The Project Gutenberg EBook of Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 3. by Alexander von Humboldt This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 3. Author: Alexander von Humboldt Release Date: , March 8, 2009 [Ebook #28280] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE IN DIE AEQUINOCTIAL-GEGENDEN DES NEUEN CONTINENTS. BAND 3.*** Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 3. by Alexander von Humboldt Project Gutenberg TEI Edition 01 , (, March 8, 2009) In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers. Einzige von A. v. Humboldt anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache. ------------------ 1859 ------------------ Dritter Band INHALT Achzehntes Kapitel. Neunzehntes Kapitel. Zwanzigstes Kapitel. Einundzwanzigstes Kapitel. Zweiundzwanzigstes Kapitel. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Liste explizit genannter Werke Anmerkungen des Korrekturlesers ACHZEHNTES KAPITEL. San Fernando de Apure. -- Verschlingungen und Gabeltheilungen der Fluesse Apure und Arauca. -- Fahrt auf dem Rio Apure. Bis in die zweite Haelfte des achtzehnten Jahrhunderts waren die grossen Fluesse Apure, Payara, Arauea und Meta in Europa kaum dem Namen nach bekannt, ja weniger als in den vorhergehenden Jahrhunderten, als der tapfere Felipe de Urre und die Eroberer von Tocuyo durch die Llanos zogen, um jenseits des Apure die grosse Stadt des Dorado und das reiche Land Omaguas, das Tombuctu des neuen Continents, aufzusuchen. So kuehne Zuege waren nur in voller Kriegsruestung auszufuehren. Auch wurden die Waffen, die nur die neuen Ansiedler schuetzen sollten, bestaendig wider die ungluecklichen Eingeborenen gekehrt. Als diesen Zeiten der Gewaltthaetigkeit und der allgemeinen Noth friedlichere Zeiten folgten, machten sich zwei maechtige indianische Volksstaemme, die Cabres und die Caraiben vom Orinoco, zu Herren des Landes, welches die Conquistadoren jetzt nicht mehr verheerten. Von nun an war es nur noch armen Moenchen gestattet, suedlich von den Steppen den Fuss zu setzen. Jenseits des Uritucu begann fuer die spanischen Ansiedler eine neue Welt, und die Nachkommen der unerschrockenen Krieger, die von Peru bis zu den Kuesten von Neu-Grenada und an den Amazonenstrom alles Land erobert hatten, kannten nicht die Wege, die von Coro an den Rio Meta fuehren. Das Kuestenland von Venezuela blieb isolirt, und mit den langsamen Eroberungen der Missionaere von der Gesellschaft Jesu wollte es nur laengs der Ufer des Orinoco gluecken. Diese Vaeter waren bereits bis ueber die Katarakten von Atures und Maypures hinausgedrungen, als die andalusischen Kapuziner von der Kueste und den Thaelern von Aragua aus kaum die Ebenen von Calabozo erreicht hatten. Aus den verschiedenen Ordensregeln laesst sich ein solcher Contrast nicht wohl erklaeren; vielmehr ist der Charakter des Landes ein Hauptmoment, ob die Missionen raschere oder langsamere Fortschritte machen. Mitten im Lande, in Gebirgen oder auf Steppen, ueberall, wo sie nicht am selben Flusse fortgehen, dringen sie nur langsam vor. Man sollte es kaum glauben, dass die Stadt San Fernando am Apure, die in gerader Linie nur fuenfzig Meilen von dem am fruehesten bevoelkerten Kuestenstrich von Caracas liegt, erst im Jahre 1789 gegruendet worden ist. Man zeigte uns ein Pergament voll huebscher Malereien, die Stiftungsurkunde der kleinen Stadt. Dieselbe war auf Ansuchen der Moenche aus Madrid gekommen, als man noch nichts sah als ein paar Rohrhuetten um ein grosses, mitten im Flecken aufgerichtetes Kreuz. Da die Missionaere und die weltlichen obersten Behoerden gleiches Interesse haben, in Europa ihre Bemuehungen fuer Foerderung der Cultur und der Bevoelkerung in den Provinzen ueber dem Meer in uebertriebenem Lichte erscheinen zu lassen, so kommt es oft vor, dass Stadt- und Dorfnamen lange vor der wirklichen Gruendung in der Liste der neuen *Eroberungen* aufgefuehrt werden. Wir werden an den Ufern des Orinoco und des Cassiquiare dergleichen Ortschaften nennen, die laengst projektirt waren, aber nie anderswo standen als auf den in Rom und Madrid gestochenen Missionskarten. San Fernando, an einem grossen schiffbaren Strome, nahe bei der Einmuendung eines andern, der die ganze Provinz Barinas durchzieht, ist fuer den Handel ungemein guenstig gelegen. Alle Produkte dieser Provinz, Haeute, Cacao, Baumwolle, der Indigo von Mijagual, der ausgezeichnet gut ist, gehen ueber diese Stadt nach den Muendungen des Orinoco. In der Regenzeit kommen grosse Fahrzeuge von Angostura nach San Francisco herauf, so wie auf dem Rio Santo Domingo nach Torunos, dem Hafen der Stadt Barinas. Um diese Zeit treten die Fluesse aus und zwischen dem Apure, dem Capanaparo und Sinaruco bildet sich dann ein wahres Labyrinth von Verzweigungen, das ueber eine Flaeche Landes von 400 Quadratmeilen reicht. Hier ist der Punkt, wo der Orinoco, nicht wegen naher Berge, sondern durch das Gefaelle der Gegenhaenge seinen Lauf aendert und sofort, statt wie bisher die Richtung eines Meridians zu verfolgen, ostwaerts fliesst. Betrachtet man die Erdoberflaeche als einen vielseitigen Koerper mit verschieden geneigten Flaechen, so springt schon bei einem Blick auf die Karten in die Augen, dass zwischen San Fernando am Apure, Caycara und der Muendung des Meta drei Gehaenge, die gegen Nord, West und Sued ansteigen, sich durchschneiden, wodurch eine bedeutende Bodensenkung entstehen musste. In diesem Becken steht in der Regenzeit das Wasser 12--14 Fuss hoch auf den Grasfluren, so dass sie einem maechtigen See gleichen. Die Doerfer und Hoefe, die gleichsam auf Untiefen dieses Sees liegen, stehen kaum 2--3 Fuss ueber dem Wasser. Alles erinnert hier an die Ueberschwemmung in Unteraegypten und an die Laguna de Xarayes, die frueher bei den Geographen so vielberufen war, obgleich sie nur ein paar Monate im Jahr besteht. Das Austreten der Fluesse Apure, Meta und Orinoco ist ebenso an eine bestimmte Zeit gebunden. In der Regenzeit gehen die Pferde, welche in der Savane wild leben, zu Hunderten zu Grunde, weil sie die Plateaus oder die gewoelbten Erhoehungen in den Llanos nicht erreichen konnten. Man sieht die Stuten, hinter ihnen ihre Fuellen, einen Theil des Tags herumschwimmen und die Graeser abweiden, die nur mit den Spitzen ueber das Wasser reichen. Sie werden dabei von Krokodilen angefallen, und man sieht nicht selten Pferde, die an den Schenkeln Spuren von den Zaehnen dieser fleischfressenden Reptilien aufzuweisen haben. Die Aase von Pferden, Maulthieren und Kuehen ziehen zahllose Geier herbei. Die *Zamuros* [_Vultur aura_] sind die Ibis oder vielmehr Percnopterus des Landes. Sie haben ganz den Habitus des _'Huhns der Pharaonen'_ und leisten den Bewohnern der Llanos dieselben Dienste, wie der _Vultur Percnopterus_ den Egyptern. Ueberdenkt man die Wirkungen dieser Ueberschwemmungen, so kann man nicht umhin, dabei zu verweilen, wie wunderbar biegsam die Organisation der Thiere ist, die der Mensch seiner Herrschaft unterworfen hat. In Groenland frisst der Hund die Abfaelle beim Fischfang, und gibt es keine Fische, so naehrt er sich von Seegras. Der Esel und das Pferd, die aus den kalten, duerren Ebenen Hochasiens stammen, begleiten den Menschen in die neue Welt, treten hier in den wilden Zustand zurueck und fristen im heissen tropischen Klima ihr Leben unter Unruhe und Beschwerden. Jetzt von uebermaessiger Duerre und darauf von uebermaessiger Naesse geplagt, suchen sie bald, um ihren Durst zu loeschen, eine Lache auf dem kahlen, staubigten Boden, bald fluechten sie sich vor den Wassern der austretenden Fluesse, vor einem Feinde, der sie von allen Seiten umzingelt. Den Tag ueber werden Pferde, Maulthiere und Rinder von Bremsen und Moskitos gepeinigt, und bei Nacht von ungeheuren Fledermaeusen angefallen, die sich in ihren Ruecken einkrallen und ihnen desto schlimmere Wunden beibringen, da alsbald Milben und andere boesartige Insekten in Menge hineinkommen. Zur Zeit der grossen Duerre benagen die Maulthiere sogar den ganz mit Stacheln besetzten Melocactus,(1) um zum erfrischenden Saft und so gleichsam zu einer vegetabilischen Wasserquelle zu gelangen. Waehrend der grossen Ueberschwemmungen leben dieselben Thiere wahrhaft amphibisch, in Gesellschaft von Krokodilen, Wasserschlangen und Seekuehen. Und dennoch erhaelt sich, nach den unabaenderlichen Gesetzen der Natur, ihre Stammart im Kampf mit den Elementen, mitten unter zahllosen Plagen und Gefahren. Faellt das Wasser wieder, kehren die Fluesse in ihre Betten zurueck, so ueberzieht sich die Savane mit zartem, angenehm duftendem Gras, und im Herzen des heissen Landstrichs scheinen die Thiere des alten Europas und Hochasiens in ihr Heimathland versetzt zu seyn und sich des neuen Fruehlingsgruens zu freuen. Waehrend des hohen Wasserstandes gehen die Bewohner dieser Laender, um die starke Stroemung und die gefaehrlichen Baumstaemme, die sie treibt, zu vermeiden, in ihren Canoes nicht in den Flussbetten hinauf, sondern fahren ueber die Grasfluren. Will man von San Fernando nach den Doerfern San Juan de Payara, San Raphael de Atamaica oder San Francisco de Capanaparo, wendet man sich gerade nach Sued, als fuehre man auf einem einzigen 20 Meilen breiten Strome. Die Fluesse Guarico, Apure, Cabullare und Arauca bilden da, wo sie sich in den Orinoco ergiessen, 160 Meilen von der Kueste von Guyana, eine Art *Binnendelta*, dergleichen die Hydrographie in der alten Welt wenige aufzuweisen hat. Nach der Hoehe des Quecksilbers im Barometer hat der Apure von San Fernando bis zur See nur ein Gefaelle von 34 Toisen. Dieser Fall ist so unbedeutend als der von der Einmuendung des Osageflusses und des Missouri in den Mississippi bis zur Barre desselben. Die Savanen in Nieder-Louisiana erinnern ueberhaupt in allen Stuecken an die Savanen am untern Orinoco. Wir hielten uns drei Tage in der kleinen Stadt San Francisco auf. Wir wohnten beim Missionaer, einem sehr wohlhabenden Kapuziner. Wir waren vom Bischof von Caracas an ihn empfohlen und er bewies uns die groesste Aufmerksamkeit und Gefaelligkeit. Man hatte Uferbauten unternommen, damit der Fluss den Boden, auf dem die Stadt liegt, nicht unterwuehlen koennte, und er zog mich desshalb zu Rath. Durch den Einfluss der Portuguesa in den Apure wird dieser nach Suedost gedraengt, und statt dem Fluss freieren Lauf zu verschaffen, hatte man Daemme und Deiche gebaut, um ihn einzuengen. Es war leicht vorauszusagen, dass, wenn die Fluesse stark austraten, diese Wehren um so schneller weggeschwemmt werden mussten, da man das Erdreich zu den Wasserbauten hinter dem Damme genommen und so das Ufer geschwaecht hatte. San Fernando ist beruechtigt wegen der unmaessigen Hitze, die hier den groessten Theil des Jahres herrscht, und bevor ich von unserer langen Fahrt auf den Stroemen berichte, fuehre ich hier einige Beobachtungen an, welche fuer die Meteorologie der Tropenlaender nicht ohne Werth seyn moegen. Wir begaben uns mit Thermometern aus das mit weissem Sand bedeckte Gestade am Apure. Um 2 Uhr Nachmittags zeigte der Sand ueberall, wo er der Sonne ausgesetzt war, 52 deg.,5 [42 deg. R]. In achtzehn Zoll Hoehe ueber dem Sand stand der Thermometer auf 42 deg., in sechs Fuss Hoehe auf 38 deg.,7. Die Lufttemperatur im Schatten eines Ceibabaums war 36 deg.,2. Diese Beobachtungen wurden bei voellig stiller Luft gemacht. Sobald der Wind zu wehen anfing, stieg die Temperatur der Luft um 3 Grad, und doch befanden wir uns in keinem _'Sandwind'_. Es waren vielmehr Luftschichten, die mit einem stark erhitzten Boden in Beruehrung gewesen, oder durch welche _'Sandhosen'_ durchgegangen waren. Dieser westliche Strich der Llanos ist der heisseste, weil ihm die Luft zugefuehrt wird, welche bereits ueber die ganze duerre Steppe weggegangen ist. Denselben Unterschied hat man zwischen den oestlichen und westlichen Strichen der afrikanischen Wuesten da bemerkt, wo die Passate wehen. -- In der Regenzeit nimmt die Hitze in den Llanos bedeutend zu, besonders im Juli, wenn der Himmel bedeckt ist und die strahlende Waerme gegen den Erdboden zurueckwirft. In dieser Zeit hoert der Seewind ganz auf, und nach POZO's guten thermometrischen Beobachtungen steigt der Thermometer im Schatten auf 39--39 deg.,5 [31 deg.,2--31 deg.,6 R], und zwar noch ueber 15 Fuss vom Boden. Je naeher wir den Fluessen Portugueza, Apure und Apurito kamen, desto kuehler wurde die Luft, in Folge der Verdunstung so ansehnlicher Wassermassen. Diess ist besonders bei Sonnenaufgang fuehlbar; den Tag ueber werfen die mit weissem Sand bedeckten Flussufer die Sonnenstrahlen auf unertraegliche Weise zurueck, mehr als der gelbbraune Thonboden um Calabozo und Tisnao. Am 28. Maerz bei Sonnenaufgang befand ich mich am Ufer, um die Breite des Apure zu messen. Sie betraegt 206 Toisen. Es donnerte von allen Seiten; es war diess das erste Gewitter und der erste Regen der Jahreszeit. Der Fluss schlug beim Ostwind starke Wellen, aber bald wurde die Luft wieder still, und alsbald fingen grosse Cetaceen aus der Familie der Spritzfische, ganz aehnlich den Delphinen unserer Meere, an sich in langen Reihen an der Wasserflaeche zu tummeln. Die Krokodile, langsam und traege, schienen die Naehe dieser laermenden, in ihren Bewegungen ungestuemen Thiere zu scheuen; wir sahen sie untertauchen, wenn die Spritzfische ihnen nahe kamen. Dass Cetaceen so weit von der Kueste vorkommen, ist sehr auffallend. Die Spanier in den Missionen nennen sie, wie die Seedelphine, *Toninas*; ihr indianischer Name ist _Orinucua_. Sie sind 3--4 Fuss lang und zeigen, wenn sie den Ruecken kruemmen und mit dem Schwanz auf die untern Wasserschichten schlagen, ein Stueck des Rueckens und der Rueckenflosse. Ich konnte keines Stuecks habhaft werden, so oft ich auch Indianer aufforderte, mit Pfeilen auf sie zu schiessen. Pater Gili versichert, die Guamos essen das Fleisch derselben. Gehoeren diese Cetaceen den grossen Stroemen Suedamerikas eigenthuemlich an, wie der Lamantin (die Seekuh), der nach CUVIER's anatomischen Untersuchungen gleichfalls ein *Suesswassersaeugethier* ist, oder soll man annehmen, dass sie aus der See gegen die Stroemung so weit heraufkommen, wie in den asiatischen Fluessen der _Delphinapterus Beluga_ zuweilen thut? Was mir letztere Vermuthung unwahrscheinlich macht, ist der Umstand, dass wir im Rio Atabapo, oberhalb der grossen Faelle des Orinoco, Toninas angetroffen haben. Sollten sie von der Muendung des Amazonenstroms her durch die Verbindungen desselben mit dem Rio Negro, Cassiquiare und Orinoco bis in das Herz von Suedamerika gekommen seyn? Man trifft sie dort in allen Jahreszeiten an und keine Spur scheint anzudeuten, dass sie zu bestimmten Zeiten wandern wie die Lachse. Waehrend es bereits rings um uns donnerte, zeigten sich am Himmel nur einzelne Wolken, die langsam, und zwar in entgegengesetzter Richtung dem Zenith zuzogen. DELUC's Hygrometer stand auf 53 deg., der Thermometer auf 23 deg.,7; der Elektrometer mit rauchendem Docht zeigte keine Spur von Elektricitaet. Waehrend das Gewitter sich zusammenzog, wurde die Farbe des Himmels zuerst dunkelblau und dann grau. Die Dunstblaeschen wurden sichtbar und der Thermometer stieg um 3 Grad, wie fast immer unter den Tropen bei bedecktem Himmel, weil dieser die strahlende Waerme des Bodens zurueckwirft. Jetzt goss der Regen in Stroemen nieder. Wir waren hinlaenglich an das Klima gewoehnt, um von einem tropischen Regen keinen Nachtheil fuerchten zu duerfen; so blieben wir denn am Ufer, um den Gang des Elektrometers genau zu beobachten. Ich hielt ihn 6 Fuss ueber dem Boden 20 Minuten lang in der Hand und sah die Fliedermarkkuegelchen meist nur wenige Secunden vor dem Blitz auseinander gehen, und zwar 4 Linien. Die elektrische Ladung blieb sich mehrere Minuten lang gleich; wir hatten Zeit, mittelst einer Siegellackstange die Art der Elektricitaet zu untersuchen, und so sah ich hier, wie spaeter oft auf dem Ruecken der Anden waehrend eines Gewitters, dass die Luftelektricitaet zuerst Positiv war, dann Null und endlich negativ wurde. Dieser Wechsel zwischen Positiv und Negativ (zwischen Glas- und Harzelektricitaet) wiederholte sich oefters. Indessen zeigte der Elektrometer ein wenig vor dem Blitz immer nur Null oder positive Elektricitaet, niemals negative. Gegen das Ende des Gewitters wurde der Westwind sehr heftig. Die Wolken zerstreuten sich und der Thermometer fiel auf 22 deg., in Folge der Verdunstung am Boden und der freieren Waermestrahlung gegen den Himmel. Ich bin hier naeher auf Einzelnes ueber elektrische Spannung der Luft eingegangen, weil die Reisenden sich meist darauf beschraenken, den Eindruck zu beschreiben, den ein tropisches Gewitter auf einen neu angekommenen Europaeer macht. In einem Land, wo das Jahr in zwei grosse Haelften zerfaellt, in die trockene und in die nasse Jahreszeit, oder, wie die Indianer in ihrer ausdrucksvollen Sprache sagen, in *Sonnenzeit* und in *Regenzeit*, ist es von grossem Interesse, den Verlauf der meteorologischen Erscheinungen beim Uebergang von einer Jahreszeit zur andern zu verfolgen. Bereits seit dem 18. und 19. Februar hatten wir in den Thaelern von Aragua mit Einbruch der Nacht Wolken aufziehen sehen. Mit Anfang Maerz wurde die Anhaeufung sichtbarer Dunstblaeschen und damit die Anzeichen von Luftelektricitaet von Tag zu Tag staerker. Wir sahen gegen Sued wetterleuchten und der VOLTA'sche Elektrometer zeigte bei Sonnenuntergang fortwaehrend Glaselektricitaet. Mit Einbruch der Nacht wichen die Fliedermarkkuegelchen, die sich den Tag ueber nicht geruehrt, 3--4 Linien auseinander, dreimal weiter, als ich in Europa mit demselben Instrument bei heiterem Wetter in der Regel beobachtet. Vom 26. Mai an schien nun aber das elektrische Gleichgewicht in der Luft voellig gestoert. Stundenlang war die Elektricitaet Null, wurde dann sehr stark -- 4 bis 5 Linien -- und bald daraus war sie wieder unmerklich. DELUC's Hygrometer zeigte fortwaehrend grosse Trockenheit an, 33--35 deg., und dennoch schien die Luft nicht mehr dieselbe. Waehrend dieses bestaendigen Schwankens der Luftelektricitaet fingen die kahlen Baeume bereits an frische Blaetter zu treiben, als haetten sie ein Vorgefuehl vom nahenden Fruehling. Der Witterungswechsel, den wir hier beschrieben, bezieht sich nicht etwa auf ein einzelnes Jahr. In der Aequinoctialzone folgen alle Erscheinungen in wunderbarer Einfoermigkeit auf einander, weil die lebendigen Kraefte der Natur sich nach leicht erkennbaren Gesetzen beschraenken und im Gleichgewicht halten. Im Binnenlande, ostwaerts von den Cordilleren von Merida und Neu-Grenada, in den Llanos von Venezuela und am Rio Meta, zwischen dem 4. und 10. Breitegrad, aller Orten, wo es vom Mai bis Oktober bestaendig regnet und demnach die Zeit der groessten Hitze, die im Juli und August eintritt, in die Regenzeit faellt, nehmen die atmosphaerischen Erscheinungen folgenden Verlauf. Unvergleichlich ist die Reinheit der Luft vom December bis in den Februar. Der Himmel ist bestaendig wolkenlos, und zieht je Gewoelk auf, so ist das ein Phaenomen, das die ganze Einwohnerschaft beschaeftigt. Der Wind blaest stark aus Ost und Ost-Nord-Ost. Da er bestaendig Luft von der gleichen Temperatur herfuehrt, so koennen die Duenste nicht durch Abkuehlung sichtbar werden. Gegen Ende Februar und zu Anfang Maerz ist das Blau des Himmels nicht mehr so dunkel, der Hygrometer zeigt allmaehlig staerkere Feuchtigkeit an, die Sterne sind zuweilen von einer feinen Dunstschicht umschleiert, ihr Licht ist nicht mehr planetarisch ruhig, man sieht sie hin und wieder bis zu 20 Grad ueber dem Horizont flimmern. Um diese Zeit wird der Wind schwaecher, unregelmaessiger, und es tritt oefter als zuvor voellige Windstille ein. In Sued-Sued-Ost ziehen Wolken auf. Sie erscheinen wie ferne Gebirge mit sehr scharfen Umrissen. Von Zeit zu Zeit loesen sie sich vom Horizont ab und laufen ueber das Himmelsgewoelbe mit einer Schnelligkeit, die mit dem schwachen Wind in den untern Luftschichten ausser Verhaeltniss steht. Zu Ende Maerz wird das suedliche Stueck des Himmels von kleinen, leuchtenden elektrischen Entladungen durchzuckt, phosphorischen Ausleuchtungen, die immer nur von Einer Dunstmasse auszugehen scheinen. Von nun an dreht sich der Wind von Zeit zu Zeit und auf mehrere Stunden nach West und Suedwest. Es ist diess ein sicheres Zeichen, dass die Regenzeit bevorsteht, die am Orinoco gegen Ende April eintritt. Der Himmel faengt an sich zu beziehen, das Blau verschwindet und macht einem gleichfoermigen Grau Platz. Zugleich nimmt die Luftwaerme stetig zu, und nicht lange, so sind nicht mehr Wolken am Himmel, sondern verdichtete Wasserduenste huellen ihn vollkommen ein. Lange vor Sonnenaufgang erheben die Bruellaffen ihr klaegliches Geschrei. Die Luftelektricitaet, die waehrend der grossen Duerre vom December bis Maerz bei Tag fast bestaendig gleich 1,7--2 Linien am VOLTAschen Elektrometer war, faengt mit dem Maerz an aeusserst veraenderlich zu werden. Ganze Tage lang ist sie Null, und dann weichen wieder die Fliedermarkkuegelchen ein paar Stunden lang 3--4 Linien auseinander. Die Luftelektricitaet, die in der heissen wie in der gemaessigtenz Zone in der Regel Glaselektricitaet ist, schlaegt auf 8--10 Minuten in Harzelektricitaet um. Die Regenzeit ist die Zeit der Gewitter, und doch erscheint als Ergebniss meiner zahlreichen, dreijaehrigen Beobachtungen, dass gerade in dieser Gewitterzeit die elektrische Spannung in den tiefen Luftregionen geringer ist. Sind die Gewitter die Folge dieser ungleichen Ladung der ueber einander gelagerten Luftschichten? Was hindert die Elektricitaet in einer Luft, die schon seit Merz feuchter geworden, auf den Boden herabzukommen? Um diese Zeit scheint die Elektricitaet nicht durch die ganze Luft verbreitet, sondern auf der aeussern Huelle, auf der Oberflaeche der Wolken angehaeuft zu seyn. Dass sich das elektrische Fluidum an die Oberflaeche der Wolke zieht, ist, nach GAY-LUSSAC, eben eine Folge der Wolkenbildung. In den Ebenen steigt das Gewitter zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian aus, also kurze Zeit nach dem Eintritt des taeglichen Waermemaximums unter den Tropen. Im Binnenlande hoert man bei Nacht oder Morgens aeusserst selten donnern; naechtliche Gewitter kommen nur in gewissen Flussthaelern vor, die ein eigenthuemliches Klima haben. Auf welchen Ursachen beruht es nun, dass das Gleichgewicht in der elektrischen Spannung der Luft gestoert wird, dass sich die Duenste fortwaehrend zu Wasser verdichten, dass der Wind aufhoert, dass die Regenzeit eintritt und so lange anhaelt? Ich bezweifle, dass die Elektricitaet bei Bildung der Dunstblaeschen mitwirkt; durch diese Bildung wird vielmehr nur die elektrische Spannung gesteigert und modificirt. Noerdlich und suedlich vom Aequator kommen die Gewitter oder die grossen Entladungen in der gemaessigten und in der aequinoctialen Zone um dieselbe Zeit vor. Besteht ein Moment, das durch das grosse Luftmeer aus jener Zone gegen die Tropen her wirkt? Wie laesst sich denken, dass in letzterem Himmelsstrich, wo die Sonne sich immer so hoch ueber den Horizont erhebt, der Durchgang des Gestirns durch das Zenith bedeutenden Einfluss auf die Vorgaenge in der Luft haben sollte? Nach meiner Ansicht ist die Ursache, welche unter den Tropen das Eintreten des Regens bedingt, keine oertliche, und das scheinbar so verwickelte Problem wuerde sich wohl unschwer loesen, wenn wir mit den obern Luftstroemungen besser bekannt waeren. Wir koennen nur beobachten, was in den untern Luftschichten vorgeht. Ueber 2000 Toisen Meereshoehe sind die Anden fast unbewohnt, und in dieser Hoehe aeussern die Naehe des Bodens und die Gebirgsmassen, welche die *Untiefen* im Luftocean sind, bedeutenden Einfluss auf die umgebende Luft. Was man auf der Hochebene am Antisana beobachtet, ist etwas Anderes, als was man wahrnaehme, wenn man in derselben Hoehe in einem Luftballon ueber den Llanos oder ueber der Meeresflaeche schwebte. Wie wir gesehen haben, faellt in der noerdlichen Aequinoctialzone der Anfang der Regenniederschlaege und Gewitter zusammen mit dem Durchgang der Sonne durch das Zenith des Orts, mit dem Aufhoeren der See- oder Nordostwinde, mit dem haeufigen Eintreten von Windstillen und _'Bendavales'_, das heisst heftigen Suedost- und Suedwestwinden bei bedecktem Himmel. Vergegenwaertigt man sich die allgemeinen Gesetze des Gleichgewichts, denen die Gasmassen, aus denen unsere Atmosphaere besteht, gehorchen, so ist, nach meiner Ansicht, in den Momenten, dass der Strom, der vom *gleichnamigen* Pol herblaest, unterbrochen wird, dass die Luft in der heissen Zone sich nicht mehr erneuert, und dass fortwaehrend ein feuchter Strom aufwaerts geht, einfach die Ursache zu suchen, warum jene Erscheinungen zusammenfallen. So lange noerdlich vom Aequator der Seewind aus Nordost mit voller Kraft blaest, laesst er die Luft ueber den tropischen Laendern und Meeren sich nicht mit Wasserdunst saettigen. Die heisse, trockene Luft dieser Erdstriche steigt aufwaerts und fliesst den Polen zu ab, waehrend untere, trockenere und kaeltere Luft herbeifuehrende Polarstroemungen jeden Augenblick die aufsteigenden Luftsaeulen ersetzen. Bei diesem unaufhoerlichen Spiel zweier entgegengesetzten Luftstroemungen kann sich die Feuchtigkeit in der Aequatorialzone nicht anhaeufen, sondern wird kalten und gemaessigten Regionen zugefuehrt. Waehrend dieser Zeit der Nordostwinde, wo sich die Sonne in den suedlichen Zeichen befindet, bleibt der Himmel in der noerdlichen Aequatorialzone bestaendig heiter. Die Dunstblaeschen verdichten sich nicht, weil die bestaendig erneuerte Luft weit vom Saettigungspunkt entfernt ist. Jemehr die Sonne nach ihrem Eintritt in die noerdlichen Zeichen gegen das Zenith heraufrueckt, desto mehr legt sich der Nordostwind und hoert nach und nach ganz auf. Der Temperaturunterschied zwischen den Tropen und der noerdlichen gemaessigten Zone ist jetzt der kleinstmoegliche. Es ist Sommer am Nordpol, und waehrend die mittlere Wintertemperatur unter dem 42.--52. Grad der Breite um 20--26 Grad niedriger ist als die Temperatur unter dem Aequator, betraegt der Unterschied im Sommer kaum 4--6 Grad. Steht nun die Sonne im Zenith und hoert der Nordostwind auf, so treten die Ursachen, welche Feuchtigkeit erzeugen und sie in der noerdlichen Aequinoctialzone anhaeufen, zumal in vermehrte Wirksamkeit. Die Luftsaeule ueber dieser Zone saettigt sich mit Wasserdampf, weil sie nicht mehr durch den Polarstrom erneuert wird. In dieser gesaettigten und durch die vereinten Wirkungen der Strahlung und der Ausdehnung beim Aufsteigen erkalteten Luft bilden sich Wolken. Im Maass als diese Luft sich verduennt, nimmt ihre Waermecapacitaet zu. Mit der Bildung und Zusammenballung der Dunstblaeschen haeuft sich die Elektricitaet in den obern Luftregionen an. Den Tag ueber schlagen sich die Duenste fortwaehrend nieder; bei Nacht hoert diess meist auf, haeufig sogar schon nach Sonnenuntergang. Die Regenguesse sind regelmaessig am staerksten und von elektrischen Entladungen begleitet, kurze Zeit nachdem das Maximum der Tagestemperatur eingetreten ist. Dieser Stand der Dinge dauert an, bis die Sonne in die suedlichen Zeichen tritt. Jetzt beginnt in der noerdlichen gemaessigten Zone die kalte Witterung. Von nun an tritt die Luftstroemung vom Nordpol her wieder ein, weil der Unterschied zwischen den Waermegraden im tropischen und im gemaessigten Erdstrich mit jedem Tage bedeutender wird. Der Nordostwind blaest stark, die Luft unter den Tropen wird erneuert und kann den Saettigungspunkt nicht mehr erreichen. Daher hoert es auf zu regnen, die Dunstblaeschen loesen sich auf, der Himmel wird wieder rein und blau. Von elektrischen Entladungen ist nichts mehr zu hoeren, ohne Zweifel weil die Elektricitaet in den hohen Luftregionen jetzt keine Haufen von Dunstblaeschen, fast haette ich gesagt, keine Wolkenhuellen mehr antrifft, auf denen sich das Fluidum anhaeufen koennte. Wir haben das Aufhoeren des Nordostwinds als die Hauptursache der tropischen Regen betrachtet. Diese Regen dauern in jeder Halbkugel nur so lange, als die Sonne die der Halbkugel gleichnamige Abweichung hat. Es muss hier aber noch bemerkt werden, dass, wenn der Nordost aufhoert, nicht immer Windstille eintritt, sondern die Ruhe der Luft haeufig, besonders laengs den Westkuesten von Amerika, durch _'Bendavales'_, d. h. Suedwest- und Suedostwinde unterbrochen wird. Diese Erscheinung scheint darauf hinzuweisen, dass die feuchten Luftsaeulen, die im noerdlichen aequatorialen Erdstrich aufsteigen, zuweilen dem Suedpol zustroemen. In der That hat in den Laendern der heissen Zone noerdlich und suedlich vom Aequator in ihrem Sommer, wenn die Sonne durch ihr Zenith geht, der Unterschied zwischen ihrer Temperatur und der am *ungleichnamigen* Pol sein Maximum erreicht. Die suedliche gemaessigte Zone hat jetzt Winter, waehrend es noerdlich vom Aequator regnet und die mittlere Temperatur um 5--6 Grad hoeher ist als in der trockenen Jahreszeit, wo die Sonne am tiefsten steht. Dass der Regen fortdauert, waehrend die Bendavales wehen, beweist, dass die Luftstroemungen vom entfernteren Pol her in der noerdlichen Aequatorialzone nicht die Wirkung aeussern wie die vom benachbarten Pole her, weil die Suedpolarstroemung weit feuchter ist. Die Luft, welche diese Stroemung herbeifuehrt, kommt aus einer fast ganz mit Wasser bedeckten Halbkugel; sie geht, bevor sie zum achten Grad noerdlicher Breite gelangt, ueber die ganze suedliche Aequinoctialzone weg, ist folglich nicht so trocken, nicht so kalt als der Nordpolarstrom oder der Nordostwind, und somit auch weniger geeignet, als *Gegenstrom* aufzutreten und die Luft unter den Tropen zu erneuern. Wenn die Bendavales an manchen Kuesten, z. B. an denen von Guatimala, als heftige Winde austreten, so ruehrt diess ohne Zweifel daher, dass sie nicht Folge eines allmaehligen, regelmaessigen Absiusses der tropischen Luft gegen den Suedpol sind, sondern mit Windstillen abwechseln, von elektrischen Entladungen begleitet sind und ihr Charakter als wahre Stosswinde daraus hinweist, dass im Luftmeer eine Rueckstauung, eine rasche, voruebergehende Stoerung des Gleichgewichts stattgefunden hat. Wir haben hier eine der wichtigsten meteorologischen Erscheinungen unter den Tropen aus einem allgemeinen Gesichtspunkt betrachtet. Wie die Grenzen der Passatwinde keine mit dem Aequator parallelen Kreise bilden, so aeussert sich auch die Wirkung der Polarluftstroemungen unter verschiedenen Meridianen verschieden. In derselben Halbkugel haben nicht selten die Gebirgsketten und das Kuestenland entgegengesetzte Jahreszeiten. Wir werden in der Folge Gelegenheit haben, mehrere Anomalien der Art zu erwaehnen; will man aber zur Erkenntniss der Naturgesetze gelangen, so muss man, bevor man sich nach den Ursachen lokaler Erscheinungen umsieht, den *mittleren Zustand* der Atmosphaere und die bestaendige Norm ihrer Veraenderungen kennen. Das Aussehen des Himmels, der Gang der Elektricitaet und der Regenguss am 28. Merz verkuendeten den Beginn der Regenzeit; man rieth uns indessen, von San Fernando am Apure noch ueber San Francisco de Capanaparo, ueber den Rio Sinaruco und den Hato San Antonio nach dem kuerzlich am Ufer des Meta gegruendeten Dorfe der Otomaken zu gehen und uns auf dem Orinoco etwas oberhalb Carichana einzuschiffen. Dieser Landweg fuehrt durch einen ungesunden, von Fiebern heimgesuchten Strich. Ein alter Paechter, Don Francisco Sanchez, bot sich uns gefaellig als Fuehrer an. Seine Tracht war ein sprechendes Bild der grossen Sitteneinfalt in diesen entlegenen Laendern. Er hatte ein Vermoegen von mehr als hunderttausend Piastern, und doch stieg er mit nackten Fuessen, an die maechtige silberne Sporen geschnallt waren, zu Pferde. Wir wussten aber aus mehrwoechentlicher Erfahrung, wie traurig einfoermig die Vegetation auf den Llanos ist, und schlugen daher lieber den laengeren Weg auf dem Rio Apure nach dem Orinoco ein. Wir waehlten dazu eine der sehr breiten Piroguen, welche die Spanier _'Lanchas'_ nennen; zur Bemannung waren ein Steuermann (_el patron_) und vier Indianer hinreichend. Am Hintertheil wurde in wenigen Stunden eine mit Coryphablaettern gedeckte Huette hergerichtet. Sie war so geraeumig, dass Tisch und Baenke Platz darin fanden. Letztere bestanden aus ueber Rahmen von Brasilholz straff gespannten und angenagelten Ochsenhaeuten. Ich fuehre diese kleinen Umstaende an, um zu zeigen, wie gut wir es auf dem Apure hatten, gegenueber dem Leben auf dem Orinoco in den schmalen elenden Canoes. Wir nahmen in die Pirogue Lebensmittel auf einen Monat ein. In San Fernando(2) gibt es Huehner, Eier, Bananen, Maniocmehl und Cacao im Ueberfluss. Der gute Pater Kapuziner gab uns Xereswein, Orangen und Tamarinden zu kuehlender Limonade. Es war vorauszusehen, dass ein Dach aus Palmblaettern sich im breiten Flussbett, wo man fast immer den senkrechten Sonnenstrahlen ausgesetzt ist, sehr stark erhitzen musste. Die Indianer rechneten weniger auf die Lebensmittel, die wir angeschafft, als auf ihre Angeln und Netze. Wir nahmen auch einige Schiessgewehre mit, die wir bis zu den Katarakten ziemlich verbreitet fanden, waehrend weiter nach Sueden die Missionaere wegen der uebermaessigen Feuchtigkeit der Luft keine Feuerwaffen mehr fuehren koennen. Im Rio Apure gibt es sehr viele Fische, Seekuehe und Schildkroeten, deren Eier allerdings naehrend, aber keine sehr angenehme Speise sind. Die Ufer sind mit unzaehligen Voegelschaaren bevoelkert. Die erspriesslichsten fuer uns waren der Pauxi und die Guacharaca, die man den Truthahn und den Fasan des Landes nennen koennte. Ihr Fleisch kam mir haerter und nicht so weiss vor als das unserer huehnerartigen Voegel in Europa, weil sie ihre Muskeln ungleich staerker brauchen. Neben dem Mundvorrath, dem Geraethe zum Fischfang und den Waffen vergass man nicht ein paar Faesser Branntwein zum Tauschhandel mit den Indianern am Orinoco einzunehmen. Wir fuhren von San Fernando am 30. Merz, um vier Uhr Abends, bei sehr starker Hitze ab; der Thermometer stand im Schatten auf 34 deg., obgleich der Wind stark aus Suedost blies. Wegen dieses widrigen Windes konnten wir keine Segel aufziehen. Auf der ganzen Fahrt auf dem Apure, dem Orinoco und Rio Negro begleitete uns der Schwager des Statthalters der Provinz Barinas, Don Nicolas Sotto, der erst kuerzlich von Cadix angekommen war und einen Ausflug nach San Fernando gemacht hatte. Um Laender kennen zu lernen, die ein wuerdiges Ziel fuer die Wissbegierde des Europaeers sind, entschloss er sich, mit uns vier und siebzig Tage auf einem engen, von Moskitos wimmelnden Canoe zuzubringen. Sein geistreiches, liebenswuerdiges Wesen und seine muntere Laune haben uns oft die Beschwerden einer zuweilen nicht gefahrlosen Fahrt vergessen helfen. Wir fuhren am Einfluss des Apurito vorbei und an der Insel dieses Namens hin, die vom Apure und dem Guarico gebildet wird. Diese Insel ist im Grunde nichts als ein ganz niedriger Landstrich, der von zwei grossen Fluessen eingefasst wird, die sich in geringer Entfernung von einander in den Orinoco ergiessen, nachdem sie bereits unterhalb San Fernando durch eine erste Gabelung des Apure sich vereinigt haben. Die *Isla* del Apurito ist 22 Meilen lang und 2--3 Meilen breit. Sie wird durch den *Cano* de la Tigrera und den *Cano* del Manati in drei Stuecke getheilt, wovon die beiden aeussersten Isla de Blanco und Isla de las Garzilas heissen. Ich mache hier diese umstaendlichen Angaben, weil alle bis jetzt erschienenen Karten den Lauf und die Verzweigungen der Gewaesser zwischen dem Guarico und dem Meta aufs sonderbarste entstellen. Unterhalb des Apurito ist das rechte Ufer des Apure etwas besser angebaut als das linke, wo einige Huetten der Yaruros-Indianer aus Rohr und Palmblattstielen stehen. Sie leben von Jagd und Fischfang und sind besonders geuebt im Erlegen der Jaguars, daher die unter dem Namen Tigerfelle bekannten Baelge vorzueglich durch sie in die spanischen Doerfer kommen. Ein Theil dieser Indianer ist getauft, besucht aber niemals eine christliche Kirche. Man betrachtet sie als Wilde, weil sie unabhaengig bleiben wollen. Andere Staemme der Yaruros leben unter der Zucht der Missionaere im Dorfe Achaguas, suedlich vom Rio Payara. Die Leute dieser Nation, die ich am Orinoco zu sehen Gelegenheit gehabt, haben einige Zuege von der faelschlich so genannten tartarischen Bildung, die manchen Zweigen der mongolischen Race zukommt. Ihr Blick ist ernst, das Auge stark in die Laenge gezogen, die Jochbeine hervorragend, die Nase aber der ganzen Laenge nach vorspringend. Sie sind groesser, brauner und nicht so untersetzt wie die Chaymas. Die Missionare ruehmen die geistigen Anlagen der Yaruros, die frueher eine maechtige, zahlreiche Nation an den Ufern des Orinoco waren, besonders in der Gegend von Caycara, oberhalb des Einflusses des Guarico. Wir brachten die Nacht in *Diamante* zu, einer kleinen Zuckerpflanzung, der Insel dieses Namens gegenueber. Auf meiner ganzen Reise von San Fernando nach San Carlos am Rio Negro und von dort nach der Stadt Angostura war ich bemueht, Tag fuer Tag, sey es im Canoe, sey es im Nachtlager, aufzuschreiben, was mir Bemerkenswerthes vorgekommen. Durch den starken Regen und die ungeheure Menge Moskitos, von denen die Luft am Orinoco und Cassiquiare wimmelt, hat diese Arbeit nothwendig Luecken bekommen, die ich aber wenige Tage darauf ergaenzt habe. Die folgenden Seiten sind ein Auszug aus diesem Tagebuch. Was im Angesicht der geschilderten Gegenstaende niedergeschrieben ist, hat ein Gepraege von Wahrhaftigkeit (ich moechte sagen von Individualitaet), das auch den unbedeutendsten Dingen einen gewissen Reiz gibt. Um unnoethige Wiederholungen zu vermeiden, habe ich hin und wieder in das Tagebuch eingetragen, was ueber die beschriebenen Gegenstaende spaeter zu meiner Kenntniss gelangt ist. Je gewaltiger und grossartiger die Natur in den von ungeheuren Stroemen durchzogenen Waeldern erscheint, desto strenger muss man bei den Naturschilderungen an der Einfachheit festhalten, die das vornehmste, oft das einzige Verdienst eines ersten Entwurfes ist. Am 31. Maerz. Der widrige Wind noethigte uns, bis Mittag am Ufer zu bleiben. Wir sahen die Zuckerfelder zum Theil durch einen Brand zerstoert, der sich aus einem nahen Wald bis hieher fortgepflanzt hatte. Die wandernden Indianer zuenden ueberall, wo sie Nachtlager gehalten, den Wald an, und in der duerren Jahreszeit wuerden ganze Provinzen von diesen Braenden verheert, wenn nicht das ausnehmend harte Holz die Baeume vor der gaenzlichen Zerstoerung schuetzte. Wir fanden Staemme des Mahagonibaums (_caoba_) und von Desmanthus, die kaum zwei Zoll tief verkohlt waren. Vom Diamante an betritt man ein Gebiet, das nur von Tigern, Krokodilen und _Chiguire_, einer grossen Art von LINNEs Gattung Cavia, bewohnt ist. Hier sahen wir dichtgedraengte Vogelschwaerme sich vom Himmel abheben, wie eine schwaerzlichte Wolke, deren Umrisse sich jeden Augenblick veraendern. Der Fluss wird allmaehlig breiter. Das eine Ufer ist meist duerr und sandigt, in Folge der Ueberschwemmungen; das andere ist hoeher und mit hochstaemmigen Baeumen bewachsen. Hin und wieder ist der Fluss zu beiden Seiten bewaldet und bildet einen geraden, 150 Toisen breiten Canal. Die Stellung der Baeume ist sehr merkwuerdig. Vorne sieht man Buesche von _Sauso_ (_Hermesia castaneifolia_) die gleichsam eine vier Schuh hohe Hecke bilden, und es ist, als waere diese kuenstlich beschnitten. Hinter dieser Hecke kommt ein Gehoelz von Cedrela, Brasilholz und Gayac. Die Palmen sind ziemlich selten; man sieht nur hie und da einen Stamm der Corozo- und der stachligten Piritupalme. Die grossen Vierfuesser dieses Landstrichs, die Tiger, Tapire und Pecarischweine, haben Durchgaenge in die eben beschriebene Sausohecke gebrochen, durch die sie zum trinken an den Strom gehen. Da sie sich nicht viel daraus machen, wenn ein Canoe herbeikommt, hat man den Genuss, sie langsam am Ufer hinstreichen zu sehen, bis sie durch eine der schmalen Luecken im Gebuesch im Walde verschwinden. Ich gestehe, diese Auftritte, so oft sie vorkamen, behielten immer grossen Reiz fuer mich. Die Lust, die man empfindet, beruht nicht allein auf dem Interesse des Naturforschers, sondern daneben auf einer Empfindung, die allen im Schoosse der Cultur aufgewachsenen Menschen gemein ist. Man sieht sich einer neuen Welt, einer wilden, ungezaehmten Natur gegenueber. Bald zeigt sich am Gestade der Jaguar, der schoene amerikanische Panther; bald wandelt der Hocco (_Crax alector_) mit schwarzem Gefieder und dem Federbusch langsam an der Uferhecke hin. Thiere der verschiedensten Classen loesen einander ab. "_es como in el Paraiso_" (es ist wie im Paradies), sagte unser Steuermann, ein alter Indianer aus den Missionen. Und wirklich, Alles erinnert hier an den Urzustand der Welt, dessen Unschuld und Glueck uralte ehrwuerdige Ueberlieferungen allen Voelkern vor Augen stellen; beobachtet man aber das gegenseitige Verhalten der Thiere genau, so zeigt es sich, dass sie einander fuerchten und meiden. Das goldene Zeitalter ist vorbei, und in diesem Paradies der amerikanischen Waelder, wie aller Orten, hat lange traurige Erfahrung alle Geschoepfe gelehrt, dass Sanftmuth und Staerke selten beisammen sind. Wo das Gestade eine bedeutende Breite hat, bleibt die Reihe von Sausobueschen weiter vom Strome weg. Auf diesem Zwischengebiet sieht man Krokodile, oft ihrer acht und zehn, auf dem Sande liegen. Regungslos, die Kinnladen unter rechtem Winkel aufgesperrt, ruhen sie neben einander, ohne irgend ein Zeichen von Zuneigung, wie man sie sonst bei gesellig lebenden Thieren bemerkt. Der Trupp geht auseinander, sobald er vom Ufer ausbricht, und doch besteht er wahrscheinlich nur aus Einem maennlichen und vielen weiblichen Thieren; denn, wie schon DESCOURTILS, der die Krokodile auf St. Domingo so fleissig beobachtet, vor mir bemerkt hat, die Maennchen sind ziemlich selten, weil sie in der Brunst mit einander kaempfen unds sich ums Leben bringen. Diese gewaltigen Reptilien sind so zahlreich, dass auf dem ganzen Stromlauf fast jeden Augenblick ihrer fuenf oder sechs zu sehen waren, und doch fieng der Apure erst kaum merklich an zu steigen und hunderte von Krokodilen lagen also noch im Schlamme der Savanen begraben. Gegen vier Uhr Abends hielten wir an, um ein todtes Krokodil zumessen, das der Strom ans Ufer geworfen. Es war nur 16 Fuss 8 Zoll lang; einige Tage spaeter fand Bonpland ein anderes (maennliches), das 22 Fuss 3 Zoll mass. Unter allen Zonen, in Amerika wie in Egypten, erreicht das Thier dieselbe Groesse; auch ist die Art, die im Apure, im Orinoco und im Magdalenenstrom so haeufig vorkommt,(3) kein Cayman oder Alligator, sondern ein wahres Krokodil mit an den aeussern Raendern gezaehnten Fuessen, dem Nilkrokodil sehr aehnlich. Bedenkt man, dass das maennliche Thier erst mit zehn Jahren mannbar wird und dass es dann 8 Fuss lang ist, so laesst sich annehmen, dass das von Bonpland gemessene Thier wenigstens 28 Jahre alt war. Die Indianer sagten uns, in San Fernando vergehe nicht leicht ein Jahr, wo nicht zwei, drei erwachsene Menschen, namentlich Weiber beim Wasserschoepfen am Fluss, von diesen fleischfressenden Eidechsen zerrissen wuerden. Man erzaehlte uns die Geschichte eines jungen Maedchens aus Uritucu, das sich durch seltene Unerschrockenheit und Geistesgegenwart aus dem Rachen eines Krokodils gerettet. Sobald sie sich gepackt fuehlte, griff sie nach den Augen des Thiers und stiess ihre Finger mit solcher Gewalt hinein, dass das Krokodil vor Schmerz sie fahren liess, nachdem es ihr den linken Vorderarm abgerissen. Trotz des ungeheuern Blutverlusts gelangte die Indianerin, mit der uebrig gebliebenen Hand schwimmend, gluecklich ans Ufer. In diesen Einoeden, wo der Mensch in bestaendigem Kampfe mit der Natur liegt, unterhaelt man sich taeglich von den Kunstgriffen, um einem Tiger, einer Boa oder _Traga Venado_, einem Krokodil zu entgehen; jeder ruestet sich gleichsam auf die bevorstehende Gefahr. "Ich wusste," sagte das junge Maedchen in Uritucu gelassen, "dass der Cayman ablaesst, wenn man ihm die Finger in die Augen drueckt." Lange nach meiner Rueckkehr nach Europa erfuhr ich, dass die Neger im inneren Afrika dasselbe Mittel kennen und anwenden. Wer erinnert sich nicht mit lebhafter Theilnahme, wie Isaaco, der Fuehrer des ungluecklichen Mungo-Park, zweimal von einem Krokodil (bei Bulinkombu) gepackt wurde, und zweimal aus dem Rachen des Ungeheuers entkam, weil es ihm gelang, demselben unter dem Wasser die Finger in beide Augen zu druecken! Der Afrikaner Isaaco und die junge Amerikanerin dankten ihre Rettung derselben Geistesgegenwart, demselben Gedankengang. Das Krokodil im Apure bewegt sich sehr rasch und gewandt, wenn es angreift, schleppt sich dagegen, wenn es nicht durch Zorn oder Hunger aufgeregt ist, so langsam hin wie ein Salamander. Laeuft das Thier, so hoert man ein trockenes Geraeusch, das von der Reibung seiner Hautplatten gegen einander herzuruehren scheint. Bei dieser Bewegung kruemmt es den Ruecken und erscheint hochbeinigter als in der Ruhe. Oft hoerten wir am Ufer dieses Rauschen der Platten ganz in der Naehe; es ist aber nicht wahr, was die Indianer behaupten, dass die alten Krokodile, gleich dem Schuppenthier, "ihre Schuppen und ihre ganze Ruestung sollen ausrichten koennen." Die Thiere bewegen sich allerdings meistens gerade aus, oder vielmehr wie ein Pfeil, der von Strecke zu Strecke seine Richtung aenderte; aber trotz der kleinen Anhaengsel von falschen Rippen, welche die Halswirbel verbinden und die seitliche Bewegung zu beschraenken scheinen, wenden die Krokodile ganz gut, wenn sie wollen. Ich habe oft Junge sich in den Schwanz beissen sehen; Andere haben dasselbe bei erwachsenen Krokodilen beobachtet. Wenn ihre Bewegung fast immer geradlinigt erscheint, so ruehrt diess daher, dass dieselbe, wie bei unsern kleinen Eidechsen, stossweise erfolgt. Die Krokodile schwimmen vortrefflich und ueberwinden leicht die staerkste Stroemung. Es schien mir indessen, als ob sie, wenn sie flussabwaerts schwimmen, nicht wohl rasch umwenden koennten. Eines Tags wurde ein grosser Hund, der uns auf der Reise von Caracas an den Rio Negro begleitete, im Fluss von einem ungeheuern Krokodil verfolgt; es war schon ganz nahe an ihm und der Hund entging seinem Feinde nur dadurch, dass er umwandte und auf einmal gegen den Strom schwamm. Das Krokodil fuehrte nun dieselbe Bewegung aus, aber weit langsamer als der Hund, und dieser erreichte gluecklich das Ufer. Die Krokodile im Apure finden reichliche Nahrung an den *Chiguire* (_Cavia Capybara_; Wasserschwein), die in Rudeln von 50--60 Stuecken an den Flussufern leben. Diese ungluecklichen Thiere, von der Groesse unserer Schweine, besitzen keinerlei Waffe, sich zu wehren; sie schwimmen etwas besser, als sie laufen; aber auf dem Wasser werden sie eine Beute der Krokodile und am Lande werden sie von den Tigern gefressen. Man begreift kaum, wie sie bei den Nachstellungen zweier gewaltigen Feinde so zahlreich seyn koennen; sie vermehren sich aber so rasch, wie die Cobayes, oder Meerschweinchen, die aus Brasilien zu uns gekommen sind. Unterhalb der Einmuendung des Cano de la Tigrera, in einer Bucht, *Vuelta de Joval* genannt, legten wir an, um die Schnelligkeit der Stroemung an der Oberflaeche zu messen; sie betrug nur 3-1/2 Fuss in der Secunde, was 2,56 Fuss mittlere Geschwindigkeit ergibt.(4) Die Barometerhoehen ergaben, unter Beruecksichtigung der kleinen stuendlichen Abweichungen, ein Gefaelle von kaum 17 Zoll auf die Seemeile (zu 950 Toisen). Die Geschwindigkeit ist das Produkt zweier Momente, des Falls des Bodens und des Steigens des Wassers im obern Stromgebiet. Auch hier sahen wir uns von Chiguire umgeben, die beim Schwimmen wie die Hunde Kopf und Hals aus dem Wasser strecken. Auf dem Strand gegenueber sahen wir zu unserer Ueberraschung ein maechtiges Krokodil mitten unter diesen Nagethieren regungslos daliegen und schlafen: Es erwachte, als wir mit unserer Pirogue naeher kamen, und ging langsam dem Wasser zu, ohne dass die Chiguire unruhig wurden. Unsere Indianer sahen den Grund dieser Gleichgueltigkeit in der Dummheit des Thiers; wahrscheinlich aber wissen die Chiguire aus langer Erfahrung, dass das Krokodil des Apure und Orinoco auf dem Lande nicht angreift, der Gegenstand, den es packen will, muesste ihm denn im Augenblick, wo es sich ins Wasser wirft, in den Weg kommen. Beim *Joval* wird der Charakter der Landschaft grossartig wild. Hier sahen wir den groessten Tiger, der uns je vorgekommen. Selbst die Indianer erstaunten ueber seine ungeheure Laenge; er war groesser als alle indischen Tiger, die ich in Europa in Menagerien gesehen. Das Thier lag im Schatten eines grossen Zamang.(5) Es hatte eben einen Chiguire erlegt, aber seine Beute noch nicht angebrochen; nur eine seiner Tatzen lag darauf. Die Zamuros, eine Geierart, die wir oben mit dem Percnopterus in Unteregypten verglichen haben, hatten sich in Schaaren versammelt, um die Reste vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergoetzten uns nicht wenig durch den seltsamen Verein von Frechheit und Scheu. Sie wagten sich bis auf zwei Fuss vom Jaguar vor, aber bei der leisesten Bewegung desselben wichen sie zurueck. Um die Sitten dieser Thiere noch mehr in der Naehe zu beobachten, bestiegen wir das kleine Canoe, das unsere Pirogue mit sich fuehrte. Sehr selten greift der Tiger Kaehne an, indem er darnach schwimmt, und diess kommt nur vor, wenn durch langen Hunger seine Wuth gereizt ist. Beim Geraeusch unserer Ruder erhob sich das Thier langsam, um sich hinter den Sausobueschen am Ufer zu verbergen. Den Augenblick, wo er abzog, wollten sich die Geier zu Nutze machen, um den Chiguire zu verzehren; aber der Tiger machte, trotz der Naehe unseres Canoe, einen Satz unter sie und schleppte zornerfuellt, wie man an seinem Gang und am Schlagen seines Schwanzes sah, seine Beute in den Wald. Die Indianer bedauerten, dass sie ihre Lanzen nicht bei sich hatten, um landen und den Tiger angreifen zu koennen. Sie sind an diese Waffe gewoehnt, und thaten wohl, sich nicht auf unsere Gewehre zu verlassen, die in einer so ungemein feuchten Luft haeufig versagten. Im Weiterfahren flussabwaerts sahen wir die grosse Heerde der Chiguire, die der Tiger verjagt und aus der er sich ein Stueck geholt hatte. Die Thiere sahen uns ganz ruhig landen. Manche sassen da und schienen uns zu betrachten, wobei sie, wie die Kaninchen, die Oberlippe bewegten. Vor den Menschen schienen sie sich nicht zu fuerchten, aber beim Anblick unseres grossen Hundes ergriffen sie die Flucht. Da das Hintergestell bei ihnen hoeher ist als das Vordergestell, so laufen sie im kurzen Galopp, kommen aber dabei so wenig vorwaerts, dass wir zwei fangen konnten. Der Chiguire, der sehr fertig schwimmt, laesst im Laufen ein leises Seufzen hoeren, als ob ihm das Athmen beschwerlich wuerde. Er ist das groesste Thier in der Familie der Nager; er setzt sich nur in der aeussersten Noth zur Wehr, wenn er umringt und verwundet ist. Da seine Backzaehne, besonders die hinteren, ausnehmend stark und ziemlich lang sind, so kann er mit seinem Biss einem Tiger die Tatze oder einem Pferd den Fuss zerreissen. Sein Fleisch hat einen ziemlich unangenehmen Moschusgeruch; man macht indessen im Lande Schinken daraus, und diess rechtfertigt gewissermassen den Namen _'Wasserschwein'_, den manche alte Naturgeschichtschreiber dem Chiguire beilegen. Die geistlichen Missionare lassen sich in den Fasten diese Schinken ohne Bedenken schmecken; in ihrem zoologischen System stehen das Guertelthier, das Wasserschwein und der Lamantin oder die Seekuh neben den Schildkroeten; ersteres, weil es mit einer harten Kruste, einer Art Schaale bedeckt ist, die beiden andern, weil sie im Wasser wie auf dem Lande leben. An den Ufern des Santo Domingo, Apure und Arauca, in den Suempfen und auf den ueberschwemmten Savanen der Llanos kommen die Chiguire in solcher Menge vor, dass die Weiden darunter leiden. Sie fressen das Kraut weg, von dem die Pferde am fettesten werden, und das _Chiguirero_ (Kraut des Chiguire) heisst. Sie fressen auch Fische, und wir sahen mit Verwunderung, dass das Thier, wenn es, erschreckt durch ein nahendes Canoe, untertaucht, 8--10 Minuten unter Wasser bleibt. Wir brachten die Nacht, wie immer, unter freiem Himmel zu, obgleich auf einer *Pflanzung*, deren Besitzer die Tigerjagd trieb. Er war fast ganz nackt und schwaerzlich braun wie ein Zambo, zaehlte sich aber nichts destoweniger zum weissen Menschenschlag. Seine Frau und seine Tochter, die so nackt waren wie er, nannte er Donna Isabela und Donna Manuela. Obgleich er nie vom Ufer des Apure weggekommen, nahm er den lebendigsten Antheil "an den Neuigkeiten aus Madrid, an den Kriegen, deren kein Ende abzusehen, und an all den Geschichten dort drueben (_todas las cosas de alla_). Er wusste, dass der Koenig von Spanien bald zum Besuche "Ihrer Herrlichkeiten im Lande Caracas" herueber kommen wuerde, setzte aber scherzhaft hinzu: "Da die Hofleute nur Weizenbrod essen koennen, werden sie nie ueber die Stadt Valencia hinaus wollen, und wir werden sie hier nicht zu sehen bekommen." Ich hatte einen Chiguire mitgebracht und wollte ihn braten lassen; aber unser Wirth versicherte uns, _nos otros cavalleros blancos_ weisse Leute wie er und ich, seyen nicht dazu gemacht, von solchem _'Indianerwildpret'_ zu geniessen. Er bot uns Hirschfleisch an; er hatte Tags zuvor einen mit dem Pfeil erlegt, denn er hatte weder Pulver noch Schiessgewehr. Wir glaubten nicht anders, als hinter einem Bananengehoelze liege die Huette des Gehoeftes; aber dieser Mann, der sich auf seinen Adel und seine Hautfarbe so viel einbildete, hatte sich nicht die Muehe gegeben, aus Palmblaettern eine Ajoupa zu errichten. Er forderte uns auf, unsere Haengematten neben den seinigen zwischen zwei Baeumen befestigen zu lassen, und versicherte uns mit selbstgefaelliger Miene, wenn wir in der Regenzeit den Fluss wieder heraufkaemen, wuerden wir ihn *unter Dach* (_baxo techo_) finden. Wir kamen bald in den Fall, eine Philosophie zu verwuenschen, die der Faulheit Vorschub leistet und den Menschen fuer alle Bequemlichkeiten des Lebens gleichgueltig macht. Nach Mitternacht erhob sich ein furchtbarer Sturmwind, Blitze durchzuckten den Horizont, der Donner rollte und wir wurden bis auf die Haut durchnaesst. Waehrend des Ungewitters versetzte uns ein seltsamer Vorfall auf eine Weile in gute Laune. Donna Isabelas Katze hatte sich auf den Tamarindenbaum gesetzt, unter dem wir lagerten. Sie fiel in die Haengematte eines unserer Begleiter, und der Mann, zerkratzt von der Katze und aus dem tiefsten Schlafe aufgeschreckt, glaubte, ein wildes Thier aus dem Walde habe ihn angefallen. Wir liefen auf sein Geschrei hinzu und rissen ihn nur mit Muehe aus seinem Irrthum. Waehrend es auf unsere Haengematten und unsere Instrumente, die wir ausgeschifft, in Stroemen regnete, wuenschte uns Don Ignacio Glueck, dass wir nicht am Ufer geschlafen, sondern uns auf seinem Gute befaenden, "_entre gento blanca y de trato_" (unter Weissen und Leuten von Stande). Durchnaesst wie wir waren, fiel es uns denn doch schwer, uns zu ueberzeugen, dass wir es hier so besonders gut haben, und wir hoerten ziemlich widerwillig zu, wie unser Wirth ein Langes und Breites von seinem sogenannten Kriegszuge an den Rio Meta erzaehlte, wie tapfer er sich in einem blutigen Gefechte mit den Guahibos gehalten, und "welche Dienste er Gott und seinem Koenig geleistet, indem er den Eltern die Kinder (_los Indiecitos_) genommen und in die Missionen vertheilt." Welch seltsamen Eindruck machte es, in dieser weiten Einoede bei einem Manns der von europaeischer Abkunft zu seyn glaubt und kein anderes Obdach kennt als den Schatten eines Baumes, alle eitle Anmaassung, alle ererbten Vorurtheile, alle Verkehrtheiten einer alten Cultur anzutreffen! Am 1. April. Mit Sonnenaufgang verabschiedeten wir uns von Senor Don Ignacio und von Senora Donna Isabela, seiner Gemahlin. Die Luft war abgekuehlt; der Thermometer, der bei Tag meist auf 30--35 deg. stand, war auf 24 deg. gefallen. Die Temperatur des Flusses blieb sich fast ganz gleich, sie war fortwaehrend 26--27 deg.. Der Strom trieb eine ungeheure Menge Baumstaemme. Man sollte meinen, auf einem voellig ebenen Boden, wo das Auge nicht die geringste Erhoehung bemerkt, haette sich der Fluss durch die Gewalt seiner Stroemung einen ganz geraden Canal graben muessen. Ein Blick auf die Carte, die ich nach meinen Aufnahmen mit dem Compass entworfen, zeigt das Gegentheil. Das abspuelende Wasser findet an beiden Ufern nicht denselben Widerstand, und fast unmerkliche Bodenerhoehungen geben zu starken Kruemmungen Anlass. Unterhalb des *Jovals*, wo das Flussbett etwas breiter wird, bildet dasselbe wirklich einen Canal, der mit der Schnur gezogen scheint und zu beiden Seiten von sehr hohen Baeumen beschattet ist. Dieses Stueck des Flusses heisst _Cano ricco_; ich fand dasselbe 136 Toisen breit. Wir kamen an einer niedrigen Insel vorueber, auf der Flamingos, rosenfarbige Loeffelgaense, Reiher und Wasserhuehner, die das mannigfaltigste Farbenspiel boten, zu Tausenden nisteten. Die Voegel waren so dicht an einander gedraengt, dass man meinte, sie koennten sich gar nicht ruehren. Die Insel heisst *Isla de Aves*. Weiterhin fuhren wir an der Stelle vorbei, wo der Apure einen Arm (den Rio Arichuna) an den Cabullare abgibt und dadurch bedeutend an Wasser verliert. Wir hielten am rechten Ufer bei einer kleinen indianischen, vom Stamm der Guamos bewohnten Mission. Es standen erst 16 bis 18 Huetten aus Palmblaettern; aber aus den statistischen Tabellen, welche die Missionaere jaehrlich bei Hofe einreichen, wird diese Gruppe von Huetten als das *Dorf Santa Barbara de Arichuna* aufgefuehrt. Die Guamos sind ein Indianerstamm, der sehr schwer sesshaft zu machen ist. Sie haben in ihren Sitten Vieles mit den Achaguas, Guajibos und Otomacos gemein, namentlich die Unreinlichkeit, die Rachsucht und die Liebe zum wandernden Leben; aber ihre Sprachen weichen voellig von einander ab. Diese vier Staemme leben groesstentheils von Fischfang und Jagd aus den haeufig ueberschwemmten Ebenen zwischen dem Apure, dem Meta und dem Guaviare. Das Wanderleben scheint hier durch die Beschaffenheit des Landes selbst bedingt. Wir werden bald sehen, dass man, sobald man die Berge an den Katarakten des Orinoco betritt, bei den Piraoas, Macos und Maquiritares sanftere Sitten, Liebe zum Ackerbau und in den Huetten grosse Reinlichkeit findet. Auf dem Ruecken der Gebirge, in undurchdringlichen Waeldern sieht sich der Mensch genoethigt, sich fest niederzulassen und einen kleinen Fleck Erde zu bebauen. Dazu bedarf es keiner grossen Anstrengung, wogegen der Jaeger in einem Lande, durch das keine andern Wege fuehren als die Fluesse, ein hartes, muehseliges Leben fuehrt. Die Guamos in der Mission Santa Barbara konnten uns die Mundvorraethe, die wir gerne gehabt haetten, nicht liefern; sie bauten nur etwas Manioc. Sie schienen indessen gastfreundlich, und als wir in ihre Huetten traten, boten sie uns getrocknete Fische und Wasser (in ihrer Sprache _Cub_) an. Das Wasser war in poroesen Gefaessen abgekuehlt. Unterhalb der *Vuelta del Cochino roto* an einer Stelle, wo sich der Fluss ein neues Bett gegraben hatte, uebernachteten wir auf einem duerren, sehr breiten Gestade. In den dichten Wald war nicht zu kommen, und so brachten wir nur mit Noth trockenes Holz zusammen, um Feuer anmachen zu koennen, wobei man, wie die Indier glauben, vor dem naechtlichen Angriff des Tigers sicher ist. Unsere eigene Erfahrung scheint diesen Glauben zu bestaetigen; dagegen versichert AZARRO, zu seiner Zeit habe in Paraguay ein Tiger einen Mann von einem Feuer in der Savane weggeholt. Die Nacht war still und heiter und der Mond schien herrlich. Die Krokodile lagen am Ufer; sie hatten sich so gelegt, dass sie das Feuer sehen konnten. Wir glauben bemerkt zu haben, dass der Glanz desselben sie herlockt, wie die Fische, die Krebse und andere Wasserthiere. Die Indianer zeigten uns im Sand die Faehrten dreier Tiger, darunter zweier ganz jungen. Ohne Zweifel hatte hier ein Weibchen seine Jungen zum Trinken an den Fluss gefuehrt. Da wir am Ufer keinen Baum fanden, steckten wir die Ruder in den Boden und befestigten unsere Haengematten daran. Alles blieb ziemlich ruhig bis um eilf Uhr Nachts; da aber erhob sich im benachbarten Wald ein so furchtbarer Laerm, dass man beinahe kein Auge schliessen konnte. Unter den vielen Stimmen wilder Thiere, die zusammen schrieen, erkannten unsere Indianer nur diejenigen, die sich auch einzeln hoeren liessen, namentlich die leisen Floetentoene der Sapajous, die Seufzer der Alouatos, das Bruellen des Tigers und des Cuguars, oder amerikanischen Loewen ohne Maehne, das Geschrei des Bisamschweins, des Faulthiers, des Hocco, des Parraqua und einiger andern huehnerartigen Voegel. Wenn die Jaguars dem Waldrande sich naeherten, so fing unser Hund, der bis dahin fortwaehrend gebellt hatte, an zu heulen und suchte Schutz unter den Haengematten. Zuweilen, nachdem es lange geschwiegen, erscholl das Bruellen der Tiger von den Baeumen herunter, und dann folgte daraus das anhaltende schrille Pfeifen der Affen, die sich wohl bei der drohenden Gefahr auf und davon machten. Ich schildere Zug fuer Zug diese naechtlichen Auftritte, weil wir zu Anfang unserer Fahrt auf dem Apure noch nicht daran gewoehnt waren. Monate lang, aller Orten, wo der Wald nahe an die Flussufer rueckt, hatten wir sie zu erleben. Die Sorglosigkeit der Indianer macht dabei auch dem Reisenden Muth. Man redet sich mit ihnen ein, die Tiger fuerchten alle das Feuer und greifen niemals einen Menschen in seiner Haengematte an. Und solche Angriffe kommen allerdings sehr selten vor und auf meinem langen Aufenthalt in Suedamerika erinnere ich mich nur eines einzigen Falls, wo, den Achaguas-Inseln gegenueber, ein Llanero in seiner Haengematte zerfleischt gefunden wurde. Befragt man die Indianer, warum die Thiere des Waldes zu gewissen Stunden einen so furchtbaren Laerm erheben, so geben sie die lustige Antwort: "Sie feiern den Vollmond." Ich glaube, die Unruhe ruehrt meist daher, dass im innern Walde sich irgendwo ein Kampf entsponnen hat. Die Jaguars zum Beispiel machen Jagd auf die Bisamschweine und Tapirs, die nur Schutz finden, wenn sie beisammenbleiben, und in gedraengten Rudeln fliehend das Gebuesch, das ihnen in den Weg kommt, niederreissen. Die Affen, scheu und furchtsam, erschrecken ob dieser Jagd und beantworten von den Baeumen herab das Geschrei der grossen Thiere. Sie wecken die gesellig lebenden Voegel auf, und nicht lange, so ist die ganze Menagerie in Aufruhr. Wir werden bald sehen, dass dieser Laerm keineswegs nur bei schoenem Mondschein, sondern vorzugsweise waehrend der Gewitter und starken Regenguesse unter den wilden Thieren ausbricht. "Der Himmel verleihe ihnen eine ruhsame Nacht, wie uns andern!" sprach der Moench, der uns an den Rio Negro begleitete, wenn er, todtmuede von der Last des Tages, unser Nachtlager einrichten half. Es war allerdings seltsam, dass man mitten im einsamen Wald sollte keine Ruhe finden koennen. In den spanischen Herbergen fuerchtet man sich vor den schrillen Toenen der Guitarren im anstossenden Zimmer; in denen am Orinoco, das heisst auf offenem Gestade oder unter einem einzeln stehenden Baum, besorgt man durch Stimmen aus dem Walde im Schlaf gestoert zu werden. Am 2. April. Wir gingen vor Sonnenaufgang unter Segel. Der Morgen war schoen und kuehl, wie es Leuten vorkommt, die an die grosse Hitze in diesen Laendern gewoehnt sind. Der Thermometer stand in der Luft nur auf 28 deg., aber der trockene, weisse Sand am Gestade hatte trotz der Strahlung gegen einen wolkenlosen Himmel eine Tempetatur von 36 deg. behalten. Die Delphine (Toninas) zogen, in langen Reihen durch den Fluss und das Ufer war mit fischfangenden Voegeln bedeckt. Manche machen sich das Flossholz, das den Fluss herabtreibt, zu Nutze und ueberraschen die Fische, die sich mitten in der Stroemung halten. Unser Canoe stiess im Laufe des Morgens mehrmals an. Solche Stoesse, wenn sie sehr heftig sind, koennen schwache Fahrzeuge zertruemmern. Wir fuhren an den Spitzen mehrerer grosser Baeume auf, die Jahre lang in schiefer Richtung im Schlamm stecken bleiben. Diese Baeume kommen beim Hochwasser aus dem Sarare herunter und verstopfen das Flussbett dergestalt, dass die Piroguen stromaufwaerts haeufig zwischen den Untiefen und ueberall, wo Wirbel sind, kaum durchkommen. Wir kamen an eine Stelle bei der Insel Carizales, wo ungeheuer dicke Courbarilstaemme aus dem Wasser ragten. Sie sassen voll Voegeln, einer Art Plotus, die der *Anhinga* sehr nahe steht. Diese Voegel sitzen in Reihen auf, wie die Fasanen und die Parraquas, und bleiben stundenlang, den Schnabel gen Himmel gestreckt, regungslos, was ihnen ein ungemein dummes Aussehen gibt. Von der Insel Carizales an wurde die Abnahme des Wassers im Fluss desto auffallender, da unterhalb der Gabelung bei der *Boca de Arichuna* kein Arm, kein natuerlicher Abzugscanal mehr dem Apure Wasser entzieht. Der Verlust ruehrt allein von der Verdunstung und Einsickerung auf sandigten, durchnaessten Ufern her. Man kann sich vorstellen, wie viel diess ausmacht, wenn man bedenkt, dass wir den trockenen Sand zu verschiedenen Tagesstunden 36--52, den Sand, ueber dem drei bis vier Zoll Wasser standen, noch 32 Grad warm fanden. Das Flusswasser erwaermt sich dem Boden zu, so weit die Sonnenstrahlen eindringen koennen, ohne beim Durchgang durch die ueber einander gelagerten Wasserschichten zu sehr geschwaecht zu werden. Dabei reicht die Einsickerung weit ueber das Flussbett hinaus und ist, so zu sagen, seitlich. Das Gestade, das ganz trocken scheint, ist bis zur Hoehe des Wasserspiegels mit Wasser getraenkt. Fuenfzig Toisen vom Fluss sahen wir Wasser hervorquellen, so oft die Indianer die Ruder in den Boden steckten; dieser unten feuchte, oben trockene und dem Sonnenstrahl ausgesetzte Sand wirkt nun aber wie ein Schwamm. Er gibt jeden Augenblick durch Verdunstung vom eingesickerten Wasser ab; der sich entwickelnde Wasserdampf zieht durch die obere, stark erhitzte Sandschicht und wird sichtbar, wenn sich am Abend die Luft abkuehlt. Im Maass, als das Gestade Wasser abgibt, zieht es aus dem Strom neues an, und man sieht leicht, dass dieses fortwaehrende Spiel von Verdunstung und seitlicher Einsaugung dem Fluss ungeheure Wassermassen entziehen muss, nur dass der Verlust schwer genau zu berechnen ist. Die Zunahme dieses Verlustes waere der Laenge des Stromlaufes proportional, wenn die Fluesse von der Quelle bis zur Muendung ueberall gleiche Ufer haetten; da aber diese von den Anschwemmungen herruehren, und die Gewaesser, je weiter von der Quelle weg, desto langsamer fliessen und somit nothwendig im untern Stromlauf mehr absetzen als im obern, so werden viele Fluesse im heissen Erdstrich ihrer Muendung zu seichter. BARROW hat diese auffallende Wirkung des Sandes im oestlichen Afrika an den Ufern des Orangeflusses beobachtet. Sie gab sogar bei den verschiedenen Annahmen ueber den Lauf des Nigers zu sehr wichtigen Eroerterungen Anlass. Bei der *Vuelta de Basilio*, wo wir ans Land gingen, um Pflanzen zu sammeln, sahen wir oben auf einem Baum zwei huebsche kleine pechschwarze Affen, von der Groesse des Sai, mit Wickelschwaenzen. Ihrem Gesicht und ihren Bewegungen nach konnte es weder der Coaita, noch der Chamek, noch ueberhaupt ein *Atele* seyn. Sogar unsere Indianer hatten nie dergleichen gesehen. In diesen Waeldern gibt es eine Menge Sapajous, welche die Zoologen in Europa noch nicht kennen, und da die Affen, besonders die in Rudeln lebenden und darum ruehrigeren, zu gewissen Zeiten weit wandern, so kommt es vor, dass bei Eintritt der Regenzeit die Eingeborenen bei ihren Huetten welche ansichtig werden, die sie nie zuvor gesehen. Am selben Ufer zeigten uns unsere Fuehrer ein Nest junger Leguans, die nur vier Zoll lang waren. Sie waren kaum von einer gemeinen Eidechse zu unterscheiden. Die Rueckenstacheln, die grossen ausgerichteten Schuppen, all die Anhaengsel, die dem Leguan, wenn er 4 bis 5 Fuss lang ist, ein so ungeheuerliches Ansehen geben, waren kaum in Rudimenten vorhanden. Das Fleisch dieser Eidechse fanden wir in allen sehr trockenen Laendern von angenehmem Geschmack, selbst zu Zeiten, wo es uns nicht an andern Nahrungsmitteln fehlte. Es ist sehr weiss und nach dem Fleisch des Tatu oder Guertelthiers, das hier _Cachicamo_ heisst, eines der besten, die man in den Huetten der Eingeborenen findet. Gegen Abend regnete es; vor dem Regen strichen die Schwalben, die vollkommen den unsrigen glichen, ueber die Wasserflaeche hin. Wir sahen auch, wie ein Flug Papagayen von kleinen Habichten ohne Hauben verfolgt wurden. Das durchdringende Geschrei der Papagayen stach vom Pfeifen der Raubvoegel seltsam ab. Wir uebernachteten unter freiem Himmel am Gestade, in der Naehe der Insel Carizales. Nicht weit standen mehrere indianische Huetten auf Pflanzungen. Unser Steuermann kuendigte uns zum voraus an, dass wir den Jaguar hier nicht wuerden bruellen hoeren, weil er, wenn er nicht grossen Hunger hat, die Orte meidet, wo er nicht allein Herr ist. "Die Menschen machen ihn uebellaunig," "_los hombres lo enfadan_" sagt das Volk in den Missionen, ein spasshafter, naiver Ausdruck fuer eine richtige Beobachtung. Am 3. April. Seit der Abfahrt von San Fernando ist uns kein einziges Canoe auf dem schoenen Strome begegnet. Ringsum herrscht tiefe Einsamkeit. Am Morgen fingen unsere Indianer mit der Angel den Fisch, der hier zu Lande _Caribe_ oder _Caribito_ heisst, weil keiner so blutgierig ist. Er faellt die Menschen beim Baden und Schwimmen an und reisst ihnen oft ansehnliche Stuecke Fleisch ab. Ist man anfangs auch nur unbedeutend verletzt, so kommt man doch nur schwer aus dem Wasser, ohne die schlimmsten Wunden davon zu tragen. Die Indianer fuerchten diese Caraibenfische ungemein, und verschiedene zeigten uns an Waden und Schenkeln vernarbte, sehr tiefe Wunden, die von diesen kleinen Thieren herruehrten, die bei den Maypures _Umati_ heissen. Sie leben auf dem Boden der Fluesse, giesst man aber ein paar Tropfen Blut ins Wasser, so kommen sie zu Tausenden herauf. Bedenkt man, wie zahlreich diese Fische sind, von denen die gefraessigsten und blutgierigsten nur 4--5 Zoll lang werden, betrachtet man ihre dreiseitigen schneidenden, spitzen Zaehne und ihr weites retractiles Maul, so wundert man sich nicht, dass die Anwohner des Apure und des Orinoco den Caribe so sehr fuerchten. An Stellen, wo der Fluss ganz klar und kein Fisch zu sehen war, warfen wir kleine blutige Fleischstuecke ins Wasser. In wenigen Minuten war ein ganzer Schwarm von Caraibenfischen da und stritt sich um den Frass. Der Fisch hat einen kantigen, saegenfoermig gekerbten Bauch, ein Merkmal, das mehreren Gattungen, den *Serra-Salmen*, den *Myleten* und den *Pristigastern* zukommt. Nach dem Vorhandenseyn einer zweiten fetten Rueckenflosse und der Form der von den Lippen bedeckten, auseinander stehenden, in der untern Kinnlade groesseren Zaehne gehoert der Caribe zu den Serra-Salmen. Er hat ein viel weiter gespaltenes Maul als CUVIERs Myleten. Der Koerper ist am Ruecken aschgrau, ins Gruenliche spielend; aber Bauch, Kiemen, Brust-, Bauch- und Afterflossen sind schoen orangegelb. Im Orinoco kommen drei Arten (oder Spielarten?) vor, die man nach der Groesse unterscheidet. Die mittlere scheint identisch mit MARCGRAVs mittlerer Art des Piraya oder Piranha (_Salmo rhombeus_, LINNE). Ich habe sie an Ort und Stelle gezeichnet. Der Caribito hat einen sehr angenehmen Geschmack. Weil man nirgends zu baden wagt, wo er vorkommt, ist er als eine der groessten Plagen dieser Landstriche zu betrachten, wo der Stich der Moskitos und der Ueberreiz der Haut das Baden zu einem dringenden Beduerfniss machen. Wir hielten gegen Mittag an einem unbewohnten Ort, *Algodonal* genannt. Ich trennte mich von meinen Gefaehrten, waehrend man das Fahrzeug ans Land zog und das Mittagessen ruestete. Ich ging am Gestade hin, um in der Naehe einen Trupp Krokodile zu beobachten, die in der Sonne schliefen, wobei sie ihre mit breiten Platten belegten Schwaenze auf einander legten. Kleine schneeweisse Reiher(6) liefen ihnen auf dem Ruecken, sogar auf dem Kopf herum, als waeren es Baumstaemme. Die Krokodile waren graugruen, halb mit trockenem Schlamm ueberzogen; ihrer Farbe und ihrer Regungslosigkeit nach konnte man sie fuer Bronzebilder halten. Wenig fehlte aber, so waere mir der Spaziergang uebel bekommen. Ich hatte immer nur nach dem Flusse hin gesehen, aber indem ich Glimmerblaettchen aus dem Sande aufnahm, bemerkte ich die frische Faehrte eines Tigers, die an ihrer Form und Groesse so leicht zu erkennen ist. Das Thier war dem Walde zu gegangen, und als ich nun dorthin blickte, sah ich achtzig Schritte von mir einen Jaguar unter dem dichten Laub eines Ceiba liegen. Nie ist mir ein Tiger so gross vorgekommen. Es gibt Vorfaelle im Leben, wo man vergeblich die Vernunft zu Huelfe ruft. Ich war sehr erschrocken, indessen noch soweit Herr meiner selbst und meiner Bewegungen, dass ich die Verhaltungsregeln befolgen konnte, die uns die Indianer schon oft fuer dergleichen Faelle ertheilt hatten. Ich ging weiter, lief aber nicht; ich vermied es, die Arme zu bewegen, und glaubte zu bemerken, dass der Jaguar mit seinen Gedanken ganz bei einer Heerde Capybaras war, die ueber den Fluss schwammen. Jetzt kehrte ich um und beschrieb einen ziemlich weiten Bogen dem Ufer zu. Je weiter ich von ihm weg kam, desto rascher glaubte ich gehen zu koennen. Wie oft war ich in Versuchung, mich umzusehen, ob ich nicht verfolgt werde! Gluecklicherweise gab ich diesem Drange erst sehr spaet nach. Der Jaguar war ruhig liegen geblieben. Diese ungeheuren Katzen mit geflecktem Fell sind hier zu Lande, wo es Capybaras, Bisamschweine und Hirsche im Ueberfluss gibt, so gut genaehrt, dass sie selten einen Menschen anfallen. Ich kam athemlos beim Schiffe an und erzaehlte den Indianern mein Abenteuer. Sie schienen nicht viel daraus zu machen; indessen luden wir unsere Flinten und sie gingen mit uns auf den Ceibabaum zu, unter dem der Jaguar gelegen. Wir trafen ihn nicht mehr, und ihm in den Wald nachzugehen, war nicht gerathen, da man sich zerstreuen oder in einer Reihe durch die verschlungenen Lianen gehen muss. Abends kamen wir an der Muendung des *Cano del Manati* vorueber, so genannt wegen der ungeheuern Menge Manatis oder Lamantins, die jaehrlich hier gefangen werden. Dieses grasfressende Wassersaeugethier, das die Indianer _Apcia_ und _Avia_ nennen, wird hier meist 10--12 Fuss lang und 500--800 Pfund schwer. Wir sahen das Wasser mit dem Koth desselben bedeckt, der sehr stinkend ist, aber ganz dem des Rindviehs gleicht. Es ist im Orinoco unterhalb der Katarakten, im Meta und im Apure zwischen den beiden Inseln Carizales und Conserva sehr haeufig. Wir fanden keine Spur von Naegeln auf der aeussern Flaeche und am Rande der Schwimmflossen, die ganz glatt sind; zieht man aber die Haut der Flosse ab, so zeigen sich an der dritten Phalange kleine Naegelrudimente. Bei einem 9 Fuss langen Thier, das wir in Carichana, einer Mission am Orinoco, zergliederten, sprang die Oberlippe vier Zoll ueber die untere vor. Jene ist mit einer sehr zarten Haut bekleidet und dient als Ruessel oder Fuehler zum Betasten der vorliegenden Koerper. Die Mundhoehle, die beim frisch getoedteten Thier auffallend warm ist, zeigt einen ganz eigenthuemlichen Bau. Die Zunge ist fast unbeweglich; aber vor derselben befindet sich in jeder Kinnlade ein fleischiger Knopf und eine mit sehr harter Haut ausgekleidete Hoehlung, die in einander passen. Der Lamantin verschluckt so viel Gras, dass wir sowohl den in mehrere Faecher getheilten Magen, als den 108 Fuss langen Darm ganz damit angefuellt fanden. Schneidet man das Thier am Ruecken auf, so erstaunt man ueber die Groesse, Gestalt und Lage seiner Lunge. Sie hat ungemein grosse Zellen und gleicht ungeheuren Schwimmblasen; sie ist drei Fuss lang. Mit Luft gefuellt hat sie ein Volumen von mehr als tausend Cubikzoll. Ich musste mich nur wundern, dass der Lamantin mit so ansehnlichen Luftbehaeltern so oft an die Wasserflaeche heraufkommt, um zu athmen. Sein Fleisch, das, aus irgend einem Vorurtheil, fuer ungesund und _calenturioso_ (fiebererzeugend) gilt, ist sehr schmackhaft; es schien mir mehr Aehnlichkeit mit Schweinefleisch als mit Rindfleisch zu haben. Die Guamos und Otamacos essen es am liebsten, daher geben sich auch diese zwei Staemme vorzugsweise mit dem Seekuhfang ab. Das eingesalzene und an der Sonne gedoerrte Fleisch wird das ganze Jahr aufbewahrt, und da dieses Saeugethier bei der Clerisei fuer einen Fisch gilt, so ist es in den Fasten sehr gesucht. Der Lamantin hat ein aeusserst zaehes Leben; man harpunirt ihn und bindet ihn sodann, schlachtet ihn aber erst, nachdem er in die Pirogue geschafft worden. Diess geschieht oft, wenn das Thier sehr gross ist, mitten auf dem Flusse, und zwar so, dass man die Pirogue zu zwei Drittheilen mit Wasser fuellt, sie unter das Thier schiebt und mit einer Kuerbissflasche wieder ausschoepft. Am leichtesten sind sie am Ende der grossen Ueberschwemmungen zu fangen, wenn sie aus den Stroemen in die umliegenden Seen und Suempfe gerathen sind und das Wasser schnell faellt. Zur Zeit, wo die Jesuiten den Missionen am untern Orinoco vorstanden, kamen diese alle Jahre in Cabruta unterhalb dem Apure zusammen, um mit den Indianern aus ihren Missionen am Fusse des Bergs, der. gegenwaertig *el Capuchino* heisst, eine grosse Seekuhjagd anzustellen. Das Fett des Thiers, die _manteca de manati_ wird in den Kirchenlampen gebrannt, und man kocht auch damit. Es hat nicht den widrigen Geruch des Wallfischthrans, oder des Fetts anderer Cetaceen mit Spritzloechern. Die Haut der Seekuh, die ueber anderthalb Zoll dick ist, wird in Streifen zerschnitten und diese dienen in den Llanos, wie die Streifen von Ochsenhaut, als Stricke. Kommt sie ins Wasser, so hat sie den Fehler, dass sie zu faulen anfaengt. Man macht in den spanischen Colonien Peitschen daraus, daher auch die Worte _latigo_ und _manati_ gleichbedeutend sind. Diese Peitschen aus Seekuhhaut sind ein schreckliches Werkzeug zur Zuechtigung der ungluecklichen Sklaven, ja der Indianer in den Missionen, die nach den Gesetzen als freie Menschen behandelt werden sollten. Wir uebernachteten der Insel Conserva gegenueber. Als wir am Waldsaume hingingen, fiel uns ein ungeheurer, siebzig Fuss hoher, mit veraesteten Dornen bedeckter Baum auf. Die Indianer nennen ihn _barba de tigre_. Es ist vielleicht ein Baum aus der Familie der Berberideen oder Sauerdorne. Die Indianer hatten unsere Feuer dicht am Wasser angezuendet; da fanden wir wieder, dass sein Glanz die Krokodile herlockte, und sogar die Delphine (Toninas), deren Laerm uns nicht schlafen liess, bis man das Feuer ausloeschte. Wir wurden in dieser Nacht zweimal auf die Beine gebracht, was ich nur anfuehre, weil es ein paar Zuege zum Bilde dieser Wildniss liefert. Ein weiblicher Jaguar kam unserem Nachtlager nahe, um sein Junges am Strome trinken zu lassen. Die Indianer verjagten ihn; aber noch geraume Zeit hoerten wir das Geschrei des Jungen, das wie das Miauen einer jungen Katze klang. Bald darauf wurde unsere grosse Dogge von ungeheuern Fledermaeusen, die um unsere Haengematten flattevten, vorne an der Schnauze gebissen, oder, wie die Eingeborenen sagen, *gestochen*. Sie hatten lange Schwaenze wie die Molossen; ich glaube aber, dass es Phyllostomen waren, deren mit Warzen besetzte Zunge ein Saugorgan ist, das sie bedeutend verlaengern koennen. Die Wunde war ganz klein und rund. Der Hund heulte klaeglich, sobald er den Biss fuehlte, aber nicht aus Schmerz, sondern weil er ueber die Fledermaeuse, als sie unter unsern Haengematten hervorkamen, erschrak. Dergleichen Faelle sind weit seltener, als man im Lande selbst glaubt. Obgleich wir in Laendern, wo die Vampyre und aehnliche Fledermausarten so haeufig sind, so manche Nacht unter freiem Himmel geschlafen haben, sind wir doch nie von ihnen gebissen worden. Ueberdem ist der *Stich* keineswegs gefaehrlich und der Schmerz meist so unbedeutend, dass man erst aufwacht, wenn die Fledermaus sich bereits davongemacht hat. Am 4. April. Diess war unser letzter Tag auf dem Apure. Der Pflanzenwuchs an den Ufern wurde immer einfoermiger. Seit einigen Tagen, besonders seit der Mission Arichuna, fingen wir an arg von den Insekten gequaelt zu werden, die sich uns auf Gesicht und Haende setzten. Es waren keine *Moskitos*, die den Habitus kleiner Muecken von der Gattung _Simulium_ haben,(7) sondern *Zancudos*, aechte Schnacken, aber von unserem _Culex pipiens_ ganz verschieden. Sie kommen erst nach Sonnenuntergang zum Vorschein; ihr Saugruessel ist so lang, dass, wenn sie sich an die Unterseite der Haengematte setzen, ihr Stachel durch die Haengematte und die dicksten Kleider dringt. Wir wollten in der *Vuelta del Palmito* uebernachten, aber an diesem Strich des Apure gibt es so viele Jaguars, dass unsere Indianer, als sie unsere Haengematten befestigen wollten, ihrer zwei hinter einem Courbarilstamm versteckt fanden. Man rieth uns, das Schiff wieder zu besteigen und unser Nachtlager auf der Insel Apurito, ganz nahe beim Einfluss in den Orinoco, aufzuschlagen. Dieser Theil der Insel gehoert zu der Provinz Caracas, dagegen das rechte Ufer des Apure zu der Provinz Barinas und das rechte Ufer des Orinoco zu spanisch Guyana. Wir fanden keine Baeume, um unsere Haengematten zu befestigen, und mussten am Boden auf Ochsenhaeuten schlafen. Die Canoes sind zu eng und wimmeln zu sehr von Zancudos, als dass man darin uebernachten koennte. An der Stelle, wo wir unsere Instrumente ans Land gebracht hatten, war das Ufer ziemlich steil, und da sahen wir denn einen neuen Beweis von der oben besprochenen Traegheit der huehnerartigen Voegel unter den Tropen. Die Hoccos und Pauxis(8) kommen immer mehrmals des Tags an den Fluss herunter, um ihren Durst zu loeschen. Sie trinken viel und in kurzen Pausen. Eine Menge dieser Voegel und ein Schwarm Parraquas-Fasanen hatten sich bei unserem Nachtlager zusammengefunden. Es wurde ihnen sehr schwer, am abschuessigen Ufer hinaufzukommen; sie versuchten es mehreremale, ohne ihre Fluegel zu brauchen. Wir jagten sie vor uns her wie Schaafe. Die Zamurosgeier entschliessen sich gleichfalls sehr schwer zum Auffliegen. Ich konnte nach Mitternacht eine gute Beobachtung der Meridianhoehe von {~GREEK SMALL LETTER ALPHA~} des suedlichen Kreuzes anstellen. Der Einfluss des Apure liegt unter 7 deg. 36{~PRIME~} 23{~DOUBLE PRIME~} der Breite. Pater GUMILLA gibt 5 deg. 5{~PRIME~}, D'ANVILLE 7 deg. 3{~PRIME~}, CAULIN 7 deg. 26{~PRIME~} an. Die Laenge der *Boca* des Apure ist nach den Sonnenhoehen, die ich am 5. April Morgens aufgenommen, 69 deg. 7{~PRIME~} 29{~DOUBLE PRIME~}, oder 1 deg. 12{~PRIME~} 41{~DOUBLE PRIME~} oestlich vom Meridian von San Fernando. *Am 5. April*. Es fiel uns sehr auf, wie gering die Wassermasse ist, welche der Apure in dieser Jahreszeit dem Orinoco zufuehrt. Derselbe Strom, der nach meinen Messungen beim *Cano ricco* noch 136 Toisen breit war, mass an seiner Ausmuendung nur zwischen 60 und 80.(9) Seine Tiefe betrug hier nur 3--4 Toisen. Er verliert allerdings Wasser durch den Rio Arichuna und den Cano del Manati, zwei Arme des Apure, die zum Payara und Guarico laufen; aber der groesste Verlust scheint von der Einsickerung an den Ufern herzuruehren, von der oben die Rede war. Die Geschwindigkeit der Stroemung bei der Ausmuendung war nur 3 Fuss in der Secunde, so dass ich die ganze Wassermasse leicht berechnen koennte, wenn mir durch Sondirungen in kurzen Abstaenden alle Dimensionen des Querschnitts bekannt waeren. Der Barometer, der in San Fernando, 28 Fuss ueber dem mittleren Wasserstand des Apure, um 9-1/2 Uhr Morgens 335,6 Linien hoch gestanden hatte, stand an der Ausmuendung des Apure in den Orinoco 337,3 Linien hoch. Rechnet man die ganze Laenge des Wegs (die Kruemmungen des Stroms mitgerechnet(10)) zu 94 Seemeilen oder 893,000 Toisen und nimmt man die kleine, wegen der stuendlichen Schwankung des Barometers vorzunehmende Correction in Rechnung, so ergibt sich im Durchschnitt ein Gefaelle von 13 Zoll auf die Seemeile von 950 Toisen. LA CONDAMINE und der gelehrte Major RENNEL glauben, dass der Fall des Amazonenstroms und des Ganges durchschnittlich kaum 4--5 Zoll auf die Seemeile betraegt. Wir fuhren, ehe wir in den Orinoco einliefen, mehrmals auf; die Anschwemmungen sind beim Zusammenfluss der beiden Stroeme ungeheuer gross. Wir mussten uns laengs des Ufers am Tau ziehen lassen. Welcher Contrast zwischen diesem Zustand des Stroms unmittelbar vor dem Beginn der Regenzeit, wo die Wirkungen der Trockenheit der Luft und der Verdunstung ihr Maximum erreicht haben, und dem Stand im Herbste, wo der Apure gleich einem Meeresarm, so weit das Auge reicht, ueber den Grasfluren steht! Gegen Sued sahen wir die einzelnstehenden Huegel bei Coruato; im Osten fingen die Granitfelsen von Curiquima, der Zuckerhut von Caycara und die *Cerros del Tirano* an ueber den Horizont emporzusteigen. Mit einem gewissen Gefuehl der Ruehrung sahen wir zum erstenmale, wornach wir uns so lange gesehnt, die Gewaesser des Orinoco, an einem von der Meereskueste so weit entfernten Punkte. ------------------ 1 Ganz besonders geschickt wissen die Esel sich die Feuchtigkeit im Innern des _Cactus melocactus_ zu Nutze zu machen. Sie stossen die Stacheln mit den Fuessen ab, und man sieht welche in Folge dieses Verfahrens hinken. 2 Wir bezahlten von San Fernando de Apure bis Carichana am Orinoco (acht Tagereisen) 10 Piaster fuer die Lancha, und ausserdem dem Steuermann einen halben Piaster oder vier Realen und jedem der indianischen Ruderer zwei Realen Taglohn. 3 Es ist diess der _Arue_ der Tamanaken, der _Amana_ der Maypuren, CUVIERs _Crocodilus acutus_. 4 Um die Geschwindigkeit eines Stroms an der Oberflaeche zu ermitteln, maass ich meist am Ufer eine Standlinie von 250 Fuss ab und bemerkte mit dem Chronometer die Zeit, die ein frei im Strom schwimmender Koerper brauchte, um dieselbe Strecke zurueckzulegen. 5 Eine Mimosenart. _ 6 Garzon Chico_. In Oberaegypten glaubt man, die Reiher haben eine Zuneigung zum Krokodil, weil sie sich beim Fischfang den Umstand zu Nutze machen, dass die Fische sich ueber das ungeheure Thier entsetzen und sich vor ihm vom Grunde des Wassers an die Oberflaeche herauffluechten; aber an den Ufern des Nils kommt der Reiher dem Krokodil klueglich nicht zu nahe. 7 LATREILLE hat gefunden, dass die *Moustiques* in Sued-Carolina zur Gattung _Simulium_ (_Atractocera_, Meigen) gehoeren. 8 Letzterer (_Crax Pauxi_) ist nicht so haeufig als ersterer. 9 Diess ist nicht ganz die Breite der Seine am Pontroyal, den Tuilerien gegenueber. 