrockneten Brunnens, in dessen kiesigem Rinnsal sich jetzt die Eidechse sonnt. Aber in den Tagen, von denen wir erzählen, sah es hier viel anders aus. »Die Villa des Mäcen bei Fäsulä,« wie man das Gebäude damals, wohl mit wenig Fug, benannte, war von glücklichen Menschen bewohnt, das Haus von sorglicher Frauenhand bestellt, der Garten von hellem Kindeslachen belebt. Zierlich war die rankende Klemmatis hinaufgebunden an den schlanken Schäften der korinthischen Säulen vor dem Haus und der Wein zog freundlich schmückend über das flache Dach. Mit weißem Sande waren die schlängelnden Wege des Gartens bestreut und in den Nebengebäuden, die der Wirtschaft dienten, glänzte eine Reinlichkeit, waltete eine stille Ordnung, die nicht auf römische Sklavenhände raten ließ. Es war um Sonnenuntergang. Die Knechte und Mägde kehrten von den Feldern zurück: die hoch mit Heu beladenen Wagen mit Rossen nicht italischer Zucht bespannt, schwankten heran: von den Hügeln herunter trieben die Hirten Ziegen und Schafe herzu, von großen zottigen Hunden umbellt. Dicht vor dem Hofthor gab es die lebendigste Scene des bunten Schauspiels: ein paar römische Sklaven trieben mit tobenden Gebärden und gellendem Geschrei die keuchenden Pferde eines grausam überladnen Wagens an: nicht mit Peitschenhieben, sondern mit Stöcken, deren Eisenspitzen sie den Tieren immer in dieselbe wunde Stelle stießen. Nur ruckweise ging es trotzdem vorwärts. Jetzt lag ein großer Stein vor dem linken Vorderrad, jeden Fortschritt unmöglich machend. Aber der wütige Italier sah es nicht. »Vorwärts, Bestie, und Kind einer Bestie,« schrie er dem zitternden Rosse zu, »vorwärts, du gotisches Faultier!« Und ein neuer Stich mit dem Stachel und ein neuer verzweifelter Ruck: aber das Rad ging nicht über den Stein, das gequälte Tier stürzte in die Knie und drohte den Wagen mit umzureißen. Darüber wurde der Treiber erst recht grimmig. »Warte, du Racker!« schrie er und schlug nach dem Auge des zuckenden Rosses. – Aber nur einmal schlug er, im nächsten Augenblick stürzte er selbst wie blitzgetroffen unter einem mächtigen Streiche nieder. »Davus, du boshafter Hund!« brüllte eine Bärenstimme und über dem Gefallenen stand schier noch mal so lang und gewiß noch mal so breit wie der erschrockene Tierquäler, ein ungeheurer Gote, einen derben Knüttel wiederholt auf den Rücken des Schreienden schwingend. »Du elender Neiding,« schloß er mit einem Fußtritt, »ich will dich lehren, umgehn mit einem Geschöpf, das sechsmal besser ist als du. Ich glaube, du Schandbub quälst den Hengst, weil er von jenseit der Berge ist. Noch einmal laß mich das sehn und ich zerbreche dir alle Knochen im Leibe. Jetzt auf und abgeladen: – du trägst alle Schwaden, die zuviel sind, auf deinem eignen Rücken in die Scheuer. Vorwärts.« Mit einem giftigen Blick stand der Gezüchtigte auf und schickte sich hinkend an, zu gehorchen. Der Gote hatte das zuckende Roß sogleich aufgerichtet und wusch ihm jetzt sorglich die geschürften Knie mit seinem eignen Abendtrunk von Wein und Wasser. Kaum war er damit zu Ende, als ihn vom nahen Stall her dringend eine helle Knabenstimme rief: »Wachis, hierher, Wachis!« – »Komme schon, Athalwin, mein Bursch, was giebt’s?« – und schon stand er in der offnen Thüre des Pferdestalles, neben einem schönen Knaben von sieben bis acht Jahren, der sich heftig die langen, gelben Haare aus dem erglühenden Antlitz strich und mit Mühe in den himmelblauen Augen zwei Thränen des Zornes zerdrückte. Er hatte ein zierlich geschnitztes Holzschwert in der Rechten und hob es drohend gegen einen schwarzbraunen Sklaven, der mit gebognem Nacken und mit geballten Fäusten trotzig ihm gegenüberstand. »Was giebt’s da?« wiederholte Wachis über die Schwelle tretend. »Der Rotschimmel hat wieder nichts zu saufen und sieh nur, zwei Bremsen haben sich eingesogen oben an seinem Bug, wo er mit der Mähne nicht hinreichen kann und ich nicht mit der Hand und der böse Cacus da, wie ich’s ihm sage, will mir nicht folgen: und gewiß hat er mich geschimpft auf römisch, was ich nicht verstehe.« Wachis trat drohend näher. »Ich habe nur gesagt:« sprach Cacus langsam zurückweichend, »erst eß’ ich meine Hirse; das Tier mag warten; bei uns zu Lande kömmt der Mensch vor dem Vieh.« – »So, du Tropf?« sagte Wachis, die Bremsen erschlagend, »bei uns kommt das Roß vor dem Reiter zum Futter; mach vorwärts.« Aber Cacus war stark und trotzig: er warf den Kopf auf und sagte: »wir sind hier in unserm Land – da gilt unser Brauch.« – »Eia, du verfluchter Schwarzkopf, wirst du gehorchen?« sprach Wachis ausholend. – »Gehorchen? Nicht dir! Du bist auch nur ein Sklave wie ich: und meine Eltern haben schon hier im Hause gelebt als deinesgleichen noch Küh’ und Schafe stahlen jenseit der Berge.« Wachis ließ den Knüttel fallen und wiegte seine Arme: »Höre, Cacus, ich habe ohnehin noch einen Span mit dir, du weißt schon, was für einen. Jetzt geht’s in einem hin.« – »Ha,« lachte Cacus höhnisch, »wegen Liuta, der Flachsdirn? Pah, ich mag sie nicht mehr, die Barbarin. Sie tanzt wie eine Jungkuh.« – Jetzt ist’s aus mit dir,« sagte Wachis ruhig und schritt auf seinen Gegner zu. Aber dieser wandte sich wie eine Katze aus dem Griff des Goten, riß ein spitzes Messer aus der Brustfalte des Wollrocks und warf es nach ihm: da sich Wachis bückte, sauste es haarscharf an seinem Kopf vorbei und fuhr tief in den Pfosten der Thür. »Na, warte, du Mordwurm!« rief der Germane und wollte sich auf Cacus werfen; da fühlte er sich von hinten umklammert. Es war Davus, der die Gelegenheit der Rache scharf erpaßt hatte. Aber jetzt ward Wachis sehr zornig. Er schüttelte ihn ab, packte ihn mit der Linken am Genick, erwischte mit der Rechten Cacus an der Brust und stieß nun mit Bärenkraft seinen beiden Gegnern die Köpfe zusammen, jeden Stoß mit einem Ausruf begleitend, »so, meine Jungen – das für das Messer – und das für den Rückensprung – und den für die Jungkuh« – und wer weiß, wie lange diese seltsame Litanei noch fortgedauert haben würde, hätte sie nicht ein lautes Rufen gestört. »Wachis – Cacus – auseinander sag’ ich!« rief eine volle starke Frauenstimme, und vor der Thür erschien ein stattliches Weib in blauem gotischem Gewand. Sie war nicht groß und doch imposant: ihr schöner Bau eher mächtig als zart. Die goldbraunen Haare waren in reichen, doch einfachen Flechten um das runde Haupt geschlungen, die Züge regelmäßig, aber eher fest als fein gezeichnet. Geradheit, Tüchtigkeit, Verlässigkeit sprachen aus den fast allzugroßen graublauen Augen: die unbedeckten vollen Arme zeigten, daß sie der Arbeit nicht fremd. An ihrem breiten Gürtel, über den das braune Untergewand von selbstgewirktem Zeuge bauschte, klirrte ein Bund von Schlüsseln: die Linke stemmte sie ruhig in die Hüfte und befehlend streckte sie die Rechte vor sich hin. »Eia, Rauthgundis, strenge Frau,« sagte Wachis loslassend, »mußt du denn überall die Augen haben?« »Überall, wo mein Gesinde Unfug treibt. Wann werdet ihr lernen, euch vertragen? Euch Welschen fehlt der Herr im Hause. Aber du, Wachis, solltest nicht auch der Hausfrau Verdruß machen. Komm, Athalwin, mit mir.« Und sie führte den Knaben an der Hand mit fort. Sie ging in den Seitenhof und füllte aus einer Truhe Körner in ihr Gewand, die Hühner und Tauben zu füttern, die sie sogleich dicht umdrängten. Athalwin sah eine Weile schweigend zu. Endlich sagte er: »Du, Mutter, ist’s wahr? ist der Vater ein Räuber?« Rauthgundis hielt inne in ihrem Thun und sah das Kind an: »Wer hat das gesagt.« »Wer? Ei, des Nachbars Calpurnius Neffe. Wir spielten auf dem großen Heuhaufen seiner Wiese drüben überm Zaun und ich zeigte ihm, wie weit das Land uns gehöre rechts vom Zaun, – weit und breit – so weit unsre Knechte mähten und fern der Bach schimmerte. Da ward er zornig und sagte: »Ja, und all’ das Land gehörte früher uns und dein Vater oder dein Großvater, die haben’s gestohlen, die Räuber.« »So? und was sagtest du drauf.« »Ei, gar nichts, Mutter. Ich warf ihn nur über den Heuhaufen hinunter, daß er die Füße gen Himmel schlug. Aber jetzt, nach der Hand, möcht’ ich doch wissen, ob’s wahr ist.« »Nein, Kind, es ist nicht wahr. Gestohlen hat’s der Vater nicht. Aber offen genommen, weil er besser war und stärker als diese Welschen. Und alle starken Helden haben’s immer so gemacht zu allen Zeiten. Und die Welschen in den Tagen, da sie stark waren und ihre Nachbarn schwach, am allermeisten. Aber nun komm, wir müssen nach dem Linnen sehen, das auf dem Anger zur Bleiche liegt.« Als sie nun den Stallungen den Rücken wandten und dem nahen Grashügel links vom Hause zuschritten, hörten sie den raschen Hufschlag eines Rosses, das auf der alten römischen Heerstraße nahte. Rasch hatte Athalwin den Gipfel des Hügels erreicht und blickte nach der Straße hin. Da sprengte ein Reiter auf einem mächtigen Braunen die Waldhöhe herab auf die Villa zu: hell funkelte sein Helm und die Spitze der Lanze, die er schräg über dem Rücken trug. »Der Vater, Mutter, der Vater!« rief der Knabe und rannte pfeilgeschwind den Hügel hinab dem Reiter entgegen. Rauthgundis hatte jetzt auch die Höhe erreicht. Ihr Herz pochte. Sie legte die Hand vors Auge, in die schimmernde Abendröte zu schauen: dann sagte sie still glücklich vor sich hin: »Ja, er ist’s. Mein Mann!« Fünftes Kapitel. Inzwischen hatte Athalwin den Nahenden schon erreicht und kletterte an seinem Fuß hinan. Der Reiter hob ihn mit liebevoller Hand herauf und setzte ihn vor sich in den Sattel und flog jetzt im Galopp heran: lustig wieherte Wallada, das edle Tier, einst Theoderich’s Streitroß, die Heimat und die Herrin erkennend und schlug freudig mit dem langen wallenden Schweif. Nun war der Reiter heran und stieg ab mit dem Knaben: »mein liebes Weib!« sprach er, sie herzlich umarmend. »Mein Witichis!« flüsterte sie, an seiner Brust erglühend, entgegen, »willkommen bei den Deinen.« – »Ich hatte versprochen, noch vor dem neuen Mond zu kommen – schwer ging’s –« »Aber du hieltst Wort wie immer.« – »Mich zog das Herz,« sagte er, den Arm um sie schlingend. Sie schritten langsam dem Hause zu. »Dir, Athalwin, ist, scheint’s, Wallada wichtiger als der Vater,« lächelte er dem Kleinen zu, der sorgfältig das Pferd am Zügel nachführte. »Nein, Vater, aber gieb mir noch die Lanze dazu – so gut wird mir’s selten hier in dem Bauernleben« – und den langen schweren Speerschaft mit Mühe einherschleppend, rief er laut: »he, Wachis, Ansbrand, der Vater ist da! – Jetzt holt den Falernerschlauch aus dem Keller. Der Vater hat Durst vom scharfen Ritt.« Lächelnd strich Witichis über den Flachskopf des Knaben, der jetzt an ihnen vorüber und voran eilte. »Nun, und wie steht’s hier draußen bei euch?« fragte er, auf Rauthgundis blickend. »Gut, Witichis, die Ernte ist glücklich eingebracht, die Trauben gestampft, die Garben geschichtet.« – »Nicht danach frag’ ich,« sagte er, sie zärtlich an sich drückend, – »wie geht es dir?« – »Wie’s einem armen Weibe geht,« antwortete sie, zu ihm aufblickend, »das seinen herzgeliebten Mann vermißt. Da hilft nur Arbeit, Freund, und tüchtig Schaffen, daß man das weiche Herz betäubt. Oft denk’ ich, wie hart du dich mühen mußt, draußen, unter fremden Leuten, im Lager und am Hof, wo niemand dein in Treuen pflegt. Da soll er wenigstens, denk’ ich dann, kömmt er heim, sein Haus immer wohl bestellt und traulich finden. Und das ist’s, sieh, was mir all’ die dumpfe Arbeit lieb macht und weihet und veredelt.« »Du bist mein wackeres Weib. Mühst du dich nicht zuviel?« »Die Arbeit ist gesund. Aber der Verdruß, die Bosheit der Leute, das thut mir weh.« Witichis blieb stehen. »Wer wagt’s, dir weh zu thun?« – »Ach, die welschen Knechte und die welschen Nachbarn. Sie hassen uns alle. Weh uns, wenn sie uns nicht mehr fürchten. Calpurnius, der Nachbar, ist so frech, wenn er dich ferne weiß, und die römischen Sklaven sind trotzig und falsch; nur unsre gotischen Knechte sind brav.« Witichis seufzte. Sie waren jetzt vor dem Hause angelangt und ließen in dem Säulengang sich vor einem Marmortisch nieder. »Du mußt bedenken,« sagte Witichis, »der Nachbar hat ein Drittel seines Guts und seiner Sklaven an uns abtreten müssen.« – »Und hat zwei Drittel behalten und das Leben dazu – er sollte Gott danken!« meinte Rauthgundis verächtlich. Da sprang Athalwin heran mit einem Korb voll Äpfeln, die er vom Baum gepflückt; dann kamen Wachis und die andern germanischen Knechte mit Wein, Fleisch und Käse und sie begrüßten den Herrn mit freimütigem Handschlag. »Gut, meine Kinder, seid gegrüßt. Die Frau lobt euch. Aber wo stecken Davus, Cacus und die andern?« – »Verzeih, Herr,« schmunzelte Wachis, »sie haben ein schlecht Gewissen.« »Warum? Weshalb?« – »Ei, ich glaube, – weil ich sie ein bischen geprügelt habe – sie schämen sich.« Die andern Knechte lachten. »Nun, es kann ihnen nicht schaden,« meinte Witichis, »geht jetzt zu eurem Essen. Morgen seh’ ich nach eurer Arbeit.« Die Knechte gingen. »Was ist’s mit Calpurnius,« fragte Witichis, sich einschenkend. Rauthgundis errötete und besann sich: »Das Heu von der Bergwiese,« sagte sie dann, »das unsre Knechte gemäht, hat er nachts in seine Scheuer geschafft und giebt es nicht heraus.« – »Er wird es schon herausgeben, mein’ ich ....« sagte er ruhig, trinkend. – »Jawohl,« rief Athalwin lebhaft, »das mein’ ich auch. Und giebt er’s nicht – mir noch lieber! Dann sagen wir Fehde an und ich zieh’ hinüber mit Wachis und den reisigen Knechten, mit Waffen und Wehr. Er sieht mich immer so giftig an, der schwarze Schleicher.« Rauthgundis wies ihn zur Ruh’ und schickte ihn schlafen. »Wohl, ich gehe,« sagte er, »aber, Vater, wenn du wiederkömmst, bringst du mir statt dieses Steckens da ein richtig Gewaffen mit, nicht wahr?« Und er hüpfte ins Haus. »Der Streit mit diesen Welschen endet nie,« sagte Witichis, »er vererbt sich auf die Kinder. Du hast hier allzuviel Verdruß damit. Desto lieber wirst du thun, was ich dir vorschlage: komm mit nach Ravenna an den Hof.« Hoch erstaunt blickte ihn das Weib an: »Du scherzest!« sagte sie ungläubig. »Du hast das nie gewollt. In den neun Jahren, die ich dein bin, ist dir’s nie eingefallen, mich an den Hof zu führen: ich glaube, es weiß niemand in dem Volk, daß eine Rauthgundis lebt. Du hast ja unsere Ehe geheim gehalten,« lächelte sie, »wie eine Schuld.« »Wie einen Schatz,« sagte Witichis, die Arme um sie schlingend. – »Ich habe dich nie gefragt, warum. Ich war und bin glücklich dabei und dachte und denke: er wird wohl seinen Grund haben.« »Ich hatte meinen guten Grund: er besteht nicht mehr. Du magst nun alles wissen. Wenige Monate, nachdem ich dich gefunden in deiner Felseneinsamkeit und lieb gewonnen, kam König Theoderich auf den seltsamen Gedanken, mich seiner Schwester Amalaberga, der Witwe des Thüringerkönigs, zu vermählen, die gegen ihre schlimmen Nachbarn, die Franken, Mannesschutz bedurfte.« – »Du solltest dort die Krone tragen?« sprach Rauthgundis mit strahlenden Augen. »Mir aber,« fuhr Witichis fort, »war Rauthgundis lieber als Königin und Krone, und ich sagte nein. Es verdroß ihn schwer und er verzieh mir nur, als ich ihm sagte, ich würde wohl niemals freien. Konnt’ ich doch damals nicht hoffen, dich je mein zu nennen: du weißt, wie lange dein Vater mißtrauisch und eisern dich mir nicht anvertrauen wollte. Als du nun aber doch mein geworden, da hielt ich’s nicht für wohlgethan, ihm das Weib zu zeigen, um das ich seine Schwester ausgeschlagen.« »Aber warum hast du mir das verschwiegen, neun Jahre lang?« »Weil,« sagte er, ihr herzlich in die Augen blickend, »weil ich meine Rauthgundis kenne. Du hättest immer geglaubt, Wunder was ich an jener Krone verloren. Jetzt aber ist der König tot und ich bin dauernd an den Hof gebunden. Wer weiß, wann ich wieder ruhen werde im Schatten dieser Säulen, im Frieden dieses Daches.« Und in kurzen Worten erzählte er ihr den Sturz des Präfekten und welche Stellung er nunmehr einnahm bei Amalaswinthen. Aufmerksam hörte ihn Rauthgundis an; dann drückte sie ihm die Hand: »Das ist wacker, Witichis, daß die Goten allmählich merken, was sie an dir haben. Und du bist heiterer, denk’ ich, als sonst.« »Ja, mir ist wohler, seit ich mit tragen darf an der Last der Zeit. Dabei stehen und sie wuchtig drücken sehen auf mein Volk war viel schwerer. Mich dauert dabei nur die Regentin; sie ist wie eine Gefangene.« »Bah, warum hat das Weib gegriffen in das Amt der Männer. Mir fiele das nie ein.« »Du bist keine Königin, Rauthgundis, und Amalaswintha ist stolz.« »Ich bin zehnmal so stolz wie sie. Aber so eitel bin ich nicht. Sie muß nie einen Mann geliebt haben und seinen Wert und seine Art begriffen. Sie könnte sonst nicht die Männer ersetzen wollen.« »Am Hof sieht man das anders an. Komm nur mit an den Hof.« »Nein, Witichis,« sagte sie ruhig, aufstehend, »der Hof paßt nicht für mich. Und ich nicht für den Hof. Ich bin des Ödbauern Kind und gar unhöfisch geartet. Sieh diesen braunen Nacken,« lachte sie, »und diese rauhen Hände. Ich kann nicht die Lyra zupfen und Verslein lesen: schlecht taugt’ ich zu den feinen Römerinnen und wenig Ehre würdest du haben von mir.« »Du wirst dich doch nicht zu schlecht erachten für den Hof?« – »Nein, Witichis, zu gut.« – »Nun, man müßte sich gegenseitig ertragen, würdigen lernen.« – »Das würd’ ich nie. Sie vielleicht mich, aus Furcht vor dir, ich niemals sie. Ich würd’ ihnen täglich ins Gesicht sagen, daß sie hohl, falsch und schlecht sind.« »So willst du lieber deinen Mann entbehren, mondenlang?« – »Ja, lieber ihn entbehren, als in schiefer, schlimmer Stellung um ihn sein. O mein Witichis,« sagte sie, innig den Arm um seinen Nacken legend, »denk nur, wer ich bin und wie du mich gefunden. Wo die letzten Siedelungen unseres Gotenvolks den Saum der Alpen umgürten, hoch auf den Felsschroffen der Scaranzia, wo die junge Isara schäumend aus den Steinklüften ins offne Land der Bajuwaren bricht, da steht meines Vaters stiller Ödhof. Nichts kannt’ ich da als die strenge Arbeit des Sommers auf den einsamen Almen, des Winters in der rauchgeschwärzten Halle am Rocken mit den Mägden. Früh starb die Mutter und den Bruder haben die Welschen erstochen. So wuchs ich einsam auf, allein mit dem alten Vater, der so treu, aber auch so hart und verschlossen wie seine Felsen. Da sah ich nichts von der Welt, die rechts und links von unsern Bergen lag. Nur hoch von oben sah ich manchmal neugierig, wie ein Saumroß mit Salz oder Wein unten in der Thalschlucht des Weges zog. Da saß ich wohl manchen schimmervollen Sommerabend auf der zackigen Kulm des hohen Arn. Und sah der Sonne nach, wie sie so herrlich niedersank weit drüben überm Licus: und ich dachte, was sie wohl alles gesehen den langen Sommertag, seit sie aufstieg drüben überm breiten Önus. Und daß ich wohl auch wissen möchte, wie’s aussieht über dem Karwändel. Oder gar drüben, hinter dem Brennusberg, wo der Bruder hinüberzog und nie mehr wiederkam. Und doch fühlte ich, wie schön es sei droben in meiner grünen Einsamkeit, wo ich den Steinadler pfeifen hörte aus dem nahen Horst und wo ich prächtige Blumen brach, wie sie nicht wuchsen unten in der Ebene und auch wohl einmal des Nachts den Bergwolf vor meiner Stallthür heulen hörte und mit dem Kienbrand scheuchte. Und auch in dem frühen Herbst, in den langen Wintern hatte ich Muße, still in mich hineinzusinnen: wann um die hohen Tannen die weißen Nebelschleier spannen, wann der Bergwind die Felsblöcke von unserem Strohdach riß und die Schneestürze von den Schroffen donnernd niedergingen. So wuchs ich auf, fremd in der Welt jenseit der nächsten Wälder, nur zu Hause in der stillen Welt meiner Gedanken, und in dem engen Bauernleben. Da kamest du – ich weiß es noch wie heute« – und sie hielt an, in Erinnerung verloren. »Ich weiß es auch noch genau,« sagte Witichis. »Ich führte eine Hundertschaft zur Ablösung von Juvavia nach der Augustastadt am Licus – ich war vom Weg und meinen Leuten abgekommen: lang war ich den schwülen Sommertag pfadlos umhergeirrt – da sah ich Rauch aufsteigen überm Tannenhang und bald fand ich das versteckte Gehöft und trat ins Thor: da stand ein prächtig Mädchen am Ziehbrunnen und hob den Eimer.« – »Und ich erschrak siedheiß, – zum erstenmal in meinem Leben! – als der große, bräunliche Mann um die Hausecke bog mit dem krausen Bart und dem funkelnden Helm.« »Ja, du wurdest blutrot bis in die Schläfe und ich bat dich um einen Trunk Wasser. Und niemals hat mein Auge ein schöner Bild gesehen als wie du dich nun niederbeugtest und mit den kräftigen Armen den schweren Eimer auf den Brunnenrand hobst und mir schöpftest in dem Kürbiskrug: reich fielen die dichten goldbraunen Zöpfe übers schwarze Mieder bis in die Knie und deine Wangen waren pfirsichgleich: – o wie wacker, frisch und blühend sahst du aus. Und wie wacker, frisch und blühend bist du mir geblieben seither alle Zeit.« »Und darum, mein Witichis, auf daß ich dir blühend bleibe, führe mich nicht an den Hof. Sieh hier schon im Thal, im Südthal der Alpen, wird mirs oft zu schwül und ich sehne mich nach einem Atemzug aus der Tannenluft meiner Waldberge. Am Hofe aber in den engen Goldgemächern – da würd’ ich dir verkümmern und verschmachten. Laß du mich hier – ich will schon fertig werden mit Nachbar Calpurnius. Und du, das weiß ich ja, du denkst doch auch im Königssaal nach Haus an Weib und Kind.« »Ja, weiß Gott, mit sehnenden Gedanken. So bleibe denn hier und Gott behüte dich, mein gutes Weib.« – Am zweiten Morgen darauf ritt Witichis wieder zurück, die Waldhöhe hinan. Der Abschied hatte ihn fast weich gemacht: mit Kraft hatte er den Ausdruck des Gefühls gehemmt, das er sich, schlicht und streng von Art, zu zeigen scheute. Wie hing des Wackern Herz an diesem kern’gen Weib und seinem Knaben! Hinter ihm drein trabte Wachis, der sich’s durchaus nicht hatte nehmen lassen, dem Herrn noch eine Strecke das Geleit zu geben. Plötzlich ritt er zu ihm hinan. »Herr,« sagte er, »ich weiß was.« – »So? warum sagst du’s nicht?« – »Weil mich noch niemand drum gefragt hat.« – »Nun, ich frage dich drum.« – »Ja, wenn man gefragt ist, muß man freilich reden. – Die Frau hat dir gesagt, daß Calpurnius so ein böser Nachbar ist?« – »Ja. Und was soll’s damit?« – »Sie hat dir aber nicht gesagt, seit wann?« »Nein. Weißt du seit wann?« – »Nun, seit etwa einem halben Jahr. Da traf Calpurnius einmal die Frau im Wald allein, wie sie beide glaubten. Aber sie waren nicht allein. Es lag einer im Graben und hielt seinen Mittagsschlaf.« »Der Faulpelz warst du.« »Richtig erraten. Und da sagte Calpurnius etwas zur Frau.« »Was sagte er?« »Das hab’ ich nicht verstanden. Aber die Frau war nicht faul, hob die Hand und schlug ihm ins Gesicht, daß es patschte. Das hab’ ich verstanden. Und seither ist der Nachbar ein schlimmer Nachbar und das wollt’ ich dir sagen, weil ich mir schon dachte, die Frau werde dich nicht ärgern wollen mit dem Wicht. Aber es ist doch besser du weißt darum. Und sieh, da steht Calpurnius gerade unter seiner Hofthür – siehst du, dort – und jetzt fahr’ wohl, lieber Herr.« Und damit wandte er sein Pferd und jagte im Galopp nach Hause. Witichis aber stieg das Blut zu Kopf. Er ritt an die Thür seines Nachbars, dieser wollte sich ins Haus drücken, aber Witichis rief ihn in einem Ton, daß er bleiben mußte. »Was willst du mir, Nachbar Witichis,« sagte er, blinzelnd zu ihm aufsehend. Witichis zog den Zügel an und schob sein Roß dicht neben jenen. Dann streckte er ihm die geballte, erzgepanzerte Faust hart vor die Augen: »Nachbar Calpurnius,« sagte er ruhig, »wenn _ich_ dir einmal ins Gesicht schlage, stehst du nie wieder auf.« Calpurnius fuhr erschrocken zurück. Witichis aber gab seinem Rosse den Sporn und ritt stolz und langsam seines Weges. Sechstes Kapitel. Zu Rom in seinem Arbeitszimmer lag, auf den weichen Kissen des Lectus behaglich ausgestreckt, Cethegus der Präfekt. Er war guter Dinge. Die Untersuchung gegen ihn hatte mit Freisprechung geendet: nur im Fall augenblicklicher Durchforschung seines Hauses, wie sie der junge König angeordnet, aber sein Tod vereitelt hatte, wäre Entdeckung zu befürchten gewesen. Er hatte durchgesetzt, daß die Befestigung von Rom fortgeführt wurde, mit Zuschüssen aus seinen eigenen Geldern, was seinen Einfluß in der Stadt noch hob. In der letzten Nacht hatte er Versammlung gehalten in den Katakomben: alle Berichte lauteten günstig. Die Patrioten wuchsen an Zahl und Reichtum. Der härtere Druck, der seit den letzten Vorgängen zu Ravenna auf den Italiern lastete, konnte die Zahl der Unzufriednen nur vermehren und, was die Hauptsache war, Cethegus hielt jetzt alle Fäden der Verschwörung in seiner Hand. Unbedingt erkannten selbst die eifersüchtigsten Republikaner die Notwendigkeit an, bis zum Tag der Freiheit dem Begabtesten die Führung zu überlassen. So vorgeschritten war die Stimmung gegen die Barbaren bei allen Italiern, daß Cethegus den Gedanken fassen konnte, sobald Rom vollends befestigt, ohne Hilfe der Byzantiner loszuschlagen. Denn, wiederholte er sich immer wieder, alle Befreier sind leicht gerufen und schwer abgedankt. Und mit Liebe pflegte er den Gedanken, Italien allein zu befreien. So lag der Präfekt, legte Cäsars Bürgerkrieg, in dem er geblättert, zur Seite, stützte das Haupt auf den linken Arm und sagte zu sich selbst: »die Götter müssen noch Großes mit dir vorhaben, Cethegus. So oft du stürzest, fällst du, heil wie eine Katze, auf die sichern Füße. Ah, wenn es uns wohl geht, möchten wir uns mitteilen. Aber Vertrauen ist ein zu gefährliches Vergnügen und das Schweigen ist der einzig treue Gott. Und doch bleibt man ein Mensch und möchte ...« – Da trat ein Sklave ein, der alte Ostiarius Fidus, überreichte schweigend einen Brief auf flacher goldner Schale und ging. »Der Bote wartet,« sagte er. Gleichgültig nahm Cethegus das Schreiben. Aber sowie er auf dem Wachs, das die Schnüre der Tafeln zusammenhielt das Siegel – die Dioskuren – erkannte, rief er lebhaft: »Von Julius! zu guter Stunde!« löste eilig die Fäden, legte die Tafeln auseinander und las – das kalte bleiche Antlitz überflogen von einem sonst völlig fremden Hauch freudiger Wärme. »Cethegus dem Präfekten sein Julius Montanus. Wie lange ist’s, mein väterlicher Lehrer,« (– »beim Jupiter, das klingt frostig« –) »daß ich dir nicht den schuldigen Gruß gesendet. Das letzte Mal schrieb ich dir an den grünen Ufern des Ilissos, wo ich in dem verödeten Hain des Akademos die Spuren Platons suchte – und nicht fand. Ich weiß wohl, mein Brief war nicht heiter. Die traurigen Philosophen dort, in vereinsamten Schulen wandelnd, zwischen dem Druck des Kaisers, dem Argwohn der Priester und der Kälte der Menge, sie konnten nichts in mir erwecken als Mitleid. Meine Seele war dunkel, ich wußte nicht weshalb. Ich schalt meinen Undank gegen dich – den großmütigsten aller Wohlthäter – –« (»so unerträgliche Namen hat er mir nie gegeben,« schaltete Cethegus ein). »Seit zwei Jahren reise ich, mit deinen Reichtümern wie ein König der Syrer ausgestattet, von deinen Freigelassenen und Sklaven begleitet, durch ganz Asien und Hellas, genieße alle Schönheit und Weisheit der Alten – und mein Herz bleibt unbefriedigt, mein Leben unausgefüllt. Nicht Platons schwärmerische Weisheit, nicht das Goldelfenbein des Pheidias, Homeros nicht und nicht Thukydides boten, was mir fehlte. Endlich, endlich hier in Neapolis, der blühenden göttergesegneten Stadt hab’ ich gefunden, was ich unbewußt überall vermißt und immer gesucht. Nicht tote Weisheit: warmes, lebendiges Glück,« (– er hat eine Geliebte! nun endlich, du spröder Hippolyt, Dank euch, Eros und Anteros! –) »o, mein Lehrer, mein Vater! weißt du, welch ein Glück es ist, ein Herz, das dich ganz versteht, zum erstenmal dein eigen nennen?« (– »ah, Julius,« seufzte der Präfekt mit einem seltnen Ausdruck weicher Empfindung, »ob ich es wußte!« –) »Dem du die ganze volle Seele offen zeigen magst? O, wenn du’s je erfahren, preise mich, opfre Zeus dem Erfüller endlich: zum erstenmal hab’ ich einen Freund.« »Was ist das?« rief Cethegus unwillig aufspringend mit einem Blick eifersüchtigen Schmerzes, »der Undankbare!« »Denn, das fühlst du wohl, ein Freund, ein Herzensvertrauter fehlte mir bis jetzt. Du, mein väterlicher Lehrer« – Cethegus warf die Tafeln auf den Schildpatttisch und machte einen hastgen Gang durchs Zimmer. »Thorheit!« sagte er dann ruhig, nahm den Brief auf und las weiter – »Du, soviel älter, weiser, besser, größer als ich – du hast mir eine solche Wucht von Dank und Verehrung auf die junge Seele geladen, daß sie sich dir nie ohne Scheu öffnen konnte. Auch hörte ich oft mit Zagen, wie du solche Weichheit und Wärme mit ätzendem Witze verhöhntest: ein scharfer Zug um deinen stolzen festgeschlossenen Mund hat solche Gefühle in mir in deiner Nähe stets getötet wie Nachtfrost die ersten Veilchen« (– »nun, aufrichtig ist er!« –) »Jetzt aber hab’ ich einen Freund gefunden: offen, warm, jung, begeistert wie ich und nie gekannte Wonne ist mein Teil. Wir haben nur Eine Seele in zwei Körpern: die sonnigen Tage, die mondsilbernen Nächte wandeln wir miteinander durch diese elyseischen Gefilde und finden kein Ende der geflügelten Worte. – Aber ich muß ein Ende finden dieses Briefs. Er ist ein Gote« (– »auch noch,« sagte Cethegus ungehalten,) »und heißt Totila.« – Cethegus ließ die Hand mit dem Brief einen Augenblick sinken, er sagte nichts, nur die Augen schloß er einen Moment, dann las er ruhig nochmal: »Und heißt Totila! Als ich am Tage nach meiner Ankunft in Neapolis durch das Forum des Neptunus schlenderte und an der Bogenwölbung eines Hauses die Statuen bewunderte, die ein Bildhauer dort zum Kaufe ausgestellt, stürzt urplötzlich aus der Thür auf mich los ein grauköpfiger Mann mit einer wollnen Schürze, über und über mit Gips bestäubt, in der Hand ein spitzes Gerät: er packte mich an der Schulter und schrie: »Pollux, mein Pollux, hab’ ich dich endlich!« Ich dachte der Alte sei verrückt und sagte: »Du irrst, guter Mann: ich heiße Julius und komme von Athen.« »Nein,« schrie der Alte, »Pollux heißt du und kömmst vom Olymp.« Und eh’ ich wußte, wie mir geschah, hatte er mich zur Thür hineingedreht. Da erkannte ich denn allmählich, woran ich mit dem Alten war: er war der Bildhauer, der die Statuen ausgestellt. In seiner Werkhalle standen andre halbvollendete umher und er erklärte mir, seit Jahren trage er sich mit der Idee einer Dioskurengruppe. Für den Kastor habe er vor kurzem ein köstlich Modell in einem jungen Goten gefunden. »Aber umsonst erflehte ich« – fuhr er fort – »all diese Tage vom Himmel einen Gedanken für meinen Pollux. Er soll dem Kastor gleichen, ein Bruder Helenas, ein Sohn des Zeus wie er, volle Ähnlichkeit in Zügen und Gestalt muß da sein. Und doch muß die Verschiedenheit so deutlich sein wie die Gleichheit: sie müssen zusammengehören und doch jeder ganz eigenartig sein. Umsonst lief ich alle Bäder und Gymnasien Neapolis ab: ich fand den Ledazwilling nicht. Da hat dich ein Gott, Zeus selber hat dich mir ans eigne Fenster geführt: wie ein Blitz schlug’s in mich ein, da steht mein Pollux, wie er sein muß: und nicht lebendig laß ich dich aus dieser Halle, bis du mir deinen Kopf und deinen Leib versprochen.« Gern sagte ich dem närrischen Alten zu, andern Tages wieder zu kommen. Und das erfüllt ich um so lieber als ich erfuhr, daß mein gewaltthätiger Freund Xenarchos sei, der größte Bildner in Marmor und Erz, den Italien seit lange gesehn. Am andern Tag kam ich denn wieder und fand meinen Kastor – es war Totila: – und ich kann nicht leugnen, daß mich die große Ähnlichkeit selbst überraschte, wenn auch Totila älter, höher, kräftiger und unvergleichlich schöner ist als ich. Xenarchos sagt, wir seien wie Hellcitrus und Goldcitrus. Denn Totila ist heller an Haar und Haut: und gerade so, schwört der Meister, haben sich die beiden Dioskuren geglichen und nicht geglichen. So lernten wir uns denn unter den Götterbildern Xenarchs kennen und lieben: wir wurden in Wahrheit Kastor und Pollux, innig und unzertrennlich wie sie, und schon ruft uns das heitre Volk von Neapolis bei diesem Namen, wann wir, Arm in Arm geschlungen durch die Straßen gehn. Unsere junge Freundschaft ward aber noch besonders rasch gereift durch eine drohende Gefahr, die sie leicht in der Blüte geknickt hätte. Wir waren eines Abends, wie wir pflegten, zur Porta Nolana hinaus gewandelt, in den Bädern des Tiberius Kühlung von des Tages Hitze zu suchen. Nach dem Bade hatte ich in einer Laune spielender Zärtlichkeit – du wirst sie schelten – des Freundes weißen Gotenmantel umgeschlagen und seinen Helm mit den Schwanenflügeln aufs Haupt gesetzt. Lächelnd ging er, meine Chlamys umwerfend, auf den Tausch ein und friedlich plaudernd schritten wir durch den Pinienhain im ersten Dunkel der Nacht nach der Stadt zurück. Da springt aus dem Taxusgebüsch hinter mir ein Mann auf mich her und ich fühle kaltes Eisen an meinem Halse. Aber im nächsten Augenblick lag der Mörder zu meinen Füßen, Totila’s Schwert in der Brust. Nur leicht verwundet beugte ich mich zu dem Sterbenden nieder und fragte ihn, welcher Grund ihn habe zum Haß, zum Morde gegen mich treiben können. Er aber starrte mir ins Antlitz und hauchte: »Nicht dich: – Totila, den Goten« – und er zuckte und war tot. Man sah’s an Tracht und Waffen – es war ein isaurischer Söldner.« Cethegus senkte den Brief und drückte die linke Hand vor die Stirn. »Wahnsinn des Zufalls,« sagte er, »wohin konntest du führen!« Und er las zu Ende. »Totila sagte, er habe der Feinde viele am Hofe zu Ravenna. Wir zeigten den Vorfall Uliaris, dem Gotengrafen zu Neapolis, an. Dieser ließ die Leiche durchsuchen und Nachforschungen anstellen – ohne Erfolg. Uns beiden aber hat diese ernste Stunde die junge Freundschaft befestigt und mit Blut geweiht für alle Zeit. Ernster und heiliger hat sie uns verbunden. Das Siegel der Dioskuren, das du mir zum Abschied geschenkt, war ein freundlich Omen, das sich freundlich erfüllt hat. Und wenn ich mich frage, wem dank’ ich all dies Glück? Dir, dir allein, der mich in diese Stadt Neapolis gesendet, in der ich all’ mein Glück gefunden. So mögen dir es alle Götter und Göttinnen vergelten! Ach ich sehe, dieser ganze Brief redet nur von mir und dieser Freundschaft – schreibe doch bald wie es um dich steht. Vale.« Ein bitteres Lächeln zuckte um des Präfekten ausdrucksvollen Mund. Und wieder durchmaß er das Gemach in nur mit Mühe gehaltenen Schritten. Endlich blieb er stehen, das Kinn in die linke Hand stützend. – »Wie kann ich nur so – jugendlich sein, mich zu ärgern. Es ist alles sehr natürlich, wenn auch sehr einfältig. Du bist krank, Julius. Warte: ich will dir ein Rezept schreiben.« Und mit einem Anflug von grausamer Freude im Ausdruck, setzte er sich auf den Schreiblectus, nahm eine Papyrusrolle aus der Bronzevase, ergriff die gnidische Schilffeder und schrieb mit der roten Tinte, aus einem Löwenkopf von Achat, der an dem Lectus angeschraubt war: »An Julius Montanus Cethegus, der Präfekt von Rom. Deine rührende Epistel aus Neapolis hat mir viel Spaß gemacht. Sie zeigt, daß du in der letzten Kinderkrankheit steckst. Hast du sie abgethan, wirst du ein Mann sein. Die Krisis zu beschleunigen, verschreibe ich dir das beste Mittel. Du suchst sogleich den Purpurhändler Valerius Procillus, meinen ältesten Gastfreund in Neapolis, auf. Er ist der reichste Kaufherr des Abendlandes, ein grimmiger Feind der Kaiser von Byzanz, die ihm Vater und Brüder getötet, ein Republikaner wie Cato und schon deshalb mein vertrauter Freund. Seine Tochter Valeria Procilla aber ist die schönste Römerin unserer Zeit und eine echte Tochter der alten, der heidnischen Welt. Antigone oder Virginia würden sich der Freundin freuen. Sie ist nur drei Jahre jünger und folglich zehnmal reifer als du. Gleichwohl wird sie dir der Vater nicht versagen, erklärst du ihm, daß Cethegus für dich wirbt. Du aber wirst dich beim ersten Anblick sterblich in sie verlieben. Du wirst das: obgleich ich es dir vorher sage und obgleich du weißt, daß ich es wünsche. In ihren Armen wirst du alle Freunde der Welt vergessen: geht die Sonne auf, erbleicht der Mond. Übrigens, weißt du, daß dein Kastor einer der gefährlichsten Römerfeinde ist? Und ich habe einmal einen gewissen Julius gekannt, der geschworen: Rom über alles. Vale.« Cethegus rollte den Papyrus zusammen, umschnürte ihn mit den Bändern von rotem Bast, befestigte diese an der Schleife mit Wachs und drückte seinen Amethystring mit dem herrlichen Jupiterkopf auf dasselbe. Dann berührte er einen aus dem Marmorgetäfel hervorschauenden silbernen Adler: – draußen an der Wand des Vestibulums schlug ein eherner Donnerkeil auf den Silberschild eines niedergeworfenen Titanen mit glockenhellem Ton. Der Sklave trat wieder ein. »Laß den Boten in meinen Thermen baden, gieb ihm Speise und Wein, einen Goldsolidus und diesen Brief. Morgen mit Sonnenaufgang geht er damit zurück nach Neapolis.« – – Siebentes Kapitel. Mehrere Wochen darauf finden wir den ernsten Präfekten in einem Kreise, der sehr wenig zu seinem hohen Trachten, ja zu seinem Alter zu passen schien. In dem seltsamen Nebeneinander von Heidentum und Christentum, das in den ersten Jahrhunderten nach der Konstantiner Bekehrung das Leben und die Sitten der Römerwelt mit grellen Widersprüchen erfüllte, spielte besonders die friedliche Mischung von Festen der alten und der neuen Religion eine auffallende Rolle. Neben den großen Feiertagen des christlichen Kirchenjahres bestanden auch noch größtenteils die fröhlichen Feste der alten Götter fort, wenn auch meist ihrer ursprünglichen Bedeutung, ihres religiösen Kernes beraubt. Das Volk ließ sich etwa den Glauben an Jupiter und Juno nehmen und die Kultushandlungen und die Opfer, aber nicht die Spiele, die Feste, die Tänze und Schmäuse, die mit jenen Handlungen verbunden waren; und die Kirche war von jeher klug genug, zu dulden, was sie nicht ändern konnte. So wurden ja sogar die echt heidnischen Lupercalien, mit welchen sich derber Aberglaube und wüster Unfug aller Art verband, erst im Jahre vierhundertsechsundneunzig – und nur mit Mühe – abgeschafft. Viel länger natürlich behaupteten sich harmlose Feste wie die Floralien, die Palilien und zum Teil haben sich ja manche von ihnen in den Städten und Dörfern Italiens mit veränderter Bedeutung bis auf diese Stunde erhalten. So waren denn die Tage der Floralien gekommen, die, früher auf der ganzen Halbinsel, als ein Fest besonders der fröhlichen Jugend, mit lauten Spielen und Tänzen gefeiert, auch in jenen Tagen noch wenigstens mit Schmaus und Gelage begangen wurden. Und so hatten sich denn die beiden Licinier und ihr Kreis von jungen Rittern und Patriziern an dem Hauptfesttag der Floralien zu einem Symposion zusammen bestellt, für welches jeder der Gäste, wie bei unsern »Picknicks,« seinen Beitrag in Speisen oder Wein zu liefern hatte. Die Fröhlichen versammelten sich bei dem jungen Kallistratos, einem liebenswürdigen und reichen Griechen aus Korinth, der sich im Genuß künstlerischer Muße zu Rom niedergelassen und nahe bei den Gärten des Sallust ein geschmackvolles Haus gebaut hatte, das als der Mittelpunkt heitern Lebensgenusses und feiner Bildung galt. Außer dem reichen Adel Roms verkehrten dort vornehmlich die Künstler und Gelehrten: und dann auch jene Schichten der römischen Jugend, denen über ihren Rossen und Wagen und Hunden wenige Zeit und Gedanken für den Staat übrig blieb und die daher bis jetzt dem Einfluß des Präfekten unzugänglich gewesen waren. Deshalb war es diesem sehr erwünscht, als ihm der junge Lucius Licinius, jetzt sein glühendster Anhänger, die Einladung des Korinthers überbrachte. »Ich weiß wohl,« sagte er schüchtern, »wir können deinem Geist nicht ebenbürtige Unterhaltung bieten und wenn dich nicht die alten Kyprier und Falerner locken, die Kallistratos spenden wird, lehnst du ab.« »Nein, mein Sohn, ich komme,« sagte Cethegus »und mich locken nicht die alten Kyprier, sondern die jungen Römer.« – Kallistratos, der sein Hellenentum mit Stolz zur Schau trug, hatte sein Haus mitten in Rom in griechischem Stil gebaut. Und zwar nicht in dem des damaligen, sondern des freien, des perikleischen Griechenlands und dies machte im Gegensatz zu der geschmacklosen Überladung jener Tage den Eindruck edler Einfachheit. Durch einen schmalen Gang gelangte man in das Peristyl, den offenen von Säulengängen umschlossenen Hof, dessen Mittelpunkt ein plätschernder Springbrunnen in braunem Marmorbecken bildete. Die nach Norden offne Säulenhalle enthielt außer andern Gelassen auch den Speisesaal, der heute die kleine Gesellschaft versammelt hielt. Cethegus hatte sich vorbehalten, nicht schon zu der »Coena«, dem eigentlichen Schmause, sondern erst zu der »Commissatio,« dem darauf folgenden nächtlichen Trinkgelag, zu kommen. Und so fand er denn die Freunde in der vornehmen Trinkstube, wo längst schon die zierlichen Bronzelampen an den schildpattgetäfelten Wänden brannten und die Gäste, mit Rosen und Eppich bekränzt, auf den Polstern des hufeisenförmigen Trikliniums lagerten. Eine betäubende Mischung von Weinduft und Blumenduft, von Fackelglanz und Farbenglanz drang ihm an der Schwelle entgegen. »Salve, Cethege!« rief der Wirt dem Eintretenden entgegen. »Du findest nur kleine Gesellschaft.« Cethegus befahl dem Sklaven, der ihm folgte, einem herrlich gewachsenen jungen Mauren, dessen schlanke Glieder durch den Scharlachflor seiner leichten Tunika mehr gezeigt als verhüllt wurden, ihm die Sandalen abzubinden. Er zählte indessen: »Nicht unter den Grazien,« lächelte er, »nicht über die Musen.« »Geschwind, wähle den Kranz,« mahnte Kallistratos, »und nimm deinen Platz da oben auf dem Ehrensitz der mittleren Kline. Wir haben dich im Voraus zum Symposiarchen, zum Festkönig gewählt.« Der Präfekt hatte sich vorgesetzt, diese jungen Leute zu bezaubern. Er wußte, wie gut er das konnte: und er wollte es heute. Er wählte einen Rosenkranz und ergriff das elfenbeinerne Scepter, das ihm ein syrischer Sklave knieend reichte. Das Rosendiadem zurecht rückend schwang er mit Würde den Stab: »So mach’ ich eurer Freiheit ein Ende!« »Ein geborner Herrscher,« rief Kallistratos, halb im Scherz, halb im Ernst. – »Aber ich will ein sanfter Tyrann sein! mein erst Gesetz: ein Drittel Wasser – zwei Drittel Wein.« – »Oho,« rief Lucius Licinius und trank ihm zu, »_bene te_! Du führst üppig Regiment. Gleiche Mischung ist sonst unser Höchstes.« »Ja, Freund,« lächelte Cethegus, sich auf dem Ecksitz der mittleren Kline, dem »Konsulsplatz«, niederlassend, »ich habe meine Trinkstudien unter den Ägyptern gemacht, die trinken nur lautern. He, Mundschenk – wie heißt er?« »Ganymedes – er ist aus Phrygien. Hübscher Wuchs, eh?« – »Also, Ganymed, gehorche deinem Jupiter und stelle neben jeden eine Patera Mamertiner Wein – doch neben Balbus zwei, weil er sein Landsmann ist.« Die jungen Leute lachten. Balbus war ein reicher Gutsbesitzer auf Sicilien, noch sehr jung und schon sehr dick. »Pah,« lachte der Trinker, »Epheu ums Haupt und Amethyst am Finger – so trotz ich den Mächten des Bacchus.« – »Nun, wo steht ihr im Wein?« fragte Cethegus, dem jetzt hinter ihm stehenden Mauren winkend, der ihm einen zweiten Kranz von Rosen, diesmal um den Nacken, schlang. »Settiner Most mit hymettischem Honig, war das letzte. Da, versuch!« so sprach Piso, der schelmische Poet, dessen Epigramme und Anakreontika die Buchhändler nicht rasch genug konnten abschreiben lassen und dessen Finanzen sich doch stets in poetischer Unordnung befanden. Und er reichte dem Präfekten was wir einen »Vexierbecher« nennen würden, einen bronzenen Schlangenkopf, der, unvorsichtig an den Mund gebracht, einen Strahl Weines heftig in die Kehle schoß. Aber Cethegus kannte das Spiel, behutsam trank er und gab den Becher zurück. »Deine _trocknen_ Witze sind mir lieber, Piso,« lachte er und haschte ihm aus der Brustfalte ein beschriebenes Täfelchen. »O gieb,« sagte Piso, »es sind keine Verse – sondern – ganz im Gegenteil! – eine Zusammenstellung meiner Schulden für Wein und Pferde.« – »Je nun,« meinte Cethegus, »ich hab’ sie an mich genommen – sie sind also mein. Du magst morgen die Quittung bei mir einlösen: aber nicht umsonst – mit einem deiner boshaftesten Epigramme auf meinen frommen Freund Silverius!« – »O Cethegus,« rief der Poet erfreut und geschmeichelt, »wie boshaft kann man sein für vierzigtausend Solidi! Wehe dem heiligen Mann Gottes.« Achtes Kapitel. »Und im Schmause – wie weit seid ihr damit?« fragte Cethegus, »schon bei den Äpfeln? sind es diese?« Und er sah blinzend nach zwei Fruchtkörben von Palmenbast, die hoch aufgehäuft auf einem Bronzetisch mit elfenbeinernen Füßen prangten. »Ha Triumph!« lachte Marcus Licinius, des Lucius jüngerer Bruder, der sich mit der liebhaberischen Spielplastik der Mode abgab. »Da siehst du meine Kunst, Kallistratos! Der Präfekt nimmt meine Wachsäpfel, die ich dir gestern geschenkt, für echt.« »Ah wirklich?« rief Cethegus wie erstaunt, obwohl er den Wachsgeruch längst ungern vermerkt. »Ja, Kunst täuscht die Besten. Bei wem hast du gelernt? Ich möchte dergleichen in meinem kyzikenischen Saal aufstellen.« »Ich bin Autodidakt,« sagte Marcus stolz, »und morgen schicke ich dir meine neuen persischen Äpfel: – denn du würdigst die Kunst.« »Aber das Gelag ist doch zu Ende?« fragte der Präfekt, den linken Arm auf das Polster der Kline stützend. »Nein,« rief der Wirt, »ich will es nur gestehn: da ich auf unsern Festkönig erst zur Trinkstunde rechnen durfte, hab’ ich noch einen kleinen Nachschmaus zu den Bechern gerüstet.« – »O du Frevler,« rief Balbus, sich mit der zottigen Purpurgausape die fettglänzenden Lippen wischend, »und ich habe so schrecklich viel von deinen Feigenschnepfen gegessen!« – »Das ist wider die Verabredung!« rief Marcus Licinius. – »Das verdirbt meine Sitten!« sagte der fröhliche Piso ernsthaft. – »Sprich, ist das hellenische Einfachheit?« fragte Lucius Licinius. – »Ruhig, Freunde,« tröstete Cethegus mit einem Citat: »Auch unverhofftes Unheil trägt ein Römer stark.« »Der hellenische Wirt muß sich nach seinen Gästen richten,« entschuldigte Kallistratos, »ich fürchte, ihr kämt mir nicht wieder, böte ich euch marathonische Kost.« – »Nun, dann bekenne wenigstens, was noch droht,« rief Cethegus, »du, Nomenklator, lies die Schüsseln ab: ich werde dann die Weine bestimmen, die dazu gehören.« Der Sklave, ein schöner lydischer Knabe, in einem bis an die Knie aufgeschlitzten Röckchen von blauer pelusischer Leinwand, trat dicht neben Cethegus an den Tisch von Cypressenholz und las von einem Täfelchen ab, das er an goldnem Kettchen um den Hals trug: »Frische Austern aus Britannien in Thunfischbrühe mit Lattich.« – »Dazu Falerner von Fundi,« sprach Cethegus ohne Besinnen. »Aber wo steht der Schenktisch mit den Pokalen? Rechter Trunk mundet nur aus rechter Schale.« »Dort ist der Schenktisch!« und auf einen Wink des Hausherrn fiel der Vorhang zurück, der die eine Ecke des Zimmers, den Gästen gegenüber, verhüllt hatte. Ein Ruf des Staunens flog von den Tischen. Der Reichtum der dort zur Schau gestellten Prunkgeschirre und der Geschmack ihrer Anordnung war selbst diesen verwöhnten Augen überraschend. Auf der Marmorplatte des Tisches stand ein geräumiger silberner Wagen mit goldnen Rädern und ehernem Gespann: es war ein Beutewagen, wie sie in römischen Triumphen aufgeführt zu werden pflegten: und als köstliche Beute lagen darin Pokale, Gläser, Schalen jeder Gestalt und jedes Stoffes in scheinbarer Unordnung, doch mit kunstverständiger Hand, gehäuft. »Bei Mars dem Sieger,« lachte der Präfekt, »der erste römische Triumph seit zweihundert Jahren. Ein seltner Anblick! Darf ich ihn zerstören?« – »Du bist der Mann, ihn wieder aufzurichten,« sagte Lucius Licinius feurig. – »Meinst du? Versuchen wir’s! – Also zum Falerner die Kelche dort von Terebinthenholz.« »Weindrosseln vom Tagus mit Spargeln von Tarent!« fuhr der Lydier fort. »Dazu den roten Massiker von Sinuessa aus jenen amethystnen Kelchen.« »Junge Schildkröten von Trapezunt mit Flamingozungen –« »Halt an, beim heiligen Bacchus,« rief Balbus. »Das sind ja die Qualen des Tantalus. Mir ist ganz gleich, aus was ich trinke, aus Terebinthen oder Amethyst – aber dies Aufzählen von Götterbissen mit trocknem Gaumen halt’ ich nicht mehr aus. Nieder mit Cethegus dem Tyrannen, er sterbe, wenn er uns hungern läßt.« – »Mir ist, ich wäre Imperator und hörte das getreue Volk von Rom. Ich rette mein Leben und gebe nach. Tragt auf, ihr Sklaven.« Da tönten Flöten aus dem Vorgemach und im Takte der Musik schritten sechs Sklaven, Epheu um die glänzend gesalbten Locken, in roten Mänteln und weißen Tuniken heran. Sie reichten den Gästen frische Handtücher von feinstem sidonischem Linnen mit weichen Purpurfransen. »Oh,« rief Massurius, ein junger Kaufmann, der vornehmlich mit schönen Sklaven und Sklavinnen handelte und in dem zweideutigen Ruhme stand, der feinste Kenner solcher Ware zu sein, »das weichste Handtuch ist ein schönes Haar« – und er fuhr dem eben neben ihm knieenden Ganymed durch die Locken. »Aber, Kallistratos, jene Flöten sind hoffentlich weiblichen Geschlechts – auf mit dem Vorhang – laß die Mädchen ein.« »Noch nicht,« befahl Cethegus. »Erst trinken, dann küssen. Ohne Bacchus und Ceres, du weißt –« »Friert Venus, nicht Massurius.« Da erscholl aus dem Seitengemach der Klang von Lyra und Kithara und ein trat ein Zug von acht Jünglingen in goldgrün schillernden Seidengewändern, vorauf der »Anrichter« und der »Zerleger«: die sechs andern trugen Schüsseln auf dem Haupt: sie zogen im Taktschritt an den Gästen vorüber und machten vor dem Anrichttisch von Citrus Halt. Während sie hier beschäftigt waren, erklangen vom Mittelgrunde her Kastagnetten und Cymbeln, die großen Doppelthüren drehten sich um ihre erzschimmernden Säulenpfosten und ein Schwarm von Sklaven in der schönen Tracht korinthischer Epheben strömte herein. Die einen reichten Brot in zierlich durchbrochenen Bronzekörben: andre verscheuchten die Mücken mit breiten Fächern von Straußenfedern und Palmblättern: einige gossen Öl in die Wandlampen aus doppelhenkeligen Krügen mit anmutvoller Bewegung, indes etliche mit zierlichen Besen von ägyptischem Schilf von dem Mosaikboden die Brosamen fegten und die übrigen Ganymed die Becher füllen halfen, die jetzt schon eifrig kreisten. Damit stieg denn die Raschheit, die Wärme des Gesprächs und Cethegus, der, wie überlegen nüchtern er blieb, völlig im Moment versunken schien, bezauberte durch seine Jugendlichkeit die Jünglinge. »Wie ist’s,« fragte der Hausherr, »wollen wir würfeln zwischen den Schüsseln? Dort neben Piso steht der Würfelbecher.« – »Nun, Massurius,« meinte Cethegus mit einem spöttischen Blick auf den Sklavenhändler, »willst du wieder einmal dein Glück wider mich versuchen? Willst du wetten gegen mich? Gieb ihm den Becher, Syphax!« winkte er dem Mauren. »Merkur soll mich bewahren!« antwortete Massurius in komischem Schreck. »Laßt euch nicht ein mit dem Präfekten – er hat das Glück seines Ahnherrn Julius Cäsar geerbt.« »_Omen accipio!_« lachte Cethegus, »das nehm’ ich an, mitsamt dem Dolch des Brutus.« »Ich sag’ euch, er ist ein Zauberer! Erst jüngst hat er eine ungewinnbare Wette gegen mich gewonnen an diesem braunen Dämon –« Und er wollte dem Sklaven eine Feige ins Gesicht werfen: aber dieser fing sie behende mit den glänzend weißen Zähnen und verzehrte sie mit ruhigem Behagen. »Gut, Syphax,« lobte Cethegus, »Rosen aus den Dornen der Feinde! Du kannst ein Gaukler werden, sobald ich dich freilasse.« »Syphax will nicht frei sein, er will dein Syphax sein und dein Leben retten wie du seins.« »Was ist das – dein Leben?« fragte Lucius Licinius mit erschrockenem Blick. – »Hast du ihn begnadigt?« sagte Marcus. »Mehr, ich hab’ ihn losgekauft.« »Ja, mit meinem Gelde!« brummte Massurius. »Du weißt, ich hab’ ihm dein verwettet Geld sofort als Peculium geschenkt.« »Was ist das mit der Wette? erzähle, vielleicht ein Stoff für meine Epigramme,« fragte Piso. »Laßt den Mauren selbst erzählen – sprich, Syphax, du darfst.« Neuntes Kapitel. Ohne Zögern trat der junge Sklave in das von den Tischen gebildete Hufeisen, den Rücken zur Thüre gewandt: sein funkelndes Auge überflog rasch die Versammlung und haftete dann mit Glut auf seinem Herrn: alle bewunderten die jugendliche Kraft und Schönheit der schlanken Glieder, deren tiefes Braun nur um die Hüften ein kostbarer Schurz von Scharlach verhüllte. »Leicht ist erzählt, was schwere Schmerzen barg. Ich bin daheim im Lieblingsland der Sonne; wo hundert Palmen die immer grüne Oase beschatten, außer uns nur dem Löwen bekannt und dem fleckigen Panther. Aber in einer götterverlassenen Nacht, da fand der Feind unser altes Versteck. Vandalische Reiter waren’s und keine Rettung. Rot und schwarz stieg der Rauch unsrer Zelte durch die Cedernwipfel hinan, kreischend flohen Weiber und Kinder. Da traf mich ein sausender Speer. Ich erwachte gebunden im Sklavenraum eines Griechenschiffs, das uns gekauft, mich und viele Männer und Weiber meines Stammes: ich hatte nichts gerettet als meinen Gott, den weißen Schlangenkönig, ich trug ihn im Gürtel geborgen. Sie brachten uns nach Rom, da kaufte mich einer, dessen Namen verflucht sei.« »’s ist unser Freund Calpurnius,« unterbrach Cethegus. »Und kein Stern soll ihm leuchten auf nächtlicher Fahrt, er soll verdursten im heißen Sand,« knirschte der Maure mit aufloderndem Haß. »Er schlug mich oft um nichts und ließ mich hungern. Ich schwieg und betete zu meinem Gott um Rache. Er zürnte, daß ich so ruhig seine Wut ertrug. Er wußte nicht, daß Syphax seinen Gott bei sich trug in Gestalt einer Schlange. Da trat er eines Morgens an mein Lager und fand sie um meinen Hals geringelt. Er erschrak: ich sagte ihm seine Zähne seien nicht tödlich, aber seine Rache. Da ergrimmte er, schlug nach mir und sagte: »Töte den Wurm!« Umsonst flehte ich und wand mich auf den Knieen vor ihm. Er schlug mich und schlug nach dem Gott: und als ich den deckte mit meinem Leibe, schrie er noch wilder: »Töte das Tier.« Wie konnt’ ich gehorchen! Da rief er seine Sklaven und befahl: »Nehmt ihm die Bestie und kocht sie lebendig. Er soll seinen Gott fressen!« Ich erschrak zum Tode über diesen Frevel. Und sie griffen mich und haschten nach der Schlange. Aber der Gott gab mir die Kraft der Wut, die da gleich ist der Kraft des pfeilwunden Tigers, und ich sprang unter sie mit gellendem Schrei. Nieder schlug ich den Verfluchten mit dieser Faust und gewann die Thüre des Hauses und sprang hinaus ins Freie und dreißig Sklaven hinter mir drein. Da galt es das Leben.