The Project Gutenberg eBook of Das Buch vom eisernen Kanzler: Eine Erzählung für Deutschlands Jugend This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Das Buch vom eisernen Kanzler: Eine Erzählung für Deutschlands Jugend Author: Anton Ohorn Illustrator: Max Wulff Release date: October 15, 2022 [eBook #69160] Most recently updated: July 24, 2023 Language: German Original publication: Germany: Meidinger's Jugendschriften Verlag G. m. b. H, 1915 Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BUCH VOM EISERNEN KANZLER: EINE ERZÄHLUNG FÜR DEUTSCHLANDS JUGEND *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. [Illustration: Cover] [Illustration: ~Eis. Kanzler I.~ In Göttingen.] Das Buch vom eisernen Kanzler Eine Erzählung für Deutschlands Jugend von Anton Ohorn Mit Illustrationen in Farbendruck von _Max Wulff_ [Illustration] Meidinger’s Jugendschriften Verlag G. m. b. H. Berlin W 66 Inhalt. Seite Erstes Kapitel. Sorglose Jugend 5 Zweites Kapitel. Berliner Lernjahre 17 Drittes Kapitel. ~Gaudeamus igitur~ 30 Viertes Kapitel. Am eigenen Herde 46 Fünftes Kapitel. In gärender Zeit 63 Sechstes Kapitel. Der Bundestagsgesandte 80 Siebentes Kapitel. An der Newa und der Seine 99 Achtes Kapitel. Der bestgehaßte Mann 117 Neuntes Kapitel. Im böhmischen Feldzuge 131 Zehntes Kapitel. Mit Blut und Eisen 146 Elftes Kapitel. Des neuen Reiches Kanzler 193 Zwölftes Kapitel. In Ehren und Schmerzen 210 Dreizehntes Kapitel. Im Abendrot 228 [Illustration] [Illustration] Erstes Kapitel. Sorglose Jugend. Ein lachender Sommertag! Weiße Wölkchen schwimmen langsam über den blauen Grund des Himmels und spiegeln sich in dem glitzernden Teiche. Leise rauscht das Röhricht an dessen Ufersaum, und in den Kronen der alten Bäume ringsumher im Park flüstert es wie von Geschichten vergangener Tage. Und die stattlichen Rüstern und Linden wissen wohl viel zu erzählen von lustigen Festen und von ernster Zeit, zumal erst sechs bis sieben Jahre entschwunden sind seit den glorreichen Befreiungskriegen und der mutigen Erhebung des ganzen deutschen Volkes, die ihre Wellen auch ins Pommernland und an die Mauern des freundlichen Herrensitzes _Kniephof_, der sich zurzeit im Besitze des Herrn _Ferdinand von Bismarck_ befand, getragen hatte. Heute ist Friede im Lande, und die alten Wunden fangen langsam zu vernarben an. Zwischen den grünen Bäumen sieht das Schlößchen hervor, schlicht, mit Holzfachwerk, aber traulich und behaglich. Aus dem Eingang tritt ein Knabe, fünfjährig, schlank, mit blondem, leicht gelocktem Haar, und schaut mit hellen, blauen Augen in die Welt. In dem frischen Gesichte ist Lebenslust und Tatendrang zu lesen. Er sieht hinauf nach dem heiteren Himmel, hinüber nach den grünen Bäumen des Parks, steckt die Hände in die Taschen und steht nun breitbeinig da, offenbar in der Überlegung, woran er im Augenblicke seine junge Kraft am besten erproben könne. Da kam ein Knecht. »Jochem, wohin?« rief der Kleine. »Der Fuchs muß ein neues Eisen haben!« sagte der Angeredete in behaglichem Platt. »Da geh’ ich mit!« jauchzte das Bürschlein, offenbar erfreut über den Fingerzeig des Schicksals, und nun trabte er lustig neben dem Manne her nach dem Wirtschaftshofe und in den Stall. Der Fuchs wurde herausgeholt. »Jochem, setz mich drauf!« gebot der Kleine, und der Knecht hob ihn auf den breiten Rücken des Tieres, über welchen die kurzen Beinchen des Reiters kaum wegreichten. Daß der Mann das Pferd am Halfter führte, duldete das Bürschchen nicht, er mußte es frei gehen lassen, und der Kleine hielt sich an der Mähne und suchte nun durch Zuruf den Ackergaul zu einem rascheren Tritt zu bringen, was ihm aber nicht gelang. Beim Schmied hob ihn der Knecht wieder ab, und nun stellte er sich so, daß er die glühende Esse und den Amboß sah. Die jungen Augen blitzten vor Lust, wenn unter den Hammerschlägen des Meisters die Funken sprühten, und am liebsten hätte er selbst zu dem verrußten Werkzeug gegriffen und mitgeholfen, denn er ahmte unwillkürlich die Bewegungen des Schmiedes nach. Aber nicht lange hielt er aus, dann schlenderte er, die Hände in den Taschen, weiter, hinaus ins Freie. Die Wiesen, reif zum Gemähtwerden, standen voll saftigen Grases und im bunten Blütenschmuck. An ihnen hinstreifend, pflückte er Blumen, und dazu sang er ein Kinderlied. Die Zampel fließt durch das grüne Gelände; Erlen und Weiden neigen sich schattend über das klare Wasser, und zwischen ihnen ragen stattliche Ulmen. Dorthin lenkte der Knabe seine Schritte, brach sich einen Zweig aus dem Gebüsch, streifte die Blätter ab und köpfte nun die fetten, roten Disteln, die so protzig über den Wiesengrund emporragten. Während dieser Beschäftigung sah er einen Reiter auf einem Feldwege kommen. Hastig lief er ihm entgegen und schrie schon von weitem jauchzend: »Papa, Papa!« Der Angerufene hielt sein Pferd an. Es war ein stattlicher Herr mit einem gutmütigen Gesicht, aus dem die Freude lachte über den munteren, frischen Jungen. »Was machst denn du hier, _Otto_?« fragte er. »O nichts, Papa, ich gehe spazieren und schlage dabei den Disteln die dicken Köpfe herunter! Darf ich mit dir?« Der Reiter beugte sich herab und hob den kleinen Burschen empor, welchen er vor sich hinsetzte, und der nun ohne weiteres die Zügel nahm. Der Braune schien ähnliches gewohnt zu sein, er schritt munter aus und langte bald bei dem Herrenhause an. Ein Knecht nahm das Tier in Empfang und hob den Kleinen aus dem Sattel, und dann ging dieser an der Hand des Vaters in das Herrenhaus. »Nun, Otto,« sagte dieser, »nächste Woche kommt Bernd (Bernhard) aus Berlin!« »Ach, das wird hübsch!« jauchzte der Bursche, »weiß das Mama schon und Lotte Schmeling?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er in das Haus und in das Gemach, in welchem er seine Mutter vermutete. Eine hochgewachsene, schöne Dame mit klaren, freundlichen Augen trat ihm entgegen. »Wo steckst du denn, Otto, und so erhitzt?« sagte sie mit gütigem Vorwurf und strich mit der weißen Hand über die feuchten, zerzausten Locken ihres Lieblings. »Ach, ich komme mit Papa und bin auf dem Braunen geritten – und nächste Woche kommt Bernd. Da wird’s lustig! Er erzählt immer so hübsch von Berlin. Darf ich auch nach Berlin, Mama?« »Ja, ja, mein Junge!« Er küßte die Hand der Mutter und war hinaus, noch ehe der Vater eintrat. Er eilte nach der Küche, wo »Lotte Schmeling« regierte. »Ach Lotte, gib mir zu essen, ich habe Hunger – und weißt du – nächste Woche kommt Bernd!« Viel Zeit gönnte er sich zur Stillung seines Hungers nicht, denn bald darauf war er wieder im Parke. Einen Teil seines Frühstücks trug er noch in der Hand, und die kleinen Taschen hatte ihm Lotte Schmeling vollgestopft mit Speiseresten, denn er wollte die Karpfen füttern. Aber im Parke hielt ihn manches auf. Wenn er einen Vogel locken hörte, blieb er stehen, weil er wissen mußte, wen er vor sich habe; wo ihm ein Nestchen in den Büschen bekannt war, sah er vorsichtig nach, ob noch alles in demselben und um dasselbe in Ordnung sei; wo ein Eichkätzchen an einem Stamme hinhuschte, mußte er seinen Weg verfolgen und sich an seinem possierlichen Wesen ergötzen. Endlich stand er an dem Karpfenteiche und trat auf das kleine Podium hinaus, um seine Gaben zu spenden. Schon nach dem ersten Wurfe der kleinen Hand tauchten die silbergrau schimmernden Rücken auf und kamen heran, und gierig schnappten die großen, runden Mäuler. Otto jauchzte, wenn sie um einen besonders großen Bissen sich drängten und balgten und ihn einander zu entreißen suchten, und er warf seine Gaben bald rechts, bald links, um auch den minder Zudringlichen und weniger Starken etwas zukommen zu lassen. Ganz im Hintergrunde, nach der Mitte zu, waren einige kleinere Fische, die bei jedem Wurfe schnappten, aber nicht herankommen konnten. Auch sie sollten ihr Teil erhalten. Der Knabe füllte die ganze Hand dicht mit Brocken und holte nun mit ganzer Kraft zum Wurfe aus. Dabei aber hatte er sich wohl etwas zu weit vorgebeugt, er verlor das Gleichgewicht; klatschend schlug er ins Wasser, so daß die Fische erschreckt auseinanderstoben, und nun arbeitete und strampelte der kleine Bursche mit Armen und Beinen in einer nicht ungefährlichen Lage, denn der Teich war ziemlich tief. Er faßte nach dem Schilfe und suchte sich daran festzuhalten, aber das schwanke Rohr bot keine Stütze. Doch war es ihm geglückt, näher an das Podium heranzukommen; mit aller Anstrengung und durch eine unbewußt günstige Bewegung unterstützt, konnte er es ergreifen, beide Hände faßten rasch und sicher zu – und gleich darauf hatte sich der kleine Mann glücklich herausgearbeitet. Er sah ganz verdutzt zuerst nach dem Teiche und dann an sich selbst hinab. Seine Beine waren schlammbedeckt, und Schilf hing an den durchnäßten Kleidern. Er schüttelte sich einmal kräftig, dann trabte er fort nach dem Herrenhause. Er wollte zu Lotte Schmeling, seiner Vertrauten, flüchten, kam aber gerade der entsetzten Mama in den Weg. »Was ist passiert, Otto?« schrie sie erschrocken auf, als sie den Kleinen sah, aus dessen Haaren das Naß niederrieselte auf das triefende Gewand. »O nichts, Mama – ich bin nur, wie ich die Karpfen füttern wollte, ein bißchen in den Teich gefallen. Es tut nichts – bloß entsetzlich kalt ist’s!« Die Zähnchen schlugen ihm jetzt im Frost zusammen, und unter Beihilfe von Lotte Schmeling wurde er rasch zu Bette gebracht und mußte heißen Tee trinken. Am Abend fühlte er sich wieder völlig munter. Der Vater hatte bei ihm gesessen und mit ihm geplaudert: er hatte ihm gesagt, daß er schwimmen lernen müsse, wie die Karpfen im Teiche, und zwar, sobald er wieder aus dem Bette sein werde, und das hatte ihm viel Vergnügen gemacht. Dann aß er sein gewohntes Abendsüppchen, und endlich, beim Dunkelwerden, kam Mama noch einmal. »Siehst du, Otto, wie gut es der liebe Gott meint mit kleinen, dummen Jungen? Überall schickt er einen Engel mit ihnen, der ihnen hilft, wenn sie in Not sind. Du wärst im Karpfenteich ertrunken, wenn er nicht bei dir gewesen wäre und dich herübergezogen hätte, so daß du das Podium fassen konntest. Dafür mußt du dem lieben Gott heute auch ganz besonders danken!« So sagte die schöne, freundliche Frau, und der Knabe faltete die Händchen und sprach sein Abendgebet mit besonderer Herzlichkeit. »Amen!« sagte die Mutter bewegt, als er damit zu Ende war, dann küßte sie ihren Liebling, deckte ihn sorgsam zu und ging. – Der Unfall hatte für Otto keine weiteren unangenehmen Folgen, und in gewohnter vergnüglicher Weise lebte er seine Tage weiter. Als nach einiger Zeit Bernd (Bernhard), der um fünf Jahre ältere Bruder, aus Berlin ankam, erzählte er ihm beinahe mit einem gewissen Selbstgefühl sein Abenteuer, vergaß dabei aber nicht, auch des Schutzengels Erwähnung zu tun. _Bernhard_ war ein frischer, schlanker Junge, dem es besonderes Vergnügen machte, nach dem Berliner Aufenthalte frei durch Feld und Wald zu schweifen, und Otto war sein beinahe unzertrennlicher Begleiter. Die Erzählungen des Älteren von der Haupt- und Residenzstadt Preußens und ihren Herrlichkeiten, von den militärischen Schauspielen, von dem König und seinem Hofe verfehlten nicht, die Phantasie des Jüngeren zu erregen und in ihm eine Sehnsucht nach diesen Wunderdingen zu wecken. Dann setzte Bernhard der Begierde des Bruders wohl einen kleinen Dämpfer auf, indem er ihm erzählte, wie es in der Plamannschen Anstalt, in welcher er untergebracht war, zuging. »Das ist nicht so wie bei Muttern. Und da kannst du nicht den ganzen Tag im Parke herumschlendern und Karpfen füttern, und kannst auch nicht, wenn dich hungert, zu Lotte Schmeling laufen. Da heißt’s jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen. Dann gibt’s Milch und Brot als Frühstück, und von sieben Uhr an mußt du drei Stunden lang auf der Schulbank sitzen, dafür erhältst du um zehn Uhr ein Salzbrot, das du im Sommer mit einem Apfel oder einer Birne dir schmackhafter machen kannst, und nach einer halben Stunde geht’s wieder in die Schulstube. Mittags um zwölf Uhr wird gemeinsam in einem großen Saale gegessen, und da fragt dich niemand, ob dir’s schmeckt oder nicht. Wenn du dein Schüsselchen nicht ausessen kannst, mußt du mit demselben so lange im Garten stehen, bis du es geleert hast. Dann wieder von zwei bis vier Uhr Unterricht, zum Vesper ein Salzbrot und nun nochmals bis sieben Uhr auf die Schulbänke. Du, da ist man froh, wenn’s Abend geworden, und man sein Warmbier oder Butterbrot erhält. Nur das Turnen und Fechten, das ist hübsch! Ja, mein lieber Otto, auf Kniephof oder Schönhausen ist’s schon schöner!« Der Kleine hat bei solchen Schilderungen die Hände in die Taschen gesteckt, bleibt breitbeinig vor dem Bruder stehen und sagt dann ruhig und beinahe überlegen: »Weißt du, Bernd, wenn _du_ es ausgehalten hast, kann ich’s auch!« Kurze Zeit darauf gab der Vater Ottos, Herr _Ferdinand von Bismarck_, ein kleines Fest, wie es der an der Geselligkeit sich freuende Mann ab und zu liebte. Offiziere aus dem nahen Naugard und anderen Garnisonen hatten sich eingefunden, und die Gastlichkeit des von Bismarckschen Hauses, in welchem an des heiteren, lebensfrohen Gatten Seite eine ungemein liebenswürdige und in jeder Weise feine und edle Hausfrau waltete, kam in aller Herzlichkeit zur Geltung. Bei der Mittagstafel herrschte ein lebhafter, munterer Ton, und der Wein löste die Zungen noch mehr. Bernhard und Otto saßen an einem Seitentischchen, und der letztere besonders ließ sich wenig von dem Gespräch entgehen, zumal dasselbe bald genug auf ein Gebiet kam, das noch immer alle Gemüter lebhaft bewegte! Die Zeit der Schmach und der Erhebung Preußens und Deutschlands. Die Männer an dem Tische und in den Uniformen hatten fast alle ihren Teil an jenen Tagen und jenen Begebenheiten, und mancher wies ein blinkendes Ehrenzeichen, mancher auch eine ehrenvolle Wundennarbe auf. »Sie haben die Befreiungskriege nicht mitgemacht, Herr von Bismarck?« fragte einer der jüngeren Offiziere. »Im eigentlichen Sinne, als Streiter des Heeres, nicht. Ich habe den Soldatenrock schon früh ablegen müssen, der Familienverhältnisse halber. O, ich bin sehr jung schon Soldat gewesen, habe als Knabe schon im Rathenower Leibkarabinierregiment gedient und stramm meinen Dienst geübt. Jeden Morgen Schlag 4 Uhr war ich da und habe den Reitern den Hafer zumessen lassen. Bei Kaiserslautern hab’ ich unter dem Herzog von Braunschweig mitgefochten, aber es war keine Ehre zu holen. Darum hab’ ich als Rittmeister meinen Abschied genommen.« »Haben Sie auf Ihrem Gute viel von den Franzosen zu leiden gehabt?« fragte einer der Gäste. »Wir sind damals, als Preußen zusammenbrach, nicht auf Kniephof, sondern auf Schönhausen gewesen. 1815 am 1. April ist uns der kleine Schlingel, der Otto, geboren worden – mit dem wir hoffentlich nicht in den April geschickt werden, – aber es war eine trübe Zeit gewesen für das Vaterland. Ob wir sie mitempfunden haben, meine Herren? – Na, Minchen« – er wandte sich zu seiner Frau – »ich denke, wir vergessen’s all unsere Lebenstage nicht! Zwei Tage nach der Unglücksschlacht von Jena und Auerstädt, an einem rauhen Oktobertage des Jahres 1806, kam die liebe, gute Königin Luise, flüchtig und geängstigt, und blieb im Schlosse Tangermünde, Schönhausen gegenüber am linken Elbufer, über Nacht, dann floh sie weiter gegen Ostpreußen, und hinter ihr drein zogen die französischen Scharen und die preußische Schande. – Wenige Tage später saß im Tangermünder Schlosse der Marschall Soult, und seine zügellosen Banden tauchten in der ganzen Gegend auf. Damals habe ich mein bißchen Barvermögen in Gold im Parke vergraben und flüchtete mit meiner Frau unter Mühen und Gefahren bis nach dem »Trüben«, einer sumpfigen, umbüschten Niederung an der Elbe, wohin die Schönhauser sich zurückgezogen hatten. Der Aufenthalt in der langen, kalten Oktobernacht in dem feuchten Sumpfloche war fürchterlich, zumal wir jeden Augenblick davor bangten, daß über unserem Besitztum der rote Flammenschein auflodern würde. Endlich, nach entsetzlich langen Stunden, graute der Morgen. Einige schlichen nach Schönhausen und brachten die Kunde, der Feind sei fort, und so zogen wir heimwärts. Aber wie hatten diese Teufelsfranzosen gewirtschaftet! Verwüstung und Elend überall in den Kätnerhütten wie im Herrenhause. Im Schlosse war alles durcheinandergeworfen, vieles zertrümmert; den Stammbaum der Bismarck, der im Bibliothekzimmer hing, hatten sie mit Säbeln zerhauen und zerstochen, daß die Fetzen davonhingen – na, ich denke, dem Stamme selber soll das nicht geschadet haben. Als ich nach meinem Gelde im Garten ging, fand ich die Erde aufgewühlt … aber ich sah auch bald die Goldstücke blinken. Der Feind hatte sie nicht gefunden, und die Erdarbeit mochte das Werk eines spürenden Hundes gewesen sein. Später habe ich, um mich und meine Bauern zu bewahren, mir von Soult eine Schutzwache erbeten, aber meine Frau habe ich doch größerer Sicherheit wegen nach Rathenow gebracht. Ach Gott, aber die allgemeine Not war doch noch schlimmer als die des einzelnen, und als unser liebes Preußen zerrissen wurde, da grenzte Schönhausen hart an das neue Königreich Westfalen, es fehlte nicht viel, so hätten wir Jerôme als König bekommen.« Der brave Rittmeister nahm einen kräftigen Schluck, wie um die schlimmen Erinnerungen damit fortzuschwemmen. Einer der Offiziere aber fragte: »Und wie war’s in den Befreiungskriegen? Sie hatten ja auch in der Altmark Ihren Landsturm?« »Und ob wir einen solchen hatten! Und er hat redlich die Heimat vor Franzosen und Russen behütet. Ich darf’s wohl ohne Ruhmredigkeit sagen, daß ich treulich das meine dabei getan habe. Und wir hatten an der Elbe gute Helfer gehabt in den braven Lützowern, die im Mai 1813 nach Schönhausen kamen und mit uns die Übergänge über den deutschen Strom bewachten. Das bleibt mir eine unvergeßliche Erinnerung, jener Gottesdienst in unserer einfachen, alten Dorfkirche, bei welchem die neueingetretenen freiwilligen schwarzen Jäger eingesegnet wurden. Es war rührend, wie Männer mit ergrauten Haaren neben frischen Jünglingen sich um den braven Major von Lützow scharten, und ich habe damals mit Tränen in den Augen manchen Wackeren gesehen, den ich nicht vergesse. Da war der junge Theodor Körner, der Freiheitsdichter, mit seinen dunklen Feueraugen, der dann bei Gadebusch gefallen ist, der Turner Ludwig Jahn mit seinem Löwenkopfe, und sie sangen ein Lied ihres jungen Kampfgenossen und leisteten einen heiligen Eidschwur fürs Vaterland, und unser Prediger Petri hat ihnen den Segen gegeben, und der Segen hat geholfen!« »Ja, er hat auch mitgeholfen,« sagte jetzt der Major von Schmerling, dessen Brust mit dem Eisernen Kreuz geschmückt war, und der noch immer den einen Arm in der Binde trug. »Wir haben’s den Franzosen tüchtig heimbezahlt bei Großgörschen und Großbeeren, bei Dennewitz und an der Katzbach und zuletzt in der Leipziger Schlacht. Und jeder, der dabei gewesen ist, darf mit Stolz davon erzählen. Am 16. Oktober haben wir um Wachau und Güldengossa gestritten und den Reitersturm des Königs Murat zurückgeschlagen, am 17. verübte der alte Marschall Vorwärts seinen glücklichen Reiterstreich bei Möckern, wo Ihr Bruder, lieber Bismarck, der brave Major Leopold von Bismarck, den Heldentod starb, und am 18., Kinder, da war der große Entscheidungstag. Das war ein Geschützdonner, wie ich ihn all mein Lebtag nicht gehört habe; in Probstheide schlugen die Kanonenkugeln von allen Seiten ein, als ob irgendwo von oben her ein Apfelbaum geschüttelt würde. 1500 Geschütze spien ihr Verderben gegeneinander, aber Gott war mit uns, und in der Völkerschlacht haben wir den Mann des Jahrhunderts überwunden.« Mit leuchtenden Augen und vorgebeugt hatte Otto nach dem Sprecher hingesehen, und kein Wort verloren, welches aus seinem Munde ging. Als der Major jetzt innehielt und das Glas ansetzte, sprang der kleine Bursche auf und trat dicht vor ihn hin. Mit dem vorgestreckten Zeigefinger deutete er auf das Eiserne Kreuz an seiner Brust und fragte mit vollem Ernste: »Ist Er auch von einer Kanonenkugel geschossen worden?« Die naive Frage des Knaben löste die ernste Stimmung, welche in dem Kreise eingetreten war, alle lachten, der Major aber zog den Kleinen zu sich heran und sagte: »Nein, mein Schelm, dann säße ich heute wohl nicht mehr hier. Na, wie ist’s – du willst wohl auch einmal Soldat werden?« Die Frau des Hauses nahm das Wort: »Ich glaube, Otto wird einmal Diplomat, Staatsmann, und Bernhard Landrat!« Wieder lachten die fröhlichen Gäste, aber Herr von Bismarck sagte: »Ja, meine Frau schlägt nicht aus der Art: Da sehen Sie die Diplomatentochter, die sich einmal in den Kopf gesetzt hat, daß etwas vom Geiste ihres ausgezeichneten Vaters, des wackeren Geheimen Kabinettsrats _Menken_, auf unseren Jungen übergegangen ist. Na, wie Gott will – er wird es schon richten!« Heiter ging der Tag zu Ende, der für Otto manche Erregung und Bewegung gebracht hatte. Am Abend kam er zu der Mutter, um ihr »Gute Nacht« zu sagen. »Otto, hast du denn auch ordentlich dein Süppchen gegessen?« Der Knabe stand einen Augenblick verdutzt bei dieser Frage, und anstatt eine Antwort zu geben, stürmte er hinaus nach der Küche zu Lotte Schmeling. »Höre, Lotte, habe ich eigentlich schon mein Süppchen gegessen?« fragte er hastig. »Freilich und hat sehr gut geschmeckt, denn es war schnell genug verschwunden.« Wie der Wind sauste der kleine Mann davon und kam zu der erstaunten Mama zurück, um dieser nun erst, nachdem er selbst sich authentische Sicherheit verschafft, eine wahrheitsgetreue Antwort auf ihre Frage zu geben. Und jetzt ging er mit gutem Gewissen zur Ruhe. Herr und Frau Bismarck saßen noch ein Weilchen beisammen, und letztere war es, die das Gespräch auf die Kinder, besonders auf Otto, brachte. »Es nützt nichts, er muß aus dem Hause. Hier wird er verzogen, von mir, von dir, von Lotte und von allen. Und am besten ist’s, er kommt zu Plamann, wo er an Bernd eine Stütze hat, daß ihm das Heimweh nicht zu schwer wird. Ich halte dafür, eine rationelle Erziehung nach festen pädagogischen Grundsätzen kann nicht zeitig genug anfangen.« Herr von Bismarck wollte einige Einwendungen machen, aber er kam gegen die Grundsätze seiner geistvollen, von einem vortrefflichen Vater geschulten Frau nicht auf; seufzend gab er nach, und so ward bestimmt, daß Otto nächste Ostern nach Berlin kommen sollte. Zweites Kapitel. Berliner Lernjahre. An einem Frühlingstage des Jahres 1821 hielt vor dem Hause Wilhelmstraße 139 in Berlin ein Wagen, mit zwei kräftigen Braunen davor und mit dem Bismarckschen Wappen auf dem Schlage. Der alte Kutscher stieg langsam ab und strängte das Handpferd aus, dann hob er aus dem Gefährte einen hübschen, schlanken, sechsjährigen Knaben und trug ihn beinahe zärtlich auf seinen Armen in das Haus. Das war die Erziehungsanstalt des Professors _Plamann_, ein im Geiste des großen Pädagogen Pestalozzi gegründetes und geleitetes Institut, das sich trefflicher Lehrer erfreute, wie unter anderen des Begründers des deutschen Turnwesens, Ludwig Jahn. Als der alte Kutscher mit seinem weiten Mantel in den Mittelflur des Hauses trat, tauchten sogleich überall jugendliche Gestalten auf, die ihn umringten und nach seiner lebendigen Last blickten. _Otto von Bismarck_, – denn er war es, der auf solche Weise seinen Einzug bei Plamann hielt, – sah mit eiserner Ruhe und fester Sicherheit auf die Gesichter unter ihm nieder, und konnte es wohl auch noch hören, wie es hinter ihm herklang: »Wieder ein kleiner Junker! – Ein Muttersöhnchen! – Wollen ihn schon rankriegen!« Dann nahm ihn der Direktor in Empfang, auch dessen Frau und Nichte, und begrüßten ihn mit freundlichem Ernst als neuen Hausgenossen; Bernd bewillkommnete gleichfalls den Bruder, ohne die übliche Tagesordnung zu unterbrechen. Um die nächste Mittagszeit hatte Otto schon seinen Platz an einem Tische im großen Saale, wo Lehrer und Schüler gemeinsam speisten, und mühte sich, sein Gericht, das freilich nicht wie daheim schmeckte, zu bewältigen, um nicht mit seinem Teller auf die Terrasse hinausgestellt zu werden, wo einige, denen das Mahl nicht behagte, sich langsam mit demselben abquälten. Dem kleinen Neuling blieben manche Neckereien und Hänseleien nicht erspart, und auch sein Bruder konnte ihn nicht ganz davor schützen. Aber des Rates Bernhards, sich nichts gefallen zu lassen, hätte es bei Otto nicht bedurft. Der kleine Mann hatte Selbstgefühl genug, um sich nichts bieten zu lassen, was ihm unwürdig erschienen war, und wie er schon den herkömmlichen »Einweihungsgebräuchen« einen sehr energischen Widerstand entgegengesetzt hatte, so zeigte er auch, daß er das in der Anstalt beliebte Abhärtungssystem und die damit zusammenhängenden körperlichen Unannehmlichkeiten mit festem Gleichmut ertrug. Gerade das aber reizte manchen seiner Genossen; man sah dies ruhige, feste Wesen für junkerlichen Übermut an, und man hatte sich vorgenommen, ihn bei Gelegenheit tüchtig zu »ducken«. An einem der ersten warmen Tage war es, als die Zöglinge zum Baden geführt wurden nach dem sogenannten »Schafgraben«, einem nicht gerade sehr breiten, aber ziemlich tiefen Wasser. Auch bei solchen Gelegenheiten wurden die Neulinge nicht besonders glimpflich behandelt. Wer irgend Furcht zeigte, wurde von dem Lehrer kopfüber in das Wasser geworfen, und nun von seinen Genossen mit Tauchen und Anspritzen weidlich bearbeitet. Auf diese Prozedur hatte man sich bei dem »hochnäsigen Junkerchen« schon lange gefreut. Die Schar hielt am Schafgraben. Rasch waren die Burschen entkleidet und sahen nun nach Otto, auf dessen »Wasserscheu« sie sich bereits freuten. Der aber hatte seit seinem Bade im Karpfenteiche das Schwimmen ganz wacker betrieben. Er trat jetzt an den Rand des Grabens, mit einem entschlossenen Sprung war er im Wasser, welches über ihm zusammenschlug, und dann war er verschwunden. Die Wellen kräuselten sich leicht über der Flut, man spähte, ob nicht der Knabenkopf emportauchen würde, und es begann eine beinahe unheimliche Spannung und Erregung. Da kam der Schwimmer, welcher so lange unter Wasser ausgehalten, am anderen Ufer in die Höhe und schüttelte sich lachend, den übrigen aber entschlüpfte ein Ah der Überraschung. Mit dem kleinen Junker von Bismarck war nichts anzufangen, – das war jetzt den Vernünftigeren klar, und besser schien es darum, mit ihm gut Freund zu sein. Und immer mehr brachte er in diesem Kreise sich zur Geltung. Im Turnen und Fechten tat er es den anderen ebenso zuvor, wie in manchem Wissenszweige, der, wie Geschichte und Geographie, ihm besonders behagte, und in die stramme Hausordnung fügte er sich prächtig ein. Nur manchmal, wenn ein besonders schöner Tag die Knaben hinausbrachte ins Freie, nach der Hasenheide, wenn er grüne Bäume, wogende Felder und fleißige Knechte darauf sah, wenn die Lerchen neben ihm aufstiegen gegen den blauen Himmel, da überkam ihn eine Sehnsucht nach dem stillen Kniephof oder dem freundlichen Schönhausen, und manchmal lief ihm wohl auch eine Träne über die Wangen, die er nicht mehr zurückdrängen konnte. Aber er überwand diese Empfindungen, denn er wollte ein starker, fester, tapferer Mann werden, wie er solche in der Geschichte kennen lernte. Und die Geschichte war sein Steckenpferd. Die alte Griechensage vom Kampf um Troja hatte es ihm besonders angetan, und die leuchtenden Heldengestalten, die um das hochgetürmte Ilion stritten, lebten in seiner Phantasie. Im Plamannschen Garten, weit hinten, stand eine stattliche alte Linde. Auf einem Aste derselben saß er eines schönen Nachmittags, andere Genossen waren gleichfalls heraufgeklettert und wiegten sich auf den Zweigen um ihn her, und wieder andere lagen im Grase. Heute war ein freier Tag, – da wollten die jungen Gemüter ein besonderes Vergnügen haben. Otto von Bismarck aber las begeistert und mit weit vernehmlicher Stimme von dem Kampfe um die Mauer, welche das Lager der Griechen schützen sollte, wo der helmbuschumflatterte Hektor gleich einem Löwen die Seinen anfeuerte und mit Polydamas und Äneas, mit Glaukos und Sarpedon dem furchtbaren Andrang der Argiver wehrte. Immer heißer wogte der männermordende Streit, bis der furchtbare Ajax eingriff. Und Otto las mit heißen Wangen und glühenden Augen, während die anderen beinahe den Atem anhielten vor Erregung: »Ajax aber brach einen scharfgezackten Marmorstein zuoberst aus der Brustwehr und zerknirschte damit dem Epikles, einem Freunde des Sarpedon, Helm und Haupt, daß er wie ein Taucher von dem Turme herabschoß. Sarpedon aber klomm aufwärts, durchstach den Alkmaon, den Sohn Thestors, mit der Lanze, faßte dann mit aller Gewalt die Brustwehr, daß sie von seinem Stoß zusammenstürzte; doch Ajax und Teuker begegneten dem Stürmenden. Ajax durchstach ihm den Schild; die Lanze durchdrang ihn schmetternd, und einen Augenblick zuckte Sarpedon von der Brustwehr hinweg. Doch ermannte er sich und feuerte seine Lykier an, die rascher emporstürmten; aber auch die Danaer verdoppelten ihren Widerstand. Über die Brustwehr hieben sie wild aufeinander los, und rechts und links von den Trümmern rieselte das Blut hinab.« Otto ließ das Buch fallen, seine Wangen glühten höher. »Jungens – das müssen wir spielen!« rief er, und allgemeines Beifallsgeschrei folgte. Im Nu waren die Knaben unten von den Ästen, und die Parteien teilten sich und wählten ihre Führer. Der junge Bismarck war Ajax, der Telamonier. Im Garten war eine Terrasse, das war die Mauer, und um dieselbe begann nun der Kampf, hitzig, wie um das umstürmte Ilion selber, und die Griechen blieben Sieger. Das Kriegsspiel ward nun zur wahren Leidenschaft, und Otto erfaßte die Sache mit solchem Ernst, daß er bis ins kleine hinein die Schlachtpläne entwarf und über die Wechselfälle des Kampfes besonders Buch führte. So ging’s bis in den Winter hinein, und dieser erhöhte noch den Reiz der Sache. Die Natur selbst lieferte verschwenderisch das Geschützmaterial, und um die Terrasse wurde, auch unter Beteiligung der Lehrer selbst, in den Freipausen im heftigen Schneeballgefecht gestritten. Auch dabei war der junge Bismarck der berufene Anführer der einen Schar. So war’s auch an einem prächtigen frischen Wintertage. Die Terrasse hielten die Gegner besetzt und empfingen mit den reich aufgestapelten Geschossen die Anstürmenden. Aber Otto zeigte sich wie ein rechter Feldherr voll Umsicht und persönlicher Tapferkeit. Während er von der einen Seite durch ein heftiges Bombardement den Feind täuschte und seine volle Aufmerksamkeit anzog, brach er auf einer anderen mit einer Handvoll auserwählter Genossen zum Sturme vor und erreichte trotz der heißen Gegenwehr der Überraschten die Terrasse, wo er nun mit den Seinen festen Fuß faßte, wo es aber auch zu einem äußerst erbitterten Handgemenge kam. Für ein Spiel ging es schon beinahe zu weit. Die erhitzten und erregten Parteien schlugen unbarmherzig aufeinander los, und die jungen Helden hatten sich ineinander verbissen, als ob es wirklich für die Ehre des Vaterlandes geschähe. Das Glockenzeichen rief zum Beginn des Unterrichts. Vergebens. Die Zurufe der Lehrer und ihr persönliches Eingreifen vermochten den Kampf nicht zu beenden, da riß Ajax-Bismarck den Schultornister von seiner Schulter, den er wie ein echter Soldat beim Sturme getragen hatte, und wo der Knäuel der Streiter am dichtesten war, schleuderte er das Geschoß mit solcher Wucht hinein, daß die Kämpfenden auseinanderfuhren und außerdem auch seinem gebieterischen Zuruf gehorchten. Nun konnte es wieder an den Unterricht gehen. Als derselbe beendet war, wanderte Otto nach der Behrenstraße Nr. 53. Seine Eltern waren in Berlin eingetroffen, um in ihrer Stadtwohnung den Sommer zuzubringen und gesellschaftliche Beziehungen zu pflegen. Der Vater freute sich an dem frischen kleinen Burschen, die Mutter fand ihren Liebling ein wenig wild, Otto selbst aber hatte nicht viel Behagen in der Behrenstraße. Da war alles so vornehm und steif und still, und auch der Papa seufzte manchmal ein wenig. »Ja, mein Junge, – mir geht’s wie dir,« sagte er einmal, – »in Kniephof und auf Schönhausen ist’s hübscher; na warte nur bis zum Sommer! Wenn du in die Ferien kommst, dann sollst du ein kleines Pferd haben, und wir reiten zusammen, und auch eine Flinte, und dann soll’s lustig durch Feld und Wald gehen!« – – So gingen die nächsten Jahre hin, und der Plamannsche Schüler nahm zu an körperlicher Kraft, an Wuchs und Gewandtheit, aber auch an geistigem Besitz, und nach der strengen Ordnung der Schulzeit schmeckte die herrliche Freiheit in den heimischen Gärten und Wäldern doppelt gut, und die alten Bäume im Kniephofer Park schienen dem frischen Junker nur um so hübschere Sachen zuzuraunen. Als er im Sommer 1827 heimkehrte, hielt ihm zu seiner ganz besonderen Freude die Mutter ein neugeborenes Schwesterchen, das am 29. Juni angekommen war, entgegen, und die kleine _Malwine_ wuchs ihm sehr schnell ans Herz, und wenn er später wieder heimkam, freute er sich auf sie am meisten. Er besuchte seit demselben Jahre (1827) das Berliner Friedrich-Wilhelms-Gymnasium, gemeinsam mit seinem Bruder, und sie wohnten jetzt beide in der Behrenstraße. Ein Genfer, Monsieur Gallot, hatte sie anfangs zu beaufsichtigen, und er redete mit ihnen nur französisch. Daß aber auch das Deutsche nicht zu kurz kam, dafür sorgte die brave Köchin Trine Neumann aus Schönhausen. Sie liebte ihre beiden Junker und suchte ihnen diese Liebe auch zu beweisen, dadurch, daß sie ihnen möglichst oft ihre Lieblingsspeise, Eierkuchen, bereitete, wobei sie manchmal ihren kleinen Ärger hatte, wenn ihre Pflegebefohlenen zu spät heimkamen und »die Kauken afbackt« waren. Dann konnte sie wohl in ihrem Unmute sich zu den Worten hinreißen lassen: »Na Jungens, ut juch wat in’n Leben nix Vernünftigs, – dei Kauken sünd all wedder afbackt!« Im gewohnten Gleichmaß gingen die Tage, nur die Persönlichkeiten um Otto von Bismarck her wechselten. An Stelle Monsieur Gallots traten der Kammergerichtsreferendar Hagens und Philologe Winkelmann, Bruder Bernhard hatte das Gymnasium absolviert und die Uniform angezogen, Trine Neumann war in die Heimat zurückgekehrt, und Otto war an das Gymnasium zum Grauen Kloster und in Pension zu Professor Prevost gekommen, nachdem er Ostern (31. März) 1830 in der Dreifaltigkeitskirche von dem ausgezeichneten Theologen _Schleiermacher_ konfirmiert worden war mit dem Weihespruche: »Was du tust, das tue Gott und nicht den Menschen!« Unter seinen Lehrern hatte es Professor _Bonnell_ ihm am meisten angetan, und Lehrer und Schüler schlossen sich gegenseitig ins Herz. So kam es, daß Otto in das Haus dieses Mannes übersiedelte und hier in einer freundlichen Giebelstube hauste. Da hinauf trug er die stattlichen Bände einer Weltgeschichte, die er aus der Bibliothek des Professors entlehnte, und abends saß er, zumal im Winter, allein bei der Frau Professor und plauderte ihr vor von den Herrlichkeiten auf Kniephof und von seiner lieben kleinen »Maldewine«. Vor den Fenstern sang dann wieder der Frühlingswind und erweckte die Sehnsucht hinaus ins Freie und in die jugendgrünende Heimat. Die alte gelbe Postkutsche fuhr in der Straße vorüber, und der Postillon blies sein Lied, so daß der junge Gymnasiast in stiller Wehmut horchte und Semmlers Weltgeschichte eine Weile beiseite schob. Mit dem Herannahen des Sommers aber kam (1831) auch ein unbehaglicher Gast nach Deutschland – die Cholera. Die Eltern in Kniephof waren in Sorge, und eines Tages kam ein Brief von Herrn von Bismarck: Otto solle, sobald auch nur _eine_ Erkrankung in Berlin vorkäme, sogleich nach Hause kommen. Da gab es außer ihm wohl keinen Menschen in der preußischen Hauptstadt, welcher die Cholera so herbeigesehnt hätte, aber sie schien ihm zum Trotz nicht kommen zu wollen. In der Nähe von Berlin sollte sie bereits sein, und davon wollte er sich wenigstens überzeugen. In einem Reitstall mietete er sich ein Pferd, einen feurigen, dunkelbraunen Wallach, und auf »Nerestan« jagte er jetzt beinahe täglich auf der Straße nach Friedrichsfelde hinaus – »der Cholera entgegen«. Da kam er eines Tages an der Neuen Wache vorüber. Eben zogen die Soldaten auf unter Trommelschlag und den üblichen Gebräuchen, an einer Ansammlung Neugieriger fehlte es dabei nicht. Und diese Bewegung und der Lärm machten, daß der Wallach plötzlich scheute, einen Seitensprung tat und infolge Ausgleitens niederschlug, wobei der junge Reiter zu argem Schaden kam. Er konnte sich nicht erheben, fremde Leute mußten behilflich sein, ihn in einen Wagen zu bringen, und mit zerquetschtem Fuße trug man ihn hinauf zu Frau Professor Bonnell, die nicht wenig erschrocken war. Da lag er nun wochenlang, und die Sonne lachte durch die Fenster und lockte, und das Posthorn klang rufend durch die Gasse, ja, selbst die ersehnte Cholera war angekommen, aber er mußte – nicht allzu geduldig – warten, bis die Ärzte ihm gestatteten, Berlin zu verlassen. Da saß er nun endlich eines Morgens hoch oben auf dem Bock neben dem »Schwager«, und hinaus ging’s im langsamen Trott durch die heißen Straßen der Residenz, hinein in die lachende Gotteswelt. Es war kein behagliches Reisen und ging just auch nicht schnell – denn bis nach Stettin brauchte man länger als zwei Tage – aber es bot doch wechselnde Bilder, und der Postillon tat, wenn er in ein Städtchen oder in ein Dorf einfuhr, sein Bestes auf seinem Horne. Am dritten Tage sah er den alten, lieben Kniephof wieder und umarmte die Eltern und küßte sein Schwesterchen, und dann brach die ganze Lust und Frische, die in den letzten Wochen zurückgedämmt war, wieder durch. Trotz des jüngsten Unfalls jagte er hoch zu Roß durch Wald und Flur, aber er ergötzte sich auch mit stillem Behagen an den lauschigen Plätzen seiner Kinderjahre unter den rauschenden Bäumen des Parkes. Wie vielfach im Sommer, so nahm auch diesmal die Familie Bismarck einen kurzen Aufenthalt in Schönhausen, das der wackere Inspektor Bellin verwaltete. Es liegt in der Altmark, am rechten Elbufer, da, wo die Havel hereinkommt. Ringsum das märkische Flachland mit Feldern und Wiesen und mageren Kiefernwäldchen dazwischen hatte wenig landschaftliche Reize, aber im Dorfe selbst liegen zwei Herrengüter, und ihre Parke beleben mit dichtem Grün die Szenerie. Das Bismarcksche Herrenhaus ist einfach gebaut; über dem schlichten Portal ist das Kleeblattwappen der Familie, daneben ein anderes – eine Katze mit der Maus – und darunter stehen nebst der Jahreszahl 1707 die Namen: August von Bismarck und Dorothea Sophie Katten. Hier war Otto geboren, und darum hatte Schönhausen seinen besonderen Reiz für ihn, wenngleich der Park hier kleiner war als in Kniephof. Fröhlich durchschweifte er ihn bei seiner Ankunft; er schreitet durch die Allee von alten, breitästigen Linden, dann hinein zwischen wuchernden Weißbuchenhecken nach dem kleinen Teiche, und nun auf der hölzernen Brücke über den Graben hinaus ins Freie. Da lugt ein steinernes Bild herüber, eine alte, mythologische, nackte Figur, die wenig respektvoll dem Junker ihre Kehrseite zuwendet. Er wirft einen Blick hinüber und schreitet weiter mit der Flinte auf dem Rücken, hinaus ins Feld. Aber es will sich keine Beute finden. Hoch über ihm zieht mit höhnischem Lachen ein Falke seine Kreise, einige Raben kreischen auf den Feldern, aber jagdbares Getier ist nicht zu sehen. Unmutig im heißen Sonnenbrand schlendert er um Mittag heimwärts. Er schreitet wieder über das Holzbrückchen und sieht abermals den wenig höflichen und anständigen Herkules; die Sonne beleuchtete ihn auffällig hell, wie er so dastand und beinahe höhnisch die eine Hand rückwärts unterhalb des Rückens legte. Otto hatte eine Schrotladung in seiner Flinte; heimbringen wollte er sie nicht wieder, und, einer raschen Laune folgend, riß er die Waffe von der Schulter, legte an, und der Schuß krachte. Von dem Herkules splitterte es, und der Leib zeigte eine bedeutend hellere Stelle in der Nähe der Hand, der junge Schütze aber ging, wie im Bewußtsein einer guten Tat, heimwärts. Am anderen Tage kam er mit seinem Vater an derselben Stelle vorüber, und Herr von Bismarck sah den Herkules an, was mit ihm geschehen war. »Das hast du wohl verübt, Otto?« »Ja, Papa,« antwortete der Gefragte, »aber ich habe nicht gemeint, daß er’s spüren wird; er hat jedoch gleich mit der Hand nach hinten gefaßt.« Der Rittmeister lächelte halb abgewandt, und damit war die Sache abgetan. Im Herbste ging es wieder nach Berlin und ins Gymnasium. Es kam die Zeit, in welcher Otto sich auf sein Abiturientenexamen vorzubereiten hatte, und er arbeitete mit Eifer und Lust. Ab und zu besuchte er auch Bruder Bernhard, welcher als Offizier in Berlin diente und in der elterlichen Wohnung in der Behrenstraße wohnte. Eines Tages kam er mit einer gewissen Aufregung. Er fand Bernhard nicht daheim und setzte sich nun auf das Sofa, um das Zimmer, obwohl er es lange kannte, einer Musterung zu unterziehen. Da blieb sein Blick plötzlich an der Stelle haften, wo neben dem Bücherschrank an der Wand zwei lange Reiterpistolen hingen. Im nächsten Augenblicke sprang er auf und holte die Schießwerkzeuge herab. Er prüfte die Hähne und fand alles in Ordnung. Nun suchte er nach Pulver und Kugeln, und da er die Verhältnisse der Wohnung ziemlich genau kannte, fand er beides. Frisch ward jetzt geladen und nach einem Ziele geforscht. Er riß den Bücherschrank auf und fand unten in demselben eine Scheibe. In wenigen Augenblicken war sie an dem Schranke befestigt, und gleich darauf krachte der erste Schuß. Und nun ging es Schlag auf Schlag. Das ganze Haus kam auf die Beine. Man wußte nicht, was vorging, und traute sich anfangs nicht in die Wohnung, bis die Beherzten eindrangen, und nun mit Entsetzen diese Schießübung sahen. Einer hatte den Mut, sie zu verbitten. Otto aber sagte, ohne sich stören zu lassen: »Hier hat mir niemand etwas zu sagen!« und krachend schlug die nächste Kugel in die Scheibe. Da kam Bernhard; er eilte erschrocken die Treppe empor, aber als er den Vorgang sah, wußte er nicht, sollte er lachen oder schelten. Fürs erste aber hörte nun doch zur Beruhigung der Hausbewohner das Schießen auf, und Bernhard fragte: »Aber nun sage mir, Junge, was dir eigentlich eingefallen ist?« »Na, einmal war das Warten langweilig, und zum anderen habe ich mir Luft machen müssen.« »Na, – was hast’, was kneipt dich denn so sehr?« »O, diese ewige Schikane mit dem französischen Lehrer ist nachgerade unerträglich. Und wenn ich nun denke, daß ich eine Probearbeit bei ihm machen soll, da wurmt’s mich, und mir schwillt die Galle. Darum hab’ ich mir ein bißchen Luft machen müssen.« »Na, und dazu muß der unschuldige Bücherschrank herhalten?« »Ja, warum bist du auch nicht zu Hause, wenn man einen teilnehmenden Menschen braucht!« »Rat weiß ich aber auch jetzt keinen. Wenn du nicht französisch arbeiten willst, dann mach’s doch englisch – ihr könnt euch ja die Sprache wählen, soviel ich weiß!« »Na, das ist Fopperei, Bernd! Du weißt recht gut, daß ich kein Englisch getrieben habe. Aber ich will dir auch was sagen. Ihr sollt sehen, was Otto von Bismarck leisten kann. Ich mache keine französische Probearbeit! Schön Dank auch für den guten Rat – Adieu!« Er war hinaus und eilte heimwärts. Bald darauf saß er in seiner Giebelstube über der englischen Grammatik, und nun studierte er darauflos, als ob davon das Heil der Welt abgehangen hätte. Als es zur Probearbeit kam, wählte er zur Verblüffung des französischen Lehrers und zum Staunen der anderen die englische Sprache. Und er hat sein Examen bestanden, und bestand es auch in den übrigen Fächern in ehrenvoller Weise. Leb wohl, du graues Kloster in Berlin! So vergnügt ist er noch niemals ins Pommernland heimgefahren wie diesmal, da die Gymnasialzeit hinter ihm, dem Siebzehnjährigen, liegt, und die Phantasie ihm fröhliche und leuchtende Bilder entrollt von der »Burschenherrlichkeit« und von lebensfroher Studentenzeit! Schöner und weiter schien ihm die Welt, und der Hornklang seines Postillons hallte diesmal wundersam wieder in der freien, zukunftsfrohen Jünglingsseele. Ein glückliches Menschenkind traf mit dem erwachenden Lenze des Jahres 1832 im alten Kniephof wieder ein. Drittes Kapitel. ~Gaudeamus igitur.~ In der »goldenen Krone« zu Göttingen saßen an einem Maiabend des Jahres 1832 eine Anzahl junger Männer beisammen. Fröhlich klangen die Gläser, und durch die geöffneten Fenster hinaus schallten die kraftvollen alten Studentenweisen: Stimmt an mit hellem hohem Klang, Stimmt an das Lied der Lieder, Des Vaterlandes Hochgesang; Das Waldtal hall’ es wider! Der alten Barden Vaterland, Dem Vaterland der Treue, Dir freies, unbezwung’nes Land, Dir weih’n wir uns aufs Neue! Das brauste einher mit machtvoller Begeisterung, und die Pokale läuteten abermals zusammen. Einer von den Burschen erhob sich an dem Tische, eine prächtige Jünglingsgestalt mit blitzenden blauen Augen, strotzend in der Fülle jugendlicher Kraft. »~Silentium!~ Bismarck will reden!« Still ward es in dem Raume, und aller Blicke wendeten sich nach dem Sprecher. »Kommilitonen! Wir haben in diesen Tagen und erst heute noch auf unserer Wanderung ein prächtiges Stück deutschen Landes gesehen, und das Herz ist uns aufgegangen in der Schönheit des Harzwaldes, in dem die Sage lebt auf der Bergeshöhe, wie im felsigen Talgrund, und wo in einem gesunden Geschlechte alte deutsche Kraft und Einfachheit der Sitten wohnt. Kommilitonen, ihr seid Mecklenburger, ich bin ein Altmärker – ist’s bei uns daheim etwa anders? – Lebt nicht überall derselbe gesunde Sinn, der sich freut in der Schönheit der Natur, und der an der deutschen Scholle hängt, auf welcher unsere Wiege stand? Mag auch ein halb Hundert verschiedenfarbiger Grenzpfähle im deutschen Lande stehen – das Auge sieht sie, das deutsche Herz weiß nichts davon, wenn es die Ehre der ganzen Nation gilt. Die Freiheitskriege haben es bewiesen. Laßt uns nicht schlechter sein als unsere Väter, die bei Leipzig und Waterloo geschlagen haben, und laßt uns immer an das Wort unseres großen Dichters denken: »Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern!« _Eine_ Muttersprache reden wir alle, und alle haben wir im Grunde nur _ein_ Vaterland – und das eine, große, deutsche Vaterland, dem wir Blut und Gut weihen, es blühe und gedeihe! Füllt die Gläser: dem Vaterlande!« Jubelnd schallte der Zuruf, stürmisch klang es zusammen, Otto von Bismarck aber goß den letzten Rest aus seiner Flasche, und mit dem Rufe: »Fort mit allem, was leer und nichtig ist!« schleuderte er die letztere durch das offene Fenster hinaus auf die Straße. Die fröhlich lärmenden Burschen hörten weder den zornigen Aufschrei, der von draußen hereinschallte, noch das Klirren des Glasgefäßes auf dem Pflaster, immer höher gingen die Wogen der Begeisterung, und immer lauter schallten Becherklang und Studentenweisen hinaus in die schweigende Frühlingsnacht, bis endlich Bismarck erklärte: »~Satis, quod sufficit!~« und mit einem energischen »Prost Kommilitonen!« sich entfernte. Unter dem Tische erhob sich gleichzeitig eine mächtige englische Dogge, welche zu den Füßen ihres Herrn gelegen hatte, und schritt gravitätisch neben ihm hinaus. Am nächsten Morgen schaute Otto von Bismarck mit Behagen zu seinem Fenster in der Roten Straße Nr. 299 hinaus. Seine »Bude« war einfach und sah »burschenmäßig« aus. Im Mobiliar war weder ein besonderer Überfluß noch hervorragende Eleganz, denn der Hauswirt, Herr Schumacher, wußte, wie schnell oft die Bewohner wechselten, und wie rasch diese Art eine »gute Stube« abzuwohnen pflegte. Bismarck wünschte es auch nicht besser. Über dem alten Sofa hatte er eine Anzahl auf Pappe gezogener Schattenrisse seiner Freunde gehängt, an der einen Wand prangte eine stattliche Pfeifensammlung, welche den Neid manches Kommilitonen schon herausgefordert hatte, und vor dem Sofa lag lang ausgestreckt die gewaltige Dogge und blinzelte schläfrig nach ihrem Herrn, der, wie erwähnt, im offenen Fenster lehnte, angetan mit einem bunten Schlafrock, und die lange Pfeife, welche weit hinaushing, im Munde. Es war ein prächtiger Frühlingstag, und dem jungen Studenten war ganz wohlig zumute. Da unten schritten die ehrsamen Bürger hin, rasch hinhuschende Mädchen, geschäftige Arbeiter und sorglose Studenten, entweder ganz kommentmäßig in Flaus und Kanonen, mit dem Cerevis, oder im Schlafrock und Morgenschuhen, den Ziegenhainer in der Faust und die dampfende Pfeife im Munde. O, es war auch in Göttingen schön, und an der »Königlich Großbrittanisch-Hannoverschen Georgia Augusta« ließ sich’s leben! Er hatte anfangs für Heidelberg geschwärmt, aber die besorgte Mama fürchtete den burschikosen Geist, der dort walten sollte, und nachdem in einem Familienrate ein Verwandter des Hauses, der geheime Finanzrat Kerl, Göttingen als eine Hochschule der vornehmen Welt empfohlen und Briefe an die Professoren Hugo und Hausmann mitzugeben versprochen hatte, war die Sache entschieden. Nein, in Göttingen war es gar nicht so übel! Eben als der junge Student sich in diesen behaglichen Gedanken versenkte, pochte es an der Tür. Die Dogge hob den Kopf, und auf das »Herein!« erschien auf der Schwelle der Universitätspedell und überreichte mit höflichem Gruße Bismarck ein Schreiben. Dieser liest mit einiger Verwunderung, daß er u. z. citissime – möglichst bald – vor dem Universitätsrichter zu erscheinen habe. »Dem Manne kann geholfen werden!« zitierte der Studiosus halb pathetisch, halb ärgerlich; dann fuhr er langsam in die spiegelblank gewichsten Kanonenstiefel, sah sich einen Augenblick nach einer geeigneten Kopfbedeckung um, und ergriff endlich einen hohen Zylinderhut, den er sich auf das Haupt stülpte, und so, die weißen, ledernen Beinkleider umflattert von dem bunten Schlafrock, die lange Pfeife im Munde, schritt er, begleitet von der englischen Dogge, durch die Gassen der vornehmen Universitätsstadt nach dem Hause des Richters. Als er bei demselben eintrat, fuhr der alte Herr entsetzt auf vor der respektwidrigen Erscheinung, und als ihm der gewaltige Hund, der noch vor seinem Herrn sich hereingedrängt hatte, um die Beine schnupperte, ward es ihm völlig unbehaglich, und er suchte sich mit vorgestemmtem Stuhle zu schützen, wobei er rief: »Schaffen Sie sogleich den Köter hinaus!« Bismarck rief die Dogge und öffnete die Tür. Der Hund ging gehorsam hinaus, und jetzt kam der Richter hinter seinem Sitze hervor, noch immer ängstlich und zornig zugleich, und fragte: »Wer sind Sie, und was wollen Sie?« »Ich bin der Studiosus ~juris~ Otto von Bismarck, und was ich hier will, müssen Sie wissen, denn Sie haben mich zitieren lassen!« Er entfaltete das Papier, welches er erhalten hatte. »Richtig – gut! Aber fürs erste habe ich Ihnen mitzuteilen, daß es verboten ist, Hunde mitzubringen vor das Universitätsgericht, und daß ich Sie darum mit einer Ordnungsstrafe von 5 Talern belege.« »Hm – auch nicht übel!