The Project Gutenberg eBook of Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band X, Heft 1-3

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Title: Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band X, Heft 1-3

Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege

Editor: Landesverein Sächsischer Heimatschutz

Release date: October 10, 2021 [eBook #66504]

Language: German

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LANDESVEREIN SÄCHSISCHER HEIMATSCHUTZ — MITTEILUNGEN BAND X, HEFT 1-3 ***

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Cover

Landesverein Sächsischer
Heimatschutz

Dresden

Mitteilungen
Heft
1 bis 3

Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege

Band X

Inhalt: Der Rochlitzer Berg – Der Einfluß der Gesteinsindustrie auf das Naturleben des Rochlitzer Berges – Die Vogelwelt unserer Obstalleen – Das Tännichttal im Tharandter Wald – Gauernitz – Frühlingsboten – Über das Vorkommen der Biber in Sachsen – Frau Lina Hähnle zum 70. Geburtstag – Oberlehrer Bruno Lange, Strehla † – Gäste – Heimatschutz, Heimatkunst, Heimatdichtung – Bücherbesprechungen – Verschiedenes

Einzelpreis dieses Heftes M. 5.–, Bezugspreis für einen Band (aus 12 Nummern bestehend) M. 15.–, für Behörden und Büchereien M. 10.–. Mitglieder erhalten die Mitteilungen kostenlos, Mindestjahresbeitrag M. 10.–

Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24

Dresden 1921


Heimatschutzvorträge mit Lichtbildern

Dresdner Vorträge

abends punkt ½8 Uhr im großen Gewerbehaussaale

Vortragsfolge:

Mittwoch, den 20. April: Oberstudienrat Professor Dr. Martin Braeß: »Die volkstümlichsten Tiere der deutschen Märchen und Fabeln« – Mittwoch, den 27. April: Professor Dr. Martin Große: »Die Lommatzscher Pflege« – Mittwoch, den 4. Mai: Hofrat Professor O. Seyffert: »Modeschönheiten, Modetorheiten« – Mittwoch, den 11. Mai: Edgar Hahnewald, Dresden: »Wandern als Erlebnis. Bilder aus Dresdens Umgebung« – Mittwoch, den 18. Mai: »Volksliederabend«: Kammersänger Dr. Waldemar StaegemannMittwoch, den 25. Mai: Professor Franz Goerke, Direktor der »Urania«, Berlin: »Redende Steine. Bilder aus deutscher Vergangenheit« – Mittwoch, den 1. Juni: Hofrat Professor Dr. Arno Naumann, Dresden: »Natur- und Kulturdenkmäler im östlichen Erzgebirge«

Karten, gültig für alle sieben Vorträge, für Mitglieder des Landesvereins Sächs. Heimatschutz M. 7,–
Karten-Hauptverkaufsstelle: Heimatschutz, Dresden-A., Schießgasse 24

Leipziger Vorträge

abends punkt ½8 Uhr im großen Festsaale des Zentraltheaters

Vortragsfolge:

Freitag, den 15. April: Fabrikbesitzer J. Ostermaier, Dresden: »Auf Blumenpfaden durch die Alpen. Schutz den Alpenpflanzen« – Freitag, den 22. April: Schuldirektor Dr. Zinck, Leipzig: »Im Reiche des Rochlitzer Porphyr« – Freitag, den 29. April: Hofrat Professor O. Seyffert, Dresden: »Modeschönheiten, Modetorheiten« – Freitag, den 6. Mai: Oberstudienrat Professor Dr. Kittel, Borna: »Das Bornaer Land« – Freitag, den 13. Mai: Musikdirektor Bernhard Schneider, Dresden, unter Mitwirkung von Fräulein Ruth und Hannah Schneider, sowie des Herrn Albert Klug, Dresden: »Gassenhauer, Bänkelsang und Volkslied« – Freitag, den 20. Mai: Oberstudienrat Professor Dr. Martin Braeß, Dresden: »Junges Volk, Bilder aus der Kinderstube der Tiere« – Freitag, den 27. Mai: Professor Franz Goerke, Direktor der »Urania«, Berlin: »Redende Steine. Bilder aus deutscher Vergangenheit«

Karten, gültig für alle sieben Vorträge, für Mitglieder des Landesvereins Sächs. Heimatschutz M. 7,–
Karten-Hauptverkaufsstelle Zementbau Rud. Wolle, Leipzig, Gottschedstraße 17


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Band X, Heft 1/3
1921
Landesverein Sächsischer
Heimatschutz
Dresden

Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern durch den Vorstand herausgegeben

Abgeschlossen am 1. Februar 1921

Der Rochlitzer Berg

Von W. C. Pfau, Rochlitz

Mit Abbildungen nach Aufnahmen von Rud. Zimmermann

Im Rochlitzer Berg besitzt unser Sachsenland ein höchst bemerkenswertes Naturdenkmal, dessen Schönheit Sommer und Winter Tausende von schaulustigen Wandersleuten anlockt. Fruchtbare Felder und grünende Wiesen überziehen zum großen Teil die leichtgeneigten Abhänge; die waldgekrönte Kuppe hingegen ist durch mächtige Steinbrüche mit glatten, senkrecht aufsteigenden, im Laufe von Jahrhunderten bis über dreißig Meter aus dem Felsenboden mühsam herausgeschrotenen Wänden, in deren Nähe sich gewaltige, oft unter Holzbestand oder unter Moos- und Grasdecken verborgene Schutthalden auftürmen, zerrissen und zerklüftet. Hier an diesen einsamen Arbeitsstätten gewinnt man seit undenklichen Zeiten einen aus vulkanischer Asche entstandenen Porphyrtuff, dessen rote, von zahllosen Adern durchzogene Grundfärbung mitunter in Gelb, Violett, Bronzebraun ausklingt; es gewährt einen ungemein malerischen Anblick, wenn grelle Sonnenstrahlen bei blauem Himmel jene mit frischem Grün oder mit leuchtenden, weißen Schneeleisten belebten roten Felsgebilde feurig erglühen lassen. In seinem Farbengepräge steht der »Rochlitzer Sandstein« zum mindesten für ganz Mitteldeutschland einzig da; als ebenso eigenartig erscheint die Geschichte des zugehörigen Berges und seines Steinmetzentums.

[2]

Wann an dieser Stelle der erste Stein gesucht und verarbeitet wurde, werden wir nie genau anzugeben vermögen; sicher geschah es zu einer Zeit, als sich dort noch Meister Petz behäbig herumtrollte, als das Röhren des grimmen Schelches, das Heulen gieriger Wolfsrudel, das Gebrüll des ungeschlachten Urs schauerlich durch den dichten Forst schallte, als der tückische Luchs in dem knorrigen Geäst vielhundertjähriger Eichen nach Raub äugte und der reckenhafte Ureinwohner mit Keule und Steinaxt den offenen Kampf mit den angestammten Herren der Jagdgründe aufnahm oder aus sicherem Hinterhalt auf das flüchtige Wild den todbringenden, mit Feuersteinspitze bewehrten Pfeil abschnellte. Nach Ausweis neuerdings gemachter einschlägiger Funde war der Rochlitzer Berg bereits in urgeschichtlicher Zeit, lange bevor die Welt etwas vom Christentum wußte, ein vielbesuchter Ort. Beile, Pfeilspitzen aus Stein, geschlagene Steinspäne und dazugehörige Kernstücke, Urnenscherben u. a. wurden wiederholt auf dem Berg, zumal auf den Feldern in der Nähe der Waldessäume nachgewiesen. In der Bronzezeit, etwa ein Jahrtausend vor des Erlösers Geburt, verarbeiteten unsere heidnischen Vorfahren den dortigen »Porphyr« bereits zu schönen Getreidemahlsteinen, die in der weiteren Umgebung Absatz fanden. Ein reger Verkehr wegen verschiedenen gesuchten Steinmaterials muß sich schon damals in diesem Muldenstrich entwickelt haben. Man holte auch Garbenschiefer, der ebenfalls am Rochlitzer Berg vorkommt, zu Steinsetzungen zu entlegeneren Gräbern, und der sogenannte Gnandsteiner Bandjaspis, welcher nur in der Kohrener Gegend ansteht, läßt sich auf prähistorischen Fundstellen über Rochlitz, Wechselburg hinaus bis in die Pflegen von Colditz, Waldheim, Ringethal als Artefakt ziemlich oft feststellen. Auch die Wenden trieben ihr Wesen auf dem Rochlitzer Berg; darauf deuten nicht nur die eigenartigen, wellenverzierten Urnenscherben, die am Wald gefunden werden, sondern auch überkommene, ihm anhaftende Flurnamen wie Mo(ko)rellenbruch, Bile, Wälsche usw. Die am Wald gelegenen Dörfer tragen sämtlich wendische Namen.

Bei dieser Sachlage ist es nicht zu verwundern, daß die Deutschen seit der Kolonisation den roten Stein ständig und eifrig abbauten, in ergiebigster Weise benutzten und schließlich immer weiter verhandelten. Die Wenden kannten den Kalk noch nicht, waren deshalb unfähig, im steineren Hochbau etwas Besonderes zu leisten. Den Rochlitzer Porphyr gebrauchten sie wohl vorwiegend oder ausschließlich zu Mahlsteinen; Beile, Hämmer und andere Gebrauchsgegenstände aus dem Material sind bisher noch nicht nachgewiesen worden. Der Name des am Berg gelegenen Dorfes Sörnzig wird von manchen Slawisten als »Ort der Steinhauer« gedeutet. Im Anschluß an die vorgefundene Industrie stellten die eingewanderten Steinmetzen nun vor allen Dingen Mühlsteine her, die weit ins Land versandt wurden. Ein Rochlitzer Bruch heißt von altersher »Mühlsteinbruch«. Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts wurden sechs, später zehn Brüche bewirtschaftet. Durch die Deutschen erlangte der Steinbruchbetrieb auf dem Berg bald eine außerordentliche Bedeutung, zumal für das Bauwesen. Von romanischer Zeit ab ist im Rochlitzer Porphyr eine Unmenge von Hochbauten Mittelwestsachsens und anliegender Gebiete entstanden, hat man ihn zu unendlich vielen Architekturteilen und beweglichen Gegenständen wie Kanzeln, Altartischen,[3] Grabplatten, Taufsteinen, Weihwasserbecken, Postsäulen, Gemeindesteinen, Gartensäulen, Brunnen, Brüstungen, Stufen, Bänken, Einfassungen, Grenzsteinen, Wegweisern, Mordkreuzen, Erinnerungstafeln, Gewichten, Normalscheffeln, Geschützkugeln, Schandflaschen, Prangersäulen, Trögen, Krippen, Ofentüren u. v. a. m. verarbeitet. Nicht wenige dieser Altertümer sind tadellos auf uns gekommen; viele Kirchen und manche Schlösser überliefern uns romanischen oder gotischen Baubestand in Rochlitzer Stein in vorzüglicher Erhaltung. Der älteste Zweig des deutschen Steinbetriebes, die Herstellung von Mühlsteinen, ist seit etwa achtzig Jahren ganz eingegangen; an den Schutthalden des Mühlsteinbruches liegen aber heutzutage noch viele angefangene oder halbfertige Erzeugnisse dieser Art, die, zum Teil in das Erdreich eingesunken, zum Teil vom Abraum überschüttet, unter Farren und Gestrüpp von jenen vergangenen Zeiten, die an den Gewerbefleiß jetzt vergessene Anforderungen stellten, träumen.

Abb. 1 Rochlitzer Porphyrbruch mit dem Friedrich-August-Turm

Über die mittelalterlichen Meister, die ihre Werke in Rochlitzer Stein schufen, wissen wir äußerst wenig; wir kennen höchstens ihre Zeichen, die sie aufschlugen. Die ältesten Marken dieser Art, wohl die frühesten in ganz Sachsen, kommen im[4] romanischen Bestand des Rochlitzer Schlosses und an gleichaltrigen, jüngst aufgefundenen Werkstücken in Geithain vor. Nach den Ergebnissen der Zeichenforschung, zum Teil auch nach der Ortsbezeichnung, welche die ältesten Steinmetzen regelmäßig ihren Namen zusetzten, ist eine große Freizügigkeit unter den Werkleuten früherer Jahrhunderte anzunehmen. Sie zogen der Baugelegenheit nach, und deshalb kamen viele Auswärtige in die Rochlitzer Pflege. Die Brüche bildeten ursprünglich den Besitz von mindergebildeten Steinhauern, Steinbrechern. Auch der vielgenannte Arnold von Westfalen (Westfahl, Bestveling) hat zweifellos innige Beziehungen zum Rochlitzer Steinmetzentum unterhalten, wenn er auch schwerlich die ihm für diese Gegend zugeschriebenen Werke ausgeführt haben kann; wahrscheinlich entstammte er der vorübergehend um 1415, d. h. zur Zeit, als der Chor der Kunigundenkirche geschaffen wurde, für Rochlitz nachweisbaren Familie Westfahl, von welcher zwei Glieder in Leipzig studierten. Nach seiner Anstellungsurkunde von 1471 wurde Arnold Westfal in kursächsische Dienste als »Baumeister«, d. h. Bauschreiber im Sinne des sechzehnten, siebzehnten Jahrhunderts, nicht aber als Werkmeister, d. h. ausführender Architekt, aufgenommen. In der Renaissancezeit war besonders der berühmte Leipziger Werkmeister H. Lotter ein warmer Freund des Rochlitzer Porphyrs, den er vor allem an seinen Hauptwerken, der Pleißenburg und dem Rathaus seiner Vaterstadt, sowie dem Bau auf dem Schellenberg, der Augustusburg, in ausgiebigster Weise verwendete. Damals zählten zu den Rochlitzer Steinmetzen verschiedene Meister, die kurz vorher in Erfurt nachweisbar sind.

Die ungemein vielseitige Verwertung des »Rochlitzer Sandsteins« und sein Versand seit ältester deutscher Zeit wäre in romanischen Tagen ohne geeignete Fahrwege auf dem Rochlitzer Berg kaum denkbar gewesen, denn sehr oft mußten Steinstücke von zwanzig bis dreißig Zentner (z. B. Grabplatten) weit verschickt werden. Sicher hat sich ein guter Teil der dortigen Fahrstraßen, die jetzt einen so sauberen, angenehmen Anblick gewähren, schon in vordeutscher Zeit vorgezeichnet, wennschon von einem durchgreifenden Wegbau erst seit 1703 in den Akten die Rede ist; er wurde von den Steinmetzen ausgeführt.

Was dem Rochlitzer Steinmetzentum einen besonderen Platz in der Geschichte der deutschen Baukunst, des Bauhüttenwesens verschafft und gesichert hat, ist der Umstand, daß die jetzt im Museum des Rochlitzer Geschichtsvereins in der Schloßkapelle verwahrte Lade der Innung die »Rochlitzer Hüttenordnung« rettete. Dieses Schriftstück berichtet die Abmachungen, welche mitteldeutsche Steinmetzen 1462 auf einem Torgauer Tag zugunsten ihres Handwerks für ihr Gebiet getroffen hatten. Das überlieferte Büchlein ist für die Zwickauer Hütte 1486 geschrieben und befand sich zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Besitz des bekannten kursächsischen Baumeisters Hans Stecher, der 1637 in Torgau starb, vermutlich aber aus einer Werkmeisterfamilie der Rochlitzer Pflege hervorgegangen war, wo z. B. ein Maurermeister Thomas Stecher bereits um 1600 nachweisbar ist. Der Sohn des Landbaumeisters H. Stecher, Christian, schenkte das Schriftstück fünfzehn Jahr nach des Vaters Tod, also 1652, einem Rochlitzer Steinmetzen, der es dann in die Innungslade legte, die von der Urkunde auch noch eine allerdings[5] ziemlich fehlerhafte Abschrift, welche 1653 der Steinmetz Hans von Rhein besorgt hatte, enthält. Die Rochlitzer Hüttenordnung stellt jetzt die einzige schriftlich erhaltene mittelalterliche Hüttenordnung Deutschlands dar, wenn man darunter ein Schriftstück, das ausschließlich das Gewerbe der Steinmetzen, nicht aber auch dasjenige von Mischzünften behandelt, versteht; besonders wichtig ist sie durch den Umstand, daß sie allein Bestimmungen über Steinmetzzeichen bringt. Über die Eigenart des Schriftstückes herrschten lange ganz falsche, romantische Vorstellungen, die hauptsächlich durch Stieglitz und Heideloff, welche es – freilich höchst nachlässig und ziemlich verständnislos – herausgaben und besprachen, erzeugt worden waren; es sollte die Verfassung einer eigenen »Rochlitzer Hütte«, welche aber jedenfalls im Mittelalter überhaupt nicht bestand und bei den Bruch- und Bauverhältnissen, die sich erst später völlig änderten, schwerlich bestehen konnte, bilden.

Abb. 2 Rochlitzer Steinbruch im Winter
(Im Hintergrund der Friedrich-August-Turm)

Heutzutage verwendet man den Rochlitzer Stein nicht nur in seiner Heimat; vielmehr wird er weit über die sächsischen Grenzen hinaus verschickt. Man trifft Werke aus ihm, besonders im Luxusbau, in Hamburg und Berlin ebensogut wie in Dresden oder Leipzig. Mindestens sechs Jahrhunderte lang hat er den Bauten Mittelwestsachsens und anliegender Striche seinen Stempel aufgedrückt und herrscht hier bis zu einem gewissen Grade noch jetzt vor, wodurch das hiesige Bauwesen ein ganz besonderes Gepräge erhalten hat. Wenn unsere Heimatpflege das gediegene Bodenständige vor dem Untergang bewahren und in seinem angestammten Recht schützen will, so dürfte sie sich wohl auch kaum der Pflicht entziehen können, auf den Wert des Rochlitzer Steins besonders für dessen Heimat in baulichen Dingen[6] mit Nachdruck hinzuweisen. Der sächsische Verein für kirchliche Kunst schlägt den Stein dankenswerterweise mit für Grabdenkmäler vor. Welche stimmungsvolle Ruhe müssen früher die Friedhöfe der Rochlitzer Gegend geatmet haben, als unter den grünen Totenbäumen fast nur die einfach würdigen Grabplatten aus dem roten Porphyr mit ihren monumentalen Schriften und Bildern lagerten! Die Herstellung dieser Denkmäler spielt in der Innungsgeschichte der Rochlitzer Steinmetzerei eine wichtige Rolle. In welchen Mengen sie ehemals vorhanden waren, läßt sich schon an dem alten Rochlitzer Kirchhof ablesen, der nicht nur zahlreiche gut erhaltene Werke dieser Art noch erhält, sondern auch unendlich viele Bruchstücke derselben bewahrt, mit denen z. B. die langen Umfassungsmauern des geweihten Geländes belegt sind. Der Rochlitzer Grabstein bildet in nicht wenig anderen Ortschaften Sachsens ein häufig vorkommendes Altertum. Wie zerfahren, unruhig, jeder einheitlichen Stimmung bar wirken heutzutage leider so viele Friedhöfe der genannten Pflege, wo sich eine Unzahl erbärmlich schablonenhafter Denkmäler mit ihrem gleißenden, glitzernden, schreienden Wesen, in ihrem fremden, nicht selten unechten Material, in ihrer Protzenhaftigkeit auf der Ruhestätte heimgegangener Erdenpilger[7] aufdringlich breitmachen, den feierlichen Frieden des Gottesackers schmählich stören, bannen und letzteren zu einer Art Musterlager bildhauerischer Geschmacklosigkeiten und Ungefühls entweihen! Welche Hoheit, welch künstlerischer Adel prägt sich hingegen z. B. auf dem Wechselburger in Rochlitzer Stein gehaltenen, aus dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts stammenden Grabdenkmal für Graf Dedo († 1190) und seine Familie aus! Wie ruhig, edel wirkt die früheste erhaltene Grabplatte des Rochlitzer Friedhofs, die aus der Zeit um 1280 herrührt und ehedem die Gebeine eines Herrn von Heldrungen, dessen Wappen in ungemein wirkungsvollen Formen der Stein vorführt, deckte!

Abb. 3 Aus den Rochlitzer Steinbrüchen: Mühlsteine

Nach dem kunstfeindlichen Dreißigjährigen Kriege offenbarte sich auch auf dem Gebiet der Rochlitzer Grabplatten ein allmählich fühlbarer Verfall; die Arbeiten wurden zuweilen noch weniger als handwerksmäßig, fast roh. 1642 gab es nur noch zwei Steinmetzen in Rochlitz; ihre Zahl wuchs erst langsam wieder. An Stelle der ehemaligen inneren Tüchtigkeit dieser Werkleute äußerte sich bald immer mehr eine Vorliebe für unwichtige Nebensächlichkeiten und Äußerlichkeiten, obschon die Rochlitzer[8] Steinmetzen damals manchen Versuch machten, sich über den gewöhnlichen Tiefstand städtischer Zünfte, auf die sie stolz herabblickten, zu erheben. So unterhielten sie zunächst Beziehungen zur Dresdner Haupthütte, welche aber von der Straßburger, die vormals als alleinige Herrscherin für Deutschland galt, nicht anerkannt wurde, weshalb sich die Rochlitzer 1725 unmittelbar unter Straßburg stellten und nun von dort das Haupthüttengesetz, das sogenannte Bruderbuch von 1563, und die kaiserliche, auf Pergament geschriebene Bestätigung von 1621 ausgefertigt erhielten. Ihre Verpflichtungen gegenüber der alten Reichsstadt haben sie freilich offensichtlich nie erfüllt, wenngleich sie überkommene Hüttenbräuche hinsichtlich des Zeichengebens, Ausweises, Gerichts usf. lange liebevoll weiter pflegten; seit etwa 1680 bildeten sie für sich eine Innung, deren innere Geschichte kaum wesentlich von derjenigen anderer Zünfte abweicht.

Abb. 4 Denkmal auf der Königshöhe, Rochlitzer Berg

Um den Rochlitzer Berg erwarben sich dessen Werkleute in neuerer Zeit ein ganz besonderes Verdienst dadurch, daß sie ihn dem Fremdenverkehr erschlossen; in dieser Beziehung hat sich vor allem ein schlichter Mann hervorgetan, der Steinmetz Christian Gottlob Seidel, der 1807 als Sproß einer seit 1704 in Rochlitz nachweisbaren Steinmetzfamilie Meister ward. Ein eigenes Geschick wollte es, daß der für Sachsen so unglückliche Napoleonsche Krieg vor hundert Jahren Seidel den Anlaß zu seinen gemeinnützigen Bestrebungen gab. Bis zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts hört man gar nichts, daß die Schönheit des Rochlitzer Berges irgendwie gewürdigt worden wäre, daß sie Wandrer angezogen hätte. Da errichtete Seidel zur Erinnerung an die 1815 erfolgte Rückkehr Königs Friedrich August aus der Gefangenschaft ein schlichtes Denkmal auf einer Erhöhung des Rochlitzer Berges, der Königshöhe, und daneben eine Unterkunftshütte für Fremde, deren Eröffnung im Juni 1817 stattfand. Der Verkehr, der sich nun auf dem Rochlitzer Berg entwickelte, gestaltete sich zweifellos bald als ganz bedeutend, wie sich aus den Einzeichnungen des Fremdenbuchs der Hütte, der sogenannten »Einsiedelei«, ergibt. An eine Verpflegung der Reisenden war damals auf dem Berg noch nicht zu denken; die einzige Erfrischung, die man unter günstigen Umständen erlangen konnte, bestand in kärglichem Butterbrot und Schnaps, welche Labung gutherzige Steinmetzen im Notfall von ihrem Imbiß abließen. Die Wandrer waren sehr bescheiden, begnügten sich mit dem, was sie suchten, prächtige Naturschönheit und lohnende Fernsicht, und waren des Lobes voll für Seidel, dessen Unterkunftshütte ihnen Schutz und Schirm gegen alle Unbill des Wetters gewährte. Dies sprachen sie oft genug im Fremdenbuch aus, dessen in den verschiedensten Sprachen bewirkte Einträge die eigenartigen Vorzüge des Rochlitzer Waldes nicht selten mit rührenden, mitunter geradezu in überschwänglichen Worten verherrlichen.

