The Project Gutenberg eBook of Prinzessin Sidonie (Band 2/3)

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Title: Prinzessin Sidonie (Band 2/3)

Author: Julius Bacher

Release date: November 13, 2023 [eBook #72113]

Language: German

Original publication: Leipzig: Verlag von Friedrich Fleischer, 1870

Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PRINZESSIN SIDONIE (BAND 2/3) ***

Anmerkungen zur Transkription:

Das Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler sind korrigiert worden.

Eine Liste der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.

Worte in Antiquaschrift sind "kursiv" dargestellt.

Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter geschaffen. Ein Urheberrecht wird nicht geltend gemacht. Das Bild darf von jedermann unbeschränkt genutzt werden.

cover

Prinzessin Sidonie.


Roman

von

Julius Bacher.


Zweiter Band.

Leipzig,

Verlag von Friedrich Fleischer.


1870.


[S. 1]

Erstes Kapitel.

Etwa zwei Monate waren über die näher bezeichneten Vorgänge dahin gegangen. Den lichten, milden Herbsttagen waren die trüben und rauhen Verkünder des nahenden Winters gefolgt. Nachtfröste und die nie fehlenden Winde hatten Bäume und Gesträuche allgemach entblättert und die Menschen in die behaglichen Wohnungen gedrängt, von wo aus sie dem Walten in dem Naturleben gesicherter zuschauten und sich nun an den häuslichen Vergnügungen ergötzten.

Dies war namentlich in den Hofkreisen der Fall, woselbst man eifrig bedacht war, sich Amusements aller Art zu bereiten und in solcher Weise den unbequemen Winter angenehm zu vertändeln.

Es war die eilfte Vormittagsstunde und wir sehen den Fürsten in einem nichts weniger als prunkvollen, sondern vielmehr ziemlich einfach ausgestatteten Gemach mit der Durchsicht einiger vor ihm liegenden Papiere beschäftigt.

[S. 2]

In dem Kamin brannte ein helles Feuer, obwol die Luft nur frisch, jedoch nicht frostkalt war. Ebenso war der Fürst sehr warm gekleidet, namentlich waren die Füße durch wärmende Hüllen und Decken geschützt. Die rauhe Jahreszeit hatte sein altes Leiden, die Gicht, mit vermehrter Heftigkeit herbei geführt und quälte ihn nun schon seit mehren Wochen, indem es ihn zugleich am Arbeiten und dem Genuß der frischen Luft hinderte und ihm überdies alle Lust an seinen gewöhnlichen Zerstreuungen raubte. Die Stimmung des Fürsten war daher auch keine gute, trotz der Bemühungen seiner vertrauten Freunde.

Während seiner Beschäftigung wurde ihm der Kammerherr, Chevalier Boisière gemeldet, und der Fürst befahl, denselben sogleich eintreten zu lassen. Der Chevalier besaß das besondere Vertrauen des Fürsten und wurde von diesem zu mancherlei delicaten Diensten verwendet, wozu der Franzose ganz ausgezeichnete Talente besaß.

Am Hofe in Paris alt geworden, in alle Intriguen desselben eingeweiht und mit den reichen Erfahrungen eines genußvollen Lebens ausgestattet, eignete er sich vortrefflich zu dem vertrauten Diener eines Fürsten, an dessen Hof es nicht besser zuging, als an dem französischen.

Durch Genüsse erschöpft, war der einst sehr schöne Chevalier nur noch ein Schatten von seiner ehemaligen Herrlichkeit. Er war sechzig und einige Jahre alt, sein Antlitz mit feinen Runzeln durchfurcht, der Mund wegen der Zahnlosigkeit eingefallen. Obgleich dürr und hinfällig, glänzte doch sein dunkles Auge lebensvoll und verrieth[S. 3] die Frische des Geistes, die ihm trotz seiner körperlichen Schwäche geblieben war. Er besaß eine feine Bildung, Geist und Witz, die er in einer angenehmen Weise geltend zu machen wußte, und war überdies in Haltung und Benehmen ein vollendeter Hofmann. Kleidung und Toilette waren stets sauber und geschmackvoll, ja der Chevalier verschmähte sogar Schminke und Schönpflästerchen nicht, um seinen graubraunen Teint zu verbessern und demselben einen jugendlichen Anstrich zu verleihen. Diese Sorgfalt war denn auch der Grund, daß er um zehn Jahre jünger erschien, als er es in der That war. Seiner geistigen Vorzüge, namentlich jedoch seiner Geschicklichkeit in Ausführung der angegebenen Dienste wegen schätzte ihn der Fürst ganz besonders und hatte ihn auch heute in seinem persönlichen Interesse zu sich rufen lassen.

»Nun, Chevalier, bringen Sie Neuigkeiten?« fragte der Fürst, den Eintretenden mit einem vertraulichen Kopfnicken begrüßend.

»Nichts von Bedeutung, mein gnädigster Fürst. Der Winter eignet sich eben so wenig zum Krieg wie zum Hervorbringen von anderen interessanten Vorgängen. Die Elemente wirken tiefer auf den Menschen, als er eingestehen will, und die Kälte und todte Natur schläfern die Leidenschaften ein; Winter und Alter verlangen nach Ruhe oder werden vielmehr durch die ersteren dazu genöthigt.«

»Wie ich hier, par exemple, nicht wahr? Und Sie[S. 4] wollten mich wahrscheinlich durch den Hinweis auf das allgemeine Naturgesetz mit meinem Leiden aussöhnen? Ich danke Ihnen, Chevalier, wenngleich ich Ihnen bekenne, sehr wenig Trost darin zu finden, da trotz alledem meine Schmerzen kein Ende nehmen wollen. Doch Sie haben noch etwas anzuführen vergessen, nämlich, daß die unfreundliche Jahreszeit uns auch unsere Sorgen ernster erscheinen läßt, als dies sonst zu sein pflegt.«

»Sollte das bei meinem gnädigsten Fürsten etwa der Fall sein?«

»Ja, Chevalier, und ich darf Ihnen meine Sorgen wol nicht näher bezeichnen, Sie kennen dieselben.«

»Diese beziehen sich also auf den Prinzen?«

»Natürlich; denn trotz aller meiner Bemühungen und alles Abwartens währt die unselige Trennung zwischen ihm und der Prinzessin fort. Ich sehe das Ende dieses Haders nicht und so mehrt sich die Sorge um die Thronfolge. Ich bin alt und krank genug, um an das Sterben zu denken. Der Tod kann mich überraschen, ehe die Erbfolge gesichert ist; da gebe es dann bei des Prinzen Charakter dereinst viel Unruhe und Gefahr, und diese möchte ich dem Staat gern ersparen.«

»In der That, ein übler Umstand,« bemerkte der Chevalier gedankenvoll.

»Ich bin überzeugt, die Prinzessin trägt keinen kleinen Theil der Schuld, daß keine Aussöhnung zu Stande kommt. Zwar war des Prinzen Treiben bisher allerdings nicht zu loben; er hat jedoch meinen Vorstellungen Gehör[S. 5] gegeben, wie ich zu meiner Freude bemerkt habe. Seit mehren Monaten verkehrt er fast gar nicht mehr mit der Residenz; die Debauchen haben aufgehört, und er lebt seit dieser Zeit ziemlich eingezogen und befleißigt sich der Staatsgeschäfte, ohne, so viel ich weiß, eine Liaison zu haben. Er hat sich also sehr zum Vortheil geändert, und dieser Umstand ließ mich mit Bestimmtheit die Herstellung eines guten Einvernehmens mit der Prinzessin hoffen; statt dessen höre ich, daß sie sich noch eben so fern als früher, ja man meint sogar, noch ferner stehen.«

»Nach den Mittheilungen der Baronin Mühlfels — die, wie mein gnädiger Fürst weiß, meine vertraute Freundin ist — muß ich diesen Umstand durchaus bestätigen.«

»Nun, da sehen Sie, Chevalier, wie die Sache steht, und werden erkennen, daß ich genöthigt bin, auf Mittel zu denken, diesem Uebel auf irgend eine Weise sicher zu begegnen!« rief der Fürst, durch das Vernommene sichtlich verstimmt.

Der Chevalier schaute bedenklich vor sich hin und der Fürst fuhr fort:

»An eine Trennung der Ehe mag ich nicht denken; ich scheue einen solchen Eclat, wobei der Prinz und ich selbst, da ich diese Ehe gestiftet habe, nicht eben gut fortkommen würden. Freilich ist an diesem Zerwürfniß mehr der Prinz als die Prinzessin schuld; denn es hätte Alles gut sein können, würde er die Prinzessin besser behandelt oder ihr die schuldigen Rücksichten geschenkt haben. Denn[S. 6] sie war anfangs ein stilles, geduldiges Wesen, bis es der Prinz zu toll machte, und nun ist sie uns über den Kopf gewachsen. Sie hat in der letzten Zeit eine Festigkeit und Selbstständigkeit bewiesen, die ich bei dieser zarten Frau nie erwartet hätte. So ist an eine Erfüllung meines Wunsches nicht zu denken, und das macht mich sehr besorgt und läßt mich auf Mittel denken, diesem Uebelstande in einer geeigneten Weise abzuhelfen. Was meinen Sie dazu?«

»Ich unterwerfe mich der Weisheit meines Fürsten,« entgegnete der Chevalier, das feine Spitzentuch an die Lippen führend.

»Ja,« fuhr der Fürst, von dem Interesse des besprochenen Gegenstandes erfüllt, eifrig fort, »ja, ließe sich der Prinzessin irgend eine bedenkliche Schwäche mit Bestimmtheit nachweisen, so würde man einen Anhaltpunkt für die Trennung gewinnen; so jedoch ist darauf nicht zu hoffen. Sie ist zu tugendhaft, oder besser gesagt, sie besitzt keine Leidenschaft.«

Der Chevalier hüstelte und ein feines, schlaues Lächeln umspielte seinen Mund.

»Ihre Mienen deuten mir an, daß Sie meine Ansicht über der Prinzessin Charakter nicht theilen,« bemerkte der Fürst, den Chevalier fest anschauend.

»O, Pardon, mein Fürst! Wie sollte ich nicht?!« fiel der Letztere ein, sich anmuthig verneigend, und fügte mit einem eigenthümlichen Ton und Blick hinzu: »Mein hoher Gebieter weiß, daß der Hof Ludwig des Fünfzehnten[S. 7] mich erzog und ich an demselben meine Erfahrungen über weibliche Tugend gesammelt habe; ein Bedenken über Ihre Besorgniß, mein Fürst, dürfte mir daher wohl gestattet sein. Ich meine, wir Menschen besitzen im Allgemeinen keinen Ueberfluß an moralischen Vorzügen, und aus dem einfachen Grunde, weil diese Vorzüge nicht beliebt, nicht amüsant und — auch nicht in der Mode sind. Dieses letztere ist sehr wichtig in Bezug auf die Frauen, namentlich auf diejenigen, welche das Glück genießen, die Luft des Hofes einzuathmen und aus ihren Elementen sich die Grundsätze zu ihrem Leben zu bilden. Damit wäre ich denn auch bei dem Tugend-Ueberfluß der Prinzessin angelangt,« schloß der Chevalier lächelnd.

»So nehmen Sie das letztere an, Mangel an Leidenschaft, gewöhnlich die Quelle unverdienter Tugenden!« fiel der Fürst ein, der durchaus Recht behalten wollte.

Wiederum schaute der Kammerherr schweigend vor sich hin, während das frühere bezeichnende Lächeln sich auf’s Neue geltend machte.

»Auch die zweite Voraussetzung scheinen Sie nicht zu billigen,« bemerkte der Fürst nach kurzer Pause.

»Ich gestehe, mein Fürst, es ist so. Der Schein trügt am meisten bei den Frauen, namentlich wenn sie noch so jung wie die Prinzessin sind. Jede Frau besitzt nach meinen Erfahrungen hinreichende Leidenschaften, um sich durch sie zu Thorheiten verleiten zu lassen; es kommt nur darauf an, dieselben in der geeigneten Weise hervor zu rufen. Vorhanden sind sie alle Zeit, welche Erkenntniß[S. 8] uns nur zu häufig überrascht. So, meine ich, ist es auch mit der Prinzessin.«

»Wenn ich Ihnen auch Recht geben muß, so bin ich dadurch doch in meinen Entschlüssen um keinen Schritt weiter gekommen. Was helfen alle Betrachtungen, da die Situation ein bestimmtes Handeln fordert,« fiel der Fürst ein. »Sie wissen, daß des Prinzen Tochter nach den Staatsgesetzen zur Thronfolge nicht berechtigt ist; bei der gegenseitigen Abneigung ist an keinen Thronerben zu denken; eine Versöhnung des Paars ist eben so wenig zu erwarten, als eine Trennung der Ehe zulässig: was läßt sich da thun?« —

Der Chevalier blickte den Fürsten mit einem Ausdruck in seinen Zügen an, der unschwer den Zweifel an der Rathlosigkeit seines Gebieters erkennen ließ; alsdann bemerkte er in vertraulichem Ton:

»Corriger la nature!« —

Der Fürst schaute nachdenkend vor sich hin und bemerkte nach kurzer Pause:

»Das ginge; doch ich zweifle, daß sich die Prinzessin dazu verstehen dürfte. Ich glaube, sie besitzt nicht den Muth dazu und hegt zu viele Gewissensscrupel.«

»Der Muth wird sich finden, sobald sie weiß, daß der fürstliche Oheim ihre Neigung nicht nur billigt, sondern dieselbe sogar als ein nothwendiges Mittel zu Staatszwecken betrachtet.«

»Sie können Recht haben.« —

»Die Legitimität mancher Fürsten ist angezweifelt[S. 9] worden. — Mein Fürst kennt die Geschichte Ludwig des Vierzehnten.«

Der Fürst neigte beistimmend das Haupt, indem er lachend bemerkte:

»Lassen wir das! Wollten wir uns um die Erforschungen der Legitimität der Menschen bemühen, wir würden da überraschende Dinge erfahren. Also bleiben wir dabei: Corriger la nature!«

»Es wäre daher nur noch ein Bedenken zu beseitigen,« bemerkte der Chevalier.

»Welches?« —

»Hinsichts des Prinzen. Man weiß, daß manche Väter durch den Segen des Himmels oft sehr unangenehm überrascht werden.« —

»Ah, pah! Der Prinz ist über dergleichen fort! Es wird meine Sache sein, seine Zustimmung zu unserm Plan zu erhalten; denn ich bin überzeugt, er wird sehr zufrieden sein, sich in solcher Weise mit der Ehe abfinden zu können.«

»Fast möchte ich es glauben; denn man spricht bereits von einer neuen Liaison des Prinzen,« bemerkte der Chevalier.

»Wirklich? Nun um so besser! Wer ist die Dame?«

»Man kennt sie nicht; sie soll nicht in der Stadt wohnen, und der Prinz beobachtet große Vorsicht, sie nicht zu verrathen. Man sagt, es sei eine Fremde, aber jung und schön, und der Prinz sei bis über die Ohren in das Mädchen verliebt.«

[S. 10]

»O, nun erkläre ich mir sein Hiersein und eingezogenes Leben. Wie konnte ich auch an eine wirkliche Besserung glauben. Der Prinz ist unverbesserlich und ändert nur seine Neigungen. Aber ich wäre zufrieden, würde er dadurch von dem wilden Treiben in der Residenz abgehalten. Forschen Sie weiter, lieber Chevalier; ich möchte diese Angelegenheit genau kennen, um ein richtiges Urtheil darüber zu gewinnen. Ihre Nachricht kommt mir sehr gelegen; denn nun darf ich nach Wunsch handeln. Es fragt sich nur, ob die Prinzessin mit angenehmen Männern umgeht. Wie ich vernommen, empfängt sie meist nur ältere Männer der Wissenschaft und Künste; von solchen, die unserm Plan entsprechen dürften, weiß ich nichts.«

»Doch, mein Fürst, doch!« fiel Boisière ein und fügte mit einem vertraulichen Lächeln hinzu: »Da ist der Baron Mühlfels, des Prinzen Adjutant, bei den Frauen sehr beliebt und durch seine persönlichen Vorzüge zu der ihm bestimmten Rolle sehr geeignet.«

»Sie haben Recht, Chevalier. Der Baron ist ein hübscher und gewandter Mann, wir können das Beste von ihm erwarten,« bemerkte der Fürst.

»Der überdies bereits Ihren Wünschen entgegen kommt, mein Fürst.« —

»Wie das?«

»Seitdem der Prinz nicht mehr so viel in der Residenz lebt, hat man ihn häufig bei der Prinzessin gesehen, ja man will bemerkt haben, daß er sich um deren[S. 11] Gunst bewirbt und ihm Durchlaucht mit nicht gewöhnlichem Wohlwollen entgegenkommt.«

»Das ist ja herrlich!« rief der Fürst erfreut. »So würde denn ohne unser Zuthun vielleicht unser Wunsch erfüllt werden.«

»Das wäre allerdings noch eine Frage, wenn ich Sie recht verstehe, mein Fürst —«

»Ah so!« fiel dieser ein. »Sie haben Recht. Nun, Sie könnten den Baron mit meinen Wünschen bekannt machen und ihm dann wol alles Uebrige überlassen.«

»Wenn Sie es befehlen, mein Fürst, soll es geschehen, und ich bin gewiß, den Baron dadurch auf das Höchste zu beglücken.«

»Ich denke, der Prinz wird sich um so leichter über etwaige Bedenken fortsetzen, wenn er erfährt, daß sein ihm so ergebener Freund von uns ausersehen ist,« entgegnete der Fürst und fuhr alsdann fort: »Ihre Mittheilungen haben mir in der That eine große Sorge genommen, mein lieber Chevalier, und ich danke Ihnen bestens dafür. So wäre denn diese Angelegenheit in der besten Weise geordnet und ich gestatte Ihnen hinsichts derselben freies Handeln. Auch trifft es sich gut, daß des Barons Mutter die Oberhofmeisterin der Prinzessin ist; diese Dame steht in dem Ruf großer Geschicklichkeit, dergleichen Angelegenheiten zu ordnen, und ihr Einfluß auf die Prinzessin müßte nicht ohne Werth sein, falls wir desselben bedürfen sollten und sich die Sache nicht auch ohne diesen nach Wunsch gestaltet.«

[S. 12]

»Es dürfte nicht schaden, der Baronin einige passende Andeutungen zu machen, um sie zu einem entsprechenden Handeln zu veranlassen.« —

»Das könnte geschehen, und Ihre Klugheit wird das Richtige zu wählen wissen. Beobachten Sie den Fortgang dieser Angelegenheit recht sorgsam, Chevalier, und bringen Sie mir, sobald irgend etwas von Bedeutung geschehen sollte, sogleich Nachricht. Sie wissen, wie viel mir an der Sache liegt. Mit dem Prinzen gedenke ich erst dann zu sprechen, wenn es die Umstände erfordern.«

Mit diesen Worten entließ der Fürst den Chevalier, der, durch die Unterredung sehr befriedigt, bereits die ihm durch die zarte Angelegenheit in Aussicht gestellten namhaften Vortheile erwog, welche ihm seiner Ueberzeugung nach und bei den von ihm gehegten Ansichten von dem moralischen Gehalt der Menschen nicht entgehen konnten.

Wie er Sidoniens Charakter beurtheilte, haben wir erfahren; seine Klugheit sollte das Uebrige thun, dessen war er gewiß.

Gewöhnt, die Ausführung seiner Absichten nie zu verzögern, begab er sich sogleich zu Mühlfels, den er zu Hause fand und der weit entfernt war, die Veranlassung des Besuchs zu ahnen.

Der Chevalier ließ sich bequem in einen Fauteuil nieder, und nachdem er mit dem Baron allerlei Hofneuigkeiten besprochen, bemerkte er, die Spitzenmanschette fältelnd, wie beiläufig:

[S. 13]

»A propos, lieber Baron, man sagt, Sie machten Prinzessin Sidonie den Hof —«

»Entschuldigung, Chevalier, wer sagt dies?« fragte Mühlfels lächelnd.

»Eine sonderbare Frage in der That! Was könnte ich Ihnen nicht Alles darauf antworten! Ich könnte Diesen und Jenen, oder besser ,Diese und Jene nennen; aber um discret zu bleiben, nenne ich Ihnen nur die Luft, die Ihre Leidenschaft verrathen hat,« scherzte Boisière.

»Die Luft, die Luft!« rief Mühlfels lachend. »Sie haben Recht, lieber Chevalier, die Luft hier ist zum Verrath von Geheimnissen hinreichend, und so sehe ich nicht ein, warum ich mit dem Bekenntniß zurückhalten soll, daß mir die Prinzessin gefällt.« —

»Gefällt, und weiter nichts?« fragte der Chevalier mit einem zweifelnden Blick.

»Was soll ich Ihnen noch sagen?« lachte Mühlfels.

»Nun, was Sie mir verschweigen, daß auch Sie der Prinzessin gefallen.«

»Möglich!« warf Mühlfels selbstgefällig hin.

»Man sagt, Sie wären oft bei ihr, sie zeichnete Sie durch Aufträge aus, die sie Ihnen giebt, kurz, man meint, Sie erfreuten sich ihrer Gunst —«

»Halt, halt, mein lieber Chevalier, Sie sprechen da vielerlei Dinge in einem Athem, ohne zu erwägen, daß man dergleichen Subtilitäten ein wenig discreter auffaßt!« rief Mühlfels lachend.

[S. 14]

»Daß ich diese nicht anders berühre, muß Ihnen ein Zeichen sein, nicht durch leidige Neugier, sondern durch eine wichtigere Veranlassung dazu bestimmt worden zu sein,« bemerkte der Chevalier mit Nachdruck.

»Wie das?« — fragte Mühlfels aufhorchend.

»Sie fragen und scheinen nicht zu bedenken, daß eine intimere Liaison mit der Prinzessin unter den obwaltenden Umständen eine hohe Bedeutung gewinnen kann. — Ich denke, Sie verstehen mich, Baron.« —

»Bei Gott, Chevalier, Sie belieben sich in sehr ausschweifenden Vermuthungen zu ergehen!« fuhr Mühlfels auf.

»Pah, pah, mein Freund! Eine Liaison mit einer schönen jungen Dame gestattet dergleichen. Doch ich denke, wir kennen uns genügend, um einander Vertrauen zu schenken.« —

»Gewiß, doch vergesse ich die Ehre nicht, in Ihnen den Vertrauten des Fürsten zu sehen!« entgegnete Mühlfels lachend.

»Und ich versichere Sie, daß Sie dies nicht zu beklagen haben. Nehmen Sie an, der Fürst interessirte sich für diese Liaison —«

»Ah!« stieß der Baron voll Ueberraschung hervor und blickte den Chevalier forschend an.

Dieser hatte den Handschuh der rechten Hand abgezogen und seine feinen, weißen und mit Ringen verzierten Finger nestelten wie vorher an der Manschette, ohne daß er den Baron anschaute.

[S. 15]

»Das überrascht Sie?« fragte er. »Ich finde es natürlich, da Sie ja kaum ahnen konnten, daß Ihre Bemühungen um die Prinzessin von dem Fürsten bemerkt werden würden.«

»In der That, in der That, so ist es, Chevalier!« fiel Mühlfels erregt ein.

»Regen Sie sich nicht auf, lieber Baron; denn ich wiederhole Ihnen, der Fürst interessirt sich für Sie.«

»Billigt er etwa meine Verehrung der Prinzessin?«

»Bevor ich Ihnen diese Frage beantworte, muß ich erst wissen, wie Sie mit dieser stehen.«

»Viel gefordert, ohne dafür genügend gegeben zu haben,« entgegnete Mühlfels lachend.

»Nun denn, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Ihr Vertrauen in keiner Weise gemißbraucht werden, noch Ihnen zum Schaden gereichen soll,« betheuerte der Chevalier ernst und voll Nachdruck.

»Ah so! die Sache ist ernst. Nun denn, so vernehmen Sie, daß mein Verhältniß kein anderes ist, als Sie es vorher bezeichneten —«

»Sie haben jedoch Hoffnung, Ihre Bewerbungen angenommen zu sehen?« —

»Sie wissen, Chevalier, wenn man liebt, hofft man auch.«

»Sie weichen mir aus. Das paßt in unserm Fall nicht. Sie haben in der Liebe Erfahrungen gesammelt, sind bei den Frauen beliebt, besitzen also in dergleichen[S. 16] Dingen ein Urtheil; also nochmals, was erwarten Sie von der Prinzessin?« —

»Sidonie ist keine gewöhnliche Dame; sie ist tugendhaft und« — bemerkte der Baron mit einem Anstrich von Bedenklichkeit, die jedoch irgend welchen Eindruck auf den Chevalier nicht hervorzurufen schien, indem dieser ziemlich gleichmüthig einfiel:

»Sie fürchten, nicht ohne besondere Mühe ihre Gunst zu erlangen?«

»Ich muß es vermuthen.« —

»Haben Sie ihr Ihre Zuneigung zu erkennen gegeben?«

»So weit es mir ihre Zurückhaltung gestattete.«

»Jedenfalls ist also die Prinzessin damit bekannt und mißbilligt dieselbe nicht?«

»Ich glaube, dies bejahen zu dürfen —«

»Warum führten Sie bisher nicht eine Entscheidung herbei? Die Gelegenheit dazu, meine ich, hat Ihnen nicht gemangelt.«

»Allerdings, doch hielt mich ein besonderer Umstand davon zurück. Die Prinzessin, scheint es, nimmt trotz des ehelichen Zerwürfnisses noch zu viel Rücksicht auf ihren Gemahl.« —

»So, so« — warf der Chevalier hin und bemerkte alsdann nach kurzer Pause: »Sie glauben das; wie aber wenn Sie sich täuschen und es nur eines geschickten Versuchs von Ihrer Seite bedürfte, um das Gegentheil davon zu erfahren? — Möchten Sie einen solchen wagen, wenn[S. 17] ich Sie versichere, daß dieser so wie alles Weitere von dem Fürsten nicht nur gebilligt, sondern sogar gern gesehen würde?« —

»Sie setzen mich in Erstaunen!« rief Mühlfels und schaute Boisière fragend an.

»Ich glaube es; aber ich glaube dieses Erstaunen noch wesentlich zu steigern, indem ich Ihrer Erwägung anheimgebe, in wie weit Sie diesen Vortheil benutzen wollen, um auch etwaige Bedenken der Prinzessin zu beseitigen.« —

»Sie haben da ein bedeutsames Wort ausgesprochen, Chevalier; das ist mehr, als ich zu hoffen wagte. Dieser Vortheil wiegt schwer, und ich zweifle an seiner guten Wirkung nicht.«

»Das denke ich auch; die Frauen haben es gern, ihren Schwächen ein moralisches Mäntelchen umhängen zu können.«

»Aber der Prinz?!« fragte Mühlfels und schaute den Chevalier bedenklich an.

»Den übernimmt der Fürst; Sie haben nichts von dem zu besorgen« — bemerkte Boisière einfach und ruhig.

»Wie? So wäre diese Angelegenheit also schon in dem Cabinet erwogen?«

Der Chevalier nickte vertraulich, während er den Handschuh anzog und alsdann glättete.

»Impossible!« rief der Baron überrascht und fragte dann: »Wie aber erfuhr der Fürst meine Zuneigung?«

»Durch mich, lieber Baron,« entgegnete der Chevalier vertraulich und unbefangen. »Ich hoffe Ihnen damit[S. 18] einen guten Dienst geleistet zu haben; denn unter so hohem Schutz genießt sich die Liebe einer fürstlichen Dame viel angenehmer,« fügte er mit einem cynischen Lächeln hinzu.

»In der That, lieber Chevalier, ich bin Ihnen von Herzen für Ihre Freundschaft dankbar; denn das Vernommene kommt meinen Wünschen überraschend entgegen.«

»Von Ihnen wird es also abhängen, den Fürsten zufrieden zu stellen. Alle Möglichkeiten sind erwogen, um, wenn es erforderlich wird, der Welt eine passende Comödie vorzuspielen, wozu sich der Prinz leicht verstehen dürfte, da, wie ich vernommen, er den Reizen einer schönen Dame in ungewöhnlicher Weise huldigen soll, über welche er seine alten Freunde und ihr wildes Treiben vergessen hat.« —

Er blickte Mühlfels fragend an; dieser legte jedoch mit einem verneinenden Achselzucken die Hand auf den Mund und Boisière fuhr fort:

»Nun, nun, ich verlange keine Indiscretion! Aus den Wirkungen pflegt man gemeinhin auf die Ursachen zu schließen, und wenn ich diesen Satz auf den Prinzen anwende, so komme ich zu der Voraussetzung, daß des Prinzen Geliebte ein ganz besonderes Mädchen sein muß, da sie es verstanden hat, den flatterhaften Mann so sehr zu verwandeln. Der Fürst ist damit zufrieden, da diese Liaison so vortheilhaft auf den Prinzen gewirkt hat. Nun, wir werden hoffentlich bald Näheres darüber erfahren, denn[S. 19] unsere Damen hier sind viel zu neidisch auf die der Unbekannten geschenkte Gunst, um sich dabei leidend zu verhalten. Bald, denke ich, werden sie das sonderbare Geheimniß ausgekundschaftet und damit die erwünschte Gelegenheit gefunden haben, ihre scharfe Zunge daran zu letzen: Es ist ein trauriges Schicksal der Fürsten und Großen, keine Geheimnisse haben zu dürfen. Sein Sie bedacht, mein theurer Baron, daß die verehrte Prinzessin diesem Schicksal nicht gleichfalls unterliegt. Doch Sie sind ein kluger und vorsichtiger Mann, und ein solches Geheimniß verbirgt sich leichter im offenen, freien Umgange als in dem Versteck der Einsamkeit und der Nacht.«

Der Chevalier erhob sich, ergriff des Barons Hand und bemerkte in vertraulichem Ton:

»Ich muß noch eine Bitte aussprechen. Sie kennen das Interesse des Fürsten für Ihre Angelegenheit, und es kann Sie daher der Wunsch desselben nicht überraschen, mit dem Fortgang derselben bekannt gemacht zu werden. Wollen Sie mir also zu seiner Zeit Mittheilungen darüber machen?«

»Des Fürsten Wunsch befreit mich von jeder Antwort.«

»Gut, gut, mein lieber Baron. Ich verlasse mich ganz auf Sie. Also viel Glück! O, wer wie Sie noch jung und schön wäre! Aber, tempi passati! O, Sie Beneidenswerther! Sidonie ist mehr interessant als schön; doch das läßt noch keinen Schluß zu, was sie in der Liebe ist. Da erscheinen die Frauen oft mit ganz neuen, nicht[S. 20] geahnten Reizen. O die süßen kleinen Frauen! Au revoir, mon cher ami, au revoir!«

Er umarmte den Baron zärtlich und entfernte sich alsdann, um der Oberhofmeisterin einen Besuch zu machen und bei dieser Gelegenheit die von dem Fürsten gewünschten Notizen über des Prinzen neue Liaison zu sammeln.

Er kannte nämlich den Verkehr des Prinzen in dem Hause der Baronin und wußte überdies, welche Dienste diese dem Ersteren geleistet; es war also keine Frage für ihn, daß sie auch bei dieser Liaison die Hand im Spiel hatte, und es daher seiner Geschicklichkeit gelingen müßte, sie zu den gewünschten Aeußerungen zu veranlassen. Er gedachte ihr überdies Andeutungen hinsichts der soeben mit ihrem Sohn besprochenen Angelegenheit zu machen und es ihr anheim zu geben, in wie weit sie dabei auf die Prinzessin einzuwirken für gut fand. Eine so erfreuliche Mittheilung, sagte er sich, war aber auch zu vertraulichen Aeußerungen sehr geeignet, und so hoffte er seinen Zweck bestimmt zu erreichen.

Mühlfels blieb nach des Chevaliers Entfernung in der glücklichsten Stimmung zurück.

Was ihm der Chevalier mitgetheilt, kam ihm eben so unerwartet, als es seine kühnsten Wünsche überflügelte. Der Fürst billigte nicht nur seine Zuneigung zu der Prinzessin, sondern wünschte dieselbe sogar, indem er zugleich bedacht war, ihr wie ihm jedes Hinderniß und jede Bedenklichkeit zu nehmen. Den Grund zu alledem erkannte Mühlfels nur zu wohl, und dieses Bewußtsein[S. 21] gewährte ihm eine bezaubernde Aussicht, die ihm die glänzendste Zukunft verhieß. Vor allen Gefahren gesichert, durch den Wunsch des Fürsten ermuthigt, dessen Erfüllung seine Eigenliebe zugleich herausforderte; von der Täuschung erfüllt, Sidoniens Gunst bereits gewonnen zu haben, und mit den Mitteln ausgestattet, ihr jedes Bedenken zu nehmen, gedachte er nun die erste Gelegenheit zu benutzen, ihr seine Liebe zu gestehen und sich derselben voraussichtlich bald zu erfreuen.

Während dieser Ueberlegung hatte der Chevalier das Haus der Baronin erreicht und wurde von dieser in der freundlichsten Weise empfangen. Zeigte Boisière bei Mühlfels den Cavalier, so bei der Baronin den galantesten Hofmann. Als er sie begrüßte, ergriff er ihre Hand, führte sie an Lippen und Brust, indem er, die Baronin zärtlich anschauend, im Lispelton bemerkte:

»Wie beglückt es mich, meine theure Freundin in so blühendem Wohlsein zu finden!« Und nochmals drückte er ihre Hand an das Herz.

»Ich freue mich, Ihnen dieses Compliment zurück geben zu können,« entgegnete die Baronin.

»O, Sie schmeicheln, meine Gnädigste! Ein alter, gebrechlicher Mann und eine schöne, liebreizende Dame! O, wie paßt das zusammen!« entgegnete der Chevalier seufzend und hüstelnd.

»Nun, nun, mein Freund, so arg ist es denn doch noch nicht! Schönheit und Geist sind unzerstörbar wie Diamant.«

[S. 22]

»Ja, bei Gott, Sie selbst überzeugen mich auf das Angenehmste von dieser Wahrheit,« rief der Chevalier, die Baronin zärtlich anschauend.

»Immer der feine, galante Hofmann!« sprach die Letztere selbstgefällig und geschmeichelt, während sie dem Gast einen Fauteuil zuschob und sich selbst in die Kissen des Divans sinken ließ.

»Ich komme soeben von Ihrem Sohn, meine Gnädigste, und war so glücklich, ihm eine sehr angenehme Botschaft zu überbringen,« bemerkte Boisière mit einem vielsagenden, vertraulichen Blick.

»Sie überraschen mich, mein Freund! Was ist es?« fragte die Baronin voll Neugier.

»Eine delicate Angelegenheit.« —

»Sie steigern meine Neugier.« —

»Es betrifft die Prinzessin.« —

»Die Prinzessin? Wie soll ich Sie verstehen?«

Der Chevalier hüstelte ein wenig, ergriff alsdann ihre Hand, neigte sich zu ihr und entgegnete in leisem Ton:

»Der Baron verehrt die Prinzessin; Serenissimus hat davon Kenntniß erhalten und sich in Folge dessen veranlaßt gesehen, Ihrem Sohn durch mich einen gnädigen Wink darüber geben zu lassen. Sie werden mich verstehen.«

»Sie setzen mich durch eine so überraschende Mittheilung in das glücklichste Erstaunen!« rief die Baronin und blickte den Chevalier gespannt an.

Dieser kam ihren Wünschen, mehr zu vernehmen, sogleich[S. 23] entgegen, theilte ihr das uns bereits Bekannte ziemlich ausführlich mit und steigerte dadurch die Freude und das Erstaunen der Baronin in hohem Grade.

»Ich finde keine Worte, meine Empfindungen über das Vernommene auszudrücken! Also der Fürst wünscht —«

»Sie kennen die Verhältnisse zu genau, meine Freundin, um die Intentionen unseres Fürsten nicht natürlich zu finden.« —

»Gewiß, gewiß, mein lieber Chevalier. Die Staatspolitik hat andere Grundsätze, nach denen sie verfährt und verfahren muß, als sie in den untergeordneten Lebensverhältnissen obwalten, und man darf bei ihr nicht den gewöhnlichen Maßstab der Beurtheilung ihrer Arrangements anwenden,« bemerkte die Baronin altklug und wichtig.

»Um so mehr beglückt es mich, Ihren Sohn durch das Vertrauen Serenissimi beehrt zu sehen. Ich darf Sie nicht an die Vortheile erinnern, welche sich damit nicht nur allein für ihn verbinden,« — bemerkte Boisière vertraulich und bedeutungsvoll.

»Eine glückliche Intention des Fürsten!« rief die Baronin erfreut.

»Zu welcher ich ein wenig in Ihrem Interesse und dem Ihres Sohnes beigetragen habe,« — bemerkte Boisière leichthin und selbstgefällig.

»Eine Güte, die Ihres edeln Herzens würdig ist und uns zu dem tiefsten Dank verpflichtet,« entgegnete die Baronin und reichte ihm die Hand.

»Sie wissen, süße Frau, daß es dessen nicht bedarf[S. 24] und ich den schönsten Lohn in dem Glück meiner Freunde finde,« sprach der Chevalier ablehnend und die Lippen auf die dargebotene Hand drückend, und fuhr alsdann vertraulich fort: »Uebrigens, meine Freundin, liegen die Verhältnisse auch so, daß der Fürst zu irgend einem wirksamen Schritt genöthigt ist. Bedenken Sie die Erbfolge! — An eine Aussöhnung zwischen dem Ehepaar ist jetzt um so weniger zu denken, da, wie Ihnen wahrscheinlich nicht unbekannt sein wird, der Prinz in den Fesseln einer bezaubernden Armida schmachten soll, aus denen keine Rückkehr zu der einfachen Prinzessin zu erwarten ist.« —

Der Chevalier schwieg und blickte die Baronin an; sie schlug ein wenig verlegen die Augen nieder, faßte sich jedoch rasch und entgegnete:

»Sie glauben das?« —

»Ich spreche nur das Gehörte nach; doch hoffe ich Bestimmteres aus dem Munde meiner theuren Freundin zu vernehmen.« —

Die Baronin hüstelte; die von dem Chevalier ausgesprochene Erwartung war ihr nichts weniger als angenehm, da dieselbe sie zu Mittheilungen herausforderte. Aus den angeführten Gründen durfte sie jedoch nichts verrathen und befand sich daher in nicht geringer Verlegenheit wegen einer passenden Antwort. Doch war sie viel zu schlau in dergleichen Angelegenheiten, um nicht das Geeignete zu finden, und so entgegnete sie scheinbar unbefangen und leichthin:

[S. 25]

»Mein verehrter Freund muthet mir mehr zu, als ich zu leisten vermag.« —

»In der That, meine gnädigste Baronin?« fragte Boisière überrascht.

»Erwägen Sie selbst, cher ami. Wenn mir der Prinz auch früher bisweilen die Ehre seines Besuchs schenkte, so darf ich mich dennoch nicht seines Vertrauens rühmen, um so weniger in einer Angelegenheit, die er selbst sehr discret behandelt und wahrscheinlich auch also von Jedermann behandelt wissen will.« —

»Sie haben Recht, ganz Recht, meine Beste!« fiel der Chevalier eifrig und eingehend ein und fügte hinzu »Ich habe mir das bereits selbst gesagt und würde Sie daher auch nicht mit einer Frage belästigt haben, betrachtete der Fürst diese Liaison nicht mit günstigen Augen und stände dieselbe nicht in einem so genauen Zusammenhange mit der Angelegenheit Ihres Sohnes.« —

»In der That, das hatte ich nicht bedacht!« fiel die Baronin etwas unruhig ein.

»Sie werden überdies des Fürsten Wunsch natürlich finden, genügenden Aufschluß über dieses Verhältniß zu erhalten, und da wäre es mir in Ihrem Interesse, meine theure Freundin, angenehm gewesen, hätten Sie sich Ansprüche auf des Fürsten Dank durch irgend welche Mittheilungen sichern können.« —

»Sie meinen also, dem Fürsten läge etwas an der Kenntniß dieser Liaison?« fragte die Baronin gespannt.

»Sie können denken! Er verehrt die Dame in hohem[S. 26] Grade, der es gelungen ist, seinen flatterhaften Neffen zu einem ernsten Menschen umzuwandeln, und so kann es Sie nicht überraschen, wenn er auch die näheren Verhältnisse derselben kennen zu lernen wünscht.«

»Sie haben Recht und ich theile Ihre Ansicht; indessen, wenn ich auch etwas wüßte, so darf ich dennoch nichts verrathen.«

»Ich verstehe, meine Gnädige, und lobe Ihre Discretion. Man muß stets wissen, wie viel und was man in dergleichen Angelegenheiten sagen darf, und so will ich nicht weiter in Sie dringen, obgleich ich bedaure, daß Ihnen unter solchen Umständen der Dank des Fürsten entgehen muß,« bemerkte der Chevalier mit einem forschenden Blick auf die Baronin. Zugleich erhob er sich und machte Miene, sich zu entfernen.

»Bleiben Sie doch, lieber Chevalier! Sie haben doch nicht so große Eile?! Wir plaudern noch ein wenig,« beeilte sich die Baronin voll Erregung zu bemerken, indem sie zugleich seine Hand ergriff und ihn auf den Sessel zog.

»Wie Sie befehlen, meine Gnädigste. Sie wissen, es ist mir stets ein hoher Genuß, mich Ihrer Nähe erfreuen zu dürfen,« sprach der Chevalier, die einladende Hand zärtlich küssend, worauf er den Sitz wieder einnahm. »Ja, ja,« fuhr er alsdann unbefangen fort, »es muß in der That ein ganz besonderes Wesen sein, dem es gelungen ist, unsern Prinzen zu fesseln. Man sagt, sie sei aus Paris oder sonstwo ganz in der Stille angekommen[S. 27] und lebe hier im Verborgenen. Das Wunderbarste dabei ist freilich, wie und wo sie der Prinz kennen gelernt hat, und man zerbricht sich darüber die Köpfe, ohne doch eine Erklärung zu finden.«

»Ich kann es mir denken; denn diese Liaison ist auch wirklich unter ganz besonderen Umständen angeknüpft worden,« entgegnete die Baronin lächelnd und selbstgefällig. »Ich erfuhr darüber durch eine Freundin Mancherlei, was ich vielleicht weiter sprechen dürfte. — Es soll also Alles unter uns Drei bleiben?« fragte sie.

»Gewiß, liebste Baronin, und ich sehe nicht ein, was Sie wagen, sich des Fürsten Dank zu verdienen? — Früher oder später würde er diese Geschichte doch immer erfahren, und so ist es jedenfalls für Sie vortheilhafter, wenn er sie von Ihnen erfährt. Von meiner Verschwiegenheit sind Sie hoffentlich überzeugt.«

»Ich bin es, mein Freund, und glaube überdies, daß mich die Pflicht gegen den Fürsten der Rücksicht gegen den Prinzen überhebt.«

»Das darf gewiß nicht bezweifelt werden!« versicherte Boisière, und die Baronin fuhr fort:

»Ich habe dem Prinzen allerdings das tiefste Schweigen gelobt; doch vertraue ich des Fürsten und Ihrer Discretion, mein Freund, und so hören Sie denn.«

Mit wenigen Worten theilte sie ihm alsdann das uns bereits Bekannte mit.

»Der Fürst,« schloß sie, »wird sehr überrascht sein, zu erfahren, daß nicht eine vornehme Dame, sondern ein[S. 28] einfaches Naturkind den Prinzen in so hohem Grade zu fesseln wußte.«

Der Chevalier hatte ihrer Mittheilung mit gespannter Aufmerksamkeit gelauscht; als sie endete, bemerkte er lachend:

»Also eine Liaison à la Louis quatorze! Ich habe so etwas von dem Prinzen erwartet. Die vornehmen Damen hatte er längst satt, ich habe es bemerkt, da konnte ein solcher Rückschlag nicht ausbleiben. Chacun à son goût! Das ist die Parole! Ich bin überzeugt, daß das, was den vornehmen Damen nicht gelang, diesem Mädchen gelingen wird. Sie werden es erleben, meine theure Baronin, daß sich der Prinz wirklich in das Mädchen verliebt, wenn es nicht schon geschehen ist, und sie von ungeheuerm Einfluß auf uns Alle werden kann! Voilà tout! Ein Landmädchen! Diese Nachricht wird dem Fürsten große Freude bereiten, da alle die Unbequemlichkeiten und Rücksichten, welche eine Liaison mit Damen aus der bessern Gesellschaft bedingen, in diesem Fall nicht in Frage kommen. Passen Sie auf, liebste Baronin, diese Art Liebschaft wird viele Nachahmer finden, und kommt dergleichen erst in Mode, so werden die Landmädchen im Preise steigen!«

Und er lachte mit Behagen.

»Sie werden mich nicht verrathen, liebster, bester Freund,« bat die Baronin.

»Mein Wort zum Pfande! Warum sollte ich es auch? Dafür werden schon Andere sorgen. Also kein[S. 29] Bedenken. Aber ich gratulire Ihnen auch, meine Freundin; denn der Fürst wird Ihnen sehr dankbar sein. Diese Liaison wird ihm viel Vergnügen bereiten und seine ganze Billigung finden, da sie so vortreffliche Wirkungen ausübt. Ueberdies ist sie auch im Hinblick auf den Wunsch des Fürsten hinsichts Ihres Sohnes von großer Bedeutung; je fester der Prinz von den Fesseln seines Landmädchens umsponnen wird, um so gerechtfertigter ist auch des Fürsten Absicht. Ich wünsche Ihnen nochmals Glück!«

Also redete der Chevalier in der besten Stimmung und indem er der Baronin Hand wiederholt an die Lippen führte; alsdann schied er, nicht wenig stolz, Serenissimi so pikante Nachrichten überbringen zu können und sich dessen Dank zu erwerben.

Seine Erwartungen wurden in der That nicht getäuscht. Der Fürst zeigte sich nicht nur sehr zufrieden mit dem Vernommenen, sondern es erregte auch seine besondere Heiterkeit, daß der Prinz sich in eine solche idyllische Liebe zurück gezogen hatte.

»Es ist gut so,« bemerkte er. »Dergleichen niedere Personen gewinnen keinen Einfluß bei Hofe, da ihnen Interessen dieser Art ganz unbekannt sind. Ohne Ehrgeiz und Ansprüche, sind sie durch ihre glänzende Lage vollkommen zufrieden gestellt, und man kann sie überdies nach Belieben seiner Zeit bequem beseitigen. So käme uns diese Angelegenheit denn sehr nach Wünschen, und was Sie mir über den Baron mitgetheilt haben, läßt mich an einem guten Erfolg nicht zweifeln. — Der[S. 30] Prinz,« fuhr er nach einer Pause fort, »darf in seiner Schwärmerei durchaus nicht durch aufdringliche Neugier gestört werden; je länger diese Liebschaft währt, um so besser. Von meiner Seite soll nichts geschehen und ich will thun, als ob ich nicht die geringste Kenntniß davon besäße; doch kann es nichts schaden, wenn Sie derselben im Geheimen Ihre Aufmerksamkeit zuwenden, damit ich stets über Alles unterrichtet bin. Im Uebrigen reinen Mund, Chevalier. Versichern Sie die Baronin meiner Gnade für den mir geleisteten Dienst und beruhigen Sie sie hinsichts der von ihr besorgten Indiscretion. — Ja, ja,« schloß der Fürst lachend, »eine Liaison à la Louis quatorze! Die schöne Gabriele und ihr königlicher Schäfer! Nun, man darf des Prinzen Geschmack nicht tadeln. Die Waldblume bleibt, obgleich sie auch nur im Walde aufblühte, doch immer eine Blume!«

Lachend entließ er den Chevalier, der seinerseits von diesem Augenblick an bedacht war, die besten Wege aufzufinden, sich die von dem Fürsten gewünschten Aufklärungen über des Prinzen Liebschaft zu verschaffen. Diese Angelegenheit hatte einen ganz besondern Reiz für ihn, und mit um so größerem Vergnügen ging er an seine Thätigkeit.

[S. 31]

Zweites Kapitel.

Die ersten Schneeflocken senkten sich aus dichtem Gewölk sanft auf die Erde nieder, durch keinen Luftzug gestört, hafteten hin und her an, um bald zu zerfließen oder sich an einem kälteren Gegenstand als Winterzeichen zu behaupten. Die der Erde fernstehende Sonne vermochte die Wolken nicht zu durchdringen, noch auch ihr freundliches Licht geltend zu machen; es war ein recht trüber, melancholischer Tag.