« brummte der Verurteilte halblaut, der andere aber fuhr fort: »Die Sache, derohalben Sie zitiert worden sind, ist die: Gestern abend ist ein Herr, der an der »Goldenen Krone« vorüberging, durch eine Flasche am Arme getroffen worden. Die Erörterungen haben ergeben, daß die Flasche von Ihnen herrührte. Können Sie sich entsinnen, wie dieselbe auf die Straße gelangte?« »Zweifellos durchs Fenster!« »Na, ja, allerdings – aber ich meine, eine Wirkung, wie der Wurf einer Flasche durch das Fenster, muß doch auch eine Ursache haben!« »Die war auch vorhanden in der Anspannung meiner Muskeln und der Schwungkraft des Armes. Wenn Sie wünschen, Herr Universitätsrichter, kann ich die Prozedur Ihnen ~ad oculos~ demonstrieren!« Bismarck griff nach dem großen Tintenfasse auf dem Tische des Richters und hob dasselbe in bedrohlicher Haltung. »Das genügt, Herr von Bismarck, und da Sie im übrigen das Faktum nicht in Abrede stellen, kann ich Sie entlassen. Das weitere wird Ihnen noch mitgeteilt werden!« Die Aussicht auf das »weitere« stimmte den jungen Studenten nicht gerade heiter, und einigermaßen ärgerlich ging er mit seiner Dogge heimwärts. Noch ehe er in die Rote Straße kam, begegneten ihm vier Korpsburschen von den Hannoveranern. Bismarck ging mit weitausgreifenden Schritten daher, mit fliegendem Schlafrock, die Pfeife wie eine Waffe in der Hand, und der hohe Zylinderhut, der wunderlich zu dem sonstigen Aufzuge paßte, glänzte in der Sonne. Die »Hannoveraner« blieben stehen und brachen in ein lautes Gelächter aus. Bismarck war nicht in der Stimmung, sich etwas bieten zu lassen; er trat an den vordersten der Burschen dicht heran und fragte scharf: »Lachen Sie über mich, Herrens?« »Natur, das können Sie doch sehen!« lachte es ihm entgegen. »Dummer Junge!« brauste nun der Geärgerte auf. »Wen meinen Sie?« riefen die anderen. »Natur, alle viere!« Damit wandte er sich und ließ die einigermaßen verblüfften »Hannoveraner« stehen. Obwohl er noch ein Neuling war, wußte er doch, was nun kommen mußte. Das gab höchstwahrscheinlich vier blutige Auseinandersetzungen, aber auch davor ward ihm nicht bange. Da er Sekundanten und kommentmäßige Waffen brauchte, begab er sich gleich darauf zu dem Senior des Korps der Braunschweiger (Brunsvigia) und belegte dort die Schläger. Nun wartete er ruhig das weitere ab, aber das kam anders, als er gemeint hatte. Die vier »Hannoveraner« waren zunächst aufgebracht über den »frechen Fuchs«, aber einer von ihnen, ein Hausgenosse Bismarcks, der diesen einigermaßen besser kannte, und dem die ganze »forsche« Art und Weise desselben gefiel, warf auch den anderen einen Gedanken hin, der diesen völlig annehmbar dünkte, und so kam es, daß alle vier noch an demselben Tage sich bei Bismarck einfanden. Der empfing sie mit kühler Höflichkeit. »Ich weiß, weshalb Sie kommen, meine Herren!« »Verzeihen Sie, Herr von Bismarck, das dürften Sie nicht wissen. Wir kommen, um Sie wegen unseres Gelächters von heute morgen um Entschuldigung zu bitten, und hoffen, daß Sie die »dummen Jungen« zurücknehmen werden!« »Unter solchen Umständen mit Vergnügen!« »Schön. – Und wissen Sie auch, was uns veranlaßt zu solchem Vorgehen? – Sie gefallen uns, Herr von Bismarck, und da Sie noch nirgends eingesprungen sind, und wir uns auf einen so schneidigen Fuchs etwas zugute tun würden, so fragen wir an, ob Sie nicht für unser Korps zu haben sind?« »Abgemacht! – Ihr gefallt mir, – ich bin der eure!« Ein vierfacher herzlicher Händedruck, und die Sache war in Ordnung. Aber um sein Duell kam er bei alledem nicht. Die »Brunsvigia« war empört, weil er bei ihr die Waffen belegt und nun bei einem anderen Korps eingesprungen war. Die Beleidigung konnte man nicht auf sich sitzen lassen, und der Konsenior der Brunonen ließ Bismarck seine Forderung überbringen. Man war gespannt darauf, wie der junge Fuchs sich herausbeißen werde; der aber ging frohgemut auf die Mensur gegen seinen renommierten Gegner. Dieser glaubte anfangs den Neuling so leichthin behandeln und mit Leichtigkeit »abführen« zu können, aber Bismarck hatte Kraft und Übung; schon nach einigen Paraden ging er zum Angriff über, und gleich darauf zog sich ein blutiger Schmiß über das Gesicht des »Braunschweigers«. Im Triumph führten die »Hannoveraner« ihren Fuchs von dannen, doppelt froh, ihn für sich gewonnen zu haben, und er machte dem Korps auch als Paukant alle Ehre, denn aus allen seinen Mensuren ist er als Sieger hervorgegangen. Eines Abends saß er in der Korpskneipe der »Hannoveraner«, im »Deutschen Haus«. Als Gast war auch ein junger Engländer, Coffin, anwesend, der zu seinem Vergnügen einige Vorlesungen besuchte. Die jungen Gemüter waren durch Gesang und Trunk angeregt, lebhafter schwirrte die Unterhaltung hin und her und kam endlich auch auf politisches Gebiet. Angehörige verschiedener deutscher »Vaterländer« befanden sich in dem Kreise, und das schien den Engländer zu belustigen. »Sie haben 36 Vaterländer und kein Vaterland, und ihr Schutzpatron, der deutsche Michel, hat’s auch gar nicht eilig, eine Eintracht zu schaffen. Er zieht behaglich seine Schlafmütze über die Ohren, hüllt sich vergnüglich in seinen bunten 36farbigen Schlafrock und – –« Da stand Bismarck neben dem Fremden. Mit seinen flammenden Augen sah er ihn an, hochaufgerichtet und drohend. »Herr, schwätzen Sie nicht, was Sie nicht verstehen, sonst dürften Sie den deutschen Michel ohne Schlafrock kennen lernen! – Umgürte dich mit dem ganzen Stolze deines England, ich verachte dich, ein deutscher Jüngling!« Stürmische Bewegung ging durch den ganzen Kreis. Coffin war aufgesprungen: »Das ist eine Beleidigung!« »Sie haben zuerst beleidigt!« »Wir werden uns an einem anderen Orte finden!« »Ich werde nicht fehlen!« – – Am nächsten Tage wurde die Sache mit den Waffen ausgetragen, und der Engländer erkannte, daß der »deutsche Michel« eine gute Klinge schlage. Damit war der Ehre Genüge getan und die Geschichte beigelegt. Schon wenige Tage später saßen die beiden Gegner wieder im »Deutschen Hause« beisammen und sprachen in ernster und ruhiger Weise. »Und Deutschland wird doch einig werden, und in seiner Einigkeit sich wie ein Riese erheben über die Völker Europas,« sagte Bismarck. Coffin schüttelte energisch mit dem Kopfe: »Das wird niemals werden; aus so vielen Stücken wird kein Ganzes – niemals!« »Und doch werde ich rechtbehalten; in zwei Jahrzehnten ist das ganze deutsche Volk eins geworden, aber es braucht dazu mehr als unsere Hieber und die Tinte der Diplomaten!« »Davon werden Sie mich nicht früher überzeugen, als bis ich es erlebe!« »Gut, – wetten wir! 25 Flaschen Champagner gibt der Gewinner, der Verlierer aber kommt übers Meer, um sie auszutrinken!« »Das soll gelten, – die Herren sind Zeugen!« So lebte in der stolzen, starken Jünglingsseele die Ahnung der großen kommenden Zeit, die freilich im Jahre 1853 noch nicht anbrechen sollte. Bismarck aber hat die Wette nicht vergessen und hätte sie seinerzeit auch eingelöst, wenn der Tod nicht vordem schon seinen Partner abgerufen hätte. Ei, wie dem flotten Burschen die Tage dahinflogen im freundlichen Göttingen, so daß er beinahe gar nicht dazu kommen konnte, die Kollegien zu besuchen, weil er alle Hände voll zu tun hatte, mit anderen Dingen! Sein Name galt etwas in Studentenkreisen, und er hatte seinen Ruf nicht bloß auf dem Paukboden, sondern auch durch sein Geschick, Gegensätze auszugleichen und diplomatisch zu vermitteln, erworben. Es war an einem kalten Januartage des Jahres 1833, als vor Göttingen draußen in einem Wäldchen sich einige junge Leute einfanden zu einem, wie es schien, recht ernsten Geschäft. Am Abend vorher war ein englischer Student, Knight, auf einem Balle von dem jungen Baron von Grabow beleidigt worden. Die Sache war an sich nicht von Belang, aber die Gegner waren hitzig geworden und hatten sich auf Pistolen gefordert. Und nun standen sie an dem klaren, kalten Wintermorgen da, um die Sache auszutragen. Bismarck war mit Knight herausgefahren, um diesem als Dolmetsch zur Seite zu stehen. Da es aber an einem Unparteiischen fehlte, war er gern bereit, das Amt zu übernehmen. Die Sekundanten hatten die Waffen geladen, der Arzt stand seitwärts vor seinem aufgeschlagenen Verbandskasten, und auf allen Gesichtern lag schwerer Ernst, denn die Duellanten hatten nur drei Schritt Barriere verabredet. Da sagte Bismarck: »Meine Herren, Ihre Ausmachung bedeutet nicht mehr ein Duell, sondern einen Mord. Dazu gebe ich meine Hand nicht! Die Sache, um deretwillen Sie sich hier gegenüberstehen, ist, wie ich nicht zweifle, auf ein unseliges Mißverständnis zurückzuführen, und nicht derart, daß darüber zwei Menschenleben mit beinahe absoluter Sicherheit aufs Spiel gesetzt werden. Ich meine, der Ehre ist auch völlig genügt, wenn Sie zehn Schritte Abstand nehmen. Und nur für diesen Fall fungiere ich als Unparteiischer.« Die Duellanten erklärten sich einverstanden. Bismarck schritt die Entfernung mit weitausgreifenden Schritten ab und fügte noch zwei Schritte zu. Dann trat er an den Arzt heran, um diesen von der Eigenmächtigkeit zu verständigen – und nun mußten die Dinge ihren Lauf nehmen. Bismarck kommandierte, die Schüsse krachten gleichzeitig, – eine Sekunde lang stand jedem der Herzschlag still, – dann zog sich der bläuliche Rauch verschwimmend in die Morgenluft, und die Kugeln saßen irgendwo in zwei Baumstämmen. Blut ist bei jenem Zweikampf nicht geflossen. Ruchbar ward die Sache aber trotzdem, und der Studiosus Bismarck erhielt zehn Tage Karzerstrafe, die er mit stoischem Behagen absaß, wobei er nicht versäumte, sich in die Präsenzliste einzuzeichnen, indem er seinen Namen in die Karzertür schnitt. Nicht gar lange danach fühlte er eines Morgens ein seltsam Mißbehagen in seinen Gliedern. Das war ein Ziehen und Frösteln, so ganz anders als nach lustig durchlebter Nacht, und er fand, daß es doch vielleicht gut wäre, einen Medikus zu Rate zu ziehen. Der Arzt konstatierte Wechselfieber, und so lag er einige Tage zu Bette, verstimmt, gelangweilt, appetitlos, und versuchte unmutig ab und zu etwas von dem verschriebenen Chinin einzunehmen. Da kam eines Morgens eine Sendung aus Pommern. Ein köstlicher Duft stieg aus der geöffneten Kiste, und der Patient begann mit zunehmendem Interesse die Herrlichkeiten auszupacken, welche mütterliche Liebe und Sorgfalt ihm hatte zugehen lassen. Neben den berühmten pommerschen Gänsebrüsten lachte ein saftiger bräunlicher Schinken, und behagliche Würste streckten ihre glänzenden Glieder dazwischen. Ein Gruß aus der Heimat! Na, ein Stückchen Wurst wird auch bei Fieber nicht schaden! Die Mettwurst ist so saftig und würzig, und es ist ganz wunderbar, wie einem der Appetit beim Essen kommt. Der Kranke schneidet eine Scheibe nach der anderen herunter, und erst, als eines der kleinen Ungetüme, die ihre drei bis vier Pfund wiegen mochten, zur Hälfte verschwunden war, stellte Bismarck seine Tätigkeit ein. Dabei war ihm so wohl, wie seit einigen Tagen nicht, und der Arzt sah, als er kam, mit freudiger Verwunderung seinen Patienten. »Da hat das Chinin wieder einmal sein Wunder getan!« sagte er mit Genugtuung; Bismarck aber sprach: »Ich habe ein Mittel genommen, das mir noch wirksamer scheint. ~Recipe~: Jede Stunde ein halb Pfund pommersche Mettwurst; ’s ist probat, lieber Doktor!« Der Arzt sah mit verwundert großen Augen die geöffnete pommersche Kiste und »was Arbeit unser Held gemacht.« Zu Michaelis ging’s nach Kniephof. Drei Semester waren verlebt an der Georgia Augusta. Da saß er wieder in dem kleinen pommerschen Herrenhause und sah hinaus auf die bewegten Wipfel im Parke und blies aus der langen Pfeife vergnüglich seine Rauchwolken. Die Frau Mama schaute ihn mit Liebe und Sorge zugleich an und schien von Göttingen ein wenig enttäuscht. Die kleine Schmarre auf der Wange – sie stammte von der abgesprungenen Klinge eines Gegners – die bunten Pfeifentroddeln, die Cerevis schienen ihr verwunderliche Geschichten zu erzählen, und sie wollte ihren Jüngsten von nun ab etwas mehr in ihrer Obhut wissen! So kam es, daß Otto von Bismarck nicht nach Göttingen zurückging, sondern noch drei Semester an der Berliner Hochschule verbrachte. Es ging auch hier eine Zeitlang flott und lustig weiter, und das »~Gaudeamus!~« klang in der preußischen Residenz nicht minder frisch und froh als in Göttingen. Eines Abends trat er bei seinem Freunde, dem jungen Grafen _Kaiserlingk_, ein. »Wie ist’s – gehst du mit zur Kneipe?« fragte er. »Heute bin ich nicht in der Stimmung, und denke mich darum in meinen vier Pfählen behaglich einzurichten. Bleib da, Bismarck, an »Stoff« soll’s auch hier nicht fehlen, und meine Pfeifen stehen dir zur Verfügung.« »Soll gelten – das Wetter ist jetzt verlockend zum Daheimsitzen – höre, wie der Wind um die Fenster saust. – Ah, da ist auch _Motley_« – unterbrach er sich, als ein junger, blonder Mann eintrat, den die beiden anderen herzlich begrüßten – »na, ~tres faciunt collegium~!« Er streckte sich behaglich auf dem Sofa und bat: »Aber nun mußt du unser Konvivium auch stimmungsvoll einleiten, Kaiserlingk!« Der junge Graf setzte sich an das Instrument, und das sang und klang durch den Raum, als webe eine Geisterschar an einem Märchen; bald weich und melodisch, bald wild bewegt wie ein aufgeregtes Gemüt – klang es aus den Saiten, und der große Beethoven hatte das Wort! Und auf dem Sofa saß der wilde, flotte Bursche und hatte sich in die Ecke gelehnt und den Kopf in die Hand gestemmt. Als der letzte Ton verklungen, sagte er: »Sehr schön, Kaiserlingk! – das kann böse Geister bannen, und mir ist, als verstehe ich jetzt erst die Geschichte von Saul und David. Heute taugte ich überhaupt nicht mehr für die Kneipe. Motley, haben Sie nicht einen Ihrer geistvollen geschichtlichen Aufsätze bei sich, es wäre köstlich, wenn Sie uns was mitteilen wollten.« »Wenn es gewünscht wird, kann ich etwas holen« – sagte der junge Engländer, der in demselben Hause wohnte, und ging. Als er zurückkehrte, hatten sich noch zwei junge Gäste eingefunden, und nun wurde der Abend in der anregendsten Weise verlebt. Es war spät geworden, als Bismarck bat: »Kaiserlingk, nun noch etwas zur guten Nacht!« Und der junge Graf griff noch einmal in die Tasten, und der bestrickende Zauber der »Mondscheinsonate« nahm die jungen Gemüter gefangen. »Kinder,« sagte Bismarck, »solch ein Abend gibt einem ordentlich eine Sehnsucht nach dem Philistertum; lacht mich aus, wenn ihr wollt – aber von morgen an werde ich solide und verlege mich aufs Arbeiten. Und das hat mit ihrem Singen die Loreley getan! Gute Nacht!« Und in der Tat legte er sich ins Zeug, um das in der flotten Burschenzeit Versäumte nachzuholen. Um die Osterzeit des Jahres 1835 kam er eines Tages in das Haus seiner Tante, der Generalin von Kessel, und wurde hier, wie immer, von seinen Cousinen heiter und herzlich begrüßt. »Na, heute bitte ich mir etwas Respekt aus! Seht ihr mir nichts an?« Neugierig und lachend betrachteten ihn die jungen Damen von allen Seiten. »Was soll denn aus dir wohl werden, so über Nacht?« »Ja, das Raten ist nicht eure starke Seite! Da will ich’s euch sagen. Ich habe vorgestern mein Staatsexamen gemacht und bin als Auskultator für das Stadtgericht vereidigt worden!« »Ah! – Gratuliere! – Aber ansehen kann man dir die Würde nicht!« rief es durcheinander, doch Fräulein Helene, die als Künstlerin sehr tüchtig war, rief: »Diese Phase seines Lebens muß festgehalten werden! Otto, ich male dich als Auskultator!« »Kann mir nur schmeichelhaft sein! Da weiß man später doch einmal, wie man als neugebackener Philister ausgesehen hat.« Da trat Bernhard von Bismarck ein, der gleichfalls in Berlin als Referendar tätig war, und der mit Otto zusammenwohnte. »Ich habe mir’s gleich gedacht, daß er bei Euch stecken wird« – rief er; »jetzt, da er in Amt und Würde ist, sucht er freundliche Häuslichkeiten mit heiratsfähigen Töchtern!« »Aber Bernd« – riefen die Damen entrüstet. »Freut euch doch, daß die Zeit vorüber ist, in welcher er jungen Damen die Fenster einzuwerfen pflegte.« »Und das hat er wirklich getan?« »Da sieht man wieder die Übertreibung,« lachte Otto von Bismarck – »wobei nicht einmal meine besondere Liebenswürdigkeit erwähnt wird. Daß der Göttinger Professor, der durch sein Verhalten gegen mich das Fensterattentat provoziert hatte, einige Töchter besaß, konnte ihn freilich vor meiner Rache nicht retten, aber ich kann zu meiner Entschuldigung sagen, daß ich die Scheiben nicht mit Steinen, sondern mit Kandiszucker eingeworfen habe, um den Mädchen wenigstens einigermaßen den Schrecken zu versüßen. Übrigens, bitte, stellt mir einmal einen dienstbaren Geist zur Verfügung! Ich habe einen Schuster in der Kronenstraße, welcher mir bis gestern ein Paar Stiefel liefern sollte, und mich, wie bereits in früheren Fällen, im Stiche ließ. Den Mann will ich Ordnung lehren. Seit heute früh sechs Uhr schicke ich ihm alle zehn Minuten einen Boten mit der Anfrage, ob meine Stiefel noch nicht fertig wären. Ich vermute, daß ich sie heute noch erhalte.« Wenige Tage später saß der junge Auskultator im Berliner Stadtgericht und waltete seines Berufes mit Eifer und – je nachdem – auch mit Humor. Der Sommer verging und der Herbst, und der Winter brachte mit seinen geselligen Vergnügungen manche schöne Abwechslung in die Einförmigkeit seines Amtes. Von besonderem Interesse war dabei der erste Hofball, welchem er beiwohnte. Seine äußere Erscheinung auf demselben war in jeder Weise vornehm und durch Gestalt und Haltung geradezu auffallend. Üppiges Haar umwallte das hochgetragene Haupt, und in dem geistvollen aristokratischen Gesichte blitzten frisch, lebhaft und durchdringend klar die Augen. Wie er so Arm in Arm mit seinem Kollegen, dem Auskultator von Scherk, dahinschritt, folgten alle Blicke den beiden prächtigen Gestalten, die der bekannte selige Preußenkönig sich für seine Potsdamer Riesengarde nicht gern hätte entgehen lassen. Auch dem Prinzen Wilhelm (dem nachmaligen Kaiser Wilhelm I.) fielen die beiden jungen Männer auf, und als sie ihm vorgestellt wurden, sagte er mit wohlgefälligem Lächeln: »Nun, die Justiz legt wohl auch jetzt das Gardemaß an ihre Leute?« »Königliche Hoheit,« erwiderte Bismarck, indem er klar und voll den Prinzen anblickte, »auch wir Juristen ziehen den Soldatenrock an, wenn es fürs Vaterland gilt!« Am nächsten Morgen saß er, noch in Erinnerung an den vorigen Abend versunken, am grünen Tische des Stadtgerichts. Vor ihm stand ein biederer Berliner, der in einer Bagatellsache zu vernehmen war. Der Mann, welcher den kaustischen Humor, aber auch die Zungenfertigkeit des hauptstädtischen Proletariers besaß, glaubte, dem jungen Auskultator gegenüber sich noch mehr als üblich herausnehmen zu dürfen, und perorierte in nicht ganz ruhiger Weise. Bismarck, dem die Sache endlich zu arg ward, sprang mit seiner imponierenden Gestalt auf und rief: »Wenn Sie sich nicht mäßigen, werfe ich Sie hinaus!« Der Mann war einigermaßen verdutzt über diesen unerwarteten Ausbruch, aber auf Bismarck selbst trat der anwesende Stadtgerichtsrat herzu und sagte, indem er ihm die Hand auf den Arm legte: »Das Hinauswerfen ist _meine_ Sache, Herr Auskultator!« Bismarck nahm sein Gerichtsverfahren wieder auf, der Berliner aber, welcher nun Oberwasser erhalten zu haben meinte, wurde noch unangenehmer als zuvor, bis der Auskultator zum zweitenmal aufsprang und mit einem sehr bezeichnenden Seitenblick rief: »Herr, wenn Sie sich nicht mäßigen, lasse ich Sie durch den Herrn Stadtgerichtsrat hinauswerfen!« Das Stadtgericht wollte Bismarck überhaupt nicht länger behagen; er brauchte ein größeres Feld, einen weiteren Gesichtskreis, und so verließ er 1836 Berlin und begab sich als Hilfsarbeiter zur Königlichen Regierung nach Aachen, wo der Regierungspräsident Graf Arnim-Boytzenburg sich freundlich des jungen Referendars annahm und auch gesellig in seiner Familie mit ihm verkehrte. Viertes Kapitel. Am eigenen Herde. König Friedrich Wilhelm III., der die Not und die herrliche Erhebung Preußens gesehen, war gestorben, und sein Sohn, Friedrich Wilhelm IV., hatte den Thron bestiegen. Das war im Jahre 1840, und in den Oktobertagen desselben fanden sich zahlreiche Vertreter des Volkes und des Adels zur Huldigungsfeier in der Hauptstadt ein. Die Sonne des 15. Oktobers war freundlich aufgegangen über dem Lustgarten, wo die tausendköpfige Menge sich um die reichgeschmückten Söller drängte, von welchen herab der neue Herrscher zu seinem Volke sprechen wollte. Nun war er erschienen, ließ seine hellen Augen über die in Ehrfurcht schweigende Versammlung schweifen, und dann begann er in der ihm eigenen lebhaften und begeisternden Art zu sprechen. Und die Stimme klang so klar wie Glockenton hinein in die heftiger pochenden Herzen: »Ritter, Bürger, Landleute und von den hier unzählig Gescharten alle, die meine Stimme vernehmen können, ich frage Sie, wollen Sie mit Geist und Herz, mit Wort und Tat und ganzem Streben, in der heiligen Treue der Deutschen, in der heiligeren Liebe der Christen mir helfen und beistehen, Preußen zu erhalten, wie es ist, wie es bleiben muß, wenn es nicht untergehen soll? Wollen Sie mir helfen und beistehen, die Eigenschaften immer herrlicher zu entfalten, durch welche Preußen mit seinen nur 14 Millionen den Großmächten der Erde beigesellt ist, nämlich Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit, Vorwärtsschreiten in Altersweisheit zugleich und heldenmütiger Jugendkraft? Wollen Sie in diesem Streben mich nicht verlassen und versäumen, sondern treu mit mir ausharren durch gute und böse Tage? O, dann antworten Sie mir mit dem schönsten und klarsten Laut der Muttersprache, antworten Sie mir ein ehrenhaftes Ja!« Und mit überwältigender Macht brauste das Wort durch die bewegten Lüfte, unten aber in der dichtgedrängten Menschenmenge faßte ein junger, stattlicher Mann die Hand des neben ihm Stehenden mit warmem Drucke und sagte: »Das soll gelten, Bernd, für alle Zeiten!« »Helf uns Gott, Otto!« erwiderte der andere; der alte, stattliche Herr aber, welcher bei den beiden stand, wischte sich einmal mit der Hand über die Augen. Die Menge wogte auseinander. Die drei jedoch schritten langsam hindurch, der alte Herr in der Mitte, der nun sagte: »Das war seit langem wieder eine schöne, erhebende Stunde, die wir alle nicht vergessen wollen. Schade, daß wir der Mutter nicht mehr davon erzählen können.« Es waren drei hochragende, prächtige Gestalten, welche durch die belebten Gassen schritten nach der Behrenstraße zu; ehe sie aber dieselbe erreichten, kreuzte ein junger Mann von gleichfalls auffälliger Statur ihren Weg. Er zog überrascht den Hut, und der Jüngste von den dreien rief lebhaft: »Schenk! – Du bist hier?« Eine herzliche Begrüßung der Freunde folgte, und bald gingen sie, nachdem sie sich von den beiden anderen verabschiedet hatten, zusammen auf den Bürgersteig hin, und betraten endlich ein Weinhaus, wo sie in einer abgelegenen Ecke sich niederließen. Der Kellner brachte Wein, leise klangen die Gläser zusammen, und Wilhelm von Schenk sagte: »Nun weißt du meine Erlebnisse, lieber Bismarck, jetzt laß mich hören, wie es dir gegangen ist, seitdem du nach Aachen übergesiedelt warst.« Der andere sprach: »In Aachen habe ich nicht lange ausgehalten. Ich kam beinahe wieder in die alte Burschenherrlichkeit hinein, und das wollte mir nicht passen. Ich hatte das Bewußtsein, daß mein preußisches Beamtentum mir dort mit Grundeis gehe, und das wollt’ ich nicht. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, redlich zu arbeiten im Dienste des Vaterlandes, und so wurde ich auf mein Ansuchen im Herbste 1837 nach Potsdam versetzt, wo der Geheimrat Wilke mir Pünktlichkeit und Strammheit im Dienste angewöhnte. Die konnte ich auch ganz gut brauchen, als ich im nächsten Frühling des Königs Rock anzog und bei den Potsdamer Gardejägern als Einjährig-Freiwilliger die Anfangsgründe der Kriegskunst exerzierte. Das habe ich so ein halbes Jahr getrieben. Dann ließ ich mich zum 2. pommerischen Jägerbataillon in Greifswald versetzen. Da war ich Soldat und Student zugleich und hörte in Eldena landwirtschaftliche Vorlesungen, denn in dem Hintergrunde der nächsten Zeit lag bereits die Aussicht, einen Teil unserer Güter übernehmen und Landwirt werden zu müssen. Es gab so manches gutzumachen und in die Höhe zu bringen – na, wie das eben so geht. Ostern 1839 war ich denn auch wieder in Kniephof. Meine Eltern zogen sich nach Schönhausen zurück, und Bernhard und ich übernahmen die pommerischen Güter, so zwar, daß mir Jarchelin und Kniephof und meinem Bruder Külz zukam. Es fiel mir aber gleich in den Anfang dieser selbständigen Tätigkeit ein trüber Schatten – du weißt wohl – –« »Ich weiß, deine treffliche Mutter ist voriges Jahr gestorben – nimm noch die Versicherung meiner herzlichen Teilnahme! Sie war eine ausgezeichnete Frau!« [Illustration: ~Eis. Kanzler II.~ Friedrich Wilhelm IV. und Bismarck.] »Ja, sie war »Verstand des Hauses«, und uns war sie noch mehr. Nun sitzt mein Vater ernst und trüb in Schönhausen, und Malwine sucht ihn zu erheitern, so gut das gehen will. Ich aber habe den Diplomaten an den Nagel gehängt und baue meinen Kohl!« »Und wenn das Vaterland ruft, bist du doch da!« »Das ist selbstverständlich. War das nicht herzerhebend heute, wie alle die Tausende dem König die Versicherung ihrer Treue gaben? Mir ist mein »Ja« aus vollem Herzen gekommen – laß uns anstoßen: Dem Vaterlande die ganze Kraft!« Die Gläser klangen hell und voll, und die Augen der beiden jungen Männer leuchteten. Sie saßen noch eine Weile beisammen und tauschten alte Erinnerungen, dann erhob sich Bismarck: »Mein Aufenthalt in Berlin ist knapp bemessen, so daß wir uns hier kaum noch einmal sehen. Aber wenn dich dein Weg ins Pommernland führt, so erinnere dich, daß Otto von Bismarck auf Kniephof bei Naugard sitzt und seinen Freunden dankbar ist, wenn sie ihm die Gelegenheit geben, sie zu bewirten!« Kurze Zeit darauf saß er wieder in seinem schlichten Herrenhause. Mit Scharfblick und Tatkraft erfaßte er die Verhältnisse und suchte nach allen Kräften zu bessern. Am frühen Morgen schon war er im Sattel und ritt durch die Felder, um nach dem Rechten zu sehen, oder bei erfahrenen Nachbarn Rat zu erholen, und daheim machte er sich über seine Wirtschaftsbücher und brachte Klarheit und Ordnung in die Verwaltung seines Besitztums. Im dämmernden Abendschein schritt er durch den Park, begleitet von seiner Dogge, und manchmal kamen ihm recht wunderliche Gedanken, und ein stürmischer Tatendrang wollte ihn erfassen und in die Welt treiben. An einem solchen Abend kam er unmutig herein in seine vereinsamten, stillen Räume. Die Bücher, welche er sonst in diesen Stunden zur Hand nahm, wollten ihm heute nicht gefallen, die Pfeife war ihm ausgegangen, und mit weitausgreifenden Schritten ging er durch die Wohnräume seines Kniephof. Da blieb er vor einem Bilde stehen. Es war ein alter preußischer Reiteroberst, der da aus dem Rahmen auf ihn herunterschaute, sein Urgroßvater, Herr Friedrich August von Bismarck, dem weiland in der Czaslauer Schlacht eine Kugel zwischen Leib und Seele gefahren war. – »Ein ganzer Mann, dieser alte Herr! Das Leben genießen und dann einen fröhlichen Reitertod sterben fürs Vaterland – das muß schön sein! Ich glaube, in mir steckt etwas von dem »tollen Bismarck«, und ein lustig Reiten, ein fröhlich Zechen tut mir wieder einmal not, wenn ich nicht versauern soll. Dabei braucht man nicht zu verderben! Morgen geht’s einmal ins Weite!« So sprach er zu sich selber, und wie er wieder nach seinem Zimmer zurückschritt, sah er seine Pistolen an der Wand hängen. Er nahm sie herab. »Ich muß mir Luft schaffen!« rief er, wie einstens in der Behrenstraße 53 im Zimmer seines Bruders, und gleich darauf krachten die Schüsse und schlugen in die Decke, daß Kalk und Mörtel splitterten. Am anderen Morgen ließ er sein Pferd satteln und brauste fort, »daß Kies und Funken stoben«. Er hatte sich erinnert, daß in Kollin bei Stargard an diesem Abend eine vergnügte Gesellschaft beisammen sei, und wenn es bis dahin auch etwa 14 Meilen waren, er wollte zeigen, was ein tüchtiger Reiter und ein gutes Pferd leisten können. In Wangerin hielt er Mittagsrast. Am Tische neben ihm saß ein junger Mann, der sich ihm als Weinreisenden vorstellte und seine Ware anpries. Bismarck verlangte, daß er ihm Proben vorführe, und der andere brachte, was er bei sich hatte. Ein Fläschchen um das andere wurde vor den Augen des erstaunten Reisenden leer, und Bismarck begehrte immer mehr Proben, bis dem anderen der Vorrat ausging. Das war in einem kleinen Stündchen abgetan, und nun ging’s wieder zu Roß weiter auf der Stargarder Straße, und abends traf der wilde Reiter in Kollin ein und überraschte die heitere Gesellschaft. Nun gab es ein fröhlich Zechen, schallendes Gelächter bei manchem lustigen Schwank, und dem Besucher, der aus der Einsamkeit seines Kniephof kam, erfrischte es Herz und Mut, sich wieder einmal in genialer Burschenlust gehen zu lassen. Er lud seine Freunde ein, ihn auf seinem Schlößlein zu besuchen, und sie blieben nicht aus. Der alte Kniephof sah nun manche übermütige Stunde. In die Nacht hinaus klangen lärmende Zecherlieder, und oben ging das Trinkhorn in die Runde, und aus den großen Pokalen trank man Porter und Champagner durcheinander. Dann raste es mitunter nächtlicherweile wie die wilde Jagd durch den schweigenden Park, krachende Schüsse weckten die Ruhe der Schläfer, von abenteuerlichen Streichen, von wunderlichen Wetten gingen die seltsamsten Geschichten in der Runde, und bald hieß es: »der tolle Bismarck ist auf Kniephof wieder lebendig geworden!« Manch einer kam, angezogen durch dieses Treiben; er fand ein gastliches Haus, einen gefüllten Becher, einen jovialen Wirt, – aber es geschah, daß dieser mitten in der übermütig lärmenden Unterhaltung ein Wort aufgriff, an das er ernste und geistvolle Erörterungen knüpfte, wie sie aus historischen Reminiszenzen und aus seinem eigenen, für die Ehre des Vaterlandes begeisterten Herzen kamen. Dann horchte die verwunderte Tafelrunde hoch auf, und manch einem kam ein Ahnen, daß in dem jungen Gutsherrn mehr stecke, als zur Verwaltung von Kniephof gehöre. Das Herz hatte er auf dem rechten Flecke, und das hat er, wo es galt, bewiesen. Im Sommer 1842 war er als Landwehroffizier in Lippehne. Der schneidige Ulanenleutnant war auch hier einem kecken, lustigen Streiche nicht abgeneigt, so wenig wie den Freuden des Bechers. Eines Nachmittags kam er mit einigen Kameraden an den Wendelsee. Er wollte mit seinen Begleitern über die Brücke gehen, die über denselben führt, da er aber merkte, daß eben sein Reitknecht ankam, um in dem Wasser sein Pferd zu schwemmen, blieb er stehen. Der Bursche ritt zwischen der Brücke und der Gotthardtschen Gerberei in den See. Ob nun die Anwesenheit der Offiziere ihn verwirrte, oder ob das Pferd den Grund verlor, – genug, er zog die Zügel zu straff an, das Tier wurde unruhig, bäumte sich, und der Reiter flog herab und verschwand auch sogleich in den Wellen. Bismarck überlegte in diesem Augenblicke nicht; er warf Mütze und Säbel fort und sprang, wie er war, in Uniform, über das etwa 15 Fuß hohe Brückengeländer kopfüber in den See. Mit starker Hand faßte er den Burschen, der halb bewußtlos ihn so umklammerte, daß er selbst in freier Bewegung gehindert war. Da riß er denselben mit sich nieder zum Grunde, um ihn bewußtlos zu machen. Es waren bange Augenblicke für die, welche auf der Brücke standen. Blasen stiegen aus dem Wasser … aber die beiden Menschen kamen nicht empor. Endlich tauchte das Haupt Bismarcks auf. Er hatte mit fester Hand den Burschen gepackt, ihn auf den Rücken geworfen, und zog nun schwimmend ihn hinter sich her, bis er Grund fand. Nun schleppte er den Bewußtlosen auf seinen Armen an das Ufer, wo er freudig begrüßt wurde. Eine gewaltige Erregung ging durch die ganze kleine Stadt, und als Bismarck, der sich in der Nähe umgekleidet, nach derselben zurückkehrte, kam ihm eine Schar von Bürgern mit dem Oberpfarrer Stöhr in seiner Amtstracht an der Spitze entgegen, um ihn zu begrüßen und zu beglückwünschen. Bald darauf erhielt er vom König die Rettungsmedaille, welche er jederzeit mit Stolz getragen hat. Der flotte Offizier ging wieder nach Kniephof zurück. Es kam ihm doppelt still vor, und manchmal war’s ihm, als dränge es ihn hinaus in die Welt, – der gärende Most wollte noch nicht zur Klärung kommen. Das Wort, das seine herrliche Mutter einst gesprochen: »Bernhard soll Landrat, Otto Diplomat werden!« kam ihm immer wieder in den Sinn. Der erste Teil war zur Wahrheit geworden, sein Bruder saß als Landrat in Naugard, und der Ausspruch der Mutter erschien ihm bezüglich seiner selbst wie eine vorwurfsvolle Mahnung. So kam es, daß er einen neuen Anlauf nahm und wieder bei der Potsdamer Regierung als Referendar eintrat. Ein rechtes Behagen fand er aber bei alledem nicht, zumal sein Vorgesetzter, der Regierungspräsident, ihn in beinahe geringschätziger Weise behandelte. Da kam ihm der alte Bismarcktrotz, und es brauchte nicht viel, um den Becher des Unmuts bei ihm überschießen zu lassen. Eines Tages erhielt er von seinem Bruder das Ersuchen, ihn auf einige Zeit zu vertreten. Er begab sich zu seinem Vorgesetzten, um sich einen Urlaub zu erbitten. Als er eintrat, stand dieser am Fenster, kehrte ihm den Rücken zu und trommelte auf der Scheibe. Bismarck stand einige Augenblicke ruhig, dann schritt er an ein anderes Fenster und begann nun seinerseits erst leise, dann immer vernehmbarer und lustiger einen Marsch mit den Fingerspitzen zu exekutieren. Jetzt fuhr der Präsident unmutig herum, und während der Referendar noch weitertrommelte, fragte er zornig: »Was wünschen Sie?« »Eigentlich wollte ich mir einen Urlaub nachsuchen, jetzt bitte ich um meinen Abschied.« Und nun ging er nach Pommern, um für seinen Bruder einzutreten, dann aber trieb es ihn hinaus in die Welt, und selbst seine Freunde wußten nicht immer, wo sie mit ihrem Gedanken ihn suchen sollten. Im Herbst 1844 trafen sich zwei derselben im Seebad Norderney. Der eine fragte: »Wissen Sie nichts von Otto von Bismarck?« »Nach den letzten Nachrichten war er in England – und dieser Tage habe ich eine Mitteilung aus Pommern erhalten, nach welcher er von dort nach Indien zu gehen beabsichtigt.« »Sieht ihm ähnlich, dem unruhigen Geiste, – er weiß eben nicht, wohin er soll mit seiner Kraft.« Und während die zwei so redeten, kam er selber mit langsamen Schritten über die Dünenhügel her. Die Gestalt schien noch stattlicher geworden; aus dem gesunden, bartumrahmten Gesichte blitzten die klaren Augen, und kraftvoll und sicher kam er heran, sehr zum Staunen und zur Freude seiner Freunde. Lange hielt er an der See nicht aus. Er mußte heim, es zog ihn nach Schönhausen, wo am 30. Oktober ein schönes Familienfest stattfinden sollte, die Vermählung seiner Schwester Malwine mit seinem Jugendfreunde Oskar von Arnim-Kröchlendorff. Das Herrenhaus in der Altmark prangte im Festschmucke, seine »Malwine« strahlte vor Glück, und sein Vater war freudig erregt, ihn selbst aber wollte eine leise Wehmut fassen bei dem Gedanken, daß sein »sehr Geliebtes« jetzt aus dem Elternhause gehe und sein Vater nun ganz allein bleiben sollte. Als der Hochzeitslärm und die Festlust verrauscht war, blieb er noch bei dem alten Herrn zurück. Sie gingen täglich zusammen durch den Park und nach der Schäferei, widmeten sich gemeinsam der Beobachtung der Thermometer und bemühten sich gleich weiland Karl V. die Uhren im Herrenhause in Übereinstimmung zu bringen. Endlich mußte er aber doch daran denken, wieder nach Kniephof zu gehen. Beim Abschied von Schönhausen band er dem Inspektor Bellin und seiner Frau es dringendst auf die Seele, recht gut für den alten Herrn zu sorgen, eine Mahnung, welche die kleine, wackere Frau beinahe als Beleidigung hätte ansehen dürfen. Nicht lange danach gab es eine zweite Hochzeitsfeier, auf dem pommerschen Herrensitze Triglaff, wo Bismarcks liebster Freund, Moritz von Blankenburg, mit der Tochter des Hauses sich vermählte. Es war ein vergnügtes Fest, und die Zahl der Gäste eine große. Unter den Brautjungfern aber befand sich ein anmutiges Edelfräulein, einfach und doch gewinnend in ihrem ganzen Wesen, und als Bismarck ihr vorgestellt wurde, hatte er ein eigentümlich wonniges Empfinden. Das Mädchen mit den blauen Augen, _Johanna von Puttkamer_, hatte es ihm von der ersten Begegnung ab angetan. »Sie ist die einzige Tochter von Jakob von Puttkamer; seine Frau ist eine geborene von Glasenapp, und sie sitzen auf Reinfeld,« hatte Blankenburg ihm gesagt, und ein anderer Freund fügte bei: »Da geht’s anders zu als auf Ihrem Kniephof, lieber Bismarck. Da gibt’s keine tollen Wetten, keine wilden Jagden und kein Porter-Sekt-Gemisch aus Ochsenhörnern, da ist alles fein ehrsam und sittsam, ruhig und fromm. Ihr singt »Freut euch des Lebens«, und auf Reinfeld werden nur Choräle gesungen. Also sehen Sie dem Fräulein von Puttkamer nicht zu tief in die Augen!« Aber Bismarck tat, wie es ihm paßte, und als er abends im Garten zu Triglaff neben dem anmutigen Mädchen saß und mit ihr plauderte, da war ihm das ganze Feuerwerk gleichgültig geworden, welches dem jungen Paare zu Ehren losgebrannt wurde. Die Stimmung war bei allen eine froherregte: Die spielenden Lichter, die rollenden Feuersonnen, die aufzuckenden Strahlengarben, welche in die Abenddämmerung hineinglühten, erhöhten dieselbe, und Scherze und heitere Zurufe gingen hin und her. – Da sauste zischend eine Rakete empor, den funkelnden Schweif nach sich ziehend, und aller Augen folgten. In demselben Moment erhob sich ein stärkerer Windstoß, welcher das Geschoß seitwärts trieb gegen den Wirtschaftshof. Dort fiel es auf ein Strohdach nieder, und nach wenigen Minuten loderte daraus eine Flamme empor, welche nichts weniger als programmgemäß war. Der Wind machte die Sache noch gefährlicher. Angstrufe erschollen, Verwirrung kam unter die Gäste, die Dienerschaft und die Dorfleute liefen davon, und die glühende Lohe schlug bereits hoch empor und schwelte hinüber nach einem Nachbargebäude. Bismarck verlor keinen Augenblick seine Besonnenheit. Er eilte nach dem Stalle, wo er mit der neuvermählten Frau von Blankenburg zusammentraf, welche, beseelt von gleicher Energie, ihm half, die Pferde herauszuholen und vor einen Wasserwagen zu spannen, und gleich darauf jagte der junge Edelmann die Rosse nach der Brandstätte zu und brachte hier mit seinem bestimmten Wesen, mit seiner sicheren Klarheit Ordnung in die Löschanstalten. Das Feuer aber griff trotzdem rasch um sich, und am Morgen beleuchtete die aufgehende Sonne die rauchenden Trümmer auf dem Gutshofe wie im Dorfe selbst. Als Bismarck von Triglaff schied, sagte ihm der alte Herr von Thadden: »Ich glaube, lieber Freund, es hat gestern zweimal gebrannt auf Triglaff, und der zweite Brand wird sich wohl nicht wieder löschen lassen. Na, Sie wissen wenigstens, wo die Brandstifterin wohnt und können sie auf Reinfeld zur Rechenschaft ziehen. Viel Glück dazu!« Die Worte sangen und klangen dem jungen Edelmann noch lange in den Ohren, und wenn er daran dachte, mußte er still vor sich hinlächeln. Der Winter ging, und der Frühling kam, und der junge Gutsherr hatte alle Hände voll zu tun mit seiner Landwirtschaft, dazwischen brach wohl auch einmal die alte, stürmische Lust, in die Welt zu jagen, sich Bahn. Das Gefühl einer gewissen Vereinsamung überkam ihn manchmal auf seinem Kniephof, und er strich dann freundlicher über den Kopf Odins, seines Hundes, der ihm ein treuer Begleiter war. Das Jahr sollte auch noch trübe genug enden. Im November erhielt Bismarck die Nachricht, daß es mit seinem Vater, der von einem Schlaganfall sich nicht mehr erholen konnte, recht schlimm stehe, und so eilte er nach Schönhausen. Er fand den Teuren sehr schwach, und gab sich keinen Hoffnungen hin. Auch der Inspektor Bellin und seine Frau waren mutlos und verzagt. Die Frau erzählte: »Ach, ich hab’s ja schon kommen sehen. Vor einigen Wochen, Sonntags, kam der gnädige Herr gar nicht, um sich zur Kirche zu begeben, die er doch nie versäumte. Die Glocken hatten schon geläutet, und so nahm ich mir den Mut, bei ihm einzutreten und ihn zu erinnern. Da sprach er ganz traurig: ›Ach, liebe Bellin, ich muß doch sehr schlecht hören, wenn ich die Kirchenglocken überhöre.‹ Und dann ging er eilig nach dem Gotteshause.« Und der Inspektor fügte bei: »Er hat manchmal so Ahnungen gehabt, und das gefällt mir nicht. Wie heuer im Frühjahr uns die Elbe bis in den Park hereinkam und einige von unseren schönen, alten Linden wegnahm, da war der gnädige Herr so sehr gedrückt. ›Mein lieber Bellin,‹ sagte er, ›die Linden sind eingegangen, ich denke, ich gehe nun auch bald ein‹.« Und am 22. November hielt der treue Sohn die erkaltende Hand des Vaters in der seinen und drückte diesem die Augen zu. Das war ein Trauertag für Schönhausen, als der alte, brave Gutsherr in die Gruft gesenkt wurde, und von den Bauern wischte sich manch einer die Augen aus, dem der Verewigte mit Rat und Hilfe beigestanden. Ernst und trübe sahen die beiden Brüder den Sarg hinabsenken, dann gingen sie schweigend nach dem Herrenhause zurück. »Wie ist’s, Otto,« sagte dort Bernhard, »du übernimmst Schönhausen und überläßt mir Jarchelin.« »Wenn dir’s so recht ist, Bernd – ich bin einverstanden!« So war die Erbschaftsangelegenheit glatt und einfach geordnet, und das alte Schönhausen sah im nächsten Frühling einen freundlicheren Tag. Johannistag war’s, das liebliche Sommersonnwendfest. Die alten Linden blühten und dufteten, die Sonne blickte hell vom blauen Lenzhimmel, und am Portal des Herrenhauses standen der Inspektor und seine Frau, Knechte und Mägde, Bauern und Bäuerinnen. Der Eingang war mit grünen Reisern umwunden, und Otto von Bismarck hielt seinen Einzug in seinen Stammsitz, und nannte sich nun _von Bismarck-Schönhausen_. Aber einsam war es ihm hier, gar so einsam. Der tolle Jugendübermut schien ausgeschäumt zu haben, er hatte wiederholt bereits dem Ernst des Lebens in das Auge geschaut, hatte Amt und Würden angenommen als Deichhauptmann und als Vertreter der Ritterschaft des Kreises Jerichow im Merseburger Provinziallandtag. Aber seine Seele sehnte sich nach dem Glücke des Familienlebens, und immer wieder trat das Bildnis jenes anmutigen Fräuleins, das es ihm auf Triglaff angetan, vor ihn hin. In solcher Stimmung traf ihn eine Aufforderung seines Freundes Blankenburg zu einer Herbstreise; auch Fräulein von Puttkamer werde sich beteiligen. Das war der Wink des Schicksals, ihm mußte Folge geleistet werden. Was war doch das für ein herrliches Wandern durch die malerischen Täler, auf die umgrünten Höhen des eigenartigen deutschen Gebirges! Blauer Himmel über herrlichen, lachenden Landschaftsbildern, Lerchengesang in der Luft und jauchzenden Herzschlag in der Brust. Das junge Blankenburgsche Paar störte den in zwei Seelen erwachenden Frühling nicht, und unter den leise rauschenden Bäumen des Harzwaldes ward der Bund so gut wie geschlossen. Glückselig kehrte Bismarck in sein Schönhausen heim und setzte sich nun hin, um an Herrn und Frau von Puttkamer auf Reinfeld zu schreiben und sie um die Hand ihrer Tochter zu bitten. Der Brief tat eine wunderliche Wirkung. Der alte Herr, der eben von einem Ritt ins Feld heimkam, las ihn und traute seinen Augen kaum. Dann eilte er zu seiner Frau. »Höre, Luitgard, – lese ich denn recht? – Mir ist’s, als hätt’ mir einer mit der Axt auf den Kopf geschlagen! – Der wilde Bismarck will unsere Johanna zur Frau!« Frau von Puttkamer schlug die Hände zusammen. »Unmöglich – unser stilles, frommes Kind und dieser tolle Bismarck. Da ist kein Segen drin, dazu gebe ich niemals meine Hand!« »Ja, er schreibt auch hier, mit Johanna wäre er einig – na, das ist eine schöne Bescherung!« Die Frau des Hauses war aufgesprungen, sie rief nach ihrer Tochter. Das Fräulein kam mit geröteten Wangen, sie schien zu ahnen, um was es sich handle, und daß sie nun den ersten Kampf für den Mann ihrer Wahl bestehen müsse. Und sie bestand ihn siegreich gegen die Aufregung des Vaters und gegen die Tränen der Mutter. Von der Kraft ihrer Herzensneigung erfüllt, trat sie mutvoll für den Geliebten ein, und als die Eltern den entschiedenen Willen ihrer sonst so sanften Tochter erkannten, wurde der Freier eingeladen, nach Reinfeld zu kommen. Und er kam. Die imponierende Persönlichkeit mit ihrer ritterlichen, gewinnenden Vornehmheit gewann die Mutter, der patriotische, warmherzige, königstreue Sinn den Vater, und so gab es eine fröhliche Verlobung. Nun ward auf Schönhausen gerüstet zum Empfang der Herrin. Das alte Herrenhaus ward neu in Stand gesetzt, aber es kam noch ein Winter und ein Frühling, ehe der Bund den Segen der Kirche erhielt. Der Lenz des Jahres 1847 zog ins Land mit Sturm und Brausen, und der Deichhauptmann ritt hinaus, um in Wetter und Graus seinen Pflichten zu genügen, und dabei lebte seine Seele in einer freundlichen Zukunft, wie schön es sein werde, wenn er nach stürmischem Tage heimkommen und Sturmmütze und Regenmantel ablegen und in das wohnliche Heim eintreten werde, wo zwei freundliche Augen ihm entgegenleuchten, zarte, liebe Lippen ihn begrüßen werden. Was kümmerten ihn die Frühlingsschauer und die rauhen Wettertage! Mitunter trieb es ihn auch zu Fuße hinaus an den Strand, um zu sehen, ob dem Uferlande keine Gefahr drohe. So kam er einmal dahergeschritten, mit seinem forschenden Auge die Deiche prüfend. Eine große, tiefe Lache – die Elbe war über ihre Ufer getreten – hemmte ihn auf seinem Wege. Er stand einen Augenblick still in ruhiger Überlegung, da erblickten ihn zwei Bauern, die mit ihren Angelruten am Ufer standen. Der eine kam eilig herbei: »Herr Deichhauptmann, ich trage Ihnen auf dem Rücken hinüber.« Bismarck lachte: »Lieber Pietsch, das sind 182 Pfund!« »All’ eins, Herr Deichhauptmann, Ihnen tragen wir alle mit Freuden!« Dem Edelmann schlug das Herz wärmer bei solchen Worten des schlichten Mannes aus dem Volke. Das war die ehrliche märkische Art, die Art, aus welcher die Liebe auch zu König und Vaterland in Not und Gefahr erwuchs. Er dankte dem Manne herzlich, dann trat er mit seinen hohen Stiefeln ruhig in die Lache und schritt hindurch. Wenn es der einfache Bauer konnte, so mußte es auch der Deichhauptmann können. Die Bauern aber sahen ihm noch ein Weilchen nach, dann sagte der eine: »Ein ganzer Mann mit dem Herzen auf dem rechten Flecke!« »Gott erhalt’ ihn!« sprach der andere. Der Sommer kam, und am 20. Juli ward in Reinfeld ein schönes Fest gefeiert, das zwei Menschen für ein ganzes reiches Leben verband, wie sie besser sich nicht finden konnten: Die Kraft und die Anmut, die Energie und die Milde hatten sich vereint – Otto von Bismarck hatte für sein Haus »das Herz« gefunden. Und nun ging es hinein in die lachende Gotteswelt, dem schönen Süden entgegen. Die Tiroler Alpen und die Schweizer Firnen sahen nieder auf das glückliche Paar, dem die ganze Welt zu gehören schien, und das sein Glück widerspiegelte in den dunkeläugigen Bergseen und in der lachenden Wonne des italienischen Landes. In der alten Dogenstadt Venedig hielten sie kurze Rast und fuhren über die in ernstem Schweigen ruhenden Lagunen und des Markusplatzes historische Pracht, aber das Herz des märkischen Edelmannes schlug höher, als er vernahm, daß gleichzeitig auch sein König Friedrich Wilhelm IV. in der alten Stadt der Wunder weile, und er konnte es sich nicht versagen, ihm seine Ehrerbietung auszudrücken. Auch der König war erfreut über die Begrüßung, zumal ihm Bismarcks Name aus seiner jungen politischen Tätigkeit, die er seit kurzem entwickelte, vorteilhaft bekannt war; er unterhielt sich mit ihm in seiner lebhaften, geistvollen Art und war sichtlich erfreut über die ehrliche, schlichte Weise seines Untertans, so daß er ihn zur Tafel lud. Einen hoffähigen Anzug führte Bismarck freilich nicht auf seiner Hochzeitsreise mit, und er hatte Not, in Venedig etwas Passendes zu erhalten, aber das Herz, das unter dem geliehenen Gewande schlug, war und blieb die Hauptsache. Begeistert für seinen König noch mehr als zuvor, setzte Bismarck mit seiner jungen Gattin seine Reise fort, und erst der Herbst lockte ihn wieder nach der Heimat, in das trauliche Nest, in dem er sein Vöglein betten wollte. Die Altmark zeigte dem Heimkehrenden kein besonders freundliches Gesicht. Die Ernte war längst vorüber; kahl standen die Felder, durch die Kiefernbestände fauchte der Herbstwind, und durch den sinkenden Abend fuhr das Paar dem alten Herrensitze an der Elbe entgegen. Sie hofften überraschend zu kommen, aber der Tag ihrer Ankunft war doch kein Geheimnis geblieben. Über den alten, rauschenden Linden hin zog sich ein grüßender Lichtschimmer, und als der Wagen hielt, da strahlte es von hundert Lichtern und Fackeln, und ihr Schein vergoldete das alte Bismarckwappen über dem Portal, die grünen Kränze und Girlanden, die es reich umschlangen, und die glücklichen Gesichter einer lebendig bewegten Volksmenge, welche erschienen war, des Hauses junge Herrin festlich zu begrüßen. Jubelnder Zuruf klang dem Paare entgegen, höher loderten die Fackeln und Lichter, so daß ein rötlicher Schimmer über dem ganzen Bilde lag und gegen den Himmel stieg. Noch wogte die Lust und Freude, als Räderrasseln erklang und eine Spritze aus dem nahen Dorfe angefahren kam, deren Bemannung, getäuscht durch den Lichtschein, jetzt erkannte, daß es hier nichts Ernstliches zu löschen gab. Nun konnte der Winter kommen; das freundliche Herrenschloß hatte seinen Sonnenschein alle Tage, und der wackere Deichhauptmann fand, wenn nach des Tages Mühen Frau Johanna im traulichen Gemache sich an den Flügel setzte und den Zauber der Töne mit ihren gewandten Fingern heraufbeschwor, daß es kein Glück gebe, dem einer anmutigen Häuslichkeit vergleichbar. Fünftes Kapitel. In gärender Zeit. Das Sturmjahr 1848 war über Deutschland hingebraust. Die Vertreibung des französischen Königs durch sein Volk hatte auch hier die Geister entfesselt, und ein ungestümer Freiheitsdrang regte sich überall. Volksaufstände fanden da und dort statt, und während die Sehnsucht der Besseren nach nationaler Einigung Deutschlands und nach einem freieren Verfassungsleben hindrängte, verlangten die ungebildeten Bevölkerungsschichten sowie fanatische Hitzköpfe überhaupt den Umsturz alles Bestehenden, Republiken und Freiheit und Gleichheit aller Stände. Alles war aus Rand und Band, und bis in die kleinsten Orte hinein zitterte die Aufregung, und feindliche Parteien standen einander gegenüber. Die Erbitterung derselben steigerte sich noch mehr, sobald es sich um politische Wahlen in den Landtag handelte. Demokratisch und königstreu waren die Schlagworte, um welche sich alles drehte. Das konnte man an einem Frühlingstage des Jahres 1849 auch in der märkischen Stadt Rathenow sehen. In den Gassen war eine außergewöhnliche Bewegung, mehr noch aber war dies der Fall in einem der bekanntesten Gasthäuser des Ortes, in dessen Saale Otto von Bismarck in einer von den Königstreuen einberufenen Versammlung seine Kandidatenrede halten wollte. In der Gaststube im Erdgeschoß platzten die Geister bereits lebhaft aufeinander. »Er ist ein Junker, ein Streber, und einen solchen können wir nicht in der Kammer brauchen!