The Project Gutenberg EBook of Deutsche Lyrik seit Liliencron, by Various

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org


Title: Deutsche Lyrik seit Liliencron

Author: Various

Editor: Hans Bethge

Release Date: March 25, 2009 [EBook #28411]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DEUTSCHE LYRIK SEIT LILIENCRON ***




Produced by Inka Weide, Wolfgang Menges, Markus Brenner
and the Online Distributed Proofreading Team at
https://www.pgdp.net






Detlev von Liliencron

Deutsche Lyrik
seit
Liliencron

Herausgegeben von

Hans Bethge

Verlags-Signet

Hesse & Becker Verlag

Leipzig

Einundsiebzigstes bis achtzigstes Tausend

Mit zehn Bildnissen

Einband- und Titelentwurf vom Graphiker P. Hartmann
Druck und Einband von Hesse & Becker in Leipzig


Vorwort.

Dieses Buch besitzt eine innere Einheit nicht. Es umfaßt die lyrische Entwicklung von etwa vier Jahrzehnten, deren sichtbares Resultat ein weitreichender Umsturz der künstlerischen, politischen und sozialen Begriffe gewesen ist. Das Buch zeigt in engerem Sinne die Entwicklung von dem naturalistischen Impressionismus Detlev von Liliencrons bis zu dem erregten Expressionismus Franz Werfels. Es ist der Weg vom betont sinnlichen zum betont geistigen Erlebnis, den auch die bildende Kunst in dieser Epoche gegangen ist, der Weg von der lyrischen Stimmung zum lyrischen Bekenntnis, vom seelischen Klang zum seelischen Schrei. Sehr reizvolle Etappen liegen auf diesem Wege, die Seiten des vorliegenden Buches bezeugen es. Wohin der Weg führt, ist unklar. Wir wollen hoffen, daß die Reaktion auf die empörerische Kühnheit, auf die Manifestation gepeitschter Gefühle, wie sie die jüngste Generation uns darbietet, glimpflich verläuft und daß uns wenigstens ein allzublasses Nazarenertum erspart bleiben möge.

Frühjahr 1921.

H. B.


Inhalt

Seite
Altenberg, Peter
Liebesgedicht1
Das Bangen1
Ljuba2
Was kann er für sie tun?!?2
Arent, Wilhelm
Das Weltgeheimnis3
Zwei Glückliche4
Melancholie4
Baum, Peter
Grauen4
Liebespsalmen I–IV5
Nun schweig6
Der Greis7
Becher, Johannes R.
Verfall7
Der Idiot10
Musik des Abschieds11
Bethge, Hans
Die Hoffende12
Nach Sonnenuntergang12
An eine Kunstreiterin I–III13
Wir wehen14
Vision15
Hinschlendern15
Dasein15
Bierbaum, Otto Julius
Tanzlied16
Freundliche Vision17
Die Kranke17
Im Wirbel fort17
Gigerlette18
Traum durch die Dämmerung19
Jeannette19
Die schwarze Laute20
Oft in der stillen Nacht20
Bodman, Emanuel von
Der Garten22
Meine Mutter22
Flocken23
Wandlung23
Calé, Walter
Wir tauchten aus dem Strom24
Der Tod wird uns24
Es rinnen rote Quellen24
Zwiegespräch25
Du träumtest26
Der Heimweg führte mich26
Am Flusse26
Und abermals wirst du27
[VI]Die Andern27
Conradi, Hermann
Aus den Schwarzen Blättern:
Ich weiß – ich weiß28
Im Sklavendienst der Lüge28
Sommerrosen29
Lenz30
Mein Blick, nun weide dich30
Die müde schon verglühte31
Im Vorüberfluge33
Däubler, Theodor
Weg34
Die Buche34
Die Droschke35
Heidentum36
Die Russin36
Dauthendey, Max
Laß mich in deinem stillen Auge37
Graue Engel37
Am süßen lila Kleefeld38
Winde quälen die Bäume38
Die Amseln haben38
Die Luft so schwer39
Auf deinem Haupt39
In deinem Angesicht39
Unsere Augen40
Stille weht40
Die Sommernacht40
Drinnen im Strauß41
Möchte rollend das Blut aller Verliebten sein41
Wie eine dumpfe Stube steht die Sommernacht42
Der Mond ist wie eine feurige Ros'42
Nachtstürme reiten die Bäume krumm43
Wer jagt den Fluß vor sich her wie ein Tier?43
Die Berge werden wie dunkle Kissen43
David, Jakob Julius
Mein Lied44
Im Volkston44
Nacht45
Dehmel, Richard
Die Harfe46
Sommerabend47
Aus banger Brust48
Ein Stelldichein49
Ein Grab49
Stiller Gang50
Die stille Stadt50
Manche Nacht51
Geheimnis51
Morgenstunde51
Erhebung52
Bewegte See52
Nachtgebet der Braut53
Ideale Landschaft54
[VII]Aus „Zwei Menschen“
I, 1. Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain54
I, 16. Zwischen zwei Rappen jachtert ein Schimmel55
I, 23. Kaminfeuer und Morgenrotschimmer56
II, 28. Und es rauscht nur und weht58
Donath, Adolph
Tränen59
Ehrenstein, Albert
Auf der hartherzigen Erde60
Verzweiflung61
Friede61
Coyllur62
Wanderers Lied62
Blind63
Dunkel63
Evers, Franz
Rosenglut64
Jugend65
Abendlied65
Ein Gastgeschenk66
Der Künstler66
Falke, Gustav
Das Mohnfeld68
Märchen69
Daß der Tod uns heiter finde69
Stranddistel70
Das Grab70
Späte Rosen71
Zwei72
Finckh, Ludwig
Einer Frau72
Abendhimmel73
Geschenk73
Flaischlen, Cäsar
So regnet es sich langsam ein74
Hab Sonne74
Ich habe Nächte75
Einem Kinde75
Februarschnee76
Ganz still zuweilen77
Spruch77
Forbes-Mosse, Irene
Gehen und Bleiben78
Eine Widmung78
Die fremde Blume78
Der Brunnen79
Madlena79
Greiner, Leo
Liebe80
Unter den Menschen80
Leben81
Regenabend81
Der Schatten82
Reise82
Hartleben, Otto Erich
Funkelt dein Auge noch?83
Lili83
Die jubelnd nie84
Ellen84
[VIII]Das welke Blatt85
Liebesode85
Gesang des Lebens86
Im Lande der Torheit86
Denkst du daran87
Der Abenteurer87
Elegie88
Kinderköpfchen88
Hasenclever, Walter
Die Todesanzeige89
Mein Jüngling, du90
Sterbender Unteroffizier im galizischen Lazarett91
Weiß ich, daß Stunden91
Daß von Geheimnissen92
191793
Hatzfeld, Adolf von
Die letzte Nacht95
Grüner Sommer96
Frühlingsmond97
Abend am See98
Du Gott98
Der Teich99
Herrmann, Max
Dein Haar hat Lieder99
Osterlied100
Trostlied der bangen Regennacht100
Liebe nur kann ewig sein101
Hesse, Hermann
Der schwarze Ritter102
Nach Paul Verlaine103
Elisabeth103
Die frühe Stunde104
Lady Rosa104
Fiesole104
Heym, Georg
Die Seefahrer105
Alle Landschaften haben105
Ophelia I–II106
Deine Wimpern, die langen108
Hille, Peter
Maienwind110
Brautseele110
Waldesstimme114
An Gott115
Abbild115
Prometheus115
Abendröte116
Selige Grüße117
Hofmannsthal, Hugo von
Vorfrühling117
Die Beiden119
Ballade des äußeren Lebens119
Manche freilich120
Terzinen über Vergänglichkeit121
Erlebnis121
Dein Antlitz122
Terzinen123
Der Jüngling in der Landschaft124
Aus „Der Tod des Tizian“124
[IX]Aus „Der Abenteurer und die Sängerin“126
Holz, Arno
Ein Abschied128
Ninon129
Aus „Phantasus“130
Vor meinem Fenster133
Rote Rosen133
In einem Garten134
Aus weißen Wolken134
Huch, Ricarda
Sehnsucht135
Unersättlich136
Du136
Heimatlos137
Erinnerung138
Verstoßen138
Herbst139
Ankunft im Hades139
Liebesreime I–III140
Kurz, Isolde
Südliche Weise141
Die erste Nacht142
Mädchenliebe142
Die Nicht-Gewesenen143
Lasker-Schüler, Else
Wir beide143
Mairosen144
Chaos144
Die Liebe145
Liebesflug146
Eva146
Mein Volk147
Mein Liebeslied147
Mein Wanderlied148
O, meine schmerzliche Lust148
Maienregen149
Weltende149
Mein Liebeslied150
Liliencron, Detlev von
Rückblick151
Tod in Ähren153
Am Strande153
Letzter Gruß155
Der Ländler156
Wer weiß wo157
In einer großen Stadt158
Vor Last und Lärm158
Weite Aussicht160
Erinnerung161
Kalter Augusttag I–II162
Auf dem Deiche163
Sizilianen
Die Insel der Glücklichen164
Souvenir de la Malmaison164
Sommernacht164
Nach der Hühnerjagd165
Der Hohenfriedeberger165
Einer Toten165
Gestorbene Liebe167
Der Genius168
Die Spinnerin von Sankt Peter169
Märztag170
Letzter Wunsch170
[X]Loerke, Oskar
Frühlingswille171
Nirwana172
Hinterhaus172
Die graue Melodie173
Inbrunst174
Lotz, Ernst Wilhelm
Glanzgesang174
Der Schwebende176
Hart stoßen sich die Wände177
Mombert, Alfred
Das junge Liebchen178
Ich liege178
Ja in der Jugend179
Nun beugt die Nacht179
Wann ich von dir gehe180
Auf steilem Felsrücken180
Ich möcht' es kosten180
Schwindsucht181
Trinkend181
Im Mondlicht182
Da spülst du bunte Muscheln182
Zwischen zwei dunklen Wogen182
Ich tat große Dinge183
Ich lag auf dem Meer183
Der Mond betrat184
Mich jammerte184
Bevor ich185
Ich hörte den Wind185
Am Saume186
An Ufern des Rheins186
Morgenstern, Christian
Erster Schnee187
Vöglein Schwermut187
Welch ein Schweigen187
Das sind die Reden188
Das Spinnennetz188
Verbannung zur Höhe189
Deine Rosen189
Der Bach189
Christus klagt190
Begegnung191
Nietzsche, Friedrich
An den Mistral192
Vereinsamt194
Zarathustras Lied195
Venedig195
Sils-Maria196
Die Sonne sinkt I–III196
Rilke, Rainer Maria
Ernste Stunde198
Die Blinde199
Herbst203
Der Schauende203
Von den Fontänen205
Die Entführung206
Fragmente aus verlorenen Tagen207
Spanische Tänzerin209
Der Fremde210
Salus, Hugo
An blauen Frühlingstagen211
Im stillen Hafen211
Erinnerung211
[XI]Frühlingsfeier212
Scharf, Ludwig
Begegnis213
Blut-Propheten213
Gebet eines Selbstmörders214
Schaukal, Richard (von)
Der Fiedler215
Kophetua215
An die Baronin Colombine216
Porträt eines spanischen Infanten216
Pierrot pendu217
Musset217
Kavaliere218
Goya218
Porträt des Marquis de …219
Der Araber219
Spät220
Scheerbart, Paul
Dahin!220
Notturno221
Tiefernst!221
Die große Sehnsucht221
Schickele, René
Der Knabe im Garten222
Wenn es Abend wird222
Ferne Musik223
Erwartung im Garten224
Lea224
Die Leibwache224
Schlaf, Johannes
Sehnsucht226
Hoffnung226
Abendgang227
Trübes Wetter227
Doppelliebe227
Schönaich-Carolath, Prinz Emil von
Albumblatt228
Der betrübte Landsknecht228
Genrebild229
Altes Bild230
Künstlerroman230
Scholz, Wilhelm von
In einer Dämmerstunde231
Abschied232
Heimat233
Abendgang233
Der Wandrer234
Erde234
Ich weiß es wohl234
Nächtlicher Weg235
Am Söller235
Schröder, Rudolf Alexander
Aus den „Liedern an eine Geliebte“
Nun kam der Abend236
„Die Lüge“ sagst du237
Ich habe keine Schmerzen237
Ach, noch immer glaube ich237
Das Glück ist ein leerer237
[XII]Sonett an eine Verstorbene238
Aus dem Buch "Elysium"
Sie lassen sich am Ufer nieder238
Wenn sie wandeln239
Leise laß sie ihren Reigen239
Schüler, Gustav
Unterdessen240
Mignon240
Am Abend241
Am Kreuzweg241
Was ist das Glück?242
Stadler, Ernst
Reinigung242
Vorfrühling243
Was waren Frauen243
Puppen244
Glück245
Sternberg, Leo
Der Wartende245
Soviel Lüftchen246
Eine plötzliche Stille246
Jenseits247
Susman, Margarete
Im Feld ein Mädchen singt247
Ich liebe unter allen248
So in die still verschneite Nacht248
Kein Liebeswort249
Trakl, Georg
Der Herbst des Einsamen249
In den Nachmittag geflüstert250
Im Park250
Landschaft251
Sommer251
In Venedig252
Am Moor253
Frühling der Seele253
Elis I–II254
Walser, Robert
Morgenstern256
Langezeit256
Warum auch257
Schnee257
Im Mondschein258
Müdigkeit258
Zu philosophisch258
Brausen259
Und ging259
Wedekind, Frank
Erdgeist260
Perversität260
Ilse261
Der Anarchist261
Waldweben262
Werfel, Franz
Wie nichts erkennend263
Verzweiflung263
Welche Lust auf Erden denn ist süßer264
Ein Lebens-Lied265
Amore265
[XIII]Alte Dienstboten266
Mondlied eines Mädchens268
Die Leidenschaftlichen269
Die Schwestern von Bozen270
Gesang einer Frau271
Geheimnis274
Was ein jeder sogleich nachsprechen soll274
Sein und Treiben275
Gebet um Reinheit275
Wir nicht277
Wertheimer, Paul
Seelen278
Ostsee278
Tote Stunde279
Wolfenstein, Alfred
Städter279
Tanz I–III280
Musik des Kämpfers282
Nacht im Dorfe283
Fahrt284
Die Stirn285
Zech, Paul
Die Häuser haben Augen aufgetan286
Bettler im Spätherbst286
Dorf im Mittag287
Es kam ein Wind287
Zweig, Stefan
Singende Fontäne288
Schwüler Abend290
Alphabetisches Verzeichnis der Gedichtanfänge292

Verzeichnis der Bilder

Detlev von Liliencron
Nach einer künstlerischen Photographie von Rudolf Dührkoop, Hamburg

Max Dauthendey

Richard Dehmel

Hugo von Hofmannsthal

Arno Holz
Photographie A. Binder, Berlin W 15

Ricarda Ceconi-Huch

Else Lasker-Schüler
Atelier Lisi Jessen, Charlottenburg, Bismarckstraße 3

Alfred Mombert

Rainer Maria Rilke
Nach einer Bronzebüste von Fritz Huf (Museum zu Winterthur, Schweiz)

Franz Werfel
Nach einer künstlerischen Photographie des Ateliers d'Ora, Wien I, Wipplingerstr. 26


[1]

Peter Altenberg.

Geboren am 9. März 1859 zu Wien, wo er den größten Teil seines Lebens verbrachte und am 8. Januar 1919 starb.

Liebesgedicht.

Ich sah dich den Amseln zärtlich Futter streuen –
Ich sah dich deinen alten Vater sanft betreuen –
Ich sah dich in einem Buche heilige Stellen anstreichen,
Ich sah dich in Gesellschaft unadeliger Menschen erbleichen.
Ich sah dich deine idealen Füße ungeniert nackt zeigen,
Ich sah dich wie eine Fürstin dich edel-stolz verneigen.
Ich sah dich mit deinem geliebten Papagei wie mit einem Freunde sprechen,
Ich sah dich mit einem Manne wegen eines geringen Taktfehlers für ewig brechen – – –.
Ich sah dich an Himbeerduft dich berauschen,
Ich sah dich der Stille eines Sommerabends lauschen.
Ich sah dich an dem Alltag wachsen, lernen,
Ich sah dich traurig stehn vor trüben Gaslaternen.
Ich sah dich dein Leben spinnen wie die Spinne ihr mysteriöses Gewebe – – –
Ich schlich mich abseits, um dich nicht zu stören.
Ich werde dich aber lieben, solang ich lebe!

Das Bangen.

Mir bangt um dich, Anna – – –.
Weshalb mir bang ist, weiß ich nicht,
Ich weiß nur, daß mir bang ist.
Mir ist bang!
Wie einer Mutter bang ist ohne Grund,
Noch sind sie alle munter und gesund – – –!
Und wie dem Schiffer bang ist, bange, bange,
[2] Während die anderen noch lange
Den wolkenlosen Himmel blöd betrachten
Und den Warner ob seiner Weisheit nur verachten.
Mir bangt, wie einem bangt,
Der Kinder auf dem Meer-Sand-Hügel spielen sieht
Und weiß, daß nun die Flut vom Land sie abtrennt – flieht!
Mir bangt, wie einem bangt,
Der weiß, er wird gehenkt um sieben Uhr früh.
So, so bangt mir um dich – – –
Du bist mein Leben, es bangt mir um mich;
Du aber, du gehst deinen Weg von mir,
Nicht bangt vor meinem bangen Bangen dir,
Dem neuen Schicksal treibst du jach entgegen – – –
Und perlt mein Todesschweiß auf deinen Pfad hernieder,
Nimmst du's als Tau auf neuen Morgenwegen!

Ljuba.

Die da nicht kommen an deinen Tisch,
Die sind klüger als ich!
Die schützen sich!
Ich aber, gleich der Motte im Lichte,
Mache meinen Selbsterhaltungstrieb zunichte!
Ich will lieber in Licht und Hitze sterben,
Als gesichert um Anna oder Grete werben!
Die da nicht kommen an deinen Tisch,
Die sind dümmer als ich!
Sie schützen sich!

Was kann er für sie tun?!?

Was kann ich für dich tun?!?
Ich kann auf dem Spaziergang deinen Mantel tragen –
[3] Ich kann dich, wie du gestern schliefest, fragen – –.
Ich kann, wenn man dir widerspricht, mit meinem Blicke sagen:
„Du hast recht, nur du!“
Ich kann, wenn du nicht da bist, bedrückt und kränklich sein – – – –
Ich kann vor Glück erbeben, trittst du ein – –.
Ich kann mein Opernglas dir leihen im Theater
Und Komplimente über seine Tochter machen deinem Vater.
Ich kann dir süße Mandarinen bringen.
Und manche kleine Aufmerksamkeit wird mir gelingen.
Mein Herz jedoch wird unerbittlich fragen, ohne zu ruhn:
„Was kann ich für sie tun?!?“

Wilhelm Arent.

Geboren am 7. März 1864 zu Berlin, wurde Schauspieler und gab, vielfach unter Pseudonymen, mehr als zwanzig Gedichtbücher heraus. Er ist in Berlin verstorben.

Das Weltgeheimnis.

Sie fanden ihn – von düstrer Falte
Durchfurcht die hohe Denkerstirn –,
Schlaff hing die Hand, die marmorkalte,
Verloht die heilige Glut im Hirn;
Die Augen waren sanft geschlossen –
Ein Lächeln spielte um den Mund –
Als hätt' er jede Huld genossen
Und jedes Rätsel wär' ihm kund …
[4]

Zwei Glückliche.

Und sie herzten sich
Und küßten sich
Lange;
Endlich schliefen sie ein.
Lächelnd träumten sie
Arm in Arm,
Bis rauh
Der Morgen kam.

Melancholie.

Meiner Jugend Träume,
Wo seid ihr hin?
Ihr himmlischen Räume,
Wie fern ich euch bin!
Draußen grünen die Bäume,
Flur in Blüte steht –
Meine Lieder sind Schäume,
Die der Wind verweht …

Peter Baum.

Geboren am 30. September 1869 zu Elberfeld, lebte als Schriftsteller in Berlin, fiel in Frankreich im Sommer 1916. – Gott und die Träume 1901.

Grauen.

Das ist das Furchtbare,
Daß ich oft glaube,
Ich trüge deine Augen und deine Haare.
Daß meine Hände dann hilflos suchen
Ganz wie die deinen
[5] Und meine Lippen mich so verfluchen
Und weinen.
Jeden Abend überkommst du mich so.
Zwei ganz gleiche Totenvögel
Fliegen dann über den Kirchhof.

Liebespsalmen.

I.

Deine Nächte klagen in meine Tage,
Durch mein Träumen rieselt das Blut deiner Füße.
O ich will dir forttrinken alle Tränen,
Ich will dich tragen unter meine Wipfel.
Meine Wipfel sind kühl und voll Frieden
Und baden sich hoch in tiefen Wassern.
Himmelstiefen tropfen zu uns hernieder,
Aus ewigen Meeren, durch heilige Wipfel.
Schlummre du tief in meinen Armen!
Meine Augen sind stahlharte Engel; die wachen
Über deinen Frieden.

II.

Deine Augen leuchten vor Dunkel,
Und ein spinnendes Weinen
Deiner schwarzen Haare
Über das Leinen.
O dein blasses Gesicht,
Und wie deine schmalen Hände
Über die Kissen suchen –:
Rührendes Stammeln
[6] Eines sprießenden Liedes,
Das blühen möchte.
Meine Seele sucht mit dir.

III.

Wenn die Rosen des Morgens aufstaunen,
Möchte ich zu dir kommen!
Ich brächte deiner Stirne kühlen Tau
Und deinen Lippen Lachen.
In meinen Nächten schreckt mich deine Einsamkeit;
Schmiege dich tief in die Flügel meiner Seele;
Dunkel rauschten sie über die Meere,
Bis sie zu dir sich fanden.

IV.

Wenn die Nacht von dannen geht,
Wollen wir uns aus dunkeln Schalen
Unser Blut reichen.
Ein Auge wollen wir sein und eine Seele,
Schauernd über der Täler
Brennend klaren Kelchen.
Siehst du den Morgenwind? Er trägt
Schwebendes Leben von Büschen zu Büschen,
Halm zu Halm.
Sei du mein! –

Nun schweig.

Nun schweig und fühle, wie die Schatten wehn;
Aus tiefen Himmeln bunte Flammen sinken,
Und schwarze Wolken felsenzackig stehn
Um blanke Dächer, die wie Seen blinken.
[7] Und suche meine Seele nicht; die liegt
In jenem Baum, weit hinterm Sonnenfeuer,
Der sich im Weltall zwischen Sternen wiegt.

Der Greis.

Länder und Seen durchschwommen
Brünstig allen Fernen.
Wittre nun in den Nächten
Nach Ländern über Sternen.
Als ich ein Kind war,
Glänzte so weit mein Teich,
Hinter jedem Wipfel
Grünte ein Zukunftsreich.
Stützt zu Berg mich, Söhne,
Dicht in meine Nähe,
Daß ich noch einmal
Die kleine Erde sehe.

Johannes R. Becher.

Geboren am 22 Mai 1891 zu München. – Verfall und Triumph 1914. An Europa 1916. Päan gegen die Zeit 1918. Das Neue Gedicht 1918. Gedichte für ein Volk 1919. Gedichte um Lotte 1919. Um Gott 1920.

Verfall.

Unsere Leiber zerfallen,
Graben uns singend ein:
Berauschte Abende wir,
Nachtsturm- und meerverscharrt.
Heißes Blut vertrocknet,
Eitergeschwür verrinnt.
Mund Ohr Auge verhüllet
Schlaf Traum Erde der Wind.
[8] Gelblich träger Würmer
Enggewundener Gang.
Pochen rollender Stürme.
Wimpern, blutrot lang.
… „Bin ich zerbröckelnde Mauer,
Säule am Wegrand, die schweigt?
Oder Baum der Trauer
Über dem Abgrund, geneigt?“ …
Süßer Geruch der Verwesung,
Raum, Haus, Haupt erfüllend.
Blumen, flatternde Gräser,
Vögel, Lieder quillend.
Ja –, verfaulter Stamm …“
Schimmel. Geächz. Gestöhn.
Unter wimmelnder Himmel Flucht
Furchtbarer Laut ertönt:
Pauke. Tube Gedröhn.
Donner. Wildflammiges Licht.
Zimbel. Schlagender Ton.
Trommelgeschrill. Das zerbricht. –
Der ich mich dir, weite Welt,
Hingab, leicht vertrauend,
Sieh, der arme Leib verfällt,
Doch mein Geist die Heimat schaut.
Nacht, dein Schlummer tröstet mich,
Mund ruht tief und Arm.
Heller Tag, du lösest mich
Auf in Unruh ganz und Harm.
Daß ich keinen Ausweg finde,
Ach, so weh zerteilt!
Blende bald, bald blind und Binde.
[9] Daß kein Kuß mich heilt!
Daß ich keinen Ausweg finde,
Trag wohl ich nur Schuld:
Wildstrom, Blut und Feuerwind,
Schande, Ungeduld.
Tag, du herbe Bitternis!
Nacht, gib Traum und Rat!
Kot Verzerrung Schnitt und Riß –
Kühle Lagerstatt …
Alles muß noch ferne sein,
Fern, o fern von mir –
Blüh empor im Sternenschein,
Heimat, über mir!
Einmal werde ich am Wege stehn,
Versonnen, im Anschaun einer großen Stadt.
Umronnen von goldener Winde Wehn.
Licht fällt durch der Wolken Flucht matt.
Verzückte Gestalten, in Weiß gehüllt …
Meine Hände rühren
An Himmel, golderfüllt,
Sich öffnend gleich Wundertüren.
Wiesen, Wälder ziehen herauf.
Gewässer sich wälzen. Brücken.
Gewölbe. Endloser Ströme Lauf.
Grauer Gebirge Rücken.
Rotes Gedonner entsetzlich schwillt.
Drachen, Erde speiend.
Aufgerissener Rachen, die Sonne brüllt.
Empörung. Lachen. Geschrei.
Verfinsterung. Erde- und Blutgeschmack.
Knäuel. Gemetzel weit …
[10] … „Wann erscheinest du, ewiger Tag?
Oder hat es noch Zeit?
Wann ertönest du, schallendes Horn,
Schrei du der Meerflut schwer?
Aus Dickicht, Moorgrund, Grab und Dorn
Rufend die Schläfer her?“ …

Der Idiot.

Er schwirrte nächtens durch der großen Städte Flucht. Das traf ihn schwer.
Auf hohlen Plätzen tosten Glitzer-Feste.
Staubwirbel bliesen ihn durch grünen Abendhimmel flaches Meer.
Er hockte heulend nachts auf Kuppeln brennender Paläste.
Und seine Straße warf sich steil empor und schraubte
Sich hoch hinaus bis an vergilbten Mondes Zackenrand,
Wo bog sie um und sprang zum Abendstern, der schnaubte,
Spie Feuer, riß rückwärts sie, daß stöhnend sie sich niederwand.
Er schlug: die Augen grün, Schaum dick ums Maul,
Auf heißes Pflaster. Säule ward sein Schrei!
Ganz leise sang ein Droschkengaul –
Und weiße Schleier wehten dicht vorbei.
Es stürzten Türme groß und Mauern drob zusammen.
Auf allen Dächern tosten Flammen laut.
Die Dome knieten nieder. Berge schwammen
Zur Stadt herein, von Regenbogen kreuzweis überbaut.
Da fuhr ein greller Strahl durch sein Gehirn.
Es gellte. Möwenschwärme schreckten auf.
Blütenwälder weiß begruben ihn.
[11]

Musik des Abschieds.

Beginn der Klänge zwischen dir und mir!
Uralte Sänge, die mich heiß verfluten –
Gewühl der Zeiten, die mich weiß zerbluten –
Geläute. Schweigen zwischen mir und dir.
O Gräber, Gärten zwischen mir und dir!
Gespannt die Tänzer unsichtbar auf Seilen –
Traum-Silber-Pflüge, die Eisschollen teilen –
Die Boten eilen zwischen dir und mir.
Erbrochene Schlachten. Bunte Völkerwelten.
Die Roten Felsen über Agadir.
Gesprengte Wälder. Heller Tod der Helden …
O dunkle Sprachen zwischen mir und dir.
Und sah die Meere durch die Himmel fließen.
Besternte Menschen viel auf Plätzen dicht.
Fluch deiner Finsternis: verkohlte Wiesen.
Die Flöte ruft. Es reift dein Angesicht.
Und sähe Mägde aus dem Brunnen schöpfen
Krug milden Trankes … und das blöde Tier
Leckt unvertrieben Honig aus den Töpfen …
O Fest! O Stunde zwischen dir und mir!
Dann jagte ich auf unergriffenem Schiffe.
Denn schroffer Sturm verlöschte jede Spur.
Und durchs Gezisch und durchs Gestrüpp der Riffe …
Und in den Händen eine Muschel nur:
Zerschellt. Genebel. Schädel. Fäulnis. Und die Feuchte
Gefleckter Sümpfe. Räudiger Rachen Gier – –
Ich aber fühlte: Duft und Pracht und Leuchte!
O Nacht des Bundes zwischen dir und mir.

[12]

Hans Bethge.

Geboren am 9. Januar 1876 zu Dessau in Anhalt. – Die stillen Inseln, Die Feste der Jugend, Saitenspiel, Lieder an eine Kunstreiterin.

Die Hoffende.

Mond, alte Blumen und das Lied der Lerche, –
Sie saß am offenen Fenster, ganz verwirrt,
Der Glanz auf ihren Händen war der Glanz
Des Mondes nicht: er kam aus jungen Augen
Fernher, und Glockenklang und Wiesennebel
Und alte Blumen und das Lied der Lerche,
Das alles war in ihm, sie fühlt' es wohl.
Da lachte sie, verwirrt aufbrausend, und
Sie war so reich! und nun hob sie die Hand
Leis auf und küßte sie: die ganze Lust,
Die ganze Qual, das Leben, alles, alles.

Nach Sonnenuntergang.

Du kamst, erregt vom Sonnenuntergange,
Die Dünen glänzten durch die Abendluft.
Du rührtest mit dem Schritt der Tänzerin
Die gelbe Erde an. Ich saß im Garten,
Und glühnden Herzens fühlt' ich wie du kamst!
Du kamst! Du kamst! Du tratest in die Pforte
Und rissest eine Rose vom Gesträuch
Und küßtest sie und warfst sie in die Winde
Und flogst an meine Brust und riefest: Sonne!
Und braun und göttlich glänzten deine Schultern,
Und herber Duft des Meeres hing an dir.
[13]

An eine Kunstreiterin.

I.

Wie eine Blume, drüberhin der Lenz-
Wind geht; wie eine Tänzerin, die rastend
Das Echo noch des Rhythmus in sich fühlt,
Der sie entzückte, und ihm ohne Willen
Nachgibt: so hockst du vor mir im Gemach,
Und Duft der Hengste schwebt noch um dein Haar
Und in den Augen noch der Glanz der Lichter,
Und deine Hand fährt über meine Knie,
Liebkosend, träumend, so als streife sie
An eine Welt, mit der sie nichts verbindet,
Und die ihr fern ist wie das Einst und Nie.

II.

Du bist der schönste
Gedanke des Frühlings.
Du bist der süßeste Hauch,
Der am Abend mich anweht.
Du bist die wilde Verzweiflung
Aller, die dich lieben.
Ach, du hast in finstere Nacht
Auch mich gehüllt.
Wer bist du?
Du bist der süßeste Hauch,
Der am Abend mich anweht.

III.

Deine feinen Hände
Greifen den Atem der Rosen, die dich lieben.
[14] An deinen feinen Brüsten
Hängt der Abend in Glanz und Demut.
Aus deinen verdunkelten Augen
Weht Kühle mich an.
Die Kühle deines Herzens weht mich an
Aus deinen Augen bei Abend.

Wir wehen …

Wir wehen durch die Lüfte,
Grau wie Regen weht,
Zart wie Düfte der Blumen,
Bang wie der Flöte Lied.
Wehen mit Eile, sinken
Nieder in einem Feld,
Abend hüllt kühl uns ein,
Nacht ist so märchenschön.
Manche erheben wieder
Ihre Flügel, wehen
Weiter, düstere Wolken
Oder Gerüche der Flur.
Andere bleiben liegen
In den Hainen und Gärten,
Werden Erde und Halme,
Spielend im Frühlingshauch.
Hörst du ein Seufzen im Abend?
Und ein Lachen im Wind.
Wer da wehte vorüber
Ach – und wohin? wohin?
[15]

Vision.

Im Schimmer des Mondes standest aufrecht du,
Erzitternd gleich dem jungen Laub der Birken.
Du hobst den Arm, du dehntest die Brust, du standst
Auf den verwilderten Gärten, ein Traumgebild
Der Lenznacht, lockend, schwankend, verführerisch –
Bis daß der Nebel stieg von den Wiesen her
Und du auslöschtest, so wie ein Lied auslöscht,
Und rings lag öde, schmachtende Finsternis,
Und Weinen war im Gezweig, und alle Blumen
Riefen nach dir, o Mondenhauch!

Hinschlendern.

Traumhaft hinschlendern, ach, um kein Wohin
Besorgt sein, das Woher ist schon vergessen,
Ein Gruß den Mädchen mit den edlen Busen,
Ein Gruß dem Wein, den Blumen und dem Mond,
Ein stiller Gruß den Kranken und Zerwühlten,
Hinschlendern, traumhaft, Licht einatmen, lauschen
Den Wolken und dem Winde und dem Meer,
Und schlafen, schlafen … Und in lindem Traume
Entgleitet alles, und die schönste Stunde
Wird aschfahl, wenn sie auch aus Rosen kam.

Dasein.

Mond und Liebe und dann
Ein Schluck Wein ab und an
Und dann –
Herz, warum so trübe?
[16] Und dann
Mond und dann Wein
Und Liebe, – herbsttrübe
Verrinnt das Sein.
Aber manchmal aufglüht
Ein berauschender Funken,
Dann taumeln wir trunken,
Bis der Funken versprüht.
Dann das alte Lied:
Mond und Liebe und dann
Ein Schluck Wein ab und an.

Otto Julius Bierbaum.

Geboren am 28. Juni 1865 zu Grünberg in Schlesien, absolvierte das Gymnasium in Wurzen, besuchte die Universitäten Zürich, Leipzig, Berlin, München, war Redakteur der „Neuen deutschen Rundschau“, des „Pan“ und der „Insel“ und lebte zuletzt in Dresden, wo er am 1. Februar 1910 starb. – Erlebte Gedichte 1892. Nemt, Frouwe, disen Kranz 1894. Irrgarten der Liebe 1901. Das seidene Buch 1903. Maultrommel und Flöte 1907.

Tanzlied.

Es ist ein Reihen geschlungen,
Ein Reihen auf dem grünen Plan,
Und ist ein Lied gesungen,
Das hebt mit Sehnen an,
Mit Sehnen, also süße,
Daß Weinen sich mit Lachen paart:
Hebt, hebt im Tanz die Füße
Auf lenzeliche Art!
Max Dauthendey
[17]

Freundliche Vision.

Nicht im Schlafe hab' ich das geträumt,
Hell am Tage sah ich's schön vor mir:
Eine Wiese voller Margeriten;
Tief ein weißes Haus in grünen Büschen;
Götterbilder leuchten aus dem Laube.
Und ich geh' mit Einer, die mich lieb hat,
Ruhigen Gemütes in die Kühle
Dieses weißen Hauses, in den Frieden,
Der voll Schönheit wartet, daß wir kommen.

Die Kranke.

Ich fühle keinen Schmerz und bin doch krank;
Mir ist die Kraft genommen, ich bin leer.
Ich lebe ab, so wie ein Rad abläuft,
Das von der Feder, die es trieb und hielt,
Gelöst ward. – Ach, sie pflegen mich so lieb,
Und dennoch weiß ich's, balde ist's vorbei.
Und bin nicht traurig. Ruhe wird mein Teil.
Ich werde ruhig blühn in leichtem Wind,
Wie meine Blumen, die im Garten sind.

Im Wirbel fort.

Moosgrün aus Samt ein Band im blonden Haar.
Ein Färblein rosarot dazwischen war,
Das ganze Kind war ganze sechzehn Jahr,
Und es war Mai.
So kam's, daß uns mit Strahlen flitterfein
Umfädelte der sanfte Sonnenschein;
Die Knospe sprang, ach Gott, es war im Mai'n.
Die Knospe sprang.
[18] Ich hätte gern in Treuen sie gehegt,
Ich hätte gern sie mir ans Herz gelegt,
Da hat ein Wind sie wirbelnd weggefegt.
Wem blüht sie nun?

Gigerlette.

Fräulein Gigerlette
Lud mich ein zum Tee,
Ihre Toilette
War gestimmt auf Schnee;
Ganz wie Pierrette
War sie angetan.
Selbst ein Mönch, ich wette,
Sähe Gigerlette
Wohlgefällig an.
War ein rotes Zimmer,
Drin sie mich empfing,
Gelber Kerzenschimmer
In dem Raume hing.
Und sie war wie immer
Leben und Esprit.
Nie vergess' ich's, nimmer:
Weinrot war das Zimmer,
Blütenweiß war sie.
Und im Trab mit Vieren
Fuhren wir zu zweit
In das Land spazieren,
Das heißt Heiterkeit.
Daß wir nicht verlieren
Zügel, Ziel und Lauf,
[19] Saß bei dem Kutschieren
Mit den heißen Vieren
Amor hinten auf.

Traum durch die Dämmerung.

Weite Wiesen im Dämmergrau!
Die Sonne verglomm, die Sterne ziehn:
Nun geh' ich zu der schönsten Frau,
Weit über Wiesen im Dämmergrau,
Tief in den Busch von Jasmin.
Durch Dämmergrau in der Liebe Land;
Ich gehe nicht schnell, ich eile nicht;
Mich zieht ein weiches, samtenes Band
Durch Dämmergrau in der Liebe Land,
In ein blaues, mildes Licht.

Jeannette.

Ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch, ein Schrank,
Und mittendrin ein Mädel schlank,
Meine lustige, liebe Jeannette.
Braune Augen hat sie, wunderbar,
In wilden Ringeln hellbraunes Haar,
Kirschroter Lippen ein schwellend Paar, –
Jeannette! Jeannette!
Am Fensterbrett ein Efeu steht,
Durchs grüne Geranke die Liebe späht,
Meine lustige, liebe Jeannette.
Türe auf! Da liegt mir am Halse das Kind.
Alleine wir beiden, es singt der Wind
Das Lied von zweien, die selig sind, –
Jeannette! Jeannette!
[20]

Die schwarze Laute.

Aus dem Rosenstocke
Vom Grabe des Christ
Eine schwarze Laute
Gebauet ist;
Der wurden grüne Reben
Zu Saiten
Gegeben.
O wehe du, wie selig sang,
So erossüß, so jesusbang,
Die schwarze Rosenlaute.
Ich hörte sie singen
In mailichter Nacht,
Da bin ich zur Liebe
In Schmerzen erwacht,
Da wurde meinem Leben
Die Sehnsucht
Gegeben.
O wehe du, wie selig sang,
So jesussüß, so erosbang,
Die schwarze Rosenlaute.

Oft in der stillen Nacht.

Oft in der stillen Nacht,
Wenn zag der Atem geht
Und sichelblank der Mond
Am schwarzen Himmel steht,
Wenn alles ruhig ist
Und kein Begehren schreit,
Führt meine Seele mich
In Kindeslande weit.
[21] Dann seh' ich, wie ich schritt
Unfest mit Füßen klein,
Und seh' mein Kindesaug'
Und seh' die Hände mein,
Und höre meinen Mund,
Wie lauter klar er sprach,
Und senke meinen Kopf
Und denk' mein Leben nach:
Bist du, bist du allweg
Gegangen also rein,
Wie du gegangen bist
Auf Kindesfüßen klein?
Hast du, hast du allweg
Gesprochen also klar,
Wie einsten deines Munds
Lautleise Stimme war?
Sahst du, sahst du allweg
So klar ins Angesicht
Der Sonne, wie dereinst
Der Kindesaugen Licht?
Ich blicke, Sichel, auf
Zu deiner weißen Pracht;
Tief, tief bin ich betrübt
Oft in der stillen Nacht.

[22]

Emanuel von Bodman.

Geboren am 23. Januar 1874 zu Friedrichshafen am Bodensee. – Erde 1896. Neue Lieder 1902. Der Wanderer und der Weg 1908.

Der Garten.

Das rote Weinlaub hängt von Sonne voll,
Ich trete ohne Schmerz in deinen Garten,
Nach langer Zeit. Auf dieser Holzbank schwoll
Einst unser junges Sehnen, und wir starrten
In manche blaue Nacht. Nun bist du tot
Drei bunte Jahre. Die Kastanien fallen.
Nun ist mir, fühle ich ihr braunes Rot,
Es müßten deine leichten Tritte hallen.
Noch fließt der alte Tropfsteinquell so klar,
Und mächtig drückt mich eine süße Schwere,
Als ob der irre Duft von deinem Haar
Noch irgendwo in diesen Büschen wäre.

Meine Mutter …

Meine Mutter sang
Über meine Wiege,
Bis zu Flur und Stiege
Flog der süße Klang.
Meine Mutter wand
Garn im Sonnenscheine,
Und sie hatte eine
Zarte weiße Hand.
Mutter war sehr schön,
Hör' ich alle sagen,
Und ich will nicht klagen,
Daß ich's nicht gesehn.
[23]

Flocken.

Leise, leise fallen weiße Flocken,
Fall'n wie einstens, als dein Fuß mit Beben
In mein Haus trat, als ich hell erschrocken
Ahnte, daß ein Wunder sich begeben …
Als der Nachthauch unsre Pulse kühlte,
Droben lichte Kinderstimmen klangen …
Als ich deine schauernden Arme fühlte,
Die so einzig meinen Hals umschlangen …
Als ein trunkner Schrei aus meiner Kehle
Fuhr, der lang' in meinem Haus gewaltet …
Als zum ersten Male deine Seele
Ihre Zitterflügel froh entfaltet …

Wandlung.

Das Leben, glaubte ich, sei rot von Rosen,
Man brauche nur in sein Gestrüpp zu greifen,
Um hunderte an einem Tag zu streifen …
Wohl griff ich Rosen, mehr noch Herbstzeitlosen.
Die Wünsche warf ich weg; sie narrn mich nimmer.
Ist so mein Herz um manche Hoffnung leerer,
Ist es dafür um eine Weisheit schwerer,
Und mich belebt ein heller, harter Schimmer.
Ich blicke kälter. Doch: schenkt mir im Wandern
Das Leben plötzlich eine Rose wieder,
Dann blicke ich wie trunken auf sie nieder:
Sie glänzt ja röter als die hundert andern.

[24]

Walter Calé.

Geboren am 8. Dezember 1881 zu Berlin. Gestorben ebenda am 3. November 1904. – Nachgelassene Schriften 1907.

Wir tauchten aus dem Strom …

Wir tauchten aus dem Strom, der jenseit fließt,
Und wo wir eines waren willenlos,
Und wandeln nun für eine kurze Weile
In argen Fesseln unter Raum und Stunden,
Wir gehen Wege, welche weit getrennt sind,
Und nur mit Blicken, welche trösten sollen,
Von fern uns winkend – eine kurze Weile,
Bis daß wir wieder zu dem Strome tauchen
Und wieder eines sind und willenlos.

Der Tod wird uns …

Der Tod wird uns an seine Hände nehmen,
Ein Führer jener Seelen, welche irrten,
Und sprechen: „Dieses ist der rechte Weg!“
Und weiter sprechen: „Dieses ist das Land,
Nach welchem ihr Verlangen habt und Tränen.“
Dann aber werden wir die Blicke senken
Und voller Trauer fragen: „Dieses nur?“

Es rinnen rote Quellen …

Es rinnen rote Quellen
Um mein gesegnet Haus;
Es tränkt ein schwarzer Reiter
Sein schwarzes Roß daraus.
Er lehnt schon hundert Jahre
Vor meinem runden Tor;
[25] Die Zeit wird ihm nicht lange,
Ich komme nie hervor.
Es braucht nur dreier Schritte,
So kann ich bei ihm stehn,
So kann ich mit ihm reiten,
Wie meine Wünsche gehn.
Das ist so schön zu wissen!
Ich sag' es tausendmal:
„Es wartet einer draußen!“
Und bleibe doch im Saal.
Der Reiter schläft im Schatten,
Sein Panzerhemd blinkt gut;
Dem Rappen ist sehr schläfrig,
Mir ist sehr froh zumut!

Zwiegespräch.

Der Sänger:
Die andern sprachen deinem Herzen vieles,
Nur meine Lippen blieben stumm, vergib,
Vor lauter Seligkeiten, da du kamest.
Beatrix:
Du irrest, Bruder, und ich hörte dich!
Der Sänger:
Ich irre nicht, die Lippen blieben stumm,
Vor lauter Seligkeiten ohne Worte.
Beatrix:
Du irrest, Bruder, und ich hörte dich:
Die Lippen nicht, ich hörte deine Seele.
Der Sänger:
Ich irre nicht, die Seele blieb verstummt,
Und keine Worte kamen von der Seele.
[26] Beatrix:
Du irrest, Bruder, und ich hörte dich,
Ich hörte deine stumme Seele singen.

Du träumtest …

Du träumtest dieses Lebens Wirren ferne,
Und durch den Traum nur drang ein Laut der Erde
Und kam und ging gleich einem Wanderer,
Von dessen Schritte nachts die Straßen hallen,
Der deinem Fenster so vorübergeht,
Daß nur ein Hallen dir von ihm bekannt,
Sein Antlitz nicht und seines Leibes Wuchs
Und seine Seele nicht und seine Stimme;
Er geht vorüber, und der Schritt verhallt,
Auf deinem Lager horchst du eine Weile:
„Wer ging vorüber ..?“ – Dann entschlummerst du.

Der Heimweg führte mich …

Der Heimweg führte mich in dieser Nacht
Zum Parke, welcher voller Stille lag,
Und viele dürre Blätter raschelten.
Und zwischen zweien hohen dunkeln Stämmen
Erschien es mir und war mir wohlbekannt
Und weinte auch und nickt' und lockte sehr;
Doch als der Wind ein wenig lauter klagte,
Zerrann es …

Am Flusse.

Trauernd stehst du an des Flusses Rande,
Trauernd führt mein Weg am andern Ufer:
Keiner weiß, ob ihn der andre riefe;
Allzu heftig rauschen die Gewässer.
[27] Wollen wir ein Boot vom Strande ketten,
Du vom rechten, ich vom linken Strande?
Wollen wir dann in des Stromes Mitte
Leichten Ruderschlages uns begrüßen?
Wollen wir die Wasser abwärts gleiten,
Boot an Boot, und nur gelinde lächelnd,
Bis das Meer in großem Glanz sich auftut
Und wir stehn und beide weinen müssen?

Und abermals wirst du …

Und abermals wirst du geboren werden
Auf andern Sternen, deiner selbst nicht kundig,
Und wirst die Wege gehen allen Lebens,
In Schmerzen bald und manches Mal in Lächeln.
Doch steigt aus Dämmerungen einer Nacht
Gleichwie aus Schächten, die verschüttet sind,
Ein Bildnis auf, ein Schatten und ein Ruf,
So wisse du: Der Bruder ruft nach dir,
Der abermals dem Tode sich entrang
Gleich dir und abermals das Leben wandelt
Auf andern Sternen fern und trauervoll.

