The Project Gutenberg eBook of Die Pest zu London This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Die Pest zu London Author: Daniel Defoe Translator: Heinrich Steinitzer Release date: May 7, 2021 [eBook #65277] Language: German Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE PEST ZU LONDON *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Daniel Defoe Die Pest zu London [Illustration] Daniel Defoe Die Pest zu London 1925 München bei Georg Müller Übersetzt von Heinrich Steinitzer Copyright 1925 by Georg Müller Verlag A.-G., München / Printed in Germany Es war 1664, um den Anfang des September, als ich gesprächsweise von meinen Nachbarn hörte, daß die Pest in Holland von neuem ausgebrochen wäre. Sie war dort im vorhergehenden Jahre sehr heftig aufgetreten, besonders in Amsterdam und Rotterdam, wohin sie nach einigen aus Italien, nach andern aus der Levante mit Waren, die die türkische Flotte heimgebracht hatte, eingeschleppt worden war. Noch andere behaupteten, sie wäre von Kandia oder Zypern gekommen. Nun, woher sie kam, wollte wenig bedeuten, aber darin, daß sie wieder nach Holland gekommen war, stimmten alle überein. Damals gab es bei uns noch keine gedruckten Zeitungen, um Gerüchte und Neuigkeiten zu verbreiten, die dann durch die Phantasie der Leute weiter ausgeschmückt wurden, wie es nach meiner Erfahrung seither der Brauch geworden ist. Neuigkeiten erfuhr man durch die auswärtigen Korrespondenzen der Kaufleute; sie verbreiteten sich dann auf mündlichem Wege weiter, aber natürlich nicht gleich über das ganze Land, wie es jetzt der Fall ist. Trotzdem scheint die Regierung ganz genau unterrichtet gewesen zu sein. Sie hielt mehrere Sitzungen ab, um über die Mittel zu beraten, das Herüberkommen der Seuche zu verhindern, aber dies alles wurde ganz heimlich betrieben. Daher geriet das Gerücht allmählich wieder in Vergessenheit, und die Leute hielten dafür, daß es sie eigentlich nicht viel anging und hoffentlich gar nicht wahr wäre. Bis gegen Ende November oder Anfang Dezember zwei Männer, angeblich Franzosen, in Longacre oder am obern Ende der Drurylane-Straße an der Pest starben. Die Leute, bei denen sie gewohnt hatten, versuchten es soweit als möglich zu verheimlichen, da aber durch das Geschwätz der Nachbarschaft doch etwas herumgekommen war, erfuhren auch die Staatssekretäre davon. Sie ließen es sich angelegen sein, Nachforschungen anzustellen, und schickten, um die genaue Wahrheit zu erfahren, zwei Ärzte und einen Wundarzt in das betreffende Haus zur Untersuchung. Da durch diese überzeugende Merkmale der Krankheit bei beiden Leichen festgestellt wurden, gaben die Ärzte ihr Urteil öffentlich ab, daß sie an der Pest gestorben waren. Dies ging an den Kirchspielschreiber weiter, der es dem Magistrat behändigte. In dem wöchentlichen Sterblichkeitsregister wurde es dann in der üblichen Weise abgedruckt: Pest: 2. Verseuchte Kirchspiele: 1. Die Leute wurden darüber sehr bestürzt und gerieten in der ganzen Stadt in Aufregung, um so mehr, als in der letzten Dezemberwoche noch ein anderer Mann in demselben Hause und an der gleichen Seuche starb. Dann aber hörte man ungefähr sechs Wochen nichts mehr, und als niemand mehr ein Zeichen der Ansteckung zeigte, hielt man dafür, daß die Seuche erloschen wäre. Aber darauf, ich glaube um den 12. Februar herum, starb noch ein Mann in einem andern Hause, aber in dem gleichen Kirchspiel und unter denselben Anzeichen. Nun richtete sich das Augenmerk aller nach jenem Teile der Stadt, und da die wöchentlichen Register eine stärkere als die gewöhnliche Sterblichkeit in dem Kirchspiel von St. Giles anzeigten, begann sich der Verdacht zu regen, daß die Pest unter der Bevölkerung an diesem Ende der Stadt herrsche, und daß schon viele daran gestorben wären, wenn man auch Sorge getragen hätte, die Öffentlichkeit darüber so viel als möglich im unklaren zu lassen. Dieser Glaube setzte sich in den Köpfen der Leute fest, und nur wenige trauten sich noch, durch Drurylane oder eine der andern verdächtigen Straßen zu gehen, wenn sie nicht durch besondere Geschäfte dazu gezwungen wurden. Mit der Zunahme in den Sterblichkeitsregistern stand es folgendermaßen: die wöchentliche Durchschnittszahl betrug in den Kirchspielen von St. Giles in the Fields, und St. Andrew, Holborn, von 12 zu 17 oder 19 in jedem, wenig darunter oder darüber. Aber von dem ersten Auftreten der Pest an im Kirchspiel von St. Giles stieg sie ganz erheblich, bis auf 23 und 24, ja 25 im Kirchspiel von St. Andrew. Eine gleiche Zunahme machte sich in den Kirchspielen von St. Bride bemerkbar, die einerseits an das Kirchspiel von Holborn und das von St. James, andererseits an das weitere Ende von Holborn grenzen. In diesen beiden Kirchspielen betrug die Durchschnittssterblichkeit von 4 zu 6 und 8 in der Woche, während sie nun auf 12 und 13 stieg. Außerdem geriet das Volk in große Unruhe durch die Beobachtung, daß die wöchentliche Sterblichkeit ganz im allgemeinen stark zunahm, und das zu einer Jahreszeit, da sie gewöhnlich recht mäßig war. Die wöchentliche Durchschnittssterblichkeit belief sich auf etwa 240 bis zu 300. Letztere Zahl mußte schon als hoch gerechnet werden. Jetzt aber zeigten die Register ständig bei weitem höhere Zahlen, von 291 in der letzten Dezemberwoche bis zu 474 in der Woche vom 17. bis 24. Januar. Diese Zahl war wirklich erschreckend und höher als irgendeine seit dem letzten Auftreten der Seuche im Jahre 1656. Doch dies alles ging wieder vorüber. Das Wetter war kalt, und der Frost, der im Dezember begonnen hatte, hielt sich sehr streng bis gegen Ende Februar bei schneidendem, wenn auch nicht heftigem Winde. Die Sterblichkeitsquote ging von neuem herunter, und man hielt die Gefahr für so gut als vorbei. Nur in St. Giles blieb die Sterblichkeit andauernd hoch. Von Anfang April an stand sie auf 25 die Woche, stieg dann aber vom 18. bis 25. auf 30, davon 2 Todesfälle an der Pest und 8 am Fleckfieber, was nach der Ansicht der Leute ein und dasselbe war. So stieg auch die allgemeine Sterblichkeit am Fleckfieber von 8 in der vorigen auf 12 in der eben erwähnten Woche. Darüber gerieten wir von neuem in Bestürzung, und die Leute wurden von schrecklichen Vorahnungen erfaßt, um so mehr, als das Wetter jetzt umschlug und warm wurde, und der Sommer vor der Türe stand. Aber die nächste Woche brachte neue Hoffnungen: die Sterblichkeitsrate war niedrig und lautete alles in allem nur auf 388, darunter kein Pestfall und nur 4 Fälle von Fleckfieber. Aber die folgende Woche ging’s wieder aufwärts. Die Seuche verbreitete sich in 2 oder 3 andere Kirchspiele, nämlich nach St. Andrew, Holborn und St. Clement-Danes, und zum außerordentlichen Schrecken der inneren Stadt gab es auch einen Todesfall in der eigentlichen City, im Kirchspiel von St. Mary-Wool-Church, d. h. in der Bearbinder-Straße, nahe am Stocks-Markt. Im ganzen starben 9 an der Pest und 6 am Fleckfieber. Allerdings ergab die Untersuchung, daß der Franzose, der in der Bearbinder-Straße gestorben war, früher in Longacre, in der Nähe der verseuchten Häuser gewohnt hatte und aus Furcht vor der Seuche umgezogen war, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß er bereits angesteckt war. Es war nun schon Anfang Mai, doch das Wetter war veränderlich und ziemlich kühl, und so hatten die Leute noch immer etwas Hoffnung. Was sie besonders ermutigte, war, daß die innere Stadt frei blieb. Von ihren 97 Kirchspielen gab es nur in 54 Todesfälle, und wir trugen uns mit der Hoffnung, daß die Seuche sich hauptsächlich auf die Bevölkerung an jenem Ende der Stadt beschränken möchte und nicht weitergehen würde. Besonders auch, weil die nächste Woche, vom 9. bis 16. Mai, nur 3 Todesfälle brachte, davon keinen innerhalb der inneren Stadtbezirke. Auch in St. Andrew starben nur 15, eine sehr niedrige Zahl. In St. Giles freilich gab es 32 Todesfälle, aber nur einen an der Pest, so daß das Volk sich wieder beruhigte. Auch die Gesamtsterblichkeitsquote war sehr gering, 343 zu 347 in der vorangehenden Woche. Einige Tage hielten unsere Hoffnungen an, aber nur einige Tage. Denn das Volk ließ sich nun nicht mehr täuschen. Man durchsuchte die Häuser und sah, daß die Pest wirklich überallhin gekommen war, und daß sie täglich eine Menge Opfer forderte. So war’s nun mit allen Beschönigungen zu Ende und konnte nicht mehr verheimlicht werden. Mit einem Schlage zeigte sich, daß die Ansteckung sich nach allen Seiten verbreitet hatte und allen Hoffnungen, sie einzudämmen, spottete. Im Kirchspiel von St. Giles war die Seuche schon in mehrere Straßen gedrungen und ganze Familien lagen an ihr danieder. Demgemäß war denn auch die Sterblichkeitsziffer der nächsten Woche. Zwar wurden nur 16 Todesfälle an der Pest festgestellt, aber das war alles ausgemachter Schwindel. In St. Giles starben alles in allem 40, davon die meisten ohne jeden Zweifel an der Pest, obwohl sie unter andern Krankheiten aufgeführt wurden. Die Gesamtzahl der Sterbefälle erreichte nur 385, darunter jedoch 14 an der Pest und ebenso viele am Fleckfieber, und wir waren davon überzeugt, daß in dieser Woche 50 von der Seuche dahingerafft worden waren. Das nächste Register vom 23. zum 30. Mai brachte 17 Pestfälle, aber in St. Giles starben 53, eine erschreckende Zahl! Wenn man auch bei nur 9 davon die Pest zugab, zeigte doch eine genauere Nachforschung, die auf Befehl des Lordmayors von den Friedensrichtern vorgenommen wurde, daß in Wirklichkeit 20 mehr in diesem Kirchspiel an der Pest gestorben waren, die man unter Fleckfieber und andere Krankheiten eingereiht oder gar ganz verschwiegen hatte. Doch dies waren Kleinigkeiten, verglichen mit dem, was gleich darauf folgte. Denn nun setzte die Hitze ein, und von der ersten Juniwoche an verbreitete sich die Seuche in entsetzlicher Weise. Die Zahl der Todesfälle schwoll an, wobei freilich oft Fieber und Fleckfieber als Ursachen angegeben wurden. Denn wer nur die Wahrheit verheimlichen konnte, tat es, um nicht von den Bekannten und Nachbarn geächtet zu werden und auch, um der Absperrung der Häuser durch die Behörden zu entgehen, eine Maßregel, die damals zwar noch nicht in Kraft war, aber angedroht wurde und schon in der bloßen Vorstellung die Leute mit dem äußersten Entsetzen erfüllte. Während der zweiten Juniwoche begrub man im Kirchspiel von St. Giles, wo der Herd der Verseuchung lag, 120, von denen dem Register nach nur 68 an der Pest gestorben waren. Jeder sprach es aber offen aus, daß es wenigstens 100 gewesen sein müßten, gemessen an der gewöhnlichen Sterblichkeitsziffer. Bis zu dieser Woche war die City frei geblieben, abgesehen von dem schon erwähnten Franzosen. In all ihren 97 Kirchspielen war außer ihm kein Mensch an der Pest gestorben. Jetzt gab es dort 4 Opfer, eins in der Wood-Straße, eins in der Fenchurch-Straße und zwei in der Krummen Gasse. Southwark war noch ganz unberührt, wie überhaupt auf dem andern Ufer noch niemand der Seuche erlegen war. Ich selbst wohnte außerhalb Aldgate, etwa mittenwegs zwischen der Aldgate-Kirche und den Whitechapeler Schlagbäumen, auf der linken oder nördlichen Seite der Straße. Da die Seuche diesen Teil der Stadt noch nicht erreicht hatte, waren wir recht beruhigt. Am andern Ende der Stadt war aber die Bestürzung überaus groß, und die wohlhabenderen Leute, besonders der Adel und die Vornehmen aus dem Westen, hasteten, mit ihren Familien und ihrer Dienerschaft aus der Stadt zu kommen. Noch auffälliger war das in Whitechapel. In der breiten Straße, wo ich wohnte, war wirklich nichts zu sehen als Wagen und Karren, beladen mit Hausgeräte, Weibern, Dienstmädchen, Kindern u. a. m., Kutschen voll von Leuten der besseren Klassen, Reiter, die sie begleiteten -- alles auf der Flucht. Dann erschienen wieder leere Wagen und Karren, Diener mit Pferden, die anscheinend zurückkamen oder noch weiteren Nachschub holen sollten. Dazwischen zahllose Leute zu Pferde, manche allein, andere mit Bediensteten, alle mit Gepäck beladen und für die Reise ausgerüstet, wie aus ihrem Aussehen hervorging. Das war wohl ein trauriger und schauerlicher Anblick, den ich von Morgens bis zur Nacht vor Augen hatte (denn sonst war wirklich nichts Merkwürdiges zu sehen), und der mich mit recht trüben Vorahnungen des Elends erfüllte, das über die Stadt kommen würde, und des jämmerlichen Zustandes derjenigen, die zurückblieben. Diese Flucht hielt einige Wochen hindurch in der gleichen Stärke an. Zur Wohnung des Lordmayors konnte man nur unter äußersten Schwierigkeiten gelangen, so stauten und drängten sich dort die Menschen, um Pässe und Gesundheitsbescheinigungen für die Weiterreise zu erhalten, denn ohne solche gab es keine Erlaubnis, die Städte auf dem Wege zu passieren oder in einem Gasthause zu übernachten. Da nun bisher noch niemand in der City, der eigentlichen inneren Stadt, an der Seuche gestorben war, gab der Lordmayor ohne weiteres Gesundheitsbescheinigungen an alle, die in den 97 Kirchspielen wohnten, und eine Weile auch an die Bevölkerung der angrenzenden Distrikte. Diese Flucht dauerte, wie gesagt, einige Wochen, d. h. den ganzen Mai und Juni hindurch, besonders auch, weil das Gerücht von einer kommenden Verfügung der Regierung sprach, alles Reisen durch Schlagbäume und Schranken auf den Straßen zu verhindern. Zudem hieß es, daß die Städte an den Hauptstraßen die Leute von London nicht mehr passieren lassen wollten, aus Angst vor der Ansteckung, die sie mit sich brächten. Dabei waren diese beiden Gerüchte gänzlich grundlos, wenigstens vorläufig, und nur in der Phantasie der Menschen entstanden. Auch ich begann mir ernstlich zu überlegen, was ich selbst tun und mit mir anfangen, ob ich mich zum Bleiben in London entschließen oder gleich den meisten meiner Nachbarn mein Haus zuschließen und fliehen sollte. Ich spreche darüber so ausführlich, weil es für die, die künftig vielleicht einmal in die gleiche schlimme Lage kommen und sich derselben Entscheidung gegenübersehen, von einiger Bedeutung sein mag, und daher soll mein Bericht eher ein Fingerzeig für ihre Handlungsweise, als eine Geschichte meiner eigenen Handlungen sein, angesehen, daß es ihnen auch nicht die Bohne verschlagen dürfte zu wissen, was aus mir wurde. Zwei wichtige Dinge hatte ich in Betracht zu ziehen: einerseits die Fortführung meines Geschäftes, das nicht unbedeutend war, und in dem mein ganzes Geld steckte, andererseits die Erhaltung meines Lebens in dieser Unglückszeit, die, wie ich wohl vorhersah, über die ganze Stadt kommen würde, und die meine Angst noch ins Ungemessene vergrößerte. Der erste dieser beiden Gesichtspunkte war für mich von erheblichem Belang. Mein Geschäft war das eines Sattlers, und da es der Hauptsache nach nicht in einem Ladengeschäft bestand, sondern im Handel nach den englischen Kolonien in Amerika, steckte mein Geld zum größten Teile in den Händen der dahin exportierenden Kaufleute. Ich war zwar Junggeselle, hatte aber einen Haufen von Leuten, die ich im Geschäft brauchte, ein Haus, einen Laden, Lager voll von Waren -- und dies alles sich selbst zu überlassen, wie es unter den jetzigen Umständen nun einmal nicht anders ging, ohne Aufseher oder eine richtige Vertrauensperson, hieß nicht nur mein Geschäft aufs Spiel setzen, sondern mein ganzes Vermögen und alles, was ich auf der Welt mein eigen nannte. Damals befand sich ein älterer Bruder von mir in London, der einige Jahre früher von Portugal dahin gezogen war. Mit diesem beriet ich mich, und seine Antwort war in drei Worten dieselbe, die bei einer ganz anderen Gelegenheit gegeben worden war, nämlich: Herr, rette dich! Kurz, er war dafür, daß ich mich aufs Land begeben sollte, was zu tun er auch selbst mit seiner Familie entschlossen war. Er wiederholte, was er im Ausland gehört hatte, daß das beste Mittel gegen die Pest wäre, vor ihr davonzulaufen. Meine Befürchtungen wegen des Verlustes meines Geschäftes, meines Geldes und meiner Außenstände, widerlegte er mit denselben Gründen, die ich selbst für mein Bleiben ins Feld führte, indem er mein Vertrauen auf den Schutz Gottes in Hinsicht auf die Erhaltung meines Lebens meiner Angst vor dem Verlust meiner Habe gegenüberstellte. »Wäre es nicht vernünftiger,« meinte er, »ein ebensolches Vertrauen in Gott zu setzen, wenn es sich um die Erhaltung deines Vermögens handelt, als dich einer so fürchterlichen Gefahr auszusetzen und ihm die Erhaltung deines Lebens anheimzustellen?