« rief ein Mann im Schurzfell, und ein anderer erwiderte: »Aber er weiß, was er will, und das wißt ihr Demokraten allesamt nicht! Und er ist ein charakterfester Mann, und solche Leute brauchen wir heutzutage.« »Ach was, er schreibt Briefe an den König und läßt sich von ihm einladen, sperenzelt um ihn herum in Berlin und Sanssouci.« »Schämt Euch, Krämer« – schrie jetzt der Schornsteinfegermeister Wolf – »daß Ihr die Tatsachen so entstellt. Ihr wißt so gut wie wir, was es mit alledem für eine Bewandtnis hat. Den Brief hat er geschrieben, wie in Berlin alles aus Rand und Band war, und wie die Umstürzler unseren König so schwer beschimpft haben, und er hat darin nichts anderes gesagt, als was jeder ehrliche, brave Preuße damals gesagt hat. Daß das dem hohen Herrn wohltat und daß er nicht nur den Brief wochenlang auf seinem Schreibtische liegen ließ, sondern auch den Schreiber zu sich rief und um seinen Rat anging, ist doch nichts, was dem Herrn von Bismarck zum Vorwurf gereichen kann.« »Na, er hat in solchen Unterhaltungen wohl nicht fürs Volk geredet, sondern sein Schäflein geschoren!« rief es wieder von einer Seite, und unter Beifallsgebrüll nahm ein junger Mensch das Wort, ein herumziehender Agitator, von dem eigentlich niemand wußte, wer und was er war: »Wie gut es euer Bismarck mit dem Volke meint, hat er selber klar ausgesprochen. Alle großen Städte müßten vom Erdboden vertilgt werden, das ist sein Wort, und warum: Weil dort allein das Volk stark genug ist, seinen Willen durchzusetzen und seine Freiheit zu erzwingen, wie’s in Berlin geschehen ist. Und was er dem König für Ratschläge gegeben hat, das wissen wir ganz genau. Friedrich Wilhelm IV. war immer zu Nachgiebigkeit geneigt, aber Bismarck war wie der Böse dahinterher und suchte ihn zu reizen, durch Gewalt und mit Blut die heilige Erhebung des Volkes niederzuschlagen. In Potsdam hat er das sogar in so entschiedener Weise getan, daß die Königin hinzutretend gesagt haben soll: »Wie können Sie in solchen Ausdrücken mit Ihrem König reden?« – Das ist euer Bismarck, dem nichts hart genug ist, wenn dem Volke das Fell über die Ohren gezogen werden soll, und der unsere neue Freiheit in unserem Blute ersticken will. Fort mit Bismarck!« Und »Fort mit Bismarck!« scholl es jetzt vielstimmig, nur der Schornsteinfeger ließ sich nicht einschüchtern: »Das ist leeres Geschwätz von einem hergelaufenen Manne. Freiheit von eurer Sorte wünschen wir gar nicht, und uns ist Herr von Bismarck gerade so recht, wie er ist. Dem wühlenden Demagogentum, das den ehrlichen Bürgerstand beunruhigt und ruiniert, müssen die Zähne gezeigt werden. Wir wollen auch Freiheit, aber ohne den Umsturz von alledem, was uns von unseren Altvorderen heilig gewesen ist.« Schreien und Johlen unterbrach den Sprecher, um den sich seine Parteigenossen drängten, denn die Gemüter wurden immer erhitzter, der aber rief mit lauter Stimme: »Das ist wohl eure Freiheit, daß ihr jeden niederbrüllt, der eine andere Meinung hat als ihr? – Gerade so haben sie’s dem Herrn von Bismarck gemacht, als er 1847 seine Jungfernrede im Landtage hielt. Aber er hatte gezeigt, daß er Mut und Kaltblütigkeit hat. Er las, während sie lärmten, seine Zeitung, und als sie aufhörten, nahm er sein Wort wieder auf. Das hat mir gefallen, und darum bleibt er mein Mann!« Der brave Meister war in dem Lärm und Getöse wenig verständlich mehr gewesen, nun trank er ruhig seinen Schoppen aus, und forderte seine Parteigenossen auf, mit ihm zu gehen. Unter dem lauten Geschrei und Hohngelächter der Gegner gingen die Männer hinaus und nach dem Saale, welcher schon völlig angefüllt war mit Menschen, die den königstreuen Kandidaten sehen und hören wollten. Otto von Bismarck war eben eingetroffen. Die im Erdgeschoß hatten ihn in ihrer Erregung nicht kommen sehen, zumal er nicht, wie man erwartet hatte, im Wagen vorfuhr. Er stand bereits auf der Tribüne, als der Schornsteinfegermeister mit seinen Gefährten eintrat. Die kraftvolle Gestalt war hoch aufgerichtet, aus dem vom Vollbart umrahmten frischen und energischen Antlitz blitzten hell und falkenklar die Augen, und die Stimme klang hell, vernehmlich, ja mitunter scharf. Er verurteilte rückhaltlos die Vorgänge, welche in der revolutionären Bewegung in Berlin zur Demütigung des Königtums geführt hatten, und entwickelte seinen Standpunkt, wie er ihn wiederholt furchtlos und entschieden im Abgeordnetenhause betont hatte: »Der Prinzipienstreit, welcher in diesem Jahre Europa in seinen Grundfesten erschüttert hat, ist ein solcher, der sich nicht vermitteln läßt. Die Prinzipien beruhen auf entgegengesetzten Grundlagen, die von Haus aus einander ausschließen. Das eine zieht seine Rechtsquelle angeblich aus dem Volkswillen, in Wahrheit aber aus dem Faustrecht der Barrikaden. Das andere gründet sich auf eine von Gott eingesetzte Obrigkeit, auf eine Obrigkeit von Gottes Gnaden, und führt seine Entwicklung in der organischen Anknüpfung an den verfassungsmäßig bestehenden Rechtszustand. Dem einen dieser Prinzipien sind Aufrührer jeder Art heldenmütige Vorkämpfer für Wahrheit, Freiheit und Recht, dem anderen sind sie Rebellen. Über diese Prinzipien wird nicht durch parlamentarische Debatten eine Entscheidung erfolgen können; über kurz oder lang muß der Gott, der die Schlachten lenkt, die eisernen Würfel der Entscheidung darüber werfen. Ich aber werde leben und sterben für den Grundsatz der Treue zu König und Vaterland, und muß es nun Ihnen überlassen, ob Sie mich für den rechten Mann halten, Ihre Anschauungen zu vertreten.« Im Saale klang lauter Beifall, der bis auf die Gasse hinausdrang. Dort aber fand er keinen Widerhall. Der junge demokratische Agitator hatte in der Wirtsstube auch das Eisen in seinem Sinne geschmiedet, und die Bewegung war bis auf die Straße hinaus gedrungen. Der Schornsteinfegermeister Wolf, der nahe an dem Fenster des Saales stand, blickte hinunter und sah die vielköpfige erregte Menge, die mit heißen Gesichtern, glühenden Augen und geballten Fäusten sich hier drängte. Da aber jetzt Bismarck den Saal verlassen wollte, suchte der wackere Mann eilig zu ihm heranzukommen und sagte: »Herr von Bismarck, gehen Sie jetzt nicht hinaus, sie wollen Ihnen an den Leib.« Der Angeredete hob seine mächtige Gestalt höher, ein beinahe spöttisches Lächeln umflog den Mund, und die Augen schauten furchtlos und ruhig drein, als er erwiderte: »Ach, glauben Sie doch den Bläffern nicht!« Ohne weiter sich aufzuhalten, trat er auf den Vorsaal und ging die Treppe hinab. Im Hausflur bereits stand eine johlende Menge. Geschrei, Zischen, niedrige Schimpfworte flogen ihm entgegen, und einige geballte Fäuste hoben sich wider ihn. »Rebellen hat er uns genannt – totschießen will er uns lassen – fort mit dem Junkerregiment!« so schrie es ihm auch von der Gasse entgegen, aber mit festem Blick schaute er über die Menge hin, und während Meister Wolf und der Stadtschreiber Noack ihn in die Mitte nahmen, schritt er hochaufgerichtet, mit ruhiger Sicherheit durch das Volk, das ihm eine Gasse machte und dem kühnen Recken nicht den Weg zu verlegen wagte. So kam er nach dem Gasthause, wo sein Wagen stand. Die aufgeregten und von dem unreifen Hetzer aufgereizten Leute waren ihm auch bis hierher gefolgt und schienen seine Abfahrt hindern zu wollen. Die Lage war äußerst unbehaglich, und als er aus dem Hause trat, gelang es ihm nur mit Mühe, an das Gefährt heranzukommen und dasselbe zu besteigen. Wilder und ungestümer aber brach jetzt das Geschrei und Pfeifen los, und aus der gedrängten Schar sausten Steine nach dem kühnen Manne. Einer derselben traf wuchtig seinen linken Arm und fiel in den Wagen. Einen Augenblick übermannte ihn jetzt Zorn und Schmerz: er ergriff den Stein und sprang von seinem Sitz empor mit flammenden Augen, und wie er so den Arm erhob zum Wurfe, da drängte das feige Gesindel zurück vor der imponierenden Erscheinung. Das gab ihm seine Ruhe wieder. Es schien ihm unwürdig, hier Gleiches mit Gleichem zu vergelten, mit einer verächtlichen Gebärde warf er seinen Angreifern den Stein vor die Füße, legte sich in den Sitz zurück, rief dem Kutscher zu: »Vorwärts!« und gleich darauf zogen die bereits unruhigen Tiere an, und durch die zu beiden Seiten zurückweichende Menge fuhr der Wagen rasch dahin durch die Gasse. Die Rathenower wählten aber doch Bismarck wiederum zu ihrem Abgeordneten, und so reiste er, nachdem er zuvor in seiner freundlichen Häuslichkeit zu Schönhausen gewesen, neuerdings nach Berlin, um den übernommenen Pflichten zu genügen. Im Eisenbahnkupee saß er mit einem alten Herrn, einem ehemaligen Offizier, beisammen und unterhielt sich mit diesem über die politische Lage. Da stieg in einer Zwischenstation ein junges Herrchen ein, der sein Gepäck – allem Anschein nach einen Musterkoffer – ziemlich herausfordernd auf den Sitz legte, sich dann in eine Ecke lehnte und nun mit überlegen spöttischem Blicke die beiden Herren betrachtete, welche sich in ihrem ruhigen Gespräche nicht stören ließen. Der alte Offizier hatte eben sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß bei den Berliner Straßenunruhen der König das Militär zurückgezogen und sich in die Hand des Volkes gegeben hatte, da warf der junge Mann eine höhnische Bemerkung dazwischen: »Ja, die Volkssouveränität paßt manchem nicht in den Kram, glaub’s wohl, aber gottlob, mit Säbelrasseln und feudalen Phrasen wird die neue Zeit nicht aufgehalten. Es geht ein scharfer Wind für die Junker, und er wird manche alten Vorrechte wegblasen. Ja, Freiheit und Gleichheit! Freiheit und Gleichheit!« Bismarck sah den Menschen mit einem durchdringenden Blicke an, ohne ihn eines Wortes zu würdigen, jener aber perorierte, unbekümmert um die beiden anderen, in seiner geschwätzigen Art weiter. Seine Ansichten waren so unreif, daß der alte Offizier, obwohl gerade er sich vielfach hätte verletzt fühlen dürfen, es doch nicht der Mühe wert hielt, mit dem kecken Angreifer anzubinden, der dadurch nur immer mehr ermutigt zu werden schien. Bismarck aber hatte ihn immer wieder einmal mit seinen scharfen Augen gemessen und dann sein Gespräch mit seinem Gegenüber fortgesetzt, als ob der vorlaute Musterreiter Luft wäre. Nun hielt der Zug auf dem Bahnhofe in Berlin. Der Reisende war ausgestiegen, und nachdem Bismarck sich rasch von dem Offizier verabschiedet, verließ auch er das Kupee. Mit einigen weitausgreifenden Schritten stand er vor dem jungen Manne, seine mächtige Gestalt hoch aufrichtend und die blitzenden Augen ihm in das Gesicht bohrend, so daß derselbe beinahe scheu zurückwich. Wiederum machte Bismarck einen Schritt auf ihn zu, mit seinen mächtigen Blicken ihn bannend, so daß der andere abermals zurücktrat. Der unerbittliche Verfolger aber heftete sich an seinen Fuß und drängte ihn so vor sich her, bis der geängstigte Reisende beinahe an die Wand gedrückt war. »Wie heißen Sie denn?« fragte der Verfolger kalt und fest, und der andere stotterte in Befangenheit und Ängstlichkeit: »Ich – ich heiße Nelke!« »Dann hüten Sie sich, Sie Nelke, wenn Sie nicht von mir gepflückt werden wollen!« Noch einmal sah Bismarck dem zerknirschten Schwätzer in das blasse Gesicht, dann wendete er sich langsam ab und schritt ruhig den Perron entlang. Berlin selbst wollte ihm jetzt gar nicht gefallen. Die neue Zeit rumorte hier zu sehr in allen Köpfen, und ihre Zeichen machten sich auf Schritt und Tritt bemerkbar. Selbst der Drang nach einer nationalen Einheit, welcher die besten deutschen Herzen erfüllte, hatte für Bismarck etwas beinahe Unheimliches, weil daneben auch jener unklare Freiheitsdrang sich breitmachte, der am liebsten Thron und Krone hinweggefegt hätte und aus Deutschland eine Republik machen wollte. Diese Bestrebungen traten deutlich genug hervor bei der seit dem 18. Mai 1848 in Frankfurt a. M. tagenden deutschen Nationalversammlung, welcher Männer aus ganz Deutschland angehörten, welche den Bundestag beseitigte, einen Reichsverweser in der Person des Erzherzogs Johann von Österreich wählte und nun die »Grundrechte des deutschen Volkes« und eine »Verfassung für Gesamtdeutschland« beriet. Da platzten die Geister oft stürmisch aufeinander, und selbst die vielen vortrefflichen Männer, die, erfüllt von wahrer Begeisterung für das Wohl des deutschen Volkes, ihre beste Kraft und Überzeugung einsetzten, konnten nicht immer den revolutionären Demokraten, welchen die Freiheit über die Einheit ging, einen Damm setzen, und es kam in Frankfurt selbst unter den Augen der Nationalversammlung zu den rohesten Ausschreitungen des fanatischen Pöbels. Endlich war man aber doch einig geworden, daß fortan ein erblicher Kaiser an der Spitze Deutschlands stehen solle, und als solcher war am 28. März 1849 mit geringer Stimmenmehrheit König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen gewählt worden. Der zweite April fand Berlin in einer ganz besonderen Erregung. Die Abgesandten der Frankfurter Nationalversammlung trafen ein, um dem König die Kaiserkrone anzubieten. In den Straßen war ein fröhliches Wogen und Treiben, die hochgehende Begeisterung jauchzte den einziehenden Abgeordneten zu, und der Traum der deutschen Einheit schien sich verwirklichen zu sollen. Um so größer war die Enttäuschung, als schon am nächsten Tage die Nachricht von Mund zu Munde ging, der König habe die Deputation im Rittersaale des Schlosses feierlich empfangen, aber sich nicht entschließen können, die ihm gebotene Krone aus den Händen des Volkes anzunehmen. Wie ein Mehltau fiel es auf die Hoffnungen und Erwartungen der Besten, und als die Kunde nach Frankfurt kam, wirkte sie hier so niederdrückend auf alle Gutgesinnten, daß die radikalen Stürmer und Dränger wieder die Oberhand gewannen und infolgedessen da und dort wieder revolutionäre Erhebungen stattfanden, und daß sich endlich das Parlament auflöste, beziehentlich der nach Württemberg übergesiedelte Rest desselben, das sogenannte »Rumpfparlament«, gewaltsam aufgelöst wurde. In Berlin gingen nach der Ablehnung der Kaiserkrone die Wogen der Bewegung noch immer hoch, und der Landtag beriet am 20. April über die Frankfurter Reichsverfassung und über Schritte, um den König noch nachträglich zur Annahme der Kaiserwürde zu bewegen. Bismarck gehörte zu jenen, welche sich nicht überzeugen konnten, daß auf den damaligen Grundlagen eine wirkliche Einigung Deutschlands erreicht werden könne, und daß die Eifersucht Österreichs und anderer deutscher Staaten an der leitenden Stellung Preußens fortwährend rütteln würde, so daß es ihm richtiger schien, daß dieses für sich selbst auf starke Füße gestellt werde und nicht seine Kraft unfruchtbaren Bestrebungen opfere. So trat er auch im Abgeordnetenhause unerschrocken für diese Überzeugung ein. Am 20. April stand er auf der Tribüne und erklärte: »Ich habe als Abgeordneter die Ehre, die Kur- und Hauptstadt Brandenburg zu vertreten, welche dieser Provinz, der Grundlage und Wiege der preußischen Monarchie, den Namen gegeben hat, und ich fühle mich deshalb um so stärker verpflichtet, mich der Diskussion eines Antrages zu widersetzen, welcher darauf ausgeht, das Staatsgebäude, welches Jahrhunderte des Ruhmes und der Vaterlandsliebe errichtet haben, welches von Grund aus mit dem Blute unserer Väter gestiftet ist, zu untergraben und einstürzen zu lassen. Die Frankfurter Krone mag sehr glänzend sein, aber das Gold, welches dem Glanze Wahrheit verleiht, soll erst durch das Einschmelzen der preußischen Krone gewonnen werden, und ich habe kein Vertrauen, daß der Umguß mit der Form dieser Verfassung gelingen werde.« Noch energischer äußerte er sich in diesem Sinne am sechsten September. Inzwischen hatte aber Preußen einen anderen Einigungsversuch gemacht und mit Sachsen und Hannover das »Dreikönigbündnis« geschlossen, dem sich eine Anzahl anderer deutschen Staaten anschloß. Aber Österreichs Einfluß wußte die beiden Königreiche wieder von Preußen zu trennen, welches nun mit den übriggebliebenen Bundesstaaten die sogenannte »Union« bildete und, um derselben eine einheitliche Verfassung zu geben, ein Parlament nach Erfurt einzuberufen beschloß. In dieser Zeit saß Bismarck eines Abends in seiner Wohnung, Dorotheenstraße 37, mit einigen politischen Freunden beisammen. Das Heim war schlicht, aber gemütlich; die Lampe warf ihren milden Schein über den breiten Tisch und auf die geistvollen Gesichter, um die behaglicher, blauer Tabaksdampf sich wölkte, und in den Gläsern schäumte der braune Gerstensaft. Der Hausherr saugte an »dem geliebten Rohre«, aber dazwischen wetterleuchtete es aus seinen Augen, und seine Hand legte sich manchmal geballt auf den Tisch, da er sagte: »Laßt sie doch uns »Stockpreußen« schelten, ’s ist kein schlechter Titel, und ich kann nur wiederholen, was ich in der Kammer gesagt habe: Das Stockpreußentum, wie es vor allem in der Armee vorhanden ist, ist unsere Stütze. Und so gut unsere Soldaten unter der schwarzweißen Fahne bisher sich ehrenhaft geschlagen und wohlbefunden haben, so gelüstet es weder sie noch uns, für das erprobte alte Banner ein neues dreifarbiges einzutauschen, dessen Dauerhaftigkeit unter den jetzigen Verhältnissen sehr zu bezweifeln ist. Wir wollen einmal dem preußischen Adler nicht die Flügel stutzen lassen durch die gleichmachende Heckenschere aus Frankfurt.« »Und was versprichst du dir eigentlich von der Union?« fragte einer der Gäste. »So gut wie nichts, sie wird an der Eifersucht Österreichs, dem wir zunächst noch nicht die Zähne zu zeigen uns getrauen, zugrunde gehen. Das Erfurter Parlament verläuft im Sande, verlaßt euch darauf!« »So hast du wohl gar keine Neigung, dich hineinwählen zu lassen?« »Neigung? – Nein! Aber wenn ich gewählt werde, werde ich gehen, um auch dort Preußens Rechte zu vertreten. – Aber nun, Freunde – politisch Lied, ein garstig Lied! Laßt uns etwas anderes reden. Wißt ihr auch, daß ich unter die Poeten gegangen bin?« Ein allgemeines »Ah!« dann wurde eine Stimme laut, – es war die _Savignys_ – welche Proben verlangte. »Eine Probe soll euch werden, aber ich bitte um nachsichtige Beurteilung, damit ich mit meinem ~gradus ad parnassum~ nicht eingeschüchtert werde. Zuerst aber sollt ihr sehen, was mich begeistert hat, und ich hoffe auf eure Anerkennung.« Er holte aus einem Schranke eine ziemlich umfangreiche braunfarbige Kaffeetasse und stellte sie vor die Freunde hin. »Na, ist das nicht ein stattliches Objekt für eine Poetenleier?« »Aber nun auch die Verse dazu!« rief _André_. »Eins nach dem anderen. Zunächst müßt ihr wissen, daß dieser praktische Haushaltungsgegenstand zu einem Geburtstagsgeschenk bestimmt ist für unseren hagestolzen alten Freund Kleist-Retzow. Und nun das Poem!« Er las, behaglich sich in seinem Sitze zurücklehnend, mit komischem Pathos: »Nicht ganz so schwarz wie Ebenholz, Doch braun wie Mahagonig, Wünsch’ ich dir, aller Pommern Stolz, Ein Leben süß wie Honig. Wenn Wenzel[1] dich gelangweilt hat, Schwerin[1] den Zorn erregt in dir, Wenn übel dir vom Beckerrath,[1] Dann, Hans, erhole dich bei mir! Wenn dann der Kaffee dir behagt Und du, um streng dich zu kastei’n, Die zweite Tasse dir versagt, Dann, Hans, laß mich die erste sein! Und schein’ ich dir zu groß und weit Für ein so kleines Landrätlein, So denk: Es ist die höchste Zeit, Dir eine Gattin anzufrei’n. Ihr trinkt aus mir dann alle beide Kaffee, Schok’lade oder Thee Zu Tante Adelgundens Freude Zu Kiekow auf dem Kanapee. Geliebter Onkel Schievelbein, Schaff’ bald uns eine Tante, Dann wirst du alles hocherfreu’n, Was jemals Hans dich nannte.« [1] Namen von Abgeordneten. Fröhliches Lachen lohnte den Vortrag, und die Geister des Humors begannen in dem gemütlichen Raume jetzt ihre Flügel freier zu regen. Noch im selben Winter kam ein Weihnachtskind in der Dorotheenstraße 37 an, ein kleiner Junker von Bismarck, der am 28. Dezember erschien und am 12. Februar 1850 durch den Prediger Gaßner auf die Namen Nikolaus Heinrich Ferdinand _Herbert_ getauft wurde. Die Freude war groß, da es jetzt ein mit dem am 21. August 1848 geborenen Töchterchen _Marie_ ein prächtiges Pärchen gab, an dessen frischem Gedeihen und munterem Wesen die Eltern ihre herzliche Freude hatten. Bei solchem Familienglück war es Bismarck nicht besonders erfreulich, im kommenden Frühjahr nach Erfurt zu gehen, wohin er wirklich in das Unions-Parlament gewählt war. Auch hier vertrat er seinen absolut preußischen Standpunkt und war froh, als der Reichstag am 29. April geschlossen wurde, nachdem allerdings die vorgelegte Verfassung Annahme gefunden hatte. Aber nun erhob sich drohend die österreichische Regierung, verlangte entschieden die Herstellung des alten deutschen Bundestags, auf welchem sie den ersten Rang einnahm, und lud sämtliche deutsche Fürsten zur Beschickung desselben ein. Deutschland stand in zwei starken Parteien sich gegenüber, die Erregung stieg auf beiden Seiten so weit, daß in Kurhessen, wo das Volk sich gegen den Druck des Ministers Hassenpflug auf das entschiedenste wehrte, es zwischen ihnen beinahe zu einem blutigen Zusammenstoß gekommen wäre. Friedrich Wilhelm IV., eingeschüchtert durch das Dazwischentreten und die Drohungen des russischen Kaisers Nikolaus, fürchtete jedoch einen entscheidenden Schritt und gab in der Angelegenheit nach. Es kam der Tag von Olmütz (29. November 1850), der in der preußischen Geschichte kein Ruhmesblatt bedeutet, an welchem der Minister von Manteuffel dem österreichischen Minister Schwarzenberg gegenüber die Auflösung der »Union« und die Beteiligung Preußens an dem wiederhergestellten Bundestage zugestand nebst einigem anderen, was drum- und dranhing. Inzwischen hatte Bismarck im Sommer sein liebes, stilles Schönhausen aufgesucht und mit Frau Johanna und seinem kleinen munteren Pärchen sich der Ruhe und Muße hingegeben, welche ihm nach den parlamentarischen Kämpfen ungemein wohltat. Aber die Idylle fand eine kleine Unterbrechung. Ein andauerndes Unwohlsein des Töchterchens machte einen Aufenthalt an der See notwendig, und so ungern Bismarck sich aus dem Behagen seines Landsitzes herausriß, der Rat des Arztes, das zärtliche Drängen seiner Gemahlin bewogen ihn zuletzt doch, auf einige Wochen nach Stolpmünde zu gehen. Dann kamen wieder der Berliner Ärger und die Kammerverhandlungen den Winter durch bis hinein in das Jahr 1851. Um die Osterzeit desselben brach er aber auf aus der Residenz, um auf einige Wochen zu seinen Schwiegereltern zu gehen nach Reinfeld in Pommern. Die behagliche stille Häuslichkeit hier tat ihm wohl. Herr von Puttkamer mit dem Samtkäppchen auf dem greisen Haupte waltete hier wie ein guter Patriarch in Ehrbarkeit und Frömmigkeit, und von ihm und seiner trefflichen Frau ging es wie ein stiller Segen aus durch das ganze Haus. Das war ein Ort, so recht zu kurzdauernder Erholung, aber Bismarck sollte auch hier nicht finden, was er suchte. Eines Tages saß er mit seinem Schwiegervater beisammen und sprach von der Wirtschaft und den Pferden und Hunden, als die Post gebracht wurde. Ein Schreiben mit dem Siegel des Ministerpräsidenten von Manteuffel fiel ihm in die Hand, und er betrachtete es einige Sekunden mit beinahe bedenklichen Blicken. Dann öffnete er es, las flüchtig, lehnte sich mit einem tiefen Atemzuge in seinen Sitz, und seine Hand mit dem Briefe sank schwer auf den Tisch. »Nach Frankfurt soll ich zum Bundestage als preußischer Gesandter, – der Minister fragt, ob ich will.« Herr von Puttkamer neigte sich in Erregung gegen ihn vor. »Ja, besorgt das nicht der General von Rochow? Was bedeutet das?« »Rochow soll, wie ich schon früher munkeln hörte, als Gesandter nach Petersburg zurückgehen. – Aber das kommt mir so unerwartet, daß mir’s doch ein wenig in die Glieder schlägt. Das ist weder ein besonders angenehmer, noch besonders leichter Posten.« »Nein, gewiß nicht,« sagte der alte Herr, »da wird einer gebraucht, der diplomatisches Geschick und Festigkeit zugleich hat, um mit den Beziehungen zwischen Österreich und Preußen fertig zu werden, ohne daß auf der einen Seite gereizt, auf der anderen etwas vergeben wird. Der Antrag will recht wohl erwogen sein!« »Klar genug sehe ich die Verhältnisse,« sprach Bismarck lebhaft, – »Österreich hat es darauf abgesehen, Preußen kleinzukriegen und womöglich wegzuwischen aus der Reihe der maßgebenden Mächte. Da heißt’s die Augen offen und den Nacken steif halten. Die Sache wird mir verlockend. Wenn mein König dafür hält, daß ich für den Posten brauchbar bin, werde ich ihm meine schwache Kraft nicht versagen.« »Aber Otto, fehlt dir gerade für diese Stellung – du hast gewiegte Staatsmänner dort – nicht die nötige diplomatische Erfahrung?« »Erfahrungen müssen _gemacht_ werden. Papa – und übertölpeln lasse ich mich doch nicht so leicht. Mit Patriotismus und Energie und mit etwas natürlicher Klugheit läßt sich schon etwas wagen. Zudem weißt du ja, daß schwierige Aufgaben und harte Nüsse meine Spezialität sind. Das habe ich auch einmal einem gewissen Herrn von Puttkamer bewiesen, der mir seine Tochter nicht zur Frau geben wollte.« Der alte Herr lächelte: »Na ja, einen festen Kopf hast du, und er sitzt auch, wie das Herz, auf dem rechten Flecke. Tue, was du für recht hältst, und wozu dich dein Empfinden als Mann und Untertan treibt.« Und so schrieb Bismarck an den Minister von Manteuffel, daß er nach Potsdam kommen und sich Seiner Majestät allergehorsamst zur Verfügung stellen werde. In dem Lustschlosse des großen Friedrich, dem herrlichen, grünumlaubten Sanssouci, stellte er sich dem König vor. Friedrich Wilhelm IV. betrachtete mit Wohlgefallen den prächtigen, hochgewachsenen Mann mit den hellen, treuen Augen, den er schon lange um seiner ehrlichen Geradheit und um seiner altpreußischen Gesinnung hochschätzte, und sagte: »Lieber Bismarck, Sie wissen, um was es sich handelt, und ich höre zu meiner Freude von dem Minister von Manteuffel, daß Sie nicht abgeneigt sind, Preußen in Frankfurt zu vertreten.« Einfach und schlicht erwiderte der Angeredete: »Wenn Eure Majestät es mit mir versuchen wollen, so bin ich bereit dazu.« Wieder sah Friedrich Wilhelm den Mann groß und beinahe mit Verwunderung an. »Aber Frankfurt ist ein schlechter Boden; und es läßt sich nicht hehlen, daß gerade Preußen darauf nicht den besten Stand hat; ich bewundere eigentlich Ihren Mut.« Da erwiderte Bismarck: »Eure Majestät bekunden durch meine Ernennung einen noch größeren Mut. Wenn Allerhöchstdieselben mich zu dem Amte zu berufen geruhen, so hoffe ich, daß mir Gott die Kraft geben wird, es auszufüllen. Eure Majestät können es ja mit mir versuchen; geht es nicht, so ist’s ja leicht, mich wieder nach Hause zu rufen.« Das klang so fest und doch so schlicht und gerade, daß der König beinahe ergriffen von der Antwort war und erwiderte: »Dann versuchen Sie es mit Gott!« Sechstes Kapitel. Der Bundestagsgesandte. Im alten Frankfurt a. M. liegt in der Bockenheimer Landstraße eine freundliche Villa; inmitten grüner Gartenanlagen erhebt sich der geschmackvolle Bau, in welchem auch der Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich gewohnt hatte. Im Sommer des Jahres 1851 hatte hier der preußische Bundestagsgesandte Otto von Bismarck seinen Sitz aufgeschlagen und sein ganzes Familienglück mit hereingebracht in das freundliche Haus. Die Sonne blinkte noch in die Tautropfen im Grase, und eine wohlige Kühle wehte von Baum und Strauch her, als er, von einem Morgenritte heimgekehrt, durch den Garten schritt, um einen lieben Besuch aufzufinden, den ihm das Geschick gestern in sein Haus geweht, und der nach Aussage des Dieners auch bereits im Freien war. Auf einem sonnigen Plätzchen traf er ihn und grüßte ihn mit Herzlichkeit. »Guten Morgen, lieber Motley, Sie sind also auch ein Frühaufsteher!« »Die Sonne und die Vögel locken, und hier läßt sich so gut träumen.« »Wovon träumen Sie denn, wenn’s erlaubt ist zu fragen?« Damit setzte sich Bismarck neben den Engländer, und dieser erwiderte lächelnd: »Ich habe die Vergangenheit ein wenig Revue passieren lassen. Da tauchten mir die Göttinger Tage wieder auf, die wir zusammen verlebten, und ich sah Sie wieder als den flotten Burschen, der in der Kneipe und auf dem Paukboden mehr zu finden war als in den Kollegien, und dann dachte ich wieder an unsere Berliner Zeit, an die Stunden, da Kaiserlingk uns Beethovensche Sonaten spielte, und nun finde ich Sie in glücklichster Häuslichkeit und zugleich als hervorragenden Diplomaten. Verwunderlich ist mir’s just nicht, denn daß Sie aus dem Holze geschnitzt sind, aus welchem man Männer macht, die schlechthin alles fertigbringen, was sie wollen, ist mir schon in früherer Zeit klargeworden, und Frankfurt ist wohl auch der Boden, wo Sie Gelegenheit haben, Kräfte zu zeigen.« »Sauer gemacht wird einem mitunter das Leben, aber unterkriegen sollen sie mich nicht so leicht. Sie wissen ja, wie die Dinge liegen. Österreich spielt hier die erste Geige, und die anderen hören in stummer Bewunderung zu und klatschen Beifall. Das ist nun meine Sache nicht, besonders wenn meine eigene Fiedel auf einen anderen Ton, auf den preußischen, gestimmt ist. Sie glauben gar nicht, welche Demütigungen man mitunter Preußen zumutet, oft bis ins Kleinliche hinein. Aber ich werde dem einen Damm stecken.« »Woran liegt das aber?« Bismarck zuckte die Achseln. »Von Wien weht keine gute Luft her. Der Minister Schwarzenberg hat rundheraus erklärt, daß er Preußen erst erniedrigen und dann vernichten will. Und der Bundestagspräsident, Graf Thun, im ganzen ein recht genießbarer Herr, muß diesen völkerfreundlichen Absichten Rechenschaft tragen. Da lobe ich mir noch den alten Fürsten Metternich, den ehemaligen berühmten österreichischen Staatslenker, welchen ich jüngst auf seinem Schloß Johannisberg am Rhein besuchte, der war doch nicht gar so preußenfeindlich.« »Von diesem Besuche habe ich gehört, und der alte Herr, dem sonst nicht jeder paßt, soll ganz entzückt von Ihnen gewesen sein.« »Ja, das ist einfach zu erklären: Ich habe seine Geschichten ruhig angehört und nur manchmal die Glocke angezogen, daß sie weiterklang. Das hat dem redseligen alten Herrn gefallen. Na, ich denke auch Schwarzenberg mit der Zeit noch einige Achtung abzunötigen. Den Anfang habe ich schon mit dem und jenem gemacht. Da hatte Österreich einen Ausschuß – natürlich ohne Zuziehung Preußens – eingesetzt, der über die Sitzungsprotokolle und deren eventuelle Veröffentlichung beraten sollte. Freilich wäre Preußen bei den Publikationen schlecht weggekommen. Da bin ich den Herren in die Parade gefahren, und die Sache ist seitdem unterblieben. Und solche Geschichten könnte ich Ihnen noch manche erzählen; aber nun kommen Sie, meine Frau wird mit dem Frühstück warten, und nach demselben müssen Sie mich entschuldigen: Ich habe eine Sitzung im Militärausschuß!« Er faßte den Freund unter dem Arm und führte ihn nach dem Hause, wo Frau Johanna anmutig und freundlich wie ein Frühlingsmorgen die Herren begrüßte, und wo Bismarck erst noch einmal nach seinen Kindern sah und sie fröhlich in die Luft hob, ehe er sich zu Tische setzte. Hier war er ganz glücklicher Gatte und Vater, ganz von fröhlichem Humor übersprudelnder Gastfreund. Ernster sah er drein, als er nicht lange danach an dem grünen Tische saß im Parterre des Taxisschen Palais. Auch hier winkten die grünen Bäume herein zu den Fenstern, aber in dem Raume herrschte eine etwas dumpfe Luft, und der Verkehr der anwesenden Herren war ziemlich gemessen und formell. Sie saßen in ihren Sesseln, genau nach der Rangordnung, die Vertreter der fünf deutschen Königreiche und des Großherzogtums Hessen. Der Präsidialsitz war noch unbesetzt, aber auch Graf Thun ließ nicht lange auf sich warten. Er kam mit elastischen Schritten, so daß er im ersten Augenblicke wohl für einen lebenslustigen aristokratischen Herrn, aber nicht für einen Diplomaten hätte angesehen werden können, blies vergnüglich den Rauch seiner Havannazigarre von sich, grüßte liebenswürdig herablassend die Herren »Kollegen« und setzte sich dann an seinen Platz oben an dem Tische. Daß Graf Thun rauchte, und zwar _allein_ rauchte, während kein anderer der Herren es wagte, dies Präsidialvorrecht ihm streitig zu machen, hatte Bismarck bereits früher mit Mißbehagen gesehen. Diesmal schien sich der Vorsitzende mit ganz besonderem Vergnügen dem Genuß hinzugeben; die bläulichen Wölkchen zogen an dem Gesichte des preußischen Gesandten hin, der feine Duft hatte etwas Verlockendes; und da diesem nicht einleuchtete, weshalb Preußen hier am grünen Tische nicht tun sollte, was Österreich sich erlaubte, zog er mit feinem Lächeln sein Zigarrenetui hervor, bat sich von Graf Thun etwas Feuer aus, und gleich darauf blies auch er die blauen Ringe in die Luft, gleichmütig, behaglich, als ob sich das just so gehörte, während die anderen Herren verwundert, ja, beinahe verblüfft schienen über den an sich so unbedeutenden Vorgang. Daheim erzählt Bismarck die Geschichte und fügte lächelnd bei: »Es soll mich gar nicht wundern, wenn nächstens auch Bayern raucht, und da keiner dem anderen etwas vergeben möchte, weil das als eine Zurücksetzung seines Staates gelten könnte, wird auch Herr von Nostiz (Sachsen) und Herr von Bothmer (Hannover) bald nachfolgen, und selbst die Herren von Reinhard (Württemberg) und von Münch-Bellinghausen (Hessen) werden ihre Aversion gegen das Rauchen trotz aller unbehaglichen Folgen aufgeben. So kommt’s bei allem immer nur auf den richtigen Anfang an!« Die Folgezeit lehrte, daß er bezüglich des Rauchens recht hatte. Nun widmete er sich wieder seinem lieben Gaste Motley, der in dieser prächtigen Häuslichkeit sich einige Tage wohl und wie daheim fühlte. Was waren das für den geistvollen Engländer für herrliche Tage und für genußreiche Abende! Das Wetter hatte nicht erlaubt, einen derselben im Garten zuzubringen; so war man zuerst im Speisezimmer gewesen, wo man durch die Fenster hinaussah auf die Bäume des Gartens, und genoß in vergnügter Zwangslosigkeit, was die Gastlichkeit des Hauses, die Liebenswürdigkeit der freundlichen Wirte bot. Dann ging es nach dem anstoßenden freundlichen Saale. Außer Motley war noch der treffliche Maler Jakob Becker mit seiner Familie des Abends gekommen, und so saß ein Kreis guter, fröhlicher Menschen in dem traulichen Raume beisammen. Die Herren rauchten, und der Duft der feinen Havannas wirbelte empor, indes der geistvolle Hausherr in seiner gemütlichen Weise scherzte: »Sehen Sie, lieber Motley – das ist doch eine andere Tafelrunde als die zwar achtenswerte, aber doch wenig unterhaltende im Taxisschen Palais, wo in mir wirklich manchmal im Gefühle gähnender Unschuld die Stimmung gänzlicher Wurschtigkeit vorherrschend wird. Ich bemühe mich zunächst nur, und, wie es scheint, nicht ganz erfolglos, den Bund zum Bewußtsein des durchbohrenden Gefühls seines Nichts zu bringen. Hier aber sitze ich ohne jede andere Absicht, als mir Herz und Seele wieder zu erfrischen im Umgang mit lieben Freunden. Und in der Hauptsache kommen nur solche. Thun sieht in seinem Hause alles, was mit Österreich sympathisiert, in den Kreisen des Hochadels – ich liebe mir hier den Adel vom Schlage unseres braven Becker. Wie köstlich ist das erst im Winter, wenn ich hier am Kamine sitzen und mit der Feuerzange in der Glut herumstochern kann, während der Wind vor den Fenstern saust, wenn Freund Becker oder sonst einer etwas erzählt von seinen Künstlerfahrten und seinem Schaffen, und dann eine kunstfertige Hand in die Tasten greift … ach bitte, Fräulein Becker, machen Sie uns die Freude!« Die Angeredete erhob sich ohne Ziererei und setzte sich an das Instrument. Die Töne rollten perlengleich unter den schlanken Fingern hervor, und behaglich zurückgelehnt in seinen Sitz lauschte der Hausherr, bis sie leise verhallend ausklangen. »Das sind die guten Geisterchen, die dem geplagten Diplomaten manchmal das Gleichgewicht wiedergeben helfen!« sagte er lächelnd. »Der Himmel schenke Ihnen und Ihrem Hause recht viele gute Geister!« erwiderte Motley. »Na, einige ganz herzige und herrliche liegen da drüben in ihrem Bettchen!« sprach der Maler. »Da mögen Sie recht haben, lieber Becker,« bemerkte der Hausherr; »es sind zwar Geisterchen mit Fleisch und Bein, aber die richtige Wirkung tun sie doch!« So ging der Abend hin, und als es ganz still im Hause geworden war, da leuchtete der Lampenschimmer aus Bismarcks Arbeitsgemach hinaus in die Nacht. Und Stunde um Stunde verging. Lange diktierte er seinem Sekretär an den Berichten, die nach Berlin abgehen mußten, und die eine Fülle von scharfen Beobachtungen und von klarer Einsicht in die politischen Verhältnisse bekundeten. Dann entließ er den Beamten, setzte sich selbst an den Tisch und schrieb noch einige wichtige Briefe, und als er endlich zum Siegeln gekommen war, tagte bereits der Sommermorgen und warf seinen erwachenden Schimmer in den Raum. Nun erst legte er sich angekleidet auf sein Sofa. Gleich darauf schlief er, tief, ruhig, aber kaum zwei bis drei Stunden. Der Sommermorgen weckte, und der Sonnenschein lockte hinaus. Wohl waren ihm die Glieder steif von dem nicht ganz bequemen Lager, und er fühlte eine Schwere und Abspannung, aber er war der Mann der Kraft und der Selbstbeherrschung. Er ließ sich sein Pferd satteln, und während die vornehme Welt Frankfurts noch im Morgenschlummer träumte, ritt er die Bockenheimer Landstraße hinaus, am Zoologischen Garten vorüber und in die lachende Landschaft hinein, und da und dort blieben wohl zwei oder drei stehen und sahen ihm nach, und einer sagte: »Das ist der preußische Bundesgesandte – soll ein schneidiger Mann sein!« Motley war wieder abgereist, aber in Bismarcks gastliches Haus kamen immer neue Besucher, und alle fühlten sich hier wohl und ungemein angeheimelt von dem herzlichen und zwanglosen Ton, welcher hier herrschte. Da ließ sich eines Tages ein besonders erlauchter Gast melden, Prinz Wilhelm von Preußen. Er war schon vordem gelegentlich einer Truppeninspektion in Frankfurt gewesen und auf dem Bahnhofe bei seiner Ankunft war ihm Bismarck vorgestellt worden, der in seiner Uniform als Landwehrleutnant mit der Lebensrettungsmedaille auf der Brust dem hohen Herrn besonders auffiel, so daß er nochmals dem General von Rochow gegenüber seine Bedenken äußerte über die Wahl des Landwehrleutnants Bismarck zu einem so wichtigen Posten. Aber im Gespräch mit diesem überzeugte er sich selbst bald genug, daß der preußische Diplomat trotz seiner verhältnismäßig jungen Jahre ein klarblickender und energischer Mann und ein sehr warm fühlender Patriot sei. Als er nun diesmal nach Frankfurt gekommen war, erbat sich der Baron Rothschild eine Audienz und ersuchte, ihm die Ehre zu erweisen und bei ihm zu speisen. Der Prinz erwiderte lächelnd, daß er sich bei Bismarck bereits eingeladen habe, und als der Baron trotzdem in ihn drang, legte er es ihm nahe, sich mit dem Bundesgesandten darüber abzufinden. Rothschild fuhr in der Bockenheimer Landstraße 40 (jetzt 140) vor. Er traf Bismarck daheim und trug ihm sein Anliegen vor, ihm den hohen Gast zu überlassen. »Es tut mir leid, mein verehrter Baron, Ihnen nicht dienen zu können, aber abgesehen von der Ehre, welche ich damit meinem Hause entziehen würde, ist mir jede Stunde wertvoll, welche ich in der Nähe des Prinzen meines Königshauses zubringen kann.« »Aber Exzellenz würden mich außerordentlich beglücken, wenn Sie gleichfalls in meinem Hause und an meinem Tische erscheinen wollten.« »Besten Dank, mein Herr Baron, aber ich muß schon auf meinem Schein bestehen und auf meinem Vorrechte beharren.« »Dann wollen Exzellenz mir mindestens gestatten, daß meine Speisen auf Ihrer Tafel serviert werden, so daß wir uns in die Ehre, den hohen Gast zu bewirten, teilen.« »Ich kann Ihnen leider auch darin nicht entgegenkommen. Es würde mindestens sehr verwunderlich sein, wenn der preußische Bundestagsgesandte bei Bewirtung eines preußischen Prinzen nichts weiter als den Tisch hergeben würde. Außerdem aber bin ich ein Gegner jeder Halbheit – also verzeihen Sie, Herr Baron –«. Rothschild erkannte, daß er den anderen nicht umstimmen würde, und leistete seufzend Verzicht, der Prinz aber speiste an dem gastlichen Tische Bismarcks und fand auch hier immer neues Wohlgefallen an dem prächtigen Manne. Dieser aber arbeitete unverdrossen und kraftvoll weiter in der Wahrung der Interessen seines Staates. Dabei machte er aber bald genug die Wahrnehmung, daß er nicht nur durch die österreichische Botschaft sehr beobachtet werde, sondern daß man zweifellos auch Briefe von ihm auffange und öffne. Es ging übrigens den anderen Bundesgesandten nicht besser. Eines Tages klagte ihm Herr von Bothmer, der Vertreter Hannovers, daß er begründeten Verdacht habe, daß auf irgendeinem Wege Graf Thun Kenntnis von dem Inhalt seiner Korrespondenz haben müsse. Bismarck lächelte und bemerkte, er müsse eben bei Absendung klug zu Werke gehen. »Aber was heißt hier klug?« fragte Bothmer. »Das will ich Ihnen zeigen, wenn Sie ein halb Stündchen Zeit haben; ich habe just eine Sendung zu expedieren.« So gingen sie zusammen und bogen aus den belebten Straßen in ein stilleres Viertel der alten Handelsstadt. In einem engen Gäßchen vor einem schlichten Krämerladen blieb Bismarck stehen und zog seine Handschuhe an. »Hier lassen Sie uns eintreten!« sagte er. Erstaunt folgte der Hannoveraner. In dem engen Laden roch es wunderlich, so daß es ganz unmöglich gewesen wäre, diesen Geruch in seinen Einzelheiten zu analysieren. Ein jugendlicher Verkäufer begrüßte die beiden Herren und fragte nach ihren Wünschen. »Ich möchte Seife, aber etwas wohlriechende,« sprach Bismarck, und der dienstbeflissene Jüngling begann seine Proben vorzulegen. Der Diplomat roch an jeder, dann wählte er jene, welche den stärksten Geruch hatte und schob sie ohne weiteres in seine Tasche. »Haben Sie auch Briefkuverts?« »Sehr wohl!« Nach kurzer Auswahl nahm Bismarck die schlichteste und einfachste Sorte, zog dann ein bereits zusammengefaltetes Papier aus der Tasche, schob es in den Umschlag und bat sich nun Tinte und Feder aus, um die Adresse zu schreiben. Da jedoch die Handschuhe ihm hinderlich zu sein schienen, bat er den Verkäufer, ihm die Mühe abzunehmen, was dieser auch beinahe geschmeichelt tat. Behaglich steckte Bismarck nun das Schreiben zu der Seife in seiner Tasche, und als er mit seinem Begleiter vor der Türe stand, sagte er zu diesem: »Glauben Sie nun, lieber Kollege, daß man unter diesem Kuvert, das nach Käse und Hering, Seife und Wichse duftet, nicht so leicht meine Depesche herausschnüffeln wird?« Manchmal jedoch, wenn es ihm in dem Frankfurter Treiben zu unbehaglich und in den Bundestagsverhandlungen zu langweilig und zu ärgerlich wurde, setzte er sich auf die Eisenbahn und fuhr hinein in den Odenwald, oder besah sich einmal das bunte Leben und Treiben in den glänzenden Badeorten Homburg, Wiesbaden, Baden-Baden, oder er erquickte sich an der ewigen Schönheit des Rheinstromes und seiner lieblichen Ufer. So fuhr er eines Nachmittags nach Rüdesheim. Dort mietete er einen Kahn und glitt hinaus auf den Strom. Der Mond warf seinen milden, dämmerigen Schein auf die Fluten, die Luft war lau, und ihn faßte ein Gelüste an, die Kleider abzuwerfen und sich in die silbernen Wellen zu tauchen. Gedacht, getan, und bald schwamm er langsam und behaglich dahin. Hinter ihm her, im Abendschimmer verdämmernd, kam langsam das Boot, das der schweigende Ferge lenkte, hoch über dem Schwimmer wölbte sich blau und klar der Himmel mit seinen vieltausend Sternen, und drüben an den Ufern webte der bläuliche Mondenschimmer um die dunkelnden Höhen, die bewaldeten Berge, die grünen Weingärten und die grauen, schweigenden Ruinen der Vorzeit. Und das Wasser klang und rauschte und flüsterte wie von alten Sagen. Von Bingen herüber schimmerten einzelne Lichter, und nun hob sich der Mäuseturm düster und ernst aus den Wellen. Hier stieg der Schwimmer ans Land, kleidete sich an und fuhr nach Bingen hinüber, wo er Nachtrast hielt. Am nächsten Morgen aber ging’s über Koblenz nach Frankfurt zurück. Das erfrischte Leib und Seele. Auf den 18. Oktober fiel der Geburtstag des Königs. Auf der Villa in der Bockenheimer Landstraße wehten die preußischen Fahnen, und im Laufe des Vormittags fuhren Bismarck und die Beamten der Gesandtschaft in größtem Staat nach dem Kornmarkt, wo in der großen Reformierten Kirche der Festgottesdienst abgehalten wurde. Die Mittagstafel aber sah zahlreiche und erlesene Gäste, und der Hausherr verstand es, in kräftigen, gehaltvollen Worten der Begeisterung Ausdruck zu geben, die er selbst für seinen königlichen Herrn fühlte, und die er auch in anderen Herzen zu entflammen wußte. Und als der Abend kam, zog er seine Landwehrleutnants-Uniform an mit der Lebensrettungsmedaille und begab sich nach der Kaserne, wo die preußischen Soldaten gleichfalls festlich den Geburtstag ihres obersten Kriegsherrn begingen. Hier war die Lust in vollem Gange. Rauschende Musik klang durch den Saal, und in lauter, aufjauchzender Fröhlichkeit drehten sich die Paare im Reigen. Als er eintrat, machten die Soldaten am Eingang Honneurs und flüsterten sich, als er vorüber war, zu: »Seine Exzellenz, der Herr Leutnant von Bismarck!« Sie kannten ihn alle, den prächtigen, stattlichen Mann, der so heiter und herzlich sein konnte, und auch diesmal wieder bald da, bald dort auftauchte und sich mit den schlichten Kriegern unterhielt. Der Herbst entblätterte die Bäume in dem Garten, und der Winter spielte mit seinen Flocken um die freundliche Villa. Aber wenn auch der Sturmwind um die Fenster fegte, drinnen war’s um so behaglicher. Diese Winterabende waren köstlich, wenn in dem Salon bei dem flackernden Kaminfeuer sich um die liebenswürdigen Wirte prächtige Gestalten scharten, von denen jeder fand, was er nur suchen mochte: Schlichtheit, Herzlichkeit, vornehme Sitte und frischen Humor. Wie zwanglos verkehrte da Prinz Georg von Preußen mit Schriftstellern, in deren Kreis er sich zählen durfte, wie gemütvoll und vergnügt plauderte die Großfürstin Helene von Rußland (geborene Prinzessin von Württemberg) mit der Frau des Malers Becker, und wenn die Gäste in stiller Nacht schieden, nahmen sie etwas von dem Behagen dieses Hauses mit sich fort, das noch lange in ihnen nachklang. Der Winter stellte freilich auch gesellschaftliche Anforderungen, denen Bismarck um seiner Stellung willen entsprechen mußte. Dabei fühlte er sich nicht immer besonders vergnüglich, zumal der österreichische »Botschafter« überall eine dominierende Stellung beanspruchte, und er seinerseits darüber wachte, daß auch der Würde seines Staates nichts vergeben werde. Der englische Lord Cowley gab ein großes Fest zu Ehren seiner Königin. Die Räume waren glänzend geschmückt; Farben und Fähnchen fast aller Kulturstaaten woben sich zu einem bunten Bilde zusammen, aus welchem sich das transparente englische Wappen abhob, dem gegenüber sich der ungekrönte Doppeladler – das Wappen des deutschen Bundes – zeigte. Die Gesellschaft war eine sehr vornehme. Graf Thun tänzelte zierlich um die Damen, der Lord zeigte sich als vornehmer und lebhafter Wirt, zwischen den Gesandten der deutschen Staaten bewegten sich mit graziöser Gewandtheit der Vertreter Frankreichs, Tallenay, und der belgische Graf Briey, und der Tanz bot bei der Reichhaltigkeit der Toiletten geradezu glänzende Bilder. Bismarck lehnte behaglich an einer reichdekorierten Säule und sah in das Gewühl. Im bunten Kotillon bewegten sich die Paare, darunter viele der älteren Diplomaten, und er machte die Bemerkung, wie viele von den Damen schwarzgelbe Seidenschleifen, die Farben Österreichs, trugen, während er nach jenen Preußens vergebens suchte. Eine junge Prinzessin von Nassau kam eben an ihm vorüber, am Arme eines süddeutschen Diplomaten. Sie sah ihn flüchtig an, aber es lag in dem Blicke selbst eine unverkennbare Beimischung von Geringschätzung. In diesem Augenblicke trat ein anderes Mitglied der preußischen Bundestagsgesandtschaft an ihn heran. »Fürchten Exzellenz nicht die Ungnade Ihrer Hoheit der Prinzessin von Nassau?« »Wieso?« »Wir armen Preußen sind bei ihr schwer diskreditiert; Hoheit geruhte mit allen anderen Mächten zu tanzen, nur mit Preußen nicht!« »Das ist freilich schlimm, aber ich hoffe, daß es mir nicht den Rest meiner Nachtruhe verderben wird,« sagte Bismarck lächelnd. Nicht lange darauf verließ er das Fest. Weihnachten wurde in freundlicher Weise verlebt, und das Fest brachte dem Vielbeschäftigten einige Ruhe und Muße. Dann wieder Arbeit in Fülle, zwischendurch aber auch manch ein vergnügter Tag! Wie war das so lustig zur Fastnachtszeit, als er seinem Dienstpersonal ein fröhliches Fest gab, wie er es daheim in der Altmark seit der Väter Tage gewohnt war! Er fehlte nicht unter den »Seinen« und freute sich, wie alle Augen lachten vor Fröhlichkeit, und wie vor allem die knusprigen, braunen »Pannkauken« schmeckten, die er selber auch kostete. In solchen Stunden wuchs er seinen Dienern noch mehr ans Herz, als es schon der Fall war, und Frau Johanna nicht minder. Der Frühling von 1852 kam ins Land. In Österreich war an Stelle des Ministers Schwarzenberg der Graf Buol-Schauenstein getreten, und damit schärfte sich eine bereits schwebende Angelegenheit zwischen Preußen und Österreich noch mehr zu. Es betraf den von dem ersteren begründeten deutschen Zollverein, für welchen die bisher noch unbeteiligten deutschen Staaten gewonnen werden sollten, während Österreich, das von demselben ausgeschlossen war, an der Auflösung desselben arbeitete. Bismarck hatte hier seine vollgemessenen Verdienste, und da der neue österreichische Ministerpräsident mit aller Macht den preußischen Bestrebungen entgegenarbeitete, ging er im Auftrag seines Königs nach Wien, um an den Kaiser ein Handschreiben Friedrich Wilhelms IV. zu überbringen. In den ersten Tagen des Juni traf er in der Hauptstadt an der Donau ein. Der Minister Buol empfing ihn ziemlich ungnädig und erklärte bestimmt, daß Österreich sich von Deutschland nicht als Ausland behandeln lassen werde. Bismarck war zwar verstimmt, aber nichts weniger als entmutigt. Er freute sich der Liebenswürdigkeit, mit welcher er fast überall aufgenommen ward, lebte in dem freundlichen Schönbrunn den anmutigen Erinnerungen an seine Hochzeitsreise, und fuhr endlich am 23. Juni auf der Donau hinab nach dem alten Ofen, wo er im kaiserlichen Schlosse seine Wohnung erhielt. Hier saß er, hoch über Stadt und Strom, und ließ den Blick hinausschweifen über das weite ungarische Flachland, und dachte bei all den Schönheiten an den Kreis seiner Lieben in Frankfurt. Von dem jungen Kaiser wurde er in besonderer Audienz mit liebenswürdiger Herablassung empfangen und machte mit dem Hofe einen Ausflug ins Gebirge. Stimmungsbilder von satter Farbenglut gingen an seinem Auge vorüber. Im Hintergrunde die ungarische Königsstadt mit ihrer hochragenden Burg, ringsum grüner Buchenwald, auf freiem Rasenplane die kleine Tafel für etwa zwanzig Personen, eine jubelnde Volksmenge, die sich ringsum drängte und bis in die Wipfel der Bäume kletterte, leise hallender Hörnerklang, und als der Abend kam, das ganze Bild übergossen vom bläulichen Mondschimmer und matt erhellt von loderndem Fackelglanz – das alles war so fremdseltsam, daß es wie eine Phantasie erschien, der die ernste Wirklichkeit bald folgte in Gestalt eines Telegramms aus Berlin, welches entschieden die österreichischen Zumutungen in der Zollvereinsfrage zurückwies. Nicht lange darauf saß Bismarck wieder im Kreise der Seinen, der sich am 1. August 1852 noch um ein Söhnchen vermehrte, das nach seinem hohen Paten _Wilhelm_ genannt wurde. Im Herbste desselben Jahres mußte er zu seinem großen Bedauern seine freundliche Wohnung in der Bockenheimer Landstraße aufgeben, weil ein reicher Westfale das Haus gekauft, und nun siedelte er nach der Großen Gallusstraße Nr. 19 über; aber der Ruf der hohen Gastlichkeit, der vornehmen und dabei gemütvollen Liebenswürdigkeit haftete auch hier an dem Heim des Diplomaten. Die kommenden Jahre gaben Bismarck genug Gelegenheit, seine Umsicht, Klugheit und Tatkraft im Interesse seines Staates zu bekunden. Und er hat in kleineren wie in gewichtigen Dingen seine Anschauungen zur Geltung zu bringen verstanden – und eine Tätigkeit entwickelt, die schon ihrem Umfange nach Staunen erregt. Die immerwährenden Reisen, die eingehenden klaren Berichte, die unmittelbare Tätigkeit im Bundestage selbst hätten einen anderen aufreiben müssen. Da tat mitunter eine Erholung dringend not. Im Sommer 1853 erfrischte er sich in den Wellen der Nordsee und reiste dann durch Belgien und Holland zurück. Der politische Horizont hatte sich umwölkt, der »Krimkrieg« zwischen Rußland und den europäischen Westmächten hing in der Luft, und der preußische Staatsmann suchte nach seiner besten Überzeugung seinen König in dieser Sache neutral zu erhalten, was auch gelang. Spott, der ihn deshalb traf, wußte er sehr geschickt und scharf zurückzuweisen. So war er in diplomatischem Auftrage in München gewesen, und als dort zu Ehren eines österreichischen Generals eine Militärparade abgehalten wurde, erschien er dabei gleichfalls in seiner Landwehruniform. Auf seiner Brust lag schon längst nicht mehr die Rettungsmedaille allein, sondern zahlreiche hohe Orden schmückten dieselbe. Der General, welcher an ihn herangeritten war, sah mit einigermaßen spöttischem Blicke auf die blinkenden Auszeichnungen und fragte: »Schaun’s Exzellenz! Alle vorm Feind erworben?