« Die Gäste lauschten gespannt, selbst Balbus setzte den Becher ab, den er eben zu Munde führte. »Ich laufe nicht schlecht: oft haben wir, drei Vettern und ich, die windschnelle Antilope müde gejagt. Und die Sklaven waren langsam und schwer. Aber sie kannten die Stadt und ihre Straßen und ich nicht. So war es ein ungleich Spiel. Die Verfolger teilten sich in Scharen von drei, vier Mann und gewannen mir durch Seitengassen und Durchgänge den Weg ab. Zum Glück hatte ich im Vorbeirennen an einer Schmiede einen schweren Feuerhaken errafft: zwei, dreimal braucht’ ich ihn, die Verfolger zu scheuchen, zu treffen, die mir plötzlich von vorn entgegenkamen. Ich fühlte aber, lange konnte das nicht mehr dauern: wie rasch ich war, wie langsam sie, zuletzt mußte ich doch erliegen. Da sandte mir der Gott, den ich fest mit der Linken an die Brust drückte, Ihn,« – und sein schönes Auge funkelte, – »meinen Herrn, den gewaltigen, der mächtig ist wie der Löwe von Abaritana und klug wie der Elefant, der da gut ist wie milder Regen nach langer Dürre und herrlich wie –« »Jetzt erzählst du schlecht, Syphax, ich will vollenden. Ich kam gerade von den Schanzwerken am aurelischen Thor, dem Grabmal Hadrians.« »Deinem schönen, göttergeschmückten Lieblingsort,« unterbrach Kallistratos. »Und bog am Fuße des Kapitols in das Forum Trajans: da stand eine gaffende, schreiende Menge und sah der Menschenjagd neugierig zu: wie ein Pfeil schoß der Maure von dem Forum des Nerva heran, seine Verfolger weit hinter ihm. Aber siehe, dicht neben mir bogen von links fünf, von rechts sieben der Sklaven des Calpurnius auf das Forum ein, bereit, ihn aufzufangen, sowie er auf dem Platz ankam. »Der ist verloren!« sagte neben mir eine bekannte Stimme, es war Massurius, der aus dem Bade des Augustus trat. »Wem gehört er?« fragte ich. »Calpurnius ist unser Herr,« antwortete der Sklave neben mir. »Dann wehe ihm,« sprach Massurius zu mir: »er hängt seine Strafsklaven bis an den Hals gebunden in seinen Fischweiher und läßt sie lebendig auffressen von seinen Muränen und Hechten.« – »Ja,« sagte der Sklave, »Syphax hat ihn niedergeschlagen, und der Herr rief im Aufstehen: »zu den Muränen den Hund! wer ihn einbringt, ist frei.« Ich blickte den Platz hinab auf den Mauren, der jetzt gleich heran war. »Der ist zu gut für die Fische,« sagte ich, »welch’ herrlicher Wuchs! Und sieh, er kömmt durch, ich wette.« Denn eben hatte der Flüchtling die erste Kette der Sklaven, die sich ihm an der Mündung der Via julia entgegenwarf, durchbrochen und flog jetzt auf uns zu.« »Und ich wette tausend Solidi, er kömmt nicht durch: sieh’, dort die Lanzen,« sprach Massurius. – »Gerade vor uns standen fünf Sklaven mit Lanzen und Wurfspeeren. »Es gilt!« rief ich, tausend Solidi. Da war er heran. Drei Speere sausten zugleich: aber wie ein Panther duckte der Flinke unter ihnen weg und, plötzlich aufschnellend, sprang er in hohem Satz über die Lanzen der beiden übrigen. Atemlos kam er dicht vor mir zu Boden: er blutete von Steinen und Pfeilen und schon kam jetzt vom Forum julium heran das ganze Rudel. Verzweifelnd sah er um sich und wollte nach rechts in die Friedens-Tempel-Straße, die ihn gerade nach seines Herrn Hause zurückgeführt hätte. Da sah ich vor uns das Portal der kleinen Basilika von Sankt Laurentius offen stehen. »Dort hin!« rief ich ihm zu.« »In meiner Sprache! er kennt meine Sprache,« rief Syphax. »Er kennt, glaub’ ich, alle Sprachen,« meinte Marcus Licinius. »Dorthin, wiederholte ich, dort ist Asyl. Wie der Blitz war er die Stufen hinan, schon auf der letzten, da traf ihn ein Stein, daß er stürzte und sein nächster Verfolger war oben und packte ihn. Aber glatt wie ein Aal rang er sich aus seinem Griff, stieß ihn die Stufen hinab und sprang in die Thüre der Kirche.« »Da hattest du gewonnen,« sagte Kallistratos. »Ich wohl, aber er nicht. Denn die Priester von St. Laurentius, so eifersüchtig sie ihre Asylrechte wahren, so wenig haben sie Mitleid mit einem Heiden. Einen Tag lang bargen sie ihn: als sie aber erfuhren, daß er um der Schlange willen seinen Herrn niedergeschlagen, da stellten sie ihm die Wahl, Christ zu werden und den Götzen aufzugeben, oder Calpurnius und die Muränen. Syphax wählte den Tod. Ich erfuhr es und kaufte dem Zornigen seine Rache ab und das Leben dieses schlanken Burschen, des schönsten Sklaven in Rom.« »Kein schlechtes Geschäft,« meinte Marcus, »der Maure ist dir treu.« »Ich glaube,« sagte Cethegus, »tritt zurück, Syphax. Da bringt der Koch sein Meisterstück, so scheint’s.« Zehntes Kapitel. Es war eine sechspfündige Steinbutte, seit Jahren im Meerwasserweiher des Kallistratos mit Gänselebern gemästet. Der vielgepriesene »Rhombus« kam auf silberner Schüssel, ein goldenes Krönchen auf dem Kopf. »Alle guten Götter und du, Prophete Jonas!« lallte Balbus zurücksinkend in die Polster, »der Fisch ist mehr wert als ich selber.« – »Still, Freund,« warnte Piso, »daß uns nicht Cato höre, der gesagt: wehe der Stadt, wo ein Fisch mehr wert als ein Rind.« Schallendes Gelächter und der laute Ruf _Euge belle!_ übertönte den Zornruf des Halbberauschten. Der Fisch ward zerschnitten und köstlich erfunden. »Jetzt, ihr Sklaven, fort mit dem matten Massiker. Der edle Fisch will schwimmen in edlem Naß. Auf, Syphax, jetzt paßt, was ich zu dem Gelage beigesteuert. Geh’ und laß die Amphora hereinbringen, welche die Sklaven draußen in Schnee gestellt. Dazu die Phialen von gelbem Bernstein.« »Was bringst du seltenes, aus welchem Land?« fragte Kallistratos. – »Frag, aus welchem Weltteil? bei diesem vielgereisten Odysseus,« sagte Piso. »Ihr müßt raten. Und wer es errät, wer diesen Wein schon gekostet hat, dem schenk’ ich eine Amphora, so hoch wie diese.« Zwei Sklaven, eppichbekränzt, schleppten den mächtigen, dunkeln Krug herein: von schwarzbraunem Porphyr und fremdartiger Gestalt, mit hieroglyphischen Zeichen geschmückt und wohl vergipst oben an der Mündung. »Beim Styx! kömmt er aus dem Tartarus? das ist ein schwarzer Gesell,« lachte Marcus. »Aber er hat eine weiße Seele – zeige sie, Syphax.« Der Nubier schlug mit dem Hammer von Ebenholz, den ihm Ganymedes reichte, sorgfältig den Gips herunter, hob mit silberner Zange den Verschluß von Palmenrinde heraus, schüttete die Schicht Öl hinweg, die oben schwamm, und füllte die Pokale. Ein starker berauschender Geruch entstieg der weißen, klebrigen Flüssigkeit. Alle tranken mit forschender Miene. »Ein Göttertrank!« rief Balbus absetzend. – »Aber stark wie flüssiges Feuer,« sagte Kallistratos. »Nein, den kenn’ ich nicht!« sprach Lucius Licinius. »Ich auch nicht,« beteuerte Marcus Licinius. – »Aber ich freue mich, ihn kennen zu lernen,« rief Piso und hielt Syphax die leere Schale hin. »Nun,« fragte der Wirt, zu dem letzten, bisher fast ganz stummen Gast zu seiner Rechten gewendet, »nun, Furius, großer Seefahrer, Abenteurer, Indiensucher, Weltumsegler, wird deine Weisheit auch zu Schanden?« Der Gefragte erhob sich leicht von den Kissen, ein schöner athletischer Mann von einigen dreißig Jahren, von bronzener wettergebräunter Gesichtsfarbe, kohlschwarzen tiefliegenden Augen, blendend weißen Zähnen und vollem Rundbart nach orientalischem Schnitt. Aber ehe er noch sprechen konnte, fiel Kallistratos rasch ein: »Doch, beim Zeus Xenios, ich glaube, ihr kennt euch gar nicht?« Cethegus maß die fesselnde Erscheinung mit scharfem Blick. »Ich kenne den Präfekten von Rom,« sagte der Schweigsame. – »Nun, Cethegus, und dies ist mein vulkanischer Freund, Furius Ahalla, aus Korsika, der reichste Schiffsherr des Abendlands, tief wie die Nacht und heiß wie das Feuer: er hat fünfzig Häuser, Villen und Paläste an allen Küsten von Europa, Asien und Afrika, zwanzig Galeeren, ein paar tausend Sklaven und Matrosen und –« »Und einen sehr geschwätzigen Freund,« schloß der Korse. »Präfekt, mir ist es leid um dich, aber die Amphora ist mein. Ich kenne den Wein.« – Und er nahm ein Kibitzei und zerschlug es mit goldenem Löffel. »Schwerlich,« lächelte Cethegus spöttisch. »Doch. Es ist Isiswein. Aus Ägypten. Aus Memphis.« Und ruhig schlürfte er das goldrötliche Ei. Erstaunt sah ihn Cethegus an. »Erraten,« sagte er dann. »Wo hast du ihn gekostet?« – »Notwendig da, wo du. Er fließt ja nur aus Einer Quelle,« lächelte der Korse. – »Genug mit euren Geheimnissen! Keine Rätsel unter den Rosen!« rief Piso. – »Wo habt ihr beiden Marder dasselbe Nest gefunden?« fragte Kallistratos. »Nun,« rief Cethegus, »wisset es immerhin. Im alten Ägypten, im heilgen Memphis voraus, haben sich immer noch, dicht neben den christlichen Einsiedlern und Mönchen in der Wüste, glaubenszähe Männer und namentlich Frauen erhalten, die nicht lassen wollen von Apis und Osiris und besonders treu den süßen Dienst der Isis pflegen. Sie flüchten von der Oberfläche, wo die Kirche das Kreuz der Askese siegreich aufgepflanzt, in die Tiefen, in den geheimen Schoß der großen Mutter Erde mit ihrem heilgen teuren Wahn. In einem Labyrinth unter den Pyramiden des Cheops haben sie noch einige hundert Krüge geborgen des mächt’gen Weines, welcher dereinst die Eingeweihten zu den Orgien der Freude, der Liebe berauschte. Die Kunde geht geheim gehalten von Geschlecht zu Geschlecht, immer nur Eine Priesterin kennt den Keller und bewahrt den Schlüssel. Ich küßte die Priesterin und sie führte mich ein: – sie war eine wilde Katze, aber ihr Wein war gut: – und sie gab mir zum Abschied fünf Krüge mit aufs Schiff.« »Soweit hab’ ich es mit Smerda nicht gebracht,« sagte der Korse; »sie ließ mich trinken im Keller, aber als Andenken gab sie mir nur das mit« – und er entblößte den braunen Hals. – »Einen Dolchstich der Eifersucht,« lachte Cethegus. »Nun, mich freut, daß die Tochter nicht aus der Art schlägt. Zu meiner Zeit, das heißt, als mich die Mutter trinken ließ, lief die kleine Smerda noch im Kinderröckchen. Wohlan, es lebe der heilge Nil und die süße Isis.« Und die beiden tranken sich zu. Aber es verdroß sie, ein Geheimnis teilen zu sollen, das jeder allein zu besitzen geglaubt. Doch die andern waren bezaubert von der Laune des eisigen Präfekten, der jugendlich wie ein Jüngling mit ihnen plauderte und jetzt, da das beliebteste Thema für junge Herren unter den Bechern angeregt war – Liebesabenteuer und Mädchengeschichten – unerschöpflich übersprudelte von Streichen und Schwänken, die er meistens selbst erlebt. Alle hingen mit Fragen an seinen Lippen. Nur der Korse blieb stumm und kalt. »Sage,« rief der Wirt und winkte dem Schänken, als gerade das Gelächter über eine solche Geschichte verhallt war, »sag an, du Mann buntscheckiger Erfahrung: – ägyptische Isismädchen, gallische Druidinnen, nachtlockige Töchter Syriens und meine plastischen Schwestern von Hellas: – alle kennst du und weißt du zu schätzen, aber sprich, hast du je ein germanisch Weib geliebt?« »Nein,« sagte Cethegus, seinen Isiswein schlürfend, »sie waren mir immer zu langweilig.« »Oho,« meinte Kallistratos, »das ist zuviel gesagt. Ich sage euch, ich habe an den letzten Calenden einen Wahnsinn gehabt für ein germanisch Weib, die war nicht langweilig.« »Wie, du, Kallistratos von Korinth, der Aspasia, der Helena Landsmann, erglühst für ein Barbarenweib? O arger Eros, Sinnenverwirrer, Männerbeschämer,« schalt der Präfekt. »Ja, wenn du willst, war’s eine Sinnesverwirrung: – ich habe nie dergleichen erfahren.« »Erzähle, erzähle,« drängten die andern. Elftes Kapitel. »Immerhin,« sagte der Hausherr, die Polster glättend, »obwohl ich keine glänzende Rolle dabei spiele. Also an den vorigen Calenden etwa kam ich zur achten Stunde aus den Bädern des Abaskantos nach Hause. Da steht auf der Straße niedergelassen eine Frauensänfte, vier Sklaven dabei, ich glaube, gefangne Gepiden. Unmittelbar aber vor der Thüre meines Hauses stehen zwei verhüllte Frauen, die Calantica über den Kopf gezogen. Die eine trug sklavisch Gewand, aber die andre war sehr reich und geschmackvoll gekleidet und das Wenige, was von Wuchs und Gestalt zu sehen, war göttlich. Welch schwebender Schritt, welch feiner Knöchel, welch hochgewölbter Fuß! Als ich näher herankam, ließen sich beide rasch in die Sänfte heben und fort waren sie. Ich aber – ihr wißt, es steckt des Bildhauers Blut in allen Hellenen – ich träumte des Nachts von dem feinen Knöchel und dem wogenden Schritt. Mittags drauf, da ich die Thüre öffne, aufs Forum zu gehn zu den Bibliographen, wie ich pflege, seh ich dieselbe Sänfte rasch von dannen eilen. Ich gestehe, ohne sonst besonders eitel zu sein, diesmal hoffte ich eine Eroberung gemacht zu haben, – ich wünschte es so sehr. Und ich zweifelte gar nicht mehr, als ich, um die achte Stunde nach Hause kommend, wieder meine Fremde, diesmal unbegleitet, an mir vorüberschlüpfen sah und nach ihrer Sänfte eilen. Folgen konnt’ ich den raschen Sklaven nicht, so trat ich in mein Haus, froher Gedanken voll. Da sagte der Ostiarius: »Herr, eine verhüllte Sklavin wartet dein in der Bibliothek.« Pochenden Herzens eile ich in das Gemach. Richtig! es war die Sklavin, die ich gestern gesehen. Sie schlug den faltigen Mantel zurück: eine hübsche, verschlagne Maurin oder Karthagerin – ich kenne den Schlag – sah mich mit schlauen Augen an. »Ich bitte um Botenlohn,« sagte sie, »Kallistratos, ich bringe dir gute Kunde.« Ich faßte ihre Hand und wollte ihr die dunkle Wange streicheln – denn wer die Herrin begehrt, der küsse die Sklavin – aber sie lachte und sprach: »Nein, nicht Eros, Hermes sendet mich. Meine Herrin« – hoch horchte ich auf – »meine Herrin ist – eine leidenschaftliche Freundin der Kunst. Sie bietet dir dreitausend Solidi für die Aresbüste, die in der Nische neben der Thüre deines Hauses steht.«« Laut lachten die jungen Leute, Cethegus mit ihnen. »Ja, lacht nur,« fuhr der Hausherr selbst einstimmend fort, »ich aber lachte damals nicht. Aus all meinen Träumen heruntergefallen, sprach ich verdrießlich: mir ist das Werk nicht feil. Die Sklavin bot fünftausend, bot zehntausend Solidi: ich wandte ihr den Rücken und griff nach der Thür. Da sagte die Schlange: »Ich weiß, Kallistratos von Korinth ist unwillig, weil er ein Abenteuer gehofft und fand ein Geldgeschäft. Er ist Hellene, er liebt die Schönheit, er brennt vor Neugier, meine Herrin zu sehn.« Das war so richtig, daß ich nur lächeln konnte. »Wohlan,« sprach sie, »du sollst sie sehn. Und dann erneuere ich mein letzt Gebot. Schlägst du’s dann dennoch aus, hast du immerhin den Vorteil, deine Neugier gestillt zu haben. Morgen um die achte Stunde kömmt die Sänfte wieder. Dann halte dich bereit mit deinem Ares.« Und sie schlüpfte hinweg. Unruhig blieb ich zurück. Ich konnte nicht leugnen, meine Neugier war sehr gespannt. Fest entschlossen, meinen Ares nicht herzulassen und die Kunstnärrin doch zu sehen, erwartete ich gierig die bestimmte Stunde. Die Stunde kam und die Sänfte kam. Ich stand lauschend an meiner offnen Thür. Die Sklavin stieg heraus. »Komm,« rief sie mir zu, »du sollst sie sehn.« Bebend vor Aufregung trat ich heran, der Purpurvorhang der Sänfte fiel halb zurück und ich sah –« »Nun,« rief Markus, sich vorbeugend, den Becher in der Hand. »Was ich nie wieder vergessen werde. Ein Gesicht, Freunde, von ungeahnter Schönheit. Kypris und Artemis in Einer Person. Ich war wie geblendet. Ich kann sie nicht schildern. Der Vorhang fiel zu. Ich aber sprang zurück, hob den Ares aus der Nische, reichte ihn der Punierin, wies ihr Gold zurück und taumelte in meine Thür, betäubt, als hätt’ ich eine Waldnymphe gesehn.« »Nun, das ist stark,« lachte Massurius. »Bist doch sonst kein Neuling in den Werken des Eros.« »Aber,« fragte Cethegus, »woher weißt du, daß diese Zauberin eine Gotin war?« »Sie hatte dunkelrotes Haar und milchweiße Haut und schwarze Augenbrauen.« »Alle guten Götter!« dachte Cethegus. Aber er schwieg und wartete. Keiner der Anwesenden sprach den Namen aus. »Sie kennen sie nicht,« sagte Cethegus zu sich. – »Und wann war das?« fragte er den Wirt. »An den vorigen Calenden.« »Ganz richtig,« rechnete Cethegus; »da kam sie von Tarentum durch Rom nach Ravenna. Sie ruhte hier drei Tage.« »Und so hast du,« lachte Piso, »deinen Ares eingebüßt für einen Blick. Schlechter Handel! diesmal waren Merkur und Venus im Bunde. Armer Kallistratos.« »Ach,« sagte dieser, »die Büste war gar nicht soviel wert. Es war moderne Arbeit. Jon in Neapolis hat sie vor drei Jahren gemacht. Aber ich sag euch, einen Pheidias hätt ich hingegeben um jenen Anblick.« »Ein Idealkopf?« fragte Cethegus, wie gleichgültig und hob den ehernen Mischkrug, der vor ihm stand, scheinbar bewundernd, auf. »Nein, das Modell war ein Barbar – irgend ein Gotengraf – Watichis oder Witichas – wer kann sich die hyperboräischen Namen merken!« sagte Kallistratos seinen Bericht schließend und einem Pfirsich die Haut abziehend. Nachdenklich schlürfte Cethegus aus seiner Schale von Bernstein. Zwölftes Kapitel. »Ja, die Barbarinnen könnte man sich gefallen lassen,« rief Markus Licinius, »aber der Orcus verschlinge ihre Brüder!« Und er riß den welken Rosenkranz vom Haupt: – die Blumen ertrugen den Dunst des Gelages schlecht – und ersetzte ihn durch einen frischen. »Nicht nur die Freiheit haben sie uns genommen: – sie schlagen uns bei den Töchtern Hesperiens in der Liebe sogar aus dem Felde. Erst neulich hat die schöne Lavinia meinem Bruder die Thüre verschlossen und den fuchsroten Aligern eingelassen.« »Barbarischer Geschmack!« meinte der Verschmähte achselzuckend und wie zum Trost nach seinem Isiswein langend. »Du kennst sie ja auch, Furius – ist es nicht Geschmacksverirrung?« – »Ich kenne deinen Nebenbuhler nicht,« sagte der Korse. »Aber es giebt schon Burschen unter diesen Goten, die einem Weib gefährlich werden mögen. »Und da fällt mir ein Abenteuer ein, das ich jüngst entdeckt, das aber freilich noch ohne Spitze ist.« – »Erzähle nur,« mahnte Kallistratos, die Hände in das laue Waschwasser steckend, das jetzt in korinthischen Erzschüsseln herumgereicht wurde, vielleicht finden wir die Spitze dazu.« »Der Held meiner Geschichte,« hob Furius an, »ist der schönste der Goten.« – »Ah, Totila der junge,« unterbrach Piso und ließ sich den kameengeschmückten Becher mit Eiswein füllen. »Derselbe. Ich kenne ihn seit Jahren und bin ihm sehr gut, wie alle müssen, die je sein sonnig Angesicht geschaut, abgesehen davon,« – und hier überflog des Korsen Züge ein Schatte ernsten Erinnerns und er stockte – »daß ich ihm sonst verbunden bin.« »Du bist, scheint’s, verliebt in den Blondkopf,« spottete Massurius, dem Sklaven, den er mitgebracht, ein Tuch voll picentinischen Zwiebacks zuwerfend, um es mit nach Hause zu nehmen. »Nein, aber er hat mir, wie allen, mit denen er zu thun hat, viel Freundliches erwiesen und gar oft hatte er die Hafenwache in den italischen Seestädten, wo ich landete.« »Ja, er hat große Verdienste um das Seewesen der Barbaren,« sagte Lucius Licinius. – »Wie um ihre Reiterei,« stimmte Markus bei, »der schlanke Bursche ist der beste Reiter seines Volks.« »Nun, ich traf ihn zuletzt in Neapolis: wir freuten uns der Begegnung, aber vergebens drang ich in ihn, die fröhlichen Abendgelage auf meinem Schiffe zu teilen.« »O, diese deine Schiffsabende sind berühmt und berüchtigt,« meinte Balbus, »du hast stets die feurigsten Weine.« – »Und die feurigsten Mädchen,« fügte Massurius bei. »Wie dem sei, Totila schützte jedesmal Geschäfte vor und war nicht zu gewinnen. Ich bitte euch! Geschäfte nach der achten Stunde in Neapolis! Wo die Fleißigsten faul sind! Es waren natürlich Ausflüchte. Ich beschloß ihm auf die Sprünge zu kommen und umschlich Abends sein Haus in der Via lata. Richtig: gleich den ersten Abend kam er heraus, vorsichtig umblickend, und, zu meinem Staunen, verkleidet; wie ein Gärtner war er angethan, einen Reisehut tief ins Gesicht gezogen, eine Abolla umgeschlagen. Ich schlich ihm nach. Er ging quer durch die Stadt nach der Porta Capuana zu. Dicht neben dem Thore steht ein dicker Turm, darinnen wohnt der Pförtner, ein alter patriarchenhafter Jude, dem König Theoderich ob seiner großen Treue die Hut des Thores anvertraut. Vor dem Turme blieb mein Gote stehen und schlug leise in die Hand: da flog eine schmale Seitenthür von Eisen, die ich gar nicht bemerkt, geräuschlos auf und hinein schlüpfte Totila geschmeidig wie ein Aal.« »Ei, ei,« fiel Piso der Dichter eifrig ein, »ich kenne den Juden und Miriam, sein herrlich prachtäugiges Kind! Die schönste Tochter Israels, die Perle des Morgenlands, ihre Lippen sind Granaten, ihr Aug’ ist dunkelmeeresblau und ihre Wangen haben den roten Duft des Pfirsichs.« – »Gut, Piso,« lächelte Cethegus – »dein Gedicht ist schön.« – »Nein,« rief dieser. »Miriam selbst ist die lebendige Poesie.« – »Stolz ist die Judendirne,« brummte Massurius dazwischen, »sie hat mich und mein Gold verschmäht mit einem Blick, als habe man nie ein Weib um Geld gekauft.« – »Siehe,« sprach Lucius Licinius, »so hat sich der hochmüt’ge Gote, der einherschreitet, als trüg’ er alle Sterne des Himmels auf seinem Lockenhaupt, zu einer Jüdin herabgelassen.« »So dacht’ auch ich und ich beschloß, den Jungen bei nächster Gelegenheit schwer zu verhöhnen mit seinem Moschusgeschmack. Aber nichts da. Ein paar Tage darauf mußte ich nach Capua. Ich breche vor Sonnenaufgang auf, die Hitze zu meiden. Ich fahre durch die Porta Capuana zur Stadt hinaus beim ersten Frührot: und als ich in meinem Reisewagen über die harten Steine an dem Judenturm vorüberrassele, denk’ ich neidvoll an Totila und sage mir, der liegt jetzt in weichen Armen. Aber am zweiten Meilensteine vor dem Thor begegnet mir, nach der Stadt zuschreitend, leere Blumenkörbe über Brust und Rücken, in Gärtnertracht, wie damals – Totila. Er lag also nicht in Miriams Armen. Die Jüdin war nicht seine Geliebte, vielleicht seine Vertraute, und wer weiß, wo die Blume blüht, die dieser Gärtner pflegt. Der Glücksvogel! Bedenkt nur, auf der Via capuana stehen all’ die Villen und Lustschlösser der ersten Familien von Neapolis und in jenen Gärten prangen und blühen die herrlichsten Weiber.« »Bei meinem Genius,« rief Lucius Licinius, die bekränzte Schale hebend, »dort leben ja die schönsten Weiber Italiens – Fluch über den Goten!« – »Nein,« schrie Massurius, von Wein erglühend, »Fluch über Kallistratos und den Korsen, die uns mit fremden Liebesgeschichten bewirten, wie der Storch aus Kelchgläsern den Fuchs. Laß endlich, Hausherr, deine Mädchen kommen, wenn du deren bestellt hast: nicht höher brauchst du unsre Erwartung zu spannen.« – »Jawohl, die Mädchen, die Tänzerinnen, die Psalterien!« riefen die jungen Leute durcheinander. »Halt,« sprach der Wirt, »wo Aphrodite naht, muß sie auf Blumen wandeln. Dies Glas bring’ ich dir, Flora!« Er sprang auf und schleuderte an die getäfelte Decke eine köstliche Krystallschale, daß sie klirrend zersprang. Sowie das Glas an die Balken der Decke schlug, hob sich das ganze Getäfel wie eine Fallthür empor und ein reicher Regen von Blumen aller Art flutete auf die Häupter der erstaunten Gäste nieder, Rosen von Pästum, Veilchen von Thurii, Myrten von Tarentum, Mandelblüten bedeckten wie ein dichtes Schneegestöber in duftigen Flocken den Mosaikboden, die Tische, die Polster und die Häupter der Gäste. »Schöner,« rief Cethegus, »zog Venus nie auf Paphos ein.« Kallistratos schlug in die Hände. Da teilte sich beim Klang von Lyra und Flöte dem Triklinium gerade gegenüber die Mittelwand des Gemachs: vier hochgeschürzte Tänzerinnen, ausgesucht schöne Mädchen, in persische Tracht, d. h. in durchsichtigen Rosaflor gekleidet, sprangen cymbelnschlagend aus einem Gebüsch von blühendem Oleander. Hinter ihnen kam ein großer Wagen in Gestalt einer Fächermuschel, dessen goldne Räder von acht jungen Sklavinnen geschoben wurden, vier Flötenbläserinnen in Indischem Gewand – Purpur und Weiß mit goldgestickten Mänteln – schritten vorauf: und auf dem Sitz des Wagens ruhte, von Rosen übergossen, in halb liegender Stellung Aphrodite selbst, in Gestalt eines blühenden Mädchens von lockender, üppiger Schönheit, dessen fast einzige Verhüllung der Aphroditen nachgebildete Gürtel der Grazien war. »Ha, beim heiligen Eros und Anteros!« schrie Massurius und sprang unsichern Schrittes von der Kline herab unter die Gruppe. »Verlosen wir die Mädchen!« rief Piso, »ich habe ganz neue Würfel aus Gazellenknöcheln, weihen wir sie ein.« »Laßt sie den Festkönig verteilen,« schlug Marcus Licinius vor. »Nein, Freiheit, Freiheit wenigstens in der Liebe,« rief Massurius und faßte die Göttin heftig am Arme, »und Musik, heda, Musik – –« »Musik,« befahl Kallistratos. Aber ehe noch die Cymbelschlägerinnen wieder anheben konnten, wurde die Eingangsthüre hastig aufgerissen und die Sklaven, die ihn aufhalten wollten, zur Seite drängend, stürmte Scävola herein, er war leichenblaß. »Hier also, hier wirklich find’ ich dich, Cethegus? in diesem Augenblick!« »Was giebt’s?« sagte der Präfekt und nahm ruhig den Rosenkranz vom Haupt. »Was es giebt? das Vaterland schwankt zwischen Scylla und Charybdis. Die gotischen Herzoge Thulun, Ibba und Pitza –« »Nun?« fragte Lucius Licinius. »Sie sind ermordet!« »Triumph!« rief der junge Römer und ließ die Tänzerin fahren, die er umfaßt hielt. »Schöner Triumph!« zürnte der Jurist. »Als die Nachricht nach Ravenna kam, beschuldigte alles Volk die Königin, sie stürmten den Palast: – doch Amalaswintha war entfloh’n.« »Wohin?« fragte Cethegus, rasch aufspringend. »Wohin? auf einem Griechenschiff – nach Byzanz!« Cethegus setzte schweigend den Becher auf den Tisch und furchte die Stirn. »Aber das Ärgste ist – die Goten wollen sie absetzen und einen König wählen.« – »Einen König?« sagte Cethegus. »Wohlan, ich rufe den Senat zusammen. Auch die Römer sollen wählen.« »Wen, was sollen wir wählen?« fragte Scävola. Aber Cethegus brauchte nicht zu antworten. Lucius Licinius rief statt seiner: »Einen Diktator! fort, fort in den Senat.« »In den Senat!« wiederholte Cethegus majestätisch. »Syphax, meinen Mantel.« »Hier, Herr, und dabei dein Schwert,« flüsterte der Maure. »Ich führ’ es immer mit, auf alle Fälle.« Und Wirt und Gäste folgten halb taumelnd dem Präfekten, der, allein völlig nüchtern, ihnen voran aus dem Hause auf die Straße schritt. Dreizehntes Kapitel. In einem der schmalen Gemächer des Kaiserpalastes zu Byzanz stand kurze Zeit nach dem Fest der Floralien ein kleiner Mann von nicht ansehnlicher Gestalt in sorgenschweres Sinnen versunken. Es war still und einsam rings um ihn. Obwohl es draußen noch heller Tag, war doch das Rundbogenfenster, das nach dem Hofraum des weitläufigen Gebäudes führte, mit schweren golddurchwirkten Teppichen dicht verhangen: gleich köstliche Stoffe deckten den Mosaikboden des Zimmers, so daß kein Geräusch die Schritte des langsam auf und ab Wandelnden begleitete. Gedämpftes, mattes Licht füllte den Raum. Auf dem Goldgrund der Wände prangte die lange Reihe der christlichen Imperatoren seit Constantius in kleinen weißen Büsten: gerade über dem Schreibdivan hing ein großes mannshohes Kreuz von gediegenem Golde. So oft der einsam auf und nieder Schreitende daran vorbeikam, neigte er das Haupt vor demselben: denn in der Mitte des Goldes war, von Glas umschlossen, ein Splitter des angeblich echten Kreuzes angebracht. Endlich blieb er vor der Weltkarte stehen, die, den Orbis romanus darstellend, auf purpurgesäumtem Pergament eine der Wände bedeckte: nach langem, prüfendem Blick seufzte der Mann und bedeckte mit der Rechten Gesicht und Augen. Es waren keine schönen Augen und kein edles Gesicht: aber vieles, Gutes und Böses, lag darin. Wachsamkeit, Mißtrauen und List sprachen aus dem unruhigen Blick der tiefliegenden Augen: schwere Falten, der Sorge mehr als des Alters, furchten die vorspringende Stirn und die magern Wangen. »Wer den Ausgang wüßte!« seufzte er noch einmal, die knochigen Hände reibend. »Es treibt mich unablässig. Ein Geist ist in meine Brust gefahren und mahnt und mahnt. Aber ist’s ein Engel des Herrn oder ein Dämon? Wer mir meinen Traum deutete! Vergieb, dreieiniger Gott, vergieb deinem eifrigsten Knecht. Du hast die Traumdeuter verflucht. Aber doch träumte König Pharao und Joseph durfte ihm deuten: und Jakob sah im Traum den Himmel offen und ihre Träume kamen von dir. Soll ich? darf ich es wagen?« Und wieder schritt er unschlüssig auf und nieder, wer weiß, wie lange noch, wäre nicht der Purpurvorhang des Eingangs leise gehoben worden. Ein goldschimmernder Velarius warf sich vor dem kleinen Mann zur Erde mit auf der Brust gekreuzten Armen. »Imperator, die Patricier, die du beschieden.« »Geduld,« sagte jener, sich auf die Kline mit dem Gestell von Gold und Elfenbein niederlassend, »rasch die Silberschuhe und die Chlamys.« Der Palastdiener zog ihm die Sandalen mit den dicken Sohlen und den hohen Absätzen an, welche die Gestalt um ein paar Zoll erhöhten, und warf ihm den faltenreichen, mit Goldsternen übersäten Mantel um die Schulter, jedes Stück der Gewandung küssend, wie er es berührte: nach einer Wiederholung der fußfälligen Niederwerfung, die in dieser orientalischen Unterwürfigkeit erst neuerlich verschärft worden war, ging der Velarius. Und Kaiser Justinianus stellte sich, den linken Arm auf eine gebrochne Porphyrsäule aus dem Tempel von Jerusalem gestützt, die zu diesem Behuf nach seiner Größe zurechtgesägt war, in seiner »Audienzattitüde« dem Eingang gegenüber. Der Vorhang ging zurück und drei Männer betraten das Gemach mit der gleichen Begrüßungsform wie jener Sklave: und doch waren sie die ersten Männer dieses Kaiserreichs, wie, mehr noch als ihre reichgeschmückten Gewänder, ihre hochbedeutenden Köpfe, ihre geistvollen Züge bewiesen. »Wir haben euch beschieden,« hob der Kaiser an, ohne ihre demütige Begrüßung zu erwidern, »euren Rat zu hören – über Italien. Ich habe euch alle nötigen Kenntnisse über die Dinge daselbst verschafft: die Briefe der Regentin, die Dokumente der Patriotenpartei daselbst: drei Tage hattet ihr Zeit. Erst rede du, Magister Militum.« Und er winkte dem Größten unter den dreien, einer stattlichen, ganz in eine reichvergoldete Rüstung gekleideten Heldengestalt. Die großen, offenen, hellbraunen Augen sprachen von Treue und Zuversicht, eine starke gerade Nase, volle Wangen gaben dem Gesicht den Ausdruck gesunder Kraft, die breite Brust, die gewaltigen Schenkel und Arme hatten etwas herkulisches, der Mund aber zeigte trotz des grimmen Rundbartes Milde und Gutherzigkeit. »Herr,« sprach er mit voller, aus tiefer Brust quellender Stimme, »Belisars Rat ist immer: greifen wir die Barbaren an. Soeben hab’ ich auf dein Geheiß das Reich der Vandalen in Afrika zertrümmert mit fünfzehntausend Mann. Gieb mir dreißigtausend und ich werde dir die Gotenkrone zu Füßen legen.« »Gut,« sprach der Kaiser erfreut, »dies Wort hat mir wohlgethan. – Was sprichst du, Perle meiner Rechtsgelehrten, Tribonianus?« Der Angeredete war wenig kleiner als Belisar, aber nicht so breitschultrig und die Glieder nicht so sehr durch stete Übung entwickelt. Die hohe, ernste Stirn, das ruhige Auge, der festgeschnittene Mund zeugten von einem mächtigen Geist. »Imperator,« sagte er gemessen, »ich warne dich vor diesem Krieg. Er ist ungerecht.« Unwillig fuhr Justinianus auf: »Ungerecht! wiederzunehmen, was zum römischen Reich gehört.« »Gehört hat. Dein Vorfahr Zeno überließ durch Vertrag das Abendland an Theoderich und seine Goten, wenn sie den Anmaßer Odovakar gestürzt.« »Theoderich sollte Statthalter des Kaisers sein, nicht König von Italien.« »Zugegeben. Aber nachdem er es geworden – wie er es werden mußte, ein Theoderich konnte nicht der Diener eines Kleinern sein – hat ihn Kaiser Anastasius, dein Ohm Justinus, du selbst hast ihn anerkannt, ihn und sein Königreich.« »Im Drang der Not. Jetzt, da sie in Not und ich der Stärkere, nehm’ ich die Anerkennung zurück.« »Das eben nenn’ ich ungerecht.« »Du bist unbequem und unbeholfen, Tribonian, und ein zäher Rechthaber. Du taugst trefflich, meine Pandekten zusammenzubauen. In Politik werd’ ich dich nie wieder befragen. Was hat die Gerechtigkeit mit der Politik zu thun!« »Gerechtigkeit, o Justinianus, ist die beste Politik.« »Bah, Alexander und Cäsar dachten anders.« »Sie haben erstens ihr Werk nicht vollendet und dann zweitens« – er hielt inne. »Nun, zweitens?« »Zweitens bist du nicht Cäsar und nicht Alexander.« – Alle schwiegen. Nach einer Pause sagte der Kaiser ruhig: »du bist sehr offen, Tribonianus.« »Immer, Justinianus.« Rasch wandte sich der Kaiser zu dem dritten. »Nun, was ist deine Meinung, Patricius?« Vierzehntes Kapitel. Der Angeredete verbannte rasch von seinen Lippen ein kaltes Lächeln, das ihm die Moralpolitik des Juristen erweckt und richtete sich auf. Er war ein verkrüppeltes Männchen, noch bedeutend kleiner als Justinian, weshalb dieser im Gespräch mit ihm den Kopf noch viel mehr als nötig gewesen wäre, herabsenkte. Er war kahlköpfig, die Wangen von krankhaftem Wachsgelb, die rechte Schulter höher als die linke und er hinkte etwas auf dem linken Fuß, weshalb er sich auf einen schwarzen Krückstock mit goldnem Gabelgriff stützte. Aber das durchdringende Auge war so adlergewaltig, daß es von dieser unansehnlichen Gestalt den Eindruck des Widrigen fern hielt, dem fast häßlichen Gesicht die Weihe geistiger Größe verlieh: und der Zug schmerzlicher Entsagung und kühler Überlegenheit um den feinen Mund hatte sogar einen fesselnden Reiz. »Imperator,« sagte er mit scharfer bestimmter Stimme, »ich widerrate diesen Krieg – für jetzt.« Unwillig zuckte des Kaisers Auge: »Auch aus Gründen der Gerechtigkeit?« fragte er, fast höhnisch. – »Ich sagte: für jetzt.« – »Und warum?« – »Weil das Notwendige dem Angenehmen vorgeht. Wer sein Haus zu verteidigen hat, soll nicht in fremde Häuser einbrechen.« – »Was soll das heißen?« – »Das soll heißen: vom Westen, von den Goten droht diesem Reiche keine Gefahr. Der Feind, der dieses Reich verderben kann, vielleicht verderben wird, kömmt vom Osten.« »Die Perser!« rief Justinian verächtlich. »Seit wann,« sprach Belisar dazwischen, »seit wann fürchtet Narses, mein großer Nebenbuhler, die Perser?« »Narses fürchtet niemand,« sagte dieser, ohne seinen Gegner anzusehn, »weder die Perser, die er geschlagen hat, noch dich, den die Perser geschlagen haben. Aber er kennt den Orient. Sind es die Perser nicht, so sind es andre, die nach ihnen kommen. Das Gewitter, das Byzanz bedroht, steigt vom Tigris auf, nicht vom Tiber.« »Nun, und was soll das bedeuten?« »Das soll bedeuten, daß es schimpflich ist für dich, o Kaiser, für den Römernamen, den wir noch immer führen, Jahr für Jahr von Chosroes dem Perserchan den Frieden um viele Centner Goldes zu erkaufen.« Flammende Röte überflog des Kaisers Antlitz: »Wie kannst du Geschenke, Hilfsgelder also deuten!« »Geschenke! und wenn sie ausbleiben, eine Woche nur über den Zahltag, verbrennt Chosroes, des Cabades Sohn, deine Dörfer. Hilfsgelder! und er besoldet damit Hunnen und Saracenen, deiner Grenzen gefährlichste Feinde.« Justinian machte einen raschen Gang durchs Zimmer. »Was also rätst du?« fragte er, hart vor Narses stehen bleibend. »Nicht die Goten anzugreifen ohne Not, ohne Grund, wenn man sich der Perser kaum erwehrt. Alle Kräfte deines Reiches aufzubieten, um diese schimpflichen Tribute abzustellen, die schmählichen Verheerungen deiner Grenzen zu verhindern, die verbrannten Städte Antiochia, Dara, Edessa wieder aufzubauen, die Provinzen wieder zu gewinnen, die du im nahen Osten, – trotz Belisars tapfrem Schwert, – verloren, deine Grenzen durch einen siebenfachen Gürtel von Festungen vom Euphrat bis zum Araxes zu schirmen. Und hast du dies Notwendige alles vollbracht – und ich fürchte sehr, du kannst es nicht vollbringen! – dann magst du versuchen, wozu der Ruhm dich lockt.« Justinianus schüttelte leicht das Haupt. »Du bist mir nicht erfreulich, Narses,« sagte er bitter. »Das weiß ich längst,« sprach dieser ruhig. »Und nicht unentbehrlich!« rief Belisar stolz. »Kehre dich nicht, mein großer Kaiser, an diese kleinen Zweifler! Gieb mir die dreißigtausend und ich wette meine rechte Hand, ich erobre dir Italien.« »Und ich wette meinen Kopf,« sagte Narses, »was mehr ist, daß Belisar Italien nicht erobern wird, nicht mit dreißig-, nicht mit sechzig-, nicht mit hunderttausend Mann.« »Nun,« fragte Justinian, »und wer soll’s dann können und mit welcher Macht?« »Ich,« sagte Narses, »mit achtzigtausend.« Belisar erglühte vor Zorn: er schwieg, weil er keine Worte fand. »Du hast dich doch bei allem Selbstgefühl sonst nie so hoch über deinen Gegner gestellt,« sprach der Jurist. »Und thu’s auch jetzt nicht, Tribonian. Sieh, der Unterschied ist der: Belisarius ist ein großer Held, der bin ich nicht. Aber ich bin ein großer Feldherr – und siehe, das ist Belisarius nicht. Die Goten aber wird nur ein großer Feldherr überwinden.« Belisarius richtete sich in seiner ganzen stolzen Höhe auf und preßte die Faust krampfhaft um seinen Schwertknauf. Es war als wollte er dem Krüppel neben ihm den Kopf zerdrücken. Der Kaiser sprach für ihn: »Belisar kein großer Feldherr! Der Neid verblendet dich, Narses.« »Ich beneide Belisar um nichts, nicht einmal,« seufzte er leise, »um seine Gesundheit. Er wäre ein großer Feldherr, wenn er nicht ein so großer Held wäre. Er hat noch jede Schlacht die er verlor, aus zu viel Heldentum verloren.« »Das kann man von dir nicht sagen, Narses,« warf Belisar bitter ein. »Nein, Belisarius, denn ich habe noch nie eine Schlacht verloren.« Eine ungeduldige Antwort Belisars ward abgeschnitten durch den Velarius, der, den Vorhang aufhebend, meldete: »Alexandros, den du nach Ravenna gesendet, o Herr, ist seit einer Stunde gelandet und frägt –« »Herein mit ihm, herein!« rief der Kaiser, hastig von seiner Kline aufspringend. Ungeduldig winkte er dem Gesandten, von seiner Proskynesis sich zu erheben: »Nun Alexandros, du kömmst allein zurück?« Der Gesandte, ein schöner, noch junger Mann, wiederholte: »Allein.« »Es verlautete doch – dein letzter Bericht – wie verließest du das Gotenreich?« »In großer Verwirrung. Ich schrieb dir in meinem letzten Bericht, die Königin habe beschlossen, sich ihrer drei hochmütigsten Feinde zu entledigen. Sollte der Anschlag mißlingen, so war sie in Italien nicht mehr sicher und bat sich in diesem Fall aus, daß ich sie auf meinem Schiff nach Epidamnus, dann hierher nach Byzanz flüchten dürfe.« »Was ich mit Freuden bewilligte. Nun, und der Anschlag?« »Ist geglückt. Die drei Herzoge sind nicht mehr. Aber nach Ravenna kam das Gerücht, der gefährlichste unter ihnen, Herzog Thulun, sei nur verwundet. Dies bewog die Regentin, da ohnehin die Goten in der Stadt sich drohend vor dem Palaste scharten, auf mein Schiff zu flüchten. Wir lichteten die Anker, aber bald nachdem wir den Hafen verlassen, schon auf der Höhe von Ariminum, holte uns Graf Witichis mit Übermacht ein, kam an Bord und forderte Amalaswinthen auf, zurückzukehren, indem er sich für ihre Sicherheit bis zu feierlicher Untersuchung vor der Volksversammlung verbürgte. Da sie von ihm erfuhr, daß jetzt auch Herzog Thulun seinen Wunden erlegen, und aus seinem Anerbieten sah, daß er und seine mächtigen Freunde noch nicht an ihre Schuld glaubten, da überdies Gewalt zu fürchten war, willigte sie darein, mit ihm umzukehren nach Ravenna. Zuvor aber schrieb sie noch an Bord der Sophia diesen Brief an dich und sendet dir aus ihrem Schatze diese Geschenke.« »Davon später, sprich weiter, wie stehn die Dinge jetzt in Italien?« »Gut für dich, o großer Kaiser. Das vergrößerte Gerücht von dem Aufstand der Goten in Ravenna, von der Flucht der Regentin nach Byzanz durchflog das ganze Land. Vielfach kam es schon zum Zusammenstoß zwischen Römern und Barbaren. In Rom selbst wollten die Patrioten losschlagen, im Senat einen Diktator wählen, deine Hilfe anrufen. Aber alles wäre verfrüht gewesen, nachdem die Regentin in den Händen des Witichis: nur das geniale Haupt der Katakombenmänner hat es verhindert.« »Der Präfekt von Rom?« fragte Justinian. »Cethegus. Er mißtraute dem Gerücht. Die Verschworenen wollten die Goten überfallen, dich zum Kaiser Italiens ausrufen, ihn einstweilen zum Diktator wählen. Aber er ließ sich in der Kurie buchstäblich die Dolche auf die Brust setzen und sagte: nein.« »Ein mutiger Mann!« rief Belisar. »Ein gefährlicher Mann!« sagte Narses. »Eine Stunde darauf kam die Nachricht von der Rückkehr Amalaswinthens und alles blieb beim alten. Der schwarze Teja aber hatte geschworen, Rom zu einer Viehweide zu machen, wenn es einen Tropfen Gotenblut vergossen. All’ das hab ich auf meiner absichtlich zögernden Küstenfahrt bis nach Brundusium erfahren. Aber noch Besseres hab’ ich zu melden. Nicht nur unter den Römern, unter den Goten selbst hab’ ich eifrige Freunde von Byzanz gefunden, ja unter den Gliedern des Königshauses.« »Das wäre!« rief Justinian. »Wen meinst du?« »In Tuscien lebt, reichbegütert, Fürst Theodahad, Amalaswinthens Vetter.« »Jawohl, der letzte Mann im Haus der Amalungen, nicht wahr?« »Der letzte. Er und noch viel mehr Gothelindis, sein kluges, aber böses Gemahl, die stolze Baltentochter, hassen aufs gründlichste die Regentin: er, weil sie seiner maßlosen Habsucht, mit der er all’ seiner Nachbarn Grundbesitz an sich zu reißen sucht, entgegentritt: sie, aus Gründen, die ich nicht entdecken konnte: ich glaube, sie reichen in die Mädchenzeit der beiden Fürstinnen zurück – genug, ihr Haß ist tödlich. Diese beiden nun haben mir zugesagt, dir in jeder Weise Italien zurückgewinnen helfen zu wollen: ihr genügt es, scheint’s, die Todfeindin vom Thron zu stürzen: er freilich fordert reichen Lohn.« »Der soll ihm werden.« »Seine Hilfe ist deshalb wichtig, weil er schon halb Tuscien besitzt – das Adelsgeschlecht der Wölsungen hat den andern Teil – und spielend in unsre Hände bringen kann: dann aber, weil er, wenn Amalaswintha fällt, ihr auf den Thron zu folgen Aussicht hat. Hier sind Briefe von ihm und von Gothelindis. Aber lies vor allem das Schreiben der Regentin – ich glaube, es ist sehr wichtig.« Fünfzehntes Kapitel. Der Kaiser zerschnitt die Purpurschnüre der Wachstafel und las: »An Justinian, den Imperator der Römer, Amalaswintha, der Goten und Italier Königin!« »Der Italier Königin,« lachte Justinian, »welch’ verrückter Titel!« »Durch Alexandros, deinen Gesandten, wirst du erfahren, wie Eris und Ate in diesem Lande hausen. Ich gleiche der einsamen Palme, die von widerstreitenden Winden zerrissen wird. Die Barbaren werden mir täglich feindseliger, ich ihnen täglich fremder, die Römer aber, soviel ich mich ihnen nähere, werden mir nie vergessen, daß ich germanischen Stammes. Bis jetzt habe ich entschlossenen Geistes allen Gefahren getrotzt: jedoch ich kann es nicht länger, wenn nicht wenigstens mein Palast, meine fürstliche Person vor der Überraschung drängender Gewalt sicher ist. Ich kann mich aber auf keine der Parteien hier im Lande unbedingt verlassen. So ruf ich dich, als meinen Bruder in der königlichen Würde, zu Hilfe. Es ist die Majestät aller Könige, die Ruhe Italiens, die es zu beschirmen gilt. Schicke mir, ich bitte dich, eine verlässige Schar, eine Leibwache« – der Kaiser warf einen bedeutsamen Blick auf Belisar – »eine Schar von einigen tausend Mann mit einem mir unbedingt ergebenen Anführer: sie sollen den Palast von Ravenna besetzen: er ist eine Festung für sich. Was Rom betrifft, so müssen jene Scharen mir vor allem den Präfekten Cethegus, der ebenso mächtig als zweideutig ist und mich in der Gefahr, in die er mich geführt, plötzlich verlassen hat, fern halten, nötigenfalls vernichten. Habe ich meine Feinde niedergeworfen und mein Reich befestigt, wie ich zum Himmel und der eignen Kraft vertraue, so werd’ ich dir Truppen und Führer mit reichen Geschenken und reicherem Dank zurücksenden. Vale.« Justinian drückte krampfhaft die Wachstafel in seiner Faust: leuchtenden Auges sah er vor sich hin, seine nicht schönen Züge veredelten sich im Ausdruck hoher geistiger Macht, und dieser Augenblick zeigte, daß in dem Manne neben vielen Schwächen und Kleinheiten Eine Stärke, Eine Größe lebte: die Größe eines diplomatischen Genies. »In diesem Brief,« rief er endlich strahlenden Blickes, »halt’ ich Italien und das Gotenreich.« Und in mächtiger Bewegung durchschritt er das Gemach mit großen Schritten, jetzt sogar die Verbeugung vor dem Kreuz vergessend. »Eine Leibwache – sie soll sie haben! – Aber nicht ein paar Tausend Mann, viele Tausende, mehr als ihr lieb sein wird, und du, Belisarius, sollst sie führen.« »Sieh auch die Geschenke,« mahnte Alexandros und wies auf einen köstlichen Schrein von Thuienholz mit Gold eingelegt, den der Velarius hinter ihm niedergestellt hatte. »Hier ist der Schlüssel.« Er überreichte ein kleines Büchschen von Schildpatt, das mit der Regentin Siegel geschlossen war. »Es ist ihr Bild dabei,« sagte er, wie zufällig mit lauterer Stimme. In dem Augenblick, da der Gesandte die Stimme kräftiger erhoben, steckte sich, leise und unbemerkt von allen außer ihm, der Kopf eines Weibes durch den Vorhang und zwei funkelnde schwarze Augen sahen scharf auf den Kaiser. Dieser öffnete den Schrein, schob rasch alle Kostbarkeiten bei Seite und griff hastig nach einem unscheinbaren Täfelchen von geglättetem Buchs mit einem schmalen Goldrahmen. Ein Ruf des Staunens entflog unwillkürlich seinen Lippen, sein Auge blitzte, er zeigte das Bild Belisar: »Ein herrliches Weib, welche Majestät der Stirn! ja man sieht die geborene Herrscherin, die Königstochter!« und bewundernd sah er auf die edeln Züge. Da rauschte der Vorhang und die Lauscherin trat ein. Es war Theodora, die Kaiserin: ein verführerisches Weib. Alle Künste weiblichen Erfindungsgeistes in einer Zeit des äußersten Luxus und alle Mittel eines Kaiserreichs wurden täglich stundenlang aufgeboten, diese an sich ausgezeichnete, aber durch ein zügelloses Sinnenleben früh angegriffene Schönheit frisch und blendend zu erhalten. Goldstaub lieh ihrem dunkelblauschwarzen Haar metallischen Glanz: es war am Nacken mit aller Sorgfalt gegen den Wirbel hinaufgekämmt, den schönen Bau des Hinterkopfs, den feinen Ansatz des Halses zu zeigen. Augenbrauen und Wimpern waren mit arabischem Stimmi glänzend schwarz gefärbt: und so künstlich war das Rot der Lippen aufgetragen, daß selbst Justinian, der diese Lippen küßte, nie an eine Unterstützung der Natur durch phönikischen Purpur dachte. Jedes Härchen an den alabasterweißen Armen war sorgfältig ausgetilgt und das zarte Rosa der Fingernägel beschäftigte täglich eine besondere Sklavin lange Zeit. Und doch hätte Theodora, damals noch nicht vierzig Jahre alt, auch ohne all’ diese Künste für ein ganz auffallend schönes Weib gelten müssen. Edel freilich war dieses Antlitz nicht: kein großer, ja kein stolzer Gedanke sprach aus diesen angestrengten, unheimlich glänzenden Augen: um die Lippen schwebte ein zur Gewohnheit gewordenes Lächeln, das die Stelle der ersten künftigen Falte ahnen ließ: und die Wangen zeigten in der Nähe der Augen Spuren müder Erschöpfung. Aber wie sie jetzt, mit ihrem süßesten Lächeln, auf Justinian zuschwebte, das schwere Faltenkleid von dunkelgelber Seide zierlich mit der Linken aufhebend, übte die ganze Erscheinung einen betäubenden Zauber, ähnlich dem süßen einlullenden Geruch von indischem Balsam, der von ihr duftete. »Was erfreut meinen kaiserlichen Herrn so sehr? darf ich seine Freude teilen?« fragte sie mit süßer, einschmeichelnder Stimme. Die Anwesenden warfen sich vor der Kaiserin zur Erde, kaum minder ehrerbietig als vor Justinian. Dieser aber schrak bei ihrem Anblick, wie auf einer Schuld ertappt, zusammen und wollte das Bild in der Busenfalte seiner Chlamys verbergen. Aber zu spät. Schon haftete der Kaiserin scharfer Blick darauf. »Wir bewunderten,« sagte er verlegen, »die – die schöne Goldarbeit des Rahmens.« Und er reichte ihr errötend das Bild. »Nun, an dem Rahmen,« lächelte Theodora, »ist beim besten Willen nicht viel zu bewundern. Aber das Bild ist nicht übel. Gewiß die Gotenfürstin?« Der Gesandte nickte. »Nicht übel, wie gesagt. Aber barbarisch, streng, unweiblich. Wie alt mag sie sein, Alexandros?« »Etwa fünfundvierzig.« Justinian blickte fragend auf das Bild, dann auf den Gesandten. »Das Bild ist vor fünfzehn Jahren gemacht,« sagte Alexandros wie erklärend. »Nein,« sprach der Kaiser, »du irrst; hier steht die Jahrzahl nach Indiktion und Konsul und ihrem Regierungsantritt: es ist von diesem Jahr.« Eine peinliche Pause entstand. »Nun,« stammelte der Gesandte, »dann schmeicheln die Maler wie–« – »Wie die Höflinge,« schloß der Kaiser. Aber Theodora kam ihm zu Hilfe. »Was plaudern wir von Bildern und dem Alter fremder Weiber, wo es sich um das Reich handelt. Welche Nachrichten bringt Alexandros? Bist du entschlossen, Justinianus?« – »Beinahe bin ich es. Nur deine Stimme wollte ich noch hören und du, das weiß ich, bist für den Krieg.« Da sagte Narses ruhig: »Warum, Herr, hast du uns nicht gleich gesagt, daß die Kaiserin den Krieg will? Wir hätten unsre Worte sparen können.« – »Wie? willst du damit sagen, daß ich der Sklave meines Weibes bin?« – »Hüte besser deine Zunge,« sagte Theodora zornig, »schon manchen, der sonst unverwundbar schien, hat die eigne spitze Zunge erstochen.« »Du bist sehr unvorsichtig, Narses,« warnte Justinian. »Imperator,« sagte dieser ruhig, »die Vorsicht hab’ ich längst aufgegeben. Wir leben in einer Zeit, in einem Reich, an einem Hof, wo man um jedes mögliche Wort, das man gesprochen oder nicht gesprochen hat, in Ungnade fallen, zu Grunde gehen kann. Da mir nun jedes Wort den Tod bringen kann, will ich wenigstens an solchen Worten sterben, die mir selbst gefallen.« Der Kaiser lächelte: »Du mußt gestehn, Patricius, daß ich viel Freimut ertrage.« Narses trat auf ihn zu: »Du bist groß von Natur, o Justinianus, und ein geborner Herrscher: sonst würde Narses dir nicht dienen. Aber Omphale hat selbst Herkules klein gemacht.« Die Augen der Kaiserin sprühten tödlichen Haß. Justinian ward ängstlich. »Geht,« sagte er, »ich will mit der Kaiserin allein beraten. Morgen vernehmt ihr meinen Entschluß.« Sechzehntes Kapitel. So wie sie draußen waren, schritt Justinian auf seine Gattin zu und drückte einen Kuß auf ihre weiße niedre Stirn. »Vergieb ihm,« sagte er, »er meint es gut.« »Ich weiß es,« sagte sie, seinen Kuß erwidernd. »Darum, und weil er unentbehrlich ist gegen Belisar, darum lebt er noch.« – »Du hast Recht, wie immer.« Und er schlang den Arm um sie. »Was hat er besondres vor?« dachte Theodora. »Diese Zärtlichkeit deutet auf ein schlechtes Gewissen.« »Du hast Recht,« wiederholte er, mit ihr im Gemach auf und nieder schreitend. »Gott hat mir den Geist versagt, der die Schlachten entscheidet, aber mir dafür diese beiden Männer des Sieges gegeben – und zum Glück ihrer zwei. Die Eifersucht dieser beiden sichert meine Herrschaft besser als ihre Treue: jeder dieser Feldherren allein wäre eine stete Reichsgefahr und an dem Tage, da sie Freunde würden, wankte mein Thron. Du schürst doch ihren Haß?« »Er ist leicht schüren: es ist zwischen ihnen eine natürliche Feindschaft wie zwischen Feuer und Wasser. Und jede Bosheit des Verschnittenen erzähl’ ich mit großer Entrüstung meiner Freundin Antonina, des Helden Belisar Weib und Gebieterin.« – »Und jede Grobheit des Helden Belisar bericht’ ich treulich dem reizbaren Krüppel. – Aber zu unsrer Beratung. Ich bin, nach dem Bericht des Alexandros, so gut wie entschlossen zu dem Zug nach Italien.« »Wen willst du senden?« – »Natürlich Belisar. Er verheißt, mit dreißigtausend zu vollbringen, was Narses kaum mit achtzigtausend übernehmen will.« »Glaubst du, daß jene kleine Macht genügen wird?« »Nein. Aber Belisars Ehre ist verpfändet: er wird all seine Kraft aufbieten und es wird ihm doch nicht ganz gelingen.« – »Und das wird ihm sehr heilsam sein. Denn seit dem Vandalensieg ist sein Stolz nicht mehr zu ertragen.« – »Aber er wird drei Viertel der Arbeit thun. Dann rufe ich ihn ab, breche selbst mit sechstausend auf, nehme Narses mit, vollende im Spiel das letzte Viertel und bin dann auch ein Feldherr und ein Sieger.« »Fein gedacht,« sagte Theodora in aufrichtiger Bewunderung seiner Schlauheit: »dein Plan ist reif.« »Freilich,« sagte Justinian seufzend stehen bleibend, »Narses hat Recht, im geheimen Grund des Herzens muß ich’s zugestehen. Es wäre dem Reiche heilsamer, die Perser abwehren, als die Goten angreifen. Es wäre mehr sichere, weisere Politik. Denn vom Osten kömmt einst das Verderben.« »Laß es kommen! Das kann noch Jahrhunderte anstehn, wann von Justinian nur noch der Ruhm auf Erden lebt, wie Afrika, so Italien zurückgewonnen zu haben. Hast du für die Ewigkeit zu bauen? Die nach dir kommen, mögen für ihre Gegenwart sorgen: sorge du für die deine.« – »Wenn man aber dann sprechen wird: hätte Justinian verteidigt, statt zu erobern, so stünd’ es besser? Wenn man sagen wird: Justinians Siege haben sein Reich zerstört?« – »So wird niemand sprechen. Die Menschen blendet der Glanz des Ruhms. Und noch Eins« – und hier verdrängte der Ernst der tiefsten Überzeugung den Ausdruck listiger Beschwatzung von ihren schmeichelnden Zügen. »Ich ahn’ es, doch vollende.« »Du bist nicht nur Kaiser, du bist ein Mensch. Höher als das Reich muß dir deiner Seele Seligkeit stehen. Auf deinem, auf unsrem Pfad zur Herrschaft, zu dem Glanz dieser Herrschaft mußte mancher blut’ge Schritt geschehn: manches Harte mußte gethan werden: Leben und Schätze, so manchen gefährlichen Feindes mußten – genug. Wohl bauen wir mit einem Teil dieser Schätze der heilgen, der christlichen Weisheit jenen Siegestempel, der allein schon unsern Namen unsterblich machen wird auf Erden. Aber für den Himmel – wer weiß, ob es genügt! Laß uns« – und ihr Auge erglühte von unheimlichem Feuer – »laß uns die Ungläubigen vertilgen und über die Leichen der Feinde Christi hin den Weg zur Gnade suchen.« Justinian drückte ihre Hand. »Auch die Perser sind Feinde Christi, sind sogar Heiden.« – »Hast du vergessen, was der Patriarch gelehrt? Ketzer sind siebenmal schlimmer als Heiden! Ihnen ward der rechte Glaube gebracht und sie haben ihn verschmäht. Das ist die Sünde wider den heilgen Geist, die nie vergeben wird – auf Erden und im Himmel. Du aber bist das Schwert, daß diese gottverfluchten Arianer schlagen soll: sie sind Christi verhaßteste Feinde: sie kennen ihn und leugnen dennoch, daß er Gott. Schon hast du in Afrika die ketzerischen Vandalen niedergeworfen und den Irrwahn dort in Blut und Feuer erstickt: jetzt ruft dich Italien, Rom, die Stätte, wo der Apostelfürsten Blut geflossen, die heilge Stadt: nicht länger darf sie diesen Ketzern dienen. Justinian, gieb sie dem wahren Glauben wieder.