Das nach Ausweis einer Inschrift auf dem etwa einen halben Meter hohen Sockel mit Hilfe von »Fünf Sammlern aus Plauen« zustande gekommene, jetzt hundertjährige Denkmal besteht durchweg aus Porphyrtuff und ist im antikisierenden Stil gehalten. Einen höchst anziehenden, malerischen Anblick gewährt die in der Nähe befindliche »Einsiedelei«, die zu den ältesten erhaltenen Schutzhütten des Landes zählt, wenn sie nicht gar die älteste ist. Bei Errichtung derselben verband Seidel zwei von Tannen bestandene, abgeschrotene Felswände durch Mauerwerk, welchem[9] er durch eingesetzte gotisierende Fenster, durch Gesimse, durch Bekrönung mit zwei einer Kirche entstammenden Figuren usw. ein etwas phantastisches, an eine Kapelle erinnerndes Ansehen verlieh, und schuf somit die noch jetzt ziemlich gut erhaltene Vorderseite des Anwesens, an welche er den teilweise in einen alten Schutthaufen eingebetteten, mit zwei Gemächern versehenen Hinterbau anlehnte. Die Wände bestanden in der Hauptsache aus gewachsenem Felsen, aber auch aus Mauerwerk. Um gesteigerten Reiseanforderungen zu genügen, legte der Meister schließlich der Hütte gegenüber einen Pferdeschuppen an.

Jahrzehntelang genügten Seidels Baulichkeiten dem Bergverkehr, bis der Friedrich-August-Turm entstand, den das Sachsenvolk aus Anlaß des 1854 erfolgten Ablebens Königs Friedrich August II., der am 9. August dieses Jahres zu Brennbüchel in Tirol tödlich verunglückt war, auf dem Rochlitzer Berg errichtete. Der Bau, entworfen vom Freiberger Professor Heuchler, ward im Sommer 1855 begonnen und am 18. Mai 1860, dem Geburtstag des Verewigten, in Gegenwart Königs Johann geweiht. Durch die Errichtung des in Porphyr gehaltenen, gebietenden Turmes erhielt die westsächsische Heimat ein weithin sichtbares Wahrzeichen, von dessen Zinnen man einen prächtigen Fernblick bis nach den Hohburger Bergen, bis Halle, Naumburg und dem Fichtelberg, sowie dem übrigen Erzgebirge genießt, das ungezählte Scharen von Fremden anzieht, zu deren Beköstigung ein Steinmetz 1860 eine hölzerne »Interims-Restauration«, die das folgende Jahr in eine steinerne umgewandelt ward, ins Leben rief.

Außer diesen beiden landesgeschichtlichen Denkmälern weist der Rochlitzer Berg noch verschiedene Denksteine auf, darunter ein Mordkreuz. Die bedeutendsten Denkmäler sind aber die sehenswerten Steinbrüche, die in ihrer Eigenart wohl einzig in Deutschland dastehen und vielleicht noch eine gesteigertere Beachtung verdienen, als sie bisher gefunden haben.


Der Einfluß der Gesteinsindustrie auf das Naturleben des Rochlitzer Berges

Von Rud. Zimmermann

Mit Abbildungen nach Aufnahmen des Verfassers

Nur selten wohl wird sich der Verfechter des Heimatschutzgedankens mit einem Steinbruchsbetrieb in einer landschaftlich schönen Gegend abfinden können. Denn allzu häufig nur – ich erinnere bloß an die Zerstörungen des Siebengebirges durch die Steinbruchsindustrie und die ganz ähnlichen Erscheinungen auch in unserem schönen Elbsandsteingebirge – werden durch ihn unersetzliche Schönheitswerte vernichtet, hervorragende Landschaftsbilder für ewige Zeiten zerstört. Ganz anders dagegen liegen die Verhältnisse in bezug auf die Gesteinsindustrie des vielbesuchten Rochlitzer Berges, die zwar auch stark verändernd auf dessen Bild eingewirkt und zweifellos gleichfalls manche Schönheitswerte zerstört, aber in noch größerem Maße solche auch wieder geschaffen hat. Der Besucher des Rochlitzer Berges, der auf[10] schattigen Waldwegen von Rochlitz oder Wechselburg kommend und aus dem Waldesdunkel tretend, plötzlich vor den mächtigen, gipfelumsäumenden Tuffbrüchen steht, wird von dem Bild, das sich ihm darbietet, ganz eigen berührt sein. Und der tiefe Eindruck, den die Steinbrüche auf ihn machen werden und den er auch mit sich fort nehmen wird, wenn er seine Schritte wieder talwärts lenkt, wird ein noch größerer sein, wenn er gar noch von der Zinne des Friedrich-August-Turmes, durch den treue Sachsenliebe einst das Gedächtnis eines seiner naturliebendsten und naturverständigsten Fürsten ehrte, die Blicke über den weiten Bergwald, zu dessen wechselvoll abgetöntem Grün das helle Rot der in den Wald gebetteten Steinbrüche eine so eigenartige Gegenwirkung bildet, zu den blauumdunsteten Höhen in der Ferne schweifen läßt.

Aus den Rochlitzer Steinbrüchen:
Abb. 1 Blick auf die senkrecht emporsteigenden Gesteinswände

Die Geschlossenheit des den Rochlitzer Berg bedeckenden Waldes, dessen einst so schöne Misch- und alten Buchenbestände heute allerdings zum größten Teil nur noch der Vergangenheit angehören, hat durch den Steinbruchsbetrieb eine nicht wegzuleugnende Einbuße erlitten, und das Urteil des Forstmannes, der die Verhältnisse[11] vielleicht nur einseitig vom rein forstwirtschaftlichen Standpunkt aus werten wollte, würde sich daher auch nicht immer mit dem unseren decken. Dem rein forstlichen Verlust aber steht ein ungleich höherer Gewinn in dem Wechsel entgegen, den die Steinbrüche in ein zwar an sich schon hervorragend schönes, durch diesen Wechsel aber noch wesentlich gewinnendes Landschaftsbild tragen. Die Steinbrüche des Rochlitzer Berges sind nicht, wie das so vielfach der Fall ist, an den Hängen des Berges angelegt, um diese zu entblößen und sie ihres belebenden Pflanzenschmuckes zu berauben, sondern sie gruppieren sich größtenteils wie ein Kranz um den Gipfel des Berges und sind von hier aus in die Tiefe getrieben. Die dabei entstandenen senkrechten, oft zu ganz beträchtlichen Höhen emporragenden Wände, deren lichtes Rot durch angesiedelte Algen von gelben und grauen Farbflecken übertupft erscheint und in dessen prächtige Farbenwirkungen oft auch noch auf schmalen Felsleisten angesiedelte grün-goldene Moose und andere Pflanzen weitere wechselnde Töne tragen, sind von einer ganz eigenen Wirkung. Wo dazu noch an abgebauten Stellen der Boden sich mit einer neuen Pflanzendecke überkleidet hat und auf raumengen Felsvorsprüngen niedrige, aber derbe Kiefern sich angesiedelt haben, entstehen Bilder von ganz besonderer Schönheit und seltenen Reizen.

Aus den Rochlitzer Steinbrüchen:
Abb. 2 Durch Anflug entstandene Vegetation an einer auflässigen Stelle

Die Wiederbesiedelung der abgebauten Stellen durch die Pflanzenwelt erfolgt meistens ungewöhnlich rasch. Wo der kahle, rote Fels zutage liegt und kaum einer Pflanze die Bedingungen zu einem gedeihlichen Leben zu bieten scheint, entwickelt sich innerhalb weniger Jahre bereits wieder eine Vegetation, die zwar keine[12] besonders artenreiche, dafür aber meistens eine um so interessantere ist, weil sie neben ihrer Ursprünglichkeit uns vielfach in hervorragendem Maße Blicke in den Kampf tun läßt, den auch die Pflanze um ihr Dasein führt, und uns die Zähigkeit zeigt, mit der sie dabei um ihr Leben ringt. Wo die Winde in kaum zentimetertiefen Unebenheiten des Felsens nur eine Spur von Erdreich angeweht haben, siedeln sich bescheidene Moose und Flechten an, oder es keimen aus windangewehtem Samen Gräser und andere Blütenpflanzen. So das in seiner Schlichtheit so schöne Gänseblümchen (Bellis perennis), Habichtskräuter u. a. m., die ja in der Rosettenbildung ihrer dem Boden sich eng anschmiegenden, dachziegelartig übereinanderliegenden Blätter eine ebenso einfache, wie überzeugend wirkende Einrichtung gegen jede übermäßige Wasserabgabe besitzen und durch sie außerdem noch der raschen Austrocknung des kärglichen Bodens entgegenarbeiten. Das bedürfnislose Heidekraut (Calluna vulgaris) ergreift gleichfalls Besitz vom neuentstandenen Boden und mit ihm stellen sich hier und da auch einige bescheidene Heidelbeerpflänzchen ein. Von Bäumen sind es neben Aspen und Salweiden die mit den dürftigsten Verhältnissen vorliebnehmenden Kiefern und Birken, denen das wenige lockere Erdreich schon Nahrung gibt und die ihre Wurzeln zunächst ganz flach, aber weit[13] an der Oberfläche des Felsens entlang senden, bis sie auf Risse und Spalten im Gestein stoßen, in die sie sich dann tief hinabsenken und den heranwachsenden Baum oft fester verankern als auf tiefgründigerem Waldboden. Dort, wo bereits während des Abbaues sich Schutt angesammelt hat, ist das Pflanzenleben ein reicheres. Unter anderen Arten finden wir hier die würzige Walderdbeere, während Brombeere und Himbeere oft dichte, der Kleinvogelwelt Unterschlupf und Nistgelegenheiten bietende Hecken bilden. Das Weidenröschen läßt im August weithin seine Blüten leuchten und in ihr Rot mischen sich die gelben Farben von Habichtskräutern und Johanniskraut, bis dann nach einigen Jahren die im Frühjahr von einer reichen Insektenwelt besuchten kätzchentragenden Sträucher der Salweide und inzwischen höher herangewachsene Bäume – den Kiefern und Birken gesellen sich hier höhere Ansprüche stellende Lärchen und Fichten, die Eberesche und von anderen Laubbäumen einzelne Buchen und Eichen zu – die niedrigeren kraut- und strauchartigen Pflanzen mehr und mehr verdrängen. Auf diese Weise erhalten sich auf dem Rochlitzer Berge abwechselungsreiche Pflanzengemeinschaften, die in ihrer Ursprünglichkeit überaus anziehend wirken und vor allem auch in die oft größere Gleichförmigkeit des unter Kultur stehenden Forstes einen diesen wieder zugute kommenden Wechsel tragen.

Aus den Rochlitzer Steinbrüchen
Abb. 3 Durch Anflug entstandene Vegetation an einer auflässigen Stelle
Aus der Tierwelt der Rochlitzer Steinbrüche:
Abb. 4 Siebenschläfer

Es wird ohne weiteres auch als ganz selbstverständlich erscheinen, daß die Steinbrüche, die bei ihrer räumlichen Ausdehnung inmitten des geschlossenen Waldes eine Welt für sich bilden, in der bis zu einem gewissen Grade die Natur allein[14] regiert, auch von einem nach Lage der Verhältnisse nur günstigem Einflusse auch auf die Tierwelt des Rochlitzer Berges sein müssen. Eine Menge Tiere findet in den Spalten und Klüften der Felswände, in den an dunklen Verstecken reichen Haufen beiseite gefahrenen, unverwendbaren Gesteinsmaterials willkommene Schlupfwinkel, andere wieder werden angezogen von der natürlichen, von Menschen wenig besuchten Wildnis der abgebauten Teile. Der Siebenschläfer, dessen Vorkommen auf dem Rochlitzer Berge zunächst allerdings wohl eine Folge des einstigen Reichtums an Laubholz mit den ausgedehnten Rotbuchenbeständen ist, findet sich heute doch vorzugsweise in dem Bereiche der Steinbrüche und auch auf den Bestand der kleineren Raubsäugetiere, von denen ich Wiesel und Hermelin oft in den Steinbrüchen begegnet bin, und denen sich auch der Iltis, der Edel- und sogar der in den geschlossenen Wald sonst nur seltener eindringende Hausmarder zugesellen, sind sie nicht ohne Wirkung geblieben. Unvergeßlich wird mir der milde Sommersonntagabend bleiben, an dem ich unseren Edelmarder in einem auflässigen Teile des Mühlsteinbruches zum ersten Male längere Zeit hindurch in seinem Leben und Treiben beobachten konnte. Aalgleich wandte er sich durch die Steinwildnis hindurch, schnüffelnd untersuchte er jeden Spalt im Felsen, spürte jede Höhle ab, die die reichlich umher- und übereinanderliegenden Gesteinstrümmer bildeten. Eine Maus, die der Abend aus ihrem Versteck hervorgelockt hatte, wurde seine Beute, eine Goldammer, die ihr: »Wie, wie hab’ ich[15] dich so lieb!« eben abgebrochen und sich in einem niederen Strauch zur Ruhe niedergetan hatte, entging seinen räuberischen Gelüsten noch im letzten Augenblick, so daß er ihr verdutzt von einem vorspringenden Gesteinsblock aus nachschaute.

Aus der Vogelwelt der Rochlitzer Steinbrüche:
Abb. 5 Männlicher Gartenrotschwanz an der Nisthöhle an einer Hauswand
Aus der Vogelwelt der Rochlitzer Steinbrüche:
Abb. 6 Weiblicher Gartenrotschwanz vor der Nisthöhle in einer Mauer
Aus der Vogelwelt der Rochlitzer Steinbrüche:
Abb. 7 Junger Hausrotschwanz an der Nisthöhle in einem Gesteinsspalt
Aus der Vogelwelt der Rochlitzer Steinbrüche:
Abb. 8 Junge Gebirgsstelze nach dem Verlassen des Nestes

Weit mehr noch als wie auf die verborgener lebenden Säugetiere spüren wir den Einfluß der Steinbrüche auf die der direkten Beobachtung ja weit zugänglichere Vogelwelt. Einige Arten, denen wir im geschlossenen Walde nicht oder doch nur vereinzelt begegnen würden, sind im Gebiet der Steinbrüche nicht selten, andere, den Wald zwar nicht meidende, erreichen in ihnen eine größere Häufigkeit. Ich denke da vor allem an unsere beiden Rotschwanzarten, die auf dem Rochlitzer Berge ganz besonders häufig sind und ausschließlich oder doch fast ausschließlich die Steinbrüche bewohnen, in denen sie auch wieder zu der ihnen ureigensten Nistweise zurückgekehrt sind. Nach den übereinstimmenden Versicherungen alter Steinbruchsarbeiter, die sich in jeder Weise auch mit meinen eigenen Erfahrungen decken, hat die Zahl dieser beiden Vögel in den letzten Jahrzehnten auffallend zugenommen. Namentlich beim häufigeren Gartenrotschwanz fällt diese Zunahme recht in die Augen. In einem Steinbruche traf ich im Frühjahre 1914 nicht weniger als fünf Brutpaare desselben – zwei davon nisteten an Arbeiterhäusern, drei aber in Gesteinsspalten – neben zwei vom Hausrotschwanz an, in einem anderen im Jahre vorher sogar sechs Paare des ersteren, die mit[16] Ausnahme eines an einem Gebäude nistenden sämtlich in Felsspalten ihre Nester errichtet hatten, neben zwei Paaren des ebenfalls in Felsspalten nistenden Hausrötels. Auch die weiße Bachstelze bewohnt in ähnlich großer Zahl die Steinbrüche und nistet hier bald an Arbeiterhäusern, bald aber auch in geschützten Hohlräumen der Felswände. In diesem letzteren Fall teilt sie dann die Niststätten mit ihrer gelben Schwester, der Gebirgsstelze, deren Zunahme auf dem Rochlitzer Berge eine ganz besonders in die Augen fallende ist. Ich entsinne mich heute noch deutlich des Tages anfangs der neunziger Jahre, an dem ich die Art hier überhaupt zum ersten Male sah und über die Beobachtung der mir damals noch neuen daheim in jugendlicher Freude erzählte. Seit jener ersten Begegnung wurde sie zu einem meiner erklärten Lieblingsvögel und jede neue Beobachtung der damals noch seltenen bildete ein heute noch nicht vergessenes Ereignis. Jetzt ist sie schon eine ganz gewöhnliche Erscheinung und brütet alljährlich in wenigstens einem, häufig aber auch in mehreren Paaren in fast jedem der Steinbrüche. Aber auch andere Höhlenbrüter finden in den Felsklüften willkommene Nistgelegenheiten. Von Meisen sind es besonders die Kohl-, die Tannen- und die Blaumeise, ausnahmsweise auch die Sumpf- und die Haubenmeise, die regelmäßig in Gesteinsspalten oder in den Hohlräumen der überall gegen hereinbrechenden Abraum aufgeführten Schutzmauern nisten und denen sich auch gern der Kleiber zugesellt. 1916 während eines Urlaubes konnte ich in solchen Schutzmauern zum ersten Male auch den Mauersegler, der allsommerlich über den Gipfel des Berges seine Flugkünste treibt und den ich – Freund Heyder hatte ihn schon früher als Brutvogel des Rochlitzer Berges in Baumhöhlen des Waldes[17] festgestellt – seit langem bereits im Verdacht hatte, auch »Steinbruchsvogel« zu sein, brütend nachweisen.

Aus der Vogelwelt der Rochlitzer Steinbrüche:
Abb. 9 Kohlmeise vor der Nisthöhle in einer Gesteinswand
Aus der Vogelwelt der Rochlitzer Steinbrüche:
Abb. 10 Tannenmeise an der Nisthöhle in einer Felswand

Daß ferner bei dem großen Reichtum der Steinbrüche an Hecken, die in den auflässigen Teilen oft so üppig wuchern, auch die Zahl der Buschbrüter eine ziemlich reiche ist, bedarf wohl kaum eines besonderen Hinweises. Namentlich die Grasmücken in sämtlichen vier, der Rochlitzer Vogelfauna angehörenden Arten: der Dorn-, der Zaun-, der Garten- und der Mönchsgrasmücke, sind regelmäßige Bewohner derartiger Stellen.

Aus der Vogelwelt der Rochlitzer Steinbrüche:
Abb. 11 Großer Buntspecht an der Nisthöhle in einem Kirschbaum

Reich ist in den Steinbrüchen auch das seit meiner Jugendzeit sonst im Bereiche des Rochlitzer Berges aber stark zurückgegangene Kriechtier- und Lurchleben entwickelt. Die flinke Zauneidechse zunächst ist eine der auf dem Rochlitzer Berge abgenommenen Arten, die auch die Steinbrüche nicht mehr in den Mengen bevölkert, als wie ich sie noch als Knabe sah; der rotbäuchige Bergmolch, der einst geradezu in Massen die zahlreichen Steinbruchstümpel bevölkerte, ist weniger häufig geworden, und der in Schwarz und leuchtend Gelb gekleidete Feuersalamander, dessen ganze Schönheit nur der voll empfinden wird, der ihn einmal nach einem warmen Gewitterregen aus einem dunklen Spalt des von grünem Moos überkleideten roten Gesteins hat hervorkommen sehen, ist heute auch nicht annähernd mehr in den Mengen vorhanden, wie vor wenigen Jahrzehnten noch. Ein sinnloses Sammeln, bald – wie beim Bergmolch – von einer zwar naturfreudigen, aber in falschen Bahnen sich betätigenden Jugend, bald – wie beim Feuersalamander[18] – von gewerbsmäßigen Fängern, denen ja nichts in der Natur heilig ist, trägt wohl die Hauptschuld an dem bedauerlichen Rückgange. Vielleicht wäre es aber wohl noch schlimmer um das heutige Vorkommen dieser Arten bestellt, wenn nicht die Steinbrüche ihnen und noch anderen ihrer Sippe: der goldgekrönten Ringel- und der spärlicheren glatten Natter, dem lebhaften Grasfrosch und der vielgeschmähten, dabei aber doch so nützlichen Erdkröte Schlupfwinkel in so reichem Maße darbieten würden, daß immer noch ein großer Teil von ihnen sich allen Verfolgungen zu entziehen vermag.

Aus der Tierwelt der Rochlitzer Steinbrüche:
Abb. 12 Ringelnatter vor ihrem Schlupfwinkel

Der günstige Einfluß der Steinbrüche auf das Tierleben des Rochlitzer Berges, der aus den hier mitgeteilten Fällen zweifellos hervorgeht, würde noch augenfälliger werden, wenn wir unsere Betrachtungen auch auf die niedere Tierwelt ausdehnen und insbesondere die Insektenwelt in sie einbeziehen würden. Einer unserer größten und prächtigsten Tagschmetterlinge beispielsweise, der Eisvogel, verdankt sein Vorkommen der heute im Rochlitzer Bergwalde vorzugsweise auf das Steinbruchsgebiet beschränkten Aspe, und wie für ihn, liegen die Verhältnisse ähnlich auch noch für eine weitere Anzahl leichtbeschwingter Falter und andere niedere Tierarten. – – –

Aus der Tierwelt der Rochlitzer Steinbrüche:
Abb. 13 Eine Erdkröte verläßt ihren Schlupfwinkel

Aber es scheint auch, als ob der Steinbruchsbetrieb des Rochlitzer Berges neben diesen günstigen Einflüssen auf das Naturleben noch einen solchen entgegengesetzter Richtung ausübt.

[19]

Aus der Tierwelt des Rochlitzer Berges:
Abb. 14 Blindschleiche beim Verlassen ihres Schlupfwinkels.

Unter den Waldbäumen des Rochlitzer Berges nahm einst die Weißtanne einen breiten Raum ein. Heute hat sie aufgehört, bestandsbildender Waldbaum zu sein; die wenigen, hier und da noch in den Mischbeständen stehenden, fast immer kränkelnden Stücke sind stumme Zeugen vergangener Zeiten. Forstlich ist der Baum nicht mehr hoch zu bringen. Es ist das eine Erscheinung, die man in unserem Vaterlande nun zwar auch an anderen Orten beobachtet und die man meines Wissens in erster Linie auf die Verunreinigung der Luft durch die Rauchgase unserer hochentwickelten sächsischen Industrie zurückführt. Ob immer und in welchem Maße dies zu Recht geschieht, vermag ich nicht zu entscheiden. Meines Erachtens wirken an ihrem Rückgange hier und da aber auch noch andere als die eben angeführten Ursachen mit. Die Tanne stellt ziemlich hohe Anforderungen auch an den Feuchtigkeitsgehalt der Luft und des Bodens und ist gegen eine Abnahme desselben empfindlicher als andere Waldbäume. Eine Abnahme der Bodenfeuchtigkeit scheint aber auf dem Rochlitzer Berge stattgefunden zu haben. Darauf deuten nicht nur eine ganze Anzahl heute trockener Quelläufe an den Hängen des Berges hin, sondern sie geht auch hervor aus dem Umstand, daß heute noch fließende Quellen zum Teil wasserärmer geworden sind, als sie es in meiner auf dem Rochlitzer Berge verlebten Jugendzeit waren. Diese Abnahme der Bodenfeuchtigkeit aber dürfte im wesentlichen ihre Ursachen in dem Steinbruchsbetriebe haben. Infolge seiner räumlich großen Ausdehnung kommt ein beträchtlicher Teil der atmosphärischen Niederschläge dem Walde nicht mehr zugute; ein Teil verdunstet über den freien Flächen der Steinbrüche sofort, ein anderer Teil aber sammelt sich in ihren tiefergelegenen Stellen in Form kleinerer oder größerer Tümpel an und wird von hier gleichfalls, wenn auch allmählicher, der Verdunstung zugeführt. Aber auch nicht unbeträchtliche Mengen der über dem Walde selbst niedergehenden Niederschläge verbleiben nicht mehr in dem Waldboden, sondern strömen in Gesteinsspalten[20] und Rissen jenen Wasseransammlungen in den tieferen Teilen der Steinbrüche zu und verdunsten hier ebenfalls wie jene direkt.

