The Project Gutenberg eBook of Was der schwarze Hans erlebte: Kindererzählung aus der Heimat This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Was der schwarze Hans erlebte: Kindererzählung aus der Heimat Author: Theodor Zenner Release date: February 19, 2022 [eBook #67440] Language: German Original publication: Luxembourg: Kremer & Rettel, 1921 Credits: Jens Sadowski, Richard Scheibel, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WAS DER SCHWARZE HANS ERLEBTE: KINDERERZÄHLUNG AUS DER HEIMAT *** Was der schwarze Hans erlebte. Kindererzählung aus der Heimat von Theodor Zenner. Esch an der Alzette. Druck und Verlag: Kremer & Rettel. 1921. Meinem Vater selig in dankbarer Erinnerung gewidmet. I. Der schwarze Hans?! Wer war denn das? – Vielleicht ein ausgelassener, böser Bube? – ein Räuber? – ein Neger im fernen Afrika? Nichts von alledem. Der schwarze Hans war nichts anders als ein alter, sehr alter Rabe. Aus der Naturgeschichte ist euch gewiß bekannt, daß die Raben ein sehr hohes Alter erreichen; ja man sagt sogar, sie könnten es bis auf 200 Jahre bringen. – So alt war freilich unser Hans noch nicht; aber über 100 und weit darüber gingen seine Jahre. Genau wie alt er sei, wußte er eigentlich selbst nicht; denn die alte Tanne, worin er jedesmal ein Zeichen eingehackt, wenn der garstige Winter von dannen zog und ein neuer Frühling in die Länder kam, war vor 50 Jahren umgehauen worden; und so war Hansens Tagebuch verloren gegangen. Gegen 140 mochten seine Sommer zählen, vielleicht einige mehr, vielleicht einige weniger; doch das verschlägt ja auch nichts; Hans war sehr alt, und das genügt. Trotz seines hohen Alters war er aber noch sehr rüstig. Zwar ging er wie alte Leute etwas gebückt, aber seine Federn waren noch nicht weiß geworden; sie schillerten nur etwas ins Grünliche hinüber. Er hörte auch noch vorzüglich, und im Fliegen hätte er es mit einem Zwanzigjährigen aufnehmen können. Oft indes klagte Hans, daß in den letzten Jahren sein Augenlicht bedeutend abgenommen habe; er sah bei weitem nicht mehr so klar wie früher. Die Brille, die er im Garten des Lehrers gefunden, leistete ihm daher treffliche Dienste. Fast beständig trug er sie; selbst wenn er erzählte, setzte er sie bedächtig auf, und über die Gläser hinweg sah er scharf seine Zuhörer an. Viel war der Hans in seinem langen Leben im Lande herumgekommen. Gute und böse Tage und Jahre hatte er gesehen. Für alles hatte er ein offenes Auge gehabt; Land und Leute hatte er fleißig beobachtet, und er hatte sich alles wohl gemerkt und eingeprägt. Sein Gedächtnis war noch frisch, seine Zunge gelenkig wie in ihren besten Jahren. Kein Wunder also, wenn Hans erzählen konnte, wie kaum ein zweiter. Weit und breit war er dafür bekannt, und die Rabenbüblein der ganzen Gegend kamen gerne zu ihm, um seinen Erzählungen zu lauschen. Umsonst freilich erzählte der alte Hans nicht. Seine kleinen Zuhörer mußten ihm Geschenke bringen, Engerlinge, Regenwürmer und dergleichen Leckerbissen, und nach der Menge der Gaben richtete sich die Länge seiner Geschichten. Väterchen Hans erzählte gerne. Seine helle Freude hatte er jedesmal, wenn ihm die Rabenbüblein mäuschenstill zuhorchten. Besonders gern erzählte er „gruselig“, so gruselig, daß manchmal die schwarzen Bürschlein regungslos da saßen, kein Auge von ihm abwandten und kaum noch zu atmen wagten. Heute nun, an einem lauen Sommerabend, waren sie wieder zu ihm gekommen; jeder hatte das Beste mitgebracht, was er zu finden vermocht, und vieles hatten sie zusammengetragen, daß Väterchen Hans ihnen einmal lange, sehr lange erzählen möchte. So hatte er es neulich versprochen, und das wußten sie, wenn Väterchen Hans etwas versprach, konnte man sich darauf verlassen. Auf einer hohen Eiche, droben bei Folkendingen, hatten sie Platz genommen; zu oberst Vater Hans, um ihn herum ein halb Dutzend schwarzhaariger Rabenbüblein, alle voller Spannung auf die versprochene lange Geschichte. Lächelnd hatte Meister Hans die hergebrachten Leckerbissen verzehrt; einige Würmlein nur hatte er auf dem knorrigen Aste liegen gelassen, um sich daran zu ergötzen, wenn ihm etwa während der Erzählung die Zunge trocken werden sollte. Bedächtig rückte er die Brille zurecht und begann dann feierlich und voller Weihe: „Lange ist es her, Kinder, damals, als noch allenthalben dichte Wälder das Luxemburger Land bedeckten, – gegen das Jahr 1780 – da stand meine Wiege droben im Ösling“. Da lachten die kleinen Rabenbuben hell auf: „Ha, ha, ha, ha! Papa Hans! Deine Wiege! Eine Wiege hast du ja gar nicht gehabt! Ha, ha, ha!“ Vater Hans verzog mißmutig das Gesicht. Wie konnten die vorlauten Buben wagen, ihm, dem alten Manne in die Rede zu fallen? Einen Augenblick sah er sie vorwurfsvoll über die Brille an. Doch bald lächelte er wieder und fuhr vergnügt fort: „Ja, es ist auch nur um so zu sagen, Kinder. Unser Nest glich doch einer Wiege, denn geschaukelt wurden wir darin mehr als manches Menschenkind in seinem Holzkasten. Auf einer alten Eiche über der Anhöhe bei Michelau stand unser Heim. Sorgsam hatten die Eltern es in die Baumkrone hineingesetzt. Und weich, ganz weich war es gepolstert. Tief unten hatten die Eltern es mit feiner Wolle ausgeschlagen, die sie an den Dornenhecken pflückten, wo die Schafherde vorbeigegangen, und darüber hatten sie schöne weiße Federchen und Daunen gelegt, die sie aus den Tannen bei Bürden holten, wo die Habichte hausten und die Hühnchen und Tauben verzehrten. Wie mir der Verstand aufging, saß ich droben auf dem hundertjährigen Baume und sah mir die Gegend ringsum mit neugierigen Augen an. Unserm Hause grade gegenüber, auf der jenseitigen Anhöhe, stand das Schloß von Burscheid, voller Schönheit und Pracht! Heute, – ach wie sich die Zeiten ändern! – heute ist es nur mehr eine traurige Ruine, die nicht einmal mehr ein schwaches Bild seiner früheren Herrlichkeit geben kann. Und drunten im Tale floß die Sauer, ein breiter Silberstreifen im saftigen Wiesengrün. In weitem schlankem Bogen zog sich das klare Wasser zwischen den hohen Bergen hindurch, von der Burscheidtermühle an, wo es aus den Bergen zu kommen schien, bis unterhalb Michelau, wo es hinter einem vorspringenden Bergrücken abermal zwischen den Felsen verschwand. Und aus den Tümpeln an ihren Ufern brachten die Eltern Leckerbissen – ah! Fischlein, Fischlein, ah!“ Dabei glitt die spitze Zunge Hansens langsam am Schnabel vorbei, und die kleinen Rabenbuben taten desgleichen. Mit glänzenden Augen sahen sie Vater Hans an; das Wasser lief ihnen im Munde zusammen, und einer nach dem andern schluckte verstohlen, daß man es leise in der Runde gurksen hörte. „Und du hast keine Angst gehabt, Väterchen Hans,“ unterbrach der kleine Rassi, ein vorwitziges gewecktes Kerlchen, „du könntest vom Baume herunterfallen, als dir die Flügel noch nicht ausgewachsen waren?“ „A... Angst!“ wiederholte Vater Hans und verächtlich schaute er Rassi an. „Bah, Angst! Angst hab ich in meinem ganzen Leben noch keine gekannt. Und wenn der Wind recht heftig durch die Bäume fuhr und an unserm Hause rüttelte, wenn gar von Kehmen herunter ein Gewitter rabenschwarz ins Tal stieg und den Baum schüttelte, daß wir beinahe aus dem Neste geschleudert wurden, dann hatte ich erst rechte Freude.“ Die Rabenbüblein wanderten sich und staunten über solchen Mut. „Ja, damals, Väterchen Hans“, fuhr der kleine Rapsi, ein Bürschlein, das erst vor drei Tagen flügge geworden war, dazwischen, „damals gab es wohl auch noch keine so bösen Menschenbuben wie jetzt. Wenn du heute im Neste sitzen würdest, dann würde dir schon die Angst kommen, ganz gewiß!“ „Paperlapap,“ grinste Hans. „Buben sind Buben. Auch früher gab es freche Buben, grade so gut wie heute.“ Langsam rückte er mit einer Kralle die Brille zurecht, suchte den dicksten der noch übriggebliebenen Würmer und verzehrte ihn mit sichtlichem Wohlbehagen. Dann setzte er seine Erzählung fort: „Böse Buben, ja, ja! Als ich noch im Neste saß, da kamen einmal ihrer drei, böse, freche Kerle, – ich sehe sie noch. – Oben über die Felder schlichen sie herunter und gingen am Saume der Hecken entlang. Plötzlich blieben sie stehen. Sie hatten unser Nest entdeckt. Einen Augenblick beratschlagten sie miteinander. Zwar verstanden wir nicht was sie sagten, aber an den verstohlenen, unheimlichen Blicken, die sie nach dem Neste richteten, erkannten wir wohl, daß sie nichts Gutes im Schilde führten. Bald standen sie unter dem Baume. Schon schickten sie sich an, denselben zu ersteigen. Einer umklammerte den knorrigen Stamm, die beiden andern stützten ihn und halfen ihm nach. So kroch er herauf, immer höher und höher. Da habe ich doch ein wenig gefürchtet. Schon saß er in den Ästen. Deutlich hörte ich, wie er mit seinen Gesellen, die unten standen, redete. Schwarze Pläne waren es, die sie ausspannen. „Sind Eier drin“, sprach der Bösewicht, „so werden sie geschlürft, sind Junge drin, dann gehen sie mit in den Käfig. Jeder von uns erhält einen, und die überzählig sind, werden totgeschlagen.“ „Ha, der Mörder,“ knirschten erbost die Räblein! „Wir waren zu vier Brüderlein“, erzählte Hans wehmütig weiter, „und haben gezittert, als wir die freche Rede hörten.“ „Waren denn der Vater und die Mutter nicht da“, unterbrach hastig der kleine Rassi, „daß sie den frechen Buben fortgetrieben hätten?“ „Ihr könnt euch denken, wie wir geschrieen haben“, entgegnete Hans, „so laut, so laut. Aber die Eltern waren fort, weit fort, um Essen zu holen. Hoch über den Berg, bis zum Kippenhof, waren sie geflogen. Dort hatten sie tagsvorher ein Häslein für uns erbeutet, und das wollten sie uns stückweise zum Neste bringen. Schon war der böse Bube so nahe gekommen, daß er uns gleich erreichen mußte. Angstvoll drückten wir uns in die entgegengesetzte Ecke des Nestes und schrieen so laut wir nur konnten. Plötzlich, – ach ich zittere so oft ich daran denke! – plötzlich neigte sich das Nest etwas zur Seite und unser armes Brüderlein Jackli stürzte kopfüber in die schaurige Tiefe.“ „Und die andern?“ zitterte Rassi. „Es ging noch gut,“ atmete Hans auf, gleichsam als erlebe er diese qualvolle Angst ein zweites Mal, „der Kleine hatte sich kein Leid getan; in seiner Todesangst hatte er kräftig mit seinen Flügelein geflattert und unter dem Baum war dichtes, weiches Moos; für uns aber sorgte der Vater. Just wie der böse Bube die Hand nach uns ausstreckte, erschien er, gerade noch zur rechten Zeit. Gleich hatte er die Absicht des bösen Buben erkannt.“ Einen Augenblick hielt der alte Hans inne. „Und dann, und dann ...?“ drängten neugierig und zitternd einige Stimmen. „Und dann“, fuhr Vater Hans bedächtig fort, „dann hättet ihr einmal meinen guten Vater sehen sollen! So zornig hatte ich ihn noch nie gesehen. Geradeswegs stürzte er auf den Buben los. Mit einem heisern Schrei saß er ihm im Nacken; wütend fuhr sein kräftiger Schnabel auf den Bösewicht nieder. Ha! da hättet ihr einmal Schmerzensschreie hören können! Heulend zog der Bube den Kopf zwischen die Schultern und rutschte am Baume hinab, so schnell er nur konnte. Aber der Vater ließ nicht locker. Immer wieder hieb er auf ihn ein. Hu! wie des Buben Federn flogen! Ganze Büschel Haare zauste der Vater ihm aus; allenthalben lagen sie später um den Stamm der Eiche herum. Hätte man sie sammeln wollen, ein ganzes Nest hätte man damit auf’s feinste polstern können. Kaum war der Bube unten am Boden angelangt, so eilte er den Berg hinunter, so rasch er nur konnte; seine Mütze, die ihm entfallen war, ließ er unter dem Baume liegen und drei Tage später war er noch nicht wiedergekommen, sie zu holen. Seine Begleiter hatten schon das Weite gesucht, sonst hätte der Vater auch ihnen die verdiente Strafe gegeben.“ „Bravo, Bravo!“ jubelten in einem Chor die Rabenbüblein und freudig klopften sie mit den Flügeln. „Der hatte seinen Herrn gefunden, dem war sein Recht geschehen!“ „Und sind sie anderntags nicht wiedergekommen und haben noch größere Buben mitgebracht?“ fragte Rassi erregt. „Nie sind sie wiedergekommen, bis heute nicht“, erwiderte Hans triumphierend. Sie hatten sich die Lehre gemerkt und werden sie, denke ich, zeitlebens nicht vergessen haben. II. So war denn diese große Gefahr glücklich vorübergegangen. Unter der sorgsamen Obhut der Eltern wuchsen wir heran. Nur mehr wenige Tage trennten uns von der freudigen Stunde, wo wir großjährig werden und unsern ersten Ausflug machen sollten. Doch da kam jener Unglücksmorgen, den ich nie vergessen werde, und sollte ich auch 500 Jahre alt werden. Die Eltern waren eben wieder weggeflogen. Sie hatten uns mitgeteilt, daß sie bis Diekirch hinuntereilen wollten, wo einer unserer dortigen Verwandten ein Reh in einer Schlinge gefunden hatte. „Dort gebe es,“ sagte der Vater, „ein Freudenmahl, wie unsere Familie schon jahrelang keines mehr gesehen hätte. Vor Mittag könnten sie schwerlich zurück sein. Wir sollten uns hübsch ruhig verhalten; vor allem dürfe sich niemand über das Nest hinüberlehnen, damit kein Unglück geschehe. Auch versprach er uns einen fetten Bissen mitzubringen, daß wir noch lange an jenen Tag denken würden.“ Doch kaum waren die Eltern fortgeflogen, da kamen durch den gewundenen, holperigen Heckenpfad von Lipperscheid herauf drei halberwachsene, ausgelassene Burschen. Zaghaft zogen wir die Köpfchen ein. Tief duckten wir uns in’s Nest, in der Hoffnung, daß sie uns nicht entdecken und dann vorüberziehen würden. Indes, wir hatten uns getäuscht. Unter dem Baume blieben sie stehen. Wir hörten, wie sie von unserm Neste redeten. Nachdem sie eine Zeitlang beratschlagt, schickte sich einer der drei an, den Baum zu ersteigen. Es gelang ihm aber nicht, trotz wiederholter Versuche. Auch die beiden andern, welche nach ihm heraufzuklettern suchten, hatten keinen Erfolg. Jedesmal, wenn sie einige Meter erklommen hatten, rutschten sie wieder hinab.“ „Aha, das war gut!“ jubelten die Räblein. „Ihr hattet ihnen doch nichts zuleide getan, da konnten sie ja ruhig ihres Weges weiterziehen!“ „Wir freuten uns“, fuhr Vater Hans fort, „und hätten laut aufjubeln mögen, als wir sie nach einer Weile unverrichteter Dinge abziehen sahen. Aber leider sollte unsere Freude nicht von langer Dauer sein. Voll Zorn, daß sie nichts erreicht hatten, stiegen die drei Lümmel die kleine Anhöhe hinauf, welche zur Seite des Feldes unser Nest überragte. Einige Zeit hatten wir nichts mehr gehört. Schon glaubten wir alle Gefahr verschwunden. Da sauste plötzlich ein dicker Stein an unserm Nest vorüber. Ich lüge nicht, aber ganz gewiß war er dicker als mein Kopf.“ Angstvoll reckten die Räblein ihre Köpfchen und mit weit aufgerissenen Augen stierten sie den alten Hans an. Leise redete er weiter. „Wir duckten uns rasch ins Nest hinein, so tief wir nur konnten. Weitere Steine folgten. Immer zahlreicher hörten wir sie an uns vorbeifliegen. Bald gingen sie in weitem Bogen über das Nest und den Baum hinweg; dann wieder fuhren sie klatschend durch das Laub neben oder unter uns, und leise hörten wir sie unten am Berge aufschlagen. Lange folgte Schuß auf Schuß. Noch waren sie alle glücklich vorbeigegangen. Weder uns noch unserm Neste war ein Unheil geschehen. Das aber reizte die bösen Burschen noch mehr. Zitternd hörten wir, wie sie abwechselnd einer den andern aufforderten, aus den umliegenden Feldern Steine herbeizutragen. Ohne Rast und Erbarmen schleuderten sie ihre Geschosse weiter. Nach langen, qualvollen Minuten hielten sie plötzlich inne. Einige Zeit blieb alles still. Ich horchte hinunter. Da ich gar nichts mehr hörte, sprach ich freudig zu meinen Brüderlein: „Endlich sind sie fort.“ Erleichtert atmeten wir alle auf. Ungefähr fünf Minuten war alles ruhig geblieben. Da beugte sich unser Brüderchen Rappi rasch über den Rand des Restes hinüber. Er wollte spähen, ob die grausamen Kerle wirklich davongegangen seien. Doch, o weh! Gerade in dem Augenblick traf ihn der tötliche Schuß. Hart an die Schläfe getroffen, schrie er plötzlich grell auf. Gleich sank sein Köpfchen seitwärts und färbte die Reiser des Restes blutigrot. Seine sonst so klaren Äuglein füllten sich mit Tränen. Wehmütig sah er uns alle noch einmal an. In wenigen Sekunden wurde sein Blick trüb und immer trüber; einige Male noch ging sein Atem rasch und schwer. Leise stöhnend starb er schon nach etlichen Minuten. Und von neuem sausten die bösen Steine, die auch uns ein jähes, grausames Ende bringen konnten.“ Regungslos, mit halbgeöffnetem Schnabel saßen die Räblein da und sahen Hans angstvoll an. Leise, mit tränenerstickter Stimme, fragte Rassi teilnahmsvoll: „Und was sagten die Eltern, Väterchen Hans, als sie Mittags heimkehrten?“ „O, darüber laß mich schweigen, Rassi,“ entgegnete Hans traurig, „was würden deine Eltern sagen, wenn ein böser Mensch dich totwerfen würde? Anderntags, als die Mutter auf einem mehr abseits stehenden Baum herzzerreißend um das tote Brüderlein weinte, nahm der Vater schluchzend die kleine, blutbefleckte Leiche in seine festen Krallen und flog damit fort, weit weg über die Berge. Erst nach langer Zeit kehrte er heim. Wohin er das tote Brüderlein begraben, hat er uns nie mitgeteilt.“ Der alte Hans hielt inne. Tränen erstickten seine Stimme. Das harte Mißgeschick, das den armen kleinen Rappi betroffen, und das große Leid, welches die bösen Buben seinen lieben Eltern bereitet hatten, war auch den Rabenbüblein tief zu Herzen gegangen. Bittere Tränlein rollten aus ihren Augen und tröpfelten leise drunten in das dürre Laub. III. „Doch war damit“, fuhr Hans abermal fort, „des Unglückes noch nicht genug. Einige Tage später kam ein großer Kerl – wie ich später erfuhr, war er Knecht auf der Erpeldingermühle – an unserm Baum vorüber. Auch er blieb stehen und spähte einige Zeit nach unserm Neste. Obschon wir uns ganz ruhig verhielten, machte er dennoch bald Anstalten, den Baum zu ersteigen. Er warf seine weiße Mütze zu Boden, umklammerte fest den knorrigen Stamm und kam rasch an demselben empor.“ „Er kommt nicht herauf, er kommt nicht herauf,“ hastete Rassi wieder, „es geht ihm wie den drei Buben, er rutscht wieder hinunter!“ „Ja Rassi,“ lächelte Vater Hans, „so hatten auch wir gehofft, aber umsonst. Schon saß er in den Ästen. Nachdem er einige Minuten gerastet, kletterte er, schwer atmend, weiter. Plötzlich erschien sein großer, weißer Kopf ganz in unserer Nähe. Mit seinen frechen, schwarzen Augen glotzte er uns triumphierend an.“ Mäuschenstill war es wieder in der Runde geworden, die kleinen Rabenbüblein horchten unverwandten Auges. „Kamen denn diesmal die Eltern nicht zu Hilfe?“ fragte Rassi zitternd. „Väterchen Hans erzähl’, erzähl’! Wie ging es weiter? Kam nicht der Vater und hat den frechen Buben gestraft und hinuntergetrieben, wie den andern Bösewicht einige Tage früher?“ „Leider nicht, Rassi. Die Eltern waren fort und hörten unsere flehentlichen Hilferufe nicht. Was hätte es auch genützt, wenn sie da gewesen wären? Dieser Bursche war viel stärker als der Bube von damals; zudem hatte er sich mit einem Stock bewaffnet, und damit hätte er sich gewiß gegen die Eltern gewehrt; möglicherweise wären sie noch verwundet worden, und schließlich wäre doch der Räuber Meister geblieben.“ „Wie schade“, klagte Rassi traurig, und indem er das Köpfchen neugierig nach vorne streckte, „und dann, Väterchen Hans, und dann?“ „Guten Morgen, ihr Herren Räblein,“ sagte der Spötter. „Jetzt geht einer von euch mit mir zur Mühle“. Und er nahm einen von uns nach dem andern in die Hand und wog uns bedächtig; dann breitete er uns die Flügel aus und betrachtete sie genau; schließlich fand er mich als den größten von uns allen“. „Du gehst mir jetzt mit, Hänslein“, sagte er, „und die andern hol’ ich mir später, wenn sie etwas größer sind.