« Sie hielt inne. Der Kaiser blickte schwer aufatmend zu dem Goldkreuz empor. »Du deckst die letzten Tiefen meines Herzens auf: das ist es ja, was, noch mächtiger als Ruhm und Siegesehre, mich zu diesen Kriegen treibt. Aber bin ich fähig, bin ich würdig so Großes, so Heiliges zu Gottes Ehre zu vollenden? Will er durch meine sündge Hand so Großes vollführen? Ich zweifle, ich schwanke. Und der Traum, der mir in dieser Nacht geworden, war er von Gott gesendet? und was soll er bedeuten? treibt er zum Angriff oder mahnt er ab? Nun, hatte deine Mutter Komito, die Wahrsagerin von Kypros, große Weisheit, Ahnungen und Träume zu deuten.« – »Und du weißt, die Gabe ist erblich. Habe ich dir nicht auch den Ausgang des Vandalenkriegs aus deinem Traume gedeutet?« »Du sollst mir auch diesen Traum erklären. Du weißt, ich werde irre an dem besten Plan, wenn ein Omen dawider spricht. Höre denn. Aber« – und er warf einen ängstlichen Blick auf sein Weib, – »aber bedenke, daß es ein Traum war und kein Mensch für seine Träume kann.« »Natürlich, sie sendet Gott.« – »Was werd ich vernehmen?« sagte sie zu sich selbst. »Ich war gestern Nacht eingeschlafen, erwägend den letzten Bericht über Amala – über Italien. Da träumte mir, ich ging durch eine Landschaft mit sieben Hügeln. Dort ruhte unter einem Lorbeer das schönste Weib, das ich je gesehn. Ich stand vor ihr und betrachtete sie mit Wohlgefallen. Plötzlich brach aus dem Busch zur Rechten ein brüllender Bär, aus dem Gestein zur Linken eine zischende Schlange gegen die Schlummernde hervor. Aufwachend rief sie meinen Namen. Rasch ergriff ich sie, drückte sie an meine Brust und floh mit ihr: rückblickend sah ich, wie der Bär die Schlange zerriß und die Schlange den Bären zu Tode biß.« »Nun, und das Weib?« »Das Weib drückte einen flüchtigen Kuß auf meine Stirn und war plötzlich wieder verschwunden, und ich erwachte, vergebens die Arme nach ihr ausstreckend. Das Weib,« fuhr er rasch fort, ehe Theodora nachsinnen sollte, »ist natürlich Italien.« »Jawohl,« sagte die Kaiserin ruhig. Aber ihr Busen wogte. »Der Traum ist der glücklichste. Bär und Schlange sind Barbaren und Italier, die um die Siebenhügelstadt ringen. Du entreißest sie beiden und läßt sie sich gegenseitig vernichten.« »Aber sie entschwindet mir wieder: – sie bleibt mir nicht.« »Doch. Sie küßt dich und verschwindet in deinen Armen. So wird Italien aufgehn in deinem Reich.« »Du hast recht,« rief Justinian aufspringend. »Sei bedankt, mein kluges Weib. Du bist die Leuchte meiner Seele. Es sei gewagt: – Belisar soll ziehn.« Und er wollte den Velarius rufen. Doch hielt er plötzlich an. »Aber noch eins.« Und die Augen niederschlagend, faßte er ihre Hand. »Ah,« dachte Theodora, »jetzt kommt’s.« »Wenn wir nun das Gotenreich zerstört und in die Hofburg von Ravenna mit Hilfe der Königin selbst eingezogen sind – was – was soll dann mit ihr, der Fürstin, werden?« »Nun,« sagte Theodora völlig unbefangen, »was mit ihr werden soll? Was mit dem entthronten Vandalenkönig geworden. Sie soll hierher, nach Byzanz.« Justinian atmete hoch auf. »Mich freut es, daß du das Richtige fandest.« Und in wirklicher Freude drückte er ihr die schmale, weiße, wunderzierliche Hand. »Mehr als das,« fuhr Theodora fort. »Sie wird um so leichter auf unsre Pläne eingehen, je sicherer sie einer ehrenvollen Aufnahme hier entgegensieht. So will ich selbst ihr ein schwesterliches Schreiben senden, sie einzuladen. Sie soll im Fall der Not stets ein Asyl an meinem Herzen finden.« »Du weißt gar nicht,« fiel Justinian eifrig ein, »wie sehr du dadurch unsern Sieg erleichterst. Die Tochter Theoderichs muß völlig von ihrem Volk hinweg zu uns gezogen werden. Sie selbst soll uns nach Ravenna führen.« »Dann kannst du aber nicht gleich Belisar mit einem Heere senden. Das würde sie nur argwöhnisch machen und widerspenstig. Sie muß völlig in unsern Händen, das Barbarenreich von innen heraus gebrochen sein, ehe das Schwert Belisars aus der Scheide fährt.« »Aber in der Nähe muß er von jetzt an stehen.« »Wohl, etwa auf Sicilien. Die Unruhen in Afrika geben den besten Vorwand, eine Flotte in jene Gewässer zu senden. Und sowie das Netz gelegt, muß Belisars Arm es zuziehn.« »Aber wer soll es legen?« Theodora dachte eine Weile nach; dann sagte sie: »Der geistgewaltigste Mann des Abendlands: Cethegus Cäsarius, der Präfekt von Rom, mein Jugendfreund.« »Recht. Aber nicht er allein. Er ist ein Römer, nicht mein Unterthan, mir nicht völlig sicher. Wen soll ich senden. Noch einmal Alexandros?« »Nein,« rief Theodora rasch, »er ist zu jung für ein solches Geschäft. Nein.« Und sie schwieg nachdenklich. »Justinian,« sprach sie endlich, »auf daß du siehst, wie ich persönlichen Haß vergessen kann, wo es das Reich gilt und der rechte Mann gewählt werden muß, schlage ich dir selber meinen Feind vor: Petros, des Narses Vetter, des Präfekten Studiengenossen, den schlauen Rhetor: – ihn sende.« »Theodora,« – rief der Kaiser erfreut, sie umarmend, »du bist mir wirklich von Gott geschenkt. Cethegus – Petros – Belisar: Barbaren, ihr seid verloren!« Siebzehntes Kapitel. Am Morgen darauf erhob sich die schöne Kaiserin vergnügt von dem schwellenden Pfühl, dessen weiche Kissen, mit blaßgelber Seide überzogen, mit den zarten Halsfedern des pontischen Kranichs gefüllt waren. Vor dem Bette stand ein Dreifuß mit einem silbernen Becken, den Okeanos darstellend, darin lag eine massiv goldne Kugel. Die weiche Hand der Kaiserin hob lässig die Kugel und ließ sie klingend in das Becken fallen: der helle Ton rief die syrische Sklavin in das Gemach, die im Vorzimmer schlief. Mit auf der Brust gekreuzten Armen trat sie an das Lager und schlug die schweren Vorhänge von violetter chinesischer Seide zurück. Dann ergriff sie den sanften iberischen Schwamm, der, in Eselmilch getränkt, in krystallner Schale ruhte und bestrich damit sorgfältig die Masse von öligem Teig, die Gesicht und Hals der Kaiserin während der Nacht bedeckte. Dann kniete sie vor dem Bette nieder, das Haupt fast zur Erde gebeugt und reichte die rechte Hand hinauf. Theodora faßte diese Hand, setzte langsam den kleinen Fuß auf den Nacken der Knieenden und schwang sich dann elastisch zur Erde. Die Sklavin erhob sich und warf der Herrin, die jetzt, nur mit der Untertunica von feinstem Bast bekleidet, auf dem Palmenholzrand des Bettes saß, den feinen Ankleidemantel von Rosagewebe über die Schultern. Dann verneigte sie sich, wandte sich zur Thüre, rief »Agave!« und verschwand. Agave, eine junge, schöne Thessalierin, trat ein; sie rollte dicht vor die Herrin den mit unzähligen Büchschen und Fläschchen besetzten Waschtisch von Citrusholz und begann, ihr Gesicht, Nacken und Hände mit weichen, in verschiedene Weine und Salben getauchten Tüchern zu reiben. Daraus erhob sich diese vom Lager und glitt auf den bunten, mit Pardelfell überzogenen Stuhl, die Kathedra. »Das große Bad erst gegen Mittag!« sagte sie. Da schob Agave eine ovale Wanne von Terebinthenholz heran, außen mit Schildpatt bekleidet, gefüllt mit köstlich duftendem Wasser und hob die zierlichen, glänzend weißen Füße der Herrin hinein. Hierauf löste sie das Netz von Goldfäden, das die Nacht über die blau glänzenden Haare der Kaiserin zusammenhielt, so daß jetzt die weichen schwarzen Wellen über Schultern und Brust wallen konnten. Sie schlang ihr noch das breite Busenband von Purpur um, verneigte sich und ging mit dem Rufe: »Galatea!« Eine betagte Sklavin löste sie ab, die Amme und Wärterin und, leider müssen wir hinzufügen, die Kupplerin Theodoras in der Zeit, da sie nur erst des Akacius, des Löwenwärters im Cirkus, flitterbehängtes Töchterlein und, fast noch ein Kind, der schon tief verdorbne Liebling des großen Cirkus war. Alle Demütigungen und Triumphe, alle Laster und Listen auf der Abenteurerin wechselndem Pfad bis zum Kaiserthron hatte Galatea getreulich geteilt. »Wie hast du geschlafen, mein Täubchen?« fragte sie, ihr in einer Bernsteinschale die aromatische Essenz reichend, welche die Stadt Adana in Cilicien für die Toilette der Kaiserin in großen Massen als jährlichen Tribut einzusenden hatte. »Gut, ich träumte von ihm.« – »Von Alexandros?« – »Nein, du Närrin, von dem schönen Anicius.« – »Aber der Bestellte wartet schon lange draußen in der geheimen Nische.« – »Er ist ungeduldig,« lächelte der kleine Mund, »nun, so laß ihn ein.« Und sie legte sich auf dem langen Divan zurück, eine Decke von Purpurseide über sich ziehend; aber die feinen Knöchel der schönen Füße blieben sichtbar. Galatea schob den Riegel vor den Haupteingang, durch welchen sie eingetreten und ging dann quer durch das Gemach zu der Ecke gegenüber, die durch eine eherne Kolossalstatue Justinians ausgefüllt war. Die scheinbar unbewegliche Last wich sofort zur Seite, sowie die Vertraute eine Feder berührte, und zeigte eine schmale Öffnung in der Wand, welche durch die Statue in ihrer gewöhnlichen Stellung vollständig verdeckt wurde: ein dunkler Vorhang war vor den Spalt gezogen. Galatea hob den Vorhang auf und herein eilte Alexandros, der schöne junge Gesandte. Er warf sich vor der Kaiserin aufs Knie, ergriff ihre schmale Hand und bedeckte sie mit glühenden Küssen. Theodora entzog sie ihm leise. – »Es ist sehr unvorsichtig, Alexandros,« sagte sie, den schönen Kopf zurücklehnend, »den Geliebten zur Ankleidung zuzulassen.« Wie sagt der Dichter? »Alles dienet der Schönheit. Doch ist kein erfreulicher Anblick, das entstehen zu sehn was nur entstanden gefällt.« »Allein ich hab’ es dir bei der Abreise nach Ravenna verheißen, dich einmal in meiner Morgenstunde vorzulassen. Und du hast deinen Lohn reichlich verdient. Du hast viel für mich gewagt. – – Fasse die Flechten fester!« rief sie Galatea zu, die an die ihr allein zustehende Arbeit gegangen war, das prachtvolle Haar der Gebieterin zu ordnen. – »Du hast das Leben für mich gewagt.« – Und sie reichte ihm wieder zwei Finger der rechten Hand. »O Theodora,« rief der Jüngling, »für diesen Augenblick würd’ ich zehnmal sterben.« »Aber,« fuhr sie fort, »warum hast du mir nicht auch von dem letzten Brief der Barbarin an Justinian Abschrift zukommen lassen?« – »Es war nicht mehr möglich, es ging zu rasch. Ich konnte von meinem Schiff keinen Boten mehr senden: kaum gelang es gestern, nach der Landung, dir sagen zu lassen, daß ihr Bild bei den Geschenken sei. Du kamst im rechten Augenblick.« »Ja, was würde aus mir, wenn ich die Thürsteher Justinians nicht doppelt so hoch besoldete als er? Aber Unvorsichtigster aller Gesandten, wie täppisch war das mit der Jahrzahl!« »O schönste Tochter von Kypros, ich hatte dich mondenlang nicht mehr gesehen. Ich konnte nichts denken als dich und deine berauschende Schönheit.« »Nun, da muß ich wohl verzeihen. Das schwarze Stirnband Galatea! Du bist ein besserer Liebhaber als Staatsmann. Deshalb hab’ ich dich auch hier behalten. Ja, du solltest wieder nach Ravenna. Aber ich denke, ich schicke einen ältern Gesandten und behalte den jungen für mich. Ist’s recht so?« lächelte sie, die Augen halb schließend. Alexandros, kühner und glühender werdend, sprang auf und drückte einen Kuß auf ihre roten Lippen. »Halt ein, Majestätsverbrecher,« schalt sie, und schlug mit dem Flamingofächer leicht seine Wange. »Jetzt ist’s genug für heute. Morgen magst du wieder kommen und von jener Barbarenschönheit erzählen. Nein, du mußt jetzt gehn. Ich brauche diese Morgenstunde noch für einen andern.« »Für einen andern!« rief Alexandros zurücktretend. »So ist es wahr, was man leise zischelt in den Gynäceen, in den Bädern von Byzanz? Du ewig Ungetreue hast –« »Eifersüchtig darf ein Freund Theodoras nicht sein!« lachte die Kaiserin. Es war kein schönes Lachen. »Aber für diesmal sei unbesorgt – du sollst ihm selbst begegnen. Geh.« Galatea ergriff ihn an der Schulter und drehte den Widerstrebenden ohne weiteres hinter die Statue und zur Thüre hinaus. Theodora setzte sich nun aufrecht, das faltige Untergewand mit dem Gürtel schließend. Achtzehntes Kapitel. Sogleich kam Galatea wieder zum Vorschein mit einem kleinen gebückten Mann, der viel älter aussah als seine vierzig Jahre. Kluge, aber allzuscharfe Züge, das stechende Auge, der bartlose eingekniffne Mund: – alles machte den Eindruck unangenehmer Pfiffigkeit. Theodora nickte leicht auf seine kriechende Verbeugung; Galatea begann ihr die Augenbrauen zu malen. »Kaiserin,« hob der Alte ängstlich an, »ich staune über deine Kühnheit. Wenn man mich hier sähe! Die Klugheit von neun Jahren wäre durch einen Augenblick vereitelt.« »Man wird dich aber nicht sehen, Petros,« sagte Theodora ruhig. »Diese Stunde ist die einzige, da ich vor der zudringlichen Zärtlichkeit Justinians sicher bin. Es ist seine Betstunde. Ich muß sie ausbeuten so gut ich kann. Gott erhalte ihm seine Frömmigkeit! Galatea, den Frühwein. Wie? Du fürchtest doch nicht, mich mit diesem gefährlichen Verführer allein zu lassen?« Die Alte ging mit häßlichem Grinsen und kam gleich zurück, einen Henkelkrug süßen gewärmten Chierweins in der einen Hand, Becher mit Wasser und Honig in der andern. »Ich konnte heute unsere Unterredung nicht, wie gewöhnlich, in der Kirche veranstalten, wo du in dem dunkeln Beichtstuhl einem Priester täuschend ähnlich siehst. Der Kaiser wird dich noch vor der Kirchenzeit zu sich bescheiden und du mußt zuvor genau unterrichtet sein.« »Was ist zu thun?« »Petros,« sagte Theodora, sich behaglich zurücklehnend und langsam das süße Getränk schlürfend, das Galatea mischte, »heute kam der Tag, der unsere langjährige Mühe und Klugheit lohnen und dich zum großen Mann machen wird.« »Zeit wär’ es,« meinte der Rhetor. »Nur nicht ungeduldig, Freund. (Galatea, etwas mehr Honig.) Um dich für das heutige Geschäft in die rechte Stimmung zu versetzen, wird es gut sein, dich an das Vergangne, an die Entstehungsart unserer – Freundschaft zu erinnern.« »Was soll das? Wozu ist das nötig?« sagte der Alte unbehaglich. »Zu mancherlei. Also. Du warst der Vetter und Anhänger meines Todfeindes Narses. Folglich auch mein Feind. Jahrelang hast du im Dienste deines Vetters mir entgegengearbeitet, mir wenig geschadet, dir selbst aber noch weniger genutzt. Denn Narses, dein tugendhafter Freund, setzt seine Ehre und seine Schlauheit darein, nie etwas für seine Verwandten zu thun, daß man ihn nie, wie die andern Höflinge dieses Reiches, des Nepotismus zeihen könne. Aus lauter Vorsicht und eitel Tugend ließ er dich unbefördert. Du darbtest und bliebst einfacher Schreiber. Aber ein feiner Kopf wie du weiß sich zu helfen. Du fälschtest, du verdoppeltest die Steuerausschreiben des Kaisers. Die Provinzen zahlten neben der von Justinian verlangten noch eine zweite Steuer, die Petros und die Steuererheber untereinander teilten. Eine Weile ging das vortrefflich. Aber einmal –« »Kaiserin, ich bitte dich –« »Ich bin gleich zu Ende, Freund. Aber einmal hattest du das Unglück, daß einer von den neuen Steuerboten die Gunst der Kaiserin höher anschlug als den von dir verheißnen Teil der Beute. Er ging auf deinen Antrag ein, ließ sich die Urkunde von dir fälschen und – brachte sie mir.« »Der Elende,« murrte Petros. »Ja, es war schlimm,« lächelte Theodora, den Becher wegstellend. »Ich konnte jetzt meinem boshaften Feind, dem Vertrauten des verhaßten Eunuchen, den schlauen Kopf vor die Füße legen und ich muß gestehen: es lüstete mich sehr danach, sehr! Aber ich opferte die kurze Rache einem großen, dauernden Vorteil. Ich rief dich zu mir und ließ dir die Wahl, zu sterben oder fortan mir zu dienen. Du warst gütig genug, das letztre zu wählen und so haben wir, vor der Welt nach wie vor die heftigsten Feinde, insgeheim seit Jahren zusammen gewirkt: du hast mir alle Pläne des großen Narses im Entstehen verraten und ich hab es dir wohl vergolten: du bist jetzt ein reicher Mann.« »O nicht der Rede wert.« »Bitte, Undankbarer, das weiß mein Schatzmeister besser. Du bist sehr reich.« »Wohl, aber ohne Rang und Würde. Meine Studiengenossen sind Patricier, Präfekten, große Herren in Morgen- und Abendland: so Cethegus in Rom, Prokopius in Byzanz.« »Geduld. Vom heut’gen Tage an wirst du die Leiter der Ehren rasch erklimmen. Ich mußte doch immer etwas zu geben behalten. Höre: du gehst morgen als Gesandter nach Ravenna.« »Als kaiserlicher Gesandter?« rief Petros freudig. »Durch meine Verwendung. Aber das ist nicht alles. Du erhältst von Justinian ausführliche Anweisungen, das Gotenreich zu verderben, Belisar den Weg nach Italien zu bahnen.« »Diese Anweisungen – befolg’ ich oder vereitl’ ich?« »Befolgst du. Aber du erhältst noch einen Auftrag, den dir Justinian ganz besonders ans Herz legen wird: die Tochter Theoderichs um jeden Preis aus der Hand ihrer Feinde zu retten und nach Byzanz zu bringen. Hier hast du einen Brief von mir, der sie dringend einladet, an meiner Brust ein Asyl zu suchen.« »Gut,« sagte Petros, den Brief einsteckend, »ich bringe sie also sofort hierher.« Da schnellte Theodora wie eine springende Schlange vom Lager auf, daß Galatea erschrocken zurückfuhr. »Bei meinem Zorn, Petros, nein. Dich send’ ich deshalb. Sie darf nicht nach Byzanz, sie darf nicht leben.« Bestürzt ließ Petros den Brief fallen. »O Kaiserin,« flüsterte er – »ein Mord!« »Still, Rhetor,« sprach Theodora mit heiserer Stimme und unheimlich funkelten ihre Augen. »Sie muß sterben.« »Sterben? o Kaiserin, warum?« »Warum? das hast du nicht zu fragen. Doch halt: – du sollst es wissen, es giebt deiner Feigheit einen Sporn – wisse –« und sie faßte ihn wild am Arme und raunte ihm ins Ohr: »Justinian, der Verräter, fängt an sie zu lieben.« »Theodora!« rief der Rhetor erschrocken und trat einen Schritt zur Seite. Die Kaiserin sank auf die Kline zurück. »Aber er hat sie ja nie gesehen!« stammelte sich fassend Petros. »Er hat ihr Bild gesehen: er träumt bereits von ihr, er glüht für dieses Bild.« »Du hast nie eine Rivalin gehabt.« »Ich werde dafür wachen, daß ich keine erhalte.« »Du bist so schön.« »Amalaswintha ist jünger.« »Du bist so klug, bist seine Beraterin, die Vertraute seiner geheimsten Gedanken.« »Das eben wird ihm lästig. Und« – sie ergriff wieder seinen Arm – »merke wohl: sie ist eine Königstochter! eine geborne Herrscherin, ich des Löwenwärters plebejisch Kind. Und – so wahnwitzig lächerlich es ist! – Justinian vergißt im Purpurmantel, daß er des dardanischen Ziegenhirten Sohn. Er hat den Wahnsinn der Könige geerbt, er, selbst ein Abenteurer: er faselt von angeborner Majestät, von dem Mysterium königlichen Bluts. Gegen solche Grillen hab’ ich keinen Schutz: von allen Weibern der Erde fürchte ich nichts: aber diese Königstochter – –« Sie sprang zürnend auf und ballte die kleine Hand. »Hüte dich, Justinian!« sagte sie durchs Gemach schreitend. »Theodora hat mit diesem Auge, mit dieser Hand Löwen und Tiger bezaubert und beherrscht: laß sehen, ob ich nicht diesen Fuchs im Purpur in Treue erhalten kann.« Sie setzte sich wieder. »Kurz, Amalaswintha stirbt,« sagte sie, plötzlich wieder kalt geworden. »Wohl,« erwiderte der Rhetor, »aber nicht durch mich. Du hast der blutgewohnten Diener genug. Sie sende; ich bin ein Mann der Rede. –« »Du bist ein Mann des Todes, wenn du nicht gehorchst. Gerade du, mein Feind, mußt es thun: keiner meiner Freunde kann es ohne Verdacht.« »Theodora,« mahnte der Rhetor sich vergessend, »die Tochter des großen Theoderich ermorden, eine geborne Königin – –« »Ha,« lachte Theodora grimmig, »auch dich Armseligen blendet die geborne Königin. Narren sind die Männer alle, noch mehr als Schurken! Höre, Petros, an dem Tage, da die Todesnachricht aus Ravenna eintrifft, bist du Senator und Patricius.« Wohl blitzte des Alten Auge. Aber Feigheit oder Gewissensangst war doch mächtiger als der Ehrgeiz. »Nein,« sagte er entschlossen, »lieber lasse ich den Hof und alle Pläne.« »Das Leben läss’st du, Elender!« rief Theodora zornig. »O, du wähntest, du seiest frei und ungefährdet, weil ich damals vor deinen Augen die gefälschte Urkunde verbrannt? Du Thor! es war die rechte nicht! Sieh her – hier halte ich dein Leben.« Und sie riß aus einer Capsula voller Dokumente ein vergilbtes Pergament. Sie zeigte es dem Erschrocknen, der jetzt willenlos in die Kniee brach. »Befiehl,« stammelte er, »ich gehorche.« Da pochte man an die Hauptthüre. »Hinweg,« rief die Kaiserin. »Hebe meinen Brief an die Gotenfürstin vom Boden auf und bedenk es wohl: Patricius, wenn sie stirbt, Folter und Tod, wenn sie lebt. Fort.« Und Galatea schob den Betäubten durch den geheimen Eingang hinaus, drehte den bronzenen Justinian wieder an seine Stelle und ging, die Hauptthür aufzuthun. Neunzehntes Kapitel. Herein trat eine stattliche Frau, größer und von gröberen Formen als die kleine, zierliche Kaiserin, nicht so verführerisch schön, aber jünger und blühender, mit frischen Farben und ungekünstelter Art. »Gegrüßt, Antonina, geliebtes Schwesterherz! komm an meine Brust!« rief die Kaiserin der tief sich Verbeugenden entgegen. Die Gattin Belisars gehorchte schweigend. »Wie diese Augengruben hohl werden!« dachte sie, sich wieder aufrichtend. »Was das Soldatenweib für grobe Knöchel hat!« sagte die Kaiserin zu sich selbst, da sie die Freundin musterte. – »Blühend bist du wie Hebe,« rief sie ihr laut zu, »und wie die weiße Seide deine frischen Wangen hebt! Hast du etwas neues mitzuteilen von – von ihm?« fragte sie und nahm gleichgültig spielend vom Waschtisch ein gefürchtetes Werkzeug, eine spitze Lanzette an einem Stäbchen von Elfenbein, mit welchem ungeschickte oder auch nur unglückliche Sklavinnen von der zürnenden Herrin oft zolltief in Schultern und Arme gestochen wurden. »Heute nicht,« flüsterte Antonina errötend, »ich hab’ ihn gestern nicht gesehn.« »Das glaub’ ich,« lächelte Theodora in sich hinein. »O wie schmerzlich werd’ ich dich bald vermissen,« sagte sie, Antoninens vollen Arm streichelnd. »Schon in der nächsten Woche vielleicht wird Belisarius in See stechen und du, treuste aller Gattinnen, ihn begleiten. Wer von euren Freunden wird euch folgen?« »Prokopius,« sagte Antonina, »und« – setzte sie, die Augen niederschlagend, hinzu – »die beiden Söhne des Boëthius.« »Ah so,« lächelte die Kaiserin, »ich verstehe. In der Freiheit des Lagerlebens hoffst du dich des schönen Jünglings ungestörter zu erfreuen und indessen Held Belisarius Schlachten schlägt und Städte gewinnt –« »Du errätst es. Aber ich habe dabei eine Bitte an dich. Dir freilich ward es gut. Alexandros, dein schöner Freund ist zurück: er bleibt in deiner Nähe und er ist sein eigner Herr, ein reifer Mann. Aber Anicius, du weißt es, der Jüngling, steht unter seines altern Bruders Severinus strenger Hut. Nie würde dieser, der nur Rache an den Barbaren sinnt und Freiheitsschlachten, diese zarte – Freundschaft dulden. Er würde unsern Verkehr tausendfach stören. Deshalb thu’ mir eine Liebe: Severinus darf uns nicht folgen. Wenn wir an Bord sind mit Anicius, halte den ältern Bruder in Byzanz zurück mit List oder Gewalt – du kannst es ja leicht – du bist die Kaiserin.« »Nicht übel,« lächelte Theodora. »Welche Kriegslisten! Man sieht, du lernst von Belisarius.« Da erglühte Antonina über und über. »O nenne seinen Namen nicht. Und höhne nicht! Du weißt am besten, von wem ich gelernt, zu thun, worüber man erröten muß.« Theodora schoß einen funkelnden Blick auf die Freundin. »Der Himmel weiß,« fuhr diese fort, ohne es zu beachten, »Belisar selbst war nicht treuer als ich, bis ich an diesen Hof kam. Du warst es, Kaiserin, die mich gelehrt, daß diese selbstischen Männer, von Krieg und Staat und Ehrgeiz erfüllt, uns, wenn sie einmal unsre Eheherrn, vernachlässigen, uns nicht mehr würdigen, wann sie uns besitzen. Du hast mich gelehrt, wie es keine Sünde, kein Unrecht sei, die unschuldige Huldigung, die schmeichelnde Verehrung, die der tyrannische Gemahl versagt, von einem noch hoffenden und deshalb noch dienenden Freunde hinzunehmen. Gott ist mein Zeuge, nichts andres als diesen süßen Weihrauch der Huldigung, den Belisar versagt und den mein eitles, schwaches Herz nicht missen kann, will ich von Anicius.« »Zum Glück für mich wird das sehr bald langweilig für ihn,« sagte Theodora zu sich selbst. »Und doch – schon dies ist ein Verbrechen, fürcht’ ich, an Belisar. O wie ist er groß und edel und herrlich. Wenn er nur nicht allzugroß wäre für dies kleine Herz.« – Und sie bedeckte das Antlitz mit den Händen. »Die Erbärmliche,« dachte die Kaiserin, »sie ist zu schwach zum Genuß wie zur Tugend.« Da trat Agave, die hübsche junge Thessalierin, ins Gemach mit einem großen Strauß herrlicher Rosen. »Von ihm,« flüsterte sie der Herrin zu. – »Von wem?« fragte diese. Aber jetzt sah Antonina auf und Agave winkte warnend mit den Augen. Die Kaiserin reichte Antoninen den Strauß, sie zu beschäftigen, »bitte, stell’ ihn dort in die Marmorvase.« Während die Gattin Belisars den Rücken wendend gehorchte, flüsterte Agave: »Nun, von ihm, den du gestern den ganzen Tag hier versteckt gehalten: – von dem schönen Anicius –« setzte das holde Kind errötend bei. Aber kaum hatte sie das unvorsichtige Wort gesagt, als sie laut schreiend nach ihrem linken Arme griff. Die Kaiserin schlug sie mit der noch blutigen Lanzette ins Gesicht. »Ich will dich lehren, Augen haben, ob Männer schön sind oder häßlich,« flüsterte sie grimmig. »Du läßt dich in die Spinnstube sperren auf vier Wochen – sogleich – und zeigst dich nie mehr in meinen Vorzimmern. Fort!« Weinend ging das Mädchen, ihr Haupt verhüllend. »Was hat sie gethan?« fragte Antonina sich wendend. »Das Riechfläschchen fallen lassen,« sagte Galatea rasch, ein solches von dem Teppich aufhebend. – »Herrin, dein Haar ist fertig.« »So laß die Ankleiderinnen ein und wer sonst im Vorsaal. – Willst du einstweilen in diesen Versen blättern, Antonina? Es sind die neuesten Gedichte des Arator, »über die Thaten der Apostel«, gar erbaulich zu lesen! Zumal hier, die Steinigung des heiligen Stephanos! Aber lies und sprich sein Urteil.« Galatea öffnete weit die Thüre des Haupteingangs: ein ganzer Schwarm von Sklavinnen und Freigelassenen wogte herein. Die einen besorgten das Hinausräumen der gebrauchten Toilettegeräte, andre räucherten mit Kohlenpfännchen und sprengten aus schmalhalsigen Fläschchen Balsam durch das Gemach. Die meisten aber waren um die Person der Kaiserin beschäftigt, die jetzt ihren Anzug vollendete. Galatea nahm ihr den Rosaüberwurf ab. »Berenike,« rief sie, »die milesische Tunika mit dem Purpurstreif und der goldnen Falbel: es ist Sonntag heute.« Während die erfahrene Alte, die allein das Haar der Kaiserin berühren durfte, die kostbare Goldnadel, mit der Venusgemme im Knopf, künstlich in die Knoten des Hinterhauptes schob, fragte die Kaiserin: »Was giebt es neues in der Stadt, Delphine?« »Du hast gesiegt, o Herrin!« antwortete die Gefragte, mit den Goldsandalen niederknieend. »Deine Farbe, die Blauen, haben gestern im Cirkus gesiegt über die Grünen zu Roß und Wagen.« »Triumph!« frohlockte Theodora, »eine Wette von zwei Centenaren Gold, – es ist mein. – Nachrichten? woher? aus Italien?« rief sie einer eben mit Briefen eintretenden Dienerin entgegen. »Jawohl, Herrin, aus Florentia von der Gotenfürstin Gothelindis: ich kenne das Gorgonensiegel: und von Silverius, dem Diakon.« »Gieb,« sagte Theodora, »ich nehme sie mit in die Kirche. Den Spiegel, Elpis.« – Eine junge Sklavin trat vor mit einer ovalen drei Fuß langen Platte von glänzend polirtem Silber in einem reich mit Perlen besetzten Goldrahmen und getragen von einem starken Fuß von Elfenbein. Die arme Elpis hatte harten Dienst. Sie mußte während der Vollendung des Ankleidens die schwere Platte bei jeder Bewegung der unruhigen Herrin sofort dermaßen drehen, daß diese sich ununterbrochen darin beschauen konnte und weh’ ihr, wenn sie einer Wendung zu spät nachfolgte. »Was giebt es zu kaufen, Zephyris?« fragte die Kaiserin eine dunkelfarbige libysche Freigelassene, die ihr eben die zahme Hausschlange, die in einem Körbchen auf weichem Moose ruhte, zur Morgenliebkosung reichte. »Ach, nicht viel Besondres,« sagte die Libyerin, – »komm, Glauke,« fuhr sie fort, indem sie die blendend weiße golddurchwirkte Chlamys aus der Kleiderpresse nahm und sorgfältig auf den Armen ausgebreitet hielt, bis die Gerufene ihr sie abnahm, mit Einem Wurf der Kaiserin in den schönsten Falten über die Schulter schlug, mit dem weißen Gürtel zusammenfaßte und das eine Ende mit einer Goldspange, die einst die Taube der Venus, jetzt aber im Gegenteil den heiligen Geist darstellte, über der weißen Achsel befestigte. Glauke, die Tochter eines athenischen Bildhauers, hatte jahrelang den Faltenwurf studirt, war deshalb von der Kaiserin um viele tausend Solidi angekauft worden und hatte den ganzen Tag über nur dies einzige Geschäft. »Duftige Seifenkugeln aus Spanien,« berichtete Zephyris, »sind wieder frisch angekommen. Ein neues milesisches Märchen ist erschienen und der alte Ägypter ist wieder da,« setzte sie leiser hinzu, »mit seinem Nilwasser. Er sagt, es helfe unfehlbar. Die Perserkönigin, die acht Jahre kinderlos – –« Seufzend wandte sich Theodora ab, ein Schatte flog über das glatte Gesicht. »Schick’ ihn fort,« sagte sie, »diese Hoffnung ist vorüber.« – Und es war einen Augenblick, als wollte sie in trübes Sinnen versinken. Aber sich aufraffend trat sie, Galateen winkend, zu ihrem Lager zurück, nahm den zerdrückten Eppichkranz, der auf ihrem Kopfkissen lag und gab ihn der Alten mit den geflüsterten Worten: »für Anicius, schick’ es ihm zu. – Den Schmuck, Erigone!« Diese, von zwei andern Sklavinnen unterstützt, trug mühsam die schwere Kiste von Erz herbei, deren Deckel, in getriebnen Figuren die Werkstätte des Vulcanus darstellend, mit dem Siegel der Kaiserin an die Lade befestigt war. Erigone zeigte, daß das Siegel unverletzt und schlug den Deckel auf: neugierig stellte sich da manches Mädchen auf die Fußspitzen, einen Blick von den schimmernden Schätzen zu erhaschen. »Willst du noch die Sommerringe, Herrin?« fragte Erigone. – »Nein,« sprach Theodora wählend, »die Zeit dafür ist um. Gieb mir die schwereren, die Smaragden.« Erigone reichte ihr Ohrringe, Fingerring und Armband. »Wie schön,« sagte Antonina, von ihren frommen Versen aufsehend, »steht das Weiß der Perle zu dem Grün des Steins!« »Es ist ein Schatzstück der Kleopatra,« sagte die Kaiserin gleichgültig, »der Jude hat den Stammbaum der Perle eidlich erhärtet.« »Aber du zögerst lange,« erinnerte Antonina, »Justinians Goldsänfte harrte schon als ich herauf kam.« »Ja, Herrin,« rief eine junge Sklavin ängstlich, »der Sklave vor der Sonnenuhr sagte schon die vierte Stunde an. Eile, Herrin.« Ein Stich mit der Lanzette war die Antwort. »Willst du die Kaiserin mahnen?« Aber Antoninen flüsterte sie zu: »Man muß die Männer nicht verwöhnen: sie müssen immer auf uns warten, wir nie auf sie. Meinen Straußenfächer, Thais. Geh, Jone, die kappadokischen Sklaven sollen an meine Sänfte treten.« Und sie wandte sich zum Gehen. »O Theodora,« rief Antonina rasch, »vergiß meine Bitte nicht.« »Nein,« sagte diese, plötzlich stehen bleibend, »gewiß nicht! Und damit du ganz sicher gehst,« lächelte sie, »leg’ ich’s in deine eigne Hand. Meine Wachstafel und den Stift.« Galatea brachte sie eilig. Theodora schrieb und flüsterte der Freundin zu: »Der Präfekt des Hafens ist einer meiner alten Freunde. Er gehorcht mir blind. Lies, was ich schreibe: »An Aristarchos den Präfekten Theodora die Kaiserin. Wenn Severinus, des Boëthius Sohn, das Schiff des Belisarius besteigen will, halt’ ihn, nötigenfalls mit Gewalt, zurück und sende ihn hierher in meine Gemächer: er ist zu meinem Kämmerer ernannt. Ist’s recht so, liebe Schwester?« flüsterte sie. »Tausend Dank,« sagte diese mit leuchtenden Augen. »Aber wie,« rief die Kaiserin laut, plötzlich an ihren Hals fassend, »und die Hauptsache hätten wir vergessen? Mein Amulet, den Mercurius! Bitte, Antonina, dort liegt es.« Hastig wandte sich diese, den kleinen goldnen Merkur, den besten Geleitsmann, der an seidner Schnur an dem Bette der Kaiserin hing, zu holen. Inzwischen aber strich Theodora schnell das Wort »Severinus« mit dem Goldgriffel aus, und schrieb dafür »Anicius«. Sie klappte das Täfelchen zusammen, umschnürte und siegelte es mit ihrem Venusring. »Hier das Amulet,« sagte Antonina zurückkommend. »Und hier der Befehl!« lächelte die Kaiserin. »Du magst ihn selbst im Augenblick der Abfahrt an Aristarchos übergeben. Und jetzt,« rief sie, »jetzt auf: in die Kirche.« Zwanzigstes Kapitel. In Neapolis, derjenigen Stadt Italiens, über welcher die zu Byzanz aufsteigenden Wetterwolken sich zuerst entladen sollten, ahnte man nichts von einer drohenden Gefahr. Da wandelten damals Tag für Tag an den reizenden Hängen, welche nach dem Posilipp führen, oder an den Uferhöhen im Südosten der Stadt, in vertrautem Gespräch, alle Wonnen jugendlich begeisterter Freundschaft genießend, zwei herrliche Jünglinge, der eine in braunen, der andre in goldnen Locken: die Dioskuren, Julius und Totila. O schöne Zeit, da es die reine Seele, umweht von der frischen Morgenluft des Lebens, noch unenttäuscht und unermüdet, trunken von der Fülle stolzer Träume, drängt, hinüberzufluten in ein gleich junges, gleich reiches, gleich überschwängliches Gemüt. Da stärkt sich der Vorsatz zu allem Edelsten, der Aufschwung zu dem Höchsten, der Flug bis in die lichte Nähe des Göttlichen wird in der Mitteilung gewagt, in der seligen Gewißheit, verstanden zu sein. Wenn der Blütenkranz in unsren Locken gewelkt ist und die Ernte unsres Lebens beginnt, mögen wir lächeln über jene Träume der Jünglingszeit und Jünglingsfreundschaft; aber es ist kein Lächeln des Spottes; es ist ein Ausdruck von jener Wehmut, mit der wir in nüchterner Herbstluft der süßen, berauschenden Lüfte des ersten Frühlings gedenken. – Der junge Gote und der junge Römer hatten sich gefunden in der glücklichsten Zeit für einen solchen Bund und sie ergänzten sich wunderbar. Totilas sonnige Seele hatte den vollen Schmelz der Jugend bewahrt: lachend sah er in die lachende Welt: er liebte den Menschen und der Glanz seines wohlwollenden Wesens gewann ihm leicht und rasch alle Herzen. Er glaubte nur an das Gute und des Guten Sieg: traf er das Böse, das Gemeine auf seinem Pfad, so trat er es mit dem heilig lodernden Zorn eines Erzengels in den Staub: durch seine sanfte Natur brach dann, den Helden verratend, die gewaltige Kraft, die in ihr ruhte und nicht eher ließ er ab, bis das verhaßte Element aus seinem Lebenskreise getilgt war. Aber im nächsten Augenblick war dann die Störung wie überwunden so vergessen und harmonisch wie seine Seele fühlte er ringsum Welt und Leben. Stolz und froh empfand er die Vollkraft seiner Jugend und jauchzend drückte er das goldne Dasein an die Brust. Singend schritt er durch die wimmelnden Straßen von Neapolis, der Abgott der Mädchen, der Stolz seiner gotischen Waffenfreunde, wie ein Gott der Freude, beglückend und beglückt. Der helle Zauber seines Wesens teilte sich selbst der stilleren Seele seines Freundes mit. Julius Montanus, zart und sinnig angelegt, eine fast weibliche Natur, früh verwaist und von Cethegus’ hochüberlegnem Geist eingeschüchtert, in Einsamkeit und unter Büchern aufgewachsen, von der trostlosen Wissenschaft jener Zeit mehr belastet als gehoben, sah das Leben ernst, fast wehmütig an. Ein Zug zur Entsagung und die Neigung, alles Bestehende an dem strengen Maß übermenschlicher Vollendung zu messen, lag in ihm und mochte sich leicht bis zur Schwermut verdüstern. Zur glücklichen Stunde fiel Totilas sonnige Freundschaft in seine Seele und erhellte sie bis in ihre tiefsten Falten so mächtig, daß seine edle Natur auch von einem schweren Schlage sich wieder elastisch aufrichten konnte, den eben diese Freundschaft auf sein Haupt ziehen sollte. Hören wir ihn selbst darüber an den Präfekten berichten: »Cethegus dem Präfekten Julius Montanus. Die kaltherzige Antwort, die du auf den warmgefühlten Bericht von meinem neuen Freundschafts-Glück erteiltest, hat mir zuerst – gewiß gegen deine Absicht – sehr wehe gethan, später aber das Glück eben dieser Freundschaft erhöht, freilich in einer Weise, welche du weder ahnen noch wünschen konntest. Der Schmerz durch dich hat sich bald in Schmerz um dich verwandelt. Wollte es mich anfangs kränken, daß du meine tiefste Empfindung als die Schwärmerei eines kranken Knaben behandeltest und die Heiligtümer meiner Seele mit bittrem Spott antasten wolltest – nur wolltest, denn sie sind unantastbar, – so ergriff mich doch statt dessen bald das Gefühl des Mitleids mit dir. Wehe, daß ein Mann wie du, so überreich an Kräften des Geistes, darbest an den Gütern des Herzens. Wehe, daß du die Wonne der Hingebung nicht kennst und jene opferfreudige Liebe, die ein von dir mehr verspotteter als verstandner Glaube, den mir jeder Tag des Schmerzes näher bringt, die _caritas_, die Nächstenliebe, nennt: Wehe dir, daß du das Herrlichste nicht kennst! Vergieb die Freiheit dieser meiner Rede: ich weiß, ich habe noch nie in solchen Worten zu dir gesprochen: aber erst seit kurzem bin ich, der ich bin. Vielleicht nicht ganz mit Unrecht hat noch dein letzter Brief Spuren von Knabenhaftigkeit an mir gegeißelt. Ich glaube, sie sind seitdem verschwunden und ein Verwandelter sprech’ ich zu dir. Dein Brief, dein Rat, deine »Arzenei« hat mich allerdings zum Manne gereift, aber nicht in deinem Sinn und nicht nach deinem Wunsch. Schmerz, heiligen, läuternden Schmerz hat er mir gebracht, er hat diese Freundschaft, die er verdrängen sollte, auf eine harte Probe gestellt, aber, der Güte Gottes sei’s gedankt, er hat sie im Feuer nicht zerstört, sondern gehärtet für immer. Höre und staune, was der Himmel aus deinen Plänen geschaffen hat. Wie wehe mir dein Brief gethan, – in alter Gewohnheit des Gehorsams befolgte ich alsbald seinen Auftrag und suchte deinen Gastfreund auf, den Purpurhändler Valerius Procillus. Er hatte bereits die Stadt verlassen und seine reizende Villa bezogen. Ich fand an ihm einen vielerfahrnen Mann und einen eifrigen Freund der Freiheit und des Vaterlandes: in seiner Tochter Valeria aber ein Kleinod. Du hattest recht prophezeit. Meine Absicht, mich gegen sie zu verschließen, zerschmolz bei ihrem Anblick wie Nebel vor der Sonne: mir war Elektra oder Kassandra, Clölia oder Virginia stehe vor mir. Aber mehr noch als ihre hohe Schönheit bezauberte mich der Schwung ihrer unsterblichen Seele, die sich alsbald vor mir aufthat. Ihr Vater behielt mich sogleich als seinen Gast im Hause und ich verlebte unter seinem Dach mit ihr die schönsten Tage meines Lebens. Die Poesie der Alten ist der Äther ihrer Seele. Wie rauschten die Chöre des Äschylos, wie rührend tönte Antigones Klage in ihrer melodischen Stimme; stundenlang lasen wir in Wechselrede und herrlich war sie zu schauen, wann sie sich erhob im Schwunge der Begeisterung, wann ihr dunkles Haar, in freie Wellen gelöst, niederfloß und aus ihrem großen runden Auge ein Feuer blitzte nicht von dieser Welt. Und, – was ihr vielleicht noch tiefen Schmerz bereiten wird, – eine Spaltung, die durch all’ ihr Leben geht, giebt ihr den höchsten Reiz. Du ahnst wohl, was ich meine, da du seit Jahren das Schicksal ihres Hauses kennst. Du weißt wohl genauer als ich, wie es kam, daß Valeria schon bei ihrer Geburt von ihrer frommen Mutter einem ehelosen, einsamen Leben in Werken der Andacht geweiht, dann aber von ihrem reichen und mehr römisch als christlich gesinnten Vater um den Preis einer Kirche und eines Klosters, die er baute, losgekauft worden ist. Aber Valeria glaubt, daß der Himmel nicht totes Gold nehme für eine lebendige Seele: sie fühlt sich der Bande jenes Gelübdes nicht ledig, deren sie ewig, aber nur in Furcht, nicht in Liebe, gedenkt. Denn du hattest recht als du schriebst: sie sei durch und durch ein Kind der alten, der heidnischen Welt. Das ist sie, die echte Tochter ihres Vaters: aber doch kann sie der frommen Mutter entsagend Christentum nicht abthun: es lebt nicht in ihr als ein Segen, es lastet auf ihr als ein Fluch, als der unentrinnbare Zwang jenes Gelübdes. Diesen wundersamen Zwiespalt, diesen verhängnisvollen Widerstreit trägt die edle Jungfrau im Gemüt: er quält sie, aber er veredelt sie zugleich. Wer weiß, wie er sich lösen wird? der Himmel allein, der ihr Schicksal lenkt. Mich aber zieht dieser innere Kampf mit ernsten Schauern an: du weißt ja, daß in mir selbst der Christenglaube und die Philosophie in ungeklärter Mischung durcheinander wogen. Zu meinem Staunen hat in diesen Tagen des Schmerzes der Glaube zugenommen und fast will mich bedünken, die Freude führe zu der heidnischen Weisheit, zu Christus aber der Schmerz und das Unglück. Aber höre wie der Schmerz über mich gekommen. Anfangs, als ich diese Liebe in mir keimen sah, war ich froher Hoffnung voll. Valerius, vielleicht schon früher von dir für mich gewonnen, sah meine wachsende Neigung offenbar nicht ungern: vielleicht hatte er nur das an mir auszusetzen, daß ich seinen Traum von der Wiederaufrichtung der römischen Republik nicht eifrig genug teilte und nicht seinen Haß gegen die Byzantiner, in denen er die Todfeinde seines Hauses wie Italiens sieht. Auch Valeria war mir bald freundschaftlich geneigt und wer weiß ob nicht damals die Verehrung gegen den Willen ihres Vaters und diese Freundschaft genügt hätten, sie in meine Arme zu führen. Aber ich danke, – soll ich sagen Gott oder dem Schicksal? – daß es nicht so kam: Valeria einer halb gleichgültigen Ehe opfern wäre ein Frevel gewesen. Ich weiß nicht, welches seltsame Gefühl mich abhielt das Wort zu sprechen, das sie in jenen Tagen gewiß zu der Meinen gemacht hätte. Ich liebte sie doch so tief: – aber so oft ich mir ein Herz fassen und bei ihrem Vater um sie werben wollte, immer beschlich mich ein Gefühl, als thu’ ich Unrecht an dem Gut eines andern, als sei ich ihrer nicht würdig oder doch nicht die ihr vom Schicksal zugedachte Hälfte ihrer Seele und ich schwieg und bezähmte das pochende Herz. Einstmals um die sechste Stunde, – schwül brannte die Sonne rings auf Land und Meer – suchte ich Schatten in der kühlen Marmorgrotte des Gartens. Ich trat ein durch das Oleandergebüsch: da lag sie schlafend auf der weichen Rasenbank, die eine Hand auf dem leise wogenden Busen, der linke Arm unter dem edeln Haupt, das noch vom Frühmahl her der schöne Asphodeloskranz schmückte. Ich stand bebend vor ihr: so schön war sie noch nie gewesen, ich beugte mich über sie und staunte die edeln, wie in Marmor gebildeten Züge an: heiß schlug mein Herz, ich beugte mich über sie, diese roten feingeschnittenen Lippen zu küssen. Da fiel mir’s plötzlich centnerschwer aufs Herz: es ist ein Raub, was du begehen willst. Totila! rief unwillkürlich meine ganze Seele und still, wie ich gekommen, schlich ich fort. Totila! Was war er mir nicht früher eingefallen? Ich machte mir Vorwürfe, den Bruder meines Herzens über dem neuen Glück fast vergessen zu haben. Deine Prophezeiung, Cethegus, dachte ich, soll sich nicht erfüllen: diese Liebe soll mich dem Freunde nicht entfremden. Er soll Valeria sehen, gleich mir bewundern, meine Wahl lobpreisen und dann, dann will ich werben und Totila soll glücklich sein mit uns. Andern Tages ging ich nach Neapolis zurück, ihn zu holen. Ich pries ihm den Schimmer des Mädchens, aber ich vermochte es nicht über mich, ihm von meiner Liebe zu sprechen. Er sollte sie sehen und alles erraten. Wir fanden sie bei unserer Ankunft nicht in den Zimmern der Villa. So führte ich Totila in den Garten – Valeria ist die eifrigste Pflegerin der Blumen – wir bogen, Totila voran, aus einem dichten Taxusgang: da schimmerte uns ihre Erscheinung plötzlich entgegen: sie stand vor einer Statue ihres Vaters und kränzte sie mit frischgepflückten Rosen, die sie, hoch aufgehäuft in der Busenfalte der Tunika, mit der Linken auf der Brust zusammenhielt. Es war ein überraschend schönes Bild: die herrliche Jungfrau, in dem Grün des Taxus gleichsam eingerahmt, vor dem weißen Marmor, die Rechte anmutvoll erhebend: und mächtig wirkte die Erscheinung auf Totila: mit einem lauten Ruf des Staunens blieb er sprachlos, ihr gerade gegenüber, stehen. Sie sah auf und zuckte erschrocken, wie blitzgetroffen, zusammen: die Rosen fielen in dichten Flocken aus ihrem Gewand: sie sah es nicht: ihre Augen hatten sich getroffen, ihre Wangen erglühten: – ich sah mit Blitzesschnelle ihr Geschick und mein Geschick entschieden. Sie liebten sich beim ersten Anblick. Schmerzlich, wie ein brennender Pfeil, durchdrang die Gewißheit meine Seele. Aber doch nur einen Augenblick herrschte der Schmerz ungemischt in meiner Brust. Sofort, wie ich die beiden betrachtete, die herrlichen Gestalten, empfand ich neidlose Freude, daß sie sich gefunden: denn es war, wie wenn die Macht, die der Sterblichen Leiber bildet und Seelen, sie aus Einem Stoff für einander geschaffen: wie Morgensonne und Morgenröte schimmerten sie ineinander und jetzt erkannte ich auch das dunkle Gefühl, das mich wie ein Vorwurf von Valeria fern gehalten, das mir _seinen_ Namen auf die Lippen geführt hatte: sein sollte Valeria werden nach Gottes Ratschluß oder dem Gang der Sterne und ich sollte nicht zwischen sie treten. Erlaß mir, das Weitere zu berichten. Denn so selbstisch ist mein Sinn geartet, sowenig Macht hat noch die heilige Lehre des Entsagens über mich gewonnen, daß – ich schäme mich, das zu gestehen – daß mein Herz auch jetzt noch manchmal schmerzlich zuckt, statt freudig zu schlagen für das Glück der Freunde. Rasch und unscheinbar, wie zwei Flammen ineinander lodern, schlugen ihre Seelen zusammen. Sie lieben sich und sind glücklich wie die seligen Götter: mir ist die Freude geblieben, ihr Glück zu schauen und ihnen beizustehen, es noch vor dem Vater zu verbergen, der sein Kind wohl schwerlich dem »Barbaren« schenken wird, solang er in Totila nur den »Barbaren« sieht. Meine Liebe aber und ihren Opfertod halt’ ich vor dem Freunde tief verborgen: er ahnt nicht und soll nie erfahren, was sein glänzend Glück nur trüben könnte. Du siehst nun, o Cethegus, wie weit ab von deinem Ziel ein Gott deinen Plan gewendet. Mir hast du jenes Kleinod Italiens bringen wollen und hast es Totila zugeführt. Meine Freundschaft hast du zerstören wollen und hast sie in den Gluten heiliger Entsagung von allem Irdischen befreit und unsterblich gemacht. Du hast mich zum Manne machen wollen durch der Liebe Glück: – ich bin’s geworden durch der Liebe Schmerz. Lebe wohl und verehre das Walten des Himmels.« Einundzwanzigstes Kapitel. Wir unterlassen es, den Eindruck dieses Schreibens auf den Präfekten auszumalen, und begleiten lieber die beiden Dioskuren auf einem ihrer Abendspaziergänge an den reizenden Ufergeländen von Neapolis. Sie wandelten nach der früh beendigten Coena durch die Stadt und zur Porta nolana hinaus, die in schon halb verwitterten Reliefs die Siege eines römischen Imperators über germanische Stämme verherrlichte. Totila blieb stehen und bewunderte die schöne Arbeit. »Wer ist wohl der Kaiser,« fragte er den Freund, »dort auf dem Siegeswagen, mit dem geflügelten Blitz in der Hand, wie ein Jupiter Tonans?« – »Es ist Marc Aurel,« sagte Julius und wollte weitergehen. – »O bleib doch! Und wer sind die vier Gefesselten mit den langwallenden Haaren, die den Wagen ziehn?« »Es sind Germanenkönige.« – »Doch welches Stammes?« fragte Totila weiter – »sieh da, eine Inschrift: »_Gothi extincti!_« »Die Goten vernichtet!«« Laut lachend schlug der junge Gote mit flacher Hand auf die Marmorsäule und schritt rasch durch das Thor. »Eine Lüge in Marmor!« rief er rückwärts blickend. »Das hat der Imperator nicht gedacht, daß einst ein gotischer Seegraf in Neapolis seine Prahlereien Lügen straft.« – »Ja, die Völker sind wie die wechselnden Blätter am Baume,« sagte Julius nachdenklich; »wer wird nach euch in diesen Landen herrschen?« Totila blieb stehen. »_Nach uns?_« fragte er erstaunt. – »Nun, du wirst doch nicht glauben, daß deine Goten ewig dauern werden unter den Völkern?« »Das weiß ich doch nicht,« sagte Totila, langsam fortschreitend. – »Mein Freund, Babylonier und Perser, Griechen und Makedonen und, wie es scheinen will, auch wir Römer hatten ihre zugemessene Zeit: sie blühten, reisten und vergingen. Soll’s anders sein mit den Goten?« »Ich weiß das nicht,« sagte Totila unruhig, »ich habe den Gedanken nie gedacht. Es ist mir noch nie eingefallen, daß eine Zeit kommen könnte, da mein Volk« – – er hielt inne, als sei es Sünde, den Gedanken auszudenken. »Wie kann man sich dergleichen vorstellen! ich denke daran so wenig wie – wie an den Tod!« »Das sieht dir gleich, mein Totila!« »Und dir sieht es gleich, dich und andre mit solchen Träumereien zu quälen.« »Träumereien! Du vergißt, daß es für mich, für mein Volk schon Wirklichkeit geworden. Du vergißt, daß ich ein Römer bin. Und ich kann mich nicht darüber täuschen wie die meisten thun: es ist vorbei mit uns. Das Scepter ist von uns auf euch übergegangen; glaubst du, es lief so ohne Schmerz, ohne Nachsinnen für mich ab, in dir, meinem Herzensfreund, den Barbaren, den Feind meines Volkes zu vergessen?« »Das ist nicht so, beim Glanz der Sonne!« fiel Totila eifrig ein. »Find’ ich auch in deiner milden Seele den herben Wahn? Blick’ doch nur um dich! Wann, sage mir, wann hat Italien herrlicher geblüht als unter unsrem Schilde? Kaum in den Tagen des Augustus. Ihr lehrt uns Weisheit und Kunst, wir leihen euch Friede und Schutz. Kein schöneres Wechselverhältnis läßt sich denken! Die Harmonie zwischen Römern und Germanen kann eine ganz neue Zeit erschaffen, schöner als je eine bestanden.« »Die Harmonie! aber sie ist nicht da. Ihr seid uns ein fremdes Volk, geschieden durch Sprache und Glaube, durch Stammes- und Sinnesart und durch halbtausendjährigen Haß. Wir brachen früher eure Freiheit, ihr jetzt die unsre; zwischen uns gähnt eine ewige Kluft.« – »Du verwirfst den Lieblingsgedanken meiner Seele.« »Er ist ein Traum!« – »Nein, er ist Wahrheit, ich fühl’ es und vielleicht kömmt noch die Zeit, dir’s zu beweisen. Das Werk meines ganzen Lebens bau’ ich drauf.« – »So wär’s auf einen edeln Wahn gebaut. Keine Brücke zwischen Römern und Barbaren!« – »Dann,« sagte Totila heftig, »begreif’ ich nicht, wie du leben kannst, wie du mich –« »Vollende nicht,« sagte Julius ernst. »Es war nicht leicht: es war die schwerste der Entsagungen! Erst nach hartem Widerstreit der Selbstsucht ist sie mir gelungen: aber endlich hab’ ich aufgehört, in meinem Volk allein zu leben. Der heilge Glaube, der jetzt schon – und er allein vermag’s – Römer und Germanen verbindet, der meinen widerstrebenden Verstand durch lauter Schmerzen – Schmerzen, die Freuden sind – allmählich immer mächtiger umschlingt, er hat mir auch in diesem Zwiespalt Friede gebracht. In diesem Einen darf ich mich jetzt schon rühmen, ein Christ zu sein: ich lebe der Menschheit, nicht meinem Volk allein, ein Mensch, kein bloßer Römer mehr. Darum kann ich dich, den Barbaren, lieben wie einen Bruder: sind wir doch Bürger Eines Reichs: der Menschheit. Darum kann ich es ertragen, zu leben, nachdem ich mein Volk gestorben sehe. Ich lebe der Menschheit: sie ist mein Volk!« »Nein!« rief Totila lebhaft, »das könnt’ ich nimmermehr. In meinem Volk allein kann ich und will ich leben: meines Volkes Art ist die Luft, in der allein meine Seele atmen kann. Warum soll’n wir nicht dauern können, ewig: oder doch solang diese Erde dauert? Was Perser und Griechen! Wir sind von besserem Stoff. Weil sie dahin siechten und versanken, müssen darum auch wir siechen und versinken? Noch blühn wir in voller Jugendkraft! Nein, wenn ein Tag kömmt, da die Goten sinken, – mög’ ihn mein Auge nicht mehr sehn. O all’ ihr Götter, laßt uns nur nicht dahinkranken jahrhundertelang wie diese Griechen, die nicht leben können und nicht sterben! Nein, muß es sein, so sendet ein furchtbar Kampfgewitter und laßt uns rasch und herrlich fallen, alle, alle und mich voran!« Der Jüngling hatte sich in die wärmste Begeisterung gesprochen. Er sprang empor von der Marmorbank auf der Straße, darauf sie sich niedergelassen, den Lanzenschaft hoch gen Himmel erhebend. »Mein Freund,« sagte Julius, ihn liebevoll anblickend, »wie schön steht dir dieser Eifer! Aber bedenke, ein solcher Kampf würde mit uns, mit meinem Volk entbrennen und sollte ich –?« »Zu deinem Volke sollst du stehn mit Leib und Seele, das ist klar, wenn es jemals zu solchem Kampfe kömmt. Du glaubst, das würde unsrer Freundschaft Eintrag thun? mit nichten! Zwei Helden können sich knochentiefe Wunden hau’n und dabei doch die besten Freunde sein. Ha, mich würd’ es freuen, dich in einer Schlachtreihe mir entgegenschreiten sehn mit Schild und Speer!« Julius lächelte. »Meine Freundschaft ist nicht so grimmiger Art, du wilder Gote. – Diese Fragen und Zweifel haben mich lange und bitter gequält und all’ meine Philosophen zusammen haben mir nicht den Frieden gebracht. Erst seit ich’s in Schmerzen erfahren, daß ich dem Gott im Himmel allein zu dienen habe und auf Erden der Menschheit und nicht Einem Volk –« »Gemach, Freund,« rief Totila, »wo ist denn die Menschheit, von der du schwärmst? Ich sehe sie nicht. Ich sehe nur Goten, Römer, Byzantiner! Eine Menschheit über den wirklichen Völkern, irgendwo in den Lüften, kenn’ ich nicht. Ich diene der Menschheit, indem ich meinem Volke lebe. Ich kann gar nicht anders! ich kann nicht die Haut abstreifen, darin ich geboren bin. Gotisch denk’ ich, in gotischen Worten, nicht in einer allgemeinen Sprache der Menschheit; die giebt es nicht. Und wie ich nur gotisch denke, kann ich auch nur gotisch fühlen. Ich kann das Fremde anerkennen, o ja. Ich bewundre eure Kunst, euer Wissen, zum Teil euren Staat, in welchem alles so streng geordnet ist. Wir können vieles von euch lernen – aber tauschen könnt’ ich und möcht’ ich mit keinem Volk von Engeln. Ha, meine Goten! Im Grund des Herzens sind mir ihre Fehler lieber als eure Tugenden.« »Wie ganz anders empfinde ich, und bin doch ein Römer!« »Du bist kein Römer! vergieb, mein Freund, es giebt schon lange keine Römer mehr. Sonst wär ich’ nicht der Seegraf von Neapolis! So wie du kann nur empfinden, wer eigentlich kein Volk mehr hat. So wie ich muß jeder fühlen, der eines lebendigen Volkes ist.