Die Andern.

Wir haben wohl ein Lachen um die Lippen
Und gehen gleichen Mutes durch das Leben,
Und ihr in Tränen und Erschütterung;
Und eines Tages ist es dann geschehen:
Als eure Tränen immer heißer strömten,
Die müden Häupter immer tiefer sanken,
Da waren euch die Schwingen längst gewachsen,
Da waret ihr im Äther längst entschwunden,
[28] Da wußten wir und brannten allzu wissend:
Daß Glückes mehr in euern Tränen sei
Als in dem Lachen unsrer armen Seele.

Hermann Conradi.

Geboren am 12. Juli 1862 zu Jeßnitz in Anhalt, studierte in Berlin, Leipzig und Würzburg besonders Philosophie und Germanistik und starb in Würzburg am 8. März 1890. – Lieder eines Sünders 1887.

Aus den „Schwarzen Blättern“.

XIII.

Ich weiß – ich weiß: Nur wie ein Meteor,
Das flammend kam, jach sich in Nacht verlor,
Werd' ich durch unsre Dichtung streifen!
Die Laute rauscht. Es jauchzt wie Sturmgesang, –
Wie Südwind kost – es gellt wie Trommelklang
Mein Lied und wird in alle Herzen greifen …
Dann bebt's jäh aus in schriller Dissonanz …
Die Blüten sind verdorrt, versprüht der Glanz –
Es streicht der Abendwind durch die Zypressen …
Nur wenige weinen … Sie verstummen bald.
Was ich geträumt: sie geben ihm Gestalt –
Ich aber werde bald vergessen …

IV.

Im Sklavendienst der Lüge
Hab' ich den Tag verbracht …
Nun hat den Gnadenschleier leis
Herabgesenkt die Nacht.
Es schweigt verträumt die Runde,
Nur raunend der Nachtwind rauscht –
Ich aber mit brennendem Munde
[29] Habe Stunde um Stunde
Mit Geistern aus nächtigem Grunde
Wilde Zwiesprach' getauscht!
Hei! Wie er mich umflattert,
Der Geister toller Schwarm!
Wie er mich preßt mit dunkler Lust
In seinen Riesenarm!
Wie Frage er auf Frage
In meine Seele schreit!
Und ob ich bang verzage,
Die Brust mir blutig schlage
Und bete, daß es tage:
Wie ist der Tag so weit!

Sommerrosen.

Ich wollte dich mit Rosen überschütten,
Mit roten Rosen dein goldbraunes Haar
Und deines Mieders Knospenrundung schmücken …
Als noch der Lenz mit süßem Veilchenodem,
Ein milder Sieger, durch die Lande schritt,
Sprach ich zu dir: Geliebte! Hat sein Mund
Mit letztem heißem Abschiedskuß die Rose,
Die rote Sommerrose, aufgebrochen,
Dann will ich zu dir kommen und mit Rosen,
Mit roten Rosen deine Schönheit krönen …
Nun kam der Sommer … Und der Rosen Fülle
Seh' ich allorts und alle Stunden blühn …
Die ganze Welt scheint ihrer Macht verfallen,
Und ihre Keusche wirbt Vasallen um Vasallen …
[30] Selbst einen Bettler sah ich heute lächeln,
Als sein vertränter Blick von ungefähr
Auf einen Korb mit roten Rosen fiel …
Ich kauf' sie in der ganzen Stadt zusammen
Und schütte sie auf tote Liebesflammen …
–  –  – Nun schmückt ein andrer wohl dein Knospenmieder,
Und morgen wohl begegne ich euch beiden …
Ich blick' euch lächelnd nach …
Und denke ganz aus Zufall
Bei der Gelegenheit an einen Frühlingstag,
Da wir uns sahn … Am Abend dann
Schlug uns die Nachtigall in ihren Bann,
Umduftete uns süß der Flieder …
Wir aber liebten uns …
–  –  –

Lenz.

Wie ich mich auf den Frühling freue!
Wie mir das Alte und doch so Neue
Schon im tiefsten Winter die Seele bewegt!
Noch ist's erst Weihnacht! Noch atmet der Winter
Aus vollen Lungen!
Und doch ist's mir, als ob schon dahinter
Sehnsuchtsbezwungen
Leise, ganz leise der Lenz sich regt …

Mein Blick, nun weide dich …

Mein Blick, nun weide dich zum letztenmal
An dieses Frühlings satter Blütenfülle!
[31] Voll Inbrunst sauge dieser Sonne Strahl –
Mein Herz, sei stille! …
Erschweig bewundernd vor dem Werdedrang!
Was dich erfüllt, den Winden gib's zum Raube! …
Ob dir der Hoffnung goldnes Sieb zersprang –
Dir blieb der Glaube! …
O glaube eine winzige Weile nur,
Daß diese Botschaft auch für dich gebracht ward!
Umfaß noch einmal trunken die Natur,
Bevor es Nacht ward! …
Auf meinen Scheitel streut der Frühlingswind
Mattweiße Blüten – eine letzte Krönung – – –
Ich bin so fromm und heiter wie ein Kind …
Und voll Versöhnung …

Die müde schon verglühte …

Die müde schon verglühte,
Die leise schon verklang,
Jach ist sie wieder aufgeflammt
In jauchzendem Gesang!
Wie Zimbelton, wie Lautenschlag
Ward meine Liebe wieder wach,
Die müde schon verglühte,
Die leise schon verklang …
Und heller tönt ihr Rauschen,
Wie junger Frühlingswind,
Wenn er in heißem Schöpferdrang
Die Welt dem Licht gewinnt!
Und das Prophetenwort erläßt,
[32] Daß nun der Menschheit Osterfest –
Ja! Heller tönt ihr Rauschen,
Wie junger Frühlingswind!
Und wie durch Nebelschleier
Die Sonne siegreich bricht,
Der jungen Flur ein goldnes Band
Ums Lockenantlitz flicht:
So überglänzt mit Purpurschein
Die Liebe nun mein ganzes Sein,
Gießt goldne Feuer nieder
Und wirbt um neue Lieder …
Und nah und ferne quellen
Blitzende Wellen empor
An meinem Lebenshorizont
Aus Dunst und Wolkenflor!
Gedanken, die mir nie genaht,
Und Pfade, die ich nie betrat,
Entsteigen verborgenen Gründen,
Heilige Kraft zu entzünden!
Die leise schon verklungen,
Die müde schon verglüht:
Wild ist sie wieder aufgeflammt,
Im Lenzsturm stark erblüht!
Und lag ich nieder staubbedeckt,
So hab' ich mich nun aufgereckt,
Und die Gedanken schweifen
In großem Weltbegreifen!
[33]

Im Vorüberfluge.

Mit metallhartem Rotgelb
Hat sich des Himmels
Westliche Wölbung beflammt.
Mein Auge starrt staunend
In die leuchtende Blende,
Die wachsend fortglüht,
Als sei nimmer ihr Ende
Die lichtlose Nacht …
Da streift die brennende
Lichtwand ein Fittich –
Der nachtschwarze Fittich
Eines Dämmerungsvogels …
Eine kleine Spanne –
Und die Weite verschlang ihn.
Also trägt auch der Mensch
Mit schwankem Fittich
Sein zwielichtbefangenes Sein
Vorüber an der stetig leuchtenden
Kristallwand der Ewigkeit …
Er huscht dahin
Ein Traum – ein Wahn –
Auf schmaler Bahn –
So bald – so bald
Raubt seiner Gestalt
Schattengefüge
Des Nichtseins
Farblose Wahrheitslüge.
Aber im Fluge –
Im Vorüberfluge –
[34] Ahnt er das Rätsel
Der stetig und still
In sattem Glanze
Fortdauernden Ewigkeit …

Theodor Däubler.

Geboren am 17. August 1876 zu Triest. – Das Nordlicht 1910. Der sternhelle Weg 1915. Hymne an Italien 1916. Das Sternenkind 1917.

Weg.

Mit dem Monde will ich wandeln:
Schlangenwege über Berge
Führen Träume, bringen Schritte
Durch den Wald dem Monde zu.
Durch Zypressen staunt er plötzlich,
Daß ich ihm entgegengeh,
Aus dem Ölbaum blaut er lächelnd,
Wenn mich's friedlich talwärts zieht.
Schlangenwege durch die Wälder
Bringen mich zum Silbersee:
Nur ein Nachen auf dem Wasser,
Heilig oben unser Mond.
Schlangenwege durch die Wälder
Führen mich zu einem Berg.
Oben steht der Mond und wartet,
Und ich steige leicht empor.

Die Buche.

Die Buche sagt: Mein Walten bleibt das Laub.
Ich bin kein Baum mit sprechenden Gedanken,
Mein Ausdruck wird ein Ästeüberranken,
Ich bin das Laub, die Krone überm Staub.
[35] Dem warmen Aufruf mag ich rasch vertraun
Ich fang im Frühling selig an zu reden,
Ich wende mich in schlichter Art an jeden:
Du staunst, denn ich beginne rostigbraun!
Mein Waldgehaben zeigt sich sommerfroh.
Ich will, daß Nebel sich um Äste legen,
Ich mag das Naß, ich selber bin der Regen.
Die Hitze stirbt: ich grüne lichterloh!
Die Winterspflicht erfüll' ich ernst und grau.
Doch schütt' ich erst den Herbst aus meinem Wesen.
Er ist noch niemals ohne mich gewesen.
Da werd' ich Teppich, sammetrote Au.

Die Droschke.

Ein Wagen steht vor einer finstern Schenke.
Das viele Mondlicht wird dem Pferd zu schwer.
Die Droschke und die Gassenflucht sind leer;
Oft stampft das Tier, daß seiner wer gedenke.
Es halten diese Mähre halb nur die Gelenke,
Denn an der Deichsel hängt sie immer mehr.
Sie baumelt mit dem Kopfe hin und her,
Daß sie zum Warten sich zusammenrenke.
Aus ihrem Traume scheucht sie das Gezänke
Und oft das geile Lachen aus der Schenke.
Da macht sie einen Schritt, zur Fahrt bereit.
Dann meint sie schlafhaft, daß sie heimwärts lenke
Und hängt sich an sich selbst aus Schläfrigkeit,
Noch einmal poltern da die Droschkenbänke.
[36]

Heidentum.

Ich möchte wandern. Nackt verschwinden, schwimmen.
Stets weiterschwimmen, Frauen treffen, minnen.
Mich geben wie das Wasser: abwärtsrinnen.
Die Flut befragen. Schwimmend immer weiter klimmen.
Im weichen Wasser wohnen Wunderstimmen.
Sie wollen mich für ihre Glut gewinnen.
Sie sind im Nebel. Noch im Tropfen drinnen.
Ganz innen kann auch kaltes Wasser glimmen.
Die Wellen wollen sich in mich verlieben.
Wer ist bei mir geheimnisvoll zugegen?
Nur wir! wenn alle Wünsche leicht zerstieben.
Ich will mich in der Flut zur Ruhe legen,
Die Wellen tragen meine Kunden weiter:
Selbst alle Schwermut überschäumt sich heiter.

Die Russin.

Ich sah sie einst. Sie stand auf dem Mondlichtbalkone.
Der Frühling verblühte in Beeten und Töpfen.
Ihr goldenes Haar, eine luftige Krone,
Verrankte, verlor sich in offenen Zöpfen.
Ihr griechisches Doppelkreuz grüßte die Brüste,
Die immer zum Kreuz hinan wogten und wallten,
Als ob es die Seele sanft wachhalten müßte.
Der Mondschimmer kam, ihren Traum zu erhalten.
Bald lachten die Sicheln fast männlicher Zähne.
Sie glänzten hinaus zu den horchenden Sternen.
Es trug schon die Nacht ihre feurige Mähne,
Sie schwang sich als Stute durch Steppen und Fernen.
[37] Die Augen der Russin vermuteten Meere.
Sie regten sich stets in der furchtbaren Stille.
Es nahte ein Augenblick schrecklicher Leere,
Doch unentwegt zuckte die goldne Pupille.
Dann schenkte die Ebne sich kühlende Winde.
Die Russin erwachte und spürte die Kälte.
Zitternd zerband sie die Fenstergewinde,
Versperrte sich, schwand. Und ein ferner Hund bellte.

Max Dauthendey.

Geboren am 25. Juli 1867 zu Würzburg, gestorben im Herbst 1918 auf Java. – Reliquien 1900. Singsangbuch 1907. Insichversunkene Lieder im Laub 1908. Der weiße Schlaf 1909. Lusamgärtlein 1909. Weltspuk 1910. Des großen Krieges Not 1915.

Laß mich in deinem stillen Auge …

Laß mich in deinem stillen Auge ruhen,
Dein Auge ist der stillste Fleck auf Erden.
Es liegt sich gut in deinem dunkeln Blick,
Dein Blick ist gütig wie der weiche Abend.
Vom dunkeln Horizont der Erde
Ist nur ein Schritt hinüber in den Himmel,
In deinem Auge endet meine Erde.

Graue Engel …

Graue Engel gehen um mich,
Sehen trauernd auf dich, meine Seele,
Sie stehen mit lahmen Flügeln
An Aschenhügeln und sinnen;
Draußen und drinnen ist es Abend, meine Seele.
[38]

Am süßen lila Kleefeld …

Am süßen lila Kleefeld vorbei,
Zu den Tannen, den zwei,
Mit der Bank inmitten,
Dort zieht wie ein weicher Flötenlaut
Der sanfte Fjord,
Blau im Schilfgrün ausgeschnitten.
Gib mir die Hand.
Die beiden Tannen stehen so still,
Ich will dir sagen,
Was die Stille rings verschweigen will.
Gib mir die Hand …
Gib mir in deiner Hand dein Herz.

Winde quälen die Bäume …

Winde quälen die Bäume,
Die Blätter frieren und gilben.
Menschen, noch braun die Sommerwangen,
Aber die Lippen sangen die letzten Silben.
Bald ist das Lied zergangen.

Die Amseln haben …

Die Amseln haben Sonne getrunken,
Aus allen Gärten strahlen die Lieder,
In allen Herzen nisten die Amseln,
Und alle Herzen werden zu Gärten
Und blühen wieder.
Nun wachsen der Erde die großen Flügel,
Und allen Träumen neues Gefieder,
Alle Menschen werden wie Vögel
Und bauen Nester im Blauen.
[39] Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge,
Und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,
In allen Seelen badet die Sonne,
Alle Wasser stehen in Flammen,
Frühling bringt Wasser und Feuer
Liebend zusammen.

Die Luft so schwer …

Die Luft so schwer,
Wolken stehen weiß und still,
Der Himmel hohl und aschenleer,
Ein Rabenschrei –,
Und kreischt vorbei.
Die Bäume stehen kalt umher,
Es ist, als ob das letzte Herz gestorben sei.

Auf deinem Haupt …

Auf deinem Haupt schmolz eine goldenrote Krone,
Davon glüht nun dein Haar so goldenrot und stolz.
Aus deinen Augen zieht das stille herbe Lied
Der tiefen ungeweinten Tränen.
Schliefen denn niemals Sonnenstrahlen auf deinen Lippen?
Man könnte wähnen,
Du habest nie dich selbst gesehn,
So arm bist du.

In deinem Angesicht …

In deinem Angesicht
Schwebt Stille.
Stille, welche in sommerschweren Wäldern lebt,
[40] Auf abendblauem Berge,
Und im Blumenkelche.
Eine Stille, warm und licht,
Die ohne Laut vornehme Laute spricht.

Unsere Augen …

Unsere Augen so leer,
Unsere Küsse so welk,
Wir weinen und schweigen,
Unsere Herzen schlagen nicht mehr.
Die Schwalben sammeln sich draußen am Meer
Die Schwalben scheiden,
Sie kommen wieder,
Aber nie mehr uns beiden.

Stille weht …

Stille weht in das Haus,
Fühlst du den Atem des Mondes,
Löse dein Haar,
Lege dein Haupt in den Blauschein hinaus.
Hörst du, das Meer unten am Strand
Wirft die Schätze ans Land;
Sonst wuchsen im Mond Wünsche, ein Heer,
Seit ich dein Auge gesehn, ist die Mondnacht wunschleer.

Die Sommernacht …

Die Sommernacht, und andachtvoll der dunkle Garten
Und schwer zufrieden mit den reichen Bäumen.
Derselbe Mond, der all die großen Bäume klein gesehen,
[41] Vor dem die dunkeln Blätter staunend glänzen,
Unwissend stumm gekommen, unwissend stumm vergehen.
Der dunkle Garten, draus ein kalter Atem weht,
Sehr kühl vom kaltgewordnen Schweiß der Erde.
Und immer kommt und geht darin der Mond
Und wird nicht müde, nie, und kommt und geht.
Doch auszudenken, daß wir müde einst
Für immer gehn, unwissend mit uns selbst.

Drinnen im Strauß.

Der Abendhimmel leuchtet wie ein Blumenstrauß,
Wie rosige Wicken und rosa Klee sehen die Wolken aus.
Den Strauß umschließen die grünen Bäume und Wiesen,
Und leicht schwebt über der goldenen Helle
Des Mondes Sichel wie eine silberne Libelle.
Die Menschen aber gehen versunken tief drinnen im Strauß,
Wie die Käfer trunken, und finden nicht mehr heraus.

Möchte rollend das Blut aller Verliebten sein.

Ich möchte mir Freuden wie aus roten Steinbrüchen brechen,
Möchte Brücken schlagen tief in die Wolken hinein;
Möchte mit Bergen sprechen wie Glocken in hohen Türmen,
Wie Laubbäume ragen und mit den Frühlingen stürmen
Und wie ein dunkler Strom der Ufer Schattenwelt tragen.
Fiel gern als Abenddunkel in alle Gassen hinein,
[42] Drinnen Burschen die Mädchen suchen und fassen.
Möchte rollend das Blut aller Verliebten sein
Und von Liebe und Sehnsucht niemals vergessen.

Wie eine dumpfe Stube steht die Sommernacht.

Die Dunkelheit hat alle Wege mit Toren zugemacht:
Wie eine dumpfe Stube steht die Sommernacht.
Die Sterne kommen still den Berg ganz nah herauf,
Manchmal da atmet tief ein Sternlicht auf.
Ein großer Baum streckt seine Krone himmelan,
Als ob die Nacht ihn weit fortrücken kann.
Doch alle Dinge sind nur wie die Schatten
Vom Tag und von Gedanken und von Taten.
Und alle Dinge sind stumm und verblichen,
Als wären sie verstohlen ausgewichen.
Sie alle haben nur verschwinden müssen,
Damit die scheuen Lippen sich finden und küssen.

Der Mond ist wie eine feurige Ros'.

Der Mond geht groß aus dem Abend hervor,
Steht über dem Schloß und dem Gartentor
Und läßt sanft glühend die Erde los.
Der Mond ist wie eine feurige Ros',
Die meine Liebste im Garten verlor.
Mein Schatten an den steinernen Wänden
Geht hinter mir wie ein dienender Mohr.
Ich werde den Mohren hinsenden,
Er hebe die Rose vorsichtig auf
Und bringe sie ihr in den dunklen Händen.
[43]

Nachtstürme reiten die Bäume krumm.

Statt der Blumen und Blätter, die sich sonst regen,
Steht Reisigholz stumm auf allen Wegen.
Am Himmel gehen Nebel und Nässe um,
Und Nachtstürme reiten die Bäume krumm.
Ich stehe hinter Fensterscheiben verloren,
Die alten Lieder sind nur Träume hinter sieben Toren.
Die Geliebte ging weit in den Nebel fort,
Nichts blieb als in den Ohren ihr Liebeswort.

Wer jagt den Fluß vor sich her wie ein Tier?

Wer hat die Wolken zerbeult?
Wer heult vom Berg wie von einem Turm?
Wer hat in der Brust solch zwiefachen Sturm?
Wer jagt den Fluß vor sich her wie ein Tier?
Wer ist es, der draußen wild aufstöhnen muß?
Wem ist seine Qual hell wütend Genuß?
Und wer verflucht sich finster und stier?
Ist es die Nacht?
Oder ein Stück Schatten von mir?

Die Berge werden wie dunkle Kissen.

In der gelben und grünlichen Abendhelle
Gehn finsternde Wolken nicht von der Stelle.
Übern Fluß kommt der Hunde verhetztes Gebelle.
Noch immer sind Schritte am Pflaster draußen.
Sie kommen und gehen in kurzen Pausen,
Als ob da Schritte ohne Menschen hausen.
[44] Die Berge werden wie dunkle Kissen,
Drauf ruhn die Abendstunden, welche die Sonne vermissen.
Der Himmel steht wie ein sehnsüchtig Aug' hell aufgerissen.

Jakob Julius David.

Geboren am 6. Februar 1859 zu Weißkirchen in Mähren, studierte deutsche Philologie in Wien, lebte daselbst als Schriftsteller und starb am 20. November 1906. – Gedichte 1892.

Mein Lied.

Ich weiß, mein Lied wird nie gesungen
Von jungen Stimmen hell im Chor;
Doch sagt's, vom Dämmern lind bezwungen,
Vielleicht ein Träumer gern sich vor.
Ob vieles zur Vollendung fehle,
Er hört, in Lauten trüb und bang,
Das Atmen einer müden Seele,
Die hart um Licht und Leben rang.
Es dunkelt. Und wenn lind und leise
So Form wie Farbe rings verschwimmt,
Erklingt in meiner Brust die Weise,
So dämmerfroh und unbestimmt.
Und wenn dann, tief in seinem Innern,
Ein Abglanz meines Leids ersteht,
Soll er des Dichters sich erinnern,
Des Name längst im Wind verweht …

Im Volkston.

Ich hab' kein Haus, ich hab' kein Nest,
Ich hab' kein Hochzeit und kein Fest;
[45] Ich hab' kein Hof, ich hab' kein Feld,
Ich hab' kein Heimat auf der Welt.
Am Himmel selbst der Schauerstrich,
Den fürchten sie nicht so wie mich;
Mir geht's nicht gut, mir geht's nicht schlecht –
Und so, gerade so ist's recht …

Nacht.

Schon deckt beschattend dein Gefieder
Des Tages Licht, du nahst mit Macht.
Auf starken Schwingen steigst du nieder,
Du meine Mutter, stolze Nacht!
Nun öffnen sich der Seele Pforten,
So streng geschlossen kaum zuvor,
Und meinem Weh und seinen Worten
Leihst du dein mir geneigtes Ohr.
Nun stehn die Gassen öd' und düster
Und, wie in ewig regem Leid,
Haucht sein verhallendes Geflüster
Dein Wind durch deine Einsamkeit;
Nun birgt das Kleine ernst dein Schleier –
Den Blick beirrt' es kaum zuvor –
Doch riesenhaft und ungeheuer
Wächst wahrhaft Großes nun empor.
Ich liebe dich, bin dir entsprungen,
Und feind dem Tag, so laut und dreist!
Das Wenige, das mir gelungen,
Du gabst es dem verwandten Geist;
Dein Anhauch ist es, der zur Lohe
Der Seele trübes Licht entfacht –
Sei mir willkommen, ernste hohe,
Sei mir gegrüßt, ersehnte Nacht!

[46]

Richard Dehmel.

Geboren am 18. Nov. 1863 zu Wendisch-Hermsdorf in der Mark Brandenburg. Absolvierte das Gymnasium zu Danzig, studierte 1882–87 Philosophie, Naturwissenschaft und Sozialökonomie, wohnte zunächst in Berlin, reiste dann im Ausland, lebte in Blankenese bei Hamburg und starb dort am 8. Februar 1920. – Erlösungen 1891. Aber die Liebe 1893. Lebensblätter 1895. Weib und Welt 1896. Ausgewählte Gedichte 1901. Zwei Menschen 1903. Verwandlungen der Venus 1907. Schöne wilde Welt 1913.

Die Harfe.

Unruhig steht der hohe Kiefernforst;
Die Wolken wälzen sich von Ost nach Westen.
Lautlos und hastig ziehn die Krähn zu Horst;
Dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen,
Und dumpfer tönt mein Schritt.
Hier über diese Hügel ging ich schon,
Als ich noch nicht den Sturm der Sehnsucht kannte,
Noch nicht bei euerm urweltlichen Ton
Die Arme hob und ins Erhabne spannte,
Ihr Riesenstämme rings.
In großen Zwischenräumen, kaum bewegt,
Erheben sich die graugewordnen Schäfte;
Durch ihre grüngebliebnen Kronen fegt
Die Wucht der lauten und verhaltnen Kräfte
Wie damals.
Und eine steht, wie eines Erdgotts Hand
In fünf gewaltige Finger hochgespalten;
Die glänzt noch goldbraun bis zum Wurzelstand
Und langt noch höher als die starren alten
Einsamen Stämme.
Durch die fünf Finger geht ein zäher Kampf,
Als wollten sie sich aneinanderzwängen;
[47] Durch ihre Kuppen wühlt und spielt ein Krampf,
Als rissen sie mit Inbrunst an den Strängen
Einer verwunschnen Harfe.
Und von der Harfe kommt ein Himmelston
Und pflanzt sich mächtig fort von Ost nach Westen.
Den kenn' ich tief seit meiner Jugend schon:
Dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen:
Komm, Sturm, erhöre mich!
Wie hab' ich mich nach einer Hand gesehnt,
Die mächtig ganz in meine würde passen!
Wie hab' ich mir die Finger wund gedehnt!
Die ganze Hand, die konnte niemand fassen!
Da ballt' ich sie zur Faust.
Ich habe mit Inbrünsten jeder Art
Mich zwischen Gott und Tier herumgeschlagen.
Ich steh' und prüfe die bestandne Fahrt:
Nur eine Inbrunst läßt sich treu ertragen:
Zur ganzen Welt.
Komm, Sturm der Allmacht, schüttel den starren Forst!
Schüttelst auch mich, du urweltliches Treiben.
In scheuen Haufen ziehn die Krähn zu Horst;
Gib mir die Kraft, einsam zu bleiben,
Welt! –

Sommerabend.

Klar ruhn die Lüfte auf der weiten Flur;
Fern dampft der See, das hohe Röhricht flimmert,
Im Schilf verglüht die letzte Sonnenspur,
Ein blasses Wölkchen rötet sich und schimmert.
[48] Vom Wiesengrunde naht ein Glockenton,
Ein Duft von Tau entweicht der warmen Erde;
Im stillen Walde steht die Dämmrung schon,
Der Hirte sammelt seine satte Herde.
Im jungen Roggen rührt sich nicht ein Halm,
Die Glocke schweigt wie aus der Welt geschieden;
Nur noch die Grillen geigen ihren Psalm.
So sei doch froh, mein Herz, in all dem Frieden!

Aus banger Brust.

Die Rosen leuchten immer noch,
Die dunkeln Blätter zittern sacht;
Ich bin im Grase aufgewacht,
O kämst du doch,
Es ist so tiefe Mitternacht.
Den Mond verdeckt das Gartentor,
Sein Licht fließt über in den See,
Die Weiden warten still empor,
Mein Nacken wühlt im feuchten Klee;
So liebt' ich dich noch nie zuvor!
So hab' ich es noch nie gewußt,
So oft ich deinen Hals umschloß
Und blind dein Innerstes genoß,
Warum du so aus banger Brust
Aufstöhntest, wenn ich überfloß.
O jetzt, o hättest du gesehn,
Wie dort das Glühwurmpärchen kroch!
Ich will nie wieder von dir gehn!
O kämst du doch!
Die Rosen leuchten immer noch.
Richard Dehmel
[49]

Ein Stelldichein.

So war's auch damals schon. So lautlos
Verhing die dumpfe Luft das Land,
Und unterm Dach der Trauerbuche
Verfingen sich am Gartenrand
Die Blütendünste des Holunders;
Stumm nahm sie meine schwüle Hand,
Stumm vor Glück.
Es war wie Grabgeruch … Ich bin nicht schuld!
Du blasses Licht da drüben im Geschwele,
Was stehst du wie ein Geist im Leichentuch –
Lisch aus, du Mahnbild der gebrochnen Seele!
Was starrst du mich so gottesäugig an?
Ich brach sie nicht! sie tat es selbst! Was quäle
Ich mich mit fremdem Unglück ab …
Das Land wird grau; die Nacht bringt keinen Funken,
Die Weiden sehn im Nebel aus wie Rauch,
Der schwere Himmel scheint ins Korn gesunken.
Still hängt das Laub am feuchten Strauch,
Als hätten alle Blätter Gift getrunken;
So still liegt sie nun auch.
Ich wünsche mir den Tod.

Ein Grab.

Das sind die Abende, die bleich verfrühten.
Die Georginen, die im Sonnenscheine
Wie rot und gelbe letzte Rosen glühten,
Stehn fahl, Rosetten aus verfärbtem Steine.
Der Nebel klebt an unsern Hüten.
[50] Komm, Schwester. Dort der Zaun von Erz
Umgittert eine, die zu früh verblich.
Komm heim; mich friert. Sie liebte mich.
Sie hatte nichts vom Leben als ihr Herz;
Still tat sie wohl, still litt sie Schmerz.

Stiller Gang.

Der Abend graut; Herbstfeuer brennen.
Über den Stoppeln geht der Rauch entzwei.
Kaum ist mein Weg noch zu erkennen.
Bald kommt die Nacht; ich muß mich trennen.
Ein Käfer surrt an meinem Ohr vorbei.
Vorbei.

Die stille Stadt.

Liegt eine Stadt im Tale,
Ein blasser Tag vergeht;
Es wird nicht lange dauern mehr,
Bis weder Mond noch Sterne,
Nur Nacht am Himmel steht.
Von allen Bergen drücken
Nebel auf die Stadt;
Es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus,
Kein Laut aus ihrem Rauch heraus,
Kaum Türme noch und Brücken.
Doch als den Wandrer graute,
Da ging ein Lichtlein auf im Grund;
Und durch den Rauch und Nebel
Begann ein leiser Lobgesang
Aus Kindermund.
[51]

Manche Nacht.

Wenn die Felder sich verdunkeln,
Fühl' ich, wird mein Auge heller;
Schon versucht ein Stern zu funkeln,
Und die Grillen wispern schneller.
Jeder Laut wird bilderreicher,
Das Gewohnte sonderbarer,
Hinterm Wald der Himmel bleicher,
Jeder Wipfel hebt sich klarer.
Und du merkst es nicht im Schreiten,
Wie das Licht verhundertfältigt
Sich entringt den Dunkelheiten.
Plötzlich stehst du überwältigt.

Geheimnis.

In die dunkle Bergschlucht
Kehrt der Mond zurück.
Eine Stimme singt am Wassersturz:
O Geliebtes,
Deine höchste Wonne
Und dein tiefster Schmerz
Sind mein Glück –

Morgenstunde.

Ob du wohl auch so schlaflos liegst
Und dich in wachen Träumen wiegst,
Vor Glück, wie sehr die Sehnsucht brennt?
Ich starr ins dunkle Firmament:
Der Morgenstern, in großem Bogen,
Ist langsam längst heraufgezogen
Und läßt mich lächelnd fühlen, was uns trennt.
[52] Vor meinen schwachen Augen
– Nun weiß ich doch, zu was sie taugen –
Strahlt er, je höher her, je flimmernder.
Weihnächtig glänzt die graue Stille.
O zögre, Alltag! Ohne Brille
Sieht man die Welt unendlich schimmernder.
Schon aber glitzert sein Gezitter blasser;
Nun steh' ich auf und geb' der Lilie Wasser,
Die du mir gestern heimlich brachtest.
Und wenn du mich dafür auslachtest:
Sanft nehm' ich sie von ihrer Stätte
Und leg' sie auf mein warmes Bette
Und fühle lächelnd, wie du nach mir schmachtest.

Erhebung.

Gib mir nur die Hand,
Nur den Finger, dann
Seh' ich diesen ganzen Erdkreis
Als mein Eigen an!
O, wie blüht mein Land!
Sieh dir's doch nur an,
Daß es mit uns über die Wolken
In die Sonne kann!

Bewegte See.

Noch einmal so! Im Nebel durch den Sturm:
Das Segel knatterte, die Schiffer schrien,
Am Bugspriet stand das Wasser wie ein Turm,
Ich fühlte deine Angst in meinen Knien
Und sah dein stolz und fremd Gesicht.
[53] Noch einmal wollte mir dein Auge drohn,
Wie eine Flamme stand dein Haar im Winde,
Doch in den Wellen rang ein Ton
Wie das Gewein von einem Kinde –
Da wehrtest du mir nicht:
Um meine Lippen lag dein naß wild Haar,
Um deine Schulter lag mein Arm gezogen,
Und unsern Kuß versüßte wunderbar
Der Schaum der salzigen Sturzwogen –
Da schrie ich laut vor Freude auf.
Noch einmal so! Was tust du jetzt so kalt,
Hast du denn Furcht vorm offnen Meere!
Es peitscht dich warm! Komm bald, komm bald!
Im Hafennebel tanzt die Fähre –
Hinaus! hinauf!

Nachtgebet der Braut.

O mein Geliebter – in die Kissen
Bet' ich nach dir, ins Firmament!
O könnt' ich sagen, dürft' er wissen,
Wie meine Einsamkeit mich brennt!
O Welt, wann darf ich ihn umschlingen!
O laß ihn mir im Traume nahn,
Mich wie die Erde um ihn schwingen
Und seinen Sonnenkuß empfahn
Und seine Flammenkräfte trinken,
Ihm Flammen, Flammen wiedersprühn,
O Welt, bis wir zusammensinken
In überirdischem Erglühn!
[54] O Welt des Lichtes, Welt der Wonne!
O Nacht der Sehnsucht, Welt der Qual!
O Traum der Erde: Sonne, Sonne!
O mein Geliebter – mein Gemahl –

Ideale Landschaft.

Du hattest einen Glanz auf deiner Stirn,
Und eine hohe Abendklarheit war,
Und sahst nur immer weg von mir,
Ins Licht, ins Licht –
Und fern verscholl das Echo meines Aufschreis.

Aus „Zwei Menschen“.

I, 1.

Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain;
Der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
Der Mond läuft über hohe Eichen;
Kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,
In das die schwarzen Zacken reichen.
Die Stimme eines Weibes spricht:
Ich trag' ein Kind, und nit von dir,
Ich geh' in Sünde neben dir.
Ich hab' mich schwer an mir vergangen.
Ich glaubte nicht mehr an ein Glück
Und hatte doch ein schwer Verlangen
Nach Lebensinhalt, nach Mutterglück
Und Pflicht; da hab' ich mich erfrecht,
Da ließ ich schaudernd mein Geschlecht
Von einem fremden Mann umfangen,
Und hab' mich noch dafür gesegnet.
Nun hat das Leben sich gerächt:
Nun bin ich dir, o dir, begegnet.
[55] Sie geht mit ungelenkem Schritt.
Sie schaut empor; der Mond läuft mit.
Ihr dunkler Blick ertrinkt im Licht.
Die Stimme eines Mannes spricht:
Das Kind, das du empfangen hast,
Sei deiner Seele keine Last,
O sieh, wie klar das Weltall schimmert!
Es ist ein Glanz um alles her;
Du treibst mit mir auf kaltem Meer,
Doch eine eigne Wärme flimmert
Von dir in mich, von mir in dich.
Die wird das fremde Kind verklären,
Du wirst es mir, von mir gebären.
Du hast den Glanz in mich gebracht,
Du hast mich selbst zum Kind gemacht.
Er faßt sie um die starken Hüften.
Ihr Atem küßt sich in den Lüften.
Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.

I, 16.

Zwischen zwei Rappen jachtert ein Schimmel.
Sonne glitzert auf Schneestaubgewimmel:
Ein Schlitten stiebt mit zwei Menschen dahin.
Schwarz funkeln die Schellen der silbernen Bügel.
Ein Weib schwingt die Peitsche, der Mann führt die Zügel.
Jetzt reckt er das Kinn:
Lea! seit meinen Jugendjahren
Bin ich nicht so im Fluge gefahren,
So rasend noch nie.
Aber noch rasender war's gestern morgen,
[56] Als ich im Sturm deinen Namen schrie
Und, als wäre mein Gott drin verborgen,
Mit ihm rang um dich, Knie an Knie:
Schleife mich, Sturmgott, um die Erde,
Sei sie unrein, sei sie rein!
Gönne mir nur kein Glück am Herde,
Hingerissen will ich sein! –
Sage mir, du, ich frage dich: schreit
Dein Gott auch so meinen Namen?
Peitscht dich der Schnee auch wie Frühlingssamen?
Kennst du den Wahnsinn dieser Seligkeit?!
Er reißt ihr die Peitsche weg; die Rappen schäumen schon.
Die Zügel schlackern; die Bügel bäumen schon.
Das Weib umschlingt ihn fallbereit:
Nenn's nicht Wahnsinn, nenn's lieber Ahnsinn!
Lukas! ich hab' in manchen furchtbaren Wochen
Dagelegen wie zerbrochen
Und wußte doch: ich will, muß, willmuß fliegen!
Ja, Lux: rase! laß brechen, laß biegen!
Mir wiegt ein Gefühl der Erleuchtung die Brüste,
Als ob es die Sonne blind machen müßte!
Und wenn mir der Schneestaub die Augen zerstäche,
Und wenn mir dein Sturmgott den Atem bräche,
Ich lasse mich wiegen, du – wiegen – wiegen –
Sie starrt verzückt in das wilde Gewimmel.
Zwei Menschen glauben sich im Himmel.

I, 23.

Kaminfeuer und Morgenrotschimmer
Schmücken ein hohes Damenzimmer.
Ein Weib erhebt aus meergrüner Seide
[57] Ihre nackten Arme beide
Vor einem Mann breit in die Luft
Und lacht, umschwebt von Mandelduft:
Ich glaub', ich bin noch immer schön;
Mein Kind hat mir nichts weggenommen.
Und hättst mich eben baden sehn,
Du wärst mit mir gen Himmel geschwommen!
Was stehst denn wieder wie im Schlaf?
O Lux, was bist du für ein – Schaf!
Er lächelt eigen, sie merkt es nicht:
Er senkt, scheinbar grübelnd, sein scharfes Gesicht.
Sein Fuß streichelt ein Eisbärfell.
Er fragt halbhell:
Schönheit? – das ist mir nichts als Hülle
Um irgend eine Liebreizfülle.
Der Reiz zur Liebe und zum Leben,
Wenn den die Reize einer Gestalt
Mir wie aus eigner Seele eingeben,
Dann bin ich – schön in ihrer Gewalt;
Sonst sind sie angeflogne Schäume,
Nachwehen toter Künstlerträume.
Du würdest ja Raffael nicht entzücken:
Du bist zu kriegrisch ins Kraut geschossen.
Deine dunkle Haut ist voll Sommersprossen.
Dein Pferdshaar, dein herrischer Nasenrücken
Taugen zu keiner klassischen Ode,
Und dein klassisch Kinn ist gar nit mehr Mode.
Aber – jetzt will ich die Augen zudrücken,
Will nichts mehr fühlen als deinen Bann,
Nichts küssen als deine Wildkatzenstirne;
[58] Und wärst du die durchtriebenste Dirne,
Du wirst mir eine Heilige dann –
Prüfend blicken zwei Seelen einander an.

II, 28.

Und es rauscht nur und weht.
Es liegt eine Insel, wohl zwischen grauen Wogen;
Es kommen wohl Vögel durch die Glut geflogen,
Die blaue Glut, die stumm und stet
Die Dünen umschlingt.
Da gebiert die Erde im stillen wohl ihr Empfinden
Und nimmt ihre Träume und gibt sie den Wellen, den Winden.
Die Seele eines Weibes singt:
O laß mich still so liegen,
An deiner Brust, die Augen zu.
Ich sehe zwei Wolken fliegen,
Die eine Sonne wiegen;
Wo sind wir, du? –
Und es rauscht und weht.
Es liegt eine Düne, wohl zwischen tausend andern.
Es werden wohl Sterne den blauen Raum durchwandern,
Der über den bleichen wilden Hügeln steht
Und golden schwingt.
Die Seele eines Mannes singt:
Still, laß uns weiterfliegen,
Beide die Augen zu.
Ich sehe zwei Meere liegen,
Die einen Himmel wiegen.
O du –
[59] Es rauscht, es weht;
Über die heißen Höhenzüge geht
Höher und höher der goldne Schein
Ins Blaue hinein,
Wo das Dunkel schwebt.
Und aus dem Dunkel herüber, auf großen Wogen,
Kommt die Einsamkeit gezogen.
Und zwei Seelen singen: Eine Seele lebt,
Wohl zwischen den Sternen, den Sonnen, den Himmeln, den Erden,
Die will uns wohl endlich leibeigen werden:
Es schwellen die Wogen herüber, wie Herzen klingen,
Menschenherzen! – Zwei Seelen singen –

Adolph Donath.

Geboren am 9. Dezember 1876 zu Kremsier in Mähren. – Tage und Nächte 1898. Judenlieder 1899. Mensch und Liebe 1901.

Tränen.

Wenn ich leide, wenn ich dulde,
Wandern meine kranken Tränen
Fort in meine ferne Heimat,
Wo die gute Mutter wohnt.
Und die gute Mutter öffnet
Ihre kleinen weichen Hände,
Betet für den schwachen Dulder,
Der die Tränen heimgesandt.
Segnend legt sie dann die kranken
In ein stilles, feines Kästchen,
Das aus Seele sie gezimmert,
Das nur sie erschließen kann,
[60] Und sie pflegt die kranken Tränen
Wie ein Gärtner, der sein Leben,
Seine edle, stumme Güte
Zarten Blütenknospen weiht …
Wenn ich einst in Freudestunden
Zitternd nach den Tränen frage,
Küßt mir meine gute Mutter
Schnell den Dank vom Herzen weg.

Albert Ehrenstein.

Geboren am 23. Dezember 1886 zu Wien. – Die weiße Zeit, 1914. Der Mensch schreit, 1916. Die rote Zeit, 1917. Den ermordeten Brüdern, 1918. Die Gedichte, Gesamtausgabe, 1920.

Auf der hartherzigen Erde.

Dem Rauch einer Lokomotive juble ich zu,
Mich freut der weiße Tanz der Gestirne,
Hell aufglänzend der Huf eines Pferdes,
Mich freut den Baum hinanblitzend ein Eichhorn,
Oder kalten Silbers ein See, Forellen im Bache,
Schwatzen der Spatzen auf dürrem Gezweig.
Aber nicht blüht mir Freund noch Feind auf der Erde,
Ferne Wege gehe ich durch das Feld hin.
Ich zertrat das Gebot:
„Ringe, o Mensch, dich zu freuen und Freude zu geben den andern!“
Düster umwandle ich mich,
Vermeidend die Mädchen und Männer,
Seit mein weiches, bluttränendes Herz
Im Staube zerstießen, die ich verehrte.
Nie neigte sich meinem einsam jammernden Sinn
[61] Die Liebe der Frauen, denen ihr Atmen ich dankte.
Ich, der Fröstelnde, lebe dies weiter. Lange noch.
Ferne Wege schluchze ich durch die Wüste.

Verzweiflung.

Wochen, Wochen sprach ich kein Wort;
Ich lebe einsam, verdorrt.
Am Himmel zwitschert kein Stern.
Ich stürbe so gern.
Meine Augen betrübt die Enge,
Ich verkrieche mich in einen Winkel,
Klein möchte ich sein wie eine Spinne,
Aber niemand zerdrückt mich.
Keinem habe ich Schlimmes getan,
Allen Guten half ich ein wenig.
Glück, dich soll ich nicht haben.
Man will mich nicht lebend begraben.

Friede.

Die Bäume lauschen dem Regenbogen,
Tauquelle grünt in junge Stille,
Drei Lämmer weiden ihre Weiße,
Sanftbach schlürft Mädchen in sein Bad.
Rotsonne rollt sich abendnieder,
Flaumwolken ihr Traumfeuer sterben.
Dunkel über Flut und Flur.
Froschwanderer springt großen Auges,
Die graue Wiese hüpft leis mit.
Im tiefen Brunnen klingen meine Sterne.
Der Heimwehwind weht gute Nacht.
[62]

Coyllur.

Grenz ich an dich im Grenzenlosen?
Retten mich aus Todestosen Mädchenrosen?
Ihr Küsse fern, wild ringend Kosen
– Steht schon still die Liebesuhr?
Coyllur!
Die, ein Kind, bei mir geruht,
O, wie warst du traulich-gut!
Gift vergällte mein Herzblut,
Seit dein Schweigen mich durchfuhr,
Coyllur!
Nacht um Nacht ich nie entschlief,
Wochenewig tränkte mich kein Brief,
Auf eine Karte wartend tief
Meiner harrte harte Kur,
Coyllur!
Wort starb mir im toten Hain.
Bei Wasser, Tinte, Blut und Wein
Dacht ich dein.
Jenseits der Zeit zersehnt die Seele sich dein Troubadour,
Coyllur!

Wanderers Lied.

Meine Freunde sind schwank wie Rohr,
Auf ihren Lippen sitzt ihr Herz,
Keuschheit kennen sie nicht;
Tanzen möchte ich auf ihren Häuptern.
Mädchen, das ich liebe,
Seele der Seelen du,
Auserwählte, Lichtgeschaffene,
[63] Nie sahst du mich an,
Dein Schoß war nicht bereit,
Zu Asche brannte mein Herz.
Ich kenne die Zähne der Hunde,
In der Wind-ins-Gesicht-Gasse wohne ich,
Ein Sieb-Dach ist über meinem Haupte,
Schimmel freut sich an den Wänden,
Gute Ritzen sind für den Regen da.
„Töte dich!“ spricht mein Messer zu mir.
Im Kote liege ich;
Hoch über mir, in Karossen befahren
Meine Feinde den Mondregenbogen.

Blind.

Tag um Tag
Stirbt – ich bin?
Wo geht meine Zeit denn hin?
Traum versank,
Nacht ist Spiel,
Schlaf das Gut,
Tod das Ziel.
Erde, Stern
Klingt nur so,
Ort ist Ort, wer weiß wo?

Dunkel.

Wie lang schon darb ich vor dem Paradiese,
Schlichte Sehnsucht nach der guten Wiese,
Bravem Schlaf in treuer Bucht.
Herr, gib mir die Blüte, mir die Frucht.
[64] Willst du, o Gott, mich niemals gütig grüßen?
Almosen gibst du Bettlern, Söhnen des Weges,
Kühles Wasser der Forelle,
Seelenantlitz einem Mädchen.
Mir nur, daß ich Trän an Träne weine,
Eule unter Käuzen werde –
Selig kleine Schottersteine
Mütterlich umwärmt sie Erde.
Ratten! Fresset meine Eingeweide!
Zerspell mich, Fels, ertränk mich, Furt!
Was starb ich nicht vor der Geburt?
Aufstrahlt mir nie das Land der Freude.

Franz Evers.

Geboren am 10. Juli 1871 zu Winsen a. d. Luhe. – Fundamente 1892. Eva 1893. Königslieder 1894. Deutsche Lieder 1895. Hohe Lieder 1896. Paradiese 1897. Der Halbgott 1900. Erntelieder 1901.

Rosenglut.