« »Jawohl, Exzellenz, alle vorm Feinde, alle in Frankfurt a. M.,« erwiderte Bismarck mit verbindlichem Lächeln. Noch schärfer führte er den französischen Gesandten in Berlin, de Moustier, ab. Die Franzosen waren über die Neutralität Preußens in der orientalischen Frage verstimmt, und als der Gesandte mit Bismarck zusammentraf, ließ er sich zu der Äußerung verleiten: »Preußen wird seine Haltung noch einmal bedauern; auf diesem Wege kommt es vermutlich nach Jena!« »Und warum nicht nach Leipzig oder Waterloo?« fragte Bismarck dagegen, und de Moustier war durch diese Antwort so gekränkt, daß er sich beim König – jedoch ohne Erfolg – beschwerte. Bismarck war einmal nicht der Mann, der seiner Würde, noch weniger aber der Würde seines Staates etwas vergab. Der Krimkrieg war zu Ende, und in Paris fanden sich die Vertreter der Mächte ein, um über den Frieden zu verhandeln. Damals reiste auch der Minister Graf Buol über Frankfurt dahin und hielt sich kurze Zeit in letzterer Stadt auf. Da beeilten sich denn die meisten der deutschen Bundesgesandten, ihm einen Beweis ihrer Ergebenheit zu geben, und ließen sich durch den Graf Rechberg, welcher indes an Graf Thuns Stelle getreten war, anfragen, wann sie ihre offiziellen Besuche machen könnten. Aber der Herr Minister, ermüdet von der Reise, lehnte solche Besuche ab, bestimmte jedoch eine Stunde, in welcher er für die Herren in seiner Wohnung zu einer vertraulichen Besprechung anzutreffen sei. Diese Mitteilung war auch Bismarck, trotzdem derselbe nicht angefragt hatte, zugegangen. Er ließ dem Grafen Rechberg wissen, daß er durchaus gar nicht die Absicht habe, die wertvolle Zeit des Grafen Buol in Anspruch zu nehmen, und während die anderen Gesandten im Vorzimmer der österreichischen Exzellenz warteten, bis es derselben genehm war, sich von ihnen respektvoll begrüßen zu lassen, wartete Bismarck, ob nicht Graf Buol zu ihm kommen werde. Und derselbe kam trotz seiner »Ermüdung«. Auch die Unterdrückung Schleswig-Holsteins durch die Dänen war eine Angelegenheit, welche den Bundestag viel beschäftigte, ohne daß eine Einigung zu erzielen war. Preußen hatte den besten Willen, zu helfen, aber die Eifersucht Österreichs, die Zwietracht der anderen Mächte banden ihm die Hände. Trotzdem wußte Bismarck auch hier einiges zu erreichen, und vor allem zu erlangen, daß Dänemark für den Herzog von Schleswig-Holstein eine entsprechende Abfindungssumme entrichte. In der schleswig-holsteinischen Sache war er übrigens selbst in Kopenhagen gewesen. Im August 1857 war er aufgebrochen, seine Familie hatte er nach Reinfeld gebracht, wo sie in ländlichem Behagen sich freuen und erholen konnte, und in der dänischen Hauptstadt fand er eine durchaus höfliche Aufnahme. [Illustration: ~Eis. Kanzler III~ Napoleon und Bismarck in Biarritz.] Hier war ihm alles fremd und neu, und so ließ er sich gern veranlassen zu Ausflügen, welche den Reiz der nordischen Gegenden vor ihm entrollten und überdies eigenartige neue Jagdvergnügen boten. Diese Ausflüge erstreckten sich bis nach Schweden, wo er bis Tomsjonäs in Smaland vordrang. Fremdseltsam mutete ihn die Gegend an mit ihren weiten, wüsten Strecken, wo bald zwischen Sumpf und Moor dichtes Gestrüpp und Unterholz wuchert, bald über grauverwittertes Gestein und zwischen felsigen Ufern schäumende Bergwasser hinwegrauschen, bald, von Waldesgrün umsäumt, große, dunkle Seen im Sonnenscheine träumen – wo die Menschheit zu fehlen scheint in der großen Szenerie der Natur, die wie im Sonntagsgewande ihrer Schöpfung ruht und mit tiefer Stille den Jäger umfängt. Manch jagdbares Getier verfiel seiner sicheren Büchse, und das Jagen war nicht immer gefahrlos. So stand dem Jäger auf einer seiner Fahrten plötzlich ein unbehaglicher Gesell gegenüber, ein braunes Ungeheuer, das wie aus dem Boden gewachsen schien, ein Bär, der die zornigen Augen gegen ihn wandte und nicht freundlich ihn anbrummte. Da galt kein langes Überlegen. Auf sechs Schritte Entfernung gab der mutige Schütze Feuer, und das Tier brach zusammen. Aber »Meister Petz« war zäh; er begann sich noch einmal, jetzt zur Wut entfacht, zu erheben, doch Bismarck lud schnell und ohne merkliche Bewegung seine Waffe, und als das Tier sich nun erhob, traf es die zweite Kugel und streckte es tot nieder. An Körper und Geist erfrischt, die Seele erfüllt von neuen Bildern, kam Bismarck nach Frankfurt zurück, froh, mit seinen Lieben wieder vereint zu sein, die er sich manchmal zur Seite gewünscht hatte in einem kleinen, stillen, freundlichen Landhause an einem der Nordlandsseen. – Da brachte der Herbst wiederum Trübes. König Friedrich Wilhelm IV. war infolge eines Schlaganfalles erkrankt und hatte die Stellvertretung in der Regierung seinem Bruder, dem Prinzen Wilhelm, übertragen. Es war eine bange Zeit für die preußischen Herzen, die bei aller Verehrung für den Prinzen doch den Schmerz empfanden, der in dem königlichen Hause lebte. So ging wieder ein Jahr vorüber, und der politische Himmel schien sich von neuem zu bewölken; zwischen Österreich und Italien begann eine Spannung, welche für den Einsichtigen, zumal bei dem Ehrgeiz des dritten Napoleon eine Einmischung Frankreichs zu befürchten war, eine drohende Kriegsgefahr barg. Im Oktober 1858 übertrug der unheilbar kranke König seinem Bruder die Regierung gänzlich, und der Prinzregent schien der preußischen Politik eine andere Richtung geben zu wollen, indem er ein neues Ministerium berief, auf welches er wie sein Volk große Hoffnungen zu setzen geneigt waren. Auch an Bismarck war anfangs dabei gedacht worden, aber seine Zeit war noch nicht gekommen. Er wußte sich, trotz der Verstimmung seiner Angehörigen, zu trösten, und tat auch angesichts der augenblicklichen Situation das, was ihm das Richtige schien. Der Bundestag war in Aufregung, mittel- und süddeutsche Staaten drängten zum Kriege gegen Italien und Frankreich und zur Bundesgenossenschaft mit Österreich. Eine solche unbedingte Heeresfolge ging dem preußischen Diplomaten gegen seine Überzeugung. Dieselbe hatte er schon vorher unumwunden in einer Denkschrift an seine Regierung ausgesprochen, in welcher er eine selbständige preußische Politik dringendst empfahl und verlangte, daß Preußen als der größte deutsche Staat an die ihm gebührende Stelle in Deutschland treten müsse, selbst, wenn es darüber zum Bruche mit Österreich komme. Und als jetzt der Krieg sozusagen in der Luft schwebte, sahen die übrigen deutschen Gesandten zu ihrem Erstaunen, ja Entsetzen, auf der »Zeile« Bismarck Arm in Arm mit dem Gesandten Italiens, dem Grafen Barral, einherschreiten. In Berlin aber war man noch nicht geneigt, mit Österreich geradezu zu brechen, und so erhielt der preußische Bundestagsgesandte an einem schönen Februartage seine Ernennung zum Gesandten in Petersburg. Erfreut war er über die Mitteilung nicht, er hatte die Empfindung, daß man ihn »kaltgestellt« habe, aber der Prinzregent selbst gab ihm die Versicherung, daß diese Versetzung ein Beweis ganz besonderen Vertrauens sei – und der Mann der Pflicht tat seine Schuldigkeit. Siebentes Kapitel. An der Newa und der Seine. An einem wenig freundlichen Märztage des Jahres 1859 fuhr frühmorgens ein hochbeladener Postwagen, mit acht Pferden bespannt, zu dem Tore von Königsberg hinaus. Auf dem Außensitze saß Otto von Bismarck und schaute in den dämmerigen Morgen, der ihn aus Deutschland entführte nach den Ufern der Newa. Eine behagliche Fahrt war es eben nicht. In den Steppen Rußlands lag noch tiefer Schnee, und mühsam arbeiteten sich die Pferde fort, so daß der Gesandte es manchmal vorzog, neben dem Wagen herzuschreiten, zumal das den frosterstarrten Gliedern guttat. Bergab war es am schlimmsten; die Pferde glitten auf den glatten Wegen aus und kamen wiederholt zum Stürzen, und in einer Stunde war man einmal etwa 20 Schritte vorwärts gekommen. Dazu keine Nachtpost. Durch das unbehagliche Dunkel leuchteten nur mit müdem Scheine die Wagenlaternen, ein eisiger Wind blies über die Steppen und wehte den feinen, beißenden Schneestaub dem Reisenden in das Gesicht, der auf seinem freien Sitze auch gar nicht daran denken konnte, zu schlafen. Es war eine Wohltat, das letzte Stück des Weges im Eisenbahnwagen zurücklegen zu können. Nach sechs Tagen traf er in Petersburg ein. In den winterlichen weißen Hermelin gehüllt, lag die russische Kaiserstadt, und ihre Pulsader, die Newa, flutete noch unter der Eisdecke dahin. Durch die prächtigen Straßen fuhr Bismarck nach dem Hotel Demidoff, wo er fürs erste sein Quartier nahm. So verlebte er diesmal seinen Geburtstag fern von der deutschen Heimat und den lieben Seinen, aber er war doch nicht ohne Bedeutung; er überreichte an demselben dem Zaren Alexander II. sein Beglaubigungsschreiben. Um die Mittagszeit war das reich vergoldete Gefährt mit dem kaiserlichen Wappen vorgefahren, das den Gesandten nach dem Winterpalais brachte. Durch die entlaubten Lindenalleen ging es pfeilschnell hin, vorüber an dem Prachtbau der Admiralität, von dessen Turme sich der herrlichste Blick über die Zarenstadt bietet, über den Paradeplatz hinweg und dann hinein durch das Tor in den Hof des Palastes. Der Empfang ließ an Feierlichkeit und würdigem Zeremoniell nichts zu wünschen, aber er hatte auch beinahe den Anstrich einer gewissen Herzlichkeit. Der Kaiser empfing den preußischen Gesandten herablassend liebenswürdig und schien an dessen feinem und offenem Wesen von der ersten Stunde an Gefallen zu finden. Auch sonst hatte Bismarck nicht über Mangel an freundlichem Entgegenkommen zu klagen. Wie einst die Großfürstin Helene, die geistvolle Witwe des Großfürsten Michael Pawlowitsch, eine geborene Prinzessin von Württemberg, sich in seinem gastlichen Hause in Frankfurt wohl befunden hatte, so vergalt sie ihm jetzt diese Gastfreundschaft in liebenswürdigster Weise in Petersburg. Manch schöner Abend wurde bei ihr verlebt, gemeinsam mit bedeutenden und angesehenen Persönlichkeiten; besonderes Interesse aber erregte es, wenn man mit Bismarck in intimem Gespräche in irgendeiner Fensternische einen kleinen, grauhaarigen Herrn mit dem glattrasierten Gesichte und den klugen Augen, die hinter glitzernden Brillengläsern hervorsahen, erblickte. Das war der russische Kanzler, Fürst Gortschakoff. Die Freundschaft der beiden war nicht neu, sie datierte schon aus Frankfurt, wo der Fürst Gesandter seiner Regierung beim Bundestage gewesen war, und sie wurde hier mit einer gewissen Herzlichkeit erneuert. Endlich kam auch für Petersburg der Frühling. Die Kanonenschüsse, welche eines Tags von der Festung aus donnerten, verkündeten der freudig aufatmenden Residenz, daß die Newa die starre Eisdecke zerbrochen habe und ihr glänzender Wasserspiegel mindestens auf eine Bootsbreite zutage getreten sei, und jedes Kind in Petersburg wußte es, daß zu dieser Stunde der Kommandant der Festung im Paradeanzug, und von seinen Offizieren begleitet, in eine reichgeschmückte Gondel steige, in einem goldenen Becher Wasser aus dem Strome schöpfe und dann hinüberfahre nach dem Winterpalais, um es dem Kaiser zu überbringen. Tausende von Menschen strömten zusammen und füllten den Platz, während der mächtige Herrscher oben den Becher empfing und auf das Wohl seiner Residenz leerte. So war es alter Brauch, und der Kommandant erhielt demselben gemäß zweihundert Dukaten. Nun begann der Lenz auch die Ufer des Flusses zu schmücken, und die Straßen der Stadt wurden lebendiger, zumal der glänzende Newski-Prospekt. An der Umgebung der Residenz aber fand Bismarck kein besonderes Gefallen. Nach Süden zu hatte die Kunst der Natur einigermaßen nachgeholfen, nach den übrigen Seiten hin war noch viel einförmiger Wald und Wildnis. Ein Punkt aber hatte für ihn eine freundliche Anziehungskraft; hier wehte es ihm entgegen wie der Hauch der Heimat. Das war das Schloß _Peterhof_, der überreich geschmückte Sommersitz Peters des Großen, das Versailles der russischen Kaiser, zu jener Zeit aber der Aufenthaltsort der Kaiserin-Mutter Charlotte, der Tochter der unvergeßlichen Königin Luise von Preußen. An einem herrlichen Lenztage hatte er sie abermals aufgesucht, und sie empfing ihn wie eine mütterliche Freundin. Auch heute saßen sie auf dem Balkon, die Kaiserin auf der Chaiselongue, er selbst in einem Fauteuil, und sahen hinaus auf das Bild zu ihren Füßen: Unmittelbar unter ihnen der prächtige Garten mit seinen leise rauschenden Bäumen und seinen springenden Kaskaden, dann weiter hinaus der wunderbare Blick auf die märchenhafte Landschaft, in der aus grünen Gehegen weiße Schlösser hervorlugen, darunter zumal das anmutige Babigon, glitzernde Teiche, breite Alleen, dann zur Rechten die große Residenzstadt, zur Linken die weißen Mauern der Festung Kronstadt, und im Hintergrunde das schimmernde Meer und die im Blauen verdämmernde Küste von Karelien. Die alte Dame in dem schwarzen Seidengewande, die mit langen Holzstäben an einem Wollschal strickt, läßt die fleißigen Hände einen Augenblick sinken und sagt: »Manchmal habe ich hier an Potsdam gedacht und Sanssouci; hier ist ja alles größer und glänzender, daheim aber ist es voll lieber Anmut –« »Ja, Majestät, die Scholle, auf welcher unsere Wiege stand, bleibt immer die schönste,« erwiderte Bismarck, »und sie lieben wir unvergessen, und für sie setzen wir unser bestes Blut ein.« »Das kann der Mann; die Bestimmung der Frau ist anders, zumal die der Fürstin. Ihr gibt das Geschick oft eine neue Heimat, die ihr von Gottes und Rechts wegen an das Herz wachsen muß, und es kann dann für sie nichts herber sein, als wenn ihr Herz in Zwiespalt kommt, mit den leidigen Erwägungen der Politik. Ich und der Kaiser nicht minder, wir haben uns gefreut, daß Preußen im Krimkriege Neutralität bewahrte, und dafür sind wir Ihnen ganz besonders dankbar, lieber Bismarck.« »Ich habe dabei lediglich das Beste für Preußen im Auge gehabt, Majestät, genau so, wie ich es in der gegenwärtigen Verwicklung zwischen Österreich und Italien halte.« »Sie meinen nicht, daß es für Preußen richtig sei, zugunsten Österreichs zu intervenieren?« »Wenn wir hier eingreifen, so wird das für uns gleichbedeutend damit, daß wir Österreich den Krieg abnehmen und uns für dasselbe opfern. Mit dem ersten Schuß am Rhein wird der _deutsche_ Krieg die Hauptsache, weil er Paris bedroht. Österreich bekommt Luft, und wird es seine Freiheit benutzen, um uns zu einer glänzenden Rolle zu verhelfen? Wird es vielmehr nicht dahin streben, uns das Maß und die Richtung unserer Erfolge so zuzuschneiden, wie es dem spezifisch österreichischen Interesse entspricht? Und wenn es uns schlecht geht, so werden die Bundesstaaten von uns abfallen wie welke Pflaumen im Winde, und jeder, dessen Residenz französische Einquartierung bekommt, wird sich landesväterlich auf das Floß eines neuen Rheinbundes retten.« »Sie mögen recht haben, und haben auch den schärferen Blick für die Verhältnisse – ich möchte nicht so düster sehen, aber wir Frauen sind Gefühlspolitiker. – Doch schauen Sie!« Die hohe Frau deutete mit der Rechten hinaus auf das Landschaftsbild, wo über der See die Sonne unterging. Ein rötlicher Schimmer lag über den blinkenden Wasserspiegeln, heller hoben sich die Häuser der Residenz, die schweren Gebäudemassen von Kronstadt vom Horizonte ab. »Es hat doch jedes Land seine wunderbaren, ihm eigentümlichen Schönheiten – das Bild ist einzig, Majestät!« »Dies Bild hat seinen eigentümlichen Reiz. – Gewiß, aber Petersburg selbst ist eine moderne Großstadt wie die meisten anderen. Wenn Sie ein eigenartiges Stadtbild sehen wollen, müssen Sie nach Moskau fahren. Moskau ist Rußland, das alte, starre, halbasiatische Rußland. Den Genuß lassen Sie sich nicht entgehen. Und jetzt eben wäre die beste Reisezeit; wenn Ihre Geschäfte es gestatten, würde ich Ihnen sehr dazu raten, lieber Bismarck.« Und nun plauderte die Kaiserin so heiter und geistvoll von der alten Russenstadt, daß ihr Zuhörer sich ganz in die seltsamen Bilder versenkte, welche sich vor seinem Geiste entrollten, und entschlossen war, bereits in der nächsten Zeit nach der Stadt aufzubrechen, welche einst dem großen Napoleon zu fürchterlichem Verhängnis geworden war. Es war zu Anfang des Juni, als er seinen Vorsatz ausführte. Der Sonnenschein lachte in die Fenster des Kupees herein und lag draußen über dem grünen Lande, als er abfuhr; die Tage brachten eine beinahe unbehagliche Wärme, und da die Gegend anfing einförmig zu werden mit ihren weiten, grünen Ebenen, Sumpfgeländen und Birkenwäldchen, zwischen welchen keine Stadt, ja, selten ein Dorf das Vorhandensein von Menschen bekundete, gab sich der Reisende dem Behagen des Schlafes hin. Als er am nächsten Morgen erwachte – es war hinter der Station Twer – und durch das Fenster blickte, glaubte er seinen Augen kaum trauen zu dürfen; im Frührot schimmerte weithin auf der Ebene der Schnee! Und weiter rollte der Zug und hielt endlich im Bahnhofe in Moskau, der heiligen Stadt der Russen. Feiner Regen sickerte nieder, als er durch die Straßen fuhr, und der Schnee war wieder verschwunden. Bismarck stieg im Hotel de France ab, und nachdem er von hier aus einen brieflichen Gruß an Frau Johanna geschickt hatte, machte er sich daran, die wunderliche Stadt kennen zu lernen, in welcher Europa und Asien sich gleichsam die Hand reichen, und die einen seltsamen Zauber auf jeden Besucher ausübt. Das Aussehen von Moskau ist seit dem großen Brande im Jahre 1812 sehr zu dessen Vorteil verändert, aber auch in der Erneuerung ist man dem alten Stil treu geblieben in der Anlage der meist gekrümmten Straßen und in der Mischung aller Bauarten der Welt. Von freier Höhe sah Bismarck die Stadt unter sich liegen mit ihren grünen Dächern, ihren zahllosen grünen Kirchenkuppeln, ihren prunkenden Palästen; zwischendurch windet sich das glitzernde Band der Moskwa, an deren linkem Ufer das Kapitol der Stadt, der Riesenbau des Kreml mit seinen 32 Kirchen und zahlreichen Palästen, sich erhebt, überragt von dem achteckigen »Iwan Weliki«, über dessen zwiebelförmiger Kuppel das hohe, vergoldete Kreuz weithin leuchtet im Sonnenglanz. Es war ein Städtebild von überwältigender Großartigkeit und einem märchenhaften Reiz. Auch die Umgegend der Stadt wurde durchstreift, dem Schlosse Petrowski, das nach dem großen Brande Napoleon zum Hauptquartier gedient hatte, ein Besuch abgestattet und zwischen Dörfern und Fabriken weit hinausgeschweift in die wellenförmige, fruchtbare Ebene, bis sie in die weite, wüste Steppe übergeht. Aber für die mannigfachen Genüsse dieser Reise mußte Bismarck büßen. Nach Petersburg zurückgekehrt, erkrankte er an einem rheumatischen Leiden, das sich immer mehr steigerte, und so lag er in seinen Schmerzen fern von der Heimat und von seinen Lieben, an welche er mit Sehnsucht dachte, und ließ sich von den russischen Ärzten Schröpfköpfe aufsetzen und mit spanischen Fliegen quälen, bis seine gute Natur wenigstens einigermaßen ihn auf die Beine brachte, so daß er imstande war, am 28. Juni nach Peterhof hinauszufahren zu der Kaiserin-Mutter, welche über sein Aussehen erschrak. »Aber Sie müssen Urlaub nehmen, lieber Bismarck, und einige Zeit in der Heimat zubringen. O, die Luft der Heimat und der Hauch der anmutigen Häuslichkeit tun Wunder. Ihre Frau wird recht in Sorge um Sie sein!« sagte die gütige Zarin. Bismarck erwiderte: »Um den Urlaub habe ich bereits nachgesucht, Majestät, und was Frau Johanna betrifft, so hat sie gottlob keine Ahnung, wie man mir hier zugesetzt hat – sie weiß nur etwas von meinen üblichen Hexenschüssen.« »Sie sind ein guter Gatte – aber Frau Johanna verdient einen solchen nach allem, was ich von ihr weiß. Grüßen Sie dieselbe herzlich von mir.« Nach einiger Zeit brach er nach Deutschland auf. Angenehm war das Reisen nicht. Bis Dünaburg ging es an, weil im Eisenbahnkupee doch noch einigermaßen Bequemlichkeit zu erreichen war. Von dort aus nach Königsberg aber ging es zu Wagen weiter, und Bismarck merkte schon während der Fahrt, daß das Leiden sich mit erneuter Heftigkeit eingestellt hatte. So kam er in Berlin an, ein kranker Mann, und der Arzt war beinahe der erste, welcher ihm seinen Besuch im Hotel d’Angleterre abstattete. Zumal mit dem linken Beine sah es schlimm aus. Hier hatte er eine Erinnerung an seine schwedischen Jagdfahrten sitzen, wo er sich bei einem Falle am Schienbein verletzt hatte – und hier rumorte nun der Rheumatismus am heftigsten, so daß die verordnete Jodtinktur nicht nur nicht wirkte, sondern, wie es schien, das Übel noch verschlimmerte. Da blieb denn nichts anderes übrig, als den besten Arzt herbeizurufen. Dieser trat denn auch, eben aus Pommern angekommen, in die Krankenstube und brachte Sonnenschein und eine heilende Hand mit. Es war Frau Johanna. Sie machte dem Gemahl zärtlich besorgte Vorwürfe, daß er nicht früher ihr von seinem Zustande Mitteilung gemacht hatte; der aber war glücklich, als er sie bei sich hatte, und als sich auch ohne Jodtinktur durch ihre sorgsame Pflege, durch ihr klares, heiteres Wesen, durch ihre Umsicht und ihr Geschick sein Zustand bald so besserte, daß er daran denken konnte, nach dem Bade Nauheim zu gehen. So kam der September, und der Prinzregent rief ihn nach Berlin, wo er, obgleich von der Jodvergiftung noch nicht ganz erholt, doch seine Kraft dem Vaterlande zur Verfügung stellte, da es galt, den russischen Kaiser in Warschau zu begrüßen und ihn von dort nach Breslau zu begleiten zu einer Zusammenkunft mit dem Prinzregenten. Am 16. Oktober reiste Bismarck von Berlin ab und hatte das Glück, unterwegs mit einem alten russischen General zusammenzutreffen, welcher ihn auf einer polnischen Station erkannt hatte. Die Wirtschaft hier an der russischen Grenze war für gewöhnliche Reisende nicht gerade ergötzlich: Die Polizeibehörde verlangte den Paß, die Zollbehörde begehrte Einsicht in das Gepäck, – so ein russischer General ist jedoch ein Gewaltherr, mächtiger als ein preußischer Gesandter, und Bismarck wurde nicht bloß aller Plackerei überhoben, sondern fuhr auch mit dem alten Herrn in dessen Extrazug weiter, noch dazu im kaiserlichen Salonwagen. So ward Lagienki erreicht, wo einst Stanislaus August sich einen prächtigen Sommersitz erbaut hatte inmitten eines herrlichen, weit ausgedehnten Gartens, in welchem noch eine ganze Anzahl kleiner Paläste sich um das Schloß des Herrschers gruppieren. Hier vergingen einige Tage in vergnügter Weise. Ein prächtiges Hoffest, bei dem Wald und Wasser märchenhaft schön beleuchtet war und das alte, prachtliebende polnische Blut seinen ganzen Glanz und seine volle Lebhaftigkeit entfaltete, sowie eine Jagd im Parke von Skierniewice hatten für Bismarck besonderes Interesse, und doch war er froh, als er über Breslau wieder in Berlin eintraf und von hier nach dem lieben, stillen Reinfeld fuhr. Und wenn es denn nun wieder nach Rußland auf seinen Posten gehen sollte, so sollte er diesmal doch nicht allein reisen; seine Familie ging mit ihm an die Newa, und nun überkam ihn beinahe eine stille Sehnsucht nach dem Winterquartier in Petersburg; mit Frau Johanna und seinen Kindern zur Seite gedachte er auch den russischen Winter auszuhalten. Er war mit den Seinen bereits in Elbing eingetroffen; da dachte er seines Freundes, des Herrn von Bülow, der nicht gar fern auf seinem Gute Hohendorf saß, und diesen suchte er auf. Es war nur ein kurzes Wiedersehen geplant, aber das Geschick fügte es anders. Er erkrankte hier auf Hohendorf an einer schweren Lungenentzündung, und wieder hatte Frau Johanna mit ihrem besorgten Herzen alle Hände voll zu tun, um den teuren Mann zu pflegen. Für diesen Winter war an die Petersburger Reise nicht mehr zu denken. Am behaglichen Kamin zu Hohendorf saß der langsam Genesende, stocherte nach seiner Gewohnheit in der zuckenden Flamme, freute sich, daß er wenigstens die Seinen bei sich haben konnte, und plauderte mit seinem Freunde über die politische Lage, die ihm ganz leidlich behagte. Der österreichisch-italienische Krieg war vorüber, Preußen hatte sich dabei nichts vergeben, sondern in würdiger Weise seine Stellung gewahrt, ja, es war durch die Verhältnisse in den Stand gesetzt, näher an die eigentliche deutsche Frage herantreten und eine Reorganisation des deutschen Bundes ins Auge fassen zu können. Der Rekonvaleszent auf Hohendorf freute sich, daß die Dinge still für sich weiterreiften, ohne damals zu ahnen, daß er selbst die letzten entscheidenden Worte dabei sprechen und die entscheidenden Taten dafür tun sollte. Es kam wiederum der Frühling; der Mai streute seine Blüten durch das deutsche Land, und nun konnte Bismarck erst daran denken, mit seiner Familie auf seinen Posten abzureisen. Am 5. Juni rollte der Wagen durch die russische Residenz, welcher den preußischen Gesandten und die Seinen nach dem englischen Kai führte, wo er im Hause der Gräfin Stenbock schon im vorigen Jahre eine entsprechende Wohnung gemietet hatte. Sie war weit und geräumig, und wenn auch die Möbel darin abgenutzt und »ruppig« schienen, bald ging auch durch diese Räume wie einst in Frankfurt der Hauch einer Gemütlichkeit und eines vornehmen Behagens, wie es hier an der Newa vielleicht einzig dastand. Der Sommer und Herbst vergingen. Besuche und Jagdfahrten unterbrachen das Petersburger Leben in angenehmer Weise. Auf Peterhof hatte Bismarck zum letztenmal am 1. Juli 1860 die liebenswürdige Kaiserin-Mutter besucht – sie starb bald darauf – und er behielt die hohe Frau in freundlichstem Gedenken. Auf der Wende von Herbst und Winter aber begannen die Jagden. Da gab es noch Bären und Elche in den russischen Wäldern, und für den Weidmann war es eine Lust, im dicken, kurzen Jagdpelz und mit den hohen Juchtenstiefeln durch Gestrüpp und Schneehalden zu waten nach köstlicher Beute. Der Winter aber rückte einen freundschaftlichen Kreis näher aneinander. In den hohen, weiten Räumen flimmerte der Lichtglanz, behagliche Wärme durchflutete die Gemächer, und im Speisezimmer saßen liebe Gäste: Der gute Graf Kaiserlingk, der einst in Berlin den Studiosus Bismarck mit Beethovenschen Sonaten erfreut, und welcher jetzt die Würde eines Kurators der Universität Dorpat bekleidete, die preußischen Gesandtschaftsmitglieder General von Loën und Legationsrat von Schlözer, der russische Hauptmann von Erckert und andere. »Ja, was wollen Sie, Kaiserlingk,« sagte der liebenswürdige Hausherr, »so glänzende Feste wie der französische Gesandte kann ich nicht geben bei meinen 25000 Talern Gehalt und 8000 Talern Mietgeld; er hat 300000 Franken zur Verfügung.« »Dafür kann auch er keine Feste geben wie Sie, Exzellenz!« erwiderte Erckert; »dort ist man immer unter einem unbehaglichen Zwange, hier fühlt man sich wie daheim.« »Na, das freut mich! So ist mir’s auch am liebsten! Doch nun erlauben Sie mir, daß ich mich an den Kamin setze, das gibt mir ein absonderliches Behagen!« Zwanglos gruppierten sich die Gäste, und einer von ihnen bemerkte: »Sie haben doch wenigstens freie Feuerung, Exzellenz, und das will in Rußland etwas bedeuten.« »Gott bewahre, mein Bester, die muß ich auch bezahlen. Das Holz wäre übrigens nicht so teuer, wenn die Beamten es nicht so teuer machten. Da sah ich einmal schönes Holz auf einem finnischen Boote. Ich fragte die Bauern nach dem Preise, und sie nannten mir einen sehr wohlfeilen. Als ich’s aber kaufen wollte, fragten sie mich, ob es für den Fiskus wäre. Da beging ich die Unvorsichtigkeit, zu antworten: Nicht für den kaiserlichen Fiskus, sondern für den königlich preußischen Gesandten. Preußen wäre wohl ein Gouvernement des russischen Reiches? Ich sagte, das gerade nicht, aber die Gesandtschaft hat mit der kaiserlichen Krone zu tun. Das war eben unvorsichtig, undiplomatisch; es befriedigte die Bauern offenbar nicht, und es half auch nichts, daß ich ihnen das Geld gleich geben wollte. Sie fürchteten ohne Zweifel, daß ihnen dasselbe von mir wieder abgedrückt werden würde, und daß man sie obendrein unter dem Vorwande, sie hätten das Holz gestohlen, einstecken und ihnen Prügel aufzählen würde. Als ich später wiederkam, waren sie alle auf und davon. Hätte ich ihnen die Adresse eines Kaufmanns gegeben, mit dem ich mich inzwischen verständigen konnte, hätte ich das Holz um den dritten Teil dessen gehabt, was ich sonst bezahlte.« Das Gespräch kam auf die Jagd, zumal sich manche schöne Trophäe derselben in der Wohnung Bismarcks befand. »Sie scheinen ein besonderer Günstling St. Huberts zu sein nach allem, was ich sehe und höre,« sagte einer der Anwesenden, und Hauptmann Erckert erwiderte: »Herr von Bismarck schießt eine absolut sichere Kugel. Da erzählte mir ein Bekannter, der Oberst M., vor kurzem, er sei mit fünf anderen Jagdgefährten und unserem liebenswürdigen Hausherrn auf die Bärenpirsch gefahren. Als der erste Bär sich zeigte, schoß Herr von Bismarck, und das Tier brach im Feuer zusammen; es kam ein zweiter Bär, der nächste Schütze fehlte ihn, Herr von Bismarck aber streckte ihn mit einem Prachtschuß nieder. Ein dritter Bär rückte an, der Oberst schoß zweimal nach demselben ohne Erfolg, und in demselben Augenblick hatte Herr von Bismarck ihn mit tödlicher Sicherheit gefällt. Ein vierter Bär kam nicht!« Das Töchterchen Bismarcks lehnte bei diesen Gesprächen an dem Fauteuil der Mutter, die beiden Söhne, der zehnjährige Herbert und der achtjährige Bill (Wilhelm), hörten dem Gespräch von einer Ecke des Gemaches aus zu. Als die Rede von der Bärenjagd war, flüsterten sie einander etwas zu und eilten dann hinaus. Das Gespräch hatte bald eine andere Wendung genommen, als sie wiederkehrten, und hinter ihnen trabten und kollerten zwei kleine, drollige, braune Tiere herein. »Ah, da kommt Mischka,« rief lachend Bismarck, einige Damen schrien in augenblicklichem Schrecken auf, aber als sie die zwei possierlichen Kerle näher ansahen, schwand jede Furcht. Es waren zwei junge Bären, die der Hausherr gleichfalls auf der Jagd erbeutet hatte. Die Tiere waren offenbar nicht das erstemal in den Gesellschaftsräumen der preußischen Gesandtschaft. Sie wälzten sich behaglich auf dem Teppich, kletterten sogar auf den Tisch und gingen behutsam darüberhin, und als ein Diener erschien und Erfrischungen servierte, schienen sie zu glauben, daß ihnen ein Genuß zugedacht sei, und sie hefteten sich an die Fersen des Mannes; als er sich nun nicht um sie kümmerte, zwickten sie ihn in die Beine, so daß er Mühe hatte, sich der drolligen braunen Burschen zu erwehren. So verfloß der Abend in zwangloser Heiterkeit und liebenswürdigem Verkehr. Auch in Petersburg ließ sich’s leben, und sogar mit einem gewissen Behagen. Die Vormittage gab es wenig zu tun, und sie wurden der Promenade, dem Frühstück und etwaigen Kurvorschriften gewidmet. Der Nachmittag bis fünf Uhr gehörte dem Dienst, der Abend, soweit es möglich war, der Familie. Sonnabend abends nahm Bismarck überdies eine Repetition vor mit seinen Söhnen, die sich dann mit ihren Heften bei ihm einzufinden hatten, und die der Vater in Gegenwart ihres Hauslehrers, des Kandidaten Braune, sehr eingehend examinierte. Drei Jahre gingen in Petersburg hin, vielfach allerdings durch Reisen im Dienst unterbrochen. Mancher bedeutsamen Fürstenzusammenkunft hatte er mit dem Prinzregenten beizuwohnen, und am 18. Oktober 1861 war er in Königsberg Zeuge der erhebenden Feier der Krönung Wilhelms I., der seinem am 2. Januar verstorbenen Bruder auf dem Throne folgte. Als »Wirklicher Geheimer Rat« kehrte er nach Petersburg zurück, und in seiner Seele leuchteten wie ein herrlicher Stern die Worte nach, welche der neue königliche Herr gesprochen hatte: »Meine Pflichten für Preußen fallen mit meinen Pflichten für Deutschland zusammen.« Noch einmal sah er die in Eisesfesseln geschlagene Newa, die verschneiten Paläste des Alexander Newski-Prospektes, die glänzenden Feste des Zarenhofs, und sein einfach-vornehm-gemütliches Haus war die liebliche deutsche Oase im russischen Osten. Im Mai 1862 war er bereits wieder in Berlin, gewärtig dessen, was sein König über ihn verfügen würde. Es war eine Zeit einer unangenehmen Spannung, und er war nahe daran, in das neugebildete Ministerium berufen zu werden. Aber die Sache blieb in der Schwebe, und Bismarck ritt jeden Morgen mit neuer Ungeduld auf seiner Fuchsstute hinaus in den Tiergarten, sah den Frühling ringsum sich entfalten und Blüten treiben und dachte an seine Lieben, welche indes in dem stillen Pommern weilten. So kam er wieder einmal heimgeritten, und das erste, was man ihm noch im Sattel entgegenreichte, war ein amtliches Schriftstück mit dem bekannten großen Siegel. Er erbrach es und las, daß er zum Gesandten in Paris ernannt sei. So ging es aus dem Osten nach dem Westen Europas, und noch im Mai traf er in der glänzenden Weltstadt an der Seine ein, wo Napoleon III. sein neues Kaiserreich errichtet hatte und den Plan entwarf, »die Karte von Europa in Ordnung zu bringen.« Ein freundlicher Frühlingstag lachte über Paris, seinen glänzenden Boulevards und seinen leichtlebigen Menschen, der 1. Juni war’s, und durch die Straßen fuhr die goldglänzende Hofequipage, welche den preußischen Gesandten nach den Tuilerien führte und zur Empfangsaudienz bei dem Kaiser. Dieser war freundlich und entgegenkommend, und auch die Kaiserin zeigte sich von einer liebenswürdigen Seite. Hier warm zu werden, durfte Bismarck kaum hoffen; er hatte die Empfindung, auf einer Durchgangsstation zu sein, die ihn bald entweder auf den Ministersitz in Berlin oder in das Stilleben des märkischen Landedelmannes führen mußte. Noch im Juni hatte er sich zur Weltausstellung nach London begeben, und dabei die hervorragendsten englischen Staatsmänner kennen gelernt, und nachdem ihm ein Urlaub bewilligt worden, verließ er das sommerheiße Paris, um den schönen Süden Frankreichs kennen zu lernen. In dem alten Königsschlosse der Orleans, Chambord, das wie ein Märchenbild mit seinen sonnbeglänzten stillen Hallen und Höfen sich vor ihm auftat, dachte er der versunkenen Herrlichkeit des alten französischen Herrschergeschlechts; vom alten Schlosse von Amboise schaute er mit Entzücken hinaus auf das blühende Gelände an der Loire mit den weißen Schlössern und Landhäusern, den weiten Maisfeldern, den dunklen Kastanienwäldern und den grünen Weinbergen, und durch das Land der Reben, wo an sonnigen Hängen von Margaux, Lafitte, St. Julien, Latour und Armeillac die dunkelglutigen Trauben reifen, streifte er in angenehmer Gesellschaft. Von Bordeaux fuhr er nach Bayonne durch Fichtenwälder, purpurblühendes Heidekraut und gelben Ginster wie auf einem Blumenteppich, und von dort durch die herrlichste Landschaft nach San Sebastian. Zur Linken erhoben sich die gewaltigen Berge der Pyrenäen, zur Rechten leuchtete der Spiegel des Meeres. Im Fuentarabia betrat er den Boden Spaniens, »des schönen Lands des Weins und der Gesänge«. Steile, enge Gassen, Balkone vor den Fenstern, Schönheit und Schmutz und lustiges Lärmen von tanzenden Weibern auf dem Markte – ein fremdes, neues Bild! Dann saß er in dem berühmten Seebade Biarritz und schaute aus den Fenstern des Hotel l’Europe hinaus auf die blaue See, wie sie weiß aufschäumte zwischen den Klippen und gegen den Leuchtturm brandete, der in ruhiger Majestät über Meer und Land hinblickte. Und am Strande von Biarritz konnte man wohl auch an schönen Morgen, wenn der Wind kühl und weich zu Lande wehte, ein paar Menschen sehen, denen alle die anderen Badegäste nachschauten, und vor denen sich alle Häupter entblößten: den breitschultrigen, hochgewachsenen preußischen Gesandten mit dem Schlapphut auf dem mächtigen Haupte und ihm zur Rechten den dunkel gekleideten kleinen Mann, der trotz seines Zylinderhutes nicht die Größe des anderen erreichte – Kaiser Napoleon III. Zu Anfang September war Bismarck in Luchon und bestieg den Col de Venasque. Durch Buchenwälder ging es empor, bis der Schnee begann und wunderliche dunkle Seen aus dem weißen Rahmen und zwischen den bizarren Klippen hervorschauten. Von einer Höhe von 7500 Fuß schaute er hinab ins spanische Land mit seinen Palmen und Kastanien, wie es eingefaßt von der Kette des Maladetta dalag. Unter den Beschauern lag es grün und sonnig, durchgezogen von dem Silberband seiner Flüsse, und im Hintergrunde abgegrenzt von schneestarrenden Gipfeln und bläulichen Gletschern, hinter denen das stolze Aragonien sich ausbreitet. Eine Fülle von einzig schönen, fremden Bildern prägte sich der Seele des deutschen Mannes ein, aber immer wieder kam ihm dabei der Vergleich mit dem lieben Heimatlande, seinen grünen Bergen und seinem alten, schönen Rhein. Und die Freude war nur halb für ihn, da er sie nicht mit der lieben Frau teilen konnte, der er oft genug seine Grüße nach dem stillen Reinfeld sandte. Am 15. September traf er in Avignon ein, dem französischen Rom, und hier fand er eine telegraphische Nachricht von größter Wichtigkeit: Sein König berief ihn als _Minister_ nach der Heimat zurück. Sinnend schritt der ernste Mann durch die herrlichen Gärten des Südens. Seine Seele war voll von den Gedanken an die Zukunft, aber kein Ahnen verkündete ihm noch, welchen Weg er eigentlich gehen, und welche Bahnen er brechen sollte. Nach Frieden stand seine Seele, und durch blutige Kriege sollte er schreiten! Über seinem Haupte rauschten noch die Ölbäume Frankreichs, und er griff empor und brach sich einen Zweig ab, den er sinnend betrachtete. Und mit dem Ölzweig, dem Symbol des Friedens, zog er in Berlin ein. Achtes Kapitel. Der bestgehaßte Mann. An einem Vormittage zu Anfang des November 1862 schritten zwei stattliche Männer durch die Straßen der preußischen Hauptstadt. Der eine war im Zivilanzuge mit dem dunklen Schlapphute auf dem mächtigen Haupte, der andere trug den Militärpaletot; sein ernstes, entschlossenes Gesicht mit dem kräftigen grauen Schnurrbart bekundete Festigkeit und Mut. Die beiden waren sich eben begegnet und hatten sich die Hand geschüttelt, dann waren sie nebeneinander hergegangen, und der Offizier sagte: »Nun, wie war’s bei der Abschiedsaudienz in Paris, lieber Bismarck?« »Das will ich Ihnen kurz berichten, bester _Roon_. Am 1. November fuhr ich höchst feierlich in St. Cloud vor und überreichte unter allem herkömmlichen Zeremoniell dem Kaiser mein Abberufungsschreiben, wobei ich ihm zugleich mitteilte, daß Seine Majestät mich am 8. Oktober zum Ministerpräsidenten und Minister der Auswärtigen Angelegenheiten zu ernennen geruht haben. Napoleon war sehr liebenswürdig und gutmütig, aber einen Einblick in unsere Verhältnisse scheint er ebensowenig zu haben wie große wissenschaftliche Kenntnisse; ich glaube, daß er bei uns nicht einmal das Referendarexamen bestehen würde. Der Kaiser meinte, nachdem wir hier in Preußen erst einmal den Konflikt zwischen der Regierung und dem Abgeordnetenhause in der Frage der Heeresreform haben, würde es wohl nicht lange dauern, und es würde einen Aufstand geben in Berlin und Revolution im ganzen Lande, und bei einer Volksabstimmung hätte der König alle gegen sich. Ich sagte ihm, das Volk baue bei uns keine Barrikaden, Revolutionen machten in Preußen nur die Könige. Wenn der König die Spannung, die freilich vorhanden sei, nur drei bis vier Jahre aushalte, so habe er gewonnenes Spiel. Wenn er nicht müde würde und mich nicht im Stiche ließe, würde ich nicht fallen. Und wenn man das Volk anriefe und abstimmen ließe, so hätte er schon jetzt neun Zehnteile für sich. – Der Kaiser soll nach meinem Weggange geäußert haben: »~Ce n’est pas un homme serieux~« (das ist kein ernsthafter Mensch).« »Und Sie haben in allem recht: daß wir in der Frage der Heeresverstärkung zum Besten Preußens nicht nachgeben dürfen, ist für uns selbstverständlich; sollen wir einmal dem Staat des großen Friedrich wieder die gebührende Stellung und vor allem seine Führerrolle in Deutschland sichern, so brauchen wir ein starkes Heer. Und daß wir das Volk auf unserer Seite haben, beweisen die zahlreichen Abordnungen aus allen Teilen des Landes, die an den König kommen, um gerade jetzt ihn der Treue und der Zustimmung seiner Untertanen zu versichern.« »Gewiß, auch ich beharre fest bei dem, was ich in der Kammer schon gesagt, und es ist meine tiefinnerste Überzeugung, daß Preußen nicht, wie so oft schon, den günstigen Augenblick für sich verpassen darf aus Mangel an Kraft, und daß die großen Fragen der Zeit zuletzt nicht durch Reden und Majestätsbeschlüsse entschieden werden, sondern _durch Blut und Eisen_. Darin werde ich mich nicht irremachen lassen, und ich hoffe, die Zukunft wird mich verstehen.« Die beiden Männer kamen an dem Schaufenster einer Buchhandlung vorüber, und Bismarck blieb stehen: »Lassen Sie uns sehen, was es Neues gibt!« Da hingen wunderliche Bilder, Karikaturen, welche den Ministerpräsidenten in mancherlei Situation darstellten, als feudalen Junker, welcher mit dem Besen die großen Städte wegfegt, als Hausknecht, der den Saal der Abgeordneten reinigt u. a. Der alte General biß sich auf den grauen Schnurrbart und fand in seinem Unmute kein Wort, Bismarck aber lachte: »Sie sorgen damit besonders liebevoll für meine Popularität, und einzelnes ist wirklich gar nicht übel; ärgern kann ich mich über dies Zeug beim besten Willen nicht, ändern werden sie damit an mir auch nichts.« Und sie schritten weiter, bis an die Ecke der nächsten großen Straße; hier wollte Bismarck sich verabschieden, Roon aber sagte: »Nein doch, Verehrtester! Wenn Sie ein Stündchen Zeit haben, so nehmen Sie mit uns das Frühstück ein; meine Frau wird sich herzlich freuen – das wissen Sie!« »Ich bin ohnehin schon mehr bei Ihnen als daheim in meiner Junggesellenwirtschaft – aber Sie wollen’s nicht anders, und ich kann mir’s gefallen lassen, solange ich hier noch allein stehe.« Kurze Frist darauf saß er mit Roon zu Tische, und das Gespräch drehte sich nicht mehr um die leidige Politik. Der General äußerte, sich behaglich zurücklehnend in seinen Sessel: »Wenn ich mir das hätte träumen lassen, lieber Bismarck, als ich in Pommern als blutjunger Leutnant mit der Flinte hinauslief in die Felder oder Terrainaufnahmen machte und Sie als frischer, prächtiger Junge mich begleiten, daß wir einmal nebeneinander am Ministertische sitzen würden, Sie noch dazu – mit allem Respekt zu melden – als Präsident –« »Weiter können wir nun allerdings nicht kommen, und meine gute Mutter, die schon auf Kniephof immer einen Diplomaten aus mir machen wollte, sollte doch einigermaßen ihre Freude an mir haben.« »Na, dafür hat jetzt Frau Johanna diese Freude!« bemerkte Frau von Roon. »Ja, meine gute Johanna! Sie kennt aber nicht bloß die Freuden, sondern auch die Leiden des Diplomatenlebens. Ach, wie ich mich danach sehne, endlich wieder die Meinen hier um mich zu haben in meinem einsamen Hause in der Wilhelmstraße, das glauben Sie kaum. Ich habe meiner Frau auch geschrieben, daß ich alle Tage bei den guten Roons esse, und wenn sie und meine Fuchsstute nicht wären, ich mir gar zu vereinsamt vorkäme. Dabei wie Leporello: Keine Ruh’ bei Tag und Nacht! Da wollte ich vor kurzem einige Tage wenigstens mich bei Malwine auf Kröchlendorf erholen, arbeitete bis tief in die Nacht hinein, und wie ich fertig war, goß ich statt des Streusandes die Tinte über die Geschichte, daß sie mir nur so an den Knien hinunterfloß, und die nächsten Tage brachten wieder so viel Arbeit, daß ich meinen schönen Gedanken aufgeben mußte. Aber alles für König und Vaterland! Unserem guten König!« Er hob sein Glas mit dem funkelnden Wein, und hell klang es durch den Raum. Dann kamen wiederum Tage heftiger Kämpfe. Das Abgeordnetenhaus war am 14. Januar 1863 wieder zusammengetreten, aber eine Verständigung über die von dem König gewünschte, von Bismarck als unbedingt notwendig verfochtene Heeresreform wurde zunächst nicht erzielt, ja, die Spannung zwischen der Regierung und den Kammern wuchs noch, als in Polen ein Aufstand gegen Rußland ausbrach und Preußen nur einen Vertrag mit demselben schloß, wonach bewaffnete polnische Banden und revolutionäre Flüchtlinge auch über die preußische Grenze verfolgt werden durften. Da die polnische Bewegung überall große Sympathien hatte, mußte sich Bismarck heftige Angriffe gefallen lassen, sogar auf seine »preußische Ehre«, und wohl nur wenige verstanden diesen meisterhaften politischen Schachzug des fernblickenden Staatsmannes, der sich für künftige Vorkommnisse die Freundschaft des mächtigen östlichen Nachbars sichern wollte. In jenen Tagen war es, daß er in einer Gesellschaft dem englischen Gesandten, Sir Andrew Buchenan, begegnete, der ihn wegen des geschlossenen Vertrages interpellierte. Bismarck erklärte rund und bündig: »Wir können ein unabhängiges Polen an unserer Grenze nicht dulden.« »Wie aber, wenn der immerhin mögliche Fall eintritt, daß die Russen aus Polen hinausgeschlagen werden, was werden Sie dann tun?« »Dann müßten wir das Königreich selbst besetzen, um das Aufkommen einer uns feindlichen Macht zu hindern.« »Dies wird Europa niemals dulden – nein, dies duldet Europa nicht!« »Wer ist Europa?« Der Engländer war über diese Frage einigermaßen verdutzt, dann erwiderte er: »Nun, verschiedene große Nationen.« »Sind dieselben bereits einig darüber?« »Nun – die Frage ist ja – noch nicht ventiliert worden, aber Frankreich beispielsweise würde niemals eine neue Unterdrückung Polens zulassen.« »Und für uns ist die Unterdrückung des Aufstandes eine Frage über Leben und Tod; übrigens ist es nutzlos, hier nicht vorliegende Möglichkeiten weiter zu erörtern.