« Julius schwieg eine Weile. »Und wenn dem so ist, – wohl mir! Heil, wenn ich die Erde verloren, den Himmel zu gewinnen. Was sind die Völker, was ist der Staat, was ist die Erde? Nicht hier unten ist die Heimat meiner unsterblichen Seele! Sie sehnt sich nach jenem Reiche, wo alles anders ist als hier.« »Halt ein, mein Julius,« sprach Totila, stehen bleibend, die Lanze auf den Boden stoßend. »Hier, auf Erden, hab’ ich festen Grund, hier laß mich stehn und leben, hier nach Kräften das Schöne genießen, das Gute schaffen nach Kräften. In deinen Himmel kann und will ich dir nicht folgen. Ich ehre deine Träume, ich ehre deine heilge Sehnsucht – aber ich teile sie nicht. Du weißt,« fügte er lächelnd hinzu, »ich bin ein Heide, unverbesserlich, wie meine Valeria – unsere Valeria. Zur rechten Stunde denk’ ich ihrer. Deine erdenflücht’gen Träume ließen uns am Ende des Liebsten auf Erden vergessen. Sieh, wir sind zur Stadt zurückgekommen, die Sonne sinkt so rasch hier im Süden und ich soll noch vor Nacht die bestellten Sämereien in den Garten des Valerius bringen. Ein schlechter Gärtner,« lächelte er, »der seiner Blume vergäße. Leb wohl – ich biege rechts hinab.« »Grüße mir Valeria. Ich gehe nach Hause, zu lesen.« »Was liesest du jetzt? Noch Platon?« »Nein, Augustinus. Lebe wohl!« Zweiundzwanzigstes Kapitel. Rasch eilte Totila durch die Straßen der Vorstadt, die belebteren Teile der Innenstadt meidend, nach der Porta capuana zu und dem Turm Isaks, des jüdischen Pförtners. Der Turm, unmittelbar zur Rechten des Thores, mit starken Mauern und massiv gewölbtem Dach erbaut, erhob sich in mehreren sich verjüngenden Absätzen. In dem höchsten Stockwerk, dicht an den zackigen Zinnen, waren zwei niedre aber breite Gelasse, zur Wohnung des Türmers bestimmt. Dort hausten der alte Jude und Miriam, sein dunkelschönes Kind. In dem größern Gemach, wo an den Wänden in strenger Ordnung die großen schweren Schlüssel zu den Hauptthüren und den Nebenpforten des wichtigen Thorgebäudes, dann das krumme Wächterhorn und der breite, hellebardengleiche Speer des Pförtners hingen, saß mit gekreuzten Beinen auf rohrgeflochtener Matte Isak, der greise Turmwart: eine hohe, starkknochige Gestalt mit der Adlernase und den buschigen, hochgeschweiften Brauen seiner Rasse. Er hielt einen langen Stab zwischen den Knien und aufmerksam hörte er den Worten eines jungen unansehnlichen Mannes, offenbar auch eines Israeliten, zu, in dessen harten, nüchternen Zügen der ganze Rechnerverstand des jüdischen Stammes lag. »Sieh, Vater Isak,« schloß er mit unschöner, klangloser Stimme, »meine Rede ist keine eitle Rede und meine Worte kommen nicht aus dem Herzen allein, das blind ist, sondern aus dem Kopf, der da ist sehend. Und hier hab’ ich mit mir gebracht Brief und Urkund für jedes Wort meines Mundes: hier meine Bestallung als Baumeister für alle Wasserleitungen von Italien, jährlich fünfzig Goldsoldi und für jedes neue Werk zehn Soldi besonders. Eben erst hab’ ich wieder hergestellt die zerfallene Wasserleitung dieser Stadt Neapolis; hier in diesem Beutel sind die zehn Goldstücke, richtig bezahlt. Du siehst, ich kann ernähren ein Weib; zudem bin ich Rachels, deiner Muhme, leiblicher Sohn. So laß mich nicht reden umsonst und gieb mir Miriam, dein Kind, daß sie bestelle mein Haus.« Aber der Alte strich seinen grauen langen Kinnbart und schüttelte langsam das Haupt. »Jochem, Sohn Rachels, mein Sohn – ich sage dir, laß ab, laß ab.« »Warum? was kannst du haben gegen mich? Wer mag reden wider Jochem in Israel?« »Niemand. Du bist gerecht und still und fleißig und mehrest deine Habe und dein Werk gedeiht vor dem Herrn. Aber hast du gesehn, daß sich die Nachtigall paart mit dem Sperling oder die schlanke Gazelle mit dem Lasttier? Sie passen nicht zusammen! Und nun sieh dorthin und sage mir selbst, ob du passest für Miriam, mein Kind.« Und er schob mit seinem langen Stock sachte den grünwollenen Vorhang zur Seite, der das vordere Gemach abschloß. Leise silberne Töne waren schon herübergeklungen in das Gespräch der Männer: jetzt sah man in den einfachen aber gefälligen Raum. An dem weiten Rundbogenfenster, das über die herrliche Neapolis, das blaue Meer und die fernen Berge die freieste Aussicht bot, stand ein junges Mädchen, ein fremdartig geformtes Saiteninstrument im Arm. Es war eine Erscheinung von überraschender Schönheit. Glühend rot fiel das Licht der sinkenden Sonne noch in das hochgelegene Gemach und übergoß wie das weiße Faltengewand so das edel geschnittene Profil des Mädchens mit purpurnem Schimmer: es spielte auf dem glänzend schwarzen Haar, das, halb hinter das feine Ohr zurückgestrichen, die edeln Schläfe zeigte. Und wie dieser Sonnenglanz, so schien der Glanz der Poesie die ganze Erscheinung zu umstrahlen, jede ihrer Bewegungen zu begleiten und jeden träumerischen Blick aus diesen dunkelblauen Augen, die, in weiches Sinnen versunken, über die Stadt und das Meer hinschweiften. »Dunkelmeeresblau« hatte diese Augen Piso, der Dichter, genannt. – Wie im halben Traum berührten die Finger nur leise, leise die Saiten, während von den halbgeöffneten Lippen, geflüstert mehr als gesungen, eine alte, melancholische Weise klang: »An Wasserflüssen Babylons Saß weinend Judas Stamm: – Wann kömmt der Tag, da Judas Stamm Nicht mehr zu weinen hat?« – »Nicht mehr zu weinen hat!« wiederholte sie träumend und neigte das Haupt auf den Arm, der die Harfe auf der Fensterbrüstung hielt. »Sieh hin,« sprach der Alte leise, »ist sie nicht lieblich wie die Rose in den Gärten von Saron und die Hindin auf den Bergen von Hiram und ist kein Fehl an ihrem Leibe?« Ehe Jochem antworten konnte, scholl dreimal ein leises Klopfen an der schmalen Eisenpforte unten. Miriam fuhr auf aus ihrem Sinnen, strich rasch mit der Hand über die Augen und eilte die enge Wendeltreppe hinunter. Jochem trat an das Fenster und sein Gesicht legte sich in grimmige Falten. »Ha, der Christ, der gottverfluchte,« knirschte er und ballte die Faust. »Schon wieder der blonde Gote mit dem unbändigen Stolz! Vater Isak, ist das der Edelhirsch, der dir zu deiner Hindin paßt?« – »Sohn, rede nicht Hohnwort wider Isak! Du weißt ja, der Jüngling hat sein Herz gesetzt auf ein Römermädchen, seine Seele denkt nicht an die Perle von Juda.« »Aber vielleicht die Perle von Juda an ihn!« »Mit Dank und Freuden, wie das Lamm denkt des starken Hirten, der es entrissen dem Rachen des Wolfs. Hast du vergessen, wie bei der letzten Jagd, welche die verdammten Römer machten auf die Schätze und Goldhaufen von Israel, und als sie niederbrannten die heil’ge Synagoge mit unheiligem Feuer, wie da eine Rotte dieser bösen Buben mein armes Kind aufjagte auf der Straße, wie ein Rudel Wölfe das weiße Lamm, und zerrten ihr den Schleier vom Haupt und das Busentuch von den Schultern: – wo war da Jochem, meiner Muhme Sohn, der sie begleitete? Entflohen war er vor der Gefahr mit hurtigen Füßen und ließ die Taube in den Krallen der Geier!« »Ich bin ein Mann des Friedens,« sagte Jochem unbehaglich, »meine Hand führt nicht das Schwert der Gewalt.« »Aber Totila führt es, wie einst der Löwe Juda und der Herr ist mit ihm. Allein, wie er des Weges kam, sprang er unter die Schar der frechen Räuber und schlug den frechsten mit der Schärfe des Schwertes und verscheuchte die andern, wie der Turmfalk die Krähen, und hüllte sorglich den Schleier über mein bebendes Kind und stützte ihren wankenden Schritt und führte sie heim, ungeschädigt, in die Arme ihres alten Vaters. Das lohne ihm Jehovah der Herr mit langem Leben und segne alle Schritte seines Pfades.« »Nun wohl,« sagte Jochem, seine Urkunden einsteckend, »ich gehe, diesmal für lange Zeit. Ich reise über das große Wasser zu machen ein groß Geschäft.« »Ein groß Geschäft? Mit wem?« »Mit Justinianus, dem Kaiser über Morgenland. Es ist eingestürzt ein Stück der großen Kirche, die er baut der Weisheit des Herrn in der goldnen Stadt des Konstantin. Ich hab’ entworfen Plan und saubern Grundriß, wieder aufzubauen das Gebäude.« Heftig sprang der Alte auf und stieß seinen Stab auf den Boden: »Wie, Jochem, Sohn Rachels, dem Römer willst du dienen? Dem Kaiser, dessen Vorfahren die heilige Zion verbrannt und in Asche gelegt den Tempel des Herrn? Und bauen willst du an einem Haus des Unglaubens, du, der Sohn des frommen Manasse? Wehe, wehe über dich!« – »Was rufest du Wehe und weißt nicht warum? Riechst du’s dem Goldstück an, ob es kommt aus der Hand des Juden oder des Christen? Wiegt es nicht gleich schwer und glänzt es nicht gleich lieblich?« »Sohn Manasses, du kannst nicht Gott dienen und dem Mammon.« »Aber du selbst, dienst du nicht den Ungläubigen? Seh ich nicht das Wächterhorn an der Wand deines Hauses? führst du nicht die Schlüssel für diese Goten und thust ihnen auf und zu die Pforten für ihren Ausgang und Eingang und hütest die Burg ihrer Stärke?« »Ja, das thu’ ich,« sagte der Alte stolz, »und wachen will ich für sie treulich, Tag und Nacht, wie der Hund für den Herrn, und solang Isak Odem hat, der Sohn Ruben, soll kein Feind dieses Volkes schreiten durch dies Thor. Denn Dank schulden die Kinder Israel ihnen und ihrem großen König, der weise war wie Salomo und wie Gideons war sein Schwert! Dank wie unsre Väter dem großen König Cyrus, der sie befreiet hat aus Babylon. Die Römer haben gebrochen den Tempel des Herrn und zerstreut sein Volk über das Angesicht der Erde. Sie haben uns verspottet und geschlagen und verbrannt unsre heiligen Stätten und geplündert unsre Truhen und verunreinigt unsre Häuser und gezwungen unsre Weiber überall in ihren Landen und haben geschrieben gegen uns manch grausam Gesetz. Da kam dieser große König von Mitternacht, dessen Samen Jehova segne, und hat wieder aufgebaut unsre Synagogen: und wenn sie die Römer niederrissen, mußten sie alles wieder aufrichten mit eigner Hand und eignem Gelde, und er hat beschützt den Frieden unsrer Dächer und wer Einen schädigte aus Israel, der mußte es büßen, wie wer einen Christen gekränkt. Er hat uns gelassen unsern Gott und unsern Glauben und hat beschirmt unsre Schritte auf den Straßen unsres Handels und wir feierten das Passah in Frieden und Freude, wie nicht mehr seit den Tagen, da der Tempel noch stand auf den Höhen von Zion. Und als ein Großer unter den Römern mir mit Gewalt meine Sarah geraubt, mein Weib, ließ ihm König Theoderich das stolze Haupt abschlagen noch am selben Tage und gab mir wieder mein Weib unversehret. Und das will ich gedenken, solange meine Tage dauern und will dienen seinem Volke treu bis zum Tode und man soll wieder sagen, weit in allen Landen: treu und dankbar wie ein Jude.« »Mögest du nicht Undank ernten von den Goten für deinen Dank,« sagte Jochem, sich zum Gehen rüstend: »mir ist, einmal kömmt die Stunde für mich, wieder um Miriam zu werben, zum letztenmal. Vielleicht, Vater Isak, bist du dann minder stolz.« Und er schritt durch Miriams Gemach zur Treppe hinaus, wo er Totila begegnete. Mit einer häßlichen Verbeugung und einem stechenden Blick drückte sich der Kleine an dem schlanken Goten vorbei, der beim Eintritt in die Türmerwohnung sich tief bücken mußte. Miriam folgte ihm auf dem Fuß. »Dort hängen deine Gärtnerkleider,« sagte sie, ohne die langen Wimpern aufzuschlagen, »und hier am Fenster hab’ ich die Blumen bereit gestellt. Sie liebt die weißen Narcissen, sagtest du neulich. Ich habe weiße Narcissen besorgt. Sie duften lieblich.« Und die melodische Stimme schwieg. »Du bist ein gutes Mädchen, Miriam,« sagte Totila, den Helm mit den silberweißen Schwanenflügeln abhebend und auf den Tisch setzend, »wo ist dein Vater?« – »Der Segen des Herrn ruhe auf deinen goldnen Locken,« sprach der Alte, in das Gemach tretend. – »Gegrüßt, treuer Isak!« rief Totila, warf den langen, glänzend weißen Mantel ab, der ihm von den Schultern floß, und hüllte sich in einen braunen Überwurf, den ihm Miriam von der Wand reichte. »Ihr guten Leute! Ohne euch und eure verschwiegene Treue wüßte ganz Neapolis um mein Geheimnis. Wie kann ich euch danken!« – »Dank?« sagte Miriam, schlug die dunkelblauen Augen auf und ließ sie leuchtend auf ihm ruhen. »Du hast voraus gedankt für alle Zeit.« »Nein, Miriam,« sagte der Gote, den braunen breitkrempigen Filzhut tief in die Stirne ziehend, »ich mein’ es herzlich gut mit euch. Sage, Vater Isak, wer ist der Kleine, den ich schon öfter hier geseh’n und eben wieder begegnet? Mir ist, er hat sein Auge auf Miriam geworfen. Sprich offen, wenn es bei ihr nur am Gelde fehlt – ich helfe gern.« – »Es fehlt an der Liebe, Herr, bei ihr,« sagte Isak ruhig. – »Da kann ich freilich nicht helfen! Aber wenn sonst ihr Herz gewählt – ich möchte gern etwas thun für meine Miriam.« Und er legte freundlich die Hand auf das glänzende schwarze Haar des Mädchens. Nur leise war die Berührung. Aber wie vom heißen Blitz getroffen fiel Miriam plötzlich auf die Knie: die Arme über dem Busen kreuzend, und das schöne Haupt tief nach vorn beugend: wie eine tauschwere Blume glitt sie zu den Füßen Totilas nieder. Dieser trat bestürzt einen Schritt zurück. Aber im Augenblick war das Mädchen wieder auf: »Verzeih, es war nur eine Rose – sie fiel vor deinen Fuß.« Sie legte die Blume auf den Tisch und so gefaßt war sie, daß weder ihr Vater noch der Jüngling des Vorfalls weiter achteten. »Es dunkelt schon, eile, Herr,« sprach sie ruhig und reichte ihm den Korb mit den Blumen. – »Ich gehe. Auch Valeria schuldet dir reichen Dank: ich habe ihr viel von dir erzählt und sie frägt mich stets nach dir. Sie möchte dich lang schon sehen. Nun, vielleicht geht das bald – heut’ ist’s wohl das letztemal, daß ich diese Vermummung brauche.« »Willst du sie entführen, die Tochter von Edom?« rief der Alte. »Bring sie nur hierher! hier ist sie wohl geborgen.« »Nein,« fiel Miriam ein, »nicht hierher, nein, nein!« »Weshalb nicht, du seltsames Kind?« zürnte der Alte. »Das ist kein Raum für seine Braut – dies Gemach – es brächte ihr kein Heil.« – »Beruhigt euch,« sagte Totila, schon an der Thüre, »offne Werbung soll der Heimlichkeit ein Ende machen. Lebt wohl.« Und er schritt hinaus. Isak nahm den Speer, das Horn und einige Schlüssel von der Wand; er folgte, ihm zu öffnen und die Abendrunde längs allen Pforten des großen Thorbaues zu machen. Miriam blieb oben allein. Lange Zeit stand sie unbeweglich mit geschlossenen Augen an derselben Stelle. Endlich strich sie mit beiden Händen über Schläfe und Wangen und schlug die Augen auf. Still war’s im Gemach; durch das offene Fenster glitt der erste Strahl des Mondlichts. Er fiel silbern auf Totilas hellen Mantel, der in langen Falten über dem Stuhl hing. Rasch flog Miriam auf den weißen Schimmer zu und bedeckte den Saum des Mantels mit heißen Küssen. Dann ergriff sie den blinkenden Schwanenhelm, der neben ihr auf dem Tische stand, sie umfaßte ihn mit beiden Armen und drückte ihn zärtlich an die Brust. Dann hielt sie ihn eine Weile träumend vor sich hin: endlich – sie konnte nicht widerstehen – hob sie ihn rasch auf und setzte ihn auf das schöne Haupt: sie zuckte als die Wölbung ihre Stirn berührte, dann strich sie die schwarzen Flechten aus den Schläfen und drückte einen Augenblick den harten, kalten Stahl fest mit beiden Händen an die glühende Stirn. Dann hob sie ihn wieder ab und legte ihn, scheu umblickend, auf seinen frühern Ort zu dem Mantel. Darauf trat sie ans Fenster und sah hinaus in die duftige Nacht und das zauberische Mondlicht. Ihre Lippen regten sich wie im Gebet: aber die Worte des Gebets klangen aus in der alten Weise: »An Wasserflüssen Babylons Saß weinend Judas Stamm: Wann kömmt der Tag, der all dein Leid, Du Tochter Zion, stillt?« Dreiundzwanzigstes Kapitel. Indessen Miriam schweigend aufsah zu den ersten Sternen, hatte Totilas rascher sehnsuchtbeflügelter Schritt alsbald die Villa des reichen Purpurhändlers, die etwa eine Stunde vor dem capuanischen Thor gelegen war, erreicht. Der Thürstehersklave wies ihn an den alten Hortularius, den Freigelassenen Valerias, dem die Sorge für die Gärten überlassen war. Dieser, der Vertraute der Liebenden, nahm dem Gärtnerburschen die Blumen und Sämereien ab, die er angeblich von dem ersten Blumenhändler von Neapolis brachte, und geleitete ihn in sein gewöhnliches Schlafgemach im Erdgeschoß, dessen niedrige Fenster in den Garten führten: am andern Morgen noch vor Aufgang der Sonne – so wollte es die Geheimlehre der antiken Gärtnerei – müßten die Blumen eingesetzt werden, auf daß das erste Sonnenlicht, das sie in dem neuen Boden träfe, das segenbringende der Morgensonne sei. – Ungeduldig erwartete der junge Gote in dem engen Gemach bei einem Kruge Weines die Stunde, da sich Valeria von ihrem Vater nach dem gemeinsamen Nachtmahl verabschieden konnte. Immer wieder sah er zum Himmel auf, an dem Auftauchen der Sterne und dem Gang des Mondes den Fortschritt der Nacht zu ermessen. Er schlug den Vorhang zurück, der die Fensteröffnung schloß; stille war’s in dem weiten Garten. In der Ferne plätscherte nur leise der Springbrunnen und Zikaden zirpten in den Myrtengebüschen: der warme üppige Südwind strich in schwülem Hauch durch die Nacht, stoßweise ganze Wolken von Wohlgerüchen aus Rosenbäumen auf seinen Fittichen mit sich führend: und weithin aus dem Pinienwäldchen am Ende des Gartens drang lockend und sinnaufregend der tiefgezogene heiße Schlag der Nachtigall. Endlich hielt sich Totila nicht länger. Geräuschlos schwang er sich über die Marmorbrüstung des Fensters: kaum knisterte unter seinen raschen Schritten der weiße Sand der schmalen Wege, wie er, den Strom des Mondlichts meidend, unter dem Schatten der Gebüsche dahin eilte. Vorüber an den dunkeln Taxusgängen und den Lauben von dichten Oliven, vorüber an der hohen Statue der Flora, deren weißer Marmor geisterhaft im Mondlicht schimmerte, vorüber an dem weiten Becken, wo sechs Delphine den Wasserstrahl hoch aus den Nüstern bliesen, rasch eingebogen in den dicht verwachsenen Laubweg von Lorbeer und Tamarinden und nun, noch ein Oleandergebüsch durchdringend, stand er vor der Grotte aus Tropfstein, in der die Quellnymphe über einer dunkeln großen Urne lehnte. Wie er eintrat, glitt eine weiße Gestalt hinter der Statue hervor. »Valeria, meine schöne Rose!« rief Totila und umschlang glühend die Geliebte, die leise seinem Ungestüm wehrte. »Laß, laß ab, mein Geliebter,« flüsterte sie, sich seinem Arm entziehend. »Nein, du Süße, ich will nicht von dir lassen. Wie lang, wie schmerzlich hab’ ich dein entbehrt! Hörst du, wie lockend und wirbelnd die Nachtigall ruft, fühlst du wie der warme Hauch der Sommernacht, der berauschende Duft des Geißblattes Liebe atmet? Sie alle mahnen und bedeuten, wir sollen glücklich sein! O laß sie uns festhalten, diese goldnen Stunden. Meine Seele ist nicht weit genug all’ ihr Glück zu fassen: all’ deine Schönheit, all’ unsre Jugend und diese glühende, blühende Sommernacht; in mächtigen Wogen rauscht das volle Leben durch das Herz und will’s vor Wonne sprengen.« »O mein Freund! gern möcht’ ich, wie du, aufgehn im Glücke dieser Stunden. Ich kann es nicht. Ich traue nicht diesem berauschenden Duft, der üppigen Schwüle dieser Sommernächte: sie dauert nicht: sie brütet Unheil: ich kann nicht glauben an das Glück unsrer Liebe.« »Du liebe Thörin, warum nicht?« »Ich weiß es nicht: der unselige Zwiespalt, der all’ mein Leben scheidet, übt seinen Fluch auch hier. Gern möchte mein Herz sich trunken, wie du, diesem Glücke hingeben. Aber eine Stimme in mir warnt und mahnt: es dauert nicht, – du sollst nicht glücklich sein.« »So bist du nicht glücklich in meinen Armen?« »Ja und nein! das Gefühl des Unrechts, der Schuld gegen meinen edlen Vater lastet auf mir. Sieh, Totila, was mich zumeist an dir beglückt ist nicht diese deine jugendschöne Kraft, selbst deine große Liebe nicht. Es ist der Stolz meines Herzens auf deine Seele, auf deine offne, lichte, edle Seele. Ich habe mich gewöhnt, dich klar und hell wie einen Gott des Lichts durch diese dunkle Welt schreiten zu sehen: der edle Mut siegessichrer Kraft, der Schwung, die freudige Wahrhaftigkeit deines Wesens ist mein Stolz: daß alles Kleine, Dumpfe, Gemeine versinken muß, wo du nahest, das ist mein Glück. Ich liebe dich wie eine Sterbliche den Sonnengott, der ihr in Fülle seines Lichts genaht. Und deshalb kann ich an dir nichts Heimliches, Verstecktes dulden. Auch die Wonnen dieser Stunden nicht – sie sind erlistet und es kann nicht länger also sein.« »Nein, Valeria und es soll auch nicht. Ich fühle ganz wie du. Auch mir ist die Lüge dieser Mummerei verhaßt, ich trage sie nicht länger. Ich bin gekommen, ihr ein Ende zu machen. Morgen, morgen werf ich diese Täuschung ab und spreche zu deinem Vater offen und frei.« – »Dieser Entschluß ist der beste, denn« – »Denn er rettet dein Leben, Jüngling!« unterbrach plötzlich eine tiefe Stimme und aus dem dunkeln Hintergrund der Grotte trat ein Mann und stieß das blanke Schwert in die Scheide. »Mein Vater!« rief Valeria überrascht, doch in mutiger Fassung. Totila schlang seinen Arm um sie, sein Kleinod zu verteidigen. »Hinweg, Valeria, fort von dem Barbaren!« sprach Valerius, befehlend den Arm ausstreckend. »Nein, Valerius,« sagte Totila, die Geliebte fester an sich drückend, »ihr Platz ist forthin an dieser Brust.« »Verwegner Gote!« »Höre mich, Valerius, und zürne uns nicht um dieser Täuschung willen. Du hast es selbst gehört, schon morgen sollte sie enden.« »Zu deinem Glück hab’ ich’s gehört. Gewarnt von dem ältesten meiner Freunde, wollt’ ich doch kaum glauben, daß meine Tochter – mich hintergeht. Als ich’s glauben mußte, beschloß ich, daß dein Blut deine List bezahlen sollte. Dein Entschluß hat dein Leben gerettet. Jetzt aber flieh: du siehst ihr Antlitz niemals wieder.« – Totila wollte heftig erwidern, aber Valeria kam ihm zuvor: »Vater,« sprach sie ruhig, zwischen die Männer tretend, »höre dein Kind. Ich will meine Liebe nicht entschuldigen, sie bedarf es nicht, sie ist göttlich und notwendig wie die Sterne: die Liebe zu diesem Mann ist das Leben meines Lebens. Du kennst meine Seele: Wahrheit ist ihr Äther und ich sage dir, bei meiner Seele: nie werd’ ich lassen von diesem Mann!« – »Und niemals ich von ihr,« rief Totila und ergriff ihre Rechte. Hochaufgerichtet stand das junge Paar, vom Licht des Mondes voll beleuchtet, vor dem Alten: ihre edlen Züge und Gestalten trugen im Augenblick die Weihe heiliger Begeisterung: und so schön war die Gruppe, daß ein rührendes, erweichendes Gefühl davon sich unwillkürlich dem zürnenden Vater aufdrängte. »Valeria, mein Kind!« »O mein Vater! Du hast mit einer Liebe und Treue all’ meine Schritte geleitet, daß ich bisher die Mutter, die verlorne, zwar beklagte, aber kaum vermißte. Jetzt, in dieser Stunde vermiß’ ich sie zum erstenmal: jetzt, ich fühl’ es, bedürfte ich ihrer Fürsprache. O so laß ihr Andenken wenigstens für mich sprechen. Laß mich dir ihr Bild vor die Seele führen und dich an den Augenblick erinnern, da dich die Sterbende zum letztenmal an ihr Lager rief und dir, wie du mir oft gesagt, mein Glück auf die Seele band als heiligstes Vermächtnis. –« Valerius drückte die linke Hand vor die Stirn; seine Tochter wagte, die andre zu fassen, er entzog sie ihr nicht: offenbar rang es gewaltig in des Alten Brust. Endlich sprach er: »Valeria, du hast ein mächtig Wort gesprochen, ohne es zu wissen. Es wäre Unrecht, dir zu verschweigen, was du ahnungsvoll berührt. Erfahre, was deine Mutter in jener Sterbestunde mir auferlegt. Noch immer drückte ihre Seele jenes Gelübde, das wir doch lange abgelöst. »Soll unser Kind nicht die Braut des Himmels werden,« sprach sie, »so gelobe mir wenigstens, die Freiheit ihrer Wahl zu ehren. Ich weiß wie römische Mädchen, zumal die Töchter unsres Standes, in die Ehe gegeben werden, ungefragt, ohne Liebe: ein solcher Bund ist ein Elend auf Erden und ein Greuel vor dem Herrn. Meine Valeria wird edel wählen – gelobe mir, sie dem Mann ihrer Wahl anzuvertrauen und keinem sonst.« Und ich gelobte es in ihre bebende Hand. – Aber mein Kind einem Barbaren geben, einem Feind Italiens, nein, nein!« Und mit heftiger Armbewegung riß er sich von ihr los. »Ich bin vielleicht so gar barbarisch nicht, Valerius,« hob Totila an. »Wenigstens bin ich in meinem ganzen Volk der wärmste Freund der Römer. Glaube mir, nicht euch hasse ich: die ich verabscheue, sind eure wie unsre verderblichsten Feinde – die Byzantiner!« Das war ein glückliches Wort. Denn in dem Herzen des alten Republikaners war der Haß gegen Byzanz die Kehrseite seiner Liebe zur Freiheit und zu Italien. Er schwieg, aber sein Auge ruhte sinnend auf dem Jüngling. »Mein Vater,« sprach Valeria, »dein Kind würde keinen Barbaren lieben. Lern’ ihn kennen: und schiltst du ihn dann noch barbarisch – so will ich nie die Seine werden. Ich fordre nichts von dir als: lern’ ihn kennen: entscheide du selbst, ob meine Wahl edel sei oder nicht. Ihn lieben alle Götter und alle Menschen müssen ihm gut sein – du allein wirst ihn nicht verwerfen.« Und sie faßte seine Hand. »O lerne mich kennen, Valerius,« bat Totila, innig seine andre Hand ergreifend. Der Alte seufzte. Endlich sprach er: »Kommt mit mir zum Grabe der Mutter. Dort ragt es unter den Cypressen. Da ruht die Urne mit ihrem Herzen. Dort laßt uns ihrer gedenken, der edelsten Frau, und ihren Schatten anrufen. Und ist es echte Liebe und eine edle Wahl – so werd’ ich erfüllen, was ich gelobt.« Vierundzwanzigstes Kapitel. Einige Wochen später finden wir zu Rom in dem uns wohl erinnerlichen Schreibgemach mit der Cäsarstatue Cethegus, den Präfekten und unsern neuen Bekannten, Petros, des Kaisers oder vielmehr der Kaiserin Gesandten. Die beiden Männer hatten unter lebhaftem Gespräch und wechselseitigem Erinnern an frühere Zeiten, – sie waren Studiengenossen, wie wir erfuhren, – zu einfachem Mahl einen Krug alten Massikers geleert und waren soeben aus dem Speisesaal in das abgelegene Arbeitszimmer getreten, um jetzt ungestört von den bedienenden Sklaven Geheimeres zu bereden. »Sobald ich mich überzeugt hatte,« schloß Cethegus seinen Bericht über die letzten Ereignisse »daß die Schreckensnachrichten aus Ravenna nur erst Gerüchte waren, vielleicht erdichtet, jedenfalls übertrieben, setzte ich der Aufregung und dem Eifer meiner Freunde die größte Ruhe entgegen. Der Feuerkopf Lucius Licinius mit seiner thörichten Begeisterung für mich hätte bald alles verdorben. Unablässig forderte er meine Dictatur, buchstäblich setzte er mir das Schwert auf die Brust und schrie, man müsse mich zwingen, das Vaterland zu retten. Er schwatzte so viel aus der Schule, daß es nur ein Glück war, der schwarze Korse – der es mit den Barbaren zu halten scheint, niemand weiß recht warum – nahm ihn für mehr berauscht als er war. Endlich kam die Nachricht, Amalaswintha sei zurückgekehrt, und so beruhigte sich allmählich Volk und Senat.« »Du aber,« sagte Petros, »hattest zum zweitenmal Rom vor der Rache der Barbaren gerettet – ein unvergeßliches Verdienst, das dir die ganze Welt, zunächst aber die Regentin, danken muß.« – »Die Regentin – arme Frau!« meinte Cethegus achselzuckend, »wer weiß wie lange die Goten oder deine Gebieter zu Byzanz, sie noch werden auf dem Throne lassen.« – »Wie? da irrst du sehr!« fiel Petros eifrig ein. »Meine Sendung hat vor allem den Zweck, ihren Thron zu stützen; und bei dir wollte ich eben anfragen, wie man das am besten könne,« setzte er pfiffig hinzu. Aber der Präfekt lehnte sein Haupt zurück an die Marmorwand und sah den Gesandten lächelnd an: »O Petros, o Petre,« sagte er, »warum so verdeckt? Ich dächte doch, wir kennten uns besser.« »Was meinst du?« fragte der Byzantiner befangen. »Ich meine, daß wir nicht umsonst Recht und Geschichte miteinander studiert haben zu Berytus und Athen. Ich meine, daß wir damals schon unzählige Male als Jünglinge, lustwandelnd und Weisheit austauschend, zu dem Ergebnis gelangten: der Kaiser müsse diese Barbaren austreiben aus Italien und wieder zu Rom herrschen wie zu Byzanz. Und da nun ich noch denke wie dazumal, wirst wohl auch du nicht ein andrer geworden sein.« – »Ich habe meine Ansicht der meines Herrn zu unterwerfen und Justinian« – »Erglüht natürlich für die Herrschaft der Barbaren in Italien.« – »Freilich,« sagte der Rhetor verlegen, »es könnten Fälle eintreten –« »Petre,« rief jetzt Cethegus, sich unwillig aufrichtend, »keine Phrasen und keine Lügen. Sie sind nicht angewandt bei mir. Sieh, Petros, es ist wieder dein alter Fehler: du bist immer zu pfiffig, um klug zu sein: du meinst, es muß immer gelogen sein und hast nie den Mut zur Wahrheit. Man muß aber nur dann lügen, wenn man in seiner Lüge ganz sicher ist. Wie kannst du mich darüber täuschen wollen, daß der Kaiser Italien wieder haben will? Ob er die Regentin stürzen oder halten will, hängt davon ab, ob er glaubt ohne oder mit ihr leichter ans Ziel zu kommen. Wie er hierüber denkt, das soll ich nicht erfahren. Aber sieh’, trotz all’ deiner Verschmitztheit, sobald wir noch einmal zusammengewesen, sag’ ich dir ins Gesicht, was dein Kaiser hierin vor hat.« Ein boshaftes und bittres Lächeln spielte um des Gesandten Mund: »Noch immer so stolz, wie in der Dialektik zu Athen,« sagte er giftig. – »Jawohl und du weißt, zu Athen war ich immer der Erste, Prokopius der Zweite und erst der Dritte warst du.« Da trat Syphax ein: »Eine verhüllte Frau, o Herr,« meldete er, »sie wartet dein im Zeussaal.« Sehr froh, diese Unterredung abgebrochen zu sehen, denn er fühlte sich dem Präfekten nicht gewachsen, grinste Petros: »Nun, ich wünsche Glück zu solcher Störung.« »Ja, dir!« lächelte Cethegus und ging hinaus. »Hochmütiger, du sollst noch deinen Spott bereuen,« dachte der Byzantiner. Cethegus fand in dem Saale, der von einer schönen Zeusstatue des Glykon von Athen den Namen trug, eine in gotischer Tracht reich gekleidete Frau; sie schlug bei seinem Eintritt die Kapuze des braunen Mantels zurück. »Fürstin Gothelindis,« fragte der Präfekt überrascht, »was führt dich zu mir?« »Die Rache!« erwiderte eine heisere, unschöne Stimme und die Gotin trat dicht an ihn heran. Sie zeigte scharfe, aber nicht häßliche Züge, und man hätte sie sogar schön nennen müssen, wenn nicht das linke Auge ausgeflossen und die ganze linke Wange durch eine große Narbe entstellt gewesen wäre: diese Wunde schien jetzt frisch zu bluten, da dem leidenschaftlichen Weibe die Röte in die Wangen schoß, wie sie bei jenem Wort die Faust ballte. So tödlicher Haß loderte aus dem einen grauen Auge, daß Cethegus unwillkürlich von ihr zurücktrat. »Rache?« fragte er, »an wem?« »An – davon später. Vergieb,« sagte sie, sich fassend, »daß ich euch störe. Dein Freund Petros, der Rhetor von Byzanz, ist bei dir, nicht wahr?« »Ja. Woher weißt du –« »O, ich sah ihn vor der Coena durch deine Portikus eintreten,« sagte sie gleichgültig. »Das ist nicht wahr,« sprach Cethegus im Geiste: »ich hab’ ihn ja zur Gartenthür hereinführen lassen. Also haben sich die beiden hier zusammenbestellt. Ich soll das nicht ahnen. Aber was haben sie mit mir vor?« »Ich will dich nicht lange hier festhalten,« fuhr Gothelindis fort. »Ich habe nur Eine Frage an dich. Antworte kurz ja oder nein. Ich kann das Weib – die Tochter Theoderichs – stürzen und ich will’s: bist du darin für mich oder gegen mich?« »O, Freund Petros,« dachte der Präfekt, »jetzt weiß ich bereits, was du mit Amalaswinthen vorhast. Aber wir wollen sehen, wie weit ihr schon seid.« »Gothelindis,« hob er ausholend an, »du willst die Regentin stürzen – das glaub’ ich dir gern – aber daß du’s kannst, bezweifle ich.« »Höre, dann entscheide ob ich’s kann. Das Weib hat die drei Herzoge ermorden lassen.« Cethegus zuckte die Achseln: »Das glauben manche Leute.« »Aber ich kann es beweisen.« »Das wäre,« meinte Cethegus ungläubig. »Herzog Thulun, wie du weißt, starb nicht sofort. Er ward auf der ämilischen Straße überfallen, nahe bei meiner Villa zu Tannetum: meine Colonen fanden ihn und brachten ihn in mein Haus. Du weißt, er war mein Vetter – ich bin aus dem Hause der Balten – er verschied in meinen Armen.« »Nun, und was sagte der Kranke im Wundfieber?« »Nichts Wundfieber! Herzog Thulun traf noch im Stürzen den Mörder mit dem Schwert: er entkam nicht weit; meine Colonen suchten ihn und fanden ihn sterbend im nächsten Walde: er hat mir alles gestanden.« Cethegus drückte nur unmerklich die Lippen zusammen. »Nun, was war er? was hat er ausgesagt.« »Er war,« sprach Gothelindis scharf, »ein isaurischer Söldner, ein Aufseher der Schanzarbeiten zu Rom und sagte aus: Cethegus, der Präfekt, hat mich zur Regentin, die Regentin zu Herzog Thulun gesendet.« »Wer hörte dies Geständnis außer dir?« fragte Cethegus lauernd. »Niemand. Und niemand soll davon hören, wenn du zu mir stehest. Wenn aber nicht, dann –« »Gothelindis,« unterbrach der Präfekt, »keine Drohung: sie nützt dir nichts. Du solltest einsehn, daß du mich dadurch nur erbittern, nicht zwingen kannst. Ich lasse es im Notfall zur offnen Anklage kommen: du bist als grimmige Feindin Amalaswinthens bekannt: dein Zeugnis allein – du warst unvorsichtig genug, zu gestehen, daß niemand sonst das Geständnis gehört – wird weder sie noch mich verderben. Zwingen kannst du mich zum Kampfe gegen die Regentin nicht: höchstens überreden, wenn du mir’s als meinen eignen Vorteil darstellen kannst. Und dazu will ich selbst dir einen Verbündeten schaffen. Du kennst doch Petros, meinen Freund?« »Genau, seit lange.« »Erlaube, daß ich ihn zu dieser Unterredung herbeihole.« Er ging in das Studierzimmer zurück. »Petros, mein Besuch ist die Fürstin Gothelindis, Theodahads Gemahlin. Sie wünscht uns beide zu sprechen. Kennst du sie?« »Ich? o nein; ich habe sie nie gesehen!« sagte der Rhetor rasch. »Gut; folge mir.« Sowie sie in den Saal des Zeus traten, rief Gothelindis ihm entgegen: »Gegrüßt, alter Freund, welch überraschend Wiedersehn.« Petros verstummte. Cethegus, die Hände auf den Rücken gelegt, weidete sich an der Bestürzung des Diplomaten von Byzanz. Nach einer peinlichen Pause hob er an: »Du siehst, Petros, immer zu pfiffig, immer unnötige Feinheiten. Aber komm, laß dich eine entdeckte List mehr nicht so niederschlagen. Ihr beide habt euch also verbunden, die Regentin zu stürzen. Mich wollt ihr gewinnen, euch dabei zu helfen. Dazu muß ich genau wissen, was ihr weiter vorhabt. Wen wollt ihr auf Amalaswinthens Thron setzen? Denn noch ist der Weg für Justinian nicht frei.« Beide schwiegen eine Weile. Es überraschte sie sein klares Durchschauen der Lage. Endlich sprach Gothelindis: »Theodahad, meinen Gemahl, den letzten der Amelungen.« »Theodahad, den letzten der Amelungen,« wiederholte Cethegus langsam. Indessen überlegte er alle Gründe für und wider. Er bedachte, daß Theodahad, unbeliebt bei den Goten, durch Petros erhoben, bald ganz in der Hand der Byzantiner stehen und die Katastrophe durch Herbeirufung des Kaisers anders, früher als Er wollte, herbeiführen würde. Er bedachte, daß er jedenfalls die Heere der Oströmer möglichst lange fernhalten müsse und er beschloß bei sich, die gegenwärtige Lage und Amalaswintha aufrecht zu halten, da sie ihm Zeit zu seinen Vorbereitungen ließen. All’ das hatte er im Augenblick gedacht, erwogen, beschlossen. »Und wie wollt ihr nun eure Sache angehn?« fragte er ruhig. »Wir werden das Weib auffordern, zu Gunsten meines Gatten abzudanken, unter Androhung, sie des Mordes anzuklagen.« »Und wenn sie’s darauf wagt?« »So vollführen wir die Drohung,« sagte Petros, »und erregen unter den Goten einen Sturm, der ihr –« »Das Leben kostet,« rief Gothelindis. »Vielleicht die Krone kostet,« sagte Cethegus. »Aber gewiß sie nicht Theodahad zuwendet. Nein, wenn die Goten einen König wählen, heißt er nicht Theodahad.« »Nur zu wahr!« knirschte Gothelindis. »Dann könnte leicht ein König kommen, der uns allen viel unerfreulicher wäre als Amalaswintha. Und deshalb sag’ ich euch offen: ich bin nicht für euch, ich halte die Regentin.« »Wohlan,« rief Gothelindis grimmig, sich zur Thüre wendend, »also Kampf zwischen uns, komm, Petros.« »Gemach, ihr Freunde,« sprach der Byzantiner. »Vielleicht ändert Cethegus seinen Sinn, wenn er dies Blatt gelesen.« Und er reichte dem Präfekten jenen Brief, den Alexandros von Amalaswintha an Justinian überbracht. Cethegus las: seine Züge verfinsterten sich. »Nun,« meinte Petros höhnisch, »willst du noch die Königin stützen, die dich dem Untergang geweiht? Wo warst du, wenn sie ihren Plan durchführte und deine Freunde nicht für dich wachten.« Cethegus hörte ihn kaum. »Armseliger,« dachte er, »als ob es das wäre! Als ob die Regentin daran nicht ganz recht hätte. Als ob ich ihr das verargen könnte! Aber die Unvorsichtige hat bereits gethan, was ich von Theodahad erst fürchtete: sie hat sich selbst vernichtet und all’ meine Pläne bedroht: sie hat die Byzantiner schon ins Land gerufen und sie werden jetzt kommen, ob sie noch will oder nicht. Solange Amalaswintha Königin, wird Justinian ihren Beschützer spielen.« Und nun wandte er sich scheinbar in großer Bestürzung an den Gesandten, den Brief zurückgebend: »Und wenn sie ihren Entschluß durchführte, wenn sie auf dem Thron bliebe – bis wann können eure Heere landen?« »Belisar ist schon auf dem Wege nach Sicilien,« sagte Petros, stolz darauf, den Hochmütigen eingeschüchtert zu haben, »in einer Woche kann er vor Rom liegen.« »Unerhört,« rief Cethegus in unverstellter Bewegung. »Du siehst,« sprach Gothelindis, welcher Petros inzwischen den Brief gereicht, »die du halten wolltest, will dich verderben. Komm ihr zuvor.« »Und im Namen des Kaisers, meines Herrn, ford’re ich dich auf, mir beizustehn, dies Gotenreich zu vernichten und Italien seiner Freiheit wiederzugeben. Man weiß am Kaiserhof dich und deinen Geist zu schätzen und nach dem Siege verheißt dir Justinian: – die Würde eines Senators zu Byzanz.« »Ist’s möglich!« rief Cethegus. »Aber nicht einmal diese höchste Ehre treibt mich dringender in euren Bund als die Entrüstung über die Undankbare, die zum Lohn für meine Dienste mein Leben bedroht. – Du bist doch gewiß,« fragte er ängstlich, »daß Belisar noch nicht sobald landen wird?« »Beruhige dich,« lächelte Petros, »diese meine Hand ist’s, die ihn herbeiwinkt, wann es Zeit. Erst muß Amalaswintha durch Theodahad ersetzt sein.« »Gut,« dachte Cethegus, »Zeit gewonnen, alles gewonnen. Und nicht eher soll der Byzantiner landen, bis ich ihn an der Spitze des bewaffneten Italiens empfangen kann.« »Ich bin der eure,« sprach er, »und ich denke, ich werde die Regentin dahin bringen, deinem Gatten mit eigner Hand die Krone aufs Haupt zu setzen. Amalaswintha soll dem Scepter entsagen.« »Nie thut sie das!« rief Gothelindis. »Vielleicht doch! Ihr Edelmut ist noch größer als ihr Herrscherstolz. Man kann seine Feinde auch durch ihre Tugenden verderben,« sagte Cethegus nachsinnend. »Ich bin meiner Sache gewiß und ich grüße dich, Königin der Goten!« schloß er mit leichter Verbeugung. Fünfundzwanzigstes Kapitel. Die Regentin Amalaswintha stand in der Zeit nach der Beseitigung der drei Herzoge in einer abwartenden Haltung. Hatte sie durch den Fall der Häupter des ihr feindlichen Adels etwas mehr freie Hand gewonnen, so stand doch die Volksversammlung zu Regeta bei Rom in naher Aussicht, in der sie sich von dem Verdacht des Mordes völlig reinigen oder die Krone, vielleicht das Leben, lassen mußte. Nur bis dahin hatten ihr Witichis und die Seinen ihren Schutz zugesagt. Sie spannte deshalb ihre Kräfte an, ihre Stellung bis zu jener Entscheidung nach allen Seiten zu befestigen. Von Cethegus hoffte sie nichts mehr: sie hatte seine kalte Selbstsucht durchschaut; doch vertraute sie, daß die Italier und die Verschwornen in den Katakomben, an deren Spitze ja ihr Name stand, ihre römerfreundliche Herrschaft einem aus der rauhen Gotenpartei hervorgegangenen König vorziehen würden. Sehnlich wünschte sie das Eintreffen der vom Kaiser erbetenen Leibwache herbei um für den ersten Augenblick der Gefahr eine Stütze zu haben: und eifrig war sie bemüht, unter den Goten selbst die Zahl ihrer Freunde zu vermehren. Sie berief mehrere der alten Gefolgsleute ihres Vaters, eifrige Anhänger des Hauses der Amaler, greise Helden von großem Namen im Volk, Waffenbrüder und beinahe Jugendgenossen des alten Hildebrand, zu sich nach Ravenna, besonders den weißbärtigen Grippa, den Mundschenk Theoderichs, der dem Waffenmeister an Ruhm und Ansehn kaum nachstand: sie überhäufte ihn und die andern Gefolgen mit Ehren, übertrug Grippa und seinen Freunden das Kastell von Ravenna und ließ sie schwören, diese Feste dem Geschlecht der Amaler sicher zu erhalten. Wenn die Verbindung mit diesen volkbeliebten Namen eine Art von Gegengewicht wider Hildebrand, Witichis und ihre Freunde schaffen sollte, – und Witichis konnte die Auszeichnung der Freunde Theoderichs nicht als staatsgefährlich verhindern – so sah sich die Königin auch gegen die Adelspartei der Balten und ihrer Bluträcher nach einer Stütze um. Sie erkannte diese mit scharfem Blick in dem edeln Hause der Wölsungen, nach den Amalern und Balten der dritthöchsten Adelssippe unter den Goten, reich begütert und einflußreich in dem mittleren Italien, deren Häupter dermalen zwei Brüder, Herzog Guntharis und Graf Arahad, waren. Diese zu gewinnen, hatte sie ein besonders wirksames Mittel ersonnen: sie bot für die Freundschaft der Wölsungen keinen geringern Preis als die Hand ihrer schönen Tochter. – Zu Ravenna in einem reich geschmückten Gemach standen Mutter und Tochter in ernstem, aber nicht vertraulichem Gespräch hierüber. Mit hastigen Schritten, fremd ihrer sonstigen Ruhe, durchmaß die junonische Gestalt der Regentin den schmalen Raum, manchmal mit einem zornigen Blick das herrliche Geschöpf messend, welches ruhig und gesenkten Auges vor ihr stand, die linke Hand in die Hüfte, die Rechte auf die Platte des Marmortisches gestützt. »Besinne dich wohl,« rief Amalaswintha heftig, plötzlich stehen bleibend, »besinne dich anders. Ich gebe dir noch drei Tage Bedenkzeit.« »Das ist umsonst: ich werde immer sprechen wie heute,« sagte Mataswintha, die Augen nicht erhebend. »So sage nur, was du an Graf Arahad auszusetzen hast.« »Nichts, als daß ich ihn nicht liebe.« Die Königin schien dies gar nicht zu hören. »Es ist doch in diesem Fall ganz anders als damals, da du mit Cyprianus vermählt werden solltest. Er war alt und – was in deinen Augen vielleicht ein Nachteil« – fügte sie bitter hinzu – »ein Römer!« »Und doch ward ich um meiner Weigerung willen nach Tarentum verbannt.« »Ich hoffte, Strenge würde dich heilen. Mondelang halt’ ich dich ferne von meinem Hof, von meinem Mutterherzen« – Mataswintha verzog die schöne Lippe zu einem herben Lächeln. »Umsonst! ich rufe dich zurück« – »Du irrst. Mein Bruder Athalarich hat mich zurückgerufen.« »Ein andrer Freier wird dir vorgeschlagen. Jung, blühend schön, ein Gote von edelstem Adel, sein Haus jetzt das zweite im Reich. Du weißt, du ahnst wenigstens, wie sehr mein rings bedrängter Thron der Stütze bedarf: er und sein kriegsgewalt’ger Bruder verheißen uns die Hilfe ihrer ganzen Macht: Graf Arahad liebt dich und du – du schlägst ihn aus! Warum? Sage warum?« »Weil ich ihn nicht liebe.« »Albernes Mädchengerede. Du bist eine Königstochter – du hast dich deinem Hause, deinem Reiche zu opfern.« »Ich bin ein Weib,« sagte Mataswintha, die blitzenden Augen aufschlagend, »und opfre mein Herz keiner Macht im Himmel und auf Erden.« – »Und so spricht meine Tochter! Sieh auf mich, thörichtes Kind. Großes hab’ ich erstrebt und erreicht. Solange Menschen das Hohe bewundern, werden sie meinen Namen nennen. Ich habe alles gewonnen was das Leben Herrlichstes bietet und doch hab’ ich –« »Nie geliebt. Ich weiß es,« seufzte ihre Tochter. »Du weißt es?« »Ja, es war der Fluch meiner Kindheit. Wohl war ich noch ein Kind, als mein geliebter Vater starb: ich wußte es nicht zu sagen, aber ich konnte es empfinden, damals schon, daß seinem Herzen etwas fehle, wenn er seufzend, mit schmerzlicher Liebe, Athalarich und mich umfing und küßte und wieder seufzte. Und ich liebte ihn darum desto inniger, daß ich fühlte, er suchte Liebe, die ihm fehlte. Jetzt freilich weiß ich längst, was mich damals unerklärlich peinigte: du wardst unseres Vaters Weib, weil er nach Theoderich der nächste am Thron: aus Herrschsucht, nicht aus Liebe, wardst du sein und nur kalten Stolz hattest du für sein warmes Herz.« Überrascht blieb Amalaswintha stehen: »Du bist sehr kühn.« »Ich bin deine Tochter.« »Du redest von der Liebe so vertraut – du kennst sie besser scheint’s mit zwanzig als ich mit vierzig Jahren – du liebst!« rief sie schnell, »und daher dieser Starrsinn.« Mataswintha errötete und schwieg. »Rede,« rief die erzürnte Mutter, »gesteh’ es oder leugne!« Mataswintha senkte die Augen und schwieg: nie war sie so schön gewesen. »Willst du die Wahrheit verleugnen? Bist du feige, Amelungentochter?« Stolz schlug das Mädchen die Augen auf: »Ich bin nicht feige und ich verleugne die Wahrheit nicht. Ja, ich liebe.« »Und wen, Unselige?« »Das wird mir kein Gott entreißen.« Und so entschieden sah sie dabei aus, daß Amalaswintha keinen Versuch machte, es zu erfahren. »Wohlan,« sagte sie, »meine Tochter ist kein gewöhnlich Wesen. So fordere ich das Ungewöhnliche von dir: dein alles dem Höchsten zu opfern.« »Ja, Mutter, ich trage im Herzen einen hohen Traum. Er ist mein Höchstes. Ihm will ich alles opfern.« »Mataswintha,« sprach die Regentin, »wie unköniglich! Sieh, dich hat Gott vor Tausenden gesegnet an Herrlichkeit des Leibes und der Seele: du bist zur Königin geboren.« »Eine Königin der Liebe will ich werden. Sie preisen mich alle um meine Weibesschönheit: wohlan: ich hab’ mir’s vorgesteckt, liebend und geliebt, beglückend und beglückt, ein Weib zu sein.« »Ein Weib! ist das dein ganzer Ehrgeiz!« »Mein ganzer. O wär’ es auch der deine gewesen!« »Und der Enkelin Theoderichs gilt das Reich und die Krone nichts? Und nichts dein Volk, die Goten?« »Nein, Mutter,« sagte Mataswintha ernst: »es schmerzt mich beinahe, es beschämt mich: aber ich kann mich nicht zwingen zu dem, was ich nicht fühle: ich empfinde nichts bei dem Worte »Goten«: vielleicht ist es nicht meine Schuld: du hast von jeher diese Goten verachtet, diese Barbaren gering geschätzt: das waren die ersten Eindrücke: sie sind geblieben. Und ich hasse diese Krone, dieses Gotenreich: es hat in deiner Brust dem Vater, dem Bruder, mir den Platz fortgenommen. Diese Gotenkrone, nichts ist sie mir von je gewesen und geblieben als eine verhaßte, feindliche Macht.« »O mein Kind, weh’ mir, wenn ich das verschuldet hätte! Und thust du’s nicht um des Reiches, o thu’s um meinetwillen. Ich bin so gut wie verloren ohne die Wölsungen. Thu’s um meiner Liebe willen.« Und sie faßte ihre Hand. – Mataswintha entzog sie mit bittrem Lächeln: »Mutter, entweihe den höchsten Namen nicht. Deine Liebe! Du hast mich nie geliebt. Nicht mich, nicht den Bruder, nicht den Vater.« »Mein Kind! Was hätt’ ich geliebt, wenn nicht euch!« »Die Krone, Mutter, und diese verhaßte Herrschaft. Wie oft hast du mich von dir gestoßen vor Athalarichs Geburt, weil ich ein Mädchen war und du einen Thronerben wolltest. Denke an meines Vaters Grab und an –« »Laß ab,« winkte Amalaswintha. »Und Athalarich? Hast du ihn geliebt, oder vielmehr sein Recht auf den Thron? O wie oft haben wir armen Kinder geweint, wenn wir die Mutter suchten und die Königin fanden.« »Du hast mir nie geklagt. Erst jetzt, da du mir Opfer bringen sollst.« »Mutter, es gilt ja auch jetzt nicht dir, nur deiner Krone, deiner Herrschaft. Leg’ diese Krone ab und du bist aller Sorgen frei. Die Krone hat dir und uns allen kein Glück, nur Schmerzen gebracht. Nicht du bist bedroht: dir wollt’ ich alles opfern – nur dein Thron, nur der goldne Reif des Gotenreichs, der Götze deines Herzens, der Fluch meines Lebens: nie werd’ ich dieser Krone meine Liebe opfern, nie, nie, nie!« Und sie kreuzte die weißen Arme über ihrer Brust, als wollte sie die Liebe darin beschirmen. »Ah,« sagte die Königin zürnend, »selbstisches, herzloses Kind! Du gestehst, daß du kein Herz hast für dein Volk, für die Krone deiner großen Ahnen – du gehorchst nicht freiwillig der Stimme der Ehre, des Ruhmes deines Hauses – wohlan, so gehorche dem Zwang. Du sprichst mir die Liebe ab, so erfahre meine Strenge. Zur Stunde verläßt du mit deinem Gefolge Ravenna. Du gehst als Gast nach Florentia in das Haus des Herzogs Guntharis: seine Gattin hat dich geladen. Graf Arahad wird deine Reise begleiten. Verlaß mich. Die Zeit wird dich beugen.« »Mich?« sprach Mataswintha, sich hoch aufrichtend: »keine Ewigkeit!« Schweigend blickte ihr die Königin nach: die Anklagen der Tochter hatten einen mächtigeren Eindruck auf sie gemacht als sie zeigen wollte. »Herrschsucht?« sagte sie zu sich selbst. »Nein, das ist es nicht, was mich erfüllt. Ich fühlte, daß ich dies Reich schirmen und beglücken konnte, darum liebte ich die Krone. Und gewiß, ich könnte, wie mein Leben, so meine Krone opfern, verlangte es das Heil meines Volks. Könntest du das, Amalaswintha?« fragte sie sich, zweifelnd die Linke auf die Brust legend. Sie ward aus ihrem Sinnen geweckt durch Cassiodor, der langsam und gesenkten Hauptes eintrat. »Nun,« rief Amalaswintha, erschreckt von dem Ausdruck seiner Züge, »bringst du ein Unglück?« »Nein, nur eine Frage.« »Welche Frage?« »Königin,« hob der Alte feierlich an, »ich habe deinem Vater und dir dreißig Jahre lang gedient, treu und eifrig, ein Römer den Barbaren, weil ich eure Tugenden ehrte und weil ich glaubte, Italien, der Freiheit nicht mehr fähig, sei unter eurer Herrschaft am sichersten geborgen: denn eure Herrschaft war gerecht und mild. Ich habe fort gedient, obwohl ich meiner Freunde, Boëthius und Symmachus, Blut fließen sah, wie ich glaube, unschuldig Blut: aber sie starben durch offnes Gericht, nicht durch Mord. Ich mußte deinen Vater ehren, auch wo ich ihn nicht loben konnte. Jetzt aber –« »Nun, jetzt aber?« fragte die Königin stolz. »Jetzt komme ich, von meiner vieljährigen Freundin, ich darf sagen, meiner Schülerin –« »Du darfst es sagen,« sprach Amalaswintha weicher. »Von des großen Theoderich edler Tochter ein einfach schlichtes Wort, ein Ja zu erbitten. Kannst du dies Ja sprechen – ich flehe zu Gott, daß du es könnest – so will ich dir dienen treu wie je, solang es dieses greise Haupt vermag.« »Und kann ich’s nicht?« »Und könntest du es nicht, o Königin,« rief der Alte schmerzlich, »o dann Lebewohl dir und meiner letzten Freude an dieser Welt.« »Und was hast du zu fragen?« »Amalaswintha, du weißt ich war fern an der Nordgrenze des Reichs, als hier der Aufstand losbrach, als jene furchtbare Kunde, jene furchtbare Anklage sich erhob. Ich glaubte nichts – ich flog hierher von Tridentum. – Seit zwei Tagen bin ich hier und keine Stunde vergeht, keinen Goten spreche ich, ohne daß die schwere Klage mir schwerer aufs Herz fällt. Und auch du bist verwandelt, ungleich, unstet, unruhig – und doch will ich’s nicht glauben. – Ein treues Wort von dir soll all’ diese Nebel zerstreuen.« »Wozu die vielen Reden,« rief sie, auf die Armlehne des Thrones sich stützend, »sage kurz, was hast du zu fragen?« »Sprich nur ein schlichtes Ja: bist du schuldlos an dem Tode der drei Herzoge?« »Und wenn ich es nicht wäre, – haben sie nicht reichlich den Tod verdient?« »Amalaswintha, ich bitte dich: sage ja.« »Du nimmst ja auf einmal großen Anteil an den gotischen Rebellen!« »Ich beschwöre dich,« rief der Greis auf die Kniee fallend, »Tochter Theoderichs, sage ja, wenn du kannst.« »Steh auf,« sprach sie finster sich abwendend, »du hast kein Recht, so zu fragen.« »Nein,« sagte der Alte ruhig aufstehend, »nein, jetzt nicht mehr. Denn von diesem Augenblick an gehör’ ich der Welt nicht mehr an.« »Cassiodor!« rief die Königin erschrocken. »Hier ist der Schlüssel zu meinen Gemächern in dieser Königsburg: du findest darin alle Geschenke, die ich von dir und Theoderich erhalten, die Urkunden meiner Würden, die Abzeichen meiner Ämter. Ich gehe.« »Wohin, mein alter Freund, wohin?« »In das Kloster, das ich gegründet zu Squillacium in Apulien. Fortan werd’ ich, fern den Werken der Könige, nur die Werke Gottes auf Erden verwalten: längst verlangt meine Seele nach Frieden, und jetzt hab’ ich auf Erden nichts mehr, was mir teuer. Noch einen Rat will ich dir scheidend geben: lege das Scepter aus der blutbefleckten Hand: sie kann diesem Reiche nicht mehr Segen, nur Fluch kann sie ihm bringen. Denke an das Heil deiner Seele, Tochter Theoderichs: Gott sei dir gnädig.« Und ehe sie sich von ihrer Bestürzung erholt, war er verschwunden. Sie wollte ihm nacheilen, ihn zurückrufen, aber an dem Vorhang trat ihr Petros, der Gesandte von Byzanz, entgegen. »Königin,« sagte er rasch und leise, »bleib’ und höre mich. Es gilt ein dringendes Wort. Man folgt mir auf dem Fuß.« »Wer folgt dir?« »Leute, die es nicht so gut meinen mit dir als ich. Täusche dich nicht länger: die Geschicke dieses Reiches erfüllen sich: du hältst sie nicht mehr auf, so rette für dich was zu retten ist: ich wiederhole meinen Vorschlag.« »Welchen Vorschlag?« »Den von gestern.« »Den der Schande, des Verrats! Niemals! Ich werde diese Beleidigung deinem Herrn, dem Kaiser, melden und ihn bitten, dich abzurufen. Mit dir verhandle ich nicht mehr.« »Königin, es ist nicht mehr Zeit, dich zu schonen. Der nächste Gesandte Justinians heißt Belisar und kömmt mit einem Heere.« »Unmöglich!« rief die verlassene Fürstin. »Ich nehme meine Bitte zurück.« »Zu spät. Belisars Flotte liegt schon bei Sicilien. Den Vorschlag, den ich dir gestern als meinen Gedanken mitteilte, hast du als solchen verworfen. Vernimm: nicht ich, der Kaiser Justinian selbst ist es, der ihn ausspricht als letztes Zeichen seiner Huld.« »Justinian, mein Freund, mein Schützer, will mich und mein Reich verderben!« rief Amalaswintha, der es schrecklich tagte. »Nicht dich verderben, dich erretten! Wiedergewinnen will er dies Italien, die Wiege des römischen Reichs: dieser unnatürliche, unmögliche Staat der Goten, er ist gerichtet und verloren. Trenne dich von dem sinkenden Fahrzeug. Justinian reicht dir die Freundeshand, die Kaiserin bietet dir ein Asyl an ihrem Herzen, wenn du Neapolis, Rom, Ravenna und alle Festungen in Belisars Hände lieferst und geschehen läßt, daß die Goten entwaffnet über die Alpen geführt werden.« »Elender, soll ich mein Volk verraten, wie ihr mich? Zu spät erkenne ich eure Tücke! Eure Hilfe rief ich an und ihr wollt mich verderben.« »Nicht dich, nur die Barbaren.« »Diese Barbaren sind mein Volk, sind meine einzigen Freunde: ich erkenne es jetzt und ich stehe zu ihnen in Tod und Leben.