Es dürfte nicht ausgeschlossen sein, daß dieser Einfluß der Steinbrüche auf die Abnahme der Bodenfeuchtigkeit des Waldes, der zwar nicht für sich allein, sondern wohl mit der schon erwähnten Verunreinigung der Luft durch Rauchgase an dem Rückgang der Tanne auf dem Rochlitzer Berge beteiligt sein mag, sich in seinen Wirkungen auch auf andere feuchtigkeitsliebende Pflanzen äußert.


Die Vogelwelt unserer Obstalleen

Von Rud. Zimmermann

Mit Abbildungen nach Naturaufnahmen des Verfassers

Beobachtungen, die ich vor dem Kriege an der von Rochlitz nach dem Rochlitzer Berge führenden, mir von meiner Kindheit an vertrauten und von mir regelmäßig begangenen, in dem hier in Frage kommenden Teile von Obstbäumen bestandenen Staatsstraße über die daselbst nistenden höhlenbrütenden Kleinvögel machte und die dabei einen vorher kaum geahnten Reichtum an solchen ergaben, wurden die Ursache, daß ich in der Folge nicht nur noch schärfer auf die Vogelwelt der genannten Straße achtete, sondern meine Beobachtungen auch auf andere Gegenden ausdehnte und dabei vor allem auch Material zur Frage der Bedeutung unserer Vogelwelt für die Obstalleen zu erlangen versuchte. Im nachfolgenden nun soll über diese Beobachtungen, die in vielfacher Hinsicht recht interessante sind, etwas eingehender berichtet und dieser Bericht zunächst mit einer Schilderung der Verhältnisse an der oben genannten Straße begonnen werden.

Die Staatsstraße Rochlitz–Rochlitzer Berg, in Rochlitz kurzweg die Bergstraße genannt, wird in ihrem ersten, hier nur in Frage kommenden Teil von Feldern begrenzt, während auf eine Strecke von etwa 500 Meter Länge an der einen Seite auch der Wald an sie herantritt, der ihr auch sonst nicht fern bleibt und an den weitesten Stellen kaum viel über 500 Meter von ihr weg liegt. Der regelmäßigen Beobachtung unterstanden in den Jahren 1913 und 1914 eine Strecke von etwa 500 Meter, 1919 und 1920 aber von gegen 1500 Meter Länge, von der ein kleiner, etwa 200 Meter langer Teil von Kirschbäumen gesäumt, der größere aber beiderseits von Apfelbäumen bestanden ist.

An der kleineren, nur apfelbaumbestandenen Straßenstrecke wurden

1913und1914
21PaarGartenrotschwänzchen,
35"Kohlmeisen,
12"Blaumeisen,
11"Kleiber,
21"Feldsperlinge sowie
2"Stare

insgesamt also 9 bzw. 12 Brutpaare einwandfrei festgestellt, von einigen weiteren, zweifellos auch noch genisteten Meisen- und Rotschwanzpaaren die Nisthöhlen aber nicht aufgefunden, während dann in dem größeren Straßengebiet

[21]

1919und1920
25PaarGartenrotschwänzchen,
84"Kohlmeisen,
85"Blaumeisen,
11"Kleiber,
45"Stare sowie
1"Grünspechte

insgesamt also 24 bzw. 20 Brutpaare sicher bestätigt und ebenfalls wieder von einigen weiteren (Gartenrotschwanz, Kohl- und Blaumeise, Kleiber und Baumläufer) die Höhlen nicht aufgefunden werden konnten.

Von den 1919 und 1920 beobachteten Brutpaaren entfallen auf die kleinere, 1913 und 1914 unter Beobachtung gestandene Straßenstrecke

1919und1920
2PaarGartenrotschwänzchen,
54"Kohlmeisen,
32"Blaumeisen,
11"Kleiber und
44"Stare

zusammen sonach 13 bzw. 13 Paare, von denen sich 1919 elf, 1920 aber neun Paare auf eine Straßenlänge von nur etwas über 200 Meter verteilten, so daß hier auf etwa 20 Meter Länge bereits ein Brutpaar kam! – Hervorgehoben soll dabei noch werden, daß in den Jahren 1913 und 1914 noch nicht der große Wert auf die Feststellung möglichst aller Nisthöhlen gelegt wurde und daß schließlich im letzten Jahre eine nur noch beschränkte Zeit auf die Beobachtungen verwandt und eine Straßenlänge von gegen 500 Meter überhaupt nicht voll begangen werden konnte.

Mit den von mir in früheren Jahren bereits beobachteten Arten konnten in dem hier geschilderten Straßenbereich an höhlenbrütenden Vögeln bisher der Gartenrotschwanz, die Kohl- und die Blaumeise, einzeln auch die Tannen- und die Sumpfmeise, der Kleiber und der Baumläufer, der Feldsperling, der Star, der große und der kleine Buntspecht sowie der Grünspecht festgestellt werden, zu denen als dreizehnte Art noch die weiße Bachstelze kommt, die vereinzelt in (Halb-)Höhlen der Bäume, regelmäßiger aber in den Straßenunterführungen ihre Nester errichtet, während ich den sonst zwar angetroffenen und an einer Straße in der Nachbarschaft auch brütend beobachteten Wendehals für unser Straßengebiet als Brutvogel einwandfrei noch nicht bestätigen konnte. – Der große Vogelreichtum dieses Straßenbereichs, der mit den hier aufgezählten Arten aber natürlich noch nicht erschöpft ist, sondern sich noch um die Freibrüter erhöht, ist nicht immer ein derartig hoher gewesen. Die Zahl der Höhlenbrüter war früher, als die Straßenbäume noch jünger waren und noch nicht diese Fülle natürlicher Höhlen aufwiesen, die sie heute besitzen, eine weit geringere; sie erhöhte sich erst, als der frühere, alt gewordene Straßenwärter einem jüngeren Manne weichen mußte, der, vogelfreundlich gesinnt, aus eigenem Antriebe auf den Straßenbäumen eine größere Anzahl zum Teil selbstgefertigter[22] Nisthöhlen aufhing und damit sofort, in erster Linie wohl aus dem nahen Walde, zahlreiche Höhlenbrüter nach der Straße zog. Von den ehedem aufgehängten Nistkästen sind in den letzten Jahren allerdings viele ein Opfer ihres Alters geworden, andere von der Straßenjugend, die in ihnen willkommene Ziele für allerlei Wurfübungen erblickte, herabgeworfen worden. An ihre Stelle aber sind mit dem zugenommenen Alter der Straßenbäume eine große Anzahl natürlicher Höhlen getreten, die meistens unauffälliger sind und schon dadurch den in ihnen nistenden Vögeln in der Regel eine meistens weit größere Sicherheit gewähren. Der Gassenjugend wenigstens entgehen sie viel mehr, als wie die aufgehängten künstlichen Höhlen, an denen ich früher einige Male Buben beim Zerstören von Gelegen oder Bruten überrascht habe.

Abb. 1 Star vor der Nisthöhle
Abb. 2 Kohlmeise vor der Nisthöhle (der gleichen, wie in Abb. 1)

Eine Anzahl der hier beobachteten natürlichen Höhlen erfüllt ihren Zweck schon seit Jahren. So war die eine derselben (Abb. 1 und 2), die etwas ungewöhnlicher Natur und recht wenig wettergeschützt war, weil die Eingangsöffnung direkt von oben hineinführte, 1913–1915 von Kohlmeisen und während der Kriegsjahre 1916–1918, in denen ich die Beobachtungen allerdings nicht persönlich machen konnte, ebenfalls wieder von Kohlmeisen und einmal auch von Gartenrotschwänzchen bewohnt gewesen, bis dann 1919 und 1920 Stare sie sich als Niststätte erkoren hatten. Eine andere, vom Buntspecht angelegte und mehrere Jahre von diesen bewohnt gewesene Höhle hatte sich 1914 ein Kleiberpaar als Wohnung eingerichtet,[23] eine Art, die auch 1919 und 1920 wieder in ihr brütend festgestellt werden konnte. In einer dritten, in der 1913 ein Feldsperlingspaar genistet hatte, dessen Besitzrechte im folgenden Jahre auf ein Blaumeisenpärchen überging, wurden 1919 und 1920 wiederum Blaumeisen beobachtet. Auch eine etwas eigenartige Nisthöhle unter einem Wegweiser, die durch die Überwallung des letzteren durch den stärker gewordenen Stamm, an dem er befestigt, entstanden ist, hat Jahre hindurch Nistzwecken gedient. Im Jahre 1914 stellte ich in ihr zum ersten Male Blaumeisen fest und fand die gleiche Art – nachdem ich während des Krieges ja nur selten und dann immer auch nur flüchtig während des rasch vorübergehenden Urlaubes beobachten konnte – dann 1919 von neuem als Bewohner der Höhle. Ebenso sollen, wie mir nachträglich ein für unsere Vogelwelt interessierter Herr mitgeteilt hat, auch während des Krieges Blaumeisen in ihr genistet haben, so daß im Hinblick auf die ungewöhnliche Art der Nisthöhle vielleicht der Schluß auf das gleiche oder Vögel des gleichen Paares nicht ganz unwahrscheinlich erscheint.

Abb. 3 Weiblicher Gartenrotschwanz vor der Nisthöhle
Abb. 4 Männlicher Gartenrotschwanz in der Nisthöhle

Eine auffallende, namentlich 1913 und 1914 sich ganz besonders stark aufdrängende Erscheinung war die Bevorzugung der weniger wettergeschützten Höhlen gegenüber den für Brutzwecke scheinbar geeigneteren natürlichen oder künstlichen Höhlen. Ich habe darüber früher schon an anderer Stelle berichtet[1] und auch neuerdings[24] die Frage im Zusammenhange mit meinen anderen hier gemachten Beobachtungen nochmals angeschnitten[2]. Auf die eine dieser theoriewidrigen Höhlen (»Der Vogel bezieht nur vor Wind und Wetter geschützte Höhlen«) habe ich oben schon hingewiesen; es ist die in den Abbildungen 1 und 2 wiedergegebene, die von 1913 bis 1920 alljährlich Bewohner gehabt hat, trotzdem die ziemlich weite Eingangsöffnung direkt von oben in das Innere führte und daher dem Regen ungehindert den Zutritt gestattete. Einige scheinbar viel günstigere, aber unbesetzt gebliebene Höhlen befanden sich dabei auf Bäumen in der unmittelbarsten Nachbarschaft. Eine zweite dieser Höhlen, gleichfalls wieder mit dem Eingang von oben, von der ich bereits eine Aufnahme im VI. Bande, Seite 69, dieser Mitteilungen veröffentlichen konnte, diente 1913 einer dreizehnköpfigen Blaumeisenbrut als Kinderwiege, war dann 1914 von Kohlmeisen bewohnt und soll 1915 ebenfalls wieder Kohlmeisen als Bewohner gehabt haben. Auch hier befanden sich wettergeschütztere Höhlen in unmittelbarster Nachbarschaft. Eine dritte endlich – aus der Zahl der vorhandenen Beispiele nur noch dieses eine angeführt –, die unsere Aufnahmen 4 und 5 wiedergeben, und deren ungewöhnlich weiter Eingang nach Nordwesten gerichtet, also der Wetterseite zugekehrt war, war 1913 von einem Rotschwanzpaar bewohnt und wurde als Bruthöhle auch 1920 wieder von einem Pärchen der gleichen Art benutzt, nachdem durch ein weiteres Ausfaulen des Baumes neben der damals schon weiten Eingangsöffnung inzwischen noch eine zweite, gleichgroße entstanden war, wodurch die Wettersicherheit der Höhle eine noch geringere geworden war. Scheinbar günstigere Höhlen befanden sich auch in diesem Falle wieder in unmittelbarster Nähe. – Die Frage, warum die Vögel gerade diese weniger geschützten Höhlen den nach unseren Begriffen geschützteren vorzogen, fast, als ob sie uns damit auf das nachdrücklichste das Unzulängliche und Gezwungene aller von Menschen aufgestellten Gesetze vor Augen führen wollten, ist schwer zu entscheiden. Ob vielleicht, wie ich das an anderer Stelle ausführe, die Vögel einer an sich geräumigeren Höhle, selbst wenn diese weniger geschützt ist, den Vorzug vor einer engeren, sonst aber wettergeschützten geben? Und ob nicht vielleicht das Innere unserer künstlichen Meisenhöhlen für eine größere Brut – man denke nur an die oben erwähnte dreizehnköpfige Blaumeisenschar! – manchesmal etwas knapp sein mag? Ich lasse diese Fragen hier unerörtert, möchte aber wenigstens durch ihre Erwähnung Vogelfreunde zu weiteren Beobachtungen in dieser Richtung anregen. –

[1] Ornithologische Monatsschrift 1916, S. 356 fl.

[2] Ornithologische Monatsschrift 1921, S. 13 fl.

Abb. 5 Kohlmeise vor der Nisthöhle
Abb. 6 Blaumeise vor der Nisthöhle

Ist der hier geschilderte, ungewöhnlich groß erscheinende Vogelreichtum nur dem der Beobachtung unterworfen gewesenen Straßengebiet eigen, vielleicht, weil hier ganz besonders günstige Umstände ihn beeinflussen, oder können wir ihn ähnlich reich auch anderwärts beobachten? Ich glaube diese Frage bejahen zu können, sobald es sich um obstbaumbestandene Straßen handelt, die alte, höhlenbergende Bäume aufweisen. Bereits früher konnte ich in Westsachsen in der Frohburg-Kohrener Gegend schon bei nur flüchtiger Begehung auf oft recht kurzen Straßenlängen höhlenbrütende Kleinvögel: neben dem Gartenrotschwanz vor allem Kohl- und Blaumeisen und etwas vereinzelter den Baumläufer, in Mengen feststellen,[25] die einen Schluß auf einen ähnlichen Reichtum, wie ich ihn an der Rochlitzer Bergstraße beobachten konnte, durchaus begründet erscheinen lassen. Und 1919 hatte ich dann wieder Gelegenheit, einmal in der Altenhainer Gegend bei Wurzen, wo ich auch den schmucken Trauerfliegenfänger als einen in Obstbäumen nistenden »Straßenvogel« feststellen konnte, und zum anderen in der Oberlausitz zwischen Kamenz und Königswartha den Rochlitzern ganz ähnliche Verhältnisse festzustellen. Der Reichtum einer obstbaumbestandenen Straße an höhlenbrütenden Kleinvögeln ist wohl überall noch ein ähnlich großer, wenn in älteren, höhlenreichen Straßenbäumen oder in aufgehängten Nistkästen nur die Bedingungen zur Entfaltung eines reicheren Vogellebens gegeben sind. Am ärmsten an einem eigenen Vogelleben bleiben nach meinen Erfahrungen die Kirschalleen, wahrscheinlich, weil diese weniger Kostgänger aus der Insektenwelt besitzen, als wie dies mit Apfel- und anderen Obstalleen der Fall ist. Der Einfluß eines angrenzenden oder nahegelegenen Waldes äußert sich, soweit ich darüber Beobachtungen anstellen konnte, nur in einer Erhöhung der Artenzahl, indem dann einzelne, sonst waldbewohnende Höhlenbrüter den Alleen zuziehen, scheint dagegen aber auf die Stückzahl, die auch in waldfernen Alleen eine große sein kann, sobald in diesen die schon erwähnten Bedingungen im Vorhandensein reicher Nistgelegenheiten gegeben sind, von nur untergeordneter Bedeutung zu sein. –

[26]

Besonderen Wert legte ich bei meinen Beobachtungen auf die Feststellung der Nahrungsquellen der in unseren Obstalleen nistenden Höhlenbrüter und damit auch auf die Frage ihrer Bedeutung für diese letzteren überhaupt. Ich konnte derartige Beobachtungen vor allem an der Rochlitzer Bergstraße in weitgehendstem Maße machen, weil ich hier – besonders in den Jahren 1913, 1914 und 1919 – für photographische Aufnahmen oft tagelang ansaß und dabei manches einzelne Brutpaar viele Stunden hindurch, oft auch mit dazwischen liegenden mehrtägigen Pausen, unter den Augen hatte. Ihren Nahrungsbedarf deckten die Vögel teils in der Allee selbst, teils aber auch im näheren oder ferneren Walde, wobei die verschiedensten Arten aber auch ein recht verschiedenes Verhalten zeigten. In jenem Teile des Beobachtungsgebietes, in dem die Straße von Kirschbäumen bestanden war und an dem beiderseits der Wald bis auf Entfernungen von 50 Meter an die Straße herantrat, bevorzugten die hier nistenden Arten als Nahrungsquelle allerdings fast ausschließlich den Wald und nur ausnahmsweise einmal suchte ein 1919 hier genistetes Blaumeisenpärchen einen der Alleebäume nach Insektenkost ab. Die so große Nähe des Waldes und dessen zweifellos bedeutenderer Nahrungsreichtum äußerten eben ihre Wirkungen, wozu dann auch noch das schon erwähnte geringere Insektenleben auf Kirschbäumen kommen mochte.

In den übrigen Teilen des Beobachtungsgebietes waren es zunächst die Meisen und unter diesen wieder ganz besonders die Blaumeisen, die ihren Nahrungsbedarf in erster Linie in der Allee selbst deckten, und nur dort, wo der Wald in größerer Nähe war oder gar an die Straße selbst herantrat, häufiger und wohl selbst einmal auch in überwiegendem Maße in diesem die Nahrung suchten. Dabei ließ sich wiederholt mit aller Deutlichkeit feststellen, daß sie zu Beginn der Jungenpflege zunächst die Straßenbäume bevorzugten und den Wald als Nahrungsquelle erst in Anspruch nahmen, als mit dem fortgeschritteneren Wachstum der Jungen auch deren Nahrungsbedarf ein größerer geworden war und die bisher fleißig abgesuchten Straßenbäume anscheinend nicht mehr in der Lage waren, ihn restlos zu decken. In den verschiedenen Jahren traten darin auch mehr oder weniger deutliche Abweichungen ein, die wahrscheinlich auf einen wechselnden Insektenreichtum der Straßenbäume zurückzuführen sind. Nur im Walde, die wenigen Fälle, in denen er auch einmal auf Alleebäumen zu Gaste ging, ändern an dem Bilde nichts, sammelte der Kleiber die Nahrung, wobei er freie Feldflächen von 100–500 Meter überflog. Im Gegensatz zu ihm schien dagegen wieder der Baumläufer den Obstbäumen an der Straße den Vorzug zu geben; bei den allerdings etwas spärlichen Beobachtungen 1919 an der Rochlitzer Bergstraße, die aber durch ähnliche in Westsachsen und in der Oberlausitz ergänzt werden, sah ich unsere Art nur Alleebäume absuchen, nie aber auch einmal das freie Feld in der Richtung des Waldes überfliegen. Ebenso entnahm auch der Gartenrotschwanz seinen Nahrungsbedarf in erster Linie den Straßenbäumen und verlegte die Jagdgefilde erst dann in den Wald, als ihm die Straßenbäume nicht mehr die nötigen Nahrungsmengen zu liefern im Stande zu sein schienen. Darauf deutet ganz besonders die 1913 gemachte Beobachtung eines Pärchens, das zunächst auf den der Bruthöhle am nächsten gelegenen Bäumen die Nahrung sammelte, dann sein[27] Jagdgebiet immer mehr auch auf die entfernteren ausdehnte und schließlich kurz vor dem Flüggewerden der Jungen fast nur noch im Walde die Nahrung suchte. Eine überaus große insektenvertilgende Tätigkeit entfaltete auch der sonst so lästige Feldsperling, dessen zur Brutzeit hier erlangte Bedeutung in der Lage ist, einen Teil seiner sonstigen Untugenden aufzuheben. Ich sah ihn ausschließlich die Nahrung auf den Straßenbäumen einsammeln und ihn dabei eine Tätigkeit entfalten, die kaum der emsiger Meisen nachstand. Mehr als die anderen Vogelarten berücksichtigte er dabei die unmittelbarste Umgebung des Nistortes und sammelte auf deren Bäumen die Nahrung für seine Brut. Nie sah ich ihn das freie Feld nach dem Walde zu überfliegen, und nie auch andere, als tierische Nahrung herbeibringen. Im Gegensatz zu ihm deckte der Star seinen Nahrungsbedarf ausschließlich im Walde – das gelegentliche Zugastegehen auch auf einem Obstbaum ist kaum der Erwähnung wert –, und überflog dabei das freie Feld auf meistens recht weite Entfernungen. – Zusammenfassend, möchte ich inbezug auf die Insektenvertilgung in den Obstalleen durch deren höhlenbrütende Gäste den Meisen, die ja auch die häufigsten und regelmäßigsten Bewohner sind, die größte Bedeutung zusprechen und ihnen den meistens ja gleichfalls häufigen Gartenrotschwanz an die Seite stellen. Auch der Baumläufer wird überall dort, wo er sich als Brutvogel häufiger einstellt, eine hinter den Meisen kaum zurückbleibende Tätigkeit zu entfalten in der Lage sein. Des Feldsperlings Bedeutung endlich, die ihm in der Zeit der Jungenpflege wenigstens ohne Zweifel zukommt, vermag, wie schon gesagt, manche seiner sonstigen Untugenden abzuschwächen, dürfte aber kaum genügen, alle seine vielen Schwächen ganz auszugleichen.

Abb. 7 Haubenmeise vor der Nisthöhle

Äußert sich die insektenvertilgende Tätigkeit der hier erwähnten höhlenbrütenden Straßenvögel nun aber auch in einer praktisch ins Gewicht fallenden Weise? Ich glaube diese Frage, die ich aber nur ungern stelle, weil mir die Verknüpfung von Vogelschutz und Nützlichkeitsstandpunkt im allgemeinen wenig sympathisch ist, ohne die wir aber nicht auskommen können, wenn wir der großen Masse den Vogelschutz begreiflich machen wollen, entschieden bejahen zu müssen. In der von meinen Knabenjahren an bis in das späte Jünglingsalter hinein fallenden Zeit, in der an der Rochlitzer Bergstraße die Zahl der hier nistenden[28] Höhlenbrüter eine nur kleine war, war auch das Insektenleben der Bäume ein viel größeres. Wenn der Straßenwärter die Allee mit der Baumschere durchgegangen war, lagen die herausgeschnittenen Raupennester zu Tausenden am Boden. Dieser Reichtum an Insekten – es handelt sich dabei ja auch vorwiegend um schädliche Arten, die ohne allen Zweifel den Obstertrag gemindert hätten –, ließ aber sofort nach, als mit dem Aufhängen von Nistkästen die Wirkungen dieser Maßregel in einer größeren Zahl der die Straße bewohnenden Vögel sich äußerten, und die Menge der Raupennester, die heute noch von dem Wärter der Straße entfernt werden muß, bildet nur noch einen verschwindend kleinen Bruchteil der früher beseitigten. Es ist das eine Erscheinung, die nicht etwa nur von mir beobachtet worden, sondern auch anderen schon aufgefallen ist und die ganz besonders der die Straße betreuende Wärter empfindet. Eins verdient dabei noch Beachtung, nämlich der geringe Einfluß, den die Vogelwelt des an die Straße angrenzenden oder doch in ihrer Nähe bleibenden Waldes auf das Insektenleben der letzteren auszuüben scheint. Wäre er ein größerer, so hätte er sich ja damals schon anders äußern müssen, als infolge der geringeren Zahl der Straßenvögel der Insektenreichtum der Allee ein noch größerer war. Es ergibt sich aus dieser Erscheinung daher wohl auch die für den praktischen Vogelschutz recht beachtenswerte Folgerung, daß zu einer wirksamen Bekämpfung der Schädlinge in Obstalleen durch die Vogelwelt auch in vogelreichen Gegenden es unbedingt der Heranziehung eines den Alleen selbst eigenen Vogellebens bedarf. Möchten daher die Besitzer von Obstalleen – als solche kommen in erster Linie ja wohl der Staat und die verschiedenen Ortsgemeinden in Frage – diesem Umstande künftig auch Rechnung tragen und einmal durch das Aufhängen von Nistkästen, zum anderen aber durch die Duldung einzelner alter, höhlenreicher Bäume, die Vogelwelt dieser Alleen nach Möglichkeit zu vermehren trachten. Die darauf verwandten Kosten werden ja bald in einer Verminderung derjenigen für die Schädlingsbekämpfung auf der einen, in einer Erhöhung des Obstertrages aber auf der anderen Seite ihre Wirkungen zeigen. –

Meine Ausführungen beschließe ich mit einer Liste der von mir bisher festgestellten höhlenbrütenden Alleevögel und füge dabei den einzelnen Arten noch die Ergebnisse meiner bisherigen Feststellungen bei.