« Ich konnte nicht einmal als Gegenargument ins Feld führen, daß ich nicht wüßte, wohin ich mich wenden sollte, da ich mehrere Freunde und Verwandte in Northhamptonshire besaß, woher unsere Familie stammte; außerdem wohnte in Lincolnshire meine einzige Schwester, die mich mit Freuden aufgenommen hätte. Mein Bruder, der seine Frau und seine zwei Kinder nach Bedfordshire vorausgeschickt hatte und ihnen zu folgen entschlossen war, drang in mich, mich auch davonzumachen. Einmal wollte ich ihm schon nachgeben, konnte mir aber damals kein Pferd verschaffen. Denn obwohl es noch Menschen in London gab, kann man doch sagen, daß die Pferde daraus verschwunden waren. Wochenlang war in der ganzen Stadt kein einziges Pferd zu mieten oder zu kaufen. Dann entschloß ich mich wieder, mit einem Diener zu Fuß auszuziehen, die Gasthäuser zu vermeiden und ein Soldatenzelt mitzuführen, um im Freien zu übernachten, was bei dem warmen Wetter ohne Fährlichkeit geschehen konnte. Wirklich machten’s auch viele so, besonders solche, die während des früheren Krieges gedient hatten, und ich muß sagen: hätten’s alle, die auswanderten, so gemacht, so wäre die Pest nicht in so zahlreiche Provinzstädte hinausgetragen worden, wie es tatsächlich zum großen Schaden und Verderben unzähliger Menschen geschah. Aber dann ließ mich der Diener, den ich hatte mitnehmen wollen, im Stiche, da ihn die Zunahme der Seuche entsetzte und er im unsichern war, wann ich mich auf den Weg machen würde. So lief er auf eigene Faust davon, und vereitelte, für den Augenblick wenigstens, meine Absichten. Überhaupt kam, so bald ich mich zur Abreise entschlossen hatte, immer irgend etwas dazwischen, daß ich sie wieder aufgeben mußte, und darüber, daß nämlich solche Hindernisse vom Himmel gesandt werden, möchte ich doch etwas sagen, wenn es auch eine Abschweifung bedeutet. Eines Morgens, als ich über diese Sache nachsann, wurde es mir ganz einleuchtend, daß, da nichts ohne das Eingreifen oder die Zulassung der göttlichen Macht geschieht, auch diese Hindernisse eine besondere Bedeutung haben müßten. Es zwang mich förmlich zu überlegen, ob darin nicht ein augenscheinlicher Hinweis auf den Willen Gottes liege, daß ich nicht abreisen solle. Daran schloß sich der Gedanke, daß, wenn Gott wirklich mein Bleiben wolle, er auch sicherlich die Macht hatte, mich mitten in all der Gefahr und trotz des drohenden Todes am Leben zu erhalten. Und daß andererseits meine Flucht entgegen all dieser Hinweise, an deren göttliche Natur ich glaubte, nichts anderes war als eine Flucht vor Gott, dessen Hand mich erreichen konnte, wo und wann es ihm beliebte. Solche Gedanken warfen alle meine Entschlüsse wieder um, und als ich wieder zu meinem Bruder kam, sagte ich ihm, daß ich bleiben und mein Los dort erwarten wolle, wohin mich Gott gestellt habe, und daß mir dies in Anbetracht alles dessen, was ich eben ausgeführt habe, auch meine Pflicht scheine. Obwohl mein Bruder selbst ein sehr frommer Mann war, lachte er doch über das, was ich Fingerzeige des Himmels genannt hatte, und hielt mir mehrere Geschichten von »solchem dummdreisten Volk« vor, wie er sich ausdrückte, das mir ähnlich wäre. Freilich sollte ich es als ein Eingreifen der himmlischen Macht betrachten, wenn ich etwa durch Krankheit verhindert würde, London zu verlassen. Dann könnte ich mich ruhig der Leitung meines Schöpfers überlassen, der nach seinem Gutdünken mit mir verfahren würde, und die Entscheidung, was die Vorsehung über mich verhängt habe und was nicht, wäre nicht schwer zu treffen. Daß ich es aber als einen Fingerzeig Gottes betrachte, daß ich kein Pferd zu mieten kriegen könne oder mein Diener, der mich auf der Reise begleiten sollte, weggelaufen war, wäre lächerlich, angesehen ich zur gleichen Zeit meine Gesundheit und meine Körperkräfte behalten hätte, auch noch andere Diener besäße, und somit leicht ein oder zwei Tage zu Fuß wandern könne. Und da ich außerdem ein Gesundheitszeugnis hätte, könnte ich nach meinem Belieben dann auf der Strecke ein Pferd mieten oder auch die Post nehmen. Dann fuhr er fort, mir von den heillosen Folgen zu erzählen, die sich aus dem Glauben der Türken und Mohammedaner in Asien und andern Ländern, wo er gewesen war, ergäben (denn mein Bruder war als Kaufmann vor einigen Jahren, wie ich schon berichtet habe, aus dem Ausland zurückgekehrt und hatte sich zuletzt in Lissabon aufgehalten), und wie sie in der Überzeugung, daß das Schicksal jedes Menschen unabänderlich vorherbestimmt und festgelegt wäre, ohne Bedenken in verseuchte Orte zögen und mit angesteckten Leuten verkehrten, was eine wöchentliche Sterblichkeit von 10 oder 15000 zur Folge hätte, während die Europäer und christlichen Kaufleute, die sich absperrten und abseits hielten, im allgemeinen der Ansteckung entgingen. Durch solche Gründe machte mein Bruder meine Entschlüsse wieder wankend, ich begann nun doch an die Abreise zu denken und bereitete mich dementsprechend vor, denn die Seuche hatte sich nun in der ganzen Umgegend verbreitet, die Register wiesen eine Sterblichkeit von 700 die Woche aus, und mein Bruder sagte mir, er wage nicht mehr länger zu bleiben. Ich bat ihn noch um einen Tag Bedenkzeit, und da alles so gut als möglich vorbereitet war, auch in Hinsicht auf mein Geschäft, und denjenigen, dem ich die Sorge für meine Angelegenheiten übergeben wollte, hatte ich wenig mehr zu tun als einen letzten Entschluß zu fassen. An diesem Abend ging ich schwer bedrückt nach Hause, unentschieden und ohne zu wissen, was ich tun sollte. Ich hatte mich für den Abend frei gemacht, um alles noch einmal ernstlich zu überdenken, und war ganz allein. Damals hatten schon die Leute, wie in allgemeiner Übereinstimmung, die Gewohnheit angenommen, nach Sonnenuntergang ihr Heim nicht mehr zu verlassen, worüber ich später noch mehr zu sagen haben werde. In der Einsamkeit dieses Abends versuchte ich, mir erst darüber klar zu werden, welche Handlungsweise mir die Pflicht vorschrieb. Ich führte mir wieder die Gründe vor Augen, die mein Bruder vorgebracht hatte, um mich zur Abreise zu bewegen, und stellte ihnen mein eigenes lebhaftes Gefühl gegenüber, das fürs Bleiben sprach: die Umstände, die aus der besonderen Art meines Berufes hervorgingen, die Pflicht, mir meine Waren und mein Geld zu erhalten, die gewissermaßen mein Vermögen ausmachten, dann auch die Winke, die mir nach meiner Überzeugung vom Himmel zugekommen waren und für mich eine Art von Leitung bedeuteten. Dabei fiel mir ein, daß ich, wenn ich einen offenbaren Wink zum Bleiben erhalten würde, diesen gleichzeitig als ein Versprechen der Erhaltung meines Lebens betrachten dürfe, als Lohn meines Gehorsams. Dieser Gedankengang lag mir; meine Gedanken neigten sich mehr als je dazu, zu bleiben, und wurden durch eine heimliche Sicherheit unterstützt, daß ich vor dem Tode bewahrt werden würde. Ich blätterte in der Bibel, die vor mir lag, und während ich meinen Geist mit ungewöhnlichem Ernste auf das richtete, was mir fragwürdig schien, rief ich: »Ich weiß nicht, was ich tun soll, Herr, leite du mich!« und dabei hörte ich auf, in der Bibel zu blättern, beim 91. Psalm, und indem mein Auge auf den zweiten Vers fiel, las ich bis zum siebenten, den aber nicht, und schob dafür den zehnten ein, folgendermaßen: Der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Denn er errettet mich vom Strick des Jägers und von der schädlichen Pestilenz. Er wird dich mit seinen Fittigen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, daß du nicht erschrecken müssest vor dem Grauen des Nachts, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pestilenz, die im Finstern schleichet, vor der Seuche, die im Mittag verderbet. Ob tausend fallen zu deiner Seite, und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen. Ja, du wirst mit deinen Augen deine Lust sehen, und schauen, wie es den Gottlosen vergolten wird. Denn der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht. Es wird dir kein Übels begegnen, und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen. -- Ich brauche dem Leser kaum zu sagen, daß ich mich von diesem Augenblicke an entschloß, in der Stadt zu bleiben und mich ganz der Güte und dem Schutz des Allmächtigen zu überlassen, ohne irgendeine andere Zuflucht zu suchen. Da meine Tage in seinen Händen waren, war er imstande, mich in einer Zeit der Seuche wie in guten Zeiten zu erhalten. Wenn es ihm nicht richtig schien, mich zu bewahren, war ich doch in seinen Händen, und es war seine Sache, mit mir nach seinem Gutdünken zu verfahren. Mit diesem Entschluß ging ich zu Bett, und der nächste Tag bestärkte mich weiter darin, denn die Frau, der ich mein Haus und alle meine Angelegenheiten hatte übergeben wollen, fiel in Krankheit. Und ich selbst erhielt einen Wink von derselben Seite, denn auch ich befand mich am folgenden Tage recht wenig wohl. Hätte ich also auch fortgehen wollen, so wäre ich dazu nicht imstande gewesen. Mein Unwohlsein dauerte drei oder vier Tage, und damit war mein endgültiger Entschluß zum Bleiben gefaßt. Ich nahm daher Abschied von meinem Bruder, der sich nach Dorking begab, in Surrey, und dann weiterhin nach Buckinghamshire oder Bedfordshire, nach einer Zufluchtsstätte, die er für seine Familie entdeckt hatte. Es war eine sehr böse Zeit, um krank zu sein, denn von jedem, der klagte, hieß es, er habe die Pest, und obwohl sich bei mir keinerlei Symptome dieser Seuche zeigten, war ich doch nicht ohne Angst, da ich starke Schmerzen im Kopf und Magen verspürte, daß ich wirklich angesteckt worden wäre. Doch nach etwa drei Tagen begann es mir besser zu gehen, in der dritten Nacht schlief ich gut, schwitzte etwas und erwachte recht erfrischt. Die Furcht vor der Ansteckung verließ mich mit der Krankheit, und ich ging wie gewöhnlich meinen Geschäften nach. Alle Gedanken an Flucht waren mir aber vergangen, und da mein Bruder nun auch fort war, gab es über diesen Gegenstand keine Überlegungen mehr, weder mit ihm noch mit mir selbst. Es war jetzt Mitte Juli, und die Pest, die hauptsächlich am andern Ende der Stadt gewütet hatte, in den Kirchspielen von St. Giles, St. Andrew, Holborn und gegen Westminster zu, begann sich nun nach Osten auszudehnen, gegen den Stadtteil, wo ich wohnte. Merkwürdigerweise ging sie nicht in gerader Linie vor, denn die City, d. h. die innere Stadt, war noch immer verhältnismäßig unverseucht, und auch über dem Fluß, in Southwark, war noch nicht viel zu spüren. Obwohl in dieser Woche im ganzen 1268 starben, davon wahrscheinlich über 900 an der Pest, trafen auf die innere Stadt nur 28 und nur 19 auf Southwark, das Lambeth-Kirchspiel eingeschlossen, während in den Kirchspielen von St. Giles und St. Martin in the Fields allein 421 starben. Es war zu beobachten, das sich die Seuche hauptsächlich in den äußeren Kirchspielen hielt, die sehr dicht bevölkert waren, besonders von armen Leuten. Dort fand die Seuche einen besseren Boden als in der City, worüber später mehr. Es war also, wie gesagt, zu beobachten, daß die Seuche auf uns zu kam, durch die Kirchspiele von Clerkenwell, Cripplegate, Shoreditch und Bishopsgate, welch’ letztere beiden an Aldgate, Whitechapel und Stepney grenzen. Dort entfaltete sie später ihre äußerste Wut und Heftigkeit, als sie in den westlichen Kirchspielen, wo sie ausgebrochen war, schon nachgelassen hatte. Es war sehr seltsam, daß in dieser Woche, vom 4. bis zum 11. Juli im Kirchspiel von Aldgate nur 4, in dem von Whitechapel nur 3 starben und in Stepney nur 1, während die Seuche in den beiden Kirchspielen von St. Martin und St. Giles in the Fields nahe an 400 hinwegraffte. Auch in der nächsten Woche, vom 11. bis 18. Juli, starben auf der ganzen Seite von Southwark nur 16 bei einer Gesamtsterblichkeit von 1761. Aber das änderte sich bald, und besonders Cripplegate und Clerkenwell wurden betroffen, so daß in der zweiten Augustwoche in Cripplegate allein 886 beerdigt werden mußten, und in Clerkenwell 155. Davon waren in Cripplegate wohl 850 an der Pest gestorben; in Clerkenwell gab das Register selbst 145 Pestfälle zu. Während des Monats Juli, als unser Stadtteil im Vergleich zu den Westgegenden noch ziemlich frei schien, ging ich wie gewöhnlich auf die Straße, wie es gerade meine Geschäfte mit sich brachten, und begab mich regelmäßig alle Tage oder jeden zweiten Tag in die City zum Hause meines Bruders, das er meiner Sorge übergeben hatte, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war. Da ich den Schlüssel in der Tasche hatte, schloß ich meistens das Haus auf und ging durch alle Räume. Denn obwohl es unglaublich klingt, daß in solchen Zeiten des Elends jemand das Herz haben sollte zu stehlen und zu rauben, war es doch so, daß alle Arten von Schändlichkeiten, Liederlichkeiten und sogar Ausschweifungen so offen als jemals begangen wurden, wenn auch vielleicht nicht so häufig, weil die Bevölkerung doch aus vielen Gründen abgenommen hatte. Und nun kam die Seuche auch an die innere Stadt, die eigentliche City. Dort waren die Inwohner arg zusammengeschmolzen, da sie haufenweise die Flucht ergriffen hatten und auch den ganzen Juli hindurch noch flohen, obschon nicht in solcher Anzahl wie zuvor. Im August nahm dann das Flüchten wieder so zu, daß ich fast glaubte, es würden nur noch Beamte und Dienstboten in der City zurückbleiben. Der Hof war schon früher, im Monat Juni, verlegt worden. Er begab sich nach Oxford, wo er durch die Gnade Gottes bewahrt blieb. Soviel ich hörte, blieb er von der Seuche gänzlich unberührt, wofür er aber keine große Dankbarkeit an den Tag legte oder irgendein Zeichen der Besserung, obwohl es ihm nicht erst gesagt zu werden brauchte, daß seine offenkundigen Laster nicht wenig dazu beigetragen haben mochten, dieses schreckliche Gericht über das ganze Volk zu bringen. Das Aussehen Londons war jetzt wirklich sehr verändert. Ich meine die ganze Häusermasse, City, Vorstädte, Westminster, Southwark, alles zusammen. Die eigentliche Stadt, innerhalb der Stadtmauern, war noch nicht stark verseucht. Aber doch war, wie gesagt, das allgemeine Aussehen ein anderes geworden. Sorge und Trauer zeigten sich auf allen Gesichtern, und obschon einige Stadtteile noch ziemlich frei waren, sahen doch alle Leute sehr bekümmert aus. Immer näher sahen wir die Seuche kommen, und jeder mußte sich selbst und seine Familie für aufs äußerste gefährdet halten. Wäre es möglich, jenen, die sie nicht erlebt haben, diese Zeit ganz vor Augen zu bringen, und den Lesern eine richtige Vorstellung von dem Grauen zu geben, das überall herrschte, so müßte es ihnen einen unauslöschlichen Eindruck machen und sie mit höchster Bestürzung erfüllen. Man kann wohl sagen, daß ganz London in Tränen schwamm. Zwar gingen die Trauernden nicht auf die Straße, kleideten sich auch nicht in Schwarz, nicht einmal für die nächsten Freunde, aber die Stimme der Trauer hallte doch durch alle Straßen. Das Geschrei der Frauen und Kinder an den Fenstern und Haustüren, hinter denen die nächsten Anverwandten vielleicht im Sterben oder schon als Leichen lagen, war so häufig zu hören, während man durch die Straßen ging, daß es auch dem Mutigsten durch Mark und Bein gehen mußte. Weinen und Klagen fast in jedem Hause, besonders in der ersten Zeit der Seuche. Denn später stumpften sich die Herzen ab. Der Tod war beständig vor unsern Augen, und