« Das war am 11. Februar gewesen, und eine Woche später stand der Ministerpräsident im Abgeordnetenhause den erregten Volksvertretern in derselben Angelegenheit gegenüber, und schwertscharf gingen die Worte hin und her, so daß nicht lange darauf von dem König die Entlassung des Ministeriums verlangt wurde. Dieser aber hielt seinen Minister, und der Landtag wurde aufgelöst. Aber trotz aller Anfeindungen fehlte es für Bismarck auch nicht an ehrenvollen und ermunternden Anerkennungen. Besonders freute es ihn, als eine Anzahl Patrioten ihm einen Ehrendegen überreicht hatte, der auf der einen Seite der Klinge das Wahrwort des alten Ritters Frundsberg: »Viel Feind’ viel Ehr’« trug, auf der anderen Seite aber unter Bismarcks Wappen das Wort: Das Wegkraut sollt du stehen lan, Hüte dich, Jung, sind Nesseln dran. Am 17. März 1863 hat er die schöne Waffe zum erstenmal getragen an einem schönen Feste. Ein halb Jahrhundert vorher hatte an diesem Tage König Friedrich Wilhelm III. den Aufruf an sein Volk erlassen zu dem heiligen Kampfe gegen Napoleon, und nach fünfzig Jahren versammelte König Wilhelm die Veteranen der Befreiungskriege um sich zu einer erhebenden Erinnerungsfeier. Die breite Straße Unter den Linden entlang zog die ehrwürdige Schar, geführt von dem Feldmarschall Wrangel, hinaus nach dem Lustgarten. Aus allen Fenstern wurden die ersten Blüten des Frühlings den greisen Männern zugeworfen, die an den Steinbildern ihrer heldenhaften Führer vorbeiparadierten, und an dem Orte Halt machten, wo das Standbild Friedrich Wilhelms III. sich erheben sollte. Das alte und das neue Preußen reichten sich hier die Hand, und Gottes helle Sonne beschien den vom besten Streben für sein Volk beseelten König und den stattlichen Recken in Kürassieruniform, der an seiner Seite hielt, den streitbaren und festen Ministerpräsidenten. Der Konflikt mit der Volksvertretung jedoch dauerte fort, und Mißstimmung und Spannung gegen Bismarck waren noch im Wachsen. Aber nun konnte er sich wenigstens nach den Kämpfen des Tages wieder im Kreise seiner Familie erholen, und Frau Johanna hatte ihm in der Wilhelmstraße eine freundliche Häuslichkeit geschaffen. Hier feierte er am 1. April 1864 seinen neunundvierzigsten Geburtstag, und er brachte ihm zahlreiche Beweise von Liebe und Anhänglichkeit aus Nähe und Ferne. Unter den vielen Schriftstücken lief auch eins ein, das wunderlich genug war: Das polnische geheime Nationalkomitee in Warschau teilte ihm mit, daß es das Todesurteil über ihn verhängt habe, und daß er der Vollstreckung desselben gewärtig sein solle. Er las das Schreiben noch einmal, dann schritt er langsam dem Kamin zu, in welchem das Feuer flackerte, und warf den Drohbrief gleichmütig in die Flammen. Es war nicht das erstemal, daß ihm solches begegnete, und Frau Johanna sollte sich nicht ängstigen, wenn ihr der Zufall etwa ein solches Schreiben in die Hände brächte. Zu derselben Zeit war übrigens bereits eine neue bedeutsame Aktion im Gange. Im Herbste 1863 war der König von Dänemark gestorben, und da sein Nachfolger damit umging, die beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein gegen alles Recht seinem Staate einzuverleiben, nahm sich der deutsche Bund der Bedrängten an. Bismarck aber hatte mit weitschauendem Blicke erwogen, ob nicht eine Erwerbung dieser deutschen Ländergebiete für Preußen möglich sei, und so setzte er durch, daß Österreich und Preußen gemeinsam den Krieg gegen Dänemark führten. Und er wurde, trotzdem das Abgeordnetenhaus dem Ministerpräsidenten die Mittel verweigerte, entschieden und glücklich geführt, und endete damit, daß Schleswig-Holstein an Österreich und Preußen abgetreten wurde. Nun handelte es sich darum, wie es mit der Verwaltung beziehungsweise Regierung in den Herzogtümern werden sollte, und Bismarck war fest entschlossen, hier in keiner Weise sich von Österreich übervorteilen zu lassen. Noch lag auf Preußen »die Schmach von Olmütz«, und diese mußte gesühnt werden. Es war im Hochsommer des Jahres 1865. Auf einer freundlichen, von Tannen umgrünten Höhe in dem herrlichen Badeorte Gastein liegt ein im Schweizerstil mit vorspringendem Dach und Holzveranden versehenes einfaches Haus, die Villa Hollandia, und hier war es, wo in den Augusttagen des genannten Jahres, in einer einfachen Stube, deren Fenster hinaussahen auf die grünen Föhren, eine Anzahl Staatsmänner in ernsten Verhandlungen sich zusammenfanden. Das Geschick von Schleswig-Holstein sollte entschieden werden. Heiß wurde hin und her gesprochen, während der Regen draußen tagelang niedersickerte und ab und zu den Ausblick verhüllte. Endlich erreichte Bismarcks Festigkeit und imponierende Ruhe, daß ein Vertrag vereinbart wurde, wonach Österreich über Schleswig, Preußen über Holstein Hoheitsrechte ausüben und Preußen gegen eine Abfindungssumme von 2½ Millionen das Herzogtum Lauenburg besitzen solle. Dabei gab es noch manche Nebenbestimmungen, welche Preußen wichtige Rechte auch für Holstein sicherten. Am 20. August unterzeichneten in Salzburg die beiden Monarchen den Gasteiner Vertrag, und nicht lange danach verlieh Kaiser Franz Josef Bismarck den St. Stephanusorden, sein König aber zeichnete ihn durch den hohen Orden vom Schwarzen Adler aus und erhob ihn in den Grafenstand. Aber die so geschaffenen Zustände in den Elbherzogtümern waren unhaltbar. Österreich begünstigte in Holstein die preußenfeindlichen Bemühungen des Herzogs von Augustenburg, Bismarck protestierte dagegen, von Wien aus erfolgte eine scharfe, abweisende Antwort, und so spitzte sich die Spannung zwischen Österreich und Preußen immer mehr zu. In Österreich begann man bereits militärische Maßregeln zu treffen, und auch Bismarck blieb nicht müßig. Er sicherte dem Staate einen Bundesgenossen in dem Königreiche Italien und wußte sich auch der eventuellen Neutralität Napoleons zu versichern, und nun mochte es zum Äußersten kommen. Einmal mußte doch die Führerschaft über Deutschland mit Blut und Eisen entschieden werden. Im eigenen Lande aber verstand und würdigte man seine kühnen Pläne nicht, schalt ihn einen Friedensstörer und bekämpfte ihn mit gehässigen Verleumdungen, so daß zuletzt geradezu der Fanatismus gegen ihn entfesselt wurde. Es war am 7. Mai 1866 um die fünfte Nachmittagsstunde. Bismarck kam aus dem königlichen Palais, wo er Vortrag gehalten hatte, und schritt sinnend, langsamen Schrittes die Straße »Unter den Linden« entlang. Er erwog die eiserne Notwendigkeit der Entscheidung mit den Waffen, zu welcher sein friedliebender Monarch sich noch immer nicht entschließen mochte, und so hatte er weder ein Auge für den beginnenden Frühling in den jungbegrünten Bäumen, noch für die Menschen, welchen er begegnete. So kam er bis in die Nähe des russischen Botschaftshotels. Da hörte er plötzlich rasch nacheinander hinter sich zweimal einen kurzen Knall und fühlte beinahe gleichzeitig einen Schmerz in der Seite. Er wandte sich schnell um, und siehe, ganz nahe hinter ihm stand ein junger Mann, der mit dem Revolver in seiner Rechten gerade nach ihm hinzielte. Blitzschnell sprang er zu und faßte nach der Hand des Attentäters sowie nach dessen Kehle. Da ging der Schuß los und streifte den Minister an der Schulter; ehe es dieser versah, hatte der freche Angreifer auch schon die Waffe in die Linke genommen und feuerte noch zweimal aus unmittelbarster Nähe auf Bismarck; der eine Schuß fehlte, der andere aber traf eine Rippe, und der Getroffene fühlte den erschütternden Schlag so gewaltig, daß ihn die Besinnung zu verlassen drohte. Aber er bezwang sich mit eiserner Gewalt und hielt den Menschen fest. Das alles war wie in einem einzigen Augenblicke geschehen, und jetzt erklangen ganz nahe Weisen eines militärischen Marsches. Ein Bataillon des zweiten Garderegiments zog mit klingendem Spiele vorüber. Offiziere und Soldaten sprangen heran, und wenige Minuten später wurde der Attentäter gefangen abgeführt. Der Minister atmete einigemal tief auf; über ihm lacht der blaue Lenzhimmel, um ihn bewegt sich die geschäftige Welt wie vordem, und die Klänge des fröhlichen Marsches schlagen noch immer an sein Ohr – und doch hat er in Minuten Großes erlebt. Er schritt langsam, aber von dem seltsam erhebenden Gefühl des göttlichen Schutzes erfüllt, weiter, und in seiner Wohnung in der Wilhelmstraße stieg er bereits völlig ruhig die Treppen hinan und begab sich nach seinem Arbeitsgemache, um vor allem seinem König die aufregende Meldung von dem Geschehenen zu machen. Dann wechselte er den Anzug und begab sich in den Salon seiner Gemahlin. Er traf hier Gesellschaft, Damen und Herren, und begrüßte sie in seiner gewohnten liebenswürdigen Weise, indem er scherzend, zu Frau Johanna gewandt, beifügte: »Warum essen wir denn heute gar nicht?« Dann schritt er auf eine der Damen zu, um sie zu Tisch zu führen, und dabei fand er Gelegenheit, indem er seine Gemahlin leicht auf die Stirne küßte, ihr zuzuflüstern: »Mein Kind, sie haben auf mich geschossen, aber sei ruhig, es ist nichts!« Die Gräfin erbleichte, und ein banger Schauer ließ sie einen Augenblick erbeben – da war das Ereignis nicht länger zu verheimlichen. Eine gewaltige Erregung bemächtigte sich der Gäste, schreckensvolle Fragen, ängstliche Ausrufe klangen durcheinander, aber mit ruhigem, verbindlichem Lächeln bat der Minister die Herrschaften, sich zu Tisch zu begeben. Nun erzählte er kurz, wie sich alles zugetragen, und dann aß er mit solcher Ruhe, als ob er von einem Fremden berichte, während seine Gemahlin sowie die Gäste nicht imstande waren, sich um die aufgetragenen Speisen zu kümmern. Man hatte den Arzt rufen lassen, der rasch genug zur Stelle war und nach seiner Untersuchung die Erklärung abgeben konnte, daß die erhaltenen Verletzungen durchaus leicht und unbedenklich seien. »Bei fünf Schüssen aus solcher Nähe,« sagte einer der Anwesenden – »das ist wunderbar.« »Gewiß,« erwiderte der Arzt – »hier gibt es eben nur eine Erklärung – Gott hat seine Hand dazwischen gehabt.« Es war wahrlich kein ruhiges Diner, das an jenem Maitag im Ministerhotel in der Wilhelmstraße abgehalten wurde. Die Kunde von dem Attentat hatte sich mit ungeheurer Schnelligkeit verbreitet, und zu Wagen und zu Fuß kamen jetzt die hochgestelltesten Persönlichkeiten der Hauptstadt, um ihre Glückwünsche auszusprechen. Allen voran war König Wilhelm gekommen. Bismarck war dem teuren Herrn entgegengeeilt, und in einem stillen, einsamen Gemache standen die beiden allein sich gegenüber. Tief ergriffen schaute der Herrscher seinem treuesten Diener in die Augen, drückte ihm die Hände und zog ihn an sich wie einen lieben Freund, Bismarck aber konnte auf die gütigen Worte nur eines erwidern: »Mein Leben gehört Eurer Majestät zu jeder Stunde, ob ich für Sie sterbe auf dem Schlachtfelde oder durch die Hand eines Mörders!« Prinzen, Minister, Gesandte der fremden Mächte drängten sich in den nächsten Stunden herbei, um ihre Teilnahme und ihre Freude auszudrücken, und ehe sich noch der Abend niedersenkte in die Straßen der Residenz, strömten auch die Scharen des Volkes in der Wilhelmstraße zusammen, um ihre Grüße und Wünsche dem wunderbar Geretteten darzubringen. Der Haß gegen ihn schien wie hinweggewischt, all die Tausende, welche hier durcheinanderwogten, und stürmisch ihn zu sehen verlangten, empfanden jetzt vielleicht einen Hauch seines patriotischen, opferbereiten Geistes, und als er an das Fenster trat und die jubelnden, begeisternden Zurufe der Menge an sein Ohr schlugen, da wurde die Seele des gewaltigen Mannes wundersam ergriffen, da hatte er noch fester die Überzeugung, daß der Weg, welchen er gehe, der rechte sei. Erst die Nacht brachte Ruhe in die Bewegung; im Ministerpalais in der Wilhelmstraße schloß Bismarck sein Tagewerk mit einem stillen Dankgebet und mit dem Gedanken, daß der Himmel selbst ihm ein Zeichen gegeben, daß er ihn schützen wolle bei allem, was er für des Vaterlandes Ehre unternehmen würde … und zur selben Stunde beinahe, in welcher er mit dem Frieden eines guten Gewissens sein Lager aufsuchte, hatte sich der frevelhafte Attentäter, der fanatische Karl Cohen, mit seinem Taschenmesser die Pulsader durchgeschnitten. Er war am anderen Morgen eine Leiche. Jetzt mochten die Würfel weiterrollen, er wollte und mußte die gerechte Sache, die er begonnen, fortführen. Und die Ereignisse gingen nun schnell genug. Österreich selbst drängte der Katastrophe entgegen. Mit Verletzung des Gasteiner Vertrags überwies der Kaiser die Entscheidung über Schleswig-Holstein dem deutschen Bund, berief die holsteinsche Ständeversammlung, und als Preußen, um sein Mitbesitzrecht zu wahren, Truppen in Holstein einrücken ließ, stellte er beim deutschen Bunde den Antrag, gegen Preußen das Bundesheer mobil zu machen. Das geschah am 11. Juni 1866. Und nun kam das Ende der morschen, kraftlosen deutschen Bundesversammlung. Am 12. Juni fand die Abstimmung statt; mit 9 Kurialstimmen gegen 6 wurde die Bundesexekution gegen Preußen beschlossen, dessen Gesandter nunmehr im Namen seiner Regierung den Bund als zerrissen erklärte mit dem Beifügen, daß dieselbe auf besseren Grundlagen einen neuen zu errichten bemüht sein werde. Nun mußte die Entscheidung durch die Waffen kommen. Eine fieberhafte Erregung ergriff die Gemüter, zumal in der Hauptstadt. Tag und Nacht arbeitete Bismarck, der Telegraph spielte ununterbrochen und trug seine Botschaften weit hinaus ins Land: Der König rief sein Heer. In jenen Tagen saß der Minister einst im Vorzimmer des Herrschers. Dieser war noch mit seinem kriegerischen Beirat in ernsten Verhandlungen begriffen, welche sich außergewöhnlich in die Länge zogen. Stille war rings um den Staatsmann, der Tag war heiß, die Nacht arbeitsvoll gewesen. Da sank ihm langsam das Haupt auf die Brust, die Natur machte auch an dem Gewaltigen ihr Recht geltend – er schlummerte ein. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür des königlichen Arbeitszimmers, und heraus trat ein Mann in Generalsuniform, eine Mappe in der Hand. Er war weder sehr groß noch sehr kräftig, aber aus dem bartlosen Gesichte mit den scharfgeschnittenen, geistvollen Zügen sahen ein paar klare, kluge Augen, und um den schmalen Mund lag das Gepräge unerschütterlicher Ruhe und Festigkeit. Das war _Moltke_, der große Generalstabschef, die Seele der Schlachten, der schweigende Kriegesdenker. Er sah den Minister etwas wenig zusammengesunken in seinem Stuhle sitzen, und es überkam ihn beinahe eine Wehmut. »Er hat so viel gewacht für König und Vaterland« – dachte er – »wie gern gönnt’ ich ihm den Schlummer – aber es darf nicht sein!« Leise berührte er Bismarcks Arm, dieser öffnete die Augen, sprang empor, und eingedenk der Situation drückte er dem anderen warm die Hand und schritt hinein in das Arbeitsgemach des Königs. In den Junitagen begann der Bruderstreit. Bei Langensalza wurde das Heer der Hannoveraner samt seinem König gefangen, und in Böhmen geschahen die ersten siegreichen Gefechte. Eine bange Erwartung lag über den Straßen Berlins, so schwül wie das sommerheiße, gewitterbange Wetter. Da brachte der Telegraph die ersten Siegeskunden. Am 29. Juni ging ein Wogen und ein Treiben, belebter als sonst, durch die Straßen der Hauptstadt. Unter den Linden vor dem Palais des Königs staute sich die Menge, begeisterter Zuruf klang hinauf zu den Fenstern, und in das stürmische Jauchzen schollen die Klänge der Vaterlandsweisen, welche zuletzt übergingen in das machtvolle Streit- und Siegeslied Martin Luthers: Ein’ feste Burg ist unser Gott! Es waren Stunden einer gewaltigen Erhebung und Bewegung; aber die Menge hatte auch den Hauch jenes Geistes gefühlt, der von der Wilhelmstraße herkam, und Bismarck, der »Bestgehaßte«, wurde mit einem Zauberschlage der Bewunderte und Gefeierte. Die Volksmenge wälzte sich in dichtem Strome nach seiner Wohnung; die breite Straße vermochte sie nicht zu fassen alle die Tausende, die nach ihm riefen und ihm ihre Freude und Verehrung ausdrücken wollten. Dunkle Wetterwolken schwankten am Himmel, glutheiß lag es in der Luft – da trat Bismarck an das Fenster. In den Jubelsturm der Menge dröhnte ein langhallender Donner, der einem Blitze folgte, welcher mit seinem bläulichen Schein das bewegte Bild erhellt hatte – dann wurde es still, und Bismarck redete, kurz und klar, ergriffen und ernst, und als er mit einem Hoch schloß auf den König, da schien die Straße zu erbeben unter der Gewalt der Begeisterung. Und wieder am Himmel ein flammender Blitz, ein schweres Rollen des Donners, und Bismarck rief: »Der Himmel schießt Salut zu unseren Siegen!« Einen Tag später war er mit seinem Könige auf dem Wege ins Böhmerland. Neuntes Kapitel. Im böhmischen Feldzuge. Ein trüber Himmel breitete sich über der böhmischen Stadt Gitschin aus, und ab und zu sickerte der Regen nieder in die grauen Gassen. Der stille Ort sah an jenem 2. Juli hohe Gäste, wenn er sie auch freilich nicht willkommen hieß. Der König war mit Bismarck, Moltke, Roon und anderen hier eingetroffen, und traf von hier aus die Verfügungen für den nächsten Tag – den Tag der Entscheidung. Bismarck wußte, was von diesem abhing, und während in schweigender Nacht die Ordonnanzen auf allen Wegen hinjagten und der Regen klingend gegen die Fenster schlug, fand er lange keinen Schlaf. Er hatte in den Lazaretten an den Betten der Verwundeten gestanden und hatte mehr als irgendeiner empfunden, wie die Verantwortung für dies vergossene Blut und für diese Schmerzen auf ihm ruhe, und er dachte seines Königs, dem er aus treuester Überzeugung zu diesem Kampf raten mußte, und endlos lang dehnte sich die trübe Sommernacht. Am frühen Morgen folgte der Aufbruch. Noch immer weinte es aus den grauen Wolken nieder, als die offenen Wagen, in deren erstem der König mit Moltke, im zweiten Bismarck mit dem Geheimen Legationsrat von Keudell saßen, durch Gitschins Straßen hinausrollten gegen _Sadowa_. Drei Stunden später – es war 8 Uhr morgens – hielt der König auf seiner Rappstute, von seinem Gefolge umgeben, auf der Höhe von Dub und sah hinaus in die Ebene von _Königgrätz_, und der begeisterte Zuruf der Soldaten mischte sich mit dem Dröhnen der Kanonen … Die schwere, entscheidende Schlacht war im Gange. Unfern von seinem König hielt auf seiner kräftigen Fuchsstute Bismarck. Nebel und Pulverdampf wogen auf dem Walfelde durcheinander und verhüllen oft die Bewegungen der Truppen, langsam gehen die furchtbaren Stunden, und es ist um die Mittagszeit. Das preußische Heer ist in der Minderzahl, und seine Führer spähen besorgt gegen Nordwesten aus, von woher die Armee des Kronprinzen, die sehnlich erwartete, eintreffen sollte. Der schweigsame Schlachtenlenker Moltke aber sitzt wie aus Erz gegossen auf seinem Pferde; sein Gesicht ist ruhig, und klar und sicher schauen die hellen Augen auf die wogende Schlacht. Bismarck reitet an ihn heran; er zieht sein Zigarrenetui heraus und reicht es geöffnet dem großen Strategen hin. Der sieht auf die beiden Zigarren, welche es enthält, mit einem prüfenden Blicke, dann greift er langsam nach der einen. Über die Züge des Ministers fliegt es wie ein leises Lächeln, er reitet zu seinem König zurück und spricht zu diesem: »Majestät, unsere Sache muß gut stehen, denn Moltke hatte eben noch die Kaltblütigkeit, aus meinem Etui die bessere Zigarre auszuwählen.« Noch immer spähten die Blicke nach Nordosten. Dunkle Streifen traten am Horizont hervor, die man bisher nicht bemerkt zu haben meinte. »Ackerfurchen!« sagte jemand aus der Umgebung des Königs, Bismarck aber schaute scharf aus, und plötzlich rief er: »Das sind keine Ackerfurchen, die Zwischenräume ändern sich – das sind marschierende Kolonnen!« Ein tieferer Atemzug hob die Brust des Königs, dankend schaute eine Sekunde lang sein Auge gegen den grauen Himmel … Nun kam die Entscheidung. Nicht lange danach donnerten von Chlum her die preußischen Kanonen, der Kronprinz griff ein in die Schlacht, und der Sieg konnte den Preußen nicht mehr entrissen werden. Da übermannte den König seine Bewegung. Er sprengte dicht heran an seine zujauchzenden Soldaten, die nach seinen Händen, nach seinem Mantel faßten und ihre Lippen daraufdrückten. Die Kugeln sausten und schlugen ringsum ein, eine zerspringende Granate zerschmetterte ein Dutzend Reiter vom sechsten Kürassierregiment in nächster Nähe des Herrschers, und Rosse und Männer wälzten sich blutig übereinander, da ritt Bismarck dicht heran an den König, der mit voller Ruhe nur auf die freudig bewegten Truppen achtete, und sagte: »Als Major habe ich Eurer Majestät keinen Rat zu erteilen, als Ministerpräsident aber bin ich verpflichtet, Eure Majestät zu bitten, sich nicht auf diese Weise der Gefahr auszusetzen.« Der König wendete sich lächelnd dem treuen Warner zu: »Wohin soll ich denn als Kriegsherr reiten, wenn meine Armee im Feuer steht?« Bismarck entgegnete: »Majestät, wenn Sie auch keine Rücksicht auf Ihre Person nehmen, so haben Sie wenigstens Mitleid mit Ihrem Ministerpräsidenten, von dem Ihr getreues Volk seinen König fordern wird; im Namen dieses Volkes bitte ich Sie, diese gefährliche Stelle zu verlassen!« Der König sah gerührt den Treuen an, reichte ihm die Hand und ritt langsam weiter, viel zu langsam für den besorgten Begleiter, der seine Erregung nicht mehr bezwingen kann und mit seiner Stiefelspitze das Pferd des Herrschers in die Flanke stößt, daß es rascher ausgreift. Die Entscheidungsschlacht war zu Ende – Bismarck sah am Abend auf einen der gewaltigsten Tage in der Geschichte Preußens zurück. Der Abend senkte sich auf das blutige Gefilde, Verwundete und Sterbende stöhnten ringsum, und das Grauen schritt über das furchtbare Feld. Da sah Bismarck, wie er so dahinritt, einen Dragoner zur Seite des Weges liegen. Beide Beine waren dem Unseligen zerschossen, der regungslos dalag und nur mit einem unsäglich bittenden Blick nach dem Reiter schaute. Diesem tat der Jammer des Unglücklichen weh, er stieg vom Pferde und trat an ihn heran. Gern hätte er ihm eine Linderung oder Erquickung angedeihen lassen, er suchte in allen Taschen – aber er fand nichts. Da stieß er mit der Hand an sein Zigarrenetui. Noch eine Zigarre lag darin, sie sollte ihm selbst ein Labsal sein nach den Anstrengungen und Aufregungen des Tages – aber der arme Teufel mit seinen zerschossenen Beinen brauchte ein solches mehr, und rasch entschlossen zog er seinen Schatz hervor, rauchte das duftende Kraut an und steckte es dem Verwundeten zwischen die Zähne. Aus den Augen des Soldaten aber leuchtete ein Blick unsäglicher Dankbarkeit, welchen Bismarck nicht vergessen konnte, und besser hat ihm, nach seinem eigenen Geständnis, keine Zigarre geschmeckt als diese, welche er – nicht geraucht hatte. Vorwärts ging es, hinein in die sinkende Sommernacht, in Verfolgung des geschlagenen Gegners, und der Ministerpräsident kam bis hart vor die Laufgräben der Festung Königgrätz. Dann ritt er zurück, um sich ein Nachtquartier zu suchen. Seinen König hatte er untergebracht, wenn auch nicht besonders bequem; auf einem harten Sofa hatte derselbe ein Lager gefunden, nun galt es, für sich selbst ein Plätzchen zu finden, wo das müde Haupt ruhen konnte. Die Nacht war dunkel und kühl, der Regen rann noch immer in dünnen Strähnen, und in dem Städtchen Horic waren alle Lichter längst erloschen, als Graf Bismarck durch die engen und schlechtgepflasterten Straßen ging. Er pochte da und dort an den Türen – niemand hörte, nur das Bellen verschlafener Hunde klang durch die Stille. Unmutig schlug er gegen die Fenster, daß die Scheiben splitterten – alles vergebens, das kleine Nest war wie ausgestorben. Endlich fand er in der Dunkelheit einen Torweg, durch welchen er in einen Hofraum hineintappte. Im schmutzigen, weichen Boden sank der Fuß tief ein, endlich verlor er fast völlig den Grund und sank nieder auf das zwar nicht harte, aber sehr übelriechende Bett eines Düngerhaufens. Dreizehn Stunden war er im Sattel gewesen, seine Glieder waren wie zerschlagen, aber hier konnte er doch nicht bleiben. So raffte er sich aufs neue auf und suchte wieder die dunkle, unheimliche, stille Gasse auf und schritt bis auf den Marktplatz. In verschwommenen Umrissen standen die grauen Häuser da, dazwischen eine Art offener Halle. Dahin wandte sich Bismarck, und ob er auch die Überzeugung gewann, daß der Ort eigentlich zum Aufenthalt für Rinder bestimmt war, streckte er sich – froh, ein Dach über dem Kopfe und ein altes Wagenkissen unter demselben zu haben – auf die harten Fliesen aus und versank in Schlummer. Aber noch einmal sollte er geweckt werden. Der Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg fand den Schläfer und beeilte sich, ihm in seinem eigenen Zimmer ein wenigstens einigermaßen behaglicheres Lager zu verschaffen. In dem traurigen kleinen Horic befand sich in den nächsten Tagen auch das Hauptquartier des Königs, und hier traf in der Nacht zum 5. Juli eine Depesche Napoleons III. ein, welcher sich zum Friedensvermittler mit Österreich anbot und einen Waffenstillstand in Anregung brachte. Der König geriet darüber in heftige Erregung, Bismarck jedoch, der Mann der eisernen Selbstbeherrschung, fand auch hier die richtige Antwort. Den Frieden wollte er gleichfalls, nur mußte der Preis dafür ein entsprechender sein, und so erhielt der französische Kaiser die in bestimmter Form gehaltenen preußischen Vorschläge: »Österreich erkennt die Auflösung des alten deutschen Bundes an und widersetzt sich nicht einer neuen Organisation Deutschlands, an welcher es keinen Teil nimmt. Preußen bildet eine Union Norddeutschlands, welche alle Staaten nördlich der Mainlinie umfaßt. Die deutschen Staaten südlich vom Main haben die Freiheit, unter sich eine süddeutsche Union zu schließen. Die zwischen der nördlichen und südlichen Union zu erhaltenden nationalen Bande werden durch freies, gemeinsames Einverständnis geregelt. Die Elbherzogtümer werden mit Preußen vereinigt. Österreichs Integrität außer Venetien wird erhalten.« Während die Verhandlungen noch schwebten, rückten die preußischen Truppen unaufhaltsam vor gegen die Kaiserstadt an der Donau, und wenn eine Besetzung derselben verhindert werden sollte, galt es für die beteiligten Mächte rasch zu handeln. In Mähren liegt eine kleine Stadt, _Nikolsburg_ mit Namen, überragt von einem stolzen Schlosse, dessen Warte stattlich ins Land hinaussieht; es ist Eigentum des Grafen Mensdorff und kam in den Julitagen des verhängnisvollen Jahres 1866 zu großer geschichtlicher Bedeutung. Hier hatte König Wilhelm sein Hauptquartier, und hier fand sich am 18. Juli auch Graf Bismarck ein. Sinnend schritt er mit seinem Begleiter, dem Geheimen Legationsrat von Keudell, durch den Torbogen in den weiten, von stolzen Gebäuden umgebenen Hof, und wie er sein Auge darübergleiten ließ, sprach er: »Mein altes Schönhausen ist doch nichts dagegen, dennoch ist mir’s lieber, daß wir hier bei Graf Mensdorff sind, als daß er jetzt bei mir wäre.« In Nikolsburg fanden sich auch die Vertreter Österreichs und Italiens ein, und die Friedensverhandlungen begannen. Und hier brauchte es der ganzen geistigen Überlegenheit, der rückhaltlosen Tatkraft Bismarcks, um zu Ende zu führen, was er begonnen hatte. Friede wollte er haben, und er wollte ihn zum Abschluß bringen, trotzdem die Generale des siegreichen preußischen Heeres die Waffen noch nicht niederlegen wollten. Selbst der König schien jetzt kriegerisch gesinnt, und sein Ministerpräsident mußte auch ihm gegenüber seinen Standpunkt verfechten: »Majestät, wir haben eine Höhe erreicht, von der aus die Wasser von selbst abfließen ohne Gewalt. Uns droht der Einfall der Franzosen in Süddeutschland, und ein neuer Kampf würde unsäglich viel Blut kosten, und die Cholera ist uns auf den Fersen. Ich kann die Verantwortlichkeit der Fortsetzung des Krieges nicht auf mich nehmen und müßte zurücktreten.« Das verfehlte seine Wirkung nicht, und Bismarck erreichte bei seinem König auch die Zustimmung zu den meisten Einzelheiten seiner Friedensvorschläge, und während ein Waffenstillstand die bewehrten Gegner auseinanderhielt, ward in Nikolsburg auf den von Bismarck entworfenen Grundlagen weiter verhandelt. Am 26. Juli aber konnte der Meister der Politik sein Werk als fertig betrachten, und es war eines Meisters wert. Preußen sollte eine Vermehrung erfahren um die Gebiete von Hannover, Kurhessen, Nassau, Schleswig-Holstein und Frankfurt a. M. und eine ansehnliche Kriegsentschädigung. Dabei war Energie mit kluger Rücksichtnahme gepaart worden, der Weg zur Versöhnung mit dem Gegner war offen geblieben, das diesem verbündete Sachsen geschont worden, und worauf Bismarck sich viel zugute tun durfte – das alles war erreicht durch Preußens eigene Kraft, und fremde Einmischung war ferngehalten worden. Wohl hatte Napoleon seinen Abgesandten Benedetti nach dem Kriegsschauplatze geschickt und einen Einfluß in die Friedensverhandlungen gewinnen wollen, aber es war nicht geglückt. Die Friedenspräliminarien waren fertig und brauchten nur noch unterzeichnet zu werden, da erschien Benedetti in Nikolsburg. Er ließ sich bei Bismarck anmelden, und dieser empfing ihn, obwohl ihn die Aufdringlichkeit des Franzosen unangenehm berührte, freundlich. Der französische Gesandte sprach: »Ich habe die Ehre, im Auftrage meines Souveräns Ihnen mitzuteilen, daß derselbe, wenn er seine Zustimmung zu einer ansehnlichen Vergrößerung Preußens geben solle, eine angemessene Entschädigung für Frankreich verlangen müsse. Sobald der Kaiser seine Vermittlerrolle in der preußisch-österreichischen Sache zu Ende geführt haben wird, wird er nicht verfehlen, sich mit der Regierung seiner Majestät des Königs von Preußen deshalb auseinanderzusetzen.« Bismarck wurde von heißem Unmut erfaßt, aber zugleich auch von einem Gefühl der Befriedigung darüber, daß der Franzose zu spät kam. Sehr höflich, doch mit Festigkeit entgegnete er: »Ich bedaure, Eurer Exzellenz bemerken zu müssen, daß amtliche Mitteilungen solcher Art heute durchaus nicht am Platze sind. Preußen hat die Vermittlung Frankreichs nicht gesucht und ist meines Erachtens um so weniger zu etwas verpflichtet, als der Friede bereits fertig ist ohne Intervention Ihres Souveräns und die Präliminarien noch in dieser Stunde unterzeichnet werden.« Er wandte sich ab mit einer Verneigung gegen den verblüfften französischen Staatsmann und ging in sein Gemach. Die verhaltene Erregung brach nun bei ihm durch. Die Tränen schossen dem gewaltigen Manne aus den Augen, vor die er seine Hände preßte, ein Schluchzen erschütterte den starken Recken, der von einem Weinkrampf erfaßt, eine Zeitlang vergebens nach Fassung rang. Es war des Großen und Erschütternden selbst für ihn zuviel gewesen in jenen Julitagen des Jahres 1866. Nun ging es wieder der Heimat zu. Mit seinem König traf Graf Bismarck am 4. August bereits in Berlin ein, begrüßt von einer enthusiastischen Volksmenge, die in maßloser Begeisterung dem König und seinem ersten Minister entgegenjubelte. Und schon am nächsten Tage klangen im weißen Saale des königlichen Schlosses die Friedensworte des Herrschers, mit welchen dieser den Landtag eröffnete. Begeisterung in allen Häusern, in allen Herzen, ein ganzes Volk, das dem so lange »bestgehaßten« Manne zujauchzte! Diesem aber ging die Seele auf bei dem Gedanken, wie Gott alles zum Herrlichen gewendet hatte, und in dem Hause in der Wilhelmstraße herrschte Glück und Freude. Am Abend des 7. August war ein kleiner Kreis von Freunden hier versammelt. Im Salon saßen sie beisammen um den Teetisch, und die anmutige Hausfrau wetteiferte an Liebenswürdigkeit mit dem Gatten, der ganz das Behagen seiner wohltuenden Häuslichkeit empfand. Das war der gewohnte sonnige Hauch, welcher durch diese Räume wehte, der Hauch der vornehmsten und anmutigsten Gastlichkeit, welcher jedem den Aufenthalt hier so lieb machte. Es mochte um die zehnte Stunde sein, da meldete der Diener dem Hausherrn, daß der französische Botschafter Benedetti um die Ehre einer dringenden Unterredung bitte. Bismarck war gewohnt, sich zu beherrschen; er entschuldigte sich in liebenswürdigster Weise bei seinen Gästen und ging nach seinem Kabinett. Er wußte wohl, weshalb der Franzose gekommen war; es war dieselbe Angelegenheit, welche er schon in Nikolsburg berührt hatte, die Frage wegen Abtretung deutschen Gebiets an Frankreich; aber Preußens Ministerpräsident war entschlossen, diesmal eine ganz unzweideutige Antwort zu geben. Und er durfte das; seines Königs Paladine Moltke und Roon hatten die Waffen geschliffen und konnten mit ruhiger Sicherheit auf eine schlagbereite Armee hinweisen, die stark genug sein würde, es auch mit Frankreich aufzunehmen. Das ging ihm rasch noch einmal durch den Sinn, als er in sein Kabinett eintrat und Benedetti ihn mit höflicher Entschuldigung wegen der Störung begrüßte. »Sie vermuten, weshalb ich Sie um einiges von Ihrer Zeit bitte,« begann der Franzose. »Die schriftlichen Mitteilungen Ihrer Regierung, welche mir zugegangen sind, lassen mich annehmen, daß es sich um die von Frankreich gewünschte deutsche Gebietsabtretung handle.« Sie hatten sich beide niedergelassen, und Benedetti fuhr fort: »Frankreich glaubt für seine Haltung in der jüngsten Verwicklung einen Tribut der Dankbarkeit verdient zu haben.« »Und worin sollte dieser Tribut bestehen?« »Frankreich wünscht seine Grenze vom Jahre 1814 wiederhergestellt zu sehen.« »Das heißt, wir sollen links des Rheines bayrisches, hessisches und preußisches Gebiet abtreten –« »Nebst der Festung Mainz.« »Und Ihre Regierung meint, daß wir darauf eingehen würden?« »Sie hofft dies im Interesse Preußens, das noch nicht seinen Frieden gemacht hat mit den süddeutschen Staaten und nicht neue Verwicklungen wünschen kann.« »Solche wünschen wir nicht, aber wir fürchten sie auch nicht, Exzellenz; darum bitte ich Ihre Vorschläge kurz und bündig zu präzisieren!« »Nun denn: Das linke Rheinufer mit Mainz oder Krieg!« Bismarcks Falkenauge blitzte hell auf, eine flüchtige Röte huschte über sein Gesicht, und er sah den anderen fest und ruhig an, als er sprach: »Dann also Krieg!« Der Franzose zuckte zusammen – eine kleine, peinliche Pause trat ein, in welcher man nur den Pendelschlag der Uhr vernahm, dann sagte Benedetti: »Herr Ministerpräsident, bedenken Sie die Verantwortung die Sie mit solcher Entscheidung auf sich laden …« »Da gibt es kein Bedenken, und ich weiß mich der Zustimmung meines königlichen Herrn sicher. Aber warum wollen Sie uns solche Sprünge machen? Sie müssen doch wissen, daß für uns die Abtretung deutscher Erde eine Unmöglichkeit ist. Ließen wir uns zu dergleichen herbei, so hätte wir trotz aller Triumphe Bankerott gemacht. Vielleicht könnte man andere Wege finden, Sie zu befriedigen. Aber wenn Sie auf diesen Forderungen bestehen, so gebrauchen wir – täuschen Sie sich darüber nicht – alle Mittel: Wir rufen nicht bloß die deutsche Nation in ihrer Gesamtheit auf, sondern wir machen auch sofort Frieden mit Österreich auf jede Bedingung hin, überlassen ihm ganz Süddeutschland, lassen uns selbst den Bundestag wieder gefallen. Aber dann gehen wir auch wieder vereinigt mit 800000 Mann über den Rhein und nehmen Frankreich Elsaß ab. Unsere beiden Armeen sind mobil, die Ihrige ist es nicht; die Konsequenzen denken Sie sich selbst. – Also, wenn Sie nach Paris kommen, so verhüten Sie einen Krieg, welcher sehr leicht verhängnisvoll werden könnte.« Benedetti senkte das Haupt, er fühlte das Zutreffende dieser Worte, und die Situation begann ihm immer unbehaglicher zu werden. Er erwiderte: »Ich möchte gern Ihrem Rate folgen, aber mein Gewissen zwingt mich, dem Kaiser zu erklären, daß, wenn er nicht auf der Gebietsabtretung besteht, er mit seiner Dynastie der Gefahr einer Revolution ausgesetzt ist.« »Machen Sie Ihren Souverän darauf aufmerksam, daß gerade ein aus dieser Frage entsprungener Krieg unter Umständen mit revolutionären Schlägen geführt werden könnte, daß aber gegenüber einer revolutionären Gefahr die deutschen Dynastien sich fester begründet zeigen würden als jene des Kaisers Napoleon.« Die Uhr zeigte Mitternacht, und noch immer endete das inhaltschwere Gespräch nicht. Erst in der ersten Morgenstunde kam Bismarck in den Salon zu seinen Gästen zurück, heiter und liebenswürdig, denn in tiefster Seele wußte er, daß eine neue Gefahr abgeschlagen sei, daß Frankreich nach seinen bestimmten Erklärungen jetzt nicht wagen würde, das siegreiche Preußen anzugreifen. – – Und er täuschte sich nicht. Noch der Verlauf des August brachte die Friedensschlüsse mit den süddeutschen Staaten, die auf Seite Österreichs gekämpft hatten, und mit diesem selbst, und in Preußens Hauptstadt erwartete man freudig erregt die Heimkehr der ruhmbedeckten Truppen. Am 20. September trafen sie ein. Es war ein Festtag für Berlin. Am _Brandenburger Tor_ drängte es von Tausenden, um hier bereits der Begrüßung des Königs durch die Vertreter der Stadt beizuwohnen. Grüne Girlanden schmückten die Säulen, die Fahnen wehten lustig in die Weite, und durch das Tor mit seinen stolzen Bogen kamen die Heldenscharen herein, umjauchzt von der Begeisterung der Menge. Die Straße Unter den Linden war verwandelt in eine herrliche ~via triumphalis~, tausend Flaggen flatterten in den Lüften, tausend Kränze und Festons hingen an den Häusern und den Bäumen, Blumen regnete es von allen Seiten nieder auf die blitzenden Helme, und immer aufs neue brauste der Jubel auf in seinen vollsten, unvergleichlichen Akkorden: wie lauter Donner dröhnte er fort die breite Straße entlang, wo immer die Heldengestalt des greisen Königs erschien und die Gestalten seiner Paladine. Da ritten sie ihm vorauf mit leuchtenden Augen, der stattliche Roon, der ernste, ruhige Moltke und Graf Bismarck. Hochaufgerichtet saß er im Sattel, an der Uniform die Abzeichen als _Generalmajor_, wozu ihn sein König vor kurzem ernannt hatte, und das orangefarbige Band des hohen Ordens vom Schwarzen Adler über der breiten Brust. Unter dem blinkenden Kürassierhelm hervor blickten die hellen, scharfen Augen, und die gewaltige Erregung dieser Stunde machte, daß er die schwere Erschöpfung und Abspannung niederkämpfte, die den eisernen Mann infolge der letzten Zeit ergriffen hatte. Aber der Erholung bedurfte er dringend, und er suchte und fand sie an der See, auf dem grünen Eiland von Rügen, wo er in stillem Behagen im Spätherbst jenes ereignisvollen Jahres saß, während in deutschen Landen sein Name von Mund zu Mund ging, während der alte Groll, den man gegen ihn gehegt, weil man ihn nicht verstanden, immer mehr und mehr verschwand. Es galt, zwischen Preußen und den Staaten bis zur Mainlinie, einschließlich von Sachsen, einen Verband zu schaffen zu Schutz und Trutz, zu gemeinsamer innerer Arbeit, und Bismarck hatte die Freude, den konstituierenden _Reichstag des Norddeutschen Bundes_ am 24. Februar 1867 eröffnet zu sehen, der nun den von seinem Schöpfer ausgearbeiteten Verfassungsentwurf beriet. Ihm rief am 11. März der unermüdliche Bismarck zu: »Arbeiten wir rasch! Setzen wir Deutschland in den Sattel, reiten wird es schon können!« Am 16. April war die neue Verfassung angenommen, am 1. Juli trat sie ins Leben, und am 14. Juli war Bismarck _Kanzler des Norddeutschen Bundes_. [Illustration: ~Eis. Kanzler IV.~ Am Abend der Schlacht von Gravelotte.] Nun konnte er sich eine kleine Rast gönnen auf seinem neuerworbenen Tuskulum _Varzin_. In Hinterpommern bei dem Städtchen Schlawe liegt das Gut, welches Bismarck mit dem zugehörigen Besitz von Wussow, Puddiger, Misdow, Chomitz und dem Vorwerk Charlottenthal sich ankaufte aus der Ehrengabe, die er nach dem Kriege mit Österreich aus Staatsmitteln erhalten hatte. Es liegt nicht weit von dem freundlichen Reinfeld, wo die Wiege seiner Gattin stand, und hat einen prächtigen Waldbestand, der den Weidmann lockte. Im Frühling 1867, als der Park seinen Blätterschmuck angelegt hatte, und die Wiesen ringsum grünten, hatte er es erworben, und dann war er zum erstenmal hinausgefahren. Die Eisenbahn führte damals nur bis Schlawe, und hier mußte die Fahrt mittels Extrapost fortgesetzt werden. Er kam mit einem Separatzug angefahren, früher, als man ihn erwartet hatte, und ließ sich nun behaglich auf einer Bank auf dem Perron nieder, brannte sich eine Zigarre an und ließ die friedliche Stille ringsum auf sich wirken. Da näherte sich ihm mit halb scheuer, halb neugieriger Miene ein Mann, seinem Äußeren nach ein biederer, schlichter Handwerker, der ihn grüßte und sich dann einigermaßen verlegen an das Ende der Bank setzte. Er betrachtete eine kleine Weile den ihm Unbekannten, dann fragte er: »Sie sind wohl der Herr, welcher mit dem Extrazuge gekommen ist?« »Jawohl,« erwiderte Bismarck, einigermaßen über die Anfrage verwundert, aber gutmütig-jovial fügte er bei: »Wer sind Sie?« »Ich bin der Schuster N. aus Schlawe – und mit wem habe ich die Ehre?« »Na, ich bin auch Schuster!« »I, was Sie da sagen!« sprach beinahe erschrocken der schlichte Mann und sah doch einigermaßen ungläubig nach dem stattlichen Fremden – »und da fahren Sie mit Extrazug?« »Warum nicht, lieber Freund? Wir Berliner Schuster können uns das bieten.« Der brave, neugierige Handwerker war eben daran, seine Verwunderung auszudrücken, als eine Abteilung Husaren in Paradeuniform heranritt; man hörte das Kommando des Rittmeisters: »Eskadron halt! Richt’ euch, Augen rechts!« und mit Staunen sah der Schuster, wie der Offizier jetzt an den Fremden heranritt und salutierte. Er sprang beinahe entsetzt von der Bank auf und starrte seinen Nachbar an, als aber jetzt auch die Extrapost heranfuhr mit dem gleichfalls parademäßig herausgeputzten Postillon, reichte Bismarck dem vollständig verlegenen Manne die Hand und sagte lächelnd: »Wenn Sie einmal nach Berlin kommen, so besuchen Sie meine Werkstatt!« Dann fuhr er hinein in den Frühlingstag, während die Husaren ihm ihre Honneurs machten, vorbei an Feld und Wiese, durch grünen, rauschenden Wald, durch das hübsche, kleine, bucklige Ländchen, wie es die Gräfin Bismarck scherzend einst bezeichnete, bis die Landstraße hineinführt in das Hof- oder Herrengut. Da liegen ihm zur Linken die Wirtschaftsgebäude, zur Rechten das überaus schlichte, einstöckige Herrenhaus, aber hinter diesem grüßen und winken die Buchen und Eichen des Parkes und rauschen ihm entgegen: »Willkommen in deinem neuen Heim!« Zehntes Kapitel. Mit Blut und Eisen. Ein herrlicher Sommermorgen ist über Varzin und seinem Parke aufgegangen, ein Julimorgen des Jahres 1870. Die Sonne spiegelt sich in den Fenstern des Herrenhauses, die Rosen blühen und duften in dem Garten, und über die Freitreppe schreitet Graf Bismarck herab. Er trägt eine einfache graue Joppe, ein leicht geschlungenes Tuch um den Hals, auf dem Haupte einen Schlapphut und in der Hand einen kräftigen Stock; gemessen folgt seinen Schritten eine schöne Ulmer Dogge, die ab und zu mit klugen, großen Augen nach ihm hinschaut. Über den knirschenden Kies der Gartenwege schreitet die stattliche Gestalt dahin, vorbei an großen Sandsteinfiguren und an einem kleinen Teiche und dann über eine Terrasse hinauf in den leise rauschenden Park, durch dessen grüne Laubkronen die spielenden Lichter niederhuschen. Jeden Baum sieht das klare Auge an, denn er kennt sie alle, die prächtigen Buchen und Eichen, und selbst den kleinen Nachwuchs. Wie einst der Knabe auf Kniephof, so freut sich jetzt der ernste, gewaltige Mann an jedem Nestchen, das zwischen dem Gezweige hervorlugt, an jedem Vogel, der über ihm singt, an jedem Stämmchen, das sich kräftig entwickelt. Auf einer Bank hält er Rast. Das treue Tier liegt zu seinen Füßen und blinzelt hinauf nach dem blauen Himmel, sein Herr aber läßt vor seinem Geiste eine Reihe von Bildern vorüberziehen in der einsamen Stille, die ihm selten genug zuteil wird. Er denkt der vergangenen Tage und all des Großen, was sie gebracht haben, aber er schaut auch aus in eine ernste Zukunft. Der Nachbar im Westen, Kaiser Napoleon III., der sich nicht ganz sicher fühlte auf seinem Thron, suchte nach irgendeiner Verwicklung, die ihm in den Augen der Franzosen Ruhm und Ansehen verleihen sollte. Er war bereits bestrebt gewesen, das Großherzogtum Luxemburg zu annektieren, das zum ehemaligen deutschen Bunde gehörte, aber Bismarck hatte erreicht, daß das Ländchen als neutrales Gebiet erklärt wurde, und Frankreich mußte die Finger davon lassen. Immer unbehaglicher wurde für Napoleon das wachsende Ansehen Preußens, und immer mehr drängte die Stimmung des französischen Volkes zu einer Demütigung desselben. Da schien sich eine besonders günstige Gelegenheit zu bieten. Spanien hatte seinen eben erledigten Thron dem Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen angeboten, der mit Napoleon selbst verwandt war. Trotzdem hatte man in Frankreich erklärt, daß die Wahl eines Hohenzollern eine Schädigung seiner Interessen, ja, geradezu eine Herausforderung bedeuten würde, und hatte an König Wilhelm die Forderung gestellt, er solle dem Prinzen von Hohenzollern befehlen, sich der Bewerbung um den spanischen Thron zu enthalten. Der König hatte Benedetti in Ems erklärt, daß er dem Prinzen nichts zu befehlen habe. So lagen die Dinge augenblicklich, und Bismarck fühlte mit aller Bestimmtheit, daß Frankreich immer neue Forderungen stellen und Preußen um jeden Preis zum Kriege reizen würde. Seine Beruhigung war jedoch die gerechte Sache seines Königs, die schlagfertige Armee und die Hoffnung auf das erwachende nationale Gefühl des deutschen Volkes. Er sah hinein in die sonnige, stille Welt, in seinen grünen, schattigen Park und hinüber nach den weißen Mauern seines Herrenhauses, und eine Friedenssehnsucht zog ihm durch die Seele. Da kam den Kiesweg heran ein älterer Herr mit Zeitungen in der Hand; der Hund hob den Kopf, blinzelte mit den klugen Augen und wedelte leicht mit dem Schweife, – er begrüßte einen guten Bekannten, den Vorstand des Geheimbureaus Bismarcks, den Geheimen Legationsrat Lothar Bucher. »Gibt’s Neues von Wichtigkeit, lieber Bucher?« »Bis jetzt nichts von Belang, Exzellenz; die französischen Zeitungen aber rasseln sehr energisch mit den Säbeln, hier ist eine äußerst bezeichnende Stelle!« Er hatte sich auf Einladung seines Vorgesetzten neben diesem niedergelassen und las: »Unser Kriegsgeschrei ist bis jetzt ohne Antwort geblieben; die Echos des deutschen Rheines sind noch stumm. Hätte Preußen zu _uns_ die Sprache gesprochen, welche Frankreich spricht, wir wären schon längst unterwegs.« »Darin mögen sie recht haben,« sagte Bismarck, »es fragt sich nur, wie weit sie gekommen wären.« »Wie ist die Stimmung in den deutschen Blättern, zumal in den süddeutschen?« »Ganz ausgezeichnet, Exzellenz! Man erwartet, daß der König jedes freche Ansinnen Frankreichs entschieden zurückweisen werde und ist in Verurteilung des französischen Vorgehens von seltener Einstimmigkeit.« »Na, und wenn es zum Äußersten kommt, wir sind bereit, denn auf Moltke und Roon können wir uns verlassen, und wir haben in acht Tagen gewaltige Heeresmassen marschfertig. Frankreich rennt in sein Verderben, wenn es den Krieg provoziert.« »Das ist die öffentliche Meinung in Deutschland!« sagte Bucher und las aus hervorragenden Blättern einige Aufsätze Bismarck vor, der, die Arme auf den Stock gestützt, das Haupt vorgeneigt, ihn ruhig anhörte. Nach einiger Zeit erhob er sich. »Nun muß der Gutsherr in sein Recht treten. Auf Wiedersehen in einer Stunde. Hoffentlich bringt sie uns nichts Unangenehmes.« Er ging langsam, gefolgt von der Dogge, nach dem Herrenhause zu, durchschritt hier einen langen, schmalen Korridor, und betrat am Ende desselben ein kleines Zimmer mit weiß getünchten Wänden und einem breiten Fenster, durch welches das volle Licht hereinfiel auf den einfachen Tisch und die daneben stehenden hohen Schränke, von welchen ausgestopfte Vögel herabschauten. Ein schwarzes Ledersofa, einige geschnitzte Stühle, altertümliche Glasgefäße auf dem breiten Kaminsims vervollständigen die Einrichtung des Gemachs, in welchem »der Gutsherr von Varzin« mit seinen Leuten verkehrt. Da wartet schon mancher auf den großen Staatsmann, um mit ihm über Forstnutzung, Industrieanlagen, Gartenwirtschaft und dergleichen zu verhandeln, und eine Stunde ist rasch genug vorüber. Der letzte ist gegangen, aufatmend erhebt sich Bismarck und sieht nach der Uhr, – es ist Zeit zum Frühstück, und er wird wohl bereits erwartet. Im Billardzimmer ist der Tisch gedeckt. Der große Raum sieht freundlich aus. Die Fenster gehen hinaus in das Grün des Gartens, an den Wänden hängen Bilder rheinischer Städte, die Möbel, teils gepolstert, teils mit braunem Schnitzwerk, sehen traulich und behaglich aus, die beiden Öfen mögen im Winter mit ihrem offenen Feuer die Gemütlichkeit des Raumes ganz besonders erhöhen, und das in einer Nische stehende Billard sowie der Flügel der Hausfrau lassen erkennen, daß der ernste Diplomat gerade hier manche Stunde verbringt, die ihm wohl Erholung und Zerstreuung bieten mag. Hier ist er im Kreise der Seinen. Seine Gemahlin eilt ihm entgegen, seine Tochter, Komteß Marie, hängt sich an seinen Arm, seine Söhne grüßen ihn mit herzlicher Freundlichkeit, und bald sitzt er in seinem Lehnstuhl, aber noch immer ist es keine ungestörte Rast. Lothar Bucher hat ihm Briefe und Depeschen überreicht, ehe er sich mit an den Tisch setzte, und Bismarck öffnet und überfliegt die letzteren. Ein Schatten zieht über sein Gesicht. »Aus Ems. Benedetti sucht um eine neue Audienz nach bei dem König. Er wird die unverschämte Forderung seiner Regierung wiederholen; man hat die zweifellose Absicht, uns zu brüskieren.« Da war das Gespräch ganz von selbst wieder bei der brennenden Tagesfrage, und Bismarck hatte zu tun, um die erregten Damen zu beruhigen. Er selbst nahm dabei das einfache Frühstück ein, das für ihn in der Hauptsache aus weichgekochten Eiern mit geröstetem Weißbrot, einer Schale Milch und etwas schwarzem Kaffee bestand. Nach Beendigung desselben sprach er: »Aber nun ein halbes Stündchen ohne Politik! Laß uns einen Gang durch den Park tun, mein liebes Herz, ich muß dir drei junge Buchen zeigen, die aus einem Stamm herauswachsen, und die ich bisher noch gar nicht entdeckt hatte. Ich habe dabei unwillkürlich an unseren Wappenspruch denken müssen: ~In trinitate robur~ – in der Dreiheit die Stärke, und dann habe ich an unsere lieben drei gedacht! Komm, Marie, du mußt die Bäume gleichfalls sehen.« Er reichte den beiden Damen den Arm, die Grafen Herbert und Wilhelm gingen hinterdrein. So schritten sie unter den stattlichen Bäumen des Parkes hin im lachenden Sommersonnenschein und vergaßen für eine kurze Zeit die Wetterwolken, die am westlichen Himmel Europas sich auftürmten. Aber die kurze Spanne gemütlichen Behagens war bald vorüber, und Gattin und Tochter begleiteten Bismarck in sein Arbeitszimmer, in die Werkstätte des Diplomaten. Ein großer, sechseckiger Raum von vornehmer Einfachheit. Eichenholzgetäfel in mehr als Manneshöhe zieht sich an den Wänden hin, und die Decke ist durch vortretende Eichenbalken in Quadrate und Dreiecke geteilt. In einem sechseckigen Erker sind drei schmale Fenster angebracht, an der Wand der Tür gegenüber ein breites. Nahe demselben steht der Schreibtisch aus Nußbaumholz mit blitzenden Messingbeschlägen an Türen und Schubladen. Auf der mit grünem Tuch überzogenen Platte befinden sich ein zweiarmiger Leuchter, mehrere verschieden geformte Briefbeschwerer, ein Schreibzeug, das aus dem Holze einer bei der Düppelstürmung eroberten Lafette geschnitzt ist, Federn und lange, dicke Bleistifte. Kleinere Tische, mit Büchern und Schriftstücken bedeckt, stehen da und dort, zwei Sofas laden zur Ruhe ein, im Erker steht ein kleiner Diwan neben einer Causeuse, und von hier schweift der Blick hinaus auf den blinkenden Spiegel eines kleinen Teiches, auf einen ferner liegenden Ruheplatz zwischen je einer stattlichen Eiche und Buche, und auf die wogenden Saatfelder, welche durch das dunkle Grün bewaldeter Hügel begrenzt werden. In einer abgestumpften Ecke aber steht das Prachtstück dieses Raumes, ein riesenhafter Kamin von nahezu vier Meter Breite und fünf Meter Höhe. In dem Lehnstuhl am Schreibtische hat sich Bismarck niedergelassen, die Gräfin steht neben ihm, legt ihm zärtlich die Hand auf die Schulter und sagt mit einem besorgten Blick auf die sich häufenden Schriftstücke: »Das wird dich wieder viele Anstrengung und Aufregung kosten, und du bist von deiner letzten Erkrankung noch nicht erholt!« Der Kanzler des Norddeutschen Bundes lehnt sich behaglich in den Sitz zurück und spricht: »~Patriae inserviendo consumor!~ Das ist mein Wahlspruch, und du weißt, was es heißt: Im Dienste des Vaterlands will ich aufgehen! Und so schlimm wird es wohl nicht werden, wir Bismarcks sind aus altem märkischen Holze – das hält etwas aus.« Er faßte nach der lieben Hand, die noch auf seiner Schulter lag, und streichelte sie, Gräfin Marie aber eilte herbei und brachte ihm die lange Pfeife. »Danke, mein liebes Kind! Das ist auch ein Sorgenbrecher!« Er öffnete den Deckel des vor ihm stehenden Tabakskastens, der dem Kopfe seines treuen vierfüßigen Begleiters, der prächtigen Dogge, die sich auch jetzt zu seinen Füßen gestreckt hat, nachgebildet ist, und stopft sich die Pfeife. Die junge, schöne Komteß hat den Fidibus angebrannt und hält ihn zurecht, – einige kräftige Züge, der blaue Rauch wirbelt um den Lehnstuhl und den, welcher darin sitzt, und nun gehen die Damen und überlassen den Staatsmann seinen Sorgen und seiner Arbeit. Bismarck liest, und der mächtige Blaustift in seiner Hand arbeitet dabei unablässig. Lothar Bucher kommt, hält Vortrag und macht sich seine Notizen, und so arbeitet die Staatsmaschine von dem stillen Varzin in Hinterpommern aus unablässig. Die Stunden vergehen, und der Erholung darf nicht ganz vergessen werden. Der Wagen ist vorgefahren, denn Bismarck darf, da er noch Rekonvaleszent ist von einem Nervenleiden, nicht reiten, und mit Frau und Tochter fährt er hinein in das freundliche, sonnige Land, und wo er vorüberkommt, bleiben die schlichten Landleute stehen und grüßen ihn und die Seinen mit aufrichtiger Herzlichkeit. Da und dort läßt er wohl auch halten und redet einen oder den anderen der Leute an. Ein alter Taglöhner stand am Wege und zog ehrerbietig die Mütze; er war krank gewesen bis vor kurzem, und Bismarck wußte dies. Er rief dem Alten zu: »Nu, Krischan, du büst woll wedder ganz op den Tüge?