The Project Gutenberg eBook of Briefe eines Malers an seine Schwester

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Title: Briefe eines Malers an seine Schwester

Author: Rosalie Sandvoss

Release date: October 9, 2021 [eBook #66499]

Language: German

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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE EINES MALERS AN SEINE SCHWESTER ***

Briefe eines Malers
an
seine Schwester.

Von
Rosalie Sandvoß.

Hamburg.
Agentur des Rauhen Hauses.

Druckerei des Rauhen Hauses. 1865.

Burgwall, den 10. Juni 18––.

Nun bin ich in der Heimath, vorgestern langte ich hier an. Es ist doch ein eignes Gefühl, wie ein Fremder, den Niemand kennt, den Keiner erwartet, für den nicht eine Seele einen freundlichen Gruß hat, in die Vaterstadt, in die Stadt seiner holdesten Erinnerungen zurück zu kehren. Du weißt, ich bin nicht sentimental, Pauline, aber da Du »Alles wissen willst, was sich zwischen mir und Burgwall ereignet,« so sei's gestanden, daß ich eine Art Herzweh fühlte, überall auf meinem Wege zum Gasthause Personen zu begegnen, die mich höchstens mit dem Blicke der Betrachtung beehrten. Und nun im Gasthause zu wohnen, ein wirklicher Gast, ein Fremder daheim zu sein!

Das deutsche Haus, mit seinen Kastanien vor der Thüre – sie standen richtig noch da – lockte mich heimisch an: ihm gegenüber liegt ja das alte, liebe Haus, das meiner Phantasie immer als Heerd tiefsten Behagens vorgeschwebt hatte. Du erinnerst Dich gewiß, obgleich Du es als ein Kind von acht Jahren verließest, es steht mit dem Giebel nach der Straße, hat im zweiten Stock einen runden Ausbau, ist mit Schnitzwerk überladen und sieht auswendig gerade aus, wie ein Magister des sechszehnten Jahrhunderts sich der Welt präsentirt haben mag, künstlich, solid und pedantisch. Aber inwendig ist das anders. Gerade das Erkerstübchen war ein überaus behagliches, freundliches Zimmer, mit Blumen, vielem Lichte und duftigen Vorhängen. Ich erinnere mich, daß es grün decorirt war, und nußholzene Möbel hatte, die immer wie neu polirt glänzten. In der einen Ecke stand eine Harfe – Mutter spielte sie wundervoll – und mitten in einer Blumengruppe zog mich immer ein Bild an, ein Christus auf dem Meere. Das Gesicht der Hauptfigur hatte einen bezaubernden Ausdruck; es schwebt mir oft vor, und ich habe schon oft es zu malen gewünscht, aber seltsam! mit diesen Heiligenbildern will es mir nie gelingen. – Mutter schien sich stets zu freuen, wenn ich bei den seltenen Gelegenheiten, da sich mir dies Zimmer öffnete, lange betrachtend vor dem Bilde stand, sie hatte eine etwas bigotte Richtung, die herrliche Seele, und hat sich, glaube ich, über die nichtssagendsten Dinge, das Leben schwer genug gemacht. Du hast Mutter kaum gekannt, Pauline, Du warst erst sechs Jahr alt, als sie starb, ich sechszehn. Sie war ein Engel – aber etwas überspannt, ich glaube nicht, daß Vater ganz glücklich mit ihr war. Von einer alten Tante, so einer Art Nonne, erzogen, brachte sie eine Last von Vorurtheilen unserm lebensfrohen, geistvollen Vater zu, und nur seiner Liebe zu ihr ist es wohl zuzuschreiben, wenn er nie darüber klagte, daß sie in ihrer Ehe stets ihren eignen Gang ging und sich nicht zu Vaters Lebensanschauung erheben konnte. Kinder beobachten schärfer als man gewöhnlich glaubt, ich habe öfter bemerkt, wie still und ernst Mutter ihre Vorkehrungen traf, wenn Vater Gesellschaft gebeten hatte, wie erschreckt sie von ihrem Buche aufsah, wenn spät Abends ein munteres Gelächter oder jubelnde Toaste in das Schlafzimmer hinauf schallten, wo sie uns so sorglich gebettet hatte und dann lesend des Vaters harrte. – Erinnerst Du Dich nicht, wie sie uns beten lehrte? – Die liebe Heilige! Ich denke nicht ohne Rührung an sie, aber ich möchte um keinen Preis, daß Du ihr einst glichest. Ich bin kein Heide, aber mir schaudert vor dieser Pietisterei; sie vergällt die reinsten, unschuldigsten, harmlosesten Freuden, und verdammt ihre Opfer zur gänzlich unnöthigen, unfruchtbaren Selbstkasteiung.

Leider sind unsere Verhältnisse der Art, daß ich nicht, wie ich möchte, auf Deine völlige Ausbildung einwirken kann, wir sind zu selten bei einander, und sind wir es, so können wir uns selten ungestört sprechen, immer kommt irgend ein zärtliches Wesen, den geliebten Verzug zu beaufsichtigen. Vermuthlich befürchten Deine alten Jungfern, ich bezwecke Dich ehestens aus ihrem verzauberten Schlosse zu entführen, um das kleine Wunder von Liebenswürdigkeit in der Welt für Geld sehen zu lassen. Wahrhaftig, ich kann ganz unbesorgt sein, welchen verdächtigen Anstrich auch zuweilen Deine Aeußerungen haben, eine Heilige wirst Du dennoch nicht, dafür sorgen besagte Damen mit allen Kräften. So will ich denn für diesmal meine Erziehungsgedanken fahren lassen und ganz einfach mit Dir in der Stadt umherspazieren. Hast Du hohe Erwartungen, so stimme herab, besonders für den heutigen Tag, es hat geregnet und ist grundlos in den Straßen, Pfütze an Pfütze. Rümpfe aber um alles in der Welt Deine hübsche Nase nicht, diese Pfützen sind ein Vorzug der guten, alten Stadt, wie mir Herr Brauer, mein behäbiger Wirth, alles Ernstes auseinandergesetzt hat. Du glaubst es nicht? – nun so höre. Zweierlei Wohlthaten sind die Ursachen dieser kleinen Unannehmlichkeit: reger Verkehr und herrliches Röhrenwasser. Letzteres macht seine unterirdische Reise in ausgehöhlten Tannen, die im Laufe der Zeit nicht selten leidend werden, da wird denn das Pflaster aufgerissen und es kann dann leicht passiren, daß die Kieselmosaik nicht so recht sorgfältig wieder restaurirt wird. –

Visiten können wir nicht viele machen, es ändert sich in zehn Jahren unglaublich viel. Die meisten Freunde unsers Vaters sind nicht mehr vorhanden – todt, weggezogen, Andere erinnern sich des Knaben Justus Brand nur sehr nebelhaft, und ich bin nicht just von der Art, ihrem Gedächtnisse eifrig zu Hülfe zu kommen. Die freundlichste Aufnahme habe ich bei Bernwachts gefunden, einem außerordentlich töchterreichen Ehepaare. Wie solche Mädchen doch in die Höhe wachsen, als ich die vier ältesten zuletzt sahe, waren es Wildfänge zwischen vier und zehn Jahren, mit hängenden Schuhbändern, fliegenden Locken et cetera, jetzt, ich versichere Dich, man weiß nicht, wohin man die Augen wenden soll, aus jeder der zahlreichen Nebenthüren der großen Stube schwebt eine neue Huldin herein. Alle sind bildhübsch, ich bin neugierig zu erfahren, wie sie sonst beschaffen sind; die Alten haben mich, sehr großherzig, eingeladen, sie oft zu besuchen.

Auf dem Schlosse bin ich noch nicht gewesen. Brrr! Kannst Du mich nicht davon erlösen? Fromm und vornehm, eine Heilige und eine Gräfin, alles in einer Person! Womit werden mich die vortrefflichen Herrschaften regaliren? Mit erhabenen Worten, hohen Mienen, und einer Weisung in bestimmte Grenzen? Mit gelehrten Redensarten über Malerei, mit Honigworten christlicher Liebe? Eins so widerwärtig wie das Andere; o könnte ich allen Dünkel, alle klugthuende Nichtswisserei und alle Formenreligiosität, die nur die innere Armuth bemänteln soll, schleudern in das Meer, da es am tiefsten ist! – War das nicht etwas – ja es muß so sein, ich irre nicht – es erinnert an einen Bibelvers, mir wird ganz besonders dabei. Warum eigentlich? Widerwille war es nicht – ich muß sondiren, es liegt in meiner Natur – war es etwa ein stummer, schweigender Vorwurf der »heiligen Schrift?« – Wundere Dich nicht über mich, ich bin in Burgwall, Bilder der Kindheit umschweben mich, die alten Klänge werden wach, der Mann wird wieder zum Kinde, aber nur auf Augenblicke; sieh, da zieht es schon hin, das magische Blendwerk, all die frommen Legendengestalten, die ich in dem Giebelhause drüben einst kennen lernte, und die so mysteriös von ewigen Kronen und himmlischen Palmen sprachen. Der ganze Traum zerrinnt, fort sind sie. –

Für heute genug. Dein Bruder

Justus.

Am 11. Juni.

Pauline, ich habe mich wie ein Dummkopf benommen, wie ein vollendeter Dummkopf! Auf alles Mögliche war ich gefaßt, nur nicht auf eine liebenswürdige, einfache Frau, die dennoch, eben in ihrer schlichten Würde, mir gewaltig imponirte.

Es ist sehr gut, daß wir diesen Briefwechsel verabredet haben, Kameraden sind nicht habhaft, die Burgwaller ersterben in Ehrfurcht vor der »Herrschaft,« und man kann mit ihnen kein freies, vernünftiges Wort über diese Halbgötter reden, und ich liebe den Austausch. Aber halt, was werde ich für meine famosen Berichte bekommen? Wenn nichts weiter, so bedinge ich Recension, eine detaillirte; ganz entschieden, Pauline, Du mußt mir gehörig antworten.

Jetzt von der Gräfin.

Es war gegen Mittag, als ich den Schloßberg, versteht sich in Galla, hinanstieg. Das Wetter war gut und die Gegend ist wirklich schön, der Spaziergang war ein Genuß; der Weg ist auch besser geworden, überhaupt ist für Verschönerung der Schloßumgebungen besonders, aber auch für die der Stadt, viel gethan. – Eine Wallthür stand offen, und ich ging hinein. Gleich in der ersten Laube bot sich mir ein hübsches lebendes Bild dar. Eine junge Dame saß mitten unter einer Fülle herrlicher Blumen und ordnete sie zu Sträußen. Für einen Maler hat so etwas doppeltes Interesse, und weil mich die Schöne nicht sehen konnte – sie hatte mir den Rücken halb zugedreht und war äußerst eifrig bei ihrer Arbeit – blieb ich einen Augenblick stehen und sah ihr zu.

»Schnell den Bast, Johanne!« rief sie. Es erschien keine Johanne. Sie wartete einen Augenblick, sah auf, horchte, und vermuthlich überzeugt, daß keine Johanne sie gehört habe, gab sie die Hoffnung auf, gleich Bast zu bekommen, und legte den schön arrangirten Strauß behutsam auf den Tisch, um zum Ordnen des zweiten zu schreiten. Sie nahm eine Lilie, fügte Rosen hinzu, zettelte eine Epheuranke unter den Blumen hervor und – um das erste Bouquet war's geschehn, es war aus der Fassung gekommen, fiel aus einander und theilweis zu Boden. Eiligst trete ich vor, ich Narr! und raffe die Blumen auf, sie der Dame wieder zuzureichen. Sie nahm sie etwas erstaunt, erwiederte meinen Gruß freundlich, und sah dann zur Laube hinaus, »wo ihre kleine Johanne wohl geblieben sein möchte.«

»Vielleicht sehe ich sie unterwegs, mein Fräulein,« verhieß ich Kurzsichtiger, »und werde sie schicken.«

»Wollen Sie in's Schloß?« fragte die Dame. – Das war ja ganz vertraulich, ich entgegnete also ganz guter Dinge: »Ja wohl, zur Gräfin, wenn sie zu Hause ist.«

»Dann nehmen Sie nur den Wallschlüssel mit, Johanne hat ihn ausgezogen, – Kinder machen sich so gerne mit Thüren zu schaffen – und Sie haben wohl keinen Schlüssel, nicht wahr, die untere Thüre stand offen?«

Ich bejahte, dankte, und weil nicht recht mehr was zu sprechen war, empfahl ich mich und ging meiner Wege, bereute aber bald nicht länger geblieben zu sein, es fielen mir, als ich im Vorzimmer wohl eine Viertelstunde warten mußte, der Fragen noch mancherlei ein. Endlich erschien die Gräfin, und wer war es? – mein Fräulein vom Walle! O, ich Blinder! Hätte ich es der holden Frau nicht gleich ansehen können, daß sie kein gewöhnliches Menschenkind ist; würde ein Stadt- oder Hoffräulein mir ihren Wallschlüssel gegeben haben, wäre sie so unbefangen freundlich gewesen?!

Während sie nun um Entschuldigung bat, mich warten gelassen zu haben, stand ich kümmerlicher Mensch, und konnte mich nicht in die rechte Form finden, wollte selbst entschuldigen und wußte nicht wie, und fühlte mich erröthen, wie ein Schüler. Natürlich schien sie nichts davon zu merken, sie war ganz gesprächig, redete zum Glück bald von Malerei und plauderte so nett darüber, daß ich meinen stichelnden Gedanken allmählig entrissen wurde. Die Gräfin scheint von der Sache just nicht viel zu verstehn, aber sie zu lieben und das ist auch gerade recht. – Sie wird mir in nächster Woche sitzen, bis dahin wird sie »das Vergnügen gehabt haben, mich ihrem Gemahl vorgestellt zu haben.«

Da hast Du die Geschichte; ich werde noch heute diesen Brief absenden, und grüße Dich herzlich als Dein Bruder

Justus.

Den 24. Juni.

Mittsommertag, himmlisches Behagen! Ich möchte alle Ecken und Winkel meines Ichs von diesem Lichte durchströmen, von dieser Wärme erfüllen lassen. Es ist wundervoll! In meinem Leben habe ich solchen Sommer nicht kennen gelernt, bin ich so gründlich heiter und befriedigt gewesen, wie in diesem. Aber, meine Theuerste, Du hast auch keine Ahnung davon, von welcher Höhe herab ich auf die Auen und Wälder schaue, wie die Natur »zu meinen Füßen« daliegt. Es ist unbestrittene Wahrheit: je erhabener unser Standpunkt, desto schöner und harmonischer erscheinen uns die verschiedenen Einzelnheiten fernab. Steig auf den Kirchthurm, wenn Du's nicht glauben willst, wie bildhübsch und harmlos wird Dein altes Nest, Verzeihung! aussehen; die Kinder auf den Straßen spielen so nett und manierlich mit einander, das Geschrei und Gelärm, welches sie betreiben, dringt höchstens als sanftes Gemurmel in Deine Region, all die Häuserchen, die Hüttchen stehen so nett da, als wären sie aus einem Nürnberger Schächtelchen genommen, genug, es ist so, wie ich sagte. – Ich residire gegenwärtig auf Schloß Burgwall, vergiß es nicht, es auf Deinen Briefen gehörig zu bemerken. Meine Residenz ist sehr hoch, ja wirklich, denn die alten mächtigen Linden, die ihre Kronen bis zu den Fenstern der Gräfin emporstrecken, sind nur dann von meinem Reiche aus sichtbar, wenn ich mich aus dem Fenster zu ihnen hinabneige: ich wohne buchstäblich auf Schloß Burgwall, nämlich in zwei Dachstübchen, dicht neben dem Thurme.

Keinen Stein auf die Gräfin, ich bitte sehr! Die Zimmer sind ganz meine Wahl, eben der Aussicht wegen. Als mir die Erlaubniß wurde im Schlosse zu wohnen, habe ich mir gerade diese kleinen Zimmer gewählt, welche mir schon früher bei Besichtigung des Schlosses besonders gefielen. In jeder Stube ist ein großes, tiefes Fenster, ausgezeichnet für die Aufstellung einer Staffelei geeignet. Für nette Einrichtung wurde sogleich gesorgt, und so wohne ich hier so angenehm wie möglich.

Seit meinem Umzuge liegen schon zehn Tage dahinten, mir ist heut auf jeden Fall doch sehr anders zu Sinn, als da ich kam. Tags zuvor war ich dem Grafen erst vorgestellt. Er ist ein gewichtiger Mann, nicht mehr jung, gewiß, wenn nicht Funfzig, doch nahe daran; in seinem charakteristischen Gesichte nehmen die Züge des Wohlwollens und tiefen Ernstes sehr für ihn ein, und sein ganzes sicheres, bestimmtes und doch durchaus nicht anmaßendes Wesen beherrscht unwillkürlich seine Umgebung. Die Gräfin scheint ihn nahezu anzubeten, sie lebt in seinem Lichte. Wenn er spricht, so ist es gewiß, daß sie nichts anderes hört, tritt er in's Zimmer, so überfliegt ein Freudenschein ihre holden Züge. Nie habe ich solche Innigkeit, solch gegenseitiges Glück gesehn, als bei diesen beiden Menschen, und er ist wenigstens zwanzig Jahre älter als sie. So recht verständlich ist mir dies nicht; Ehrfurcht und töchterliche Gefühle könnte ich ihrerseits begreifen, aber sie liebt ihn anders und viel mehr, als ich überhaupt glaubte, daß man lieben könne.

Tags nach meinem ersten Besuche bei dem Grafen wurde ich zu Tisch geladen, und da wurde es gleich ausgemacht, daß ich, der Bequemlichkeit wegen, bei ihnen wohnen sollte. So bin ich denn täglich, außer den Sitzungen – der Graf hat den Anfang gemacht – in der Gesellschaft der liebenswürdigen Familie. Meine Unbehaglichkeit schwindet immer mehr, und ich weiß nicht, welcher der edlen Herrschaften ich den Preis höchster Liebenswürdigkeit zuerkennen soll, ihm oder ihr. Eigentlich sind sie gar nicht zu trennen, vereint sind sie das Ideal vollendeter Freundschaft und einer rührenden Liebe. Auch die kleine Johanne, des Paares einziges sechsjähriges Töchterchen, ist etwas Liebreizendes. Das Kind besucht mich zuweilen, und letzt brachte sie ein Tractätchen mit und wollte mir etwas vorlesen, fing auch richtig an und es ging über Erwartung gut, aber ich fand doch für besser das Thema der Unterhaltung zu wechseln, und erzählte ihr das Märchen von Schneewittchen. Dabei saß sie auf einem kleinen mitgebrachten Stuhle und sah mich mit den großen Augen ganz ernsthaft an, während ich unverdrossen ein in Berlin angefangenes Bild nachfeilte und mich bemühte, einem winterlichen Himmel mehr das Ansehn zufriedener Ergebung als das der trostlosen Gleichgültigkeit zu geben, die sich in Berlin über das kleine Gemälde gelagert hatte.

Als die Geschichte aus war, sagte sie: »Mama ist auch eine Stiefmutter, Max ist ihr Stiefsohn.«

»Wo ist er?« fragte ich.

»Weit weg,« erwiderte sie, »wo der König wohnt.«

»Was thut er da?«

»Das weiß ich nicht gewiß,« antwortete die Kleine höchst gewissenhaft, »aber ich glaube, der König gebraucht ihn; Mama sagt, er sei des Königs treuer Diener.« – Was für eine Art Diener, ob Page oder Adjutant, das konnte ich nicht herausbringen.

In der Stadt werde ich, will es mir scheinen, seit ich hier wohne, mit größerer Zuvorkommenheit behandelt. Ich meine im Allgemeinen, Bernwachts sind unverändert dieselben. Die Familie, obgleich ganz anders als die meiner erlauchten Beschützer, wird mir sehr lieb, und ich gehe fast täglich zu ihnen. Noch eine Bekanntschaft habe ich erneuert, Du könntest rathen, welche treue Seele ich meine. Julchen Hermann ist es. Sie wohnt im Hospitale, das heißt in einem neuerbauten Hause, neben der alten Behausung der Gebrechen und des Alters, für diejenigen Einsamen bestimmt, welche ein rundes Sümmchen für die Wohlthat sichern Daches und einiger Fuder Holz zahlen können. Früher wohnte sie in der Vorstadt, bei ihrer alten Mutter, Du mußt es noch wissen, wir besuchten sie zuweilen, und gingen nie unbeschenkt und ungeküßt von dannen.

Die alte Mutter kam mir stets mit ihren großen leuchtenden Augen, wie eine Seherin vor, ihre Worte klangen alle so weise, wie Orakelsprüche. Sie liegt nun auch auf dem Katharinenhofe, nicht hundert Schritt von dem Stübchen ihrer Tochter. Julchen zeigte mir das Grab durch das Fenster, und später habe ich es auch aufgesucht, es ist das wohlunterhaltenste auf dem ganzen Kirchhofe.

Von unserer Eltern Ruhestätte muß ich Dir etwas mittheilen, was mir hochpoetisch erscheint. Vater hat kein Monument, unser Vormund hatte es nicht für gut befunden, das Grab des Ehrenmannes zu bezeichnen, nur ein Baum, bald nach Vaters Tode von mir gepflanzt, wurzelt daran. An Mutters Grabe steht ein schönes, hohes Kreuz, Vater hat es setzen lassen. Auch dieses Grab hat ein Zeichen der Liebe von mir, einen Epheu, der die Jahre hindurch so mächtig gewachsen ist, daß nicht nur das Grab ganz, und das Kreuz größtentheils davon umschlungen wurde, sondern er hat auch die zu ihm niederhängenden Zweige der Traueresche umsponnen, sich an ihnen aufgerankt, und so stehen beide Gräber auch äußerlich, in der innigsten Verbindung. Das hat Natur gethan, und mir war es doch als hätten Mutters feine Finger, still und sinnig, die Zweige in einander geflochten. –

Später.

Endlich habe ich einen Brief von Dir. Meinst Du wirklich: ich sähe die Bibel mit den Augen der Weltkinder an, anders als ich sollte? die innere Bewegung damals, sei eine Warnung meines Engels gewesen?

Liebes Kind, Kind des Lebens und nicht der Welt, Du scheinst wirklich auf einem andern Wege zu sein, als ich, aber wie natürlich! – Vergegenwärtige Dir eine Pilgerfahrt, nach irgend einem Heiligthume, meinetwegen nach dem heiligen Grabe. Es ist kein Kreuzzug, sondern eine Wallfahrt, Männer, Frauen, Jungfrauen, Greise, begeisterte Kinder – Alles vereint sich, zu demselben Ziele zu gelangen. Wird Jeder die Reise in derselben Weise machen, trägt die Mutter nicht das Kind, stützt der Mann nicht sein Weib, bedarf der Alte nicht des Stabes? Meinst Du nicht, daß die Kinder, im Gefühl ihrer Schwäche oft auf die Knie sinken, Gott um neue Kraft anflehend, daß vielleicht ein Stärkerer sich dann über sie erbarme?