auch der Verlust der Freunde kümmerte den nicht mehr viel, der vielleicht schon in der nächsten Stunde das eigne Leben zu verlieren erwarten mußte. Die Geschäfte führten mich zuweilen an das andere Ende der Stadt, als die Seuche dort am stärksten herrschte, und da mir wie übrigens jedem andern die Sache noch neu war, sah ich mit keiner kleinen Überraschung, wie verödet die sonst so belebten Straßen waren, in denen man kaum hier und da einen Menschen antraf. Wäre ich ein Fremder gewesen, hätte ich manchmal ganze Straßen lang, wenigstens was die Nebengassen betrifft, kein lebendes Wesen gefunden, um nach dem Wege zu fragen, außer den Wachleuten, die vor den abgesperrten Häusern aufgestellt waren, welchen Umstand ich gleich näher erklären werde. Als ich eines Tages in einer besonderen Angelegenheit in jenem Teile der Stadt war, bewog mich die Neugier, alles genauer als sonst zu betrachten. Ich ging daher eine große Strecke weiter, wo ich eigentlich nichts zu tun hatte. In Holborn waren viele Leute auf der Straße, aber sie gingen alle in der Mitte, weder rechts noch links, um, wie ich vermute, ein Zusammentreffen mit jedem zu vermeiden, der etwa aus einem Hause herauskäme, und auch, um den Gerüchen zu entgehen, die aus den verseuchten Häusern drangen. Die Rechtskollegien waren alle geschlossen, und auch im Temple, in Lincolns Inn oder Grays Inn fand man nur wenige Rechtsanwälte. Es gab keine Prozesse mehr, also hatten sie nichts zu tun, abgesehen von den Gerichtsferien, die die meisten dazu benutzten, aufs Land zu gehen. An einigen Plätzen waren ganze Häuserreihen sorgsam verschlossen. Die Bewohner waren alle geflohen, nur ein oder zwei Wachleute zu sehen. Wenn ich sage, daß ganze Häuserreihen verschlossen waren, so meine ich nicht, daß das auf Befehl der Behörden geschehen war. Eine Menge Leute waren dem Hofe gefolgt, in dessen Diensten sie standen, und auch andere waren aus Angst vor der Pest geflohen, so daß manche Straßen völlig verödet erschienen. Die Furcht war damals in der eigentlichen City noch lange nicht so groß, denn wenn auch anfangs dort ein unaussprechliches Entsetzen überhandnahm, ging die Seuche zuerst doch oft wieder zurück, so daß die Leute wiederholt aufgeschreckt wurden und sich dann wieder beruhigten, bis sie sich endlich daran gewöhnten. Selbst wenn die Seuche dann von neuem heftiger auftrat, verloren sie nicht mehr den Mut, weil sie sahen, daß sie sich nicht sofort in der City, den östlichen und südlichen Teilen verbreitete. Und außerdem war alles ein wenig abgestumpft. Es ist nicht zu leugnen, daß eine ungeheure Masse Volkes geflohen war, aber hauptsächlich aus den westlichen Stadtteilen und jenen, die man das Herz der City nennt, also vornehmlich reiche Leute oder solche, die weder Beruf noch Geschäft hatten. Die andern waren im allgemeinen geblieben, in Erwartung des Schlimmsten, so in den äußern Bezirken und Vorstädten, in Southwark, Ratcliff, Stepney, Rotherhithe und da herum, bis auf die wenigen Wohlhabenderen, die unabhängig waren. Man darf nicht vergessen, daß beim Ausbruch der Seuche London mit all seinen Vorstädten richtig überfüllt an Menschen war. Wenn auch seither die Bevölkerung weiter mächtig zugenommen hat, so waren doch damals, nach Beendigung des Krieges, Auflösung der Heere, und Wiederherstellung der Monarchie die Leute haufenweise nach London gekommen, um sich dort geschäftlich niederzulassen oder bei Hofe Anstellung, Belohnung für geleistete Dienste und was dem mehr ist, zu suchen. Man nahm an, daß auf solche Weise die Stadtbevölkerung um mehr als 100000, ja, wie manche behaupteten, aufs Doppelte gestiegen war. Strömten doch all die zugrunde gerichteten Familien der Königspartei hier zusammen, all die verabschiedeten Soldaten, die sich nun um irgendeinen Handel umsahen, und auch außerdem eine Masse Menschen. Denn der Hof erschien in Pracht und neuem Glanze, das Geld flog nur so hinaus, und die Befriedigung über die Wiederherstellung des Königtums zog nicht wenige Familien nach der Hauptstadt. Aber nun wieder zurück zum Beginn dieser erstaunlichen Zeit, als die Angst des Volkes erst im Entstehen war. Mehrere seltsame Ereignisse kamen dazu, sie zu verstärken, und wenn man sie nebeneinander hält, muß man sich wirklich wundern, daß nicht das ganze Volk, wie ein Mann, die Heimstätten verließ und sich aus einem Orte flüchtete, den der Fluch des Himmels getroffen hatte, mit allem, was in ihm lebte, vom Erdboden zu verschwinden. Ich will nur einiges davon anführen, von dem vielen, mit dem die Hexenmeister und Schlauköpfe einen solchen Schwindel trieben, daß ich nicht erstaunt gewesen wäre, wenn alle, besonders die Frauen, die Stadt verlassen hätten. Vor allem war es ein Schweifstern oder Komet, der mehrere Monate vor der Pest am Himmel erschien, gerade wie damals vor der großen Feuersbrunst. Die alten Weiber und jener Teil des stärkeren Geschlechts, den ich auch alte Weiber nennen möchte, beobachteten damals, aber natürlich erst, als beide Heimsuchungen vorüber waren, daß die beiden Kometen unmittelbar über die Stadt hinweggezogen waren, und das so nahe über den Häusern, daß es offensichtlich für die Stadt etwas Besonderes zu bedeuten hatte. Ferner hieß es, daß der Komet, der vor der Seuche erschien, von blasser, matter, flauer Farbe gewesen wäre, sich auch sehr langsam, feierlich und schwerfällig bewegt habe, während der Komet, der die Feuersbrunst anzeigte, hell, glänzend und sprühend ausgesehen hätte und sich schnell und wütend bewegt habe. Woraus hervorgeht, daß der eine eine langsam verlaufende, aber schwere, schreckliche und verderbliche Heimsuchung anzeigte, wie es die Pest ist, der andere aber ein plötzliches, schnell hereinbrechendes Unglück, nämlich die Feuersbrunst. Einige Leute behaupteten sogar, beim raschen Vorüberziehen des Feuerkometen, dessen Bewegung sie mit den Augen folgten, ein gewaltiges, sausendes Getöse vernommen zu haben, wie aus weiter Entfernung, so daß es gerade noch hörbar war. Ich selbst habe beide Himmelskörper gesehen und muß gestehen, daß auch ich so weit von dem allgemeinen Glauben angesteckt war, um in ihnen die Vorboten und Warnungen des göttlichen Gerichtes zu erkennen, besonders, als auf den ersten die Pest folgte. Als ich dann den zweiten erblickte, konnte ich nicht anders als glauben, daß Gott die Stadt noch nicht genügend gestraft hätte. Die Furcht des Volkes wurde noch mehr gesteigert durch den Aberglauben jener Zeit, die, ich weiß nicht auf was hin, mehr für Vorhersagungen, astrologisches Gerede, Träume und Altweibergeschwätz empfänglich war, als irgendeine vorher oder nachher. Ob diese unselige Neigung ursprünglich durch die Narreteien jener Leute genährt wurde, die dadurch Geld verdienten, indem sie allerlei Prophezeiungen und Horoskope drucken ließen, weiß ich auch nicht, aber sicher ist es, daß alles Gedruckte auf das Volk einen tiefen Eindruck machte, solches Zeug wie Lilys Almanach, Gadburys Astrologische Prophezeiungen, Poor Robins Kalender und ähnliches mehr, ebenso wie vorgebliche Andachtsbücher. Eins von ihnen trug den Titel: Zieh aus von ihr, mein Volk, damit du nicht zum Mitschuldigen an ihren Seuchen werdest; ein anderes hieß: Guter Rat, ein drittes: Britisches Memento usw. Alle oder fast alle sagten offen oder verschleiert das Verderben der Stadt voraus. Manche Leute stellten sich so begeistert, daß sie, Prophezeiungen ausrufend, durch die Straßen liefen, unter dem Vorgeben, sie wären gesandt, der Stadt Buße zu predigen. Einer besonders schrie in den Straßen wie Jonas in Ninive: Noch 40 Tage, dann wird London zerstört werden! Ganz genau weiß ich allerdings nicht mehr, ob er 40 Tage oder ein paar Tage sagte. Ein anderer trieb sich, bis auf eine Unterhose splitternackt, herum und rief wie jener Mann, von dem Josephus erzählt, der vor der Zerstörung Jerusalems »Wehe Jerusalem« schrie, Tag und Nacht: O des großen und schrecklichen Gottes! Mehr sagte er nicht, sondern wiederholte nur immer wieder dieselben Worte mit einer Stimme und einem Gesicht, in denen sich das Entsetzen malte, während er unaufhörlich weiter rannte, ohne jemals stehen zu bleiben, sich niederzusetzen oder irgendeine Nahrung zu sich zu nehmen, wenigstens nach dem, was ich von ihm gehört habe. Ich sah den armen Teufel mehrmals auf der Straße und würde ihn angeredet haben, aber er wollte weder mit mir noch irgend jemand sonst etwas zu tun haben, sondern fuhr nur fort, sein schauerliches Geschrei von sich zu geben. Durch derartige Vorfälle wurde das Volk aufs äußerste erregt, besonders, als wie schon berichtet, in den öffentlichen Sterberegistern zwei oder drei Pestfälle in St. Giles erschienen. Zu all dem kamen noch die Träume der alten Weiber, oder richtiger: die Auslegungen der alten Weiber der Träume anderer Leute. Sie machten Haufen von Menschen geradezu verrückt. Einige hörten Stimmen, die sie ermahnten fortzugehen, denn es würde eine solche Seuche in London ausbrechen, daß die Lebenden nicht mehr imstande wären, die Toten zu begraben. Andere sahen Erscheinungen in der Luft, und ich glaube, ich darf von beiden, ohne die Gefühle des Mitleids zu verletzen, sagen, daß sie Stimmen hörten, die niemals sprachen und Erscheinungen sahen, die nicht da waren. Aber die Einbildungskraft der Leute war nun einmal wie besessen, und kein Wunder, daß die, die beständig in die Wolken schauten, endlich Umrisse und Gesichter und Erscheinungen sahen, die aus nichts als Dunst und Qualm bestanden. Die einen schrien, sie sähen eine Hand, die ein Flammenschwert mit der Spitze über die Stadt hielte, aus der Wolke hervorkommen; andere erblickten in der Luft Bahren und Särge, die zum Begräbnisplatz zogen. Dann wieder Leichenhaufen, die unbeerdigt herumlagen, -- was eben die Phantasie des armen verwirrten Volkes gerade hervorbrachte. Ganze Bücher könnte ich mit den Erzählungen solcher Leute anfüllen von dem, was sie täglich gesehen hatten. Und dabei glaubte jeder so fest an das, was er erblickt zu haben vorgab, daß man keinem widersprechen durfte, ohne ihn zum Feinde zu machen oder einerseits roh und unmanierlich, oder frivol und oberflächlich gescholten zu werden. Eines Tages, ehe sich die Pest noch über St. Giles hinaus verbreitet hatte, sah ich mitten auf der Straße einen Haufen Menschen. Aus Neugier ging ich hin und sah, daß sie alle in die Luft starrten, um das gewahr zu werden, was ein altes Weib dort erblickte, nämlich nach ihren eigenen Worten, einen weißgekleideten Engel, der ein feuriges Schwert über seinem Haupte schwang. Sie beschrieb die Gestalt bis ins einzelne mit jeder Bewegung, und die Leute waren voll Begier, sie auch zu sehen, bis endlich einer schrie: Ja, ich seh’s ganz deutlich, da ist ein Schwert, wie’s nur eins gibt; einer sah den Engel, ein anderer sein Gesicht und rief: Was für eine wundervolle Gestalt; und so sah der eine dies und der andere das. Ich schaute ebenso eifrig wie die anderen hinauf, wenn auch wahrscheinlich mit weniger Bereitwilligkeit, mir etwas einreden zu lassen, aber ich konnte nichts sehen als eine weiße Wolke, die auf der einen Seite glänzte, weil auf die andere die Sonne schien. Das Weib versuchte, mir’s zu zeigen, konnte mich aber nicht zum Geständnis bringen, daß ich etwas sah. Denn ich hätte lügen müssen, wenn ich behauptet hätte, ich sähe etwas. Worauf das Weib mich anblickte und meinte, ich lache sie aus, was aber wiederum nur in ihrer Phantasie geschah, weil’s mir wirklich nicht ums Lachen war, sondern ich bei mir überdachte, wie sich die armen Leute durch ihre eigene Einbildungskraft ins Bockshorn jagen ließen. Die Frau wandte sich nun mir zu, nannte mich einen unheiligen Burschen und Spötter, und rief, es sei eine Zeit von Gottes Zorn, sein schreckliches Gericht rücke näher und solche, wie ich, die ihn mißachteten, sollten hinausziehen und zugrunde gehen. Die herumstehenden Leute schienen ebenso aufgebracht als das Weib selber, und da ich sah, ich könnte sie doch nicht überreden, daß ich sie nicht ausgelacht hätte, und eher Mißhandlungen befürchten mußte, ging ich meines Weges und ließ die Engelserscheinung ebenso wirklich sein wie die des Kometen. Noch eine andere Begegnung hatte ich am hellichten Tage, in einem engen Durchgang von Petty-France in dem Bishopsgate-Kirchhof, an einer Reihe von Armenhäusern vorbei. Dabei muß ich bemerken, daß es zwei Kirchhöfe im Kirchspiele von Bishopsgate gibt, den einen zwischen dem Platz von Petty-France und der Bishopsgate-Straße, der gerade bei der Kirchtüre aufhört, den andern an dem engen Durchgang, wo die Armenhäuser zur Linken bleiben und eine kleine Mauer mit Holzplanken darauf den Weg rechts begrenzt, während die Stadtmauer noch weiter rechts liegt. In diesem Durchgang nun stand ein Mann, der durch die Holzplanke in den Kirchhof hineinspähte und so viele Leute um ihn herum, daß man sich gerade noch durchzwängen konnte. Der Kerl sprach mit allem Eifer zu ihnen, und während er bald dahin bald dorthin zeigte, behauptete er einen Geist über einen Grabstein schreiten zu sehen und beschrieb ihn in Gang, Haltung und Aussehen so genau, daß er um alles in der Welt nicht begriff, wie nicht jeder sonst ihn ebensogut sehen sollte. Plötzlich rief er aus: Da ist er! Jetzt geht er da! Nun dort! Jetzt hat er sich umgedreht!, bis er die Leute endlich so beschwatzt hatte, daß einer sich einbildete, er sähe nun auch den Geist. Und so kam er jeden Tag und verursachte förmlich einen Auflauf in diesem engen Durchgang, bis es auf der Kirchenuhr elfe schlug und der Geist gerade so, als ob er abgerufen würde, verschwand. Ich schaute überall herum, und zwar genau in dem Augenblicke, als der Mann hindeutete, konnte aber auch nicht den Schatten einer Erscheinung erblicken. Aber der arme Teufel tat so bestimmt, daß die Leute Nervenzufälle bekamen und schließlich zitternd und voll Schrecken sich fortschlichen, bis bald nur mehr ganz wenige, die von der Geschichte wußten, sich trauten, den Durchgang zu benutzen. Bei Nacht aber hätte sich niemand, und hätte er’s noch so wichtig gehabt, durchgewagt. Dieser Geist machte, wie der Mann versicherte, Zeichen gegen die Häuser, gegen den Boden und die Leute, offenbar, um anzudeuten, daß sie haufenweise in diesem Kirchhof begraben würden. Wenigstens verstanden sie’s so. Es kam auch, wie’s der Geist vorhergesagt hatte, und vielleicht sah der Mann Dinge, an die ich niemals geglaubt habe. Ich selbst konnte nichts davon entdecken, so sehr ich mich auch anstrengte. Man versuchte wohl das Drucken solcher Bücher, die die Leute nur in Verwirrung setzten, zu verbieten, und jene, die sie in Umlauf brachten, zu bestrafen, aber zu rechten Maßregeln kam es doch nicht, da die Regierung, soviel ich weiß, das Volk nicht weiter aufbringen wollte, das so schon am Ende seiner Vernunft war. Auch mit jenen Geistlichen kann ich mich nicht einverstanden erklären, die durch ihre Predigten das Gemüt ihrer Zuhörer noch mehr niederdrückten, statt es zu erheben. Manche taten es zweifellos, um den Mut der Leute zu stärken und sie zur Buße anzuhalten. Aber diesen Zweck erreichten sie doch kaum, jedenfalls nicht verglichen mit dem Schaden, den sie anrichteten. Ein Unfug hat immer einen anderen im Gefolge. Diese Furcht und Angst der Leute brachte sie auf tausend törichte, abgeschmackte und schlimme Dinge, wozu sie von den wirklich bösen Elementen noch ermutigt wurden. Sie rannten zu Wahrsagern, Hexenmeistern und Astrologen, um ihr Schicksal zu erfahren oder, wie man gewöhnlich es nennt, um sich ihr Schicksal sagen und sich die Nativität stellen zu lassen und zu ähnlichem Unsinn, und diese Narretei brachte in der Stadt im Augenblick einen Schwarm vorgeblicher Magier hervor, die sich der Schwarzen Kunst und weiß Gott, was sonst noch alles, rühmten und behaupteten, mit dem Teufel besser zu stehen, als es wohl wirklich der Fall war. Dieses Geschäft wurde so offen und allgemein