An manchem Abend weht mich Sehnsucht an,
Dann fühl' ich, wie du liebend zu mir strebst,
Und halberregte Wünsche spür' ich dann
Und wie du nach mir bebst.
Dann muß dein Blut von neuen Wundern träumen,
Weil so das meine klingt und loht,
Vor meinem Haus, von allen Bäumen
Lockt glühender das Abendrot.
Wenn dann die Wächter von den Türmen blasen,
Will ganz mein Herz nach dir vergehn ..
Ich glaube dich über den stillen Rasen
Mit lauter Rosen kommen zu sehn …
[65]

Jugend.

Am Schlehdorn, am Schlehdorn –
Wißt ihr, wo der steht?
Da sprach der Hirtenknabe
Sein Morgengebet.
Trieb die Schafe dann auf die Weide
Hin durch den sonnigen Raum;
Über die blühende Heide
Träumte sein junger Traum.
Am Schlehdorn, am Schlehdorn –
Wißt ihr, wo der steht?
Da sprach eine junge Dirne
Ihr Abendgebet.
Und der Wind kam von der Heiden
Und küßte ihres Kleides Saum ..
Die beiden, die beiden
Träumten den ersten Traum.

Abendlied.

Du ferne Flöte
Hinter dem Hügel dort,
Wie sprichst du glühenden Klangs,
Was mein Herz verschweigen muß,
Wie bebst du zitternd dahin
Über die Apfelblüten im Mondlicht,
Daß die Schatten der Bäume
Zu schwinden scheinen
Und alles in Glanz getauchte
Selige Sehnsucht wird,
Aus Menschenschmerz leise sich ringend:
Selige Lebensglut.
[66] Einsame Stimme du
Hinter dem Hügel dort,
Mein Herz, mein Herz sprichst du aus.

Ein Gastgeschenk.

Mit leisem Herzen trat ich in dein Zimmer;
Die Rosen blühten auf; das Fenster klang.
Und von den Gärten draußen kam noch immer
Der weiche sehnsuchtsvolle Jünglingssang.
Du hingst an mir, und deine Augen glänzten;
Dein Haar verwirrte sich in meiner Hand …
Und Abendlichter, die dich rot umkränzten,
Und selige Sehnsucht, die dich mir verband.
Und nichts als goldne Fülle um uns beide:
Die bebenden Hände und der taumelnde Mund …
Der junge Gärtner draußen sang sein Lied vom Leide,
Das zitterte von dir und war so wund –
Du aber lächeltest.

Der Künstler.

„Es liegt ein Plan in einem weiten Tal,
Wo nur die Lautersten zu wandeln wagen
Und selig sind. Und du verfehlst ihn leicht.
Der schwarze Wald, der ihn vom Leben scheidet,
Ist so von ungekanntem Sehnen schwer,
Daß du dich kaum hindurchzufinden wagst.
Der Plan ist voll von Wiesen, die nicht welken,
Von einer Ruhe, die du kaum empfunden,
In einem Licht, das Farben voller macht.
[67] Die schmalen Wege sind mit Kies bestreut,
Auf daß es doch vertraute Laute wecke,
Wenn hohe Menschen wandeln diesen Pfad.
Denn weich und mild ist nebenan der Rasen,
Der weithin das Geräusch des Lebens dämpft.
Inmitten, wo drei alte Rieseneschen
Mit vollem Laub dem leisen Grund entragen,
Raucht ein Altar aus Buchs und Rosenbüschen.
Da bringen Menschen ihre Sehnsucht dar
Und knieen dann. Und wenn es Abend ist,
Empfangen sie den Tau der Gnadensonne,
Die sacht und sicher ihre Stirnen klärt,
Die weißen Menschenstirnen. Heil den Helden,
Die ihre Sehnsucht opferten! Sie leben!“
So kündete der alte Sänger mir,
Der zu der Harfe sang. Das war erst gestern;
Und heute schon fand ich die klaren Wege.
Ich bin allein. Von fern, aus dunklem Wald
Bläst nur ein Hirte noch, und hin und wieder
Scheint es von Schritten in der Luft zu liegen,
Die mir zu folgen wünschen. Sonst ist Ruhe.
Ich sehe schon den graden Rauch der Weihe,
Der sich in bleichem bläulichem Zerschweben
Im Laub der Eschen fängt. Der Abend duftet.
Der Rasen ruht in weichem Schlummer da.
Mein Mantel drückt so schwer in diesem Land,
Ich leg' ihn ab. Nackt geh ich zum Altar,
Ich bringe meine Menschensehnsucht dar,
Und fühle meine Seele ganz erwachen.
Und wie die Rosen stärker sich entfachen
Im Abendglühn, sinkt nun auf mein entblößtes
Geneigtes Haupt der Tau, der Segen ist …
[68] Ich sehe, was mein Auge nicht vergißt,
Und was ich schaue, ist der Wunder größtes:
Dich, du formender Gott!

Gustav Falke.

Geboren am 11. Januar 1853 zu Lübeck; war Musiklehrer in Hamburg, wo er am 8. Februar 1916 starb. – Mynheer der Tod 1891. Tanz und Andacht 1893. Zwischen zwei Nächten 1894. Neue Fahrt 1897. Mit dem Leben 1899. Hohe Sommertage 1902. Die Auswahl 1910.

Das Mohnfeld.

Es war einmal, ich weiß nicht wann
Und weiß nicht wo. Vielleicht ein Traum.
Ich trat aus einem schwarzen Tann
An einen stillen Wiesensaum.
Und auf der stillen Wiese stand
Rings Mohn bei Mohn und unbewegt,
Und war bis an den fernsten Rand
Der rote Teppich hingelegt.
Und auf dem roten Teppich lag,
Von tausend Blumen angeblickt,
Ein schöner, müder Sommertag,
Im ersten Schlummer eingenickt.
Ein Hase kam im Sprung. Erschreckt
Hat er sich tief ins Kraut geduckt,
Bis an die Löffel zugedeckt,
Nur einer hat herausgeguckt.
Kein Hauch. Kein Laut. Ein Vogelflug
Bewegte kaum die Abendluft.
Ich sah kaum, wie der Flügel schlug,
Ein schwarzer Strich im Dämmerduft.
[69] Es war einmal, ich weiß nicht wo.
Ein Traum vielleicht. Lang' ist es her.
Ich seh' nur noch, und immer so,
Das stille, rote Blumenmeer.

Märchen.

In deiner lieben Nähe
Bin ich so glücklich. Ich mein',
Ich müßte wieder der wilde,
Selige Knabe sein.
Das macht deiner süßen Jugend
Sonniger Frühlingshauch.
Ich hab' dich so lieb. Und draußen
Blühen die Rosen ja auch.
O Traum der goldenen Tage!
Herz, es war einmal.
Abendwolken wandern
Über mein Jugendtal.

Daß der Tod uns heiter finde.

Laßt uns Blumen pflücken gehn,
Letzte Astern, späte Rosen.
Morgen werden Stürme tosen
Und den bunten Schmuck verwehn.
Auch den Becher holt hervor,
Fröhlich laßt uns sein und trinken.
Morgen werden Schatten sinken,
Und es schweigt der laute Chor.
Wißt ihr wo ein holdes Kind,
Teilt mit ihm die letzten Blüten!
[70] Die noch heut in Liebe glühten,
Morgen sind die Augen blind.
Scherzt und küßt und trinkt und lacht,
Eh' wir uns zum Abschied rüsten.
Drüben winkt von fremden Küsten
Eine sternenlose Nacht.
Horch. Schon meldet sich ihr Wehn.
Daß der Tod uns heiter finde!
Singend unterm Kranzgewinde
Laßt uns ihm entgegengehn.

Stranddistel.

Das Fräulein ging am Meeresstrand
Durch weißen, bleichen Sand, bis rot
Ein schüchtern Blümchen sich ihr bot,
Sie brach's und warf es aus der Hand.
Und bückte nach der Distel sich,
Die rauh und grau daneben stand.
Die trotzte ihrer kleinen Hand
Und wehrte sich mit scharfem Stich.
Sie brach sie doch und ging und sang
Ein müdes Lied mit müdem Mund,
Das überm abendschwarzen Sund
Im Wind verwehte und verklang.

Das Grab.

Ein frischer Hügel ist's, darauf
Drei rote Tulpen flammen.
Zwei schwarze Taxusstauden stehn
Und stecken die Köpfe zusammen.
[71] Und tuscheln über ein weißes Kreuz,
Darauf mit Gold geschrieben
Ein Mädchenname, darunter ein
Spruch vom himmlischen Lieben.
Wer hat das junge Ding gekannt?
Wer zündete die drei roten
Flammen über ihr Bettlein an? –
Was kümmern mich die Toten.
Ich hab' zu Haus ein krankes Weib,
Der will ich drei Rosen bringen,
Drei rote Rosen, und will ihr leis
Ein Lied vom Leben singen.

Späte Rosen.

Jahrelang sehnten wir uns,
Einen Garten unser zu nennen,
Darin eine kühle Laube steht
Und rote Rosen brennen.
Nun steht das Gärtchen im ersten Grün,
Die Laube in dichten Reben.
Und die erste Rose will
Uns all ihre Schönheit geben.
Wie sind nun deine Wangen so blaß
Und so müde deine Hände.
Wenn ich nun aus den Rosen dir
Ein rotes Kränzlein bände,
Und setzte es auf dein schwarzes Haar,
Wie sollt' ich es ertragen,
Wenn unter den leuchtenden Rosen hervor
Zwei stille Augen klagen.
[72]

Zwei.

Drüben du, mir deine weiße
Rose übers Wasser zeigend,
Hüben ich, dir meine dunkle
Sehnsüchtig entgegenneigend.
In dem breiten Strome, der uns
Scheidet, zittern unsre blassen
Schatten, die vergebens suchen
Sich zu finden, sich zu fassen.
Und so stehn wir, unser Stammeln
Stirbt im Wind, im Wellenrauschen,
Und wir können nichts als unsre
Stummen Sehnsuchtswinke tauschen.
Leis, gespenstisch, zwischen unsern
Dunklen Ufern schwimmt ein wilder
Schwarzer Schwan, und seltsam schwanken
Unsre blassen Spiegelbilder.

Ludwig Finckh.

Geboren am 21. März 1876 zu Reutlingen. – Fraue du, du Süße 1900. Rosen 1905.

Einer Frau.

Das dank' ich dir:
Ein Lächeln auf dem Munde,
Die Rosen da, und hier
Die leise Wunde.
Das dank' ich dir,
Ein Glück im Todeshauche:
Daß ich mich nicht vor mir
Zu schämen brauche.
[73]

Abendhimmel.

Tiefdunkelroter Scharlachschein
Versickerte an Wolkenreihn,
Die klar von Silber flossen.
Der Himmel war wie roter Wein.
Was mochte dort zu feiern sein?
Wer hat den Wein vergossen?

Geschenk.

Dies schick' ich dir, mein Liebling, zum Geburtstag.
Zwei weiße Tauben, deren weich Gefieder
In einem Tempel Indiens geleuchtet,
Und deren Kropf mit edlem Hanf gefüllt war,
Den braune Mädchen auf den Feldern pflückten.
Sie sangen leise, dachten an den Liebsten.
Sei diesen Tauben gut, sie sind wie Schneefall,
Bevor er noch die weiße Erde küßte,
Und ohne Makel, nimm sie auf die Schulter,
Beglücke sie an deiner Wang' zu schlafen,
Die weich und schneeig ist wie ihr Gefieder,
Und sich im Nest zu träumen in der Heimat.
Nimm Wischi und Schiwinda gütig auf.
In Simla waren sie der Liebe Götter,
Und alles Volk lag täglich auf den Knien
Und betete. Sie schnäbelten sich zärtlich.
Ich raubte sie, an deine Wange denkend.
Dies schick' ich dir, mein Liebling, heute früh
Durch einen braunen Boten, windbeflügelt
Und stumm, mit einem Körbchen morgenfrischer
Feuriger Küsse. Laß sie dir gut munden.

[74]

Cäsar Flaischlen.

Geboren am 12. Mai 1864 zu Stuttgart; lebte in Berlin, wo er am 16. Oktober 1920 starb. – Nachtschatten 1884. Vom Haselnußroi 1891. Von Alltag und Sonne 1898. Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens 1900.

So regnet es sich langsam ein …

So regnet es sich langsam ein und immer kürzer wird der Tag und immer seltener der Sonnenschein.
Ich sah am Waldrand gestern ein paar Rosen stehn ..
gib mir die Hand und komm … wir wollen sie uns pflücken gehn ..
Es werden wohl die letzten sein!

Hab Sonne …

Hab Sonne im Herzen,
Ob's stürmt oder schneit,
Ob der Himmel voll Wolken,
Die Erde voll Streit!
Hab Sonne im Herzen,
Dann komme was mag!
Das leuchtet voll Licht dir
Den dunkelsten Tag!
Hab ein Lied auf den Lippen,
Mit fröhlichem Klang,
Und macht auch des Alltags
Gedränge dich bang!
Hab ein Lied auf den Lippen,
Dann komme was mag!
Das hilft dir verwinden
Den einsamsten Tag!
[75] Hab ein Wort auch für andre
In Sorg' und in Pein
Und sag, was dich selber
So frohgemut läßt sein:
Hab ein Lied auf den Lippen,
Verlier nie den Mut,
Hab Sonne im Herzen,
Und alles wird gut!

Ich habe Nächte …

Ich habe Nächte dafür geopfert,
Ich habe Herzblut daran gegeben,
Und feige Buben nun kommen und heben
Die Hand auf gegen das fertige Werk.
–  –  – Das schmerzt!
Und doch:
Glückt euch, es wirklich zu zertrümmern, … gut!
Dann war's nicht echt!
Dann glückte mir nicht, was ich wollte …
Und .. ihr .. habt .. recht!

Einem Kinde.

Sei nicht traurig,
Sei nicht traurig …
Es ist heute nur
So trübe,
Es ist heute nur
So schwer!
Morgen blitzt die Sonne wieder,
Rosen leuchten weiß und rot,
[76] Und mit lauter Lerchenliedern
Jubelt's in den hellen Morgen,
Jubelt's in den blauen Himmel
Siegreich über Leid und Not …
Quillt und schwillt mit jungen Kräften,
Quillt und schwillt mit junger Lust
Lebenswarm dir in die Brust;
Weckt und wappnet deine Seele
Glaubensfroh zu neuer Wehr …
Sei nicht zag drum,
Sei nicht traurig …
Es ist heute nur
So trübe,
Es ist heute nur
So schwer!

Februarschnee …

Februarschnee
Tut nicht mehr weh,
Denn der März ist in der Näh'!
Aber im März
Hüte das Herz,
Daß es zu früh nicht knospen will!
Warte, warte und sei still!
Und wär' der sonnigste Sonnenschein,
Und wär' es noch so grün auf Erden,
Warte, warte und sei still:
Es muß erst April gewesen sein,
Bevor es Mai kann werden!
[77]

Ganz still zuweilen …

Ganz still zuweilen wie ein Traum
Klingt in dir auf ein fernes Lied ..
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
Du weißt nicht, was es von dir will …
Und wie ein Traum ganz leis und still
Verklingt es wieder, wie es kam …
Wie plötzlich mitten im Gewühl
Der Straße, mitten oft im Winter
Ein Hauch von Rosen dich umweht,
Oder wie dann und wann ein Bild
Aus längstvergessenen Kindertagen
Mit fragenden Augen vor dir steht …
Ganz still und leise, wie ein Traum …
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
Du weißt nicht, was es von dir will,
Und wie ein Traum ganz leis und still
Verblaßt es wieder, wie es kam.

Spruch.

Lieber auf eigene Rechnung
Ein Lump sein,
Als ein feiner Herr
Auf Pump sein!
Dieweil:
Wer ein solcher auf Pump ist,
Nicht 'mal ein ehrlicher Lump ist.

[78]

Irene Forbes-Mosse.

Geboren am 5. August 1864 in Baden-Baden. – Mezzavoce 1901. Peregrinas Sommerabende 1904. Das Rosentor 1905.

Gehen und Bleiben.

Mancher ist betrübt gegangen
In die Winternacht hinaus,
Sah mit zehrendem Verlangen
Heller Fenster freundlich Prangen,
Lichterfülltes, warmes Haus.
Hinter jenen hellen Scheiben
Sah ein anderer ihm nach,
Starrte in das Flockentreiben …
„Freiheit“, seufzt er, aber „Bleiben,
Bleiben“ stöhnt das schwere Dach!

Eine Widmung.

Mein Herz so ganz in dir beglückt,
Mit Märchenblumen ausgeschmückt,
Ein dir geweihter Schrein:
Wenn auch die Früchte nicht gereift,
Weil sie der Frost zu früh gestreift,
Die Blüten waren dein, mein Herz,
Die Blüten waren dein.

Die fremde Blume.

So lange blieb sie festgeschlossen, stille,
Als wäre alle Kraft in ihr erstorben,
Es fehlte ihr zum Blühen Lust und Wille,
Seit der berühmte Gärtner sie erworben.
Sie stand im Garten rein und wohlgehalten,
Ein Paradies mit grünlackierten Kannen,
[79] Wo alle Blumen pünktlich sich entfalten
Und Menschenhände sie auf Stäbe spannen.
Man warf sie endlich fort, ein armes Mädchen
Stellt' sie aufs Fensterbrett im kleinen Zimmer,
Die Tauben gurrten dort am grünen Lädchen,
Der Kirchturm schien so nah im Abendflimmer,
Doch Menschenstimmen klangen nur von ferne,
Und rings versank des Lebens Hast und Mühen,
Ein warmer Regen fiel, dann zündeten die Sterne
Ihr Freundeslicht … da fing sie an zu blühen!

Der Brunnen.

Ich saß im Glühn der toten Mittagsstunde,
Und alles Leben schien so blaß und weit,
Die Götter träumten um mich in der Runde,
Der Brunnen flüsterte: „Trink und gesunde,
Ich bin das Wasser der Vergessenheit!“
Ich saß in Nacht und schickte die Gedanken
In jene Tage, da wir froh und jung,
Ich sah den Silberstrahl im Mondlicht schwanken:
„Trinkt nicht, trinkt nicht, ihr armen Fieberkranken,
Ich bin das Wasser der Erinnerung!“

Madlena.

Das Kind Madlena hat so hell gesungen,
Als sie im Haselholz sich Nüsse las,
Wie eine Spindel sich im Tanz geschwungen
Bei Glühwurms Leuchten, überm Wiesengras.
Das Kind Madlena hörte fremde Zungen,
[80] Als sie im Mittagsschein beim Springbrunn saß …
Die düstern Gärten haben sie verschlungen,
Fern tönt ihr Stimmchen wie gesprungnes Glas!

Leo Greiner.

Geboren am 1. April 1876 zu Brünn in Mähren. – Das Tagebuch 1906.

Liebe.

Wir sind zwei Schatten, die aus Welt und Welt
An einem Eschenbaum zusammentrafen.
Wir glitten einsam im entrückten Feld
Und suchten späte Herberg, um zu schlafen.
Und standen einen tiefen Augenblick
Uralt bekannt uns gegenüber
Und grüßten uns und wuchsen bis ans Glück.
Dann sanken wir hinüber und herüber,
Zerfallend in die alte Nacht zurück.

Unter den Menschen.

Ich hab' es nie so tief gewußt,
Was heimlich webt, wo Menschen mich umdrängen:
Was ich im Wind verschüttet, Rausch und Lust,
Was ich an Leid begrub auf stillen Gängen,
Flutet von euch zurück in meine Brust.
Dann bin ich wie ein Baum im Abendwehn,
Von dem ein trunkner Schatten niederschwebt,
Ich seh' verworrn in meinem Schatten gehn
Viel Menschenleben, die ich selbst gelebt:
Ein wildes Jahr, im Rausch zu Grab gelenkt,
Ein Wintermond, drin Herdschein mir gefunkelt,
Ein grauer Tag, den ich an Gott verschenkt,
Ein goldner Abend, trauerüberdunkelt.
[81] Was ich im Wein vergaß, im Abend litt,
Trägt Brust um Brust in ihre Stille mit.
Und leis zerrinnt des Schattens blaue Pracht
Und einsam wie ein Wald rauscht tiefe Nacht.
Hugo v. Hofmannsthal

Leben.

Und immer fremder sind mir Tag und Räume …
Was weht um mich? Man sagt: ein Menschenwort.
Was rauscht um mich? Man sagt: die dunkeln Bäume,
Die rauschen noch seit deiner Kindheit fort.
Und Gärten stehn im abendlichen Land,
Ihr Schatten grüßt mich kühl und altbekannt.
Ich aber wandre dunkel fort, im Innern
Ein uralt Schattenbild, das leise weint.
Die nenn' ich Mutter, diesen nenn' ich Freund
Und lächle tief und kann mich nicht erinnern.

Regenabend.

Wenn kalt der Regen um die Fenster stiebt,
Der Nebel wankend übern Berg gefunden,
Der Sumpf die Schatten meiner Wiesen trübt,
Spür' ich: in diesen grau-verschlafnen Stunden
Nimmt vieles Abschied, das ich sehr geliebt,
Ich kann die Wanderstimmen nicht erkennen,
Die dunkle Worte rufen über Feld,
Das Sterben nicht mit Namen nennen,
Das jetzt verhüllt durchwandert meine Welt.
Ich weiß nur: irgendwo im Sternenschein
Neigt ein geliebtes Haupt sich dunkler Sünde,
Ein Herz wird kalt, ein Baum verlischt im Winde,
In einem Becher welkt der kühle Wein,
[82] Und alles geht und winkt und schwindet fern,
Im Grau verrieselt auch der letzte Stern.

Der Schatten.

Zwischen mir und meinem trunknen Leben
Wärmt ein Schatten sich an meiner Glut.
Wünschend saust mein ungestilltes Blut,
Doch er raubt mir schon im Niederschweben
Jeden Traum und jedes goldne Gut.
Meiner Schätze waren funkelnd viele,
Doch ich fühl' an meines Bechers Rand
Seines Schattenmundes wilde Kühle
Und am Griffe seine Schattenhand.
Schritt ich so verloren in die Lande,
Ließ mein Wandern keine Spur zurück.
Seine Spuren, halb verweht im Sande,
Sah mein schauernd rückgewandter Blick.
Selbst von meines Schlummers Grunde heben
Seine Hände jeden Schatz der Lust:
Schlafen muß ich steinern, traumbewußt
Zwischen mir und meinem trunknen Leben.

Reife.

Nacht, die aus den Sternen quillt,
Schmieg dich fester um mein Leben!
Was genommen und gegeben,
Ist vollendet und erfüllt.
Wie ein Brunnen ist mein Blick:
Alle Eimer, die sich hoben,
Kehren überfüllt von oben
Mit gekühltem Licht zurück.

[83]

Otto Erich Hartleben.

Geboren am 3. Juni 1864 zu Clausthal am Harz, studierte Jura, wurde Referendar, gab die juristische Laufbahn auf und lebte, nachdem er seinen Aufenthalt früher zumeist in Berlin gehabt hatte, zuletzt am Gardasee, wo er als Präsident der Akademie für unangewandte Wissenschaften zu Salò am 11. Februar 1905 starb. – Pierrot lunaire 1892. Meine Verse 1895. Von reifen Früchten 1903. Der Halkyonier 1903.

Funkelt dein Auge noch?

Die du so fern bist in der großen Stadt,
Ich grüße dich, die mein vergessen hat.
Einst hast du meiner Tag und Nacht gedacht,
Stunden des Glücks mit mir verbracht, verlacht;
Froh unter Scherzen schlossen wir den Bund –
Funkelt dein Auge noch, und lacht dein Mund?

Lili.

… Als ich dann wieder in die Heimat kam –
Im Frühling war's, die Hyazinthen blühten –
Da war sie tot – von fremden, kalten Menschen
Hinausgetragen in ein kahles Grab. – –
Ich fand es nicht. Langsam ging ich zurück
In ihre Wohnung. Ihre feiste Wirtin
Sprach schmunzelnd: „Gott! Die Menschen sind nicht rar.
Nicht eine Woche stand ihr Zimmer leer!
Jetzt wohnt ein allerliebstes Chansonettlein
Darin – ganz jung noch – mit so lustigen Füßchen.
Woll'n Sie sie sehn?“
–  – Und ich erfuhr, wie sie gestorben war.
Vor ihren Augen, während sie in Qualen
Ohnmächtig dalag, hatten – ihre Schwestern
Begierig ihrer Habe sich bemächtigt:
[84] Sparkassenbücher, Kleider, Schmuck und Wäsche
Aus allen Kästen sich hervorgesucht
Und umgepackt in einen großen Korb. –
Da .. hatte sie den bleichen Kopf erhoben
Von ihrem Kissen, hatte sich verwundert
Mit großen, schwarzen Augen umgeschaut
Und hatte .. gelächelt …
–  – Mir ist .. als ob ich dieses Lächeln sähe!

Die jubelnd nie …

Die jubelnd nie den überschäumten Becher
Gehoben in der heiligen Mitternacht,
Und denen nie ein dunkles Mädchenauge,
Zur Sünde lockend, sprühend zugelacht –
Die nie den ernsten Tand der Welt vergaßen
Und freudig nie dem Strudel sich vertraut –
O sie sind klug, sie bringen's weit im Leben …
Ich kann nicht sagen, wie mir davor graut!

Ellen.

Mein armer Kopf lag still in deinem Schoß
Und dachte, dachte, bis er müde wurde.
Du hattest deine leichte, milde Hand
Auf meine Stirn gelegt und warst entschlafen;
Und gar ein Zauber schien mir auszugehn
Von deinen weißen Fingern: Frieden sandten
Sie nieder in mein Hirn, und allgemach
Sah ich den Schlaf in heitrer Ruhe nahn,
Und mir ward leicht, als schlief' ich in den Tod.
[85]

Das welke Blatt.

In ihren Locken haftete ein welkes Blatt,
Als ich mit ihr den alten Berg herniederstieg
Zum letztenmal. Verstohlne Freude war es mir,
Das braune Blatt im wirren braunen Haar zu sehn,
Den stillen Zeugen stillgenoßner, heiliger Lust,
Und heimlich, glücklich lächelnd schritt ich neben ihr,
Indes ein schwellend Säuseln durch die Kronen ging.
Und eh' wir noch das erste Haus der Stadt erreicht,
Stahl ich ihr sacht das braune Blatt vom stolzen Haupt.
Und da ich nun nach ihren lieben Augen sah,
Die ehrsam schon und sittig wieder schauten drein,
Hob fragend sie den Blick empor: was nahmst du da?
Ich zeigt' es schweigend. – Eine dunkle Welle Bluts
Floß über ihr schamhaftes Antlitz. Aber dann
Schien plötzlich sie der heißen Wünsche eingedenk –
Ein jäher Blitz hingebungsschwüler, starker Glut
Traf mich, es zitterten die offenen Lippen ihr,
Und überwältigt bebte mir das bange Herz!
Ich faßte zuckend ihre Hand und preßte sie
An meinen Mund und küßte sie zum letztenmal,
Indes ein schwellend Säuseln durch die Kronen ging.

Liebesode.

Im Arm der Liebe schliefen wir selig ein.
Am offnen Fenster lauschte der Sommerwind,
Und unsrer Atemzüge Frieden
Trug er hinaus in die helle Mondnacht. –
Und aus dem Garten tastete zagend sich
Ein Rosenduft an unserer Liebe Bett
[86] Und gab uns wundervolle Träume,
Träume des Rausches – so reich an Sehnsucht!

Gesang des Lebens.

Groß ist das Leben und reich!
Ewige Götter schenkten es uns,
Lächelnder Güte voll,
Uns den Sterblichen, Freudegeschaffnen.
Aber arm ist des Menschen Herz!
Schnell verzagt, vergißt es der reifenden Früchte.
Immer wieder mit leeren Händen
Sitzt der Bettler an staubiger Straße,
Drauf das Glück mit den tönenden Rädern
Leuchtend vorbeifuhr.

Im Lande der Torheit.

Im Lande der Torheit küßt' ich die Hände der schönen Fraun,
Sie waren schmeichelnd und weiß, mit blitzenden Ringen geschmückt.
Ich lachte wohl auch beim lieblich klingenden, lockenden Wort,
Und eitel genoß ich des eigenen spielenden Übermuts.
Doch immer wieder irrte mein Blick ins Leere ab:
Ich sah und fühlte die Hände meiner lieben Frau,
Die weich und still in ruhender Güte sich nach mir
Hersehnen aus der Ferne – deine Hände, die
Allein die Wirrnis dumpfen Wollens je gebannt –
Und ich gedachte jener Stunde, da mir einst
Im Tode diese Hände stummen Trost verleihn.
[87]

Denkst du daran …

Denkst du daran, wie du zum erstenmal
Aus deiner Heimatberge düsterm Forst
Aus dunklem Tannengrün des hohen Harzes
Als Knabe niederschautest in die Ebne? –
Die Welt ist bunt! so riefst du jauchzend aus.
Da dehnten sich die farbigen Felderstreifen
Vor dir hinab wie Blätter eines Fächers,
Entfaltet an den runden, sanften Hügeln –
Und also farbig rings die weite Welt!
Und reichlicher und dreimal leuchtender
Als drinnen in den schwarzen Tannenwäldern
Schien drüberhin das Sonnengold zu gluten …
Die Welt ist bunt! – O wär' sie bunt geblieben.

Der Abenteurer.

Hier ist das Land. So rudert denn den Kahn zurück
Und meldet den Gefährten: Ich betrat mein Reich,
Als Fürsten sehen sie mich wieder, oder nie. –
Was steht ihr noch und zaudert? Laßt mich nun allein,
Allein mit meinem guten Schwert und meinem Roß –
Nun werb' ich in der Fremde mir die eigene Schar. –
Lebt wohl! – dem wandelbaren Meere kehr' ich heut
Den Rücken zu – mein Auge sucht die Burgen auf,
In deren Mauern sich der Feige sicher fühlt.
Mein Auge sucht am Horizonte seinen Feind. –
Der Huftritt meines Rosses klingt an morsch Gebein,
An Menschenschädel – mich zu schrecken sind sie wohl
Vom Schicksal auf des Reiches Schwelle ausgestreut?
Zerstampfe sie, mein Schwarzer, stampfe über sie hinweg:
Sie waren nicht, der ich bin – darum fielen sie.
[88]

Elegie.

Du meines Blutes Unruh', heimliche Liebste du,
Die du verstohlen nur die dunklen Blicke schenkst,
O laß aus deinen schweren Flechten braune Nacht
Um meine Sinne strömen – laß Vergessenheit
Sich breiten über niegestillte Lust und Qual.
Ich seh' uns wandeln unterm kahlen Winterwald,
Ins Morgenrot, durch streifende Lüfte ging der Weg.
Wir Frohen schritten Hand in Hand und beteten stumm
Und glaubten an den Frühling, als der Schnee noch lag …
– Du sollst nicht weinen – gib mir deine liebe Hand! –
Der Frühling kam, uns beide fand er nicht vereint;
In Sommernächten duftete süß der Lindenbaum –
Wir aber durften nicht in Liebe beisammen sein.
Nun ward es wieder Winter und es starrt der Schnee.
Doch still aus Schmerzen sprießt uns wohl ein spätes Glück,
Das leise webt und langsam um uns beide her.
Laß uns umhüllt von deinen braunen Haaren sein,
Du meines Blutes Unruh', heimliche Liebste du.

Kinderköpfchen.

In scheuer Lust – doch nimmermehr verschämt –
Hobst du die runden, weißen Arme auf
Und dehntest sie empor und suchtest blinzelnd
Dein Bild im Spiegel …
Ich aber stand entfesselt hinter dir
Und sah in deinen vollen, blanken Schultern
Die beiden Grübchen …
Da beugt' ich mich auf diesen Nacken nieder
Zum Kuß …
[89] Es ward mir klar, wie du den Göttern still
Vertraut – gar innig wohl befreundet bist.
Wenn sie dir nahen, tupfen sie dir leise
Mit leichtem Finger auf dies schwellende Rund –
Und also lieblich, Menschensinn verwirrend,
Blieb ihres Grußes Spur in deinem Fleisch.

Walter Hasenclever.

Geboren am 8. Juli 1890 zu Aachen. – Der Jüngling 1913. Tod und Auferstehung 1917.

Die Todesanzeige.

Als ich erwachte heut morgen aus dumpf bekümmertem Traum,
Schwebte ein leiser Engel im Dunkel durch meinen Raum.
Ich las einer Mutter Wort, wo die Todesberichte sind:
„Mein irrgeleitetes, desto inniger geliebtes Kind.“
Da neigte zu meinem Bette sich viele Trauer hin:
Ich weiß, daß ich auch verirrt, das Kind einer Mutter bin.
Da sah ich den Scheitel des andern, der hilflos ins Elend sank.
Ich sah ihn verliebt, betrunken, von schrecklichem Aussatz krank.
Ist er nicht auch gestanden in Nacht und Vorstadt allein,
Hat aus heißen Augen geweint in den Fluß hinein?
Ist oft durch Gassen geschlichen, wo Rotes und Grünes glüht,
Fröhlich am Abend gezogen, gestorben am Morgen müd.
Mußte in Häusern essen mit Menschen, feindlich und fremd,
Schlafen in kalten Gemächern, frierend, ohne Hemd, –
[90] Die Mutter hat ihm geholfen mit Wäsche und etwas Geld;
Alles ist gut geworden. Sie hat ihn geliebt auf der Welt.
Mein Bruder unter den Sternen: Ich hab deine Armut erkannt.
Begnadet hast du dich zu mir in dieser Stunde gewandt.
Nun strömt dein lächelnder Atem nicht mehr in Gold und Polar,
Nicht mehr im Sturm der Gewitter entzündet sich kindlich dein Haar;
Sieh – in der Todesstunde deiner Mutter ewiges Wort;
Es trägt auf silbernen Flügeln dich aus der Vergessenheit fort.
Eh ich nun öffne die Läden nach schwerer, trauriger Nacht:
Mein Bruder unter den Sternen! Wie hast du mich glücklich gemacht.

Mein Jüngling, du …

Mein Jüngling, du, ich liebe dich vor allen,
Du bist mein eigen Bild, das mir erscheint!
Ich sehe dich in manchen Teufelskrallen;
Gewiß, du bist nicht glücklich, hast geweint.
Du liebst zu schmerzlich oder harrst vergebens,
Dein Vater, deine Wirtin macht dir Qual,
Du zuckst in der Verwildrung deines Lebens,
Dein Geist wird bürgerlich, dein Kopf wird kahl.
Willst du nicht mit mir gehn und mich erhören!
Sieh, auf die gleichen Klippen schwimm ich ein.
Einst auf Prärien, jetzt in Geisterchören
Will ich dich rufen und will bei dir sein!
[91]

Sterbender Unteroffizier im galizischen Lazarett.

Kleine Schwester Irene,
Bei den Cholerakranken;
Lila Blumen sanken
Auf Abendkähne.
Särge wachsen. Sturm.
Antreten. Trommel. Tod.
Offizier an Grabes Turm
Schnarrt Ehre, Gebot.
Weißer hinter Hügeln
Lemberg, Freude scheint.
Automobile flügeln.
Baracken blutbeweint.
Ärzte ohne Narkose,
Beine ab, zerstampft.
Kleine Schwester, Rose,
Sei den Toten sanft!

Weiß ich, daß Stunden …

Weiß ich, daß Stunden, in ungezählten,
Pariserinnen sind auf den Boulevards;
Daß klein in Zimmern und gequälten,
Eine Arbeiterin steht, goldenen Haars?
Ist mir im Park, durch den ich gehe,
Ein Gefühl von Rot oder Blau –
Berg und Fluß mit sinkender Nähe,
Das Gesicht einer alternden Frau?
Bei der Baronin Porzellan und Eise
Hypnotisiert mich elektrischer Draht;
Kirmes dreht sich, Feuerwerksrad,
[92] Denn es münden in gleiche Kreise
Meer und Spur und kindliche Weise,
Die man am Abend vernommen hat.
Aber keine der funkelnden Gesten
Wird mich erhalten, wird mich betrügen;
Bin ich ein Vogel, müde von Flügen,
Schwebend in der Wolke des Falls:
Steigen unten aus Tänzen und Festen
Die verschlungenen Kurven des Alls.

Daß von Geheimnissen …

Daß von Geheimnissen, die uns umtönten,
Keins mehr in dem vergangenen Geiste lebt;
Daß von Begierden, Tanz und Mädchen, denen wir frönten,
Kaum ein Strumpf noch, ein Busen an uns vorüberschwebt.
Daß wir nie mehr unsern ersten Band Gedichte
Wachsen sehn aus den Buchläden der heimischen Stadt,
Als der Ruhm schon unsterblich die großen Gesichte
Im Käfig des kleinen, blauen Umschlags entzündet hat.
Freunde! Wir standen in Liverpool auf den Brücken,
Sahen die transatlantischen Dampfer im Riesenmeer;
Saßen im Damensalon und atmeten mit Entzücken
Goldne Tische gekräuselt im Dufte von Rosen und Teer.
Dann fuhr die gewaltige Fracht des Ozeaniden
Langsam aus wehenden Tüchern, Musik, vielen Tränen fort,
Wir erlebten in Versen die Abenteuer und schieden;
Schlummer, Schultag wieder empfing uns am alten Ort.
Sind wir die gleichen Straßen wie jene gezogen?
[93] Ferne schon den stürmenden Kränzen entrückt,
In eroberter Stadt auf dem höchsten Bogen
Stehn wir, über die fliehende Wolke unsrer Erinnerung gebückt.
Südseeinseln sind uns gebaut auf spiegelndem Grunde,
Nah ist Liebe und Schmerz, die Flucht aus des Vaters Haus,
Es steigen in einer begeisterten Stunde
Viele Verlorene dankbar aus den Kanälen heraus.
Wenn der Leuchttürme einst entzündetes Feuer
Nicht mehr durch die toten Gefilde bricht:
Ihr Gefährten des Lebens, wie seid ihr uns teuer,
Da wir wandeln in des entfremdeten Mondes Licht.

1917.

Halte wach den Haß. Halte wach das Leid.
Brenne weiter am Stahl der Einsamkeit.
Glaub nicht, wenn du liest auf deinem Papier,
Ein Mensch ist getötet, er gleicht nicht dir.
Glaub nicht, wenn du siehst den entsetzlichen Zug
Einer Mutter, die ihre Kleinen trug
Aus dem rauchenden Kessel der brüllenden Schlacht,
Das Unglück ist nicht von dir gemacht.
Heran zu dem elenden Leichenschrein,
Wo aus Fetzen starrt eines Toten Bein.
Bei dem fremden Mann, vom Wurm zernagt,
Falle nieder, du, sei angeklagt.
Empfange die ungeliebte Qual
Aller Verstoßnen in diesem Mal.
[94] Ein letztes Aug', das am Äther trinkt,
Den Ruf, der in Verdammnis sinkt;
Die brennende Wildnis der schreienden Luft,
Den rohen Stoß in die kalte Gruft.
Wenn etwas in deiner Seele bebt,
Das dies Grauen noch überlebt,
So laß es wachsen, auferstehn
Zum Sturm, wenn die Zeiten untergehn.
Tritt mit der Posaune des Jüngsten Gerichts
Hervor, o Mensch, aus tobendem Nichts!
Wenn die Schergen dich schleppen aufs Schafott,
Halte fest die Macht! Vertrau auf Gott:
Daß in der Menschen Mord, Verrat
Einst wieder leuchte die gute Tat;
Des Herzens Kraft, der Edlen Sinn
Schweb am gestirnten Himmel hin.
Daß die Sonn, die auf Gute und Böse scheint,
Durch soviel Ströme der Welt geweint,
Gepulst durch unser aller Schlag,
Einst wieder strahle gerechtem Tag.
Halte wach den Haß. Halte wach das Leid.
Brenne weiter, Flamme! Es naht die Zeit.

[95]

Adolf von Hatzfeld.

Geboren am 3. September 1892 zu Olpe i. W. – „An Gott“ 1919.

Die letzte Nacht.

Jetzt, da ich zehn Jahrtausende durchwacht,
Empfängt mich endlich meine letzte Nacht.
Es rauscht ein Meer. Das Land ist warm und weit.
Der Wind ist nur ein Hauch der Ewigkeit.
Es kreist ein Mond geheimnisvoll nach oben,
Er hat sich sanft aus meinem Herzen losgehoben.
Jetzt, da ich zehn Jahrtausende vollbracht,
Ist mir der Sinn nur Schlaf und dunkle Nacht.
Die Zeit, die ging, ist dunkel wie die Nacht.
Sie fiel ins Meer. Ein tiefes Wort, das kam,
Ist tiefster Trug und angefüllt von Scham.
Ich wache in des Weltalls Atem diese Nacht
Und werde wieder Acker, draus mich Gott gemacht.
Ich höre, wie die Sonne rast zum Rand der Nacht.
Da fangen viele Sonnen an, aus mir sich loszuheben.
Und kreisen leicht aus meinem letzten Leben.
Es wächst ein großer Schein auf allen Wegen,
Und zu der Erde spreche ich den letzten Segen:
„O Erde, Erde, die du trankst mein Blut,
Wie warst du voller Süße und wie gut,
Daß du mich mit den Händen an die Pole angeschlagen,
Und ich dich wie ein Kreuz durchs Leben mußte tragen.
Ich war dein Acker, du Erde, du pflügtest ihn gut.
Aus allen Poren erschoß mein Blut.
Jahrtausende rollten, zerrissen das Herz in der Brust,
Zerrissen die Liebe, die Qual, den Stolz und die Lust,
Bis ich um deines Erdinnern Feuer gewußt,
Bis ich den großen Planeten in Liebe umpreßt.
[96] Noch über mein letztes Sterben halt ich dich fest.
So nehmt, ihr springenden Bäche, aus mir euern Lauf.
Es blühen aus meinem Blute alle Blumen auf.
Ich grüne und dufte aus jedem Rosenstrauch
Und bin die Frucht in dem goldenen Sonnenrauch,
Und bin das Eine, das All, bin Tod und Geburt.
O sing meinen Dank, du kleine Hummel, die surrt,
Umfliege dankend die Erde, die mich getragen hat.
Sieh, meine Seele ist müde wie ein herbstliches Blatt.
Gesegnet seist du Welt, gesegnet jeder Strauch,
In dem jetzt Gott verbrennt im roten Rauch.“

Grüner Sommer.

Die Hand ganz lang im Grase ausgebreitet
Und hoch vor ihr die Welt, sich selbst geschenkt.
Es steigt mein Blut, es sinkt mein Blut,
Zu fernem Meere tief verbunden hingelenkt.
Wie tut das Blut sich gut in dieser ausgeschwärmten Ruhe.
So flach ist mein Gesicht, ganz ausgeweitet.
Gott selbst liegt neben mir und ruht sich aus.
Auf mich senkt sich die Müdigkeit des Blaus,
Und in dem Sonnenfieber meiner Sinne
Staut schläfrig sich das dunkle Blut.
Wie einer Grille Geigen klingt mir Gottes Wort,
Wie Bachgelächter hier: „Die Welt ist gut“,
Und lächelnd trägt es mich ins Träumen fort.
Gott rekelt sich in dieser ausgeschwärmten Ruhe.
Ein Reh kommt sanft an ihm vorbeigezogen.
Ein Käfer ist ihm ins Gesicht geflogen.
Heupferdchen springt vom Gras auf seine Schuhe
Und zirpt an ihm vorbei: „Erschrick, erschrick!“
[97] Gott aber ist nach tausend Schöpfungsjahren
Zum ersten Tag der Ruhe ausgefahren,
Und lächelnd ruht auf seiner Welt der Blick.
Ich wache auf. Der Donner grollt.
Mein Blut hat ausgetollt.
Mein Mut wird nicht verführt. Es schweigt der Wille.
Und eine Grille geigt von neuem mich in eine grüne Stille.

Frühlingsmond.

Noch hängt ein scheues Vogellied im dünnen Laubgeäste
Und wird ein großer Wind. Mit mächtiger Gebärde
Stößt die Erde, die längst den heißen Saft
In Millionen Samenkörner preßte,
Geburten aus in Mutterleidenschaft
Und trägt den ewigen Rhythmus ihrer Riesenkraft,
Die ewige Not, zum Jubel eines ewigeren Werde.
Jetzt bäumen Meere ihre Pantherleiber.
Die Sterne stürzen zum Planetenball.
In diesen Nächten stöhnen tausend Weiber
Und werfen tausend Kinder in das All.
Der Hochgebirge Wollust sind Lawinen.
Die Quellen sind der Täler Blütenlauf.
Den Duft von Wäldern tragen junge Bienen,
Und Tage tauen blau zu Blumen auf.
Geliebte gehn mit weißen Brüstehügeln
Und einem Lächeln, das von selbst begann,
Durch süße Nächte, gehen wie mit Flügeln
Und tragen sich wie ein Geschenk zum Mann.
Ein scheues Vogellied hängt noch im Laubgeäste.
Vom Horizonte schwebt der junge Mond
Wie eine Knospe, die sich zärtlich schont,
[98] Und horch, der Vogel ruht in seinem Neste.
Der Knospenmond blüht erst zum Sommerfeste.
So schwimmt er sanft auf taubenblauem Dunst.
Der Abend, der die Seelensehnsucht an ihn preßte,
Verheißt uns schon die Rose seiner Gunst.

Abend am See.

Schon taucht der Mond aus dem entzückten Bade
Der Wellen leis zur Silberbahn empor.
In unsern Herzen schwingt die große Gnade.
Wir sitzen seligruhend am Gestade
Und leihn dem Schweigen das geweihte Ohr.
O wunschlos stille Stunde, die ich fast verlor
In meines Lebens Kampf und Qual und Hast,
Sieh unser Herz in Demut eingefaßt
Und sei der Seelen seltner schöner Gast.
Die Nacht erduftet von des Mondes Blüte
So grenzenlos. Andächtig atmen wir.
Der Sternenhimmel deiner großen Güte
Ist sanft wie sie und leise über mir.
Aus wunden Händen haben wir die Ruder
Zurückgelegt in das bewegte Boot.
Nach unsres Lebens Haß und Schuld und Not
Nennst den Geliebten still du deinen Bruder.

Du Gott.

Du Gott, ich hasse dich in meinen schwersten Stunden,
Der wie Gebirge mir auf meiner Seele wuchtet.
Die Erde meines Leibes reißt du auf in Wunden.
Zu tiefer Täler hartem Abgrund schluchtet
[99] Mir deine schwere Hand die schönen runden
Kugeln der leichten Tage. Die ihr Gott verfluchtet,
In jeder Not von tausend Todesstunden
Steht Gott vor euch, den ihr so leicht versuchtet.
Und dieses weiß ich, daß ich dein bin, dein, ganz dein.
Was frommt es, zu entfliehn zu leichten Tänzerein,
Zur Heiterkeit der Fraun, zu einem Fest?
Aus meinem Haß hörst du nur Liebe schrein,
Daß ich ganz dein bin, dein in Pein und Tänzerein,
Daß ich dein Acker bin, dein Feind, dein Glanz und Fest.

Der Teich.