« »Aber sie steh’n nicht mehr zu dir.« »Verwegner! fort aus meinen Augen, fort von meinem Hof.« »Du willst nicht hören? Merke wohl, o Königin, nur unter jener Bedingung bürg’ ich für dein Leben.« »Für mein Leben bürgt mein Volk in Waffen.« »Schwerlich. Zum letztenmal frag’ ich dich –« »Schweig. Ich lief’re die Krone nicht ohne Kampf an Justinian.« »Wohlan,« sagte Petros zu sich selbst, »so muß es ein andrer thun. – Tretet ein, ihr Freunde,« rief er hinaus. – Aber aus dem Vorhang trat langsam mit gekreuzten Armen Cethegus. »Wo ist Gothelindis? wo Theodahad?« flüsterte Petros. – Seine Bestürzung entging der Fürstin nicht. »Ich ließ sie vor dem Palast. Die beiden Weiber hassen sich zu grimmig. Ihre Leidenschaft würde alles verderben.« »Du bist mein guter Engel nicht, Präfekt von Rom,« sprach Amalaswintha finster und von ihm zurückweichend. »Diesmal vielleicht doch,« flüsterte Cethegus auf sie zuschreitend. »Du hast die Vorschläge von Byzanz verworfen? Das erwartete ich von dir. Entlaß den falschen Griechen.« Auf einen Wink der Königin trat Petros in ein Seitengemach. »Was bringst du mir, Cethegus! Ich traue dir nicht mehr!« »Du hast, statt mir zu trauen, dem Kaiser vertraut und du siehst den Erfolg.« »Ich sehe ihn,« sagte sie schmerzlich. »Königin, ich habe dich nie belogen und getäuscht darin: ich liebe Italien und Rom mehr als deine Goten: du wirst dich erinnern, ich habe dir dies niemals verhehlt.« »Ich weiß es und kann es nicht tadeln.« »Am liebsten säh’ ich Italien frei. Muß es dienen, so dien’ es nicht dem tyrannischen Byzanz, sondern euch, der milden Hand der Goten. Das war von je mein Gedanke, das ist er noch heute. Um Byzanz abzuhalten, will ich dein Reich erhalten: aber offen sag’ ich dir, du, deine Herrschaft läßt sich nicht mehr stützen. Rufst du zum Kampfe gegen Byzanz, so werden dir die Goten nicht mehr folgen, die Italier nicht vertrauen.« »Und warum nicht? Was trennt mich von den Italiern und von meinem Volk?« »Deine eignen Thaten. Zwei unselige Dokumente, in der Hand des Kaisers Justinian. Du selbst hast zuerst seine Waffen ins Land gerufen, eine Leibwache von Byzanz!« Amalaswintha erbleichte: »Du weißt –« »Leider nicht nur ich, sondern meine Freunde, die Verschworenen in den Katakomben: Petros hat ihnen den Brief mitgeteilt: sie fluchen dir.« »So bleiben mir meine Goten.« »Nicht mehr. Nicht bloß der ganze Anhang der Balten steht dir nach dem Leben: – die Verschworenen von Rom haben im Zorn über dich beschlossen, sowie der Kampf entbrennt, aller Welt kund zu thun, daß dein Name an ihrer Spitze stand gegen die Goten, gegen dein Volk. Jenes Blatt mit deinem Namen ist nicht mehr in meiner Hand, es liegt im Archiv der Verschwörung.« »Ungetreuer!« »Wie konnte ich wissen, daß du hinter meinem Rücken mit Byzanz verkehrst und dadurch meine Freunde dir verfeindest? Du siehst: Byzanz, Goten, Italier, alles steht gegen dich. Beginnt nun der Kampf gegen Byzanz unter deiner Führung, so wird Uneinigkeit Italier und Barbaren spalten, niemand dir gehorchen, und dies Reich hilflos vor Belisar erliegen. Amalaswintha, es gilt ein Opfer: ich fordre es von dir im Namen Italiens, deines und meines Volks.« »Welches Opfer? ich bringe jedes.« »Das höchste: deine Krone. Übergieb sie einem Mann der Goten und Italier gegen Byzanz zu vereinen vermag und rette dein Volk und meines.« Amalaswintha sah ihn forschend an: es kämpfte und rang in ihrer Brust. »Meine Krone! sie war mir sehr teuer.« »Ich habe Amalaswinthen stets jedes höchsten Opfers fähig gehalten.« »Darf ich, kann ich deinem Rate trauen!« »Wenn der dir süß wäre, dürftest du zweifeln. Wenn ich deinem Stolze schmeichelte, dürftest du mißtrauen: aber ich rate dir die bittre Arznei der Entsagung. Ich wende mich an deinen Edelsinn, an deinen Opfermut: laß mich nicht zu Schanden werden.« »Dein letzter Rat war ein Verbrechen,« sagte Amalaswintha schaudernd. »Ich hielt deinen Thron durch jedes Mittel, solang er zu halten war, solang er Italien nützte: jetzt schadet er Italien und ich verlange, daß du dein Volk mehr liebst als dein Scepter.« »Bei Gott! du irrst darin nicht: für mein Volk hab’ ich mich nicht gescheut, fremdes Leben zu opfern,« – sie verweilte gern bei diesem Gedanken, der ihr Gewissen beschwichtigte, – »ich werde mich nicht weigern, jetzt – aber wer soll mein Nachfolger werden?« »Dein Erbe, dem die Krone gebührt, der letzte der Amaler.« »Wie? Theodahad, der Schwächling?« »Er ist kein Held, das ist wahr. Aber die Helden werden ihm gehorchen, dem Neffen Theoderichs, wenn du ihn einsetzest. Und bedenke noch eins: seine römische Bildung hat ihm die Römer gewonnen: ihm werden sie beistehen: einen König nach des alten Hildebrand, nach Tejas Herzen würden sie hassen und fürchten.« »Und mit Recht;« sagte die Regentin sinnend: »aber Gothelindis Königin!« Da trat Cethegus ihr näher und sah ihr scharf ins Auge: »So klein ist Amalaswintha nicht, daß sie kläglicher Weiberfeindschaft gedenkt, wo es edler Entschlüsse bedarf. Du erschienst mir von jeher größer als dein Geschlecht. Beweis’ es jetzt. Entscheide dich!« »Nicht jetzt,« sprach Amalaswintha, »meine Stirne glüht, und verwirrend pocht mein Herz. Laß mir diese Nacht, mich zu fassen. Du hast mir Entsagung zugetraut: ich danke dir. Morgen die Entscheidung.« Viertes Buch. THEODAHAD. »Nachbarn zu haben schien Theodahad eine Art von Unglück.« Prokop, Gotenkrieg I. 3. Erstes Kapitel. Am andern Morgen verkündete ein Manifest dem staunenden Ravenna, daß die Tochter Theoderichs zu Gunsten ihres Vetters Theodahad auf die Krone verzichtet und daß dieser, der letzte Mannessproß der Amelungen, den Thron bestiegen habe. Italier und Goten wurden aufgefordert, dem neuen Herrscher den Eid der Treue zu schwören. So hatte Cethegus richtig gerechnet. Das Gewissen der unseligen Frau fühlte sich durch manche Thorheit, ja durch blut’ge Schuld schwer belastet: edle Naturen suchen Erleichterung und Buße in Opfer und Entsagung: durch ihrer Tochter und Cassiodors Anklagen war ihr Herz mächtig bewegt worden und der Präfekt hatte sie in günstiger Stimmung für seinen Rat gefunden. Weil er so bitter war, befolgte sie ihn: ja sie hatte, um ihr Volk zu retten und ihre Schuld zu sühnen, sich noch weitere Demütigungen vorgesteckt. Ohne Schwierigkeit vollzog sich der Thronwechsel. Die Italier zu Ravenna waren zu einer Erhebung keineswegs vorbereitet und wurden von Cethegus auf gelegnere Zeit vertröstet. Auch war der neue König als Freund römischer Bildung bei ihnen bekannt und beliebt. Die Goten freilich schienen sich nicht ohne weitres den Tausch gefallen lassen zu wollen. Fürst Theodahad war allerdings ein Mann – das empfahl ihn gegenüber Amalaswinthen – und ein Amaler: das wog schwer zu seinen Gunsten gegenüber jedem andern Bewerber um die Krone. Aber im übrigen war er im Volke der Goten keineswegs hoch angesehen. Unkriegerisch und feige, verweichlicht an Leib und Seele hatte er keine der Eigenschaften, welche die Germanen von ihren Königen forderten. Nur Eine Leidenschaft erfüllte seine Seele: Habsucht, unersättliche Goldgier. Reich begütert in Tuscien lebte er mit allen seinen Nachbarn in ewigen Prozessen: mit List und Gewalt und dem Schwergewicht seiner königlichen Geburt wußte er seinen Grundbesitz nach allen Seiten auszudehnen und die Ländereien weit in der Runde an sich zu reißen: »denn – sagt ein Zeitgenosse – Nachbarn zu haben schien dem Theodahad eine Art von Unglück«. Dabei war seine schwache Seele vollständig abhängig von der bösartigen, aber kräftigen Natur seines Weibes. Einen solchen König sahen denn die Tüchtigsten unter den Goten nicht gern auf dem Throne Theoderichs. Und kaum war das Manifest Amalaswinthens bekannt geworden, als Graf Teja, der kurz zuvor mit Hildebad in Ravenna angekommen war, diesen sowie den alten Waffenmeister und den Grafen Witichis zu sich beschied und sie aufforderte, die Unzufriedenheit des Volkes zu steigern, zu leiten und einen Würdigern an Theodahads Stelle zu setzen. »Ihr wißt,« schloß er seine Worte, »wie günstig die Stimmung im Volke. Seit jener Bundesnacht im Mercuriustempel haben wir unablässig geschürt unter den Goten und Großes ist schon gelungen: des edeln Athalarich Aufschwung, der Sieg am Epiphaniasfeste, das Zurückholen Amalaswinthens, wir haben es bewirkt. Jetzt winkt die günstige Gelegenheit. Soll an des Weibes Stelle treten ein Mann, der schwächer als ein Weib? Haben wir keinen Würdigern mehr als Theodahad im Volk der Goten?« »Recht hat er, beim Donner und Strahl,« rief Hildebad. »Fort mit diesen verwelkten Amalern! Einen Heldenkönig hebt auf den Schild und schlagt los nach allen Seiten. Fort mit dem Amaler!« »Nein,« sagte Witichis, ruhig vor sich hinblickend, »noch nicht! Vielleicht, daß es noch einmal so kommen muß: aber nicht früher darf es geschehen als es muß. Der Anhang der Amaler ist groß im Volk: nur mit Gewalt würde Theodahad den Reichtum, Gothelindis die Macht der Krone sich entwinden lassen: sie würden stark genug sein, wenn nicht zum Siege, doch zum Kampf. Kampf aber unter den Söhnen eines Volks ist schrecklich, nur die Notwendigkeit kann ihn rechtfertigen. Die ist noch nicht da. Theodahad mag sich bewähren: er ist schwach, so wird er sich leiten lassen. Hat er sich unfähig erwiesen, so ist’s noch immer Zeit.« »Wer weiß, ob dann noch Zeit ist,« warnte Teja. »Was rätst du, Alter?« fragte Hildebad, auf welchen die Gründe des Grafen Witichis nicht ohne Wirkung blieben. »Brüder,« sagte der Waffenmeister, seinen langen Bart streichend, »ihr habt die Wahl, darum die Qual. Mir sind beide erspart: ich bin gebunden. Die alten Gefolgen des großen Königs haben einen Eid gethan, solang sein Haus lebt, keinem Fremden die Gotenkrone zuzuwenden.« »Welch thörichter Eid!« rief Hildebad. »Ich bin alt und nenn’ ihn nicht thöricht. Ich weiß, welcher Segen auf der festen, heiligen Ordnung des Erbgangs ruht. Und die Amaler sind Söhne der Götter,« schloß er geheimnisvoll. »Ein schöner Göttersohn, Theodahad!« lachte Hildebad. »Schweig,« rief zornig der Alte, »das begreift ihr nicht mehr, ihr neuen Menschen. Ihr wollt alles fassen und verstehen mit eurem kläglichen Verstand. Das Rätsel, das Geheimnis, das Wunder, der Zauber, der im Blute liegt – dafür habt ihr den Sinn verloren. Darum schweig’ ich von solchen Dingen zu euch. Aber ihr macht mich nicht mehr anders mit meinen bald hundert Jahren. Thut ihr, was ihr wollt, ich thue, was ich muß.« »Nun,« sprach Graf Teja nachgebend, »auf euer Haupt die Schuld. Aber wenn dieser letzte Amaler dahin ...« – »Dann ist das Gefolge seines Schwures frei.« »Vielleicht,« schloß Witichis, »ist es ein Glück, daß auch uns dein Eid die Wahl erspart: denn gewiß wollen wir keinen Herrscher, den du nicht anerkennen könntest. Gehen wir denn, das Volk zu beschwichtigen und tragen wir diesen König – solang er zu tragen ist.« »Aber keine Stunde länger,« sagte Teja und ging zürnend hinaus. Zweites Kapitel. Am nämlichen Tage noch wurden Theodahad und Gothelindis mit der alten Krone der Gotenkönige gekrönt. Ein reiches Festmahl, besucht von allen römischen und gotischen Großen des Hofes und der Stadt, belebte den weiten Palast Theoderichs und den sonst so stillen Garten, den wir als den Schauplatz von Athalarichs und Kamillas Liebe kennen gelernt. Bis tief in die Nacht währte das lärmende Gelage. Der neue König, kein Freund der Becher und barbarischer Festfreuden, hatte sich frühe zurückgezogen. Gothelindis dagegen sonnte sich gern in dem Glanz ihrer jungen Herrlichkeit: stolz prangte sie auf ihrem Purpursitz, die goldne Zackenkrone im dunkeln Haar. Sie schien ganz Ohr für die lauten Jubelrufe, die ihren und ihres Gatten Namen feierten. Und doch hatte ihr Herz dabei nur Eine Freude: den Gedanken, daß dieser Jubel hinunterdringen müsse bis in die Königsgruft, wo Amalaswintha, die verhaßte, besiegte Feindin, am Sarkophage ihres Sohnes trauerte. Unter der Menge von jenen Gästen, die immer fröhlich sind, wenn sie bei vollen Bechern sitzen, war doch auch so manches ernstere Gesicht zu bemerken: mancher Römer, der auf dem leeren Thron da oben lieber den Kaiser gesehen hätte: so mancher Gote, der in der gefährlichen Lage des Reiches einem König wie Theodahad nicht ohne Sorge huldigen konnte. Zu letzteren zählte Witichis, dessen Gedanken nicht unter dem kranzgeschmückten Säulendach der Trinkhalle zu weilen schienen. Unberührt stand die goldne Schale vor ihm und auf den lauten Zuruf Hildebads, der ihm gegenüber saß, achtete er kaum. Endlich – schon leuchteten längst im Saale die Lampen und am Himmel die Sterne – stand er auf und ging hinaus in das grüne Dunkel des Gartens. Langsam wandelte er durch die Taxusgänge dahin: sein Auge hing an den funkelnden Sternen. Sein Herz war daheim bei seinem Weibe, bei seinem Knaben, die er monatelang nicht mehr gesehen. So führte ihn sein sinnendes Wandeln an den Venustempel bei der Meeresbucht, die wir kennen. Er sah hinaus nach der flimmernden See – da blitzte etwas dicht vor seinen Füßen im schwachen Mondlicht: es war eine Rüstung, daneben die kleine, gotische Harfe: ein Mann lag vor ihm im weichen Grase und ein bleiches Antlitz hob sich ihm entgegen. »Du hier, Teja? Du warst nicht beim Fest.« »Nein, ich war bei den Toten.« »Auch mein Herz weiß nichts von diesen Festen: es war daheim bei Weib und Kind,« sagte Witichis, sich zu ihm niedersetzend. »Bei Weib und Kind,« wiederholte Teja seufzend. »Viele fragten nach dir, Teja.« »Nach mir! Soll ich sitzen neben Cethegus, der mir die Ehre nahm, und neben Theodahad, der mir mein Erbe nahm?« »Dein Erbe nahm?« »Wenigstens besitzt er’s. Und über den Ort, wo meine Wiege stand, ging seine Pflugschar.« Und schweigend sah er lange vor sich hin. »Dein Harfenspiel – es schweigt? Man rühmt dich unsres Volkes besten Harfenschläger und Sänger!« »Wie Gelimer, der letzte König der Vandalen, seines Volkes bester Harfenschläger war. – – Aber mich würden sie nicht im Triumph einführen nach Byzanz!« »Du singst nicht oft mehr?« »Fast niemals mehr. Aber mir ist, die Tage kommen, da ich wieder singen werde.« »Tage der Freude?« »Tage der höchsten, der letzten Trauer.« Lange schwiegen beide. – »Mein Teja,« hob endlich Witichis an, »in allen Nöten von Krieg und Frieden hab’ ich dich erfunden treu, wie mein Schwert. Und obwohl du soviel jünger als ich und nicht leicht der Ältere sich dem Jüngling verbindet, kann ich dich meinen besten Herzensfreund nennen. Und ich weiß, daß auch dein Herz mehr an mir hängt als an deinen Jugendgenossen.« Teja drückte ihm die Hand: »Du verstehst mich und ehrest meine Art, auch wo du sie nicht verstehst. Die andern –! und doch: den einen hab’ ich sehr lieb.« »Wen?« »Den alle lieb haben.« »Totila!« »Ich hab’ ihn lieb wie die Nacht den Morgenstern. Aber er ist so hell: er kann’s nicht fassen, daß andere dunkel sind und bleiben müssen.« »Bleiben müssen! Warum? Du weißt, Neugier ist meine Sache nicht. Und wenn ich dich in dieser ernsten Stunde bitte: lüfte den Schleier, der über dir und deiner finstern Trauer liegt, so bitt’ ich’s nur, weil ich dir helfen möchte. Und weil des Freundes Auge oft besser sieht als das eigene.« »Helfen? Mir helfen? Kannst du die Toten wieder auferwecken? Mein Schmerz ist unwiderruflich wie die Vergangenheit. Und wer einmal gleich mir den unbarmherzigen Rädergang des Schicksals verspürt hat, wie es, blind und taub für das Zarte und Hohe, mit eherner grundloser Gewalt alles vor sich nieder tritt, ja, wie es das Edle, weil es zart ist, leichter und lieber zermalmt, als das Gemeine, wer erkannt hat, daß eine dumpfe Notwendigkeit, welche Thoren die weise Vorsehung Gottes nennen, die Welt und das Leben der Menschen beherrscht, der ist hinaus über Hilfe und Trost: er hört ewig, wenn er es einmal erlauscht, mit dem leisen Gehör der Verzweiflung den immer gleichen Taktschlag des fühllosen Rades im Mittelpunkt der Welt, das gleichgültig mit jeder Bewegung Leben zeugt und Leben tötet. Wer das einmal empfunden und erlebt, der entsagt einmal und für immer und allem: nichts wird ihn mehr erschrecken. Aber freilich – die Kunst des Lächelns hat er auch vergessen auf immerdar.« »Mir schaudert. Gott bewahre mich vor solchem Wahn! Wie kamst du so jung zu so fürchterlicher Weisheit?« »Freund, mit deinen Gedanken allein ergrübelst du die Wahrheit nicht, erleben mußt du sie. Und nur, wenn du des Mannes Leben kennst, begreifst du, was er denkt und wie er denkt. Und auf daß ich dir nicht länger erscheine wie ein irrer Träumer, wie ein Weichling, der sich gern in seinen Schmerzen wiegt, – und damit ich dein Vertrauen und deine schöne Freundschaft ehre, vernimm, – höre ein kleines Stück meines Grams. Das größere, das unendlich größere behalt’ ich noch für mich,« sagte er schmerzlich, die Hand auf die Brust drückend, – »es kömmt wohl noch die Stunde auch für dies. Vernimm heute nur, wie über meinem Haupte der Stern des Unheils schon leuchtete, da ich gezeugt ward. – Und von all den tausend Sternen da oben bleibt nur dieser Stern getreu. Du warst dabei – du erinnerst dich – wie der falsche Präfekt mich laut vor allen einen Bastard schalt und mir den Zweikampf weigerte: – ich mußte es dulden: ich bin noch schlimmeres als ein Bastard. – – Mein Vater, Tagila, war ein tüchtiger Kriegsheld, aber kein Adaling, gemeinfrei und arm. Er liebte, schon seit der Bart ihm sproßte, Gisa, seines Vaterbruders Tochter. Sie lebten draußen, weit an der äußersten Ostgrenze des Reichs, an dem kalten Ister, wo man stets im Kampfe liegt mit den Gepiden und den wilden räuberischen Sarmaten und wenig Zeit hat, an die Kirche zu denken und die wechselnden Gebote, die ihre Konzilien erlassen. Lange konnte mein Vater seine Gisa nicht heimführen: er hatte nichts als Helm und Speer und konnte ihrem Mundwalt den Malschatz nicht zahlen und einem Weibe keinen Herd bereiten. Endlich lachte ihm das Glück. Im Krieg gegen einen Sarmatenkönig eroberte er dessen festen Schatzturm an der Alutha: und die reichen Schätze, welche die Sarmaten seit Jahrhunderten zusammengeplündert und hier aufgehäuft, wurden seine Beute. Zum Lohn seiner That ernannte ihn Theoderich zum Grafen und rief ihn nach Italien. Mein Vater nahm seine Schätze und Gisa, jetzt sein Weib, mit sich über die Alpen und kaufte sich weite schöne Güter in Tuscien zwischen Florentia und Luca. Aber nicht lange währte sein Glück. Kaum war ich geboren, da verklagte ein Elender, ein feiger Schurke, meine Eltern wegen Blutschande beim Bischof von Florentia. Sie waren katholisch – nicht Arianer – und Geschwisterkinder: ihre Ehe war nichtig nach dem Recht der Kirche – und die Kirche gebot ihnen, sich zu trennen. Mein Vater drückte sein Weib an die Brust und lachte des Gebots. Aber der geheime Ankläger ruhte nicht –« – »Wer war der Neiding?« »O wenn ich es wüßte, ich wollte ihn erreichen und thronte er in allen Schrecken des Vesuvius! Er ruhte nicht. Unablässig bedrängten die Priester meine arme Mutter und wollten ihre Seele mit Gewissensbissen schrecken. Umsonst: sie hielt sich an ihren Gott und ihren Gatten und trotzte dem Bischof und seinen Sendboten. Und mein Vater, wenn er einen der Pfaffen in seinem Gehöfte traf, begrüßte ihn, daß er nicht wieder kam. Aber wer kann mit denen kämpfen, die im Namen Gottes sprechen! Eine letzte Frist ward den Ungehorsamen gesteckt: hätten sie sich bis dahin nicht getrennt, so sollten sie dem Bann verfallen und ihr Hab und Gut der Kirche. Entsetzt eilte jetzt mein Vater an den Hof des Königs, Aufhebung des grausamen Spruches zu erflehen. Aber die Satzung des Konzils sprach zu klar und Theoderich konnte es nicht wagen, das Recht der katholischen Kirche zu kränken. Als mein Vater zurückkehrte von Ravenna, mit Gisa zu flüchten, starrte er entsetzt auf die Stätte, wo sein Haus gestanden: der Termin war abgelaufen, und die Drohung erfüllt: sein Haus zerstört, sein Weib, sein Kind verschwunden. Rasend stürmte er durch ganz Italien, uns zu suchen. Endlich entdeckte er, als Priester verkleidet, seine Gisa in einem Kloster zu Ticinum: ihren Knaben hatte man ihr entrissen und nach Rom geschleppt. Mein Vater bereitet mit ihr alles zur Flucht: sie entkommen um Mitternacht über die Mauer des Klostergartens. Aber am Morgen fehlt die Büßerin bei der Hora: man vermißt sie, ihre Zelle ist leer. Die Klosterknechte folgen den Spuren des Rosses, – sie werden eingeholt: grimmig fechtend fällt mein Vater: meine Mutter wird in ihre Zelle zurückgebracht. Und so furchtbar drücken die Macht des Schmerzes und die Zucht des Klosters auf die zermürbte Seele, daß sie in Wahnsinn fällt und stirbt. Das sind meine Eltern!« »Und du?« »Mich entdeckte in Rom der alte Hildebrand, ein Waffenfreund meines Großvaters und Vaters: – er entriß mich, mit des Königs Beistand, den Priestern und ließ mich mit seinen eigenen Enkeln in Regium erziehen.« »Und dein Gut, dein Erbe?« »Verfiel der Kirche, die es, halb geschenkt, an Theodahad überließ: er war meines Vaters Nachbar, er ist jetzt mein König!« »Mein armer Freund! Aber wie erging es dir später? Man weiß nur dunkles Gerede – du warst einmal in Griechenland gefangen ... –« Teja stand auf. »Davon laß mich schweigen; vielleicht ein andermal. Ich war Thor genug, auch einmal an Glück zu glauben und an eines liebenden Gottes Güte. Ich hab’ es schwer gebüßt. Ich will’s nie wieder thun. Leb wohl, Witichis, und schilt nicht auf Teja, wenn er nicht ist wie andre.« Er drückte ihm die Hand und war rasch im dunkeln Laubgang verschwunden. Witichis sah lange schweigend vor sich hin. Dann blickte er gen Himmel, in den hellen Sternen eine Widerlegung der finstern Gedanken zu finden, die des Freundes Worte in ihm geweckt. Er sehnte sich nach ihrem Licht voll Frieden und Klarheit. Aber während des Gesprächs war Nebelgewölk rasch aus den Lagunen aufgestiegen und hatte den Himmel überzogen: es war finster ringsum. Mit einem Seufzer stand Witichis auf und suchte in ernstem Sinnen sein einsames Lager. Drittes Kapitel. Während unten in den Hallen des Palatiums Italier und Goten tafelten und zechten, ahnten sie nicht, daß über ihren Häuptern in dem Gemach des Königs eine Verhandlung gepflogen ward, die über ihr und ihres Reiches Schicksale entscheiden sollte. Unbeobachtet war dem König alsbald der Gesandte von Byzanz nachgefolgt und lange und geheim sprachen und schrieben die beiden miteinander. Endlich schienen sie handelseinig geworden und Petros wollte anheben, nochmal vorzulesen, was sie gemeinsam beschlossen und aufgezeichnet. Aber der König unterbrach ihn. »Halt,« flüsterte der kleine Mann, der in seinem weiten Purpurmantel verloren zu gehen drohte, »halt – noch eins!« Und er hob sich aus dem schön geschweiften Sitz, schlich durch das Gemach und hob den Vorhang, ob niemand lausche. Dann kehrte er beruhigt zurück und faßte den Byzantiner leise am Gewand. Das Licht der Bronzeampel spielte im Winde flackernd auf den gelben vertrockneten Wangen des häßlichen Mannes, der die kleinen Augen zusammenkniff: »Noch dies. Wenn jene heilsamen Veränderungen eintreten sollen, – auf daß sie eintreten können, wird es gut sein, ja notwendig, einige der trotzigsten meiner Barbaren unschädlich zu machen.« – »Daran hab’ ich bereits gedacht,« nickte Petros. »Da ist der alte halbheidnische Waffenmeister, der grobe Hildebad, der nüchterne Witichis« – »Du kennst deine Leute gut,« grinste Theodahad, »du hast dich tüchtig umgesehen. Aber,« raunte er ihm ins Ohr, »einer, den du nicht genannt hast, einer vor allen muß fort.« »Der ist?« »Graf Teja, des Tagila Sohn.« »Ist der melancholische Träumer so gefährlich?« »Der gefährlichste von allen! Und mein persönlicher Feind! schon von seinem Vater her.« »Wie kam das?« »Er war mein Nachbar bei Florentia. Ich mußte seine Äcker haben – umsonst drang ich in ihn. Ha,« lächelte er pfiffig, »zuletzt wurden sie doch mein. Die heilige Kirche trennte seine verbrecherische Ehe, nahm ihm sein Gut dabei und ließ mir’s – billig – ab. Ich hatte einiges Verdienst um die Kirche in dem Prozeß – dein Freund, der Bischof von Florentia kann dir’s genau erzählen.« »Ich verstehe,« sagte Petros, »was gab der Barbar seine Äcker nicht in Güte! Weiß Teja –?« »Nichts weiß er. Aber er haßt mich schon deshalb, weil ich sein Erbgut – kaufte. Er wirft mir finstere Blicke zu. Und dieser schwarze Träumer ist der Mann, seinen Feind zu den Füßen Gottes zu erwürgen.« »So?« sagte Petros, plötzlich sehr nachdenklich. »Nun, genug von ihm: er soll nicht schaden. Laß dir jetzt nochmal den ganzen Vertrag Punkt für Punkt vorlesen; dann unterzeichne. Erstens. König Theodahad verzichtet auf die Herrschaft über Italien und die zugehörigen Inseln und Provinzen des Gotenreichs: nämlich Dalmatien, Liburnien, Istrien, das zweite Pannonien, Savien, Noricum, Rätien und den gotischen Besitz in Gallien, zu Gunsten des Kaisers Justinian und seiner Nachfolger auf dem Throne von Byzanz. Er verspricht, Ravenna, Rom, Neapolis und alle festen Plätze des Reichs dem Kaiser ohne Widerstand zu öffnen.« Theodahad nickte. »Zweitens. König Theodahad wird mit allen Mitteln dahin wirken, daß das ganze Heer der Goten entwaffnet und in kleinen Gruppen über die Alpen geführt werde. Weiber und Kinder haben nach Auswahl des kaiserlichen Feldherrn dem Heere zu folgen oder als Sklaven nach Byzanz zu gehen. Der König wird dafür sorgen, daß jeder Widerstand der Goten erfolglos bleiben muß. Drittens. Dafür beläßt Kaiser Justinian dem König Theodahad und seiner Gemahlin den Königstitel und die königlichen Ehren auf Lebenszeit, und viertens« – Diesen Abschnitt will ich doch mit eigenen Augen lesen,« unterbrach Theodahad, nach der Urkunde langend. »Viertens beläßt der Kaiser dem König der Goten nicht nur alle Ländereien und Schätze, die dieser als sein Privateigentum bezeichnen wird, sondern auch den ganzen Königsschatz der Goten, der allein an geprägtem Gold auf vierzigtausend Pfunde geschätzt ist. Er übergiebt ihm ferner zu Erb und Eigen ganz Tuscien von Pistoria bis Cäre, von Populonia bis Clusium und endlich überweist er an Theodahad auf Lebenszeit die Hälfte aller öffentlichen Einkünfte des durch diesen Vertrag seinem rechtmäßigen Herrn zurückerworbenen Reiches. – Sage, Petros, meinst du nicht, ich könnte drei Viertel fordern?« – – »Fordern kannst du sie, allein ich zweifle sehr, daß sie dir Justinian gewährt. Ich habe schon die Grenzen, die äußersten, meiner Vollmacht überschritten.« »Fordern wollen wir’s doch immerhin,« meinte der König, die Zahl ändernd. »Dann muß Justinian herunter markten oder dafür andre Vorteile gewähren.« Um des Petros schmale Lippen spielte ein falsches Lächeln: »Du bist ein kluger Handelsmann, o König. – Aber hier verrechnest du dich doch,« sagte er zu sich selbst. Da rauschten schleppende Gewänder den Marmorgang heran und eintrat ins Gemach in langem schwarzem Mantel und schwarzem, mit silbernen Sternen besätem Schleier Amalaswintha, bleich von Antlitz, aber in edler Haltung, eine Königin trotz der verlornen Krone: überwältigende Hoheit der Trauer sprach aus den bleichen Zügen. »König der Goten,« hob sie an, »vergieb, wenn an deinem Freudenfeste ein dunkler Schatte noch einmal auftaucht von der Welt der Toten. Es ist zum letztenmal.« Beide Männer waren von ihrem Anblick betroffen. »Königin,« – stammelte Theodahad. »Königin! o wär’ ich’s nie gewesen. Ich komme, Vetter, von dem Sarge meines edeln Sohnes, wo ich Buße gethan für all’ meine Verblendung, und all’ meine Schuld bereut. Ich steige herauf zu dir, König der Goten, dich zu warnen vor gleicher Verblendung und gleicher Schuld.« Theodahads unstetes Auge vermied ihren ernsten, prüfenden Blick. »Es ist ein übler Gast,« fuhr sie fort, »den ich in mitternächtiger Stunde als deinen Vertrauten bei dir finde. Es ist kein Heil für einen Fürsten als in seinem Volk: zu spät hab’ ich’s erkannt, zu spät für mich, nicht zu spät, hoff’ ich, für mein Volk. Traue du nicht Byzanz: es ist ein Schild, der den erdrückt, den er beschirmen soll.« »Du bist ungerecht,« sagte Petros, »und undankbar.« »Thu nicht, mein königlicher Vetter,« fuhr sie fort, »was dieser von dir fordert. Bewillige nicht du, was ich ihm weigerte. Sicilien sollen wir abtreten und dreitausend Krieger dem Kaiser stellen für alle seine Kriege – ich wies die Schmach von mir. Ich sehe,« sprach sie, auf das Pergament deutend, »du hast schon mit ihm abgeschlossen. Tritt zurück, sie werden dich immer täuschen.« Ängstlich zog Theodahad die Urkunde an sich: er warf einen mißtrauischen Blick auf Petros. Da trat dieser gegen Amalaswintha vor: »Was willst du hier, du Königin von gestern? Willst du dem Beherrscher dieses Reiches wehren? Deine Zeit und deine Macht ist um.« – »Verlaß uns,« sagte Theodahad, ermutigt. »Ich werde thun was mir gutdünkt. Es soll dir nicht gelingen mich von meinen Freunden in Byzanz zu trennen. Sieh her, vor deinen Augen soll unser Bund geschlossen sein.« Und er zeichnete seinen Namen auf die Urkunde. »Nun,« lächelte Petros, »kamst du noch eben recht, als Zeugin mit zu unterzeichnen.« »Nein,« sprach Amalaswintha mit einem drohenden Blick auf die beiden Männer, »ich kam noch eben recht, euren Plan zu vereiteln. Ich gehe geradeswegs von hier zum Heere, zur Volksversammlung, die nächstens bei Regeta tagt. Aufdecken will ich daselbst vor allem Volk deine Anträge, die Pläne von Byzanz und dieses schwachen Fürsten Verrat.« »Das wird nicht angehn,« sagte Petros ruhig, »ohne dich selbst zu verklagen.« »Ich will mich selbst verklagen. Enthüllen will ich all’ meine Thorheit, all’ meine blutige Schuld und gern den Tod erleiden, den ich verdient. Aber warnen, aufschrecken soll diese meine Selbstanklage mein ganzes Volk vom Ätna bis zu den Alpen; eine Welt von Waffen soll euch entgegenstehn und retten werd’ ich meine Goten durch meinen Tod von der Gefahr, in die mein Leben sie gestürzt.« Und in edler Begeisterung eilte sie aus dem Gemach. Verzagt blickte Theodahad auf den Gesandten: lang fand er keine Worte. »Rate, hilf –« stammelte er endlich. »Raten? Da hilft nur Ein Rat. Die Rasende wird sich und uns verderben, läßt man sie gewähren. Sie darf ihre Drohung nicht erfüllen. Dafür mußt du sorgen.« »Ich?« rief Theodahad erschreckt; »ich kann dergleichen nicht! Wo ist Gothelindis? Sie, sie allein kann helfen.« »Und der Präfekt,« sagte Petros – »sende nach ihnen.« Alsbald waren die beiden Genannten von dem Festmahle herauf beschieden. Petros verständigte sie von den Worten der Fürstin, ohne jedoch dem Präfekten den Vertrag als Veranlassung des Auftritts zu nennen. Kaum hatte er gesprochen, so rief die Königin: »Genug, sie darf es nicht vollenden. Man muß ihre Schritte bewachen, sie darf mit keinem Goten in Ravenna sprechen – sie darf den Palast nicht verlassen. Das vor allem!« Und sie eilte hinaus, vertraute Sklaven vor Amalaswinthens Gemächer zu senden. Alsbald kehrte sie wieder. »Sie betet laut in ihrer Kammer,« sprach sie verächtlich. »Auf, Cethegus, laß uns ihre Gebete vereiteln.« Cethegus hatte, mit dem Rücken an die Marmorsäulen des Eingangs gelehnt, die Arme über der Brust gekreuzt, diese Vorgänge schweigend und sinnend mit angehört. Er erkannte die Notwendigkeit, die Fäden der Ereignisse wieder mehr in seine Hand zu versammeln und straffer anzuziehen. Er sah Byzanz immer mehr in den Vordergrund dringen: – das durfte nicht weiter angehn. »Sprich, Cethegus,« mahnte Gothelindis nochmals, »was thut jetzt vor allem Not?« »Klarheit,« sagte dieser sich aufrichtend. »In jedem Bunde muß der Zweck, der besondere Zweck jedes der Verbündeten klar sein: sonst werden sie stets sich durch Mißtrau’n hemmen. Ihr habt eure Zwecke, – ich habe den meinen. Eure Zwecke liegen am Tage: ich habe sie euch neulich schon gesagt: du Petros, willst, daß Kaiser Justinian an der Goten Statt in Italien herrsche: ihr, Gothelindis und Theodahad, wollt dies auch, gegen reiche Entschädigung an Rache, Geld und Ehren. Ich aber – ich habe auch meinen Zweck: was hilft es, das zu verhehlen? Mein schlauer Petros, du würdest doch nicht lange mehr glauben, daß ich nur den Ehrgeiz habe, dein Werkzeug zu sein, und dereinst Senator in Byzanz zu werden. Also auch ich habe meinen Zweck: all’ eure dreieinige Schlauheit würde ihn nie entdecken, weil er zu nahe vor Augen liegt. Ich muß ihn euch selbst verraten. Der versteinerte Cethegus hat noch eine Liebe: sein Italien. Drum will er, wie ihr, die Goten fort haben aus diesem Land. Aber er will nicht, wie ihr, daß Kaiser Justinianus unbedingt an ihre Stelle trete: er will nicht die Traufe statt des Regens. Am liebsten möchte ich, der unverbesserliche Republikaner – du weißt, mein Petros, wir waren es damals beide mit achtzehn Jahren auf der Schule von Athen und ich bin es noch: aber du brauchst es dem Kaiser, deinem Herrn, nicht zu melden, ich hab’ es ihm lange selbst geschrieben – die Barbaren hinauswerfen, ohne euch herein zu lassen. Das geht nun leider nicht an: wir können eurer Hilfe nicht entbehren. Doch will ich diese auf das Unvermeidliche beschränken. Kein byzantinisch Heer darf diesen Boden betreten, als um ihn im letzten Augenblick der Not aus der Hand der Italier zu empfangen. Italien sei mehr ein von den Italiern dargebrachtes Geschenk als eine Eroberung für Justinian: die Segnungen der Feldherrn und Steuerrechner, die Byzanz über die Länder bringt, die es befreit, sollen uns erspart bleiben: wir wollen euern Schutz, nicht eure Tyrannei.« Über Petros’ Züge zog ein feines Lächeln, das Cethegus nicht zu bemerken schien; er fuhr fort: »So vernehmt meine Bedingung. Ich weiß, Belisarius liegt mit Flotte und Heer nah bei Sicilien. Er darf nicht landen. Er muß heimkehren. Ich kann keinen Belisar in Italien brauchen. Wenigstens nicht eher als ich ihn rufe. Und sendest du, Petros, ihm nicht sofort diesen Befehl zu, so scheiden sich unsere Wege. Ich kenne Belisar und Narses und ihre Soldatenherrschaft und ich weiß, welch’ milde Herren diese Goten sind. Und mich erbarmt Amalaswinthens: sie war eine Mutter meines Volks. Deshalb wählet, wählet zwischen Belisar und Cethegus. Landet Belisar, so steht Cethegus und ganz Italien zu Amalaswintha und den Goten: und dann laß sehn, ob ihr uns eine Scholle dieses Landes entreißt. Wählt ihr Cethegus, so bricht er die Macht der Barbaren und Italien unterwirft sich dem Kaiser als seine freie Gattin, nicht als seine Sklavin. Wähle, Petros.« »Stolzer Mann,« sprach Gothelindis, »du wagst uns Bedingungen zu setzen, uns, deiner Königin?« Und drohend erhob sie die Hand. Aber mit eiserner Faust ergriff Cethegus diese Hand und zog sie ruhig herab. »Laß die Possen, Eintagskönigin. Hier unterhandeln nur Italien und Byzanz. Vergißt du deine Ohnmacht, so muß man dich dran mahnen. Du thronst, solange wir dich halten.« Und mit so ruhiger Majestät stand er vor dem zornmütigen Weib, daß sie verstummte. Aber ihr Blick sprühte unauslöschlichen Haß. »Cethegus,« sagte jetzt Petros, der sich einstweilen entschlossen, »du hast Recht. Byzanz kann für den Augenblick nicht mehr erreichen als deine Hilfe, weil nichts ohne sie. Wenn Belisar umkehrt, so gehst du ganz mit uns und unbedingt?« »Unbedingt.« »Und Amalaswinthen?« »Geb’ ich Preis.« »Wohlan,« sagte der Byzantiner, »es gilt.« Er schrieb auf eine Wachstafel in kurzen Worten den Befehl zur Heimkehr an Belisar und reichte sie dem Präfekten: »Du magst die Botschaft selbst bestellen.« Cethegus las sorgfältig: »Es ist gut,« sagte er, die Tafel in die Brust steckend, »es gilt.« »Wann bricht Italien los auf die Barbaren?« fragte Petros. »In den ersten Tagen des nächsten Monats. Ich gehe nach Rom. Leb wohl.« »Du gehst? Und hilfst uns nicht das Weib – die Tochter Theoderichs verderben?« fragte die Königin mit bittrem Vorwurf. »Erbarmt dich ihrer abermals?« »Sie ist gerichtet,« sagte Cethegus, an der Thür sich kurz umwendend. »Der Richter geht – der Henker Amt hebt an.« Und stolz schritt er hinaus. Da faßte Theodahad, der sprachlos vor Staunen den Byzantiner hatte handeln sehn, mit Entsetzen dessen Hand: »Petros,« rief er, »um Gott und aller Heiligen willen, was hast du gethan? Unser Vertrag und alles ruht auf Belisar und du schickst ihn nach Hause?« »Und läßt diesen Übermütigen triumphieren?« knirschte Gothelindis. Aber Petros lächelte: der Sieg der Schlauheit strahlte auf seinem Antlitz. »Seid ruhig,« sagte er, »diesmal ist er überwunden, der Allüberwinder Cethegus, besiegt von dem verhöhnten Petros.« Er ergriff Theodahad und Gothelindis an den Händen, zog sie nahe an sich, sah sich um, und flüsterte dann: »Vor jenem Brief an Belisar steht ein kleiner Punkt: der bedeutet ihm: all das Geschriebene ist nicht ernst gemeint, ist nichtig. Ja, ja, man lernt, man lernt die Schreibekunst am Hofe von Byzanz.« Viertes Kapitel. Zwei Tage nach der nächtlichen Begegnung mit Theodahad und Petros verbrachte Amalaswintha in einer Art von wirklicher oder vermeinter Gefangenschaft. So oft sie ihre Gemächer verließ, so oft sie einbog in einen Gang des Palastes, jedesmal glaubte sie hinter oder neben sich Gestalten auftauchen, hingleiten, verschwinden zu sehen, die ebenso eifrig bedacht schienen, all’ ihre Schritte zu beobachten als sich selbst ihren Blicken zu entziehen: kaum zu dem Grabe ihres Sohnes konnte sie unbewacht niedersteigen. Umsonst fragte sie nach Witichis, nach Teja: sie hatten gleich am Morgen nach dem Krönungsfest in Aufträgen des Königs die Stadt verlassen. Das Gefühl, vereinsamt und von bösen Feinden umlauert zu sein, ruhte drückend auf ihrer Seele. Schwer und düster hingen am Morgen des dritten Tages die herbstlichen Regenwolken auf Ravenna herab, als sich Amalaswintha von dem schlummerlosen Lager erhob. Unheimlich berührte es sie, daß, als sie an das Fenster von Frauenglas trat, ein Rabe krächzend von dem Marmorsims aufstieg und mit heiserem Schrei und schwerem Flügelschlag langsam über die Gärten dahinflog. Die Fürstin fühlte schon daran, wie geknickt ihre Seele war durch diese Tage von Schmerz, Furcht und Reue, daß sie sich des finstern Eindrucks nicht erwehren konnte, den ihr die frühen Herbstnebel, aus den Lagunen der Seestadt aufsteigend, brachten. Seufzend blickte sie in die graue Sumpflandschaft hinaus. Schwer war ihr Herz von Reue und Sorge. Und ihr einziger Halt der Gedanke, durch freie Selbstanklage und volle Demütigung vor allem Volk das Reich noch zu retten um den Preis ihres Lebens. Denn sie zweifelte nicht, daß die Gesippen und Bluträcher der drei Herzoge ihre Pflicht vollauf erfüllen würden. In solchen Gedanken schritt sie durch die öden Hallen und Gänge des Palastes, diesmal, wie sie glaubte, unbelauscht, hinunter zu der Ruhestätte ihres Sohnes, sich in den Vorsätzen der Buße und Sühne an ihrem Volk zu befestigen. Als sie nach geraumer Zeit aus der Gruft wieder emporstieg und in einen dunkeln Gewölbgang einlenkte, huschte ein Mann in Sklaventracht aus einer Nische hervor – sie glaubte sein Gesicht schon oft gesehen zu haben – drückte ihr eine kleine Wachstafel in die Hand und war seitab verschwunden. Sie erkannte sofort – die Handschrift Cassiodors –. Und sie erriet nun auch den geheimnisvollen Überbringer: es war Dolios, der Briefsklave ihres treuen Ministers. Rasch die Tafel in ihrem Gewande bergend eilte sie in ihr Gemach. Dort las sie: »In Schmerz, nicht in Zorn, schied ich von dir. Ich will nicht, daß du unbußfertig abgerufen werdest und deine unsterbliche Seele verloren gehe. Flieh aus diesem Palast, aus dieser Stadt: dein Leben ist keine Stunde mehr sicher. Du kennst Gothelindis und ihren Haß. Traue niemand als meinem Schreiber und finde dich um Sonnenuntergang bei dem Venustempel im Garten ein. Dort wird dich meine Sänfte erwarten und in Sicherheit bringen, nach meiner Villa im Bolsener See. Folge und vertraue.« Gerührt ließ Amalaswintha den Brief sinken: der vielgetreue Cassiodor! Er hatte sie doch nicht ganz verlassen. Er bangte und sorgte noch immer für das Leben der Freundin. Und jene reizende Villa auf der einsamen Insel im blauen Bolsener See! Dort hatte sie, vor vielen, vielen Jahren, als Gast Cassiodors, in voller Blüte der Jugendschönheit, Hochzeit gehalten mit Eutharich, dem edeln Amalungen, und, von allem Schimmer der Macht und Ehren umflossen, ihrer Jugend stolzeste Tage gefeiert. Ihr sonst so hartes, aber jetzt vom Unglück erweichtes Gemüt beschlich mächtige Sehnsucht, die Stätte ihrer schönsten Freuden wiederzusehen. Schon dies Eine Gefühl trieb sie mächtig an, der Mahnung Cassiodors zu folgen: noch mehr die Furcht, – nicht für ihr Leben, denn sie wollte sterben – die Raschheit ihrer Feinde möchte ihr unmöglich machen, das Volk zu warnen und das Reich zu retten. Endlich überlegte sie, daß der Weg nach Regeta bei Rom, wo in Bälde die große Volksversammlung, wie alljährlich im Herbst, statthaben sollte, sie am Bolsener See vorüberführte. Also war es nur eine Beschleunigung ihres Planes, wenn sie schon jetzt in dieser Richtung aufbrach. Um aber auf alle Fälle sicher zu gehn, um, auch wenn sie das Ziel ihrer Reise nicht erreichen sollte, ihre warnende Stimme an das Ohr des Volks gelangen zu lassen, beschloß sie einem Brief an Cassiodor, den auf seiner Villa anzutreffen sie nicht bestimmt voraussetzen konnte, ihre ganze Beichte und die Enthüllung aller Pläne der Byzantiner und Theodahads anzuvertrauen. Bei geschlossenen Thüren schrieb sie die schmerzreichen Worte nieder: heiße Thränen des Dankes und der Reue fielen auf das Pergament, das sie sorgfältig siegelte und dem treuesten ihrer Sklaven übergab, es sicher nach dem Kloster Squillacium in Apulien, der Stiftung und dem gewöhnlichen Aufenthalt Cassiodors, zu befördern. Langsam verstrichen der Fürstin die zögernden Stunden des Tages. Mit ganzer Seele hatte sie des Freundes dargebotne Hand ergriffen. Erinnerung und Hoffnung malten ihr um die Wette das Eiland im Bolsener See als ein teures Asyl: dort hoffte sie Ruhe und Frieden zu finden. Sie hielt sich sorgsam innerhalb ihrer Gemächer, um keinem ihrer Wächter Veranlassung zum Verdacht, Gelegenheit, sie aufzuhalten, zu geben. Endlich war die Sonne gesunken. Mit leisen Schritten eilte Amalaswintha, ihre Sklavinnen zurückweisend und nur einige Kleinodien und Dokumente unter dem weiten Mantel bergend, aus ihrem Schlafgemach in den breiten Säulengang, der zur Gartentreppe führte. Sie zitterte, hier wie gewöhnlich auf einen der lauschenden Späher zu stoßen, gesehen, angehalten zu werden. Häufig sah sie sich um, vorsichtig blickte sie sogar in die Statuennischen: – alles war leer, kein Lauscher folgte diesmal ihren Tritten. So erreichte sie unbeobachtet die Plattform der Freitreppe, die Palast und Garten verband und weiten Ausblick über diesen hin gewährte. Scharf überschaute sie den nächsten Weg, der zum Venustempel führte. Der Weg war frei. Nur die welken Blätter raschelten wie unwillig von den rauschenden Platanen auf die Sandpfade nieder, gewirbelt von dem Winde, der fern, jenseit der Gartenmauer, Nebel und Wolken in geisterhaften Gestalten vor sich her trieb: es war unheimlich in dem ausgestorbenen Garten und seiner grauen Dämmerung. Die Fürstin fröstelte, der kalte Abendwind zerrte an ihrem Schleier und Mantel: einen scheuen Blick warf sie noch auf die düstern, lastenden Steinmassen des Palastes hinter sich, in dem sie so stolz gewaltet und geherrscht und aus dem sie nun einsam, scheu, verfolgt wie eine Verbrecherin flüchtete. Sie dachte des Sohnes, der in den Tiefen des Palastes ruhte. – Sie dachte der Tochter, die sie selbst aus diesen Mauern, aus ihrer Nähe verbannt hatte. – Und einen Augenblick drohte der Schmerz die Verlassene zu überwältigen: sie wankte, mühsam hielt sie sich aufrecht an dem breiten Marmorgeländer der Terrasse: ein Fieberschauer rüttelte an ihrem Leibe wie das Grauen der Verlassenheit an ihrer Seele. »Aber mein Volk!« sprach sie zu sich selbst »und meine Buße – ich will’s vollenden.« Gekräftigt von diesem Gedanken eilte sie die Stufen der Treppe hinab und bog in den von Epheu überwölbten Laubgang ein, der quer durch den Garten führte und an dem Venustempel mündete. Rasch schritt sie voran, erbebend, wann zu einem der Seitengänge das Herbstlaub, wie seufzend, hereinwirbelte. Atemlos langte sie vor dem kleinen Tempel an und ließ ringsum die suchenden Blicke schweifen. Aber keine Sänfte, keine Sklaven waren zu sehen, rings war alles still: nur die Äste der Platanen seufzten im Winde. Da schlug das nahe Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr. Sie wandte sich: – um den Vorsprung der Mauer bog mit hastigen Schritten ein Mann. Es war Dolios. Er winkte, scheu umherspähend. Rasch eilte die Fürstin auf ihn zu, folgte ihm um die Ecke: und vor ihr stand Cassiodors wohlbekannter gallischer Reisewagen, die bequeme und vornehme Carruca, von allen vier Seiten mit verschiebbaren Gitterläden von feinem Holzwerk umschlossen, und mit dem raschen Dreigespann belgischer Manni beschirrt. »Eile thut not, o Fürstin,« flüsterte Dolios, sie in die weichen Polster hebend. »Die Sänfte ist zu langsam für den Haß deiner Feinde. Stille und Eile, daß uns niemand bemerkt.« Amalaswintha blickte noch einmal um sich. Dolios öffnete das Thor des Gartens und führte den Wagen vor dasselbe hinaus. Da traten zwei Männer aus dem Gebüsch: der eine bestieg den Sitz des Wagenlenkers vor ihr: der andere schwang sich auf eines der beiden gesattelt vor dem Thore stehenden Rosse: sie erkannte die Männer als vertraute Sklaven Cassiodors: sie waren wie Dolios mit Waffen versehen. Dieser sperrte wieder sorgfältig das Gartenthor und ließ die Gitterladen des Wagens herab. Dann warf er sich auf das zweite der Pferde und zog das Schwert: »Vorwärts!« rief er. Und von dannen jagte der kleine Zug, als wär’ ihm der Tod auf der Ferse. Fünftes Kapitel. Die Fürstin wiegte sich in Gefühlen des Dankes, der Freiheit, der Sicherheit. Sie baute schöne Entwürfe der Sühne. Schon sah sie ihr Volk durch ihre warnende Stimme gerettet vor Byzanz, vor dem Verrat des eigenen Königs: schon hörte sie den begeisterten Ruf des tapferen Heeres, der den Feinden Verderben, ihr aber Verzeihung verkündete. In solchen Träumen verflogen ihr die Stunden, die Tage und Nächte. Unausgesetzt eilte der Zug vorwärts: drei-, viermal des Tages wurden die Pferde des Wagens und der Reiter gewechselt, so daß sie Meile um Meile wie im Fluge zurücklegten. Wachsam hütete Dolios die ihm anvertraute Fürstin: mit gezogenem Schwert schützte er den Zugang zum Wagen, während seine Begleiter Speisen und Wein aus den Stationen holten. Jene geflügelte Eile und diese treue Wachsamkeit benahm Amalaswinthen eine Besorgnis, deren sie sich eine Weile nicht hatte erwehren können: ihr war, sie würden verfolgt. Zweimal, in Perusia und in Clusium, glaubte sie, wie der Wagen hielt, dicht hinter sich Rädergerassel zu hören und den Hufschlag eilender Rosse: ja in Clusium meinte sie, aus dem niedergelassenen Gitterladen zurückspähend, eine zweite Carruca, ebenfalls von Reitern begleitet, in das Thor der Stadt einbiegen zu sehen. Aber als sie Dolios davon sprach, jagte der spornstreichs nach dem Thore zurück und kam sogleich mit der Meldung wieder, daß nichts wahrzunehmen sei; auch hatte sie von da ab nichts mehr bemerkt: und die rasende Eile, mit der sie sich dem ersehnten Eiland näherte, ließ sie hoffen, daß ihre Feinde, selbst wenn sie ihre Flucht entdeckt und eine Strecke weit verfolgt haben sollten, alsbald ermüdet zurückgeblieben seien. Da verdüsterte ein Unfall, unbedeutend an sich, aber unheilkündend durch seine begleitenden Umstände, plötzlich die hellere Stimmung der flüchtenden Fürstin. Es war hinter der kleinen Stadt Martula. Öde baumlose Heide dehnte sich unabsehbar nach jeder Richtung: nur Schilf und hohe Sumpfgewächse ragten aus den feuchten Niederungen zu beiden Seiten der römischen Hochstraße und nickten und flüsterten gespenstisch im Nachtwind. Die Straße war hin und wieder mit niedern, von Reben überflochtenen Mauern eingefaßt und, nach altrömischer Sitte, mit Grabmonumenten, die aber oft traurig zerfallen waren und mit ihren auf dem Wege zerstreuten Steintrümmern den Pferden das Fortkommen erschwerten. Plötzlich hielt der Wagen mit einem heftigen Ruck und Dolios riß die rechte Thüre auf. »Was ist geschehen,« rief die Fürstin erschreckt, »sind wir in Feindes Hand?« »Nein,« sprach Dolios, der, ihr von je als verschlossen und finster bekannt, auf dieser Reise fast unheimlich schweigsam schien, »ein Rad ist gebrochen. Du mußt aussteigen und warten, bis es gebessert.« Ein heftiger Windstoß löschte in diesem Augenblick seine Fackel und naßkalter Regen schlug in der Bestürzten Antlitz. »Aussteigen? hier? und wohin dann? hier ist nirgend ein Haus, ein Baum, der Schutz böte vor Regen und Sturm. Ich bleibe in dem Wagen.« – »Das Rad muß abgehoben werden. Dort, das Grabmal, mag dir Schutz gewähren.« Mit einem Schauer von Furcht gehorchte Amalaswintha und schritt über die Steintrümmer, die ringsum zerstreut lagen, nach der rechten Seite des Weges, wo sie jenseit des Grabens ein hohes Monument aus der Dunkelheit ragen sah. Dolios half ihr über den Graben. Da schlug von der Straße hinter ihrem Wagen her das Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr. Erschrocken blieb sie stehen. »Es ist unser Nachreiter,« sagte Dolios rasch, »der uns den Rücken deckt, komm.« Und er führte sie durch feuchtes Gras den Hügel heran, auf dem sich das Monument erhob. Oben angelangt setzte sie sich auf die breite Steinplatte eines Sarkophags. Da war Dolios plötzlich im Dunkel verschwunden, vergebens rief sie ihn zurück: bald sah sie unten auf der Straße seine Fackel wieder brennen: rot leuchtete sie durch die Nebel der Sümpfe: und der Sturm entführte rasch den Schall der Hammerschläge der Sklaven, die an dem Rade arbeiteten. So saß die Tochter des großen Theoderich, einsam und todesflüchtig, auf der Heerstraße in unheimlicher Nacht; der Sturm riß an ihrem Mantel und Schleier, der feine kalte Regen durchnäßte sie, in den Cypressen hinter dem Grabmal seufzte melancholisch der Wind, oben am Himmel jagte zerfetztes Gewölk und ließ nur manchmal einen flüchtigen Mondstrahl durch, der die gleich wieder folgende Dunkelheit noch düsterer machte. Banges Grauen durchschlich fröstelnd ihr Herz. Allmählich gewöhnte sich ihr Auge an die Dunkelheit und umher sehend konnte sie die Umrisse der nächsten Dinge deutlicher unterscheiden: da – ihr Haar sträubte sich vor Entsetzen – da war ihr, es säße dicht hinter ihr auf dem erhöhten Hintereck des Sarkophags eine zweite Gestalt: – ihr eigener Schatten war es nicht –: eine kleinere Gestalt in weitem, faltigem Gewand, die Arme auf die Kniee, das Haupt in die Hände gestützt und zu ihr herunter starrend. Ihr Atem stockte, sie glaubte flüstern zu hören, fieberhaft strengte sie die Sinne an zu sehen, zu hören: da flüsterte es wieder: »Nein, nein: noch nicht!« So glaubte sie zu hören. Sie richtete sich leise auf, auch die Gestalt schien sich zu regen, es klirrte deutlich wie Stahl auf Stein. Da schrie die Geängstigte: »Dolios! Licht! Hilfe! Licht!« Und sie wollte den Hügel hinab, aber zitternd versagten die Kniee, sie fiel und verletzte die Wange an dem scharfen Gestein. Da war Dolios mit der Fackel heran, schweigend erhob er die Blutende: er fragte nicht. »Dolios,« rief sie sich fassend, »gieb die Leuchte: ich muß sehen, was dort war, was dort ist.« Sie nahm die Fackel und schritt entschlossen um die Ecke des Sarkophags: es war nichts zu sehen: aber jetzt, im Glanze der Fackel, erkannte sie, daß das Monument nicht, wie die übrigen, ein altes, daß es sichtlich erst neu errichtet war, so unverwittert war der weiße Marmor, so frisch die schwarzen Buchstaben der Inschrift. – Von jener seltsamen Neugier, die sich mit dem Grauen verbindet, unwiderstehlich fortgerissen, hielt sie die Fackel dicht an den Sockel des Monuments und las bei flackerndem Licht die Worte: »Ewige Ehre den drei Balten Thulun, Ibba und Pitza. Ewiger Fluch ihren Mördern.« Mit einem Aufschrei taumelte Amalaswintha zurück. Dolios führte die Halbohnmächtige zu dem Wagen. Fast bewußtlos legte sie die noch übrigen Stunden des Weges zurück. Sie fühlte sich krank an Leib und Seele. Je näher sie dem Eiland kam, desto lebhafter ward die fieberhafte Freude, mit der sie es ersehnt, verdrängt von einer ahnungsvollen Furcht: mit Bangen sah sie die Sträucher und Bäume des Weges immer rascher an sich vorüberfliegen. Endlich machten die dampfenden Rosse Halt. Sie senkte die Läden und blickte hinaus: es war die kalte, unheimliche Stunde, da das erste Tagesgrauen ankämpft gegen die noch herrschende Nacht: sie waren, so schien es, angelangt am Ufer des Sees: aber von seinen blauen Fluten war nichts zu sehen; ein düstrer grauer Nebel lag undurchdringlich wie die Zukunft vor ihren Augen: von der Villa, ja von der Insel selbst war nichts zu entdecken. Rechts vom Wagen stand eine niedrige Fischerhütte tief in dem dichten, ragenden Schilf, durch welches wie seufzend der Morgenwind fuhr, daß die schwankenden Häupter sich bogen. Seltsam: ihr war, als warnten und winkten sie hinweg von dem dahinter verborgenen See. Dolios war in die Hütte gegangen; er kam jetzt zurück und hob die Fürstin aus dem Wagen, schweigend führte er sie durch den feuchten Wiesengrund nach dem Schilf zu. Da lag am Ufer eine schmale Fähre: sie schien mehr im Nebel als im Wasser zu schwimmen. Am Steuer aber saß in einen grauen zerfetzten Mantel gehüllt ein alter Mann, dem die langen weißen Haare wirr ins Gesicht hingen. Er schien vor sich hin zu träumen mit geschlossenen Augen, die er nicht aufschlug, als die Fürstin in den schwankenden Nachen stieg und sich in der Mitte desselben auf einem Feldstuhl niederließ. Dolios trat an den Schnabel des Schiffes und ergriff zwei Ruder: die Sklaven blieben bei dem Wagen zurück. »Dolios,« rief Amalaswintha besorgt, »es ist sehr dunkel, wird der Alte steuern können in diesem Nebel, und an keinem Ufer ein Licht?« – »Das Licht würde ihm nichts nützen, Königin, er ist blind.« – »Blind?« rief die Erschrockene, »laß landen! kehr um!« – »Ich fahre hier seit bald zwanzig Jahren,« sprach der greise Ferge, »kein Sehender kennt den Weg gleich mir.« – »So bist du blind geboren?« »Nein, Theoderich der Amaler ließ mich blenden, weil mich Alarich, der Balten-Herzog, des Thulun Bruder, gedungen hätte, ihn zu morden. Ich bin ein Knecht der Balten, war ein Gefolgsmann Alarichs, aber ich war so unschuldig wie mein Herr, Alarich der Verbannte. Fluch über die Amalungen!