10 Ich schaetzte sie auf ein Viertheil der geraden Entfernung. NEUNZEHNTES KAPITEL. Zusammenfluss des Apure mit dem Orinoco. -- Die Gebirge von Encaramada. -- Uruana. -- Baraguan. -- Carichana. -- Der Einfluss des Meta. -- Die Insel Panumana. Mit der Ausfahrt aus dem Apure sahen wir uns in ein ganz anderes Land versetzt. So weit das Auge reichte, dehnte sich eine ungeheure Wasserflaeche, einem See gleich, vor uns aus. Das durchdringende Geschrei der Reiher, Flamingos und Loeffelgaense, wenn sie in langen Schwaermen von einem Ufer zum andern ziehen, erfuellte nicht mehr die Luft. Vergeblich sahen wir uns nach den Schwimmvoegeln um, deren gewerbsmaeszige Listen bei jeder Sippe wieder andere sind. Die ganze Natur schien weniger belebt. Kaum bemerkten wir in den Buchten der Wellen hie und da ein grosses Krokodil, das mittelst seines langen Schwanzes die bewegte Wasserflaeche schief durchschnitt. Der Horizont war von einem Waldguertel begrenzt, aber nirgends traten die Waelder bis ans Strombett vor. Breite, bestaendig der Sonnengluth ausgesetzte Ufer, kahl und duerr wie der Meeresstrand, glichen in Folge der Luftspiegelung von weitem Lachen stehenden Wassers. Diese sandigten Ufer verwischten vielmehr die Grenzen des Stromes, statt sie fuer das Auge festzustellen; nach dem wechselnden Spiel der Strahlenbrechung rueckten die Ufer bald nahe heran, bald wieder weit weg. Diese zerstreuten Landschaftszuege, dieses Gepraege von Einsamkeit und Grossartigkeit kennzeichnen den Lauf des Orinoco, eines der gewaltigsten Stroeme der neuen Welt. Aller Orten haben die Gewaesser wie das Land ihren eigenthuemlichen, individuellen Charakter. Das Bett des Orinoco ist ganz anders als die Betten des Meta, des Guaviare, des Rio Negro und des Amazonenstroms. Diese Unterschiede ruehren nicht bloss von der Breite und der Geschwindigkeit des Stromes her; sie beruhen auf einer Gesammtheit von Verhaeltnissen, die an Ort und Stelle leichter aufzufassen, als genau zu beschreiben sind. So erriethe ein erfahrener Schiffer schon an der Form der Wogen, an der Farbe des Wassers, am Aussehen des Himmels und der Wolken, ob er sich im atlantischen Meer, oder im Mittelmeer, oder im tropischen Strich des grossen Oceans befindet. Der Wind wehte stark aus Ost-Nord-Ost; er war uns guenstig, um stromaufwaerts nach der Mission Encaramada zu segeln; aber unsere Pirogue leistete dem Wogenschlag so geringen Widerstand, dass, wer gewoehnlich seekrank wurde, bei der heftigen Bewegung selbst auf dem Fluss sich sehr unbehaglich fuehlte. Das Scholken ruehrt daher, dass die Gewaesser der beiden Stroeme beider Bereinigung auf einander stossen. Dieser Stoss ist sehr stark, aber lange nicht so gefaehrlich, als Pater GUMILLA behauptet. Wir fuhren an der Punta Curiquima vorbei, einer einzeln stehenden Masse von quarzigem Granit, einem kleinen, aus abgerundeten Bloecken bestehenden Vorgebirge. Hier, auf dem rechten Ufer des Orinoco, hatte zur Zeit der Jesuiten Pater Rotella unter den Palenques- und Biriviri-Indianern eine Mission angelegt. Bei Hochwasser waren der Berg Curiquima und das Dorf am Fuss desselben rings von Wasser umgeben. Wegen dieses grossen Uebelstandes und wegen der Unzahl Moskitos und _'Niguas'_,(11) von denen Missionaere und Indianer geplagt wurden, gab man den feuchten Ort auf. Jetzt ist er voellig verlassen, waehrend gegenueber auf dem linken Ufer in den Huegeln von Coruato herumziehende Indianer hausen, die entweder aus den Missionen oder aus freien, den Moenchen nicht unterworfenen Staemmen ausgestossen worden sind. Die ungemeine Breite des Orinoco zwischen der Einmuendung des Apure und dem Berge Curiquima fiel mir sehr auf; ich berechnete sie daher nach einer Standlinie, die ich am westlichen Ufer zweimal abgemessen. Das Bett des Orinoco war beim gegenwaertigen tiefen Wasserstand 1906 Toisen breit; aber in der Regenzeit, wenn der Berg Curiquima und der Hof Capuchino beim Huegel Pocopocori Inseln sind, moegen es 5517 Toisen werden. Zum starken Anschwellen des Orinoco traegt auch der Druck der Wasser des Apure bei, der nicht, wie andere Nebenfluesse, mit dem Obertheil des Hauptstroms einen spitzen Winkel bildet, sondern unter einem rechten Winkel einmuendet. Wir massen an verschiedenen Punkten des Bettes die Temperatur des Wassers; mitten im Thalweg, wo die Stroemung am staerksten ist, betrug sie 28 deg.,3, in der Naehe der Ufer 29 deg.,2. Wir fuhren zuerst gegen Suedwest hinaus bis zum Gestade der Guaricotos-Indianer auf dem linken Ufer des Orinoco, und dann gegen Sued. Der Strom ist so breit, dass die Berge von Encaramada aus dem Wasser emporzusteigen scheinen, wie wenn man sie ueber dem Meereshorizont saehe. Sie bilden eine ununterbrochene, von Ost nach West streichende Kette, und je naeher man ihnen kommt, desto malerischer wird die Landschaft. Diese Berge bestehen aus ungeheuren zerkluefteten, auf einander gethuermten Granitbloecken. Die Theilung der Gebirgsmasse in Bloecke ist eine Folge der Verwitterung. Zum Reiz der Gegend von Encaramada traegt besonders der kraeftige Pflanzenwuchs bei, der die Felswaende bedeckt und nur die abgerundeten Gipfel frei laesst. Man meint, altes Gemaeuer rage aus einem Walde empor. Aus dem Berg, an den sich die Mission lehnt, dem *Tepupano* der Tamanacos, stehen drei ungeheure Granitcylinder, von denen zwei geneigt sind, waehrend der dritte, unten schmaelere und ueber 80 Fuss hohe, senkrecht stehen geblieben ist. Dieser Felsen, dessen Form an die *Schnarcher* im Harz oder an die *Orgeln von Actopan* in Mexico erinnert, war frueher ein Stueck des runden Berggipfels. Zu allen Erdstrichen hat der nicht geschichtete Granit das Eigenthuemliche, dass er durch Verwitterung in prismatische, cylindrische oder saeulenfoermige Bloecke zerfaellt. Gegenueber dem Gestade der Guaricotos kamen wir in die Naehe eines andern, ganz niedrigen, drei bis vier Toisen langen Felshaufens. Er steht mitten in der Ebene und gleicht nicht sowohl einem Tumulus als den Granitmassen, die man in Holland und Niederdeutschland _'Huenenbetten'_ nennt. Der Ufersand an diesem Stueck des Orinoco ist nicht mehr reiner Quarzsand, er besteht aus Thon und Glimmerblaettchen in sehr duennen Schichten, die meist unter einen Winkel von 40--50 Grad fallen; er sieht aus wie verwitterter Glimmerschiefer. Dieser Wechsel in der geologischen Beschaffenheit der Ufer tritt schon weit oberhalb der Muendung des Apure ein; schon beim Algodonal und beim Cano de Manati fingen wir in letzterem Flusse an denselben zu bemerken. Die Glimmerblaettchen kommen ohne Zweifel von den Granitbergen von Curiquima und Encaramada, denn weiter nach Nord und Ost findet man nur Quarzsand, Sandstein, festen Kalkstein und Gyps. Dass Anschwemmungen von Sued nach Nord gefuehrt werden, kann am Orinoco nicht befremden; aber wie erklaert sich dieselbe Erscheinung im Bett des Apure, sieben Meilen westwaerts von seiner Ausmuendung? Beim gegenwaertigen Zustand der Dinge laeuft der Apure auch beim hoechsten Wasserstand des Orinoco nie so weit rueckwaerts, und um sich von der Erscheinung Rechenschaft zu geben, muss man annehmen, die Glimmerschichten haben sich zu einer Zeit niedergeschlagen, wo der ganze, sehr tief gelegene Landstrich zwischen Caycara, dem Algodonal und den Bergen von Encaramada ein Seebecken war. Wir verweilten einige Zeit im Hafen von Encaramada; es ist diess eine Art Ladeplatz, wo die Schiffe zusammenkommen. Das Ufer besteht aus einem 40--50 Fuss hohen Felsen, wieder jenen aufeinander gethuermten Granitbloecken, wie sie am Schneeberg in Franken und fast in allen Granitgebirgen in Europa vorkommen. Manche dieser abgesonderten Massen sind kugeligt; es sind aber keine Kugeln mit concentrischen Schichten, sondern nur abgerundete Bloecke, Kerne, von denen das umhuellende Gestein abgewittert ist. Der Granit ist bleigrau, oft schwarz, wie mit Manganoxyd ueberzogen; aber diese Farbe dringt kaum 1/5 Linie tief ins Gestein, das roethlich weiss, grobkoernig ist und keine Hornblende enthaelt. Die indianischen Namen der Mission *San Luis del ** Encaramada* sind _Guaja_ und _Caramana_.(12) Es ist diess das kleine Dorf, das im Jahr 1749 vom Jesuitenpater GILI, dem Verfasser der in Rom gedruckten _Storia dell Orinoco_, gegruendet wurde. Dieser in den Indianersprachen sehr bewanderte Mann lebte hier achtzehn Jahre in der Einsamkeit bis zur Vertreibung der Jesuiten. Man bekommt einen Begriff davon, wie oede diese Landstriche sind, wenn man hoert, dass Pater Gili von Carichana, das 40 Meilen von Encaramada liegt, wie von einem weit entlegenen Orte spricht, und dass er nie bis zu dem ersten Katarakt des Stromes gekommen ist, an dessen Beschreibung er sich gewagt hat. Im Hafen von Encaramada trafen wir Caraiben aus Panapana. Es war ein Cazike, der in seiner Pirogue zum beruehmten Schildkroeteneierfang den Fluss hinausging. Seine Pirogue war gegen den Boden zugerundet wie ein *Bongo* und fuehrte ein kleineres Canoe, _'Curiara'_ genannt, mit sich. Er sass unter einer Art Zelt (_Toldo_), das, gleich dem Segel, aus Palmblaettern bestand. Sein kalter, einsylbiger Ernst, die Ehrerbietung, die die Seinigen ihm bezeugten, Alles zeigte, dass man einen grossen Herrn vor sich hatte. Der Cazike trug sich uebrigens ganz wie seine Indianer; alle waren nackt, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit *Onoto*, dem Farbestoff des Rocou, bemalt. Haeuptling, Dienerschaft, Geraethe, Fahrzeug, Segel, Alles war roth angestrichen. Diese Caraiben sind Menschen von fast athletischem Wuchs; sie schienen uns weit hoeher gewachsen als die Indianer, die wir bisher gesehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den Chorknaben verschnittenen Haare, ihre schwarz gefaerbten Augenbrauen, ihr finsterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem Gesichtsausdruck etwas ungemein Hartes. Wir hatten bis jetzt nur in den Cabineten in Europa ein paar Caraibenschaedel von den Antillen gesehen und waren daher ueberrascht, dass bei diesen Indianern von reinem Blute die Stirne weit gewoelbter war, als man sie uns beschrieben. Die sehr grossen, aber ekelhaft schmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem Ruecken. Die Ober- und Unterschenkel der Kinder waren in gewissen Abstaenden mit breiten Binden aus Baumwollenzeug eingeschnuert. Das Fleisch unter den Binden wird stark zusammengepresst und quillt in den Zwischenraeumen heraus. Die Caraiben verwenden meist auf ihr Aeusseres und ihren Putz so viel Sorgfalt, als nackte und roth bemalte Menschen nur immer koennen. Sie legen bedeutenden Werth auf gewisse Koerperformen, und eine Mutter wuerde gewissenloser Gleichgueltigkeit gegen ihre Kinder beschuldigt, wenn sie ihnen nicht durch kuenstliche Mittel die Waden nach der Landessitte formte. Da keiner unserer Indianer vom Apure caraibisch sprach, konnten wir uns beim Caziken von Panapana nicht nach den Lagerplaetzen erkundigen, wo man in dieser Jahreszeit auf mehreren Inseln im Orinoco zum Sammeln der Schildkroeteneier zusammenkommt. Bei Encaramada trennt eine sehr lange Insel den Strom in zwei Arme. Wir uebernachteten in einer Felsenbucht, gegenueber der Einmuendung des Rio Cabullare, zu dem der Payara und der Atamaica sich vereinigen, und den manche als einen Zweig des Apure betrachten, weil er mit diesem durch den Rio Arichuna in Verbindung steht. Der Abend war schoen; der Mond beschien die Spitzen der Granitfelsen. Trotz der Feuchtigkeit der Luft war die Waerme so gleichmaessig vertheilt, dass man kein Sternflimmern bemerkte, selbst nicht 4 oder 5 Grad ueber dem Horizont. Das Licht der Planeten war auffallend geschwaecht, und liesse mich nicht die Kleinheit des scheinbaren Durchmessers Jupiters einen Irrthum in der Beobachtung fuerchten, so sagte ich, wir alle glaubten hier zum erstenmal mit blossem Auge die Scheibe Jupiters zu sehen. Gegen Mitternacht wurde der Nordostwind sehr heftig. Er fuehrte keine Wolken heraus, aber der Himmel bezog sich mehr und mehr mit Dunst. Es traten starke Windstoesse ein und machten uns fuer unsere Pirogue besorgt. Wir hatten den ganzen Tag ueber nur sehr wenige Krokodile gesehen, aber lauter ungewoehnlich grosse, 20--24 Fuss lange. Die Indianer versicherten uns, die jungen Krokodile suchen lieber die Lachen und weniger breite und tiefe Fluesse auf; besonders in den Canos sind sie in Menge zu finden, und man koennte von ihnen sagen, was ABD-ALLATIF von den Nilkrokodilen sagt, "sie wimmeln wie Wuermer an den seichten Stromstellen und im Schutz der unbewohnten Inseln." Am 6. April. Wir fuhren erst gegen Sued, dann gegen Suedwest weiter den Orinoco hinauf und bekamen den Suedabhang der *Serrania* oder der Bergkette Encaramada zu Gesicht. Der dem Fluss am naechsten gelegene Strich ist nicht mehr als 140--160 Toisen hoch, aber die steilen Abhaenge, die Lage mitten in einer Savane; ihre in unfoermliche Prismen zerkluefteten Felsgipfel lassen die Serrania auffallend hoch erscheinen. Ihre groesste Breite betraegt nur drei Meilen; nach den Mittheilungen von Pareka-Indianern wird sie gegen Ost bedeutend breiter. Die Gipfel der Encaramada bilden den noerdlichsten Zug eines Bergstocks, welcher sich am rechten Ufer des Orinoco zwischen dem 5. und 7-1/2 Grad der Breite, vom Einfluss des Rio Zama bis zu dem des Cabullare hinzieht. Zwischen den verschiedenen Zuegen dieses Bergstocks liegen kleine grasbewachsene Ebenen. Sie laufen einander nicht ganz parallel, denn die noerdlichsten ziehen sich von West nach Ost, die suedlichsten von Nordwest nach Suedost. Aus dieser verschiedenen Richtung erklaert sich vollkommen, warum die Cordillere der Parime gegen Ost, zwischen den Quellen des Orinoco und des Rio Paruspa, breiter wird. Wenn wir einmal ueber die grossen Katarakten von Atures und Maypures hinauf gelangt sind, werden wir hinter einander sieben Hauptketten erscheinen sehen, die Berge Encaramada oder Sacuina, Chaviripa, Baraguan, Carichana, Uniama, Calitamini und Sipapo. Diese Uebersicht mag einen allgemeinen Begriff von der geologischen Beschaffenheit des Bodens geben. Ueberall auf dem Erdball zeigen die Gebirge, wenn sie noch so unregelmaessig gruppirt scheinen, eine Neigung zu regelmaessigen Formen. Jede Kette erscheint einem, wenn man auf dem Orinoco faehrt, im Querschnitt als ein einzelner Berg, aber die Isolirung ist nur scheinbar. Die Regelmaessigkeit im Streichen und dem Auseinandertreten der Ketten scheint geringer zu werden, je weiter man gegen Osten kommt. Die Berge der Encaramada haengen mit denen des Mato zusammen, in welchen der Rio Asiveru oder Cuchivero entspringt; die Berge von Chaviripe erstrecken sich durch ihre Auslaeufer, die Granitberge Corosal, Amoco und Murcielago, bis zu den Quellen des Erevato und Ventuari. Ueber diese Berge, die von sanftmuethigen, ackerbauenden Indianern bewohnt sind, liess bei der Expedition an die Grenze General Iturriaga das Hornvieh gehen, mit dem die neue Stadt San Fernando de Atobapo versorgt werden sollte. Die Einwohner der Encaramada zeigten da den spanischen Soldaten den Weg zum Rio Manapiari, der in den Ventuari muendet. Faehrt man diese beiden Fluesse hinab, so gelangt man in den Orinoco und Atobapo, ohne ueber die grossen Katarakten zu kommen, ueber welche Vieh hinaufzuschaffen so gut wie unmoeglich waere. Der Unternehmungsgeist, der den Castilianern zur Zeit der Entdeckung von Amerika in so vorzueglichem Grade eigen war, lebte in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts auf kurze Frist noch einmal auf, als Koenig Ferdinand VI. die wahren Grenzen seiner ungeheuren Besitzungen kennen lernen wollte, und in den Waeldern von Guyana, dem classischen Lande der Luege und der maehrchenhaften Ueberlieferungen, die Arglist der Indianer die chimaerische Vorstellung von den Schaetzen des Dorado, welche die Einbildungskraft der ersten Eroberer so gewaltig beschaeftigt hatte, von Neuem in Umlauf brachte. In diesen Bergen der Encaramada, die, wie der meiste grobkoernige Granit, keine Gaenge enthalten, fragt man sich, wo die Goldgeschiebe herkommen, welche Juan MARTINEZ(13) und RALEGH bei den Indianern am Orinoco in so grosser Menge gesehen haben wollen. Nach meinen Beobachtungen in diesem Theile von Amerika glaube ich, dass das Gold, wie das Zinn, zuweilen in kaum sichtbaren Theilchen durch die ganze Masse des Granitgesteins zerstreut ist, ohne dass man kleine veraestete und in einander verschlungene Gaenge anzunehmen hat. Noch nicht lange fanden Indianer aus Encaramada in der _Quebrada del tigre_ (Tigerschlucht) ein Goldkorn von zwei Linien Durchmesser. Es war rund und schien im Wasser gerollt. Diese Entdeckung war den Missionaeren noch wichtiger als den Indianern, aber sie blieb alleinstehend. Ich kann dieses erste Glied des Bergstocks der Encaramada nicht verlassen, ohne eines Umstandes zu erwaehnen, der Pater GILI nicht unbekannt geblieben war und dessen man waehrend unseres Aufenthalts in den Missionen am Orinoco haeufig gegen uns erwaehnte. Unter den Eingeborenen dieser Laender hat sich die Sage erhalten, "beim grossen Wasser, als ihre Vaeter das Canoe besteigen mussten, um der allgemeinen Ueberschwemmung zu entgehen, haben die Wellen des Meeres die Felsen der Encaramada bespuelt." Diese Sage kommt nicht nur bei einem einzelnen Volke, den Tamanaken vor, sie gehoert zu einem Kreise geschichtlicher Ueberlieferungen, aus dem sich einzelne Vorstellungen bei den Maypures an den grossen Katarakten, bei den Indianern am Rio Erevato, der sich in den Caura ergiesst, und fast bei allen Staemmen am obern Orinoco finden. Fragt man die Tamanaken, wie das Menschengeschlecht diese grosse Katastrophe, die *Wasserzeit* der Mexicaner, ueberlebt habe, so sagen sie, "ein Mann und ein Weib haben sich auf einen hohen Berg, Namens Tamanacu, am Ufer des Asiveru, gefluechtet; da haben sie Fruechte der Mauritiapalme hinter sich ueber ihre Koepfe geworfen, und aus den Kernen derselben seyen Maennlein und Weiblein entsprossen, welche die Erde wieder bevoelkert." In solch einfacher Gestalt lebt bei jetzt wilden Voelkern eine Sage, welche von den Griechen mit allem Reiz der Einbildungskraft geschmueckt worden ist. Ein paar Meilen von Encaramada steht mitten in der Savane ein Fels, der sogenannte *Tepumereme*, *der gemalte Fels*. Man sieht darauf Thierbilder und symbolische Zeichen, aehnlich denen, wie wir sie auf der Rueckfahrt auf dem Orinoco nicht weit unterhalb Encaramada bei der Stadt Caycara gesehen. In Afrika heissen dergleichen Felsen bei den Reisenden _'Fetischsteine'_. Ich vermeide den Ausdruck, weil die Eingeborenen am Orinoco von einem Fetischdienst nichts wissen, und weil die Bilder, die wir an nunmehr unbewohnten Orten auf Felsen gefunden, Sterne, Sonnen, Tiger, Krokodile, mir keineswegs Gegenstaende religioeser Verehrung vorzustellen scheinen. Zwischen dem Cassiquiare und dem Orinoco, zwischen Encaramada, Capuchino und Caycara sind diese hieroglyphische n Figuren haeufig sehr hoch oben in Felswaende eingehauen, wohin man nur mittelst sehr hoher Gerueste gelangen koennte. Fragt man nun die Eingeborenen, wie es moeglich gewesen sey, die Bilder einzuhauen, so erwiedern sie laechelnd, als spraechen sie eine Thatsache aus, mit der nur ein Weisser nicht bekannt seyn kann, "zur Zeit des *grossen Wassers* seyen ihre Vaeter so hoch oben im Canoe gefahren." Diese alten Sagen des Menschengeschlechts, die wir gleich Truemmern eines grossen Schiffbruchs ueber den Erdball zerstreut finden, sind fuer die Geschichtsphilosophie von hoechster Bedeutung. Wie gewisse Pflanzenfamilien in allen Klimaten und in den verschiedensten Meereshoehen das Gepraege des gemeinsamen Typus behalten, so haben die cosmogonischen Ueberlieferungen der Voelker aller Orten denselben Charakter, eine Familienaehnlichkeit, die uns in Erstaunen setzt. Im Grundgedanken hinsichtlich der Vernichtung der lebendigen Schoepfung und der Erneuerung der Natur weichen die Sagen fast gar nicht ab, aber jedes Volk gibt ihnen eine oertliche Faerbung. Auf den grossen Festlaendern, wie auf den kleinsten Inseln im stillen Meer haben sich die uebrig gebliebenen Menschen immer auf den hoechsten Berg in der Naehe gefluechtet, und das Ereigniss erscheint desto neuer, je roher die Voelker sind und je weniger, was sie von sich selbst wissen, weit zurueckreicht. Untersucht man die mexicanischen Denkmale aus der Zeit vor der Entdeckung der neuen Welt genau, dringt man in die Waelder am Orinoco, sieht man, wie unbedeutend, wie vereinzelt die europaeischen Niederlassungen sind und in welchen Zustaenden die unabhaengig gebliebenen Staemme verharren, so kann man nicht daran denken, die eben besprochene Uebereinstimmung dem Einfluss der Missionare und des Christenthums auf die Volkssagen zuzuschreiben. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass die Voelker am Orinoco durch den Umstand, dass sie Meeresprodukte hoch oben in den Gebirgen gefunden, auf die Vorstellung vom grossen Wasser gekommen seyn sollten, das eine Zeit lang die Keime des organischen Lebens auf der Erde vernichtet habe. Das Land am rechten Ufer des Orinoco bis zum Cassiquiare und Rio Negro besteht aus Urgebirge. Ich habe dort wohl eine kleine Sandstein- oder Conglomeratsormation angetroffen, aber keinen secundaeren Kalkstein, keine Spur von Versteinerungen. Der frische Nordostwind brachte uns mit vollen Segeln zur *Boca de la Tortuga*. Gegen eilf Uhr Vormittags stiegen wir an einer Insel mitten im Strome aus, welche die Indianer in der Mission Uruana als ihr Eigenthum betrachten. Diese Insel ist beruehmt wegen des Schildkroetenfangs, oder, wie man hier sagt, wegen der _Cosecha_ der *Eierernte*, die jaehrlich hier gehalten wird. Wir fanden hier viele Indianer beisammen und unter Huetten aus Palmblaettern gelagert. Das Lager war ueber dreihundert Koepfe stark. Seit San Fernando am Apure waren wir nur an oede Gestade gewoehnt, und so fiel uns das Leben, das hier herrschte, ungemein auf. Ausser den Guamos und Otomacos aus Uruana, die beide fuer wilde, unzaehmbare Staemme gelten, waren Caraiben und andere Indianer vom untern Orinoco da. Jeder Stamm lagerte fuer sich und unterschied sich durch die Farbe, mit der die Haut bemalt war. Wir fanden in diesem laermenden Haufen einige Weisse, namentlich _'Pulperos'_ oder Kraemer aus Angostura, die den Fluss herausgekommen waren, um von den Eingeborenen Schildkroeteneieroel zu kaufen. Wir trafen auch den Missionaer von Uruana, der aus Alcala de Henarez gebuertig war. Der Mann verwunderte sich nicht wenig, uns hier zu finden. Nachdem er unsere Instrumente bewundert, entwarf er uns eine uebertriebene Schilderung von den Beschwerden, denen wir uns nothwendig aussetzten, wenn wir auf dem Orinoco bis ueber die Faelle hinaufgingen. Der Zweck unserer Reise schien ihm in bedeutendes Dunkel gehuellt. "Wie soll einer glauben," sagte er, "dass ihr euer Vaterland verlassen habt, um euch auf diesem Flusse von den Moskitos auszehren zu lassen und Land zu vermessen, das euch nicht gehoert?" Zum Glueck hatten wir Empfehlungen vom Pater Gardian der Franciscaner-Missionen bei uns, und der Schwager des Statthalters von Barinas, der bei uns war, machte bald den Bedenken ein Ende, die durch unsere Tracht, unsern Accent und unsere Ankunft auf diesem sandigen Eiland unter den Weissen aufgetaucht waren. Der Missionar lud uns zu seinem frugalen Mahl aus Bananen und Fischen ein und erzaehlte uns, er sey mit den Indianern ueber die "Eierernte" heruebergekommen, "um jeden Morgen unter freiem Himmel die Messe zu lesen und sich das Oel fuer die Altarlampe zu verschaffen, besonders aber um diese _republica de Indios y Castellanos_ in Ordnung zu halten, in der jeder fuer sich allein haben wolle, was Gott allen bescheert." Wir umgingen die Insel in Begleitung des Missionars und eines Pulpero, der sich ruehmte, dass er seit zehn Jahren ins Lager der Indianer und zur _pesca de Tortugas_ komme. Man besucht dieses Stueck des Orinoco, wie man bei uns die Messen von Frankfurt und Beaucaire besucht. Wir befanden uns auf einem ganz ebenen Sandstrich. Man sagte uns: "So weit das Auge an den Ufern hin reicht, liegen Schildkroeteneier unter einer Erdschicht." Der Missionar trug eine lange Stange in der Hand. Er zeigte uns, wie man mit der Stange (_vera_) sondirt, um zu sehen, wie weit die Eier*schicht* reicht, wie der Bergmann die Grenzen eines Lagers von Mergel, Raseneisenstein oder Steinkohle ermittelt. Stoesst man die Vara senkrecht in den Boden, so spuert man daran, dass der Widerstand auf einmal aufhoert, dass man in die Hoehlung oder das lose Erdreich, in dem die Eier liegen, gedrungen ist. Wie wir sahen, ist die Schicht im Ganzen so gleichfoermig verbreitet, dass die Sonde in einem Halbmesser von 10 Toisen rings um einen gegebenen Punkt sicher darauf stoesst. Auch spricht man hier nur von *Quadratstangen Eiern*, wie wenn man ein Bodenstueck, unter dem Mineralien liegen, in Loose theilte und ganz regelmaessig abbaute. Indessen bedeckt die Eierschicht bei weitem nicht die ganze Insel; sie hoert ueberall auf, wo der Boden rasch ansteigt, weil die Schildkroete auf diese kleinen Plateaus nicht hinaufkriechen kann. Ich erzaehlte meinen Fuehrern von den hochtrabenden Beschreibungen Pater GUMILLAs, wie die Ufer des Orinoco nicht soviel Sandkoerner enthalten, als der Strom Schildkroeten, und wie diese Thiere die Schiffe in ihrem Lauf aufhielten, wenn Menschen und Tiger nicht alljaehrlich so viele toedteten. "_Son cuentos de frailes_" sagte der Kraemer aus Angostura leise, denn da arme Missionaere hier zu Lande die einzigen Reisenden sind, so nennt man hier "Pfaffenmaehrchen," was man in Europa den Reisenden ueberhaupt aufbuerden wuerde. Die Indianer versicherten uns, von der Muendung des Orinoco bis zum Einfluss des Apure herauf finde man keine einzige Insel und kein einziges Gestade, wo man Schildkroeteneier in Masse sammeln koennte. Die grosse Schildkroete, der Arrau (sprich Arra-u), meidet von Menschen bewohnte oder von Fahrzeugen besuchte Orte. Es ist ein furchtsames, scheues Thier, das den Kopf ueber das Wasser streckt und sich beim leisesten Geraeusch versteckt. Die Uferstrecken, wo fast saemmtliche Schildkroeten des Orinoco sich jaehrlich zusammenzufinden scheinen, liegen zwischen dem Zusammenfluss des Orinoco und des Apure und den grossen Faellen oder *Raudales*, das heisst zwischen Cabruta und der Mission Atures. Hier befinden sich die drei beruehmten Fangplaetze Encaramada oder _boca del Cabullare_, Cucuruparu oder _boca de la Tortugay_ und Pararuma, etwas unterhalb Carichana. Die Arrau-Schildkroete geht, wie es scheint, nicht ueber die Faelle hinauf, und wie man uns versichert, kommen oberhalb Atures und Maypures nur *Terekay*-Schildkroeten vor. Es ist hier der Ort, einige Worte ueber diese beiden Arten und ihr Verhaeltniss zu den verschiedenen Familien der Schildkroeten zu sagen. Wir beginnen mit der Arrau-Schildkroete, welche die Spanier in den Colonien kurzweg _'Tortuga'_ nennen, und deren Geschlecht fuer die Voelker am untern Orinoco von so grosser Bedeutung ist. Es ist eine grosse Suesswasserschildkroete, mit Schwimmfuessen, sehr plattem Kopf, zwei fleischigen, sehr spitzen Anhaengen unter dem Kinn, mit fuenf Zehen an den Vorder- und vier an den Hinterfuessen, die unterhalb gefurcht sind. Der Schild hat 5 Platten in der Mitte, 8 seitliche und 24 Randplatten; er ist oben schwarzgrau, unten orangegelb, die Fuesse sind gleichfalls orangegelb und sehr lang. Zwischen den Augen ist eine sehr tiefe Furche. Die Naegel sind sehr stark und gebogen. Die Afteroeffnung befindet sich am letzten Fuenftheil des Schwanzes. Das erwachsene Thier wiegt 40--50 Pfund. Die Eier, weit groesser als Taubeneier, sind nicht so laenglicht wie die Gier des Terekay. Sie haben eine Kalkschaale und sollen so fest seyn, dass die Kinder der Otomaken, die starke Ballspieler sind, sie einander zuwerfen koennen. Kaeme der Arrau oberhalb der Kararakten im Strome vor, so gingen die Indianer am obern Orinoco nicht so weit nach dem Fleisch und den Eiern dieser Schildkroete; man sah aber frueher ganze Volksstaemme von den Fluessen Atabapo und Cassiquiare ueber die Raudales herabkommen, um am Fang bei Uruana Theil zu nehmen. Die *Terekays* sind kleiner als die Arrau. Sie haben meist nur 14 Zoll Durchmesser. Ihr Schild hat gleichviel Platten, sie sind aber etwas anders vertheilt. Ich zaehlte 4 im Mittelpunkt und zu jeder Seite 5 sechsseitige, am Rand 24 vierseitige, stark gebogene. Der Schild ist schwarz, ins Gruene spielend; Fuesse und Naegel sind wie beim Arrau. Das ganze Thier ist olivengruen, hat aber oben auf dem Kopf zwei aus roth und gelb gemischte Flecke. Auch der Hals ist gelb und hat einen stachligten Anhang. Die Terekays thun sich nicht in grosse Schwaerme zusammen, wie die Arraus, um ihre Eier mit einander auf demselben Ufer zu legen. Die Eier des Terekay haben einen angenehmen Geschmack und sind bei den Bewohnern von spanisch Guyana sehr gesucht. Sie kommen sowohl im obern Orinoco als unterhalb der Faelle vor, ferner im Apure, Uritucu, Guarico und den kleinen Fluessen, welche durch die Llanos von Caracas laufen. Nach der Bildung der Fuesse und des Kopfs, nach den Anhaengen an Kinn und Hals und nach der Stellung der Afteroeffnung scheint der Arrau und wahrscheinlich auch der Terekay eine neue Untergattung zu bilden, die von den Emyden zu trennen waere. Durch die Anhaenge und die Stellung des Afters naehern sie sich der _Emys nasuta_ SCHWEIGGERs und dem *Matamata* in franzoesisch Guyana, unterscheiden sich aber von letzterem durch die Form der Schildplatten, die keine pyramidalischen Buckel haben. Die Zeit, wo die grosse Arrau-Schildkroete ihre Eier legt, faellt mit dem niedrigsten Wasserstand zusammen. Da der Orinoco von der Fruehlings-Tag- und Nachtgleiche an zu steigen anfaengt, so liegen von Anfang Januar bis zum 20. oder 25. Maerz die tiefsten Uferstrecken trocken. Die Arraus sammeln sich schon im Januar in grosse Schwaerme; sie gehen jetzt aus dem Wasser und waermen sich auf dem Sand in der Sonne. Die Indianer glauben, das Thier beduerfe zu seinem Wohlbefinden nothwendig starker Hitze und das Liegen in der Sonne befoerdere das Eierlegen. Den ganzen Februar findet man die Arraus fast den ganzen Tag aus dem Ufer. Zu Anfang Maerz vereinigen sich die zerstreuten Haufen und schwimmen zu den wenigen Inseln, auf denen sie gewoehnlich ihre Eier legen. Wahrscheinlich kommt dieselbe Schildkroete jedes Jahr an dasselbe Ufer. Um diese Zeit, wenige Tage vor dem Legen, erscheinen viele tausend Schildkroeten in langen Reihen an den Ufern der Inseln Cucuruparu, Uruana und Pararuma, recken den Hals und halten den Kopf ueber dem Wasser, ausschauend, ob nichts von Tigern oder Menschen zu fuerchten ist. Die Indianer, denen viel daran liegt, dass die vereinigten Schwaerme auch beisammen bleiben, dass sich die Schildkroeten nicht zerstreuen und in aller Ruhe ihre Eier legen koennen, stellen laengs des Ufers Wachen auf. Man bedeutet den Fahrzeugen, sich mitten im Strom zu halten und die Schildkroeten nicht durch Geschrei zu verscheuchen. Die Eier werden immer bei Nacht gelegt, aber gleich von Sonnenuntergang an. Das Thier graebt mit seinen Hinterfuessen, die sehr lang sind und krumme Klauen haben, ein drei Fuss weites und zwei Fuss tiefes Loch. Die Indianer behaupten, um den Ufersand zu befestigen, benetze die Schildkroete denselben mit ihrem Harn, und man glaubt solches am Geruch wahrzunehmen, wenn man ein frisch gegrabenes Loch oder _'Eiernest'_, wie man hier sagt, oeffnet. Der Drang der Thiere zum Eierlegen ist so stark, dass manche in die von andern gegrabenen, noch nicht wieder mit Erde ausgefuellten Loecher hinunter gehen und auf die frisch gelegte Eierschicht noch eine zweite legen. Bei diesem stuermischen Durcheinander werden ungeheuer viele Eier zerbrochen. Der Missionaer zeigte uns, indem er den Sand an mehreren Stellen ausgrub, dass der Verlust ein Drittheil der ganzen Ernte betragen mag. Durch das vertrocknende Gelb der zerbrochenen Eier backt der Sand noch staerker zusammen, und wir fanden Quarzsand und zerbrochene Eierschaalen in grossen Klumpen zusammengekittet. Der Thiere, welche in der Nacht am Ufer graben, sind so unermesslich viele, dass manche der Tag ueberrascht, ehe sie mit dem Legen fertig werden konnten. Da treibt sie der doppelte Drang, ihre Eier los zu werden und die gegrabenen Loecher zuzudecken, damit der Tiger sie nicht sehen moege. Die Schildkroeten, die sich verspaetet haben, achten auf keine Gefahr, die ihnen selbst droht. Sie arbeiten unter den Augen der Indianer, die frueh Morgens auf das Ufer kommen. Man nennt sie _'naerrische Schildkroeten.'_ Trotz ihrer ungestuemen Bewegungen faengt man sie leicht mit den Haenden. Die drei Indianerlager an den oben erwaehnten Orten werden Ende Maerz und in den ersten Tagen Aprils eroeffnet. Die Eierernte geht das einemal vor sich wie das andere, mit der Regelmaessigkeit, die bei Allem herrscht, was von Moenchen ausgeht. Ehe die Missionaere an den Fluss kamen, beuteten die Eingeborenen ein Produkt, das die Natur hier in so reicher Fuelle bietet, in weit geringerem Maasse aus. Jeder Stamm durchwuehlte das Ufer nach seiner eigenen Weise und es wurden unendlich viele Eier muthwillig zerbrochen, weil man nicht vorsichtig grub und mehr Eier fand, als man mitnehmen konnte. Es war, als wuerde eine Erzgrube von ungeschickten Haenden ausgebeutet. Den Jesuiten gebuehrt das Verdienst, dass sie die Ausbeutung geregelt haben, und die Franciskaner, welche die Jesuiten in den Missionen am Orinoco abgeloest haben, ruehmen sich zwar, dass sie das Verfahren ihrer Vorgaenger einhalten, gehen aber leider keineswegs mit der gehoerigen Vorsicht zu Werke. Die Jesuiten gaben nicht zu, dass das ganze Ufer ausgebeutet wurde; sie liessen ein Stueck unberuehrt liegen, weil sie besorgten, die Arrau-Schildkroeten moechten, wenn nicht ausgerottet werden, doch bedeutend abnehmen. Jetzt wuehlt man das ganze Ufer ruecksichtslos um, und man meint auch zu bemerken, dass die *Ernten* von Jahr zu Jahr geringer werden. Ist das Lager aufgeschlagen, so ernennt der Missionaer von Uruana seinen Stellvertreter oder den _'Commissaer'_, der den Landstrich, wo die Eier liegen, nach der Zahl der Indianerstaemme, die sich in die Ernte theilen, in Loose zerlegt. Es sind lauter "Indianer aus den Missionen," aber so nackt und versunken, wie die "Indianer aus den Waeldern;" man nennt sie _reducidos_ und _neofitos_ weil sie zur Kirche gehen, wenn man die Glocke zieht, und gelernt haben bei der Wandlung auf die Kniee zu fallen. Der _Comissionado del Padre_ beginnt das Geschaeft damit, dass er den Boden sondirt. Mit einer langen hoelzernen Stange, wie oben bemerkt, oder mit einem Bambusrohr untersucht er, wie weit die "Eierschicht" reicht. Nach unsern Messungen erstreckt sich die Schicht bis zu 120 Fuss vom Ufer und ist im Durchschnitt drei Fuss tief. Der Commissaer steckt ab, wie weit jeder Stamm arbeiten darf. Mit Verwunderung hoert man den Ertrag der Eierernte gerade wie den Ertrag eines Getreideackers schaetzen. Es kam vor, dass ein Areal genau hundertzwanzig Fuss lang und dreissig breit hundert Kruege oder fuer tausend Franken Oel gab. Die Indianer graben den Boden mit den Haenden auf, legen die gesammelten Eier in kleine, _'Mappiri'_ genannte Koerbe, tragen sie ins Lager und werfen sie in grosse mit Wasser gefuellte hoelzerne Troege. In diesen Troegen werden die Eier mit Schaufeln zerdrueckt und umgeruehrt und der Sonne ausgesetzt, bis das Eigelb (der oeligte Theil), das obenauf schwimmt, dick geworden ist. Dieser oeligte Theil wird, wie er sich auf dem Wasser sammelt, abgeschoepft und bei einem starken Feuer gekocht. Dieses thierische Oel, das bei den Spaniern _manteca de tortugas_ heisst, soll sich desto besser halten, je staerker es gekocht wird. Gut zubereitet ist es ganz hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Missionaere schaetzen es dem besten Olivenoel gleich, und man braucht es nicht nur zum Brennen, sondern auch, und zwar vorzugsweise, zum Kochen, da es den Speisen keinerlei unangenehmen Geschmack gibt. Es haelt indessen schwer, ganz reines Schildkroetenoel zu bekommen. Es hat meist einen fauligten Geruch, der davon herruehrt, dass Eier darunter gerathen sind, in denen sich, weil sie schon laenger der Sonne ausgesetzt gewesen, die jungen Schildkroeten (_los tortuguillos_) bereits ausgebildet hatten. Diese unangenehme Erfahrung machten wir namentlich auf der Rueckfahrt vom Rio Negro, wo das fluessige Fett, das wir hatten, braun und uebelriechend geworden war. Die Gefaesse hatten einen faserigen Bodensatz, und diess ist das Kennzeichen des unreinen Schildkroetenoels. Ich theile hier einige statistische Angaben mit, die ich an Ort und Stelle aus dem Munde des Missionaers von Uruana, seines Commissaers und der Kraemer aus Angostura herhalten. Das Ufer von Uruana gibt jaehrlich tausend Botijas(14) oder Kruege Oel (_manteca_). Der Krug gilt in der Hauptstadt von Guyana, gemeinhin Angostura genannt, 2--2-1/2 Piaster. Der ganze Ertrag der drei Uferstrecken, wo jaehrlich die _cosecha_ oder Ernte gehalten wird, laesst sich auf 5000 Botijas anschlagen. Da nun 200 Eier eine Weinflasche oder _'limeta'_ voll Oel geben, so kommen 5000 Eier auf einen Krug oder eine Botija. Nimmt man an, jede Schildkroete gebe 100--116 Eier, und ein Drittheil werde waehrend des Legens, namentlich von den "naerrischen" Schildkroeten zerbrochen, so ergibt sich, dass, sollen jaehrlich 5000 Kruege Oel gewonnen werden, 330,000 Arrau-Schildkroeten, die zusammen 165,000 Centner wiegen, auf den drei Ernteplaetzen 33 Millionen Eier legen muessen. Und mit dieser Rechnung bleibt man noch weit unter der wahren Zahl. Viele Schildkroeten legen nur 60--70 Eier; viele werden im Augenblick, wo sie aus dem Wasser gehen, von den Jaguars gefressen; die Indianer nehmen viele Eier mit, um sie an der Sonne zu trocknen und zu essen, und sie zerbrechen bei der Ernte sehr viele aus Fahrlaessigkeit. Die Menge der Eier, die bereits ausgeschluepft sind, ehe der Mensch darueber kommt, ist so ungeheuer, dass ich beim Lagerplatz von Uruana das ganze Ufer des Orinoco von jungen, einen Zoll breiten Schildkroeten wimmeln sah, die mit Noth den Kindern der Indianer entkamen, welche Jagd auf sie machten. Nimmt man noch hinzu, dass nicht alle Arraus zu den drei Lagerplaetzen kommen, dass viele zwischen der Muendung des Orinoco und dem Einfluss des Apure einzeln und ein paar Wochen spaeter legen, so kommt man nothwendig zum Schluss, dass sich die Zahl der Schildkroeten, welche jaehrlich an den Ufern des untern Orinoco ihre Eier legen, nahezu auf eine Million belaeuft. Diess ist ausnehmend viel fuer ein Thier von betraechtlicher Groesse, das einen halben Centner schwer wird, und unter dessen Geschlecht der Mensch so furchtbar aufraeumt. Im Allgemeinen pflanzt die Natur in der Thierwelt die grossen Arten in geringerer Zahl fort als die kleinen. Das Erntegeschaeft und die Zubereitung des Oels waehren drei Wochen. Nur um diese Zeit stehen die Missionen mit der Kueste und den benachbarten civilisirten Laendern in Verkehr. Die Franciskaner, die suedlich von den Katarakten leben, kommen zur Eierernte nicht sowohl, um sich Oel zu verschaffen, als um *weisse Gesichter* zu sehen, wie sie sagen, und um zu hoeren, "ob der Koenig sich im Escurial oder in San Ildefonso aufhaelt, ob die Kloester in Frankreich noch immer aufgehoben sind, vor allem aber, ob der Tuerke sich noch immer ruhig verhaelt." Das ist Alles, wofuer ein Moench am Orinoco Sinn hat, Dinge, worueber die Kraemer aus Angostura, die in die Lager kommen, nicht einmal genaue Auskunft geben koennen. In diesen weit entlegenen Laendern wird eine Neuigkeit, die ein Weisser aus der Hauptstadt bringt, niemals in Zweifel gezogen. Zweifeln ist fast so viel wie Denken, und wie sollte man es nicht beschwerlich finden, den Kopf anzustrengen, wenn man sein Lebenlang ueber die Hitze und die Stiche der Moskitos zu klagen hat? Die Oelhaendler haben 70--80 Procent Gewinn; denn die Indianer verkaufen den Krug oder die Botija fuer einen harten Piaster an sie und die Transportkosten machen fuer den Krug nur Zweifuenftel Piaster. Die Indianer, welche die _cosecha de huevos_ mitmachen, bringen auch ganze Massen an der Sonne getrockneter oder leicht gesottener Eier nach Haus. Unsere Ruderer hatten immer welche in Koerben oder kleinen Saecken von Baumwollenzeug. Der Geschmack kam uns nicht unangenehm vor, wenn sie gut erhalten sind. Man zeigte uns grosse, von Jaguars geleerte Schildkroetenpanzer. Die Tiger gehen den Arraus auf die Uferstriche nach, wo sie legen wollen. Sie ueberfallen sie auf dem Sand, und um sie gemaechlich verzehren zu koennen, kehren sie sie um, so dass der Brustschild nach oben sieht. Aus dieser Lage koennen die Schildkroeten sich nicht ausrichten, und da der Tiger ihrer weit mehr umwendet, als er in der Nacht verzehren kann, so sachen sich die Indianer haeufig seine List und seine boshafte Habsucht zu Nutze. Wenn man bedenkt, wie schwer der reisende Naturforscher den Koerper der Schildkroete herausbringt, wenn er Ruecken- und Brustschild nicht trennen will, so kann man die Gewandtheit des Tigers nicht genug bewundern, der mit seiner Tatze den Doppelschild des Arrau leert, als waeren die Ansaetze der Muskeln mit einem chirurgischen Instrumente losgetrennt. Der Tiger verfolgt die Schildkroete sogar ine Wasser, wenn dieses nicht sehr tief ist. Er graebt auch die Eier aus und ist nebst dem Krokodil, den Reihern und dem Gallinazogeier der furchtbarste Feind der frisch ausgeschluepften Schildkroeten. Im verflossenen Jahr wurde die Insel Pararuma waehrend der Eierernte von so vielen Krokodilen heimgesucht, dass die Indianer in einer einzigen Nacht ihrer achtzehn, 12--15 Fuss lange, mit hakenfoermigen Eisen und Seekuhfleisch daran, fingen. Ausser den eben erwaehnten Waldthieren thun auch die wilden Indianer der Oelbereitung bedeutenden Eintrag. Sobald die ersten kleinen Regenschauer, von ihnen _'Schildkroetenregen'_ genannt, sich einstellen, ziehen sie an die Ufer des Orinoco und toedten mit vergifteten Pfeilen die Schildkroeten, die mit emporgerecktem Kopf und ausgestreckten Tatzen sich sonnen. Die jungen Schildkroeten (_tortuguillos_) zerbrechen die Eischale bei Tag, man sieht sie aber nie anders als bei Nacht aus dem Boden schluepfen. Die Indianer behaupten, das junge Thier scheue die Sonnenhitze. Sie wollten uns auch zeigen, wie der Tortuguillo, wenn man ihn in einem Sack weit weg vom Ufer traegt und so an den Boden setzt, dass er dem Flusse den Ruecken kehrt, alsbald den kuerzesten Weg zum Wasser einschlaegt. Ich gestehe, dass dieses Experiment, von dem schon Pater GUMILLA spricht, nicht immer gleich gut gelingt; meist aber schienen mir die kleinen Thiere sehr weit vom Ufer, selbst auf einer Insel, mit aeusserst feinem Gefuehl zu spueren, von woher die feuchteste Luft weht. Bedenkt man, wie weit sich die Eierschicht fast ohne Unterbrechung am Ufer hin erstreckt, und wie viele tausende kleiner Schildkroeten gleich nach dem Ausschluepfen dem Wasser zugehen, so laesst sich nicht wohl annehmen, dass so viele Schildkroeten, die am selben Ort ihre Nester gegraben, ihre Jungen herausfinden und sie, wie die Krokodile thun, in die Lachen am Orinoco fuehren koennen. Soviel ist aber gewiss, dass das Thier seine ersten Lebensjahre in den seichtesten Lachen zubringt und erst, wenn es erwachsen ist, in das grosse Flussbett geht. Wie finden nun die Tortuguillos diese Lachen? Werden sie von weiblichen Schildkroeten hingefuehrt, die sich ihrer annehmen, wie sie ihnen aufstossen? Die Krokodile, deren weit nicht so viele sind, legen ihre Eier in abgesonderte Loecher, und wir werden bald sehen, dass in dieser Eidechsenfamilie das Weibchen gegen das Ende der Brutzeit wieder hinkommt, den Jungen ruft, die darauf antworten, und ihnen meist aus dem Boden hilft. Die Arrau-Schildkroete erkennt sicher, so gut wie das Krokodil, den Ort wieder, wo sie ihr Nest gemacht; da sie aber nicht wagt wieder zum Ufer zu kommen, wo die Indianer ihr Lager aufgeschlagen haben, wie koennte sie ihre Jungen von fremden Tortuguillos unterscheiden? Andererseits wollen die Otomaken beim Hochwasser weibliche Schildkroeten gesehen haben, die eine ganze Menge junger Schildkroeten hinter sich hatten. Diess waren vielleicht Arraus, die allein an einem einsamen Ufer gelegt hatten, zu dem sie wieder kommen konnten. Maennliche Thiere sind unter den Schildkroeten sehr selten; unter mehreren Hunderten trifft man kaum Eines. Der Grund dieser Erscheinung kann hier nicht derselbe seyn wie bei den Krokodilen, die in der Brunst einander blutige Gefechte liefern. Unser Steuermann war in die *Playa de Huevos* eingelaufen, um einige Mundvorraethe zu kaufen, die bei uns auf die Neige gingen. Wir fanden daselbst frisches Fleisch, Reis aus Angostura, sogar Zwieback aus Weizenmehl. Unsere Indianer fuellten die Pirogue zu ihrem eigenen Bedarf mit jungen Schildkroeten und an der Sonne getrockneten Eiern. Nachdem wir vom Missionaer, der uns sehr herzlich aufgenommen, uns verabschiedet hatten, gingen wir gegen vier Uhr Abends unter Segel. Der Wind blies frisch und in Stoessen. Seit wir uns im gebirgigen Theil des Landes befanden, hatten wir die Bemerkung gemacht, dass unsere Pirogue ein sehr schlechtes Segelwerk fuehre; aber der "Patron" wollte den Indianern, die am Ufer beisammen standen, zeigen, dass er, wenn er sich dicht am Wind halte, mit Einem Schlage mitten in den Strom kommen koenne. Aber eben, als er seine Geschicklichkeit und die Kuehnheit seines Manoevers pries, fuhr der Wind so heftig in das Segel, dass wir beinahe gesunken waeren. Der eine Bord kam unter Wasser und dasselbe stuerzte mit solcher Gewalt herein, dass wir bis zu den Knieen darin standen. Es lief ueber ein Tischchen weg, an dem ich im Hintertheil des Fahrzeugs eben schrieb. Kaum rettete ich mein Tagebuch, und im naechsten Augenblick sahen wir unsere Buecher, Papiere und getrockneten Pflanzen umherschwimmen. Bonpland schlief mitten in der Pirogue. Vom eindringenden Wasser und dem Geschrei der Indianer aufgeschreckt, uebersah er unsere Lage sogleich mit der Kaltbluetigkeit, die ihm unter allen Verhaeltnissen treu geblieben ist. Der im Wasser stehende Bord hob sich waehrend der Windstoesse von Zeit zu Zeit wieder, und so gab er das Fahrzeug nicht verloren. Sollte man es auch verlassen muessen, so konnte man sich, glaubte er, durch Schwimmen retten, da sich kein Krokodil blicken liess. Waehrend wir so aengstlich gespannt waren, riss auf einmal das Tauwerk des Segels. Derselbe Sturm, der uns auf die Seite geworfen, half uns jetzt ausrichten. Man machte sich alsbald daran, das Wasser mit den Fruechten der _Crescentia Cujete_ auszuschoepfen; das Segel wurde ausgebessert, und in weniger als einer halben Stunde konnten wir wieder weiter fahren. Der Wind hatte sich etwas gelegt. Windstoesse, die mit Windstillen wechseln, sind uebrigens hier, wo der Orinoco im Gebirge laeuft, sehr haeufig und koennen ueberladenen Schiffen ohne Verdeck sehr gefaehrlich werden. Wir waren wie durch ein Wunder gerettet worden. Der Steuermann verschanzte sich hinter sein indianisches Phlegma, als man ihn heftig schalt, dass er sich zu nahe am Wind gehalten. Er aeusserte kaltbluetig, "es werde hier herum den weissen Leuten nicht an Sonne fehlen, um *ihre Papiere* zu trocknen." Wir hatten nur ein einziges Buch eingebuesst, und zwar den ersten Band von SCHREBERs _genera plantarum_ der ins Wasser gefallen war. Dergleichen Verluste thun weh, wenn man auf so wenige wissenschaftliche Werke beschraenkt ist. Mit Einbruch der Nacht schlugen wir unser Nachtlager auf einer kahlen Insel mitten im Strome in der Naehe der Mission Uruana auf. Bei herrlichem Mondschein, auf grossen Schildkroetenpanzern sitzend, die am Ufer lagen, nahmen wir unser Abendessen ein. Wie herzlich freuten wir uns, dass wir alle beisammen waren! Wir stellten uns vor, wie es einem ergangen waere, der sich beim Schiffbruch allein gerettet haette, wie er am oeden Ufer auf und ab irrte, wie er jeden Augenblick an ein Wasser kam, das in den Orinoco laeuft und durch das er wegen der vielen Krokodile und Caraibenfische nur mit Lebensgefahr schwimmen konnte. Und dieser Mann mit gefuehlvollem Herzen weiss nicht, was aus seinen Ungluecksgefaehrten geworden ist, und ihr Loos bekuemmert ihn mehr als das seine! Gerne ueberlaesst man sich solchen wehmuethigen Vorstellungen, weil einen nach einer ueberstandenen Gefahr unwillkuerlich nach starken Eindruecken fort verlangt. Jeder von uns war innerlich mit dem beschaeftigt, was sich eben vor unsern Augen zugetragen hatte. Es gibt Momente im Leben, wo einem, ohne dass man gerade verzagte, vor der Zukunft banger ist als sonst. Wir waren erst drei Tage auf dem Orinoco und vor uns lag eine dreimonatliche Fahrt auf Fluessen voll Klippen, in Fahrzeugen, noch kleiner als das, mit dem wir beinahe zu Grund gegangen waeren. Die Nacht war sehr schwuel. Wir lagen am Boden auf Haeuten, da wir keine Baeume zum Befestigen der Haengematten fanden. Die Plage der Moskitos wurde mit jedem Tag aerger. Wir bemerkten zu unserer Ueberraschung, dass die Jaguars hier unsere Feuer nicht scheuten. Sie schwammen ueber den Flussarm, der uns vom Lande trennte, und Morgens hoerten wir sie ganz in unserer Naehe bruellen. Sie waren auf die Insel, wo wir die Nacht zubrachten, heruebergekommen. Die Indianer sagten uns, waehrend der Eierernte zeigen sich die Tiger an den Ufern hier immer haeufiger als sonst, und sie seyen um diese Zeit auch am kecksten. Am 7. April. Im Weiterfahren lag uns zur Rechten die Einmuendung des grossen Rio Arauca, der wegen der ungeheuern Menge von Voegeln beruehmt ist, die auf ihm leben, zur Linken die Mission Uruana, gemeiniglich _Conception de Uruana_ genannt. Das kleine Dorf von 500 Seelen wurde um das Jahr 1748 von den Jesuiten gegruendet und daselbst Otomaken und Caveres- oder Cabres-Indianer angesiedelt. Es liegt am Fusse eines aus Granitbloecken bestehenden Berges, der, glaube ich, *Saraguaca* heisst. Durch die Verwitterung von einander getrennte Steinmassen bilden hier Hoehlen, in denen man unzweideutige Spuren einer. alten Cultur der Eingeborenen findet. Man sieht hier hieroglyphische Bilder, sogar Zuege in Reihen eingehauen. Ich bezweifle indessen, dass diesen Zuegen ein Alphabet zu Grunde liegt. Wir besuchten die Mission Uruana auf der Rueckkehr vom Rio Negro und sahen daselbst mit eigenen Augen die Erdmassen, welche die Otomaken essen und ueber die in Europa so viel gestritten worden ist. Wir massen die Breite des Orinoco zwischen der Isla de Uruana und der Isla de Manteca, und es ergaben sich, bei Hochwasser, 2694 Toisen, also beinahe vier Seemeilen. Er ist demnach hier, 194 franzoesische Meilen von der Muendung, achtmal breiter als der Nil bei Mansalout und Syout. Die Temperatur des Wassers an der Oberflaeche war bei Uruana 27 deg.,8; den Zaire- oder Congofluss in Afrika, in gleichem Abstand vom Aequator, fand Capitaen TUCKEY im Juli und August nur 23 deg.,9--25 deg.,6 warm. Wir werden in der Folge sehen, dass im Orinoco, sowohl in der Naehe der Ufer, wo er in dichtem Schatten fliesst, als mitten im Strom, im Thalweg die Temperatur des Wassers aus 29 deg.,5 [23 deg.,6 Reaumur] steigt und nicht unter 27 deg.,5 herabgeht; die Lufttemperatur war aber auch damals, vom April bis Juni, bei Tag meist 28--30 deg., bei Nacht 24--26 deg., waehrend im Thal des Congo von acht Uhr Morgens bis Mittag der Thermometer nur zwischen 20 deg.,6 und 26 deg.,7 stand. Das westliche Ufer des Orinoco bleibt flach bis ueber den Einfluss des Meta hinaus, wogegen von der Mission Uruana an die Berge immer naeher an das oestliche Ufer herantreten. Da die Stroemung staerker wird, je mehr das Flussbett sich einengt, so kamen wir jetzt mit unserem Fahrzeug bedeutend langsamer vorwaerts. Wir fuhren immer noch mit dem Segel stromaufwaerts, aber das hohe, mit Wald bewachsene Land entzog uns den Wind, und dann brachen wieder aus den engen Schluchten, an denen wir vorbeifuhren, heftige, aber schnell voruebergehende Winde. Unterhalb des Einflusses des Rio Arauca zeigten sich mehr Krokodile als bisher, besonders dem grossen See Capanaparo gegenueber, der mit dem Orinoco in Verbindung steht, wie die Lagune Cabularito zugleich in letzteren Fluss und in den Rio Arauca ausmuendet. Die Indianer sagten uns, diese Krokodile kommen aus dem innern Lande, wo sie im trockenen Schlamm der Savanen begraben gelegen. Sobald sie bei den ersten Regenguessen aus ihrer Erstarrung erwachen, sammeln sie sich in Rudel und ziehen dem Strome zu, auf dem sie sich wieder zerstreuen. Hier, im tropischen Erdstrich, wachen sie auf, wenn es wieder feuchter wird; dagegen in Georgien und in Florida, im gemaessigten Erdstrich, reisst die wieder zunehmende Waerme die Thiere aus der Erstattung oder dem Zustand von Nerven- und Muskelschwaeche, in dem der Athmungsprocess unterbrochen oder doch sehr stark beschraenkt wird. Die Zeit der grossen Trockenheit, uneigentlich der _'Sommer der heissen Zone'_ genannt, entspricht dem Winter der gemaessigten Zone, und es ist physiologisch sehr merkwuerdig, dass in Nordamerika die Alligators zur selben Zeit der Kaelte wegen im *Winterschlaf* liegen, wo die Krokodile in den Llanos ihre *Sommersiesta* halten. Erschiene es als wahrscheinlich, dass diese derselben Familie angehoerenden Thiere einmal in einem noerdlicheren Lande zusammen gelebt haetten, so koennte man glauben, sie fuehlen, auch naeher an den Aequator versetzt, noch immer, nachdem sie sieben bis acht Monate ihre Muskeln gebraucht, das Beduerfniss auszuruhen und bleiben auch unter einem neuen Himmelsstrich ihrem Lebensgang treu, der aufs innigste mit ihrem Koerperbau zusammenzuhaengen scheint. Nachdem wir an der Muendung der Kanaele, die zum See Capanaparo fuehren, vorbeigefahren, betraten wir ein Stromstueck, wo das Bett durch die Berge des *Baraguan* eingeengt ist. Es ist eine Art Engpass, der bis zum Einfluss des Rio Suapure reicht. Nach den Granitbergen hier hatten die Indianer frueher die Strecke des Orinoco zwischen dem Einfluss des Arauca und dem des Atabapo den Fluss *Baraguan* genannt, wie denn bei wilden Voelkern grosse Stroeme in verschiedenen Strecken ihres Laufs verschiedene Namen haben. Der Pass von Baraguan ist ein recht malerischer Ort. Die Granitfelsen fallen senkrecht ab, und da die Bergkette, die sie bilden, von Nordwest nach Suedost streicht, und der Strom diesen Gebirgsdamm fast unter einem rechten Winkel durchbricht, so stellen sich die Hoehen als freistehende Gipfel dar. Die meisten sind nicht ueber 170 Toisen hoch, aber durch ihre Lage inmitten einer kleinen Ebene, durch ihre steilen, kahlen Abhaenge erhalten sie etwas Grossartiges. Auch hier sind wieder ungeheure, an den Raendern abgerundete Granitmassen, in Form von Parallelipipeden, ueber einander gethuermt. Die Bloecke sind haeufig 80 Fuss lang und 20--30 breit. Man muesste glauben, sie seyen durch eine aeussere Gewalt uebereinander gehaeuft, wenn nicht ein ganz gleichartiges, nicht in Bloecke getheiltes, aber von Gaengen durchzogenes Gestein anstaende und deutlich verriethe, dass das Zerfallen in Parallelipipede von atmosphaerischen Einfluessen herruehrt. Jene zwei bis drei Zoll maechtigen Gaenge bestehen aus einem quarzreichen, feinkoernigen Granit im grobkoernigen, fast porphyrartigen, an schoenen rothen Feldspathkrystallen reichen Granit. Umsonst habe ich mich in der Cordillere des Baraguan nach der Hornblende und den Specksteinmassen umgesehen, die fuer mehrere Granite der Schweizer Alpen charakteristisch sind. Mitten in der Stromenge beim Baraguan gingen wir ans Land, um dieselbe zu messen. Die Felsen stehen so dicht am Fluss, dass ich nur mit Muehe eine Standlinie von 80 Toisen abmessen konnte. Ich fand den Strom 889 Toisen breit. Um begreiflich zu finden, wie man diese Strecke eine *Stromenge* nennen kann, muss man bedenken, dass der Strom von Uruana bis zum Einfluss des Meta meist 1500--2500 Toisen breit ist. Am selben, ausserordentlich heissen und trockenen Punkt mass ich auch zwei ganz runde Granitgipfel, und fand sie nur 110 und 85 Toisen hoch. Im Innern der Bergkette sind wohl hoehere Gipfel, im Ganzen aber sind diese so wild aussehenden Berge lange nicht so hoch, als die Missionaere angeben. In den Ritzen des Gesteins, das steil wie Mauern dasteht und Spuren von Schichtung zeigt, suchten wir vergeblich nach Pflanzen. Wir fanden nichts als einen alten Stamm der _Aubletia Tiburba_ mit grosser birnfoermiger Frucht, und eine neue Art aus der Familie der Apocyneen (_Allamanda salicifolia_). Das ganze Gestein war mit zahllosen Leguans und Geckos mit breiten, haeutigen Zehen bedeckt. Regungslos, mit aufgerichtetem Kopf und offenem Maul sassen die Eidechsen da und schienen sich von der heissen Luft durchstroemen zu lassen. Der Thermometer, an die Felswand gehalten, stieg auf 50 deg.,2 [40 deg.,1 R] Der Boden schien in Folge der Luftspiegelung auf und ab zu schwanken, waehrend sich kein Lueftchen ruehrte. Die Sonne war nahe am Zenith und ihr glaenzendes, vom Spiegel des Stromes zurueckgeworfenes Licht stach scharf ab vom roethlichen Dunst, der alle Gegenstaende in der Naehe umgab. Wie tief ist doch der Eindruck, den in diesen heissen Landstrichen um die Mittagszeit die Stille der Natur auf uns macht! Die Waldthiere verbergen sich im Dickicht, die Voegel schluepfen unter das Laub der Baeume oder in Felsspalten. Horcht man aber in dieser scheinbaren tiefen Stille auf die leisesten Laute, die die Luft an unser Ohr traegt, so vernimmt man ein dumpfes Schwirren, ein bestaendiges Brausen und Summen der Insekten, von denen alle untern Luftschichten wimmeln. Nichts kann dem Menschen lebendiger vor die Seele fuehren, wie weit und wie gewaltig das Reich des organischen Lebens ist. Myriaden Insekten kriechen aus dem Boden oder umgaukeln die von der Sonnenhitze verbrannten Gewaechse. Ein wirres Getoene dringt aus jedem Busch, aus faulen Baumstaemmen, aus den Felsspalten, aus dem Boden, in dem Eidechsen, Tausendfuesse, Caecilien ihre Gaenge graben. Es sind ebenso viele Stimmen, die uns zurufen, dass Alles in der Natur athmet, dass in tausendfaeltiger Gestalt das Leben im staubigten, zerkluefteten Boden waltet, so gut wie im Schoosse der Wasser und in der Luft, die uns umgibt. Die Empfindungen, die ich hier andeute, sind keinem fremd, der zwar nicht bis zum Aequator gekommen, aber doch in Italien, in Spanien oder in Egypten gewesen ist. Dieser Contrast zwischen Regsamkeit und Stille, dieses ruhige und doch wieder so bewegte Antlitz der Natur wirken lebhaft auf die Einbildungskraft des Reisenden, sobald er das Becken des Mittelmeers, die Zone der Olive, des Chamaerops und der Dattelpalme betritt. Wir uebernachteten am oestlichen Ufer des Orinoco am Fusse eines Granithuegels. An diesem oeden Fleck lag frueher die Mission San Regis. Gar gerne haetten wir im Baraguan eine Quelle gefunden. Das Flusswasser hatte einen Bisamgeruch und einen suesslichten, aeusserst unangenehmen Geschmack. Beim Orinoco wie beim Apure ist es sehr auffallend, wie abweichend sich in dieser Beziehung, am duerrsten Ufer, verschiedene Stellen im Strome verhalten. Bald ist das Wasser ganz trinkbar, bald scheint es mit gallertigen Stoffen beladen. "Das macht die Rinde (die lederartige Hautdecke) der faulenden Caymans," sagen die Indianer. "Je aelter der Cayman, desto bitterer ist seine Rinde." Ich bezweifle nicht, dass die Aase dieser grossen Reptilien, die der Seekuehe, die 500 Pfund wiegen, und der Umstand, dass die im Fluss lebenden Delphine eine schleimigte Haut haben, das Wasser verderben moegen, zumal in Buchten, wo die Stroemung schwach ist. Indessen waren die Punkte, wo man das uebelriechendste Wasser antraf, nicht immer solche, wo wir viele todte Thiere am Ufer liegen sahen. Wenn man in diesem heissen Klima, wo man fortwaehrend vom Durst geplagt ist, Flusswasser mit einer Temperatur von 27--28 Grad trinken muss, so wuenscht man natuerlich, dass ein so warmes, mit Sand verunreinigtes Wasser wenigstens geruchlos seyn moechte. Am 8. April. Im Weiterfahren lagen gegen Ost die Einmuendungen des Suapure oder Sivapuri und des Caripo, gegen West die des Sinaruco. Letzterer Fluss ist nach dem Rio Arauca der bedeutendste zwischen Apure und Meta. Der Suapure, der eine Menge kleiner Faelle bildet, ist bei den Indianern wegen des vielen wilden Honigs beruehmt, den die Waldungen liefern. Die Meliponen haengen dort ihre ungeheuren Stoecke an die Baumaeste. Pater GILI hat im Jahr 1766 den Suapure und den Turiva, der sich in jenen ergiesst, befahren. Er fand dort Staemme der Nation der Areverier. Wir uebernachteten ein wenig unterhalb der Insel Macupina. Am 9. April. Wir langten frueh Morgens am *Strande von Pararuma* an und fanden daselbst ein Lager von Indianern, aehnlich dem, das wir an der _boca de la Tortuga_ gesehen. Man war beisammen, um den Sand aufzugraben, die Schildkroeteneier zu sammeln und das Oel zu gewinnen, aber man war leider ein paar Tage zu spaet daran. Die jungen Schildkroeten waren ausgekrochen, ehe die Indianer ihr Lager aufgeschlagen hatten. Auch hatten sich die Krokodile und die *Garzes*, eine grosse weisse Reiherart, das Saeumniss zu Nutze gemacht. Diese Thiere lieben das Fleisch der jungen Schildkroeten sehr und verzehren unzaehlige. Sie gehen auf diesen Fang bei Nacht aus, da die Tortuguillos erst nach der Abenddaemmerung aus dem Boden kriechen und dem nahen Flusse zulaufen. Die Zamurosgeier sind zu traege [S. Band I. Seite 402.], um nach Sonnenuntergang zu jagen. Bei Tag streifen sie an den Ufern umher und kommen mitten ins Lager der Indianer herein, um Esswaaren zu entwenden, und meist bleibt ihnen, um ihren Heisshunger zu stillen, nichts uebrig, als auf dem Lande oder in seichtem Wasser junge, 7--8 Zoll lange Krokodile anzugreifen. Es ist merkwuerdig anzusehen, wie schlau sich die kleinen Thiere eine Zeitlang gegen die Geier wehren. Sobald sie einen ansichtig werden, richten sie sich auf den Vorderfuessen auf, kruemmen den Ruecken, strecken den Kopf aufwaerts und reissen den Rachen weit auf. Fortwaehrend, wenn auch langsam, kehren sie sich dem Feinde zu und weisen ihm die Zaehne, die bei den eben ausgeschluepften Thieren sehr lang und spitz sind. Oft, waehrend so ein Zamuro ganz die Aufmerksamkeit des jungen Krokodils in Anspruch nimmt, benuetzt ein anderer die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriff. Er stoesst auf das Thier nieder, packt es am Halse und steigt damit hoch in die Luft. Wir konnten diesem Kampfspiel halbe Vormittage lang zusehen; in der Stadt Mompor am Magdalenenstrom hatten wir mehr als 40 seit vierzehn Tagen bis drei Wochen ausgeschluepfte Krokodile in einem grossen, mit einer Mauer umgebenen Hofe beisammen. Wir trafen in Pararuma unter den Indianern einige Weisse, die von Angostura herauf gekommen waren, um _manteca de tortuga_ zu kaufen. Sie langweilten uns mit ihren Klagen ueber die "schlechte Ernte" und den Schaden, den die Tiger waehrend des Eierlegens angerichtet, und fuehrten uns endlich unter eine Ajoupa mitten im Indianerlager. Hier sassen die Missionaere von Carichana und von den Katarakten, Karten spielend und aus langen Pfeifen rauchend am Boden. Mit ihren weiten blauen Kutten, geschorenen Koepfen und langen Baerten haetten wir sie fuer Orientalen gehalten! Die armen Ordensleute nahmen uns sehr freundlich auf und ertheilten uns alle Auskunft, deren wir zur Weiterfahrt bedurften. Sie litten seit mehreren Monaten am dreitaegigen Wechselfieber, und ihr blasses, abgezehrtes Aussehen ueberzeugte uns unschwer, dass in den Laendern, die wir zu betreten im Begriff standen, die Gesundheit des Reisenden allerdings gefaehrdet sey. Dem indianischen Steuermann, der uns von San Fernando am Apure bis zum Strande von Pararuma gebracht hatte, war die Fahrt durch die *Stromschnellen*(15) des Orinoco neu, und er wollte uns nicht weiter fuehren. Wir mussten uns seinem Willen fuegen. Gluecklicherweise fand sich der Missionaer von Carichana willig, uns zu sehr billigem Preise eine huebsche Pirogue abzutreten; ja der Missionaer von Atures und Maypures bei den grossen Katarakten, Pater Bernardo Zea, erbot sich, obgleich er krank war, uns bis zur Grenze von Brasilien zu begleiten. Der Indianer, welche die Canoes ueber die *Raudales* hinauf schaffen helfen, sind so wenige, dass wir, haetten wir keinen Moench bei uns gehabt, Gefahr gelaufen waeren, wochenlang an diesem feuchten, ungesunden Orte liegen bleiben zu muessen. An den Ufern des Orinoco gelten die Waelder am Rio Negro fuer ein koestliches Land. Wirklich ist auch die Luft dort frischer und gesunder, und es gibt im Fluss fast keine Krokodile; man kann unbesorgt baden und ist bei Tag und Nacht weniger als am Orinoco vom Insektenstich geplagt. Pater Zea hoffte, wenn er die Missionen am Rio Negro besuchte, seine Gesundheit wiederherzustellen. Er sprach von der dortigen Gegend mit der Begeisterung, mit der man in den Colonien auf dem Festland Alles ansieht, was in weiter Ferne liegt. Die Versammlung der Indianer bei Pararuma bot uns wieder ein Schauspiel, wie es den Culturmenschen immer dazu anregt, den wilden Menschen und die allmaehliche Entwicklung unserer Geisteskraefte zu beobachten. Man straeubt sich gegen die Vorstellung, dass wir in diesem gesellschaftlichen Kindheitszustand, in diesem Haufen truebseliger, schweigsamer, theilnahmloser Indianer das urspruengliche Wesen unseres Geschlechts vor uns haben sollen. Die Menschennatur tritt uns hier nicht im Gewande liebenswuerdiger Einfalt entgegen, wie sie die Poesie in allen Sprachen so hinreissend schildert. Der Wilde am Orinoco schien uns so widrig abstossend als der Wilde am Mississippi, wie ihn der reisende Philosoph [VOLNEY], der groesste Meister in der Schilderung des Menschen in verschiedenen Klimaten, gezeichnet hat. Gar gerne redet man sich ein, diese Eingeborenen, wie sie da, den Leib mit Erde und Fett beschmiert, um ihr Feuer hocken oder auf grossen Schildkroetenpanzern sitzen und stundenlang mit dummen Gesichtern auf das Getraenk glotzen, das sie bereiten, seyen keineswegs der urspruengliche Typus unserer Gattung, vielmehr ein entartetes Geschlecht, die schwachen Ueberreste von Voelkern, die versprengt lange in Waeldern gelebt und am Ende in Barbarei zurueckgesunken. Die rothe Bemalung ist gleichsam die einzige Bekleidung der Indianer, und es lassen sich zwei Arten derselben unterscheiden, nach der groesseren oder geringeren Wohlhabenheit der Individuen. Die gemeine Schminke der Caraiben, Otomaken und Jaruros ist der _'Onoto'_, von den Spaniern _'Achote'_, von den Colonisten in Cayenne _'Rocou'_ genannt. Es ist der Farbstoff, den man aus dem Fruchtfleisch der _Bixa orellana_ auszieht. Wenn sie Onoto bereiten, werfen die indianischen Weiber die Samen der Pflanze in eine Kufe mit Wasser, peitschen das Wasser eine Stunde lang und lassen dann den Farbstoff, der lebhaft ziegelroth ist, sich ruhig absetzen. Das Wasser wird abgegossen; der Bodensatz herausgenommen, mit den Haenden ausgedrueckt, mit Schildkroeteneieroel geknetet und runde 3--4 Unzen schwere Kuchen daraus geformt. In Ermanglung von Schildkroetenoel vermengen einige Nationen den Onoto mit Krokodilfett. Ein anderer, weit kostbarerer Farbstoff wird aus einer Pflanze aus der Familie der Bignonien gewonnen, die Bonpland unter dem Namen _Bignonia Chica_ bekannt gemacht hat. Die Tamanaken nennen dieselbe _'Craviri'_, die Maypures _'Chirraviri'_. Sie klettert auf die hoechsten Baeume und heftet sich mit Ranken an. Die zweilippigen Bluethen sind einen Zoll lang, schoen violett, und stehen zu zweien oder dreien beisammen. Die doppelt gefiederten Blaetter vertrocknen leicht und werden roethlich. Die Frucht ist eine zwei Fuss lange Schote mit gefluegelten Samen. Diese Bignonie waechst bei Maypures in Menge wild, ebenso noch weiter am Orinoco hinauf jenseits des Einflusses des Guaviare, von Santa Barbara bis zum hohen Berge Duida, besonders bei Esmeralda. Auch an den Ufern des Cassiquiare haben wir sie gefunden. Der rothe Farbstoff des Chica wird nicht, wie der Onoto, aus der Frucht gewonnen, sondern aus den im Wasser geweichten Blaettern. Er sondert sich in Gestalt eines sehr leichten Pulvers ab. Man formt ihn, ohne ihn mit Schildkroetenoel zu vermischen, zu kleinen 8--9 Zoll langen, 2--3 Zoll hohen, an den Raendern abgerundeten Broden. Erwaermt verbreiten diese Brode einen angenehmen Geruch, wie Benzoe. Bei der Destillation zeigt der Chica keine merkbare Spur von Ammoniak; es ist kein stickstoffhaltiger Koerper wie der Indigo. In Schwefel- und Salzsaeure, selbst in den Alkalien loest er sich etwas auf. Mit Oel abgerieben, gibt der Chica eine rothe, dem Lack aehnliche Farbe. Traenkt man Wolle damit, so koennte man sie mit Krapproth verwechseln. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass der Chica, der vor unserer Reise in Europa unbekannt war, sich technisch nuetzlich verwenden liesse: Am Orinoco wird diese Farbe am besten von den Voelkerschaften der Salivas, Guipunaves, Caveres und Piravas bereitet. Die meisten Voelker am Orinoco koennen mit dem Infundiren und Maceriren gut umgehen. So treiben die Maypures ihren Tauschhandel mit kleinen Broden von *Pucuma*, einem Pflanzenmehl, das wie der Indigo getrocknet wird und eine sehr dauerhafte gelbe Farbe liefert. Die Chemie des Wilden beschraenkt sich auf die Bereitung von Farbstoffen und von Giften und auf das Aussuessen der staerkmehlhaltigen Wurzeln der Arumarten und der Euphorbien. Die meisten Missionaere am obern und untern Orinoco gestatten den Indianern in ihren Missionen, sich die Haut zu bemalen. Leider gibt es manche, die auf die Nacktheit der Eingeborenen speculiren. Da die Moenche nicht Leinwand und Kleider an sie verkaufen koennen, so handeln sie mit rother Farbe, die bei den Eingeborenen so sehr gesucht ist. Oft sah ich in ihren Huetten, die vornehm _Conventos_ heissen, Niederlagen von Chica. Der Kuchen, die _turtu_, wird bis zu vier Franken verkauft. Um einen Begriff zu geben, welchen Luxus die nackten Indianer mit ihrem Putze treiben, bemerke ich hier, dass ein hochgewachsener Mann durch zwei woechentliche Arbeit kaum genug verdient, um sich durch Tausch so viel Chica zu verschaffen, dass er sich roth bemalen kann. Wie man daher in gemaessigten Laendern von einem armen Menschen sagt, er habe nicht die Mittel, sich zu kleiden, so hoert man die Indianer am Orinoco sagen: "Der Mensch ist so elend, dass er sich den Leib nicht einmal halb malen kann." Der kleine Handel mit Chica wird besonders mit den Staemmen am untern Orinoco getrieben, in deren Land die Pflanze, die den kostbaren Stoff liefert, nicht waechst. Die Caraiben und Otomaken faerben sich bloss Gesicht und Haare mit Chica, aber den Salives steht die Farbe in solcher Menge zu Gebot, dass sie den ganzen Koerper damit ueberziehen koennen. Wenn die Missionaere nach Angostura auf ihre Rechnung kleine Sendungen von Cacao, Tabak und *Chiquichiqui*(16) vom Rio Negro machen, so packen sie immer auch Chicakuchen, als einen sehr gesuchten Artikel, bei. Manche Leute europaeischer Abkunft brauchen den Farbstoff, mit Wasser angeruehrt, als ein vorzuegliches harntreibendes Mittel. Der Brauch, den Koerpers zu bemalen, ist nicht bei allen Voelkern am Orinoco gleich alt. Erst seit den haeufigen Einfaellen der maechtigen Nation der Caraiben in diese Laender ist derselbe allgemeiner geworden. Sieger und Besiegte waren gleich nackt, und um dem Sieger gefaellig zu seyn, musste man sich bemalen wie er und seine Farbe tragen. Jetzt ist es mit der Macht der Caraiben vorbei, sie sind auf das Gebiet zwischen den Fluessen Carony, Cuyuni und Paraguamuzi beschraenkt, aber die caraibische Mode, den ganzen Koerper zu faerben, hat sich erhalten; der Brauch ist dauernder als die Eroberung. Ist nun der Gebrauch des Onoto und des Chica ein Kind der bei wilden Voelkern so haeufigen Gefallsucht und ihrer Liebe zum Putz, oder gruendet er sich vielleicht auf die Beobachtung, dass ein Ueberzug von faerbenden und oeligten Stoffen die Haut gegen den Stich der Moskitos schuetzt? In den Missionen am Orinoco und ueberall, wo die Luft von giftigen Insekten wimmelt, habe ich diese Frage sehr oft eroertern hoeren. Die Erfahrung zeigt, dass der Caraibe und der Saliva, die roth bemalt sind, von Moskitos und Zancudos so arg geplagt werden als die Indianer, die keine Farbe aufgetragen haben. Bei beiden hat der Stich des Insects keine Geschwulst zur Folge; fast nie bilden sich die Blasen oder kleinen Beulen, die frisch angekommenen Europaeern ein so unertraegliches Jucken verursachen. So lange aber das Insekt den Saugruessel nicht aus der Hautgezogen hat, schmerzt der Stich den Eingeborenen und den Weissen gleich sehr. Nach tausend andern nutzlosen Versuchen haben Bonpland und ich uns selbst Haende und Arme mit Krokodilfett und Schildkroeteneieroel eingerieben und davon nie die geringste Erleichterung gespuert; wir wurden gestochen nach wie vor. Ich weiss wohl, dass Oel und Fett von den Lappen als die wirksamsten Schutzmittel geruehmt werden; aber die scandinavischen Insekten und die am Orinoco sind nicht von derselben Art. Der Tabaksrauch verscheucht unsere Schnacken, gegen die Zancudos hilft er nichts. Wenn die Anwendung vom fetten und adstringirenden Stoffen(17) die ungluecklichen Landeseinwohner vor der Insektenplage schuetzte, wie Pater GUMILLA behauptet, warum waere der Brauch sich zu bemalen hier zu Lande nicht ganz allgemein geworden? wie koennten so viele nackte Voelker, die sich bloss das Gesicht bemalen, dicht neben solchen wohnen, die den ganzen Koerper faerben? Es erscheint auffallend, dass die Indianer am Orinoco, wie die Eingeborenen in Nordamerika, rothe Farbstoffe allen andern vorziehen. Ruehrt diese Vorliebe davon her, dass der Wilde sich leicht ockerartige Erden oder das Farbmehl des Rocou und des Chica verschafft? Das moechte ich sehr be- zweifeln. In einem grossen Theil des tropischen Amerika waechst der Indigo wild, und diese Pflanze, wie so viele andere Schotengewaechse, haetten den Eingeborenen reichlich Mittel geboten, sich blau zu faerben wie die alten Britannier, und doch sehen wir in Amerika keine mit Indigo bemalten Staemme. Wenn die Amerikaner der rothen Farbe den Vorzug geben, so beruht diess, wie schon oben bemerkt, wahrscheinlich auf dem Triebe der Voelker, Alles, was sie nationell auszeichnet, schoen zu finden. Menschen, deren Haut von Natur rothbraun ist, lieben die rothe Farbe. Kommen sie mit niedriger Stirn, mit abgeplattetem Kopfe zur Welt, so suchen sie bei ihren Kindern die Stirne niederzudruecken. Unterscheiden sie sich von andern Voelkern durch sehr duennen Bart, so suchen sie die wenigen Haare, welche die Natur ihnen wachsen lassen, auszuraufen. Sie halten sich fuer desto schoener, je staerker sie die charakteristischen Zuege ihres Stammes oder ihrer Nationalbildung hervortreten lassen. Im Lager auf Pararuma machten wir die auffallende Bemerkung, dass sehr alte Weiber mit ihrem Putz sich mehr zu schaffen machten als die juengsten. Wir sahen eine Indianerin vom Stamme der Otomaken, die sich die Haare mit Schildkroetenoel einreiben und den Ruecken mit Onoto und *Caruto* bemalen liess; zwei ihrer Toechter mussten dieses Geschaeft verrichten. Die Malerei bestand in einer Art Gitter von schwarzen sich kreuzenden Linien auf rothem Grund; in jedes kleine Viereck wurde mitten ein schwarzer Punkt gemacht, eine Arbeit, zu der unglaubliche Geduld gehoerte. Wir hatten sehr lange botanisirt, und als wir zurueckkamen, war die Malerei noch nicht halb fertig. Man wundert sich ueber einen so umstaendlichen Putz um so mehr, wenn man bedenkt, dass die Linien und Figuren nicht taetowirt werden, und dass das so muehsam Aufgemalte sich verwischt,(18) wenn sich der Indianer unvorsichtigerweise einem starken Regen aussetzt. Manche Nationen bemalen sich nur, wenn sie Feste begehen, andere sind das ganze Jahr mit Farbe angestrichen, und bei diesen ist der Gebrauch des Onoto so unumgaenglich, dass Maenner und Weiber sich wohl weniger schaemten, wenn sie sich ohne *Guayuco*, als wenn sie sich unbemalt blicken liessen. Die *Guayucos* bestehen am Orinoco theils aus Baumrinde, theils aus Baumwollenzeug. Die Maenner tragen sie breiter als die Weiber, die ueberhaupt (wie die Missionaere behaupten) weniger Schamgefuehl haben. Schon Christoph Columbus hat eine aehnliche Bemerkung gemacht. Sollte diese Gleichgueltigkeit der Weiber, dieser ihr Mangel an Scham unter Voelkern, deren Sitten doch nicht sehr verdorben sind, nicht daher ruehren, dass das andere Geschlecht in Suedamerika durch Missbrauch der Gewalt von Seiten der Maenner so tief herabgewuerdigt und zu Sklavendiensten verurtheilt ist? Ist in Europa von einem Eingeborenen von Guyana die Rede, so stellt man sich einen Menschen vor, der an Kopf und Guertel mit schoenen Arras-, Tucan-, Tangaras- und Colibrifedern geschmueckt ist. Von jeher gilt bei unsern Malern und Bildhauern solcher Putz fuer das charakteristische Merkmal eines Amerikaners. Zu unserer Ueberraschung sahen wir in den Missionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und Pararuma, ja beinahe am ganzen Orinoco und Cassiquiare nirgends jene schoenen Federbuesche, jene Federschuerzen, wie sie die Reisenden so oft aus Cayenne und Demerary heimbringen. Die meisten Voelkerschaften in Guyana, selbst die, deren Geisteskraefte ziemlich entwickelt sind, die Ackerbau treiben und Baumwollenzeug weben, sind so nackt, so arm, so schmucklos wie die Neuhollaender. Bei der ungeheuren Hitze, beim starken Schweiss, der den Koerper den ganzen Tag ueber und zum Theil auch bei Nacht bedeckt, ist jede Bekleidung unertraeglich. Die Putzsachen, namentlich die Federbuesche werden nur bei Tanz und Festlichkeit gebraucht. Die Federbuesche der Guaypunaves sind wegen der Auswahl der schoenen Manakin- und Papagayenfedern die beruehmtesten. Die Indianer bleiben nicht immer bei einem einfachen Farbenueberzug stehen; zuweilen ahmen sie mit ihrer Hautmalerei in der wunderlichsten Weise den Schnitt europaeischer Kleidungsstuecke nach. Wir sahen in Pararuma welche, die sich blaue Jacken mit schwarzen Knoepfen malen liessen. Die Missionaere erzaehlten uns sogar, die Guaynaves am Rio Caura faerben sich mit Onoto und machen sich dem Koerper entlang breite Querstreifen, auf die sie silberfarbige Glimmerblaettchen kleben. Von weitem sieht es aus, als truegen die nackten Menschen mit Tressen besetzte Kleider. Waeren die *bemalten* Voelker so scharf beobachtet worden, wie die *bekleideten*, so waere man zum Schlusse gelangt, dass beim Bemalen, so gut wie bei der Bekleidung, der Brauch von grosser Fruchtbarkeit der Einbildungskraft und starkem Wechsel der Laune erzeugt wird. Das Bemalen und Taetowiren ist in beiden Welten weder auf Einen Menschenstamm, noch auf Einen Erdstrich beschraenkt. Am haeufigsten kommen diese Arten von Putz bei Voelkern malayischer und amerikanischer Race vor; aber zur Zeit der Roemer bestand die Sitte auch bei der weissen Race im Norden von Europa. Wenn Kleidung und Tracht im griechischen Archipel und in Westasien am malerischsten sind, so sind Bemalung und Taetowirung bei den Insulanern der Suedsee am hoechsten ausgebildet. Manche bekleideten Voelker bemalen sich dabei doch Haende, Naegel und Gesicht. Die Bemalung erscheint hier auf die Koerpertheile beschraenkt, die allein blos getragen werden, und waehrend die Schminke, die an den wilden Zustand der Menschheit erinnert, in Europa nach und nach verschwindet, meinen die Damen in manchen Staedten der Provinz Peru ihre doch so feine und sehr weisse Haut durch Auftragen von vegetabilischen Farbstoffen, von Staerke, Eiweiss und Mehl schoener zu machen. Wenn man lange unter Menschen gelebt hat, die mit Onoto und Chica bemalt sind, fallen einem diese Ueberreste alter Barbarei inmitten aller Gebraeuche der gebildeten Welt nicht wenig auf. Im Lager von Pararuma hatten wir Gelegenheit, manche Thiere, die wir bis dahin nur von den europaeischen Sammlungen her kannten, zum erstenmal lebend zu sehen. Die Missionaere treiben mit dergleichen kleinen Thieren Handel. Gegen Tabak, Maniharz, Chicafarbe, _'Gallitos'_ (Felshuehner), *Titi-*, *Kapuziner-* und andere an den Kuesten sehr gesuchte Affen tauschen sie Zeuge, Naegel, Aexte, Angeln und Stecknadeln ein. Die Producte vom Orinoco werden den Indianern, die unter der Herrschaft der Moenche leben, zu niedrigem Preise abgekauft, und dieselben Indianer kaufen dann von den Moenchen, aber zu sehr hohen Preisen, mit dem Geld, das sie bei der Eierernte erloesen, ihr Fischergeraethe und ihre Ackerwerkzeuge. Wir kauften mehrere Thiere, die uns auf der uebrigen Stromfahrt begleiteten und deren Lebensweise wir somit beobachten konnten. Ich habe diese Beobachtungen in einem andern Werke bekannt gemacht; da ich aber einmal von denselben Gegenstaenden zweimal handeln muss, beschraenke ich mich hier auf ganz kurze Angaben und fuege Notizen bei, wie sie mir seitdem hier und da in meinen Reisetagebuechern aufstiessen. Die *Gallitos* oder *Felshuehner*, die man in Pararuma in niedlichen kleinen Bauern aus Palmblattstielen verkauft, sind an den Ufern des Orinoco und im ganzen Norden und Westen des tropischen Amerika weit seltener als in franzoesisch Guyana. Man fand sie bisher nur bei der Mission Encaramada und in den *Raudales* oder Faellen von Maypures. Ich sage ausdruecklich in den Faellen; denn diese Voegel nisten gewoehnlich in den Hoehlungen der kleinen Granitfelsen, die sich durch den Orinoco ziehen und so zahlreiche Wasserfaelle bilden. Wir sahen sie manchmal mitten im Wasserschaum zum Vorschein kommen, ihrer Henne rufen und mit einander kaempfen, wobei sie wie unsere Haehne den doppelten beweglichen Kamm, der ihren Kopfschmuck bildet, zusammenfalten. Da die Indianer selten erwachsene Gallitos fangen und in Europa nur die Maennchen geschaetzt sind, die vom dritten Jahre an praechtig goldgelb werden, so muss der Kaeufer auf der Hut seyn, um nicht statt junger Hahnen junge Hennen zu bekommen. Beide sind olivenbraun; aber der _Pollo_ oder junge Hahn zeichnet sich schon ganz jung durch seine Groesse und seine gelben Fuesse aus. Die Henne bleibt ihr Lebenlang dunkelfarbig, braun, und nur die Spitzen und der Untertheil der Fluegel sind bei ihr gelb. Soll der erwachsene Felshahn in unsern Sammlungen die schoene Farbe seines Gefieders erhalten, so darf man dasselbe nicht dem Licht aussetzen. Die Farbe bleicht weit schneller als bei andern Gattungen sperlingsartiger Voegel. Die jungen Hahnen haben, wie die meisten Thiere, das Gefieder der Mutter. Es wundert mich, wie ein so ausgezeichneter Beobachter wie LE VAILLANT in Zweifel ziehen kann, ob die Henne wirklich immer dunkelfarbig, olivenbraun bleibt. Die Indianer bei den Raudales versicherten mich alle, niemals ein goldfarbiges Weibchen gesehen zu haben. Unter den Affen, welche die Indianer in Paramara zu Markte gebracht, sahen wir mehrere Spielarten des *Sai* [_Simia capucina_], der der kleinen Gruppe der Winselaffen angehoert, die in den spanischen Colonien *Matchi* heissen, ferner *Marimondas* [_Simia Belzebuth_] oder Atelen mit rothem Bauch, *Titis* und *Viuditas*. Die beiden letzteren Arten interessirten uns besonders, und wir kauften sie, um sie nach Europa zu schicken.(19) BUFFONs *Ouistiti* [_Simia Jacchus_] ist AZZARAs Titi, der *Titi* [_Simia Oedipus_] von Carthagena und Darien ist BUFFONs Pinche, und der *Titi* [_Simia sciurea_] vom Orinoco ist der Saimiri der franzoesischen Zoologen, und diese Thiere duerfen nicht verwechselt werden. In den verschiedenen spanischen Colonien heissen *Titi* Affen, die drei verschiedenen Untergattungen angehoeren und in der Zahl der Backzaehne von einander abweichen. Nach dem eben Angefuehrten ist die Bemerkung fast ueberfluessig, wie wuenschenswerth es waere, dass man in wissenschaftlichen Werken sich der landesueblichen Namen enthielte, die durch unsere Orthographie entstellt werden, die in jeder Provinz wieder anders lauten, und so die klaegliche Verwirrung in der zoologischen Nomenclatur vermehren. Der *Titi vom Orinoco* (_Simia sciurea_), bis jetzt schlecht abgebildet, indessen in unsern Sammlungen sehr bekannt, heisst bei den Maypures-Indianern _Bititeni_. Er kommt suedlich von den Katarakten sehr haeufig vor. Er hat ein weisses Gesicht und ueber Mund und Nasenspitze weg einen kleinen blauschwarzen Fleck. Die am zierlichsten gebauten und am schoensten gefaerbten (der Pelz ist goldgelb) kommen von den Ufern des Cassiquiare. Die man am Guaviare faengt, sind gross und schwer zu zaehmen. Kein anderer Affe sieht im Gesicht einem Kinde so aehnlich wie der Titi; es ist derselbe Ausdruck von Unschuld, dasselbe schalkhafte Laecheln: derselbe rasche Uebergang von Freude zu Trauer. Seine grossen Augen fuellen sich mit Thraenen, sobald er ueber etwas aengstlich wird. Er ist sehr luestern nach Insekten, besonders nach Spinnen. Das kleine Thier ist so klug, dass ein Titi, den wir aus unserem Canoe nach Angostura brachten, die Tafeln zu CUVIERs _Tableau elementaire d'histoire naturelle_ ganz gut unterschied. Diese Kupfer sind nicht colorirt, und doch streckte der Titi rasch die kleine Hand aus, in der Hoffnung, eine Heuschrecke oder eine Wespe zu erhaschen, so oft wir ihm die eilfte Tafel vorhielten, auf der diese Insekten abgebildet sind. Zeigte man ihm Skelette oder Koepfe von Saeugethieren, blieb er voellig gleichgueltig.