“ Damit stieg er mit mir den Baum hinab; leise hörte ich noch einmal die Brüderlein klagen, und seitdem habe ich nie wieder etwas von ihnen erfahren“. „Ach, der böse Dieb und Räuber! Du hättest ihn beißen sollen, Väterchen Hans, bis er dich freigelassen hätte“, knirschte Rassi zornig, „oder fortfliegen hättest du sollen, es wäre dir gewiß schon gelungen.“ „Es wäre mir nicht gelungen, Rassi“, erwiederte Hans betrübt, „seine schwere Hand hatte mich zu fest umklammert; er preßte mir die Seiten zusammen, daß ich beinahe nicht atmen konnte und in Gefahr schwebte zu ersticken. Unter dem Baume drückte er mich in eine Tasche, die er mit einer Stecknadel sorgfältig verschloß. So war es unmöglich herauszuschlüpfen. In der Tasche war es eng, Kinder; eine Zehe war mir zwischen zwei harten Gegenständen eingeklemmt und schmerzte mich heftig.“ „War es denn hell in der Tasche, Väterchen Hans, und hast du gewußt, wohin der Räuber dich tragen würde?“ unterbrach schon wieder Rassi. „Ihr könnt euch denken“, lachte Hans, „ganz finster war es drinnen, so schwarz, daß ich nicht einmal die Richtung wußte, in der ich fortgetragen wurde. Nach einiger Zeit blieb mein Räuber stehen. Er öffnete die Tasche, ergriff mich wieder mit seiner Eisenfaust und zog mich ans Tageslicht. Aus der finsteren Tasche plötzlich in den hellsten Sonnenschein zurückversetzt, vermochte ich anfangs nicht aufzublicken. Nach einer Weile erst sah ich, daß sich die Gegend ganz verändert hatte. Vor mir lag ein schöner Wiesengrund. Eine breite Fläche tiefen, stehenden Wassers breitete sich in demselben aus, und seitwärts ging von ihm ein schmaler Graben aus, der das Wasser mitten in das im Hintergrund liegende weiße Haus hineinleitete. Das Haus war gedeckt mit Stroh, auf welchem bis zum First hinauf allerlei Moosarten herumstanden. Wir befanden uns vor einer alten Mühle. Heute ist sie verschwunden. Bereits vor einigen Jahrzehnten ist sie abgebrochen worden, nachdem sie lange Zeit als unbewohntes, baufälliges Gebäude leer gestanden hatte. Damals war sie noch in Betrieb, und ein Poltern drang aus derselben heraus, daß mir das Herz schneller schlug, und ich mein letztes Stündlein gekommen glaubte. Indem mein Räuber ein Liedlein pfiff, trug er mich dort hinein. Es war das erste Menschenhaus, welches ich aus der Nähe sah. Allenthalben standen sonderbare Gegenstände, die ich nicht kannte: schwere, runde Steine, groß wie Räder, dann wieder Wagen, Säcke, Ackergeräte u. s. w. Mit verwunderten Augen sah ich alles scheu an. Auf einmal fuhr ich erschrocken zusammen. Hinterher aus dem Hof erscholl ein wildes Schreien Hi ... hi ... hi! so fürchterlich, wie ich es noch niemals gehört hatte. Und als ich hinsah, kamen zwei große, unheimliche Tiere heran, tausendmal größer als ich. Rot waren sie wie die Eichhörnchen, aber viel größer und wilder. Mit schweren Schritten kamen sie gerade auf mich zu. Der Boden zitterte unter ihnen und Augen hatten sie größer wie mein Kopf“. „Wollten sie dich fressen, Väterchen Hans?“ fragte Rassi erschrocken. „Ja, so hatte ich auch gefürchtet“, lächelte Hans, „aber sie gingen vorüber, ohne nach mir zu schauen und verschwanden in einem schwarzen Loch hinter dem Gebäude. Später hörte ich, daß man sie Pferde nannte“. Laut krächzend lachten die Räblein auf. „Und die hast du gefürchtet, Vater Hans“, kicherte Rassi, der vor lauter Lachen fast nicht mehr reden konnte, „die guten Pferde, welche uns die fetten Raupen und Würmer herausgraben, wenn sie das schwere Eisen durch die Felder ziehen. Die hätte ich aber nicht gefürchtet!“ „Du willst immer den Held spielen, Rassi“, entgegnete Hans, voll Freude, daß seine kleinen Zuhörer sich so an seiner Erzählung ergötzten, „wenn du sie zum ersten Mal gesehen hättest, und du wärest festgehalten gewesen wie ich, dann hättest auch du gefürchtet, kleiner Prahlhans“. „Väterchen Hans, nur weitererzählen!“, klang es bittend aus der Runde, „der dumme Rassi muß immer schwätzen und dich unterbrechen; Väterchen Hans, und dann?“ IV. “Ja Kinder, dann kam für mich eine traurige Zeit, meine Gefängnisjahre könnte ich sie nennen. Ich wurde in einen großen Käfig gesperrt und mußte dort den ganzen Tag auf einem Stabe hocken. Der Stab war rund und glatt, so daß ich jeden Augenblick achtgeben mußte, um nicht herunterzurutschen. Auch Nachts mußte ich da sitzen, immer an derselben Stelle. Von allen Seiten kam die Kälte leise hereingeflogen; nur gegen den Regen war ich geschützt durch ein graues Tuch, welches Abends über den Käfig ausgebreitet wurde. Und manchmal in finsterer Nacht schlichen böse Tiere, die Katzen, mit grünschimmernden, raubgierigen Augen leise um den Käfig herum und reichten ihre bekrallten Tatzen durch das Gitter herein, um mich zu packen und mir den Garaus zu machen. Aber der schwarze Hans blieb wohlweislich in der Mitte des Käfigs sitzen, und ihre Mühe war umsonst“. „Hast du denn nichts zu essen bekommen im Käfig?“ fragte schon wieder der vorwitzige Rassi. Vater Hans lächelte. „Dann hätte ich ja bald verhungern müssen. Essen bekam ich wohl, mehr sogar als ich brauchte. Aber es war arme Kost, beinahe immer dasselbe. Dicke Milch und Kartoffeln, ohne Abwechslung, Morgens und Mittags und Abends dazu. Mein Räuber hatte einen eignen Löffel geschnitzt, um mich zu füttern. Ein langes, schmales Holz war es, das er inwendig etwas ausgehöhlt hatte. „Hänschen gaak,“ sagte er dann, und jedesmal mußte ich den Schnabel weit aufsperren, worauf er mir die Speise in den Mund drückte. Wenn ich aber einmal keinen Hunger hatte und den Schnabel nicht öffnen wollte, dann preßte er mir denselben auf und zwängte mir die Speise hinein. Trotz meines Widerwillens dagegen mußte ich sie dann doch schlucken, um nicht zu erwürgen. Ach, welche Zeit! Als ich dann größer wurde, ging es freilich besser; da brachte der Knecht mir das Essen in einer Holzschüssel, stellte es in die Ecke des Käfigs und sagte: „Hans gaak!“ worauf er sich wieder entfernte. Seit der Zeit habe ich meinen häßlichen Namen Hans. Zu Hause nämlich hatten meine Eltern mir einen viel schöneren Namen gegeben. Raspio hatte meine gute Mutter mich immer genannt. Aber die Menschenbuben sind böse; Schimpfnamen gefallen ihnen besser, und so ist mir der Name Hans geblieben bis auf den heutigen Tag. Auch andere törichte Reden führte der dumme Bursche, wenn er mir das Essen brachte. „Vogel friß oder stirb“, sagte er gewöhnlich, wenn er wegging. Dann lachte er selbst über diesen dummen Witz und er schien noch zu staunen über solch’ vermeintliche Weisheit. Ich aber sah ihm verächtlich nach und dachte: „Wenn Dummheit weh täte, was hätten manche Menschen Schmerzen!“ So hatte mein Vater immer gesagt.“ [Illustration: Auf einer alten Eiche bei Folkendingen hatten sie Platz genommen; alle waren voller Spannung auf die versprochene, lange Geschichte.] „Recht hast du gehabt, Vater Hans,“ nickte Rassi, „der dumme Kerl! Doch Väterchen, Milch und Kartoffeln, war das schmackhaft?“ „Schmackhaft schon“, bejahte Hans, „aber bei weitem nicht so lecker wie die Engerlinge und Fischlein, welche die Eltern brachten. Und auch der besten Gerichte wird man schließlich überdrüssig, wenn sie zu oft aufgetragen werden.“ Schon wieder platzte Rassi heraus: „Dann hätte ich es einfach stehen lassen und hätte nichts gegessen, Väterchen Hans!“ „Ja Rassi, du hast gut sprechen! Wenn der Hunger nicht wäre! Da muß man essen, auch wenn die Speise weniger zusagt!“ „Aber warum bist du denn nicht fortgeflogen, als du größer warst? Deine Flügel sind doch stark geworden. Warum bist du nicht heimgeeilt zu deinen Eltern?“ „Daran hatte ich schon gedacht, kleiner Naseweis. Aber die Türe des Käfigs war immer sorgsam verschlossen, und das Gitter war fest. Manchmal habe ich versucht es zu öffnen, habe mich manchmal an den Eisenstäben müde geschnabelt, aber der Käfig war zu fest, zu fest; alle Mühe war umsonst. Wenn ich dann hinaufsah zum blauen Himmelszelt, an dem die Wolken, vom sanften Winde getragen, langsam und still dahinschwebten, wenn ich unter ihnen die andern Rabenbuben lustig dahinfliegen sah mit frohem Gesang, ja Kinder, dann wurde mir oft das Herz dick. Manchmal weinte ich still und dachte: „Ach, wenn doch die Menschen wüßten, welches Leid sie einem freien Vöglein antun, wenn sie es einsperren, sie könnten doch nicht so grausam sein und müßten es wieder in die Freiheit ziehen lassen. Dann dachte ich auch an die armen Eltern und die Brüderlein droben, die ich schon so lange nicht mehr gesehen.“ Traurig klang wieder Hansens Stimme, denn jedesmal, wo er von seinen lieben Eltern redete, war sein Herz bewegt. „Ach Väterchen Hans“, trösteten gleich einige der Büblein, „denk nicht mehr an jene traurigen Tage. Heute hast du ja die goldene Freiheit. Erzähle weiter.“ „Meine Gefangenschaft im Drahtkerker dauerte, wenn ich mich gut erinnere, ungefähr sieben Jahre.“ Ein wehmütiges „Ah“ entschlüpfte den Räblein. „Einige Freudentage gab es allerdings in jedem Jahr. Im Frühling und Herbst war es, wenn der tiefe Mühlteich gereinigt wurde. Dann gab es Freude für die Menschen in der Mühle, aber auch für den armen Raspio in seinem eintönigen Gefängnis. Da gab es allemal Fische in Hülle und Fülle. Ha, wie ich da von der Küche her die Pfannen krachen hörte! Es war eine helle Freude. Die kleinen Fischlein, welche im Schlamme zurückgeblieben waren, wurden für mich gesammelt; manchmal fand sich auch ein Fröschlein dabei, und an diesen Leckerbissen konnte ich mich dann ergötzen nach Herzenslust.“ Leise hörte man wieder die Zünglein der aufmerksamen Zuhörer schnalzen, und der alte Hans selbst mußte schlucken, da er an diese Sonnentage seiner Jugend zurückdachte. „Aber ach“, sprach er, „diese Tage kamen nur zweimal im Jahr, und sie waren so bald wieder vergessen. Dann zog wieder das ewige Einerlei in meinen Speisezettel: Dicke Milch und Kartoffeln und wieder dicke Milch und Kartoffeln. Und dann die Langeweile! Stetig an derselben Stelle sitzen, Tag um Tag und Woche um Woche. Etwas Zerstreuung brachten nur die Tage, an denen für die umliegenden Ortschaften gemahlen wurde. Alle die in der Mühle aus und ein gingen, mußten an meinem Käfig vorbei, und so hatte ich Gelegenheit, sie genau zu beobachten. Ich habe es auch redlich getan; habe mir alle genau angesehen und manchmal meine bare Freude an ihrer Torheit gehabt. Kinder! wenn Dummheit weh täte ...! Junge Burschen sah ich oftmals kommen, stolzen Schrittes mit ihrer Last, und sie prahlten gern mit ihrer Kraft. Jeder von ihnen wollte der Stärkste und Tüchtigste sein. Besondere Freude machte es mir, sie zu beobachten, wenn sie zu mehreren zusammen waren. Ei, wie sie da in die Hände spuckten und die Mehlsäcke auf die Schulter warfen! Stolz blickten sie noch einmal rasch um sich, ob man auch ihre Stärke bewundere, sagten einen kräftigen „Guten Abend“ und traten den Heimweg an. Aber wenn sie an meinem Käfig vorübergingen, hörte ich sie schon leise und verhalten keuchen, und ich mußte über die Prahlhanse lachen, wenn sie drüben, schon gleich beim Bergaufstieg, Rast machen mußten. Aber was in der Mühle geschimpft wurde! Von den Namen, die mir gegeben wurden, will ich nicht einmal reden. Da gab es den ganzen Tag nichts anders als Hans hier und Hans da, gaak hier und gaak da. Freilich gefielen mir diese Schimpfnamen nicht, doch was sollte ich tun? Ich mußte mir dieselben ohne Klage gefallen lassen; ein Zornesausbruch meinerseits hätte den Burschen doch nur Freude bereitet und hätte sie noch schlimmer gegen mich gemacht. So blieb ich denn still auf meiner Stange sitzen, träumte vor mich hin und stellte mich schlafend. Dann zogen sie bald ab und ließen mich in Ruhe.“ „Ganz recht hast du getan, Väterchen,“ nickte Rassi, „so hätt’ ich es auch gemacht.“ „Übrigens“, fuhr Hans fort, „konnte ich mich trösten, denn es gab jemanden in der Mühle, der noch viel mehr gescholten wurde, wie der arme Raspio. Es war der Müller selbst. Kaum einer seiner Kunden verließ die Mühle, ohne sich bitter über ihn zu beklagen. Zwar verstand ich nicht alles, was sie brummten und schalten, aber es schien mir alles auf dasselbe hinauszuklingen: „Das sei nicht mehr gemoltert, das sei einfachhin gestohlen; bald könne man in einer Tasche forttragen, was man von diesem Wuchermüller noch mit nach Haus bekomme. Der klagte wieder, er habe zu wenig Kleie bekommen und jener, sein Mehl sei zu schwarz und entspreche nicht dem guten Getreide, welches er in die Mühle eingeliefert habe; kurz, der ewigen Klagen gab es gar kein Ende.“ Der kleine Rassi trippelte ungeduldig auf seinem Ästchen. Eines machte ihn besonders neugierig, wie Väterchen Hans die Freiheit wiedererlangt. Alles, was in der Erzählung nicht darauf hinwies, interessierte ihn weniger, und so drängte er denn schon wieder weiter: „Väterchen Hans, und dann? Kamst du denn noch nicht bald in die goldene Freiheit?“ „Ach, Rassi, noch lange, lange nicht. Da kamen noch mancherlei Tage dazwischen, gute, aber auch schlimme. Einer der allerschlimmsten meines Lebens aber war der, wo ich in die Schule ging.“ Wiederum erklang ein schallendes Rabengelächter über die Bäume. „So, Väterchen, auch in der Schule bist du gewesen? Ei, das muß lustig sein! Erzähl’, erzähl’!“ V. „Nein Kinder, lustig ist es für den armen Raspio keineswegs gewesen. Eines Tages erschien mein Kerkermeister, der Müllerknecht, am Käfig und rief mir freundlich zu: „So, dann komm Hänschen, komm!“ Ich sah ihn erstaunt an, denn er sah ganz anders aus als sonst. Er trug nicht den weißen Anzug mit der gleichfarbigen Mütze, sondern schwarze Kleider, die beinahe so hübsch waren, wie Rabenkleider. Statt der mehlbestaubten Mütze zierte ihn an jenem Tag ein weißer Strohhut mit buntfarbenem Band. Es war nämlich einer jener Tage, wo die Glocken allenthalben so feierlich klangen, von Diekirch herüber über den Goldknapp und aus der Höhe von Burscheid hernieder. Frühmorgens, da der Wind von Norden kam, hatte ich sogar den hellen Klang des Willibrordusglöckleins der Kapelle von Lipperscheid vernommen. An solchen Tagen kamen nie Leute zur Mühle; die Müllersleute aber gingen dann regelmäßig in Festtagskleidern schon am Morgen fort und kehrten erst gegen Mittag heim. „Hänschen komm,“ sprach der Knecht noch einmal, „jetzt geht es in die Schule.“ Dann lachte er auf, „denn“, sagte er, „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Was Schule sei, wußte ich nicht und verstand deshalb auch nichts von dem, was er vorhatte. Ich wäre deshalb am liebsten ruhig in meinem Käfig geblieben. So zog ich mich denn seitwärts und rückte auf der Stange bis in die äußerste Ecke des Käfigs. Mein Räuber aber war damit keineswegs zufrieden. Er versuchte mich nun durch List aus dem Käfig hervorzulocken. Indem er mit seinem langen Holzlöffelchen in den Überresten meines Mittagsmahles herumrührte, rief er schmeichelnd: „Hänschen komm,“ ein um das andere Mal. Auch das half nichts. „Rühr’ nur“, dachte ich, schüttelte still den Kopf und blieb in meiner Ecke sitzen. Ich hoffte, er würde mich dann in Ruhe lassen. Aber bald merkte ich, daß er anfing ungeduldig und zornig zu werden. Um ihn nicht noch mehr zu reizen, entschloß ich mich denn schweren Herzens, aus meiner sicheren Ecke herauszukommen; aber schon hatte er ein Reis ergriffen, mit dem er mir einige harte Schläge über die Stirne versetzte. „Die Schule geht gut an“, dachte ich und hüpfte, vom Schmerz getrieben, bis in die Mitte des Käfigs. Mit fester Hand ergriff mich daselbst der Räuber und zog mich aus dem Käfig hervor. Meine Flügel waren groß geworden, und im Stillen meines Herzens stiegen süße Hoffnungen und Pläne auf. „Vielleicht“, dachte ich, „vielleicht kommt jetzt in einem unbewachten Augenblick die Gelegenheit, rasch zu entschlüpfen, auf ewig dir und deiner Schule Lebewohl zu sagen und drüben über den Bergen die goldene Freiheit wiederzufinden.“ Rassi reckte abermal das Köpfchen. „Indes sollte diesmal meine schöne Hoffnung noch nicht ihre Erfüllung finden. Unter der schattigen Linde am Ende des Hofes machte der Knecht Halt. Um einen grüngestrichenen Gartentisch herum standen einige aus Haselstauden roh geflochtene Stühle und Bänke. Dort setzte er sich nieder. Ich hatte nun gemeint, er werde mich vor sich auf den Tisch stellen und dann ...! Schon hatte ich nach Kippenhof hinauf geschickt, mein Plan war fertig. Doch, hatte der Knecht meine verstohlenen Blicke gesehen oder traute er mir ohnedies nicht, er nahm einen starken Bindfaden und strickte mich damit fest an den Tisch. „Man weiß halt nicht“, sprach er leise, „was in solch einem Rabenhirn vorgehen kann!“ Mitleidsvoll blickte Rassi den alten Hans an. „War der Faden stark, Väterchen,“ fragte er, „und hättest du ihn nicht durchreißen können, wenn du einmal rasch und fest gezogen hättest?“ „Es war unmöglich Rassi ... Über den Krallen war der Strick befestigt, und dick war er, so dick, daß wir zu zehn ihn nicht hätten zerreißen können. Dann begann die sogenannte Schule. „Hannes“, sprach der Knecht, „nun hübsch aufgepaßt!“ Dann fing er an: „Ta-ta, Ta-ta! Allons Hans, ta-ta, ta-ta“ und immer wiederholte er dasselbe. „Ist der Bursche närrisch geworden“, dachte ich, „oder was will er mit seinem blöden Ta-ta? – Will er mir am Ende wieder einen neuen Namen geben? War schon der Schimpfname Hans nicht mehr gut genug? Der hatte mir schon wenig gefallen, jetzt auch noch Ta-ta zu heißen! „Nein, nein,“ dachte ich, „spar dir deine Mühe, Knechtlein, daraus wird nichts“. So schaute ich denn einfach vor mich hin und ließ alles geduldig über mich ergehen. Aber mein Lehrer gab sich damit nicht zufrieden. Immer wiederholte er jenes garstige Wort „Ta–ta“. Dann und wann stieß er mich dazu auf den Schnabel und sagte: „Allez Hans!“ Zuletzt, da ich der ganzen Sache überdrüssig wurde, rief ich einmal kräftig „Raspio“, um ihm zu bedeuten, daß ich bei dem von meiner Mutter erhaltenen Namen zu verbleiben gedenke und nicht gesonnen sei, andere Namen, wie Hans oder Tata, anzunehmen. Meine Antwort schien dem Peiniger Freude zu bereiten. „Brav, Hans“, sagte er, „brav! aber Ta-ta, ta-ta“, und dann ging dieselbe Leier weiter, fünfzig, sechzig Mal. Dabei sah ich den Burschen immer ungeduldiger und zorniger werden. Immer lauter sprach er sein Tata. Die Zornesader auf seiner Stirne begann zu schwellen, und immer unsanfter schlug er mich auf den Schnabel. Schüchtern sprach ich noch einmal „Raspio“, dann schwieg ich vollständig, denn ich sagte mir, einen zornigen Menschen soll man nicht noch mehr reizen.“ „Das war auch das Allerbeste“, warf Rassi rasch dazwischen. „Doch auch mein Schweigen brachte den Knecht nicht wieder zur Ruhe. Grobe, sehr grobe Worte und Schimpfnamen wechselten schon mit seinem Tata; dann redete er von Halsumdrehen und Ersäufen im Mühlenteich. Wie gerne hätte ich wieder still in meinem Käfig gesessen! Als ich aber dieserhalb einen flehentlichen Blick auf den Burschen richtete, fühlte ich plötzlich einen derben Faustschlag auf meiner Stirne. Halb bewußtlos sank ich zusammen. Was weiter geschah, kann ich mich nicht recht entsinnen. Ich fühlte noch, wie eine feste Hand mir die Brust umkrampfte, hörte noch abgerissene Worte, wie Schloß Burscheid und verlaufen; verschwommen sah ich noch meinen Käfig wieder und fühlte dann, wie ich hart auf dem Boden desselben aufschlug. Erschöpft blieb ich auf demselben liegen.