Nur der Wind weiß, wie ich einsam leide,
Wie die Luft, der Himmel mich beschwert.
Bruder Wind, wir flogen einmal beide
Durch die Luft und durch den Himmel hin.
Unsres Fliegens Wollust war gemeinsam.
Ewige Fernen haben uns genährt.
Wasserwolken haben mich getragen,
Bis in Regenfunken ewig einsam
Ich vom Wolkenflug zur Erde glitt.
Bruder Wind, nimm du jetzt meine Klagen,
Wie die leichten Wolken meine Seele,
Meine schöne Seele, mit.

Max Herrmann.

Geboren am 23. Mai 1886 zu Neiße. – Verbannung 1919.

Dein Haar hat Lieder …

Dein Haar hat Lieder, die ich liebe,
Und sanfte Abende am Meer –
[100] O glückte mir die Welt! O bliebe
Mein Tag nicht stets unselig leer!
So kann ich nichts, als matt verlegen
Vertrösten oder wehe tun,
Und von den wundersamsten Wegen
Bleibt mir der Staub nur auf den Schuhn.
Und meine Träume sind wie Diebe,
Und meine Freuden frieren sehr –
Dein Haar hat Lieder, die ich liebe,
Und sanfte Abende am Meer.

Osterlied.

Alle Frühlingsbläue,
Jedes frische Feld,
Wenn ich ohne Reue
Schwärmend mich erfreue
An der warmen Welt:
Wird in deinen lichten
Gliedern höchstes Glück,
Und in himmlisch schlichten,
Dämmernden Gedichten
Bleibt sein Duft zurück!

Trostlied der bangen Regennacht.

Keine Furcht der Erde
Kann uns bange tun:
Sieh, wie sanft die Pferde
Wang' an Wange ruhn!
[101] Ganz allein gelassen
In der bittern Nacht,
Wo der Wind die blassen
Weiden zittern macht,
Wo ein siecher Regen
Bös, sehnsüchtig rinnt,
An viel fremden Wegen
Bettler flüchtig sind,
Ruhn sie Wang' an Wange,
Wie Erlöste ruhn,
Keine Furcht kann bange
Ihrer Inbrunst tun.
Alles, was sie leiden,
Schlummert Haupt an Haupt –
Und die blassen Weiden
Stehn wie lenzbelaubt.

Liebe nur kann ewig sein.

Gottes Krallenhand zerreißt den kranken
Abendhimmel der verhaßten Stadt,
Aus der Sterne welken Rosenranken
Schüttelt er des Monds vergilbtes Blatt.
Jäh ist wie von fieberschweren Fäusten
Alles Licht der Straßen abgewürgt,
In den goldnen Augen seiner treusten
Türme sich das letzte Dunkel birgt.
Der Paläste fahles Glas erblindet,
Und der Park bricht taumelnd in die Knie,
Mit entseeltem Todesseufzer schwindet
Der zermalmten Plätze Melodie.
[102] Und das Schlüpfrige verfemter Keller
Speit sein krüppelhaftes Krächzen aus –
Gottes Heilandshand bedeckt mit schneller
Zärtlichkeit das letzte Vorstadthaus.
Wird zum Streicheln über der Ruine
Einer Schädelstätte, die ihn rührt,
Daß zum Aufgang seiner Liebesmiene
Eines Segnenden Gebärde führt.

Hermann Hesse.

Geboren am 2. Juli 1877 zu Calw im Schwarzwald. – Gedichte 1902. Musik des Einsamen 1915.

Der schwarze Ritter.

Ich reite stumm aus dem Turnier,
Ich trage aller Siege Namen.
Ich neige mich vor dem Balkon der Damen
Tief. Aber keine winkt nach mir.
Ich singe zu der Harfe Ton,
Aus der die tiefen Laute steigen.
Alle Harfner lauschen und schweigen,
Aber die holden Frauen sind entflohn.
In meines Wappens schwarzem Feld
Sind hundert Kränze aufgehangen,
Die gold von hundert Siegen prangen.
Aber der Kranz der Liebe fehlt.
An meinem Sarge werden sich bücken
Ritter und Sänger und werden ihn
Mit Lorbeer bedecken und bleichem Jasmin,
Aber keine Rose wird ihn schmücken.
[103]

Nach Paul Verlaine.

Ich träume wieder von der Unbekannten,
Die schon so oft im Traum vor mir gestanden.
Wir lieben uns, sie streicht das wirre Haar
Mir aus der Stirn mit Händen wunderbar.
Und sie versteht mein rätselhaftes Wesen
Und kann in meinem dunklen Herzen lesen.
Du fragst mich: ist sie blond? Ich weiß es nicht.
Doch wie ein Märchen ist ihr Angesicht.
Und wie sie heißt? Ich weiß nicht. Doch es klingt
Ihr Name süß, wie wenn die Ferne singt –
Wie eines Name, den du Liebling heißt
Und den du ferne und verloren weißt.
Und ihrer Stimme Ton ist dunkelfarben
Wie Stimmen von Geliebten, die uns starben.

Elisabeth.

Ich soll erzählen,
Die Nacht ist schon spät –
Willst du mich quälen,
Schöne Elisabeth?
Daran ich dichte
Und du dazu,
Meine Liebesgeschichte
Ist dieser Abend und du.
Du mußt nicht stören,
Die Reime verwehn.
Bald wirst du sie hören,
Hören und nicht verstehn.
[104]

Die frühe Stunde.

Silbern überflogen
Ruhet das Feld und schweigt,
Ein Jäger hebt seinen Bogen,
Der Wald rauscht und eine Lerche steigt.
Der Wald rauscht und eine zweite
Steigt auf und fällt.
Ein Jäger hebt seine Beute,
Und der Tag tritt in die Welt.

Lady Rosa.

Du mit der Stirne voller Licht,
Du mit den wunderbaren
Braunaugen und den seidnen Haaren,
Ich kenne dich! Du aber kennst mich nicht.
Du mit dem klaren Angesicht,
Du Zarte mit deinen leisen,
Fremdländischen, süßen Liederweisen,
Ich liebe dich! Du aber kennst mich nicht.

Fiesole.

Über mir im Blauen reisen
Wolken, die mich heimwärts weisen.
Heimwärts in die namenlose Ferne,
In das Land des Friedens und der Sterne.
Heimat! Soll ich deine blauen
Schönen Ufer niemals schauen?
Dennoch ist mir, hier im Süden müßten
Nah sein und erreichbar deine Küsten.

[105]

Georg Heym.

Geboren am 30. Oktober 1887 zu Hirschberg in Schlesien; ertrank am 16. Januar 1912 beim Eislaufen in der Havel bei Schwanenwerder, in der Umgebung Berlins. – Der ewige Tag 1911. Umbra vitae 1912.

Die Seefahrer.

Die Stirnen der Länder, rot und edel wie Kronen,
Sahen wir schwinden dahin im versinkenden Tag,
Und die rauschenden Kränze der Wälder thronen
Unter des Feuers dröhnendem Flügelschlag.
Die zerflackenden Bäume mit Trauer zu schwärzen,
Brauste ein Sturm. Sie verbrannten wie Blut,
Untergehend, schon fern. Wie über sterbenden Herzen
Einmal noch hebt sich der Liebe verlodernde Glut.
Aber wir trieben dahin, hinaus in den Abend der Meere.
Unsere Hände brannten wie Kerzen an.
Und wir sahen die Adern darin, und das schwere
Blut vor der Sonne, das dumpf in den Fingern zerrann.
Nacht begann. Einer weinte im Dunkel. Wir schwammen
Trostlos mit schrägem Segel ins Weite hinaus.
Aber wir standen am Borde im Schweigen beisammen,
In das Finstre zu starren. Und das Licht ging uns aus.
Eine Wolke nur stand in den Weiten noch lange,
Ehe die Nacht begann in dem ewigen Raum,
Purpurn schwebend im All, wie mit schönem Gesange
Über den klingenden Gründen der Seele ein Traum.

Alle Landschaften haben …

Alle Landschaften haben
Sich mit Blau erfüllt.
Alle Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.
[106] Leichte Geschwader, Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels dahinter
Zergehen in Wind und Licht.
Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen,
Mit leichten Füßen herein.
Zimbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.

Ophelia.

I.

Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
Und die beringten Hände auf der Flut
Wie Flossen, also treibt sie durch die Schatten
Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.
Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt,
Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein.
Warum sie starb? Warum sie so allein
Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt?
Im dichten Röhricht steht der Wind. Er scheucht
Wie eine Hand die Fledermäuse auf.
Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht,
Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf,
Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal
Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint
[107] Auf ihrer Stirn. Und eine Weide weint
Das Laub auf sie und ihre stumme Qual.

II.

Korn. Saaten. Und des Mittags roter Schweiß.
Der Felder gelbe Winde schlafen still.
Sie kommt, ein Vogel, der entschlafen will.
Der Schwäne Fittich überdacht sie weiß.
Die blauen Lider schatten sanft herab.
Und bei der Sensen blanken Melodien
Träumt sie von eines Kusses Karmoisin
Den ewigen Traum in ihrem ewigen Grab.
Vorbei, vorbei. Wo an das Ufer dröhnt
Der Schall der Städte. Wo durch Dämme zwingt
Der weiße Strom. Der Widerhall erklingt
Mit weitem Echo. Wo herunter tönt
Hall voller Straßen, Glocken und Geläut.
Maschinenkreischen. Kampf. Wo westlich droht
In blinde Scheiben dumpfes Abendrot,
In dem ein Kran mit Riesenarmen dräut,
Mit schwarzer Stirn, ein mächtiger Tyrann,
Ein Moloch, drum die schwarzen Knechte knien.
Last schwerer Brücken, die darüber ziehn
Wie Ketten auf dem Strom, und harter Bann.
Unsichtbar schwimmt sie in der Flut Geleit,
Doch wo sie treibt, jagt weit den Menschenschwarm
Mit großem Fittich auf ein dunkler Harm,
Der schattet über beide Ufer breit.
Vorbei, vorbei. Da sich dem Dunkel weiht
Der westlich hohe Tag des Sommers spät,
[108] Wo in dem Dunkelgrün der Wiesen steht
Des fernen Abends zarte Müdigkeit.
Der Strom trägt weit sie fort, die untertaucht,
Durch manchen Winters trauervollen Port.
Die Zeit hinab. Durch Ewigkeiten fort,
Davon der Horizont wie Feuer raucht.

Deine Wimpern, die langen …

Deine Wimpern, die langen,
Deiner Augen dunkle Wasser,
Laß mich tauchen darein,
Laß mich zur Tiefe gehn.
Steigt der Bergmann zum Schacht
Und schwankt seine trübe Lampe
Über der Erze Tor,
Hoch an der Schattenwand,
Sieh, ich steige hinab,
In deinem Schoß zu vergessen,
Fern was von oben dröhnt,
Helle und Qual und Tag.
An den Feldern verwächst,
Wo der Wind steht, trunken vom Korn,
Hoher Dorn, hoch und krank
Gegen das Himmelsblau.
Gib mir die Hand,
Wir wollen einander verwachsen,
Einem Wind Beute,
Einsamer Vögel Flug,
[109] Hören im Sommer
Die Orgel der matten Gewitter,
Baden in Herbsteslicht,
Am Ufer des blauen Tags.
Manchmal wollen wir stehn
Am Rand des dunklen Brunnens,
Tief in die Stille zu sehn,
Unsere Liebe zu suchen.
Oder wir treten hinaus
Vom Schatten der goldenen Wälder,
Groß in ein Abendrot,
Das dir berührt sanft die Stirn.
Göttliche Trauer,
Schweige der ewigen Liebe.
Hebe den Krug herauf,
Trinke den Schlaf.
Einmal am Ende zu stehen,
Wo Meer in gelblichen Flecken
Leise schwimmt schon herein
Zu der September Bucht.
Oben zu ruhn
Im Hause der dürftigen Blumen,
Über die Felsen hinab
Singt und zittert der Wind.
Doch von der Pappel,
Die ragt im Ewigen Blauen,
Fällt schon ein braunes Blatt,
Ruht auf dem Nacken dir aus.

[110]

Peter Hille.

Geboren am 11. September 1854 zu Erwitzen in Westfalen, wurde Schriftsteller, führte ein unruhiges Leben, hielt sich in London und Holland auf und lebte dann zumeist in Berlin. Er starb zu Schlachtensee bei Berlin am 7. Mai 1904. – Gesammelte Werke 1904.

Maienwind.

Mutwillige Mädchenwünsche
Haben Flieder
Niedergebogen,
Blauen und weißen.
Wie Tauben sind sie weitergeflogen,
Mit Wangen, wilden und heißen.
Hoch in warmen, schelmischen Händen
Haschender Sonne
Geschwungene Strahlen.
Hellbehende Wonne
Weißer Kleider
Weht.
Mutwillige Mädchenwünsche
Haben sich Flieder
Niedergebogen,
Blauen und weißen, –
Sind weitergezogen …

Brautseele.

Das Gewand meiner Seele zittert im Sturm deiner Liebe,
Wie tief im Hain
Das Herz des Frühlings zittert.
Ja, du mein heftiges Herz,
Wir haben Frühling!
Auf einmal ist nun alles Blühen da!
[111] Meine freudigen Wangen
Sind aufgegangen
Fromm nach deinen Küssen.
Gefährlich bist du, o Frühling,
Und verwirrt;
Wie von heftiger Süße
Prangenden Weines
Pocht meine Seele.
Wie er so sinnend mich streichelt
Mit seinen Strahlen allen,
Und schlafen möchte ich
Immerzu.
So träume ich vom eigenen Blute
Und bin so wach
Von mir,
So erschrocken,
Wie man wohl aufhorcht
Im flüsternden Herzen der Nacht.
Wie Sterne, die nicht schlafen können,
Stehn meine Augen!
Und bin doch so müde,
So sonderbar müde.
Sind wir Mädchen nicht alle so sonderbar müde
Um diese Zeit?
Das macht, du bist um uns,
Du bist ein Zauberer.
In Bäumen und Menschen
Zauberst du
Ein Sehnen und Dehnen,
Ein müdes, verlangendes Gähnen.
Ja, ja, ihr Gespielinnen,
Der kennt euch!
[112] Vor ihm kann kein Geheimnis bestehen,
Er ist ja Weib wie ihr
Und eine heimliche, schelmische Stärke.
Frühling, sag, was machst du mit uns,
Daß wir alle so sprossend müde sind?
Wir fühlen dich ganz in uns.
Du durchtönst uns,
Tust mit uns ganz das Leben!
Ja, wir beben Leben!
Fromm atmet in uns eine Andacht,
Und wohlig will es werden
Rings auf der sprossenden Erden.
Wie wir uns regen,
Da ist immer ein heimliches Bewegen.
Da ist die Quelle ein rieselnder Spiegel,
Der uns erquickt und uns darreicht,
Da ist der Spiegel eine bleibende Quelle,
Und immer wird uns leise
Süß von uns;
So zeigt es uns, verrät es uns,
Wie süß wir sind
Für den einen, andern.
O komm!
Ich bin ja so süß
Nach dir!
O komm!
Ich bin ja so schön
Nach dir!
Ich, deine lebendige,
Deine wartende Zier,
Vergehe nach dir!
[113] Jeden Tag kommt Alter, kommt Welken, –
O komm!
Komm du dem Alter, dem Welken zuvor!
Ein Sehnen geht in allen Blumen
Und will dich holen mit Farben und Duft,
Und alles, was schön ist auf dieser Weltwiese,
Ist nur aus Sehnen und Liebe schön.
Lieblich schlau
Üben wir Schönheit
So lange vor euch,
Bis daß ihr kommt!
Schüchtern, schelmisch
Spielt sich unsere arme
Lodernde Seele
Hin vor euch!
Dann, dann!
Dann kommen zwei lodernde Sonnen
In meinen Tag;
Du mein doppelter Tag
Mit deinen beiden Sonnen!
Du! du!
Und deine Hand!
Meines Mundes duftende Blüte
Vergeht vor deiner Güte.
Und meine Wangen
Sind aufgegangen,
Wie meine Flechten
Vor deiner Rechten!
Ja, du hast recht, glätte sie nur,
Du meine wirrglühende Sonne!
Rufe, locke alles heraus
Aus deiner Erde, du mein Lenz!
[114] Du hast ja gleich zwei Sonnen,
Und eine brauchen wir nur am Himmel.
Und diese beiden Sonnen erzählen dich mir
Wie du aufgewachsen und wo du
Gewachsen für mich!
Wie der heilige Wein Palästinas
Den Heiland mir ansagt,
Sein Seelenfrühlicht,
Sein wärmendes Wandeln.
O, wie da alles aufsteht!
Feierlich, rauschend!
Vorbereitend!
O komm!
Ich bin ja so schön nach dir!
O laß mich weinen
Tränen der Braut,
Tränen, du Böser,
Daß ich so lange warten mußte auf dich!
Das tut so wohl!
Meine Seele badet.
Dann kommt sie zu dir.
Ja?
Arno Holz

Waldesstimme.

Wie deine grüngoldnen Augen funkeln,
Wald, du mosiger Träumer!
Wie deine Gedanken dunkeln,
Einsiedel, schwer von Leben,
Saftseufzender Tagesversäumer!
Über der Wipfel Hin- und Wiederschweben
Wie's Atem holt und voller wogt und braust
[115] Und weiter zieht –
und stille wird –
und saust.
Über der Wipfel Hin- und Wiederschweben
Hoch droben steht ein ernster Ton,
Dem lauschten tausend Jahre schon
Und werden tausend Jahre lauschen …
Und immer dieses starke, donnerdunkle Rauschen.

An Gott.

Deine Himmel sind mir viel zu süß:
Gib mir, mit freier Brust zu ragen,
Mit dir die Welten zu ertragen,
Wo du bist!

Abbild.

Seele meines Weibes, wie zartes Silber bist du.
Zwei flinke Fittiche weißer Möwen
Deine beiden Füße.
Und dir im lieben Blute auf
Steigt ein blauer Hauch
Und sind die Dinge darin
Alle ein Wunder.

Prometheus.

Entgegengeschmiedet
Auf schroffem Fels
Den Pfeilen der Sonne,
Dem Hagelgeprassel,
Trotz' ich, Olympier, dir.
Der wiederwachsenden Leber
[116] Zuckende Fibern
Hackt mir des Geiers Biß
Aus klaffender Wunde.
Ein Wimmern, glaubtest,
Olympier, du,
Würden die rauschenden Winde
Ins hochaufhorchende
Ohr dir tragen?
Nicht reut mich der Mensch,
Der Leben und Feuer mir dankt,
Nicht fleh' ich Entfeßlung von dir.
Jahrhunderte will ich
Felsentrotzig durchdauern,
Jahrtausende,
Wenn dir die Lust nicht schwindet,
Wenn der Trotzende nicht
Zu glücklich dir scheint.

Abendröte.

Sieh da droben die Rosen! Ein glüher Jubel!
Die Wangen der Nacht
In Scharlach und Purpurpracht.
Nun ist da droben Hochzeit:
Die Königskinder des Himmelreiches.
Strenge Augen erster Schönheit,
Frieden frierend,
Wie vor kämpfend heißen Rosen
Wundern an den schweren Schmuck goldspielender Brokate,
Des Samtes tiefenweiches Blut,
Gebettet in des Schnees nachtgeflammte,
Flockenzarte Wärme: den hehren Hermelin.
[117] Die Kränze nehmen sie von herben Scheiteln ab
Und heben Bechertau an ihres Lebens
Rötlich reine Kelche,
Und verwunden
Die Verklärung
Saftigherber Früchte.
Des strengen Lagers scheue Falten warten ..
Wie entsetzlich ist Schönheit! ..
Wie eine Siegesfahne hält
Der Himmel
Des Lebens leuchtendrote Brunst mit aller seiner Adlermacht.
Der Sieger sinkt.
Die Nacht fällt in den Wein.
Selige Grüße.
Bläulicher Flieder.
Ist das ein Grüßen!
Wirbelnde Lieder
Wehen herüber, –
Stürben lieber.
Seligsein – und das heißt büßen.

Hugo von Hofmannsthal.

Geboren am 1. Februar 1874 in Wien. – Gesammelte Gedichte 1907.

Vorfrühling.

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
[118] Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.
Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten,
Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt,
Er glitt durch die Flöte
Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei,
Er flog mit Schweigen
Durch flüsternde Zimmer
Und löschte mit Neigen
Der Ampel Schimmer.
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehen
Blasse Schatten
[119] Und den Duft,
Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern nacht.

Die Beiden.

Sie trug den Becher in der Hand,
Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand.
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.
So leicht und fest war seine Hand:
Er saß auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.
Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.

Ballade des äußeren Lebens.

Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
Und alle Menschen gehen ihrer Wege.
Und süße Früchte werden aus den herben
Und fallen nachts wie tote Vögel nieder
Und liegen wenig Tage und verderben.
Und immer weht der Wind, und immer wieder
Vernehmen wir und reden viele Worte
Und spüren Lust und Müdigkeit der Glieder.
[120] Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte
Sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen
Und drohende, und totenhaft verdorrte …
Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen
Einander nie? und sind unzählig viele?
Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?
Was frommt das alles uns und diese Spiele,
Die wir doch groß und ewig einsam sind
Und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?
Was frommt's, dergleichen viel gesehen haben?
Und dennoch sagt der viel, der „Abend“ sagt,
Ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt
Wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.

Manche freilich …

Manche freilich müssen drunten sterben,
Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
Andre wohnen bei dem Steuer droben,
Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.
Manche liegen immer mit schweren Gliedern
Bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
Andern sind die Stühle gerichtet
Bei den Sibyllen, den Königinnen,
Und da sitzen sie wie zu Hause,
Leichten Hauptes und leichter Hände.
Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
In die anderen Leben hinüber,
Und die leichten sind an die schweren
Wie an Luft und Erde gebunden:
[121] Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
Kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
Noch weghalten von der erschrockenen Seele
Stummes Niederfallen ferner Sterne.
Viele Geschicke weben neben dem meinen,
Durcheinander spielt sie alle das Dasein,
Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
Schlanke Flamme oder schmale Leier.

Terzinen über Vergänglichkeit.

Noch spür' ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt
Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind,
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.
Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war,
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar.
So eins mit mir als wie mein eignes Haar.

Erlebnis.

Mit silbergrauem Dufte war das Tal
Der Dämmerung erfüllt, wie wenn der Mond
Durch Wolken sickert. Doch es war nicht Nacht.
Mit silbergrauem Duft des dunkeln Tales
Verschwammen meine dämmernden Gedanken,
[122] Und still versank ich in dem webenden
Durchsicht'gen Meere und verließ das Leben.
Wie wunderbare Blumen waren da,
Mit Kelchen dunkelglühend! Pflanzendickicht,
Durch das ein gelbrot Licht wie von Topasen
In warmen Strömen drang und glomm. Das Ganze
War angefüllt mit einem tiefen Schwellen
Schwermütiger Musik. Und dieses wußt' ich,
Obgleich ich's nicht begreife, doch ich wußt' es:
Das ist der Tod. Der ist Musik geworden,
Gewaltig sehnend, süß und dunkelglühend,
Verwandt der tiefsten Schwermut.
Aber seltsam!
Ein namenloses Heimweh weinte lautlos
In meiner Seele nach dem Leben, weinte,
Wie einer weint, wenn er auf großem Seeschiff
Mit gelben Riesensegeln gegen Abend
Auf dunkelblauem Wasser an der Stadt,
Der Vaterstadt vorüberfährt. Da sieht er
Die Gassen, hört die Brunnen rauschen, riecht
Den Duft der Fliederbüsche, sieht sich selber
Ein Kind am Ufer stehn, mit Kindesaugen,
Die ängstlich sind und weinen wollen, sieht
Durchs offne Fenster Licht in seinem Zimmer –
Das große Seeschiff aber trägt ihn weiter,
Auf dunkelblauem Wasser lautlos gleitend
Mit gelben, fremdgeformten Riesensegeln.

Dein Antlitz …

Dein Antlitz war mit Träumen ganz beladen.
Ich schwieg und sah dich an mit stummem Beben.
Wie stieg das auf! daß ich mich einmal schon
In frühern Nächten völlig hingegeben
[123] Dem Mond und dem zuviel geliebten Tal,
Wo auf den leeren Hängen auseinander
Die magern Bäume standen und dazwischen
Die niedern kleinen Nebelwolken gingen
Und durch die Stille hin die immer frischen
Und immer fremden silberweißen Wasser
Der Fluß hinrauschen ließ, wie stieg das auf!
Wie stieg das auf! Denn allen diesen Dingen
Und ihrer Schönheit, die unfruchtbar war,
Hingab ich mich in großer Sehnsucht ganz,
Wie jetzt für das Anschaun von deinem Haar
Und zwischen deinen Lidern diesen Glanz!

Terzinen.

Wir sind aus solchem Zeug, wie das zu Träumen,
Und Träume schlagen so die Augen auf
Wie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,
Aus deren Krone den blaßgoldnen Lauf
Der Vollmond anhebt durch die große Nacht.
.. Nicht anders tauchen unsre Träume auf,
Sind da und leben, wie ein Kind, das lacht,
Nicht minder groß im Auf- und Niederschweben
Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.
Das Innerste ist offen ihrem Weben,
Wie Geisterhände in versperrtem Raum
Sind sie in uns und haben immer Leben.
Und drei sind eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum.
[124]

Der Jüngling in der Landschaft.

Die Gärtner legten ihre Beete frei,
Und viele Bettler waren überall,
Mit schwarzverbundnen Augen und mit Krücken,
Doch auch mit Harfen und den neuen Blumen,
Dem starken Duft der schwachen Frühlingsblumen.
Die nackten Bäume ließen alles frei:
Man sah den Fluß hinab und sah den Markt
Und viele Kinder spielen längs den Teichen.
Durch diese Landschaft ging er langsam hin
Und fühlte ihre Macht und wußte, daß
Auf ihn die Weltgeschicke sich bezogen.
Auf jene fremden Kinder ging er zu
Und war bereit, an unbekannter Schwelle
Ein neues Leben dienend hinzubringen.
Ihm fiel nicht ein, den Reichtum seiner Seele,
Die frühern Wege und Erinnerung
Verschlungner Finger und getauschter Seelen
Für mehr als nichtigen Besitz zu achten.
Der Duft der Blumen redete ihm nur
Von fremder Schönheit, und die neue Luft
Nahm er stillatmend ein, doch ohne Sehnsucht:
Nur daß er dienen durfte, freute ihn.

Aus „Der Tod des Tizian“.

Gianino spricht:
Mir war, als ginge durch die blaue Nacht,
Die atmende, ein rätselhaftes Rufen.
Und nirgends war ein Schlaf in der Natur.
Mit Atemholen tief und feuchten Lippen,
So lag sie, horchend in das große Dunkel,
[125] Und lauschte auf geheimer Dinge Spur.
Und sickernd, rieselnd kam das Sterngefunkel
Hernieder auf die weiche, wache Flur.
Und alle Früchte schweren Blutes schwollen
Im gelben Mond und seinem Glanz, dem vollen,
Und alle Brunnen glänzten seinem Ziehn,
Und es erwachten schwere Harmonien.
Und wo die Wolkenschatten hastig glitten,
War wie ein Laut von weichen, nackten Tritten …
Leis stand ich auf – ich war an dich geschmiegt –
Da schwebte durch die Nacht ein süßes Tönen,
Als hörte man die Flöte leise stöhnen,
Die in der Hand aus Marmor sinnend wiegt
Der Faun, der da im schwarzen Lorbeer steht,
Gleich nebenan, beim Nachtviolenbeet.
Ich sah ihn stehen still und marmorn leuchten;
Und um ihn her im silbrig Blauen, Feuchten,
Wo sich die offenen Granaten wiegen,
Da sah ich deutlich viele Bienen fliegen,
Und viele saugen, auf das Rot gesunken,
Von nächt'gem Duft und reifem Safte trunken.
Und wie des Dunkels leiser Atemzug
Den Duft des Gartens um die Stirn mir trug,
Da schien es mir wie das Vorüberschweifen
Von einem weichen, wogenden Gewand
Und die Berührung einer warmen Hand.
In weißen, seidig weißen Mondesstreifen
War liebestoller Mücken dichter Tanz,
Und auf dem Teiche lag ein weicher Glanz
Und plätscherte und blinkte auf und nieder.
Ich weiß es heut nicht, ob's die Schwäne waren,
Ob badender Najaden weiße Glieder,
Und wie ein süßer Duft von Frauenhaaren
[126] Vermischte sich dem Duft der Aloe …
Und was da war, ist mir in eins verflossen:
In eine überstarke, schwere Pracht,
Die Sinne stumm und Worte sinnlos macht.

Aus „Der Abenteurer und die Sängerin“.

Der Baron spricht:
Ich will hier Feste geben. Schaff mir Löwen,
Die Blumensträuße aus dem Rachen werfen!
Vergoldete Delphine stell vors Tor,
Die roten Wein ins grüne Wasser spein!
Nicht drei, nicht fünf, zehn Diener nimm mir auf
Und schaff Livreen. An den Treppen sollen
Drei Gondeln hängen voller Musikanten
In meinen Farben.
Ich will den Kampanile um und um
In Rosen und Narzissen wickeln. Droben
Auf seiner höchsten Spitze sollen Flammen
Von Sandelholz, genährt mit Rosenöl,
Den Leib der Nacht mit Riesenarmen fassen.
Ich mach' aus dem Kanal ein fließend Feuer,
Streu so viel Blumen aus, daß alle Tauben
Betäubt am Boden flattern, so viel Fackeln,
Daß sich die Fische angstvoll in den Grund
Des Meeres bohren, daß Europa sich
Mit ihren nackten Nymphen aufgescheucht
In einem dunkleren Gemach versteckt
Und daß ihr Stier geblendet laut aufbrüllt!
Mach Dichterträume wahr, stampf aus dem Grab
Den Veronese und den Aretin,
Spann Greise vor, bau eine Pyramide
Aus Leibern junger Mädchen, welche singen!
[127] Die Pferde von Sankt Markus sollen wiehern
Und ihre ehrnen Nüstern blähn vor Lust!
Die oben liegen in den bleiernen Kammern
Und ihre Nägel bohren in die Wand,
Die sollen innehalten und schon meinen,
Der Jüngste Tag ist da, und daß die Engel
Mit rosenen Händen und dem wilden Duft
Der Schwingen niederstürzend jetzt das Dach
Von Blei hinweg, herein den Himmel reißen! …
*  *  *
Derselbe spricht:
O hättest du gelernt wie ich zu leben,
Dir wäre wohl.
Ich achte diese Welt nach ihrem Wert,
Ein Ding, auf das ich mich mit sieben Sinnen
So lange werfen soll, als Tag' und Nächte
Mich wie ein ächzend Fahrzeug noch ertragen.
Leben! Gefangen liegen, schon den Tritt
Des Henkers schlürfen hörn im Morgengrauen
Und sich zusammenziehen wie ein Igel,
Gesträubt vor Angst und starrend noch von Leben!
Dann wieder frei sein! atmen! wie ein Schwamm
Die Welt einsaugen, über Berge hin!
Die Städte drunten, funkeln wie die Augen!
Die Segel draußen, vollgebläht wie Brüste!
Die weißen Arme! Die von Schluchzen dunklen
Verführten Kehlen! Dann die Herzoginnen
Im Spitzenbette weinen lassen und
Den dumpfen Weg zur Magd, du glaubst mir nicht?
Ich sage dir, es gibt nichts Lustigres
Als hier im Zimmer auf und nieder gehn,
[128] Sich Wein einschenken, essen, schlafen, küssen
Und draußen an der Tür den wilden Atem
Von einem gehen hören oder einer,
Die lauert und in der geballten Faust
Den Tod hält, deinen oder ihren Tod! …

Arno Holz.

Geboren am 26. April 1863 zu Rastenburg in Ostpreußen. Lebt seit 1875 in Berlin. – Buch der Zeit 1885. Phantasus I und II 1898 und 1899. Große „Insel“-Ausgabe 1916. Des berühmbten Schäffers Dafnis sälbst verfärtigte, sämbtliche Freß- Sauffund Venus-Lieder benebst angehänckten Auffrichtigen und Reuemächtigen Buß-Thränen 1904. Das ausgewählte Werk 1919.

Ein Abschied.

Sein Freund, der Türmer, war noch wach,
wie Silber gleißte das Rathausdach,
und drüber stand der Mond.
Er wußte kaum, wie schwer er litt,
doch schlug ihm das Herz bei jedem Schritt,
und das Ränzel drückte ihn.
Die Gasse war so lang, so lang,
und dazu noch die Stimme, die über ihm sang:
Wann's Mailüfterl weht!
Jetzt bog sich ein Fliederstrauch über den Zaun,
und die Mutter Gottes, aus Stein gehaun,
stand weiß vor dem Domportal.
Hier stand er eine Weile still
und hörte, wie eine Dohle schrill
hoch oben ums Turmkreuz pfiff.
Dann löschte links in dem kleinen Haus
der Löwenwirt seine Lichter aus,
und die Domuhr schlug langsam zehn.
[129] Die Brunnen rauschten wie im Traum,
die Nachtigall schlug im Lindenbaum,
und alles war wie sonst!
Da riß er die Rose sich aus dem Rock
und stieß sie ins Pflaster mit seinem Stock,
daß die Funken stoben, und ging.
Das Lämpchen flackerte rot überm Tor,
und der Wald, in den sich sein Weg verlor,
stand schwarz im Mondlicht da.
Er schritt und schritt, ein Käuzchen schrie,
die Farren reichten ihm bis übers Knie,
und der Sankt-Jakobs-Quell plätscherte …
Erst droben auf dem Heiligenstein
fiel ihm noch einmal alles ein,
als der Weg um die Buche bog.
Die Blätter rauschten, er stand und stand
und sah hinunter unverwandt,
wo die Dächer funkelten!
Dort stand der Garten und dort das Haus,
und jetzt war das aus, und jetzt war das aus,
und – die Dächer funkelten!
Sein Herz schlug wild, sein Herz schlug nicht fromm:
Wann i komm, wann i komm, wann i wiederkomm!
Doch er kam nie wieder.
Ricarda Ceconi-Huch

Ninon.

Ninon heißt sie. Ihre Mutter
handelt nachts mit Apfelsinen
an der Weidendammer Brücke.
Doch sie selbst ist Kammerkätzchen.
[130] Stöckelschühchen. Sehr kokett.
Sehr kokett sitzt auch ihr Häubchen,
das auf ihrem krausen Köpfchen
weiß und niedlich balanciert.
Doch der kleine Marmorschlingel,
der dem Spiegel visavis
grad vor einem Makartstrauß hockt,
läßt sich dadurch nicht verblüffen.
Immer, wenn ihr Pfauenwedel
ihn frühmorgens abstäubt, lacht er.
Ja, die Stutzuhr kann sogar
deutlich hören, was er sagt:
„Tu mir den Gefallen, Kind, und
kokettiere nicht so viel!
Ninon nennt die gnädige Frau dich?
Geh, du heißt ja gar nicht so!
Martha heißt du. Dein Papa
war der gnädige Herr von Dingsda.
Vor drei Wochen in Neuyork
starb er als Konditorlehrling.
Deine Mutter lebt. Sie schielt,
hinkt und schnupft. Im übrigen
handelt sie mit Apfelsinen
an der Weidendammer Brücke.“

Aus „Phantasus“.

Ihr Dach stieß fast bis an die Sterne,
vom Hof her stampfte die Fabrik.
Es war die richtige Mietskaserne
mit Flur- und Leiermannsmusik!
Im Keller nistete die Ratte,
[131] Parterre gab's Branntwein, Grog und Bier,
und bis ins fünfte Stockwerk hatte
das Vorstadtelend sein Quartier.
Dort saß er nachts vor seinem Lichte
– duck nieder, nieder, wilder Hohn! –
und fieberte und schrieb Gedichte,
ein Träumer, ein verlorner Sohn!
Sein Stübchen konnte grade fassen
ein Tischchen und ein schmales Bett;
er war so arm und so verlassen,
wie jener Gott aus Nazareth!
Doch pfiff auch dreist die feile Dirne,
die Welt, ihn aus: Er ist verrückt! –
ihm hatte leuchtend auf die Stirne
der Genius seinen Kuß gedrückt!
Und wenn, vom holden Wahnsinn trunken,
er zitternd Vers an Vers gereiht,
dann schien auf ewig ihm versunken
die Welt und ihre Nüchternheit.
In Fetzen hing ihm seine Bluse,
sein Nachbar lieh ihm trocknes Brot,
er aber stammelte: O Muse!
und wußte nichts von seiner Not.
Er saß nur still vor seinem Lichte,
allnächtlich, wenn der Tag entflohn,
und fieberte und schrieb Gedichte,
ein Träumer, ein verlorner Sohn!
*  *  *
Die Nacht liegt in den letzten Zügen,
der Regen tropft, der Nebel spinnt …
O, daß die Märchen immer lügen,
[132] die Märchen, die die Jugend sinnt!
Wie lieblich hat sich einst getrunken
der Hoffnung goldner Feuerwein!
Und jetzt? Erbarmungslos versunken
in dieses Elend der Spelunken –
O Sonnenschein! O Sonnenschein!
Nur einmal, einmal noch im Traume
laßt mich hinaus, o Gott, hinaus!
Denn süß rauscht's nachts im Lindenbaume
vor meines Vaters Försterhaus.
Der Mond lugt golden um den Giebel,
der Vater träumt von Mars-la-Tour,
lieb Mütterchen studiert die Bibel,
ihr Nestling koloriert die Fibel,
und leise, leise tickt die Uhr.
O goldne Lenznacht der Jasminen,
o wär ich niemals dir entrückt!
Das ewige Rädern der Maschinen
hat mir das Hirn zerpflückt, zerstückt!
Einst schlich ich aus dem Haus der Väter
nachts in die Welt mich, wie ein Dieb,
und heut – drei kurze Jährchen später! –
wie ein geschlagener Missetäter,
schluchz ich: Vergib, o Gott, vergib!
Wozu dein armes Hirn zerwühlen?
Du grübelst, und die Weltlust lacht!
Denn von Gedanken, von Gefühlen
hat noch kein Mensch sich satt gemacht!
Ja, recht hat, o du süße Mutter,
dein Spruch, vor dem's mir stets gegraust:
Was soll uns Shakespeare, Kant und Luther?
[133] Dem Elend dünkt ein Stückchen Butter
erhabner als der ganze Faust!

Vor meinem Fenster …

Vor meinem Fenster
singt ein Vogel.
Still hör ich zu; mein Herz vergeht.
Er singt,
was ich als Kind … so ganz besaß
und dann – vergessen!

Rote Rosen …

Rote Rosen
winden sich um meine düstre Lanze.
Durch weiße Lilienwälder
schnaubt mein Hengst.
Aus grünen Seeen,
Schilf im Haar,
tauchen schlanke, schleierlose Jungfraun.
Ich reite wie aus Erz.
Immer,
dicht vor mir,
fliegt der Vogel Phönix
und singt.
[134]

In einem Garten …

In einem Garten, unter dunklen Bäumen,
erwarten wir
die Frühlingsnacht.
Noch
glänzt kein Stern.
Die Büsche schweigen.
Plötzlich,
aus einem Fenster,
leise,
getragen, schwellend,
die tiefen, klaren, reinen, lichten,
glutend golddurchwirkten
Töne
einer Geige.
Der Goldregen blinkt,
der Flieder duftet,
in unseren Herzen – geht der Mond auf!

Aus weißen Wolken …

Aus weißen Wolken,
schwebend, schweigend, strahlend ins blitzende Blau hochsteigend,
schimmernd, flimmernd, baut sich ein Schloß!
Spiegelnde Seeen, selige Wiesen,
singende Brunnen aus tiefstem Smaragd!
In seinen hohen, gleißenden, glitzernden Hallen
wohnen
die alten Götter!
[135] Noch immer,
abends,
wenn die Sonne purpurn sinkt,
glühn seine Gärten;
vor ihren Wundern bebt mein Herz
und lange … steh ich.
Sehnsüchtig!
Dann naht die Nacht,
die Luft verlischt,
wie zitterndes Silber blinkt das Meer,
und über die ganze Welt hin
webt ein Duft … wie von Rosen!

Ricarda Huch.

Geboren am 18. Juli 1864 in Braunschweig, studierte in Zürich und wurde dort 1891 als eine der ersten Frauen zum Dr. phil. promoviert. – Gedichte 1891. Neue Gedichte 1907.

Sehnsucht.

Um bei dir zu sein,
Trüg' ich Not und Fährde,
Ließ' ich Freund und Haus
Und die Fülle der Erde.
Mich verlangt nach dir,
Wie die Flut nach dem Strande,
Wie die Schwalbe im Herbst
Nach dem südlichen Lande.
Wie den Alpsohn heim,
Wenn er denkt, nachts alleine,
An die Berge voll Schnee
Im Mondenscheine.
[136]

Unersättlich.

Ganz mit Frühling und Sonnenstrahl,
Klang und duftendem Blütenguß
Mein verlangendes Herz einmal
Füll mir, seliger Überfluß!
Gib mir ewiger Jugend Glanz,
Gib mir ewigen Lebens Kraft,
Gib im flüchtigen Stundentanz
Ewig wirkende Leidenschaft!
Aus dem Meere des Wissens laß
Satt mich trinken in tiefem Zug!
Gib von Liebe und gib von Haß
Meiner Seele einmal genug.
Gib, daß Tau der Erfüllung mir
In die Schale des Herzens fließt,
Bis sie, selber verschwendend, ihr
Überschäumendes Glück ergießt!

Du.

Seit du mir ferne bist,
Hab' ich nur Leid,
Weiß ich, was Sehnsucht ist
Und freudenlose Zeit.
Ich hab' an dich gedacht
Ohn' Unterlaß
Und weine jede Nacht
Nach dir mein Kissen naß.
[137] Und schließt mein Auge zu
Des Schlafes Band,
So wähn' ich, das tust du
Mit deiner weichen Hand.

Heimatlos.

Hör mich, Mutter, höre mich in deinem dunkeln Grabe,
Sage mir, wo ich Verirrter meine Heimat habe.
Wenn ich schlafe unter deinem Trauerweidenbaume,
Zeige mir das Land, das süße Vaterland, im Traume.
Laß mich meine Sterne sehen, eine milde Sonne
Durch das Meer des Himmels segeln, junger Saaten Wonne,
Und die Wasser jubelnd hoch von meinen Bergen stieben!
Meine Brüder, meine Schwestern zeig mir, die mich lieben.
Wär' der Weg auch noch so weit, ich will ihn gerne gehen;
Wär' er noch so hoch und steil, ich will ihn gern bestehen.
Denn ich mag nicht, mag nicht länger in der Fremde weilen,
Ich bin krank im Herzen, nur die Heimat kann mich heilen.
Käm' ich auch als Bettler zu der vielgeliebten Stelle,
Legen will ich mich auf meines Vaterhauses Schwelle;
Küsse werden, Tränen auf die alten Steine brennen,
Die mich besser als die Menschen in der Fremde kennen.
– „Kind, dein Vaterland ist ferne, und der Weg ist weiter,
Als die Erde weit ist, und die Nacht ist dein Begleiter.
An der Pforte wird die Ewigkeit dich still begrüßen
Und die Wanderschuh' dir lösen von den wunden Füßen.“ –
[138]

Erinnerung.

Einmal vor manchem Jahre
War ich ein Baum am Bergesrand,
Und meine Birkenhaare
Kämmte der Mond mit weißer Hand.
Hoch überm Abgrund hing ich
Windebewegt auf schroffem Stein.
Tanzende Wolken fing ich
Mir als vergänglich Spielzeug ein.
Fühlte nichts im Gemüte
Weder von Wonne noch von Leid,
Rauschte, verwelkte, blühte,
In meinem Schatten schlief die Zeit.

Verstoßen.

Ich weiß, daß ich sterben muß
An deinem Lieben.
Du hast mich ins Elend getrieben
Mit deinem Kuß.
Ich irre verbannt, allein
Und ohne Frieden,
Seit ich von der Welt mich geschieden,
Um dein zu sein.
Nie werd' ich mein Vaterland,
Das süße, schauen;
Nie wirst du den Herd für uns bauen
Mit froher Hand.
[139] Oft streckst du die Arme aus,
Wenn ich dir fehle.
So fern bin ich; nur meine Seele
Irrt um dein Haus.

Herbst.

Herbst ist es, siehst du die Blätter fallen?
Nicht wie die Welkenden fromm
Wollen wir beide zu Tode wallen –
Küsse mich, komm!
Wolkenjagd oben in fernen Räumen!
Köstlich und wonnevoll
Ist es, die Perlen vom Wein zu schäumen,
Übermutstoll.
Aber noch herrlicher ist's, zu schlürfen
Alles in einem Zug!
Größeste Fülle, doch dem Bedürfen
Nimmer genug!
Laß uns das weinleere Glas zerschmettern,
Komm von dem Gipfel ins Grab,
Gleich unverletzlichen ewigen Göttern
Lächelnd hinab!

Ankunft im Hades.

In des Hades Grüfte trat ein neuer Gast.
„Sei, Genosse, uns willkommen!
Sprich, was du vernommen
Auf der Erde schönen Fluren hast.
[140] Sprich uns von der vielgeliebten Sonne Glanz
Und von rosenroten Wangen;
Sag, ob fröhlich schwangen
Kleine Mücken den geschwinden Tanz.
Sahst du Liebchen Hand in Hand beim Abendmond?
Über unsern Leichensteinen
Sahst du uns beweinen
Jene Schar, die froh im Lichte wohnt?
Ihnen strömt der Tränen holder Tau,
Der befreit und löst die Schmerzen,
Wie das Eis im Märzen
Frühlingswinde wonnevoll und lau.“
– „Lenz war droben, da von dannen ich gemußt.
Mit hinab in eure Grüfte
Nahm ich Veilchendüfte:
Diesen vollen Strauß an meiner Brust.“ –
Seht, da ruhn die Danaiden; von der Qual
Muß auch Tantalus sich wenden;
Jäh aus müß'gen Händen
Stürzt der Stein des Sisyphus zu Tal.

Liebesreime.

I.

Nicht der Nachtigall und nicht der Lerche Lied
Kann mich freuen, wenn es klingt das Tal entlang;
Hört' ich jemals wieder einen süßen Klang,
Seit das Schicksal mich von meinem Freunde schied?
Wenn er sprach zu mir und meinen Namen rief,
[141] O, wie wurde mir dabei die Seele weit;
Wenn ich tot einst bin und lieg' im Grabe tief,
Hör' ich's wohl um Mitternacht zur Sommerszeit.

II.

Ich hatte so viel dir zu berichten,
Neuigkeiten, allerhand Geschichten;
Aber nun bist du auf einmal so nah
Mit diesem Kinn und diesen Wangen,
Alle Gedanken sind mir vergangen –
Ach Gott und dein Hals, der weiche, runde,
Nur eine Spanne von meinem Munde,
Den ich so lange, die Lippen zerbeißend, von weitem sah!

III.

Einen guten Grund hat's, daß mein Liebchen
Über alles schön und herrlich ist geraten:
Denn mit Lenztau ward getauft das Bübchen,
Mond und Sonne waren seine Paten.
Sonne setzt' ins Aug' ihm goldne Kerzen:
Wenn er aufschaut, glühen alle Herzen.
Und der Mond küßt' ihm den Mund von ferne:
Wenn er lächelt, klingen alle Sterne.

Isolde Kurz.