betrieben, daß man an den Türen Anzeigen lesen konnte: Hier wohnt ein Wahrsager; hier wohnt ein Astrologe; hier wird die Nativität ausgerechnet. Der Bronzekopf Bruder Bacons, das gewöhnliche Zeichen solcher Art Leute, war fast überall in jeder Straße zu sehen, oder auch das Zeichen der Mutter Shipton oder der Kopf Merlins und mehr dergleichen. Mit was für sinnlosem und lächerlichem Blödsinn diese Teufelsorakel die Leute zu ihrer Befriedigung vollstopften, weiß ich zwar nicht, aber sicher ist, daß jeden Tag zahllose Menschen vor ihren Türen sich herumdrängten, und sobald sich nur einer dieser Burschen in einer Samtjacke und schwarzem Mantel, der gewöhnlichen Kleidung dieser Beschwörer, auf der Straße zeigte, folgten ihm die Leute in Scharen und stellten während des Gehens allerlei Fragen. -- Die armen Dienstboten hatten eine recht schlechte Zeit, wie ich noch nach und nach berichten werde. Es war vorauszusehen, daß eine ungeheure Anzahl von ihnen entlassen würde, und tatsächlich war es auch so. Eine Menge von ihnen gingen zugrunde, besonders die, denen die falschen Wahrsager Hoffnungen gemacht hatten, daß sie im Dienst bleiben und von ihren Herrschaften aufs Land mitgenommen werden würden. Hätte sich nicht die öffentliche Wohltätigkeit dieser armen Geschöpfe angenommen, wie es sich auch gehört in solchen Fällen, so wären sie von der ganzen Bevölkerung in der allerschlechtesten Lage gewesen. -- Mit solchen Dingen beschäftigte sich das gewöhnliche Volk monatelang, als die Sorgen erst anfingen und die Pest noch nicht richtig ausgebrochen war, aber ich darf auch nicht vergessen, daß der bessere Teil der Bevölkerung sich ganz anders benahm. Die Regierung ermutigte ihre Andachtsübungen, und bestimmte öffentliche Gebets-, Buß- und Fasttage, an denen die Sünden laut bekannt und die Gnade Gottes angerufen wurde, um sein schreckliches Gericht, das über unseren Köpfen hing, abzuwenden. Man kann kaum beschreiben, mit welcher Bereitwilligkeit die Leute aller Berufe diese Gelegenheit begrüßten, wie sie sich in die Kirchen und zu den Versammlungen drängten, daß man nicht bis zu den Türen der allergrößten Kirchen gelangen konnte. In mehreren Kirchen wurden morgens und abends täglich Bittgebete abgehalten, ebenso wie Gebetstage an anderen Orten, und zu allen diesen Veranstaltungen erschienen die Leute mit ungewöhnlicher Andacht. Auch einzelne Familien, selbst wenn sie nicht desselben Glaubens waren, hielten Fasttage, zu welchen nur die nächsten Verwandten zugelassen waren. Mit einem Wort: alle, die wirklich fromm und glaubenseifrig waren, gaben sich in echt christlicher Weise dem Werk der Reue und Bußfertigkeit hin, wie es einem christlichen Volke geziemte. Auch die Öffentlichkeit zeigte, daß sie sich an diesen Dingen beteiligen wolle, ja sogar der Hof, der in aller Lust und Freude lebte, stellte sich, als ob ihn die allgemeine Gefahr wirklich bekümmerte. Schauspiele und Possen, die, nach der Mode am französischen Hofe, eingeführt worden waren und immer beliebter wurden, durften nicht mehr gespielt werden. Die Spiel- und Tanzhäuser wie die Musikhallen, die sich ständig vermehrt hatten und bereits die Sitten des Volkes zu untergraben drohten, mußten geschlossen werden, und die Kasperl- und Marionettentheater, Seiltänzer und was dergleichen Leute mehr sind, die beim gewöhnlichen Volke beliebt sind, machten selbst zu, da niemand mehr etwas von ihnen wissen wollte. Denn die Leute hatten nun an anderes zu denken, Grausen und Sorge malten sich auf den Gesichtern selbst der Rohesten. Alle hatten den Tod vor Augen, und jedem war nun das Grab näher als Lustbarkeit und Unterhaltung. Das waren wohl heilsame Betrachtungen, die, wenn man es richtig verstanden hätte, das Volk auf seine Knie gezwungen hätte, um seine Sünden zu bekennen und den barmherzigen Schöpfer um Gnade anzurufen und sein Mitleid in solcher Zeit der Heimsuchung zu erflehen, wie es einst in Ninive geschah. Aber beim niederen Volke schlugen sie nun ins andere Extrem um. Zuvor schon gedankenlos und leichtfertig, griff es nun in seiner Unwissenheit, Torheit und Angst zu den sinnlosesten Mitteln. Es lief, wie schon erwähnt, um die Zukunft zu erfahren, zu Beschwörern, Hexenmeistern und sonstigen Schwindlern, die es in beständiger Furcht und Unruhe erhielten, um Geld aus ihm herauszulocken. Ebenso wild war es hinter Quacksalbern und Marktschreiern her und ließ sich von jedem alten Kräuterweib mit Pillen, Tränken und Schutzmitteln vollstopfen, daß nicht nur das Geld hinausflog, sondern auch statt des Seuchengiftes ein anderes Gift in den Körper hineinkam. So machten die, die sich vor der Pest schützen wollten, sich erst recht für die Ansteckung empfänglich. Anderseits kann man es kaum glauben oder sich vorstellen, wie die Straßenecken und Hauswände über und über mit Anschlagzetteln von Ärzten bedeckt waren, mit Anzeigen von unwissenden, quacksalbernden Burschen, die die Leute einluden, sie aufzusuchen und ihnen Schutzmittel anpriesen. Die Sprache solcher Anpreisungen war echt marktschreierisch. Z. B.: Unfehlbar vorbeugende Pillen gegen die Pest; untrügliche Schutzmittel gegen die Ansteckung; höchst vortreffliche Tränke gegen die Fäulnis der Luft; genaue Anweisung sich im Falle der Ansteckung zu verhalten; Antipestpillen; unvergleichliche noch niemals zusammengestellte Mixtur gegen die Seuche; Universalmittel gegen die Pest; das einzig echte Pestwasser; das königliche Gegenmittel gegen alle Arten der Ansteckung, und noch eine ganze Anzahl mehr, die ich nicht anführen kann, da ich sonst ein eigenes Buch schreiben müßte. Andere wieder klebten Anzeigen an, um sich den Leuten für Rat und Hilfe im Falle der Ansteckung zu empfehlen. Auch da gab es Titel, die sich gewaschen hatten, wie die folgenden: Hervorragender hochdeutscher Arzt, eben von Holland gekommen, wo er sich während des ganzen Verlaufs der großen Pest aufhielt, letztes Jahr in Amsterdam, hat Haufen von Leuten geheilt, die wahrhaftig an der Pest erkrankt waren. Italienerin von Stande, gerade von Neapel angelangt, besitzt ein besonderes Geheimnis, um die Ansteckung zu verhindern, das sie durch ihre tiefe Wissenschaft entdeckte, und womit sie bei der letzten Pest, an der 20000 in einem Tage starben, wundervolle Kuren vollführte. Alte Dame, die mit großem Erfolg während der Londoner Seuche von 1636 ihre Kunst ausübte, gibt Rat nur an Frauen. Sprechstunde usw. Erfahrener Arzt, der lange das Studium der Gegenmittel gegen alle Arten von Giften und Ansteckungen betrieb, hat sich nach vierzigjähriger Praxis eine solche Geschicklichkeit erworben, daß er, mit Gottes Hilfe, jedermann vor der Ansteckung irgend welcher Seuche schützen kann. Arme werden umsonst behandelt. Ich führe das nur als Beispiele an, von denen ich noch ein paar Dutzend geben könnte, ohne meinen Vorrat zu erschöpfen. Doch mögen diese genügen, um einen Begriff von der Gemütsverfassung dieser Zeit zu geben. Nicht nur, daß ein Haufen von Schwindlern und Geldschneidern den armen betrogenen Leuten das Geld aus der Tasche stahl, wurden sie auch mit gräulichen und gefährlichen Mitteln vergiftet. Einige mit Quecksilber, andere mit ebenso schädlichem Zeug, das weit entfernt war, die versprochenen Wirkungen hervorzubringen und im Falle einer Ansteckung dem Körper eher schadete als nützte. Doch von einem Schlich eines dieser Quacksalber muß ich doch noch erzählen, mit dem er die armen Teufel an sich heranlockte und sie um ihr Geld brachte. In einem Nachtrag stand auf den Zetteln, die er auf der Straße austeilte, in dickgedruckten Buchstaben: Behandlung der Kranken umsonst. Natürlich drängten sich die Leute zu ihm, worauf er ihnen die schönsten Reden hielt, sie auch auf ihren Gesundheitszustand hin untersuchte und ihnen manche Ratschläge gab, die freilich nicht viel wert waren. Sie kamen immer darauf hinaus, daß er eine Medizin besitze, die allmorgendlich genommen, jeden, bei Verpfändung von des Doktors Leben, vor der Pest schützen würde, selbst wenn er mit kranken Leuten in einem Hause wohnte. Natürlich brannten nun alle darauf, dieses Mittel zu haben, aber der Preis war sehr hoch, ich glaube, 2½ Schillinge. »Aber Herr,« sagte eine arme Frau, »ich bin eine Armenhäuslerin, und werde vom Kirchspiel erhalten, und Ihr sagt, daß die Armen Eure Hilfe umsonst haben.« -- »So ist es, gute Frau,« entgegnete der Doktor, »wie’s hier gedruckt steht: ich gebe meinen Rat, aber nicht meine Medizin!« -- »Dann, Herr,« sagt sie, »ist es eine Schlinge für die Armen; Ihr gebt ihnen wohl Euren Rat umsonst, nämlich den Rat, Eure Medizin für ihr Geld zu kaufen, wie es jeder Händler mit seinen Waren macht.« Darauf fing sie zu schimpfen an und blieb den ganzen Tag vor seiner Türe stehen, indem sie allem Volk, das kam, ihre Geschichte erzählte, bis der Doktor, als er sah, daß sie ihm alle Kunden vertrieb, sich genötigt sah, sie nach oben zu rufen und ihr eine Schachtel seiner Medizin für nichts zu geben, die ihr wahrscheinlich auch zu nichts taugte. Aber die Verwirrung, in der sich das Volk befand, war eben geeignet, es für das Gerede jedes Schwindlers empfänglich zu machen. Zweifellos zogen diese quacksalbernden Burschen einen großen Gewinn aus der Torheit der bejammernswerten Leute, denn das Gedränge vor ihren Türen und das Gelaufe zu ihnen war viel größer als vor den Wohnungen von Dr. Brooks, Dr. Upton, Dr. Hodges, Dr. Berwick oder sonst irgendeinem der damals berühmtesten Ärzte, und ich habe mir sagen lassen, daß einige dieser Marktschreier durch ihre Medizinen nicht weniger als 5 Pfund im Tage verdienten. Aber noch eine andere Verrücktheit gab es, die über all dies hinausging, und eine gute Vorstellung von dem vertrackten Gemütszustand des Volkes in jener Zeit gibt. Es lief noch hinter einem weit schlimmeren Pack von Betrügern her als alle die schon erwähnten waren, die es doch nur täuschten, um Geld aus ihm herauszuziehen, so daß die Schlechtigkeit ganz auf ihrer Seite war und nicht bei den Betrogenen. Bei dem aber, was ich jetzt erzählen werde, waren beide Teile gleich schuldig. Das war das Tragen von Amuletten, Beschwörungsformeln, Zaubermitteln und, was weiß ich, sonst noch für Zeug, um den Körper gegen die Seuche »fest« zu machen, so als ob die Pest nicht von Gott geschickt worden wäre, sondern gleichsam von einem bösen Geiste hervorgebracht würde, gegen den man sich durch kreuzförmige Striche, astrologische Zeichen, mit so und so vielen Knoten zusammengebundene Papiere, auf die gewisse Worte und Zeichen geschrieben waren, schützen könne. Für besonders wirksam galt das Wort Abracadabra, dreiecks- oder pyramidenförmig geschrieben, so nämlich: ~A B R A C A D A B R A A B R A C A D A B R A B R A C A D A B A B R A C A D A A B R A C A D A B R A C A A B R A C A B R A A B R A B A~ Andere trugen das Zeichen der Jesuiten in einem Kreuz: ~I H S~ und noch andere machten nichts als ein gleichschenkeliges Kreuz: + Ich könnte einen großen Teil meiner Zeit aufwenden, um gegen solche Narrheiten zu eifern, denn sie bedeuten wirklich eine Leichtfertigkeit in einer Zeit derartiger Gefahr und Volksverseuchung, aber meine Aufzeichnungen wollen hauptsächlich die Tatsache als solche festlegen. Wie viele dieser armen Teufel später die Wirkungslosigkeit von all diesem Zeug herausfanden, wie viele in den Leichenkarren fortgeschafft und mitsamt ihren Amuletten und ihrem teuflischen Quark um den Hals in die Massengräber geworfen wurden, das wird im folgenden noch besprochen werden. Alles dies war die Folge von der Kopflosigkeit, die das Volk ergriffen hatte, nachdem das erste Gerücht von der Pest sich ausbreitete, also ungefähr um Michaeli 1664, dann besonders, als die beiden Männer in St. Giles Anfang Dezember starben, und später noch einmal im Februar. Denn als nun die Seuche offenbar weiter um sich griff, begannen die Leute bald den Unsinn einzusehen, sich solchen unnützen Kerlen anzuvertrauen, die ihnen nur das Geld aus der Tasche zogen. Dann schlug ihre Angst in Stumpfheit und eine Art von Fühllosigkeit um, da sie nicht wußten, was sie tun oder lassen sollten, um sich Erleichterung zu verschaffen. Sie rannten von einem Nachbarn zum andern, oder auch in den Straßen herum, von einer Tür zur andern und riefen fortwährend: Herr, hab’ Mitleid mit uns, was sollen wir tun? Ich glaube jetzt selbst, daß gleich nach dem ersten Auftreten der Seuche die Behörden die Lage des Volkes in ernsthafte Erwägung zogen. Ich werde gleich berichten, was geschah, um die Ordnung in Hinsicht auf die Bevölkerung und die verseuchten Familien aufrechtzuerhalten. Aber was den geistigen Gesundheitszustand anbetrifft, muß erwähnt werden, daß ich selbst das verrückte Wesen der Leute beobachtet habe, die wie Wahnsinnige hinter den Quacksalbern, Schwindlern, Wahrsagern und Hexenmeistern her waren. Der Lordmayor, ein sehr gewissenhafter und frommer Mann, bestimmte Ärzte und Bader zur Hilfe für die Armen, wenn sie krank wurden und befahl insbesondere dem Ärztekollegium, Leitsätze für billige Heilmittel bei allen Symptomen der Seuche herauszugeben. Das war auch wirklich eine der besten und richtigsten Maßregeln, die zu jener Zeit getroffen werden konnte; denn dadurch vertrieb man das Volk von den Türen der Quacksalber und bewahrte es davor, jedes Gift wahllos als Medizin hinunterzuschlucken und sich den Tod statt der Genesung zu holen. Die Anweisung der Ärzte wurde in einer Sitzung des ganzen Kollegiums ausgearbeitet, und da sie hauptsächlich zum Gebrauch der Armen und zur Anwendung billiger Heilmittel berechnet war, wurde sie veröffentlicht und Abzüge an jeden gegeben, der davon haben wollte. Da sie überall im Wortlaut zu lesen ist, brauche ich den Leser damit nicht weiter zu belästigen. Noch muß ich schildern, welche Maßregeln von den Behörden für die allgemeine Wohlfahrt getroffen wurden, um die Weiterverbreitung der Seuche zu verhindern, wenn sie einmal ausgebrochen war. Ich werde oft genug Veranlassung haben, von der Umsicht der Behörden zu reden, ihrer Wohltätigkeit und Sorgfalt für die Armen, ihrem Bemühen, die Ordnung aufrechtzuerhalten, Nahrungsmittel herbeizuschaffen und dergleichen mehr, als die Seuche nun wirklich zunahm. Aber zuerst will ich die Maßregeln beschreiben, die für die verseuchten Familien in Kraft traten. Ich erwähnte schon früher das Absperren der Häuser, und es muß gerade darüber mehr gesagt werden. Wenn auch dieser Teil der Geschichte der Pest vielleicht der allertraurigste ist. Aber auch das Ärgste darf nicht verschwiegen werden. Anfang Juni etwa begannen der Lordmayor von London und das Ratskollegium ihr besonderes Augenmerk auf die Ordnung in der Stadt zu richten. Die Friedensrichter von Middlesex hatten im Auftrage des Staatssekretärs die Absperrung der Häuser in den Kirchspielen von St. Giles in the Fields, St. Martin, St. Clement Danes usw. verfügt, und zwar mit gutem Erfolge. Denn in mehreren Straßen, wo die Seuche ausgebrochen war, erlosch sie wieder, als man die verseuchten Häuser streng bewachte und dafür sorgte, daß die Verstorbenen sofort nach ihrem Tode begraben wurden. Es wurde auch beobachtet, daß die Pest früher in jenen Kirchspielen nachließ, wo sie zuerst am heftigsten gewütet hatte, als in Bishopsgate, Shoreditch, Aldgate, Whitechapel, Stepney und anderen, und es zeigte sich, daß die dort frühzeitig ergriffenen Maßregeln ein gutes Mittel waren, der Seuche Einhalt zu tun. Die Absperrung der Häuser war eine Maßregel, die, soweit ich unterrichtet bin, zum ersten Male während der Pest von 1603, als König Jakob I. auf den Thron kam, angewendet wurde. Damals wurde die Vollmacht, Leute in ihren eigenen Häusern abzusperren, durch eine Parlamentsakte gewährleistet, deren Titel lautete: Beschluß über die mildtätige Unterstützung und Behandlung von an der Pest erkrankten Personen. Auf diese Parlamentsakte stützte sich die Anordnung des Lordmayors von London und des Ratskollegiums, die am 