“ „Der grausame Narr“, knurrten die Räblein und knirschten zornig mit den Schnäbeln. „Wie lange ich bewußtlos da lag, kann ich nicht sagen. Als ich zu mir kam, war es stockfinstere Nacht. Zitternd vor Kälte kauerte ich mich in die Ecke des Käfigs, wo ich bald wieder in tiefen Schlaf versank. Bei meinem Erwachen glitt schon vom Kippenhof her die Sonne über die vom blühenden Ginster vergoldeten Abhänge, und silbern glitzerten ihre Strahlen in den plätschernden Wellen der Sauer. Vom Schlage am vorhergehenden Tage verspürte ich nur mehr sehr wenig; doch ich war ganz durstig geworden. Glücklicherweise war das Wasser meiner Schüssel nicht ganz ausgetrocknet, und so konnte ich mich am kühlen Trunk erquicken. Bald fühlte ich mich wieder ganz wohl. Essen wurde mir an jenem Tage keines gebracht bis am Nachmittag. In derselben Einförmigkeit vergingen von da an wieder meine Tage.“ Abermals rückte der alte Hans an seiner Brille und stierte scharf auf dem Aste umher; denn schon war es etwas dunkel über dem Walde geworden. Vater Hans suchte nach seinen übriggelassenen Leckerbissen. Endlich hatte er noch einen dicken Engerling gefunden. Während er denselben langsam verzehrte, flatterten die Räblein einige Male leise mit den Flügeln und lächelten einander freudig zu, weil Väterchen Hans heute so lange erzählte. Dann setzten sie sich wieder still, denn schon war Hans zur Fortsetzung seiner Erzählung bereit. „Eines Tages, als eben die Müllersleute in Festtagskleidern verreist waren, erschien am Nachmittag der Knecht wiederum an meinem Käfig. Angstvoll dachte ich wieder an die Schule. Aber davon ging diesmal keine Rede. Er hatte einen Korb mitgebracht, und ohne ein Wort zu sagen, nahm er mich aus dem Käfig hervor. Dann setzte er mich in den Korb hinein und verschloß sorgsam den Deckel desselben. Daran fühlte ich, wie er den Korb aufhob und mit mir davonging. „Was soll er vorhaben? Wohin wird er mich tragen?“ das waren die bangen Fragen, die mich beschäftigten. Im Korbe war es ganz dunkel. Ich konnte nichts sehen. Ich hörte nur, daß der Knecht auf einem harten Wege Schritt für Schritt weiterging. Dann und wann pfiff er ein lustiges Liedlein, in das sich von fernher der muntere Gesang freiheitsfroher Vöglein mischte.“ „Wohin hat er dich denn getragen? Erzähle etwas rascher, Väterchen,“ drängte Rassi. „Nach Verlauf von etwa einer Stunde wurde der Korb plötzlich niedergesetzt. Draußen hörte ich das Rauschen und Plätschern eines großen Wassers, wie mir schien. In raschen Schlägen hämmerte mein Herz. Sollte der Knecht mich weggetragen haben, um mich im Wasser zu ertränken, wie er damals unter der Linde gedroht hatte? „Dann Raspio“, sagte ich mir, „ist nun dein letztes Stündlein gekommen, ein Entweichen hier ist nicht möglich.“ – Doch dachte ich wieder, „das kann doch kaum seine Absicht sein; wollte er mich töten, so hätte er mich nicht so weit fortzutragen brauchen; da hätte es genügt, mich in den Mühlteich oder in den Fluß daneben zu werfen, und kein Hahn hätte mehr nach mir gekräht, wie die Menschen zu sagen pflegen. Während ich solchen Gedanken nachging, wurde der Korb wieder aufgehoben, und wir gingen weiter. Wir mußten über ein Gewässer, entweder über eine Brücke oder einen Steg geschritten sein und nun an der andern Seite bergan steigen, denn ich fühlte, wie der Knecht nun bedeutend langsamer und schwereren Schrittes ging. Von oben herunter hörte ich das rauhe Bellen eines großen Hundes.“ Wiederum stierte Väterchen Hans suchend auf dem Aste hin und her. Über den Waldbäumen war eben die rote Scheibe des Vollmondes aufgestiegen, und mattes Licht legte sich über die Gegend. „So, Kinder“, unterbrach jetzt plötzlich Vater Hans, „nun wollen wir für heute Schluß machen. Die Nacht ist gekommen, da heißt es für die kleinen Kinder zu Bette gehen; auch der alte Raspio muß nun sein Lager aufsuchen. Ein andermal will ich euch weitererzählen.“ Ein langgezogenes „Ah“ ertönte aus dem Kreise der kleinen Zuhörer. „Nein, Väterchen Hans, noch nicht aufhören!“, bettelten sie alle zusammen. „Jetzt wird es erst recht schön im Walde. Wir sind noch gar nicht müde; übrigens kann bei diesem warmen Wetter ja doch niemand schlafen; und du Väterchen kannst morgen früh ruhen; wir werden dir wieder viel Essen bringen, dann brauchst du den ganzen Tag nicht auszufliegen und kannst rasten nach Herzenslust. Bitte, Vater Raspio, erzähl noch ein wenig weiter!“ Darauf hatte der kluge Hans nur gewartet. So gab er sich denn gleich zufrieden und setzte fröhlich seine Erzählung fort. „Während wir weitergingen, erscholl das Hundegebell immer näher. Zuletzt waren wir so nahe gekommen, daß es aus einem Hause dicht neben uns zu kommen schien. Erschrocken fuhr ich zusammen. Eine rauhe, barsche Stimme rief ein donnerndes Halt. Der Knecht blieb stehen, und die Stimme fragte: „Wohin?“ Schüchtern entbot der Knecht seinen „Guten Abend“, worauf sich folgendes Zwiegespräch entwickelte: „Ich habe hier im Korbe eine schönen jungen Raben. Voriges Jahr erst habe ich ihn gefangen und abgerichtet. Auch habe ich ihn einige Worte reden gelehrt.“ „Ei du schwarzer Lügner“, dachte ich. „Voriges Jahr! Sieben sind es ihrer schon, wo ich in deinem öden Kerker hocken mußte. Abgerichtet habe ich ihn! Jawohl, mit Fausthieben abgerichtet, du Wüterich. Einige Worte hast du mich sprechen gelehrt! Aha, jetzt geht mir ein Licht auf; dein blödes Ta-ta sollte wohl die Lektion sein, die du mich gelehrt hättest.“ Doch noch immer redete der Lügner weiter: „Da ich nun gehört, der Burgherr wolle einen abgerichteten Raben für sein Büblein, das kleine Schloßherrlein kaufen, habe ich meinen Hans hieher gebracht und möchte ihn dem Burgherrn zum Kaufe anbieten.“ „Das kann ich schon selbst besorgen,“ antwortete die fremde Stimme. „Zeig’ her!“ Damit wurde der Korb geöffnet und ich herausgenommen. Ein großer, bärtiger Mann nahm mich in die Hand. „Schön ist er schon,“ sprach er, indem er mich scharf besah, „und mit seinem Sprechen wird es nicht so weit her sein“, fügte er spöttelnd hinzu. Nach einigem Feilschen einigten sich die beiden; der Knecht erhielt einige Kupfermünzen und wandte sich nach kurzem Gruß talabwärts, während der schwarze Mann mich unter einem hohen, überwölbten Tor hindurch in mein neues Heim, das Schloß Burscheid hineintrug. VI. Inwendig führte der Weg leicht bergan und mündete zunächst auf einen größern freien Platz. Rundum sah ich nichts als breite graue Mauern und hohe runde Türme mit ganz schmalen engen Fenstern. Darüber ausgebreitet ein wolkenloser, blauer Junihimmel. Später sollte ich Zeit und Muße genug finden, mir alles genau anzusehen. Über den Hof hinweg schritt der Mann mit mir zur nördlichen Ringmauer. Dort bot die Burg am schwersten Zugang. Steil, fast jäh fielen da die gewaltigen Felsen, auf denen das Schloß aufgebaut stand, bis tief unten in die rasch dahinfließende Sauer. An dieser Mauer, dem Innern der Burg zugekehrt, lagen die herrlich gepflegten Gärten. Breite Blumenbeete mit allerlei Ziersträuchern wechselten miteinander in wundervollem, reichem Farbengemisch. Unter einem vorspringenden Dache gegen den Regen geschützt, stand daselbst ein großer Vogelkäfig. Durch Quergitter war er in eine ganze Reihe von kleinern Käfigen eingeteilt. Dort öffnete der Mann eine Türe und schob mich hinein. Mein neuer Kerker war viel geräumiger als der in der Mühle drunten. Seine Drahtseiten waren hübsch weiß angestrichen; ein richtiger Eichenast bot bequeme Sitzgelegenheit; mit einem Wort, mein neues Heim war sehr wohnlich eingerichtet, es war ein herrschaftliches Gebäude.“ „Doch Kerker ist Kerker“, sagte Rassi, „und hätte er auch goldene Mauern. Besser arm in der Freiheit, als in einem Schlosse gefangen.“ „Allerdings“, entgegnete Hans, „aber da ich gefangen sein mußte, freute ich mich doch, daß mein neuer Kerker schöner war, als der frühere. Doch wie erschrak ich, als ich aus den Nachbarkäfigen eine ganze Reihe Augen auf mich gerichtet sah. Dicht neben mir hockte ein großer, brauner Kerl mit gekrümmtem, starkem Schnabel. Unruhig trippelte er hin und her, spreizte seine Nackenfedern und warf mir wütende Blicke zu. Es war ein Falke, der zur Jagd abgerichtet war, und der manchem armen Turteltäubchen das Lebenslichtlein ausblies. Zwischen den Falken und unserer Familie besteht, wie ihr wißt, ewiger Streit, und deshalb hätte er wohl auch mir am liebsten gleich ein jähes Ende bereitet. Glücklicherweise trennte uns ein festes Eisengitter. Nachdem er mich einige Minuten mit frechen, herausfordernden Blicken gemustert, zog er sich in die Ecke seines Käfigs zurück und blickte nach einer andern Seite. Rechts von mir hauste ein großer, weißer Uhu. Hu! was hatte der zwei kecke Augen im Katzenkopf. Am Abend leuchteten sie in fahlem Grün, als habe er Lichter im Kopf mit grünen Gläsern. Auch vor ihm fürchtete ich mich anfangs nicht wenig; doch erfuhr ich bald, daß er besser sei, als sein Äußeres schien. Er war ein recht gemütlicher Bursche, der mir mit seinen köstlichen Erzählungen manches Stündlein verkürzte und mir des öftern am Morgen einen Leckerbissen in meinen Käfig warf. Des Nachts wurde er nämlich freigelassen, und wehe dann den armen Mäuslein oder Fröschen, die sich aus dem Gemäuer oder aus den Hecken um das Schloß herum hervorwagten. Kleinere Vögel waren in den obern Käfigen untergebracht. Alle sah ich munter und fröhlich umherhüpfen und hörte sie manchmal aus voller Brust ein lustiges Liedlein singen. „Meinen Nachbarn scheint es wirklich nicht schlecht zu gehen“, dachte ich, „hoffentlich werde auch ich dann einigermaßen hier zufrieden sein können.“ So war es in der Tat. Die Freiheit ausgenommen, fehlte mir im Schlosse eigentlich nichts.“ „War das Schloß damals noch von Edelleuten bewohnt, Väterchen“, fragte Rapsi, „oder hauste der Mann, der dich gekauft hatte, allein dort oben?“ „Geduld Kleiner, Geduld! Alles will ich euch erzählen. Eins nach dem andern! Anderntags, gleich am Morgen, erschien ein etwa zehnjährigen blonder Knabe mit seinem Lehrer am Käfig. Freudig klatschte der Kleine in die Händchen, als er meiner ansichtig wurde. Rasch griff er in die Tasche, zog ein Stücklein süßen Kuchens hervor und rief mich ganz lieb und freundlich zu sich. Seine Stimme klang so gut und sanft, daß ich mich gar nicht vor ihm fürchtete. Er nahm mich in die Hand, streichelte mich sanft und fragte seinen Lehrer, ob er mich gleich mitnehmen dürfe? Doch der Lehrer bedeutet ihm, er müsse bis Mittag warten, da der Burgwart erst meine Federn stutzen müsse, damit ich nicht fortfliegen könne. Der Kleine gab sich damit gleich zufrieden, drückte mir den Rest des Kuchens in das Gitter und sagte dann: „Auf Wiedersehen Räblein, bis heute Mittag.“ Freundlich nickte ich ihm zu, denn am ganzen Auftreten dieses Kindes hatte ich schon gemerkt, daß ich von ihm nichts zu fürchten brauche.“ „Wie hast du gesagt, Väterchen,“ fragte Rassi neugierig, „deine Federn stutzen, was war denn das?“ „Auch ich wußte es nicht, Rassi. Angstvoll fragte ich mich, was der Hauslehrer damit meinen könnte? Sollte man mir etwa die Schwungfedern ausreißen? Sollte man mir die Flügel abschneiden, damit ich als Krüppel ewig an den Boden gefesselt wäre? Bald sollte ich es erfahren. Gegen 10 Uhr erschien der Burgwart, ein großer, düsterer Mann. Zunächst stellte er das Essen in alle Käfige, ausgezeichnete Speisen: Fleisch, Käse und Brot, sowie einen kleinen Blechnapf mit Wasser. Meine Nachbarn begannen gleich ihr Mahl zu verzehren. Ich folgte ihrem Beispiel und tat das Gleiche. Da ich seit dem Vortage außer dem Stücklein Kuchen nichts genossen hatte, war ich sehr hungrig, und das erste Mahl im Schlosse mundete mir ganz vortrefflich. Darnach setzte ich mich auf meine Stange, um einige Stündlein Mittagsruhe zu halten. Indes, bald wurde ich gestört. Der Burgwart erschien wieder mit einer großen Schere. Ohne ein Wort zu reden nahm er mich aus dem Käfig heraus und zog mir den rechten Flügel auseinander. Die Schere knackte, und beinahe die Hälfte aller meiner schönen Federn lag abgeschnitten am Boden. Dann kam die Reihe an den linken Flügel. Zuletzt stutzte er auch noch die Steuerfedern meines Schwanzes. Jetzt verstand ich, was man mit „Stutzen“ meinte. Nachdem der Mann mir die Flügel wieder zusammen gelegt, knackte er noch hie und da ein Spitzchen ab und setzte mich in den Käfig zurück. Traurig sah ich die abgeschnittenen Federspitzen vor dem Käfig umherliegen und nach und nach im Winde davonflattern. Aus dem Falkenkäfig nebenan schien mir ein heimliches Kichern zu kommen, und wie ich scheu hinüberlugte, sah ich, wie sein Insasse mich unverwandten Auges mit spöttischen Blicken betrachtete. Der Uhu aber saß still auf seinem Aste und nickte in tiefem Schlafe.“ „Hat es dich geschmerzt, Väterchen?“ fragte Rapsi mitleidig. „Nein Kinder“, antwortete Hans, „Schmerzen empfand ich zwar keine in den abgeschnittenen Federn, aber doch zürnte ich dem bösen Burgwart, denn nun wußte ich wohl, daß ich nicht mehr fortfliegen könnte, und daß ich alle diesbezüglichen Hoffnungen wenigstens vorläufig aufgeben mußte. Von Bürden her leuchtete die Nachmittagssonne gerade in meinen Käfig herein. An der Rückwand desselben sah ich mein Schattenbild; es war viel schlanker als tagszuvor. VII. Als die Trompete des Burgwächters fünf Uhr verkündet hatte, erschien der kleine Burgherr und nahm mich aus dem Käfig heraus. Jubelnd eilte er mit mir in die Laube unter der schattigen Kastanie, nahe dem Eingang des Schlosses. Dort stellte er mich auf eine aus dünnen, schön geglätteten Latten gezimmerte Bank und setzte sich neben mich. Ich versuchte nicht einmal fortzufliegen, denn es war mir klar, daß bei meinen abgeschnittenen Flügeln jeglicher Fluchtversuch vergebliche Mühe wäre. Mein kleiner Herr, „Rudi“ war sein Name, hatte mir allerlei süße Leckersachen mitgebracht, die ich froh verzehrte. Das liebe Kind vermied sorgsam alles, was dem armen Raspio weh tun konnte, und so freute ich mich bei ihm und war ohne jegliche Furcht. O wie viel schöne Stunden habe ich bei diesem Kinde zugebracht! Nie konnte ich gegen ihn die geringste Klage erheben. Munter schritten wir nebeneinander über den Burghof, er in größeren und ich in kleinern Schritten; dann wieder setzte er mich auf seine Hand und seine Schulter und hüpfte mit mir im Kreise herum. Ein Reiter auf seinem stolzen Rößlein konnte nicht herrlicher fahren als der schwarze Raspio.“ Sichtlich erfreut hüpften einige Male die Rabenbüblein leise auf und schaukelten nachher noch einige Zeit auf ihren Ästchen langsam auf und nieder. Unten im Walde hörte man durch das dürre Laub ein Häslein eilenden Schrittes vorüberhuschen. Einen Augenblick horchte Vater Hans auf. Dann fuhr er ruhig weiter: „Am liebsten verweilte ich mit Rudi droben auf dem hohen, flachen Turm. Dort standen zwei Bänke um einen runden Tisch. Schön geschnittene Lorbeer- und Oleanderstöcke gaben kühlen Schatten und schützten gegen die allzu starke Sommersonne. Von dort aus hatte man die schönste Aussicht. Den vielgezackten Burgpfad konnte man überblicken, von der Mühle aus bis zur Pforte. Im Tale floß die Sauer, in der sich die hohen grünen Berge spiegelten; im Hintergrund, gegen Südosten, am Fuß des Donatiberges, kauerte im Grün das blendend weiß getünchte Michelau. Drüben in den Hecken sah ich im alten Pfade die Leute dahinziehen, winzig klein, da sie so weit entfernt waren, muntern Schrittes die lebensfrohen Buben und schweren Fußes die gebückten Alten. Vom Turme aus lauschte ich auch manchmal den frohen Liedern, die allenthalben aus den Hecken tönten, wenn im Frühling die Lohe geschlissen wurde. Von allen Seiten ertönte dann vom frühen Morgen bis zum späten Abend lustiges Klopfen und Knacken. Und vom Tale an bis auf die höchsten Bergesspitzen legten sich nach und nach, langen weißen Knochen gleich, die entrindeten Stangen. Von dort aus sah ich auch manchmal jenes herrliche Schauspiel, das den Öslingerbergen eigen ist, wenn im September die Hecken „gesangt“ und gebrannt werden. Hei! wie knisterten dann bis in die späte Nacht hinein die Reiser!“ [Illustration: Mit einem heiseren Schrei saß er ihm im Nacken; wütend fuhr sein starker Schnabel auf den bösen Buben nieder.] „Mein Großvater war auch aus dem Ösling“, unterbrach der kleine Rapsi eilig, „davon hat er mir auch mehr als einmal erzählt. Doch, ist es wahr, Väterchen, daß man dann das Feuer immer oben anlegt, daß es nach unten brennen muß? Das versteh’ ich nicht, gewiß würde es doch besser und schneller brennen, wenn man es unten im Tale anzündete?“ „Freilich, so ist es,“ erwiderte Hans zustimmend, „auch ich konnte mir es nie erklären. Doch die Menschen haben es immer so getan, sie müssen wohl einen Zweck dabei haben.“ „Ich kenne den Zweck, ich kenne ihn,“ jubelte Rapsi. „Legte man das Feuer unten an, so würde es allzurasch brennen; die Flammen könnten auf die umliegenden Hecken und Wälder übergreifen und großen Schaden anrichten. Deshalb zündet man die Reiser oben an; das Feuer brennt nur langsam, und mit leichter Mühe bleibt man Herr desselben.“ „Ganz recht“, erwiderte Hans, „so ist es in der Tat. Zudem werden beim Brennen der Hecken noch andere Vorsichtsmaßregeln getroffen. Ehe man das Feuer anlegt, wird die Brandstätte genau begrenzt; auf Meterbreite wird die abgeholzte Fläche ringsum von allem dürren Laub und Reisig sorgfältig gesäubert. Auch wird das Feuer wohl bewacht; ein entstehendes Schadenfeuer würde allsogleich bemerkt und gelöscht werden. Vom Turme aus sah ich aber auch den alten Eichbaum, wo einst vor langen Jahren unser Nest gestanden. Sehnsüchtig schaute ich oft hinüber, ob ich nicht die Eltern sehen könnte oder die Brüderlein, aber alles Spähen blieb umsonst. Hätte ich reden können, Rudi hätte gewiß auf meine Bitten hin den Burgwart hinübergeschickt, sich nach unserm Neste zu erkundigen; aber meine flehentlichen Blicke verstand er nicht. So mußte ich denn traurig hinübersehen, und da ich keine Spur der Meinigen entdeckte, konnte ich nichts anders denken, als böse Räuber hätten auch die Brüderlein fortgenommen, und die Eltern seien dann todestraurig hinweggezogen in fremde Länder zu bessern Menschen.“ „Das war aber langweilig“, unterbrach nun wieder Rassi, „immer an derselben Stelle droben auf dem Turm zu sitzen und immer nur dasselbe zu sehen Tag für Tag.“ „Ich hatte geglaubt, du seiest eingeschlafen, Rassi,“ entgegnete Väterchen Hans, „daß du so lange still sein konntest. Doch wenn du glaubst, auf der Burg sei es langweilig gewesen, dann irrst du dich. Im Gegenteil, es gab dort viele Abwechslung. Freudige Stunden erlebte ich mit Rudi, freudige Stunden, besonders wenn fremde Spielleute und Musikanten zur Burg kamen. Abends saß dann die ganze Schloßfamilie mit diesen gern gesehenen Gästen auf dem Turme; Rudi hielt darauf, daß auch ich dabei sein durfte, und dann lauschten wir bis tief in die Nacht hinein den wunderschönen Erzählungen, Liedern und Melodien dieser fahrenden Sänger. Manchmal wurden uns dabei die Augen naß, denn so oft erzählten jene Leute von Ritterskindern, die ihren Eltern aus der heimatlichen Burg weggeraubt wurden, und die dann in der Fremde ein trauriges Leben führten. Aber schließlich brachte sie doch ein glückliches Geschick endlich wieder heim zu den vor Freude überglücklichen Eltern. In jenen Stunden, glaubt mir es Kinder, wurde auch das Herz des armen Raspio dick, er dachte zurück an seine Eltern, und der glimmende Hoffnungsfunke, sie noch einmal wiederzufinden, leuchtete in ihm wieder zur hellen Flamme auf. Freilich auch traurige Tage gab es auf der Burg; denn mögen auch noch so feste Türme und Ringmauern eine Menschenwohnung umschließen, gegen das Leid sind sie dadurch nicht geschützt; früh oder spät wird es auch dort seinen Einzug halten und den Freudenhimmel, der vielleicht jahrelang über dem Hause war, mit dunkeln, schweren Wolken überziehen. Im September war es, als das Laub der Lohhecken schon rot und gelb zu werden anfing, als Nachmittags lange weiße Spinnfäden sich schlängelnd zwischen den Bergen dahinzogen, da saßen Rudi und ich wieder zusammen auf dem Turme. Schon seit einigen Tagen schien der Kleine äußerst niedergeschlagen. Zwar war er gegen mich ganz lieb und gut, aber er redete so wenig. Manchmal blickte er wie geistesabwesend in die Berge hinein, stützte das Köpfchen in die Hand und weinte bitterlich. Etwas Besonderes mußte sein gutes Herzchen drücken; den Gegenstand seiner Trauer indes konnte ich nicht erraten. Da stand er plötzlich auf, nahm mich auf die Hand und sagte traurig: „Räblein, Mütterchen ist krank, sehr krank.