Siehst Du: Ein Ziel; der Eine erreicht es gehobenen, der Andere gebeugten Hauptes, Dieser stützend, Jener getragen, Einer schaut mit vollem Blick in das Morgenroth Canaans, während Viele auf ihre wunden Füße niederblicken, und auf den Weg, den sie wandeln müssen, damit sie die Steine des Anstoßes darauf vermeiden. – Wir haben Alle Ein Ziel: Befriedigung. Du findest es, ich ahnte es, im Glauben, ich suche es im Leben, in der Kunst, überall. Jetzt bin ich hier, und ich weiß was hier meine Seele ganz erfüllen könnte – kommt die Zukunft, die weite, unbestimmte, Du wirst wohl Ewigkeit sagen, etwas, was über das Grab hinaus währt, nun, so ist es immer Zeit auch dafür Entschlüsse zu fassen und zu handeln. Wer kann das früher, ehe er bestimmt weiß, wofür und wie? – Aber ich habe hier einsehen gelernt, daß bei der Heiligkeit nicht absolut Gefahr für das Lebensglück ist; kannst Du in dieser Façon Befriedigung erlangen, nun wohlan, Du hast meine brüderlichen Glückwünsche dazu. –

Laß uns diese Sache nicht als abgemacht betrachten, ich versichere Dich, daß Dein Widerspruch mich wohl reizt, zum Nachdenken, wiederum zum Widerspruch, aber keineswegs zum Zorne. Hier meine Hand, liebe Schwester! Dein Brief hat Dich in meinen Augen um mindestens zehn Jahre erfahrener gemacht, um nicht älter zu sagen. Wie alt bist Du eigentlich? Achtzehn rechne ich eben. Wo lerntest Du so ernst sein? – Grüße Deine alten, ehrbaren Damen von mir.

Dein Bruder Justus.

Am 27. Juli.

Gestern erhielt ich Deinen Brief. Warum ich nicht schon wieder geschrieben? Es beschäftigte mich Vieles, allerlei Begebenheiten kreuzten sich bunt durcheinander, ich war mitten darin, und doch waren sie kaum der Art, daß Dir meine Notizen darüber irgend wie wichtig erschienen wären. – Mit großer Liebe habe ich des Grafen Bild vollendet, es ist gelungen und die Herrschaften finden es auch. Die Gräfin werde ich noch nicht malen, es sind Gäste hier, aus Schlesien, welche mich mit ihren Aufträgen beehrt haben, und ich bin jetzt dabei ein Kind zu malen, ein unbeschreiblich reizendes kleines Gesicht, mit großen, fragenden Augen, die mich unaufhörlich an Cäcilie Bernwacht, des Bürgermeisters dritte Tochter erinnern. Nicht, daß das junge Mädchen so schön, wie die kleine Felicitas, oder überhaupt sehr nach meinem Geschmacke wäre, aber es liegt etwas Verwandtes in den Augen beider Mädchen, so recht echter Kindersinn, Seele, viel Seele.

Wenn ich so schöne Augen male, ist es mir oft, als sei in ihnen das Geschick der Besitzerinnen ausgesprochen. Bei denen der Felicitas denke ich zum Beispiel: was das Kind nicht Alles glaubt! Es glaubt an einen Himmel auf der Erde und an einen ewigen Himmel; es wird wahrscheinlich ewig ein Kind bleiben, und sehr viel vertrauen, und immer das Beste von allen Menschen denken, es wird auch sehr lieb haben, die ihm Liebes erweisen, und andere Menschen auch noch, und wird für alle seine Liebe nur etwas Treue erwarten und sie selten finden, vielleicht gerade dort nicht, wo es am sichersten darauf gerechnet hatte. Dann werden diese frommen Augen viel weinen, sehr viel, bis allmählig ihr milder Glanz erlischt, und sie sich schließen.

»Mache einmal deine Augen zu, Felicitas,« sagte ich letzt zu ihr. Sie that es; ich sah sie lange an und vergaß in meinen Träumereien ihr zu sagen, sie könne sie wieder öffnen, bis sie endlich ganz geduldig fragte: »darf ich dich nun wieder ansehen?« –

Es giebt große Geheimnisse. Pauline, wir begegnen ihnen täglich, die größten liegen in den Worten Herz und Schicksal. –

Cäcilie Bernwacht ist gerade unter ihren Schwestern die mir fremdeste. Ich will Dir die kleine Gesellschaft skizziren. Therese, die Aelteste, ist ein hübsches, besonders verständiges Mädchen; sie ist Braut, und näht den ganzen Tag an ihrer Aussteuer, was sie indeß nicht verhindert, theilnehmend zu sein, ich mag sie sehr gern und unterhalte mich am anhaltendsten mit ihr. – Ihre zweite Schwester, Ida, ist eine Schönheit, ja, sie ist wirklich schön und ich muß sie malen, es ist ein Genuß diese Formen, diese Frische, diese Grazie studiren und copiren zu dürfen. Das Mädchen ist auch nicht ohne Geist und wird auch wohl ein Herz haben, aber sie gefällt mir von ihren Schwestern am wenigsten, ihr Witz ist scharf, sie kann beißend sein, ich mag das nicht an Damen.

Nun kommt Cäcilie, offenbar der Mutter Liebling, ein Mädchen von siebzehn Jahren, sehr zarter Gestalt, etwas blaß, mit herrlichem Haar und wundervollen Augen. Cäcilie ist vielleicht, um schön zu sein, etwas zu klein, und um im Allgemeinen so recht gefallen zu können, zu still, man kann sie kaum kennen lernen. – Nun kommen ein Paar prächtige Wildfänge von dreizehn und elf Jahren, Burga und Berga genannt, Wallburga nämlich und Luitberga, komische Namen! Wo Burga ist, ist Berga, sie sitzen in einer Klasse, binden einen Kranz, spielen zusammen Klavier und Versteck, und umarmen gleichzeitig ihre Mutter, die sich auf ihre stürmischen Ueberfälle gewöhnlich schon durch Bergung ihrer Mützenbänder mit Resignation vorbereitet. Kürzlich hörte Berga, daß ihr Vater mein Pathe ist, und augenblicklich trug sie hocherfreut darauf an, mich Pathe nennen zu dürfen, Herr Brand gefalle ihr nicht, Herr Justus wäre freilich recht hübsch, aber ungewöhnlich, Justus schlicht weg, passe sich nicht, Pathing sei das Beste. Die Mutter schüttelte gewaltig mißbilligend den Kopf und entschuldigte, ich erlaubte natürlich dagegen der elfjährigen Berga mich Pathe nennen zu dürfen. »Burga muß aber auch so sagen, sonst kann ichs doch nicht,« behauptete sie und Burga bequemte sich. Es wurde gelacht, der Alte zog die Mädchen etwas auf und damit war es abgemacht.

Am 4. August.

Heute will ich diesen Brief an Dich abschicken. Dein letzter Brief war mehr als ernst, es sprach sich Unruhe, Besorgniß darin aus. Du schreibst: ich verkenne das Streben meiner Seele, nicht flüchtige Befriedigung, die man täglich in irgend einer Sache, einer Creatur finden könne, sei der Endpunkt derselben, sondern Frieden in Gott. – Ist das nicht ein Spielen mit Worten, oder pedantische Festhaltung eines einmal so und nicht anders geformten Glaubenssatzes? Wir suchen was uns zu unserm Glücke fehlt, Jeder nach seiner Natur. Du bist ätherischer Natur als ich, und suchst geistigere, oder rein geistige, oder auch phantastische Genüsse, ich verstehe Dein Friedensverlangen nicht. Warum ist dieser Friede von Dir erst zu suchen, wodurch hast Du reines Kind ihn erschüttert, oder gar verbannt? Und warum ist mein Trachten nach Befriedigung verwerflich, da ich sie nicht im Unedlen, Rohen, Gemeinen suche? Widerstrebt mein Verlangen dem reinen Naturgeiste? – Ich habe vor meiner Vergangenheit in keiner Weise zu erröthen, und brauche dem Frieden nicht nachzujagen, weil ich ihn habe. Beunruhige Dich meinetwegen nicht im Geringsten, meine theure Schwester, ich bin vollkommen glücklich!

Lebe wohl!

Dein Bruder Justus.

Den 16. August.

Es will mir scheinen, als erkalte unser Briefwechsel, Du machst größere Pausen, als ich wünsche. Um meinerseits nichts dabei zu verschulden, schreibe ich dennoch, es ist mir wohlthuend – auch eine kleine Befriedigung – wenn ich an Dich schreibe und mich so von Grund aus ausspreche. –

Weißt Du, wer Dir hier in Burgwall sehr gefallen würde, welche junge Dame mich oft, nicht an Deine Person, denn Du bist glänzender, aber an Deine Briefe erinnert? – Cäcilie. – Vor ein Paar Tagen hatte ich mehrere Stunden anhaltend an dem Bilde der Gräfin gemalt – der Engelskopf der Felicitas steht auf der Staffelei im Dachstübchen – der Graf hatte uns dabei vorgelesen, tiefsinnige, anziehende Sachen, die nachher von uns besprochen wurden. Pauline, letzt schrieb ich Dir ich sei glücklich, heute fühle ich mich, und schon seit einigen Tagen stürmisch aufgeregt, und nicht glücklich, nein! – Wie kommt es nur, daß sie mich als Einen der Ihrigen betrachtet hatten, als einen Glaubensgenossen? Weil ich bei ihren Tischgebeten keine Störung veranlasse, sondern auch meine Hände falte? Es kann ja sein, daß die ewige Macht ein solcher Vater unser ist, als welchen sie sie anbeten! Ich bins zufrieden, aber ich weiß nicht obs wahr ist. Wahrscheinlich ist es wahr, ich glaube es fast, aber ich weiß es nicht, dabei muß ich verharren. Es mag für Tausende leicht sein, sich bei solchen Gelegenheiten, wie an jenem Tage, in ein Schweigen der Bewunderung zu versenken, oder in oftgehörten Phrasen Beifall zu zollen, ich kann es aber nicht. Ich sagte was ich meinte, und es ward lautlos still im Zimmer. Das erste Wort, was ich wieder hörte, war die Johannen gegebene Erlaubniß, das Zimmer zu verlassen. Es zog mir eisig durchs Herz, sie fürchteten für das Kind den Gifthauch der Gottlosigkeit. Gottlos! ein schreckliches Wort. Bin ich es? Antworte mir darauf. – Dieser verehrungswürdige Mann, diese herrliche Frau schaudern vielleicht vor mir zusammen, sie beten vielleicht für mich, für den armen Sünder, denn in ihren Augen giebt es keine größere Sünde, als gottlos zu sein. Aber ich protestire, ich bin es nicht! An jenem Tage wurde der wunde Punkt nicht auf das Leiseste mehr berührt, doch fühlte ich mich unbehaglich und ging bald. Im Zimmer hatte ich nicht Ruhe, ich ging hinaus, durchstreifte den Wald, das Feld, kam, ohne es beabsichtigt zu haben, in die Nähe des Kirchhofs und stand an den Gräbern der Eltern. Mutters weißes Marmorkreuz sah mich matt an, es war mir, als spräche es traurig: gottlos, armer Sohn! – »Nein!« rief ich, beugte mich und küßte das Grab. Julchen fiel mir ein. Sie ist eine Dienerin des Gottes, den ich nicht kenne. Aufgeregt, wie ich war, sehnte ich mich ihre Meinung zu hören, ich wollte sie schon geschickt herauslocken, ohne mir eine Blöße zu geben; es braucht nicht alle Welt zu wissen, daß ich gottlos bin! –

Ich ging dem Hause zu. Ihr Stübchen liegt zu ebner Erde, ich kann es vorübergehend übersehen. Ich warf einen Blick hinein und sah mit Unmuth, daß sie nicht allein war, Cäcilie war bei ihr. Als ich jedoch das junge Mädchen erkannte, kam etwas wie Segen über mich, es wurde stille, ganz stille in mir, jetzt wieder – unerklärliche Wonne! –

Ich blieb stehen und sah hinein, hören konnte ich nichts, wollte auch nicht, und gesehen konnte ich auch nicht werden. Es war Dämmerung und Julchen lag auf dem Sopha von vielen Kissen unterstützt, vor ihr, mit den Knien auf dem Estrich, Dielen sind für das Hospital Luxus, kniete das bleiche Kind, und drückte abwechselnd bald die eine, bald die andere Hand auf die Stirn der Kranken. Es war ein rührendes Bild. – Nein Pauline, ich bin gewiß nicht gottlos, sieh, als ich wieder zwischen den Gräbern hinschritt, bat ich Mutter, Gott um den schönsten Segen für das stille Kind anzuflehn, und dieser Wunsch kam aus tiefstem Herzen, ich muß also glauben, trotz der vielen Wenns und Abers des Verstandes.

Es ist mir ein süßer Gedanke, Cäcilien unter den Schutz meiner Mutter gestellt zu haben. –

Gute Nacht, Schwester; ich habe eben am Fenster gestanden und auf die ruhende Welt hinabgeschaut, der Mond hält oben Wacht, es ist sehr schön draußen. Mein Herz ist in wunderbarer Aufregung, nie habe ich mich so ernstlich gefragt, ob ich Gott glaube, ob ich gottlos bin. Wie kam es, daß diese Frage mein Inneres so in Aufruhr gebracht hat? Das Verstummen zweier Menschen hats vermocht, zweier Menschen, die ich hochschätze. Wenn es einen persönlichen Gott giebt, Pauline, dann muß er eine unausdenkbare Größe sein. Denk Dir eine Macht, welche die Welt, die Natur in dieser wunderbaren Ordnung erhält, denke diesen raffinirten Naturgesetzen nach, denke Dir dazu eine Liebe, welche dies Alles erschaffen hat und erhält für Geschöpfe, die ihn verneinen, verhöhnen; ist ein Gott, so ist mir nicht bange, Gott wird und muß am größesten im Verzeihen sein. Es ist ein wonnereicher Gedanke: Gott. Entweder beginnt nun für mich ein besonders reiches Leben, oder ein sehr ödes, kaltes. Meine Seele ist nun einmal von einem Verlangen erfaßt, diesmal kann es nur Gott befriedigen.

Justus.

Den 3. September.

Die kleine Johanne ist an den Masern erkrankt, die Gäste haben das Schloß verlassen, und ich treibe mich umher, denn das Bild der Gräfin ruht natürlich, sie verläßt die Kleine nicht, um sich in Kostüm zu werfen und mir zu sitzen. Der Graf ist vielbeschäftigt, unsere Unterhaltung bei Tisch ist einsilbiger und dreht sich meist um die kleine Kranke. – Ich erwarte Deinen Brief mit Spannung, aber nicht mehr mit der fieberhaften Unruhe wie Anfangs: ich weiß was ist, und fühle mich wohl dabei. –

Berga hat mir einen Gruß für Dich aufgetragen. Ida schalt sie dafür, sie sollte nicht zudringlich sein. »Sie meint es ja ganz gut in ihrer Weise, Ida,« sagte Cäcilie sanft, »es ist wirklich nichts Unrechtes dabei.«

Ida warf den Kopf sehr auf und erwiderte, Cäcilie scheine heute sehr gnädig zu sein, gestern habe sie Berga über ein ganz unschuldig hingeworfenes Wort eine lange Strafpredigt gehalten. Ich war gespannt, zu erfahren, was das für ein Wort gewesen sein mochte und fragte mein Pathchen. »Herr Jesus,« antwortete sie und senkte den Kopf ganz beschämt. – »Sie thuts nicht wieder,« versicherte Burga, »es thut ihr selbst leid.« –

Cäcilie sprach kein Wort weiter darüber, ich dachte aber, was würde Cäcilie sagen, wenn sie in meiner Seele lesen könnte. Später waren wir im Garten und ich wurde fortwährend von der Versuchung gepeinigt, Cäcilien zu fragen, was sie von mir denke, nur wartete ich auf eine günstige Gelegenheit dazu. Endlich waren wir einmal mitten in einem Laubengange allein und ich fragte mit dürren Worten: »liebes Pathchen, bin ich ein guter Mensch?«

»Ich bin Ihre Pathin nicht,« erwiederte das junge Mädchen sehr ernst, »ich war weder Zeugin Ihrer Taufe noch – fügte sie leise hinzu – Ihrer Wiedergeburt.«

Ist das nicht streng von solchem kleinen Mädchen von siebzehn Jahren, das so sanfte Züge hat? – es kränkte mich auch etwas, aber es verdroß mich nicht.

»So wiederhole ich denn Fräulein Bernwacht meine Frage,« sagte ich ganz treuherzig, und war begierig ihre Antwort zu vernehmen.

»Ich halte Sie für warmherzig,« sagte sie. »Genügt das?« fragte ich. Sie schüttelte mit dem Kopfe und Ida rauschte heran; ich hätte gern mehr gehört. –

Den 10. September.

Dank für Deinen Brief, liebe Schwester. Es ist doch schön um sichere Liebe, wie die der Geschwister; Gott sei Dank, daß ich Dich habe. Ja, Gott sei Dank, Du weißt, ich kenne ihn nun. Du hast nie daran gezweifelt, mein Leben habe es bewiesen, daß ich ihm nicht fern sei, ich hätte ihn nur durch die dichten Schleier der Selbstüberschätzung, des geistigen Hochmuths gesehn. Kind, welche Worte! – Indessen, es ist etwas Wahres daran, und die Schüchternheit, mit der Du diese harten Behauptungen aufstellst, und die Freudigkeit, mit welcher Du mich auch ein Gotteskind nennst, zeigen Deine eigne Demuth und Liebe hinreichend, um mich vor Bitterkeit zu bewahren.

Da steht weiter: »Aber Du bist kein Christ, Gott führe Dich zu den Füßen des Heilands, der uns Allen zur Erlösung gegeben ist, und er wird es thun, ich fühle es mit köstlicher Bestimmtheit. Wenn Du auf meine tiefsten Herzenswünsche etwas giebst, so lies das neue Testament und suche die Unterhaltung gläubiger Menschen. Thu es nur zur Probe, wenn Du Deiner Sache augenblicklich ganz gewiß bist nichts weiter zu Deinem Heile zu bedürfen, als Deine jetzige Erkenntniß.«

Dein Rath soll befolgt werden. Aber verlange nicht, daß ich aus Respect vor Euren vermeintlich unantastbaren Wahrheiten verstummen soll. Ist Eure Religion die beste, so muß sie Widerspruch vertragen können, und ihre Priester und Priesterinnen dürfen über ein freies Wort nicht gleich den Stab brechen, oder über den Andersdenkenden den Bann verhängen. –

Mit wahrer Herzenserleichterung habe ich wahrgenommen, daß der Graf und seine Gemahlin mir nicht ihre Achtung entzogen haben. Wir verkehren ähnlich wie früher, nun Johanne wieder genesen ist und die Kleine besucht mich auch wieder. Durch diesen Zwischenact ist dennoch unser Verhältniß anders geworden, ich fühle etwas wie Mitleid aus der Art und Weise heraus, wie sich die hohe Frau gegen mich benimmt, und des Grafen Umgehung alles dessen, was sich auf Religion bezieht, ist es nicht Schonung? – oder will er die Perlen nicht in den Bereich des Unreinen werfen? Ich glaube Besseres und verehre Beide um Vieles inniger noch, als zuvor. Oft wünsche ich, sie möchten sprechen, und ich würde ihnen dann sagen, wie es nun mit mir steht. – Freilich würde es ihnen nicht genügen, aber sie doch vielleicht erfreuen.

Lebe wohl, liebes Kind, und schreibe bald wieder Deinem Bruder

Justus.

Den 20. September.

Gestern Abend bin ich bei Julchen Hermann gewesen und habe eine lange Unterredung mit ihr gehabt. Sie ist das, was Du eine echte Christin nennen würdest, liebreich, dienstfertig, freudig, genügsam, Alles »um des Herrn willen,« wie es auf ihrer heitern Stirn und in den großen grauen Augen klar steht. Ein religiöses Gespräch mit ihr anzuknüpfen, bedarf weiter keines Vorbedachtes, man kann nur nach einem Warum ihres Thuns fragen und man hat, was man will. Die Seligkeit, ihre und anderer Menschen, ist ihr Hauptgedanke, und sie ist der eignen so sicher, daß sie sich unter den Gräbern ringsum, und in der Gesellschaft eines Dutzend alter, einfältiger Weiber sogar schon wie im Vorhofe des Himmels fühlt. Ihre Sicherheit reizte mich mehr, als Du Dir vielleicht denken kannst, und ich ließ mich von meiner Heftigkeit zu Entgegnungen hinreißen, deren ich mich bei kaltem Blute schäme. »Toben Sie nur,« sagte sie ganz siegesgewiß und mit dem gütigsten Lächeln, »dieser Eifer ist mir ganz angenehm, er ist das Geschrei des angegriffenen alten Menschen, der alte Adam fürchtet überwunden zu werden.«

»Ich bitte Sie, bestes Julchen,« rief ich anmuthig, »verschonen Sie mich mit diesen abgeschmackten, Ihrer ganz unwürdigen Redensarten, – alter Adam!«

»Fleischeswille, wenn Sie das lieber hören,« erwiederte sie ganz gelassen.

»Was will denn mein Fleisch?« fragte ich lachend.

»Herrschen, das Sinnliche, die Erde mit ihren Freuden zum Abgott machen.«

»Ich denke nicht daran,« betheuerte ich.

»Sie thaten es aber, und thun es noch,« beharrte sie. –

Ich bat sie, mich dieser Anschuldigung zu überführen, allein sie meinte, es sei wohl besser, ich thäte das selbst, sie verstehe vom Disputiren wenig. Sie wisse das aber ganz gewiß, daß sie ohne Christus nicht bestehen könne, daß sie nur an seiner Hand auf Erden wandeln und im Himmel selig sein könne. Auf meine Aeußerung solche Ansichten seien Schwärmerei, schüttelte sie den Kopf und fragte mich, ob ich denn allen Ernstes glaube, den Himmel verdient zu haben? – »Verdient,« sagte ich ihr, »zwar gerade nicht, aber für wen er denn sein solle, wenn nicht für Menschen, die ein richtiges Leben geführt hätten, ich sei kein Grausamer, kein Lüstling u. s. w.«

»Sie meinen, Sie haben die Gebote gehalten?« fragte sie.

»Gewiß,« behauptete ich. –

Es erfolgte eine lange Pause, dann sagte sie: »In diesem Falle haben Sie den Himmel verdient; ich kann das von mir nicht sagen, ich habe keines der Gebote gehalten.«

Ihr Ton war bei diesem demüthigen Bekenntniß ganz ruhig, ich fühlte, sie sprach ihres Herzens Meinung aus. Desto größer war mein Staunen. Julchen Hermann gilt allgemein als eins der vortrefflichsten Wesen, unsere Mutter war ihre Freundin, ihr ganzes langes Leben wird musterhaft genannt und sie sagt, sie habe alle Gebote übertreten. Ich dachte an das fünfte, das sechste, das siebente. »Das ist Selbstverblendung,« rief ich, »die ganze Stadt würde Ihnen widersprechen!«

»Das ist Selbsterkenntniß,« entgegnete sie, »was weiß die Stadt von meiner Herzensgeschichte, und das Herz ist der Heerd, der stille, heimliche Heerd der geschehenen und ungeschehenen nur gewollten Thaten, die vor Gott alle gleich sind. Das Wort »Du sollst nicht begehren« steht in gleicher Reihe mit dem »Du sollst nicht fluchen, stehlen« u. s. w. Was die Stadt nicht weiß, soll Ihrer Mutter Sohn erfahren, und so hören Sie denn etwas aus dem Leben einer alten, unbescholtenen Jungfrau, und sehen Sie hinein wie in einen Spiegel, lieber Justus.« –

Die Erzählung, welche ich Dir gewiß mittheilen darf, da Du meiner Mutter Tochter bist, hat einen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht. Es wird mir nicht schwer werden, sie Dir ziemlich getreu mit Julchens eigenen Worten zu überliefern, das Ganze ist mir lebendig gegenwärtig.

Aus Julchen Hermanns Leben.