Geboren am 21. Dezember 1853 zu Stuttgart als Tochter des Dichters Hermann Kurz; lebt, unvermählt, seit dem Jahre 1877 zumeist in Florenz. – Gedichte 1889. Neue Gedichte 1905.

Südliche Weise.

Du sprichst von Sünde gleich und ew'gen Flammen,
Will ich ein Stündchen nur mit dir verkosen,
Weil noch kein Priesterwort uns gab zusammen.
[142] Doch neulich sprach der Pfaff beim Messelesen, –
Er sprach Latein, drum blieb der Sinn dir dunkel,
Ich aber bin einst Ministrant gewesen.
Er sagte: Fromme Christen, laßt euch raten!
Ihr müßt für jeden ungeküßten Kuß
Einhundert Jährlein in der Hölle braten.

Die erste Nacht.

Jetzt kommt die Nacht, die erste Nacht im Grab.
O, wo ist aller Glanz, der dich umgab?
In kalter Erde ist dein Bett gemacht.
Wie wirst du schlummern diese erste Nacht?
Vom letzten Regen ist dein Kissen feucht,
Nachtvögel schrein, vom Wind emporgescheucht,
Kein Lämpchen brennt dir mehr, nur kalt und fahl
Spielt auf der Schlummerstatt der Mondenstrahl.
Die Stunden schleichen – schläfst du bis zum Tag?
Horchst du wie ich auf jeden Glockenschlag?
Wie kann ich ruhn und schlummern kurze Frist,
Wenn du, mein Lieb, so schlecht gebettet bist?

Mädchenliebe.

Nächtlich war's am stillen Weiher,
Wo ich ihm zur Seite stand,
Als im Wind mein langer Schleier
Sich um seinen Nacken wand.
Ach, was ließ ich's nur geschehen!
Daß er fest den Knoten schlang,
Mich an seiner Hand zu gehen,
Ein gefangnes Füllen, zwang!
[143] Denn seitdem auf allen Wegen
Fühlt' ich unzerreißlich stets
Über mich und ihn sich legen
Magisch jenes Schleiers Netz.
Seit mich gar sein Arm umwindet,
Schwand der Freiheit letzter Rest.
Fessel, die uns beide bindet,
Liebe Fessel, halte fest!

Die Nicht-Gewesenen.

Über ein Glück, das du flüchtig besessen,
Tröstet Erinnern, tröstet Vergessen,
Tröstet die alles heilende Zeit.
Aber die Träume, die nie errungnen,
Nie vergeßnen und nie bezwungnen,
Nimmer verläßt dich ihr sehnendes Leid.

Else Lasker-Schüler.

Gedichte aus den gesammelten Büchern im Verlag Paul Cassirer in Berlin.

Wir beide.

Der Abend weht Sehnen aus Blütensüße,
Und auf den Bergen brennt wie Silberdiamant der Reif,
Und Engelköpfchen gucken überm Himmelsstreif,
Und wir beide sind im Paradiese.
Und uns gehört das ganze bunte Leben,
Das blaue, große Bilderbuch mit Sternen,
Mit Wolkentieren, die sich jagen in den Fernen
Und hei! die Kreiselwinde, die uns drehn und heben!
[144] Der liebe Gott träumt seinen Kindertraum
Vom Paradies – von seinen zwei Gespielen,
Und große Blumen sehn uns an von Dornenstielen …
Die düstere Erde hing noch grün am Baum.

Mairosen.

Er hat seinen heiligen Schwestern versprochen,
Mich nicht zu verführen,
Zwischen Mairosen hätte er fast
Sein Wort gebrochen,
Aber er machte drei Kreuze
Und ich glaubte heiß zu erfrieren.
Nun lieg' ich im düstern Nadelwald,
Und der Herbst saust kalte Nordostlieder
Über meine Lenzglieder.
Aber wenn es wieder warm wird,
Wünsch' ich den heiligen Schwestern beid' Hochzeit
Und wir – spielen dann unter den Mairosen …

Chaos.

Die Sterne fliehen schreckensbleich
Vom Himmel meiner Einsamkeit,
Und das schwarze Auge der Mitternacht
Starrt näher und näher.
Ich finde mich nicht wieder
In dieser Todverlassenheit!
Mir ist, ich lieg' von mir weltenweit
Zwischen grauer Nacht der Urangst …
Ich wollte, ein Schmerzen rege sich
Und stürze mich grausam nieder
[145] Und riß mich jäh an mich!
Und es lege eine Schöpferlust
Mich wieder in meine Heimat
Unter der Mutterbrust.
Meine Mutterheimat ist seeleleer,
Es blühen dort keine Rosen
Im warmen Odem mehr. –
… Möcht' einen Herzallerliebsten haben!
Und mich in seinem Fleisch vergraben.
Else Lasker-Schüler

Die Liebe.

Es rauscht durch unseren Schlaf
Ein feines Wehen wie Seide,
Wie pochendes Erblühen
Über uns beide.
Und ich werde heimwärts
Von deinem Atem getragen,
Durch verzauberte Märchen,
Durch verschüttete Sagen.
Und mein Dornenlächeln spielt
Mit deinen urtiefen Zügen,
Und es kommen die Erden
Sich an uns zu schmiegen.
Es rauscht durch unseren Schlaf
Ein feines Wehen wie Seide –
Der weltalte Traum
Segnet uns beide.
[146]

Liebesflug.

Drei Stürme liebt' ich ihn eher wie er mich,
Jäh schrien seine Lippen,
Wie der geöffnete Erdmund!
Und Gärten berauschten am Mairegen sich.
Und wir griffen unsere Hände,
Die verlöteten wie Ringe sich.
Und er sprang mit mir auf die Lüfte
Gotthin, bis der Atem verstrich.
Dann kam ein leuchtender Sommertag
Wie eine glückselige Mutter.
Und die Mädchen blickten schwärmerisch,
Nur meine Seele lag müd' und zag.

Eva.

Du hast deinen Kopf tief über mich gesenkt,
Deinen Kopf mit den goldenen Lenzhaaren,
Und deine Lippen sind von rosiger Sonnenweichheit
Wie die Blüten der Bäume Edens waren.
Und die keimende Liebe ist meine Seele,
O, meine Seele ist das vertriebene Sehnen,
Und du zitterst von Ahnungen
Und weißt nicht, warum deine Träume stöhnen.
Und ich liege schwer auf deinem Leben,
Wie eine tausendstämmige Erinnerung.
Und du bist so blindjung, so adamjung …
Du hast deinen Kopf tief über mich gesenkt.
[147]

Mein Volk.

Der Fels wird morsch,
Dem ich entspringe
Und meine Gotteslieder singe …
Jäh stürz' ich vom Weg
Und riesele ganz in mir
Fernab, allein über Klagegestein
Dem Meer zu.
Hab' mich so abgeströmt
Von meines Blutes
Mostvergorenheit.
Und immer, immer noch der Widerhall
In mir,
Wenn schauerlich gen Ost
Das morsche Felsgebein,
Mein Volk,
Zu Gott schreit.

Mein Liebeslied.

Wie ein heimlicher Brunnen
Murmelt mein Blut,
Immer von dir, immer von mir.
Unter dem taumelnden Mond
Tanzen meine nackten, suchenden Träume,
Nachtwandelnde, fiebernde Kinder,
Leise über düstere Hecken.
O, deine Lippen sind sonnig …
Diese Rauschedüfte deiner Lippen …
Und aus blauen Dolden, silberumringt
Lächelst du … du, du.
Immer das schlängelnde Geriesel
[148] Auf meiner Haut
Über die Schultern hinweg –
Ich lausche …
Wie ein heimlicher Brunnen
Murmelt mein Blut …

Mein Wanderlied.

Zwölf Morgenhellen weit
Verschallt der Geist der Mitternacht,
Und meine Lippen haben ausgedacht
In stolzer Linie mit der Ewigkeit.
Torabwärts schreitet das Verflossene,
Indessen meine Seele sich im Glanz der Lösung bricht,
Ihr tausendheißes, weißes Licht
Scheint mir voran ins Ungegossene.
Und ich wachse über all Erinnern weit.
So fern Musik … und zwischen Kampf und Frieden
Steigen meine Blicke hoch wie Pyramiden,
Und sind die Ziele hinter aller Zeit.

O, meine schmerzliche Lust.

Mein Traum ist eine junge, wilde Weide
Und schmachtet in der Dürre.
Wie die Kleider um den Tag brennen …
Alle Lande bäumen sich.
Soll ich dich locken mit dem Liede der Lerche
Oder soll ich dich rufen wie der Feldvogel
Tuuh! Tuuh!
Wie die Silberähren
[149] Um meine Füße sieden …
O, meine schmerzliche Lust
Weint wie ein Kind.

Maienregen.

Du hast deine warme Seele
Um mein verwittertes Herz geschlungen,
Und all seine dunkeln Töne
Sind wie ferne Donner verklungen.
Aber es kann nicht mehr jauchzen
Mit seiner wilden Wunde,
Und wunschlos in deinem Arme
Liegt mein Mund auf deinem Munde.
Und ich höre dich leise weinen,
Und es ist – die Nacht bewegt sich kaum –
Als fiele ein Maienregen
Auf meinen greisen Traum.

Weltende.

Es ist ein Weinen in der Welt,
Als ob der liebe Gott gestorben wär',
Und der bleierne Schatten, der niederfällt,
Lastet grabesschwer.
Komm, wir wollen uns näher verbergen …
Das Leben liegt in Aller Herzen
Wie in Särgen.
Du! wir wollen uns tief küssen …
Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,
An der wir sterben müssen.
[150]

Mein Liebeslied.

Auf deinen Wangen liegen
Goldene Tauben.
Aber dein Herz ist ein Wirbelwind,
Dein Blut rauscht, wie mein Blut –
Süß
An Himbeersträuchern vorbei.
O, ich denke an dich – –
Die Nacht frage nur.
Niemand kann so schön
Mit deinen Händen spielen,
Schlösser bauen, wie ich
Aus Goldfinger;
Burgen mit hohen Türmen!
Strandräuber sind wir dann.
Wenn du da bist,
Bin ich immer reich.
Du nimmst mich so zu dir,
Ich sehe dein Herz sternen.
Schillernde Eidechsen
Sind dein Geweide.
Du bist ganz aus Gold –
Alle Lippen halten den Atem an.

[151]

Detlev von Liliencron.

Geboren am 3. Juni 1844 zu Kiel, besuchte die Gelehrte Schule seiner Vaterstadt, trat 1863 beim westfälischen Füsilierregiment Nr. 37 in Mainz ein, nahm an den Kriegen 1866 und 1870–71 teil, wurde mehrmals verwundet, nahm seinen Abschied, ging auf kurze Zeit nach Amerika, kehrte zurück, wurde Deichhauptmann und Hardesvogt auf Pellworm, wo er die „Adjutantenritte“ schrieb, und lebte zuletzt, nachdem er längere Zeit in Altona gewohnt hatte, als Hauptmann a. D. in Alt-Rahlstedt bei Hamburg. Er starb dort am 22. Juli 1909. – Seine früher unter andern Titeln erschienenen Gedichtbücher heißen jetzt: Kampf und Spiele. Kämpfe und Ziele. Nebel und Sonne. Bunte Beute. Ausgewählte Gedichte. Poggfred. Gute Nacht.

Rückblick.

Eh mir aus der Scheide schoß
Blitz und blank der Degen,
Ließ noch einmal Mann und Roß
Kurzer Rast ich pflegen.
Und die Hand als Augenschild,
Meine Lider sanken,
Rasch vorbei, ein wechselnd Bild,
Flogen die Gedanken.
Kinderland, du Zauberland,
Haus und Hof und Hecken.
Hinter blauer Wälderwand
Spielt die Welt Verstecken.
Weiter nun in bunten Reihn
Zog mein wüstes Leben.
Wenig Taten, vieler Schein,
Windige Spinneweben.
Würfel, Weiber, Wein, Gesang,
Jugendrasche Quelle,
Und im wilden Wogendrang
Schwamm ich mit der Welle …
[152] Doch Dragoner glänzen hell
Dort an jenem Hügel.
An die Pferde! Fertig! Schnell
Klebt der Sporn am Bügel.
Zügel fest, Fanfarenruf,
Donnernd schwappt der Rasen.
Bald sind wir mit flüchtigem Huf
An den Feind geblasen.
Anprall, Fluch und Stoß und Hieb,
Kann den Arm nicht sparen,
Wo mir Helm und Handschuh blieb,
Hab' ich nicht erfahren.
Sattelleere, Sturz und Staub,
Klingenkreuz und Scharten.
Trunken schwenkt die Faust den Raub
Flatternd der Standarten.
Täuschend gleicht des Feindes Flucht
Tollgehetzten Hammeln.
Freudig ruft in Wald und Schlucht
Mein Signal zum Sammeln.
Schweiß und Blut an Stirn und Schwert,
Laß es tropfen, tropfen.
Dankbar muß ich meinem Pferd
Hals und Mähne klopfen.
Nächtens dann beim Feuerschein,
Nach des Kampfes Mühe,
Fielen mir Gedanken ein
Aus des Tages Frühe.
[153] Schwamm ich viele Jahre lang
Steuerlos im Leben,
Hat mir heut der scharfe Gang
Wink und Ziel gegeben.

Tod in Ähren.

Im Weizenfeld, in Korn und Mohn,
Liegt ein Soldat, unaufgefunden,
Zwei Tage schon, zwei Nächte schon,
Mit schweren Wunden, unverbunden.
Durstüberquält und fieberwild,
Im Todeskampf den Kopf erhoben.
Ein letzter Traum, ein letztes Bild,
Sein brechend Auge schlägt nach oben.
Die Sense sirrt im Ährenfeld,
Er sieht sein Dorf im Arbeitsfrieden,
Ade, ade, du Heimatwelt –
Und beugt das Haupt, und ist verschieden.

Am Strande.

Der lange Junitag war heiß gewesen,
Ich saß im Garten einer Fischerhütte,
Wo schlicht auf Beeten, zierlich eingerahmt
Von Muscheln, Buchs und glatten Kieselsteinen,
Der Goldlack blüht, und Tulpen, Mohn und Rosen
In bäurisch buntem Durcheinander prunken.
Es war die Nacht schon im Begriff, dem Tage
Die Riegel vorzuschieben; stiller ward
Im Umkreis alles; Schwalben jagten sich
In hoher Luft; und aus der Nähe schlug
Ans Ohr das Rollen auf der Kegelbahn.
[154] Im Gutenacht der Sonne blinkerten
Die Scheiben kleiner Häuser auf der Insel,
Die jenseit lag, wie blanke Messingplatten.
Den Strom hinab glitt feierlich und stumm,
Gleich einer Königin, voll hoher Würde,
Ein Riesenschiff, auf dessen Vorderdeck
Die Menschen Kopf an Kopf versammelt stehn.
Sie alle winken ihre letzten Grüße
Den letzten Streifen ihrer Heimat zu.
In manchen Bart mag nun die Mannesträne,
So selten sonst, unaufgehalten tropfen.
In manches Herz, das längst im Sturz und Stoß
Der Lebenswellen hart und starr geworden,
Klingt einmal noch ein altes Kinderlied.
Doch vorwärts, vorwärts ins gelobte Land!
Die Pflicht befiehlt zu leben und zu kämpfen,
Befiehlt dem einen, für sein Weib zu sorgen,
Und für sich selbst dem andern. Jeder so
Hat seiner Ketten schwere Last zu tragen,
Die, allzu schwer, ihn in die Tiefe zieht.
Geboren werden, leiden dann und sterben,
Es zeigt das Leben doch nur scharfe Scherben.
Vielleicht? Vielleicht auch jetzt gelingt es nicht,
Auf fremdem Erdenraum, mit letzter Kraft,
Ein oft geträumtes, großes Glück zu finden.
Das Glück heißt Gold, und Gold heißt ruhig leben:
Vom sichern Sitze des Amphitheaters
In die Arena lächelnd niederschaun,
Wo, dichtgeschart, der Mob zerrissen wird
Vom Tigertier der Armut und der Schulden …
Das Schiff ist längst getaucht ins tiefe Dunkel.
Bleischwere Stille gräbt sich in den Strom,
[155] Indessen aus der Kegelbahn im Dorf
Beim Schein der Lampe noch die Gäste zechen.
In gleichen Zwischenräumen bellt ein Hund,
Und eine Wiege knarrt im Nachbarhause.

Letzter Gruß.

Herbsttag, und doch wie weiches Frühlingswetter,
Ich schlenderte langseits der Friedhofshecke,
Ein Sarg schien unter Gramgeläut zu sinken,
Dann bog ich auf dem Wege um die Ecke.
Da kamst du, keine Täuschung, mir entgegen,
Wir hatten gestern Abschied schon genommen,
Du gingst zur Bahn, begleitet von Geschwistern,
Was mußte noch einmal die Marter kommen.
Ich grüßte dich, und sah dein freundlich Danken;
Die mit dir schritten, haben's nicht beachtet.
Und ich blieb stehn, du wandtest dich verstohlen,
Von Leid war meine Seele dicht umnachtet.
Im Schmerz grub ich die Linke in den Dornbusch
Und ließ die Stacheln tief ins Fleisch mir dringen,
Ein letzter Gruß von dir, von mir – vorüber,
Die Hand im Strauch will fest die Qual bezwingen.
Es tat nicht weh, ich hab' in Wachs gegriffen,
Kein Tropfen sprang, es hat nicht warm geflutet,
Die roten Ströme sind zurückgeflossen,
Es hat mein Herz, mein Herz nur hat geblutet.
[156]

Der Ländler.

Auf die Terrasse war ich hinbefohlen,
Der jugendfrischen, schönen, geistvollen,
Holdseligen Prinzessin vorzulesen.
Ich wählte Tasso.
Durch den Sommerabend
Umschwirrt' uns schon das erste Nachtinsekt.
Die Sonne war gesunken. Rot Gewölk
Stand hellgetönt, mit Blau vermischt, im Westen.
Der Garten vor uns, tief gelegen, hüllt
Sich ein in dunkle Schatten mehr und mehr.
Und eine Nachtigall beginnt.
Der Diener
Setzt auf den Tisch die Lampen, deren Licht
Nicht durch den schwächsten Zug ins Flackern kommt.
Von unten, aus dem Dorfe, klingt Musik.
Und deutlich aus der Finsternis heraus,
Leuchtstriche, blitzen eines Tanzsaals Fenster.
Die Paare huschen schnell vorbei in ihnen.
Zuweilen, wenn die Tür geöffnet steht,
Erschallt Gestampf, der Brummbaß, Kreischen, Jauchzen.
Unbändig scheint die Freude dort zu herrschen.
Ich trage unterdessen weiter vor,
Wie flüchtige Bilder, unbewußt, den Trubel
Im Tal an mir vorüberziehen lassend,
Und jene Verse hab' ich grad getroffen:
„Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein,
Der schäumend wallt und brausend überquillt?“
Als ich die Lider hob und die Prinzeß,
Die säumig ihre Linke dem Geländer
Hinüber ruhen läßt, erblicke, wie sie,
Nicht meiner Lesung achtend, niederschaut,
[157] Das braune Auge träumerisch, sehnsüchtig
Hinuntersendet auf den fröhlichen Ländler.
„Wie wär' es, fänden wohl Durchlaucht Vergnügen,
Dem frohen Reigen dort sich anzuschließen?“
Und sie, ein Seufzer: „Ach, ich tät's so gern!“
Wenn ich's nur bringen könnte, wiedergeben,
Wie jenes Wort von ihr gesprochen ward,
Das „so“, das „gern“, wenn ich's nur treffen könnte,
Wie sie das sagte: „Ach, ich tät's so gern!“

Wer weiß wo.

Auf Blut und Leichen, Schutt und Qualm,
Auf roßzerstampften Sommerhalm
Die Sonne schien.
Es sank die Nacht. Die Schlacht ist aus,
Und mancher kehrte nicht nach Haus
Einst von Kolin.
Ein Junker auch, ein Knabe noch,
Der heut das erste Pulver roch,
Er mußt' dahin.
Wie hoch er auch die Fahne schwang,
Der Tod in seinen Arm ihn zwang.
Er mußt' dahin.
Ihm nahe lag ein frommes Buch,
Das stets der Junker bei sich trug,
Am Degenknauf.
Ein Grenadier von Bevern fand
Den kleinen erdbeschmutzten Band
Und hob ihn auf.
[158] Und brachte heim mit schnellem Fuß
Dem Vater diesen letzten Gruß,
Der klang nicht froh.
Dann schrieb hinein die Zitterhand:
„Kolin. Mein Sohn verscharrt im Sand.
Wer weiß wo.“
Und der gesungen dieses Lied,
Und der es liest, im Leben zieht
Noch frisch und froh.
Doch einst bin ich, und bist auch du,
Verscharrt im Sand, zur ewigen Ruh',
Wer weiß wo.

In einer großen Stadt.

Es treibt vorüber mir im Meer der Stadt
Bald der, bald jener, einer nach dem andern.
Ein Blick ins Auge, und vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.
Es tropft vorüber mir ins Meer des Nichts
Bald der, bald jener, einer nach dem andern.
Ein Blick auf seinen Sarg, vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.
Es schwimmt ein Leichenzug im Meer der Stadt.
Querweg die Menschen, einer nach dem andern.
Ein Blick auf meinen Sarg, vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.

Vor Last und Lärm.

Die frühste Sonne legt sich übers Feld,
Und steigt empor; und schweigend dampft der Morgen.
Aus dem im letzten Traum verstrickten Städtchen
[159] Bin ich dem Tore schon weitab entrückt.
Wen seh' ich dort im nassen Graben liegen?
Ein Bauer, der zu viel getrunken hatte,
Ist hier die Nacht gefallen, unter Disteln.
Das linke Knie hat er herangezogen;
Mit offnen Lippen schnarcht der wüste Kerl.
Vorüber – schon verliert sich das Geräusch.
Was ist denn das dort rechts am Meilenstein?
Ein kleiner, weißer Bologneserhund
Mit blutgeröteten Behangesspitzen,
Von tauerweichter Erde arg beschmutzt.
Wie kommt der hierher, frag' ich mich vergebens.
Ist's Tante Minnas süßer Liebling nicht?
Wenn die das wüßte, was Bijou ergötzt:
Er wühlt mit seinem Schnäuzchen emsiglich
Im Eingeweide eines toten Fuchses.
Als ich ihm in die Näh' gekommen, drückt er
Ein Vorderpfötchen auf den Balg des Aases
Und duckt den Kopf und äugt mich mürrisch an;
Sein ganzer Körper bleibt unregbar stehn,
Nur seine Augen folgen meinem Schritt.
Vorüber – lautlos alles noch und ruhig.
Auf einer Pflugschar gleißt im grellsten Weiß
Das Taggestirn, als brennte dort sich's fest.
Da schallt der erste Ton, vom Lager klingt er,
Das meinem Blick zwei Meilen abseits leuchtet.
Unendlich schwach hör' ich die Trommeln wirbeln,
Die Hörner: Habt – ihr noch – nicht lang – genug –
Geschla – – – fen.
Die Straße, die mein Fuß lebendig geht,
Zieht sich in schnurgerader Linie hin,
Auf zehn Minuten hab' ich Übersicht.
[160] Just, wo für mich der Weg den Anfang nimmt,
Erscheint ein Punkt, der größer wird und größer.
Hurra! Sie ist's! Hurra, hurra! Sie ist's!
Rasch zieh' und hastig ich mein Taschentuch
Und winke, und ein Fähnchen zeigt sich auch
In ihrer Hand; und muntrer greif' ich aus.
An meinen Stock knüpf' ich das Banner an,
Und an den Sonnenschirm das ihre sie.
Und nun ein Hin und Her, ein Schwenken, Kreisen,
Als wollten Tauben wir vom Dache scheuchen.
Indessen trommelt's immer fort: Wacht auf;
Und tutet: Habt – ihr noch – nicht lang – genug –
Geschla – – – fen.
Mein Antlitz glüht in freudigster Erwartung,
Die Kehle ist mir fast wie zugeschnürt,
Wie schlägt mein Herz, wie atmet meine Brust.
Nun sind wir sprechweit nah, und dann, und dann,
Wie sonderbar, verkürzt sich unsre Eile.
Sind wir beschämt? Auf ihren Wangen flog
Ein Purpur hin wie schneller Wolkenschatten.
Nun lächelt sie. Das Köpfchen biegt sich etwas
Nach rechts und rückwärts; ja, und dann, und dann –
Indessen brechen Horn und Trommel ab –
Stumm wie der mönchverlaßne Klostergang
Liegt rings um uns des Morgens heilige Stille.

Weite Aussicht.

Steht eine Mühle am Himmelsrand,
Scharfgezeichnet gegen mäusegraue Wetterwand,
Und mahlt immerzu, immerzu.
[161] Hinter der Mühle am Himmelsrand,
Ohne Himmelsrand, mahlt eine Mühle, allbekannt,
Mahlt immerzu, immerzu.

Erinnerung.

Die großen Feuer warfen ihren Schein
Hell lodernd in ein lustig Biwaktreiben.
Wir Offiziere saßen um den Holzstoß
Und tranken Glühwein, sternenüberscheitelt.
So manches Wort, das in der Sommernacht
Im Flüstern oder laut gesprochen wird,
Verweht der Wind, begräbt das stille Feld.
Die Musketiere sangen: „Stra – a – ßburg.
O Stra – a – ßburg …“ Da fühlt' ich eine Hand,
Die leise sich auf meine Schulter legte.
Ich wandte rasch den Kopf, und sah den Lehrer,
Bei dem ich, freundlich aufgenommen, gestern
Quartier gehabt; der nun, verabredet,
Mit seinem Töchterchen gekommen war.
Ein Mädel, jung gleich einer Apfelblüte,
Die niemals noch der Morgenwind geschaukelt.
Der Alte mußte neben uns sich setzen,
Und während ihm das Glas die Freunde füllten,
Führt' ich, von allem ihr Erklärung gebend,
Das Mädchen langsam durch die Lagerreihen.
Sie sprach kein Wort, doch lautlos sprach ihr Mund,
Ihr lächelnd und ihr staunend großes Auge.
Wie schön sie war, wenn sie beim Feuer stand,
Und rote Funken knisternd uns umtanzten.
Es hob sich die Gestalt vom dunklen Himmel
Scharf ausgeschnitten aus dem schwarzen Rahmen.
Und einmal, als Soldaten, ausstaffiert
[162] Als Storch und Bär, uns ihre Künste zeigten,
Da lehnte flüchtig sie, beinah erschrocken,
An meine Brust ihr frommes Kinderantlitz.
Wir traten zögernd dann den Rückweg an,
– Es stahl der Mond sich eben in die Bäume,
Und in der Ferne, bei den Doppelposten,
Fiel dumpf verhallend durch den Wald ein Schuß. –
Wir gingen Hand in Hand,
Und so, halb stehend, halb im Weitergehn,
Bog ich mein Haupt hinunter zu dem ihren.
Ich fühlte, wie die jungen Lippen mir
Entgegenkamen, und ich seh' noch heut
Ihr dunkles Auge in die Sterne leuchten …
Als längst der Alte mit ihr weggegangen,
Saß ich im Kreise meiner Kameraden
Und dachte voller Sehnsucht an das Mädchen,
Bis mir zuletzt die schweren Lider sanken.
Mein treuer Bursche trug mich in mein Zelt
Und deckte sorgsam mir den Mantel über.
Seitdem bin ich durch manches Land gezogen,
Doch unvergessen bleibt mir jene Nacht.

Kalter Augusttag.

I.

Wir standen unter alten Riesenulmen,
An unseres Gartens Rand. Mein Arm umschlang
Die schlanke Hüfte dir. Es lag dein Haupt,
Das schöne, blasse, still an meiner Schulter.
Ein kalter Hauch drang uns entgegen; fröstelnd
Zogst fester du das Tuch um deinen Hals.
In grauer Luft, unübersehbar, lag
Der Wiesen grünes Flachland ausgebreitet.
[163] Wie deutlich hörten wir den Jungen schelten
Auf seine Kühe, immer hör' ich noch
Dein fröhlich Lachen, als uns die gesunden,
Vom Winde hergetragnen Worte trafen.
Und eine Öde, nordisch unbehaglich,
Durchfror die Landschaft. Krähen stolperten,
Laut krächzend, übern Garten. Schläfrig zog
Am Horizont die Mühle ihre Kreise.
Und doch! Es lag auf Wegen fern und nah
Der Sonnenschein, der Sonnenschein des Glücks.
Und langsam kehrten wir zurück ins Haus.

II.

Und wieder stand ich unter unsern Ulmen,
Doch nicht mit dir. Allein sah ich hinaus
In lichten Frühlingstag: Der Junge pfiff
Ein lustig Liedchen seinen Kühen; glänzend
Im Licht umkreisten Krähen hohe Bäume,
In blauer Luft schaut' ich am Horizont
Die Mühle schnell im Wind die Flügel drehn.
Und doch, ich sah nur graue Todesnebel,
Und teilnahmlos kehrt' ich zurück ins Haus.

Auf dem Deiche.

Es ebbt. Langsam dem Schlamm und Schlick umher
Enttauchen alte Wracks und Besenbaken,
Und traurig hüllt ein graues Nebellaken
Die Hallig ein, die Watten und das Meer.
Der Himmel schweigt, die Welt ist freudenleer.
Nachrichten, Teufel, die mich oft erschraken,
Sind Engel gegen solchen Widerhaken,
Den heut ins Herz mir wühlt ein rauher Speer.
[164] Wie sonderbar! Ich wollte schon verzagen
Und mich ergeben ohne Manneswürde,
Da blitzt ein Bild empor aus fernen Tagen:
Auf meiner Stute über Heck' und Hürde
Weit der Schwadron voran seh' ich mich jagen
In Schlacht und Sieg, entlastet aller Bürde.

Sizilianen.

Die Insel der Glücklichen.

Das Hängelämpchen qualmt im warmen Stalle,
In dem behaglich sich zwei Kühe fühlen.
Der Hahn, die Hennen, um den Sproß die Kralle,
Träumen vom wunderbaren Düngerwühlen.
Der Junge pfeift auf einer Hosenschnalle
Dem Brüderchen ein Lied mit Zartgefühlen.
Und Knaben, Kühe, Hühner lassen alle
Getrost den Strom der Welt vorüberspülen.

Souvenir de la Malmaison.

Die menschenblasse Rose legte ich
Auf deine kalten, überkreuzten Hände,
Und strich dein Haar zurück und pflegte dich,
Ob ich dein jubelnd Leben wiederfände.
Im Zimmer, irrgeflogen, regte sich
Ein Schmetterling, die alte Grablegende.
Dein Sarg schloß zu, der Kummer fegte mich
In fernes Land aus trostlosem Gelände.

Sommernacht.

An ferne Berge schlug die Donnerkeulen
Ein rasch verrauschtes Nachmittagsgewitter,
[165] Die Bauern zogen heim auf müden Gäulen,
Und singend kehrte Winzervolk und Schnitter.
Auf allen Dächern qualmten blaue Säulen
Genügsam himmelan, ein luftig Gitter.
Nun ist es Nacht, es geistern schon die Eulen,
Einsam aus einer Laube klingt die Zither.

Nach der Hühnerjagd.

Erhitzt und müde, durstig, stark verbrannt,
Kehr' ich in meine Waldherberge ein.
Gewehr und Mütze häng' ich an die Wand,
Den Eimer sucht mein Hund und schlappt ihn rein.
Die junge Witwe lehnt am Schenkenstand,
Freundarm und stumm, im letzten Abendschein,
Dann lächelt sie verstohlen, abgewandt,
Der Gäste Aufbruch läßt uns bald allein.

Der Hohenfriedeberger.

Die Instrumente her! daß ihr euch sputet,
Wenn einst der Tod macht in mein Buch den Klecks,
Den großen Klecks, der alles überflutet.
Den Schlachtentrumpfer blast, und nicht perplex!
Den Hohenfriedeberger trommelt, tutet,
Mit seinen Pauken sei mein Leben ex!
Und komm' ich oben an so unvermutet,
Aufbrüll' ich: Vivat Fridericus Rex!

Einer Toten.

Ach, daß du lebtest!
Tausend schwarze Krähen,
Die mich umflatterten auf allen Wegen,
Entflohen, wenn sich deine Tauben zeigten,
[166] Die weißen Tauben deiner Fröhlichkeit.
Daß du noch lebtest!
Schwer und kalt bedrängt
Die Erde deinen Sarg und hält dich fest.
Ich geh' nicht hin, ich finde dich nicht mehr.
Und Wiedersehn?
Was soll ein Wiedersehn,
Wenn wir zusammen Hosianna singen,
Und ich dein Lachen nicht mehr hören kann?
Dein Lachen, deine Sprache, deinen Trost:
Der Tag ist heut so schön. Wo ist Chasseur?
Hol aus dem Schranke deinen Lefaucheux,
Und geh ins Feld, die Hühner halten noch.
Doch bieg nicht in das Buchenwäldchen ab,
Und leg dich nicht ins Moos und träume nicht.
Paß auf die Hühner und sei nicht zerstreut,
Blamier dich nicht vor deinem Hund, ich bitte.
Und alle Orgeldreher heut verwünsch' ich,
Die luftgetragnen Ton von fernen Dörfern
Dir zusenden, ich seh' dann keine Hühner.
Und doch, die braune Heide liegt so still,
Dich rührt ihr Zauber, laß dich nur bestricken.
Wir essen heute abend Erbsensuppe,
Und der Margaux hat schon die Zimmerwärme;
Bring also Hunger mit und gute Laune.
Dann liest du mir aus deinen Lieblingsdichtern.
Und willst du mehr, wir gehen an den Flügel
Und singen Schumann, Robert Franz und Brahms.
Die Geldgeschichten lassen wir heut ruhn.
Du lieber Himmel, deine Gläubiger
Sind keine Teufel, die dich braten können,
[167] Und alles wird sich machen.
Hier noch eins:
Ich tat dir guten Kognak in die Flasche;
Grüß Heide mir und Wald und all die Felder,
Die abseits liegen, und vergiß die Schulden.
Ich seh' indessen in der Küche nach,
Daß uns die Erbsensuppe nicht verbrennt.
Daß du noch lebtest!
Tausend schwarze Krähen,
Die mich umflatterten auf allen Wegen,
Entflohen, wenn sich deine Tauben zeigten,
Die weißen Tauben deiner Fröhlichkeit.
Ach, daß du lebtest!

Gestorbene Liebe.

In nackter Wüste ruht ein Löwenpaar,
Das gelbe Fell vom gelben Sand abhebend.
Im Schlafe dehnen sich die trägen Glieder.
Erwachend, leckt bedächtig eins das andre,
Und streckt und reckt sich, gähnt, und schläft von neuem.
Ein zweiter Leuenherr zeigt sich in Fernen.
Er nähert sich, er stockt, als die Genossen
Er unbekümmert vor sich liegen sieht.
Nun peitscht sein Schweif, nach Katzenart, die Erde,
Er reißt den Rachen auf wie eine Torfahrt,
Und Donner rollt ihm aus dem heißen Schlunde.
Er kauert sich, und knurrt, und äugt hinüber.
Schwerfällig wird das Ehepärchen munter,
Schwerfällig kommt es endlich auf die Beine.
Der zweite Nobel holt zum Sprunge aus,
[168] Und springt, und springt dem Weibchen an die Seite.
Das Weibchen dann trabt mit dem Seladon
Gemütlich einem Felsendache zu.
Das Männchen stutzt, will brüllen, schweigt,
Und legt sich wieder nieder: Lat ehr lopen.

Der Genius.

Gewitter drückt auf Sanssouci,
Ich stand im Park und schaute
Zum Schloß hinan, das ein Genie
Für seine Seele baute.
Und Nacht: Aus schwarzer Pracht ein Blitz,
Vom Himmel jäh gesendet,
Und oben steht der Alte Fritz,
Wo die Terrasse endet.
Ein Augenblick! Grell, beinernblaß,
Den Krückstock schräg zur Erde,
Verachtung steint und Menschenhaß
Ihm Antlitz und Gebärde.
Einsamer König, mir ein Gott,
Ich sah an deinem Munde
Den herben Zug von Stolz und Spott
Aus deiner Sterbestunde.
Denselben Zug, der streng und hart
Verrät die Adelsgeister,
Der aus der Totenmaske starrt
Bei jedem großen Meister.
[169]

Die Spinnerin von Sankt Peter.

Auf der Magdalenenspitze
In den Dünen von Sankt Peter
Sitzt in hellen Sommernächten
Stumm die schöne Frau Maleen.
Ihr zur Seite steht das Spinnrad,
Doch die Hände ruhn im Schoße,
Ihrer Augen Sehnsuchtsketten
Ankern in der wilden See.
Sieht sie einer aus der Ferne,
Macht er schaudernd kehrt. Ihr Schatten
Bringt ihm noch vor Jahreswende
Unglück oder Tod ins Haus.
Gestern in der Julimondluft
Sah ich sie aus großer Weite.
Plötzlich zog mich toller Fürwitz,
In der Nähe sie zu sehn.
Tiefe Ruhe. Flutgewisper.
Nur die Düneneule flattert
Leise, wie mit Vampirflügeln,
Wohlig durch die weiche Nacht.
Nah und näher, immer näher,
Zagen Schrittes, offnen Mundes,
Mit weitaufgerißnen Augen,
Komm' ich endlich zu ihr hin.
Und mich dünkt, die dort ich finde,
Ist nicht mehr als eine Puppe,
Eine Puppe aus dem Vorstadt-
Wachsfigurenkabinett.
[170] Da – entsetzlich! dreht sie langsam,
Lautlos-ruckweis wie ein Uhrwerk,
Ihre Stirn nach meiner Stirne:
Grinst mich eine Leiche an?
Ohnmächtig brach ich zusammen,
Bis der Morgentau mich weckte.
Kalt und keusch, unendlich einsam
Lag das unbewegte Meer.

Märztag.

Wolkenschatten fliehen über Felder,
Blau umdunstet stehen ferne Wälder.
Kraniche, die hoch die Luft durchpflügen,
Kommen schreiend an in Wanderzügen.
Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen
Überall ein erstes Frühlingslärmen.
Lustig flattern, Mädchen, deine Bänder,
Kurzes Glück träumt durch die weiten Länder.
Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen,
Wollt' es halten, mußt' es schwimmen lassen.

Letzter Wunsch.

Den Hengst, den Hengst!
Gebt meinen Hengst mir!
Schaum spritzt ihm vom Zügel, seine Flanken zittern.
Der Grimm umrast mir den Helm, das Auge leuchtet.
Gebt meinen Hengst mir,
Den Hengst, den Hengst!
[171] Mir nach, mir nach!
Degen heraus jetzt!
Sturmmarsch hör' ich schlagen, höre euer Hurra.
In Rauch und Blut seh' ich euch, in Rauch und Flammen.
Degen heraus jetzt,
Mir nach, mir nach!
Zum Sieg, zum Sieg!
Erde, erbebe!
Pulverdampf und Leichen. Vorwärts ohne Wanken.
Durch Glanz und Glut geht die Bahn; die Fahnen flattern.
Erde, erbebe,
Zum Sieg, zum Sieg!
Komm, Tod! komm, Tod!
Feind ist erschlagen!
Letzte Kugel, triff mich! Strahlend bricht mein Auge:
Mein Vaterland hat den Sieg! Es lebe, lebe!
Feind ist erschlagen!
Komm, Tod! komm, Tod!

Oskar Loerke.

Geboren am 13. März 1884 zu Jungen im Kreise Schwetz, Westpreußen. – Wanderschaft 1911. Gedichte 1916.

Frühlingswille.

Bei einer stehn im Fensterrahmen,
Im Wechselwort das Herz erschüttern,
Und leise fort – es gibt kein Amen –
Von unsern Müttern
Sprechen und der Mütter Müttern
Und den Urmüttern …
[172] Und atmen in die Blust der Kirschen,
Gezähmte wilde Enten füttern,
Und singen von den weißen Hirschen
Und von den Müttern
Und der Mütter Müttern
Und den Urmüttern …
Bei gelbem Wein die Nacht verzechen,
Nach Ewigkeit umschlungen stöhnen,
Und von den Abenteuern sprechen,
Die unsren Söhnen
Begegnen und den Söhnen
Der Enkelsöhne …

Nirwana.

Das Tal ist wie aus klarem Golde,
Es stehn im Tale ohne Hauch
Die Bäume schief wie Trunkenbolde
An Seen diamantenen Lichts.
Das Tal vergeht zu goldnem Rauch
Und dann zu goldnem Traume
Und dann zu goldnem Raume
Und dann zu goldnem Nichts.

Hinterhaus.

In kalten, steifen Engen,
An gelben Schornsteinlängen,
Verirrten Schieferdächern,
Verstaubten Lukenfächern,
An braunen glatten Röhren,
An roten Drahtes Öhren,
[173] Verblichnen blauen Flecken
Und blechbehuften Ecken
Liegt Sonne, wie nach Winkelmaß gemessen
Und wie von einem Handwerksmann vergessen.
Hier hinter Luken wimmeln,
In Kellerlöchern schimmeln
Und tanzen unter Sparren
Wir galgenfrohen Narren,
Die sich in Kammern bücken,
Doch ihre Wände schmücken
Mit goldnen Sterntapeten,
Weil wir vom Himmel wehten,
Wir Fetzen Licht, nach Winkelmaß gemessen
Und wie von einem Handwerksmann vergessen.

Die graue Melodie.

Ja? Gab es Tage, wo ich selbst Komet
Und wenn soviel nicht, eines Sterns Trabant
Mich glaubte? Aber nichts ist doch so stet
Wie diese harte Melodie: Sand, Sand,
Sand, Sand.
Und so wird Morgen, und so wird es spät,
Ich zog mich an, ich zieh mich wieder aus,
Und wie mein Mund das Licht vom Dochte weht,
Verweht ein Mund den Tag, ein Kartenhaus,
Ein Kartenhaus.
Der Tag war bunt, hat Bild mit Bild getauscht,
Doch prüfe ich, wie war er wirr gestückt!
Wie oft hat mich das Leben denn berauscht,
Und geht doch hin!! – und viele hat's beglückt,
Beglückt.
[174]

Inbrunst.

Die Sterne sind zu groß und mußten wohl deshalb
So weit hinaus, und sie erhellen nichts bei uns.
Der Wind stieg tastend aus der Nacht des Weltenbrunns.
Er sitzt den Heimathügeln auf der Brust als Alp.
Die Wolken fahren auf wie Schiffe vor der Schlacht.
Ist mir die Sehnsucht ferner Welten zugeirrt?
Du, Erde, bist mein Saal, doch meine Seele wird
Auf einem andern Sterne schlafen diese Nacht.

Ernst Wilhelm Lotz.

Geboren 1890 zu Culm an der Weichsel, fiel am 26. September 1914 in Frankreich. – Wolkenüberflaggt 1917.

Glanzgesang.

Von blauem Tuch umspannt und rotem Kragen,
Ich war ein Fähnrich und ein junger Offizier.
Doch jene Tage, die verträumt manchmal in meine Nächte ragen,
Gehören nicht mehr mir.
Im großen Trott bin ich auf harten Straßen mitgeschritten,
Vom Staub der Märsche und vom grünen Wind besonnt.
Ich bin durch staunende Dörfer, durch Ströme und alte Städte geritten,
Und das Leben war wehend blond.
Die Biwakfeuer flammten wie Sterne im Tale
Und hatten den Himmel zu ihrem Spiegel gemacht,
Von schwarzen Bergen drohten des Feindes Alarm-Fanale,
Und Feuerballen zersprangen prasselnd in Nacht.
[175] So kam ich, braun vom Sommer und hart von Winterkriegen,
In große Kontore, die staubig rochen herein,
Da mußte ich meinen Rücken zur Sichel biegen
Und Zahlen mit spitzen Fingern in Bücher reihn.
Und irgendwo hingen die grünen Küsten der Fernen,
Ein Duft von Palmen kam schwankend vom Hafen geweht,
Weiß rasteten Karawanen an Wüsten-Zisternen,
Die Häupter gläubig nach Osten gedreht.
Auf Ozeanen zogen die großen Fronten
Der Schiffe, von fliegenden Fischen kühl überschwirrt
Und breiter Prärien glitzernde Horizonte
Umkreisten Gespanne, für lange Fahrten geschirrt.
Von Kameruns unergründlichen Wäldern umsungen,
Vom mörderischen Brodem des Bodens umloht,
Gehorchten zitternde Wilde, von Geißeln der Weißen umschwungen,
Und schwarz von Kannibalen der glühenden Wälder umdroht!
Amerikas große Städte brausten im Grauen,
Die Riesenkräne griffen mit heiserm Geschrei
In die Bäuche der Schiffe, die Frachten zu stauen,
Und Eisenbahnen donnerten landwärts vom Kai. – –
So hab' ich nachbarlich alle Zonen gesehen,
Rings von den Pulten grünten die Inseln der Welt,
Ich fühlte den Erdball rauchend sich unter mir drehen,
Zu rasender Fahrt um die Sonne geschnellt. – – –
[176] Da warf ich dem Chef an den Kopf seine Kladden!
Und stürmte mit wütendem Lachen zur Türe hinaus.
Und saß durch Tage und Nächte mit satten und platten
Bekannten bei kosmischem Schwatzen im Kaffeehaus.
Und einmal sank ich rückwärts in die Kissen,
Von einem angstvoll ungeheuren Druck zermalmt. –
Da sah ich: daß in vagen Finsternissen
Noch sternestumme Zukunft vor mir qualmt.

Der Schwebende.

Meine Jugend hängt um mich wie Schlaf.
Dickicht, Lichter – berieselt. Garten. Ein blitzender See.
Und drüber geweht die Wolken, die zögernden, leichten.
Irrlichternd spiele ich durch greise Straßen,
Und aus dem Qualmen toter Kellerfenster
Lacht dumpfe Qual im Krampfe zu mir auf.
Da heb' ich meine lächelnd schmalen Hände
Und breite einen Schleier von Musik
Sehr süß und müde machend um mich aus.
Und meine Füße treten in den Garten,
Der Abend trank. Die Liebespaare, dunkel, tief, erglühend,
Stöhnen, verirrt ins Blut, auf vor der Qual des Mai.
Da schüttle ich mein weiches Haar im Winde,
Und rote Düfte reifer Sommerträume
Umwiegen meinen silberleichten Gang.
Blaß friert ein Fenster, angelehnt im Winde,
Draus heiser greller Schrei und Weinen singen
Um einen Toten auf der dunklen Fahrt.
[177] Ich schließe meine Augen, schwere Wimpern,
Und sehe Ländereien grün vor Süden,
Und Fernen zärtlich weit für Träumereien.
Ein glänzend helles Kaffeehaus, voll Stimmen
Und voll Gebärden, lichtet sich, zerteilt.
An blanken Tischen sitzen meine Freunde.
Sie sprechen helle Worte in das Licht.
Und jeder spricht für sich und sagt es deutlich,
Und alle singen schwer im tiefen Chor:
Drei Worte, die ich nie begreifen werde,
Und die erhaben sind, voll Drang und Staunen,
Die dunkle Drei der: Hunger, Liebe, Tod.
Alfred Mombert

Hart stoßen sich die Wände in den Straßen.