(20) Setzt man mehrere dieser kleinen Affen, die im selben Kaefigt beisammen sind, dem Regen aus, und faellt die gewoehnliche Lufttemperatur rasch um 2--3 Grad, so schlingen sie sich den Schwanz, der uebrigens kein Wickelschwanz ist, um den Hals und verschraenken Arme und Beine, um sich gegenseitig zu erwaermen. Die indianischen Jaeger erzaehlten uns, man finde in den Waeldern haeufig Haufen von zehn, zwoelf solcher Affen, die erbaermlich schreien, weil die auswaerts Stehenden in den Knaeuel hinein moechten, um Waerme und Schutz zu finden. Schiesst man mit Pfeilen, die in _Curare destemplado_ (in verduenntes Gift) getaucht sind, auf einen solchen Knaeuel, so faengt man viele junge Affen auf einmal lebendig. Der junge Titi bleibt im Fallen an seiner Mutter haengen, und wird er durch den Sturz nicht verletzt, so weicht er nicht von Schulter und Hals des todten Thiers. Die meisten, die man in den Huetten der Indianer lebend antrifft, sind auf diese Weise von den Leichen ihrer Muetter gerissen worden. Erwachsene Thiere, wenn sie auch von leichten Wunden genesen sind, gehen meist zu Grunde, ehe sie sich an den Zustand der Gefangenschaft gewoehnt haben. Die Titis sind meist zarte, furchtsame kleine Thiere. Sie sind aus den Missionen am Orinoco schwer an die Kuesten von Cumana und Caracas zu bringen. Sobald man die Waldregion hinter sich hat und die Llanos betritt, werden sie traurig und niedergeschlagen. Der unbedeutenden Zunahme der Temperatur kann man diese Veraenderung nicht zuschreiben, sie scheint vielmehr vom staerkeren Licht, von der geringeren Feuchtigkeit und von irgend welcher chemischen Beschaffenheit der Luft an der Kueste herzuruehren. Den Saimiris oder Titis vom Orinoco, den Atelen, Sajous und andern schon lange in Europa bekannten Vierhaendern steht in scharfem Abstich, nach Habitus und Lebensweise, der *Macavahu* [_Simia lugens_] gegenueber, den die Missionaere _'Viudita'_ oder *Wittwe in Trauer* nennen. Das kleine Thier hat feines, glaenzendes, schoen schwarzes Haar. Das Gesicht hat eine weisslichte, ins Blaue spielende Larve, in der Augen, Nase und Mund stehen. Die Ohren haben einen umgebogenen Rand, sind klein, wohlgebildet und fast ganz nackt. Vorn am Halse hat die *Wittwe* einen weissen, zollbreiten Strich, der ein halbes Halsband bildet. Die Hinterfuesse oder vielmehr Haende sind schwarz wie der uebrige Koerper, aber die Vorderhaende sind aussen weiss und innen glaenzend schwarz. Diese weissen Abzeichen deuten nun die Missionare als Schleier, Halstuch und Handschuhe einer *Wittwe in Trauer*. Die Gemuethsart dieses kleinen Affen, der sich nur beim Fressen auf den Hinterbeinen ausrichtet, verraeth sich durch seine Haltung nur sehr wenig. Er sieht sanft und schuechtern aus; haeufig beruehrt er das Fressen nicht, das man ihm bietet, selbst wenn er starken Hunger hat. Er ist nicht gerne in Gesellschaft anderer Affen; wenn er den kleinsten Samiri ansichtig wird, laeuft er davon. Sein Auge verraeth grosse Lebhaftigkeit. Wir sahen ihn stundenlang regungslos dasitzen, ohne dass er schlief, und auf Alles, was um ihn vorging, achten. Aber diese Schuechternheit und Sanftmuth sind nur scheinbar. Ist die Viudita allein, sich selbst ueberlassen, so wird sie wuethend, sobald sie einen Vogel sieht. Sie klettert und laeuft dann mit erstaunlicher Behendigkeit; sie macht einen Satz auf ihre Beute, wie die Katze, und erwuergt, was sie erhaschen kann. Dieser sehr seltene und sehr zaertliche Affe lebt auf dem rechten Ufer des Orinoco in den Granitgebirgen hinter der Mission Santa Barbara, ferner am Guaviare bei San Fernando de Atabapo. Die Viudita hat die ganze Reise auf dem Cassiquiare und Rio Negro mitgemacht und ist zweimal mit uns ueber die Katarakten gegangen. Will man die Sitten der Thiere genau beobachten, so ist es, nach meiner Meinung, sehr vortheilhaft, wenn man sie Monate lang in freier Luft, nicht in Haeusern, wo sie ihre natuerliche Lebhaftigkeit ganz verlieren, unter den Augen hat. Die neue fuer uns bestimmte Pirogue wurde noch am Abend geladen. Es war, wie alle indianischen Canoes, ein mit Axt und Feuer ausgehoehlter Baumstamm, vierzig Fuss lang und drei breit. Drei Personen konnten nicht neben einander darin sitzen. Diese Piroguen sind so beweglich, sie erfordern, weil sie so wenig Widerstand leisten, eine so gleichmaessige Vertheilung der Last, dass man, wenn man einen Augenblick aufstehen will, den Ruderern (_bogas_) zurufen muss, sich auf die entgegengesetzte Seite zu lehnen; ohne diese Vorsicht liefe das Wasser nothwendig ueber den geneigten Bord. Man macht sich nur schwer einen Begriff davon, wie uebel man auf einem solchen elenden Fahrzeug daran ist. Der Missionaer aus den *Raudales* betrieb die Zuruestungen zur Weiterfahrt eifriger, als uns lieb war. Man besorgte nicht genug Macos- und Guahibos-Indianer zur Hand zu haben, die mit dem Labyrinth von kleinen Kanaelen und Wasserfaellen, welche die Raudales oder Katarakten bilden, bekannt waeren; man legte daher die Nacht ueber zwei Indianer in den *Cepo*, das heisst, man legte sie auf den Boden und steckte ihnen die Beine durch zwei Holzstuecke mit Ausschnitten, um die man eine Kette mit Vorlegeschloss legte. Am fruehen Morgen weckte uns das Geschrei eines jungen Mannes, den man mit einem Seekuhriemen unbarmherzig peitschte. Es war *Zerepe*, ein sehr verstaendiger Indianer, der uns in der Folge die besten Dienste leistete, jetzt aber nicht mit uns gehen wollte. Er war aus der Mission Atures gebuertig, sein Vater war ein Maco, seine Mutter vom Stamme der Maypures; er war in die Waelder (_al monte_) entlaufen und hatte ein paar Jahre unter nicht unterworfenen Indianern gelebt. Dadurch hatte er sich mehrere Sprachen zu eigen gemacht, und der Missionaer brauchte ihn als Dolmetscher. Nur mit Muehe brachten wir es dahin, dass der junge Mann begnadigt wurde. "Ohne solche Strenge," hiess es, "wuerde es euch an Allem fehlen. Die Indianer aus den Raudales und vom obern Orinoco sind ein staerkerer und arbeitsamerer Menschenschlag als die am untern Orinoco. Sie wissen wohl, dass sie in Angostura sehr gesucht sind. Liesse man sie machen, so gingen sie alle den Fluss hinunter, um ihre Produkte zu verkaufen und in voller Freiheit unter den Weissen zu leben, und die Missionen stuenden leer." Diese Gruende moegen scheinbar etwas fuer sich haben, richtig sind sie nicht. Will der Mensch der Vortheile des geselligen Lebens geniessen, so muss er allerdings seine natuerlichen Rechte, seine fruehere Unabhaengigkeit zum Theil zum Opfer bringen. Wird aber das Opfer, das man ihm auferlegt, nicht durch die Vortheile der Civilisation aufgewogen, so naehrt der Wilde in seiner verstaendigen Einfalt fort und fort den Wunsch, in die Waelder zurueckzukehren, in denen er geboren worden. Weil der Indianer aus den Waeldern in den meisten Missionen als ein Leibeigener behandelt wird, weil er der Fruechte seiner Arbeit nicht froh wird, desshalb veroeden die christlichen Niederlassungen am Orinoco. Ein Regiment, das sich auf die Vernichtung der Freiheit der Eingeborenen gruendet, toedtet die Geisteskraefte oder hemmt doch ihre Entwicklung. Wenn man sagt, der Wilde muesse wie das Kind unter strenger Zucht gehalten werden, so ist diess ein unrichtiger Vergleich. Die Indianer am Orinoco haben in den Aeusserungen ihrer Freude, im raschen Wechsel ihrer Gemuethsbewegungen etwas Kindliches; sie sind aber keineswegs grosse Kinder, sowenig als die armen Bauern im oestlichen Europa, die in der Barbarei des Feudalsystems sich der tiefsten Verkommenheit nicht entringen koennen. Zwang, als hauptsaechlichstes und einziges Mittel zur Sittigung des Wilden, erscheint zudem als ein Grundsatz, der bei der Erziehung der Voelker und bei der Erziehung der Jugend gleich falsch ist. Wie schwach, und wie tief gesunken auch der Mensch seyn mag, keine Faehigkeit ist ganz erstorben. Die menschliche Geisteskraft ist nur dem Grad und der Entwicklung nach verschieden. Der Wilde, wie das Kind, vergleicht den gegenwaertigen Zustand mit dem vergangenen; er bestimmt seine Handlungen nicht nach blindem Instinkt, sondern nach Ruecksichten der Nuetzlichkeit. Unter allen Umstaenden kann Vernunft durch Vernunft aufgeklaert werden; die Entwicklung derselben wird aber desto mehr niedergehalten, je weiter diejenigen, die sich zur Erziehung der Jugend oder zur Regierung der Voelker berufen glauben, im hochmuethigen Gefuehl ihrer Ueberlegenheit auf die ihnen Untergebenen herabblicken und Zwang und Gewalt brauchen, statt der sittlichen Mittel, die allein keimende Faehigkeiten entwickeln, die aufgeregten Leidenschaften saenftigen und die gesellschaftliche Ordnung befestigen koennen. Am 10. April. Wir konnten erst um zehn Uhr Morgens unter Segel gehen. Nur schwer gewoehnten wir uns an die neue Pirogue, die uns eben ein neues Gefaengniss war. Um an Breite zu gewinnen, hatte man auf dem Hintertheil des Fahrzeugs aus Baumzweigen eine Art Gitter angebracht, das aus beiden Seiten ueber den Bord hinausreichte. Leider war das Blaetterdach (_el toldo_) darueber so niedrig, dass man gebueckt sitzen oder ausgestreckt liegen musste, wo man dann nichts sah. Da man die Piroguen durch die Stromschnellen, ja von einem Fluss zum andern schleppen muss, und weil man dem Wind zu viel Flaeche boete, wenn man den _Toldo_ hoeher machte, so kann auf den kleinen Fahrzeugen, die zum Rio Negro hinauf gehen, die Sache nicht anders eingerichtet werden. Das Dach war fuer vier Personen bestimmt, die auf dem Verdeck oder dem Gitter aus Baumzweigen lagen; aber die Beine reichen weit ueber das Gitter hinaus, und wenn es regnet, wird man zum halben Leib durchnaesst. Dabei liegt man auf Ochsenhaeuten oder Tigerfellen und die Baumzweige darunter druecken einen durch die duenne Decke gewaltig. Das Vordertheil des Fahrzeugs nahmen die indianischen Ruderer ein, die drei Fuss lange, loeffelsoermige *Pagaies* fuehren. Sie sind ganz nackt, sitzen paarweise und rudern im Takt, den sie merkwuerdig genau einhalten. Ihr Gesang ist truebselig, eintoenig. Die kleinen Kaefige mit unsern Voegeln und Affen, deren immer mehr wurden, je weiter wir kamen, waren theils am Toldo, theils am Vordertheil aufgehaengt. Es war unsere Reisemenagerie. Obgleich viele der kleinen Thiere durch Zufall, meist aber am Sonnenstich zu Grunde gingen, hatten wir ihrer bei der Rueckkehr vom Cassiquiare noch vierzehn. Naturaliensammler, die lebende Thiere nach Europa bringen wollen, koennten sich in Angostura und Gran-Para, den beiden Hauptstaedten am Orinoco und Amazonenstrom, eigens fuer ihren Zweck Piroguen bauen lassen, wo im ersten Drittheil zwei Reihen gegen die Sonnengluth geschuetzter Kaefige angebracht waeren. Wenn wir unser Nachtlager aufschlugen, befanden sich die Menagerie und die Instrumente immer in der Mitte; ringsum kamen sofort unsere Haengematten, dann die der Indianer, und zu aeusserst die Feuer, die man fuer unentbehrlich hielt, um den Jaguar ferne zu halten. Um Sonnenaufgang stimmten unsere Affen in das Geschrei der Affen im Walde ein. Dieser Verkehr zwischen Thieren derselben Art, die einander zugethan sind, ohne sich zu sehen, von denen die einen der Freiheit geniessen, nach der die andern sich sehnen, hat etwas Wehmuethiges, Ruehrendes. Auf der ueberfuellten, keine drei Fuss breiten Pirogue blieb fuer die getrockneten Pflanzen, die Koffer, einen Sextanten, den Inclinationscompass und die meteorologischen Instrumente kein Platz als der Raum unter dem Gitter aus Zweigen, auf dem wir den groessten Theil des Tags ausgestreckt liegen mussten. Wollte man irgend etwas aus einem Koffer holen oder ein Instrument gebrauchen, musste man ans Ufer fahren und aussteigen. Zu diesen Unbequemlichkeiten kam noch die Plage der Moskitos, die unter einem so niedrigen Dache in Schaaren hausen, und die Hitze, welche die Palmblaetter ausstrahlen, deren obere Flaeche bestaendig der Sonnengluth ausgesetzt ist. Jeden Augenblick suchten wir uns unseres Lage ertraeglicher zu machen, und immer vergeblich. Waehrend der eine sich unter ein Tuch steckte, um sich vor den Insekten zu schuetzen, verlangte der andere, man solle gruenes Holz unter dem Toldo anzuenden, um die Muecken durch den Rauch zu vertreiben. Wegen des Brennens der Augen und der Steigerung der ohnehin erstickenden Hitze war das eine Mittel so wenig anwendbar als das andere. Aber mit einem muntern Geiste, bei gegenseitiger Herzlichkeit, bei offenem Sinn und Auge fuer die grossartige Natur dieser weiten Stromthaeler faellt es den Reisenden nicht schwer, Beschwerden zu ertragen, die zur Gewohnheit werden. Wenn ich mich hier auf diese Kleinigkeiten eingelassen habe, geschah es nur, um die Schifffahrt auf dem Orinoco zu schildern und begreiflich zu machen, dass Bonpland und ich auf diesem Stueck unserer Reise beim besten Willen lange nicht alle die Beobachtungen machen konnten, zu denen uns die an wissenschaftlicher Ausbeute so reiche Naturumgebung aufforderte. Unsere Indianer zeigten uns am rechten Ufer den Ort, wo frueher die ums Jahr 1733 von den Jesuiten gegruendete Mission Pararuma gestanden. Eine Pockenepidemie, die unter den Salivas-Indianern grosse Verheerungen anrichtete, war der Hauptgrund, warum die Mission einging. Die wenigen Einwohner, welche die schreckliche Seuche ueberlebten, wurden im Dorfe Carichana aufgenommen, das wir bald besuchen werden. Hier bei Pararuma war es, wo, nach Pater Nomans Aussage, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts bei einem starken Gewitter Hagel fiel. Diess ist so ziemlich der einzige Fall, der meines Wissens in einer fast im Niveau des Meeres liegenden Niederung vorgekommen; denn im Allgemeinen hagelt es unter den Tropen nur in mehr als 300 Toisen Meereshoehe [S. Band II Seite 156]. Bildet sich der Hagel in derselben Hoehe ueber Niederungen und Hochebenen, so muss man annehmen, er schmelze bei seinem Durchgang durch die untersten Luftschichten (zwischen 0 und 300 Toisen), deren mittlere Temperatur 27 deg.,5 und 24 deg. betraegt. Ich gestehe indessen, dass es beim jetzigen Stande der Meteorologie sehr schwer zu erklaeren ist, warum es in Philadelphia, Rom und Montpellier in den heissesten Monaten mit einer mittleren Temperatur von 25 bis 26 deg. hagelt, waehrend in Cumana, Guayra und ueberhaupt in den Niederungen in der Naehe des Aequators die Erscheinung nicht vorkommt. In den Vereinigten Staaten und im suedlichen Europa (unter dem 40--43. Grad der Breite) ist die Temperatur auf den Niederungen im Sommer ungefaehr eben so hoch als unter den Tropen. Auch die Waermeabnahme ist nach meinen Untersuchungen nur wenig verschieden. Ruehrt nun der Umstand, dass in der heissen Zone kein Hagel faellt, davon her, dass die Hagelkoerner beim Durchgang durch die untern Luftschichten schmelzen, so muss man annehmen, dass die Koerner im Moment der Bildung in der gemaessigten Zone groesser sind als in der heissen. Wir kennen die Bedingungen, unter denen in unserem Klima das Wasser in einer Gewitterwolke friert, noch so wenig, dass wir nicht zu beurtheilen vermoegen, ob unter dem Aequator ueber den Niederungen dieselben Bedingungen eintreten. Ich bezweifle, dass sich der Hagel immer in einer Luftregion bildet, deren mittlere Temperatur gleich Null ist, und die bei uns im Sommer 1500--1600 Toisen hoch liegt. Die Wolken, in denen man die Hagelkoerner, bevor sie fallen, an einander schlagen hoert, und die wagrecht ziehen, kamen mir immer lange nicht so hoch vor, und es erscheint begreiflich, dass in solch geringerer Hoehe durch die Ausdehnung der aufsteigenden Luft, welche an Waermecapacitaet zunimmt, durch Stroeme kalter Luft aus einer hoeheren Breite, besonders aber (nach GAY-LUSSAC) durch die Strahlung der obern Flaeche der Wolken, eine ungewoehnliche Erkaeltung hervorgebracht wird. Ich werde Gelegenheit haben, auf diesen Punkt zurueckzukommen, wenn von den verschiedenen Formen die Rede ist, unter denen auf den Anden in 2000--2600 Toisen Meereshoehe Hagel und Graupen auftreten, und die Frage eroertert wird, ob man die Wolken, welche die Gebirge einhuellen, als eine horizontale Fortsetzung der Wolkenschicht betrachten kann, die wir in den Niederungen gerade ueber uns sich bilden sehen. Im Orinoco sind sehr viele Inseln und der Strom faengt jetzt an sich in mehrere Arme zu theilen, deren westlichster in den Monaten Januar und Februar trocken liegt. Der ganze Strom ist 2900--3000 Toisen breit. Der Insel Javanavo gegenueber sahen wir gegen Ost die Muendung des *Cano* Aujacoa. Zwischen diesem Cano und dem Rio Paruasi oder Paruati wird das Land immer staerker bewaldet. Aus einem Palmenwald nicht weit vom Orinoco steigt, ungemein malerisch, ein einzelner Fels empor, ein Granitpfeiler, ein Prisma, dessen kahle, schroffe Waende gegen zweihundert Fuss hoch sind. Den Gipfel, der ueber die hoechsten Waldbaeume emporragt, kroent eine ebene, wagrechte Felsplatte. Auf diesem Gipfel, den die Missionaere Pic oder _Mogote de Cocuyza_ nennen, stehen wieder Baeume. Dieses grossartig einfache Naturdenkmal erinnert an die cyclopischen Bauwerke. Sein scharf gezeichneter Umriss und oben darauf die Baeume und das Buschwerk heben sich vom blauen Himmel ab, ein Wald ueber einem Walde. Weiterhin beim Einfluss des Paruasi wird der Orinoco wieder schmaler. Gegen Osten sahen wir einen Berg mit plattem Gipfel, der wie ein Vorgebirge herantritt. Er ist gegen 300 Fuss hoch und diente den Jesuiten als fester Platz. Sie hatten ein kleines Fort darauf angelegt, das drei Batterien entthielt und in dem bestaendig ein Militaerposten lag. In Carichana und Atures sahen wir die Kanonen ohne Lafetten, halb im Sand begraben. Die Jesuitenschanze (oder _Fortaleza de San Francisco Xavier_) wurde nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu zerstoert, aber der Ort heisst noch el Castillo. Auf einer in neuester Zeit in Caracas von einem Weltgeistlichen entworfenen, nicht gestochenen Karte fuehrt derselbe den seltsamen Namen _Trinchera del despotismo monacal_ (Schanze des Moenchsdespotismus). In allen politischen Umwaelzungen spricht sich der Geist der Neuerung, der ueber die Menge kommt, auch in der geographischen Nomenclatur aus. Die Besatzung, welche die Jesuiten auf diesem Felsen hatten, sollte nicht allein die Missionen gegen die Einfaelle der Caraiben schuetzen, sie diente auch zum Angriffskriege, oder, wie man hier sagt, zur Eroberung von Seelen (_conquista de almas_). Die Soldaten, durch die ausgesetzten Geldbelohnungen angefeuert, machten mit bewaffneter Hand Einfaelle oder _Entradas_ auf das Gebiet unabhaengiger Indianer. Man brachte um, was Widerstand zu leisten wagte, man brannte die Huetten nieder, zerstoerte die Pflanzungen und schleppte Greise, Weiber und Kinder als Gefangene fort. Die Gefangenen wurden sofort in die Missionen am Meta, Rio Negro und obern Orinoco vertheilt. Man waehlte die entlegensten Orte, damit sie nicht in Versuchung kaemen, wieder in ihr Heimathland zu entlaufen. Dieses gewaltsame Mittel, *Seelen zu erobern*, war zwar nach spanischem Gesetz verboten, wurde aber von den buergerlichen Behoerden geduldet und von den Obern der *Gesellschaft*, als der Religion und dem Aufkommen der Missionen foerderlich, hoechlich gepriesen. "Die Stimme des Evangeliums," sagt ein Jesuit vom Orinoco in den "erbaulichen Briefen"(21) aeusserst naiv, "wird nur da vernommen, wo die Indianer Pulver haben knallen hoeren (_el eco de la polvora_). Sanftmuth ist ein gar langsames Mittel. Durch Zuechtigung erleichtert man sich die Belehrung der Eingebornen." Dergleichen die Menschheit schaendenden Grundsaetze wurden sicher nicht von allen Gliedern einer Gesellschaft getheilt, die in der neuen Welt und ueberall, wo die Erziehung ausschliesslich in den Haenden von Moenchen geblieben ist, der Wissenschaft und der Cultur Dienste geleistet hat. Aber die *Entradas*, die *geistlichen Eroberungen* mit dem Bajonett waren einmal ein von einem Regiment, bei dem es nur auf rasche Ausbreitung der Missionen ankam, unzertrennlicher Graeuel. Es thut dem Gemuethe wohl, dass die Franciskaner, Dominikaner und Augustiner, welche gegenwaertig einen grossen Theil von Suedamerika regieren und, je nachdem sie von milder oder roher Sinnesart sind, auf das Geschick von vielen Tausenden von Eingeborenen den maechtigsten Einfluss ueben, nicht nach jenem System verfahren. Die Einfaelle mit bewaffneter Hand sind fast ganz abgestellt, und wo sie noch vorkommen, werden sie von den Ordensobern missbilligt. Wir wollen hier nicht ausmachen, ob diese Wendung des Moenchsregiments zum Bessern daher ruehrt, dass die fruehere Thaetigkeit erschlafft ist und der Lauheit und Indolenz Platz gemacht hat, oder ob man darin, was man so gerne thaete, einen Beweis sehen soll, dass die Aufklaerung zunimmt und eine hoehere, dem wahren Geist des Christenthums entsprechendere Gesinnung Platz greift. Vom Einfluss des Rio Paruasi an wird der Orinoco wieder schmaler. Er ist voll Inseln und Granitklippen, und so entstehen hier die *Stromschnellen* oder kleinen Faelle (_los remolinos_), die beim ersten Anblick wegen der vielen Wirbel dem Reisenden bange machen koennen, aber in keiner Jahreszeit den Schiffen gefaehrlich sind. Man muss wenig zu Schiffe gewesen seyn, wenn man wie Pater GILI, der sonst so genau und verstaendig ist, sagen kann: "e terrible pe molti scogli il tratto del fiume tral Castello e Caricciana." Eine Reihe von Klippen, die fast ueber den ganzen Fluss laeuft, heisst *Raudal de Marimara*. Wir legten sie ohne Schwierigkeit zurueck, und zwar in einem schmalen Kanal, in dem das Wasser ungestuem, wie siedend, unter der *Piedra de Marimara* heraufschiesst, einer compakten Granitmasse, 80 Fuss hoch und 300 im Umfang, ohne Spalten und ohne Spur von Schichtung. Der Fluss tritt weit ins Land hinein und bildet in den Felsen weite Buchten. Eine dieser Buchten zwischen zwei kahlen Vorgebirgen heisst der *Hafen von Carichana*. Der Ort hat ein wildes Aussehen; das Felsenufer wirft Abends seine maechtigen Schatten ueber den Wasserspiegel und das Wasser erscheint schwarz, wenn sich diese Granitmassen darin spiegeln, die, wie schon bemerkt, wegen der eigenen Faerbung ihrer Oberflaeche, bald wie Steinkohlen, bald wie Bleierz aussehen. Wir uebernachteten im kleinen Dorfe Carichana, wo wir auf die Empfehlung des guten Missionaers Fray Jose Antonio de Torre im Pfarrhaus oder _'Convento'_ Aufnahme fanden. Wir hatten seit fast vierzehn Tagen unter keinem Dache geschlafen. Am 11. April. Um die fuer die Gesundheit oft so nachtheiligen Folgen der Ueberschwemmungen zu vermeiden, wurde die Mission Carichana dreiviertel Meilen vom Fluss angelegt. Die Indianer sind vom Stamme der Salivas. Die urspruenglichen Wohnsitze desselben scheinen auf dem westlichen Ufer des Orinoco zwischen dem Rio Vichada und dem Guaviare, sowie zwischen dem Meta und dem Rio Paute gewesen zu seyn. Gegenwaertig findet man Salivas nicht nur in Carichana, sondern auch in den Missionen der Provinz Casanare, in Cabapuna, Guanapalo, Cabiuna und Macuco. Letzteres im Jahr 1730 vom Jesuiten Fray Manuel Roman gegruendete Dorf hat 1300 Einwohner. Die Salivas sind ein geselliges, sanftes, fast schuechternes Volk, und leichter, ich sage nicht zu civilisiren, aber in der Zucht zu halten als andere am Orinoco, Um sich der Herrschaft der Caraiben zu entziehen, liessen die Salivas sich leicht herbei, sich den ersten Jesuitenmissionen anzuschliessen. Die Patres ruehmen aber auch in ihren Schriften durchgaengig ihren Verstand und ihre Gelehrigkeit. Die Salivas haben grossen Hang zur Musik; seit den aeltesten Zeiten blasen sie Trompeten aus gebrannter Erde, die vier bis fuenf Fuss lang sind und mehrere kugelfoermige Erweiterungen haben, die durch enge Roehren zusammenhaengen. Diese Trompeten geben sehr klaegliche Toene. Die Jesuiten haben die natuerliche Neigung der Salivas zur Instrumentalmusik mit Glueck ausgebildet, und auch nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu haben die Missionare am Rio Meta in San Miguel de Macuco die schoene Kirchenmusik und den musikalischen Unterricht der Jugend fort gepflegt. Erst kuerzlich sah ein Reisender zu seiner Verwunderung die Eingeborenen Violine, Violoncell, Triangel, Guitarre und Floete spielen. In den vereinzelten Missionen am Orinoco wirkt die Verwaltung nicht so guenstig auf die Entwicklung der Cultur der Salivas und die Zunahme der Bevoelkerung als das System, das die Augustiner auf den Ebenen am Casanare und Meta befolgen. In Macuco haben die Eingeborenen durch den Verkehr mit den Weissen im Dorf, die fast lauter _'Fluechtlinge von Socorro'_(22) sind, sehr gewonnen. Zur Jesuitenzeit wurden die drei Doerfer am Orinoco, Pararuma, Castillo oder Marumarutu und Carichana in Eines, Carichana, verschmolzen, das damit eine sehr ansehnliche Mission wurde. Im Jahr 1759, als die _Fortaleza de San Francisco Xavier_ und ihre drei Batterien noch standen, zaehlte Pater Caulin in der Mission Carichana 400 Salivas; im Jahr 1800 fand ich ihrer kaum 150. Vom Dorfe ist nichts uebrig als einige Lehmhuetten, die symmetrisch um ein ungeheuer hohes Kreuz herliegen. Wir trafen unter diesen Indianern eine Frau von weisser Abkunft, die Schwester eines Jesuiten aus Neu-Grenada. Unbeschreiblich ist die Freude, wenn man mitten unter Voelkern, deren Sprache man nicht versteht, einem Wesen begegnet, mit dem man sich ohne Dolmetscher unterhalten kann. Jede Mission hat zum wenigsten zwei solche Dolmetscher, _lenguarazes_. Es sind Indianer, etwas weniger beschraenkt als die andern, mittelst deren die Missionaere am Orinoco, die sich gegenwaertig nur selten die Muehe nehmen, die Landessprachen kennen zu lernen, mit den Neugetauften verkehren. Diese Dolmetscher begleiteten uns beim Botanisiren. Sie verstehen wohl spanisch, aber sie koennen es nicht recht sprechen. In ihrer faulen Gleichgueltigkeit geben sie, man mag fragen, was man will, wie auf Gerathewohl, aber immer mit gefaelligem Laecheln zur Antwort: "Ja, Pater; nein, Pater." Man begreift leicht, dass einem die Geduld ausgeht, wenn man Monate lang solche Gespraeche zu fuehren hat, statt ueber Gegenstaende Auskunft zu erhalten, fuer die man sich lebhaft interessirt. Nicht selten konnten wir nur mittelst mehrerer Dolmetscher und so, dass derselbe Satz mehrmals uebersetzt wurde, mit den Eingeborenen verkehren. "Von meiner Mission an," sagte der gute Ordensmann in Uruana, "werdet ihr reisen wie Stumme." Und diese Vorhersagung ist so ziemlich in Erfuellung gegangen, und um nicht um allen Nutzen zu kommen, den man aus dem Verkehr selbst mit den versunkensten Indianern ziehen kann, griffen wir zuweilen zur Zeichensprache. Sobald der Eingeborene merkt, dass man sich keines Dolmetschers bedienen will, sobald man ihn unmittelbar befragt, indem man auf die Gegenstaende deutet, so legt er seine gewoehnliche Stumpfheit ab und weiss sich mit merkwuerdiger Gewandtheit verstaendlich zu machen. Er macht Zeichen aller Art, er spricht die Worte langsam aus, er wiederholt sie unaufgefordert. Es scheint seiner Eigenliebe zu schmeicheln, dass man ihn beachtet und sich von ihm belehren laesst. Diese Leichtigkeit, sich verstaendlich zu machen, zeigt sich besonders auffallend beim unabhaengigen Indianer, und was die christlichen Niederlassungen betrifft, muss ich den Reisenden den Rath geben, sich vorzugsweise an Eingeborene zu wenden, die erst seit Kurzem *unterworfen* sind oder von Zeit zu Zeit wieder in den Wald laufen, um ihrer frueheren Freiheit zu geniessen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass der unmittelbare Verkehr mit den Eingeborenen belehrender und sicherer ist, als der mittelst des Dolmetschers [S. Band II. Seite 25--26], wenn man nur seine Fragen zu vereinfachen weiss und dieselben hinter einander an mehrere Individuen in verschiedener Gestalt richtet. Zudem sind der Mundarten, welche am Meta, Orinoco, Cassiquiare und Rio Negro gesprochen werden, so unglaublich viele, dass der Reisende selbst mit dem bedeutendsten Sprachtalent nie so viele derselben sich aneignen koennte, um sich laengs der schiffbaren Stroeme von Angostura bis zum Fort San Carlos am Rio Negro verstaendlich zu machen. In Peru und Quito kommt man mit der Kenntniss der Oquichua- oder Incasprache aus, in Chili mit dem Araucanischen, in Paraguay mit dem Guarany; man kann sich wenigstens der Mehrzahl der Bevoelkerung verstaendlich machen. Ganz anders in den Missionen in spanisch Guyana, wo im selben Dorf Voelker verschiedenen Stammes unter einander wohnen. Hier waere es nicht einmal genug, wenn man folgende Sprachen verstaende: Caraibisch oder Carina, Guamo, Guahiva, Jaruro, Ottomaco, Maypure, Saliva, Marivitano, Maquiritare und Guaica, zehn Sprachen, von denen es nur ganz rohe Sprachlehren gibt und die unter einander weniger verwandt sind, als Griechisch, Deutsch und Persisch. Die Umgegend der Mission Carichana schien uns ausgezeichnet schoen. Das kleine Dorf liegt auf einer der grasbewachsenen Ebenen, wie sie von Encaramada bis ueber die Katarakten von Maypures hinaus sich zwischen all den Ketten der Granitberge hinziehen. Der Waldsaum zeigt sich nur in der Ferne. Ringsum ist der Horizont von Bergen begrenzt, zum Theil bewaldet, von duesterer Faerbung, zum Theil kahl, mit felsigten Gipfeln, die der Strahl der untergehenden Sonne vergoldet. Einen ganz eigenthuemlichen Charakter erhaelt die Gegend durch die fast ganz kahlen Felsbaenke, die oft achthundert Fuss im Umfang haben und sich kaum ein paar Zoll ueber die umgebende Grasflur erheben. Sie machen gegenwaertig einen Theil der Ebene aus. Man fragt sich mit Verwunderung, ob hier ein ungewoehnliches stuermisches Ereigniss Dammerde und Gewaechse weggerissen, oder ob der Granitkern unseres Planeten hier nackt zu Tage tritt, weil sich die Keime des Lebens noch nicht auf allen Punkten entwickelt haben. Dieselbe Erscheinung scheint in *Shamo* zwischen der Mongolei und China vorzukommen. Diese in der Wueste zerstreuten Felsbaenke heissen _'Tsy'_. Es waeren, wie mir scheint, eigentliche Plateaus, waeren von der Ebene umher der Sand und die Erde weg, welche das Wasser an den tiefsten Stellen angeschwemmt hat. Aus den Felsplatten bei Carichana hat man, was sehr interessant ist, den Gang der Vegetation von ihren Anfaengen durch die verschiedenen Entwicklungsgrade vor Augen. Da sieht man Flechten, welche das Gestein zerklueften und mehr oder weniger dicke Krusten bilden; wo ein wenig Quarzsand sich angehaeuft hat, finden Saftpflanzen Nahrung; endlich in Hoehlungen des Gesteins haben sich schwarze, aus zersetzten Wurzeln und Blaettern sich bildende Erdschichten abgesetzt, auf denen immergruenes Buschwerk waechst. Handelte es sich hier von grossartigen Natureffekten, so kaeme ich nicht auf unsere Gaerten und die aengstlichen Kuensteleien der Menschenhand; aber der Contrast zwischen Felsgestein und bluehendem Gestraeuch, die Gruppen kleiner Baeume da und dort in der Savane erinnern unwillkuerlich an die mannigfaltigsten und malerischsten Partien unserer Parke. Es ist als haette hier der Mensch mit tiefem Gefuehl fuer Naturschoenheit den herben, rauhen Charakter der Gegend mildern wollen. Zwei, drei Meilen von der Mission findet man auf diesen von Granitbergen durchzogenen Ebenen eine ebenso ueppige als mannigfaltige Vegetation. Allen Doerfern oberhalb der grossen Katarakten gegenueber kann man hier bei Carichana auffallend leicht im Lande fortkommen, ohne dass man sich an die Flussufer haelt und auf Waelder stoesst, in die nicht einzudringen ist. Bonpland machte mehrere Ausfluege zu Pferd, auf denen er sehr viele Gewaechse erbeutete. Ich erwaehne nur den Paraguatan, eine sehr schoene Art von Macrocnemum, deren Rinde roth faerbt, den Guaricamo mit giftiger Wurzel, die _Jacaranda obusifolia_ und den *Serrape* oder *Jape* der Salivas-Indianer, AUBLETs Coumarouna, der in ganz Terra Firma wegen seiner aromatischen Frucht beruehmt ist. Diese Frucht, die man in Caracas zwischen die Waesche legt, waehrend man sie in Europa unter dem Namen *Tonca-* oder *Tongobohne* unter den Schnupftabak mischt, wird fuer giftig gehalten. In der Provinz Cumana glaubt man allgemein, das eigenthuemliche Arom des vortrefflichen Liqueurs, der auf Martinique bereitet wird, komme vom *Jape*; diess ist aber unrichtig. Derselbe heisst in den Missionen *Simaruba*, ein Name, der zu argen Missgriffen Anlass geben kann, denn die aechte *Simaruba* ist eine Quassiaart, eine Fieberrinde, und waechst in spanisch Guyana nur im Thal des Rio Caura, wo die Paudacotos-Indianer sie *Achechari* nennen. In Carichana, auf dem grossen Platz, fand ich die Inclination der Magnetnadel gleich 33 deg.,70, die Intensitaet der magnetischen Kraft gleich 227 Schwingungen in zehn Zeitminuten, eine Steigerung, bei der oertliche Anziehungen im Spiel seyn mochten. Die vom Wasser des Orinoco geschwaerzten Granitbloecke wirken uebrigens nicht merkbar auf den Magnet. Der Barometer stand um Mittag 336,6 Linien hoch, der Thermometer zeigte im Schatten 30 deg.,6. Bei Nacht fiel die Temperatur der Luft auf 26 deg.,2; der Delucsche Hygrometer stand auf 46 deg.. Am 10. April war der Fluss um mehrere Zoll gestiegen; die Erscheinung war den Eingeborenen auffallend, da sonst der Strom Anfangs fast unmerklich steigt, und man ganz daran gewoehnt ist, dass er im April ein paar Tage lang wieder faellt. Der Orinoco stand bereits drei Fuss ueber dem niedrigsten Punkt. Die Indianer zeigten uns an einer Granitwand die Spuren der gegenwaertigen Hochgewaesser; sie standen nach unserer Messung 42 Fuss hoch, und diess ist doppelt so viel als durchschnittlich beim Nil. Aber dieses Maass wurde an einem Ort genommen, wo das Strombett durch Felsen bedeutend eingeengt ist, und ich konnte mich nur an die Angabe der Indianer halten. Man sieht leicht, dass das Stromprofil, die Beschaffenheit der mehr oder weniger hohen Ufer, die Zahl der Nebenfluesse, die das Regenwasser hereinfuehren, und die Laenge der vom Fluss zurueckgelegten Strecke auf die Wirkungen der Hochgewaesser und auf ihre Hoehe von bedeutendem Einfluss seyn muessen. Unzweifelhaft ist, und es macht auf Jedermann im Lande einen starken Eindruck, dass man bei Carichana, San Borja, Atures und Maypures, wo sich der Strom durch die Berge Bahn gebrochen, hundert, zuweilen hundert dreissig Fuss ueber dem hoechsten gegenwaertigen Wasserstand schwarze Streifen und Auswaschungen sieht, die beweisen, dass das Wasser einmal so hoch gestanden. So waere denn dieser Orinocostrom, der uns so grossartig und gewaltig erscheint, nur ein schwacher Rest der ungeheuren Stroeme suessen Wassers, die einst, geschwellt von Alpenschnee oder noch staerkeren Regenniederschlaegen als den heutigen, ueberall von dichten Waeldern beschattet, nirgends von flachen Ufern eingefasst, welche der Verdunstung Vorschub leisten, das Land ostwaerts von den Anden gleich Armen von Binnenmeeren durchzogen? In welchem Zustande muessen sich damals diese Niederungen von Guyana befunden haben, die jetzt alle Jahre die Ueberschwemmungen durchzumachen haben? Welch ungeheure Massen von Krokodilen, Seekuehen und Boas muessen auf dem weiten Landstrich gelebt haben, der dann wieder aus Lachen stehenden Wassers bestand, oder ein ausgedoerrter, von Spruengen durchzogener Boden war! Der ruhigeren Welt, in der wir leben, ist eine ungleich stuermischere vorangegangen. Auf den Hochebenen der Anden finden sich Knochen von Mastodonten und amerikanischen eigentlichen Elephanten, und auf den Ebenen am Uruguay lebte das Megatherium. Graebt man tiefer in die Erde, so findet man in hochgelegenen Thaelern, wo jetzt keine Palmen und Baumfarn mehr vorkommen, Steinkohlenfloetze, in denen riesenhafte Reste monocotyledonischer Gewaechse begraben liegen. Es war also lange vor der Jetztwelt eine Zeit, wo die Familien der Gewaechse anders vertheilt, wo die Thiere groesser, die Stroeme breiter und tiefer waren. Soviel und nicht mehr sagen uns die Naturdenkmale, die wir vor Augen haben. Wir wissen nicht, ob das Menschengeschlecht, das bei der Entdeckung von Amerika ostwaerts von den Cordilleren kaum ein paar schwache Volksstaemme aufzuweisen hatte, bereits auf die Ebenen herabgekommen war, oder ob die uralte Sage vom *grossen Wasser*, die sich bei den Voelkern am Orinoco, Erevato und Caura findet, andern Himmelsstrichen angehoert, aus denen sie in diesen Theil des neuen Continents gewandert ist. Am 11. April. Nach unserer Abfahrt von Carichana um 2 Uhr Nachmittags fanden wir im Bette immer mehr Granitbloecke, durch welche der Strom aufgehalten wird. Wir liessen den Cano Orupe westwaerts und fuhren darauf am grossen, unter dem Namen _Pieda del Tigre_ bekannten Felsen vorbei. Der Strom ist hier so tief, dass ein Senkblei von 22 Faden den Grund nicht erreicht. Gegen Abend wurde der Himmel bedeckt und duester, Windstoesse und dazwischen ganz stille Luft verkuendeten, dass ein Gewitter im Anzug war. Der Regen fiel in Stroemen und das Blaetterdach, unter dem wir lagen, bot wenig Schutz. Zum Glueck vertrieben die Regenstroeme die Moskitos, die uns den Tag ueber grausam geplagt, wenigstens auf eine Weile. Wir befanden uns vor dem Katarakt von Cariven, und der Zug des Wassers war so stark, dass wir nur mit Muehe ans Land kamen. Wir wurden immer wieder mitten in die Stroemung geworfen. Endlich sprangen zwei Salivas, ausgezeichnete Schwimmer, ins Wasser, zogen die Pirogue mit einem Strick ans Ufer und banden sie an der _Piedra de Carichana vieja_ fest, einer nackten Felsbank, auf der wir uebernachteten. Das Gewitter hielt lange in die Nacht hinein an; der Fluss stieg bedeutend und man fuerchtete mehreremale, die wilden Wogen moechten unser schwaches Fahrzeug vom Ufer losreissen. Der Granitfels, auf dem wir lagerten, ist einer von denen, auf welchen Reisende zu Zeiten gegen Sonnenaufgang unterirdische Toene, wie Orgelklang, vernommen haben. Die Missionare nennen dergleichen Steine _'laxas de musica'_. "Es ist Hexenwerk" (_cosa de bruxas_) sagte unser junger indianischer Steuermann, der castilianisch sprach. Wir selbst haben diese geheimnissvollen Toene niemals gehoert, weder in Carichana, noch am obern Orinoco; aber nach den Aussagen glaubwuerdiger Zeugen laesst sich die Erscheinung wohl nicht in Zweifel ziehen, und sie scheint auf einem gewissen Zustand der Luft zu beruhen. Die Felsbaenke sind voll feiner, sehr tiefer Spalten und sie erhitzen sich bei Tag auf 48--50 Grad. Ich fand oft ihre Temperatur bei Nacht an der Oberflaeche 39 deg., waehrend die der umgebenden Luft 28 deg. betrug. Es leuchtet alsbald ein, dass der Temperaturunterschied zwischen der unterirdischen und der aeussern Luft sein Maximum um Sonnenaufgang erreicht, welcher Zeitpunkt sich zugleich vom Maximum der Waerme am vorhergehenden Tage am weitesten entfernt. Sollten nun die Orgeltoene, die man hoert, wenn man, das Ohr dicht am Gestein, auf dem Fels schlaeft, nicht von einem Luftstrom herruehren, der aus den Spalten dringt? Hilft nicht der Umstand, dass die Luft an die elastischen Glimmerblaettchen stoesst, welche in den Spalten hervorstehen, die Toene modificiren? Laesst sich nicht annehmen, dass die alten Egypter, die bestaendig den Nil auf und ab fuhren, an gewissen Felsen in der Thebais dieselbe Beobachtung gemacht, und dass _'die Musik der Felsen'_ Veranlassung zu den Gaukeleien gegeben, welche die Priester mit der Bildsaeule Memnons trieben? Wenn die "rosenfingerige Eos ihrem Sohn, dem ruhmreichen Memnon, eine Stimme verlieh,"(23) so war diese Stimme vielleicht die eines unter dem Fussgestell der Bildsaeule versteckten Menschen, aber die Beobachtung der Eingeborenen am Orinoco, von der hier die Rede ist, scheint ganz natuerlich zu erklaeren, was zu dem Glauben der Egypter, ein Stein toene bei Sonnenaufgang, Anlass gegeben. Fast zur selben Zeit, da ich diese Vermuthungen einigen Gelehrten in Europa mittheilte, kamen franzoesische Reisende, die Herrn JOMARD, JOLLOIS und DEVILLIERS, auf aehnliche Gedanken. In einem Denkmal aus Granit, mitten in den Tempelgebaeuden von Karnak, hoerten sie bei Sonnenaufgang ein Geraeusch wie von einer reissenden Saite. Gerade denselben Vergleich brauchen aber die Alten, wenn von der Stimme Memnons die Rede ist. Die franzoesischen Reisenden sind mit mir der Ansicht, das Durchstreichen der Luft durch die Spalten eines klingenden Steins habe wahrscheinlich die egyptischen Priester auf die Gaukeleien im Memnonium gebracht. Am 12. April. Wir brachen um 4 Uhr Morgens auf. Der Missionaer sah voraus, dass wir Noth haben wuerden, ueber die Stromschnellen und den Einfluss des Meta wegzukommen. Die Indianer ruderten zwoelf und eine halbe Stunde ohne Unterlass. Waehrend dieser Zeit nahmen sie nichts zu sich als Manioc und Bananen. Bedenkt man, wie schwer es ist, die Gewalt der Stroemung zu ueberwinden und die Katarakten hinauszufahren, und weiss man, dass die Indianer am Orinoco und Amazonenstrom auf zweimonatlichen Flussfahrten in dieser Weise ihre Muskeln anstrengen, so wundert man sich gleich sehr ueber die Koerperkraft und ueber die Maessigkeit dieser Menschen. Staerkmehl- und zuckerhaltige Stoffe, zuweilen Fische und Schildkroeteneierfett ersetzen hier die Nahrung, welche die zwei ersten Thierklassen, Saeugethiere und Voegel, Thiere mit rothem, warmem Blute, geben. Wir fanden das Flussbett auf einer Strecke von 600 Toisen voll Granitbloecken; diess ist der sogenannte *Raudal de Cariven*. Wir liefen durch Kanaele, die nicht fuenf Fuss breit waren, und manchmal stak unsere Pirogue zwischen zwei Granitbloecken fest. Man suchte die Durchfahrten zu vermeiden, durch die sich das Wasser mit furchtbarem Getoese stuerzt. Es ist keine ernstliche Gefahr vorhanden, wenn man einen guten indianischen Steuermann hat. Ist die Stroemung nicht zu ueberwinden, so springen die Ruderer ins Wasser, binden ein Seil an die Felsspitzen und ziehen die Pirogue heraus. Diess geht sehr langsam vor sich, und wir benuetzten zuweilen die Gelegenheit und kletterten auf die Klippen, zwischen denen wir staken. Es gibt ihrer von allen Groessen; sie sind abgerundet, ganz schwarz, bleiglaenzend und ohne alle Vegetation. Es ist ein merkwuerdiger Anblick, wenn man auf einem der groessten Stroeme der Erde gleichsam das Wasser verschwinden sieht. Ja noch weit vom Ufer sahen wir die ungeheuern Granitbloecke aus dem Boden steigen und sich an einander lehnen. In den Stromschnellen sind die Kanaele zwischen den Felsen ueber 25 Faden tief, und sie sind um so schwerer zu finden, da das Gestein nicht selten nach unten eingezogen ist und eine Woelbung ueber dem Flussspiegel bildet. Im Raudal von Cariven sahen wir keine Krokodile; die Thiere scheinen das Getoese der Katarakten zu scheuen. Von Cabruta bis zum Einfluss des Rio Sinaruco, aus einer Strecke von fast zwei Breitegraden, ist das linke Ufer des Orinoco voellig unbewohnt; aber westlich vom Raudal de Cariven hat ein unternehmender Mann, Don Felix Relinchon, Jaruros- und Otomacos-Indianer in einem kleinen Dorfe zusammengebracht. Auf diesen Civilisationsversuch hatten die Moenche unmittelbar keinen Einfluss. Es braucht kaum erwaehnt zu werden, dass Don Felix mit den Missionaeren am rechten Ufer des Stroms in offener Fehde lebt. Wir werden anderswo die wichtige Frage besprechen, ob, unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen in spanisch Amerika, dergleichen _'Capitanes pobladores'_ und _'fundadores'_ an die Stelle der Moenche treten koennen, und welche der beiden Regierungsarten, die gleich launenhaft und willkuerlich. sind, fuer die armen Indianer die schlimmste ist. Um 9 Uhr langten wir an der Einmuendung des Meta an, gegenueber dem Platze, wo frueher die von den Jesuiten gegruendete Mission Santa Teresa gestanden. Der Meta ist nach dem Guaviare der bedeutendste unter den Nebenfluessen des Orinoco. Man kann ihn der Donau vergleichen, nicht nach der Laenge des Laufs, aber hinsichtlich der Wassermasse. Er ist durchschnittlich 34, oft bis zu 84 Fuss tief. Die Vereinigung beider Stroeme gewaehrt einen aeusserst grossartigen Anblick. Am oestlichen Ufer steigen einzelne Felsen empor, und aufeinander gethuermte Granitbloecke sehen von ferne wie verfallene Burgen aus. Breite sandigte Ufer legen sich zwischen den Strom und den Saum der Waelder, aber mitten in diesen sieht man am Horizont auf den Berggipfeln einzelne Palmen sich vom Himmel abheben. Wir brachten zwei Stunden auf einem grossen Felsen mitten im Orinoco zu, auf der *Piedra de paciencia* so genannt, weil die Piroguen, die den Fluss hinauf gehen, hier nicht selten zwei Tage brauchen, um aus dem Strudel herauszukommen, der von diesem Felsen herruehrt. Es gelang mir meine Instrumente darauf aufzustellen. Nach den Sonnenhoehen, die ich aufnahm, liegt der Einfluss des Meta unter 70 deg. 4{~PRIME~} 29{~DOUBLE PRIME~} der Laenge. Nach dieser chronometrischen Beobachtung ist D'ANVILLEs Karte von Suedamerika, was diesen Punkt betrifft, in der Laenge fast ganz richtig, waehrend der Fehler in der Breite einen ganzen Grad betraegt. Der Rio Meta durchzieht die weiten Ebenen von Casanare; er ist fast bis zum Fuss der Anden von Neu-Grenada schiffbar und muss einmal fuer die Bevoelkerung von Guyana und Venezuela politisch von grosser Bedeutung werden. Aus dem *Golfo triste* und der *Boca del Dragon* kann eine Flottille den Orinoco und Meta bis auf 15--20 Meilen von Santa Fe de Bogota herauffahren. Auf demselben Wege kann das Mehl aus Neu-Grenada hinunterkommen. Der Meta ist wie ein Schiffsahrtskanal zwischen Laendern unter derselben Breite, die aber ihren Produkten nach so weit auseinander sind als Frankreich und der Senegal. Durch diesen Umstand wird es von Belang, dass man die Quellen des Flusses, der auf unsern Karten so schlecht gezeichnet ist, genan kennen lernt. Der Meta entsteht durch die Vereinigung zweier Fluesse, die von den Paramos von Chingasa und Suma Paz herabkomrnen. Ersterer ist der Rio Negro, der weiter unten den Pachaquiaro aufnimmt; der zweite ist der Rio _de aguas blancas_ oder Umadea. Sie vereinigen sich in der Naehe des Hafens von Marayal. Vom Passo de la Cabulla, wo man den Rio Negro verlaesst, bis zur Hauptstadt Santa Fe sind es nur 8--10 Meilen. Ich habe diese interessanten Notizen, wie ich sie aus dem Munde von Augenzeugen erhalten, in der ersten Ausgabe meiner Karte vom Rio Meta benuetzt. Die _Reisebeschreibung_ des Canonicus DON JOSEF CORTES MADARIAGA hat nicht allein meine erste Ansicht vom Laufe des Meta bestaetigt, sondern mir auch schaetzbares Material zur Berichtigung meiner Arbeit geliefert. Von den Doerfern Xiramena und Cabullaro bis zu den Doerfern Guanapalo und Santa Rosalia de Cabapuna, auf einer Strecke von 60 Meilen, sind die Ufer des Meta staerker bewohnt als die des Orinoco. Es sind dort vierzehn zum Theil stark bevoelkerte christliche Niederlassungen, aber vom Einfluss des Pauto und des Casanare an, ueber 50 Meilen weit, machen die wilden Guahibos den Meta unsicher. Zur Jesuitenzeit, besonders aber zur Zeit von ITURIAGAs Expedition im Jahr 1756 war die Schifffahrt auf dem Strom weit staerker als jetzt. Missionaere aus Einem Orden waren damals Herrn an den Ufern des Meta und des Orinoco. Die Doerfer Macuco, Zurimena, Casimena einerseits, andererseits Uruana, Encaramada, Carichana waren von den Jesuiten gegruendet. Die Patres gingen damit um, vom Einfluss des Casanare in den Meta bis zum Einfluss des Meta in den Orinoco eine Reihe von Missionen zu gruenden, so dass ein schmaler Streif bebauten Landes ueber die weite Steppe zwischen den Waeldern von Guyana und den Anden von Neu-Grenada gelaufen waere. Ausser dem Mehl von Santa Fe gingen damals zur Zeit der "Schildkroeteneierernte" das Salz von Chita, die Baumwollenzeuge von San Gil und die gedruckten Decken von Socorro den Fluss herunter. Um den Kraemern, die diesen Binnenhandel trieben, einigermassen Sicherheit zu verschaffen, machte man vom *Castillo* oder Fort Carichana aus von Zeit zu Zeit einen Angriff auf die Guahibos-Indianer. Da auf demselben Wege, der den Handel mit den Produkten von Neu-Grenada foerderte, das geschmuggelte Gut von der Kueste von Guyana ins Land ging, so setzte es der Handelsstand von Carthagena de Indias bei der Regierung durch, dass der freie Handel auf dem Meta bedeutend beschraenkt wurde. Derselbe Geist des Monopols schloss den Meta, den Rio Atracto und den Amazonenstrom. Es ist doch eine wunderliche Politik von Seiten der Mutterlaender, zu glauben, es sey vortheilhaft, Laender, wo die Natur Keime der Fruchtbarkeit mit vollen Haenden ausgestreut, unangebaut liegen zu lassen. Dass das Land nicht bewohnt ist, haben sich nun die wilden Indianer aller Orten zu Nutze gemacht. Sie sind an die Fluesse herangerueckt, sie machen Angriffe auf die Vorueberfahrenden, sie suchen *wiederzuerobern*, was sie seit Jahrhunderten verloren. Um die Guahibos im Zaume zu halten, wollten die Kapuziner, welche als Leiter der Missionen am Orinoco auf die Jesuiten folgten, an der Ausmuendung des Meta unter dem Namen Villa de San Carlos eine Stadt bauen. Traegheit und die Furcht vor dem dreitaegigen Fieber liessen es nicht dazu kommen, und ein sauber gemaltes Wappen auf einem Pergament und ein ungeheures Kreuz am Ufer des Meta ist Alles, was von der Villa de San Carlos bestanden hat. Die Guahibos, deren Kopfzahl, wie man behauptet, einige Tausende betraegt, sind so frech geworden, dass sie, als wir nach Carichana kamen, dem Missionaer hatten ankuendigen lassen, sie werden auf Floessen kommen und ihm sein Dorf anzuenden. Diese Floesse (_valzas_), die wir zu sehen Gelegenheit hatten, sind kaum 3 Fuss breit und 12 lang. Es fahren nur zwei bis drei Indianer darauf, aber 15 bis 16 Floesse werden mit den Stengeln von Paulinia, Dolichos und andern Rankengewaechsen aneinander gebunden. Man begreift kaum, wie diese kleinen Fahrzeuge in den Stromschnellen beisammen bleiben koennen. Viele aus den Doerfern am Casanare und Apure entlaufene Indianer haben sich den Guahibos angeschlossen und ihnen Geschmack am Rindfleisch und den Gebrauch des Leders beigebracht. Die Hoefe San Vicente, Rubio und San Antonio haben durch die Einfaelle der Indianer einen grossen Theil ihres Hornviehs eingebuesst. Ihretwegen koennen auch die Reisenden, die den Meta hinaufgehen, bis zum Einfluss des Casanare die Nacht nicht am Ufer zubringen. Bei niedrigem Wasser kommt es ziemlich haeufig vor, dass Kraemer aus Neu-Grenada, die zuweilen noch das Lager bei Pararuma besuchen, von den Guahibos mit vergifteten Pfeilen erschossen werden. Vom Einfluss des Meta an erschien der Orinoco freier von Klippen und Felsmassen. Wir fuhren auf einer 500 Toisen breiten offenen Stromstrecke. Die Indianer ruderten fort, ohne die Pirogue zu schieben und zu ziehen und uns dabei mit ihrem wilden Geschrei zu belaestigen. Gegen West lagen im Vorbeifahren die Canos Uita und Endava, und es war bereits Nacht, als wir vor dem *Raudal de Tabaje* hielten. Die Indianer wollten es nicht mehr wagen, den Katarakt hinaufzufahren, und wir schliefen daher am Lande, an einem hoechst unbequemen Ort, auf einer mehr als 18 Grad geneigten Felsplatte, in deren Spalten Schaaren von Fledermaeusen staken. Die ganze Nacht ueber hoerten wir den Jaguar ganz in der Naehe bruellen, und unser grosser Hund antwortete darauf mit anhaltendem Geheul. Umsonst wartete ich, ob nicht die Sterne zum Vorschein kaemen; der Himmel war grauenhaft schwarz. Das dumpfe Tosen der Faelle des Orinoco stach scharf ab vom Donner, der weit weg, dem Walde zu, sich hoeren liess. Am 13. April. Wir fuhren am fruehen Morgen die Stromschnellen von Tabaje hinauf, bis wohin Pater GUMILLA auf seiner Fahrt gekommen war,(24) und stiegen wieder aus. Unser Begleiter, Pater Zea, wollte in der neuen, seit zwei Jahren bestehenden Mission San Borja die Messe lesen. Wir fanden daselbst sechs von noch nicht catechisirten Guahibos bewohnte Haeuser. Sie unterschieden sich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich grossen schwarzen Augen verriethen mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den uebrigen Missionen. Vergeblich boten wir ihnen Branntwein an; sie wollten ihn nicht einmal kosten. Die Gesichter der jungen Maedchen waren alle mit runden schwarzen Tupfen bemalt; dieselben nahmen sich aus wie die Schoenpflaesterchen, mit denen frueher die Weiber in Europa die Weisse ihrer Haut zu heben meinten. Am uebrigen Koerper waren die Guahibos nicht bemalt. Mehrere hatten einen Bart; sie schienen stolz darauf, fassten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu verstehen, sie seyen wie wir. Sie sind meist ziemlich schlank gewachsen. Auch hier, wie bei den Salivas und Macos, fiel mir wieder auf, wie wenig Aehnlichkeit die Indianer am Orinoco in der Gesichtsbildung mit einander haben. Ihr Blick ist duester, truebselig, aber weder streng noch wild. Sie haben keinen Begriff von den christlichen Religionsgebraeuchen (der Missionaer von Carichana liest in San Borja nur drei- oder viermal im Jahr Messe); dennoch benahmen sie sich in der Kirche durchaus anstaendig. Die Indianer lieben es, sich ein Ansehen zu geben; gerne dulden sie eine Weile Zwang und Unterwuerfigkeit aller Art, wenn sie nur wissen, dass man auf sie sieht. Bei der Communion machten sie einander Zeichen, dass jetzt der Priester den Kelch zum Munde fuehren werde. Diese Geberde ausgenommen, sassen sie da, ohne sich zu ruehren, voellig theilnahmlos. Die Theilnahme, mit der wir die armen Wilden betrachtet hatten, war vielleicht Schuld daran, dass die Mission einging. Einige derselben, die lieber umherzogen als das Land bauten, beredeten die andern, wieder auf die Ebenen am Meta zu ziehen; sie sagten ihnen, die Weissen wuerden wieder nach San Borja kommen und sie dann in ihren Canoes fortschleppen und in Angostura als _'Poitos'_, als Sklaven verkaufen. Die Guahibos warteten, bis sie hoerten, dass wir vom Rio Negro ueber den Cassiquiare zurueckkamen, und als sie erfuhren, dass wir beim ersten grossen Katarakt, bei Apures, angelangt seyen, liefen alle davon in die Savanen westlich vom Orinoco. Am selben Platz und unter demselben Namen hatten schon die Jesuiten eine Mission gegruendet. Kein Stamm ist schwerer sesshaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben sie von faulen Fischen, Tausendfuessen und Wuermern, als dass sie ein kleines Stueck Land bebauen. Die andern Indianer sagen daher spruechwoertlich: "Ein Guahibo isst Alles auf der Erde und unter der Erde." Kommt man auf dem Orinoco weiter nach Sueden, so nimmt die Hitze keineswegs zu, sondern wird im Gegentheil ertraeglicher. Die Lufttemperatur war bei Tag 26--27 deg.,5 [20 deg.,18--22 deg. R], bei Nacht 23 deg.,7 [19 deg.6 R]. Das Wasser des Stroms behielt seine gewoehnliche Temperatur von 27 deg.,7 [22 deg.,2 R]. Aber trotz der Abnahme der Hitze nahm die Plage der Moskitos erschrecklich zu. Nie hatten wir so arg gelitten als in San Borja. Man konnte nicht sprechen oder das Gesicht entbloessen, ohne Mund und Nase voll Insekten zu bekommen. Wir wunderten uns, dass wir den Thermometer nicht auf 35 oder 36 Grad stehen sahen; beim schrecklichen Hautreiz schien uns die Luft zu gluehen. Wir uebernachteten am Ufer bei Guaripo. Aus Furcht vor den kleinen Caraibenfischen badeten wir nicht. Die Krokodile, die wir den Tag ueber gesehen, waren alle ausserordentlich gross, 22--24 Fuss lang. Am 14. April. Die Plage der Zancudos veranlasste uns, schon um fuenf Uhr Morgens aufzubrechen. In der Luftschicht ueber dem Fluss selbst sind weniger Insekten als am Waldsaume. Zum Fruehstueck hielten wir an der Insel Guachaco, wo eine Sandsteinformation oder ein Conglomerat unmittelbar auf dem Granit lagert. Der Sandstein enthaelt Quarz-, sogar Feldspathtruemmer und das Bindemittel ist verhaerteter Thon. Es befinden sich darin kleine Gaenge von Brauneisenerz, das in liniendicken Schichten abblaettert. Wir hatten dergleichen Blaetter bereits zwischen Encaramada und dem Baraguan am Ufer gefunden, und die Missionaere hatten dieselben bald fuer Gold-, bald fuer Zinnerz gehalten. Wahrscheinlich ist diese secundaere Bildung frueher ungleich weiter verbreitet gewesen. Wir fuhren an der Muendung des Rio Parueni vorueber, ueber welcher die Macos-Indianer wohnen, und uebernachteten auf der Insel Panumana. Nicht ohne Muehe kam ich dazu, zur Bestimmung der Laenge des Orts, bei dem der Fluss eine scharfe Wendung nach West macht, Hoehenwinkel des Canopus zu messen. Die Insel Panumana ist sehr reich an Pflanzen. Auch hier findet man wieder die kahlen Felsen, die Melastomenbuesche, die kleinen Baumpartien, deren Gruppirung uns schon in der Ebene bei Carichana aufgefallen war. Die Berge bei den grossen Katarakten begrenzten den Horizont gegen Suedost. Je weiter wir hinauf kamen, desto grossartiger und malerischer wurden die Ufer des Orinoco. ------------------ 11 Die Sandfloehe (_pulex penetrans_, LINNE) die sich beim Menschen und Affen unter die Naegel der Zehen eingraben und daselbst ihre Eier legen. 12 Die Namen der Missionen in Suedamerika bestehen saemmtlich aus zwei Worten, von denen das erste nothwendig ein Heiligenname ist (der Name des Schutzpatrons der Kirche), das zweite ein indianisches (der Name des Volks, das hier lebt, und der Gegend, wo die Mission liegt). So sagt man: _San Jose de Maypures_, _Santa Cruz de Cachipo_, _San Juan-Nepomuceno de los Atures_ etc. Diese zusammengesetzten Namen kommen aber nur in der amtlichen Sprache vor; die Einwohner brauchen nur Einen, meist, wenn er wohlklingend ist, den indianischen. Benachbarten Orten kommen oft dieselben Heiligennamen zu, und dadurch entsteht in der Geographie eine heillose Verwirrung. Die Namen San Juan, San Pedro, San Diego sind wie auf Gerathewohl auf unsern Karten umhergestreut. 13 Der Begleiter des Diego de Ordaz. 14 Die Botija haelt 25 franzoesische Flaschen; sie hat 1000--1200 Cubikzoll Inhalt. 15 Kleine Wasserfaelle, _chorros_, _raudalitos_. 16 Stricke aus den Blattstielen einer Palme mit gefiederten Blaettern, von der unten die Rede seyn wird. 17 Das Fleisch des Rocou und auch der Chica sind adstringirend und leicht abfuehrend. 18 Der schwarze, aetzende Farbstoff des *Caruto* (_Genipa americana_) widersteht dem Wasser laenger, wie wir zu unserem grossen Verdruss an uns selbst erfuhren. Wir scherzten eines Tags mit den Indianern und machten uns mit Caruto Tupfen und Striche ins Gesicht, und man sah dieselben noch, als wir schon wieder in Angostura, im Schoosse europaeischer Cultur waren. 19 Einen schoenen Saimiri oder Titi vom Orinoco kauft man in Paramara fuer 8 bis 9 Piaster; der Missionaer bezahlt dem Indianer, der den Affen gefangen und gezaehmt, 1-1/2 Piaster. 20 Ich fuehre bei dieser Gelegenheit an, dass ich niemals bemerkt habe, dass ein Gemaelde, auf dem Hasen und Rehe in natuerlicher Groesse und vortrefflich abgebildet waren, auf Jagdhunde, bei denen doch der Verstand sehr entwickelt schien, den mindesten Eindruck gemacht haette. Gibt es einen beglaubigten Fall, wo ein Hund das Portraet seines Herrn in ganzer Figur erkannt haette? In allen diesen Faellen wird das Gesicht nicht vom Geruch unterstuetzt. _ 21 Cartas edificantes de la Compana de Jesus_, 1757 22 Die Stadt Socorro, suedlich vom Rio Sogamoza und nord-nord-oestlich von Santa Fe de Bogota, war der Hauptherd des Aufruhrs, der im Jahr 1781 im Koenigreich Neu-Grenada unter dem Erzbischof Vicekoenig Gongora wegen der Plackereien ausbrach, denen das Volk in Folge der Einfuehrung der Tabakspacht ausgesetzt gewesen. Viele fleissige Einwohner von Socorro wanderten damals in die Llanos am Meta aus, um sich den Verfolgungen zu entziehen, welche der vom Madrider Hof ertheilten allgemeinen Amnestie folgten. Diese Ausgewanderten heissen in den Missionen _Socorrenos refugiados_. 23 So heisst es in einer Inschrift, die bezeugt, dass am 13. des Monats Pachon im zehnten Regierungsjahr Antonins die Toene vernommen worden. 24 Und doch will Gumilla auf dem Guaviare gefahren seyn. Nach ihm liegt der Raudal de Tabaje unter 1 deg. 4{~PRIME~} der Breite, was um 5 deg. 10{~PRIME~} zu wenig ist. ZWANZIGSTES KAPITEL. Die Muendung des Rio Anaveni. -- Der Pic Uniana. -- Die Mission Atures. -- Der Katarakt oder Raudal Mapara. -- Die Inseln Surupamana und Uirapuri. Auf seinem Lauf von Sued nach Nord streicht ueber den Orinocostrom eine Kette von Granitbergen. Zweimal in seinem Laufe gehemmt, bricht er sich tosend an den Felsen, welche Staffeln und Querdaemme bilden. Nichts grossartiger als dieses Landschaftsbild. Weder der Fall des Tequendama bei Santa Fe de Bogota, noch die gewaltige Naturscenerie der Cordilleren vermochten den Eindruck zu verwischen, den die Stromschnellen von Atures und Maypures auf mich machten, als ich sie zum erstenmale sah. Steht man so, dass man die ununterbrochene Reihe von Katarakten, die ungeheure, von den Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtete Schaum- und Dunstflaeche mit Einem Blicke uebersieht, so ist es, als saehe man den ganzen Strom ueber seinem Bette haengen. So ausgezeichnete Naturbildungen mussten schon seit Jahrhunderten bei den Bewohnern der neuen Welt Aufmerksamkeit erregen. Als Diego de Ordaz, Alfonso de Herera und der unerschrockene RALEGH in der Muendung des Orinoco vor Anker gingen, wurde ihnen Kunde von den grossen Katarakten aus dem Munde von Indianern, die niemals dort gewesen; sie verwechsclten sie sogar mit weiter ostwaerts, gelegenen Faellen. Wie sehr auch in der heissen Zone die Ueppigkeit des Pflanzenwuchses dem Verkehr unter den Voelkern hinderlich ist, Alles, was sich auf den Lauf der grossen Stroeme bezieht, erlangt einen Ruf, der sich in ungeheure Fernen verbreitet. Gleich Armen von Binnenmeeren durchziehen der Orinoco, Amazonenstrom und Uruguay einen mit Waeldern bedeckten Landstrich, auf dem Voelker hausen, die zum Theil Menschenfresser sind. Noch ist es nicht zwei Jahrhunderte her, seit die Cultur und das sanfte Licht einer menschlicheren Religion an den Ufern dieser uralten, von der Natur gegrabenen Kanaele aufwaerts ziehen; aber lange vor Einfuehrung des Ackerbaus, ehe zwischen den zerstreuten, oft sich befehdenden Horden ein Tauschverkehr zu Stande kam, verbreitete sich auf tausend zufaelligen Wegen die Kunde von ausserordentlichen Naturerscheinungen, von Wasserfaellen, vulkanischen Flammen, vom Schnee, der vor der Hitze des Sommers nicht weicht. Dreihundert Meilen von den Kuesten, im Herzen von Suedamerika, unter Voelkern, deren Wanderungen sich in den Grenzen von drei Tagereisen halten, findet man die Kunde vom Ocean, findet man Worte zur Bezeichnung einer Masse von Salzwasser, die sich hinbreitet, soweit das Auge reicht. Verschiedene Vorfaelle, wie sie im Leben des Wilden nicht selten sind, helfen zur Verbreitung solcher Kenntnisse. In Folge der kleinen Kriege zwischen benachbarten Horden wird ein Gefangener in ein fremdes Land geschleppt, wo er als _'Poito'_ oder _'Mero'_, das heisst als Sklave behandelt wird. Nachdem er mehreremale verkauft und wieder im Kriege gebraucht worden, entkommt er und kehrt zu den Seinigen zurueck. Da erzaehlt er denn, was er gesehen, was er andere hat erzaehlen hoeren, deren Sprache er hat lernen muessen. So kommt es, dass man, wenn man eine Rippe findet, von den grossen Thieren weit im innern Lande sprechen hoert; so kommt es, dass man, wenn man das Thal eines grossen Flusses betritt, mit Ueberraschung sieht, wie viel die Wilden, die gar nicht auf dem Wasser fahren, von weit entlegenen Dingen zu sagen wissen. Auf den ersten Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung tritt in gewissem Grade der Gedankenaustausch frueher ein als der Tausch von Erzeugnissen. Die beiden grossen Katarakten des Orinoco, die eines so ausgebreiteten, uralten Rufs geniessen, entstehen dadurch, dass der Strom die Berge der Parime durchbricht [S. Band II. Seite 374]. Bei den Eingeborenen heissen sie *Mapara* und *Quittuna*; aber die Missionaere haben dafuer Atures und Maypures gesetzt nach den Namen der beiden Staemme, die sie in den beiden den Faellen zunaechst gelegenen Doerfern zusammengebracht. An den Kuesten von Caracas nennt man die zwei grossen Katarakten einfach: die zwei *Raudales*(25) (Stromschnellen), was darauf hindeutet, dass man die andern Faelle, sogar die Stromschnellen von Camiseta und Carichana, gegenueber den Katarakten von Apures und Maypures gar nicht der Beachtung werth findet. Letztere liegen unter dem 5. und 6. Grad noerdlicher Breite, hundert Meilen westwaerts von den Cordilleren von Neu-Grenada, im Meridian von Porto Cabello, und nur zwoelf Meilen von einander. Es ist sehr auffallend, dass D'ANVILLE nichts von denselben gewusst hat, da er doch auf seiner schoenen grossen Karte von Suedamerika die unbedeutenden Faelle von Marimara und San Borja unter dem Namen Stromschnellen von Carichana und Tabaje angibt. Die grossen Katarakten theilen die christlichen Niederlassungen in spanisch Guyana in zwei ungleiche Haelften. *Missionen am untern Orinoco* heissen die zwischen dem Raudal von Atures und der Strommuendung; unter den *Missionen am obern Orinoco* sind die Doerfer zwischen dem Raudal von Maypures und den Bergen des Duida verstanden. Der Lauf des untern Orinoco ist, wenn man mit LA CONDAMINE die Kruemmungen auf ein Drittheil der geraden Richtung schaetzt, 260 Seemeilen, der des obern Orinoco, die Quellen drei Grad ostwaerts vom Duida angenommen, 167 Meilen lang. Jenseits der grossen Katarakten beginnt ein unbekanntes Land. Es ist ein zum Theil gebirgigter, zum Theil ebener Landstrich, ueber den die Nebenfluesse sowohl des Amazonenstroms als des Orinoco ziehen. Wegen des leichten Verkehrs mit dem Rio Negro und Gran Para scheint derselbe vielmehr Brasilien als den spanischen Colonien anzugehoeren. Keiner der Missionaere, die vor mir den Orinoco beschrieben haben, die Patres GUMILLA, GILI und CANLIN, ist ueber den Raudal von Maypures hinaufgekommen. Letzterer hat allerdings eine ziemlich genaue Topographie vom obern Orinoco und vom Cassiquiare geliefert, aber nur nach den Angaben von Militaers, die SOLANOs Expedition mitgemacht. Oberhalb der grossen Katarakten fanden wir laengs des Orinoco auf einer Strecke von hundert Meilen nur drei christliche Niederlassungen, und in denselben waren kaum sechs bis acht Weisse, das heisst Menschen europaeischer Abkunft. Es ist nicht zu verwundern, dass ein so oedes Land von jeher der classische Boden fuer Sagen und Wundergeschichten war. Hieher versetzten ernste Missionaere die Voelker, die Ein Auge auf der Stirne, einen Hundskopf oder den Mund unter dem Magen haben; hier fanden sie Alles wieder, was die Alten von den Garamanten, den Arimaspen und den Hyperboraeern erzaehlen. Man thaete den schlichten, zuweilen ein wenig rohen Missionaeren Unrecht, wenn man glaubte, sie selbst haben diese uebertriebenen Maehren erfunden; sie haben sie vielmehr grossentheils den Indianergeschichten entnommen. In den Missionen erzaehlt man gern, wie zur See, wie im Orient, wie ueberall, wo man sich langweilt. Ein Missionaer ist schon nach Standesgebuehr nicht zum Sceptirismus geneigt; er praegt sich ein, was ihm die Eingeborenen so oft vorgesagt, und kommt er nach Europa, in die civilisirte Welt zurueck, so findet er eine Entschaedigung fuer seine Beschwerden in der Lust, durch die Erzaehlung von Dingen, die er als Thatsachen aufgenommen, durch lebendige Schilderung des im Raum so weit Entrueckten, die Leute in Verwunderung zu setzen. Ja, diese _cuentos de viageros y frailes_ werden immer unwahrscheinlicher, je weiter man von den Waeldern am Orinoco weg den Kuesten zu kommt, wo die Weissen wohnen. Laesst man in Cumana, Nueva Barcelona und in andern Seehaefen, die starken Verkehr mit den Missionen haben, einigen Unglauben merken, so schliesst man einem den Mund mit den wenigen Worten: "Die Patres haben es gesehen, aber weit ueber den grossen Katarakten, _mos ariba de los Raudales._" Jetzt, da wir ein so selten besuchtes, von denen, die es bereist, nur zum Theil beschriebenes Land betreten, habe ich mehrere Gruende, meine Reisebeschreibung auch ferner in der Form eines Tagebuchs fortzusetzen. Der Leser unterscheidet dabei leichter, was ich selbst beobachtet, und was ich nach den Aussagen der Missionaere und Indianer berichte; er begleitet die Reisenden bei ihren taeglichen Beschaeftigungen; er sieht zugleich, wie wenig Zeit ihnen zu Gebot stand und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kaempfen hatten, und wird in seinem Urtheil nachsichtiger. Am 15. April. Wir brachen von der Insel Panumana um vier Uhr Morgens aus, zwei Stunden vor Sonnenaufgang; der Himmel war grossentheils bedeckt und durch dickes, ueber 40 Grad hoch stehendes Gewoelk fuhren Blitze. Wir wunderten uns, dass wir nicht donnern hoerten: kam es daher, dass das Gewitter so ausnehmend hoch stand? Es kam uns vor, als wuerden in Europa die elektrischen Schimmer ohne Donner, das Wetterleuchten, wie man es mit unbestimmtem Ausdruck nennt, in der Regel weit naeher am Horizont gesehen. Beim bedeckten Himmel, der die strahlende Waerme des Bodens zurueckwarf, war die Hitze erstickend; kein Lueftchen bewegte das Laub der Baeume. Wie gewoehnlich waren die Jaguars ueber den Flussarm zwischen uns und dem Ufer heruebergekommen, und wir hoerten sie ganz in unserer Naehe bruellen. Im Lauf der Nacht hatten uns die Indianer gerathen, aus dem Bivouac in eine verlassene Huette zu ziehen, die zu den _'Conucos'_ der Einwohner von Apures gehoert; sie verrammelten den Eingang mit Brettern, was uns ziemlich ueberfluessig vorkam. Die Tiger sind bei den Katarakten so haeufig, dass vor zwei Jahren ein Indianer, der am Ende der Regenzeit, eben hier in den Conucos von Panumana, seine Huette wieder aufsuchte, dieselbe von einem Tigerweibchen mit zwei Jungen besetzt sand. Die Thiere hatten sich seit mehreren Monaten hier aufgehalten; nur mit Muehe brachte man sie hinaus, und erst nach hartnaeckigem Kampfe konnte der Eigenthuemer einziehen. Die Jaguars ziehen sich gern in verlassene Bauten, und nach meiner Meinung thut der einzelne Reisende meist klueger, unter freiem Himmel zwischen zwei Feuern zu uebernachten, als in unbewohnten Huetten Schutz zu suchen. Bei der Abfahrt von der Insel Panumana sahen wir auf dem westlichen Stromufer die Lagerfeuer wilder Guahibos; der Missionaer, der bei uns war, liess einige blinde Schuesse abfeuern, um sie einzuschuechtern, sagte er, und ihnen zu zeigen, dass wir uns wehren koennten. Die Wilden hatten ohne Zweifel keine Canoes und wohl auch keine Lust, uns mitten auf dem Strom zu Leibe zu gehen. Bei Sonnenaufgang kamen wir am Einfluss des Rio Anaveni vorueber, der von den oestlichen Bergen herabkommt. Jetzt sind seine Ufer verlassen; aber zur Jesuitenzeit hatte Pater Olmos hier Japuin- oder Jaruro-Indianer in einem kleinen Dorfe zusammengebracht. Die Hitze am Tage war so stark, dass wir lange an einem schattigen Platze hielten und mit der Leine fischten. Wir konnten die Fische, die wir gefangen, kaum alle fortbringen. Erst ganz spaet langten wir unmittelbar unter dem grossen Katarakt in einer Bucht an, die der *untere Hafen* (_puerto de abaxo_) heisst, und gingen, bei der dunkeln Nacht nicht ohne Beschwerde, auf schmalem Fusspfad in die Mission Atures, eine Meile vom Flussufer. Man kommt dabei ueber eine mit grossen Granitbloecken bedeckte Ebene. Das kleine Dorf *San Juan Nepomuceno de los Atures* wurde im Jahr 1748 vom Jesuiten Pater Francisco Gonzales angelegt. Es ist stromaufwaerts die letzte vom Orden des heiligen Ignatius gegruendete christliche Niederlassung. Die weiter nach Sued gelegenen Niederlassungen am Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro ruehren von den dem Franciskanerorden angehoerenden Observanten her. Wo jetzt das Dorf Atures steht, muss srueher der Orinoco geflossen seyn, und die voellig, ebene Grasflur um das Dorf war ohne Zweifel ein Stueck des Flussbetts. Oestlich von der Mission sah ich eine Felsreihe, die mir das alte Flussufer zu seyn schien. Im Lauf der Jahrhunderte wurde der Strom gegen West hinuebergedraengt, weil den oestlichen Bergen zu, von denen viele Wildwasser herabkommen, die Anschwemmungen staerker sind. Der Katarakt heisst, wie oben bemerkt, Mapara, waehrend das Dorf nach dem Volke der Atures genannt ist, das man jetzt fuer ausgestorben haelt. Auf den Karten des siebzehnten Jahrhunderts finde ich: "Insel und Katarakt *Athule*;" diess ist *Atures* nach der Aussprache der Tamanacas, die, wie so viele Voelker, die Consonanten l und r verwechseln. Noch bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war dieses gebirgigte Land in Europa so wenig bekannt, dass D'ANVILLE in der ersten Ausgabe seines _Suedamerika_ beim *Salto de los Atures* vom Orinoco einen Arm abgehen laesst, der sich in den Amazonenstrom ergiesst und der bei ihm Rio Negro heisst. Die alten Karten, sowie Pater GUMILLA in seinem Werke, setzen die Mission unter 1 deg. 30{~PRIME~} der Breite; der Abbe GILI gibt 3 deg. 30{~PRIME~} an. Nach Meridianhoehen des Canopus und des {~GREEK SMALL LETTER ALPHA~} des suedlichen Kreuzes fand ich 5 deg. 38{~PRIME~} 4{~DOUBLE PRIME~} Breite und durch Uebertrag der Zeit 4 Stunden 41 Minuten 17 Secunden westliche Laenge vom Pariser Meridian. Die Inclination der Magnetnadel war am 16. April 30 deg.25; 223 Schwingungen in 10 Zeitminuten gaben das Mass der Intensitaet der magnetischen Kraft; in Paris sind es 245 Schwingungen. Wir fanden die kleine Mission in der klaeglichsten Verfassung. Zur Zeit von SOLANOs Expedition, gewoehnlich _'die Grenzexpedition'_ genannt, waren noch 520 Indianer hier, und als wir ueber die Katarakten gingen, nur noch 47, und der Missionaer versicherte uns, mit jedem Jahr werde die Abnahme staerker. Er zeigte uns, dass in 32 Monaten nur eine einzige Ehe ins Kirchenbuch eingetragen worden; zwei weitere Ehen waren von noch nicht catechisirten Indianern vor dem indianischen *Governador* geschlossen und damit, wie wir in Europa sagen, der Civilakt vollzogen worden. Bei der Gruendung der Mission waren hier Atures, Maypures, Meyepures, Abanis und Quirupas unter einander; statt dieser Staemme fanden wir nur Guahibos und ein paar Familien vom Staemme der Macos. Die Atures sind fast voellig verschwunden; man kennt sie nur noch von ihren Graebern in der Hoehle Ataruipe her, die an die Grabstaetten der Guanchen aus Teneriffa erinnern. Wir hoerten an Ort und Stelle, die Atures haben mit den Quaquas und den Macos oder Piaroas dem grossen Voelkerstamme der *Salivas* angehoert, wogegen die Maypures, Abanis, Parenis und Guaypunaves Einer Abkunft seyen mit den *Cabres* oder Caveres, die wegen ihrer langen Kriege mit den Caraiben viel genannt werden. In diesem Wirrwarr kleiner Voelkerschaften, die einander so schroff gegenueberstehen, wie einst die Voelker in Latium, Kleinasien und Sogdiana, laesst sich das Zusammengehoerige im Allgemeinsten nur an der Sprachverwandtschaft erkennen. Die Sprachen sind die einzigen Denkmaeler, die aus der Urzeit auf uns gekommen sind; nur sie, nicht an den Boden gefesselt, beweglich und dauernd zugleich, sind so zu sagen durch Raum und Zeit hindurchgegangen. So zaeh und ueber so viele Strecken verbreitet erscheinen sie aber weit weniger bei erobernden und bei civilisirten Voelkern, als bei wandernden, halbwilden Staemmen, die auf der Flucht vor maechtigen Feinden in ihr tiefes Elend nichts mit sich nehmen als ihre Weiber, ihre Kinder und die Mundart ihrer Vaeter. Zwischen dem vierten und achten Breitengrad bildet der Orinoco nicht nur die Grenze zwischen dem grossen Walde der Parime und den kahlen Savanen am Apure, Meta und Guaviare, er scheidet auch Horden von sehr verschiedener Lebensweise. Im Westen ziehen auf den baumlosen Ebenen die Guahibos, Chiricoas und Guamos herum, ekelhaft schmutzige Voelker, stolz auf ihre wilde Unabhaengigkeit, schwer an den Boden zu fesseln und an regelmaessige Arbeit zu gewoehnen. Die spanischen Missionaere bezeichnen sie ganz gut als _Indios andantes_ (laufende, umherziehende Indianer). Oestlich vom Orinoco, zwischen den einander nahe liegenden Quellen des Caura, des Cataniapo und Ventuari, hausen die Macos, Salivas, Curacicanas, Parecas und Maquiritares, sanftmuethige, ruhige, Ackerbau treibende, leicht der Zucht in den Missionen zu unterwerfende Voelker. Der *Indianer der Ebene* unterscheidet sich vom *Indianer der Waelder* durch Sprache, wie durch Sitten und die ganze Geistesrichtung; beide haben eine an lebendigen, kecken Wendungen reiche Sprache, aber die des ersteren ist rauher, kuerzer, leidenschaftlicher; beim zweiten ist sie sanfter, weitschweifiger und reicher an abgeleiteten Ausdruecken. In der Mission Atures, wie in den meisten Missionen am Orinoco zwischen den Muendungen des Apure und des Atabapo, leben die eben erwaehnten beiden Arten von Volksstaemmen neben einander; man trifft daselbst Indianer aus den Waeldern und frueher nomadische Indianer (_Indios monteros_ und _Indios andantes_ oder _llaneros_. Wir besuchten mit dem Missionaer die Huetten der Macos, bei den Spaniern Piraoas genannt, und der Guahibos. In ersteren zeigt sich mehr Sinn fuer Ordnung, mehr Reinlichkeit und Wohlstand. Die unabhaengigen Macos (wilde moechte ich sie nicht nennen) haben ihre _'Rochelas'_ oder festen Wohnplaetze zwei bis drei Tagereisen oestlich von Atures bei den Quellen des kleinen Flusses Cataniapo. Sie sind sehr zahlreich, bauen, wie die meisten Waldindianer, keinen Mais, sondern Manioc, und leben im besten Einvernehmen mit den christlichen Indianern in der Mission. Diese Eintracht hat der Franciskaner Pater Bernardo Zea gestiftet und durch Klugheit erhalten. Der Alcade der *unterworfenen* Macos verliess mit der Genehmigung des Missionaers jedes Jahr das Dorf Atures, um ein paar Monate auf den Pflanzungen zuzubringen, die er mitten in den Waeldern beim Dorfe der unabhaengigen Macos besass. In Folge dieses friedlichen Verkehrs hatten sich vor einiger Zeit mehrere dieser _Indios monteros_ in der Mission niedergelassen. Sie baten dringend um Messer, Fischangeln und farbige Glasperlen, die trotz des ausdruecklichen Verbots der Ordensleute nicht als Halsbaender, sondern zum Aufputz des *Guayuco* (Guertels) dienen. Nachdem sie das Gewuenschte erhalten, gingen sie in die Waelder zurueck, da ihnen die Zucht in der Mission schlecht behagte. Epidemische Fieber, wie sie bei Eintritt der Regenzeit nicht selten heftig auftreten, trugen viel zu der unerwarteten Ausreisserei bei. Im Jahr 1799 war die Sterblichkeit in Carichana, am Ufer des Meta und im Raudal von Atures sehr stark. Dem Waldindianer wird das Leben des civilisirten Menschen zum Greuel, sobald seiner in der Mission lebenden Familie, ich will nicht sagen ein Unglueck, sondern nur unerwartet irgend etwas Widriges zustoesst. So sah man neubekehrte Indianer wegen herrschender grosser Trockenheit fuer immer aus den christlichen Niederlassungen fortlaufen, als ob das Unheil ihre Pflanzungen nicht ebenso betroffen haette, wenn sie immer unabhaengig geblieben waeren. Welches sind die Ursachen der Fieber, die einen grossen Theil des Jahrs hindurch in den Doerfern Atures und Maypures an den zwei grossen Katarakten des Orinoco herrschen und die Gegend fuer den europaeischen Reisenden so gefaehrlich machen? Die grosse Hitze im Verein mit der ausserordentlich starken Feuchtigkeit der Luft, die schlechte Nahrung und, wenn man den Eingeborenen glaubt, giftige Duenste, die sich aus den kahlen Felsen der Raudales entwickeln. Diese Orinoco-Fieber kommen, wie es uns schien, vollkommen mit denen ueberein, die alle Jahre in der Naehe des Meeres zwischen Nueva-Barcelona, Guayra und Porto Cabello auftreten und oft in adynamische Fieber ausarten. "Ich habe mein kleines Fieber (_mi calenturita_) erst seit acht Monaten," sagte der gute Missionaer von Atures, der uns an den Rio Negro begleitete; er sprach davon wie von einem gewohnten, wohl zu ertragenden Leiden. Die Anfaelle waren heftig, aber von kurzer Dauer; bald traten sie ein, wenn er in der Pirogue auf einem Gitter von Baumzweigen lag, bald wenn er auf offenem Ufer der heissen Sonne ausgesetzt war. Diese dreitaegigen Fieber sind mit bedeutender Schwaechung des Muskelsystems verbunden; indessen sieht man am Orinoco arme Ordensgeistliche sich jahrelang mit dieser _Calenturidas_ und _Tercianas_ schleppen; die Wirkungen sind nicht so tief greifend und gefaehrlich als bei kuerzer dauernden Fiebern in gemaessigten Himmelsstrichen. Ich erwaehnte eben, dass die Eingeborenen und sogar die Missionaere den kahlen Felsen einen nachtheiligen Einfluss auf die Salubritaet der Luft zuschreiben. Dieser Glaube verdient um so mehr Beachtung, da er mit einer physikalischen Erscheinung zusammenhaengt, die kuerzlich in verschiedenen Landstrichen beobachtet worden und noch nicht gehoerig erklaert ist. In den Katarakten und ueberall, wo der Orinoco zwischen den Missionen Carichana und Santa Barbara periodisch das Granitgestein bespuelt, ist dieses glatt, dunkelfarbig, wie mit Wasserblei ueberzogen. Die faerbende Substanz dringt nicht in den Stein ein, der ein grobkoerniger Granit ist, welcher hie und da Hornblendecrystalle enthaelt. Der schwarze Ueberzug ist 3/10 Linien dick und findet sich vorzueglich auf den quarzigen Stellen; die Feldspathcrystalle haben zuweilen aeusserlich ihre roethlich weisse Farbe behalten und springen aus der schwarzen Rinde vor. Zerschlaegt man das Gestein mit dem Hammer, so ist es innen unversehrt, weiss, ohne Spur von Zersetzung. Diese ungeheuren Steinmassen treten bald in viereckigten Umrissen auf, bald in der halbkugligten Gestalt, wie sie dem Granitgestein eigen ist, wenn es sich in Bloecke sondert. Sie geben der Gegend etwas eigenthuemlich Duesteres, da ihre Farbe vom Wasserschaum, der sie bedeckt, und vom Pflanzenwuchs um sie her scharf absticht. Die Indianer sagen, die Felsen seyen "von der Sonnengluth verbrannt oder verkohlt." Wir sahen sie nicht nur im Bett des Orinoco, sondern an manchen Punkten bis zu 500 Toisen vom gegenwaertigen Ufer in Hoehen, bis wohin der Fluss beim hoechsten Wasserstande jetzt nicht steigt. Was ist diese schwarzbraune Kruste, die diesen Felsen, wenn sie kugligt sind, das Ansehen von Meteorsteinen gibt? Wie hat man sich die Wirkung des Wassers bei diesem Niederschlag oder bei diesem auffallenden Farbwechsel zu denken? Vor allem ist zu bemerken, dass die Erscheinung nicht auf die Katarakten des Orinoco beschraenkt ist, sondern in beiden Hemisphaeren vorkommt. Als ich, nach der Rueckkehr aus Mexico, im Jahr 1807 die Granite von Atures und Maypures Roziere sehen liess, der das Nilthal, die Kueste des rothen Meeres und den Berg Sinai bereist hat, so zeigte mir der gelehrte Geolog, dass das Urgebirgsgestein bei den kleinen Katarakten von Syene, gerade wie das am Orinoco, eine glaenzende, schwarzgraue, fast bleifarbige Oberflaeche hat; manche Bruchstuecke sehen aus wie mit Theer ueberzogen. Erst neuerlich, bei der ungluecklichen Expedition des Capitaen Tuckey, fiel dieselbe Erscheinung englischen Naturforschern an den *Yellalas* (Stromschnellen und Klippen) auf, welche den Congo- oder Zairefluss verstopfen. Dr. KOeNIG hat im britischen Museum neben Syenite vom Congo Granite von Atures gestellt, die einer Suite von Gebirgsarten entnommen sind, die Bonpland und ich dem Praesidenten der Londoner koeniglichen Gesellschaft ueberreicht hatten. "Diese Handstuecke," sagt Koenig, "sehen beide aus wie Meteorsteine; bei beiden Gebirgsarten, bei der vom Orinoco wie bei der afrikanischen, besteht die schwarze Rinde, nach der Analyse von Children, aus Eisen- und Manganoxyd." Nach einigen Versuchen, die ich in Mexico in Verbindung mit del Rio gemacht, kam ich auf die Vermuthung, das Gestein von Atures, welches das Papier, in das es eingeschlagen ist, schwarz faerbt, moechte ausser dem Manganoxyd Kohle und ueberkohlensaures Eisen enthalten. Am Orinoco sind 40--50 Fuss dicke Granitmassen gleichfoermig mit diesen Oxyden ueberzogen, und so duenn diese Rinden erscheinen, enthalten sie doch ganz ansehnliche Mengen Eisen und Mangan, da sie ueber eine Quadratmeile Flaeche haben. Es ist zu bemerken, dass alle diese Erscheinungen von Faerbung des Gesteins bis jetzt nur in der heissen Zone beobachtet worden sind, an Fluessen, deren Temperatur gewoehnlich 24--28 Grad betraegt und die nicht ueber Sandstein oder Kalkstein, sondem ueber Granit, Gneiss und Hornblendegestein laufen. Der Quarz und der Feldspath enthalten kaum 5--6 Tausendtheile Eisen- und Manganoxyd; dagegen im Glimmer und in der Hornblende kommen diese Oxyde, besonders das Eisenoxyd, nach KLAPROTH und HERRMANN, bis zu 15 und 20 Procent vor. Die Hornblende enthaelt zudem Kohle, wie auch der lydische Stein und der Kieselschiefer. Bildet sich nun diese schwarze Rinde durch eine langsame Zersetzung des Granits unter dem doppelten Einfluss der Feuchtigkeit und der Sonne der Tropen, wie soll man es erklaeren, dass die Oxyde sich so gleichfoermig ueber die ganze Oberflaeche des Gesteins verbreiten, dass um einen Glimmer- und Hornblendecrystall nicht mehr davon liegt als ueber dem Feldspath und dem milchigten Quarz? Der eisenschuessige Sandstein, der Granit, der Marmor, die aschfarbig, zuweilen braun werden, haben ein ganz anderes Aussehen. Der Glanz und die gleiche Dicke der Rinde lassen vielmehr vermuthen, dass der Stoff ein Niederschlag aus dem Wasser des Orinoco ist, das in die Spalten des Gesteins gedrungen. Geht man von dieser Voraussetzung aus, so fragt man sich, ob jene Oxyde im Fluss nur suspendirt sind, wie der Sand und andere erdigten Substanzen, oder wirklich chemisch ausgeloest? Der ersteren Annahme widerspricht der Umstand, dass die Rinde voellig homogen ist und neben den Oxyden weder Sandkoerner noch Glimmerblaettchen sich darin finden. Man muss daher annehmen, dass chemische Aufloesung vorliegt, und die Vorgaenge, die wir taeglich in unsern Laboratorien beobachten, widersprechen dieser Voraussetzung durchaus nicht. Das Wasser grosser Fluesse enthaelt Kohlensaeure, und waere es auch ganz rein, so koennte es doch immer in sehr grossen Mengen einige Theilchen Metalloxyd oder Hydrat aufloesen, wenn dieselben auch fuer unaufloeslich gelten. Im Nilschlamm, also im Niederschlag der im Fluss suspendirten Stoffe, findet sich kein Mangan; er enthaelt aber nach Reynaults Analyse 6 Procent Eisenoxyd und seine Anfangs schwarze Farbe wird beim Trocknen und durch die Einwirkung der Luft gelbbraun. Von diesem Schlamm kann also die schwarze Rinde an den Felsen von Syene nicht herruehren. Auf meine Bitte hat BERZELIUS diese Rinde untersucht; er fand darin Eisen und Mangan, wie in der auf den Graniten vom Orinoco und Congo. Der beruehmte Chemiker ist der Ansicht, die Oxyde werden von den Fluessen nicht dem Boden entzogen, ueber den sie laufen, sie kommen ihnen vielmehr aus ihren unterirdischen Quellen zu und sie schlagen dieselben auf das Gestein nieder, wie durch Caementation, in Folge eigenthuemlicher Affinitaeten, vielleicht durch Einwirkung des Kali im Feldspath. Nur durch einen langen Aufenthalt an den Katarakten des Orinoco, des Nil und des Congoflusses und durch genaue Beobachtung der Umstaende, unter denen die Faerbung auftritt, kann die Frage, die uns hier beschaeftigt hat, ganz zur Entscheidung gebracht werden. Ist die Erscheinung von der Beschaffenheit des Gesteins unabhaengig? Ich beschraenke mich auf die allgemeine Bemerkung, dass weder Granitmassen, die weit vom alten Bett des Orinoco liegen, aber in der Regenzeit abwechselnd befeuchtet und von der Sonne erhitzt werden, noch der Granit, der von den braeunlichen Wassern des Rio Negro bespuelt wird, aeusserlich den Meteorsteinen aehnlich werden. Die Indianer sagen, "die Felsen seyen nur da schwarz, wo das Wasser weiss ist." Sie sollten vielleicht weiter sagen: "wo das Wasser eine grosse Geschwindigkeit erlangt hat und gegen das Gestein am Ufer anprallt." Die Caementation scheint zu erklaeren, warum die Rinde so duenn bleibt. Ob der in den Missionen am Orinoco herrschende Glaube, dass in der Naehe des kahlen Gesteins, besonders der Felsmassen mit einer Rinde von Kohle, Eisen- und Manganoxyd die Luft ungesund sey, grundlos ist, weiss ich nicht zu sagen. In der heissen Zone werden noch mehr als anderswo die krankheiterregenden Ursachen vom Volke willkuehrlich gehaeuft. Man scheut sich dort im Freien zu schlafen, wenn einem der Vollmond ins Gesicht schiene; ebenso haelt man es fuer bedenklich, sich nahe am Flusse auf Granit zu lagern, und man erzaehlt viele Faelle, wo Leute nach einer auf dem schwarzen kahlen Gestein zugebrachten Nacht Morgens mit einem starken Fieberanfall erwacht sind. Wir schenkten nun zwar dieser Behauptung der Missionaere und der Eingeborenen nicht unbedingt Glauben, mieden aber doch die _laxas negras_ und lagerten uns auf mit weissem Sand bedeckten Uferstrecken, wenn wir keine Baeume fanden, um unsere Haengematten zu befestigen. In Carichana will man das Dorf abbrechen und verlegen, nur um von den *schwarzen Felsen* wegzukommen, von einem Ort, wo auf einer Strecke von mehr als 10,000 Quadrattoisen die Bodenflaeche aus kahlem Granitgestein besteht. Aus aehnlichen Gruenden, die den Physikern in Europa als blosse Einbildungen erscheinen muessen, versetzten die Jesuiten Olmo, Forneri und Mellis ein Dorf der Jaruros an drei verschiedene Punkte zwischen dem Raudal von Tabaje und dem Rio Anaveni. Ich glaubte diese Dinge, ganz wie sie mir zu Ohren gekommen, anfuehren zu muessen, da wir so gut wie gar nicht wissen, was eigentlich die Gasgemenge sind, wodurch die Luft ungesund wird. Laesst sich annehmen, dass unter dem Einfluss starker Hitze und bestaendiger Feuchtigkeit die schwarze Rinde des Gesteins auf die umgebende Luft einwirkt und Miasmen, ternaere Verbindungen von Kohlenstoff, Stickstoff und Wasserstoff erzeugt? Ich zweifle daran. Der Granit am Orinoco enthaelt allerdings haeufig Hornblende, und praktische Bergleute wissen wohl, dass die schlimmsten Schwaden sich in Stollen bilden, die durch Syenit und Hornblendestein getrieben werden. Aber im Freien, wo die Luft durch die kleinen Stroemungen fortwaehrend erneuert wird, kann die Wirkung nicht dieselbe seyn wie in einer Grube. Wahrscheinlich ist es nur desshalb gefaehrlich, auf den _laxas negras_ zu schlafen, weil das Gestein bei Nacht eine sehr hohe Temperatur behaelt. Ich fand dieselbe bei Tag 48 deg., waehrend die Luft im Schatten 29 deg.,7 warm war; bei Nacht zeigte der Thermometer, an das Gestein gelegt, 36 deg., die Luft nur 26 deg.. Wenn die Waermeanhaenfung in den Gesteinsmassen zum Stillstand gekommen ist, so haben diese Massen zu denselben Stunden immer wieder ungefaehr dieselbe Temperatur. Den Ueberschuss von Waerme, den sie bei Tag bekommen, verlieren sie in der Nacht durch die Strahlung, deren Staerke von der Beschaffenheit der Oberflaeche des strahlenden Koerpers, von der Anordnung seiner Molecuele im Innern, besonders aber von der Reinheit des Himmels abhaengt, das heisst davon, ob die Luft durchsichtig und wolkenlos ist. Wo der Unterschied in der Abweichung der Sonne nur gering ist, geht von ihr jeden Tag fast die gleiche Waermemenge aus und das Gestein ist am Ende des Sommers nicht waermer als zu Anfang desselben. Es kann ein gewisses Maximum nicht ueberschreiten, weil sich weder der Zustand seiner Oberflaeche, noch seine Dichtigkeit, noch seine Waermecapacitaet veraendert hat. Steigt man am Ufer des Orinoco bei Nacht aus der Haengematte und betritt den Felsboden mit blossen Fuessen, so ist die Waerme, die man empfindet, sehr auffallend. Wenn ich die Thermometerkugel an das nackte Gestein legte, fand ich fast immer, dass die _laxas negras_ bei Tag waermer sind als der roethlich weisse Granit weitab vom Ufer, dass aber letzterer sich bei Nacht nicht so schnell abkuehlt als jener. Begreiflich geben Massen mit einem schwarzen Ueberzug den Waermestoff rascher wieder ab als solche, in denen viele silberfarbige Glimmerblaetter stecken. Geht man in Carichana, Atures oder Maypures zwischen ein und drei Uhr Nachmittags unter diesen hoch ausgethuermten Felsbloecken ohne alle Dammerde, so erstickt man beinahe, als staende man vor der Muendung eines Schmelzofens. Der Wind (wenn man ihn je in diesen bewaldeten Laendern spuert) bringt statt Kuehlung nur noch heissere Luft herbei, da er ueber Steinschichten und aufgethuermte Granitkugeln weggegangen ist. Durch diese Steigerung der Hitze wird das Klima noch ungesunder, als es ohnehin ist. Unter den Ursachen der Entvoelkerung der Raudales habe ich die Blattern nicht genannt, die in andern Strichen von Amerika so schreckliche Verheerungen anrichten, dass die Eingeborenen, von Entsetzen ergriffen, ihre Huetten anzuenden, ihre Kinder umbringen und alle Gemeinschaft fliehen. Am obern Orinoco weiss man von dieser Geissel so gut wie nichts, und kaeme sie je dahin, so ist zu hoffen, dass ihr die Kuhpockenimpfung, deren Segen man auf den Kuesten von Terra Firma taeglich empfindet, alsbald Schranken setzte. Die Ursachen der Entvoelkerung in den christlichen Niederlassungen sind der Widerwillen der Indianer gegen die Zucht in den Missionen, das ungesunde, zugleich heisse und feuchte Klima, die schlechte Nahrung, die Verwahrlosung der Kinder, wenn sie krank sind, und die schaendliche Sitte der Muetter, giftige Kraeuter zu gebrauchen, damit sie nicht schwanger werden. Bei den barbarischen Voelkern in Guyana, wie bei den halb civilisirten Bewohnern der Suedseeinseln gibt es viele junge Weiber, die nicht Muetter werden wollen. Bekommen sie Kinder, so sind dieselben nicht allein den Gefahren des Lebens in der Wildniss, sondern noch manchen andern ausgesetzt, die aus dem abgeschmacktesten Aberglauben herfliessen. Sind es Zwillinge, so verlangen verkehrte Begriffe von Anstand und Familienehre, dass man eines der Kinder umbringe. "Zwillinge in die Welt setzen, heisst sich dem allgemeinen Spott preisgeben, heisst es machen wie Ratten, Beutelthiere und das niedrigste Gethier, das viele Junge zugleich wirft." Aber noch mehr: "Zwei zugleich geborene Kinder koennen nicht von Einem Vater seyn." Das ist ein Lehrsatz in der Physiologie der Salivas, und unter allen Himmelsstrichen, auf allen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung sieht man, dass das Volk, hat es sich einmal einen Satz der Art zu eigen gemacht, zaeher daran festhaelt, als die Unterrichteten, die ihn zuerst aufs Tapet gebracht. Um des Hausfriedens willen nehmen es alte Basen der Mutter oder die _mure japoic-nei_ (Hebamme) auf sich, eines der Kinder auf die Seite zu schaffen. Hat der Neugeborene, wenn er auch kein Zwilling ist, irgend eine koerperliche Missbildung, so bringt ihn der Vater auf der Stelle um. Man will nur wohlgebildete, kraeftige Kinder; denn bei den Missbildungen hat der boese Geist *Joloquiamo* die Hand im Spiel, oder der Vogel *Tikitiki*, der Feind des Menschengeschlechts. Zuweilen haben auch bloss sehr schwaechliche Kinder dasselbe Loos. Fragt man einen Vater, was aus einem seiner Soehne geworden sey, so thut er, als waere er ihm durch einen natuerlichen Tod entrissen worden. Er verlaeugnet eine That, die er fuer tadelnswerth, aber nicht fuer strafbar haelt. "Das arme _Mure_ (Kind)", heisst es, "konnte nicht mit uns Schritt halten; man haette jeden Augenblick auf es warten muessen; man hat nichts mehr von ihm gesehen, es ist nicht dahin gekommen, wo wir geschlafen haben." Diess ist die Unschuld und Sitteneinfalt, diess ist das gepriesene Glueck des Menschen *im Urzustand!