1. Juli 1665 herauskam, als die Zahl der Verseuchten innerhalb der City noch klein war. Sie betrug damals für die 92 Kirchspiele nur vier. Einige Häuser waren bereits abgesperrt worden, und mehrere Kranke hatte man in das Pesthaus über Bunhill Fields hinaus, auf dem Wege nach Islington, gebracht. Durch derartige Maßregeln hatte man erreicht, daß die Sterblichkeit in der City sich auf nicht mehr als 28 belief, während die Gesamtsterblichkeit innerhalb einer Woche schon an ein Tausend ging. So war die City verhältnismäßig besser dran als irgendein Stadtteil während der ganzen Pestzeit. Diese Verfügungen des Lordmayors wurden gegen Ende Juni veröffentlicht und traten am 1. Juli in Kraft. Sie lauteten: Beschluß beraten und herausgegeben vom Lordmayor und Ratskollegium der Stadt London in Betreff der Ansteckung durch die Pest, 1665. Nachdem während der Regierung des Königs Jakob, glücklichen Gedenkens, eine Parlamentsakte erschien über die mildtätige Unterstützung und Behandlung von an der Pest erkrankten Personen, wodurch den Friedensrichtern, Bürgermeistern, Landvögten und anderen Oberbehörden Gewalt verliehen wurde, innerhalb ihres Amtsbezirkes Leichenbeschauer, Visitatoren, Wachleute, Aufseher und Totengräber zu bestimmen für die verseuchten Personen und Orte und sie auf die Pflichten ihres Ortes zu vereidigen, das gleiche Gesetz sie auch ermächtigte, weitere Verfügungen zu treffen, die ihnen in der gegenwärtigen Notlage als wünschenswert erscheinen möchten, so wird hiermit nach reiflicher Überlegung als besonders wirksam zur Verhinderung und Vermeidung der Ansteckung (so es dem allmächtigen Gott gefällt) verordnet, daß die folgenden Amtspersonen ernannt und die Verfügungen genau beobachtet werden. In jedem Kirchspiel zu ernennende Visitatoren Erstlich erscheint es erforderlich und wird hiermit verfügt, daß in jedem Kirchspiel ein, zwei oder mehr Personen von gutem Ruf und Ansehen durch den Ratsherrn, seinen Vertreter und das Pflegschaftsgericht unter dem Namen von Visitatoren verpflichtet werden, um in ihrem Amte für die Mindestdauer von zwei Monaten zu bleiben; daß ferner jede dazu taugliche Person, so sie sich weigern sollte, ihr Amt zu übernehmen, gefangen gesetzt würde, bis sie ihre Zustimmung erklären sollte. Amtsbefugnisse der Visitatoren Daß diese Visitatoren durch die Ratsmänner in geschworne Pflicht genommen werden, von Zeit zu Zeit zu untersuchen und auszuforschen, welche Häuser in jedem Kirchspiel verseucht, welche Personen und an welchen Übeln sie erkrankt seien, und zwar nach bestem Wissen und Gewissen, und daß sie in zweifelhaften Fällen sich zwangsweise Eintritt verschaffen, bis die Art der Erkrankung festgestellt ist; daß sie ferner, wenn eine Person an der Seuche erkrankt sollte befunden werden, dem Konstabler befehlen, das Haus abzusperren, und falls solcher als nachlässig befunden werden sollte, dies sofort dem Pflegschaftsrichter zur Anzeige bringen. Wächter Daß für jedes verseuchte Haus zwei Wächter bestellt werden, einer für den Tag, der andere für die Nacht, und daß diese Wächter dafür zu sorgen haben, daß kein Mensch ein solches verseuchtes Haus, das sie zu bewachen haben, betrete oder verlasse, bei Androhung schwerer Strafe. Auch haben besagte Wächter solche Hilfe zu leisten, als in dem verseuchten Hause verlangt und gefordert werde und, falls sie zur Ausführung irgendeines Auftrages weggeschickt werden, das Haus abzuschließen und den Schlüssel mit sich zu nehmen. Und hat der Tagwächter seinen Dienst bis 10 Uhr abends zu versehen, der Nachtwächter bis 6 Uhr des Morgens. Leichenbeschauer Daß besondere Sorge darauf gerichtet werde, weibliche Leichenbeschauer in jedem Kirchspiel zu ernennen, die als anständig bekannt sind und am besten dazu geeignet, und daß sie eidlich verpflichtet werden, ihr Amt nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen und wahrheitsgemäße Berichte abzustatten, ob die von ihnen untersuchten Personen an der Pest oder an was sonst für Krankheiten gestorben sind, und daß die Ärzte, die zur Behandlung und Verhinderung der Ansteckung ernannt wurden, besagte Leichenbeschauerinnen herbeiholen, die für die unter ihrer Aufsicht stehenden Kirchspiele bestimmt wurden oder werden, um zu entscheiden, ob sie für ihr Amt geeignet seien, und sie von Zeit zu Zeit nach Bedarf ermahnen, falls sie nachlässig in der Ausübung ihrer Pflichten befunden werden. Daß während der Dauer der Seuche keine Leichenbeschauerin soll befugt sein, irgendeinen öffentlichen Beruf auszuüben, einen Laden oder Stand zu halten, oder als Wäscherin oder in irgendeiner sonstigen Beschäftigung zu arbeiten. Wundärzte Zur Unterstützung der Leichenbeschauer und infolge der großen Unzuträglichkeiten bei falschen Angaben über die Seuche, die zur Ausbreitung der Ansteckung führten, wird hiermit verfügt, daß fähige und zuverlässige Wundärzte außer jenen, die bereits dem Pesthaus angegliedert sind, bestimmt werden, und die auf die City und die äußeren Bezirke, je nach Bedarf und Zweckmäßigkeit zu verteilen sein sollen, so daß jeder von ihnen ein Quartier als Amtsbezirk habe, und sollen besagte Wundärzte in ihren Bezirken zusammen mit den Leichenbeschauern die Aufsicht über die Leichen ausüben, um dadurch einen wahrhaftigen Bericht über die Seuche zu gewährleisten. Und ferner, daß besagte Wundärzte sollen aufsuchen und untersuchen alle Personen, die sie holen lassen, oder von den Visitatoren in jedem Kirchspiel ihnen bezeichnet oder angewiesen werden, um sich über die Krankheit obiger Personen zu unterrichten. Und desweilen besagte Wundärzte alle sonstigen Behandlungen sollen aufzugeben gehalten sein und ausschließlich für die Seuche verwendet werden, wird verfügt, daß jeder der besagten Wundärzte für eine jede besichtigte Leiche 12 Pence erhalten soll, die aus dem Vermögen der betr. Familie genommen werden sollen, wenn sie zahlungsfähig ist, und sonst dem Kirchspiel zur Last fallen. Pflegewärterinnen So eine Pflegewärterin sich aus einem verseuchten Hause entfernt, ehe 28 Tage seit dem Hinscheiden irgendeiner an der Seuche verstorbenen Person vergangen sind, soll das Haus, in das besagte Pflegewärterin verzogen, für 28 Tage abgesperrt werden. Verfügungen betreffend verseuchte Häuser und die an der Pest Erkrankten Anzeigepflicht von Krankheiten Jeder Hausherr ist verpflichtet, sobald ein Inwohner seines Hauses über Beulen, rote Flecken oder Schwellungen an irgendeinem Teile seines Körpers klagt, oder ohne klares Anzeichen eines anderen Leidens in schwere Krankheit verfällt, davon sofort dem Gesundheitsvisitator Anzeige zu erstatten binnen zwei Stunden, nachdem erwähnte Erscheinungen eingetreten sind. Absonderung der Kranken Sobald irgend jemand als pestverdächtig von seinem Visitator, Wundarzt oder einem Leichenbeschauer angezeigt wird, soll er noch dieselbe Nacht in dem gleichen Hause abgesondert werden, und nachdem dies geschehen, soll das Haus, auch wenn es sich nicht um einen Todesfall handelt, für einen Monat abgesperrt werden, nach Gebrauch wirksamer Vorbeugungsmittel von seiten der anderen Inwohner. Ausräucherung des Hausrats Die Bettsachen, Kleider und Vorhänge der Verseuchten sind zu beschlagnahmen und mit Feuer gut auszuräuchern mit solchem Räucherwerk, als dazu geeignet erscheint, innerhalb des verseuchten Hauses, ehe sie wieder in Gebrauch genommen werden dürfen. Und soll das nach Verfügung des Visitators ausgeführt werden. Absperrung der Häuser Wer immer irgend jemand besucht, der an der Pest verseucht ist oder freiwillig sich in ein als verseucht bekanntes Haus begibt, ohne dazu Erlaubnis zu haben, dessen Haus soll für eine gewisse Zeit auf Anordnung des Visitators abgesperrt werden. Niemand darf aus einem verseuchten Hause entfernt werden usw. Desgleichen soll niemand aus dem Hause entfernt werden, wo er angesteckt wurde, noch in irgendein anderes Haus in der Stadt gebracht werden (außer in das Pesthaus oder eine Baracke oder ein solches Haus, das dem Besitzer besagten Hauses zugehört und nur von seiner eigenen Dienerschaft bewohnt wird) und soll zur Sicherheit des betr. Kirchspiels, wohin solcher Umzug stattfindet, unter genauer Beobachtung aller bereits erwähnten Verordnungen und gehöriger Aufsicht der Umzug bei Nacht ausgeführt werden, ohne daß daraus dem Kirchspiel irgendwelche Kosten erwachsen dürfen; und soll es jeder Person, die im Besitze von zwei Häusern ist, erlaubt sein, die gesunden oder verseuchten Insassen nach seiner Wahl in das andere Haus zu verlegen, dermaßen, daß, wenn er die Gesunden entfernt, Verseuchte nachzuschicken ihm soll verboten sein und umgekehrt, und daß jene, die er fortschickt, zum mindesten für eine Woche sollen abgesperrt und von jeder Gesellschaft abgesondert werden, aus Vorsicht vor jeder noch nicht sichtbaren Ansteckung. Begräbnis der Toten Daß das Begräbnis der Toten während der Zeit dieser Seuche solle stattfinden zu den passendsten Stunden, stets vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang im Beisein des Kirchenvorstehers oder Konstablers und keines andern, und soll es weder Nachbarn noch Freunden erlaubt sein, die Leiche zu der Kirche zu begleiten oder das verseuchte Haus zu betreten bei Gefängnisstrafe oder Absperrung des eigenen Hauses. Auch daß keine Leiche eines an der Seuche Verstorbenen soll begraben werden oder in einer Kirche bleiben dürfen zur Zeit des Gottesdienstes, der Predigt oder Christenlehre, ebenso, daß keinen Kindern soll erlaubt sein, während eines Begräbnisses in der Kirche, auf dem Kirchhof oder sonstigem Begräbnisplatz in die Nähe der Leiche, des Sarges oder Grabes zu kommen, auch daß alle Gräber sollen zum mindesten sechs Fuß tief sein. Daß ferner alle Versammlungen bei andern Begräbnissen während der Dauer der Seuche zu verbieten seien. Verbot der Veräußerung von verseuchten Gegenständen Daß es nicht erlaubt sein soll, Stoffe, Kleider, Bettzeug oder Anzüge aus irgendeinem verseuchten Hause zu entfernen oder herauszubringen, und daß es den Versteigerern und Hausierern von Bettzeug oder alten Kleidern aufs strengste verboten sein soll, solches zu verkaufen oder auf Versatz zu belehnen, auch es keinen Trödlern von Bettzeug und alten Kleidern gestattet sein soll, solche öffentlich auszuhängen vor ihren Laden, Ständen oder hinter den Fenstern, die auf eine Straße, Gasse, einen Durchgang oder öffentlichen Platz gehen, bei Gefängnisstrafe. Und soll jeder Trödler oder wer sonst immer, der Bettzeug, Kleider oder dergleichen aus einem verseuchten Hause kauft, innerhalb zweier Monate seit der Verseuchung, in seinem Haus gleich als einem verseuchten abgesperrt werden, zum mindesten für die Dauer von 20 Tagen. Verbot der Wegschaffung aus einem verseuchten Hause So irgend jemand durch Fahrlässigkeit oder auf andere Weise von einem verseuchten Ort nach einem andern kommt oder gebracht wird, soll das Kirchspiel, von wo er gekommen ist oder gebracht wurde, auf die Anzeige davon, auf seine Kosten, besagten Flüchtling wieder bei Nacht zurückbringen lassen, und sollen die Schuldigen nach Verfügung des Pflegschaftsrichters bestraft, das Haus aber von dem, der den Besuch empfangen, für 20 Tage abgesperrt werden. Anzeichnung der verseuchten Häuser Daß jedes verseuchte Haus in der Mitte der Tür mit einem roten Kreuz von einem Fuß Länge soll bezeichnet werden, daß solches überall gesehen werden kann und soll in Druckschrift dicht über besagtes Kreuz der Spruch gesetzt werden: Herr, habe Mitleid mit uns, und soll so lange dort bleiben, bis besagtes Haus wieder rechtmäßig geöffnet wurde. Über die Bewachung verseuchter Häuser Daß die Konstabler sich überzeugen sollen, daß jedes verseuchte Haus von Wächtern beobachtet wird, die die Eingeschlossenen mit dem Notwendigsten versorgen, auf ihre Kosten und im Falle des Unvermögens auf Kosten der Allgemeinheit. Und soll das Absperren der Häuser vier Wochen dauern, nach Wiedereintritt der Gesundheit. Soll genau darauf geachtet werden, daß Leichenbeschauer, Wundärzte, Wärter und Leichenträger sich nicht auf der Straße zeigen, ohne einen roten Stab oder eine rote Gerte von drei Fuß Länge offen und jedermann sichtbar in der Hand zu tragen, und sollen sie gehalten sein, kein anderes Haus als ihr eigenes zu betreten oder wohin sie gerufen und geholt werden; auch sollen sie sich fern von jeder Gesellschaft halten, besonders wenn sie kürzlich in ihrem Berufe tätig waren. Hausbewohner Soll, wo mehrere Insassen in ein und demselben Hause sind und einer von ihnen von der Seuche ergriffen wird, es niemand aus diesem Hause erlaubt sein, den Erkrankten oder sich selbst zu entfernen ohne Gesundheitszeugnis von den Visitatoren des Kirchspiels und soll im Verfehlungsfalle das Haus, wohin er oder sie sich begeben, gerade so abgesperrt werden als im Falle der Verseuchung. Öffentliche Wagen Sollen die Kutscher der öffentlichen Wagen darauf achten, daß sie ihre Wagen nicht, wie schon manchmal beobachtet wurde, nachdem sie verseuchte Personen zum Pesthaus oder nach andern Plätzen gebracht haben, wieder in den allgemeinen Verkehr stellen, ehe sie ordentlich durchräuchert und für die Dauer von 5 oder 6 Tagen beiseite gestellt worden sind. Verfügungen über die Straßenreinigung Die Straßen müssen rein gehalten werden. Erstlich wird es für nötig erachtet und daher bestimmt, daß jeder Hausbesitzer die Straße vor seiner Tür täglich reinigen lassen soll, und soll sie die ganze Woche lang ordentlich gekehrt werden. Über die Gassenkehrer Soll der Kehricht und die Hausabfälle täglich von den Straßenkehrern weggebracht werden, und soll der Straßenkehrer auf seine Ankunft durch das Blasen eines Hornes aufmerksam machen, wie es auch bisher geschah. Über die Anlage von Abfallgruben Sollen die Abfallgruben soweit als möglich von der Stadt und allen öffentlichen Straßen entfernt werden, und soll es keinem Abtritträumer erlaubt sein, eine Tonne in eine Grube oder einen Garten in der Nähe der Stadt auszuleeren. Über verdorbene Lebensmittel Soll besonders darauf Bedacht genommen werden, daß kein riechender Fisch, verdorbenes Fleisch oder dämpfiges Getreide oder andere verdorbene Lebensmittel, welcher Art immer, in irgendeinem Teile der Stadt verkauft werden. Sollen die Brauereien und Schenken nach ungereinigten Fässern durchsucht werden. Soll es verboten sein, Schweine, Hunde, Katzen, zahme Tauben oder Kaninchen in irgendeinem Teile der Stadt zu halten, oder Schweine in den Straßen und Gassen frei laufen zu lassen, und sollen solche Schweine von dem Büttel oder sonst einer Amtsperson eingesperrt, der Besitzer aber bestraft werden nach den Verordnungen des Stadtrats, und sollen die Hunde durch die dafür bestimmten Hundefänger getötet werden. Verfügungen betreffend liederliche Personen und unnütze Gesellschaften. Bettler Angesehen, daß über nichts mehr geklagt wird als die Menge der Landstreicher und herumziehenden Vagabunden, die überall um die Stadt ihr Unwesen treiben und viel dazu tun, um die Seuche zu verbreiten und trotz aller Verordnungen nicht weggeschafft werden können, so wird hiermit verfügt, daß Polizeidiener und andere, die es angeht, besonders Bedacht darauf nehmen, daß keinem herumziehenden Vagabunden das Betreten der Straßen in der Stadt erlaubt werde, und zwar unter keinem Vorwand, was immer, und soll die festgesetzte Strafe nach der ganzen Strenge des Gesetzes ihnen gegenüber zur Anwendung kommen. Belustigungen Sollen alle Belustigungen wie Bärenhetzen, Kartenspiele, das Singen von Moritaten u. dgl., die einen Auflauf von Menschen verursachen, aufs strengste verboten sein, und sollen die Übertreter von jedem Ratsherrn in seinem Bezirk schwer bestraft werden. Über Festessen Sollen alle öffentlichen Festessen, besonders jene der städtischen Innungen, in Gast- und Bierhäusern und allen sonstigen Orten für öffentliche Zusammenkünfte, bis auf weiteres verboten sein, und soll das hierdurch ersparte