« »I, ja,« – sagte der Angeredete treuherzig. »Sie sollten man ok hier blieven, dann wurden Sie nochmal so frisch!« Bismarck lachte, und im Weiterfahren sprach er: »Ja, wer immer in Varzin sein könnte!« Gegen sechs Uhr wurde das Diner eingenommen. Was auf den Tisch kam, stammte beinahe alles von den Besitzungen des Grafen selbst und mundete um so besser, als es mit heiterem Tafelgespräch gewürzt ward. Die Stunde ging rasch, und noch einmal wanderte der Kanzler mit den Seinen in den Park und freute sich des herrlichen Sommerabends, der grüngoldenen Lichter, welche auf den Wegen spielten, und der tiefen Ruhe. Da und dort ward kurze Rast gehalten; schlanke Rehe kamen aus dem nahen Walde und huschten durch den Park bis herein in den Garten, und Bismarck freute sich der Zutraulichkeit der schönen Tiere, die sich durch die Nähe der Menschen nicht verscheuchen ließen. Es war eine liebliche Idylle, in welche die Abendglocken vom Dorfe her stimmungsvoll klangen. Nun ward der Tee eingenommen in der umgrünten Veranda. Die Dämmerung legte sich langsam über das Land, vom Blumengarten wehte süßer Duft, die Lampe warf ihren traulichen Schimmer über den Tisch, und die Gräfin Bismarck kredenzt dem Gatten das Getränk. Dann wird die lange Pfeife wieder angebrannt, behagliche Wölkchen ziehen durch den Raum; in seinen weiten Sessel zurückgelehnt, sitzt der große Staatsmann schweigend und träumend, indes aus den geöffneten Fenstern des Frühstückszimmers die Klänge an sein Ohr schlagen, welche Frau Johannas Meisterhand dem Flügel entlocken. Noch eine kurze Stunde, dann neigt sich der Sommertag seinem Ende zu. Es ist noch nicht ganz um Mitternacht, als Bismarck sich erhebt, um sich zur Ruhe zu begeben … die letzten Lichter in Varzin verlöschen, der blaue Nachthimmel spannt sein weites Zelt über Schloß, Park und Dorf, und die ewigen Sterne flimmern so friedvoll in ihrer unvergänglichen Schönheit, und sie kümmern sich nicht um der Menschen und Völker Haß und Hader. Und drei Tage später leuchteten dieselben Sterne, aber in den stillen Frieden von Varzin trägt fast um die Mitternachtstunde der Telegraph eine erregende Mitteilung: Der König beruft seinen Ratgeber sogleich nach Ems! Am nächsten Tage war Bismarck bereits in Berlin. Hier fand er gute Kunde: Der Prinz von Hohenzollern hatte, um nicht Veranlassung zu einer blutigen Verwicklung zu geben, freiwillig auf den Thron von Spanien verzichtet. Den Franzosen war der Vorwand zum Kriege genommen, beruhigt atmete der Kanzler auf und glaubte nun auch seine Reise nach Ems nicht beschleunigen zu müssen. Da geschah das Unglaubliche. Benedetti trat in Ems vor den König mit der Forderung, daß er schriftlich sich verpflichten solle, niemals einen Hohenzollern auf dem Throne von Spanien zu dulden. Würdig und entschieden lehnte Preußens Herrscher die demütigende Forderung ab, einen Tag später reiste Benedetti ab, und abermals einen Tag später, am 15. Juli, beschloß die französische Regierung unter dem übermütigen Zujauchzen eines fanatisierten Volkes den Krieg. An eben diesem Tage reiste auch der König Wilhelm nach Berlin, und was er auf seinem Weg sah und hörte, durfte ihm wohl die Seele erheben und befreien. So weit die deutsche Zunge klingt, bebten die Herzen vor Entrüstung über die französische Frechheit und Anmaßung, und in Millionen lebte nur ein Gedanke: dieselbe gebührend zurückzuweisen. Überall dieselbe Begeisterung, die gleichen Beweise der Liebe und Verehrung des einen deutschen Geistes: Vergessen ist der alte Spahn, Das ganze Volk ist eins! Bismarck war mit dem Kronprinzen sowie mit Roon und Moltke dem König bis Brandenburg entgegengefahren. Bewegt reichte der Herrscher seinen Treuen die Hand, und weiter ging es der Hauptstadt zu. Durch ihre Straßen flutete das Volk in dichtem Gedränge; mit entblößten Häuptern stand es da, und während aus allen Fenstern die Tücher wehten zum Empfangsgruß, schwollen die begeisterten Zurufe immer lauter an, je näher die Wagen dem Schlosse kamen. Bis in die Nacht hinein erklangen brausende Vaterlandslieder, stürmische Hochrufe, indes aus dem bekannten Eckfenster des schlichten Palais der Lichtschimmer seinen freundlichen Gruß hinaussandte. Dort beriet der König mit seinen Getreuen, und ein Adjutant ersuchte das Volk im Namen des Herrschers um Ruhe. Da ging _ein_ Empfinden durch all die Tausende; tiefstill ward es um das Standbild des großen Friedrich her, und lautlos ging die Menge auseinander. In derselben Nacht flogen die Befehle zur Mobilmachung des Heeres durch alle Gaue Norddeutschlands. Es kam der 19. Juli, der Todestag der unvergeßlichen Königsrose Luise. Vor 60 Jahren war sie heimgegangen, hinsiechend an der Not des Vaterlands, und nun sollte in ihrem Sohne ihr ein herrlicher Rächer erstehen. Vormittags fand im Dome ein feierlicher Gottesdienst statt in Gegenwart des königlichen Hofes, der Ministerien und der Abgeordneten. Unter diesen saß in der letzten Reihe die hagere Gestalt des Generals von Moltke so schlicht und bescheiden, als wäre ihm nicht gerade eine Hauptrolle bestimmt in dem gewaltigen historischen Drama, für welches jetzt der Segen des Himmels erfleht wurde, und von der Empore herab schaute Graf Bismarck ehern und ruhig auf die Andächtigen nieder. Nach dem Gottesdienst erfolgte die Eröffnung des Reichstags im Weißen Saale des Schlosses durch den König. Es waren erhebende, mächtig bewegende Worte, und tiefe Ergriffenheit erfaßte die Versammlung, als er schloß: »Je unzweideutiger es vor aller Augen liegt, daß man uns das Schwert in die Hand gezwungen hat, mit um so größerer Zuversicht wenden wir uns, gestützt auf den einmütigen Willen der deutschen Regierungen des Südens wie des Nordens, an die Vaterlandsliebe und Opferfreudigkeit des deutschen Volks mit dem Aufrufe zur Verteidigung seiner Ehre und seiner Unabhängigkeit. Wir werden nach dem Beispiele unserer Väter für unsere Freiheit und für unser Recht gegen die Gewalttat fremder Eroberer kämpfen, und in diesem Kampfe, in dem wir kein anderes Ziel verfolgen, als den Frieden Europas dauernd zu sichern, wird Gott mit uns sein, wie er mit unseren Vätern war!« Kurze Zeit danach fuhr der König hinaus nach Charlottenburg. Dort liegt zwischen grünen Parkgehegen ein schlichter Bau, das Mausoleum, in welchem Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise ruhen. Zwei herrliche Marmorbilder, welche die Verewigten wie friedlich Schlafende darstellen, stehen über der Gruft, und bläulicher Lichtschimmer flutet mild und freundlich darüberhin. Hier in einsam weihevoller Stille betete der König und flehte den Segen seiner Eltern nieder auf den Pfad, den er nun gehen mußte für seine und seines Landes Ehre. Und beinahe zur selben Stunde betrat Graf Bismarck den Sitzungssaal des Reichstags. Hochaufgerichtet und mit vor Erregung leuchtenden Augen betrat er die Tribüne, und aller Blicke hafteten auf dem herrlichen, stattlichen Manne, aller Parteigroll war geschwunden, und die Ahnung dessen, was dieser große Augenblick bringen sollte, ging durch jede Seele. Deutlich und fest klangen die inhaltschweren Worte des Kanzlers: »Ich habe dem hohen Hause die Mitteilung zu machen, daß mir der französische Geschäftsträger Le Sourd heute die Kriegserklärung Frankreichs überreicht hat. Nach den Worten, die Seine Majestät soeben an den Reichstag gerichtet hat, füge ich der Mitteilung dieser Tatsache weiter nichts zu.« Aufrecht standen die Vertreter des Volkes, jede Brust dehnte sich weiter, jedes Auge blitzte heller, und voll Begeisterung klang es durch den Saal: »Es lebe der König!« Und durch das ganze deutsche Volk zitterte und brauste dieselbe Bewegung, und aus allen Gauen zogen die Söhne der _einen_ Mutter Germania heran voll heiligen Kampfesmutes, voll Zuversicht auf die gerechte Sache und auf ihre Kraft. Bayern und Sachsen standen neben Preußen, und wenn Napoleon auf die alte Eifersucht der deutschen Stämme gerechnet hatte, so sollte ihm das zum fürchterlichen Verhängnis werden. Umtost vom Jubel seines Volkes verließ der vierundsiebzigjährige König am 31. Juli seine Hauptstadt, und am 2. August übernahm er von Mainz aus, wo er mit Moltke, Bismarck und Roon eingetroffen war, den Oberbefehl über die deutschen Heere. Das blutige Kriegsspiel begann. Das waren heiße Augusttage bei Weißenburg und Wörth und um die trutzige Festung Metz, hinter deren Wällen der sieggewohnte französische Marschall Bazaine mit eisernen Klammern festgehalten werden mußte. Am 16. August war das heiße Ringen bei Vionville und Mars la Tour. In Pont à Mousson war Bismarck im Hauptquartier des Königs, und dort, von woher die Donner der Schlacht brüllten, kämpften seine beiden Söhne in der dritten Schwadron der Gardedragoner. Das Vaterherz war voll banger Sorge und würde es noch mehr gewesen sein, wenn es gewußt hätte, wie das brave Reiterregiment furchtbar geblutet und viele seiner Offiziere, darunter seinen tapferen Obersten von Auerswald, verloren hatte. Der Abend senkte seine Schleier über das furchtbare Feld, und Bismarck ritt hinter seinem König her, um ein Nachtlager für diesen finden zu helfen. In allen Häusern und Hütten lagen Verwundete und Sterbende, und nur mit Mühe gelang es, ein Stübchen ausfindig zu machen, wo ein Feldbett für den hohen Herrn untergebracht wurde. Der aber wollte es nicht besser haben als die Seinen. Das Bett sollte für einen Verwundeten bleiben, er selbst wollte auf einem Strohlager schlafen, und Bismarck und Moltke mußten mit ihm das Zimmer teilen. Der Kanzler fand wohl wenig Schlaf; er dachte »der Toten, der Toten,« er dachte seiner Söhne. Mit dem erwachenden Tage ritt er hinaus in das Schlachtfeld nach dem Lagerplatz der Gardedragoner und fragte nach seinen Lieben. Sie hatten sich beide brav geschlagen, und Herbert hatte für König und Vaterland geblutet, aber das Geschick war ihnen gnädig gewesen. Im Lazarett in Mariaville fand er beide Söhne, und in freudiger Ergriffenheit trat er an das Lager Herberts, der durch eine Kugel am Oberschenkel verwundet war. Wilhelm hatte sein Pferd verloren, war aber sonst unversehrt geblieben. Es war ein trotz allem schönes Wiedersehen, aber ein von einem leisen Wehmutshauch verschleiertes Abschiednehmen. Für den Grafen Herbert winkte die Rückkehr in die Heimat, Graf Wilhelm aber zog mit seinem Regimente weiter, neuen Gefahren und Siegen entgegen, und Vater und Sohn sollten sich erst am 2. September wiedersehen. Am 18. August brüllten die ehernen Schlünde um _Gravelotte_ und _Rezonville_. Am Morgen ritt Bismarck mit seinem König die Höhe bei Flavigny hinan und sah hinein in das wogende Kampfgewühl, das bis hierher brandete. Mehr als einmal kam er selbst sowie auch König Wilhelm in drohende Gefahr. Es war ein furchtbares Ringen, nicht _eine_ Schlacht, sondern eine Reihe von Schlachten, die hier um das alte Metz geschlagen wurden. St. Privat war von den preußischen Garden und den braven Sachsen erstürmt worden nach heißem Streit und unter schweren Verlusten, und als der Sommertag sich zu neigen begann, sanken auch die Sterne des französischen Marschalls. Noch einmal in der siebenten Abendstunde machte er einen verzweifelten Vorstoß über die Talschlucht von Gravelotte hinaus, aber die wackeren Pommern, die nach einem beschwerlichen Marsche erst vor kurzem auf dem Schlachtfelde eingetroffen, warfen sich ihm entgegen. »Es lebe der König!« scholl es in heller Begeisterung, und hinab ging es in den Talgrund, Bataillon um Bataillon und jenseits wieder die Höhen hinan. Der greise Kriegsherr aber hielt auf der Höhe nördlich von Gravelotte und sah hinein in die sprühenden Pulverblitze, und um ihn her und über ihn hin sausten die todbringenden Geschosse und platzten die Granaten. Und wie einst bei Sadowa, so wußte Bismarck auch hier seinen königlichen Herrn aus der gefährlichen Stellung fortzubringen. Er blieb ihm treu zur Seite und geleitete ihn gegen Rezonville. Hier stieg der greise Held, ermüdet von dem furchtbaren Tage, vom Rosse und sah sich um nach einem Sitze. Es war nichts zu erblicken; nur ein toter Schimmel lag in der Nähe; auf den Leib desselben und auf eine alte Brückenwage ward nun eine Leiter gelegt, und hier saß der König, mit dem Rücken an eine Gartenmauer gelehnt. Die Schatten des Abends wurden grauer, unheimlich loderten unfern die Flammen aus einem großen brennenden Gebäude gegen den Himmel, dumpf rollten fernher noch die letzten Donner der Schlacht, und um ihren königlichen Führer her geschart standen in erwartungsvollem Schweigen Generale und fürstliche Herren. Um die neunte Stunde war es, als Moltke heransprengte; aus seinen ernsten Augen leuchtete es hell – er brachte die Kunde von dem errungenen Siege, von der endgültigen Festnagelung des französischen Marschalls hinter den Mauern von Metz. Ein Telegraphenbeamter brachte eine Meldung; ihm diktierte Bismarck im Namen des Königs folgende Depesche an die Königin Augusta: Biwak bei Rezonville, 18. Aug. 9 Uhr abds. Die französische Armee in sehr starker Stellung westlich von Metz angegriffen, in neunstündiger Schlacht vollständig geschlagen, von ihren Verbindungen mit Paris abgeschnitten und gegen Metz zurückgeworfen. _Wilhelm._ Ein Marketender war herbeigerufen worden; er hatte wenig genug zu bieten, aber auch der bescheidene Rotwein, mit welchem die Feldflaschen gefüllt wurden, mundete, und aus einem zerbrochenen Tulpenglase trank der König. Sein Kanzler aber kaute an einer harten Brotrinde, denn besseres war augenblicklich nicht zur Stillung des Hungers zu finden. Die Nacht sank nieder, und die Schwierigkeit, ein Lager zu finden, ließ sich kaum verkennen. Der König ritt mit seinen Begleitern hinab nach dem Dorfe Rezonville. In allen Häusern Verwundete, endlich in einem ärmlichen Hause ein kleines Stübchen! Aus einem Krankentransportwagen wurde eine Bahre herbeigeschafft, dazu einige Wagenkissen, und auf diesem unbequemen Lager, völlig angekleidet, mit seinem Mantel bedeckt, schlief der siegreiche alte Held, nachdem man mit Mühe noch ein Abendbrot für ihn aufgetrieben hatte. Bismarck aber irrte durch die nächtlichen Gassen des kleinen französischen Nests, die erhellt waren von dem Feuerschein brennender Häuser. Bei dem Wagen des Königs hielt der Erbgroßherzog von Mecklenburg Wache, damit nichts abhanden komme, und der Kanzler selbst suchte Haus um Haus nach einem Unterkommen. Überall vernahm er, daß alles voll Verwundeter liege. Ein dunkles Fenster in einem Hause winkte verheißungsvoll, und diesmal ließ er sich auch nicht von dem Hinweise auf Verwundete abspeisen. Er stieg die Treppen hinan und fand in der Tat ein Stübchen mit drei Betten und hielt hier erquickliche Nachtrast. Nun galt es, Frankreichs zweites Heer festzulegen und seinen berühmtesten Marschall Mac Mahon unschädlich zu machen, und die deutschen Heersäulen zogen mit ruhiger Sicherheit die Wege, welche der herrliche Schlachtenlenker Moltke ihnen anwies. Am 23. August war das königliche Hauptquartier in Pont à Mousson. Am Abend hatte Bismarck seine Wohnung aufgesucht; bei dem Posten an der Tür des Hauses hielt er an: »Nun, wie geht’s?« »So gut es sein kann im Kriege, Exzellenz!« »Wie steht’s mit der Verpflegung?« »Untertänigst zu danken, Exzellenz – ich habe seit 24 Stunden keinen Bissen gegessen!« Bismarck erschrak beinahe über die Äußerung des Soldaten, und sogleich eilte er in das Haus, suchte die Küche und kehrte bald mit einem tüchtigen Stück Brot, das er selbst abgeschnitten, zu dem Manne zurück, der die Gabe mit lebhaftem Dankgefühl entgegennahm. Über Bar-le-duc ging es nach Clermont, einem kleinen Gebirgsstädtchen, wo das königliche Hauptquartier mit jenem der Maasarmee zusammenkam. In dem bescheidenen Schulhause wohnte der König, und in der Stube, in welcher sonst der Lehrer arbeitete, war das Gemach des Kanzlers, Arbeits- und Schlafzimmer zugleich. Eine Treppe höher in einem Saale war das Bureau eingerichtet. Über einem Sägebock und einer Tonne liegt eine ausgehobene Tür – das ist der Arbeitstisch, Kisten und Koffer bilden die wenig bequemen Sitze, flackernde Kerzen, die in leeren Weinflaschen stecken, werfen ein trübes Licht, und das Stroh an der Wand auf dem Boden ist die Lagerstelle. – Und in diesem Raume welch reges Leben, welch bedeutsame, hochwichtige Maschinerie! Da arbeiten die Legationsräte von Keudell, Graf Hatzfeld, Abeken, Graf Bismarck-Bohlen, und die Chiffreure, welche die Depeschen besorgen, da kommen und gehen die Feldjäger und Ordonnanzen, da läuft vom frühen Morgen bis in die Nacht ein Bericht nach dem anderen heraus und herein, und zwischen seinen Beamten erscheint ab und zu die Gestalt des Ministers im Interimsrocke der Landwehrreiter mit den gelben Aufschlägen, die Beine in den hohen Stulpenstiefeln, und gibt kurze und klare Anweisungen. Und in einem nicht behaglicheren Raume des Schulgebäudes arbeitet der große Generalstab mit seinem schweigsamen Chef ernst, ruhig, klar und sicher weiter an seinem Werke, und von der Straße herauf schallt der Trommelschlag und die Marschmusik vorüberziehender Regimenter, und die wenigsten, die hier vorbeimarschieren, haben eine Ahnung, daß hinter den Fenstern dieses schlichten Hauses das Räderwerk tätig ist, das die ganze große Maschine in Bewegung setzt. Das Vorspiel der großen Tragödie vor Sedan nahm seinen Anfang. Bei Beaumont schlug Sachsens ritterlicher Kronprinz die Nachhut Mac Mahons und schloß mit der von ihm befehligten Maasarmee den ehernen Gürtel, der sich nun um Sedan legte. Gegen Beaumont ritt auch der Kanzler her im Gefolge seines Königs. Der Tag war heiß, schwül lag der Sommer auf dem Lande, und die Marschkolonnen zogen langsam ihre Straße. Bismarck ritt an eine Abteilung Bayern heran. Die Leute schienen sehr ermüdet und kamen nur langsam vorwärts. Ein tiefes Mitgefühl erfaßt den Minister mit den Braven, und er ruft dem Nächsten zu: »Heda, Landsmann, wollen Sie einmal Kognak trinken?« Der Mann sah, wie befremdet darüber, wie man eine solche Frage erst noch tun könne, zu dem hohen Offizier auf und nickte. Da reichte ihm der Kanzler seine Feldflasche, und als er die Kameraden des Beglückten so sehnsüchtig und neidvoll auf diesen und das gebotene Labsal blicken sah, ließ er die Flasche weitergehen, bis sie geleert zu ihm zurückkam. Einer seiner Begleiter aber folgte seinem Beispiele, und auch die zweite Feldflasche ging von Hand zu Hand. Nun holte Bismarck seine Zigarren heraus und fing an auszuteilen, und die vergnügten Gesichter der ermüdeten Soldaten waren ihm ein schöner Dank. Was sich nun ereignete, in jenen ersten Septembertagen des Jahres 1870, wird für ewig unvergessen bleiben im deutschen Volke. Das Heer Mac Mahons, bei dem sich der Kaiser Napoleon III. selbst befand, war hinter Sedan zurückgedrängt, und hier erfolgte die Katastrophe, in welcher der französische Thron zerbrach. Mit dem Morgen des 1. September hob das gewaltige Schauspiel an; noch lag der Nebel über den Gefilden, und von Bazailles her, wo die Bayern standen, zuckten rote Blitze, und dumpfer Donner grollte ihnen nach. Rechts vom Dorfe Frénois auf einem Hügel hielt König Wilhelm mit seinem Gefolge, und von hier überschaute er den Verlauf des furchtbaren Ringens. Um die Mittagszeit war der Calvaire d’Illy, der Schlüssel der feindlichen Stellung, genommen, erdrückend lag die deutsche Heeresmacht um das bedrängte Sedan und um den verzweifelten Kaiser. Mac Mahon war verwundet worden und hatte den Oberbefehl über das französische Heer dem General Wimpffen übergeben. Aber auch dieser konnte nicht mehr retten, was verloren war. Die Abenddämmerung legte einen leichten Schleier über die Walstatt. Brennende Dörfer leuchteten in der Runde, und die deutschen Batterien spien noch immer von allen Seiten Verderben und Vernichtung gegen die Festung. Endlich flatterte zwischen Rauch und Qualm auf der vorderen Bastion etwas Weißes empor, die Kapitulationsflagge. Um die siebente Stunde ritt den Hügel von Frénois der französische General von Reille heran, tiefen Ernst in dem gebräunten Antlitz. Es war eine erschütternde Kunde, die er brachte: Kaiser Napoleon legte seinen Degen nieder in die Hand des Königs Wilhelm. In tiefer Bewegung las dieser die kurzen, inhaltschweren Zeilen des besiegten Gegners seinem Gefolge vor, und in Erschütterung und schweigend standen sie alle. Selten wohl hat die sinkende Sonne ein solches Bild beleuchtet: den greisen König, umgeben von deutschen Fürsten und Führern, der, auf einer umgestürzten Pflugschar sitzend, seine Antwort auf dem Rücken seines Adjutanten schrieb, indessen abseits in würdiger Resignation der französische Parlamentär harrte, während nicht lange danach der mit der wunderbaren Nachricht durch das ganze Heer fortschreitende, lawinengleich anwachsende Jubelruf zum Himmel jauchzte, der gerötet war von brennenden Ortschaften und von den Freudenfeuern, die weit ins fremde Land hineinleuchteten. Für Bismarck wie für Moltke und manchen anderen brachte die kommende Nacht keine Ruhe. Es galt, mit dem General Wimpffen die Kapitulationsbedingungen festzusetzen, und auf den Wunsch seines Königs wohnte der Kanzler den Verhandlungen bei. Im Erdgeschoß des Schlößchens von Donchery saßen die ernsten Männer in schweigender Nacht beisammen. »Die französische Armee ist kriegsgefangen einschließlich der Offiziere, mit Waffen und Gepäck, doch sollen den Offizieren ihre Degen bleiben!« So lautete Moltkes ruhig-feste Bedingung, und vergebens bemühte sich Wimpffen, eine günstigere zu erreichen. Er mahnte daran, wie man durch milderes Entgegenkommen sich die Dankbarkeit des französischen Volkes gewinnen würde, durch Härte aber dessen unauslöschlichen Haß heraufbeschwören müßte. Im Antlitz Bismarcks zeigte sich Erhebung, er hob das mächtige Haupt und sah dem französischen General fest ins Gesicht, als er ihm erwiderte: »An die Dankbarkeit des französischen Volkes vermögen wir nicht zu glauben, weil es keine dauerhaften Einrichtungen, keine Verehrung und Achtung vor seiner Regierung und seinem Fürsten hat, der fest auf seinem Throne sitzt. Auch wäre es Torheit, zu glauben, daß Frankreich jemals uns unsere Erfolge verzeihen könnte. Sie sind ein über die Maßen eifersüchtiges, reizbares und hochmütiges Volk, das in zwei Jahrhunderten uns dreißigmal den Krieg erklärt hat, und das uns den Sieg von Sadowa nicht verzeihen kann, gleich als ob das Siegen sein alleiniges Vorrecht wäre. Frankreich muß für seinen eroberungslustigen und ehrgeizigen Charakter gezüchtigt werden; wir wollen ausruhen, wir wollen die Sicherheit unserer Kinder wahren, und dazu ist es nötig, daß wir zwischen Frankreich und uns eine Schutzwehr, ein Gebiet, Festungen und Grenzen haben, die uns für immer gegen einen Angriff schützen. Das Glück der Schlachten hat uns die besten Offiziere der französischen Armee überliefert; sie in Freiheit setzen, um sie aufs neue gegen uns marschieren zu sehen, wäre Wahnsinn. Es würde den Krieg verlängern und dem Interesse beider Völker widersprechen. Nein, General, alle Teilnahme, welche uns Ihre persönliche Lage einflößt, alle gute Meinung, welche wir von Ihrer Armee hegen – beides darf uns nicht bestimmen, von den Bedingungen zurückzutreten, die wir gestellt haben.« Es waren schwerwiegende, harte Wahrheiten, welche Bismarck hier nach seiner ehrlichen, festen Art aussprach, und denen Wimpffen nichts entgegensetzen konnte. Die Mitternacht war vorüber, als der französische General mit seinen zwei Begleitern von Donchery hinüberritt nach Sedan; er wollte die letzte Entscheidung über die gemachten Bedingungen dem gebrochenen, kranken Manne überlassen, der sich noch den Kaiser von Frankreich nannte. Bismarck hatte sich tief ermüdet nach seinem Quartier begeben und trotz der gewaltigen Erregung, die dieser Tag gebracht, Schlaf gefunden. Aber lange ward er ihm nicht gegönnt. Früh am Morgen wurde er geweckt mit der Nachricht, daß Napoleon von Sedan her bereits unterwegs sei und ihn zu sprechen wünsche. Er ritt dem Kaiser entgegen durch die dämmernde Frühe des kühlen Septembermorgens. Da kam ihm ein zweispänniger Wagen entgegen mit zwei galonnierten Dienern auf dem Bocke, und drei französische Offiziere ritten zur Seite. Im Fonds des Wagens lehnte mit müdem, gelbem Antlitz und mit dem Wesen eines kranken, gebrochenen Mannes – Napoleon; drei Generale saßen neben ihm, beziehentlich ihm gegenüber. Als Bismarck näherkam, stieg er vom Pferde, trat militärisch grüßend an den Wagen und fragte nach den Befehlen des Kaisers. Dieser hatte die Mütze abgenommen, und seine Begleiter folgten dem Beispiel. Als Bismarck das gleiche tat, sagte Napoleon: »Bedecken Sie sich doch!« Sein Wunsch, zu dem König geführt zu werden, ließ sich aus mehreren Gründen nicht erfüllen, und da er aus Furcht vor seinen eigenen Leuten nicht nach Sedan zurückzukehren wagte, bot ihm der Kanzler sein Quartier in Donchery an. Dahin fuhr jetzt der Wagen, dem Bismarck zur Seite ritt. Aber noch ehe das Städtchen erreicht war, wünschte Napoleon zu rasten. Unfern der Maasbrücke, rechts von der Straße, deren einförmige Pappelreihe gleichmütig zum Himmel ragte, stand ein kleines, gelb getünchtes Haus mit vier Fenstern. Einem schlichten Weber gehörte es. Hier stieg der Kaiser ab und ging langsam und müde, gefolgt von Bismarck, die enge Holztreppe hinauf nach dem ersten Stockwerk. In einer kleinen Kammer, die nur von einem Fenster erhellt wurde, standen an einem fichtenen Tisch zwei Binsenstühle. Hier saßen die beiden Männer, der kleine, zusammengebeugte, tiefgedemütigte Franzose, der hochragende, stattliche, ernst und teilnahmsvoll dreinsehende Deutsche. Eine Stunde beinahe verhandelten sie hier miteinander. Der Kaiser beklagte, daß er wider seinen Willen durch die öffentliche Stimmung in den unseligen Krieg hineingedrängt worden sei und suchte für die Kapitulation von Sedan günstigere Bedingungen zu erlangen. Bismarck mußte ihm darauf höflich, aber entschieden bemerken, daß er in dieser militärischen Angelegenheit inkompetent sei, wohl aber auf eventuelle Friedensverhandlungen eingehen wolle. Dazu aber glaubte sich der gefangene Kaiser nicht mehr berufen, und so floß das Gespräch ohne ein positives Resultat dahin. Napoleon schien es zu enge zu werden in dem kleinen, kahlen Raume, er erhob sich, und der Kanzler folgte ihm hinaus ins Freie. Vor dem schlichten Weberhäuschen schweifte der Blick seitwärts über ein blühendes Kartoffelfeld und über Buschwerk hinaus ins Land. Die beiden Binsenstühle waren herausgetragen worden, und der Kaiser ließ sich noch einmal nieder, Bismarck zu seiner Seite. Unter dem Himmel Frankreichs ein wunderlich ergreifendes Bild! Noch einen letzten Versuch machte der hohe Gefangene, seiner eingeschlossenen Armee den Abzug auf belgisches Gebiet zu sichern, aber auch hier wich der Kanzler dieser Frage aus. In der Nähe von Frénois liegt ein Schlößchen, Bellevue genannt. Dort sollte Napoleon einstweilen Wohnung nehmen, und, begleitet von einer Ehreneskorte des Leibkürassierregiments, führte Bismarck ihn dahin. Und hier war es, wo um zwei Uhr mittags, nachdem die Kapitulation von Sedan in dem von Moltke gewünschten Sinne abgeschlossen war, König Wilhelm den unseligen Mann besuchte, dem sein Ehrgeiz verhängnisvoll geworden war. Es war um die zweite Nachmittagsstunde, als der Kaiser, das Haupt entblößt, auf der Freitreppe am Eingange des Schlößchens, den ehrwürdigen, weißhaarigen König begrüßte. In Napoleons Augen standen Tränen, aber auch der siegreiche Monarch war tief bewegt. Eine inhaltschwere Viertelstunde verrann, ehe die beiden voneinander schieden, der Kaiser, um nach Deutschland zu ziehen, als Gefangener nach jenem Schlosse Wilhelmshöhe bei Kassel, auf welchem zu Anfang des Jahrhunderts der napoleonische König Jerôme seine lustige Herrschaft geführt hatte, König Wilhelm in sein Hauptquartier zu Vendresse. Der Champagner war selbst in Frankreich ein seltenes Getränk auf der Tafel des greisen Heerführers, an jenem 3. September aber fehlte er nicht, und bei dem schäumenden, perlenden französischen Weine im Kreise seiner besten Paladine sprach der König das schöne Wort: »Wir müssen heute aus Dankbarkeit auf das Wohl meiner braven Armee trinken. Sie, Kriegsminister von Roon, haben unser Schwert geschärft; Sie, General von Moltke, haben es geleitet, und Sie, Graf von Bismarck, haben seit Jahren durch die Leitung der Politik Preußen auf seinen jetzigen Höhepunkt gebracht. Lassen Sie uns also auf das Wohl der Armee, der drei von mir Genannten und jedes einzelnen unter den Anwesenden trinken, der nach seinen Kräften zu den bisherigen Erfolgen beigetragen hat.« In der Stille des Abends aber saß am selben Tage Bismarck in seinem Quartier und schrieb an seine Gemahlin im Drange seines Herzens einen schlichten und dabei doch ergreifenden Brief, der freilich das Schicksal hatte, von den französischen Freischärlern abgefangen zu werden, aber durch seine Veröffentlichung in der Pariser Zeitung »Figaro« allgemein bekannt worden ist. Mit Napoleons Gefangennahme hörte der Krieg nicht auf. Die Franzosen gaben ihren Kaiser preis, setzten ihn ab und proklamierten die Republik, und die Waffen redeten zunächst ihre ernste, furchtbare Sprache noch weiter. Frankreich gedachte neue Armeen aus der Erde zu stampfen und Freischarenbanden im Rücken der deutschen Heere organisieren zu lassen, um diese zu beunruhigen, und diese unheimlichen Gesellen in ihren dunklen Wollenblusen, mit der blauen Schärpe um den Leib, lagen allerorten im Hinterhalt, zerstörten Schienenwege und Telegraphenleitungen und suchten den deutschen Armeen die Zufuhr abzuschneiden. Paris, das Kleinod von Frankreich, wurde stark befestigt und eine starke Armee in die Hauptstadt gelegt, aber mit ruhiger Sicherheit gingen die deutschen Heere ihre Siegespfade weiter, und immer näher heran an die innerlich verkommene »Weltenseele«. Es war am 19. September, als ein Mitglied der französischen Regierung, der Advokat Jules _Favre_, im deutschen Hauptquartier eintraf und mit Bismarck zu verhandeln wünschte. Dieser wohnte in der Nähe des Dorfes Montry in dem Schlosse La Haute Maison. Langsam fuhr der Wagen des Franzosen die bewaldete Anhöhe hinan, die nach dem wenig ansehnlichen Hause führte, und sein Auge blieb unwillkürlich an den Zerstörungen haften, die sich überall als Folgen von Kämpfen, die sich hier abgespielt haben mußten, bemerkbar machten. Bismarck empfing den Gast mit ritterlicher Höflichkeit und erkundigte sich nach seinen Wünschen. Favre wußte mit großer Gewandtheit und Geschicklichkeit auszuführen, wie die französische Regierung dem Frieden nicht abgeneigt wäre, wie dieselbe aber, ehe sie einen solchen schließen könne, gesetzlich anerkannt sein müsse. Es liegt darum die Notwendigkeit vor, eine konstituierende Nationalversammlung einzuberufen, was aber unmöglich sei während der Fortdauer des Krieges; seine Bitte gehe darum auf Abschluß eines Waffenstillstands. Ernst und ruhig sah Bismarck dem Franzosen ins Auge, der einigermaßen erregt mit den schlanken Fingern sich durch den weißen Bart strich. Dann bemerkte er: »Es wird Ihnen zweifellos klar sein, welche Nachteile für unsere siegreich fortschreitenden Heere in einem Waffenstillstande liegen, doch kann ich Ihren Standpunkt begreifen und würde geneigt sein, Ihren Wunsch zu befürworten, doch werden Sie einsehen, daß wir für dessen Gewährung eine entsprechende Entschädigung erhalten müßten.« »Und worin würde diese wohl zu bestehen haben?« »Da uns vor allem daran liegen muß, die Verpflegung unserer Heere und die damit zusammenhängende Verbindung mit Deutschland gesichert zu sehen, würden wir die Übergabe der Festungen Toul und Straßburg verlangen müssen.« Der Franzose fuhr erregt auf: »Das ist eine Forderung, die doch wohl zu weit geht.« »Ich bedaure, darauf bestehen zu müssen.« »Das wird Frankreich und Paris niemals zugestehen, eher wird die Hauptstadt in Trümmer sinken und alle seine Söhne opfern.« Bismarck zuckte bedauernd die Achseln, und so beredt der Franzose auch sprechen mochte, er blieb fest. So schied Favre, ohne einen Erfolg erreicht zu haben, und der Kanzler geleitete seinen Besucher die Treppe hinab. Dieser wies auf die beschädigten Wände und Mauern. »Die Spuren Ihrer Franctireurs,« bemerkte Bismarck – »die Gegend ist hier voll von ihnen, aber wir machen schonungslose Jagd auf sie; wir behandeln sie als Raubgesindel, denn sie sind keine Soldaten.« »Aber bedenken Sie, es sind doch Franzosen, welche ihren Boden, ihren Herd und ihr Haus verteidigen. Sie sind doch wohl sicher in ihrem Rechte, wenn sie der feindlichen Invasion Widerstand leisten, und wenn Sie das Kriegsgesetz auf diese Leute anwenden, so ist das eine Verkennung desselben.« Der Kanzler erwiderte ruhig: »Wir kennen nur Soldaten, welche einer regelmäßigen Disziplin unterworfen sind, die anderen sind außerhalb dieses Gesetzes.« »Dann gestatten Sie mir jedoch, Sie an das Jahr 1813 zu erinnern und an den Aufruf des Königs von Preußen an sein Volk. Was war diese Erhebung in Ihrem Lande damals anders als die gegenwärtige der Franctireurs?« »Richtig,« bemerkte Bismarck, »aber unsere Bäume zeigen noch die Spuren derjenigen Landeseinwohner, welche Ihre Generale hängen ließen.« – Noch einmal machte Favre am nächsten Tage den Versuch, auf Schloß Ferrières Bismarck zu günstigeren Waffenstillstandsbedingungen zu bewegen – umsonst! »Straßburg ist der Schlüssel zu unserem Hause – ihn _müssen_ wir haben!« Das war der bittere Bescheid, welchen der französische Abgeordnete mit sich nahm, der von dem Kanzler mit den Worten schied: »Ich bin sehr unglücklich, aber ich hoffe noch immer!« Drohender zogen sich die Wetterwolken um Paris zusammen. Mit eisernen Armen umklammerten die deutschen Heere den Leib der koketten Seinestadt, die sich vergebens gegen die Erdrückung wehrte; am 19. September war die Einschließung vollendet. Etwa 8 Tage später kam von Straßburg her die Kunde, daß die Festung sich ergeben und die alte, gut deutsche Stadt von der Mutter Germania wieder heimgeholt worden sei. Zu Anfang Oktober war das deutsche Hauptquartier in Versailles. Auf der Präfektur wohnte der greise preußische Herrscher, in einem kleinen Hause aber, in der Rue de Provence, von dessen Balkon die schwarz-weiß-rote Fahne lustig in die Straße hineinwehte, hatte Bismarck sein Quartier aufgeschlagen, und die Staatsmaschine arbeitete von hier aus unaufhörlich und wahrlich auch erfolgreich, denn vergebens hatte Frankreich den ruhig besonnenen, redegewandten Staatsmann Thiers dahin und dorthin an andere Regierungen gesandt, um eine Einmischung zu seinen Gunsten herbeizuführen, es hatte niemand Lust, sich um der jungen Republik wegen in Unkosten und Aufregung zu stürzen, und die Dinge gingen ihren Gang weiter. Da kam auch die Kunde, daß Metz (am 29. Oktober) gefallen und die Armee Bazaines kriegsgefangen sei. Ein neuer Jubel durchbrauste die deutschen Heere, die Kampfesbegeisterung wuchs im Lager vor Paris, und wenn Bismarck durch die Straßen von Versailles ritt, die Kraftgestalt in der kleidsamen Kürassieruniform stramm aufgerichtet im Sattel, grüßten ihn die deutschen Soldaten mit warmer Herzlichkeit, und die Franzosen sahen mit einem Gemisch von Ingrimm und Verwunderung dem stattlichen Recken nach. Und hier in Versailles, in dem schlichten Hause der Madame Jessé, liefen die Fäden zusammen, welche die starke Hand Bismarcks zu einem gewaltigen Ganzen verflocht, zum Bande, das das einige deutsche Reich umschlang. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit hatte eine Bluttaufe erhalten, welche allen Zwiespalt verwischte, und aus allen Gauen des deutschen Südens kamen Wünsche, sich dem norddeutschen Bunde anzuschließen. Nach Versailles kamen die Sendboten von Baden und Hessen, Württemberg und Bayern, und die wichtigen Verhandlungen waren im vollen Gange, während die Kanonen gegen die Außenforts der französischen Hauptstadt ihre furchtbaren Grüße sandten. Als der badische Minister Jolly Bismarck besuchte, brachte er ein sinniges Geschenk mit, eine goldene Feder. »Der Pforzheimer Fabrikant Bissinger hat mich gebeten, Eurer Exzellenz diese Gabe zu überbringen und in seinem Namen zu bitten, daß Sie den dritten Pariser Frieden damit unterzeichnen möchten.« Sinnend und mit überwallender Rührung betrachtete Bismarck das Geschenk, das ihm aus Deutschlands Süden zuging, wo er vor nicht zu langer Zeit noch der bestgehaßte Mann war. Dann sprach er: »Was soll ich dem gütigen Spender sagen? Wie soll ich ihm danken? In einer Zeit, da das Schwert der deutschen Nation so ruhmreiche Taten vollbracht hat, tut man der Feder beinahe zu viel Ehre an, wenn man sie so kostbar ausstattet. Ich kann nur hoffen, daß der Gebrauch, zu welchem diese Feder im Dienste des Vaterlandes bestimmt ist, demselben zu dauerndem Gedeihen in glücklichem Frieden gereichen möge, und ich darf unter Gottes Beistand versprechen, daß sie in meiner Hand nichts unterzeichnen soll, was deutscher Gesinnung oder deutschen Schwertes unwert wäre.« Der Winter war allgemach gekommen und trieb seine Flocken durch das französische Land, und in Bismarcks Wohnung knisterte das Feuer im Kamin. Es war am 23. November. Der Abend war schon lange hereingebrochen, die Teestunde, in welcher der Kanzler mit einigen seiner Beamten, so behaglich es angehen mochte, sonst zusammenzusitzen pflegte, war gekommen, und in dem kleinen Salon harrten bereits einige Herren. Nahe beim Kamin saß Graf Bismarck-Bohlen, unfern davon Graf Hatzfeld. »Will denn die Angelegenheit noch nicht vorwärtsrücken?« sprach der eine. »Nun haben wir glücklich Baden und Hessen dem Norddeutschen Bunde eingegliedert – aber Bayern und Württemberg machen doch, wie es scheint, besondere Schwierigkeiten.« »Im Prinzip gewiß nicht,« erwiderte der andere, »aber es ist begreiflich, daß sie gewisse Rechte sich reservieren wollen.« »Ja, die Verwaltung von Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen –« »Und wie ich gehört habe, will Bayern auch die Leitung seines Heeres wenigstens zu Friedenszeiten nicht an Preußen abgeben. Hoffentlich scheitert nicht auch diesmal das große Einigungswerk an kleinen Bedenken.« »Lassen Sie nur unseren geistvollen großen Chef machen, verehrter Freund; er hat Klugheit und Energie zugleich, und versteht zu rechter Zeit zu geben und zu nehmen.« Der Schriftsteller Moritz _Busch_, der als Zeitungsberichterstatter sich im Hauptquartier befand, trat herein zu den beiden Herren. »Seine Exzellenz konferieren wohl noch immer?« fragte er. Graf Hatzfeld deutete nach der Türe, welche zum Salon führte. »Dort ist er mit dem bayrischen Kleeblatt, Graf Bray, Lutz und Prankh, und die Herren scheinen zäh zu sein.« Noch eine Viertelstunde verstrich, da öffnete sich die Flügeltüre, der Kopf Bismarcks erschien mit hellen Augen, und das Antlitz in angenehmer Erregung. Als er die drei bemerkte, trat er in das Zimmer, einen Becher in der Hand. Seine Stimme klang bewegt, als er sprach: »Nun, meine Herren, der bayrische Vertrag ist jetzt fertig und unterzeichnet, die deutsche Einheit ist gemacht und der deutsche Kaiser auch.« Die Herren hatten sich erhoben, sie sahen mit leuchtenden Blicken den Sprecher an – einige Sekunden tiefer, ergreifender Stille verstrichen, dann erbat sich Dr. Busch die Erlaubnis, die Federn holen zu dürfen, mit welchen das bedeutsame Aktenstück unterschrieben worden war. Bismarck aber befahl dem Diener, eine Flasche Champagner herbeizubringen. Die Gläser mit dem Schaumwein klirrten zusammen, und der Kanzler sprach tief atmend: »Es ist ein Ereignis.« Dann schwieg er sinnend einige Augenblicke, und nun fuhr er fort: »Die Zeitungen werden nicht zufrieden sein, und wer einmal in der gewöhnlichen Art Geschichte schreibt, kann unser Abkommen tadeln. Er kann sagen, der dumme Kerl hätte mehr fordern sollen; er hätte es erlangt; sie hätten gemußt; er kann recht haben mit dem Müssen. Mir aber lag mehr daran, daß die Leute mit der Sache innerlich zufrieden waren. – Was sind Verträge, wenn man muß! – und ich weiß, daß sie vergnügt fortgegangen sind. Der Vertrag hat seine Mängel, aber er ist so fester. Ich rechne ihn zu dem Wichtigsten, was wir in diesen Jahren erreicht haben. – Was den Kaiser betrifft, so habe ich ihnen denselben bei den Verhandlungen damit annehmbar gemacht, daß ich ihnen vorstellte, es müsse für ihren König doch bequemer und leichter sein, gewisse Rechte dem deutschen Kaiser einzuräumen, als dem benachbarten König von Preußen.« Die Erneuerung der deutschen Kaiserkrone! Das war der Wunsch der Besten seit Jahrzehnten, das war die immer wieder erwachende Sehnsucht des deutschen Volkes, und nun sollte sie im fremden Lande sich erfüllen. Und die Erfüllung ward nicht künstlich herbeigeführt, sie wuchs aus den gewaltigen geschichtlichen Ereignissen selbst heraus. Die deutschen Fürsten und das deutsche Volk waren eins in diesem schönen Ziele. Am 18. Dezember trafen in Versailles dreißig Mitglieder des Norddeutschen Reichstages ein, geführt von ihrem Präsidenten Simson. Die vornehme französische Präfektur sah sie durch ihre Prunkhallen schreiten, und die Bilder der alten französischen Herrscher schauten wohl mit Verwunderung herab auf die deutschen Männer, die hier im Namen eines ganzen Volkes kamen, um dem greisen König Wilhelm jenes Schreiben zu überreichen, das ihn bat, die deutsche Kaiserkrone anzunehmen. Draußen lag der Winter auf den Feldern von Frankreich, aber Sonnenschein war’s in allen deutschen Herzen, jener Lenzessonnenschein, der die Auferstehung schlafender Herrlichkeit verkündet. Um den König standen die Edelsten des deutschen Volkes, seine Fürsten und Helden, und hervorragend unter diesen die Kraftgestalt des Kanzlers, der mit freudigem Bewußtsein daran denken durfte, daß er diese Stunde hatte vorbereiten helfen. Mit bewegter Stimme sprach Dr. Simson: »Eure Majestät empfangen die Abgeordneten des Reichstags in einer Stadt, in welcher mehrmals ein verderblicher Heereszug gegen unser Vaterland ersonnen und ins Werk gesetzt worden ist. Und heute darf die Nation von eben dieser Stelle her sich der Zuversicht getrösten, daß Kaiser und Reich im Geiste einer neuen lebensvollen Gegenwart wieder aufgerichtet und ihr, wenn Gott ferner hilft und Segen gibt, in beiden die Gewißheit und Macht von Recht und Gesetz, von Freiheit und Frieden zuteil werden.« Das war des deutschen Volkes Weihnachtsgabe. Die Zeit des schlafenden Kaisers im Kyffhäuser sollte vorüber sein, der Kaiser Rotbart sollte verschwinden vor der Herrlichkeit des Kaiser Weißbart. Der Gedanke mußte all die tausend Männerherzen entschädigen, die in Eis und Schnee fern von der Heimat und ihren Lieben das schönste Fest, das Christfest, verleben mußten. Im Hause in der Rue de Provence in Versailles dachte Bismarck mit verhaltener Wehmut an jenem 24. Dezember der Seinen. Im Kamin flackerte das Feuer, und um den Tisch saß ein kleiner Kreis von Männern, der hier gleichsam seine Familie repräsentierte, seine treuen Mitarbeiter. Ein Christbäumchen fehlte nicht, aber es war ein winzig Dingelchen, doch gehörte es in das deutsche Heim, um wenigstens einigermaßen Stimmung zu machen. Und unter dem Bäumchen lag eine liebe Gabe, die mit anderen von daheim gekommen war, ein Geschenk von Frau Johanna. Sie wußte, daß ihr Gemahl eine besondere Vorliebe für schöne Becher habe, und so hatte sie ihm in zierlichem Kästchen zwei derselben zugesandt, den einen in Tula-Manier, den anderen in geschmackvollem Renaissancestil. Aber auch sein König hatte ihn nicht vergessen. Er sandte ihm am Christabend das Eiserne Kreuz erster Klasse, um die Verdienste des Mannes zu ehren, der mit sicherer Hand auch aus der Mitte des feindlichen Landes die Fäden der Politik zum Segen Deutschlands und zur Ehre seiner Heimat verknüpfte. Der herrlichste deutsche Festtag aber, welchen das französische Königsschloß in jenen Tagen schaute, war der 18. Januar 1871. Vor 170 Jahre hatte der Brandenburger Kurfürst sich an diesem Tage die preußische Königskrone aufs Haupt gesetzt, und nun ward ein König von Preußen deutscher Kaiser. Im Palaste jenes Ludwig XIV., der einst so tiefe Schmach und Schädigung über deutsches Land und Volk gebracht, feierte unseres Reiches Herrlichkeit seine Auferstehung – ein Walten der Weltgeschichte, wie es nicht ergreifender gedacht werden kann. Vom Herrenschlosse zu Versailles wehte die Fahne der Hohenzollern hinaus in die Winterluft. Um die Mittagsstunde standen zu beiden Seiten der Straße von der Präfektur her in Reih und Glied die Scharen der deutschen Soldaten, mit flammender Begeisterung im Auge, die Brust geschwellt von einem maßlosen Hochgefühl. Andere hatten sich um das mitten auf dem Schloßplatz sich erhebende gewaltige Reiterstandbild Ludwigs XIV. gruppiert und unter den Statuen französischer Kriegshelden. Die mächtigen Pforten des glänzenden Palastes, welche in goldenen Lettern die prunkende Aufschrift tragen: »~A toutes les gloires de la France~« waren weit geöffnet, um die erlauchten deutschen Gäste aufzunehmen, welche im glänzenden Zuge herankamen. Nun nahte die ehrwürdige Gestalt des Königs. Ein Brausen und Jauchzen erhob sich, das die Lüfte erschütterte, und das selbst die neugierigen Gaffer mächtig ergriff und eine Ahnung treudeutschen Empfindens in ihre Seelen trug, und zwischen den jubelnden Soldaten schritt der königliche Greis hin, hochaufgerichtet und herrlich. Am Portale begrüßte ihn der Kronprinz, in den Vorgemächern empfingen ihn Fürsten, Minister und Generale, und so geleiteten sie ihn in die festlich geschmückte herrliche Spiegelgalerie des Schlosses. An der Decke des Saales war ein Bild, das wunderlich in diese Situation paßte, eine Verherrlichung Ludwigs XIV., vor dessen Thron sich die Mächte Europas demütig beugen. Am Mittelpfeiler der Gartenseite war ein Altar errichtet, zu dessen beiden Seiten die Vertreter des deutschen Heeres, Mannschaften aller Truppenteile, standen, und von einer Estrade her winkten die Fahnen der deutschen Armeen herab, welche von Unteroffizieren gehalten wurden, deren Brust das eiserne Kreuz schmückte. Eine ergreifende Stille trat ein, als der König, von den Fürsten und seinen Recken umgeben, dem Altare zuschritt und demselben gegenüber Platz nahm. Mit frommem Aufblick zu Gott ward die feierliche Stunde eingeleitet. Wie daheim im Gotteshause erklang die Liturgie. »Jauchzet dem Herrn alle Welt!« jubelte der Sängerchor, und dann trat Hofprediger Rogge vor, um die Festpredigt zu halten. In die glänzende und weihevolle Versammlung rief er das Wort des Psalmisten: »Herr, der König freuet sich deiner Kraft, du setzest eine goldene Krone auf sein Haupt,« und nun wandte er den Blick empor zu dem übermütigen Deckengemälde und pries den Herrn, der den feindlichen Hochmut zuschanden gemacht hatte. Machtvoll und erhebend klang der fromme Choral: »Nun danket alle Gott!« von hundert Männerlippen, und jetzt schritt der greise König, von dem Kronprinzen und Bismarck gefolgt, auf die Erhöhung, von der die Fahnen niederwallten, und verlas das Wort vom wiedererstandenen deutschen Reiche. Dann forderte er den Kanzler auf, des neuen Kaisers ersten Erlaß, seinen kaiserlichen Gruß, den Fürsten und Vertretern des Volkes zu verkündigen. Stattlicher erhob sich die Gestalt Bismarcks, festen Fußes trat er einige Schritte vor, ernst und mit verhaltener Bewegung flog sein Auge durch den Saal, auf welchem tiefes, feierliches Schweigen ruhte, und dann klangen die Worte so ruhig und klar bis in die fernste Ecke des Raumes: »Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen – nachdem die deutschen Fürsten und freien Städte den einmütigen Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des deutschen Reiches die seit mehr denn sechzig Jahren ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in der Verfassung des deutschen Bundes die entsprechenden Bestimmungen vorgesehen sind – bekunden hiermit, daß Wir als eine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben, diesem Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und freien Städte Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen. Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der Krone Preußens fortan den kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen, und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen. Wir übernehmen die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem deutschen Volke vergönnt sein wird, den Lohn seiner heißen und opfermutigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, welche dem Vaterlande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe Frankreichs gewähren. Uns aber und unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allezeit Mehrer des deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.« Langsam trat Bismarck an die Seite seines Kaisers zurück, aus dem Kreise der deutschen Fürsten aber schritt der Großherzog von Baden bis an die Erhöhung heran, hoch in der Rechten schwang er den blitzenden Helm, und in wahrer und warmer Begeisterung rief er: »Seine Majestät der Kaiser Wilhelm lebe hoch!« Schmetternd in Jubeltönen fiel die Musik ein, aus der ganzen Versammlung brauste es mit erhebender Gewalt empor, das stolze Wort, und während die Volkshymne machtvoll einsetzte, pflanzte sich die Begeisterung fort, hinaus durch die Hallen und Höfe, die Straßen und Plätze. Das war die Weihestunde des neuen Reiches. Aber der Kampf auf Frankreichs Feldern und um seine Hauptstadt dauerte noch immer fort, bis in der letzteren die Not auf das äußerste gestiegen war: Übermütiger Trotz konnte hier nicht weiter nützen. Am Abend des 23. Januar fuhr durch die Straßen von Versailles ein Wagen, der wohl vordem dem kaiserlichen Hofe gehört haben mochte, aber das Wappen daran war beseitigt worden. Drei Männer saßen darin, der hagere, bleiche Advokat Jules Favre, dessen kleiner, beweglicher Schwiegersohn, der Maler Martinez de Rio und Graf d’Hérisson. In der Rue de Provence, vor dem Hause der Frau Jessé, hielt das Gefährt, die Insassen stiegen aus und gingen langsam die Treppen nach dem ersten Stockwerk hinan. Sie wurden von den Ministerialbeamten empfangen und erhielten an Bewirtung, was eben aufzutreiben war, dann bat Bismarck Favre und den Grafen d’Hérisson, bei ihm in den kleinen Salon einzutreten. An einem runden Tisch saßen die drei, und Bismarck bot seinen Gästen Zigarren an, welche vor ihm standen. Beide lehnten dieselben ab, und lächelnd bemerkte der Kanzler: »Sie tun unrecht daran; wenn man eine Unterredung beginnt, die zu heftigen Auseinandersetzungen führen kann, ist es doch besser, beim Zwiegespräch zu rauchen. Die Zigarre paralisiert, indem man sie hin und her dreht und nicht fallen lassen will, einigermaßen die körperliche Erregung und stimmt uns milder, man fühlt sich behaglich und macht sich eher Konzessionen.