“ Bittere Tränen rollten über seine Wangen. Schweigend trug er mich zu meinem Käfig zurück und eilte still über den Hof in die Ritterwohnung. In den nächsten Tagen sah ich das liebe Kind nicht wieder. Eine traurige Stille lag über der ganzen Burg. Leise nur redeten die Bedienten miteinander. Fremde Männer – es seien gelehrte Ärzte, sagte man, – sah ich kommen. Als einer von ihnen wieder fortging, sah ich Rudis Vater ihn bis zum Schloßtor begleiten, wo die beiden noch einige Zeit ganz leise miteinander redeten. Als sich der fremde Mann verabschiedet hatte, ging der Schloßherr einsam und traurig im Hofe auf und ab, und als er an unserm Käfig vorüberschritt, merkte ich, wie aus seinen Augen heiße Tränen stürzten. Anderntags, da sich die Abendschatten leise über die Gegend zu legen begannen, läutete das Glöcklein der kleinen Schloßkapelle Rudi’s liebem Mütterlein das Totenlied. Leise schwebten des Glöckleins Töne traurig hinab ins Tal. Die armen Leute der ganzen Gegend horchten erschrocken auf, und in des Glöckleins Trauerklang mischte sich ihr Wehklagen, denn die Verstorbene war ihnen stets eine wohltätige, gute Mutter gewesen. Scharenweise kamen sie anderntags von allen Seiten herbei, um noch einmal jene mildtätigen Hände zu sehen, die ihnen so viel Gutes gespendet hatten.“ „Oh! der arme kleine Rudi,“ klagte Rassi traurig. „Und hast du auch das Begräbnis gesehen, Väterchen Hans?“ „Gewiß Kinder, großartig waren die Leichenfeierlichkeiten für die dahingeschiedene Edelfrau. Die adeligen Familien fast des ganzen Landes waren erschienen, ihr das letzte Geleite zu geben. Tagszuvor waren die Bewohner der näher gelegenen Schlösser mit ihrem Gefolge angekommen: Die Herren von Esch an der Sauer, Wiltz, Schüttburg und Clerf; Vertreter der weiter entfernten Burgen konnten erst am Begräbnistage selbst erscheinen, da einzelne zwei Tagereisen zu machen hatten. Frühmorgens kamen die Herren von Hollenfels, Simmern und Ansemburg; die Herren von Befort hatten sich durch einen Eilboten entschuldigen und herrliche Blumen am Sarge niederlegen lassen. Nahe der Schloßmauer am stillsten Orte des Burggartens, fand die Verstorbene vorläufig ihre letzte Ruhestätte. VIII. Lange Zeit dauerte es, bis wieder frohes Leben in die Burg zurückkehrte; ja ich kann sagen, daß es nie wiederkehrte wie früher. Einige Tage später kam zwar Rudi und nahm mich wieder mit auf den Turm, aber nach immer war er so traurig. Die schwarzen Kleider, die er vom Tode der Mutter an während zweier voller Jahre trug, schienen auch den Sonnenschein seines Herzens überdüstert zu haben. In der letzten Zeit schien überhaupt die Freude von der Burg verschwinden zu wollen. Noch zu Lebzeiten von Rudi’s Mutter hatten schon manchmal besorgte Stunden daselbst geherrscht. Schon seit längerer Zeit waren die Sänger, die früher so häufig zur Burg kamen, ausgeblieben. Statt ihrer aber waren Boten gekommen, fern her aus Frankreich, und sie hatten düstere Nachrichten von dort mitgebracht. Sie hatten erzählt, wie blutgierige Menschen die Herrschaft an sich gebracht hätten; König Ludwig und seine Gemahlin seien auf dem Schafott hingerichtet worden; die adeligen Familien würden verfolgt und viele von ihnen verließen das Land. Immer zahlreicher wurden diese Unglücksboten; schon erschienen Flüchtlinge, die einige Wochen blieben und dann weiterzogen nach den Schlössern an Untermosel und Rhein. Tief erschüttert hatte ich einmal gehört, wie ein fremder Mann herzzerreißend redete über das Schicksal des kleinen Ludwig von Frankreich. Tieferzürnt hatte er erzählt von jenem grausamen Mann, dem Schuster, dem man das arme Kind übergeben, nachdem man ihm Vater und Mutter getötet, und der dann seine Wildheit an dem armen Knaben ausließ. Der kleine Rudi aber hatte seine Fäustchen geballt. „Wenn ich da gewesen wäre,“ hatte er gesagt, „ich hätte dem kleinen Ludwig geholfen, wir wären an den bösen Mann gegangen und hätten ihn zu zwei wohl bemeistert.“ Seine Mutter aber hatte Rudi an sich gezogen, hatte einen Kuß auf seine Wange gedrückt und schluchzend gesagt: „Armes Kind, wenn nicht auch du noch leiden mußt von bösen Menschen.“ Einige Zeit waren solche Unglücksnachrichten wieder verstummt. Lange schon war kein fremder Bote und kein Flüchtling mehr auf dem Schloß erschienen. Alles schien wieder seinen gewöhnlichen Lauf anzunehmen. In diese Zeit nun fiel ein Ereignis, das mich lebhaft ergriff, und das sich mir tief in das Herz eingrub. Die Verurteilung und Hinrichtung der beiden jugendlichen Verbrecher Franz und Jakob Heintzen.“ „Sind es die, welche gehängt worden sind?“ fragte Rassi, „davon hat mir mein Großvater schon öfters erzählt, er war auch dabei gewesen.“ „Ja, sie sind am Galgen gestorben,“ antwortete Väterchen Hans, „das ist eine gar traurige Geschichte. Doch da ihr sie ja kennt, kann ich darüber hinweggehen.“ „Nein, Väterchen, nein. Wir haben sie noch nie gehört“, baten die Übrigen und auch Rassi nickte: „Ja, Väterchen, erzähl’ sie noch einmal; mein Großvater hat zwar davon gesprochen, aber solche Erzählungen könnte ich jeden Tag hören, ich würde nicht müde werden, sag’ Vater, waren die beiden schon alt, und wie kam es, daß sie so böse Verbrecher wurden, die so arg gestraft werden mußten?“ „Anfangs der Zwanziger waren sie,“ sprach Hans, „und es kam, wie es in solchen Fällen gewöhnlich kommt: „Im Kleinen fängt es an, im Großen hört es auf.“ Ich erfuhr alles genau, als die Richter im Schlosse waren, droben in der Laube, wo ich mit Rudi zugegen war, als sie alles genau besprachen. Schon in ihrer Kindheit waren die beiden sehr unfolgsame und unbändige Buben. Von niemanden ließen sie sich etwas sagen; über alle Ermahnungen der Vorgesetzten setzten sie sich leichtfertig hinweg. Ihre Eltern störten sie nicht, sondern nahmen sie noch in Schutz. Kam jemand, der sich über neue Streiche ihrer ausgelassenen Kinder beklagte, so sagten sie einfach, ihre Kinder seien nicht schlimmer wie die andern; man solle sie nur ruhig lassen, wenn sie einmal größer geworden, würden sie schon machen, wie es recht wäre. „Im Kleinen fängt es an!“ Ja, Kinder, in den alten Sprichwörtern steckt Erfahrung und Wahrheit. Mit Kleinigkeiten fingen die Heintzenknaben an zu stehlen; zuerst heimlich Obst und Früchte in den Gärten und Feldern; manches davon trugen sie auch heim; die Eltern nahmen es an und lobten die kleinen Diebe ihrer Klugheit und Geschicklichkeit wegen. Da sie größer wurden, gewöhnten sie sich an Müßiggang und Trinken. In der Dorfschenke waren sie fleißige Besucher. Die Dorfbewohner wunderten sich zwar, daß ihnen so viel Geld zur Verfügung stehe, daß aber dieses Geld von den Diebstählen herrühre, die sich in den letzten Monaten in der Umgegend immer mehr häuften, ahnten sie nicht. Eines Tages, frühmorgens, als es eben erst im Osten zu dämmern begann, schlichen aus den Lohhecken zwei verkleidete, geschwärzte Burschen, die eilig hinter der Scheune des Heintzenhauses verschwanden. In jener Nacht war der Burgförster von zwei Wilderern überfallen und übel mißhandelt worden. Da man aber nicht bestimmt nachweisen konnte, daß die jungen Heintzen wirklich die Täter waren, mußten sie freigesprochen werden. In der Umgegend gingen von Tag zu Tag schlimmere Gerüchte über die Beiden um. Immer mehr gerieten sie auf die Bahn des Bösen. Eines Abends waren sie wieder angetrunken nach Hause gekommen; die Eltern hatten ihnen Vorstellungen gemacht, waren aber von den beiden verrohten Burschen schwer mißhandelt worden; eine volle Woche hatte der Vater das Bett hüten müssen. Endlich gingen den Eltern die Augen auf; sie ernteten die Früchte einer verfehlten Kindererziehung. Es grauste ihnen vor den schlimmen Dingen, die sie herannahen sahen. Nun wollten sie ihre Kinder wieder zu braven und fleißigen Menschen machen, durch gute Worte wollten sie dieselben von ihren bösen Wegen zurückführen, aber es war zu spät. Faulenzerei, Diebstahl und Alkohol waren derart ihre vertrauten Freunde geworden, daß sie sich nicht mehr zur Umkehr und Änderung ihres Lebens bewegen ließen.“ „Väterchen Hans, nicht wahr,“ unterbrach Rassi, „da hätte gepaßt, was dir der Knecht damals so töricht gesagt, als er dich in die Schule nahm: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.““ „Ja, du hast Recht, Rassi,“ entgegnete Hans. „„Jung gewohnt, alt getan,“ sagt das Sprichwort, und wenn die Kinder schon frühzeitig schlimme Wege gehen, sind sie später schwer davon abzubringen. „Die Katze läßt das Mausen nicht.“ So kam denn die schwarze Nacht des 17. Mai, von der die ganze Gegend noch lange Jahre erzählte. Spät am Abend vom Felde heimkehrende Landleute hatten zwei vermummte Männer begegnet, die aus dem Dorf kamen und in der Richtung nach Brandenburg und Landscheid weitergingen. Scheu waren die beiden am Wegesrand vorübergegangen und hatten den Abendgruß nicht erwidert. Der Nickelsbauer, welcher an jenem Abend im Heintzenhaus vorgesprochen, um ihre beiden Söhne für den folgenden Tag zur Heuernte anzuwerben, hatte sie nicht zu Hause gefunden; ihre Mutter aber hatte ihm die schüchterne Antwort gegeben, sie seien für einige Tage weiter hinauf ins Ösling, nach Munshausen, zu ihren dortigen Verwandten auf Besuch. In jener Nacht war der Pächter der Bleesmühle unterhalb Gralingen ermordet und beraubt worden. Vor wenigen Tagen hatte er auf dem Jahrmarkt in Ettelbrück eine schwere Koppel Ochsen zu einem außergewöhnlich hohen Preise verkauft. Viel war in der Gegend von diesem Handel gesprochen worden. In jener Nacht war der Pächter allein zu Hause gewesen, da seine Verwandten nach Vianden zur Kirmeß gegangen waren und erst anderntags heimkehren sollten. Der Pferdeknecht hatte in der Scheune geschlafen und vom Verbrechen nichts gemerkt, bis er morgens die blutüberströmte Leiche seines Herrn im Hausflur aufgefunden hatte. Alle Schränke waren erbrochen und das Geld verschwunden. Die Aufregung in der ganzen Gegend war ungeheuer. Bald lenkte sich der Verdacht auf das Heintzenhaus, denn die beiden Burschen waren es, welche am Morgen die Kunde von dem Verbrechen mit viel Entrüstung im Dorfe verbreiteten. Dem Nickelsbauer schien es verdächtig, daß die beiden nach Aussage der Mutter für einige Tage abwesend sein sollten und nun waren sie schon wieder zu Hause. Alles sprach sich leise herum; am Abend wurden die beiden Heintzen in Untersuchungshaft abgeführt. Hartnäckig leugneten sie die Tat. Wo sie aber in jener Nacht gewesen, wußten sie anfangs nicht zu sagen. Zuletzt bestanden sie darauf, sie hätten nach Diekirch gehen wollen, da sie aber ein Gewitter gefürchtet, seien sie halbwegs umgekehrt und wieder nach Hause gekommen. Gleich nach ihrer Verhaftung war eine Haussuchung im Heintzenhaus vorgenommen worden. Eine größere Summe Papiergeldes wurde dabei zu Tage gefördert, und weder Eltern noch Kinder wußten Aufschluß über dessen Herkunft zu geben. Zuletzt erkannte der Metzger, welcher die Ochsen der Bleesmühle gekauft hatte, in dem vorgefundenen Gelde eine Anzahl derselben Scheine wieder, die er dem Ermordeten in Ettelbrück ausgehändigt hatte. So verdichtete sich der Verdacht gegen die beiden immer mehr; immer mehr verwickelten sie sich in Widersprüche. Nach mehreren Wochen lügenhafter Abrede gaben sie endlich das Verbrechen zu und legten ein vollständiges Geständnis ab. Auch bekannten sie die Tat mit Vorbedacht begangen zu haben: „Zwar wäre es ihnen lieber gewesen,“ sagten sie, „wenn sie das Geld ohne Mord hätten an sich bringen können, doch hätten sie sich mit Waffen versehen, für den Fall, wo sie an der Arbeit überrascht werden sollten. Einer Gefangennahme und späteren Verurteilung hätten sie um jeden Preis vorbeugen wollen und so hätten sie den Mord geplant, für den Fall, wo ihr Einbruch hätte ruchbar werden können.“ Einige Monate vorher bereits hätten sie zu zwei verschiedenen Malen einen Einbruch in der Mühle versucht, wären aber jedesmal dabei verscheucht worden. Unter solchen Umständen stand es fest, daß die beiden Verbrecher nicht freigesprochen werden konnten, sondern daß ihnen gegenüber die Gerechtigkeit in ihrer ganzen Strenge zur Anwendung kommen mußte. Niemand wunderte sich deshalb, als die beiden Gerichte, welche das Urteil zu fällen hatten, einstimmig das Todesurteil aussprachen. Im tiefsten Verließ des Burggefängnisses warteten die Verurteilten auf den Tag der Hinrichtung. Wann diese aber stattfinden sollte, wußte ich noch nicht. Da erschien eines Tages Rudi morgens zu ungewöhnlich früher Stunde an meinem Käfig und nahm mich mit auf unsern geliebten Ausschauturm. Ich fragte mich erstaunt, weshalb wir denn heute schon so früh hinaufstiegen. Bald sollte ich es erfahren. Dem Ausschauturm grade gegenüber, auf dem kleinen Rundplatz auf der äußersten, etwas vorspringenden Felsenkante, standen zwei hohe Balken, die ich früher nie daselbst gesehen hatte. An diesen Balken war oben ein kurzer Seitenarm angebracht. Von diesen herab hing ein starkes Seil, dessen unterstes Ende in eine Schlinge auslief. An einem der Balken stand eine schwere Leiter angelehnt. Kleine Gruppen von neugierigen Zuschauern standen dicht in der Nähe, reckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich mit verhaltener Stimme. Auch Kinder sah ich an der Hand ihres Vaters schüchtern den Berg heraufkommen und ängstlich nach den beiden Balken schielen. Damit das schaurige Beispiel einer Hinrichtung sie heilsam schrecke, hatten die Väter sie mitgebracht, obwohl manche derselben gewiß lieber zu Hause geblieben wären. Am jenseitigen Berge flatterten Raben von Baum zu Baum. Allmählig flogen sie näher und näher zur Burg heran. Leise Hoffnung stieg in mir auf, daß vielleicht meine lieben Eltern unter ihnen seien, und ich sie heute wiedersehen könnte. Wieder andere Raben flogen hoch in der Luft kreisend um das Schloß herum und ließen heisere, langgezogene Schreie gegen die Wälder von Flehbour ertönen. Gegen acht Uhr öffnete der Gefängniswärter mit großen Schlüsseln die Haupttür des Burgverließes. Zwei Burgwächter, in ihrer frühern schwarzen Rüstung, begleiteten ihn. Angstvoll blickte ich hinunter, denn an all diesen Veranstaltungen erkannte ich, daß die Hinrichtung zweifellos an diesem Morgen stattfinden würde. Nach einigen Minuten kamen die drei wieder aus dem Verließ hervor. In ihrer Mitte führten sie gebunden die beiden jungen Verbrecher. Beschämt sahen diese zu Boden; beide hatten ein äußerst bleiches, verstörtes Aussehen. Das Gesicht zur Erde geneigt, gingen sie ganz gebrochen aber willig zur Richtstätte mit. Kein Wörtlein hörte ich mehr aus dem Munde der Zuschauer. Die Kinder hatten sich hinter ihre Väter versteckt. Überall tiefes, angstvolles Schweigen. Nun standen die beiden droben unter den hergerichteten Galgen. Den jüngern der Brüder sah man heftig weinen. Bis dahin hatte auch Rudi angstvoll nach der Richtstätte hinübergespäht; nun konnte er den Anblick nicht länger mehr aushalten. Weinend lief er die Treppe hinunter und verschwand nach den Zimmern der Herrschaft. Auch ich wäre am liebsten davongelaufen, aber die Raben von drüben waren immer näher gekommen; einzelne hockten schon auf den Bäumen grade unter unserm Turm. Sollten vielleicht auch meine Eltern jetzt heranfliegen? Der Gedanke allein hielt mich zurück. Da ich wieder nach der Richtstätte hinblickte, baumelte schon der ältere der beiden Verbrecher zwischen Himmel und Erde. Leise drehte er am Stricke hin und her. Einige Male ging noch ein hastiges Zittern und Zucken durch seinen Leib; dann hing er schlaff und regungslos. Schon stand die Leiter am zweiten Galgen. Leichenblaß stieg der jüngere Heintzen hinauf. Seine Knie schlotterten, daß ich jeden Augenblick fürchtete, er werde heruntertaumeln. Aber schon hatte ihm der schwarzgekleidete Scharfrichter den Strick umgelegt. Mit hastigem Rucke stieß er auch ihn von der Leiter herab. In tiefem Schweigen war das schaurige Werk vor sich gegangen. Nur die wenigsten der Zuschauer kamen näher an den Galgen heran. Langsam und lautlos verschwanden sie talabwärts nach verschiedenen Richtungen. Auch Scharfrichter und Schergen kehrten zur Burg zurück. Nun standen die beiden Galgen einsam und verlassen mit den an ihnen hängenden Toten. Solch Grauenhaftes habe ich in meinem Leben nicht wieder gesehen. Diesen schaurigen Anblick kann ich nie vergessen, und sollte mein Leben noch 100 weitere Jahre dauern. Regungslos hingen die Mörder da mit fahlem, entstelltem Gesicht. Und erst ihre blaue heraushängende Zunge!“ ... Jäh hatte Väterchen Hans seine Erzählung abgebrochen. Scheu sahen die Räblein um sich. Jeder freute sich, daß er nicht allein war. „Doch nicht lange mehr hingen die beiden einsam an ihrem Galgen. Schon waren einige der Raben an die Balken herangeflogen, und mit heisern Stimmen hatten sie sich auf die Hingerichteten gestürzt. Nach wenigen Minuten waren ihre Gesichter zerfleischt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Da konnte auch ich nicht länger hinsehen; meine Eltern hier zu sehen, hoffte ich nicht mehr; zu solch schrecklichem Tun hätten sie nie geholfen, dafür kannte ich sie zu gut.“ Erschüttert saßen die Rabenbüblein in der Runde. Auch der sonst so vorlaute Rassi hatte still gehorcht und zitterte leise. „Väterchen Hans“, sprach er bittend, „nachher wenn du aufhörst zu erzählen, gehst du mit mir nach Hause, gelt? Ich habe so weit, und heute Abend fürchte ich mich allein zu gehen.“ Hans lächelte, daß es ihm gelungen war, sogar Rassi in Angst zu versetzen, beruhigte den Kleinen, den er doch gerne hatte und versprach wenigstens ein Stück Weges mit ihm zu fliegen. Wohlgemut setzte er dann seine Erzählung fort. IX. „Ein kalter Winter zog 1794 über die Länder. Beinahe drei Monate lang lag überall tiefer Schnee. Selten nur wurde ich aus meinem nach allen Seiten mit Strohmatten wohl verdeckten Käfig herausgenommen. Seit dem Tode der Mutter kam Rudi nur mehr selten zu mir, meistens blieb er im Innern des Hauses. Tiefer Schnee verdeckte auch die Blümlein, welche er so sorgsam auf das Grab seiner Mutter gepflanzt hatte; ja das Grab selbst war unter der Schneehülle verschwunden. Bisweilen sah ich das liebe Kind traurig am Grabe stehen und bitterlich weinen. Einige Male kam er und nahm mich für ein Stündlein mit ins warme Wohnzimmer. „Siehst du Räbi“, sprach er dann, „dort an der Mauer schläft lieb Mütterlein den langen Schlaf. So nahe ist sie noch, aber sie redet nicht mehr mit mir, wenn ich an ihrem Grabe weine. Zwar weine ich immer nur leise, damit der gute Vater nicht noch trauriger wird, aber Mütterlein könnte mich wohl hören in der kalten Erde, aber noch nie, nie hat sie ein Wörtlein geredet. Sieh, Räbi, wir sind froh in der warmen Stube, aber lieb Mütterlein muß draußen sein im kalten, schneebedeckten Grabe. Die Blümlein, die ich ihr gepflanzt, sind im Herbste welk geworden und nun ganz erfroren. Aber wenn wieder der Frühling kommt, dann soll Mütterchen nicht mehr zu klagen brauchen; da werde ich andere Blümlein holen aus den Hecken und Feldern, die schönsten, welche ich nur finden kann, und lieb Mütterlein wird ein Gärtlein haben über ihrem Grabe, schöner noch als im vergangenen Jahre.