« rief er mit zornigem Ruck am Steuer. »Schweig! Alter,« sprach Dolios. »Warum soll ich heute nicht sagen, was ich bei jedem Ruderschlag seit zwanzig Jahren sage? Es ist mein Taktspruch. – Fluch den Amalungen!« Mit Grauen sah die Flüchtige auf den Alten, der in der That mit völliger Sicherheit und pfeilgerade fuhr. Sein weiter Mantel und wirres Haar flogen im Winde: ringsum Nebel und Stille, nur das Ruder hörte man gleichförmig einschlagen, leere Luft und graues Licht auf allen Seiten. Ihr war, als führe sie Charon über den Styx in das graue Reich der Schatten. – Fiebernd hüllte sie sich in ihren faltigen Mantel. Noch einige Ruderschläge und sie landeten. Dolios hob die Zitternde heraus: der Alte aber wandte sein Boot schweigend und ruderte so rasch und sicher zurück wie er gekommen: Mit einer Art von Grauen sah ihm Amalaswintha nach, bis er in dem dichten Nebel verschwand. Da war es ihr, als höre sie den Schall von Ruderschlägen eines zweiten Schiffes, die rasch näher und näher drangen. Sie fragte Dolios nach dem Grund dieses Geräusches. »Ich höre nichts,« sagte dieser, »du bist allzu erregt, komm in das Haus.« Sie wankte auf seinen Arm gestützt die in den Felsboden gehauenen Stufen hinan, die zu der burgähnlichen, hochgetürmten Villa führten: von dem Garten, der, wie sie sich lebhaft erinnerte, zu beiden Seiten dieses schmalen Weges sich dehnte, waren in dem Nebel kaum die Linien der Baumreihen zu sehen. Endlich erreichten sie das hohe Portal, eine eherne Thür im Rahmen von schwarzem Marmor. Der Freigelassene pochte mit dem Knauf seines Schwertes: – dumpf dröhnte der Schlag in den gewölbten Hallen nach – die Thüre sprang auf. Amalaswintha gedachte, wie sie einst durch dieses Thor, das die Blumengewinde fast versperrt hatten, an ihres Gatten Seite eingezogen war: sie gedachte, wie sie die Pförtner, gleichfalls ein jung vermähltes Paar, so freundlich begrüßt. – Der finstersehende Sklave mit wirrem grauem Haar, der jetzt mit Ampel und Schlüsselbund vor ihr stand, war ihr fremd. »Wo ist Fuscina, des früheren Ostiarius Weib? ist sie nicht mehr im Hause?« fragte sie. »Die ist lang ertrunken im See,« sagte der Pförtner gleichgültig und schritt mit der Leuchte voran. Schaudernd folgte die Fürstin: sie mußte sich die kalten dunkeln Wogen vorstellen, die so unheimlich an den Planken ihrer Fähre geleckt. Sie gingen durch Bogenhöfe und Säulenhallen: – alles leer, wie ausgestorben, die Schritte hallten laut durch die Öde: – die ganze Villa schien ein weites Totengewölbe. »Das Haus ist unbewohnt? ich bedarf einer Sklavin.« »Mein Weib wird dir dienen.« »Ist sonst niemand in der Villa?« »Noch ein Sklave. Ein griechischer Arzt.« »Ein Arzt – ich will ihn –« Aber in diesem Augenblicke schollen von dem Portal her einige heftige Schläge: schwer dröhnten sie durch die leeren Räume. Entsetzt fuhr Amalaswintha zusammen. »Was war das?« fragte sie, Dolios’ Arm fassend. Sie hörte die schwere Thüre zufallen. »Es hat nur jemand Einlaß begehrt,« sagte der Ostiarius und schloß die Thüre des für die Flüchtige bestimmten Gemaches auf. Die dumpfe Luft eines lang nicht mehr geöffneten Raumes drang ihr erstickend entgegen: aber mit Rührung erkannte sie die Schildpattbekleidung der Wände: es war dasselbe Gemach, das sie vor zwanzig Jahren bewohnt: überwältigt von der Erinnerung glitt sie auf den kleinen Lectus, der mit dunkeln Polstern belegt war. Sie verabschiedete die beiden Männer, zog die Vorhänge des Lagers um sich her zu und verfiel bald in einen unruhigen Schlaf. Sechstes Kapitel. So lag sie, sie wußte nicht wie lange, bald wachend, bald träumend: wild jagte Bild auf Bild an ihrem Auge vorüber. Eutharich mit seinem Zug des Schmerzes um die Lippen: – Athalarich, wie er auf seinem Sarkophag hingestreckt lag, er schien ihr zu sich herab zu winken: – das vorwurfsvolle Antlitz Mataswinthens – dann Nebel und Wolken und blattlose Bäume: – drei zürnende Kriegergestalten mit bleichen Gesichtern und blutigen Gewändern: und der blinde Fährmann in das Reich der Schatten. Und wieder war ihr, sie liege auf der öden Heide auf den Stufen des Baltendenkmals und als rausche es hinter ihr und als beuge sich abermals hinter dem Steine hervor jene verhüllte Gestalt über sie näher und näher, – beengend, – erstickend. Die Angst schnürte ihr das Herz zusammen, entsetzt fuhr sie auf aus ihrem Traum und sah hochaufgerichtet um sich: da – nein, es war kein Traumgesicht – da rauschte es, hinter dem Vorhang des Bettes, und in die getäfelte Wand glitt ein verhüllter Schatte. Mit einem Schrei riß Amalaswintha die Falten des Vorhangs auseinander – da war nichts mehr zu sehen. Hatte sie doch nur geträumt? Aber sie konnte nicht mehr allein sein mit ihren bangen Gedanken. So drückte sie auf den Achatknauf in der Wand, der draußen einen Hammer in Bewegung setzte. Alsbald erschien ein Sklave, dessen Züge und Tracht höhere Bildung verrieten. Er gab sich als den griechischen Arzt zu erkennen: sie teilte ihm die Schreckgesichte, die Fieberschauer der letzten Stunden mit: er erklärte es für Folgen der Aufregung, vielleicht der Erkältung auf der Flucht, empfahl ihr ein warmes Bad und ging, dessen Mischung anzuordnen. Amalaswintha erinnerte sich der herrlichen Bäder, die, in zwei Stockwerken übereinander, den ganzen rechten Flügel der Villa einnahmen. Das untere Stockwerk der großen achteckigen Rotunde, für die kalten Bäder bestimmt, stand mit dem See in unmittelbarem Zusammenhange: sein Wasser wurde durch Siebthüren, die jede Unreinheit abhielten, hereingeleitet. Das obere Stockwerk erhob sich, als Verjüngung des Achtecks, über der Badstube des unteren, deren Decke – eine große, kreisförmige Metallplatte, – den Boden des oberen warmen Bades bildete und nach Belieben in zwei Halbkreisen rechts und links in das Gemäuer geschoben werden konnte, so daß die beiden Stockwerke dann einen ungeteilten turmhohen Raum bildeten, der zum Zweck der Reinigung oder zum Behuf von Schwimm- und Taucherspielen ganz von dem Wasser des Sees erfüllt werden konnte. Regelmäßig aber bildete das obere Achteck für sich den Raum des warmen Bades, in das vielfach verschlungene Wasserkünste in hundert Röhren mit zahllosen Delphinen, Tritonen und Medusenhäuptern von Bronze und Marmor duftige, mit Ölen und Essenzen gemischte Fluten leiteten, während zierliche Stufen von der Galerie, auf der man sich entkleidete, in das muschelförmige Porphyrbecken des eigentlichen Baderaumes hinabführten. Während sich die Fürstin noch diese Räume ins Gedächtnis zurückrief, erschien das Weib des Thürsklaven, sie in das Bad abzuholen. Sie gingen durch weite Säulenhallen und Büchersäle, in welchen aber die Fürstin die Kapseln und Rollen Cassiodors vermißte, in der Richtung nach dem Garten; die Sklavin trug die feinen Badetücher, Ölfläschchen und den Salbenkrug. Endlich gelangte sie in das turmähnliche Achteck des Badepalastes, dessen sämtliche Gelasse an Boden, Wand und Decke durchaus mit hellgrauen Marmorplatten belegt waren. Vorüber an den Hallen und Gängen, die der Gymnastik und dem Ballspiel vor und nach dem Bade dienten, vorüber an den Heizstübchen, den Auskleide- und Salbgemächern eilten sie sofort nach dem Caldarium, dem warmen Bade. Die Sklavin öffnete schweigend die in die Marmorwand eingesenkte Thür. Amalaswintha trat ein und stand auf der schmalen Galerie, die rings um das Bassin lief: gerade vor ihr führten die bequemen Stufen in das Bad, aus dem bereits warme und köstliche Dufte aufstiegen. Das Licht fiel von oben herein durch eine achteckige Kuppel von kunstvoll geschliffenem Glas: gerade am Eingang erhob sich eine Treppe von Cedernholz, die auf zwölf Staffeln zu einer Sprungbrücke führte: rings an den Marmorwänden der Galerie wie des Beckens verkleideten zahllose Reliefs die Mündungen der Röhren, die den Wasserkünsten und der Luftheizung dienten. Ohne ein Wort legte das Weib das Badegerät auf die weichen Kissen und Teppiche, die den Boden der Galerie bedeckten und wandte sich zur Thüre. »Woher bist du mir bekannt?« fragte die Fürstin sie nachdenklich betrachtend, »wie lange bist du hier?« »Seit acht Tagen.« Und sie ergriff die Thüre. »Wie lange dienst du Cassiodor?« »Ich diene von jeher der Fürstin Gothelindis.« Mit einem Angstschrei sprang Amalaswintha bei diesem Namen auf, wandte sich und griff nach dem Gewand des Weibes – zu spät: sie war hinaus, die Thüre war zugefallen und Amalaswintha hörte, wie der Schlüssel von außen umgedreht und abgezogen ward. Umsonst suchte ihr Auge nach einem anderen Ausgang. Da überkam ein ungeheures, unbekanntes Grauen die Königin: sie fühlte, daß sie furchtbar getäuscht, daß hier ein verderbliches Geheimnis verborgen sei: Angst, unsägliche Angst fiel auf ihr Herz: Flucht, Flucht aus diesem Raum war ihr einziger Gedanke. Aber keine Flucht schien möglich: die Thüre war von innen jetzt nur eine dicke Marmortafel, wie die zur Rechten und Linken: nicht mit einer Nadel war in ihre Fugen zu dringen: verzweifelnd ließ sie die Blicke rings an der Wand der Galerie kreisen: nur die Tritonen und Delphine starrten ihr entgegen: endlich ruhte ihr Auge auf dem schlangenstarrenden Medusenhaupt ihr gerade gegenüber – und sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Das Gesicht der Meduse war zur Seite geschoben und die ovale Öffnung unter dem Schlangenhaar war von einem lebenden Antlitz ausgefüllt. War es ein menschlich Antlitz? Die Zitternde klammerte sich an die Marmorbrüstung der Galerie und spähte vorgebeugt hinüber: ja, es waren Gothelindens verzerrte Züge: und eine Hölle von Haß und Hohn sprühte aus ihrem Blick. Amalaswintha brach in die Kniee und verhüllte ihr Gesicht. »Du – du hier!« Ein heiseres Lachen war die Antwort. »Ja, Amalungenweib, ich bin hier und dein Verderben! Mein ist dies Eiland, mein das Haus! – es wird dein Grab! – mein Dolios und alle Sklaven Cassiodors, an mich verkauft seit acht Tagen. Ich habe dich hierher gelockt: ich bin dir hierher nachgeschlichen wie dein Schatte: lange Tage, lange Nächte hab’ ich den brennenden Haß getragen, endlich hier die volle Rache zu kosten. Stundenlang will ich mich weiden an deiner Todesangst, will es schauen, wie die erbärmliche, winselnde Furcht diese stolze Gestalt wie Fieber schüttelt und durch diese hochmütigen Züge zuckt: – o ein Meer von Rache will ich trinken.« Händeringend erhob sich Amalaswintha: »Rache! Wofür? Woher dieser tödliche Haß?« »Ha, du frägst noch? Freilich sind Jahrzehnte darüber hingegangen und das Herz des Glücklichen vergißt so leicht. Aber der Haß hat ein treues Gedächtnis. Hast du vergessen, wie dereinst zwei junge Mädchen spielten unter dem Schatten der Platanen auf der Wiese vor Ravenna? Sie waren die ersten unter ihren Gespielinnen: beide jung, schön und lieblich: Königskind die eine, die andere die Tochter der Balten. Und die Mädchen sollten eine Königin des Spieles wählen: und sie wählten Gothelindis, denn sie war noch schöner als du und nicht so herrisch: und sie wählten sie einmal, zweimal nacheinander. Die Königstochter aber stand dabei von wildem, unbändigem Stolz und Neid verzehrt: und als man mich zum dritten wieder gewählt, faßte sie die scharfe, spitzige Gartenschere« – »Halt ein, o schweig, Gothelindis.« – »Und schleuderte sie gegen mich. Und sie traf; aufschreiend, blutend stürzte ich zu Boden, meine ganze Wange eine klaffende Wunde und mein Auge, mein Auge durchbohrt. Ha, wie das schmerzt, noch heute.« »Verzeih, vergieb, Gothelindis!« jammerte die Gefangene. »Du hattest mir ja längst verziehn.« »Verzeihen? ich dir verzeihen? Daß du mir das Auge aus dem Antlitz und die Schönheit aus dem Leben geraubt, das soll ich verzeihen? Du hattest gesiegt fürs Leben: Gothelindis war nicht mehr gefährlich: sie trauerte im stillen, die Entstellte floh das Auge der Menschen. Und Jahre vergingen. Da kam an den Hof von Ravenna aus Hispanien der edle Eutharich, der Amaler mit dem dunkeln Auge und der weichen Seele: und er, selber krank, erbarmte sich der kranken halb Blinden: und er sprach mit ihr voll Mitleid und Güte, mit der Häßlichen, die sonst alle mieden. O wie erquickte das meine dürstende Seele! Und es ward beraten, zur Tilgung uralten Hasses der beiden Geschlechter, zur Sühne alter und neuer Schuld, – denn auch den Baltenherzog Alarich hatte man auf geheime, unbewiesene Anklage gerichtet – daß die arme mißhandelte Baltentochter des edelsten Amalers Weib werden sollte. Aber als du es erfuhrst, du, die mich verstümmelt, da beschlossest du, mir den Geliebten zu nehmen: nicht aus Eifersucht, nicht, weil du ihn liebtest, nein, aus Stolz: weil du den ersten Mann im Gotenreich, den nächsten Manneserben der Krone, für dich haben wolltest. Das beschlossest du und hast es durchgesetzt: denn dein Vater konnte dir keinen Wunsch versagen: und Eutharich vergaß alsbald seines Mitleids mit der Einäugigen, als ihm die Hand der schönen Königstochter winkte. Zur Entschädigung – oder war es zum Hohne? – gab man auch mir einen Amaler: – Theodahad, den elenden Feigling!« »Gothelindis, ich schwöre dir, ich hatte nie geahnt, daß du Eutharich liebtest. Wie konnte ich –« »Freilich, wie konntest du glauben, daß die Häßliche die Gedanken so hoch erhebe? O, du Verfluchte! Und hättest du ihn noch geliebt und beglückt – alles hätt’ ich dir verziehen. Aber du hast ihn nicht geliebt, du kannst ja nur das Scepter lieben! Elend hast du ihn gemacht. Jahrelang sah ich ihn an deiner Seite schleichen, gedrückt, ungeliebt, erkältet bis ins Herz hinein von deiner Kälte. Der Gram um deinen eisigen Stolz hat ihn früh gemordet: du, du hast mir den Geliebten geraubt und ins Grab gebracht – Rache, Rache für ihn.« Und die weite Wölbung wiederhallte von dem Ruf: »Rache! Rache!« »Zu Hilfe!« rief Amalaswintha und eilte verzweifelnd, mit den Händen an die Marmorplatten schlagend, den Kreis der Galerie entlang. »Ja, rufe nur, hier hört dich niemand als der Gott der Rache. Glaubst du, umsonst hab’ ich solang meinen Haß gezügelt? Wie oft, wie leicht hätte ich schon in Ravenna mit Dolch und Gift dich erreichen können: aber nein, hierher hab’ ich dich gelockt. An dem Denkstein meiner Vettern, vor Einer Stunde an deinem Bette, hab’ ich mit höchster Mühe meinen erhobenen Arm vom Streiche abgehalten: – denn langsam, Zoll für Zoll, sollst du sterben, stundenlang will ich sie wachsen sehen, die Qualen deines Todes.« »Entsetzliche!« »O, was sind Stunden gegen die Jahrzehnte, die du mich gemartert mit meiner Entstellung, mit deiner Schönheit, mit dem Besitz des Geliebten. Was sind Stunden gegen Jahrzehnte! Aber du sollst es büßen.« »Was willst du thun?« rief die Gequälte, wieder und wieder an den Wänden nach einem Ausgang suchend. »Ertränken will ich dich, langsam, langsam in den Wasserkünsten dieses Bades, die dein Freund Cassiodor gebaut. Du weißt es nicht, welche Qualen der Eifersucht, der ohnmächtigen Wut ich in diesem Hause getragen, da du Beilager hieltest mit Eutharich und ich war in deinem Gefolge und mußte dir dienen! In diesem Bade, du Übermütige, habe ich dir die Sandalen gelöst und die stolzen Glieder getrocknet: – in diesem Bade sollst du sterben!« Und sie drückte an einer Feder. Der Boden des Beckens im oberen Stockwerke, die runde Metallplatte, teilte sich in zwei Halbkreise, die links und rechts in die Mauer zurückwichen: mit Entsetzen sah die Gefangene von der schmalen Galerie in die turmhohe Tiefe zu ihren Füßen. »Denk an mein Auge!« rief Gothelindis und im Erdgeschoß öffneten sich plötzlich die Schleusenthüren und die Wogen des Sees schossen ungestüm herein, brausend und zischend, und sie stiegen höher und höher mit furchtbarer Raschheit. Amalaswintha sah den sichern Tod vor Augen: sie erkannte die Unmöglichkeit, zu entrinnen oder ihre teuflische Feindin mit Bitten zu erweichen: da kehrte ihr der alte, stolze Mut der Amalungen wieder: sie faßte sich und ergab sich in ihr Los. Sie entdeckte neben den vielen Reliefs aus der hellenischen Mythe in ihrer Nähe rechts vom Eingang eine Darstellung vom Tode Christi: das erquickte ihre Seele: sie warf sich vor dem in Marmor gehauenen Kreuze nieder, faßte es mit beiden Händen und betete ruhig mit geschlossenen Augen, während die Wasser stiegen und stiegen: schon rauschten sie an den Stufen der Galerie. »Beten willst du, Mörderin? Hinweg von dem Kreuz!« rief Gothelindis grimmig, »denk’ an die drei Herzoge!« Und plötzlich begannen alle die Delphine und Tritonen auf der rechten Seite des Achtecks Ströme heißen Wassers auszuspeien: weißer Dampf quoll aus den Röhren. Amalaswintha sprang auf und eilte auf die linke Seite der Galerie: »Gothelindis, ich vergebe dir! töte mich, aber verzeih’ auch du meiner Seele.« Und das Wasser stieg und stieg: schon schwoll es über die oberste Stufe und drang langsam auf den Boden der Galerie. »Ich dir vergeben? Niemals! Denk’ an Eutharich!« – Und zischend schossen jetzt von links die dampfenden Wasserstrahlen auf Amalaswintha. Sie flüchtete nun in die Mitte, gerade dem Medusenhaupt gegenüber, die einzige Stelle, wohin kein Strahl der Wasserröhren reichte. Wenn sie die hier angebrachte Sprungbrücke erstieg, konnte sie noch einige Zeit ihr Leben fristen: Gothelindis schien dies zu erwarten und sich an der verlängerten Qual weiden zu wollen: schon brauste das Wasser auf dem Marmorboden der Galerie und bespülte die Füße der Gefangenen; rasch flog sie die braunglänzenden Staffeln hinan und lehnte sich an die Brüstung der Brücke: »Höre mich, Gothelindis! meine letzte Bitte! nicht für mich, – für mein Volk, für unser Volk: – Petros will es verderben und Theodahad ...« – »Ja, ich wußte, dieses Reich ist die letzte Sorge deiner Seele! Verzweifle! Es ist verloren! Diese thörichten Goten, die jahrhundertelang den Balten die Amaler vorgezogen, sie sind verkauft und verraten von dem Haus der Amaler: Belisarius naht und niemand ist, der sie warnt.« »Du irrst, Teufelin, sie _sind_ gewarnt. Ich, ihre Königin, habe sie gewarnt. Heil meinem Volk! Verderben seinen Feinden und Gnade meiner Seele!« Und mit raschem Sprung stürzte sie sich hoch von der Brüstung in die Fluten, die sich brausend über ihr schlossen. Gothelindis blickte starr auf die Stelle, wo ihr Opfer gestanden. »Sie ist verschwunden,« sagte sie. Dann schaute sie in die Flut: obenauf schwamm das Brusttuch Amalaswinthens. »Noch im Tode überwindet mich dieses Weib,« sagte sie langsam: »wie lang war der Haß und wie kurz die Rache!« Siebentes Kapitel. Wenige Tage nach diesen Ereignissen finden wir zu Ravenna in dem Gemach des Gesandten von Byzanz eine Anzahl von vornehmen Römern, geistlichen und weltlichen Standes versammelt – auch die Bischöfe Hypatius und Demetrius aus dem Ostreich weilten bei ihm. Große Aufregung, aus Zorn und Furcht gemischt, sprach aus allen Gesichtern, als der gewandte Rhetor seine Ansprache mit folgenden Worten schloß: »Deshalb, ihr ehrwürdigen Bischöfe des Westreichs und des Ostreichs und ihr edeln Römer, hab’ ich euch hierher beschieden. Laut und feierlich lege ich vor euch im Namen meines Kaisers Verwahrung ein gegen alle Thaten der Arglist und Gewalt, die im geheimen gegen die hohe Frau verübt werden mögen. Seit neun Tagen ist sie verschwunden aus Ravenna: wohl mit Gewalt hinweggeführt aus eurer Mitte: sie, die von jeher die Freundin, die Beschützerin der Italier gewesen. Verschwunden ist am gleichen Tage die Königin, ihre grimme Feindin. Ich habe Eilboten ausgesandt nach allen Richtungen, noch bin ich ohne Nachricht! aber wehe, wenn ... –« Er konnte nicht vollenden. Dumpfes Geräusch scholl von dem Forum des Herkules herauf, bald hörte man hastige Schritte im Vestibulum, der Vorhang ward zurückgeschlagen und ins Gemach eilte staubbedeckt einer der byzantinischen Sklaven des Gesandten: »Herr,« rief er, »sie ist tot! sie ist ermordet!« »Ermordet!« scholl es in der Runde. »Durch wen?« fragte Petros. »Von Gothelindis auf der Villa im Bolsener See.« »Wo ist die Leiche? Wo die Mörderin?« »Gothelindis giebt vor, die Fürstin sei im Bad ertrunken, unkundig mit den Wasserkünsten spielend. Aber man weiß, daß sie ihrem Opfer von hier auf dem Fuße nachgefolgt. Römer und Goten eilen zu Hunderten nach der Villa, die Leiche in feierlichem Zuge hierher zu geleiten. Die Königin floh vor der Rache des Volks in das feste Schloß von Feretri.« »Genug,« rief Petros entrüstet, »ich eile zum König und fordre euch auf, ihr edeln Männer, mir zu folgen. Auf euer Zeugnis will ich mich berufen vor Kaiser Justinian.« Und sofort eilte er an der Spitze der Versammelten nach dem Palast. Sie fanden auf den Straßen eine Menge Volks in Bestürzung und Entrüstung hin- und herwogend: die Nachricht war in die Stadt gedrungen und flog von Haus zu Haus. Als man den Gesandten des Kaisers und die Vornehmen der Stadt erkannte, öffnete sich die Menge vor ihnen, schloß sich aber dicht hinter ihnen wieder und flutete nach auf dem Wege in den Palast, von dessen Thoren sie kaum abgehalten wurde. Von Minute zu Minute stieg die Zahl und der Lärm des Volkes: auf dem Forum des Honorius drängten sich die Ravennaten zusammen, die mit der Trauer um ihre Beschützerin schon die Hoffnung vereinten, bei diesem Anlaß die Barbarenherrschaft fallen zu sehen: das Erscheinen des kaiserlichen Gesandten steigerte diese Hoffnung und der Auflauf vor dem Palast nahm mehr und mehr eine Richtung, die keineswegs bloß Theodahad und Gothelindis bedrohte. Inzwischen eilte Petros mit seiner Begleitung in das Gemach des hilflosen Königs, den mit seiner Gattin alle Kraft des Widerstandes verlassen hatte: er zagte vor der Aufregung der unten wogenden Menge und hatte nach Petros gesendet, von ihm Rat und Hilfe zu erlangen, da ja dieser es gewesen, der mit Gothelindis den Untergang der Fürstin beschlossen und die Art der Ausführung beraten hatte: er sollte ihm jetzt auch die Folgen der That tragen helfen. Als daher der Byzantiner auf der Schwelle erschien, eilte er, beide Arme ausbreitend, auf ihn zu: aber erstaunt blieb er plötzlich stehen: erstaunt über die Begleitung, noch mehr erstaunt über die finster drohende Miene des Gesandten. »Ich fordre Rechenschaft von dir, König der Goten,« rief dieser schon an der Thüre, »Rechenschaft im Namen von Byzanz für die Tochter Theoderichs. Du weißt, Kaiser Justinian hat sie seines besondern Schutzes versichert: jedes Haar ihres Hauptes ist daher heilig und heilig jeder Tropfe ihres Blutes. Wo ist Amalaswintha?« Der König sah ihn staunend an. Er bewunderte diese Verstellungskunst. Aber er begriff ihren Zweck nicht. Er schwieg. »Wo ist Amalaswintha?« wiederholte Petros, drohend vortretend und sein Anhang folgte ihm einen Schritt. »Sie ist tot,« sagte Theodahad, ängstlich werdend. »Ermordet ist sie,« rief Petros, »so ruft ganz Italien, ermordet von dir und deinem Weibe. Justinian, mein hoher Kaiser, war der Schirmherr dieser Frau, er wird ihr Rächer sein: Krieg künd’ ich dir in seinem Namen an, Krieg gegen euch, ihr blutigen Barbaren, Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht.« »Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht!« wiederholten die Italier, fortgerissen von der Gewalt des Augenblicks und den alten, langgenährten Haß entzügelnd; und wie eine Woge brausten sie heran auf den zitternden König. »Petros,« stammelte dieser entsetzt, »du wirst gedenken des Vertrages, du wirst doch ... –« Aber der Gesandte zog eine Papyrusrolle aus dem Mantel und riß sie mitten durch. »Zerrissen ist jedes Band zwischen meinem Kaiser und deinem blutbefleckten Haus. Ihr selber habt durch eure Greuelthat alle Schonung verwirkt, die man euch früher gewährt. Nichts von Verträgen. Krieg!« »Um Gott,« jammerte Theodahad, »nur nicht Krieg und Kampf! Was forderst du, Petros?« »Unterwerfung! Räumung Italiens! Dich selber und Gothelindis lad’ ich zum Gericht nach Byzanz vor den Thron Justinians, dort ... –« Aber seine Rede unterbrach der schmetternde Ruf des gotischen Kriegshorns und in das Gemach eilte mit gezogenen Schwertern eine starke Schar gotischer Krieger, von Graf Witichis geführt. Die gotischen Führer hatten sofort auf die Nachricht von Amalaswinthens Untergang die tüchtigsten Männer ihres Volks in Ravenna zu einer Beratung vor die Porta romana beschieden und dort Maßregeln der Sicherung und der Gerechtigkeit beraten. Zur rechten Zeit erschienen sie jetzt auf dem Forum des Honorius, wo der Auflauf immer drohender wurde: schon blinkte hier und dort ein Dolch, schon ertönte manchmal der Ruf: »Wehe den Barbaren!« Diese Zeichen und Stimmen verschwanden und verstummten sofort, als nun die verhaßten Goten in geschlossenem Zug von dem Forum des Herkules her durch die Via palatina anrückten: ohne Widerstand zogen sie quer durch die grollenden Haufen und indessen Graf Teja und Hildebad die Thore und die Terrasse des Palastes besetzten, waren Graf Witichis und Hildebrand gerade rechtzeitig im Gemache des Königs angelangt, die letzten Worte des Gesandten noch zu hören. Ihr Zug stellte sich in einer Schwenkung rechts vom Thronsitz des Königs, zu dem dieser zurückgewichen war: und Witichis, auf sein langes Schwert gestützt, trat hart vor den Griechen hin und sah ihm scharf ins Auge. Eine erwartungsvolle Pause trat ein. »Wer wagt es,« fragte Witichis ruhig, »hier den Herrn und Meister zu spielen im Königshaus der Goten?« Von seiner Überraschung sich erholend entgegnete Petros: »Es steht dir übel an, Graf Witichis, Mörder zu beschützen. Ich hab’ ihn nach Byzanz geladen vor Gericht.« »Und darauf hast du keine Antwort, Amalunge?« rief der alte Hildebrand zornig. Aber das böse Gewissen band dem Könige die Stimme. »So müssen wir statt seiner sprechen,« sagte Witichis. »Wisse, Grieche, vernehmt es wohl, ihr falschen und undankbaren Ravennaten: das Volk der Goten ist frei und erkennt auf Erden keinen Herrn und Richter über sich.« »Auch nicht für Mord und Blutschuld?« »Wenn schwere Thaten unter uns geschehn, richten und strafen wir sie selbst. Den Fremdling geht das nichts an, am wenigsten unsern Feind, den Kaiser in Byzanz.« »Mein Kaiser wird diese Frau rächen, die er nicht retten konnte. Liefert die Mörder aus nach Byzanz.« »Wir liefern keinen Gotenknecht nach Byzanz, geschweige unsern König,« sprach Witichis. »So teilt ihr seine Strafe wie seine Schuld und Krieg erklär’ ich euch, im Namen meines Herrn. Erbebt vor Justinian und Belisar.« Eine freudige Bewegung der gotischen Krieger war die Antwort. Der alte Hildebrand trat ans Fenster und rief zu den unten stehenden Goten hinab: »Hört, ihr Goten, frohe Kunde: Krieg, Krieg mit Byzanz.« Da brach unten ein Getöse los, wie wenn das Meer entfesselt über seine Dämme bricht, die Waffen klirrten und tausend Stimmen jubelten: »Krieg, Krieg mit Byzanz!« Dieser Wiederhall blieb nicht ohne Eindruck auf Petros und die Italier: das Ungestüm solcher Begeisterung erschreckte sie: schweigend sahen sie vor sich nieder. Während die Goten sich glückwünschend die Hände schüttelten, trat Witichis ernst, gesenkten Hauptes, in die Mitte, hart neben Petros und sprach feierlich: »Also Krieg! Wir scheuen ihn nicht: – du hast es gehört. Besser offner Kampf als die langjährige, lauernde, wühlende Feindschaft. Der Krieg ist gut: aber wehe dem Frevler, der ohne Recht und ohne Grund den Krieg beginnt. Ich sehe Jahre voraus, viele Jahre von Blut und Mord und Brand, ich sehe zerstampfte Saaten, rauchende Städte, zahllose Leichen die Ströme hinabschwimmen. Hört unser Wort: auf euer Haupt dies Blut, dies Elend. Ihr habt geschürt und gereizt jahrelang: – wir haben’s ruhig getragen. Und jetzt habt _ihr_ den Krieg hereingeschleudert, richtend, wo ihr nicht zu richten habt, ohne Grund euch mischend in das Leben eines Volkes, das so frei wie ihr: auf euer Haupt die Schuld. Dies unsre Antwort nach Byzanz.« Schweigend hörte Petros diese Worte an, schweigend wandte er sich und schritt mit seinen italischen Freunden hinaus. Einige von diesen gaben ihm das Geleit bis in seine Wohnung, unter ihnen der Bischof von Florentia. »Ehrwürdiger Freund,« sagte er zu diesem beim Abschied, »die Briefe Theodahads in der bewußten Sache, die ihr mir zur Einsicht anvertraut, mußt du mir ganz belassen. Ich bedarf ihrer und für deine Kirche sind sie nicht mehr nötig.« – »Der Prozeß ist längst entschieden,« erwiderte der Bischof, »und die Güter unwiderruflich erworben. Die Dokumente sind dein.« – Darauf verabschiedete der Gesandte seine Freunde, die ihn bald mit dem kaiserlichen Heer in Ravenna wiederzusehen hofften, und eilte in sein Gemach, wo er zuerst einen Boten an Belisar abfertigte, ihn zum sofortigen Angriff aufzufordern. Darauf schrieb er einen ausführlichen Bericht an den Kaiser, der mit folgenden Worten schloß: »Und so scheinst du, o Herr, wohl Grund zu haben, mit den Diensten deines getreuesten Knechts zufrieden zu sein und mit der Lage der Dinge. Das Volk der Barbaren in Parteien zerspalten: auf dem Thron ein verhaßter Fürst, unfähig und treulos: die Feinde sonder Rüstung überrascht: die italische Bevölkerung überall für dich gewonnen: – es kann nicht fehlen: wenn keine Wunder geschehen, müssen die Barbaren fast ohne Widerstand erliegen. Und wie so oft tritt auch hier mein erhabener Kaiser, dessen Stolz das Recht, als Schirmherr und Rächer der Gerechtigkeit auf: – es ist ein geistvoller Zufall, daß die Triere, die mich trägt, den Namen »Nemesis« führt. Nur das Eine betrübt mich unendlich, daß es meinem treuen Eifer nicht gelungen, die unselige Tochter Theoderichs zu retten. Ich flehe dich an, meiner hohen Herrin, der Kaiserin, die mir niemals gnädig gesinnt war, wenigstens zu versichern, daß ich allen ihren Aufträgen bezüglich der Fürstin, deren Schicksal sie mir noch in der letzten Unterredung als Hauptsorge ans Herz legte, aufs treueste nachzukommen suchte. Auf die Anfrage bezüglich Theodahads und Gothelindens, deren Hilfe uns das Gotenreich in die Hände liefert, wage ich es, der hohen Kaiserin mit der ersten Regel der Klugheit zu antworten: es ist zu gefährlich, die Mitwisser unsrer tiefsten Geheimnisse am Hof zu haben.« Diesen Brief sandte Petros eilig durch die beiden Bischöfe Hypatius und Demetrius voraus. Sie sollten nach Brundusium und von da über Epidamnus auf dem Landweg nach Byzanz eilen. Er selbst wollte erst nach einigen Tagen folgen, langsam die gotische Küste des jonischen Meerbusens entlang fahrend, überall die Stimmung der Bevölkerung in den Hafenstädten zu prüfen und zu schüren. Dann sollte er um den Peloponnes und Euböa her nach Byzanz segeln: denn die Kaiserin hatte ihm den Seeweg vorgeschrieben und ihm Aufträge für Athen und Lampsakos erteilt. Er überrechnete schon vor der Abreise von Ravenna mit vergnügten Sinnen immer wieder seine Wirksamkeit in Italien und den Lohn, den er dafür in Byzanz erwartete. Er kehrte zurück, noch einmal so reich als er gekommen. Denn er hatte der Königin Gothelindis nie eingestanden, daß er mit dem Auftrag, Amalaswintha zu verderben, ins Land gekommen. Er hatte ihr vielmehr lange die Gefahr der Ungnade bei Kaiser und Kaiserin entgegengehalten und sich nur mit Widerstreben durch sehr hohe Summen von ihr für den Plan gewinnen lassen, in welchem er sie doch nur als Werkzeug brauchte. Er erwartete in Byzanz mit Sicherheit die versprochene Würde des Patriciats und freute sich schon, seinem hochmütigen Vetter Narses, der ihn nie befördert hatte, nun bald in gleichem Range gegenüberzutreten. »So ist denn alles nach Wunsch gelungen,« sagte er selbstzufrieden, während er seine Briefschaften ordnete: »und diesmal, du stolzer Freund Cethegus, hat sich die Verschmitztheit doch trefflich bewährt. Und der kleine Rhetor aus Thessalonike hat es doch weiter gebracht mit seinen kleinen, leisen Schritten, denn du mit deinem stolzen, herausfordernden Gang. Nur muß noch dafür gesorgt werden, daß Theodahad und Gothelindis nicht nach Byzanz an den Hof entrinnen: wie gesagt, das wäre zu gefährlich: vielleicht hat die Frage der klugen Kaiserin eine Warnung sein sollen. Nein, dieses Königspaar muß verschwinden aus unsern Wegen.« Und er ließ den Gastfreund rufen, bei dem er gewohnt, und nahm Abschied von ihm. Dabei übergab er ihm eine dunkle, schmale Vase von der Form derer, die zur Aufbewahrung von Urkunden dienten: er versiegelte den Deckel mit seinem Ring, der einen feingeschnittenen Skorpion zeigte, und schrieb einen Namen auf die daran hängende Wachstafel. »Diesen Mann,« sagte er dem Gastfreund, »suche auf bei der nächsten Versammlung der Goten zu Regeta und übergieb ihm die Vase: was sie enthält ist sein. Leb wohl, auf baldig Wiedersehen hier in Ravenna.« Und er verließ mit seinen Sklaven das Haus und bestieg alsbald das Gesandtenschiff: von stolzen Erwartungen hoch gehoben trug ihn die »Nemesis« dahin. – Und als sich nun sein Schiff dem Hafen von Byzanz näherte, von Lampsakos aus hatte er – auch dies hatte die Kaiserin gewünscht – seine baldige Ankunft durch einen kaiserlichen Schnellsegler, der eben abging, melden lassen, überflog des Gesandten Auge erwartungsvoll die schönen Landhäuser, die marmorweiß aus den Schatten immergrüner Gärten blinkten. »Hier wirst du künftig wohnen, unter den Senatoren des Reichs,« sprach wohlgefällig Petros. Vor dem Einlaufen in den Hafen flog die »Thetis«, das prachtvolle Lustboot der Kaiserin, ihnen entgegen, sowie es des Gesandten Galeere erkannte die Purpurwimpel entrollend, und sie zum Halten anrufend. Alsbald stieg an Bord der Galeere ein Bote der Kaiserin: es war Alexandros, der frühere Gesandte am Hof von Ravenna. Er wies dem Trierarchen ein Schreiben des Kaisers, in das dieser einen erschrockenen Blick warf: dann wandte er sich zu Petros: »Im Namen des Kaisers Justinian! Du bist wegen jahrelang fortgesetzter Urkundenfälschung und Steuerunterschlagung lebenslänglich zu den Metallarbeiten in den Bergwerken von Cherson bei den ultziagirischen Hunnen verurteilt. Du hast die Tochter Theoderichs ihren Feinden preisgegeben. Der Kaiser hätte dich durch deinen Brief für entschuldigt erachtet: aber die Kaiserin, untröstlich über den Untergang ihrer königlichen Schwester, hat deine alte Schuld dem Kaiser entdeckt. Und ein Brief des Präfekten von Rom an diesen hat dargethan, daß du mit Gothelindis geheim der Königin Verderben geplant. Die Kaiserin hat den Kaiser auch hierin überzeugt. Dein Vermögen ist eingezogen: die Kaiserin aber läßt dir sagen,« – hier flüsterte er in des Zerschmetterten Ohr, – »du habest in deinem klugen Brief ihr selbst den Rat erteilt, Mitwisser von Geheimnissen zu verderben. Trierarch, du führst den Verurteilten sofort an seinen Strafort ab.« Und Alexandros ging auf die »Thetis« zurück. Die »Nemesis« aber drehte rauschend ihr Steuer, wandte dem Hafen von Byzanz den Rücken und trug den Sträfling für immer aus dem Leben der Menschen. Achtes Kapitel. Wir haben Cethegus den Präfekten seit seiner Abreise nach Rom aus den Augen verloren. Er hatte daselbst in den Wochen der erzählten Ereignisse die eifrigste Thätigkeit entfaltet: denn er erkannte, daß die Dinge jetzt zur Entscheidung drängten; er konnte ihr getrost entgegensehen. Ganz Italien war einig in dem Haß gegen die Barbaren: und wer anders vermochte es, der Kraft dieses Hasses Bewegung und Ziel zu geben, als das Haupt der Katakombenverschwörung und der Herr von Rom. Das war er durch die jetzt völlig ausgebildeten und ausgerüsteten Legionare und durch die nahezu vollendete Befestigung der Stadt, an der er in den letzten Monaten Nachts wie Tages hatte arbeiten lassen. Und nun war es ihm zuletzt noch gelungen, wie er glaubte, ein sofortiges Auftreten der byzantinischen Macht in seinem Italien, die Hauptgefahr, die seinen ehrgeizigen Plänen gedroht, abzuwenden: durch zuverlässige Kundschafter hatte er erfahren, daß die byzantinische Flotte, die bisher lauernd bei Sicilien geankert, sich wirklich von Italien hinweggewandt und der afrikanischen Küste genähert habe, wo sie die Seeräuberei zu unterdrücken beschäftigt schien. Freilich sah Cethegus voraus, daß es zu einer Landung der Griechen in Italien kommen werde: er konnte derselben als einer Nachhilfe nicht entbehren. Aber alles war ihm daran gelegen, daß dies Auftreten des Kaisers eben nur eine Nachhilfe bleibe: und deshalb mußte er, ehe ein Byzantiner den italischen Boden betreten, eine Erhebung der Italier aus eigner Kraft veranlaßt und zu solchen Erfolgen geführt haben, daß die spätere Mitwirkung der Griechen nur als eine Nebensache erschien und mit der Anerkennung einer losen Oberhoheit des Kaisers abgelohnt werden konnte. Und er hatte zu diesem Zweck seine Pläne trefflich vorbereitet. Sowie der letzte römische Turm unter Dach, sollten die Goten in ganz Italien an einem Tag überfallen, mit einem Schlag alle festen Plätze, Burgen und Städte, Rom, Ravenna und Neapolis voran, genommen werden. Und waren die Barbaren ins flache Land hinausgeworfen, so stand nicht mehr zu fürchten, daß sie bei ihrer großen Unkunde in Belagerungen und bei der Anzahl und Stärke der italischen Festen diese und damit die Herrschaft über die Halbinsel wieder gewinnen würden. Dann mochte ein byzantinisches Bundesheer helfen, die Goten vollends über die Alpen zu drängen: und Cethegus wollte schon dafür sorgen, daß diese Befreier ebenfalls keinen Fuß in die wichtigsten Festungen setzen sollten, um sich ihrer später unschwer wieder entledigen zu können. Dieser Plan setzte nun aber voraus, daß die Goten durch die Erhebung Italiens überrascht würden. Wenn der Krieg mit Byzanz in Aussicht oder gar schon ausgesprochen war, dann natürlich ließen sich die Barbaren die in Kriegsstand gesetzten Städte nicht durch einen Handstreich entreißen. Da nun aber Cethegus, seit er die Sendung des Petros durchschaut hatte, bei jeder Gelegenheit Justinians Hervortreten aus seiner drohenden Stellung erwarten mußte, da es kaum noch gelungen war, Belisar wieder abzuwenden von Italien, beschloß er, keinen Augenblick mehr zu verlieren. Er hatte auf den Tag der Vollendung der Befestigungen Roms eine allgemeine Versammlung der Verschworenen in den Katakomben anberaumt, in der das mühsam und erfindungsreich vorbereitete Werk gekrönt, der Augenblick des Losschlagens bestimmt und Cethegus als Führer dieser rein italischen Bewegung bezeichnet werden sollte. Er hoffte sicher, den Widerstand der Bestochenen oder Furchtsamen, die nur für und mit Byzanz zu handeln geneigt waren, durch die Begeisterung der Jugend zu überwältigen, wenn er diese sofort in den Kampf zu führen versprach. Noch vor jenem Tag kam die Nachricht von Amalaswinthens Ermordung, von der Verwirrung und Spaltung der Goten nach Rom und ungeduldig sehnte der Präfekt die Stunde der Entscheidung herbei. Endlich war auch der einzige noch unfertige Turm des aurelischen Thores unter Dach: Cethegus führte die letzten Hammerschläge: ihm war dabei, er höre die Streiche des Schicksals von Rom und von Italien dröhnen. Bei dem Schmause, den er darauf den Tausenden von Arbeitern in dem Theater des Pompejus gab, hatten sich auch die meisten der Verschworenen eingefunden und der Präfekt benutzte die Gelegenheit, diesen seine unbegrenzte Beliebtheit im Volk zu zeigen. Auf die jüngeren unter den Genossen machte dies freilich den Eindruck, welchen er gewünscht hatte; aber ein Häuflein, dessen Mittelpunkt Silverius war, zog sich mit finstern Mienen von den Tischen zurück. Der Priester hatte seit lange eingesehen, daß Cethegus nicht bloß Werkzeug sein wollte, daß er eigene Pläne verfolgte, die der Kirche und seinem persönlichen Einfluß sehr gefährlich werden konnten. Und er war entschlossen, den kühnen Verbündeten zu stürzen, sobald er entbehrt werden konnte; es war ihm nicht schwer geworden, die Eifersucht so manches Römers gegen den Überlegenen im geheimen zu schüren. Die Anwesenheit aber zweier Bischöfe aus dem Ostreich, Hypatius von Ephesus und Demetrius von Philippi, die in Glaubensfragen öffentlich mit dem Papst, aber geheim mit König Theodahad, in Unterstützung des Petros, in Politik verhandelten, hatte der kluge Archidiakon benutzt, um mit Theodahad und mit Byzanz in enge Verbindung zu treten. »Du hast recht, Silverius,« murrte Scävola im Hinausgehen aus dem Thor des Theaters, »der Präfekt ist Marius und Cäsar in Einer Person.« – »Er verschwendet diese ungeheuren Summen nicht umsonst, man darf ihm nicht zu sehr trauen,« warnte der geizige Albinus. – »Lieben Brüder,« mahnte der Priester, »sehet zu, daß ihr nicht einen unter euch lieblos verdammet. Wer solches thäte, wäre des höllischen Feuers schuldig. Freilich beherrscht unser Freund die Fäuste der Handwerker wie die Herzen seiner jungen »Ritter«: es ist das gut, er kann dadurch die Tyrannei zerbrechen ... –« »Aber dadurch auch eine neue aufrichten,« meinte Calpurnius. »Das soll er nicht, wenn Dolche noch töten, wie in Brutus’ Tagen,« sprach Scävola. »Es bedarf des Blutes nicht. Bedenket nur immer:« sagte Silverius, »je näher der Tyrann, desto drückender die Tyrannei: je ferner der Herrscher, desto erträglicher die Herrschaft. Das schwere Gewicht des Präfekten ist aufzuwiegen durch das schwerere des Kaisers.« »Jawohl,« stimmte Albinus bei, der große Summen von Byzanz erhalten hatte, »der Kaiser muß der Herr Italiens werden.« – »Das heißt,« beschwichtigte Silverius den unwillig auffahrenden Scävola, »wir müssen den Präfekten durch den Kaiser, den Kaiser durch den Präfekten niederhalten. Siehe, wir stehen an der Schwelle meines Hauses. Laßt uns eintreten. Ich habe geheim euch mitzuteilen, was heute Abend in der Versammlung kund werden soll. Es wird euch überraschen. Aber andre Leute noch mehr.« Inzwischen war auch der Präfekt von dem Gelage nach Hause geeilt, sich in einsamem Sinnen zu seinem wichtigen Werke zu bereiten. Nicht seine Rede überdachte er: wußte er doch längst was er zu sagen hatte und, ein glänzender Redner, dem die Worte so leicht wie die Gedanken kamen, überließ er den Ausdruck gern dem Antrieb des Augenblicks, wohl wissend, daß das eben frisch aus der Seele geschöpfte Wort am lebendigsten wirkt. Aber er rang nach innerer Ruhe: denn seine Leidenschaft schlug hohe Wellen. Er überschaute die Schritte, die er nach seinem Ziele hin gethan, seit zuerst dieses Ziel mit dämonischer Gewalt ihn angezogen: er erwog die kurze Strecke, die noch zurückzulegen war: er überzählte die Schwierigkeiten, die Hindernisse, die noch auf diesem Wege lagen und ermaß dagegen die Kraft seines Geistes, sie zu überwinden: und das Ergebnis dieses prüfenden Wägens erzeugte in ihm eine Siegesfreude, die ihn mit jugendlicher Aufregung ergriff. Mit gewaltigen Schritten durchmaß er das Gemach. Die Muskeln seiner Arme spannten sich wie in der Stunde beginnender Schlacht: er umgürtete sich mit dem breiten, siegreichen Schwert seiner Kriegsfahrten und drückte krampfhaft dessen Adlergriff, als gelte es, jetzt gegen zwei Welten, gegen Byzanz und die Barbaren, sein Rom zu erkämpfen. Dann trat er der Cäsarstatue gegenüber und sah ihr lange in das schweigende Marmorantlitz. Endlich ergriff er mit beiden Händen die Hüften des Imperators und rüttelte an ihnen: »lebwohl,« sagte er, »und gieb mir dein Glück mit auf den Weg. – Mehr brauch’ ich nicht.« Und rasch wandte er sich und eilte aus dem Gemache und durch das Atrium hinaus auf die Straße, wo ihn schon die ersten Sterne begrüßten. Zahlreicher als je hatten sich die Verschwornen an diesem Abend in den Katakomben eingefunden: waren doch durch ganz Italien die Ladungen zu dieser Versammlung als zu einer entscheidungsvollen ergangen. So waren auf den Wunsch des Präfekten besonders alle strategisch wichtigen Punkte vertreten: von den starken Grenzhüterinnen Tridentum, Tarvisium und Verona, die das Eis der Alpen schauen, bis zu Otorantum und Consentia, welche die laue Welle des ausonischen Meeres bespült, hatten sie alle ihre Boten zugesendet, jene berühmten Städte Siciliens und Italiens mit den stolzen, den schönen, den weltgeschichtlichen Namen: Syrakusä und Catana, Panormus und Messana, Regium, Neapolis und Cumä, Capua und Beneventum, Antium und Ostia, Reate und Narnia, Volsinii, Urbsvetus und Spoletum, Clusium und Perusia, Auximum und Ancon, Florentia und Fäsulä, Pisa, Luca, Luna und Genua, Ariminum, Cäsena, Faventia und Ravenna, Parma, Dertona und Placentia, Mantua, Cremona und Ticinum (Pavia), Mediolanum, Comum und Bergamum, Asta und Pollentia: dann von der Nord- und Ostküste des jonischen Meerbusens: Concordia, Aquileja, Jadera, Scardona und Salona. Da waren ernste Senatoren und Decurionen, ergraut in dem Rat ihrer Städte, deren Häupter ihre Ahnen seit Jahrhunderten gewesen: kluge Kaufleute, breitschultrige Gutsherrn, rechthaberische Juristen, spöttische Rhetoren: und namentlich eine große Anzahl von Geistlichen jedes Ranges und jedes Alters: die einzige fest organisierte Macht und Silverius unbedingt gehorsam. Wie Cethegus, noch hinter der Mündung des schmalen Ganges verborgen, die Massen in dem Halbrund der Grotte übersah, konnte er sich eines verächtlichen Lächelns nicht erwehren, das aber in einen Seufzer auslief. Außer der allgemeinen Abneigung gegen die Barbaren, die doch bei weitem nicht stark genug war, schwere politische Pläne mit Opfern und Entsagungen zu tragen, – welch’ verschiedene und oft welch’ kleine Motive hatten diese Verschwornen hier zusammengeführt! Cethegus kannte die Beweggründe der einzelnen genau: hatte er sie doch durch Bearbeitung ihrer schwächsten Seiten beherrschen gelernt. Und er mußte zuletzt noch froh darum sein: echte Römer hätte er nie, wie diese Verschworenen, so völlig unter seinen Einfluß gebracht. Aber wenn er sie nun hier alle beisammen sah, diese Patrioten, und bedachte, wie den einen die Hoffnung auf einen Titel von Byzanz, den andern plumpe Bestechung, einen dritten Rachsucht wegen irgend einer Beleidigung oder auch nur die Langeweile oder Schulden oder ein schlechter Streich unter die Unzufriedenen geführt: und wenn er sich nun vorstellte, daß er mit solchen Bundesgenossen den gotischen Heermännern entgegentreten sollte, – da erschrak er fast über die Vermessenheit seines Planes. Und eine Erquickung war es ihm, als die helle Stimme des Lucius Licinius seinen Blick auf die Schar der jungen »Ritter« lenkte, denen wirklich kriegerischer Muth und nationale Begeisterung aus den Augen sprühte: so hatte er doch einige verlässige Waffen. – »Gegrüßt, Lucius Licinius,« sprach er aus dem Dunkel des Ganges hervortretend. »Ei, du bist ja gerüstet und gewaffnet, als ging es von hier gegen die Barbaren.« »Kaum bezwing ich das Herz in der Brust vor Haß und vor Freude,« sagte der schöne Jüngling. »Sieh, alle diese hier hab’ ich für dich, für das Vaterland geworben.« Cethegus blickte grüßend umher: »Auch du hier, Kallistratos, – du heitrer Sohn des Friedens?« »Hellas wird ihre Schwester Italia nicht verlassen in der Stunde der Gefahr,« sagte der Hellene und legte die weiße Hand auf das zierliche Schwert mit dem Griff von Elfenbein. Und Cethegus nickte ihm zu und wandte sich zu den andern: Marcus Licinius, Piso, Massurius, Balbus, die, seit den Floralien ganz von dem Präfekten gewonnen, ihre Brüder, Vettern, Freunde mitgebracht hatten. Prüfend flog sein Blick über die Gruppe, er schien einen aus diesem Kreise zu vermissen. Lucius Licinius erriet seine Gedanken: »Du suchst den schwarzen Korsen, Furius Ahalla? Auf den kannst du nicht zählen. Ich holte ihn von weitem aus, aber er sprach: »ich bin ein Korse, kein Italier: mein Handel blüht unter gotischem Schutz: laßt mich aus eurem Spiel.« Und als ich weiter in ihn drang – denn ich gewönne gern sein kühnes Herz und die vielen Tausende von Armen, über die er gebeut – sprach er kurz abweisend: »ich fechte nicht gegen Totila.«« »Die Götter mögen wissen, was den tigerwilden Korsen an jenen Milchbart bindet,« meinte Piso. Cethegus lächelte, aber er furchte die Stirn. »Ich denke, wir Römer genügen,« sprach er laut: und das Herz der Jünglinge schlug. »Eröffne die Versammlung,« mahnte Scävola unwillig den Archidiakon, »du siehst, wie er die jungen Leute beschwatzt; er wird sie alle gewinnen. Unterbrich ihn: rede.« »Sogleich. Bist du gewiß, daß Albinus kommt?« »Er kommt; er erwartet den Boten am appischen Thor.« »Wohlan,« sagte der Priester, »Gott mit uns!« Und er trat in die Mitte der Rotunde, erhob ein schwarzes Kreuz und begann: »Im Namen des dreieinigen Gottes! Wieder einmal haben wir uns versammelt im Grauen der Nacht zu den Werken des Lichts. Vielleicht zum letztenmal: denn wunderbar hat der Sohn Gottes, dem die Ketzer die Ehre weigern, unsere Mühen zu seiner Verherrlichung, zur Vernichtung seiner Feinde gesegnet. Nächst Gott dem Herrn aber gebührt der höchste Dank dem edeln Kaiser Justinian und seiner frommen Gemahlin, die mit thätigem Mitleid die Seufzer der leidenden Kirche vernehmen: und endlich hier unsrem Freund und Führer, dem Präfekten, der unablässig für unsres Herrn, des Kaisers Sache, wirkt ...« – »Halt, Priester!« rief Lucius Licinius dazwischen, »wer nennt den Kaiser von Byzanz hier unsern Herrn? wir wollen nicht den Griechen dienen statt den Goten! Frei wollen wir sein!« – »Frei wollen wir sein,« wiederholte der Chor seiner Freunde. »Frei wollen wir _werden_!« fuhr Silverius fort. »Gewiß. Aber das können wir nicht aus eigner Macht, nur mit des Kaisers Hilfe. Glaubt auch nicht, geliebte Jünglinge, der Mann, den ihr als euren Vorkämpfer verehrt, Cethegus, denke hierin anders. Justinian hat ihm einen köstlichen Ring – sein Bild in Carneol – gesendet, zum Zeichen, daß er billige, was der Präfekt für ihn, den Kaiser, thue und der Präfekt hat den Ring angenommen: sehet hier, er trägt ihn am Finger.« Betroffen und unwillig sahen die Jünglinge auf Cethegus. Dieser trat schweigend in die Mitte. Eine peinliche Pause entstand. »Sprich, Feldherr!« rief Lucius, »widerlege sie! Es ist nicht wie sie sagen mit dem Ring.« Aber Cethegus zog den Ring kopfnickend ab: »Es ist wie sie sagen: der Ring ist vom Kaiser und ich hab’ ihn angenommen.« Lucius Licinius trat einen Schritt zurück. »Zum Zeichen?« fragte Silverius. »Zum Zeichen,« sprach Cethegus mit drohender Stimme, »daß ich der herrschsüchtige Selbstling nicht bin, für den mich einige halten, zum Zeichen, daß ich Italien mehr liebe als meinen Ehrgeiz. Ja, ich baute auf Byzanz und wollte dem mächtigen Kaiser die Führerstelle abtreten: – darum nahm ich diesen Ring. Ich baue nicht mehr auf Byzanz, das ewig zögert: deshalb hab’ ich diesen Ring heute mitgebracht, ihn dem Kaiser zurückzustellen. Du, Silverius, hast dich als den Vertreter von Byzanz erwiesen: hier, gieb deinem Herrn sein Pfand zurück: er säumt zu lang: sag’ ihm, Italien hilft sich selbst.« »Italien hilft sich selbst!« jubelten die jungen Ritter. »Bedenket, was ihr thut!« warnte mit verhaltnem Zorn der Priester. »Den heißen Mut der Jünglinge begreif’ ich, – aber daß meines Freundes, des gereiften Mannes, Hand nach dem Unerreichbaren greift, – befremdet mich. Bedenket die Zahl und wilde Kraft der Barbaren! Bedenket, wie die Männer Italiens seit lange des Schwertes entwöhnt, wie alle Zwingburgen des Landes in der Hand ...« – »Schweig, Priester,« donnerte Cethegus, »das verstehst du nicht! Wo es die Psalmen zu erklären gilt und die Seele nach dem Himmelreich zu lenken, da rede du: denn solches ist dein Amt; wo’s aber Krieg und Kampf der Männer gilt, laß jene reden, die den Krieg verstehen. Wir lassen dir den ganzen Himmel – laß uns nur die Erde. Ihr römischen Jünglinge, ihr habt die Wahl. Wollt ihr abwarten, bis dieses wohlbedächtige Byzanz sich doch vielleicht Italiens noch erbarmt – ihr könnt müde Greise werden bis dahin – oder wollt ihr, nach alter Römer Art, die Freiheit mit dem eignen Schwert erkämpfen? Ihr wollt’s, ich seh’s am Feuer eurer Augen. Wie? man sagt uns, wir sind zu schwach, Italien zu befreien? Ha, seid ihr nicht die Enkel jener Römer, die den Weltkreis bezwangen? Wenn ich euch aufrufe, Mann für Mann, da ist kein Name, der nicht klingt wie Heldenruhm: Decius, Corvinus, Cornelius, Valerius, Licinius: – wollt ihr mit mir das Vaterland befreien?« »Wir wollen es! Führe uns, Cethegus!« riefen die Jünglinge begeistert. Nach einer Pause begann der Jurist: »Ich heiße Scävola. Wo römische Heldennamen aufgerufen werden, hätte man auch des Geschlechts gedenken mögen, in dem das Heldentum der Kälte erblich ist. Ich frage dich, du jugendheißer Held Cethegus, hast du mehr als Träume und Wünsche, wie diese jungen Thoren, hast du einen Plan?« – »Mehr als das, Scävola, ich habe und halte den Sieg. Hier ist die Liste fast aller Festungen Italiens: an den nächsten Iden, in dreißig Tagen also, fallen sie, alle, auf Einen Schlag, in meine Hand.« »Wie? dreißig Tage sollen wir noch warten?« fragte Lucius. »Nur so lange, bis die hier Versammelten ihre Städte wieder erreicht, bis meine Eilboten Italien durchflogen haben. Ihr habt über vierzig Jahre warten müssen!« Aber der ungeduldige Eifer der Jünglinge, den er selbst geschürt, wollte nicht mehr ruhen: sie machten verdroßne Mienen zu dem Aufschub – sie murrten. Blitzschnell ersah der Priester diesen Umschlag der Stimmung. »Nein, Cethegus,« rief er, »solang kann nicht mehr gezögert werden! Unerträglich ist dem Edeln die Tyrannei: Schmach dem, der sie länger duldet als er muß. Ich weiß euch bessern Trost, ihr Jünglinge! Schon in den nächsten Tagen können die Waffen Belisars in Italien blitzen.« »Oder sollen wir vielleicht,« fragte Scävola, »Belisar nicht folgen, weil er nicht Cethegus ist?« »Ihr sprecht von Wünschen,« lächelte dieser, »nicht von Wirklichem. Landete Belisar, ich wäre der erste mich ihm anzuschließen. Aber er wird nicht landen. Das ist’s ja, was mich abgewendet hat von Byzanz: der Kaiser hält nicht Wort.« Cethegus spielte ein sehr kühnes Spiel. Aber er konnte nicht anders. »Du könntest irren und der Kaiser früher sein Wort erfüllen, als du meinst. Belisar liegt bei Sicilien.« »Nicht mehr. Er hat sich nach Afrika, nach Hause gewendet. Hofft nicht mehr auf Belisar.« Da hallten hastige Schritte aus dem Seitengange und eilfertig stürzte Albinus herein: »Triumph,« rief er, »Freiheit, Freiheit!« »Was bringst du?« fragte freudig der Priester. »Den Krieg, die Rettung! Byzanz hat den Goten den Krieg erklärt.« »Freiheit, Krieg!« jauchzten die Jünglinge. »Es ist unmöglich!« sprach Cethegus, tonlos. »Es ist gewiß!« rief eine andre Stimme vom Gange her – es war Calpurnius, der jenem auf dem Fuß gefolgt – »und mehr als das: der Krieg ist begonnen. Belisar ist gelandet auf Sicilien, bei Catana: Syrakusä, Messana sind ihm zugefallen, Panormus hat er mit der Flotte genommen, er ist übergesetzt nach Italien, von Messana nach Regium, er steht auf unserm Boden.« »Freiheit!