»So weit ich zurückdenken kann, ist es unverdiente Liebe, welche mich gepflegt, gehütet und geführt hat. Meine Mutter haben Sie gekannt, sie war einzig in ihrer Art, ich könnte stundenlang von ihren Eigenschaften reden, und hätte sie doch nicht vollständig geschildert. In ihren frühern Jahren war sie sehr lebendig und hat sich ihre geistige Frische auch bis ins höchste Alter erhalten, Sie müssen sich noch erinnern können, wie eindringlich all ihre Worte und wie ausdrucksvoll ihr Mienenspiel und all ihre Bewegungen waren. Mutters Worte hatten stets die größte Gewalt über mich. – Mein lieber Vater war Geschäftsmann und hatte für meines Bruders und meine Erziehung nur wenig Zeit übrig, Mutter nahm uns also ganz unter ihre Leitung, und so war ich denn schon früh so glücklich das Gute in seiner Schönheit kennen, es lieben zu lernen, von Kind an war ich unsers himmlischen Schöpfers und seines Sohnes Eigenthum, das er vor tausend Gefahren von seinen Engeln bewachen ließ. Aber trotz dieser Leitung, trotz dieses Schutzes, trotz meiner Liebe zu dem Heiligen, habe ich oft tiefes Leid über meine Sündhaftigkeit tragen müssen, sie steckt zu tief, glauben Sie, wir werden ihrer erst ledig, wenn die Hülle zerbricht.«

»Als mein Vater starb, der nur ein geringes Vermögen hinterließ, war mein Bruder auf dem Gymnasium, und ich ein Mädchen von sechszehn Jahren. Mein Bruder Leopold war sehr befähigt und Mutter und ich wünschten beide sehr, er möchte Theologie studiren, kein Opfer, welches wir uns zur Förderung dieses Zweckes auferlegten, schien uns zu schwer, wir entbehrten mit Freudigkeit und freuten uns über jede neue Bestellung an Näh- und Stickarbeiten, deren Ertrag für den Bruder zurückgelegt wurde. Leopold kam wirklich zur Universität und erleichterte Mutter den kostspieligen Unterhalt durch Stundengeben, so daß vorauszusehen war, es werde Alles gut gehen. Daß wir's an Bitten bei der rechten Behörde nicht fehlen ließen, können Sie sich denken – aber Leopold irrte ab. Er trieb es sehr, sehr schlimm, mit der Theologie war es aus, er kam zu Haus und es sollte nun überlegt werden, was nun aus ihm werden könne. Ehe er ankam, war ich in der vortrefflichsten Stimmung, es war nicht schwer, neben der Mutter das Rechte zu finden: ich hatte nicht zu richten, sondern nur zu beten und zu bitten, auch konnte ich meinem lieben Herrn beweisen, bis zu welchem Grade von Sanftmuth ich es gebracht hatte, ich wollte mit schwesterlicher Liebe den zu halten suchen, der unbrüderlich den Lohn meines anhaltenden Fleißes verpraßt hatte, nur Lächeln anstatt Thränen zeigen.«

»Alles gelang, bis Leopold auch in seiner Heimath das schreckliche Leben wieder begann, und die traurigsten Excesse unter unsern Augen verübte, obgleich Mutter alles Mögliche, was seine Verblendung zerstören konnte, anwendete, obgleich ich, nach meiner Meinung, mit der überzeugendsten Klarheit auseinandersetzte, daß der von ihm eingeschlagene Weg einzig in den Abgrund bodenloser Verderbtheit und Unheiles führen müsse. Er wollte also nicht! Nun war es aus mit meiner großen, schönen Liebe, mit meiner Sanftmuth, da glaubte ich entschieden die Grenze zwischen ihm und mir gezogen, ich wendete mich kalt von ihm ab und betrachtete ihn mit dem Blicke der Verachtung. Mein Herz litt unsäglich dabei, aber ich hüllte mich in ein stolzes Schweigen, den Bruder vermeidend, die Mutter auffordernd, ihn zu lassen, wie ich es gethan, in mir den Ersatz zu suchen. Ja, ich wagte das Unglaubliche, ich war so stolz in meiner Tugend, die mich so hoch über den Bruder stellte – aber Mutter hatte keine Antwort dafür, sie sah mich nur an, stumm und verwundert, schmerzlich befremdet.« –

»Am Abende dieses Tages brachten Jünglinge den Leichnam meines Bruders, aber Gott sei gepriesen! er hatte sich nicht selbst entleibt, wie es mir bei dem ersten Anblicke qualvoll durch die Seele fuhr, er war verunglückt.« –

Julchen schwieg einige Augenblicke, aber bald gefaßt, fuhr sie fort:

»Ist es gewiß, daß mein abstoßendes Wesen nicht Ursach war, daß mein Bruder gerade an diesem Tage das Haus verließ, draußen umherirrte? – Hatte ich nicht jedenfalls Mutters Liebe von dem Unglücklichen zu reißen gesucht, hatte ich nicht Uebels von ihm geredet, während ich »ihn entschuldigen sollte und Alles zum Besten kehren!« –

»Meiner Mutter Haupt richtete sich früher empor als das meinige, sie hatte ein gutes Gewissen. Aber sie tröstete mich mit liebevollen Worten, erinnerte mich an Gottes Weisheit und Güte, die Alles voraussieht, immer wacht, gern verzeiht, und hob mein, in der Seelenqual gesunkenes Vertrauen zu dem, der das zerbrochene Rohr nicht knickt und den glimmenden Docht nicht auslöscht. Durch Gottes und ihre Hülfe wurde ich wieder ruhiger, ich drückte die Hände meiner Freundinnen wieder wärmer, als in der Zeit des Elends. Viel Worte des Lobes und der Bewunderung wurden in jener Zeit über mich gesprochen, die öffentliche Meinung überschreitet leicht das Maaß, im Tadel wie im Lobe, man hinterbrachte sie mir, mich zu erfreuen, aber ich verbarg mich schamroth vor den kurzsichtigen Beobachtern. Die freundliche Aufnahme und Vertheidigung, die Leopold Anfangs bei mir gefunden hatte, dokumentirten aufs Neue mein vortreffliches Herz, meine spätere Kälte war untrüglicher Beweis meiner reinen Tugendhaftigkeit, die mit dem Unreinen durchaus keine Gemeinschaft haben könne, und dann, mein unverkennbar tiefer Schmerz nach Leopolds Tode – wie rührend erschien er der Welt, mit welcher Zartheit begegnete man mir seinetwegen!«

»Jahre verstrichen, ich war zwei und zwanzig Jahre alt geworden, und Gott hatte mir ein Glück geschenkt, das in seinem Umfange vorher nicht zu ahnen ist: ich meine die Liebe eines Freundes, in dessen Gemeinschaft uns die Welt verschwindet, wir uns nur selig vor dem Herrn aller Liebe fühlen. Mein Freund war unendlich mehr als ich, aber ich verstand ihn. Ich staunte über den Reichthum des innerlichen Lebens, den er mir erst zugänglich gemacht hatte; er war der Engel der mir lächelnd unser seliges Endziel und alle Hindernisse auf dem Wege dahin im Lichte der überwindenden Kraft der Gnade zeigte. Ich bin jetzt ein altes Mädchen, aber wenn ich von ihm spreche, so verkörpere ich nur ein freudiges Hallen der ihn feiernden Seele; ich liebe ihn noch, und freue mich ihm entgegen, aber staunen Sie, Niemand weiß es: ich wurde ihm ungetreu.«

»Gott nahm ihn mir früh, ich sah ihn begraben; aber an seinem Grabe sprach ich das Gelübde aus, einsam meinen Weg zu wandeln; Keiner sollte so Theil an mir haben, wie er, Niemand so meine Theilnahme, mein Vertrauen, meine Freundschaft besitzen; er sollte mein Leitstern bleiben, bis wir wieder bei Gott vereint sein würden.«

»In diesem Gelübde fand ich neue Kraft, ich hatte die Süßigkeit der innigsten Gemeinschaft zweier Herzen kennen gelernt und wollte, das vielleicht lange Leben hindurch, darauf verzichten; wollte mich mit der sekundairen, laueren Freundschaft derer begnügen, die mein Herz nur oberflächlich kannten, und in andern Verbindungen größere Befriedigung fanden.«

»Meine Sehnsucht und Trauer war groß, ich habe Jahre lang viel gelitten, mehr als ein Christenherz um einen Heimgegangenen leiden sollte. Endlich erhob ich mich, mit Gottes Hülfe, zu größerer Klarheit, ich empfand wieder Freude bei seinem Andenken, ich freute mich in seinem Sinne handeln zu können, richtete meine Blicke und mein Herz wieder fester zu den Höhen, von wannen die Hülfe kommt. – Da starb Mutter und ich war ganz verwaist. Es ist sehr schwer allein zu stehn, wenn man ein warmes Herz hat. Es fehlt freilich nie an Gelegenheiten zum Gutesthun, aber unsere Liebesthaten werden da unendlich wohlthätiger wirken, wo die Liebe sie empfängt; man will auch nicht verschwenden, weil man weiß, wie glücklich Liebe machen kann. Fühlen Sie, wie es kam, daß die welche als ein Muster felsenfester Treue galt, allmählig die Wünsche hegte, mit ihrem tiefsten Seyn, sich an ein anderes lebendes Wesen zu schließen, fühlen Sie aber auch die Kämpfe, Selbstanklagen und welches Verzagen diese arme Seele erschütterten? Der geistige Bund, die geistige Ehe, wenn Sie wollen, war entweihet, auf welche Tugend durfte ich noch bauen, wenn nicht auf diese Treue, auf mein freiwilliges Gelübde der feurigsten dankerfülltesten Liebe? – Auf keine Tugend, keine Kraft war zu rechnen, in mir war kein Halt.«

»Was giebt mir nun den Muth mich dem Himmel und meinem Freunde dennoch entgegen zu freuen?« fuhr die Erzählerin fort, »ich will es Ihnen sagen. Kennen Sie noch Worte wie diese: »Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen, und saget den verzagten Herzen, seid getrost, fürchtet euch nicht; ich bin der Herr dein Arzt; selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet – wendet euch zu mir, so werdet ihr selig – die Liebe decket der Sünden Menge – verlasset euch auf den Herrn ewiglich – durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein!«

»Jetzt bin ich stark im Glauben, ich bin auch selig in Liebe und Hoffnung.«

Das treffliche Mädchen schwieg und sah mich mit den leuchtenden Augen ihrer Mutter an. Ich küßte ihre Hand.

»Haben Sie wirklich alle Gebote gehalten?« fragte sie.

»Nein,« entgegnete ich. Sie drückte mir die Hand, und ich verließ sie voller bewegten Herzens. –

Wenn ich einmal verheirathet sein werde, dann will ich Julchen Hermann für mein Haus zu gewinnen suchen, da soll sie noch viel Liebe finden. Meine Frau soll die Geschichte erfahren, und wenn sie sie jetzt nicht etwa schon liebt – man kann's ja nicht wissen – dann wird sie's nachher sicher. Julchen wird dieser Frau eine sehr kräftige Stütze werden, ich nenne sie freilich immer alt, deshalb ist sie aber noch nicht gebrechlich, und hat sie auch einmal Migräne, so legt meine Frau die Hände auf sie und Alles ist gut. –

Gott segne alle guten Menschen, Dich auch recht sehr, liebe Pauline! Schreibe bald wieder.

Justus.

Den 13. October.

Kleines Mädchen, ich fühle mich sehr behaglich auf Gottes schöner Welt, und er hat mir einen netten Platz und entsprechende Arbeit darauf angewiesen. Der liebe, großmüthige Herr Gott hat mich ohne Zweifel wirklich recht lieb, sonst könnte er mir nicht so viele gute Menschen in den Weg schicken und mein Herz so fröhlich machen.

Sonntags kam ich aus der Kirche, – ich schäme mich dieses Ganges keineswegs, ich fühle mich darin ganz behaglich, ganz zu Hause, ich habe gesungen wie die Andern: Befiehl du deine Wege u. s. w. – also ich kam aus der Kirche, und stehe mit der kleinen Johanne, die ihrer Bonne weg- und mir entgegen gelaufen ist, und plaudere ganz freundschaftlich, als »Grafs« kamen. Der liebe Engel grüßte, bevor ich meinen Hut herunter hatte, wie Maienlicht und steuerte auf uns los.

»Wissen Sie, lieber Herr Brand, was wir in dieser Woche für ein Fest feiern?« frägt sie. Ich wußte von nichts. »Königs Geburtstag, am 15.,« fuhr sie fort, »und ich führe zur Verherrlichung des Tages etwas im Schilde gegen Sie.« – Ich stellte mich ihr mit allen meinen Kräften zur Disposition.

»Eigentlich muthet Ihnen meine Frau ein starkes Stück zu,« bemerkte der Graf, »aber sie hat ein merkwürdiges Vertrauen zu Ihnen.«

Ich fühlte mich erröthen und sah die edle Dame dankbar an; sie lächelte und sagte: »O ja, sein Sie dessen ganz gewiß, was ich aber wünsche, ist gerade nichts Gewaltiges, es handelt sich nur um ein Paar Transparente zum Festtage, nicht wahr, Sie machen sie gerne? wir wollen recht schön am Abende illuminiren.«

Sie war dabei so erwartungsfroh wie ein Kind und ich versprach natürlich mein Möglichstes dabei zu thun. Da stehn sie nun, 3 Rahmen, mit dem königlichen Namenszuge, Adler, Laubwerk u. s. w., ich habe sie vorhin probirt, es ist eine wahre Pracht! – Hast Du wohl beachtet: sie hat merkwürdiges Vertrauen zu mir!

Uebermorgen Abend also glänzende Illumination, und in der Stadt Ball. Zu drei Tänzen habe ich bereits engagirt, Theresen zur Polonaise und Ida zum ersten Walzer und Cottillon. Cäcilie will nicht hingehen, sie wird Burga's und Berga's Kameradschaften mit Kuchen und blanc manger tractiren – Jeder nach seinem Geschmack! – Nach dem großen Tage mehr.

Am 16. October.

Was steckt doch alles in einem und demselben Menschen; ich z. B. bin überraschend vielseitig, es kommt nur darauf an, mich dahin zu stellen, wo etwas fehlt, und man erlebt Staunenswerthes! – Die Tage waren köstlich und ich werde Dir alles getreulich berichten, es ist ein Vergnügen noch einmal Alles durchzunehmen.

Die Transparente waren also zur rechten Zeit fertig und ich glaubte bei den übrigen Vorbereitungen den Zuschauer abgeben zu können, aber weit gefehlt!

Schon am frühen Morgen des 14. begann ein allseitiges Rumoren, die ganze Dienerschaft lief durcheinander, schleppte hierhin und dorthin, schrie und frohlockte, als sei es heute Pflicht und Schuldigkeit Menschen, welche von der Natur mit zarten Gehörnerven versehen sind, zur Verzweiflung zu bringen. Wie die Gräfin dies aushält, dachte ich, wo sie wohl steckt, während dieses Lärmens. – Der Tag war einzig schön, ich öffnete das Fenster, setzte mich daran und begann zu malen. Es ging aber nicht, trotz des besten Willens, so beschloß ich Toilette zu machen und mir den Wirwarr draußen in der Nähe zu besehn, vielleicht daß ich ihm dann mehr Geschmack abgewönne. Aber zum ersten Male sah ich mich hier vernachlässigt, der Toilettentisch entbehrte des Nothwendigsten, wer denkt an den Maler im Dachstübchen, wenn Königs Geburtstag ist! Ich machte mich jedoch bemerklich und klingelte, einmal, und noch einmal, und als das nicht half, lief ich an die Wendeltreppe, und schrie um durchzudringen mit einigem Kraftaufwande erst nach dem Bedienten und dann ganz energisch »Waschwasser!« Leichte Schritte wurden in einem benachbarten Zimmer hörbar, sie entfernten sich, und nichts erfolgte. Nun galt es Geduld zu üben und mit Ergebung abzuwarten, was geschehen würde.

Es dauerte nicht lange und das Zöfchen erschien, nach meinen Befehlen fragend, Frau Gräfin schicke sie. »Frisches Wasser, liebes Kind,« gab ich ganz bescheiden zur Antwort. Also ihre Erlaucht hatte ich vorhin mit meinem Befehle beehrt!

Nach einer Viertelstunde stand ich im Eßsaale, wo aber ein großes Malheur passirt war. Ein ungeschickter Bedienter hatte einen Wandleuchter an Ort und Stelle bringen wollen, sich statt einer Treppe einer Leiter bedient, war damit auf dem geglätteten Fußboden ausgeglitten, niedergefallen, und dabei, um die Sache nicht allein abzumachen, hatte er einen in der Nähe stehenden großen Gypsengel bei einem Flügel ergriffen und ihn glücklich mit zu Falle gebracht. Mit Mienen stummer Verzweiflung umgab das fast vollständig gegenwärtige Dienstpersonal die jämmerliche Gestalt des schwerverletzten Schutzengels, der Sünder selbst stand da, mit leichenblassem Gesichte. Auch die Gräfin besichtigte den Schaden und befahl dann die Figur aus dem Saale zu schaffen, als ich bat die Sache etwas genauer untersuchen zu dürfen. Nun stellte es sich heraus, daß die Zierde des Saales noch zu retten war, zwar mußte der rechte Flügel dreimal gekittet und eine starke Schramme auf der Stirn ausgefüllt werden, aber das war auch das Schwierigste, die andern Defecte waren höchst unbedeutend. Die Gräfin schüttelte anfangs den Kopf zu meinem Entschlusse die Operation zu übernehmen, und meinte ein geflicktes Kunstwerk sei keine Zierde mehr, als ich jedoch erklärte es nicht übel nehmen zu wollen, wenn man den Geheilten verwerfen würde, und betheuerte ich würde nur sehr ungern von der Arbeit abstehen, gab sie lächelnd ihre Einwilligung. – Der Engel genaß vollkommen, jede Narbe verschwand unter einer angemessenen Dosis Marmormehl und am 15. Morgens war ihm von seinem salto mortale nichts mehr anzusehen. Ob nun zum Lohn für diese Kur oder nicht, das kann ich nicht entscheiden, genug, ich wurde eingeladen mit der Herrschaft gegen Abend durch den Park zu fahren, es war ein Genuß, in dieser Gesellschaft und unter den alten prächtigen Bäumen hin, die indessen schon bedeutend gelichtet sind und die reichste Schattirung zwischen Grün, Gold und Purpur bilden. Mehrere dieser Alleen sollten auch illuminirt werden, nur bedauerte die Gräfin, daß man nicht bei Zeiten daran gedacht habe, die Wege vom hochdaraufliegenden Laube säubern zu lassen, es sähe schlecht aus, und lasse sich auch nicht schön darin gehen und sie spaziere doch so gerne bei solchen Gelegenheiten in diesen Gängen, wo sie so viele freundliche Gesichter zu sehen bekomme. Der Graf bedauerte es ebenfalls, konnte aber nur versprechen die dem Schlosse zunächst liegenden Wege sauber herstellen zu lassen, seine Leute hätten schon reichliche Beschäftigung.

Ganz bescheiden wagte ich es mich ein wenig in die Sache zu mischen und fragte, ob die armen Leute in der Stadt wohl nicht gern das Laub wegholen würden, wenn sie nur die Erlaubniß dazu bekämen. »Gern,« erwiederte der Graf, »aber bei solchen Gelegenheiten kennen die Leute nicht Maß noch Ziel. Würde ich die Erlaubniß zu morgen früh ertheilen, so könnte man sicher darauf rechnen, daß noch Mittags, wenn die Gäste kommen, der Schloßberg mit den Laubharkern besetzt ist, und da weiß ich doch nicht was vorzuziehen ist, besonders wenn ich bedenke, daß das Wild durch die Kinder auf mehrere Tage in den Hintergrund des Parkes gescheucht werden wird, wer kann solche verschiedenartigen, zahlreichen Arbeiten hüten?«

Mir fuhr ein komischer Gedanke durch den Kopf. »Ich will's thun, Erlaucht,« sagte ich, »es wird mir ein Vergnügen sein.«

»Ebenso wie mit der Natur?« fragte die Gräfin.

»Ja,« antwortete ich, »gestatten Sie nur daß mir ein bespannter Wagen und eine Menge Säcke zur Verfügung gestellt werden, das Andere werde ich mit Vergnügen besorgen.« – Der Graf fand das zwar unmöglich anzunehmen, aber seine liebe Frau bewies ihm die Möglichkeit ganz einfach.

»Laß dem Herrn nur den Willen,« sagte sie schließlich, »Du hörst wohl, er thut so etwas gern, es ist gewiß wahr, da er es zweimal betheuert, und warum auch nicht? ich kann mir das Geschäft auch ganz nett denken.« – Erlaucht war überwunden.

Gleich nach der Abendtafel eilte ich in die Stadt, mein Plan war schon fix und fertig. Der Bürgermeister sollte eine Anzahl Personen nennen, mit denen etwas aufzustellen war, diese sollten für die Frühstunden des nächsten Tages zum Laubharken geworben werden, und für die Arbeit bekamen sie das Laub bis vor die Thüre gefahren. Bernwacht war im Familienzimmer, dort wurde die Geschichte also verhandelt. »Giebts denn schon was?« fragte Frau Bernwacht ganz erstaunt, wir haben ja noch gar keinen Frost gehabt.

»Aber Kastanien Mama, bedenke Kastanien, die schon ganz kahl sind,« belehrte Berga, »und wie viel ist noch vom vorigen Jahre! Burga und ich wir gehen in der langen Allee manchmal zum Spaß durch das allertiefste Laub, und dann raschelt es sehr, Du solltest mal hören.« Für ihre Vertheidigung der Wichtigkeit meiner Angelegenheit beanspruchte sie für sich und Burga die Erlaubniß mit zu harken, sie könnten das Laub herrlich für ihre Kaninchen zum Einstreuen gebrauchen. Ida meinte: so eine Gräfin ist doch allmächtig, sie darf nur einen Wunsch äußern und man eilt ihn auszuführen und sollte man auch die merkwürdigsten Metamorphosen durchmachen.

»Sanfte, liebenswürdige Damen,« entgegnete ich, »haben über jedes Männerherz zu gebieten.«

»Das ist ja schrecklich,« spottete sie, »da hat ja keine Braut und Frau das Herz ihres Mannes für sich allein; fürchtest Du Dich nicht, Therese?«

»Nicht im Geringsten,« erwiederte diese lachend, »ich werde mich bemühen Theodor als die sanfteste und liebenswürdigste Frau zu erscheinen, dann bin ich, nach eines Kenners Aussage, seiner größten Liebe gewiß.«

»Sehr edel von Dir, dennoch theilen zu wollen,« sagte Ida pathetisch und hob den Kopf gewaltig, »ich meinerseits verlange entweder Alles oder Nichts.«

An solchen Scherzen betheiligt sich Cäcilie nie. Sie sitzt dann ganz ruhig und strickt oder näht, oder zeichnet Muster, aber sie sieht oft aus, als verstände sie von dem, was um sie her vorgeht, nichts, als seien ihre Gedanken weit, weit weg. Ich möchte wohl wissen, wie es in einem Kopfe und Herzen wie dem dieses kleinen Mädchens aussieht.