Sidonie saß allein in ihrem Gemach und entlockte der in ihren Armen ruhenden Harfe die letzten Töne eines Musikstücks, das sie soeben beendete. Leise vertönten die traurigen Accorde; sie lehnte das Haupt gegen das Instrument und verlor sich in trüben Gedanken. Fast drei Wochen waren nun schon über den von dem Grafen zu seiner Rückkehr bestimmten Zeitpunkt dahin gegangen, ohne daß er sein Versprechen erfüllt hatte.

Allerlei Zweifel und Bedenken waren in Folge dieses Fernhaltens in ihr aufgestiegen. Wie nahe lag die Besorgniß, der Graf erachte es vielleicht wie früher für besser, sein Versprechen nicht zu halten und Sidonie so allmälig an den Gedanken seiner dauernden Entfernung zu gewöhnen.

Wie sehr litt sie unter dieser Vorstellung, obgleich sie sich nicht für berechtigt erachtete, dem Geliebten darum[S. 32] einen Vorwurf zu machen. Durfte sie denn verlangen, daß er ihr sein Leben opferte und die sich ihm darbietenden angenehmen Stunden für so Geringes austauschte, was sie ihm dafür zu bieten vermochte? — Nein, nein, das konnte und wollte sie nicht. Dann fiel es ihr wieder ein, der Graf könnte, von seinen Verwandten gedrängt, vielleicht auch durch eine schöne Dame veranlaßt, an eine Vermählung denken. — — Er war der älteste Sohn der Familie und hatte Rücksichten auf diese zu nehmen. Sie erbebte, aber nur für einen Augenblick, alsdann schalt sie sich wegen dieser Besorgnisse, die den Geliebten beleidigen mußten. Doch was ersinnt sich nicht Alles das zagende, unglückliche Herz, um sich zu beruhigen und zu quälen.

Ihren Mund umspielte ein süßes Lächeln; sie erwog, daß der Graf, hätte er sich vermählen wollen, dies dann wol schon in den verflossenen Jahren gethan haben würde, und der Gedanke schmeichelte sich in ihre Seele, daß ihre Liebe ihm genüge und genügen würde sein Leben lang. Hatte sie es nicht schon früher von seinen eigenen Lippen vernommen? — Sie war eine Thörin, sich mit dergleichen üblen Vorstellungen und Zweifeln zu quälen. Warum sollte er auch fern bleiben? — Gestattete ihre unabhängige Lage nicht einen ungezwungenen Verkehr mit ihm, der zu süß und beglückend war, um ihm nicht zu genügen. Auch durfte er ihretwegen nichts mehr befürchten. Vereinsamt und kaum beachtet lebte sie; Niemand kümmerte sich um ihr Thun, und so durften sie sich an einander ohne Sorge erfreuen.

[S. 33]

Obwol diese Betrachtungen angenehmer Art waren, vermochten dieselben dennoch ihre trübe, nachdenkliche Stimmung nicht aufzuheben. Ihr Gesichtsausdruck verrieth dieselbe, in welchem sich der eingewohnte Schmerzenszug jetzt mehr denn sonst geltend machte.

Sie wurde ihrem trüben Nachsinnen durch die Meldung entzogen, daß Baron Mühlfels ihr aufzuwarten wünsche. Sie erinnerte sich, ihm vor einiger Zeit einen Auftrag wegen eines Künstlers gegeben zu haben, und in der Voraussetzung, er wolle ihr darüber berichten, ließ sie ihn sogleich zu sich führen.

»Ich bin so glücklich, Eurer Hoheit mittheilen zu können, daß der von Ihnen gewünschte Künstler innerhalb eines Monats hier anlangen wird und sich hochgeehrt fühlt, Eurer Hoheit mit seinen Diensten alsdann aufwarten zu dürfen,« berichtete Mühlfels, nachdem er die Prinzessin hochachtungsvoll begrüßt hatte.

»Das ist eine erfreuliche Nachricht, lieber Baron, und ich danke Ihnen bestens dafür. Meine Soiréen werden dadurch um einen wesentlichen Genuß vermehrt werden, was mir ungemein lieb ist. Sie haben wol mancherlei Mühe dieserhalb gehabt?« entgegnete Sidonie in dem ihr natürlichen herzlichen Ton.

Mühlfels blickte die Prinzessin mit dem Ausdruck tiefster Ergebenheit an, die jedoch auch zugleich eine Deutung zärtlicher Empfindungen gestattete. Ihm entging ihr Trübsinn nicht, und theilnahmsvoll entgegnete er:

»Wie beglückt würde ich mich fühlen, wäre es mir[S. 34] gestattet, mein ganzes Leben dem Dienst Eurer Hoheit zu weihen! O, wie sehr beklage ich es, so wenig zur Erheiterung Ihres betrübten Herzens beitragen zu können!«

Durch diese Versicherung angenehm bewegt, entgegnete Sidonie freundlich:

»Ich danke Ihnen für Ihre Ergebenheit und erinnere Sie, daß es uns schon genügt, bei unseren Freunden so gute Gesinnungen voraussetzen zu dürfen. Diese gelten statt der That.«

»Eine wahre Gesinnung verlangt aber auch die Handlung, den Zeugen ihres Lebens; sie allein vermag denjenigen nicht zu befriedigen, der sein höchstes Glück in der vollsten Hingabe an seine Gebieterin findet!« fiel der Baron mit Wärme ein, indem sein Auge dasjenige der Prinzessin suchte und darin forschte.

Sidonie blickte nachdenkend zu Boden; sie gedachte bei Mühlfels’ Worten des Grafen, der ja in ähnlicher Weise zu ihr gesprochen hatte, und gab dem Baron darum in ihrem Herzen Recht. Sie vermochte nicht sogleich die Antwort zu finden, und Mühlfels deutete ihr Schweigen und nachdenkliches Wesen für eine gute Wirkung seiner Worte, und beeilte sich, im obigen Ton fortzufahren:

»O, dieses Verlangen, gnädigste Prinzessin, wird um so heftiger, wenn wir Diejenigen, denen unsere tiefste Verehrung gehört, ein freudloses Dasein führen sehen. O, bedenken Hoheit, wie sehr die leiden müssen, die mit solchen Empfindungen erfüllt, sich dennoch nur zu einem Mitleiden verurtheilt sehen, obwol ihr Herz[S. 35] sie drängt, ihr Leben für ein Lächeln der Verehrten hinzugeben!«

Sidonie blickte wohlwollend auf ihn. In seinem Ausspruch klangen ihr ja auf’s Neue des Geliebten Worte wieder; denn also hatte auch er einst gesprochen, und so that ihr Mühlfels’ Wärme wohl, obwol sie dadurch überrascht wurde, da sie dergleichen Empfindungen bei ihm nicht erwartet hatte. Nach kurzem Zögern entgegnete sie mit mildem Ton:

»Ich muß Ihnen beistimmen. Denn es däucht mir natürlich, daß wir diejenigen, die wir in unser Herz geschlossen haben, auch ganz glücklich sehen möchten; ist das doch eine Nöthigung unserer Gefühle. Können und dürfen wir jedoch stets dieser folgen? Entbehren und Verzichten ist ja einmal das Loos der Menschen!«

»O hegen Sie diesen Glauben nicht, Prinzessin! Er ist zu niederdrückend und obenein unbegründet! Nicht zum Entbehren ist Jugend und Schönheit geschaffen, sondern zum vollsten Genuß des Lebens. Nur der Schwache und Furchtsame entbehrt im Gefühl seiner Machtlosigkeit; ihm mangelt die wahre Leidenschaft; der Muthige jedoch weiß die Schranken zu durchbrechen, die ihn von seinem Glück fern halten!«

Die Prinzessin schaute ihn betroffen an; seine Worte paßten auch jetzt wieder zu ihrem eigenen Verhältniß, ja sogar zu ihrer gegenwärtigen Lage, so daß sie auf den Gedanken geleitet wurde, der Baron sei mit ihrer Liebe bekannt und bedacht, sie zu ermuthigen und zu trösten.

[S. 36]

Diese Voraussetzung lag nahe; denn warum sollte Mühlfels durch des Grafen früheren Besuch nicht zu einer solchen Erkenntniß gelangt und durch Theilnahme für ihre unglückliche Lage veranlaßt worden sein, ihr in geschickter Weise dies zu erkennen zu geben und seine Dienste anzubieten. —

Das wäre keine besondere Erscheinung zu nennen gewesen; bot man sich doch, wie sie genügend erfahren hatte, am Hofe in dergleichen Angelegenheiten gern die Hand. Und mußte sie des Barons Ansichten nicht überdies beistimmen? Verlangte ihr eigenes Herz nicht nach dem Glück des Lebens? Erfüllte sie in diesem Augenblick nicht die Sehnsucht nach dem Geliebten? Auch erwog sie, daß ein Mann von Mühlfels’ Stellung ihr unter den obwaltenden Verhältnissen von besonderem Vortheil sein könnte? —

Dies Alles leitete sie auf den Gedanken, die Gesinnungen des Barons näher zu prüfen und sich zugleich zu überzeugen, in wie weit er etwa mit ihrer Liebe vertraut wäre. Daher glaubte sie das Gespräch fortsetzen zu müssen und ihn dadurch zu weiteren Aeußerungen zu veranlassen, und sie entgegnete mit Interesse:

»Es mag wol in dem Charakter des zum Handeln geborenen Mannes liegen, dem Widerstande der Verhältnisse mit Thatkraft zu begegnen, so weit dies eben möglich ist, und ich kann nicht läugnen, daß ich dies auch überhaupt bei dem Manne voraussetze; ein Anderes ist es jedoch bei den Frauen, denen diese Energie mangelt.«

[S. 37]

»Darin eben beruht des Mannes Glück, der sich dadurch berufen fühlt, für sie zu handeln, ihnen den erfüllten Wunsch zu Füßen zu legen und in ihrem Dank den Lohn der Mühen zu kosten,« fiel Mühlfels mit Wärme ein.

»Sie mögen Recht haben; doch fürchte ich, Sie huldigen zu sehr der Theorie und übersehen, daß das wirkliche Leben mit seinen tausendfachen Verschlingungen, Forderungen und Gesetzen auch dem kräftigsten Willen unbesiegbare Hindernisse entgegen stellt.« —

»Welches Gesetz, welchen Widerstand, scheinbar unüberwindlich, hätte die Kraft der Leidenschaft nicht schon zu beseitigen gewußt!« bemerkte Mühlfels mit gesteigerter Wärme. »Wo sie herrscht und die Energie anspornt, ist der Sieg stets der ihre. Doch,« fuhr er, sich besinnend fort, »wir sind auf das unfruchtbare Feld der Speculation gerathen, und doch war es meine Absicht, Hoheit das heiße Verlangen auszudrücken, so glücklich zu sein, Ihnen durch meine Ergebenheit ein Lächeln der Freude zu verschaffen, zu welchem Sie ja vor Allen hier am Hofe berechtigt sind, da Ihr edles Herz tausendfach schmerzlich berührt worden ist und — o, daß ich es sagen muß! — noch betroffen wird. O, meine gnädige Prinzessin wird mir verzeihen, wenn ich gestehe, wie ich von Anbeginn ihren stillen Kummer mitgefühlt, ihre Kränkungen mich nicht geringer empört haben, wie sie selbst, und ich immer und immer nur den einen Wunsch hegte, sie über diese Leiden fortzuheben!«

[S. 38]

Der Baron hatte, von seiner Leidenschaft für die Prinzessin, deren mildes Wesen sie ihn doppelt reizend erscheinen ließ, fortgerissen, in einem wirklich aufrichtigen Ton gesprochen, der um so mehr geeignet war, eine gute Wirkung auf Sidonie auszuüben, da sie darin nichts Anderes als eine freundschaftliche Theilnahme mit ihrer Lage erkannte. Auch lag ihr die Ahnung von des Barons Gefühlen und Absichten so sehr fern, daß sie durch seine Worte nicht daran erinnert wurde. Ueberdies war ihr die allgemeine Theilnahme bekannt, welche man ihr schenkte, warum sollte sich Mühlfels, der mit ihren Verhältnissen am genauesten vertraut war, warum sollte er daher eine Ausnahme machen. — Im Gegentheil war er vor allen Anderen dazu veranlaßt. In dieser Voraussetzung blieb sie daher unbefangen und entgegnete, durch die verrathene Theilnahme angenehm berührt, in herzlichem Ton:

»Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Theilnahme, lieber Baron, doch was vermögen Sie zu thun, meine Lage zu ändern?« —

»O, Hoheit, vielleicht mehr, als Sie glauben!« betheuerte Mühlfels erfreut.

Sidonie schüttelte das Haupt.

»Sie trauen sich zu viel zu, lieber Baron. Sie kennen die Verhältnisse und wissen, daß ich mich denselben entsagend fügen muß« — erwiderte Sidonie und schaute, von ihren trüben Gefühlen beherrscht, zu Boden.

»Und warum müssen Sie sich fügen, gnädigste Frau? Hat Sie des Prinzen Verhalten nicht längst zur vollsten[S. 39] Freiheit berechtigt? Ihm schulden Sie keine Rücksicht mehr, da er sie nicht verdient, und er verdient dieselbe in diesem Augenblick um so weniger, da er sich in den Fesseln einer andern Person glücklich fühlt und darüber die Eurer Hoheit schuldende Ehrfurcht vergessen kann!«

»Schweigen Sie, schweigen Sie!« rief Sidonie mit einer abwehrenden Handbewegung gegen ihn, indem sie zugleich das Haupt sinken ließ.

»Nein, Hoheit, ich darf, ich will nicht schweigen! Meine Ergebenheit für Sie, meine Pflicht gebieten mir, Ihnen die Wahrheit zu verrathen und vor Ihren Augen das Geheimniß zu enthüllen, in welchem der Prinz seine Leidenschaft verbirgt. Es ist von keiner flüchtigen Liaison mehr die Rede, sondern von einem Sie entehrenden ernsteren Verhältniß. Darum mußte ich reden! Vergebung, Hoheit, wenn ich dem Unmuth, der mich erfüllt, und in dem Eifer, Ihnen zu dienen, mich so offen ausdrücke. Ich besitze jedoch ein Recht dazu und bin glücklich in seinem Besitz!« — entgegnete Mühlfels.

»Was sprechen Sie da, Baron!« rief Sidonie, durch Mühlfels’ Benehmen und Aeußerungen in hohem Grade überrascht.

»Ich spreche nur, was ich zu verantworten vermag, und theile Ihnen mit, daß mir dieses Recht durch die Zustimmung des Fürsten gegeben worden ist,« fuhr Mühlfels fort.

»Unmöglich, unmöglich!« rief Sidonie.

[S. 40]

»Nicht unmöglich, theure Prinzessin, sondern so wahr, wie das Licht des Tages!«

»Wie können Sie des Fürsten Meinung erfahren haben?« fragte Sidonie erregt.

»Durch seinen Vertrauten, Chevalier Boisière, der mir zugleich des Fürsten Wunsch mittheilte, daß Sie dieselbe durch mich erfahren sollten.«

»Durch Sie, und warum nicht aus seinem eigenen Munde?!«

»Der Fürst mag seine Gründe dazu haben« — fiel Mühlfels mit bedeutungsvollem Blick ein und bemerkte alsdann: »Der Fürst erkennt die Pflicht, Ihnen für des Prinzen beleidigendes Benehmen gegen Sie einen Ersatz in dem Zugeständniß vollster Freiheit bieten zu müssen, da er Ihr Verhältniß zu demselben nicht zu bessern vermag.«

»Sie sagen: die vollste Freiheit; wie soll ich das verstehen? Ich genieße dieselbe bereits in so weit, als mir meine Stellung sie gestattet; meint der Fürst also eine Trennung der Ehe?« fragte Sidonie voll Spannung.

»Nein, Hoheit, eine Trennung scheut er; aber er übersieht doch die Berechtigung nicht, welche Ihre Jugend und Schönheit an dem Vollgenuß des Lebens besitzen, und wünscht daher, Sie möchten dieselben nach Belieben geltend machen.« —

»Ah so, jetzt verstehe ich Sie,« fiel Sidonie ein, ohne eine Ahnung von dem eigentlichen Sinn der vernommenen Worte zu gewinnen, und fügte, sich der früheren[S. 41] Vorwürfe des Fürsten wegen ihres eingezogenen Lebens erinnernd, fort: »Ich weiß, der Fürst wünscht, ich soll mein stilles Leben aufgeben, und glaubt, daß das dem Prinzen gefallen würde. Er scheint noch immer nicht einzusehen, wie schwer es uns wird, unser eigentliches Wesen zu ändern.« —

»Vielleicht ist dies nicht des Fürsten Meinung, sondern dieselbe schließt noch eine tiefere Deutung ein,« bemerkte Mühlfels, die Prinzessin bedeutsam anblickend.

»Es ist mir sehr lieb, daß der Fürst noch so viel Interesse für mich hegt; denn ich fürchtete bereits, er hätte mich längst aufgegeben; sein kaltes Benehmen gegen mich ließ mich dies wenigstens vermuthen. Doch ist es so, wie Sie sagen, so bin ich dem Fürsten dafür dankbar,« entgegnete Sidonie unbefangen und ohne Mühlfels’ Blick und Worte zu verstehen.

»Hoheit können sich auf mein Wort verlassen,« betheuerte Mühlfels und blickte die Prinzessin wiederum bedeutsam an.

»Nun denn,« entgegnete Sidonie in einer fast heitern Stimmung, »ich will versuchen, den Wunsch des Fürsten zu erfüllen; in wie weit mir dies jedoch gelingen wird, weiß ich jetzt freilich noch nicht.«

»Ich versichere Eure Hoheit, daß Sie den Fürsten dadurch in hohem Grade erfreuen werden!« fiel Mühlfels betheuernd ein und fügte alsdann hinzu: »O, dürfte ich so glücklich sein, zum Diener Ihrer Wünsche erhoben zu werden! Hoheit kennen meine Ergebenheit und mögen[S. 42] aus dieser auf die Empfindungen schließen, die mich für Sie beseelen. Gebieten Sie über mich! Ach, es ist ja das Schicksal der Niederen, da zum Schweigen verdammt zu sein, wo ihr Herz am lautesten spricht!«

»Sie haben mich bisher durch Ihren gefälligen Diensteifer erfreut, und ich werde Ihre heutige Versicherung nicht vergessen,« entgegnete Sidonie wohlwollend, indem sie ihm die Hand reichte, die Mühlfels mit größter Innigkeit küßte und sich alsdann auf das Zeichen der Entlassung mit einem zärtlichen Blick auf sie entfernte.

Sidonie schaute ihm verwirrt nach. Die ihr gemachten Mittheilungen hatten sie ebenso sehr bewegt als überrascht. Des Prinzen neue Liaison, die der Baron als eine ernste Leidenschaft bezeichnete, deren Gegenstand eine Person aus niederen Stande sein sollte; des Fürsten Rücksicht für sie, noch mehr, daß der Letztere ihr diese und, wie es ihr schien, mit Absicht durch Mühlfels bekannt machen ließ, hatten Vermuthungen aller Art in ihr erweckt, ohne ihr ein festes Urtheil über das Vernommene zu gestatten. In dem Bemühen, sich ein solches zu bilden, wurde sie durch Aureliens Eintreten angenehm überrascht.

»Du kommst mir sehr erwünscht, Aurelie; denn ich war eben im Begriff, Dich zu mir bitten zu lassen, um mit Dir allerlei sonderbare Dinge zu besprechen,« rief sie ihr entgegen und führte sie nach einem Sessel.

»Was ist geschehen? Du scheinst so bewegt,« bemerkte Aurelie und schaute die Prinzessin fragend an.

»Soeben war Mühlfels bei mir, um mir wegen eines[S. 43] Künstlers Nachricht zu bringen, und theilte mir dabei allerlei überraschende Neuigkeiten mit, die mich in der That verwirrt haben,« entgegnete Sidonie und setzte ihr darauf das Erfahrene auseinander.

Aufmerksam hatte Aurelie ihren Worten gelauscht, während sich zugleich eine gesteigerte Ueberraschung in ihren Zügen verrieth. Als Sidonie schwieg, schaute sie gedankenvoll vor sich hin und bemerkte nach kurzem Sinnen:

»Deine Mittheilung überrascht mich nicht wenig und hat vor Allem die Frage in mir erregt, welche Gründe den Fürsten wol veranlassen konnten, Dich durch Mühlfels mit seinen Wünschen bekannt machen zu lassen. Sage mir, wie benahm sich der Baron dabei?«

»Er legte eine ungewöhnlich tiefe Ergebenheit für mich an den Tag, die wol eine Folge seiner Theilnahme für meine unglückliche Lage ist und dem aufrichtigen Wunsch zu entspringen schien, mich froh zu sehen.«

»Du nennst seine Ergebenheit ungewöhnlich; drang Dir diese nicht etwa die Vermuthung auf, daß dieselbe vielleicht einem zärtlichen Gefühl für Dich entsprungen sein könnte?« fragte Aurelie nachdenklich.

»Wie geräthst Du bei Mühlfels auf einen solchen Gedanken?! Denn, so ich Dich recht verstehe, vermuthest Du, Mühlfels’ Theilnahme für mich sei Liebe.« —

»Ja, Sidonie, so ist es, und Deine heutige Begegnung mit ihm und sein Benehmen befestigen mich noch mehr in dieser Voraussetzung.« —

[S. 44]

»Du erschreckst mich!« rief Sidonie bestürzt.

»Möglich, daß ich mich täusche; wenn dies jedoch der Fall ist, so steht die Sache noch übler; denn ich argwöhne hinter Alledem nichts Gutes.« —

»Sprich, sprich, was denkst, was fürchtest Du?« —

»Lass’ uns Alles ruhig erwägen. Mir erscheint die Annahme durchaus gehaltlos, der Fürst könne lediglich aus gütiger Theilnahme für Dich Dir derartige Mittheilungen durch die dritte Hand zugehen lassen! Diese Sache hat für mich in der That etwas Räthselhaftes; doch bin ich überzeugt, es liegt derselben irgend eine bedeutsame Absicht zu Grunde.« —

»Vielleicht täuschen wir uns, und der Fürst, mit dem neuen Verhältniß des Prinzen bekannt, hält sich verpflichtet, mir durch seine Güte seine Theilnahme zu erkennen zu geben, da er voraussetzt, daß mich dieser neue Schimpf tief verletzen muß.« —

»Es könnte sein. Es gäbe jedoch noch eine andere Annahme.« —

»Und diese wäre?« —

»Mühlfels hat Dich getäuscht,« entgegnete Aurelie mit Nachdruck.

»Wie könnte er so etwas wagen und was sollte ihn dazu veranlassen?« —

»Seine Liebe zu Dir.« —

»Ist nur Ergebenheit und Theilnahme, nichts weiter.« —

»Und wenn diese Voraussetzung unrichtig ist?« —

[S. 45]

»Unmöglich!« —

»Nicht so unmöglich, als Du glaubst. Betrachten wir sein Benehmen gegen Dich genauer. Du kannst nicht läugnen, daß, seitdem der Prinz die Besuche der Residenz aufgegeben hat, er sich auffällig bemüht, in Deine Nähe zu gelangen worin ihm Deine Aufträge sehr entgegen kamen. Zwar bezeigte er Dir bisher nur die Dir gebührende Achtung und Ergebenheit; es ist mir jedoch nicht entgangen, daß er Dich im Geheimen mit Zärtlichkeit betrachtet; rechne ich dazu die Wärme, mit welcher er zu mir über Dich sprach, so ist die Annahme einer zärtlichen Neigung für Dich nicht zu verwerfen.« —

»Du könntest Recht haben; denn überdenke ich sein heutiges Benehmen, so fällt es mir wie Schuppen von den Augen und ich gerathe auf die Vermuthung, daß seine Worte in Bezug auf den Prinzen, ja vielleicht auch sogar auf den Fürsten, in irgend einem Zusammenhange mit seiner Neigung stehen können.«

»Deine Verhältnisse, meine liebe Freundin, sind leider der Art, daß sie zu dergleichen Bekenntnissen heraus fordern,« — bemerkte Aurelie.

»Doch geben sie dem Baron kein Recht dazu!« fiel Sidonie unmuthig ein.

»Beurtheile ihn nicht härter, als er es verdient. Blicke um Dich und sieh, welcher Art hier das Leben ist. Eine junge Dame in Deiner Lage gestattet die Vermuthung, daß sie sich nach angenehmer Zerstreuung und Tröstung sehnt. Niemand ahnt Deine Liebe. Der Baron[S. 46] verehrt Dich; wie natürlich also, Dir seine Gefühle in der angenehmen Voraussetzung zu erkennen zu geben, Dir damit gelegen zu kommen, vielleicht auch von dem Wahn befangen, Du theiltest seine Neigung.«

»Es könnte sein, doch gestehe ich Dir, ich zählte den Baron trotz seiner Stellung zu dem Prinzen nicht zu den Schlimmen,« bemerkte Sidonie.

»Das weiß Mühlfels sehr wohl, und dieser Umstand wird ihm daher auch den Muth gegeben haben, Dir seine Neigung zu verrathen und das vielleicht absichtlich in einem Augenblick, in welchem eine neue den Prinzen entehrende Liaison Dich von allen sittlichen Rücksichten gegen diesen befreit.«

»Es liegt viel Wahrheit in Deinen Worten.« —

»Er hoffte unter den angegebenen Umständen leichter und sicherer Dein Herz zu gewinnen, darum enthüllte er Dir seine so lange verborgene Neigung erst in einem ihm so günstig scheinenden Augenblick.«

»So kann es sein.«

»Die Zeit wird uns ja zeigen, in wie weit wir mit unseren Vermuthungen Recht haben; doch gebietet es Dir wol die Vorsicht, auf der Huth zu sein und den Baron zu der Einsicht zu leiten, wie wenig Du geneigt bist, seine Gefühle zu theilen.«

»Ich wünschte, mir wäre dies erspart worden; denn der Gedanke beunruhigt und verletzt mich zugleich, ich könnte in Mühlfels dergleichen Gefühle erweckt und durch mein Verhalten allerlei Hoffnungen in ihm erregt haben.[S. 47] Ich werde mich fernerhin bemühen, ihn zur Erkenntniß seiner Täuschung zu führen.«

»Beunruhige Dich nicht zu sehr! Vielleicht beurtheilen wir diese Angelegenheit ernster, als sie es verdient. Bald, hoffe ich, wird unser Freund anlangen, und seine Nähe wird die trüben Gedanken aus Deiner Seele scheuchen.«

»O, wäre er erst hier!« rief Sidonie und fügte seufzend hinzu: »Ach, oft schleicht sich der schmerzliche Gedanke in mein Herz, ich werde ihn vielleicht nimmer wieder sehen!«

»Deine Besorgniß, ich versichere es Dir, ist ungerechtfertigt. Römer kommt, dessen sei gewiß, wenn sich auch seine Ankunft verzögert. Wahrscheinlich halten ihn wichtige Geschäfte zurück. Er gedenkt, wie Du weißt, den Winter hier zu bleiben, und da giebt es viel zu ordnen.«

Bei den letzten Worten war Marion eingetreten und händigte Aurelien einen Brief ein, der soeben angelangt und von deren Dienerin ihr übergeben worden war.

Ein Blick auf denselben ließ Aurelie des Grafen Handschrift erkennen, sie beherrschte jedoch die dadurch in ihr erzeugte Freude und empfing das Schreiben scheinbar gleichgiltig, um Marion dessen Bedeutsamkeit nicht zu verrathen.

Gleich ihr war auch Sidonie in der Voraussetzung, der Brief käme von dem Grafen, freudig erregt worden;[S. 48] doch hatte auch sie sich längst gewöhnt, ihre Empfindungen zu beherrschen, und verrieth sich daher auch jetzt nicht.

»Von Römer!« rief Aurelie leise, als sich Marion entfernt hatte, indem sie den Brief hoch hielt.

»Endlich, endlich!« fiel Sidonie ein, fügte jedoch sogleich betrübt hinzu: »Aber leider nur sein Brief und nicht er selbst!«

»Hören wir vor Allem, was er schreibt; zur Klage bleibt uns immer noch Zeit,« bemerkte Aurelie und öffnete den Brief, den sie alsdann mit der Prinzessin gemeinschaftlich las.

Und je mehr sie sich mit dem Inhalt des Schreibens bekannt machten, um so freudiger wurden ihre Züge, und als sie die letzten Worte gelesen hatten, stieß Sidonie einen Ruf angenehmster Ueberraschung aus.

»Nun, Sidonie, hatte ich nicht mit meiner Behauptung Recht?« fragte Aurelie, den Brief faltend.

»Gewiß! Denn während ich noch an seinem Besuch zweifelte, befand sich der Graf bereits hier. O, wie froh wie glücklich macht mich diese Gewißheit! Welcher schönen Zukunft darf ich entgegen sehen. In der Gewißheit seiner Nähe schwinden Sorgen und Trauer!«

Also rief die glückliche Sidonie mit leuchtenden Augen, indem sie die Freundin umarmte.

»Wie Du vernommen, ist er bedacht gewesen, sich Aufträge von Deinem Bruder für Dich zu besorgen, um den erwünschten Anlaß zu einem Besuch zu besitzen,« bemerkte Aurelie.

[S. 49]

»O, mein Herz dankt ihm dafür! So darf ich ihn schon morgen erwarten!« rief Sidonie und bemerkte dann: »Schreibe ihm ein paar Worte und deute ihm meinen Wunsch an. Der Prinz pflegt nach dem Diner das Palais gewöhnlich zu verlassen und bleibt auch den Abend fort; wir haben von seiner Seite also keine Störung zu besorgen. Bezeichne ihm daher die Stunde, in welcher ich seinem Besuch entgegen sehe. Um seinen verlängerten Aufenthalt bei mir zu rechtfertigen, will ich meinen Bruder zu mir bitten lassen. Kommt der Graf um die angegebene Zeit, so bleiben mir vielleicht zwei Stunden des Alleinseins mit ihm, da, wie Du weißt, Leonhard selten vor acht Uhr zu kommen pflegt.«

»Es wird geschehen, meine liebe Sidonie, und um die Späher zu täuschen, kannst Du Römer in dem Blumenzimmer und später in Deinem Gesellschaftsgemach, wie gewöhnlich, empfangen,« entgegnete die stets fürsorgliche Aurelie, die sich in dem Glück der Freundin selbst beglückt fühlte, ohne doch dabei die stets nothwendige Vorsicht zu vergessen.

Sidonie erklärte sich mit dem Vorschlage gern einverstanden, und auf ihren Wunsch setzte sich Aurelie sogleich an den Schreibtisch, um den Brief an den Grafen zu fertigen. Es gewährte Sidonien ein hohes Vergnügen, daran Theil nehmen zu können und, da sie ihm nicht selbst schreiben durfte, sich wenigstens in solcher Weise mit dem Geliebten zu beschäftigen.

Man lächle darüber nicht. Wer so innig liebt, wie[S. 50] Sidonie, wem die Freuden des Lebens so karg zugemessen sind, wie ihr, und wer sich in seiner Liebe so ganz mit dem Geliebten vereint hat, wie sie, dem ist schon das Unbedeutendste in seiner Liebe werthvoll und erwünscht. Und was wäre der wahren Liebe unbedeutend, sobald es sich auf den Geliebten bezieht! —

Lange noch nachdem der Brief gefertigt und abgeschickt worden war, beschäftigte dessen Empfänger die Freundinnen. Alles, was sie, namentlich Sidonie, zu dessen Erheiterung ersonnen, wurde nochmals in der ausführlichsten Weise besprochen und viele neue Dinge vorgeschlagen, und über diesen so liebevollen Bemühungen ging der trübe Tag, der dunkle Abend rasch dahin, vergaßen sie die Mittheilung des Barons, obgleich ihnen dieselbe nicht bedeutungslos erschienen war. Doch würden wir Aurelien Unrecht thun, wollten wir nicht erwähnen, daß, während Sidonie, von dem Glück der nächsten Stunde erfüllt, jener Angelegenheit auch nach der Trennung von der Freundin nicht mehr gedachte, diese durch dieselbe noch lange wach erhalten wurde; denn ihr erschienen des Barons Benehmen und Worte viel bedenklicher, als sie es Sidonien zu erkennen gegeben hatte. Sie war der Freundin behütender Engel, der, durch keine Leidenschaft bewegt, unablässig bedacht war, jede Gefahr von dem theuern Haupte abzuwenden, und so nahm sie sich vor, den Baron genauer zu beobachten und ihn vielleicht in einer geeigneten Stunde zum Verrath seiner geheimen Absichten zu veranlassen. Obgleich Aurelie sich dergleichen Erwägungen hingab, blieb[S. 51] ihrer reinen Natur dennoch der Gedanke des eigentlichen Zusammenhanges dieser Angelegenheit eben so fern, wie Sidonien.

Angenehmer war die Stimmung des Barons. Sidoniens Wohlwollen hatte ihn in hohem Grade beglückt, fast mehr noch ihre Worte, aus welchen er die Vermuthung schöpfen zu dürfen glaubte, daß sie seine Huldigung nicht nur erkannt hatte, sondern auch seine zärtlichen Gefühle für sie billigte. Ihre Antwort, nachdem er ihr des Fürsten Wunsch mitgetheilt hatte, erachtete er für weibliche Diplomatie, die geschickt die Wünsche umging, ohne diese doch ganz zu verhüllen. Er sollte errathen, was sie verschwieg. Mehr hatte er auch in der That nicht zu erreichen gehofft, aber er nahm die Ueberzeugung beim Scheiden von Sidonien mit, daß ein späteres reifliches Erwägen des Mitgetheilten und der Verhältnisse sie die ganze Bedeutsamkeit des letzteren erkennen lassen und sie ihm den Weg zu ihrem Herzen öffnen würde. Namentlich hegte er große Hoffnungen von dem Verrath des Prinzen und dessen Verhältniß zu Marianen, von der Ueberzeugung erfüllt, daß dieses und des Fürsten Beifall zu Sidoniens Neigung nur von den besten Wirkungen in seinem Interesse sein müßten. Von seiner Selbsttäuschung hatte er keine Ahnung und fühlte sich durch die, wie er meinte, sehr geschickte Weise, in welcher er die Angelegenheit der Prinzessin auseinander gesetzt hatte, sehr befriedigt.

Alle diese Umstände verleiteten ihn daher, dem Chevalier bei der nächsten Zusammenkunft die Versicherung[S. 52] des besten Erfolges seines Handelns zu geben. Er würde dies freilich gethan haben, wenn er sich dazu auch nicht berechtigt hielt; denn seine Eitelkeit war viel zu groß, um eine Niederlage einzugestehen. Boisière beeilte sich, dem Fürsten den erwünschten Bericht abzustatten, seinerseits nicht minder erfreut, seinem fürstlichen Gebieter durch seine Vorschläge einen so wesentlichen Dienst geleistet zu haben.

»Ich gestehe Ihnen, lieber Chevalier,« entgegnete der Fürst nach vernommenem Bericht, »daß ich in Bezug auf die Willfährigkeit der Prinzessin zum Eingehen auf diese Liaison noch mancherlei Bedenken hegte. Denn ich bin überzeugt, sie ist wirklich tugendhaft, wenigstens glaube ich, daß sie es war; freilich, sie wird zur Einsicht gelangt sein, daß man mit dergleichen Capital heutzutage nicht reussirt. Die Vorbilder hier am Hofe und vielleicht auch des Prinzen Treiben sind jedoch sehr geeignet, auch die besten Grundsätze zu lockern und umzustoßen. Was will auch eine schwache Frau? — Gegen den allgemeinen Strom zu schwimmen, ist mißlich und gewährt weder Vortheil noch Dank. Mit der Moral kommt man in der Politik wie in dem Alltagsleben nicht weit, und der herrschende Zeitgeist ist viel zu mächtig, um seine Widersacher nicht mit der Dornenkrone der Märtyrer zu zieren. Nicht der Einzelne, sondern die Allgemeinheit bestimmt, was erlaubt ist. Es ist mit der Moral wie mit der Mode. Das wird die Prinzessin wahrscheinlich eingesehen haben, und ich würde mich freuen, wenn dem so wäre. Lassen[S. 53] wir nun diese Sache ohne die geringste Beeinflussung sich ruhig entfalten. Ich selbst werde später Gelegenheit nehmen, der Prinzessin meine Wünsche, oder vielmehr meine Billigung zu ihrer Liaison anzudeuten, damit sie sich sicherer fühlt.«

Als der getäuschte Fürst also sprach, ahnte er freilich nicht, wie sich diese Verhältnisse so ganz anders gestalten und entwickeln sollten, als er voraus gesehen, ahnte er nicht, daß er durch das Eingehen auf des Chevaliers Vorschlag selbst in eine Lage gerathen könnte, die seinen Charakter in hohem Grade herausfordern und durch welche er verleitet werden sollte, alles Unheil über die edelsten Herzen zu verhängen.

Noch weniger ahnten diejenigen ihr Verhängniß, die unter duftenden Blumen ein süßes Wiedersehen feierten.

Sich nur der reinsten Empfindungen bewußt, schon reich beglückt, die Nähe des Geliebten theilen zu dürfen und durch eigenes Bemühen dessen Stunden mit den lautersten Freuden zu verschönen, genossen sie dieses Wiedersehen in dem Bewußtsein, keine Einbuße an ihrem sittlichen Gehalt zu erleiden, wenn sie auch die Verhältnisse nöthigten, sich des Geheimnisses als ein Mittel dazu zu bedienen.

Wir haben des Grafen edeln Charakter kennen gelernt und auch erfahren, daß er zum Wohl Sidoniens gegen seine Grundsätze sich für die Wiederkehr zu ihr bestimmte. Er gestand sich freilich ein, daß er damit auch dem Verlangen seines eigenen Herzens genügte, das seine[S. 54] Forderungen eben so sehr geltend machte, wie das Sidoniens. Aber wir haben auch erfahren, daß er hinreichende Willenskraft besaß, über seine Empfindungen zu herrschen, und zu entsagen, wo es die Nothwendigkeit gebot, und seine Wiederkehr lediglich durch die Ueberzeugung bestimmt wurde, der unglücklichen Geliebten die rettende und tröstende Hand zu bieten, um sie nicht in dem ihr bereiteten Kummer hinsiechen zu lassen.

In diesem Umstande fand der Graf die ihm so nothwendige Beruhigung hinsichts seines Handelns. Und so konnte ihr Wiedersehen nur ein glückliches sein.

Sidonie pflegte in der Winterszeit sich sehr viel in dem Blumenzimmer aufzuhalten, das ihr einen Ersatz für den Garten und Park bieten mußte.

Sie fühlte sich unter den Blumen und Pflanzen wohler als in ihrem Gemach, und ihre Vorliebe für diesen Aufenthalt hatte die sorgfältigste Pflege der Pflanzen und eine bequemere Anordnung in demselben veranlaßt. Es konnte also aus diesen Gründen ihr Verweilen daselbst um eine spätere Stunde nicht auffallen, und um so mehr glaubte sich daher Aurelie berechtigt, ihr diesen Ort zum Empfang des Grafen zu bezeichnen.

Ungefähr eine Stunde vor der zu dem letzteren bestimmten Zeit hatte sich Sidonie mit der Freundin dahin begeben, dem frohen Augenblick mit bewegtem Herzen entgegen harrend. Wie gewöhnlich vernahm man nicht das geringste Geräusch von dem Treiben der Bewohner des Palais. Der Prinz hatte das letztere bereits verlassen,[S. 55] und die in den Nebengebäuden wohnenden Personen, so wie die in dem Palais verweilenden Diener, gewöhnt, durch den Dienst um diese Zeit nur wenig in Anspruch genommen zu werden, suchten die Zeit durch Plaudern mit ihren Genossen angenehm zu verkürzen. Nur das leise Rauschen der Bäume im Park unterbrach die überall in dem Palais herrschende angenehme Stille.

Störungen durch Besuche hatte Sidonie nicht zu befürchten, da sie dergleichen um diese Zeit nicht erwarten durfte und nur an den Gesellschaftsabenden empfing, wenn sie es nicht, wie heute, für gut fand, eine Ausnahme davon zu machen.

Endlich verkündete eine in der Nähe befindliche Uhr die ersehnte Stunde, und Aurelie begab sich nach ihrer Wohnung, um den Grafen daselbst zu erwarten und von da aus, wie ehemals, Sidonien zuzuführen. Auch dieses Mal gelang es Aureliens Klugheit und Fürsorge, den Freund ohne jedes Aufsehen zu empfangen, worin die Dunkelheit des Abends sie überdies wesentlich unterstützte.

Bald stand der Graf Sidonien gegenüber, die lieberfüllten Blicke in ihre freudig erglänzenden Augen tauchend und die sich ihm bebend entgegen streckenden Hände mit den seinen umfassend.

Sie wußten, daß der Ausdruck ihrer Empfindungen nicht weiter gehen durfte, und hielten sich darum für sicher, durch die letzteren nicht überrascht zu werden, weil sie es nicht billigten, und dennoch folgte Sidonie dem sanften, vielleicht unwillkürlichen Zuge seiner Arme, dennoch sank[S. 56] ihr Haupt an seine Brust, dennoch hauchte der Graf einen flüchtigen Kuß auf ihre Stirn. Einen Augenblick jedoch nur faßte ihr Glück ein; alsdann erhob Sidonie das erröthende Antlitz zu ihm auf und schaute ihn an. Sie verstanden sich nur zu wohl, und wie abbittend neigten sich des Grafen Lippen auf ihre Hand, die er nicht lassen mochte. Dann führte er sie zu ihrem Fauteuil zurück und setzte sich neben sie.

»Sind Sie mir böse, daß ich mein Versprechen nicht zur rechten Zeit erfüllte?« fragte er, nur mühsam seine Bewegung beherrschend, die sich in seiner unsichern Stimme verrieth.

»Wie sollte ich?! Doch verhehle ich Ihnen die Betrübniß nicht, die ich darüber empfand. Doch jetzt ist ja wieder Alles gut. Sie sind hier und, was das Angenehmste ist, Sie bleiben nun bei uns für lange Zeit,« entgegnete Sidonie einfach, aber in einem so herzlichen Ton, der besser als ihre Worte das ganze große Glück bezeichnete, das ihrer Seele durch diese Gewißheit und seine Gegenwart gewährt worden war.

»Soll ich mich durch die Versicherung entschuldigen, daß meine Geschäfte meine Abreise verhinderten?« fragte der Graf.

»O nein, nein! Keine Entschuldigung! dessen bedarf es nicht und ich habe kein Recht, eine solche von Ihnen zu verlangen. Weiß ich doch nur zu wohl, wie viele mir unbekannte Opfer Ihre Güte mir schon gebracht hat!« entgegnete Sidonie, ihm liebevoll in das Antlitz schauend.

[S. 57]

»Sie irren, meine Freundin, und ich bitte Sie, mich nicht durch unverdientes Lob zu beschämen,« fiel der Graf ein.

»Dennoch müssen Sie mir gestatten, jener Opfer zu gedenken! Es ist das eine Nöthigung meines Dankgefühls und Sie sollen darin zugleich erkennen, daß ich nicht zu selbstsüchtig bin. Ach, ich bin zu arm, um Ihnen in einer andern Weise danken zu können, und so thue ich es wenigstens durch dieses Bekenntniß.«

Sie hatte vor seiner Ankunft ein paar Erika- und Granatblüthen gepflückt und, zum Sträußchen vereint, an die Brust gesteckt; sie nahm dasselbe jetzt und reichte es ihm stumm aber mit dem innigsten Blick dar.

Schweigend empfing der Graf die Gabe, so einfach, so gewöhnlich, und dennoch wie bedeutsam, da sie an der Geliebten Brust geruht hatte.

Nach kurzer Pause bemerkte Sidonie:

»Sie werden sehen, in welcher Art ich Ihre Reisegeschenke aufbewahrt habe. O, diese haben mir während Ihrer Abwesenheit manche angenehme Stunde gewährt, indem sie die Erinnerung an ihre so interessanten Mittheilungen erneuten und mir dadurch den Anlaß boten, mich durch Lectüre über ihre Reisen näher zu unterrichten.«

»Ich habe das erwartet, meine Freundin, und um so mehr bedauert, Ihnen die Mühe des Lesens nicht durch meine Mittheilungen ersparen zu können,« fiel der Graf ein.

»Wir werden Ihre Güte darum doch in Anspruch nehmen; denn wir sind wenig durch die Lectüre befriedigt[S. 58] worden. Nicht wahr, Aurelie?« bemerkte Sidonie mit einem Blick auf die in der Nähe sitzende Freundin.

»Es ist so, lieber Graf, und so werden Sie Sidoniens Wunsch natürlich finden,« bemerkte Aurelie.

»Dessen Erfüllung mir gewiß großes Vergnügen bereiten wird,« fiel Römer ein.

»O,« erwiderte Sidonie, »schelten Sie uns nur nicht zu selbstsüchtig; wir sind auch bedacht gewesen, Ihnen kleine Erheiterungen zu bereiten, und ich denke Ihnen noch heute den Beweis dafür durch mein Harfenspiel zu geben.«

»In der That? Sie haben sich in so gütiger Weise meiner Vorliebe für Ihr Spiel erinnert?« fragte der Graf, durch das Vernommene in der angenehmsten Weise überrascht.

Die Unterhaltung lenkte sich jetzt auf den herzoglichen Hof und Sidonie bat den Grafen, ihnen über die Heimath Näheres mitzutheilen, welchen Wunsch derselbe gern erfüllte. — Es knüpften sich daran viele Fragen, die Heimath betreffend, und in dem angenehmen Genuß an einander und unter ihrem belebten Gespräch war die Zeit des Alleinseins früher verflossen, als man es erwartet hatte, woran sie die Meldung von der Ankunft des Prinzen Leonhard mahnte. Aurelie führte den Grafen auf dem früheren Wege nach ihrer Wohnung zurück, woselbst er sie verließ, um sich darauf in der üblichen Weise bei der Prinzessin melden zu lassen. Die spionirenden Diener wurden dadurch in der gewünschten Weise getäuscht, indem sie also zu dem Glauben genöthigt wurden, der Besuch[S. 59] des Grafen habe Aurelien gegolten. Sidonie eilte mit freudigem Herzen zu ihrem Bruder, der, durch ihre Einladung ein wenig überrascht, sich nach der Veranlassung derselben erkundigte.

»Ich habe Dir heute eine angenehme Ueberraschung zugedacht,« entgegnete Sidonie heiter und führte ihn darauf in das Gesellschaftszimmer, woselbst der Graf bereits ihrer harrte.

Der Prinz freute sich herzlich über dessen Wiederkehr, die ihm noch unbekannt gewesen und auf welche er nicht mehr gehofft hatte, da der Graf so lange ausgeblieben war; so konnte es nicht fehlen, daß die übrigen Abendstunden, durch Sidoniens Spiel, ihres Bruders Heiterkeit und die lebhafte Theilnahme der Freunde verschönt, nur zu rasch und sehr angenehm dahin gingen.

»Auf baldiges Wiedersehen unter Blumen!« flüsterte Sidonie dem Grafen zu, als sie von einander schieden, in Beider Herzen süßes Glück und frohe, liebliche Hoffnungen.

Drittes Kapitel.

Vor einem bis zum Boden reichenden prachtvollen venetianischen Spiegel stand ein reizendes Mädchen im Negligé und betrachtete sich, wie es schien, mit großer Selbstzufriedenheit.

[S. 60]

Das volle dunkle Haar, bereits geordnet, war, gegen die herrschende Mode, nicht durch Puder, noch durch die damals übliche hohe Frisur verunstaltet, sondern fiel in glänzenden Locken zwanglos auf Schultern und Nacken. Das Mädchen wiegte behaglich den Kopf hin und her, sprach und lächelte mit ihrem Spiegelbilde, wobei sie das Seidenmäntelchen allmälig abstreifte und zu Boden fallen ließ, und dadurch Büste und Arme von der Hülle befreite.