Hart stoßen sich die Wände in den Straßen,
Vom Licht gezerrt, das auf das Pflaster keucht,
Und Kaffeehäuser schweben im Geleucht
Der Scheiben, hoch gefüllt mit wiehernden Grimassen.
Wir sind nach Süden krank, nach Fernen, Wind,
Nach Wäldern, fremd von ungekühlten Lüsten,
Und Wüstengürteln, die voll Sommer sind,
Nach weißen Meeren, brodelnd an besonnte Küsten.
Wir sind nach Frauen krank, nach Fleisch und Poren,
Es müßten Pantherinnen sein, gefährlich zart,
In einem wild gekochten Fieberland geboren.
Wir sind versehnt nach Reizen unbekannter Art.
[178] Wir sind nach Dingen krank, die wir nicht kennen.
Wir sind sehr jung. Und fiebern noch nach Welt.
Wir leuchten leise. – Doch wir könnten brennen.
Wir suchen immer Wind, der uns zu Flammen schwellt.

Alfred Mombert.

Geboren am 6. Februar 1872 zu Karlsruhe. – Tag und Nacht 1894. Der Glühende 1896. Die Schöpfung 1897. Der Denker 1901. Die Blüte des Chaos 1905. Der Sonne-Geist 1905. Aeon 1907, 1910, 1911. Der himmlische Becher 1909. Der Held der Erde 1919.

Das junge Liebchen …

Das junge Liebchen saß bei mir am Tisch.
Ich aß und trank und weinte bitterlich.
Es hatt' ein zartes Linnen aufgelegt.
Das war aus seinem Hemdelein genäht.
Es bot mir dar ein silbern Becherlein,
Da war sein eigen Blut darin.
Es reichte mir vom frischen Brot den Laib.
Das war sein eigner liebewarmer Leib.
Dann lächelt' es geheim und sonderbar,
Steckte eine Rose sich ins Haar. –

Ich liege …

Ich liege mit einer Frau im offnen Fenster.
Die beiden Arme ruhen beieinander.
Wir schaun hinab in ein Blumengärtchen.
Blicken beide stumm auf eine rote Nelke.
Wir wissen, daß wir jetzt und so uns lieben.
[179] Auch: daß wir niemals mehr uns lieben werden
Nach diesem Augenblick.

Ja in der Jugend …

Ja in der Jugend war ich der starke Junge,
Schleppte die stärksten Helden an meinem Tau;
Aber da wässerte mir die Zunge,
Und da hing ich am Arm einer Ehefrau.
Ich hab' eine schöne Tochter, einen stolzen Sohn.
Die lehnen rechts und links an meinem steilen Thron.
Ich bin in der Höhe der Kaiser.
Aber mein Haar wird stündlich weißer.
Sie lächeln, sie flüstern in der Tiefe in geheimem Ton.

Nun beugt die Nacht …

Nun beugt die Nacht sich singend über mich.
Ich ward erwählter Liebling der Natur.
In einer Barke liegend
Einen blauen Strom hinab durch grüne Landschaft,
Die Sonneseele über mir, Fahnen
Am Ufer, tönt Musik, und Festtagmenschen –
O Seele! volles, volles Leben!
Einem schäumenden Silberwassersturze treib' ich zu.
Stolze Klippen! jubelnd grüßt euch
Das reichste Herz! seid würdig,
Schmettert kühn hinab!
[180]

Wann ich von dir gehe …

Wann ich von dir gehe,
Noch schallt die Marmortreppe unter mir,
Verwandelt sich mein Antlitz, meine Haltung –
Werd' ich zum Wurm? – werd' ich zum Engel?
Aus dunklen Wäldern kam ich her zu dir
In die strahlende Marmorstadt.
Küsse mich
In goldenen Strähnen!
Doch in mir sind die dunklen Eibenwälder.

Auf steilem Felsrücken …

Auf steilem Felsrücken hingestreckt mächtig ein Weib,
Ein einzig fühlend Auge der weiße weiche Leib.
Zugepreßt krampfhaft das winzige graue Augenpaar:
Sieghaft droben die Sonne. Die Sonne sieghaft, ruhend klar.
Sie zuckt! bäumt! windet sich! empor! schimmernd in Qual!
Goldene Ströme: es schäumt ihr wild Haar zu Tal.
Und eins – immer eins das weiße Ringen spricht:
Schmerzvoll ist das Licht!

Ich möcht' es kosten …

Ich möcht' es kosten, in seliger Neugier,
Das was man Tod nennt.
Manche lange Nacht
Hab' ich gekostet, was so fremd mir war,
So übermächtig, wie kein Tod es sein kann.
Ich stand oft an jener feinsten Linie
[181] Und war wohl schon mit halber Seele drüben.
Ich hab' das nicht gewollt; es war ein Leiden.
Nur eine Stimmung kräftigte ich mir.
Ein Kinderlächeln meinen Seelewundern.
Am Ende fließen nun die Freudetränen.
Wo bist du, Sehnsucht? – Alles ist Erfüllung.

Schwindsucht.

Aus einer Wallfahrtskirche treten sie,
Drin wundertätig eine Heilige wirkt.
Ein junger Mann und eine blasse Frau.
Sie führen sich an der Hand wie Kinder,
Die scheu verstohlen Zuckerwerk genascht.
Ein müdes Lächeln hißt sich auf Halbmast.
„Nun bin ich bald gesund, du süßer Mann“ …
„Nun bist du bald gesund, mein süßes Weib“ …

Trinkend …

Trinkend hatt' ich erharrt
Deine Gegenwart.
Und nun du eingetreten,
Ist alles schön und stille,
Du und deine feierlichen Reden,
Lächelnd ruht mein Wille.
Du und dein Samt- und Sternekleid.
Ich und meine schaffende Vergangenheit.
Und ich bemerke wein- und glutselig:
Die Krone, die um deine Schläfen blitzt und dämmert,
Hab' ich vor tausend Jahren zurechtgehämmert.
[182]

Im Mondlicht …

Im Mondlicht und im Sonnelicht
Schrieb ich mein Gedicht,
Seltener im Sternelicht.
Die kleineren Lichter
Überließ ich dem guten deutschen Dichter.

Da spülst du bunte Muscheln …

Da spülst du bunte Muscheln an den Strand
Zum Spiel für die alte Schöpferhand.
Und so ruhend Hand in Hand mit dir
Fühl' ich das Unvergängliche in mir.
In blauer Luft der Adler schreit.
O feuchter Wind! o kühle Zeit!
Ein spielend Kind,
Ein Kind mit uferloser Vergangenheit.
O Lächeln, das aus meinem Menschenherzen fließt
Und sich in tränendem Gesang vergießt.
Du Glut und Pracht!
Du meine Schöpfermacht!
Du Meer! Du Sonne! – Adlerschrei! –
Und immer die große Melodie dabei.

Zwischen zwei dunklen Wogen …

Zwischen zwei dunklen Wogen liegend,
Ihren Untertanentrotz mir niederbiegend,
Ruf' ich meine Machtstunde auf.
Alsobald schwebt der Nachtplanet herauf,
Er lagert hoch über der glänzenden Ozeanfläche
Am Stamm der himmeldunklen Esche.
Dröhnende Stunde der feierlichen Achtung,
Der schweigenden Betrachtung.
[183] Einst war hier nichts als mein Beruf.
Heut lieg' ich körperlich in großen Träumen
Zwischen weißen Wogenschäumen,
Und rede mit dem Licht, das ich erschuf.

Ich tat große Dinge …

Ich tat große Dinge,
Und gab dem Saturn wundervolle Ringe.
Aber da sah ich dann alles von selber geschehen,
Nichts mehr warten und stehen,
Mein Geist geriet in Zwang,
Hinein in fürchterlichen Zusammenhang,
Daß ich wahnsinnig in einer Kette rang.
Seit der Zeit schaff' ich nichts Neues mehr.
Sonne und Mond sind mein einziger Verkehr.
Vielleicht noch das Feuer, vielleicht noch das Meer.
Weite Stillen
Überwölben meinen Willen.
Unsichtbare Geigen
Bereden mich, zu schweigen.

Ich lag auf dem Meer …

Ich lag auf dem Meer, über mir wälzte sich das Licht.
Ich sah: von einer glänzenden Klippe
Banden weißer Vögel aufschwirren.
Ich schleuderte ein Seil, sie einzufangen.
Weiße Tiere, Traum, Phantasie und Meer.
Weiße Tiere: ewige Glanz-Wiederkehr.
[184]

Der Mond betrat …

Der Mond betrat der Urnacht Land
Hinter meiner tastenden Führerhand.
In einem Tal, im neu beleuchteten Reiche
Fanden wir liegen eine große Leiche,
Die uns fremd war, einsam, ohne Namen.
Saßen; aufgestützt ins dunkle Antlitz starrend;
Traumhaft; einen Gedanken erharrend.
Und wir haben
Flüsternd uns beraten;
Den Toten im Felsgebirg begraben.
Doch wohin wir forschend später kamen,
Fanden wir die Spuren seiner Taten.

Mich jammerte …

Mich jammerte dein graues Dämmerweh,
Ich legte dich sanft hin auf weißen Schnee.
Ordnete dein rotes Flammenhaar,
Das einst so schmerzhaft, hier so selig war.
Und kniend im Schnee und über dich geschoben
Hab' ich aus deiner grünen Augentiefe
Einen schönen Stern gehoben.
*  *  *
Sterne schwimmen auf den milden Fluten,
Die alles tragen.
Was willst du noch sagen,
Du Glänzende, in deinen Abendgluten!
[185]

Bevor ich …

Bevor ich diesen Inselstrand verließ,
Entdeckte ich letztmals streifend eine Höhle,
Da drinnen ward mir eine neue Seele,
Die mir ein höchstes Glück verhieß.
Und so saß ich lange,
Ein tiefes Lächeln auf meiner Wange.
Vom Licht umzittert in der Dämmerkühle.
Glühend in einem neuen
Heimat-Urgefühle.
*  *  *
Es war zur Nacht, da ich ins Meerhorn stieß.
Es war zur Nacht, da ich zum Aufbruch blies.
Es war zur Nacht, da ich den Strand verließ.
Mein Boot lag in der Mondquelle.
Ich stand in vollendeter Helle.
Ich stand schlafähnlich starr auf silbernem Kies.

Ich hörte den Wind …

Ich hörte den Wind durch die Eichenkronen streichen.
Mein Herz war kühl wie die Teiche meiner Heimat.
Die weißen Wolken über den grünen Hügeln!
Dann kam die Schwalbe, die Schwalbe übers Meer.
*  *  *
Ein Haus … Nur der Grille Stimme klang
In die stillen Bereiche.
Manchmal, eines Mädchens kühler Sang,
Der wellengleiche.
Und ein Kind, ein Knabe lag tagelang
Am zitternden Teiche.
[186]

Am Saume …

Am Saume eines fruchtbewachsenen Berges,
Felsig in die Klarheit tauchte der Gipfel,
Stand ich im Zwiegespräch mit einem Weibe.
Die starken Schultern glänzten in der Dämmerung,
Es ruhte hoheitvoll der nackte Leib.
Wir blickten redend, sinnend in die Landschaft
Über reiche Wiesen, violette Ströme,
Bäume dunkelten am Himmel,
Leise brausend sprach fernher ein Meer.
Manchmal schritten Gestalten:
Erzengel, in großem Abend
An uns vorüber: grüßten:
Und wünschten uns und unsern Kindern Heil.

An Ufern des Rheins …

An Ufern des Rheins auf weißen Rossen
Sprengen wir, Freunde!
Sie schleudern die Mähnen,
Sie wiehern auf zum Morgenstern!
Wir sind schön gekränzt mit Erde-Freuden
Und trunken wunderbar des Sieger-Weins –
Es sind Wogen-Rosse! die weißen Rosse!
Da sprengen sie uns in die Fluten des Rheins!
Wir sind jung, im Feuer zeugerisch,
Welten nahe – Erde fern –
Es sind Äther-Rosse! die weißen Rosse!
Da sprengen sie uns auf zum Morgenstern!

[187]

Christian Morgenstern.

Geboren am 6. Mai 1871 zu München, lebte als Schriftsteller in Berlin; starb am 31. März 1914 in Meran. – In Phantas Schloß 1895. Horatius travestitus 1896. Auf vielen Wegen 1897. Ich und die Welt 1898. Ein Sommer 1899. Und aber ründet sich ein Kranz 1902. Galgenlieder 1905. Melancholie 1904. Palmström 1910. Einkehr 1910. Palma Kunkel 1916. Der Gingganz 1919.

Erster Schnee.

Aus silbergrauen Gründen tritt
Ein schlankes Reh
Im winterlichen Wald
Und prüft vorsichtig, Schritt für Schritt,
Den reinen, kühlen, frischgefallenen Schnee.
Und deiner denk' ich, zierlichste Gestalt.

Vöglein Schwermut.

Ein schwarzes Vöglein fliegt über die Welt,
Das singt so todestraurig …
Wer es hört, der hört nichts anderes mehr,
Wer es hört, der tut sich ein Leides an,
Der mag keine Sonne mehr schauen.
Allmitternacht, Allmitternacht
Ruht es sich aus auf dem Finger des Tods.
Der streichelt's leis und spricht ihm zu:
„Flieg, mein Vögelein! Flieg, mein Vögelein!“
Und wieder fliegt's flötend über die Welt.

Welch ein Schweigen …

Welch ein Schweigen, welch ein Frieden
In dem stillen Alpentale.
Laute Welt ruht abgeschieden.
Silbern schwankt des Mondes Schale.
[188] Von den Wiesen strömt ein Düften.
Aus den Wäldern lugt das Dunkel.
Brausend aus geheimen Klüften
Bricht der Bäche fahl Gefunkel.
Überm Saum der letzten Bäume
Weiße Wände stehn und steigen
In die blauen Sternenräume.
Welch ein Frieden, welch ein Schweigen!

Das sind die Reden …

Das sind die Reden, die mir lieb vor allen:
Die Wässerlein, vom hohen Felsen rinnend,
Mein ganzes Herz mit ihrer Lust gewinnend,
Ohn' End' zum tiefen Grund hinabzufallen.
Du Wiegenlied vor allen Wiegenliedern,
Zur Ewigkeit hinweg vom Eintag wiegend,
Das laute Selbst zu jener Ruh' besiegend,
Die keine leeren Klagen mehr erniedern!

Das Spinnennetz.

O sieh das Spinnennetz im Morgensonnenschein,
Wie es vom Tau noch voll kristallner Tropfen hängt!
Im leichten Winde wiegt es seiner Perlen Pracht,
Die in den silbergrauen Maschen hier und dort
So flüchtig sich wie sanft und zierlich eingeschmiegt.
Sieh, so ist alles Glück. So hängt es flüchtig sich
In unsrer Tage schwankendes Gespinst,
Und es erschauert unter seiner köstlichen Last
Des Majaschleiers weltdurchwallendes Geweb.
[189]

Verbannung zur Höhe.

Noch niemals fiel es irgend einem Volke ein,
Zu schenken einem Dichter einen hohen Berg,
Mit dem Beding, von ihm herabzusteigen nur,
Um ihm zu bringen diesem Ebenbürtiges.
Ja, bannen müßt' es selbst das allzu schweifende
Geschlecht der Dichter an so hohen Aufenthalt,
Wo nur das Höchste recht hat und der Dinge Maß,
Gereckt ins Ungemeine, seinen Blick entwöhnt
Des bunt zufälligen Wirbels, drein sein Tag ihn warf.

Deine Rosen.

„Deine Rosen an der Brust,
Sitz' ich unter fremden Menschen,
Laß sie reden, laß sie lärmen,
Jung Geheimnis tief im Herzen.
Wenn ich einstimm' in ihr Lachen,
Ist's das Lachen meiner Liebe;
Wenn ich ernst dem Nachbar lausche,
Lausch' ich selig still nach innen.
Einen ganzen langen Abend
Muß ich fern dir, Liebster, weilen,
Küssend heimlich, ohne Ende,
Deine Rosen an der Brust.“

Der Bach.

Wie der wilde Gletscherbach
Selber sich entgegenbraust,
Auf sein wogendes Gejach'
Weiß zurückgekraust!
[190] So der Einzelne der Zeit
Zornerfüllt entgegenschwillt.
Doch die rollt zur Ewigkeit.
Und alles ist ein Bild.

Christus klagt:

Wachet und betet mit mir!
Meine Seele ist traurig
Bis in den Tod.
Wachet und betet!
Mit mir!
Eure Augen
Sind voll Schlafes –
Könnt ihr nicht wachen?
Ich gehe,
Euch mein Letztes zu geben –
Und ihr schlaft …
Einsam stehe ich
Unter Schlafenden,
Einsam vollbring' ich
Das Werk meiner schwersten Stunde.
Wachet und betet mit mir!
Könnt ihr nicht wachen?
Ihr alle seid in mir,
Aber in wem bin ich?
Was wißt ihr
Von meiner Liebe,
Was wißt ihr
Vom Schmerz meiner Seele!
O einsam!
Einsam!
[191] Ich sterbe für euch –
Und ihr schlaft!
Ihr schlaft!

Begegnung.

Wir saßen an zwei Tischen – wo? – im All …
Was Schenke, Stadt, Land, Stern – was tut's dazu.
Wir saßen irgendwo im Reich des Lebens …
Wir saßen an zwei Tischen, hier und dort.
Und meine Seele brannte: Fremdes Mädchen,
Wenn ich in deine Augen dichten dürfte –
Wenn dieser königliche Mund mich lohnte –
Und diese königliche Hand mich krönte –!
Und deine Seele brannte: Fremder Jüngling,
Wer bist du, daß du mich so tief erregest –
Daß ich die Kniee dir umfassen möchte –
Und sagen nichts als: Liebster, Liebster, Liebster!
Und unsre Seelen schlugen fast zusammen.
Doch jeder blieb an seinem starren Tisch –
Und stand zuletzt mit denen um ihn auf –
Und ging hinaus –. Und sahn uns nimmer mehr.

[192]

Friedrich Nietzsche.

Geboren am 15. Oktober 1844 zu Röcken bei Lützen, verlebte seine Schulzeit in Naumburg und Schulpforta, studierte, besonders unter Ritschl, in Bonn und Leipzig, wurde 1869 durch Ritschls Vermittlung Professor an der Universität Basel, trat zu Jakob Burckhardt und Richard Wagner in nahe Beziehungen und zu dem letzteren später in offenen Gegensatz. 1879 wurde er so krank, daß er seine Professur niederlegen mußte, er lebte längere Zeit im Engadin, fiel in Wahnsinn und starb, ohne seine Geisteskraft wiedererlangt zu haben, am 25. August 1900 zu Weimar. – Gedichte und Sprüche 1898.

An den Mistral.
Ein Tanzlied.

Mistralwind, du Wolkenjäger,
Trübsalmörder, Himmelsfeger,
Brausender, wie lieb' ich dich!
Sind wir zwei nicht eines Schoßes
Erstlingsgabe, eines Loses
Vorbestimmte ewiglich?
Hier auf glatten Felsenwegen
Lauf' ich tanzend dir entgegen,
Tanzend, wie du pfeifst und singst:
Der du ohne Schiff und Ruder
Als der Freiheit freister Bruder
Über wilde Meere springst.
Kaum erwacht, hört' ich dein Rufen,
Stürmte zu den Felsenstufen,
Hin zur gelben Wand am Meer.
Hei! da kamst du schon gleich hellen
Diamantnen Stromesschnellen
Sieghaft von den Bergen her.
Auf den ebnen Himmelstennen
Sah ich deine Rosse rennen,
[193] Sah den Wagen, der dich trägt,
Sah die Hand dir selber zücken,
Wenn sie auf der Rosse Rücken
Blitzesgleich die Geißel schlägt, –
Sah dich aus dem Wagen springen,
Schneller dich hinabzuschwingen,
Sah dich wie zum Pfeil verkürzt
Senkrecht in die Tiefe stoßen, –
Wie ein Goldstrahl durch die Rosen
Erster Morgenröten stürzt.
Tanze nun auf tausend Rücken,
Wellenrücken, Wellentücken –
Heil, wer neue Tänze schafft!
Tanzen wir in tausend Weisen,
Frei – sei unsre Kunst geheißen,
Fröhlich – unsre Wissenschaft!
Raffen wir von jeder Blume
Eine Blüte uns zum Ruhme
Und zwei Blätter noch zum Kranz!
Tanzen wir gleich Troubadouren
Zwischen Heiligen und Huren,
Zwischen Gott und Welt den Tanz!
Wer nicht tanzen kann mit Winden,
Wer sich wickeln muß mit Binden,
Angebunden, Krüppelgreis,
Wer da gleicht den Heuchelhänsen,
Ehrentölpeln, Tugendgänsen,
Fort aus unsrem Paradeis!
Wirbeln wir den Staub der Straßen
Allen Kranken in die Nasen,
[194] Scheuchen wir die Krankenbrut!
Lösen wir die ganze Küste
Von dem Odem dürrer Brüste,
Von den Augen ohne Mut!
Jagen wir die Himmelstrüber,
Weltenschwärzer, Wolkenschieber,
Hellen wir das Himmelreich!
Brausen wir … oh aller freien
Geister Geist, mit dir zu zweien
Braust mein Glück dem Sturme gleich. –
Und daß ewig das Gedächtnis
Solchen Glücks, nimm sein Vermächtnis,
Nimm den Kranz hier mit hinauf!
Wirf ihn höher, ferner, weiter,
Stürm' empor die Himmelsleiter,
Häng' ihn – an den Sternen auf!

Vereinsamt.

Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein, –
Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!
Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du Narr
Vor Winters in die Welt entflohn?
Die Welt – ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
[195] Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg, Vogel, schnarr
Dein Lied im Wüstenvogel-Ton! –
Versteck, du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein, –
Weh dem, der keine Heimat hat!

Zarathustras Lied.

O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief –,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –,
Lust – tiefer noch als Herzeleid!
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit! –
Will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

Venedig.

An der Brücke stand
Jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
[196] Goldener Tropfen quoll's
Über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik –
Trunken schwamm's in die Dämm'rung hinaus …
Meine Seele, ein Saitenspiel,
Sang sich, unsichtbar berührt,
Heimlich ein Gondellied dazu,
Zitternd vor bunter Seligkeit.
– Hörte jemand ihr zu? …

Sils-Maria.

Hier saß ich, wartend, wartend, – doch auf nichts,
Jenseits von Gut und Böse, bald des Lichts
Genießend, bald des Schattens, ganz nur Spiel,
Ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.
Da, plötzlich, Freundin! wurde eins zu zwei –
– Und Zarathustra ging an mir vorbei …

Die Sonne sinkt …

I.

Nicht lange durstest du noch,
Verbranntes Herz!
Verheißung ist in der Luft,
Aus unbekannten Mündern bläst mich's an,
– Die große Kühle kommt …
Meine Sonne stand heiß über mir im Mittage:
Seid mir gegrüßt, daß ihr kommt,
Ihr plötzlichen Winde,
Ihr kühlen Geister des Nachmittags!
[197] Die Luft geht fremd und rein,
Schielt nicht mit schiefem
Verführerblick
Die Nacht mich an? …
Bleib stark, mein tapfres Herz!
Frag nicht: warum? –

II.

Tag meines Lebens!
Die Sonne sinkt.
Schon steht die glatte
Flut umgüldet.
Warm atmet der Fels:
Schlief wohl zu Mittag
Das Glück auf ihm seinen Mittagsschlaf?
In grünen Lichtern
Spielt Glück noch der braune Abgrund herauf.
Tag meines Lebens!
Gen Abend geht's!
Schon glüht dein Auge
Halb gebrochen,
Schon quillt deines Taus
Tränengeträufel,
Schon läuft still über weiße Meere
Deiner Liebe Purpur,
Deine letzte zögernde Seligkeit …

III.

Heiterkeit, güldene, komm!
Du des Todes
Heimlichster, süßester Vorgenuß!
– Lief ich zu rasch meines Wegs?
[198] Jetzt erst, wo der Fuß müde ward,
Holt dein Blick mich noch ein,
Holt dein Glück mich noch ein.
Rings nur Welle und Spiel.
Was je schwer war,
Sank in blaue Vergessenheit, –
Müßig steht nun mein Kahn.
Sturm und Fahrt – wie verlernt' er das!
Wunsch und Hoffen ertrank,
Glatt liegt Seele und Meer.
Siebente Einsamkeit!
Nie empfand ich
Näher mir süße Sicherheit,
Wärmer der Sonne Blick.
– Glüht nicht das Eis meiner Gipfel noch?
Silbern, leicht, ein Fisch,
Schwimmt nun mein Nachen hinaus …

Rainer Maria Rilke.

Geboren am 4. Dezember 1875 in Prag. – Erste Gedichte 1895. Frühe Gedichte 1900. Das Buch der Bilder 1903. Das Stundenbuch 1905. Neue Gedichte 1907. Requiem 1909. Das Marienleben 1912.

Ernste Stunde.

Wer jetzt weint irgendwo in der Welt,
Ohne Grund weint in der Welt,
Weint über mich.
Wer jetzt lacht irgendwo in der Nacht,
Ohne Grund lacht in der Nacht,
Lacht mich aus.
[199] Wer jetzt geht irgendwo in der Welt,
Ohne Grund geht in der Welt,
Geht zu mir.
Wer jetzt stirbt irgendwo in der Welt,
Ohne Grund stirbt in der Welt,
Sieht mich an.

Die Blinde.

Der Fremde:
Du bist nicht bang, davon zu sprechen?
Die Blinde:
Nein.
Es ist so ferne. Das war eine andre.
Die damals sah, die laut und schauend lebte,
Die starb.
Der Fremde:
Und hatte einen schweren Tod?
Die Blinde:
Sterben ist Grausamkeit an Ahnungslosen.
Stark muß man sein, sogar wenn Fremdes stirbt.
Der Fremde:
Sie war dir fremd?
Die Blinde:
– Oder: sie ist's geworden.
Der Tod entfremdet selbst dem Kind die Mutter. –
Doch es war schrecklich in den ersten Tagen.
Am ganzen Leibe war ich wund. Die Welt,
Die in den Dingen blüht und reift,
War mit den Wurzeln aus mir ausgerissen,
Mit meinem Herzen (schien mir), und ich lag
Wie aufgewühlte Erde offen da und trank
Den kalten Regen meiner Tränen,
[200] Der aus den toten Augen unaufhörlich
Und leise strömte, wie aus leeren Himmeln,
Wenn Gott gestorben ist, die Wolken fallen.
Und mein Gehör war groß und allem offen.
Ich hörte Dinge, die nicht hörbar sind:
Die Zeit, die über meine Haare floß,
Die Stille, die in zarten Gläsern klang,
Und fühlte: nah bei meinen Händen ging
Der Atem einer großen weißen Rose.
Und immer wieder dacht ich: Nacht und: Nacht
Und glaubte einen hellen Streif zu sehn,
Der wachsen würde wie ein Tag;
Und glaubte auf den Morgen zuzugehn,
Der längst in meinen Händen lag.
Die Mutter weckt ich, wenn der Schlaf mir schwer
Hinunterfiel vom dunklen Gesicht,
Der Mutter rief ich: „Du, komm her!
Mach Licht!“
Und horchte. Lange, lange blieb es still,
Und meine Kissen fühlte ich versteinen, –
Dann war's, als säh ich etwas scheinen:
Das war der Mutter wehes Weinen,
An das ich nicht mehr denken will.
Mach Licht! Mach Licht! Ich schrie es oft im Traum:
Der Raum ist eingefallen. Nimm den Raum
Mir vom Gesicht und von der Brust.
Du mußt ihn heben, hochheben,
Mußt ihn wieder den Sternen geben;
Ich kann nicht leben so, mit dem Himmel auf mir.
Aber sprech ich zu dir, Mutter?
Oder zu wem denn? Wer ist denn dahinter?
Wer ist denn hinter dem Vorhang? – Winter?
Mutter: Sturm? Mutter: Nacht? Sag!
[201] Oder: Tag? … Tag!
Ohne mich! Wie kann es denn ohne mich Tag sein?
Fehl ich denn nirgends?
Fragt denn niemand nach mir?
Sind wir denn ganz vergessen?
Wir? … Aber du bist ja dort;
Du hast ja noch alles, nicht?
Um dein Gesicht sind noch alle Dinge bemüht,
Ihm wohlzutun.
Wenn deine Augen ruhn
Und wenn sie noch so müd waren,
Sie können wieder steigen.
… Meine schweigen.
Meine Blumen werden die Farbe verlieren.
Meine Spiegel werden zufrieren.
In meinen Büchern werden die Zeilen verwachsen.
Meine Vögel werden in den Gassen
Herumflattern und sich an fremden Fenstern verwunden.
Nichts ist mehr mit mir verbunden.
Ich bin von allem verlassen. –
Ich bin eine Insel.
Der Fremde:
Und ich bin über das Meer gekommen.
Die Blinde:
Wie? Auf die Insel? … Hergekommen?
Der Fremde:
Ich bin noch im Kahne.
Ich habe ihn leise angelegt –
An dich. Er ist bewegt:
Seine Fahne weht landein.
Die Blinde:
Ich bin eine Insel und allein.
Ich bin reich.
[202] Zuerst, als die alten Wege noch waren
In meinen Nerven, ausgefahren
Von vielem Gebrauch:
Da litt ich auch.
Alles ging mir aus dem Herzen fort,
Ich wußte erst nicht wohin;
Aber dann fand ich sie alle dort,
Alle Gefühle, das, was ich bin,
Stand versammelt und drängte und schrie
An den vermauerten Augen, die sich nicht rührten.
Alle meine verführten Gefühle …
Ich weiß nicht, ob sie Jahre so standen,
Aber ich weiß von den Wochen,
Da sie alle zurückkamen gebrochen
Und niemanden erkannten.
Dann wuchs der Weg zu den Augen zu.
Ich weiß ihn nicht mehr.
Jetzt geht alles in mir umher,
Sicher und sorglos; wie Genesende
Gehn die Gefühle, genießend das Gehn,
Durch meines Leibes dunkles Haus.
Einige sind Lesende
Über Erinnerungen;
Aber die jungen
Sehn alle hinaus.
Denn wo sie hintreten an meinen Rand,
Ist mein Gewand von Glas.
Meine Stirne sieht, meine Hand las
Gedichte in anderen Händen.
Mein Fuß spricht mit den Steinen, die er betritt,
Meine Stimme nimmt jeder Vogel mit
Aus den täglichen Wänden.
[203] Ich muß nichts mehr entbehren jetzt,
Alle Farben sind übersetzt
In Geräusch und Geruch.
Und sie klingen unendlich schön
Als Töne.
Was soll mir ein Buch?
In den Bäumen blättert der Wind;
Und ich weiß, was dorten für Worte sind,
Und wiederhole sie manchmal leis.
Und der Tod, der Augen wie Blumen bricht,
Findet meine Augen nicht …
Der Fremde (leise):
Ich weiß.

Herbst.

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
Als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
Sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
Aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.

Der Schauende.

Ich sehe den Bäumen die Stürme an,
Die aus laugewordenen Tagen
An meine ängstlichen Fenster schlagen,
[204] Und höre die Fernen Dinge sagen,
Die ich nicht ohne Freund ertragen,
Nicht ohne Schwester lieben kann.
Da geht der Sturm, ein Umgestalter,
Geht durch den Wald und durch die Zeit,
Und alles ist wie ohne Alter:
Die Landschaft, wie ein Vers im Psalter,
Ist Ernst und Wucht und Ewigkeit.
Wie ist das klein, womit wir ringen,
Was mit uns ringt, wie ist das groß;
Ließen wir, ähnlicher den Dingen,
Uns so vom großen Sturm bezwingen, –
Wir würden weit und namenlos.
Was wir besiegen, ist das Kleine,
Und der Erfolg selbst macht uns klein.
Das Ewige und Ungemeine
Will nicht von uns gebogen sein.
Das ist der Engel, der den Ringern
Des Alten Testaments erschien:
Wenn seiner Widersacher Sehnen
Im Kampfe sich metallen dehnen,
Fühlt er sie unter seinen Fingern
Wie Saiten tiefer Melodien.
Wen dieser Engel überwand,
Welcher so oft auf Kampf verzichtet,
Der geht gerecht und aufgerichtet
Und groß aus jener harten Hand,
Die sich, wie formend, an ihn schmiegte.
Die Siege laden ihn nicht ein.
Sein Wachstum ist: Der Tiefbesiegte
Von immer Größerem zu sein.
[205]

Von den Fontänen.

Auf einmal weiß ich viel von den Fontänen,
Den unbegreiflichen Bäumen aus Glas.
Ich könnte reden wie von eignen Tränen,
Die ich, ergriffen von sehr großen Träumen,
Einmal vergeudete und dann vergaß.
Vergaß ich denn, daß Himmel Hände reichen
Zu vielen Dingen und in das Gedränge?
Sah ich nicht immer Großheit ohnegleichen
Im Aufstieg alter Parke vor den weichen
Erwartungsvollen Abenden, – in bleichen
Aus fremden Mädchen steigenden Gesängen,
Die überfließen aus der Melodie
Und wirklich werden und als müßten sie
Sich spiegeln in den aufgetanen Teichen?
Ich muß mich nur erinnern an das alles,
Was an Fontänen und an mir geschah, –
Dann fühl ich auch die Last des Niederfalles,
In welcher ich die Wasser wiedersah:
Und weiß von Zweigen, die sich abwärts wandten,
Von Stimmen, die mit kleiner Flamme brannten,
Von Teichen, welche nur die Uferkanten
Schwachsinnig und verschoben wiederholten,
Von Abendhimmeln, welche von verkohlten
Westlichen Wäldern ganz entfremdet traten,
Sich anders wölbten, dunkelten und taten,
Als wär das nicht die Welt, die sie gemeint …
Vergaß ich denn, daß Stern bei Stern versteint
Und sich verschließt gegen die Nachbargloben?
Daß sich die Welten nur noch wie verweint
[206] Im Raum erkennen? – Vielleicht sind wir oben
In Himmel andrer Wesen eingewoben,
Die zu uns aufschaun abends. Vielleicht loben
Uns ihre Dichter. Vielleicht beten viele
Zu uns empor. Vielleicht sind wir die Ziele
Von fremden Flüchen, die uns nie erreichen,
Nachbaren eines Gottes, den sie meinen
In unsrer Höhe, wenn sie einsam weinen,
An den sie glauben und den sie verlieren,
Und dessen Bildnis, wie ein Schein aus ihren
Suchenden Lampen, flüchtig und verweht,
Über unsere zerstreuten Gesichter geht …

Die Entführung.

Oft war sie als Kind ihren Dienerinnen
Entwichen, um die Nacht und den Wind
(Weil sie drinnen so anders sind)
Draußen zu sehn an ihrem Beginnen;
Doch keine Sturmnacht hatte gewiß
Den riesigen Park so in Stücke gerissen,
Wie ihn jetzt ihr Gewissen zerriß,
Da er sie nahm von der seidenen Leiter
Und sie weitertrug, weiter, weiter:
Bis der Wagen alles war.
Und sie roch ihn, den schwarzen Wagen,
Um den verhalten das Jagen stand
Und die Gefahr.
Und sie fand ihn mit Kaltem ausgeschlagen;
Und das Schwarze und Kalte war auch in ihr.
Sie kroch in ihren Mantelkragen
[207] Und befühlte ihr Haar, als bliebe es hier,
Und hörte fremd einen Fremden sagen:
Ichbinbeidir.

Fragmente aus verlorenen Tagen.

Wie Vögel, welche sich gewöhnt ans Gehn
Und immer schwerer werden, wie im Fallen:
Die Erde saugt aus ihren langen Krallen
Die mutige Erinnerung von allen
Den großen Dingen, welche hoch geschehn,
Und macht sie fast zu Blättern, die sich dicht
Am Boden halten –
Wie Gewächse, die,
Kaum aufwärts wachsend, in die Erde kriechen,
In schwarzen Schollen unlebendig licht
Und weich und feucht versinken und versiechen,
Wie irre Kinder, – wie ein Angesicht
In einem Sarg, – wie frohe Hände, welche
Unschlüssig werden, weil im vollen Kelche
Sich Dinge spiegeln, die nicht nahe sind, –
Wie Hilferufe, die im Abendwind
Begegnen vielen dunklen großen Glocken, –
Wie Zimmerblumen, die seit Tagen trocken,
Wie Gassen, die verrufen sind, – wie Locken,
Darinnen Edelsteine blind geworden sind, –
Wie Morgen im April
Vor allen vielen Fenstern des Spitales:
Die Kranken drängen sich am Saum des Saales
Und schaun: die Gnade eines frühen Strahles
Macht alle Gassen frühlinglich und weit;
Sie sehen nur die helle Herrlichkeit,
Welche die Häuser jung und lachend macht,
[208] Und wissen nicht, daß schon die ganze Nacht
Ein Sturm die Kleider von den Himmeln reißt,
Ein Sturm von Wassern, wo die Welt noch eist,
Ein Sturm, der jetzt noch durch die Gassen braust
Und der den Dingen alle Bürde
Von ihren Schultern nimmt, –
Daß etwas draußen groß ist und ergrimmt,
Daß draußen die Gewalt geht, eine Faust,
Die jeden von den Kranken würgen würde
Inmitten dieses Glanzes, dem sie glauben. –
… Wie lange Nächte in verwelkten Lauben,
Die schon zerrissen sind auf allen Seiten
Und viel zu weit, um noch mit einem zweiten,
Den man sehr liebt, zusammen drin zu weinen, –
Wie nackte Mädchen, kommend über Steine,
Wie Trunkene in einem Birkenhaine, –
Wie Worte, welche nichts Bestimmtes meinen
Und dennoch gehn, ins Ohr hineingehn, weiter
Ins Hirn und heimlich auf der Nervenleiter
Durch alle Glieder Sprung um Sprung versuchen.
Wie Greise, welche ihr Geschlecht verfluchen
Und dann versterben, so daß keiner je
Abwenden könnte das verhängte Weh,
Wie volle Rosen, künstlich aufgezogen
Im blauen Treibhaus, wo die Lüfte logen,
Und dann vom Übermut in großem Bogen
Hinausgestreut in den verwehten Schnee, –
Wie eine Erde, die nicht kreisen kann,
Weil zuviel Tote ihr Gefühl beschweren,
Wie ein erschlagener verscharrter Mann,
Dem sich die Hände gegen Wurzeln wehren, –
Wie eine von den hohen, schlanken, roten
Hochsommerblumen, welche unerlöst
[209] Ganz plötzlich stirbt im Lieblingswind der Wiesen,
Weil ihre Wurzel unten an Türkisen
Im Ohrgehänge einer Toten
Stößt …
Und mancher Tage Stunden waren so,
Als formte wer mein Abbild irgendwo,
Um es mit Nadeln langsam zu mißhandeln.
Ich spürte jede Spitze seiner Spiele,
Und war, als ob ein Regen auf mich fiele,
In welchem alle Dinge sich verwandeln.
Rainer Maria Rilke

Spanische Tänzerin.

Wie in der Hand ein Schwefelzündholz, weiß,
Eh es zur Flamme kommt, nach allen Seiten
Zuckende Zungen streckt –: beginnt im Kreis
Naher Beschauer hastig, hell und heiß
Ihr runder Tanz sich zuckend auszubreiten.
Und plötzlich ist er Flamme ganz und gar.
Mit ihrem Blick entzündet sie ihr Haar
Und dreht auf einmal mit gewagter Kunst
Ihr ganzes Kleid in diese Feuersbrunst,
Aus welcher sich, wie Schlangen, die erschrecken,
Die nackten Arme wach und klappernd strecken.
Und dann: als würde ihr das Feuer knapp,
Nimmt sie es ganz zusamm und wirft es ab
Sehr herrisch, mit hochmütiger Gebärde
Und schaut: da liegt es rasend auf der Erde
Und flammt noch immer und ergibt sich nicht –.
[210] Doch sieghaft, sicher und mit einem süßen
Grüßenden Lächeln hebt sie ihr Gesicht
Und stampft es aus mit kleinen festen Füßen.

Der Fremde.

Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten,
Die er müde nicht mehr fragen hieß,
Ging er wieder fort; verlor, verließ –.
Denn er hing an solchen Reisenächten
Anders als an jeder Liebesnacht.
Wunderbare hatte er durchwacht,
Die mit starken Sternen überzogen
Enge Fernen auseinanderbogen
Und sich wandelten wie eine Schlacht;
Andre, die mit in den Mond gestreuten
Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten,
Sich ergaben, oder durch geschonte
Parke graue Edelsitze zeigten,
Die er gerne in dem hingeneigten
Haupte einen Augenblick bewohnte,
Tiefer wissend, daß man nirgends bleibt;
Und schon sah er bei dem nächsten Biegen
Wieder Wege, Brücken, Länder liegen
Bis an Städte, die man übertreibt.
Und dies alles immer unbegehrend
Hinzulassen, schien ihm mehr als seines
Lebens Lust, Besitz und Ruhm.
Doch auf fremden Plätzen war ihm eines
Täglich ausgetretnen Brunnensteines
Mulde manchmal wie ein Eigentum.

[211]

Hugo Salus.

Geboren am 3. August 1866 zu Leipa in Böhmen, studierte Medizin in Prag und lebt daselbst als Frauenarzt. – Gedichte 1897. Neue Gedichte 1899. Ehefrühling 1899. Reigen 1900. Ernte 1903. Neue Garben 1904. Die Blumenschale 1907.

An blauen Frühlingstagen.

Vom stolzen Glück des eignen Werts getragen,
Als brächt' ihr Blühn der Landschaft erst Gewinn,
Gehn schöne Fraun an blauen Frühlingstagen
Wie Königinnen durch die Menge hin;
Als hätt' der Knabe Frühling nur im Sinn,
Das Krönungsvließ um ihren Leib zu schlagen
Und, wie ein Page, seiner Königin
Mit stillem Dank die Schleppe nachzutragen …

Im stillen Hafen.

Dies ist mein Glück: in allen Bitternissen
Des Seins daheim mein junges Weib zu wissen,
Das mädchenhaft und hold und lieb und rein
Nichts andres wünscht, als mein, nur mein zu sein;
Das weich ihr Haar anschmiegt an meine Wange
Und mir vertrauend, wie ein frommes Kind,
Mit feuchten Augen, die voll Güte sind,
Für Gaben dankt, die – ich empfange.

Erinnerung.

Zünd festlich im Salon die Kerzen an,
Zieh aneinander erst des Vorhangs Spitzen,
Ich schiebe zum Kamin die Sessel dann,
Dort laß uns, uns umarmend, niedersitzen.
[212] Denn sieh, an solchem Winterabend oft
Bin als Student ich durch die Stadt gegangen.
Mein Auge, das Erfüllung nie gehofft,
Ist oft an solchen Lichtes Schein gehangen.
An Lampenschein, der mild ins Dunkel bricht,
An Fenstern, draus ich frohe Stimmen hörte,
An Schatten hinterm Vorhang, eng und dicht,
Indes die Sehnsucht drunten mich verzehrte.
Heut ist ein solcher Abend, kalt und rauh,
Das Glück vertieft sich mir in diesen Räumen:
Lehn fest dein Haupt an mich, geliebte Frau,
Recht fest an mich – und laß mich träumen, träumen!

Frühlingsfeier.

Ein Blütenzweig, blaßrosa, weiß und grün,
Die Welt hat tausend solcher Blütenäste,
Da darf der eine auch für uns erblühn
Und darf verblühn bei unserm Liebesfeste.
Befrei das schwere Haar von Kamm und Band
Und laß die schwarzen Fluten niederwallen
Auf dieses blumenhelle Lenzgewand,
Und laß die neidischen Achselspangen fallen!
Nun nimm den Blütenzweig – wie wunderbar
Die Blüten glühn von deines Pulses Schlägen! –
Und rühre mir die Stirne und das Haar
Und sprich dazu den heiligen Frühlingssegen:
„Blick auf, der Lenz ist kommen über Nacht,
Die Welt ist voll von Liebe und Erbarmen!“
Ich blicke auf; der Frühling ist erwacht;
Ich halt' den ganzen Frühling in den Armen!

[213]

Ludwig Scharf.

Geboren am 2. Februar 1864 in Meckenheim. – Lieder eines Menschen 1892. Tschandala-Lieder 1905.

Begegnis.

Und als ich gegen den Marktplatz kam,
Beim Torweg unter dem Rathaus,
Da strömten die Menschen kreuz und quer,
Zweibeinig ein jeder und gradaus.
Sie waren gar wohl in Kleider gehüllt,
So Kinder wie Männer und Weiber,
Sie zogen mit schwerem, eiligem Schritt,
Aufrecht balancierend die Leiber.
Fremd zogen sie aneinander vorbei
Mit großen begegnenden Blicken
Und geschlossenem Mund, ein jeder für sich,
Ein jeder mit seinen Geschicken.
Ein jeder mit einem sehnenden Drang
Nach fernen Häusern und Türen,
Ein jeder fortgezogen wie blind
An unsichtbaren Schnüren.
Ein jeder beladen mit Erdenweh,
Ob auch sein Mund mal lache –
Ein jeder hinwandelnd in dunklem Traum
Und verstrickt in den Wahn, daß er wache.

Blut-Propheten.

Wir träumen über die Erde hin,
Wir kennen nicht oben noch unten,
Wir horchen nur in die Erde hinein,
Wir verstehen nur ihre Wunden.
[214] Und liegen wie träumend am Boden hin,
Dann sind wir selbst fast Erden,
Als wollte in dunkel-chaotischem Trieb
Sie bewußt den Lebendigsten werden.
Und wir fühlen den Durst nach Blut, nach Blut
Der ausgetrockneten Erde,
Daß einer verjüngten Lebensbrut
Ein saftiges Erdreich werde.
Wir träumen über die Erde hin:
Tut Buße, Buße in Zeiten!
Doch wir wissen genau, es kommt der Tag,
Den wir ahnend früh prophezeiten.

Gebet eines Selbstmörders.

Stille! oh stille!
Hier schlägt ein letztes Herz,
Zerrinnt ein letzter Wille,
Verhallt im Nichts ein Schmerz.
Verbluten hier im Sande
An dieses Ufers Rand,
Im Angesicht der Sterne
Und jener Wolkenwand –
Ja, jener Nacht von Wolken,
Die drohend rückt heran,
Die dir den letzten Ausblick
Gar bald verfinstern kann!
Drum still, mein Herz! Verblute
In dieser stillen Nacht,
Solang ob Tod und Leben
Dir zusteht noch die Macht!
[215] Denn weh, sie werden kommen,
Dich binden recht und schlecht,
Dein letztes Gut zu nehmen –
Dies häßliche Geschlecht.
Doch stille, oh stille!
Und störe nicht die Ruh:
Es strebt ein letzter Wille
Dem letzten Glücke zu …

Richard (von) Schaukal.

Geboren am 27. Mai 1874 zu Brünn in Mähren, studierte Jurisprudenz in Wien und lebt daselbst als Ministerialrat i. R. – Gedichte 1893. Verse 1896. Meine Gärten 1897. Tristia 1898. Tage und Träume 1899. Sehnsucht 1900. Pierrot und Colombine 1902. Das Buch der Tage und Träume 1902. Ausgewählte Gedichte 1904; zweite Ausgabe in zwei Bänden 1909. Das Buch der Seele 1908. Neue Verse 1912. Herbst. Neue Gedichte 1914. Eherne Sonette 1914. Standbilder und Denkmünzen 1915. Kriegslieder aus Österreich, drei Hefte 1914, 1915, 1916. Eherne Sonette, Gesamtausgabe 1915. 1914 in ehernen Sonetten und Liedern (Schulausgabe) 1915. Kriegslieder aus Österreich (Auswahl) 1916. Heimat der Seelen 1916. Gedichte (1892–1918) 1918.