Am andern Morgen ertheilte ich meine Befehle als Laubkommissarius, wie Burga mich betitelte, und gegen zehn Uhr waren die Wege in schönster Ordnung, geharkt und gefegt, und als die Gäste durch den Thiergarten fuhren, war kein einziger Barfüßer mehr zu sehn. – Um drei Uhr war großes Diner, es dauerte mehrere Stunden, und ich habe mich unter dem fremden hohen Adel weder gelangweilt noch gekränkt gefühlt, freilich war das auch nicht zu befürchten, da die Gäste, außer einigen Herren aus der Stadt, aus Freunden unserer gräflichen Familie bestanden, die ihnen natürlich geistesverwandt sein müssen. Einige Unruhe fühlte ich gegen Ende der langen Sitzung dennoch, ich dachte an das, was noch kommen sollte, besonders an den Ball auf dem Rathhause; endlich erhob man sich, ich war frei, und wollte eben aus der Thür schlüpfen, als ich den Blicken der Gräfin begegnete. Sie winkte. »Sie gehen zu Ball,« sprach sie huldreich, »und sprechen vorher bei Bernwachts ein, wollen Sie den Kindern nicht etwas Confect mitnehmen? Sie werden sich sehr dadurch insinuiren.« – Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, füllte einen Teller mit feinen Süßigkeiten an, nahm ihn ungenirt nach außen, schlug dort die ganze Bescherung in einen Bogen weißen Papiers und steckte das ansehnliche Paquet in die Rocktasche. Nun gings in Sätzen den Schloßberg hinunter – an der Toilette war nichts mehr zu ändern – dem bürgermeisterlichen Hause zu. Man war natürlich noch nicht fort, denn der Papa mußte erst kommen, und der war bei meinem Abgange noch in ein Gespräch mit dem Landrathe vertieft, auch wollte man erst die Illumination sehen, denn bei dem schönen Wetter drohte dem Putze keine Gefahr, man hatte es früher auch schon gethan, und war ganz entschlossen. Ida in rosa Flor sah entzückend aus, sie hatte weiße Rosen im Haar und Perlen um Hals und Arme geschlungen. Als sie mir entgegen kam, blieb ich wie geblendet stehen, und hielt die Hand über die Augen. Sie lachte anmuthig und sagte: »Nicht wahr, ich bin wundervoll?« – »Wundervoll!« echote ich. »Süperb?« – »Süperb!« Lachend gab sie Theresen die Hand und länderte durch das Zimmer. Sie kam mir reizender vor als je. Therese war weiß gekleidet; sie wäre vielleicht ebenso gern zu Hause geblieben, ihr Bräutigam war nicht da. – Cäcilie kam mit einem Schlüsselbunde zum Vorschein und trug mächtige Körbe mit Aepfeln und Wallnüssen, das erinnerte mich an meine gespickte Tasche, und Burga und Berga empfingen überglücklich die Sendung der Gräfin. Darauf kam die Nachricht: die Erleuchtung sei im Gange, der Papa brachte sie selber, ich half den Damen sich einzuhüllen und nun gingen wir Alle dem Thiergarten zu.

»Papa und Mama müssen unsere Lootsen sein,« meinte Berga.

»Ja,« wiederholte die Andere, »es ist gewiß« – »Schweig!« gebot Ida, »wir wissen allemal im Voraus, was die Zweite von Euch zu sagen hat, macht nicht so viel unnütze Worte.« –

Die Kleinen hüpften zu Cäcilien, hakten unter und somit war ich auf die beiden Balldamen angewiesen, die denn auch geruhten mich zum Führer anzunehmen. –

Oft habe ich Illuminationen gesehn, die diese einfache bei weitem überstrahlten, aber keine erschien mir so lieblich, kindlich möchte ich sagen, wie diese, und keine habe ich in so angenehmer Gesellschaft betrachtet. In den schönen Alleen wogte es nur so von Menschen, und alle waren mehr oder weniger von dem schönen Schauspiele entzückt. So schön war es noch nie gewesen, das hörten wir wenigstens zehnmal.

»Das sagen sie alle Jahre,« bemerkte Ida.

»Nein,« widersprach eine der naseweisen Kleinen; »Cäcilie sagt es selbst, so lieb ist es nie gewesen.« – Ich sah mich nach dem Dreiblatt um. »Es ist heut Abend wunderschön,« lächelte das kleine blasse, süße Gesicht. – »Ich denke lieb?« fragte ich. – »Ja, recht lieb.« –

Nun wurden die Transparente sichtbar, und ich erntete indirect überreichlichen Lohn für meine kleine, gern übernommene Mühe. Es war an der Stelle, von welcher man sie am besten sehen konnte, ein förmliches Gedränge. Ida wurde sehr unwillig, ihr Anzug verdürbe auf diese Weise ganz, sie müsse nur allein gehen und auszuweichen suchen; ich verbeugte mich und ließ sie gehen. Bald darauf sah sich auch Cäcilie treulos verlassen, die kleinen Schwestern waren zur Mutter gestürmt, um ihr etwas Nothwendiges über die Eindrücke zu sagen, welche dies Alles auf sie hervorgebracht hatte, sie stand ganz allein da und vertiefte ihre Augen in die Tausende von Sternen, die sich mit einem Male auf den schönen Wald niedergelassen hatten. »Wir müssen die junge Dame nur unter unsern Schutz nehmen,« flüsterte ich Theresen zu, und bot Cäcilien meinen Arm an, aber – sie dankte! Sie dankte recht sehr, ich möchte es aber – aber nicht übel nehmen. –

Ich nahm's ihr dennoch übel. –

Nach einer guten halben Stunde eröffnete Ida an der Seite eines jungen Militairs den Ball, und man tanzte, tanzte und tanzte, das ist die Geschichte des Balles. Aber außerhalb des Balles trug sich an diesem Abende noch Etwas zu. Von Bedeutung? magst du fragen – je nun, ich meine fast. Sieh, als ich die beiden Schwestern durch den Saal schweben sah, – sie sind Beide sehr graciös – fiel mir plötzlich Cäcilie, die kleine Unergründliche, ein. Ich dachte: wie sie wohl tanzen würde, gewiß hinreißender wie die Salome vor Zeiten, denn sie hat eine feenhafte kleine Gestalt, und schwebt überhaupt mehr als sie geht. Und, dachte ich weiter, was sie nun wohl treibt, und ob ihr Zuhausebleiben vom Ball wohl wirklich Geschmackssache war oder ein pietistisches Opfer, ob sie zu Hause wohl den Kopf ein wenig hängen läßt, und dachte so lange an dergleichen, bis ich mit einer Art Freude, die mir ganz neu war, mich daran erinnerte, daß mich ja nichts verhindere sie aufzusuchen, daß ich ja überhaupt so frei sei wie der Vogel in der Luft. Der Mantel wurde umgeworfen und bald war ich da. Am Fenster blieb ich lauschend stehn, lauter Gesang hoher Diskantstimmen schallte mir entgegen: »Heil Dir im Siegeskranz, Herrscher des Vaterlands!« – eine schöne sanfte, aber sichere Altstimme führte das Steuer. Die zusammengezogenen Gardinen waren nicht allzu dicht, ich konnte vortrefflich hindurchschauen, da saß sie am Claviere und dirigirte; Burga und Berga mit wenigstens einem Dutzend künftiger Schönheiten standen ringsum und sangen nach Möglichkeit, Julchen Hermann, mit dem Ausdrucke innigster Freude, daneben.

»Fühl in des Thrones Glanz,« sie sangen mit ganzer Seele, die Mädchen, ich mußte einstimmen, was gings mich an, wenn die Nachbarn etwa ihre Bemerkungen darüber machten, es war ja Patriotismus – »Die hohe Wonne ganz, Liebling des Volks zu sein, Heil Liebling Dir!«

Meine Einmischung hatte all die Oehrchen da drinnen gespitzt, Berga errieth, und sang sich gerade bei der letzten Zeile aus der Hausthür heraus.

»König heißt es!« rief sie corrigirend, und sang, an meinem Arme hängend, und meine Variationen noch einmal berichtigend: »Heil König Dir!« als ich eben mit höflichem Gruße in der Versammlung der Sängerinnen erschien. Cäcilie nickte mir freundlich zu, ließ sich aber nicht stören, der Gesang nahm ununterbrochen seinen Fortgang.

»Was wollen Sie denn eigentlich?« fragte mich Julchen, als wir Beide auf dem Sopha saßen. »Mich ruhen, erholen.« – »Glaubten Sie hier Ruhe finden zu können?« – »Ruhe und Frieden,« antwortete ich und sah ihr voll in die Augen. Sie lächelte und nickte mit dem Kopfe. »Ja,« sagte sie dann, »es ist ein großer Unterschied darin, den Lustbarkeiten Erwachsener sich hinzugeben oder den Spielen der Kinder zuzusehen; ich bin auch sehr gern unter Kindern.« –

Dieses alte Mädchen hat ein sehr feines Verständniß, aber wenn ich einmal ein Geheimniß habe, soll sie es theilen.

Nach dem Vortrage diverser Lieder tanzten die Kinder; Cäcilie spielte mit einer Geduld, welche die meinige ermüdete, endlich erbot sich ein liebenswürdiges Kind sie abzulösen, und sie setzte sich in unsere Nähe. Nun könnte ich sie vielleicht tanzen sehn, dachte ich, oder gar selbst mit ihr tanzen, sie wird aber ein rundes Nein bei der Hand haben, das will ich doch nicht so schnell riskiren. Da kam Burga und bat sie, und sie tanzte, nun versuchte ich mein Glück auch, und sie gab mir die kleine Hand ganz willig. Sie tanzte noch lieblicher, als ich es mir vorgestellt hatte, leise, leise, sinnig, lache nicht! – sinnig, wiederhole ich – sie thut nichts als in dieser holden Weise. Da war keine Hast, kein innerer Sturm, der sie trieb, keine Eitelkeit, die sich geltend machen wollte, sie hörte Musik und bewegte sich harmonisch, das war es; ich, auf dessen Arm sie sich lehnte, der ihr Führer hätte dabei sein sollen, konnte nicht anders als sie. Nie hatte ich so getanzt! –

Nun tanzte sie nicht mehr, sie schlug es verschiedenen Kindern ab, ich wagte es nicht, sie noch einmal zu bitten. Julchen lobte sie deshalb, sie scheint sie für schwach zu halten. –

Nach einiger Zeit wurde Pause gemacht und Erfrischungen gereicht, Cäcilie war die Vielbeschäftigte; ich hatte was ich wollte, und ging nach dem Rathhaussaale zurück, fühlte mich aber nicht sehr zum Tanz mehr aufgelegt und sah zu, bis der Cottillon kam, den Ida mir zugesagt hatte. Er dauerte sehr lange, und es schlug bereits vier Uhr als der Pförtner mich zum Schlosse herein ließ. –

Heut war hier nun eine hübsche Nachfeier, die Armen wurden in den Laubengängen gespeist, und die Gräfin sah selbst mit ihren fröhlichen Augen überall hin, ob auch Jeder sein Recht bekomme. Es ist rührend zu denken, was Alles und wie so ein Frauenherz lieben kann. Spricht diese Frau von Mann und Kind, oder ruht nur ihr Auge auf ihnen, so ist es Einem, als füllten diese Geliebten ihre Seele ganz aus. Wer sie gestern zum ersten Male gesehen hätte, oder überhaupt während die Anstalten zum Feste gemacht wurden, der würde den Monarchen beneiden, dessen Namenstag mit so inniger Freude begrüßt wurde, wie von dieser Frau. Ihr Töchterchen lehrt sie beten für »den theuren König«, den Kindern in der Schule spricht sie, wie man sagt, begeistert von seiner väterlichen Treue, ihren Gatten und Sohn nennt sie mit Stolz Diener ihres königlichen Herrn. Heute flammte wieder der heilige Liebesstrahl in ihren Augen, und für die Armen, die ihr nichts Liebes erwiesen, die in ihrem innern und äußern Mangel so himmelweit verschieden von ihr sind. Erbarmen habe ich auch für diese Menschen – wozu sage ich übrigens was du weißt und sich von selbst versteht, – aber solches Gefühl ist mir fremd. Ich mußte sie oft betrachten. Ob sie es fühlte, weiß ich nicht, und wenn's der Fall war, dann muß ich ihr doppelt dankbar sein; einmal als ich in ihrer Nähe stand, sagte sie: »Wie glücklich bin ich heut, mehr als glücklich! Immer muß ich an die schönen lieben Segensworte denken: »Alles was ihr gethan habt Einem dieser Geringsten« – ihr Auge wurde feucht, und sie brach ab, aber ganz leise hörte ich neben ihr die Worte flüstern: »das habt ihr mir gethan.« Es war Johanne, ihr kleines Abbild, welches den Vers so andächtig ausbetete. Die Mutter küßte sie und sah mich mit einem strahlenden Blicke an. Ihr Glaube macht sie selig.

Nachmittags ging ich zu Bernwachts, mich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Die Alten waren im Garten, wo neue Anlagen vorbereitet wurden, Therese und Ida hielten Nachmittagsruhe und Cäcilie saß im stillen Zimmer und brachte Ida's Florkleid wieder in Ordnung, welches mit den Sporen des jungen Vaterlandsvertheidigers in unangenehme Berührung gekommen war. Ich setzte mich ein wenig zu ihr hin und fragte sie, ob sie das Märchen von Aschenbrödel kenne.

»Sehr gut,« antwortete sie, »es war immer mein liebstes.« – »Das läßt sich denken,« bemerkte ich, »wie sieht die Fee aus, sie ist wohl wunderschön?« – »Ich denke, wie Ida ungefähr,« sagte sie munter in den Scherz eingehend, »ein schöneres Mädchengesicht als Ida's kann ich mir so leicht nicht vorstellen; ich freue mich recht, daß Sie sie malen wollen.«

»Haben Sie Ida ganz besonders lieb?« forschte ich weiter.

»Die Schwestern sind mir Alle gleich lieb,« entgegnete sie, »ich möchte sie Alle gern gemalt haben, wenn's eine aber doch nur sein soll, so muß es die Schönste sein.«

»Sie lieben also das Schöne sehr?«

»Sehr,« wiederholte sie, »ganz außerordentlich.«

»Bei so viel Schönheitssinn,« behauptete ich, »muß ich Talente voraussetzen, die Sie neidisch verstecken, gewiß malen Sie ausgezeichnet, oder componiren oder dergleichen.«

»Nichts von Allem,« entgegnete sie, »ich kann nur bewundern und lieben, aber sehr wenig leisten.« – »Bewundern, lieben und die Fehler Anderer wieder gut machen,« sagte ich unwillkürlich, und wieder fiel mir Aschenbrödel ein. »Sie müssen mir entschieden zu einem Bilde sitzen, ich lasse Ihnen keine Ruhe anders,« kündigte ich ihr an; sie lächelte aber und meinte: erst solle ich nur Ida malen, dann könne das Weitere besprochen werden. Thut sie's, so wird diese Aschenbrödel ein süßes Bild. Ich gebe ihr etwas mehr Farbe, die ihrige ist fast zu zart, und lasse sie das herabflatternde Täubchen mit den erstaunten, fast erschrockenen Wunderaugen begrüßen, die sie so manchmal auf uns richtet, wenn ihr etwas Unerwartetes passirt, oder ich lasse sie vor der Fee stehn, und diese Augen mit dem Ausdrucke der Bewunderung auf sie heften, den ich schon manchmal mit einem zärtlichen Gefühle belauscht habe. Die Fee kann dann Ida sein, weil sie es gesagt hat, sie wird mit ihrer vollendeten Gestalt und den tadellosen Zügen prächtig werden. – Sieh' Schwesterchen, so habe ich schon wieder eine Freude im Voraus, ich begreife nicht, wie man das Leben langweilig finden kann, wie z. B. Waldemar es thut, von dem ich erst kürzlich eine lange Jeremiade über die Nüchternheit des menschlichen Lebens aus Berlin erhalten habe.

Nun will ich meinen langen Brief absenden und nur noch für den Deinigen danken. Ja, Julchen ist mir auch sehr theuer geworden, und ich werde sie öfter besuchen. Lebe wohl!

Dein Bruder Justus.

Den 5. December.

Du bist erstaunt über meine Brauchbarkeit nach so vielen Seiten hin – liebes Kind; Du weißt so viel wie nichts davon, Du wirst noch ganz andere Begriffe von mir bekommen, wenn Du diesen Brief gelesen hast. Aber ich übereile mich nicht damit, es wird ganz en passant kommen, ich werde den Faden des Berichtes da wieder aufnehmen, wo er abgerissen wurde. – Nach dem denkwürdigen 15. October beschloß ich sehr fleißig zu arbeiten, weil mein Bewußtsein etwas unzufrieden geworden war. So vollendete ich denn das Bild der Gräfin zunächst und begann mit Eifer die Restauration der alten Familienportraits im Ahnensaale. Der Graf besuchte mich oft bei meiner Arbeit, sah mit Theilnahme zu und sprach manch gutes, anregendes Wort. Er ist ein ausgezeichneter Mann. Seine holde Gemahlin begleitet ihn zuweilen und das Kind kommt am oftesten, bringt mir zuweilen schönes Obst oder ein Paar Blumen, die es auf dem Walle für mich gepflückt hat, oder fühlt den Trieb, mir irgend eine wundersame Historie mitzutheilen, die Mama erzählt, oder es selbst in einem bilderreichen Elberfelder Büchlein gelesen hat. Dann thut es oft die seltsamsten Fragen, so auch einst, ob ich Joseph oder Timotheus lieber leiden möchte. Sie ihrerseits war geneigt, dem Jünger den Vorzug zu geben, obgleich Joseph auch sehr liebenswürdig und großmüthig gewesen sei, aber zweierlei fand sie nicht schön von ihm, erstens: daß er die stolzen Träume erzählt hatte, und zweitens: daß er bei der ersten Rückkehr der Brüder aus Aegypten seinem Vater keinen Trost gesendet hatte, »und er trug doch Leid um ihn!« sagte sie höchst mitleidig. Dann zeigte sie mir ein kleines Bild, wo Timotheus als Knabe zu den Füßen einer alten Frau saß und in der Bibel las. Die Mutter stand daneben und weidete sich an dem Anblicke. »Ist er nicht sehr nett?« fragte sie, »sieh nur, wie sie ihn lieb haben, der war schon von klein an ein Jünger Gottes, und nachher liebte er den Heiland so sehr, und dann war er des Apostels Paulus lieber Sohn; ich glaube, er ist noch besser als Joseph, aber Joseph ist auch sehr gut.«

»Joseph war aber ein Jude,« wendete ich ein. »Das schadet nichts,« sagte sie, »er konnte ja damals nichts Besseres sein; weißt Du nicht, die Juden waren ja auch Gottes Kinder.«

»Aber jetzt sind sie es wohl nicht mehr?« fragte ich.

Sie sah mich groß an und sagte: »Alle Menschen gehören ja dem lieben Gott, die armen Heiden ja auch, und der liebe Gott will alle, alle Menschen in seinen schönen Himmel bringen, in sein großes, großes Reich, denk mal, wie viel Menschen da zusammenkommen werden; ob ich Dich wohl wiederfinde?« –

»Der liebe Gott wird's wohl so einrichten,« gab ich ihr zur Antwort. – »Das ist wunderschön,« rief sie freudig, »ich mag Dich auch sehr gern leiden.« – Ich küßte sie für diese wohlthuende Erklärung und nahm sie auf meine Knie, um meine Mappe mit ihr zu durchblättern: viele von den Bildern machten ihr große Freude und mir ihr Geplauder noch mehr.

Zuweilen trat ich auch Mittwochs in den Betsaal, wo der Kaplan einen Vortrag hält und viel gesungen und gebetet wird; diese Versammlungen werden auch von Mehreren aus der Stadt besucht, namentlich habe ich Julchen und Cäcilie fast jedesmal dort bemerkt, wenn ich einsah, auch Frau Bernwacht und Therese zuweilen, Ida sehr selten. Ich blieb nicht immer die ganze Zeit über da, gewöhnlich während der Rede, oder ich kam gegen das Ende und wagte mich dann nicht über die Thür hinaus. Das lange Singen ermüdet mich bald, und die Begleitung ist auch nur sehr mittelmäßig, auf einem alten Klaviere, welches wahrscheinlich aus Rücksicht auf seine langjährigen Dienste an dieser Stätte noch in Activität bleibt. Vorigen Mittwoch war man nun in Verlegenheit, wer das Amt des Organisten in der Eile übernehmen sollte, der alte Kantor aus der Stadt, ein freundlicher Greis, der es bis dahin verwaltet, war unterwegs ausgeglitten und hatte sich die Hand verstaucht; die Gräfin war um ihn bemüht, schickte nach einem Arzte und bedauerte, daß ihr Mann verreist sei, er spiele so gut Choräle, der Sekretair spiele zwar auch Klavier, aber so viel sie wisse, nur moderne Sachen, nun es müsse auch ohne Begleitung einmal gehen, der Rentmeister sei ein zuverlässiger Sänger, der könne den Ton angeben. – Nun weißt Du, was geschah. Ja, ich spielte; ein mächtiges Choralbuch war ja da, und ich fühlte mich ganz wohl dabei; aber eigner Mensch, der ich bin, ich genirte mich nachher den Blicken Julchens und Cäciliens zu begegnen. – Da der alte Mann sich noch schonen soll, werde ich noch einige Male den Platz am Instrumente einnehmen. Die Gräfin war sehr gütig und erlaubte mir, den Flügel im Speisesaale nach Gefallen zu benutzen, werde es aber nicht oft thun, die Zeit fliegt ohnehin fast allzuschnell dahin.

Das ist Mittwochs. Freitags gehe ich mit dem Bürgermeister zu einer Parthie Schach nach dem Klubb, und Sonntags ist Leseabend bei Bernwachts, an welchem, außer Julchen, noch ein Paar junge Damen Theil nehmen, die mir gegenüber sehr schüchtern sind, und von denen ich kaum mehr als die Namen, und daß sie Cousinen Theodors, des Verlobten Theresens sind, weiß. – Die Lectüre wird durch die Mitglieder bestimmt; jede der Damen wird der Reihe nach für ein Buch sorgen, dann nach Cäcilien, als der Jüngsten, komme ich, und simulire öfter schon, was ich auswählen soll, um Alle zu befriedigen, ein solches Buch wird schwer zu finden sein; Dumas wäre etwas für Ida, Göthe für Theresen, aber ich möchte gar nicht Cäcilien den Grafen von Monte Christo oder Faust oder die Wahlverwandtschaften vorlesen hören. Neulich fragte ich sie nach ihren Lieblingsschriftstellern, da nannte sie mir mehrere Lyriker, dann Andersen, die Bremer, Nathusius, Namen, die mir zum Theil ganz unbekannt waren. Vielleicht kannst Du mir etwas vorschlagen.

So unter Arbeit und in angenehmer Gesellschaft verstreicht die Zeit sehr schnell, und die Wochen entfliehen wie Tage. Als ich kam, blühten die Rosen, jetzt wirbelt der Schnee um's Fenster und die Raben sitzen auf den nackten Bäumen, und doch ist's mir, als hätte ich vor Kurzem erst das liebe Nest nach so manchem Jahr der Abwesenheit wieder gesehen. Gestern habe ich viel von Dir gesprochen und soll Dich auch von Julchen grüßen. Ebenso wie sie, hören die Mädchen im Bernwachtschen Hause gerne von Dir; ich habe Dich vor einigen Tagen, auf Ida's Begehr, vom Kopf bis zu den Füßen schildern müssen. Zuweilen lese ich ihnen Stellen aus Deinen Briefen vor, eigentlich nicht ihnen, sondern nur Theresen und Cäcilien, die sich am meisten dafür zu interessiren scheinen. Sie wünschen Alle, Du möchtest mal kommen. Ginge es nicht? Freilich nicht vor dem Frühlinge, und wo bin ich dann? – Zwar habe ich außer meiner Arbeit hier im Schlosse noch zwei Bilder anzufertigen versprochen und ein drittes wünsche ich in doublo zu malen, aber zum Frühjahr werde ich mich doch wohl reisefertig machen müssen. Wohin? – Das weiß ich noch nicht. Das Leben in den großen Städten, wo ich nirgends heimisch bin, wird mir nachher schlecht behagen, ich muß mich wohl irgendwo, auf irgend einem schönen Fleckchen der weiten Erde häuslich niederlassen. Was meinst Du dazu, erscheine ich Dir schon gereift genug zu einem Hausherrn, oder glaubst Du, daß ich meine Lehr- und Wanderjahre noch ausdehnen muß, um später mit um so sicherer Hand das Fundament zu meinem Lebensglücke zu legen? –

Im Kreise solcher Familien, wie die des Grafen und Bernwachts, steigen bei dem flatterhaftesten Menschen solide Gedanken auf; ich könnte mir mein Haus in Zukunft sehr hübsch denken, es würde im Aeußeren etwas alterthümlich mit Schnitzwerk, Erker und schwerem Messinghammer an der eichenen Hausthüre sein, es würde tiefe, weite Fensternischen und behaglich eingerichtete Zimmer haben. Unten wären Empfang- und Wirthschaftszimmer, oben die des Hausherrn und das Kabinet der Frau, das wäre ein kleines licht- und blumenreiches Gemach, mit einem Fortepiano, Bücherschrank und schönen Gemälden, wüßte ich doch jenen Christus wieder aufzuspüren! – In dem Erker würde eine Staffelei stehen können, vielleicht wäre sie der Frau nicht zuwider, und während ich malte, tauschten wir unsere Gedanken aus, oder sie läse oder spielte.