Geld zum Wohle der von der Seuche betroffenen Armen verwendet werden. Schenken Soll das unmäßige Zechen in Gasthäusern, Bierhäusern, Kaffeehäusern und Kellern aufs Ernstlichste getadelt werden, als das allgemeine Laster unserer Zeit und bestes Mittel, die Seuche zu verbreiten. Und soll es keiner Person oder Gesellschaft erlaubt sein, ein Gasthaus, Bierhaus oder Kaffeehaus zu betreten oder darin nach neun Uhr abends zu verweilen, gemäß dem alten Gesetz und Gebrauch dieser Stadt, bei gesetzlicher Strafe. Zur leichteren Durchführung dieser Verfügungen und weiterer Verordnungen, die nach genauer Erwägung nötig befunden werden sollten, wird hiermit bestimmt, daß die Ratsherrn, ihre Vertreter sowie die Gemeindevertreter wöchentlich zusammenkommen, und zwar einmal, zweimal, dreimal oder öfter, je nach Notwendigkeit, an irgendeinem in ihren Pflegschaftsbezirken üblichen, von jeder Ansteckung oder Verseuchung freien, Orte, um zu beraten, auf welche Weise besagte Verfügungen zur Ausführung zu bringen sind. Und sollen solche, die in oder nahe an verseuchten Plätzen wohnen, ihr Kommen unterlassen. Und sollen besagte Ratsherrn, Stellvertreter und Gemeindevertreter, in ihren verschiedenen Bezirken alle Verfügungen in Wirksamkeit setzen, die von ihnen bei besagter Zusammenkunft beraten und zum Wohle von seiner Majestät Untertanen und zu ihrer Befreiung von der Seuche für richtig gehalten worden sind. Sir John Lawrence, Lordmayor Sir George Waterman } Sir Charles Doe } Sherifs. Es ist unnötig zu sagen, daß diese Verfügungen nur jene Plätze betrafen, die unter der Gerichtsbarkeit des Lordmayors standen, aber die Friedensrichter der Kirchspiele, die zu der näheren Umgebung und den Vorstädten gehörten, ergriffen die gleichen Maßregeln. Freilich wurde zur Absperrung der Häuser auf unserer Seite erst später geschritten, weil, wie ich schon erzählt habe, die Pest nicht so bald zu uns kam und erst Anfang August ihre volle Heftigkeit entfaltete. Anfangs nannte man diese Absperrung der Häuser eine recht grausame und unchristliche Maßregel, und die solchermaßen eingesperrten Leute klagten aufs Bitterste; auch kamen täglich die heftigsten Beschwerden an den Lordmayor über zu Unrecht oder aus Bosheit abgesperrte Häuser. Die Untersuchung ergab die Grundlosigkeit mancher Beschwerden; in andern Fällen zeigte sich, daß die Krankheit nicht zu den ansteckenden gehörte, oder auch, daß die Erkrankten, wennschon ihr Fall nicht sicher war, eingewilligt hatten, nach dem Pesthause gebracht zu werden, worauf die Absperrung aufgehoben wurde. Eines Tages, als ich etwa um 8 Uhr morgens durch Houndsditch kam, hörte ich einen großen Lärm. Zwar waren nur wenige Leute auf der Straße, da es ihnen verboten war, dort lange herumzustehen oder sich mit andern herumzutreiben, auch hielt ich mich selbst nicht lange auf, aber das laute Geschrei erweckte meine Neugierde, so daß ich einem, der aus dem Fenster schaute, zurief und ihn fragte, was es denn gäbe. Wie es schien, war der Wächter, der vor dem verseuchten oder angeblich verseuchten und abgesperrten Hause seinen Posten hatte, nun schon zwei Nächte hintereinander dagewesen, wie er wenigstens erzählte, und der Tagwächter, der auch schon einen Tag hier sein Amt versehen hatte, war eben gekommen, um ihn abzulösen -- und während dieser ganzen Zeit war kein Laut aus dem Hause gedrungen, kein Licht hatte sich gezeigt, die Leute verlangten nichts, schickten den Wächter weder auf irgendeine Besorgung, was doch gemeinhin die Haupttätigkeit der Wächter ausmachte, noch wollten sie sonst etwas von ihm. So war es nach seinem Berichte seit Montagnachmittag. Da hatte er in dem Hause ein arges Schreien und Heulen gehört, wie er meinte, weil dort gerade jemand gestorben war. Wirklich war auch der Leichenkarren in der vorhergehenden Nacht vor der Türe angehalten und die Leiche eines Dienstmädchens herabgebracht worden. Die Leichenträger hatten sie in den Karren geworfen, wie sie war, nur in ein Stück grünes Zeug gewickelt, und waren davongefahren. Als der Lärm und das Geschrei ertönte, hatte der Wächter an die Türe geklopft, aber eine ganze Weile hatte niemand geantwortet. Endlich hatte jemand zum Fenster herausgesehen und mit einer verärgerten, aber doch weinerlichen Stimme gefragt: »Was wollt Ihr denn, daß Ihr so klopft?« Er hatte geantwortet: »Ich bin der Wächter, wie geht’s Euch? Was ist los?« -- Die Person hatte darauf gerufen: »Was geht das dich an? Halt’ den Leichenkarren an.« Das war so um 1 Uhr herum gewesen. Bald nachher hatte er, wie er erzählte, den Leichenkarren angehalten und von neuem geklopft, aber keine Antwort erhalten. Auch als er immer weiter geklopft und der Kerl von dem Karren mit seiner Glocke geläutet und wiederholt gerufen hatte: »Bringt die Leiche heraus!«, war alles still geblieben, bis der Fuhrmann, der irgendwo anders gebraucht wurde, endlich nicht mehr warten wollte und weggefahren war. Der Wächter hatte nicht gewußt, was er aus all dem machen sollte, so hatte er die Sache auf sich beruhen lassen, bis der Tagwächter zur Ablösung gekommen war. Nachdem er ihm alles aufs genaueste erzählt hatte, klopften die beiden eine Zeitlang an die Türe, aber ohne Erfolg. Doch bemerkten sie, daß das Fenster oder der Fensterflügel im zweiten Stock, aus dem die Person herausgeschaut und gerufen hatte, noch immer offen stand. Darauf holten die beiden Leute, um ihre Neugier zu befriedigen, eine lange Leiter, und einer von ihnen stieg hinauf und spähte in das Zimmer. Dort sah er die Leiche einer Frau auf dem Boden liegen, die nichts als ein Hemd an hatte. Aber obwohl er laut rief und mit seinem langen Stock auf den Boden stieß, rührte sich nichts, auch war kein Laut in dem ganzen Hause zu hören. Nun stieg er wieder herunter und sprach mit seinem Kameraden, der auch hinaufstieg und alles gerade so fand wie der andere, worauf sie sich entschlossen, die Sache beim Lordmayor oder einer andern Behörde zur Anzeige zu bringen. Aber durchs Fenster wollte keiner von ihnen steigen. Von seiten der Behörde wurde auf die Anzeige hin befohlen, das Haus aufzubrechen, und zwar in Gegenwart eines Konstablers und anderer dazu bestimmter Personen, damit nichts gestohlen würde. Also geschah es, es wurde aber niemand in dem Hause gefunden als die Leiche jenes jungen Weibes, das man, da doch nichts mehr zu machen war, sich selbst überlassen hatte. Die andern hatten wohl auf irgendeine Weise den Wächter getäuscht und sich durch die Tür oder eine Hintertür oder über die Dächer davongemacht. Er selbst konnte darüber keine Angaben machen, und was das Schreien und Heulen anbetraf, so war es wohl bei dem jämmerlichen Abschied gewesen, der ihnen zu tiefst ans Herz ging, da es sich um die Schwester der Hausfrau handelte. Der Mann selber, seine Frau, mehrere Kinder und Dienstboten waren alle fort und geflohen, ob krank oder gesund, konnte ich niemals erfahren, freilich zog ich auch keine Erkundigungen ein. In einem andern Hause in einer Straße, ganz nahe bei Aldgate, war, wie man mir erzählte, eine ganze Familie abgesperrt und eingeschlossen worden, weil das Dienstmädchen krank geworden war. Der Vater der Familie hatte durch seine Freunde bei dem nächsten Ratsherrn und beim Lordmayor Beschwerde einlegen lassen und sich bereit erklärt, das Mädchen in das Pesthaus bringen zu lassen, was ihm aber abgeschlagen wurde. Die Türe wurde also mit einem roten Kreuz bezeichnet, ein Schloß vorgelegt und ein Wächter hingestellt, wie die Verordnungen es vorschrieben. Als der Hausherr sah, daß dagegen nichts zu machen war, und daß er, seine Frau und seine Kinder mit diesem armen verseuchten Dienstboten eingesperrt waren, rief er dem Wächter zu, er solle sogleich eine Pflegerin für die Kranke holen, denn für sie alle würde die Pflege sicheren Tod bedeuten. Er sagte dem Wächter in dürren Worten, wenn er das nicht tue, würde das Mädchen entweder an der Seuche sterben oder an Hunger zugrunde gehen, denn er wäre fest entschlossen, kein Mitglied seiner Familie in ihre Nähe zu lassen. Dazu lag sie in der Dachstube über vier Treppen, wo ihr Schreien oder um Hilfe rufen von niemand gehört werden konnte. Der Wächter willigte ein, ging weg und holte eine Pflegerin, wie er beauftragt worden war; brachte sie auch noch denselben Abend. Der Hausherr benützte inzwischen die Gelegenheit, ein großes Loch durch seinen Laden in eine Bude oder einen Stand zu brechen, wo früher ein Schuhflicker unter seinem Ladenfenster gesessen hatte. Bei diesen traurigen Zeiten aber war er wahrscheinlich tot oder verzogen, und so hatte der Herr den Schlüssel in Gewahrsam. Solange der Wächter da war, hätte er freilich des Lärms wegen das Loch nicht durch die Wand brechen können. Als er nun drin in der Bude war, hielt er sich ganz still, bis der Wächter mit der Pflegerin zurückkam, und so machte er’s auch am nächsten Tage. In der folgenden Nacht aber schickte er den Wächter mit dem Auftrage weg, aus der Apotheke ein Pflaster für die Kranke zu holen, das erst hergerichtet werden mußte, oder gab ihm einen andern Auftrag, der ihn einige Zeit entfernt hielt, und während dieser Zeit machte er sich mit der ganzen Familie davon, und überließ es dem Wächter und der Pflegerin, das arme Geschöpf zu beerdigen, d. h. in den Leichenkarren zu werfen und für das Haus zu sorgen. Nicht weit davon schütteten sie angezündetes Schießpulver auf einen Wächter und verbrannten den armen Teufel jämmerlich. Während er fürchterlich brüllte und niemand sich zur Hilfe herbeiwagte, stieg die ganze Familie aus den Fenstern im ersten Stock und ließ zwei Kranke zurück, die laut um Hilfe schrien. Man trug Sorge, ihnen Pflegerinnen zu verschaffen, aber die geflohenen Leute wurden niemals entdeckt, bis sie nach Erlöschen der Seuche zurückkehrten. Da aber kein Beweis gegen sie vorlag, konnte ihnen nichts geschehen. In andern Fällen gab es Gärten, Mauern oder Zäune zwischen den Häusern und den Nachbargebäuden oder Höfe und Hinterhäuser, und aus Freundschaft oder auf ihre inständigen Bitten hin ließ man die Leute über die Mauern oder Zäune klettern und verschaffte ihnen so einen Ausgang durch die Nachbarhäuser. Oder sie bestachen die Dienstboten, sie bei Nacht durchzulassen, so daß alles in allem die Absperrung der Häuser keineswegs sicher war. Noch erfüllte sie überhaupt ihren Zweck und diente mehr dazu, die Leute in Verzweiflung und bis zum Äußersten zu bringen, um nur unter allen Umständen hinauszukommen. Und was dabei das Schlimmste war, war, daß diejenigen, die so die Flucht ergriffen, die Ansteckung immer weiter verbreiteten, indem sie sich, schon verseucht, in der schauerlichsten Lage herumtrieben, was sonst nicht der Fall gewesen wäre. Wer sich die Sache in allen Einzelheiten vor Augen führt, muß zugeben, daß die Härte solcher Absperrungen viele Leute toll machte, so daß sie auf jede Gefahr hin aus den Häusern rannten, und das mit der Pest im Leibe und ohne zu wissen, wohin sie sich wenden oder was sie tun sollten, oder auch was sie taten. Manche gerieten in die schrecklichste Not und gingen auf den Straßen oder Feldern an Entkräftigung zugrunde, oder ließen sich in der Fieberhitze der Krankheit einfach zu Boden fallen. Andere wanderten aufs Land hinaus, irgendwohin, wie es ihnen gerade ihr Elend eingab, ohne Ziel und Zweck, bis sie, erschöpft und hinfällig, im Straßengraben verkamen. Denn niemand kam ihnen zu Hilfe, und überall in den Häusern oder Dörfern an der Straße weigerte man sich sie aufzunehmen, ob sie krank waren oder nicht. Manche verkrochen sich in Heuschober und starben dort, denn kein Mensch wagte nur in ihre Nähe zu kommen, oder glaubte ihnen, daß sie nicht angesteckt wären. Wenn anderseits die Pest in eine Familie einbrach, d. h. wenn ein Familienmitglied ausgegangen war und von irgendwoher die Ansteckung heimbrachte, so erfuhr es die Familie sicherlich früher als die Aufsichtsbeamten, die ernannt worden waren, um die Kranken zu untersuchen. In der Zwischenzeit hatte dann der Hausherr bequem Gelegenheit, mit seiner ganzen Familie fortzuziehen, falls er wußte wohin, und viele taten das auch. Aber das Unglück war, daß eine Menge davon schon angesteckt waren und so die Seuche in die Häuser jener brachten, die sie gastfreundlich aufnahmen, was im höchsten Grade grausam und undankbar war. Bisher sprach ich von jenen Leuten, die aus Angst, eingesperrt zu werden, jedes Mittel ergriffen, sei es List oder Gewalt, um vor oder nach der Zuschließung der Häuser herauszukommen, und deren Elend dadurch nicht vermindert, sondern eher gesteigert wurde. Aber außerdem gab es viele unter den Flüchtlingen, die Zufluchtsorte und andere Häuser hatten, wohin sie sich zurückzogen und verborgen hielten, bis die Seuche erloschen war. Andere Familien, die das Kommen der Seuche voraussahen, stapelten Haufen von Nahrungsmitteln und Vorräten auf, genug für sie alle, und schlossen sich so gänzlich ab, daß man von ihnen weder etwas sah noch hörte, bis die Seuche vorbei war, worauf sie endlich wieder in voller Gesundheit zum Vorschein kamen. Ich erinnere mich mehrerer solcher Fälle und könnte im einzelnen anführen, wie sie es machten. Zweifellos war das das Sicherste, was man tun konnte für solche, deren Verhältnisse keine Entfernung erlaubten oder die keinen geeigneten Zufluchtsort besaßen, denn wenn sie sich so abgeschlossen hatten, war’s gerade, als ob sie hundert Meilen weit weg gewesen wären. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß irgendeine dieser Familien erkrankt wäre. Unter ihnen waren besonders einige holländische Kaufleute bemerkenswert, die ihre Häuser wie gegen eine Belagerung herrichteten und niemand erlaubten, hinein oder heraus oder nur in die Nähe zu kommen. Eins von diesen Häusern stand in einem Hofe in der Throckmorton-Straße und ging auf Drapers Garten. Aber nun wieder zurück zu den Verseuchten, die von den Behörden abgesperrt wurden. Ihr Elend ist gar nicht zu beschreiben, und gewöhnlich kam auch aus solchen Häusern das schauerlichste Geschrei und Gejammer der armen verzweifelten Leute, die ihre Liebsten in solch fürchterlicher Lage sahen und dabei eingesperrt wie im Gefängnis waren. Ich erinnere mich -- und während ich’s niederschreibe, ist’s mir, als hörte ich noch jetzt den ganzen Jammer -- ich erinnere mich, sage ich, an eine Dame, die eine einzige Tochter hatte, ein junges Mädchen von etwa 19 Jahren. Sie waren recht wohlhabend und wohnten in einem Hause allein für sich. Die beiden waren mit ihrem Dienstmädchen irgendwo fort gewesen, aber ungefähr zwei Stunden nach ihrer Rückkehr klagte das junge Mädchen über Unwohlsein, eine Viertelstunde später begann sie, sich zu erbrechen und fühlte heftige Kopfschmerzen. »Gott verhüte,« sagte die Mutter in entsetzlicher Angst, »daß mein Kind die Pest habe!