»Das bist Du selbst, die Mariane aus dem Walde, die man hier gnädiges Fräulein nennt und die es auch bald wirklich sein wird, vielleicht noch mehr. So sagt es der Prinz, und die Voisin meint es auch und erzeigt Dir großen Respect, und das will etwas sagen.« — Sie sprach das mit selbstgefälliger Wichtigkeit und fuhr, indem sie die mit seidenen Hackenschuhen bekleideten Füßchen gegen den Spiegel streckte und betrachtete, also fort: »So bist Du noch der ehemalige Waldvogel, wie der Prinz sagt, aber bald soll der Vogel verschwunden sein und das gnädige Fräulein zum Vorschein kommen. Pass’ auf!«

Und sie trippelte auf dem schwellenden Teppich nach einem chinesischen Tischchen, auf welchem sich allerlei Schmucksachen in zierlichen Etuis befanden, öffnete diese, stellte sie zusammen und ergötzte sich alsdann an dem Gefunkel der Edelsteine, Perlen und dem Glanz der goldenen Zierrathen.

»O, welch’ eine Pracht, welch’ eine Herrlichkeit, und Alles, Alles ist mein und dazu noch die schönen Kleider[S. 61] von Sammet und Seide!« Also rief sie mit freudigen Blicken, nahm darauf ein kostbares Halsband, eilte damit an den Spiegel, legte es sich um und bewunderte dessen Schönheit. Ebenso that sie mit einem Paar Armbändern und Ringen, ohne sich bewußt zu werden, wie wenig ihr knappes Unterkleid, das die Gestalt und die seidenen Zwickelstrümpfe nur zum Theil verhüllte, zu diesem kostbaren Schmuck paßte. Daran schien sie jedoch nicht zu denken. Und warum sollte sie auch? Einen Lauscher hatte sie in ihrer einsamen herrlichen Wohnung nicht zu fürchten; die dem Kamin entströmende Wärme und der rings verbreitete Wohlgeruch thaten ihr wohl: warum sollte sie sich also nicht nach ihrem Behagen die Zeit verkürzen. — Bis zu dem Besuch des Prinzen war es noch lange hin. Er wollte heute zwar früher als gewöhnlich kommen, um mit ihr das Diner einzunehmen, doch blieb ihr trotzdem noch immer Zeit genug zum Ankleiden übrig.

Nachdem sie in der angegebenen Weise eine Stunde und länger vertändelt und dabei die Schmucksachen angelegt hatte, klingelte sie nach ihrer Dienerin, um sich ankleiden zu lassen.

»Welche Robe und welches Unterkleid befehlen Euer Gnaden?« fragte das Mädchen.

»Sieh, das weiß ich selbst noch nicht; darum bringe vorläufig ein paar Anzüge her, ich will sie anlegen und sehen, welcher mir am besten gefällt,« entgegnete Mariane in durchaus anspruchsloser Weise und ohne die Herrin geltend zu machen.

[S. 62]

Ihr Befehl wurde sogleich erfüllt und die Dienerin erschien nach wenigen Augenblicken mit den verlangten Anzügen, die Mariane der Reihe nach anlegte und von welchen eine ganze Menge ihren Körper noch nicht berührt hatten.

Bald war ein luxuriöser Reichthum an kostbaren Sammet- und Seidengewändern, nicht minder kostbaren Spitzengeweben und ein Ueberfluß an allen möglichen Toilettengegenständen vor ihr ausgebreitet, wozu endlich aus Mangel an Raum selbst der Boden benutzt werden mußte, und inmitten diesem Meer von Farben, Glanz und Pracht stand Mariane in dem Unterkleide da, ohne daß ihre Schönheit durch die Einfachheit desselben und die herausfordernde Umgebung beeinträchtigt wurde.

Jeder Anzug wurde vor dem Spiegel geprüft, um sich zu überzeugen, wie er ihr ließ, mit der Dienerin besprochen, Unter- und Oberkleider gewechselt, verschieden zusammengestellt, und Marianens Herz hatte an Alledem seine rechte Freude.

Aber nicht allein durch den Besitz so reicher Gewänder war diese Freude erzeugt, sondern die Eitelkeit und Selbstgefälligkeit hatten ihren guten Theil daran. Mariane war sich bewußt geworden, in dem Staat nicht übler auszusehen, wie die vornehmen Damen bei Hofe und in der Stadt, ja vielleicht noch viel besser und schöner. Denn sie brauchte keine Schminke, um ihrem Antlitz Frische zu verleihen, die hatte ihr die Natur gegeben; eben so wenig durfte sie das Augenlid dunkeln, damit der[S. 63] Blick glänzender erschien; ihr Auge funkelte und glänzte, wie die Diamanten in ihrem Halsband. Und die Robe durfte auch nicht zu tief fallen, um einen plumpen Fuß zu verhüllen, denn sie konnte nicht nur ihr Füßchen, sondern auch noch ein wenig von den Zwickelstrümpfen sehen lassen: Fuß und Bein waren darnach.

Alle diese angenehmen Erwägungen gingen ihr während des Anprobirens durch den Kopf, bis eine prachtvolle purpurrothe Sammetrobe, das kurz vorher empfangene Geschenk des Prinzen, ihr ganzes Interesse beanspruchte. Sie gefiel sich darin so außerordentlich, daß sie erklärte, dieselbe am heutigen Tage tragen zu wollen.

»O, Euer Gnaden nehmen sich darin wie eine Prinzessin aus!« schmeichelte die Dienerin, an dem Anzuge nestelnd und alsdann einen kostbaren Spitzenkragen hinzufügend.

»Und sieh nur, wie die Steine doppelt prächtig in dem Widerschein der Robe funkeln!« rief Mariane erfreut und sich in dem Spiegel betrachtend. »Ja, ich bleibe in dem Anzuge, will darin den Prinzen empfangen und mit ihm speisen. O, das wird ihm gefallen!«

Und so geschah es auch, nachdem die Dienerin sich bemüht hatte, den Anzug in der geschmackvollsten Weise zu ordnen.

Das eitle Kind vermochte sich von dem Spiegel nicht zu trennen, so sehr behagte es ihr in diesem prächtigen, anspruchsvollen Kleide, in welchem sie sich wie eine Prinzessin ausnahm.

[S. 64]

Während sie sich in solcher Weise beschäftigte, entdeckte sie plötzlich, daß ihr Haupt ohne jede Zier war; das gefiel ihr durchaus nicht; aber sogleich machte sich ihre Vorliebe für Blumen geltend, und sie eilte nach einem mit den schönsten Blumen geschmückten Zimmer und pflückte sich hier, was ihr zusagte, und wand sich alsdann einen duftigen Kranz, den sie vor dem Spiegel sorgfältig auf das Haupt drückte.

O, wie herrlich paßte derselbe zu ihrem Anzuge! Wie viel schöner erschien sie sich jetzt selbst! Der Kranz erst hatte dem Anzug den rechten Abschluß gegeben. O, wie würde und mußte sie dem Prinzen gefallen!

Das Eintreten der Madame Voisin unterbrach sie in dem Betrachten ihrer Person.

»Was ist das, Fräulein?!« rief diese voll Ueberraschung aus, als sie den ungewöhnlichen Anzug sah.

»Nicht wahr, ich gefalle Ihnen in dieser Robe?« fragte Mariane unbefangen und freundlich.

»Gewiß, Fräulein; er steht Ihnen vortrefflich. Doch müssen Sie sich bald umkleiden, damit Sie der Prinz nicht darin findet,« bemerkte Madame Voisin.

»Und warum soll er mich nicht in diesem prächtigen Kleide, das mir so gut steht, sehen?« fragte Mariane überrascht.

»Das dürfte ich Ihnen kaum noch sagen; wissen Sie doch, daß er Sie am liebsten in einem einfachen Anzuge sieht.« —

[S. 65]

»Das thut er nur, weil er glaubt, ein vornehmer Anzug würde mich nicht gut kleiden.« —

»Das glaube ich nicht, sondern vermuthe, Sie gefallen ihm am meisten in einer bescheidenen Tracht.« —

»So soll er sehen, daß ich auch in schönen Kleidern nicht häßlicher, sondern vielleicht noch schöner bin! Wozu hätte ich sie denn, wenn ich mich damit nicht schmücken dürfte?!« —

»Sie vergessen, daß der Prinz sich an den prächtigen Toiletten schon lange satt gesehen hat.« —

»Möglich. Doch ich sage Ihnen, Madame, nicht an den Kleidern, sondern an den Personen hat sich der Prinz übersättigt, und ich denke Ihnen den Beweis dafür heute zu liefern,« erörterte Mariane in sehr bestimmtem Ton.

»Versuchen Sie es; es könnte sein, daß ich mich täusche. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, so vergessen Sie nicht, dem Prinzen meine Mißbilligung Ihres Anzugs zu erkennen zu geben, damit er mir keine Schuld beilegt.«

»Besorgen Sie nichts, liebe Voisin; das ist meine und nicht Ihre Sache!«

»Das weiß ich wohl; jedoch glaubte ich, Ihnen meinen Rath nicht vorenthalten zu dürfen,« bemerkte Madame Voisin begütigend.

»Nun, schon gut, schon gut!« fiel Mariane ein und fügte hinzu: »Warum soll ich dem Prinzen nicht zeigen, daß es nur eines passenden Anzugs bedarf, um einer vornehmen Dame zu gleichen? Bin ich etwa häßlicher als[S. 66] seine Frau oder die Hofdamen und hohen Fräulein der Grafen und Barone?«

»Ei bewahre, meine Beste; vielmehr sind Sie noch vielmal schöner!« beeilte sich Madame Voisin zu entgegnen.

»Nun also?! So könnte ich mich auch vor ihnen sehen lassen und Keiner dürfte sagen: ich wäre nur aus dem Walde« — fuhr Mariane in verweisendem Ton fort.

»Gewiß, gewiß!« betheuerte Madame Voisin.

»Nun hören Sie, liebe Voisin, was ich mir ausgedacht habe. Ich will den Prinzen überraschen; darum sagen Sie ihm nichts von meinem Anzuge, wenn er kommt, hören Sie?!«

Madame Voisin versicherte, ihren Wunsch genau zu erfüllen, worauf sich Mariane nach ihrem Boudoir begab. Dasselbe enthielt außer Blumen noch eine Volière, angefüllt mit farbenprächtigen ausländischen Vögeln, einem sprechenden Papagei, der auf einer vergoldeten Stange saß, und ein paar allerliebsten Aeffchen, die unter hochstämmigen Pflanzen auf einem dürren Bäumchen ihre Wohnstätte hatten. Man sieht, Marianens Boudoir war eine kleine Natur-Wildniß und bot einen ziemlich schroffen Gegensatz zu den zierlichen Boudoirs anderer Damen dar.

Mariane hatte sich lediglich in der Absicht dahin begeben, um sich ihren Lieblingen in dem prächtigen Anzuge vorzustellen; derselbe versetzte auch namentlich den[S. 67] Papagei und die Affen in eine so große Aufregung, daß sie mit diesen Complimenten wol zufrieden sein konnte.

Das Gezwitscher der Vögel, das Gekrächze und Schnurren des Papageis und der Affen war fast ohrbetäubend, aber um so ergötzlicher für Mariane, die sich unter ihren Lieblingen sehr behaglich fühlte, besonders wenn diese sich in so lebhafter Weise geltend machten, wozu sie der farbenvolle Anzug und das Blitzen der Edelsteine herausforderte.

Während sie sich mit den Thieren unterhielt, Fragen an sie richtete, ob sie ihnen gefalle, und sich in solcher Weise die Zeit verkürzte, war Madame Voisin nach dem Speisezimmer gegangen, um noch allerlei Anordnungen zu dem Diner zu treffen. Ein gedankenvoller Zug machte sich dabei in ihrem Antlitz geltend, der durch Marianens Verhalten gegen sie hervor gerufen worden war.

»Ja, ja,« dachte sie, »ich habe mich in meinen Erwartungen hinsichts dieses Mädchens nicht getäuscht. Ihre heutigen Worte und ihr befehlendes Benehmen, das sie mit dem fürstlichen Anzuge angenommen, beweisen mir das. Wol hat sie Recht; sie ist schöner als alle Anderen; daß sie dies jedoch erkannt hat, darin liegt eben ihre Macht, und ich würde mich wundern, sollte sie nicht einen gewichtigen Einfluß auf den Prinzen — den künftigen Regenten! — gewinnen. Ich muß diese Umstände wohl beachten; denn wer kann wissen, zu welchem Ende diese Liebschaft führt. Ja, ja, sie ist reizend, und mir däucht fast, sie ist noch klüger als schön; denn wie sehr hat sie[S. 68] sich in den wenigen Monaten ihres Hierseins schon geändert, und wie vortrefflich versteht sie es, den Prinzen zu behandeln, daß er sich nur bei ihr glücklich fühlt und darüber Frau und Kind und alle Staatsgeschäfte vergißt.« —

Also bedachte Madame Voisin die Verhältnisse, und nach dem Erfahrenen dürfen wir ihr nur beipflichten. Mariane beherrschte in der That schon den Prinzen, ohne daß sie und dieser selbst eine Ahnung davon hatten.

Sie hatte sich mit überraschender Schnelligkeit in die ihr durchaus neuen Verhältnisse zu schicken gewußt, nicht minder schnell hatte sie die Scheu vor der Hoheit abgelegt und sich bemüht, dieser die Wünsche und Schwächen abzulauschen und ihr in der angenehmsten Weise entgegen zu kommen.

Ihr lebhaftes Naturell, ihr Witz und Verstand leisteten ihr dabei wesentliche Hilfe, und gleich einer Scheherezade wußte sie den Prinzen durch allerlei Nichtigkeiten so angenehm zu unterhalten, daß ihm die Zeit bei ihr wie im Fluge dahin zu eilen schien.

Was den Prinzen jedoch ganz besonders an sie fesselte, war ihre Wißbegier, wodurch sie ihn stets herausforderte und die ihn veranlaßte, sie über tausend Dinge aufzuklären. Ihre ungewöhnliche Fassungskraft und die lebhafte Phantasie, die unaufhörlich neue Gedanken und Erfindungen in ihr erzeugte, waren der reiche Quell, aus denen sie die Stoffe der Unterhaltung schöpfte und wodurch sie zugleich des Prinzen Bemühen um sie angenehm[S. 69] machte. Sie gab geistig fast mehr, als sie empfing, und verhütete dadurch jede Anstrengung, die der Prinz nicht liebte, und traf also ganz des Letzteren Geschmack.

An die Waldeinsamkeit gewöhnt und von einem verschwenderischen Luxus umgeben, der ihr ganz neue Genüsse gewährte; durch Spazierfahrten mit Madame Voisin und den näher bezeichneten Zeitvertreib mit ihren Lieblingen ergötzt, fühlte sie sich befriedigt. Der Unterricht im Gesang und der Musik und des Prinzen Besuche trugen dazu gleichfalls nicht unwesentlich bei, indem sie sich dabei sehr gut unterhielt. Dies war dem Prinzen aus den bekannten Gründen sehr erwünscht und um so inniger gab er sich dem Mädchen hin, das ihn mit jedem neuen Tage mehr an sich fesselte. Zugleich war er bemüht, das Geheimniß seiner Liebe zu bewahren, welches seinen Genüssen einen eben so neuen, als eigenthümlichen Reiz verlieh. So wird es denn auch nicht überraschen, ihn, tief in einen Mantel gehüllt, nach dem Ufer des Sees fahren und an einer bestimmten Stelle aussteigen zu sehen.

Während der Wagen zurückkehrte, schlug der Prinz einen nach dem Seeufer führenden Pfad ein. Daselbst angelangt, wurde er von zwei Männern empfangen, die seiner mit einer bedeckten Gondel harrten. Nach einem leichten Kopfnicken begab sich der Prinz in das Fahrzeug, das, durch die Ruder der Leute rasch fortbewegt, bald über den See geräuschlos dahin glitt.

Nach kurzer Zeit erreichten sie das entgegengesetzte Ufer, woselbst die Gondel an dem zu der Villa gehörigen[S. 70] Garten hielt, der hier bis in den See lief. Kaum landete das Boot, so verließ der Prinz dasselbe und ging rasch durch die einsamen Gänge nach dem Hause.

Weder hier noch am Landeplatz wurde er von irgend Jemand empfangen. Er hatte das also bestimmt, und wir erkennen, wie sehr er bedacht war, jede Wichtigkeit von sich abzuweisen. Den Schiffern und Dienern in der Villa war auf das strengste anbefohlen worden, dem Prinzen nur die nothwendigste Aufmerksamkeit zu schenken und sich um sein Kommen und Gehen durchaus nicht weiter zu kümmern. In solcher Weise bemühte sich der Prinz, den idyllischen Charakter dieses Verhältnisses zu bewahren, und indem man ihm dabei von allen Seiten entgegen kam, konnte es nicht fehlen, daß er in der That von dem tiefen Geheimniß seiner Liebe überzeugt war, obwol man, wie wir erfahren haben, dasselbe längst verrathen hatte.

Im Vorzimmer der Villa empfing den Prinzen ein Diener, der ihm den Mantel abnahm, worauf er sich in das nächstgelegene Gemach begab, woselbst ihn Madame Voisin mit den üblichen Knixen begrüßte.

»Nun, wo ist Mariane? Warum kommt sie mir nicht wie sonst entgegen?« fragte der Prinz rasch.

»Hoheit verzeihen; das Fräulein erwartet Sie in dem Boudoir« — beeilte sich Madame Voisin mit einem bedeutungsvollen Lächeln zu entgegnen.

»Ah, ich merke, sie hat wieder einen Scherz im Sinn. Nun, wollen sehen!«

[S. 71]

Mit diesen Worten eilte der Prinz davon und blieb, als er den Eingang des Boudoirs erreichte, mit einem Ausruf der angenehmsten Ueberraschung stehen.

Mit Wohlgefallen ruhte sein Auge auf Marianen, die mit dem Ausdruck komischer Wichtigkeit sich ceremoniell vor ihm verneigte und, dabei zugleich mit dem Fächer kokett spielend, einer Oberhofmeisterin an höfischer Würde nichts nachgab.

»Bei Gott, Du bist schön und stolz wie eine Königin!« rief der Prinz entzückt und eilte auf sie zu, um sie in die Arme zu schließen. Mariane trat, ihrer vorbedachten Rolle getreu, einen Schritt zurück und entgegnete voll Würde:

»Gemach, Hoheit! In solcher Weise nähert man sich hohen Personen nicht!«

Dabei kokettirte sie, das Antlitz hinter dem Fächer geborgen, mit dem Prinzen gleich einer Schauspielerin, und wußte das Alles mit solchem Reiz in Mienen und Benehmen zu thun, daß sich des Prinzen Beifall nur noch steigerte.

»Köstlich, köstlich!« sprach er, ihr Küsse zuwerfend.

Sie spielte noch einige Augenblicke ihre Rolle weiter: dann aber warf sie den Fächer auf den Boden, breitete die Arme aus und rief, indem sie sich an seine Brust sinken ließ:

»So, nun ist’s mit der Prinzessin genug! Hier, Hoheit, hast Du wieder Deine Waldtaube!« Und sie umschlang und küßte ihn, und als dies geschehen war, trat sie von ihm zurück und bemerkte:

[S. 72]

»Jetzt betrachte mich noch einmal, Hoheit! O, wie bin ich glücklich, daß ich Dir gefalle und Du nicht böse bist, mich in diesem Anzug zu finden, wie die Voisin meinte!«

»Da irrte sie; denn Du gefällst mir über die Maßen und ich erkenne, daß Du dem Hofe alle Ehre machen würdest. Wer von unseren Damen könnte sich mit Dir vergleichen wollen, ohne vor Deiner Schönheit zurückstehen zu müssen! Jetzt bist Du nicht mehr der Waldvogel, sondern die Waldkönigin! Dir fehlt nichts, als ein Diadem, um das sich der Kranz schlingt, und das sollst Du haben und schöner noch als das der Fee!«

»O, Du gute, liebe Hoheit!« rief Mariane, durch die Aussicht auf ein so schönes Geschenk beglückt, und tändelte alsdann in der gewöhnten Weise mit dem Prinzen, bis Madame Voisin sie zum Diner einlud. Diese bediente sie bei demselben und es herrschte dabei die ungezwungenste Fröhlichkeit. Mariane beschäftigte den Prinzen durch unaufhörliche Fragen nach dem Hof und den daselbst weilenden Personen, namentlich den Damen, und dem Treiben daselbst. Nur seiner Gemahlin gedachte sie nicht, weil ihr der Prinz dies ein- für allemal verboten hatte. Nach dem Diner schlug der Letztere mit Marianen Ball, ein Vergnügen, das sie sehr liebte, worauf, als es dunkelte, er ihr Unterricht auf dem Klavier ertheilte und sich an der rasch angeeigneten Fertigkeit des Mädchens ergötzte.

Dann mußte sie ihre Lieder singen, die er mit dem[S. 73] Klavier begleitete. In solcher Weise ging ihnen die Zeit angenehm dahin, und indem wir bedacht gewesen, dieses Zusammensein näher zu bezeichnen, liegt die Frage nahe, warum der Prinz alle diese Bemühungen nicht lieber seiner Gemahlin darbrachte und sich darin glücklich fühlte?

Die Antwort hierauf dürfte lediglich in dem besondern Charakter des Prinzen zu suchen sein.

Sidonie würde von diesem Verhältniß ihres Gemahls wahrscheinlich nichts erfahren haben, hätte es Mühlfels in seinem Interesse nicht für zweckmäßig erachtet, ihr dasselbe zu verrathen.

Wie wenig Gewicht sie darauf legte, ist uns bekannt geworden, nicht minder, daß sie in dem Genuß ihres wiedergekehrten Freundes dieses Verhältnisses kaum noch gedachte, geschweige denn sich etwa weitere Aufklärung darüber von dem Baron geben ließ.

Der Letztere, mit dem eigentlichen Anlaß dazu nicht bekannt, wußte sich diese Theilnahmlosigkeit nicht zu deuten. Er hatte mit Bestimmtheit vorausgesetzt, die Prinzessin würde ihn mit ihrem Vertrauen beehren und sich mit ihm über diese Angelegenheit besprechen; dies geschah jedoch nicht, sondern Sidonie schien ihn vielmehr seit jener Unterredung eher zu meiden als zu suchen, wie das aus den bekannten Gründen wirklich der Fall war. Was seitdem noch seine ganz besondere Besorgniß erregte, war der Umstand, daß die Prinzessin ihn nicht mehr allein empfing, sondern stets in Gegenwart Anderer, ja es geschah sogar, daß sie sich durch Aurelie vertreten ließ.

[S. 74]

Diese Erscheinungen, durchaus nicht erwartet, erregten in ihm die ersten Zweifel an Sidoniens Zuneigung zu ihm, und der niederbeugende Gedanke, sich über ihre Empfindungen und ihr Benehmen gegen ihn vielleicht getäuscht zu haben, machte sich allmälig in ihm geltend. Zwar verwarf er denselben wieder bei der Erinnerung des ihm von der Prinzessin bisher geschenkten Wohlwollens; es lag aber auch die Frage nahe, warum dies nicht nur in der früheren Weise fortbestand, sondern sich auch, wie er erwartet hatte, steigerte. Alle diese Umstände erfüllten ihn mit dem Vorsatz, die Prinzessin und ihr Thun genauer zu prüfen, um dadurch vielleicht den Grund ihres so auffällig veränderten Benehmens zu entdecken. Hiezu fand er zwar in den Abendgesellschaften der Prinzessin Gelegenheit; dies genügte ihm jedoch nicht, und so gedachte er sie auch außerdem im Geheimen zu beobachten. Er war mit den Hofdamen und Dienern der Prinzessin ziemlich bekannt, und so konnte es ihm nicht eben schwer werden, mancherlei vielleicht für ihn Interessantes über sie von diesen zu erfahren.

Gewöhnt, wie wir wissen, dergleichen Angelegenheiten mit seiner Mutter zu besprechen, vertraute er sich auch jetzt dieser an und überraschte sie dadurch nicht eben wenig. Ihr war das Zustandekommen des von dem Fürsten gewünschten Verhältnisses, was sie gewissermaßen als eine Ehrensache betrachtete, von großer Wichtigkeit, ganz abgesehen, daß es sich dabei um das besondere Interesse ihres Sohnes handelte.

[S. 75]

»So ist Dir also nichts von Bedeutung aufgefallen, wodurch Du Dir diese Veränderung von Ihrer Seite erklären könntest?« fragte die Baronin nachdenkend, nachdem sie über Alles aufgeklärt worden war.

Mühlfels verneinte und versicherte, in dieser Beziehung kaum eine Vermuthung zu besitzen.

Die Baronin erinnerte ihn darauf an Eins und das Andere, was dazu vielleicht Veranlassung gegeben haben könnte, aber mit gleichem Erfolg.

»So will ich Dir eine überraschende Vermuthung mittheilen, die durch Deine Worte in mir erzeugt worden ist,« sprach sie nach kurzem Ueberlegen.

»Und die wäre?« fragte Mühlfels gespannt.

»Die Prinzessin liebt wahrscheinlich bereits.«

»Was sagen Sie!« fuhr der Baron auf.

»Ich sage, es ist so; aber ich füge auch hinzu, daß sie Dich nicht liebt.«

»Das würde mich in der tiefsten Seele verletzen; denn ich habe den Fürsten bereits durch den Chevalier mit Sidoniens Zuneigung zu mir bekannt machen lassen. Ich würde zum Gespötte werden, gäbe sie einem Andern den Vorzug!« rief der Baron in großer Aufregung.

»Das würde geschehen, und darum müssen wir, und zwar nicht allein aus diesem Grunde, sondern aus dem viel wichtigeren Interesse, das uns eine Liaison der Prinzessin bietet, bedacht sein, in dieser Angelegenheit Gewißheit zu erhalten.«

»Was kann mir diese helfen, wenn ich nicht der[S. 76] Gegenstand ihrer Neigung bin?!« warf der Baron ärgerlich hin.

»Mehr, als Du jetzt einsiehst, mein Sohn. Gesetzt, es gelingt uns, ihre Herzensgeheimnisse zu ergründen, so dürfte, lauschen wir ihr irgend eine Schwäche ab, dies ein wichtiger Umstand sein, Dich in ihre Gunst zu setzen.«

»So glaubst Du also, es könnte ein solcher Fall eintreten?«

»Warum nicht? Es wäre fast unnatürlich, sollte unsere Voraussetzung nicht eintreffen und Sidonie unter den obwaltenden Umständen ihre Empfindungen nicht verrathen.«

»Möglich! Doch dürfte dies lediglich von der Person abhängen, der sie ihre Liebe geschenkt hat.«

»Gewiß; indessen sind die Verhältnisse zu günstig, dergleichen Erwartungen nicht zu hegen.«

»Sie haben Recht. Warum sollte sie auch besser sein als alle Anderen, besonders da des Fürsten Begünstigung sie dazu herausfordert und ihr jede Besorgniß nimmt. Doch wir vergessen, daß darin auch zugleich ein Mittel liegt, unsere etwaige Entdeckungen wirkungslos zu machen.«

»Wie willst Du das jetzt schon mit Gewißheit behaupten?! Bedenke, daß, wie Du selbst sagtest, die Prinzessin den eigentlichen Sinn des von dem Fürsten geäußerten Wunsches nicht zu ahnen scheint.« —

»Wahrhaftig, diesen Umstand hatte ich vergessen!« fiel Mühlfels erfreut ein.

[S. 77]

»Nun wirst Du also auch begreifen, wie wichtig und zugleich wie wirkungsvoll für uns eine gewünschte Entdeckung werden kann.«

»Gewiß, gewiß!« rief der Baron erregt, indem er auf und ab schritt. »Auf diesen Punkt muß nun unser Bemühen fortan gerichtet sein.«

»Natürlich, und Du mußt zugleich klug und geschickt genug sein, Dich der Prinzessin gegenüber nicht zu verrathen. Beherrsche daher vor allen Dingen Deine eifersüchtigen Gefühle, namentlich unter Umständen, die Dich dazu herausfordern. Zeige Gleichgiltigkeit, jedoch nicht ohne Wärme und die frühere Theilnahme. Das wird Sidonie über Deine Empfindungen täuschen und sie zugleich veranlassen, Dir gegenüber weniger Vorsicht zu beobachten. Ja, es könnte sogar geschehen, daß diese Täuschung sie vielleicht verleitet, Deine Dienste in Anspruch zu nehmen. Sie kennt Deine Ergebenheit, hält Dich für ihren treuesten Freund, und so kann man nicht wissen, welche wichtige Erfolge alle diese Umstände erzielen. Ahnt sie Deine Neigung und Absichten nicht, um so besser; denn man vertraut sich in der Liebe eher einem Freunde, als einem Verehrer. Hat sich Sidonie nur erst wirklich verrathen und unser Forschen einen Boden gewonnen, dann werden wir durch entsprechende Geschicklichkeit und geduldiges Ausharren auch früher oder später zu den gewünschten Entdeckungen gelangen. Denn Du hast ganz Recht, mein lieber Sohn, warum sollte die Prinzessin[S. 78] unter den obwaltenden Verhältnissen besser sein wollen, als Andere ihres Gleichen.«

»Ihr kluger Rath soll mir zur Richtschnur meines ferneren Handelns dienen.«

»Gut, mein Sohn. Doch sage, haben Dich nicht etwa die Umstände auf irgend eine Vermuthung geleitet, ob und wen Sidonie etwa begünstigt?«

»Ich strenge vergeblich mein Gedächtniß an. In den Abendgesellschaften wenigstens, die mir die einzige Gelegenheit zum Beobachten der Prinzessin bieten, habe ich dergleichen nicht bemerkt.«

»Das ist recht bedauerlich!« bemerkte die Baronin und fügte nach kurzem Nachdenken hinzu: »Man sagt, Graf Römer sei wieder hier und besuchte wie früher die Cirkel der Prinzessin.«

»So ist es. Er war auch neulich daselbst anwesend.«

»Bewies ihm die Prinzessin nicht besondere Aufmerksamkeit?«

»Nicht im geringsten; sie begegnete ihm wie ihren anderen Gästen freundlich, aber ein wenig förmlich, wie das ihre Art ist.«

»Und der Graf?«

»Schien sich wenig um Sidonie zu kümmern und unterhielt sich viel mit den Künstlern und Gelehrten. Sie scheinen, liebe Mutter, den Grafen für bedeutender zu halten, als er ist, und sogar zu vermuthen, die Prinzessin könnte sich für ihn interessiren. Ich habe Ihnen schon früher gesagt, daß sich des Grafen ernstes, abgeschlossenes[S. 79] Wesen wenig zur Liebe eignet, am wenigsten zärtliche Neigungen zu erwecken befähigt erscheint. Er ist ein Wissenschaftsmensch und wird, wie man mir sagte, sich nächstens wieder auf eine längere Reise begeben. Alle diese Umstände verneinen daher Ihre etwaigen Voraussetzungen.«

»Es könnte sein; Du wirst es jedoch natürlich finden, daß bei dem Mangel an geeigneten Persönlichkeiten mir der Graf nicht gleichgiltig erscheint. Die Prinzessin interessirt sich bekanntlich für die Wissenschaften; ein Grund, sie dem Grafen zu nähern. Denn wie ich vernahm, soll Römer auch außer den gewöhnlichen Gesellschaften bei der Prinzessin gewesen sein; ein Zeichen, daß ihr diese Besuche wünschenswerth und angenehm sind.«

»So wird es sein, doch dürfte man daraus noch nicht auf ein persönliches Interesse schließen dürfen,« fiel Mühlfels ein.

»Sei dem, wie ihm wolle; immerhin könnte es nicht schaden, den Grafen fortan ein wenig zu beobachten. Thue das also, mein Sohn; ich werde nicht ermangeln, ein Gleiches zu thun und zugleich bedacht sein, dabei meine vertrauten und geheimen Quellen zu benutzen. Du weißt, mein Sohn, die Verstellungskunst ist an unserm Hofe sehr ausgebildet; sollte es denn geschehen sein, daß dieselbe auf die Prinzessin ganz ohne Wirkung geblieben wäre? Ich zweifle daran, und eben weil ich dies thue, erscheinen mir auch ganz harmlose Personen nicht bedeutungslos, wenigstens dürfen sie das für uns nicht sein. Ich denke, dies[S. 80] wird nicht ohne Einfluß auf Dein künftiges Benehmen und Handeln sein.«

Hiermit schloß die Baronin ihre Betrachtungen und war erfreut, in dem Kopfnicken ihres Sohnes die Beistimmung zu denselben zu finden. Mutter und Sohn trennten sich alsdann, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt.

Die Baronin kannte ihr Geschlecht zu wohl, um nicht zu wissen, wie groß dessen Verstellungskunst wäre, selbst bei Frauen, deren Charakter nicht gehaltlos genannt werden durfte. Sie urtheilte daher nach ihren Erfahrungen und hegte überdies hinsichts des Grafen ganz andere Ansichten als ihr Sohn. Sie fand Römer interessant, sein Benehmen sehr geeignet, den Frauen zu gefallen, indem ihn sein würdiges und männliches Wesen weit über seine Umgebung empor hob. Diese Ansicht hatte sie bereits bei dem ersten Zusammentreffen mit dem Grafen bei der Prinzessin gewonnen. Sagte ihr auch ihre Muttereitelkeit, daß ihr Sohn hübscher und sein Benehmen Liebe erweckender als das des Grafen sei, so wußte sie doch auch, daß jede Frau ihrer besondern Vorliebe huldigt und man daher in Bezug auf die Neigung derselben sehr leicht getäuscht werden könnte.

Ihr erschien daher der Graf der genaueren Beobachtung wol werth, und sie nahm sich vor, diese nicht zu unterlassen, sobald sich ihr die Gelegenheit dazu bieten sollte.

Anders war es mit Mühlfels. Er war überzeugt,[S. 81] daß seine Bemühungen in dieser Beziehung durchaus fruchtlos sein würden, und lächelte über die Vorurtheile seiner Mutter. Ueberdies hatte ihn die stattgefundene Unterredung auf einen ganz neuen Gedanken geführt. Er überlegte nämlich, daß, wenn Sidonie wirklich eine geheime Liebe hegte, damit doch noch nicht die Nothwendigkeit gegeben war, daß sich der Gegenstand derselben auch am Hofe und in ihrer nächsten Umgebung befinden müsse.

Die Prinzessin machte Ausfahrten, auf welchen sie oft längere Zeit fort blieb, ja sie gefiel sich auch in Spaziergängen durch den Park und Wald: warum, sagte er sich, sollte es ihr nicht vielleicht auch gefallen, dem Prinzen nachzuahmen und ihre Liebe unter dem Schleier eines tiefen Geheimnisses zu genießen. Forderte sie ihr Gemahl nicht dazu heraus und zeigte ihr die geeigneten Wege zur Erreichung ihrer Wünsche.

Dieser Gedanke gewann bei weiterem Erwägen immer mehr Bedeutung für ihn und erzeugte den Entschluß, Sidoniens Ausfahrten und Spaziergänge fortan im Geheimen zu beobachten. Er glaubte hierauf seinen ganzen Fleiß verwenden zu müssen, von der Ueberzeugung erfüllt, daß, wenn Sidoniens Begünstigter sich wirklich in ihrer nächsten Nähe befand, dies auch ohne sein Zuthun von Seiten der weiblichen Späher am Hofe bald entdeckt und ihm daher schnell bekannt werden würde.

Dafür bürgte ihm schon die Klugheit und der Scharfblick seiner Mutter.

So legte sich um die nichts Uebles fürchtende Prinzessin[S. 82] ein Gewebe von Intriguen, dem sie um so leichter zum Opfer fallen konnte, da sie weit entfernt war, das große, für ihre Person und ihr Verhalten gehegte Interesse zu ahnen. Diese Gefahr mußte um so bedeutsamer im Hinblick auf ihre Liebe genannt werden, indem diese sie leicht verleiten konnte, irgend welche Schwächen zu zeigen und sich dadurch zu verrathen. Wie leicht verräth sich das von Liebe erfüllte Herz, und ein unvorsichtiger Blick, ein Wort genügt dem Spähenden schon, dem Befangenen immer wirksamere Fallstricke zu legen.

Die winterliche Jahreszeit beschränkte allerdings sowol Mühlfels’ beabsichtigte Thätigkeit, als diejenige aller Uebrigen, dagegen war sie auch wiederum sehr geeignet, die Personen in einem engeren Kreise zusammen zu führen und dadurch Gelegenheit zum Beobachten zu bieten.

Ahnte, wie wir bereits bemerkt haben, Sidonie nicht das Geringste von den ihr drohenden Gefahren und war dieser Umstand sehr geeignet, sie in ihrem Verhalten gegen den Grafen weniger vorsichtig zu machen und dem Zuge ihres Herzens zu folgen, so übte hierauf noch ein anderer Umstand einen sehr wichtigen Einfluß aus.

Außer in ihren Gesellschaften sah Sidonie den Grafen noch ein- bis zweimal in der Woche im Theater, woselbst sie zugleich nicht eben selten die Gelegenheit fand, in den Zwischenacten sich mit dem Geliebten zu unterhalten. Ihr Bruder führte ihr diesen anfangs zu; später suchte der Graf die Prinzessin auch allein auf.

Diese Besuche konnten um so weniger als besonders[S. 83] betrachtet werden, da auch andere Personen gleich ihm Sidonien dergleichen abstatteten und dies ohnehin eine herkömmliche Sitte war. Römer unterließ die Beobachtung dieser Sitte um so weniger, weil er sich dadurch einige glückliche Augenblicke verschaffte, dann aber auch weil das Gegentheil aufgefallen wäre. Sein näherer Umgang mit der Prinzessin war längst allgemein bekannt geworden, und er erachtete es daher für klug, sein Interesse für sie offen zu zeigen.

Denn es darf nicht verschwiegen werden, daß Sidonie den Grafen auch außer in ihren Gesellschaften noch bei sich sah, bisweilen in der Begleitung ihres Bruders, oft auch ohne dieselbe. Das konnte nicht unbekannt bleiben. Jene Besuche freilich, bei welchen sie ihn in dem Blumenzimmer nur im Beisein Aureliens empfing, blieben der Welt ein Geheimniß. Es waren das für die Liebenden die süßesten Stunden, ihnen leider stets zu kurz zugemessen, um ihr liebendes Herz ganz zu befriedigen. Aber die Verhältnisse gestatteten denselben keine längere Dauer, und mit stillem Dank genossen sie die ihnen von dem Geschick so freundlich gewährte Gabe.

Diese Zusammenkünfte wurden dadurch ermöglicht, daß der Graf wie früher Aurelien besuchte und es daher den Schein gewann, als käme er zu ihr. Da in dieser Beziehung von allen Seiten eine große Vorsicht beobachtet wurde, so gelang es ihnen, die zu fürchtende Dienerschaft zu täuschen, welche in diesen Besuchen lediglich ein Interesse des Grafen für die Hofdame sah.

[S. 84]

Der Fürst war durch den Chevalier sehr bald mit der Anwesenheit des Grafen und dessen näheren Beziehungen zu der Prinzessin bekannt gemacht worden, und da Boisière den Grafen zugleich als einen sehr gebildeten und interessanten Mann bezeichnete, erwachte in dem Fürsten der Wunsch, Römer persönlich kennen zu lernen.

Da sich der Graf von dem Hof fern hielt, so gedachte der Fürst sich denselben bei einer geeigneten Gelegenheit vorstellen zu lassen. Diese Gelegenheit fand sich, als der Fürst nach seiner Wiederherstellung wieder das Theater besuchte. Kaum daselbst angelangt, erinnerte er sich Römer’s und ließ, nachdem er dessen Anwesenheit vernommen, sich ihn durch den Chevalier zuführen.

Eine kurze Unterhaltung überzeugte den Fürsten, daß der Ruf von des Grafen Vorzügen durchaus begründet sei. Ueberdies sagte ihm auch dessen Wesen und Benehmen ganz besonders zu, und er entließ den Grafen nicht nur sehr gnädig, sondern auch mit der schmeichelhaften Bemerkung, daß er sich freuen würde, ihn recht oft am Hofe zu sehen.

Der Fürst benutzte zugleich diesen Abend, um seine Absicht in Bezug auf die Prinzessin auszuführen.

Diese befand sich nämlich gleichfalls im Theater. Sein Leiden hatte ihn seit längerer Zeit von ihr fern gehalten und ihn daher an der Ausführung seines Vorhabens verhindert. Er wollte darum das Versäumte nachholen. Durch Mühlfels’ Mittheilungen getäuscht, erachtete er es um so ersprießlicher, sich persönlich zu überzeugen,[S. 85] in wie weit sich seine Erwartungen etwa erfüllen könnten.

Er benutzte daher die erste Zwischenpause und begab sich zu Sidonien.

»Wie sehr freue ich mich, liebste Prinzessin, Sie wieder einmal zu sehen,« bemerkte er in gütigem Ton.

Sidonie dankte und wünschte ihm zu seiner Genesung Glück.

»Man kann auch Ihnen Glück wünschen, meine Liebste; denn ich bin überrascht über Ihr gutes Aussehen. Seit ich Sie zum letzten Mal sah, — ich denke, es sind das mehr denn zwei Monate — ist ja eine wesentliche Veränderung mit Ihnen vorgegangen,« bemerkte der Fürst freundlich und sie mit Wohlgefallen betrachtend.

Sidonie erröthete in dem Bewußtsein, daß diese Veränderung lediglich die Folge ihres Liebesglückes sei; da sie jedoch irgend etwas auf des Fürsten Bemerkung antworten mußte, so entgegnete sie, daß sie sich in der That wohler als früher fühle.

»Das ist mir ja äußerst angenehm zu hören,« fiel der Fürst ein und fügte mit einem besondern Lächeln hinzu: »Man sagt mir, Sie gefielen sich jetzt mehr in Zerstreuungen, und das freut mich von Herzen, denn Sie wissen, daß ich stets gewünscht habe, Sie empfänglicher für die Lebensgenüsse zu finden. Das ist gut, sehr gut. Vermag ich auch leider Ihr übles Verhältniß zu dem Prinzen nicht zu bessern, so wünsche ich doch um so mehr, Sie möchten dadurch nicht in dem Genuß des Lebens[S. 86] beeinträchtigt werden, wozu Sie ja Ihre Stellung und Jugend so sehr berechtigen. Wenn wir,« fuhr der Fürst nach kurzer Pause fort, »durch Leiden belästigt werden, da thun uns heitere und angenehme Personen wohl; ich habe das an mir selbst erlebt, und es ist mir lieb, zu erfahren, daß Sie auch außer den Männern der Kunst und Wissenschaft anderen Persönlichkeiten, wie Baron Mühlfels und Graf Römer, gestatten, Ihnen aufzuwarten.«

Sidonie erschrak und wandte das Auge von ihm ab. Sie fürchtete, verrathen zu sein, und erwartete, daß ihr der Fürst dies jetzt zu erkennen geben würde. Ihr fehlte eine passende Erwiderung, und sie athmete froh auf, als der Fürst nach kurzem Hüsteln also fortfuhr:

»Der Baron ist mir als ein heiterer und angenehmer Gesellschafter bekannt und verdient wegen dieser Vorzüge und aus Rücksicht auf seine Mutter Ihre freundliche Beachtung, und ich wiederhole Ihnen, wie sehr es mich freuen würde, legten Sie einigen Werth auf seinen Umgang.« —

Der Fürst schwieg und schaute die Prinzessin prüfend an, deren Betroffenheit über diese Empfehlung eines ihr fast gleichgiltigen Mannes ihn zu der Vermuthung verleitete, daß er hinsichts eines näheren Verhältnisses zwischen ihr und Mühlfels nicht falsch berichtet sein könnte. Mit einem feinen Lächeln fragte er, die Prinzessin unbefangen anschauend: »Nicht wahr, liebste Prinzessin, Sie sehen den Baron bisweilen?«

[S. 87]

»Allerdings, ohne daß ich ihm jedoch einen besondern Vorzug einräume,« entgegnete Sidonie.

»Nun, nun, ich fordere von Ihnen kein Bekenntniß,« fiel der Fürst lächelnd ein. »In wie weit Sie ihn zu bevorzugen geneigt sind, ist Ihre Sache; doch können Sie sich überzeugt halten, daß Ihre Sentiments stets meinen Beifall haben werden.« —

Der Fürst lächelte wieder ein wenig und fuhr, ehe die durch das Vernommene auf’s Neue betroffene Sidonie noch etwas zu erwidern vermochte, fort: »Da ist auch Graf Römer, den ich soeben kennen gelernt habe und der ein eben so tüchtiger Kopf wie angenehmer Mann zu sein scheint und, wie ich hörte, sich gleichfalls Ihrer Beachtung erfreut. Ich wünsche Ihnen zu dieser Bekanntschaft Glück, liebste Prinzessin, und sehe es gern, daß Sie auch an seinem Umgange Geschmack finden. Ich gedenke ihn auch in meine Cirkel zu ziehen, denn er gefällt mir.«

Der Fürst hatte dies im gewöhnlichen Unterhaltungston gesprochen, der Sidonien die angenehme Beruhigung gewährte, daß ihm ihr Interesse für Römer durchaus unbekannt sein müßte und auch er, wie alle Anderen, in dem Grafen nur den ernsten Wissenschaftsmenschen schätzte, der lediglich in seinen Studien Befriedigung fand und sich darum in der Huldigung der Frauen kaum gefallen konnte.

Diese Entdeckung beglückte sie tief und nahm ihrem Herzen rasch die durch des Fürsten Worte in ihr erzeugte Besorgniß. Ebenso that ihr das Lob des Geliebten wohl,[S. 88] noch mehr die Billigung des Fürsten zu ihrem Umgange mit demselben, zu welchem dieser ihr sogar Glück wünschte.

In solcher Weise angenehm berührt, glaubte Sidonie sich verpflichtet, den Fürsten über des Grafen Vorzüge genauer zu unterrichten, damit er dieselben nach Gebühr schätzen konnte, und darum entgegnete sie mit Wärme:

»Ich freue mich, mein Fürst, mein Interesse hinsichts des Grafen von Ihnen getheilt zu sehen; ich bin gewiß, ein näherer Umgang mit Römer wird Ihnen die Ueberzeugung gewähren, wie sehr er dieses verdient.«

»Ihre Empfehlung des Grafen, ma chère Nièce, ist mir angenehm, weniger meinet- als Ihretwegen; denn ich erkenne daraus, daß Sie etwas auf den Grafen geben. Männer seiner Art pflegen im Allgemeinen bei den Frauen nicht sehr beliebt zu sein; die Wissenschaften und der Ernst sind nicht ihr Element; man weiß das ja,« bemerkte der Fürst leichthin.

»Sie werden, mein Fürst, über des Grafen Vorzüge und Wesen bald selbst ein Urtheil gewinnen; ich kann jedoch nicht umhin, die Versicherung auszusprechen, daß der Graf dergleichen mehr besitzt, als ihm die Welt zuzuerkennen beliebt. Am wenigsten ist er nur ein kalter Wissenschaftsmensch. Seine Vorzüge beruhen nicht nur in einer seltenen wissenschaftlichen Bildung, sondern auch in einem edeln Charakter und warmen, für alles Schöne und Gute empfänglichen Herzen. Der Ernst und die scheinbare Abgemessenheit in seinem Umgange mit ihm nicht näher stehenden Personen haben wahrscheinlich den[S. 89] Anlaß zu seiner einseitigen Beurtheilung geboten, und erst seine nähere Kenntniß verschafft uns einen wichtigen Einblick in seine edle, reiche Natur, wie ich mich zu überzeugen Gelegenheit fand.«

»So, so! Das ist mir lieb zu hören! Um so werthvoller und angenehmer wird Ihnen daher auch sein Umgang sein, und ich rathe Ihnen, einen so interessanten Mann recht, recht fest zu halten,« fiel der Fürst, der ihren Worten sehr aufmerksam gefolgt war, theilnehmend und unbefangen ein, indem er zugleich sein Auge prüfend über sie streifen ließ.

»So weit mir die Verhältnisse dies gestatten, bin ich darauf bedacht,« bemerkte Sidonie ein wenig erröthend.

»Seien Sie nicht zu bedenklich, Liebste! Der Welt sind Sie über Ihr Thun keine Rechenschaft schuldig, und wie ~ich~ in solchen Dingen denke, wissen Sie,« sprach der Fürst mit Betonung und blickte die Prinzessin bedeutungsvoll an.