« Der bleiche, hagere französische Abgeordnete saß etwas zusammengebeugt in seinem Stuhle, der Kanzler in seiner Kürassieruniform aufrecht und stattlich. Er führte die Verhandlungen in einem ausgezeichneten Französisch, welches Graf d’Hérisson geradezu mit Verwunderung anhörte. Jules Favre glaubte an die Unterredung von Schloß Ferrières wieder anknüpfen zu können, aber Bismarck bemerkte höflich: »Sie vergessen, daß unsere Lage heute bereits eine andere ist wie damals. Wenn Sie an Ihrem Grundsatze festhalten: ›Keinen Zollbreit unseres Gebietes, keinen Stein unserer Festungen,‹ so ist es überflüssig, weiter darüber zu sprechen. Meine Zeit ist kostbar, die Ihrige auch, und ich sehe nicht ein, weshalb wir sie vergeuden sollten.« Es handelte sich um die Bedingungen des Waffenstillstandes, und der redegewandte Franzose bot alles auf, dieselben den Verhältnissen gemäß günstig zu gestalten. Aber er fand einen überlegenen, eisernen Gegner. Übergabe der Außenforts von Paris, Kriegsgefangenschaft der Verteidigungstruppen, Entwaffnung der Nationalgarde und Einmarsch deutscher Truppen in Frankreichs Hauptstadt – das waren die wesentlichsten Forderungen des Kanzlers. Jules Favres bleiches Gesicht rötete sich vor innerer Erregung, er strich sich die wirren weißen Haare aus der Stirn und begann aufs neue mit dem Versuche, eins und das andere abzudingen. Daß deutsche Soldaten durch die Straßen von Paris marschieren sollten, war dem Franzosen ein besonders unerträglicher Gedanke, und er bestürmte Bismarck, indem er an dessen Großmut appellierte und auf die tiefe Verletzung der französischen Nationalehre hinwies, darauf zu verzichten. Auch die Entwaffnung der Nationalgarde erschien dem Vertreter Frankreichs als tief demütigend und kränkend, und er bat dringend, von dieser Forderung abzustehen. Der Kanzler sah ihn ernst an und erwiderte nach einer kleinen Pause: »Ich will Ihnen in dem letzten Punkte entgegenkommen, aber glauben Sie mir, Sie begehen eine Dummheit. Sie werden selbst noch mit den Gewehren zu rechnen haben, die Sie den exaltierten Menschen lassen wollen.« »Und Paris soll nicht verschont bleiben vor dem Schmerz einer Invasion Ihrer Truppen?« »Ich würde Ihnen auch hier ein Zugeständnis zu machen bereit sein,« sprach der Kanzler, »aber der König und die Generale bestehen darauf. Das ist die Belohnung für unsere Armee. Wenn ich nach der Rückkehr in die Heimat einem armen Teufel mit einem Stelzfuß begegnen werde, dann wird er sagen: Das Bein, das ich vor den Mauern von Paris gelassen habe, gab mir das Recht, meine Eroberung zu vervollständigen; dieser Diplomat, der im Besitze seiner gesunden Gliedmaßen ist, hat mich daran verhindert. – Wir können uns dem nicht aussetzen, in diesem Punkte das öffentliche Gefühl zu verletzen. Wir werden in Paris einziehen, aber nicht über die Elyséischen Felder hinausgehen, und dort die Ereignisse abwarten. Wir werden auch den 60 Bataillonen der Nationalgarde, welche zuerst gebildet wurden und Sinn für Ordnung haben, die Waffen belassen.« »Und wir dürfen wohl annehmen, daß in den abzuschließenden Waffenstillstand auch die von Garibaldi zu unserer Unterstützung herbeigeführte Armee eingeschlossen werde?« In das Antlitz Bismarcks stieg eine wärmere Röte, sein ernstes Auge blitzte auf. »Diese Truppen sind für uns keine völkerrechtlich anerkannte Heeresmacht; das sind Banden, die unter die Kategorie Ihrer Freischärler fallen, mit ihnen werden wir nicht paktieren. Haben wir uns auch veranlaßt gesehen, uns mit ihnen zu schlagen, so mag man uns doch nicht zumuten, durch ein solches Zugeständnis ihnen eine Berechtigung zuzuerkennen, sich in den Streit zweier großen Nationen zu mischen.« Der gewaltige Recke war in heftige und zornige Erregung gekommen, und der Graf d’Hérisson, der ein schweigender Zeuge dieser ganzen Szene war, gedachte jetzt der Äußerung, welche Bismarck vorher getan. Mit einem raschen, kühnen Entschlusse faßte er den auf dem Tisch stehenden kleinen Teller mit Zigarren und bot mit einer ehrerbietigen Verbeugung dieselben dem Kanzler dar. Einen Augenblick sah ihn Bismarck einigermaßen erstaunt an, dann flog ein Schimmer von Verständnis über sein Gesicht, wie ein leichtes Lächeln spielte es um seinen Mund, und er sagte: »Sie haben recht, Kapitän, es führt zu nichts, sich zu ereifern … im Gegenteil!« Und als Jules Favre mit erneuter Wärme sich für den Waffenstillstand mit Garibaldi verwendete, wurde ihm derselbe auch tatsächlich noch zugestanden. Die Verhandlungen dauerten auch in den nächsten Tagen noch fort. Am Abend des 26. Januar aber fuhr der kaiserlich französische Wagen mit dem abgekratzten Wappen wieder vor dem Hause in der Rue de Provence vor, und in verbindlicher Weise geleitete Bismarck seine Gäste zu demselben. Die stattliche, stolze Gestalt in der Kürassieruniform sah achtungsgebietend aus neben der etwas zusammengebeugten hageren und schlotterigen Erscheinung des Pariser Advokaten, dem der Kanzler freundlich die Hand reichte. Ein Mitgefühl erfaßte ihn für den Mann, der doch auch im Dienste seines Volkes und seiner Heimat unter den mißlichsten Verhältnissen wirkte, und er sprach: »Ich glaube nicht, daß, nachdem wir so weit gekommen, ein Abbruch der Verhandlungen möglich wäre. Wenn Sie derselben Ansicht sind, wollen wir heute abend das Feuer einstellen.« In den Augen des Franzosen leuchtete ein Strahl dankbarer Freude auf, als er erwiderte: »Da ich das Unglück habe, das besiegte Paris zu vertreten, wollte ich nicht um eine Gunst bitten, so sehr mir dies am Herzen lag. Ich nehme gern Ihr Anerbieten an; es ist der erste Trost, den ich in unserem Unglück empfinde. Es war mir ein unerträglicher Gedanke, daß unnützes Blut vergossen wird, während wir über die Bedingungen eines Waffenstillstandes verhandeln.« »Nun wohl, so lassen wir beiderseits Befehl ergehen, daß das Feuer um Mitternacht schweigt.« Die Nacht brach ein, da und dort war der Himmel gerötet von Feuersglut, die Kanonen donnerten zornig gegeneinander, um die zwölfte Stunde aber ward es mit einmal still. Ein letzter dröhnender Schuß von der Seinestadt herüber, und kein deutscher Schuß gab die Antwort mehr darauf … Tiefe, beinahe ergreifende Ruhe lag über dem nächtlichen Lande. Die Waffen hörten nun überhaupt auf zu sprechen, und am 21. Februar trafen die neugewählten Häupter der jungen französischen Republik im deutschen Hauptquartier ein, nachdem sich vorher die Kapitulation von Paris vollzogen hatte; es waren _Jules Favre_ und der greise, redegewandte und diplomatisch erfahrene _Adolf Thiers_. So saßen sie abermals um den runden Tisch, der kleine Franzose mit dem glatten, geistvollen Gesicht und den klugen Augen, die hinter glänzenden Brillengläsern hervorschauten, der hagere, blasse Jules Favre und Bismarck in seiner einfachen Uniform mit dem Eisernen Kreuze auf der breiten Brust. Daß den Franzosen die Bedingungen, unter welchen ihrem Lande der Friede gewährt werden sollte, hart erschienen, ist begreiflich, aber der Kanzler wußte, was er notwendig begehren mußte: Die Herausgabe von Elsaß-Lothringen mit den Festungen Belfort und Metz und eine Kriegsentschädigung von 6 Milliarden Francs. Wenn Thiers jemals den Ruf eines überaus beredten Mannes gerechtfertigt hat, so war es in jenen Stunden, da er alles aufbot, um wenigstens einigermaßen glimpflichere Bedingungen zu erhalten. Wenn auch Elsaß-Lothringen preisgegeben werden mußte, so suchte er doch Metz und Belfort für Frankreich zu retten und die Kontribution zu verringern. Im letzteren Punkte gab Bismarck nach und ging von sechs Milliarden Francs auf fünf herab, im übrigen aber blieb er fest. Bündig, klar und höflich setzte er dies in seinem gewandten Französisch den beiden Gegnern auseinander, und angesichts dieser unerschütterlichen Festigkeit geriet Thiers in heftigere Erregung, so daß er sich zu der Äußerung hinreißen ließ: »~Ah, c’est une spoliation véritable, c’est une indignité~« (Ach, das ist ja ein wahrhafter Raub, eine Schlechtigkeit!). Bismarck hielt den Vertretern des gedemütigten, schwer getroffenen Frankreich viel zugute, aber das ging über das Maß dessen hinaus, was er als Vertreter Deutschlands sich bieten lassen durfte. Er erhob sich von seinem Sitze, richtete sich hoch auf, sah den kleinen, erregten Franzosen durchdringend an und sagte dann kühl und gemessen in deutscher Sprache: »Ich bedaure, aus der mir unverständlichen Äußerung, welche Sie soeben getan, entnehmen zu müssen, daß ich des Französischen nicht so mächtig bin, als es wünschenswert wäre, um unsere Verhandlungen in französischer Sprache fortsetzen zu können. Wir werden uns deshalb der deutschen Sprache bedienen müssen, um so mehr, da ich keinen Grund erkennen kann, weshalb wir dies nicht von Anfang an getan haben. Ich werde mir gestatten, die von uns gestellten Bedingungen des Friedens noch einmal zusammenzufassen.« Während er das letztere tat, saß Thiers zusammengesunken in seinem Stuhle, Favre aber war aufgesprungen, mit erregten Händen durch das graue Haar gefahren, dann eilte er nach einer Ecke des Gemaches und drückte sein Haupt an die Wand. Endlich faßte sich Thiers. Ein Zug des Unmuts ging über sein Gesicht, dann erhob er sich, trat an einen anderen Tisch, ergriff hastig die Feder und schrieb einiges nieder auf ein Blatt Papier, welches er nun Bismarck reichte. »Ist es das, was Sie wünschen?« fragte er mit vor Erregung heiserer Stimme. Bismarck warf einen Blick auf das Geschriebene, ein verbindliches Lächeln huschte über seine ernsten Züge, und indem er sich langsam in seinen Sessel niederließ, sprach er: »Auf dieser Grundlage können wir die Verhandlungen auch in französischer Sprache wieder aufnehmen.« Aufs neue begann Thiers wegen Belfort zu unterhandeln mit dem Aufgebot seines ganzen Patriotismus, mit seiner wärmsten Beredtsamkeit, aber der Kanzler blieb auch jetzt voll höflicher Festigkeit, und tiefatmend sagte der Franzose: »Nun denn – Sie wollen, daß wir durch das Joch gehen, und unsere ganze Unterhandlung ist leerer Schein. Belfort ist eine rein französische Stadt; wollen Sie uns dieselbe nehmen, so heißt das einen Vernichtungskrieg gegen Frankreich führen. Nun gut, führen Sie ihn – wir aber werden Sie bis zum letzten Atemzug bekämpfen, wir werden vielleicht erliegen, aber nicht entehrt sein!« Das leidenschaftliche Pathos des Franzosen hatte etwas Erschütterndes, und selbst Bismarck empfand dies. Er versicherte sich der Genehmigung seines Kaisers und Königs, dann ließ er den Abgeordneten Frankreichs die Wahl, ob sie Belfort behalten oder sich den Einmarsch deutscher Truppen in ihre Hauptstadt, gegen welchen sie gleichfalls remonstrierten, gefallen lassen wollten. Sie zogen das letztere vor. Ein Sonntag war es, der 28. Februar, als der Friedensvertrag in Versailles unterzeichnet wurde in Gegenwart der Vertreter Bayerns, Württembergs und Badens. Die goldene Feder des Pforzheimer Fabrikanten fand die ihr zugedachte Verwendung. Tiefes, ehrfurchtsvolles Schweigen, wie es dem Unglück gegenüber geboten war, herrschte in dem Raume, als Adolf Thiers sich niederbeugte auf das bedeutsame Dokument. In den Augen des greisen französischen Staatsmannes schimmerte es feucht, als er wieder aufsah, Bismarck aber war an ihn herangetreten, und indem er ihm herzlich die Hand reichte, sprach er: »Sie sind der letzte, welchem Frankreich diesen Schmerz hätte auferlegen sollen, denn Sie unter allen Franzosen haben ihn am wenigsten verdient.« Der 1. März war angebrochen, und um die Mittagszeit dieses Tages hatte Paris ein Schauspiel, das seine Bewohner mächtig erregte und ergrimmte. Durch den ~Arc de Triomphe~, den Siegesbogen, zogen die deutschen Truppen in Frankreichs Hauptstadt ein. Ein herrliches, erhebendes Bewußtsein erfüllte die Brust der Braven, die hier endlich die Genugtuung hatten, daß die Schmach gebüßt sei, die Frankreich zu Anfang des Jahrhunderts ihren Vorfahren angetan. Stramm und kraftvoll marschierten die Kolonnen, donnerndes Hurrarufen durchbrauste die Luft, die Waffen glänzten, die Helme blinkten, und stumm, mit mühsam verhaltenem Groll stand das Volk von Frankreich in den Straßen und schaute auf die Sieger. Da ritt eine mächtige Gestalt heran in der Uniform der Kürassiere, das Eiserne Kreuz auf der Brust. Unter dem Stahlhelm blitzten ernst und scharf die Augen umher, und wie aus Erz gegossen saß der Recke im Sattel. Ein Murmeln und Murren ging durch die Neugierigen: »Da ist Bismarck!« Die rückwärts Stehenden reckten sich höher, die Augen wurden finsterer und drohend, der Kanzler aber sah hinein in die wogende Menge, ruhig und kühl, wandte dann sein Roß herum und beugte sich herab zu einem Manne, der ihn mit feindlicher Gehässigkeit anstarrte. »Monsieur, darf ich Sie um etwas Feuer für meine Zigarre bitten?« sprach er mit Liebenswürdigkeit, und der Angesprochene war so verblüfft, daß er mit französischer Gefälligkeit dem Wunsche des Reiters entsprach. – – Nur wenige Tage noch weilte der Kanzler auf dem Boden von Frankreich; am 6. März reiste er mit seinem König nach der Heimat zurück, das Herz erfüllt von Sehnsucht nach den Seinen. Und als in den Morgenstunden des 9. März der Zug in Berlin einfuhr, stand er schon am Fenster des Kupees, und schaute hinaus nach den teuren Gesichtern. Und da standen sie, die er suchte: die geliebte Frau, die herzige Tochter, und zwischen beiden Graf Herbert in der Uniform mit dem Eisernen Kreuz. Nach wenigen Sekunden war er bei ihnen. »Da habt ihr euren Ollen wieder!« Das war das humorvolle Wort, in dem er die gewaltige freudige Bewegung seiner Seele verhüllte, als er seine Lieben umarmte. Am nächsten Tage war er bereits wieder in Frankfurt a. M. Hier fand die große Tragödie des gewaltigen Krieges ihren endgültigen Abschluß durch Unterzeichnung des Friedensvertrages. Die alte, stolze Stadt hatte sich festlich geschmückt, und durch ihre Straßen wogte eine freudig bewegte Menge. Vor dem Hotel »Zum Schwanen« staute sich die Masse; hier verkehrten die Staatsmänner, welche bei diesem Nachspiel agierten, und man wollte sie sehen, vor allen den einen, den Kanzler des neuen Deutschen Reichs. Interesse hatte man indes für alle. Jetzt kam die hagere Gestalt Jules Favres und schritt langsam durch die Menge, und nicht lange nach ihm erschien der Erwartete. Die Kraftgestalt Bismarcks trat aus dem Tore; das mächtige Haupt auf den breiten Schultern ragte über die herandringende Menge, und begeisterte Zurufe schollen ihm entgegen. Langsam schritt er durch die Straße, und der Jubel klang ihm nach, wohin er ging, bis er plötzlich in eine Gasse abbog und in einem kleinen, freundlichen Hause verschwand. »Wer wohnt hier? Zu wem geht er?« fragte es in der Menge. »Hier wohnt der Maler Becker! – Ah, das ist hübsch, daß er hierher geht!« Ja, er war gekommen, in Erinnerung an die alten, freundlichen Beziehungen die ihm lieben Leute, seine »Sonnenscheinfamilie« zu begrüßen. Diesmal brachte er selbst den Sonnenschein mit in das anmutige Künstlerheim, und mancher Anklang längst verklungener Stunden tauchte wieder auf. Wie war doch alles anders geworden, seit er als Bundestagsgesandter hier in Frankfurt gelebt und sich mit seinen süddeutschen Kollegen und mit dem österreichischen Präsidenten herumgeärgert hatte. Wenige Tage später erhielt er seine Erhebung in den Fürstenstand, die Ehrengabe seines dankbaren Kaisers und Königs, der ihm außerdem einen erblichen Grundbesitz im Herzogtum Lauenburg verlieh. Und am 20. März sprach in dem neueröffneten ersten deutschen Reichstage Kaiser Wilhelm die schönen Worte: »Wir haben erreicht, was seit der Zeit unserer Väter für Deutschland erstrebt wurde: Die Einheit und deren organische Gestaltung, die Sicherung unserer Grenze, die Unabhängigkeit unserer nationalen Rechtsentwicklung. Möge die Wiederherstellung des deutschen Reiches für die deutsche Nation auch nach innen das Wahrzeichen neuer Größe sein; möge dem deutschen Reichskriege, den wir so ruhmreich geführt, ein nicht minder glorreicher Reichsfriede folgen, und möge die Aufgabe des deutschen Volkes fortan darin beschlossen sein, sich in dem Wettkampfe um die Güter des Friedens als Sieger zu bewähren. Das walte Gott!« Wenn irgendeiner in tiefster Seele dies kaiserliche Wort nachempfand, so war es der Reichskanzler, der mit dem Bewußtsein, daß er mit seiner Kraft redlich das Seine zum bisherigen Gelingen des großen Werkes getan habe, das stille Gelöbnis verband, im Dienste seines Vaterlandes und seines Kaisers unermüdlich weiterzuarbeiten. »~Patriae inserviendo consumor!~ Im Dienste des Vaterlands will ich aufgehen!« Am 16. Juni feierte Preußen und des neuen Reiches Hauptstadt die Heimkehr der Sieger. Wiederum kamen sie von dem Brandenburger Tor herangezogen, und zwischen zujubelnden Menschenmassen zogen sie einher, geschmückt mit Kränzen und grünen Reisern, und die breite Straße Unter den Linden war überflutet von wehenden Fahnen, geschmückt mit bunten Teppichen und Tüchern, mit Laubgewinden und Blüten. Wie schlugen die Herzen all der Tausende höher, als vor ihrem greisen Heldenkaiser die herrlichen drei, Bismarck, Moltke und Roon, einherritten, und nun der alte, weißhaarige Sieger kam und mit seinem milden, freundlichen, von tiefer Bewegung leuchtenden Antlitz auf sein Volk herniederschaute, das immer neu in endlose Jubelrufe ausbrach, die lawinengleich fortbrausten und immer noch anzuschwellen schienen. Hinter dem Kaiser ritten die beiden Feldmarschälle, Kronprinz Friedrich und Prinz Friedrich Karl, und mit ihnen ein glänzender Zug der deutschen Fürsten. Das war ein Festtag, wie er kaum jemals in Berlin erlebt worden war, und selbst die hereinbrechende Nacht machte der Begeisterung, dem festlichen Wogen kein Ende. In allen Straßen und Gassen leuchtete es auf mit dem Beginnen des Abends, aus allen Fenstern strahlte Lichtglanz, und auch das fernste, kleinste Haus, auch das schlichte Mansardenstübchen wollte heute nicht zurückbleiben. [Illustration: ~Eis. Kanzler V.~ Wilhelm II. und Bismarck in Friedrichsruh.] Um das Palais des Kaisers wogte die Menge am dichtesten; Vaterlandslieder und stürmische Hochrufe schollen durch diese einzige Sommernacht, und wie ein Echo klang es verhallend herüber aus der Wilhelmstraße, wo Tausende und Abertausende um das Palais des Kanzlers sich zusammenfanden zu stürmischen Huldigungen. Beim strahlenden Lichterschein aber flatterte eine mächtige Fahne aus der Wohnung Bismarcks, und was auf ihr geschrieben stand, rief immer aufs neue das herrliche Dichterwort hinein in die Herzen der begeisterten Menge: Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, In keiner Not uns trennen und Gefahr! Elftes Kapitel. Des neuen Reiches Kanzler. Im freundlichen Badeorte Kissingen war die Saison in vollem Gange, und der Sommer des Jahres 1874 hatte auch die anmutige bayrische Stadt nach gewohnter Weise lieblich und festlich herausgeputzt, und zahlreiche Gäste aus allen Weltgegenden suchten hier Genesung und Erholung. Zu Anfang des Juli war auch der deutsche Reichskanzler hier eingetroffen und bildete beinahe den mächtigsten Anziehungspunkt des schönen Kurorts, dessen zweifellos berühmtester Besucher er war. Wo er ging und fuhr, blieb man stehen, drängte man sich näher heran, freute man sich seines Grußes und war man stolz, wenn man eines Wortes von ihm gewürdigt wurde. An einer Straßenbiegung stand um die Mittagszeit des 13. Juli eine größere Anzahl von Damen und Herren. Man wußte, daß der Kanzler um diese Zeit hier vorüber nach seiner Wohnung im Hause des Dr. Diruff fahren werde. Zwei vornehm aussehende Herren gingen langsam auf und ab in lebhaftem Gespräche; der eine sagte: »Deutschland darf mit Recht stolz sein auf ihn; er ist der größte Staatsmann, welchen es vielleicht jemals besessen hat.« »Wissen Sie, daß eine solche Anerkennung gerade aus Ihrem Munde besonderen Wert hat?« sagte der andere. »Weshalb?« »Weil Sie Österreicher sind, und dazu noch ein begeisterter Österreicher, bei dem es schwer wiegt, wenn er das Jahr 1866 Bismarck vergibt und seine Größe so voll anerkennt.« »Ja, der Schlag von damals hat uns weh getan, und ich habe wie Tausende meiner Landsleute ihm gegrollt, aber zuletzt muß ruhige Überlegung und vorurteilslose Betrachtung seiner Erfolge ihm die Herzen gewinnen, zumal aller, die deutsch reden und empfinden, ob sie im neuen Reiche oder in Österreich wohnen. Wie herrlich hat er es verstanden, mit den ehemaligen Gegnern an der Donau seinen Frieden zu machen; seinen Bemühungen war im Jahre 1872 die Zusammenkunft der drei Kaiser von Deutschland, Österreich und Rußland in Berlin zu danken, und was dieselbe für den europäischen Frieden bedeutet hat, wissen wir alle.« »Gewiß, aber nicht minder bewundere ich als Engländer seine Tatkraft und Energie der Anmaßung Roms gegenüber. Das Konzil, das die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma gemacht hat, hat viel Unheil gebracht und hätte dem protestantischen Kaisertum eine schwere Schädigung zufügen können, wenn Bismarck nicht wie der getreue Eckart zum Schutze der Rechte der Krone und des deutschen Volkes eingetreten wäre. Die Maigesetze (vom 15. Mai 1873) haben der römischen Anmaßung einen Damm gesetzt. Die katholischen Priester sollen bei ihrer ganzen Ausbildung und die geistlichen Oberhirten bei deren Anstellung eingedenk bleiben, daß sie nicht außerhalb der Nation stehen, sondern zu dieser sich zu zählen haben. Aber verzeihen Sie – Sie sind selbst Katholik –« »Aber ein solcher, der das Wort: ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist,‹ verstanden zu haben meint, und dem die Äußerung Bismarcks in der Sitzung vom 14. Mai 1872: ›Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehn wir nicht!‹ die Seele erfreut und erwärmt hat – doch sehen Sie, hier kommt er!« Die beiden Männer standen still und sahen in der Richtung nach der Saline hin, von woher ein offener Wagen heranrollte. Im Fond lehnte der Kanzler, mit dem gewohnten breitrandigen Schlapphute auf dem mächtigen Haupte, und dankte freundlich den Grüßen, welche von allen Seiten her ihm entgegengebracht wurden. Die zwei Herren zogen ebenfalls ihre Hüte ab, als der Wagen vorüberfuhr, dann sahen sie ihm nach und kehrten zu ihrem Gespräche zurück. Plötzlich vernahmen sie einen Knall, kurz und scharf, und der Engländer rief: »Das war ein Schuß!« Gleich darauf eilten beide in der Richtung hin, woher der Schall gekommen war, dem Wagen Bismarcks nach. An einer der nächsten Straßenecken bereits drängte sich eine dichte Menge Volkes, geballte Fäuste hoben sich in die Lüfte, und nun wurde auch ein bleicher, aufgeregter junger Mensch dahergeschleppt, gegen welchen sich drohend der Unmut und Zorn der Menge wendete. »Er hat auf Bismarck geschossen – der Hund!« So lief es unheimlich von Mund zu Mund – dazwischen klangen Fragen nach dem Kanzler. »Er ist an der Hand verwundet, die er zum Gruße gehoben hat.« Der Wagen, in welchem Bismarck gesessen, hatte angehalten, er selbst war ausgestiegen, und um ihn drängten sich nun alle. Freudig begeisterte Zurufe mischten sich mit lebhaften Kundgebungen der Teilnahme und des heiligen Zornes, und immer dichter scharte es sich um ihn her, als wollten alle eine Mauer bilden zum Schutze um den teuren Mann, und wenig fehlte, so wäre er im Triumphe heimgetragen worden. Entsetzt und erschreckt vernahm die Gräfin sowie Komtesse Marie, was geschehen war, und wie einst in Berlin, so war er selbst auch hier am meisten gefaßt und ruhig. Er ließ sich den Attentäter vorführen. Dieser war ein Böttchergeselle aus Magdeburg, namens Kullmann, der durch die fanatischen Worte seines Pfarrers zu seinem Verbrechen getrieben worden war und unumwunden eingestand, daß er Bismarck habe töten wollen wegen der von demselben ausgegangenen Kirchengesetze. Mit einer Mischung von Abscheu und Mitleid betrachtete der Kanzler den irregeleiteten Burschen, der auch aus deutschem Blute entsprossen war und in seiner Verblendung die Mörderfaust heben konnte gegen einen Mann, der in allem, was er tat, nur seines Volkes Ehre und seines Vaterlandes Größe im Auge hatte. Die Aufregung, welche durch das freundliche Kissingen ging, war groß, gewaltiger noch jene, welche das ganze deutsche Land durchzitterte. An dem Abend des unseligen Tages aber fanden sich Tausende von Menschen ein vor dem freundlichen Hause des Dr. Diruff, um ihrem Herzen Luft zu machen und ihre Liebe und Begeisterung für Bismarck zum Ausdruck zu bringen. Stürmische Hochrufe brausten empor; man wollte den Mann sehen, welchen die Huld des Himmels so augenscheinlich behütet hatte, und endlich trat er heraus auf den Balkon, tiefbewegt über die Kundgebungen treuer Anhänglichkeit und liebender Teilnahme. Er winkte mit der unverwundeten Hand – man verstand, daß er sprechen wolle, und tiefe, feierliche Stille lag ringsum. In diese hinein klang die ruhige sonore Stimme, weithin vernehmbar: »Ich danke Ihnen herzlich für die wohltuende Teilnahme, die Sie mir bekunden, und die mich herzlich freut. Es geziemt mir nicht, weiteres über den heutigen Vorgang zu reden. Die Sache ist dem Urteil des Richters übergeben. Das aber darf ich wohl sagen, daß der Schlag, der gegen mich gerichtet war, nicht meiner Person galt, sondern der Sache, der ich mein Leben gewidmet habe: der Einheit, Unabhängigkeit und Freiheit Deutschlands. Und wenn ich auch für die große Sache hätte sterben müssen, was wäre es weiter gewesen, als was Tausende unserer Landsleute betroffen hat, die vor drei Jahren ihr Blut und Leben auf dem Schlachtfelde ließen! Das große Werk aber, das ich mit meinen schwachen Kräften habe beginnen helfen, wird nicht durch solche Mittel zugrunde gerichtet werden, wie das ist, wovor Gott mich gnädig bewahrt hat. Es wird vollendet werden durch die Kraft des geeinigten Volkes. In dieser Hoffnung bitte ich Sie, mit mir ein Hoch zu bringen dem geeinigten deutschen Volke und seinen verbündeten Fürsten!« Begeistert und aus bewegten Herzen stimmte die Menge in den Ruf ein, der in allen Gauen Deutschlands frohen Widerhall fand. * * * * * Wer in den siebziger Jahren in die Hauptstadt des deutschen Reiches kam, konnte wohl erstaunt und erfreut sein über die Rührigkeit, die sich auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zeigte, wie über die Verschönerungen auf den Plätzen und in den Straßen, durch Gebäude und Denkmäler. Am Sedanstage 1873 war das imposante Siegesdenkmal auf dem Königsplatze eingeweiht worden, im nächsten Jahre die herrliche Nationalgalerie; das Zeughaus hatte durch einen Umbau hervorragend an Schönheit und monumentaler Bedeutung gewonnen, Museen und Galerien wuchsen aus der Erde empor, und unter den Denkmälern war es besonders jenes der unvergeßlichen Königin Luise, welches Auge und Herz gefangen nahm. Und wer nach Berlin kam, verabsäumte auch nicht, nach der Wilhelmstraße zu wandern, um das schlichte Palais zu sehen, in welchem der Mann wohnte, der »Deutschland in den Sattel gehoben hatte«, und dem es zu danken war, daß es im Völkerrate eine hervorragende, ja, die erste Rolle spielte. Das konnte zumal einem Besucher klarwerden, der in den Junitagen des Jahres 1878 nach der Wilhelmstraße kam und sah, wie in den Mittagsstunden ein Wagen nach dem anderen heranrollte, und hörte, wer die Besucher des Reichskanzlerpalais waren. Die Staatsmänner sämtlicher europäischen Großmächte fanden sich hier zusammen zu wichtigen Beratungen, und wenn wir in den vornehmen, doch einfachen Sitzungssaal einen Blick werfen, sehen wir den österreichischen Kanzler Grafen Andrassy in seiner goldstrotzenden Husarenuniform neben dem russischen Kanzler Grafen Gortschakoff, der durch seine glänzenden Brillengläser mit seinen klaren, scharfen Augen Umschau hält; ihm zur Seite steht Graf Schuwaloff, der russische Botschafter, im Gespräche mit dem hageren englischen Ministerpräsidenten Beaconsfield, und dem italienischen Gesandten Grafen Corti; der Charakterkopf des Lords Odo Russel taucht neben den mit dem Fez bedeckten Häuptern von Mohammed Ali Pascha und Karatheodori Pascha auf; mit dem ungarischen Grafen Caroly konversieren lebhaft die Gesandten Frankreichs, Waddington und Desprez … und unter all diesen bedeutenden Persönlichkeiten steht Graf Bismarck, hervorragend durch seine äußere Erscheinung sowie durch seine Stellung, welche ihm in diesem Kreise angewiesen ist. Das ist der _europäische Friedenskongreß_, welcher auf Bismarcks Anregung zusammengetreten ist, um nach Beendigung des im Jahr 1877 geführten Krieges zwischen Rußland und der Türkei weitere feindselige Verwicklungen fernzuhalten, und der deutsche Kanzler ist der Präsident des Kongresses und leitet die Verhandlungen mit seiner sicheren Ruhe und energischen Klarheit. Und Europa durfte ihm Dank dafür wissen. Er wollte dabei nicht mehr sein als »der ehrliche Makler«, und das Wort hat er redlich eingelöst. Der Kongreß war aber zu einer Zeit zusammengetreten, da das Herz des Kanzlers noch blutete unter dem Nachklang ungeheurer Freveltaten, welche das ganze deutsche Volk tief erschüttert hatten. Schon am 11. Mai nachmittags hatte ein verkommenes Individuum, der Klempnergeselle Hödel, ein Attentat verübt gegen den greisen Kaiser Wilhelm, aber Gott hatte schützend seine Hand gehalten über dem geweihten, vielgeliebten Haupte. Da geschah das Unglaubliche, Ungeheure zum zweiten Male. Als Kaiser Wilhelm am 2. Juni die Straße Unter den Linden dahinfuhr, fielen aus dem zweiten Stockwerk des Hauses Nr. 18 rasch nacheinander zwei Schüsse. Zahlreiche starke Schrotkörner drangen in Kopf, Arm und Rücken des greisen Helden, der blutüberströmt, auf seinen Leibjäger gestützt, im offenen Wagen dahinfuhr, während die zornig erregten Zuschauer des entsetzlichen Vorgangs in das Haus eindrangen, von welchem aus der Attentäter gefeuert hatte. Die Tür seines Zimmers wurde aufgesprengt, einige Offiziere, Kriminalschutzleute und andere Personen drangen ein, noch zwei Schüsse krachten ihnen entgegen, am Ofen des Gemaches aber lehnte mit blutigem Antlitz ein Mensch, der nach seiner Freveltat bereits Hand an sich selbst gelegt hatte. Rasch war er überwältigt und in Haft gebracht, und es ergab sich, daß er der Landwirt ~Dr. phil.~ Nobiling war, und ebenso wie Hödel durch die fanatische Verhetzung der Sozialdemokratie zu dem furchtbaren Verbrechen veranlaßt worden war. Wie ein Lauffeuer war die entsetzliche Kunde durch Berlin geflogen, der Telegraph hatte sie fortgetragen durch die Welt und hatte sie schnell genug auch nach dem stillen Friedrichsruh gebracht, wo der Kanzler an der Gürtelrose erkrankt war. Da schreckte er empor, er vergaß seine Krankheit und eilte an das Schmerzenslager seines teuren, greisen Herrn. Noch sah er die Wunden auf dem geliebten Angesicht, und Schmerz, heiliger Zorn und glühende Hingebung erfaßten den gewaltigen Mann. Er fühlte, wie es ihm heiß in die Augen stieg, aber er gelobte sich auch in dieser Stunde auszuhalten bei seinem Kaiser, solange ihn dieser nicht entlassen würde. Aber auch dem furchtbaren Feinde galt es zu Leibe zu gehen, der das Mark des deutschen Volkes zu vergiften sich bemühte, und der durch seine verhetzenden Grundsätze deutschgeborenen Männern die Mordwaffe gegen ihren Kaiser in die Hand gedrückt hatte – der Sozialdemokratie. Und unter dem Eindruck der fluchwürdigen Tat Nobilings stimmte der Reichstag dem von dem Kanzler ihm vorgelegten Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie zu. Wie ein zorniger Löwe war er eingetreten für dies Gesetz, das dem Schutze des friedlichen Bürgers dienen sollte, und ergreifend klangen die Worte, welche er im Reichstage sprach, durch alles deutsche Land: »Wenn die sozialistischen Agitatoren den Leuten, die zwar lesen, aber nicht das Gelesene beurteilen können, glänzende Versprechungen machen, dabei in Hohn und Spott, in Bild und Wort alles, was ihnen bisher heilig gewesen ist, als einen Zopf, als eine Lüge darstellen, alles das, was unsere Väter und uns mit dem Motto: »Mit Gott für König und Vaterland!« geführt und begeistert hat, als eine hohle Redensart, als einen Schwindel hinstellen, ihnen den Glauben an Gott, den Glauben an unser Königtum, die Anhänglichkeit an das Vaterland, den Glauben an die Familienverhältnisse, an den Besitz, an die Vererbung dessen, was sie für ihre Kinder erworben, ihnen alles das nehmen, so ist es doch nicht allzu schwer, einen Menschen von geringem Bildungsgrade dahin zu führen, daß er schließlich mit Faust spricht: »Fluch sei der Hoffnung, Fluch dem Glauben und Fluch vor allem der Geduld!« Ein so geistig verarmter und nackt ausgezogener Mensch, was bleibt dann dem übrig, als eine wilde Jagd nach sinnlichen Genüssen, die allein ihn noch mit diesem Leben versöhnen können! Wenn ich zu dem Unglauben gekommen wäre, der diesen Leuten beigebracht ist – ja, meine Herren, ich lebe in einer reichen Tätigkeit, in einer wohlhabenden Situation; aber das alles könnte mich doch nicht zu dem Wunsche veranlassen, einen Tag länger zu leben, wenn ich das, was der Dichter nennt: »an Gott und bessere Zukunft glauben«, nicht hätte. – Rauben Sie das dem Armen, dem Sie gar keine Entschädigung gewähren können, so bereiten Sie ihn eben zu dem Lebensüberdruß vor, der sich in ruchlosen Taten äußert, wie wir sie soeben erlebt haben.« In jenen Tagen tiefgehender Erregung war ihm der Frieden seines Hauses und Heims doppelt wertvoll, und die Stunden im Kreise seiner Familie, im vertrauten Verkehr mit Freunden und selbst parlamentarischen Gegnern an seinem Herde boten manche Anregung und Erholung. Wilhelmstraße 76! Es ist ein ziemlich einfaches, mäßig großes Gebäude, dies Wohnhaus des deutschen Reichskanzlers in Berlin, in dessen erstem und einzigem Stockwerk der größte deutsche Mann der Gegenwart sein Heim hatte. Es war Herbst geworden in dem unseligen Jahre 1878, und die Bäume in dem Parke hinter dem Palais haben angefangen sich zu verfärben. Unter ihnen schreitet der Kanzler hin, und wie einst als Knabe, so freut er sich auch jetzt noch der Schönheiten der Natur, wo immer sie ihm begegnen. Hier ist für ihn in dem geräuschvollen, lärmenden Berlin eine freundliche Oase. Aus den Kronen uralter, stammgewaltiger Buchen und Linden singen die Vögel, dichtes, noch immer grünes Buschwerk umsäumt die Wege, und in der herrlichen, von stattlichen Rüstern überwölbten Allee schreitet der Kanzler hin neben der geliebten Frau, der Gefährtin seiner Tage, seinem guten Kameraden. Die Frau des Hauses ist zwar heute besonders beschäftigt, denn am Abend gilt es Gäste zu empfangen zu einer der beliebten parlamentarischen Soireen, aber etwas Zeit bleibt für den Gatten, der so manches in ihr treues, verschwiegenes Herz niederlegt, ehe er mit anderen darüber verhandelt. Ein Stündchen ist zwischen den grünen Gehegen rasch genug vergangen, und Bismarck geht nach seinem Arbeitszimmer. Es ist nicht besonders groß, einfach, aber geschmackvoll in seiner ganzen Ausstattung. Über dem großen Schlafsofa hängen mehrere Porträte, darunter vor allem jene des kaiserlichen Herrn im Zivilanzuge, wie in Generalsuniform; von einer anderen Wand schaut das Bild König Ludwigs II. von Bayern her, es fehlen nicht in breiten goldenen Rahmen die lebensgroßen Porträte der beiden gewaltigen Hohenzollern, des Großen Kurfürsten und Friedrichs II., aber auch der Gegenwart wird ihr Recht. Über dem Mahagonistehpult sehen die freundlichen Augen der Fürstin Bismarck herab, und in ovalem Goldrahmen prangt an der Wand das in Öl ausgeführte Porträt der Komteß Marie. Auch das Gipsmedaillon des treuen Genossen, des Generals Moltke, fehlt nicht. In der Mitte des Raumes steht der umfangreiche Schreibtisch, davor zwei Polsterlehnstühle, in deren einem der Kanzler sich langsam niedergelassen hat. Er lehnt sich noch einmal sinnend zurück und läßt den Blick über den Tisch hinschweifen, an dem so manches bedeutsame Schriftstück die letzte Vollendung erhalten hat. Seine Hand hat einen der großen Bleistifte gefaßt und gleitet mit diesem über das rote Löschpapier, das auf der grünen Tuchunterlage ruht. Vor ihm stehen mancherlei Erinnerungen: Ein Briefbeschwerer aus einer 1866 eroberten Kanone, und ein anderer, zu dem ein französisches Geschütz das Material geliefert hat, und anderes mehr. Das Signal »der Fürst ist im Arbeitszimmer« ist durch das Haus gegangen, und es währt nicht lange, so erscheint der Geheime Legationsrat Lothar Bucher, ein Herr von etwa sechzig Jahren mit einem vornehmen Gesichte und klaren, verständigen Augen, der seit 1864 ein treuer und gediegener Mitarbeiter Bismarcks geworden ist; er hält dem Kanzler Vortrag, und nimmt seine Weisungen entgegen. Und von dem kleinen Arbeitszimmer Bismarcks aus laufen all die tausend Fäden, die mit der Regierung eines großen Reiches verknüpft sind. So kommt der Abend, und der Kanzler hat daran zu denken, daß er die Pflichten des gastfreundlich liebenswürdigen Wirtes zu üben hat. Um die neunte Stunde belebten sich die Räume der ersten Etage. Abgeordnete von allen Parteischattierungen stiegen die teppichbelegten Treppen hinan, vorüber an zahlreichen Dienern in schwarzweißer Livree, und betraten das behagliche, freundliche Empfangszimmer, wo der Hausherr nebst seiner Gemahlin sie bereits begrüßte und den meisten herzlich die Hand drückte. Flüchtig streiften die Augen der Ankommenden durch den hellen Raum, und manch einer ließ sie auf dem springenden Hasen, der auf dem Büfett stand, haften. Da es sich just etwas um den Hausherrn lichtete, und die Besucher in das Billardzimmer traten, fragte einer derselben flüchtig, was wohl dieser »Meister Lampe« für eine besondere Bedeutung habe. »Ja, sehen Sie, dieser Hase ist brünett,« sagte lächelnd der Kanzler. »Brünett?« »Ja, er hat einen dunkelbraunen Kopf und Rücken, während seine Verwandtschaft gelb ist. Er war der einzige Brünette unter fünfzehnhundert, die wir an dem Tage schossen.« Durch die offene Tür warfen die Besucher einen Blick in das Arbeitszimmer des großen Staatsmannes, ehe sie in die eigentlichen Gesellschaftsräume traten und sich in denselben verteilten. Es herrschte bald der heiterste und zwangloseste Verkehr, die weißen Glacéhandschuhe verschwanden, in den Nischen der Fenster, an den kleinen Tischen, überall bildeten sich plaudernde Gruppen, während die Diener den Tee herumreichten. Frack und Uniform verkehrten friedlich und gemütlich, sowie die Vertreter aller Fraktionen selbst. Da saß der kleine, bewegliche Exminister von Hannover, Windthorst, zusammen mit dem liberalen Forckenbeck, der Zentrumsführer Reichensperger mit dem mitunter boshaften Lasker, und Scherzworte gingen hin und her. Der Verkehr zog sich mehr nach dem länglich runden Speisesaale mit seinen gelben Marmorwänden, von dessen Decke der altertümliche Kronleuchter mit Messingreifen und Glasperlen herniederhängt, während von der Wand eine Anzahl siebenarmiger Bronzeleuchter ihr Licht hinwerfen über das belebte Bild. In diesem Raume war das Büfett aufgestellt, das gar manches Verlockende darbot, und bald sah man die Gäste da und dort beisammen stehen mit ihrem Teller in der Hand, während behaglichere sich zusammensetzten, und die herumgehenden Diener aus prächtigen silbernen Humpen das schäumende Bier einschenkten. Der liebenswürdige Gastgeber aber tauchte mit seiner breiten Gestalt bald da, bald dort auf, unter der machtvollen Stirne leuchteten die Augen so frei und freundlich, und überall fand er das rechte Wort, um die Stimmung zu beleben, und beim Zusammentreffen der Gegensätze jede feindselige Spitze abzubrechen. Zuerst hatte das Gespräch noch eine vorwiegend politische Färbung gehabt im Anschlusse an die erregten Debatten über das Sozialistengesetz. »Großen Nutzen erwarten wir von dem Gesetze nicht, Ausnahmegesetze sind immer bedenklich!« hatte ein oppositioneller Abgeordneter bemerkt, und Bismarck, welcher es vernahm, erwiderte: »Mit der bloßen Abwehr der sozialistischen Umtriebe ist es freilich nicht getan, es muß auch an die positive Heilung der sozialistischen Schäden gegangen werden. Der Staat muß sich des kleinen Mannes, der arbeitenden Klassen annehmen und ihnen helfen!« »Aber das ist ja Staatssozialismus!« rief eine Stimme. »Halt, meine Herren, so möchte ich es nicht bezeichnen, es ist vielmehr praktisches Christentum, denn meines Erachtens sollte ein Staat, der seiner großen Mehrzahl nach aus aufrichtigen Bekennern des christlichen Glaubens besteht, auch bemüht sein, den Armen, Schwachen und Alten zu helfen.« Aber schon schweift der Blick des Kanzlers wieder durch den Kreis seiner Gäste. Auf einem alten Herrn bleibt er haften, das war ein Verbindungsbruder aus der fröhlichen Göttinger Studentenzeit, und mit dem Glase in der Hand trat der Fürst an ihn heran: »Auf das alte Blau-Rot-Gold der Göttinger Hannovera, Herr Korpsbruder!« und kräftig klingen die Gläser zusammen. Gleich darauf wendete er sich einer Gruppe von Herren zu, deren heiteres Lachen ihn an ihren Tisch zog. »Der vortreffliche Rehrücken verleitet zu Jagdgeschichten, und der Herr Kollege X. verübt ein beneidenswertes Jägerlatein!« sagte einer der Herren. Bismarck ließ sich bei ihnen nieder. »Hören Sie, meine Herren, da kann ich mir’s nicht versagen, just in Ihrem Kreise – und Sie repräsentieren Frankfurt-Nassau – eine Jagdgeschichte zu berichten, die Ihren Landsmann, den »dicken Daumer« mitbetrifft. Vielleicht ist einem oder dem anderen unter Ihnen erinnerlich, daß derselbe von einer beständigen und gewaltigen Todesfurcht gepeinigt wurde und durchaus nicht an das Sterben erinnert sein wollte. Eines schönen Herbstmorgens bin ich mit ihm bei Frankfurt auf der Jagd gewesen. Als wir hoch im Gebirge Rast hielten, fand ich zu meinem Schrecken, daß ich mich nicht mit einem Frühstück versehen hatte. Der »dicke Daumer« aber zog mit Behagen eine mächtige Wurst hervor, von welcher er mir in großmütiger Weise die Hälfte anbot. Er begann zu schmausen, mit einem beneidenswerten, in meiner Situation aber sehr bedauerlichen Appetit, denn er war bereits in meine Hälfte seiner Wurst hineingeraten. Ich hätte vor Wehmut Frankfurterisch reden mögen. Da frage ich ihn denn so von ungefähr: »Ach, sagen Sie mir, Her Daumer, was is doch des Weiße da unne, was aus de Zwetschebaim herausschaut?« »Gott, Exzellenz, da möchte eim ja der Appetit vergehe – des is der Kirchhof.« »Aber, lieber Daumer, da wollen wir uns doch beizeiten ein Plätzchen suchen, da muß sich’s wunderbar friedlich ruhn.« »Nu, Exzellenz, nu leg’ i awer die Wurscht weg.« Der dicke Daumer blieb bei seinem Entschlusse, und ich hatte mein ordentliches Frühstück!« Unter dem allgemein anhaltenden Lachen war Bismarck aufgestanden und bereits zu einer anderen Gruppe getreten. Hier wurde eben erzählt, daß ein bekannter Herr mit dem Pferde gestürzt sei, und er bemerkte: »Ich glaube, daß es nicht reicht, wenn ich sage, daß mir das wohl fünfzigmal passiert ist. Vom Pferde fallen ist nichts, aber mit dem Pferde, so daß es auf einem liegt, das ist schlimm. Dabei habe ich mir in Varzin einmal drei Rippen gebrochen. Das Seltsamste aber, was ich in dieser Beziehung erlebte, war das: Ich war mit meinem Bruder auf dem Heimwege, und wir ritten, was die Pferde laufen wollten. Da hört mein Bruder, der etwas voraus war, auf einmal einen fürchterlichen Knall: Es war mein Kopf, der auf die Chaussee aufschlug. Mein Pferd war von der Laterne eines entgegenkommenden Wagens gescheut und mit mir zusammengefallen, und zwar auch auf den Kopf. Ich verlor zuerst die Besinnung, und als ich wieder zu mir kam, hatte ich sie nur halb wieder. Das heißt, ein Teil meines Denkvermögens war ganz gut und klar, die andere Hälfte war weg. Da mein Sattel zerbrochen war, nahm ich das Pferd des Reitknechts und ritt nach Hause. Als mich da die Hunde zur Begrüßung anbellten, hielt ich sie für fremde Hunde und schalt auf sie. Dann sagte ich, der Reitknecht sei mit dem Pferde gestürzt, man solle ihn doch auf einer Bahre holen, und war sehr böse, als sie das auf einen Wink meines Bruders nicht tun wollten. Ich wußte nicht, daß ich ich war, und daß ich mich zu Hause befand, oder vielmehr, ich war ich und auch zugleich der Reitknecht. Ich verlangte nun zu essen, dann ging ich zu Bette, und als ich am Morgen ausgeschlafen hatte, war alles wieder gut.« Nun wurden im Saale die Zigarren angebrannt, der Kanzler aber bat sich aus, seine Pfeife rauchen zu dürfen; behaglich stiegen die blauen Wölkchen gegen die Decke, und die Stimmung der Gäste wurde immer lebendiger. »Eine hocherfreuliche Eintracht zwischen Nord- und Süddeutschland!« rief der Fürst lachend an einem Tische, wo Abgeordnete von diesseits und jenseits des Mains sich in heiterster Weise unterhielten und eben mit den gefüllten Gläsern anstießen. »Lassen Sie mich dieselbe mitfeiern!« »Ihr Verdienst, Durchlaucht!« rief einer der Gäste. »Na, wie man’s nimmt! Der Himmel hat’s zum Segen gewendet. Aber wissen Sie, wäre der Krieg von 1866 uns mißglückt, so hätte ich als Soldat den Tod gesucht, denn ich bin überzeugt, daß mich sonst die alten Weiber in Berlin mit nassen Handtüchern totgeschlagen hätten.« »Ihr Empfinden in weltgeschichtlich bedeutenden und entscheidenden Momenten muß aber doch jederzeit ein erhebendes und gewaltiges gewesen sein, Durchlaucht,« bemerkte ein Abgeordneter, »wie war Ihnen wohl zumute, als Sie mit Kaiser Napoleon nach Sedan zusammentrafen?« »Ja, sehen Sie, meine Herren, das ist nun fast wunderlich. Als ich in dem Stübchen des Weberhauses bei Donchery mit ihm zusammensaß, war mir so wie als jungem Menschen auf dem Balle, wenn ich ein Mädchen zum Kotillon engagiert hatte, mit dem ich kein Wort zu sprechen wußte, und das niemand abholen wollte.« So verrann die Zeit in dem gastfreundlichen, liebenswürdigen Hause, und um die elfte Stunde brachen die Besucher allmählich auf. Der Fürst reichte jedem freundlich die Hand und vergaß nicht, ein herzliches »Auf Wiedersehen« beizufügen. Der letzte Gast ist gegangen; der Kanzler steht einige Augenblicke allein in dem Teezimmer und stützt die Hand auf einen kleinen Mahagonitisch, auf welchem eine Metallplatte angebracht ist mit der Inschrift: »Auf diesem Tische ist der Präliminarfriede zwischen Deutschland und Frankreich am 26. Februar 1871 zu Versailles, Rue de Provence Nr. 14, unterzeichnet worden.« Sein Blick fliegt über die Ahnenbilder an der Wand, ein leises Lächeln huscht um die Mundwinkel, als ob ein angenehmer Gedanke ihm durch die Seele ziehe, dann tritt er in das kleine anstoßende Gemach, wo bei traulichem Lampenschimmer seine Gemahlin mit einigen verwandten Damen sitzt, und bringt noch einige Zeit in anmutigem Geplauder zu. Hierauf sucht er noch einmal sein Arbeitsgemach auf, aber diesmal nur flüchtig, und tritt von hier aus durch eine Tapetentür in sein Schlafgemach, wo das von einem rotbekleideten Schirm umgebene Bett steht, und wo ein behagliches Sofa mit einigen Polsterlehnsesseln, eine kleine Mahagonikommode und ein alter Holzschrein an der Wand die einfache Einrichtung vervollständigen. Der Kanzler tritt noch einmal an das einzige Fenster, schiebt den Wollvorhang zurück und sieht hinaus. Leise verhallend klingt der Lärm der auch in der Nacht nicht rastenden Großstadt hierher, aber er stört nicht, und hoch am Himmel blinken die tausend und abertausend Sterne. Der einsame Mann aber betet im frommen Aufblick in tiefster Seele: »Vater im Himmel, schütze Reich und Kaiser!« Zwölftes Kapitel. In Ehren und Schmerzen. Am Abend des 1. März 1885 ging durch Berlin eine freudige Erregung. Es war der Vorabend des siebzigsten Geburtstages des Reichskanzlers, und die Hauptstadt rüstete sich, denselben festlich zu begehen. Zumal Unter den Linden, in der Wilhelmstraße und in allen angrenzenden Straßen bis zum Kreuzberg hinauf drängten und fluteten Hunderttausende durcheinander, um den großartigen Fackelzug zu sehen, den die Verehrung der Vertreter eines ganzen Volkes dem großen Staatsmann darbrachte. An den verschiedensten Punkten hatten sich die Teilnehmer gesammelt, und um die siebente Stunde fanden sich die einzelnen Züge im Lustgarten zusammen, und dann strömte es hinein in die breite Straße Unter den Linden, um zuerst an dem Königsschlosse vorüberzudefilieren. Um ½8 kam die Spitze des Zuges bei demselben an, und weithin schallender Jubel, begeisterter Gesang der Königshymne verkündete, daß der greise Kaiser sich seinem Volke zeigte, freudig bewegt über die Kundgebung der Verehrung, die seinem treuesten Diener dargebracht wurde. Eine Viertelstunde später bog der Zug in die Wilhelmstraße ein. Alle Fenster waren dichtbesetzt von Menschen, die Straße selbst lag in feierlicher Stille, abgesperrt von jedem Verkehr. Sechs Fanfarenbläser in reicher Heroldstracht eröffneten den Zug, dann kamen im Galawagen das Zentralkomitee, zahllose Sänger und die Vertreter der deutschen Hochschulen mit flatternden Fahnen und wehenden Bannern, auf welche der rote Schimmer der Fackeln leuchtete, welche die nebenher Schreitenden trugen. Vor dem Reichskanzlerpalais bogen die Sänger in den Schloßhof ein – am Eckfenster erschien die stattliche Gestalt des Fürsten, und während aus tausend Kehlen wie ein machtvoller Hymnus das Lied »Deutschland, Deutschland über alles« erklang, immer aufs neue übertönt von den brausenden Hochrufen, entwickelte sich der glänzende Zug immer mehr. Nun flutete heller Lichtschimmer durch die Straße. Der Zug der Künstler kam. Alles war in Pracht und Glanz getaucht, und märchenhaft schön trat aus den wogenden Menschen ein riesenhaftes Schiff hervor, auf welchem unter einem prachtvollen Baldachin die imposante Gestalt der Germania sich zeigte, den Goldhelm auf dem blonden Gelock, das blanke Schwert im Arm, wie sie freundlich niedersah auf ein Bild des Friedens. Ihr zu Füßen stehen, in anmutigen Frauengestalten verkörpert, die deutschen Stämme um den von Adlern geschirmten Thron, und um sie her bindet der Landmann seine Garben, hämmert der fleißige Schmied, regt sich Gärtner und Fischer und scharen sich fleißige Schüler um das engumschlungene liebliche Schwesternpaar Elsaß-Lothringen. Nach dem Bugspriet zu aber halten deutsche Soldaten, um ihre Fahnen gereiht, die Friedenswacht. Dann kamen, von deutschen Künstlern wirksam dargestellt, die deutschen Brüder aus den Kolonien, die Bismarck dem Reiche gewonnen. King Bell auf hohem Kamele reitet ihnen voran, und ihm folgen die Würdenträger von Kamerun, das wunderliche Volk der fremden Schlangenbändiger und Sänger, und die drastischen Gestalten der braunen Landwehrleute, die sich vor dem Kanzler platt auf die Erde niederwerfen. Vorüber! Bei zweihundert Ruderer und Segler bilden die Einleitung zu den patriotischen Vereinen der Hauptstadt, es folgen die Innungen mit den festlich geschmückten Bannern; rot glänzt der Schein ihrer tausend Fackeln, der dunkle Qualm lagert sich breit und wuchtig über dem Bilde, und immer aufs neue folgen phantastische Prunkwagen, schimmernde Embleme, wunderliche Transparente und noch immer kein Ende! Anderthalb Stunden waren vergangen. Mit den Seinen stand der Kanzler am Fenster, hochaufgerichtet, die Seele erfüllt von glücklichem Stolze, von dem freudigsten Bewußtsein der Verehrung des deutschen Volkes, das ihn in dieser Stunde entschädigte für manchen herben und bitteren Tag. Mit einmal begann es heller zu leuchten als je zuvor. Ein Schimmer wie von vollem Sonnenlichte flog durch die breite Straße und über die vielen Menschen leuchtend in weißem Glanze lagen die Häuser da, und einige Augenblicke schlossen sich die schier geblendeten Augen. Die Arbeiter der Scheringschen Fabrik waren es, die mit Magnesiumleuchten heranzogen, und als der volle magische Lichtglanz die Szene überflutete, da traten die Sänger, wohl mehr als zweihundert, aus dem Vorhofe des Schlosses und stimmten machtvoll ergreifend ihr harmonisches Hoch auf das Geburtstagskind an. Da winkte der Kanzler mit der Hand – er wollte sprechen. In wenigen Augenblicken lag die Stille des Gotteshauses über der menschenvollen Straße, und die Stimme Bismarcks klang klar und vernehmlich: »Noch _zehn_ Jahre wie heute – –« Aber schon brauste der Jubel wieder auf bei den ersten Worten. »Zwanzig Jahre – hundert Jahre für den Fürsten! – Hoch Bismarck! – Hoch der Kanzler!