1. Gartenrotschwanz. – Verbreiteter und neben der Kohl- und der Blaumeise vielfach auch häufigster Alleevogel, der – den eingehenderen Rochlitzer Beobachtungen stehen noch solche aus Westsachsen und der Lausitz zur Seite – zur Zeit der Jungenpflege in den von ihm bewohnten Alleen eine überaus nützliche Tätigkeit entfaltet und selbst beim Vorhandensein reicherer Nahrungsquellen, wie sie ihm etwa ein naher Wald darbietet, den Nahrungsbedarf in erster Linie den Straßenbäumen selbst entnimmt. Wenn Hennicke (Handbuch des Vogelschutzes, S. 122) unsere Art als wirtschaftlich bedeutungslos bezeichnet, so bedarf diese Behauptung in Fällen, wie wir sie in unseren obigen Darlegungen kennen gelernt haben, doch zweifellos einer entsprechenden Richtigstellung.

2. Kohl- und 3. Blaumeise. – Die beiden häufigsten und wohl nirgends fehlenden Alleevögel überhaupt, die eine besonders nützliche Tätigkeit entfalten und noch wesentlich an Bedeutung gewinnen, weil sie in vielen, vielleicht gar in den[29] meisten Fällen mit ihren Bruten in dem Straßengebiet verbleiben, wenn andere hier genistete Arten andere Tummelplätze aufgesucht haben. – Es sei hier noch kurz auf die Rörigschen Untersuchungen über den Nahrungsbedarf unserer insektenfressenden Kleinvögel[3] verwiesen, nach denen beispielsweise ein Kohlmeisenpaar mit seiner Nachkommenschaft eines Jahres jährlich mindestens anderthalb Zentner Insekten als Nahrung verbraucht, um auch weiteren Kreisen ganz besonders nachdrücklich den hohen Wert dieser Vögel vor Augen zu führen.

[3] Arbeiten a. d. Biol. Anst. f. Land- u. Forstwirtschaft, Berlin. IV. Bd., Heft 1.

Abb. 8 Kleiber vor der Nisthöhle

4. Tannen-, 5. Sumpf- und 6. Haubenmeise. – Nur in der Nähe des Waldes und auch dann in der Regel sich nur vereinzelt einstellende Brutvögel, die zur Brutzeit in den von ihnen bewohnten Alleen eine zwar nicht minder große insektenvertilgende Tätigkeit wie ihre beiden vorgenannten Verwandten entfalten, aber nach Aufzucht ihrer Jungen wieder den Wald aufsuchen und die Alleen dann erst wieder vorübergehend zur Strichzeit besuchen.

7. Kleiber. – Ebenfalls wohl nur in der Nähe von Wald in den Obstalleen sich einstellender Brutvogel, der seinen Nahrungsbedarf aber weniger in diesen[30] selbst, sondern mehr im Walde decken dürfte, aber eine größere Bedeutung für die Alleen im Herbst und Winter erlangt, wo er sie öfters zum Zwecke der Nahrungssuche besucht.

8. Baumläufer. – Ein zwar verbreiteter, an Zahl aber wohl immer hinter Kohl- und Blaumeise zurückstehender Alleevogel, dessen Tätigkeit der der Meisen aber kaum nachstehen dürfte und der wie diese auch nach Beendigung des Brutgeschäfts noch in den Alleen angetroffen wird.

9. Weiße Bachstelze. – Verbreiteter, hier und da in Halbhöhlen der Bäume, häufiger aber unter Straßenunterführungen usw. nistender Vogel, dessen Tätigkeit infolge der Art seiner Nahrungsaufnahme für die von ihm bewohnten Straßen aber von keiner Bedeutung ist.

Abb. 9 Wendehals vor der Nisthöhle
Abb. 10 Großer Buntspecht vor der Nisthöhle

10. Feldsperling. – Ein ebenfalls häufiger Alleevogel, dessen sonst überwiegend schädliche Tätigkeit zur Brutzeit für die von ihm bewohnten Alleen zu einer recht nützlichen werden kann.

11. Star. – Ein zwar verbreiteter, nach meinen Erfahrungen aber doch mehr örtlich als Alleebewohner auftretender Vogel, dessen Bedeutung für die Alleen aber nur eine geringere sein dürfte, da er seinen Nahrungsbedarf – den oben wiedergegebenen Beobachtungen an der Rochlitzer Bergstraße stehen Erfahrungen auch von anderen Orten zur Seite – nicht in den von ihn bewohnten Alleen, sondern an Stellen in der Nachbarschaft deckt.

[31]

12. Grauer Fliegenfänger. – Mehr gelegentlich sich einstellender, Halbhöhlen beziehender Alleevogel.

13. Trauerfliegenfänger. – Gleich dem vorigen wohl auch nur mehr gelegentlicher in der Nähe von Laub- oder laubholzreichem Mischwald sich einstellender Alleevogel.

14. Großer Buntspecht. – In der Nähe von Wald einzeln sich einstellender Alleevogel, der für die von ihm bewohnten Alleen aber ohne größere wirtschaftliche Bedeutung ist, durch seine Höhlen aber für die Kleinvögel Nistgelegenheiten schafft. Neben ihm mag sich hier und da der von mir als Alleevogel allerdings noch nicht beobachtete Mittlere Buntspecht in dieser Eigenschaft einfinden.

15. Kleiner Buntspecht. – Von größerer Bedeutung als seine beiden eben genannten Vettern wird für die von ihm bewohnten Alleen der Kleine Buntspecht, der meisenähnlich vor allem die Bäume in der Nachbarschaft seiner Bruthöhle absucht und, sein Wesen auch nach der Brutzeit hier noch treibend, besonders winters über die von Insekten angegangenen Knospen ausklaubt.

16. Grünspecht. – In der Nähe von Wald hin und wieder sich einstellender Alleevogel ohne größere Bedeutung für sein Wohngebiet.

17. Wendehals. – Ein zwar häufig in Obstalleen sich einstellender, für diese aber, da er die Nahrung zu einem großen Teil am Boden einsammelt – bei einem Pärchen beobachtete ich ausschließlich diese Art der Nahrungssuche – wirtschaftlich nicht bedeutender Brutvogel. –

Nachdem in der vorstehenden Zusammenstellung vorwiegend die wirtschaftliche Bedeutung unserer Alleevögel betont worden ist, sei wenigstens am Schlusse kurz auch noch auf ihre ideellen, der wirtschaftlichen Bedeutung durchaus nicht nachstehenden Werte hingewiesen. Unsere Vogelwelt vor allem ist es ja, die in das mitunter große Einerlei vieler unserer Straßen erst den belebenden Ton trägt, und sie wird das in einer um so größeren Weise tun, je artenreicher und mannigfaltiger sie sich hier entfalten kann. Darum wollen wir uns auch über die Anwesenheit der Arten freuen, deren wirtschaftliche Bedeutung hinter der der anderen zurückbleibt.


Das Tännichttal im Tharandter Wald

Von Stadtbaurat Rieß, Freiberg

Aufnahmen von K. Reymann, Freiberg

Lange hatte während des Krieges und im bösen Jahr darauf mein treues Rad gerastet. Heute lacht so frisch der Sonnenstrahl des taufrischen Sommermorgens und lockt hinaus, daß ich nicht widerstehen kann.

Hinaus aus den alten Mauern und drückender Enge, hineinfliegen auf flüchtigem Rade in die blaue Sonnenwelt, als wäre ich ein Vogel mit jungen Schwingen, der sein Lied jubelnd zur strahlenden Höhe trägt. Die wuchtige Stadtmauer Alt-Freibergs mit ihren Türmen und der Graben mit seinen grünen Bäumen, das alte, mächtige Bollwerk des Donatsturmes gleiten an mir vorüber. Leb wohl, du alter, fester Kumpan mit deinem spitzen Kegeldach, heute treibt’s in die Ferne[32] mich mächtig hinaus. Und ihr Dohlen dort oben, die ihr dort flattert und schwebt, und mit hellem Rufe freudig im Schwarme in dem blauen Äther euch schwingt, heute neide ich euch nicht, heute bin ich selbst ein freier, wilder Vogel! Meine Seele ist ein Vogel, der über allen Tiefen schwebt und tief das Glück eines freien Sonnentages spürt. – Die Straße ins Muldental hinab fliegt das Rad, daß ein Jauchzen aus der Brust wie ein lachender, springender Brunnen emporsteigt. Halli und Hallo! Die Sommerwelt ist mein, die rechts und links an mir vorüberstürmt, die grünen Hänge, die saftigen Wiesen, und dort der rauschende Fluß im tiefen Grunde, mit seinen weißen Schaumflocken auf dunklem, sprudelndem Wasser, die Heimat ist mein, denn meine Seele ist ihr offen, sie ist mein, denn sie gibt sich mir, weil ihrem Zauber sich meine Seele gibt.

Jenseits geht es steil bergauf. Steinig und heiß ist der Pfad, das Geröll rutscht unter dem Fuß und die glimmerblinkenden Gneisplatten flimmern wie Silber. Rötlich blüht schon das Heidekraut in dichten Polstern am Wege. Auf der Höhe schöpft die Brust tief Atem und dann wandern die Augen hinab ins tiefe Tal und dort nach den Höhen, wo die Halden und Bergwerke, Alt-Freibergs Wahrzeichen und Hünenmale des Bergbaues, sich türmen, und weit in die blaue Ferne, wo die duftigen Linien der Berge in unendlicher Zartheit sich am Horizonte dehnen. Doch nun wieder vorwärts, dem Walde entgegen, in dessen grünem Meere ich untertauchen will. Über breitem Höhenrücken geht die Fahrt. Die Felder reifen der Ernte entgegen. Wie lange noch, dann klingt die Sense und die Pracht sinkt vor dem Schnitter dahin. – Hast du Frucht gebracht? – –

Die Vogelbeerbäume schmücken sich schon mit roten Beeren. Wie lange noch, und die Drosseln ziehen, die Beeren fallen und liegen wie Blutstropfen am Straßenrande, und dann schnaubt der Schnee in mächtigen Wehen und Wirbeln gleich wilden, weißen Rossen über die Felder und hinter ihnen der eisige Ost mit scharfen Peitschenschlägen. – Wohl dem, der eine Heimat hat! – Doch heute weht ein süßer Duft wie Honig herüber. Ein blühendes Kleefeld strömt des Sommers ganze Lieblichkeit in Duft und Farbe in die blaue Luft. Ich steige vom Rade und lausche dem Liede des glühenden, blühenden Klees. Millionen von Bienen und anderen Insekten singen und summen in dem purpurnen Blütenmeer ihr Lebenslied, und taumeln von Kelch zu Kelch. Schwer und wonnig steigt der Duft des Feldes empor und ich trinke ihn mit tiefen Zügen, als wäre es ein alter, köstlicher Wein. Ein purpurner Teppich aus Duft und Licht, Farbe und Leben gewoben, auf dem nur die Sonnenstrahlen mit leichten, schwebenden Füßen dahingleiten dürfen. Ein Teppich, wie ein dunkler, purpurner Orgelton, den der Sommerwind leise dahinträgt, daß die Herzen stille werden. Als ob das heilige Herz der Mutter Erde unter ihnen schlägt, so geht geheimnisvolles Leben durch die Millionen Blütenköpfe. – O, du Heimatflur! – –

Dort drüben grüßt das grüne Meer des Tharandter Waldes. Mein Rad fliegt wie ein Vogel hinab ins Bobritzschtal. Sanfter sind die Hänge hier als im Muldentale. Malerische Höfe und Häuschen klimmen auf und ab, drängen sich am Bach und drücken sich in die Talwinkel. Naundorf ist es, dessen Kirchturm auf der Höhe wie ein Hirte über seine Herde wacht. Die Straße führt talaufwärts,[33] am Bach entlang. Die Wellen hüpfen mit Murmeln und Plaudern über die runden Steine, und flinke Forellen schießen blitzschnell daher. Einst war dieser köstliche Fisch so häufig hier, wie ein altes Naundorfer Kind erzählt, daß für wenige Groschen eine ganze Schüssel voll im Fuhrmannsgasthof an der Straße geliefert wurde. Die zahlreichen Gänse, Enten und Hühner auf der Straße sind dem Rade nicht gewogen. Mit Flattern, Fauchen und Geschrei entrüsten sie sich oder suchen durch ängstliches hin und her laufen dem allzuraschen gefürchteten Feinde zu entkommen. Heil uns, daß wir ohne unfreiwillige Tötung eines »Rassehuhnes« – überfahrene Hühner sind immer »Rassehühner« – am Ausgange des Dorfes anlangen. Dort macht die Bobritzsch eine starke Krümmung, fast im rechten Winkel. Ein stattlicher Hof liegt im Winkel und mächtige alte Bäume beschatten den Platz. Dort mündet der Colmnitzbach, und eine Brücke führt über die Bobritzsch, von der aus du in das Strudeln der klaren Wasser hinabschauen und die ganze Lieblichkeit dieses stillen Winkels mit seinem Wasserrauschen und Vogelsang unter grünem Blätterdach empfinden kannst. Wie Sonntag, durch den leise der Harfenton der Andacht klingt, liegt es immer hier unter sonnenstrahlendurchflochtener Laubkuppel. –

Auf schmalem Wege über dem Wiesengrunde des Colmnitzbaches geht es aufwärts. Wie ein leuchtend grüner Teppich ist der Grund zwischen die Hänge eingespannt. Doch bald verwehren uns hohe, dichte Hecken den Blick auf diese grüne Herrlichkeit. Zwei Höfe am Hange liegen vor uns, die Gippenhäuser. Eine bleiche Dame sitzt am Wiesenrande, ein Kind spielt in der Nähe. Sommerfrischler! Ja, hier könnt ihr gesunden und wie Joseph Viktor von Scheffel, der leider Halbvergessene und doch so echt deutsche Mann, in seinen Bergpsalmen singen und sagen:

»Du hast eine Ruhe, ein Obdach gefunden,
Hier magst du gesunden,
Hier magst du die ehrlich empfangenen Wunden
Ausheilen in friedsamer Stille.«

Zwischen duftendem, rauschendem Wald und saftgrüner, blumiger Wiese, in der die Margareten mit weißen Sternen leuchten, fern vom Staub der Straßen der Welt, den Blick auf sanft geschwungene edle Höhenlinien, abgeschlossen doch nicht eingeschlossen, so recht ein Ort friedsamer Stille! –

Nun tauchen wir ein in den herrlichen Wald, dies grüne Kleinod zwischen Freiberg und Dresden, den Tharandter Wald. Wie viele Stunden tiefster Freude danke ich dir, du deutscher Wald, und deinen stillen Wundern.

»Wer einmal diesen Jungbrunn’ fand,
Der schöpft aus keinem andern!
Denn das ist deutschen Waldes Kraft,
Daß er kein Siechtum leidet,
Und alles, was gebrestenhaft,
Aus Leib und Seele scheidet.
Daß ich wieder singen und jauchzen kann,
Daß alle Lieder geraten,
Verdank ich nur dem Streifen im Tann,
Den stillen Hochwaldpfaden.«

(Scheffel, Aventiure.)

[34]

Solch ein stiller Hochwaldpfad, über den die knorrigen Wurzeln laufen, führt mich in die harzduftige, grüne Tiefe, und ein Singen und Jauchzen geht mir durch die Seele, doch es schweigen meine Lippen und leise ist mein Gang. Nur ab und zu knistern die Nadeln oder ein Ästlein unter den Reifen des Rades, welches ich führe.

»Willst du dein Herz mir schenken, so fang’ es heimlich an,« das gilt auch vom Walde, dessen Seele man nur findet, wenn leise unsre Seele sich an seine schmiegt. Dann öffnen sich uns seine grüngoldnen Augen und schauen uns an voll unergründlicher Tiefe, dann spricht sein Mund im geheimnisvollen Raunen, und wir hören im stundenlangen leisen Wipfelrauschen wie des Waldes Seele mit uns spricht und ihre Wunder uns offenbart. Dann darfst du nur lauschen, schauen und vergessen, was draußen ist. Was er dir zeigt und sagt, was er deiner Seele gibt, das wird dich reich und froh machen. Der Wald ist dein geworden, weil er dir seine tiefsten Geheimnisse gab und du seiner wundersamen Kräfte kund wurdest.

Eine im Sonnenschein flimmernde Blöße öffnet sich. Ein kräftiger, warmer Harzduft steigt empor und füllt die Brust, als sollten die Lungen besonders in Waldeskraft gebadet werden! Die Grillen zirpen ihr heißes Sonnenlied und über den Halmen und den Spitzen der Schonung zittert die Luft, als wäre sie durch das schwirrende, unendliche Grillenlied zum Schwingen gebracht. Ein Blick in die Weite auf blauferne Höhenlinien, dann ein dunkler, grüner, kurzer Waldpfad, und plötzlich gibt es mir einen Riß durch die Seele. Wie eine ungeheure rote, offene Wunde in der Felsenflanke des Berghanges liegt es vor mir, von rauher, rücksichtsloser Hand geschlagen, dort eine Schutthalde von kleingeschlagenem Porphyrgestein, das aus dem Abhange herausgeschlagen und gesprengt ist. Hier hatte ein Steinbrecher mit gierigen Zähnen gearbeitet. Und weiter strecken sich Schienen eines Bahnneubaues, der sich mitten durch eine Felsengruppe voll malerischer Wucht eine klaffende Lücke gebrochen hat. Bitterkeit steigt dir auf, daß Schönheit und Friede nicht mehr heilig sind, sondern wehrlos der Rücksichtslosigkeit und ehernen Notwendigkeit unterliegen müssen! Schillers Nänie klingt schmerzvoll durch die Seele:

»Auch das Schöne muß sterben.
Siehe, da weinen die Götter,
Es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht,
Daß das Vollkommene stirbt.«

Doch wie zum Troste senkt sich der Blick rechts durch Stämme und über schwankende Wipfel hinab in einen Talgrund, der noch wie ein stilles Märchenland des Friedens und der Schönheit grün heraufleuchtet. Es ist das Tännichttal. Das Tännichttal, um dessen Schönheit, Poesie und ungestörten Frieden der Heimatschutz im letzten Augenblick sich mühte und den Weg der Rettung fand. Der Bahnbau war leider unvermeidlich und wurde mit leidlicher Schonung und Anpassung an den Waldabhang gelegt. Daß er, wenn jetzt auch die Wunden noch bluten, mehr und mehr im Laufe der Jahre verschwinden und in das Bild sich einordnen wird, dafür wird der Wald selbst schon sorgen und seine Wunderkraft heilend offenbaren, wenn Flechten und Moose, Heidekraut und Ginster, Gras und Waldkräuter, Birken und schließlich die ragenden Stämme des Hochwaldes sich das Werk des Ingenieurs[36] zu eigen machen. Doch Schlimmeres als der Bahnbau sollte dem Tännichttale geschehen. Steinbrüche sollten angelegt werden, welche Wunde auf Wunde tiefer und tiefer geschlagen hätten und die grünen Hänge zerstört und mit dem Rasseln und Stöhnen, dem Lärmen und Kreischen der Maschinen die selige Waldesstille, die Vögel und das Wild des Waldes vertrieben und diesem lieben Märchenwinkel völlige Vernichtung gebracht hätten. Eine Schwebebahn mit hohen Bockgerüsten sollte das Tal überqueren. Das Rollen und Rütteln der Wagen und Schienen und das Knirschen der Steinbrecher, sowie die ganze lärmende Industriearbeit sollten die tiefmelodischen Stimmen der wilden Tauben, des Pirols Flötenrufe und der Finken schmetternden Schlag für immer verstummen lassen. Die malerischen Felsklippen, die wie Türme und Mauern aus den grünen Wipfeln des Waldes emporsteigen, sollten von dem Moloch des Industrialismus gefressen werden!

Abb. 1 Tännichttal

Nicht mehr als alles wäre dadurch dem Tale genommen worden! Doch stolz und freudig darf der Heimatschutz seines Erfolges denken: Diese Gefahr ist gebannt durch seine Bemühungen und die dankbar zu rühmende verständnisvolle Förderung des Finanzministeriums, welches in letzter Stunde die Genehmigung der Steinbruchanlage versagte. Doch wir blicken jetzt mit frohem, innerem Glücksgefühl ins Tännichttal hinab, wie es uns nun erhalten bleiben soll und noch viele stille Wanderer entzücken wird. Dort unten blitzen die Wellen des Colmnitzbaches aus dem Smaragdgrün des Wiesenbodens herauf. Er kommt weit von draußen her, aus der waldarmen Gegend, um hier zwischen Wald und Felsen seines Daseins schönste Strecke zu durchlaufen. Wie die andern Bäche der Freiberger Gegend hat er sich schon draußen ein tiefes Bett gegraben und windet sich in vielen Krümmungen durch die hügelige Landschaft. Die begleitenden Höhenkuppen des Gneismassivs von breitgelagerter, rundlicher Art, welche mit ihren langen, schöngeschwungenen Linien ungeheuren Wogen gleichen, haben an der Quelle rund 500 Meter, an der Mündung in die Bobritzsch rund 400 Meter Höhe. Draußen im freien Lande haben sich im Colmnitzbachtal in der langgestreckten, dem Wasserlaufe folgenden Siedelungsweise des Kolonistendorfes die Dörfer Pretzschendorf, Ober- und Niedercolmnitz angesiedelt. Ihre Wiesen und Felder mit ihren besonderen Reizen von Saat, Ernte und Wiesenduft geben der ganzen weiten Gegend draußen einen ausgesprochen landwirtschaftlichen Charakter, aber auch mit ihrer ausgesprochenen Kahlheit, welche außer den Bäumen an den Straßen, am murmelnden Bach und in den Gärten des Dorfes kaum einen Baum duldet, der nur der Schönheit nicht aber besonders dem Nutzen dient. Fünf Sechstel seines Laufes hat so der Colmnitzbach kahles Gelände durchströmt, bis er hier im waldigen, engen, malerischen Tännichttal sich heimfindet zu Bergeshang mit dunklen Fichten, zu Wiesengründen mit leuchtendem Grün. Der schluchtartige Charakter dieses Tales mit seinen steilen bewaldeten Abhängen, im Gegensatz zu den sanfteren Hügelwogen des freien Landes, ist überraschend und gibt malerische Bilder, gleichviel ob man von oben hineinschaut in die saftigen Gründe einer stillen, smaragdnen Märchenwelt, oder ob man von unten zu den Höhen hinaufschaut, die mit ihren Wänden einzelne Kessel abschließen und bei einer neuen Krümmung neue Bilder friedsamer Stille öffnen. Der Talboden hat nur fünfzig bis sechzig Meter Breite. Die anschließenden steilen[37] Hänge steigen rund hundert Meter auf, zum Teil mit hohen Felswänden, Zacken und ragenden roten Porphyrklippen, die wie zinnengekrönte Burgmauern aufsteigen. Dieser schluchtartige Charakter des Tales im Gegensatze zur breiten Landschaft draußen, ist das Ergebnis urgewaltiger Kräfte aus der Werdezeit unserer Erde, und insofern ein Naturdenkmal von besonderer Bedeutung für die Freiberger Gegend.