Sidonie verwirrte dieser Blick; sie glaubte in demselben die Andeutung zu lesen, daß der Fürst bei ihr ein wärmeres Interesse für den Grafen voraussetzte, das entweder schon vorhanden war, oder etwa später entstehen könnte, und daß er ein solches nicht mißbilligen würde.

Zu einer weiteren Erwägung behielt sie jedoch nicht Zeit, denn der Beginn der Vorstellung veranlaßte den Fürsten, in seine Loge zurückzukehren. Sie that ein Gleiches, jedoch mit besorgtem Herzen. Je mehr sie des[S. 90] Fürsten Worte erwog, um so mehr glaubte sie sich in ihrer Voraussetzung nicht zu täuschen, und das steigerte ihre Unruhe.

Sie fragte sich, welche Gründe ihn dazu veranlaßt haben könnten, und gerieth auf den beunruhigenden Gedanken, ihre Liebe zu Römer könnte ihm wol gar verrathen worden sein und er wäre daher bedacht gewesen, sie im Hinblick auf ihr eheliches Zerwürfniß durch die Billigung desselben zu beruhigen. Vielleicht, so sagte sie sich, fürchtete er von ihrer Seite eine Anklage gegen den Prinzen und kam ihr daher absichtlich in solcher Weise zuvor, um ihr dadurch gewissermaßen die Berechtigung zu einer Beschwerde zu nehmen.

Dann aber erinnerte sie sich, daß er Aehnliches auch hinsichts Mühlfels’ gesagt und ihr dessen Umgang gleichfalls empfohlen, und gelangte dadurch zu der Voraussetzung, sich getäuscht zu haben und lediglich durch ihre Liebe zu Römer auf solche Gedanken geführt worden zu sein.

Der Fürst, sie wußte es ja genügend, war ein Feind aller Prüderie bei den Frauen, und so konnte es leicht geschehen sein, daß sie seinen Worten und Blicken eine viel tiefere Bedeutung unterlegte, als diese es verdienten.

Eine genauere Erwägung überzeugte sie immer mehr von ihrer Täuschung, und als die Vorstellung beendet und sie in das Palais zurückgekehrt war, beeilte sie sich, Aurelien, die sie an diesem Abend nicht in das Theater[S. 91] begleitet hatte, ihre Gedanken und Besorgnisse mitzutheilen.

Nach kurzem Ueberlegen stimmte die Freundin ihrer Ansicht bei, indem auch sie die Meinung hegte, Sidonie deute sich des Fürsten Worte in einem andern Sinn, als dieser es gemeint. Außerdem lag es nahe, daß Sidoniens Besorgnisse wegen eines Verrathes ihrer Liebe leicht eine solche Täuschung erzeugen konnten.

In solcher Weise beruhigten sich die Freundinnen allmälig, indem die Freude, Sidoniens Umgang mit dem Grafen von dem Fürsten nicht nur gebilligt, sondern sogar gewünscht zu wissen, darauf einen wesentlichen Einfluß ausübte.

In diesem Bewußtsein lag jedoch die sehr gefährliche Versuchung für Sidonie, sich in dem Umgange mit Römer fortan weniger Zwang als bisher aufzulegen. Sie erkannte dieselbe freilich nicht, und eben so wenig erinnerte sie sich, um wie viel mehr ein liebendes Herz derselben unterliegen könnte. Wie hätte sie auch in dem beglückenden Genuß, den ihr die Gegenwart des Geliebten bot, zu dergleichen Betrachtungen geführt werden können. — Mit inniger Freude sah sie dem Augenblick entgegen, in welchem es ihr gestattet sein würde, ihm die Unterredung und das Lob des Fürsten mittheilen zu können. Sie war überzeugt, ihm dadurch eine nicht geringere Freude, als die ihrige, zu bereiten.

Wie ganz anders wären ihre Empfindungen gewesen, hätte sie in das Herz ihres fürstlichen Oheims schauen[S. 92] können! — Hätte sie das zufriedene Lächeln bemerkt, mit welchem er sie nach jener Unterredung verließ!

Der erfahrene und scharfblickende Fürst hatte an der Wärme, mit welcher sie über den Grafen sprach, das nicht gewöhnliche Interesse errathen, das sie für diesen hegte, und daß es nicht die Vorliebe für den kenntnißreichen, sondern für den liebenswürdigen Mann sei, welche sie seinen näheren Umgang suchen und ihr diesen wünschenswerth erscheinen ließ. Die Frauen, sagte er sich, hängen sich stets an die Person; die rein geistigen Vorzüge erwärmen sie nicht genug und gewähren ihnen daher auch in den meisten Fällen nicht Befriedigung. Sie müssen stets mehr oder weniger lieben. Die Besonderheit der verschiedenen Geschlechter macht sich auch hier, wie immer, geltend.

Wir kennen des Fürsten eigenthümliche und in der That ganz besondere Wünsche und werden daher nicht überrascht sein zu erfahren, daß der Graf ihm für seine Absichten viel passender als der Baron erschien. Der Erstere sagte ihm überdies auch viel mehr als der Letztere zu, und so war es ihm höchst angenehm zu wissen, daß die Prinzessin zärtliche Gefühle für Römer hegte.

Er wiegte seinen feinen, geistreichen Kopf behaglich hin und her, indem er erwog, sich auch in den Voraussetzungen hinsichts der Prinzessin nicht getäuscht zu haben.

»Alles hat seine Zeit, besonders die Tugend der Frauen; das Naturgesetz ist mächtiger, als alle von[S. 93] den Menschen aufgestellten Moral-Gesetze. Gut, daß es so ist. So werden die wichtigeren Zwecke des Lebens erfüllt.« —

Also dachte der calculirende Fürst.

Viertes Kapitel.

Mühlfels saß einsam und unmuthig in seinem Zimmer, ohne den milden, sonnigen Tag zu beachten, der trotz der winterlichen Zeit hinauslockte. Seine Gedanken waren viel zu trüber Art, um neben ihnen etwa noch Raum für dergleichen Eindrücke zu gestatten.

Sein Unmuth und Grübeln waren nicht nur durch die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen, sich Sidoniens ihm früher geschenkte Gunst wieder erwerben zu können, hervorgerufen, sondern noch mehr durch das niederbeugende Bewußtsein, statt derselben nur noch durch eine kühle Beachtung abgefunden worden zu sein. Er sah sie nur noch in der Gesellschaft bei ihr, oder einer zufälligen Begegnung, ohne jedoch durch vermehrte Freundlichkeit beglückt zu werden.

Ebenso waren seine weiteren Bemühungen, sich Gewißheit über eine etwaige Neigung Sidoniens zu verschaffen, gleichfalls fruchtlos geblieben; denn weder in ihren Gesellschaften noch auf ihren Ausfahrten oder anderen[S. 94] Gelegenheiten hatte er in dieser Beziehung irgend etwas Wichtiges entdeckt.

Nicht anders war es seiner Mutter ergangen, und so befand er sich nach Ablauf von mehren Monaten noch eben so rathlos, als bei der früheren Unterredung mit seiner Mutter. Alle diese Umstände hatten sein Herz mit den bittersten Gefühlen erfüllt, und er erwog soeben, ob er an dem heutigen Abend, an welchem wie gewöhnlich bei Sidonien Gesellschaft war, hingehen sollte, oder nicht. Und dennoch sah er sich dazu genöthigt, da der von Sidonien erwartete Künstler angelangt war und sich bei ihr zum ersten Mal hören lassen wollte. Es würde aufgefallen sein, hätte er denselben der Prinzessin nicht persönlich vorgestellt, da er den Mann auf ihren Wunsch zum Besuch des Hofes veranlaßt hatte. Er durfte daher nicht fortbleiben und tröstete sich deshalb in der angenehmen Erwartung, wenigstens durch Sidoniens Dank erfreut zu werden und so Gelegenheit zu finden, sich ihr zu nähern.

Er wurde in seinem Grübeln durch das Glockengeläute eines vorüberfahrenden Schlittens gestört; ihm war dasselbe nicht unbekannt, und rasch erhob er sich und trat an das Fenster.

Er sah sich in seiner Voraussetzung nicht getäuscht; wie schon so oft, fuhr auch heute Sidoniens Equipage vorüber, in welcher die Prinzessin und Aurelie saßen. Sie machten bei der milden Witterung und schönen Eisbahn fast täglich eine Ausfahrt. Wie schön däuchte ihm Sidonie! Die Wangen von der frischen Luft ein wenig[S. 95] geröthet, Augen und Züge angenehm belebt, die schlanke Gestalt von kostbaren Pelzen umhüllt, erschien sie ihm schöner denn je, und sein Unmuth steigerte sich bei dem Gedanken, auf das Glück ihrer Zuneigung verzichten zu müssen, nur noch mehr. Der frohe, behagliche Ausdruck in ihrem Antlitz, der ihm nicht entgangen war, hatte ihn heute ganz besonders überrascht und führte ihn zu der Erwägung der auffälligen Veränderung, die seit kurzer Zeit sowol mit der Person als mit dem Wesen der Prinzessin vorgegangen war. Die frühere kränkliche Blässe ihres Antlitzes und der so lange darin bemerkbare kummervolle Zug waren verschwunden und an ihre Stelle größere Lebensfrische getreten. Eine angenehme Heiterkeit belebte ihre Züge und selbst ein Lächeln umspielte jetzt öfter ihren Mund und wies den früheren Ernst zurück. Mit einem Wort, ihm erschien Sidonie wie neubelebt und eben so sehr verjüngt als verschönt. Solche wesentliche Veränderungen konnten seiner Ansicht nach jedoch nur durch ganz besondere Umstände hervorgerufen werden, namentlich im Hinblick des eigenthümlichen Charakters und der übeln Lebensverhältnisse der Prinzessin.

Denn war es nicht eine auffällige Erscheinung, daß Sidonie, die früher durch des Prinzen Verhalten so sehr gelitten, jetzt, obwol dieser sie über seine neue Liaison gänzlich vernachlässigte, fast gar nicht zu leiden, sondern vielmehr von der besten Stimmung erfüllt zu sein schien. Man durfte das nicht bezweifeln.

Nach weiterem Erwägen gelangte Mühlfels zu der[S. 96] Ueberzeugung, daß dieser Widerspruch sich nur durch die Annahme eines geheimen Glücks, das Sidoniens Herz ganz erfüllte und sie alles Unangenehme übersehen ließ, gelöst werden konnte. Und so stimmte er der Ansicht seiner Mutter bei. Trotz dieser so richtigen Schlüsse muß es befremden, daß Mühlfels nicht den geringsten Argwohn hinsichts des Grafen hegte, sondern den Gegenstand von Sidoniens Neigung unter viel ferner stehenden Personen suchte.

Eine Stunde etwa war seit der Vorüberfahrt Sidoniens dahin gegangen, als Mühlfels durch das Eintreten eines einfachen Mannes in seinen Grübeleien gestört wurde. Das erhitzte Gesicht und der lebhafte Blick desselben verriethen die körperliche Anstrengung, der er ausgesetzt gewesen. Dieser Mann war ein ehemaliger Diener des Barons, den Mühlfels mit dem geheimen Auftrag betraut hatte, die Ausfahrten der Prinzessin zu beobachten, da er selbst dies nicht zu thun vermochte.

»Nun, was bringst Du für Nachrichten?« fragte der Baron, durch das unerwartete Erscheinen seines Spions überrascht. »Solltest Du endlich irgend etwas von Belang entdeckt haben?«

»Ich denke, gnädiger Baron,« entgegnete der Diener selbstgefällig und mit den schlauen Augen zwinkernd.

»Es wird wol nichts Besseres sein, als was ich bereits schon oft von Dir gehört habe,« warf der Baron geringschätzig hin, und es muß bemerkt werden, daß sein Diener ihm schon öfter Berichte über seine Bemühungen[S. 97] gebracht hatte, ohne daß dieselben für Mühlfels irgend welchen Werth gewannen.

»Das werden Euer Gnaden am besten selbst beurtheilen,« bemerkte der Spion.

»So rede denn!« befahl Mühlfels, und der Letztere theilte ihm darauf mit, daß, nachdem Sidonie das Freie erreicht hatte, ihr ein Reiter auf einem prächtigen Pferde gefolgt wäre.

Sie mußte denselben wahrscheinlich erwartet haben; denn in einem Gehölz angelangt, fuhr sie langsamer, so daß der Reiter bequem zu ihr gelangen konnte. Dieser hatte sie begrüßt und alsdann eine Strecke begleitet, während dessen sie sich unterhielten. An einzelnen Stellen hielt alsdann der Schlitten und sie erfreuten sich an der schönen Aussicht. Unter Begleitung des Reiters sei die Prinzessin später nach der Stadt zurückgekehrt. Der Herr habe sich jedoch, bevor sie die letztere erreichten, nach einem freundlichen Abschied von ihr getrennt und sei auf einem Nebenwege fortgeritten.

Mit gesteigerter Ueberraschung hatte Mühlfels dieser Mittheilung gelauscht, und als der Diener endete, preßte er in großer Bewegung die Frage hervor:

»Und ist Dir der Reiter bekannt?«

»Nein, Euer Gnaden. Wie Sie wissen, kenne ich so ziemlich viele der vornehmen Herren hier; diesen habe ich jedoch noch nie gesehen und es muß wol ein Fremder sein.«

[S. 98]

»Und verrieth Dir nicht vielleicht seine Kleidung seinen Stand?«

»Durchaus nicht. Er war in bürgerlicher Tracht, ohne jedes Abzeichen, doch schien mir sein Pelz von feinem Tuch und sein Pferd nicht gewöhnlicher Art.«

»Ihm folgte kein Diener?«

»Er war allein.«

»Er begleitete die Prinzessin also nicht nach der Stadt?«

»So war es.«

Mühlfels hatte sich erhoben und ging nachdenkend und bewegt durch das Zimmer. Es war nach langem fruchtlosen Forschen und Spähen die erste wichtige Nachricht, die seine Vermuthung zu bestätigen schien, derselben wenigstens einen Anhalt gewährte.

Wie reich hätte er den Diener belohnt, würde dieser den Reiter erkannt haben.

Daß in diesem Fall ein Einverständniß zwischen diesem und der Prinzessin stattfand, glaubte er nicht bezweifeln zu dürfen, und es kam jetzt vor allen Dingen darauf an, die Beobachtungen auf das sorgsamste fortzusetzen, um bei einer etwa wiederholten Zusammenkunft der Bezeichneten Gewißheit über den Reiter zu erhalten. Um diesen Zweck jedoch zu erreichen, blieb nichts Anderes übrig, als dem Letztern bis zu seiner Wohnung zu folgen; gelang dies dem Diener, so war Mühlfels auch des gewünschten Erfolges gewiß. Er unterwies diesen daher über seine künftige Thätigkeit und entließ ihn alsdann.

[S. 99]

Die verschiedensten Gefühle bestürmten ihn bei dem Gedanken, sich in seiner Voraussetzung hinsichts Sidoniens wirklich nicht getäuscht zu haben. Unter anderen Umständen würde er der durchaus nicht ungewöhnlichen Begegnung mit dem Reiter wol kaum irgend welche Bedeutung beigelegt haben; jetzt jedoch, den Qualen gekränkter Eigenliebe, unerwiderter Zuneigung und der Besorgniß preisgegeben, sich vor dem Fürsten bloßgestellt zu haben, griff er gleich dem vom Tode Bedrohten nach dem Geringsten, das ihm Hilfe und Rettung verschaffen konnte. Er that dies zugleich in der beruhigenden Gewißheit, durch seine Maßnahmen seinen Zweck sicher zu erreichen.

Er erachtete die gemachte Entdeckung für zu wichtig, um sie nicht sogleich seiner Mutter mitzutheilen, und begab sich daher zu ihr.

Die Baronin lächelte geringschätzig über seinen Bericht, indem sie entgegnete:

»Deine Eifersucht läßt Dich übersehen, wie wenig auf dergleichen zu geben ist. Glaubst Du, Sidoniens Verehrer würde so unklug sein, ihr in solcher offenen Weise zu begegnen? Das thut man bei einer wirklichen Liaison nicht, und um so weniger, wenn sich bequemere und sicherere Gelegenheiten dazu darbieten. Warum sollte, was Du als vorbedacht hältst, nicht die Folge eines ganz gewöhnlichen Zufalls sein, und ein Bekannter der Prinzessin an einem Ritt in’s Freie nicht Gefallen gefunden und dadurch dieses Zusammentreffen herbeigeführt haben? Wie bedaure ich, daß Dein Diener den Reiter nicht erkannt[S. 100] hat; er würde wahrscheinlich einen Officier oder den Stallmeister des Fürsten entdeckt haben. Die einfache Wintertracht hat ihm gewiß einen Streich gespielt, und in dem Fremden hat vielleicht ein guter Bekannter gesteckt. Alles Uebrige ist ohne Bedeutung.«

Mühlfels wurde durch die geringschätzige Aufnahme seines Berichts verstimmt; wir haben erfahren, mit welchem Interesse er sich an denselben klammerte, und so wird uns sein Verdruß natürlich erscheinen, sich des einzigen Mittels zur Erreichung seiner Absicht in solcher Weise beraubt zu sehen. Freilich glaubte er die von seiner Mutter ausgesprochene Vermuthung nicht ganz verwerfen zu dürfen; es galt jedoch, einen Beweis für die Begründung derselben zu erhalten.

Er gab ihr dies zu erkennen, und sie versprach dagegen, ihm denselben hoffentlich in kurzer Zeit zu verschaffen.

In wenig behaglicher Stimmung trennte sich Mühlfels von seiner Mutter; er wußte nur zu wohl, wie vielen Werth ihre Worte verdienten. Blieb sie jedoch mit ihrer Voraussetzung im Recht, so verlor die gemachte Entdeckung auch jede Bedeutung und alle seine bisherigen Bemühungen wären fruchtlos gewesen.

Die Baronin begab sich an dem heutigen Abend zeitiger als gewöhnlich nach dem Palais der Prinzessin. Sie gedachte nämlich noch bei einer ihr befreundeten und daselbst wohnenden ehemaligen Hofdame vor dem Besuch der Gesellschaft bei Sidonien anzusprechen und mit[S. 101] ihr ein Weilchen zu plaudern, wie sie das nicht eben selten that.

Diese Hofdame besaß für sie einen ganz besondern Werth. Dieselbe stand in dem Ruf, über alle Vorkommnisse am Hofe und in den adligen Familien, namentlich jedoch in dem Palais der Prinzessin, stets auf das genaueste unterrichtet zu sein, und wurde wegen dieses Vorzugs von Gleichgesinnten sehr verehrt.

Selten gelang ihr die Ergründung irgend eines Geheimnisses nicht, und sie war um so gefährlicher, da sie mit der beharrlichsten Ausdauer und großer Geschicklichkeit ihre Absichten zu verfolgen pflegte.

Die Unterhaltung der beiden Damen war eben so vertraulich als lebhaft, worauf die Hofdame eine Dienerin zu sich kommen ließ, mit welcher sie sich heimlich besprach und sie alsdann entließ.

Nach einiger Zeit erschien die Dienerin wieder und machte ihr allerlei heimliche Mittheilungen; neue Berathungen fanden dann statt; die Dienerin ging und kam, bis die Hofdame endlich ihren Auftrag erfüllt sah. Diese besprach sich darauf wieder mit der Baronin, und ihre Nachrichten mußten wol erwünschter Art sein, denn diese schied von ihrer Freundin in der befriedigtsten Stimmung, um sich zu der Prinzessin zu begeben.

Die Gesellschaft bei der Letzteren war heute zahlreicher als gewöhnlich. Der Wunsch, Vielen den Genuß eines berühmten Künstlers zu verschaffen, der an dem heutigen Abend spielen sollte, hatte Sidonie veranlaßt,[S. 102] außer den gewöhnlichen Gästen noch mehre andere Personen einladen zu lassen.

Mühlfels erschien eine kurze Zeit nach seiner Mutter, die ihn bereits mit Ungeduld erwartete, und kaum hatte er sich ihr genähert, so benutzte sie einen geeigneten Augenblick zu der heimlichen Frage:

»Hast Du etwa erfahren, wer der Reiter gewesen ist?«

Mühlfels verneinte.

»So will ich Dir seinen Namen sagen.« —

»Wie, Sie haben denselben erfahren?« fragte Mühlfels mit Ueberraschung.

Die Baronin bejahte mit einem selbstgefälligen Lächeln.

»Wer ist es?!« fiel Mühlfels erregt ein.

In diesem Augenblick traten zwei Herren in den Salon, die Baronin wandte sich nach ihnen, und kaum hatte sie dieselben erblickt, so entgegnete sie, mit den Blicken auf einen derselben deutend:

»Dieser!« —

»Wie, der Graf?!« fragte Mühlfels.

»Es ist so,« fiel die Baronin ein und fuhr alsdann flüsternd fort: »Und es kann nichts schaden, wenn wir die Beiden heute ein wenig schärfer als bisher beobachten; ich habe meine Gründe dafür.«

Das Eintreten Sidoniens verhinderte eine verlängerte Unterredung; die Baronin trennte sich von ihrem Sohn und ging der Ersteren entgegen. Ihr Wort hatte auf diesen viel tiefer gewirkt, als sie vielleicht erwartete;[S. 103] denn die Eifersucht machte sich in ihm mit ganzer Gewalt geltend. Sein Unmuth steigerte sich noch wesentlich bei Sidoniens Anblick, deren Wesen und Erscheinung ihm heute ganz besonders reizend erschien, indem er zugleich in ihrem erheiterten Auge einen neuen Beweis ihres geheimen Glücks zu sehen glaubte.

Daß diese Heiterkeit lediglich durch die Anwesenheit des Grafen bedingt wurde und keiner andern Ursache entsprungen war, glaubte er mit Gewißheit annehmen zu müssen, obgleich er dazu keine genügenden Gründe besaß. Die Andeutungen seiner Mutter genügten ihm in dieser Beziehung. Die ihn stachelnde Eifersucht veranlaßte ihn daher, dem Wink seiner Mutter zu folgen und Sidonie und Römer fortan mit geschärften Blicken zu beobachten.

Die Prinzessin begrüßte ihre Gäste in der gewöhnten freundlichen Weise und wandte sich alsdann sogleich an ihren Bruder und den Grafen, und es däuchte dem von Eifersucht erfüllten Baron, daß sie den Letzteren mit ganz besonders gütigen Blicken anschaute, wie dies auch in der That der Fall und schon öfter geschehen war, ohne daß Mühlfels dies bisher beobachtet hatte.

Nachdem sich Sidonie noch mit einigen anderen von ihr bevorzugten Personen unterhalten hatte, war der Augenblick genaht, in welchem der Musiker seinen Vortrag halten sollte und die so lange geführte Unterhaltung verstummte.

Die Leistung des Künstlers befriedigte Sidonie sehr,[S. 104] und sie ließ Mühlfels ersuchen, ihr den Ersteren vorzustellen.

Dies geschah, und nachdem sie dem Musiker einige schmeichelhafte Worte gesagt und dieser sich entfernt hatte, sprach sie dem Baron ihren Dank für seine Bemühungen in dieser Beziehung aus und that dies in der ihr eigenthümlichen freundlichen Weise.

Diese Umstände waren sehr geeignet, ihn in seinen Voraussetzungen wieder wankend zu machen, indem dieselben zugleich seine Eigenliebe wach riefen und ihn zu dem Bedenken leiteten, ob er sich nicht über Sidoniens Empfindungen für ihn vielleicht dennoch getäuscht hätte.

Seine Leidenschaft für die Prinzessin hatte sich in der Besorgniß, ein Anderer erfreue sich ihrer Gunst, so sehr gesteigert, daß ihm jede ruhige Ueberlegung mangelte, und er daher von seinen wechselnden Gefühlen vollständig beherrscht wurde und fortwährend zwischen Hoffen und Entsagen schwebte.

Dem Vortrage des Musikers folgte ein kleines Concert von einzelnen Mitgliedern der Hofkapelle, nach dessen Beendigung die gewöhnliche zwanglose Unterhaltung wieder aufgenommen wurde, an welcher sich auch Sidonie lebhaft betheiligte.

Sie hatte einige Damen und Herren, darunter auch den Grafen, um sich versammelt und besprach mit ihnen ein von dem Adel zu veranstaltendes Carrousselreiten, das in nächster Zeit stattfinden sollte und das Interesse, namentlich in den höheren Gesellschaftskreisen, ganz besonders[S. 105] in Anspruch nahm, als sich ein Diener nahte und dem Grafen ein Zeichen gab, daß er ihn zu sprechen wünschte. In der nahe liegenden Voraussetzung, daß nur ein wichtiger Anlaß die Ursache dazu gegeben haben könnte, zögerte der Graf nicht, sich dem Diener zu nähern. Zu seiner Ueberraschung vernahm er, daß soeben ein Bote aus der Heimath des Grafen angelangt sei, der ihn sogleich zu sprechen wünschte, da die Botschaft nicht den geringsten Verzug gestatte.

In der Besorgniß, eine üble Nachricht zu vernehmen, begab sich der Graf sofort zu dem Harrenden, und seine Besorgniß steigerte sich rasch, als er in dem Boten einen Jäger seines Vaters erkannte, dessen Aussehen die Eile und Anstrengung verriethen, mit welcher er den ziemlich weiten Weg bis zu der Residenz zurückgelegt haben mußte.

»Ihr bringt mir keine gute Nachricht!« rief Römer ihm entgegen, und der Diener bejahte mit ernster Miene. »Was ist geschehen?« fragte der Graf rasch.

»Euer Gnaden Vater ist plötzlich erkrankt und wünscht Ihre schleunige Rückkehr.«

»So ist sein Zustand bedenklich?«

»Der Arzt meint es.«

Der Graf bekämpfte seine Bestürzung und beauftragte den Jäger alsdann, sich sofort in seine Wohnung zu begeben und seinen Diener anzuweisen, ohne Verzug Alles zur Abreise vorzubereiten. In kurzer Zeit würde er zurückkehren und alsdann sogleich aufbrechen.

Der Jäger entfernte sich, und der Graf verharrte[S. 106] einige Augenblicke in dem Vorzimmer. Die erhaltene Nachricht hatte ihn tief gebeugt; er mußte sich sammeln, um der Prinzessin mit der erforderlichen Ruhe wieder nahen und ihr Lebewohl sagen zu können.

Eine schmerzliche Ahnung hatte ihn ergriffen.

Sein Vater war bejahrt und daher ein übler Ausgang der Krankheit um so mehr zu fürchten, da der Arzt dieselbe bereits als bedenklich bezeichnet hatte.

Er durfte daher mit der Abreise nicht säumen, und so begab er sich bald darauf zu der Prinzessin, um ihr die traurige Botschaft zu bringen. Er wußte, wie sehr sie dadurch erschreckt werden würde, und war daher bedacht, ihr dieselbe in der schonendsten Weise mitzutheilen.

Mit dem ganzen Aufwand seiner Beherrschungskraft nahte er sich ihr; seine Erschütterung war jedoch viel zu tief, als daß er dieselbe hinreichend zu verbergen vermochte, die sein bleiches Antlitz und seine besorgten Mienen überdies verriethen.

Sidonien war die Veranlassung seiner Entfernung nicht entgangen und, gleich ihm von einer übeln Ahnung ergriffen, sah sie seiner Rückkehr mit Unruhe entgegen. Bei seinem Eintreten hatte ihr Auge sogleich in seinem Antlitz geforscht und seine tiefe Bewegung errathen, die sie mit der Gewißheit erfüllte, daß Römer irgend ein besonders wichtiges Ereigniß betroffen haben müßte. Ihre Liebe ließ sie die nothwendige Vorsicht vergessen. Als er nahte, ging sie ihm ein paar[S. 107] Schritte entgegen und erkundigte sich mit der sorglichsten Theilnahme nach dem Geschehenen.

Der Graf theilte ihr mit wenigen Worten die traurige Botschaft und seine Absicht, sogleich abzureisen, mit, und obgleich er dies in ziemlich ruhiger Weise that, wurde Sidonie dadurch dennoch so sehr bewegt, daß sie ihre warmen Empfindungen für ihn nicht zu verbergen vermochte. Der zärtliche Blick, mit welchem sie sein Auge suchte, hätte dazu schon hingereicht, wenn sich nicht in ihrem erbleichten Antlitz ihr großes Interesse für ihn zu erkennen gegeben hätte. Zwar kehrte ihre Besonnenheit rasch zurück, und sie bemühte sich, so viel als möglich unbefangen zu scheinen; leider zu spät, denn das Geschehene hatte ihre Empfindungen den sie Beobachtenden leider bereits verrathen.

Die gegenwärtigen Verhältnisse gestatteten ihr nicht, ihrem Herzen zu folgen und den Grafen allein zu sprechen und ihm ein Lebewohl zu sagen; gewaltsam mußte sie ihre Empfindungen in sich verschließen und sich von ihm in förmlicher Weise trennen, um dann noch eine kurze Zeit der Gesellschaft anzugehören.

Wir kennen Sidoniens heiße Liebe und werden daher die große Selbstverläugnung ermessen, zu der sie sich, um jedem Argwohn vorzubeugen, gezwungen sah. In dem Bewußtsein jedoch, sich, wenn auch nur für Augenblicke, verrathen zu haben, bot sie alle Kraft auf, den etwa erregten Verdacht über sich zu zerstören. Daher bemühte sie sich, so viel als möglich unbefangen und theilnehmend[S. 108] zu erscheinen, verharrte nach der Entfernung des Grafen noch eine längere Zeit in der Gesellschaft, und zog sich erst zurück, als sie ihre Kräfte gänzlich erschöpft fühlte.

In ihrem Gemach angelangt, brach der so lange verhaltene Schmerz über Römer’s Leid und seine ungeahnte Abreise mit ganzer Gewalt hervor.

»So mußte denn das Geschick meinem Hoffen und Glück ein so jähes, schreckliches Ende bereiten! O, der arme Bernhard! Wie sehr wird er leiden, und wer kann voraussehen, ob sein Leid nicht noch durch den Verlust seines Vaters erhöht wird!«

Also rief sie, in den Sessel sinkend, indem sich ihre Augen zugleich mit Thränen füllten.

»Wahrscheinlich erhalte ich in kurzer Zeit Nachricht von Römer; wir wollen hoffen, daß dieselbe tröstlich lautet,« beruhigte Aurelie, die sich bei Sidonien befand.

»O, möchte das der Himmel geben, um ihm und Allen das Herz zu erfreuen! Leider vermag ich eine solche Hoffnung nicht zu hegen; trübe Ahnungen eines schweren Unglücks, das ihn treffen wird, erfüllen mich.«

»Diese Besorgniß liegt allerdings nahe, denn des Grafen Vater ist bejahrt, und man muß daher auf Uebles gefaßt sein.«

»O, wie wenig darf der Mensch auf die Beständigkeit des Glücks hoffen! Und wie unbarmherzig ist das Geschick, ihm dasselbe gerade in einem Augenblick zu entreißen, in welchem ihn der Vollgenuß reinster Freude beseligt!« rief Sidonie in schmerzlicher Bewegung aus[S. 109] und fügte nach kurzer Pause hinzu: »Da ist der Sturmwind plötzlich über mein Paradies herein gebrochen und hat daraus alles Licht und Leben verscheucht, und nach kurzer Freude stehe ich wieder trauernd an den vernichteten Herrlichkeiten, die zu genießen ich mir so schön gedacht! Wann, wann wird die Zeit wieder kommen, die das Grab meines Glücks mit neuen Freudenkränzen schmückt und neues, frohes Leben daraus erstehen läßt?! Ach, ich wage nicht mehr Gutes zu hoffen! Wer so viel geduldet und so viel entbehrte, wie ich, dem scheint selbst die Hoffnung nicht mehr gestattet. Und mein Schmerz ist doppelt, da ich nun auch den Geliebten dem Leid preisgegeben sehe, einem Leid, das ihn mir nun wol für lange, lange Zeit, vielleicht für immer, fern halten wird!«

Sidoniens Klage war leider nur zu sehr begründet. Denn selbst bei einem glücklichen Ausgang der Krankheit war Römer genöthigt, in der Heimath vorläufig zu verweilen; starb sein Vater jedoch, so mußte sich sein Aufenthalt auf eine noch viel längere Zeit dort ausdehnen, da das Ordnen der Verhältnisse seine Gegenwart daselbst erforderte. Der Graf hatte die Pflichten eines Sohnes gegen seine Mutter zu erfüllen, die durch den Tod ihres Gemahls mehr denn bisher auf seine Pflege und seinen Beistand angewiesen wurde.

Sidonie erwog mit ihrer Freundin alle diese Umstände, auf welche sie Rücksicht zu nehmen hatten und die leider zu sehr geeignet waren, ihnen jede Hoffnung auf die baldige Rückkehr des Grafen zu nehmen.

[S. 110]

Sidonie war überaus betrübt, und nur der Freundin Erinnerung, daß des Grafen innige Liebe sie nicht vergessen und bedacht sein würde, selbst die wichtigsten Hindernisse zu besiegen, um zu ihr zurückkehren zu können, tröstete sie ein wenig. Und mehr noch als die Freundin beruhigte sie die geheime Stimme ihres eigenen Herzens, die ihr sagte, wie innig der Graf sie liebte und wie sie seinem leuchtenden Auge das Glück abgelauscht, das er in ihrer Nähe empfand. Wie er ihrem Leben Reiz und Bedeutung verlieh, so war sie es auch, deren Liebe sein edles Herz mit süßer Freude erfüllte.

Und gewiß, so war es auch. Sie ahnte freilich nicht, daß noch andere Gründe den Grafen veranlaßten in ihrer Nähe zu weilen, und eben so wenig, daß er seinen Aufenthalt bei ihr nicht ohne Opfer erkaufte. Seine Familie und seine näheren Verwandten billigten nämlich seinen Besuch der fürstlichen Residenz nicht und wünschten überdies, er möchte sich endlich vermählen. Daß er dies trotz aller Erinnerungen dennoch nicht that, so wie seine früheren Reisen und noch andere Umstände hatten den Verdacht einer geheimen Liebe für die Prinzessin erweckt. Denn es muß hier bemerkt werden, daß trotz des Grafen großer Vorsicht, seine Neigung zu verhehlen, sich dennoch allerlei dunkle Gerüchte darüber in seiner Familie und unter seinen Bekannten schon seit langer Zeit geltend machten.

Sein wiederholter und längerer Besuch der Residenz und vor Allem sein näherer Umgang mit Sidonien schienen[S. 111] dieses Gerücht wesentlich zu bestätigen. Man hegte jedoch eine zu aufrichtige Theilnahme für den Grafen, um nicht zu bedauern, daß er sich einer Neigung opferte, die ihm weder ein wirkliches Glück verhieß, noch auch ganz gefahrlos genannt werden konnte.

Darum würde man es gern gesehen haben, hätte er den Hof, namentlich jedoch Sidoniens Umgang gemieden; denn nur so glaubte man ihn vor einem verfehlten Leben zu retten. Das Alles wußte der Graf sehr wohl; mancherlei Andeutungen hatten ihm das verrathen; seine Liebe für Sidonie war jedoch viel zu selbstsuchtslos, um sich dadurch in seinen edeln Absichten und Handlungen beirren zu lassen. Schweigend duldete er manches mahnende Wort, das er von seiner Familie hinnehmen mußte, und fand es mit einem Lächeln ab, und wenn sich auch der Unmuth bisweilen in ihm erhob, so kämpfte er denselben doch schnell in dem Gedanken an Sidonie nieder.

Ohne eine Ahnung der unheilvollen Folgen, welche sich an seine Abreise knüpften, eilte der Graf in der dunkeln Winternacht auf dem Weg nach der Heimath dahin. So groß auch seine Bangigkeit war, kehrten seine Gedanken dennoch oft in den Gesellschaftssaal der Prinzessin zurück und vergegenwärtigten sich ihre Lage, die sie zwang, ihren Gästen ein unbefangenes Antlitz zu zeigen, obgleich ihre Seele so tief betrübt war. Und er seufzte still vor sich hin, daß es so sein mußte. Er hätte freilich auch ein Bedauern seiner selbst aussprechen können, denn die Gründe dazu waren genügend vorhanden; seine[S. 112] Liebe war jedoch viel zu groß, um selbst unter so bedeutsamen Verhältnissen an sich zu denken.

Während er in der kalten, unheimlichen Nacht Strecke um Strecke zurück legte, sehen wir die Baronin mit ihrem Sohn in großer Behaglichkeit in dem warmen Gemach sitzen und in vertraulichem Gespräch begriffen.

Mühlfels war wie gewöhnlich mit seiner Mutter nach Hause gefahren; Beide beobachteten während der Fahrt ein unheimliches Schweigen, das die Baronin erst unterbrach, als sie ihr Hôtel erreicht und vor dem Kamin Platz genommen hatten.

»Nun, mein Sohn,« begann sie, »ich meine, der heutige Abend ist für uns von großer Bedeutung gewesen, indem er uns eine eben so wichtige als erwünschte Entdeckung machen ließ.«

»Leider!« seufzte der Baron unmuthig.

»Du sagst, leider? Wie soll ich das verstehen? Ich erwartete Deine Freude zu vernehmen und höre statt dessen ein Bedauern!« bemerkte die Baronin mit Ueberraschung.

»Finden Sie dasselbe nicht natürlich? Ich bin überzeugt, Sie haben eben so viel, als ich selbst, gesehen und daher erkannt, daß —«

»Daß ich mit meiner Voraussage durchaus Recht habe!« fiel die Baronin ein und fügte alsdann hinzu: »Es ist so, mein Sohn. Aber ich dächte, dieser Umstand sollte Dir eher Freude als Unmuth bereiten.«

»Wie kann das sein, da er mir die letzte Hoffnung[S. 113] raubte, das Ziel meiner Wünsche jemals erreichen zu können und dem Spott des Fürsten zu entgehen.«

»Deine Eifersucht raubt Dir alle Ueberlegung.«

»Das hätte ich nie und nimmer erwartet!« rief Mühlfels, ohne den Vorwurf seiner Mutter zu beachten.

»Beruhige Dich deshalb. Täuschungen der Art sind namentlich bei vorgefaßten Meinungen sehr natürlich. Doch übersieh in Deinem Unmuth die Vortheile nicht, welche uns die heutige, so willkommene Entdeckung gewährt. Ich denke, mein Sohn, wir sind Deinem Ziel mit großen Schritten näher getreten, indem wir nicht nur der Prinzessin Neigung, sondern auch den Gegenstand derselben kennen gelernt haben.«

»Dieser ernste, kalte Graf!« warf Mühlfels geringschätzig und unmuthig hin.

»Du weißt, mein Sohn, es suchen sich die Gegensätze; doch, davon abgesehen, frägt es sich, ob des Grafen Wesen und Benehmen nicht eine Maske ist, durch welche er zu täuschen bedacht war. Er ist vielleicht eben so wenig kalt als ernst.«

»Daß sie ihn liebt, ist kein Zweifel mehr!« rief Mühlfels erregt.

»Und eben so wenig, daß ein Einverständniß zwischen ihnen besteht,« fiel die Baronin ein und fügte mit Bestimmtheit hinzu: »Ich täusche mich in dergleichen Angelegenheiten nicht so leicht.«

»Wie ihr Auge ihn ängstlich suchte, wie sie bei seinem[S. 114] Anblick erbleichte, als gelte es ihr eigenes Unglück! Sie muß ihn heftig lieben!«

»Ich denke, weiteres Forschen wird diese Voraussetzungen noch mehr bestätigen.«

»Bei Gott, er soll sich ihrer Liebe nicht erfreuen!« rief Mühlfels zornig und streckte die Hand drohend aus.

»Nur ruhig und besonnen, mein Sohn! Bedenke, daß es in diesem Fall nicht gilt, die Liaison zu stören, sondern vielmehr, Dich durch sie vor dem Spott des Fürsten zu bewahren. Darum beherrsche Deine Leidenschaft und gieb allein der Klugheit Gehör.«

»O, Sie lieben nicht, meine Mutter, und können also auch nicht den Schmerz ermessen, der mich bei dem Gedanken meiner Niederlage ergreift!«

»Doch, doch, mein Sohn! Deine Ehre steht mir jedoch eben so hoch, als Deine Liebe; die erstere wol noch höher, und darum müssen wir bedacht sein, Dir dieselbe zu sichern. Ich wiederhole Dir daher meine früheren Rathschläge und bitte Dich inständig, dieselben genau zu befolgen, damit uns der gewünschte Vortheil nicht entgeht. Beherrsche darum vor allen Dingen Deine Leidenschaft und Deinen Unmuth; bemühe Dich, durch Dein Benehmen die Prinzessin von Deiner gänzlichen Unkenntniß ihrer Liebe zu überzeugen; verdoppele Deine Aufmerksamkeit für sie, wozu Du bei der Abwesenheit des Grafen leicht Gelegenheit finden dürftest. Heuchle ihr die tiefste Ergebenheit, ohne jedoch Deine Liebe zu verrathen, um ihr Vertrauen zu gewinnen, und ist Dir das gelungen,[S. 115] so denke ich, wird Dir auch mehr gelingen. Der Graf wird, ich bin dessen gewiß, früher oder später bestimmt zurückkehren und sich alsdann für Dein ferneres Handeln auch der geeignete Moment finden. Aber sei und bleibe beharrlich und geduldig, denn nur so vermagst Du Dir die gewünschten Erfolge zu sichern. Im gegenwärtigen Augenblick bleibt uns nichts Anderes zu thun übrig, als die Prinzessin im Geheimen zu beobachten. Gewiß werden zwischen ihr und dem Grafen Briefe gewechselt werden; vielleicht könnte man sich in den Besitz eines solchen setzen; das wäre ein großer Erfolg, denn mit einem solchen Beweis in der Hand ist Sidonie ganz in Deine Gewalt gegeben. Das bedenke, das überlege! Uebrigens dürfen wir auch den glücklichen Zufall nicht vergessen, der ja so oft wirksamer als alle Klugheit ist.«

In solcher Weise war die Baronin bedacht, ihren entmuthigten Sohn zu beruhigen und zu einem entsprechenden Handeln zu veranlassen, und ihre Mühe war nicht vergeblich. Mühlfels sah sich genöthigt, die Zweckmäßigkeit ihrer Rathschläge anzuerkennen, da ihm überdies unter den obwaltenden Umständen nur das Befolgen derselben gestattet war. Und als er ihr dies zu erkennen gab und sie ihn deshalb lobte, ergriff sie seine Hand und bemerkte in überlegenem Ton:

»Du theiltest früher meine Ansicht über der Prinzessin Neigung zu dem Grafen nicht; jetzt kann ich Dir vertrauen, daß ich dasselbe bereits geahnt habe, und muß Dir auch sagen, daß Deine Annahme, der Gegenstand von[S. 116] Sidoniens Liebe sei außerhalb des Hofes zu suchen, mich veranlaßte, die Hilfe meiner Freundin in dem Palais in Anspruch zu nehmen, durch die ich erfuhr, daß jener Reiter niemand Anders als der Graf war. Wir dürfen an der Wahrheit dieser Nachricht um so weniger zweifeln, da mir das Fräulein dieselbe aus der ersten Hand, nämlich von der Dienerin der Prinzessin selbst zu verschaffen wußte. Nach dem heute Erlebten erscheint mir das Zusammentreffen der Prinzessin mit Römer nicht mehr bedeutungslos; ich erkenne darin ein abgeredetes Spiel, das auf eine größere Intimität zwischen ihnen hindeutet.«

»Ich habe das gefürchtet,« fiel Mühlfels ein. »O, könnte ich den Räuber meines Glücks verderben!« fügte er hinzu.

»Keine Rachegedanken, keine Leidenschaft, mein Sohn, ich bitte Dich, bleibe besonnen! Nicht verderben sollst Du den Grafen, sondern sein begünstigter Rival werden. Um diesen Vortheil jedoch zu erlangen, darf von einem Verrath dieser Liaison — falls eine solche bereits bestehen sollte — nicht die Rede sein. Du mußt vielmehr der Freund des Grafen zu sein scheinen; denn durch einen Verrath zerstörtest Du Dir selbst alle Vortheile, die zur Erhaltung Deiner Ehre so nothwendig sind. Gelingt es uns, die untrüglichen Beweise von Sidoniens Schuld zu erhalten, so hast Du auch ein Mittel, sie zur Erfüllung Deiner Wünsche zu zwingen, und Du kannst nicht voraussehen, ob daraus für Dich nicht der Vortheil entspringt, daß sie Dir früher oder später vor[S. 117] dem Grafen den Vorzug giebt. Diese Voraussetzungen und Hoffnungen müssen für die Folge Dein Handeln und Benehmen bestimmen, und ich bin überzeugt, Deine Bemühungen werden nicht fruchtlos, sondern nach Deinen Wünschen sein. Ich bitte Dich, dies Alles genau zu erwägen.«

Ihre so klugen Worte verfehlten ihre Wirkung auf den Baron nicht; er gab ihr Recht und das Versprechen, nach ihrem Rath fortan zu handeln.

Aus diesem Gespräch entnehmen wir, daß es Sidonien trotz aller Mühe nicht gelungen war, ihre Liebe zu verbergen, noch auch den erweckten Verdacht zu zerstören. Ob dies nur in Bezug auf die Baronin und ihren Sohn der Fall war, die eifrig bedacht gewesen, sich nicht das Geringste in dem Benehmen und Wesen der Prinzessin an jenem Abend entgehen zu lassen, muß dahin gestellt bleiben. Jedenfalls zeigt die Sicherheit, mit welcher die Baronin ihre Schlüsse zog, wie auffällig Sidonie sich verrathen haben mußte.

In dem angenehmen Bewußtsein, für ihr künftiges Handeln nun die feste Bahn gefunden zu haben, schieden Mutter und Sohn in später Nacht von einander. Die Erstere sehr befriedigt, die Spur der wichtigen Angelegenheit entdeckt zu haben; der Letztere, zwar noch unmuthig, aber doch in so weit beruhigt, wenigstens eine Aussicht gewonnen zu haben, das heiß ersehnte Ziel, wenngleich auch auf Umwegen, vielleicht dennoch erreichen zu können.

[S. 118]

Fünftes Kapitel.

Ohne die belebende und beglückende Nähe des Geliebten gingen Sidonien die Tage fortan in freudloser Einförmigkeit dahin, die für sie um so drückender war, da ihre Verhältnisse sie zwangen, in der gewöhnten Weise fortzuleben, ihre Gesellschaften zu geben und an den öffentlichen Vergnügungen Theil zu nehmen. Von dem Bewußtsein beängstet, ihre Neigung verrathen zu haben, glaubte sie im Einverständniß mit Aurelien ihre ganze Sorge darauf richten zu müssen, daß man ihr Benehmen gegen den Grafen an jenem Abend lediglich nur für herzliche Theilnahme halten sollte. Sie war daher bedacht, die nächste Gesellschaft bei sich so heiter als möglich zu gestalten und dabei selbst heiter zu erscheinen, und versäumte auch nicht, über das den Grafen betroffene Unglück zu sprechen und dabei ein warmes Interesse für ihn an den Tag zu legen. Ebenso unterließ sie nicht, im Theater zu erscheinen, ja, ihre Vorsicht ging so weit, daß sie selbst Mühlfels mehr als gewöhnlich in die Unterhaltung zog mit ihm und seiner Mutter über die Krankheit des leidenden Grafen sprach und ihnen über den Fortgang derselben Einiges mittheilte.

Ihre Absicht gelang ihr in den meisten Fällen vollkommen, und selbst Mühlfels gestand seiner Mutter, daß er an der Wahrheit der gemachten Entdeckung zu zweifeln geneigt sei.

[S. 119]

Die Baronin antwortete ihm darauf jedoch nur mit einem überlegenen Lächeln; ihren Scharfblick vermochte Sidoniens Benehmen nicht zu täuschen; vielmehr erkannte sie dasselbe ganz richtig als ein Mittel zum Zweck und sah darin eine vermehrte Bestätigung ihrer Voraussetzung.

Aber sie sowol als ihr Sohn spielten die vorbedachte Rolle der Prinzessin gegenüber vortrefflich, und indem diese überzeugt war, ihren Zweck erreicht zu haben, ward sie selbst ein Opfer ihres Bemühens.