* Man bringt sein Kind um, um nicht wegen Zwillingen laecherlich zu werden, um nicht langsamer wandern, um sich nicht eine kleine Entbehrung auferlegen zu muessen. Grausamkeiten der Art sind nun allerdings nicht so haeufig, als man glaubt; indessen kommen sie sogar in den Missionen vor, und zwar zur Zeit, wo die Indianer aus dem Dorfe ziehen und sich auf den _'Conucos'_ in den nahen Waeldern aushalten. Mit Unrecht schriebe man sie der Polygamie zu, in der die nicht catechisirten Indianer leben. Bei der Vielweiberei ist allerdings das haeusliche Glueck und der Frieden in den Familien gefaehrdet, aber trotz dieses Brauchs, der ja auch ein Gesetz des Islams ist, lieben die Morgenlaender ihre Kinder zaertlich. Bei den Indianern am Orinoco kommt der Vater nur nach Hause, um zu essen und sich in seine Haengematte zu legen; er liebkost weder seine kleinen Kinder, noch seine Weiber, die da sind, ihn zu bedienen. Die vaeterliche Zuneigung kommt erst dann zum Vorschein, wenn der Sohn so weit herangewachsen ist, dass er an der Jagd, am Fischfang und an der Arbeit in den Pflanzungen Theil nehmen kann. Wenn nun aber auch der schaendliche Brauch, durch gewisse Traenke Kinder abzutreiben, die Zahl der Geburten vermindert, so greifen diese Traenke die Gesundheit nicht so sehr an, dass nicht die jungen Weiber in reiferen Jahren wieder Muetter werden koennten. Diese physiologisch sehr merkwuerdige Erscheinung ist den Moenchen in den Missionen laengst aufgefallen. Der Jesuit GILI, der fuenfzehn Jahre lang die Indianer am Orinoco Beichte gehoert hat und sich ruehmt, _i segreti delle donne maritate_ zu kennen, aeussert sich darueber mit verwunderlicher Naivetaet. "In Europa," sagt er, "fuerchten sich die Eheweiber vor dem Kinderbekommen, weil sie nicht wissen, wie sie sie ernaehren, kleiden, ausstatten sollen. Von all diesen Sorgen wissen die Weiber am Orinoco nichts. Sie waehlen die Zeit, wo sie Muetter werden wollen, nach zwei gerade entgegengesetzten Systemen, je nachdem sie von den Mitteln, sich frisch und schoen zu erhalten, diese oder jene Vorstellung haben. Die einen behaupten, und diese Meinung ist die vorherrschende, es sey besser, man fange spaet an Kinder zu bekommen, um sich in den ersten Jahren der Ehe ohne Unterbrechung der Arbeit im Haus und Feld widmen zu koennen. Andere glauben im Gegentheil, es staerke die Gesundheit und verhelfe zu einem gluecklichen Alter, wenn man sehr jung Mutter geworden sey. Je nachdem die Indianer das eine oder das andere System haben, werden die Abtreibemittel in verschiedenen Lebensaltern gebraucht." Sieht man hier, wie selbstsuechtig der Wilde seine Berechnungen anstellt, so moechte man den civilisirten Voelkern in Europa Glueck wuenschen, dass *Ecbolia*, die dem Anschein nach der Gesundheit so wenig schaden, ihnen bis jetzt unbekannt geblieben sind. Durch die Einfuehrung von dergleichen Traenken wuerde vielleicht die Sittenverderbniss in den Staedten noch gesteigert, wo ein Viertheil der Kinder nur zur Welt kommt, um von den Eltern verstossen zu werden. Leicht moeglich aber auch, dass die neuen Abtreibemittel in unserem Klima so gefaehrlich waeren wie der Sevenbaum, die Aloe und das fluechtige Zimmt- und Gewuerznelkenoel. Der kraeftige Koerper des Wilden, in dem die verschiedenen organischen Systeme unabhaengiger von einander sind, widersteht besser und laenger uebermaessigen Reizen und den Gebrauch dem Leben feindlicher Substanzen, als die schwache Constitution des civilisirten Menschen. Ich glaubte mich in diese nicht sehr erfreulichen pathologischen Betrachtungen einlassen zu muessen, weil sie auf eine der Ursachen hinweisen, aus denen im versunkensten Zustande unseres Geschlechts, wie auf der hoechsten Stufe der Cultur, die Bevoelkerung kaum merkbar zunimmt. Zu den eben bezeichneten Ursachen kommen andere wesentlich verschiedene. Im Collegium fuer die Missionen von Piritu zu Nueva Barcelona hat man die Bemerkung gemacht, dass in den an sehr trockenen Orten gelegenen Indianerdoerfern immer auffallend mehr Kinder geboren werden als in den Doerfern an Flussufern. Die Sitte der indianischen Weiber, mehreremal am Tage, bei Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang, also wenn die Luft am kuehlsten ist, zu baden, scheint die Constitution zu schwaechen. Der Pater Gardian der Franciscaner sah mit Schrecken, wie rasch die Bevoelkerung in den beiden Doerfern an den Katarakten abnahm und schlug daher vor einigen Jahren dem Statthalter der Provinz in Angostura vor, die Indianer durch Neger zu ersetzen. Bekanntlich dauert die afrikanische Race in heissem und feuchtem Klima vortrefflich aus. Eine Niederlassung freier Neger am ungesunden Ufer des Caura in der Mission San Luis Guaraguaraico gedeiht ganz gut, und sie bekommen ausnehmend reiche Maisernten. Der Pater Gardian beabsichtigte, einen Theil dieser schwarzen Colonisten an die Katarakten des Orinoco zu verpflanzen, oder aber Sklaven aus den Antillen zu kaufen und sie, wie man am Caura gethan, mit Negern, die aus Esquibo entlaufen, anzusiedeln. Wahrscheinlich waere der Plan ganz gut gelungen. Derselbe erinnerte im Kleinen an die Niederlassungen in Sierra Leone; es war Aussicht vorhanden, dass der Zustand der Schwarzen sich damit verbesserte und so das Christenthum zu seinem urspruenglichen Ziele, Foerderung des Gluecks und der Freiheit der untersten Volksklassen, wieder hingefuehrt wurde. Ein kleines Missverstaendniss vereitelte die Sache. Der Statthalter erwiderte den Moenchen: "Da man fuer das Leben der Neger so wenig buergen koenne, als fuer das der Indianer, so erscheine es nicht als gerecht, jene zur Niederlassung in den Doerfern bei den Katarakten zu zwingen." Gegenwaertig haengt die Existenz dieser Missionen so ziemlich an zwei Guahibo- und Maco-Familien, den einzigen, bei denen man einige Spuren von Civilisation findet und die das Leben auf eigenem Grund und Boden lieben. Sterben diese Haushaltungen aus, so laufen die andern Indianer, die der Missionszucht laengst muede sind, dem Pater Zea davon, und an einem Punkt, den man als den Schluessel des Orinoco betrachten kann, finden dann die Reisenden nichts mehr, was sie beduerfen, zumal keinen Steuermann, der die Canoes durch die Stromschnellen schafft; der Verkehr zwischen dem Fort am Rio Negro und der Hauptstadt Angostura waere, wo nicht unterbrochen, doch ungemein erschwert. Es bedarf ganz genauer Kenntniss der Oertlichkeiten, um sich in das Labyrinth von Klippen und Felsbloecken zu wagen, die bei Atures und Maypures das Strombett verstopfen. Waehrend man unsere Pirogue auslud, betrachteten wir von allen Punkten, wo wir ans Ufer gelangen konnten, in der Naehe das ergreifende Schauspiel eines eingeengten und wie voellig in Schaum verwandelten grossen Stromes. Ich versuche es, nicht unsere Empfindungen, sondern eine Oertlichkeit zu schildern, die unter den Landschaften der neuen Welt so beruehmt ist. Je grossartiger, majestaetischer die Gegenstaende sind, desto wichtiger ist es, sie in ihren kleinsten Zuegen aufzufassen, die Umrisse des Gemaeldes, mit dem man zur Einbildungslraft des Lesers sprechen will, fest zu zeichnen, die bezeichnenden Merkmale der grossen, unvergaenglichen Denkmaeler der Natur einfach zu schildern. Von seiner Muendung bis zum Einfluss des Anaveni, auf einer Strecke von 260 Meilen, ist die Schifffahrt auf dem Orinoco durchaus ungehindert. Bei Muitaco, in einer Bucht, _'Boca del infierno'_ genannt, sind Klippen und Wirbel; bei Carichana und San Borja sind Stromschnellen (_Raudalitos_); aber an allen diesen Punkten ist der Strom nie ganz gesperrt, es bleibt eine Wasserstrasse, auf der die Fahrzeuge hinab- und hinauffahren koennen. Auf dieser ganzen Fahrt auf dem untern Orinoco wird dem Reisenden nur Eines gefaehrlich, die natuerlichen Floesse aus Baeumen, die der Fluss entwurzelt und bei Hochwasser forttreibt. Wehe den Piroguen, die bei Nacht an solchem Gitterwerk aus Holz und Schlinggewaechsen auffahren! Dasselbe ist mit Wasserpflanzen bedeckt und gleicht hier, wie auf dem Mississippi, schwimmenden Wiesen, den *Chinampas*(26) der mexicanischen Seen. Wenn die Indianer eine feindliche Horde ueberfallen wollen, binden sie mehrere Canoes mit Stricken zusammen; bedecken sie mit Kraeutern und Baumzweigen und bilden so die Haufen von Baeumen nach, die der Orinoco auf seinem Thalweg abwaerts treibt. Man sagt den Caraiben nach, sie seyen frueher in dieser Kriegslist ausgezeichnet gewesen, und gegenwaertig bedienen sich die spanischen Schmuggler in der Naehe von Angostura desselben Mittels, um die Zollaufseher hinter das Licht zu fuehren. Oberhalb des Rio Anaveni, zwischen den Bergen von Uniana und Sipapu, kommt man zu den Katarakten von Mapara und Quittuna, oder, wie die Missionaere gemeiniglich sagen, zu den Raudales von Atures und Maypures. Diese beiden vom einen zum andern Ufer laufenden Stromsperren geben im Grossen ungefaehr dasselbe Bild: zwischen zahllosen Inseln, Felsdaemmen, aufeinander gethuermten, mit Palmen bewachsenen Granitbloecken loest sich einer der groessten Stroeme der neuen Welt in Schaum auf. Trotz dieser Uebereinstimmung im Aussehen hat jeder der Faelle seinen eigenthuemlichen Charakter. Der erste, noerdliche, ist bei niedrigem Wasser leichter zu passiren; beim zweiten, dem von Maypures, ist den Indianern die Zeit des Hochwassers lieber. Oberhalb Maypures und der Einmuendung des Cano Cameji ist der Orinoco wieder frei auf einer Strecke von mehr als 169 Meilen, bis in die Naehe seiner Quellen, das heisst bis zum Raudalito der Guayaribos, ostwaerts vom Cano Chiguire und den hohen Bergen von Yumariquin. Ich habe die beiden Becken des Orinoco und des Amazonenstroms besucht, und es fiel mir ungemein auf, wie verschieden sie sich auf ihrem ungleich langen Laufe verhalten. Beim Amazonenstrom, der gegen 980 Seemeilen (20 auf den Grad) lang ist, sind die grossen Faelle ziemlich nahe bei den Quellen, im ersten Sechstheil der ganzen Laenge; fuenf Sechstheile seines Laufe sind vollkommen frei. Beim Orinoco sind die Faelle, weit unguenstiger fuer die Schifffahrt, wenn nicht in der Mitte, doch unterhalb des ersten Drittheils seiner Laenge gelegen. Bei beiden Stroemen werden die Faelle nicht durch die Berge, nicht durch die Stufen der ueber einander liegenden Plateaus, wo sie entspringen, gebildet, sondern durch andere Berge, durch andere ueber einander gelagerte Stufen, durch die sich die Stroeme nach langem friedlichen Lauf Bahn brechen muessen, wobei sie sich von Staffel zu Staffel herabstuerzen. Der Amazonenstrom durchbricht keineswegs die Hauptkette der Anden, wie man zu einer Zeit behauptete, wo man ohne Grund voraussetzte, dass ueberall, wo sich die Gebirge in parallele Ketten theilen, die mittlere oder Centralkette hoeher seyn muesse als die andern. Dieser grosse Strom entspringt (und dieser Umstand ist geologisch nicht ohne Belang) ostwaerts von der westlichen Kette, der einzigen, welche unter dieser Breite den Namen einer hohen Andenkette verdient. Er entsteht aus der Vereinigung der kleinen Fluesse Aguamiros und Chavinillo, welch letzterer aus dem See Llauricocha kommt, der in einem Laengenthale zwischen der westlichen und der mittleren Kette der Anden liegt. Um diese hydrographischen Verhaeltnisse richtig aufzufassen, muss man sich vorstellen, dass der colossale Gebirgsknoten von Pasco und Huanuco sich in drei Ketten theilt. Die westlichste, hoechste streicht unter dem Namen _Cordillera real de Nieve_ (zwischen Huary und Caxatambo, Guamachuco und Lucma, Micuipampa und Guangamarca) ueber die *Nevados* von Viuda, Pelagatos, Moyopata und Huaylillas, und die *Paramos* von Guamani und Guaringa gegen die Stadt Loxa. Der mittlere Zug scheidet die Gewaesser des oberen Amazonenstroms und des Guallaga und bleibt lange nur tausend Toisen hoch; erst suedlich von Huanuco steigt er in der Cordillere von Sasaguanca ueber die Schneelinie empor. Er streicht zuerst nach Nord ueber Huacrachuco, Chachapoyas, Moyobamba und den Paramo von Piscoguanuna, dann faellt er allmaehlig ab, Peca, Copallin und der Mission San Yago am oestlichen Ende der Provinz Jaen de Bracamoros zu. Die dritte, oestlichste Kette zieht sich am rechten Ufer des Rio Guallaga hin und laeuft unter dem 7. Grad der Breite in die Niederung aus. So lange der Amazonenstrom von Sued nach Nord im Laengenthal zwischen zwei Gebirgszuegen von ungleicher Hoehe laeuft (das heisst von den Hoefen Quivilla und Guancaybamba, wo man auf hoelzernen Bruecken ueber den Fluss geht, bis zum Einfluss des Rio Chinchipe), ist die Fahrt im Canoe weder durch Felsen, noch durch sonst etwas gehemmt. Die Faelle fangen erst da an, wo der Amazonenstrom sich gegen Ost wendet und durch die mittlere Andenkette hindurchgeht, die gegen Norden bedeutend breiter wird. Er stoesst auf die ersten Felsen von rothem Sandstein oder altem Conglomerat zwischen Tambillo und dem *Pongo* Rentema, wo ich Breite, Tiefe und Geschwindigkeit des Wassers gemessen habe; er tritt aus dem rothen Sandstein ostwaerts von der vielberufenen Stromenge Manseriche beim Pongo Tayuchuc, wo die Huegel sich nur noch 40--60 Toisen ueber den Flussspiegel erheben. Den oestlichen Zug, der an den Pampas von Sacramento hinlaeuft, erreicht der Fluss nicht. Von den Huegeln von Tayuchuc bis Gran-Para, auf einer Strecke von mehr als 750 franzoesischen Meilen, ist die Schifffahrt ganz frei. Aus dieser raschen Uebersicht ergibt sich, dass der Maranon, haette er nicht das Bergland zwischen San Yago und Tomependa, das zur Centralkette der Anden gehoert, zu durchziehen, schiffbar waere von seinem Ausfluss ins Meer bis Pumpo bei Piscobamba in der Provinz Conchucos, 43 Meilen von seiner Quelle. Wir haben gesehen, dass sich beim Orinoco wie beim Amazonenstrom die grossen Faelle nicht in der Naehe des Ursprungs befinden. Nach einem ruhigen Lauf von mehr als 160 Meilen vom kleinen Raudal der Guaharibos, ostwaerts von Esmeralda, bis zu den Bergen von Sipapu, und nachdem er sich durch die Fluesse Jao, Ventuari, Atabapo und Guaviare verstaerkt, biegt der Orinoco aus seiner bisherigen Richtung von Ost nach West rasch in die von Sued nach Nord um und stoesst auf dem Lauf ueber die _'Land-Meerenge'_(27) in den Niederungen am Meta auf die Auslaeufer der Cordillere der Parime. Und dadurch entstehen nun Faelle, die weit staerker sind und der Schifffahrt ungleich mehr Eintrag thun als alle *Pongos* im obern Maranon, weil sie, wie wir oben auseinandergesetzt, der Muendung des Flusses verhaeltnissmaessig naeher liegen. Ich habe mich in diese geographischen Details eingelassen, um am Beispiel der groessten Stroeme der neuen Welt zu zeigen: 1) dass sich nicht absolut eine gewisse Toisenzahl, eine gewisse Meereshoehe angeben laesst, ueber welcher die Fluesse noch nicht schiffbar sind; 2) dass die Stromschnellen keineswegs immer, wie in manchen Handbuechern der allgemeinen Topographie behauptet wird, nur am Abhang der ersten Bergschwellen, bei den ersten Hoehenzuegen vorkommen, ueber welche die Gewaesser in der Naehe ihrer Quellen zu laufen haben. Nur der noerdliche der grossen Katarakten des Orinoco hat hohe Berge zu beiden Seiten. Das linke Stromufer ist meist niedriger, gehoert aber zu einem Landstrich, der westwaerts von Atures gegen den Pic Uniana ansteigt, einen gegen 3000 Fuss hohen Bergkegel auf einer steil abfallenden Felsmauer. Dadurch, dass er frei aus der Ebene aufsteigt, nimmt sich dieser Pic noch grossartiger und majestaetischer aus. In der Naehe der Mission, auf dem Landstrich am Kararakt nimmt die Landschaft bei jedem Schritt einen andern Charakter an. Auf engem Raume findet man hier die rauhsten, finstersten Naturgebilde neben freiem Feld, bebauten, lachenden Fluren. In der aeussern Natur wie in unserem Innern ist der Gegensatz der Eindruecke, das Nebeneinander des Grossartigen, Drohenden, und des Sanften, Friedlichen eine reiche Quelle unserer Empfindungen und Genuesse. Ich nehme hier einige zerstreute Zuege einer Schilderung auf, die ich kurz nach meiner Rueckkehr nach Europa in einem andern Buche entworfen.(28) Die mit zarten Kraeutern und Graesern bewachsenen Savanen von Atures sind wahre Praerien, aehnlich unsern europaeischen Wiesen; sie werden nie vom Flusse ueberschwemmt und scheinen nur der Menschenhand zu harren, die sie umbricht. Trotz ihrer bedeutenden Ausdehnung sind sie nicht so eintoenig wie unsere Ebenen. Sie laufen um Felsgruppen, um uebereinander gethuermte Granitbloecke her. Dicht am Rand dieser Ebenen, dieser offenen Fluren stoesst man auf Schluchten, in die kaum ein Strahl der untergehenden Sonne dringt, auf Gruende, wo einem aus dem feuchten, mit Arum, Heliconia und Lianen dicht bewachsenen Boden bei jedem Schritte die wilde Ueppigkeit der Natur entgegentritt. Ueberall kommen, dem Boden gleich, die ganz kahlen Granitplatten zu Tage, wie ich sie bei Carichana beschrieben, und wie ich sie in der alten Welt nirgends so ausnehmend breit gesehen habe wie im Orinocothal. Da wo Quellen aus dem Schoosse dieses Gesteins vorbrechen, haben sich Verrucarien, Psoren und Flechten an den verwitterten Granit geheftet und Dammerde erzeugt. Kleine Euphorbien, Peperomien und andere Saftpflanzen sind den cryptogamischen Gewaechsen gefolgt, und jetzt bildet immergruenes Strauchwerk, Rhexien, Melastomen mit purpurrothen Bluethen, gruene Eilande inmitten der oeden steinigten Ebene. Man kommt immer wieder darauf zurueck: die Bodenbildung, die ueber die Savanen zerstreuten Boskette aus kleinen Baeumen mit lederartigen, glaenzenden Blaettern, die kleinen Baeche, die sich ein Bett im Fels graben und sich bald ueber fruchtbares ebenes Land, bald ueber kahle Granitbaenke schlaengeln, Alles erinnert einen hier an die reizendsten, malerischsten Parthien unserer Parkanlagen und Pflanzungen. Man meint mitten in der wilden Landschaft menschlicher Kunst und Spuren von Cultur zu begegnen. Aber nicht nur durch die Bodenbildung zunaechst bei der Mission Atures erhaelt die Gegend eine so auffallende Physiognomie: die hohen Berge, welche ringsum den Horizont begrenzen, tragen durch ihre Form und die Art ihres Pflanzenwuchses das Ihrige dazu bei. Diese Berge erheben sich meist nur 7--800 Fuss ueber die umgebenden Ebenen. Ihre Gipfel sind abgerundet, wie in den meisten Granitgebirgen, und mit einem dichten Walde von Laurineen bedeckt. Gruppen von Palmen (_el Cucurito_) deren gleich Federbueschen gekraeuselte Blaetter unter einem Winkel von 70 Grad majestaetisch emporsteigen, stehen mitten unter Baeumen mit wagerechten Aesten; ihre nackten Staemme schiessen gleich hundert bis hundertzwanzig Fuss hohen Saeulen in die Luft hinauf und heben sich vom blauen Himmel ab, "ein Wald ueber dem Walde." Wenn der Mond den Bergen von Uniana zu unterging und die roethliche Scheibe des Planeten sich hinter das gefiederte Laub der Palmen versteckte und dann wieder im Luftstrich zwischen beiden Waeldern zum Vorschein kam, so glaubte ich mich auf Augenblicke in die Einsiedelei des Alten versetzt, die BERNARDIN DE SAINT PIERRE als eine der herrlichsten Gegenden auf der Insel Bourbon schildert, und fuehlte so recht, wie sehr die Gewaechse nach Wuchs und Gruppirung in beiden Welten einander gleichen. Mit der Beschreibung eines kleinen Erdwinkels auf einer Insel im indischen Ocean hat der unnachahmliche Verfasser von _Paul und Virginie_ vom gewaltigen Bild der tropischen Landschaft eine Skizze entworfen. Er wusste die Natur zu schildern, nicht weil er sie als Forscher kannte, sondern weil er fuer all ihre harmonischen Verhaeltnisse in Gestaltung, Farbe und innern Kraeften ein tiefes Gefuehl besass. Oestlich von Atures, neben jenen abgerundeten Bergen, auf denen. zwei Waelder von Laurineen und Palmen ueber einander stehen, erheben sich andere Berge von ganz verschiedenem Aussehen. Ihr Kamm ist mit gezackten Felsen besetzt, die wie Pfeiler ueber die Baeume und das Gebuesch emporragen. Diese Bildung kommt allen Granitplateaus zu, im Harz, im boehmischen Erzgebirge, in Galizien, an der Grenze beider Castilien; sie wiederholt sich ueberall, wo in unbedeutender Meereshoehe (400--600 Toisen) ein Granit neuerer Formation zu Tage kommt. Die in Abstaenden sich erhebenden Felsen bestehen entweder aus aufgethuermten Bloecken oder sind in regelmaessige, wagerechte Baenke getheilt. Auf die ganz nahe am Orinoco stellen sich die Flamingos, die *Soldados*(29) und andere fischfangende Voegel, und nehmen sich dann aus wie Menschen, die Wache stehen. Diess ist zuweilen so taeuschend, dass, wie mehrere Augenzeugen erzaehlen, die Einwohner von Angostura eines Tags kurz nach der Gruendung der Stadt in die groesste Bestuerzung geriethen, als sich auf einmal auf einem Berge gegen Sued Reiher, *Soldados* und *Garzas* blicken liessen. Sie glaubten sich von einem Ueberfall der _Indios monteros_ (der wilden Indianer) bedroht, und obgleich einige Leute, die mit dieser Taeuschung bekannt waren, die Sache aufklaerten, beruhigte sich das Volk nicht eher ganz, als bis die Voegel in die Luft stiegen und ihre Wanderung der Muendung des Orinoco zu fortsetzten. Die schoene Vegetation der Berge ist, wo nur auf dem Felsboden Dammerde liegt, auch ueber die Ebenen verbreitet. Meistens sieht man zwischen dieser schwarzen, mit Pflanzenfasern gemischten Dammerde und dem Granitgestein eine Schichte weissen Sandes. Der Missionaer versicherte uns, in der Naehe der Wasserfaelle sey das Gruen bestaendig frisch, in Folge des vielen Wasserdampfes, der aus dem auf einer Strecke von 3000--4000 Toisen in Strudel und Wasserfaelle zerschlagenen Strom aussteigt. Kaum hatte man in Atures ein paarmal donnern hoeren, und bereits zeigte die Vegetation aller Orten die kraeftige Fuelle und den Farbenglanz, wie man sie auf den Kuesten erst zu Ende der Regenzeit findet. Die alten Baeume hingen voll praechtiger Orchideen, gelber Bannisterien, Bignonien mit blauen Bluethen, Peperomia, Arum, Pothos. Auf einem einzigen Baumstamm waren mannigfaltigere Pflanzengebilde beisammen, als in unserem Klima auf einem ansehnlichen Landstrich. Neben diesen den heissen Klimaten eigenen Schmarotzergewaechsen sahen wir hier mitten in der heissen Zone und fast im Niveau des Meeres zu unserer Ueberraschung Moose, die vollkommen den europaeischen glichen. Beim grossen Katarakt von Atures pflueckten wir die schoene Grimmia-Art mit Fontinalis-Blaettern, welche die Botaniker so sehr beschaeftigt hat; sie haengt an den Aesten der hoechsten Baeume. Unter den Phanerogamen herrschen in den bewaldeten Strichen Mimosen, Ficus und Laurineen vor. Diess ist um so charakteristischer, als nach BROWNs neuerlicher Beobachtung auf dem gegenueber liegenden Continent, im tropischen Afrika, die Laurineen fast ganz zu fehlen scheinen. Gewaechse, welche Feuchtigkeit lieben, schmuecken die Ufer am Wasserfall. Man findet hier in den Niederungen Buesche von Heliconia und andern Scitamineen mit breiten glaenzenden Blaettern, Bambusrohre, die drei Palmenarten *Murichi*, *Jagua* und *Vadgiai*, deren jede besondere Gruppen bildet. Die Murichipalme oder die Mauritia mit schuppigter Frucht ist die beruehmte Sagopalme der Guaranos-Indianer; sie ist ein wirkliches geselliges Gewaechs. Sie hat handfoermige Blaetter und waechst nicht unter den Palmen mit gefiederten und gekraeuselten Blaettern, dem *Jagua*, der eine Art Cocospalme zu seyn scheint, und dem *Vadgiai* oder *Cucurito*, den man neben die schoene Gattung _Oreodoxa_ stellen kann. Der *Cucurito*, bei den Faellen von Atures und Maypures die haeufigste Palme, ist durch seinen Habitus ausgezeichnet. Seine Blaetter oder vielmehr Wedel stehen auf einem 80--100 Fuss hohen Stamm fast senkrecht, und zwar im jugendlichen Zustand wie in der vollen Entwicklung; nur die Spitzen sind umgebogen. Es sind wahre Federbuesche vom zartesten, frischesten Gruen. Der Cucurito, der Seje, dessen Frucht der Aprikose gleicht, die _Oreodoxa regia_ oder _Palma real_ von der Insel Cuba und das _Ceroxylon_ der hohen Anden sind im Wuchs die grossartigsten Palmen der neuen Welt. Je naeher man der gemaessigten Zone kommt, desto mehr nehmen die Gewaechse dieser Familie an Groesse und Schoenheit ab. Welch ein Unterschied zwischen den eben erwaehnten Arten und der orientalischen Dattelpalme, die bei den europaeischen Landschaftsmalern leider der Typus der Palmenfamilie geworden ist! Es ist nicht zu verwundern, dass, wer nur das noerdliche Afrika, Sicilien oder Murcia bereist hat, nicht begreifen kann, dass unter allen grossen Baumgestalten die Gestalt der Palme die grossartigste und schoenste seyn soll. Unzureichende Analogieen sind Schuld, dass sich der Europaeer keine richtige Vorstellung vom Charakter der heissen Zone macht. Jedermann weiss zum Beispiel, dass die Contraste des Baumlaubs, besonders aber die grosse Menge von Gewaechsen mit gefiederten Blaettern ein Hauptschmuck dieser Zone sind. Die Esche, der Vogelbeerbaum, die Inga, die Achazie der Vereinigten Staaten, die Gleditsia, die Tamarinde, die Mimosen, die Desmanthus haben alle gefiederte Blaetter mit mehr oder weniger grossen, duennen, lederartigen und glaenzenden Blaettchen. Vermag nun aber desshalb eine Gruppe von Eschen, Vogelbeerbaeumen oder Sumachbaeumen uns einen Begriff vom malerischen Effekt zu geben, den das Laubdach der Tamarinden und Mimosen macht, wenn das Himmelsblau zwischen ihren kleinen, duennen, zartgefiederten Blaettern durchbricht? Diese Betrachtungen sind wichtiger, als sie auf den ersten Blick scheinen. Die Gestalten der Gewaechse bestimmen die Physiognomie der Natur, und diese Physiognomie wirkt zurueck auf die geistige Stimmung der Voelker. Jeder Pflanzentypus zerfaellt in Arten, die im allgemeinen Charakter mit einander uebereinkommen, aber sich dadurch unterscheiden, dass dieselben Organe verschiedentlich entwickelt sind. Die Palmen, die Scitamineen, die Malvaceen, die Baeume mit gefiederten Blaettern sind nicht alle malerisch gleich schoen, und meist, im Pflanzenreich wie im Thierreich, gehoeren die schoensten Arten eines jeden Typus dem tropischen Erdstrich an. Die Protaceen, Croton, Agaven und die grosse Sippe der Cactus, die ausschliesslich nur in der neuen Welt vorkommt, verschwinden allmaehlig, wenn man auf dem Orinoco ueber die Muendungen des Apure und des Meta hinaufkommt. Indessen ist vielmehr die Beschattung und die Feuchtigkeit, als die Entfernung von den Kuesten daran Schuld, wenn die Cactus nicht weiter nach Sueden gehen. Wir haben oestlich von den Anden, in der Provinz Bracamoros, dem obern Amazonenstrom zu, ganze Cactuswaelder, mit Croton dazwischen, grosse duerre Landstriche bedecken sehen. Die Baumfarn scheinen an den Faellen des Orinoco ganz zu fehlen; wir fanden keine Art vor San Fernando de Atabapo, das heisst vor dem Einfluss des Guaviare in den Orinoco. Wir haben die Umgegend von Atures betrachtet, und ich habe jetzt noch von den Stromschnellen selbst zu sprechen, die an einer Stelle des Thales liegen, wo das tief eingeschnittene Flussbett fast unzugaengliche Ufer hat. Nur an sehr wenigen Punkten konnten wir in den Orinoco gelangen, um zwischen zwei Wasserfaellen, in Buchten, wo das Wasser langsam kreist, zu baden. Auch wer sich in den Alpen, in den Pyrenaeen, selbst in den Cordilleren aufgehalten hat, so vielberufen wegen der Zerrissenheit des Bodens und der Spuren von Zerstoerung, denen man bei jedem Schritte begegnet, vermoechte nach einer blossen Beschreibung sich vom Zustand des Strombetts hier nur schwer eine Vorstellung zu machen. Auf einer Strecke von mehr als fuenf Seemeilen laufen unzaehlige Felsdaemme quer darueber weg, eben so viele natuerliche Wehre, eben so viele *Schwellen*, aehnlich denen im Dnieper, welche bei den Alten _'Phragmoi'_ hiessen. Der Raum zwischen den Felsdaemmen im Orinoco ist mit Inseln von verschiedener Groesse gefuellt; manche sind huegligt, in verschiedene runde Erhoehungen getheilt und 200--300 Toisen lang, andere klein und niedrig, wie blosse Klippen. Diese Inseln zerfaellen den Fluss in zahlreiche reissende Betten, in denen das Wasser sich kochend an den Felsen bricht; alle sind mit Jagua- und Cucuritopalmen mit federbuschfoermigem Laub bewachsen, ein Palmendickicht mitten auf der schaeumenden Wasserflaeche. Die Indianer, welche die leeren Piroguen durch die Raudales schaffen, haben fuer jede Staffel, fuer jeden Felsen einen eigenen Namen. Von Sueden her kommt man zuerst zum *Salto del Piapoco*, zum Sprung des Tucans; zwischen den Inseln Avaguri und Javariveni ist der Raudal de Javariveni; hier verweilten wir auf unserer Rueckkehr vom Rio Negro mehrere Stunden mitten in den Stromschnellen, um unser Canoe zu erwarten. Der Strom scheint zu einem grossen Theil trocken zu liegen. Granitbloecke sind auf einander gehaeuft, wie in den Moraenen, welche die Gletscher in der Schweiz vor sich her schieben. Ueberall stuerzt sich der Fluss in die Hoehlen hinab, und in einer dieser Hoehlen hoerten wir das Wasser zugleich ueber unsern Koepfen und unter unsern Fuessen rauschen. Der Orinoco ist wie in eine Menge Arme oder Sturzbaeche getheilt, deren jeder sich durch die Felsen Bahn zu brechen sucht. Man muss nur staunen, wie wenig Wasser man im Flussbett sieht, ueber die Menge Wasserstuerze, die sich unter dem Boden verlieren, ueber den Donner der Wasser, die sich schaeumend an den Felsen brechen. _ Cuncta fremunt undis; ac multo murmure montis _ _ Spumens invictis canescit fluctibus amnis._(_30_)_ _ Ist man ueber den Raudal Javariveni weg (ich nenne hier nur die wichtigsten der Faelle), so kommt man zum Raudal *Canucari*, der durch eine Felsbank zwischen den Inseln Surupamana und Uirapuri gebildet wird. Sind die Daemme oder natuerlichen Wehre nur zwei, drei Fuss hoch, so wagen es die Indianer im Canoe hinabzufahren. Fluss aufwaerts schwimmen sie voraus, bringen nach vielen vergeblichen Versuchen ein Seil um eine der Felsspitzen ueber dem Damm und ziehen das Fahrzeug am Seil auf die Hoehe des Raudals. Waehrend dieser muehseligen Arbeit fuellt sich das Fahrzeug haeufig mit Wasser; anderemale zerschellt es an den Felsen, und die Indianer, mit zerschlagenem, blutendem Koerper, reissen sich mit Noth aus dem Strudel und schwimmen an die naechste Insel. Sind die Felsstaffeln oder Schwellen sehr hoch und versperren sie den Strom ganz, so schafft man die leichten Fahrzeuge ans Land, schiebt Baumaeste als Walzen darunter und schleppt sie bis an den Punkt, wo der Fluss wieder schiffbar wird.(31) Bei Hochwasser ist solches selten noethig. Spricht man von den Wasserfaellen des Orinoco, so denkt man von selbst an die Art und Weise, wie man in alter Zeit ueber die Katarakten des Nil herunterfuhr, wovon uns SENECA(32) eine Beschreibung hinterlassen hat, die poetisch, aber schwerlich richtig ist. Ich fuehre nur eine Stelle an, die vollkommen vergegenwaertigt, was man in Atures, Maypures und in einigen *Pongos* des Amazonenstroms alle Tage sieht. "Je zwei mit einander besteigen kleine Nachen, und einer lenkt das Schiff, der andere schoepft es aus. Sodann, nachdem sie unter dem reissenden Toben des Nil und den sich begegnenden Wellen tuechtig herumgeschaukelt worden sind, halten sie sich endlich an die seichtesten Kanaele, durch die sie den Engpaessen der Felsen entgehen, und mit der ganzen Stroemung niederstuerzend, lenken sie den schiessenden Nachen." In den hydrographischen Beschreibungen der Laender werden meistens unter den unbestimmten Benennungen: "_Saltos_, _Chorros_, _Pongos_, _Cachoeiras_, _Raudales_; _Cataractes_, _Cascades_, _Chutes_, _Rapides_; Wasserfaelle, Wasserstuerze, Stromschnellen," stuermische Bewegungen der Wasser zusammengeworfen, die durch sehr verschiedene Bodenbildungen hervorgebracht werden. Zuweilen stuerzt sich ein ganzer Fluss aus bedeutender Hoehe in Einem Falle herunter, wodurch die Schifffahrt voellig unterbrochen wird. Dahin gehoert der praechtige Fall des Rio Tequendama, den ich in meinen _Vues des Cordilleres_ abgebildet habe; dahin die Faelle des Niagara und der Rheinfall, die nicht sowohl durch ihre Hoehe als durch die Wassermasse bedeutend sind. Anderemale liegen niedrige Steindaemme in weiten Abstaenden hinter einander und bilden getrennte Wasserfaelle; dahin gehoeren die _Cachoeiras_ des Rio Negro und des Rio de la Madeira, die _Saltos_ des Rio Cauca und die meisten _Pongos_ im obern Amazonenstrom zwischen dem Einfluss des Chinchipe und dem Dorfe San Borja. Der hoechste und gefaehrlichste dieser Pongos, den man auf Floessen herunter faehrt, der bei Mayafi, ist uebrigens nur drei Fuss hoch. Noch anderemale liegen kleine Steindaemme so nahe an einander, dass sie auf mehrere Meilen Erstreckung eine ununterbrochene Reihe von Faellen und Strudeln, _Chorros_ und _Remolinos_ bilden, und diess nennt man eigentlich _Raudales_, _Rapides_, Stromschnellen. Dahin gehoeren die *Yellalas*, die Stromschnellen des Zaire- oder Congoflusses, mit denen uns Capitaen Tuckey kuerzlich bekannt gemacht hat; die Stromschnellen des Orangeflusses in Afrika oberhalb Pella, und die vier Meilen langen Faelle des Missouri da, wo der Fluss aus den Rocky Mountains hervorbricht. Hieher gehoeren nun auch die Faelle von Atures und Maypures, die einzigen, die, im tropischen Erdstrich der neuen Welt gelegen, mit einer herrlichen Palmenvegetation geschmueckt sind. In allen Jahreszeiten gewaehren sie den Anblick eigentlicher Wasserfaelle und hemmen die Schifffahrt auf dem Orinoco in sehr bedeutendem Grade, waehrend die Stromschnellen des Ohio und in Oberegypten zur Zeit der Hochgewaesser kaum sichtbar sind. Ein vereinzelter Wasserfall, wie der Niagara oder der Fall bei Terni, gibt ein herrliches Bild, aber nur Eines; er wird nur anders, wenn der Zuschauer seinen Standpunkt veraendert; Stromschnellen dagegen, namentlich wenn sie zu beiden Seiten mit grossen Baeumen besetzt sind, machen eine Landschaft meilenweit schoen. Zuweilen ruehrt die stuermische Bewegung des Wassers nur daher, dass die Strombetten sehr eingeengt sind. Dahin gehoert die Angostura de Carare im Magdalenenfluss, ein Engpass, der dem Verkehr zwischen Santa Fe de Bogota und der Kueste von Carthagena Eintrag thut; dahin gehoert der Pongo von Manseriche im obern Amazonenstrom, den LA CONDAMINE fuer weit gefaehrlicher gehalten hat, als er in Wahrheit ist, und den der Pfarrer von San Borja hinauf muss, so oft er im Dorfe San Yago eine Amtsverrichtung hat. Der Orinoco, der Rio Negro und fast alle Nebenfluesse des Amazonenstromes oder Maranon haben Faelle oder Stromschnellen entweder in der Naehe ihres Ursprungs durch Berge laufen, oder weil sie auf der mittleren Strecke ihres Laufs auf andere Berge stossen. Wenn, wie oben bemerkt, die Wasser des Amazonenstroms vom Pongo von Manseriche bis zu seiner Muendung, mehr als 750 Meilen weit, nirgends heftig aufgeregt sind, so verdankt er diesen ungemein grossen Vortheil dem Umstand, dass er immer die gleiche Richtung einhaelt. Er fliesst von Ost nach West ueber eine weite Ebene, die gleichsam ein Laengenthal zwischen der Bergkette der Parime und dem grossen brasilianischen Gebirgsstock bildet. Zu meiner Ueberraschung ersah ich aus unmittelbarer Messung, dass die Stromschnellen des Orinoco, deren Donner man ueber eine Meile weit hoert, und die durch die mannigfaltige Vertheilung von Wasser, Palmbaeumen und Felsen so ausnehmend malerisch sind, in ihrer ganzen Laenge schwerlich mehr als 28 Fuss senkrechte Hoehe haben. Bei naeherer Ueberlegung zeigt es sich, dass diess fuer Stromschnellen viel ist. waehrend es fuer einen einzelnen Wasserfall sehr wenig waere. Bei den Yellalas im Congofluss, in der Einschnuerung seines Bettes zwischen Banza Noki und Banza Inga, ist der Hoehenunterschied zwischen den obern und den untern Staffeln weit bedeutender; BARROW bemerkt aber, dass sich hier unter den vielen Stromschnellen ein Fall findet, der allein 30 Fuss hoch ist. Andererseits haben die vielberufenen Pongos im Amazonenstrom, wo die Bergfahrt so gefaehrlich ist, die Faelle von Rentama, Escurrebragas und Mayasi, auch nur ein paar Fuss senkrechte Hoehe. Wer sich mit Wasserbauten abgibt, weiss, welche Wirkung in einem grossen Flusse eine Schwellung von 18--20 Zoll hat. Das Toben des Wassers und die Wirbel werden ueberall keineswegs allein von der Hoehe der einzelnen Faelle bedingt, sondern vielmehr davon, wie nahe die Faelle hinter einander liegen, ferner vom Neigungswinkel der Felsendaemme, von den sogenannten _'lames de reflexion'_ die in einander stossen und ueber einander weggehen, von der Gestalt der Inseln und Klippen, von der Richtung der Gegenstroemungen, von den Kruemmungen und engen Stellen in den Kanaelen, durch die das Wasser von einer Staffel zur andern sich Bahn bricht. Von zwei gleich breiten Fluessen kann der eine Faelle haben, die nicht so hoch sind als die des andern, und doch weit gefaehrlicher und tobender. Meine obige Angabe ueber die senkrechte Hoehe der Raudales des Orinoco lautet nicht ganz bestimmt, und ich habe damit auch nur eine *Grenzzahl* gegeben. Ich brachte den Barometer auf die kleine Ebene bei der Mission Atures und den Katarakten, ich konnte aber keine constanten Unterschiede beobachten. Bekanntlich wird die barometrische Messung sehr schwierig, wenn es sich um ganz unbedeutenden Hoehenunterschied handelt. Durch kleine Unregelmaessigkeiten in der stuendlichen Schwankung (Unregelmaessigkeiten, die sich mehr auf das Maass der Schwankung als auf den Zeitpunkt beziehen) wird das Ergebniss zweifelhaft, wenn man nicht an jedem der beiden Standpunkte ein Barometer hat, und wenn man Unterschiede im Luftdruck von einer halben Linie auffassen soll. Wahrscheinlich wird die Wassermasse des Stromes durch die Katarakten geringer, nicht allein weil durch das Zerschlagen des Wassers in Tropfen die Verdunstung gesteigert wird, sondern auch, und hauptsaechlich, weil viel Wasser in unterirdische Hoehlungen versinkt. Dieser Verlust ist uebrigens nicht sehr auffallend, wenn man die Wassermasse da, wo sie in die Raudales eintritt, mit der vergleicht, welche beim Einfluss des Rio Anaveni davon wegzieht. Durch eine solche Vergleichung hat man gefunden, dass unter den Yelladas oder Raudales des Congoflusses unterirdische Hoehlungen liegen muessen. Im Pongo von Manseriche, der vielmehr eine Stromenge als ein Wasserfall heissen sollte, verschwindet auf eine noch nicht gehoerig ermittelte Weise das Wasser des obern Amazonenstroms zum Theil mit all seinem Treibholz. Sitzt man am Ufer des Orinoco und betrachtet die Felsdaemme, an denen sich der Strom donnernd bricht, so fragt man sich, ob die Faelle im Lauf der Jahrhunderte nach Gestaltung und Hoehe sich veraendern werden. Ich bin nicht sehr geneigt, dem Stoss des Wassers gegen Granitbloecke und dem Zerfressen kieselhaltigen Gesteins solche Wirkungen zuzuschreiben. Die nach unten sich verengenden Loecher, die Trichter, wie man sie in den Raudales und bei so vielen Wasserfaellen in Europa antrifft, entstehen nur durch die Reibung des Sandes und das Rollen der Quarzgeschiebe. Wir haben solche Geschiebe gesehen, welche die Stroemung am Boden der Trichter bestaendig herumwirbelt und diese dadurch nach allen Durchmessern erweitert. Die Pongos des Amazonenstroms sind leicht zerstoerlich, da die Felsdaemme nicht aus Granit bestehen, sondern aus Conglomerat, aus rothem, grobkoernigem Sandstein. Der Pongo von Rentama stuerzte vor 80 Jahren theilweise ein, und da sich das Wasser hinter einem neu gebildeten Damm staute, so lag das Flussbett ein paar Stunden trocken, zur grossen Verwunderung der Einwohner des Dorfes Puyaya, sieben Meilen unter dem eingestuerzten Pongo. Die Indianer in Atures versichern (und diese Aussage widerspricht der Ansicht des Paters CAULIN), die Felsen im Raudal haben immer dasselbe Aussehen, aber die einzelnen Stroemungen, in die der grosse Strom zerschlagen wird, aendern beim Durchgang durch die aufgehaeuften Granitbloecke ihre Richtung und werfen bald mehr, bald weniger Wasser gegen das eine oder das andere Ufer. Die Ursachen dieses Wechsels koennen den Katarakten sehr ferne liegen; denn in den Fluessen, die auf der Erdoberflaeche Leben verbreiten, wie die Adern in den organischen Koerpern, pflanzen sich alle Bewegungen weithin fort. Schwingungen, die Anfangs ganz lokal scheinen, wirken auf die ganze fluessige Masse im Stamm und den vielen Verzweigungen desselben. Ich weiss wohl, dass, vergleicht man den heutigen Zustand der Stromschnellen bei Syene, deren einzelne Staffeln kaum sechs Zoll hoch sind,(33) mit den grossartigen Beschreibungen der Alten, man leicht geneigt ist, im Nilbett die Wirkungen der Auswaschungen, ueberhaupt die gewaltigen Einfluesse des stroemenden Wassers zu erblicken, aus denen man in der Geologie lange die Bildung der Thaeler und die Zerrissenheit des Bodens in den Cordilleren befriedigend erklaeren zu koennen meinte. Diese Ansicht wird durch den Augenschein keineswegs unterstuetzt. Wir stellen nicht in Abrede, dass die Stroeme, ueberhaupt fliessende Wasser, wo sie in zerreibliches Gestein, in secundaere Gebirgsformationen einschneiden, bedeutende Wirkungen ausueben. Aber die Granitfelsen bei Elephantine haben wahrscheinlich seit Tausenden von Jahren an absoluter Hoehe so wenig abgenommen, als der Gipfel des Montblanc und des Canigou. Hat man die grossen Naturscenerien in verschiedenen Klimaten selbst gesehen, so sieht man sich zu der Anschauung gedraengt, dass jene tiefen Spalten, jene hoch aufgerichteten Schichten, jene zerstreuten Bloecke, all die Spuren einer allgemeinen Umwaelzung Wirkungen aussergewoehnlicher Ursachen sind, die mit denen, welche im gegenwaertigen Zustand der Ruhe und des Friedens an der Erdoberflaeche thaetig sind, nichts gemein haben. Was das Wasser durch Auswaschung vom Granit wegfuehrt, was die feuchte Luft am harten, nicht verwitterten Gestein zerstoert, entzieht sich unsern Sinnen fast ganz, und ich kann nicht glauben, dass, wie manche Geologen annehmen, die Gipfel der Alpen und der Pyrenaeen niedriger werden, weil die Geschiebe sich in den Gruenden am Fusse der Gebirge aufhaeufen. Im Nil wie im Orinoco koennen die Stromschnellen einen geringeren Fall bekommen, ohne dass die Felsdaemme merkbar anders werden. Die relative Hoehe der Faelle kann durch die Anschwemmungen, die sich unterhalb der Stromschnellen bilden, abnehmen. Wenn auch diese Betrachtungen einiges Licht ueber die anziehende Erscheinung der Katarakten verbreiten, so sind damit die uebertriebenen Beschreibungen der Stromschnellen bei Syene, welche von den Alten(34) auf uns gekommen, allerdings nicht begreiflich zu machen. Sollten sie aber nicht vielleicht auf diesen untern Wasserfall uebertragen haben, was sie vom Hoerensagen von den obern Faellen des Flusses in Nubien und Dongola wussten, die zahlreicher und gefaehrlicher sind?(35) Syene lag an der Grenze des roemischen Reichs,(36) fast an der Grenze der bekannten Welt, und im Raume, wie in den Schoepfungen des menschlichen Geistes fangen die phantastischen Vorstellungen an, wo die klaren Begriffe aufhoeren. Die Einwohner von Atures und Maypures werden, was auch die Missionaere in ihren Schriften sagen moegen, vom Tosen der grossen Katarakte so wenig taub als die Catadupen am Nil. Hoert man das Getoese auf der Ebene bei der Mission, eine starke Meile weit, so glaubt man in der Naehe einer felsigten Meereskueste mit starker Brandung zu seyn. Es ist bei Nacht dreimal staerker als bei Tag und gibt dem einsamen Ort unaussprechlichen Reiz. Woher mag wohl diese Verstaerkung des Schalls in einer Einoede ruehren, wo sonst nichts. das Schweigen der Natur zu unterbrechen scheint? Die Geschwindigkeit der Fortpflanzung des Schalls nimmt mit der Abnahme der Temperatur nicht zu, sondern vielmehr ab. Der Schall wird schwaecher, wenn ein der Richtung desselben entgegengesetzter Wind weht, ferner durch Verduennung der Luft; der Schall ist schwaecher in hohen Luftregionen als in tiefen, wo die Zahl der erschuetterten Lufttheilchen in jedem Strahl groesser ist. Die Staerke desselben ist in trockener und in mit Wasserdunst vermengter Luft gleich gross, aber in kohlensaurem Gas ist sie geringer als in Gemengen von Stickstoff und Sauerstoff. Nach diesen Erfahrungssaetzen (und es sind die einzigen einigermassen zuverlaessigen) haelt es schwer, eine Erscheinung zu erklaeren, die man bei jedem Wasserfall in Europa beobachtet, und die lange vor unserer Ankunft im Dorfe Atures Missionaeren und Indianern aufgefallen war. Bei Nacht ist die Temperatur der Luft um drei Grad niedriger als bei Tage; zugleich nimmt die merkbare Feuchtigkeit bei Nacht zu und der Nebel, der auf den Katarakten liegt, wird dichter. Wir haben aber eben gesehen, dass der hygroscopische Zustand der Luft aus die Fortpflanzung des Schalls keinen Einfluss hat, und dass die Abkuehlung der Luft die Geschwindigkeit vermindert. Man koennte meinen, auch an Orten, wo keine Menschen leben, bringe am Tag das Sumsen der Insekten, der Gesang der Voegel, das Rauschen des Laubs beim leisesten Luftzug ein verworrenes Getoene hervor, das wir um so weniger wahrnehmen, da es sich immer gleich bleibt und es fortwaehrend zu unserem Ohre dringt. Dieses Getoese, so unmerklich es seyn mag, kann nun allerdings einen staerkeren Schall schwaechen, und diese Schwaechung kann wegfallen, wenn in der Stille der Nacht der Gesang der Voegel, das Sumsen der Insekten und die Wirkung des Windes auf das Laub aufhoeren. Waere aber diese Folgerung auch richtig, so findet sie keine Anwendung auf die Waelder am Orinoco, wo die Luft fortwaehrend von zahllosen Moskitoschwaermen erfuellt ist, wo das Gesumse der Insekten bei Nacht weit staerker ist als bei Tag, wo der Wind, wenn er je weht, sich erst, nach Sonnenuntergang aufmacht. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass, so lange die Sonne am Himmel steht, der Schall sich langsamer fortpflanzt und geschwaecht wird, weil die Luftstroeme von verschiedener Dichtigkeit, die theilweisen Schwingungen der Atmosphaere in Folge der ungleichen Erwaermung der verschiedenen Bodenstuecke, Hindernisse bilden. In ruhiger Luft, sey sie nun trocken oder mit gleichfoermig vertheilten Dunstblaeschen erfuellt, pflanzt sich die Schallwelle ungehindert fort; wird aber die Luft nach allen Richtungen von kleinen Stroemen waermerer Luft durchzogen, so theilt sich die Welle da, wo die Dichtigkeit des Mittels rasch wechselt, in zwei Wellen; es bilden sich lokale Echos, die den Schall schwaechen, weil eine der Wellen zuruecklaeuft: es tritt die Theilung der Wellen ein, deren Theorie in juengster Zeit von POISSON so scharfsinnig entwickelt worden ist. Nach unserer Anschauung wird daher die Fortpflanzung der Schallwellen nicht dadurch gehemmt, dass durch die Ortsveraenderung der im Luftstrome von unten nach oben aufsteigenden Lufttheilchen, durch die kleinen schiefen Stroemungen ein Stoss ausgeuebt wuerde. Ein Stoss auf die Oberflaeche einer Fluessigkeit bringt Kreise um den Mittelpunkt der Erschuetterung hervor, selbst wenn die Fluessigkeit in Bewegung ist. Mehrere Arten von Wellen koennen sich im Wasser wie in der Luft kreuzen, ohne sich in ihrer Fortpflanzung zu stoeren; kleine Bewegungen schieben sich uebereinander, und die wahre Ursache der geringeren Staerke des Schalls bei Tag scheint der zu seyn, dass das elastische Mittel dann nicht homogen ist. Bei Tag aendert sich die Dichtigkeit rasch ueberall, wo kleine Luftzuege von hoher Temperatur ueber ungleich erwaermten Bodenstuecken aussteigen. Die Schallwellen theilen sich, wie die Lichtstrahlen sich brechen, und ueberall, wo Luftschichten von verschiedener Dichtigkeit sich beruehren, tritt *Spiegelung* ein. Der Schall pflanzt sich langsamer fort, wenn man in einer am einen Ende geschlossenen Roehre eine Schicht Wasserstoffgas ueber eine Schicht atmosphaerischer Luft aufsteigen laesst, und BIOT erklaert den Umstand, dass ein Glas mit Champagner nicht hell klingt, so lange er perlt und die Luftblasen im Wein aufsteigen, sehr gut eben daraus, dass die Blaeschen von kohlensaurem Gas die Fluessigkeit ungleichfoermig machen. Fuer diese Ansichten koennte ich mich fast auf die Autoritaet eines Philosophen berufen, den die Physiker noch immer sehr geringschaetzig behandeln, waehrend die ausgezeichnetsten Zoologen seinem Scharfsinn als Beobachter laengst volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. "Warum," sagt ARISTOTELES in seiner merkwuerdigen Schrift von den _Problemen_, "hoert man bei Nacht Alles besser als bei Tag? Weil Alles bei Nacht regungsloser ist, da die Waerme fehlt. Dadurch wird ueberhaupt Alles ruhiger, denn die Sonne ist es, die Alles bewegt."(37) Sicher schwebte Aristoteles die wahre Ursache der Erscheinung als unbestimmte Ahnung vor; er schreibt aber die Bewegung der Luft dem Stoss der kleinsten Theilchen derselben zu, was vielmehr dem raschen Wechsel der Dichtigkeit in sich beruehrenden Luftschichten zuzuschreiben seyn moechte. Am 16. April gegen Abend erhielten wir Nachricht, unsere Pirogue sey in weniger als sechs Stunden ueber die Stromschnellen geschafft worden und liege wohlbehalten in einer Bucht, *Puerto de ariba*, *der obere Hafen*, genannt. "Eure Pirogue wird nicht in Stuecken gehen, weil ihr kein Kaufmannsgut fuehrt und der Moench aus den Raudales mit euch reist," so hatte im Lager von Pararuma ein kleiner brauner Mann, in dem wir an der Mundart den Catalonier erkannten, boshaft gegen uns geaeussert. Es war ein Schildkroetenoelhaendler, der mit den Indianern in den Missionen in Verkehr und eben kein Freund der Missionare war. "Die Fahrzeuge, die leicht zerbrechen," fuhr er fort, "sind die der *Catalonier*, die mit einem Licenzschein vom Statthalter von Guyana, nicht aber mit der Genehmigung des Praesidenten der Missionen jenseits Atures und Maypures Handel treiben wollen. Man laesst unsere Piroguen in den Raudales, die der Schluessel sind zu den Missionen am obern Orinoco, am Cassiquiare und Rio Negro, zu Schanden gehen; man schafft uns dann durch die Indianer in Atures nach Carichana zurueck und zwingt uns unsere Handelsspeculationen aufzugeben." Als unpartheiischer Geschichtschreiber der von mir bereisten Laender kann ich einer solchen, wohl etwas leichtfertig ausgesprochenen Meinung nicht beitreten. Der gegenwaertige Missionar bei den Raudales ist nicht der Mann, die Plackereien, ueber welche die catalonischen Kraemer klagen, sich zu Schulden kommen zu lassen; man fragt sich aber, wesshalb das Regiment in den Missionen sogar in den spanischen Colonien so gruendlich verhasst ist? Verlaeumdete man nur reiche Leute, so waren die Missionare am obern Orinoco vor dergleichen boshaften Angriffen sicher. Sie besitzen kein Pferd, keine Ziege, kaum eine Kuh, waehrend ihre Ordensbrueder, die Kapuziner in den Missionen am Carony, Heerden von 40000 Stuecken besitzen. Der Groll der arbeitenden Classen unter den Colonisten gilt also nicht dem Wohlstand der Observanten, sondern ihrem Prohibitivsystem, ihren beharrlichen Bemuehungen, ihr Gebiet gegen die Weissen abzusperren, den Hindernissen, die sie dem Austausch der Produkte in den Weg legen. Aller Orten empoert sich das Volk gegen Monopole, nicht allein wenn sie auf den Handel und die materiellen Lebensbeduerfnisse Einfluss aeussern, sondern auch wenn sich ein Stand oder eine Schichte der Gesellschaft das Recht anmasst, allein die Jugend zu erziehen oder die Wilden in der Zucht zu halten, um nicht zu sagen zu civilisiren. Man zeigte uns in der kleinen Kirche von Atures einige Ueberbleibsel vom einstigen Wohlstand der Jesuiten. Eine silberne Lampe von ansehnlichem Gewicht lag, halb im Sand begraben, am Boden. Ein Gegenstand der Art wuerde allerdings nirgends die Habsucht des Wilden reizen; ich muss aber hier zur Ehre der Eingeborenen am Orinoco erwaehnen, dass sie keine Diebe sind, wie die lange nicht so rohen Bewohner der Suedseeinseln. Jene haben grosse Achtung vor dem Eigenthum; sie suchen nicht einmal Esswaaren, Fischangeln und Aexte zu entwenden. In Maypures und Atures weiss man nichts von Schloessern an den Thueren; sie werden eingefuehrt werden, sobald Weisse und Mischlinge sich in den Missionen niederlassen. Die Indianer in Atures sind gutmuethig, leidenschaftslos, Dank ihrer Traegheit an die groessten Entbehrungen gewoehnt Die Jesuiten frueher trieben sie zur Arbeit an, und da fehlte es ihnen nie an Lebensunterhalt. Die Patres bauten Mais, Bohnen und andere europaeische Gemuese; sie pflanzten um das Dorf her sogar suesse Orangen und Tamarinden, sie besassen in den Grasfluren von Atures und Carichana zwanzig bis dreissigtausend Pferde und Stuecke Rindvieh. Sie hielten fuer die Heerden eine Menge Sklaven und Knechte (_peones_). Gegenwaertig wird nichts gebaut als etwas Manioc und Bananen. Und doch ist der Boden so fruchtbar, dass ich in Atures an einem einzigen Pisangbueschel 108 Fruechte zaehlte, deren 4--5 fast zur taeglichen Nahrung eines Menschen hinreichen. Der Maisbau wird gaenzlich vernachlaessigt, Rosse und Kuehe sind verschwunden. Ein Uferstrich am Raudal heisst noch *Passo del ganado* (Viehfurth), waehrend die Nachkommen der Indianer, mit denen die Jesuiten die Mission gegruendet, vom Hornvieh wie von einer ausgestorbenen Thiergattung sprechen. Auf unserer Fahrt den Orinoco hinauf San Carlos am Rio Negro zu sahen wir in Carichana die letzte Kuh. Die Patres Observanten, welche gegenwaertig diese weiten Landstriche unter sich haben, kamen nicht unmittelbar auf die Jesuiten. Waehrend eines achtzehnjaehrigen Interregnums wurden die Missionen nur von Zeit zu Zeit besucht, und zwar von Kapuzinern. Unter dem Namen koeniglicher Commissaere verwalteten weltliche Regierungsbeamte die _Hatos_ oder Hoefe der Jesuiten, aber schaendlich liederlich. Man stach das Vieh, um die Haeute zu verkaufen, viele juengere Thiere wurden von den Tigern gefressen, noch viel mehr gingen an den Bissen der Fledermaeuse zu Grunde, die an den Katarakten kleiner sind, aber kecker als in den Llanos. Zur Zeit der Grenzexpedition wurden Pferde von Encaramada, Carichana und Atures bis San Jose de Maravitanos am Rio Negro ausgefuehrt, weil die Portugiesen dort Pferde, und noch dazu geringe, nur aus weiter Ferne auf dem Amazonenstrom und dem Gran-Para beziehen konnten. Seit dem Jahr 1795 ist das Vieh der Jesuiten gaenzlich verschwunden; als einziges Wahrzeichen des frueheren Anbaus dieser Laender und der wirthschaftlichen Thaetigkeit der ersten Missionare sieht man in den Savanen hie und da mitten unter wilden Baeumen einen Orangen- oder Tamarindenstamm. Die Tiger oder Jaguars, die den Heerden weniger gefaehrlich sind als die Fledermaeuse, kommen sogar ins Dorf herein und fressen den armen Indianern die Schweine. Der Missionaer erzaehlte uns ein auffallendes Beispiel von der Zuthulichkeit dieser sonst so wilden Thiere. Einige Monate vor unserer Ankunft hatte ein Jaguar, den man fuer ein junges Thier hielt, obgleich er gross war, ein Kind verwundet, mit dem er spielte; der Ausdruck mag sonderbar scheinen, aber ich brauche ihn ohne Bedenken, da ich an Ort und Stelle Thatsachen kennen lernen konnte, die fuer die Sittengeschichte der Thiere nicht ohne Bedeutung sind. Zwei indianische Kinder von acht bis neun Jahren, ein Knabe und ein Maedchen, sassen bei Atures mitten in einer Savane, ueber die wir oft gegangen, im Gras. Es war zwei Uhr Nachmittags, da kommt ein Jaguar aus dem Wald und auf die Kinder zu, die er springend umkreist; bald versteckt er sich im hohen Gras, bald macht er mit gekruemmtem Ruecken und gesenktem Kopf einen Sprung, gerade wie unsere Katzen. Der kleine Junge ahnt nicht, in welcher Gefahr er schwebt, und wird sie erst inne, als der Jaguar ihn mit der Tatze auf den Kopf schlaegt. Erst schlaegt er sachte, dann immer staerker; die Krallen verwunden das Kind und es blutet stark. Da nimmt das kleine Maedchen einen Baumzweig, schlaegt das Thier, und dieses laeuft vor ihr davon. Auf das Schreien der Kinder kommen die Indianer herbeigelaufen und sehen den Jaguar, der sichtbar an keine Gegenwehr dachte, in Spruengen sich davon machen. Man fuehrte uns den Jungen vor, der lebendig und gescheit aussah. Die Kralle des Jaguars hatte ihm unten ander Stirne die Haut abgestreift, und eine zweite Narbe hatte er oben auf dem Kopf. Woher nun auf einmal diese muntere Laune bei einem Thiere, das in unsern Menagerien nicht schwer zu zaehmen, aber im Stand der Freiheit immer wild und grausam ist? Nimmt man auch an, der Jaguar habe, sicher seiner Beute, mit dem kleinen Indianer gespielt, wie unsere Katzen mit Voegeln mit beschnittenen Fluegeln spielen, wie soll man es sich erklaeren, dass ein grosser Jaguar so duldsam ist, dass er vor einem kleinen Maedchen davonlaeuft? Trieb den Jaguar der Hunger nicht her, warum kam er auf die Kinder zu? In der Zuneigung und im Hass der Thiere ist manches Geheimnissvolle. Wir haben gesehen, wie Loewen drei, vier Hunde, die man in ihren Kaefigt setzte, umbrachten und einen fuenften, der weniger furchtsam den Koenig der Thiere an der Maehne packte, vom ersten Augenblick an liebkoste. Das sind eben Aeusserungen jenes Instinkts, der dem Menschen ein Raethsel ist. Es ist als ob der Schwache desto mehr fuer sich einnaehme, je zutraulicher er ist. Eben war von zahmen Schweinen die Rede, die von den Jaguars angefallen werden. Ausser den gemeinen Schweinen von europaeischer Race gibt es in diesen Laendern verschiedene Arten von Pecaris mit Druesen an den Leisten, von denen nur zwei den europaeischen Zoologen bekannt sind. Die Indianer nennen den kleinen Pecari (_Dicoteles torquatus_) auf Maypurisch _Chacharo_; _Apida_ aber heisst bei ihnen ein Schwein, das keinen Beutel haben soll und groesser, schwarzbraun und am Unterkiefer und den Bauch entlang weiss ist. Der Chacharo, den man im Hause aufzieht, wird so zahm wie unsere Schafe und Rehe. Sein sanftes Wesen erinnert an die anatomisch nachgewiesene interessante Aehnlichkeit zwischen dem Bau der Pecaris und dem der Wiederkaeuer. Der Apida, der ein Hausthier wird wie unsere Schweine, zieht in Rudeln von mehreren hundert Stuecken. Man hoert es schon von weitem, wenn solche Rudel herbeikommen, nicht nur an den dumpfen, rauhen Lauten, die sie von sich geben, sondern noch mehr, weil sie ungestuem das Gebuesch auf ihrem Wege zerknicken. Bonpland rief einmal beim Botanisiren sein indianischer Fuehrer zu, er solle sich hinter einen Baum verstecken, und da sah er denn diese Pecaris (_cochinos_ oder _puercos del monte_) ganz nahe an sich vorueberkommen. Der Rudel zog in dicht gedraengten Reihen, die maennlichen Thiere voran, jedes Mutterschwein mit seinen Jungen hinter sich. Die Chacharos haben ein weichliches, nicht sehr angenehmes Fleisch; sie werden uebrigens von den Indianern stark gegessen, die sie mit kleinen an Stricke gebundenen Spiessen erlegen. Man versicherte uns in Atures, der Tiger fuerchte sich im Walde unter einen solchen Rudel von Wildschweinen zu gerathen, und suche sich, um nicht erdrueckt zu werden, auf einen Baum zu fluechten. Ist das nun eine Jaegergeschichte oder eine wirkliche Beobachtung? Wir werden bald sehen, dass in manchen Laendern von Amerika die Jaeger an die Existenz eines _'Javali'_ oder einheimischen Ebers mit nach aussen gekruemmten Hauern(38) glauben. Ich habe nie einen gesehen, die amerikanischen Missionaere fuehren ihn aber in ihren Schriften auf, und diese von unsern Zoologen zu wenig beachtete Quelle enthaelt neben den plumpsten Uebertreibungen sehr interessante lokale Beobachtungen. Unter den Affen, die wir in der Mission Atures zu sehen bekamen, fanden wir eine neue Art aus der Sippe der *Sais* oder *Sajous*, von den Hispano-Amerikanern gewoehnlich _'Machis'_ genannt. Es ist diess der *Ouavapavi* [_Simia albifrons_, HUMBOLDT.] mit grauem Pelz und blaeulichem Gesicht. Augenraender und Stirne sind schneeweiss, und dadurch unterscheidet er sich auf den ersten Blick von der _Simia capucina_, der _Simia apella_, _Simia trepida_ und den andern Winselaffen, in deren Beschreibung bis jetzt so grosse Verwirrung herrscht. Das kleine Thier ist so sanftmuethig als haesslich. Jeden Tag sprang es im Hofe der Mission auf ein Schwein und blieb auf demselben von Morgen bis Abend sitzen, waehrend es auf den Grasfluren umherlief. Wir sahen es auch auf dem Ruecken einer grossen Katze, die mit ihm im Hause des Pater Zea aufgezogen worden war. In den Katarakten hoerten wir auch zum erstenmal von dem behaarten Waldmenschen, dem sogenannten *Salvaje* sprechen, der Weiber entfuehrt, Huetten baut und zuweilen Menschenfleisch frisst. Die Tamanacas nennen ihn _Achi_, die Maypures _Vasitri_ oder den grossen Teufel. Die Eingeborenen und die Missionaere zweifeln nicht an der Existenz dieses menschenaehnlichen Affen, vor dem sie sich sehr fuerchten. Pater GILI erzaehlt in vollem Ernst eine Geschichte von einer Dame aus der Stadt San Carlos, welche dem Waldmenschen wegen seiner Gutmuethigkeit und Zuvorkommenheit das beste Zeugniss gab. Sie lebte mehrere Jahre sehr gut mit ihm und liess sich von Jaegern nur desshalb wieder in den Schooss ihrer Familie bringen, "weil sie, nebst ihren Kindern (die auch etwas behaart waren), der Kirche und der heiligen Sacramente nicht langer entbehren mochte." Bei aller Leichtglaeubigkeit gesteht dieser Schriftsteller, er habe keinen Indianer auftreiben koennen, der ausdruecklich gesagt haette, er habe den *Salvaje* mit eigenen Augen gesehen. Dieses Maehrchen, das ohne Zweifel von den Missionaeren, den spanischen Colonisten und den Negern aus Afrika mit verschiedenen Zuegen aus der Sittengeschichte des Orangoutang, Gibbon, Joko oder Chimpanse und Pongo ausstaffirt worden ist, hat uns fuenf Jahre lang in der noerdlichen wie in der suedlichen Halbkugel verfolgt, und ueberall, selbst in den gebildetsten Kreisen, nahm man es uebel, dass wir allein uns herausnahmen, daran zu zweifeln, dass es in Amerika einen grossen menschenaehnlichen Affen gebe. Wir bemerken zunaechst, dass in gewissen Gegenden dieser Glaube besonders stark unter dem Volk verbreitet ist, so namentlich am obern Orinoco, im Thale Upar beim See Maracaybo, in den Bergen von Santa Martha und Merida, im Distrikt von Quixos und am. Amazonenstrom bei Tomependa. An allen diesen, soweit auseinander gelegenen Orten kann man hoeren, den Salvaje erkenne man leicht an seinen Fussstapfen, denn die Zehen seyen nach hinten gekehrt. Gibt es aber auf dem neuen Continent einen Affen von ansehnlicher Groesse, wie kommt es, dass sich seit dreihundert Jahren kein glaubwuerdiger Mann das Fell desselben hat verschaffen koennen? Was zu einem so alten Irrthum oder Glauben Anlass gegeben haben mag, darueber lassen sich mehrere Vermuthungen aufstellen. Sollte der vielberufene Kapuzineraffe von Esmeralda [_Simia chiropotes_], dessen Hundszaehne ueber sechs und eine halbe Linie lang sind, der ein viel menschenaehnlicheres Gesicht hat als der Orangoutang,(39) der sich den Bart mit der Hand streicht, wenn man ihn reizt, das Maehrchen vom Salvaje veranlasst haben? Allerdings ist er nicht so gross als der Coaita (_Simia paniscus_); wenn man ihn aber oben auf einem Baum und nur den Kopf von ihm sieht, koennte man ihn leicht fuer ein menschliches Wesen halten. Es waere auch moeglich (und diess scheint mir das wahrscheinlichste), dass der Waldmensch einer der grossen Baeren ist, deren Fussspur der menschlichen aehnlich ist und von denen man in allen Laendern glaubt, dass sie Weiber anfallen. Das Thier, das zu meiner Zeit am Fuss der Berge von Merida geschossen und als ein *Salvaje* dem Obristen Ungaro, Statthalter der Provinz Varinas, geschickt wurde, war auch wirklich nichts als ein Baer mit schwarzem, glaenzendem Pelz. Unser Reisegefaehrte Don Nicolas Sotto hat denselben naeher untersucht. Die seltsame Vorstellung von einem Sohlengaenger, bei dem die Zehen so stehen, als ob er rueckwaerts ginge, sollte sie etwa daher ruehren, dass die wahren wilden Waldmenschen, die schwaechsten, furchtsamsten Indianerstaemme, den Brauch haben, wenn sie in den Wald oder ueber einen Uferstrich ziehen, ihre Feinde dadurch irre zu machen, dass sie ihre Fussstapfen mit Sand bedecken oder rueckwaerts gehen? Ich habe angegeben, wesshalb zu bezweifeln ist, dass es eine unbekannte grosse Affenart auf einem Continente gibt, wo gar keine Vierhaender aus der Familie der Orangs, Cynocephali, Mandrils und Pongos vorzukommen scheinen. Es ist aber nicht zu vergessen, dass jeder, auch der abgeschmackteste Volksglaube auf wirklichen, nur unrichtig aufgefassten Naturverhaeltnissen beruht. Wendet man sich von dergleichen Dingen mit Geringschaetzung ab, so kann man, in der Physik wie in der Physiologie, leicht die Faehrte einer Entdeckung verlieren. Wir erklaeren daher auch keineswegs mit einem spanischen Schriftsteller das Maehrchen vom Waldmenschen fuer eine pfiffige Erfindung der indianischen Weiber, die entfuehrt worden seyn wollen, wenn sie hinter ihren Maennern lange ausgeblieben sind; vielmehr fordern wir die Reisenden, die nach uns an den Orinoco kommen, auf, unsere Untersuchungen hinsichtlich des Salvaje oder grossen Waldteufels wieder aufzunehmen und zu ermitteln, ob eine unbekannte Baerenart oder ein sehr seltener, der _Simia chiropotes_ oder _Simia Satanas_ aehnlicher Affe so seltsame Maehrchen veranlasst haben mag. Nach zweitaegigem Aufenthalt am Katarakt von Atures waren wir sehr froh, unsere Pirogue wieder laden und einen Ort verlassen zu koennen, wo der Thermometer bei Tage meist auf 29, bei Nacht auf 26 Grad stand. Nach der Hitze, die uns drueckte, kam uns die Temperatur noch weit hoeher vor. Wenn die Angabe des Instruments und die Empfindung so wenig uebereinstimmten, so ruehrte diess vom bestaendigen Hautreiz durch die Moskitos her. Eine von giftigen Insekten wimmelnde Luft kommt einem immer weit heisser vor, als sie wirklich ist. Das Saussuresche Hygrometer -- im Schatten beobachtet, wie immer -- zeigte bei Tag, im Minimum (um drei Uhr Nachmittags), 78 deg.2; bei Nacht, im Maximum, 81 deg.5. Diese Feuchtigkeit ist um 5 Grad geringer als die mittlere Feuchtigkeit an der Kueste von Cumana, aber um 10 Grad staerker als die mittlere Feuchtigkeit in den Llanos oder baumlosen Ebenen. Die Wasserfaelle und die dichten Waelder steigern die Menge des in der Luft enthaltenen Wasserdampfes. Den Tag ueber wurden wir von den Moskitos und den *Jejen*, kleinen giftigen Muecken aus der Gattung _Simulium_ furchtbar geplagt, bei Nacht von den *Zancudos*, einer grossen Schnakenart, vor denen sich selbst die Eingeborenen fuerchten. Unsere Haende fingen an stark zu schwellen und die Geschwulst nahm taeglich zu, bis wir an die Ufer des Temi kamen. Die Mittel, durch die man die kleinen Thiere los zu werden sucht, sind sehr merkwuerdig. Der gute Missionar Bernardo Zea, der sein Leben unter den Qualen der Moskitos zubringt, hatte sich neben der Kirche auf einem Gerueste von Palmstaemmen ein kleines Zimmer gebaut, in dem man freier athmete. Abends stiegen wir mit einer Leiter in dasselbe hinauf, um unsere Pflanzen zu trocknen und unser Tagebuch zu schreiben. Der Missionaer hatte die richtige Beobachtung gemacht, dass die Insekten in der tiefsten Luftschicht am Boden, 15--20 Fuss hoch, am haeufigsten sind. In Maypures gehen die Indianer bei Nacht aus dem Dorf und schlafen auf kleinen Inseln mitten in den Wasserfaellen. Sie finden dort einige Ruhe, da die Moskitos eine mit Wasserdunst beladene Luft zu fliehen scheinen. Ueberall fanden wir ihrer mitten im Strom weniger als an den Seiten; man hat daher auch weniger zu leiden, wenn man den Orinoco hinab, als wenn man aufwaerts faehrt. Wer die grossen Stroeme des tropischen Amerika, wie den Orinoco oder den Magdalenenfluss nicht befahren hat, kann nicht begreifen, wie man ohne Unterlass, jeden Augenblick im Leben von den Insekten, die in der Luft schweben, gepeinigt werden, wie die Unzahl dieser kleinen Thiere weite Landstrecken fast unbewohnbar machen kann. So sehr man auch gewoehnt seyn mag, den Schmerz ohne Klage zu ertragen, so lebhaft einen auch der Gegenstand, den man eben beobachtet, beschaeftigen mag, unvermeidlich wird man immer wieder davon abgezogen, wenn *Moskitos*, *Zancudos*, *Jejen* und *Tempraneros* einem Haende und Gesicht bedecken, einen mit ihrem Saugruessel, der in einen Stachel auslaeuft, durch die Kleider durch stechen, und in Nase und Mund kriechen, so dass man husten und niessen muss, sobald man in freier Luft spricht. In den Missionen am Orinoco, in diesen von unermesslichen Waeldern umgebenen Doerfern am Stromufer, ist aber auch die _plaga de los moscos_ ein unerschoepflicher Stoff der Unterhaltung. Begegnen sich Morgens zwei Leute, so sind ihre ersten Fragen: "_Que le han parecido los zancudos de noche?_ Wie haben Sie die Zancudos heute Nacht gefunden?" -- "_Como stamos hoy de mosquitos?_ Wie steht es heute mit den Moskitos?" Diese Fragen erinnern an eine chinesische Hoeflichkeitsformel, die auf den ehemaligen wilden Zustand des Landes, in dem sie entstanden seyn mag, zurueckweist. Man begruesste sich frueher im himmlischen Reich mit den Worten: _Vou-to-hou?_ seyd ihr diese Nacht von Schlangen beunruhigt worden?" Wir werden bald sehen, dass am Tuamini, auf dem Magdalenenstrom, besonders aber in Choco, im Gold- und Platinaland, neben dem Moskitoscompliment auch das chinesische Schlangencompliment am Platze waere. Es ist hier der Ort, von der *geographischen Vertheilung* dieser Insekten aus der Familie der *Tipu1ae* zu sprechen, die ganz merkwuerdige Erscheinungen darbietet. Dieselbe scheint keineswegs bloss von der Hitze, der grossen Feuchtigkeit und den dichten Waeldern abzuhaengen, sondern auch von schwer zu ermittelnden oertlichen Verhaeltnissen. Vorab ist zu bemerken, dass die Plage der Moskitos und Zancudos in der heissen Zone nicht so allgemein ist, als man gemeiniglich glaubt. Auf Hochebenen mehr als 400 Toisen ueber dem Meeresspiegel; in sehr trockenen Niederungen weit von den grossen Stroemen, z. B. in Cumana und Calabozo, gibt es nicht auffallend mehr Schnaken als in dem am staerksten bevoelkerten Theile Europas. In Nueva Barcelona dagegen und weiter westwaerts an der Kueste, die gegen Cap Codera laeuft, nehmen sie ungeheuer zu. Zwischen dem kleinen Hafen von Higuerote und der Muendung des Rio Unare haben die ungluecklichen Einwohner den Brauch, sich bei Nacht auf die Erde zu legen und sich drei, vier Zoll tief in den Sand zu begraben, so dass nur der Kopf frei bleibt, den sie mit einem Tuch bedecken. Man leidet vom Insektenstich, doch so, dass es leicht zu ertragen ist, wenn man den Orinoco von Cabruta gegen Angostura hinunter und von Cabruta gegen Uruana hinauffaehrt, zwischen dem siebenten und achten Grad der Breite. Aber ueber dem Einfluss des Rio Arauca, wenn man durch den Engpass beim Baraguan kommt, wird es auf einmal anders, und von nun an findet der Reisende keine Ruhe mehr. Hat er poetische Stellen aus DANTE im Kopfe, so mag ihm zu Muthe seyn, als haette er die _'Citta dolente'_ betreten, als staenden an den Felswaenden beim Baraguan die merkwuerdigen Verse aus dem dritten Buch der Hoelle geschrieben: _ Noi sem venuti al luogo, ov'i't'ho detto _ _ Che tu vedrai le genti dolorose. _ [_Inferno_. C. III. 16.] Die tiefen Luftschichten vom Boden bis zu 15--20 Fuss Hoehe sind mit giftigen Insekten wie mit einem dichten Dunste angefuellt. Stellt man sich an einen dunkeln Ort, z. B. in die Hoehlen, die in den Katarakten durch die aufgethuermten Granitbloecke gebildet werden, und blickt man gegen die von der Sonne beleuchtete Oeffnung, so sieht man Wolken von Moskitos, die mehr oder weniger dicht werden, je nachdem die Thierchen bei ihren langsamen und taktmaessigen Bewegungen sich zusammen- oder auseinanderziehen. In der Mission San Borja hat man schon mehr von den Moskitos zu leiden als in Carichana; aber in den Raudales, in Atures, besonders aber in Maypures erreicht die Plage so zu sagen ihr Maximum. Ich zweifle, dass es ein Land auf Erden gibt, wo der Mensch grausamere Qualen zu erdulden hat als hier in der Regenzeit. Kommt man ueber den fuenften Breitegrad hinaus, wird man etwas weniger zerstochen, aber am obern Orinoco sind die Stiche schmerzlicher, weil bei der Hitze und der voelligen Windstille die Luft gluehender ist und die Haut, wo sie dieselbe beruehrt, mehr reizt. "Wie gut muss im Mond wohnen seyn!" sagte ein Saliva-Indianer zu Pater Gumilla. "Er ist so schoen und hell, dass es dort gewiss keine Moskitos gibt." Diese Worte, die dem Kindesalter eines Volkes angehoeren, sind sehr merkwuerdig. Ueberall ist der Trabant der Erde fuer den wilden Amerikaner der Wohnplatz der Seligen, das Land des Ueberflusses. Der Eskimo, fuer den eine Planke, ein Baumstamm, den die Stroemung an eine pflanzenlose Kueste geworfen, ein Schatz ist, sieht im Monde waldbedeckte Ebenen; der Indianer in den Waeldern am Orinoco sieht darin kahle Savanen, deren Bewohner nie von Moskitos gestochen werden. Weiterhin gegen Sued, wo das System der braungelben Gewaesser beginnt, gemeinhin _'schwarze Wasser'_, _aguas __ negras_ genannt, an den Ufern des Atabapo, Temi, Tuamini und des Rio Negro genossen wir einer Ruhe, ich haette bald gesagt eines Gluecks, wie wir es gar nicht erwartet hatten. Diese Fluesse laufen, wie der Orinoco, durch dichte Waelder; aber die Schnaken wie die Krokodile halten sich von den _'schwarzen Wassern'_ ferne. Kommen vielleicht die Larven und Nymphen der Tipulae und Schnaken, die man als eigentliche Wasserthiere betrachten kann, in diesen Gewaessern, die ein wenig kuehler sind als die weissen und sich chemisch anders verhalten, nicht so gut fort? Einige kleine Fluesse, deren Wasser entweder dunkelblau oder braungelb ist, der Toparo, Mataveni und Zama, machen eine Ausnahme von der sonst ziemlich allgemeinen Regel, dass es ueber _'schwarzem Wasser'_ keine Moskitos gibt. An jenen drei Fluessen wimmelt es davon, und selbst die Indianer machten uns auf die raethselhafte Erscheinung aufmerksam und liessen uns ueber deren Ursachen nachdenken. Beim Herabfahren auf dem Rio Negro athmeten wir frei in den Doerfern Maroa, Davipe und San Carlos an der brasilianischen Grenze; allein diese Erleichterung unserer Lage war von kurzer Dauer und unsere Leiden begannen von neuem, sobald wir in den Cassiquiare kamen. In Esmeralda, am oestlichen Ende des obern Orinoco, wo die den Spaniern bekannte Welt ein Ende hat, sind die Moskitowolken fast so dick wie bei den grossen Katarakten. In Mandavaca fanden wir einen alten Missionaer, der mit jammervoller Miene gegen uns aeusserte: *er habe seine zwanzig Moskitojahre auf dem Ruecken* (_ya tengo mis vento anos de mosquitos_). Er forderte uns auf, seine Beine genau zu betrachten, damit wir eines Tags _'por alla'_ (ueber dem Meer) davon zu sagen wuessten, was die armen Missionaere in den Waeldern am Cassiquiare auszustehen haben. Da jeder Stich einen kleinen schwarzbraunen Punkt zuruecklaesst, waren seine Beine dergestalt gefleckt, dass man vor Flecken geronnenen Blutes kaum die weisse Haut sah. Auf dem Cassiquiare, der *weisses Wasser* hat, wimmelt es von Muecken aus der Gattung _Simulium_, aber die *Zancudos*, der Gattung _Culex_ angehoerig, sind desto seltener; man sieht fast keine, waehrend auf den Fluessen mit schwarzem Wasser meist einige *Zancudos*, aber keine *Moskitos* vorkommen. Wir haben schon oben bemerkt, dass wenn bei den kleinen Revolutionen im Schoosse des Ordens der Observanten der Pater Gardian sich an einem Laienbruder raechen will, er ihn nach Esmeralda schickt; er wird damit verbannt, oder, wie der muntere Ausdruck der Ordensleute lautet, *zu den Moskitos verurtheilt*. Ich habe hier nach meinen eigenen Beobachtungen gezeigt, dass in diesem Labyrinth weisser und schwarzer Wasser die geographische Vertheilung der giftigen Insekten eine sehr ungleichfoermige ist. Es waere zu wuenschen, dass ein tuechtiger Entomolog an Ort und Stelle die specifischen Unterschiede dieser boesartigen Insekten, die trotz ihrer Kleinheit in der heissen Zone eine bedeutende Rolle im Haushalt der Natur spielen, beobachten koennte. Sehr merkwuerdig schien uns der Umstand, der auch allen Missionaeren wohl bekannt ist, dass die verschiedenen Arten nicht unter einander fliegen, und dass man zu verschiedenen Tagesstunden immer wieder von andern Arten gestochen wird. So oft die Scene wechselt, und ehe, nach dem naiven Ausdruck der Missionaere, andere Insekten "auf die Wache ziehen," hat man ein paar Minuten, oft eine Viertelstunde Ruhe. Nach dem Abzug der einen Insekten sind die Nachfolger nicht sogleich in gleicher Menge zur Stelle. Von sechs ein halb Uhr Morgens bis fuenf Uhr Abends wimmelt die Luft von Moskitos, die nicht, wie in manchen Reisebeschreibungen zu lesen ist, unsern Schnaken,(40) sondern vielmehr einer kleinen Muecke gleichen. Es sind diess Arten der Gattung _Simulium_ aus der Familie der Nemoceren nach LATREILLEs System. Ihr Stich hinterlaesst einen kleinen braunrothen Punkt, weil da, wo der Ruessel die Haut durchbohrt hat, Blut ausgetreten und geronnen ist. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werden die Moskitos von einer kleinen Schnakenart abgeloest, _'Tempraneros'_(41) genannt, weil sie sich auch bei Sonnenaufgang zeigen; sie bleiben kaum anderhalb Stunden und verschwinden zwischen sechs und sieben Uhr Abends, oder, wie man hier sagt, nach dem *Angelus* (_a la oration_). Nach einigen Minuten Ruhe fuehlt man die Stiche der *Zancudos*, einer andern Schnakenart (_Culex_) mit sehr langen Fuessen. Der Zancudo, dessen Ruessel eine stechende Saugroehre enthaelt, verursacht die heftigsten Schmerzen und die Geschwulst, die dem Stiche folgt, haelt mehrere Wochen an; sein Sumsen gleicht dem unserer europaeischen Schnaken, nur ist es staerker und anhaltender. Die Indianer wollen *Zancudos* und *Tempraneros* "am Gesang" unterscheiden koennen; letztere sind wahre Daemmerungsinsekten, waehrend die Zancudos meist *Nachtinsekten* sind und mit Sonnenaufgang verschwinden. Auf der Reise von Carthagena nach Santa Fe de Bogota machten wir die Beobachtung, dass zwischen Mompox und Honda im Thal des grossen Magdalenenflusses die Zancudos zwischen acht Uhr Abends und Mitternacht die Luft verfinstern, gegen Mitternacht abnehmen, sich drei, vier Stunden lang verkriechen und endlich gegen vier Uhr Morgens in Menge und voll Heisshunger wieder erscheinen. Welches ist die Ursache dieses Wechsels von Bewegung und Ruhe? Werden die Thiere vom langen Fliegen muede? Am Orinoco sieht man bei Tag sehr selten wahre Schnaken, waehrend man auf dem Magdalenenstrom Tag und Nacht von ihnen gestochen wird, nur nicht von Mittag bis zwei Uhr. Ohne Zweifel sind die Zancudos beider Fluesse verschiedene Arten; werden etwa die zusammengesetzten Augen der einen Art vom starken Sonnenlicht mehr angegriffen als die der andern? Wir haben gesehen, dass die tropischen Insekten in den Zeitpunkten ihres Auftretens und Verschwindens ueberall einen gewissen Typus befolgen. In derselben Jahreszeit und unter derselben Breite erhaelt die Luft zu bestimmten, nie wechselnden Stunden immer wieder eine andere Bevoelkerung; und in einem Erdstrich, wo der Barometer zu einer Uhr wird,(42) wo Alles mit so bewundernswuerdiger Regelmaessigkeit auf einander folgt, koennte man beinahe am Sumsen der Insekten und an den Stichen, die je nach der Art des Giftes, das jedes Insekt in der Wunde zuruecklaesst, wieder anders schmerzen, Tag und Nacht mit verbundenen Augen errathen, welche Zeit es ist. Zur Zeit, da die Thier- und Pflanzengeographie noch keine Wissenschaft war, warf man haeufig verwandte Arten aus verschiedenen Himmelsstrichen zusammen. In Japan, auf dem Ruecken der Anden und an der Magellanschen Meerenge glaubte man die Fichten und die Ranunkeln, die Hirsche, Ratten und Schnaken des noerdlichen Europa wieder zu finden. Hochverdiente, beruehmte Naturforscher glaubten, der Maringouin der heissen Zone sey die Schnake unserer Suempfe, nur kraeftiger, gefraessiger, schaedlicher in Folge des heissen Klimas; diess ist aber ein grosser Irrthum. Ich habe die Zancudos, von denen man am aergsten gequaelt wird, an Ort und Stelle sorgfaeltig untersucht und beschrieben. Im Magdalenenfluss und im Guayaquil gibt es allein fuenf ganz verschiedene Arten. Die *Culex*arten in Suedamerika sind meist gefluegelt, Bruststueck und Fuesse sind blau, geringelt, mit metallisch glaenzenden Flecken und daher schillernd. Hier, wie in Europa, sind die Maennchen, die sich durch ihre gefiederten Fuehlhoerner auszeichnen, sehr selten; man wird fast immer nur von Weibchen gestochen. Aus dem grossen Uebergewicht dieses Geschlechts erklaert sich die ungeheure Vermehrung der Art, da jedes Weibchen mehrere hundert Eier legt. Faehrt man einen der grossen amerikanischen Stroeme hinauf, so bemerkt man, dass sich aus dem Auftreten einer neuen Culexart schliessen laesst, dass bald wieder ein Nebenfluss hereinkommt. Ich fuehre ein Beispiel dieser merkwuerdigen Erscheinung an. Den _Culex lineatus_ dessen Heimath der Cano Tamalameque ist, trifft man im Thal des Magdalenenstroms nur bis auf eine Meile noerdlich vom Zusammenfluss der beiden Gewaesser an; derselbe geht den grossen Strom hinauf, aber nicht hinab; in aehnlicher Weise verkuendigt in einem Hauptgang das Auftreten einer neuen Substanz in der Gangmasse dem Bergmann die Naehe eines secundaeren Ganges, der sich mit jenem verbindet. Fassen wir die hier mitgetheilten Beobachtungen zusammen, so sehen wir, dass unter den Tropen die Moskitos und Maringouins am Abhang der Cordilleren(43) nicht in die gemaessigte Region hinausgehen, wo die mittlere Temperatur weniger als 19--20 Grad betraegt;(44) dass sie mit wenigen Ausnahmen die *schwarzen Gewaesser* und trockene, baumlose Landstriche meiden. Am obern Orinoco finden sie sich weit massenhafter als am untern, weil dort der Strom an seinen Ufern dicht bewaldet ist und kein weiter kahler Uferstrich zwischen dem Fluss und dem Waldsaum liegt. Mit dem Seichterwerden der Gewaesser und der Ausrodung der Waelder nehmen die Moskitos auf dem neuen Continent ab; aber alle diese Momente sind in ihren Wirkungen so langsam als die Fortschritte des Anbaus. Die Staedte Angostura, Nueva Barcelona und Mompox, wo schlechte Polizei auf den Strassen, den Plaetzen und in den Hoefen der Haeuser das Buschwerk wuchern laesst, sind wegen der Menge ihrer Zancudos in trauriger Weise vielberufen. Alle im Lande Geborenen, Weisse, Mulatten, Neger, Indianer, haben vom Insektenstich zu leiden; wie aber der Norden Europas trotz des Frostes nicht unbewohnbar ist, so hindern auch die Moskitos den Menschen nicht, sich in Laendern, welche stark davon heimgesucht sind, niederzulassen, wenn anders durch Lage und Regierungsweise die Verhaeltnisse fuer Handel und Gewerbfleiss guenstiger sind. Die Leute klagen ihr Lebenlang _de la plaga, del insufrible tormento de las moscas_; aber trotz dieses bestaendigen Jammerns ziehen sie doch, und zwar mit einer gewissen Vorliebe, in die Handelsstaedte Angostura, Santa Martha und Rio la Hacha. So sehr gewoehnt man sich an ein Uebel, das man zu jeder Tagesstunde zu erdulden hat, dass die drei Missionen San Borja, Atures und Esmeralda, wo es, nach dem hyperbolischen Ausdruck der Moenche, "mehr Muecken als Luft" gibt (_mas moscas que ayre_), unzweifelhaft bluehende Staedte wuerden, wenn der Orinoco den Colonisten zum Austausch der Produkte dieselben Vortheile gewaehrte, wie der Ohio und der untere Mississippi. Wo es sehr viele Insekten gibt, nimmt zwar die Bevoelkerung langsamer zu, aber gaenzlicher Stillstand tritt desshalb doch nicht ein; die Weissen lassen sich aus diesem Grunde nur da nicht nieder, wo bei den commerciellen und politischen Verhaeltnissen des Landes kein erklecklicher Vortheil in Aussicht steht. Ich habe anderswo in diesem Werke des merkwuerdigen Umstandes Erwaehnung gethan, dass die in der heissen Zone geborenen Weissen barfuss ungestraft in demselben Zimmer herumgehen, in dem ein frisch angekommener Europaeer Gefahr laeuft, *Niguas* oder *Chiques*, Sandfloehe (_Pulex penetrans_) zu bekommen. Diese kaum sichtbaren Thiere graben sich unter die Zehennaegel ein und werden, bei der raschen Entwicklung der in einem eigenen Sack am Bauche des Insekts liegenden Eier, so gross wie eine kleine Erbse. Die *Nigua* unterscheidet also, was die feinste chemische Analyse nicht vermoechte, Zellgewebe und Blut eines Europaeers von dem eines weissen Creolen. Anders bei den Stechfliegen. Trotz allem, was man darueber an den Kuesten von Suedamerika hoert, fallen diese Insekten die Eingeborenen so gut an wie die Europaeer; nur die Folgen des Stichs sind bei beiden Menschenracen verschieden. Dieselbe giftige Fluessigkeit, in die Haut eines kupferfarbigen Menschen von indianischer Race und eines frisch angekommenen Weissen gebracht, bringt beim ersteren keine Geschwulst hervor, beim letzteren dagegen harte, stark entzuendete Beulen, die mehrere Tage schmerzen. So verschieden reagirt das Hautsystem, je nachdem die Organe bei dieser oder jener Race, bei diesem oder jenem Individuum mehr oder weniger reizbar sind. Ich gebe hier mehrere Beobachtungen, aus denen klar hervorgeht, dass die Indianer, ueberhaupt alle Farbigen, so gut wie die Weissen Schmerz empfinden, wenn auch vielleicht in geringerem Grade. Bei Tage, selbst waehrend des Ruderns, schlagen sich die Indianer bestaendig mit der flachen Hand heftig auf den Leib, um die Insekten zu verscheuchen. Im Schlaf schlagen sie, ungestuem in allen ihren Bewegungen, auf sich und ihre Schlafkameraden, wie es kommt. Bei ihren derben Hieben denkt man an das persische Maehrchen vom Baeren, der mit seiner Tatze die Fliegen auf der Stirne seines schlafenden Herrn todtschlaegt. Bei Maypures sahen wir junge Indianer im Kreise sitzen und mit am Feuer getrockneter Baumrinde einander grausam den Ruecken zerreiben. Mit einer Geduld, deren nur die kupfersarbige Race faehig ist, waren indianische Weiber beschaeftigt, mit einem spitzen Knochen die kleine Masse geronnenen Bluts in der Mitte jeden Stichs, die der Haut ein geflecktes Aussehen gibt, auszustechen. Eines der barbarischsten Voelker am Orinoco, die Ottomacas, kennt den Gebrauch der _Mosquiteros_ (Fliegennetze), die aus den Fasern der Murichipalme gewoben werden. Wir haben oben gesehen, dass die Farbigen in Higuerote an der Kueste von Caracas sich zum Schlafen in den Sand graben. In den Doerfern am Magdalenenfluss forderten uns die Indianer oft auf, uns mit ihnen bei der Kirche auf der *plaza grande* auf Ochsenhaeute zu legen. Man hatte daselbst alles Vieh aus der Umgegend zusammen getrieben, denn in der Naehe desselben findet der Mensch ein wenig Ruhe. Wenn die Indianer am obern Orinoco und am Cassiquiare sahen, dass Bonpland wegen der unaufhoerlichen Moskitoplage seine Pflanzen nicht einlegen konnte, forderten sie ihn auf, in ihre _Hornitos_ (Oefen) zu gehen. So heissen kleine Gemaecher ohne Thuere und Fenster, in die man durch eine ganz niedrige Oeffnung auf dem Bauche kriecht. Mittelst eines Feuers von feuchtem Strauchwerk, das viel Rauch gibt, jagt man die Insekten hinaus und verschliesst dann die Oeffnung des Ofens. Dass man jetzt die Moskitos los ist, erkauft man ziemlich theuer; denn bei der stockenden Luft und dem Rauch einer Copalfackel, die den Ofen beleuchtet, wird es entsetzlich heiss darin. Bonpland hat mit einem Muth und einer Geduld, die das hoechste Lob verdienen, viele hundert Pflanzen in diesen Hornitos der Indianer getrocknet. Die Muehe, die sich die Eingebornen geben, um die Insektenplage zu lindern, beweist hinlaenglich, dass der kupferfarbige Mensch, trotz der verschiedenen Organisation seiner Haut, fuer die Mueckenstiche empfindlich ist, so gut wie der Weisse; aber, wir wiederholen es, beim ersteren scheint der Schmerz nicht so stark zu seyn und der Stich hat nicht die Geschwulst zur Folge, die mehrere Wochen lang fort und fort wiederkehrt, die Reizbarkeit der Haut steigert und empfindliche Personen in den fieberhaften Zustand versetzt, der allen Ausschlagskrankheiten eigen ist. Die im tropischen Amerika geborenen Weissen und die Europaeer, die sehr lange in den Missionen in der Naehe der Waelder und an den grossen Fluessen gelebt, haben weit mehr zu leiden als die Indianer, aber unendlich weniger als frisch angekommene Europaeer. Es kommt also nicht, wie manche Reisende behaupten, auf die Dicke der Haut an, ob der Stich im Augenblick, wo man ihn erhaelt, mehr oder weniger schmerzt, und bei den Indianern tritt nicht desshalb weniger Geschwulst und Entzuendung ein, weil ihre Haut eigenthuemlich organisirt ist; vielmehr haengen Grad und Dauer des Schmerzes von der Reizbarkeit des Nervensystems der Haut ab. Die Reizbarkeit wird gesteigert durch sehr warme Bekleidung, durch den Gebrauch geistiger Getraenke, durch das Kratzen an den Stichwunden, endlich, und diese physiologische Bemerkung beruht auf meiner eigenen Erfahrung, durch zu haeufiges Baden. An Orten, wo man in den Fluss kann, weil keine Krokodile darin sind, machten Bonpland und ich die Erfahrung, dass das Baden, wenn man es uebertreibt, zwar den Schmerz der alten Schnakenstiche linderte, aber uns fuer neue Stiche weit empfindlicher machte. Badet man mehr als zweimal taeglich, so versetzt man die Haut in einen Zustand nervoeser Reizbarkeit, von dem man sich in Europa keinen Begriff machen kann. Es ist einem, als zoege sich alle Empfindung in die Hautdecken. Da die Moskitos und die Schnaken zwei Dritttheile ihres Lebens im Wasser zubringen, so ist es nicht zu verwundern, dass in den von grossen Fluessen durchzogenen Waeldern diese boesartigen Insekten, je weiter vom Ufer weg, desto seltener werden. Sie scheinen sich am liebsten an den Orten aufzuhalten, wo ihre Verwandlung vor sich gegangen ist und wo sie ihrerseits bald ihre Eier legen werden. Daher gewoehnen sich auch die wilden Indianer (_Indios monteros_) um so schwerer an das Leben in den Missionen, da sie in den christlichen Niederlassungen eine Plage auszustehen haben, von der sie daheim im innern Lande fast nichts wissen. Man sah in Maypures, Atures, Esmeralda Eingeborene _al monte_ (in die Waelder) laufen, einzig aus Furcht vor den Moskitos. Leider sind gleich Anfangs alle Missionen am Orinoco zu nahe am Flusse angelegt worden. In Esmeralda versicherten uns die Einwohner, wenn man das Dorf auf eine der schoenen Ebenen um die hohen Berge des Duida und Maraguaca verlegte, so koennten sie freier athmen und faenden einige Ruhe. _La nube de moscos_ die Mueckenwolke -- so sagen die Moenche -- schwebt nur ueber dem Orinoco und seinen Nebenfluessen; die Wolke zertheilt sich mehr und mehr, wenn man von den Fluessen weggeht, und man machte sich eine ganz falsche Vorstellung von Guyana und Brasilien, wenn man den grossen, 400 Meilen breiten Wald zwischen den Quellen der Madeira und dem untern Orinoco nach den Flussthaelern beurtheilte, die dadurch hinziehen. Man sagte mir, die kleinen Insekten aus der Familie der Nemoceren wandern von Zeit zu Zeit, wie die gesellig lebenden Affen der Gruppe der Alouaten. Man sieht an gewissen Orten mit dem Eintritt der Regenzeit Arten erscheinen, deren Stich man bis dahin nicht empfunden. Auf dem Magdalenenfluss erfuhren wir, in Simiti habe man frueher keine andere Culexart gekannt als den *Jejen*. Man hatte bei Nacht Ruhe, weil der Jejen kein Nachtinsekt ist. Seit dem Jahr 1801 aber ist die grosse Schnake mit blauen Fluegeln (_Culex __ cyanopterus_) in solchen Massen erschienen, dass die armen Einwohner von Simiti nicht wissen, wie sie sich Nachtruhe verschaffen sollen. In den sumpfigten Kanaelen (_esteros_) auf der Insel Baru bei Carthagena lebt eine kleine weisslichte Muecke, *Cafasi* genannt. Sie ist mit dem blossen Auge kaum sichtbar und verursacht doch aeusserst schmerzhafte Geschwuelste. Man muss die *Toldos* oder Baumwollengewebe, die als Mueckennetze dienen, anfeuchten, damit der Cafasi nicht zwischen den gekreuzten Faeden durchschluepfen kann. Dieses zum Glueck sonst ziemlich seltene Insekt geht im Januar auf dem Kanal oder _Dique_ von Mahates bis Morales hinauf. Als wir im Mai in dieses Dorf kamen, trafen wir Muecken der Gattung _Simulium_ und Zancudos an, aber keine Jejen mehr. Kleine Abweichungen in Nahrung und Klima scheinen bei denselben Muecken- und Schnakenarten auf die Wirksamkeit des Giftes, das die Thiere aus ihrem schneidenden und am untern Ende gezahnten Saugruessel ergiessen, Einfluss zu aeussern. Am Orinoco sind die laestigsten oder, wie die Creolen sagen, die wildesten (_los mas feroces_) Insekten die an den grossen Katarakten, in Esmeralda und Mandavaca. Im Magdalenenstrom ist der _Culex cyanopterus_ besonders in Mompox, Chilloa und Tamalameque gefuerchtet. Er ist dort groesser und staerker und seine Beine sind schwaerzer. Man kann sich des Laechelns nicht enthalten, wenn man die Missionaere ueber Groesse und Gefraessigkeit der Moskitos in verschiedenen Strichen desselben Flusses streiten hoert. Mitten in einem Lande, wo man gar nicht weiss, was in der uebrigen Welt vorgeht, ist diess das Lieblingsthema der Unterhaltung. "Wie sehr bedaure ich Euch!" sagte beim Abschied der Missionaer aus den Raudales zu dem am Cassiquiare. "Ihr seyd allein, wie ich, in diesem Lande der Tiger und der Affen; Fische gibt es hier noch weniger, und heisser ist es auch; was aber meine Muecken (_mis moscas_) anbelangt, so darf ich mich ruehmen, dass ich mit Einer von den meinen drei von den Euren schlage." Diese Gefraessigkeit der Insekten an gewissen Orten, diese Blutgier, womit sie den Menschen anfallen,(45) die ungleiche Wirksamkeit des Giftes bei derselben Art sind sehr merkwuerdige Erscheinungen; es stellen sich ihnen jedoch andere aus den Classen der grossen Thiere zur Seite. In Angostura greift das Krokodil den Menschen an, waehrend man in Nueva Barcelona im Rio Neveri mitten unter diesen fleischfressenden Reptilien ruhig badet. Die Jaguars in Maturin, Cumanacoa und auf der Landenge von Panama sind feig denen am obern Orinoco gegenueber. Die Indianer wissen recht gut, dass die Affen aus diesem und jenem Thale leicht zu zaehmen sind, waehrend Individuen derselben Art, die man anderswo faengt, lieber Hungers sterben, als sich in die Gefangenschaft ergeben. Das Volk in Amerika hat sich hinsichtlich der Gesundheit der Gegenden und der Krankheitserscheinungen Systeme gebildet, ganz wie die Gelehrten in Europa, und diese Systeme widersprechen sich, gleichfalls wie bei uns, in den verschiedenen Provinzen, in die der neue Continent zerfaellt, ganz und gar. Am Magdalenenfluss findet man die vielen Moskitos laestig, aber sie gelten fuer sehr gesund. "Diese Thiere," sagen die Leute, "machen uns kleine Aderlaessen und schuetzen uns in einem so furchtbar heissen Land vor dem _Tabardillo_, dem Scharlachfieber und andern entzuendlichen Krankheiten." Am Orinoco, dessen Ufer hoechst ungesund sind, schreiben die Kranken alle ihre Leiden den Moskitos zu. "Diese Insekten entstehen aus der Faeulniss und vermehren sie; sie entzuenden das Blut (_vician y incienden la sangre_)." Der Volksglaube, als wirkten die Moskitos durch oertliche Blutentziehung heilsam, braucht hier nicht widerlegt zu werden. Sogar in Europa wissen die Bewohner sumpfigter Laender gar wohl, dass die Insekten das Hautsystem reizen, und durch das Gift, das sie in die Wunden bringen, die Funktionen desselben steigern. Durch die Stiche wird der entzuendliche Zustand der Hautbedeckung nicht nur nicht vermindert, sondern gesteigert. Die Menge der Schnaken und Muecken deutet nur insofern auf die Ungesundheit einer Gegend hin, als Entwicklung und Vermehrung dieser Insekten von denselben Ursachen abhaengen, aus denen Miasmen entstehen. Diese laestigen Thiere lieben einen fruchtbaren, mit Pflanzen bewachsenen Boden, stehendes Wasser, eine feuchte, niemals vom Winde bewegte Luft; statt freier Gegend suchen sie den Schatten auf, das Halbdunkel, den mittleren Grad von Licht, Waermestoff und Feuchtigkeit, der dem Spiel chemischer Affinitaeten Vorschub leistet und damit die Faeulniss organischer Substanzen beschleunigt. Tragen die Moskitos an sich zur Ungesundheit der Luft bei? Bedenkt man, dass bis auf 3--4 Toisen vom Boden im Cubikfuss Luft haeufig eine Million gefluegelter Insekten(46) enthalten ist, die eine aetzende, giftige Fluessigkeit bei sich fuehren; dass mehrere Culexarten vom Kopf bis zum Ende des Bruststuecks (die Fuesse ungerechnet) 1-1/5 Linien lang sind; endlich dass in dem Schnaken- und Mueckenschwarm, der wie ein Rauch die Luft erfuellt, sich eine Menge todter Insekten befinden, die durch den aufsteigenden Luftstrom, oder durch seitliche, durch die ungleiche Erwaermung des Bodens erzeugte Stroeme fortgerissen werden, so fragt man sich, ob eine solche Anhaeufung von thierischen Stoffen in der Luft nicht zur oertlichen Bildung von Miasmen Anlass geben muss? Ich glaube, diese Substanzen wirken anders auf die Luft als Sand und Staub; man wird aber gut thun, in dieser Beziehung keine Behauptung aufzustellen. Von den vielen Raethseln, welche das Ungesundseyn der Luft uns aufgibt, hat die Chemie noch keines geloest; sie hat uns nur soviel gelehrt, dass wir gar Vieles nicht wissen, was wir vor fuenfzehn Jahren Dank den sinnreichen Traeumen der alten Eudiometrie zu wissen meinten. Nicht so ungewiss und fast durch taegliche Erfahrung bestaetigt ist der Umstand, dass am Orinoco, am Cassiquiare, am Rio Caura, ueberall wo die Luft sehr ungesund ist, der Stich der Moskitos die Disposition der Organe zur Aufnahme der Miasmen steigert. Wenn man Monatelang Tag und Nacht von den Insekten gepeinigt wird, so erzeugt der bestaendige Hautreiz fieberhafte Aufregung und schwaecht, in Folge des schon so fruehe erkannten Antagonismus zwischen dem gastrischen und dem Hautsystem, die Verrichtung des Magens. Man faengt an schwer zu verdauen, die Entzuendung der Haut veranlasst profuse Schweisse, den Durst kann man nicht loeschen, und auf die bestaendig zunehmende Unruhe folgt bei Personen von schwacher Constitution eine geistige Niedergeschlagenheit, in der alle pathogenischen Ursachen sehr heftig einwirken. Gegenwaertig sind es nicht mehr die Gefahren der Schifffahrt in kleinen Canoes, nicht die wilden Indianer oder die Schlangen, die Krokodile oder die Jaguars, was den Spaniern die Reise auf dem Orinoco bedenklich macht, sondern nur, wie sie naiv sich ausdruecken, _el sudar y las moscas_ (der Schweiss und die Muecken). Es ist zu hoffen, dass der Mensch, indem er die Bodenflaeche umgestaltet, damit auch die Beschaffenheit der Luft allmaelig umaendert. Die Insekten werden sich vermindern, wenn einmal die alten Baeume im Wald verschwunden sind und man in diesen oeden Laendern die Stromufer mit Doerfern besetzt, die Ebenen mit Weiden und Fruchtfeldern bedeckt sieht. Wer lange in von Moskitos heimgesuchten Laendern gelebt hat, wird gleich uns die Erfahrung gemacht haben, dass es gegen die Insektenplage kein Radikalmittel gibt. Die mit Onoto, Bolus oder Schildkroetenfett beschmierten Indianer klatschen sich jeden Augenblick mit der flachen Hand auf Schultern, Ruecken und Beine, ungefaehr wie wenn sie gar nicht *bemalt* waeren. Es ist ueberhaupt zweifelhaft, ob das Bemalen Erleichterung verschafft; soviel ist aber gewiss, dass es nicht schuetzt. Die Europaeer, die eben erst an den Orinoco, den Magdalenenstrom, den Guayaquil oder den Rio Chagre kommen (ich nenne hier die vier Fluesse, wo die Insekten am furchtbarsten sind), bedecken sich zuerst Gesichts und Haende; bald aber fuehlen sie eine unertraegliche Hitze, die Langeweile, da sie gar nichts thun koennen, drueckt sie nieder, und am Ende lassen sie Gesicht und Haende frei. Wer bei der Flussschifffahrt auf jede Beschaeftigung verzichten wollte, koennte aus Europa eine eigens verfertigte, sackfoermige Kleidung mitbringen, in die er sich steckte und die er nur alle halbe Stunden aufmachte; der Sack muesste durch Fischbeinreife ausgespannt seyn, denn eine blosse Maske und Handschuhe waeren nicht zu ertragen. Da wir am Boden auf Haeuten oder in Haengematten lagen, haetten wir uns auf dem Orinoco der Fliegennetze (_toldos_) nicht bedienen koennen. Der Toldo leistet nur dann gute Dienste, wenn er um das Lager ein so gut verschlossenes Zelt bildet, dass auch nicht die kleinste Oeffnung bleibt, durch die eine Schnake schluepfen koennte. Diese Bedingung ist aber schwer zu erfuellen, und gelingt es auch (wie zum Beispiel bei der Bergfahrt auf dem Magdalenenstrom, wo man mit einiger Bequemlichkeit reist), so muss man, um nicht vor Hitze zu ersticken, den Toldo verlassen und sich in freier Luft ergehen. Ein schwacher Wind, Rauch, starke Gerueche helfen an Orten, wo die Insekten sehr zahlreich und gierig sind, so gut wie nichts. Faelschlich behauptet man, die Thierchen fliehen vor dem eigenthuemlichen Geruch, den das Krokodil verbreitet. In Bataillez auf dem Wege von Carthagena nach Honda wurden wir jaemmerlich zerstochen, waehrend wir ein eilf Fuss langes Krokodil zerlegten, das die Luft weit umher verpestete. Die Indianer loben sehr den Dunst von brennendem Kuhmist. Ist der Wind sehr stark und regnet es dabei, so verschwinden die Moskitos auf eine Weile; am grausamsten stechen sie, wenn ein Gewitter im Anzug ist, besonders wenn auf die elektrischen Entladungen keine Regenguesse folgen. Alles was um Kopf und Haende flattert, hilft die Insekten verscheuchen. "Je mehr ihr euch ruehrt, desto weniger werdet ihr gestochen," sagen die Missionaere. Der Zancudo summt lange umher, ehe er sich niedersetzt; hat er dann einmal Vertrauen gefasst, hat er einmal angefangen, seinen Saugruessel einzubohren und sich voll zu saugen, so kann man ihm die Fluegel beruehren, ohne dass er sich verscheuchen laesst. Er streckt waehrend dessen seine beiden Hinterfuesse in die Luft, und laesst man ihn ungestoert sich satt saugen, so bekommt man keine Geschwulst, empfindet keinen Schmerz. Wir haben diesen Versuch im Thale des Magdalenenstroms nach dem Rathe der Indianer oft an uns selbst gemacht. Man fragt sich, ob das Insekt die reizende Fluessigkeit erst im Augenblick ergiesst, wo es wegfliegt, wenn man es verjagt, oder ob es die Fluessigkeit wieder aufpumpt, wenn man es saugen laesst, soviel es will? Letztere Annahme scheint mir die wahrscheinlichere; denn haelt man dem _Culex cyanopterus_ ruhig den Handruecken hin, so ist der Schmerz anfangs sehr heftig, nimmt aber immer mehr ab, je mehr das Insekt fortsaugt, und hoert ganz auf im Moment, wo es von selbst fortfliegt. Ich habe mich auch mit einer Nadel in die Haut gestochen und die Stiche mit zerdrueckten Moskitos (_mosquitos machucados_) gerieben, es folgte aber keine Geschwulst darauf. Die reizende Fluessigkeit der _Diptera Nemocera_ die nach den bisherigen chemischen Untersuchungen sich nicht wie eine Saeure verhaelt, ist, wie bei den Ameisen und andern Hymenopteren, in eigenen Druesen enthalten; dieselbe ist wahrscheinlich zu sehr verduennt und damit zu schwach, wenn man die Haut mit dem ganzen zerdrueckten Thiere reibt. Ich habe am Ende dieses Kapitels Alles zusammengestellt, was wir auf unsern Reisen ueber Erscheinungen in Erfahrung bringen konnten, die bisher von der Naturforschung auffallend vernachlaessigt wurden, obgleich sie auf das Wohl der Bevoelkerung, die Gesundheit der Laender und die Gruendung neuer Colonien an den Stroemen des tropischen Amerika von bedeutendem Einfluss sind. Ich bedarf wohl keiner Rechtfertigung, dass ich diesen Gegenstand mit einer Umstaendlichkeit behandelt habe, die kleinlich erscheinen koennte, fiele nicht derselbe unter einen allgemeineren physiologischen Gesichtspunkt. Unsere Einbildungskraft wird nur vom Grossen stark angeregt, und so ist es Sache der Naturphilosophie, beim Kleinen zu verweilen. Wir haben gesehen, wie gefluegelte, gesellig lebende Insekten, die in ihrem Saugruessel eine die Haut reizende Fluessigkeit bergen, grosse Laender fast unbewohnbar machen. Andere, gleichfalls kleine Insekten, die Termiten (_Comejen_), setzen in mehreren heissen und gemaessigten Laendern des tropischen Erdstrichs der Entwicklung der Cultur schwer zu besiegende Hindernisse entgegen. Furchtbar rasch verzehren sie Papier, Pappe, Pergament; sie zerstoeren Archive und Bibliotheken. In ganzen Provinzen von spanisch Amerika gibt es keine geschriebene Urkunde, die hundert Jahre alt waere. Wie soll sich die Cultur bei den Voelkern entwickeln, wenn nichts Gegenwart und Vergangenheit verknuepft, wenn man die Niederlagen menschlicher Kenntnisse oefters erneuern muss, wenn die geistige Errungenschaft der Nachwelt nicht ueberliefert werden kann? Je weiter man gegen die Hochebene des Anden hinaufkommt, desto mehr schwindet diese Plage. Dort athmet der Mensch eine frische, reine Luft, und die Insekten stoeren nicht mehr Tagesarbeit und Nachtruhe. Dort kann man Urkunden in Archiven niederlegen, ohne Furcht vor gefaehrlichen Termiten. In 200 Toisen Meereshoehe fuerchtet man die Muecken nicht mehr; die Termiten sind in 300 Toisen Hoehe noch sehr haeufig, aber in Mexico, Santa Fe de Bogota und Quito kommen sie selten vor. In diesen grossen Hauptstaedten auf dem Ruecken der Cordilleren findet man Bibliotheken und Archive, die sich durch die Theilnahme gebildeter Bewohner taeglich vermehren. Zu diesen Verhaeltnissen, die ich hier nur fluechtig beruehre, kommen andere, welche der Alpenregion das moralische Uebergewicht ueber die niedern Regionen des heissen Erdstrichs sichern. Nimmt man nach den uralten Ueberlieferungen in beiden Welten an, in Folge der Erdumwaelzungen, die der Erneuerung unseres Geschlechts vorangegangen, sey der Mensch von den Gebirgen in die Niederungen herabgestiegen, so laesst sich noch weit bestimmter annehmen, dass diese Berge, die Wiege so vieler und so verschiedener Voelker, in der heissen Zone fuer alle Zeit der Mittelpunkt der Gesittung bleiben werden. Von diesen fruchtbaren, gemaessigten Hochebenen, von diesen Inseln im Ocean der Luft, werden sich Aufklaerung und der Segen gesellschaftlicher Einrichtungen ueber die unermesslichen Waelder am Fusse der Anden verbreiten, die jetzt noch von Staemmen bewohnt sind, welche eben die Fuelle der Natur in Traegheit niedergehalten hat. ------------------ 25 Vom spanischen Wort _raudo_, schnell, _rapidus_. 26 Schwimmende Gaerten. 27 Diese Landenge, von der schon oefters die Rede war, wird von den Cordilleren der Anden von Neu-Grenada und von der Cordillere der Parime gebildet. S. Bd. II. Seite 378--379. _ 28 Ansichten der Natur_, 2. Auflage, 1826, Bd. 1. S. 181; 3. Auflage, Bd. 1. S. 249. 29 Eine grosse Reiherart. 30 LUCAN., _Pharsal._ X. 132. * 31 Arastrando la Picagua*. Von diesem Wort _arastrar_ aus dem Boden ziehen, kommt der spanische Ausdruck: _Arastradero_, Trageplatz, Portage. _ 32 Nat. Quaest._ IV. c. 2. 33 Der *Chellal* zwischen Philae und Syene hat zehn Staffeln, die zusammen einen 5 bis 7 Fuss hohen Fall bilden, je nach dem tiefen oder hohen Wasserstand des Nil. Der Fall ist 500 Toisen lang. 34 Auszunehmen ist STRABO, dessen Beschreibung eben so einfach als genau erscheint. Nach ihm haette seit dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Schnelligkeit des Wassersturzes abgenommen und seine Richtung sich veraendert. Damals ging man den Chellal auf beiden Seiten hinauf, gegenwaertig ist nur auf Einer Seite eine Wasserstrasse; der Katarakt ist also eher schwerer befahrbar geworden. 35 Hatten wohl die Alten eine dunkle Kunde von den grossen Katarakten des oestlichen oder blauen Nil zwischen Fazuclo und Alata, die ueber 200 Fuss hoch sind? _ 36 Claustra imperii romani_ sagt TACITUS. Im Namen der Insel *Philae* findet man das coptische Wort _phe-lakh_, Ende (Ende Egyptens) wieder. 37 Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass, so mangelhaft noch die Physik der Alten war, die Werke des Philosophen von Stagira ungleich mehr scharfsinnige Beobachtungen enthalten, als die der andern Philosophen. Vergeblich sucht man bei ARISTOXENES (_Liber de musica_), bei THEOPHYLACTUS SIMOCATTA (_de quaestionibus physicis_), im fuenften Buche von SENECAs _quaestiones naturales_ eine Erklaerung der Verstaerkung des Schalls bei Nacht. Ein in den Schriften der Alten sehr bewanderter Mann, Hr. Laurencit, hat mir eine Stelle des PLUTARCH mitgetheilt (_Tischgespraeche_, Buch VIII. Frage 3), welche die angefuehrte des Aristoteles unterstuetzt. -- Boethus, der erste der Disputirenden, behauptet, die Kaelte bei Nacht ziehe die Luft zusammen und verdichte sie, und man hoere den Schall bei Tag nicht so gut, weil dann weniger Zwischenraeume zwischen den Atomen seyen. Der zweite der Disputirenden, Ammonius, verwirft die leeren Raeume, wie Boethus sie voraussetzt, und nimmt mit Anaxagoras an, die Luft werde von der Sonne in eine zitternde und schwankende Bewegung versetzt; man hoere bei Tag schlecht wegen der Staubtheile, die im Sonnenschein herumtreiben und die ein gewisses Zischen und Geraeusch verursachen; des Nachts aber hoere diese Bewegung auf und folglich auch das damit verbundene Geraeusch. Boethus versichert, dass er keineswegs Anaxagoras meistern wolle, meint aber, das Zischen der kleinsten Theile muesse man wohl aufgeben, die zitternde Bewegung und das Herumtreiben derselben im Sonnenschein sey schon hinreichend. Die Luft macht den Koerper und die Substanz der Stimme aus; ist sie also ruhig und bestaendig, so laesst sie auch die Theile und Schwingungen des Schalls gerade, ungetheilt und ohne Hinderniss fortgehen und befoerdert deren Verbreitung. Windstille ist dem Schalle guenstig, Erschuetterung der Luft aber zuwider. Die Bewegung in der Luft verhindert, dass von einer Stimme artikulirte und ausgebildete Toene zu den Ohren gelangen, ob sie gleich immer von einer starken und vielfachen ihnen etwas zuzufuehren pflegt. Die Sonne, dieser grosse und maechtige Beherrscher des Himmels, bringt auch die kleinsten Theile der Luft in Bewegung, und sobald er sich zeigt, erregt und belebt er alle Wesen. -- (Auszug aus Kaltwassers Uebersetzung; Humboldt hat die alte franzoesische Uebersetzung des Amyot ausgezogen. Anm. des Herausgebers). 38 CORTES behauptet, er habe am Magdalenenfluss einen Eber mit gekruemmten Hauern und Laengsstreifen auf dem Ruecken geschossen. Sollte es dort verwilderte europaeische Schweine gehen? 39 Im Gesammtausdruck der Zuege, nicht der Stirne nach. _ 40 Culex pipiens_. Dieser Unterschied zwischen _Mosquito_ (kleine Muecke, _Simulium_) und _Zancudo_ (Schnake, _Culex_) besteht in allen spanischen Colonien. Das Wort _Zancudo_ bedeutet "Langfuss," _qui tiene las zancas largas_. 41 "Die frueh auf sind," _temprano_. 42 Durch die ausnehmende Regelmaessigkeit im stuendlichen Wechsel des Luftdrucks. 43 Der europaeische _Culex pipiens_ meidet das Gebirgsland nicht, wie die Culexarten der heissen Zone Amerikas. GIESECKE wurde in Disco in Groenland unter dem 70. Breitegrad von Schnaken geplagt. In Lappland kommt die Schnake im Sommer in 300--400 Toisen Meereshoehe bei einer mittleren Temperatur von 11--12 deg. vor. 44 Weniger als 15 deg.,2 und 16 deg. Reaumur. Das ist die mittlere Temperatur von Montpellier und Rom. 45 Diese Gefraessigkeit, diese Blutgier bei kleinen Insekten, die sonst von Pflanzensaeften in einem fast unbewohnten Lande leben, hat allerdings etwas Auffallendes. "Was fraessen die Thiere, wenn wir nicht hier vorueberkaemen?" sagen oft die Creolen auf dem Wege durch ein Land, wo es nur mit einem Schuppenpanzer bedeckte Krokodile und behaarte Affen gibt. 46 Bei dieser Gelegenheit soll nur daran erinnert werden, dass der Cubikfuss 2,985,984 Cubiklinien enthaelt. EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL. Der Raudal von Garcita. -- Maypures. -- Die Katarakten von Quittuna. -- Der Einfluss des Vichada und Zama. -- Der Fels Aricagua. -- Siquita. Unsere Pirogue lag im *Puerto de arriba*, oberhalb des Katarakts von Atures, dem Einfluss des Rio Cataniapo gegenueber; wir brachen dahin auf. Auf dem schmalen Wege, der zum Landungsplatze fuehrt, sahen wir den Pic Uniana zum letztenmal. Er erschien wie eine ueber dem Horizont der Ebenen aufsteigende Wolke. Die Guahibos-Indianer ziehen am Fuss dieser Gebirge umher und gehen bis zum Rio Vichada. Man zeigte uns von weitem rechts vom Fluss die Felsen bei der Hoehle von Ataruipe; wir hatten aber nicht Zeit, diese Grabstaette des ausgestorbenen Stammes der Atures zu besuchen. Wir bedauerten diess um so mehr, da Pater Zea nicht muede wurde, uns von den mit Onoto bemalten Skeletten in der Hoehle, von den grossen Gefaessen aus gebrannter Erde, in welchen je die Gebeine einer Familie zu liegen scheinen, und von vielen andern merkwuerdigen Dingen zu erzaehlen, so dass wir uns vornahmen, dieselben auf der Rueckreise vom Rio Negro in Augenschein zu nehmen. "Sie werden es kaum glauben," sagte der Missionaer, "dass diese Gerippe, diese bemalten Toepfe, diese Dinge, von denen wir meinten, kein Mensch in der Welt wisse davon, mir und meinem Nachbar, dem Missionaer von Carichana, Unglueck gebracht haben. Sie haben gesehen, wie elend ich in den Raudales lebe, von den Moskitos gefressen, oft nicht einmal Bananen und Manioc im Hause! Und dennoch habe ich Neider in diesem Lande gefunden. Ein Weisser, der auf den Weiden zwischen dem Meta und dem Apure lebt, hat kuerzlich der *Audiencia* in Caracas die Anzeige gemacht, ich habe einen Schatz, den ich mit dem Missionaer von Carichana gefunden, unter den Graebern der Indianer versteckt. Man behauptet, die Jesuiten in Santa Fe de Bogota haben zum voraus gewusst, dass die Gesellschaft werde aufgehoben werden; da haben sie ihr Geld und ihre kostbaren Gefaesse bei Seite schaffen wollen und dieselben auf dem Rio Meta oder auf dem Vichada an den Orinoco geschickt, mit dem Befehl, sie auf den Inseln mitten in den Raudales zu Verstecken. Diesen Schatz nun soll ich ohne Wissen meiner Obern mir zugeeignet haben. Die Audiencia von Caracas fuehrte beim Statthalter von Guyana Klage, und wir erhielten Befehl, persoenlich zu erscheinen. Wir mussten ganz umsonst eine Reise von hundert fuenfzig Meilen machen, und es half nichts, dass wir erklaerten, wir haben in den Hoehlen nichts gefunden als Menschengebeine, Marder und vertrocknete Fledermaeuse; man ernannte mit grosser Wichtigkeit Commissaere, die sich hieher begeben und an Ort und Stelle inspiciren sollen, was noch vom Schatze der Jesuiten vorhanden sey. Aber wir koennen lange auf die Commissaere warten. Wenn sie auf dem Orinoco bis San Borja heraufkommen, werden sie vor den Moskitos Angst bekommen und nicht weiter gehen. In der Mueckenwolke (_nube de moscas_), in der wir in den Raudales stecken, ist man gut geborgen." Diese Geschichte des Missionaers wurde uns spaeter in Angostura aus dem Munde des Statthalters vollkommen bestaetigt. Zufaellige Umstaende geben zu den seltsamsten Vermuthungen Anlass. In den Hoehlen, wo die Mumien und Skelette der Atures liegen, ja mitten in den Katarakten, auf den unzugaenglichsten Inseln fanden die Indianer vor langer Zeit eisenbeschlagene Kisten mit verschiedenen europaeischen Werkzeugen, Resten von Kleidungsstuecken, Rosenkraenzen und Glaswaaren. Man vermuthete, die Gegenstaende haben portugiesischen Handelsleuten vom Rio Negro und Gran-Para angehoert, die vor der Niederlassung der Jesuiten am Orinoco ueber Trageplaetze und die Flussverbindungen im Innern nach Atures heraufkamen und mit den Eingeborenen Handel trieben. Die Portugiesen, glaubte man, seyen den Seuchen, die in den Raudales so haeufig sind, erlegen und ihre Kisten den Indianern in die Haende gefallen, die, wenn sie wohlhabend sind, sich mit dem Kostbarsten, was sie im Leben besassen, beerdigen lassen. Nach diesen zweifelhaften Geschichten wurde das Maehrchen von einem versteckten Schaetze geschmiedet. Wie in den Anden von Quito jedes in Truemmern liegende Bauwerk, sogar die Grundmauern der Pyramiden, welche die franzoesischen Akademiker bei der Messung des Meridians errichtet, fuer ein _Inca pilca_, das heisst fuer ein Werk des Inca gilt, so kann am Orinoco jeder verborgene Schatz nur einem Orden gehoert haben, der ohne Zweifel die Missionen besser verwaltet hat, als Kapuziner und Observanten, dessen Reichthum und dessen Verdienste um die Civilisation der Indianer aber sehr uebertrieben worden sind. Als die Jesuiten in Santa Fe verhaftet wurden, fand man bei ihnen keineswegs die Haufen von Piastern, die Smaragde von Muzo, die Goldbarren von Choco, die sie den Widersachern der Gesellschaft zufolge besitzen sollten. Man zog daraus den falschen Schluss, die Schaetze seyen allerdings vorhanden gewesen, aber treuen Indianern ueberantwortet und in den Katarakten des Orinoco bis zur einstigen Wiederherstellung des Ordens versteckt worden. Ich kann ein achtbares Zeugniss beibringen, aus dem unzweifelhaft hervorgeht, dass der Vicekoenig von Neu-Grenada die Jesuiten vor der ihnen drohenden Gefahr nicht gewarnt hatte. Don Vicente Orosco, ein spanischer Genieofficier, erzaehlte mir in Angostura, er habe mit Don Manuel Centurion den Auftrag gehabt, die Missionaere in Carichana zu verhaften und dabei sey ihnen eine indianische Pirogue begegnet, die den Rio Meta herabkam. Da dieses Fahrzeug mit Indianern bemannt war, die keine der Landessprachen verstanden, so erregte sein Erscheinen Verdacht. Nach langem fruchtlosem Suchen fand man eine Flasche mit einem Briefe, in dem der in Santa Fe residirende Superior der Gesellschaft die Missionaere am Orinoco von den Verfolgungen benachrichtigte, welche die Jesuiten in Neu-Grenada zu erleiden gehabt. Der Brief forderte zu keinerlei Vorsichtsmassregeln auf; er war kurz, unzweideutig und voll Respekt vor der Regierung, deren Befehle mit unnoethiger, unvernuenftiger Strenge vollzogen wurden. Acht Indianer von Atures hatten unsere Pirogue durch die Raudales geschafft; sie schienen mit dem maessigen Lohne, der ihnen gereicht wurde [kaum 30 Sous der Mann], gar wohl zufrieden. Das Geschaeft bringt ihnen wenig ein, und um einen richtigen Begriff von den jaemmerlichen Zustaenden und dem Darniederliegen des Handels in den Missionen am Orinoco zu geben, merke ich hier an, dass der Missionar in drei Jahren, ausser den Fahrzeugen, welche der Commandant von San Carlos am Rio Negro jaehrlich nach Angostura schickt, um die Loehnung der Truppen zu holen, nicht mehr als fuenf Piroguen vom obern Orinoco, die zur Schildkroeteneierernte fuhren, und acht mit Handelsgut beladene Canoes sah. Am 17. April. Nach dreistuendigem Marsch kamen wir gegen eilf Uhr Morgens bei unserem Fahrzeug an. Pater Zea liess mit unsern Instrumenten den wenigen Mundvorrath einschiffen, den man fuer die Reise, die er mit uns fortsetzen sollte, hatte auftreiben koennen: ein paar Bananenbueschel, Manioc und Huehner. Dicht am Landungsplatz fuhren wir am Einfluss des Cataniapo vorbei, eines kleinen Flusses, an dessen Ufern, drei Tagereisen weit, die Macos oder Piaroas hausen, die zur grossen Familie der Salivas-Voelker gehoeren. Wir haben oben Gelegenheit gehabt, ihre Gutmuethigkeit und ihre Neigung zur Landwirthschaft zu ruehmen. Im Weiterfahren fanden wir den Orinoco frei von Klippen, und nach einigen Stunden gingen wir ueber den Raudal von Garcita, dessen Stromschnellen bei Hochwasser leicht zu ueberwinden sind. Im Osten kommt die kleine Bergkette Cumadaminari zum Vorschein, die aus Gneiss, nicht aus geschichtetem Granit besteht. Auffallend war uns eine Reihe grosser Loecher mehr als 180 Fuss ueber dem jetzigen Spiegel des Orinoco, die dennoch vom Wasser ausgewaschen scheinen. Wir werden spaeter sehen, dass diese Erscheinung beinahe in derselben Hoehe an den Felsen neben den Katarakten von Maypures und 50 Meilen gegen Ost beim Einfluss des Rio Jao vorkommt. Wir uebernachteten im Freien am linken Stromufer unterhalb der Insel Tomo. Die Nacht war schoen und hell, aber die Moskitoschicht nahe am Boden so dick, dass ich mit dem Nivellement des kuenstlichen Horizonts nicht fertig werden konnte und um die Sternbeobachtung kam. Ein Quecksilberhorizont waere mir auf dieser Reise von grossem Nutzen gewesen. Am 18. April. Wir brachen um drei Uhr Morgens auf, um desto sicherer vor Einbruch der Nacht den unter dem Namen *Raudal de Guahibos* bekannten Katarakt zu erreichen. Wir legten am Einfluss des Rio Tomo an; die Indianer lagerten sich am Ufer, um ihr Essen zu bereiten und ein wenig zu ruhen. Es war gegen fuenf Uhr Abends, als wir vor dem Raudal ankamen. Es war keine geringe Aufgabe, die Stroemung hinaufzukommen und eine Wassermasse zu ueberwinden, die sich von einer mehrere Fuss hohen Gneissbank stuerzt. Ein Indianer schwamm auf den Fels zu, der den Fall in zwei Haelften theilt; man band ein Seil an die Spitze desselben, und nachdem man die Pirogue nahe genug hingezogen, schiffte man mitten im Raudal unsere Instrumente, unsere getrockneten Pflanzen und die wenigen Lebensmittel, die wir in Atures hatten auftreiben koennen, aus. Zu unserer Ueberraschung sahen wir, dass auf dem natuerlichen Wehr, ueber das sich der Strom stuerzt, ein betraechtliches Stueck Boden trocken liegt. Hier blieben wir stehen und sahen unsere Pirogue heraufschaffen. Der Gneissfels hat kreisrunde Loecher, von denen die groessten 4 Fuss tief und 18 Zoll weit sind. In diesen Trichtern liegen Quarzkiesel und sie scheinen durch die Reibung vom Wasser umhergerollter Koerper entstanden zu seyn. Unser Standpunkt mitten im Katarakt war sonderbar, aber durchaus nicht gefaehrlich. Unser Begleiter, der Missionar, bekam seinen Fieberanfall. Um ihm den quaelenden Durst zu loeschen, kamen wir auf den Einfall, ihm in einem der Felsloecher einen kuehlenden Trank zu bereiten. Wir hatten von Atures einen Mapire (indianischen Korb) mit Zucker, Citronen und Grenadillen oder Fruechten der Passionsblumen, von den Spaniern _Parchas_ genannt, mitgenommen. Da wir gar kein grosses Gefaess hatten, in dem man Fluessigkeiten mischen konnte, so goss man mit einer _Tutuma_ (Frucht der _Crescentia Cujete_) Flusswasser in eines der Loecher und that den Zucker und den Saft der sauren Fruechte dazu. In wenigen Augenblicken hatten wir ein treffliches Getraenke; es war das fast eine Schwelgerei am unwirthbaren Ort; aber der Drang des Beduerfnisses machte uns von Tag zu Tag erfinderischer. Nachdem wir unsern Durst geloescht, hatten wir grosse Lust zu baden. Wir untersuchten genau den schmalen Felsdamm, auf dem wir standen, und bemerkten, dass er in seinem obern Theile kleine Buchten bildete, in denen das Wasser ruhig und klar war, und so badeten wir denn ganz behaglich beim Getoese des Katarakts und dem Geschrei unserer Indianer. Ich erwaehne dieser kleinen Umstaende, einmal weil sie unsere Art zu reisen lebendig schildern, und dann weil sie allen, die grosse Reisen zu unternehmen gedenken, augenscheinlich zeigen, wie man unter allen Umstaenden im Leben sich Genuss verschaffen kann. Nach einer Stunde Harrens sahen wir endlich die Pirogue ueber den Raudal heraufkommen. Man lud die Instrumente und Vorraethe wieder ein und wir eilten vom Felsen der Guahibos wegzukommen. Es begann jetzt eine Fahrt, die nicht ganz gefahrlos war. Der Fluss ist 800 Toisen breit, und wir mussten oberhalb des Katarakts schief darueber fahren, an einem Punkt, wo das Wasser, weil das Bett staerker faellt, dem Wehr zu, ueber das es sich stuerzt, mit grosser Gewalt hinunterzieht. Wir wurden von einem Gewitter ueberrascht, bei dem zum Glueck kein starker Wind ging, aber der Regen goss in Stroemen nieder. Man ruderte bereits seit zwanzig Minuten und der Steuermann behauptete immer, statt stroman kommen wir wieder dem Raudal naeher. Diese Augenblicke der Spannung kamen uns gewaltig lang war. Die Indianer sprachen nur leise, wie immer, wenn sie in einer verfaenglichen Lage zu seyn glauben. Indessen verdoppelten sie ihre Anstrengungen, und wir langten ohne Unfall mit Einbruch der Nacht im Hafen von Maypures an. Die Gewitter unter den Tropen sind eben so kurz als heftig. Zwei Blitzschlaege waren ganz nahe an unserer Pirogue gefallen, und der Blitz hatte dabei unzweifelhaft ins Wasser geschlagen. Ich fuehre diesen Fall an, weil man in diesen Laendern ziemlich allgemein glaubt, die Wolken, die auf ihrer Oberflaeche elektrisch geladen sind, stehen so hoch, dass der Blitz seltener in den Boden schlage als in Europa. Die Nacht war sehr finster. Wir hatten noch zwei Stunden Wegs zum Dorfe Maypures, und wir waren bis auf die Haut durchnaesst. Wie der Regen nachliess, kamen auch die Zancudos wieder mit dem Heisshunger, den die Schnaken nach einem Gewitter immer zeigen. Meine Gefaehrten waren unschluessig, ob wir im Hafen im Freien lagern oder trotz der dunkeln Nacht unsern Weg zu Fuss fortsetzen sollten. Pater Zea, der in beiden Raudales Missionaer ist, wollte durchaus noch nach Hause kommen; Er hatte angefangen sich durch die Indianer in der Mission ein grosses Haus von zwei Stockwerken bauen zu lassen. "Sie finden dort," meinte er naiv, "dieselbe Bequemlichkeit wie im Freien. Freilich habe ich weder Tisch noch Bank, aber Sie haetten nicht so viel von den Muecken zu leiden; denn so unverschaemt sind sie in der Mission doch nicht wie am Fluss." Wir folgten dem Rath des Missionaers und er liess Copalfackeln anzuenden, von denen oben die Rede war, drei Zoll dicke, mit Harz gefuellte Roehren von Baumwurzeln. Wir gingen anfangs ueber kahle, glaette Felsbaenke und dann kamen wir in sehr dichtes Palmgehoelz. Zweimal mussten wir auf Baumstaemmen ueber einen Bach gehen. Bereits waren die Fackeln erloschen; dieselben sind wunderlich zusammengesetzt (der hoelzerne Docht umgibt das Harz), geben mehr Rauch als Licht und gehen leicht aus. Unser Gefaehrte, Don Nicolas Soto, verlor das Gleichgewicht, als er auf einem runden Stamm ueber den Sumpf ging. Wir waren anfangs sehr besorgt um ihn, da wir nicht wussten, wie hoch er hinuntergefallen war. Zum Glueck war der Grund nicht tief und er hatte sich nicht verletzt. Der indianische Steuermann, der sich ziemlich fertig auf spanisch ausdrueckte, ermangelte nicht, davon zu sprechen, dass wir leicht von Ottern, Wasserschlangen und Tigern angegriffen werden koennten. Solches ist eigentlich die obligate Unterhaltung, wenn man Nachts mit den Eingeborenen unterwegs ist. Die Indianer glauben, wenn sie dem europaeischen Reisenden Angst einjagen, sich nothwendiger zu machen und das Vertrauen des Fremden zu gewinnen. Der plumpste Bursche in den Missionen ist mit den Kniffen bekannt, wie sie ueberall im Schwange sind, wo Menschen von sehr verschiedenem Stand und Bildungsgrad mit einander verkehren. Unter dem absoluten und hie und da etwas quaelerischen Regiment der Moenche sucht er seine Lage durch die kleinen Kunstgriffe zu verbessern, welche die Waffen der Kindheit und jeder physischen und geistigen Schwaeche sind. Da wir in der Mission *San Jose de Maypures* in der Nacht ankamen, fiel uns der Anblick und die Veroedung des Orts doppelt auf. Die Indianer lagen im tiefsten Schlaf; man hoerte nichts als das Geschrei der Nachtvoegel und das ferne Tosen des Katarakts. In der Stille der Nacht, in dieser tiefen Ruhe der Natur hat das eintoenige Brausen eines Wasserfalls etwas Niederschlagendes, Drohendes. Wir blieben drei Tage in Maypures, einem kleinen Dorfe, das von Don Jose Solano bei der Grenzexpedition gegruendet wurde, und das noch malerischer, man kann wohl sagen wundervoller liegt als Atures. Der Raudal von Maypures, von den Indianern *Quittuna* genannt, entsteht, wie alle Wasserfaelle, durch den Widerstand den der Fluss findet, indem er sich durch einen Felsgrat oder eine Bergkette Bahn bricht. Wer den Charakter des Orts kennen lernen will, den verweise ich auf den Plan, den ich an Ort und Stelle aufgenommen, um dem Generalgouverneur von Caracas den Beweis zu liefern, dass sich der Raudal umgehen und die Schifffahrt bedeutend erleichtern liesse, wenn man zwischen zwei Nebenfluessen des Orinoco, in einem Thal, das frueher das Strombett gewesen zu seyn scheint, einen Canal anlegte. Die hohen Berge Cunavami und Calitamini, zwischen den Quellen der Fluesse Cataniapo und Ventuari, laufen gegen West in eine Kette von Granithuegeln aus. Von dieser Kette kommen drei Fluesschen herab, die den Katarakt von Maypures gleichsam umfassen, naemlich am oestlichen Ufer der Sanariapo, am westlichen der Cameji und der Toparo. Dem Dorfe Maypures gegenueber ziehen sich die Berge in einem Bogen zurueck und bilden, wie eine felsigte Kueste, eine nach Suedwest offene Bucht. Zwischen dem Einfluss des Toparo und dem des Sanariapo, am westlichen Ende dieses grossartigen Amphitheaters, ist der Durchbruch des Stromes erfolgt. Gegenwaertig fliesst der Orinoco am Fuss der oestlichen Bergkette. Vom westlichen Landstrich hat er sich ganz weggezogen, und dort, in einem tiefen Grunde, erkennt man noch leicht das alte Ufer. Eine Grasflur, kaum dreissig Fuss ueber dem mittleren Wasserstand, breitet sich von diesem trockenen Grunde bis zu den Katarakten aus. Hier steht aus Palmstaemmen die kleine Kirche von Maypures und umher sieben oder acht Huetten. Im trockenen Grund, der in gerader Linie von Sued nach Nord laeuft, vom Cameji zum Toparo, liegen eine Menge einzeln stehender Granithuegel, ganz aehnlich denen, die als Inseln und Klippen im jetzigen Strombett stehen. Diese ganz aehnliche Gestaltung fiel mir auf, als ich die Felsen Keri und Oco im verlassenen Strombett westlich von Maypures mit den Inseln Ouvitari und Camanitamini verglich, die oestlich von der Mission gleich alten Burgen mitten aus den Katarakten ragen. Der geologische Charakter der Gegend, das inselhafte Ansehen auch der vom gegenwaertigen Stromufer entlegensten Huegel, die Loecher, welche das Wasser im Felsen Oco ausgespuelt zu haben scheint, und die genau im selben Niveau liegen (25--30 Toisen hoch) wie die Hoehlungen an der Insel Ouvitari gegenueber -- alle diese Umstaende zusammen beweisen, dass diese ganze, jetzt trockene Bucht ehemals unter Wasser stand. Das Wasser bildete hier wahrscheinlich einen See, da es wegen des Dammes gegen Nord nicht abfliessen konnte; als aber dieser Damm durchbrochen wurde, erschien die Grasflur um die Mission zuerst als eine ganz niedrige, von zwei Armen desselben Flusses umgebene Insel. Man kann annehmen, der Orinoco habe noch eine Zeitlang den Grund ausgefuellt, den wir nach dem Fels, der darin steht, den Keri-Grund nennen wollen; erst als das Wasser allmaelig fiel, zog es sich ganz gegen die oestliche Kette und liess den westlichen Stromarm trocken liegen. Streifen, deren schwarze Farbe ohne Zweifel von Eisen- und Manganoxyden herruehrt, scheinen die Richtigkeit dieser Ansicht zu beweisen. Man findet dieselben auf allem Gestein, weit weg von der Mission, und sie weisen darauf hin, dass hier einst das Wasser gestanden. Geht man den Fluss hinauf, so ladet man die Fahrzeuge am Einfluss des Toparo in den Orinoco aus und uebergibt sie den Eingeborenen, die den Raudal so genau kennen, dass sie fuer jede Staffel einen besondern Namen haben. Sie bringen die Canoes bis zum Einfluss des Cameji, wo die Gefahr fuer ueberstanden gilt. Der Katarakt von Quittuna oder Maypures stellt sich in den zwei Zeitpunkten, in denen ich denselben beim Hinab- und beim Hinauffahren beobachten konnte, unter folgendem Bilde dar. Er besteht, wie der von Mapara oder Atures, aus einem Archipel von Inseln, die auf einer Strecke von 3000 Toisen das Strombett verstopfen, und aus Felsdaemmen zwischen diesen Inseln. Die berufensten unter diesen Daemmen oder natuerlichen Wehren sind: *Purimarimi*, *Manimi* und der *Salto de la Sardina* (der Sardellensprung). Ich nenne sie in der Ordnung, wie ich sie von Sued nach Nord auf einander folgen sah. Die letztere dieser drei Staffeln ist gegen neun Fuss hoch und bildet, ihrer Breite wegen, einen prachtvollen Fall. Aber, ich muss das wiederholen: das Getoese, mit dem die Wasser niederstuerzen, gegen einander stossen und zerstaeuben, haengt nicht sowohl von der absoluten Hoehe jeder Staffel, jedes Querdammes ab, als vielmehr von der Menge der Strudel, von der Stellung der Inseln und Klippen am Fuss der Raudalitos oder partiellen Faelle, von der groesseren oder geringeren Weite der Kanaele, in denen das Fahrwasser oft nur 20--30 Fuss breit ist. Die oestliche Haelfte der Katarakten von Maypures ist weit gefaehrlicher als die westliche, wesshalb auch die indianischen Steuerleute die Canoes vorzugsweise am linken Ufer hinauf- und hinabschaffen. Leider liegt bei niedrigem Wasser dieses Ufer zum Theil trocken, und dann muss man die Piroguen *tragen*, das heisst auf Walzen oder runden Baumstaemmen schleppen. Wir haben schon oben bemerkt, dass bei Hochwasser (aber nur dann) der Raudal von Maypures leichter zu passiren ist als der von Atures. Um diese wilde Landschaft in ihrer ganzen Grossartigkeit mit Einem Blicke zu umfassen, muss man sich auf den Huegel Manimi stellen, einen Granitgrat, der noerdlich von der Missionskirche aus der Savane aufsteigt und nichts ist als eine Fortsetzung der Staffeln, aus denen der Raudalito Manimi besteht. Wir waren oft auf diesem Berge, denn man sieht sich nicht satt an diesem ausserordentlichen Schauspiel in einem der entlegensten Erdwinkel. Hat man den Gipfel des Felsen erreicht, so liegt auf einmal, eine Meile weit, eine Schaumflaeche vor einem da, aus der ungeheure Steinmassen eisenschwarz aufragen. Die einen sind, je zwei und zwei beisammen, abgerundete Massen, Basalthuegeln aehnlich; andere gleichen Thuermen, Castellen, zerfallenen Gebaeuden. Ihre duestere Faerbung hebt sich scharf vom Silberglanze des Wasserschaums ab. Jeder Fels, jede Insel ist mit Gruppen kraeftiger Baeume bewachsen. Vom Fuss dieser Felsen an schwebt, so weit das Auge reicht, eine dichte Dunstmasse ueber dem Strom, und ueber den weisslichen Nebel schiesst der Wipfel der hohen Palmen empor. Diese grossartigen Gewaechse -- wie nennt man sie? Ich glaube es ist der _Vadgiai_, eine neue Art der Gattung _Oreodoxa_, deren Stamm ueber 80 Fuss hoch ist. Die einen Federbusch bildenden Blaetter dieser Palme sind sehr glaenzend und steigen fast gerade himmelan. Zu jeder Tagesstunde nimmt sich die Schaumflaeche wieder anders aus. Bald werfen die hohen Eilande und die Palmen ihre gewaltigen Schatten darueber, bald bricht sich der Strahl der untergehenden Sonne in der feuchten Wolke, die den Katarakt einhuellt. Farbige Bogen bilden sich, verschwinden und erscheinen wieder, und im Spiel der Luefte schwebt ihr Bild ueber der Flaeche. Solches ist der Charakter der Landschaft, wie sie auf dem Huegel Manimi vor einem liegt, und die noch kein Reisender beschrieben hat. Ich wiederhole, was ich schon einmal geaeussert: weder die Zeit, noch der Anblick der Cordilleren und der Aufenthalt in den gemaessigten Thaelern von Mexico haben den tiefen Eindruck verwischt, den das Schauspiel der Katarakten auf mich gemacht. Lese ich eine Beschreibung indischer Landschaften, deren Hauptreize stroemende Wasser und ein kraeftiger Pflanzenwuchs sind, so schwebt mir ein Schaummeer vor, und Palmen, deren Kronen ueber einer Dunstschicht emporragen. Es ist mit den grossartigen Naturscenen, wie mit dem Hoechsten in Poesie und Kunst: sie lassen Erinnerungen zurueck, die immer wieder wach werden und sich unser Lebenlang in unsere Empfindung mischen, so oft etwas Grosses und Schoenes uns die Seele bewegt. Die Stille in der Luft und das Toben der Wasser bilden einen Gegensatz, wie er diesem Himmelsstriche eigenthuemlich ist. Nie bewegt hier ein Windhauch das Laub der Baeume, nie truebt eine Wolke den Glanz des blauen Himmelsgewoelbes; eine gewaltige Lichtmasse ist durch die Luft verbreitet, ueber dem Boden, den Gewaechse mit glaenzenden Blaettern bedecken, ueber dem Strom, der sich unabsehbar hinbreitet. Dieser Anblick hat fuer den Reisenden, der im Norden von Europa zu Hause ist, etwas ganz Befremdendes. Stellt er sich eine wilde Landschaft vor, einen Strom, der von Fels zu Fels niederstuerzt, so denkt er sich auch ein Klima dazu, in dem gar oft der Donner aus dem Gewoelk mit dem Donner der Wasserfaelle sich mischt, wo am duestern, nebligten Tage die Wolken in das Thal herunter steigen und in den Wipfeln der Tannen haengen. In den Niederungen der Festlaender unter den Tropen hat die Landschaft eine ganz eigene Physiognomie, eine Grossartigkeit und eine Ruhe, die selbst da sich nicht verlaeugnet, wo eines der Elemente mit unueberwindlichen Hindernissen zu kaempfen hat. In der Naehe des Aequators kommen heftige Stuerme und Ungewitter nur auf den Inseln, in pflanzenlosen Wuesten, kurz ueberall da vor, wo die Luft auf Flaechen mit sehr abweichender Strahlung ruht. Der Huegel Manimi bildet die oestliche Grenze einer Ebene, aus der man dieselben, fuer die Geschichte der Vegetation, das heisst ihrer allmaehligen Entwicklung auf nackten, kahlen Bodenstrecken wichtigen Erscheinungen beobachtet, wie wir sie oben beim Raudal von Atures beschrieben. In der Regenzeit schwemmt das Wasser Dammerde aus dem Granitgestein zusammen, dessen kahle Baenke wagerecht daliegen. Diese mit den schoensten, wohlriechendsten Gewaechsen geschmueckten Landeilande gleichen den mit Blumen bedeckten Granitbloecken, welche die Alpenbewohner Jardins oder Courtils nennen, und die in Savoyen mitten aus den Gletschern emporragen. Mitten in den Katarakten auf ziemlich schwer zugaenglichen Klippen waechst die Vanille. Bonpland hat ungemein gewuerzreiche und ausserordentlich lange Schoten gebrochen. An einem Platz, wo wir Tags zuvor gebadet hatten, am Fuss des Felsen Manimi, schlugen die Indianer eine sieben und einen halben Fuss lange Schlange todt, die wir mit Musse untersuchen konnten. Die Macos nannten sie _Camudu_; der Ruecken hatte auf schoen gelbem Grunde theils schwarze, theils braungruene Querstreifen, am Bauch waren die Streifen blau und bildeten rautenfoermige Flecken. Es war ein schoenes, nicht giftiges Thier, das, wie die Eingeborenen behaupten, ueber 15 Fuss lang wird. Ich hielt den Camudu Anfangs fuer eine Boa, sah aber zu meiner Ueberraschung, dass bei ihm die Platten unter dem Schwanze in zwei Reihen getheilt waren. Es war also eine Natter, vielleicht ein *Python* des neuen Continents; ich sage vielleicht, denn grosse Naturforscher (CUVIER) scheinen anzunehmen, dass alle Pythons der alten, alle Boas der neuen Welt angehoeren. Da die Boa des Plinius(47) eine afrikanische und suedeuropaeische Schlange war, so haette DAUDIN wohl die amerikanischen Boas Pythons und die indischen Pythons Boas nennen sollen. Die erste Kunde von einem ungeheuern Reptil, das Menschen, sogar grosse Vierfuesser packt, sich um sie schlingt und ihnen so die Knochen zerbricht, das Ziegen und Rehe verschlingt, kam uns zuerst aus Indien und von der Kueste von Guinea zu. So wenig an Namen gelegen ist, so gewoehnt man sich doch nur schwer daran, dass es in der Halbkugel, in der Virgil die Qualen Laokoons besungen hat (die asiatischen Griechen hatten die Sage weit suedlicheren Voelkern entlehnt), keine _Boa constrictor_ geben soll. Ich will die Verwirrung in der zoologischen Nomenclatur nicht durch neue Vorschlaege zur Abaenderung vermehren, und bemerke nur, dass, wo nicht der grosse Haufen der Colonisten in Guyana, doch die Missionaere und die *latinisirten* Indianer in den Missionen [S. Bd. II. Seite 24] ganz gut die _Traga Venadas_ (Zauberschlangen, aechte Boas mit einfachen Afterschuppen) von den _Culebras de agua_, den dem Camudu aehnlichen Wasserottern (Pythons mit doppelten Afterschuppen), unterscheiden. Die Traga Venadas haben auf dem Ruecken keine Querstreifen, sondern eine Kette rautenfoermiger oder sechseckiger Flecken. Manche Arten leben vorzugsweise an ganz trockenen Orten, andere lieben das Wasser, wie die Pythons oder _Culebras de agua_. Geht man nach Westen, so sieht man die runden Huegel oder Eilande im verlassenen Orinocoarm mit denselben Palmen bewachsen, die auf den Felsen in den Katarakten stehen. Einer dieser Felsen, der sogenannte Keri, ist im Lande beruehmt wegen eines weissen, weithin glaenzenden Flecks, in dem die Eingeborenen ein Bild des Vollmonds sehen wollen. Ich konnte die steile Felswand nicht erklimmen, wahrscheinlich aber ist der weisse Fleck ein maechtiger Quarzknoten, wie zusammenscharende Gaenge sie im Granit, der in Gneiss uebergeht, haeufig bilden. Gegenueber dem Keri oder *Mondfelsen*, am Zwillingshuegel Ouivitari, der ein Eiland mitten in den Katarakten ist, zeigen einem die Indianer mit geheimnissvoller Wichtigkeit einen aehnlichen weissen Fleck. Derselbe ist scheibenfoermig, und sie sagen, es sey das Bild der Sonne, Camosi. Vielleicht hat die geographische Lage dieser beiden Dinge Veranlassung gegeben, sie so zu benennen; Keri liegt gegen Untergang, Camosi gegen Aufgang. Da die Sprachen die aeltesten geschichtlichen Denkmaeler der Voelker sind, so haben die Sprachforscher die Aehnlichkeit des amerikanischen Wortes _Camosi_ mit dem Worte _Camosch_, das in einem semitischen Dialekt urspruenglich Sonne bedeutet zu haben scheint, sehr auffallend gefunden. Diese Aehnlichkeit hat zu Hypothesen Anlass gegeben, die mir zum wenigsten sehr gewagt scheinen.(48) Der Gott der Moabiter, Chamos oder Camosch, der den Gelehrten so viel zu schaffen gemacht hat, der Apollo Chomeus, von dem Strabo und Ammianus Marcellinus sprechen, Beelphegor, Amun oder Hamon und Adonis bedeuten ohne Zweifel alle die Sonne im Wintersolstitium; was will man aber aus einer einzelnen, zufaelligen Lautaehnlichkeit in Sprachen schliessen, die sonst nichts mit einander gemein haben? Betrachtet man die Namen der von den spanischen Moenchen gestifteten Missionen, so irrt man sich leicht hinsichtlich der Bevoelkerungselemente, mit denen sie gegruendet worden. Nach Encaramada und Atures brachten die Jesuiten, als sie diese Doerfer erbauten, Maypures-Indianer, aber die Mission Maypures selbst wurde nicht mit Indianern dieses Namens gegruendet, vielmehr mit Guipunabis-Indianern, die von den Ufern des Irinida stammen und nach der Sprachverwandtschaft, sammt den Maypures, Cabres, Avani und vielleicht den Parent, demselben Zweig der Orinocovoelker angehoeren. Zur Zeit der Jesuiten war die Mission am Raudal von Maypures sehr ansehnlich; sie zaehlte 600 Einwohner, darunter mehrere weisse Familien. Unter der Verwaltung der Observanten ist die Bevoelkerung auf weniger als 60 herabgesunken. Man kann ueberhaupt annehmen, dass in diesem Theile von Suedamerika die Cultur seit einem halben Jahrhundert zurueckgegangen ist, waehrend wir jenseits der Waelder, in den Provinzen in der Naehe der See, Doerfer mit 2000--3000 Indianern finden. Die Einwohner von Maypures sind ein sanftmuethiges, maessiges Volk, das sich auch durch grosse Reinlichkeit auszeichnet. Die meisten Wilden am Orinoco haben nicht den wuesten Hang zu geistigen Getraenken, dem man in Nordamerika begegnet. Die Otomacos, Jaruros, Achaguas und Caraiben berauschen sich allerdings oft durch den uebermaessigen Genuss der _Chiza_ und so mancher andern gegohrenen Getraenke, die sie aus Manioc, Mais und zuckerhaltigen Palmfruechten zu bereiten wissen; die Reisenden haben aber, wie gewoehnlich, fuer allgemeine Sitte ausgegeben, was nur einzelnen Staemmen zukommt. Sehr oft konnten wir Guahibos oder Macos-Piaroas, die fuer uns arbeiteten und sehr erschoepft schienen, nicht vermoegen, auch nur ein wenig Branntwein zu trinken. Die Europaeer muessen erst laenger in diesen Laendern gesessen haben, ehe sich die Laster ausbreiten, die unter den Indianern an den Kuesten bereits so gemein sind. In Maypures fanden wir in den Huetten der Eingeborenen eine Ordnung und eine Reinlichkeit, wie man denselben in den Haeusern der Missionaere selten begegnet. Sie bauen Bananen und Manioc, aber keinen Mais. Siebzig bis achtzig Pfund Manioc in Kuchen oder duennen Scheiben, das landesuebliche Brod, kosten sechs Silberrealen, ungefaehr vier Franken. Wie die meisten Indianer am Orinoco haben auch die in Maypures Getraenke, die man nahrhafte nennen kann. Eines dieser Getraenke, das im Lande sehr beruehmt ist, wird von einer Palme gewonnen, die in der Naehe der Mission, am Ufer des Auvana wild waechst. Dieser Baum ist der Seje; ich habe an Einer Bluethentraube 44,000 Bluethen geschaetzt; der Fruechte, die meist unreif abfallen, waren 8000. Es ist eine kleine fleischigte Steinfrucht. Man wirft sie ein paar Minuten lang in kochendes Wasser, damit sich der Kern vom Fleische trennt, das zuckersuess ist, und sofort in einem grossen Gefaess mit Wasser zerstampft und zerrieben wird. Der kalte Aufguss gibt eine gelblichte Fluessigkeit, die wie Mandelmilch schmeckt. Man setzt manchmal _Papelon_ oder Rohzucker zu. Der Missionar versichert, die Eingeborenen werden in den zwei bis drei Monaten, wo sie Seje-Saft trinken, sichtlich fetter; sie brocken Cassavekuchen hinein. Die _Piaches_, oder indianischen Gaukler, gehen in die Waelder und blasen unter der Sejepalme auf dem _Botuto_ (der heiligen Trompete). "Dadurch", sagen sie, "wird der Baum gezwungen im folgenden Jahr reichen Ertrag zu geben." Das Volk bezahlt fuer diese Ceremonie, wie man bei den Mongolen, Mauren, und manchen Voelkern noch naeher bei uns, Schamanen, Marabouts und andere Arten von Priestern dafuer bezahlt, dass sie mit Zauberspruechen oder Gebeten die weissen Ameisen und die Heuschrecken vertreiben, oder lang anhaltendem Regen ein Ende machen und die Ordnung der Jahreszeiten verkehren. "_Tengo en mi pueblo la fabrica de loza._" (ich habe in meinem Dorfe eine Steingutfabrik), sprach Pater Zea und fuehrte uns zu einer indianischen Familie, die beschaeftigt war, unter freiem Himmel an einem Feuer von Strauchwerk grosse, zwei und einen halben Fuss hohe Thongefaesse zu brennen. Dieses Gewerbe ist den verschiedenen Zweigen des grossen Volksstamms der Maypures eigenthuemlich und sie scheinen dasselbe seit unvordenklicher Zeit zu treiben. Ueberall in den Waeldern, weit von jedem menschlichen Wohnsitz, stoesst man, wenn man den Boden aufgraebt, auf Scherben von Toepfen und bemaltem Steingut. Die Liebhaberei fuer diese Arbeit scheint frueher unter den Ureinwohnern Nord- und Suedamerikas gleich verbreitet gewesen zu seyn. Im Norden von Mexico, am Rio Gila, in den Truemmern einer aztekischen Stadt, in den Vereinigten Staaten bei den Grabhuegeln der Miamis, in Florida und ueberall, wo sich Spuren einer alten Cultur finden, birgt der Boden Scherben von bemalten Geschirren. Und hoechst auffallend ist die durchgaengige grosse Aehnlichkeit der Verzierungen. Die wilden und solche civilisirten Voelker, die durch ihre staatlichen und religioesen Einrichtungen dazu verurtheilt sind, immer nur sich selbst zu copiren, (49) treibt ein gewisser Instinkt, immer dieselben Formen zu wiederholen, an einem eigenthuemlichen Typus oder Styl festzuhalten, immer nach denselben Handgriffen und Methoden zu arbeiten, wie schon die Vorfahren sie gekannt. In Nordamerika wurden Steingutscherben an den Befestigungslinien und in den Ringwaellen gefunden, die von einem unbekannten, gaenzlich ausgestorbenen Volke herruehren. Die Malereien auf diesen Scherben haben die auffallendste Aehnlichkeit mit denen, welche die Eingeborenen von Louisiana und Florida noch jetzt auf gebranntem Thon anbringen. So malten denn auch die Indianer in Maypures unter unsern Augen Verzierungen, ganz wie wir sie in der Hoehle von Ataruipe auf den Gefaessen gesehen, in denen menschliche Gebeine aufbewahrt sind. Es sind wahre "_'Grecques'_" Maeanderlinien, Figuren von Krokodilen, von Affen, und von einem grossen vierfuessigen Thier, von dem ich nicht wusste, was es vorstellen soll, das aber immer dieselbe plumpe Gestalt hat. Ich koennte bei dieser Gelegenheit eines Kopfs mit einem Elephantenruessel gedenken, den ich im Museum zu Velletri auf einem alten mexicanischen Gemaelde gefunden; ich koennte keck die Hypothese aufstellen, das grosse vierfuessige Thier auf den Toepfen der Maypures gehoere einem andern Lande an und der Typus desselben habe sich auf der grossen Wanderung der amerikanischen Voelker von Nordwest nach Sued und Suedost in der Erinnerung erhalten; wer wollte sich aber bei so schwankenden, auf nichts sich stuetzenden Vermuthungen aufhalten? Ich moechte vielmehr glauben, die Indianer am Orinoco haben einen Tapir vorstellen wollen, und die verzeichnete Figur eines einheimischen Thiers sey einer der Typen geworden, die sich forterben. Oft hat nur Ungeschick und Zufall Figuren erzeugt, ueber deren Herkunft wir gar ernsthaft verhandeln, weil wir nicht anders glauben, als es liege ihnen eine Gedankenverbindung, eine absichtliche Nachahmung zu Grunde. Am geschicktesten fuehren die Maypures Verzierungen aus geraden, mannigfach combinirten Linien aus, wie wir sie auf den grossgriechischen Vasen, auf den mexicanischen Gebaeuden in Mitla und auf den Werken so vieler Voelker sehen, die, ohne dass sie mit einander in Verkehr gestanden, eben gleiches Vergnuegen daran finden, symmetrisch dieselben Formen zu wiederholen. Die Arabesken, die Maeander vergnuegen unser Auge, weil die Elemente, aus denen die Baender bestehen, in rhythmischer Folge an einander gereiht sind. Das Auge verhaelt sich zu dieser Anordnung, zu dieser periodischen Wiederkehr derselben Formen wie das Ohr zur taktmaessigen Aufeinanderfolge von Toenen und Accorden. Kann man aber in Abrede ziehen, dass beim Menschen das Gefuehl fuer den Rhythmus schon beim ersten Morgenroth der Cultur, in den rohesten Anfaengen von Gesang und Poesie zum Ausdruck kommt? Die Eingeborenen in Maypures (und besonders die Weiber verfertigen das Geschirr) reinigen den Thon durch wiederholtes Schlemmen, kneten ihn zu Cylindern und arbeiten mit den Haenden die groessten Gefaesse aus; Der amerikanische Indianer weiss nichts von der Toepferscheibe, die sich bei den Voelkern des Orients aus dem fruehesten Alterthum herschreibt. Man kann sich nicht wundern, dass die Missionaere die Eingeborenen am Orinoco nicht mit diesem einfachen, nuetzlichen Werkzeug bekannt gemacht haben, wenn man bedenkt, dass es nach drei Jahrhunderten noch nicht zu den Indianern auf der Halbinsel Araya, dem Hafen von Cumana gegenueber, gedrungen ist.[S. Bd. I. Seite 273] Die Farben der Maypures sind Eisen- und Manganoxyde, besonders gelber und rother Ocker, der in Hoehlungen des Sandsteins vorkommt. Zuweilen wendet man das Satzmehl der _Bignonia Chica_ an, nachdem das Geschirr einem ganz schwachen Feuer ausgesetzt worden. Man ueberzieht die Malerei mit einem Firniss von _Algarobo_, dem durchsichtigen Harz der _Hymenaea Courbaril_. Die grossen Gefaesse zur Aufbewahrung der _Chiza_ heissen _Ciamacu_, die kleineren _Mucra_, woraus die Spanier an der Kueste _Murcura_ gemacht haben. Uebrigens weiss man am Orinoco nicht allein von den Maypures, sondern auch von den Guaypunabis, Caraiben, Otomacos und selbst von den Guamos, dass sie Geschirr mit Malereien verfertigen. Frueher war dieses Gewerbe bis zum Amazonenstrom hin verbreitet. Schon ORELLANA fielen die gemalten Verzierungen auf dem Geschirr der Omaguas aus, die zu seiner Zeit ein zahlreiches, handeltreibendes Volk waren. Ehe ich von diesen Spuren eines keimenden Gewerbfleisses bei Voelkern, die wir ohne Unterschied als Wilde bezeichnen, zu etwas Anderem uebergehe, mache ich noch eine Bemerkung, die ueber die Geschichte der amerikanischen Civilisation einiges Licht verbreiten kann. In den Vereinigten Staaten, ostwaerts von den Alleghanis, besonders zwischen dem Ohio und den grossen canadischen Seen, findet man im Boden fast ueberall bemalte Topfscherben und daneben kupferne Werkzeuge. Diess erscheint auffallend in einem Lande, wo die Eingeborenen bei der Ankunft der Europaeer mit dem Gebrauch der Metalle unbekannt waren. In den Waeldern von Suedamerika, die sich vom Aequator bis zum achten Grad noerdlicher Breite, das heisst vom Fusse der Anden bis zum atlantischen Meer ausdehnen, findet man dasselbe bemalte Toepfergeschirr an den einsamsten Orten; aber es kommen damit nur kuenstlich durchbohrte Aexte aus Nephrit und anderem hartem Stein vor. Niemals hat man dort im Boden Werkzeuge oder Schmucksachen aus Metall gefunden, obgleich man in den Gebirgen an der Kueste und auf dem Ruecken der Cordilleren Gold und Kupfer zu schmelzen und letzteres mit Zinn zur Verfertigung von schneidenden Werkzeugen zu legiren verstand. Woher ruehrt dieser scharfe Gegensatz zwischen der gemaessigten und der heissen Zone? Die peruanischen Incas hatten ihre Eroberungen und Religionskriege bis an den Napo und den Amazonenstrom ausgedehnt, und dort hatte sich auch ihre Sprache auf einem beschraenkten Landstrich verbreitet; aber niemals scheint die Cultur der Peruaner, der Bewohner von Quito und der Muyscas in Neu-Grenada auf den moralischen Zustand der Voelker von Guyana irgend einen merklichen Einfluss geaeussert zu haben. Noch mehr: in Nordamerika, zwischen dem Ohio, dem Miami und den Seen, hat ein unbekanntes Volk, das die Systematiker von den Tolteken und Azteken abstammen lassen moechten, aus Erde, zuweilen sogar aus Steinen(50) ohne Moertel zehn bis fuenfzehn Fuss hohe und sieben bis achttausend Fuss lange Mauern gebaut. Diese raethselhaften Ringwaelle und Ringmauern umschliessen oft gegen 150 Morgen Land. Bei den Niederungen am Orinoco, wie bei den Niederungen an der Marietta, am Miami und Ohio liegt der Mittelpunkt einer alten Cultur westwaerts auf dem Ruecken der Gebirge; aber der Orinoco und die Laender zwischen diesem grossen Fluss und dem Amazonenstrom scheinen niemals von Voelkern bewohnt gewesen zu seyn, deren Bauten dem Zahn der Zeit widerstanden haetten. Sieht man dort auch symbolische Figuren ins haerteste Felsgestein eingegraben, so hat man doch suedlich vom achten Breitengrade bis jetzt nie weder einen Grabhuegel, noch einen Ringwall, noch Erddaemme gefunden, wie sie weiter nordwaerts auf den Ebenen von Barinas und Canagua vorkommen. Solches ist der Gegensatz zwischen den oestlichen Stuecken der beiden Amerika, zwischen denen, die sich von der Hochebene von Cundinamarca und den Gebirgen von Cayenne gegen das atlantische Meer ausbreiten, und denen, die von den Anden von Neu-Spanien gegen die Alleghanis hinstreichen. In der Cultur vorgeschrittene Voelker, deren Spuren uns am Ufer des Sees Teguyo und in den *Casas grandes* am Rio Gila entgegen treten, mochten einzelne Staemme gegen Ost in die offenen Fluren am Missouri und Ohio vorschieben, wo das Klima nicht viel anders ist als in Neu-Mexico; aber in Suedamerika, wo die grosse Voelkerstroemung von Nord nach Sued ging, konnten Menschen, die schon so lange auf dem Ruecken der tropischen Cordilleren einer milden Temperatur genossen, keine Lust haben, in die gluehend heissen, mit Urwald bedeckten, periodisch von den Fluessen ueberschwemmten Ebenen niederzusteigen. Man sieht leicht, wie in der heissen Zone die Ueberfuelle des Pflanzenwuchses, die Beschaffenheit von Boden und Klima die Wanderungen der Eingeborenen in starken Haufen beschraenkten, Niederlassungen, die eines weiten freien Raumes beduerfen, nicht aufkommen liessen, das Elend und die Versunkenheit der vereinzelten Horden verewigten. Heutzutage geht die schwache Cultur, wie die spanischen Moenche sie eingefuehrt, wieder rueckwaerts. PATER GILI berichtet, zur Zeit der Grenzexpedition habe der Ackerbau am Orinoco angefangen Fortschritte zu machen; das Vieh, besonders die Ziegen hatten sich in Maypures bedeutend vermehrt. Wir haben weder in dieser Mission, noch sonst in einem Dorfe am Orinoco mehr welche angetroffen; die Tiger haben die Ziegen gefressen. Nur die schwarzen und weissen Schweine (letztere heissen franzoesische Schweine, _puercos franceses_ weil man glaubt, sie seyen von den Antillen gekommen) haben trotz der reissenden Thiere ausgedauert. Mit grossem Interesse sahen wir um die Huetten der Indianer _'Guacamayas'_ oder zahme Aras, die auf den Feldern herumflogen wie bei uns die Tauben. Es ist diess die groesste und praechtigste Papagaienart mit nicht befiederten Wangen, die wir aus unsern Reisen angetroffen. Sie misst mit dem Schwanz 2 Fuss 3 Zoll, und wir haben sie auch am Atabapo, Temi und Rio Negro gefunden. Das Fleisch des _Cahuei_ -- so heisst hier der Vogel -- das haeufig gegessen wird, ist schwarz und etwas hart. Diese Aras, deren Gefieder in den brennendsten Farben, purpurroth, blau und gelb, schimmert, sind eine grosse Zierde der indianischen Huehnerhoefe. Sie stehen an Pracht den Pfauen, Goldfasanen, Pauxis und Alectors nicht nach. Die Sitte, Papagaien, Voegel aus einer dem Huehnergeschlecht so ferne stehenden Familie aufzuziehen, war schon CHRISTOPH COLUMBUS aufgefallen. Gleich bei der Entdeckung Amerikas hatte er beobachtet, dass die Eingeborenen auf den Antillen statt Huehner Aras oder grosse Papagaien assen. Beim kleinen Dorfe Maypures waechst ein praechtiger, ueber 60 Fuss hoher Baum, den die Colonisten _'Frutta de Burro'_ nennen. Es ist eine neue Gattung _Unona_, die den Habitus von AUBLETs _Uvaria Zeylandica_ hat und die ich frueher _Uvaria febrifuga_ benannt hatte. Ihre Zweige sind gerade und stehen pyramidalisch aufwaerts, fast wie bei der Pappel vom Mississippi, faelschlich italienische Pappel genannt. Der Baum ist beruehmt, weil seine aromatischen Fruechte, als Ausguss gebraucht, ein wirksames Fiebermittel sind. Die armen Missionare am Orinoco, die den groessten Theil des Jahres am dreitaegigen Fieber leiden, reisen nicht leicht, ohne ein Saeckchen mit _fruttas de Burro_ bei sich zu fuehren. Unter den Tropen braucht man meist lieber aromatische Mittel, z. B. sehr starken Kaffee, _Croton Cascarilla_ oder die Fruchthuelle unserer Unona, als die adstringirenden Rinden der _Cinchona_ und der _Bonplandia trifoliata_ welch letztere die China von Angostura ist. Das amerikanische Volk hat ein tief wurzelndes Vorurtheil gegen den Gebrauch der verschiedenen Chinaarten, und in dem Lande, wo dieses herrliche Heilmittel waechst, sucht man die Fieber durch Aufguesse von _Scoparia dulcis_ _'abzuschneiden'_, oder auch durch warme Limonade aus Zucker und der kleinen wilden Citrone, deren Rinde oeligt und aromatisch zugleich ist. Das Wetter war astronomischen Beobachtungen nicht guenstig; indessen erhielt ich doch am 20. April eine gute Reihe eorrespondirender Sonnenhoehen, nach denen der Chronometer fuer die Mission Maypures 70 deg. 37{~PRIME~} 33{~DOUBLE PRIME~} Laenge ergab; die Breite wurde durch Beobachtung eines Sterns gegen Norden gleich 59 deg. 13{~PRIME~} 57{~DOUBLE PRIME~} gefunden. Die neuesten Karten sind in der Laenge um 1/2 Grad, in der Breite um 1/4 Grad unrichtig. Wie muehsam und qualvoll diese naechtlichen Beobachtungen waren, vermoechte ich kaum zu beschreiben. Nirgends war die Moskitowolke so dick wie hier. Sie bildete ein paar Fuss ueber dem Boden gleichsam eine eigene Schicht und wurde immer dichter, je naeher man gegen den kuenstlichen Horizont hinleuchtete. Die meisten Einwohner von Maypures gehen aus dem Dorf und schlafen auf den Inseln mitten in den Katarakten, wo es weniger Insekten gibt; andere machen aus Strauchwerk Feuer in ihren Huetten an und haengen ihre Matten mitten in den Rauch. Der Thermometer stand bei Nacht auf 27 und 29 deg., bei Tag auf 30 deg.. Am 19. April fand ich um zwei Uhr Nachmittags einen losen, grobkoernigen Granitsand 60 deg.,3 [48 deg.,2 Reaumur, Graeser von frischestem Gruen wuchsen in diesem Sand], einen gleichfalls weissen, aber feinkoernigen und dichteren Granitsand 52 deg.,5 heiss; die Temperatur eines kahlen Granitfelsen war 47 deg.,6. Zu derselben Stunde zeigte der Thermometer 8 Fuss ueber dem Boden im Schatten 29 deg.,6, in der Sonne 36 deg.,2. Eine Stunde nach Sonnenuntergang zeigte der grobe Sand 32 deg., der Granitfels 38 deg.,8, die Luft 28 deg.,6, das Wasser des Orinoco im Raudal, an der Oberflaeche, 27 deg.,6, das Wasser einer schoenen Quelle, die hinter dem Haus der Missionare aus dem Granit kommt, 27 deg.,8. Es ist diess vielleicht etwas weniger als die mittlere Jahrestemperatur der Luft in Maypures. Die Inclination der Magnetnadel in Maypures betrug 31 deg.,10, also 1 deg.,15 weniger als im Dorfe Atures, das um 25 Minuten der Breite weiter nach Norden liegt. Am 21. April. Nach einem Aufenthalt von zwei und einem halben Tag im kleinen Dorfe Maypures neben dem obern grossen Katarakt schifften wir uns um zwei Uhr Nachmittags in derselben Pirogue wieder ein, die der Missionaer von Carichana uns ueberlassen; sie war vom Schlagen an die Klippen und durch die Unvorsichtigkeit der indianischen Schiffsleute ziemlich beschaedigt; aber ihrer warteten noch groessere Fahrlichkeiten. Sie musste vom Rio Tuamini zum Rio Negro ueber eine Landenge 36,000 Fuss weit geschleppt werden, sie musste ueber den Cassiquiare wieder in den Orinoco herauf und zum zweitenmal durch die beiden Raudales. Man untersuchte Boden und Seitenwaende der Pirogue und meinte, sie sey stark genug, die lange Reise auszuhalten. Sobald man ueber die grossen Katarakten weg ist, befindet man sich in einer neuen Welt; man fuehlt es, man hat die Schranke hinter sich, welche die Natur selbst zwischen den cultivirten Kuestenstrichen und den wilden, unbekannten Laendern im Innern gezogen zu haben scheint. Gegen Ost in blauer Ferne zeigte sich zum letztenmale die hohe Bergkette des Cunavami; ihr langer wagerechter Kamm erinnert an die Gestalt der Mesa im Bergantin bei Cumana, nur endigt sie mit einem abgestutzten Kegel. Der Pic Calitamini (so heisst dieser Gipfel) ist bei Sonnenuntergang wie von roethlichem Feuer bestrahlt, und zwar einen Tag wie den andern. Kein Mensch ist je diesem Berge nahe gekommen, der nicht ueber 600 Toisen hoch ist.(51) Ich glaube, dieser gewoehnlich roethliche, zuweilen silberweisse Schimmer ist ein Reflex von grossen Talgblaettern oder von Gneiss, der in Glimmerschiefer uebergeht. Das ganze Land besteht hier aus Granitgestein, dem da und dort, auf kleinen Ebenen, unmittelbar ein thonigter Sandstein mit Quarztruemmern und Brauneisenstein aufgelagert ist. Auf dem Wege zum Landungsplatz fingen wir auf einem Heveastamm [Einer der Baeume, deren Milch Cautschuc gibt.] eine neue, durch ihre schoene Faerbung ausgezeichnete Froschart. Der Bauch war gelb, Ruecken und Kopf schoen sammtartig purpurfarb; ein einziger ganz schmaler weisser Streif lief von der Spitze des Mauls zu den Hinterbeinen. Der Frosch war zwei Zoll lang, nahe verwandt der _Rana tinctoria_, deren Blut (wie man behauptet), wenn man es Papagaien da, wo man ihnen Federn ausgerauft, in die Haut einreibt, macht, dass die neuen gelben oder rothen Federn scheckigt werden. Den Weg entlang zeigten uns die Indianer etwas, was hier zu Land allerdings sehr merkwuerdig ist, Raederspuren im Gestein. Sie sprachen, wie von einem unbekannten Geschoepf, von den Thieren mit grossen Hoernern, welche zur Zeit der Grenzexpedition die Fahrzeuge durch das Thal des Keri vom Rio Toparo zum Rio Cameji gezogen, um die Katarakten zu umgehen und die Muehe des Umladens zu ersparen. Ich glaube, diese armen Einwohner von Maypures wunderten sich jetzt beim Anblick eines Ochsen von castilischer Race, wie die Roemer ueber die _'lucanischen Ochsen'_ (die Elephanten im Heere des Pyrrhus). Wenn man durch das Thal des Keri einen Canal zoege, der die kleinen Fluesse Cameji und Toparo vereinigte, brauchten die Piroguen nicht mehr durch die Raudales zu gehen. Auf diesem ganz einfachen Gedanken beruht der Plan, den ich im ersten Entwurf durch den Generalcapitaen von Caracas, Guevara Basconzelos, der spanischen Regierung habe vorlegen lassen. Beim Katarakt von Maypures sind die Bodenverhaeltnisse so guenstig, wie man sie bei Atures vergeblich suchte. Der Canal wuerde 2850 oder 1360 Toisen lang, je nachdem man ihn nahe an der Muendung der beiden Fluesschen oder weiter ihren Quellen zu anfangen liesse. Das Terrain scheint im Durchschnitt von Sued Sued Ost nach Nord Nord West um 6--7 Toisen zu fallen, und im Thal des Keri ist der Boden ganz eben, mit Ausnahme eines kleinen Kamms oder einer Wasserscheide, welche im Parallel der Kirche von Maypures die beiden Nebenfluesse des Stromes nach entgegengesetzten Seiten laufen laesst. Die Ausfuehrung dieses Plans waere durchaus nicht kostspielig, da die Landenge groesstentheils aus angeschwemmtem Boden besteht, und Pulver haette man dabei gar nicht noethig. Dieser Canal, der nicht ueber zehn Fuss breit zu seyn brauchte, waere als ein schiffbarer Arm des Orinoco zu betrachten. Es beduerfte keiner Schleusse, und die Fahrzeuge, die in den obern Orinoco gehen, wuerden nicht mehr wie jetzt durch die Reibung an den rauhen Klippen im Raudal beschaedigt; man zoege sie hinauf, und da man die Waaren nicht mehr auszuladen brauchte, wuerde viel Zeit erspart. Man hat die Frage eroertert, wozu der von mir in Vorschlag gebrachte Canal dienen sollte. Hier ist die Antwort, die ich im Jahr 1801 auf meiner Reise nach Quito dem Ministerium ertheilt habe: "Auf den Bau eines Canals bei Maypures und eines andern, von dem in der Folge die Rede seyn wird, lege ich nur in der Voraussetzung Gewicht, dass die Regierung sich mit Handel und Gewerbfleiss am obern Orinoco ernstlich beschaeftigen wollte. Unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen, da, wie es scheint, die Ufer des majestaetischen Stromes gaenzlich vernachlaessigt bleiben sollen, waeren Canaele allerdings so gut wie ueberfluessig." Nachdem wir uns im *Puerto de arriba* eingeschifft, gingen wir mit ziemlicher Beschwerde ueber den Raudal de Cameji; diese Stelle gilt bei sehr hohem Wasserstand fuer gefaehrlich. Jenseits des Raudals fanden wir den Strom spiegelglatt. Wir uebernachteten auf einer felsigten Insel, genannt Piedra Raton; sie ist gegen dreiviertel Meilen lang, und auch hier wiederholt sich die interessante Erscheinung einer in der Entwicklung begriffenen Vegetation, jener zerstreuten Gruppen von Buschwerk auf ebenem Felsboden, wovon schon oefters die Rede war. Ich konnte in der Nacht mehrere Sternbeobachtungen machen und fand die Breite der Insel gleich 5 deg. 4{~PRIME~} 51{~DOUBLE PRIME~}, ihre Laenge gleich 70 deg. 57{~PRIME~}. Ich konnte die im Strom reflektirten Sternbilder benuetzen; obgleich wir uns mitten im Orinoco befanden, war die Moskitowolke so dick, dass ich nicht die Geduld hatte, den kuenstlichen Horizont zu richten. Am 22. April. Wir brachen anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang auf. Der Morgen war feucht, aber herrlich; kein Lueftchen liess sich spueren, denn suedlich von Atures und Maypures herrscht bestaendig Windstille. Am Rio Negro und Cassiquiare, am Fuss des Cerro Duida in der Mission Santa Barbara hoerten wir niemals das Rauschen des Laubs, das in heissen Laendern einen ganz eigenthuemlichen Reiz hat. Die Kruemmungen des Stroms, die schuetzenden Berge, die undurchdringlichen Waelder und der Regen, der einen bis zwei Grade noerdlich vom Aequator fast gar nicht aussetzt, moegen diese Erscheinung veranlassen, die den Missionen am Orinoco eigenthuemlich ist. In dem unter suedlicher Breite, aber eben so weit vom Aequator gelegenen Thal des Amazonenstroms erhebt sich alle Tage, zwei Stunden nach der Culmination der Sonne, ein sehr starker Wind. Derselbe weht immer gegen die Stroemung und wird nur im Flussbett selbst gespuert. Unterhalb San Borja ist es ein Ostwind; in Tomependa fand ich ihn zwischen Nord und Nord Nord Ost. Es ist immer die Brise, der von der Umdrehung der Erde herruehrende Wind, der aber durch kleine oertliche Verhaeltnisse bald diese, bald jene Richtung bekommt. Mit diesem bestaendigen Wind segelt man von Gran Para bis Tefe, 750 Meilen weit, den Amazonenstrom hinauf. In der Provinz Jaen de Bracamoros, am Fuss des Westabhangs der Cordilleren, tritt dieser vom atlantischen Meere herkommende Wind zuweilen als ein eigentlicher Sturm auf. Wenn man auf das Flussufer zugeht, kann man sich kaum auf den Beinen halten; so auffallend anders sind die Verhaeltnisse am obern Orinoco und am obern Amazonenstrom. Sehr wahrscheinlich ist es diesem bestaendig wehenden Winde zuzuschreiben, dass der Amazonenstrom so viel gesunder ist. In der stockenden Luft am obern Orinoco sind die chemischen Affinitaeten eingreifender und es entwickeln sich mehr schaedliche Miasmen. Die bewaldeten Ufer des Amazonenstroms waeren eben so ungesund, wenn nicht der Fluss, gleich dem Niger, seiner ungeheuren Laenge nach von West nach Ost, also in der Richtung der Passatwinde, gerade fortliefe. Das Thal des Amazonenstroms ist nur an seinem westlichen Ende, wo es der Cordillere der Anden nahe rueckt, geschlossen. Gegen Ost, wo der Seewind auf den neuen Continent trifft, erhebt sich das Gestade kaum ein paar Fuss ueber den Spiegel des atlantischen Meeres. Der obere Orinoco laeuft Anfangs von Ost nach West, und dann von Nord nach Sued. Da wo sein Lauf dem des Amazonenstroms ziemlich parallel ist, liegt zwischen ihm und dem atlantischen Meer ein sehr gebirgiges Land, der Gebirgsstock der Parime und des hollaendischen und franzoesischen Guyana, und laesst den Rotationswind nicht nach Esmeralda kommen; erst vom Einfluss des Apure an, von wo der untere Orinoco von West nach Ost ueber eine weite, dem atlantischen Meer zu offene Ebene laeuft, faengt der Wind an kraeftig aufzutreten; dieses Stromstueck ist daher auch nicht so ungesund als der obere Orinoco. Als dritten Vergleichungspunkt fuehre ich das Thal des Magdalenenstromes an. Derselbe behaelt, wie der Amazonenstrom, immer dieselbe Richtung, aber sie ist unguenstig, weil sie nicht mit der des Seewinds zusammenfaellt, sondern von Sued nach Nord geht. Obgleich im Striche der Passatwinde gelegen, hat der Magdalenenstrom eine so stockende Luft wie der obere Orinoco. Vom Canal Mahates bis Honda, namentlich suedlich von der Stadt Mompox, spuerten wir niemals etwas von Wind, ausser beim Anzug naechtlicher Gewitter. Kommt man dagegen auf dem Fluss ueber Honda hinauf, so findet man die Luft ziemlich oft in Bewegung. Die sehr starken Winde, die sich im Thale des Neiva verfangen, sind als ungemein heiss weit berufen. Man mag es anfangs auffallend finden, dass die Windstille aufhoert, wenn man im obern Stromlauf dem Gebirge naeher kommt; aber es erscheint erklaerlich, wenn man bedenkt, dass die trockenen heissen Winde in den Llanos am Neiva von niedergehenden Luftstroemungen herruehren. Kalte Luftsaeulen stuerzen von den *Nevadas* von Quindiu und Guanacas in das Thal nieder und jagen die untern Luftschichten vor sich her. Ueberall unter den Tropen, wie in der gemaessigten Zone, entstehen durch die ungleiche Erwaermung des Bodens und durch die Naehe schneebedeckter Gebirge oertliche Luftstroemungen. Jene sehr starken Winde am Neiva kommen nicht daher, dass die Passatwinde zurueckgeworfen wuerden; sie entstehen vielmehr da, wohin der Seewind nicht gelangen kann, und wenn die meist ganz mit Baeumen bewachsenen Berge am obern Orinoco hoeher waeren, so wuerden sie in der Luft dieselben raschen Gleichgewichtsstoerungen hervorbringen, wie wir sie in den Gebirgen von Peru, Abyssinien und Tibet beobachten. Dieser genaue ursachliche Zusammenhang zwischen der Richtung der Stroeme, der Hoehe und Stellung der anliegenden Gebirge, den Bewegungen der Atmosphaere und der Salubritaet des Klima verdient die groesste Aufmerksamkeit. Wie ermuedend und unfruchtbar waere doch das Studium der Erdoberflaeche und ihrer Unebenheiten, wenn es nicht aus allgemeinen Gesichtspunkten aufgefasst wuerde! Sechs Meilen von der Insel Piedra Raton kam zuerst ostwaerts die Muendung des Rio Sipapo, den die Indianer Tipapu nennen, dann westwaerts die Muendung des Rio Vichada. In der Naehe der letzteren bilden Felsen ganz unter Wasser einen kleinen Fall, einen _'Raudalito'_. Der Rio Sipapo, den PATER GILI im Jahr 1757 hinauffuhr und der nach ihm zweimal breiter ist als der Tiber, kommt aus einer ziemlich bedeutenden Bergkette. Im suedlichen Theil traegt dieselbe den Namen des Flusses und verbindet sich mit dem Bergstock des Calitamini und Cunavami. Nach dem Pic von Duida, der ueber der Mission Esmeralda aufsteigt, schienen mir die Cerros de Sipapo die hoechsten in der ganzen Cordillere der Parime. Sie bilden eine ungeheure Felsmauer, die schroff aus der Ebene aussteigt und deren von Sued Sued Ost nach Nord Nord West gerichteter Kamm ausgezackt ist. Ich denke, aufgethuermte Granitbloecke bringen diese Einschnitte, diese Auszackung hervor, die man auch am Sandstein des Montserrat in Catalonien beobachtet. Jede Stunde war der Anblick der Cerros de Sipapo wieder ein anderer. Bei Sonnenaufgang gibt der dichte Pflanzenwuchs den Bergen die dunkelgruene, ins Braeunlichte spielende Farbe, wie sie Landstrichen eigen ist, wo Baeume mit lederartigen Blaettern vorherrschen. Breite, scharfe Schatten fallen ueber die anstossende Ebene und stechen ab vom glaenzenden Licht, das auf dem Boden, in der Luft und auf der Wasserflaeche verbreitet ist. Aber um die Mitte des Tages, wenn die Sonne das Zenith erreicht, verschwinden diese kraeftigen Schatten allmaehlig und die ganze Kette huellt sich in einen leisen Dust, der weit satter blau ist als der niedrige Strich des Himmelsgewoelbes. In diesem um den Felskamm schwebenden Dust verschwimmen halb die Umrisse, werden die Lichteffekte gedaempft, und so erhaelt die Landschaft das Gepraege der Ruhe und des Friedens, das in der Natur, wie in den Werken CLAUDE LORRAINs und POUSSINs, aus der Harmonie zwischen Form und Farbe entspringt. Hinter diesen Bergen am Sipapo lebte lange Cruzero, der maechtige Haeuptling der Guaypunabis, nachdem er mit seiner kriegerischen Horde von den Ebenen zwischen dem Rio Irinida und dem Chamochiquini abgezogen war. Die Indianer versicherten uns, in den Waeldern am Sipapo wachse in Menge der _'Vehuco de Maimure'_. Dieses Schlinggewaechs ist den Indianern sehr wichtig, weil sie Koerbe und Matten daraus verfertigen. Die Waelder am Sipapo sind voellig unbekannt, und die Missionaere versetzen hieher das Volk der _'Rayas'_,(52) "die den Mund am Nabel haben." Ein alter Indianer, den wir in Carichana antrafen und der sich ruehmte oft Menschenfleisch gegessen zu haben, hatte diese kopflosen Menschen "mit eigenen Augen" gesehen. Diese abgeschmackten Maehrchen haben sich auch in den Llanos verbreitet, und dort ist es nicht immer gerathen, die Existenz der Rayas-Indianer in Zweifel zu ziehen. In allen Himmelsstrichen ist Unduldsamkeit die Gefaehrtin der Leichtglaeubigkeit, und man koennte meinen, die Hirngespinnste der alten Erdbeschreiber seyen aus der einen Halbkugel in die andere gewandert, wenn man nicht wuesste, dass die seltsamsten Ausgeburten der Phantasie, gerade wie die Naturbildungen, ueberall in Aussehen und Gestaltung eine gewisse Aehnlichkeit zeigen. Bei der Muendung des Rio Vichada oder Visata stiegen wir aus, um die Pflanzen des Landstrichs zu untersuchen. Die Gegend ist hoechst merkwuerdig; der Wald ist nicht sehr dicht und eine Unzahl kleiner Felsen steht frei auf der Ebene. Es sind prismatische Steinmassen und sie sehen wie verfallene Pfeiler, wie einzeln stehende fuenfzehn bis zwanzig Fuss hohe Thuermchen aus. Die einen sind von den Baeumen des Waldes beschattet, bei andern ist der Gipfel von Palmen gekroent. Die Felsen sind Granit, der in Gneiss uebergeht. Befaende man sich hier nicht im Bereich des Urgebirgs, man glaubte sich in die Felsen von Adersbach in Boehmen oder von Streitberg und Fantasie in Franken versetzt. Sandstein und secundaerer Kalkstein koennen keine groteskeren Formen annehmen. An der Muendung des Vichada sind die Granitfelsen, und was noch weit auffallender ist, der Boden selbst mit Moosen und Flechten bedeckt. Letztere haben den Habitus von _Cladonia pyxidata_ und _Lichen rangiferinus_, die im noerdlichen Europa so haeufig vorkommen. Wir konnten kaum glauben, dass wir uns keine hundert Toisen ueber dem Meer, unter dem fuenften Breitegrad mitten in der heissen Zone befanden, von der man so lange glaubte, dass keine kryptogamischen Gewaechse in ihr vorkommen. Die mittlere Temperatur dieses schattigen feuchten Ortes betraegt wahrscheinlich ueber 26 Grad des hunderttheiligen Thermometers. In Betracht des wenigen Regens, der bis jetzt gefallen war, wunderten wir uns ueber das schoene Gruen der Waelder. Dieser Umstand ist fuer das obere Orinocothal charakteristisch; an der Kueste von Caracas und in den Llanos werfen die Baeume ihr Laub im Winter(53) ab und man sieht am Boden nur gelbes, vertrocknetes Gras. Zwischen den eben beschriebenen freistehenden Felsen wuchsen mehrere grosse Staemme Saeulencactus (_Cactus septemangularis_), was suedlich von den Katarakten von Atures und Maypures eine grosse Seltenheit ist. Am selben malerischen Ort hatte Bonpland das Glueck, mehrere Staemme von _Laurus cinnamomoides_ anzutreffen, eines sehr gewuerzreichen Zimmtbaumes, der am Orinoco unter dem Namen _'Varimacu'_ und _'Canelilla'_ bekannt ist.