“ Und Rudi hat dem toten Mütterchen im kühlen Grabe Wort gehalten. Als die ersten Frühlingsblümchen kamen, die Maßliebchen und die Schlüsselblumen, da eilte er hinaus und keiner Müdigkeit achtend, brachte er seine Sträußlein, stellte sie hin auf das Grab, und die Tränlein rannen still über seine Wangen und tropften leise neben die Blümlein auf Mütterleins Grab. Als aber drunten an der Sauer die blauen Vergißmeinnichte zu blühen und zu sprießen begannen, da eilte er hinab und trug sie freudig herauf zum Grabe; am Rande desselben pflanzte er sie mit liebenden Händen und täglich näßte er sie, daß sie weitersprossen und Mütterleins Grab zieren sollten. Wieder flackerten im September die „Sangen“. Wieder färbte sich das Laub, und aus der sterbenden Natur flogen wehmütige Gefühle in die Herzen der Menschen. Wiederum kamen auch in letzter Zeit müde Wanderer, Flüchtlinge aus Frankreich, denen die Heimat zur Fremde geworden, und die nun weiterzogen zu andersredenden Menschen, bis bessere Zeiten sie heimgeleiten würden an den väterlichen Herd. Was sie erzählten, klang so traurig und bitter; von Gesetzen sprachen sie, streng und grausam gegen Adel und Priester, von Verbannung, Kerker und Tod. „Auch bis in die Gaue des Luxemburger Landes werde der Sturm kommen“, sagten sie, „zweifellos“. Rudi’s Vater solle klug sein und sich beizeiten vorsehen; auch seines Bleibens könne nicht lange mehr in Burscheid sein, am allerbesten täte er gewiß, gleich mit ihnen weiterzuziehen an den Rhein. Lange wollte Rudi’s Vater davon nichts hören. Haus und Heimat, Bekannte und Diener, die ihm treu ergeben waren, verlassen, um in der Fremde das harte Brot der Verbannung zu essen, dazu konnte er sich nicht leicht entschließen, und jedenfalls wollte er es verschieben, so lange er nur immer könne. Als aber von Tag zu Tag die Unglücksboten sich mehrten, als die durchreisenden Auswanderer immer zahlreicher wurden und ihn ängstigten, da gab er endlich schweren Herzens nach und teilte Rudi mit, sie könnten nicht länger mehr auf dem Schlosse bleiben. In bessern, ruhigern Zeiten, so Gott wolle, würden sie nach der liebgewonnenen Heimat zurückkehren ... Als die Allerheiligenwoche zu Ende ging, bespannten die Knechte eines Tages schon beim Morgengrauen zwei schwere Wagen. Das Wertvollste des ganzen Schlosses trugen sie zusammen und packten es sorgsam ein. Bei Sonnenaufgang hatten sie bereits die Burg verlassen. Kurz darauf kam Rudi an der Hand des Vaters über den Hof. Mit trauerndem Antlitz traten Vater und Kind an die Ringmauer zum Grabe der geliebten Mutter. Kein Wörtlein konnte ich hören. Nachdem sie lange schweigend da gestanden, gab der Vater dem Kleinen einen Wink, es sei Zeit zum Aufbrechen. Am Schloßtor stand schon der herrschaftliche Wagen in Bereitschaft. Schluchzend sah ich Rudi niederknien und einen letzten Kuß auf die Steinplatte drücken, worauf der Name seiner verstorbenen Mutter eingegraben war. Schnell pflückte er die letzten Sträußchen Vergißmeinnicht, die noch am Grabesrande blühten, ab und legte sie behutsam in ein mitgebrachtes Buch. Mit verweinten Augen sah ich Vater und Sohn an meinem Käfig vorbei schweigend dem Tore zuschreiten.“ „Und sind sie da schon gleich für immer abgereist, Väterchen Hans?“ fragte Rassi mitleidsvoll. „Das war auch meine Furcht, Rassi. Ängstlich sah ich deshalb zur Pforte. Doch ich dachte mir: Es kann doch nicht sein! Ohne Abschied von mir zu nehmen, wäre Rudi gewiß nicht weggegangen. Es konnte also nur zu einem kurzen Besuch sein, daß sie fortgingen; über einige Tage würden sie gewiß wiederkehren. Während ich mich mit diesen Gedanken beschäftigte, sah ich plötzlich Rudi wieder vom Wagen, den er schon erstiegen hatte, herunterspringen. Eilig kam er zu meinem Käfig. „Räbi“, sagte er traurig, als er mich herausholte, „jetzt geht Rudi fort und vielleicht wird er lange, lange nicht mehr wiederkommen. Weit, weit fort muß ich gehen und wie Vater sagt, können wir Räbi bis dahin nicht mitholen. Später werden wir vielleicht wiederkehren und Räbi dann mitnehmen. Dem Burgwart habe ich gesagt, daß er gut auf Räbi achtgebe und dir viel gutes Essen bringe. Wenn du aber fortfliegen willst, so magst du auch dieses tun. Deinen Käfig will ich dir offen lassen, du kannst dann fortfliegen in die Wälder und später wiederkommen, wenn Rudi einmal wieder auf der Burg wohnt.“ Darauf zog er noch ein großes Stück Kuchen aus der Tasche und legte es in meinen Käfig hinein. „Lebewohl Räblein“, sprach er mit zitternder Stimme und ging dann fort, ohne ein weiteres Wörtlein zu reden. Am Burgtor sah ich ihn zum letzten Mal, als der Wagen um die Ecke bog; sein Gesichtchen hatte er in die Hände gestützt; er weinte bitterlich. Seither habe ich das liebe Kind nie mehr wiedergesehen. Traurig saß ich nun im Käfig und dachte zurück an die schönen Tage, die ich mit dem Kleinen verbracht und die niemals mehr wiederkommen sollten.“ „Väterchen Hans, Rudi hatte ja die Türe des Käfigs offen gelassen, daß du fortfliegen könntest,“ hastete Rassi erregt. „Hast du das denn nicht gleich getan? Dann warst du aber dumm, Väterchen Hans!“ „Geduld, Geduld, Rassi, eins nach dem andern. Als ich das immer leiser werdende Geräusch des davonrollenden Wagens nicht mehr hörte, hüpfte ich rasch aus dem Käfig hervor. Das letzte Stück Kuchen, das Rudi mir zurückgelassen, verzehrte ich vor dem Käfig und, indem ich dann vor demselben hin und her spazierte, überlegte ich, was ich nun beginnen sollte. Sollte ich wieder in den Käfig schlüpfen, dort bleiben und mich auf die Güte des Burgwartes verlassen? Sollte ich auf der Burg bleiben, bis Rudi zurückkäme? Ja, aber wenn er vielleicht gar nicht mehr heimkehren sollte, wie er es angedeutet; wenn vielleicht die Franzosen ins Luxemburgische kommen sollten, wenn sie das „Wälderdepartement“, wie sie es nannten, durchziehen, vielleicht wieder die Burg belagern und einnehmen sollten, wie sie es vor 100 Jahren getan, wie einst Rudi mir erzählt hatte! – Oder sollte ich die mir dargebotene Gelegenheit benutzen und der goldenen Freiheit folgen, die mir winkte? Dieses letzte schien mir das Beste. Später könnte ich ja doch immerhin zurückkehren, wenn ich wollte.“ Schon wieder fuhr Rassi dazwischen: „Ja, Väterchen Hans, so mußt du es machen. Flieg schnell fort, lang genug warst du eingesperrt, nichts geht über die schöne Freiheit.“ Väterchen Hans lachte: „Ja Rassi, das war auch meine Ansicht. Meine Flügel waren wieder etwas gewachsen, so daß ich hoffen durfte, fliegen zu können, wenn vielleicht auch noch nicht ganz weit. So lief ich denn schnell bis in die Mitte des Hofes zurück, nahm einen großen Anlauf, schlug kräftig mit den Flügeln und gelangte glücklich auf die hohe Ringmauer. Dort blieb ich einen Augenblick sitzen und schaute nach allen Seiten, ob ich den davonfahrenden Wagen nicht mehr entdecken könnte. Es war unmöglich, denn die Wege führten alle durch den Wald. Mein erster Gedanke war nun, hinüberzufliegen nach der alten Eiche, wo einst unser Nest gestanden hatte. Beherzt schwang ich mich von der Mauer hinab und schwebte im Gleitflug langsam zur Sauer. Welche Freude mich zum erstenmal im Luftmeere schaukeln zu können! Bergab flog ich ganz vorzüglich, beinahe ohne Anstrengung. Schon schwebte ich über dem Wasser. Freilich ein wenig Angstbeklommen fühlte ich doch, als ich über den Fluß flog, und mir mein Bild zitternd aus dem tiefen Wasser wiederstrahlte. Am andern Ufer setzte ich mich zu kurzer Rast auf die Wiese nieder. Ein Schnecklein kroch eben im Grase. „Da ist mein Tisch ja schon gedeckt“, dachte ich, und schon war der Leckerbissen in meinem Munde verschwunden. Doch nun hieß es weiterfliegen. Einige Sekunden sah ich nach oben. Auf direktem Wege diese steile Höhe zu erklimmen schien mir unmöglich, dazu waren meine Flügel zu klein und zu schwach. So entschloß ich mich denn, auf Umwegen mein Ziel zu erreichen. „Wer langsam geht, kommt auch ans Ziel,“ hatte der Burgwart immer gesagt. So flog ich denn flußaufwärts und stieg unterwegs immer höher bis in die Mitte des Berges oberhalb der heutigen Burscheidter Mühle. Auf einer schlanken Pappel dicht am Bergeseinschnitt, wo bei Regenwetter der Helkeschbach niederstürzt, mußte ich ein Weilchen rasten, denn schon fühlte ich mich sehr ermüdet. Sonst wäre ich gewiß bald in die Hecken gestürzt, und wie hätte ich mich daraus wieder erheben können? Ein leichter Wind beugte die Pappelspitze langsam hin und her und schaukelte mich mit derselben. Da der Wind von Nordwesten kam, war er für meinen Weiterflug sehr günstig. Nachdem ich ungefähr ein Viertelstündchen geruht und die Lungen mit neuem Luftvorrat gefüllt, schwang ich mich abermals über die Bäume und flog dem Flusse entlang, langsam aber stetig höher steigend. Schon sah ich die Felder, die einst unser Nest überragt hatten, und von denen aus die Buben mein Brüderlein totgeworfen. Nach einigem Suchen fand ich auch unsere Eiche wieder; das Nest war verschwunden. Nur einige Reiser hingen daselbst wirr durcheinander; alles war verlassen und verfallen. Während des ganzen Nachmittags blieb ich wehmütig an der alten Heimstätte zurück, flog bald hin und her und rief nach allen Seiten, ob ich vielleicht die Eltern finden könnte oder einen meiner lieben Brüderlein. Allein alles war umsonst. Auf meinen Ruf hin kamen zwar einige Raben heran, aber ich kannte sie nicht. Spöttisch betrachteten sie meine abgeschnittenen Federn und machten hämische Bemerkungen, die mich im Herzen schmerzten. „Er ist von bessern Leuten! Ha ... a a ah!“, lachten sie, „und er kleidet sich nach der neuesten Mode.“ Ich wollte ihnen Erklärungen geben, aber sie ließen mich nicht reden. „Sei nur still, du einfältiger Protz“, sagten sie, „wir kennen dich schon. Ein feiner Herr hast du sein wollen und deshalb bist du zur Burg geflogen, hast Burgkuchen gefressen und gegen uns gesprochen beim Jagdfalken, daß er von Tag zu Tag gegen uns wütender wurde und noch in der letzten Woche zwei von unsern Brüdern erschlagen hat.“ Abermals wollte ich beteuern, daß sie sich in all diesen Anschuldigungen irrten, doch vergebens. Sie ließen mich gar nicht zu Worte kommen. „Einen Tag“, sagten sie, „habe ich noch Zeit, mich wieder aus dem Staube zu machen. Sollte ich anderntags noch das Unglück haben, mich in der Gegend zu zeigen, so würden sie die ganze Sippe zusammenrufen und mir die Augen aushacken; dann könnte ich blind zur Burg zurückflattern und weiter Gnadenbrot fressen wie bisher. Übrigens wäre es wohl möglich, daß ich nur herübergekommen sei, um zu spionieren, wo der Falke uns wieder am besten überfallen könnte. Ich sei gewarnt und solle mich darnach richten!“ „Das war aber gar nicht schön von ihnen,“ sagte Rassi zornig. „Väterchen Hans, du hattest ihnen ja noch nichts zuleide getan.“ „Was sollte ich aber tun, Rassi?“ fuhr Hans fort. „So entschloß ich mich denn weiter zu ziehen und in einer andern Gegend meinen Wohnsitz aufzuschlagen. Da ich übrigens meine Eltern nicht wiedergefunden hatte, fiel mir der Abschied nicht schwer. X. Anderntags, frühmorgens, als die Hähne von Michelau einer um den andern den neuen Tag ankündigten, machte ich mich auf den Weg. Über Flehbour und Lipperscheidterdellt hinweg flog ich an Hoscheid, Dickt und Hosingen vorbei, immer dem Höhenzug folgend, nach Marnach. Dann und wann setzte ich mich zu kurzer Rast nieder und gelangte gegen Mittag nach Urspelt. Dichte Lohhecken bedeckten die Abhänge; auch hohe, schöne Tannen fanden sich dort, und ich faßte den Entschluß: „Hier will ich bleiben“. Doch auch dort fand ich keine Freunde. Die Raben dieser Gegend sahen in mir nur einen Fremden; die Verleumdung derjenigen, die mich schon aus der Nähe des Schlosses vertrieben, folgte mir auch dorthin. Alle schlossen mich aus ihrer Gesellschaft aus und keiner wollte mit mir reden. So beschloß ich denn, fern von ihnen ein einsames Leben zu führen. „Dann bekomme ich auch mit Niemanden Streit“, dachte ich und gab mich zufrieden. Im Walde bei Urspelt fand ich Unterkunft. Nahrung gab es dort genug, und die dichten Tannen boten ein schützendes Dach gegen Sonnenschein und Regen. Eines Tages wollte ich mir die Umgebung näher ansehen und flog deshalb über den Wald hinweg gegen Reuler. Auf einem der letzten Bäume setzte ich mich nieder und betrachtete die Felder und Äcker, die sich längs des Waldes hinzogen. Armes, wenig fruchtbares Land war es, meist bestanden von Heidekraut und mannshohem Ginster. Am Waldessaum graste eine Schafherde. Dann und wann hörte ich alte Schafstimmen einige Male blöcken, und kleine weiße Lämmer eilten durch den Ginster, schlugen rasch mit ihren Schwänzlein und eilten der Stimme nach. Am Ende des Feldes wachte ein großer Hund, daß keines der Schafe darüber hinausgehe und sich im Walde verliere. Doch, wo sollte denn der Hirt weilen? Allein waren doch die Schäflein gewiß nicht hiehergekommen, und trotzdem konnte ich ihn nirgends entdecken. Suchend flog ich einige Bäume weiter, und schließlich erspähte ich den Schäfer mitten im Felde. Er saß auf einer Bürde Ginster, über die er seinen Mantel ausgebreitet hatte. Fleißig flochten seine Hände weißgeschlissene Weiden zu kunstfertigen Körbchen, deren schon einige nebenan im Grase lagen. Dicht neben ihm hockte auf einem Steine ein alter Rabe. Unverwandt blickte er den Schäfer an und lauschte seinen Gesprächen. „Dieser Hirt scheint ein guter Mann zu sein“, dachte ich, „da der Rabe so furchtlos bei ihm sitzt.“ Doch eines war mir ein Rätsel: Wie kamen die beiden zusammen? „Soll der Rabe“, fragte ich mich, „alle Tage mit dem Schäfer vom Dorfe herauskommen, oder wohnt er hier im Walde und fliegt nur zu ihm hin, bis jener die Herde heimtreibt?“ Schon faßte ich Mut; schon hoffte ich, vielleicht auch an diesem Mann einen Freund finden zu können, wie einst an Rudi auf dem Schlosse. Sein Gesellschafter, der Rabe, würde gewiß meine Lage verstehen und nicht so grob gegen mich sein, wie die andern Kameraden bisher gegen mich gewesen. – Doch wie sollte ich es anstellen, ein Gespräch mit ihnen anzuknüpfen? So flog ich denn näher und setzte mich auf den ihnen zunächststehenden Baum. Dann rief ich einige Male laut zu ihnen hinunter, aber weder der Schäfer noch der Rabe sahen auf; sie schienen meine Gegenwart gar nicht zu beachten. So nahm ich mir ein Herz und flog ins Ginsterfeld hinunter, wo ich in einiger Entfernung von ihnen mich niedersetzte. Auch jetzt noch kümmerten sie sich nicht um mich. Da schritt ich mutig gerade auf sie zu, blickte bald auf den Schäfer, bald auf den Raben, bis sie endlich beide aufschauten und mich erstaunt ansahen. Doch der Mann war nicht böse. Er bückte sich nicht gleich nach einem Stein oder einem Stock, wie ungezogene Buben tun, sondern er rief mich ganz freundlich zu sich hin: „Räblein komm“, sprach er. Seine Stimme klang so gut und lieb, beinahe wie Rudis Stimme. So trat ich denn ohne Furcht an sie heran. Der Schäfer nahm seinen blechernen Eßtopf und gab mir daraus einige schmackhafte Brocken von den Ueberresten seines Mittagsmahles. Dankend nahm ich sie an. Bis Sonnenuntergang blieb ich bei ihnen und horchte auf die schönen Erzählungen des Schäfers. Als des Abends Schatten leise aufstiegen, erhob sich der Mann, nahm die geflochtenen Weidenkörbchen zusammen und rief seine Schäflein. „Bis Morgen also, Hänschen“, sprach er zu dem andern Raben, „und wenn du“, fügte er zu mir gewandt hinzu, „auch wiederkommen willst, sollst du mir herzlich willkommen sein; der Schäferhannes hat die Räblein gern und tut ihnen nichts zuleide. Also bis Morgen!“ Wir nickten zustimmend und flogen auf den nebenstehenden Baum. Langsam schritt der Schäferhannes durch den Ginster. Unterwegs zog er den langen Mantel an, auf dem er gesessen und hob seine Hirtenschaufel auf, um sich darauf wie auf einen Stab zu stützen. „Lämmi komm, Lämmi komm“, rief er dann einige Male, und die Schäflein liefen von allen Seiten zusammen und folgten ihm, während er langsam weiterschritt. Bald war die ganze Herde zusammen; wedelnd lief der Hund hinter ihr her und stieß mit der Schnauze die säumigen Lämmlein, die noch ein Hälmchen am Wegesrand pflücken wollten.“ „Bist du denn von da an öfters zum Schäferhannes gegangen, Väterchen, da er dich eingeladen hatte?“ fragte Rassi. „Und was hat er euch erzählt? Hast du auch seither noch öfter mit dem andern Raben gesprochen?“ „Gewiß Rassi, der Schäferhannes und wir beide Raben waren von da an jahrelang die besten Freunde. Beinahe Tag für Tag fanden wir uns bei den Schäflein zusammen, aßen und tranken aus derselben Schüssel, freuten uns und lauschten den Erzählungen des Schäfers. Abends, wenn die Herde heimgetrieben war, und wir allein waren, erzählte mir mein neuer Kamerad manches andere, und so erfuhr ich vieles aus der Gegend meiner neuen Heimat. Hannes war nicht Eigentümer der Herde. Er hütete sie für die Bauern von Reuler. Sie hatten ihn gedungen, und getreulich tat er seine Pflicht. Besser waren die Schäflein in hundert Jahren nicht gehütet worden als von ihm. Frühmorgens ging sein Tagewerk an. Unten im Dorfe begann er die Runde. Auf einer alten Flöte trillerte er einige Noten, die er sich selbst zusammengestellt hatte, zuerst in tiefer, dann in höherer Tonlage. Die Bauersleute kannten das Zeichen und öffneten die niedrigen Tore ihrer Schafställe. Die Schäflein sprangen blöckend heraus und eilten dem Schäferhannes freudig nach. So wuchs seine Herde von Haus zu Haus, und am Ende des Dorfes hatte er alle zusammen, über 120 Stück. Hannes kannte und rief sie alle mit Namen. Zwar konnte er nicht schreiben, da er nie eine Schule besucht, aber er hatte einen klugen Geist und ein vorzügliches Gedächtnis, das ihn nie im Stiche ließ. Noch nach Jahren konnte er genau erzählen, was er einmal gesehen oder gehört hatte. Wenn er Montags bei seiner Herde weilte, wiederholte er in Gedanken, was der Pfarrer am Sonntag gepredigt hatte. So gut hatte er aufgepasst, daß er alles fast wörtlich hätte hersagen können. Hannes war auch sehr sparsam. Für sich brauchte er nur wenig; dann und wann ein Pfündlein Tabak, das er in einer abgebrochenen irdenen Pfeife gemütlich rauchte, an den Winterabenden bisweilen einige Groschen, wenn er beim Kartenspiel verlor, was aber höchst selten vorkam, denn Hannes spielte vorzüglich. Das war sein ganzer Verzehr. Seine Kost erhielt Hannes im Dorfe. Haus um Haus mußte ihn beköstigen, jedes so viel Tage, als er aus ihm Schäflein zu hüten hatte. War das letzte Haus erreicht, begann die Runde allemal wieder beim ersten. In jedem Stall hatte auch Hannes ein Schäflein stehen, das ihm selbst zu eigen gehörte. Darüber durfte er frei verfügen. Gewöhnlich verkaufte er sie im Herbste wenn sie fett geworden, an den Metzger von Clerf. Ein schönes Stück Geld zog dann Hannes ein; an die Stelle der verkauften Schafe aber stellte er ein Lamm, worauf er ebenfalls in jedem Haus ein Recht hatte. Die Schafschur besorgte er selbst; ein Viertel der Wolle war für den Hirten. Von dem Erlös kaufte sich Hannes einen neuen Sonntagsanzug, der im darauffolgenden Jahr sein Werktagskleid wurde. Was er daneben noch arbeitete durch Korbflechten oder wenn er im Winter beim Dreschen aushalf, mußte ihm eigens bezahlt werden und auch dieses machte auf das Jahr eine für damals bedeutende Summe. So hatte Hannes Alles, was er brauchte und zufriedener wie er war kein König hier auf Erden. Von seinen Ersparnissen legte er jährlich etwas kleines für sich zurück als Zehrpfennig für das Alter, das übrige gab er seinem greisen Vater, der nicht mehr arbeiten konnte, und dem es früher bei seiner großen Familie nicht möglich gewesen war, etwas für das Alter zurückzulegen. Bis gegen das Jahr 1797 blieb ich in Reuler als Freund des Schäferhannes. Mein Kamerad war im vergangenen Winter spurlos verschwunden. Abends hatten wir noch lange miteinander geplaudert. Er hatte mir erzählt aus frühern Zeiten, denn er war bedeutend älter als ich. Seine meisten Jahre hatte er in der Nähe von Vianden bei der Bauler Klause zugebracht, und so wußte er viel zu erzählen von den Schlössern von Vianden, Falkenstein und Stolzemburg und all dem, was sich in jener Gegend zugetragen hatte. Zuletzt hatte er mir gesprochen von der großen Überschwemmung, welche im Februar 1776 die Unterstadt Vianden verwüstete und von dem großen Felssturz, der 1870 in der Nähe des alten Marktes drei Häuser zerstört und elf Menschen begraben hatte. Spät gegen Mitternacht waren wir heimgekehrt, er zu seiner alten Eiche und ich zu meiner Tanne weiter im Walde. Morgens sollten wir einen Ausflug nach Vianden machen, wo er mir an Ort und Stelle die Unglücksfälle näher auseinandersetzen wollte. In der Luftlinie sei es gar nicht weit, in höchstens einer Stunde seien wir da. Morgens wartete ich bis neun Uhr; noch immer war mein Kamerad nicht gekommen. So flog ich denn nach seiner Wohnung, um zu sehen, wo er so lange bleibe. Die ausgehöhlte Eiche, in der er sich gewöhnlich aufhielt, war leer. Unter dem Baume fand ich einige ausgerissene Rabenfedern und viele frische Blutstropfen. Was war vorgefallen? Nie erfuhr ich etwas Bestimmtes, aber ich vermute, daß eine Wildkatze, die in den Felsen oberhalb Clerfs hauste, in der Nacht herausgekommen war und ihm ein jähes Ende bereitet hatte.