« rief Marcus Licinius. »Überall fällt ihm die Bevölkerung zu. Aus Apulien, aus Calabrien flüchten die überraschten Goten, unaufhaltsam dringt er durch Bruttien und Lucanien gen Neapolis.« »Es ist erlogen, alles erlogen!« sagte Cethegus mehr zu sich selbst als zu den andern. »Du scheinst nicht sehr erfreut über den Sieg der guten Sache. Aber der Bote ritt drei Pferde zu Tod. Belisar ist gelandet mit dreißigtausend Mann.« – »Ein Verräter, wer noch zweifelt,« sprach Scävola. – »Nun laß sehen,« höhnte Silverius, »ob du dein Wort halten wirst. Wirst du der erste von uns sein, dich Belisar anzuschließen?« Vor Cethegus Auge versank in dieser Stunde eine ganze Welt, _seine_ Welt. So hatte er denn umsonst, nein, schlimmer als das, für einen verhaßten Feind alles gethan, was er gethan. Belisar in Italien mit einem starken Heere und er getäuscht, machtlos, überwunden! Wohl jeder andre hätte jetzt alles weitre Streben ermüdet aufgegeben. In des Präfekten Seele fiel nicht ein Schatten der Entmutigung. Sein ganzer Riesenbau war eingestürzt: noch betäubte der Schlag sein Ohr und schon hatte er beschlossen, im selben Augenblick ihn von neuem zu beginnen: seine Welt war versunken, und er hatte nicht Muße ihr einen Seufzer nachzusenden: denn aller Augen hingen an ihm. Er beschloß, eine zweite zu schaffen. »Nun! was wirst du thun?« wiederholte Silverius. Cethegus würdigte ihn keines Blicks. Zu der Versammlung gewendet sprach er mit ruhiger Stimme: »Belisar ist gelandet: Er ist jetzt unser Haupt: ich gehe in sein Lager.« Damit schritt er dem Ausgang zu, gemessenen Ganges, gefaßten Angesichts, an Silverius und dessen Freunden vorüber. Silverius wollte ein Wort des Hohnes flüstern: aber er verstummte, da ihn der Blick des Präfekten traf: »Frohlocke nicht, Priester,« schien er zu sagen, »diese Stunde wird dir vergolten.« Und Silverius, der Sieger, blieb erschrocken stehn. – – Neuntes Kapitel. Die Landung der Byzantiner war allen, Goten wie Italiern, gleich unerwartet gekommen. Denn die letzte Bewegung Belisars nach Südosten hatte alle Erwartungen von der kaiserlichen Flotte in die Irre gelenkt. Von unsern gotischen Freunden war nur Totila in Unteritalien: vergeblich hatte er als Seegraf von Neapolis die Regierung zu Ravenna gewarnt und um Vollmachten, um Mittel zur Verteidigung Siciliens gebeten. Wir werden sehen, wie ihm alle Mittel genommen wurden, das Ereignis zu verhindern, das sein Volk bedrohte, das gerade in die lichten Kreise seines eignen Lebens zuerst verhängnisvolle Schatten werfen und die Bande des Glückes zerreißen sollte, mit welchen ein freundliches Schicksal diesen Liebling der Götter bisher umwoben hatte. Denn in Bälde war es der unwiderstehlichen Anmut seiner Natur gelungen, das edle, wenn auch strenge, Herz des Valerius zu gewinnen. Wir haben gesehen, wie mächtig die Bitten der Tochter, das Andenken an die Scheideworte der Gattin, die Offenheit Totilas schon in jener Stunde der nächtlichen Überraschung auf den würdigen Alten gewirkt. Totila blieb als Gast in der Villa: Julius, mit seiner gewinnenden Güte, wurde von den Liebenden zu Hilfe gerufen und ihren vereinten Einflüssen gab der Sinn des Vaters allmählich nach. Dies war jedoch bei dem strengen Römertum des Alten nur dadurch möglich, daß von allen Goten Totila an Sinnesart, Bildung und Wohlwollen den Römern am nächsten stand, so daß Valerius bald einsah, er könne einen Jüngling nicht »barbarisch« schelten, der besser als mancher Italier die Sprache, die Weisheit und die Schönheit der hellenischen und römischen Litteratur kannte und würdigte, und, wie er seine Goten liebte, so die Kultur der alten Welt bewunderte. Dazu kam endlich, daß im politischen Gebiet den alten Römer und den jungen Germanen der gemeinsame Haß gegen die Byzantiner verband. Wenn der offnen Heldenseele Totilas in den tückischen Erbfeinden seiner Nation die Mischung von Heuchelei und Gewaltherrschaft unwillkürlich wie dem Lichte die Nacht verhaßt war, so war für Valerius die ganze Tradition seiner Familie eine Anklage gegen das Imperatorentum und Byzanz. Die Valerier hatten von jeher zu der aristokratisch-republikanischen Opposition wider das Cäsarentum gezählt. Und so mancher der Ahnen hatte schon seit den Tagen des Tiberius die alt-republikanische Gesinnung mit dem Tode gebüßt und besiegelt. Niemals hatten diese Geschlechter im Herzen die Übertragung der Weltherrschaft von der Tiberstadt nach Byzanz anerkannt: in dem byzantinischen Kaisertum erblickte Valerius den Gipfel aller Tyrannei: und um jeden Preis wollte er die Habsucht, den Glaubenszwang, den orientalischen Despotismus dieser Kaiser von seinem Latium fern halten. Es kam dazu, daß sein Vater und sein Bruder bei einer Handelsreise durch Byzanz von einem Vorgänger Justinians aus Habsucht waren festgehalten und, wegen angeblicher Beteiligung an einer Verschwörung, unter Konfiskation ihrer im Ostreich belegenen Güter, hingerichtet worden, so daß den politischen Haß des Patrioten mit aller Macht persönliche Schmerzen verstärkten. Er hatte, als Cethegus ihn in die Katakombenverschwörung einweihte, eifrig den Gedanken einer Selbstbefreiung Italiens ergriffen, aber alle Annäherungen der kaiserlichen Partei mit den Worten abgewiesen: »lieber den Tod als Byzanz!« So vereinten sich die beiden Männer in dem Entschluß, keine Byzantiner in dem schönen Lande zu dulden, das dem Goten kaum minder teuer war, als dem Römer. Die Liebenden hüteten sich, den Willen des Alten schon jetzt zu einem bindenden Wort zu drängen; sie begnügten sich für die Gegenwart mit der Freiheit des Umgangs, die Valerius ihnen beließ und warteten ruhig ab, bis der Einfluß allmählicher Gewöhnung ihn auch mit dem Gedanken an ihre völlige Vereinigung befreunden würde. So verlebten unsere jungen Freunde goldene Tage. Das Liebespaar hatte neben seinem eigensten Glücke die Freude an der wachsenden Neigung des Vaters zu Totila: und Julius genoß jene weihevolle Erhebung, die für edle Naturen in dem Überwinden eigner Schmerzen um des Glückes geliebter Herzen willen liegt. Seine suchende, von der Weisheit der alten Philosophie nicht befriedigte Seele wandte sich mehr und mehr jener Lehre zu, die den höchsten Frieden im Entsagen findet. Eine sehr entgegengesetzte Natur war Valeria. Sie war der Ausdruck der echt römischen Ideale ihres Vaters, der an der frühe verstorbnen Mutter Stelle ihre ganze Erziehung geleitet und im geistigen und sittlichen Gebiet die Ergebnisse des antiken heidnischen Geistes ihr angeeignet hatte. Das Christentum, dem ihre Seele bei dem Eintritt in das Leben durch eine äußere Nötigung war zugewendet und später ebenso durch ein äußerliches Mittel wieder war entrissen worden, erschien ihr als eine gefürchtete, nicht als eine verstandene und geliebte Macht, die sie gleichwohl nicht aus dem Kreise ihrer Gedanken und Gefühle zu scheiden vermochte. Als echte Römerin sah sie auch nicht mit bangem Zagen, sondern mit freudigem Stolz die kriegerische Begeisterung, die im Gespräch mit ihrem Vater über Byzanz und seine Feldherrn aus der Seele Totilas leuchtete, den künftigen Helden verkündend. Und so trug sie es mit edler Fassung, als den Geliebten seine Kriegerpflicht plötzlich abrief aus den Armen der Liebe und Freundschaft. Denn sowie die Flotte der Byzantiner auf der Höhe von Syrakusä erschienen war, loderte in dem jungen Goten der Gedanke, der Wunsch des Krieges unauslöschlich empor. Als Befehlshaber des unteritalischen Geschwaders lag ihm die Pflicht ob, die Feinde zu beobachten, die Küste zu decken. Er setzte rasch seine Schiffe in stand und segelte der griechischen Seemacht entgegen, Erklärung heischend über den Grund ihres Erscheinens in diesen Gewässern. Belisar, der den Auftrag hatte, erst nach einem Ruf von Petros feindlich aufzutreten, gab eine friedliche und unanfechtbare Auskunft, die Unruhen in Afrika und Seeräubereien mauretanischer Schiffe vorschützend. Mit dieser Antwort mußte sich Totila begnügen: aber in seiner Seele stand der Ausbruch des Krieges fest, vielleicht nur deshalb, weil er ihn wünschte. Er traf daher alle Anstalten, schickte warnende Boten nach Ravenna und suchte vor allem, das wichtige Neapolis wenigstens von der Seeseite her zu decken, da die Landbefestigung der Stadt während des langen Friedens vernachlässigt und der alte Uliaris, der Stadtgraf von Neapolis, nicht aus seiner stolzen Sicherheit und Griechenverachtung aufzurütteln war. Die Goten wiegten sich überhaupt in dem gefährlichen Wahn, die Byzantiner würden gar nie wagen, sie anzugreifen: und ihr verräterischer König bestärkte sie gern in diesem Glauben. Die Warnungen Totilas blieben deshalb unbeachtet und es wurde dem eifrigen Seegrafen sogar sein ganzes Geschwader abgenommen und in den Hafen von Ravenna zu angeblicher Ablösung beordert: aber die Schiffe, welche die abgesegelten ersetzen sollten, blieben aus. Und Totila hatte nichts als ein paar kleine Wachtschiffe, mit welchen er, wie er den Freunden erklärte, die Bewegungen der zahlreichen Griechenflotte nicht beobachten, geschweige denn aufhalten konnte. Diese Mitteilungen bewogen den Kaufherrn, die Villa bei Neapolis zu verlassen und seine reichen Besitzungen und Handelsniederlassungen bei Regium, an der Südspitze der Halbinsel, aufzusuchen, um die wertvollste Habe aus dieser Gegend, für die Totila den ersten Angriff der Feinde besorgte, nach Neapolis zu flüchten und überhaupt seine Anordnungen für den Fall eines längeren Krieges zu treffen. Auf dieser Reise sollte Julius ihn begleiten: und auch Valeria war nicht zu bewegen, in der leeren Villa zurückzubleiben: von Gefahr war, wie Totila versichert hatte, für die nächsten Tage nichts zu fürchten. So reisten denn die drei, von einigen Sklaven begleitet, nach der Hauptvilla bei dem Passe Jugum nördlich von Regium ab, die, unmittelbar am Meere gelegen, ja zum Teil mit jenem schon von Horatius gescholtnen Luxus in das Meer selbst »wagend hinausgebaut« war. Valerius traf die Dinge in schlechter Ordnung. Seine Institoren hatten, sicher gemacht durch lange Abwesenheit des Herrn, übel gewirtschaftet: und mit Unwillen erkannte dieser, daß seine prüfende, ordnende, strafende Thätigkeit, nicht tage-, sondern wochenlang in dieser Gegend notwendig sein werde. Unterdessen mehrten sich die drohenden Anzeichen. Totila schickte warnende Winke: aber Valeria erklärte, ihren Vater in der Gefahr nicht verlassen zu können: und dieser verschmähte es, vor den »Griechlein« zu flüchten, die er noch mehr verachtete, als haßte. Da wurden sie eines Tages durch zwei Boote überrascht, die fast gleichzeitig in den kleinen Hafen der Villa einliefen: das eine trug Totila, das andre den Korsen Furius Ahalla. Die Männer begrüßten sich überrascht, doch erfreut als alte Bekannte und wandelten mit einander durch die Taxus- und Lorbeergänge des Gartens zu der Villa hinan. Hier trennten sie sich: Totila gab vor, seinen Freund Julius besuchen zu wollen, indes den Korsen ein Geschäft zu dem Kaufherrn führte, mit dem er seit Jahren in einer für beide Teile gleich vorteilhaften Handelsverbindung stand. Mit Freuden sah daher Valerius den klugen, kühnen und stattlich-schönen Seefahrer bei sich eintreten und nach herzlicher Begrüßung wandten sich die beiden Handelsfreunde ihren Büchern und Rechnungen zu. Nach kurzen Erörterungen erhob sich der Korse von den Rechentafeln und sprach: »So siehst du, Valerius, aufs neue hat Mercurius unser Bündnis gesegnet. Meine Schiffe haben dir Purpur und köstlichen Wollstoff aus Phönikien und aus Spanien zugeführt: und deine köstlichen Fabrikate des verflossenen Jahres verführt nach Byzanz und Alexandria, nach Massilia und Antiochia. Ein Centenar Goldes Mehrgewinn gegen das Vorjahr! Und so wird er steigen und steigen von Jahr zu Jahr, solang die wackern Goten den Frieden schirmen und die Rechtspflege im Abendland.« Er schwieg wie abwartend. »Solang sie schirmen können!« seufzte Valerius, »solang diese Griechen Frieden halten. Wer steht dafür, daß uns nicht diese Nacht der Seewind die Flotte Belisars an die Küste treibt!« »Also auch du erwartest den Krieg? Im Vertrauen: er ist mehr als wahrscheinlich, er ist gewiß.« »Furius,« rief der Römer, »woher weißt du das?« »Ich komme von Afrika, von Sicilien. Ich habe die Flotte des Kaisers gesehen: so rüstet man nicht gegen Seeräuber. Ich habe die Heerführer Belisars gesprochen: sie träumen Nacht und Tag von den Schätzen Italiens. Sizilien ist zum Abfall reif, sowie die Griechen landen.« Valerius erbleichte vor Aufregung. Furius bemerkte es und fuhr fort: »Und deshalb vor allem bin ich hierher geeilt, dich zu warnen. Der Feind wird in dieser Gegend landen und ich wußte, – daß deine Tochter dich begleitet.« »Valeria ist eine Römerin.« »Ja, aber diese Feinde sind die wildesten Barbaren. Denn Hunnen, Massageten, Skythen, Avaren, Sclavenen und Sarazenen sind es, die dieser Kaiser der Römer losläßt auf Italien. Wehe, wenn dein minervengleiches Kind in ihre Hände fiele.« »Das wird sie nicht!« sagte Valerius, die Hand am Dolch. »Aber du sprichst wahr – sie muß fort – in Sicherheit.« – – »Wo ist in Italien Sicherheit? Bald werden die Wogen dieses Krieges brausend zusammenschlagen über Neapolis, – über Rom und kaum sich an Ravennas Mauern brechen.« – Denkst du so groß von diesen Griechen? Hat doch Griechenland nie etwas anderes nach Italien geschickt als Mimen, Seeräuber und Kleiderdiebe!« – »Belisarius aber ist ein Sohn des Sieges. Jedenfalls entbrennt ein Kampf, dessen Ende so mancher von euch nicht erleben wird!« – »Von _euch_, sagst du? wirst du nicht mit kämpfen?« »Nein, Valerius! Du weißt, in meinen Adern fließt nur korsisch Blut, trotz meines römischen Adoptivnamens: ich bin nicht Römer, nicht Grieche, nicht Gote. Ich wünsche den Goten den Sieg, weil sie Zucht und Ordnung halten zu Wasser und zu Land und weil mein Handel blüht unter ihrem Scepter: aber wollt’ ich offen für sie fechten, – der Fiskus von Byzanz verschlänge, was irgend von meinen Schiffen und Waren in den Häfen des Ostreichs liegt, drei Viertel all’ meines Guts. Nein, ich gedenke mein Eiland so zu befestigen, – du weißt ja, halb Korsika ist mein – daß keine der kämpfenden Parteien mich viel belästigen wird: meine Insel wird eine Friedensinsel sein, während rings die Länder und Meere vom Krieg erdröhnen. Ich werde dies Asyl beschirmen wie ein König seine Krone, wie ein Bräutigam die Braut – und deshalb« – seine Augen funkelten und seine Stimme bebte vor Erregung – »deshalb wollte ich jetzt, – heute – ein Wort aussprechen, das ich seit Jahren auf dem Herzen trage« – – Er stockte. Valerius sah voraus, was kommen werde und sah es mit tiefem Schmerz: seit Jahren hatte er sich in dem Gedanken gefallen, sein Kind dem mächtigen Kaufherrn zu vertrauen, eines alten Freundes Adoptivsohn, dessen Neigung er lange durchschaut. So lieb er in letzter Zeit den jungen Goten gewonnen, er würde doch den langjährigen Handelsgenossen als Eidam vorgezogen haben. Und er kannte den unbändigen Stolz und die zornige Rachsucht des Korsen: er fürchtete im Fall der Weigerung die alte Liebe und Freundschaft alsbald in lodernden Haß umschlagen zu sehen: man erzählte dunkle Geschichten von der jähzornigen Wildheit des Mannes und gern hätte Valerius ihm und sich selbst den Schmerz einer Zurückweisung erspart. Aber jener fuhr fort: »Ich denke, wir beide sind Männer, die Geschäfte geschäftlich abthun. Und ich spreche, nach altem Brauch, gleich mit dem Vater, nicht erst mit der Tochter. Gieb mir dein Kind zur Ehe, Valerius: du kennst zum Teil mein Vermögen – nur zum Teil: – denn es ist viel größer als du ahnst. Zur Widerlage der Mitgift geb’ ich, wie groß sie sei, das doppelte ...« – »Furius!« unterbrach der Vater. »Ich glaube wohl ein Mann zu sein, der ein Weib beglücken mag. Jedenfalls kann ich sie beschützen, wie kein andrer in diesen drohenden Zeiten: ich führe sie, wird Korsika bedrängt, auf meinen Schiffen nach Asien, nach Afrika; an jeder Küste erwartet sie nicht ein Haus, ein Palast. Keine Königin soll sie beneiden. Ich will sie hoch halten: – höher als meine Seele.« Er hielt inne, sehr erregt, wie auf rasche Antwort wartend. Valerius schwieg, er suchte nach einem Ausweg: – es war nur eine Sekunde: aber der Anschein nur, daß sich der Vater besinne, empörte den Korsen. Sein Blut kochte auf, sein schönes bronzefarbenes Antlitz, eben noch beinahe weich und mild, nahm plötzlich einen furchtbaren Ausdruck an: dunkelrote Glut schoß in die braunen Wangen. »Furius Ahalla,« sprach er rasch und hastig, »ist nicht gewöhnt, zweimal zu bieten. Man pflegt meine Ware aufs erste Angebot mit beiden Händen zu ergreifen –: nun biete ich mich selbst: – ich bin, bei Gott, nicht schlechter als mein Purpur« – »Mein Freund,« hob der Alte an, »wir leben nicht mehr in der Zeit alten, strengen Römerbrauchs: der neue Glaube hat den Vätern fast das Recht genommen, die Töchter zu vergeben. Mein Wille würde sie dir und keinem andern geben, aber ihr Herz« ... – »Sie liebt einen andern!« knirschte der Korse, »wen?« Und seine Faust fuhr an den Dolch, als sollte der Nebenbuhler keinen Augenblick mehr atmen. Es lag etwas vom Tiger in dieser Bewegung und im Funkeln des rollenden Auges. Valerius empfand, wie tödlich dieser Haß und wollte den Namen nicht nennen. – »Wer kann es sein?« fragte halblaut der Wütende. »Ein Römer? Montanus? Nein! O nur – nur nicht er – sag’ nein, Alter, nicht Er« .. – Und er faßte ihn am Gewande. »Wer? wen meinst du?« »Der mit mir landete – der Gote: doch ja: er muß es sein, es liebt ihn ja alles: – Totila!« »Er ist’s!« sagte Valerius und suchte begütigend seine Hand zu fassen. Doch mit Schrecken ließ er sie los: ein zuckender Krampf rüttelte den ehernen Leib des starken Korsen: er streckte beide Hände starr vor sich hin als wollte er den Schmerz, der ihn quälte, erwürgen. Dann warf er das Haupt in den Nacken und schlug sich die beiden geballten Fäuste grausam gegen die Stirn, den Kopf schüttelnd und laut auflachend. Entsetzt sah Valerius diesem Toben zu, endlich glitten die gepreßten Hände langsam herab und zeigten ein aschenfahles Antlitz. »Es ist aus,« sagte er dann mit bebender Stimme. »Es ist ein Fluch, der mich verfolgt: ich soll nicht glücklich werden im Weibe. Schon einmal, – hart vor der Erfüllung –! Und jetzt, – ich weiß es, – Valerias Seelenzucht und klare Ruhe hätte auch in mein wild schäumendes Leben rettenden Frieden gebracht: – ich wäre anders geworden, – – besser. Und sollte es nicht sein« – hier funkelte sein Auge wieder – »nun, so wär’ es fast das gleiche Glück gewesen, den Räuber dieses Glücks zu morden. Ja, in seinem Blute hätte ich gewühlt und von der Leiche die Braut hinweggerissen – und nun ist Er es! Er, der einzige, dem Ahalla Dank schuldet – und welchen Dank« – – – Und er schwieg, mit dem Haupte nickend und wie verloren in Erinnerung. »Valerius,« rief er dann plötzlich sich aufraffend, »ich weiche keinem Mann auf Erden: – ich hätt’ es nicht getragen, hinter einem andern zurückzustehen – doch Totila! – Es sei ihr vergeben, daß sie mich ausschlägt, weil sie Totila gewählt. Leb wohl, Valerius, ich geh’ in See, nach Persien, Indien – ich weiß nicht, wohin – ach überallhin nehm’ ich diese Stunde mit.« Und rasch war er hinaus und gleich darauf entführte ihn sein pfeilgeschwindes Bot dem kleinen Hafen der Villa. – Seufzend verließ Valerius das Gemach, seine Tochter zu suchen. Er traf im Atrium auf Totila, der sich schon wieder verabschiedete. Er war nur gekommen, zu rascher Rückreise nach Neapolis zu treiben. Denn Belisar habe sich wieder von Afrika abgewendet und kreuze bei Panormus: jeden Tag könne die Landung auf Sicilien, in Italien selbst erfolgen und trotz all’ seines Dringens sende der König keine Schiffe. In den nächsten Tagen wolle er selbst nach Sicilien, sich Gewißheit zu schaffen. Die Freunde seien daher hier völlig unbeschützt: und er beschwor den Vater Valerias, sofort auf dem Landwege nach Neapolis heimzukehren. Aber den alten Soldaten empörte es, vor den Griechen flüchten zu sollen: vor drei Tagen könne und wolle er nicht weichen von seinen Geschäften, und kaum war er von Totila zu bestimmen, eine Schar von zwanzig Goten zur notdürftigsten Deckung anzunehmen. Mit schwerem Herzen stieg Totila in seinen Kahn und ließ sich an Bord des Wachschiffes zurückbringen. Es war dunkler Abend geworden als er dort ankam, ein Nebelschleier verhüllte die Dinge in nächster Nähe. Da scholl Ruderschlag von Westen her und ein Schiff, kenntlich an der roten Leuchte an dem hohen Mast, bog um die Spitze eines kleinen Vorgebirges. Totila lauschte und fragte seine Wachen: »Segel zur Linken! was für Schiff? was für Herr?« »Schon angezeigt vom Mastkorb:« – hallte es wieder – »Kauffahrer – Furius Ahalla – lag hier vor Anker.« »Fährt wohin?« »Nach Osten – nach Indien!« – Zehntes Kapitel. Am Abend des dritten Tages seit Totila die gotische Bedeckung geschickt, hatte Valerius endlich seine Geschäfte beendet und auf den andern Morgen die Abreise festgesetzt. Er saß mit Valeria und Julius beim Nachtmahl und sprach von den Aussichten auf Erhaltung des Friedens, die des jungen Helden Kriegesdurst doch wohl unterschätzt habe: es war dem Römer ein unerträglicher Gedanke, daß »Griechen« das teure Italien in Waffen betreten sollten. »Auch ich wünsche den Frieden,« sprach Valeria, nachsinnend – »und doch –« »Nun?« fragte Valerius. »Ich bin gewiß, du würdest,« vollendete das Mädchen, »im Krieg erst Totila so lieben lernen, wie er es verdient: er würde für mich streiten und für Italien.« – »Ja,« sagte Julius, »es steckt in ihm ein Held und Größeres als das.« – »Ich kenne nichts Größeres,« antwortete Valerius. Da erschollen auf dem Marmorestrich des Atriums klirrende Schritte und der junge Thorismuth, der Anführer der zwanzig Goten und Totilas Schildträger, trat hastig ein. »Valerius,« sprach er schnell, »laß die Wagen anschirren, – die Sänften in den Hof – ihr müßt fort.« Die Drei sprangen auf: »Was ist geschehn – sind sie gelandet?« – »Rede,« sprach Julius, »was macht dich besorgt?« – »Für mich nichts,« lachte der Gote, »und euch wollt ich nicht früher schrecken als unvermeidlich. Aber ich darf nicht mehr schweigen – gestern früh spülte die Flut eine Leiche ans Land ... –« »Eine Leiche?« – »Einen Goten von unsrer Schiffsmannschaft – es war Alb, der Steuermann auf Totilas Schiff.« Valeria erbleichte, aber erbebte nicht. »Das kann ein Zufall sein – er ist ertrunken.« – »Nein,« sagte der Gote fest, »er ist nicht ertrunken: es stak ein Pfeil in seiner Brust.« – »Das deutet auf einen Kampf zur See! Nicht auf mehr!« meinte Valerius. »Aber heute –« »Heute?« fragte Julius. – »Heute sind alle Landleute ausgeblieben, die sonst täglich von Regium hier durch nach Colum gehen. Auch ein Reiter, den ich auf Kundschaft nach Regium schickte, ist nicht zurückgekommen.« – »Beweist noch immer nichts,« sprach Valerius eigensinnig. – Sein Herz sträubte sich gegen den Gedanken einer Landung der Verhaßten solang als möglich – »oft schon hat die Brandung die Straße gesperrt.« »Aber als ich selbst soeben auf der Straße nach Regium vorging und das Ohr auf die Erde legte, hörte ich die Erde zittern unter dem Hufschlag von vielen Rossen, die in rasender Eile nahen. Ihr müßt fliehn.« Jetzt griffen Valerius und Julius zu den Waffen, die an den Pfeilern des Gemaches hingen, Valeria legte schwer atmend die Hand aufs Herz: »Was ist zu thun?« fragte sie. »Besetzt den Engpaß von Jugum,« befahl Valerius, »in den die Straße längs der Küste verläuft: er ist schmal; er ist lange zu halten.« – »Er ist schon besetzt von acht meiner Goten, ich fliege hin, sobald ihr zu Pferde sitzt, die Hälfte meiner Schar deckt eure Reise: eilt.« Aber ehe sie das Gemach verlassen konnten, stürzte ein gotischer Krieger, mit Schlamm und Blut bedeckt, herein: »flieht,« rief er, »sie sind da!« – »Wer ist da, Gelaris?« fragte Thorismuth. – »Die Griechen! Belisar! der Teufel!« – »Rede,« befahl Thorismuth. – »Ich kam bis in den Pinienwald von Regium, ohne etwas Verdächtiges zu spüren, freilich auch ohne einer Seele auf der Straße zu begegnen. Als ich an einem dicken Baumstamm vorbeireite, eifrig vorwärts spähend, fühle ich einen Ruck am Halse, als risse mir ein Blitz den Kopf von den Schultern und im Nu lag ich unter meinem Tier am Boden .... –« »Schlecht gesessen, o Gelaris!« schalt Thorismuth. – »Jawohl, eine Roßhaarschlinge ums Genick und eine Bleikugel an den Kopf geschnellt, da fällt auch ein besserer Reitersmann als Gelaris, Genzos Sohn. Zwei Unholde – Waldschraten oder Alraunen acht’ ich sie ähnlich – setzten aus dem Busch über den Graben, banden mich auf mein Pferd, nahmen mich zwischen ihre kleinen, zottigen Gäule – und hui ...« – »Das sind die Hunnen Belisars!« rief Valerius. »Jagten sie mit mir davon. – Als ich wieder ganz zu mir gekommen, war ich in Regium, mitten unter den Feinden, dort erfuhr ich denn alles. Die Regentin ist ermordet, der Krieg ist erklärt, die Feinde haben Sicilien überrascht, die ganze Insel ist zum Kaiser abgefallen – –« – »Und das feste Panormus?« »Fiel durch die Flotte, die in den Hafen drang: die Mastkörbe waren höher als die Mauern der Stadt: von den Masten schossen und sprangen sie herab.« – »Und Syrakusä?« fragte Valerius. »Fiel durch Verrat der Sicilianer – die Goten der Besatzung sind ermordet: in Syrakusä ist Belisarius eingeritten unter einem Blumenregen, als scheidender Konsul des Jahres – denn es war am letzten Tage seines Konsulats – Goldmünzen streuend, unter Händeklatschen alles Volks.« – »Und wo ist der Seegraf? wo ist Totila?« – »Zwei seiner drei Schiffe sind in den Grund gebohrt, vom Schnabelstoße der Trieren. Sein Schiff und noch eins: er sprang ins Meer mit voller Rüstung – und ist – noch nicht – aufgefischt.« Da sank Valeria schweigend auf das Lager. »Der Griechenfeldherr,« fuhr der Bote fort, »landete gestern in dunkler stürmischer Nacht bei Regium: die Stadt hat ihn mit Jubel aufgenommen; er ordnet nur sein Heer, dann solls im Fluge nach Neapolis gehen: seine Vorhut, die gelbhäutigen Reiter, die mich eingebracht, mußten sogleich wieder umkehren und den Paß gewinnen. Ich sollte ihnen Führer dahin sein. Ich führte sie weit ab – nach Westen – in den Meeressumpf und – entsprang ihnen im Dunkel – des Abends – aber – sie schickten mir – Pfeile nach – und einer traf – ich kann nicht mehr.« – Und klirrend stürzte der Mann zu Boden. »Er ist verloren!« sprach Valerius, »sie führen vergiftetes Geschoß! Auf, Julius und Thorismuth, ihr geleitet mein Kind auf der Straße gen Neapolis: ich gehe in den Paß und decke euch den Rücken.« Vergebens waren die Bitten Valerias: Gesicht und Haltung des Alten nahmen einen Ausdruck eisernen Entschlusses an. »Gehorcht!« befahl er den Widerstrebenden, »ich bin der Herr dieses Hauses, der Sohn dieses Landes, und ich will die Hunnen Belisars fragen, was sie zu thun haben in meinem Vaterland. Nein, Julius! Dich muß ich bei Valeria wissen – lebet wohl.« Während Valeria mit ihrer gotischen Bedeckung und mit den meisten der Sklaven spornstreichs auf der Straße nach Neapolis hinwegeilte, stürmte Valerius mit Schild und Schwert einem halben Dutzend Sklaven voran, zum Garten der Villa hinaus, nach dem Engpaß zu, der nicht weit vor dem Anfang seiner Besitzungen die Straße nach Regium überwölbte. Der Felsenbogen zur Linken, im Norden, war unübersteiglich und zur Rechten, nach Süden, fielen jene Wände senkrecht in das tiefe Meer, dessen Brandung oft die Straße überflutete. Die Mündung des Passes aber war so schmal, daß zwei nebeneinanderstehende Männer sie mit ihren Schilden wie eine Pforte schließen konnten: so durfte Valerius hoffen, den Paß auch gegen große Übermacht lang genug zu decken, um den raschen Pferden der Fliehenden hinlänglichen Vorsprung zu gewähren. Während der Alte den schmalen Pfad, der sich zwischen dem Meere und seinen Weinbergen nach dem Engpaß hinzog, durch die mondlose Nacht vorwärts eilte, bemerkte er zur Rechten, draußen, in ziemlicher Entfernung vom Lande, im Meer den hellen Strahl eines kleinen Lichtes, das offenbar von dem Mast eines Schiffes niederleuchtete. Valerius erschrak: sollten die Byzantiner zur See gegen Neapolis vorrücken? Sollten sie Bewaffnete in seinem und des Engpasses Rücken ans Land werfen wollen? Aber würden sich dann nicht mehrere Lichter zeigen? Er wollte die Sklaven fragen, die auf seinen Befehl, aber schon mit sichtlichem Widerwillen, ihm aus der Villa gefolgt waren. Umsonst: sie waren verschwunden in dem Dunkel der Nacht. Sie waren dem Herrn entwischt, sobald dieser ihrer nicht mehr achtete. So kam Valerius allein an dem Engpaß an, dessen hintere Mündung zwei der gotischen Wachen besetzt hielten, während zwei andere den östlichen, dem Feinde zugekehrten Eingang ausfüllten und die übrigen vier in dem innern Raum hielten. Kaum war Valerius dicht hinter die beiden vordersten Wächter getreten, als man plötzlich ganz nahes Pferdegetrappel vernahm: und alsbald bogen um die letzte Krümmung, welche die Straße vor dem Paß um eine Felsennase machte, zwei Reiter im vollen Trabe. Beide trugen Fackeln in der Rechten: es warfen nur diese Fackeln Licht auf die nächtliche Scene: denn die Goten vermieden alles, was ihre kleine Zahl verraten konnte. »Beim Barte Belisars!« schalt der vorderste der Reiter, in Schritt übergehend, »hier wird der Katzensteig so schmal, daß kaum ein ehrlich Roß drauf Platz hat, – und da kömmt noch ein Hohlweg oder – halt, was rührt sich da?« Und er hielt sein Pferd an und bog sich, die Fackel weit vor sich streckend, vorsichtig nach vorn: so bot er dicht vor dem Eingang, in dem Licht seiner Kienfackel ein bequemes Ziel. »Wer ist da?« rief er seinem Begleiter nochmals zu. Da fuhr ein gotischer Wurfspeer durch die breiten Panzerringe in seine Brust. »Feinde, weh!« schrie der Sterbende und stürzte rücklings aus dem Sattel. »Feinde, Feinde!« rief der Mann hinter ihm, schleuderte die verderbliche Fackel weit von sich ins Meer, warf sein Pferd herum und jagte zurück, während das Tier des Gefallenen ruhig stehen blieb bei der Leiche seines Herrn. Nichts hörte man jetzt in der Stille der Nacht als den Hufschlag des enteilenden Rosses, und, zur Rechten des Passes, den leisen Schlag der Wellen am Fuße der Felswand. Den Männern im Engpaß schlug das Herz in Erwartung. »Jetzt bleibt kalt, ihr Männer,« mahnte Valerius, »lasse sich keiner aus dem Passe locken. Ihr in der ersten Reihe schließt die Schilde fest aneinander und streckt die Lanzen vor: wir in der Mitte werfen. Ihr drei im Rücken reicht uns die Speere und habt acht auf alles –.« »Herr,« rief der Gote, der hinter dem Passe auf der Straße stand, »das Licht! das Schiff nähert sich immer mehr.« »Hab’ acht und ruf’ es an, wenn –« Aber schon waren die Feinde da, deren Vorhut die beiden Späher gebildet hatten: es war ein Trupp von fünfzig hunnischen Reitern, mit einigen Fackeln. Wie sie um die Krümmung des Weges bogen, erhellte sich die Scene mit wechselndem, grellem Licht neben tiefem Dunkel. »Hier war es, Herr!« sprach der entkommene Reiter, »seht euch vor.« – »Schafft den Toten zurück und das Roß!« sprach eine rauhe Stimme und der Anführer, eine Fackel erhebend, ritt im Schritt gegen den Eingang vor. »Halt!« rief ihm Valerius auf lateinisch entgegen, »wer seid ihr und was wollt ihr?« – »Das habe ich zu fragen!« entgegnete der Führer der Reiter in derselben Sprache. – »Ich bin ein römischer Bürger und verteidige mein Vaterland gegen Räuber.« Der Anführer hatte unterdessen im Licht seiner Fackel die ganze Örtlichkeit besehen: sein geübtes Auge erkannte die Unmöglichkeit, links oder rechts den Engpaß zu umgehen und zugleich die Enge seiner Mündung. »Freund,« sagte er etwas zurückweichend, »so sind wir Bundesgenossen. Auch wir sind Römer und wollen Italien von seinen Räubern befreien. Also gieb Raum und laß uns durch.« Valerius, der in jeder Weise Zeit gewinnen wollte, sprach: »Wer bist du und wer sendet dich?« – »Ich heiße Johannes: die Feinde Justinians nennen mich »den blutigen«: und ich führe die leichten Reiter Belisars. Alles Land von Regium bis hierher hat uns mit Jubel aufgenommen: hier ist das erste Hemmnis; längst wären wir weiter, hätt’ uns nicht ein Hund von einem Goten in den dicksten Sumpf geführt, drin je ein guter Gaul versank. Köstliche Zeit ging uns verloren. Halt’ uns nicht auf! Leben und Habe ist dir gesichert, und reicher Lohn, wenn du uns führen willst. Eile ist der Sieg. Die Feinde sind betäubt: sie dürfen sich nicht besinnen, bis wir vor Neapolis stehen, ja vor Rom. »Johannes,« sprach Belisar zu mir, »da ich’s dem Sturmwind nicht befehlen kann, vor mir her durch dieses Land zu fegen, befehl ich’s dir.« Also fort und laßt uns durch –.« Und er spornte sein Pferd. »Sag Belisar, solange Cnejus Valerius lebt, soll er keinen Fuß breit vorwärts in Italien. Zurück, ihr Räuber!« – »Verrückter Mensch! du hältst es mit den Goten gegen uns?« – »Mit der Hölle –, wenn gegen euch.« Der Führer warf nochmals prüfende Blicke nach rechts und links: »Höre,« sprach er, »du kannst uns hier wirklich eine Weile aufhalten. Nicht lang. Weichst du, so sollst du leben. Weichst du nicht, so laß ich dich erst schinden und dann pfählen!« Und er hob die Fackel, nach einer Blöße spähend. »Zurück,« rief Valerius. »Schieß’, Freund!« Und eine Sehne klirrte und ein Pfeil schlug an den Helm des Reiters. »Warte!« rief dieser und spornte sein Tier zurück. »Absitzen,« befahl er, »alle Mann!« Aber die Hunnen trennten sich nicht gern von ihren Rossen. »Wie, Herr? absitzen?« fragte einer der nächsten. Da schlug ihm Johannes mit der Faust ins Gesicht. Der Mann rührte sich nicht. »Absitzen!« donnerte er noch mal; »wollt ihr zu Pferde in das Mauseloch schlüpfen?« Und er selbst schwang sich aus dem Sattel: »Sechs steigen auf die Bäume und schießen von oben. Sechs legen sich auf die Erde, kriechen an den Seiten der Straße vor und schießen im Liegen. Zehn schießen stehend, auf Brusthöhe. Zehn hüten die Pferde; die andern zwanzig folgen mir mit dem Speer, sowie die Sehnen geschwirrt. Vorwärts.« Und er gab die Fackel ab und ergriff eine Lanze. Während die Hunnen seinen Befehl vollzogen, musterte Johannes noch einmal den Paß. »Ergebt euch!« rief er – »Kommt an,« riefen die Goten. Da winkte Johannes und zwanzig Pfeile schwirrten zugleich. Ein Wehschrei und der vorderste Gote zur Rechten fiel: einer der Schützen auf den Bäumen hatte ihn in die Stirn getroffen. Rasch sprang Valerius mit dem vorgehaltenen Schild an seine Stelle. Er kam gerade recht, den wütenden Anprall des anstürmenden Johannes aufzuhalten, der mit der Lanze in die Lücke rannte. Er fing den Lanzenstoß mit dem Schilde und schlug nach dem Byzantiner, der nahe vor dem Eingang zurückprallte, strauchelte und niederfiel; die Hunnen hinter ihm wichen zurück. Da konnte sich’s der Gote neben Valerius nicht versagen, den feindlichen Führer unschädlich zu machen: er sprang mit gezücktem Speer aus dem Engpaß einen Schritt vorwärts. Aber das hatte Johannes gewollt: blitzschnell hatte er sich aufgerafft, den überraschten Goten von der Straßenwand zur Rechten des Felsenpasses hinabgestoßen, und im selben Augenblick stand er an der rechten, schildlosen Seite des Valerius, der die wieder vordringenden Hunnen abwehrte, und stieß diesem mit aller Kraft das lange Persermesser in die Weichen. Valerius brach zusammen: aber es gelang den drei hinter ihm stehenden Goten, Johannes, der schon in das Innere des Passes gedrungen war, mit ihren Schildschnäbeln wieder zurück- und hinauszustoßen. Er ging zurück, einen neuen Pfeilregen zu befehlen. Schweigend deckten die beiden Goten wieder die Mündung, der dritte hielt den blutenden Valerius in seinen Armen. Da stürzte die Wache von der Rückseite in den Engpaß: »Das Schiff! Herr – das Schiff! sie sind gelandet: sie fassen uns im Rücken! Flieht, wir wollen euch tragen – ein Versteck in den Felsen.« – »Nein,« sprach Valerius, sich aufrichtend, »hier will ich sterben; stemme mein Schwert gegen die Wand und« – Aber da schmetterte von der Rückseite her laut der Ruf des gotischen Heerhorns: Fackeln blitzten und eine Schar von dreißig Goten stürmte in den Paß: Totila an ihrer Spitze: sein erster Blick fiel auf Valerius: »Zu spät, zu spät!« rief er schmerzlich. »Aber folgt mir! Rache! hinaus!« Und wütend brach er mit seinem speeretragenden Fußvolk aus dem Paß. Und schrecklich war der Zusammenstoß auf der schmalen Straße zwischen Felsen und Meer. Die Fackeln erloschen in dem Getümmel und der anbrechende Morgen gab nur ein graues Licht. Die Hunnen, obwohl an Zahl den kühnen Angreifern überlegen, waren durch den plötzlichen Ausfall völlig überrascht: sie glaubten, ein ganzes Heer der Goten sei im Anmarsch: sie eilten, ihre Rosse zu gewinnen und zu entfliehen; aber die Goten erreichten mit ihnen zugleich die Stelle, wo die ledigen Tiere hielten: und in wirrem Knäuel stürzte Mann und Roß die Felsen hinab. Umsonst hieb Johannes selbst auf seine fliehenden Leute ein: ihr Schwall warf ihn zu Boden, er raffte sich wieder auf und sprang den nächsten Goten an. Aber er kam übel an: es war Totila, er erkannte ihn. »Verfluchter Flachskopf,« schrie er, »so bist du nicht ersoffen?« »Nein, wie du siehst!« rief dieser und schlug ihm das Schwert durch den Helmkamm und noch ein Stück in den Schädel, daß er taumelte. Da war aller Widerstand zu Ende. Mit knapper Not hoben ihn die nächsten seiner Reiter auf ein Pferd und jagten mit ihm davon. Der Kampfplatz war geräumt. Totila eilte nach dem Hohlweg zurück. Er fand Valerius, bleich, mit geschlossenen Augen, das Haupt auf seinen Schild gelegt. Er warf sich zu ihm nieder und drückte die erstarrende Hand an seine Brust. »Valerius,« rief er, »Vater! scheide nicht! scheide nicht so von uns. Noch ein Wort des Abschieds.« Der Sterbende schlug matt die Augen auf. »Wo sind sie?« fragte er. »Geschlagen und geflohn.« – »Ah, Sieg!« atmete Valerius auf; »ich darf im Siege sterben. Und Valeria – mein Kind – sie ist gerettet?« »Sie ist es. Aus dem Seegefecht, aus dem Meer entkommen, eilte ich hierher, Neapolis zu warnen, euch zu retten. Nahe der Straße, zwischen deinem Hause und Neapolis, war ich gelandet; dort traf ich sie und erfuhr deine Gefahr; eins meiner Schiffsboote nahm sie auf und führt sie nach Neapolis: mit dem andern eilte ich hierher dich zu retten – ach nur zu rächen!« Und er senkte das Haupt auf des Sterbenden Brust. »Klage nicht um mich, ich sterbe im Sieg! Und dir, mein Sohn, dir, dank’ ich es.« Und wohlgefällig streichelte er die langen Locken des Jünglings. »Und auch Valerias Rettung. O dir, dir, ich hoffe es, auch Italiens Rettung. Du bist der Held, auch dieses Land zu retten, – trotz Belisar und Narses. Du kannst es, – du wirst es – und dein Lohn sei mein geliebtes Kind.« – »Valerius! Mein Vater!« – »Sie sei dein! Aber schwöre mir’s,« – und er richtete sich empor mit letzter Kraft und sah ihm scharf ins Auge – »schwöre mir’s beim Genius Valeria’s: nicht eher wird sie dein, als bis Italien frei ist und keine Scholle seines heiligen Bodens mehr einen Byzantiner trägt.« »Ich schwör’ es dir,« rief Totila, begeistert seine Rechte fassend, »ich schwör’s beim Genius Valerias!« »Dank, dank, mein Sohn; nun mag ich getrost sterben: – grüße sie und sage ihr: dir hab’ ich sie empfohlen und anvertraut: sie – und Italien.« Und er legte das Haupt zurück auf seinen Schild und kreuzte die Arme über der Brust – und war tot. Lange hielt Totila schweigend die Hand auf seiner Brust. Ein blendendes Licht weckte ihn plötzlich aus seinem Träumen: es war die Morgensonne, deren goldne Scheibe prächtig über den Kamm des Felsgebirges emportauchte: er stand auf und sah dem steigenden Gestirn entgegen. Die Fluten glitzerten in hellem Widerschein und ein Schimmer flog über alles Land. »Beim Genius Valerias!« wiederholte er leise mit innigster Empfindung und hob die Hand zum Schwur dem Morgenlicht entgegen. Wie der Tote fand er Kraft und Trost und Begeisterung in seinem schweren Gelübde: die hohe Pflicht erhob ihn. Gekräftigt wandte er sich zurück und befahl, die Leiche auf sein Schiff zu tragen, um sie nach dem Grabmal der Valerier in Neapolis zu führen. Elftes Kapitel. Während dieser drohenden Ereignisse waren wohl freilich auch die Goten nicht völlig müßig geblieben. Doch waren alle Maßregeln kraftvoller Abwehr gelähmt, ja absichtlich vereitelt durch den feigen Verrat ihres Königs. Theodahad hatte sich von seiner Bestürzung über die Kriegserklärung des byzantinischen Gesandten alsbald wieder erholt, da er sich nicht von der Überzeugung trennen konnte und wollte, sie sei doch im Grunde nur erfolgt, um den Schein zu wahren und die Ehre des Kaiserhofes zu decken. Er hatte ja Petros nicht mehr allein gesprochen: und dieser mußte doch vor Goten und Römern einen Vorwand haben, Belisar in Italien erscheinen zu lassen. Das Auftreten dieses Mannes war ja das längst verabredete Mittel zur Durchführung der geheimen Pläne. Den Gedanken, Krieg führen zu sollen, – von allen ihm der unerträglichste! – wußte er sich dadurch fern zu halten, daß er weislich überlegte, zum Kriegführen gehören zwei. »Wenn ich mich nicht verteidige,« dachte er, »ist der Angriff bald vorüber. Belisar mag kommen: – ich will nach Kräften dafür sorgen, daß er auf keinen Widerstand stößt, der des Kaisers Stimmung gegen mich nur verschlimmern könnte. Berichtet der Feldherr im Gegenteil nach Byzanz, daß ich seine Erfolge in jeder Weise befördert, so wird Justinian nicht anstehn, den alten Vertrag ganz oder doch zum größten Teil zu erfüllen.« In diesem Sinne handelte er, berief alle Streitkräfte der Goten zu Land und zur See aus Unteritalien, wo er die Landung Belisars erwartete, hinweg, und schickte sie massenhaft an die Ostgrenze des Reiches nach Liburnien, Dalmatien, Istrien und gen Westen nach Südgallien, indem er, gestützt auf die Thatsache, daß Byzanz eine kleine Truppenabteilung nach Dalmatien gegen Salona gesendet und mit den Frankenkönigen Gesandte gewechselt hatte, vorgab, der Hauptangriff sei von den Byzantinern zu Lande, in Istrien, und von den mit ihnen verbündeten Franken am Rhodanus und Padus zu befahren. Die Scheinbewegungen Belisars unterstützten diesen Glauben: und so geschah das Unerhörte, daß die Heerscharen der Goten, die Schiffe, die Waffen, die Kriegsvorräte in großen Massen in aller Eile gerade vor dem Angriff hinweggeführt, daß Unteritalien bis Rom, ja alles Land bis Ravenna entblößt und alle Verteidigungsmaßregeln in den Gegenden vernachlässigt wurden, auf die alsbald die ersten Schläge der Feinde fallen sollten. An dem Dravus, Rhodanus und Padus wimmelte es von gotischen Waffen und Segeln, während bei Sicilien, wie wir sahen, sogar die nötigsten Boote zum Wachtdienst fehlten. Auch das ungestüme Drängen der gotischen Patrioten besserte daran nicht viel. Witichis und Hildebad hatte sich der König aus der Nähe geschafft, indem er sie mit Truppen und Aufträgen nach Istrien und nach Gallien entsandte: und dem argwöhnischen Teja leistete der alte Hildebrand, der nicht ganz den Glauben an den letzten der Amaler aufgeben wollte, zähen Widerstand. Am meisten aber ward Theodahad gekräftigt, als ihm seine entschlossene Königin zurückgegeben wurde. Witichis war alsbald nach der Kriegserklärung der Byzantiner mit einer gotischen Schar vor die Burg von Feretri gezogen, wo Gothelindis mit ihren pannonischen Söldnern Zuflucht gesucht, und hatte sie bewogen, sich freiwillig wieder in Ravenna einzufinden, unter Verbürgung für ihre Sicherheit, bis in der bevorstehenden großen Volks- und Heeresversammlung bei Rom ihre Sache nach allen Formen des Rechts untersucht und entschieden werde. Diese Bedingungen waren beiden Parteien genehm: denn den gotischen Patrioten mußte alles daran gelegen sein, jetzt, bei dem Ausbruch des schweren Krieges, nicht durch Parteiung in der Oberleitung gespalten zu sein. Und wenn der gerade Gerechtigkeitssinn des Grafen Witichis wider jede Anklage das Recht voller Verteidigung gewahrt wissen wollte, so sah auch Teja ein, daß, nachdem der Feind die schwere Beschuldigung des Königsmordes auf das ganze Volk der Goten geschleudert, nur ein strenges und feierliches Verfahren in allen Formen, nicht eine stürmische Volksjustiz auf blinden Argwohn hin, die Volksehre wahren könne. Gothelindis aber blickte jenem Verfahren mit kühner Stirn entgegen: mochten die Stimmen innerer Überzeugung auch gegen sie sprechen, sie glaubte ganz sicher zu sein, daß sich ein genügender Beweis ihrer That nicht erbringen lasse. – Hatte doch nur ihr Auge das Ende der Feindin gesehen. – Und sie wußte wohl, daß man sie ohne volle Überführung nicht strafen werde. So folgte sie willig nach Ravenna, flößte dem zagen Herzen ihres Gatten neuen Mut ein und hoffte, war nur der Gerichtstag überstanden, alsbald im Lager Belisars und am Hofe von Byzanz Ruhe von allen weitern Anfechtungen zu finden. Die Zuversicht des Königspaares über den Ausgang jenes Tages wurde nun noch dadurch erhöht, daß die Rüstungen der Franken ihnen den Vorwand gegeben hatten, außer Witichis und Hildebad auch noch den gefährlichen Grafen Teja mit einer dritten Heerschar in den Nordwesten der Halbinsel zu entsenden: – mit ihm zogen viele Tausende gerade der eifrigsten Anhänger der Gotenpartei, – so daß an dem Tag bei Rom eine von ihren Gegnern nicht allzuzahlreich besuchte Versammlung sich einfinden würde. – Und unablässig waren sie thätig, sowohl ihre persönlichen Anhänger als alte Gegner Amalaswinthens, die mächtige Sippe der Balten in ihren weitverbreiteten Zweigen, in möglichst großer Anzahl zur Entscheidung jenes Tages heranzuziehen. So hatte das Königspaar Ruhe und Zuversicht gewonnen. Und Theodahad war von Gothelindis bewogen worden, selbst als Vertreter seiner Gemahlin gegen jede Anklage unter den Goten zu erscheinen, um durch solchen Mut und den Glanz des königlichen Ansehens vielleicht von vornherein alle Widersacher einzuschüchtern. Umgeben von ihren Anhängern und einer kleinen Leibwache verließen Theodahad und Gothelindis Ravenna und eilten nach Rom, wo sie mehrere Tage vor dem für die Versammlung anberaumten Termin eintrafen und in dem alten Kaiserpalast abstiegen. Nicht unmittelbar vor den Mauern, sondern in der Nähe Roms, auf einem freien offnen Felde, Regeta genannt, zwischen Anagni und Terracina, sollte die Versammlung gehalten werden. Früh am Morgen des Tages, da sich Theodahad allein auf die Reise dorthin aufmachen wollte und von Gothelindis Abschied nahm, ließ sich ein unerwarteter und unwillkommener Name melden: Cethegus, der während ihres mehrtägigen Aufenthalts in der Stadt nicht erschienen: er war vollauf mit der Vollendung der Befestigungen beschäftigt. Als er eintrat, rief Gothelindis entsetzt über seinen Ausdruck: »Um Gott, Cethegus! welch ein Unheil bringst du?« Aber der Präfekt furchte nur einen Augenblick die Stirn bei ihrem Anblick, dann sprach er ruhig: »Unheil? für den, den’s trifft. Ich komme aus einer Versammlung meiner Freunde, wo ich zuerst erfuhr, was bald ganz Rom wissen wird: Belisar ist gelandet.« »Endlich,« rief Theodahad. – Und auch die Königin konnte eine Miene des Triumphs nicht verbergen. »Frohlockt nicht zu früh! Es kann euch reuen. Ich komme nicht, Rechenschaft von euch und eurem Freunde Petros zu verlangen: wer mit Verrätern handelt, muß sich aufs Lügen gefaßt machen. Ich komme nur, um euch zu sagen, daß ihr jetzt ganz gewiß verloren seid.« »Verloren?« – »Gerettet sind wir jetzt!« »Nein, Königin. Belisar hat bei der Landung ein Manifest erlassen: er sagt, er komme, die Mörder Amalaswinthens zu strafen; ein hoher Preis und seine Gnade ist denen zugesichert, die euch lebend oder tot einliefern.« Theodahad erbleichte. »Unmöglich!« rief Gothelindis. »Die Goten aber werden bald erfahren, wessen Verrat den Feind ohne Widerstand ins Land gelassen. Mehr noch. Ich habe von der Stadt Rom den Auftrag, in dieser stürmischen Zeit als Präfekt ihr Wohl zu wahren. Ich werde euch im Namen Roms ergreifen und Belisar übergeben lassen.« »Das wagst du nicht!« rief Gothelindis nach dem Dolche greifend. »Still, Gothelindis, hier gilt es nicht, hilflose Frauen im Bad ermorden. Ich lasse euch aber entkommen – was liegt mir an eurem Leben oder Sterben! – gegen einen billigen Preis.« »Ich gewähre jeden!« stammelte Theodahad. »Du lieferst mir die Urkunden aus deiner Verträge mit Silverius: – schweig! lüge nicht! ich weiß, ihr habt lang und geheim verhandelt. Du hast wieder einmal einen hübschen Handel mit Land und Leuten getrieben! Mich lüstet nach dem Kaufbrief.« »Der Kauf ist jetzt eitel! die Urkunden ohne Kraft! Nimm sie! sie liegen verwahrt in der Basilika des heiligen Martinus, in dem Sarkophag, links in der Krypta!« Seine Furcht zeigte, daß er wahr sprach. »Es ist gut,« sagte Cethegus. »Alle Ausgänge des Palastes sind von meinen Legionären besetzt. Erst erhebe ich die Urkunden. Fand ich sie am bezeichneten Ort, so werd’ ich Befehl geben, euch zu entlassen. Wollt ihr dann entfliehn, so geht an die Pforte Marc Aurels und nennt meinen Namen dem Kriegstribun der Wache, Piso. Er wird euch ziehen lassen.« Und er ging, das Paar ratlosen Ängsten überlassend. »Was thun?« fragte Gothelindis mehr sich selbst als ihren Gemahl. »Weichen oder trotzen?« – »Was thun?!« wiederholte Theodahad unwillig. »Trotzen? das heißt bleiben? Unsinn! fort von hier sobald als möglich; kein Heil als die Flucht!« – »Wohin willst du fliehn?« – »Nach Ravenna zunächst – das ist fest! Dort erheb’ ich den Königsschatz. Von da, wenn es sein muß, zu den Franken. Schade, schade, daß ich die hier verborgnen Gelder preisgeben muß. Die vielen Millionen Solidi!« – »Hier? auch hier,« fragte Gothelindis aufmerksam »in Rom hast du Schätze geborgen. Wo? und sicher?« – »Ach, allzusicher! In den Katakomben! Ich selber würde Stunden brauchen, sie alle aufzufinden in jenen finstern Labyrinthen. Und die Minuten sind jetzt Leben oder Tod. Und das Leben geht doch noch über die Solidi! Folge mir, Gothelindis. Damit wir keinen Augenblick verlieren; ich eile an die Pforte Marc Aurels.« Und er verließ das Gemach. Aber Gothelindis blieb überlegend stehn. Ein Gedanke, ein Plan hatte sie bei seinen Worten erfaßt: sie erwog die Möglichkeit des Widerstands. Ihr Stolz ertrug es nicht, der Herrschaft zu entsagen. »Gold ist Macht,« sprach sie zu sich selber, »und nur Macht ist Leben.« Ihr Entschluß stand fest. Sie gedachte der kappadokischen Söldner, die des Königs Geiz aus seinem Dienst verscheucht hatte; sie harrten noch herrenlos in Rom, der Einschiffung gewärtig. Sie hörte Theodahad hastig die Treppe hinunter steigen und nach seiner Sänfte rufen. »Ja, flüchte nur, du Erbärmlicher!« sprach sie, »ich bleibe.« Zwölftes Kapitel. Herrlich tauchte am nächsten Morgen die Sonne aus dem Meer: und ihre Strahlen glitzerten auf den blanken Waffen von vielen tausend Gotenkriegern, die das weite Blachfeld von Regeta belebten. Aus allen Provinzen des weiten Reiches waren die Scharen herbeigeeilt, gruppenweise, sippenweise, oft mit Weib und Kind, sich bei der großen Musterung, die alljährlich im Herbste gehalten wurde, einzufinden. Eine solche Volksversammlung war das schönste Fest und der edelste Ernst der Nation zugleich: ursprünglich, in der heidnischen Zeit, war ihr Mittelpunkt das große Opferfest gewesen, das alljährlich zweimal, an der Winter- und Sommer-Sonnenwende, alle Geschlechter des Volkes zur Verehrung der gemeinsamen Götter vereinte: daran schlossen sich dann Markt- und Tausch-Verkehr, Waffenspiele und Heeresmusterung: die Versammlung hatte zugleich die höchste Gerichtsgewalt und die letzte Entscheidung über Krieg und Frieden und die Verhältnisse zu andern Staaten. Und noch immer, auch in dem christlichen Gotenstaat, in welchem der König so manches Recht, das sonst dem Volke zukam, erworben, hatte die Volksversammlung eine höchst feierliche Weihe, wenn auch deren alte heidnische Bedeutung vergessen war: und die Reste der alten Volksfreiheit, die selbst der gewaltige Theoderich nicht angetastet, lebten unter seinen schwächern Nachfolgern kräftiger wieder auf. Noch immer hatte die Gesamtheit der freien Goten das Urteil zu finden, die Strafe zu verhängen, wenn auch der Graf des Königs in dessen Namen das Gericht leitete und das Urteil vollzog. Und oft schon hatten germanische Völker selbst ihre Könige wegen Verrates, Mordes und andrer schwerer Frevel vor offner Volksversammlung angeklagt, gerichtet und getötet. In dem stolzen Bewußtsein, sein eigner Herr zu sein und niemand, auch dem König nicht, über das Maß der Freiheit hinaus zu dienen, zog der Germane in allen seinen Waffen zu dem »Ding« wo er sich im Verband mit seinen Genossen sicher und stark fühlte und seine und seines Volkes Freiheit, Kraft und Ehre in lebendigen Bildern und Thaten vor Augen sah. Zur diesmaligen Versammlung aber zog es die Goten mit besonders starken Gründen. Der Krieg mit Byzanz war zu erwarten oder schon ausgebrochen, als die Ladung nach Regeta erging: das Volk freute sich auf den Kampf mit dem verhaßten Feind und freute sich, zuvor seine Heeresmacht zu mustern: diesmal ganz besonders sollte die Volksversammlung zugleich Heerschau sein. Dazu kam, daß wenigstens in den nächsten Landschaften den meisten Goten bekannt wurde, dort zu Regeta sollte Gericht gehalten werden über die Mörder der Tochter Theoderichs: die große Aufregung, die diese That erweckt hatte, mußte ebenfalls mächtig nach Regeta ziehn. Während ein Teil der Herbeigewanderten in den nächsten Dörfern bei Freunden und Verwandten eingesprochen, hatten sich große Scharen schon einige Tage vor der feierlichen Eröffnung auf dem weiten Blachfeld selbst, zweihundertachtzig Stadien (gegen sechsunddreißig römische Meilen zu tausend Schritt) von Rom, unter leichten Zelten und Hütten oder auch unter dem milden freien Himmel gelagert. Diese waren mit den frühsten Stunden des Versammlungstages schon in brausender Bewegung und nützten die geraume Zeit, da sie die alleinigen Herrn des Platzes waren, zu allerlei Spiel und Kurzweil. Die einen schwammen und badeten in den klaren Fluten des raschen Flusses Ufens (oder »Decemnovius«, weil er nach neunzehn römischen Meilen bei Terracina in das Meer mündet), der die weite Ebene durchschnitt. Andere zeigten ihre Kunst, über ganze Reihen von vorgehaltenen Speeren hinwegzusetzen oder, fast unbekleidet, unter den im Taktschlag geschwungenen Schwertern zu tanzen, indes die Raschfüßigsten, angeklammert an die Mähnen ihrer Rosse, mit deren schnellstem Lauf gleichen Schritt hielten und, am Ziele angelangt, mit sichrem Sprung sich auf den sattellosen Rücken schwangen. »Schade,« rief der junge Gudila, der bei diesem Wettlauf zuerst an das Ziel gelangt war und sich jetzt die gelben Locken aus der Stirne strich, »schade, daß Totila nicht zugegen! Er ist der beste Reiter im Volk und hat mich noch immer besiegt; aber jetzt, mit dem Rappen, nehm’ ich’s mit ihm auf.