Das Bild ist verlockend, ich muß es bedecken, mich davon abwenden, vielleicht ist es ebenso unerringbar wie jener spurlos verschwundene Christus. – Doch genug, ich muß heute noch einen weiten Spaziergang machen und schließe mit einem Gruße warmer, brüderlicher Liebe.

Justus.

Den 13. December.

Liebe Schwester, ich habe eine Menge Aufträge für Dich. Du schriebst im letzten Briefe, Du würdest vor Weihnachten noch einmal nach Berlin reisen, das paßt ganz zu meinen Wünschen. Burga hat es nämlich bei ihren Eltern dahin gebracht, daß ich die Erlaubniß erhielt, den heiligen Abend des Weihnachtsfestes bei ihnen zuzubringen, und nun wollte ich Dich bitten, in Berlin passende Geschenke für die Familie auszusuchen. Ich denke, eine hübsche Schreibmappe mit schönem Papier würde Theresen nicht unwillkommen, eine Auswahl neuer Tänze oder irgend ein Putzgegenstand für Ida nicht unpassend sein. Burga und Berga müssen etwas Egales haben, oder Gemeinschaftliches, Noten zu vier Händen etwa, oder Spiele, oder eine wohleingerichtete Kochanstalt, was Du willst, Du wirst schon das Richtige treffen. Für Cäcilie etwas zu wählen, ist schon schwerer; ich habe an Scrivers Werke gedacht – ich habe in diesen Büchern gelesen, sie stehen in der mir zugänglichen Bibliothek des Grafen – aber wie könnte ich es wagen, ihr ein Erbauungsbuch zu schenken! Aber wenn Du dennoch meinst, es ginge, dann schicke sie, in recht würdigem, gediegenem Einbande. Vielleicht machten ihr auch Märchen, mit vielen Bildern im Text, Freude, es müßte aber schon etwas sehr Gutes sein, gehaltvoll, in der Form gelungen, und jedenfalls in einer Prachtausgabe; erkundige Dich doch, was es Bestes in der Art giebt. Auch habe ich an Schmucksachen gedacht: ein Perlenhalsband mit schönem, goldenem Schlosse würde ihr vortrefflich stehn; doch Perlen bedeuten Thränen, mein Geschenk soll weiter keine Bedeutung haben, als ein Andenken an diesen heiligen Abend, die der Thränen gewiß nicht, und so ist es auch mit einem goldenen Kreuze, welches sie vielleicht trüge, aber nein, Kreuz bedeutet Leid.

Du siehst wohl, für Cäcilien weiß ich garnichts, suche Du nur etwas aus, was für ein frommes, sinniges und schönes junges Mädchen paßt, vergiß aber nicht, mir auch all die Sachen, welche ich angedeutet habe, mit zu besorgen, es könnte doch sein, daß mir das Eine oder Andere davon noch wünschenswerth für sie erschiene. Gern malte ich ihr etwas, aber was? Sie hat so viel Schönheitssinn, so viel Kunstverstand, werde ich ihr in der kurzen Zeit, neben den mir aufgetragenen Arbeiten, noch etwas Würdiges schaffen können? Ich bezweifle es. Für die kleine Johanne habe ich ein Album machen lassen, welches ich mit Zeichnungen aus der biblischen Geschichte schmücke, ein kleines Büchlein nur. Ein Album wäre auch etwas Passendes für Cäcilie, aber ich müßte es ihr fast leer überreichen, und das möchte ich nicht. Höre, Kind, besorge doch auch eine Prachtmappe von Sammet und einfachem Golddruck, es könnte sein, daß ich unter meiner Sammlung noch so viel Gutes zusammenfände, was ich ihr, ohne lächerlich zu erscheinen, anbieten dürfte. –

Lebe wohl, liebes Kind, ich habe es sehr eilig.

Dein Bruder Justus.

Um allem Irrthum vorzubeugen, füge ich diesem Briefe ein einfaches Register derjenigen Dinge bei, welche ich für Cäcilien besorgt zu haben wünschte: 1) Scrivers Werke, 2) Märchen, 3) ein Perlenhalsband, 4) ein goldenes Kreuz, 5) eine Mappe, und 6) Verschiedenes, durch welches Dein Geschmack meiner Rathlosigkeit zu Hülfe kommen könnte.

J.

Was meinst Du, schenke ich auch den Alten etwas? Es wäre wohl nicht gut angebracht, aber Julchen muß etwas haben; sinne nach, was es sein kann. Spare ja nicht, ich lege einen Wechsel von 50 Rthl. bei, und reicht das Geld nicht, so lege nur für mich aus.

Dein Bruder.

Den 20. December.

Welche Wichtigkeit ein Bräutigam ist! Kommt so ein Mensch in's Haus, so erschallt vom First bis in's Souterrain ein Jubel: er ist da, Heil, er ist gekommen! Selbst Cäcilie, ja gerade Cäcilie läuft mir da heute Morgen entgegen, daß die schwarze Sammetschleife im Haar in ungewohnten Schwung kommt, sieht mich mit beiden Augen freudenvoll an und ruft: »Theodor ist hier!« – »So?« fragte ich ganz kühl; ich fühlte gar keine so große Veranlassung zur Freude. – »Ja, und bleibt bis acht Tage nach Neujahr, kommen Sie, ich werde Sie vorstellen,« und hin ging's zu dem Herrn Theodor, der doch auch Seinesgleichen in der Welt hat. Sonst ist er ganz nett, – er hat in der That etwas sehr Einnehmendes, und durch die Briefe seiner Braut von meiner Einbürgerung im schwiegerväterlichen Hause benachrichtigt, reichte er mir mit offener Herzlichkeit gleich die Hand zur Einleitung eines freundschaftlichen Verkehres. – Ich bin neugierig zu wissen, ob man mit mir, wenn ich einmal Bräutigam sein werde, auch so viele Umstände macht. –

Deine Sendung ist noch nicht angekommen, ich erwarte sie täglich. – Die Vorfreuden des Festes beginnen, Pfeffernüsse durchduften fast alle Häuser seit längerer Zeit, und Tannenbäume schleichen in der Dämmerung durch die Straßen, um unbemerkt in die Häuser zu schlüpfen, die Geheimnisse mehren sich.

Die Gräfin ist ganz Glück, so recht in ihrem Elemente, aber wann ist sie dies nicht? – Ohne Unterlaß gehen Boten mit Commissionszetteln nach allen Himmelsgegenden; verschiedene alte und junge sanfte Frauengesichter erscheinen geheimnißvoll mit großen Körben voller Sachen im Schlosse und ziehen sich, ihrer Bürde entledigt, mit augenscheinlicher Befriedigung wieder zurück. Sie scheinen den Frommen anzugehören, denn diese mögen alt oder jung, hübsch oder häßlich sein, ein gemeinsames Kennzeichen haben sie Alle, sie zeigen fast beständig ein heiteres Gesicht, ein ruhiges Auge, die Seufzer über das menschliche Elend sind nur vorübergehend, der liebe Herr macht alles, was uneben ist, ihnen wieder gerade. Julchen ist mir das Ideal solcher Frommen. Man möge diese Leute in Zukunft in meiner Gegenwart nicht wieder angreifen, ich werde sie entschlossen, mit dem Muthe der Ueberzeugung vertheidigen. Sehr möglich, daß es auch unter ihnen Heuchler giebt, aber wo giebt es keine? Wie viele Freigeister, die ihre Thaten ihr Gottsein beweisen lassen wollen, verbergen bedächtig viele ihrer schmutzigen Werke vor den Augen der Welt, verstecken unter Phrasen über Berechtigung, Freiheit und dergl. die an sich wohl erkannten Flecken. Hier ist es anders, und wer sich wohl fühlen, vereinfachen will, wieder in das Paradies der Kindheit zurückversetzen möchte, komme nach Burgwall, wo nichts von der verschrieenen Kopfhängerei an den Gläubigen zu merken ist, wo Hoch und Niedrig das Band Einer Liebe, Eines Glaubens verbindet. Halte mich wegen dieses Zeugnisses aber ja nicht für einen mit ihnen in Christo Verbündeten, Du würdest sehr irren. Ich möchte es wohl sein, weil ich sehe, wie innigst befriedigt sich diese Menschen fühlen, welche Geduld sie beweisen, welche Todesfreudigkeit sie haben. Auch das habe ich nicht aus Schilderungen, denn fern ist diesen Leuten Proselytenmacherei; sie brauchen nicht klüglich zu sprechen, um für sich und ihre Lehre zu werben, sie sind anziehend, das ist mehr als Jenes. – Ich hörte öfter von einem alten, sehr leidenden Manne im Bernwachtschen Hause reden, und ging eines Abends zu ihm. Möchte ich einst so heiter sterben, wie dieser Greis! – Als ich ihn fragte, ob ich ihm irgendwie dienen, ihn mit etwas erquicken könnte, deutete er auf ein Buch und einen Gesang, den ich ihm daraus vorlesen sollte; ich that es mit Schüchternheit, das kindliche Verlangen nach der frohen Ewigkeit, welches in diesem Liede lebte, war mir fremd, der Alte kannte es. Und dann wie dankbar war er. »Der Herr wird es Ihnen lohnen,« verhieß er. Einige Tage später war er bei seinem Herrn. Ich sagte es Bernwachts, als ich es gehört hatte, sie wußten es schon, und Cäcilie sagte mit freudigen Augen: »Wie schön wird er Weihnachten feiern!«

Solch ein Glaube kann da schwerlich einziehen, wo er so lange belächelt ist; ich habe ihn nicht, aber ich muß ihn ehren. –

Gestern Abend nach Tisch war ich noch im Familienzimmer, wo wir ausnahmsweise gegessen hatten, als die Gräfin ein dickes Buch hervorholte, um ein Weihnachtslied auszuwählen. Der Graf, der sich mit mir unterhielt, wurde zu Rath gezogen, und endlich ein Gesang zum Festliede ausersehen. Es gefiel auch mir besonders, und als die Gräfin Anstalt machte es abzuschreiben und viele Quartblätter schnitt, welche zeigten, daß sie es in vielen Exemplaren haben wollte, bot ich meine Hülfe an. Ein freudiger Blick lohnte mir. »Finden Sie das Lied schön?« fragte sie. – »Ja,« erwiederte ich, »es sagt mir sehr zu.«

»O, das ist auch eine Festfreude,« sagte sie herzlich, und reichte mir die Hand zum Drucke; ich küßte sie aber demuthsvoll.

»Die Wahrheit ist eine siegreiche Macht,« sprach der Graf, »und eine so selige,« fügte seine Frau hinzu.

»Aber mein Herz und mein Verstand sind sehr trotzig,« entgegnete ich, »sie wehren sich selbst dann noch, wenn sie schon die Größe des Ueberwinders ahnen und ehren.«

»Es wird Ihnen nichts helfen,« sagte der Graf, und drückte mir warm die Hand; »die Wahrheit bedarf nur geringen Raumes, um bald siegreich das Feld zu behaupten. Gott segne das Fest an Ihrem Herzen!«

»Amen!« hallte die Gräfin.

Ein Jahr zurück, nur ein halbes, und wie anders damals und jetzt! Was ich jetzt zu sein wünsche, verlachte ich damals, Glauben nenne ich, was damals Vorurtheil hieß, Aufklärung, was Befangenheit genannt wurde. Und dieser Umschwung geschah in aller Stille, und was das Traurige dabei ist, ich stehe nur draußen vor der Schwelle des Heiligthums, höre mit dem einen Ohr die Harmonie drinnen, mit dem andern das Spotten ehemaliger Genossen. Dennoch beschwere ich mich keineswegs, und wenn ich die ganze Wahrheit sagen soll, so bin ich auf die Entwickelung dieses Seelenprozesses neugierig. Wie und wann werde ich so glückselig werden wie der Graf, oder sein Gärtner, oder Julchen, oder wird eine Reaction eintreten? Ich wünschte, jene Leute wären wirklich in der Wahrheit, und Gott hülfe mir auch dazu zu kommen. Gottes und Marien Sohn! –

Julchen sagte vor einigen Tagen zu mir: »Worin liegt denn eigentlich das Unglück, wo steckt der Knoten?«

»Ich möchte gern ein Christ sein, wie andere mir liebe Menschen, und bin es nicht im Stande.«

»Warum wollen Sie es denn sein?«

»Weil ich das Beste nicht für zu gut für mich halte, als Gottes Kind könnte ich ja auch wohl ein Christ sein.« – Sie lächelte, mußte aber wieder fragen, warum ich das Christenthum für »das Beste« hielte, und ich sagte ihr, daß ich die Wirkungen seiner Vortrefflichkeit nun hinlänglich wahrgenommen hätte, um zu diesem Schlusse zu kommen, und zweitens gedächte ich zuweilen mit einem peinvollen Gefühle an meine mögliche Verblendung, an meine Undankbarkeit, wenn Christus nämlich wirklich der wäre, den ich nicht glauben könne.

»Wenn es so steht, dann wenden Sie sich nur mit Ihrem Verlangen an Ihren Schöpfer, beten Sie nur das schönste Gebet, welches wir haben, Sie beten dann zu Ihrem Gott, und ganz im Sinne dessen, den Sie suchen, mit seinen eigenen Worten.« –

Das thue ich auch, und lasse es nun auf Ihn ankommen, lese auch fleißig in der Bibel. Zuweilen prüfe ich, da nicht zu verkennen ist, daß ich gewissermaßen mich der Kindheit wieder nähere, ob ich in meinem Urtheile über andere Dinge auch anders, etwa schwächer, geworden bin, ob mein Auswendiges gelitten hat, so fest hänge ich an Vorurtheilen! Aber lachend muß ich mir gestehen, daß ich noch alle meine Gaben gut bei einander habe, und mein der Freude so gern offenes Herz mit vielen schönen Gefühlen angefüllt ist.

Das Lied will ich Dir abschreiben, es ist von Gerhard Tersteegen und heißt:

 Jauchzet ihr Himmel! frohlocket ihr englischen Chöre,
Singet dem Herren, dem Heiland der Menschen zu Ehre;
Sehet doch da! Gott will so freundlich und nah
Zu den Verlornen sich kehren.
 
 Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Enden der Erden!
Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden;
Friede und Freud' wird uns verkündiget heut';
Freuet euch Hirten und Heerden.
 
 Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget!
Sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget!
Gott wird ein Kind, träget und hebet die Sünd':
Alles anbetet und schweiget.
 
 Gott ist im Fleische, wer kann dies Geheimniß verstehen?
Hier ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen,
Gehet hinein, macht euch dem Kinde gemein,
Die ihr zum Vater wollt gehen.
 
 Hast du denn, Höchster, auch meiner noch wollen gedenken?
Du willst dich selber, dein Herze der Liebe, mir schenken?
Sollt' nicht mein Sinn innigst sich freuen darin
Und sich in Demuth versenken? –
 
 König der Ehren, aus Liebe geworden zum Kinde,
Dem ich auch wieder mein Herze in Liebe verbinde,
Du sollst es sein, den ich erwähle allein,
Ewig entsag' ich der Sünde.
 
 Süßer Immanuel, werd' auch geboren inwendig,
Komm doch, mein Heiland, und laß mich nicht länger elendig,
Wohne in mir, mach mich ganz Eines mit dir,
Und mich belebe beständig.
 
 Menschenfreund Jesu, dich lieb' ich, dich will ich erheben,
Laß mich doch einzig nach deinem Gefallen nur leben,
Gieb mir auch bald, Jesu, die Kindesgestalt,
An dir alleine zu kleben.

Zuweilen drückt sich der Verfasser ein bischen wunderlich aus, aber paßt das Gedicht nicht genau auf mich und meinen gegenwärtigen Zustand? So finde ich es auch mit vielen Bibelstellen, oft finde ich Worte des Rathes in der Bibel, die mir fast wie ein Wunder vorkommen, denn vor fast zweitausend Jahren geschrieben, beantworten sie genau eine nur gedachte Frage der Gegenwart. Wenn Jesus doch noch auf Erden lebte! – Das sieht nun aus wie der fromme Seufzer eines Heiligen, während ich, weit davon entfernt, durchaus ein Kind dieser Welt bin, und den Heiligen eigentlich so ziemlich gänzlich verleugne. –

Gute Nacht, liebe Schwester; es ist bei meinem Schreiben spät geworden. Wie die Sterne draußen funkeln! Der Schnee liegt hoch, weit und breit, die Natur feiert auch auf ihre Weise. – Ich lege diesen Brief auf ein Bild, welches Du Dir längst gewünscht hast, und schicke es Dir mit den wärmsten Grüßen. Lebe wohl!

Dein Bruder Justus.

Am 2. Weihnachtsfeiertage.

Es läutet eben zum Nachmittagsgottesdienst, die Sonne lacht heiter in's Fenster und läßt die vergoldeten Aepfel an meinem Weihnachtsbaume hell erglühen. Dein Brief, der mit all den vielen empfangenen Geschenken darunter liegt, redet mir zu zu schreiben, und – hier bin ich.

Ich bin in einer wundervoll friedereichen Stimmung. Das Leben ist kein Traum, aber ein Räthsel, ein unerschöpflicher Glückesborn, ein sinnreicher Lehrmeister, der zugleich beschämt und beseligt. Warum es mir so einzig im Kopf und Herzen klingt, kann ich nicht genau auseinandersetzen, in Summa aber ist es die Liebe, die mich jubeln und danken läßt. Liebe überall! – »Also hat Gott die Welt geliebt« – kennst Du das auch, daß irgend eine Strophe oder ein anderes Wort unablässig im Ohre klingt, daß man es gar nicht los werden kann? So geht es mir heute mit den Worten: »also hat Gott die Welt geliebt.« – Die Welt hat diese Liebe begriffen, wie entzückt sieht sie aus, wie verschwenderisch ist sie im Nachahmen jener Liebe, auch ich werde damit überschüttet, aber ich erwiedere, verlaß Dich darauf! –

Ich möchte, ich könnte Dir auch all die schönen Sachen zeigen, die mir am heiligen Abend bescheert wurden, da liegen sie festlich im Sonnenglanze: ein neues Testament von der Frau Gräfin, ein warmer, weicher Reisepelz von dem Grafen, von Johannen der Baum – das süße Geschöpf mit seinen prächtigen Einfällen! – Nun kommen die aus dem Bernwachtschen Hause: eine Specialkarte der Provinz vom Alten, ein riesiger Pfefferkuchen von Frau Bernwacht; Therese hat mir eine Uhrschnur gearbeitet, Ida ein Notizbuch gestickt, Cäcilie drei Lesezeichen, Burga und Berga ein Paar farbenreiche Morgenschuhe. Auch von Julchen liegt etwas da, etwas Rührendes: es ist ein Brief von unserer Mutter, ich will ihn Dir abschreiben.

Liebes Julchen. Hier schicke ich Dir das Probehemdchen für Paulinen, die neuen müssen aber eine handbreit länger und weiter gemacht und auch in den Aermeln verhältnißmäßig größer werden. Gern hätte ich es Dir selbst gebracht, Du weißt, ich wünschte schon am Sonntag bei Euch zu sein, aber mein Justus ist unwohl, und ich mag ihn, da er so stürmisch ist und seine Vorsätze leicht vergißt, nicht verlassen, er könnte leicht etwas thun, was ihm schadete, das Mutterherz ist so ängstlich! –

Gott befohlen!

Deine Marie.

Die alte Zeit lebt auf, ich sehe der Mutter zarte Gestalt, ihr sorgsames Auge. Das Wort, das längst ungewohnte, mein Justus, weckte ein Sehnen in mir, oder schärfte es nur – aber ich will nicht mehr stürmisch sein, Pauline, meine guten Vorsätze sollen erstarken.

Wie es im Feste war? Schön. Erst allgemeine Bescheerung hier im Schlosse, die ganze Bewahranstalt, alle Waisenkinder waren da. Ehe sie in den Speisesaal, wo Alles arrangirt war, eingelassen wurden, war Andacht im daranstoßenden Betsaale, ähnlich wie schon manchmal, nur viel freudiger noch. Auch die Bernwachtschen Töchter waren sämmtlich da. »Mama baut auf,« flüsterte Berga, »freuest Du Dich nicht schrecklich?« – »Nein, ich freute mich recht schön, für Niemanden zum Erschrecken, ganz sanft wie ein gutes Kind, ähnlich vielleicht wie Cäcilie.« –

Die von der Gräfin für die Kinder bestimmten Geschenke waren durch freiwillige Beiträge aus der Stadt bedeutend vermehrt; ich entdeckte auch hübsche, braun- und rothgestreifte Schürzchen, welche ich unter Theresens Händen entstehen gesehen, und eine Menge kleiner gestrickter Handschuhe wollten mich an ein junges Mädchen erinnern, dessen Fleiß ich in den Leseabenden zu bewundern Gelegenheit gefunden hatte. – Allgemeine Freude auf dem Schlosse und ebenso bei Bernwachts, Jeder gab, Jeder empfing und war in bewegter Stimmung. –

Deine Einkäufe habe ich mit vieler Freude empfangen und ausgetheilt, doch anders wie ich anfangs beabsichtigte. Als ich den Berg Geschenke für Cäcilie erblickte, stieg's wie Spott über meine Zuversichtlichkeit in mir auf: mit welchem Rechte durfte ich sie so auffallend vor ihren Schwestern auszeichnen? Nur Amarant, welches ich Deiner Wahl verdankte, und das mich gleich, nachdem ich hineingesehn und ein Paar Verse gelesen hatte, für sich entschied, legte ich, nebst einem frischen Bouquet aus dem Treibhause, auf ihren Platz unter dem Baume, das andere Buch, »die weite, weite Welt,« will ich für die Leseabende aufheben. Therese erhielt zu ihrer Briefmappe die Perlen, Ida zu den Noten das Kreuz, Julchen außer dem Muff Scrivers Werke, und den Kleinen steckte ich die Mappe voll Zeichnungen. Alle fanden sich sehr reich beschenkt; noch an demselben Abend sah ich Cäciliens Wangen sich höher färben durch – Amarant. Sie findet es schön, und hat es ihrerseits zum Beitrag für die Leseabende bestimmt, obgleich Theodor sie mit den herrlichen Briefen »Wilhelm von Humboldts an eine Freundin,« beschenkt hat. – Nun auch Dir Dank, Schwesterherz! Dank für jeden Ausdruck Deiner Liebe. – Dein Rath, mich mit meinen Ansiedlungsplänen nicht zu übereilen, ist begründet, und soll befolgt werden – ich sagte es Dir ja, ich habe nicht die leiseste Hoffnung, daß der süße Traum einst verwirklicht werden könne; ich will nichts übereilen, sondern still abwarten, wie Gott es will. Mein herzliches Lebewohl!

Justus.

Den 15. Februar.