(54) Dieses kostbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie bei Esmeralda und oestlich von den grossen Katarakten vor. Der Jesuit FRANCISCO DE OLMA scheint die Canelilla im Lande der Piaroas bei den Quellen des Cataniapo entdeckt zu haben. Der Missionar GILI, der nicht bis in die Gegend kam, von der hier die Rede ist, scheint den *Varimacu* oder *Guarimacu* mit der Myristica oder dem amerikanischen Muskatbaum zu verwechseln. Diese gewuerzhaften Rinden und Fruechte, der Zimmt, die Muskatnuss, _Myrtus Pimenta_ und _Laurus pucheri_ waeren wichtige Handelsartikel geworden, wenn nicht Europa bei der Entdeckung von Amerika bereits an die Gewuerze und Wohlgerueche Ostindiens gewoehnt gewesen waere. Der Zimmt vom Orinoco und der aus den Missionen der Andaquies, dessen Anbau Mutis in Mariquita in Neu-Grenada eingefuehrt hat, sind uebrigens weniger gewuerzhaft als der Ceylonzimmt, und waeren solches selbst dann, wenn sie ganz so getrocknet und zubereitet wuerden. Jede Halbkugel hat ihre eigenen Arten von Gewaechsen, und es erklaert sich keineswegs aus der Verschiedenheit der Klimate, warum das tropische Afrika keine Laurineen, die neue Welt keine Heidekraeuter hervorbringt, warum es in der suedlichen Halbkugel keine Calceolarien gibt, warum auf dem indischen Festlande das Gefieder der Voegel nicht so glaenzend ist wie in den heissen Landstrichen Amerikas, endlich warum der Tiger nur Asien, das Schnabelthier nur Neuholland eigen ist? Die Ursachen der Vertheilung der Arten im Pflanzen- wie im Thierreich gehoeren zu den Raethseln, welche die Naturphilosophie nicht zu loesen im Stande ist. Mit dem Ursprung der Wesen hat diese Wissenschaft nichts zu thun, sondern nur mit den Gesetzen, nach denen die Wesen ueber den Erdball vertheilt sind. Sie untersucht das, was ist, die Pflanzen- und Thierbildungen, wie sie unter jeder Breite, in verschiedenen Hoehen und bei verschiedenen Waermegraden neben einander vorkommen; sie erforscht die Verhaeltnisse, unter denen sich dieser oder jener Organismus kraeftiger entwickelt, sich vermehrt oder sich umwandelt; aber sie ruehrt nicht an Fragen, die unmoeglich zu loesen sind, weil sie mit der Herkunft, mit dem Uranfang eines Lebenskeimes zusammenhaengen. Ferner ist zu bemerken, dass die Versuche, die Vertheilung der Arten auf dem Erdball allein aus dem Einfluss der Klimate zu erklaeren, einer Zeit angehoeren, wo die physische Geographie noch in der Wiege lag, wo man fortwaehrend an vermeintlichen Gegensaetzen beider Welten festhielt und sich vorstellte, ganz Afrika und Amerika gleichen den Wuesten Egyptens und den Suempfen Cayennes. Seit man den Sachverhalt nicht nach einem willkuehrlich angenommenen Typus, sondern nach positiven Kenntnissen beurtheilt, weiss man auch, dass die beiden Continente in ihrer unermesslichen Ausdehnung Bodenstuecke mit voellig uebereinstimmenden Naturverhaeltnissen aufzuweisen haben. Amerika hat so duerre und gluehend heisse Landstriche als das innere Afrika. Die Inseln, welche die indischen Gewuerze erzeugen, zeichnen sich keineswegs durch Trockenheit aus, und die Feuchtigkeit des Klimas ist durchaus nicht, wie in neueren Werken behauptet wird, die Ursache, warum auf dem neuen Continent die schoenen Laurineen- und Myristiceenarten nicht vorkommen, die im indischen Archipel in einem kleinen Erdwinkel neben einander wachsen. Seit einigen Jahren wird in mehreren Laendern des neuen Continents der aechte Zimmtbaum mit Erfolg gebaut, und ein Landstrich, auf dem der Coumarouna (die Tongabohne), die Vanille, der Pucheri, die Ananas, _Myrtus pimenta_, der Tolubalsam, _Myroxylon peruvianum_, die Crotonarten, die Citrosmen, der Pejoa (_Gaultheria odorata_), der Incienso der Silla von Caracas [_Trixis nereifolia_. S. Bd. II Seite 183], der Quereme, die Pancratium-Arten und so viele herrliche Lilienarten wachsen, kann nicht fuer einen gelten, dem es an Aromen fehlt. Zudem ist Trockenheit der Luft der Entwicklung aromatischer und reizender Eigenschaften nur bei gewissen Pflanzenarten foerderlich. Die heftigsten Gifte werden im feuchtesten Landstrich Amerikas erzeugt, und gerade unter dem Einfluss der anhaltenden tropischen Regen gedeiht der amerikanische Pfeffer (_capsicum baccatum_) am besten, dessen Frucht haeufig so scharf und beissend ist als der ostindische Pfeffer. Aus diesen Betrachtungen geht Folgendes hervor: 1) Der neue Continent besitzt sehr starke Gewuerze, Arome und vegetabilische Gifte, die ihm allein angehoeren, sich aber specifisch von denen der alten Welt unterscheiden; 2) die urspruengliche Vertheilung der Arten in der heissen Zone ist allein aus dem Einfluss des Klimas, aus der Vertheilung der Waerme, wie sie im gegenwaertigen Zustand unseres Planeten stattfindet, nicht zu erklaeren, aber diese Verschiedenheit der Klimate macht es uns begreiflich, warum ein gegebener organischer Typus sich an der einen Oertlichkeit kraeftiger entwickelt als an der andern. Wir begreifen von einigen wenigen Pflanzenfamilien, wie von den Musen und Palmen, dass sie wegen ihres innern Baus und der Wichtigkeit gewisser Organe unmoeglich sehr kalten Landstrichen angehoeren koennen; wir vermoegen aber nicht zu erklaeren, warum keine Art aus der Familie der Melastomeen noerdlich vom dreissigsten Breitegrad waechst, warum keine einzige Rosenart der suedlichen Halbkugel angehoert. Haeufig sind auf beiden Continenten die Klimate analog, ohne dass die Erzeugnisse gleichartig waeren. Der Rio Vichada (Vichada), der bei seinem Zusammenfluss mit dem Orinoco einen kleinen Raudal hat, schien mir nach dem Meta und dem Guaviare der bedeutendste unter den aus Westen kommenden Fluessen. Seit vierzig Jahren hat kein Europaeer den Vichada befahren. Ueber seine Quellen habe ich nichts in Erfahrung bringen koennen; ich vermuthe sie mit denen des Tomo auf den Ebenen suedwaerts von Casimena. Wenigstens ist wohl nicht zweifelhaft, dass die fruehesten Missionen an den Ufern des Vichada von Jesuiten aus den Missionen am Casanare gegruendet worden sind. Noch in neuester Zeit sah man fluechtige Indianer von Santa Rosalia de Cabapuna, einem Dorf am Meta, ueber den Rio Vichada an den Katarakt von Maypures kommen, was darauf hinweist, dass die Quellen desselben nicht sehr weit vom Meta seyn koennen. Pater GUMILLA hat uns die Namen mehrerer deutscher und spanischer Jesuiten aufbewahrt, die im Jahr 1734 an den jetzt oeden Ufern des Vichada von der Hand der Caraiben als Opfer ihres religioesen Eifers fielen. Nachdem wir zuerst gegen Ost am Cano Pirajavi, sodann gegen West an einem kleinen Fluss voruebergekommen, der nach der Aussage der Indianer aus einem See Namens Nao entspringt, uebernachteten wir am Ufer des Orinoco, beim Einfluss des Zama, eines sehr ansehnlichen Flusses, der so unbekannt ist als der Rio Vichada. Trotz des schwarzen Wassers des Zama hatten wir viel von den Insekten auszustehen. Die Nacht war schoen; in den niedern Luftregionen wehte kein Lueftchen, aber gegen zwei Uhr sahen wir dicke Wolken rasch von Ost nach West durch das Zenith gehen. Als sie beim Niedergehen gegen den Horizont vor die grossen Nebelflecken im Schuetzen oder im Schiff traten, erschienen sie schwarzblau. Die Nebelflecken sind nie lichtstaerker, als wenn sie zum Theil von Wolkenstreifen bedeckt sind. Wir beobachten in Europa dieselbe Erscheinung an der Milchstrasse, beim Nordlicht, wenn es im Silberlicht strahlt, endlich bei Sonnenauf- und Untergang an dem Stueck des Himmels, das weiss wird aus Ursachen, welche die Physik noch nicht gehoerig ermittelt hat. Kein Mensch kennt den weiten Landstrich zwischen Meta, Vichada und Guaviare weiter als auf eine Meile vom Ufer. Man glaubt, dass hier wilde Indianer vom Stamm der Chiricoas hausen, die gluecklicherweise keine Canoes bauen. Frueher, als noch die Caraiben und ihre Feinde, die Cabres, mit ihren Geschwadern von Floessen und Piroguen hier umherzogen, waere es unvorsichtig gewesen, an der Muendung eines Flusses zu uebernachten, der aus Westen kommt. Gegenwaertig, da die kleinen Niederlassungen der Europaeer die unabhaengigen Indianer von den Ufern des obern Orinoco verdraengt haben, ist dieser Landstrich so oede, dass uns von Carichana bis Javita und von Esmeralda bis San Fernando de Atabapo auf einer Stromfahrt von 180 Meilen nicht ein einziges Fahrzeug begegnete. Mit der Muendung des Rio Zama betraten wir ein Flusssystem, das grosse Aufmerksamkeit verdient. Der Zama, der Mataveni, der Atabapo, der Tuamini, der Temi, der Guainia haben *schwarzes Wasser* (_aguas negras_), das heisst, ihr Wasser, in grossen Massen gesehen, erscheint kaffeebraun oder gruenlich schwarz, und doch sind es die schoensten, klarsten, wohlschmeckendsten Wasser. Ich habe schon oben erwaehnt, dass die Krokodile und, wenn auch nicht die Zancudos, doch die Moskitos fast ueberall die schwarzen Wasser meiden. Das Volk behauptet ferner, diese Wasser braeunen das Gestein nicht, und die weissen Fluesse haben schwarze, die schwarzen Fluesse weisse Ufer. Und allerdings sieht man am Gestade des Guainia, den die Europaeer unter dem Namen *Rio Negro* kennen, haeufig blendend weisse Quarzmassen aus dem Granit hervorstehen. Im Glase ist das Wasser des Mataveni ziemlich weiss, das des Atabapo aber behaelt einen braungelblichen Schein. Wenn ein gelinder Wind den Spiegel dieser _'schwarzen Fluesse'_ kraeuselt, so erscheinen sie schoen wiesengruen wie die Schweizer Seen. Im Schatten sind der Zama, der Atabapo, der Guainia schwarz wie Kaffeesatz. Diese Erscheinungen sind so auffallend, dass die Indianer aller Orten die Gewaesser in schwarze und weisse eintheilen. Erstere haben mir haeufig als kuenstlicher Horizont gedient; sie werfen die Sternbilder wunderbar scharf zurueck. Die Farbe des Quellwassers, Flusswassers und Seewassers gehoert zu den physikalischen Problemen, die durch unmittelbare Versuche schwer oder gar nicht zu loesen sind. Die Farben bei reflektirtem Licht sind meist ganz andere als bei durchgehendem, besonders wenn es durch eine grosse Masse Fluessigkeit durchgeht. Faende keine Absorption der Strahlen statt, so haette das durchgehende Licht immer die Farbe, welche die complementaere des reflektirten Lichtes waere, und meist beurtheilt man bei einem Wasser in einem nicht tiefen Glase mit enger Oeffnung das durchgehende Licht falsch. Bei einem Flusse gelangt das reflektirte farbige Licht immer von den innern Schichten der Fluessigkeit zu uns, nicht von der obersten Schicht derselben. Beruehmte Physiker, welche das reinste Gletscherwasser untersucht haben, so wie das, welches aus mit ewigem Schnee bedeckten Bergen entspringt, wo keine vegetabilischen Reste sich in der Erde finden, sind der Meinung, die eigenthuemliche Farbe des Wassers moechte blau oder gruen seyn. In der That ist durch nichts erwiesen, dass das Wasser von Natur weiss ist und immer ein Farbstoff im Spiele seyn muss, wenn dasselbe, bei reflektirtem Licht gesehen, eine Faerbung zeigt. Wo Fluesse wirklich einen faerbenden Stoff enthalten, ist derselbe meist in so geringer Menge, dass er sich jeder chemischen Untersuchung entzieht. Die Faerbung des Meeres scheint haeufig weder von der Beschaffenheit des Grundes, noch vom Reflex des Himmels und der Wolken abzuhaengen. Ein grosser Physiker, DAVY, soll der Ansicht seyn, die verschiedene Faerbung der Meere koennte daher ruehren, dass das Jod in verschiedenen Verhaeltnissen darin enthalten ist. Aus den alten Erdbeschreibern ersehen wir, dass bereits den Griechen die blauen Wasser der Thermopylen, die rothen bei Joppe, die schwarzen der heissen Baeder von Astyra, Lesbos gegenueber, aufgefallen waren. Manche Fluesse, z. B. die Rhone bei Genf, haben eine entschieden blaue Farbe. Das Schneewasser in den Schweizeralpen soll zuweilen smaragdgruen seyn, in wiesengruen uebergehend. Mehrere Seen in Savoyen und Peru sind braeunlich, ja fast schwarz. Die meisten dergleichen Farbenerscheinungen kommen bei Gewaessern vor, welche fuer die reinsten gelten, und man wird sich vielmehr an auf Analogien gegruendete Schluesse als an die unmittelbare Analyse halten muessen, um ueber diesen noch sehr dunkeln Punkt einiges Licht zu verbreiten. In dem weit ausgedehnten Flusssystem, das wir bereist -- und dieser Umstand scheint mir sehr auffallend -- kommen die _'schwarzen Wasser'_ vorzugsweise nur in dem Strich in der Naehe des Aequators vor. Um den fuenften Grad noerdlicher Breite faengt man an sie anzutreffen, und sie sind ueber den Aequator hinaus bis gegen den zweiten Grad suedlicher Breite sehr haeufig. Die Muendung des Rio Negro liegt sogar unter dem 3 deg. 9{~PRIME~} der Breite; aber auf diesem ganzen Landstrich kommen in den Waeldern und auf den Grasfluren weisse und schwarze Wasser dergestalt unter einander vor, dass man nicht weiss, welcher Ursache man die Faerbung des Wassers zuschreiben soll. Der Cassiquiare, der sich in den Rio Negro ergiesst, hat weisses Wasser wie der Orinoco, aus dem er entspringt. Von zwei Nebenfluessen des Cassiquiare nahe bei einander, Siapa und Pacimony, ist der eine weiss, der andere schwarz. Fragt man die Indianer nach den Ursachen dieser sonderbaren Faerbung, so lautet ihre Antwort, wie nicht selten auch in Europa, wenn es sich von physischen und physiolologischen Fragen handelt: sie wiederholen das Faktum mit andern Worten. Wendet man sich an die Missionaere, so sprechen sie, als haetten sie die strengsten Beweise fuer ihre Behauptung, "das Wasser faerbe sich, wenn es ueber Sarsaparillewurzeln laufe." Die Smilaceen sind allerdings am Rio Negro, Pacimony und Cababury sehr haeufig, und ihre Wurzeln geben in Wasser eingeweicht einen braunen, bittern, schleimigten Extraktivstoff; aber wie viele Smilaxbuesche haben wir an Orten gesehen, wo die Wasser ganz weiss sind! Wie kommt es, dass wir im sumpfigten Wald, durch den wir unsere Pirogue vom Rio Tuamini zum Cano Pimichin und an den Rio Negro schleppen mussten, auf demselben Landstrich jetzt durch Baeche mit weissem, jetzt durch andere mit schwarzem Wasser wateten? Warum hat man niemals einen Fluss gefunden, der seiner Quelle zu weiss und im untern Stueck seines Laufes schwarz war? Ich weiss nicht, ob der Rio Negro seine braungelbe Farbe bis zur Muendung behaelt, obgleich ihm durch den Cassiquiare und den Rio Blanco sehr viel weisses Wasser zufliesst. Da LA CONDAMINE den Fluss nordwaerts vom Aequator nicht sah, konnte er vom Unterschied in der Farbe nicht urtheilen. Die Vegetation ist wegen der Regenfuelle ganz in der Naehe des Aequators allerdings kraeftiger als 8--10 Grad gegen Nord und gegen Sued; es laesst sich aber keineswegs behaupten, dass die Fluesse mit schwarzem Wasser vorzugsweise in den dichtesten, schattigsten Waeldern entspringen. Im Gegentheil kommen sehr viele _aguas negras_ aus den offenen Grasfluren, die sich vom Meta jenseits des Guaviare gegen den Caqueta hinziehen. Auf einer Reise, die ich zur Zeit der Ueberschwemmung mit Herrn von Montufar vom Hafen von Guyaquil nach den Bodegas de Babaojo machte, fiel es mir auf, dass die weiten Savanen am *Invernadero del Carzal* und am *Lagartero* ganz aehnlich gefaerbt waren wie der Rio Negro und der Atabapo. Diese zum Theil seit drei Monaten unter Wasser stehenden Grasfluren bestehen aus Paspalum, Eriochloa und mehreren Cyperaceen. Wir fuhren in vier bis fuenf Fuss tiefem Wasser; dasselbe war bei Tag 33--34 Grad warm; es roch stark nach Schwefelwasserstoff, was ohne Zweifel zum Theil von den faulenden Arum- und Heliconienstauden herruehrte, die auf den Lachen schwammen. Das Wasser des Lagartero sah bei durchgehendem Licht goldgelb, bei reflektirtem kaffeebraun aus. Die Farbe ruehrt ohne Zweifel von gekohltem Wasserstoff her. Man sieht etwas Aehnliches am Duengerwasser, das unsere Gaertner bereiten, und am Wasser, das aus Torfgruben abfliesst. Laesst sich demnach nicht annehmen, dass auch die schwarzen Fluesse, der Atabapo, der Zama, der Mataveni, der Guainia, von einer Kohlen- und Wasserstoffverbindung, von einem Pflanzenextraktivstoff gefaerbt werden? Der starke Regen unter dem Aequator traegt ohne Zweifel zur Faerbung bei, indem das Wasser durch einen dichten Grasfilz sickert. Ich gebe diese Gedanken nur als Vermuthung. Die faerbende Substanz scheint in sehr geringer Menge im Wasser enthalten; denn wenn man Wasser aus dem Guainia oder Rio Negro sieden laesst, sah ich es nicht braun werden wie andere Fluessigkeiten, welche viel Kohlenwasserstoff enthalten. Es erscheint uebrigens sehr merkwuerdig, dass diese _'schwarzen Wasser'_, von denen man glauben sollte, sie seyen auf die Niederungen der heissen Zone beschraenkt, gleichfalls, wenn auch sehr selten, auf den Hochebenen der Anden vorkommen. Wir fanden die Stadt Cuenca im Koenigreich Quito von drei Baechen umgeben, dem Machangara, dem Rio del Matadero und dem Yanuncai. Die zwei ersteren sind weiss, letzterer hat schwarzes Wasser. Dasselbe ist, wie das des Atabapo, kaffeebraun bei reflektirtem, blassgelb bei durchgehendem Licht. Es ist sehr schoen, und die Einwohner von Cuenca, die es vorzugsweise trinken, schreiben die Farbe ohne weiteres der Sarsaparille zu, die am Rio Yanuncai sehr haeufig wachsen soll. Am 23. April. Wir brachen von der Muendung des Zama um drei Uhr Morgens auf. Auf beiden Seiten lief fortwaehrend dicker Wald am Strom hin. Die Berge im Osten schienen immer weiter wegzuruecken. Wir kamen zuerst am Einfluss des Rio Mataveni, und dann an einer merkwuerdig gestalteten Insel vorbei. Ein viereckigter Granitfels steigt wie eine Kiste gerade aus dem Wasser empor; die Missionaere nennen ihn el Castillito. Aus schwarzen Streifen daran sollte man schliessen, dass der Orinoco, wenn er anschwillt, an dieser Stelle nicht ueber 8 Fuss steigt, und dass die hohen Wasserstaende, die wir weiter unten beobachtet, von den Nebenfluessen herruehren, die noerdlich von den Katarakten von Atures und Maypures hereinkommen. Wir uebernachteten am rechten Ufer, der Muendung des Rio Siucurivapu gegenueber, bei einem Felsen, der Aricagua heisst. In der Nacht kamen zahllose Fledermaeuse aus den Felsspalten und schwirrten um unsere Haengematten. Ich habe frueher von dem Schaden gesprochen, den diese Thiere unter den Heerden anrichten. Sie vermehren sich besonders stark in sehr trockenen Jahren. Am 24. April. Ein starker Regen zwang uns, schon sehr frueh Morgens die Pirogue wieder zu besteigen. Wir fuhren um zwei Uhr ab und mussten einige Buecher zuruecklassen, die wir in der finstern Nacht auf dem Felsen Aricagua nicht finden konnten. Der Strom laeuft ganz gerade von Sued nach Nord; die Ufer sind niedrig und zu beiden Seiten von dichten Waeldern beschattet. Wir kamen an den Muendungen des Ucata, des Arapa und des Caranaveni vorueber. Gegen vier Uhr Abends stiegen wir bei den _'Conucos de Siquita'_ aus, Pflanzungen von Indianern aus der Mission San Fernando. Die guten Leute haetten uns gern behalten, aber wir fuhren weiter gegen den Strom, der in der Secunde fuenf Fuss zuruecklegt. Diess ist das Ergebniss einer Messung, bei der ich die Zeit schaetzte, die ein schwimmender Koerper braucht, um eine gegebene Strecke zurueckzulegen. Wir liefen bei finsterer Nacht in die Muendung des Guaviare ein, fuhren ueber den Zusammenfluss des Atabapo mit dem Guaviare hinaus und langten nach Mitternacht in der Mission an. Wir erhielten unsere Wohnung, wie immer, im Kloster, das heisst im Hause des Missionaers, der von unserem unerwarteten Besuch hoechlich ueberrascht war, uns aber nichts desto weniger mit der liebenswuerdigsten Gastlichkeit aufnahm. ------------------ 47 War es _Coluber Elaphis_ oder _Coluber Aesculapii_ oder ein Python, aehnlich dem, der vom Heere des Regulus getoedtet worden? 48 Im Jahr 1806 erschien in Leipzig ein Buch unter dem Titel: _Untersuchungen, ueber die von Humboldt am Orinoco entdeckten Spuren der phoenicischen Sprache_. 49 Die Hindus, die Tibetaner, die Chinesen, die alten Egypter, die Azteken, die Peruaner, bei denen der Trieb zur Massencultur die freie Entwicklung der Geistesthaetigkeit in den Individuen niederhielt. 50 Aus kieselhaltigem Kalkstein in Pique am grossen Miami, aus Sandstein am Paint Creek zehn Meilen von Chillicothe, wo die Mauer 1500 Toisen lang ist. 51 Er erscheint in Maypures unter einem Winkel von 1 Grad 27 Minuten. * 52 Rochen*, wegen der angeblichen Aehnlichkeit mit dem Fisch dieses Namens, bei dem der Mund am Koerper herabgerueckt scheint. 53 In der Jahreszeit, die man in Suedamerika noerdlich vom Aequator Sommer heisst. 54 Diminutiv des spanischen Worts _Canela_, das _Cinnamomum_ (_Kinnamomon_ der Griechen) bedeutet. Letzteres Wort gehoert zu den wenigen, die seit dem hoechsten Alterthum aus dem Phoenicischen (einer semitischen Sprache) in die abendlaendischen Sprachen uebergegangen sind. ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL. San Fernando de Atabapo. -- San Baltasar. -- Die Fluesse Temi und Tuamini. -- Javita. -- Trageplatz zwischen dem Tuamini und dem Rio Negro. Wir hatten in der Nacht fast unvermerkt die Gewaesser des Orinoco verlassen und sahen uns bei Sonnenaufgang wie in ein anderes Land versetzt, am Ufer eines Flusses, dessen Namen wir fast noch nie hatten aussprechen hoeren, und auf dem wir ueber den Trageplatz am Pimichin zum Rio Negro an der Grenze Brasiliens gelangen sollten. "Sie muessen," sagte uns der Praesident der Missionen, der in San Fernando seinen Sitz hat, "zuerst den Atabapo, dann den Temi, endlich den Tuamini hinauffahren. Koennen Sie bei der starken Stroemung der *schwarzen Wasser* nicht mehr weiter kommen, so fuehrt man Sie vom Flussbett weg durch die Waelder, die Sie unter Wasser finden werden. Auf diesem wuesten Landstrich zwischen Orinoco und Rio Negro leben nur zwei Moenche, aber in Javita finden Sie die Mittel, um Ihre Pirogue vier Tagereisen weit ueber Land zum Cano Pimichin ziehen zu zu lassen. Zerbricht sie nicht, so fahren Sie ohne Anstand den Rio Negro (von Nordwest nach Suedost) hinunter bis zur Schanze San Carlos, sodann den Cassiquiare (von Sued nach Nord) herauf und kommen in Monatsfrist ueber den obern Orinoco (von Ost nach West) wieder nach San Fernando." Diesen Plan entwarf man uns fuer unsere Flussfahrt, und wir fuehrten ihn, nicht ohne Beschwerden, aber immer leicht und ohne Gefahr in drei und dreissig Tagen aus. Die Kruemmungen in diesem Flusslabyrinth sind so stark, dass man sich ohne die Reisekarte, die ich entworfen, vom Wege, auf dem wir von der Kueste von Caracas durch das innere Land an die Grenzen der Capitania General von Gran-Para gelangt sind, so gut als keine Vorstellung machen koennte. Fuer diejenigen, welche nicht gerne in Karten blicken, auf denen viele schwer zu behaltende Namen stehen, bemerke ich nochmals, dass der Orinoco von seinen Quellen, oder doch von Esmeralda an von Ost nach West, von San Fernando, also vom Zusammenfluss des Atabapo und des Guaviare an, bis zum Einfluss des Apure von Sued nach Nord fliesst und auf dieser Strecke die grossen Katarakten bildet, dass er endlich vom Einfluss des Apure bis Angostura und zur Seekueste von West nach Ost laeuft. Auf der ersten Strecke, auf dem Lauf von Ost nach West, bildet er die beruehmte Gabelung, welche die Geographen so oft in Abrede gezogen und deren Lage ich zuerst durch astronomische Beobachtungen bestimmen konnte. Ein Arm des Orinoco, der Cassiquiare, der von Nord nach Sued fliesst, ergiesst sich in den Guainia oder Rio Negro, der seinerseits in den Maragnon oder Amazonenstrom faellt. Der natuerlichste Weg zu Wasser von Angostura nach Gran-Para waere also den Orinoco hinauf bis Esmeralda, und dann den Cassiquiare, Rio Negro und Amazonenstrom hinunter; da aber der Rio Negro auf seinem oberen Lauf sich sehr den Quellen einiger Fluesse naehert, die sich bei San Fernando de Atabapo in den Orinoco ergiessen (am Punkte, wo der Orinoco aus der Richtung von Ost nach West rasch in die von Sued nach Nord umbiegt), so kann man in den Rio Negro gelangen, ohne die Flussstrecke zwischen San Fernando und Esmeralda hinaufzufahren. Man geht bei der Mission San Fernando vom Orinoco ab, faehrt die zusammenhaengenden kleinen schwarzen Fluesse (Atabapo, Temi und Tuamini) hinauf, und laesst die Pirogue ueber eine 6000 Toisen breite Landenge an das Ufer eines Baches (Cano Pimichin) tragen, der in den Rio Negro faellt. Dieser Weg, den wir einschlugen, und der besonders seit der Zeit, da Don Manuel Centurion Statthalter von Guyana war, gebraeuchlich geworden, ist so kurz, dass jetzt ein Bote von San Carlos am Rio Negro nach Angostura Briefschaften in 24 Tagen bringt, waehrend er frueher ueber den Cassiquiare herauf 50--60 brauchte. Man kann also ueber den Atabapo aus dem Amazonenstrom in den Orinoco kommen, ohne den Cassiquiare herauf zu fahren, der wegen der starken Stroemung, des Mangels an Lebensmitteln und der Moskitos gemieden wird. Fuer franzoesische Leser fuehre ich hier ein Beispiel aus der hydrographischen Karte Frankreichs an. Wer von Nevers an der Loire nach Montereau an der Seine will, koennte, statt auf dem Canal von Orleans zu fahren, der, wie der Cassiquiare, zwei Flusssysteme verbindet, von den Zufluessen der Loire zu denen der Seine sein Fahrzeug tragen lassen; er koennte die Nievre hinauffahren, ueber eine Landenge beim Dorfe Menou gehen und sofort die Yonne hinab in die Seine gelangen. Wir werden bald sehen, welche Vortheile es haette, wenn man ueber den sumpfigten Landstrich zwischen dem Tuamini und dem Pimichin einen Canal zoege. Kaeme dieser Plan einmal zur Ausfuehrung, so haette die Fahrt vom Fort San Carlos nach Angostura, der Hauptstadt von Guyana, nur noch den Rio Negro herauf bis zur Mission Maroa einige Schwierigkeit; von da ginge es auf dem Tuamini, dem Temi, Atabapo und Orinoco abwaerts. Ueber den Cassiquiare ist der Weg von San Carlos nach San Fernando am Atabapo weit unangenehmer und um die Haelfte laenger als ueber Javita und den Cano Pimichin. Auf diesem Landstrich, in den zur Zeit der Grenzexpedition kein astronomisches Werkzeug gekommen war, habe ich mit Louis Berthouds Chronometer und durch Meridianhoehen von Gestirnen Laenge und Breite von San Balthasar am Atabapo, Javita, San Carlos am Rio Negro, des Felsen Culimacari und der Mission Esmeralda bestimmt; die von mir entworfene Karte hat somit die Zweifel ueber die gegenseitigen Entfernungen der christlichen Niederlassungen gehoben. Wenn es keinen andern Weg gibt, als auf vielgekruemmten, verschlungenen Gewaessern, wenn in dichten Waeldern nur kleine Doerfer stecken, wenn auf voellig ebenem Lande kein Berg, kein erhabener Gegenstand von zwei Punkten zugleich sichtbar ist, kann man nur am Himmel lesen, wo man sich auf Erden befindet. In den wildesten Laendern der heissen Zone fuehlt man mehr als anderswo das Beduerfniss astronomischer Beobachtungen. Dieselben sind dort nicht allein nuetzliche Huelfsmittel, um Karten zu vollenden und zu verbessern: sie sind vielmehr zur Aufnahme des Terrains von vorne herein unerlaesslich. Der Missionaer von San Fernando, bei dem wir zwei Tage verweilten, fuehrt den Titel eines Praesidenten der Missionen am Orinoco. Die sechs und zwanzig Ordensgeistlichen, die am Rio Negro, Cassiquiare, Atabapo, Caura und Orinoco leben, stehen unter ihm und er seinerseits steht unter dem Gardian des Klosters in Nueva Barcelona, oder, wie man hier sagt, des _'Colegio de la purissima Conception de Propaganda Fide'_. Sein Dorf sah etwas wohlhabender aus, als die wir bis jetzt auf unserem Wege angetroffen, indessen hatte es doch nur 266 Einwohner. Ich habe schon oefters bemerkt, dass die Missionen in der Naehe der Kuesten, die gleichfalls unter den Observanten stehen, z. B. Pilar, Caigua, Huere und Cupapui, zwischen 800 und 2000 Einwohnern zaehlen. Es sind groessere und schoenere Doerfer als in den cultivirtesten Laendern Europas. Man versicherte uns, die Mission San Fernando habe unmittelbar nach der Gruendung eine staerkere Bevoelkerung gehabt als jetzt. Da wir auf der Rueckreise vom Rio Negro noch einmal an den Ort kamen, so stelle ich hier die Beobachtungen zusammen, die wir an einem Punkte des Orinoco gemacht, der einmal fuer den Handel und die Gewerbe der Colonien von grosser Bedeutung werden kann. San Fernando de Atabapo liegt an der Stelle, wo drei grosse Fluesse, der Orinoco, der Guaviare und der Atabapo sich vereinigen. Die Lage ist aehnlich wie die von St. Louis oder Neu-Madrid am Einfluss des Missouri und des Ohio in den Mississippi. Je groesseren Aufschwung der Handel in diesen von ungeheuren Stroemen durchzogenen Laendern nimmt, desto mehr werden die Staedte, die an zwei Fluessen liegen, von selbst Schiffsstationen, Stapelplaetze fuer die Handelsgueter, wahre Mittelpunkte der Cultur. Pater GUMILLA gesteht, dass zu seiner Zeit kein Mensch vom Laufe des Orinoco oberhalb des Einflusses des Guaviare etwas gewusst habe. Er sagt ferner sehr naiv, er habe sich an Einwohner von Timana und Pasto um einige, noch dazu unsichere Auskunft ueber den obern Orinoco wenden muessen. Heutzutage erkundigt man sich allerdings nicht in den Anden von Popayan nach einem Flusse, der am Westabhang der Gebirge von Cayenne entspringt. Pater Gumilla verwechselte zwar nicht, wie man ihm Schuld gegeben, die Quellen des Guaviare und die des Orinoco; da er aber das Stueck des letzteren Flusses, das von Esmeralda San Fernando zu von Ost nach West gerichtet ist, nicht kannte, so setzt er voraus, man muesse, um oberhalb der Katarakten und der Einmuendungen des Vichada und Guaviare den Orinoco weiter hinaufzukommen, sich nach Suedwest wenden. Zu jener Zeit hatten die Geographen die Quellen des Orinoco in die Naehe der Quellen des Putumayo und Caqueta an den oestlichen Abhang der Anden von Pasto und Popayan gesetzt, also nach meinen Laengenbestimmungen auf dem Ruecken der Cordilleren und in Esmeralda, 240 Meilen vom richtigen Punkt. Unrichtige Angaben LA CONDAMINEs ueber die Verzweigungen des Caqueta, wodurch SANSONs Annahmen Bestaetigung zu finden schienen, haben Irrthuemer verbreiten helfen, die sich Jahrhunderte lang erhalten haben. In der ersten Ausgabe seiner grossen Karte von Suedamerika (eine sehr seltene Ausgabe, die ich auf der grossen Pariser Bibliothek gefunden habe) zeichnete D'ANVILLE den Rio Negro als einen Arm des Orinoco, der vom Hauptstrom zwischen den Einfluessen des Meta und des Vichada, in der Naehe des Katarakts von *los Astures* (Atures) abgeht. Diesem grossen Geographen war damals die Existenz des Cassiquiare und des Atabapo ganz unbekannt, und er liess den Orinoco oder Rio Paragua, den Japura und den Putumayo aus drei Zweigen des Caqueta entspringen. Erst durch die Grenzexpedition unter dem Befehl Ituriagas und SOLANOs wurde das wahre Verhaeltniss bekannt. Solano war als Ingenieur bei der Expedition und ging im Jahr 1756 ueber die grossen Katarakten bis zum Einfluss des Guaviare hinauf. Er sah, dass man, um auf dem Orinoco weiter hinaufzukommen, sich ostwaerts wenden muesse, und dass die Wasser des Guaviare, der zwei Meilen weiter oben den Atabapo aufgenommen hat, da hereinkommen, wo der Strom unter 4 deg. 4{~PRIME~} der Breite die grosse Wendung macht. Da Solano daran gelegen war, den portugiesischen Besitzungen so nahe als moeglich zu kommen, so entschloss er sich, gegen Sued vorzudringen. Er fand am Zusammenfluss des Atabapo und Guaviare Indianer von der kriegerischen Nation der Guaypunabis angesiedelt. Er lockte sie durch Geschenke an sich und gruendete mit ihnen die Mission San Fernando, die er, in der Hoffnung sich beim Ministerium in Madrid wichtig zu machen, emphatisch *Villa* betitelte. Um die politische Bedeutung dieser Niederlassung zu wuerdigen, muss man die damaligen Machtverhaeltnisse zwischen den kleinen Indianerstaemmen in Guyana ins Auge fassen. Die Ufer des untern Orinoco waren lange der Schauplatz der blutigen Kaempfe zwischen zwei maechtigen Voelkern, den Cabres und den Caraiben, gewesen. Letztere, deren eigentliche Wohnsitze seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts zwischen den Quellen des Carony, des Esquibo, des Orinoco und des Rio Parime liegen, waren nicht allein bis zu den grossen Katarakten Herren des Landes, sie machten auch Einfaelle in die Laender am obern Orinoco, und zwar ueber die *Trageplaetze* zwischen dem Paruspa und dem Caura, dem Eredato und dem Ventuari, dem Conorichite und dem Atacavi. Niemand wusste so gut, wie sich die Fluesse verzweigen, wo die Nebenfluesse zur Hand sind, wie man auf dem kuerzesten Wege ans Ziel kommt. Die Caraiben hatten die Cabres geschlagen und beinahe ausgerottet; waren sie jetzt aber Herren am untern Orinoco, so stiessen sie auf Widerstand bei den Guaypunabis, die sich am obern Orinoco die Herrschaft errungen hatten und neben den Cabres, Manitivitanos und Parenis die aergsten Anthropophagen in diesem Landstrich sind. Sie waren urspruenglich am grossen Fluss Inirida bei seiner Vereinigung mit dem Chamochiquini und im Gebirgslande von Mabicore zu Hause. Um das Jahr 1744 hiess ihr Haeuptling oder, wie die Eingeborenen sagen, ihr _'Apoto'_ (Koenig), Macapu, ein Mann durch Geisteskraft und Muth gleich ausgezeichnet. Er war mit einem Theil seiner Nation an den Atabapo gekommen, und als der Jesuit Roman seinen merkwuerdigen Zug vom Orinoco an den Rio Negro machte, gestattete Macapu, dass der Missionar einige Familien Guaypunabis mitnahm, um sie in Uriana und beim Katarakt von Maypures anzusiedeln. Diese Nation gehoert der Sprache nach dem grossen Volksstamm der Maypures an; sie ist gewerbfleissiger, man koennte beinahe sagen, civilisirter als die andern Voelker am obern Orinoco. Nach dem Bericht der Missionaere waren die Guaypunabis, als sie in diesen Laendern die Herren spielten, fast alle bekleidet und besassen ansehnliche Doerfer. Nach Macapus Tode ging das Regiment auf einen andern Krieger ueber, auf Cuseru, von den Spaniern Capitaen Cruzero genannt. Er hatte am Inirida Vertheidigungslinien und eine Art Fort aus Erde und Holz angelegt. Die Pfaehle waren ueber sechzehn Fuss hoch und umgaben das Haus des _Apoto_, sowie eine Niederlage von Bogen und Pfeilen. Pater FORNERI beschreibt diese in einem sonst so wilden Lande merkwuerdigen Anlagen. Am Rio Negro waren die Staemme der Marepizanas und Manitivitanos die maechtigsten. Die Haeuptlinge der ersteren waren ums Jahr 175O zwei Krieger Namens Imu und Cajamu; der Koenig der Manitivitanos war Cocuy, vielberufen wegen seiner Grausamkeit und seiner raffinirten Schwelgerei. Zu meiner Zeit lebte noch seine Schwester in der Naehe der Mission Maypure. Man laechelt, wenn man hoert, dass Maenner wie Cuseru, Imu und Cocuy hier zu Lande so beruehmt sind, wie in Indien die Holkar, Tippo und die maechtigsten Fuersten. Die Haeuptlinge der Guaypunabis und Manitivitanos fochten mit kleinen Haufen von zwei bis dreihundert Mann; aber in der langen Fehde verwuesteten sie die Missionen, wo die armen Ordensleute nur fuenfzehn bis zwanzig spanische Soldaten zur Verfuegung hatten. Horden, wegen ihrer Kopfzahl und ihrer Vertheidigungsmittel gleich veraechtlich, verbreiteten einen Schrecken, als waeren es Heere. Den Patres Jesuiten gelang es nur dadurch, ihre Missionen zu retten, dass sie List wider Gewalt setzten. Sie zogen einige maechtige Haeuptlinge in ihr Interesse und schwaechten die Indianer durch Entzweiung. Als Ituriaga und Solano auf ihrem Zuge an den Orinoco kamen, hatten die Missionen von den Einfaellen der Caraiben nichts mehr zu befuerchten. Cusaru hatte sich hinter den Granitbergen von Sipapo niedergelassen; er war der Freund der Jesuiten; aber andere Voelker vom obern Orinoco und Rio Negro, die Matepizanos, Amuizanos und Manitivitanos, fielen unter Imus, Cajamus und Cocuys Fuehrung von Zeit zu Zeit in das Land nordwaerts von den grossen Katarakten ein. Sie hatten andere Beweggruende zur Feindseligkeit als Hass. Sie trieben *Menschenjagd*, wie es frueher bei den Caraiben Brauch gewesen und wie es in Afrika noch Brauch ist. Bald lieferten sie Sklaven (_poitos_) den Hollaendern oder _Paranaquiri_ (*Meerbewohner*); bald verkauften sie dieselben an die Portugiesen oder _Jaranavi_ (*Musikantensoehne*.)(55) In Amerika wie in Afrika hat die Habsucht der Europaeer gleiches Unheil gestiftet; sie hat die Eingebornen gereizt, sich zu bekriegen, um Gefangene zu bekommen [S. Bd. I. Seite 251] Ueberall fuehrt der Verkehr zwischen Voelkern auf sehr verschiedenen Bildungsstufen zum Missbrauch der physischen Gewalt und der geistigen Ueberlegenheit. Phoenizien und Karthago suchten einst ihre Sklaven in Europa; heutzutage liegt dagegen die Hand Europas schwer auf den Laendern, wo es die ersten Keime seines Wissens geholt, wie auf denen, wo es dieselben, so ziemlich wider Willen, verbreitet, indem es ihnen die Erzeugnisse seines Gewerbfleisses zufuehrt. Ich habe hier treu berichtet, was ich ueber die Zustaende eines Landes in Erfahrung bringen konnte, wo die besiegten Voelker nach und nach absterben und keine andere Spur ihres Daseyns hinterlassen, als ein paar Worte ihrer Sprache, welche die siegenden Voelker in die ihrige aufnehmen. Wir haben gesehen, dass im Norden, jenseits der Katarakten, die Caraiben und die Cabres, suedwaerts am obern Orinoco die Guaypunabis, am Rio Negro die Marepizanos und Manitivitanos die maechtigsten Nationen waren. Der lange Widerstand, den die unter einem tapfern Fuehrer vereinigten Cabres den Caraiben geleistet, hatte jenen nach dem Jahr 1720 zum Verderben gereicht. Sie hatten ihre Feinde an der Muendung des Rio Caura geschlagen; eine Menge Caraiben wurden auf ihrer eiligen Flucht zwischen den Stromschnellen des Torno und der Isla del Infierno erschlagen. Die Gefangenen wurden verzehrt; aber mit jener raffinirten Verschlagenheit und Grausamkeit, wie sie den Voelkern Sued- wie Nordamerikas eigen ist, liessen sie Einen Caraiben am Leben, der, um Zeuge des barbarischen Auftritts zu seyn, auf einen Baum steigen und sofort den Geschlagenen die Kunde davon ueberbringen musste. Der Siegesrausch Teps, des Haeuptlings der Cabres, war von kurzer Dauer. Die Caraiben kamen in solcher Masse wieder, dass nur kuemmerliche Reste der menschenfressenden Cabres am Rio Cuchivero uebrig blieben. Am obern Orinoco lagen Cocuy und Cuseru im erbittertsten Kampf gegen einander, als Solano an der Muendung des Guaviare erschien. Ersterer hatte fuer die Portugiesen Partei ergriffen; der letztere, ein Freund der Jesuiten, that es diesen immer zu wissen, wenn die Manitivitanos gegen die christlichen Niederlassungen in Atures und Carichana im Anzug waren. Cuseru wurde erst wenige Tage vor seinem Tode Christ; er hatte aber im Gefecht an seine linke Huefte ein Crucifix gebunden, das die Missionaere ihm geschenkt und mit dem er sich fuer unverletzlich hielt. Man erzaehlte uns eine Anekdote, in der sich ganz seine wilde Leidenschaftlichkeit ausspricht. Er hatte die Tochter eines indianischen Haeuptlings vom Rio Temi geheirathet. Bei einem Ausbruch von Groll gegen seinen Schwiegervater erklaerte er seinem Weibe, er ziehe aus, sich mit ihm zu messen. Das Weib gab ihm zu bedenken, wie tapfer und ausnehmend stark ihr Vater sey; da nahm Cuseru, ohne ein Wort weiter zu sprechen, einen vergifteten Pfeil und schoss ihr ihn durch die Brust. Im Jahr 1756 versetzte die Ankunft einer kleinen Abtheilung spanischer Truppen unter Solanos Befehl diesen Haeuptling der Guaypunabis in ueble Stimmung. Er stand im Begriff, es auf ein Gefecht ankommen zu lassen, da gaben ihm die Patres Jesuiten zu verstehen, wie es sein Vortheil waere, sich mit den Christen zu vertragen. Cuseru speiste am Tisch des spanischen Generals; man koederte ihn mit Versprechungen, namentlich mit der Aussicht, dass man naechstens seinen Feinden den Garaus machen werde. Er war Koenig gewesen, nunmehr ward er Dorfschulze und liess sich dazu herbei, sich mit den Seinigen in der neuen Mission San Fernando de Atabapos niederzulassen. Ein solch trauriges Ende nahmen meist jene Haeuptlinge, welche bei Reisenden und Missionaeren indianische Fuersten heissen. "In meiner Mission," sagt der gute Pater GILI, "hatte ich fuenf _'Neyecillos'_ (kleine Koenige) der Tamanacos, Avarigotos, Parecas, Quaquas und Maypures. In der Kirche setzte ich alle neben einander auf Eine Bank, ermangelte aber nicht, den ersten Platz Monaiti, dem Koenige der Tamanacos, anzuweisen, weil er mich bei der Gruendung des Dorfs unterstuetzt hatte. Er schien ganz stolz auf die Auszeichnung." Wir sind auch Pater Gili's Meinung, dass ehemalige, von ihrer Hoehe herabgesunkene Gewalthaber selten mit so Wenigem zufrieden zu stellen sind. Als Cuseru, der Haeuptling der Guaypunabis, die spanischen Truppen durch die Katarakten ziehen sah, rieth er Don Jose Solano, die Niederlassung am Atabapo noch ein ganzes Jahr aufzuschieben; er prophezeite Unheil, das denn auch nicht ausblieb. "Lasst mich," sagte Cuseru zu den Jesuiten, "mit den Meinigen arbeiten und das Land umbrechen; ich pflanze Manioc, und so habt ihr spaeter mit so vielen Leuten zu leben." Solano, in seiner Ungeduld, weiter vorzudringen, hoerte nicht auf den Rath des indianischen Haeuptlings. Die neuen Ansiedler in San Fernando verfielen allen Schrecknissen der Hungersnoth. Man liess mit grossen Kosten zu Schiff auf dem Meta und dem Vichada Mehl aus Neu-Grenada kommen. Die Vorraethe langten aber zu spaet an, und viele Europaeer und Indianer erlagen den Krankheiten, die in allen Himmelsstrichen Folgen des Mangels und der gesunkenen moralischen Kraft sind. Man sieht in San Fernando noch einige Spuren von Anbau; jeder Indianer hat eine kleine Pflanzung von Cacaobaeumen. Die Baeume tragen vom fuenften Jahr an reichlich, aber sie hoeren damit frueher auf als in den Thaelern von Aragua. Die Bohne ist klein und von vorzueglicher Guete. Gin _Almuda_, deren zehn auf eine Fanega gehen, kostet in San Fernando 6 Realen, etwa 4 Franken, an den Kuesten wenigstens 20--25 Franken; aber die ganze Mission erzeugt kaum 80 Fanegas im Jahr, und da, nach einem alten Missbrauch, die Missionaere am Orinoco und Rio Negro allein mit Cacao Handel treiben, so wird der Indianer nicht aufgemuntert, einen Culturzweig zu erweitern, von dem er so gut wie keinen Nutzen hat. Es gibt bei San Fernando ein paar Savanen und gute Weiden; man sieht aber kaum sieben oder acht Kuehe darauf, Ueberbleibsel der ansehnlichen Heerde, welche die Grenzexpedition ins Land gebracht. Die Indianer sind etwas civilisirter als in den andern Missionen. Zu unserer Ueberraschung trafen wir einen Schmied von der eingeborenen Race. Was uns in der Mission San Fernando am meisten auffiel und was der Landschaft einen eigenthuemlichen Charakter gibt, das ist die _'Pihiguao'_- oder _'Pirijao'_-Palme. Der mit Stacheln bewehrte Stamm ist ueber sechzig Fuss hoch; die Blaetter sind gefiedert, sehr schmal, wellenfoermig und an den Spitzen gekraeuselt. Hoechst merkwuerdig sind die Fruechte des Baumes; jede Traube traegt 50 bis 80; sie sind gelb wie Apfel, werden beim Reifen roth, sind zwei bis drei Zoll dick und der Fruchtkern kommt meist nicht zur Entwicklung. Unter den 80--90 Palmenarten, die ausschliesslich der neuen Welt angehoeren und die ich in den _nova genera plantarum aequinoctialium_ aufgezaehlt, ist bei keiner das Fruchtfleisch so ausserordentlich stark entwickelt. Die Frucht des Pirijao enthaelt einen mehligten, eigelben, nicht stark suessen, sehr nahrhaften Stoff. Man isst sie wie die Banane und die Kartoffel, gesotten oder in der Asche gebraten; es ist ein eben so gesundes als angenehmes Nahrungsmittel. Indianer und Missionaere erschoepfen sich im Lobe dieser herrlichen Palme, die man die _'Pfirsichpalme'_ nennen koennte und die in San Fernando, San Balthasar, Santa Barbara, ueberall, wohin wir nach Sued und Ost am Atabapo und obern Orinoco kamen, in Menge angebaut fanden. In diesen Landstrichen erinnert man sich unwillkuehrlich der Behauptung LINNEs, die Palmenregion sey die urspruengliche Heimath unseres Geschlechts, der Mensch sey eigentlich ein _'Palmfruchtesser'_.(56) Mustert man die Vorraethe in den Huetten der Indianer, so sieht man, dass mehrere Monate im Jahr die mehligte Frucht des Pirijao fuer sie so gut ein Hauptnahrungsmittel ist als der Manioc und die Banane. Der Baum traegt nur einmal im Jahr, aber oft drei Trauben, also 150--200 Fruechte. San Fernando de Atabapo, San Carlos und San Francisco Solano sind die bedeutendsten Missionen am obern Orinoco. In San Fernando, wie in den benachbarten Doerfern San Balthasar und Javita, fanden wir huebsche Pfarrhaeuser, mit Schlingpflanzen bewachsen und mit Gaerten umgeben. Die schlanken Staemme der Pirijaopalme waren in unsern Augen die Hauptzierde dieser Pflanzungen. Auf unsern Spaziergaengen erzaehlte uns der Pater Praesident sehr lebhaft von seinen Fahrten auf dem Rio Guaviare. Er sprach davon, wie sehr sich die Indianer auf Zuege "zur Eroberung von Seelen" freuen; jedermann, selbst Weiber und Greise wollen daran Theil nehmen. Unter dem nichtigen Vorwand, man verfolge Neubekehrte, die aus dem Dorf entlaufen, schleppt man dabei acht- bis zehnjaehrige Kinder fort und vertheilt sie an die Indianer in den Missionen als Leibeigene oder _Poitos_. Die Reisetagebuecher, die Pater BARTHOLOMEO MANCILLA uns gefaellig mittheilte, enthalten sehr wichtiges geographisches Material. Weiter unten, wenn von den Hauptnebenfluessen des Orinoco die Rede wird, vom Guaviare, Ventuari, Meta, Caura und Carony, gebe ich eine Uebersicht dieser Entdeckungen. Hier nur soviel, dass es, nach meinen astronomischen Beobachtungen am Atabapo und auf dem westlichen Abhang der Cordillere der Anden beim Paramo de la Suma Paz, von San Fernando bis zu den ersten Doerfern in den Provinzen Caguan und San Juan de los Llanos nicht mehr als 107 Meilen ist. Auch versicherten mich Indianer, die frueher westlich von der Insel Amanaveni, jenseits des Einflusses des Rio Supavi, gelebt, sie haben auf einer Lustfahrt im Canoe (was die Wilden so heissen) auf dem Guaviare bis ueber die _Angostura_ (den Engpass) und den Hauptwasserfall hinauf, in drei Tagereisen Entfernung baertige und bekleidete Maenner getroffen, welche Eier der Terekey-Schildkroete suchten. Darueber waren die Indianer so erschrocken, dass sie in aller Eile umkehrten und den Guaviare wieder hinunterfuhren. Wahrscheinlich kamen diese weissen, baertigen Maenner aus den Doerfern Aroma und San Martin, da sich die zwei Fluesse Ariari und Guayavero zum Guaviare vereinigen. Es ist nicht zu verwundern, dass die Missionare am Orinoco und Atabapo fast keine Ahnung davon haben, wie nahe sie bei den Missionaeren von Mocoa, am Rio Fragua und Caguan leben. In diesen oeden Landstrichen kann man nur durch Laengenbeobachtungen die wahren Entfernungen kennen lernen, und nur nach astronomischen Ermittlungen und den Erkundigungen, die ich in den Kloestern zu Popayan und Pasto westwaerts von den Cordilleren der Anden eingezogen, erhielt ich einen richtigen Begriff von der gegenseitigen Lage der christlichen Niederlassungen am Atabapo, Guayavero und Caqueta. So bald man das Bett des Atabapo betritt, ist Alles anders, die Beschaffenheit der Luft, die Farbe des Wassers, die Gestalt der Baeume am Ufer. Bei Tage hat man von den Moskitos nicht mehr zu leiden; die Schnaken mit langen Fuessen (_zancudos_) werden bei Nacht sehr selten, ja oberhalb der Mission San Fernando verschwinden diese Nachtinsekten ganz. Das Wasser des Orinoco ist truebe, voll erdigter Stoffe, und in den Buchten hat es wegen der vielen todten Krokodile und anderer faulender Koerper einen bisamartigen, suesslichten Geruch. Um dieses Wasser trinken zu koennen, mussten wir es nicht selten durch ein Tuch seihen. Das Wasser des Atabapo dagegen ist rein, von angenehmem Geschmack, ohne eine Spur von Geruch, bei reflektirtem Licht braeunlich, bei durchgehendem gelblich. Das Volk nennt dasselbe "leicht," im Gegensatz zum trueben, schweren Orinocowasser. Es ist meist um 2 deg., der Einmuendung des Rio Temi zu um 3 deg. kuehler als der obere Orinoco. Wenn man ein ganzes Jahr lang Wasser von 27--28 Grad [22 deg.,4--22 deg.,8 Reaumur] trinken muss, hat man schon bei ein paar Graden weniger ein aeusserst angenehmes Gefuehl. Diese geringere Temperatur ruehrt wohl daher, dass der Fluss nicht so breit ist, dass er keine sandigten Ufer hat, die sich am Orinoco bei Tag auf 50 Grad erhitzen, und dass der Atabapo, Temi, Tuamini und der Rio Negro von dichten Waeldern beschattet sind. Dass die schwarzen Wasser ungemein rein seyn muessen, das zeigt ihre Klarheit und Durchsichtigkeit und die Deutlichkeit, mit der sich die umgebenden Gegenstaende nach Umriss und Faerbung darin spiegeln. Auf 20--30 Fuss tief sieht man die kleinsten Fische darin und meist blickt man bis auf den Grund des Flusses hinunter. Und dieser ist nicht etwa Schlamm von der Farbe des Flusses, gelblich oder braeunlich, sondern blendend weisser Quarz- und Granitsand. Nichts geht ueber die Schoenheit der Ufer des Atabapo; ihr ueppiger Pflanzenwuchs, ueber den Palmen mit Federbuschlaub hoch in die Luft steigen, spiegelt sich im Fluss. Das Gruen am reflektirten Bilde ist ganz so satt als am direkt gesehenen Gegenstand, so glatt und eben ist die Wasserflaeche, so frei von suspendirtem Sand und organischen Truemmern, die auf der Oberflaeche minder heller Fluesse Streifen und Unebenheiten bilden. Wo man vom Orinoco abfaehrt, kommt man, aber ohne alle Gefahr, ueber mehrere kleine Stromschnellen. Mitten in diesen _Raudalitos_ ergiesst sich, wie die Missionaere annehmen, der Atabapo in den Orinoco. Nach meiner Ansicht ergiesst sich aber der Atabapo vielmehr in den Guaviare, und diesen Namen sollte man der Flussstrecke vom Orinoco bis zur Mission San Fernando geben. Der Rio Guaviare ist weit breiter als der Atabapo, hat weisses Wasser und der ganze Anblick seiner Ufer, seine gefiederten Fischsaenger, seine Fische, die grossen Krokodile, die darin hausen, machen, dass er dem Orinoco weit mehr gleicht als der Theil dieses Flusses, der von Esmeralda herkommt. Wenn sich ein Strom durch die Vereinigung zweier fast gleich breiten Fluesse bildet, so ist schwer zu sagen, welchen derselben man als die Quelle zu betrachten hat. Die Indianer in San Fernando haben noch heute eine Anschauung, die der der Geographen gerade zuwider laeuft. Sie behaupten, der Orinoco entspringe aus zwei Fluessen, aus dem Guaviare und dem Rio Paragua. Unter letzterem Namen verstehen sie den obern Orinoco von San Fernando und Santa Barbara bis ueber Esmeralda hinauf. Dieser Annahme zufolge ist ihnen der Cassiquiare kein Arm des Orinoco, sondern des Rio Paragua. Ein Blick auf die von mir entworfene Karte zeigt, dass diese Benennungen voellig willkuehrlich sind. Ob man dem Rio Paragua den Namen Orinoco abstreitet, daran ist wenig gelegen, wenn man nur den Lauf der Fluesse naturgetreu zeichnet, und nicht, wie man vor meiner Reise gethan, Fluesse, die unter einander zusammenhaengen und Ein System bilden, durch eine Gebirgskette getrennt seyn laesst. Will man einen der beiden Zweige, die einen grossen Fluss bilden, nach dem letzteren benennen, so muss man den Namen dem wasserreichsten derselben beilegen. In den beiden Jahreszeiten, wo ich den Guaviare und den obern Orinoco oder Rio Paragua (zwischen Esmeralda und San Fernando) gesehen, kam es mir nun aber vor, als waere letzterer nicht so breit als der Guaviare. Die Vereinigung des obern Mississippi mit dem Missouri und Ohio, die des Maragnon mit dem Guallaga und Ucayale, die des Indus mit dem Chumab und Gurra oder Sutledge haben bei den reisenden Geographen ganz dieselben Bedenken erregt. Um die rein willkuehrlich angenommene Flussnomenclatur nicht noch mehr zu verwirren, schlage ich keine neuen Venennungen vor. Ich nenne mit Pater CAULIN und den spanischen Geographen den Fluss bei Esmeralda auch ferner Orinoco oder obern Orinoco, bemerke aber, dass, wenn man den Orinoco von San Fernando de Atabapo bis zum Delta, das er der Insel Trinidad gegenueber bildet, als eine Fortsetzung des Rio Guaviare und das Stueck des obern Orinoco zwischen Esmeralda und der Mission San Fernando als einen Nebenfluss betrachtete, der Orinoco von den Savanen von San Juan de los Llanos und dem Ostabhang der Anden bis zu seiner Muendung eine gleichfoermigere und natuerlichere Richtung von Suedwest nach Nordost haette. Der Rio Paragua, oder das Stueck des Orinoco, auf dem man ostwaerts von der Muendung des Guaviare hinauffaehrt, hat klareres, durchsichtigeres und reineres Wasser als das Stueck unterhalb San Fernando. Das Wasser des Guaviare dagegen ist weiss und trueb; es hat, nach dem Ausspruch der Indianer, deren Sinne sehr scharf und sehr geuebt sind, denselben Geschmack wie das Wasser des Orinoco in den grossen Katarakten. "Gebt mir," sagte ein alter Indianer aus der Mission Javita zu uns, "Wasser aus drei, vier grossen Fluessen des Landes, so sage ich euch nach dem Geschmack zuverlaessig, wo das Wasser geschoepft worden, ob aus einem weissen oder einem schwarzen Fluss, ob aus dem Orinoco oder dem Atabapo, dem Paragua oder dem Guaviare." Auch die grossen Krokodile und die Delphine (Toninas) haben der Guaviare und der untere Orinoco mit einander gemein; diese Thiere kommen, wie man uns sagte, im Rio Paragua (oder obern Orinoco zwischen San Fernando und Esmeralda) gar nicht vor. Diess sind doch sehr auffallende Verschiedenheiten hinsichtlich der Beschaffenheit der Gewaesser und der Vertheilung der Thiere. Die Indianer verfehlen nicht, sie aufzuzaehlen, wenn sie den Reisenden beweisen wollen, dass der obere Orinoco oestlich von San Fernando ein eigener, sich in den Orinoco ergiessender Fluss, und der wahre Ursprung des letzteren in den Quellen des Guaviare zu suchen sey. Die europaeischen Geographen haben sicher unrecht, dass sie die Anschauung der Indianer nicht theilen, welche die natuerlichen Geographen ihres Landes sind; aber bei Nomenclatur und Orthographie thut man nicht selten gut, eine Unrichtigkeit, auf die man aufmerksam gemacht, dennoch selbst beizubehalten. Meine astronomischen Beobachtungen in der Nacht des 25. April gaben mir die Breite nicht so bestimmt, als zu wuenschen war. Der Himmel war bewoelkt und ich konnte nur ein paar Hoehen von {~GREEK SMALL LETTER ALPHA~} im Centaur und dem schoenen Stern am Fuss des suedlichen Kreuzes nehmen. Nach diesen Hoehen schien mir die Breite der Mission San Fernando gleich 4 deg. 2{~PRIME~} 48{~DOUBLE PRIME~}; Pater CAULIN gibt auf der Karte, die SOLANOs Beobachtungen im Jahr 1756 zu Grunde legt, 4 deg. 4{~PRIME~} an. Diese Uebereinstimmung spricht fuer die Richtigkeit meiner Beobachtung, obgleich sich dieselbe nur auf Hoehen ziemlich weit vom Meridian gruendet. Eine gute Sternbeobachtung in Guapasoso ergibt mir fuer San Fernando 4 deg. 2{~PRIME~}. (GUMILLA setzte den Zusammenfluss des Atabapo und Guaviare unter 0 deg. 30{~PRIME~}, D'ANVILLE unter 2 deg. 51{~PRIME~}). Die Laenge konnte ich auf der Fahrt zum Rio Negro und auf dem Rueckweg von diesem Fluss sehr genau bestimmen: sie ist 70 deg. 30{~PRIME~} 46{~DOUBLE PRIME~} (oder 4 deg. 0{~PRIME~} westlich vom Meridian von Cumana). Der Gang des Chronometers war waehrend der Fahrt im Canoe so regelmaessig, dass er vom 16. April bis 9. Juli nur um 27,9 bis 28,5 Secunden abwich. In San Fernando fand ich die sehr sorgfaeltig rectificirte Inclination der Magnetnadel gleich 29 deg. 70, die Intensitaet der Kraft 219. Der Winkel und die Schwingungen waren also seit Maypures bei einem Breitenunterschied von 1 deg. 11{~PRIME~} betraechtlich kleiner und weniger geworden. Das anstehende Gestein war nicht mehr eisenschuessiger Sandstein, sondern Granit, in Gneiss uebergehend. Am 26. April. Wir legten nur zwei oder drei Meilen zurueck und lagerten zur Nacht auf einem Felsen in der Naehe der indianischen Pflanzungen oder Conucos von Guapasoso. Da man das eigentliche Ufer nicht sieht, und der Fluss, wenn er anschwillt, sich in die Waelder verlaeuft, kann man nur da landen, wo ein Fels oder ein kleines Plateau sich ueber das Wasser erhebt. Der Atabapo hat ueberall ein eigenthuemliches Ansehen; das eigentliche Ufer, das aus einer acht bis zehn Fuss hohen Bank besteht, sieht man nirgends; es versteckt sich hinter einer Reihe von Palmen und kleinen Baeumen mit sehr duennen Staemmen, deren Wurzeln vom Wasser bespuelt werden. Vom Punkt, wo man vom Orinoco abgeht, bis zur Mission San Fernando gibt es viele Krokodile, und dieser Umstand beweist, wie oben bemerkt, dass dieses Flussstueck zum Guaviare, nicht zum Atabapo gehoert. Im eigentlichen Bett des letzteren oberhalb San Fernando gibt es keine Krokodile mehr; man trifft hie und da einen *Bava* an und viele *Suesswasser-Delphine*, aber keine Seekuehe. Man sucht hier auch vergeblich den Chiguire, die Araguatos oder grossen Bruellaffen, den Zamuro oder _Vultur aura_ und den Fasanen mit der Haube, den sogenannten _'Guacharaca'_. Ungeheure Wassernattern, im Habitus der *Boa* gleich, sind leider sehr haeufig und werden den Indianern beim Baden gefaehrlich. Gleich in den ersten Tagen sahen wir welche neben unserer Pirogue herschwimmen, die 12--14 Fuss lang waren. Die Jaguars am Atabapo und Temi sind gross und gut genaehrt, sie sollen aber lange nicht so keck seyn als die am Orinoco. Am 27. April. Die Nacht war schoen, schwaerzlichte Wolken liefen von Zeit zu Zeit ungemein rasch durch das Zenith. In den untern Schichten der Atmosphaere regte sich kein Lueftchen, der allgemeine Ostwind wehte erst in tausend Toisen Hoehe. Ich betone diesen Umstand: die Bewegung, die wir bemerkten, war keine Folge von Gegenstroemungen (von West nach Ost), wie man sie zuweilen in der heissen Zone auf den hoechsten Gebirgen der Cordilleren wahrzunehmen glaubt, sie ruehrte vielmehr von einer eigentlichen Brise, vom Ostwind her. Ich konnte die Meridianhoehe von {~GREEK SMALL LETTER ALPHA~} im suedlichen Kreuz gut beobachten; die einzelnen Resultate schwankten nur um 8--10 Secunden um das Mittel. Die Breite von Guapasoso ist 3 deg. 53{~PRIME~} 55{~DOUBLE PRIME~}. Das schwarze Wasser des Flusses diente mir als Horizont, und diese Beobachtungen machten mir desto mehr Vergnuegen, als wir auf den Fluessen mit weissem Wasser, auf dem Apure und Orinoco von den Insekten furchtbar zerstochen worden waren, waehrend Bonpland die Zeit am Chronometer beobachtete und ich den Horizont richtete. Wir brachen um zwei Uhr von den Conucos von Guapasoso aus. Wir fuhren immer nach Sueden hinauf und sahen den Fluss oder vielmehr den von Baeumen freien Theil seines Bettes immer schmaler werden. Gegen Sonnenaufgang fing es an zu regnen. Wir waren an diese Waelder, in denen es weniger Thiere gibt als am Orinoco, noch nicht gewoehnt, und so wunderten wir uns beinahe, dass wir die Araguatos nicht mehr bruellen hoerten. Die Delphine oder Toninas spielten um unser Canoe. Nach COLEBROOKE begleitet der _Delphinus gangetius_, der Suesswasser-Delphin der alten Welt, gleichfalls die Fahrzeuge, die nach Benares hinaufgehen; aber von Benares bis zum Punkt, wo Salzwasser in den Ganges kommt, sind es nur 200 Meilen, von Atabapo aber an die Muendung des Orinoco ueber 320. Gegen Mittag lag gegen Ost die Muendung des kleinen Flusses Ipurichapano, und spaeter kamen wir am Granithuegel vorbei, der unter dem Namen *piedra del Tigre* bekannt ist. Dieser einzeln stehende Fels ist nur 60 Fuss hoch und doch im Lande weit berufen. Zwischen dem vierten und fuenften Grad der Breite, etwas suedlich von den Bergen von Sipapo, erreicht man das suedliche Ende der *Kette der Katarakten*, fuer die ich in einer im Jahr 1800 veroeffentlichten Abhandlung den Namen _'Kette der Parime'_ in Vorschlag gebracht habe. Unter 4 deg. 20{~PRIME~} streicht sie vom rechten Orinocoufer gegen Ost und Ost-Sued-Ost. Der ganze Landstrich zwischen den Bergen der Parime und dem Amazonenstrom, ueber den der Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro ziehen, ist eine ungeheure, zum Theil mit Wald, zum Theil mit Gras bewachsene Ebene. Kleine Felsen erheben sich da und dort, wie feste Schloesser. Wir bereuten es, unser Nachtlager nicht beim Tigerfelsen aufgeschlagen zu haben; denn wir fanden den Atabapo hinauf nur sehr schwer ein trockenes, freies Stueck Land, gross genug, um unser Feuer anzuenden und unsere Instrumente und Haengematten unterbringen zu koennen. Am 28. April. Der Regen goss seit Sonnenuntergang in Stroemen; wir fuerchteten unsere Sammlungen moechten beschaedigt werden. Der arme Missionaer bekam seinen Anfall von Tertianfieber und bewog uns, bald nach Mitternacht weiter zu fahren. Wir kamen mit Tagesanbruch an die Piedra und den Raudalito von Guarinuma. Der Fels, auf dem oestlichen Ufer, ist eine kahle, mit Psora, Cladonia und andern Flechten bedeckte Granitbank. Ich glaubte mich in das noerdliche Europa versetzt, auf den Kamm der Gneiss- und Granitberge zwischen Freiberg und Marienberg in Sachsen. Die Cladonien schienen mir identisch mit dem _Lichen rangiferinus_, dem _L. pyxidatus_ und _L. polymorphus_ Linnes. Als wir die Stromschnellen von Guarinuma hinter uns hatten, zeigten uns die Indianer mitten im Wald zu unserer Rechten die Truemmer der seit lange verlassenen Mission Mendaxari. Auf dem andern, oestlichen Ufer, beim kleinen Felsen Kemarumo, wurden wir auf einen riesenhaften Kaesebaum (_Bombax Ceiba_) aufmerksam, der mitten in den Pflanzungen der Indianer stand. Wir stiegen aus, um ihn zu messen: er war gegen 120 Fuss hoch und hatte 14--15 Fuss Durchmesser. Ein so ausserordentliches Wachsthum fiel uns um so mehr auf, da wir bisher am Atabapo nur kleine Baeume mit duennem Stamm, von weitem jungen Kirschbaeumen aehnlich, gesehen hatten. Nach den Aussagen der Indianer bilden diese kleinen Baeume eine nur wenig verbreitete Gewaechsgruppe. Sie werden durch das Austreten des Flusses im Wachsthum gehemmt; auf den trockenen Strichen am Atabapo, Temi und Tuamini waechst dagegen vortreffliches Bauholz. Diese Waelder (und dieser Umstand ist wichtig, wenn man sich von den *Ebenen unter dem Aequator am Rio Negro und Amazonenstrom* eine richtige Vorstellung machen will), diese Waelder erstrecken sich nicht ohne Unterbrechung ostwaerts und westwaerts bis zum Cassiquiare und Guaviare: es liegen vielmehr die kahlen Savanen von Manuteso und am Rio Inirida dazwischen. Am Abend kamen wir nur mit Muehe gegen die Stroemung vorwaerts, und wir uebernachteten in einem Gehoelz etwas oberhalb Mendaxari. Hier ist wieder ein Granitfels, durch den eine Quarzschicht laeuft; wir fanden eine Gruppe schoener schwarzer Schoerlkrystalle darin. Am 29. April. Die Luft war kuehler; keine Zancudos, aber der Himmel fortwaehrend bedeckt und sternlos. Ich fing an mich wieder auf den untern Orinoco zu wuenschen. Bei der starken Stroemung kamen wir wieder nur langsam vorwaerts. Einen grossen Theil des Tages hielten wir an, um Pflanzen zu suchen, und es war Nacht, als wir in der Mission San Balthasar ankamen, oder, wie die Moenche sagen (da Balthasar nur der Name eines indianischen Haeuptlings ist), in der Mission _'la divina Pastora de Balthasar de Atabapo'_. Wir wohnten bei einem catalonischen Missionaer, einem muntern liebenswuerdigen Mann, der hier in der Wildniss ganz die seinem Volksstamm eigenthuemliche Thaetigkeit entwickelte. Er hatte einen schoenen Garten angelegt, wo der europaeische Feigenbaum der Persea, der Citronenbaum dem Mamei zur Seite stand. Das Dorf war nach einem regelmaessigen Plan gebaut, wie man es in Norddeutschland und im protestantischen Amerika bei den Gemeinden der maehrischen Brueder sieht. Die Pflanzungen der Indianer schienen uns besser gehalten als anderswo. Hier sahen wir zum erstenmal den weissen, schwammigten Stoff, den ich unter dem Namen _'Dapicho'_ und _'Zapis'_ bekannt gemacht habe. Wir sahen gleich, dass derselbe mit dem "elastischen Harz" Aehnlichkeit hat; da uns aber die Indianer durch Zeichen bedeuteten, man finde denselben in der Erde, so vermutheten wir, bis wir in die Mission Javita kamen, das *Dapicho* moechte ein *fossiles Cautschuc* seyn, wenn auch abweichend vom *elastischen Bitumen* in Derbyshire. In der Huette des Missionaers sass ein Poimisano-Indianer an einem Feuer und verwandelte das Dapicho in schwarzes Cautschuc. Er hatte mehrere Stuecke auf ein duennes Holz gespiesst und briet dieselben wie Fleisch. Je weicher und elastischer das Dapicho wird, desto mehr schwaerzt es sich. Nach dem harzigen, aromatischen Geruch, der die Huette erfuellte, ruehrt dieses Schwarzwerden wahrscheinlich davon her, dass eine Verbindung von Kohlenstoff und Wasserstoff zersetzt und der Kohlenstoff frei wird, waehrend der Wasserstoff bei gelinder Hitze verbrennt. Der Indianer klopfte die erweichte schwarze Masse mit einem vorne keulenfoermigen Stueck Brasilholz, knetete dann den Dapicho zu Kugeln von 3--4 Zoll Durchmesser und liess ihn erkalten. Diese Kugeln gleichen vollkommen dem Cautschuc, wie es in den Handel kommt, sie bleiben jedoch aussen meist etwas klebrig. Man braucht sie in San Balthasar nicht zum indianischen Ballspiel, das bei den Einwohnern von Uruana und Encaramada in so hohem Ansehen steht; man schneidet sie cylindrisch zu, um sie als Stoepsel zu gebrauchen, die noch weit besser sind als Korkstoepsel. Diese Anwendung des Cautschuc war uns desto interessanter, da uns der Mangel europaeischer Stoepsel oft in grosse Verlegenheit gesetzt hatte. Wie ungemein nuetzlich der Kork ist, fuehlt man erst in Laendern, wohin er durch den Handel nicht kommt. In Suedamerika kommt nirgends, selbst nicht auf dem Ruecken der Anden, eine Eichenart vor, die dem _Quercus suber_ nahe staende, und weder das leichte Holz der Bombax- und Ochroma-Arten und anderer Malvaceen, noch die Maisspindeln, deren sich die Indianer bedienen, ersetzen unsere Stoepsel vollkommen. Der Missionaer zeigte uns vor der _'Casa de los Solteros'_ (Haus, wo sich die jungen, nicht verheiratheten Leute versammeln) eine Trommel, die aus einem zwei Fuss langen und achtzehn Zoll dicken hohlen Cylinder bestand. Man schlug dieselbe mit grossen Stuecken Dapicho, wie mit Trommelschlaegeln; sie hatte Loecher, die man mit der Hand schliessen konnte, um hoehere oder tiefere Toene hervorzubringen, und hing an zwei leichten Stuetzen. Wilde Voelker lieben rauschende Musik. Die Trommel und die _Botutos_ oder Trompeten aus gebrannter Erde, 3--4 Fuss lange Roehren, die sich an mehreren Stellen zu Hohlkugeln erweitern, sind bei den Indianern unentbehrliche Instrumente, wenn es sich davon handelt, mit Musik Effekt zu machen. Am 30. April. Die Nacht war ziemlich schoen, so dass ich die Meridianhoehen des {~GREEK SMALL LETTER ALPHA~} im suedlichen Kreuz und der zwei grossen Sterne in den Fuessen des Centauren beobachten konnte. Ich fand fuer San Balthasar eine Breite von 3 deg. 14{~PRIME~} 23{~DOUBLE PRIME~}. Als Laenge ergab sich aus Stundenwinkeln der Sonne nach dem Chronometer 70 deg. 14{~PRIME~} 21{~DOUBLE PRIME~}. Die Inclination der Magnetnadel war 27{~PRIME~} 80. Wir verliessen die Mission Morgens ziemlich spaet und fuhren den Atabapo noch fuenf Meilen hinauf; statt ihm aber weiter seiner Quelle zu gegen Osten, wo er Atacavi heisst, zu folgen, liefen wir jetzt in den Rio Temi ein. Ehe wir an die Muendung desselben kamen, beim Einfluss des Guasacavi, wurden wir auf eine Granitkuppe am westlichen Ufer aufmerksam. Dieselbe heisst der *Fels der Guahiba-Indianerin*, oder der Fels der Mutter, _Piedra de la madre_. Wir fragten nach dem Grund einer so sonderbaren Benennung. Pater Zea konnte unsere Neugier nicht befriedigen, aber einige Wochen spaeter erzaehlte uns ein anderer Missionaer einen Vorfall, den ich in meinem Tagebuch aufgezeichnet und der den schmerzlichsten Eindruck auf uns machte. Wenn der Mensch in diesen Einoeden kaum eine Spur seines Daseyns hinter sich laesst, so ist es fuer den Europaeer doppelt demuethigend, dass durch den Namen eines Felsen, durch eines der unvergaenglichen Denkmale der Natur, das Andenken an die sittliche Verworfenheit unseres Geschlechts, an den Gegensatz zwischen der Tugend des Wilden und der Barbarei des civilisirten Menschen verewigt wird. Der Missionaer von San Fernando(57) war mit seinen Indianern an den Guaviare gezogen, um einen jener feindlichen Einfaelle zu machen, welche sowohl die Religion als die spanischen Gesetze verbieten. Man fand in einer Huette eine Mutter vom Stamme der Guahibos mit drei Kindern, von denen zwei noch nicht erwachsen waren. Sie bereiteten Maniocmehl. An Widerstand war nicht zu denken; der Vater war auf dem Fischfang, und so suchte die Mutter mit ihren Kindern sich durch die Flucht zu retten. Kaum hatte sie die Savane erreicht, so wurde sie von den Indianern aus der Mission eingeholt, die auf die *Menschenjagd* gehen, wie die Weissen und die Neger in Afrika. Mutter und Kinder wurden gebunden und an den Fluss geschleppt. Der Ordensmann sass in seinem Boot, des Ausgangs der Expedition harrend, die fuer ihn sehr gefahrlos war. Haette sich die Mutter zu stark gewehrt, so waere sie von den Indianern umgebracht worden; Alles ist erlaubt, wenn man auf die _conquista espiritual_ auszieht, und man will besonders der Kinder habhaft werden, die man dann in der Mission als Poitos oder Sklaven der Christen behandelt. Man brachte die Gefangenen nach San Fernando und meinte, die Mutter koennte zu Land sich nicht wieder in ihre Heimath zurueckfinden. Durch die Trennung von den Kindern, die am Tage ihrer Entfuehrung den Vater begleitet hatten, gerieth das Weib in die hoechste Verzweiflung. Sie beschloss, die Kinder, die in der Gewalt des Missionaers waren, zur Familie zurueckzubringen; sie lief mit ihnen mehrere male von San Fernando fort, wurde aber immer wieder von den Indianern gepackt, und nachdem der Missionaer sie unbarmherzig hatte peitschen lassen, fasste er den grausamen Entschluss, die Mutter von den beiden Kindern, die mit ihr gefangen worden, zu trennen. Man fuehrte sie allein den Atabapo hinauf, den Missionen am Rio Negro zu. Leicht gebunden sass sie auf dem Vordertheil des Fahrzeugs. Man hatte ihr nicht gesagt, welches Loos ihrer wartete, aber nach der Richtung der Sonne sah sie wohl, dass sie immer weiter von ihrer Huette und ihrer Heimath wegkam. Es gelang ihr, sich ihrer Bande zu entledigen, sie sprang in den Fluss und schwamm dem linken Ufer des Atabapo zu. Die Stroemung trug sie an eine Felsbank, die noch heute ihren Namen traegt. Sie ging hier ans Land und lief ins Holz; aber der Praesident der Missionen befahl den Indianern, ans Ufer zu fahren und den Spuren der Guahiba zu folgen. Am Abend wurde sie zurueckgebracht, auf den Fels (_piedra de la madre_) gelegt und mit einem Seekuhriemen, die hier zu Lande als Peitschen dienen und mit denen die Alcaden immer versehen sind, unbarmherzig gepeitscht. Man band dem ungluecklichen Weibe mit starken Mavacureranken die Haende aus den Ruecken und brachte sie in die Mission Javita. Man sperrte sie hier in eines der Caravanserais, die man _Cases del Rey_ nennt. Es war in der Regenzeit und die Nacht ganz finster. Waelder, die man bis da fuer undurchdringlich gehalten, liegen, 25 Meilen in gerader Linie breit, zwischen Javita und San Fernando. Man kennt keinen andern Weg als die Fluesse. Niemals hat ein Mensch versucht zu Land von einem Dorf zum andern zu gehen, und laegen sie auch nur ein paar Meilen aus einander. Aber solche Schwierigkeiten halten eine Mutter, die man von ihren Kindern getrennt, nicht auf. Ihre Kinder sind in San Fernando am Atabapo; sie muss zu ihnen, sie muss sie aus den Haenden der Christen befreien, sie muss sie dem Vater am Guaviare wieder bringen. Die Guahiba ist im Caravanserai nachlaessig bewacht, und da ihre Arme ganz blutig waren, hatten ihr die Indianer von Javita ohne Vorwissen des Missionaers und des Alcaden die Bande gelockert. Es gelingt ihr, sie mit den Zaehnen vollends loszumachen, und sie verschwindet in der Nacht. Und als die Sonne zum vierten mal aufgeht, sieht man sie in der Mission San Fernando um die Huette schleichen, wo ihre Kinder eingesperrt sind. "Was dieses Weib ausgefuehrt", sagte der Missionaer, der uns diese traurige Geschichte erzaehlte, "der kraeftigste Indianer haette sich nicht getraut es zu unternehmen." Sie ging durch die Waelder in einer Jahreszeit, wo der Himmel immer mit Wolken bedeckt ist und die Sonne Tage lang nur auf wenige Minuten zum Vorschein kommt. Hatte sie sich nach dem Lauf der Wasser gerichtet? Aber da Alles ueberschwemmt war, musste sie sich weit von den Flussufern, mitten in den Waeldern halten, wo man das Wasser fast gar nicht laufen sieht. Wie oft mochte sie von den stachligten Lianen aufgehalten worden sehn, welche um die von ihnen umschlungenen Staemme ein Gitterwerk bilden! Wie oft musste sie ueber die Baeche schwimmen, die sich in den Atabapo ergiessen! Man fragte das unglueckliche Weib, von was sie sich vier Tage lang genaehrt; sie sagte, voellig erschoepft habe sie sich keine andere Nahrung verschaffen koennen als die grossen schwarzen Ameisen, _Vachacos_ genannt, die in langen Zuegen an den Baeumen hinaufkriechen, um ihre harzigten Nester daran zu haengen. Wir wollten durchaus vom Missionaer wissen, ob jetzt die Guahiba in Ruhe des Glueckes habe geniessen koennen, um ihre Kinder zu seyn, ob man doch endlich bereut habe, dass man sich so masslos vergangen? Er fand nicht fuer gut, unsere Neugierde zu befriedigen; aber auf der Rueckreise vom Rio Negro hoerten wir, man habe der Indianerin nicht Zeit gelassen, von ihren Wunden zu genesen, sondern sie wieder von ihren Kindern getrennt und in eine Mission am obern Orinoco gebracht. Dort wies sie alle Nahrung von sich und starb, wie die Indianer in grossem Jammer thun. Diess ist die Geschichte, deren Andenken an diesem unseligen Gestein, an der _Piedra de la madre_ haftet. Es ist mit in dieser meiner Reisebeschreibung nicht darum zu thun, bei der Schilderung einzelner Ungluecksscenen zu verweilen. Dergleichen Jammer kommt ueberall vor, wo es Herren und Sklaven gibt, wo civilisirte Europaeer unter versunkenen Voelkern leben, wo Priester mit unumschraenkter Gewalt ueber unwissende, wehrlose Menschen herrschen. Als Geschichtschreiber der Laender, die ich bereist, beschraenke ich mich meist darauf, anzudeuten, was in den buergerlichen und religioesen Einrichtungen mangelhaft oder der Menschheit verderblich erscheint. Wenn ich beim *Fels der Guahiba* laenger verweilt habe, geschah es nur, um ein ruehrendes Beispiel von Mutterliebe bei einer Menschenart beizubringen, die man so lange verlaeumdet hat, und weil es mir nicht ohne Nutzen schien, einen Vorfall zu veroeffentlichen, den ich aus dem Munde von Franciskanern habe, und der beweist, wie nothwendig es ist, dass das Auge des Gesetzgebers ueber dem Regiment der Missionaere wacht. Oberhalb dem Einfluss des Guasacavi liefen wir in den Rio Temi ein, der von Sued nach Nord laeuft. Waeren wir den Atabapo weiter hinaufgefahren, so waeren wir gegen Ost-Sued-Ost vom Guainia oder Rio Negro abgekommen. Der Temi ist nur 80--90 Toisen breit, und in jedem andern Lande als Guyana waere diess noch immer ein bedeutender Fluss. Das Land ist aeusserst einfoermig, nichts als Wald auf voellig ebenem Boden. Die schoene Pirijaopalme mit Fruechten wie Pfirsiche, und eine neue Art *Bache* oder Mauritia mit stachlichtem Stamm ragen hoch ueber den kleineren Baeumen, deren Wachsthum, wie es scheint, durch das lange Stehen unter Wasser niedergehalten wird. Diese _Mauritia aculeata_ heisst bei den Indianern _Juria_ oder _Cauvaja_. Sie hat faecherfoermige, gegen den Boden gesenkte Blaetter; auf jedem Blatte sieht man gegen die Mitte, wahrscheinlich in Folge einer Krankheit des Parenchyms, concentrische, abwechselnd gelbe und blaue Kreise; gegen die Mitte herrscht das Gelb vor. Diese Erscheinung fiel uns sehr auf. Diese wie ein Pfauenschweif gefaerbten Blaetter sitzen auf kurzen, sehr dicken Staemmen. Die Stacheln sind nicht lang und duenn, wie beim Corozo und andern stachligten Palmen; sie sind im Gegentheil stark holzigt, kurz, gegen die Basis breiter, wie die Stacheln der _Hura crepitans_. An den Ufern des Atabapo und Temi steht diese Palme in Gruppen von zwoelf bis fuenfzehn Staemmen, die sich so nah an einander draengen, als kaemen sie aus Einer Wurzel. Im Habitus, in der Form und der geringen Zahl der Blaetter gleichen diese Baeume den Faecherpalmen und Chamaerops der alten Welt. Wir bemerkten, dass einige Juriastaemme gar keine Fruechte trugen, waehrend andere davon ganz voll hingen; diess scheint auf eine Palme mit getrennten Geschlechtern zu deuten. Ueberall wo der Temi Schlingen bildet, steht der Wald ueber eine halbe Quadratmeile weit unter Wasser. Um die Kruemmungen zu vermeiden und schneller vorwaerts zu kommen, wird die Schifffahrt hier ganz seltsam betrieben. Die Indianer bogen aus dem Flussbett ab, und wir fuhren suedwaerts durch den Wald auf sogenannten _'Sendas'_, das heisst vier bis fuenf Fuss breiten, offenen Canaelen. Das Wasser ist selten ueber einen halben Faden tief. Diese *Sendas* bilden sich im ueberschwemmten Wald, wie auf trockenem Boden die Fusssteige. Die Indianer schlagen von einer Mission zur andern mit ihren Canoes wo moeglich immer denselben Weg ein; da aber der Verkehr gering ist, so stoesst man bei der ueppigen Vegetation zuweilen unerwartet auf Hindernisse. Desshalb stand ein Indianer mit einem Machette (ein grosses Messer mit vierzehn Zoll langer Klinge) vorne auf unserem Fahrzeug und hieb fortwaehrend die Zweige ab, die sich von beiden Seiten des Canals kreuzten. Im dicksten Walde vernahmen wir mit Ueberraschung einen sonderbaren Laerm. Wir schlugen an die Buesche, und da kam ein Schwarm vier Fuss langer *Toninas* (Suesswasserdelphine) zum Vorschein und umgab unser Fahrzeug. Die Thiere waren unter den Aesten eines Kaesebaums oder _Bombax Ceiba_ versteckt gewesen. Sie machten sich durch den Wald davon und warfen dabei die Strahlen Wasser und comprimirter Luft, nach denen sie in allen Sprachen Blasefische oder Spritzfische, _souffleurs_ u. s. w. heissen. Ein sonderbarer Anblick mitten im Lande, drei- und vierhundert Meilen von den Muendungen des Orinoco und des Amazonenstroms! Ich weiss wohl, dass Fische von der Familie Pleuronectes [_Limanda_] aus dem atlantischen Meer in der Loire bis Orleans heraufgehen; aber ich bin immer noch der Ansicht, dass die Delphine im Temi, wie die im Ganges und wie die Rochen im Orinoco, von den Seerochen und Seedelphinen ganz verschiedene Arten sind. In den ungeheuren Stroemen Suedamerikas und in den grossen Seen Nordamerikas scheint die Natur mehrere Typen von Seethieren zu wiederholen. Der Nil hat keine Delphine;(58) sie gehen aus dem Meer im Delta nicht ueber Biana und Metonbis, Selamoun zu, hinauf. Gegen fuenf Uhr Abends gingen wir nicht ohne Muehe in das eigentliche Flussbett zurueck. Unsere Pirogue blieb ein paar Minuten lang zwischen zwei Baumstaemmen stecken. Kaum war sie wieder losgemacht, kamen wir an eine Stelle, wo mehrere Wasserpfade oder kleine Canaele sich kreuzten, und der Steuermann wusste nicht gleich, welches der befahrenste Weg war. Wir haben oben gesehen, dass man in der Provinz Varinas im Canoe ueber die offenen Savanen von San Fernando am Apure bis an den Arauca faehrt; hier fuhren wir durch einen Wald, der so dicht ist, dass man sich weder nach der Sonne noch nach den Sternen orientiren kann. Heute fiel es uns wieder recht auf, dass es in diesem Landstrich keine baumartigen Farn mehr gibt. Sie nehmen vom sechsten Grad noerdlicher Breite an sichtbar ab, wogegen die Palmen dem Aequator zu ungeheuer zunehmen. Die eigentliche Heimath der baumartigen Farn ist ein nicht so heisses Klima, ein etwas bergigter Boden, Plateaus von 300 Toisen Hoehe. Nur wo Berge sind, gehen diese prachtvollen Gewaechse gegen die Niederungen herab; ganz ebenes Land, wie das, ueber welches der Cassiquiare, der Temi, der Inirida und der Rio Negro ziehen, scheinen sie zu meiden. Wir uebernachteten an einem Felsen, den die Missionaere Piedra de Astor nennen. Von der Muendung des Guaviare an ist der geologische Charakter des Bodens derselbe. Es ist eine weite aus Granit bestehende Ebene, auf der jede Meile einmal das Gestein zu Tage kommt und keine Huegel, sondern kleine senkrechte Massen bildet, die Pfeilern oder zerfallenen Gebaeuden gleichen. Am ersten Mai. Die Indianer wollten lange vor Sonnenaufgang aufbrechen. Wir waren vor ihnen auf den Beinen, weil ich vergeblich auf einen Stern wartete, der im Begriff war durch den Meridian zu gehen. Auf diesem nassen, dicht bewaldeten Landstrich wurden die Naechte immer finsterer, je naeher wir dem Rio Negro und dem innern Brasilien kamen. Wir blieben im Flussbett, bis der Tag anbrach; man haette besorgen muessen, sich unter den Baeumen zu verirren. Sobald die Sonne aufgegangen war, ging es wieder, um der starken Stroemung auszuweichen, durch den ueberschwemmten Wald. So kamen wir an den Zusammenfluss des Temi mit einem andern kleinen Fluss, dem Tuamini, dessen Wasser gleichfalls schwarz ist, und gingen den letzteren gegen Suedwest hinauf. Damit kamen wir auf die Mission Javita zu, die am Tuamini liegt. In dieser christlichen Niederlassung sollten wir die erforderlichen Mittel finden, um unsere Pirogue zu Land an den Rio Negro schaffen zu lassen. Wir kamen in *San Antonio de Javita* erst um elf Uhr Vormittags an. Ein an sich unbedeutender Vorfall, der aber zeigt, wie ungemein furchtsam die kleinen Sagoins sind, hatte uns an der Muendung des Tuamini eine Zeitlang aufgehalten. Der Laerm, den die Spritzfische machen, hatte unsere Affen erschreckt, und einer war ins Wasser gefallen. Da diese Affenart, vielleicht weil sie ungemein mager ist, sehr schlecht schwimmt, so kostete es Muehe, ihn zu retten. Zu unserer Freude trafen wir in Javita einen sehr geisteslebendigen, vernuenftigen und gefaelligen Moench. Wir mussten uns vier bis fuenf Tage in seinem Hause aufhalten, da so lange zum Transport unseres Fahrzeugs ueber den *Trageplatz* am Pimichin erforderlich war; wir benuetzten diese Zeit nicht allein, um uns in der Gegend umzusehen, sondern auch um uns von einem Uebel zu befreien, an dem wir seit zwei Tagen litten. Wir hatten sehr starkes Jucken in den Fingergelenken und auf dem Handruecken. Der Missionaer sagte uns, das seyen _aradores_ (Ackerer), die sich in die Haut gegraben. Mit der Loupe sahen wir nur Streifen, parallele weisslichte Furchen. Wegen der Form dieser Furchen heisst das Insekt der *Ackerer*. Man liess eine Mulattin kommen, die sich ruehmte, all die kleinen Thiere, welche sich in die Haut des Menschen graben, die *Nigua*, den *Nuche*, die *Coya* und den *Ackerer*, aus dem Fundament zu kennen; es war die _'Curandera'_, der Dorfarzt. Sie versprach uns die Insekten, die uns so schreckliches Jucken verursachten, eines um das andere herauszuholen. Sie erhitzte an der Lampe die Spitze eines kleinen Splitters sehr harten Holzes und bohrte damit in den Furchen, die auf der Haut sichtbar waren. Nach langem Suchen verkuendete sie mit dem pedantischen Ernst, der den Farbigen eigen ist, da sey bereits ein Arador. Ich sah einen kleinen runden Sack, der mir das Ei einer Milbe schien. Wenn die Mulattin einmal drei, vier solche Aradores heraus haette, sollte ich mich erleichtert fuehlen. Da ich an beiden Haenden die Haut voll Acariden hatte, ging mir die Geduld ueber der Operation aus, die bereits bis tief in die Nacht gedauert hatte. Am andern Tag heilte uns ein Indianer aus Javita radical und ueberraschend schnell. Er brachte uns einen Zweig von einem Strauch, genannt *Uzao*, mit kleinen, denen der Cassia aehnlichen, stark lederartigen, glaenzenden Blaettern. Er machte von der Rinde einen kalten Aufguss, der blaeulich aussah und wie Suessholz (_Glycyrrhiza_) schmeckte und geschlagen starken Schaum gab. Auf einfaches Waschen mit dem Uzaowasser hoerte das Jucken von den Aradores auf. Wir konnten vom Uzao weder Bluethe noch Frucht auftreiben. Der Strauch scheint der Familie der Schotengewaechse anzugehoeren, deren chemische Eigenschaften so auffallend ungleichartig sind. Der Schmerz, den wir auszustehen gehabt, hatte uns so aengstlich gemacht, dass wir bis San Carlos immer ein paar Uzaozweige im Canoe mitfuehrten; der Strauch waechst am Pimichin in Menge. Warum hat man kein Mittel gegen das Jucken entdeckt, das von den Stichen der Zancudos herruehrt, wie man eines gegen das Jucken hat, das die _Aradores_ oder mikroskopischen Acariden verursachen? Im Jahr 1755, vor der Grenzexpedition, gewoehnlich Solanos Expedition genannt, wurde dieser Landstrich zwischen den Missionen Javita und San Balthasar als zu Brasilien gehoerig betrachtet. Die Portugiesen waren vom Rio Negro ueber den Trageplatz beim Cano Pimichin bis an den Temi vorgedrungen. Ein indianischer Haeuptling, Javita, beruehmt wegen seines Muthes und seines Unternehmungsgeistes, war mit den Portugiesen verbuendet. Seine Streifzuege gingen vom Rio Jupura oder Caqueta, einem der grossen Nebenfluesse des Amazonenstromes ueber den Rio Uaupe und Xie, bis zu den schwarzen Gewaessern des Temi und Tuamini, ueber hundert Meilen weit. Er war mit einem Patent versehen, das ihn ermaechtigte, "Indianer aus dem Wald zu holen, zur Eroberung der Seelen." Er machte von dieser Befugniss reichlichen Gebrauch; aber er bezweckte