Diese Täuschung minderte allmälig die gehegte Sorge, die endlich vor den wichtigeren, ihre ganze Theilnahme herausfordernden Ereignissen schwand. Wie Aurelie erwartet hatte, lief schon nach einigen Tagen ein Brief von Römer bei ihr ein, der die betrübende Nachricht enthielt, daß der Tod seines Vaters in kurzer Zeit zu erwarten sei, da dessen Kräfte sichtlich schwänden und der Arzt alle Hoffnung auf Genesung aufgegeben hätte. Seines Schmerzes gedachte er nicht, noch klagte er über den so jähen Wechsel der anscheinend so glücklichen Verhältnisse. Doch trug er ihr viele Grüße an die Freundin auf, deutete darauf hin, daß er nun wol für längere Zeit von ihr fern gehalten sein würde, indem doch aus seinen Worten zugleich die Hoffnung sprach, sie dereinst wieder zu sehen.

Wie tief Sidonie durch diese und spätere Nachrichten, namentlich den bald darauf erfolgten Tod des Grafen betroffen wurde, darf kaum erwähnt werden. Ihr Leben war ja so innig mit dem des Geliebten verkettet, daß[S. 120] auch sein Schmerz der ihre war. Um so schwerer wurde es ihr daher, unter solchen Umständen die so nothwendige Unbefangenheit der Welt und ihrer Umgebung gegenüber zu behaupten; dennoch ließ sie in ihrem Bemühen nicht nach und dieses war auch in der That nicht ganz fruchtlos. Von Schmerz und Unruhe erfüllt, minderte sich jedoch bald die Frische ihres Antlitzes, und ebenso verrieth der betrübte Ausdruck desselben ihre Empfindungen, und die Baronin beeilte sich ihren Sohn darauf in dem angenehmen Bewußtsein aufmerksam zu machen, sich in keiner ihrer Voraussetzungen getäuscht zu haben. Durch diesen Umstand noch mehr in der Gewißheit von Sidoniens Liebe befestigt, war nun der Baron bedacht, sich ihr unter der Maske der tiefsten Ergebenheit wieder zu nähern, und es gelang ihm dies auch in der That so weit, daß ihn Sidonie nicht mehr wie früher absichtlich mied, sondern sich seine Bemühungen gefallen ließ. Mühlfels war ihr viel zu gleichgiltig und sein Benehmen gegen sie auch fortan so anspruchslos und zurückhaltend, daß sie zu der Annahme geleitet wurde, sich in ihrer früheren Beurtheilung über seine Gefühle für sie doch wol getäuscht zu haben. Ihre Trauer um den fernen Geliebten und die Vernichtung ihres Glücks war überdies auch viel zu groß, als daß ihr dergleichen Momente noch Interesse abzugewinnen vermochten.

So konnte es denn geschehen, daß sie ihre Empfindungen, wenn auch nur für Momente, selbst dem jetzt schlau operirenden Mühlfels verrieth.

[S. 121]

In geschickter Weise lenkte er nämlich das Gespräch häufig auf den Grafen, indem er sein herzliches Bedauern über dessen Abwesenheit aussprach und daran das schmeichelhafteste Lob der hohen Vorzüge desselben knüpfte.

Ein solches, anscheinend durchaus unbefangenes Benehmen verfehlte seine Wirkung auf Sidonie nicht, und so erreichte Mühlfels zum Theil seinen Zweck.

Seine scheinbar herzliche Theilnahme that Sidonien wohl und verleitete sie, die nöthige Vorsicht zu vergessen und sich offener mitzutheilen, als dies gut war.

Mühlfels fühlte sich dadurch jedoch noch nicht befriedigt. Einzelne Andeutungen, die er von ihr vernommen, hatten ihm ihren früheren Umgang mit dem Grafen verrathen, und er wurde dadurch zu dem Entschluß geleitet, sich darüber in Sidoniens Heimath genügende Aufklärung zu verschaffen. Er sagte sich, daß der Besitz derselben ihm unter Umständen von großem Werth sein könnte. Er gedachte daher, sich in kurzer Zeit unter einem schicklichen Vorwand dahin zu begeben, ohne jedoch seine Reise weder Sidonien oder jemand Anders zu verrathen. Dieselbe mußte ein Geheimniß bleiben, damit Niemand eine Vermuthung von seinen Absichten gewann.

Was den von seiner Mutter vorausgesagten Briefwechsel zwischen Sidonien und dem Grafen anbetraf, so gelang es seinen Nachforschungen, zu entdecken, daß derselbe seine Vermittlerin in Aurelien gefunden hatte. Es kam nun darauf an, sich einen dieser Briefe zu verschaffen und den Inhalt derselben kennen zu lernen.

[S. 122]

Dies gelang seinen unausgesetzten Bemühungen wirklich; indessen sah er sich getäuscht. Weder des Grafen noch Aureliens Briefe enthielten etwas von Bedeutung, wenngleich daraus auch Römer’s und Sidoniens Interesse für einander zu entnehmen war.

Er erkannte die große Vorsicht, welche die Schreibenden zu beobachten für gut fanden, und entnahm aus derselben um so mehr die Ueberzeugung eines geheimen Einverständnisses.

Der Prinzessin Name war in den Briefen niemals genannt worden, sondern sie wurde als Freundin bezeichnet, doch war unschwer zu erkennen, wer dieselbe sei. Ebenso verriethen des Grafen Andeutungen das wärmste Interesse für Sidonie. Dies genügte, Mühlfels und die Baronin in ihren Entschlüssen und Ansichten über diese Angelegenheit noch mehr zu befestigen. Um in den Betheiligten keinen Argwohn zu erregen, war Mühlfels bedacht, ihnen die unterschlagenen Briefe wieder zukommen zu lassen. In solcher Weise vorbereitet, ersah der Baron eine geeignete Gelegenheit und begab sich nach Sidoniens Heimath, und seinen eifrigen Nachforschungen daselbst gelang es in der That, Kenntniß von dem ehemaligen vertraulichen Umgang der Prinzessin mit dem Grafen zu erhalten. Ebenso erfuhr er der Prinzessin Schmerz und Weigerung, sich mit dem Prinzen zu vermählen.

Diese so wichtigen Entdeckungen waren mehr als hinreichend zu einer sichern und erschöpfenden Beurtheilung des gegenwärtigen Verhältnisses der Liebenden;[S. 123] ebenso wußte er sich jetzt auch Sidoniens Theilnahmlosigkeit für den Prinzen zu erklären. Bei seiner Rückkehr beeilte er sich, seiner Mutter über Alles Mittheilungen zu machen, und es darf kaum bemerkt werden, mit welcher großen Freude sie dieselben aufnahm.

Erfreut, jetzt mit größerer Sicherheit handeln zu können, war er entschlossen, dies ohne Säumen zu thun, worin ihm die Baronin durchaus beistimmte.

Sidonie sowol als Aurelie waren weit entfernt, die die Erstere bedrohenden Gefahren zu ahnen. Nicht das leiseste Zeichen verrieth, daß man Sidoniens Benehmen an jenem Abend anders, als sie es wünschten, gedeutet hätte. Was die Baronin und deren Sohn anbelangt, so wissen wir bereits, daß das Verhalten derselben sie vollkommen getäuscht hatte.

Diese Beruhigung that Sidonien in ihrer Trauer wohl, ebenso war es ihr angenehm, daß der Prinz sich durchaus fern von ihr hielt. Sie sah ihn nur selten, und auch dann stets zufällig, und erschien nur bei Hoffesten und Assembleen in seiner Begleitung, wobei dies nicht zu umgehen war, da es die Sitte also erheischte. Sie wechselten alsdann kaum einige Worte, Beide nur bedacht, dem Zwange sobald als möglich enthoben zu werden.

Aus dieser Ruhe der Trauer und Entsagung sollte Sidonie leider auf die empfindlichste Weise gestört und zugleich zu einem Schritt veranlaßt werden, an welchen sich die bedeutsamsten Folgen für ihr künftiges Geschick knüpften.

[S. 124]

Der Winter war dem Prinzen in dem vertraulichen Umgange mit Marianen rasch dahin gegangen. Seine Zuneigung für dieselbe hatte sich während dessen nur noch gesteigert, und die Eingeweihten erstaunten über die Macht, mit welcher das einfache Mädchen ihn so dauernd an sich zu fesseln verstand. Denn man hatte seitdem nichts von einer neuen Liaison des Prinzen vernommen, obgleich das schöne Fräulein von Lieben die Gelegenheit nicht versäumte, sich und ihre Reize bei der Baronin dem Prinzen zu präsentiren. Dieser beachtete sie jedoch nicht und begnügte sich mit seinem Waldvogel, der ihm vor wie nach seine Lieder sang und in launigen Schelmstücken unerschöpflich war.

Zeigte sich jedoch das Mädchen in dieser Beziehung noch ganz so wie ehemals, so war doch bereits mit ihrem Charakter eine wesentliche Veränderung vorgegangen. Mit jedem neuen Tage den Einfluß mehr erkennend, welchen sie über den Prinzen ausübte, regten sich in ihr allerlei neue Wünsche, die der Prinz zu erfüllen sich beeilte.

Dieser Umstand mußte natürlich sehr bald dahin führen, ihr die früheren Belustigungen und Zerstreuungen mit ihren Vögeln und Affen, Spiel und Gesang langweilig erscheinen zu lassen und das Verlangen nach anderen Zerstreuungen in ihr zu erwecken.

Seitdem sie jenes prächtige Kleid getragen und der Prinz sie durch die Versicherung beglückt, daß sie schöner als die schönste Hofdame wäre, erwachte das lebhafte Verlangen in ihr, sich auch durch den Augenschein davon zu überzeugen.

[S. 125]

Darum bat sie den Prinzen wiederholt, ihr zu gestatten, die Stadt und jene öffentlichen Vergnügungen, bei welchen sich auch Hofpersonen einfanden, zu besuchen. Ihre Bitte kam dem Prinzen sehr ungelegen, da für ihn, wie wir wissen, gerade in dem Geheimniß seines Umganges der eigentliche Reiz desselben lag. Erschien Mariane jedoch öffentlich, so mußte des Mädchens auffällige Schönheit die Welt zum Nachforschen veranlassen, und die Entdeckung dieses Verhältnisses konnte nicht ausbleiben.

Darum war er bedacht, sie durch eine Menge der kostbarsten Geschenke zu beschwichtigen, ohne jedoch seinen Zweck zu erreichen.

Mariane zeigte nicht die mindeste Freude darüber, sondern schmollte mit ihm und ihrer Umgebung, und bestand eigensinnig auf der Erfüllung ihres Verlangens. Sie that dies in dem Bewußtsein ihrer Macht über den Prinzen und wußte nur zu gut, daß er ihr früher oder später trotz seiner Weigerung dennoch zu Willen sein würde.

Und sie täuschte sich hierin in der That nicht.

Der Prinz war ein viel zu schwacher Charakter, um sich ihr gegenüber behaupten zu können. Er vermochte ihre üble Laune nicht lange zu ertragen und unterlag endlich in einer schwachen Stunde ihren verführerischen Bitten und Schmeicheleien. Er stellte jedoch die Bedingung, daß sie bei ihren Besuchen in der Stadt so einfach als möglich gekleidet erscheinen sollte, um jedes[S. 126] Aufsehen zu vermeiden, und war überdies bedacht, Madame Voisin, die Mariane bei diesen Ausgängen begleiten sollte, die genauesten Verhaltungsregeln zu geben, damit der von ihm gewünschte Zweck sicher erreicht würde.

Mariane ging mit Freuden auf alle seine Bedingungen ein und beobachtete genau seine Wünsche; trotz dieser bescheidenen Zurückhaltung zog das schöne Mädchen dennoch die öffentliche Aufmerksamkeit sogleich auf sich, und so geschah es, daß man sehr bald ihre Verhältnisse erforscht hatte. Dieser Umstand war jedoch nur zu sehr geeignet, daß die Welt ihr, wo sie sich zeigte, ein um so größeres Interesse schenkte.

Weder Marianen noch ihrer Begleiterin war dies entgangen; auf der Ersteren Wunsch wurde es dem Prinzen jedoch verheimlicht, da eine solche Nachricht ihn nicht nur unangenehm berührt hätte, sondern sie auch fürchten mußten, auf seinen Befehl die beliebten Besuche einzustellen.

Sie theilten ihm daher nur Erwünschtes mit und erreichten dadurch vollkommen ihren Zweck, indem der Prinz Marianen in dieser Beziehung fortan immer größere Freiheiten gestattete, da es ihm Freude bereitete, ihr Herz in solcher Weise erheitert zu sehen.

Das aber hatte das schlaue Mädchen nur gewollt; denn sie fühlte sich durch die erlaubten Genüsse durchaus nicht befriedigt, sondern ihre Wünsche waren noch auf ganz andere Dinge gerichtet.

Der Prinz erkannte die ihm gespielte Täuschung um[S. 127] so weniger, da Niemand die Pflicht und Neigung fühlte, ihn darüber aufzuklären, von der Vermuthung erfüllt, Marianens öffentliches Erscheinen habe seine Zustimmung. Seine Vorliebe, sein Verhältniß geheim zu halten, kannten überdies die Wenigsten. Die fröhliche Laune und Zärtlichkeit, der er sich seit Marianens Besuchen in der Stadt von ihr zu erfreuen hatte, waren ohnehin sehr geeignete Momente, ihn von jedem Forschen fern zu halten, indem er den Anlaß dazu lediglich in der ihr bewilligten Freiheit suchte.

Und das listige Mädchen sorgte dafür, daß sein Behagen in keiner Weise gestört wurde. Von Madame Voisin hatte sie keinen Verrath zu fürchten, da diese ihr mehr als dem Prinzen ergeben war; denn längst hatte diese Dame erkannt, daß ihre Zukunft lediglich von der Gunst der allmächtigen Favoritin abhing.

In solcher Weise gesichert, ging Mariane fortan unbekümmert ihren Neigungen nach, stets bedacht, ihre geheimen Wünsche bei der ersten sich zeigenden Gelegenheit zu befriedigen.

Mehre Wochen waren seitdem verstrichen. Der Frühling machte sich bereits durch Lerchengesang, knospende Gesträuche, die ersten Gartenblumen und eine milde Witterung geltend und hatte die Residenzbewohner in’s Freie gelockt, um sich zu Wagen, zu Roß und zu Fuß in der Stadt und den Anlagen zu ergötzen. Ueberall sah man ein reges, vergnügtes Treiben, das jedoch nicht allein durch das schöne Wetter, sondern zugleich auch durch den[S. 128] Umstand hervorgerufen worden war, sich am Abend einer ganz besondern Lustbarkeit erfreuen zu können, welche in dem von den vornehmsten Adelspersonen arrangirten Carrousselreiten bestand, zu welchem außer dem Hof auch das Publikum Zutritt hatte. Diese Vorstellung sollte in jeder Beziehung durch Pracht und Glanz ausgezeichnet sein, und so konnte es nicht fehlen, daß ein Jeder, ob Mitwirkender, ob Zuschauer, darauf bedacht war, den Erwartungen in der besten Weise zu entsprechen, und dadurch jenes bewegte Leben erzeugt wurde.

Schon lange vor dem Beginn des Schauspiels strömten die Zuschauer nach der zu dieser seltenen Vorstellung prächtig eingerichteten Reitbahn, ein Jeder beglückt, gegen hohes Eintrittsgeld einen Platz erhalten zu haben. Denn um ein vornehmes Publikum zu erzielen, war das Entrée sehr hoch gestellt, und trotzdem noch nicht einmal leicht zu erhalten.

Alle Räume der Bahn waren bald mit reich und glänzend geschmückten Damen und Herren besetzt, die in angenehmer Erregung dem Erscheinen des Hofes und dem Beginn der Vorstellung entgegen harrten. Wie gewöhnlich unter solchen Umständen belebte eine ziemlich laute Unterhaltung die in allen Farben, Sammet und Seide, Gold, Silber und Edelsteinen prangende Menge, und alle jene Beziehungen machten sich dabei geltend, wie sie der damalige frivole Zeitgeist bedingte.

Es wurde gescherzt, geliebelt, intriguirt, geklatscht[S. 129] und vor allen Dingen Vermuthungen über die Leistungen der Damen und Herren ausgesprochen, die sich heute dem Hof und Publikum als Reitkünstler vorzustellen so kühn waren. Man kannte die meisten derselben, und so war das Interesse ein um so größeres.

Von den Hofleuten fehlte fast Niemand. Kurz vor Beginn der Vorstellung erschien auch Sidonie in Begleitung der Baronin, Aureliens und anderer Hofdamen, und mit herzlicher Theilnahme wandte sich ein jedes Auge der edeln, anmuthigen Erscheinung zu, deren bleiches Antlitz nur zu sehr geeignet war, das Interesse für sie zu erhöhen, da man den Anlaß dazu genügend zu kennen glaubte.

Dieses Interesse wurde jedoch schon nach wenigen Augenblicken durch eine andere Dame beeinträchtigt, die in einer der gewöhnlichen Logen saß und durch ihre Jugend und Schönheit, vor Allem jedoch durch ihren kostbaren Anzug sofort die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Diese Wirkung wurde noch durch den Umstand erhöht, daß man sie nicht kannte, nirgends gesehen hatte, obwol die reiche Kleidung und die blitzenden Diamanten ihres Halsbandes und der Armbänder auf Reichthum und Rang schließen ließen.

Ein sich rasch fortspinnendes Fragen und Erkundigen nach ihr durchschwirrte die Menge, während man die Fremde zugleich ziemlich unbefangen musterte.

Dieser entging dies nicht, und es hatte den Anschein, als ob ihr eine solche Aufmerksamkeit nicht eben unlieb wäre; denn sie kam den Blicken ihrer Beschauer eben so[S. 130] dreist entgegen, was namentlich den lorgnettirenden Herren sehr zusagte.

Zugleich machte sich in ihrem von Erregung gerötheten Antlitz eine fast kindliche Neugier geltend; denn sie wandte den lieblichen Lockenkopf nach allen Seiten und betrachtete sich die Räume sowol als die Personen mit sichtlichem Interesse. Ab und zu richtete sie an eine hinter ihr sitzende ältere Dame ein und die andere Frage, und schien sich von dieser über Personen und Gegenstände Auskunft geben zu lassen, um alsdann mit gesteigertem Behagen ihre früheren Beobachtungen wieder aufzunehmen. Sie wurde darin durch das Erscheinen des Fürsten mit seiner Gemahlin und dem ganzen Hofstaat angenehm unterbrochen, indem sich zugleich ihre Aufmerksamkeit jetzt lediglich auf diese lenkte. Beim Eintreten des Fürsten ließ das Orchester einen rauschenden Marsch ertönen, und wenige Augenblicke darauf erschien der glänzende Zug der Reitkünstler, der die Bahn durchritt und sich alsdann vor der Hofloge aufstellte.

Lauter Beifall empfing denselben, der wohlverdient war. Denn die Schönheit der Personen, die Pracht der Anzüge, der goldene und silberne Schmuck der Pferde, die ausersehene Vortrefflichkeit derselben und die eben so geschmack- als wirkungsvolle Anordnung des Zuges, der, übergossen von dem Licht Tausender von Kerzen, einen wundervollen Anblick gewährte, waren in der That von so seltener Vollkommenheit, wie man dergleichen noch nie gesehen hatte.

[S. 131]

Bald darauf begann alsdann die Vorstellung, die in verschiedene Tänze, Ringelstechen und ähnliche Leistungen zerfiel. Die an sich vortreffliche Ausführung derselben fesselte anhaltend die Aufmerksamkeit der Zuschauer, bis eine Pause der Erholung für diese und die Mitwirkenden eintrat.

Nachdem man die empfangenen angenehmen Eindrücke besprochen und allerlei kritische Bemerkungen daran geknüpft hatte, wandte man das Auge wieder der fremden Dame zu, und es regte sich auf’s Neue das Verlangen, deren Namen und Stand kennen zu lernen, da die in dieser Beziehung bereits angestellten Nachforschungen fruchtlos geblieben waren.

Die Bezeichnete schien von dem genossenen Schauspiel sehr erregt zu sein; ihre Augen strahlten von Lust, ihre Wangen waren hoch geröthet, und lebhaft unterhielt sie sich mit der bereits bezeichneten Dame.

Während dies geschah, flog plötzlich ein heimliches bedeutsames Wort von Munde zu Munde und steigerte die Aufmerksamkeit des Publikums für die Fremde in hohem Grade.

Fast gleichzeitig richteten sich auch die Blicke nach der Hofloge und auf Sidonie, die sich mit der Baronin unterhielt und davon anfangs nichts bemerkte, bis das Verhalten der Zuschauer sie endlich darauf aufmerksam machte und veranlaßte, nach der Ursache dieser Erscheinung zu forschen. Sie entdeckte dabei die fremde Dame und es entging ihr nicht, daß sich das Interesse des[S. 132] Publikums zwischen ihr und dieser theilte. Es schien ihr, als ob man einen Vergleich mit ihr und jener anstellte, oder sie in irgend welche Beziehung zu derselben gebracht hatte.

Das fiel ihr auf, und sie erkundigte sich zunächst bei der Baronin, wer die Fremde wäre.

Diese entgegnete verlegen, dieselbe nicht zu kennen, und ebenso thaten es die anderen Personen, an welche sich Sidonie mit der nämlichen Frage wandte, die gleich der Baronin eine auffällige Verlegenheit dabei verriethen.

Dieses Verhalten steigerte Sidoniens Verlangen, Aufklärung über die Dame und das besondere Benehmen des Publikums zu erhalten, indem sich ihrer zugleich eine erschreckende Ahnung bemächtigte.

Auch die Fremde war aufmerksam geworden, schaute nach der Prinzessin, musterte diese und deren Umgebung, während dessen sich in ihren Zügen ein Ausdruck der Freude geltend machte.

Länger vermochte Sidonie die sie quälende Ungewißheit nicht zu ertragen, und sie bat Aurelie heimlich, über die Dame sogleich Erkundigungen einzuziehen. Sie fühlte sich durch das dreiste Benehmen derselben verletzt, was auch in Bezug auf die sie umgebenden Damen der Fall war, die sich überdies noch durch die Schönheit und den prachtvollen Anzug der Fremden wesentlich beeinträchtigt fühlten.

Man warf sich bedeutsame Blicke zu, tauschte auch[S. 133] flüchtig ein heimliches Wort aus, und es verrieth sich sogar in einzelnen Gesichtern Unmuth und Aerger.

Alles das entging der Prinzessin nicht, und mit um so größerer Ungeduld sah sie Aureliens Rückkehr entgegen, die sich in Folge ihres Wunsches nach dem Corridor begeben hatte.

Aurelie traf daselbst Mühlfels mit Boisière und ein paar anderen Hofherren, die in einer heimlichen, vertraulichen Unterhaltung begriffen waren.

Der Baron entdeckte sie sogleich, und in der Voraussetzung, ihr vielleicht einen Dienst leisten zu können, nahte er sich ihr sogleich und fragte nach ihren Wünschen. Das kam Aurelien sehr gelegen, und sie zögerte nicht, ihm dieselben zu erkennen zu geben.

»Ich hatte es erwartet,« flüsterte er ihr bewegt zu. »Die Dreistigkeit dieses Mädchens ist in der That ganz beispiellos und hat eine allgemeine Entrüstung hervorgerufen. Ich begreife nicht, wie der Prinz so etwas gestatten konnte, da er doch wußte, daß sowol die Prinzessin als auch der Hof anwesend sein würden.«

»Jetzt ahne ich, wer die Fremde ist!« fiel Aurelie erschreckt ein.

»Und Ihre Ahnung täuscht Sie leider nicht.«

»Wie wird die Prinzessin diese Nachricht aufnehmen!« bemerkte Aurelie betrübt.

»Sie müssen ihr die Wahrheit verheimlichen.«

»Das mag ich nicht, denn ich fürchte, sie ahnt bereits, wer die Dame ist.«

[S. 134]

Mühlfels zog bedauernd die Achseln und entgegnete: »So weiß ich in der That nicht zu rathen, und es wird eine Scene geben, die nun nicht mehr ausbleiben kann.«

»Hat man denn nicht daran gedacht, das Mädchen zu entfernen?«

»Allerdings, doch Niemand will sich dazu hergeben; man fürchtet sich dadurch des Prinzen Ungnade zuzuziehen. Auch scheut man das Aufsehen, das eine solche Maßnahme erregen würde.«

»So muß ich mich beeilen, der Prinzessin die Wahrheit zu sagen, denn es bleibt ihr unter solchen Umständen nichts Anderes übrig, als sich dieser entwürdigenden Lage so schnell als möglich zu entziehen!« rief Aurelie erregt und unmuthig, und kehrte zu Sidonien zurück, ohne auf des Barons weitere Vorstellungen zu achten.

»Welche herrliche Vortheile müßte mir der heutige Abend verschaffen, wäre dieser Graf nicht,« sprach Mühlfels unmuthig vor sich hin und gesellte sich alsdann den auf ihn harrenden Herren zu, denen er mit wichtiger Miene das eben Vernommene mittheilte und daran die Vermuthung eines Eclats knüpfte, zu welchem die Prinzessin durch die üble Nachricht veranlaßt sein würde. Man stimmte ihm darin bei und erwog zugleich, ob es nicht gerathen sei, demselben vorzubeugen; Alle aber zuckten die Achseln; Niemand von ihnen wollte für die arme Sidonie eintreten, und wir erkennen daraus, wie sehr hilflos dieselbe war.

Mühlfels täuschte sich in seiner Voraussetzung nicht,[S. 135] denn kaum hatte Sidonie das außergewöhnlich erregte Antlitz ihrer Freundin erblickt, so erkannte sie auch, sich in Bezug auf die Fremde nicht getäuscht zu haben.

Als ihr Aurelie mit wenigen Worten den Charakter der Letzteren bezeichnet hatte, erbleichte sie und schien rathlos; jedoch nur für einige Augenblicke; alsdann reichte sie Aurelien den Arm und bat sie mit so lauter Stimme, daß sie von ihrer Umgebung gehört werden konnte, sie nach dem Wagen zu geleiten, da sie sich nicht wohl fühle. Sie trug der Baronin zugleich auf, dem fürstlichen Paar die Meldung über den Grund ihrer Entfernung zu machen, und verließ alsdann an Aureliens Arm die Loge. Rasch schritt sie an den noch immer berathenden Herren vorüber, die sich schweigend und überrascht verneigten, nicht ohne zu bedauern, kein Mittel zur Vermeidung dieses Eclats gefunden zu haben.

Sidoniens plötzlicher Aufbruch erregte natürlich sowol bei ihrer Umgebung als auch bei den Zuschauern Aufsehen, und ehe die Prinzessin noch ihren Wagen erreicht hatte, durchlief bereits das Gerücht davon die Räume.

Die Meisten erriethen leicht, durch welche Umstände Sidoniens Entfernung hervorgerufen worden war, und billigten dieselbe mit vollem Herzen, und man unterhielt sich darüber so lange in vertraulicher Weise, bis die wieder beginnende Vorstellung das Interesse beanspruchte.

Der Fürst und seine Gemahlin, die von Alledem nichts ahnten, bedauerten Sidoniens unerwarteten Aufbruch[S. 136] um so mehr, da sie eben beabsichtigten, sie zu sich bitten zu lassen, um die Pause durch Unterhaltungen mit ihr auszufüllen.

Wir haben früher erfahren, wie leicht Sidonie durch Hitze und Geräusch angegriffen wurde; das fürstliche Paar war damit bekannt, und so hatte deren frühe Entfernung für sie durchaus nichts Auffälliges.

Wir kehren jetzt zu der fremden Dame zurück, die nach Sidoniens Entfernen durchaus unbefangen und mit vermehrtem Vergnügen der Vorstellung bis zum Schluß beiwohnte, ohne durch irgend Jemand darin gestört zu werden. Daß diese Dame niemand Anders, als Mariane war, darf wol kaum bemerkt werden.

Hören wir nun, welche Umstände sie verleitet hatten, an einem Ort zu erscheinen, an welchem sich, wie sie wußte, sowol der Hof, als auch die Elite des Adels und die Vornehmsten der Stadt versammeln würden.

Wir haben früher erfahren, daß ihr geheimes Dichten und Trachten darauf gerichtet war, sich persönlich zu überzeugen, ob sie wol, wie der Prinz gesagt, durch ihre Schönheit und prächtige Kleidung die Damen des Hofes verdunkeln würde. Dazu bot sich jedoch keine Gelegenheit dar, da der Prinz ihr den Besuch aller der Orte verboten hatte, an welchen der Hof erschien. Sie war untröstlich darüber und bereits entschlossen, gegen das erhaltene Verbot zu handeln. Ihre Eitelkeit prickelte sie unablässig, und nur von dieser bestimmt, fiel es ihr nicht ein, die Folgen zu erwägen, die ein solcher Besuch, namentlich in[S. 137] einer kostbaren und auffallenden Kleidung nach sich ziehen mußte. Da vernahm sie die Nachricht von der bevorstehenden Festlichkeit, die man ihr zugleich in so verlockender Weise schilderte, daß das Verlangen, derselben beizuwohnen, sich bis zur Leidenschaft steigerte. Das Schauspiel würde alle ihre Wünsche befriedigt haben, denn nicht nur fand sie bei demselben die Gelegenheit, den ganzen Hof und die höchsten Adelspersonen zu sehen, sondern sie konnte dabei auch zugleich das kaum mehr beherrschte Verlangen, in ihrer prächtigen Kleidung den gewünschten Vergleich anzustellen, erfüllen. Und wie groß mußte überdies das durch das Schauspiel gebotene Vergnügen sein, von welcher Pracht und Schönheit sich ihre lebhafte Phantasie die ausschweifendsten Vorstellungen machte.

Seitdem sie die erste Kenntniß von dem Schauspiel erhalten hatte, befand sie sich in einer unaufhörlichen Unruhe, lediglich darauf sinnend, ob es ihr nicht gelingen dürfte, das erstere besuchen zu können.

Vor allen Dingen bemühte sie sich jedoch, den Prinzen für ihren Wunsch zu gewinnen; dieser jedoch lehnte ihre Bitte mit dem entschiedenen Bemerken ab, daß sie aus den angegebenen Gründen auf den Besuch durchaus verzichten müßte. Er sprach zugleich sein Bedauern darüber aus, erklärte aber auch, sich den Verhältnissen fügen zu müssen. Marianens weitere Vorstellungen blieben gleichfalls fruchtlos, wodurch ihr ganzer Unmuth erregt wurde.

Sie besaß jedoch bereits hinreichende Verstellungskunst, um dem Prinzen ihre Empfindungen nicht zu verrathen;[S. 138] heuchelte Unbefangenheit und ließ die Angelegenheit fallen. Sie war jedoch weit entfernt, dies wirklich zu thun, sondern vielmehr bedacht, eine passende Art zu ersinnen, die Erfüllung ihres Verlangens trotz des Verbotes zu ermöglichen. Sie zog Madame Voisin in ihr Vertrauen, diese jedoch rieth ihr entschieden von dem Besuch ab, indem sie Mariane an den Zorn des Prinzen erinnerte, der die unausbleibliche Folge eines Verrathes ihrer Anwesenheit bei dem Schauspiel sein müßte.

Mariane beruhigte sie jedoch durch die Versicherung, daß sie den Prinzen wol zu versöhnen wissen würde, es ja auch überdies zweifelhaft sei, ob ihr Besuch zu seiner Kenntniß gelangte. Sie wollte bedacht sein, sich unter den Zuschauern zu verbergen, so daß sie der Prinz nicht entdecken könnte, und wußte überdies noch eine Menge anderer Vorsichtsmaßregeln, die sie zu beobachten willens war, anzugeben, daß Madame Voisin endlich von ihrem Widerspruch ließ und es Marianens Ermessen anheim stellte, zu thun, was sie für gut fände. Sie hatte sich schon längst gewöhnt, sich Marianens Wünschen unterzuordnen, um ihr künftiges Interesse zu fördern, und baute übrigens auf des Mädchens großen Einfluß auf den Prinzen, den sie zur Genüge kennen gelernt hatte.

Mariane war nun vor allen Dingen bedacht, sich durch die dritte Hand im Geheimen Billets besorgen zu lassen, die man für vieles Geld wirklich erhielt, ohne daß ihr Name dabei genannt wurde. Im Besitz derselben, war sie auch entschlossen, das Schauspiel um jeden Preis[S. 139] zu besuchen. Sie ahnte nicht, daß der Zufall ihren Wünschen in einer nicht gehofften Weise entgegen kommen und sie endlich die so lange ersehnte Gelegenheit finden sollte, nicht nur dem Schauspiel beizuwohnen, sondern dies auch ganz ihrem geheimen Verlangen entsprechend thun zu können.

An dem zu der Vorstellung bestimmten Tage fühlte sich nämlich der Prinz nicht so wohl, um die Erstere besuchen zu können; man konnte diese jedoch nicht mehr aufschieben, was gewiß mit Rücksicht auf den Ersteren geschehen wäre, wenn es die Verhältnisse irgend gestattet hätten. Der Prinz war durch sein Leiden genöthigt, seine Besuche bei Marianen vorläufig einzustellen, da er auf ärztlichen Rath das Bett hüten sollte.

Welche Umstände hätten für des Mädchens Wünsche vortheilhafter sein können! —

Sie hatte seinetwegen nun nichts mehr zu besorgen und sah daher mit kindischer Freude und Ungeduld dem Fest entgegen.

Als die Stunde zum Besuch desselben gekommen war und Madame Voisin sie aus ihrem Boudoir abholte, fand sie Mariane bereits vollständig zur Fahrt vorbereitet. Ein einfacher dunkler Mantel hüllte sie ein, ein ebensolcher Hut schützte den Kopf, so daß ihre Erscheinung in der That nichts weniger als auffällig war und sich also zur Ausführung ihrer Absicht durchaus eignete. Madame Voisin, die gleichfalls einfach gekleidet war, betrachtete sie mit Vergnügen und drückte ihr ihre Zufriedenheit[S. 140] über die beobachtete Vorsicht aus, indem sie jetzt mit größerer Ruhe die Hoffnung aussprach, daß ihr Unternehmen gut ablaufen würde.

Sie erreichten die Stadt und die Reitbahn und gelangten bei dem daselbst herrschenden Gedränge unbeachtet in ihre Loge; wie sehr erschrak jedoch Madame Voisin, als Mariane vor dem Betreten derselben Mantel und Hut ablegte und vor ihr in dem früher bezeichneten prachtvollen Anzug dastand. Sie wollte zurückkehren; ihre Vorstellungen waren jedoch fruchtlos, und eben so wenig vermochte sie Mariane zum Anlegen des Mantels zu bewegen. Diese beharrte auf ihrem Willen, und so war die Dame genöthigt, sich, wenngleich seufzend und mit besorgtem Herzen, in das Unabänderliche zu fügen. Um ihre Angst noch zu mehren, lauteten die Billets überdies auf Vorderplätze, ein nur zu sehr geeigneter Umstand, Mariane den Blicken der Zuschauer preisgegeben zu sehen. Niemand von ihnen hatte daran gedacht. Ohne jede Verlegenheit nahm Mariane ihren Platz ein, während Madame Voisin es vorzog, sich im Hintergrunde zu halten und ihren Platz Anderen überließ. Sie hatte längst erkannt, von dem Mädchen überlistet worden zu sein, und war jetzt nur noch bedacht, so wenig als möglich Aufsehen zu erregen.

Wir haben das Weitere erfahren und fügen nur noch hinzu, daß Mariane keine Ahnung von dem auf Sidonie und die Zuschauer erzeugten Eindruck hatte; eben so wenig gerieth sie auf die Vermuthung, erkannt zu sein.

[S. 141]

Viel zu unerfahren, um sich eine richtige Vorstellung von den Lebensverhältnissen in der Residenz machen zu können, zu angenehm von dem Glanz der Räume, der Schönheit der Vorstellung und der bewegten prunkvollen Menge berührt, genoß sie unbefangen die sich ihr darbietende Lust mit vollen Zügen, nicht wenig stolz über die ihr gezollte Aufmerksamkeit und in dem schmeichelnden Bewußtsein, nicht übler, ja vielleicht noch besser und schöner, als alle die anwesenden Damen zu sein.

Ueberaus beglückt kehrte sie mit ihrer Begleiterin heim und vermochte die Besorgniß derselben und deren Vorwürfe, sie in solcher Weise getäuscht zu haben, nicht zu begreifen.

Sie fand das Alles mit Lachen und Scherzen ab, und that dies auch, als Madame Voisin sie an die übeln Folgen erinnerte, die für sie, würde dem Prinzen ihr Besuch bekannt, entstehen müßten.

»Fürchten Sie nichts, meine gute Voisin; ich kenne meinen Prinzen; er wird sich, falls er wirklich etwas erfahren sollte, schon versöhnen lassen. Das Geschehene ist doch nicht mehr zu ändern? Und was liegt denn auch Uebles darin? Muß er sich nicht freuen, daß ich den Leuten gefallen habe? O, ich weiß, er giebt etwas auf meine Schönheit; er hat es mir ja oft genug gesagt. Und damit lassen Sie es genug sein. Ist der Prinz über den Besuch böse, so mag er es sein; er wird bald wieder gut werden.«

[S. 142]

Also plauderte das leichtsinnige Mädchen, unbekümmert und froh, nur in ihrem Genuß schwelgend.

Es verstand sich von selbst, daß Madame Voisin in ihrem eigenen Interesse dafür sorgte, dem Prinzen den Besuch zu verheimlichen; sie hoffte diesen Zweck auch zu erreichen, da sie der Dienerschaft hierüber das strengste Schweigen auferlegt hatte und von deren Gehorsam durchaus überzeugt war. Der Prinz war genöthigt, mehre Tage das Bett zu hüten, und sandte fast täglich durch Henri zärtliche Billets an Mariane, in welchen er seine Sehnsucht nach ihr aussprach, und das Mädchen war keck genug, den Prinzen an einem dunkeln Abend mit Hilfe des Dieners und einer allerliebsten Männertracht in seinem Palais zu überraschen. Der Prinz war über diesen Beweis ihrer Liebe entzückt, noch mehr fast über die kecke Art, mit welcher sie ihm eine Freude zu bereiten bedacht war. Dergleichen war ganz nach seinem Geschmack, und würde er Mariane nicht schon überaus geliebt haben, so hätte ihr Handeln diese Wirkung jedenfalls hervorgerufen. Wie sehr sie gegen sein Verbot gehandelt hatte, erfuhr er nicht; denn Niemand, selbst Mühlfels, der ihn während seiner Krankheit täglich besuchte, wagte es, ihn damit bekannt zu machen. Von der Gewißheit erfüllt, daß dem Fürsten Marianens Besuch nicht verrathen worden war, erachtete man es für besser, das Geschehene mit Stillschweigen zu übergehen und abzuwarten, ob Sidonie vielleicht irgend etwas in dieser Angelegenheit that. Man nahm dies jedoch nicht an, da[S. 143] ihre Gleichgiltigkeit gegen den Prinzen bekannt war. Freilich verrieth ihr plötzliches Entfernen unter dem Vorgeben von Unwohlsein, daß sie durch den Vorfall tief verletzt worden sei, dieser Umstand schloß jedoch nicht die Voraussetzung in sich, sie würde sich darum auch Genugthuung verschaffen wollen.

Hatte sie sich doch schon so Vieles von dem Prinzen gefallen lassen; was konnte es ihr daher auf diese Bagatelle ankommen. Für ihre Ruhe war es sogar besser, wenn sie die Sache gehen ließ.

So meinten die klugen und von der Moral nicht geplagten Hofleute, ohne zu ahnen, wie bald sie zur Einsicht ihrer Täuschung geführt werden sollten.

Sechstes Kapitel.

Durch den erfahrenen Schimpf in der tiefsten Seele verletzt, kehrte Sidonie in Begleitung Aureliens nach dem Palais zurück und sank, in ihrem Gemach angelangt, erschöpft in einen Fauteuil. Trostlos starrte sie einige Augenblicke vor sich hin und rief alsdann, in Thränen ausbrechend:

»Auch das noch zu allem, allem Unglück, das ich leiden muß!«

[S. 144]

»Ich begreife nicht, wie dem Mädchen der Zutritt gestattet worden ist,« bemerkte Aurelie, erfreut, die Spannung in Sidoniens Herzen gemindert zu sehen, und zugleich bedacht, durch Besprechung dieser Angelegenheit sie von dem schmerzvollen Brüten abzulenken.

»Wie konnte der Prinz es wagen, mir einen solchen Schimpf anzuthun! Bin ich denn schon so sehr verachtet, daß er sich so etwas gestatten zu dürfen glaubte?!« preßte Sidonie unmuthig hervor.

»Vielleicht ist es ohne seinen Willen geschehen,« — wandte Aurelie ein.

»Glaube das nicht und bedenke, daß ein so einfaches Mädchen gänzlich von seinem Willen abhängig sein muß.«

»Diese Vermuthung liegt nahe; dennoch erinnere ich Dich, daß der Prinz unpäßlich ist und das Palais hütet; vielleicht, daß —«

»Nein, nein! Bemühe Dich nicht, ihn zu entschuldigen und mir das Erfahrene in einem milderen Licht zu zeigen. Selbst wenn das Mädchen ohne sein Wissen den Besuch wagte, so geht daraus doch hervor, welche große Macht sie über ihn gewonnen haben und wie geringe Achtung sie mir zollen muß, um sich über alles das hinweg setzen zu können. Aus diesem Umstand ersehe ich jedoch, welcher Art sein Verhältniß zu dem Mädchen ist und daß die Gerüchte von demselben durchaus begründet sein müssen. So weit ist es also schon mit mir gekommen! Man scheut sich nicht mehr, mich öffentlich[S. 145] zu verspotten und mich dem Mitleiden der Menge preiszugeben! Unerhört! Ist es nicht genug, daß ich bisher alles Ueble schweigend duldete, will man mich auch der theuer erkauften Ruhe berauben? — Glaubt man, mir eine solche Schonung nicht mehr schuldig zu sein?! Wie tief muß ich in der Achtung des Hofes gesunken sein, wenn das geschehen konnte!«

In schmerzvoller Erregung lehnte sie sich in dem Sessel zurück.

Voll der innigsten Theilnahme, doch schweigend ruhte der Freundin Auge auf der Leidenden und so schwer Gekränkten; sie vermochte ja nichts zur Linderung von Sidoniens Kummer beizutragen; denn das Geschehene konnte nicht ungeschehen gemacht und der erfahrene Schimpf nicht zurückgenommen werden.

»O, wie schutzlos bin ich doch!« rief Sidonie nach kurzer Pause. »Meine Brüder besitzen keinen Einfluß bei Hofe; der Fürst ist dem Prinzen gegenüber zu schwach, und seine Grundsätze und Ansichten vom Leben sind auch viel zu wenig sittlich, um mich zu verstehen und mein Verhältniß zu dem Prinzen durch seinen Einfluß auf diesen erträglicher zu machen. Was soll ich beginnen und wer räth mir in meiner so kummervollen Lage! — O, wäre Bernhard hier, mir würde Alles leichter, mein Schmerz geringer, mein Wille kräftiger werden! — Ach, mit ihm zog mein Schutzengel, meine Ruhe und mein Glück davon! O, wie so sicher fühlen wir uns doch in der Huth treuer Liebe![S. 146] O wüßte er, wie sehr ich seiner bedarf, wie schnell würde er zu mir eilen. Doch ich besitze kein Recht, ihn in seiner Trauer zu stören, und muß diesen Schmerzenskampf allein auskämpfen!«

Sie schwieg und schaute betrübt und gedankenvoll vor sich hin.

Aurelie ergriff ihre Hand, drückte sie sanft und bemerkte:

»Lass’ uns gemeinschaftlich erwägen, was in Deiner Angelegenheit geschehen muß; denn daß Du den Dir angethanen Schimpf nicht ruhig hinnehmen darfst, versteht sich von selbst.«

»Du hast Recht, mich daran zu erinnern; denn der Schmerz ließ mich dies bisher vergessen. Ja, ich will mir Genugthuung um jeden Preis verschaffen. Ich fürchte nichts mehr, nun es so weit gekommen ist, weder des Fürsten Ungnade, noch die Härte des Prinzen,« fiel Sidonie mit Festigkeit ein.

»Und was gedenkst Du zu thun?« fragte Aurelie.

»Die Gelegenheit erfordert keinen Aufschub, sonst würde ich an meinen Bruder geschrieben und ihn um seine Herüberkunft gebeten haben. Er mag sein Ansehen bei dem Fürsten und Prinzen später geltend machen; denn mittheilen werde und muß ich ihm das Geschehene, das bin ich der Ehre meiner Familie schuldig. Ich will selbst dem Fürsten meine Beschwerde vortragen; dies ist der einzige Weg, damit die Angelegenheit nicht mit dem üblichen Stillschweigen übergangen wird. Denn es muß[S. 147] mit Bestimmtheit erwartet werden, daß man dem Fürsten die Sache verheimlicht. Man fürchtet den Prinzen, der alle Tage zur Regentschaft gelangen kann; ich weiß es nur zu wohl, und der beste Beweis dafür ist der Umstand, daß sich Niemand veranlaßt fühlte, das Mädchen aus dem Schauspiel zu entfernen, um mir vor den Versammelten eine öffentliche Genugthuung zu verschaffen.

»Du siehst, wie es hier mit meinen Freunden steht. Jeder ist nur auf seinen Vortheil bedacht, und selbst Mühlfels, an dessen treue Ergebenheit ich glaubte, hat sich feig zurückgezogen. Ihm ist das Mädchen bestimmt bekannt, er konnte also auch wissen, welchen Eindruck ihre Anwesenheit auf mich hervorrufen mußte. O, über diese Selbstsüchtlinge, die nur ihr Ich anbeten und dabei die edelsten Gefühle heucheln und uns dadurch an ihr besseres Wesen zu glauben verleiten! O, es ekelt mir vor dieser feilen, sittenlosen Welt, und der Ewige möge mich bald durch die Gnade beglücken, ihr für immer entfliehen zu können! O bringe mir sein Bild, das ich mich an den edeln, geliebten Zügen wieder aufrichten kann und den Glauben an das Gute in den Menschen nicht verliere!«

»Ich kann Deinen Entschluß, dem Fürsten persönlich Deine Beschwerde vorzutragen, nur billigen. Jede Mittelsperson würde in diesem Fall wirkungslos sein; ich kenne den Fürsten. Man würde Dich zu täuschen suchen, würde sagen, Du hättest Dich in Bezug auf das Mädchen geirrt;[S. 148] sie sei nicht die Geliebte des Prinzen, sondern irgend eine andere Person gewesen, und was man sonst noch zu sagen für gut fände. Eine Täuschung ist aber in diesem Falle nicht anzunehmen, dafür bürgt uns Mühlfels’ Aussage und das auffällige Verhalten des Publikums.« —

»Ich will den nächsten Tag noch hingehen lassen; vielleicht ist man bedacht, mir in irgend einer Weise entgegen zu kommen, um mir den unangenehmen Schritt bei dem Fürsten zu ersparen.«

»Sei es so; doch gestehe ich Dir offen, ich hege wenig Hoffnung, daß Deine Erwartungen befriedigt werden.«

»Du wirst Recht haben; doch könnte ich vielleicht morgen noch nähere Umstände über des Mädchens Besuch, vielleicht durch Mühlfels, erfahren, die mir bei der Unterredung mit dem Fürsten von Wichtigkeit sein könnten.«

»Dieser Umstand ist allerdings zu erwägen, und so denke ich, Du thust nach Deinem Vornehmen.«

»O, mir bangt vor der kalten Gleichgiltigkeit und dem Cynismus des Fürsten, mit welchen er dergleichen Angelegenheiten zu behandeln pflegt, und mein Herz krampft sich bei dem Gedanken schmerzvoll zusammen, daß ich genöthigt bin, mich über die Geliebte meines Gemahls beklagen zu müssen. Wie hätte ich ahnen sollen, jemals in eine so erniedrigende Lage versetzt werden zu können!«

»In der That, eine sehr, sehr traurige Nothwendigkeit! Doch hoffen wir, daß Dir dieser Schritt erspart[S. 149] wird. Vielleicht bestätigt sich Deine Voraussetzung und man kommt Dir, wie Du es wünschest, entgegen. Sollte dies jedoch nicht der Fall und Du zu der Unterredung gezwungen sein, so erzielt sie vielleicht den Vortheil, den Fürsten zu einem entscheidenden Handeln zu veranlassen, um Dich vor ähnlichen Beleidigungen für immer sicher zu stellen.«

»Glaubst Du, meine gute Aurelie?« fragte Sidonie gedankenvoll.