Du mahnst mich an mein Versprechen, keine Lücke in unserm Briefwechsel entstehen zu lassen, so will ich schreiben, es ist jedoch wenig zu berichten. – Des Tags bin ich meist sehr fleißig, und die Abende verfließen in Dir bekannter, lieber Weise, nur lesen wir zweimal in der Woche, statt einmal. Wir sind bei der weiten, weiten Welt, und mit Ausnahme Ida's, die gleich durch den etwas breiten Anfang des Buches gegen dasselbe eingenommen wurde, findet es allgemeinen Beifall, besonders bei meinem kleinen, frommen Lieblinge, der Cäcilie. Sie schwärmt für Helene Montgomery, für Alice und St. John, sie liebt Master Vanbrunt, und entschuldigt – auf Ida's Angriffe – selbst alle vorkommenden kleinen Teufeleien, welche die wilde kleine Person, Helenens Plagegeist, ausübt, damit, daß das Alles nachher ihr leid genug gethan habe, und mehr könne man nicht verlangen. – Da fällt mir noch etwas Anderes bei, was charakteristisch ist. Vor einiger Zeit war ich Nachmittags bei Bernwachts. Draußen, vom wildesten Schneegestöber umstürmt, standen ein Mann und ein junges Mädchen, er drehte die Orgel, sie sang, und sang mit einer Ruhe und Resignation, aber dennoch melancholischer Stimme und Weise, das Lied – ich weiß seinen Anfang nicht – welches zum Refrain die Worte hat: »Das Leben ist ja nur ein Traum.«

Frau Bernwacht schickte einige Münze hinaus und sagte: »Die junge Person hätte besser gethan, in ihrem Dorfe zu bleiben, als in der Welt herum zu reisen; was hat sie nun davon? Ich sollte denken, die schwerste Arbeit wäre ein Vergnügen gegen diese Lebensweise.«

»Sie mag aus der Stadt sein, Mama,« entgegnete Therese nachdenklich, »und Du weißt, wie schwer es Vielen in den großen Städten wird, sich ehrlich zu ernähren, sie hat vielleicht schon Mancherlei vergeblich versucht und nothgedrungen dies Wanderleben begonnen.«

»Vielleicht hat sie eine arme, kranke Mutter zu Haus,« sagte Cäcilie mitleidig, und betrachtete sie ernst mit ihren warmen Blicken; »sie sieht recht so aus, als wenn ihr das Herz weh thäte.«

»In dem Falle hätte sie lieber die Barmherzigkeit der Menschen ansprechen sollen, und die Mutter pflegen,« beharrte die Bürgermeisterin, »dies Vagabondiren ist der Ruin für solche Mädchen. War es vorhin für sie schwer, ein Unterkommen oder Unterhalt zu finden, dann wird es ihr nachher fast unmöglich sein. Wer nimmt wohl ein Mädchen, was sich zu solchem Leben einmal bequemt hat, in Dienst? ich gewiß nicht.«

Ida war auch theilnehmend geworden und vertheidigte das Mädchen: sie arbeite ja auch, das sei, nach ihrer Meinung, immer besser als betteln. So lange man irgend Kräfte habe, müsse man Andern doch nicht lästig fallen wollen. Wenn sie z. B. in so unglücklicher Lage wäre zwischen Betteln und Straßensingen wählen zu müssen, so würde sie ihr Angesicht verhüllen und singen.

»Ich nicht,« sagte Cäcilie erregt, und reichte dem vorübergehenden Mädchen ein winziges, weißes Päckchen aus dem Fenster, »mir würde das Bitten gar nicht so schwer werden. Das Geben ist ja eine Freude, man kann sich ja mit seinen Bitten an solche Leute wenden, die dadurch nicht belästigt werden, und nun gar für Andere! – ich habe doch mehr Muth als Du, Ida.«

»Demuth,« sagte die Mutter. Cäcilie erschrak fast und senkte die Augen; sie sah gerade so aus, als dächte sie: Demuth – ich?

»Demuth – ja,« wiederholte Ida kühn, »aber Muth – nein: Du würdest lieber vergehen, als ein Leben führen, was unter dem Banne der öffentlichen Meinung steht, Du würdest fürchten im Bereiche des Niedrigen und Unreinen auch bei Dir selbst zu verlieren, Du bist überhaupt nicht sicher, trotz Allem, immer stehen zu können.«

»Nein, das bin ich nicht,« erwiederte die Schwester sanft, »ich mache ja alle Tage die Erfahrung, daß ich der göttlichen Hülfe und Gnade bedarf.« –

Bin ich ein Thor, Pauline, daß ich der Neugierde den Zügel schießen ließ, daß ich mich in ihre kleinen Geheimnisse eindränge? Ich habe das singende Paar in einer Spelunke aufgesucht und mir das Zettelchen zeigen lassen. Hergeben wollte ihn das Mädchen um keinen Preis, ich bot ihr viel, aber sie blieb fest, und warum soll ich ihr den Talisman, den Engelgruß nehmen, da sie ein armes, elendes Geschöpf ist, was vielleicht nichts Heiliges weiter in der Welt hat! – Auf dem Zettel, auf dem noch deutlich die Spur des eingewickelten Geldstückes zu sehen war, stand:

Habe Gott vor Augen und im Herzen, und hüte Dich, daß Du in keine Sünde willigest, noch thuest wider Gottes Gebot. – Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird Dich versorgen. Gott sei mit Dir, Amen.

Ich beschenkte sie reichlich und sie trug mir auf, der jungen Dame zu sagen – was natürlich wohl nie geschehen kann – daß sie nie wieder so singen würde. Sie sei einer allzu strengen Herrin entlaufen, Angehörige habe sie nicht mehr, ein Dienst sei nicht zu finden gewesen, sie habe Schulden machen müssen – so sei es gekommen. Nun sollte ein anderes Leben begonnen werden. – Ob ich ihr nicht den Namen des Fräuleins sagen wolle, sie wolle ihn dem lieben Gott nennen. »Glauben Sie denn an Gott?« fragte ich schon in der Thüre. »Ach,« seufzte sie da, »Sie dachten, ich wäre ganz verworfen!«

Ida's Bild ist bald fertig; ich habe Dir wohl noch nicht geschrieben, daß die Familienhäupter sich dem Aschenbrödelproject entschieden widersetzen. Die jungen Damen fanden es ganz hübsch und hätten ihre Einwilligung vielleicht nicht versagt. Zu Anfang der nächsten Woche gedenke ich Cäcilien zu malen, hier im Schlosse bin ich bald fertig. Noch bin ich unschlüssig, wohin ich von hier gehe, zuweilen denke ich an das Morgenland, es wären interessante Studien dort zu machen, und vielleicht – ich träume wieder! nein, ich will nur in der Nähe bleiben. –

Weißt Du, ich habe ein Lied gehört, das Du Dir in einer Musikalienhandlung suchen mußt. Von wem es gedichtet und componirt ist, weiß ich nicht, aber ich habe es singen hören, kann Dir auch den Text schreiben. – Ida war bei der letzten Sitzung mißgestimmt, und ich wollte, weil ich diese Linien des Verdrusses nicht in das Portrait einfließen lassen mochte, zu malen aufhören, als Therese Cäcilien bat, dies Lied zu singen, sie meinte mit Recht, dann würde die Wolke wohl verfliegen. Du magst den Text sehr einfach finden, vielleicht ganz unbedeutend, ich versichere Dich aber, das Ganze war von ergreifender Wirkung.

 Du Tropfen Thau, seh ich dich an,
Kommt mir die Thräne süß und still,
Weil du so treu dein Blümlein liebst,
Wie ich wohl einmal lieben will.
 
 Und trennt dich auch an jedem Tag
Von deinem Lieb der Sonnenschein,
Du kehrst am Abend stets zurück,
So muß wohl treue Liebe sein.
 
 Und stirbt dein Lieb vom Sonnenbrand,
Dann stirbst auch du im letzten Kuß,
Ich seh dich an und sinne still;
Wie solch ein Tod beglücken muß! –

Wie ich wohl einmal lieben will! Sie weiß es nicht, das Kind, und doch dieser hinreißende Vortrag, dieser unvergleichliche Ausdruck! Es liegt gewiß darin, daß es ihr angeboren ist, nie Mißgriffe zu begehen, in Allem vollendet zu sein. – Ida wurde ganz sanft und schön, ich unruhig, mir klopfte das Herz vor schmerzlicher Wemuth. Cäcilie und ich, welch ein Unterschied! Kannst Du mir nichts nennen, was die Kluft ausfüllen könnte? Doch wie spreche ich, wie solltest Du junges Kind wissen, was der Weiseste auf Erden nicht erdenken könnte. Lebe recht, recht wohl!

Justus.

Am 2. März.

Bin bei der süßesten Arbeit, Du weißt bei welcher. Natürlich sind wir nie allein, aber wozu auch? ich würde ihr doch nichts sagen, nicht von fern meine schneeweiße Lilie beunruhigen. Wir plaudern herrlich unbefangen mit einander und ich bin auch, ihr gegenüber, vollständig befriedigt. Was könnte ich noch Schöneres wünschen, als sie ansehen, ihre freundliche Stimme hören zu dürfen, die mir des Lieblichen so viel sagt: – Sie ist ganz vertrauungsvoll, und plaudert, was ihr in den Sinn kommt. »Was wird Theodor sagen,« meinte sie gestern, »wenn er wiederkommt und mich auch gemalt sieht; ich habe es immer für Scherz gehalten, wenn Sie davon sprachen.« – »Warum,« fragte ich, »sah ich so spaßhaft dabei aus?«

»Auch wohl, und ich bleibe ja bei den Eltern.« –

»Ida ja auch,« wendete ich ein, als wäre das kein Grund. Sie lächelte. »Wenn Sie wieder kommen, müssen Sie Theresen auch malen,« fuhr sie fort, »in spätestens zwei Jahren ist ihre Hochzeit und dann verläßt sie Burgwall.«

»Komm ich denn wieder?« fragte ich.

»Ich dachte,« antwortete sie ganz erstaunt.

»Und so bald?« fuhr ich zu fragen fort.

»Das müssen Sie am besten wissen.« – Ich schüttelte den Kopf; es schien mir gerade in diesem Augenblicke, als sei es doch besser, ich kehre in Jahr und Tag nicht wieder hierher zurück. – Zuweilen erzählt sie etwas aus ihrer Kinderzeit, und wie frisch lacht sie dabei! Neulich wurde das Gespräch zwischen ihr und den Schwestern sehr lebhaft, man neckte sie mit vergangenen Zeiten, da hatte sie sich zu vertheidigen, und dann mußte sie wieder lachen, sie wurde ganz unruhig auf ihrem Stuhle und wendete sich bald hier und bald dorthin, ich vergaß das Malen darüber und sah sie an. Plötzlich fiel ihr Blick auf mich, wie ich dasaß, nichts that und sie betrachtete, sogleich setzte sie sich in Positur, neigte sich mir etwas entgegen und flüsterte: »Sie sind eigentlich sehr gut – nicht wahr Mama?«

»Was denn?« fragte diese.

»Herr Brand ist sehr gütig, so geduldig zu warten.« –

Hätte sie die Sache nicht unter uns lassen können? – aber nein, sie hat nichts zu verheimlichen, was mich angeht.

Julchen Hermann hatte, als sie an der Reihe war, kein Buch mitgebracht, und appellirte an die Großmuth der Jugend, die da nichts verlangen werde, wo nichts sei, sie habe keine belletristischen Bücher. Sie kam aber mit ihren schönen Reden nicht durch, sondern mußte sich bequemen frei eine Erzählung aus dem Leben vorzutragen, und wenn nicht aus ihrem eigenen Leben, so doch aus ihrer Zeit.

Nach einigem Weigern that sie's, und ich will sie Dir copiren.

Der Sohn der Wittwe.

Nicht weit von der Försterei zu Drosehalm, liegt ein kleines Haus, welches vor mehreren Jahren einer Wittwe gehörte, die mit ihrem einzigen Sohne, einem lebhaften, gescheuten Knaben, in der einförmigsten Weise darin lebte. Während Ludwig, so hieß der kleine Wildfang, der die Gedanken der stillen Frau fast beständig beschäftigte, in der Schule war, besorgte sie das kleine Hauswesen, führte die Ziegen auf die Weide, arbeitete in dem Gärtchen, welches die Vorüberfahrenden, wenn sie um die Waldecke bogen – das Haus lag an der Landstraße – vom Frühling bis zum Herbste, wie ein unerwarteter, freundlicher Gruß, durch seine lachenden Blumen überraschte, oder sie saß auch im Zimmer und spann. That sie Letzteres, dann konnte man sicher daraus rechnen, daß irgend ein Erbauungsbuch, die Bibel war ihr das liebste, aufgeschlagen neben ihr lag, denn durch die jahrelange Uebung hatte sie es dahin gebracht, daß sie neben dem Spinnen auch lesen konnte. – Zuweilen erhielt die Wittwe auch Besuch aus der Stadt, von Solchen, die ihr befreundet waren, und die auf der Reise nach der Nachbarstadt, vor ihrer Thüre vorbei mußten, oder von dieser oder jener armen Frau, die in großer Verlegenheit war, und Frau Schmidt um Rath, Unterstützung oder Fürsprache bitten wollte, denn es war bekannt, daß die einfache Frau im Waldhause unter den vornehmen Damen Gönnerinnen hatte, die sie an manchem lieblichen Abende in ihrem stillen Hause aufsuchten. Alle Besuchenden fanden dieselbe Aufnahme, sie erhielten sämmtlich zum Gruße ein freundliches Gesicht, die Hand zum Drucke und ein herzliches Willkommen. Alle gingen auch in der Regel befriedigt von ihr fort, die Bittenden, nachdem sie erhalten, was sie wünschten, die Trostesbedürftigen mit erneutem Muthe im Herzen, denn Frau Schmidt hatte stets guten Muth, sie konnte unter allen Umständen, zu jeder Zeit davon mittheilen. Auch die großmüthigen Damen, welche die Wittwe dann und wann besuchten – obgleich sie, trotz der Bitten der Kinder namentlich, nie in ihren Häusern in der Stadt zu sehen war – fanden sich in ihrer Gesellschaft und der stillen Stube, welche im Sommer eine schöne Linde beschattete, sehr behaglich. Die Kinder, welche sie mitbrachten, tummelten sich, während die Frauen sich drinnen unterhielten, auf dem freien Platze vor dem Hause, herum, oder näherten sich vorsichtig dem kleinen Flüßchen, das noch sehr jung und unerfahren, mit großer Eile, über Stock und Stein, durch den grünen Thalgrund, dem größeren, bedächtiger fließenden Fluße zu eilte, der sich um die Stadt schlingt. In den Garten zu gehen, wagten sie erst dann, wenn Frau Schmidt es ihnen ausdrücklich erlaubte, oder wenn Ludwig aus der Schule kam, der dann sogleich sein Bücherpaquet sammt Riemen in die erste, beste Ecke schleuderte, um als galanter Wirth sich seinen Gästen zur Disposition zu stellen. Heidi, dann gings lustig zu! kein ansehnlicher Schmetterling war seines Lebens sicher, er mochte flattern wo er wollte, über dem Bache oder über den Lilienkelchen, ihm wurde rücksichtslos nachgestellt. Ferner wurde den kleinen, schlanken Fischen aufgelauert, die ganz harmlos schaarenweise, zwischen den bemoosten Steinen, sich so wohlig dahinwanden; zuweilen war denn auch wohl eine schöne bunte Forelle darunter, die durfte dann nie entwischen, denn Forellen sind theure wohlschmeckende, vornehme Fische, wohlgeeignet für die Tische reicher Leute und Ludwig schenkte gerne. Er hatte sich dazu einen Topf mit durchlöchertem Deckel, von seinem Spargelde gekauft, damit er, so oft das Glück ihm wohlwollte, lebendige Forellen, auf seinem Schulwege der Frau Pastorin, oder Stadträthin, oder irgend einer namhaften Dame, mitnehmen konnte. Von vorn herein hatte er sich so zu stellen gewußt, daß man ihm solche Lieferungen nicht bezahlen konnte, nein, er nahm nichts, er durfte auch nicht, er dankte sehr, höchstens waren ihm ein Paar Aepfel aufzunöthigen, und die nahm er dann mit einer so tiefen Verbeugung, und bedankte sich so ernst, daß es aussah, als glaubte er, der besonders, hauptsächlich Beschenkte zu sein.

Aber Ludwig war durchaus nicht so bescheiden, wie es im Allgemeinen von ihm hieß, er war vielmehr stolz, und baute nicht, wie er durfte, Hoffnungen auf seine ihm von Gott verliehenen Gaben, sondern er pochte auf sie. Er war klug, geschickt und muthig, was lag nun daran, daß er nur eines schlichten Bergmannes Sohn und nicht der Sprößling einer Patrizierfamilie war? Das Blättchen kann sich wenden im Leben, dachte er, und blickte stolz dabei umher, was niedrig ist, kann hoch, und was hoch ist, kann ganz klein werden.

Einmal hörte seine Mutter einen solchen laut gewordenen Gedanken, da sagte sie: »Wenn Gott will – aber dem Demüthigen giebt Er Gnade.« – »Erkundige Dich doch, was die Leute von mir sagen,« entgegnete ihr der vierzehn Jahre alte Knabe, »Niemand wird mich hochmüthig nennen.« – »Du kannst wohl Menschen, aber nicht Gott betrügen,« erwiederte ihm seine Mutter sehr ernst, und nun hütete er sich wohl, seine innersten Gedanken wieder laut werden zu lassen.

Ostern darauf wurde Ludwig eingesegnet und zu einem geschickten Tischler in die Lehre gebracht, obgleich er seine Mutter fast fußfällig um die Erlaubniß bat, einen höhern Beruf wählen zu dürfen. Auch seine Lehrer riethen der Wittwe, dem Sohne eine umfassendere Ausbildung geben zu lassen, als die Schule es bisher thun konnte, denn seine Gaben seien nicht unbedeutend, und ein in ihm wohnender, nicht zu verkennender Ehrgeiz werde ihn spornen, ihre Opfer zu vergelten. Aber die sonst so sanfte Mutter zeigte hier eine große Festigkeit und blieb beharrlich bei ihrem Entschlusse, den Sohn ein Handwerk erlernen zu lassen, welches – das möge er selbst bestimmen. Eben sein Ehrgeiz sei es, der sie in dieser Sache so entschlossen mache, sie wolle das Ihrige dazu thun, diesen hochstrebenden Sinn zu demüthigen, damit er einst fähig werden könne, nach wahrhaft hohen Dingen zu trachten.

»Mutter, ist es denn etwas Gefährliches, ein guter Lehrer oder gar Prediger werden zu wollen?« fragte Ludwig mit Thränen in den Augen, »kann ich nicht dem lieben Gott viel besser dienen, wenn ich den Beruf habe von seiner Größe und Liebe den Menschen zu erzählen, als wenn ich dastehe und schmiede, oder leime, oder so etwas?«

»Wenn Du wirklich viel von seiner Größe wüßtest, und von heiliger Liebe getrieben würdest, mein Sohn, dann würdest Du demüthiger sein,« antwortete die Mutter, »etwas Sündlicheres kann ich mir kaum denken, als einen Geistlichen, der auf die Kanzel mit dem Gedanken kommt: heute werde ich gewiß bewundert werden, der mit seiner Predigt sich verherrlichen will; der das Kreuz predigt und den eigenen Ruhm vor Augen hat. Nein, Ludwig, bleib in unserm Stande, Du kannst darin sicherer selig werden.«

Ludwig sah sehr finster dazu aus, und er seufzte tief über der Mutter schreckliche, sein Lebensglück zerstörende, Verblendung, aber er konnte nichts dagegen ausrichten und so wurde er ein Tischlerlehrling.

Sein Meister nannte ihn musterhaft: er war fleißig, anständig in seiner äußern Erscheinung, zuvorkommend, ernst, zuverlässig, sein Lob ertönte reichlich, namentlich fand der Lehrherr es so rühmenswerth, daß er stets pünktlich an Ort und Stelle war, sei es zur Arbeit, zu Tisch, zur Kirche, oder sonst irgendwo, einem Versprechen oder Auftrage zu folgen; was er versprach, hielt er mit gewissenhafter Genauigkeit.

»Er wird einmal ein gemachter Mann,« prophezeihete er, »ich sehe schon den künftigen Gewerksvorsteher, wenn nicht Senator der Stadt in ihm.« – Wohl freute sich die Mutter über das Lob ihres Lieblings, aber sie bat den Meister inständig, es den Knaben nicht hören zu lassen.

»Glauben Sie, es ist Wasser auf seine Mühle,« stellte sie ihm vor, »es bewegt seinen Sinn die leidige Eitelkeit ohnehin genug.«

»Nun was schadet die Eitelkeit?« entgegnete der Meister fast unwillig, »wenn sie das Rad der Thätigkeit in Bewegung setzt und den Jungen alle seine Kräfte mit Lust gebrauchen läßt? Nichts für ungut, Frau Schmidt, aber Weibererziehung ist nicht für solchen aufstrebenden kleinen Menschen, Ihr möchtet aus lauter Zaghaftigkeit alle frischen Sproßen seiner kernigen Wurzel streng beschneiden, damit sie möglicher Weise nicht zu einer Wildniß heranwachsen.«

»Gott hat ihm doch den Vater genommen, und mich für ihn bestellt,« erwiederte die Mutter ganz sicher, »darum muß ich ihn nach der Einsicht erziehen, die Er mir gegeben hat.«

Die Lehrzeit verfloß. Zwei Jahre blieb Ludwig noch am Orte, dann schnürte er sein Bündel und ging in die Fremde. Der Abschiedstag war ein schwerer für seine Mutter, sie hatte nichts weiter auf der Welt, daran ihr Herz so ganz hing, wie diesen einen Sohn, und trotz seiner Fehler, als Sohn war Ludwig musterhaft! Aber es mußte geschieden sein, und die Liebe macht stark, besonders eine Mutter, welche freudigen Glauben zu Gott dem Herrn hat, sie küßte und segnete ihn, begleitete ihn auch über das Weichbild der Stadt hinaus und kehrte dann ergeben in ihr einsames Haus zurück. – Ihre Lebensweise blieb dieselbe wie bisher, nur daß sie nicht mehr wie früher, Sonntags auf der Brücke, die über den kleinen Fluß führte, stand und nach der Stadt hinsah, von welcher ihr Sohn sonst kam, und daß sie jetzt noch mehr betete als las.

Ein Festtag war allemal für sie, wenn der Postbote auf ihr Haus zuschritt. O, ihr Herz fühlte dann einen wahren Freudenrausch! – Die Nachrichten waren anfangs meist gut, Ludwig hatte fast immer in großen Städten Arbeit gesucht und gefunden, und schrieb gewöhnlich erfreut über das Gute, das man auf Reisen kennen lernen und einsammeln kann. Selten klagte er, auch vom Heimweh hatte er nicht gerade zu leiden, doch war seine innige Liebe zur Mutter unverkennbar. Mehr als es der bescheidenen Frau lieb war, deutete er an, wie er es ganz anders für die Zukunft mit ihr beabsichtige, sie sollte einst bequemer, schöner wohnen, ein Haus in der Nähe der Stadt haben, schon damit der Kirchweg ein kürzerer sei; er wollte dieses Haus mit den schönsten Möbeln schmücken, für wen er denn sonst etwas lerne, wenn nicht für sie? In diesem Tone schrieb er oft, wenn auch die Mutter zu mäßigen suchte, und darauf hinwies, daß ihr Glück nicht im Aeußerlichen bestehe, daß sie auch für ihren Stand und ihre Gewohnheit hinreichend mit dem Nöthigen, ja Angenehmen versehen sei.

Jahre verstrichen wieder, die Wittwe hatte ein ganzes Kistchen voller Briefe, sie hatte auch des Sohnes Bild und freute sich sehr darüber: es lächelte sie an und sah stattlich aus, der Jüngling war zum Manne heran gereift, nur schien es ihr, als wisse diese breite Stirn von Trotz, als läge in der ganzen Haltung eine Energie, die sich gegen jede zugemuthete Unterwerfung sofort empören würde. Aber seine Briefe waren ja so liebevoll, ihr war er doch ergeben, das war gewiß, sie wollte auch nicht zu ängstlich sorgen, sondern alle ihre Sorge auf Ihn werfen, der für uns sorgen will.