« Da die Kopfschmerzen zunahmen, ließ die Mutter das Bett wärmen und brachte ihre Tochter zu Bett. Dann gab sie ihr etwas, um sie zum Schwitzen zu bringen, was man gewöhnlich tat, wenn die ersten Anzeichen der Seuche sich einstellten. Während das Bett noch gelüftet wurde, entkleidete die Mutter das junge Frauenzimmer, und indem sie mit einer Kerze ihren Körper ableuchtete, gewahrte sie sogleich die heillosen Merkmale der Seuche in der Leistengegend. Unfähig sich zu beherrschen, ließ sie die Kerze fallen und stieß ein so schauerliches Geschrei aus, daß das mutigste Herz auf der ganzen Welt dadurch erschüttert worden wäre. Damit nicht genug, fiel sie in Ohnmacht, rannte, als sie wieder zu sich kam, vom Entsetzen gepackt, durch das ganze Haus, die Treppen hinauf und hinunter, wie eine Wahnsinnige. Und das war sie auch. Sie fuhr fort stundenlang zu schreien und zu kreischen, denn offenbar hatte sie jede Herrschaft über sich verloren und, wie ich hörte, wurde sie auch nie mehr ganz vernünftig. Was ihre Tochter anbetrifft, so war sie schon so gut als tot, denn der kalte Brand, der die Flecken hervorruft, hatte sich bereits über ihren ganzen Körper verbreitet, und sie starb nach weniger als zwei Stunden. Doch die Mutter schrie noch immer fort, ohne etwas davon zu merken. Das alles ist so lange her, daß ich mich nicht mehr genau erinnere, aber ich glaube, daß die Mutter sich nicht wieder erholte und nach zwei oder drei Wochen starb. -- Vor mir liegt die Geschichte von zwei Brüdern und einem Vetter von ihnen, die alle drei Junggesellen waren. Sie waren zu lange in der Stadt geblieben, um noch weg zu können, und da sie nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten, auch keine Mittel zu einer weiteren Reise besaßen, dachten sie sich zu ihrer Rettung etwas aus, das zuerst hoffnungslos aussah, aber doch eigentlich das Natürlichste war. Man muß sich wundern, daß nicht mehr Leute darauf verfielen. Sie waren zwar von niederem Stande, aber doch nicht so gänzlich mittellos, um sich nicht das Nötigste zu verschaffen, und als sie sahen, daß die Seuche in der schrecklichsten Weise zunahm, entschlossen sie sich, so gut es eben gehen wollte, sich auf und davon zu machen. Einer von ihnen war in den letzten Kriegsläuften Soldat und noch früher in den Niederlanden gewesen. Er hatte außer dem Gebrauch der Waffen nichts besonderes gelernt, und da er infolge einer Verwundung keine schwere Arbeit ausführen konnte, war er bei einem Bäcker von Schiffszwieback in Wapping in Arbeit getreten. Sein Bruder war ein Matrose gewesen, hatte aber irgendwie eine Verletzung am Bein davongetragen, die ihn verhinderte, weiterhin zur See zu gehen. Er hatte dann bei einem Segelmacher in Wapping oder da herum in Arbeit gestanden, und da er seine Sachen gut zusammenhielt, hatte er sich eine Kleinigkeit erspart und war von den Dreien der Reichste. Der dritte war seines Zeichens ein Zimmermann, ein geschickter Bursche. Alles, was er besaß, war zwar nur sein Werkzeugkasten, aber mit dessen Hilfe verstand er, sich überall seinen Lebensunterhalt zu verschaffen. In solchen Zeiten freilich war auch er arbeitslos. Übrigens wohnte er in Shadwell. Alle ihre Arbeitsplätze gehörten zu dem Kirchspiel von Stepney, das zuletzt von der Seuche erfaßt wurde, und daher waren sie geblieben, bis sie sahen, daß die Pest in den Westteilen der Stadt allmählich erlosch und sich nun nach Osten wandte, wo sie wohnten. Die Geschichte dieser drei Leute werde ich an ihrem Orte ausführlich erzählen, da sie in künftigen schlimmen Zeiten für manchen von nicht geringem Nutzen sein mag, aber vorläufig habe ich noch anderes zu berichten. -- In der ersten Zeit bewegte ich mich ganz sorglos in der Stadt umher, wenn auch nicht so sorglos, um mich offensichtlicher Gefahr auszusetzen, außer damals, als man das Massengrab im Kirchhof von Aldgate aushob. Das war eine fürchterliche Grube, und in meiner Neugier mußte ich hingehen und sie anschauen. Nach meiner Schätzung maß sie in der Länge ungefähr 40 Fuß und 15 oder 16 der Breite nach. Wie ich das erstemal hineinsah, war sie etwa 9 Fuß tief, aber später sollen sie an einem Ende bis zu 20 Fuß gegraben haben, bis sie auf das Grundwasser kamen. Schon früher waren einige Massengräber ausgehoben worden, denn als endlich die Seuche zu uns kam, wütete sie in den zwei Kirchspielen von Aldgate und Whitechapel ärger als in irgendeinem Teile von London. Man hatte, wie gesagt, schon mehrere Massengräber hergestellt, als die Seuche zu uns kam und die Leichenkarren ihre Fahrt begannen. Das war etwa um den Anfang August. In jedem von diesen Gräbern lagen vielleicht 50 oder 60 Leichen, aber dann machte man sie größer, um alle, die innerhalb einer Woche starben, darin zu verscharren. Von Mitte bis Ende August waren das an die 2 bis 400 wöchentlich. Größer konnte man die Gruben nicht machen, weil die Behörden ausdrücklich vorgeschrieben hatten, daß jede Leiche 6 Fuß unter der Oberfläche liegen müsse und bei 17 oder 18 Fuß Tiefe schon das Grundwasser kam. Bei Beginn des September aber wurde die Seuche so heftig, daß die Sterblichkeitsziffer in unserm Kirchspiel höher war als irgendwo sonst in London, und da befahl man denn, diesen schauerlichen Schlund auszugraben, denn es war wirklich mehr ein Schlund als ein Grab. Man hatte angenommen, daß man damit für einen Monat oder länger reichen würde, und einige machten den Kirchenvorstehern Vorwürfe, daß sie etwas Derartiges erlaubt hatten, als ob sie das ganze Kirchspiel mit Mann und Maus eingraben wollten, aber die Folge rechtfertigte die Maßregeln der Kirchenvorsteher und zeigte, daß sie für den Zustand ihres Kirchspiels einen richtigen Blick hatten. Denn am 4. September war die Grube fertig, am 6. begann man mit den Beerdigungen, und am 20., also gerade 14 Tage später, waren 1114 Leichen hineingeworfen worden, und man mußte sie wieder zuwerfen, da die Leichen schon bis 6 Fuß unter die Oberfläche reichten. Sicherlich gibt es noch einige alte Leute in dem Kirchspiel, die all das bestätigen und sogar den Ort auf dem Kirchhof anzeigen können, wo die Grube war. Noch viele Jahre lang war eine Senkung auf dem Boden zu sehen, neben dem Weg, der an der westlichen Mauer des Kirchhofs entlangführt, von Houndsditch heraus, und dann nach Whitechapel umbiegt, bis zum Wirtshaus zu den drei Nonnen. Es war um den 10. September, als meine Neugierde mich veranlaßte oder trieb, das Grab von neuem anzuschauen, nachdem fast 400 Leute dort beerdigt worden waren. Diesmal begnügte ich mich nicht, wie vorher bei Tage hinzugehen. Denn da war nichts zu sehen als Erde, weil die hineingeworfenen Leichen von den Leichenträgern sofort mit Erde zugeschaufelt wurden. Also beschloß ich, nachts hinzugehen und beim Hineinwerfen zuzuschauen. Das war zwar strenge verboten, und lediglich der Ansteckung wegen. Aber später wurde das Verbot aus andern Gründen nötig, denn Kranke, die ihr Ende nahen fühlten, liefen in ihren Fieberdelirien an diese Massengräber, mit nichts am Leibe als ein Leintuch oder irgendeinen Fetzen und sprangen hinein, um, wie sie sagten, sich selbst zu begraben. Ich glaube nicht, daß die Leute sie da liegen ließen, aber ich habe sagen hören, daß zu dem großen Grab in Finsbury, das damals gegen die Felder zu noch offen und ohne Mauer lag, viele kamen und hineinsprangen und ihren Geist aufgaben, ehe man noch die Erde auf sie schaufelte, und daß sie, als dann die Leichenträger mit neuen Opfern kamen, zwar schon tot, aber noch warm waren. Solche Dinge mögen eine Vorstellung von dem Grauen dieser Zeit geben, obwohl wer’s nicht selbst gesehen hat, kaum eine Ahnung davon haben kann. Es war wirklich und wahrhaftig fürchterlicher, als man es sagen kann. Die Bekanntschaft mit dem Küster ermöglichte mir den Eintritt in den Kirchhof. Er wies mich zwar nicht zurück, bat mich aber aufs ernstlichste, doch wieder fortzugehen. Als frommer und verständiger Mann hielt er mir vor, daß es wohl sein Amt und seine Pflicht wäre, sich allen Gefahren auszusetzen, und daß er darum hoffe, es werde ihm nichts geschehen. Ich aber hätte keinen Grund als meine Neugierde, die solch eine gefährliche Unternehmung doch wirklich nicht rechtfertigen könne. Ich sagte ihm, daß ich nun einmal darauf aus wäre, hineinzukommen, und daß es vielleicht nicht ohne Nutzen wäre, so etwas zu sehen. »Wenn es so ist, dann geht in Gottes Namen,« sagte der gute Mann, »es mag Euch als beste Predigt dienen, die Ihr je in Eurem Leben gehört habt. Es ist ein Anblick, von dem eine laute Stimme kommt, die uns alle zur Buße ruft.« Mit diesen Worten öffnete er das Tor und sagte: »Nun geht, wenn Ihr wollt.« Seine Worte hatten mich ein wenig schwankend gemacht, und ich zögerte noch eine Zeitlang, aber da sah ich gerade von den Minoriten her zwei Pechfackeln näherkommen, hörte die Glocke des Fuhrmanns, und dann rumpelte auch schon der Leichenkarren heran. So konnte ich mich nicht länger zurückhalten und ging in den Kirchhof. Soviel ich zuerst ausmachen konnte, war niemand dort als die Leichenträger und der Mann, der das Pferd am Karren führte, aber als ich näher an die Grube kam, sah ich dort einen Mann hin und hergehen, der in einen braunen Mantel gewickelt war und darunter allerlei Bewegungen mit den Händen machte, so als ob er in größter Verzweiflung wäre. Die Leute umringten ihn sogleich, wohl weil sie meinten, er wäre einer von den armen, fieberkranken Teufeln, die sich selber begraben wollten. Er sprach kein Wort, ging nur immer auf und ab, und ächzte und seufzte ein paarmal laut, als wolle es ihm das Herz abdrücken. Die Träger merkten bald, daß er weder krank noch verrückt war, sondern nur von dem schrecklichsten Kummer niedergebeugt, was er wohl sein mochte, denn in dem Karren lagen die Leichen seiner Frau und mehrerer Kinder. Es war leicht zu sehen, wie schwer es ihm ums Herz war, aber trotzdem ließ er den Tränen keinen Lauf und unterdrückte sie mit männlicher Fassung. Er bat mit ruhiger Stimme die Träger, ihn allein zu lassen, er wolle nur sehen, wie die Leichen hineingeworfen würden und dann fortgehen. Sie ließen ihn also stehen und leerten die Leichen, wie sie durcheinander auf dem Karren lagen, in die Grube. Das schien der Mann nicht erwartet zu haben. Er mochte wohl geglaubt haben, daß sie auf anständige Weise hineingelegt würden, obwohl er sich später selbst überzeugte, daß das unmöglich war. Wie er das sah, war es mit seiner Selbstbeherrschung zu Ende, und er schrie laut auf. Ich verstand nicht, was er sagte, sah ihn nur zwei oder drei Schritte nach rückwärts taumeln und dann ohnmächtig zu Boden sinken. Die Träger liefen hin, hoben ihn auf und brachten ihn, nachdem er nach einiger Zeit wieder zu sich gekommen war, in ein Gasthaus, am Ende von Houndsditch, wo er anscheinend bekannt war und man sich seiner annahm. Ehe er ging, sah er noch einmal in die Grube hinab, aber die Leute hatten die Leichen schon mit Erde bedeckt, und obwohl es Licht genug gab, denn an allen Seiten der Grube steckten Laternen in der Erde, war doch nichts mehr zu sehen. Dieses traurige Schauspiel erschütterte mich aufs tiefste. Und was ich sonst noch sah, war auch über alle Maßen grauenvoll. Auf dem Karren lagen 16 oder 17 Leichen, einige in Leintücher eingeschlagen, andere in Fetzen, noch andere fast gänzlich nackt oder nur so leicht zugedeckt, daß die Hülle sich losmachte, als sie nun in die Grube geworfen wurden. Da lagen sie nun völlig nackt unten, aber für sie war’s gleich, denn sie waren alle tot, und sonst konnte wohl auch niemand daran Anstoß nehmen, angesehen sie nun alle im gemeinsamen Grab der Menschheit ruhten. Denn hier gab es keinen Unterschied, arm und reich lagen beieinander. Eine andere Art von Begräbnissen war unmöglich, denn woher hätte man die Särge für die ungeheure Anzahl der der Seuche Erlegenen nehmen sollen? Um den Leichenträgern etwas anzuhängen, wurde wohl erzählt, daß sie den Toten, die ein richtiges, über dem Kopf und den Füßen zusammengebundenes Totenhemd aus gutem Leinenzeug trugen, es wegnahmen, wenn sie auf dem Karren lagen und sie ganz nackt in die Grube warfen, aber ich kann nicht glauben, daß es solche Scheusale unter den Christen gibt, besonders nicht in einer derartig schrecklichen Zeit. So erzähle ich nur und lasse die Sache unentschieden. Zahllose Geschichten liefen auch um über die Unmenschlichkeit der Pflegerinnen, die den Tod der Kranken, die ihrer Sorge übergeben waren, beschleunigt haben sollten. Aber darüber werde ich später mehr zu sagen haben. Der Anblick des Massengrabes überwältigte mich fast, und ich ging mit tief erschüttertem Herzen fort und voll von unaussprechlichen marternden Gedanken. Gerade als ich aus dem Kirchhof kam und in die Straße einbog, die zu meinem Hause führte, kam mir ein neuer Karren entgegen mit Pechfackeln und einem Kerl vor dem Karren, der mit der Glocke läutete. Er war ganz voll mit Leichen, und ich ging über die Straße, um zuzuschauen, aber dann fehlte mir doch der Mut, umzukehren und das gleiche grausige Schauspiel noch einmal anzusehen. So ging ich denn direkt nach Hause, in der Hoffnung, daß ich keinen Schaden genommen hatte, wie es auch in der Tat der Fall war. Zu Hause fiel mir die unselige Geschichte des armen Mannes auf dem Friedhofe wieder auf die Seele, und wirklich, so oft ich an ihn dachte, mußte ich weinen, vielleicht heftiger, als er selbst es getan hatte. Und da ich sein Schicksal gar nicht mehr aus meinen Gedanken wegbrachte, zwang es mich förmlich, nochmals auszugehen und in das Gasthaus hinüberzuschauen, um zu erfahren, was aus ihm geworden war. Es war schon 1 Uhr nachts, aber der arme Mann war noch immer dort. Da die Leute vom Hause ihn kannten, hatten sie sich seiner angenommen und ihn die Nacht über dabehalten, ohne Rücksicht auf die Gefahr, von ihm angesteckt zu werden, wenn schon er einen ganz gesunden Eindruck machte. Ich kann nicht ohne Beschämung an dieses Gasthaus zurückdenken. Die Hausleute selber waren höflich, freundlich und gesittet genug und hatten bis zur Stunde ihr Haus offengehalten und das Geschäft weitergeführt. Aber die Gesellschaft, die dort jede Nacht zusammenzukommen pflegte, benahm sich in einer lärmenden und schamlosen Weise, wie es eben bei solchen Menschen zu andern Zeiten üblich war, und das in einem solchen Grade, daß der Gastwirt und seine Frau selbst darüber empört und bestürzt waren. Gewöhnlich hielten sie sich in einem Raum auf, der auf die Straße ging, und da sie meistens bis tief in die Nacht zechten, geschah es, daß sie die Fenster aufmachten, wenn sie das Geklingel des Leichenkarrens hörten, der am Hause vorbei nach Houndsditch fuhr, um sich die traurige Geschichte anzusehen. Wenn dann die Leute auf der Straße oder an den Fenstern beim Vorbeifahren des Karrens klagten und jammerten, machten sie ihre schamlosen Scherze und Spöttereien, besonders, wenn die Leute den lieben Gott anriefen, Mitleid mit ihnen zu haben, wie es viele in dieser Zeit zu tun pflegten. Diese sauberen Herren, die sich durch die Aufnahme des armen unglücklichen Mannes gestört finden mochten, ärgerten sich und wurden recht hochfahrend gegen den Gastwirt, daß er einen solchen »Kerl«, wie sie sagten, vom Grabe her, in das Haus gebracht habe. Als nun der Wirt entgegnete, daß der Mann ein Nachbar sei, auch gesund, und nur überwältigt vom Jammer wegen seiner Familie, richtete sich ihr Ärger gegen den Mann, und sie fingen an, ihn wegen seines Kummers um Frau und Kinder zu verspotten, indem sie ihm Mangel an Mut vorwarfen, sonst wäre er in die Grube gesprungen, um, wie sie höhnisch bemerkten, sich mit den Seinigen im Himmel zu vereinigen. Dazu machten sie noch einige schnöde, ja geradezu gotteslästerliche Redensarten. Sie waren gerade dabei, als ich ins Haus trat, und obwohl der Mann in seiner stillen Trostlosigkeit verharrte, konnte ich ihm doch anmerken, daß ihre Redereien ihn bekümmerten und verletzten. Auf das hin machte ich ihnen auf ruhige Weise einige Vorwürfe, denn ich wußte, mit was für Leuten ich’s zu tun hatte. Übrigens war ich zweien unter ihnen wohlbekannt. Sofort überhäuften sie mich mit Flüchen und Schimpfreden und fragten mich, warum ich nicht, wie so viele weit bessere Menschen, schon begraben sei oder wenigstens zu Hause, um zu beten, daß mich der Leichenkarren nicht hole. Ich wunderte mich nicht wenig über die Schamlosigkeit der Leute, aber sie brachte mich nicht aus der Fassung, und ich hielt an mich. Aber wegen der Art, wie sie sich gegen den armen Mann benommen hatten, sagte ich ihnen doch meine Meinung. Wie sie es nur übers Herz brachten, sich über diesen bejammernswerten Menschen, dem Gott die ganze Familie genommen hatte, lustig zu machen. Ich erinnere mich nicht mehr an all die abscheulichen Scherze, die sie auf meine Rede hin gegen mich losließen, da sie besonders darüber aufgebracht waren, daß ich mir kein Blatt vor den Mund genommen hatte. Ich möchte auch all die gemeinen Flüche, Schimpfworte und ekelhaften Ausdrücke, die kaum der niederste