“ „Bist du denn von da an allein bei den guten Schäferhannes gegangen, Väterchen,“ fragte Rassi, „oder bist du gleich aus Furcht vor den Katzen in eine andere Gegend fortgezogen?“ „Gefürchtet habe ich schon“, entgegnete Hans, „aber fortgezogen bin ich deshalb doch nicht. Des beständigen Wanderns wird man bald müde. Ich traf meine Vorsichtsmaßregeln, daß die Katzen mir nicht schaden konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten. Ganz in die Spitze eines sehr dünnen Ästchens setzte ich mich, worüber eine Katze nicht hätte gehen können, ohne herunterzustürzen. So konnte ich beim Schäferhannes bleiben, seinen Geschichtchen lauschen, von seinem Essen mithaben und mich bei dem guten Manne freuen. XI. Doch nicht lange mehr erzählte er mir freudige Geschichten und Märchen. In den letzten Monaten war er so ernst geworden, und seine Stirne lag fast beständig in sorgenvollen Falten. Als ich ihm darüber einmal einen fragenden Blick zuwarf, erzählte er mir, es kämen vielleicht bald für das schöne Ösling schlimme Zeiten. Die Franzosen, nicht zufrieden in ihrem Land Unheil angestiftet zu haben, seien auf dem Wege nach Luxemburg, um ihren schlimmen Gesetzen auch dort Geltung zu verschaffen. „Esch an der Alzette hätten sie schon vor längerer Zeit eingenommen“, erzählte er „und da die Einwohner sich in den Leudelingerwald geflüchtet, hätten sie das Dorf in Brand gesteckt. Der alte Küster von Düdelingen, der die Sturmglocke läutete, sei vom Kirchturm herab auf den Kirchhof geworfen und 82 Einwohner getötet worden. Im ganzen Lande wollten sie ihre gottlosen Gesetze einführen. Die Priester wollten sie zwingen einen verbotenen schlechten Eid zu schwören, und da diese es nicht wollten, setzten sie dieselben ab und drohten ihnen mit Verbannung und Verfolgung. Die Kreuze rissen sie von den Kirchen, von den Wegen und den Gräbern, der Sonntag sollte nicht mehr gefeiert werden, sondern in seine Stelle jeder zehnte Tag ein Feiertag werden. Dazu sollte auch noch das Land von der Karte Europas verschwinden, sollte die liebe Heimat eine Provinz des Franzosenreiches werden; selbst der Name Luxemburgs sollte nicht mehr genannt werden, nur als „Wälderdepartement“ sollte er bestehen bleiben. Kriegssteuern zahlen müßten dazu die freiheitliebenden Gaue der Heimat. Pferde sollten sie stellen für fremde Kriege, und Militäraushebungen sollten stattfinden, wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Alle jungen Leute von 20 bis 25 Jahren würden eingezogen zum Kriegsdienst unter französischen Fahnen; für Fremde sollten sie ihr Blut vergießen und wahrscheinlich fern der Heimat einen fast sichern Tod finden. Und dann erzählte Hannes mir die Greueltaten, die sie verübt in der Stadt Luxemburg, wie sie das Heiligtum der Muttergottes, die Wallfahrtskapelle geplündert und auch andere Kirchen entweiht hätten. Aus der Franziskanerkirche sei ein Waffensaal geworden, aus der Kapuzinerkirche ein Mehlmagazin, aus der Congregationskirche ein Theatersaal und aus der Dominikanerkirche ein Saal für republikanische Festgelage.“ Wie er das erzählte, da blitzten die Augen des Schäfers wild auf. Er, der sonst so sanfte Mann, glühte vor Zorn; seine Stimme zitterte, daß ich mich beinahe vor ihm fürchtete. Zuletzt sprang er auf, und indem er die feste Faust nach dem Süden des Landes ballte, rief er: „Doch kommt ihr Gottesschänder, hier im Ösling sollt ihr eure Herren finden! Es geht um den Glauben, kommt!“ Dabei schlug er seine Hirtenschaufel auf den Boden, daß der Stab splitternd in Stücke fuhr. In weitem Bogen schleuderte er sie dann weg und sprach: „Ach was, fahre hin, ohnedies kann ich dich in den nächsten Wochen nicht mehr brauchen; einen andern Stab habe ich genommen; gescheuert steht er und geladen. Wehe dem Ersten, den ich hier entdecken werde!“ Ohne ein Wort des Abschiedes ging er seiner Herde voraus und fuhr nach Hause. Es war der letzte Tag, an dem ich ihn auf dem Felde bei der Herde sah. In den kommenden Wochen sah ich die Männer der Gegend oft zusammenstehen und leise miteinander reden. Dann und wann hielten sie Versammlung im Walde und schafften Waffen und Lebensmittel herbei, die sie an abgelegenen, schwer zugänglichen Orten sorgsam versteckten. Daß sich etwas Besonderes vorbereite, merkte ich wohl, was aber genau vor sich gehe, wußte ich nicht, da der Schäferhannes nicht mehr mit seiner Herde kam. Da erschienen eines Nachmittags im Ginsterfelde einige Hundert Mann. Mit allen möglichen Waffen waren sie ausgerüstet. Einige trugen Flinten, Sensen, auf lange Stangen aufgesetzte Heuhaken, andere Flegel und Picken. Voller Aufregung beratschlagten sie miteinander, was zu tun sei. Schließlich hörte ich, wie sie einig wurden nach Clerf hinabzuziehen um dort die Franzosen zu erwarten. Im Schloß daselbst würden sie sich verschanzen, dort würde es anderntags heißen: „Siegen oder sterben!“ Also mußten die feindlichen Scharen wohl schon in der Nähe stehen. Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen. Was sollte ich anderntags tun? Nach Clerf hinunterfliegen? Aber, wenn es zur Schlacht kommen sollte, würden gewiß allenthalben die Kugeln durch die Bäume sausen und dann ...! Weshalb sollte ich mich einer solchen Gefahr aussetzen, wo ich doch nichts helfen konnte? So entschloß ich mich denn in meinem Walde zu bleiben und abzuwarten; später würde ich den Ausgang doch so wie so erfahren. Gespannt horchte ich am andern Morgen, ob ich nichts hören könnte. Alles blieb still. Niemand arbeitete auf den Feldern. Alles war wie ausgestorben. Nur von der Höhe droben, von Hosingen herüber, schallte hie und da der Hufschlag dahinsprengender Pferde. Eine schwüle Hitze lag über der Gegend. Da ich nachts nicht geschlafen hatte, war ich sehr ermüdet. Angestrengt lauschte ich weiter. Einige Zeit war wieder lautlose Stille. Tausend verschwommene Bilder schwirrten durch mein müdes Hirn; nach und nach verlor ich mich in ein träumerisches Sinnen und versank allmählich in einen festen Schlaf. Gegen 10 Uhr mochte es sein, als ich jäh aufschreckte. Von den Höhen um Marnach und aus dem Tale von Clerf herauf krachte Schuß auf Schuß. Vielfältig warf das Echo den Knall zurück, und unheimlich hallte es überall aus den Wäldern wieder. Immer mehr zog sich der Lärm um Clerf zusammen. Also war die Schlacht doch entbrannt. Im Geiste sah ich den Schäferhannes und zitterte um sein Leben. Wie sollte der Tag enden? – Sollten die braven Männer der Heimat die Oberhand behalten? – Sollten sie die Fremdlinge hinunterjagen von den heimatlichen Bergen – oder sollten diese weiterhin die Herzen und Gewissen eines freiheitliebenden Volkes knechten? Spät am Nachmittag hörte das Gefecht auf. Nur selten noch fiel ein Schuß in den mehr nach Norden gelegenen Bergen. Die Armee der Heimat, die braven „Klöppelmänner“, hatten die Schlacht verloren. Einige lagen tot, andere saßen gefangen, andere zogen sich in die Wälder zurück, um sich später wieder zu sammeln und den Kampf von neuem aufzunehmen. XII. Meine Gedanken waren noch immer bei dem Schäferhannes. Wo sollte er weilen? Plötzlich wurde ich in meinem Sinnen gestört. Im dürren Laube hörte ich hastige Schritte, welche sich rasch näherten. Scharf spähte ich durch die Äste nach dem Waldboden. Zwei junge Bauern stürzten schweißbedeckt aus dem Tale herauf. Dicht unter dem Baum, worauf ich saß, blieben sie einen Augenblick stehen. Außer Atem beratschlagten sie in abgerissenen Worten, wohin sie weiterflüchten sollten. Der eine von ihnen deutete nach dem Ginsterfelde nebenan und dann darüber hinaus nach dem Dorfe. Der andere schien mit diesem Plan durchaus nicht einverstanden. Keuchend stieß er die Worte hervor: „Freies Feld ... erschießen!“ Aber es war keine Zeit zu verlieren, unten vom Tale herauf schallten fremdlautige Worte, und im dürren Laube am Waldesboden hörte man wieder Schritte, die sich vom Tale herauf näherten. Rasch entschlossen lief der eine der beiden Flüchtlinge im Zickzack durch den hohen Ginster. Der zweite aber blickte ratlos nach allen Seiten. Schließlich umklammerte er eine der mächtigen alten Eichen. Mit Aufbietung aller Kräfte suchte er dieselbe möglichst schnell zu ersteigen, um so der Gefahr zu entrinnen. Die Hälfte des Baumes hatte er ungefähr erklettert, da rannte schon ein französischer Soldat mit gefälltem Bajonett unter dem Baume durch. Schon spähte er im Weitereilen rings durch das Untergehölz und eilte dann durch das Ginsterfeld weiter. Nach oben hatte er nicht geschaut, und so war er an dem Flüchtling vorbeigelaufen. Kaum war er unter dem Baume verschwunden, da kletterte dieser rasch weiter. Der Baum war inwendig ganz hohl, ich kannte ihn von früher. Oben, wo die Äste auseinandergingen, konnte bequem ein Mensch hineinkriechen und sich darin verbergen. Das schien auch der Plan des Flüchtlings gewesen zu sein, denn sobald er die Äste erreicht hatte, schlüpfte er schon in den hohlen Baum. Genau hatte ich ihn beobachtet. Als ich nach einer Weile wieder zum Baume hinblickte, sah ich nur mehr seinen Scheitel sowie die Fingerspitzen, mit denen er sich oben an der Baumrinde festhielt. Vom Boden aus war es unmöglich, ihn zu entdecken. Verschiedene Male sah ich noch unter dem Baume feindliche Soldaten suchend hin und herlaufen. Daß aber der Flüchtling, den sie suchten, im hohlen Baum steckte, ahnten sie nicht. Nach Verlauf einer Stunde ungefähr gaben sie das Suchen auf und verschwanden wieder bergab in der Richtung nach Clerf. „Wie wird sich der Verfolgte freuen!“ dachte ich. So nahe dem Verderben und nun doch noch glücklich gerettet! Bange fragte ich mich, ob er nun gleich nach Abzug der Verfolger aus seinem Versteck herabsteigen oder ob er erst im Dunkel der Nacht sich auf den Heimweg begeben werde. Das Letztere hätte ich ihm entschieden angeraten. Lange spähte ich durch den Wald, ob keine andern Feinde seinen Spuren folgten. Alles blieb still. Als ich wieder nach dem hohlen Baume sah, konnte ich nichts mehr von dem Flüchtling erblicken. „Vielleicht“, dachte ich, „ist er schnell herab gestiegen, während ich den Verfolgern nachsah, und er ist seinem Begleiter gefolgt.“ Um mich zu vergewissern, überflog ich in niedriger Höhe den Baum. Der junge Mann war wirklich verschwunden. Nur die tiefe Höhlung sah ich schwarz im Baume klaffen. Von allem, was ich im Walde gesehen, war ich sehr aufgeregt, und schon hatte ich gedacht, mich in einigen Tagen nicht mehr aus den Bäumen herauszuwagen. Wer wußte auch, ob nicht irgendwo ein Franzosensoldat auf der Wache liege und mir in einem unbewachten Augenblick eine totbringende Kugel heraufsenden könnte. Aber anderseits plagte mich doch die Neugierde, und nur zu gerne wäre ich nach Clerf geflogen, um über den Ausgang des Treffens Näheres zu erfahren. Auch das Los des Schäferhannes, der gewiß am Kampfe teilgenommen, da er schon so lange nicht mehr mit den Schafen zur Weide gekommen, beunruhigte mich sehr. Zuletzt siegte die Neugierde. Vorsichtig hob ich mich über die Bäume und flog gegen Marnach, von woher früh am Morgen die ersten Schüsse gefallen waren. Doch kaum war ich fünf Minuten geflogen, als ich rasch niedersteigen mußte. Auf der Landstraße marschierten ganze Scharen französischer Soldaten. Schußbereit trugen sie die Flinte in den Händen. „Soldatenvolk ist leichtfertig“, dachte ich. „Mein Leben durch eure Kugeln zu lassen ist mir gar nicht lieb.“ Rasch verbarg ich mich in einer dichten Tanne. Erst im schützenden Dunkel der Nacht wollte ich nach Hause zurückkehren. Schon lag heller Mondschein über den Fluren, als ich nach Reuler zurückflog. In der Straße standen schwarze Gestalten vor den Haustüren. Wer war es und was mochten sie so leise sprechen? Geräuschlos ließ ich mich am Wege nieder, um zu horchen. Doch es war umsonst. Alle redeten nur mit leiser Stimme. Soviel erfuhr ich nur, daß es Dorfleute waren, die die Ereignisse des Tages besprachen. Gegen Mitternacht kam ich an meiner Wohnung an. Alsbald versank ich in tiefen Schlaf, denn von all den Aufregungen des vergangenen Tages war ich todmüde geworden. Schon stand die Sonne hoch am Himmel, als ich andern Tags erwachte. Dicht aus meiner Nähe kamen menschliche Hilferufe. Sofort dachte ich an die beiden Flüchtlinge von tagszuvor. Oder sollte sich vielleicht ein Verwundeter von Clerf herauf bis hiehin geschleppt haben und nun erschöpft im Walde liegen, ohne weiterkommen zu können? Ringsherum spähte ich durch den Wald, konnte indes keinen Menschen entdecken. Und doch tönten die Hilferufe immer weiter. Ich horchte nach der Richtung und flog einige Bäume weiter. Blitzartig stieg mir ein Gedanke auf. Der Flüchtling, der gestern den Baum erstiegen und sich darin versteckt hatte, wird es doch nicht sein? Ich eilte zur alten Eiche. Richtig, da kamen die dumpfen Rufe tief unten aus dem dunkeln Baume. Mit einem Schlage war mir alles klar. Eine dünne, schon angefaulte Holzschicht war es wohl nur gewesen, auf die er sich im Baume gestellt hatte, und nun war diese eingebrochen, und so hatte er plötzlich allen Halt verloren. Einige Zeit mochte er sich noch festzuhalten vermocht haben, dann aber hatten schließlich die Finger seine ganze Last nicht mehr tragen können. Sich herauszuarbeiten war unmöglich, und so war er schließlich hinuntergestürzt in den tiefen, hohlen Baum. Nun lag er drunten in der Finsternis und war rettungslos verloren, wenn ihm nicht bald von außen Hilfe kam. „Armer Mensch,“ dachte ich, „wie will Jemand hier im Walde deine Rufe hören, und sollte auch Jemand sie vernehmen, wie kann er dich in diesem Gefängnis finden?“ Ich selbst konnte ihm nicht helfen; was hätte ich für ihn tun können? So rief er den ganzen Nachmittag, während des Abends und manchmal noch während der Nacht. Wie aus der Unterwelt herauf schallte seine schaurige Stimme durch das stille Dunkel des Waldes. Zwei lange Tage verstrichen. – Von Stunde zu Stunde wurde seine Stimme flehentlicher. Erst am Nachmittag des dritten Tages kamen zwei Männer in die Gegend. Wieder rief es herzzerreißend aus dem hohlen Baum: „Hilfe, Hilfe!“ Wie aus den hohen Lüften schien der Ruf zu kommen. Die Männer hatten die Stimme gehört. Auch sie dachten an einen Verwundeten und suchten im Dickicht. Sie fanden nichts. Wieder erscholl die Stimme. Durch die Baumkronen schien sie diesmal in den Wald dahinzuziehen. Erschrocken eilten die Männer davon. Nach einiger Zeit kamen sie mit verschiedenen Dorfbewohnern zurück. Alle suchten die Gegend auf’s genaueste ab. Immer noch erscholl das geheimnisvolle Rufen. Man suchte und suchte. Dann horchten sie wieder und suchten noch einmal. Einige hatten schon das Ohr an den Boden gelegt; um zu lauschen; ganz bis in die Nähe des hohlen Baumes war niemand gekommen. Da alles Suchen vergebens blieb, begann es den Männern unheimlich zu werden. Fragend blickten sie einer den andern an. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu“, sprach endlich einer von ihnen schüchtern. „Hilferufe ertönen und niemand ist da, von dem sie kommen! Schließlich fange ich an zu glauben, was einst unsere Großmutter erzählte. Hier im Walde gehe seit Jahrhunderten der Geist eines Mörders um, der keine Ruhe finden könne. In früheren Zeiten schon habe man manchmal in stillen Nächten seine kläglichen Hilferufe vernommen.“ Keiner der Männer entgegnete ein Wort. Wehmütig klagend drang abermal die Stimme durch den Wald. Die Sucher erbleichten. Einer um den andern verschwand eilig durch das Ginsterfeld. Lange Zeit sah ich keinen Menschen mehr in der Gegend. Anderntags ertönten die Hilferufe viel schwächer. Allmählich gingen sie in ein leises Stöhnen und Wimmern über, bis auch dieses in einer stürmischen Nacht verstummte. Zwanzig Jahre später fand der Holzschlag an dieser Stelle des Waldes statt. Auch die hohle Eiche wurde gefällt. Als sie mit dumpfem Schlage bergab zur Erde stürzte, rollten aus ihr der weiße Totenschädel und die gebleichten Gebeine des in ihr verhungerten Mannes. „O der Unglückliche!“ klagten die Räblein, „das war ein bitterer, grausiger Tod. Wie schade, daß man den armen Mann nicht beizeiten gefunden und herausgezogen hat!“ Der kleine Rapsi weinte. [Illustration: Der Schäferhannes hatte die Räblein gerne; oft flog ich zu ihm hin und lauschte seinen Gesprächen.] „Hu Väterchen,“ sprach er leise, indem er zitternd näherrückte, „bitte, erzähle heute Abend keine so schaurige Geschichte mehr. Ich fürchte heute Nacht kehrt sie mir im Traume wieder; ich sehe dann lauter bleiche Schädel und verhungerte Tote und ich sterbe fast vor Angst. Vielleicht schreie ich wieder im Schlafe laut auf wie letzthin, und morgen spotten meine Brüder. Väterchen Hans, erzähle lieber von deinen Jagden oder wie du die bösen Menschen betrogen hast, du weißt ja. Neulich hast du uns so lange und so spannend davon gesprochen.“ „Nein Väterchen, das nicht,“ wehrte Rassi, „das wissen wir schon, ich höre lieber von der alten Zeit. Wurden also die Franzosen im Kampfe Meister, Väterchen Hans, und haben sie nachher die Priester verfolgt und die jungen Männer zum Kriegsdienst ausgehoben, wie du eben vorhin sagtest?“ XIII. „Jawohl Rassi, nun kam für die Gaue der Heimat eine gar schlimme Zeit. Ihr Gewissen verbot den Priestern des Öslings, den für sie vorgeschriebenen Eid zu leisten. Wenn sie ihn nicht leisteten, wartete ihrer die Verfolgung. Am 14. Brumaire des Jahres 7 ihrer neuen Zeitrechnung erschien das Verfolgungsdekret. 417 Priester des Wälderdepartements, so nannte man damals unser Land, wurden durch dieses Schreiben verbannt. Ein Teil derselben, den sie fangen konnten, wurde weit weggeführt nach den Inseln des Meeres nach Cayenne, Ré u. s. w. Unsägliches mußten sie unterwegs oder am Ort ihrer Verbannung leiden.“ „Konnten sie denn nicht fortlaufen, Väterchen? Ich hätte mich vor den Verfolgern versteckt. Gute Leute hätten gewiß diese Priester nicht im Stich gelassen und hätten doch sicher für sie gesorgt!