Dann kam aber eine Zeit, da seine Briefe das deutliche Gepräge des Mißmuthes trugen; er klagte, es werde den Abhängigen zu schwer gemacht sich den, ihren Fähigkeiten gemäßen, Standpunkt zu erringen, der Lohn sei im Verhältniß zur Arbeit zu gering, die Behandlung nicht selten unwürdig, die Besitzenden seien meistentheils herzlos – die Mutter wisse es nur nicht, wie es in der Welt zugehe, und er danke Gott, daß sie dieselbe nicht gebrauche. Die Mutter hatte genug zu ermahnen und schrieb auch, wenn es ihm draußen nicht gefalle, dann möchte er doch wiederkommen, sie sehne sich ohnehin so sehr nach ihm. Gewiß hätte er so viel gelernt, um die Innung mit einem Meisterstück zufrieden stellen zu können, dann könnte er in der großen Stube seine Werkstatt aufschlagen und sie würden Beide ein so recht seliges Leben, nach der langen Trennung mit einander führen. Diese liebevolle Einladung hatte aber eine sehr heftige Entgegnung zur Folge. Ob er darum so weit und lange gereist sei, um mit leerer Hand, als ein armseliger Gesell wieder zu kehren, und der Mutter Besitz zu seiner Etablirung zu benutzen? Nimmermehr! Er fühle hinlänglich Kraft in sich, es mit der Feindseligkeit einer ganzen verkehrten Welt aufzunehmen!

Dieser harte Brief kam im Waldhause bei Winterszeit an, als der Schnee hoch lag und die Wittwe schon wochenlang nicht aus dem Hause gekommen war. Wie sehnte sie sich nach der Kirche! Zwar war ihr Herz selber ein dem Herrn geweihter Tempel, und Haus und Garten und der stille Wald kannten den Austausch ihrer Gefühle gegen den Segen himmlischen Trostes, aber dort, wo sie die Weihe der Sakramente empfangen, sie und ihr Sohn, dort betete sie besonders freudig für den geliebten Fernen. Nun ging es nicht, sie konnte kaum zur Försterin kommen, um sich in ihrer Herzensbeklemmung an einigen freundlichen Worten der Försterin zu erquicken, sie war mit ihrer Unruhe in das Haus gebannt. »Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden, hilf dazu!« das waren Worte, die sich oft, vielleicht ihr unbewußt, über die Lippen drängten, ihr Herz fühlte das Flehen beständig.

Und die Zeit der Finsterniß ging vorüber, der Schnee schmolz, die Sonne lachte heiter durch die kleinen Scheiben des Fensters, wo über Rosen- und Myrthenstöcken des Sohnes Bild hing; er schien die Mutter anzulächeln und – o der Freude! da kam auch der Mann mit der Briefmappe wieder, kaum konnte die Mutter sein herzliches »Gott grüß!« erwiedern, so bewegt war sie von der Erwartung, ob der liebe Herr, ihr treuer Helfer, des Sohnes Herz gemildert habe, ob er, der Ferne, auch Sonnenschein um sich sehe und in sich spüre. Und es war gut, Alles gut! Er schrieb reuig, bat wegen seiner Heftigkeit um Verzeihung, erzählte von bessern Tagen, die ihm angebrochen, und von der Aussicht auf Verwirklichung seiner Wünsche. – An diesem Tage hätte Mutter Schmidt sich recht gern arm geschenkt, vielleicht hätte sie dies überhaupt schon längst gethan, wenn sie den Sohn nicht gehabt hätte. Zum Glück sah sie, noch ehe die Sonne unterging, die liebe, freundliche, theilnehmende Sonne! auf dem Wege drüben ein Paar arme Kinder, die holte sie, fragte redselig wie nie, nach ihren geheimsten Wünschen, und fand sich so reich, diese befriedigen zu können. Einen so seligen Tag hatte sie lange nicht gehabt. Ja, das Herz ist tief zu bejammern, welches so gerne opfern möchte, und keinen Altar finden kann, auf dem es geschehen könnte. Es gehört zuweilen Muth dazu, ihn zu suchen und viel Zeit, ihn zu finden, aber es giebt ihrer unzählige um uns herum. Möge Gott zu allen Zeiten unsere Augen leiten, daß wir das Rechte sehen, und unser Herz, daß wir das Rechte thun!

Vergiß nicht, Pauline, daß ich nur wieder erzähle, ich spreche das Gehörte nach, aber ich spreche auch mit. Ja, Gott helfe allewege! –

Nach wenigen Wochen kam abermals ein Brief, und diesmal von einem reichen Geschenke von Kleidungsstücken begleitet. Das war nicht nach dem Sinne der Mutter, sie wurde wieder nachdenklicher, aber der Frühling wollte es nicht leiden, er lockte sie nach draußen und zeigte ihr die Verschwendung an Prachtgewändern, welche der liebe Gott den Blumen gestattete. Tausende blühten gestern und lagen heute welk, verblüht zu den Füßen Neugeschmückter, das ganze Thal war im farbenreichsten zartesten Schmucke, der Reichthum sproßte als saftige Zweige aus den Bäumen, breitete sich als bunt gewirkte Decke über die Hügel, wogte in der Farbe der Hoffnung über die im Herbst bestellten Aecker. Das Leben däuchte ihr wieder wunderschön, selbst so getrennt von dem geliebtesten Kinde, sie übergab ihn wieder beruhigt der Obhut des reichen Gottes, dessen Ehre die Himmel erzählen, und des Vaters voller Gnade und Treue, von dessen wundervoller Liebe die Erde, seiner Hände Werk, fröhliches Zeugniß ablegte. –

Ludwigs Briefe wurden zwar von nun an etwas seltener, enthielten aber immer verständlichere Andeutungen eines innern Triumphes. Es war viel von Manneskraft und Aufsichselbstverlassen die Rede, nur blieb es dunkel, was eigentlich Bedeutendes erreicht war. Seit jenem freudenreichen Briefe im Frühjahre datirten alle Briefe aus einem kleinen Orte an der Ostsee, welcher aber in Ludwigs Atlas von dem Sohne des Försters durchaus nicht zu entdecken war. Er hielt sich daselbst beim Gastwirth auf, der sein Haus ausbauen ließ, und noch längere Zeit Arbeit für ihn haben würde. Wie dieses Verhältniß Ludwigs ehrgeizige oder liebevolle Pläne fördern konnte, war schwer zu ergründen; nach der Mutter Meinung hätte er da, in dem armen kleinen Orte, als welchen er ihn selbst bezeichnete, nur bescheidener in seinen Wünschen werden müssen. –

So verstrich ein Jahr unter Hoffen und Fürchten. Zu Weihnachten war wieder eine bedeutende Sendung schöner Sachen angekommen: Kaffee, Zucker, Gewürze, selbst schöner Wein, aber die Mutter ließ den Ueberfluß für kommende Zeiten liegen und blieb bei ihrer einfachen Lebensweise. – Als der Frühling wieder erschien, wurde ihr sehr bang um's Herz, denn die Briefe ihres Sohnes blieben ganz aus; vergebens hatte sie gehofft, zu ihrem Geburtstage, den Ludwig stets als Festtag betrachtet hatte, durch Nachricht, vielleicht gar seines baldigen Kommens erfreut zu werden, aber die Blumensträuße, welche ihre alten und jungen Freundinnen ihr gebracht hatten, verwelkten, ohne das Gesicht der Gefeierten im Lichtglanze der Freude gesehen zu haben.

Als dieser qualvolle Zustand einige Monate gedauert hatte, wurde Frau Schmidt heiterer, sie lächelte wieder, wurde sehr thätig – in ihrer Herzensangst hatte sie oft, die Hände in den Schooß gelegt, dagesessen – ging auch nach dem Gottesdienste eines Sonntags in das Pfarrhaus zum Besuch, mit einem Worte, sie schien ganz aufzuleben. Aber man sollte noch Ungewohnteres, als Besuche in der Stadt, an ihr erleben; zuerst kam die Reihe des Erstaunens an die Försterin, welche gebeten wurde, die Ziegen und Hühner der alten Frau bei ihrem Vieh aufzunehmen, und dann und wann so gütig zu sein, einen Blick nach ihrem Heimwesen zu werfen, weil sie es verlassen müsse. Eine innere Stimme ermahne sie beständig, ihren Ludwig aufzusuchen, der in Noth wäre, sie sei dazu entschlossen, und schon am nächsten Tage solle die Reise angetreten werden. – In aller Frühe des folgenden Morgens brach sie auf, und mancher der Vorübergehenden blieb an diesem Tage dem Hause gegenüber stehen, und dachte darüber nach, was es wohl mit den verschlossenen Laden für eine Bewandtniß haben könnte. Es wurde auch von einer entschlossenen Frau daran geklopft, die Schmidt konnte ja heftig erkrankt sein und hülflos daliegen, es antwortete aber weder ein Wort noch ein Seufzen, und kopfschüttelnd ging die gute Frau ihrer Wege. Dies geschah im Juni. Zwei Monate vorher hatte auch Ludwig eine Reise angetreten, aber ehe ich sage wohin, muß ich erst von Pranbeck reden, und von der Zeit, die Ludwig darin verlebte.

Als er vor fast anderthalb Jahren nach der, von dem Kirchdorfe Pranbeck ungefähr fünf Meilen entfernten größeren Hafenstadt wandern wollte, und in das Gasthaus des kleinen Ortes trat, war er so recht zerfallen mit der Welt, die so viel des Lockenden und Reizenden für ihn hatte, es ihm, wie er meinte, höhnisch vorhielt, und, so oft er die Hände darnach ausstrecken wollte, schnell entzog. Selten hatte er etwas Vollkommenes gefunden, besonders in den letzten Jahren: war der Meister gut, so taugten die Gesellen nichts; fand er Gelegenheit viel zu verdienen, so war die Familie seines Vorgesetzten entweder aufgeblasen oder gar zu ungebildet, so daß er sich nicht mit ihr befassen konnte. Ging er in diesem letztern Falle seinen eigenen Weg, so fehlte es wieder nicht an bornirten Versuchen, sich über ihn lustig zu machen. Nein, dies Beugen und Fürliebnehmen war zu unausstehlich, und wurde ihm immer lästiger! Hätte er es nur verstanden Geld zusammen zu scharren wie diese Pilze, deren Herz gegen jedes gute Gefühl durch einen Harnisch geschützt war, diese Schwämme, die alles in ihrer Nähe Befindliche gewissenlos aussaugen, und dann wohlgefällig auf ihre magern Nachbarn herabblicken, ja dann, dann konnte er zeigen, wie der Hausstand eines christlichen Handwerkers eingerichtet sein müsse, wie man sich den Lernenden, Helfenden gegenüber zu betragen habe. – Freilich, beschränkte Menschen, das stand fest, würde er nie in seine Werkstatt aufnehmen, sondern nur solche, deren tüchtiger Verstand sich gleich durch ein anständig freies Wesen bekunde, was auf den ersten Blick von der tölpelhaften Selbstgefälligkeit einfältiger Menschen zu unterscheiden sei. –

So ungefähr dachte und sprach Ludwig, der Sohn der demüthigen, zufriedenen Wittwe im Waldhause, mit dieser Neigung die gesellschaftlichen Zustände von ihrer trübsten Seite aufzufassen und zu verurtheilen, sah er zum ersten Male das Meer in seiner unabsehbaren Ausdehnung. Es machte einen tiefen Eindruck auf ihn, aber keinen guten, es half nur in seiner ihm unverständlichen Größe seine Ansichten befestigen. Es war ein trauriger Tag, als Ludwig zum ersten Male an einer Küste stand, der Wind stürmte seewärts auf ihn ein und trieb die schäumenden Wogen, dunkel wie der wolkenbedeckte Himmel, stürmisch gegen den niedern Hügel, von dessen Rücken er in das unruhige Element schaute. »Ja,« sprach er bei sich selbst, »Woge auf Woge, Tag auf Tag! Es ist alles einerlei, Seelen- und Geschickeszwang und Zwang in der Natur, Niemand und Nichts kann gegen sein Verhängniß; kann er Gefallen daran finden, der liebe Gott im Himmel, wie die Mutter sagt?« –

Ein verächtliches Lächeln entstellte sein sonst hübsches Gesicht, und er drehte dem Meere den Rücken, um ein Obdach zu suchen.

Nun ist Pranbeck zwar nur ein kleiner Ort, und auch kein sehr wohlhabender, aber ein stattliches Gasthaus befindet sich doch da, und ein ebenso stattlicher Wirth, ein ganz gewandter Mann, dessen Bildung auch für ein Hôtel ausgereicht haben würde, darin. Als Ludwig durchnäßt, denn es hatte den ganzen Morgen geregnet, auf seiner Schwelle erschien, beging er nicht den Mißgriff, ihn in die ordinaire Gaststube nach dem Hofe hinaus, wo Knechte, Boten, lotterige Handwerksburschen und dergl. placirt wurden, zu verweisen, sondern er führte ihn mit einigen freundlichen Worten des Bedauerns ob des schlechten Reisewetters in das behagliche Zimmer, wo Landherrschaften und die Honoratioren des Dorfes sich häufig des Abends zu versammeln pflegten, das des Tages aber in der Regel nur ganz flüchtige Besuche Solcher empfing, die nicht ausgehen konnten, ohne im Wirthshause die Frage: Was giebts Neues? auszusprechen, und ein Gläschen zu trinken. Selten kamen Reisende anderer Art, als die Genannten, nach Pranbeck, daher mochte es kommen, daß die Erscheinung des für einen Handwerksburschen sehr nobel gekleideten Fremden dem Wirthe sehr angenehm war. – Bald hatte Ludwig seine Kleider gewechselt, etwas Stärkendes genossen und war mit dem Wirthe in der besten Unterhaltung, die damit endete, daß er versprach vorläufig in Pranbeck zu bleiben, um dem einzigen Tischler des Ortes, dem die Gesellen wegen seiner zänkischen Hausfrau allzuschnell davon liefen, zu helfen und die obere Etage des noch unvollendeten Wohnhauses mit den nothwendigen Tischlerarbeiten zu versehen. Dabei wurde gleich abgemacht, daß Ludwig im Gasthause selbst und nicht bei dem Meister wohnen solle. –

So weit war Alles gut, aber das Schlimme lauerte dahinter. Nicht daß Ludwig ein Schlemmer wurde, und wie so mancher tägliche Besucher des Gasthauses, dem Laster des Trunkes fröhnen lernte – er fühlte einen Abscheu vor solcher Verirrung, er wendete sein Auge weg, wenn so ein lallender, schwankender Mensch versuchte Witze zu reißen oder zu beweisen, daß er wirklich nur »angetrunken sei, nur genippt habe!« – Eine solche Erniedrigung war für ihn nicht zu befürchten, seine Mutter dachte kaum daran; Ludwig war ja stolz, wie konnte er sich zum Gegenstande des Ekels, des Spottes herabwürdigen! –

Der Wirth war ein reicher Mann, er hatte Felder und Wiesen, Haus und Hof, und ein reich versorgtes Waarenlager, da er das Recht hatte Handel zu treiben. Sein Verkehr als Handelsmann war ganz großartig, doch wußten nicht Viele genau darum, er ging meist in der Stille der Nacht vor sich, aber dafür war er desto ergiebiger. Nach kaum einem Monate war Ludwig Mitwisser dieses geheimnißvollen Verkehrs, und wenige Wochen später Compagnon des Wirthes. Nun wurde der Ton zwischen beiden Männern noch verbindlicher und das nächtliche Geschäft noch gewinnbringender, denn Ludwig war höchst thätig, umsichtig und kühn, gerade ein solcher Mann, wie er für den Wirth paßte, und dieser war die Freundschaft selbst gegen ihn.

Zum ersten Male hatte es nun Ludwig so, wie er es wünschte: einen gescheuten, aufgeklärten Vorgesetzten, achtungsvolle Behandlung, Anerkennung seiner Fähigkeiten und Leistungen, und reichlichen Gewinn. Dennoch sah er nicht aus wie ein Mensch, über dem die Glückssonne strahlt; er war viel schweigsamer geworden, sein Blick hatte an Offenheit verloren und über sein Gesicht flog oft etwas dem Argwohn ähnliches; sein durchdringender Blick schien dann zu fragen: wer wagt es, mein Thun und Lassen zu beurtheilen? Ich, ich allein bin Herr meiner Entschlüsse und Handlungen!

Pranbeck liegt ganz nahe an der Grenzlinie, und der Wirth war durch kühn getriebene Schmuggelei reich geworden. Aus Zuneigung zu Ludwig, wie er sagte, hatte er ihm gezeigt, wie leicht man es dahin bringen könne, die oft langweilige Berufsarbeit nur pro forma zur Hand zu nehmen, wenn man nämlich nur genug Entschlossenheit besitze, mit einigen Vorurtheilen zu brechen. Und dann hatte der Wirth ihm in fließender Rede auseinander gesetzt, wie ungerecht die Besteuerung der ausländischen Produkte sei, das arme Volk müsse sie fast ganz entbehren, mäßig Begüterte sie mit äußerster Einschränkung genießen, während man höher hinauf damit schwelge und sie verprasse. In solche Behauptungen stimmte nun zwar Ludwig nicht mit ein, aber in ihre Consequenzen, er vergaß die Worte: »seid unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat,« und »gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist,« – und ward Schleichhändler wie sein Verführer.

Die Geschäfte gingen nach Wunsch, denn von den drei Officianten, welche in Pranbeck stationirt waren, drückten zwei ihre Augen bei den nächtlichen Affairen des Wirthes zu, denn dieser wußte ebenso gut zu zahlen wie zu sprechen, und der Dritte war schon ein älterer Mann, der leicht zu täuschen war. Bald war Ludwig so gut bei Kasse wie nie vorher, daraus erklären sich seine Hoffnungen, Briefe und Geschenke nach Waldhaus.

Etwas länger als ein Jahr mochte Ludwig in Pranbeck sein, als bei furchtbaren Aequinoctialstürmen ein Schiff in der Nähe des Oertchens strandete. Die Mannschaft rettete sich, und die reichen Waaren, die es trug, wurden glücklich im Wachthäuschen auf einem Küstenvorsprunge und dem daneben stehenden Wachtthurme geborgen. Das Schiff gehörte einem Lübecker Kaufmanne und war in einer Anstalt versichert, die einen Agenten in der Provinzialhauptstadt hatte. Dieser, schnell benachrichtigt, war selbst bei der Bergung zugegen gewesen, hatte die Bekanntschaft des zuvorkommenden Wirthes und auch Ludwigs gemacht, der bei dem Unglücke sich sehr muthvoll und menschenfreundlich bewiesen hatte. Am Tage nach des Agenten Abreise sollten die Sachen auf schon bestellte Wagen gepackt und ihm nachgeschickt werden.

Die nun hereinbrechende Nacht wurde verhängnißvoll für Ludwig. –

Der Wirth war am Nachmittage schon äußerst splendid mit Wein gewesen, aufgeregt war man ohnehin von den Begebenheiten. Man redete viel von Muth, Recht und lächerlicher Peinlichkeit, und endlich stand so viel fest, daß, wer es wage die geborgenen Sachen sich zuzueignen, einen Hauptstreich ausführe, der ersprießlichere Folgen haben werde, als die Arbeit von wenigstens zwanzig Jahren, und der Verlust sei nur der der Versicherungsgesellschaft, komme auf Niemanden eigentlich merklich.

Ludwig stand auf und wollte der Versuchung entfliehen, sein Zimmer aufsuchen, aber dort war es ihm zu eng, er hüllte sich dicht ein und ging zum Dorfe hinaus, wo das Rauschen des Meeres – ein wunderlicher Sirenengesang! – ihn zog und lockte, bis er am Strande stand.

Weithin ringsum hörte man nichts anderes als Wind und Wasser, und wäre auch ein leises Geräusch entstanden, es wäre ungehört erstorben in diesem unnachahmlichen Zwiegespräch. Da kam der Wirth mit seinem Knechte in der Dunkelheit daher, auch die beiden ungetreuen, eidbrüchigen Grenzbeamten folgten. Sie schritten so eilig dem alten Wachtthurme zu, als beflügle der Pflichteifer ihre Schritte, als seien sie so ganz sicher, auf richtigen Wegen zu gehen. Ludwigs Blut pulsirte heftig, er sollte Mitwisser dieses Unternehmens werden, halber Theilnehmer, und keiner Gewinn davon haben, wo so großer Gewinn zu hoffen war? Es kostete dem Wirth nur wenige Worte und Ludwig ging mit ihm. Es war freilich eine That, die er nie, selbst nicht in Zukunft seinem Weibe vertrauen durfte, aber für seine Ueberwindung zahlte sie auch mit dem eigenen Herde!

Nur eine Schwierigkeit war bei der Geschichte zu fürchten, und das war die mögliche Widersetzlichkeit des Wächters. Zwar war er ein bequemer Mann und hatte bei der Schmuggelei oft seine Hand zur Hülfe geliehen, aber hier war's gefährlich für ihn, und wenn er sich weigerte, gemeinschaftliche Sache mit ihnen zu machen, dann mußte man auf den Fang verzichten. Es war, wie man gefürchtet hatte, der Wächter war unbestechlich. Vergebens waren all die glatten Worte des Wirthes, der Plan schien dem Alten zu handgreiflich: ohne Zuchthaus, meinte er, könnte das unmöglich enden.

Der Knecht erhielt von seinem Herrn einen Wink und begab sich wieder nach Pranbeck zurück, die Uebrigen schienen ihre verbrecherischen Wünsche aufgegeben zu haben, der Wirth schmollte zwar etwas, nahm aber die Einladung zu einer Parthie Landsknecht an, und setzte sich zum Spiele an den Tisch.

»Halt!« rief er plötzlich nach einer Weile, »ich habe einen unbezahlbaren Einfall. Wir wollen unsern Aerger hinunterspülen. Einen Bohrer her!«

»Wozu?« fragte der Strandwächter.

»Sollt schon sehen, altes Hasenherz. Wo ist der Schlüssel zur Remise?«

»Gut verwahrt,« erhielt er lachend zur Antwort.

»Keine Dummheiten!« schalt Jener, »glaubt Ihr denn, wir werden Euch wider Willen die Sachen wegnehmen, die Ihr nicht theilen wollt? Nein, das führte höchstens zu einem Jahre Wolle spinnen in Gesellschaft, aber wir wollen die hübschen Fäßchen ein Bischen erleichtern, und Eure Gesundheit in gekapertem Weine trinken.«

»Geht doch nicht an,« wehrte der Alte, »'s ist gleich zu merken, sie brauchen bloß das Faß anzurühren, so –«

»Giebts denn kein Wasser in der Welt mehr?« unterbrach ihn der Wirth lachend, »nur einen Bohrer her, für das Uebrige werde ich sorgen.«

Der Wächter, nach dem verführerischen Getränke lüstern, war's zufrieden; bald war Wein in Fülle da, und von Neuem begann ein lästerliches Trinken und Durcheinandergerede schlechter Dinge. Ludwig war nur Zuschauer dieser Scene geblieben; das, was er hörte, war ihm ekelhaft, er hätte dies gern gesagt, oder durch sein Entfernen angedeutet, aber er merkte, daß der Wirth noch etwas im Schilde führte, sah deutlich seinen Triumph, als der Wächter, von dem reichlich genossenen Weine betäubt und verwirrt, allmählig ein albernes Gewäsch zu reden anfing, in welches der feine Wirth lustig mit einstimmte, dann mit übersichtigen Augen, wie im Traume, bald hier, bald dorthin starrte, und endlich sich in die Ecke lehnte und einschlief. Jedenfalls wollte er abwarten, wie die Geschichte sich noch entwickeln würde.