mit seinen Einfaellen etwas, das nicht so ganz geistlich war, Sklaven (_poitos_) zu machen und sie an die Portugiesen zu verkaufen. Als Solano, der zweite Befehlshaber bei der Grenzexpedition, nach San Fernando de Atabapo kam, liess er Capitaen Javita aus einem seiner Streifzuege am Temi festnehmen. Er behandelte ihn freundlich und es gelang ihm, ihn durch Versprechungen, die nicht gehalten wurden, fuer die spanische Regierung zu gewinnen. Die Portugiesen, die bereits einige feste Niederlassungen im Lande gegruendet hatten, wurden bis an den untern Rio Negro zurueckgedraengt, und die Mission San Antonio, die gewoehnlich nach ihrem indianischen Gruender Javita heisst, weiter noerdlich von den Quellen des Tuamini, dahin verlegt, wo sie jetzt liegt. Der alte Capitaen Javita lebte noch, als wir an den Rio Negro gingen. Er ist ein Indianer von bedeutender Geistes- und Koerperkraft. Er spricht gelaeufig spanisch und hat einen gewissen Einfluss auf die benachbarten Voelker behalten. Er begleitete uns immer beim Botanisiren und ertheilte uns mancherlei Auskunft, die wir desto mehr schaetzten, da die Missionaere ihn fuer sehr zuverlaessig halten. Er versichert, er habe in seiner Jugend fast alle Indianerstaemme, welche auf dem grossen Landstrich zwischen dem obern Orinoco, dem Rio Negro, dem Irinida und Jupura wohnen, Menschenfleisch essen sehen. Er haelt die Daricavanas, Puchirinavis und Manitibitanos fuer die staerksten Anthropophagen. Er haelt diesen abscheulichen Brauch bei ihnen nur fuer ein Stueck systematischer Rachsucht: sie essen nur Feinde, die im Gefecht in ihre Haende gefallen. Die Beispiele, wo der Indianer in der Grausamkeit so weit geht, dass er seine Naechsten, sein Weib, eine ungetreue Geliebte verzehrt, sind, wie wir weiter unten sehen werden, sehr selten. Auch weiss man am Orinoco nichts von der seltsamen Sitte der scythischen und massagetischen Voelker, der Capanaguas am Rio Ucayale und der alten Bewohner der Antillen, welche dem Todten zu Ehren die Leiche zum Theil assen. Auf beiden Continenten kommt dieser Brauch nur bei Voelkern vor, welche das Fleisch eines Gefangenen verabscheuen. Der Indianer auf Haiti (St. Domingo) haette geglaubt dem Andenken eines Angehoerigen die Achtung zu versagen, wenn er nicht ein wenig von der gleich einer Guanchenmumie getrockneten und gepulverten Leiche in sein Getraenk geworfen haette. Da kann man wohl mit einem orientalischen Dichter sagen, "am seltsamsten in seinen Sitten, am ausschweifendsten in seinen Trieben sey von allen Thieren der Mensch." Das Klima in San Antonio de Javita ist ungemein regnerisch. Sobald man ueber den dritten Breitegrad hinunter dem Aequator zu kommt, findet man selten Gelegenheit Sonne und Gestirne zu beobachten. Es regnet fast das ganze Jahr und der Himmel ist bestaendig bedeckt. Da in diesem unermesslichen Urwald von Guyana der Ostwind nicht zu spueren ist und die Polarstroeme nicht hieher reichen, so wird die Luftsaeule, die auf dieser Waldregion liegt, nicht durch trockenere Schichten ersetzt. Der Wasserdunst, mit dem sie gesaettigt ist, verdichtet sich zu aequatorialen Regenguessen. Der Missionaer versicherte uns, er habe hier oft vier, fuenf Monate ohne Unterbrechung regnen sehen. Ich mass den Regen, der am ersten Mai innerhalb fuenf Stunden fiel: er stand 21 Linien hoch, und am dritten Mai bekam ich sogar 14 Linien in drei Stunden Und zwar, was wohl zu beachten, wurden diese Beobachtungen nicht bei starkem, sondern bei ganz gewoehnlichem Regen angestellt. Bekanntlich fallen in Paris in ganzen Monaten, selbst in den nassesten, Maerz, Juli und September, nur 28 bis 30 Linien Wasser. Allerdings kommen auch bei uns Regenguesse vor, bei denen in der Stunde ueber einen Zoll Wasser faellt, man darf aber nur den mittleren Zustand der Atmosphaere in der gemaessigten und in der heissen Zone vergleichen. Aus den Beobachtungen, die ich hinter einander im Hafen von Guayaquil an der Suedsee und in der Stadt Quito in 1492 Toisen Meereshoehe angestellt, scheint hervorzugehen, dass gewoehnlich auf dem Ruecken der Anden in der Stunde zwei- bis dreimal weniger Wasser faellt als im Niveau des Meeres. Es regnet im Gebirge oefter, dabei faellt aber in einer gegebenen Zeit weniger Wasser. Am Rio Negro in Maroa und San Carlos ist der Himmel bedeutend heiterer als in Javita und am Temi. Dieser Unterschied ruehrt nach meiner Ansicht daher, dass dort die Savanen am untern Rio Negro in der Naehe liegen, ueber die der Ostwind frei wehen kann, und die durch ihre Strahlung einen staerkeren aufsteigenden Luftstrom verursachen als bewaldetes Land. Es ist in Javita kuehler als in Maypures, aber bedeutend heisser als am Rio Negro. Der hunderttheilige Thermometer stand bei Tag auf 26--27 deg., bei Nacht auf 21 deg.; noerdlich von den Katarakten, besonders noerdlich von der Muendung des Meta, war die Temperatur bei Tag meist 28--30 deg., bei Nacht 25--26 deg.. Diese Abnahme der Waerme am Atabapo, Tuamini und Rio Negro ruehrt ohne Zweifel davon her, dass bei dem bestaendig bedeckten Himmel die Sonne so wenig scheint und die Verdunstung aus dem nassen Boden so stark ist. Ich spreche nicht vom erkaeltenden Einfluss der Waelder, wo die zahllosen Blaetter eben so viele duenne Flaechen sind, die sich durch Strahlung gegen den Himmel abkuehlen. Bei dem mit Wolken umzogenen Himmel kann dieses Moment nicht viel ausmachen. Auch scheint die Meereshoehe von Javita etwas dazu beizutragen, dass die Temperatur niedriger ist. Maypures liegt wahrscheinlich 60--70, San Fernando de Atabapo 122, Javita 166 Toisen ueber dem Meer. Da die kleine atmosphaerische Ebbe und Fluth an der Kueste (in Cumana) von einem Tag zum andern um 0,8 bis 2 Linien variirt, und ich das Unglueck hatte, das Instrument zu zerbrechen, ehe ich wieder an die See kam, so sind diese Resultate nicht ganz zuverlaessig. Als ich in Javita die stuendlichen Variationen des Luftdrucks beobachtete, bemerkte ich, dass eine kleine Luftblase die Quecksilbersaeule zum Theil sperrte(59) und durch ihre thermometrische Ausdehnung auf das Steigen und Fallen Einfluss aeusserte. Auf den elenden Fahrzeugen, in die wir eingezwaengt waren, liess sich der Barometer fast unmoeglich senkrecht oder doch stark aufwaerts geneigt halten. Ich benuetzte unsern Aufenthalt in Javita, um das Instrument auszubessern und zu berichtigen. Nachdem ich das Niveau gehoerig rertificirt, stand der Thermometer bei 23 deg.,4 Temperatur Morgens 11 1/2 Uhr 325,4 Linien hoch. Ich lege einiges Gewicht auf diese Beobachtung, da es fuer die Kenntniss der Bodenbildung eines Continents von groesserem Belang ist, die Meereshoehe der Ebenen zwei- bis dreihundert Meilen von der Kueste zu bestimmen, als die Gipfel der Cordilleren zu messen. Barometrische Beobachtungen in Sego am Niger, in Bornou oder auf den Hochebenen von Khoten und Hami waeren fuer die Geologie wichtiger als die Bestimmung der Hoehe der Gebirge in Abyssinien und im Musart. Die stuendlichen Variationen des Barometers treten in Javita zu denselben Stunden ein wie an den Kuesten und im Hof Antisana, wo mein Instrument in 2104 Toisen Meereshoehe hing. Sie betrugen von 9 Uhr Morgens bis 4 Uhr Abends 1,6 Linien, am vierten Mai sogar fast 2 Linien. Der Deluc'sche auf den Saussure'schen reducirte Hygrometer stand fortwaehrend im Schatten zwischen 84 und 92 deg., wobei nur die Beobachtungen gerechnet sind, die gemacht wurden, so lange es nicht regnete. Die Feuchtigkeit hatte somit seit den grossen Katarakten bedeutend zugenommen: sie war mitten in einem stark beschatteten, von Aequatorialregen ueberflutheten Lande fast so gross wie auf der See. Vom 29. April bis 4. Mai konnte ich keines Sterns im Meridian ansichtig werden, um die Laenge zu bestimmen. Ich blieb ganze Naechte wach, um die Methode der doppelten Hoehen anzuwenden; all mein Bemuehen war vergeblich. Die Nebel im noerdlichen Europa sind nicht anhaltender, als hier in Guyana in der Naehe des Aequators. Am 4. Mai kam die Sonne auf einige Minuten zum Vorschein. Ich fand mit dem Chronometer und mittelst Stundenwinkeln die Laenge von Javita gleich 70 deg. 22{~PRIME~} oder 1 deg. 1{~PRIME~} 5{~DOUBLE PRIME~} weiter nach West als die Laenge der Einmuendung des Apure in den Orinoco. Dieses Ergebniss ist von Bedeutung, weil wir damit aus unsern Karten die Lage des gaenzlich unbekannten Landes zwischen dem Xie und den Quellen des Issana angeben koennen, die auf demselben Meridian wie die Mission Javita liegen. Die Inclination der Magnetnadel war in der Mission 26 deg.,40; sie hatte demnach seit dem grossen noerdlichen Katarakt, bei einem Breitenunterschied von 3 deg. 50{~PRIME~}, um 5 deg. 85 abgenommen. Die Abnahme der Intensitaet der magnetischen Kraft war ebenso bedeutend. Die Kraft entsprach in Atures 223, in Javita nur 218 Schwingungen in 10 Zeitminuten. Die Indianer in Javita, 160 an der Zahl, sind gegenwaertig groesstentheils Poimisanos, Echinavis und Paraginis, und treiben Schiffbau. Man nimmt dazu Staemme einer grossen Lorbeerart, von den Missionaeren _'Sassafras'_(60) genannt, die man mit Feuer und Axt zugleich aushoehlt. Diese Baeume sind ueber hundert Fuss hoch; das Holz ist gelb, harzigt, verdirbt fast nie im Wasser und hat einen sehr angenehmen Geruch. Wir sahen es in San Fernando, in Javita, besonders aber in Esmeralda, wo die meisten Piroguen fuer den Orinoco gebaut werden, weil die benachbarten Waelder die dicksten Sassafrasstaemme liefern. Man bezahlt den Indianern fuer die halbe Toise oder *Vara* vom Boden der Pirogue, das heisst fuer den untern, hauptsaechlichen Theil (der aus einem ausgehoehlten Stamm besteht), einen harten Piaster, so dass ein 16 Varas langes Canoe, Holz und Arbeitslohn des Zimmerers, nur 16 Piaster kostet; aber mit den Naegeln und den Seitenwaenden, durch die man das Fahrzeug geraeumiger macht, kommt es doppelt so hoch. Auf dem obern Orinoco sah ich 40 Piaster oder 200 Franken fuer eine 48 Fuss lange Pirogue bezahlen. Im Walde zwischen Javita und dem Cano Pimichin waechst eine erstaunliche Menge riesenhafter Baumarten, Ocoteen und aechte Lorbeeren (die dritte Gruppe der Laurineen, die Persea, ist wild nur in mehr als 1000 Toisen Meereshoehe gefunden worden), die _Amasonia arborea_, das _Retiniphyllum secundiflorum_ der Curvana, der Jacio, der Jacifate, dessen Holz roth ist wie Brasilholz, der Guamufate mit schoenen, 7--8 Zoll langen, denen des Calophyllum aehnlichen Blaettern, die _Amyris Caranna_ und der Mani. Alle diese Baeume (mit Ausnahme unserer neuen Gattung _Retiniphyllum_) waren hundert bis hundert zehn Fuss hoch. Da die Aeste erst in der Naehe des Wipfels vom Stamme abgehen, so kostete es Muehe, sich Blaetter und Bluethen zu verschaffen. Letztere lagen haeufig unter den Baeumen am Boden; da aber in diesen Waeldern Arten verschiedener Familien durch einander wachsen und jeder Baum mit Schlingpflanzen bedeckt ist, so schien es bedenklich, sich allein auf die Aussage der Indianer zu verlassen, wenn diese uns versicherten, die Bluethen gehoeren diesem oder jenem Baum an. In der Fuelle der Naturschaetze machte uns das Botanisiren mehr Verdruss als Vergnuegen. Was wir uns aneignen konnten, schien uns von wenig Belang gegen das, was wir nicht zu erreichen vermochten. Es regnete seit mehreren Monaten unaufhoerlich und Bonpland gingen die Exemplare, die er mit kuenstlicher Waerme zu trocknen suchte, groesstentheils zu Grunde. Unsere Indianer kauten erst, wie sie gewoehnlich thun, das Holz, und nannten dann den Baum. Die Blaetter wussten sie besser zu unterscheiden als Bluethen und Fruechte. Da sie nur Bauholz (Staemme zu Piroguen) suchen, kuemmern sie sich wenig um den Bluethenstand. "Alle diese grossen Baeume tragen weder Bluethen noch Fruechte," so lautete fortwaehrend ihr Bescheid. Gleich den Kraeuterkennern im Alterthum ziehen sie in Abrede, was sie nicht der Muehe werth gesunden zu untersuchen. Wenn unsere Fragen sie langweilten, so machten sie ihrerseits uns aergerlich. Wir haben schon oben die Bemerkung gemacht, dass zuweilen dieselben chemischen Eigenschaften denselben Organen in verschiedenen Pflanzenfamilien zukommen, so dass diese Familien in verschiedenen Klimaten einander ersetzen. Die Einwohner des tropischen Amerika und Afrika gewinnen von mehreren Palmenarten das Oel, das uns der Olivenbaum gibt. Was die Nadelhoelzer fuer die gemaessigte Zone, das sind die Terebenthaceen und Guttiferen fuer die heisse. In diesen Waeldern des heissen Erdstrichs, wo es keine Fichte, keine Tuya, kein Taxodium, nicht einmal einen Podocarpus gibt, kommen Harze, Balsame, aromatisches Gummi von den Maronobea-, Icica-, Amyrisarten. Das Einsammeln dieser Gummi und Harze ist ein Erwerbszweig fuer das Dorf Javita. Das beruehmteste Harz heisst *Mani*; wir sahen mehrere Centner schwere Klumpen desselben, die Colophonium oder Mastix glichen. Der Baum, den die Paraginis-Indianer *Mani* nennen, und den Bonpland fuer die _Moronobea coccinea_ haelt, liefert nur einen sehr kleinen Theil der Masse, die in den Handel von Angostura kommt. Das meiste kommt vom *Mararo* oder *Caragna*, der eine Amyris ist. Es ist ziemlich auffallend, dass der Name *Mani*, den AUBLET aus dem Munde der Galibis-Indianer in Cayenne gehoert hat, uns in Javita, 300 Meilen von franzoesisch Guyana, wieder begegnete. Die Moronobea oder Symphonia bei Javita gibt ein gelbes Harz, der *Caragna* ein stark riechendes, schneeweisses Harz, das gelb wird, wo es innen an alter Rinde sitzt. Wir gingen jeden Tag in den Wald, um zu sehen, ob es mit dem Transport unseres Fahrzeugs zu Land vorwaerts ging. Drei und zwanzig Indianer waren angestellt, dasselbe zu schleppen, wobei sie nach einander Baumaeste als Walzen unterlegten. Ein kleines Canoe gelangt in einem oder anderthalb Tagen aus dem Tuamini in den Cano Pimichin, der in den Rio Negro faellt; aber unsere Pirogue war sehr gross, und da sie noch einmal durch die Katarakten musste, bedurfte es besonderer Vorsichtsmassregeln, um die Reibung am Boden zu vermindern. Der Transport waehrte auch ueber vier Tage. Erst seit dem Jahr 1795 ist ein Weg durch den Wald angelegt. Die Indianer in Javita haben denselben zur Haelfte vollendet, die andere Haelfte haben die Indianer in Maroa, Davipe und San Carlos herzustellen. Pater Eugenio Cereso mass den Weg mit einem hundert Varas [Eine Vara ist gleich 0,83 Meter] langen Strick und fand denselben 17,180 Varas lang. Legte man statt des "Trageplatzes" einen Canal an, wie ich dem Ministerium Koenig Karls IV. vorgeschlagen, so wuerde die Verbindung zwischen dem Rio Negro und Angostura, zwischen dem spanischen Orinoco und den portugiesischen Besitzungen am Amazonenstrom ungemein erleichtert. Die Fahrzeuge gingen dann von San Carlos nicht mehr ueber den Cassiquiare, der eine Menge Kruemmungen hat und wegen der starken Stroemung gerne gemieden wird; sie gingen nicht mehr den Orinoco von seiner Gabeltheilung bis San Fernando de Atabapo hinunter. Die Bergfahrt waere ueber den Rio Negro und den Cano Pimichin um die Haelfte kuerzer. Vom neuen Canal bei Javita an ginge es ueber den Tuamini, Temi, Atabapo und Orinoco abwaerts bis Angostura. Ich glaube, man koennte auf diese Weise von der brasilianischen Grenze in die Hauptstadt von Guyana leicht in 24--26 Tagen gelangen; man brauchte unter gewoehnlichen Umstaenden 10 Tage weniger und der Weg waere fuer die Ruderer (Bogas) weniger beschwerlich, weil man nur halb so lang gegen die Stroemung anfahren muss, als auf dem Cassiquiare. Faehrt man aber den Orinoco herauf, geht man von Angostura an den Rio Negro, so betraegt der Unterschied in der Zeit kaum ein paar Tage; denn ueber den Pimichin muss man dann die kleinen Fluesse hinauf, waehrend man auf dem alten Wege den Cassiquiare hinunter faehrt. Wie lange die Fahrt von der Muendung des Orinoco nach San Carlos dauert, haengt begreiflich von mehreren wechselnden Umstaenden ab, ob die Brise zwischen Angostura und Carichana staerker oder schwaecher weht, wie in den Katarakten von Atures und Maypures und in den Fluessen ueberhaupt der Wasserstand ist. Im November und December ist die Brise ziemlich kraeftig und die Stroemung des Orinoco nicht stark, aber die kleinen Fluesse haben dann so wenig Wasser, dass man jeden Augenblick Gefahr laeuft aufzufahren. Die Missionaere reisen am liebsten im April, zur Zeit der Schildkroeteneierernte, durch die an ein paar Uferstriche des Orinoco einiges Leben kommt. Man fuerchtet dann auch die Moskitos weniger, der Strom ist halb voll, die Brise kommt einem noch zu gute und man kommt leicht durch die grossen Katarakten. Aus den Barometerhoehen, die ich in Javita und beim Landungsplatz am Pimichin beobachtet, geht hervor, dass der Canal im Durchschnitt von Nord nach Sued einen Fall von 30--40 Toisen haette. Daher laufen auch die vielen Baeche, ueber die man die Piroguen schleppen muss, alle dem Pimichin zu. Wir bemerkten mit Ueberraschung, dass unter diesen Baechen mit schwarzem Wasser sich einige befanden, deren Wasser bei reflektirtem Licht so weiss war als das Orinocowasser. Woher mag dieser Unterschied ruehren? Alle diese Quellen entspringen auf denselben Savanen, aus denselben Suempfen im Walde. Pater Cereso hat bei seiner Messung nicht die gerade Linie eingehalten und ist zu weit nach Ost gekommen, der Canal wuerde daher nicht 6000 Toisen lang. Ich steckte den kuerzesten Weg mittelst des Compasses ab und man hieb hie und da in die aeltesten Waldbaeume Marken. Der Boden ist voellig eben; auf fuenf Meilen in der Runde findet sich nicht die kleinste Erhoehung. Wie die Verhaeltnisse jetzt sind, sollte man das "Tragen" wenigstens dadurch erleichtern, dass man den Weg besserte, die Piroguen auf Wagen fuehrte und Bruecken ueber die Baeche schluege, durch welche die Indianer oft Tage lang aufgehalten werden. In diesem Walde erhielten wir endlich auch genaue Auskunft ueber das vermeintliche fossile Cautschuc, das die Indianer *Dapicho* nennen. Der alte Kapitaen Javita fuehrte uns an einen Bach, der in den Tuamini faellt. Er zeigte uns, wie man, um diese Substanz zu bekommen, im sumpfigten Erdreich zwei, drei Fuss zwischen den Wurzeln zweier Baeume, des *Jacio* und des *Curvana* graben muss. Ersterer ist AUBLETs Hevea oder die Siphonia der neueren Botaniker, von der, wie man weiss, das Cautschuc kommt, das in Cayenne und Gran Para im Handel ist; der zweite hat gefiederte Blaetter; sein Saft ist milchigt, aber sehr duenn und fast gar nicht klebrigt. Das Dapicho scheint sich nun dadurch zu bilden, dass der Saft aus den Wurzeln austritt, und diess geschieht besonders, wenn die Baeume sehr alt sind und der Stamm hohl zu werden anfaengt. Rinde und Splint bekommen Risse, und so erfolgt auf natuerlichem Wege, was der Mensch kuenstlich thut, um den Milchsaft der Hevea, der Castilloa und der Cautschuc gehenden Feigenbaeume in Menge zu sammeln. Nach AUBLETs Bericht machen die Galibis und Garipons in Cayenne zuerst unten am Stamm einen tiefen Schnitt bis ins Holz; bald darauf machen sie senkrechte und schiefe Einschnitte, so dass diese von oben am Stamm bis nahe ueber der Wurzel in jenen horizontalen Einschnitt zusammenlaufen. Alle diese Rinnen leiten den Milchsaft der Stelle zu, wo das Thongefaess steht, in dem das Cautschuc aufgefangen wird. Die Indianer in Carichana sahen wir ungefaehr eben so verfahren. Wenn, wie ich vermuthe, die Anhaeufung und das Austreten der Milch beim *Jacio* und *Curvana* eine pathologische Erscheinung ist, so muss der Process zuweilen durch die Spitzen der laengsten Wurzeln vor sich gehen; denn wir fanden zwei Fuss breite und vier Zoll dicke Massen Dapicho acht Fuss vom Stamm entfernt. Oft sucht man unter abgestorbenen Baeumen vergebens, andere male findet man Dapicho unter noch gruenenden Hevea- oder Jaciostaemmen. Die Substanz ist weiss, korkartig, zerbrechlich und gleicht durch die aufeinander liegenden Blaetter und die gewellten Raender dem _Boletus igniarius_. Vielleicht ist zur Bildung des Dapicho lange Zeit erforderlich; der Hergang dabei ist wahrscheinlich der, dass in Folge eines eigenthuemlichen Zustandes des vegetabilischen Gewebes der Saft sich verdickt, austritt und im feuchten Boden ohne Zutritt von Licht gerinnt; es ist ein eigenthuemlich beschaffenes, ich moechte fast sagen "vergeiltes" Cautschuc. Aus der Feuchtigkeit des Bodens scheint sich das welligte Ansehen der Raender des Dapicho und seine Blaetterung zu erklaeren. Ich habe in Peru oft beobachtet, dass, wenn man den Milchsaft der Hevea oder den Saft der Carica langsam in vieles Wasser giesst, das Gerinsel wellenfoermige Umrisse zeigt. Das Dapicho kommt sicher nicht bloss in dem Walde zwischen Javita und dem Pimichin vor, obgleich es bis jetzt nur hier gefunden worden ist. Ich zweifle nicht, dass man in franzoesisch Guyana, wenn man unter den Wurzeln und alten Staemmen der Hevea nachsuchte, zuweilen gleichfalls solche ungeheure Klumpen von korkartigem Cautschuc faende, wie wir sie eben beschrieben. In Europa macht man die Beobachtung, dass, wenn die Blaetter fallen, der Saft sich gegen die Wurzeln zieht; es waere interessant zu untersuchen, ob etwa unter den Tropen die Milchsaefte der Urticeen, der Euphorbien, und der Apocyneen in gewissen Jahreszeiten gleichfalls abwaerts gehen. Trotz der grossen Gleichfoermigkeit der Temperatur durchlaufen die Baeume in der heissen Zone einen Vegetationscyclus, unterliegen Veraenderungen mit periodischer Wiederkehr. Das Dapicho ist wichtiger fuer die Pflanzenphysiologie als fuer die organische Chemie. Wir haben eine Abhandlung ALLENs ueber den Unterschied zwischen dem Cautschuc in seinem gewoehnlichen Zustande und der bei Javita gefundenen Substanz, von der ich Sir Joseph Banks gesendet hatte. Gegenwaertig kommt im Handel ein gelblich weisses Cautschuc vor, das man leicht vom Dapicho unterscheidet, da es weder trocken wie Kork, noch zerreiblich ist, sondern sehr elastisch, glaenzend und seifenartig. Ich sah kuerzlich in London ansehnliche Massen, die zwischen 6 und 15 Francs das Pfund im Preise standen. Dieses weisse, fett anzufuehlende Cautschuc kommt aus Ostindien. Es hat den thierischen, nauseosen Geruch, den ich weiter oben von einer Mischung von Kaesestoff und Eiweissstoff abgeleitet habe. Wenn man bedenkt, wie unendlich viele und mannigfaltige tropische Gewaechse Cautschuc geben, so muss man bedauern, dass dieser so nuetzliche Stoff bei uns nicht wohlfeiler ist. Man brauchte die Baeume mit Milchsaft gar nicht kuenstlich zu pflanzen; allein in den Missionen am Orinoco liesse sich so viel Cautschuc gewinnen, als das civilisirte Europa immer beduerfen mag. Im Koenigreich Neu-Grenada ist hie und da mit Glueck versucht worden, aus dieser Substanz Stiefeln und Schuhe ohne Nath zu machen. Unter den amerikanischen Voelkern verstehen sich die Omaguas am Amazonenstrom am besten auf die Verarbeitung des Cautschuc. Bereits waren vier Tage verflossen und unsere Pirogue hatte den Landungsplatz am Rio Pimichin immer noch nicht erreicht. "Es fehlt Ihnen an nichts in meiner Mission," sagte Pater Cereso; "Sie haben Bananen und Fische, bei Nacht werden Sie nicht von den Moskitos gestochen, und je laenger Sie bleiben, desto wahrscheinlicher ist es, dass Ihnen auch noch die Gestirne meines Landes zu Gesicht kommen. Zerbricht Ihr Fahrzeug beim "Tragen", so geben wir Ihnen ein anderes, und mir wird es so gut, dass ich ein paar Wochen _con gente blanca y de razon_ lebe."(61) Trotz unserer Ungeduld, hoerten wir die Schilderungen des guten Missionaers mit grossem Interesse an. Er bestaetigte Alles, was wir bereits ueber die sittlichen Zustaende der Eingeborenen dieser Landstriche vernommen hatten. Sie leben in einzelnen Horden von 40 bis 50 Koepfen unter einem Familienhaupte; einen gemeinsamen Haeuptling (_apoto_, _sibierene_) erkennen sie nur an, sobald sie mit ihren Nachbarn in Fehde gerathen. Das gegenseitige Misstrauen ist bei diesen Horden um so staerker, da selbst die, welche einander zunaechst hausen, gaenzlich verschiedene Sprachen sprechen. Auf offenen Ebenen oder in Laendern mit Grasfluren halten sich die Voelkerschaften gerne nach der Stammverwandtschaft, nach der Aehnlichkeit der Gebraeuche und Mundarten zusammen. Auf dem tartarischen Hochland wie in Nordamerika sah man grosse Voelkerfamilien in mehreren Marschcolonnen ueber schwach bewaldete, leicht zugaengliche Laender fortziehen. Der Art waren die Zuege der toltekischen und aztekischen Race ueber die Hochebenen von Mexiko vom sechsten bis zum eilften Jahrhundert unserer Zeitrechnung; der Art war vermuthlich auch die Voelkerstroemung, in der sich die kleinen Staemme in Canada, die Mengwe (Irokesen) oder fuenf Nationen, die Algonkins oder Lenni-Lenapes, die Chikesaws und die Muskohgees vereinigten. Da aber der unermessliche Landstrich zwischen dem Aequator und dem achten Breitengrad nur Ein Wald ist, so zerstreuten sich darin die Horden, indem sie den Flussverzweigungen nachzogen, und die Beschaffenheit des Bodens noethigte sie mehr oder weniger Ackerbauer zu werden. So wirr ist das Labyrinth der Fluesse, dass die Familien sich niederliessen, ohne zu wissen, welche Menschenart zunaechst neben ihnen wohnte. In spanisch Guyana trennt zuweilen ein Berg, ein eine halbe Meile breiter Forst Horden, die zwei Tage zu Wasser fahren muessten, um zusammenzukommen. So wirken denn in offenen oder in der Cultur schon vorgeschrittenen Laendern Flussverbindungen maechtig auf Verschmelzung der Sprachen, der Sitten und der politischen Einrichtungen; dagegen in den undurchdringlichen Waeldern des heissen Landstrichs, wie im rohen Urzustand unseres Geschlechts, zerschlagen sie grosse Voelker in Bruchstuecke, lassen sie Dialekte zu Sprachen werden, die wie grundverschieden aussehen, naehren sie das Misstrauen und den Hass unter den Voelkern. Zwischen dem Caura und dem Padamo traegt Alles den Stempel der Zwietracht und der Schwaeche. Die Menschen fliehen einander, weil sie einander nicht verstehen; sie hassen sich, weil sie einander fuerchten. Betrachtet man dieses wilde Gebiet Amerikas mit Aufmerksamkeit, so glaubt man sich in die Urzeit versetzt, wo die Erde sich allmaehlig bevoelkerte; man meint die fruehesten gesellschaftlichen Bildungen vor seinen Augen entstehen zu sehen. In der alten Welt sehen wir, wie das Hirtenleben die Jaegervoelker zum Leben des Ackerbauers erzieht. In der neuen sehen wir uns vergeblich nach dieser allmaehligen Culturentwicklung um, nach diesen Ruhe- und Haltpunkten im Leben der Voelker. Der ueppige Pflanzenwuchs ist den Indianern bei ihren Jagden hinderlich; da die Stroeme Meeresarmen gleichen, so hoert des tiefen Wassers wegen der Fischfang Monate lang auf. Die Arten von Wiederkaeuern, die der kostbarste Besitz der Voelker der alten Welt sind, fehlen in der neuen; der Bison und der Moschusochse sind niemals Hausthiere geworden. Die Vermehrung der Llamas und Guanacos fuehrte nicht zu den Sitten des Hirtenlebens. In der gemaessigten Zone, an den Ufern des Missouri wie auf dem Hochland von Neu-Mexico, ist der Amerikaner ein Jaeger; in der heissen Zone dagegen, in den Waeldern von Guyana pflanzt er Manioc, Bananen, zuweilen Mais. Die Natur ist so ueberschwenglich freigebig, dass die Ackerflur des Eingeborenen ein Fleckchen Boden ist, dass das Urbarmachen darin besteht, dass man die Straeucher wegbrennt, das Ackern darin, dass man ein paar Samen oder Steckreiser dem Boden anvertraut. So weit man sich in Gedanken in der Zeit zurueckversetzt, nie kann man in diesen dicken Waeldern die Voelker anders denken als so, dass ihnen der Boden vorzugsweise die Nahrung lieferte; da aber dieser Boden auf der kleinsten Flaeche fast ohne Arbeit so reichlich traegt, so hat man sich wiederum vorzustellen, dass diese Voelker immer einem und demselben Gewaesser entlang haeufig ihre Wohnplaetze wechselten: Und der Eingeborene am Orinoco wandert ja mit seinem Saatkorn noch heute, und legt wandernd seine Pflanzung (_conuco_) an, wie der Araber sein Zelt aufschlaegt rund die Weide wechselt. Die Menge von Culturgewaechsen, die man mitten im Walde wild findet, weisen deutlich auf ein ackerbauendes Volk mit nomadischer Lebensweise hin. Kann man sich wundern, dass bei solchen Sitten vom Segen der festen Niederlassung, des Getreidebaus, der weite Flaechen und viel mehr Arbeit erfordert, so gut wie nichts uebrig bleibt? Die Voelker am obern Orinoco, am Atabapo und Inirida verehren, gleich den alten Germanen und Persern, keine andern Gottheiten als die Naturkraefte. Das gute Princip nennen sie *Cachimana*; das ist der Manitu, der grosse Geist, der die Jahreszeiten regiert und die Fruechte reifen laesst. Neben dem Cachimana steht ein boeses Princip, der *Jolokiamo*, der nicht so maechtig ist, aber schlauer und besonders ruehriger. Die Indianer aus den Waeldern, wenn sie zuweilen in die Missionen kommen, koennen sich von einem Tempel oder einem Bilde sehr schwer einen Begriff machen. "Die guten Leute," sagte der Missionaer, "lieben Processionen nur im Freien. Juengst beim Fest meines Dorfpatrons, des heiligen Antonius, wohnten die Indianer von Inirida der Messe bei. Da sagten sie zu mir: "Euer Gott schliesst sich in ein Haus ein, als waere er alt und krank; der unsrige ist im Wald, auf dem Feld, auf den Sipapubergen, woher der Regen kommt." Bei zahlreicheren und eben desshalb weniger barbarischen Voelkerschaften bilden sich seltsame religioese Vereine. Ein paar alte Indianer wollen in die goettlichen Dinge tiefer eingeweiht seyn als die andern, und diese haben das beruehmte *Botuto* in Verwahrung, von dem oben die Rede war, und das unter den Palmen geblasen wird, damit sie reichlich Fruechte tragen. An den Ufern des Orinoco gibt es kein Goetzenbild, wie bei allen Voelkern, die beim urspruenglichen Naturgottesdienst stehen geblieben sind; aber der *Botuto*, die heilige Trompete, ist zum Gegenstand der Verehrung geworden. Um in die Mysterien des Botuto eingeweiht zu werden, muss man rein von Sitten und unbeweibt seyn. Die Eingeweihten unterziehen sich der Geisselung, dem Fasten und andern angreifenden Andachtsuebungen. Dieser heiligen Trompeten sind nur ganz wenige und die altberuehmteste befindet sich auf einem Huegel beim Zusammenfluss des Tomo mit dem Rio Negro. Sie soll zugleich am Tuamini und in der Mission San Miguel de Davipe, zehn Meilen weit, gehoert werden. Nach Pater Ceresos Bericht sprechen die Indianer von diesem Botuto am Rio Tomo so, als waere derselbe fuer mehrere Voelkerschaften in der Naehe ein Gegenstand der Verehrung. Man stellt Fruechte und berauschende Getraenke neben die heilige Trompete. Bald blaest der Grosse Geist (Cachimana) selbst die Trompete, bald laesst er nur seinen Willen durch den kund thun, der das heilige Werkzeug in Verwahrung hat. Da diese Gaukeleien sehr alt sind (von den Vaetern unserer Vaeter her, sagen die Indianer), so ist es nicht zu verwundern, dass es bereits Menschen gibt, die nicht mehr daran glauben; aber diese Unglaeubigen aeussern nur ganz leise, was sie von den Mysterien des Botuto halten. Die Weiber duerfen das wunderbare Instrument gar nicht sehen; sie sind ueberhaupt von jedem Gottesdienste ausgeschlossen. Hat eine das Unglueck, die Trompete zu erblicken, so wird sie ohne Gnade umgebracht. Der Missionaer erzaehlte uns, im Jahr 1798 habe er das Glueck gehabt, ein junges Maedchen zu retten, der ein eifersuechtiger, rachsuechtiger Liebhaber Schuld gegeben, sie sey aus Vorwitz den Indianern nachgeschlichen, die in den Pflanzungen den Botuto bliesen. "Oeffentlich haette man sie nicht umgebracht," sagte Pater Cereso, "aber wie sollte man sie vor dem Fanatismus der Eingebornen schuetzen, da es hier zu Lande so leicht ist, einem Gift beizubringen? Das Maedchen aeusserte solche Besorgniss gegen mich und ich schickte sie in eine Mission am untern Orinoco." Waeren die Voelker in Guyana Herren dieses grossen Landes geblieben, koennten sie, ungehindert von den christlichen Niederlassungen, ihre barbarischen Gebraeuche frei entwickeln, " so erhielte der Botutodienst ohne Zweifel eine politische Bedeutung. Dieser geheimnissvolle Verein von Eingeweihten, diese Hueter der heiligen Trompete wuerden zu einer maechtigen Priesterkaste und das Orakel am Rio Tomo schlaenge nach und nach ein Band um benachbarte Voelker. Auf diese Weise sind durch gemeinsame Gottesverehrung (_communia sacra_), durch religioese Gebraeuche und Mysterien so viele Voelker der alten Welt einander naeher gebracht, mit einander versoehnt und vielleicht der Gesittung zugefuehrt worden. Am vierten Mai Abends meldete man uns, ein Indianer, der beim Schleppen unserer Pirogue an den Pimichin beschaeftigt war, sey von einer Natter gebissen worden. Der grosse starke Mann wurde in sehr bedenklichem Zustand in die Mission gebracht. Er war bewusstlos ruecklings zu Boden gestuerzt, und auf die Ohnmacht waren Uebligkeit, Schwindel, Congestionen gegen den Kopf gefolgt. Die Liane *Vejuco de Guaco*, die durch MUTIS so beruehmt geworden, und die das sicherste Mittel gegen den Biss giftiger Schlangen ist, war hier zu Lande noch nicht bekannt. Viele Indianer liefen zur Huette des Kranken und man heilte ihn mit dem Aufguss von *Raiz de Mato*. Wir koennen nicht mit Bestimmtheit angeben, von welcher Pflanze dieses Gegengift kommt. Der reisende Botaniker hat nur zu oft den Verdruss, dass er von den nutzbarsten Gewaechsen weder Bluethe noch Frucht zu Gesicht bekommt, waehrend er so viele Arten, die sich durch keine besondern Eigenschaften rauszeichnen, taeglich mit allen Fructificationsorganen vor Augen hat. Die *Raiz de Mato* ist vermuthlich eine Apocynee, vielleicht die _Cerbera thevetia_ welche die Einwohner von Cumana _Lengua de Mato_ oder _Contra-Culebra_ nennen und gleichfalls gegen Schlangenbiss brauchen. Eine der Cerbera sehr nahe stehende Gattung (_Ophioxylon serpentinum_) leistet in Indien denselben Dienst. Ziemlich haeufig findet man in derselben Pflanzenfamilie vegetabilische Gifte und Gegengifte gegen den Biss der Reptilien. Da viele tonische und narkotische Mittel mehr oder minder wirksame Gegengifte sind, so kommen diese in weit auseinanderstehenden Familien vor, bei den Aristolochien, Apocyneen, Gentianen, Polygalen, Solaneen, Malvaceen, Drymyrhizeen, bei den Pflanzen mit zusammengesetzten Bluethen, und was noch auffallender ist, sogar bei den Palmen. In der Huette des Indianers, der von einer Natter gebissen worden, fanden wir 2--3 Zoll grosse Kugeln eines erdigten, unreinen Salzes, _'Chivi'_ genannt, das von den Eingeborenen sehr sorgfaeltig zubereitet wird. In Maypures verbrennt man eine Conferve, die der Orinoco, wenn er nach dem Hochgewaesser in sein Bett zurueckkehrt, auf dem Gestein sitzen laesst. In Javita bereitet man Salz durch Einaescherung des Bluethenkolbens und der Fruechte der *Seje* oder *Chimupalme*. Diese schoene Palme, die am Ufer des Auvena beim Katarakt Guarinuma und zwischen Javita und dem Pimichin sehr haeufig vorkommt, scheint eine neue Art Cocospalme zu seyn. Bekanntlich ist das in der gemeinen Cocosnuss eingeschlossene Wasser haeufig salzigt, selbst wenn der Baum weit von der Meereskueste waechst. Auf Madagascar gewinnt man Salz aus dem Saft einer Palme Namens *Cira*. Ausser den Bluethenkolben und den Fruechten der Sejepalme laugen die Indianer in Javita auch die Asche des vielberufenen Schlinggewaechses *Cupana* aus. Es ist diess eine neue Art der Gattung Paullinia, also eine von LINNEs Cupania sehr verschiedene Pflanze. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass ein Missionaer selten auf die Reise geht, ohne den zubereiteten Samen der Liane Cupana mitzunehmen. Diese Zubereitung erfordert grosse Sorgfalt. Die Indianer zerreiben den Samen, mischen ihn mit Maniocmehl, wickeln die Masse in Bananenblaetter und lassen sie im Wasser gaehren, bis sie safrangelb wird. Dieser gelbe Teig wird an der Sonne getrocknet, und mit Wasser angegossen geniesst man ihn Morgens statt Thee. Das Getraenk ist bitter und magenstaerkend, ich fand aber den Geschmack sehr widrig. Am Niger und in einem grossen Theile des innern Afrika, wo das Salz sehr selten ist, heisst es von einem reichen Mann: "Es geht ihm so gut, dass er Salz zu seinen Speisen isst." Dieses Wohlergehen ist auch im Innern Guyanas nicht allzu haeufig. Nur die Weissen, besonders die Soldaten im Fort San Carlos, wissen sich reines Salz zu verschaffen, entweder von der Kueste von Caracas oder von Chita, am Ostabhang der Cordilleren von Neu-Grenada, aus dem Rio Meta. Hier, wie in ganz Amerika, essen die Indianer wenig Fleisch und verbrauchen fast kein Salz. Daher traegt auch die Salzsteuer aller Orten, wo die Zahl der Eingeborenen bedeutend vorschlaegt, wie in Mexico und Guatimala, der Staatskasse wenig ein. Der *Chivi* in Javita ist ein Gemenge von salzsaurem Kali und salzsaurem Natron, Aetzkalk und verschiedenen erdigten Salzen. Man loest ein ganz klein wenig davon in Wasser auf, fuellt mit der Aufloesung ein duetenfoermig aufgewickeltes Heliconienblatt und laesst wie aus der Spitze eines Filtrums ein paar Tropfen auf die Speisen fallen. Am 5. Mai machten wir uns zu Fuss aus den Weg, um unsere Pirogue einzuholen, die endlich ueber den Trageplatz im Cano Pimichin angelangt war. Wir mussten ueber eine Menge Baeche waten, und es ist dabei wegen der Nattern, von denen die Suempfe wimmeln, einige Vorsicht noethig. Die Indianer zeigten uns auf dem nassen Thon die Faehrte der kleinen schwarzen Baeren, die am Temi so haeufig vorkommen. Sie unterscheiden sich wenigstens in der Groesse vom _Ursus americanus_; die Missionaere nennen sie _Osso carnicero_ zum Unterschied vom _Osso palmero_ (_Myrmecophaga jubata_) und dem _Osso hormigero_ oder Tamandua-Ameisenfresser. Diese Thiere sind nicht uebel zu essen; die beiden erstgenannten setzen sich zur Wehr und stellen sich dabei auf die Hinterbeine. BUFFONs Tamanoir heisst bei den Indianern *Uaraca*; er ist reizbar und beherzt, was bei einem zahnlosen Thier ziemlich auffallend erscheint. Im Weitergehen kamen wir auf einige Lichtungen im Wald, der uns desto reicher erschien, je zugaenglicher er wurde. Wir fanden neue Arten von Coffea (die amerikanische Gruppe mit Bluethen in Rispen bildet wahrscheinlich eine Gattung fuer sich), die _Galega piscatorum_, deren, sowie der Jacquinia und einer Pflanze mit zusammengesetzter Bluethe vom Rio Temi [_Bailliera Barbasco_], die Indianer sich als *Barbasco* bedienen, um die Fische zu betaeuben, endlich die hier *Vejuco de Mavacure* genannte Liane, von der das vielberufene Gift *Curare* kommt. Es ist weder ein _Phyllanthus_, noch eine _Coriaria_ wie WILLDENOW gemeint, sondern nach KUNTHs Untersuchungen sehr wahrscheinlich ein _Strychnos_. Wir werden unten Gelegenheit haben, von dieser giftigen Substanz zu sprechen, die bei den Wilden ein wichtiger Handelsartikel ist. Wenn ein Reisender, der sich gleich uns durch die Gastfreundschaft der Missionaere gefoerdert saehe, ein Jahr am Atabapo, Tuamini und Rio Negro, und ein weiteres Iahr in den Bergen bei Esmeralda und am obern Orinoco zubraechte, koennte er gewiss die Zahl der von AUBLET und RICHARD beschriebenen Gattungen verdreifachen. Auch im Walde am Pimichin haben die Baeume die riesige Hoehe von 80--120 Fuss. Es sind diess die Laurineen und Amyris, die in diesen heissen Himmelsstrichen das schoene Bauholz liefern, das man an der Nordwestkueste von Amerika, in den Bergen, wo im Winter der Thermometer auf 20 Grad unter Null faellt, in der Familie der Nadelhoelzer findet. In Amerika ist unter allen Himmelsstrichen und in allen Pflanzenfamilien die Vegetationskraft so ausnehmend stark, dass unter dem 57 Grad noerdlicher Breite, auf derselben Isotherme wie Petersburg und die Orkneyinseln, _Pinus canadensis_ 150 Fuss hohe und 6 Fuss dicke Staemme hat.(62) Wir kamen gegen Nacht in einem kleinen Hofe an, dem *Puerto* oder Landungsplatz am Pimichin. Man zeigte uns ein Kreuz am Wege, das die Stelle bezeichnet, "wo ein armer Missionaer, ein Kapuziner, von den Wespen umgebracht worden." Ich spreche diess dem Moench in Javita und den Indianern nach. Man spricht hier zu Lande viel von giftigen Wespen und Ameisen; wir konnten aber keines von diesen beiden Insekten auftreiben. Bekanntlich verursachen im heissen Erdstrich unbedeutende Stiche nicht selten Fieberanfaelle fast so heftig wie die, welche bei uns bei sehr bedeutenden organischen Verletzungen eintreten. Der Tod des armen Moenchs wird wohl eher eine Folge der Erschoepfung und der Feuchtigkeit gewesen seyn, als des Giftes im Stachel der Wespen, vor deren Stich die nackten Indianer grosse Furcht haben. Diese Wespen bei Javita sind nicht mit den Honigbienen zu verwechseln, welche die Spanier *Engelchen* nennen [S. Bd. II Seite 192] und die sich auf dem Gipfel der Silla bei Caracas uns haufenweise auf Gesicht und Haende setzten. Der Landungsplatz am Pimichin liegt in einer kleinen Pflanzung von Cacaobaeumen. Die Baeume sind sehr kraeftig und hier wie am Altabapo und Rio Negro in allen Jahreszeiten mit Bluethen und Fruechten bedeckt. Sie fangen im vierten Jahr an zu tragen, auf der Kueste von Caracas erst im sechsten bis achten. Der Boden ist am Tuamini und Pimichin ueberall, wo er nicht sumpfigt ist, leichter Sandboden, aber ungemein fruchtbar. Bedenkt man, dass der Cacaobaum in diesen Waeldern der Parime, suedlich vom sechsten Breitengrad, eigentlich zu Hause ist, und dass das nasse Klima am obern Orinoco diesem kostbaren Baume weit besser zusagt als die Luft in den Provinzen Caracas und Barcelona, die von Jahr zu Jahr trockener wird, so muss man bedauern, dass dieses schoene Stueck Erde in den Haenden von Moenchen ist, von denen keinerlei Cultur befoerdert wird. Die Missionen der Observanten allein koennten 50,000 Fanegas(63) Cacao in den Handel bringen, dessen Werth sich in Europa auf mehr als sechs Millionen Franken beliefe. Um die Conugos am Pimichin waechst wild der *Igua*, ein Baum, aehnlich dem _Caryocar nuciferum_ den man in hollaendisch und franzoesisch Guyana baut, und von dem neben dem Almendron von Mariquita (_Caryocar amygdaliferum_), dem Juvia von Esmeralda (_Bertholletia excelsa_) und der _Geoffraea_ vom Amazonenstrom die gesuchtesten Mandeln in Suedamerika kommen. Die Fruechte des Igua kommen hier gar nicht in den Handel; dagegen sah ich an den Kuesten von Terra Firma Fahrzeuge, die aus Demerary die Fruechte des _Caryocar tomentosum_, AUBLETs _Pecea tuberculosa_, einfuehrten. Diese Baeume werden hundert Fuss hoch und nehmen sich mit ihrer schoenen Blumenkrone und ihren vielen Staubfaeden prachtvoll aus. Ich muesste den Leser ermueden, wollte ich die Wunder der Pflanzenwelt, welche diese grossen Waelder auszuweisen haben, noch weiter herzaehlen. Ihre erstaunliche Mannigfaltigkeit ruehrt daher, dass hier auf kleiner Bodenflaeche so viele Pflanzenfamilien neben einander vorkommen, und dass bei dem maechtigen Reiz von Licht und Waerme die Saefte, die in diesen riesenhaften Gewaechsen circuliren, so vollkommen ausgearbeitet werden. Wir uebernachteten in einer Huette, welche erst seit kurzem verlassen stand. Eine indianische Familie hatte darin Fischergeraethe zurueckgelassen, irdenes Geschirr, aus Palmblattstielen geflochtene Matten, den ganzen Hausrath dieser sorglosen, um Eigenthum wenig bekuemmerten Menschenart. Grosse Vorraethe von *Mani* (eine Mischung vom Harz der _Moronobea_ und der _Amyris_ Carana) lagen um die Huette. Die Indianer bedienen sich desselben hier wie in Cayenne zum Theeren der Piroguen und zum Befestigen des knoechernen Stachels der Rochen an die Pfeile. Wir fanden ferner Naepfe voll vegetabilischer Milch, die zum Firnissen dient und in den Missionen als _leche para pindar_ viel genannt wird. Man bestreicht mit diesem klebrichten Saft das Geraethe, dem man eine schoene weisse Farbe geben will. An der Luft verdickt er sich, ohne gelb zu werden, und nimmt einen bedeutenden Glanz an. Wie oben bemerkt worden [S. Bd. II. Seite 337], ist das Cautschuc der fette Theil, die Butter in jeder Pflanzenmilch. Dieses Gerinsel nun, diese weisse Haut, die glaenzt, als waere sie mit Copalfirniss ueberzogen, ist ohne Zweifel eine eigene Form des Cautschuc. Koennte man diesem milchigten Firniss verschiedene Farben geben, so haette man damit, sollte ich meinen, ein Mittel, um unsere Kutschenkasten rasch, in Einer Handlung zu bemalen und zu firnissen. Je genauer man die chemischen Verhaeltnisse der Gewaechse der heissen Zone kennen lernt, desto mehr wird man hie und da an abgelegenen, aber dem europaeischen Handel zugaenglichen Orten in den Organen gewisser Gewaechse halbfertige Stoffe entdecken, die nach der bisherigen Ansicht nur dem Thierreich angehoeren, oder die wir auf kuenstlichem, zwar sicherem, oft aber langem und muehsamem Wege hervorbringen. So hat man bereits das Wachs gefunden, das den Palmbaum der Anden von Quindiu ueberzieht, die Seide der Mocoapalme, die nahrhafte Milch des Palo de Vaca, den afrikanischen Butterbaum, den kaeseartigen Stoff im fast animalischen Safte der _Carica Papaya_. Dergleichen Entdeckungen werden sich haeufen, wenn, wie nach den gegenwaertigen politischen Verhaeltnissen in der Welt wahrscheinlich ist, die europaeische Cultur grossentheils in die Aequinoctiallaender des neuen Continents ueberfliesst. Wie ich oben erwaehnt, ist die sumpfigte Ebene zwischen Javita und dem Landungsplatz am Pimichin wegen ihrer vielen Nattern im Lande beruechtigt. Bevor wir von der verlassenen Huette Besitz nahmen, schlugen die Indianer zwei grosse, 4--5 Fuss lange *Mapanare*-Schlangen todt. Sie schienen mir von derselben Art wie die vom Rio Magdalena, die ich beschrieben habe. Es ist ein schoenes, aber sehr giftiges Thier, am Bauch weiss, auf dem Ruecken braun und roth gefleckt. Da in der Huette eine Menge Kraut lag und wir am Boden schliefen (die Haengematten liessen sich nicht befestigen), so war man in der Nacht nicht ohne Besorgniss; auch fand man Morgens, als man das Jaguarfell aushob, unter dem einer unserer Diener am Boden gelegen, eine grosse Natter. Wie die Indianer sagen, sind diese Reptilien langsam in ihren Bewegungen, wenn sie nicht verfolgt werden, und machen sich an den Menschen, weil sie der Waerme nachgehen. Am Magdalenenstrom kam wirklich eine Schlange zu einem unserer Reisebegleiter ins Bett und brachte einen Theil der Nacht darin zu, ohne ihm etwas zu Leide zu thun. Ich will hier keineswegs Nattern und Klapperschlangen das Wort reden, aber das laesst sich behaupten, waeren diese giftigen Thiere so angriffslustig, als man glaubt, so haette in manchen Strichen Amerikas, z. B. am Orinoco und in den feuchten Bergen von Choco, der Mensch ihrer Unzahl erliegen muessen. Am 6. Mai. Wir schifften uns bei Sonnenaufgang ein, nachdem wir den Boden unserer Pirogue genau untersucht hatten. Er war beim "Tragen" wohl duenner geworden, aber nicht gesprungen. Wir dachten, das Fahrzeug koenne die dreihundert Meilen, die wir den Rio Negro hinab, den Cassiquiare hinauf und den Orinoco wieder hinab bis Angostura noch zu machen hatten, wohl aushalten. Der Pimichin, der hier ein Bach (Cano) heisst, ist so breit wie die Seine, der Galerie der Tuilerien gegenueber, aber kleine, gerne im Wasser wachsende Baeume, Corossols (Anona) und Achras, engen sein Bett so ein, dass nur ein 15--20 Toisen breites Fahrwasser offen bleibt. Er gehoert mit dem Rio Chagre zu den Gewaessern, die in Amerika wegen ihrer Kruemmungen beruechtigt sind. Man zaehlt deren 85, wodurch die Fahrt bedeutend verlaengert wird. Sie bilden oft rechte Winkel und liegen auf einer Strecke von 2--3 Meilen hinter einander. Um den Laengenunterschied zwischen dem Ladungsplatz und dem Punkt, wo wir in den Rio Negro einliefen, zu bestimmen, nahm ich mit dem Compass den Lauf des Cano Pimichin auf und bemerkte, wie lange wir in derselben Richtung fuhren. Die Stroemung war nur 2,4 Fuss in der Sekunde, aber unsere Pirogue legte beim Rudern 4,6 Fuss zurueck. Meiner Schaetzung nach liegt der Landungsplatz am Pimichin 1100 Toisen westwaerts von seiner Muendung und 0 deg. 2{~PRIME~} westwaerts von der Mission Javita. Der Cano ist das ganze Jahr schiffbar; er hat nur einen einzigen *Raudal*, ueber den ziemlich schwer heraufzukommen ist; seine Ufer sind niedrig, aber felsigt. Nachdem wir fuenftehalb Stunden lang den Kruemmungen des schmalen Fahrwassers gefolgt waren, liefen wir endlich in den Rio Negro ein. Der Morgen war kuehl und schoen. Sechs und dreissig Tage waren wir in einem schmalen Canoe eingesperrt gewesen, das so unstet war, dass es umgeschlagen haette, waere man unvorsichtig aufgestanden, ohne den Ruderern am andern Bord zuzurufen, sich ueberzulehnen und das Gleichgewicht herzustellen. Wir hatten vom Insektenstich furchtbar gelitten, aber das ungesunde Klima hatte uns nichts angehabt; wir waren, ohne umzuschlagen, ueber eine ganze Menge Wasserfaelle und Flussdaemme gekommen, welche die Stromfahrt sehr beschwerlich und oft gefaehrlicher machen als lange Seereisen. Nach allem, was wir bis jetzt durchgemacht, wird es mir hoffentlich gestattet seyn auszusprechen, wie herzlich froh wir waren, dass wir die Nebenfluesse des Amazonenstroms erreicht, dass wir die Landenge zwischen zwei grossen Flusssystemen hinter uns hatten und nunmehr mit Zuversicht der Erreichung des Hauptzwecks unserer Reise entgegensehen konnten, der astronomischen Aufnahme jenes Arms des Orinoco, der sich in den Rio Negro ergiesst, und dessen Existenz seit einem halben Jahrhundert bald bewiesen, bald wieder in Abrede gezogen worden. Ein Gegenstand, den man lange vor dem innern Auge gehabt, waechst uns an Bedeutung, je naeher wir ihm kommen. Jene unbewohnten, mit Wald bedeckten, geschichtslosen Ufer des Cassiquiare beschaeftigten damals meine Einbildungskraft, wie die in der Geschichte der Culturvoelker hochberuehmten Ufer des Euphrat und des Oxus. Hier, inmitten des neuen Continents, gewoehnt man sich beinahe daran, den Menschen als etwas zu betrachten, das nicht nothwendig zur Naturordnung gehoert. Der Boden ist dicht bedeckt mit Gewaechsen, und ihre freie Entwicklung findet nirgends ein Hinderniss. Eine maechtige Schicht Dammerde weist darauf hin, dass die organischen Kraefte hier ohne Unterbrechung fort und fort gewaltet haben. Krokodile und Boas sind die Herren des Stroms; der Jaguar, der Pecari, der Tapir und die Affen streifen durch den Wald, ohne Furcht und ohne Gefaehrde; sie hausen hier wie auf ihrem angestammten Erbe. Dieser Anblick der lebendigen Natur, in der der Mensch nichts ist, hat etwas Befremdendes und Niederschlagendes. Selbst auf dem Ocean und im Sande Afrika's gewoehnt man sich nur schwer daran, wenn einem auch da, wo nichts an unsere Felder, unsere Gehoelze und Baeche erinnert, die weite Einoede, durch die man sich bewegt, nicht so stark auffaellt. Hier, in einem fruchtbaren Lande, geschmueckt mit unvergaenglichem Gruen, sieht man sich umsonst nach einer Spur von der Wirksamkeit des Menschen um; man, glaubt sich in eine andere Welt versetzt, als die uns geboren. Ein Soldat, der sein ganzes Leben in den Missionen am obern Orinoco zugebracht hatte, war einmal mit uns am Strome gelagert. Es war ein gescheiter Mensch, und in der ruhigen, heitern Nacht richtete er an mich Frage um Frage ueber die Groesse der Sterne, ueber die Mondsbewohner, ueber tausend Dinge, von denen ich so viel wusste als er. Meine Antworten konnten seiner Neugier nicht genuegen, und so sagte er in zuversichtlichem Tone: "Was die Menschen anlangt, so glaube ich, es gibt da oben nicht mehr, als ihr angetroffen haettet, wenn ihr zu Land von Javita an den Cassiquiare gegangen waeret. In den Sternen, meine ich, ist eben wie hier eine weite Ebene mit hohem Gras und ein Wald (_mucho monte_), durch den ein Strom fliesst." Mit diesen Worten ist ganz der Eindruck geschildert, den der eintoenige Anblick dieser Einoede hervorbringt. Moechte diese Eintoenigkeit nicht auch auf das Tagebuch unserer Flussfahrt uebergehen! Moechten Leser, die an die Beschreibung der Landschaften und an die geschichtlichen Erinnerungen des alten Continents gewoehnt sind, es nicht ermuedend finden! ------------------ 55 Die wilden Voelker bezeichnen jedes europaeische Handelsvolk mit Beinamen, die ganz zufaellig entstanden zu seyn scheinen. Ich habe schon oben bemerkt, dass die Spanier vorzugsweise *bekleidete Menschen*, _gheme_ oder _Uavemi_ heissen. _ 56 Homo __habitat__ inter tropicos, vescitur Palmis, Lotophagus; __hospitatur__ entre tropicos sub novercante Cerere, carnivorus._ 57 Einer der Vorgaenger des Geistlichen, den wir in San Fernando als Praesidenten der Missionen fanden. 58 Die Delphine, welche in die Nilmuendung kommen, fielen indessen den Alten so auf, dass sie auf einer Bueste des Flussgottes aus Syenit im Pariser Museum halb versteckt im wallenden Barte dargestellt sind. 59 Ich fuehre diesen geringfuegigen Umstand hier an, um die Reisenden darauf aufmerksam zu machen, wie noethig es ist, nur solche Barometer zu haben, bei denen die Roehre der ganzen Laenge nach sichtbar ist. Eine ganz kleine Luftblase kann das Quecksilber zum Theil oder ganz sperren, ohne dass der Ton beim Anschlagen des Quecksllbers am Ende der Roehre sich veraenderte. _ 60 Ocotea cymbarum_, sehr verschieden vom _Laurus Sassafras_ in Nordamerika. 61 "Mit weissen und vernuenftigen Menschen." Die europaeische Eigenliebe stellt gemeiniglich die _gente de razon_ und die _gente parda_ einander gegenueber. 62 LANGSDORF sah bei den Bewohnern der Norfolkbucht Canoes aus Einem Stueck 50 Fuss lang, 4 1/2 :breit und an den Raendern 3 Fuss hoch; sie fassten 30 Menschen. Auch _Populus balsamifera_ wird auf den Bergen um Norfolkbucht ungeheuer hoch. 63 Die Fanega wiegt 110 spanische Pfund. DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL. Der Rio Negro. -- Die brasilianische Grenze. Der Rio Negro ist dem Amazonenstrom, dem Rio de la Plata und dem Orinoco gegenueber nur ein Fluss zweiten Ranges. Der Besitz desselben war aber seit Jahrhunderten fuer die spanische Regierung von grosser politischer Wichtigkeit, weil er fuer einen eifersuechtigen Nachbar, fuer Portugal, eine offene Strasse ist, um sich in die Missionen in Guyana einzudraengen und die suedlichen Grenzen der _Capitania general_ von Caracas zu beunruhigen. Dreihundert Jahre verflossen ueber zu nichts fuehrenden Grenzstreitigkeiten. Je nach dem Geist der Zeiten und dem Culturgrad der Voelker hielt man sich bald an die Autoritaet des heiligen Vaters, bald an die Huelfsmittel der Astronomie. Da man es meist vortheilhafter fand, den Streit zu verschleppen, als ihm ein Ende zu machen, so haben nur die Nautik und die Geographie des neuen Continents bei diesem endlosen Process gewonnen. Es ist bekannt, dass durch die Bullen der Paepste Nicolaus V. und Alexander VI., durch den Vertrag von Tordesillas und die Nothwendigkeit, eine feste Grenzlinie zu ziehen, der Eifer, das Problem der Laengen zu loesen, die Ephemeriden zu verbessern und die Instrumente zu vervollkommnen, bedeutend gestachelt worden ist. Als die Haendel in Paraguay und der Besitz der Colonie am Sacramento fuer die beiden Hoefe zu Madrid und Lissabon Sachen von grossem Belang wurden, schickte man Grenzcommissaere an den Orinoco, an den Amazonenstrom und an den Rio de la Plata. Unter den Muessiggaengern, welche die Archive mit Verrechnungen und Protokollen fuellten, fand sich hie und da auch ein unterrichteter Ingenieur, ein Marineofficier, der mit den Methoden, nach denen man weit von den Kuesten Ortsbestimmungen vornehmen kann, Bescheid wusste. Das Wenige, was wir am Schluss des vorigen Jahrhunderts von der astronomischen Geographie des neuen Continents wussten, verdankt man diesen achtbaren, fleissigen Maennern, den franzoesischen und spanischen Akademikern, die in Quito den Meridian gemessen, und Officieren, welche von Valparaiso nach Buenos Ayres gegangen waren, um sich Malaspinas Expedition anzuschliessen. Mit Befriedigung gedenkt man, wie sehr die Wissenschaften fast zufaellig durch jene "Grenzcommissionen" gefoerdert worden sind, die fuer den Staat eine grosse Last waren und von denen, die sie ins Leben gerufen, noch oefter vergessen als ausgeloest wurden. Weiss man, wie unzuverlaessig die Karten von Amerika sind, kennt man aus eigener Anschauung die unbewohnten Landstriche zwischen dem Jupura und Rio Negro, dem Madeira und Ucayale, dem Rio Branco und der Kueste von Cayenne, die man sich in Europa bis auf diesen Tag allen Ernstes streitig gemacht, so kann man sich ueber die Beharrlichkeit, mit der man sich um ein paar Quadratmeilen zankte, nicht genug wundern. Zwischen diesem streitigen Gebiet und den angebauten Strichen der Colonien liegen meist Wuesten, deren Ausdehnung ganz unbekannt ist. Auf den beruehmten Conferenzen in Puente de Caya (vom 4. November 1681 bis 22. Januar 1682) wurde die Frage verhandelt, ob der Papst, als er die Demarcationslinie 370 spanische Meilen [Oder 22 Grad 14 Minuten, auf dem Aequator gezaehlt.] westwaerts von den Inseln des gruenen Vorgebirges zog, gemeint habe, der erste Meridian solle vom Mittelpunkt der Insel St. Nicolas aus, oder aber (wie der portugiesische Hof behauptete) vom westlichen Ende der kleinen Insel San Antonio gezaehlt werden. Im Jahr 1754, zur Zeit von Ituriagas und Solanos Expedition, unterhandelte man ueber den Besitz der damals voellig unbewohnten Ufer des Tuamini und um ein Stueck Sumpfland, ueber das wir zwischen Javita und dem Pimichin an Einem Abend gegangen. Noch in neuester Zeit wollten die spanischen Commissaere die Scheidungslinie an die Einmuendung des Apoporis in den Jupura legen, waehrend die portugiesischen Astronomen sie bis zum Salto Grande zurueckschoben. Die Missionaere und das Publikum ueberhaupt betheiligten sich sehr lebhaft an diesen Grenzstreitigkeiten. In den spanischen wie in den portugiesischen Colonien beschuldigt man die Regierung der Gleichgueltigkeit und Laessigkeit. Ueberall wo die Voelker keine Verfassung haben, deren Grundlage die Freiheit ist, gerathen die Gemuether nur dann in Aufregung, wenn es sich davon handelt, die Grenzen des Landes weiter oder enger zu machen. Der Rio Negro und der Jupura sind zwei Nebenfluesse des Amazonenstromes, die in Laenge der Donau wenig nachgeben, und deren oberer Lauf den Spaniern gehoert, waehrend der untere in den Haenden der Portugiesen ist. An diesen zwei majestaetischen Stroemen hat sich die Bevoelkerung nur in der Naehe des aeltesten Mittelpunktes der Cultur bedeutend vermehrt. Die Ufer des obern Jupura oder Caqueta wurden von Missionaeren cultivirt, die aus den Cordilleren von Popayan und Neiva gekommen waren. Von Macoa bis zum Einfluss des Caguan gibt es sehr viele christliche Niederlassungen, waehrend am untern Jupura die Portugiesen kaum ein paar Doerfer gegruendet haben. Am Rio Negro dagegen konnten es die Spanier ihren Nachbarn nicht gleich thun. Wie kann man sich auf eine Bevoelkerung stuetzen, wenn sie so weit abliegt als die in der Provinz Caracas? Fast voellig unbewohnte Steppen und Waelder liegen, 160 Meilen breit, zwischen dem angebauten Kuestenstrich und den vier Missionen Macoa, Tomo, Davipe und San Carlos, den einzigen, welche die spanischen Franciscaner laengs des Rio Negro zu Stande gebracht. Bei den Portugiesen in Brasilien hat das militaerische Regiment, das System der _Presides_ und _Capitanes pobladores_ dem Missionsregiment gegenueber die Oberhand gewonnen. Von Gran-Para ist es allerdings sehr weit zur Einmuendung des Rio Negro [In gerader Linie 150 Meilen.], aber bei der bequemen Schifffahrt auf dem Amazonenstrom, der wie ein ungeheurer Canal von West nach Ost gerade fortlaeuft, konnte sich die portugiesische Bevoelkerung laengs des Stromes rasch ausbreiten. Die Ufer des untern Amazonenstroms von Vistoza bis Serpa, so wie die des Rio Negro von Forte da Bara bis San Jose de Marabitanos sind geschmueckt mit reichem Anbau und mit zahlreichen Staedten und ansehnlichen Doerfern bedeckt. An diese Betrachtungen ueber die oertlichen Verhaeltnisse reihen sich andere an, die sich auf die moralische Verfassung der Voelker beziehen. Auf der Nordwestkueste Amerikas sind bis auf diesen Tag keine festen Niederlassungen ausser den russischen und den spanischen Colonien. Noch ehe die Bevoelkerung der Vereinigten Staaten auf ihrem Zuge von Ost nach West den Kuestenstrich erreicht hatte, der zwischen dem 41. bis 50. Breitengrad lange die castilianischen Moenche und die sibirischen Jaeger(64) getrennt, liessen sich letztere suedlich vom Rio Colombia nieder. So waren denn in Neucalifornien die Missionaere vom Orden des heiligen Franz, deren Lebenswandel und deren Eifer fuer den Ackerbau alle Achtung verdienen, nicht wenig erstaunt, als sie hoerten, in ihrer Nachbarschaft seyen griechische Priester eingetroffen, so dass die beiden Voelker, welche das Ost- und das Westende von Europa bewohnen, auf den Kuesten Amerikas, China gegenueber, Nachbarn geworden waren. Anders wiederum gestalteten sich die Verhaeltnisse in Guyana. Hier fanden die Spanier an ihren Grenzen dieselben Portugiesen wieder, die mit ihnen durch Sprache und Gemeindeverfassung einen der edelsten Reste des roemischen Europa bilden, die aber durch das Misstrauen, wie es aus Ungleichheit der Kraefte und allzu naher Beruehrung geflossen, zu einer nicht selten feindseligen, immer aber eifersuechtigen Macht geworden waren. Geht man von der Kueste von Venezuela (wo, wie in der Havana und auf den Antillen ueberhaupt, die europaeische Handelpolitik der taegliche Gegenstand des Interesses ist) nach Sued, so fuehlt man sich mit jedem Tage mehr und mit wachsender Geschwindigkeit Allem entrueckt, was mit dem Mutterlande zusammenhaengt. Mitten in den Steppen oder Llanos, in den mit Ochsenhaeuten gedeckten Huetten inmitten wilder Heerden unterhaelt man sich von nichts als von der Pflege des Viehs, von der Trockenheit des Landes, die den Weiden Eintrag thut, vom Schaden, den die Fledermaeuse an Faersen und Fuellen angerichtet. Kommt man aus dem Orinoco in die Missionen in den Waeldern, so findet man die Einwohnerschaft wieder mit andern Dingen beschaeftigt, mit der Unzuverlaessigkeit der Indianer, die aus den Doerfern fortlaufen, mit der mehr oder minder reichen Ernte der Schildkroeteneier, mit den Beschwerden eines heissen, ungesunden Klimas. Kommen die Moenche ueber der Plage der Moskitos noch zu einem andern Gedanken, so beklagt man sich leise ueber den Praesidenten der Missionen, so seufzt man ueber die Verblendung der Leute, die im naechsten Capitel den Gardian des Klosters in Nueva Barcelona wieder waehlen wollen. Alles hat hier ein rein oertliches Interesse, und zwar beschraenkt sich dasselbe auf die Angelegenheiten des Ordens, "auf diese Waelder, wie die Moenche sagen, _estas selvas_, die Gott uns zum Wohnsitz angewiesen." Dieser etwas enge, aber ziemlich truebselige Ideenkreis erweitert sich, wenn man vom obern Orinoco an den Rio Negro kommt und sich der Grenze Brasiliens naehert. Hier scheinen alle Koepfe vom Daemon europaeischer Politik besessen. Das Nachbarland jenseits des Amazonenstroms heisst in der Sprache der spanischen Missionen weder Brasilien, noch _Capitania general_ von Gran-Para, sondern *Portugal*; die kupferfarbigen Indianer, die halbschwarzen Mulatten, die ich von Barcelos zur spanischen Schanze San Carlos herauskommen sah, sind *Portugiesen*. Diese Namen sind im Munde des Volkes bis an die Kueste von Cumana, und mit Behagen erzaehlt man den Reisenden, welche Verwirrung sie im Kopfe eines alten, aus den Bergen von Bierzo gebuertigen Commandanten von Vieja Guayana angerichtet hatten. Der alte Kriegsmann beschwerte sich, dass er zur See habe an den Orinoco kommen muessen. "Ist es wahr," sprach er, "wie ich hier hoere, dass spanisch Guyana, diese grosse Provinz, sich bis nach Portugal erstreckt (zu _los Portugueses_), so moechte ich wissen, warum der Hof mich in Cadix sich hat einschiffen lassen? Ich haette gerne ein paar Meilen weiter zu Lande gemacht." Diese Aeusserung von naiver Unwissenheit erinnert an eine verwunderliche Meinung des Cardinals LORENZANA. Dieser Praelat, der uebrigens in der Geschichte ganz zu Hause ist, sagt in einem in neuerer Zeit in Mexico gedruckten Buche, die Besitzungen des Koenigs von Spanien in Neu-Californien und Neu-Mexico (ihr noerdliches Ende liegt unter 37 deg. 48{~PRIME~} der Breite) "haengen ueber Land mit Sibirien zusammen." Wenn zwei Voelker, die in Europa neben einander wohnen, Spanier und Portugiesen, auch auf dem neuen Continent Nachbarn geworden sind, so verdanken sie dieses Verhaeltniss, um nicht zu sagen diesen Uebelstand, dem Unternehmungsgeist, dem kecken Thatendrang, den beide zur Zeit ihres kriegerischen Ruhmes und ihrer politischen Groesse entwickelt. Die castilianische Sprache wird gegenwaertig in Sued- und Nordamerika auf einer 1900 Meilen langen Strecke gesprochen; betrachtet man aber Suedamerika fuer sich, so zeigt sich, dass das Portugiesische ueber einen groesseren Flaechenraum verbreitet ist, aber von nicht so vielen Menschen gesprochen wird, als das Castilianische. Das innige Band, das die schoenen Sprachen eines Camoens und Lope de Vega verknuepft, hat, sollte man meinen, Voelker, die widerwillig Nachbarn geworden, nur noch weiter auseinander gebracht. Der Nationalhass richtet sich keineswegs nur nach der Verschiedenheit in Abstammung, Sitten und Culturstufe; ueberall, wo er sehr stark ausgesprochen ist, erscheint er als die Folge geographischer Verhaeltnisse und der damit gegebenen widerstreitenden Interessen. Man verabscheut sich etwas weniger, wenn man weit auseinander ist und bei wesentlich Verschiedenen Sprachen gar nicht in Versuchung kommt, mit einander zu verkehren. Diese Abstufungen in der gegenseitigen Stimmung neben einander-lebender Voelker fallen Jedem auf, der Neucalifornien, die innern Provinzen von Mexico und die Nordgrenzen Brasiliens bereist. Als ich mich am spanischen Rio Negro befand, war, in Folge der auseinander gehenden Politik der beiden Hoefe von Lissabon und Madrid, das systematische Misstrauen, dem die Commandanten der benachbarten kleinen Forts auch in den ruhigsten Zeiten gerne Nahrung geben, noch staerker als gewoehnlich. Die Canoes kamen von Barcelos bis zu den spanischen Missionen herauf, aber der Verkehr war gering. Der Befehlshaber einer Truppenabtheilung von 16 bis 18 Mann plagte "die Garnison" mit Sicherheitsmassregeln, welche "der Ernst der Lage" erforderlich machte, und im Fall eines Angriffs hoffte er "den Feind zu umzingeln." Sprachen wir davon, dass die portugiesische Regierung in Europa die vier kleinen Doerfer, welche die Franciscaner am obern Rio Negro angelegt, ohne Zweifel sehr wenig beachte, so fuehlten sich die Leute durch die Gruende, mit denen wir sie beruhigen wollten, nur verletzt. Voelkern, die durch alle Wechsel im Lauf von Jahrhunderten ihren Nationalhass ungeschwaecht erhalten haben, ist jede Gelegenheit erwuenscht, die demselben neue Nahrung gibt. Dem Menschen ist bei Allein wohl, was sein Gemueth aufregt, was ihm eine lebhafte Empfindung zum Bewusstseyn bringt, sey es nun ein Gefuehl der Zuneigung, oder jener eifersuechtige Neid, wie er aus althergebrachten Vorurtheilen entspringt. Die ganze Persoenlichkeit der Voelker ist aus dem Mutterlande in die entlegensten Colonien uebergegangen, und der gegenseitige Widerwille der Nationen hat nicht einmal da ein Ende, wo der Einfluss der gleichen Sprache wegfaellt. Wir wissen aus KRUSENSTERNs anziehendem Reisebericht, dass der Hass zweier fluechtigen Matrosen, eines Franzosen und eines Englaenders, zu einem langen Krieg zwischen den Bewohnern der Marquesasinseln Anlass gab. Am Amazonenstrom und Rio Negro koennen die Indianer in den benachbarten portugiesischen und spanischen Doerfern einander nicht ausstehen. Diese armen Menschen sprechen nur amerikanische Sprachen, sie wissen gar nicht, was "am andern Ufer des Oceans, drueben ueber der grossen Salzlache" vorgeht; aber die Kutten ihrer Missionaere sind von verschiedener Farbe, und diess missfaellt ihnen im hoechsten Grade. Ich habe bei der Schilderung der Folgen des Nationalhasses verweilt, den kluge Beamte zu mildern suchten, ohne ihn ganz beschwichtigen zu koennen. Diese Eifersucht ist nicht ohne Einfluss auf den Umstand gewesen, dass unsere geographische Kunde von den Nebenfluessen des Amazonenstromes bis jetzt so mangelhaft ist. Wenn der Verkehr unter den Eingeborenen gehemmt ist, und die eine Nation an der Muendung, die andere im obern Flussgebiet sitzt, so faellt es den Kartenzeichnern sehr schwer, genaue Erkundigungen einzuziehen. Die periodischen Ueberschwemmungen, besonders aber die Trageplaetze, ueber die man die Canoes von einem Nebenfluss zum andern schafft, dessen Quellen in der Naehe liegen, verleiten zur Annahme von Gabelungen und Verzweigungen der Fluesse, die in Wahrheit nicht bestehen. Die Indianer in den portugiesischen Missionen zum Beispiel schleichen sich (wie ich an Ort und Stelle erfahren) einerseits auf dem Rio Guaicia und Rio Tomo in den spanischen Rio Negro, andererseits ueber die Trageplaetze zwischen dem Cababuri, dem Pasimoni, dem Idapa und dem Mavaca in den obern Orinoco, um hinter Esmeralda den aromatischen Samen des Pucherylorbeers zu sammeln. Die Eingeborenen, ich wiederhole es, sind vortreffliche Geographen; sie umgehen den Feind trotz der Grenzen, wie sie auf den Karten gezogen sind, trotz der Schanzen und Estacamentos, und wenn die Missionaere sie von so weither, und zwar in verschiedenen Jahreszeiten kommen sehen, so machen sie sich daran, Hypothesen ueber vermeintliche Flussverbindungen zu schmieden. Jeder Theil hat ein Interesse dabei, nicht zu sagen, was er ganz gut weiss, und der Hang zu allem Geheimnissvollen, der bei rohen Menschen so gemein und so lebendig ist, thut das Seinige dazu, um die Sache im Dunkeln zu lassen. Noch mehr, die verschiedenen Indianerstaemme, welche dieses Wasserlabyrinth befahren, geben den Fluessen ganz verschiedene Namen, und diese Namen werden durch Endungen, welche "Wasser, grosses Wasser, Stroemung" bedeuten, unkenntlich gemacht und verlaengert. Wie oft bin ich beim nothwendigen Geschaeft, die Synonymie der Fluesse ins Reine zu bringen, in groesster Verlegenheit gewesen, wenn ich die gescheitesten Indianer vor mir hatte und sie mittelst eines Dolmetschers ueber die Zahl der Nebenfluesse, die Quellen und die Trageplaetze befragte! Da in derselben Mission drei, vier Sprachen gesprochen werden, so haelt es sehr schwer, die Aussagen in Uebereinstimmung zu bringen. Unsere Karten wimmeln von willkuerlich abgekuerzten oder entstellten Namen. Um herauszubringen, was darauf richtig ist, muss man sich von der geographischen Lage der Nebenfluesse, fast moechte ich sagen von einem gewissen etymologischen Takt leiten lassen. Der Rio Uaupe oder Uapes der portugiesischen Karten ist der Guapue der spanischen und der Ucayari der Eingeborenen. Der Anava der aelteren Geographen ist ARROWSMITHs Anauahu, und der Unanauhau oder Guanauhu der Indianer. Man liess nicht gerne einen leeren Raum auf den Karten, damit sie recht genau aussehen moechten, und so erschuf man Fluesse und legte ihnen Namen bei, ohne zu wissen, dass dieselben nur Synonyme waren. Erst in der neuesten Zeit haben die Reisenden in Amerika, in Persien und Indien eingesehen, wie viel darauf ankommt, dass man in der Namengebung correkt ist. Liest man die Reise des beruehmten RALEGH, so ist es eben nicht leicht, im See Mrecabo den See Maracaybo und im Marquis Paraco den Namen Pizarros, des Zerstoerers des Reichs der Incas, zu erkennen. Die grossen Nebenfluesse des Amazonenstroms heissen, selbst bei den Missionaeren von europaeischer Abstammung, in ihrem obern Lauf anders als im untern. Der Jca heisst weiter oben Putumayo; der Jupura fuehrt seinen Quellen zu den Namen Caqueta. Wenn man in den Missionen der Andaquies sich nach dem wahren Ursprung des Rio Negro umsah, so konnte diess um so weniger zu etwas fuehren, da man den indianischen Namen des Flusses nicht kannte. In Javita, Maroa und San Carlos hoerte ich ihn *Guainia* nennen. SOUTHEY, der gelehrte Geschichtschreiber Brasiliens, den ich ueberall sehr genau fand, wo ich seine geographischen Angaben mit dem, was ich selbst aus meinen Reisen gesammelt, vergleichen konnte, sagt ausdruecklich, der Rio Negro heisse auf seinem untern Laufe bei den Eingeborenen Guiari oder Curana, aus seinem obern Lauf *Ueneya*. Das ist soviel wie Gueneya statt Guainia; denn die Indianer in diesen Landstrichen sprechen ohne Unterschied Guanaracua und Uanaracua, Guarapo und Uarapo. Aus dem letzteren haben HONDIUS [Auf seiner Karte zu Raleghs Reise.] und alle alten Geographen durch ein komisches Missverstaendniss ihren _'Europa fluvius'_ gemacht. Es ist hier der Ort, von den Quellen des Rio Negro zu sprechen, ueber welche die Geographen schon so lange im Streit liegen. Diese Frage erscheint nicht allein darum wichtig, weil es sich vom Ursprung eines maechtigen Stromes handelt, was ja immer von Interesse ist; sie haengt mit einer Menge anderer Fragen zusammen, mit den angeblichen Gabelungen des Caqueta, mit den Verbindungen zwischen dem Rio Negro und dem Orinoco, und mit dem *oertlichen Mythus* vom Dorado, frueher Enim oder das Reich des Grossen Paytiti geheissen. Studirt man die alten Karten dieser Laender und die Geschichte der geographischen Irrthuemer genau, so sieht man, wie der Mythus vom Dorado mit den Quellen des Orinoco allmaehlich nach Westen rueckt. Er entstand auf dem Ostabhang der Anden und setzte sich zuerst, wie ich spaeter nachweisen werde, im Suedwesten vom Rio Negro fest. Der tapfere PHILIPP DE URRE ging, um die grosse Stadt Manoa zu entdecken, ueber den Guaviare. Noch jetzt erzaehlen die Indianer in San Jose de Maravitanos, "fahre man vierzehn Tage lang auf dem Guape oder Uaupe nach Nordost, so komme man zu einer beruehmten *Laguna de Oro*, die von Bergen umgeben und so gross sey, dass man das Ufer gegenueber nicht sehen koenne. Ein wildes Volk, die Guanes, leide nicht, dass man im Sandboden um den See Gold sammle." Pater ACUNA setzt den See Manoa oder Yenefiti zwischen den Japura und den Rio Negro. Manaos-Indianer (diess ist das Wort Manoa mit Verschiebung der Vokale, was bei so vielen amerikanischen Voelkern vorkommt) brachten dem Pater FRITZ im Jahr 1687 viele Blaetter geschlagenen Goldes. Diese Nation, deren Namen noch heute am Urarira zwischen Lamalonga und Moreira bekannt ist, sass am Jurubesh (Yurubech, Yurubets). LA CONDAMINE sagt mit Recht, dieses Mesopotamien zwischen dem Caqueta, dem Rio Negro, dem Jurubesh und dem Iquiare sey der erste Schauplatz des Dorado. Wo soll man aber die Namen Jurubesh und Iquiare der Patres Acuna und Fritz suchen? Ich glaube sie in den Fluessen Urubaxi und Iguari der handschriftlichen portugiesischen Karten wieder zu finden, die ich besitze und die im hydrographischen Depot zu Rio Janeiro gezeichnet wurden. Seit vielen Jahren habe ich nach den aeltesten Karten und einem ansehnlichen, von mir gesammelten, nicht veroeffentlichten Material mit anhaltendem Eifer Untersuchungen ueber die Geographie Suedamerikas noerdlich vom Amazonenstrom angestellt. Da ich meinem Werke den Charakter eines wissenschaftlichen Werkes bewahren moechte, darf ich mich nicht scheuen, von Gegenstaenden zu handeln, ueber die ich hoffen kann einiges Licht zu verbreiten, naemlich von den Quellen des Rio Negro und des Orinoco, von der Verbindung dieser Fluesse mit dem Amazonenstrom, und vom Problem vom Goldlande, das den Bewohnern der neuen Welt so viel Blut und so viel Thraenen gekostet hat. Ich werde diese Fragen nach einander behandeln, wie ich in meinem Reisetagebuche an die Orte komme, wo sie von den Einwohnern selbst am lebhaftesten besprochen werden. Da ich aber sehr ins Einzelne gehen muesste, wenn ich alle Beweise fuer meine Ausstellungen beibringen wollte, so beschraenke ich mich hier darauf, die hauptsaechlichsten Ergebnisse mitzutheilen, und verschiebe die weitere Ausfuehrung auf die "_Analyse des Cartes_" und den "_Essai sur la geographie astronomique du Nouveau-Continent_", welche den geographischen Atlas eroeffnen sollen. Diese meine Untersuchungen fuehren zum allgemeinen Schluss, dass die Natur bei der Vertheilung der fliessenden Gewaesser auf der Erdoberflaeche, wie beim Bau der organischen Koerper, lange nicht nach einem so verwickelten Plane verfahren ist, als man unter dem Einfluss unbestimmter Anschauungen und des Hangs zum Wunderbaren geglaubt hat. Es geht auch daraus hervor, dass alle jene Anomalien, alle jene Ausnahmen von den Gesetzen der Hydrographie, die im Innern Amerikas vorkommen, nur scheinbar sind; dass in der alten Welt beim Lauf fliessender Gewaesser gleich ausserordentliche Erscheinungen vorkommen, dass aber diese Erscheinungen vermoege ihres unbedeutenden Umfangs den Reisenden weniger aufgefallen sind. Wenn ungeheure Stroeme betrachtet werden koennen als aus mehreren, unter einander parallelen, aber ungleich tiefen Rinnen bestehend, wenn diese Stroeme nicht in Thaeler eingeschlossen sind, und wenn das Innere eines grossen Festlandes so eben ist als bei uns das Meeresufer, so muessen die Verzweigungen, die Gabelungen, die netzfoermigen Verschlingungen sich ins Unendliche haeufen. Nach Allem, was wir vom Gleichgewicht der Meere wissen, kann ich nicht glauben, dass die neue Welt spaeter als die alte dem Schooss des Wassers entstiegen, dass das organische Leben in ihr juenger, frischer seyn sollte; wenn man aber auch keine Gegensaetze zwischen den zwei Halbkugeln desselben Planeten gelten laesst, so begreift sich doch, dass auf derjenigen, welche die groesste Wasserfuelle hat, die verschiedenen Flusssysteme laengere Zeit gebraucht haben, sich von einander zu scheiden, sich gegenseitig voellig unabhaengig zu machen. Die Anschwemmungen, die sich ueberall bilden, wo fliessendes Wasser an Geschwindigkeit abnimmt, tragen allerdings dazu bei, die grossen Strombetten zu erhoehen und die Ueberschwemmungen staerker zu machen; aber auf die Laenge werden die Flussarme und schmalen Kanaele, welche benachbarte Fluesse mit einander verbinden, durch diese Anschwemmungen ganz verstopft. Was das Regenwasser zusammenspuelt, bildet, indem es sich aushaeuft, Schwellen, _'isthmes d'atterissement'_, Wasserscheiden, die zuvor nicht vorhanden waren. Die Folge davon ist, dass die natuerlichen, urspruenglichen Verbindungscanaele nach und nach in zwei Wasserlaeufe zerfallen, und durch die Aufhoehung des Bodens in der Quere zwei Gefaelle nach entgegengesetzten Richtungen erhalten. Ein Theil ihres Wassers faellt in den Hauptwasserbehaelter zurueck, und zwischen zwei parallelen Becken erhebt sich eine Boeschung, so dass die ehemalige Verbindung spurlos verschwindet. Sofort bestehen zwischen verschiedenen Flusssystemen keine Gabelungen mehr, und wo sie zur Zeit der grossen Ueberschwemmungen noch immer vorhanden sind, tritt das Wasser vom Hauptbehaelter nur weg, um nach groesseren oder kleineren Umwegen wieder dahin zurueckzukehren. Die Gebiete, deren Grenzen anfangs schwankend durcheinander liefen, schliessen sich nach und nach ab, und im Laufe der Jahrhunderte wirkt Alles, was an der Erdoberflaeche beweglich ist, Wasser, Schwemmung und Sand, zusammen, um die Flussbetten zu trennen, wie die grossen Seen in mehrere zerfallen und die Binnenmeere ihre alten Verbindungen verlieren.(65) Da die Geographen schon im sechzehnten Jahrhundert die Ueberzeugung gewonnen hatten, dass in Suedamerika zwischen verschiedenen Flusssystemen Gabeltheilungen bestehen, die sie gegenseitig von einander abhaengig machen, so nahmen sie an, dass die fuenf grossen Nebenfluesse des Orinoco und des Amazonenstromes, Guaviare, Inirida, Rio Negro, Caqueta oder Hyapura, und Putumayo oder Ica unter einander zusammenhaengen. Diese Hypothesen, welche auf unsern Karten in verschiedenen Gestalten dargestellt sind, entstanden zum Theil in den Missionen in den Ebenen, zum Theil auf dem Ruecken der Cordilleren der Anden. Reist man von Santa Fe de Bogota ueber Fusagafuga nach Popayan und Pasto, so hoert man die Gebirgsbewohner behaupten, am Ostabhang der _Paramos de la Suma Paz_ (des ewigen Friedens), des Iscance und Aponte entspringen alle Fluesse, die zwischen dem Meta und dem Putumayo durch die Waelder von Guyana ziehen. Da man die Nebenfluesse fuer den Hauptstrom haelt und man alle Fluesse rueckwaerts bis zur Bergkette reichen laesst, so wirft man dort die Quellen des Orinoco, des Rio Negro und des Guaviare zusammen. Am steilen Ostabhang der Anden ist sehr schwer herunterzukommen, eine engherzige Politik hat dem Handel mit den Llanos am Meta, am San Juan und Caguan Fesseln angelegt, man hat wenig Interesse, die Fluesse zu verfolgen, um ihre Verzweigungen kennen zu lernen: durch all diese Umstaende ist die geographische Verwirrung noch groesser geworden. Als ich in Santa Fe de Bogota war, kannte man kaum den Weg, der ueber die Doerfer Usme, Ubaque und Caqueza nach Apiay und zum Landungsplatz am Rio Meta fuehrt. Erst in neuester Zeit konnte ich die Karte dieses Flusses nach den _Reisetagebuechern_ des CANONICUS CORTES MADARIAGA und nach den Ermittlungen waehrend des Unabhaengigkeitskriegs in Venezuela berichtigen. Ueber die Lage der Quellen am Fuss der Cordilleren zwischen dem 4 deg. 20{~PRIME~} und 1 deg. 10{~PRIME~} noerdlicher Breite wissen wir zuverlaessig, was folgt. Hinter dem Paramo de la Suma Paz, den ich von Pandi an aufnehmen konnte, entspringt der Rio de Aguas Blancas, der mit dem Pachaquiaro oder Rio Negro von Apiay den *Meta* bildet; weiter nach Sueden kommt der Rio Ariari, ein Nebenfluss des *Guaviare*, dessen Muendung ich bei San Fernando de Atabapo gesehen. Geht man auf dem Ruecken der Cordillere weiter gegen Ceja und den Paramo von Aponte zu, so kommt man an den Rio Guayavero, der am Dorfe Aramo vorbeilaeuft und sich mit dem Ariari verbindet; unterhalb ihrer Vereinigung bekommen die Fluesse den Namen *Guaviare*. Suedwestlich vom Paramo de Aponte entspringen am Fuss der Berge bei Santa Rosa der Rio Caqueta, und auf der Cordillere selbst der Rio de Mocoa, der in der Geschichte der Eroberung eine grosse Rolle spielt. Diese beiden Fluesse, die sich etwas oberhalb der Mission San Augustin de Nieto vereinigen, bilden den *Japura* oder *Caqueta*. Der Cerro del Portachuelo, ein Berg, der sich auf der Hochebene der Cordilleren selbst erhebt, liegt zwischen den Quellen des Mocoa und dem See Sebondoy, aus dem der Rio *Putumayo* oder Jca entspringt. Der Meta, der Guaviare, der Caqueta und der Putumayo sind also die einzigen grossen Fluesse, die unmittelbar am Ostabhang der Anden von Santa Fe, Popayan und Pasto entspringen. Der Vichada, der Zama, der Inirida, der Rio Negro, der Uaupe und der Apoporis, die unsere Karten gleichfalls westwaerts bis zum Gebirge fortfuehren, entspringen weit weg von demselben entweder in den Savanen zwischen Meta und Guaviare oder im bergigten Land, das, nach den Aussagen der Eingeborenen, fuenf, sechs Tagereisen westwaerts von den Missionen am Javita und Maroa anfaengt und sich als Sierra Tunuhy jenseits des Xie dem Issana zu erstreckt. Es erscheint ziemlich auffallend, dass dieser Kamm der Cordillere, dem so viele majestaetische Fluesse entspringen (Meta, Guaviare, Caqueta, Putumayo), so wenig mit Schnee bedeckt ist als die abyssinischen Gebirge, aus denen der blaue Nil kommt; dagegen trifft man, wenn man die Gewaesser, die ueber die Ebenen ziehen, hinausgeht, bevor man an die Cordillere der Anden kommt, einen noch thaetigen Vulkan. Derselbe wurde erst in neuester Zeit von den Franciscanern entdeckt, die von Ceja ueber den Rio Fragua an den Caqueta herunterkommen. Nordoestlich von der Mission Santa Rosa, westlich vom Puerto del Pescado, liegt ein einzeln stehender Huegel, der Tag und Nacht Rauch ausstoesst. Es ruehrt diess von einem Seitenausbruch der Vulkane von Popayan und Pasto her, wie der Guacamayo und der Sangay, die gleichfalls am Fuss des Ostabhangs der Anden liegen, von Seitenausbruechen des Vulkansystems von Quito herruehren. Ist man mit den Ufern des Orinoco und des Rio Negro bekannt, wo ueberall das Granitgestein zu Tage kommt, bedenkt man, dass in Brasilien, in Guyana, auf dem Kuestenland von Venezuela, vielleicht auf dem ganzen Continent ostwaerts von den Anden, sich gar kein Feuerschlund findet, so erscheinen die drei thaetigen Vulkane an den Quellen des Caqueta, des Napo und des Rio Macas oder Morona sehr interessant. Die imposante Groesse des Rio Negro fiel schon ORELLANA auf, der ihn im Jahr 1539 bei seinem Einfluss in den Amazonenstrom sah, _undas nigras spargens_; aber erst ein Jahrhundert spaeter suchten die Geographen seine Quellen am Abhang der Cordilleren auf. ACUNAs Reise gab Anlass zu Hypothesen, die sich bis auf unsere Zeit erhalten haben und von LA CONDAMINE und D'ANVILLE masslos gehaeuft wurden. ACUNA hatte im Jahr 1638 an der Einmuendung des Rio Negro gehoert, einer seiner Zweige stehe mit einem andern grossen Strom in Verbindung, an dem die Hollaender sich niedergelassen. SOUTHEY bemerkt scharfsinnig, dass man so etwas in so ungeheurer Entfernung von der Kueste gewusst, beweise, wie stark und vielfach damals der Verkehr unter den barbarischen Voelkern dieser Laender (besonders unter denen von caraibischem Stamme) gewesen. Es bleibt unentschieden, ob die Indianer, die Acuna Rede standen, den Cassiquiare meinten, den natuerlichen Canal zwischen Orinoco und Rio Negro, den ich von San Carlos nach Esmeralda hinaufgefahren bin, oder ob sie ihm nur unbestimmt die Trageplaetze zwischen den Quellen des Rio Branco(66) und des Rio Essequebo andeuten wollten. Acuna selbst dachte nicht daran, dass der grosse Strom, dessen Muendung die Hollaender besassen, der Orinoco sey; er nahm vielmehr eine Verbindung mit dem Rio San Felipe an, der westlich vom Cap Nord ins Meer faellt, und auf dem nach seiner Ansicht der Tyrann Lopez de Aguirre seine lange Flussfahrt beschlossen hatte. Letztere Annahme scheint mir sehr gewagt, wenn auch der Tyrann in seinem naerrischen Briefe an Philipp II. selbst gesteht, "er wisse nicht, wie er und die Seinigen aus der grossen Wassermasse herausgekommen." [S. Bd. I. Seite 233]. Bis zu Acunas Reise und den schwankenden Angaben, die er ueber Verbindungen mit einem andern grossen Fluss nordwaerts vom Amazonenstrom erhielt, sahen die unterrichtetsten Missionare den Orinoco fuer eine Fortsetzung des Caqueta (Kaqueta, Caketa) an. "Dieser Strom," sagte Fray PEDRO SIMON im Jahr 1625, "entspringt am Westabhang des Paramo d'Iscance. Er nimmt den Papamene auf, der von den Anden von Neiva herkommt, und heisst nach einander Rio Iscance, Tama (wegen des angrenzenden Gebiets der Tamas-Indianer), Guayare, Baraguan und Orinoco." Nach der Lage des Paramo d'Iscance, eines hohen Kegelbergs, den ich auf der Hochebene von Mamendoy und an den schoenen Ufern des Mayo gesehen, muss in dieser Beschreibung der Caqueta gemeint seyn. Der Rio Papamene ist der Rio de la Fragua, der mit dem Rio Mocoa ein Hauptzweig des Caqueta ist; wir kennen denselben von den ritterlichen Zuegen Georgs von Speier und Philipps von Hutten her.