»Liegt diese Vermuthung nicht nahe?« —

»Vielleicht nicht so nahe, als Du denkst. Du traust dem Fürsten mehr feines Gefühl zu, als er in der That besitzt. Ich bin überzeugt, er wird nur so viel thun, als es ihm unumgänglich nöthig scheint. Doch,« fuhr Sidonie mit leisem und bedeutungsvollem Ton fort, »doch ich will ihm sagen, daß ich es müde bin, noch länger die Beleidigte und Verspottete zu sein, daß meine Geduld ihr Ende erreicht hat, und will ihm mit einem Vorschlag entgegen kommen, der seiner Staatspolitik entspricht.«

»Das willst Du wirklich?!« fragte Aurelie besorgt und überrascht.

»Du weißt, ein solcher Entschluß lebt schon lange in mir, und ich bekenne Dir, er ist mit Bernhard’s Gegenwart immer mehr in mir gereift. Du wirst das natürlich finden. Muß mich Bernhard nicht schwach und kraftlos nennen, da mein Stolz sich unter diese erniedrigenden Verhältnisse beugt und sie geduldig erträgt?« —

»Vermagst Du sie zu ändern?« —

[S. 150]

»Ich denke und hoffe ihm zu zeigen, daß ich seiner Liebe würdig bin. Denn sage selbst, wäre es nicht undankbar von mir, seine so großen Opfer anzunehmen, ohne daran zu denken, ihm dafür nicht nur mit dem Herzen, sondern auch durch die That zu danken? Wer liebt und geliebt wird, übernimmt auch heilige Pflichten, die zu erfüllen sein Bestreben sein muß. Ich habe das Alles oft und oft bedacht, bin in mancher ruhelosen Nacht darüber mit mir zu Rathe gegangen, und immer und immer hob sich der einzige Gedanke vor allen anderen heraus, ihm für seine aufopfernde Liebe nur ein freudenloses Leben zu bereiten. Dieser Gedanke läßt mir aber keine Ruhe, und so steht der Entschluß in mir fest, die gegenwärtigen Umstände in meinem Sinne zu benutzen. Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie sehr mich die Erfüllung meines Wunsches beglücken würde; Du kennst ja meine grenzenlose Liebe für ihn, Du weißt, wie unendlich beseligt ich mich fühlen würde, sein freudloses Dasein durch sie zu verschönen und, von dem Zwang der Verhältnisse befreit, in seinem Glück das eigene zu genießen. O, welch ein süßer, wonniger Traum, zu süß, zu schön, um Wahrheit zu werden! Doch er soll mich ermuthigen zu dem Kampf, den ich aufzunehmen gedenke, und er wird es, das fühle ich!«

»Ich habe das voraus gesehen, ja ich habe, ohne es Dir zu verrathen, schon lange gewünscht, es möchte zu einem entscheidenden Schritt kommen, um Dich und ihn aus einer so unheilvollen Lage zu retten. So sei es denn! Bin ich auch zu machtlos, um Dir mit der That beistehen[S. 151] zu können, so weißt Du doch, daß Du über mein Herz gebieten kannst,« entgegnete Aurelie, die Freundin liebevoll umarmend.

Noch manches wichtige und berathende Wort tauschten die Freundinnen aus, manche süße Hoffnung wurde ausgesprochen, mancher noch süßere Traum daran geknüpft, bis endlich die späte Stunde sie zur Trennung zwang.

Die gute Marion war nicht wenig überrascht, als sie die Prinzessin entkleidet hatte und, an der Uhr vorübergehend, gewahrte, daß es fast Morgen geworden sei. Sie schüttelte bedenklich das Haupt, und es wurde ihr klar, daß irgend welche wichtige Dinge vorgegangen sein und die Prinzessin betroffen haben müßten; denn ihr waren deren Aufregung und verweinte Augen nicht entgangen. Wie herzlich that ihr die liebe Prinzessin leid; so jung und so schön und dennoch so unglücklich sein zu müssen, das schnitt ihr in die Seele. Sie wußte, daß Sidonie den Prinzen nicht gemocht und nur aus kindlichem Gehorsam geheirathet hatte, hatte ihres Lieblings Thränen und Schmerzen gesehen und mit ihr im Geheimen geweint und gelitten, und litt und weinte noch immer, ohne Hoffnung auf ein Besserwerden. Denn das war ihrem verständigen Sinn längst klar, daß sich die Prinzessin mit einem so leichtsinnigen Gemahl, wie der Prinz, und würde er auch einst Regent, niemals glücklich fühlen könnte.

»Da sprecht mir von der Weisheit und dem Glück der Großen und Gewaltigen der Welt; es ist Alles eitel[S. 152] Tand und eitler Schein. Die Weisheit und Güte bringt nicht der Stand, die muß der Mensch im Herzen tragen, und wer sie nicht hat, ist auch als Fürst darum nicht besser, wie gemeine Menschen. Die Krone thut es nicht und auch nicht der Reichthum und die Macht. Vor Gott ist nur der Gute und Gerechte etwas, da gilt das Herz und nicht der eitle Flitter. Gott bessere diese verderbte Welt, in der meine gute Prinzessin leben und von der sie so schwer leiden muß!« Also dachte sie und überlegte das Alles noch in später Nacht, als sie sich seufzend zur Ruhe begeben hatte, bis sie unter einem Gebet für ihren Liebling endlich einschlummerte.

Auch Mühlfels wurde durch den Vorfall bei der Vorstellung mehr betroffen, als man dies hätte erwarten sollen.

So heftig seine Leidenschaft für Sidonie auch war, stand ihm dennoch die Gunst des künftigen Regenten höher als ihr Dank, dessen er jedenfalls sicher war, hätte er Mariane zum Verlassen der Loge genöthigt. In der Vermuthung jedoch, das Mädchen sei mit Wissen des Prinzen erschienen, wagte er das nicht. Ihm war nur zu wohl die Macht bekannt, die Mariane auf den Prinzen ausübte; er hatte sich persönlich davon überzeugt. Der Letztere gestattete ihm nämlich bisweilen, ihn zu dem Mädchen zu begleiten und in ihrer Gesellschaft eine Stunde zuzubringen. Denn bei der von dem Prinzen für Mariane gehegten großen Vorliebe war es diesem angenehm, den Vertrauten mit den Vorzügen seines Lieblings bekannt zu machen und sich an dessen Lob des Mädchens[S. 153] zu ergötzen, das in überschwänglicher Weise auszusprechen Mühlfels natürlich nicht unterließ. Trotz aller dieser zu nehmenden Rücksichten erwog der Baron dennoch, in wie weit er den Vorfall in seinem eigenen Vortheil benutzen sollte; denn es lag die Voraussetzung nahe, Sidonie könne vielleicht auf seinen Beistand gerechnet haben, und wie wir erfahren, täuschte er sich in dieser Annahme nicht.

Er mußte sich daher bei ihr entschuldigen und ihr die Unmöglichkeit seines Handelns klar machen, um ihre Gunst nicht vielleicht ganz und gar einzubüßen. Ein solcher Verlust würde seine Absicht, sich ihr Vertrauen zu erwerben, unerreichbar gemacht haben; überdies konnte es für ihn keine geeignetere Gelegenheit geben, ihr seine Ergebenheit an den Tag zu legen. Ihr plötzliches Entfernen aus dem Schauspiel verrieth ihm die tiefe Kränkung ihrer Seele, und er konnte daher mit einiger Sicherheit annehmen, daß sie irgend einen besondern Schritt in dieser Angelegenheit thun würde. Unter solchen Umständen ist der Rath eines ergebenen Mannes von Wichtigkeit, der dem Prinzen so nahe stand, wie er.

Auch war ihm bekannt, daß die Prinzessin keinen andern Mann bei Hofe mit ihrem Vertrauen beehrte; Grund genug also für ihn, alle diese Umstände zu benutzen.

Es kam nun darauf an, eine geeignete Gelegenheit zur Ausführung seines Vorhabens ausfindig zu machen. Eine Audienz bei der Prinzessin nachzusuchen wagte er nicht. Dieser Schritt wäre zu auffällig gewesen; er mußte ihn daher vermeiden. Um so erwünschter wäre[S. 154] ihm ein durch den Zufall herbei geführter Anlaß gewesen. Sein Verlangen sollte in der That erfüllt werden.

Am nächsten Vormittage besuchte ihn Boisière, um mit ihm über die Vorstellung und die dabei vorgekommenen kleinen pikanten Ereignisse, sowol unter den Acteurs als Zuschauern, zu plaudern.

Denn es darf kaum bemerkt werden, daß eine Menge interessanter Geschichtchen, die man entweder selbst erfahren oder von Anderen vernommen hatte, von Munde zu Munde gingen, und zwar zum großen Ergötzen der Nichtbetheiligten. Wie hätte das in der damaligen Zeit auch anders sein können, die nicht nur der Klatschsucht den reichsten Stoff, sondern auch zugleich nur zu sehr geneigte Personen, diese Stoffe in der ergiebigsten Weise zu benutzen, darbot. Ein prickelnder Witz, eine ähnliche Zweideutigkeit, vor Allem jedoch eine auf Thatsachen beruhende pikante Geschichte wurden eben so sehr gesucht, als mit übergroßem Beifall aufgenommen.

Und was wußte der Chevalier nicht Alles zu erzählen, was hatte er nicht selbst gesehen, belauscht und errathen, und wie viel mehr war ihm noch zugeflüstert und mitgetheilt worden! — Da war Material, um den Hof und die Stadt einen ganzen Monat zu unterhalten. Und was würden die nächsten Tage noch Alles erzählen!

Der Chevalier befand sich so recht in seinem Element und also sehr behaglich, und Mühlfels theilte als Freund solcher Dinge dessen Stimmung. Ihm diente das Vernommene zugleich als ein Unterhaltungsmittel[S. 155] für den Prinzen, der, von der persönlichen Theilnahme an der Vorstellung abgehalten, dergleichen Geschichtchen mit Begier anhörte und sich dabei köstlich unterhielt.

Nachdem der Chevalier das Füllhorn seiner ergötzlichen Mittheilungen ausgeschüttet hatte, brach er mit dem Bemerken auf, sich von hier aus gerades Weges nach dem Palais der Prinzessin begeben zu müssen, um sich im Namen des Fürsten nach deren Befinden zu erkundigen.

»Wie geht es der Prinzessin, lieber Baron? Die gestrige unangenehme Geschichte hat sie doch nicht wirklich krank gemacht?« fragte er.

»Ich habe darüber noch nichts vernommen,« entgegnete Mühlfels zurückhaltend.

»O, o, lieber Baron, nichts vernommen! Wozu mir gegenüber dergleichen Koketterien?« fiel der Chevalier lachend ein.

»Ich versichere, es ist so!«

»Das machen Sie einen Andern glauben! Sie, der Begünstigte der Prinzessin, sollten nicht schon gestern Abend Gelegenheit gefunden haben, sie zu beruhigen?! Ah pah! Ich kenne die Frauen. Unter Umständen, wie die bekannten, suchen sie stets Trost in den Armen ihres Günstlings. Und das däucht mir auch durchaus praktisch. Unmuth und Zorn vergessen sich am leichtesten im Arm der Liebe.«

Mühlfels überwand eine augenblickliche Verlegenheit als Folge der von Boisière ausgesprochenen Voraussetzung,[S. 156] die ihm unter anderen Umständen sehr schmeichelhaft gewesen wäre, ihm jetzt jedoch die trüben Aussichten in dieser Beziehung leider nur noch fühlbarer machten. Er besaß jedoch viel zu viel Täuschungskunst, um sich zu verrathen und so der über ihn gehegten Meinung zu berauben, und darum beobachtete er ein gewisses zweideutiges Wesen, das durchaus geeignet war, des Chevaliers Voraussetzungen zu bestätigen. In den frivolen Ton desselben eingehend, bemerkte er:

»Sie werden Recht haben, lieber Chevalier; doch müssen Sie bedenken, daß Ihre Annahme nicht in allen Fällen zutrifft. Uebrigens spricht der Betheiligte von dergleichen nicht. — Sie verstehen mich.«

»Vollkommen, vollkommen, und ich versichere Sie, ich billige Ihren Tact, lieber Baron. Eine gewisse Façon muß bei Liaisons immer beobachtet werden. Es hat das sein Gutes, namentlich wenn eine hohe Person im Spiel ist,« entgegnete Boisière mit überlegenen Mienen. Bildete er sich doch ein, das Muster eines galanten Cavaliers zu sein, von welchem die jüngere Welt gern Rath annahm und sich nach ihm bildete.

»Doch unter uns, cher Baron,« fuhr er leiser und vertraulich fort, »ich denke, Sie werden etwas über der Prinzessin Befinden und Intentionen wissen, namentlich, wie sie die Geschichte aufgenommen hat. Sie dürfen meiner Discretion unbedingt vertrauen; denn Sie wissen, daß in diesem Fall von einer leidigen Neugier nicht die Rede sein kann. Der Fall ist von Bedeutung, und es[S. 157] ist mir von Wichtigkeit, in dieser Beziehung gut unterrichtet zu sein, um dem Fürsten Bestimmtes sagen zu können. Serenissimus hat die Scene im Schauspiel noch nicht erfahren und ich würde ihn damit nicht behelligen, falls die Prinzessin nicht beabsichtigen sollte, irgend etwas darin zu thun. Ist dies jedoch nicht der Fall, so darf ich ihn nicht in Unkenntniß darüber lassen; er würde das sonst sehr übel vermerken. — Sie erkennen, wie angenehm dem Fürsten unter den vorausgesetzten Umständen ein Mittel wäre, den etwaigen Ansprüchen der Prinzessin ein Paroli bieten zu können.«

Mühlfels erkannte das nur zu wohl, er erkannte aber auch die üble Situation, in die er gedrängt worden war und die ihm nur die Wahl ließ, seine Niederlage bei der Prinzessin entweder einzugestehen oder sich in der gespielten Täuschung zu behaupten. Daß er das letztere dem ersteren vorzog, verstand sich von selbst; es fragte sich nun, wie weit er gehen durfte. Aber er würde nicht ein Kind seiner Zeit, nicht der Vertraute eines ausschweifenden Prinzen, vor Allem nicht der eitle und ehrgeizige Mann gewesen sein, wäre er in diesem bedeutsamen Augenblick vor einer die Prinzessin entwürdigenden Lüge zurück geschreckt. Dazu war er viel zu leichtsinnig und von einer an Frechheit grenzenden Kühnheit erfüllt, die ihm in seiner bedenklichen Lage sehr zu Statten kam.

Mit der ihm eigenen Fertigkeit und Kaltblütigkeit hatte er das Alles schnell erwogen, hatte sich gesagt, daß dasjenige, was er zu erreichen bestrebt war, zu den Möglichkeiten[S. 158] gehörte und ihm dazu auch der Besitz des Liebesgeheimnisses Sidoniens ein wichtiges Mittel bot.

Warum sollte er daher die Täuschung nicht erhalten? Ueberdies beruhigte ihn die Ueberzeugung, daß Sidonie von Alledem niemals etwas erfahren würde; denn wer wol sollte sie damit bekannt machen? — Was zwischen ihm, dem Chevalier und dem Fürsten verhandelt wurde, blieb allen Anderen ein Geheimniß; er wußte es.

Alle diese Gedanken waren rasch durch seine Seele geflogen, ohne daß selbst der scharfblickende Chevalier eine Ahnung davon gewann und die augenblicklich von Mühlfels verrathene Bedenklichkeit lediglich für Vorsicht hielt, die unter den obwaltenden, so bedeutsamen Verhältnissen durchaus gerechtfertigt erscheinen mußte.

Fragend schaute er den Baron an, der in Bezug auf die zu gebende Antwort mit sich bereits im Klaren war und bedeutsam lächelnd entgegnete:

»Mein lieber Chevalier, Sie wissen, daß wir Sie hier am Hofe als das Vorbild eines galanten Cavaliers verehren; versetzen Sie sich in meine Lage und rathen Sie mir, was ich Ihnen antworten soll. Sie haben vorhin bemerkt, jede Liaison verlange eine gewisse Façon; diese Meinung ist mir zu bedeutsam, um sie nicht in diesem Fall zu beobachten. Ich will meinem verehrten Vorbilde ein wenig Ehre machen. Und so stelle ich es Ihrer Klugheit anheim, dem Fürsten nach Belieben zu berichten; denn was Sie ihm zu sagen für gut befinden, wird meinen ganzen Beifall gewinnen. Ihnen mehr zu vertrauen, wird[S. 159] daher nicht nöthig sein, noch halte ich mich dazu berechtigt.« —

Der Baron hätte den Chevalier durch nichts leichter täuschen können, als indem er seiner Eitelkeit schmeichelte und, ohne ein wirkliches Geständniß abzulegen, sich auf Andeutungen beschränkte, die sehr geeignet waren, dasjenige zu errathen, was er verschwieg, jedoch als bedeutsam erkannt zu sehen wünschte.

»Als echter Cavalier gesprochen, cher Baron!« fiel der Chevalier geschmeichelt und vertraulich ein, indem er Mühlfels’ Hand ergriff und drückte. »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, und denke, Sie werden mit mir zufrieden sein. Ich will die Angelegenheit — Sie haben ganz Recht, sie ist äußerst difficil — in der gewünschten Weise tractiren; verlassen Sie sich ganz auf mich und seien Sie überzeugt, nicht nur in Ihrem Sinn, sondern auch in Ihrem Vortheil

»Ich habe das erwartet, mein theurer Chevalier, und bin beglückt, diese Sache in Ihren klugen Händen zu wissen,« entgegnete Mühlfels, indem er den Händedruck des Chevaliers erwiderte.

»Trotzdem muß ich noch einmal auf meine frühere Frage, ob Ihnen in Bezug auf die Intentionen der Prinzessin in der bewußten Angelegenheit nicht etwas Bestimmtes bekannt geworden ist, zurück kommen,« bemerkte der Chevalier und blickte Mühlfels fragend an. »Wissen Sie nichts?«

»Aufrichtig gesprochen, nein. Die Prinzessin war zu[S. 160] aufgeregt und unmuthig, um an dergleichen zu denken,« entgegnete Mühlfels in einer Weise, als hätte er Gelegenheit gehabt, Sidonie näher zu beobachten.

»Das ist fatal!« rief der Chevalier. »Ich weiß nicht, was ich dem Fürsten sagen soll.«

»Vielleicht ließe sich diese Angelegenheit durch mich erledigen,« bemerkte Mühlfels nachdenkend.

»Das wäre prächtig!« fiel der Chevalier erfreut ein. »Wie gedenken Sie, mein Lieber?« fragte er.

»Sie beabsichtigen, sich nach dem Befinden der Prinzessin zu erkundigen; ich war gleichfalls willens, mich aus diesem Grunde zu ihr zu begeben. Gestatten Sie mir, ihr an Ihrer Stelle den Gruß des Fürsten zu überbringen; ich habe besondere Gründe zu dieser Bitte, über welche ich mich nicht näher aussprechen möchte. Es ist aber gut, wenn die Umgebung der Prinzessin erfährt, daß ich ihr im Auftrage des Fürsten aufwarten möchte.« —

»Ich verstehe, ich verstehe!« fiel Boisière vertraulich ein und fügte dann hinzu: »Sie haben ganz Recht, lieber Baron. Man darf die Hofschranzen nicht zu sehr in die Karten blicken lassen; sie werden leicht lästig und gefährlich. — Sie wollten also?« —

»Die Prinzessin bei dieser Gelegenheit über ihre Absichten ausforschen, wie Sie es wünschen,« bemerkte Mühlfels.

»Vortrefflich, vortrefflich! Ich bin überzeugt, es wird Ihnen das ganz nach Wunsch gelingen.«

[S. 161]

»Ich denke, lieber Chevalier,« entgegnete Mühlfels selbstgefällig und sicher.

»So will ich Sie verlassen, mein theurer Freund, und in einer Stunde wieder bei Ihnen vorsprechen, um das Weitere zu erfahren,« sprach Boisière und brach auf, indem er zugleich fortfuhr:

»Ja, ja, Ihnen wird das leicht werden, was mir wahrscheinlich trotz aller Klugheit nicht gelungen wäre. Sidonie ist stolz und verschlossen; doch der Liebe öffnet sich ja leicht und gern das Herz. Au revoir, cher Baron! In einer Stunde bin ich wieder hier.«

Mit diesen Worten und dem angewöhnten Hüsteln entfernte sich der Chevalier, und Mühlfels bereitete sich zu dem Besuch der Prinzessin vor.

Er war hinsichts seines Benehmens gegen den Chevalier mit sich sehr zufrieden, von der Ueberzeugung erfüllt, den klugen Kammerherrn vollständig getäuscht zu haben. Mehr noch als dieses erfreute ihn der Umstand, die so sehr gewünschte Gelegenheit zu dem Besuch der Prinzessin durch Boisière erlangt zu haben. Da er im Namen des Fürsten erschien, mußte sie ihn vorlassen, was unter anderen Umständen wahrscheinlich nicht der Fall gewesen wäre. Während er sich ankleidete, überlegte er sein Verhalten gegen Sidonie, namentlich wie er es einrichten sollte, ihre Absichten betreffs der bekannten Angelegenheit zu erforschen. Denn er sagte sich, daß das Gelingen seines Vorhabens nicht nur die Täuschung des Fürsten befestigen, sondern ihm auch in Bezug auf die[S. 162] Prinzessin bei diesem eine vermehrte Würdigung verschaffen müßte. Also vorbereitet, begab er sich zu Sidonien. Diese befand sich zufällig allein in ihrem Boudoir, als ihr die Meldung von Mühlfels’ Erscheinen gemacht wurde. Ihre Stimmung war nichts weniger als zu einer Unterhaltung mit dem Baron geeignet, da er jedoch als ein Bote des Fürsten erschien, sie auch vermuthete, er sei als Vertrauter des Prinzen absichtlich von dem Ersteren, vielleicht auch von dem Letzteren, zu diesem Auftrag ausersehen worden, überwand sie schnell ihre Abneigung und empfing ihn mit Freundlichkeit.

Dieser Umstand erhob den Muth und die Hoffnung des Barons nicht wenig, indem er darin zugleich ein gutes Zeichen für das Gelingen seiner Absicht sah.

»Sie bringen mir einen Auftrag des Fürsten?« fragte Sidonie.

»Serenissimus wünschen zu erfahren, wie Euer Hoheit Befinden ist, da er zu seinem innigen Bedauern gestern vernommen, daß Hoheit durch Unwohlsein gezwungen worden sind, das Schauspiel vor dessen Beendigung zu verlassen,« entgegnete Mühlfels in theilnehmendem Ton.

»Ich bitte, dem Fürsten meinen ergebensten Dank für seine Freundlichkeit abzustatten und ihm zu berichten, daß ich mich wieder wohler fühle.«

»Ich bin glücklich, ihm eine so beruhigende Botschaft überbringen zu können, und Hoheit mögen mir die Versicherung gestatten, daß ich mich doppelt beglückt fühle,[S. 163] mich persönlich davon überzeugen und so meinen lebhaften Wunsch befriedigen zu können.«

»Ich danke Ihnen, lieber Baron,« sprach Sidonie wohlwollend und unbefangen, und fragte alsdann nach kurzem Zögern: »Haben Sie mir sonst noch irgend welche Mittheilung zu machen?«

»Im Auftrage des Fürsten nicht; doch stehe ich sonst zu Eurer Hoheit Befehl.«

»Der Fürst oder der Prinz hätten sich zu weiteren Aufträgen wirklich nicht bewogen gefunden?« fragte Sidonie mit Befremden.

»Ich muß das bejahen.«

»Wie, ist ihnen denn das Geschehene nicht bekannt geworden?« fuhr Sidonie mit Ueberraschung fort.

»So viel ich weiß, nein.«

»Das ist nicht denkbar! Der Fürst war ja ein Zeuge desselben, und Sie, Baron, sind mit dem Prinzen zu vertraut, um nicht zu wissen, daß ohne seine Billigung so etwas nicht geschehen konnte.«

»Ich habe Hoheit seit mehren Tagen nicht gesehen« — bemerkte Mühlfels ausweichend.

»Und auch Sie wußten von jenem Besuch nichts?« fragte Sidonie und blickte ihn forschend an.

Mühlfels zeigte die aufrichtigste Miene, mit welcher er entgegnete:

»Ich versichere Eurer Hoheit, nicht das Geringste.«

»Unglaublich!« rief Sidonie und fragte alsdann: »Sie haben mir also nichts mehr von dem Fürsten zu sagen?«

[S. 164]

»Durchaus nichts, und ich erlaube mir Eure Hoheit nochmals zu versichern, daß der Fürst bis jetzt den bewußten Vorfall nicht erfahren hat.«

»Freilich, das erklärt sein Verhalten,« bemerkte die Prinzessin und fragte: »Warum verschweigt man ihm denselben?«

Mühlfels zuckte die Achseln und schaute sie bedeutungsvoll an.

Sidonie verstand ihn und entgegnete:

»Ich verstehe Sie, Baron. Freilich, wer hätte den Muth, ihm dergleichen zu verrathen. Ob auch der ganze Hof beleidigt wurde, was hat das zu sagen? Man nimmt das schweigend in der Besorgniß hin, sich durch ein aufklärendes Wort die Gnade des künftigen Regenten zu verscherzen.«

»O, glauben Sie das nicht, Hoheit!« betheuerte Mühlfels mit Wärme. »Sie würden den Beweis dagegen erhalten haben, hätten Sie das Schauspiel nicht verlassen.«

»Wie das, Baron?« fragte Sidonie überrascht.

»Ich selbst war willens auf die Gefahr hin, mir des Prinzen Ungnade zuzuziehen, die Entfernung des Mädchens zu veranlassen,« entgegnete Mühlfels durchaus sicher.

»Sie, Baron? — — Und warum thaten Sie es nicht?«

»Weil ich durch maßgebende Personen davon abgehalten wurde; als ich trotzdem meine Absicht ausführen[S. 165] wollte, entfernten sich Hoheit. Damit hörte jedes Interesse für diese Angelegenheit für mich auf. Ueberdies war auf den Fürsten Rücksicht zu nehmen. Hoheit werden zugeben, daß jedes Aufsehen vermieden werden mußte, und dieses konnte mit Gewißheit bei dergleichen Maßnahmen erwartet werden. Das Entrée berechtigte einen Jeden zur Theilnahme an dem Schauspiel, und es war daher eine unangenehme Scene zu besorgen.«

Sidonie schwieg einige Augenblicke, alsdann fragte sie:

»Sie glauben also, daß der Prinz mit dem Besuch nicht bekannt war?«

»Ich wiederhole, daß ich mich außer Stande fühle, darauf zu antworten; ich versichere jedoch Eurer Hoheit, wie tief mein Schmerz und Unmuth war, Sie also leiden zu sehen.«

Die Prinzessin blickte nachdenkend vor sich hin, und es schien, als wäre sie durch seine Theilnahme an ihrem Kummer angenehm berührt worden.

Dies entging dem Baron nicht, und mit vermehrter Sicherheit und Wärme fuhr er fort:

»O, möchten Hoheit der Versicherung Ihres ergebensten Dieners ein wenig Glauben schenken, Sie würden ihn unendlich beglücken. O, ich habe es in jenem Augenblick erst ganz erkannt, daß es schmerzlicher ist, Diejenigen leiden zu sehen, denen unsere ganze Seele gehört, als selbst zu leiden. Klagen Hoheit mich nicht an, wenn ich das nicht früher that, was zu thun mich die Ehrfurcht und Verehrung für Sie drängte. Sah ich doch, wie Sie litten,[S. 166] schnitt es mir doch in die Seele, Sie einem solchen Wesen weichen zu sehen, Sie, die herrliche, hohe Frau, die über den heuchlerischen Larven des Hofes so hoch emporragt! O, gebieten Sie über meine schwachen Kräfte, Ihnen die gerechte Genugthuung zu verschaffen. Ich opfere Alles, Alles, meine Stellung, mein Leben, sobald Sie es fordern!«

Seine wohl berechneten Worte verfehlten ihre Wirkung auf Sidonie nicht; dieselben verriethen zu viel Aufrichtigkeit und Ergebung, um nicht glaubwürdig zu erscheinen und sie zugleich von Mühlfels’ gutem Willen zu überzeugen.

Die Arglose ahnte freilich nicht, wie viel Täuschung dabei stattfand, um ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zur Mittheilung ihrer Absichten in dieser Angelegenheit zu veranlassen.

»Ich danke Ihnen, lieber Baron, für Ihre Ergebenheit, die mir sehr wohl thut; doch fern ist es von mir, das geringste Opfer von Ihnen anzunehmen. Was ich zu thun genöthigt bin, steht bereits in mir fest, und ich bedarf Ihrer Dienste dabei nicht; darum schätze ich jedoch Ihre Bereitwilligkeit, mir zu dienen, nicht minder. Auch zweifle ich nicht an Ihrem guten Willen, mir die gestrige üble Erfahrung zu ersparen, und erkenne, daß die besonderen Umstände mancherlei Rücksichten erforderten. Sie sind also in dieser Beziehung durchaus entschuldigt. Ueberlassen Sie alles Weitere mir. Ihr heutiger Besuch hat mir jede Hoffnung genommen, es könnte irgend welches[S. 167] Entgegenkommen stattfinden. Da ich darauf nun wol nicht rechnen kann, so bin ich genöthigt, persönlich zu handeln, und das will ich. Doch genug! Ich danke Ihnen nochmals, lieber Baron.«

Sidonie hatte in der Ueberzeugung von Mühlfels’ Aufrichtigkeit freundlich und wohlwollend und zugleich aufrichtiger zu ihm gesprochen, als sie dies unter anderen Umständen gethan haben würde. Als sie endete, reichte sie ihm als Zeichen des Dankes und der Entlassung die Hand.

Der Baron ergriff dieselbe und drückte sie an seine heißen Lippen, indem er zugleich, von seinen Empfindungen überwunden, vor ihr niedersank und in leidenschaftlichem Ton entgegnete:

»O, wie unglücklich bin ich doch, meine Dienste von Eurer Hoheit zurück gewiesen zu sehen!«

Sidonie entzog ihm rasch die Hand, die er noch immer hielt, und erwiderte in nicht eben angenehmer Ueberraschung über des Barons Verhalten mild und ruhig:

»Stehen Sie auf, Baron! Dieses Zeichen Ihrer Ergebenheit ist unpassend und ich liebe es nicht. Wenn es Sie beruhigt oder befriedigt, so verspreche ich Ihnen, falls ich Ihrer Dienste bedürftig sein sollte, dieselben nicht abzulehnen.«

»Tausend Dank für dieses gütige Wort!« rief Mühlfels und ergriff Sidoniens Hand, die er küßte, ohne daß Sie es zu verhindern vermochte. Sie ließ diese selbstgenommene[S. 168] Freiheit jedoch hingehen, die ja ein Zeichen seiner warmen Empfindungen für sie war, trat von ihm zurück und grüßte ihn mit Wohlwollen.

Mühlfels entfernte sich und ließ Sidonie in einer bewegten Stimmung zurück. Sein Benehmen und seine Worte hatten sie überzeugt, daß Aureliens Voraussetzung in Bezug auf seine Liebe zu ihr begründet sei; trotzdem vermochte sie nicht, ihn durch Kälte zurückzuweisen, obwol sie dazu herausgefordert wurde. Sie glaubte jedoch ihm gegenüber ein richtiges Verhalten beobachtet und ihn zu der Einsicht, daß sie weit entfernt sei, seine Huldigung anzunehmen, geführt zu haben. Mühlfels’ Mittheilungen hatten sie nämlich hinsichts des Fürsten aufgeklärt und ihr zugleich die Ueberzeugung eingeflößt, daß sie von diesem nichts zu erwarten hätte, da man ihm den Vorfall verschweigen würde. Um so bestimmter trat daher die Nothwendigkeit an sie heran, die mit Aurelien besprochene Absicht am nächsten Tage auszuführen.

Der Baron kehrte, von der Unterredung mit der Prinzessin sehr befriedigt, nach Hause. Ihre Freundlichkeit hatte ihn entzückt, noch mehr die gütige Aufnahme seiner etwas kecken Huldigung.

Dieser Umstand verleitete ihn, trotz der Kenntniß von Sidoniens Neigung für Römer, an einen tieferen Eindruck zu glauben, den seine Persönlichkeit und Ergebenheit auf sie hervorgerufen hatten.

So groß war seine Leidenschaft, aber auch seine Eitelkeit, um dergleichen Hoffnungen Raum zu geben! —[S. 169] Ueberdies hatte er seine Absicht vollkommen erreicht, und das war in diesem Augenblick höchst wichtig für ihn.

Er fand den Chevalier bereits seiner harrend, und dieser war nicht wenig erfreut, als ihm Mühlfels Sidoniens Absicht, sich persönlich Genugthuung zu verschaffen, mittheilte.

»Benutzen Sie nun meine Nachricht nach Ihrem Ermessen, lieber Chevalier, und erinnern Sie den Fürsten zugleich, daß die Prinzessin irgend einen zufrieden stellenden Schritt erwartet; ob von ihm selbst oder dem Prinzen, weiß ich nicht. Vielleicht wäre es gut, ihr zuvor zu kommen; doch das müßten wir dem Fürsten überlassen,« schloß Mühlfels seine Mittheilung.

Der Chevalier lobte seine Klugheit, drückte ihm in den wärmsten Worten seinen Dank für die erhaltenen so wichtigen Mittheilungen aus und beeilte sich alsdann, den Fürsten mit dem Erfolg seiner Sendung bekannt zu machen. Auf seinem Gange dahin erwog er, wie nothwendig es sei, Serenissimus den bekannten Vorfall zu verrathen, da er ihm denselben nicht mehr verschweigen durfte. Es war dies seine Pflicht. Denn wie wir wissen, beehrte ihn der Fürst mit seinem besondern Vertrauen in Angelegenheiten der fürstlichen Familie und des Hofes.

»Es ist mir lieb, daß sich die Prinzessin wieder wohl fühlt,« bemerkte der Fürst, nachdem ihm Boisière hierüber berichtet. »Unsere Prinzessin,« fuhr er fort, »besitzt ein sehr erregliches Wesen und es könnte ihr nichts schaden, ein stärkendes Bad zu besuchen.«

[S. 170]

Der Chevalier hüstelte ein wenig, ohne des Fürsten Worte zu bestätigen, indem er zugleich nachdenkend auf den Boden blickte, was er zu thun pflegte, wenn er gefragt zu werden wünschte. Der Fürst bemerkte das und fragte:

»Sind Sie nicht auch meiner Meinung?«

»Gewiß, mein Fürst,« entgegnete Boisière zurückhaltend.

»Wir haben in der gestrigen Erkrankung den besten Beweis, wie leicht Hitze und Geräusch die Prinzessin in hohem Maß angreifen, und solchen Nerven thut ein Bad gut,« fuhr der Fürst fort.

»Vielleicht, daß noch andere Umstände darauf einwirkten« — bemerkte Boisière hüstelnd.

»Glauben Sie?«

»Die Vermuthung dazu liegt nahe.« —

»Wirklich? Und was vermuthen Sie?«

»Ich halte mich verpflichtet, meinen gnädigsten Fürsten auf einen Vorfall aufmerksam zu machen, der gestern im Schauspiel stattgefunden hat und seinem Auge entgangen ist, und der, wie ich erfahren, die frühe Entfernung der Prinzessin hervorgerufen hat.« —

»In der That, Chevalier?« — fragte der Fürst überrascht.

»Ich betheure, es ist so.«

»So reden Sie! Was ist geschehen? Ich habe nicht das Mindeste bemerkt, das eine solche Wirkung auf die[S. 171] Prinzessin hätte ausüben können,« fiel der Fürst erregt ein.

»Es scheint eine kleine Unvorsichtigkeit von Seiten des Prinzen Hoheit dabei im Spiel zu sein« — entgegnete Boisière, hüstelte ein wenig und fügte alsdann mit gedämpftem Ton hinzu: »Man hat die Favorite des Prinzen in einer Loge bemerkt.« —

»Was sagen Sie!« fuhr der Fürst auf.

Boisière nickte mit dem Haupt und bemerkte, die Hand auf die Brust legend, mit einer Verneigung:

»Es ist so, mein Fürst.«

»Welche Unvorsichtigkeit!« rief dieser und fragte dann: »Konnte man die Person nicht zur rechten Zeit entfernen?«

»Man erkannte sie zu spät und dann —«

»Ich merke, dann that man es nicht, weil man den Prinzen fürchtet!« fiel der Fürst ein.

»Das Mädchen war anständig gekleidet, hatte ihr Billet gelöst und benahm sich gut,« — erwiderte der Chevalier.

»Wer aber hat die Prinzessin damit bekannt gemacht?«

»Ich vermag das nicht zu sagen, doch weiß ich, daß die etwas auffällige Theilnahme des Publikums für ihre Hoheit und die Favorite die Prinzessin veranlaßte, sich darnach zu erkundigen, worauf sie in großer Indignation die Loge verließ.«

»Das ist in der That ein ganz fataler Fall; denn[S. 172] bei der großen Reizbarkeit der Prinzessin kann man mit Bestimmtheit erwarten, daß sie die Sache nicht ruhig hinnehmen wird.«

»So ist es, mein Fürst. Wie ich erfahren, gedenken sich Hoheit Genugthuung zu verschaffen.«

»Wirklich, wirklich? — Freilich, es ist ihr das nicht zu verdenken. Nun, da habe ich wieder eine üble Scene zu erwarten,« bemerkte der Fürst unmuthig und fügte alsdann hinzu: »Der Prinz treibt es in der That zu weit und meine Nachsicht hat ihn bereits zu sehr verwöhnt. Ich übersehe Vieles; aber Alles muß seine Grenzen haben. Ein solcher Besuch beleidigt nicht nur die Prinzessin, sondern den ganzen Hof. Das muß anders werden!«

Erregt schritt er durch das Gemach und fragte nach einer kleinen Pause des Nachsinnens:

»Hat Ihnen die Prinzessin selbst ihren Vorsatz mitgetheilt?« —

»Nein, mein Fürst, und ich bitte mir zu vergeben, wenn ich in der guten Absicht, die Intentionen Ihrer Hoheit in dieser so wichtigen Angelegenheit genau kennen zu lernen und meinem gnädigsten Herrn darüber erschöpfenden Bericht abstatten zu können, mir erlaubte, den Baron Mühlfels statt meiner den Auftrag an die Prinzessin ausrichten zu lassen. Mit dem Vorfall im Schauspiel bekannt und in der nahe liegenden Voraussetzung, sie könnte irgend einen Schritt beabsichtigen, erachtete ich es für zweckmäßig, sie ausforschen zu lassen, da es die Wichtigkeit des Falles und meine Pflicht gebot, meinen gnädigsten[S. 173] Herrn über Alles aufzuklären, damit Sie nicht durch der Prinzessin Verhalten überrascht würden.« —

»Sie thaten durchaus sehr recht daran, lieber Chevalier. Doch nun weiter!« fiel der Fürst ein, der Boisière’s Worten mit vermehrtem Interesse gefolgt war.

»Ich that dies, mein gnädigster Fürst, in der nahe liegenden Voraussetzung, daß Dasjenige, was mir nicht gelungen wäre, jedenfalls dem Günstling der Prinzessin gelingen müßte.« —

»Sehr richtig calculirt, sehr richtig!« schaltete der Fürst ein und fragte alsdann: »Hat sich die Prinzessin über ihre Absicht näher ausgesprochen?«

»Nein, mein Fürst; wenigstens versicherte der Baron, Näheres darüber nicht zu wissen.«

»Das ist schlimm; doch es bleibt mir unter diesen Umständen nichts übrig, als ruhig abzuwarten, was sie thun wird,« bemerkte der Fürst und fuhr nach kurzem Nachdenken fort: »Es wäre mir sehr lieb, ihr in irgend einer Weise zuvor zu kommen, um ihrer Klage die Spitze abzubrechen. Jedenfalls würde das am besten durch den Prinzen geschehen; doch der wird sich, wie ich weiß, dazu nicht verstehen. — Haben Sie etwa einen passenden Vorschlag, Chevalier?«

Dieser hüstelte und bemerkte mit einem vielsagenden Blick auf den Fürsten in leisem Ton:

»Sollte der Günstling Ihrer Hoheit nicht vielleicht als ein Mittel dienen, der Prinzessin Klage au niveau zu stellen?«

[S. 174]

»Sie meinen den Baron?« fiel der Fürst voll Interesse ein.

Der Chevalier nickte mit dem Haupt und fuhr in gedämpftem und vertraulichem Ton fort:

»Die Verhältnisse des Prinzen und der Prinzessin stehen sich ziemlich gleich, und es findet nur eine Verschiedenheit der Personen statt; sie halten sich dadurch gewissermaßen im Schach; sollte mein gnädigster Fürst vielleicht hierauf sein Augenmerk bei Behandlung dieser Angelegenheit richten wollen?«

»Das ist ein guter Gedanke, Chevalier, und ich will mir denselben überlegen,« fiel der Fürst nachdenklich ein. »Hm, Sie haben Recht, vorausgesetzt, daß Ihre Meinung über Mühlfels begründet ist. Wie, Boisière?«

»Sie ist es, mein Fürst,« entgegnete der Letztere mit Bestimmtheit. »Die Andeutungen des Barons — der sich übrigens in dieser Beziehung sehr cavalierement benimmt — lassen mich mit Bestimmtheit auf seine Intimität zu der Prinzessin schließen.«

»Das wäre in doppelter Hinsicht erwünscht!« bemerkte der Fürst. »Man könnte also diese Sache nach Belieben und mit Sicherheit behandeln?«

»Unbedingt, mein Fürst. Des Barons Verhalten in dieser Angelegenheit berechtigt durchaus dazu.« —

»Gut denn! Ich will mir das zu Nutzen machen, falls die Prinzessin unter solchen Umständen wirklich kühn genug sein sollte, mir gegenüber die Tugendhafte und Gekränkte zu spielen. Wir wollen das jedoch abwarten[S. 175] und darum auch nicht das Mindeste thun. Doch muß ich wissen, ob der Besuch des Mädchens im Schauspiel mit Zustimmung des Prinzen erfolgt ist. Begeben Sie sich also zu diesem, erkundigen Sie sich nach seinem Befinden und lassen Sie sich in meinem Auftrage Aufklärungen darüber geben, damit ich vollkommen informirt bin. Ich bin Willens, diesem ewigen Streit ein- für allemal ein Ende zu machen; ihn länger zu dulden, wäre eine Schwäche, ganz abgesehen, daß die wichtigeren Zwecke dabei nicht erreicht werden können. Gehen Sie nun zu dem Prinzen, lieber Chevalier, und nehmen Sie zugleich meinen Dank für Ihre so klugen Maßnahmen und Vorschläge. Ich denke, wir werden damit etwas Erkleckliches ausrichten.« —

Mit diesen Worten entließ der Fürst den Kammerherrn, und dieser begab sich sofort zu dem Prinzen, über das gnädige Wohlwollen Serenissimi hoch erfreut.

Siebentes Kapitel.

Während sich an dem fürstlichen Hofe ein bedeutsames Drama vorbereitete, dessen Entwicklung nicht bestimmt werden konnte, sah Graf Römer die Tage unter einer eintönigen, jedoch vermehrten Thätigkeit schwinden.

[S. 176]

Die Regelung der äußeren Verhältnisse war ihm durch den Tod seines Vaters zugefallen und er unterzog sich derselben mit der an ihm gewöhnten Umsicht und Genauigkeit. Hatte er auch anfangs erwartet, daß diese Angelegenheiten eine rasche Erledigung finden müßten, so war dies dennoch nicht der Fall, und er sah sich zu einem verlängerten Aufenthalt in der Heimath genöthigt.

Ein anderer Umstand übte hierauf noch einen weiteren Einfluß aus.

Wie wir erfahren haben, hegte seine Mutter, die auf der Besitzung lebte, den Wunsch, Römer möchte sich endlich vermählen, und sie dadurch Gelegenheit finden, in seiner Familie ihre Tage zu beschließen. Einige Wochen nach ihres Gemahls Tode hatte sie ihm ihren Wunsch und ihre Hoffnung angedeutet, jedoch zu ihrem Schmerz erkannt, daß sie dem Grafen damit nicht gelegen zu kommen schien. Er war darauf nicht eingegangen und hatte wie gewöhnlich eine Vermählung bestimmt abgelehnt. Dieser Umstand veranlaßte sie, darauf nicht wieder zurück zu kommen und es ihm zu überlassen, ihr seine Entschlüsse freiwillig mitzutheilen. So gütig dies auch war, litt Römer dennoch unter diesen Verhältnissen. Zu wohl erkannte er den Wunsch seiner Mutter, und nicht minder tief fühlte er die Pflicht, ihr denselben zu erfüllen; dennoch vermochte er das nicht. Zu tief war seine Liebe für die Prinzessin, um sie auf ein anderes weibliches Wesen übertragen zu können, ganz abgesehen, daß ein solcher Schritt die ohnehin Unglückliche[S. 177] nur noch tiefer verletzen und dem Untergange zuführen würde.

Von einer Vermählung durfte also nicht die Rede sein; doch eine Frage war es, ob er die Pflicht für die geliebte Mutter nicht über diejenige für die Prinzessin zu stellen hätte, und sein edles Herz bejahte dieselbe nach kurzem Kampf. Und so war er entschlossen, fortan auf seiner Besitzung zu leben und seiner Mutter die letzten Lebenstage durch seine Anwesenheit zu verschönen.

Ging ihm dabei auch die Hoffnung verloren, Sidonie wieder zu sehen und ihr Schicksal durch seinen längeren Besuch zu erleichtern, so ergab er sich dennoch der ihm heiligen Pflichterfüllung, wenngleich mit dem schmerzlichen Bedauern, nicht anders handeln und beide Interessen vereinen zu können.

Dieses Bedauern war um so lebhafter, da ihn sein Herz zu der so heiß Geliebten zog, die ihn, wie er wußte, mit Sehnsucht erwartete und aus seiner Nähe Trost und Muth schöpfte. Wenngleich Aureliens Briefe diesen Umstand nicht berührten, so bedurfte es dessen auch für ihn nicht, um Sidoniens Lage lebhaft mit zu fühlen und sein Verlangen nach ihrem baldigen Wiedersehen zu steigern. Doch verschloß er alle diese Empfindungen tief in seiner Seele und verrieth dieselben weder seiner Mutter, noch seiner Umgebung. Er kam Allen mit Milde und Güte entgegen und war stets bemüht, sie dadurch zu täuschen und den Glauben in ihnen zu befestigen, daß er sich in ihrer Mitte behaglich und befriedigt fühlte.

[S. 178]

In der That, er täuschte Viele, jedoch nicht Alle. Wer vermöchte auch das Mutterauge in Beurtheilung ihres Kindes zu täuschen! Und so war es auch hier.

Die Gräfin hatte längst erkannt, daß die Liebe ihres Sohnes zu ihr durch eine geheime Sehnsucht getheilt wurde und seine scheinbare Zufriedenheit lediglich die Folge seines edeln Herzens war. Ebenso wußte sie, daß nicht der Ehrgeiz oder die Neigung für ein geräuschvolles Hofleben diese Sehnsucht erzeugten; ihr Sohn huldigte beiden nicht und fühlte sich in dem abgezogenen Leben wohl, das ihm Muße bot, seinen wissenschaftlichen Beschäftigungen nachzugehen. Es konnte also nur die Liebe die Ursache seiner Sehnsucht sein, und sie hielt diese Annahme um so begründeter, da ihr seine große Vorliebe für Sidonie schon seit Jahren bekannt war und überdies sein ganzes Verhalten darauf hindeutete. Hatte er ihr doch schon vor der Prinzessin Vermählung seine Zuneigung für diese verrathen, welche überdies die uns bereits bekannten Umstände und seine späteren Besuche des Hofes durchaus bestätigten. Ihn durch ihre Wünsche und Vorstellungen von dieser unglücklichen Leidenschaft abzuziehen, fruchtete, wie sie leider wiederholt erfahren, nichts, und so sah sie sich genöthigt, seinem Belieben alles Weitere anheim zu geben.