»Das hat Mühe genug gekostet,« flüsterte der Wirth und deutete auf den Trunkenen, der von seinen Sinnen nicht wußte, »aber nun schnell, Johann wird längst mit dem großen Wagen draußen halten; ich wußte, wie es kommen würde, und habe meine Vorkehrungen getroffen. Hier ist der Schlüssel, ich stecke die Laterne an und komme nach.«

Ludwig stand noch da, ohne sich zu regen. Ein Rest der alten Gesinnungen war noch vorhanden, eine Scheu warnte ihn, nicht ein so großes Uebel zu thun und wider den Herrn seinen Gott zu sündigen. –

»Alle Mann heran!« scherzte frohlockend der Wirth, und rieb sich die Hände, »das giebt einen köstlichen Spaß!«

»Aber,« wendete Ludwig ein, »Kraaß wird natürlich Alles erzählen.«

»Bewahre!« entgegnete der Andere, »wir rühren hier im Thurme nicht das Mindeste an. Wenn er morgen aufwacht, wird's sein, daß man ihn, entsetzt über den leeren Speicher, herausdonnert. Jeder Mensch wird dem verschlafenen, alten Säufer die Unschuld gleich an der Nase ansehen, und er wird sich hüten, die auf Verdacht anzuklagen, die als Freunde sehr vortheilhaft, als Feinde aber sehr gefährlich sein würden.« –

Ludwig betheiligte sich an dem Diebstahle. Es wurde gleich abgemacht, daß bei der Theilung keine Gewinnstufen stattfinden sollten, nur der Knecht mußte sich mit einem Antheile von 50 Rthl. zufrieden erklären.

Gegen 2 Uhr Nachts fuhr die erste Ladung in die ungepflasterte Auffahrt des Wirthshauses. Ludwig begleitete sie, um die Waaren nach Weisung des Wirthes unterzubringen. Während dieser Zeit belud man den schon harrenden Einspänner und berechnete, wann Alles abgemacht sein könnte, als der Wächter laut scheltend und fluchend vor dem Thurme erschien, und mit vielen Schwüren betheuerte, er werde diesen Diebstahl verhindern. Den Dieben trat der Angstschweiß auf die Stirn, zum Glück tobte freilich das Meer, aber der Mann hatte eine gellende Stimme.

»Schweigt, Unsinniger,« sprach der Wirth drohend auf ihn ein, »es ist zu spät, legt Euch und schlaft, Ihr wißt von Nichts!«

»Oho!« schrie der Andere, »ich weiß von Nichts? – wir wollen doch einmal sehen!« und damit ging er trotzig in den Thurm. Wie der Wind war der Wirth hinter ihm her. Aber da klang es schon durch die Nacht hin – Glockenschlag – der Alte hatte die Nothglocke angeschlagen, einmal aber nur, dann mußte er sich beruhigt haben, vielleicht war er in seiner Trunkenheit umgefallen. Es wurde ganz still im Thurme. –

Am andern Morgen verbreitete sich mit reißender Schnelligkeit das Gerücht: der Strandwächter Kraaß sei erdrosselt, und ein großer Theil der Ladung des gestrandeten Schiffes Hieroglyph gestohlen.

Einer von denen, die durchaus dieses Gerücht nicht glauben konnten, war der Wirth in Pranbeck, und als sich die Thatsache dennoch herausstellte, war er eifrig damit beschäftigt zu beweisen, daß Seeleute dies Verbrechen verübt haben müßten. Trotz seines Unglaubens und seiner Gründe wendete sich aber der Verdacht sehr bald gegen ihn selbst, und acht Tage nach jener schrecklichen Nacht ward er, die beiden jüngern Grenzbeamten, sein Knecht und Ludwig Schmidt, der bei ihm arbeitende Tischlergesell, auf einem Wagen nach der nächsten Kreisstadt eskortirt. Die Gefangenen waren gefesselt und zwei Gensdarmen begleiteten sie.

In dieser Zeit war es, als die alte Mutter im Waldhause so vergeblich und unruhig auf einen Brief von ihrem Sohne wartete. In dieser Zeit beugte sich auch ein Mensch, der lange Zeit mit seinem Gotte unzufrieden gewesen war, und ihn gemeistert hatte, mit durchgreifender Zerknirschung tief, tief in den Staub. Gleich in dem ersten Verhöre hatte er seine Schuld gestanden; vom Morde wußte er nichts. Das mußte aber erst erwiesen werden; zwei der andern Gefangenen gingen gerade so weit wie Ludwig, des Diebstahls bekannten sie sich schuldig, des Mordes nicht, und der Wirth und sein Knecht wollten anfangs sogar von gar keiner Schuld wissen, die gefundenen Sachen waren rechtmäßig erworbene Lagervorräthe, alle erschwerenden Umstände des Verdachtes beklagenswerther Zufall. –

In seiner einsamen Zelle erschienen Ludwig am Tage und in den langen schlaflosen Nächten liebliche und doch so schmerzenbringende Bilder. Seine Jugendzeit, das stille, heimische, so oft verachtete Haus, besonders aber die Mutter mit ihrer reichen Liebe, ihren Thränen und ihren tausend Opfern. Auch seine stolzen Gedanken von früher und alle seine hohen Versprechungen kamen zurück und sahen ihn höhnend an. Dann hätte er laut aufschreien mögen, zu qualvoll war's, zu schrecklich!

»O Mutter, Mutter!« rief er laut. – Der Schlüssel klirrte im Schlosse, die Thür ging auf, Ludwig raffte sich auf vom Boden, er hatte auf den Knien gelegen, aber er stieß einen furchtbaren Schrei aus, verhüllte sein Antlitz und beugte es ganz hinab, daß es nichts mehr sehen konnte, auch all sein Elend nicht zeigte. Seine Mutter stand ja vor ihm, wirklich vor ihm, bleich und liebevoll, weinend ihm entgegen lächelnd. Sie streckte auch die Arme aus, aber wie hätte er es wagen dürfen, dahinein zu sinken, er, der Verbrecher im Kerker, in die Arme dieser Mutter!

Aber hatte der Anblick die Mutter denn getödtet? Er hörte ja nichts von ihr, kein Wort, keine Bewegung. Er mußte es wagen, seine Augen zu ihr zu erheben. Da lag sie auf ihren Knien, und ihre Hände und Blicke und ihr ganzes Herz waren nach oben gerichtet, und ihre Lippen bewegten sich ganz leise. Da das der Sohn sahe, wand er sich kniend zu ihr hin und reichte ihr die heilige Schrift, wie sie da aufgeschlagen gelegen hatte, und deutete mit dem Blicke auf eine Stelle, die er täglich wohl hundert Mal gelesen und immer wiederholt hatte. Und die Mutter warf nur einen Blick hinein, und dann sprach sie laut und klangvoll, daß das Herz des Sohnes erbebte: »Herr Gott, Dich lobe ich; dieser mein Sohn war todt und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wieder gefunden worden!«

Ludwigs Abwesenheit vom Schauplatze des Verbrechens zur Zeit des Absterbens des Alten, stellte sich im Laufe der Untersuchung sicher heraus; er ward von der Anklage auf muthmaßlichen Mord freigesprochen. Anders war's mit dem Diebstahle, den er selbst eingestanden, dafür wurde er zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt, die er, begleitet von seiner Mutter, die sich nie wieder von ihm trennen wollte, abbüßte. Die alte Frau, vom Untersuchungsrichter empfohlen, fand in der Familie eines Strafanstaltsbeamten ein Unterkommen als Kinderwärterin und durfte täglich ihren Sohn sehen, auch mit ihm Morgens und Abends in dem großen Betsaale des Zuchthauses ihr Gebet mit dem seinigen vereinigen.

Als die Strafzeit zu Ende war, kehrten Mutter und Sohn in die Heimath zurück. Ludwig konnte nach den Gesetzen der Innung nicht Meister seines Gewerkes werden, aber er fand dennoch allerlei Beschäftigung und viel weniger hartes Urtheil, als man gewöhnlich über Gefallene hört. Sein stilles Wesen, sein Fleiß, seine Kindesliebe, und vor Allem seine Demuth und Anspruchslosigkeit söhnten die Menschen mit ihm aus, und seine Mutter fühlte sich so glücklich in seiner Gesellschaft wie nimmer zuvor. –

»Lebt sie noch?« fragte Cäcilie.

»Nein,« antwortete Julchen, »aber Du kennst den Sohn ganz gut, es ist der Missionsbote für unsern Kreis.« –

»Schmidt?« fragten die Mädchen verwundert.

»Ich habe ihn ja immer bei seinem Namen genannt,« erwiederte Julchen lächelnd.

»Es giebt viele dieses Namens, aber nun weiß ich, wovon er es versteht, so wunderschöne ausgelegte Kästchen zu verfertigen,« meinte Ida.

»Und warum er, der geschickte Mann, diese Beschäftigung erwählt hat,« setzte Cäcilie hinzu. »Ja, wie viele Menschen würden wir mit ganz andern Augen ansehen, wenn wir ihre Geschichte so genau kennten.«

»Und ihr Herz,« sprach ich leise.

»Das gehört ja zusammen,« erwiederte sie nachdenklich, »ich glaube wenigstens.« –

Ein unerhört langer Brief. Ich habe mehrere Abende daran geschrieben, that es aber recht gern. Schade daß Du die Augen nicht dazu siehst, die mir dabei oft vorschwebten. In diesen Augen spiegeln sich treu alle Gefühle: Besorgniß, Trauer, Hoffnung, Beifall, Andacht, nur eins sah ich noch nicht darin, werde es auch wohl nie sehen. Zuweilen senken sich auch diese Augen beharrlich, dann möchte ich erst recht wissen, was sie zu verbergen sich bemühen. – Lebe wohl.

Dein Justus.

Am 6. März.

Dank für Deinen lieben Brief, besonders für die Stelle, welche meine Frage so schön beantwortet. Gemeinsames Streben also, Ein Zier, Ein Glaube, Eine Liebe, Eine Hoffnung verwischen alle sonstige Verschiedenheit und bedecken der Flecken Menge. Ein Streben – ja das ist vorhanden, zur höchsten Klarheit, aber Glaube, Liebe, Hoffnung, darin erscheint sie mir vollendet, und ich bin nur ein schüchterner Anfänger darin; es ist nicht unmännlich, die Wahrheit zu gestehen, sie mag heißen, wie sie will. –

Ich werde jetzt stark in Versuchung geführt, etwas zu wagen: unser elterliches Haus soll verkauft werden, aber es ist nur eine Versuchung Unruhe und Schmerzen hervorzurufen, ich will mich davon losreißen. – Dienstag über acht Tage werde ich abreisen, dann fährt der Graf nach Berlin und ich mit ihm. Vielleicht ist dies also der letzte Brief aus Burgwall, er soll Dir innige, treue Grüße bringen. –

Den 15. März.

Der Brief liegt noch, die letzte Zeit war voller Unruhe, nun will ich aber unsere Burgwaller Correspondenz schließen. Auf morgen früh ist die Abreise festgesetzt, der Koffer ist gepackt und die leidigen Visiten sind überstanden, nur Bernwachts und Julchen habe ich noch aufgespart, die sind für sich. – Cäcilie ist seit einiger Zeit leidend, möglich, daß ich sie nur noch auf Augenblicke sehe. Ich liebe das junge Mädchen, Pauline, es ist keine Phantasie, keine Passion, es ist ein unwiderstehlicher Zug des Herzens, der mich an sie fesselt, ich fühle das jetzt mit einer Klarheit, die mir den Abschied sehr schwer, aber ganz unumgänglich nothwendig macht. – Das Kind ist so zart, wenn sie stürbe! Ich zittere bei dem Gedanken. Wüßte sie, daß ich leide, dann würde sie traurig werden, trauriger muß ich sagen, denn in ihrem leidenden Zustande sieht sie matt und angegriffen aus, auch seelenmatt, sie lächelt viel seltener als sonst, aber ihr würde auch unheimlich dabei, denn sie kennt ja keine Liebe, die Schmerzen bereitet. Sie sei Gott empfohlen, Seine Engel werden sie beschirmen. –

Ich werde nun in die Stadt gehen, auch auf den Friedhof, und will für Dich ein Epheublatt mitbringen vom Grabe der Mutter. –

Sobald ich kann, werde ich Dich aufsuchen. Die Zukunft sieht mich allzuschaal und nüchtern an, kaum mag ich an sie denken. Lebe wohl!

Justus.

Berlin, den 20. März.

Du wirst es gleich diesen Schriftzügen ansehen, daß etwas Großes mit mir geschehen ist, nicht wahr, Schwesterherz? Falte Deine Hände und bete für Deinen Bruder, mein Herz ist nicht im Stande, allein dem Herrn die heiligen Opfer darzubringen, die ihm gebühren, Du mußt helfen dabei! Sei auch nicht unwillig, wenn ich ungewöhnlich spreche, es ist ja nur Dir gegenüber, wo das Herz und der Mund klingen dürfen, wie sie wollen, die Welt hört nichts davon und ich kann ja nicht anders.

Ich schrieb Dir traurig zuletzt, – da auf den vorigen Seiten steht es noch – und beklemmten Herzens ging ich zu Bernwachts hinab.

»Cäcilie ist krank,« flüsterte mir Burga zu, als ich mich dem Hause näherte, »Du mußt ja leise gehen, und die Thür nicht so hastig aufmachen, sie ist so schreckhaft.«

»Sie hat das Fieber,« setzte Berga hinzu, »Mama meint, sie fiebere.« – »Nein,« widersprach die Andere, »sie hat ein Herzleiden. Vorhin war ich oben bei ihr, und wir sprachen ganz ruhig, ich sagte, das Wetter wäre so schön zu Deiner Reise, da sah ich, daß sie die Hand auf die Brust legte. Thut's da weh? fragte ich, da sagte sie: nein, aber es klopft viel heftiger, als es soll und, darf. Nach einer ganzen Weile sagte sie erst: so, nun ist es gut.«

Mit Schrecken gedachte ich ihrer stets sehr zarten Farbe und in letzter Zeit war sie wirklich auffallend blaß gewesen. Die Mutter begegnete mir auf dem Flur, ich fragte gleich nach Cäcilien und erhielt tröstliche Nachricht. Es sei durchaus nichts von Bedeutung, sie sei auch unten im Wohnzimmer. So war es auch. Ich fühlte mich nicht behaglich, der Abschied lag mir wie eine Bürde auf dem Herzen, daher brach ich früh auf. Alle sprachen liebe Worte, auch Cäcilie reichte mir ihre liebe Hand und sah mich lange sanft und freundlich an. »Sie wollen ja nicht wieder kommen,« sagte sie, »nun will ich mir schon Ihre Züge recht einprägen. Sie sind stets gütig gegen mich gewesen.«

Ich küßte ihr schweigend die Hand und ging dann zu Julchen und nahm Abschied von den Gräbern.

Als ich zurückkehrte, sah ich in Cäciliens Zimmer helles Licht, ich wußte ganz bestimmt, daß diese Stube im obern Stock die ihrige war. Gern hätte ich noch einen Schimmer ihrer Gestalt gesehn; ich harrte, da kam sie an das Fenster und sah zum Himmel hinan, droben aber funkelten die Sterne in wundervoller Pracht! Ich faßte gar keinen Entschluß, ich überlegte nichts, aber ich ging zu ihr, ich konnte nicht anders.

Niemand begegnete mir, im Dunkeln fand ich mich hin, bald stand ich vor der Thür und klopfte an: ich durfte eintreten. Sie stand noch am Fenster, nun wendete sie sich mir zu, ihre Hand legte sie leise aufs Herz, dann setzte sie sich wie erschöpft, fast wankend auf den Sopha und beugte einen Moment ihre Stirn in die Kissen nieder. »Sie sind sehr krank,« sagte ich heftig ergriffen. »Nein,« erwiederte sie, »nur sehr schwach, und ich verdiene diese Strafe vollkommen.«

»Welche?« fragte ich. »Daß Sie mich so sehen.« Ich verstand sie nicht. »Ich bin sehr heftig,« fuhr sie fort, »die erste große Versuchung, die der Herr mir schickt, zeigt mir meine gänzliche Hülflosigkeit, aber im Bekennen wächst die Kraft, so, nun wird es besser!«

Sie richtete bei diesen Worten ihren Blick mit Begeisterung auf ein Bild ihr gegenüber, ich folgte und war versucht an Wunder zu glauben; das Christusbild aus meiner Mutter Kabinet war Cäciliens Eigenthum!

»Ich kenne den Grund Ihrer Selbstanklagen nicht,« sprach ich mit tiefer Erregung, »ich kann nicht ahnen, was Sie so tief bewegt, aber Sie sollen wissen, mit welchem Schmerze ich von hier scheide; ich wollte schweigen, aber ich kann es nicht.«

Und nun erzählte ich ihr all die schönen Träume, die mich in Burgwall umschwebt, von dem Erkerstübchen, von all den wonnigen Phantasien, die mit ihm zusammenhingen, daß ich ihnen entsagen müßte, weil ich mich der vollen Huld eines geliebten Wesens, welches für mich der Inbegriff aller menschlichen Liebenswürdigkeit sei, unwürdig fühlte, daß ihr ganzes Benehmen mir auch zeige, wie wenig sie meine Liebe verstanden habe und erwiedere. Jetzt sei sie leidend, eine dunkle Unruhe hätte mich getrieben, sie noch einmal aufzusuchen, sie möge verzeihen, um der Liebe willen, die ihr geweiht sei. Und ich verstummte vor seligem Entzücken, entzündet an ihrem, an Cäciliens, die mich, mich liebt. Du glaubst es nicht, Du fragst, ob dies möglich ist; es ist durch Gottes reiche Huld volle köstliche Wahrheit!

Viel hätte ich zu erzählen von ihrer Demuth, die von Glück sprach, von ihrer himmlischen Offenheit, die mir gestand, wie sie bei meiner herannahenden Abreise Blicke in ihr Herz gethan und gefunden habe, daß es zagte, eine Oede zu werden, wenn sie fern von mir sein würde, wie sie befürchtet, Gott müsse zürnen, daß sie sein Geschöpf so sehr, zu sehr liebe. Und sie hat recht: bin ich dessen würdig? – Aber nun strahlte ihr kleines blasses, süßes Gesicht im Glanze der Verklärung: Gott war ihren Gefühlen gnädig, er segnete sie!

Wir gingen Hand in Hand hinab. Nichts von dem allgemeinen Staunen, Du kannst Dir's denken. Die Alten waren anfangs vor Ueberraschung stumm, Cäcilie hing aber an ihrem Halse und Burga und Berga umarmten mich, Therese und Ida kamen auch, da bekamen sie die Sprache wieder und Thränen dazu, und ich erhielt ihr Engelskind mit dem vollsten wärmsten Segen.

Nur wenige Stunden war ich noch in ihrem Kreise, hatte auch Geistesgegenwart genug an den Kauf unsers Vaterhauses zu denken, mein Schwiegervater, – wie klingt das, Pauline? ich sage Dir wie ein Segen! – also mein Schwiegervater wird diese Angelegenheit besorgen.

Zum letzten Male erstieg ich den Schloßberg. Ich blieb oft stehen und sah gen Himmel. Gott, welcher Reichthum droben und hier, ich staune, ich bete an, ich bitte um Verzeihung! Mein Glück wird endelos sein, Gott hat es mir gegeben; es ist auch ein solches, welches noch wachsen wird, denn Er wird es pflegen und behüten, ich fühle es.

Am nächsten Morgen verkündigte ich dieses Glück der gräflichen Familie und empfing ihre freudigen Glückwünsche, dann nahm ich Abschied von der verehrten Frau, und bald lag Burgwall hinter mir, aber trotz Abschied und Ferne, damals und jetzt, erhebe ich meine Hände und mein Herz hinan zum Himmel, Ihm Dank und Preis darzubringen, der so Großes an mir gethan hat; der meiner Seele half, als sie rang nach dem neuen Leben, der alle Dunkelheit und alles Bangen vernichtete, und in seinem Liebesrath mir den Engel beigesellte, dessen lichte Klarheit mir in Zukunft jeden Schatten von meinem Pfade verscheuchen wird!

Aber Du mußt sehen, Pauline, Du sollst und mußt Deine Schwester bald kennen lernen. Zu Pfingsten erwarten wir Dich bestimmt in Burgwall.

Schreibe bald, grüße auch Deine edlen, alten Freundinnen, und sei so glücklich wie

Dein Bruder Justus.


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christl. Mädchenwelt.
Gesammelt für kindliche Jungfrauen von einer Freundin der Jugend. 108 S. cart. 4½ Sgr.
Lucile. Ein Buch für Leser der heiligen Schrift. Von Adolph Monod. 332 S. br. 22½ Sgr.
Madelaine. Eine Dorfgeschichte, wahren Ereignissen nacherzählt. Von Julie Kavanagh. 370 S. br. 22½ Sgr.
Hanna More, auch ein Schriftstellerleben, von der Verfasserin des »Lebens der Frau Elisabeth Fry.« 388 S. br. 27 Sgr.
Sara Martin,
die Schneiderin.
Eine Lebensgeschichte erzählt von Friedrich Eckart. 2. Aufl. 131 S. cart. 7½ Sgr.
Vier kleine
Festgeschichten
auf Weihnachten, Charfreitag, Ostern und Pfingsten. 3. Aufl. 84 S. br. 5 Sgr.

Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.

Darstellung abweichender Schriftarten: gesperrt, Antiqua.

Auf den Seiten 72 und 118 wurde das Währungssymbol für "Reichsthaler" ersetzt durch die Abkürzung "Rthl."

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden Ausnahmen,

(Seite 21)
im Original "»Mache einmal deine Augen zu, Felicitas,"
geändert in "»Mache einmal deine Augen zu, Felicitas,«"

(Seite 22)
im Original "um schön zu sei, etwas zu klein"
geändert in "um schön zu sein, etwas zu klein"

(Seite 22)
im Original "dreizehn und elf Jahren Burga und Berga genannt"
geändert in "dreizehn und elf Jahren, Burga und Berga genannt"

(Seite 40)
im Original "Gott nahm ihn mir früh"
geändert in "»Gott nahm ihn mir früh"

(Seite 41)
im Original "fuhr die Erzählerin fort,« ich will es Ihnen sagen"
geändert in "fuhr die Erzählerin fort, »ich will es Ihnen sagen"

(Seite 44)
im Original "»Sie war dabei so erwartungsfroh wie ein Kind"
geändert in "Sie war dabei so erwartungsfroh wie ein Kind"

(Seite 47)
im Original "und betheuerthe ich würde nur sehr ungern"
geändert in "und betheuerte ich würde nur sehr ungern"

(Seite 48)
im Original "die dem Schloße zunächst liegenden Wege"
geändert in "die dem Schlosse zunächst liegenden Wege"

(Seite 49)
im Original "»Ja,« antwortete ich,« gestatten Sie nur"
geändert in "»Ja,« antwortete ich, »gestatten Sie nur"

(Seite 60)
im Original "»es war immer mein liebstes."
geändert in "»es war immer mein liebstes.«"

(Seite 78)
im Original "»Das thue ich auch, und lasse es nun"
geändert in "Das thue ich auch, und lasse es nun"

(Seite 89)
im Original "hier im Schloße bin ich bald fertig"
geändert in "hier im Schlosse bin ich bald fertig"

(Seite 96)
im Original "»Wenn, Gott will – aber dem Demüthigen"
geändert in "»Wenn Gott will – aber dem Demüthigen"

(Seite 98)
im Original "Du kannst darin sicherer selig werden."
geändert in "Du kannst darin sicherer selig werden.«"

(Seite 124)
im Original "alle sonstige Verschiedenheit und bedecken"
geändert in "alle sonstige Verschie-schiedenheit und bedecken"

(Seite 126)
im Original "»Cäcilie ist krank, flüsterte mir Burga zu"
geändert in "»Cäcilie ist krank,« flüsterte mir Burga zu"

(Seite 127)
im Original "sagte sie »nun will ich mir schon"
geändert in "sagte sie, »nun will ich mir schon"