(67) Die beiden Kriegsmaenner kamen an den Papamene erst, nachdem sie ueber den Ariari und den Guayavero gegangen. Die Tamas-Indianer sind noch jetzt am noerdlichen Ufer des Caqueta eine der staerksten Nationen; es ist also nicht zu verwundern, dass, wie Fray Pedro Simon sagt, dieser Fluss Rio Tama genannt wurde. Da die Quellen der Nebenfluesse des Caqueta und die Nebenfluesse des Guaviare nahe beisammen liegen, und da dieser einer der grossen Fluesse ist, die in den Orinoco fallen, so bildete sich mit dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts die irrige Ansicht, Caqueta (Rio de Iscance und Papamene), Guaviare (Guayare) und Orinoco seyen ein und derselbe Fluss. Niemand war den Caqueta dem Amazonenstrom zu hinabgefahren, sonst haette man gesehen, dass der Fluss, der weiter unten Jupupa heisst, eben der Caqueta ist. Eine Sage, die sich bis jetzt unter der Bevoelkerung dieses Landstrichs erhalten hat, derzusolge ein Arm des Caqueta oberhalb des Einflusses des Caguan und des Payoya zum Irinida und Rio Negro geht, muss auch zu der Meinung beigetragen haben, dass der Orinoco am Abhang der Gebirge von Pasto entspringe. Wie wir gesehen, setzte man in Neu-Grenada voraus, die Wasser des Caqueta laufen, wie die des Ariari, Meta und Apure, dem grossen Orinocobecken zu. Haette man genauer auf die Richtung dieser Nebenfluesse geachtet, so waere man gewahr geworden, dass allerdings das ganze Land im Grossen nach Osten abfaellt, dass aber die Bodenpolyeder, aus denen die Niederungen bestehen, schiefe Flaechen zweiter Ordnung bilden, die nach Nordost und Suedost geneigt sind. Eine fast unmerkliche Wasserscheide laeuft unter dem zweiten Breitengrad von den Anden von Timana zu der Landenge zwischen Javita und dem Cano Pimichin, ueber die unsere Pirogue geschafft worden. Noerdlich vom Parallel von Timana laufen die Gewaesser [Inirida, Guaviare, Vichada, Zama, Meta, Casanare, Apure.] nach Nordost und Ost: es sind die Nebenfluesse des Orinoco oder die Nebenfluesse seiner Nebenfluesse. Aber suedlich vom Parallel von Timana, aus den Ebenen, welche denen von San Juan vollkommen zu gleichen scheinen, laufen der Caqueta oder Jupura, der Putumayo oder Jca, der Napo, der Pastaca und der Morona nach Suedost und Sued-Suedost und ergiessen sich ins Becken des Amazonenstroms. Dabei ist sehr merkwuerdig, dass diese Wasserscheide selbst nur als eine Fortsetzung derjenigen erscheint, die ich in den Cordilleren auf dem Wege von Popayan nach Pasto gefunden. Zieht man den Landhoehen nach eine Linie ueber Ceja (etwas suedlich von Timana) und den Paramo de las Papas zum Alto del Noble, zwischen 1 deg. 45{~PRIME~} und 2 deg. 20{~PRIME~} der Breite, in 970 Toisen Meereshoehe, so findet man die _'divortia aquarum'_ zwischen dem Meere der Antillen und dem stillen Ocean. Vor Acunas Reise herrschte bei den Missionaeren die Ansicht, Caqueta, Guaviare und Orinoco seyen nur verschiedene Benennungen desselben Flusses; aber der Geograph SANSON liess auf den Karten, die er nach ACUNAs Beobachtungen entwarf, den Caqueta sich in zwei Arme theilen, deren einer der Orinoco, der andere der Rio Negro oder Curiguacuru seyn sollte. Diese Gabeltheilung unter rechtem Winkel erscheint auf allen Karten von SANSON, CORONELLI, DU VAL und DE L'ISLE von 1656 bis 1730. Man glaubte auf diese Weise die Verbindungen zwischen den grossen Stroemen zu erklaeren, von denen Acuna die erste Kunde von der Muendung des Rio Negro mitgebracht, und man ahnte nicht, dass der Jupura die Fortsetzung des Caqueta sey. Zuweilen liess man den Namen Caqueta ganz weg und nannte den Fluss, der sich gabelt, Rio Paria oder Yuyapari, wie der Orinoco ehemals hiess. DE L'ISLE liess in seiner letzten Zeit den Caqueta sich nicht mehr gabeln, zum grossen Verdruss LA CONDAMINES; er machte den Putumayo, den Jupura und Rio Negro zu voellig unabhaengigen Fluessen, und als wollte er alle Aussicht auf eine Verbindung zwischen Orinoco und Rio Negro abschneiden, zeichnete er zwischen beiden Stroemen eine hohe Bergkette. Bereits Pater FRITZ hatte dasselbe System und zur Zeit des Hondius galt es fuer das wahrscheinlichste. LA CONDAMINEs Reise, die ueber verschiedene Striche Amerikas so viel Licht verbreitet, hat in die ganze Angelegenheit vom Laufe des Caqueta, Orinoco und Rio Negro nur noch mehr Verwirrung gebracht. Der beruehmte Gelehrte sah allerdings wohl, dass der Caqueta (bei Mocoa) der Fluss ist, der am Amazonenstrom Jupura heisst; dennoch nahm er nicht allein SANSONs Hypothese an, er brachte die Zahl der Gabeltheilungen des Caqueta sogar auf drei. Durch die erste gibt der Caqueta einen Arm (den Jaoya) an den Putumayo ab; eine zweite bildet den Rio Jupura und den Rio Paragua; in einer dritten theilt sich der Rio Paragua wiederum in zwei Fluesse, den Orinoco und den Rio Negro. Dieses rein ersonnene System sieht man in der ersten Ausgabe von D'ANVILLEs schoener Karte von Amerika dargestellt. Es ergibt sich daraus, dass der Rio Negro vom Orinoco unterhalb der grossen Katarakten abgeht, und dass man, um an die Muendung des Guaviare zu kommen, den Caqueta ueber die Gabelung, aus der der Rio Jupura entspringt, hinauf muss. Als LA CONDAMINE erfuhr, dass der Orinoco keineswegs am Fuss der Anden von Pasto, sondern auf der Rueckseite der Berge von Cayenne entspringe, aenderte er seine Vorstellungen auf sehr sinnreiche Weise ab. Der Rio Negro geht jetzt nicht mehr vom Orinoco ab; Guaviare, Atabapo, Cassiquiare und die Muendung des Inirida (unter dem Namen Iniricha) erschienen auf D'ANVILLES zweiter Karte ungefaehr in ihrer wahren Gestalt, aber aus der dritten Gabelung des Caqueta entstehen der Inirida und der Rio Negro; Dieses System wurde von Pater CAULIN gut geheissen, auf der Karte von LA CRUZ dargestellt und auf allen Karten bis zum Anfang des neunzehnten Jahrhunderts copirt. Diese Namen: Caqueta, Orinoco, Inirida, haben allerdings nicht so viel Anziehendes, wie die Fluesse im Innern Nigritiens; es knuepfen sich eben keine geschichtlichen Erinnerungen daran; aber die mannigfaltigen Combinationen der Geographen der neuen Welt erinnern an die krausen Zeichnungen vom Laufe des Niger, des weissen Nil, des Gambaro, des Joliba und des Zaire. Von Jahr zu Jahr nimmt das Bereich der Hypothesen an Umfang ab; die Probleme sind buendiger gefasst und das alte Stueck Geographie, das man speculative, um nicht zu sagen divinatorische Geographie nennen koennte, zieht sich in immer engere Grenzen zusammen. Also nicht am Caqueta, sondern am Guainia oder Rio Negro kann man genaue Auskunft ueber die Quellen des letzteren Flusses erhalten. Die Indianer in den Missionen Maroa, Tomo und San Carlos wissen nichts von einer oberen Verbindung des Guainia mit dem Jupura. Ich habe seine Breite bei der Schanze San Agostino gemessen; es ergaben sich 292 Toisen;(68) die mittlere Breite war 200--250 Toisen. LA CONDAMINE schaetzt dieselbe in der Naehe der Ausmuendung in den Amazonenstrom an der schmalsten Stelle auf 1200 Toisen; der Fluss waere also auf einem Lauf von 10 Grad in gerader Linie um 1000 Toisen breiter geworden. Obgleich die Wassermasse, wie wir sie zwischen Maroa und San Carlos gesehen, schon ziemlich bedeutend ist, versichern die Indianer dennoch, der Guainia entspringe fuenf Tagereisen zu Wasser nordwestwaerts von der Muendung des Pimichin in einem bergigten Landstrich, wo auch die Quellen des Inirida liegen. Da man den Cassiquiare von San Carlos bis zum Punkt der Gabeltheilung am Orinoco in 10--11 Tagen hinauffaehrt, so kann man fuenf Tage Bergfahrt gegen eine lange nicht so starke Stroemung zu etwas ueber einen Grad 20 Minuten in gerader Richtung annehmen, womit die Quellen des Guainia, nach meinen Laengenbeobachtungen in Javita und San Carlos, unter 71 deg. 35{~PRIME~} westlich vom Meridian von Paris zu liegen kaemen. Obgleich die Aussagen der Eingeborenen vollkommen uebereinstimmten, liegen die Quellen wohl noch weiter nach Westen, da die Canoes nur so weit hinaufkommen, als das Flussbett es gestattet. Nach der Analogie der europaeischen Fluesse laesst sich das Verhaeltniss zwischen der Breite und Laenge des obern Flussstuecks(69) nicht bestimmt beurtheilen. In Amerika nimmt haeufig die Wassermasse in den Fluessen auf kurzen Strecken sehr auffallend zu. Der Guainia ist in seinem obern Lauf vorzueglich dadurch ausgezeichnet, dass er keine Kruemmungen hat; er erscheint wie ein breiter Kanal, der durch einen dichten Wald gezogen ist. So oft der Fluss die Richtung veraendert, liegt eine gleich lange Wasserstrecke vor dem Auge. Die Ufer sind hoch, aber eben und selten felsigt. Der Granit, den ungeheure Quarzgaenge durchsetzen, kommt meist nur mitten im Bett zu Tage. Faehrt man den Guainia nach Nordwest hinauf, so wird die Stroemung mit jeder Tagreise reissender. Die Flussufer sind unbewohnt; erst in der Naehe der Quellen (_las cavezeras_), im bergigten Land, hausen die Manivas- oder Poignaves-Indianer. Die Quellen des Inirida (Iniricha) liegen, nach der Aussage der Indianer, nur 2--3 Meilen von denen des Guainia und es liesse sich dort ein Trageplatz anlegen. Pater Caulin hoerte in Cabruta aus dem Munde eines indianischen Haeuptlings Namens Tapo, der Inirida sey sehr nahe beim Patavita (Paddavida auf der Karte von LA CRUZ), der ein Nebenfluss des Rio Negro ist. Die Eingeborenen am obern Guainia kennen diesen Namen nicht, so wenig als den eines Sees (_laguna del Rio Negro_), der auf alten portugiesischen Karten vorkommt. Dieser angebliche Rio Patavita ist wahrscheinlich nichts als der Guainia der Indianer in Maroa; denn so lange die Geographen an die Gabeltheilung des Caqueta glaubten, liessen sie den Rio Negro aus diesem Arm und einem Flusse entstehen, den sie Patavita nannten. Nach dem Bericht der Eingeborenen sind die Berge bei den Quellen des Inirida und Guainia nicht hoeher als der Baraguan, der nach meiner Messung 120 Toisen hoch ist. Portugiesische handschriftliche Karten, die in neuester Zeit im hydrographischen Depot zu Rio Janeiro entworfen worden sind, bestaetigen, was ich an Ort und Stelle in Erfahrung gebracht. Sie geben keine der vier Verbindungen des Caqueta oder Japura mit dem Guainia (Rio Negro), dem Inirida, dem Uaupes (Guapue) und dem Putumayo an; sie stellen jeden dieser Nebenfluesse als einen unabhaengigen Strom dar; sie lassen den Rio Patavita weg und setzen die Quellen des Guainia nur 2 deg. 15{~PRIME~} westwaerts vom Meridian von Javita. Der Rio Uaupes, ein Nebenfluss des Guainia, scheint viel weiter aus Westen herzukommen als der Guainia selbst; und seine Richtung ist so, dass kein Arm des Caqueta in den obern Guainia kommen koennte, ohne ihn zu schneiden. Ich bringe zum Schluss dieser Eroerterung einen Beweis bei, der direkt gegen die Annahme spricht, nach welcher der Guainia, wie der Guaviare und der Caqueta, am Ostabhang der Cordilleren der Anden entspringen soll. Waehrend meines Aufenthalts in Popayan machte mir der Gardian des Franciskanerklosters, Fray Francisco Pugnet, ein liebenswuerdiger, verstaendiger Mann, zuverlaessige Mittheilungen ueber die Missionen der Adaquies, in denen er lange gelebt hat. Der Pater hatte eine beschwerliche Reise vom Caqueta zum Guaviare unternommen. Seit Philipp von Hutten (Urre) und den ersten Zeiten der Eroberung war kein Europaeer durch dieses unbekannte Land gekommen. Pater Pugnet kam von der Mission Caguan am Flusse dieses Namens, der in den Caqueta faellt, ueber eine unermessliche, voellig baumlose Savane, in deren oestlichem Striche die Tamas- und Coreguajes-Indianer hausen. Nach sechstaegigem Marsch nordwaerts kam er in einen kleinen Ort Namens Aramo am Guayavero, etwa 15 Meilen westlich vom Punkt, wo der Guayavero und der Ariari den grossen Guaviarestrom bilden. Aramo ist das am weitesten nach West gelegene Dorf der Missionen von San Juan de los Llanos. Pater Pugnet hoerte dort von den grossen Katarakten des Rio Guaviare (ohne Zweifel denselben, die der Praesident der Missionen am Orinoco auf seiner Fahrt von San Fernando de Apure den Guaviare hinauf gesehen, s. Bd. III. Seite 296), aber er kam zwischen Caguan und Aramo ueber keinen Fluss. Es ist also erwiesen, dass unter dem 75. Grad der Laenge, auf 40 Meilen vom Abhang der Cordilleren, mitten in den Llanos weder Rio Negro (Patavita, Guainia), noch Guapue (Uaupe), noch Inirida zu finden sind und dass diese drei Fluesse ostwaerts von diesem Meridian entspringen. Diese Angaben sind von grossem Werth; denn im innern Afrika ist die Geographie kaum so verworren als hier zwischen dem Atabapo und den Quellen des Meta, Guaviare und Caqueta. "Man glaubt es kaum," sagt CALDAS in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, die in Santa Fe de Bogota erscheint, "dass wir noch keine Karte von den Ebenen besitzen, die am Ostabhang der Gebirge beginnen, die wir taeglich vor Augen haben und auf denen die Kapellen Guadeloupe und Monserrate stehen. Kein Mensch weiss, wie breit die Cordilleren sind, noch wie die Fluesse laufen, die in den Orinoco und in den Amazonenstrom fallen, und doch werden einst in besseren Zeiten eben auf diesen Nebenfluessen, dem Meta, dem Guaviare, dem Rio Negro, dem Caqueta, die Einwohner von Cundinamarca mit Brasilien und Paraguay verkehren." Ich weiss wohl, dass in den Missionen der Andaquies ziemlich allgemein der Glaube herrscht, der Caqueta gebe zwischen dem Einfluss des Rio Fragua und des Caguan einen Arm an den Putumayo, und weiter unten, unterhalb der Einmuendung des Rio Payoya, einen andern an den Orinoco ab; aber diese Meinung stuetzt sich nur auf eine unbestimmte Sage der Indianer, welche haeufig Trageplaetze und Gabeltheilungen verwechseln. Wegen der Katarakten an der Muendung des Payoya und der wilden Huaques-Indianer, auch "Murcielagos" (Fledermaeuse) genannt, weil sie den Gefangenen das Blut aussaugen, koennen die spanischen Missionaere nicht den Caqueta hinabfahren. Nie hat ein weisser Mensch den Weg von San Miguel de Mocoa zum Einfluss des Caqueta in den Amazonenstrom gemacht. Bei der letzten Grenzcommission fuhren die portugiesischen Astronomen zuerst den Caqueta bis zu 0 deg. 36{~PRIME~} suedlicher Breite, dann den Rio de los Enganos (den truegerischen Fluss) und den Rio Cunare, die in den Caqueta fallen, bis zu 0 deg. 28{~PRIME~} noerdlicher Breite hinauf. Auf dieser Fahrt sahen sie nordwaerts keinen Arm vom Caqueta abgehen. Der Amu und der Yabilla, deren Quellen sie genau untersucht, sind Fluesschen, die in den Rio de los Enganos und mit diesem in den Caqueta fallen. Findet also wirklich eine Gabeltheilung statt, so waere sie nur auf der ganz kurzen Strecke zwischen dem Einfluss des Payoya und dem zweiten Katarakt oberhalb des Einflusses des Rio de los Enganos zu suchen; aber, ich wiederhole es, wegen dieses Flusses, wegen des Cunare, des Apoporis und des Uaupes koennte dieser angebliche Arm des Caqueta gar nicht zum obern Guainia gelangen. Alles scheint vielmehr darauf hinzuweisen, dass zwischen den Zufluessen des Caqueta und denen des Uaupes und Rio Negro eine Wasserscheide ist. Noch mehr: durch barometrische Beobachtung haben wir fuer das Ufer des Pimichin 130 Toisen Meereshoehe gefunden. Vorausgesetzt, das bergigte Land an den Quellen des Guainia liege 50 Toisen ueber Javita, so folgt daraus, dass das Bett des Flusses in seinem oberen Lauf wenigstens 200 Toisen ueber dem Meere liegt, also nur so hoch, als wir mit dem Barometer das Ufer des Amazonenstroms bei Tomependa in der Provinz Jaen de Bracamoros gefunden. Bedenkt man nun, wie stark dieser ungeheure Strom von Tomependa bis zum Meridian von 75 deg. faellt und wie weit es von den Missionen am Rio Caguan bis zur Cordillere ist, so bleibt kein Zweifel, dass das Bett des Caqueta unterhalb der Muendungen des Caguan und des Payoya viel tiefer liegt als das Bett des obern Guainia, an den er einen Theil seines Wassers abgeben soll. Ueberdiess ist das Wasser des Caqueta durchaus weiss, das des Guainia dagegen schwarz oder kaffeebraun; man hat aber kein Beispiel, dass ein weisser Fluss auf seinem Laufe schwarz wuerde. Der obere Guainia kann also kein Arm des Caqueta seyn. Ich zweifle sogar, dass man Grund hat anzunehmen, dem Guainia, als vornehmsten und unabhaengigen Wasserbehaelter, komme suedwaerts durch einen Seitenzweig einiges Wasser zu. Die kleine Berggruppe an den Quellen des Guainia, die wir haben kennen lernen, ist um so interessanter, da sie einzeln in der Ebene liegt, die sich suedwestlich vom Orinoco ausdehnt. Nach der Laenge, unter der sie liegt, koennte man vermuthen, von ihr gehe ein Kamm ab, der zuerst die Stromenge (Angostura) des Guaviare und dann die grossen Katarakten des Uaupes und des Jupura bildet. Kommt vielleicht dort, wo die Gebirgsart wahrscheinlich, wie im Osten, Granit ist, Gold in kleinen Theilen im Boden vor? Gibt es vielleicht weiter nach Sueden, dem Uaupes zu, am Iquiare (Iguiari, Iguari) und am Yurubesh (Yurubach, Urubaxi) Goldwaeschen? Dort suchte PHILIPP VON HUTTEN zuerst den Dorado und lieferte mit einer Handvoll Leute den Omaguas das im sechzehnten Jahrhundert vielberufene Gefecht. Entkleidet man die Berichte der Conquistadoren des Fabelhaften, so erkennt man an den erhaltenen Ortsnamen immerhin, dass geschichtliche Wahrheit zu Grunde liegt. Man folgt dem Zuge Huttens ueber den Guaviare und den Caqueta; man erkennt in den *Guaypes* unter dem Caziken von Macatoa die Anwohner des Uaupes, der auch *Guape* oder Guapue heisst; man erinnert sich, dass Pater Acuna den Iquiari (Quiguiare) einen *Goldfluss* nennt, und dass fuenfzig Jahre spaeter Pater FRITZ, ein sehr glaubwuerdiger Missionaer, in seiner Mission Yurimaguas von den Manaos (Manoas) besucht wurde, die mit Goldblechen geputzt waren und aus dem Landstrich zwischen dem Uaupe und dem Caqueta oder Jupura kamen. Die Fluesse, die am Ostabhang der Anden entspringen, (z. B. der Napo) fuehren viel Gold, auch wenn ihre Quellen im Trachytgestein liegen: warum sollte es ostwaerts von den Cordilleren nicht so gut goldhaltiges aufgeschwemmtes Land geben, wie westwaerts bei Sonora, Choco und Barbacoas? Ich bin weit entfernt, den Reichthum dieses Landstrichs uebertreiben zu wollen; aber ich halte mich nicht fuer berechtigt, das Vorkommen edler Metalle im Urgebirge von Guyana nur desshalb in Abrede zu ziehen, weil wir auf unserer Reise durch das Land keinen Erzgang gefunden haben. Es ist auffallend, dass die Eingeborenen am Orinoco in ihren Sprachen ein Wort fuer Gold haben (caraibisch Carucuru, tamanakisch *Caricuri*, maypurisch *Cavitta*), waehrend das Wort, das sie fuer Silber gebrauchen, *Prata*, offenbar dem Spanischen entlehnt ist. Die Nachrichten ueber Goldwaeschen suedlich und noerdlich vom Rio Uaupes, die Acuna, Pater Fritz und La Condamine gesammelt, stimmen mit dem ueberein, was ich ueber die Goldlager in diesem Landstrich in Erfahrung gebracht. So stark man sich auch den Verkehr unter den Voelkern am Orinoco vor der Ankunft der Europaeer denken mag, so haben sie doch ihr Gold gewiss nicht vom Ostabhang der Cordilleren geholt. Dieser Abhang ist arm an Erzgruben, zumal an solchen, die schon von Alters her in Betrieb waren; er besteht in den Provinzen Popayan, Pasto und Quito fast ganz aus vulkanischem Gestein. Wahrscheinlich kam das Gold nach Guyana aus dem Lande ostwaerts von den Anden. Noch zu unserer Zeit wurde in einer Schlucht bei der Mission Encaramada ein Goldgeschiebe gefunden, und man darf sich nicht wundern, dass man, sobald sich Europaeer in diesen Einoeden niederlassen, weniger von Goldblech, Goldstaub und Amuletten aus Nephrit sprechen hoert, die man sich frueher von den Caraiben und andern umherziehenden Voelkern im Tauschhandel verschaffen konnte. Die edlen Metalle waren am Orinoco, Rio Negro und Amazonenstrom nie sehr haeufig, und sie verschwinden fast ganz, sobald die Zucht in den Missionen dem Verkehr der Eingeborenen ueber weite Strecken ein Ende macht. Am obern Guainia ist das Klima nicht so heiss, vielleicht auch etwas weniger feucht als am Tuamini. Ich fand das Wasser des Rio Negro im Mai 23 deg.,9 [19 deg.,2 Reaumur] warm, waehrend der Thermometer in der Luft bei Tag auf 22 deg.,7, bei Nacht auf 21 deg.,8 stand. Diese Kuehle des Wassers, die fast ebenso beim Congofluss beobachtet wird, ist so nahe beim Aequator (1 deg. 53{~PRIME~} bis 2 deg. 15{~PRIME~} noerdliche Breite) sehr auffallend. Der Orinoco ist zwischen dem vierten und achten Grad der Breite meist 27 deg.,5 bis 29 deg.,5 warm. Die Quellen, die bei Maypures aus dem Granit kommen, haben 27 deg.,8. Diese Abnahme der Waerme dem Aequator zu stimmt merkwuerdig mit den Hypothesen einiger Physiker des Alterthums;(70) es ist indessen nur eine oertliche Erscheinung und nicht sowohl eine Folge der Meereshoehe, des Landstrichs, als vielmehr des bestaendig bedeckten, regnerischen Himmels, der Feuchtigkeit des Bodens, der dichten Waelder, der starken Ausduenstung der Gewaechse und des Umstandes, dass kein sandiges Ufer den Waermestoff anzieht und durch Strahlung wieder von sich gibt. Der Einfluss eines bezogenen Himmels zeigt sich recht deutlich am Kuestenstrich in Peru, wo niemals Regen faellt und die Sonne einen grossen Theil des Jahres, zur Zeit der *Garua* (Nebel), dem blossen Auge wie die Mondscheibe erscheint. Dort, zwischen dem 10. und 12. Grad suedlicher Breite ist die mittlere Temperatur kaum hoeher als in Algier und Cairo. Am Rio Negro regnet es fast das ganze Jahr, December und Januar ausgenommen, und selbst in der trockenen Jahreszeit sieht man das Blau des Himmels selten zwei, drei Tage hinter einander. Bei heiterer Luft erscheint die Hitze desto groesser, da sonst das Jahr ueber die Einwohner sich bei Nacht ueber Frost beklagen, obgleich die Temperatur immer noch 21 deg. betraegt. Ich stellte in San Carlos, wie frueher in Javita, Beobachtungen ueber die Regenmenge an, die in einer gegebenen Zeit faellt. Diese Untersuchungen sind von Belang, wenn es sich davon handelt, die ungeheure Anschwellung der Fluesse in der Naehe des Aequators zu erklaeren, von denen man lange glaubte, sie werden von den Cordilleren mit Schneewasser gespeist. Ich sah zu verschiedenen Zeiten in 2 Stunden 7,5 Linien, in 3 Stunden 18 Linien, in 9 Stunden 48,2 Linien Regen fallen. Da es unaufhoerlich fort regnet (der Regen ist fein, aber sehr dicht), so koennen, glaube ich, in diesen Waeldern jaehrlich nicht wohl unter 90 bis 100 Zoll Wasser fallen. So ausserordentlich viel diess auch scheinen mag, so wird diese Schaetzung doch durch die sorgfaeltigen Beobachtungen des Ingenieurobristen COSTANZO in Neuspanien bestaetigt. In Vera-Cruz fielen allein in den Monaten Juli, August und September 35 Zoll 2 Linien, im ganzen Jahr 62 Zoll 2 Linien Regenwasser; aber zwischen dem Klima der duerren, kahlen mexicanischen Kuesten und dem Klima in den Waeldern ist ein grosser Unterschied. Auf jenen Kuesten faellt in den Monaten December und Januar kein Tropfen Regen und im Februar, April und Mai meist nur 2--2,3 Zoll; in San Carlos dagegen ist es neun, zehn Monate hinter einander, als ob die Luft sich in Wasser aufloeste. In diesem nassen Himmelsstriche wuerde ohne die Verdunstung und den Abzug der Wasser der Boden im Verlauf eines Jahres mit einer 8 Fuss hohen Wasserschicht bedeckt. Diese Aequatorialregen, welche die majestaetischen Stroeme Amerikas speisen, sind von elektrischen Entladungen begleitet, und waehrend man am Ende desselben Continents, auf der Westkueste von Groenland,(71) in fuenf und sechs Jahren nicht Einmal donnern hoert, toben in der Naehe des Aequators die Gewitter fast Tag fuer Tag. Die Gleichzeitigkeit der elektrischen Entladungen und der Regenguesse unterstuetzt uebrigens keineswegs die alte Hypothese, nach der sich in der Luft durch Verbindung von Sauerstoff und Wasserstoff Wasser bildet. Man hat bis zu 3600 Toisen Hoehe vergeblich Wasserstoff gesucht. Die Menge des in der gesaettigten Luft enthaltenen Wassers nimmt von 20 bis 25 Grad weit rascher zu als von 10 bis 15 Grad. Unter der heissen Zone bildet sich daher, wenn sich die Luft um einen einzigen Grad abkuehlt, weit mehr sichtbarer Wasserdunst als in der gemaessigten. Eine durch die Stroemungen fortwaehrend erneuerte Luft kann somit alles Wasser liefern, das bei den Aequatorialregen faellt und dem Physiker so erstaunlich gross duenkt. Das Wasser des Rio Negro ist (bei reflektirtem Licht) dunkler von Farbe als das des Atabapo und des Tuamini. Ja die Masse weissen Wassers, die der Cassiquiare hereinbringt, aendert unterhalb der Schanze San Carlos so wenig an der Farbe, dass es mir auffiel. Der Verfasser der _Chorographie moderne du Bresil_ sagt ganz richtig, der Fluss habe ueberall, wo er nicht tief sey, eine Bernsteinfarbe, wo das Wasser aber sehr tief sey, erscheine es schwarzbraun, wie Kaffeesatz. Auch bedeutet *Curana*, wie die Eingeborenen den untern Guainia nennen, schwarzes Wasser. Die Vereinigung des Guainia oder Rio Negro mit dem Amazonenstrom gilt in der Statthalterschaft Gran-Para fuer ein so wichtiges Moment, dass der Rio das Amazonas westlich vom Rio Negro seinen Namen ablegt und fortan Rio dos Solimoees heisst (eigentlich Sorimoees, mit Anspielung auf das Gift der Nation der Sorimans). Westlich von Ucayale nimmt der Amazonenstrom den Namen Rio Maranhao oder Maranon an. Die Ufer des obern Guainia sind im Ganzen ungleich weniger von Wasservoegeln bevoelkert als die des Cassiquiare, Meta und Arauca, wo die Ornithologen die reichste Ausbeute fuer die europaeischen Sammlungen finden. Dass diese Thiere so selten sind, ruehrt ohne Zweifel daher, dass der Strom keine Untiefen und keine offenen Gestade hat, so wie von der Beschaffenheit des schwarzen Wassers, in dem (gerade wegen seiner Reinheit) Wasserinsekten und Fische weniger Nahrung finden. Trotz dem naehren sich die Indianer in diesem Landstrich zweimal im Jahr von Zugvoegeln, die auf ihrer langen Wanderung am Ufer des Rio Negro ausruhen. Wenn der Orinoco zu steigen anfaengt, also nach der Fruehlings-Tag- und Nachtgleiche, ziehen die Enten (_Patos careteros_) in ungeheuern Schwaermen vom 8. bis 3. Grad noerdlicher zum 1. bis 4. Grad suedlicher Breite gegen Sued-Sued-Ost. Diese Thiere verlassen um diese Zeit das Thal des Orinoco, ohne Zweifel weil sie, wenn das Wasser steigt und die Gestade ueberfluthet, keine Fische, Wasserinsekten und Wuermer mehr fangen koennen. Man erlegt sie zu Tausenden, wenn sie ueber den Rio Negro ziehen. Auf der Wanderung zum Aequator sind sie sehr fett und wohlschmeckend, aber im September, wenn der Orinoco faellt und in sein Bett zuruecktritt, ziehen die Enten, ob sie nun der Ruf der erfahrensten Zugvoegel dazu antreibt, oder jenes innere Gefuehl, das man Instinkt nennt, weil es nicht zu erklaeren ist, vom Amazonenstrom und Rio Branco wieder nach Norden. Sie sind zu mager, als dass die Indianer am Rio Negro luestern darnach waeren, und sie entgehen ihren Nachstellungen um so eher, da eine Reiherart (Gavanes) mit ihnen wandert, die ein vortreffliches Nahrungsmittel abgibt. So essen denn die Eingeborenen im Maerz Enten, im September Reiher. Sie konnten uns nicht sagen, was aus den *Gavanes* wird, wenn der Orinoco ausgetreten ist, und warum sie die Patos careteros auf ihrer Wanderung vom Orinoco an den Rio Branco nicht begleiten. Dieses regelmaessige Ziehen der Voegel aus einem Striche der Tropen in den andern, in einer Zone, die das ganze Jahr ueber dieselbe Temperatur hat, sind eine ziemlich auffallende Erscheinung. So kommen auch jedes Jahr, wenn in Terra Firma die grossen Fluesse austreten, viele Schwaerme von Wasservoegeln vom Orinoco und seinen Nebenfluessen an die Suedkuesten der Antillen. Man muss annehmen, dass unter den Tropen der Wechsel von Trockenheit und Naesse auf die Sitten der Thiere denselben Einfluss hat, wie in unserem Himmelsstrich bedeutende Temperaturwechsel. Die Sonnenwaerme und die Insektenjagd locken in den noerdlichen Laendern der Vereinigten Staaten und in Canada die Colibris bis zur Breite von Paris und Berlin herauf; gleicherweise zieht der leichtere Fischfang die Schwimmvoegel und die Stelzenlaeufer von Nord nach Sued, vom Orinoco zum Amazonenstrom. Nichts ist wunderbarer, und in geographischer Beziehung noch so dunkel als die Wanderungen der Voegel nach ihrer Richtung, ihrer Ausdehnung und ihrem Endziel. Sobald wir aus dem Pimichin in den Rio Negro gelangt und durch den kleinen Katarakt am Zusammenfluss gegangen waren, lag auf eine Viertelmeile die Mission Maroa vor uns. Dieses Dorf mit 150 Indianern sieht so sauber und wohlhabend aus, dass es angenehm auffaellt. Wir kauften daselbst schoene lebende Exemplare einiger Tucanarten (_Piapoco_), muthiger Voegel, bei denen sich die Intelligenz wie bei unsern zahmen Raben entwickelt. Oberhalb Maroa kamen wir zuerst rechts am Einfluss des Aquio, dann an dem des Tomo vorbei; an letzterem Flusse wohnen die Cheruvichahenas-Indianer, von denen ich in San Francisko Solano ein paar Familien gesehen habe. Derselbe ist ferner dadurch interessant, dass er den heimlichen Verkehr mit den portugiesischen Besitzungen vermitteln hilft. Der Tomo kommt auf seinem Lauf dem Rio Guaicia (Xie) sehr nahe, und auf diesem Wege gelangen zuweilen fluechtige Indianer vom untern Rio Negro in die Mission Tomo. Wir betraten die Mission nicht, Pater Zea erzaehlte uns aber laechelnd, die Indianer in Tomo und in Maroa seyen einmal in vollem Aufruhr gewesen, weil man sie zwingen wollte, den vielberufenen "Teufelstanz" zu tanzen. Der Missionaer hatte den Einfall gehabt, die Ceremonien, womit die *Piaches*, die Priester, Aerzte und Zauberer zugleich sind, den boesen Geist *Jolokiamo* beschwoeren, in burleskem Styl darstellen zu lassen. Er hielt den "Teufelstanz" fuer ein treffliches Mittel, seinen Neubekehrten darzuthun, dass Jolokiamo keine Gewalt mehr ueber sie habe. Einige junge Indianer liessen sich durch die Versprechungen des Missionaers bewegen, die Teufel vorzustellen, und sie hatten sich bereits mit schwarzen und gelben Federn geputzt und die Jaguarfelle mit lang nachschleppenden Schwaenzen umgenommen. Die Soldaten, die in den Missionen liegen, um die Ermahnungen der Ordensleute eindringlicher zu machen, stellte man um den Platz vor der Kirche auf und fuehrte die Indianer zur Festlichkeit herbei, die aber hinsichtlich der Folgen des Tanzes und der Ohnmacht des boesen Geistes nicht so ganz beruhigt waren. Die Partei der Alten und Furchtsamen gewann die Oberhand; eine aberglaeubische Angst kam ueber sie, alle wollten _al monte_ laufen, und der Missionaer legte seinen Plan, den Teufel der Eingeborenen laecherlich zu machen, zurueck. Was fuer wunderliche Einfaelle doch einem muessigen Moenche kommen, der sein Leben in den Waeldern zubringt, fern von Allem, was ihn an menschliche Cultur mahnen koennte! Dass man in Tomo den geheimnissvollen Teufelstanz mit aller Gewalt oeffentlich wollte auffuehren lassen, ist um so auffallender, da in allen von Missionaeren geschriebenen Buechern davon die Rede ist, wie sie sich bemueht, das; keine Taenze aufgefuehrt werden, keine "Todtentaenze", keine "Taenze der heiligen Trompete," auch nicht der alte "Schlangentanz", der _'Queti'_, bei dem vorgestellt wird, wie diese listigen Thiere aus dem Wald kommen und mit den Menschen trinken, um sie zu hintergehen und ihnen die Weiber zu entfuehren. Nach zweistuendiger Fahrt kamen wir von der Muendung des Tomo zu der kleinen Mission San Miguel de Davipe, die im Jahr 1775 nicht von Moenchen, sondern von einem Milizlieutenant, Don Francisco Bobadilla, gegruendet worden. Der Missionaer Pater Morillo, bei dem wir ein paar Stunden verweilten, nahm uns sehr gastfreundlich auf und setzte uns sogar Maderawein vor. Als Tafelluxus waere uns Weizenbrod lieber gewesen. Auf die Laenge faellt es einem weit schwerer, das Brod zu entbehren, als geistige Getraenke. Durch die Portugiesen am Amazonenstrom kommt hie und da etwas Maderawein an den Rio Negro, und da *Madera* auf Spanisch *Holz* bedeutet, so hatten schon arme, in der Geographie nicht sehr bewanderte Missionaere Bedenken, ob sie mit Maderawein das Messopfer verrichten duerften; sie hielten denselben fuer ein irgend einem Baume abgezapftes gegohrenes Getraenk, wie Palmwein, und forderten den Gardian der Missionen auf, sich darueber auszusprechen, ob der _vino de Madera_ Wein aus Trauben _de uvas_) sey oder aber der Saft eines Baumes (_vino de algun palo_). Schon zu Anfang der Eroberung war die Frage aufgeworfen worden, ob es den Priestern gestattet sey, mit einem gegohrenen, dem Traubenwein aehnlichen Saft das Messopfer zu verrichten. Wie vorauszusehen, wurde die Frage verneint. Wir kauften in Davipe einigen Mundvorrath, namentlich Huehner und ein Schwein. Dieser Einkauf war unsern Indianern sehr wichtig, da sie schon lange kein Fleisch mehr gegessen hatten. Sie draengten zum Aufbruch, damit wir zeitig auf die Insel Dapa kaemen, wo das Schwein geschlachtet und in der Nacht gebraten werden sollte. Kaum hatten wir Zeit, im Kloster (_convento_) grosse Haufen *Maniharz* zu betrachten, sowie Seilwerk aus der Chiquichiqui-Palme, das in Europa besser bekannt zu seyn verdiente. Dasselbe ist ausnehmend leicht, schwimmt auf dem Wasser und ist auf der Flussfahrt dauerhafter als Tauwerk aus Hanf. Zur See muss man es, wenn es halten soll, oefter anfeuchten und es nicht oft der tropischen Sonne aussetzen. DON ANTONIO SANTOS, der im Lande wegen seiner Reise zur Auffindung des Parimesees viel genannt wird, lehrte die Indianer am spanischen Rio Negro die Blattstiele des Chiquichiqui benuetzen, einer Palme mit gefiederten Blaettern, von der wir weder Bluethen noch Fruechte zu Gesicht bekommen haben. Dieser Officier ist der einzige weisse Mensch, der, um von Angostura nach Gran-Para zu kommen, von den Quellen des Rio Carony zu denen des Rio Branco den Landweg gemacht hat. Er hatte sich in den portugiesischen Colonien mit der Fabrikation der Chiquichiqui-Taue bekannt gemacht und fuehrte, als er vom Amazonenstrom zurueckkam, den Gewerbszweig in den Missionen in Guyana ein. Es waere zu wuenschen, dass am Rio Negro und Cassiquiare grosse Seilbahnen angelegt werden koennten, um diese Taue in den europaeischen Handel zu bringen. Etwas Weniges wird bereits von Angostura auf die Antillen ausgefuehrt. Sie kosten dort 50 bis 60 Procent weniger als Hanftaue.(72) Da man nur junge Palmen benuetzt, muessten sie angepflanzt und cultivirt werden. Etwas oberhalb der Mission Davipe nimmt der Rio Negro einen Arm des Cassiquiare auf, der in der Geschichte der Flussverzweigungen eine merkwuerdige Erscheinung ist. Dieser Arm geht noerdlich von Vasiva unter dem Namen Itinivini vom Cassiquiare ab, laeuft 25 Meilen lang durch ein ebenes, fast ganz unbewohntes Land und faellt unter dem Namen Conorichite in den Rio Negro. Er schien mir an der Muendung ueber 120 Toisen breit und bringt eine bedeutende Masse weissen Wassers in das schwarze Gewaesser. Obgleich die Stroemung im Conorichite sehr stark ist, kuerzt dieser natuerliche Kanal dennoch die Fahrt von Davipe nach Esmeralda um drei Tage ab. Eine doppelte Verbindung zwischen Cassiquiare und Rio Negro kann nicht auffallen, wenn man weiss, wie viele Fluesse in Amerika beim Zusammenfluss mit andern Delta's bilden. So ergiessen sich der Rio Branco und der Jupura mit zahlreichen Armen in den Rio Negro und in den Amazonenstrom. Beim Einfluss des Jupura kommt noch etwas weit Auffallenderes vor. Ehe dieser Fluss sich mit dem Amazonenstrom vereinigt, schickt dieser, der Hauptwasserbehaelter, drei Arme, genannt Uaranapu, Manhama und Avateperana, zum Jupura, also zum Nebenfluss. Der portugiesische Astronom RIBEIRO hat diesen Umstand ausser Zweifel gesetzt. Der Amazonenstrom gibt Wasser an den Jupura ab, ehe er diesen seinen Nebenfluss selbst aufnimmt. Der Rio Conorichite oder Itinivini spielte frueher im Sklavenhandel, den die Portugiesen auf spanischem Gebiet trieben, eine bedeutende Rolle. Die Sklavenhaendler fuhren auf dem Cassiquiare und dem Cano Mee in den Conorichite hinauf, schleppten von da ihre Piroguen ueber einen Trageplatz zu den *Rochelas* von Manuteso und kamen so in den Atabapo. Ich habe diesen Weg auf meiner Reisekarte des Orinoco angegeben. Dieser schaendliche Handel dauerte bis um das Jahr 1756. Solanos Expedition und die Errichtung der Missionen am Rio Negro machten demselben ein Ende. Alte Gesetze von Carl V. und Philipp III. verboten unter Androhung der schwersten Strafen (wie Verlust buergerlicher Aemter und 2000 Piaster Geldbusse), "Eingeborene durch gewaltsame Mittel zu bekehren und Bewaffnete gegen sie zu schicken;" aber diesen weisen, menschenfreundlichen Gesetzen zum Trotz hatte der Rio Negro noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wie sich LA CONDAMINE ausdrueckt, fuer die europaeische Politik nur in sofern Interesse, als er die *Entradas* oder feindlichen Einfaelle erleichterte und dem Sklavenhandel Vorschub that. Die Caraiben, ein kriegerisches Handelsvolk, erhielten von den Portugiesen und den Hollaendern Messer, Fischangeln, kleine Spiegel und Glaswaaren aller Art. Dafuer hetzten sie die indianischen Haeuptlinge gegen einander auf, so dass es zum Kriege kam; sie kauften ihnen die Gefangenen ab und schleppten selbst mit List oder mit Gewalt Alles fort, was ihnen in den Weg kam. Diese Streifzuege der Caraiben erstreckten sich ueber ein ungeheures Gebiet. Dieselben gingen vom Essequebo und Carony aus auf dem Rupunuri und dem Paraguamuzi einerseits gerade nach Sued dem Rio Branco zu, andererseits nach Suedwest ueber die Trageplaetze zwischen dem Rio Paragua, dem Caura und dem Ventuario. Waren sie einmal bei den zahlreichen Voelkerschaften am obern Orinoco, so theilten sie sich in mehrere Banden und kamen ueber den Cassiquiare, Cababury, Itinivini und Atabapo an vielen Punkten zugleich an den Guainia oder Rio Negro und trieben mit den Portugiesen Sklavenhandel. So empfanden die ungluecklichen Eingeborenen die Nachbarschaft der Europaeer schwer, lange ehe sie mit diesen selbst in Beruehrung kamen. Dieselben Ursachen haben ueberall dieselben Folgen. Der barbarische Handel, den die civilisirten Voelker an der afrikanischen Kueste trieben und zum Theil noch treiben, wirkt Verderben bringend bis in Laender zurueck, wo man vom Daseyn weisser Menschen gar nichts weiss. Nachdem wir von der Muendung des Conorichite und der Mission Davipe aufgebrochen, langten wir bei Sonnenuntergang bei der Insel Dapa an, die ungemein malerisch mitten im Strome liegt. Wir fanden daselbst zu unserer nicht geringen Verwunderung einige angebaute Grundstuecke und auf einem kleinen Huegel eine indianische Huette. Vier Eingeborene sassen um ein Feuer von Buschwerk und assen eine Art weissen, schwarz gefleckten Teigs, der unsere Neugierde nicht wenig reizte. Es waren *Vachacos*, grosse Ameisen, deren Hintertheil einem Fettknopf gleicht. Sie waren am Feuer getrocknet und vom Rauch geschwaerzt. Wir sahen mehrere Saecke voll ueber dem Feuer haengen. Die guten Leute achteten wenig auf uns, und doch lagen in der engen Huette mehr als vierzehn Menschen ganz nackt in Haengematten ueber einander. Als aber Pater Zea erschien, wurde er mit grossen Freudenbezeugungen empfangen. Am Rio Negro stehen wegen der Grenzwache mehr Soldaten als am Orinoco, und ueberall, wo Soldaten und Moenche sich die Herrschaft ueber die Indianer streitig machen, haben diese mehr Zuneigung zu den Moenchen. Zwei junge Weiber stiegen aus den Haengematten, um uns Casavekuchen zu bereiten. Man fragte sie durch einen Dollmetscher, ob der Boden der Insel fruchtbar sey; sie erwiederten, der Manioc gerathe schlecht, dagegen sey es ein *gutes Ameisenland*, man habe gut zu leben. Diese *Vachacos* dienen den Indianern am Nio Negro wirklich zur Nahrung. Man isst die Ameisen nicht aus Leckerei, sondern weil, wie die Missionaere sagen, das *Ameisenfett* (der weisse Theil des Unterleibs) sehr nahrhaft ist. Als die Casavekuchen fertig waren, liess sich Pater Zea, bei dem das Fieber die Esslust vielmehr zu reizen als zu schwaechen schien, einen kleinen Sack voll geraeucherter Vachacos geben. Er mischte die zerdrueckten Insekten mit Maniocmehl und liess nicht nach, bis wir davon kosteten. Es schmeckte ungefaehr wie ranzige Butter, mit Brodkrumen geknetet. Der Manioc schmeckte nicht sauer, es klebte uns aber noch soviel europaeisches Vorurtheil an, dass wir mit dem guten Missionaer, wenn er das Ding eine vortreffliche *Ameisenpaste* nannte, nicht einverstanden seyn konnten. Da der Regen in Stroemen herabgoss, mussten wir in der ueberfuellten Huette uebernachten. Die Indianer schliefen nur von acht bis zwei Uhr; die uebrige Zeit schwatzten sie in ihren Haengematten, bereiteten ihr bitteres Getraenk Cupana, schuerten das Feuer und klagten ueber die Kaelte, obgleich die Lufttemperatur 21 Grad war. Diese Sitte, vier, fuenf Stunden Vor Sonnenaufgang wach, ja auf den Beinen zu seyn, herrscht bei den Indianern in Guyana allgemein. Wenn man daher bei den "Entradas" die Eingeborenen ueberraschen will, waehlt man dazu die Zeit, wo sie im ersten Schlafe liegen, von neun Uhr bis Mitternacht. Wir verliessen die Insel Dapa lange vor der Morgendaemmerung und kamen trotz der starken Stroemung und des Fleisses unserer Ruderer erst nach zwoelfstuendiger Fahrt bei der Schanze San Carlos del Rio Negro an. Links liessen wir die Einmuendung des Cassiquiare, rechts die kleine Insel Cumarai. Man glaubt im Lande, die Schanze liege gerade unter dem Aequator; aber nach meinen Beobachtungen am Felsen Culimacari liegt sie unter 1 deg. 54{~PRIME~} 11{~DOUBLE PRIME~}. Jede Nation hat die Neigung, den Flaechenraum ihrer Besitzungen auf den Karten zu vergroessern und die Grenzen hinauszuruecken. Da man es versaeumt, die Reiseentfernungen auf Entfernungen in gerader Linie zu reduciren, so sind immer die Grenzen am meisten verunstaltet. Die Portugiesen setzen, vom Amazonenstrom ausgehend, San Carlos und San Jose de Maravitanos zu weit nach Nord, wogegen die Spanier, die von der Kueste von Caracas aus rechnen, die Orte zu weit nach Sued schieben. Diess gilt von allen Karten der Colonieen. Weiss man, wo sie gezeichnet worden und in welcher Richtung man an die Grenzen gekommen, so weiss man zum voraus, nach welcher Seite hin die Irrthuemer in Laenge und Breite laufen. In San Carlos fanden wir Quartier beim Commandanten des Forts, einem Milizlieutenant. Von einer Galerie des Hauses hatte man eine sehr huebsche Aussicht auf drei sehr lange, dicht bewachsene Inseln. Der Strom laeuft geradeaus von Nord nach Sued, als waere sein Bett von Menschenhand gegraben. Der bestaendig bedeckte Himmel gibt den Landschaften hier einen ernsten, finstern Charakter. Wir fanden im Dorfe ein paar Juviastaemme; es ist diess das majestaetische Gewaechs, von dem die dreieckigten Mandeln kommen, die man in Europa Mandeln vom Amazonenstrom nennt. Wir haben dasselbe unter dem Namen _ __Bertholletia__ excelsa_ bekannt gemacht. Die Baeume werden in acht Jahren dreissig Fuss hoch. Die bewaffnete Macht an der Grenze hier bestand aus siebzehn Mann, wovon zehn zum Schutz der Missionaere in der Nachbarschaft detachirt waren. Die Luft ist so feucht, dass nicht vier Gewehre schussfertig sind. Die Portugiesen haben fuenf und zwanzig bis dreissig besser gekleidete und bewaffnete Leute in der Schanze San Jose de Maravitanos. In der Mission San Carlos fanden wir nur eine *Garita*, ein viereckigtes Gebaeude aus ungebrannten Backsteinen, in dem sechs Feldstuecke standen. Die Schanze, oder, wie man hier gerne sagt, das *Castillo de San Felipe* liegt San Carlos gegenueber am westlichen Ufer des Rio Negro. Der Commandant trug Bedenken, Bonpland und mich die *Fortalezza* sehen zu lassen; in unsern Paessen stand wohl, dass ich sollte Berge messen und ueberall im Lande, wo es mir gefiele, trigonometrische Operationen vornehmen duerfen, aber vom Besehen fester Plaetze stand nichts darin. Unser Reisebegleiter, Don Nicolas Soto, war als spanischer Offizier gluecklicher als wir. Man erlaubte ihm, ueber den Fluss zu gehen, und er fand auf einer kleinen abgeholzten Ebene die Anfaenge eines Erdwerkes, das, wenn es vollendet waere, zur Vertheidigung 500 Mann erforderte. Es ist eine Viereckigte Verschanzung mit kaum sichtbarem Graben. Die Brustwehr ist fuenf Fuss hoch und mit grossen Steinen verstaerkt. Dem Flusse zu liegen zwei Bastionen, in denen man vier bis fuenf Stuecke aufstellen koennte. Im ganzen Werk sind 14--15 Geschuetze, meist ohne Lafetten und von zwei Mann bewacht. Um die Schanze her stehen drei oder vier indianische Huetten. Diess heisst das Dorf San Felipe, und damit das Ministerium in Madrid Wunder meine, wie sehr diese christlichen Niederlassungen gedeihen, fuehrt man fuer das angebliche Dorf ein eigenes Kirchenbuch. Abends nach dem Angelus wurde dem Commandanten Rapport erstattet und sehr ernsthaft gemeldet, dass es ueberall um die Festung ruhig scheine; diess erinnerte mich an die Schanzen an der Kueste von Guinea, von denen man in Reisebeschreibungen liest, die zum Schutz der europaeischen Faktoreien dienen sollen und in denen vier bis fuenf Mann Garnison liegen. Die Soldaten in San Carlos sind nicht besser daran als die in den afrikanischen Faktoreien, denn. ueberall an so entlegenen Punkten herrschen dieselben Missbraeuche in der Militaerverwaltung. Nach einem Brauche, der schon sehr lange geduldet wird, bezahlen die Commandanten die Truppen nicht in Geld, sondern liefern ihnen zu hohen Preisen Kleidung (Ropa), Salz und Lebensmittel. In Angostura fuerchtet man sich so sehr davor, in die Missionen am Carony, Caura und Rio Negro detachirt oder vielmehr verbannt zu werden, dass die Truppen sehr schwer zu rekrutiren sind. Die Lebensmittel sind am Rio Negro sehr theuer, weil man nur wenig Manioc und Bananen baut und der Strom (wie alle schwarzen, klaren Gewaesser) wenig Fische hat. Die beste Zufuhr kommt von den portugiesischen Niederlassungen am Rio Negro, wo die Indianer regsamer und wohlhabender sind. Indessen werden bei diesem Handel mit den Portugiesen jaehrlich kaum fuer 3000 Piaster Waaren eingefuehrt. Die Ufer des obern Rio Negro werden mehr ertragen, wenn einmal mit Ausrodung der Waelder die uebermaessige Feuchtigkeit der Luft und des Bodens abnimmt und die Insekten, welche Wurzeln und Blaetter der krautartigen Gewaechse verzehren, sich vermindern. Beim gegenwaertigen Zustand des Ackerbaus kommt der Mais fast gar nicht fort; der Tabak, der auf den Kuesten von Caracas von ausgezeichneter Guete und sehr gesucht ist, kann eigentlich nur aus alten Baustaetten, bei zerfallenen Huetten, bei _'pueblo viejo'_ gebaut werden. In Folge der nomadischen Lebensweise der Eingeborenen fehlt es nun nicht an solchen Baustaetten, wo der Boden umgebrochen worden und der Luft ausgesetzt gewesen, ohne dass etwas darauf wuchs. Der Tabak, der in frisch ausgerodeten Waeldern gepflanzt wird, ist waessrigt und ohne Arom. Bei den Doerfern Maroa, Davipe und Tomo ist der Indigo verwildert. Unter einer andern Verwaltung, als wir sie im Lande getroffen, wird der Rio Negro eines Tags Indigo, Kaffee, Cacao, Mais und Reis im Ueberfluss erzeugen. Da man von der Muendung des Rio Negro nach Gran-Para in 20--25 Tagen faehrt, so haetten wir den Amazonenstrom hinab bis zur Kueste von Brasilien nicht viel mehr Zeit gebraucht, als um ueber den Cassiquiare und den Orinoco an die Nordkueste von Caracas zurueckzukehren. Wir hoerten in San Carlos, der politischen Verhaeltnisse wegen sey im Augenblick aus den spanischen Besitzungen schwer in die portugiesischen zu kommen; aber erst nach unserer Rueckkehr nach Europa sahen wir in vollem Umfang, welcher Gefahr wir uns ausgesetzt haetten, wenn wir bis Barcellos hinabgegangen waeren. Man hatte in Brasilien, vielleicht aus den Zeitungen, deren wohlwollender, unueberlegter Eifer schon manchem Reisenden Unheil gebracht hat, erfahren, ich werde in die Missionen am Rio Negro kommen und den natuerlichen Canal untersuchen, der zwei grosse Stromsysteme verbindet. In diesen oeden Waeldern hatte man Instrumente nie anders als in den Haenden der Grenzcommission gesehen, und die Unterbeamten der portugiesischen Regierung hatten bis dahin so wenig als der gute Missionaer, von dem in einem frueheren Capitel die Rede war, einen Begriff davon, wie ein vernuenftiger Mensch eine lange beschwerliche Reise unternehmen kann, "um Land zu vermessen, das nicht sein gehoert." Es war der Befehl ergangen, sich meiner Person und meiner Instrumente zu versichern, ganz besonders aber der Verzeichnisse astronomischer tz Beobachtungen, welche die Sicherheit der Staaten so schwer gefaehrden koennten. Man haette uns auf dem Amazonenfluss nach Gran-Para gefuehrt und uns von dort nach Lissabon geschickt. Diese Absichten, die, waeren sie in Erfuellung gegangen, eine aus fuenf Jahre berechnete Reise stark gefaehrdet haetten, erwaehne ich hier nur, um zu zeigen, wie in den Colonialregierungen meist ein ganz anderer Geist herrscht als an der Spitze der Verwaltung im Mutterland. Sobald das Ministerium in Lissabon vom Diensteifer seiner Untergebenen Kunde erhielt, erliess es den Befehl, mich in meinen Arbeiten nicht zu stoeren, im Gegentheil sollte man mir hilfreich an die Hand gehen, wenn ich durch einen Theil der portugiesischen Besitzungen kaeme. Von diesem aufgeklaerten Ministerium selbst wurde mir kundgethan, welch freundliche Ruecksicht man mir zugedacht, um die ich mich in so grosser Entfernung nicht hatte bewerben koennen. Unter den Portugiesen, die wir in San Carlos trafen, befanden sich mehrere Officiere, welche die Reise von Barcellos nach Gran-Para gemacht hatten. Ich stelle hier Alles zusammen, was ich ueber den Lauf des Rio Negro in Erfahrung bringen konnte. Selten kommt man aus dem Amazonenstrom ueber den Einfluss des Cababuri herauf, der wegen der Sarsaparill-Ernte weitberufen ist, und so ist Alles, was in neuerer Zeit ueber die Geographie dieser Laender veroeffentlicht worden, selbst was von Rio Janeiro ausgeht, in hohem Grade verworren. Weiter den Rio Negro hinab laesst man rechts den Cano Maliapo, links die Canos Dariba und Guy. Fuenf Meilen weiter, also etwa unter 1 deg. 38{~PRIME~} noerdlicher Breite, liegt die Insel San Josef, die provisorisch (denn in diesem endlosen Grenzprocess ist Alles provisorisch) als suedlicher Endpunkt der spanischen Besitzungen gilt. Etwas unterhalb dieser Insel, an einem Ort, wo es viele verwilderte Orangebaeume gibt, zeigt man einen kleinen, 200 Fuss hohen Felsen mit einer Hoehle, welche bei den Missionaeren "Cocuys *Glorieta*" heisst. Dieser *Lustort*, denn solches bedeutet das Wort Glorieta im Spanischen, weckt nicht die angenehmsten Erinnerungen. Hier hatte Cocuy, der Haeuptling der Manitivitanos, von dem oben die Rede war [S. Bd. III. Seite 277.], sein *Harem*, und hier verspeiste er -- um Alles zu sagen -- aus besonderer Vorliebe die schoensten und fettesten seiner Weiber. Ich zweifle nicht, dass Cocuy allerdings ein wenig ein Menschenfresser war; "es ist diess," sagt Pater Gili mit der Naivitaet eines amerikanischen Missionaers, "eine ueble Gewohnheit dieser Voelker in Guyana, die sonst so sanft und gutmuethig sind;" aber zur Steuer der Wahrheit muss ich hinzufuegen, dass die Sage vom Harem und den abscheulichen Ausschweifungen Cocuys am untern Orinoco weit verbreiteter ist als am Rio Negro. Ja in San Carlos laesst man nicht einmal den Verdacht gelten, als haette er eine die Menschheit entehrende Handlung begangen; geschieht solches vielleicht, weil Cocuys Sohn, der Christ geworden und der mir ein verstaendiger, civilisirter Mensch schien, gegenwaertig Hauptmann der Indianer in San Carlos ist? Unterhalb der Glorieta kommen auf portugiesischem Gebiet das Fort San Josef de Maravitanos, die Doerfer Joam Baptista de Mabbe, San Marcellino (beim Einfluss des Guaisia oder Uexie, von dem oben die Rede war), Nossa Senhora da Guya, Boavista am Rio Icanna, San Felipe, San Joaquin de Coanne beim Einfluss des vielberufenen Rio Guape [S. Bd. III. Seite 348--367], Calderon, San Miguel de Iparanna mit einer Schanze, San Francisco de las Caculbaes, und endlich die Festung San Gabriel de Cachoeiras. Ich zaehle diese Ortsnamen absichtlich auf, um zu zeigen, wie viele Niederlassungen die portugiesische Regierung sogar in diesem abgelegenen Winkel von Brasilien gegruendet hat. Auf einer Strecke von 25 Meilen liegen eilf Doerfer, und bis zum Ausfluss des Rio Negro kenne ich noch neunzehn weitere, ausser den sechs Doerfern Thomare, Moreira (am Rio Demenene oder Uaraca, wo ehmals die Guayannas-Indianer wohnten), Barcellos, San Miguel del Rio Branco, am Flusse desselben Namens, der in den Fabeln vom Dorado eine so grosse Rolle spielt, Moura und Villa de Rio Negro. Die Ufer dieses Nebenflusses des Amazonenstroms allein sind daher zehnmal bevoelkerter als die Ufer des obern und des untern Orinoco, des Cassiquiare, des Atabapo und des spanischen Rio Negro zusammen. Dieser Gegensatz beruht keineswegs bloss auf dem Unterschied in der Fruchtbarkeit des Bodens, noch darauf, dass der Rio Negro, weil er fortwaehrend von Nordwest nach Suedost laeuft, leichter zu befahren ist; er ist vielmehr Folge der politischen Einrichtungen. Nach der Colonialverfassung der Portugiesen stehen die Indianer unter Civil- und Militaerbehoerden und unter den Moenchen vom Berge Carmel zumal. Es ist eine gemischte Regierung, wobei die weltliche Gewalt sich unabhaengig erhaelt. Die Observanten dagegen, unter denen die Missionen am Orinoco stehen, vereinigen alle Gewalten in Einer Hand. Die eine wie die andere dieser Regierungsweisen ist drueckend in mehr als Einer Beziehung; aber in den portugiesischen Colonien wird fuer den Verlust der Freiheit wenigstens durch etwas mehr Wohlstand und Cultur Ersatz geleistet. Unter den Zufluessen, die der Rio Negro von Norden her erhaelt, nehmen drei besonders unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, weil sie wegen ihrer Verzweigungen, ihrer Trageplaetze und der Lage ihrer Quellen bei der so oft verhandelten Frage nach dem Ursprung des Orinoco stark in Betracht kommen. Die am weitesten suedwaerts gelegenen dieser Nebenfluesse sind der Rio Branco, von dem man lange glaubte, er entspringe mit dem Orinoco aus dem Parimesee, und der Rio Padaviri, der mittelst eines Trageplatzes mit dem Mavaca und somit mit dem obern Orinoco ostwaerts von der Mission Esmeralda in Verbindung steht. Wir werden Gelegenheit haben, vom Rio Branco und dem Padaviri zu sprechen, wenn wir in der letztgenannten Mission angelangt sind; hier brauchen wir nur beim dritten Nebenfluss des Rio Negro, dem Cababuri, zu verweilen, dessen Verzweigungen mit dem Cassiquiare in hydrographischer Beziehung und fuer den Sarsaparillehandel gleich wichtig sind. Von den hohen Gebirgen der Parime, die am Nordufer des Orinoco in seinem obern Lauf oberhalb Esmeralda hinstreichen, geht ein Zug nach Sueden ab, in dem der Cerro de Unturan einer der Hauptgipfel ist. Dieser gebirgigte Landstrich ist nicht sehr gross, aber reich an vegetabilischen Produkten, besonders an *Mavacure*-Lianen, die zur Bereitung des Curaregiftes dienen, an Mandelbaeumen (Juvia oder _Bertholletia excelsa_), aromatischem *Puchery* und wildem Cacao, und bildet eine Wasserscheide zwischen den Gewaessern, die in den Orinoco, in den Cassiquiare und in den Rio Negro gehen. Gegen Norden oder dem Orinoco zu fliessen der Mavaca und der Daracapo, nach Westen oder zum Cassiquiare der Idapa und der Pacimoni, nach Sueden oder zum Rio Negro der Padaviri und der Cababuri. Der letztere theilt sich in der Naehe seiner Quelle in zwei Arme, von denen der westlichste unter dem Namen Baria bekannt ist. In der Mission San Francisco Solano gaben uns die Indianer die umstaendlichsten Nachrichten ueber seinen Lauf. Er verzweigt sich, was sehr selten vorkommt, so, dass zu einem untern Zufluss das Wasser eines obern nicht herunterkommt, sondern dass im Gegentheil jener diesem einen Theil seines Wassers in einer der Richtung des Hauptwasserbehaelters entgegengesetzten Richtung zusendet. Ich habe mehrere Beispiele dieser Verzweigungen mit Gegenstroemungen, dieses scheinbaren Wasserlaufs bergan, dieser Flussgabelungen, deren Kenntniss fuer die Hydrographen von Interesse ist, auf Einer Tafel meines Atlas zusammengestellt. Dieselbe mag ihnen zeigen, dass man nicht geradezu Alles fuer Fabel erklaeren darf, was von dem Typus abweicht, den wir uns nach Beobachtungen gebildet, die einen zu unbedeutenden Theil der Erdoberflaeche umfassen. Der Cababuri faellt bei der Mission Nossa Senhora das Caldas in den Rio Negro; aber die Fluesse Ya und Dimity, die weiter oben hereinkommen, stehen auch mit dem Cababuri in Verbindung, so dass von der Schanze San Gabriel de Cachoeiras an bis San Antonio de Castanheira die Indianer aus den portugiesischen Besitzungen auf dem Baria und dem Pacimoni auf das Gebiet der spanischen Missionen sich einschleichen koennen. Wenn ich sage Gebiet, so brauche ich den ungewoehnlichen Ausdruck der Observanten. Es ist schwer zu sagen, aus was sich das Eigenthumsrecht in unbewohnten Laendern gruendet, deren natuerliche Grenzen man nicht kennt, und die man nicht zu cultiviren versucht hat. In den portugiesischen Missionen behaupten die Leute, ihr Gebiet erstrecke sich ueberall so weit, als sie im Canoe auf einem Fluss, dessen Muendung in portugiesischem Besitz ist, gelangen koennen. Aber Besitzergreifung ist eine Handlung, die durchaus nicht immer ein Eigenthumsrecht begruendet, und nach den obigen Bemerkungen ueber die vielfachen Verzweigungen der Fluesse duerfte es fuer die Hoefe von Madrid und Lissabon gleich gefaehrlich seyn, diesen seltsamen Satz der Missions-Jurisprudenz gelten zu lassen. Der Hauptzweck bei den Einfaellen auf dem Rio Cababuri ist, Sarsaparille und die aromatischen Samen des Puchery-Lorbeers (_Laurus pichurim_) zu sammeln. Man geht dieser kostbaren Produkte wegen bis auf zwei Tagereisen von Esmeralda an einen See noerdlich vom Cerro Unturan hinauf, und zwar ueber die Trageplaetze zwischen dem Pacimoni und Idapa, und dem Idapa und dem Mavaca, nicht weit vom See desselben Namens. Die Sarsaparille von diesem Landstrich steht in Gran-Para, in Angostura, Cumana, Nueva Barcelona und andern Orten von Terra Firma unter dem Namen _'Zarza del Rio Negro'_ in hohem Ruf. Es ist die wirksamste von allen, die man kennt; man zieht sie der *Zarza* aus der Provinz Caracas und von den Bergen von Merida weit vor. Sie wird sehr sorgfaeltig getrocknet und absichtlich dem Rauch ausgesetzt, damit sie schwaerzer wird. Diese Schlingpflanze waechst in Menge an den feuchten Abhaengen der Berge Unturan und Achivaquery. DE CANDOLLE vermuthet mit Recht, dass verschiedene Arten von Smilax unter dem Namen Sarsaparille gesammelt werden. Wir fanden zwoelf neue Arten, von denen _Smilax syphilitica_ vom Cassiquiare und _Smilax officinalis_ vom Magdalenenstrom wegen ihrer harntreibenden Eigenschaften die gesuchtesten sind. Da syphilitische Uebel hier zu Lande unter Weissen und Farbigen so gemein als gutartig sind, so wird in den spanischen Colonien eine sehr bedeutende Menge Sarsaparille als Hausmittel verbraucht. Wir ersehen aus den Werken des CLUSIUS, dass Europa in den ersten Zeiten der Eroberung diese heilsame Arznei von der mexicanischen Kueste bei Honduras und aus dem Hafen von Guayaquil bezog. Gegenwaertig ist der Handel mit *Zarza* lebhafter in den Haefen, die mit dem Orinoco, Rio Negro und Amazonenstrom Verbindungen haben. Versuche, die in mehreren botanischen Gaerten in Europa angestellt worden, thun dar, dass _Smilax glauca_ aus Virginien, die man fuer LINNE _Smilax Sarsaparilla_ erklaert, ueberall im Freien gebaut werden kann, wo die mittlere Temperatur des Winters mehr als 6 bis 7 Grad des hunderttheiligen Thermometers betraegt;(73) aber die wirksamsten Arten gehoeren ausschliesslich der heissen Zone an und verlangen einen weit hoeheren Waermegrad. Wenn man des CLUSIUS Werke liest, begreift man nicht, warum in unsern Handbuechern der _materia medica_ ein Gewaechs der Vereinigten Staaten fuer den aeltesten Typus der officinellen Smilaxarten gilt. Wir fanden bei den Indianern am Rio Negro einige der gruenen Steine, die unter dem Namen *Amazonensteine* bekannt sind, weil die Indianer nach einer alten Sage behaupten, sie kommen aus dem Lande der "Weiber ohne Maenner" (_Cougnantainsecouima_ oder _Aikeambenano_ -- Weiber, die allein leben). In San Carlos und den benachbarten Doerfern nannte man uns die Quellen des Orinoco oestlich von Esmeralda, in den Missionen am Carony und in Angostura die Quellen des Rio Branco als die natuerlichen Lagerstaetten der gruenen Steine. Diese Angaben bestaetigen den Bericht eines alten Soldaten von der Garnison von Cayenne, von dem LA CONDAMINE spricht, und demzufolge diese Mineralien aus dem *Lande der Weiber* westwaerts von den Stromschnellen des Oyapoc kommen. Die Indianer im Fort Topayos am Amazonenstrom, 5 Grad ostwaerts vom Einfluss des Rio Negro, besassen frueher ziemlich viele Steine der Art. Hatten sie dieselben von Norden her bekommen, das heisst aus dem Lande, das die Indianer am Rio Negro angeben, und das sich von den Bergen von Cayenne bis an die Quellen des Essequebo, des Carony, des Orinoco, des Parime und des Rio Trombetas erstreckt, oder sind diese Steine aus dem Sueden gekommen, ueber den Rio Topayos, der von der grossen Hochebene der Campos Parecis herabkommt? Der Aberglaube legt diesen Steinen grosse Wichtigkeit bei; man traegt sie als Amulette am Hals, denn sie schuetzen nach dem Volksglauben vor Nervenleiden, Fiebern und dem Biss giftiger Schlangen. Sie waren daher auch seit Jahrhunderten bei den Eingeborenen noerdlich und suedlich vom Orinoco ein Handelsartikel. Durch die Caraiben, die fuer die Bokharen der neuen Welt gelten koennen, lernte man sie an der Kueste von Guyana kennen, und da dieselben Steine, gleich dem umlaufenden Geld, in entgegengesetzten Richtungen von Nation zu Nation gewandert sind, so kann es wohl seyn, dass sie sich nicht vermehren und dass man ihre Lagerstaette nicht verheimlicht, sondern gar nicht kennt. Vor wenigen Jahren wurden mitten im hochgebildeten Europa, aus Anlass eines lebhaften Streites ueber die einheimische China, allen Ernstes die gruenen Steine vom Orinoco als ein kraeftiges Fiebermittel in Vorschlag gebracht; wenn man der Leichtglaeubigkeit der Europaeer soviel zutraut, kann es nicht Wunder nehmen, wenn die spanischen Colonisten auf diese Amulette so viel halten als die Indianer, und sie zu sehr bedeutenden Preisen verkauft werden.(74) Gewoehnlich gibt man ihnen die Form der der Laenge nach durchbohrten und mit Inschriften und Bildwerk bedeckten persepolitanischen Cylinder. Aber nicht die heutigen Indianer, nicht diese so tief versunkenen Eingeborenen am Orinoco und Amazonenstrom haben so harte Koerper durchbohrt und Figuren von Thieren und Fruechten daraus geschnitten. Dergleichen Arbeiten, wie auch die durchbohrten und geschnittenen Smaragde, die in den Cordilleren von Neu-Grenada und Quito vorkommen, weisen auf eine fruehere Cultur zurueck. Die gegenwaertigen Bewohner dieser Laender, besonders der heissen Zone, haben so wenig einen Begriff davon, wie man harte Steine (Smaragd, Nephrit, dichten Feldspath und Bergkrystall) schneiden kann, dass sie sich vorstellen, der "gruene Stein" komme urspruenglich weich aus dem Boden und werde erst hart, nachdem er bearbeitet worden. Aus dem hier Angefuehrten erhellt, dass der Amazonenstein nicht im Thale des Amazonenstromes selbst vorkommt, und dass er keineswegs von diesem Flusse den Namen hat, sondern, wie dieser selbst, von einem Volke kriegerischer Weiber, welche Pater Acuna und Oviedo in seinem Brief an den Cardinal Bembo mit den Amazonen der alten Welt vergleichen. Was man in unsern Sammlungen unter dem falschen Namen "Amazonenstein" sieht, ist weder Nephrit noch dichter Feldspath, sondern gemeiner apfelgruener Feldspath, der vom Ural am Onegasee in Russland kommt und den ich im Granitgebirg von Guyana niemals gesehen habe. Zuweilen verwechselt man auch mit dem so seltenen und so harten Amazonenstein Werners *Beilstein*,(75) der lange nicht so zaeh ist. Das Mineral, das ich aus der Hand der Indianer habe, ist zum *Saussurit*(76) zu stellen, zum eigentlichen Nephrit, der sich oryctognostisch dem dichten Feldspath naehert und ein Bestandtheil des *Verde de Corsica* oder des Gabbro ist. Er nimmt eine schoene Politur an und geht vom Apfelgruenen ins Smaragdgruene ueber; er ist an den Raendern durchscheinend, ungemein zaeh und klingend, so dass von den Eingeborenen in alter Zeit geschliffene, sehr duenne, in, der Mitte durchbohrte Platten, wenn man sie an einem Faden aufhaengt . und mit einem andern harten Koerper(77) anschlaegt, fast einen metallischen Ton geben. Bei den Voelkern beider Welten finden wir auf der ersten Stufe der erwachenden Cultur eine besondere Vorliebe fuer gewisse Steine, nicht allein fuer solche, die dem Menschen wegen ihrer Haerte als schneidende Werkzeuge dienen koennen, sondern auch fuer Mineralien, die der Mensch wegen ihrer Farbe oder wegen ihrer natuerlichen Form mit organischen Verrichtungen, ja mit psychischen Vorgaengen verknuepft glaubt. Dieser uralte Steincultus, dieser Glaube an die heilsamen Wirkungen des Nephrits und des Blutsteins kommen den Wilden Amerikas zu, wie den Bewohnern der Waelder Thraciens, die wir wegen der ehrwuerdigen Institutionen des Orpheus und des Ursprungs der Mysterien nicht wohl als Wilde ansprechen koennen. Der Mensch, so lange er seiner Wiege noch naeher steht, empfindet sich als Autochthone; er fuehlt sich wie gefesselt an die Erde und die Stoffe, die sie in ihrem Schoosse birgt. Die Naturkraefte, und mehr noch die zerstoerenden als die erhaltenden, sind die fruehesten Gegenstaende seiner Verehrung. Und diese Kraefte offenbaren sich nicht allein im Gewitter, im Getoese, das dem Erdbeben vorangeht, im Feuer der Vulkane; der leblose Fels, die glaenzenden, harten Steine, die gewaltigen, frei aufsteigenden Berge wirken auf die jugendlichen Gemuether mit einer Gewalt, von der wir bei vorgeschrittener Cultur keinen Begriff mehr haben. Besteht dieser Steincultus einmal, so erhaelt er sich auch fort neben spaeteren Cultusformen, und aus einem Gegenstand religioeser Verehrung wird ein Gegenstand aberglaeubischen Vertrauens. Aus Goettersteinen werden Amulette, die vor allen Leiden Koerpers und der Seele bewahren. Obgleich zwischen dem Amazonenstrom und dem Orinoco und der mexicanischen Hochebene fuenfhundert Meilen liegen, obgleich die Geschichte von keinem Zusammenhang zwischen den wilden Voelkern von Guyana und den civilisirten von Anahuac weiss, fand doch in der ersten Zeit der Eroberung der Moench BERNHARD VON SAHAGUN in Cholula *gruene Steine*, die einst Quetzalcohuatl angehoert, und die als Reliquien aufbewahrt wurden. Diese geheimnissvolle Person ist der Buddha der Mexicaner; er trat auf im Zeitalter der Tolteken, stiftete die ersten religioesen Vereine und fuehrte eine Regierungsweise ein, die mit der in Meroe und Japan Aehnlichkeit hat. Die Geschichte des Nephrits oder gruenen Steins in Guyana steht in inniger Verbindung mit der Geschichte der kriegerischen Weiber, welche die Reisenden des sechzehnten Jahrhunderts die Amazonen der neuen Welt nennen. LA CONDAMINE bringt viele Zeugnisse zur Unterstuetzung dieser Sage bei. Seit meiner Rueckkehr vom Orinoco und Amazonenstrom bin ich in Paris oft gefragt worden, ob ich die Ansicht dieses Gelehrten theile, oder ob ich mit mehreren Zeitgenossen desselben glaube, er habe den _'Cougnantainsecouima'_ den unabhaengigen Weibern, die nur im Monat April Maenner unter sich aufnahmen, nur desshalb das Wort geredet, um in einer oeffentlichen Sitzung der Akademie einer Versammlung, die gar nicht ungern etwas Neues hoert, sich angenehm zu machen. Es ist hier der Ort, mich offen ueber eine Sage auszusprechen, die einen so romantischen Anstrich hat, um so mehr, als LA CONDAMINE behauptet, die Amazonen vom Rio Cayame seyen ueber den Maragnon gegangen und haben sich am Rio Negro niedergelassen. Der Hang zum Wunderbaren und das Verlangen, die Beschreibungen der neuen Welt hie und da mit einem Zuge aus dem classischen Alterthum aufzuputzen, haben ohne Zweifel dazu beigetragen, dass ORELLANAs erste Berichte so wichtig genommen wurden. Liest man die Schriften des VESPUCCI, FERDINAND COLUMBUS, GERALDINI, OVIEDO, PETER MARTYR VON ANGHIERA, so begegnet man ueberall der Neigung der Schriftsteller des sechzehnten Jahrhunderts, bei neu entdeckten Voelkern Alles wieder zu finden, was uns die Griechen vom ersten Zeitalter der Welt und von den Sitten der barbarischen Scythen und Afrikaner erzaehlen. An der Hand dieser Reisenden, die uns in eine andere Halbkugel versetzen, glauben wir durch Zeiten zu wandern, die laengst dahin sind; denn die amerikanischen Horden in ihrer primitiven Einfalt sind ja fuer Europa "eine Art Alterthum, dem wir fast als Zeitgenossen gegenueber stehen." Was damals nur Stylblume und Geistesergoetzlichkeit war, ist heutzutage zum Gegenstand ernster Eroerterungen geworden. In einer in Louisiana erschienenen Abhandlung wird die ganze griechische Mythologie, die Amazonen eingeschlossen, aus den Oertlichkeiten am Nicaraguasee und einigen andern Gegenden in Amerika entwickelt. Wenn Oviedo in seinen Briefen an Cardinal Bembo dem Geschmack eines mit dem Studium des Alterthums so vertrauten Mannes schmeicheln zu muessen glaubte, so hatte der Seefahrer Sir WALTHER RALEGH einen minder poetischen Zweck. Ihm war es darum zu thun, die Aufmerksamkeit der Koenigin Elisabeth auf das grosse *Reich Guyana* zu lenken, das nach seinem Plan England erobern sollte. Er beschrieb die Morgentoilette des *vergoldeten Koenigs* (_'el dorado'_)(78), wie ihn jeden Tag seine Kammerherren mit wohlriechenden Oelen salben und ihm dann aus langen Blaserohren den Goldstaub auf den Leibblasen; nichts musste aber die Einbildungskraft Elisabeths mehr ansprechen als die kriegerische Republik der Weiber ohne Maenner, die sich gegen die castilianischen Helden wehrten. Ich deute hiemit die Gruende an, welche die Schriftsteller, die die amerikanischen Amazonen vorzugsweise in Ruf gebracht, zur Uebertreibung verfuehrt haben; aber diese Gruende berechtigen uns nach meiner Ansicht nicht, eine Sage, die bei verschiedenen, in gar keinem Verkehr mit einander stehenden Voelkern verbreitet ist, gaenzlich zu verwerfen. Die Zeugnisse, die LA CONDAMINE gesammelt, sind sehr merkwuerdig; er hat dieselben sehr umstaendlich bekannt gemacht, und mit Vergnuegen bemerke ich noch, dass dieser Reisende, wenn er in Frankreich und England fuer einen Mann von der unermuedlichsten Neugier galt, in Quito, im Lande, das er beschrieben, im Ruf des redlichsten, wahrheitsliebendsten Mannes steht. Dreissig Jahre nach La Condamine hat ein portugiesischer Astronom, der den Amazonenstrom und seine noerdlichen Nebenfluesse befahren, RIBEIRO, Alles, was der gelehrte Franzose vorgebracht, an Ort und Stelle bestaetigt gefunden. Er fand bei den Indianern dieselben Sagen und sammelte sie desto unparteiischer, da er selbst nicht an Amazonen glaubt, die eine besondere Voelkerschaft gebildet haetten. Da ich keine der Sprachen verstehe, die am Orinoco und Rio Negro gesprochen werden, so konnte ich hinsichtlich der Volkssagen von den *Weibern ohne Maenner* und der Herkunft der *gruenen Steine*, die damit in genauer Verbindung stehen sollen, nichts Sicheres in Erfahrung bringen. Ich fuehre aber ein neueres Zeugniss an, das nicht ohne Gewicht ist, das des Pater GILI. Dieser gebildete Missionaer sagt: "Ich fragte einen Quaqua-Indianer, welche Voelker am Rio Cuchivero lebten, und er nannte mir die Achirigotos, Pajuros und Aikeam-benanos. Da ich gut tamanakisch verstand, war mir gleich der Sinn des letzteren Wortes klar: es ist ein zusammengesetztes Wort und bedeutet: *Weiber, die allein leben*. Der Indianer bestaetigte diess auch und erzaehlte, die Aikeam-benanos seyen eine Gesellschaft von Weibern, die lange Blaserohre und anderes Kriegsgeraethe verfertigten. Sie nehmen nur einmal im Jahre Maenner vom anwohnenden Stamme der Vokearos bei sich auf und machen ihnen zum Abschied Blaserohre zum Geschenk. Alle maennlichen Kinder, welche in dieser Weiberhorde zur Welt kommen, werden ganz jung umgebracht." Diese Geschichte erscheint wie eine Copie der Sagen, welche bei den Indianern am Maragnon und bei den Caraiben in Umlauf sind. Der Quaqua-Indianer, von dem Pater Gili spricht, verstand aber nicht spanisch; er hatte niemals mit Weissen verkehrt und wusste sicher nicht, dass es suedlich vom Orinoco einen andern Fluss gibt, der der Fluss der Aikeam-benanos oder der Amazonen heisst. Was folgt aus diesem Bericht des alten Missionaers von Encaramada? Keineswegs, dass es am Cuchivero Amazonen gibt, wohl aber, dass in verschiedenen Landstrichen Amerikas Weiber, muede der Sklavendienste, zu denen die Maenner sie verurtheilen, sich wie die fluechtigen Neger in ein *Palenque* zusammengethan; dass der Trieb, sich die Unabhaengigkeit zu erhalten, sie kriegerisch gemacht; dass sie von einer befreundeten Horde in der Naehe Besuche bekamen, nur vielleicht nicht ganz so methodisch als in der Sage. Ein solcher Weiberverein durfte nur irgendwo in Guyana einmal zu einer gewissen Festigkeit gediehen seyn, so wurden sehr einfache Vorfaelle, wie sie an verschiedenen Orten vorkommen mochten, nach Einem Muster gemodelt und uebertrieben. Diess ist ja der eigentliche Charakter der Sage, und haette der grosse Sklavenaufstand, von dem oben die Rede war [S. Bd. II. Seite 354.], nicht auf der Kueste von Venezuela, sondern mitten im Continent stattgefunden, so haette das leichtglaeubige Volk in jedem *Palenque* von Marronnegern den Hof des Koenigs Miguel, seinen Staatsrath und den schwarzen Bischof von Buria gesehen. Die Caraiben in Terra Firma standen mit denen auf den Inseln in Verkehr, und hoechst wahrscheinlich haben sich auf diesem Wege die Sagen vom Maragnon und Orinoco gegen Norden verbreitet. Schon vor Orellanas Flussfahrt glaubte Christoph Columbus auf den Antillen Amazonen gefunden zu haben. Man erzaehlte dem grossen Manne, die kleine Insel Madanino (Montserrate) sey von kriegerischen Weibern bewohnt, die den groessten Theil des Jahrs keinen Verkehr mit Maennern haetten. Anderemale sahen die Conquistadoren einen Amazonenfreistaat, wo sie nur Weiber vor sich hatten, die in Abwesenheit der Maenner ihre Huetten vertheidigten, oder auch -- und dieses Missverstaendniss ist schwerer zu entschuldigen -- jene religioesen Vereine, jene Kloester mexicanischer Jungfrauen, die zu keiner Zeit im Jahre Maenner bei sich aufnahmen, sondern nach der strengen Regel Quetzalcohuatls lebten. Die allgemeine Stimmung brachte es mit sich, dass von den vielen Reisenden, die nach einander in der neuen Welt Entdeckungen machten und von den Wundern derselben berichteten, jeder auch gesehen haben wollte, was seine Vorgaenger gemeldet hatten. Wir brachten in San Carlos del Rio Negro drei Naechte zu. Ich zaehle die Naechte, weil ich sie in der Hoffnung, den Durchgang eines Sterns durch den Meridian beobachten zu koennen, fast ganz durchwachte. Um mir keinen Vorwurf machen zu duerfen, waren die Instrumente immer zur Beobachtung hergerichtet; ich konnte aber nicht einmal doppelte Hoehen bekommen, um nach der Methode von Douwes die Breite zu berechnen. Welch ein Contrast zwischen zwei Strichen derselben Zone! dort der Himmel Cumanas, ewig heiter wie in Persien und Arabien, und hier der Himmel am Rio Negro, dick umzogen wie auf den Faroeerinseln, ohne Sonne, Mond und Sterne! Ich verliess die Schanze San Carlos mit desto groesserem Verdruss, da ich keine Aussicht hatte, in der Naehe des Orts eine gute Breitenbeobachtung machen zu koennen. Die Inclination der Magnetnadel fand ich in San Carlos gleich 20 deg. 60; 216 Schwingungen in zehn Zeitminuten gaben das Maass der magnetischen Kraft. Da die magnetischen Parallelen gegen West aufwaerts gehen und ich auf dem Ruecken der Cordilleren zwischen Santa Fe de Bogota und Popayan dieselben Inclinationswinkel beobachtet habe wie am obern Orinoco und am Rio Negro, so sind diese Beobachtungen fuer die Theorie der *Linien von gleicher ** Intensitaet* oder *isodynamischen Linien* von grosser Bedeutung geworden. Die Zahl der Schwingungen ist in Javita und Quito dieselbe, und doch ist die magnetische Inclination am ersteren Ort 26 deg. 40, am zweiten 14 deg. 85. Nimmt man die Kraft unter dem magnetischen Aequator (in Peru) gleich eins an, so ergibt sich fuer Cumana 1,1779, fuer Carichana 1,1575, fuer Javita 1,0675, fuer San Carlos 1,0480. In diesem Verhaeltniss nimmt die Kraft von Nord nach Sued auf 8 Breitengraden zwischen dem 66 1/2 und 69sten Grad westlicher Laenge von Paris ab. Ich gebe absichtlich die Meridian-Unterschiede an; denn ein Mathematiker, der auf dem Gebiete des Erdmagnetismus grosse Erfahrung besitzt, HANSTEEN, hat meine *isodynamischen Beobachtungen* einer neuen Pruefung unterworfen und gefunden, dass die Intensitaet der Kraft auf demselben magnetischen Parallel nach sehr constanten Gesetzen wechselt, und dass die scheinbaren Anomalien der Erscheinung groesstentheils verschwinden, wenn man diese Gesetze kennt. Im Allgemeinen steht fest, was fuer mich aus der ganzen Reihe meiner Beobachtungen hervorgeht, dass die Intensitaet der Kraft vom magnetischen Aequator gegen den Pol zunimmt; aber diese Zunahme scheint unter verschiedenen Meridianen mit ungleicher Geschwindigkeit zu erfolgen. Wenn zwei Orte dieselbe Inclination haben, so ist die Intensitaet westwaerts vom Meridian, der mitten durch Suedamerika laeuft, am staerksten, und sie nimmt unter demselben Parallel ostwaerts, Europa zu ab. In der suedlichen Halbkugel scheint sie ihr Minimum an der Ostkueste von Afrika zu erreichen; sie nimmt dann unter demselben magnetischen Parallel gegen Neuholland hin wieder zu. Ich fand die Intensitaet der Kraft in Mexico beinahe so gross wie in Paris, aber der Unterschied in der Inclination betraegt mehr als 31 Grad. Meine Nadel, die unter dem magnetischen Aequator (in Peru) 211 mal schwang, haette unter demselben Aequator auf dem Meridian der Philippinen nur 202 oder 203 mal geschwungen. Dieser auffallende Unterschied ergibt sich aus der Zusammenstellung meiner Beobachtungen der Intensitaet in Santa Cruz auf Teneriffa mit denen, die ROSSEL daselbst sieben Jahre frueher gemacht. Die magnetischen Beobachtungen am Rio Negro sind unter allen, die auf einem grossen Festland bekannt geworden, die naechsten am magnetischen Aequator. Sie dienten somit dazu, die Lage dieses Aequators zu bestimmen, ueber den ich weiter westwaerts auf dem Kamm der Anden zwischen Micuipampa und Caxamarca unter dem 7. Grad suedlicher Breite gegangen bin. Der magnetische Parallel von San Carlos (der von 22 deg. 60) laeuft durch Popayan und in die Suedsee an einem Punkt (unter 3 deg. 12{~PRIME~} noerdlicher Breite und 89 deg. 36{~PRIME~} westlicher Laenge), wo ich so gluecklich war, bei ganz stiller Luft beobachten zu koennen. ------------------ 64 Diese Jaeger gehoeren zu Militaerposten und haengen von der russischen Gesellschaft ab, deren Hauptactionaere in Irkutsk sind. Im Jahr 1804 war die kleine Festung (Crepoft) in der Bucht von Jakutal noch 600 Meilen von den noerdlichslen mexicanischen Besitzungen entfernt. 65 Die geologische Bodenbeschaffenheit scheint, trotz der gegenwaertigen Verschiedenheit in der Hoehe des Wasserspiegels, darauf hinzudeuten, dass in vorgeschichtlicher Zeit das schwarze Meer, das caspische Meer und der Aralsee mit einander in Verbindung gestanden haben. Der Ausfluss des Arals in das caspische Meer scheint zum Theil sogar juenger und unabhaengig von der Gabeltheilung des Gihon (Oxus), ueber die einer der gelehrtesten Geographen unserer Zeit, RITTER, neues Licht verbreitet hat. 66 Diess ist der Rio Parime, Rio Blanco, Rio de Aguas Blancas unserer Karten, der unterhalb Barcellos in den Rio Negro faellt. 67 Den beruehmten Namen Hutten erkennt man in den spanischen Geschichtschreibern kaum wieder. Sie nennen Philipp von Hutten, mit Wegwerfung des aspirirten H, Felipe de Uten, de Urre, oder de Utre. 68 Diess ist dreimal die Breite der Seine beim _Jardin des plantes_ 69 Bei Seine und Marne z. B. sind es von Paris bis zu den Quellen in gerader Richtung mehr als zwei Grade. 70 Geminus, Isagoge in Aratum cap. 13. STRABO, _lib. II_ 71 Der Ritter Giseke, der sieben Jahre unter dem 70sten Breitegrad gelebt hat, sah in der langen Verbannung, der er sich aus Liebe zur Wissenschaft unterzogen, nur ein einzigesmal blitzen. Auf der Kueste von Groenland verwechselt man haeufig das Getoese der Lawinen oder stuerzender Eismassen mit dem Donner. 72 Ein Chiquichiqui-Tau, 66 Varas (171 Fuss) lang und 5 Zoll 4 Linien im Durchmesser, kostet den Missionaer 12 harte Piaster und es wird in Angostura fuer 25 Piaster verkauft. Ein Stueck von einem Zoll Durchmesser, 70 Varas (182 Fuss) lang, wird in den Missionen fuer 3 Piaster, an der Kueste fuer 5 verkauft. 73 Wintertemperatur in London und Paris 4 deg.,2 und 3 deg.,7, in Montpellier 7 deg.,7, in Rom 7 deg.,7, in dem Theile von Mexico und Terra Firma, wo wir die wirksamsten Sarsaparille-Arten (diejenigen, welche aus den spanischen und portugiesischen Colonien in den Handel kommen) haben wachsen sehen, 20--26 deg.. 74 Ein zwei Zoll langer Cylinder kostet 12--15 Piaster. 75 Punamuftein, _Jade axinien_. Die Steinaexte, die man in Amerika, z. B. in Mexico findet, sind kein Beilstein, sondern dichter Feldspath. _ 76 Jade de Saussure_ nach BRONGNIARTs System, _Jade tenace_ und _Feldspath compacte tenace_ nach HAILY, einige Varietaeten des Varioliths nach WERNER. 77 Brongniart, dem ich nach meiner Rueckkehr nach Europa solche Platten zeigte, verglich diese Nephrite aus der Parime ganz richtig mit den klingenden Steinen, welche die Chinesen zu ihren musikalischen Instrumenten, den sogenannten King, verwenden. * 78 Dorado* ist nicht der Name eines Landes; es bedeutet nur den *Vergoldeten*, _'el rey dorado'_ LISTE EXPLIZIT GENANNTER WERKE Die folgenden Werke werden von Humboldt im Text in Kurzform genannt. ACUNA, CHRISTOBAL DE Christian Edschlager Fernandez, Juan Patricio _ Nachricht von dem grossen Strom Derer Amazonen in der neuen Welt. Darinnen enthalten seynd alle eintzele Begebenheiten der Reise, welche P. Christophorus de Acunna, aus der Gesellschaft Jesu im Jahr 1639. auf Befehl Philippi des vierdten Koenigs in Spanien verrichtet. Gezogen aus der Spanischen Schrifft P. de Acunna selbst, und mit andern Nachrichten zu besserer Erlaeuterung vermehret._ _Erbauliche und angenehme Geschichten derer Chiqvitos, und anderer von denen Patribus der Gesellschafft Jesu in Paraquaria neubekehrten Voelcker, samt einem ausfuehrlichen Bericht von dem Amazonen-Strom/ wie auch einigen Nachrichten von der Landschaft Guiana, in der neuen Welt. Alles aus dem Spanisch- und Franzoesischen in das Teutsche uebersetzet/ von einem aus erwehnter Gesellschaft_ Wien Paul Straub 1729 551-772 ACUNA, CHRISTOBAL DE _ Nvevo Descvbrimento del Gran Rio de las Amazonas. Por el Padre Chrstoval de Acuna, Religioso de la Compania de Iesus, y Calificador de la Suprema General Inquisicion, al qval fue, y se hizo por Orden de su Magestad, el ano de 1639. Por la Provincia de Qvito en los Reynos del Peru al Excelentissimo Senor Conde Duque de Oliuares (Escudo de la Compania de Jesus, llevado por dos angelitos)._ Madrid Imprenta del Reyno 1641 CAULIN, ANTONIO _Historia Coro-Graphica Natural y Evangelica de la Nueva Andalucia, Provincias de Cumana, Guayana y Vertientes del Rio Orinoco, Dedicada al Rei N.S. D. Carlos III Por el M. R. P. fr. Antonio Caulin, dos vezes Prov.l de los Observantes de Granada. Dada a luz de orden y a Expensas de S. M. ano de 1779._ Madrid Juan de San Martin 1779 GILIJ, PHILIPPE SALVATORE _Nachrichten von dem Lande Guiana; dem Oronocoflus und den dortigen Wilden._ _Aus dem Italienischen des Abt Philip Salvator Gilii Auszugsweise uebersetzt._ Matthias Christian Sprengel Hamburg 1785 Bohn XVI, 528 S. GILIJ, PHILIPPE SALVATORE _Saggio di Storia Americana o sia Storia naturale, civile, e sacra De regni, e delle provincie Spagnuole di Terra-ferma nell? America meridionale descritta dall? Abbate Filippo Salvadore Gilij._ Rom 1780--1784 T.1-4 GUMILLA, JOSE _ El Orinoco Ilustrado, y Defendido, Historia Natural, Civil y Geografica de este gran Rio, y de sus Caudalosas vertientes: Govierno, Usos y Costumbres de los Indios sus habitadores, con nuevas y utiles noticias de Animales, Arboles, Frutos, Aceytes, Resinas, Yervas y Raices medicinales; y sobre todo, se hallaran conversiones muy singulares a N. Santa Fe, y casos de mucha edificacion. Escrita por el Padre Joseph Gumilla, de la Compania de Jesus, Missionero, y Superior de las Misiones del Orinoco, Meta, y Casanare, Calificador, y Consultor del Santo Tribunal de la Inquisicion de Cartagena de Indias, y Examinador Synodal del Mismo Obispado, Provincial que fue de su Provincia del Nuevo Reyno de Granada, y actual Procurador a emtrambas Curias, por sus dichas Missiones y Provincia. Segunda Impression, revista y aumentada por su mismo Autor y dividida en dos partes. (Dos volumenes)._ Madrid Por Manuel Fernandez, Impressor de el Supremo Consejo de la Inquisicion, y de la Reverenda Camara Apostolica, en la Caba Baxa. 1745 LA CONDAMINE, CHARLES-MARIE DE _Geschichte der zehenjaehrigen Reisen der Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Paris vornemlich des Herrn de la Condamine nach Peru in America in den Jahren 1735 bis 1745 worinne ausser verschiedenen Nachrichten von der gegenwaertigen Beschaffenheit der spanischen Colonien in America, und einer vollstaendigen Beschreibung des beruehmten Amazonenflusses, auch noch verschiedene und besondere Anmerkungen zur Aufnahme der Sternkunde, Erdbeschreibung und Naturlehre befindlich sind, herausgegeben und mit einigen Beylagen und Kupfern begleitet von J. C. S._ Erfurt Johann Friedrich Hartung 1763 LA CONDAMINE, CHARLES-MARIE DE _Relation abregee d?un Voyage fait dans l?Interieur de l?Amerique Meridionale. Depuis la Cote de la Mer du Sud, jusqu? aux Cotes du Bresil & de la Guiane, en descendant La Riviere des Amazones; Lue a l?Assemblee publique de l?Academie des Sciences, le 28. Avril 1745. Par M. de la Condamine, de la meme Academie._ Paris la Veuve Pissot 1745 OVIEDO Y BANOS, JOSEPH DE _Historia de la Conquista, y Poblacion de la Provincia de Venezuela. Escrita por D. Joseph de Oviedo y Banos Vecino de la Ciudad de Santiago de Leon de Caracas. Quien la Consagra, y dedica a su Hermano el Senor D. Diego Antonio de Oviedo y Banos, Oydor de las reales Audiencias de Santo Domingo, Guatemala, y Mexico, del Consejo de su Magestad en el Real, y Supremo de las Indias. Primera parte. Con Privilegio._ Madrid en la Imprenta de D. Gregorio Hermosilla, en la calle de los Jardines 1723 SAINT PIERRE, BERNARDIN DE _Paul et Virginie_ 1788 RALEGH, SIR WALTER _Die Fuenffte Kurtze Wunderbare Beschreibung dess Goldreichen Koenigsreichs Guianae in America oder newen Welt unter der linea AEquinoctiali gelegen: So newlich Anno 1594. 1595. vnd 1596. von dem Wolgebornen Hern, Hern Walthero Raleigh einem Engelischen Ritter, besucht worden: Erstlich auf Befehl seiner Gnaden in zweyen Buechlein beschrieben, darauss Jodocus Hondius, eine schoene Landt Tafel, mit einer Niderlaendischen Erklaerung gemacht. Jetzt aber ins Hochteutsch gebracht, vnd auss vnterschiedlichen Authoribus erklaeret._ Frankfurt (Main) Leuini Hulsii Wittibe 1612 RALEGH, SIR WALTER _The Discoverie of the Large, Rich, And Beavtifvl Empire of Gviana, With a relation of the great and Golden Citie of Manoa, (which the Spanyards call El Dorado) And of the Prouinces of Emeria, Arromaia, Amapaia, and other Countries, with their riuers adioyning. Performed in the yeare 1595. by Sir W. Ralegh Knight, Captaine of her Maiesties Guard, Lo. Warden of the Scanneries, and her Highnesse Lieutenant generall of the Countie of Cornewall._ London Robert Robinson 1598 THEOPHYLACTUS SIMOCATTA _Theophylacti Simocatae Quaestiones physicae nunquam antehac editae. Eiusdem, Epistolae morales, rusticae, amatoriae. Cassii Quaestiones medicae. Iuliani Imp. Galli Caes. Basilij, & Greg. Nazianzeni Epistolae aliquot nunc primu?m editae; opera Bon. Vulcanii Brugensis._ Lugduni Batauorum Ex officina Ioannis Balduini. M.D. XCVII. ANMERKUNGEN DES KORREKTURLESERS Vom Korrekturleser wurden mehrere Aenderungen am Originaltext vorgenommen. Inkonsistente Schreibweisen, die nichts an der Aussprache des Wortes aendern, wurden im Text belassen. Es folgen paarweise Textzeilen im Original und in der vorliegenden geaenderten Fassung. die beruehmte Sagopalme der Guaraons-Indianer; die beruehmte Sagopalme der Guaranos-Indianer; wenn es sich von ganz unbedeutenden Hoehenunterschieden handelt. wenn es sich um ganz unbedeutenden Hoehenunterschied handelt. trafen wir Muecken der Gattung Simulium und Zanducos an, trafen wir Muecken der Gattung Simulium und Zancudos an, ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE IN DIE AEQUINOCTIAL-GEGENDEN DES NEUEN CONTINENTS. BAND 3.*** CREDITS March 8, 2009 Project Gutenberg TEI edition 01 R. Stephan A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 28280.txt or 28280.zip. This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/2/8/2/8/28280/ Updated editions will replace the previous one -- the old editions will be renamed. 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To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. 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