“ „Gewiß Rassi, so geschah es auch vielfach. Den größten Teil dieser Priester fanden die Franzosen nicht. Einzelne flüchteten über den Rhein, andere verbargen sich in Kellern, Wäldern und Klüften. Zwar durcheilten französische Gendarmen die ganze Gegend und fahndeten nach ihnen, aber oftmals umsonst. Manchmal habe ich mich im Herzen gefreut, wenn ich sah, wie die braven Leute treu zu ihnen standen, und wie sie immer eine neue List zu erfinden wußten, um die Häscher zu täuschen.“ „Hast du denn nie einen solchen Priester im Walde begegnet, Väterchen?“ „Gewiß, Rassi, mehr denn einmal. Im Spätsommer war es, wo ich oft am frühen Sonntagmorgen, wenn kaum noch der Tag graute, die Leute der Gegend behutsam durch den Ginster schreiten sah. Von Marnach herunter und aus dem Tale kamen sie, von Pintsch, Drauffelt und Wilwerwiltz, dem sogenannten „Kirchspiel“. „Wird’s eine neue Verschwörung werden?“ fragte ich mich, als ich sie zum ersten Male kommen sah. „Sollen sie des unerhörten Druckes, der auf ihnen lastet, müde, von neuem zu den Waffen greifen und noch einmal in einem Aufstand die verlorene Freiheit wiederzugewinnen suchen?“ Da sie alle nach derselben Richtung gingen, entschloß ich mich, ihnen heimlich zu folgen, um zu sehen, was vorging. Zwischen den Felsen auf schwer zugänglichen Pfaden stiegen sie, leise, ganz leise bergan. Oben, von Felsen umrahmt, lag ein freies Plätzchen, das man dort nicht vermutet hätte. Kopf an Kopf standen dort die von allen Seiten herbeigekommenen Leute. Im Hintergrunde sah man ein kleines, aus Ästen roh zusammengefügtes Kreuz und einen aus Steinen errichteten niedrigen Altar. Ein abgemagerter Priestergreis schickte sich eben an, das hl. Meßopfer darzubringen. Weiter rechts, an die Felsen angelehnt, ein aus Tannenzweigen errichtetes Hüttlein, das dem geächteten Priester als Wohnung diente. In andächtiger Stille standen die Gläubigen da. Manch heiße Träne rann über die Wangen. Einige leise Worte der Belehrung und Ermunterung bildeten die kurze Predigt. Nach dem hl. Opfer beichteten noch einige und empfingen die hl. Kommunion. Still, wie sie gekommen, verschwanden wieder die frommen Beter. Zwei starke Männer warteten bis zuletzt. Als die letzten fortgegangen, verabschiedeten auch sie sich und legten einige dicke Steine in den Zugang zum freien Platz. Durch darüber gestreutes dürres Laub verwischten sie die Fußspuren im Pfade und kehrten ebenfalls ernsten Antlitzes nach Hause zurück. Tagelang sah man wieder keinen Menschen in der ganzen Umgegend. Der Priester aber betete in der Einsamkeit für seine Schäflein, daß Gott der Herr sie stark erhalte, damit sie standhalten möchten in der Stunde der Gefahr. Dann und wann erschienen zu stiller Nachtstunde einige Männer am Eingang der stillen Einöde und gaben ein verabredetes Zeichen. Der Priester ging dann mit ihnen zu einem Kranken, der seiner begehrte, spendete die heiligen Tröstungen der Kirche, und ehe wieder der neue Morgen graute, hatten die Männer ihren Priester zurückbegleitet zu seinem stillen Verstecke. Auch die Häscher sah ich manchmal den Wald durchstreifen, aber jedesmal gingen sie vorüber. Sie fanden nicht, was sie suchten. Schon in allen Häusern des Dorfes hatten sie verschiedentlich Haussuchung vorgenommen. Alle Hecken und Wälder hatten sie abgesucht. Sie wußten, daß der Priester in der Nähe weilen müsse, aber keine Spur hatten sie von ihm entdeckt. Auch in der Sonntagsnacht hielten sie manchmal am Dorfe Wacht, um zu sehen, ob die Leute Sonntags zur Messe gingen. Regelmäßig aber war die Gegenwart der Häscher von aufgestellten Dorfwachen gemeldet worden. Ehe noch der Tag graute, brachen dann einige Dorfbewohner auf und schlichen geräuschlos nach der Our hinunter. In einiger Entfernung vom Dorfe zündeten sie ihre Laternen an und schwenkten sie rasch, als ob sie eilig weiterschritten. Die fremden Gendarmen ließen sich täuschen. Während sie schnell nach der Our hinuntereilten und dort alles durchsuchten, gingen die Dorfbewohner in entgegengesetzter Richtung zur Messe. In den Hecken an der Our aber waren längst die Laternen erloschen und alles Suchen war umsonst. So verging Sommer und Frühherbst. Als der Winter mit strenger Kälte sich einstellte, konnte der Priester nicht länger im Walde bleiben. Da kehrte er ins Dorf zurück. Manche der Häuser hatten heimliche Verstecke. In ihnen konnte er sich verbergen, wenn Gefahr drohte. Dort waren auch die hl. Gefäße aufgehoben, und da die Kirche ihnen nicht zu Gebote stand, kamen die Leute in Scheunen und Wohnräumen zusammen. Ein Tisch oder Schrein wurde zum Altar und das Haus zur Kirche. Wachen umstanden das Dorf und meldeten, wenn sich etwas Verdächtiges in der Gegend zeigte. Verräter gab es keine, alle waren wie eine Familie. Einmütig sehnten sie sich alle nach den Tagen der Freiheit und unterdessen trugen sie geduldig die harten Leiden der Verfolgung. Traurige Stille lag über den Dörfern und den Fluren, denn die Glocken waren von den Türmen herabgenommen und nach Luxemburg geführt worden, um zu Kanonen umgegossen zu werden.“ „Und wie ging es den rekrutierten jungen Leuten, Väterchen Hans, nach dem Klöppelkrieg?“ „Ach Rassi, das war auch eine schlimme Sache. Allenthalben wurden sie ausgehoben. Von 1798-1815 wurden nicht weniger als 14000 junge Luxemburger unter die französischen Fahnen gestellt. Traurig zogen sie aus der lieben Heimat fort, einem fast sicheren Tode entgegen. Die wenigsten von ihnen sahen die Heimat wieder. Kaum ein Drittel gelangte krank und gebrochen an den väterlichen Herd zurück. Über 9000 fanden den Tod auf den Schlachtfeldern Europas. Ach wie manche bittere Träne sah ich in jenen Tagen fließen, wie manche traurige Mutterklage hörte ich um den dahingeschiedenen Sohn. Eine Familie um die andere kleidete sich in Trauer, wenn die seltene Post eintraf, und Nachrichten aus der Ferne einliefen. Über eines aber waren die Eltern am meisten untröstlich, daß sie den Sohn nicht hatten betten können in die heimatliche Erde. Nun lag er begraben, fern der Heimat, an irgend einer Küste Italiens, in den heißen Landen Spaniens oder im brennenden Wüstensand Ägyptens. Alles, nur nicht die liebe Heimaterde deckte seine irdischen Überreste. Und die alten Großväter, die sonst in stiller Stube bleiben durften und nur dann und wann aufs Feld gekommen waren, um der Arbeit ihrer rüstigen Kinder und Enkel zuzusehen, mußten müde wieder zur Arbeit schreiten, und gebeugt von der Last der Jahre gingen sie wieder hinter dem Pfluge oder führten langsam die schwere Sense durch das zur Ernte reife Korn. „Und da hatte ich immer gemeint,“ sprach Rassi, „jene Zeit, wo die Luxemburger unter Napoleon dienten, sei eine glorreiche Zeit gewesen, wenigstens so hatte es mir immer nach den Erzählungen meines Großvaters geschienen.“ „Ja, Rassi, nachher läßt sich leicht von schönen Tagen reden! Wer sie aber miterleben und in ihnen mitleiden muß, der wird nicht viel von ihrer Schönheit reden. Freilich interessant war es manchmal, wenn einer dieser „Napoleonsdiener“ das Glück hatte, nach seinen gefährlichen Kriegsfahrten heimzukehren. In glänzender Uniform stolzierten sie durch die Dörfer und wußten so viel zu erzählen von ihren Heldentaten und all dem, was sie in der Fremde gesehen und erlebt hätten. Manchmal freilich war auch recht viel dazugelogen. Wohl leuchteten dann hin und wieder in Begeisterung die Augen auf, wenn sie von dem „großen Kaiser“ erzählten, der nur einen Blick über das Schlachtfeld zu werfen brauche, um zu sehen, was noch fehle und wo er seine Reserven einsetzen müsse, um noch vor Sonnenuntergang die Schlacht zu seinen Gunsten zu entscheiden. Dann erzählten sie wieder, wie er trotz allen Glanzes, mit dem er sich umgab, doch herablassend sei, gegen den letzten der Soldaten nicht weniger als gegen seine tüchtigsten Generäle. Aber glaubt mir es Kinder, größer als die Freude, die hie und da im Lande aufflackerte, war die Trauer, der man überall begegnete. Es war wie es immer ist hier auf Erden: Einzelnes Schöne kann ein Krieg mit sich bringen, schöner sind und bleiben die Güter eines gesegneten Friedens.“ XIV. „Gestatte, daß ich dich nochmals unterbreche, Väterchen Hans,“ bat Rassi nochmals, „eben hast du vom großen Napoleon geredet, ist er nicht selbst auch einmal in Luxemburg gewesen? Ich glaube das von meinem Großvater gehört zu haben.“ „Du scheinst ein gutes Gedächtnis zu haben, Kleiner. So ist es in der Tat. Doch Kinder, da war der alte Hans dabei, als der Kaiser kam; den Tag werde ich in meinem Leben nie vergessen. 1804 war es. Schon zogen sich herbstliche Nebel langsam durch die Täler. Kälter wurden schon die stetig länger werdenden Nächte; denn wir waren im Oktober. Schon ein volles Jahr im voraus hatte man mit den Vorbereitungen zum feierlichen Empfang begonnen. Gegen Ende September erfuhr ich zufällig, daß der Einzug am 9. des folgenden Monats stattfinden sollte. „Da muß ich dabei sein,“ sagte ich mir, „koste es, was es wolle. Und sollte ich drei Tagreisen fliegen müssen, das Fest wird mir nicht entgehen!“ Bereits in der Frühe des 7. Oktober machte ich mich auf den Weg. Schon blies der Wind in der Höhe eisigkalt. So hielt ich mich in den Tälern und folgte in niedriger Höhe dem Lauf der Clerf und Sauer, in ihrem vielgewundenen Lauf bis nach Ettelbrück. Nach kurzer Rast daselbst machte ich mich wieder auf die Flügel und flog Alzetteaufwärts in der Richtung Mersch weiter. Unterwegs langweilte ich mich durchaus nicht. Außer den Naturschönheiten, die sich in so rascher Folge ablösten, sah ich schon auf allen Wegen Menschengruppen nach der Hauptstadt eilen. Man hätte meinen sollen, wir seien in den Tagen der Oktave. „Die denken halt wie ich selbst,“ sprach ich bei mir, wenn ich über sie hinwegflog. Einen kräftigen „Guten Tag“ rief ich ihnen hinunter und eilte weiter, ihnen munter voraus. Auf der Höhe von Walferdingen machte ich Halt. Dort wollte ich die Nacht verbringen. Ganz zeitig setzte ich mich zur Ruhe, um anderntags gleich am frühen Morgen nach Luxemburg weiterzufliegen, wo es gewiß vieles zu schauen geben würde. Noch ehe die Sonne über die Berge kam, war ich auf den Flügeln. Eilig suchte ich meine Nahrung, und da ich voraussichtlich am Mittag dazu keine Zeit finden würde, ließ ich mir es gleich am Morgen recht wohl schmecken. Nachts hatte es ein wenig geregnet, so daß ich nur über einen Feldweg zu laufen brauchte, um Regenwürmer die ganze Menge zu finden. Gegen acht Uhr hatte ich schon die Oberstadt zweimal überflogen. Alles rüstete sich. Ganze Wagen frischgehauener Tannen standen in den Straßen, durch die der Kaiser seinen Weg nehmen sollte. Einzelne Häuser waren schon beflaggt, immer mehr folgten ihnen von Minute zu Minute. Alles war in fieberhafter Tätigkeit. Die Festungstürme standen in bunten Guirlanden und trugen an ihren Spitzen flatternde Oriflammen auf haushohen Masten. Am Nachmittag ruhte ich auf einer der alten Weiden neben dem Glacisfelde. Auch dort gab es vollauf zu sehen. Da kam zuerst eine stolze Reiterbrigade und übte zum letzten Mal die Ehrenparade. Bald kamen die flinken Rosse in stolzem Schritt, dann wieder hüpften sie in leichtem Trab, dann sausten sie daher in rasendem, feurigem Galopp. Roß und Reiter aber funkelten im Sonnenschein; aus den neupolierten, glänzenden Knöpfen und aus den silbernen Schnallen des Pferdegeschirrs schossen die Strahlen blitzartig über das Gelände. Später erfuhr ich, daß fast alle jene Reiter dem Adelsstand angehörten, und so wunderte ich mich nicht mehr über ihre reiche Ausstattung. Gegen 10 Uhr übte die Ehrenkompagnie der Fußtruppen. Was mir am besten gefiel, war unstreitig, das sogenannte „Mamelukenkorps“, das seine Übungen am Nachmittag auf demselben Felde vornahm. Es bestand aus lauter Kindern. Knaben im Alter von 10 bis 12 Jahren, geführt von ihrem Hauptmann, der ebenfalls noch ein Kind war. Und doch waren sie schon Soldaten durch und durch, wie eine Armee von Männern exerzierten sie; schneidig wie ein Heer, das schon jahrelang unter Waffen steht, schritten sie auf und ab, bald zu vier, bald zu zwei; dann teilten sie sich wieder in verschiedene Abteilungen, um sich gleich darnach wieder zu vereinigen. Mit sichtlichem Stolz schritt ihr junger Führer vor ihnen in die Stadt zurück. „Was muß das alles erst morgen werden“, dachte ich, „wenn heute schon alles so schön ist.“ Da ich aber den ganzen Tag mich müde geschaut, verschlief ich die ersten Morgenstunden des kommenden Festtages. Gegen 9 Uhr war es schon, als ich auf dem Glacisfelde, wo ich abends geblieben war, erwachte. Gleich machte ich mich davon. Schnell flog ich über die Oberstadt. In einem Meer von Tannengrün und Fahnen verschwanden die geschmückten Straßen. Doch ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Auf dem Weg zum Fetschenhof staute sich schon eine dichte Menge Volkes. Der Festzug, der dem Kaiser auf der Trierer Straße entgegen ziehen sollte, hatte sich schon geordnet und in Bewegung gesetzt. Mit den Abzeichen seiner Würde schritt an seiner Spitze der Bürgermeister der Stadt; ihm schlossen sich an die übrigen Würdenträger, die Ehrenkompagnien und ein glänzend ausgestattetes Musikkorps. Von Trier aus sollte der gefeiertste Mann Europas über Wasserbillig nach unserer Hauptstadt kommen. Neugierig blickten die an der breiten Landstraße dichtgedrängten Scharen die Straße entlang. Aber noch war nichts zu sehen. Nur vereinzelte Neugierige schritten drunten, um ihm weiter entgegen zu gehen und die ersten zu sein, ihn zu sehen. Eilig flog ich ihnen nach. „Ich bin schneller als ihr“, dachte ich, „da werde ich auch der allererste sein, sollte ich bis Roodt fliegen müssen. Frisch holte ich aus. Der sanfte Westwind beschleunigte meine Flügel, und so war ich in kurzer Zeit am Eingang von Roodt angelangt. Auf einem hohen Baum dicht an der Straße setzte ich mich nieder; dort wollte ich etwas ruhen und die Ankunft des Mächtigen erwarten. Doch ich brauchte nicht lange zu warten. Schon nach wenigen Minuten sah ich den kaiserlichen Zug in das Dorf einbiegen. Stolze Reiter trabten voraus in goldglänzenden Uniformen. Reitereskadronen bildeten auch den Abschluß. In der Mitte aber rollte, von vier Pferden gezogen, ein goldschimmernder Prunkwagen. In strammer, würdevoller Haltung standen auf dem Hinterteil des Wagens hochgalante Diener. In die Kutsche hinein konnte ich nicht sehen, aber es war für mich kein Zweifel, daß der große Kaiser wirklich in ihr sei. So flog ich denn eilig zurück, um mir das Schauspiel beim Empfang am Fetschenhof nicht entgehen zu lassen. Dafür hatte ich ja hauptsächlich die weite Reise aus dem Ösling her unternommen. Ungefähr eine Viertelstunde langte ich vor dem kaiserlichen Wagen an. Dort, wo die Ehrenkompagnien mit den Würdenträgern Aufstellung genommen, machte ich Halt. Weit und breit, bis in die Felder hinein, stauten sich die Zuschauer. Ein unbeschreiblicher Jubel brach los, als die Menge des kaiserlichen Wagens ansichtig wurde. «_Vive l’empereur! Vive Napoléon!_» klang es immer wieder, und die Wälder der Umgegend gaben als Echo leise wieder: «_Empereur! Napoléon!_». Als die Karosse hielt, gab der Bürgermeister von Luxemburg der vieltausendköpfigen Menge ein Zeichen mit der Hand. Alles stand entblößten Hauptes in tiefstem, ehrfurchtsvollem Schweigen. Nun trat der Bürgermeister an die kaiserliche Kutsche heran, bewillkommnete den hohen Gast, und ich merkte, wie er eine längere Rede an ihn hielt. Von den Festungswällen herüber dröhnte Ehrensalve auf Ehrensalve. Nach der Rede überreichten Bürgermeister und Kommandant auf einem silbernen Teller den goldenen Schlüssel der Feste Luxemburg. Erstaunt blickte der Kaiser das kostbare Geschenk an. „Habt ihr diesen Goldschlüssel eigens für diesen Tag herstellen lassen?“ fragte er. „Nein, Sire“, lautete die Antwort, „es ist der Schlüssel, den einst unsere Väter der Muttergottes geschenkt, zum Zeichen, daß sie ihr die Stadt anvertrauten; bisher hat sie als Königin ihn am Arme getragen.“ Als er das hörte, nahm Napoleon den Schlüssel nicht an. „Nehmt ihn zurück“, sprach er „er befindet sich in guten Händen.“ „Jawohl“, dachten die biedern Luxemburger, „der Kaiser hat Recht, in Mariens Händen ist dieser Schlüssel gut aufgehoben, unter Mariens Schutz sind wir alle wohl geborgen.“ Erneuter Jubel setzte wieder ein, als der Kaiser weiterfuhr. Während des ganzen Nachmittags wogten in der Stadt die Menschen unabsehbar hin und her. Einzelheiten konnte ich keine mehr sehen, da ich nicht in die Straßen herabsteigen konnte. Auch krachten immerfort die Kanonen, so daß ich jeden Augenblick angsterfüllt auffuhr und deshalb schon früh am Nachmittag die Heimreise antrat. Das Schönste des Tages hatte ich ja doch gesehen, und meine Reise hat mich nie gereut.“ XV. „Bist du denn von da an noch lange im Ösling geblieben, Väterchen?“ fragte Rapsi, „und wann bist du denn nach Folkendingen gekommen?“ „Da lag noch mancher Tag dazwischen, Rapsi, und viel Wasser lief seither zum Meere. Seit 1860 wohnte ich in der Nähe von Luxemburg. Im Ösling verschwanden die schützenden Wälder und Lohhecken immer mehr, und damit wurden die uns armen Räblein drohenden Gefahren von Tag zu Tag zahlreicher. Schweren Herzens hatte ich mich deshalb mit einigen Freunden entschlossen, jene liebgewonnenen Ardennerberge mit ihren starken, wackern Bewohnern zu verlassen und wieder in der Fremde ein neues Heim zu suchen. Zwar wurde mir das Herz schwer, als ich an Burscheid vorüberfliegen sollte, – als ich drunten die Schloßruinen liegen sah und den gegenüberliegenden Berg, wo einst das Haus der Eltern gestanden, – aber ich machte das Auge zu und flog gedankenlos vorüber. Wieder folgte ich von Ettelbrück aus über Mersch dem Lauf der Alzette. Hinter dem Mansfelder Park, oberhalb Clausen, wo der alte Römerweg hoch über die Felder nach dem Grünewald führt, machten wir Halt. Im alten Tannenwald daselbst fanden wir eine stille und im Winter warme Unterkunft. Auch dort verlebte Hans manch schöne Stunde. Drüben ragten noch die Türme und Mauern der Festung trotzig in die Lüfte. Große Tore, woran Tag und Nacht die Wachen standen, gaben allein Zutritt zur Stadt. Zwei Minuten Flug hatte ich nur bis zum Fort Thüngen mit seinen weiten Exerzierplätzen, wo so mancher fette Bissen für die Räblein abfiel. Auf dem vorspringenden Berge nebenan, von der Höhe hinter Clausen aus, hatte man die schönste Aussicht. Dort, wo die Felsen jäh hinabfallen, saß ich oft auf der höchsten Spitze einer alten Eiche und blickte mit Verachtung auf die niedrigen Häuser am Fuße der Felsen. Meine helle Freude hatte ich, die Clausener Menschenbüblein auf dem freien Platz drunten zu betrachten, die so winzig, winzig klein waren, daß sie wie Ameisen aussahen, die im Sande krabbelten.“ „War es denn nicht gefährlich dort, Väterchen Hans?“ fragte wiederum Rassi. „Dort gab es ja damals noch so viele Soldaten. Haben sie nicht nach dir geschossen, um dich zu töten?“ „Da hatten wir gar nichts zu fürchten, Kleiner; nie habe ich mich über einen Mordanschlag ihrerseits zu beklagen gehabt. Im Gegenteil, sie waren sehr gut und lieb gegen uns. Sie hatten sogar einige Räblein gefangen und aufgezogen. Die wohnten bei ihnen in der Festung, wo sie frei umherfliegen durften. In Hülle und Fülle gaben sie ihnen Nahrungsmittel und Leckerbissen. Niemand tat ihnen etwas zuleide, und auch wir konnten ohne Furcht zu ihnen kommen und an ihrem Überflusse teilnehmen. So verflossen in rascher Eile die kommenden Jahre. 1866 sah ich eines Tages mehrere Familien mit ihren ärmlichen Möbeln in unserm Walde ankommen. Aus Reisig und Tannenzweigen errichteten sie sich eine notdürftige Wohnung.“ „Es waren gewiß Zigeuner,“ entgegnete Rassi, „solche habe ich voriges Jahr im Buchengebüsch drüben gesehen. Aber die haben fein musiziert! Sogar ihre kleinen Buben strichen aus länglichen Holzkasten ganz wunderbar schöne Töne und schlugen nachher die drolligsten Purzelbäume.