« Und mit geradezu elementarer Gewalt brach sich die Begeisterung Bahn, und Luft und Erde schien zu beben unter dem Jubelsturm. Immer aufs neue winkte der Gefeierte mit der Hand, beschwichtigend und dankend zugleich, und wiederum wurde es still, und seine Stimme klang weithin: »Ich danke Ihnen allen aus tiefstem Herzen für die großartige Ovation, welche Sie mir aus Anlaß meines siebzigsten Geburtstages dargebracht haben. Das Verdienst, Deutschland groß und stark zu sehen, gebührt unserem greisen Heldenkaiser, dem wir jetzt fünfzehn Jahre des Friedens verdanken. Seine Majestät der Kaiser, er lebe hoch!« Wenn die ungeheure Begeisterung überhaupt noch einer Steigerung fähig war, so trat eine solche jetzt ein. Die ganze Liebe einer großen, starken, glücklichen Nation drängte sich in diese riesigen, nie gehörten Rufe der Begeisterung. Das Fest hatte seinen Höhepunkt erreicht – aber während das aufgeregte Berlin noch lange in seinem Jubel fortklang und sang, ward es allgemach still in der Wilhelmstraße, und die Schleier der Nacht hüllten wieder das Haus ein, das noch vor kurzem vom hellsten Lichte umflutet war. Am Morgen des ersten April schritt der Kanzler langsam durch die breite Allee seines Parkes. Noch waren die Rüstern unbelaubt, nur das Moos an den gewaltigen Stämmen schimmerte grünlich, an dem Gesträuch ringsum aber drängte es bereits hervor von knospendem Frühlingsweben. Vieles ging durch die Seele des einsamen Mannes, Erinnerungen an Tage heißen Kämpfens, aber auch schöne Erfolge. Was war nicht durch ihn errungen und geschaffen worden seit der Erneuerung des Reiches! Das Fundament desselben schien gesichert gegen die Angriffe von innen und außen. Den Rachegelüsten Frankreichs war die Spitze abgebrochen worden durch eine meisterhafte politische Aktion, welche Deutschland mit Österreich und Italien zu einem Dreibund für Schutz und Trutz vereinte. Der Kanzler denkt daran, wie er im September 1879 von Gastein aus nach Wien gefahren, wie ihn die Hauptstadt Österreichs freundlich sympathisch aufgenommen, und Kaiser Franz Joseph, der um seinetwillen die Jagd in Steiermark unterbrochen hatte, mit herzlicher Liebenswürdigkeit empfing, in Schönbrunn ihm zu Ehren ein diplomatisches Diner veranstaltete und ihn dabei an der Schwelle des Saales als seinen Gast begrüßte. – Das alles dreizehn Jahre nach Sadowa! Der Fürst denkt auch an die Gefahr, die dem neuen Reiche von der Eifersucht Rußlands drohte, und wie sie unter dem Einfluß günstiger Umstände und dank seiner klugen diplomatischen Schachzüge beseitigt worden war; er erinnert sich mit Freude und Dankgefühl der schönen Stunde, da im September 1884 auf dem Schlosse Skierniewice sich die Kaiser von Deutschland, Österreich und Rußland in Freundschaft die Hände reichten zu einem neuen Dreikaiserbündnis und zu einer Bürgschaft des europäischen Friedens. Und weiter gehen an seinem Geiste vorüber seine Bemühungen, den Ruhm und Ruf der deutschen Flagge und des deutschen Namens über die Weltmeere zu tragen und in fernen Weltteilen, zumal in Afrika, Ländereien und Kolonien zu gewinnen, um dem deutschen Handel neue Bahnen zu erschließen und ihn zu fördern und zu heben. Er denkt aber auch in dieser Stunde der heißen Kämpfe, die er mit einzelnen Richtungen der deutschen Volksvertreter im Reichstage auszustreiten hatte, und wie er manchmal an das Wort des Altmeisters Goethe erinnert wurde: »Ach, ich bin des Treibens müde!« Mehr als einmal hat er sein Amt niederlegen wollen in die Hände seines Kaisers, der aber hatte auf sein Entlassungsgesuch nur das eine Wort geschrieben: »Niemals!« Dem gewaltigen Recken will es feucht und heiß in die Augen steigen, wenn er des vielgeliebten greisen Herrn denkt, und er entsinnt sich des Wortes, das er einst vor den Vertretern des deutschen Volkes gesprochen: »Nachdem ich im Jahre 1878 meinen Herrn und König nach dem Nobilingschen Attentate in seinem Blute habe liegen sehen, da habe ich den Eindruck gehabt, daß ich dem Herrn, der seinerseits seiner Stellung und Pflicht vor Gott und den Menschen Leib und Leben dargebracht und geopfert hat, gegen seinen Willen nicht aus dem Dienste gehen kann. Das habe ich mir stillschweigend gelobt.« Heute ist er siebzig Jahre alt geworden im Kampf, aber auch in Ehren. Doch dieser Tag gehört nicht ihm allein, er gehört dem ganzen deutschen Volke. – Daran denkt er jetzt, und langsam wendet er seine Schritte dem Hause zu. Schon am vorhergehenden Tage waren Glückwünsche und Geschenke in überreicher Zahl von allen Seiten her eingetroffen, heute aber kamen deren noch weit mehr. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit schenkte ihm zum Angebinde den alten Besitz seiner Familie in Schönhausen, Schloß und Gut, das 1835 an die Familie von Gärtner gekommen war; die deutschen Papierfabrikanten hatten einen gewaltigen Eichenschrank gesendet, der in seinen schier zahllosen Fächern und Schubladen aller Arten Papier und Kuverts, Stahlfedern und Bleistifte von den kleinsten und dünnsten bis zu den mächtigen Parlamentsstiften, kurz, alles Schreibmaterial in solcher Menge enthielt, daß Enkel und Urenkel des Kanzlers es kaum aufbrauchen werden. Das war ja in den Sälen eine kleine Industrieausstellung. Dazu der überreiche Blumenschmuck, und die »Getreuen in Jever«, die alljährlich zu diesem Tage aus dem Lande der Friesen 101 Kiebitzeier zu senden pflegten, fehlten natürlich auch diesmal nicht, und hatten ihrer Gabe das hübsche plattdeutsche Wort beigefügt: Säbentig Johr lewt, Uemmer dütsch strewt, Uemmer dütsch dahn: Lat wieder so gahn! Das Schönste und Liebste aber war doch wohl die Gabe seines greisen Herrn und Kaisers, jenes prachtvolle, von der Meisterhand Anton von Werners gemalte Bild, welches die ewig denkwürdige Szene der Kaiserproklamation im Schlosse zu Versailles in überaus lebensvoller Weise zur Darstellung brachte. Tiefgerührt stand der Kanzler vor dem Gemälde, das ihm einen der herrlichsten Augenblicke seines Lebens vor die bewegte Seele stellte, noch mehr aber ergriff ihn das Handschreiben seines Kaisers, welches der Gabe beigefügt war. Er las es, während es sich wie ein leiser feuchter Schleier über seine Augen legte. Es lautete: »_Mein lieber Fürst!_ Wenn sich im deutschen Lande und Volke das warme Verlangen zeigt, Ihnen bei der Feier Ihres siebzigsten Geburtstages zu bestätigen, daß die Erinnerung an alles, was Sie für die Größe des Vaterlandes getan haben, in so vielen dankbaren Herzen lebt, so ist es Mir ein tiefgefühltes Bedürfnis, Ihnen heute auszusprechen, wie hoch es Mich erfreut, daß solcher Zug des Dankes und der Verehrung für Sie durch die Nation geht. Es freut Mich die für Sie wahrlich im höchsten Maße verdiente Anerkennung und erwärmt Mir das Herz, daß solche Gesinnungen sich in so großer Verbreitung kundgetan, denn es ziert die Nation in der Gegenwart, und es stärkt die Hoffnung auf ihre Zukunft, wenn sie Erkenntnis für das Wahre und Große zeigt, und wenn sie ihre hochverdienten Männer ehrt und feiert. An solcher Feier teilzunehmen, ist Mir und Meinem Hause eine besondere Freude, und wünschen Wir Ihnen durch beifolgendes Bild auszudrücken, mit welchen Empfindungen dankbarer Erinnerung wir dies tun; denn dasselbe vergegenwärtigt einen der größten Momente der Geschichte des Hohenzollernhauses, dessen niemals gedacht werden kann, ohne sich zugleich auch Ihrer Verdienste zu erinnern. Sie, mein lieber Fürst, wissen, wie in Mir jederzeit das vollste Vertrauen, die aufrichtigste Zuneigung und das wärmste Dankesgefühl für Sie leben wird, Ihnen sage ich daher mit diesem nichts, was ich Ihnen nicht oft genug ausgesprochen habe, und ich denke, daß dieses Bild noch Ihren späten Nachkommen vor Augen stellen wird, daß Ihr Kaiser und König und sein Haus sich dessen wohl bewußt waren, was Wir Ihnen zu danken haben. Mit diesen Gesinnungen und Gefühlen endige ich diese Zeilen, als über das Grab hinaus dauernd. Ihr dankbar treu ergebener Kaiser und König Wilhelm.« Und unter allen den vielen, den hervorragenden Persönlichkeiten, welche an diesem Tage in das Palais nach der Wilhelmstraße kamen, war die herrlichste der greise Kaiser selbst. Es war der weihevollste, ergreifendste Augenblick dieses Tages, als der Herrscher in tiefer Bewegung seinen treuen Kanzler in die Arme schloß, als das Haupt Bismarcks sich einige Sekunden an die Schulter des teuren Herrn lehnte, dem er sich mit Blut und Leben verpflichtet hatte bis zum letzten Atemzuge. Solche Minuten mußten dem Recken neue Kraft geben zu weiteren Kämpfen, die er herrlich und mannhaft durchfocht zur Ehre und zum Segen des Deutschen Reiches und Volkes. Immer wieder das rachelustige Säbelrasseln von Paris her, und auch in Rußland machte sich eine deutschfeindliche Strömung bemerkbar. Da galt es beizeiten zu kräftiger Abwehr zu rüsten, und eine Verstärkung des Heeres zu erlangen. Und das deutsche Volk widerstrebte der wiederholt vorgetragenen Forderung nicht, und Bismarck konnte aller Welt das herrliche Wort zurufen: »_Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!_« Das war am 6. Februar 1888 gewesen, und das Wort klang in vieltausend deutschen Herzen wieder, denen in jenen Tagen ein solcher Trost ungemein not tat. Denn das Unheil hatte sich leise und heimtückisch herangeschlichen an das Kraftgeschlecht der Hohenzollern, und des Kaisers herrlicher Sohn, der Kronprinz Friedrich, »unser Fritz«, siechte fern von der Heimat, in Italien, an einem furchtbaren Leiden hin, das aller Kunst der Ärzte spottete. Das griff auch dem greisen Herrscher an Seele und Leben. Er erkrankte in den ersten Tagen des März, und dumpfes, schmerzliches Bangen erfaßte alle Gemüter. Am 8. März hatte der treue Kanzler seinem Herrn noch einmal kurzen Vortrag gehalten, und die schwache Hand des kranken Greises, der »keine Zeit hatte, um müde zu sein«, hatte mit zitternden Händen noch einmal den kaiserlichen Namen unter das Dokument gesetzt, welches den Schluß des Reichstags verkünden sollte. Tieferschüttert, nahezu hoffnungslos war Bismarck fortgegangen. Vor dem Palais aber drängten sich Tausende voll Liebe und Besorgnis, und sie sahen ihm in das ernste Gesicht, das eisern seine Fassung zu wahren bemüht war. Eine endlos lange, bange Nacht verstrich; die Besorgnis raubte dem Kanzler und manchem anderen die Ruhe, angstvoll schaute man dem Morgen entgegen, und in dessen Verlaufe geschah das Traurige. Am 9. März um ½9 Uhr vormittags schied Kaiser Wilhelm aus dem Leben – nicht lange danach sank die Kaiserstandarte auf dem Schlosse nieder, und ein ganzes Volk weinte um seinen liebsten Helden. Das waren unvergeßliche Stunden: schmerzerstarrte Männer, schluchzende Frauen, weinende Kinder überall! Bei dem edlen Toten aber stand noch einmal an jenem Vormittage des Reiches erster Kanzler. Da ruht der Greis, dem er sich ganz geweiht hatte, halb sitzend, zurückgelehnt in die weißen Kissen, und auf dem Antlitz liegt der Zug seligen Friedens, unbeschreiblicher Ruhe und Milde. Da überwältigt es beinahe den gewaltigen Mann; ihm stürzen unaufhaltsam die Tränen aus den Augen, und er braucht sich ihrer nicht zu schämen, denn wer dem stillen, unvergeßlichen Toten nahte, der mußte weinen im Übermaß eines Jammers, der das ganze Volk durchzitterte. Aber den Kanzler ruft seine Pflicht. Um ½10 Uhr erschien er, fest und stark, aufgerichtet und gefaßt im Reichstagssaale. Er erbat sich das Wort, und unter tiefem, heiligem Schweigen begann er: »Mir liegt die traurige Pflicht ob, Ihnen die amtliche Mitteilung von dem zu machen, was Sie bereits tatsächlich wissen werden, daß Seine Majestät der Kaiser Wilhelm heute vormittag ½9 Uhr zu seinen Vätern versammelt worden ist –.« Hier drohten die Tränen die Stimme des Redners zu ersticken, er rang mit seiner Rührung wie ein Held, und fuhr fort: »Die Folge dieses Ereignisses ist, daß die preußische Krone und damit nach Artikel 11 der Reichsverfassung die deutsche Kaiserwürde auf Seine Majestät Friedrich III., König von Preußen, übergegangen ist. Nach den mir zugegangenen telegraphischen Nachrichten darf ich annehmen, daß Seine Majestät, der regierende Kaiser und König, morgen von San Remo abreisen und in der gegebenen Zeit hier eintreffen wird. Ich hatte von dem Höchstseligen Herrn in seinen letzten Tagen« – wiederum rannen dem Redner die Tränen über die Wangen – »in Betätigung der Arbeitskraft, die ihn erst mit dem Leben verlassen hat, noch die Unterschrift erhalten, welche vor mir liegt, und welche mich ermächtigt, den Reichstag in der üblichen Zeit nach Abmachung seiner Geschäfte, das heißt also etwa heute oder morgen, zu schließen. Ich hatte die Bitte an Seine Majestät gerichtet, nur mit dem Anfangsbuchstaben des Namens noch zu unterzeichnen, Seine Majestät hatten mir darauf erwidert, daß Sie glaubten, noch den vollen Namen schreiben zu können. Infolgedessen liegt dieses historische Aktenstück hier vor. Unter den obwaltenden Umständen nahm ich an, daß es den Wünschen der Mitglieder des Reichstages ebenso wie denen der verbündeten Regierungen entsprechen wird, daß der Reichstag noch nicht auseinander geht, sondern zusammen bleibt bis nach dem Eintreffen seiner Majestät des Kaisers, und ich mache deshalb von dieser Allerhöchsten Ermächtigung weiter keinen Gebrauch, als daß ich dieselbe als historisches Denkmal zu den Akten gebe und den Präsidenten bitte, die Entschlüsse, welche den Stimmungen und Überzeugungen des Reichstages entsprechen, in dieser Sitzung herbeizuführen. Es steht mir nicht zu, meine Herren, von dieser amtlichen Stelle aus den persönlichen Gefühlen Ausdruck zu geben, mit welchen mich das Hinscheiden meines Herrn erfüllt. Diese Gefühle bei dem Ausscheiden des ersten deutschen Kaisers aus unserer Mitte, die mich tief bewegen, leben im Herzen eines jeden Deutschen. Es ist deshalb nicht nötig, demselben hier Ausdruck zu geben. Aber eines glaube ich Ihnen dennoch nicht vorenthalten zu dürfen, nicht von meinen Empfindungen, sondern von meinen Erlebnissen, die Tatsache, daß inmitten der schweren Schickungen, welche der von uns geschiedene Herr in seinem Hause noch erlebt hat, es zwei Tatsachen waren, welche ihn mit Befriedigung und Trost erfüllten. Die eine war diejenige, daß die Leiden seines einzigen Sohnes und Nachfolgers, unseres jetzt regierenden Herrn, in der ganzen Welt Teilnahme erregten. Ich habe noch heute ein Telegramm aus Neuyork erhalten, das von Teilnahme erfüllt war und das Vertrauen beweist, das sich die Dynastie des deutschen Kaiserhauses bei allen Nationen erworben hat. Das ist ein Erbteil, kann ich wohl sagen, was des Kaisers lange Regierung dem deutschen Volke hinterläßt. Das Vertrauen, das sich die Dynastie erworben hat, wird sich auf die Nation übertragen. Die zweite Richtung, in der Seine Majestät einen Trost gefunden hat bei den schweren Schickungen, war diejenige, daß der Kaiser auf die Entwicklung seiner Hauptlebensaufgabe, der Herstellung und Konsolidierung der Nationalität des Volkes, dem er als deutscher Fürst enge angehörte, daß der Kaiser auf die Entwicklung, welche die Lösung dieser Aufgabe inzwischen genommen hatte, mit einer Befriedigung zurückblickte, die den Abend seines Lebens verschönte und erleuchtete. Es trug dazu namentlich in den letzten Wochen die Tatsache bei, daß mit seltener Einstimmigkeit aller Dynastien, aller verbündeten Regierungen, aller Stämme in Deutschland, aller Abteilungen des Reichstags, dasjenige beschlossen wurde, was für die Sicherstellung der Zukunft des Deutschen Reiches auf jede Gefahr hin, die uns bedrohen könnte, als Bedürfnis von den verbündeten Regierungen empfunden wurde. Diese Wahrnehmung hat Seine Majestät mit großem Troste erfüllt, und noch in den letzten Unterredungen, die ich mit meinem dahingeschiedenen Herrn gehabt habe – es war gestern – hat er darauf Bezug genommen, wie ihn dieser Beweis der Einheit der gesamten deutschen Nation, wie er durch die Volksvertretung hier verkündet worden ist, gestärkt und erfreut hat. Ich glaube, meine Herrn, es wird für Sie alle erwünscht sein, das Zeugnis, das ich aus eigener Wahrnehmung aus den letzten Äußerungen unseres dahingeschiedenen Herrn ablegen kann, mit in Ihre Heimat zu nehmen, da jeder einzelne von Ihnen einen Anteil an diesem Verdienste hat. Die heldenmütige Tapferkeit, meine Herrn, das nationale Ehrgefühl, die treue, arbeitssame Pflichterfüllung und die Liebe zum Vaterlande, die in unserem dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen sie ein unzerstörbares Erbteil unserer Nation sein, das uns der aus unserer Mitte geschiedene Kaiser hinterlassen hat. Das hoffe ich zu Gott, daß dies Erbteil von allen, die wir an den Geschäften des Vaterlandes mitzuwirken haben, im Krieg und Frieden, in Heldenmut und Hingebung, Arbeitsamkeit und Pflichttreue bewahrt bleibe.« Lautlose Stille folgte den Worten, die Abgeordneten, selbst jene der sozialdemokratischen Partei, hatten sich von ihren Sitzen erhoben, der Reichskanzler aber, der sein Schluchzen kaum mehr verhalten konnte, hatte sich in seinen Sessel zurückgelehnt und schlug die Hände vor das Antlitz. Es war ein erschütternder Anblick, den gewaltigen Mann, den eisernen Kanzler, weinen zu sehen um seinen toten Kaiser. Der Präsident von Wedell-Piesdorf schloß mit wenigen Worten die ewig denkwürdige Sitzung, und nun schritt Bismarck von seinem erhöhten Platze hinab in das Haus. Sein Blick haftete auf seinem treuen Genossen, dem greisen Feldmarschall Moltke, der trotz der Nachtwachen, trotz der Anstrengung und Aufregung der letzten Tage seiner Pflicht getreu, seinen Sitz im Abgeordnetenhause eingenommen hatte. Er trat dem Kanzler entgegen, und die Hände der beiden Männer fanden sich zu einem beredten Drucke. Sprechen konnte zunächst keiner von ihnen, die Tränen standen beiden in den Augen – es war eine ergreifende historische Szene. Endlich faßte sich Bismarck, mit wärmerem Drucke der Hand sprach er, und seine Stimme bebte: »Uns beide hält des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr im Gleise!« Der Dienst aber rief den Kanzler zur Begleitung und Heimholung des neuen Kaisers Friedrich III. Der deutsche Himmel war nicht freundlich, als der kranke Dulder heimkam. Es war, als liege Trauer und Schmerz ausgebreitet durch das Land und durch die Lüfte. Als Bismarck, der seinem neuen Herrn bis Leipzig entgegengefahren war, mit diesem nach seinem Lande, in die Mitte seines bange und traurig harrenden Volkes eilte, schnob der Ostwind eiskalt durch die Straßen, und der Sturm wehte winterliche Flocken wild durcheinander, und in derselben Nacht, um die Mitternachtsstunde, in der kein Stern vom Himmel leuchtete, und nur die trübe flackernden, schneeverhüllten Gaslaternen und tiefrot qualmende Fackeln die erschütternde Szene erhellten, ward die Leiche Kaiser Wilhelms nach dem Dome überführt. Dem Trauergottesdienst selbst vermochte Bismarck in seiner tiefen, gramvollen Ergriffenheit nicht beizuwohnen, auch Moltke blieb fern – beides auf Wunsch des neuen Kaisers, der ja selbst nicht seinem toten Vater das letzte Geleit geben konnte, aber am 16. März, als der teure Verblichene hinausgeleitet wurde nach dem stillen Mausoleum in Charlottenburg, um dort neben seinen Eltern beigesetzt zu werden, da fehlte der Kanzler nicht. Als der Trauerzug die Schloßterrasse betrat, – es war etwa um ½4 Uhr, erschien oben an einem Fenster eine hohe Gestalt in Generalsuniform, das Orangeband des Schwarzen Adlerordens über der breiten Brust. Die Hand winkte mit dem Taschentuche wehmutsvolle Grüße, und die stattliche Erscheinung schien ab und zu wie von gewaltsamem Schluchzen durchbebt zu werden. So schied der kranke Kaiser Friedrich von dem toten Kaiser Wilhelm, der Sohn von dem heißgeliebten Vater … Nun folgte die Regierung der 99 Tage, und solchen Heldenmut hat die Welt selten geschaut, wie Kaiser Friedrich ihn zeigte. »Lerne leiden, ohne zu klagen!« war sein schönes Wort, und treue Pflichterfüllung bis in den Tod seine schöne Tat. In ein freundliches, hohes Gemach des lieblichen, stilltraulichen Schlosses Charlottenburg fiel der Schimmer des Frühlings. Vor den Fenstern draußen lachten die Blüten von Baum und Strauch, und die Vögel jauchzten, der kranke Kaiser aber saß in seinem Sessel zurückgelehnt, zusammengebeugt, und wendete das bleiche Gesicht seinem Kanzler zu, der vor ihm saß und ihm Vortrag hielt. Über das Antlitz Bismarcks lief ab und zu ein leises Zucken, wie von mühsam unterdrücktem Schmerz, und der Kaiser fragte: »Ihnen ist nicht wohl, lieber Fürst?« »Mein altes Nervenleiden, Majestät – die Neuralgie setzt mir wieder einmal zu, aber man muß darüber wegkommen.« Da erhob sich der Herrscher und zog einen Sessel heran; auf diesen legte er die Füße seines treuen Beraters, und, damit noch nicht zufrieden, ließ er eine Decke herbeibringen und wickelte dieselben darin ein. Ein Gefühl tiefer Rührung erfaßte den Kanzler; der Kaiser, kränker als er selbst, sorgte in so gütiger Weise für ihn … Der echte Sohn des großen, edlen Hohenzollern, der ihm Herr und Freund zugleich gewesen war. Kaiser Friedrich war nach dem bei Potsdam gelegenen schönen Friedrichskron übergesiedelt – – aber nur, um dort zu sterben. Am 14. Juni hatte Bismarck den kaiserlichen Herrn noch einmal gesehen und noch einmal den warmen Druck seiner Hand gefühlt; zu sprechen vermochte der große Dulder beinahe nicht mehr – und einen Tag später starb der edle Fürst. Zum zweiten Male in kurzer Frist stand das deutsche Volk an der Bahre seines Kaisers, und unsagbares Weh durchzitterte die Brust des greisen Kanzlers. Aber er richtete sich auf in dem Gedanken, daß in dem Enkel seines großen Kaisers der Geist desselben fortleben werde, und ihm widmete er nun seine Treue und Liebe. – – – Zum zweiten Male hatte Deutschland die schmerzliche Erinnerung an den Tod Kaiser Wilhelms begangen – da fiel in den Nachklang dieser Stimmung eine Kunde, welche alle Herzen mächtig bewegte: Im »Reichsanzeiger« vom 20. März 1890 stand es zu lesen, daß Fürst Bismarck und mit ihm seine beiden Söhne aus dem Staatsdienst ausgetreten seien. Die Hand, welche so lange das Staatsschiff sicher und fest geleitet, zog sich zurück von dem Steuer – was mußte dazu veranlaßt haben? Seltsame Kunden liefen von Mund zu Mund und durch die Spalten der Blätter – absolut Sicheres war nicht festzustellen. Eine Meinungsverschiedenheit sei zwischen dem Fürsten und dem jungen Kaiser entstanden – das war zuletzt alles, was im Bewußtsein des deutschen Volkes deutlich ward und dieses bis in die weitesten Schichten hinein schmerzlich berührte. In hohen Gnaden entließ Kaiser Wilhelm II. den treuesten Ratgeber der Hohenzollernkrone – er ernannte ihn zum Herzog von Lauenburg und zum Generalobersten, aber die Bitterkeit konnte er nicht bannen aus dem Herzen des Mannes, der die Empfindung hatte, als solle er in die Verbannung gehen. Aber er hatte den Trost, daß die Liebe mit ihm ging, wohin er sich auch wenden mochte. Noch einmal hatte der Fürst seinen guten alten Kaiser aufgesucht in seiner stillen Gruft im Mausoleum in Charlottenburg. Von ihm mußte er Abschied nehmen, ehe er Berlin verließ, so wie der treue Soldat, der abkommandiert wird von seinem Posten, sich noch einmal bei seinem Vorgesetzten meldet. Das freundliche blaue Licht übergoß den weihevollen Raum und zitterte weich auf den Marmorbildern, der Kanzler aber war an den Sarkophag seines heißgeliebten Herrn herangetreten und neigte schwer das Haupt. Kein Menschenauge hat es gesehen, kein Herz es nachempfunden, was in jener Stunde durch die Seele des gewaltigen Mannes ging … Dann fuhr er nach Berlin zurück, und nun – nachdem der heiligsten Pflicht genügt war – hatte er hier nichts mehr zu tun. Am 29. März verließ er das kleine Palais in der Wilhelmstraße, wovon durch so lange Jahre der Hauch seines Geistes bewegend und belebend ausgegangen war durch die ganze Welt, und der Abschied sollte ihm nicht leicht werden. Nicht die Erinnerungen allein erschwerten dem Fürsten denselben, sondern auch die gewaltig an ihn herandringende Liebe des Volkes. Was galt aller Parteizwist in einer solchen Stunde! Die Wilhelmstraße vermochte die Menschenmenge nicht zu fassen, welche am Nachmittage jenes 29. März sie durchwogte. Um die fünfte Stunde waren die Wagen vorgefahren, und nun erschien der Kanzler mit den Seinen, einen letzten, bedeutsamen Blick noch zurückwerfend. Als aber die Tausende, die seiner harrten, ihn erblickten, da brach ein Brausen und Rufen aus, eine elementare Begeisterung, in welcher Liebe, Verehrung und Dankbarkeit ihren Ausdruck suchten. Stürmische Hochrufe wiederholten sich immer aufs neue, Blumenspenden wurden von hundert Händen herangereicht, und so dicht wogte die Volksmenge, daß die Wagen nur langsam zu fahren vermochten. Das war kein Vergessener und Verstoßener, es war ein Triumphator, der wegzog von der Stätte jahrzehntelangen Wirkens, um die wohlverdiente Ruhe zu suchen. In allen Straßen dasselbe Bild – die schweigend, in ernster, wehmütiger Weise harrende Menge, die, sobald der Wagen Bismarcks herankommt, in endlose begeisterte Rufe ausbricht, die trotz der zahlreichen Schutzmannschaften durch alle Schranken drängt, um dem geliebten Manne den letzten Gruß, die letzte Blumenspende zu bieten. So war der Wagen am Lehrter Bahnhof angekommen und an den kaiserlichen Gemächern vorgefahren. Der Fürst stieg aus, und in der Vorhalle blieb er stehen, während die Menge der Nachdrängenden nur mit größter Anstrengung so weit zurückgehalten werden konnte, daß für den Scheidenden und die Seinen ein Weg freiblieb; er sah mit feuchtschimmernden Augen noch einmal zurück und winkte mit der Hand zu Gruß und Dank. Hell und warm lag die Frühlingssonne über dem ergreifenden Bilde; sie blitzte auf den blanken Gardekürassieren, deren eine Schwadron dem Fürsten das Ehrengeleite gab, auf den Helmen der Schutzleute und in den Tränen von Hunderten. Weiter schritt der Fürst nach den Gemächern, und überall streckten sich ihm hier die Hände entgegen zu herzlichem Abschied. Hohe Offiziere, Diplomaten, die Gesandten fremder Staaten, der neue Kanzler von Caprivi – alle waren sie gekommen, ihm ihre Verehrung und Freundschaft zu bekunden, und zarte Frauenhände reichten ihm auch hier immer neuen und herrlicheren Blumenschmuck. Nun schritt er langsam hinab nach dem Perron auf blütenüberstreutem Wege. Der Trompetenklang der Kürassiere erschallte, an ihrer Front vorüber ging er hochaufgerichtet, selbst in der Uniform der Seydlitz-Kürassiere, seinem Wagen zu. Nun aber ließ sich die Menge nicht mehr halten. Durch die geöffneten Türen der Wartesäle flutete es heraus in breitem Strome und umringte den Wagen des Gefeierten, in welchem dieser mit den Seinen in einer Fülle von Blumen Platz gefunden hatte. Mit einem beinahe wehmutsvollen Blick streift sein Auge über die herrliche Blumenspende, die mit dem schwarz-weiß-roten Bande umflochten ist, – der Abschiedsgruß des Kaisers; die Fürstin aber hat den prächtigen Korb voll Flieders an sich herangezogen, die Spende der Kaiserin, und neigt sich darüber. Nun trat Bismarck wieder an das Fenster und schaute tiefbewegt hinaus auf die Tausende. Da pfiff die Lokomotive. Ein brausender, nicht endenwollender Ruf: »Wiederkommen!« durchzitterte die Luft, der Kanzler aber legte bedeutsam, beinahe unmutig den Zeigefinger an den Mund. Das letzte Glockenzeichen erklang, ein Kommando der Kürassiere erscholl, und ehern standen ihre präsentierenden Reihen, während die Musik einen Marsch anstimmte. Dazwischen schallte der brausende Gesang der »Wacht am Rhein«, die immer erneuten Zurufe: »Wiederkommen!« – »Lebewohl!« und das stürmische »Hoch«, das noch immer nicht verhallt, als der Zug bereits den Bahnhof verlassen hat und den Kanzler hinwegführt in die friedliche Stille des Sachsenwaldes. Dreizehntes Kapitel. Im Abendrot. Wer von Berlin nach Hamburg fährt, passiert den Sachsenwald mit seinen einzigen, herrlichen Buchenbeständen, die nur da und dort von dem dunkleren Grün des Nadelholzes unterbrochen werden. Etwa eine Meile von Hamburg entfernt liegt die Station _Friedrichsruh_, ein kleines Örtchen mitten im Buchenwald, an dem munteren Flüßchen Aue gelegen. Hier ist die Residenz des »Herzogs von Lauenburg«, des ersten deutschen Reichskanzlers. Das Besitztum mit dem reichen Grund und Boden ringsumher hat ihm die Huld seines alten kaiserlichen Herrn nach dem großen Kriege im Jahre 1871 geschenkt, hier hat er seinen Ruhesitz gefunden, nachdem er aus dem Amte und aus Berlin weggegangen war. Sein Schloß, das er eigentlich erst sich erbaut hat, ist nicht prunkvoll und stattlich, wohl aber traulich und behaglich. Ringsum rauschen die mächtigen Buchen und verhüllen mit ihren dichten grünen Kronen das freundliche Haus und lassen beim Näherkommen nur die rote Umzäunungsmauer des Parkes schauen. Eine schmale Pforte in derselben führt uns in die anmutige Idylle hinein; das gelblich getünchte schmucke Wohnhaus lacht uns entgegen, so gastlich und lieb, daß ein warmes Behagen davon auszugehen scheint. Auf dem Vorplatze ragt eine mächtige Tanne empor, ein Riese der Vorzeit, wie ein Symbol der Kraft des Mannes, der sich hier seinen Herd gebaut hat. Die pyramidenartig verlaufende Krone hebt sich hoch hinauf nach dem blauen Himmel. Kein Vestibül nimmt uns auf, aus dem Korridor geht es sogleich hinein in das Wohnzimmer und in die Reihe der Familiengemächer, aus deren Fenstern der Blick gern hinausschweift in den grünen Park, auf spiegelnde Wasserflächen und prachtvolle Baumgruppen. Hier wohnt der Gewaltige, friedlich und still, im Kreise der Seinen, und sieht wie der Adler aus freier Höhe herab auf das Treiben seiner Tage und freut sich an der Verehrung und Liebe des deutschen Volkes, die ihm auch hierher gefolgt ist. Seine Kinder und Enkel suchen ihm den Abend seiner Tage zu verschönen, und oft genug kommen Gäste aus allen Teilen Deutschlands nach dem ruhigen Sachsenwalde. Wiederum feierte er seinen Geburtstag. Freundlich war die Sonne aufgegangen über dem Sachsenwalde, und wenn auch der Frühling noch nicht seinen Einzug zwischen die Baumriesen gehalten hatte, so blaute doch der Himmel verheißungsvoll, und an den Waldrändern läuteten die Blütenglocken. Der nahezu achtzig Jahre alte Fürst hatte sich zur gewohnten Morgenstunde erhoben, frisch und kraftvoll, und hatte mit herzlicher Freude und Dank die Glückwünsche seiner Familie entgegengenommen sowie jene der bereits eingetroffenen Gäste. Um die elfte Stunde betrat er das Empfangszimmer, und hier lag ringsum ausgebreitet die Fülle der Gaben, welche die Liebe des deutschen Volkes aus allen Gauen des Reiches dem verehrten Manne übersandt hatte. Hunderte von Kisten waren schon tags zuvor eingetroffen und ausgepackt worden, und nun stand alles wohlgeordnet: Erzeugnisse der Kunst und des Gewerbes, Spenden der Wissenschaft und der fleißigen Frauenhand, und dazwischen ein Blumenschmuck, als sei in diesem Saale selbst der Frühling voll erblüht. Im tiefsten Herzen ergriffen stand der Reichskanzler inmitten dieser Spenden, und dann schritt er an ihnen entlang, jedes einzelne beschauend, an allem sich freuend, gleichviel ob es seinen Wert an sich hatte oder ihn erst erhielt durch die Liebe des Gebers. Da klangen feierlich und getragen die Klänge eines Chorals in den Saal; der Fürst horchte einen Augenblick auf, dann trat er, begleitet von den Seinen, hinaus auf die freundliche Terrasse auf der Rückseite des Schlosses. Da stand eine Militärkapelle und spielte die ergreifend fromme Weise, welche das Morgenständchen einleitete, welches sie dem alten Kanzler darbringen wollte. Es war ein schönes Bild: Im Vordergrunde unter den alten Bäumen die Musiker in ihren bunten Uniformen, umringt von einem kleinen Kreise derer, die Zutritt zu dem Parke erlangt hatten, und jenseits desselben auf grünem Wiesengrunde, der von den dunklen Rahmen des Föhrenwaldes sich freundlich abhob, und von welchem aus die Schloßterrasse voll zu überschauen war, eine bewegte, dichtwogende Menschenmenge, die von nah und fern herbeigeeilt war. In dem Saale aber, der nach der Terrasse sich öffnete, standen die Festgäste, Herren und Damen, und sahen mit freudiger Teilnahme auf den herrlichen Mann, der im Interimsrock der Kürassiere, die weiße Mütze auf dem mächtigen Haupt, hochaufgerichtet dastand und in den sonnigen Frühlingsmorgen, in die ihm zulachende Welt hinausblickte. Von der Wiese herüber aber brausten in die Klänge der Musik die lautschallenden, begeisterten Hochrufe der Menge, die ihn heraustreten sah, und ihm ihren stürmischen Liebesgruß sandte. Da winkte er mit der Hand hinüber zu freundlichem Danke, und lauter noch jauchzte die Begeisterung auf. Dann trat er auf den Kapellmeister zu und reichte ihm die Rechte mit leutseligen Worten, und aufs neue erklangen die Weisen der Musik, jetzt heller und frischer, und ihnen reihten sich Liederklänge an, denn ein stattlicher Sängerchor aus Hamburg oder Altona war angekommen und brachte seine Grüße und seine Huldigung. Und in dem Parke hallte es wider, und die Menge auf der Waldwiese, deren Zahl immer mehr anwuchs, stand und lauschte und harrte der Stunde entgegen, da es auch ihr vergönnt sein würde, den Gefeierten aus größerer Nähe begrüßen zu können. Fast ward es zuviel für den beinahe Achtzigjährigen, und sein treuer ärztlicher Hüter, Dr. Schweninger, bat endlich für ihn um ein Stündchen Ruhe. So ging der Apriltag hin und kündete dem alten Reichskanzler immer neu und beredt die Liebe eines ganzen Volkes, das nicht von ihm lassen konnte, und das immer wiederum alles dessen gedenken mußte, was Deutschland seinem Bismarck verdankte. Nur ein bitterer Tropfen blieb in seiner Seele, eine Verstimmung, die wie ein Schatten zwischen ihm und dem jungen Kaiser lag. Er hatte das Empfinden, als hätte ihn derselbe nicht _so_, eben so ziehen lassen dürfen. Was galten ihm die äußeren Ehren, die ihm zum Abschied noch angetan worden waren, ein Herzenswort und eine Herzenstat hätten ihm weit schwerer gewogen. Das deutsche Volk aber fühlte wie einen kältenden Hauch die Entfremdung zwischen dem Enkel des großen Kaisers Wilhelm und dem treuesten Paladin des letzteren, und hoffte in tiefster Seele, daß auch hier ein Frühlingstag kommen möge, der diesen Hauch hinwegfegen werde. Und des Volkes Hoffen sollte nicht betrogen werden. Es lebt echtes, hochherziges Hohenzollernblut auch in Kaiser Wilhelm II., und so war er es, der dem Alt-Reichskanzler die Hand reichte zum freundlichen Bunde. Durch ganz Deutschland flog es wie ein warmer Lichtstrahl, als erzählt ward, wie der Herrscher dem Fürsten, der von einem heftigen Krankheitsanfall in einem süddeutschen Bade Genesung gesucht hatte, eines seiner Schlösser für die Zeit der Rekonvaleszenz zum Aufenthalt anbot, und wie er ihm manche Aufmerksamkeit erwies, wie nicht der Kaiser seinem Untertan, sondern der Freund dem Freunde sie zu erweisen bemüht ist, und noch erfreuter schlug des deutschen Volkes Herz, als die Kunde erscholl, daß Fürst Bismarck nach Berlin kommen und persönlich dem jungen Herrscher für sein huldvolles Entgegenkommen danken werde. Am 26. Januar 1894 war es, als die erwartungsvolle Hauptstadt des Reiches der Ankunft des greisen Kanzlers entgegenharrte. Die Sonne war herrlich aufgegangen, als wolle sie ihn freundlich mitbegrüßen, und die Straßen vom Lehrter Bahnhofe nach dem Königlichen Schlosse waren durchwogt von freudig erregten Menschen. Die breite Straße Unter den Linden hatte reichen Flaggenschmuck angelegt, vom Zeughaus und dem Kommandogebäude wehten die Fahnen, und auf dem Königsschlosse prangte die gelbe Kaiser- und die rote Königsstandarte. Immer dichter wurde das Menschengewühl, und lebhafter wurde die Bewegung, als im hellen Sonnenglanz eine Abteilung Garde-Kürassiere nach dem Bahnhofe ritt, um das Ehrengeleit für den Fürsten zu bilden. Bald nach den glänzenden Reitern – es war um die Mittagszeit – fuhr ein offener kaiserlicher Wagen durch die Straße, umbraust von Hoch- und Hurrarufen: Des Kaisers Bruder, Prinz Heinrich, fuhr nach dem Lehrter Bahnhofe, um den Ankommenden im Namen des Herrschers zu begrüßen. Er dankte mit freudigem Gesichte dem jubelnden Volke und den an der Moltkebrücke in vollem Wichs aufgestellten studentischen Verbindungen. Auf dem Lehrter Bahnhofe hatten sich eine größere Anzahl hochgestellter Persönlichkeiten und Freunde des Fürsten eingefunden. Kurz nach ein Uhr fuhr der Zug ein, und Prinz Heinrich trat auf den Salonwagen zu, an dessen Fenster sich bereits das markige Antlitz Bismarcks gezeigt hatte. Nun stieg dieser aus, und der Prinz bewillkommnete ihn auf das herzlichste und bot ihm seinen Arm. Wohl hatte sich die Sonne wieder verhüllt, aber auch das trübere Licht vermochte dem ergreifenden Bilde nichts von seiner Wirkung zu nehmen. Auf den Arm des Kaisersohnes gestützt, schritt der greise Kanzler in seiner Kürassieruniform, langsam, aber aufrecht einher, das ehrwürdige Angesicht leuchtend vom Widerschein schöner freudiger Bewegung. Die Tausende aber, die vor dem Bahnhofe seiner harrten, brachen bei seinem Anblick in endlose Jubelrufe aus, die sich fortsetzten, wo immer der kaiserliche Galawagen mit seinen beiden Insassen auftauchte. Die Fenster des letzteren waren freilich wegen des kalten winterlichen Hauches und mit Rücksicht auf die Gesundheit des Fürsten geschlossen worden, aber sein freundliches Gesicht war doch sichtbar hinter den Scheiben und begeisterte das Volk, das in musterhafter Ordnung in fünf bis sechs Reihen dicht hintereinander stehend den Mittelweg Unter den Linden besetzt hielt vom Brandenburger Tor bis an die Brücke. Da tauchten die alten Erinnerungen wieder auf an die glanzvollen Tage, welche Deutschland unter Kaiser Wilhelm I. und seinem Kanzler geschaut hatte, an den Siegeseinzug von 1866 und nach 1870, und sehnsuchtsvoller, dankbarer schlugen die Herzen dem herrlichen Manne entgegen, dessen Name mit jener gewaltigen Zeit auf ewig verbunden war. An allen Fenstern drängten sich die Köpfe, ja, von den Kandelabern der Straßenlaternen herab schauten neugierig-mutwillige Knabengesichter, und die Schutzmannschaft nahm es heute nicht übel, wenn hier und da wohl auch einer auf einem Lindenast einen Sitz gefunden hatte. Die Wachtparade war zur gewohnten Zeit, kurz vor ein Uhr, mit klingendem Spiele nach dem Schlosse gezogen, und ihre Musikklänge erhöhten die freudige Stimmung der Menge. Eine geraume Viertelstunde später blinkten vom Brandenburger Tor her die Helme der Garde-Kürassiere, und mit ihnen kam ein Brausen und Rufen, das sich von Mund zu Mund fortpflanzte, immer anwachsend und immer stürmischer. Eine Abteilung berittener Schutzleute jagte im stürmischen Ritt über den Reitweg, näher kamen die Kürassiere, und hinterher der kaiserliche Wagen. Viel zu schnell für die Begeisterung der Menge, welche noch hinter ihm dreinklang, war er vorüber, und die Blicke folgten ihm nach, wie er seinen Weg verfolgte nach dem königlichen Schlosse zu. Im Lustgarten standen die Bürgersteige gleichfalls voll dichtgedrängter Menschen, die alle nach der Residenz hinüberschauten, vor deren Eingang sich das bewegte Leben widerspiegelte, das heute in ihr herrschte. Hofequipagen rollten heran und hinweg, Offiziere und Hofbeamte eilten hin und her, herrlicher Blütenschmuck mitten im Winter war in reichster Fülle herbeigebracht, und alles machte den Eindruck, daß man einen lieben, hochzuehrenden Gast erwarte. Die vom zweiten Garderegiment gestellte Ehrenkompagnie rückte mit klingendem Spiele an und nahm zwischen den beiden Portalen Aufstellung, und um die erste Mittagsstunde erschien der Kaiser. Er trug die Kürassieruniform, und, mit begeistertem Morgengruß von seinen Grenadieren empfangen, schritt er langsam deren Front entlang und trat dann durch das Schloßportal zurück. Unter den schmetternden Klängen der Musik schritt der Fürst neben dem Prinzen Heinrich an der Front der präsentierenden Grenadiere hin, und nun war kein Halten mehr für die immer stürmischer vordrängende Flut des Volkes. Über den freien Platz vor dem Schlosse wogte sie heran, schnell und immer schneller, und bald war der Gefeierte umringt von den Tausenden, die nach seinen Händen, nach dem Saume seines Paletots faßten, um ihm ihre Liebe und Verehrung zu bezeigen. Jetzt betrat er das Schloß, durchschritt in dem ersten der für ihn bestimmten Gastgemächer die Reihe des kaiserlichen Hauptquartiers – und im zweiten stand er Kaiser Wilhelm II. selbst gegenüber, Auge in Auge, Hand in Hand, und niemand war Zeuge dieser Begrüßung, deren Bedeutung aber nachempfunden wurde, soweit die deutsche Zunge klingt. Schöner konnten die freundschaftlichen Beziehungen des Herrschers zu dem treuen Berater seines Hauses freilich kaum angedeutet werden, als bei der Frühstückstafel, welche im allerengsten Kreise eingenommen wurde. Zwischen dem Kaiser und der Kaiserin saß der Alt-Reichskanzler, und niemand störte die freundliche Weihe dieser Stunde. Dann war Kaiser Wilhelm auch auf die Ruhe seines Gastes bedacht, der sich auf seinen Wunsch einige Zeit in seine Gemächer zurückzog. Aber nicht für lange, denn ein solcher Tag konnte nicht zur Rast bestimmt sein, und der Fürst zeigte, daß er trotz Alters und Unwohlseins noch immer »der eiserne« Kanzler war. Um 4 Uhr nachmittags, nachdem ihm schon vorher sein Amtsnachfolger General von Caprivi und sämtliche Staatssekretäre durch Abgabe ihrer Karten begrüßt hatten, fuhr er bei der Witwe Kaiser Friedrichs vor, um ihr seine Ehrerbietung zu beweisen, und nach 6 Uhr fand er sich an der kaiserlichen Tafel ein, an welcher außer dem kaiserlichen Paare auch König Albert von Sachsen und Graf Herbert Bismarck teilnahmen. Aufs neue aber begann sich die Volksmenge Unter den Linden zusammenzuscharen, um den Fürsten auch bei seiner Abreise zu begrüßen. Heller Lichtglanz flutete aus den Fenstern »Unter den Linden«, als um 7 Uhr 10 Minuten die Gardereiter durch die breite, prächtige Straße ritten und hinter ihnen her der Galawagen rollte, in welchem diesmal Kaiser Wilhelm II. selbst seinem Gaste das Geleit gab. Auch der Lehrter Bahnhof war von vollem Lichtglanz erhellt, dessen Schein die Gruppen der hohen Offiziere und des kaiserlichen Hauptquartiers beleuchtete, das in erwartungsvollem Schweigen auf dem Perron stand. Langsam schritt Bismarck zur Seite des Kaisers heran, nach dem Salonwagen. Noch einmal fügte sich Hand in Hand, und in sichtlicher Bewegung zog der junge Herrscher den greisen Recken näher heran zu sich und küßte ihn wiederholt auf die Wangen. Nun bestieg Bismarck den Salonwagen; entblößten Hauptes stand er an dem Fenster und sah hinaus auf seinen Kaiser, der noch immer in huldvoller Weise redete. Das letzte Glockensignal verklang – – in die weithin schallenden Hochrufe mischte sich der brausende Gesang: Deutschland, Deutschland über Alles, Über alles in der Welt! Und den Nachhall dieses Liedes in gehobener Seele, fuhr der eiserne Kanzler wieder heimwärts nach seinem stillen Sachsenwalde. Der darauffolgende Besuch des Kaisers in Friedrichsruh besiegelte die Versöhnung. Der letzte Schatten war gewichen aus seiner Brust, der volle Friede eines großen, segensreichen, abgeschlossenen Wirkens erfüllte ihn und verklärte wie ein mildes Rot den Abend seiner Tage. * * * * * Er sollte seinen lieben, stillen Sachsenwald nicht mehr verlassen. Mit der gelassenen Ruhe des großen Mannes schaute er von seiner friedlichen Warte den Welthändeln zu, glücklich im Kreise der Seinen, und immer aufs neue erfreut durch die mannigfaltigen Kundgebungen der Liebe und Verehrung seines deutschen Volkes, die ihn auch in seinem weltfernen Asyl aufsuchten. Da traf ihn der herbe Verlust seiner Gemahlin, die wie ein guter, treuer Kamerad mit ihm durch das Leben gegangen, und die ihm innig an das Herz gewachsen war. Seitdem sah ihn das Dasein mit immer trüberen Augen an, und seine eigene Gesundheit kam immer mehr ins Wanken. Und auch die treueste, hingebendste Liebe seiner Familie, die aufopfernde Pflege seines Leibarztes Dr. Schweninger konnten zuletzt das Unaufhaltsame nicht mehr aufhalten. Es war der Sommer des Jahres 1898 gekommen und breitete seinen Schimmer über den grünen Sachsenwald. Aber im Herrenhause zu Friedrichsruh hegten liebende Herzen bange Besorgnisse. Der greise Fürst rang mit immer wiederkehrenden Beschwerden, und wenn seine starke Natur auch vorübergehend zu siegen schien, der heimtückische Gegner, mit dem er kämpfte, setzte sein furchtbares Werk fort und brachte es jählings zu Ende. Am 28. Juli abends hatte der Fürst im Kreise der Seinen bei einem Glase Wein gesessen, die geliebte Pfeife geschmaucht und sich lebhaft und heiter wie in früheren Tagen unterhalten; am 30. vormittags las er seine Zeitungen, frühstückte in gewohnter Weise und klagte scherzend über den geringen Zusatz von Wein zu dem ihm gereichten Wasser. An dem Nachmittag desselben Tages brach er zusammen, und um die elfte Stunde der Nacht trat ihm schon der Tod an das große, treue Herz. Um ihn stand seine Familie, ihm zur Seite der treue Leibarzt, der die letzten Atembeschwerden ihm zu lindern bemüht gewesen, indes des Fürsten edle Tochter, die Gräfin Rantzau, ihm den Todesschweiß von der Stirn trocknete. Ihr galt des Sterbenden letztes Liebeswort: »Danke, mein Kind!« Dann lag er wie ein Schlafender, mit mildem, friedlichem Antlitz, hoheitsvoll und edel. An seinen Sarg trat auch Kaiser Wilhelm II., der auf die Trauerkunde, die er auf einer Nordlandsreise in Bergen erhalten hatte, sogleich heimkehrte und am 2. August in Begleitung seiner erlauchten Gemahlin in Friedrichsruh eingetroffen war. Im Sterbezimmer fand die schlichte und doch so erhebende Trauerfeier statt. Das schwarz drapierte Gemach war erfüllt von betäubendem Blumenduft, der das ganze Schloß durchzog, und der schwarzpolierte Eichensarg verschwand unter riesigen Kränzen, von denen Wagenladungen aus allen Teilen Deutschlands nach dem stillen Friedrichsruh kamen. Am Fuße des Sarges aber lagerte der prachtvolle Kranz von Teerosen auf Lorbeerblättern und Eichenlaub, der auf einer weißseidenen Schleife die Anfangsbuchstaben des Kaiserpaares trug. Der Kaiser hatte gewünscht, daß »sein großer Toter« im Dome zu Berlin beigesetzt werde, aber der eigene letzte Wunsch des Entschlafenen stand dem entgegen. In seinem stillen Sachsenwalde wollte Bismarck seinen letzten Schlaf schlafen in einem schmucklosen kleinen Hause, und die Grabschrift, die er sich selbst verfaßt, sollte lauten: »_Fürst von Bismarck, geboren am 1. April 1815, gestorben am ……, ein treuer, deutscher Diener Kaiser Wilhelms des Ersten._« Im Sterbezimmer eingemauert blieb der Sarg mit den irdischen Resten des großen Kanzlers, bis das kleine Mausoleum auf dem Waldhügel gegenüber dem Parktor vollendet sein würde. Es ist ein friedlich-stilles Plätzchen. Ringsum rauschen die alten Eichen, und von dem nahen Hügel, auf welchem die von treuen Anhaltinern gestiftete Hirschgruppe steht, grüßen die dunklen Tannen, und der Blick schweift über Schloß und Park und über ein schönes, freundliches Stück des Sachsenwaldes. Hier wurde er am 16. März 1899 gebettet. Das ganze deutsche Volk war im Geiste zugegen, als sein großer Kanzler den letzten Pfad zurücklegte, und Hunderttausende haben es beklagt, daß es aus mancherlei Gründen nur einer kleinen Zahl Leidtragender vergönnt war, das ganze deutsche Volk in jener Weihestunde vertreten zu dürfen. Der deutsche Kaiser hat auch diesmal nicht gefehlt. Beim dumpfen Klange des Chopinschen Trauermarsches bewegt sich der Zug aus dem Schlosse. Der Regimentskapelle folgt in weitem Abstande die Leichenparade, und längs des ganzen Weges flammt das Licht vieler tausend Fackeln auf, von deren düsterer Glut bestrahlt der Leichenkondukt langsam vorwärtsschreitet. Überall entblößte Häupter – Totenstille – auch die Natur hält den Atem an. Nun naht der Sarg der Fürstin, die an des Gatten Seite ruhen soll, und schwankt, von Kränzen beladen, auf den Schultern der in altspanische Tracht gekleideten Träger. Ihm folgt in einigem Abstande der Sarg des Kanzlers. Eine aus Lorbeer gewundene Fürstenkrone liegt zu Häupten. An den Seiten der Träger gehen im Schmuck der blinkenden Waffen Seydlitzkürassiere. Und unmittelbar hinter dem Sarge, an der Seite des Fürsten Herbert Bismarck, schreitet in der Uniform der Halberstädter Reiter der Kaiser, den blitzenden Stahlhelm auf dem Haupte, das bleiche Angesicht gesenkt. Mit dem zwölften Glockenschlage werden die Särge in der Kapelle des Mausoleums vor dem kleinen Altare niedergesetzt, mit gezogenen Säbeln, starr wie Bildsäulen, stehen die Kürassiere. Auch der Kaiser läßt sich nicht nieder während der Feier. Der Lieblingschoral der verewigten Fürstin klingt durch die Halle: »Die wir uns allhier beisammen finden«, der Geistliche spricht kurze, erhebende Worte, dann kam wieder Orgelton und frommer Gesang des Liedes: »Mach End’, o Herr, mach Ende«! … Drei Salven der hinter dem Mausoleum aufgestellten Ehrenkompagnie dröhnten dazwischen … dann war alles zu Ende. – Die Gruft schloß sich über dem besten und größten Sohne Deutschlands! Aber von ihm wird ein Singen und Sagen gehen bis in die fernsten Zeiten, und solange es ein Deutsches Reich und ein deutsches Volk geben wird, wird es zu seinen schönsten und edelsten Pflichten zählen, in ehrenvollster Erinnerung zu bewahren die große Zeit der Erneuerung des Reiches, den herrlichen Kaiser Weißbart und den Mann, der Deutschland in den Sattel gehoben hat, _den eisernen Kanzler_. [Illustration] Setzmaschinensatz und Druck von A. Seydel & Cie., G. m. b. H., Berlin ~S.W.~ Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Korrekturen: S. 209: Februir → Februar am 26. {Februar} 1871 zu Versailles S. 216: betätigen → bestätigen Feier Ihres siebzigsten Geburtstages zu {bestätigen} Die unterschiedlichen Schreibweisen Skierniwicze und Skiernewice wurden einheitlich zur aktuellen Schreibweise Skierniewice korrigiert. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BUCH VOM EISERNEN KANZLER: EINE ERZÄHLUNG FÜR DEUTSCHLANDS JUGEND *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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