Abb. 2 Blick auf die Felsenklippen der Diebskammer vom Tännichttal aus

Das flachgeschichtete, im Laufe der Jahrmillionen rundlich abgeschliffene Urgebirge des Gneises der Freiberger Landschaft ist hier mit ungeheurer vulkanischer Gewalt von Porphyr durchbrochen. Durch dieses harte Porphyrmassiv hat sich der Bach hindurchgenagt und die schmale Talenge hineingefressen. Dort drüben, mitten in dieser malerischen Talenge, an ihrem schönsten Punkte, ragen die zackigen Spitzen und Kämme der gewaltigen roten Porphyrklippen in den blauen Himmel vom grünen Waldhange empor, die Diebskammer. Diese Felsgruppe ist die Krönung der Schönheit des ganzen Tales, das urgewaltige, zu Stein erstarrte Denkmal gigantischer Naturkräfte. Wir stellen das Rad in das Dickicht und klettern näher heran durch Fichtengezweig und Ginstergestrüpp, die trotzigen Zacken zu betrachten. Da sehen wir und erleben es fast an der eigenartigen Faltung und Schichtung der Gesteinsformationen, wie einst in ungeheuren Wehen und Ringen lebendiger Kräfte[38] die Massen emporstiegen, sich zusammenpreßten und neigten, sich kristallisierten und zu besonderer Lagerung und Schichtung versteinten.

Das Tännichttal streicht von Osten nach Westen. Die Strahlen der Morgensonne und das rote Licht des untergehenden Tagesgestirns läßt die roten Klippen in feuriger Glut aufleuchten, als wären sie von innerem Feuer durchglutet und wollten zu neuem vulkanischen Leben erwachen. Ein Naturdenkmal ist dieses Tal mit seiner Felsengruppe, das im geologischen Anschauungsunterricht für jedermann in unserer Zeit der Volkshochschulen von der Natur selbst unübertrefflich dargeboten ist und zu uns redet vom Werden unserer Erde, Heimat und Landschaft mit deutlicherer Zunge als Bücher, die das Volk nicht liest, als Gelehrte, die das Volk nicht hört, als Weisheit, die in den Hörsälen oder bei den Spezialisten bleibt. Es ist ein Dienst an der deutschen Seele, wenn der Heimatschutz für diese Werte der deutschen Natur und Heimat kämpft, ein Kampf für die deutsche Seele und ihre Rechte an der Heimat, ein Kampf für die Seele der Heimat gegen kalte, harte Seelenlosigkeit der Ausbeutung. Das Volk hat ein Recht darauf, daß diese Naturdenkmäler, die Eigenart und besondere Schönheit der Heimat geschützt und ihm und der Nachwelt ungeschmälert erhalten bleiben, und nicht der Ausbeutung einiger Kapitalisten überlassen werden. Das, was der Allgemeinheit und der Heimat dienen kann und im höchsten Sinne zur geistigen und seelischen Förderung dient, darf niemals Ware, darf niemals käuflich sein, darf niemals nur dem Interesse eines Einzelnen um materiellen Gewinnes willen ausgeliefert werden, sondern muß unbedingt als Besitz der Allgemeinheit als ein Denkmal gehütet und gepflegt werden.

Solches unverletzliches, der Allgemeinheit, dem Volke gehöriges Naturdenkmal wird auch diese Felsengruppe mit dem ganzen Tale sein und bleiben, bei dessen Anblick und sinnender Betrachtung Tausenden das Herz aufgehen muß für die Schönheit der Heimat und das Verständnis und die Freude wachsen soll an ihrer Seele, an ihrem Leben, Sein und Werden. Freibergs Umgebung ist nicht reich an solchen Punkten, wo Wissenschaft und beseelte Schönheit sich in gleicher Weise vereinen, um den Ort reizvoll zu machen, und wo als Drittes noch die Sage hinzukommt, um mit den krausen Ranken der Phantasie und der Erinnerung den Ort geheimnisvoll zu schmücken. Der Lips-Tullian-Felsen dort drüben im Tale ist in unmittelbarer Nähe, der Felsen, wo der große Räuber einst hauste. Auch die Diebskammer hier mag ihm und seinen dunklen Zwecken gedient haben. Die echte Räuberromantik spinnt ihre bunten Fäden um die zackigen Zinnen dieser Räuberburg, die bald wie Blut, bald wie Gold in der Sonne leuchten, bald wie von Rauch geschwärzt und Krähen umflogen im Schatten liegen. Lips-Tullian, den jeder im Freiberger Bezirke kennt, denn im mittelalterlichen, grausigen unterirdischen Gefängnisse des Freiberger Rathauses, wo auch Kunz von Kauffungen schmachtete, mußte er 1715 sein Todesurteil erwarten. Seine in den Felsen gehauene Zelle, Ketten und Handschellen werden heute noch gezeigt.

Was das Wandern im Thüringer Land so unvergleichlich genußreich und poetisch macht, ist, daß überall die Gestalten der Sage und Geschichte, von Poesie und Märchen mit uns wandern und das, was wir schauen, verklären. Sachsen ist nicht reich an solchen Stätten, aus denen uns Sage oder Märchen mit verträumten[39] Augen anschaut und die Romantik uns grüßt. Sorgfältig müssen wir die wenigen Stätten solcher Romantik schonen, und wäre es auch nur Räuberromantik, und müssen wir pflegen, was durch die Phantasie und die Erinnerung des Volkes sein besonderes Gepräge, seine besondere Weihe erhielt. Das Gedenken des Volkes schafft erst die rechten Denkmäler. Hängt sich dieses Gedenken an eine besondere Örtlichkeit, so erhält diese die Denkmalsweihe. Wie gesund und wie tief hat hier doch das Volk empfunden, daß es hier dem Orte noch diese besondere geheimnisvolle, geistige Denkmalsweihe der Phantasie gab, der durch seine landschaftliche Schönheit und seine wissenschaftliche Bedeutung schon seine Weihe als Naturdenkmal in sich trägt. – Von einem ehrwürdigen Freunde des Heimatschutzes, der hier vor sechzig und siebzig Jahren jung war, liegt ein Brief vor, aus dem diese Romantik herausklingt wie das Rauschen von Bach und Bäumen, und die leisen, wehmütigen Töne des Liedes: »Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit klingt ein Lied mir immerdar.« Er schreibt:

Abb. 3 Diebskammer im Tännichttal bei Naundorf, Bezirk Freiberg

»An dieses liebliche Stückchen Erde, im besonderen an die über der »Diebskammer« sich aufbauenden Felsenpartien knüpfen sich für mich die angenehmsten Erinnerungen aus meiner Jugend. Als Naundorfer Pfarrerssohn habe ich dort von meiner Tertianerzeit an bis in meine ersten akademischen Semester (1855–1861), in welch’ letzterem Jahre nach des Vaters Tode unsere[40] Familie den Ort verlassen mußte, in den Ferienzeiten zahlreiche glückliche Stunden verlebt. Mit Hilfe eines mir befreundeten jungen, für Romantik empfänglichen Lehrers hatte ich hier in etwa halber Höhe des Felsens ein Plätzchen für längeren Aufenthalt hergerichtet, einen Felsblock als Tisch, einen anderen moosbedeckten als Sessel, und in diese durch keine Straße gestörte Weltabgeschiedenheit flüchtete ich mich so oft wie möglich mit meinen Freunden aus dem altklassischen Altertume, Homer, Sophokles, Horaz usw. oder mit unseren deutschen Dichterheroen. Hier beschäftigte ich mich mit ersten poetischen (richtiger wohl »gereimten«) Versuchen, übersetzte ich in das Deutsche einen Teil von Ovids Metamorphosen, und ich hatte immer die Empfindung, daß mir hier alles leichter vonstatten ging. Auch verträumte ich manche Stunde unter dem Rauschen der Tannen, dem Gesange der damals noch zahlreichen Vogelwelt, unter dem Murmeln des zwischen saftig grünen Wiesen durch den Grund fließenden, kristallhellen, von Forellen und Krebsen dicht bevölkerten Colmnitzbaches. Der Felsen senkte sich winkelförmig in die Erde und schien in eine Höhle zu führen, die von Steinen verschüttet war, in deren Geheimnis ich aber nie eingedrungen bin. Ob der berüchtigte, 1715 in Dresden hingerichtete Lips Tullian auch hier sein Wesen getrieben hat, weiß ich nicht, wäre aber bei der versteckten Lage der Diebskammer nicht unmöglich. Es wurde zu meiner Zeit von diesem Tale nur mit einer gewissen Scheu von den Dorfbewohnern gesprochen. Ich habe seiner Zeit bei den Freiberger allgemeinen Gymnasialspaziergängen, die gewöhnlich über Niederbobritzsch nach Naundorf führten, nie versäumt, meine Freunde an diesen meinen Lieblingsort zu führen, ihn auch später ab und zu aufgesucht.«

O Klang der Jugendromantik und deutscher Träumerei aus diesem Tal heraus, der wie von fernen süßen Glocken noch durch das Greisenalter tönt! –

Und diese Felsen, dieser Ort, die so noch klingen und Tausenden noch klingen werden, sollten dem Steinknacker ausgeliefert werden!? Damit einige geschickte Geschäftsleute gute Geschäfte machten, sollten die Felsen zu Straßenschotter verarbeitet werden und allmählich der Meißel sich hineinfressen in die Talwände, bis alles weggefressen ist, was an Schönheit und höheren Werten Tausenden zur Freude und Erquickung diente!?

Wir freuen uns mit dankbarem Herzen, daß diese Gefahr gebannt ist und schauen mit besonderer Liebe der stillen Stätte des Friedens in die tiefen Augen und versenken uns ganz in die Stimmung der Einsamkeit, des Alleinseins, Geborgenseins vor dem Tosen und Staub der Welt dort draußen.

»Selig, wer im stillen Lauschen
Einsam hier die Waldrast hält,
Wer beim flüsternd milden Rauschen
Das Getös vergißt der Welt.«

(Scheffel.)

Langsam steigen wir nun die Straße ins Tal hinab. Hier ist es zu schön, um auf dem Rade vorbeizufliegen, hier möchte man weilen und träumen, und warten, ob nicht irgend ein liebliches Wunder geschehen möchte, daß drüben aus dem Waldesdunkel die Elfen auf die leuchtende Wiese schweben oder daß die Elfenkönigin[42] auf schlankem weißen Reh aus dem Dickicht kommt, an dir vorüberstreift und aus wundersamen Märchenaugen dir tief in die Seele schaut.

Abb. 4 Felsen im Tännichttal bei Naundorf

Dort steht der Fels wie ein Wächter am Wege, dicht am Bach, wo die Brücke in die Wiese führt. Will er hüten, daß kein Unberufener, kein Feind hier eindringe? Ist er der Riegel, der die Welt und den Lärm abschließt vom stillen Lande der Poesie?

Den Wipfel hoch die Tanne hebt,
Im Winde schwankt die Birke,
Und Gottes goldne Sonne schwebt
Still über dem Bezirke.
Ein harziges Gedüfte
Durchwogt die warmen Lüfte.

(Scheffel.)

Wie ein silberner Steg für überirdische Füße schimmert der Bach im Grün und windet sich durch die saftige Aue, als wollte er diese Stätte nicht verlassen, sondern immer noch einmal umkehren und bleiben. Einzelne Baumgruppen von herrlicher Gestalt stehen hier und da mitten in der Wiese, und im weichen Dufte dämmern die fernen Abhänge des Tales.

Dann fliegt unser Blick noch einmal hinauf zu den Felsschroffen, die dort oben rot in der Sonne leuchten, aus dem Waldesdunkel schimmernd emporsteigend. Wir schreiten weiter am Wiesengrund. Weiß glänzen die Stämme der Birken am Wege, und die Felsen entwickeln sich zu einer langen gewaltigen Mauer, die mit schroffen Seiten, scharfen Spitzen und Kanten nackt und kahl, nur mit dem bunten Gewande der Farbe bekleidet, aus dem Walde aufragt. Der Reichtum der Farben, der je nach Beleuchtung wechselt, je nachdem die Schatten der Wolken den Wald, die Wiese oder die ernsten Felsenstirnen streifen, gibt dem Bilde einen besonderen überraschenden Reiz. Wie ein tiefes, tiefes, weiches buntgesticktes Kissen ist die Wiese mit ihrem Duft und ihren Blumen, in das man sich hineinschmiegen möchte. Es plaudert der Bach an unserer Seite, und Birken und Erlen streuen ihren Schatten auf Weg und Wiese und flüstern im weichen Sommerwinde von den alten Geschichten, die hier geschehen. Denn dort drüben ragt aus dem Walde der Lips-Tullian-Felsen, der gar vieles erzählen könnte. Er ist aber ein rauher, schweigsamer Geselle, der seine Geheimnisse wohl hütet und das junge Volk der Pflanzen und Bäume raunen und flüstern läßt. In seine Felsenstirne zogen die Jahrhunderte und Jahrtausende ihre tiefen Runen. Was ist da Menschenleid und Menschentat, was sind da die Geschlechter der Menschen, die hier vorüberschritten, was ist da Jugend und Alter? Gras, das zu seinen Füßen wächst, Bäume, die an ihm wurzeln und abgehauen werden, wieder kommen und wieder vergehen in unendlicher Folge! Er schweigt und läßt die Sagen und Geschichten, welche aus Dickicht und Höhlen und Löchern hervorkriechen, wie Spukgestalten ihres Weges ziehen, schweben und zerflattern in Wind und Nebel und dem Rauschen des Waldes, daß niemand sie fassen kann, sondern nur ein unnennbares, unbestimmbares Grausen unheimlich um den Felsen schleicht.

Wir wandern weiter und nähern uns dem oberen Ausgange des Tales. Der Weg steigt wieder an und löst sich vom Talgrund. Unter schönen alten Fichten, aus dunklem Schatten hervor, blicken wir weit über die grünen Gründe, die im[43] Sonnenlichte flimmern, hinaus in die duftige Ferne, wo blauende Höhenzüge sich zart vom Himmel abzeichnen. Der Bach ist ein silberner Spiegel im Vordergrunde, in dem sich Wolken und Bäume spiegeln.

»Ich stehe in Waldesschatten
Wie an des Lebens Rand,
Die Länder wie dämmernde Matten,
Der Strom wie ein silbern Band.«

Ein langer Blick dann zurück in das stille Tal Eden, das wir nun verlassen, und es geht uns durch die Seele ein Klang der Sehnsucht:

»Du bist Orplid, mein Land,
Das ferne leuchtet!«

Bald treten wir aus dem Walde auf kahle Höhe mit weitem Fernblick, und dann fliegt das Rad hinab in das Dorf Colmnitz, dessen Höfe sich rechts und links von Bach und Straße, unter Eschen und Birken, oft in malerischer Lage und Gruppe siedeln. Doch wir sind noch wie im Traume. Wir achten nicht viel, nicht so wie sonst, auf jedes Haus und jede Gruppe von Bäumen und Bauten, auf jede Eigenheit der Bauart oder neckischer Laune. Wir sind im Leben draußen, aber unsere Seele weilt noch dort drüben im stillen Tale, wo die Welt schweigt, sie wandert noch auf dem silbernen Steg in den Elfenwiesen, an deren Rand die dunklen Fichten Märchen träumen und wo um die Felsen geheimnisvoll die Sage raunt.

Colmnitz liegt hinter uns. Von der Höhe schauen wir noch einmal lange über den weiten Acker, über das Dorf hinweg, das sich mit seinen Häusern fast versteckt und tief in das Tal duckt. Dort drüben liegt der Wald im blauen Dufte, dort drüben, das Tal, dort drüben – dort drüben –


»Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus!«
Abb. 5 Blick über Colmnitz nach dem Walde mit dem Tännichttal

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Gauernitz

Von A. Klengel, Meißen

Ein herrliches Stück Heimat zeigt sich dem Wanderer, der die neue Hochuferstraße von Niederwartha abwärts zieht oder an sonnigem Sommertage mit dem Elbdampfer an Gauernitz und Scharfenberg vorüberfährt. Zwei starke Gegensätze bieten sich hier seinem Auge. Hoch oben auf schroffem Berge liegen die Mauern der altersgrauen Feste Scharfenberg. Unten im Tale dagegen lugen die feingegliederten Renaissancegiebel des Schlosses Gauernitz zwischen den Baumriesen des Parkes hervor. Jedes kriegerischen Schutzes bar liegt das anmutige Schloß frei inmitten grüner Matten, dicht am Ufer des Elbstromes als ein Bild des Friedens. Es zeigt in seiner architektonischen Schönheit gar deutlich, daß es in einer späteren Zeit entstanden ist, die nichts mehr von den kriegerischen Drangsalen alter Tage wußte, die einst den trutzigen Nachbar auf steiler Bergeshöhe umbrausten.

Auf uraltem Kulturland stehen Schloß und Dorf Gauernitz. In der Umgebung aufgefundene vorgeschichtliche Überreste, so von einem in Sachsen äußerst seltenen sorbischen Skelettgrab neben der Gauernitzer Ziegelei, deuten darauf hin, daß die Landschaft spätestens in der Sorbenzeit besiedelt wurde. Auch der Name der Siedlung selbst läßt auf sorbische Gründung schließen. Er geht auf die Wurzel jawor, Ahorn, zurück und bezeichnet einen mit Ahornbäumen bestandenen Ort. Die Gestalt des Namens ist im Laufe der Jahrhunderte manchem Wechsel unterworfen gewesen. In Urkunden aus den Jahren 1312, 1348 und 1397 lautet er in seinen ältesten Formen Jauernycze und Jauernyk, 1402 Jauwirnicz, 1468 Yawirnicz, später Jevernitz und dann Gavertitz, Gäwernitz oder Gävernitz; die letzte Form blieb bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts erhalten und ist heute noch auf manchen Karten neben dem jetzigen Namen verzeichnet.

Alte Berichte nehmen an, daß das Schloß Gauernitz an der Stelle einer alten Sorbenburg stehe. Diese Vermutung ist jedoch urkundlich nicht zu belegen. Möglich ist es aber immerhin, daß nach der Rückeroberung des Landes die Germanen an dieser Stelle einen festen Waffenplatz, einen Vorläufer des heutigen Schlosses, angelegt haben. Diese Vermutung gewinnt dadurch noch an Wahrscheinlichkeit, daß Gauernitz an der Grenze der alten Gaue Nisani und Daleminza liegt, deren Grenze sich im Tale der Wilden Sau entlang zog, eines Baches, der bei Gauernitz in die Elbe mündet. Die älteste urkundliche Nachricht über Gauernitz stammt aus dem Jahre 1312. 1360 war es Meißner Burggrafenlehn; als damalige Lehensträger werden die Brüder Nikolaus Wyrand und Michael Ziegler genannt. Bis zum Jahre 1595 blieb Gauernitz, wenn auch mit kurzen Unterbrechungen, im Eigentum dieser Familie.

Die Ziegler stammten aus dem Goslarer Gau im Harz. Die Kunde vom Aufblühen des sächsischen Silberbergbaues hatte sie, gleich vielen andern Harzer Bergleuten, in unsere Heimat gelockt. Durch glückliche Funde im nahen Scharfenberger und im Freiberger Bergrevier zu Reichtum gekommen, waren sie bald im Besitze ansehnlicher Güter. Hochangesehene und fromme Männer sind aus diesem alten Geschlechte, das heute noch in der sächsischen Lausitz blüht, hervorgegangen.[45] Den Herren von Ziegler verdankt die Herrschaft Gauernitz ihre Entwickelung und Größe. Sie erwarben im 14. Jahrhundert u. a. Dorf und Vorwerk Constappel, welche früher zum Teil in das bischöfliche Gericht Briesnitz und zum Teil in das Dresdener Amt gehörten. Durch weitere Zukäufe vergrößerte sich der Besitz, so daß schließlich zu dem altschriftsässigen Rittergute erbgerichtlich die Dörfer Constappel, Pinkowitz und Kleinschönberg, sowie Teile von Pretzsch, Leuben und Weitzschen gehörten. Wygand, ein Sohn Wyrands von Ziegler, war zugleich Besitzer von Pillnitz.

Abb. 1 Schloß Gauernitz
(Aufnahme von Otto Ehrhardt, Coswig)

Im Jahre 1397 wurde zu Aller Seelen Ruhe eine Frühmesse in der dem heiligen Nikolaus geweihten Wallfahrtskirche zu Constappel gestiftet und von den »frumben Herren gesessen zu Gävernitz« konfirmiert. Wygand starb 1459 zu Gauernitz, wo sein Bruder bereits 1436 verstorben war. Beide ruhen in Constappel, wohin sie zu Ehren der Himmelskönigin viele Stiftungen gemacht hatten. Die Pfarrgründe wurden erweitert, »da sie gar viel auf die Pfaffen hielten«, wie der Chronist berichtet. An der Kirche zu Constappel sind noch die Grabplatten von Gliedern des alten Geschlechtes erhalten. Im Jahre 1517 verstarb Christoph von[46] Ziegler, der ein besonderer Freund Georgs des Bärtigen und dessen Amtmann zu Meißen war. Ein Epitaphium aus Messing im Dom zu Meißen erinnert noch an diesen Mann. Er war der letzte katholische Besitzer von Gauernitz; seine Söhne schlossen sich der lutherischen Lehre an. Fast will es scheinen, als ob damit das Glück aus der Familie gewichen wäre; Christophs Enkel schon konnte das stark verschuldete Erbe nicht mehr halten und war gezwungen, es 1595 an Kaspar von Pflugk aus dem Hause Zabeltitz zu veräußern.

Abb. 2 Blick auf die Gauernitzer Insel
(Aufnahme von Gustav Zieschang, Kaufbach bei Wilsdruff)

Bis 1648 gehörte Gauernitz den neuen Besitzern; in diesem Jahre brachte es Sophie von Zabeltitz dem Heinrich Gerhardt von Miltitz in die Ehe. Bei der Vermählung der Enkelin Johanna Magdalene war es wieder Heiratsgut und kam dadurch in die Familie der Grafen von Zinzendorf; der erste Besitzer war der sächsische Generalfeldzeugmeister Otto Christian Graf und Herr zu Zinzendorf auf Pottendorf, der 1718 starb.

Die Zinzendorfe haben außerordentlich viel für die Verschönerung und Verbesserung ihres prächtigen Herrensitzes Gauernitz getan. Noch ist die Schloßkapelle vorhanden, welche ihre Gründung einer Frühmesse derer von Ziegler zu danken hat. Sie war ursprünglich dem heiligen Andreas geweiht, wurde mehrmals ein Raub der Flammen und enthielt zur Zeit der Zinzendorfe einen Betsaal der Herrnhuter; wie bekannt, war ein Glied des jetzt erloschenen Stammes der Gründer der Herrnhuter Brüdergemeinde. Bedauerlich ist freilich, daß die Schloßkapelle[47] heute sehr weltlichen Zwecken dient; ihr unterer Teil enthält den Marstall, das Obergeschoß beherbergt Speicher- und Vorratsräume.

Der Bergbau, der den früheren Besitzern zu Reichtum verholfen hatte, wurde auch von den Zinzendorfen eifrig gefördert, liegt doch ein Teil der Scharfenberger Erzgänge auf Gauernitzer Land. In der Nähe der Gauernitzer Ziegelei wurde der »Jung Zinzendorfer Stolln« befahren. Auch der östlich davon nach der Elbe zu gelegene »Grüne Tannebaum-Stolln« scheint von den Zinzendorfen betrieben worden zu sein.

Abb. 3 Auf der Gauernitzer Insel
(Aufnahme von Gustav Zieschang, Kaufbach bei Wilsdruff)

Der heute noch vorhandene sehenswerte und wohlgepflegte Schloßpark ist um diese Zeit gegründet worden. Zu einer Berühmtheit brachten es aber zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts die Zinzendorfschen Obstkulturen, die Orangerie und die Lust- und Blumengärten, welche das Schloß umgaben. Die zeitgenössischen Berichte sind des Lobes voll über die Wunder, die es damals in Gauernitz zu sehen gab. Im Jahre 1717 wurden 260 verschiedene Obstsorten angebaut, und 1724 gab es in dem reichen Blumenflor allein 204 Nelkenarten. Wasserkünste, Gewächshäuser und Wintergärten im Geschmacke damaliger Zeit schlossen den Kreis der Gauernitzer Sehenswürdigkeiten.