« – »Ich bin froh, daß er nicht da ist,« lachte Gunthamund, der als der zweite herangesprengt war, »sonst hätte ich gestern schwerlich den ersten Preis im Lanzenwurf davongetragen.« – »Ja,« sprach Hilderich, ein stattlicher junger Krieger in klirrendem Ringpanzer, »Totila ist gut mit der Lanze. Aber sichrer noch wirft der schwarze Teja: der nennt dir die Rippe vorher, die er treffen wird.« – »Bah,« brummte Hunibad, ein älterer Mann, der dem Treiben der Jünglinge prüfend zugesehn, »das ist doch all’ nur Spielerei. Im blutigen Ernste frommt dem Mann zuletzt doch nur das Schwert: wann dir der Tod von allen Seiten so dicht auf den Leib rückt, daß du nicht mehr ausholen kannst zum Wurf. Und da lob’ ich mir den Grafen Witichis von Fäsulä! Das ist mein Mann! War das ein Schädelspalten, im Gepidenkrieg! Durch Stahl und Leder schlug der Mann als wär’ es trocken Stroh. Der kann’s noch besser als mein eigner Herzog, Guntharis, der Wölsung, in Florentia. Doch was wißt ihr davon, ihr Knaben. – Seht, da steigen die frühesten Ankömmlinge von den Hügeln nieder: auf! ihnen entgegen!« Und aus allen Wegen strömte jetzt das Volk heran: zu Fuß, zu Roß und zu Wagen. Ein brausendes, wogendes Leben erfüllte mehr und mehr das Blachfeld. An den Ufern des Flusses, wo die meisten Zelte standen, wurden die Rosse abgezäumt, die Gespanne zu einer Wagenburg zusammengeschoben und durch die Lagergassen hin flutete nun die stündlich wachsende Menge. Da suchten und fanden und begrüßten sich Freunde und Waffenbrüder, die sich seit Jahren nicht gesehn. Es war ein buntgemischtes Bild: die alte germanische Gleichartigkeit war in diesem Reiche lang geschwunden. Da stand neben dem vornehmen Edeln, der sich in einer der reichen Städte Italiens niedergelassen, in den Palästen senatorischer Geschlechter wohnte und die feinere und üppigere Sitte der Welschen angenommen hatte, neben dem Herzog oder Grafen aus Mediolanum oder Ticinum, der über dem reichvergoldeten Panzer das Wehrgehänge von Purpurseide trug, neben einem solchen zieren Herrn ragte wohl ein rauher, riesiger Gotenbauer, der in den tiefen Eichwäldern am Margus in Mösien hauste oder der in dem Tann am rauschenden Önus dem Wolf die zottige Schur abgerungen hatte, die er um die mächtigen Schultern schlug, und dessen rauher erhaltne Sprache befremdlich an das Ohr der halbromanisierten Genossen schlug. Und wieder friedliche Schafhirten aus Dakien, die, ohne Acker und ohne Haus, mit ihren Herden von Weide zu Weide wanderten, ganz in derselben Weise noch, welche die Ahnen vor tausend Jahren aus Asien herübergeführt hatte. Da war ein reicher Gote, der in Ravenna oder Rom eines römischen Geldwechslers Kind geheiratet und bald Handel und Verkehr gleich seinem römischen Schwager zu treiben und seinen Gewinn nach Tausenden zu berechnen gelernt hatte. Und daneben stand ein armer Senne, der an dem brausenden Isarkus die magern Ziegen auf die magre Weide trieb, und dicht neben der Höhle des Bären seine Bretterhütte errichtet hatte. So verschieden war den Tausenden, die sich hier zusammenfanden, das Los gefallen, seit ihre Väter dem Ruf des großen Theoderich nach Westen gefolgt waren, hinweg aus den Thälern des Hämus. Aber doch fühlten sie sich als Brüder, als Söhne Eines Volkes: dieselbe stolzklingende Sprache redeten sie, dieselben Goldlocken, dieselbe schneeweiße Haut, dieselben hellen blitzenden Augen und – vor allem – das gleiche Gefühl in jeder Brust: als Sieger stehen wir auf dem Boden, den unsre Väter dem römischen Weltreich abgetrotzt, und den wir decken wollen, lebendig oder tot. Wie ein ungeheurer Bienenschwarm wogten und rauschten die Tausende durcheinander, die sich hier begrüßten, alte Bekanntschaften aufsuchten und neue schlossen und das wirre Getreibe schien nimmer enden zu wollen und zu können. Aber plötzlich tönten von dem Kamm der Hügel her eigentümliche, feierlich gezogene Töne des gotischen Heerhorns: und augenblicklich legte sich das Gesumme der brausenden Stimmen. Aufmerksam wandten sich aller Augen nach der Richtung der Hügel, von denen ein geschlossener Zug ehrwürdiger Greise nahte. Es war ein halbes Hundert von Männern in weißen, wallenden Mänteln, die Häupter eichenbekränzt, weiße Stäbe und altertümlich geformte Steinbeile führend: die Sajonen und Fronwärter des Gerichts, welche die feierlichen Formen der Eröffnung, Hegung und Aufhebung des Dings zu vollziehen hatten. Angelangt in der Ebene begrüßten sie mit dreifachem, langgezogenem Hornruf die Versammlung der freien Heermänner, die, nach feierlicher Stille, mit klirrenden Waffen lärmend antworteten. Alsbald begannen die Bannboten ihr Werk. Sie teilten sich nach rechts und links und umzogen mit Schnüren von roter Wolle, die alle zwanzig Schritt um einen Haselstab, den sie in die Erde stießen, geschlungen wurden, die ganze weite Ebene, und begleiteten diese Handlung mit uralten Liedern und Sprüchen. Genau gegen Aufgang und Mittag wurden die Wollschnüre auf mannshohe Lanzenschäfte gespannt, so daß sie die zwei Thore der nun völlig umfriedeten Dingstätte bildeten, an denen die Fronboten mit gezückten Beilen Wache hielten, alle Unfreien, alle Volksfremden und alle Weiber fern zu halten. Als diese Arbeit vollendet war, traten die beiden Ältesten unter die Speerthore und riefen mit lauter Stimme: »Gehegt ist der Hag Altgotischer Art: Nun beginnen mit Gott Mag gerechtes Gericht.« Auf die hiernach eingetretne Stille folgte unter der versammelten Menge ein anfangs leises, dann lauter tönendes und endlich fast betäubendes Getöse von fragenden, streitenden, zweifelnden Stimmen. Es war nämlich schon bei dem Zug der Sajonen aufgefallen, daß er nicht, wie gewöhnlich, von dem Grafen geführt war, der im Namen und Bann des Königs das Gericht abzuhalten und zu leiten pflegte. Doch hatte man erwartet, daß dieser Vertreter des Königs wohl während der Umschnürung des Platzes erscheinen werde. Als nun aber diese Arbeit geschehen, und der Spruch der Alten, der zum Beginn des Gerichts aufforderte, ergangen und doch immer noch kein Graf, kein Beamter erschienen war, der allein die Eröffnungsworte sprechen konnte, ward die Merksamkeit aller auf jene schwer auszufüllende Lücke gelenkt. Während man nun überall nach dem Grafen, dem Vertreter des Königs, fragte und suchte, erinnerte man sich, daß dieser ja verheißen hatte, in Person vor seinem Volk zu erscheinen, sich und seine Königin gegen die erhobnen schweren Anklagen zu verteidigen. Aber da man jetzt bei des Königs Freunden und Anhängern sich nach ihm erkundigen wollte, ergab sich die verdächtige Thatsache, die man bisher, im Gedräng der allgemeinen Begrüßungen, gar nicht wahrgenommen, daß nämlich auch nicht Einer der zahlreichen Verwandten, Freunde, Diener des Königshauses, die zur Unterstützung der Beschuldigten zu erscheinen Recht, Pflicht und Interesse hatten, in der Versammlung zugegen war, wiewohl man sie vor wenigen Tagen zahlreich in den Straßen und in der Umgegend Roms gesehen hatte. Das erregte Befremden und Argwohn: und lange schien es, als ob an dem Lärm über diese Seltsamkeit und an dem Fehlen des Königsgrafen der rechtmäßige Anfang der ganzen Verhandlung scheitern solle. Verschiedene Redner hatten bereits vergeblich versucht, sich Gehör zu verschaffen. – Da erscholl plötzlich aus der Mitte der Versammlung ein alles übertönender Klang, dem Kampfruf eines furchtbaren Ungetümes vergleichbar. Aller Augen folgten dem Schall: und sahen im Mittelgrund des Platzes, an den Rücken einer hohen Steineiche gelehnt, eine hohe ragende Gestalt, die in den hohlen, vor den Mund gehaltnen Erzschild mit lauter Stimme den gotischen Schlachtruf ertönen ließ. Als sie den Schild senkte, erkannte man das mächtige Antlitz des alten Hildebrand, dessen Augen Feuer zu sprühen schienen. Begeisterter Jubel begrüßte den greisen Waffenmeister des großen Königs, den, wie seinen Herrn, Lied und Sage schon bei lebendem Leib zu einer mythischen Gestalt unter den Goten gemacht hatten. Als sich der Zuruf gelegt, hob der Alte an: »Gute Goten, meine wackern Männer. Es ficht euch an und will euch befremden, daß ihr keinen Grafen seht und Vertreter des Mannes, der eure Krone trägt. Laßt’s euch nicht Bedenken machen! Wenn der König meint, damit das Gericht zu stören, so soll er irren. Ich denke noch die alten Zeiten und sage euch: das Volk kann Recht finden ohne König, und Gericht halten ohne Königsgrafen. Ihr seid alle herangewachsen in neuer Übung und Sitte, aber da steht Haduswinth, der Alte, kaum ein paar Winter jünger denn ich: der wird’s mir bezeugen: beim Volk allein ist alle Gewalt: das Gotenvolk ist frei!« »Ja, wir sind frei!« rief ein tausendstimmiger Chor. »Wir wählen uns unsern Dinggrafen selbst, schickt der König den seinen nicht,« rief der graue Haduswinth, »Recht und Gericht war, eh’ König war und Graf. Und wer kennt besser allen Brauch des Rechts als Hildebrand, Hildungs Sohn? Hildebrand soll unser Dinggraf sein.« »Ja!« hallte es ringsum wieder, »Hildebrand soll unser Dinggraf sein.« »Ich bin’s durch eure Wahl: und achte mich so gut bestellt, als hätte mir König Theodahad Brief und Pergament darüber ausgestellt. Auch haben meine Ahnen Gericht gehalten den Goten seit Jahrhunderten. Kommt, Sajonen, helft mir öffnen das Gericht.« Da eilten zwölf von den Frondienern herzu. Vor der Eiche lagen noch die Trümmer eines uralten Fanums des Waldgottes Picus: die Sajonen säuberten die Stelle, hoben die breitesten der Steine zurecht und lehnten links und rechts zwei der viereckigen Platten an den Stamm der Eiche, so daß ein stattlicher Richterstuhl dadurch gebildet ward. Und so hielt, von dem Altar des altitalischen Wald- und Hirtengottes herab, der Gotengraf Gericht. Andere Sajonen warfen einen blauen weitfaltigen Wollmantel mit breitem, weißem Kragen über Hildebrands Schultern, gaben ihm den oben gekrümmten Eschenstab in die Hand und hingen links zu seinen Häupten einen blanken Stahlschild an die Zweige der Eiche. Dann stellten sie sich in zwei Reihen zu seiner Rechten und Linken auf: der Alte schlug mit dem Stab auf den Schild, daß er hell erklang, dann setzte er sich, das Antlitz gegen Osten und sprach: »Ich gebiete Stille, Bann und Frieden! Ich gebiete Recht und verbiete Unrecht, Hastmut und Scheltwort und Waffenzücken, und alles, was den Dingfrieden kränken mag. Und ich frage hier: ist es an Jahr und Tag, an Weil’ und Stunde, an Ort und Stätte, zu halten ein frei Gericht gotischer Männer?« Da traten die nächststehenden Goten heran und sprachen im Chor: »Hier ist rechter Ort, unter hohem Himmel, unter rauschender Eiche, hier ist rechte Tageszeit, bei klimmender Sonne, auf schwertgewonnenem gotischem Erdgrund, zu halten ein frei Gericht gotischer Männer.« »Wohlan,« fuhr der alte Hildebrand fort, »wir sind versammelt, zu richten zweierlei Klage: Mordklage wider Gothelindis, die Königin, und schwere Rüge wegen Feigheit und Saumsal in dieser Zeit hoher Gefahr wider Theodahad, unsern König. Ich frage ... –« Da ward seine Rede unterbrochen durch lauten, schallenden Hornruf, der von Westen her näher und näher drang. Dreizehntes Kapitel. Erstaunt sahen die Goten um und erblickten einen Zug von Reitern, welche die Hügel herab gegen die Gerichtsstätte eilten. Die Sonne fiel grell blendend auf die waffenblitzenden Gestalten, daß sie nicht erkenntlich waren, obwohl sie in Eile nahten. Da richtete sich der alte Hildebrand hoch auf in seinem erhöhten Sitz, hielt die Hand vor die falkenscharfen Augen und rief sogleich: »Das sind gotische Waffen! – Die wallende Fahne trägt als Bild die Wage: – das ist das Hauszeichen des Grafen Witichis! Und dort ist er selbst! An der Spitze des Zugs. Und an seiner Linken die hohe Gestalt, das ist der starke Hildebad! Was führt die Feldherrn zurück? ihre Scharen sollten schon weit auf dem Weg nach Gallien und Dalmatien sein.« Ein Brausen von fragenden, staunenden, grüßenden Stimmen erfolgte. Indeß waren die Reiter heran und sprangen von den dampfenden Rossen. Mit Jubel empfangen, schritten die Führer, Witichis und Hildebad, durch die Menge den Hügel heran, bis zu Hildebrands Richterstuhl. »Wie?« rief Hildebad noch atemlos, »ihr sitzt hier und haltet Gericht, wie im tiefsten Frieden: und der Feind, Belisar, ist gelandet!« »Wir wissen es,« sprach Hildebrand ruhig, »und wollten mit dem König beraten, wie ihm zu wehren sei.« »Mit dem König!« lachte Hildebad bitter. »Er ist nicht hier,« sagte Witichis umblickend, »das verstärkt unsern Verdacht. Wir kehrten um, weil wir Grund zu schwerem Argwohn erhielten. Aber davon später! fahrt fort, wo ihr haltet. Alles nach Recht und Ordnung! still, Freund!« Und den ungeduldigen Hildebad zurückdrängend, stellte er sich bescheiden zur Linken des Richterstuhles in die Reihe der andern. Nachdem es wieder stiller geworden, fuhr der Alte fort: »Gothelindis, unsre Königin, ist verklagt wegen Mordes an Amalaswintha, der Tochter Theoderichs. Ich frage: sind wir Gericht zu richten solche Klage?« Der alte Haduswinth, gestützt auf seine lange Keule, trat vor und sprach: »Rot sind die Schnüre dieser Malstätte. Beim Volksgericht ist das Recht über roten Blutfrevel, über warmes Leben und kalten Tod. Wenn’s anders geübt ward in letzten Zeiten, so war das Gewalt, nicht Recht. Wir sind Gericht, zu richten solche Klage.« »In allem Volk,« fuhr Hildebrand fort, »geht wider Gothelindis schwerer Vorwurf: im stillen Herzen verklagen wir alle sie darob. Wer aber will hier, im offnen Volksgericht, mit lautem Wort, sie dieses Mordes zeihen?« »Ich!« sprach eine helle Stimme: und ein schöner, junger Gote, in glänzenden Waffen, trat von rechts vor den Richter, die rechte Hand auf die Brust legend. Ein Murmeln des Wohlgefallens drang durch die Reihen: »Er liebt die schöne Mataswintha!« – »Er ist der Bruder des Herzogs Guntharis von Tuscien, der Florentia besetzt hält.« – »Er freit um sie!« – »Als Rächer ihrer Mutter tritt er auf!« »Ich, Graf Arahad von Asta, des Aramuth Sohn, aus der Wölsungen Edelgeschlecht,« fuhr der junge Gote mit einem anmutigen Erröten fort. »Zwar bin ich nicht versippt mit der Getöteten: allein die Männer ihrer Sippe, Theodahad voran, ihr Vetter und ihr König, erfüllen nicht die Pflicht der Blutrache; ist er doch selbst des Mordes Helfer und Hehler. So klag’ ich denn, ein freier unbescholtner Gote edeln Stammes, ein Freund der unseligen Fürstin, an Mataswinthens, ihrer Tochter, Statt. Ich klag’ um Mord! Ich klag’ auf Blut!« Und unter lautem Beifall des Volkes zog der stattliche schöne Jüngling das Schwert und streckte es gerad vor sich auf den Richterstuhl. »Und dein Beweis? sag an ... –« »Halt, Dinggraf,« scholl da eine ernste Stimme. Witichis trat vor, dem Kläger entgegen. »Bist du so alt und kennst das Recht so wohl, Meister Hildebrand, und läßt dich fortreißen von der Menge wildem Drang? Muß ich dich mahnen, ich, der jüngere Mann, an alles Rechtes erstes Gebot? Den Kläger hör’ ich, die Beklagte nicht.« »Kein Weib kann stehen in der Goten Ding,« sprach Hildebrand ruhig. »Ich weiß: doch wo ist Theodahad, ihr Gemahl und Mundwalt, sie zu vertreten?« »Er ist nicht erschienen.« »Ist er geladen?« »Er ist geladen! Auf meinen Eid und den dieser Boten,« sprach Arahad: »tretet vor, Sajonen.« Zwei der Fronwärter traten vor und rührten mit ihren Stäben an den Richterstuhl. »Nun,« sprach Witichis weiter, »man soll nicht sagen, daß im Volk der Goten ein Weib ungehört, unverteidigt verurteilt werde; wie schwer sie auch verhaßt sei, – sie hat ein Recht auf Rechtsgehör und Rechtsschutz. Ich will ihr Mundwalt und ihr Fürsprecher sein.« Und er trat ruhig dem jugendlichen Ankläger entgegen, gleich ihm das Schwert ziehend. Eine Pause der ehrenden Bewunderung trat ein. »So leugnest du die That?« fragte der Richter. »Ich sage: sie ist nicht erwiesen!« – »Erweise sie!« sprach der Richter zu Arahad gewendet. Dieser, nicht vorbereitet auf ein förmliches Verfahren und nicht gefaßt auf einen Widersacher von Witichis’ großem Gewicht und kräftiger Ruhe, ward etwas verwirrt. »Erweisen?« rief er ungeduldig. »Was braucht’s noch Erweis? Du, ich, alle Goten wissen, daß Gothelindis die Fürstin lang und tödlich haßte. Die Fürstin verschwindet aus Ravenna: gleichzeitig die Mörderin: ihr Opfer kömmt in einem Hause Gothelindens wieder zum Vorschein – tot: die Mörderin aber flieht auf ein festes Schloß. Was braucht’s da noch Erweis?« Und ungeduldig sah er auf die Goten rings umher. »Und darauf hin klagst du auf Mord im offnen Ding?« sprach Witichis ruhig. »Wahrlich der Tag sei fern vom Gotenvolk, da man nach solchem Anschein Urteil spricht. Gerechtigkeit, ihr Männer, ist Licht und Luft! Weh, weh dem Volk, das seinen Haß zu seinem Recht erhebt. Ich selber hasse dieses Weib und ihren Gatten: aber wo ich hasse, bin ich doppelt streng mit mir.« Und so edel und so schlicht sprach er dies Wort, daß aller Goten Herzen dem treuen Manne zuschlugen. »Wo sind die Beweise?« fragte nun Hildebrand. »Hast du handhafte That? hast du blickenden Schein? hast du gichtigen Mund? hast du echten Eid? heischest du der Verklagten Unschuldseid?« »Beweis!« wiederholte Arahad zornig. »Ich habe keinen als meines Herzens festen Glauben.« »Dann,« sprach Hildebrand – Doch in diesem Augenblick bahnte sich ein Sajo vom Thore her den Weg zu ihm und sprach: »Römische Männer stehen am Eingang. Sie bitten um Gehör: sie wissen, sagen sie, alles um der Fürstin Tod.« »Ich fordre, daß man sie höre,« rief Arahad eifrig, »nicht als Kläger, als Zeugen des Klägers.« Hildebrand winkte und der Sajo eilte, die Gemeldeten durch die neugierige Menge heraufzuführen. Voran schritt ein von Jahren gebeugter Mann in härener Kutte, den Strick um die Lenden: die Kapuze seines Überwurfs machte seine Züge unkenntlich: zwei Männer in Sklaventracht folgten. Fragende Blicke ruhten auf der Gestalt des Greises, dessen Erscheinung bei aller Einfachheit, ja Armut, von seltner Würde geadelt war. Als er angelangt war vor dem Richterstuhl Hildebrands, sah ihm Arahad dicht ins Antlitz und trat mit Staunen rasch zurück. »Wer ist es,« fragte der Richter, »den du zum Zeugen stellest deines Wortes? Ein unbekannter Fremdling?« – »Nein,« rief Arahad und schlug des Zeugen Mantel zurück, »ein Name, den ihr alle kennt und ehrt: Marcus Aurelius Cassiodorus.« Ein Ruf allgemeinen Staunens flog über die Dingstätte. »So hieß ich,« sprach der Zeuge, »in den Tagen meines weltlichen Lebens: jetzt nur Bruder Marcus.« Und eine hohe Weihe lag in seinen Zügen: – die Weihe der Entsagung. »Nun, Bruder Marcus,« forschte Hildebrand, »was hast du uns zu melden vom Tode Amalaswinthens? Sag’ uns die volle Wahrheit und nur die Wahrheit.« »Die werd’ ich sagen. Vor allem wißt: nicht Streben nach menschlicher Vergeltung führt mich her: nicht den Mord zu rächen bin ich gekommen: – die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr! – Nein, den letzten Auftrag der Unseligen, der Tochter meines großen Königs, zu erfüllen, bin ich da.« Und er zog eine Papyrusrolle aus dem Gewande. »Kurz vor ihrer Flucht aus Ravenna richtete sie diese Zeilen an mich, die ich, als ihr Vermächtnis an das Volk der Goten, mitzuteilen habe: »Den Dank einer zerknirschten Seele für deine Freundschaft. Mehr noch als die Hoffnung der Rettung labt das Gefühl unverlorner Treue. Ja, ich eile auf deine Villa im Bolsener See: führt doch der Weg von da nach Rom, nach Regeta, wo ich vor meinen Goten all’ meine Schuld aufdecken und auch büßen will. Ich will sterben, wenn es sein muß: aber nicht durch die tückische Hand meiner Feinde: nein, durch den Richterspruch meines Volkes, das ich Verblendete ins Verderben geführt. Ich habe den Tod verdient: nicht nur um des Blutes willen der drei Herzoge, die, alle sollen es erfahren, durch mich starben: mehr noch um des Wahnes willen, mit dem ich mein Volk zurückgesetzt um Byzanz. Gelange ich lebend nach Regeta, so will ich warnen und mahnen mit der letzten Kraft meines Lebens: fürchtet Byzanz! Byzanz ist falsch wie die Hölle und ist kein Friede denkbar zwischen ihm und uns. Aber warnen will ich auch vor dem Feind im Innern. König Theodahad spinnt Verrat: er hat an Petros, den Gesandten von Byzanz, Italien und die Gotenkrone verkauft: er hat gethan, was ich dem Griechen weigerte. Seht euch vor, seid stark und einig. Könnt’ ich sterbend sühnen, was ich lebend gefehlt.«« In tiefer Stille hatte das Volk die Worte vernommen, die Cassiodor mit zitternder Stimme gesprochen und die jetzt wie aus dem Jenseits herüberzutönen schienen. Auch als er geendet, wirkte noch der Eindruck des Mitleids und der Trauer fort in feierlichem Schweigen. Endlich erhob sich der alte Hildebrand und sprach: »Sie hat gefehlt: sie hat gebüßt. Tochter Theoderichs, das Volk der Goten verzeiht dir deine Schuld und dankt dir deine Treue.« »So mög’ ihr Gott vergeben, Amen!« sprach Cassiodor. »Ich habe niemals die Fürstin an den Bolsener See geladen: ich konnt’ es nicht: vierzehn Tage zuvor hatt’ ich all’ meine Güter verkauft an die Königin Gothelindis.« »Sie also hat ihre Feindin,« fiel Arahad ein, »seinen Namen mißbrauchend, in jenes Haus gelockt. Kannst du das leugnen, Graf Witichis?« »Nein,« sprach dieser ruhig, »aber,« fuhr er zu Cassiodor gewendet fort, »hast du auch Beweis, daß die Fürstin daselbst nicht zufälligen Todes gestorben, daß Gothelindis ihren Tod herbeigeführt?« »Tritt vor, Syrus, und sprich!« sagte Cassiodor, »ich bürge für die Treue dieses Mundes.« Der Sklave trat vor, neigte sich und sprach: »Ich habe seit zwanzig Jahren die Aufsicht über die Schleusen des Sees und die Wasserkünste des Bades der Villa im Bolsener See: niemand außer mir kannte dessen Geheimnisse. Als die Königin Gothelindis das Gut erkauft, wurden alle Sklaven Cassiodors entfernt und einige Diener der Königin eingesetzt: ich allein ward belassen. Da landete eines frühen Morgens die Fürstin Amalaswintha auf der Insel, bald darauf die Königin. Diese ließ mich sofort kommen, erklärte, sie wolle ein Bad nehmen, und befahl mir, ihr die Schlüssel zu allen Schleusen des Sees und zu allen Röhren des Bades zu übergeben und ihr den ganzen Plan des Druckwerks zu erklären. Ich gehorchte, gab ihr die Schlüssel und den auf Pergament gezeichneten Plan, warnte sie aber nachdrücklich, nicht alle Schleusen des Sees zu öffnen und nicht alle Röhren spielen zu lassen: das könne das Leben kosten. Sie aber wies mich zürnend ab und ich hörte, wie sie ihrer Badsklavin befahl die Kessel nicht mit warmem, sondern mit heißem Wasser zu füllen. Ich ging, besorgt um ihre Sicherheit, und hielt mich in der Nähe des Bades. Nach einiger Zeit hörte ich an dem mächtigen Brausen und Rauschen, daß die Königin dennoch, gegen meinen Rat, die ganze Flut des Sees hereingelassen: zugleich hörte ich in allen Wänden das dampfende Wasser zischend aufsteigen und da mir obenein dünkte, als vernehme ich, gedämpft durch die Marmormauern, ängstlichen Hilfschrei, eilte ich auf den Außengang des Bades, die Königin zu retten. Aber wie erstaunte ich, als ich an dem mir wohlbekannten Mittelpunkt der Künste, an dem Medusenhaupt, die Königin, die ich im Bad, in Todesgefahr wähnte, völlig angekleidet stehen sah. Sie drückte an den Federn und wechselte mit jemand, der im Bade um Hilfe rief, zornige Worte. Entsetzt und dunkel ahnend, was da vorging, schlich ich, zum Glück noch unbemerkt, hinweg.« »Wie, Feigling?« sprach Witichis, »du ahntest, was vorging und schlichst hinweg?« »Ich bin nur ein Sklave, Herr, kein Held: und hätte mich die grimme Königin bemerkt, ich stünde wohl nicht hier, sie anzuklagen. Gleich darauf erscholl der Ruf, die Fürstin Amalaswintha sei im Bad ertrunken.« Ein Murren und Rufen drang tosend durch das versammelte Volk. Frohlockend rief Arahad: »Nun, Graf Witichis, willst du sie noch beschützen?« – »Nein,« sprach dieser ruhig, das Schwert einsteckend, »ich schütze keine Mörderin. Mein Amt ist aus.« Und mit diesem Wort trat er von der linken auf die rechte Seite, zu den Anklägern, hinüber. »Ihr, freie Goten, habt das Urteil zu finden und das Recht zu schöpfen,« sprach Hildebrand, »ich habe nur zu vollziehen, was ihr gefunden. So frag’ ich euch, ihr Männer des Gerichts, was dünkt euch von dieser Klage, die Graf Arahad, des Aramuth Sohn, der Wölsung, erhoben gegen Gothelindis, die Königin? Sagt an: ist sie des Mordes schuldig?« »Schuldig! schuldig!« scholl es mit vielen tausend Stimmen und keine sagte nein. »Sie ist schuldig,« sagte der Alte aufstehend. »Sprich, Kläger, welche Strafe forderst du um diese Schuld?« Arahad erhob das Schwert gerade gegen Himmel: »Ich klagte um Mord. Ich klagte auf Blut. Sie soll des Todes sterben.« Und ehe Hildebrand seine Frage an das Volk stellen konnte, war die Menge von zorniger Bewegung ergriffen, alle Schwerter flogen aus den Scheiden und blitzten gen Himmel auf und alle Stimmen riefen: »Sie soll des Todes sterben!« – Wie ein furchtbarer Donner rollte das Wort, die Majestät des Volksgerichts vor sich her tragend, über das weite Gefild, daß bis in weite Ferne die Lüfte wiederhallten. – »Sie stirbt des Todes,« sprach Hildebrand aufstehend, »durch das Beil. Sajonen auf, und sucht, wo ihr sie findet.« »Halt an,« sprach der starke Hildebad vortretend, »schwer wird unser Spruch erfüllt werden, solang dies Weib unsres Königs Gemahlin. Ich fordre deshalb, daß die Volksgemeinde auch gleich die Klagen prüfe, die wir gegen Theodahad auf der Seele haben, der ein Volk von Helden so unheldenhaft beherrscht. Ich will sie aussprechen, diese Klagen. Merkt wohl, ich zeihe ihn des Verrates, nicht nur der Unfähigkeit, uns zu retten, uns zu führen. Schweigen will ich davon, daß wohl schwerlich ohne sein Wissen seine Königin ihren Haß an Amalaswintha kühlen konnte, schweigen davon, daß diese in ihren letzten Worten uns vor Theodahads Verrat gewarnt. Aber ist es nicht wahr, daß er den ganzen Süden des Reiches von Männern, Waffen, Rossen, Schiffen entblößt, daß er alle Kraft nach den Alpen geworfen hat, bis daß die elenden Griechlein ohne Schwertstreich Sicilien gewinnen, Italien betreten konnten? Mein armer Bruder Totila mit seiner handvoll Leuten allein steht ihnen entgegen. Statt ihm den Rücken zu decken, sendet der König auch noch Witichis, Teja, mich nach dem Norden. Mit schwerem Herzen gehorchten wir: denn wir ahnten, wo Belisar landen werde. Nur langsam rückten wir vor, jede Stunde den Rückruf erwartend. Umsonst. Schon lief durch die Landschaften, die wir durchzogen, das dunkle Gerücht, Sicilien sei verloren und die Welschen, die uns nach Norden ziehen sahen, machten spöttische Gesichter. So waren wir ein paar Tagemärsche an der Küste hingezogen. Da traf mich dieser Brief meines Bruders Totila: »Hat denn, wie der König, so das ganze Volk der Goten, so mein Bruder mich aufgegeben und vergessen? Belisar hat Sicilien überrascht. Er ist gelandet. Alles Volk fällt ihm zu. Unaufhaltsam dringt er gegen Neapolis. Vier Briefe hab’ ich an König Theodahad um Hilfe geschrieben. Alles umsonst. Kein Segel erhalten. Neapolis ist in höchster Gefahr. Rettet, rettet Neapolis und das Reich.«« Ein Ruf grimmigen Schmerzes ging durch die Tausende gotischer Männer. »Ich wollte,« fuhr Hildebad fort, »augenblicklich mit all’ unsren Tausendschaften umkehren, aber Graf Witichis, mein Oberfeldherr, litt es nicht. Nur das setzte ich durch, daß wir die Truppen Halt machen ließen und mit wenigen Reitern hierher flogen zu warnen, zu retten, zu rächen. Denn Rache, Rache heisch ich an König Theodahad: nicht nur Thorheit und Schwäche, Arglist war es, daß er den Süden den Feinden preisgegeben. Hier dieser Brief beweist es. Viermal hat ihn mein Bruder gemahnt, gebeten. All’ umsonst. Er gab ihn, er gab das Reich in Feindeshand. Weh’ uns, wenn Neapolis fällt, schon gefallen ist. Ha, er soll nicht länger herrschen, nicht leben soll er länger, der das verschuldet hat. Reißt ihm die Krone der Goten vom Haupt, die er geschändet, nieder mit ihm! Er sterbe!« »Nieder mit ihm! Er sterbe!« donnerte das Volk in mächtigem Echo nach. Unwiderstehlich schien der Strom ihres Grimmes zu wogen und jeden zu zerreißen, der ihm widerstehen wollte. Nur Einer blieb ruhig und gelassen inmitten der stürmenden Menge. Das war Graf Witichis. Er sprang auf einen der alten Steine unter dem Eichbaum und wartete, bis sich der Lärm etwas gelegt. Dann erhob er die Stimme und sprach mit jener schlichten Klarheit, die ihm so wohl anstand: »Landsleute, Volksgenossen! Hört mich an! Ihr habt Unrecht mit eurem Spruch. Wehe, wenn im Gotenstamm, des Ehre und Stolz die Gerechtigkeit gewesen seit der Väter Zeit, Haß und Gewalt des Rechtes Thron besteigen. Theodahad ist ein schwacher, schlechter König! Nicht länger soll er allein des Reiches Zügel lenken! Gebt ihm einen Vormund wie einem Unmündigen! Setzt ihn ab meinetwegen. Aber seinen Tod, sein Blut dürft ihr nicht fordern! Wo ist der Beweis, daß er verraten hat? Daß Totilas Botschaft an ihn gelangt? Seht ihr, ihr schweigt: hütet euch vor Ungerechtigkeit, sie stürzt die Reiche der Völker.« Und groß und edel stand er auf seinem erhöhten Boden, im vollen Glanz der Sonne, voll Kraft und edler Würde. Bewundernd ruhten die Augen der Tausende auf ihm, der ihnen an Hoheit und Maß und klarer Ruhe so überlegen schien. Eine feierliche Pause erfolgte. Und ehe noch Hildebad und das Volk Antwort finden konnte gegen den Mann, der die lebendige Gerechtigkeit schien, ward die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem dichten Walde gezogen, der im Süden die Aussicht begrenzte und der auf einmal lebendig zu werden schien. Vierzehntes Kapitel. Denn man hörte von dort her den raschen Hufschlag nahender Pferde und das Klirren von Waffen: alsbald bog eine kleine Schar von Reitern aus dem Wald: aber weit ihnen allen voraus jagte auf kohlschwarzem Roß ein Mann, der wie mit dem Sturmwind um die Wette ritt. Weit im Winde flatterte seine Helmzier: ein mächtiger schwarzer Roßschweif, und seine eignen langen, schwarzen Locken: vorwärts gebeugt trieb er das schaumbespritzte Roß zu rasender Eile und sprang am Südeingang des Dings sausend vom Sattel. Alle wichen links und rechts zurück, die der grimme, tödlichen Haß sprühende Blick seines Auges aus dem leichenblassen, schönen Antlitz traf. Wie von Flügeln getragen stürmte er den Hügel hinan, sprang auf einen Stein neben Witichis, hielt eine Rolle hoch empor, rief wie mit letzter Kraft: »Verrat, Verrat!« und stürzte dann wie blitzgetroffen nieder. Entsetzt sprangen Witichis und Hildebad hinzu: sie hatten kaum den Freund erkannt: »Teja, Teja!« riefen sie, »was ist geschehen? rede!« – »Rede!« wiederholte Witichis, »es gilt das Reich der Goten!« Wie mit übermenschlicher Kraft richtete sich in diesem Wort der stählerne Mann wieder empor, sah einen Augenblick um sich und sprach dann mit hohler Stimme: »Verraten sind wir. Goten, verraten von unserm König. Ich erhielt Auftrag vor sechs Tagen, nach Istrien zu ziehen, nicht nach Neapolis, wie ich gebeten. Ich schöpfe Verdacht, doch ich gehorche und gehe unter Segel mit meinen Tausendschaften. Ein starker Weststurm bricht herein, verschlägt zahllose kleine Schiffe von Westen her bis zu uns. Darunter den »Mercurius«, den raschen Keles, – das leichte Postschiff Theodahads. Ich kannte das Fahrzeug wohl: es gehörte einst meinem Vater. Wie das unserer Schiffe ansichtig wird, will es entfliehen. Ich, argwöhnisch, jage ihm nach und hole es ein. Es trug diesen Brief an Belisar von des Königs Hand: »Du wirst zufrieden sein mit mir, großer Feldherr. Alle Gotenheere stehen in dieser Stunde nordöstlich von Rom, ohne Gefahr könntest du landen. Vier Briefe des Seegrafen von Neapolis habe ich zerstört, seine Boten in den Turm geworfen. Zum Dank erwart’ ich, daß du den Vertrag genau erfüllst, und den Kaufpreis in Bälde bezahlst.«« Teja ließ den Brief sinken, die Stimme versagte ihm. Ein Ächzen und Stöhnen der Wut zog durch die Versammlung. »Ich ließ umkehren, sogleich landen, ausschiffen und jage hierher seit drei Tagen und drei Nächten unausgesetzt. Ich kann nicht mehr.« Und taumelnd sank er in Witichis’ Arme. Da sprang der alte Hildebrand empor auf den höchsten Stein seines Stuhles: weit überragte er die ganze Menge: er riß dem Träger, der die Lanze mit des Königs kleiner Marmorbüste auf der Querstange trug, den Schaft aus der Hand und hielt ihn vor sich in der Linken: in der Rechten hob er sein Steinbeil: »Verkauft, verraten sein Volk für gelbes Gold? Nieder mit ihm, nieder, nieder!« Und ein Beilschlag zertrümmerte die Büste. Dieser Akt war wie der erste Donnerschlag, der ein lange brütendes Gewitter entfesselt. Nur dem Wüten empörter Elemente war das Stürmen vergleichbar, welches nun das in seinen Grundtiefen aufgewühlte Volk durchbrauste. »Nieder, nieder, nieder mit ihm!« hallte es tausendfach wieder unter betäubendem Klirren der Waffen. Und darauf erhob abermals der alte Waffenmeister seine eherne Stimme und sprach feierlich: »Wisset es, Gott im Himmel und Menschen auf Erden, sehende Sonne, und wehender Wind, wisset es, das Volk der Goten, frei und alten Ruhmes voll und zu den Waffen geboren, hat abgethan seinen ehemaligen König Theodahad, des Theodis Sohn, weil er Volk und Reich an den Feind verraten. Wir sprechen dir ab, Theodahad, die goldne Krone und das Gotenreich, das Gotenrecht und das Leben. Und solches thun wir nicht nach Unrecht, sondern nach Recht. Denn frei sind wir gewesen alle Wege unter unsern Königen und wollten eh’ der Könige missen als der Freiheit. Und so hoch steht kein König, daß er nicht um Mord, Verrat und Eidbruch zu Recht stehe vor seinem Volk. So sprech’ ich dir ab Krone und Reich, Recht und Leben. Landflüchtig sollst du sein, echtlos, ehrlos, rechtlos. Soweit Christenleute zur Kirche gehen und Heidenleute zum Opferstein. Soweit Feuer brennt und Erde grünt. Soweit Schiff schreitet und Schild scheinet. Soweit Himmel sich höht und Welt sich weitet. Soweit der Falke fliegt den langen Frühlingstag, wann ihm der Wind steht unter seinen beiden Flügeln. Versagt soll dir sein Halle und Haus und guter Leute Gemeinschaft und alle Wohnung, ausgenommen die Hölle. Dein Erb’ und Eigen teil ich zu dem Gotenvolk. Dein Blut und Fleisch den Raben in den Lüften. Und wer dich findet, in Halle und Hof, in Haus oder Heerstraße, soll dich erschlagen, ungestraft und soll bedankt sein dazu von Gott und den guten Goten. Ich frage euch, soll’s so geschehn?« »So soll’s geschehn!« antworteten die Tausende und schlugen Schwert an Schild. Kaum war Hildebrand herabgestiegen, als der alte Haduswinth seine Stelle einnahm, das zottige Bärenfell zurückwarf und sprach: »Des Neidkönigs wären wir ledig! Er wird seinen Rächer finden. Aber jetzt, treue Männer, gilt es, einen neuen König wählen. Denn ohne König sind wir nie gewesen. Soweit unsere Sagen und Sprüche zurückdenken, haben die Ahnen einen auf den Schild gehoben, das lebende Bild der Macht, des Glanzes, des Glückes der guten Goten. Solang es Goten giebt, werden sie Könige haben: und solang sich ein König findet, wird ihr Volk bestehn. Und jetzt vor allem gilt’s, ein Haupt, einen Führer zu haben. Das Geschlecht der Amelungen ist glorreich aufgestiegen, wie eine Sonne: lang hat sein hellster Strahl, Theoderich, geleuchtet: aber schmählich ist’s erloschen in Theodahad. Auf, Volk der Goten, du bist frei! frei wähle dir den rechten König, der dich zu Sieg und Ehre führt. Dein Thron ist leer: mein Volk, ich lade dich zur Königswahl!« »Zur Königswahl!« sprach diesmal feierlich und machtvoll der Chor der Tausende. Da trat Witichis auf den Dingstein, hob den Helm vom Haupt und die Rechte gen Himmel: »Du weißt es, Gott, der in den Sternen geht, uns treibt nicht frevler Kitzel des Ungehorsams und des Übermuts: uns treibt das heilige Recht der Not. Wir ehren das Recht des Königtums, den Glanz, der von der Krone strahlt: geschändet aber ist dieser Glanz und in der höchsten Not des Reiches üben wir des Volkes höchstes Recht. Herolde sollen ziehen zu allen Völkern der Erde und laut verkünden: nicht aus Verachtung, aus Verehrung der Krone haben wir es gethan. Wen aber wählen wir? Viel sind der wackern Männer im Volk, von altem Geschlecht, von tapfrem Arm und klugem Geist. Wohl mehrere sind der Krone würdig. Wie leicht kann es kommen, daß einer diesen, der andere jenen vorzieht? Aber um Gott, nur jetzt keinen Zwist, keinen Streit! Jetzt, da der Feind im Lande liegt! Drum laßt uns schwören vorher feierlich: wer das Stimmenmehr erhält, sei’s nur um Eine Stimme, den wollen wir alle als unsern König achten, unweigerlich, und keinen andern. Ich schwöre es: – schwört mit mir.« »Wir schwören!« riefen die Goten. Aber der junge Arahad stimmte nicht ein. Ehrgeiz und Liebe loderten in seinem Herzen: er bedachte, daß sein Haus jetzt, nach dem Fall der Balten und der Amaler, das edelste war im Volk: er hoffte, Mataswinthens Hand zu gewinnen, wenn er ihr eine Krone bieten konnte: und kaum war der Schwur verhallt, als er vortrat und rief: »Wen sollen wir wählen, gotische Männer? bedenkt euch wohl! Vor allem, das ist klar, einen Mann jungkräftigen Armes wider den Feind. Aber das allein genügt nicht. Weshalb haben unsere Ahnen die Amaler erhöht? Weil sie das edelste, das älteste, Götter entstammte Geschlecht waren. Wohlan, das erste Gestirn ist erloschen, gedenkt des zweiten, gedenkt der Balten!« Von den Balten lebte nur Ein männlicher Sproß, ein noch nicht wehrhafter Enkel des Herzog Pitza – denn Alarich, der Bruder der Herzoge Thulun und Ibba, war seit langen Jahren geächtet und verschollen. – Arahad rechnete sicher, man werde jenen Baltenknaben nicht wählen und vielmehr des dritten Gestirns gedenken. Aber er irrte. Der alte Haduswinth trat zornig vor und schrie: »Was Adel! was Geschlecht! sind wir Adelsknechte oder freie Männer? Beim Donner! werden wir Ahnen zählen, wenn Belisar im Lande steht? Ich will dir sagen, Knabe, was ein König braucht. Einen tapferen Arm, das ist wahr, aber nicht das allein. Der König soll ein Hort des Rechts, ein Schirm des Friedens sein, nicht nur der Vorkämpfer im Schwertkampf. Der König soll haben einen immer ruhigen, immer klaren Sinn, wie der blaue Himmel ist, und wie die lichten Sterne sollen darin auf- und niedergehen gerechte Gedanken. Der König soll haben eine stete Kraft, aber noch mehr ein stetes Maß: er soll nie sich selbst verlieren und vergessen in Haß und Liebe, wie wir wohl dürfen, wir unten im Volk. Er soll nicht nur mild sein den Freunden, er soll gerecht sein dem Verhaßtesten, selbst dem Feind. In dessen Brust ein klarer Friede wohnt bei kühnem Mut und edles Maß bei treuer Kraft, – der Mann, Arahad, ist königlich geartet und hätt’ ihn der letzte Bauer gezeugt.« Lauter Beifall folgte dem Wort des Alten und beschämt trat Arahad zurück. Aber jener fuhr fort: »Gute Goten! ich meine, wir haben einen solchen Mann! Ich will ihn euch nicht nennen: nennt ihr ihn mir. Ich kam hierher aus fernem Hochgebirg aus unsrer Mark gegen die Karanthanen, wo der wilde Turbidus schäumend die Felsen zerstäubt. Da leb’ ich mehr, als sonst ein Menschenalter ist, stolz, frei, einsam. Wenig erfahr’ ich von der Menschen Händeln, selbst von des eignen Volkes Thaten, wenn nicht ein Salzroß halbverirrt des Weges kommt. Und doch drang mir bis in jene öde Höhe der Waffenruhm Eines vor allen unsern Helden, der nie das Schwert zu ungerechtem Streit erhob und es noch niemals sieglos eingesteckt. Seinen Namen hört’ ich immer wieder, wenn ich fragte: Wer wird uns schirmen, wenn Theoderich schied? Seinen Namen hört’ ich bei jedem Sieg, den wir erfochten, bei jedem weisen Werke des Friedens, das geschehn. Ich hatt’ ihn nie gesehen. Ich sehnte mich danach, ihn zu sehen. Heute hab’ ich ihn gesehen und gehört. Ich habe sein Aug’ gesehen, das klar und milde wie die Sonne. Ich hab’ sein Wort gehört; ich hab’ gehört, wie er dem Feind selbst, dem verhaßten, zu Recht und zu Gerechtigkeit verhalf. Ich hab’ gehört, wie er allein, da uns alle der blinde Haß fortriß mit dunkler Schwinge, klar blieb und ruhig und gerecht. Da dacht’ ich mir in meinem alten Herzen: »der Mann ist königlich geartet, stark im Kampf und gerecht im Frieden, hart wie Stahl und klar wie Gold.« Goten: der Mann soll unser König sein. Nennt mir den Mann!« »Graf Witichis, ja Witichis, heil König Witichis!« Während dieser brausende Jubelruf durch das Gefilde hallte, hatte ein erschütternder Schreck den bescheidnen Mann ergriffen, der gespannt der Rede des Alten gefolgt war und erst ganz zu Ende von der Ahnung ergriffen ward, daß er der so Gepriesne sei. Als er nun aber seinen Namen in diesem tausendstimmigen Jauchzen erschallen hörte, überkam ihn vor allen andern Gedanken das Gefühl: »Nein, das kann, das soll nicht sein.« Er riß sich von Teja und Hildebad, die freudig seine Hände drückten, los, und sprang hervor, das Haupt schüttelnd und, wie abwehrend, den Arm ausstreckend. »Nein!« rief er, »nein, Freunde! nicht das mir! Ich bin ein schlichter Kriegsmann, nicht ein König. Ich bin vielleicht ein gutes Werkzeug, kein Werkmeister! Wählt einen andern, einen Würdigern!« Und wie bittend streckt er beide Hände gegen das Volk. Aber der donnernde Ruf: »Heil König Witichis!« ward ihm statt aller Antwort. Und nun trat der alte Hildebrand vor, faßte seine Hand und sprach laut: »Laß ab, Witichis! wer war es, der zuerst geschworen, unweigerlich den König anzuerkennen, der auch nur eine Stimme mehr hätte? Siehe, du hast alle Stimmen und willst dich wehren?« Aber Witichis schüttelte das Haupt und preßte die Hand vor die Stirn. Da trat der Alte ganz nah zu ihm und flüsterte in sein Ohr: »Wie? muß ich dich stärker mahnen? Muß ich dich mahnen jenes nächtigen Eides und Bundes, da du gelobtest: »Alles zu meines Volkes Heil.« Ich weiß, – ich kenne deine klare Seele, –: dir ist die Krone mehr eine Last als eine Zierde: ich ahne, daß dir diese Krone große, bittre Schmerzen bringen wird. Vielleicht mehr als Freuden: deshalb fordre ich, daß du sie auf dich nimmst.« Witichis schwieg und drückte noch die andre Hand vor die Augen. Schon viel zu lang währte dem begeisterten Volk das Zwischenspiel. Schon rüsteten sie den breiten Schild, ihn darauf zu erheben, schon drängten sie den Hügel hinan, seine Hand zu fassen: und fast ungeduldig scholl aufs neue der Ruf: »Heil König Witichis.« »Ich fordre es bei deinem Bluteid! – willst du ihn halten oder brechen?« flüsterte Hildebrand. »Halten!« sprach Witichis und richtete sich entschlossen auf. Und nun trat er, ohne falsche Scham und ohne Eitelkeit, einen Schritt vor und sprach: »Du hast gewählt, mein Volk, wohlan, so nimm mich hin. Ich will dein König sein!« Da blitzten alle Schwerter in die Luft und lauter scholl’s: »Heil König Witichis.« Jetzt stieg der alte Hildebrand ganz herab von seinem Dingstuhl und sprach: »Ich weiche nun von diesem hohen Stuhl. Denn unserm König ziemt jetzt diese Stätte. Nur einmal noch laß mich des Grafenamtes warten. Und kann ich dir nicht den Purpur umhängen, den die Amaler getragen und ihr goldenes Scepter reichen, – nimm meinen Richtermantel und den Richterstab als Scepter, zum Zeichen, daß du unser König wardst um deiner Gerechtigkeit willen. Ich kann sie nicht auf deine Stirne drücken, die alte Gotenkrone, Theoderichs goldnen Reif. So laß dich krönen mit dem frischen Laub der Eiche, der du an Kraft und Treue gleichst.« Mit diesen Worten brach er ein zartes Gewinde von der Eiche und schlang es um Witichis’ Haupt: »Auf, gotische Heerschar, nun warte deines Schildamts.« Da ergriffen Haduswinth, Teja und Hildebad einen der altertümlichen breiten Dingschilde der Sajonen, hoben den König, der nun mit Kranz, Stab und Mantel geschmückt war, darauf, und zeigten ihn auf ihren hohen Schultern allem Volk: »Sehet, Goten, den König, den ihr selbst gewählt: so schwört ihm Treue.« Und sie schworen ihm, aufrecht stehend, nicht knieend, die Hände hoch gen Himmel hebend, nun die Waffentreue bis in den Tod. Da sprang Witichis von dem Schild, bestieg den Dingstuhl und rief: »Wie ihr mir Treue, so schwör’ ich euch Huld. Ich will ein milder und gerechter König sein: des Rechtes walten und dem Unrecht wehren: gedenken will ich, daß ihr frei seid, gleich mir, nicht meine Knechte: und mein Leben, mein Glück, mein alles, euch will ich’s weihen, dem Volk der guten Goten. Das schwöre ich euch bei dem Himmelsgott und bei meiner Treue.« Und den Dingschild vom Baume hebend rief er: »Das Ding ist aus. Ich löse die Versammlung.« Die Sajonen schlugen sofort die Haselstäbe mit den Schnüren nieder und bunt und ordnungslos wogte nun die Menge durcheinander. Auch die Römer, die sich neugierig, aber scheu, aus der Ferne dieses Walten einer Volksfreiheit mit angesehen, wie sie Italien seit mehr als fünfhundert Jahren nicht gekannt, durften sich nun unter die gotischen Männer mischen, denen sie Wein und Speisen verkauften. Witichis schickte sich an, mit den Freunden und den Führern des Heeres nach einem der Zelte sich zu begeben, die am Ufer des Flusses aufgeschlagen waren. Da drängte sich ein römisch gekleideter Mann, wie es schien, ein wohlhabender Bürger, an sein Geleit und forschte eifrig nach Graf Teja, des Tagila Sohn. »Der bin ich: was willst du mir, Römer?« sprach dieser sich wendend. – »Nichts, Herr, als diese Vase überreichen: seht nach: das Siegel, der Skorpion, ist unversehrt.« – »Was soll mir die Vase? ich kaufe nichts dergleichen.« – »Die Vase ist euer, Herr. Sie ist voller Urkunden und Rollen, die euch zugehören. Und mir ist es vom Gastfreund aufgetragen, sie euch zu geben. Ich bitt’ euch, nehmt.« Und damit drängte er ihm die Vase in die Hand und war im Gedränge verschwunden. Gleichgültig löste Teja das Siegel und nahm die Urkunden heraus, gleichgültig sah er hinein. Aber plötzlich schoß ein brennend Rot über seine bleichen Wangen, sein Auge sprühte Blitze und er biß krampfhaft in die Lippe. Die Vase entfiel ihm, er aber drängte sich in Fieberhast vor Witichis und sprach mit fast tonloser Stimme: »Mein König! – König Witichis – eine Gnade!« »Was ist dir, Teja? um Gott? Was willst du?« »Urlaub! Urlaub auf sechs – auf drei Tage! Ich muß fort.« – »Fort, wohin?« – »Zur Rache! Hier lies: – der Teufel, der meine Eltern verklagte, in Verzweiflung, Tod und Wahnsinn trieb, – er ist es – den ich längst geahnt: hier ist sein Anzeigebrief an den Bischof von Florentia, mit seiner eignen Hand – es ist Theodahad! –« »Er ist’s, es ist Theodahad,« sagte Witichis, vom Briefe aufsehend. »Geh denn! Aber, zweifle nicht: du triffst ihn nicht mehr in Rom: er ist gewiß längst entflohn. Er hat starken Vorsprung. Du wirst ihn nicht einholen.« »Ich hole ihn ein, ob er auf den Flügeln des Sturmadlers säße.« »Du wirst ihn nicht finden.« »Ich finde ihn und müßte ich ihn aus dem tiefsten Pfuhl der Hölle oder im Schoße des Himmelsgottes suchen.« »Er wird mit starker Bedeckung geflüchtet sein,« warnte der König. »Aus tausend Teufeln hol’ ich ihn heraus. Hildebad, dein Pferd! Leb’ wohl, König der Goten. Ich vollstrecke die Acht.« BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESTALT Das Inhaltsverzeichnis wurde für die elektronische Fassung hinzugefügt. Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr römische Zahlen (in der elektronischen Fassung ohne Hervorhebung wiedergegeben) und einzelne Wörter aus fremden Sprachen, hier durch Unterstrich (_) gekennzeichnet, ebenso wie gesperrt gesetzte Passagen. Korrektur von offensichtlichen Druckfehlern: Seite 13: Anführungszeichen ergänzt vor »Kämpfen«, Punkt hinter »Sieg« Seite 17: Komma ergänzt hinter »machen« Seite 28: »Märiä« geändert in »Maria« Seite 46: »Cethejus« geändert in »Cethegus« Seite 67: »Gothen« geändert in »Goten« Seite 88: Komma ergänzt hinter »Sippen« Seite 107: »widerholte« geändert in »wiederholte« Seite 114: zweites Anführungszeichen ergänzt hinter »Volkes!« Seite 132: Anführungszeichen ergänzt hinter »Leben.« Seite 140: Anführungszeichen ergänzt hinter »Himmel!«, »Camilla« geändert in »Kamilla« Seite 156: »Chetegus« geändert in »Cethegus« Seite 157: Anführungszeichen ergänzt vor »Wer« Seite 158: Komma ergänzt hinter »getrunken«, »vergießt« geändert in »vergißt« Seite 166: Anführungszeichen ergänzt vor »’s ist« Seite 168: Komma entfernt hinter »Trieren« Seite 169: »Balthen« geändert in »Balten« (ebenso Seite 172) Seite 174: Anführungszeichen ergänzt hinter »Bestie,«, vor »vorwärts,« Seite 176: »hönisch« geändert in »höhnisch« Seite 181: Anführungszeichen ergänzt hinter »müssen.« Seite 184: Punkt ergänzt hinter »Hände« Seite 187: »Culpurnius« geändert in »Calpurnius« Seite 203: »Eupheu« geändert in »Epheu« Seite 208: Anführungszeichen ergänzt hinter »wette.« Seite 210: Anführungszeichen entfernt vor »Zwei« Seite 215: zweites Anführungszeichen ergänzt hinter »steht.« Seite 216: »Pupurvorhang« geändert in »Purpurvorhang« Seite 226: Anführungszeichen entfernt hinter «an.« und vor »Soeben« Seite 241: Anführungszeichen entfernt vor »Laß« Seite 247: Anführungszeichen ergänzt hinter »zuzulassen.« Seite 248: Komma ergänzt hinter »fort« Seite 249: Anführungszeichen ergänzt hinter »Petros,« und vor »Diese« Seite 255: Komma ergänzt hinter »Antonina«, Anführungszeichen um »und« Seite 271: zweites Anführungszeichen ergänzt hinter »vernichtet!«, »Mormorsäule« geändert in »Marmorsäule« Seite 278: »widerholte« geändert in »wiederholte« Seite 296: Punkt geändert in Komma hinter »sich« Seite 297: Anführungszeichen entfernt vor »ich« Seite 299: »ist s« geändert in »ist’s« Seite 301: »Stenge« geändert in »Strenge« Seite 302: Anführungszeichen ergänzt hinter »ich –« Seite 303: Anführungszeichen ergänzt hinter »Rede,« und vor »gesteh’« Seite 331: Anführungszeichen entfernt hinter »Königin!« Seite 332: »Festmale« geändert in »Festmahle« Seite 335: Anführungszeichen ergänzt hinter »unbedingt?« Seite 337: »Teodahad« geändert in »Theodahad« Seite 351: Komma ergänzt hinter »Badetücher« Seite 354: Punkt ergänzt hinter »Menschen« Seite 355: Punkt ergänzt hinter »gemacht« und »Kälte« Seite 376: zweites Anführungszeichen ergänzt hinter »Totila.« Seite 404: »widerholte« geändert in »wiederholte« Seite 410: »gegedachte« geändert in »gedachte« Seite 425: zweites Anführungszeichen ergänzt hinter »gefehlt.« Seite 427: Anführungszeichen entfernt hinter »anzuklagen.« Seite 429: Punkt ergänzt hinter »erhalten«, zweites Anführungszeichen ergänzt hinter »Reich.«, Komma ergänzt hinter »Witichis« und hinter »durch« Seite 432: zweites Anführungszeichen ergänzt hinter »bezahlst.« Seite 435: Komma ergänzt hinter »edelste« Seite 438: Punkt ergänzt hinter »ausstreckend«, Anführungszeichen entfernt hinter »mir!« Seite 440: Punkt ergänzt hinter »Huld« Nicht verändert wurde die uneinheitliche Groß- oder Kleinschreibung von einigen Zahlwörtern, Pronomina und Adjektiven sowie Schreibvarianten, insbesondere durch Rechtschreibreformen entstandene. ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EIN KAMPF UM ROM. ERSTER BAND*** CREDITS February 16, 2010 Project Gutenberg TEI edition 1 Produced by Norbert H. Langkau, Juliet Sutherland, Stefan Cramme, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 31294‐0.txt or 31294‐0.zip. This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/3/1/2/9/31294/ Updated editions will replace the previous one — the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the Project Gutenberg™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away — you may do practically _anything_ with public domain eBooks. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE _Please read this before you distribute or use this work._ To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase „Project Gutenberg“), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License (available with this file or online at http://www.gutenberg.org/license). Section 1. General Terms of Use & Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. „Project Gutenberg“ is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation („the Foundation“ or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is in the public domain in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country outside the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase „Project Gutenberg“ appears, or with which the phrase „Project Gutenberg“ is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org 1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from the public domain (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase „Project Gutenberg“ associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than „Plain Vanilla ASCII“ or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ web site (http://www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original „Plain Vanilla ASCII“ or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that - You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, „Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.“ - You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works. - You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. - You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael Hart, the owner of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread public domain works in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain „Defects,“ such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES — Except for the „Right of Replacement or Refund“ described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND — If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ’AS-IS,’ WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY — You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s web site and official page at http://www.pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://www.gutenberg.org/fundraising/donate While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook’s eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed (zipped), HTML and others. Corrected _editions_ of our eBooks replace the old file and take over the old filename and etext number. The replaced older file is renamed. _Versions_ based on separate sources are treated as new eBooks receiving new filenames and etext numbers. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. ***FINIS***