“ „Da irrst du aber doch, Rassi“, verneinte Väterchen Hans. „Fahrendes Volk, Zigeuner, die durch Musik und Vorstellungen von Ort zu Ort ihren Lebensunterhalt verdienen, waren sie nicht. Es waren arme Leute aus der Stadt selbst, und die Angst war es, die sie in den Wald getrieben, die Angst vor einer unheimlichen, bösen Krankheit, welche in jenem Frühjahr 1866 das Land schwer heimsuchte. Im Walde, fern von den andern Menschen hofften sie desto eher der Ansteckung zu entgehen und ihr Leben zu retten. Abends saßen sie am flackernden Feuer zusammen, und ich härte, wie sie ernst und betrübt redeten von den Fortschritten, welche die „Cholera“ unablässig machte. Dann und wann erschien ein Fremder bei ihnen und brachte neue, unerfreuliche Nachrichten. Gegen Ostern wütete die schlimme Seuche am heftigsten. Bald von diesem, bald von jenem erzählten sie: tagszuvor war er noch gesund und munter, wenige Stunden später lag er bereits im Sarge. Ja man erzählte sogar, daß die Totengräber es manchmal mit dem Begräbnis recht eilig nahmen, und daß schon mancher ins Grab gegangen, der in Wirklichkeit nicht einmal tot gewesen. Wenn dann das Feuerlein beinahe verflackert war, knieten die geängstigten Leute nieder, und ernstes Gebet stieg herauf durch die Äste, so innig und flehentlich, wie ich es früher selten gehört. Feierlich klangen wieder jeden Morgen die Glocken von Liebfrauen. Die Oktave war gekommen, und mehr denn sonst eilten von allen Seiten die Pilger herbei, um Hilfe gegen die furchtbare Geißel zu finden, die das Land so hart schlug. Da hörte ich auch, wie eines Tages die Prozessionen von Diekirch und Gilsdorf kamen und viele ihrer Pilger trugen Trauerkleider; ihre Ortschaften waren besonders schwer heimgesucht worden. Anfangs Sommer hörte die heimtückische Krankheit auf. Eines Tages verließen unsere Gäste ihren Aufenthalt im Walde und kehrten freudig heim an den väterlichen Herd. Ich freute mich mit ihnen, daß sie nun dieser bangen Sorgen enthoben waren und wieder froh in eine hoffentlich bessere Zukunft blicken durften. Auch meine Tage im Walde daselbst sollten nun bald gezählt sein. Ich stand eingangs der Achtziger, und in diesem Alter liebt man schon die Ruhe und wird gegen alle Aufregungen viel empfindlicher. Die Menschen schrieben 1867. Da sah ich eines Tages ganze Regimenter mit wehenden Fahnen aus der Festung ausziehen. Unter klingendem Spiel kamen sie den Clausener Berg herab und schritten auf der Trierer Straße mit wackern Schritten weiter. Ich dachte zunächst, sie würden zu einer großen Übung ausziehen, wie in den frühern Jahren. Doch wunderte ich mich, daß so viele Menschen ein Stück Weges mit ihnen gingen; das war früher nie der Fall gewesen. Auf der Schloßbrücke und dem Fischmarkt standen die Zuschauer Kopf an Kopf. Es mußte doch etwas Außergewöhnliches vor sich gehen. Anderntags erfuhr ich, daß die bisherige Festungsbesatzung endgültig die Stadt verlassen habe, und daß nun wahrscheinlich die Festung niedergerissen würde. Luxemburg sollte ein offenes Land werden. Seine geschleifte Festung sollte seine Sicherheit noch vermehren. Ungeschützt sollte es doch geschützt sein durch das Wohlwollen der Nationen. Einige Zeit später fuhr ich eines Morgens jäh im Schlafe auf. Ein furchtbarer, langanhaltender Knall dröhnte von Luxemburg herüber; rauschend trug ihn das Echo weiter durch die Wälder. Eine mächtige, dichte Staubwolke stieg gleich darauf im Westen der Stadt auf und senkte sich wieder langsam gegen den Glacis. Wochenlang folgte Knall auf Knall. Ein Stück der Festung sank nach dem andern in Trümmer; gewaltsam wurde niedergerissen, was in jahrelanger, mühsamer Arbeit errichtet worden war. Diesen Lärm werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Zwar hatte ein Rabenfreund mir gesagt, ich brauche mich nicht zu fürchten, es könnte unmöglich ein Stein von drüben bis zu uns herüberfliegen; doch ich konnte mich nicht beruhigen. Bei jeder neuen Explosion fuhr ich erschreckt auf; von Tag zu Tag wurde ich mehr und mehr erregt, und bei einem längeren Aufenthalt daselbst wäre ich gewiß krank geworden. „Was soll ich mir meinen Lebensabend“, dachte ich, „noch hier verbittern lassen? Reißet nieder und schießt so lange ihr wollt, der alte Hans will lieber seine Ruhe haben.“ So entschloß ich mich denn abermal umzuziehen und im stillen Süden des Landes meinen Wohnsitz, hoffentlich den letzten aufzuschlagen. Anfangs Juni war es, als ich eines frühen Morgens dem Clausenerberg und dem Grünewald Lebewohl sagte und über Bonneweg, Hesperingen und Peppingen hinweg den waldigen Höhen des Johannisberges bei Düdelingen zusteuerte. Von Luxemburg aus hatte ich diesen Berg schon jahrelang Tag um Tag gesehen; fern am blauen Horizonte schien er mir in seiner stillen Einsamkeit ein Stätte der Ruhe und des schönsten Friedens zu sein. Was ich auf ihm suchte, fand ich in der Tat. In den Waldungen des Berges gegen Kayl schlug ich meinen neuen Wohnsitz auf. Welch herrliche Gegend! Friedliches Gelände allenthalben, Felder und fruchtbare Äcker, von denen fleißige Landleute hundertfältige Ernten jubelnd heimführten. Die hohen Schmelzöfen mit ihren schlanken roten Ziegelschloten standen damals noch nicht. Das Rasseln der Maschinen, das Hämmern und Surren der Fabriken störte nirgends die friedliche Stille ländlicher Einsamkeit. „Johannisberg. Johannisberg,“ wiederholte Rapsi, indem er nachdenklich die Kralle an die Stirne führte, „sag’ Väterchen, liegt der nicht in der Nähe der Dörfchen Bergem, Steinbrücken und Pissingen? Ich glaube, aus dieser Gegend war mein Großvater.“ „Ganz recht, ganz recht,“ nickte Hans, „diese Ortschaften liegen in der Nähe, doch mehr landeinwärts, ungefähr auf halbem Wege zwischen Johannisberg und Zolverknapp.“ „Ist es das Dörfchen Pissingen, von dem die Menschen das törichte Sprichwort haben?“ fragte Rapsi. „Du weißt ja: Brüderlich teilen, wie die Pissinger mit den Raben! Wenn ich doch nur wüßte, wie man zu diesem Spruche kommt! Verschiedentlich habe ich darnach gefragt; niemand wußte mir eine Erklärung zu geben. Väterchen Hans, weißt du es vielleicht?“ „Wie die Pissinger die Raben teilten, müßte man eigentlich sagen,“ entgegnete Hans. „Ist es wahr oder erfunden, ich weiß es nicht, doch mein Urgroßvater erzählte mir einst folgendermaßen: Gingen da eines Tages in Pissingen drei Burschen auf die Rabenjagd. Brüderlich sollten sie alle Beute teilen. Da entdeckte der eine von ihnen ein Nest hoch auf einer Pappel. Er kletterte hinauf und brachte die Insassen, drei junge Raben, herunter. Nun ging es ans Teilen. „Ich verteile selbst,“ sprach er. „Ein Räblein muß ich vorwegbekommen, denn ich habe das Nest zuerst gesehen; ich bin auch auf den Baum gestiegen, deshalb ist auch das zweite mein und das dritte gehört mir als Anteil.“ So erhielt der eine alles, die andern nichts. Seit der Zeit sagen die Menschen hierzulande: Brüderlich teilen, wie die Pissinger mit den Raben.“ „Den Raben, den Raben,“ knirschte Rassi, „immer die Raben! Müssen wir nun auch schon für dumme Witze herhalten? Es wäre wirklich besser, die Menschen witzelten über ihre langen Ohren und ließen uns in Ruhe. Doch Väterchen, erzähle weiter.“ „Gewiß Rassi. Auf dem Johannisberg gefiel es mir sehr wohl. Schon faßte ich den Entschluß, immer dort zu bleiben und im Frieden des stillen Berges meine letzten Tage zu verbringen. Doch wandelbar wie das Wetter sind auch unsere Geschicke und Gedanken. In den ersten Monaten 1870 war es. Wiederum reckten die Menschen die Köpfe zusammen. Sie sprachen von Frankreich und Deutschland, und als drittes Wort verbanden sie damit das schaurige, böse Wort Krieg. Und wenn sie lange zusammengestanden und gesprochen hatten und dann auseinandergingen, hörte ich verschiedentlich: „Nun, wir werden ja bald sehen; ihr werdet mich nicht Lügner finden, in einigen Monaten sind sie aneinander.“ Krieg! Ich wußte, was das Wort bedeute; genugsam hatte ich es schon erfahren. Lügner waren sie keine gewesen, die den Krieg vorherverkündet! Gegen Ende Juli war ihre Prophezeiung zur Wirklichkeit geworden. Vom Süden her dröhnte der Kanonendonner. „Im Kriege ist man besser weiter von den Grenzen weg“, dachte ich, und ohne viel nachzudenken und zu überlegen, entschloß ich mich rasch wieder nach Norden zu ziehen. So kam ich denn schließlich hiehin und wurde Bürger in diesem schönen Eichenbusch. Seit Juli sind es genau 50 Jahre. Deshalb hat ja auch neulich unsere ganze Sippe mir das schöne Jubiläum gehalten; das müßt ihr doch noch alle wissen!“ „Gewiß, gewiß, Vater Hans,“ nickte Rassi, „ich erinnere mich ganz wohl. O, das war ein schöner Tag! Weißt du noch Väterchen, die schönen Lieder, die wir sangen? Der alte Jack hatte sie eingeübt. Nun liegt er schon über einen Monat in der Ernz begraben. Und dann die Wettflüge um den Turm von Eppeldorf und die Beforter Heide! Wie schön, wie schön!“ „Und die Frösche, die du zum besten gabst, Väterchen!“ jubelte ein anderer. „Sieben waren es, recht fette.“ Vater Hans lächelte vergnügt. „Ja, ja!“ sprach er freudig, „fürwahr! aber Mühe hatte es gekostet, sie zu erhaschen. Wenigstens drei Stunden hatte ich am Weiher gelauert, bis ich sie packen konnte, und viermal mußte ich zurückfliegen, sie herüberzutragen. Doch eine Ehre ist der andern wert,“ fügte er stolz hinzu. XVI. Rassis rasche Gedanken weilten schon wieder in längst entschwundenen Jahren. „Dann weißt du auch noch vom strengen Winter 1879, Väterchen?“ sprach er neugierig. „Warst du damals schon hier? Bitte erzähl’ uns davon; mein Vater hat uns auch schon öfter davon gesprochen.“ „Dein Vater und erzählen!“ entgegnete Hans mit überlegener Miene, „was soll er denn erzählen? Damals war er ja kaum dem Neste entwachsen. Doch eine frohe Zeit war das nicht, Kinder. Der Winter kam außergewöhnlich früh; um Martinustag fiel schon Schnee. Übrigens hatte ich es vorausgesagt. Das Laub der Wälder war frühzeitig abgefallen, die Schneegänse waren schon Anfang September vorübergezogen, wie konnte es da anders kommen? Monatelang lag tiefer Schnee, und das war schlimm; das schneeige Gelände ist zwar ein schönes Tischtuch, doch was ist das beste Tischtuch ohne Nahrung? Anfangs konnten wir uns noch helfen. Auf den Gehöften ringsum schlachtete man, und mancher fette Bissen fiel uns zur Beute. Doch mit größter Vorsicht mußten wir zu Werke gehen, denn in mehr denn einem der Häuser waren geladene Flinten und müßige Burschen, die auf unser Kommen lauerten. Beim Brücherhof hatte ein böser Knecht die Eingeweide eines geschlachteten Schafes als Lockspeise für uns in eine Baumkrone geschlungen. Dann war er mit der Flinte in die Scheune geschlichen. Unsere Beobachter hatten alles gemerkt, und da wußten wir genug. „Wenn du uns Raben für dumm hältst“, dachten wir, „dann bist du übel unterrichtet.“ Selbstverständlich ging keiner von uns hinunter. Nur aus der Ferne krächzten wir hinüber: „Knechtlein, bist du da? Ja, ja! Zur Lauer? Ja, ja!“ Dann kicherten wir froh und dachten: „Lauere nur, lauere so lang dir beliebt. Steck die kalte Nase ins Heu oder Stroh, wir kommen lieber ein andermal.“ Des Abends, als es dunkel geworden, flogen wir still hinab und des Morgens war der Baum leer, Raben und Speise waren verschwunden.“ „Bravo!“ flatterten die Räblein, und ein kurzes schadenfrohes Lachen hallte in den Wald. „Von Tag zu Tag“, setzte Hans fort, „verschlimmerte sich unsere Lage. Zu den Nahrungsschwierigkeiten kamen Wohnungssorgen. Die Kälte nahm immer mehr zu, bis schließlich auch die dichtesten Tannen keinen wirksamen Schutz mehr gegen sie boten. Da war guter Rat teuer; wohin sollte man sich wenden? Auf die Gehöfte fliegen und Unterkunft in einer Scheune suchen? Das war gefährlich. Auch die Strohschober beim Dorfe boten nicht die gewünschte Sicherheit, denn zu verschiedenen Malen hatte ich Wiesel in ihrer Nähe gesehen. Da flog ich eines Nachmittags traurig über den Eichenwald nach Broderbour hinüber. Auf einem der letzten Waldbäume setzte ich mich nieder und lauschte nach den Steinbrüchen. Sonst herrschte in ihnen reges Leben. Weithin hörte man hämmern, und bis zum Walde herauf schallte der helle Ton der Picken und Meißel, wenn sie von starker Hand geführt in regelmäßigen Schlägen auf das harte Gestein niederfuhren. An jenem Tage aber war alles still. „Der Hunger treibt den Wolf aus dem Wald und den Menschen vom Felde,“ dachte ich. „Gefrorene Steine zerspringen, wenn man sie behauen will, und deshalb muß nun die Arbeit ruhen. Nur aus der niedrigen Schmiede an der Steinwand hörte man leises Klopfen, und aus dem Schornstein derselben drehte dünner Rauch in den wolkenlosen Himmel. Ein leises, trostvolles Hoffen stieg in meinem Innern auf. „Möglicherweise“, dachte ich, „wird diese Schmiede meine Rettung. Vielleicht kann ich mich Abends in ihr einnisten, bis einmal bessere Zeiten kommen, denn der Winter kann doch nicht immer dauern.“ Den ganzen Nachmittag wich ich nicht mehr aus der Nähe, und alles spähte ich sorgfältig aus. Als die Sonne unterging, hörte das Hämmern im Häuslein auf; ein Mann in den mittleren Jahren trat heraus, hüllte sich fest in seinen alten, langen Mantel, schloß die Türe sorgfältig ab und wandte sich schnellen Schrittes talabwärts. „Es gelingt“, dachte ich voller Freuden. Vorsichtig flog ich näher und näher an die Schmiede heran. Da ich nichts Verdächtiges merken konnte, setzte ich mich schließlich auf das Fenster derselben und lugte verstohlen durch die Scheiben. Kein Mensch war drinnen. Alles war schwarz, nur auf der Esse glimmten Kohlen. Rasch entschlossen schlüpfte ich durch den Schornstein hinein und verbrachte die Nacht auf der Querstange, mit der man den Blasebalg in Bewegung setzte. Kein Laut und keine Störung die ganze Nacht; besser hatte ich in zwanzig Jahren nicht mehr geschlafen. Frühmorgens, ehe der Schmied wiederkam, verließ ich das gastliche Haus, um mich am Tage in den Wäldern herumzutreiben; allabendlich lehrte ich zu meinem neuen Heim zurück, bis des Frühlings laue Luft die Kälte bannte, und neues Leben in die erstarrten Länder zog.“ „Verzeih’, Vater Hans“, unterbrach Rassi, „du hast noch etwas vergessen. Was hast du denn in dieser bösen Zeit gegessen?“ „Was sich eben fand, Rassi. Leckerbissen waren es freilich nicht immer, und halbe Tage gab es gar nichts. Manchmal erspähte ich ein erfrorenes Vöglein oder Mäuschen, das auf seiner Wanderschaft durch den Schnee ohnmächtig geworden, und dergleichen. Doch schließlich kam der Frühling wieder, denn auf Erden hat alles ein Ende, wie es so schön in unserm Liede heißt: „Nach des Winters bitt’rer Plage kommen wieder Sonnentage.“ „Ganz recht,“ nickte Rassi, und lustig summte er den Refrain des Liedes: „Ja ja, ja ja, ja ja, Jetzt ist der Sommer wieder da!“ Seine kleinen Kameraden waren müde geworden und redeten nicht mehr. Schon hatte die Turmuhr von Diekirch die Mitternacht verkündet. Leise waren die Schläge von ferne aus dem Tal heraufgeschwebt, und kaum hörbar waren sie über den Eichenbusch dahingegangen. Der Vollmond am Himmelszelt hatte seinen Höhepunkt überschritten und senkte sich langsam gegen Stegen. Die Rabenbüblein waren schläfrig geworden; ihre müden Äuglein wollten nicht mehr offen bleiben. Einige von ihnen nickten, sogar Rassi war viel stiller geworden. Väterchen Hans aber hatte den Schelm im Busen. Ruhig wollte er in seinen Erzählungen weiterfahren, bis all die kleinen Zuhörer in tiefen Schlaf gesunken wären. Dann wollte er heimlich und unbemerkt davonfliegen und sie allein auf der Eiche zurücklassen. Anderntags hätte er dann eine willkommene Gelegenheit gehabt, ihnen ihre Unaufmerksamkeit vorzuwerfen und sie damit zu necken, denn auch daran fand er manchmal seine helle Freude. So redete er denn immer leiser und eintöniger. „Ja Kinder, früher gab es noch mehr Freude im Lande. Die Menschen waren uns gegenüber nicht so böse wie heute, und wenn es auch hie und da ein Böser unter ihnen war, so hatten sie doch damals nicht die Mittel uns zu schaden, wie heute. Doch nun ist es ganz anders geworden. Schlimme Zeiten sind über Europa gegangen; vier Jahre Krieg haben vieles im ... [Druckzeile fehlt im Original. Mehr in den Anmerkungen zur Transkription am Ende des Buches.] ...samer gemacht, auch gegen die armen Räblein. Als dann der Krieg vorüber war, zogen die Armeen überall im Lande durch und wenn sich unser einer aus seinem sicheren Versteck hervorwagte, schwebte er in Lebensgefahr; gleich war irgendwo ein böser Soldat, der auf uns anlegte und wer weiß, wie viele unserer Brüderlein erschossen wurden. Viermal bin ich selbst mit knapper Not dem Unglück entronnen; viermal schon hörte ich die mörderische Kugel dicht an meinem Haupte vorbeipfeifen. Aber auch jetzt, wo die Armeen fortgezogen sind, ist es noch nicht viel besser für uns geworden. Überall sind im Lande todbringende Gewehre und Kugeln zurückgeblieben. Kinder, glaubt dem alten Hans, schlimme Zeiten werdet ihr noch erleben, vielleicht schlimmere als damals, wo sie in Luxemburg gegen uns Gesetze machten und beschlossen hatten, uns auszurotten.“ * * * * * Während der schwarze Hans solch düstere Zukunftsbilder entwarf, war vom Moserhof her ein Bauernknecht mit einem Gewehre leise durch den Wald geschlichen. Scharf hatte er im klaren Mondschein überall umhergespäht, ob er nicht irgendwo ein ahnungslos grasendes Reh entdeckte oder ein Häslein, das er als gute Beute mit nach Hause nehmen könnte. Geräuschlos war er bis in die Nähe der alten Eiche gekommen, und nun hörte er droben leise eintönige Laute; – der alte Hans erzählte noch immer weiter. Einen Augenblick spähte der Knecht durch die Bäume. Plötzlich entdeckte er den schwarzen Hans in der Baumkrone, grade vor der Mondscheibe. Ganz still und geräuschlos hob sich der Gewehrlauf, – ein Schuß! – Aus den Wäldern gab das Echo leise den Knall wieder. Erschrocken fuhren die Rabenbüblein hoch auf und stoben nach allen Seiten angstschreiend davon. Ins Herz getroffen, taumelte Väterchen Hans einen Augenblick, knickte jäh zusammen und sank dann tot unter der alten Eiche nieder. Von demselben Verfasser erschien: „Im Walde verirrt!“ Kindererzählung. Einzelpreis: 0,85 Fr. durch alle Buchhandlungen. Anmerkungen zur Transkription Auf Seite 127 ist in der Druckvorlage eine Zeile doppelt (entfernt). Statt dessen fehlt offenbar zwischen „vier Jahre Krieg haben vieles im ...“ und „...samer gemacht, auch gegen die armen Räblein.“ eine Zeile. Da der Text nicht zweifelsfrei rekonstruiert werden konnte, wurde dies so belassen wie im Original. Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): [S. 9]: ... Heute, – ach wie die Zeiten ändern! – heute ist es ... ... Heute, – ach wie sich die Zeiten ändern! – heute ist es ... [S. 44]: ... man mir etwa die Schwungfedern ausreißen. Sollte ... ... man mir etwa die Schwungfedern ausreißen? Sollte ... [S. 67]: ... nach mich für ein Stündlein mit ins warme Wohnzimmer. ... ... nahm mich für ein Stündlein mit ins warme Wohnzimmer. ... [S. 78]: ... Ginster. Am Waldessaum grauste eine Schafherde. ... ... Ginster. Am Waldessaum graste eine Schafherde. ... [S. 86]: ... Kriegssteuern zahlen müßten dazu die freiheitlieben ... ... Kriegssteuern zahlen müßten dazu die freiheitliebenden ... [S. 103]: ... es mir immer nach den Erzählung meines Großvaters ... ... es mir immer nach den Erzählungen meines Großvaters ... *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WAS DER SCHWARZE HANS ERLEBTE: KINDERERZÄHLUNG AUS DER HEIMAT *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. 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