Die Zinzendorfe pflegten aber nicht nur den Schloßpark, sondern ließen auch der idyllischen Gauernitzer Insel ihre besondere Obhut angedeihen. Sie hatte einst eine Länge von 1245 und eine Breite von 231 Ellen; ihre heutige Fläche beträgt 6,5 Hektar. In der Nähe flußabwärts befanden sich früher zwei heute nicht[48] mehr vorhandene Heger von 995 und 430 Ellen Länge. Die Insel wurde parkartig mit Laubholz bepflanzt und mit Gartenanlagen versehen, die leider oftmals das Hochwasser zerstörte, wie alte Nachrichten überliefern. Von der Inselmitte aus führten strahlenförmig sieben mit Linden bepflanzte Wege nach dem Gestade, und zwar so, daß man durch sie von der Mitte der Insel aus einen freien Durchblick auf sechs Kirchtürme und Schlösser in der Umgebung hatte (Schloß Gauernitz, Schloß Scharfenberg, Kirchturm von Brockwitz, Kirchturm von Weinböhla, Turm der alten Coswiger Kirche, Wackerbarths Ruhe). Heute sind einige Durchblicke durch Häuser verbaut, die Lindenalleen aber zum Teil noch erhalten. In der Mitte der Insel steht eine steinerne, mit zierlicher Bildhauerarbeit (Schlange und Blumengewinde) geschmückte Säule, die folgende Inschrift trägt: »Friedrich August Graf von Zinzendorf und Pottendorf seiner Gemahlin Luise Sophie Johanne, des Grafen Otto Rubmann Friedrich von Bylanck Tochter, geb. d. 9. Oktober 1754«. Die Säule war früher von steinernen Bänken umgeben, die im letzten Jahre – ein trauriges Zeichen unseres sittlichen Tiefstandes! – von Rohlingen zerstört und vernichtet worden sind.

Abb. 4 Auf der Gauernitzer Insel (Säule und Lindenallee)
(Aufnahme von Gustav Zieschang, Kaufbach bei Wilsdruff)

Auf der Insel wurden einst Fasanen gehegt, auch viele wilde Kaninchen wurden angetroffen, weshalb man das »Elbeiland« um die Mitte des vorigen Jahrhunderts auch die »Kaninchen-Insel« nannte. Die Überflutungsgefahr scheint[49] also doch nicht so groß gewesen zu sein, wie die Überlieferung behauptet, da sich die Tiere sonst nicht hätten halten können.

Abb. 5 Auf der Gauernitzer Insel (Gestade am linken Elbarm)
(Aufnahme von Gustav Zieschang, Kaufbach bei Wilsdruff)

Die Glanzzeit der Insel ging in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu Ende. Von einer Insel kann heute eigentlich nur noch bei höherem Wasserstande gesprochen werden. Dadurch, daß der rechte Elbarm durch einen bei Niedrigwasser begehbaren Steindamm verbaut ist, wird die Insel die größte Zeit im Jahre zur Halbinsel. Der rechte Elbarm ist eine tote Wasseransammlung geworden, die der zunehmenden Versandung und Verlandung preisgegeben ist. Die entstandenen[50] Wasserlachen sind heute leider berüchtigte Mückenbrutherde. Durch das Zusammendrängen der Wasserfluten in den linken Elbarm ist die Überschwemmungsgefahr für die Insel außerordentlich groß geworden. Durch diese Stromberichtigungen hat also die Insel sehr gelitten, sie ist nicht mehr das reizende Idyll von ehedem, wo eine Landung und ein Aufenthalt auf ihr einer kleinen Robinsonade gleichkam. Leicht zugängig, ist sie heute gar oft ein Tummelplatz von Rohlingen und Holzdieben.

Abb. 6 Verlandeter rechter Elbarm, von der Insel aus gesehen
(Aufnahme von Adolf Heckmann, Coswig)

Trotz der teilweisen Zerstörung ihrer ursprünglichen landschaftlichen Eigenart ist die Gauernitzer Elbinsel heute noch eine Perle unter den Naturschönheiten unserer Heimat, deren dauernde Erhaltung vom Standpunkte des Natur- und Heimatschutzes aus dringend erwünscht ist. Wem wäre noch nicht das Herz aufgegangen vor Freude über die Schönheit der Heimat, wenn er von einer Bergeshöhe in der Umgebung das malerische Schattenbild der baumbestandenen Insel im Abendsonnengold oder im Vollmondschein vom blinkenden Elbstrom sich abheben sah?!

Auch in wissenschaftlicher Hinsicht ist die Insel heute noch wertvoll. »Der Botaniker und Pflanzengeograph findet in ihrem Baum- und Strauchbestand sowie in der damit verbundenen Bodenflora Reste des ehemaligen Auenwaldes, der in der Vorzeit das ganze Elbtal bedeckte, heute aber nur noch an ganz wenigen Stellen vorhanden ist. Ein solcher Ort ist die Gauernitzer Insel; sie zeigt trotz[51] aller menschlichen Eingriffe den alten Elbauenwald in großer Ursprünglichkeit und wird dadurch zu einem botanischen Naturdenkmal ersten Ranges.« (Prof. Dr. Schorler.)

Die Insel ist weiter der Wohnplatz einer reichen Vogelwelt, die in den Frühlingstagen ihre Jubelstimmen von den hohen Baumriesen erschallen läßt und in den alten hohlen Bäumen noch ungestört ihre Brut hegen kann. Noch haben die Vögel eine Freistatt auf dem von Möwen umgaukelten Elbeiland.

Der Freund unserer schönen Heimat wird es deshalb dankbar begrüßen, daß durch die Bemühungen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz und durch das Entgegenkommen der Vertretung des jetzigen Besitzers der Herrschaft Gauernitz eine Vereinbarung zustande gekommen ist, nach der die ursprüngliche Eigenart der Insel, vor allem auch ihr landschaftliches Bild erhalten bleiben soll, trotzdem sich eine forstliche Nutzung des Inselwaldes erforderlich macht. Es ist ein hoher idealer Wert, der hier geschützt und geschont wird. Mögen auch materielle Opfer damit verbunden sein, der Besitzer ehrt sich selbst durch die Erhaltung dieses eigenartigen Naturdenkmals. Künftige Geschlechter werden ihm dankbar dafür sein, daß er die Ideale noch hochgehalten hat in unserer schweren Zeit, die uns so vieles raubte.

Weit vorgegriffen haben wir der Zeit in unserem Bericht über die Herrschaft Gauernitz. Bis 1804 blieb sie in den Händen der Zinzendorfe: in diesem Jahre ging sie mit allem Zubehör an den Oberforstmeister von Hopfgarten über. Nach seinem Tode geriet die Besitzung mit einer Schätzung auf 193 458 Taler 45/6 Groschen in Konkurs und wurde im Jahre 1819 vom Fürsten Otto Viktor von Schönburg-Waldenburg für 110 000 Taler erworben. Damit ging ein neuer Glücksstern auf für unser Gauernitz. Fast dreißig Jahre lang blieb freilich das Schloß noch unbewohnt. Erst als die Revolutionäre im Jahre 1848 das Residenzschloß in Waldenburg eingeäschert hatten, erwählte der Fürst Gauernitz zu seinem Sommeraufenthalte. Nach dem Tode des Fürsten Otto Viktor im Jahre 1859 kam das Besitztum als Quadrogenitur des Fürstlichen Hauses Schönburg-Waldenburg an dessen jüngsten Sohn den Prinzen Karl Ernst, der seinen dauernden Wohnsitz in Gauernitz nahm und das Schloß in kunstsinniger Weise umgestaltete. Prinz Karl Ernst starb im Jahre 1915; der Besitznachfolger wurde der Enkel des Verstorbenen Prinz Karl Leopold.

Halten wir noch einen Umblick im Schlosse selbst und in seiner nächsten Umgebung. Das umfangreiche Schloß gliedert sich in einen Mittelbau, der mit zwei Flügelbauten, dem Hohen Bau und dem Regentenhaus, den an den Park anschließenden Ehrenhof auf drei Seiten umgibt. Der Regentenflügel trägt einen Turm, der hohe Bau zeigt einen feingegliederten Renaissancegiebel. Der geräumige Wirtschaftshof wird durch das Schloßgebäude, durch Torbauten mit überbauter Einfahrt und durch die Wirtschaftsgebäude begrenzt. Unter den letzteren ist besonders die bereits erwähnte ehemalige Schloßkapelle bemerkenswert. Der Hohe Bau wird nach dem Park zu durch eine Säulenhalle abgeschlossen. Im Untergeschoß dieses Schloßteils sind noch Reste der ursprünglichen Bauanlage erhalten: zwei gotische Torbogen, die einst ins Freie führten, heute aber in die Innenräume einbezogen sind.

Abb. 7 Neudeckmühle im Tale der Wilden Sau hinter Gauernitz
(Aufnahme von Adolf Heckmann, Coswig)

Der ursprüngliche Schloßbau wurde von den Herren von Ziegler und den Grafen von Zinzendorf angelegt. In den Jahren 1862 bis 1866 unternahm Prinz[53] Karl Ernst von Schönburg eine umfassende Erweiterung und Verschönerung des Schlosses; namentlich stammt die äußere Ausgestaltung in deutscher Renaissance aus dieser Zeit. In der Anlage und Ausstattung der Innenräume zeigt sich der vornehme Geschmack des prinzlichen Erbauers, der selbst ein feinsinniger Künstler war. Die prächtigen Festsäle, die in wundervollem Einklang abgestimmten Bibliotheksräume usw. entzücken das Auge des Besuchers. Erwähnenswert sind auch die Ahnengalerie der Zinzendorfe, die vom Prinzen Ernst in pietätvoller Weise angelegt wurde, sowie die Gemälde, die auf die Familie der jetzigen Besitzer Bezug haben.

Was aber den Schloßräumen besondere Schönheit und einen unvergleichlichen Reiz verleiht, das sind die Ausblicke auf den herrlichen Park, der das Schloß umgibt: ein Park deutscher Eigenart in meisterhafter Anlage. Baumriesen der verschiedensten einheimischen und fremden Arten, herrliche Durchblicke, trauliche Plätzchen, die einen bezaubernden Rundblick bieten hinaus in das Land, wechseln ab mit grünen Matten, blühenden Hecken und einem mit Reben überkleideten Laubengang, der im heißen Sommer eine köstliche Wandelbahn bietet.


Frühlingsboten

Von Dr. H. Beil, Pirna

Abb. 1 Märzenbecher (Leucojum vernum) (Phot. J. Ostermaier, Blasewitz)

Der Frühling naht! Die wärmenden Strahlen der Februarsonne sind zunächst das Einzige, was uns sein Kommen verkündet. Noch steht Baum und Strauch im kahlen Winterkleide. In den Dorfgärten an der Sonnenseite der kleinen Häuschen[54] müssen wir seine ersten Boten, die Schneeglöckchen, suchen, die Weiden rüsten sich und legen ihren goldenen Frühlingsschmuck an. Aber gerade die ersten Boten des Frühlings, die wir Menschen alle Jahre wieder mit Ungeduld erwarten, haben wir so lange recht unfreundlich empfangen. Körbeweise wurden sie abgerissen, um, schon halb verwelkt, auf den Markt gebracht zu werden. Weit von der Großstadt muß man heute schon wandern, wenn man sich an wildwachsenden Frühlingsblumen erfreuen will, so weit, daß die echten Großstadtmenschen sich wundern, wenn man ihnen erzählt, daß diese Blumen, die sie nur als Gartenblumen kennen, auch auf freier Wiese wachsen, in entlegenen Gegenden, von deren Schönheit die meisten keine Ahnung haben, und es ist recht gut so, die Schönheit wäre sonst bald vernichtet. Mit ein paar solchen Pflanzen, die fast ausgestorben sind, sollen sich diese Zeilen befassen. Auf Wanderungen mit meiner geliebten Kamera habe ich sie aufgesucht und im Bild festgehalten. Das Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) ist mir in Sachsen wild wachsend nie begegnet. Dagegen kommt der Märzbecher (Leucojum vernum)[4] noch in einigen Gegenden vor, trotz der Ausrottung durch unverständige Menschen. Da es ein Zwiebelgewächs ist, so ist das Ausgraben mit der Wurzel doppelt schädlich. Die Aufnahme stammt aus einem kleinen Seitental des oberen Polenztales. Während noch vor etwa 15–20 Jahren die Wiesen übersät gewesen[55] sind mit Märzbechern, muß man jetzt schon suchen, um kleine Bestände zu finden. Welch prächtiges Bild die Wiesen früher geboten haben müssen, kann man sich vorstellen, wenn man die vom Besitzer einer Mühle eingezäunte Wiese sieht, auf welcher das Pflücken untersagt ist, und die ein Naturschutzgebiet im Kleinen darstellt.

[4] Siehe Aufsatz: »Vom Märzenbecher«, Band IV, 1915, Seite 367.

Abb. 2 Leberblümchen (Hepatica triloba)
(Phot. H. Beil)

Wenig später als der Märzbecher blüht das blaue Leberblümchen. Vor 50 Jahren hat es zu den Pflanzen der Dresdner Umgebung gehört, die überall verbreitet waren, im Saubachtal, Schonergrund soll es in Massen gestanden haben. Heute wird man es dort vergeblich suchen. Wirklich häufig findet es sich auf dem Rotstein bei Sohland am Rotstein, wo es in dankenswerter Weise von der Rittergutsverwaltung geschützt wird. In günstigen Jahren ist der Waldboden blau von der Menge der Leberblümchen. Kleinere Bestände sind über die ganze Lausitz verstreut.

Abb. 3 Seidelbast (Daphne Mezereum)
(Phot. H. Beil)

Zu Märzbecher und Leberblümchen gehört als dritter im Bunde der ersten Frühlingsboten der Seidelbast, dessen stark duftende, violette Blüten stengellos aus dem dürren Holz herauswachsen. Auch ihn findet man vereinzelt in der Lausitz, meist in dichtem Gestrüpp, in schönen Beständen auch auf dem Rotstein. Auch im Vorland des Erzgebirges ist er mir schon begegnet. –

Wenn ich mir vorstelle, welch herrliches Frühlingsbild es geben müßte, die Wiese übersät mit Märzbechern, am Rande des Gehölzes die Leberblümchen und der Seidelbast, so wird mir weh ums Herz. Könnte es nicht auch heute noch so sein? Pflanzen, die niemandem ein Leid getan haben, die nur wachsen, um uns[56] zu erfreuen, vernichtet bis auf spärliche Reste, deren Standort der Naturfreund sorgfältig geheim hält. Wenn alle Menschen zusammenhalten, wenn alle die Heimat, die sie zu lieben so oft versichern, auch tätig schützen, dann muß es wieder besser werden, dann muß der Verödung unseres Sachsenlandes Einhalt zu tun sein.


Über das Vorkommen der Biber in Sachsen

Von Dr. Koepert, Dresden

Auf der X. Jahreskonferenz für Naturdenkmalpflege in Berlin berichtete Museumsdirektor Professor Dr. Mertens, Magdeburg, von der erfreulichen Zunahme der letzten deutschen Biberkolonie, die zurzeit etwa zweihundert Stück zählt. Auf Grund des Studiums alter Akten im Dresdner Hauptstaatsarchiv bin ich in der Lage, einiges über das frühere Vorkommen im Kurfürstentum Sachsen, zu welchem bekanntlich der größte Teil der preußischen Provinz Sachsen zählte, zu berichten. Der Biber kam früher häufig in der Elbe vor und der Biberschwanz galt von jeher als Delikatesse und bildete, besonders zur Fastenzeit, ein begehrtes Gericht an der fürstlichen Tafel. So schrieb 1450 im März Friedrich der Sanftmütige an den Schösser zu Wittenberg: »Wir begern mit fließe, das Du uns ußrichtest vier lebende Lachse, darzu Byberzagel (Biberschwänze), alsuil Du der gehaben kannst und das alles uff den guten Fritag (Karfreitag) gein Missen schickest.« Mitte des achtzehnten Jahrhunderts waren die Biber noch ziemlich häufig in Sachsen. Es war ein besonderer Biber- und Otterfänger angestellt, der seinen Wohnsitz in Hintergersdorf hatte. Er war für die Ämter Dresden, Grillenburg, Freiberg, Frauenstein, Altenberg, Dippoldiswalde, Pirna, Stolpen, Radeberg, Lausnitz, Moritzburg, Hayn, Meißen, Nossen, Hohnstein und Lohmen bestellt. Diese Reviere hatte er jährlich im Frühjahr und Herbst zu begehen und die darin befindlichen Fischottern, Biber, Marder und andere kleinere Raubtiere zu fangen und die Bälge gegen Fanglohn an die Jagdproviantverwaltung abzuliefern. Er erhielt für einen Biber 21 Groschen. An Besoldung erhielt dieser Biber- und Otternfänger außerdem 22 Taler 18 Groschen nebst 6 Scheffel Korn und 10 Scheffel Hafer »vor sich und seine Hunde aus unserm Amt Grillenburg von Quartalen zu Quartalen«. Im Jahre 1764 hatte der kurfürstliche Administrator Prinz Xaver die Einziehung der Stellen der Biber- und Otterfänger beschlossen. Hiergegen macht Oberhofjägermeister Graf Wolffersdorff in einem Schreiben an den Landjägermeister von Herdegen seine Bedenken geltend: »Wasmaßen Ihro der Chur-Sachsen Administratoris Prinzen Xaveri, Kgl. Hoh., vermittelst des unterm 14. April a. c. an mich erlassenen höchsten Special-Resoripts, die Einziehung aller Biber- und Fischotter-Stellen, und dagegen die Wegfangung der Biber und Fischotter durch die Revier-Forstbediente, gegen Reichung derer geordneten Jäger-Rechte, gnädigst resolviert und anbefohlen, solches ist Meinem hochgeehrtesten Landjägermeister bereits bekannt. Ob ich nur zwar um dahero, weil der Entzweck durch die Revier-Forstbediente, welche mit deren anvertrauten Holz- und Jagdrevieren genug zu tun haben, und diese, wenn sie an denen Wässern sich aufhalten und denen Raubtieren nachtrachten sollen, notwendig vernachlässigen und viele dem höchsten Interesse nachteilige[57] Folgerungen daraus erwachsen müssen, höchsten Orts unterthänigste Vorstellung getan und Resolution annoch erwarte; So wolle dieselbe jedennoch, damit besonders denen Fischottern aller möglicher Abbruch getan werde, solchen nicht nur selbst nachzutrachten, sondern auch genante untergebene Forst-Jagdbediente dessen, und daß sie die Biber und Fischotter auszumachen und besonders die letztere durch Schießen und Fangen möglichst zu tilgen sich alle Mühe geben, dargegen Einlieferung derer Bälge die gnädigst geordnete Auslösung oder Jägerrecht an 21 gr. vor 1 Biber und 21 gr. vor 1 Fischotter aus der Jagdkasse erhalten, hiernächst den Bibern zwar ebenfalls möglichst nachtrachten und solche auszumachen suchen, jedoch aber diese nicht anders als auf besondre Verordnung, maßen selbige zur Versorgung ihrer höchsten Herrschaftstafel gehörig, schießen oder fangen, und dahero sobald einer oder der andre einen Biber ausgemacht, solches zur Wildmeisterei rapportieren und fernerer Verordnung erwarten solle, zu bedeuten, übrigens aber, wenn dergleichen Biberbaue, und besonders diejenigen, welche den Dämmen und Wassergebäuden nachteilig von den Forstbedienten angezeiget werden, desfalls alsbald Bericht an mich zu erstatten, daferner aber einer etwa während nächst bevorstehender 1765ster Fastenzeit ausgemacht werde, solche frisch und gut zum Provianthause anhero einzuliefern belieben, da ich dann wegen dessen Einlieferung zur höchsten Tafelversorgung fernerer Verfügung zu treffen unvergessen bin; ich aber verharre als usw. Graf Wolffersdorff.« Ein schönes Beispiel für den damaligen schwulstigen Kurialstil!

Ein weiteres Schreiben vom Dezember 1771 des Oberhofjägermeister Grafen Wolffersdorf beweist, daß die Schädlichkeit der Biber noch nicht abgenommen hatte, daß im Gegenteil an den Elbdämmen von ihnen großer Schaden angerichtet wurde. Er fordert daher zu weiterer Vertilgung auf: »Nachdem sich bei der unlängst erfolgten Lokalbesichtigung der Elbdamm- und Uferbaue ergeben, wie an denen Dämmen besonders durch die vielen Einbaue der Biber großer Schaden geschieht, und dadurch zum Teil die wichtigsten Damm-Baue dergestalt mitgenommen werden, daß hernach bei eintretendem großen Gewässer solche dem Strom Widerstand zu leisten außer Stande wären. Und dann Ihro Churf. Durchl. gnädigst anbefohlen, da diesem Uebel zu steuern die Notdurft um so mehr erfordere, je wichtigere Rücksicht auf Unterhaltung der mit so beträchtlichem Aufwand zu errichtende Dämme und Wasser-Gebäude zu nehmen sein wolle, daß zumalen Höchstdieselben vorgetzt wegen des Damm- und Uferbauwesens in dero Landen eine gewisse Einrichtung zu treffen gemeinet, die Biber überall wo solche Schaden verursachen könnten, soviel nur immer möglich vertilget werden sollen; also wollen meine hochgeehrte Herren in Conformität dieses Höchsten Befehlnisses an gesamte untergebene Jagd- und Forstbediente die ernstlichste und gemessenste Verordnung zu thun belieben, daß solche denen Bibern besten und möglichsten Fleißes nachtrachten und soviel nur immer thunlich an Orten, wo sie besonders Schaden thun, zu vertilgen suchen, auch wo sich solche spüren und bemerken lassen, im Revier ein Nachbar dem andern Nachricht geben sollen. Ich aber beharre usw. Graf Wolffersdorf.«

Döbel in seiner »Jägerpraktika« bemerkt mit Bezug auf den Biber, nachdem er einige Fangmethoden besprochen hat: »Dieses sei nun genug von Fangung dieses Amphibii.« Der Umstand, daß der Biberschwanz mit Schuppen bedeckt ist, verursachte[58] damals die unsichere Stellung des Bibers im zoologischen System. Der Biberschwanz wurde infolgedessen mit Fischfleisch auf eine Stufe gestellt und konnte in der Fastenzeit gegessen werden. Über die Zubereitung dieser Delikatesse schrieb v. Fleming[5] folgendes: Schneide den Biberschwanz als wie einen Karpfen in Stücke, setze Wasser aufs Feuer, damit es siede, schüttet auch Salz hinein, aber nicht soviel als wie bei einem Karpfen. Werfet auch unter dem Sieden ein Stückchen Butter dazu, maßen dieser Biberschwanz nicht so weich ist als andre Fische (!). Es ist auch dieser Handgriff der wahre Vorteil alle harten Fische weich zu machen. Ist nun der Schwanz gesotten, so seihet das Wasser rein ab, thut ihn in ein castrol, gießet ein wenig Brühe, Wein und Essig dazu und lasset es kochen, schüttet auch Pfeffer, Ingwer, geriebene Semmel, Citronen-Schale, Butter, Safran und Zucker hinein, und lasset alles wohl durch einander kochen. Setzet gedachten Biberschwanz hernach auf ein Feuer, damit er ganz allmählich koche.

[5] Der vollkommene teutsche Jäger. Leipzig 1719.


Frau Lina Hähnle,

die Begründerin und erste Vorsitzende des Bundes für Vogelschutz, dessen Mitglieder über alle Gaue Deutschlands und weit über dessen Grenzen hinaus verbreitet sind, feierte am 3. Februar ihren 70. Geburtstag. Es ist eine Pflicht der Dankbarkeit, wenn wir aus Anlaß dieses Festes der verdienstvollen, in allen Naturschutzkreisen wohlbekannten Frau ein paar Zeilen widmen.