Wie manche im Geheimen geweinte Thräne zeugte von dem tiefen Schmerz, den sie über des so heiß geliebten Sohnes unglückliches Geschick empfand, eines Sohnes, der ihr ganzer Stolz und der Quell innigster Freuden war. Uebertraf er doch ihre anderen Kinder an Stattlichkeit[S. 179] der Gestalt, an Adel des Herzens und Fülle des Geistes, und war so reich mit Allem ausgestattet, um zu beglücken, wie seine Vorzüge ihn selbst zum schönsten Glück des Lebens berechtigten.

Sie kannte und liebte Sidonie, sie wußte, wie sehr dieselbe unter den Verhältnissen litt, und um so schmerzvoller war daher ihr Bedauern, zwei Herzen durch das Schicksal getrennt zu sehen, die für einander geschaffen zu sein schienen und deren Neigung, statt die Quelle des Glücks zu werden, ihnen die schmerzvollen Kämpfe der Entsagung auferlegte. Ihr Kummer darüber wurde überdies noch durch die Besorgniß vermehrt, es könnte diese Liebe ihrem Sohn Unheil bringen. Zwar von der Ueberzeugung erfüllt, daß der Graf wie die Prinzessin viel zu sittlich-edel waren, um sich irgend einer Schwäche hinzugeben, quälte sie dennoch die Furcht, die leider nur zu bekannten Hofintriguen könnten vielleicht früher oder später sich dieses Geheimnisses bemächtigen und in ihrem Sinn zum Schaden der Betheiligten ausbeuten. Diese Sorge lag, wie wir bereits erfahren haben, näher, als die Gräfin ahnte, und jene war es auch, die sie seine Rückkehr in die Heimath mit Freuden begrüßen und wünschen ließ, er möchte die Besuche an dem Hof für immer aufgeben. Darauf zielte auch die Andeutung einer Vermählung hin, und darum war sie unablässig bedacht, ihn an die Heimath trotz der Ablehnung ihres Wunsches zu fesseln. Das sorgende Mutterherz wollte den geliebten Sohn für immer gesichert wissen, und wenn sie auch erkannte, daß er unter[S. 180] dem Fernhalten von der Prinzessin litt, so erschien ihr dieses doch viel zu vortheilhaft für sein Interesse, um es nicht geduldig hinzunehmen.

Römer erachtete es für eine Pflicht gegen Sidonie und sich selbst, Aurelien seinen Entschluß, in der Heimath zu bleiben, und die Gründe dazu ausführlich mitzutheilen und sie zu bitten, die Prinzessin damit bekannt zu machen. Er schloß dabei die Hoffnung nicht aus, daß es ihm trotzdem später wol gestattet sein würde, wenngleich stets nur für kurze Zeit, die Residenz ab und zu zu besuchen, und verhehlte ihr den Schmerz nicht, den dieser Entschluß in ihm hervorrief. Er deutete jedoch auch auf die seiner Mutter schuldende Rücksicht hin und knüpfte daran die Ueberzeugung, daß Sidonie in seinem Fernhalten nicht einen Mangel an Liebe erblicken würde.

Aurelie hatte der Prinzessin seinen Entschluß in der guten Absicht vorläufig noch verschwiegen, sie nur allmälig darauf vorzubereiten, und so hoffte Sidonie von einem Tage zum andern auf Römer’s Rückkehr.

Wie schmerzlich sie seine Nähe in einem Augenblick vermißte, in welchem sie so tief litt, haben wir bereits erfahren, doch bemühte sie sich, ihre Empfindungen zu beherrschen, um den beabsichtigten Schritt mit der erforderlichen Ruhe thun zu können. Ihre Hoffnung, der Fürst oder der Prinz würde ihr durch ein Entgegenkommen den letzteren ersparen, erfüllte sich nicht, und so war sie genöthigt, den Fürsten um eine Audienz bitten zu lassen.

Obwol sie sich darauf vorbereitet hatte, bestieg sie[S. 181] dennoch mit Beklommenheit den auf sie harrenden Wagen, der sie nach dem Palais bringen sollte.

Der Fürst kam ihr mit Freundlichkeit entgegen, führte sie nach einem Fauteuil und fragte alsdann, nachdem auch er sich ihr gegenüber niedergelassen hatte:

»Nun, liebste Prinzessin, was verschafft mir die seltene Ehre Ihres Besuchs?«

»Sollte Ihnen die Veranlassung dazu nicht bereits bekannt sein, mein Fürst?« entgegnete Sidonie mit etwas bewegter Stimme.

»In der That, Prinzessin, ich errathe nicht,« bemerkte der Fürst ziemlich unbefangen und blickte sie fragend an.

»Es betrifft die Anwesenheit einer Person bei dem neulichen Carroussel-Reiten, durch welche nicht nur ich, sondern auch der Hof beleidigt worden ist. Ich bin überzeugt, daß Ihnen dieser Vorfall nicht verborgen geblieben ist,« sprach Sidonie mit vermehrter Bewegung.

»Ah so! Jetzt erst verstehe ich Sie,« fiel der Fürst ziemlich gleichmüthig ein und fügte hinzu: »Man hat mir davon erzählt; denn ich selbst habe nichts bemerkt. Ich will nicht fürchten, daß Sie sich dadurch irgendwie haben alteriren lassen.« —

»Wie, mein Fürst?!« fragte Sidonie und schaute ihn mit Befremden an.

»Sie müssen dieser Sache keine Bedeutung beilegen, da sie in der That durchaus unbedeutend ist. Sie stehen zu hoch, um ein solches Mädchen einer Beachtung zu würdigen. So etwas übersieht man gewöhnlich. Wie[S. 182] mir der Prinz gesagt, ist der Besuch ohne seinen Willen und sein Wissen gemacht worden,« bemerkte der Fürst leichthin.

Ueber das Vernommene nicht wenig erstaunt, blickte ihn die Prinzessin einen Augenblick an, alsdann entgegnete sie mit sichtlicher Erregung.

»Es steht mir nicht zu, zu ergründen, in wie weit Sie, mein Fürst, und Ihre Gemahlin davon berührt worden sind, das muß ich Ihrem Belieben anheim geben; ich bin gekommen, um Ihnen zu erkennen zu geben, daß ich mich in meiner Ehre durch diesen Besuch der — Geliebten meines Gemahls tief gekränkt fühle und es mir und meiner Familie schuldig zu sein glaube, mir dafür eine entsprechende Genugthuung von Ihnen zu erbitten.«

»Ja, ich kann die Sache doch nicht mehr ungeschehen machen, meine liebste Prinzessin, und welche Genugthuung läßt sich in einem solchen Fall geben? — Darum lassen Sie diese Angelegenheit fallen und erwägen Sie, daß wir ja gern geneigt sind, auch Ihren Passionen alle Rücksicht zu schenken,« entgegnete der Fürst und schaute sie mit einem zweideutigen Lächeln an.

»Meinen Passionen? Wie soll ich das verstehen, mein Fürst?« fragte Sidonie mit Ueberraschung.

»Ich denke, wir sprechen nicht darüber; denn dergleichen Erörterungen dürften Ihnen nicht eben angenehm sein,« — bemerkte der Fürst leichthin.

»Doch, doch, mein Fürst, und ich bitte darum!« fiel Sidonie in bestimmtem Ton ein.

[S. 183]

»Und ich will Ihnen dagegen mit der Frage entgegen kommen, ob die Ernennung des Baron Mühlfels zu Ihrem Kammerherrn Ihnen erwünscht wäre?« entgegnete der Fürst und forschte in ihren Mienen, um, wie es schien, die Wirkung seiner Worte zu beobachten.

»Keineswegs, mein Fürst, ja ich habe sogar triftige Gründe, mir dieses Belieben zu verbitten,« wandte Sidonie ein, durch das Vernommene überrascht.

»Keine Koketterie, liebste Prinzessin! Wir sind unter uns und dürfen uns also nicht geniren. Ich weiß, daß Sie den Baron durch Ihre Gunst beehren,« fiel der Fürst ein.

»Ihre Behauptung setzt mich in Erstaunen! Wer durfte Sie also täuschen?!« fragte die Prinzessin voll Entrüstung.

»Lassen Sie das Spiel, Liebste! Ich versichere Sie, ich weiß um Ihre Liaison mit dem Baron und gestehe Ihnen zugleich zu Ihrer Beruhigung, ich billige dieselbe nicht nur, sondern sehe sie auch aus manchen Gründen gern. Sie werden mich verstehen.«

»Nein, mein Fürst, ich verstehe Sie nicht; aber ich erkenne, daß Sie wie ich das Opfer einer schändlichen Intrigue sind!« rief die Prinzessin, vor Unwillen hoch erröthend und in der ganzen Würde ihrer Unschuld.

Ihr Verhalten verfehlte seine Wirkung auf den Fürsten nicht; er wurde unsicher und blickte sie verlegen an, indem er entgegnete:

»Wie, man sollte es gewagt haben, Sie ohne jeglichen Grund in solcher Weise zu compromittiren?!«

[S. 184]

»Sie fragen das noch, mein Fürst? Giebt Ihnen mein Leben hierauf nicht die deutlichste Antwort?«

»Eine bloße Erfindung ist in diesem Fall fast undenkbar. Sie müssen irgend einen Anlaß dazu geboten haben.«

»Ich schwöre Ihnen, mein Fürst, daß dies nicht der Fall ist! Wer beleidigte Sie und mich durch eine so freche Lüge?«

»Der Baron selbst hat sich Ihrer Gunst gerühmt!«

»Allmächtiger Gott!« rief Sidonie in tiefer Bewegung, während Thränen ihren Augen entquollen.

Der Fürst mißdeutete sich ihr Verhalten, indem er darin einen Beweis ihrer Schuld zu finden meinte, so wie er den sich darin aussprechenden Unmuth auch als ein Zeichen der tiefen Verletzung betrachtete, welche der Verrath ihres Günstlings ihr bereitet hatte. Diese Entdeckung kam ihm sehr gelegen und er beeilte sich, sie mit den Worten zu beruhigen:

»Rechnen Sie ihm das nicht zu hoch an, denn ich kann Ihnen zu seiner Entschuldigung sagen, daß er sich nur einem meiner zuverlässigen Leute anvertraute.«

»Wie tief muß ich in Ihrer Achtung stehen, daß Sie seinen Worten Glauben schenken konnten!« rief Sidonie, die sich wieder gesammelt hatte, und fügte hinzu: »Kennen Sie nicht mein Leben? Liegt es nicht offen vor Ihnen? Oder hat Ihnen mein Benehmen jemals Anlaß gegeben, so übel von mir zu denken?!«

»Ihre Trennung von dem Prinzen, — die Verhältnisse« — wandte der Fürst entschuldigend ein.

[S. 185]

»Also das ist es! Weil Ihr Neffe durch seine Ausschweifungen mir das Leben vergiftete, weil sein Beispiel am Hofe als Vorbild dient, weil die Tugend und Reinheit der Gesinnungen hier nur noch ein Schall sind, darum beliebt es Ihnen, mein Fürst, mich dem großen Haufen zuzuzählen und mir Vergehen anzudichten, die, so fern sie auch meinem Charakter liegen, von Ihnen dennoch als selbstverständlich betrachtet werden?! Wie bedaure ich Sie, daß Sie so allen Glauben an Menschenwerth verloren haben! Doch die Pflicht gegen mich selbst gebietet mir, Ihnen mitzutheilen, daß es der Baron gewagt, sich um meine Gunst zu bewerben, und ich mich in Folge dessen veranlaßt sah, ihn fern von mir zu halten. Ich würde mich dieserhalb bereits bei Ihnen beklagt haben, wenn er seine Neigung nicht unter dem Deckmantel der Ergebenheit verborgen hätte. Jetzt aber, nachdem er es trotz alledem wagte, Sie in solcher groben Weise zu täuschen und mich dadurch nicht minder zu beschimpfen, jetzt, mein Fürst, erwarte ich, daß er der gerechten Strafe nicht entgehen wird. Sie sind es sich selbst, Sie sind es mir, der Gemahlin Ihres Neffen, schuldig!«

Mit edler Würde und gesteigerter Wärme hatte Sidonie diese Worte gesprochen, und es schien ihr gelungen zu sein, den Fürsten zu überzeugen. Wir sagen, es schien ihr das; denn in der That machte sich trotz alledem der Argwohn in ihm geltend, daß Sidonie vielleicht nur bedacht war, sich, indem sie ihren Günstling, der sie verrathen hatte, opferte, in seinen Augen über den ihr gemachten[S. 186] Vorwurf zu rechtfertigen. Denn leider hegte der Fürst mehr Vertrauen zu Boisière, als zu der Prinzessin, die er überdies mit einer vorgefaßten Meinung beurtheilte, von den eigenen Ansichten über Menschenwerth befangen.

Dennoch übte ihre Vorstellung und ihr Verhalten eine gute Wirkung auf ihn aus, indem er sich durch dieselben zur Anerkennung ihrer Unschuld wenigstens vorläufig gezwungen sah. Eine nähere Untersuchung dieser Angelegenheit sollte ihm eine feste Ueberzeugung verschaffen. In diesem Vornehmen entgegnete er in mildem Ton:

»Ihr Verlangen soll erfüllt werden; ich werde selbst mit dem Baron sprechen. Sie sehen mich tief betrübt, in solcher Weise getäuscht zu sein. Doch, Sie wissen, das ist einmal das Loos aller Fürsten, und Sie dürfen es mir nicht verargen, wenn ich den Worten erprobter Diener Glauben schenkte. Sie sollen Genugthuung erhalten.«

»Ich danke Ihnen, mein gnädiger Fürst, und hoffe mit Bestimmtheit, daß dies auch in Bezug auf den bekannten Vorfall geschehen wird,« entgegnete Sidonie.

»Das ist in der That eine sehr üble Sache, und ich weiß nicht, wie ich Ihnen darin dienen soll,« wandte der Fürst ein. »Was verlangen Sie?«

»Die Entfernung des Mädchens aus meiner Nähe,« sprach Sidonie bestimmt.

»Das wird den Prinzen aufbringen! — Wie ich höre, hängt er sehr an dem Geschöpf.«

[S. 187]

»Ich dächte, mein Fürst, meine Forderung ist im Hinblick auf den erduldeten Schimpf sehr gering?«

»Gewiß, gewiß. Nun, wir wollen sehen. Das Beste wird es jedenfalls sein.«

Es trat ein kurzes Schweigen ein, während dessen der Fürst unmuthig und bedenklich vor sich hin schaute und die Prinzessin dasjenige erwog, was sie dem Fürsten noch zu sagen beabsichtigte. Als sie sich genügend gesammelt glaubte, sprach sie:

»Mein Besuch ist hiermit noch nicht erledigt, mein Fürst, und bezweckt noch eine andere, sehr ernste Angelegenheit, die ich Ihnen vorzutragen wünsche.«

»Haben Sie etwa noch andere Unannehmlichkeiten erfahren?« fragte der Fürst.

»Ich kann dies glücklicher Weise verneinen. Ich bin genöthigt, einen Entschluß auszusprechen, der durch die unheilvollen Verhältnisse, in welchen ich mich befinde, erzeugt worden ist, und der, wie ich glaube, Ihren und des Prinzen Wünschen entgegen kommen wird.«

»Und was belieben Sie, Prinzessin?« fragte der Fürst gespannt.

»Ich bitte Sie, gnädiger Fürst, meiner unglücklichen Lage ein Ende zu machen und meine Ehe zu trennen.«

»Wie, Prinzessin?!« rief der Fürst überrascht.

»Sie werden erkennen, daß mir unter den obwaltenden Umständen keine Wahl bleibt.«

»Bedenken Sie, liebste Prinzessin, die Wichtigkeit eines solchen Schrittes!«

[S. 188]

»Ich habe ihn bedacht und bitte Sie, denselben gleichfalls in Erwägung zu ziehen.«

»Nein, nein! Nehmen Sie Ihr Wort zurück! Es kann Alles noch besser werden.«

»Wenn dies auch wirklich der Fall sein sollte, würde es dennoch meinen Entschluß nicht ändern. Des Prinzen Verhalten hat meine Geduld erschöpft,« entgegnete Sidonie voll Würde.

»Ueberlegen Sie nochmals die Angelegenheit, und ich gebe es Ihnen anheim, was Sie alsdann thun. Sie sind die Gemahlin des künftigen Regenten, Sie haben daher Rücksicht auf diesen Umstand zu nehmen,« bemerkte der Fürst.

»Ich glaube das bereits lange genug gethan zu haben, vielleicht schon zu lange für mein Interesse, ohne daß der Prinz sich veranlaßt gesehen, dies anzuerkennen. Seine Mißachtung länger zu ertragen vermag ich nicht, und so wiederhole ich meine Bitte,« entgegnete Sidonie.

»Sei es denn!« fiel der Fürst gereizt ein. »Doch lassen Sie uns nichts übereilen, denn dergleichen will reiflich erwogen sein. Bedenken Sie, welches Aufsehen ein so bedeutsamer und unerhörter Schritt erregen muß, und es thut nicht gut, den Leuten einen Einblick in das Familienleben der Fürsten zu gewähren. Vielleicht können wir dies noch vermeiden. Ich werde mit dem Prinzen sprechen und Ihnen seiner Zeit das Resultat mittheilen. Warten Sie also das Weitere ab. Wollen Sie?«

»Ich will es, mein Fürst,« entgegnete Sidonie nach[S. 189] kurzem Ueberlegen und fügte alsdann hinzu: »Zwar erkenne ich, daß die Verhältnisse allerdings Berücksichtigung verlangen; sollte diese jedoch so weit ausgedehnt werden können, ein ganzes langes unglückliches Leben zu beanspruchen? Ich glaube nicht, mein Fürst; denn auch das Herz hat seine Rechte.«

»Sie dürfen bei Beurtheilung fürstlicher Ehen nicht den gewöhnlichen bürgerlichen Maßstab anlegen, noch dergleichen Ansprüche erheben, und ich wünschte, Sie gelängen zu der Einsicht, daß bei der ersteren mehr die Interessen des Staats als das Herz maßgebend sind,« bemerkte der Fürst.

»Und warum sollten sich beide nicht vereinigen lassen? Sollte dem Fürsten, eben weil er Fürst ist, das Glück des gewöhnlichen Menschen, das Glück der Liebe, versagt sein? Ich kann mich davon nicht überzeugen, und das um so weniger, da der Stand unmöglich die Ansprüche unseres Herzens ändert. Und wenn dem so wäre, so müßte ich die Fürsten beklagen, da sie zu entbehren gezwungen sind, was der einfachste Mensch für den höchsten Schatz des Lebens anerkennt.«

»Diese Ansichten begründen eben ihren beklagenswerthen Irrthum, in welchem Sie sich befinden und durch welchen Sie sich von dem Hofleben geschieden haben. Sie wollen die Macht des Zeitgeistes nicht anerkennen, stellen sich über denselben und stoßen dadurch überall an, wie Sie das bereits erfahren haben müssen. Der Welt zu verrathen, daß man sich besser dünkt als sie, daß man[S. 190] ihre Sitten und Gebräuche verachtet, ist unklug und ein großer Fehler, namentlich bei einer Frau, die nicht die Gewalt und den Geist besitzt, die Welt nach ihrem Sinn zu leiten. Fügten Sie sich in den Zeitgeist, so würden Sie behaglicher leben und Ihr gegen mich ausgesprochenes Verlangen würde unterblieben sein.« —

»Ich glaube Ihnen, mein Fürst; indessen scheinen Sie zu übersehen, daß, wenn mir auch die Macht fehlt, die Welt nach meinen Ansichten zu bessern, ich dennoch die Berechtigung besitze, nach den Forderungen meiner sittlichen Natur zu leben und darnach meine Ansprüche an die Menschen zu erheben. Das Gute und Wahre gilt für alle Zeiten und darf dem herrschenden Zeitgeist nicht weichen, wenn der Mensch sich nicht selbst aufgeben will. Warum wollen Sie mir also mein Streben zum Vorwurf machen, da es gute Zwecke in sich trägt? Daß man über mich spöttelt, weil ich jene Dinge verachte, welche die bessere Natur des Menschen verunzieren, weiß ich; ich besitze jedoch so viel Kraft der Ueberzeugung, um mich darüber hinweg zu setzen. Mit den Schlechten schlecht zu werden, zeigt von einem gehaltlosen Charakter, von dem Mangel wirklich sittlicher Grundsätze. Und sollte nicht einst die Zeit kommen, in welcher das Bessere wieder allgemeinere Geltung erhält, und sollten wir diese nicht herbei zu führen bemüht sein? Ist das Leben der Menschen nicht wandelbar wie ihre Neigungen und Wünsche?« —

»Wer möchte daran zweifeln?! Aber wenn man den[S. 191] Zeitgeist nicht zu ändern vermag, ist es klug, nicht offen gegen ihn zu verstoßen,« bemerkte der Fürst.

»Und warum sollten Diejenigen, denen die Macht dazu gegeben ist, warum sollten die Fürsten sich eine solche Aufgabe nicht stellen wollen? Warum thun sie es nicht, wenn sie die Nothwendigkeit dazu fühlen? Ihr Beispiel, ihr Verhalten, ja ihr Wunsch schon genügt, auf das Volk zu wirken. Dieses schaut stets nach oben, und wenn es schlecht wird, sind es stets die Folgen eines übeln Beispiels, das sie vor Augen haben. Man ahmt das Schlimme viel leichter nach als das Gute, aber auch dieses, wenn es sich beharrlich zeigt. Und bedingen die Höfe nicht so eigentlich den Zeitgeist? Kennen wir die Einwirkung des französischen Hofes auf die Höfe in Deutschland nicht zur Genüge, und sind seine Gebrechen nicht auf uns nur darum übergegangen, weil sie von unseren Höfen beifällig aufgenommen wurden? Man äfft nicht nur die Trachten, man äfft noch leichter leichtfertige Gebräuche nach, und die Sünde wird keine Sünde mehr, weil sie Mode geworden ist und jedes moralische Bedenken unterdrückt. Ein Verbrechen hört jedoch darum nicht auf, ein solches zu sein, weil sich ein Jeder in der Gesellschaft daran betheiligt. Sie achten und lieben die Menschen wenig, mein Fürst; würde dies nicht sein, so bin ich überzeugt, Sie würden die Ihnen zu Gebote stehende Macht auch zu deren Besserung und Veredlung benutzen.« —

[S. 192]

»Chimären, Chimären!« fiel der Fürst mit Ironie ein. »Sie kennen die Menschen nicht, und darum hegen Sie dergleichen Wünsche. Ich sage Ihnen, besäßen Sie meine Kenntniß von der Menschennatur, Sie würden Ihr Ich zum Mittelpunkt des Lebens machen, und damit Basta. Gelingt es selbst dem Schöpfer dieser Menschen nicht, sie zu Engeln zu machen, wie sollte diese Aufgabe einem Menschen zugefallen sein? Hätte die Urkraft es anders haben wollen, so würden Sie sich heute nicht über Diejenigen beklagen, welche dem lieben Gott nicht in das Handwerk pfuschen wollen. Nur die Geister regieren, und ihrer sind wenige; der Haufe besteht aus Sklaven oder Unvernünftigen, und es lohnt wahrlich nicht der Mühe, sie zur Erkenntniß ihrer Niedrigkeit zu leiten; sie würden es Ihnen nicht danken, denn sie würden sich darin unglücklich fühlen. Die Materie, der Stoff, das Sinnliche ist im Leben das Gesuchteste; in ihnen fühlt sich der Haufe wohl; Moral und Geist hinken nach, sobald die Sinne Befriedigung finden; denn die Welt vermag auch ohne Moral zu bestehen, und an diese hat der liebe Gott wahrlich nicht gedacht, als er unsern Planeten in den Weltenraum setzte. Diese Ansichten mögen Ihnen zwar sehr materiell erscheinen, sie sind darum jedoch nicht minder gerechtfertigt, und Sie würden dieselben theilen, besäßen Sie meine Erfahrungen. Ueberlegen Sie sich meine Worte, Prinzessin, vielleicht gelangen Sie alsdann zu anderen Ansichten über das Leben, über sich selbst und Ihre Verhältnisse.[S. 193] Ich sage Ihnen, das Leben ist es nicht werth, die Moral über ein behagliches Dasein zu stellen. Sein Ton verklingt rasch, oft so rasch, ehe man sich darin kaum zurecht gefunden hat, und auch den bedeutendsten Menschen gelingt es kaum, daß dieser Ton noch ein wenig nach ihrem Sterben nachklingt, und geschieht es, so wird sein Widerhall dennoch rasch von dem Getöse des fortrauschenden Lebens aufgesogen. Doch genug dieser Dinge, die Ihnen vielleicht nicht zusagen. Aber sie sind gesprochen und Sie mögen daraus erkennen, daß man zu ganz anderen Ansichten gelangt, wenn man das Leben und die Menschen nicht aus der Vogelperspective betrachtet.«

Er schwieg und schaute durch das Fenster. Sidoniens Auge hing mit Ueberraschung an den erregten Zügen des Fürsten. Noch niemals hatte sich sein Cynismus in solcher Weise zu erkennen gegeben, und sie bebte davor zurück, indem derselbe ihre Seele verletzte.

Sie fühlte sich der Dialektik des Fürsten nicht gewachsen, und so wäre es klug gewesen, seine Worte schweigend hinzunehmen. Sie vermochte dies jedoch nicht; ihr Gefühl trieb sie an, die eigenen Grundsätze zu vertheidigen und dem Fürsten zu erkennen zu geben, wie weit sie entfernt war, seine trostlosen Anschauungen zu theilen, und darum entgegnete sie:

»Sie mögen in vieler Hinsicht Recht haben, mein Fürst; ich darf mir darüber kein Urtheil erlauben. Ein Jeder beurtheilt das Leben von seinem Standpunkt aus, und derjenige der Frauen ist ein anderer als der der[S. 194] Männer, und so will ich Ihnen nicht verhehlen, daß mich Ihre Worte nur noch mehr in der Erkenntniß befestigt haben, daß es in der Menschenbrust ein Gefühl giebt, das ihn über die Trostlosigkeit Ihrer Anschauungen erheben dürfte.« —

»O, ich merke, wo Sie hinaus wollen!« fiel der Fürst ein. »Sie sind eine Frau und wollen darum von Liebe und Tugend sprechen. Ist es nicht so?«

»Ja, mein Fürst,« entgegnete Sidonie ruhig. »Wer diese beiden Elemente im Menschenleben nicht kennt, mag sich leicht mit den Resultaten der Speculation des Verstandes zufrieden geben, doch nicht derjenige, der in ihnen die Schöpfer eines höheren Daseins schätzt und sich durch sie über die Materie des Lebens erhebt.«

»So machen Sie nur rasch den Dreiklang voll und fügen Sie auch den Glauben hinzu, der ja so eigentlich den Frauen angehört und von ihnen ganz besonders protegirt wird. Ich sage absichtlich: Dreiklang, denn meiner Ansicht nach ist die Liebe, wie die Tugend und der Glaube nur ein flüchtiger Ton, der sich nicht fassen läßt und lediglich in der Idee, vielleicht im Temperament, in der Constitution des Menschen beruht, ja vielleicht sogar auch in der Mode, im Zeitgeist. Denn es hat, wie Sie wissen, Tugend-, Liebes- und Glaubenszeiten gegeben, in denen man für diese eine besondere Vorliebe zeigte; ob aus Neigung, Ueberzeugung oder in Folge von Nachahmung und weil es einmal Sitte war, müßte leicht zu entscheiden sein, ganz abgesehen, daß dabei die Schauspielkunst[S. 195] gewiß ganz besonders cultivirt wurde. Sie sehen, daß die von Ihnen gepriesenen Elemente die denselben beigelegte Bedeutung nicht verdienen. Alles Ideale im Leben weicht früher oder später der Materie, und diejenigen, welche dies nicht anerkennen wollen, stempeln sich zu Narren oder Märtyrern. Chacun à son goût! Oder ist es etwa nicht so? Strebt nicht Alles der Materie zu, die sich für den Menschen im Tode gipfelt, was der unverständige Glaube nicht zu ändern vermag? Wenn ich der Bibel eine Wahrheit zugestehe, so ist es diese, daß der Mensch wieder zu Erde werden muß, aus welcher er geschaffen wurde. — Und die Liebe! — Ist sie mehr, als das Mittel sehr realistischer Zwecke? Erwägen Sie, Prinzessin. Ich stelle die Freundschaft als edler über sie, vorausgesetzt, daß die Selbstsucht keinen Theil daran hat. Die Freundschaft entspringt nicht einem Naturgesetz, die Liebe jedoch lediglich aus diesem, und die Natur ist nur belebte Materie. So wären wir mit dem von Ihnen so geschätzten Dreiklang fertig, dessen Harmonie sich vielleicht ganz gut anhört, der uns jedoch betrügt, da er nicht hält, was er verspricht.« —

»Wenn es mir auch gelänge, Ihren Ansichten beizustimmen, so machte sich dennoch die Frage in mir geltend, was aus unserm Leben würde, wenn Sie ihm die wichtigsten Stützen nehmen wollen?« fragte Sidonie und schaute den Fürsten mit Spannung an.

»Es würde nicht anders werden, als es ist, vielleicht ändert sich seine Physiognomie ein wenig; mehr[S. 196] aber auch nicht. Das Naturgesetz würde sich alle Zeit erfüllen, und das ist eben das Leben,« fiel der Fürst ein.

Sidonie schüttelte bedenklich das Haupt. Es widerstrebte ihrer sittlichen Natur, dem Fürsten auf einem Gebiet zu folgen, das ihrer innersten Ueberzeugung nach zu einer trostlosen Oede führen mußte. Auch fühlte sie sich nicht befähigt genug, die ausgesprochenen Ansichten zu widerlegen, und so schwieg sie.

Der Fürst bemerkte das und errieth ihre Gedanken; denn er wandte sich sogleich an sie mit der Bemerkung:

»Ich erkenne, daß unsere Unterredung weiter gegangen ist, als ich beabsichtigte. Dergleichen ist nicht für Frauen; ich hätte das bedenken sollen. Um der Wahrheit dreist in’s Antlitz zu schauen, gehört ein stärkerer Geist, als ihn Frauen besitzen. Sie mögen sich durch eine sichere Erkenntniß nicht ihre Illusionen rauben lassen, selbst wenn sie fühlen, daß diese eben nichts Anderes sind. Das ist einmal ihre Natur, und ich berücksichtige das. Doch würde es mich freuen, sollte unsere Unterredung in dem bekannten Interesse für Sie und mich von Vortheil sein und dies durch die Folgezeit begründet werden.« Er reichte ihr die Hand. »Halten Sie mir Ihr Versprechen und überlegen Sie sich reiflich die bewußte Angelegenheit; ich werde Ihr Interesse nach allen Richtungen wahrnehmen, hoffe dagegen auch, daß Sie meinen Wünschen entgegen kommen werden.« —

Es war Sidonien angenehm, daß der Fürst in solcher[S. 197] Weise die ihr wenig behagliche Unterredung endete, die sie weder zur Aenderung ihrer Ansichten bewegen, noch überhaupt ihren Interessen dienen konnte. Mit einem stillen Bedauern über des Fürsten leeres und kaltes Herz und die geringen wahrhaften Freuden, die er genießen durfte, erhob sie sich und bemerkte:

»Ich danke Ihnen, mein gnädiger Fürst, für die mir geschenkte Theilnahme und bin überzeugt, meine Wünsche werden erfüllt werden. Ich beuge mich gern und anerkennend vor dem forschenden Geist, fühle ich mich auch nicht befähigt, ihm zu folgen; doch wenn ich dies auch thue, halte ich dennoch an der Ueberzeugung fest, daß aller Reichthum des Geistes den Werth des Herzens nicht zu ersetzen vermag. Verzeihung, mein Fürst, wenn ich Ihnen dies nicht verhehle; aber ich würde Ihren Geist zu unterschätzen fürchten, wollte ich die Besorgniß hegen, derselbe ertrüge den Widerspruch nicht. Sie haben mir meinen Standpunkt angewiesen; ob ich denselben durch den Widerspruch überschreite, weiß ich nicht, da ich die ihm von Ihnen bestimmte Grenze nicht kenne; that ich dies jedoch, mein Fürst, so gewann ich dadurch vielleicht den Vortheil, Sie auf einen Irrthum in Ihren Voraussetzungen aufmerksam gemacht zu haben.« —

»Oder sagen Sie richtiger, sich als eine Ausnahme von der Regel zu bezeichnen,« fiel der Fürst ein und fügte in höflichem Ton hinzu: »Ich habe Sie längst als eine solche Ausnahme Ihres Geschlechts betrachtet, und der Beweis dafür ist unsere heutige Unterredung, zu welcher[S. 198] ich mich unter anderen Verhältnissen vielleicht nicht verstanden haben würde.«

»Ich danke Ihnen für dieses Compliment und hoffe, daraus die besten Hoffnungen für meine Wünsche schöpfen zu dürfen.«

Mit diesen Worten verabschiedete sich die Prinzessin.

Der Fürst schaute ihr mit einem fast ironischen Blick nach. Trotz seiner Versicherung, in ihr eine Ausnahme ihres Geschlechts zu erkennen, war er dennoch von Sidoniens Unfähigkeit, ihn vollkommen zu verstehen, überzeugt. Sie war ein Weib und darum auch in die engen Grenzen ihrer Natur gebannt, aus welcher sie nicht heraus zu treten vermochte. Darum mußten auch seine Bemühungen fruchtlos bleiben.

Diese Voraussetzung verdroß ihn in hohem Grade, mehr jedoch noch die Erkenntniß der ihm gespielten Täuschung, wodurch alle seine so sicheren Hoffnungen zerstört wurden. Denn er glaubte an Sidoniens Schuldlosigkeit nicht zweifeln zu dürfen; ihr festes Benehmen, vor Allem jedoch ihr Entschluß, sich von dem Prinzen zu trennen, dienten ihm als gewichtige Beweise dafür. Zwar hatte er, wie wir wissen, bereits selbst an eine Trennung der Ehe gedacht; des Prinzen Abneigung jedoch, sich wieder zu vermählen, so wie sein Widerwille vor einem solchen Aufsehen erregenden Schritt ließen ihn diesen Gedanken wieder aufgeben. Damit blieb aber auch sein Wunsch unerfüllt und die Erbfolge nicht gesichert, und die stattgefundene Unterredung mit Sidonien ließ ihm keine Hoffnung,[S. 199] mit seinen Arrangements irgend zu reüssiren. Unter solchen Umständen blieb ihm nur noch der letzte Versuch übrig, durch Eingehen auf der Prinzessin gerechte Forderungen wieder ein gutes Verhältniß zwischen ihr und dem Prinzen zu ermöglichen. Ihm war die gute Wirkung seiner Erinnerung der ihr obliegenden Mutterpflichten nicht entgangen, und er schloß daraus, daß Sidonie, sobald der Prinz sich ihr in der entsprechenden Weise näherte, eine Versöhnung mit ihm nicht ablehnen würde.

Von dieser Ueberzeugung erfüllt, gedachte er nach des Prinzen Genesung mit diesem die Angelegenheit eingehend zu besprechen und sein ganzes Ansehen geltend zu machen, um das gewünschte Resultat zu erreichen. Nachdem er in dieser Beziehung seinen Entschluß gefaßt hatte, war er bedacht, sich Gewißheit über die ihm gespielte Täuschung zu verschaffen, und ließ darum sogleich Boisière zu sich rufen, dem er das Erfahrene mittheilte. Dieser war nicht wenig bestürzt, so durchaus Ungeahntes vernehmen zu müssen, und entschuldigte sich mit der Versicherung, lediglich durch Mühlfels’ Mittheilungen zu der Ueberzeugung einer Liaison verleitet worden zu sein.

Der Fürst schüttelte unmuthig das Haupt; doch kannte er den Chevalier zu gut, um nicht zu wissen, daß dieser in einer so wichtigen Angelegenheit nur durch die sichersten Beweise zu dem ihm gemachten Bericht bestimmt werden konnte. So trug also lediglich Mühlfels die Schuld, und er befahl dem Chevalier, ihm denselben sogleich zuzuführen.

[S. 200]

Der Baron vernahm mit nicht geringer Bestürzung den Befehl des Fürsten und den Anlaß dazu, und wurde dadurch um so mehr betroffen, da, wie wir erfahren haben, er den Verrath seiner Täuschung einmal für unmöglich gehalten und derselbe überdies jetzt eben so plötzlich als ungeahnt über ihn gekommen war. Derselbe vernichtete zugleich alle seine so angenehmen Hoffnungen und erfüllte ihn mit der Besorgniß, nicht straflos davon zu kommen und obenein den ganzen Schimpf gekränkter Eigenliebe tragen zu müssen.

Trotz alledem verlor er die Fassung nur für wenige Augenblicke; alsdann gewann er dieselbe wieder in so weit, um sich für die Audienz bei dem Fürsten vorzubereiten. Er ließ sich nochmals die dem Chevalier von dem Fürsten gemachten anklagenden Mittheilungen wiederholen, erwog dieselben in allen Einzelnheiten und gelangte dabei zu der Ueberzeugung, sich mit einigem Geschick aus der so gefährlichen Lage ziehen zu können.

Dadurch ermuthigt, erklärte er sich bereit, dem Chevalier zu folgen.

Dieser beschwor ihn, sich und ihn selbst in einer Weise vor dem entrüsteten Fürsten zu entschuldigen, daß dessen Unmuth beschwichtigt wurde und er ihnen Gnade angedeihen ließ. Denn geschah dies nicht, so war seine so ehrenvolle Stellung gefährdet. Mühlfels, dessen Kaltblütigkeit wieder vollkommen zurückgekehrt war, beruhigte ihn mit der Versicherung, daß es ihm voraussichtlich gelingen müßte, den Fürsten von seiner Schuldlosigkeit zu[S. 201] überzeugen, und dadurch in etwas getröstet, führte ihn der Chevalier zu der Audienz.

Er wurde von dem Fürsten mit Strenge und Kälte empfangen.

»Sie haben sich erlaubt,« sprach dieser, »Boisière und durch ihn auch mich in der unverantwortlichsten Weise zu täuschen. Sie kannten die Wichtigkeit eines solchen Handelns, was haben Sie darauf zu sagen?«

Trotz dieser strengen Anrede verlor Mühlfels die Fassung nicht, sondern entgegnete ruhig:

»Ich vermag, mein gnädiger Fürst, nicht zu beurtheilen, welcher Worte sich der Chevalier bedient hat, um mein Verhältniß zu der Prinzessin Hoheit zu bezeichnen; eben so wenig weiß ich, wie er die ihm von mir anvertrauten Worte zu deuten für gut befunden. Ich habe nicht mehr gesagt, als ich zu verantworten hoffe, mein Fürst.« —

»Sie weichen einer bestimmten Antwort aus. Lassen Sie alle Umschweife und sagen Sie, ob Ihnen die Prinzessin wirkliche Gunstbezeigungen geschenkt hat,« sprach der Fürst hart und befehlend, wobei er den Baron mit scharfen Blicken fixirte. Dieser wurde dadurch ein wenig verlegen, faßte sich jedoch und entgegnete:

»Ich darf darauf unbedingt bejahend antworten.«

»Das heißt?« fiel der Fürst ein.

»Hoheit haben meine Dienste wohlwollend aufgenommen,« entgegnete Mühlfels zögernd.

»Wie soll ich das verstehen? Es ist hier nicht von[S. 202] Diensten die Rede, sondern von einer Intimität zwischen der Hoheit und Ihnen, deren Sie sich gegen den Chevalier gerühmt haben.«

»Der Chevalier irrte sich, wenn er meiner Mittheilung eine solche Deutung untergelegt hat. Ich habe ihm nur das Wohlwollen bezeichnet, womit mich die Prinzessin beglückt und meine Huldigungen anzunehmen geruhte. Denn ich läugne nicht, mein gnädiger Fürst, daß ich die Prinzessin hoch verehre und mich um Ihre Gunst beworben habe; ich würde jedoch deren Ansehen zu beflecken fürchten, wollte ich die von dem Chevalier mitgetheilten Worte zugeben. Niemals hat mich die Prinzessin durch eine Gunst erfreut, welche ihrer Stellung und der guten Sitte zuwider gewesen wäre.«

»Nun, Boisière, was sagen Sie dazu?« fragte der Fürst und schaute diesen, der bestürzt dastand, fragend an. »Sollte,« fuhr er fort, »etwa Ihr Eifer, mir zu dienen, Sie zu weit geführt haben?«

»Halten zu Gnaden, mein Fürst, die Andeutungen des Barons und selbst sein Wunsch, der Prinzessin statt meiner aufzuwarten, berechtigten mich zu dem abgestatteten Bericht, mehr noch sein Entgegenkommen, als ich ihm früher den Wunsch des gnädigsten Fürsten mittheilte,« entschuldigte sich Boisière.

»Es ist gut, Boisière,« brach der Fürst kurz ab und schritt nachdenkend durch das Gemach. Sein Scharfblick und seine Menschenkenntniß hatten ihn leicht errathen lassen, welcher der eigentliche Urheber der Täuschung[S. 203] war; überdies kannte er den Charakter des Barons genügend.

Er sah aber auch ein, daß er selbst mehr oder weniger die Veranlassung dieser Täuschung war, indem er den Wunsch betreffs einer Liaison mit der Prinzessin ausgesprochen und so des Barons Eitelkeit geweckt hatte. Dieser Umstand stimmte ihn milder gegen diesen, ohne ihn jedoch zu entschuldigen. Nach einigen Augenblicken wandte er sich an Mühlfels und bemerkte in verweisendem Ton:

»Ob Ihre Eitelkeit Sie hinsichts der Erfolge bei der Prinzessin täuschte, will ich dahin gestellt sein lassen; Sie haben jedoch leichtsinnig gehandelt und nicht bedacht, welche Folgen dergleichen zweideutige Bemerkungen, wie Sie sie gegen Boisière zu machen sich erlaubt, nach sich ziehen können. In solchen Angelegenheiten und mir gegenüber gilt nur die strengste Wahrheit. Das mußten Sie wissen. Sie sind schuld, daß ich mich compromittirt habe. Sie werden sich morgen zu der Garnison nach Bergen begeben und daselbst zum Dienst stellen. Ich hoffe, die dortige Abgeschiedenheit wird Sie zur Erkenntniß Ihres Leichtsinns gelangen lassen und Sie werden sich der Besserung befleißigen.«

»Mein gnädigster Fürst!« fiel Mühlfels, durch diesen strengen und nicht geahnten Urtheilsspruch in der tiefsten Seele getroffen, ein und blickte flehend zu dem Fürsten auf.

»Kein Wort, Baron! Ich weiß, daß ich viel zu[S. 204] milde mit Ihnen verfahre; Sie verdienen eine härtere Strafe und verdanken meine gnädige Rücksicht lediglich Ihrer Stellung zu dem Prinzen und Ihrer Familie,« entgegnete der Fürst in strengem Ton und winkte mit der Hand; Mühlfels entfernte sich schweigend, ohne daß er seine Bitte um Milderung der Strafe zu wiederholen wagte.

Der Fürst befand sich in der übelsten Stimmung. Es war ihm unangenehm, gezwungen zu sein, des Prinzen Günstling von dem Hof zu verweisen; denn er wußte, daß dieser Befehl den Letzteren verletzen würde. Vielleicht wäre er milder gegen Mühlfels gewesen, hätte er nicht die Nothwendigkeit erkannt, Sidonien dadurch die gewünschte Genugthuung zu verschaffen und so seiner Absicht, eine Versöhnung zwischen den Getrennten herbei zu führen, zu dienen.

Ueberdies war er willens, in dieser Angelegenheit mit aller Strenge zu verfahren und den Prinzen dadurch zum Eingehen auf seine Wünsche zu zwingen.

Mit welchen Gefühlen Sidonie nach ihrem Palais zurückkehrte, darf kaum näher bezeichnet werden. Die Unterredung mit dem Fürsten, in welcher sie Mühlfels’ Täuschung kennen gelernt hatte, beugte sie tief; mehr als Alles jedoch war es der schmerzliche Gedanke, der süßen Hoffnung, frei zu werden, wahrscheinlich entsagen zu müssen.

Des Fürsten Vorstellungen und Abneigung, auf eine Trennung ihrer Ehe einzugehen, hatten sie mit der Ueberzeugung[S. 205] erfüllt, daß man ihr kaum zu überwindende Schwierigkeiten entgegen stellen würde, um sie zum Aufgeben ihres Verlangens zu veranlassen. Eben so wenig durfte sie auf die Hilfe und Zustimmung ihres Bruders zu ihrem beabsichtigten Schritt rechnen, sobald sich der Fürst dazu nicht geneigt zeigte, da der Herzog sich stets des Letzteren Willen unterzuordnen für seine Pflicht erachtete.

Aurelie, die sie bei der Rückkehr von dem Fürsten erwartete, wurde durch Sidoniens so ungeahnte Mittheilungen in hohem Grade überrascht; nichts von allem Vernommenen verletzte sie jedoch so tief, als die Voraussetzung des Fürsten von Sidoniens Einverständniß mit Mühlfels, und ihr Schmerz darüber war um so tiefer, da sie nur zu gut wußte, wie sehr ihre Freundin darunter litt.

Und dennoch mußten sie dem Zufall danken, der das Gewebe einer so schimpflichen Intrigue enthüllt und die Prinzessin von der sie bedrohenden Gefahr befreit hatte. Wohin hätte es führen müssen, würde ein so übler Verdacht auf Sidonien geruht haben. —

Eine sehr bedeutungsvolle Frage war es, ob der Fürst nach mit dem Prinzen genommener Rücksprache über Sidoniens Entschluß die Zustimmung des Letzteren erhielt und dadurch etwa veranlaßt wurde, früher oder später auf ihr Verlangen einzugehen. Man war genöthigt, das Weitere abzuwarten; aber es konnte nicht fehlen, daß diese Angelegenheiten in der Folgezeit das Interesse der[S. 206] Freundinnen unablässig in Anspruch nahm, und eben so wenig, daß Sidonie unter denselben sichtlich litt und, des Trostes des Geliebten beraubt, täglich düsterer wurde und sich mehr und mehr von allen Zerstreuungen zurückzog. —

Die Urheberin dieser so bedauerlichen Ereignisse ahnte von dem durch ihren Besuch des Schauspiels angerichteten Unheil nicht das Geringste und würde darüber auch nichts erfahren haben, wäre dem Prinzen nicht durch Boisière ihr Ungehorsam und dessen Folgen verrathen worden.

Der Prinz, im höchsten Grade unangenehm überrascht, ließ den Fürsten durch dessen Abgesandten vorläufig mit seiner gänzlichen Unkenntniß dieser Angelegenheit bekannt machen und zugleich bitten, ihm, sobald er sich wohl genug fühlte, eine Unterredung zu gestatten, um sich bei ihm noch persönlich entschuldigen zu können.

Dies wurde ihm von dem Fürsten gern bewilligt, da, wie wir wissen, dieser einen ähnlichen Wunsch hegte.

Es verstand sich von selbst, daß der Prinz bei Marianens nächstem Besuch ihr seinen Unwillen über ihr leichtsinniges und ungehorsames Benehmen zu erkennen gab und sie zugleich mit den daraus entstandenen übeln Folgen bekannt machte.