Der Fiedler.

Ein Spielmann auf seiner Geige strich.
Es klang so rot, so königlich.
Das harte Kinn lag auf der Fiedel.
Ein Knabe ging und stand und blieb.
Und jeder Strich war ein Sensenhieb.
– – Den andern war's nur ein Straßenliedel.

Kophetua.

König Kophetua hob seine goldene Krone
Von den goldenen Locken und schwieg.
Auf sein Schwert gestützt ging er und stieg
[216] Über die steilen Stufen, und ohne
Sich umzusehn, ließ er die staunende Schar.
Oben saß in mondlichtschimmernder Blässe
Eine Bettlerin, in den Mantel der dichten
Haare gehüllt. Ein großes Verzichten
Lag in ihrer Augen blinkender Nässe.
Und so träumte sie, jeglichen Schmuckes bar.
König Kophetua legte die goldene Krone
Über die eisengerüsteten Knie und harrte
Auf einer der Stufen, bis ihn die traurige, zarte
Magd erblicke, flehentlich, ohne
Sich umzusehn, wo sein Gefolge war …

An die Baronin Colombine.

Baronin Colombine ist so zierlich und zart.
Ich zupfe die Mandoline – leider noch keinen Bart.
Baronin Colombine, nimm dich in acht:
Auf meiner Mandoline sind Funken erwacht.
Baronin Colombine, lach nicht so laut!
Weil meiner Mandoline vor deinem Lachen graut!
Baronin Colombine, du nahmst mir meine Ruh.
Ins Wasser die Mandoline – und mich dazu!

Porträt eines spanischen Infanten von Diego Velasquez.

Mit blutgemiedener langer schmaler Hand,
Feinen Fingern, die den Duft der weißen Rosen fühlen,
Manchmal mager und müd in warmen Damenhaaren wühlen,
Halt' ich einen zierlich-kalten Degenkorb umspannt.
[217] Meine Blicke gleiten kraftlos von der glatten silbergrauen Wand,
Von rieselnden leisen Gebeten sind meine Lippen schlaff und bleich,
Ein scharfer Dolchschnitt ist mein verachtender Mund,
Ich streichle manchmal einen hohen schlanken Hund.
Manchmal bin ich mit häßlichen Zwergen weich:
Ich beschenke sie reich –
Und peitsche sie wieder wund.
Mit dichten Schleiern schütz' ich mich vor dem Morgenrot:
Die Sonne hat Pfeile. Pfeile wirken Tod.

Pierrot pendu.

Und ich sah dich nachts an der Laterne:
Bleich und traurig hingst du, Pierrot,
Trübe schimmerten die späten Sterne,
Als dein alter Freund, der Mond, entfloh.
Da im Gassendunkel deine Züge
Schmerzlich schienen und gedankenbang,
Sann ich über deines Lebens Lüge,
Armer Narr am selbstgeknüpften Strang.
Und ich hab' dich nicht herabgeschnitten,
Rührte leise nur an deiner Hand.
Husch, ein Schatten war hinweggeglitten,
Der verstohlen mir im Rücken stand.

Musset.

Ich liege mit der Zigarette
Bis an den Morgen – o das böse Licht! –
Müd ohne Schlaf im Seidenbette
[218] Meiner geliebten kleinen Ninette
Und kräusle den Rauch zu einem Gedicht.
Was hast du mit meinem Leben getan!
Wenn ich dich betrachte, dumme Kleine,
Deine marmornen runden Beine,
Fange ich fast zu weinen an
Um die ewig verlorene Eine.
Ninette, du hast verdünntes bleiches
Schnellrieselndes Blut, mein Kopf ist schwer:
Wo nehm' ich den Mut für heute her?
Sänke ich doch in dein faltenreiches
Morgengewand gehüllt ins Meer!

Kavaliere.

Kavaliere, bleich und mit schmalen Gelenken,
Den Degenkorb von der Kräusel-Manschette
Zierlich bedeckt: sie denken
An eine Frau in weißem Spitzenbette;
Sie haben Schach gespielt, Hengste geprobt,
Sie singen: Großer Gott, dich lobt
Die gläubige Gemeinde;
Vernichte unsre Feinde!

Goya.

Ich habe die lange schwüle Nacht
Bei einer jungen Dame verbracht:
Nun liegt sie und träumt mit offenen Lippen von meinem Nacken …
Ich will jetzt malen, ihr sollt euch packen!
Steht nicht herum und gafft so ledern!
Sonst zerr' ich euch an euern Agraffenfedern
[219] Oder kitzle eure dünnen Waden
Mit meinem Degen. Ich bin von Gottesgnaden,
Ich bin ein Grande im offnen Hemd.
Ich liebe das Licht, das die Welt überschwemmt,
Ich liebe ein Pferd,
Das bäumend sich gegen den Zügel wehrt,
Den Juden lieb' ich, den keiner bekehrt.
Dem König lass' ich sagen, er solle
Klopfen, wenn er mich stören wolle.

Porträt des Marquis de …

Halte mir einer von euch Laffen mein Pferd,
Hole mir einer von euch Lumpen mein Schwert:
Ich ließ es bei einer Dame liegen.
Lass' einer von euch Schurken einen Falken fliegen:
Ich will ihm nachsehen und mich in Blau verlieren:
Störe mich keiner von euch Tieren!

Der Araber.

Ich schlich mich an das Roß heran,
Das wiehernd und mit rundem Rücken
Ins Eisen beißend stand. Es packen
An seiner Mähne und die Hacken
Der Fersen, einmal oben, stark
Ihm in die Weichen drängen, war
Ein Augenblick. Ich spürte gar
Nicht mehr, daß uns der Wald schon barg
Vor der bewundernden und scheuen Schar:
So war es durch die Uferauen
Gerast. Erst als mein flatternd Haar
Ein Ast berührt, begann ich umzuschauen.
[220]

Spät.

Spät, wenn die alte Uhr geschlagen
Und wieder Stille dich umwirbt,
Das Pendel geht, die Lampe zirpt,
Steigt es empor aus alten Tagen
Und füllt mit Geistergruß die Luft
Und macht dein Herz so schwer vor Sehnen
Nach einem längst verhauchten Duft,
Nach einer fernen kühlen Gruft,
Nach Wind im Wald an Bergeslehnen.

Paul Scheerbart.

Geboren am 8. Januar 1866 zu Danzig, starb am 14. Oktober 1915 zu Lichterfelde bei Berlin. – Kater-Poesie 1909.

Dahin!

Singe nicht so hell und laut,
Da ich wieder einsam bin!
Ach, fühlst du nicht, worüber
Ich trüber werde?
Lache nicht so toll und dumm,
Da ich ernst und anders bin!
Nein, weißt du nicht, worüber
Ich trüber werde?
Frage nicht so klug und hart!
Das hat alles keinen Sinn!
Was? Ahnst du nicht, worüber
Ich trüber werde?
[221] Sieh, ich liebe dich nicht mehr,
All mein Lieben ist dahin!
Begreifst du jetzt, worüber
Ich trüber werde?

Notturno.

Ich liege ganz still.
Der Nachtwind rauscht leise vorbei.
Eine große Sehnsucht zieht mich noch tiefer.
Diese Sehnsucht – nach – ich weiß nicht was!
Das macht so traurig.
Ich möchte – ich weiß nicht was!
Ich denke an ferne, ferne Zeiten …

Tiefernst!

Mir ist, als ob der Friede
Sich in meine Seele legt –
So wundersam bewegt!
Der Pappeln Wipfel flüstern.
Wir sitzen still und schweigen.
–  –  – Wir wollen noch einmal trinken –
Und dann – betrunken sein!

Die große Sehnsucht.

Wenn die große Sehnsucht wieder kommt,
Wird mein ganzes Wesen wieder weich.
Und ich möchte weinend niedersinken –
Und dann möcht' ich wieder maßlos trinken.

[222]

René Schickele.

Geboren am 4. August 1883 in Oberehnheim (Elsaß). – Die Leibwache 1914. Mein Herz, mein Land (Auswahlband) 1915.

Der Knabe im Garten.

Ich will meine bloßen Hände aneinander legen
Und sie schwer versinken lassen,
Da es Abend wird, als wären sie Geliebte.
Maiglocken läuten in der Dämmerung,
Und weiße Düfteschleier senken sich auf uns,
Die wir eng beieinander unsern Blumen lauschen.
Durch den letzten Glanz des Tages leuchten Tulpen,
Die Syringen quellen aus den Büschen,
Eine helle Rose schmilzt am Boden …
Wir alle sind einander gut.
Draußen durch die blaue Nacht
Hören wir gedämpft die Stunden schlagen.

Wenn es Abend wird.

Die Engel der Liebkosung steigen nieder,
Von weitem kommen deine Hände wieder,
Und deine Augen sind so mild, so weit,
Daß alle Dinge drin verklärt gen Himmel fahren.
Mein Zimmer ist ein Wald, der sich erinnert, wie deine Worte sangen,
Im Kleinsten, das einmal deinen Atem gespürt, lebt brünstiges Verlangen,
Wie Lampen gehn die Spiegel an, die schon voll Dunkel waren.
Schon rufen deine Schritte die Blumen auf im Garten,
Daß ihre kleinen Seelen erschauern und im Dunkel warten.
[223] Die Bäume werden atemlos und stehn beklommen,
Die Bäche horchen auf, ein tiefer Traum belauscht dein Kommen,
Am Weg, auf dem du nahst, ist Stern an Stern gereiht.
O wunderbare Trunkenheit!

Ferne Musik.

Die glatten, leisen,
Lustwarmen Weisen,
Die sich verschlingen
Und im Reigen singen
Von Sommertagen,
Erinnern mich Schweren,
Wie auf Blumenfähren
Mit glänzenden Wangen
Frauen sangen,
Von Bläue getragen,
Und daß am Ende
Der Fahrt die Hände,
Die blitzend bewegten,
Sich nicht mehr regten
Und entgeistert lagen
In jedem Schoß,
So sehnsuchtslos,
Die Umarmungen boten,
Wie die Steine der Toten
Im Mondlicht ragen.
[224]

Erwartung im Garten.

Hab ich doch alles nun geküßt,
Die Blumen, die Gräser und
Den zitternden Sperling in meiner Hand,
Den Tau der sanften Kressen
Und selbst die Wolken am Himmel, –
Kommst Du noch immer nicht?

Lea.

Wir hielten uns umschlungen
In unserm großen Haß,
Ich hab dir schwören müssen,
Daß ich von dir nie laß.
Wir hielten uns umschlungen
In unsrer großen Lust,
Du hast mir zugeschrieen,
Daß du mich lieben mußt.
Dann hobst du dich und standest,
Gelöst war unser Bund,
Und sprachst die Abschiedsworte
Mit nie geküßtem Mund.

Die Leibwache.

Und bin ich auch in mancher Stunde wie verdammt,
Ich weiß, daß doch ein Schein von meinem Blut,
Wo ich mich rühre, wo ich raste, mich umflammt
Wie eine große Glorie innerlicher Glut.
Darin ist alles das enthalten, was die Väter,
Ob sie Soldaten, Bauern, Sünder oder Beter,
Von ihrem Innersten ins Äußere geglüht,
Daß es mein eigen Blut noch heute fühlt.
[225] Denn ja, ich fühl's wie Rüstung, Schild und Feuerwall
Und Festung, die mich überall umgibt,
Und wieder so, daß es der Schöpfung wirren Schwall
Mit Netzen wie aus Blut und Sonnenstäubchen siebt,
Damit in meiner Augen Nähe kommt
Nur, was für Ewigkeiten ihnen frommt,
Und immer nur in meinem Herzen Wurzeln schlägt
Und darin gräbt, wes Wachstum dies mein Herz verträgt;
Und was es tiefer noch verankert in den Grund,
Von dem ich nichts weiß, als daß zu Beginn
Ein heißer Wille schwoll, der dann von Mund zu Mund
Sich fortgepflanzt bis her zu mir, der ich jetzt bin.
Und bei mir sind, die mich vor schwerstem Leid bewahren!
Ich recke mich inmitten himmlischer Husaren,
Heb ich die Hand, so winken tausend Hände mit,
Und halte ich, so hält mit mir der Geisterritt.
Im Schlaf spür ich sie wie im Biwak um mich her,
Sie liegen da, die Zügel umgehängt,
Sie atmen, regen sich wie ich, sind leicht und schwer,
Und manchmal, wenn sich einer an den andern drängt,
Ersteht ein Klingen, dessen Widerhallen
In meinem Körper bebt wie Niederfallen
Von eines Brunnens Strahl in einem Vestibül.
Dann ist's, daß ich das Herz der Mütter zittern fühl!
Dann ist's, daß wild und süß die Liebe überfließt
In mir und jeder Kreatur,
Rakete um Rakete in den Himmel schießt,
Im Dunkel still steht jede Uhr.
Und klare Meere spiegeln lichte Sterne,
Die Früchte zeigen schamlos ihre Kerne,
[226] Es strömt ein Licht von mir zum fernsten Land,
Es schlägt ein Wellenschlag von mir den fernsten Strand.
Drum, bin ich auch in mancher Stunde wie verdammt,
Ich weiß trotzdem: ein Schein von meinem Blut,
Wo ich auch bin, ob schlafend oder wach, umflammt
Mein Tun mit einer Glorie innerlicher Glut.
Darin ist alles das enthalten, was die Väter,
Ob sie Soldaten, Bauern, Sünder oder Beter,
Mit ganzem Herzen ausgelebt zu meiner Hut.

Johannes Schlaf.

Geboren am 21. Juni 1862 zu Querfurt in der Provinz Sachsen. – Helldunkel 1899. Das Sommerlied 1905.

Sehnsucht.

Wie ich dich überall sehe, du Meine
Und Eine!
Immer du so fern-nah!
Gegenwärtig und doch nicht da!
Immer nur Spuren und Spuren –
Viel, ach! wie viel!
Im Wandern folg' ich ihnen,
Zu welchem Ziel?
O du, o Dunkelgewillte!
Wann, wo empfängt der Niegestillte
Seine Ruh? –

Hoffnung.

Ein weißes Grau hüllt weit den Himmel ein.
Ein stumpfer Glanz liegt auf den Uferweiden.
Träge, mit gurgelnden Wellen treibt der gelbe Strom.
Ich muß mich noch bescheiden.
[227] Ich will noch ein Stückchen so weitergehn.
Bald müssen ja alle Höhn
In hellen Frührotfeuern stehn …

Abendgang.

Und ich führte das blonde Jungfräulein
In den weiten, schleiernden Abendfrieden hinein.
Nebel über die Wiesen gingen,
Und vom Bache durch das braune Dunkel kam ein Singen.
Am Himmel alle unsre goldenen Geigen hingen.
Die tönten so sacht und fein. –

Trübes Wetter.

Das Meer! – Das Meer – –
Die grauen Wolken hingen so trüb und schwer.
Ich sah nur ein weites Armebreiten,
Und wie ein dunkelsüßer Heimatston kam's her
Aus den nebelverhüllten, schluchzenden Weiten. –

Doppelliebe.

Wie eigen ich dich einst küßte!
Du lagst in deinem Sessel
Und decktest schelmisch
Die Hand vors Gesicht.
Über den Fingern
Waren nur deine Augen zu sehn,
Deine Augen. –
So fern plötzlich
Und eigen. –
[228] Und ich erschrak.
Zwei andre Augen sah ich,
Zwei ferne Augen.
Die Augen der andern …
Und da bog es mich zu dir,
Und leise
Küßt' ich –
Diese Augen …

Prinz Emil von Schönaich-Carolath.

Geboren am 8. April 1852 zu Breslau, wurde Dragoneroffizier, nahm den Abschied, war viel auf Reisen und lebte zuletzt auf Schloß Haseldorf in Holstein, wo er am 30. April 1908 verstarb. – Lieder an eine Verlorne 1878. Dichtungen 1883. Gedichte 1903.

Albumblatt.

Hab nicht zu lieb die knospende Rose;
Es flöge gar bald
Ohn' Heimat, ohn' Halt
Ihr Duft dir vorüber ins Uferlose.
Unsterblich ist der Schmerz allein.
Was nie du besessen,
Ersehnt, nie vergessen,
Wird deines Himmels Grundbau sein.

Der betrübte Landsknecht.

Das Land durchströmt der Regen,
Singschwäne südwärts ziehn,
Nun will aufs Herz ich legen
Ein Sträußchen Rosmarin.
[229] Das haben zwei Hände, zwei schmale,
Durchflochten mit schwarzem Band,
Drauf haben zum letzten Male
Zwei Mädchenlippen gebrannt.
Hoch braust ein Krieg durch Flandern,
Dort muß gewürfelt sein,
Die Werbetrommeln wandern
Um Jülich und Bei-Rhein.
Nach Spanien über die Schelde
Zieht gleißender Heerestrab;
Herr Christ, hilf allen zu Gelde,
Uns beiden gib ein Grab.
Drauf sollen zwei Linden wiegen
Die Wipfel glückbesonnt,
Draus sollen zwei Herzen fliegen,
Die nimmer sich trennen gekonnt.

Genrebild.

Herr Holger am Kamine sitzt,
Sein Brackhund bei ihm wacht,
Nacht ist's, die Flamme springt und blitzt
Und der Klotz in der Lohe kracht.
Herr Holger in Sinnen versunken ist,
Er wirrt des Bartes Flaum.
Es streckt die Bracke den Widerrist,
Und beide sinken in Traum.
Es denkt der Hund an einen Tag,
Da die Heide hilfefern,
Da der Keiler über Herrn Holger lag
Und er befreit' den Herrn. –
[230] Herr Holger martert seine Stirn
In Sinnen schwer und stumm:
Wie er zu Willen einer Dirn
Den Blutsfreund brächte um.

Altes Bild.

Der Markusdom, der bunte, klangumtönte,
Hat seine Pforten gähnend aufgeschlagen,
Am Hochaltar, wo Priester Kerzen tragen,
Thront stolz der Doge, der vom Volk gekrönte.
Es lehnt an ihm in mädchenhaftem Zagen
Sein junges Weib, das holde, glückverschönte.
Ein Page, der an Schleppendienst gewöhnte,
Kniet stumm dabei in Puffenwams und Kragen.
Der Weihrauch dampft, zu Ende geht die Messe,
Es blickt verklärt die schöne Dogaresse …
Doch sehen könnt ihr, wenn ihr näher tretet,
Daß tief im Samt, dem dunkelvioletten,
Des Pagen Hand und ihre sich verketten –
Der alte Doge kniet im Stuhl und betet.

Künstlerroman.

Als tot auf schlechtem Gasthofbette lag
Sein junges Weib bei Unschlittkerzenflammen,
Da schob Papier, verstreutes, er zusammen,
Und schrieb darauf bis an den grauen Tag.
Es ward an Inhalt und an süßem Schalle
Ein also großes, ewiges Gedicht,
Daß die Genossen es verstanden nicht,
Und schweigend wichen, tiefergriffen alle.
[231] Er aber blieb allein mit einem Sarg,
Darin begrub er seine Jugendliebe –
Und jenes Buch, das ew'gen Ruhm verbarg,
Und das kein Denker leichthin nach ihm schriebe,
Er schob es unters fahle Goldgelock
Als Ruhekissen für die schöne Tote,
Und riß sich aus den Hecken einen Stock
Und schritt hinaus ins Morgenlicht, das rote.

Wilhelm von Scholz.

Geboren am 15. Juli 1874 zu Berlin. – Frühlingsfahrt 1896. Der Spiegel 1902. Neue Gedichte 1913.

In einer Dämmerstunde.

Ich wohne, wo die Wolken gehn,
Stillhoch in einer Dämmerstunde;
Waldtiefer Bäume Wipfel stehn
Um meinen Tisch in naher Runde,
Die gern mein Licht im Abend sehn.
Alt ist der Leuchter, der es trägt,
Alt sind die Bäume, die es schauen,
Die Flamm' ist alt, die sich bewegt
Und flattert durch das ewige Grauen,
Wenn die uralte Luft sich regt.
Flüsternd umkreist die Dämmerung
Mich und mein Licht, das nach ihr greift.
So alt ist alles, ich so jung –
Da ist's, als ob ein Wort mich streift,
Das rings um mich zur Fülle reift.
[232] „Du bist so alt als alle wir –“
Sprach es das Licht, sprach es der Baum,
Sprach's der zersprungne Tisch vor mir,
Sprach's um mich her der Dämmertraum?
Ich fühl' es dunkel jetzt und hier.
Wie lächeln doch die ewigen Dinge,
Wenn solch ein Strudel Erdenzeit,
Ein Mensch, aufwacht in ihrem Ringe,
Aufbraust in ihrer Einsamkeit –
Wie lächeln doch die ewigen Dinge!
Sie lächeln mich in ihre Ruh –
Nun rag' auch ich uralt vom Grunde.
Du Flamme, warum zitterst du?
Bist du ein Wort aus meinem Munde,
Rief dich die Dämmerung mir zu? –

Abschied.

Oft, wenn die stille Mitternacht
Einsam im dunkeln Parke wacht,
Wenn meine Fenster offen stehn,
Ein Sternlein durchs Gezweige leuchtet
Und Nachtluft mir die Stirne feuchtet,
Dann weiß ich, daß mich deine Augen sehn
In dieser stillen Mitternacht.
Doch dieser Erde weit entschwebt
Ist, was mich hier umgibt und mit mir lebt:
Mein still Gemach, der Park, der leise rauscht,
Der See, der über seine Ufer lauscht.
In ewige Fernen treiben wir dahin:
Du kennst den Ort nicht, wo ich bin
In dieser stillen Mitternacht.
[233] Noch seh' ich dich; und dein Gesicht ist blaß.
Von Schauer wird mein Auge naß,
Und tausend Wünsche werden wach.
Doch schneller treibt der Park und das Gemach
Hin in den fernenklaren Raum –
Da lischt, ein Flackerlicht, dein Traum
In dieser stillen Mitternacht.

Heimat.

Eine Heimat hat der Mensch,
Doch er wird nicht drin geboren –
Muß sie suchen traumverloren,
Wenn das Heimweh ihn ergreift.
Aber geht er nicht in Träumen,
Geht er achtlos ihr vorüber,
Und es wird das Herz ihm plötzlich
Schwer bei ihren letzten Bäumen.

Abendgang.

Das ist unser schweigender Abendgang.
Herbst. Blätter fallen wegentlang.
Nasse Äste tragen den Himmel, der bleich
Und dunstig niederhängt über den Teich.
Die Brücke. Trüber Laternenschein
Fällt schwankend in schmutzigen Schlamm hinein.
Vorüber. Dunkel wie Menschen stehn
Die Bäume und sehn uns weitergehn.
[234]

Der Wandrer.

Schwermütig wächst mein Frieden
In Herbst und Einsamkeit.
Mein Weg zur Dämmerzeit
Vergraut wie abgeschieden.
Ich fühle mich Gestalt
Und Wesen tief vertauschen;
Wildfremde Schritte rauschen
Durchs Blattgewirr im Wald.
Still geh' ich, schattenlos
Im Grau, als wandle sich
Der lange Weg in mich,
Auf dem ich wurde groß.
Daß ich der Wandrer bin,
Der diesen Weg gegangen,
Sind Worte, die verklangen,
Und haben keinen Sinn.

Erde.

Das ist der Erde furchtbares Gewicht:
Gelang es dir, dich schwebend frei zu halten,
Zu tauchen in das erdenfremde Licht,
Daß sich die Meere unter dir gestalten,
Winzig die Wolken unter dir verwehn,
Und zitterst nicht –
So fliegt die Erde auf in deine Höhn.

Ich weiß es wohl …

Ich weiß es wohl, wie du zur Ruh dich legst,
Wenn müde dich die Mitternacht umfängt.
[235] Du gehst verträumt im Zimmer auf und ab,
Schaust das unwillige Schweigen an der Wand,
Das seufzend hie und da ein Rahmen unterbricht.
Dann sprichst du leise in den Kerzenschein,
Als ob gleichgültig ihn ein andrer spräche,
Meinen Namen, horchst – hörst ihn und erglühst …
Und deine süßen Hände küssend, schläfst du ein.

Nächtlicher Weg.

Schwer schweigt der Wald in schwarzer Pracht.
Mein Mantel flattert durch die Nacht,
Streift welkes Laub am Boden mit;
Und wo die Äste wie Gestalten
Hoch über mir die Hände halten,
Folgt Zittern meinem festen Schritt.
Und leis an mir herniederglitt,
Als woll's im feuchten Gras erkalten,
Was in mir kämpfte, rang und litt;
Was ich in mir für schlecht gehalten,
Das nahm die Nacht im Atem mit.
Und stiller meine Schritte hallten,
Wie eines fremden Freundes Tritt.

Am Söller.

In Wirbeln geht der Strom durchs Tal.
Die Blätter wirbeln auf Söller und Saal.
Tief herbstlich naht die frühe Nacht,
Die unsere einsame Fackel entfacht.
Und wie die Sterne schweigend steigen,
Werden der Erde wir zu eigen.
[236] Nachtdunkel hat so wilde Weisen –
Wir fassen uns, uns zu umkreisen.
Der Sternsaal muß sich rasend drehn
In seiner Ferne.
Im ganzen Raum der Welten stehn
Nur deine Augensterne.
Wir sind wie des Herbstes tanzendes Laub,
Wir sind, was wir werden:
Kreisende Erden,
Wirbelnder Staub.

Rudolf Alexander Schröder.

Geboren am 26. Januar 1878 zu Bremen. – Unmut 1899. Lieder an eine Geliebte 1900. Sprüche in Reimen 1900. An Belinde 1902. Sonette an eine Verstorbene 1905. Elysium 1906.

Aus den „Liedern an eine Geliebte“.

Nun kam der Abend.
Die Sonne geht ins Meer,
Der Wind ruht im Laub,
Den sanften Weg entlang
Ziehen die Herden heimwärts.
Sieh, wie die milden Berge
In Dunkelheit verhüllt sind –
Im Tal
Blinken Lichter auf.
Wanderer, wohin eilst du?
„Nach Hause.“
Wohin eilst du?
*  *  *  *  *
[237] „Die Lüge“ sagst du
Und „Die Wahrheit“
Und redest wie ein Narr.
Sage „Die Liebe“
Und du redest wie ein Weiser.
*  *  *  *  *
Ich habe keine Schmerzen:
Aber die Sehnsucht verzehrt mich.
Ich habe keine Sehnsucht:
Aber mein Verlangen macht mich unruhig.
Ich habe kein Verlangen:
Aber meine Schmerzen quälen mich!
*  *  *  *  *
Ach, noch immer glaube ich,
Wenn ein Klang die Luft aufweckt,
Daß deine Stimme
Im Zweiggewirr der Bäume,
In Blumen, Gebüsch und Gräsern
Nachzitternd sich gefangenhält.
Ach, noch immer glaube ich,
Wenn ein Duft
Von ungefähr
Auf Windflügeln
Zu mir kommt,
Daß es dein Atem sei.
Ach, noch immer glaube ich,
Daß ich nicht ganz verlassen sei.
*  *  *  *  *
Das Glück ist ein leerer Schall;
Und der Schmerz ist ein Name.
[238] Was uns von allem bleibt,
Ist: allein zu sein.
Und ist uns allen ein Los,
Daß wir viele Güter haben
Und darben müssen.

Sonett an eine Verstorbene.

An jedem Tage gibt's ein Abschiednehmen;
Und irgend etwas, das uns angehört,
Wird jeden Augenblick für uns zerstört
Und wandelt hin zu den vergessenen Schemen.
Wohl, über dieses soll sich keiner grämen,
Weil immer auch ein Neues uns betört;
Und kein Verlassen ist so unerhört,
Dem wir uns nicht zu guter Letzt bequemen.
So gehn auch wir, und lassen alle Welt
Und sind nicht mehr; und jenes Wort: Gewesen
Erklingt von uns, wie wir's von vielem sagen.
Doch daß auch du dich denen zugesellt,
Von denen wir nur noch den Namen lesen,
Mein Herze will das nicht, und will's nicht tragen!

Aus dem Buch „Elysium“.

Sie lassen sich am Ufer nieder,
Sie legen ihre reinen Glieder
Auf leichten Sand.
Entschlummern sie, so ist ihr Träumen
Wie das von Wellen oder Bäumen
Voll Unbestand.
[239] Sie sind so schön, weil sie im Fächeln
Der reinen Lüfte immer lächeln,
Wie ausgesöhnt.
Sie singen auch. – Wer möchte hören,
Was diesen Nachtigallen-Chören
Ganz klar enttönt?
Sie wandeln über sanfte Matten
Ins grüne Dunkel kühler Schatten,
Sie schwinden hin.
– Oh holde Seelen, voll Beglückte,
Ihr nicht Geplagte, nicht Entzückte,
Ihr ohne Sinn!
*  *  *  *  *
Wenn sie wandeln, drückt dem Wiesenrain
Sich der schattenhafte Fuß nicht ein.
Wenn sie ruhn, so ist der leichte Gast
Seiner Lagerstätte keine Last.
Wenn sie wünschen, das ist flüchtig auch,
Kaum ein Traum, ein Atemzug, ein Hauch.
Wenn sie lieben, das ist kaum ein Blick,
Kaum ein Gruß. – So leicht ist dort das Glück.
Alles ist ja leicht im untern Reich. –
Leichte Schatten, wir begrüßen euch!
*  *  *  *  *
Leise laß sie ihren Reigen führen,
Ohne ihre Schwermut anzurühren.
Laß sie träumend dir vorüber hasten,
Ohne ihre Leere zu belasten.
[240] Sorge nicht, sie heute zu verstehen,
Denn dir wird wie ihnen bald geschehen.
Freue dich, daß sie dich nicht erreichen,
Morgen, morgen bist du ihresgleichen.

Gustav Schüler.

Geboren am 27. Januar 1872 zu Kgl. Reetz im Oderbruch. – Gedichte 1900. Meine grüne Erde 1904. Auf den Strömen der Welt zu den Meeren Gottes 1908. Mitten in der Brandung 1911. Von Stundenleid und Ewigkeit 1914.

Unterdessen.
Schönheit ist Atem. Aber Brot ist Brot.
Und Tausend hungern. Und die Mühlen mahlen.
Und Königstische wissen nichts von Not.
Und Tausend beten nachts zu ihren Qualen.
Und Mütter fiebern, wie kein Fieber schlägt,
Weil ihre Kinder schwer im Schlafe wimmern.
Die Mütter hören's, daß man Bretter trägt,
Um einen rohen Armensarg zu zimmern.
Und unterdessen lauscht die heilige Nacht,
Und unterdessen wird das Licht erkoren,
Und unterdessen hat die Schönheit acht
Auf jede Perle, die der Tau geboren.

Mignon.

Wer in die Nacht geht, müßt' mich sehn
Am Wege auf dem Stein –
Mein Krug und Wanderstecken stehn
Im hellen Mondenschein.
[241] Die Schuhe hab' ich abgetan,
Das Haar ist aufgelöst,
Ich hab', als wüßt' ich keinen nahn,
Auch meine Brust entblößt.
Der Nachthauch kühlt mich wie ein Bad.
Alle Wanderer ferne gehn. –
Nur wer die Erde begraben hat,
Kann mich hier sitzen sehn.

Am Abend.

Komm, denn der Abend kommt.
Wir haben ihn so wild ersehnt.
Nun ist er da. Wie er im Mantel
Sich an die alten Pappeln lehnt.
Jetzt schlägt er seine Wimpern auf
Und sieht uns an und nickt uns zu.
Hat er nicht ganz dieselben Augen,
Nicht ganz denselben Mund wie du?

Am Kreuzweg.

Vom Dorf her durch die Nacht erklingt Gesang:
Ein altes deutsches wehes Liebeslied,
Von Lieb' und Not
Und Treu' und Tod.
Ein Schatten, der am Kreuzweg zieht,
Lauscht lang'.
Der Kauz schrie so entsetzlich schrill,
Der hat ihn auch gesehn.
Das Lied schweigt still.
Der Schatten bleibt noch immer stehn.
[242]

Was ist das Glück?

Was ist das Glück?
Ein klimmendes, schwimmendes Fliegen?
Ein Siegen,
Ein Augenblick,
Wo du der Sonne jauchzend winkst
Und dann versinkst?
Oder ist es das treue Schauen,
Wie sich Wolken aus Wolken bauen,
Bis sich eine mit rotem Rand
Hoch hinstellt über dein Ernteland?

Ernst Stadler.

Geboren am 11. August 1883 zu Colmar i. E., fiel zu Anfang des Weltkrieges im Westen. – Präludien 1904. Der Aufbruch 1914.

Reinigung.

Lösche alle deine Tag' und Nächte aus!
Räume alle fremden Bilder fort aus deinem Haus!
Laß Regendunkel über deine Schollen niedergehn!
Lausche: dein Blut will klingend in dir auferstehn! –
Fühlst du: schon schwemmt die starke Flut dich neu und rein,
Schon bist du selig in dir selbst allein
Und wie mit Auferstehungslicht umhangen –
Hörst du: schon ist die Erde um dich leer und weit
Und deine Seele atemlose Trunkenheit,
Die Morgenstimme deines Gottes zu umfangen.
[243]

Vorfrühling.

In dieser Märznacht trat ich spät aus meinem Haus.
Die Straßen waren aufgewühlt von Lenzgeruch und grünem Saatregen.
Winde schlugen an. Durch die verstörte Häusersenkung ging ich weit hinaus
Bis zu dem unbedeckten Wall und spürte: meinem Herzen schwoll ein neuer Takt entgegen.
In jedem Lufthauch war ein junges Werden ausgespannt.
Ich lauschte, wie die starken Wirbel mir im Blute rollten.
Schon dehnte sich bereitet Acker. In den Horizonten eingebrannt
War schon die Bläue hoher Morgenstunden, die ins Weite führen sollten.
Die Schleusen knirschten. Abenteuer brach aus allen Fernen.
Überm Kanal, den junge Ausfahrtwinde wellten, wuchsen helle Bahnen,
In deren Licht ich trieb. Schicksal stand wartend in umwehten Sternen.
In meinem Herzen lag ein Stürmen wie von aufgerollten Fahnen.

Was waren Frauen …

Was waren Frauen anders dir als Spiel,
Der du dich bettetest in soviel Liebesstunden:
Du hast nie andres als ein Stück von dir gefunden,
Und niemals fand dein Suchen sich das Ziel.
Du strebtest, dich im Hellen zu befreien,
Und wolltest untergehn in wolkig trüber Flut –
[244] Und lagst nur hilflos angeschmiedet in den Reihen
Der Schmachtenden, gekettet an dein Blut.
Du stiegst, dein Leben höher aufzutürmen,
In fremde Seelen, wenn dich eigne Kraft verließ,
Und sahst erschauernd deinen Dämon dich umstürmen,
Wenn deinen dünnen Traum der Tag durchstieß.

Puppen.

Sie stehn im Schein der Kerzen, geisterhafte Paare, spöttisch und kokett in den Vitrinen
Wie einst beim Menuett. Der Schönen Hände schürzen wie zum Spiel die Krinolinen
Und lassen weich gewölbte Knöchel über Seidenschuhe blühn. Die Kavaliere reichen
Galant den degenfreien Arm zum Schritt, und ihre feinen frechen Worte, scheint es, streichen
Wie hell gekreuzte Klingen durch die Luft, bis sie in kühlem Lächeln über ihrem Mund erstarren,
Indes die Schönen in den wohlerwognen Attitüden sanft und träumerisch verharren.
So stehn sie, abgesperrt von greller Luft, in den verschwiegnen Schränken
Hochmütig, kühl und fern und scheinen langvergeßnen Abenteuern nachzudenken.
Nur wenn die Kerzen trüber flackern, hebt ihr dünnes Blut sich seltsam an zu wirren:
Dann fallen Funken in ihr Auge. Heiße Worte scheinen in der Luft zu schwirren.
Der Schönen Leib erbebt. Im zarten Puder der geschminkten Wangen gleißt
Ihr Mund wie eine tolle Frucht, die Lust und Untergang verheißt.
[245]

Glück.

Nun sind vor meines Glückes Stimme alle Sehnsuchtsvögel weggeflogen.
Ich schaue still den Wolken zu, die über meinem Fenster in die Bläue jagen –
Sie locken nicht mehr, mich zu fernen Küsten fortzutragen,
Wie einst, da Sterne, Wind und Sonne wehrlos mich ins Weite zogen.
In deine Liebe bin ich wie in einen Mantel eingeschlagen.
Ich fühle deines Herzens Schlag, der über meinem Herzen zuckt.
Ich steige selig in die Kammer meines Glückes nieder,
Ganz tief in mir, so wie ein Vogel, der ins flaumige Gefieder
Zu sommerdunklem Traum das Köpfchen niederduckt.

Leo Sternberg.

Geboren am 7. Oktober 1876 zu Limburg a. d. Lahn. – Küsten 1904. Fahnen 1907. Neue Gedichte 1908.

Der Wartende.

Geöffnet sind meine Fenster;
Ich trete zum einen, zum andern –
Aber der Vogel der Ferne
Fliegt nicht herein.
Ich schließe die Augen und sage
Mir fest: „Er kommt nicht!“ Ich denke:
Plötzlich schlägst du den Blick auf,
Und – er ist da! …
Und – er ist nicht da! Vergebens!
Wieder warten! Warten!
[246] Durch die verengte Kehle
Drückt sich ein Kiesel hinab.
Wie, wenn es Nacht würde? Nein! …
– Herz, wie du eilst! – Und ich müßte
Schließen die Fenster? Der Vogel
Käme nicht mehr? …

Soviel Lüftchen …

Soviel Lüftchen wehn und vergehn,
Soviel Klänge durchziehen mich leis.
Was mögen sie singen? Für wen?
Wer weiß!
Kaum daß du flüstern hörst
Und achtest, was es sei;
Wie wenn du Geister störst –
Vorbei.
Nur manchmal im Leben ein Ton,
Ein Wort, ein Gedankenstrahl –
Du fragst: Wo vernahm ich's doch schon
Einmal?

Eine plötzliche Stille …

Eine plötzliche Stille kommt oft,
Als ob das Weltgewühl
Die Sekunde jetzt stockte
Und zwischen geraden Wänden
Eine einzige schmale Bahn
Freilegte von mir zu dir:
Dann denkst du an mich.
Und wie durch die Furt voreinst
[247] Des gespaltenen Meers,
Zieht gelassen ein Traum
Auf inniger Gasse
Jenem Ufer zu.

Jenseits.

Die Glocken läuten dann wie jeden Tag …
An meinem Fenster wird einer träumend stehn,
und der gewölbte Berg, der drüben lag,
wird – abendgrau – wie ein Grab aussehn
und der Baum darauf, wie ein Baum auf einem Grab.
Indessen werden die Stern' über meinem Grab aufgehn …
Der Fremde tritt vom Fenster ins Zimmer hinein;
von seiner Welt nicht mehr aufzusehn,
nimmt er den Arbeitssessel wieder ein –
Ich liege draußen allein, wie ich im Leben war.
Und selbst die Toten neben mir werden mich nicht verstehn …
Dann werde ich aufstehn und zu Gott gehn,
daß er mich behalte nun,
oder mir sonst etwas aufgebe zu tun,
oder die Flamme austrete –
Dann werde ich ruhn.

Margarete Susman.

Im Feld ein Mädchen singt …

Im Feld ein Mädchen singt –
Vielleicht ist ihr Liebster gestorben,
Vielleicht ist ihr Glück verdorben,
Daß ihr Lied so traurig klingt.
[248] Das Abendrot verglüht –
Die Weiden stehn und schweigen –
Und immer noch so eigen
Tönt fern das traurige Lied.
Der letzte Ton verklingt. –
Ich möchte zu ihr gehen.
Wir müßten uns wohl verstehen,
Da sie so traurig singt.

Ich liebe unter allen …

Ich liebe unter allen die am meisten,
Die unsichtbare Kronen tragen.
Wohl lieb' ich auch die heitern jungen Häupter,
Auf deren Locken Rosenkränze liegen,
Das Haupt, das sinnende Gedanken beugten,
Der Demut frommgesenkte Kinderstirn;
Doch lieb' ich unter allen die am meisten,
Die frei und königlich im Leben stehn
Und unsichtbare Kronen tragen.

So in die still verschneite Nacht …

So in die still verschneite Nacht
Blick' ich hinaus;
Die alte Sehnsucht ist erwacht
Und singt und flüstert, weint und lacht
Und lacht mich aus.
Sie zieht um mich den Zauberkreis
Von Wunsch und Wahn;
Sie spricht wie du so scheu und leis;
Sie starrt mich an so traurig heiß,
Wie du getan.
[249]

Kein Liebeswort …

Kein Liebeswort ist zwischen uns gefallen.
Du hast mir nicht einmal die Hand geküßt,
Wie mancher tat, der mir nicht teuer war.
Ich sprach mit dir wie mit den andern allen.
Der du mir Licht und Luft gewesen bist
Und Lebensodem dieses ganze Jahr.
Doch das, was deine Augen mir verkündet,
Die leuchtenden Verräter, halt' ich fest,
Sowie in Sturm und Schnee ein armes Kind
Sein Püppchen hält und wunderherrlich findet
Und immer wieder zärtlich an sich preßt,
Neidlos auf die, die reich und glücklich sind.

Georg Trakl.

Geboren am 3. Februar 1887 zu Salzburg, gestorben am 3. November 1914 im Garnisonlazarett zu Krakau. – Gedichte 1914. Sebastian im Traum 1914. Gesammelte Dichtungen 1919.

Der Herbst des Einsamen.

Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.
Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.
[250] Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden,
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.

In den Nachmittag geflüstert.

Sonne, herbstlich dünn und zag,
Und das Obst fällt von den Bäumen.
Stille wohnt in blauen Räumen
Einen langen Nachmittag.
Sterbeklänge von Metall;
Und ein weißes Tier bricht nieder.
Brauner Mädchen rauhe Lieder
Sind verweht im Blätterfall.
Stirne Gottes Farben träumt,
Spürt des Wahnsinns sanfte Flügel.
Schatten drehen sich am Hügel
Von Verwesung schwarz umsäumt.
Dämmerung voll Ruh und Wein;
Traurige Gitarren rinnen.
Und zur milden Lampe drinnen
Kehrst du wie im Traume ein.

Im Park.

Wieder wandelnd im alten Park,
O! Stille gelb und roter Blumen.
Ihr auch trauert, ihr sanften Götter,
Und das herbstliche Gold der Ulme.
[251] Reglos ragt am bläulichen Weiher
Das Rohr, verstummt am Abend die Drossel.
O! dann neige auch du die Stirne
Vor der Ahnen verfallenem Marmor.

Landschaft.

Septemberabend; traurig tönen die dunklen Rufe der Hirten
Durch das dämmernde Dorf; Feuer sprüht in der Schmiede.
Gewaltig bäumt sich ein schwarzes Pferd; die hyazinthenen Locken der Magd
Haschen nach der Inbrunst seiner purpurnen Nüstern.
Leise erstarrt am Saum des Waldes der Schrei der Hirschkuh,
Und die gelben Blumen des Herbstes
Neigen sich sprachlos über das blaue Antlitz des Teichs.
In roter Flamme verbrannte ein Baum; aufflattern mit dunklen Gesichtern die Fledermäuse.

Sommer.

Am Abend schweigt die Klage
Des Kuckucks im Wald.
Tiefer neigt sich das Korn,
Der rote Mohn.
Schwarzes Gewitter droht
Über dem Hügel.
Das alte Lied der Grille
Erstirbt im Feld.
[252] Nimmer regt sich das Laub
Der Kastanie.
Auf der Wendeltreppe
Rauscht dein Kleid.
Stille leuchtet die Kerze
Im dunklen Zimmer;
Eine silberne Hand
Löschte sie aus.
Windstille, sternlose Nacht.

In Venedig.

Stille in nächtigem Zimmer.
Silbern flackert der Leuchter
Vor dem singenden Odem
Des Einsamen;
Zaubrisches Rosengewölk.
Schwärzlicher Fliegenschwarm
Verdunkelt den steinernen Raum,
Und es starrt von der Qual
Des goldenen Tags das Haupt
Des Heimatlosen.
Reglos nachtet das Meer.
Stern und schwärzliche Fahrt
Entschwand am Kanal.
Kind, dein kränkliches Lächeln
Folgte mir leise im Schlaf.
[253]

Am Moor.

Wanderer im schwarzen Wind; leise flüstert das dürre Rohr
In der Stille des Moors. Am grauen Himmel
Ein Zug von wilden Vögeln folgt;
Quere über finsteren Wassern.
Aufruhr. In verfallener Hütte
Aufflattert mit schwarzen Flügeln die Fäulnis;
Verkrüppelte Birken seufzen im Wind.
Abend in verlassener Schenke. Den Heimweg umwittert
Die sanfte Schwermut grasender Herden,
Erscheinung der Nacht: Kröten tauchen aus silbernen Wassern.

Frühling der Seele.

Aufschrei im Schlaf; durch schwarze Gassen stürzt der Wind,
Das Blau des Frühlings winkt durch brechendes Geäst,
Purpurner Nachttau und es erlöschen rings die Sterne.
Grünlich dämmert der Fluß, silbern die alten Alleen
Und die Türme der Stadt. O sanfte Trunkenheit
Im gleitenden Kahn und die dunklen Rufe der Amsel
In kindlichen Gärten. Schon lichtet sich der rosige Flor.
Feierlich rauschen die Wasser. O die feuchten Schatten der Au,
Das schreitende Tier; Grünendes, Blütengezweig
Rührt die kristallene Stirne; schimmernder Schaukelkahn.
Leise tönt die Sonne im Rosengewölk am Hügel.
Groß ist die Stille des Tannenwalds, die ernsten Schatten am Fluß.
[254] Reinheit! Reinheit! Wo sind die furchtbaren Pfade des Todes,
Des grauen steinernen Schweigens, die Felsen der Nacht
Und die friedlosen Schatten? Strahlender Sonnenabgrund.
Schwester, da ich dich fand an einsamer Lichtung
Des Waldes und Mittag war und groß das Schweigen des Tiers;
Weiße unter wilder Eiche, und es blühte silbern der Dorn.
Gewaltiges Sterben und die singende Flamme im Herzen.
Dunkler umfließen die Wasser die schönen Spiele der Fische.
Stunde der Trauer, schweigender Anblick der Sonne;
Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden. Geistlich dämmert
Bläue über dem verhauenen Wald und es läutet
Lange eine dunkle Glocke im Dorf; friedlich Geleit.
Stille blüht die Myrte über den weißen Lidern des Toten.
Leise tönen die Wasser im sinkenden Nachmittag
Und es grünet dunkler die Wildnis am Ufer, Freude im rosigen Wind;
Der sanfte Gesang des Bruders am Abendhügel.

Elis.

I.