Frau Hähnle entstammt, wie schon der Name andeutet – sie ist auch eine geborene Hähnle – einer alteingesessenen Schwabenfamilie. Der Vater, Salinenbeamter, anfangs in Schwenningen, später in Sulz, Rottmünster und Hall, verstand es, schon in dem Kinde die Liebe zu der belebten Natur dieser anmutigen ländlichen Gegenden zu wecken und ihm die gediegenen Kenntnisse zu vermitteln, auf die sich später die Ausübung des Naturschutzes gründen konnte. Mit neunzehn Jahren heiratete Lina Hähnle ihren Vetter Hans Hähnle, dessen rastlosem Fleiß es gelang, seine Fabrik in Giengen a. d. Brenz aus kleinen Anfängen zur Weltfirma zu heben. Sechs Kinder sind der Ehe entsprossen. Wie Frau Hähnle diesen eine treusorgende Mutter war, wie sie das ganze große Haus, in dem zahlreiche Gäste allezeit ein- und ausgingen, tatkräftig leitete, in Küche und Keller waltete, im Viehstalle und auf ihrem geliebten Geflügelhofe selbst Hand ans Werk legte, kann hier nicht näher geschildert werden. Noch im Frühjahr 1918, als die »Leutenot« am größten war, hat die 67jährige Frau mit eigener Hand stundenlang das Gespann mit der Egge über die Saat geführt, gewiß ein Beweis ihrer eisernen Willenskraft und unversiegbaren Arbeitsfreude. Ohne diese Eigenschaften hätte sie ihr besonderes Werk, dem sie sich erst zuwandte, als sie bereits auf der Höhe des Lebens stand, nicht durchführen können.

Sie gründete im Jahre 1899 den »Bund für Vogelschutz«. Schon wenige Tage, nachdem ihr Aufruf erschienen war, hatten sich tausend Freunde der Vogelwelt[59] um sie geschart, und dieses Häuflein wuchs von Jahr zu Jahr. In allen Kreisen fanden die Bestrebungen des Bundes Eingang und freudige, ja begeisterte Zustimmung. Heute gehören rund 42 000 Mitglieder dem Bunde an, sie verteilen sich auf etwa 500 Ortsgruppen. Wie wuchsen mit dieser Zahl die Arbeiten und Aufgaben! Wir erinnern nur an die vielen Flugblätter, die von Stuttgart aus in die Welt flatterten, an die zahlreichen Vortragsreisen, die Frau Hähnle persönlich unternahm – auch unser Verein durfte sie am 22. Januar 1913 in seiner Mitte begrüßen – an die Fabrikation und den Versand von Nisthöhlen, Futterhäuschen und dergleichen, an die vielen Eingaben, die dem Vogelschutz auch bei den Behörden immer mehr Geltung zu schaffen suchten, besonders aber an die Einrichtung von ungefähr sechzig größeren und kleineren Vogelschutzgebieten, darunter die Erwerbungen Hiddensee auf Rügen und die Mellumplatte vor der Wesermündung, wo mehrere sehr seltene Vogelarten, z. B. die Brandseeschwalbe, der Steinwälzer, der Säbelschnäbler vor dem Untergange bewahrt wurden. Auch die Gründung des »Deutschen Vogelschutztages«, die Frau Hähnle im Verein mit Professor Dr. Guenther in Freiburg in die Wege leitete, ist ein besonderes Verdienst der zielbewußten Frau. Wie schon ihr Mann, Kommerzienrat Hähnle, allen diesen Bestrebungen Teilnahme und Verständnis entgegenbrachte und sie durch Gewährung reicher Mittel in wahrhaft großzügiger Weise unterstützte, so ist auch ihr Sohn, Herr Ingenieur Hermann Hähnle, gewissermaßen die rechte Hand der Mutter geworden. Hervorragend sind dessen Aufnahmen von Tieren in freier Natur; besonders versteht er es, mittels eines von ihm erfundenen Fernapparates Laufbilder auf den Filmstreifen zu bringen, die in ihrer Schönheit und Naturtreue einzig sind. Wem es vergönnt war, die Laufbilder zu sehen, die Unterzeichneter an oben genanntem Tage in unserm Verein vorführen und erläutern durfte, der wird sich noch heute mit Vergnügen dieser wundervollen Aufnahmen erinnern. Es ist eine Riesensammlung von Lichtbildern, die Herr Ingenieur Hähnle teils selbst aufgenommen, teils von hervorragenden Naturphotographen erworben hat. Wieviel Tausende von Naturfreunden, wieviel Tausende froher Kinder haben diese Bilder entzückt und begeistert!

Frau Hähnle hat sich aber keineswegs darauf beschränkt, nur die Vogelwelt zu hegen und zu pflegen und seltene Vogelarten zu erhalten. Dem ganzen Naturschutz bringt sie das wärmste Interesse entgegen. Schon seit längerer Zeit hat der Bund ein größeres Banngebiet am Federsee bei Buchau in Württemberg erworben und das stattliche Gewässer nach jeder Hinsicht durchforscht, worüber eine eingehende Abhandlung des Bundes Aufschluß gibt. Auch Aufnahmen in fremden Ländern hat Frau Hähnle noch während des Weltkrieges ermöglicht, so prachtvolle Bilder von Edelreihern in der Dobrudscha und von Wisenten in den Wäldern von Bialowics, Urkunden von unersetzlichem Wert.

Möge die seltene Frau, deren vielseitiger Arbeitskraft man die Siebzig nicht anmerkt, noch manches Jahr in Rüstigkeit ihr Amt verwalten, der deutschen Vogelwelt und damit der deutschen Heimat zum Segen, uns allen aber, die sie kennen und verehren, zur Freude! Das ist der Wunsch von vielen Tausenden.

Martin Braeß.


[60]

Oberlehrer Bruno Lange, Strehla a. E. †

Ein wertvoller Freund und eifriger Arbeiter für den Heimatschutz ist mit Bruno Lange dahingegangen. Gerade am Weihnachtsfeiertag hat den noch nicht Sechzigjährigen die Stadt Strehla, in der er lange Jahrzehnte als Lehrmeister für Jung und Alt erfolgreich gewirkt hat, unter dem schönen, vollen Geläut ihrer Glocken zur Ruhe geleiten müssen. Der lange, feierliche Zug der Leidtragenden – Schüler und Lehrerschaft, Vereine, Feuerwehr und Bürger aller Kreise – brachte dem Städtchen wohl noch einmal zum Bewußtsein, daß es einen allbeliebten Bürger, eine Persönlichkeit von Wert, verloren hatte. Den Trauerkränzen, die heute Langes Grabstätte bedecken, will der Sächsische Heimatschutz einen Strauß aus Immergrün und Heimatblumen beilegen, wie sie der Verblichene selbst am liebsten gesucht und gepflückt hat.

Bruno Lange war vom alten Schlage, fleißig und zuverlässig, bieder und schlicht, vaterlandstreu und heimatlieb. Was der Arbeiter des Heimatschutzes vor allen Dingen braucht: ein warmes treues Herz und ein offenes suchendes Auge, damit war Lange wohlgerüstet. So verstand er auch die bescheidenen Werte und Schönheiten der flachen Landschaft zu finden und zu würdigen. Es trieb ihn, seine Freude am schlichten Schönen mitzuteilen, sie seinen Schülern in mannigfaltigem Unterricht, bei Anleitung zur Handfertigkeit, beim Spiel und auf Spaziergängen anzuerziehen und auf die Öffentlichkeit aufklärend und anregend zugleich einzuwirken durch öffentliche Bildvorträge, durch Veröffentlichungen im Ortsblatte und durch Anregungen in Vereinen und in der Stadtvertretung. Eine Reihe guter Ansichtskarten von Strehla, die im Geschmack den bekannten Karten des Landesvereins nahekommen, ist auf seine Veranlassung in den Ortshandel gebracht worden. Alle solche Unternehmungen führte er durch in uneigennütziger Liebe zum Heimatstädtchen, ohne persönliche und geldliche Opfer zu scheuen.

Langes Freude am Schönen, sein Interesse war nicht engbegrenzt und einseitig auf das Heimatliche gerichtet – er verstand seinen Interessen- und Erfahrungskreis weit über das Durchschnittsmaß zu erweitern und zu vertiefen durch große Ferienreisen auch außerhalb Deutschlands: nach Skandinavien, Finnland, Rußland, dem Balkan (Ungarn, Siebenbürgen, Bosnien Herzegowina, Montenegro, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Konstantinopel), Nordafrika, nach Italien und nach der Schweiz. Diese Reisen hat er als schlichter Wanderer mit bescheidener Ausrüstung, aber mit um so köstlicherem Humor durchgeführt. Was er alles dabei gesehen und erlebt, schrieb er in mustergültiger Kurrentschrift nieder und hat wiederholt darüber an Hand von Lichtbildern öffentlich berichtet – die Kriegsjahre brachten ihm dazu manchen Anknüpfungspunkt.

Die Kenntnisse ferner und fremder Schönheiten konnten Bruno Langes Liebe zur engen Heimat, seine Freude am Heimatschutz, nur vertiefen. Es mag sein, daß seine fleißigen Arbeiten im Sinne des Heimatschutzes mehr ein örtliches als ein weitergehendes Interesse gefunden haben – möglich auch, daß Lange dieses letztere gar nicht gesucht hat. Es befindet sich aber in seinem Nachlaß fein säuberlich geordnet ein Stoß von ausgearbeiteten Aufsätzen, die eine weitere Würdigung wohl verdienen. Abgesehen von seinen vielen Reiseberichten und von einigen Arbeiten volkstümlichen und vaterländischen Inhaltes fand ich die Entwürfe zu drei Werbevorträgen für den Heimatschutz und ferner folgende Reihe von ortskundlichen Aufsätzen:

Dazu:

Anleitungen zu Spaziergängen an der Elbe, in die Sandgruben, auf den Käferberg, auf den Großen Steinberg, auf die Liebschützer Höhe und auf die Weidaer Höhe beim Ganziger Steinbruche.

Mag auch vielleicht der Stoff der Aufsätze mitunter etwas schulmäßig und trocken behandelt erscheinen, es steckt doch viel darin, was mehr wert ist, als weiter im bloßen Familienbesitz oder vielleicht einmal in einer Schul- oder Ortsbücherei vergraben zu bleiben. Es ist zu hoffen, daß sich noch Gelegenheit findet, den oder jenen Aufsatz oder Bruchstücke daraus in den Mitteilungen des Heimatschutzes eingehender zu würdigen.

Das letzte, was Bruno Lange wohl veröffentlicht hat, ist ein Büchlein »Strehla im Weltkriege«. Der Großstädter lächle nicht über das Thema. Strehla ist ein Städtchen von nur 3400 Einwohnern und hat eine stattliche Zahl von Söhnen ins Feld geschickt, von denen nach Langes Feststellungen 125 Mann gefallen sind; im ganzen hat Strehla mit acht Nachbardörfern 159 Söhne verloren. Und wenn Langes Büchlein allein diesen 159 Mann gewidmet wäre, dann wäre es schon wert, gewürdigt zu werden und Nachahmung zu finden. Es sind aber in dem Heftchen eine Reihe von Einzelheiten ernster und auch humoristischer Art enthalten, deren Aufzeichnung für die Ortsgeschichte wertvoll ist.

Den gefallenen Kriegern zu Ehren einen Heldenhain auf dem Gelände des alten Friedhofes zu schaffen, war eine von Langes Lieblingsideen; leider hat die dafür geleistete Vorarbeit bisher zu keinem greifbaren Ergebnis geführt.

Bei allen solchen Bestrebungen, die Lange doch mit der Öffentlichkeit in Berührung brachten, blieb er stets der Schlichte, Bescheidene; all dies Schaffen atmet Heimattreue und Heimatliebe und Dankbarkeit für das, was die Heimat gewährt. Nun ist es an der Heimat, ihm dankbar zu bleiben für das, was er außerhalb der Lehrtätigkeit für ihre Würdigung und zur Pflege der Ortskunde und des Heimatschutzes gearbeitet hat.

Für die schöne Aufgabe, Heimat- und Ortskunde und Ortsgeschichte zu pflegen, zu überliefern und das Interesse dafür wachzuhalten, ist, vornehmlich in ländlichen Orten, neben dem Ortsgeistlichen kein anderer besser geeignet wie der Ortslehrer, weil er alle Fäden, die es zu verknüpfen gilt, am ehesten zu suchen und zu erfassen vermag. Möchte die Lehrerschaft nicht müde werden, sich diesen wertvollen und dankbaren Aufgaben zu widmen.

Arndt Ludwig.


»Gäste«

Ein Intermezzo von E. Finck, Annaberg

In unserem Bergstädtlein Geyer, das durch seine sonnigen Bilder den Naturfreund zu sich lud, ist es im Erzgebirgsverein seit seinem ersten Vergnügen im Jahre 1907 zur Überlieferung geworden, daß dieses eine Saalvergnügen im Jahre einen Höhepunkt bedeute. Im Sinne der Bestrebungen des Heimatschutzes haben wir uns immer angelegen sein lassen, durch die Idee des Festes, den Inhalt der Einladungen und die Darbietungen des Abends echt heimatlich bodenständig zu bleiben. Die Idee durfte nur erzgebirgisches Leben, einheimische Sitten und Gebräuche zu ihrer Grundlage haben. Wir erreichten dies durch die »Schinnelbacher Kirmes«, »Eigeschneit in der böhmschen Mühle«, »Sommerausflug nach dem Fichtelberg«, »Wintersportfest«, »Rockenabend« und anderes. Auf die Idee und die Absicht der Veranstalter wies immer die »Eiloding« hin, die überhaupt den Auftakt zum Vergnügen fürs Städtlein bedeutet. Und die Darbietungen im Einzelvortrag zur Laute und im Chor umrahmten einen der derb-humoristischen Einakter oder einen dem Feste entsprechenden Reigen unserer Damen. Nebenher gingen Verlosungen und Glücksradserien, zu denen uns die »Volkskundliche Bude« des Landesvereins wertvolle[62] Anregungen und Jahr für Jahr die wohlgelungenen Auswahlsendungen bot. Wir können immer nicht genug Nieten schaffen, so begehrt sind Lose und Gewinne!

Die Dezembertage des Vorjahres brachten uns nun die Einweihung unseres neuen Rathauses und somit die Idee unseres ersten Vergnügens im neuen Saale: »Alt-Geyer in neie Rathaus«.

»Mr hobn uns nu gedacht, wos de altn Geyerschen fir Aagn machn tätn, wenn die itze noch emol of dr Walt käme, wenn die ’s neie Rathaus un ’s Staadtle sahe tätn, un weil mr alle ’s Maul un de Nos ewing aufsperrn warn, denkn mr uns alle in dar Roll dr altn Geyerschen nei un feiern unner Fast: ›Alt-Geyer in neie Rathaus‹« sagte die »Eiloding«.

Und wie hatten sich alle in ihre Rollen hineingedacht. Allen Anregungen der Veranstalter war man bereitwilligst nachgekommen. Über Empire- und Biedermeierzeit, zur Urgroßmutter- und Großmutterzeit war so manches Belegstück vergangener Mode ans Tageslicht gezogen worden. Typische Handelsleute des Obererzgebirges, Bergleute, Bergherren, Postillion und Vertreter der klassischen Zeit – alle hatten den Ruf vernommen, so daß die, welche die Gegenwart in nüchterner Ballkleidung verkörperten, in der Minderheit blieben. Fast eine Stunde dauerte der Eintritt immer neuer Typen, bis endlich auch die »Tante aus Drebach« mit gestickter Reisetasche, Mantille und vorsintflutlichem Regenschirm sich eingefunden hatte, und eine Sänger-Knappschaft durch frischen »Glückauf«-Gesang und geschickt geführten Aufmarsch den ersten Teil des Abends beendete.

Jetzt kam die Jugend zu ihrem Rechte und tanzte nach alten schönen längst verklungenen Weisen die Tänze unserer Väter und der eigenen Jugend, wie schwer es manchem der heutigen Jugend auch gefallen sein mag, um den die Mitte des Saales einnehmenden Kachelofen mit Ofenbänken, der nun auch dieses Fest mit erleben durfte.

Unterdessen bereitete sich im Stillen der Höhepunkt des Abends vor. Die »Eiloding« verkündete

»Mr kenne Eich aa verrotn, doß dr alte Lotter ’s neie Rathaus asahe will mit seiner Fraa, die doch aa e geburne Geyersche is, vun alten Bauer – Gott hobne salig – de Ältste. Un dr Evans will kumme, dr Stülpner-Karl is aa in dr Näh, un de altn Geyerschen Stadtrichter, dr Blüher un dr Blumenhöfer, hom aa schie zugesaht.«

Ein paar einführende Worte des Vorstehers, darauf Lautenklang und Gesang der Hauskapelle, und nun als Mißklang an der Saaltür laute Stimmen, Wortwechsel eines, der ohne Festkarte Zutritt haben will, mit dem Wächter, der doch endlich sich zu beruhigen scheint und mit lauter Stimme und Kuhglocke den Vorstand ruft. So beginnt die feine wohldurchdachte Arbeit unseres Führers in volkskundlichen Dingen im Obererzgebirge, des Leiters des Erzgebirgs- und Altertumsmuseums in Annaberg, des Herrn Oberlehrer E. Finck. »Gäste« nennt er sie, »ein Intermezzo, das mitten in die Geyersche Gesellschaft hineingreift.«

Die ob der Störung entrüsteten Bürger und Frauen weisen den lärmenden Wächter zur Ruhe. Das ruft den Vorstand auf den Plan. Es entspinnt sich eine regelrechte Verhandlung, in die die Frau Vorsteher, der Kassierer und der Schriftführer, ihre Rechte wahrend, eingreifen. Das erlösende Wort findet der Vorsteher, indem er den draußen Harrenden hereinholen läßt und in ihm Karl Stülpner erkennt. Ihm legt nach der Begrüßung der Verfasser Worte in den Mund, die gerade deshalb, weil sie Stülpner spricht, so überaus ergreifend und wirkungsvoll sich gestalten. Er geißelt die jetzige Zeit mit ihren Irrungen und Wirrungen und leitet so über zu den Vorgängen, die sich nun auf der Bühne abspielen. Im selben Gespräch über die Zeitläufte sind Pfarrer Blüher, der Geschichtsschreiber Geyers, und Evan Evans, der »Vater der sächsischen Baumwollspinnerei«, eingetreten und werden vom Vorsteher mit dem Hinweis auf den Segen, der ihrer Tätigkeit entsproß, eingeführt. Eine mit Bezug auf den Ortsnamen von Stülpner wegen des teuren und schlechten Tabaks angewandte wegwerfende Redensart ruft die darob entrüstete Frau Vorsteher und den Schriftführer auf den Plan, der bewußt seiner Würde das »I« und »Y« im Ortsnamen nicht zu verwechseln bittet.

Da treten aus dem Walde der alte würdige Stadtrichter Lorenz Blumenhöfer mit dem einstigen schwedischen Feldprediger Hollenhagen, dem die Fama allerlei Dinge nachsagt, die aber[63] bei ernstem Geschichtsstudium sich zugunsten Hollenhagens auflösen. So wird auch der Vorsteher belehrt, der bei des Predigers Eintritt sagt:

»Was hat damals durch den einen Toren
unser Geyer für wertvolle Urkunden verloren,«

durch den Hinweis, daß er mit den Kirchenbüchern damals zugleich die Namen der Exulanten verbrannt habe, die sich in Geyer und der ganzen Umgegend aufhielten, damit sie nicht in die Hände der Kaiserlichen fielen. Stadtrichter Blumenhöfer leitet ein Verfahren ein, das aber für den Beleidiger durch Einspruch der besorgten Gattin am Ende gütlich beigelegt wird und zur Entschuldigung und stummen Verzeihung führt.

Unterdessen ist auch der Meister Hieronymus Lotter mit seiner Frau Käte, einer geborenen Geyerschen, in den Kreis getreten und findet zum Ruhme des neuen Rathauses treffliche Worte, die durch abschließende, den Blick und die Gedanken aufwärts und vorwärts lenkende Schlußworte des Vorstehers ihren Ausklang finden, und nach denen durch gemeinschaftlichen Gesang des Liedes »O Täler weit, o Höhen« dem Wald als der Quelle des Vermögens der Stadt und der Baugelder zum Rathaus ein ergreifend wirkendes Loblied dargebracht wird.

Und nun bewegten sich die »Gäste« in den Trachten ihrer Zeit mit unter den Festteilnehmern, nahmen teil an deren Fröhlichkeit und sollen auch den Weg nicht allzubald zurückgefunden haben zu den Gefilden, von dannen sie kamen.

Dem anwesenden Verfasser wurde reicher Dank der Festteilnehmer zuteil, der aus dem Herzen kam, da er vielen aus der Seele sprach, da er uns rechtes Heimatleben in Geschichte, Volkstum und Mundart nachempfinden ließ. Unvergessen sind ihm seine entschuldigenden Worte, da Not und Elend die Bewohner des armen entlegenen Bergstädtleins als Hausierer und Bettler und noch Schlimmeres in die Umgegend trieb, unvergessen sein Loblied auf das gewerbfleißige Geyer der Gegenwart, auf die Tatkraft und den Opfersinn der Stadtväter und Bürgerschaft voraussetzende Schöpfung des neuen Rathauses, das ja dem Feste Anlaß und Mittelpunkt war. Wie wußte er Ernst und Humor zu paaren, so daß der über dem ganzen lagernden Feststimmung kein Abbruch geschah. Und die Vereinsleitung weiß dem Verfasser Dank, daß er so bereitwillig seine Weihnachtsferien der einmal gefaßten Idee opferte und ihr behilflich war, das Vergnügen aus der Flut von Vergnügungen herauszuheben als etwas ganz Besonderes, als einen Heimatabend in des Wortes wahrster Bedeutung.

L.

Über Orts-, Straßen- und Hausnamen lesen wir in der »Schwäbischen Chronik« bemerkenswerte Ausführungen, denen wir folgendes entnehmen: »Zahlreiche neue Siedelungen, namentlich für Kriegsbeschädigte und Kriegsteilnehmer, sind geplant und werden in den nächsten Jahren entstehen. Den schon vor dem Krieg entstandenen wurden teilweise recht inhaltlose Namen gegeben. Entweder waren es Benennungen nach den Himmelsrichtungen (Südheim, Ostau, Westdorf, Nordheim) oder sonstige unschöne Bezeichnungen, wie Fabrikdorf, Hafenau usw. Für die neuen Siedelungen sollten bei der Namensgebung nur bewährte bodenständige Namen Verwendung finden. Am natürlichsten wirken stets die Bezeichnungen, die auf die alten Flur- und Markungsnamen zurückgehen, auf deren Gebiet die Siedlung angelegt wird. Oft läßt sich der Flurname ohne weiteres auch als Ortsname verwenden. Wo das nicht möglich ist, helfen die alten Endungen: -hausen, -hohen, -ingen, -heim, -stetten. Empfehlenswerter als diese Bezeichnungen sind jedoch Endungen, die auch die Lage der neuen Siedelung auf einem Berg, an einem Hang, in der Nähe einer Quelle, am Waldrand, im Wiesental usw. zum Ausdruck bringen. Hier seien nur einige zur Namenzusammensetzung geeignete Wörter aufgezählt: Berg, Eck, Horn, Halde, Bronn(en), Brunn(en), Wald, Busch, Holz, Wiese, Tal, Au, Heide, Ort, Lust. Wo kein passender Flurname vorhanden sein sollte, empfehlen sich Bezeichnungen nach der Lage, wobei sich aus den vorstehend aufgezählten Wörtern sehr klangvolle und ansprechende Namen zusammensetzen lassen: Waldlust, Bergeck, Buschhalden u. a. Zur Namengebung sind ferner die Namen von Tieren oder von Früchten vorzüglich geeignet, die im Siedelungsgebiet besonders stark vertreten sind. Wie vielsagend und anheimelnd wirken Namen wie Fuchsbau, Rehberg, Finkenwiese, Amseleck, Käferholz, Kirschhofen, Dinkelsbühl.