»Nun, was ist dabei?« fragte sie unbefangen, nachdem der Prinz seine Vorwürfe ausgesprochen hatte, und bemerkte alsdann in schnippischem Ton: »Wäre ich eine von den vornehmen Damen, die ich im Schauspiel gesehen habe, so würde man mich gern geduldet und meinen Besuch[S. 207] nicht unstatthaft gefunden haben; jetzt aber, da ich nur ein ganz gewöhnliches Waldfräulein bin, spotten sie über mich und wollen mich unter sich nicht dulden, und doch weiß ich, daß mich eine Jede von ihnen um Deine Gunst beneidet, mein schöner Prinz. Warum machst Du mich nicht zu einer solchen vornehmen Dame, damit ich mich überall zeigen kann? Du bist doch ein Prinz und wirst bald Landesherr sein; hast Du denn nicht so viel Macht, mich zu einer Gräfin oder wenigstens Baronin zu machen?«

»Sei nicht thöricht und zufrieden mit dem, was Du hast!« fiel der Prinz unmuthig ein und fügte verweisend hinzu: »Dein Leichtsinn und Ungehorsam wird Alles verderben und bringt mich in fatale Ungelegenheiten. Noch weiß ich nicht, wie ich den Fürsten und meine Gemahlin beruhigen werde, und fürchte, Deine Keckheit wird nicht ungestraft hingenommen werden. Das Uebelste dabei ist jedoch, daß Deine Unvorsichtigkeit das Geheimniß meines Umganges mit Dir zerstört und mich dadurch des Vergnügens beraubt hat, das mir dasselbe gewährte!«

»Wäre das nicht auch ohne mein Thun früher oder später geschehen?« fragte sie, mit einem in ihrer Hand befindlichen Stöckchen tändelnd, und schaute den Prinzen treuherzig an. »Glaubst Du denn, mein schöner Prinz,« fuhr sie fort, »daß man von Deinen Besuchen bei mir nichts weiß? Da würdest Du Dich schön irren! Ich denke, die ganze Welt weiß schon darum. Du solltest also nicht böse sein und Dich vielmehr herzlich freuen, daß[S. 208] mich die Leute gesehen haben; denn nun haben sie mich doch von Angesicht schauen und sich mit ihren eigenen Augen überzeugen können, daß die Mariane wol hübsch genug ist, um Dir zu gefallen. Du hättest nur sehen sollen, mein Prinz, wie sie mich begafften, als ob ich ein Wunderthier wäre. O, wie hat mich das belustigt und wie bin ich bemüht gewesen, die vornehme Dame zu spielen und meinem Prinzen Ehre zu machen. Auch die blasse junge Dame in der großen Loge, die sie Deine Frau nannten, hat mich mit ihren sanften Augen angeschaut; ach, sie war die Schönste von Allen und hat mir am besten gefallen.«

»Schweig mir damit!« herrschte der Prinz. »Du bist eine Närrin, und ich erkenne, daß mir Dein Leichtsinn nur üble Streiche spielen wird. Meine zu große Nachsicht hat Dich verwöhnt und ich bin vor ähnlichen Thorheiten nicht sicher!«

»O glaub’ das nicht, mein Prinz! Du weißt, ich thue gern Deinen Willen. Sei nur nicht böse! Sieh, ich bin ein unerfahrenes, dummes Waldkind, dem darfst Du so etwas nicht übel nehmen. Jetzt bin ich schon klüger geworden, und ich schwöre Dir, ich werde Deine Befehle stets befolgen.«

Sie hätschelte ihn dabei und wußte ihre Rolle so gut zu spielen, daß der Prinz unter anderen Umständen sich jedenfalls hätte versöhnen lassen; dieses Mal gelang ihr das jedoch nicht. Denn durch Boisière über Sidoniens Forderungen unterrichtet, sah er irgend eine folgenreiche[S. 209] Maßnahme von Seiten des Fürsten voraus, die nicht mehr ausbleiben konnte, und das verstimmte ihn in hohem Grade und machte sein Herz ihren Schmeicheleien unzugänglich. Ueberdies erkannte er die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen, sie zur Einsicht der Bedeutsamkeit der besprochenen Verhältnisse zu leiten. Ihre Befangenheit in dergleichen Dingen war zu groß. Darum entgegnete er in strengem Ton:

»Lass’ Deine Zärtlichkeiten und erwarte mich morgen! Ich werde eine Unterredung mit dem Fürsten haben und bin auf Schlimmes gefaßt. Du sollst es erfahren und wirst dann erkennen, wie schwer sich Dein Ungehorsam bestraft!«

Mit diesen Worten verabschiedete er sie zugleich. Mariane schaute ihn überrascht und fragend an. In solcher Weise hatte der Prinz noch niemals mit ihr gesprochen, und dieser Umstand erfüllte sie mit der Vermuthung, daß ihr Besuch doch wol etwas Schlimmes angerichtet haben mußte. Sie ließ den Kopf hängen, blickte traurig vor sich hin und bemerkte schmollend:

»Prinz, Du gehst sehr hart mit mir um und hast mich gewiß nicht mehr lieb. — Vergieb mir!«

»Wir wollen sehen, was der Fürst bestimmt. Jetzt geh’ nur, denn ich möchte ruhen. Morgen erfährst Du das Weitere,« sprach der Prinz, dessen Unmuth sie nicht zu beschwichtigen vermochte.

Mariane kannte das, setzte ihr Hütchen auf, blickte[S. 210] den Prinzen noch einmal traurig an, und als er ihr nicht wie sonst die Arme öffnete, schied sie still von ihm.

Ihr war ganz wunderlich zu Muthe. Sie hatte zum ersten Mal erfahren, daß der Prinz auch rauh und lieblos sein konnte.

Sie mußte also wol einen großen Fehler mit ihrem Besuch gemacht haben. Sie vermochte denselben freilich noch immer nicht einzusehen; denn am Ende war ihrer Ansicht nach doch nur der Prinz selbst an Allem schuld. Warum machte er sie nicht zu einer vornehmen Dame? Eignete sich ihre Schönheit denn nicht dazu und hatte man sie nicht im Schauspiel für eine solche gehalten? O, sie hatte ganz Recht; wäre sie eine Gräfin oder Baronin gewesen, so würde man ihre Liebschaft mit dem Prinzen ganz natürlich gefunden haben; jetzt hielt man sie für viel zu gering dazu.

Als sie nach Hause zurückgekehrt war und Madame Voisin mit Allem bekannt gemacht und deren Bedauern vernommen hatte, begab sie sich zu ihren Vögeln und Affen, mit denen sie sich häufig und gern zu unterhalten pflegte.

Der Papagei und die Affen begrüßten sie mit freudigem Geschrei, da sie die Herrin sehr gut kannten und manch’ süßen Brocken aus ihrer Hand empfingen, wie dies auch jetzt der Fall war. Sie unterhielt sich während dessen mit ihnen.

»O, ihr wißt nicht, wie böse der Prinz mit mir war!« sprach sie mit einem ernsten Gesicht. »Er hat mich ausgescholten und hieß mich gehen. Das hättet ihr nicht[S. 211] gethan. Wärst Du, mein Joko,« — wandte sie sich an ihren Lieblingsaffen, — »der Prinz, Du würdest mich nicht fortgeschickt und so böse behandelt haben. O Joko, Joko, wie sind die Menschen doch so schlimm und gönnen Einem nicht den Bissen Freude, den man hat! Nun, wenn es damit zu Ende sein sollte, reisen wir wieder nach dem Walde, dort will ich mit euch leben herrlich und in Freuden.«

Joko ließ ein zustimmendes Schnurren vernehmen und schmeichelte sich an ihre Brust.

»Siehst Du, Joko,« fuhr sie fort, »ich bin eigentlich auch nur so eine Art hübscher Affe wie Du, an dem der Prinz Gefallen findet und mit dem er sich die Zeit vertreibt, und mache ich nun einmal einen dummen Sprung, dann wird er gleich böse und die anderen Alle auch, als ob ich Wunder was gethan hätte. Aber pass’ nur auf, Joko, ich werde den Prinzen schon wieder lustig machen, wie Du mich, und er wird mich zur Gräfin erheben, wie sie sagen, und dann können wir Sprünge und Zoten nach Belieben anstellen, dann schadet das nichts; dann ist Alles in der Ordnung, und man wird mich dann nicht verspotten, sondern bewundern und allgemein großen Respect vor mir haben. Das wirst Du Alles hören, wenn er morgen hierher kommt; denn er wird morgen zum Fürsten gehen und von dem will er zu mir kommen. Schreie nicht so, Pepi!« befahl sie dem Papagei, der, neidisch über die dem Affen geschenkte Zärtlichkeit, sich auf der Stange unruhig hin und her bewegte und ein auffallendes Gekrächze[S. 212] ausstieß. »Sei still,« fuhr sie fort, »Du kommst mir wie eine jener vornehmen Damen vor, die eben so neidisch wie Du sind. Zwar haben sie mich nicht mit dem Munde, doch desto mehr mit den scharfen Augen angekrächzt, als ob sie mich am liebsten gebissen hätten. O,« lachte sie hell auf, »sie hätten es schon gethan, wenn sie es nur durften! Aber siehst Du, Pepi, sie durften es nicht! Sie wagten es nicht, da ich der Leibaffe des Prinzen bin, was sie so gern sein möchten.« Und sie belachte ihren Witz, und während sie sich in solcher Weise unterhielt, vergaß sie bald die erfahrene Unannehmlichkeit; ihr froher und leichter Sinn half ihr über alles Grübeln und Trauern schnell fort. Warum sollte sie sich auch grämen? Wußte sie denn nicht, daß sie den Prinzen bald beruhigen und er wieder nach ihrem Willen sein würde? Er mußte dochthun, was sie wünschte, ob er sich auch noch so hart anstellte. Und mit diesen Betrachtungen hatte ihr Kummer sein Ende erreicht. —

Wir kehren nun zu Mühlfels zurück, der nach der Unterredung mit dem Fürsten in der übelsten Stimmung nach Hause zurückgekehrt war und hier überlegte, was ihm zur Abwendung der über ihn verhängten Strafe zu thun übrig blieb.

Daß seine Versetzung nach der kleinen, von allem Verkehr entfernten Garnison Aufsehen erregen und die Leute veranlassen würde, nach der Ursache der erfahrenen Ungnade zu forschen, verstand sich von selbst, und eben so selbstverständlich war es, daß man dieselbe entdeckte. Boisière[S. 213] war nicht zuverlässig, überdies hatte er ihn durch die abgegebene Erklärung bei dem Fürsten gereizt und kannte die Hofverhältnisse zu gut, um nicht überzeugt zu sein, der eitle Hofmann würde sich durch vertrauliche Mittheilungen darüber zu rächen bedacht sein.

So konnte ihn nur des Prinzen Fürsprache bei dem Fürsten retten; um sich diese jedoch zu verschaffen, mußte er diesen von der Berechtigung seines Vorhabens gegen den Fürsten überzeugen. Und sein böser Charakter ersann sich dazu ein übles Mittel. Es galt seine Rettung und er bebte vor demselben nicht zurück, unbekümmert um die sich daran knüpfenden verletzenden Folgen für die Prinzessin. Nachdem er sich in solcher Weise genügend vorbereitet hatte, begab er sich zu dem Prinzen. Dieser hatte bereits durch Boisière das Nähere über die Versetzung erfahren und empfing ihn mit einem Vorwurf über seine Unvorsichtigkeit.

»Ich hoffe, Hoheit werden diesen Vorwurf zurücknehmen, wenn ich Ihnen Alles vertraut habe,« entgegnete Mühlfels ruhig und resignirt.

»Was haben Sie mir noch zu sagen?« fragte der Prinz.

»Vielleicht etwas, was Sie nicht erwarteten, mein Prinz,« sprach Mühlfels und fügte hinzu: »Vor allen Dingen habe ich es für meine Pflicht gegen Eure Hoheit gehalten, Sie über den Fall aufzuklären und Ihnen die Kenntniß von meiner Schuldlosigkeit zu verschaffen. So empfindlich mich auch die Ungnade des Fürsten getroffen,[S. 214] würde mir doch diejenige meines theuern Prinzen noch vielfach schmerzlicher sein, da ich dieselbe überdies nicht zu verdienen glaube.«

»So reden Sie, reden Sie!« fiel der Prinz ungeduldig ein.

»Der Fürst, mein Prinz, hat mich, ohne Beweise für meine Schuld zu besitzen, lediglich nach seinem Belieben verurtheilt.«

»Boisière hat ihm doch aber mitgetheilt —« wandte der Prinz ein.

»Und der Chevalier sprach die Wahrheit —« fiel Mühlfels mit Nachdruck ein.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Sie werden mich verstehen, mein Prinz, wenn ich Ihnen bekenne, daß ich die Prinzessin nicht compromittiren wollte.« —

»Was sagen Sie?« rief der Prinz überrascht aus.

»Mißdeuten Sie meine Worte nicht, mein gnädiger Prinz. Wenn mir die Prinzessin auch ein besonderes Wohlwollen schenkte, das mich zu beglückenden Hoffnungen berechtigte, so trifft sie dennoch nur in sofern ein Vorwurf, indem sie mich dadurch zu demselben verleitete. Ob diese Hoffnungen jemals erfüllt worden wären, wage ich nicht zu bestimmen, obwol ihr Interesse für mich eine solche Annahme nicht gerade abweist.«

»Und dem ist wirklich so?« fragte der Prinz erregt und blickte Mühlfels an.

»Ich schwöre es, mein Prinz!«[S. 215] »Warum verschwiegen Sie das dem Fürsten?« —

»Weil, wie ich schon früher bemerkte, ich es für meine Pflicht erachtete, die Prinzessin nicht bloszustellen.« —

»Sie thaten nicht recht daran, und ich gestehe Ihnen, es würde mich gerade in diesem Augenblick gefreut haben, hätten Sie dem Fürsten die Schwäche der Prinzessin enthüllt, die er noch immer für tugendhaft hält. Doch, er soll das von mir erfahren; ich spreche ihn morgen und will ihm Ihr Bekenntniß mittheilen. Wagte Sidonie sich über Mariane zu beschweren, so bietet mir dies ein erwünschtes Mittel, sie in dem rechten Licht zu zeigen. Ich sage Ihnen, Ihre Mittheilung kommt mir sehr gelegen.« —

»Und wollen Hoheit so gnädig sein, mir zu verzeihen, wenn ich das Entgegenkommen der Prinzessin annahm?« fragte Mühlfels demüthig.

»Ach, lassen Sie die Bagatelle!« fiel der Prinz geringschätzig ein. »Ich würde die Prinzessin in keiner Weise in ihren Passionen belästigt haben, hätte sie mich nicht durch die Anklage beim Fürsten heraus gefordert. Ich will doch sehen, wer mehr bei dem Fürsten gilt, sie oder ich. Die Tugend an sich ist lächerlich; die geheuchelte jedoch mehr als das. Sie sollen nicht fort, Mühlfels; Sie sollen und müssen bleiben; denn ich bedarf Ihrer gerade jetzt am nöthigsten. Die Prinzessin soll sich in ihren Erwartungen arg getäuscht sehen. Wie konnte sie es wagen, unter solchen Umständen meinen[S. 216] Freund anzuklagen und mich seiner zu berauben, lediglich um sich den guten Schein zu retten. Ich merke, sie hat dabei auf Ihre Gutmüthigkeit gerechnet; es soll ihr jedoch nichts helfen. Ihre gute Absicht muß von dem Fürsten anerkannt werden; ich werde dafür sorgen. Im Uebrigen, Mühlfels, bleiben wir die alten Freunde. — Ich hoffe, auch die Angelegenheit mit Marianen wird sich nach Wunsch erledigen lassen. Ich habe keine Lust, der Prinzessin zu weichen; ich ahne, was sie verlangt; aber wahrlich, Sie soll ihren Willen nicht haben!«

In solcher Weise sprach der Prinz, und wir erkennen daraus, wie leicht seine Abneigung gegen die Prinzessin ihn verleitete, den Einflüsterungen seines Günstlings Gehör zu schenken. Ueberdies kam ihm, wie wir erfahren haben, Mühlfels’ Geständniß sehr gelegen, da er dasselbe in seinem eigenen Interesse benutzen konnte. Ob dasselbe begründet war, ob ihn der Baron absichtlich täuschte, wie es der Fall war, um der Ungnade des Fürsten zu entgehen, fiel ihm nicht ein zu untersuchen. Eben so wenig sah er sich veranlaßt, zu überlegen, daß bei dem fleckenlosen Charakter der Prinzessin die Aussage des Barons wenig Glauben verdiente. An sittliche Tugend glaubte er nicht, jedoch an die Schwäche und Sittenlosigkeit der Frauen, und dieser Glaube behielt auch in diesem Fall um so mehr die Oberhand, da er die Prinzessin schuldig wissen wollte.

Mühlfels mußte ihm den Abend über Gesellschaft leisten, und er fand dabei hinreichende Gelegenheit, die[S. 217] bekannten Angelegenheiten vielfach zu besprechen und sich durch seinen Günstling in seinen Vorsätzen noch mehr befestigen zu lassen.

Mit den besten Hoffnungen erfüllt, schied der Baron von ihm, in hohem Grade beglückt, daß sein kühnes Mittel so gute Wirkungen ausgeübt hatte. Er freute sich, auf den glücklichen Gedanken gerathen zu sein, sich als das Opfer zu bezeichnen, das er der Ehre der Prinzessin gebracht hatte. Die sowol von dem Prinzen als dem Fürsten gehegten Vorurtheile kamen ihm dabei sehr zu statten, denn sie ließen ihn hoffen, daß man seinen Worten Glauben schenken würde. Und den Prinzen zu überzeugen, war ihm bereits gelungen. Ueberdies hatte er dem Fürsten ähnliche Andeutungen gemacht und ebenso gegen Boisière nichts Bestimmtes ausgesprochen; wenn er nun die Kühnheit besaß, dem Gemahl der Prinzessin selbst deren Schwächen und seine dadurch erregten Hoffnungen zu gestehen, so lag in diesem bedeutsamen Umstande ein gewichtiger Beweis für seine Schuldlosigkeit, indem zugleich alle Schuld auf Sidonie zurück fiel. Gelang ihm das Letztere, so war er auch von der Zurücknahme des fürstlichen Befehls überzeugt.

Wie gewöhnlich vertraute er seine Besorgnisse und Hoffnungen seiner Mutter an, die nicht wenig überrascht war, den lieben Sohn in einer so übeln Lage zu wissen. Sie stimmte jedoch seinen Voraussetzungen bei und tröstete sich mit ihm in der Gewißheit von dem großen Einfluß des Prinzen auf den Fürsten.

[S. 218]

Sie sollten bald erfahren, wie sehr sie sich in dieser Beziehung täuschten.

Der Prinz begab sich an dem nächsten Tage zu dem Fürsten, um die bekannten Angelegenheiten zu besprechen, und unterließ nicht, das Interesse seines Günstlings mit aller Wärme zu vertreten.

Mit großer Aufmerksamkeit hörte ihn der Fürst an und schritt, nachdem der Prinz seine Mittheilung geendet hatte, einigemal schweigend und gedankenvoll durch das Gemach.

»Und Du glaubst den Worten des Barons?« fragte er, indem er vor dem Prinzen stehen blieb und ihn fragend anschaute.

»Ich habe keinen Grund zum Gegentheil, und kenne den Baron überdies zu genau, um an der Wahrheit seiner Mittheilung zu zweifeln.« —

»Du hegst eine natürliche Vorliebe für ihn, da er Dein besonderes Vertrauen besitzt; diese Vorliebe täuscht Dich jedoch dieses Mal und Du übersiehst, daß die Prinzessin, fühlte sie sich schuldig, anders gehandelt haben würde. Ich sage Dir, ein solch’ stolzes, freies Wesen, wie sie, zeigt keine Schuldige, und der Baron hat das Aeußerste gewagt, um sich von der Strafe zu befreien. Ich kenne die Menschen genügend, um nicht zu wissen, daß ein Mann, wie der Baron, in einem Fall, in welchem seine Ehre auf dem Spiel steht, sich nicht in solcher Weise opfert. Das ist lediglich ein Kunstgriff von ihm, der ihm jedoch nichts helfen soll. Ihn verleitete seine[S. 219] Eitelkeit zu der Täuschung; ich bin davon durchaus überzeugt. Er wollte sich mir gefällig zeigen, um Nutzen daraus zu schöpfen. Ich gebe zu, daß ihm die Prinzessin ein gewisses Wohlwollen schenkte; das ist jedoch nichts Besonderes. Sollte er darin eine Berechtigung zu so bedeutsamen Hoffnungen gefunden haben, so ist das seine Schuld, und darum muß er büßen. Ich wie Du sind es der Prinzessin schuldig, und so soll die Sache ihren Gang haben.« —

Der Prinz wurde durch diesen festen Bescheid seines Oheims in hohem Grade verstimmt und bemühte sich auf das äußerste, den Baron von der Strafe zu befreien; indessen vergebens. Der Fürst beharrte auf seinem Entschluß und schnitt seine weiteren Bemühungen mit dem Bemerken ab, daß eine viel wichtigere Veranlassung ihn bestimmt habe, den Prinzen zu sich bitten zu lassen, und er daher des Barons Sache als abgethan betrachte. Alsdann fragte er ihn, durch welche Umstände Mariane veranlaßt worden sei, sich in das Schauspiel zu drängen.

Der Prinz fand es für gut, dem Fürsten das Nähere darüber zu verschweigen, indem er seinen Liebling durch die demselben beiwohnende Unerfahrenheit zu entschuldigen bedacht war und zugleich die Versicherung aussprach, nicht die geringste Kenntniß von dem Besuch gehabt zu haben.

Auch jetzt hörte ihn der Fürst ruhig und aufmerksam an und entgegnete alsdann mit Strenge:

»Nicht das Mädchen, sondern Sie trifft die Schuld, wenn so etwas geschehen konnte; daß es geschah, ist ein[S. 220] Zeichen, wie wenig Respect das Mädchen für Sie hat. So weit durften Sie es jedoch nicht kommen lassen. Wir haben Ihre Liaisons, sobald sich dieselben in den erforderlichen Grenzen hielten, schweigend geduldet; wir finden uns jedoch nach dem Erfahrenen veranlaßt, Sie dem Einfluß dieses jedenfalls sehr listigen Mädchens zu entziehen, vor Allem jedoch der Prinzessin für die erfahrene Scene dadurch eine Genugthuung zu verschaffen; und so befehlen wir Ihnen, das Mädchen sofort zum Verlassen der Stadt zu veranlassen. Ich weiß, daß die Prinzessin nichts Geringeres erwartet, und eine solche Forderung kann nur billig genannt werden. Ueberdies bin ich das auch mir und dem Hofe schuldig. Sie werden sich also mit dem Mädchen arrangiren. Uebrigens dürfte diese niedrige Person zu einer Liaison mit einem Prinzen sehr wenig geeignet sein; Sie tragen daher selbst die Schuld, wenn man darüber spottet und Ihren guten Geschmack in Zweifel zieht. Des Mädchens freches Eindringen in die gute Gesellschaft hat nun den schlagendsten Beweis geliefert, daß der Spott nur gerecht war, und so werden Sie wissen, was Sie zu thun haben.« —

Der Fürst schwieg und trat an das Fenster, durch welches er auf den Garten blickte.

Bebend vor zorniger Erregung, die des Oheims Strenge und Beschluß in ihm erzeugt hatte, und zu einer Erwiderung unfähig, stand der Prinz da. Schon durch die verweigerte Gnade hinsichts des Barons erbittert, steigerte die Bestimmung über Mariane seinen Zorn in[S. 221] hohem Grade. Derselbe drohte ihn zu übermannen und er beherrschte ihn nur mühsam.

»Und ist das Ihr unumstößlicher Beschluß?!« preßte er endlich hervor.

»Er ist es,« fiel der Fürst ruhig ein und fügte dann mit Nachdruck hinzu: »Ich denke, Prinz, Sie sind sich das selbst schuldig, wenn Sie nicht der Lächerlichkeit verfallen sollen.«

»Wer wagte das zu behaupten?!« fuhr der Prinz auf.

»Ich, Ihr Fürst!« fiel dieser in gebietendem Ton ein.

»Sie können mir den Umgang mit dem Mädchen nicht verwehren!« rief der Prinz in hellem Zorn und mühsam Athem holend.

»Nicht?« fragte der Fürst ironisch und fuhr mit strenger Kälte fort: »Hören Sie, Prinz Albert, was Ihnen Ihr Fürst sagt: ist das Mädchen nicht innerhalb vierundzwanzig Stunden aus dem Bereich der Stadt, so werde ich es durch Polizeibeamte hinausbringen lassen, und damit Sie nicht etwa aus zu großer Liebe für die Dirne verleitet werden, sie etwa als ihr =Cavalier servante= zu begleiten, werden Sie bis auf Weiteres Ihr Palais nicht verlassen. Und dabei bleibt’s!«

Mit diesen Worten begab sich der Fürst in das Nebengemach und ließ den Neffen in der furchtbarsten Erregung zurück. Sein Auge flammte, und ehe der Fürst noch die Thür schloß, zertrümmerte er den Stuhl, auf den er sich so lange gestützt hatte, mit einem raschen, mächtigen[S. 222] Stoß. Alsdann taumelte er aus dem Gemach und warf sich in den auf ihn harrenden Wagen.

Es war tief in der Nacht; dennoch schimmerte in einem der Zimmer der Villa Marianens Licht und verrieth, daß die Bewohner derselben noch nicht die Ruhe gesucht hatten.

Dies war in der That der Fall; denn wenn auch die sämmtliche Dienerschaft daselbst sich der Nachtruhe erfreute, saßen doch Mariane und Madame Voisin beisammen und unterhielten sich in leisem Ton mit einander.

Neben ihnen standen gepackte, offene Reisekoffer.

»Ich sage Ihnen, Fräulein, daß das Alles Ihr Besuch des Schauspiels veranlaßt hat,« wiederholte Madame Voisin zum mehr denn zehnten Mal.

»Sie irren sich. Wie könnte solche Kleinigkeit —« wandte Mariane ein.

»Nun, Sie werden es ja bald erfahren. Ohne einen erheblichen Grund konnte der Prinz nicht auf den Gedanken gerathen, Sie reisen zu lassen. Ich wiederhole, das geschieht nicht mit seinem Willen, sondern es steckt etwas dahinter, Sie werden es erleben. Lesen Sie seinen Brief nur noch einmal durch.«

Mariane ergriff in Folge dieser Aufforderung einen neben ihr auf dem Koffer liegenden Brief, den sie vor wenigen Stunden von dem Prinzen erhalten hatte und worin er ihr anzeigte, daß besondere Umstände ihn nöthigten, sie aus der Stadt für eine kurze Zeit zu entfernen. Sie und Madame Voisin, die sie auf der Reise begleiten[S. 223] würde, sollten sich dazu vorbereiten, jedoch nur mit den nothwendigsten Sachen versehen. Mariane möge ihn in der Nacht erwarten und würde alsdann alles Weitere von ihm erfahren. Sein Besuch müßte der Dienerschaft durchaus verheimlicht werden und sollten sie ganz besonders darauf bedacht sein.

»Nun, Fräulein, ist Ihnen jetzt die Sache klar?« fragte Madame Voisin.

»Wir sollen eine kleine Reise machen, vielleicht nach meiner Heimath, und das wäre schön; sonst finde ich nichts Besonderes in den Worten,« meinte Mariane ziemlich ruhig.

»Dann habe ich nichts mehr zu sagen,« sprach Madame Voisin und begann auf’s Neue zu packen; Mariane jedoch, von der Voraussetzung erfüllt, eine Zeit lang in der Heimath verleben zu dürfen, plauderte weiter.

»Wie werden sie meine Schmucksachen und schönen Kleider dort bewundern! So etwas haben sie noch nicht gesehen. O, ich will ihnen davon schenken, so viel es irgend geht; der Prinz kann ja für Neues sorgen. Und der Wald ist auch grün und frisch, und ich kann mich darin wie früher nach Belieben ergehen, und um so besser wird es mir dann wieder hier gefallen, wenn ich zurückkomme. Wenn ich nur meine Vögel und Affen auch mit mir nehmen dürfte.« —

In solcher Weise schlug sich das Mädchen alle Sorgen und Bedenklichkeiten aus dem Herzen, indem sie sehr bald Madame Voisin nachahmte und allerlei, oft die überflüssigsten Dinge in den Koffer packte, wobei sie zugleich[S. 224] und auch die Erstere ab und zu aufhorchten, wenn sich der Nachtwind oder ein anderes Geräusch draußen geltend machte.

Während sie sich also beschäftigten, bemerkte man zwei in Mäntel gehüllte Männergestalten durch eine Hinterthür aus dem Palais des Prinzen schleichen und sich vorsichtig an den Häusern fortbewegen. Ihr Benehmen verrieth, daß sie nicht erkannt sein wollten, und die herrschende Dunkelheit kam ihnen dabei sehr zu statten. Auch war Mitternacht fast vorüber, die Straßen unbelebt und überall herrschte Ruhe und Stille; ein weiterer günstiger Umstand für ihre Absicht.

Ziemlich rasch und schweigend durchschritten sie mehre Straßen und gelangten alsdann außerhalb der Stadt und auf den Landweg, den sie verfolgten, bis sie Marianens Villa erreichten.

Sie traten durch die offene Pforte in den die letztere umgebenden Garten ein und einer von ihnen begab sich an das erleuchtete Fenster und klopfte leise an. Die Frauen fuhren erschreckt auf, und Madame Voisin beeilte sich, die nach der Veranda führende Thür zu öffnen, durch welche die Gäste dann leise und vorsichtig eintraten.

Es war der Prinz und Mühlfels.

»Schläft Alles?« fragte der Erstere leise.

Die Voisin bejahte, worauf sich der Prinz zu Marianen begab.

Diese empfing ihn mit einem leisen Freudenruf, und er schloß sie innig in die Arme und küßte sie heftig.

[S. 225]

»Und ich soll reisen, mein Prinz?« fragte sie.

»Ja, und es ist Deine Schuld, wenn ich Dich für einige Zeit entbehren muß. Ich sagte es Dir voraus. Warum warst Du mir auch ungehorsam!«

»O, sei nicht böse, mein Prinz; sei nicht böse und vergieb Deinem thörichten Waldvogel!« flehte Mariane und schmiegte sich an ihn, während Thränen ihren Augen entquollen.

Doch es bedurfte ihrer Bitte um Verzeihung nicht mehr; des Prinzen Unmuth war längst verraucht; er liebte sie viel zu heftig, um ihr nicht noch Uebleres nachzusehen. Seine Liebe zu ihr machte sich überdies auch in dem Augenblick, in welchem er sich von ihr für längere Zeit trennen sollte, nur noch in erhöhterem Maß geltend und erfüllte ihn mit dem Verlangen, die letzten Stunden des Zusammenseins so viel als möglich auszukosten.

»Ich habe Dir längst vergeben, mein süßer Vogel, und nun sei wieder munter und weine nicht mehr,« beruhigte sie der Prinz.

»Ich werde also nach Hause reisen?« fragte sie, wieder beruhigt.

»Nein, mein Liebchen; nicht nach Hause, sondern nach der prächtigsten Stadt der Städte, nach Paris!« —

»Nach Paris, der Wunderstadt?!« rief Mariane und schlug in freudiger Ueberraschung die Hände in einander.

»Ja, dahin soll die Geliebte des Prinzen gehen und soll sich dort in allen Dingen unterrichten lassen, die[S. 226] einer vornehmen Dame ziemen. Denn wisse, Mariane, sobald ich zur Regierung komme, sollst Du Gräfin werden, wie Du es willst, und dann wird man Dich gern in den vornehmen Cirkeln dulden.« —

»O, das ist ein gescheidter Gedanke von meinem Prinzen!« rief Mariane erfreut aus und umarmte und küßte ihn. »Nach Paris! Was werde ich da Alles zu sehen bekommen! O,« fuhr sie eifrig fort, »ich will fleißig sein und mich bemühen, Vielerlei zu lernen, und Du sollst vor meiner Klugheit erstaunen, wenn ich zurück komme!«

»Das weiß ich und das werde ich,« fiel der Prinz lachend ein. »Und übe das Singen fleißig; Du weißt, es macht mir Freude.«

»Alles, Alles werde ich thun, wie Du es befiehlst, mein süßer, guter Prinz!« rief Mariane und fragte dann, diesen betrübt anblickend: »Wirst Du aber auch nicht Deine Waldtaube vergessen und bisweilen an sie denken?«

»Sei dessen sicher, mein Schatz; Du weißt, wie lieb ich Dich habe.« —

»Ja, ja, ich weiß es!« rief sie und schmiegte sich an ihn. Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Und meine Vögel und Affen, kann ich sie mitnehmen?«

»Das geht nicht; übrigens kannst Du Dir dort so viel Du willst und noch schönere kaufen.« —

»Dann ist es gut; doch mußt Du mir die Thierchen pflegen lassen, damit ich sie bei meiner Rückkehr wieder finde.« —

[S. 227]

»Es soll geschehen; und auch Deine Villa soll behütet werden und ich will sie noch verschönern lassen.« —

Mariane war darüber sehr glücklich und dankte dem Prinzen mit zärtlichen Worten und Liebkosungen, indem sie zugleich noch allerlei Sorgen und Wünsche aussprach, die der Prinz zu beschwichtigen sich bemühte.

In solchem Geplauder und Getändel ging ihnen die Zeit dahin, während dessen Mühlfels mit Madame Voisin die ernsteren und geschäftlichen Angelegenheiten der Reise und des Aufenthaltes in Paris erörterte. Die Dame war eine Pariserin und also mit den Verhältnissen daselbst genügend vertraut; sie eignete sich daher zur Gesellschafterin des unerfahrenen Mädchens ganz vortrefflich. Dieser Umstand hatte den Prinzen auf den Gedanken geleitet, Mariane dorthin zu schicken.

Die Strenge seines Oheims hatte, wie wir erfahren haben, seinen Zorn und Unmuth in dem höchsten Grade erregt, so daß er sich sogar zu dem so groben Verstoß gegen die dem Fürsten schuldige Rücksicht verleiten ließ.

In seinem Palais angelangt, brach sein Zorn in ganzer Stärke aus, und seine Umgebung hatte darunter wie gewöhnlich nicht wenig zu leiden.

Erst gegen Abend und als ihn Mühlfels besuchte, beruhigte er sich wieder so weit, daß er einen Entschluß fassen konnte.

In diesen mischte sich jedoch zugleich das lebhafte Verlangen, da er seines Oheims Befehl nachkommen mußte, der Entfernung Marianens den übeln Schein der[S. 228] Ausweisung zu nehmen und zugleich zu zeigen, wie weit entfernt er war, sie aufzugeben.

Und so brach er dem Befehl des Fürsten und der Forderung Sidoniens die Spitze ab, indem er das Mädchen in der Absicht nach Paris sandte, sie dort ausbilden zu lassen. Daß dies dem Fürsten und Sidonien bald bekannt wurde, dafür wollte er sorgen. In solcher Weise war er bemüht, sich Genugthuung für die seiner Ansicht nach erfahrene Unbill zu verschaffen.

Er stattete Mariane zugleich so reich mit Mitteln aus, daß sie ein glänzendes Haus in Paris machen konnte, und that dies nicht allein aus Zuneigung zu ihr, sondern auch aus der früher bezeichneten Absicht. Das Weitere haben wir bereits erfahren.

Das Morgengrauen mahnte ihn, zu scheiden, und er trennte sich nach dem zärtlichsten Abschied von Marianen, — die reichlich Thränen vergoß und ihn nicht von sich lassen wollte — nachdem er ihre Abreise für den nächsten Tag bestimmt hatte. Dieselbe sollte jedoch nicht etwa heimlich und auch nicht in der Dunkelheit geschehen, sondern vielmehr am lichten Tage und während des vollen Treibens in den Straßen, damit sie nicht den Anschein der Verbannung oder ängstlicher Flucht gewann. So wollte er dem Fürsten und seiner anspruchsvollen Gemahlin trotzen.

Und wie er es befohlen hatte, so geschah es.

Nachdem sich Mariane von ihren Thieren wiederholt in der zärtlichsten Weise verabschiedet und ihr Lieblingsäffchen[S. 229] in ihrer Reisetasche sorglich untergebracht hatte, da sie sich von demselben nicht zu trennen vermochte, verließ sie, begünstigt von dem schönsten Frühlingswetter, am Nachmittag die Villa und fuhr stolz durch die Stadt, um auf die Straße nach Paris zu gelangen.

Hunderte neugieriger Augen gafften die Equipage an, allerlei zweideutige Witze wurden laut, und manches spöttische Lächeln folgte ihr, und ehe Mariane noch die Stadt verlassen hatte, durcheilte dieselbe bereits das Gerücht von ihrer Abreise nach Paris.

So erreichte der Prinz seine Absicht und freute sich darüber nicht wenig.

Der Trennung von Marianen sollte am nächsten Tage diejenige von Mühlfels folgen.

Es darf wol kaum bemerkt werden, wie tief der Letztere durch die Fruchtlosigkeit der Bemühungen des Prinzen, ihm Gnade bei dem Fürsten auszuwirken, gebeugt wurde. Aber mit seinem Kummer und Zorn erwachte auch zugleich das lebhafte Verlangen in ihm, sich für die ihm, wie er glaubte, von Sidonien zugefügte Schmach zu rächen. Diese mußte er erdulden; ihre Gunst hatte er auf immer verscherzt; so blieb ihm nur noch das Verlangen nach Rache.

Wie gelegen kam ihm nun die gemachte Entdeckung hinsichts Sidoniens Neigung für den Grafen, und er war schlecht genug, dieselbe in seiner Absicht zu benutzen. Von dem Prinzen eingeladen, im traulichen Beisammensein[S. 230] den letzten Abend bei ihm zu verbringen und ihm durch seine Gesellschaft den Schmerz über Marianens Abreise zu beschwichtigen, hatte er sich bei demselben zur Zeit eingefunden.

Es konnte nicht ausbleiben, daß im Lauf der Unterhaltung auch sehr bald Mühlfels’ Angelegenheiten nochmals von ihnen besprochen wurden, und so geschah es, daß der Baron bemerkte:

»Muß ich auch dem Machtgebot des Fürsten folgen, so bin ich doch überzeugt, daß die Zeit nicht zu fern ist, in welcher er das an mir verübte Unrecht erkennen und einsehen wird, daß ich schuldlos leide.«

»Ich hoffe es, Mühlfels, und geschieht dies nicht, so trösten Sie sich mit der Aussicht, daß ich dereinst die Fehler meines Oheims gut zu machen wissen werde.« —

»O, ich weiß es, mein theurer Prinz, und Ihre Gnade ist mein einziger Trost in meiner entehrenden Lage. Aber ich hoffe, es soll mir gelingen, den Fürsten zu der Einsicht seines Unrechts zu führen.« —

»Ich verstehe Sie nicht, Mühlfels,« bemerkte der Prinz und schaute ihn fragend an.

»Das kann nicht anders sein, da ich Ihnen das Wichtigste in der Angelegenheit mit der Prinzessin verschwiegen habe.« —

»Wissen Sie noch mehr?« fragte der Prinz überrascht.

»Allerdings, und was ich Ihnen sagen kann, ist noch bedeutsamer, als was Sie bereits von mir erfahren haben, und kennzeichnet die Scheinheiligkeit Ihrer Gemahlin noch[S. 231] mehr, als ihre Verläugnung der mir gewährten Gunstbezeigungen,« entgegnete Mühlfels mit Nachdruck.

»Sie machen mich begierig darauf. Sprechen Sie!« fiel der Prinz erregt ein.

»Vielleicht lag es in der Prinzessin Absicht, mich von hier zu entfernen,« bemerkte Mühlfels.

»Was sollte sie dazu bestimmen?« —

»Das Bewußtsein, in mir einen Verräther ihrer Schwäche zu finden.« —

»Das könnte sein!« fiel der Prinz ein.

»Verstehen Sie mich recht, mein Prinz, ich meine damit nicht den Verrath der mir erzeigten Gunst, sondern die Liebe für einen Andern.« —

»Sie hat also eine Liaison?« fragte der Prinz.

»Ich bin davon durchaus überzeugt,« entgegnete Mühlfels und theilte ihm nun mit gut gewählten Worten seine Entdeckungen und Vermuthungen hinsichts Sidoniens Neigung für den Grafen mit.

Der durch seine Mittheilung erzeugte Eindruck auf den Prinzen war ein überraschend erwünschter, da dieser von Alledem keine Ahnung hatte und das Vernommene daher eine um so tiefere Wirkung auf ihn ausübte.

»Und warum erfahre ich das Alles erst jetzt?!« fragte der Prinz.

»Weil ich es bisher für besser erachtete, darüber zu schweigen. Da die Prinzessin jedoch durch ihr übles Verhalten gegen mich sich jeder auf sie zu nehmenden Rücksicht[S. 232] begeben hat, darf ich ihr auch keine Schonung mehr angedeihen lassen.« —

»Sie hätten mich und den Fürsten schon früher damit bekannt machen sollen.«

»Das hätte zu keinem erwünschten Resultat geführt und mich obenein in die Gefahr gesetzt, als Undankbarer und Ruhestörer bezeichnet zu werden. Sie wissen, mein Prinz, ich war der Prinzessin Rücksicht schuldig. Uebrigens erinnere ich Sie, daß meine Mittheilung auch, da ich die erforderlichen Beweise dafür nicht besitze, keine besondere Bedeutung gewinnen konnte. Meiner Ansicht nach kommt es darauf an, die Rückkehr des Grafen abzuwarten und ihn und die Prinzessin alsdann in der Stille zu beobachten und sich also die nöthigen Beweise ihrer Schuld zu verschaffen. Sie ahnen nicht, daß ihr Geheimniß verrathen ist, und werden daher um so leichter in die ihnen gestellte Falle gehen, wenn sie sich nicht vielleicht auch ohne eine solche verrathen.«

»Sie haben Recht, ganz Recht, und Ihre Entdeckung ist kostbar!« rief der Prinz in großer Erregung, der das Vernommene mit rachsüchtiger Begier aufgriff. »Könnte ich sie entlarven und der Welt ihre Scheinheiligkeit offenbaren, ich würde mich für das Erfahrene reich entschädigt fühlen. Denn ich vermag Ihnen nicht auszudrücken, wie verhaßt mir Sidonie nach der letzten Geschichte geworden ist. Läßt sich Ihre Entdeckung in meinem Sinne ausbeuten?«

»Würde ich hier geblieben sein, hätte sich das wahrscheinlich[S. 233] leicht machen lassen, besonders da der Graf jeden Tag eintreffen kann; jetzt jedoch, so entfernt von hier, sehe ich dazu keine Möglichkeit.«

»Ein fataler Umstand! Um so mehr werde ich bedacht sein, den Fürsten zur Abkürzung Ihrer Verbannung zu bewegen. Sie sollen nicht lange dort sein.«

»Hoheit würden mich dadurch sehr beglücken; denn eine unverdiente Strafe erträgt sich schwer.«

»Ich werde dafür sorgen, daß Sie dort gut aufgenommen werden und Ihnen der Commandant alle Freiheit gestattet. Ich gebe Ihnen ein paar Worte an diesen mit.«

»Tausend Dank, mein gnädigster Prinz. Doch nun gestatten Sie mir, Ihnen noch meine Ansicht über die Behandlung der bewußten Angelegenheit zu bezeichnen.«

»Reden Sie, Mühlfels; denn es ist mir lieb, zu erfahren, was Sie für die Folge darin zu thun gedenken. Ich will die Sache bis zum Aeußersten verfolgen, um die Befriedigung meiner Rache vollkommen zu genießen.«

»Und ich denke, dies soll uns auch gelingen, besonders wenn mir die Rückkehr bald gewährt wird. Bis dahin jedoch bitte ich Sie, mein Prinz, von dem Vernommenen weder dem Fürsten, noch irgend einem Andern das Geringste zu verrathen. Sie kennen die Hofverhältnisse zu genau, um eine solche Vorsicht nicht zu billigen. Ueberdies dürfte Ihre persönliche Einmischung vor der Hand auch gefährlich werden. Sie sind zu hitzig und Ihre Erregung würde sich um so rascher steigern, da Sie[S. 234] der Beleidigte sind. Dadurch könnte die Angelegenheit leicht einen nichts weniger als erwünschten Ausgang nehmen. Darum bitte ich, lediglich mir alles Weitere zu überlassen, und überzeugt zu sein, daß ich alle Sorgfalt auf Enthüllung dieser Sache anwenden werde.«

»Sie haben Recht und so soll es dabei bleiben, und um so mehr werde ich mich bemühen, Ihnen die baldigste Rückkehr bei dem Fürsten auszuwirken.«

Nachdem sie diese Angelegenheit noch weiter besprochen, Mühlfels des Prinzen Empfehlung an den Commandanten empfangen hatte, schied der Baron unter den gnädigsten Freundschaftsbezeigungen von dem Prinzen, nicht wenig erfreut, seinen finstern Racheplan in so vortrefflicher Weise zur Geltung gebracht zu haben. Daß ihm derselbe gelingen würde, zweifelte er nicht; jedenfalls verschaffte er ihm die so gewünschte baldige Rückkehr, und das war ein großer Vortheil. Diese Hoffnung gewährte ihm und seiner tief verletzten Mutter keinen kleinen Trost, als er in der Frühe des nächsten Tages sich von ihr und der Residenz trennte und, nur von einem Diener begleitet, die Reise nach der öden und einsamen Garnison antrat. Es verstand sich von selbst, daß die Baronin sofort um ihre Entlassung aus dem Dienst der Prinzessin einkam, die ihr natürlich auch bewilligt wurde.

Mit besonderer Genugthuung sah der Fürst seine Befehle in solcher Weise erfüllt, da man ihm die herausfordernde Weise verschwieg, in welcher Mariane die Stadt verlassen hatte. Ein paar Tage darauf ließ er dem Prinzen[S. 235] seine Freiheit ankündigen, und dieser benutzte dieselbe sofort, sich nach der ersten Residenz zu begeben, seine alten Freunde daselbst um sich zu versammeln und mit ihnen in der früheren Weise zu leben und so den Schmerz über den Verlust seiner Günstlinge zu vergessen.

Der Fürst ließ ihn vorläufig gewähren und that dies in der Absicht, ihn bald mit um so größerer Strenge an seinen Aufenthalt zu binden und dadurch zugleich zur Einsicht der Nothwendigkeit einer Versöhnung mit ihm und Sidonien zu leiten. Dies geschah, und der Prinz trug mit gesteigertem Unmuth den ihm auferlegten Zwang, seine Gemahlin verwünschend, der er alle Schuld zu dem ihn Betroffenen beilegte.

Sidonie vernahm mit Befriedigung die ihr von dem Fürsten bereitete Genugthuung, dankte ihm persönlich dafür, und die Frage der Trennung von dem Prinzen wurde nicht weiter berührt.

Trotzdem übersah sie die Gefahr nicht, welche sie dadurch für sich herauf beschworen hatte; denn es konnte mit Sicherheit erwartet werden, daß sich der Prinz und auch Mühlfels für das Erlittene an ihr zu rächen bedacht sein würden. Um so erwünschter war ihr daher des Fürsten Vorschlag, ein Bad zur Stärkung zu gebrauchen, und bereitwillig ging sie darauf ein, da sie sich dadurch zugleich dem leidigen Hofleben entziehen und in der gebotenen Freiheit ergehen konnte. Wol nicht ohne Absicht traf sie die Wahl eines Badeorts, der von des Grafen Besitzung nicht allzu fern lag und diesem die Gelegenheit[S. 236] zu einem Besuch bot. Da ihr Arzt ihre Wahl billigte, so erschien diese als dessen Bestimmung, und ihre Vorliebe für den gewählten Ort wurde dadurch verhüllt.

Ungefähr drei Wochen nach den näher bezeichneten Vorfällen reiste sie in Begleitung ihrer Tochter, Aureliens und einer nicht eben großen Dienerschaft dahin ab.

Sie hatte den Prinzen bis zu diesem Augenblick nicht gesprochen; sie wurde durch ihre Abreise genöthigt, ihm Lebewohl zu sagen, und sie that dies, wenngleich mit großer Ueberwindung.

Der Prinz, weit entfernt ihr freundlich entgegen zu kommen, zeigte ihr vielmehr ein kaltes, verletzendes Verhalten, dem sie sich so schnell als möglich zu entziehen suchte. Ihm war es angenehm, sie nicht mehr in seiner Nähe zu wissen, und mit Ungeduld sah er der Zeit entgegen, in welcher es ihm mit Mühlfels’ Hilfe gelingen sollte, sich an ihr zu rächen.

Ende des zweiten Bandes.

Druck von G. Pätz in Naumburg a/S.


Anmerkungen zur Transkription:


Die erste Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die Korrektur.


S. 40

Nein, Hoheit, eine Trauung scheut er;

Nein, Hoheit, eine Trennung scheut er;


S. 68

Gedanken und Erfindungen in ihrer zeugte

Gedanken und Erfindungen in ihr erzeugte