Vollkommen ist die Stille dieses goldenen Tags.
Unter alten Eichen
Erscheinst du, Elis, ein Ruhender mit runden Augen.
[255] Ihre Bläue spiegelt den Schlummer der Liebenden.
An deinem Mund
Verstummten ihre rosigen Seufzer.
Am Abend zog der Fischer die schweren Netze ein.
Ein guter Hirt
Führt seine Herde am Waldsaum hin.
O! wie gerecht sind, Elis, alle deine Tage.
Leise sinkt
An kahlen Mauern des Ölbaums blaue Stille,
Erstirbt eines Greisen dunkler Gesang.
Ein goldener Kahn
Schaukelt, Elis, dein Herz am einsamen Himmel.

II.

Ein sanftes Glockenspiel tönt in Elis' Brust
Am Abend,
Da sein Haupt ins schwarze Kissen sinkt.
Ein blaues Wild
Blutet leise im Dornengestrüpp.
Ein brauner Baum steht abgeschieden da;
Seine blauen Früchte fielen von ihm.
Zeichen und Sterne
Versinken leise im Abendweiher.
Hinter dem Hügel ist es Winter geworden.
Blaue Tauben
Trinken nachts den eisigen Schweiß,
Der von Elis' kristallener Stirne rinnt.
Immer tönt
An schwarzen Mauern Gottes einsamer Wind.

[256]

Robert Walser.

Geboren am 15. April 1878 zu Biel in der Schweiz. – Gedichte 1908.

Morgenstern.

Ich mache das Fenster auf,
Es ist dunkle Morgenhelle.
Das Schneien hörte schon auf,
Ein großer Stern ist an seiner Stelle.
Der Stern, der Stern
Ist wunderbar schön.
Weiß von Schnee ist die Fern',
Weiß von Schnee alle Höhn.
Heilige, frische
Morgenruh' in der Welt.
Jeder Laut deutlich fällt;
Die Dächer glänzen wie Kindertische.
So still und weiß:
Eine große, schöne Einöde,
Deren kalte Stille jede
Äußerung stört; in mir brennt's heiß.

Langezeit.

Ich tu' mir Zwang,
Zu scherzen und lachen,
Was soll ich machen,
Die Zeit ist lang.
Gewohnten Gang
Im müden Herzen
Gehn alte Schmerzen,
Die Zeit ist lang.
[257] Ich muß den Hang
Zu weinen bezwingen,
Nebst andern Dingen,
Die Zeit ist lang.

Warum auch.

Und als ein solcher klarer
Tag hastig nun wiederkam,
Sprach er voll ruhiger, wahrer
Entschlossenheit langsam:
Nun soll es anders sein,
Ich stürze mich in den Kampf hinein;
Ich will gleich so vielen andern
Aus der Welt tragen helfen das Leid,
Will leiden und wandern,
Bis das Volk befreit.
Will nie mehr müde mich niederlegen;
Geschehen soll etwas.
Da überkam ihn ein Erwägen,
Ein Schlummer: ach, laß doch das.

Schnee.

Es schneit, es schneit, bedeckt die Erde
Mit weißer Beschwerde, so weit, so weit.
Es taumelt so weh, hinunter vom Himmel,
Das Flockengewimmel, der Schnee, der Schnee.
Das gibt dir, ach, eine Ruh', eine Weite,
Die weißverschneite Welt macht mich schwach.
So daß erst klein, dann groß mein Sehnen
Sich drängt zu Tränen, in mich hinein.
[258]

Im Mondschein.

Ich dachte gestern nacht,
Die Sterne müssen singen,
Als ich aufgewacht
Und es leise hörte klingen.
Es war aber eine Handharfe,
Die durch die Räume drang,
Und durch die kalte, scharfe
Nacht klang es so bang.
Dachte so verlornem Ringen,
Gebeten und Flüchen nach,
Und noch lange hört' ich es singen,
Lag lang' noch wach.

Müdigkeit.

Entführ' mich, wie ich bin;
Sieh, mein verirrter Sinn
Weist von sich diese Welt,
Die ihn nicht mehr erhellt.
Komm, o ich werde brav
Und selig stille sein
In deinem dichten Schein,
Heiliger, süßer Schlaf.

Zu philosophisch.

Wie geisterhaft im Sinken
Und Steigen ist mein Leben.
Stets seh' ich mich mir winken,
Dem Winkenden entschweben.
[259] Ich seh' mich als Gelächter,
Als tiefe Trauer wieder,
Als wüsten Redeflechter;
Doch alles dies sinkt nieder.
Und ist zu allen Zeiten
Wohl niemals recht gewesen.
Ich bin vergeßne Weiten
Zu wandern auserlesen.

Brausen.

Es braust noch immer in der Welt,
Das Brausen hört doch niemals auf;
Ich liebe – es hört niemals auf,
Es braust ein Lieben durch die Welt.
Und ob ich auch ein Feigling bin,
Und ob du auch ein Kranker bist:
Du liebst, wenn du es auch nicht bist,
Der liebt, ich liebe, wenn ich's auch nicht bin.
Es braust, und ich steh' horchend still,
Ich weiß, ich hasse den und den,
Es nützt mir nichts; wie ich auch will:
Ich liebe alles, so auch den.
Dann gibt es Stunden, wo ich weiß,
Daß wir vor Liebe alle heiß.

Und ging.

Er schwenkte leise seinen Hut
Und ging, heißt es vom Wandersmann.
Er riß die Blätter von dem Baum
Und ging, heißt es vom rauhen Herbst.
Sie teilte lächelnd Gnaden aus
[260] Und ging, heißt's von der Majestät.
Es klopfte nächtlich an die Tür
Und ging, heißt es vom Herzeleid.
Er zeigte weinend auf sein Herz
Und ging, heißt es vom armen Mann.

Frank Wedekind.

Geboren am 24. Juli 1864 in Hannover, gestorben am 9. März 1918 in München. – Die vier Jahreszeiten 1905.

Erdgeist.

Greife wacker nach der Sünde;
Aus der Sünde wächst Genuß.
Ach, du gleichest einem Kinde,
Dem man alles zeigen muß.
Meide nicht die ird'schen Schätze:
Wo sie liegen, nimm sie mit.
Hat die Welt doch nur Gesetze,
Daß man sie mit Füßen tritt.
Glücklich, wer geschickt und heiter
Über frische Gräber hopst.
Tanzend auf der Galgenleiter
Hat sich keiner noch gemopst.

Perversität.

Ein Waisenkind, mit nassen, blassen Wangen,
Mit hohlen Augen und mit dünnen Armen
Huscht scheu hervor, inständig mein Erbarmen
Anflehend, stotternd, schlotternd, furchtbefangen.
Eisig sein Körper, glühend sein Verlangen,
Müht sich's frostbebend, menschlich zu erwarmen.
[261] Vergebne Qual; erschlafft in meinen Armen,
Bewimmert es sein Hoffen und sein Bangen.
Beschämt schleicht sich's von hinnen, ächzend, siechend,
Nachts bettelnd und bei Tage sich verkriechend,
Heut in Verzweiflung, morgen in Verzücktheit;
Verfällt gemach schmerzstillender Verrücktheit,
Stutzt, lacht, jauchzt todesfroh, und, der Gewandung
Vom Gischt beraubt, zerschellt es in der Brandung.

Ilse.

Ich war ein Kind von fünfzehn Jahren,
Ein reines unschuldsvolles Kind,
Als ich zum erstenmal erfahren,
Wie süß der Liebe Freuden sind.
Er nahm mich um den Leib und lachte
Und flüsterte: O welch ein Glück!
Und dabei bog er sachte, sachte
Mein Köpfchen auf das Pfühl zurück.
Seit jenem Tag lieb' ich sie alle,
Des Lebens schönster Lenz ist mein;
Und wenn ich keinem mehr gefalle,
Dann will ich gern begraben sein.

Der Anarchist.

Reicht mir in der Todesstunde
Nicht in Gnaden den Pokal!
Von des Weibes heißem Munde
Laßt mich trinken noch einmal!
[262] Mögt ihr sinnlos euch berauschen,
Wenn mein Blut zerrinnt im Sand.
Meinen Kuß mag sie nicht tauschen
Auch für Brot aus Henkershand.
Einen Sohn wird sie gebären,
Dem mein Kreuz im Herzen steht,
Der für seiner Mutter Zähren
Eurer Kinder Häupter mäht.

Waldweben.

Zwischen duftigen Büschen
Stieß ich auf einen Quell;
Meinen Mund zu erfrischen,
Dünkt' er mich rein und hell.
Als ich mich satt getrunken,
Träumend wankt' ich zur Stadt,
Bin aufs Lager gesunken,
Fiebernd und todesmatt.
Hat kein Arzt sich gefunden,
Dessen Kunst mich geheilt;
Werd' auch nimmer gesunden,
Bis mich der Tod ereilt. –
Ei du mein durstiger Knabe,
Streife nicht durchs Gebüsch;
Bleib bei der Mutter und labe
Fromm dich am Kaffeetisch.

[263]

Franz Werfel.

Geboren am 10. September 1890 zu Prag. – Der Weltfreund 1911. Wir sind 1913. Einander 1915. Gesänge aus den drei Reichen 1917. Der Gerichtstag 1920.

Wie nichts erkennend.

Ich reichte einem Kranken meine Hand
Und gab ihm Wunsch und Mitgefühl bekannt.
Doch während treulich meine Worte waren,
Sprach wohl ein Herz, das nur sich selbst empfand.
Mittäglich sah ich einen Droschkenstand,
Wo sich beweglich alte Gäule sonnten.
Da hat ein klarer Kopf sich umgewandt
Und tief durchfühlt traf mich ein schweres Auge.
Bin aber dumpf des eigenen Wegs gerannt
Und nicht durchfloß mich dieses Bruderleben.
Am Abend hab' ich heißes Wort genannt.
Verzweiflung, Liebe, Sehnsucht nannt ich mein.
Hah, Mein und Mein! Und immer diese Wand!
Warum bin ich nicht durch die Welt gespannt,
Allfühlend gleicherzeit in Tier und Bäumen,
In Knecht und Ofen, Mensch und Gegenstand?!
So ist's mein Teil, sternhaft dahinzurollen,
Gebunden zwar, doch niemandem verwandt,
Wie nichts erkennend, so auch unerkannt.

Verzweiflung.

Nacht kam herein.
Und morgen, wähnen wir, ist Tag.
Da gehn die Wagen wieder
Und an den Türen läutet es.
[264] Die Mutter mein sitzt da.
Ihr Antlitz ist nicht meins.
Sie redet viel an mich.
Ich denk an fremdes Nichts.
Die Schwester mein lacht auf.
Leicht könnte ich sie hassen.
In meiner Öde brodelt
Schon ein gemeines Wort.
Ich bin so zugebaut!
Und alles rauscht nach Liebe.
Ich auch nach Liebe weine
Und hab doch keinen gern.

Welche Lust auf Erden denn ist süßer.

Taucht nur, senkt nur eure wilden Fratzen
In mein reines fließendes Wesen!
Diese Seele brandzuschatzen,
Seid ihr alle, allesamt erlesen.
Märtyrer, gegrüßt, wollüstige Büßer!
Heil dem Busen durch und durch geschlagen!
Welche Lust auf Erden denn ist süßer,
Als verwundet werden und nichts sagen.
Komm, Verräter, daß ich dich erbose,
Du mit müden Händen, list'ger Späher!
Hier Gesicht und Brust!! Mit jedem Stoße
Bin ich ja dem Tempo Gottes näher!
[265]

Ein Lebens-Lied.

Daß einmal mein dies Leben war,
Daß in ihm jene Kiefern standen
Und Ufer schlafend sich vorüberwanden,
Daß ich in Wäldern aufschrie sonderbar.
Daß einmal mein dies Leben war!
Wo Ufer schlafend sich vorüberwanden,
Was trug der Fluß mit Schilf und Wolk' davon?
Wo bin ich – und ich höre noch den Ton
Von Ruderbooten, wie sie lachend landen,
Wo Ufer schlafend sich vorüberwanden.
Wo bin ich – und ich höre noch den Ton
Von Equipagen, dicht im Kies verfahren,
Kastanien- und Laternensprache waren
Noch da und Worte – doch wo sind sie schon?
Wo bin ich – und ich höre noch den Ton?
Kastanien- und Laternensprache waren
Noch da und Atem einer breiten Schar.
Und mein war ein Gefühl von Gang und Haaren.
O Ewigkeit! – Und werd' ich es bewahren,
Daß einmal mein dies Leben war!

Amore.

Wenn noch die Eitelkeit
Das Auge dir entweiht,
Ist kommen nicht die Zeit.
Solang du noch willst stehn
Auf Podien, gesehn,
Kann Glücks dir nicht geschehn.
[266] Wer sich noch nicht zerbrach,
Sich öffnend jeder Schmach,
Ist Gottes noch nicht wach.
Wer noch mit Eifer spitzt,
Daß er ein Weib besitzt,
Ist noch nicht ausgewitzt.
Erst wenn ein Mensch zerging
In jedem Tier und Ding,
Zu lieben er anfing.
Erst wer Erfüllung floh,
Wächst an zum Höchsten so,
Wird letzter Sehnsucht froh.
Erst wer sich jauchzend bot
Der Schande und der Not
Und zehnfach jedem Tod,
Im heiligsten Verzicht,
Vor Liebe ihm zerbricht
Sein irdisch Angesicht!
Wohin schwillt er empor?
Was schwingt er überm Chor
Unendlich sein amor'!!

Alte Dienstboten.

In dem sanften Wallen der alten Frühlinge
Stehn die alten Dienerinnen von Haus zu Haus.
Der ausgebrannte Himmel schwebt dem Mond entgegen,
Der Sonntag füllt mit seinem zarten Tod die Straße aus.
Sein letzter Odem trägt den Schall von Ruderschlägen,
[267] Von Ufer, Hügelton und Klang von Weggesprächen her.
Die alten Mägde haben gütige Hüte auf,
Mild von Vergangenheit und kaum entlächelnd mehr.
Nur manche Masche oder kühne Rose schlägt zum Flug die Flügel auf.
Gestrickten Handschuh tun sie ab mit treuem Gruß und altem Nicken,
Eh' sie sich in das Dunkel ihrer Tore schicken.
Ach diese alten Frauen tragen ewig auf den alten Händen
Das erdenlose schluchzende Traumlicht vom frühen Tag.
Wohin sie auch ihr Gehen wenden,
Klirrt ein Geschirr, ist Küche um sie, Stiege, alter Uhrenschlag.
Im Hof ist Lärm, im Herd die ewige Kohle.
Sie hören auf dem Gang das Schlürfen ihrer Sohle,
Sie haben keinen Sohn und kein Geschick,
Kein Bett zum Sterben breit. Nur kleinen Klatsch im Flur.
Schon keift die Herrin auf, die aus der Türe fuhr …
Unwandelbar in Ehrfurcht, so mit scheu gebeugtem Rücken
Sind die bereit sich neu zu ewigem Dienst zu bücken.
Doch ich Verworfener der Lust und Eitler in der Zeit,
Ich weiß, daß diese alten geisterhaften Leben
Sich ohne Ende über meins erheben,
Das voll von Hoffart Worte machen mag.
Nur uns zu prüfen gab uns Gott den Tag,
Allein des Tages Sinn heißt Heiligkeit.
O heiliger Dienst, o Dienst, der niemals schließt,
O Einfalt, die nichts weiß und nichts genießt,
[268] O Licht am Abend überm Tisch gebückt!
Gepriesenes Leben, Dienst! Mit abgeschundenen Händen,
Sich irdisch tilgend, himmlisch zu vollenden!

Mondlied eines Mädchens.

Ich liege in gläsernem Wachen,
Gelöst mein Haar und Gesicht.
Am Boden in langsamen Lachen
Schwebt Mond, das unselige Licht.
Und wie mir die tödliche Helle
Die Stirn und das Auge befühlt,
Zerrinn ich und bin eine Welle,
Gekräuselt, entführt und gespült.
Die Mutter atmet daneben,
Der Vater schläft auf und ab.
Ich habe Angst um das Leben
Von allen, die ich liebhab.
Jetzt gehn durch verwachsene Zimmer
Erzengel mit schrecklichem Schwert.
Ins Ohr weint mir immer, mir immer
Ein Kind, das mir nicht gehört.
Nachtlampe von tausend Betten
Des Leidens, der Mond mir scheint.
Ich möchte viel Schluchzendes retten,
Und bin es doch selbst, die weint.
All Ding im Zimmer verlassen,
Der Schuh, und der Tisch, und die Wand …
Ich möchte das Ferne anfassen,
Nur sein eine streichelnde Hand!
[269] Ich möchte mit Fröstelnden spielen
Und halten die Kalten im Arm!
Ich fühle, die Reichen und Vielen
Sind Kinder vor mir und so arm!
Für alle muß ich mich sorgen,
Mein Schlaf ist gläsern und schwebt …
Ich horche, wie in den Morgen
Der Atem von allen sich hebt.
Im Fenster wehn Bäume zerrissen,
Viel Himmel sind windig in Ruh.
Ich decke mit meinen Kissen
Die frierenden Welten zu.

Die Leidenschaftlichen.

Mein Gott, es werden sein zu deiner Rechten
Nicht die Wahrhaftigen allein und die Gerechten!
Nein alle, die in dreizehn Dezembernächten
Vor einem Fenster standen. Und Frauen, die sich rächten
Mit Vitriol und dann im Gerichtssaal ergrauten,
Die Eifersüchtigen all, die ihr Blut stauten,
In Droschken weinten, in Sälen sich erfrechten!
Die durchgefallnen tiefen Atmer,
Sänger, die mit bezechten
Gliedern dem Tod sich in die Grube schmissen,
Sie werden sein zu dir emporgerissen,
Und werden sitzen, Gott, zu deiner Rechten!
Es werden wandeln in deinen Gärten
Nicht nur die Demütigen und Beschwerten,
Nein alle, die leuchteten und verehrten!
Mädchen, die in Konzerten erkrankten,
Weil ihre Wangen zu bleich sich verklärten,
[270] Blicke aus Augen, die dankten –
Wahre Augen-Blicke zu nimmer verzehrten
Dauern aus Zeit in deine Zeiten gehoben,
Werden sie lodern weiter und loben,
Leichte Feuer wandelnd in deinen Gärten!
Es werden ruhen, Gott, in deinen Tiefen
Nicht die allein, die deinen Namen riefen,
Nein alle, die in den Nächten nicht schliefen!
Die am Morgen ihr Herz mit beiden Händen häuften
Wie Flamme, und liefen
Tiefatmend, blind, in unbekannten Läuften.
Ein Küsten-Wind zuckt in Selbstmörderbriefen.
Die Knaben haben Meere nicht verstanden,
So brannten sie sich ab in Hieroglyphen.
Nun knarrt ein Rost-Schild an den schiefen
Eisernen Kreuzen der Konfirmanden.
Wie sehr wir hier sind, sind wir dort vorhanden –
Die hier unruheten aus deinen Tiefen,
Sie werden ruhen dort in deinen Tiefen.

Die Schwestern von Bozen.

Zwei Schwestern sah ich heut auf morgendlicher Au.
Sie schwebten lerchenfrüh und schwärmten in das Blau,
Und waren angetan kühl in Gewande weiß.
Doch auf ihren Schürzen war
Von trockenem Blut ein Rost und dumpfer Kreis.
Sie aber tief umschlungen schritten wunderbar.
Ich trat sie an die Schwebenden, und fragte leis:
Schwestern, von welchem Schein sind eurer Augen Scheine froh?
Kommt ihr nicht aus den Sälen, wo
[271] Die eingetränkte Maske auf das arme Antlitz sinkt,
Und in die weißen Stoffe Blut und Eiter dringt?
Geht ihr nicht durch die Fäulnis schwerer Zimmer ein und aus?
Tragt ihr nicht Schüsseln Unrats mild mit euch hinaus?
Und habt in eurem Opfer keinen Tag und keine Stunde Lust,
Dürft nicht in das Theater gehn und nicht im Grünen sitzen unbewußt!
Die beiden Schwestern aber sahn mich an mit einem Schaun,
Mit einem Blick voll tiefstem Jenseits sahn mich an die beiden Fraun.
Mit einem Blick, den ich, ein niedrer Laie, noch nicht ganz verstand,
Und doch geschah es, daß mich Weinen überwand.
Ich sah ein Licht steigen, das sich dem Wiesen-Kuß entreißt.
Es ahnte eine tiefste Wollust mein entzückter Geist.
Mir war von unbetretner Freude offenbar ein letztes Ziel …
Von ferne fühlt ich lachen leicht
Das Schwesternpaar, wie's nun entweicht,
Und schwindet tiefumschlungen in ein zärtlich frühes Glockenspiel.

Gesang einer Frau.

Warum, warum diese neue Angst?: Die Welt ist schon so oft!
Und Oft ein Wort, das fort und fort ins Ohr tropft unverhofft.
[272] Ein rundes Wort, ein runder Laut, der endet und beschließt.
Mir graut vor meinem Haar,
Es war so oft, meine Hand war oft, mein Mund war oft, war, war!
Meine Zunge war oft, meine Brust und was er genießt.
Mir graut, es graut auch meinem Haar.
Oft – ist unfaßliche Gefahr.
Ich kann die Blumen nicht sehn auf dem Tisch, sie machen mich krank.
Mein Geliebter hat einen verräterischen Gang.
Oft und Gewohnt sein aufgeknöpftes Freundespaar
Wischt sich die Stiefel nicht ab. Sie spucken gar
Und blasen Zigarrenrauch in mein Haar.
Oft ist mein Feind und schon lang.
O diese schrecklichen Frühen. Sie tragen Altes auf ihren Glocken her.
Wie bin ich von weitem und lang schon her.
Nun kann ich mich gar nicht erinnern mehr.
Wie man sich lachend auf die Fußspitzen stellt,
Das entfiel dem Gedächtnis meiner Füße, dem viel entfällt.
Trübsinn heißt vierfach meine Jahreszeit,
Im Winter fürcht' ich den Frühling, im Frühling die scharfe Zeit,
Und doch möcht' ich alles halten, was mich vermaledeit.
Nein, nein! Ach! Wie ist mir das doch hassenswert!
Wie alles an mir vergeht, möchte auch ich vergehn.
Verzehrt sein, vergehn, eingehn in einen hohen Wert.
[273] Lieben, lieben zum erstenmal,
Wo Liebe nicht verlischt mit dem Wangenmal,
Nicht jeder Kuß, verhauchend, wird Betrug,
Und Ekel durch die Morgenlumpen lugt!
Eingehn in ein reines weißes Weiß!
Weiße Schürzen tragen, weißes Kleid und eine Farbe nur sehr: Weiß!
Mein Gesicht vergessen, keine Zeit haben, immer ein Werk haben, immer tun,
Nur am Abend ins Gebet hinüberruhn!
O Leidenschaft!
Nun schimpft zum Fenster ein Regen herein.
Auch der Regen ist oft. Ich zähle die Feinde nicht.
Ich fühle nur meine Augen. Wohin ist mein Gesicht?
Früher lebte ich seine Farben und flog unendlich in alles ein,
Von unten, von der Seite, streichelte alles mit meinem Schein.
Jetzt ist in mir solch eine Beschwerlichkeit.
Ich bin leicht, ich bin leicht, aber mein Antlitz neigt,
Neigt sich zu allem nieder, als wär' ich sehr groß und sehr weit,
Und alles ist nur bedacht, daß es sich höflich zeigt.
Wo bin ich denn? O Himmelsrose, die mich in die Mitte klemmt!
Ich sitze auf meinem Bettrand im Hemd,
Und schaue auf meinen edel ermatteten Fuß,
Der mich entzückt, daß ich fast weinen muß.
Und doch ist in meinen süßen Beinen schon etwas, das man verhängt …
Franz Werfel
[274]

Geheimnis.

So reich bist du, als du tränenreich bist.
So frei bist du, als du dich selbst überspringst,
So wahr bist du, als du dich kannst verwerfen.
So groß bist du, als klein vor dir der Tod ist.
So tief bist du Wunder,
Als du tiefe Wunder siehst!

Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll.

Niemals wieder will ich
Eines Menschen Antlitz verlachen.
Niemals wieder will ich
Eines Menschen Wesen richten.
Wohl gibt es Kannibalen-Stirnen.
Wohl gibt es Kuppler-Augen.
Wohl gibt es Vielfraß-Lippen.
Aber plötzlich
Aus der dumpfen Rede
Des leichthin Gerichteten,
Aus einem hilflosen Schulterzucken
Wehte mir zarter Lindenduft
Unserer fernen seligen Heimat,
Und ich bereute gerissenes Urteil.
Noch im schlammigsten Antlitz
Harret das Gott-Licht seiner Entfaltung.
Die gierigen Herzen greifen nach Kot –
Aber in jedem
Geborenen Menschen
Ist mir die Heimkunft des Heilands verheißen.
[275]

Sein und Treiben.

Erkennen ist noch Hast.
Auch Können ist Unrast.
Wer wirklich ist, der ist!
Der wohlgeborene Hund darf sein.
Der mißgeborene Hund muß springen.

Gebet um Reinheit.

Nun wieder, mein Vater, ist kommen die Nacht, die alte, immergleiche.
Sie durchschreitet uns all die Wunderblinden mitten im Wunder.
Und die Stunde ist da, wo die Menschen, unwissend des tiefen Zeichens,
Vor ihr Wasser treten, den Kopf eintauchen und die beschmutzten Hände spülen.
O heilig Wasser der Erde, doppelt bestimmt, zu tränken und zu reinigen!
O mein Gott, o mein Vater, heilig Wasser der Geisterwelt!
Ist nicht meine Sehnsucht nach deiner Kühle Gewähr, daß du springst und spülst,
Ist nicht mein Zweifel noch das Hinlauschen nach deinem süßen Gefälle?
Ich senke meinen Kopf und tauche ihn in die Feuchte des Lampenkreises.
Ich halte dir meine beschmutzten Hände hin, wie ein Kind, das am Abend der Waschung wartet.
Nach einem lügnerischen Tage will ich mich sammeln, um in dieser Spanne wahr zu sein.
[276] Ich will mich in meiner Hürde zusammendrängen, bis das Geheul meiner Eitelkeit verstummt.
Dein Psalmist, mein Vater, hat wider seine Feinde gesungen,
Und ich, mein Vater, folge ihm und singe einen Psalm hier wider meinen Feind!
Ach, ich habe keine Feinde, denn wir Menschen lieben einander nicht einmal so sehr, um uns Feinde zu sein.
Aber ich habe einen Feind, einen gewaltigen Feind, der mich berennt und an alle meine Tore pocht.
Ich habe einen Feind, mein Vater, der an meinem Tisch sitzt und Völlerei treibt,
Während ich meine verdorrten Hände falte und darbe, und sich am Fenster die Hungrigen drängen.
Ich habe einen Feind, der aufstoßend nach der Mahlzeit seine Zigarre raucht und fett wird,
Während ich immer geringer werde und zusehn muß, wie er das Gut meiner Seele verpraßt.
Ich habe einen Feind, mein Vater, der meine edle Rede in Geschwätz verkehrt und in Selbstbetrug.
Ich habe einen Feind, der mein Gewissen liebedienerisch macht, und meine Liebe mit Trägheit erstickt.
Ich habe einen Feind, der mich zu jeder Niedrigkeit verleitet, zur Wollust des Sieges an den Spieltischen,
Der ich doch ein Meister der göttlichen Genüsse bin.
Warum hast du mich mit diesem Feind erschaffen, mein Vater, warum mich zu dieser Zwieheit gemacht?
Warum gabst du mir nicht Einheit und Reinheit? Reinige, einige mich, o du Gewässer!
[277] Siehe, es wehklagen all deine wissenden Kinder seit eh und je über die Zahl Zwei.
Ich tauche meinen Kopf ins Licht und halte dir meine Hände hin zur Waschung.
Befreie mich, reinige mich, mein Vater, töte diesen Feind, töte mich, ertränke diesen Mich!
Wie selig sind die Einfachen, die Unwissenden, selig die einfach Guten, selig die einfach Bösen!
Aber unselig, unselig die Entzweiten, die Zwiefachen, die zu- und abnehmenden Gegenspieler.
O heilig Gewässer, um dein und meiner Größe willen, hilf mir!

Wir nicht.

Ich lauschte in die Krone des Baums; – da hieß es im Laub:
Noch – nicht!
Ich legte das Ohr an die Erde; – da klopft's unter Kraut und Staub:
Noch – nicht!
Ich sah mich im Spiegel; mein Spiegelbild grinste:
Du – nicht!
Das war mein Gericht.
Ich verwarf mein Lied,
Und das lüsterne Herz, das sich nicht beschied.
Ich trat auf die Straße. Sie strömte schon abendlich.
Auf der Stirne der Menschen fand ich das Wort: Wir nicht.
Doch in allem Blicken las ich geheimnisvoll ein Lob,
Und wußte: Auch ich, vom lauen Trug entstellt,
[278] Werde nochmals begonnen, weil neu ein Schoß mich hält
Wie all dies Wesen um mich. Da lobte ich den Tod,
Und weinend pries ich allen Samen in der Welt.

Paul Wertheimer.

Geboren am 4. Februar 1874 zu Wien. – Gedichte 1896. Neue Gedichte 1904. Im Lande der Torheit 1910.

Seelen.

Du weißt, wir bleiben einsam: Du und ich,
Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht,
Mit freien Kronen, die der Seewind küßt …
So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei.
Doch zwischen beiden webt ein feines Licht
Und Silberduft, der in den Zweigen spielt,
Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin …

Ostsee.

Da lieg' ich an dem weißen Ostseestrande.
Das Meer … Das Meer! Mein wahrgewordner Traum!
Ich bin vergraben in dem feinen Sande
Und bin nur Wind und Welle, Sturm und Schaum.
Und meine Wunschgedanken lass' ich gleiten
Hinauf-, hinunterwärts die grüne Bahn.
O meines jungen Traums Unendlichkeiten!
Ein Hauch bewegt der Sehnsucht goldnen Kahn.
[279] Mein Kahn ist ganz mit Wein und Obst beladen
Und voll Musik: von Gott und Welt und Mut,
Und von des Meeres königlichen Gnaden
Und von der Kraft, die lächelnd in mir ruht!

Tote Stunde.

Menschen sterben von mir ab wie Blüten
Meines lieben Baumes vor dem Fenster.
Gestern war er noch voll rot und weißen
Glanzes, sieh, nun ist er grün und keimend.
Hat ein Wandrer an dem Stamm geschüttelt –
Solch ein aufrecht-großer Lebensschreiter?
Sprach zu laut ein Vogel im Gezweige?
Murmelte der Wind zur Nacht von neuen,
Ahnungsvollen, ungewissen Dingen –
Und die Blüten stoben hin erschrocken
Und sie fielen weit, weit ab und starben …

Alfred Wolfenstein.

Geboren am 28. Dezember 1888 zu Halle. – Die gottlosen Jahre 1914. Die Freundschaft 1917. Die Nackten 1917. Menschlicher Kämpfer 1919.

Städter.

Nah wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, daß die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte sehn.
Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, wo die Blicke eng ausladen
Und Begierde ineinanderragt.
[280] Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine.
Flüstern dringt hinüber wie Gegröle –
Und wie stumm in abgeschloßner Höhle
Unberührt und ungeschaut
Steht doch jeder fern und fühlt: alleine.

Tanz.

I.

Sie wirbelt weich
Die Hände schwingend vor ..
Sie rollt auf Zehen starr zurück:
Steht gipfelnd von Musik umflossen,
Silbern sichtbar in die Luft gegossen!
Sie schmilzt hinab
Und hebt zu kreisen an
Um ihrer Seele stillsten Punkt,
Wie Schnee, um sein Gebirge fließend,
In immer weichere Hand sich gießend,
Wie Wasser weiß ..
Dick schwellen aus der Wand
Der Lampen blutige Fäden an
Und sinken plötzlich ..: Sie steht funkelnd
Da, steil gezackt, geprägt im Dunkeln!

II.

Sie schweift den Fuß wie Pfaunrad aus, zum Blumenkreis,
Sie spitzt den Fuß wie Sterne zu, Zeh'nstrahlen spitz,
[281] Sie gleitet der Bewegung ungebundnes Gleis –
Im Saale lagern Tiere stier auf wuchtigem Sitz.
Von Säulen schielt das Breitgesicht der Decke weiß
Herab auf ihrer schnellen Brüste Blitz und Blitz,
Aus vorgewölbten Mäulern bläst es gelb und heiß,
Ihr Lichtknie schluckt der ungerührten Augen Schlitz!
Da schüttelt sie sich zagender: O falle, Gier!
Da wirft sie sich in Lüfte fort – Doch immer schwingt
Die Schönheit wie ein Bumerang zurück zu ihr,
Daß jedem Sprung nur stachelndere Glut entspringt.
Rot hängt des Vorhangs offner Wundrand über ihr,
Rauch höhnt als Vorhang, den doch jeder Blick durchdringt,
Ihr Tanz verlöscht nicht, angespritzt von Staub und Bier,
Noch immer klatschen Fäuste, bis Musik noch klingt.

III.

So flieh, enttanze
In dich! du Unsichtbare!
Wie ein rasendes Rad innen schwindet –
Schon hüllen Wellen dich und bleichen
Die Gier, im Saale sitzen Leichen –
Du, neu geboren
Auf einen andern Stern hin!
In eignen immer wildren Sturmleib,
In Fuß und Brust und Stirn verflogen,
Vom Geistermund des Umschwungs ausgesogen.
Und fließt zusammen
Mit sich – und fühlt nur Tanzen,
[282] Luft, Atmen, Aufatmen von Flammen –
Es hebt sie einsames Gefieder
Und Sammetvorhang senkt sich nun auch nieder.

Musik des Kämpfers.

Von Stern zu Stern
Wie an schwankenden Ringen
Sausen wir durch die Welt.
Vom Dunkel zur Freundschaft,
Von Freundschaft zur schaffenden Einsamkeit schwingen
Wir uns durch die Erde.
Aber das steigt nicht
Vom Seufzen zum Singen:
Dahinter winkt wieder Finsternis, und wieder Licht.
Wie Sturm, Blitz und Fluß
Miteinander verschlingen
Sich ewig in uns, ewig zugleich:
Dunkles Tasten an der Wahrheit Wand,
Feuriger Freundschaft Weltdurchdringen,
Zeugung der Wahrheit und Welt aus uns!
Drei Gewalten, die um jedes
Kämpfers Seele miteinander ringen,
Heben ihn nur himmlisch über sich empor!
Schöpfung kreist
Aus ihrem An-einander-klingen:
Aus Musik des Kämpfers wächst rings Gottes Geist.
[283]

Nacht im Dorfe.

Vor der verschlungnen Finsternis stöhnt,
Stöhnt mein Mund,
Ich an Lärmen unruhig gewöhnt,
Starre suchend rund:
Berge von Bäumen behaart ruhn
Schwarz wüst herein,
Was ihre Straßen nun tun,
Äußert kein Schein, kein Schrei'n.
Aber ein wenig sich zu irrn
Wünscht, wünscht mein Ohr!
Schwänge nur eines Käfers Schwirrn
Mir ein Auto vor.
Wäre nur ein Fenster drüben bewohnt,
Doch im gewölbten Haus
Nichts als Sterne und hohlen Mond
– Halt ich nicht aus –
Halt ich nicht aus, meinem Schlaf allmächtig umstellt,
Fremd, fremd und nah –
Durch den See noch näher geschwellt
Liegt es lautlos da.
Aber glaubt mich nicht schwach.
Daß ich – soeben die Stadt noch gehaßt,
Nun das Land flieh –: es ist nur die Nacht,
Nur auf dich, diese Nacht, war ich nicht gefaßt –
Wie du tot oder tausendfach unbekannt
Mein schwarzes Bett umlangst,
Nirgends durchbrochen von menschlicher Hand,
Gottlose Angst –
[284]

Fahrt.

Der D-Zug schreit und steigert sich, der Mond steht hell –
O Einklang aller Füße langsam – Füße schnell!
Die Herzen schlagen
Auf blanker Schiene mit den Wagen.
Wir sind ein Schwarm dem spröden Schritt der Städte fern!
Ihr Häuser fort! mit uns fährt eisern nur der Stern.
Die Dörfer blinken,
Von unserm Sturm verlöscht versinken.
Versenken wir das Aschengrau der Abendwelt!
Wie gutes Blut zerschmilzt der Zug, was uns umstellt.
Gebirge gleiten
In Seen .. ins Meer der Schnelligkeiten.
Doch wir gezackt wie Wolken aus dem glatten Meer
Mit einem Atem dampfen wir darüber her
Und brausend sehen
Wir brausendere Sterne stehen ..
Seht auf, seht auf .. da steigt und schreit und hebt der Zug
Uns hoch in Glanz .. das Gleis verstummt .. die Nacht wird Flug ..
Wir alle flammen
Im wildren Schmelz des Sterns zusammen!
Und nagelt uns die Bremse auf Stationen fest,
Wir fahren noch .. ins muffige Hotel gepreßt!
Aus Fenstern neigen
Wir uns und sausen Sternenreigen.
[285]

Die Stirn.

Himmel baut sich um die Brust mir bis zum Kiefer,
Aber durchbrechend sein Dach
Sproßt mein Auge frei hinaus, indes die Hüften tiefer
Stehen in Wiese und Luft, grünem und blauem Gemach!
Aber durchbrechend das Dach – in welchen Räumen
Wächst mein Haupt? Unten in Meer
Und Wald und irdischen Maschinen schäumen
Die Dinge lärmend und schwer –
Dennoch nur wie leiser Schlaf in engen Wänden,
Wie ein bescheidenes Spiel!
Aber riesig über Himmelsschultern, Bergeslenden,
Schwebt die Stirn, – Sonne auf schmächtigem Stiel,
Drache, unerschöpflich über seinen Hälsen,
Mond über Ebbe und Flut,
Hochgebirg über allen Felsen,
Reicht die Stirn in jede Glut!
In das Schicksal reicht die Stirn – und kann nicht siegen,
Aber singen! – bis sie dem Schicksal gleicht an Glanz,
Aus der Erde klingend weltallgebogne Spiralen durchfliegen,
Bis sie hoch in den Sternen – mit Menschen sich trifft im Tanz.

[286]

Paul Zech.

Geboren am 19. Februar 1881 zu Briesen. – Schollenbruch 1912. Die eiserne Brücke 1913. Der Wald 1914. Das schwarze Revier 1914. Der feurige Busch 1919. Golgatha 1919. Das Terzett der Sterne 1920. Venus consolatrix 1921.

Die Häuser haben Augen aufgetan …

Am Abend stehn die Dinge nicht mehr blind
und mauerhart in dem Vorüberspülen
gehetzter Stunden; Wind bringt von den Mühlen
gekühlten Tau und geisterhaftes Blau.
Die Häuser haben Augen aufgetan,
Stern unter Sternen ist die Erde wieder,
die Brücken tauchen in das Flußbett nieder
und schwimmen in der Tiefe Kahn an Kahn.
Gestalten wachsen groß aus jedem Strauch,
die Wipfel wehen fort wie träger Rauch
und Täler werfen Berge ab, die lange drückten.
Die Menschen aber staunen mit entrückten
Gesichtern in der Sterne Silberschwall
und sind wie Früchte reif und süß zum Fall.

Bettler im Spätherbst.

Den leeren Ranzen lässig umgesackt
und grünen Filzhut windschief auf den Strähnen,
so schiebt er sich ins Dorf, wo sattes Gähnen
rauchwirbelnd über feuchte Dächer flackt.
Er probt mit langen Fingern, die von Gicht
krummstehn, das Tür-an-klopfen,
und weitet Taschen aus zum Brotverstopfen
und setzt in Kummerfalten das Gesicht.
[287] Sturm orgelt lauter auf in den Kaminen
und Tor an Tor knirscht krachend im Verschluß ....
Armselig, wer nun wandern, wandern muß.
Man wirft aus Fenstern Fäuste jähzornschwer,
und hetzt Gebrüll von Hunden hinterher.
… Der Nebel gittert graue Eisgardinen.

Dorf im Mittag.

Das Dorf liegt aufgebahrt. Ein Wetterriegel
schiebt schwarz sich vor: die Sonne abzusperrn.
Doch die steil abgeschrägten Dächerziegel
halten die Hitze unter rotem Siegel
zitternd von aller Kühle fern.
Verzweifelt strebt der Rauch aus den Kaminen
in den verbleiten Horizont empor.
Die Fenster ruhn verschlossen in Gardinen,
und des Gesindes abgespannte Mienen
beschattet tief des Schlafes Flor,
bis wie ein Traumschrei aus den Schlummerzellen
die Dreschmaschine heult und wie ein Pfeil
in angestrengtem Vorwärtsschnellen
die Luft zerschneidet, messerscharf und steil.

Es kam ein Wind …

Es kam ein Wind von Frühlingsland,
der riß vom Strom das Silberband
und ließ die blauen Schimmerwellen tanzen.
Da fiel der Nebel wie zerschlitzt
ins Uferrohr, das, rot beglitzt,
emporwuchs wie ein Wald von goldnen Lanzen.
[288] Und alle Wiesen wurden wasserfrei,
Alarm beflammte Kuckucksruf und Kiebitzschrei,
bis, losgelassen von den Farmen,
die jungen Pferde Funken schlugen querfeldein,
als müßten sie im Fliegen noch den Stein
vor lauter Blut umarmen.

Stefan Zweig.

Geboren am 28. November 1881 zu Wien. – Gesammelte Gedichte 1921.

Singende Fontäne.

Blauer Blick des Mondescheines
Kühlte meines Zimmers Wand;
Da hört' ich die Stimme eines,
Der im Dunkel unten stand.
Und wie ich die Scheibe staunend
In den Garten niederbog,
War es Singen, süß und raunend,
Das zu mir ans Fenster flog.
Keinen sah ich. Nur im Dunkeln
Blinkte das erhellte Spiel
Der Fontäne, die mit Funkeln
Zwischen Busch und Bäume fiel.
Unruhvoll und doch beständig
Schien das silberne Getön
Wie ein lautes Herz lebendig
Durch die Brust der Nacht zu gehn.
Und ich fragte: „Warum rauschst du
Heute mir zum erstenmal?“ –
[289] Und ich horchte: „Warum lauschst du
Heute mir zum erstenmal?
In das heiße Gold der Tage,
Stumm im Steigen, Lied im Fall,
Durch den Samt der Nächte trage
Stet ich den erregten Schwall
Meiner eignen Überfülle,
Und du, der mir nahe ruhst,
Wirst erst durch den Gruß der Stille
Unsrer Brüderschaft bewußt?
Hast du nie denn an der Schwelle
Des Erwachens wirr gefühlt,
Daß dir eine lautre Welle
Nächtens durch dein Herz gespült,
Daß mein Singen dich durchwebte
Und im Schlafe aufwärts schwoll,
Bis es Blut um Blute lebte
Und an deine Lippen quoll,
Bis als Lied der eingeengte
Schauer einer fremden Lust,
Die ein Traum in dich versenkte,
Wild aufbrach aus deiner Brust?
So in dein Geschick verflechte
Ich mir meines Lebens Spur,
Und bin doch im Kreis der Mächte
Eine leise Stimme nur,
Eines von den stummen Dingen,
Die dein Wesen zauberhaft
Und geheimnisvoll durchdringen,
Und von deren steter Kraft
[290] Nur verloren-leise Kunde
Manchmal deine Seele faßt,
Wenn du dich hinab zum Grunde
Eines Traums getastet hast.“
Immer ferner schien der Schimmer,
Immer dunkler Wort und Sinn,
Doch mein Herz lauschte noch immer
Nach der weißen Stimme hin,
Die vom Garten, bald wie Trauer,
Bald wie Lächeln, wundersam
Über Bäume, Busch und Mauer
Schwebend an mein Lager kam,
Und an meine Brust sich schmiegend
Ihrer Worte Wiege schwang,
Bis ich, fern im Schlummer liegend,
Glanz nur fühlte und Gesang.

Schwüler Abend.

Ist es schon Abend? Ich will nicht hinaus,
Vergeblich flimmert ihr, o buhlerische Sterne!
Faß mich doch enger, du vertrautes Haus,
Reiß mich an dich, gib mich nicht an die Ferne,
Lieg nicht so träg, so stumm, so atemlos,
Sprich jetzt zu mir! Ich brauche einen,
Der zu mir spricht in dieser Zwielichtstunde,
Hörst du: Ich brauche einen, sei es bloß
Das Ticken einer Uhr, ein Kinderweinen,
Das Knurren nur von einem nahen Hunde,
Nur nicht dies fröstelnde Verlassenscheinen,
Nur Etwas, das dies drohende Gewicht
Der ganz verstummten Stube von mir hält,
[291] Und daß des Herzens Hammer nicht
So ohne Antwort in die Stille fällt!
Haus, halt mich fest! Zu viel
Von meinen Nächten hab' ich hingegeben
An dieses sinnlich aufgepeitschte Spiel.
Wie bin ich müd, die abenteuerlich
Erregte Luft, die lichterlose Schwüle
Der stummen Gassen an mein Kleid, an mich,
Und endlich flackernd in mir selbst zu fühlen.
Schließ du mich, Buch, in deine dunklen Zeilen,
Senkt, Briefe, ihr dies in die Ferne Streben
In lieber Menschen Bild, in eine Frau,
Beschwichtigt ihr das nun vom Abend lau
Aufschwülend unerklärliche Verlangen,
Des Blutes Unruh in die Nacht zu jagen!
Dies willenlose Durch-die-Gassen-Treiben,
Ob mich nicht Etwas aus dem Dunkel will,
Dies lüstern Spähn, dies angespannte Hangen
An jeder mattbeglänzten Fensterscheibe –
Wird dieses knabenhaft verworrne Treiben
Denn noch nicht in mir still?
Nein, halt mich, Haus! Verschließ mit dunklen Scheiben
All meine Unrast: und ich bleibe dein.
Ich selbst will ja den Abend so, nur so,
Wie er den andern ist: ein Müdesein,
Nur so,
Als sinke mit den schwindenden Kulissen
Ein buntes Spiel in bilderlose Räume.
Nicht will ich mehr. Vielleicht noch irgendwo
Freund oder Frau, ein mir Vertrautes wissen, –
Und dann nur Träume, bilderlose Träume.

[292]

Alphabetisches Verzeichnis der Gedichtanfänge.

A B D E F G H I J K L M N O R S T U V W Z

Anmerkungen zur Transkription:

Der Text folgt in Schreibweise und Zeichensetzung der Vorlage. Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.

Die Lebensdaten des Dichters Paul Scheerbart:
8. Januar 1866 – 14. Oktober 1915
werden in anderen Quellen (Wikipedia etc.) mit
8. Januar 1863 – 15. Oktober 1915 angegeben.






End of Project Gutenberg's Deutsche Lyrik seit Liliencron, by Various

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DEUTSCHE LYRIK SEIT LILIENCRON ***

***** This file should be named 28411-h.htm or 28411-h.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        https://www.gutenberg.org/2/8/4/1/28411/

Produced by Inka Weide, Wolfgang Menges, Markus Brenner
and the Online Distributed Proofreading Team at
https://www.pgdp.net


Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
https://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH F3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
https://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org.  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at https://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit https://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including including checks, online payments and credit card
donations.  To donate, please visit: https://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     https://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.