[64]

Aber nicht nur für die Siedelung selbst gilt es, schöne und mit der Natur verbindende Namen zu prägen, sondern auch die Straßen in den neuen Siedelungen müssen derartige Namen bekommen. Wie öde wirkt eine Friedrich-, Heinrich-, Olga-, Karl- oder Marienstraße! Hoffentlich werden unsere neuen Siedelungen nicht nur Straßen besitzen, sondern auch kleine einspringende Höfe, Winkel usw. und es werden die daranliegenden Häuser auch mit entsprechenden Namen versehen, z. B.: Im Schwarzhof, an der Waldach, im Winkelgarten, unter den Weiden, beim Apfelnest. Wie noch jetzt auf dem Land jeder Hof seinen besonderen Namen trägt und in den alten Stadtteilen viele Häuser ihre eigenen Namen haben, so sollten auch die Bewohner von Eigenheimen die alte Sitte wieder aufleben lassen und ihr Heim mit besonderen Namen schmücken. Wie anders klingt es und um wieviel behaglicher und gemütvoller ist es, im Waldeck, Eichenhof, Fichtenheim, Kirschgarten oder Heidenest zu wohnen, als in der Langestraße Nr. 119 oder in der Kanalgasse Nr. 111!« –


Gedenkblatt zur Erinnerung an die im Weltkriege 1914/1918 Gefallenen

Gedenkblatt

Wir haben bereits in Heft 1/3, Band IX (1920), Seite 53 unserer »Mitteilungen« auf das preisgekrönte, vom Professor Arno Drescher stammende Gedenkblatt hingewiesen. Das Blatt war 120 Zentimeter lang, 74 Zentimeter breit und hatte somit eine Größe, die für viele Vereine ungeeignet war, weil in ihren Vereinsräumen der Platz zur Unterbringung fehlte. Ganz von selbst sind viele Vereine daher auf den Gedanken gekommen, die Felder links und rechts wegzulassen und nur das Mittelblatt, so, wie wir es hier abbilden, sich anzuschaffen. Die Namen der Gefallenen lassen sich in dem freien Felde zugleich mit dem Namen des Vereins unterbringen. Für das Vereinszeichen ist über dem Oval ein Platz gelassen.

Auf diese Weise ist es möglich, in solchen Fällen, wo wenig Mittel zur Verfügung stehen, ein bescheidenes Denkzeichen an die zu errichten, die im Glauben an eine glückliche Zukunft ihres Vaterlandes ihr Leben ließen.

Das Blatt ist zum Preise von 25 Mark durch unsere Geschäftsstelle Dresden-A., Schießgasse 24, I zu beziehen. Eine Bestellkarte liegt bei.

Das Blatt eignet sich zur Anschaffung für Vereine, für Schulen, für Geschäftsräume und macht in geschmackvollem, einfachem Rahmen einen sinnigen, dem Zweck entsprechenden würdigen Eindruck.


[65]

Heimatschutz – Heimatkunst – Heimatdichtung!

In unzertrennbarer Einheit ranken sich diese drei Kultur- und Kunstbegriffe aneinander empor, heben und stützen sich, um in wechselseitiger Befruchtung und Ergänzung dem einen großen Gedanken zu dienen, die der breiten Masse verlorengegangene Liebe zur Heimat und Scholle wiederzugewinnen, Rückkehr zur bodenständigen Kunst. In trefflicher Weise äußerte sich bereits 1900 der Bahnbrecher und Vorkämpfer der Heimatkunst, der bekannte Dichter Friedrich Lienhardt: »Heimatkunst ist eine Selbstbesinnung auf heimatliche Stoffe; in erster Linie aber ist sie Wesenserneuerung, ist sie eine Auffrischung durch Landluft. Mit dieser Geistesauffrischung wird freilich auch eine andere Stoffwahl, eine andere Sprache und Technik Hand in Hand gehen. Wir wünschen nicht Flucht vor der Moderne, sondern eine Ergänzung, eine Erweiterung und Vertiefung nach der menschlichen Seite, wir wünschen ganze Menschen mit einer ganzen und weiten Gedanken-, Gemüts- und Charakterwelt, mit modernster, und doch volkstümlicher Bildung, mit national- und doch welthistorischem Sinn.« Und der bekannte Literaturhistoriker Adolf Bartels schrieb in gleichem Sinn: »Dilettantische örtliche Kunst ist sie durchaus nicht, sie wendet sich an das ganze deutsche Volk und strebt den strengsten ästhetischen Anforderungen Genüge zu leisten.« Wohl ist die seit Jahrzehnten gestreute Saat prächtig gediehen und hat in weiteren Kreisen Wurzel geschlagen, die große Stunde der Selbstbesinnung auf die Heimat für die breite Masse aber ist noch nicht gekommen, doch liegt sie gewiß nicht zu fern. Alle Gebiete stellen sich dieser großen Bewegung zur Verfügung. Nicht zuletzt die Literatur. Sie stand zwar schon lange, bevor man von einer Heimatschutzbewegung sprechen konnte, in deren Dienst. Die letzten Jahrzehnte aber zeitigten in inniger Liebe und Treue zur Heimat unvergängliche Heimatdichtungen, ganz in Lienhardts und Bartelschem Geist. Wohl jeder deutsche Gau hat seine Heimatdichtungen und -dichter mit mehr oder weniger Berufung zu der hohen Aufgabe, Sänger der heimatlichen Schönheit und Eigenart zu sein. Wir Sachsen haben unter anderem in unserem Gerhard Platz einen geist- und gemütvollen Plauderer und Erzähler. Sein treffliches, mit einem liebevollen Vorwort von Professor Paul Schumann versehenes Buch »Vom Wandern und Weilen im Heimatland« (Dresden, Sächsischer Heimatschutz, gebd. M. 12,–) ist echte geistige Heimat- und Volkskost, deren Wert nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Doch auch andere Verleger und Dichter pflegen mit besonderer Hingabe die »Heimatkunst als Grundlage einer sonnigen und stolzen Höhenkunst gegenüber dem engen und stumpfen Stubenproblem« einer modernen, dekadenten und mißmutigen Kunst. Unserem heutigen Heft liegt ein Verlagsverzeichnis der Lehmannschen Verlagsbuchhandlung in Dresden-N. 6 bei, das der besonderen Beachtung unserer geschätzten Leser gewürdigt zu werden verdient. Unter den vielen empfehlenswerten Erscheinungen dieses Verlages, die sich durchgängig bei niedrigem Preis durch mustergültige Ausstattung vorteilhaft auszeichnen, erheischen einige doch besondere Erwähnung. Bünau führt uns mit seinem köstlichen Novellenband »Der Mut des Egidi Duldmann« in eine alte fränkische Stadt am Main. Wohl dem deutschen Nest, das so erlebt wird, wie diese alte Bischofsstadt! Hier zeigt sich echte Meisterkunst in unheimlicher Kraft in Schilderung, Aufbau und Sprache. – In das jetzt im Brennpunkt der Tagesfragen stehende Oberschlesien versetzt uns Robert Kurpiun mit seinem Roman »Der Mutter Blut« und seinen Novellenbänden »Ultimo« und »Bunt Volk«. Wie keiner vor und neben ihm erschaut er feinfühlig die Seele seines Landes und Volkes und bietet uns in allen seinen Dichtungen eine edle herzerquickende und -stärkende Heimatkost. Jede seiner Dichtungen erringt unser volles Interesse, gleichviel, ob er in seinen Novellenbänden uns Leute aus dem Volke und Mittelstand menschlich liebevoll nahebringt, oder ob er in »Der Mutter Blut« das große deutsch-polnische Rassenproblem anschneidet. Stets bleibt er der »Rosegger Oberschlesiens«, der Sänger seiner Heimat und schenkt uns Dichtungen voll Erdgeruch und Heimatduft. – In der Bücherei eines jeden guten Deutschen verdient das Buch »Norika« seinen Platz und wird ihr zur Zierde gereichen. Das vor fast hundert Jahren erstmalig erschienene Buch wurde lange für eine echte Chronik aus dem 16. Jahrhundert gehalten, so lebenswahr ist der Ton von Nürnbergs größter Zeit getroffen. Meisterhaft sind die Schilderungen aus dem Kreise Albrecht Dürers, Hans Sachsens, Peter Vischers, Kraffts usw. Diese Ausgabe enthält die Hauptwerke Alt-Nürnberger Kunst in 26 Kunsttafeln. – Für Dresden und Sachsen haben die Stübelschen Werke, die bei Erscheinen berechtigtes Aufsehen erregten, ganz besonderes Interesse: »Chodowiecki in Dresden und Leipzig«, das Reisetagebuch des Künstlers vom 27. Oktober[66] bis 15. November 1773, und »Goethe, Schuster Haucke und der Ewige Jude«. – Besonders Bibliophile seien auf die Sammlung »Deutsche Dichterhandschriften« aufmerksam gemacht. Hier ist der schöne Gedanke verwirklicht: einzelne Dichtungen unserer Großen in deren Handschrift wiederzugeben. Bei diesen Bänden spürt man deutlich: nur des Autors Handschrift vermag den Leser in jene persönliche Beziehung zu ihm zu bringen, die der Weg in das Wesen des Dichters ist. Man erhält Einblick in die Eigenart seines Schaffens, in seines Geistes Werkstatt.

Es empfiehlt sich jedenfalls, all diesen Erscheinungen, denen sich außer den vorstehend erwähnten noch manches nicht minder gute Werk aus allen schönliterarischen Gebieten würdig beigesellt, das Interesse nicht zu versagen.

K. W.


Bücherbesprechungen

Wochenabreißkalender »Unsre Heimat« 1921. Herausgeber: Sächsischer Pestalozzi-Verein. Preis M. 6,–.

Kreuz und quer führt uns der nun schon zum vierten Male erscheinende Bildkalender durchs deutsche Vaterland. Mit besonderer Liebe aber verweilt er bei der sächsischen Heimat. Ist’s ein Wunder? Sind es doch lauter sächsische, vorwiegend Dresdner Künstler, die dem Beschauer hier zeigen, was es alles zu sehen gibt in der Nähe und in der Ferne im armen und doch noch reichen Vaterland. Ein rechter Ansporn sind diese künstlerisch hochwertigen Bilder besonders für unsere Jugend, selbst einmal zum Wanderstab zu greifen und auch ihrerseits auf solch glückselige Entdeckungsfahrt auszugehen. Gute und kernhafte Sprüche aus dem Munde großer Deutscher heben den Wert des Kalenders. Auch die Erläuterungen zu den Bildern sind bei aller Kürze ein guter Führer zum Verständnis der dargestellten Landschaft.

»Wegwart«. Jugendkalender des Sächsischen Pestalozzi-Vereins, 2. Jahrgang 1921. Preis M. 2,80.

Ein rechtes und tüchtiges Büchlein voll Freundschaft und Verstehen fürs Herz der heranwachsenden Jugend. Aufsätze aus der Feder echter Idealisten wie Max Schmerler, Friedrich Richter, Hans Kappler, der Malerwanderer, werden Gutes im Kinderherzen wirken. Und wem lacht nicht das Herz, liest er das prächtige Kapitel von den Christbäumen, die singen können? Treue, gutgemeinte Ratschläge aus der Feder berufner Pädagogen, verständnisvolle Einführung in Naturgeschichte und Sternenkunde, Anleitung zu Handfertigkeit und froher Geselligkeit – alles so gut und lobenswert. Nur bei dem Kapitel von der Sonnenfreude fiel mir eins auf: »Ohne die Sonne«, steht da geschrieben, »ist der Tod. Alles Bestehende ist ihr Werk.« – – – Und wessen Werk ist die Sonne? Wollen wir nicht an unserm Teil darnach trachten, daß unsre Jugend, unser Volk, auch wieder im Geiste sich dem zuwendet, der die Sonne gemacht?

G. Platz.

Paul Thomas, Schuldirektor in Schlettau, »Kriegschronik der Stadt Schlettau im Erzgebirge«. Eine Heimatgeschichte der Jahre 1914–1920, zugleich eine allgemeine Geschichte des inneren Krieges. Selbstverlag des Verfassers. Schlettau 1920. Broschiert M. 15,–.

Ein Buch reichen Inhaltes, als »allgemeine Geschichte des inneren Krieges« von Wert über die Grenzen des Städtleins hinaus, dem es geschenkt ward. In schwarzem Band geheftet, passend für die dunklen Tage der trostarmen Gegenwart, aber wie dunkle Abendsonne des versunkenen Tages deutscher Größe und doch wie goldenes Morgenrot besserer Zeiten leuchtet daraus seine goldene Aufschrift. Hätten doch alle deutschen Orte solchen Geschichtsschreiber, der das, was des Einzelnen Heimat in den Jahren 1914–1920 durchlebte, der Nachwelt so festgehalten! Nach Inhalt und Anlage vorbildlich, hat der Verfasser mit ungeheurem Sammlerfleiß alles Denkwürdige zusammengetragen, Großes und Kleines, Ernstes und Heiteres, Erhebendes und Drückendes, beides innerlich verbindend. Sein Werk wird in keinem Schlettauer Hause fehlen dürfen. Aber es ist mehr als Stadtgeschichte, ein Stück Weltgeschichte mit klaren Einblicken ins ungeheure Geschehen und seinen Zusammenhang. Es ist unmöglich, in diesem Rahmen alle Abschnitte des 375 Seiten starken Buches inhaltlich zu besprechen. Wir greifen aus den fast 50 Abschnitten nur einzelne Überschriften heraus, die die Lust zum Lesen besonders anregen:[67] Schlettau in der großen Zeit der Mobilmachungstage, Freiwillige vor!, die Mobilmachung der Phantasie, die Mobilmachung der Frauen, vaterländischer Hilfsdienst, bedenkliche Mobilmachungen, Stimmungsbilder aus dem Stadtleben, Schlettauer Kriegsausstellung (ein bedeutsames und erfolgreiches Unternehmen!). Rathaus, Kirche, Schule, Post, Bahn, Industrie, Handwerk, Handel, Landwirtschaft im Weltkriege werden, zum Teil mit reichen Zahlenangaben behandelt, auch weniger Wichtiges, aber den Einheimischen Interessantes (Vereins- und Wirtshausleben) wird, zum Teil mit gutem Humor, besprochen. Wir erfahren, wie die Kleinstadt die Revolution erlebte. Ein ganzer Teil zeichnet die Not und ihre Hilfe durch die staatliche und private Arbeit in den verschiedensten Vereinigungen. Auch von der Teuerung und dem Kriegssozialismus erhält man, besonders durch die vielen Zahlenbelege und Vergleiche, ein anschauliches Bild.

Der »Kriegschronik von Schlettau« soll bald ein zweites Buch folgen: »Das Heldenbuch von Schlettau«. Eine Kostprobe aus ihm bietet schon der Anhang der Kriegschronik: »Wie unsere Schlettauer ihr Eisernes Kreuz 1. Klasse erwarben«. Darüber wird später beim Heldenbuch selbst zu berichten sein. Für jetzt sei die Kriegschronik von Schlettau, besonders denen in der Stadt und ihrer weiteren Umgebung, warm empfohlen. In den Volks- und Schulbüchereien des Erzgebirges dürfte sie nicht fehlen!

Pfarrer Ernst Seidel, Beiersdorf (Oberlausitz).

Alt-Bautzen. Neun Federzeichnungen von Dipl.-Ing. Hans Richter. Verlagsanstalt Görlitzer Nachrichten und Anzeiger, Görlitz. Preis M. 15,–.

Die köstlichsten Stadtbilder, Bau- und Kunstdenkmäler vom sächsischen Nürnberg finden wir in dieser Mappe in Schwarz-Weiß-Zeichnungen vereint. In flotter anschaulicher Weise sind sie dargestellt, Heimatbilder von dauerndem Wert, Erinnerungsblätter für alle, die Bautzen lieben ob seiner Schönheit.

Cornelius Gurlitt. Die Pflege der kirchlichen Kunstdenkmäler. Broschiert M. 14,–, Gebunden M. 19,–.

Im A. Deichertschen Verlage (Leipzig und Erlangen) ist unter diesem Titel ein neues kleines Werk des genannten Verfassers erschienen. Gurlitt, der unermüdliche Vorkämpfer deutscher und insbesondere sächsischer Denkmalpflege, beabsichtigt, wie er im Vorwort ausführt, nicht Kunstgeschichte oder Altertumskunde hiermit zu lehren. Es soll vielmehr das Buch den berufenen Hütern des Kunstbesitzes unserer Kirchen, den Pfarrern und auch den Kirchenvorständen ein Ratgeber und Führer sein in Fällen, wo eine Änderung im alten Bestand der Gebäude sowohl, wie ihrer Ausschmückung sich als nötig erweist. Es soll aber weiter auch darüber hinaus das Verständnis und die Liebe zu diesen Dingen stärken und wecken, eine Mahnung, die gerade in unserer heutigen Zeit des »Fortschrittes« besonders angebracht erscheint. Das kleine Werk wird aber über den bescheidenen, im Titel genannten Rahmen hinaus jedem Freunde und Sammler alter Kunstwerke gar vieles bringen, denn nicht nur der feinsinnige Kunstkenner, sondern ebenso der alte Praktiker der Denkmalpflege spricht hier zu uns.

Der erste allgemeingehaltene Abschnitt des Buches beschäftigt sich mit der Umgrenzung der Aufgaben kirchlicher Denkmalpflege und umreißt in sicheren Linien Fragen der Zweckmäßigkeit und Schönheit im Bau von Kirchen. Das Verhältnis von Künstler und Kunstwerk zur Gemeinde wird weiter dargelegt. Von Fragen des Stils und Geschmacks finden wir gute Worte in den folgenden Kapiteln, in denen auch die Leitsätze moderner Denkmalpflege ausgeführt werden. Vom Werte alten Kunstbesitzes handelt das Schlußkapitel, und wer würde da nicht wünschen, daß Gurlitts schöne Worte: »Ein schlechter Erbe der, der zwar das hinterlassene Gut annimmt, den Geber aber vergißt und ein Gedächtnis verfallen läßt, die mit dem Gute übernommene Verpflichtung nicht durchhält,« in weitestem Maße Beherzigung finden möchten.

Im zweiten Abschnitt ist das wissenswerte über die Organisation der heutigen Denkmalpflege in Kürze für Geistliche und Kirchenvorstände zusammengestellt. Praktische Winke für Bau und Umbau von Kirchen, Wahl des Architekten und dessen Verhältnis zum Bauherrn bilden hier den Hauptinhalt. Der dritte Abschnitt handelt von der Pflege kirchlicher Baudenkmäler gemeinhin, von Bau- und Schmuckmaterialien, von Anlage und Schutz der Friedhöfe, der Gräber und Grüfte. Im vierten Abschnitt endlich gibt Gurlitt aus seiner reichen, lebenslangen Erfahrung als Denkmalpfleger heraus praktische Winke über die Pflege kirchlicher Einrichtungsstücke. Was hier ausführlich[68] behandelt wird, möchte von allen denen beherzigt werden, denen die unersetzlich wertvollen Kunstwerke unseres Kirchenbesitzes anvertraut sind. Denn wieviel wird gerade hier und oft in bester Absicht gesündigt. Falsche Behandlung ist aber zumeist, die neben oft schwerverständlicher Unkenntnis dieser Dinge schon immer den schlimmsten Schaden angerichtet hat, und eindringlich betont Gurlitt immer wieder die Notwendigkeit in schwierigen und in Zweifelsfällen nichts ohne sachverständige Beratung zu ändern, oder zu »verbessern«. Der Wunsch nach einer besseren Überwachung gerade des kirchlichen Kunstbesitzes ist es ja auch vor allem gewesen, der in den deutschen Staaten fast überall und neuerdings auch in Sachsen zur Ausstellung besonderer Denkmalpfleger (Landeskonservatoren) führte.

So erfreulich die Fortschritte sind, die in den letzten Jahren die Bestrebungen der Denkmalpflege und des Hand in Hand mit ihr gehenden Heimatschutzes gemacht haben, so berechtigt erscheint aber auch noch in unseren heutigen Tagen Gurlitts Mahnung im Schlußwort des Werkes: »Erfüllt euch selbst mit der Liebe zur Heimat«.

Dr. Bachmann.


Der Sächsische Bergsteigerbund und seine Ziele. Der 1911 gegründete S. B. B., der zurzeit neben zahlreichen Einzelmitgliedern mehr als 200 Berg- und Wandersport treibende Vereinigungen umfaßt, hat mit Wiederkehr friedlicher Verhältnisse die Anstrengungen zur Erreichung seiner Ziele verdoppelt. Zu den Aufgaben, die sich dieser Bund gestellt hat, zählt insbesondere auch die Bekämpfung der Unsitten, die unter einem großen Teil der Besucher der Sächsischen Schweiz und der angrenzenden Gebiete eingerissen sind. Der in den letzten Jahrzehnten immer mehr anwachsende Massenbesuch dieser Gegenden hat bekanntlich recht unerfreuliche Begleiterscheinungen gezeitigt: Durch wüstes Lärmen wird die Stille der Natur entheiligt, das Landschaftsbild wird durch Umherwerfen von Papier, Flaschen und anderem Unrat, durch Verwüsten von Schonungen und Lostreten des lockeren Erdreiches an Steilhängen mit samt dem Pflanzenreich geschändet; ein Greuel für jeden Menschen von Geschmack ist auch die Kleidung, die von einem Teil der Besucher dieser Gegenden getragen wird, Zipfelmützen und andere Narrengewandung wetteifern mit Salontiroleranzügen um den Preis der Geschmacklosigkeit. Hier nun will der S. B. B. Wandel schaffen durch ein gutes Vorbild, durch unausgesetzte Aufklärung und Belehrung in Wort und Schrift, nötigenfalls auch mit noch wirksameren Mitteln will er die Besucher der heimischen Berge zu einem Wohlverhalten in der Natur erziehen. Als wichtigstes Hilfsmittel zur Durchführung dieser Bestimmungen hat sich der Bund im Sommer 1919 eine monatlich erscheinende Zeitschrift, die »Mitteilungen des S. B. B.« geschaffen. (Zu beziehen durch die Geschäftsstelle des S. B. B. Dresden, Johannesstraße 21.) Dieses Blatt will insbesondere durch Erweckung und Vertiefung der Heimatliebe veredelnd wirken.

Eine Wendung zum Besseren im Betrieb des Berg- und Wandersportes in unserer Bergwelt ist in letzter Zeit schon unzweifelhaft festzustellen gewesen; um durchgreifende Wandlung zu erzielen, dazu bedarf es noch längerer hingebender Arbeit und der Unterstützung der Bundesbestrebungen durch die weitesten Kreise. Zu näherer Aufklärung ist Interessenten gegenüber stets bereit der Presseausschuß des S. B. B., vertreten durch Herrn Dr. Pfeilschmidt, Dresden-A., Reichenbachstraße 13.


Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt;
Druck: Lehmannsche Buchdruckerei, beide in Dresden.


Wir empfehlen unseren geschätzten Mitgliedern die Anschaffung der noch vorhandenen früheren Bände unserer Mitteilungen:

BandIII ungebundenM.7.–, gebundenM.20.–
"IV ""10.– ""25.–
"V ""7.– ""20.–
"VI ""7.– ""20.–
"VII ""7.– ""20.–
"VIII ""7.– ""20.–
"IX ""7.– ""20.–

Wir gestatten gern Ratenzahlungen.

Bestellkarte anbei.

Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Dresden-A., Schießgasse 24.


Vom Wandern und Weilen im Heimatland

Von Gerhard Platz

Dresden 1920

des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz Heimatbücherei

Band I

320 Seiten – Großoktav

Vorzugspreis für Mitglieder des Landesvereines Sächs. Heimatschutz M. 12.–

Bestellkarte in diesem Hefte

Seit vielen Jahren ist Gerhard Platz unser treuer Mitarbeiter. Fast in keinem Mitteilungshefte fehlte sein Name. Zahlreiche Zuschriften aus unserem Mitgliederkreise zeugen von der Liebe und Verehrung, die er sich in unserem Kreise erworben hat. Oft hören wir: Mit Platz möchten wir wandern. So ist es verständlich, daß wir in dem ersten Band unserer Heimatbücherei ihn zu Worte kommen lassen. Seine besten Heimatschilderungen sind hier vereinigt. Das Buch ist nur noch in wenigen Stücken vorhanden.

Landesverein Sächsischer Heimatschutz

Dresden-A., Schießgasse 24.

Lehmannsche Buchdruckerei, Dresden-A.

Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

Korrekturen:

S. 33: einschlossen → eingeschlossen
abgeschlossen doch nicht eingeschlossen

S. 59: Hiddensoe → Hiddensee
Hiddensee auf Rügen und die Mellumplatte