Straßenpöbel in den Mund nimmt, nicht niederschreiben. Nur so ganz verhärtete Halunken konnten sich in einer Zeit des Schreckens, den die Hand des Schicksals jeden Augenblick auch auf sie schleudern mochte, so gehen lassen. Das Greulichste dabei war, daß sie sich nicht fürchteten, Gott zu lästern und sich darüber lustig zu machen, daß ich die Pest eine Strafe Gottes nannte. Sie lachten über das Wort »Gericht«, als ob Gott keine Absicht dabei gehabt hätte, uns eine solche Heimsuchung aufzuerlegen. Und daß die Leute, wenn sie den Leichenkarren vorbeifahren sahen, Gott anriefen, fanden sie nur blödsinnig, lächerlich und unverschämt. Ich machte, daß ich wegkam, um nicht Zeuge sein zu müssen, wie das Gericht, das schwer über der ganzen Stadt lag, rächend auf sie niederbrach und auf alle, die zu ihnen gehörten. Auf diese Weise trieben sie’s noch drei oder vier Tage, mehr war’s nicht. Dann traf den einen von ihnen die Seuche, und zwar gerade den, der den armen Mann am grausamsten verspottet hatte, und er ging auf die jämmerlichste Weise zugrunde. Kurz, einer nach dem andern wurde in die große Grube geworfen, ehe sie noch ganz voll war. -- Bisher hatten sich die Menschen eifrig in die Kirchen gedrängt, um die Barmherzigkeit Gottes in dieser Zeit des Schreckens anzurufen, aber als die Seuche in unserm Stadtteil nun immer ärger wurde, fing man an, sich zu scheuen, zur Kirche zu kommen, wenigstens war sie nicht mehr so voll wie früher. Das kam auch daher, weil viele der Geistlichen gestorben, andere aufs Land gezogen waren. Und wirklich, es bedurfte schon eines ordentlichen Mutes und eines starken Glaubens, in einer solchen Zeit nicht nur in der Stadt zu bleiben, sondern auch das Amt auszuüben und die Gemeinde mit christlichem Troste zu versehen, von der aller Wahrscheinlichkeit nach schon eine Menge angesteckt war, und das täglich oder an manchen Plätzen zweimal täglich durchzuführen. -- Ich erinnere mich an einen Mann, der aus seinem Hause in der Aldergate-Straße oder da herum ausbrach und die Straße nach Islington einschlug. Er versuchte im Wirtshaus zum »Engel« und dann im »Weißen Roß« unterzukommen, die auch jetzt noch so heißen, wurde aber abgewiesen. Dann kam er zu dem »Scheckigen Stier«, der auch noch das gleiche Zeichen trägt, und bat um ein Nachtquartier für nur eine Nacht, indem er vorgab, daß er sich nach Lincolnshire begeben wolle, auch völlig gesund und frei von jeder Ansteckung sei, die auch da draußen noch wenig Schaden getan hatte. Man sagte ihm, daß kein Zimmer frei wäre, nur eine einbettige Dachstube und auch die nur für eine Nacht, da am nächsten Tage einige Viehtreiber erwartet würden. Da er damit zufrieden war, gab man ihm ein Dienstmädchen mit einer Kerze mit, um ihn hinaufzuführen. Er war sehr gut angezogen und sah nicht aus, wie jemand, der gewohnt war, in einer Dachstube zu schlafen. Als er das Loch sah, stieß er denn auch einen tiefen Seufzer aus und sagte zu dem Mädchen: »So ist es mir noch nie gegangen.« Das Mädchen versicherte ihm, daß sie’s nun einmal nicht besser hätten, worauf er meinte: »Schön, dann werd’ ich mich eben behelfen. Das ist eine schreckliche Zeit. Aber es ist ja nur für eine Nacht.« Er setzte sich auf das Bett und bat das Mädchen, ihm einen Krug Warmbier zu bringen. Das Mädchen ging also hinunter, aber irgendwie kam ihr der Auftrag aus dem Kopf, und sie ging nicht wieder nach oben. Als am nächsten Morgen der Fremde nicht erschien, fragte irgend jemand das Mädchen, das ihn hinaufgeführt hatte, was denn aus ihm geworden sei? »Donnerwetter,« sagte sie, »ich sollte ihm ein Warmbier bringen, aber ich hab’s ganz vergessen.« Darauf wurde sie oder jemand anders hinaufgeschickt, um nach ihm zu sehen. Da lag er, quer über dem Bett, maustot und schon fast kalt. Die Kleider hatte er ausgezogen, sein Kinn war herabgefallen, die Augen starrten weitgeöffnet, und mit einer Hand krallte er sich in die Bettdecke. Es war ganz klar, daß er gleich, nachdem das Mädchen ihn verlassen hatte, gestorben war, und hätte sie ihm sein Warmbier gebracht, so würde sie ihn wahrscheinlich schon als Leiche gefunden haben. Der Schrecken im Hause war natürlich groß, wie sich jeder vorstellen kann, denn bisher waren sie von der Seuche verschont geblieben. Aber jetzt war die Ansteckung im Hause und verbreitete sich sofort in der Umgebung. Ich weiß nicht mehr, wie viele im Hause selbst starben, aber ich glaube, daß das Mädchen, auch aus Schrecken, sich gleich hinlegte, und ein paar andere auch. Bisher waren in Islington in der vorigen Woche nur 2 an der Pest gestorben, in der nächsten waren es schon 14. Das war in der Woche von 11. zum 18. Juli. -- Für nicht wenige Familien gab es ein Auskunftsmittel, wenn ihre Häuser verseucht wurden, und das war so. Die Leute, die beim ersten Ausbruch der Pest aufs Land hinaus geflohen waren, um sich dort bei ihren Freunden zu verbergen, übergaben meistens irgend jemand, sei es einem Nachbarn oder einem Verwandten, die Aufsicht über ihr Haus, ihre Waren, oder was es sonst war. Einzelne Häuser wurden tatsächlich vollständig verschlossen, vor die Türen kamen Vorhängeschlösser, Fenster und Eingänge wurden mit Brettern vernagelt, und nur selten vertraute man sie der Aufsicht der gewöhnlichen Wächter oder Kirchspielbeamten an. Man berechnete, daß nicht weniger als etwa 1000 Häuser von ihren Inwohnern verlassen wurden, Stadt und Vorstädte sowie das andere Ufer in Surrey zusammengenommen. Dabei waren die Einzelmieter natürlich nicht mitgezählt, so daß die Gesamtzahl der Geflüchteten wohl auf rund 200000 angenommen werden konnte. Darüber später noch mehr, für jetzt möchte ich nur bemerken, daß jene, die über zwei Häuser die Aufsicht hatten, in Krankheitsfällen regelmäßig die gesund Gebliebenen, Kinder, Dienerschaft und alles in das zweite Haus schafften, ehe sie dem Visitator oder einem anderen Beamten von der Verseuchung Anzeige machten. Das taten sie erst dann, besorgten eine Pflegerin für die erkrankte Person und sahen zu, daß sie außerdem noch irgend jemand fanden, was für Geld leicht möglich war, der sich mit einschließen ließ und nach dem Rechten sah, falls jene sterben sollte. Auf diese Weise wurden in vielen Fällen ganze Familien gerettet, die, wenn sie mit dem Kranken abgesperrt worden wären, unvermeidlich zugrunde gegangen wären. Andererseits war das ein anderer Nachteil der Häuserabsperrung. Denn die Angst, eingeschlossen zu werden, ließ viele mit ihren Familien fliehen, die, wennschon es noch nicht offen zutage trat und sie auch noch leidlich sich wohl fühlten, doch die Ansteckung schon im Leibe trugen. Da sie nun völlig frei waren, herumzugehen wo sie wollten, dabei aber doch genötigt waren, die näheren Umstände zu verbergen, auch wohl selbst gar nicht wußten, wie es um sie stand, so steckten sie wieder andere an und verbreiteten die Seuche in der schrecklichsten Weise. In meinem Hausstand hatte ich nur eine ältliche Person, die mir den Haushalt führte, ein Dienstmädchen und zwei Lehrlinge, und wie nun die Seuche um uns herum zunahm, dachte ich oft bekümmert darüber nach, was ich tun und wie ich handeln sollte. All das Grauenvolle, das ich auf meinen Gängen durch die Straßen sehen mußte, hatte mein Herz mit tiefem Entsetzen erfüllt und mit Furcht vor der Seuche selbst, die wirklich fürchterlich genug war, viel ärger als andere Krankheiten. Wenn die Geschwülste, die meist am Genick oder in der Leistengegend auftraten, hart wurden und nicht aufgingen, verursachte das solche Schmerzen, wie sie die raffinierteste Tortur kaum hätte hervorbringen können. Manche, die sie nicht aushalten konnten, sprangen zum Fenster heraus, schossen sich eine Kugel vor den Kopf oder räumten sich auf andere Weise aus dem Leben, wie ich selbst nur zu oft gesehen habe. Andere, die unfähig waren, sich zu beherrschen, suchten ihre Qual durch beständiges Gebrüll zu erleichtern. Es war unsagbar gräßlich, das Geschrei dieser Elenden zu hören, wenn man durch die Straßen ging. Es ging durch Mark und Bein, und dabei mußte man noch daran denken, daß das gleiche schauerliche Schicksal jeden Augenblick über einen selber kommen könne. Ich muß gestehen, daß mir mein Entschluß nun leid wurde, daß mich der Mut verließ, und ich oft meine Unbesonnenheit bereute, in der Stadt geblieben zu sein, wenn beim Nachhausekommen die entsetzlichen Bilder auf meine Seele drückten. Oft wünschte ich, ich hätte mich meinem Bruder und seiner Familie angeschlossen. Manchmal faßte ich in meiner Angst den Entschluß, nicht mehr auszugehen und blieb auch drei oder vier Tage dabei. Diese verbrachte ich dann im Gebet und ernstlichem Nachdenken über die Gnade Gottes, die mich bisher erhalten hatte. Außerdem las ich viel und beschäftigte mich damit, ein Tagebuch zu führen, in das ich alle täglichen Vorfälle eintrug, und das mir auch zur Abfassung dieses Buches gedient hat. Daneben schrieb ich Betrachtungen über theologische Fragen, wie sie mir in solcher Zeit einfielen. Ich selbst hatte davon einen großen Nutzen, aber für fremde Augen sind sie nicht bestimmt, und daher sei darüber geschwiegen. Ich besaß einen sehr guten Freund, einen Arzt, namens Heath, den ich in dieser Unglückszeit häufig aufsuchte. Ich bin ihm vielen Dank schuldig für manchen Ratschlag, den er mir gab, um beim Ausgehen die Ansteckung zu vermeiden. So hatte ich auf der Straße beständig ein Gegenmittel im Mund. Dieser Dr. Heath kam auch oft zu mir, und da er ein ebenso guter Christ als Arzt war, war mir seine Gesellschaft, mitten unter all diesen Schrecken, sehr viel wert. Es war jetzt Anfang August, und die Seuche nahm in unserer Gegend eine schreckliche Ausdehnung an. Dr. Heath, der hörte, daß ich häufig ausging, ermahnte mich aufs Ernstlichste, mich mit meinem ganzen Haushalt einzuschließen, kein Fenster zu öffnen, die Laden vorzulegen und die Vorhänge herabzulassen. Zuerst aber, erklärte er mir, müßte ich, während Fenster und Türen offenstanden, die Zimmer mit Harz, Pech, Schwefel und Schießpulver gut ausräuchern. Eine Weile folgten wir auch seinem Rat, da ich mir aber keine Vorräte zugelegt hatte, war es unmöglich, gänzlich zu Hause zu bleiben. Doch versuchte ich, diesem Mangel, so gut es noch gehen wollte, abzuhelfen. Backen und Brauen konnte ich zu Hause, so ging ich aus und kaufte zwei Sack Mehl, und einige Wochen lang bereiteten wir unser Brot im eigenen Backofen. Auch Malz hatte ich erstanden, und braute nun so viel Bier, als meine Fässer halten konnten, was für fünf oder sechs Wochen reichen mochte. So versorgte ich mich auch mit gesalzener Butter und Cheshire-Käse, aber Fleisch hatte ich nicht, und die Seuche wütete so entsetzlich unter den Schlächtern auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo sie ihre Läden hatten, daß es nicht ratsam war, sich hinzuwagen. Ich darf nicht verschweigen, daß diese Notwendigkeit, sich mit Lebensmitteln zu versehen und dazu auszugehen, in hohem Grade zur Verseuchung der Stadt beitrug, denn die Leute steckten sich dabei gegenseitig an, und auch die Lebensmittel waren nach meiner Überzeugung oft verpestet. Daher glaube ich auch nicht, trotzdem es oft mit Bestimmtheit versichert wurde, daß die Leute, die Lebensmittel von außen her in die Stadt brachten, niemals angesteckt wurden. Das weiß ich sicher, daß die Metzger in Whitechapel, wo am meisten geschlachtet wurde, von der Seuche in solchem Grade heimgesucht worden waren, daß nur ganz wenige Läden noch offen waren. Die Überlebenden schlachteten in Mile-End und brachten das Fleisch auf Pferden zu Markt. Wie dem nun aber auch sei, die arme Bevölkerung konnte sich keine Vorräte aufspeichern und war gezwungen, auf den Markt zum Einkaufen zu gehen, oder Kinder und Dienstboten hinzuschicken, und das täglich. So kamen Haufen von verseuchten Leuten auf den Markt, und viele, die gesund hingegangen waren, brachten von dort den Tod heim. Freilich beobachtete man alle mögliche Vorsicht. Wenn einer ein Stück Fleisch kaufte, ließ er sich’s nicht vom Metzger geben, sondern nahm es selbst vom Haken. Und der Metzger berührte das Geld dafür nicht, sondern es mußte in einen Topf mit Essig gelegt werden, der eigens dazu da stand. Jeder Käufer hatte sich mit kleinem Gelde versehen, um das Wechseln unnötig zu machen. Man trug Flaschen mit allerlei Gerüchen in der Hand und gebrauchte auch sonst jede nur erdenkliche Vorsichtsmaßregel, aber für die Armen kam das alles nicht in Frage, und sie waren jeder Gefahr ausgesetzt. Zahllose Schauergeschichten liefen darüber um. Zuweilen fiel ein Mann oder eine Frau auf dem offenen Marktplatz tot um. Denn viele Leute hatten die Pest in sich, ohne es zu wissen, bis der inwendige kalte Brand sich auf die wichtigsten Körperteile warf, worauf sie dann in wenigen Minuten starben. Manchen ging es so, ohne das geringste Vorzeichen, andere hatten vielleicht noch Zeit, die nächste Bude zu erreichen oder sich an irgendeiner Tür zusammenzukauern, ehe der Tod sie ereilte. Das kam so oft vor, als die Seuche bei uns ihren Höhepunkt erreicht hatte, daß man kaum über die Straße gehen konnte, ohne da und dort auf der Erde Leichen liegen zu sehen. Im Anfang blieben die Leute noch stehen und riefen den Nachbarn zu, herauszukommen, bald aber beachtete man es kaum mehr. Nur daß man acht gab, nicht in die Nähe des Leichnams zu kommen, oder, wenn das in einer engen Gasse oder einem Durchgang nicht möglich war, wieder umkehrte. In solchen Fällen blieb die Leiche liegen, bis die damit Beauftragten benachrichtigt wurden und sie holten. Oder auch bis zur Nacht, wenn die Leichenträger mit ihrem Karren des Wegs kamen und sie mitnahmen. Dann wurden erst von diesen vermessenen Gesellen die Taschen geleert und, wenn der Tote gut angezogen war, ihm die Kleider abgezogen. Um aber noch einmal vom Markt zu sprechen, so hatten die Fleischer immer irgendeinen Amtsdiener zur Hand, der einen plötzlich Verstorbenen auf einen Schubkarren lud und ihn zum nächsten Kirchhof fuhr. Das geschah so häufig, daß man jene, die tot auf den Straßen oder auf dem Felde gefunden wurden, gar nicht mehr ins Sterberegister eintrug, sie verloren sich eben in der Masse der Pestopfer. Nach und nach steigerte sich aber die Seuche in solchem Grade, daß nur noch wenige Lebensmittel zu Markt gebracht wurden. Auch die Käufer wurden selten, und der Lordmayor verfügte, daß die Leute vom Lande, die etwas brachten, vor der Stadt aufgehalten würden, um dort ihre Waren zu verkaufen und dann sofort wieder umzukehren. Das war ihnen auch sehr recht, denn so schlugen sie ihre Waren schon beim Eintritt in die Stadt los, ja selbst auf dem Felde, besonders über Whitechapel hinaus in Spittlefields. Was man jetzt so nennt, war damals wirklich freies Feld, ebenso in Woods Close bei Islington, wohin der Lordmayor, die Ratsherren und Beamten ihre Diener schickten, um für ihre Familien einzukaufen. Diese Maßregel kam dem Landvolk sehr gelegen. Die Leute brachten nun alle Arten von Lebensmitteln und kamen nur selten zu Schaden, was wahrscheinlich zu den wunderbaren Geschichten über ihre Ansteckungsunfähigkeit beitrug. Was nun meinen kleinen Hausstand anbetrifft, so hatte ich mir, wie gesagt, Vorräte von Brot, Butter, Käse und Bier zugelegt und folgte nun dem Rate meines Freundes, zu Hause zu bleiben. Lieber wollte ich mich ein paar Monate ohne Fleischnahrung behelfen, als sie mit Gefahr meines Lebens bezahlen zu müssen. Aber obwohl ich meine Hausgenossen abschloß, konnte ich selbst meine Neugierde doch nicht gänzlich unbefriedigt lassen. Ich mußte hinaus, zwar nicht so häufig wie früher und obschon ich stets mit schwerem Herzen und ganz trübsinnig wieder nach Hause kam. Einen Grund auszugehen hatte ich ja, nämlich in dem Hause meines Bruders in der Coleman-Straße nachzusehen, das er meiner Aufsicht unterstellt hatte. Anfangs ging ich täglich hin, später aber nur noch ein oder zweimal wöchentlich. Auf diesen Gängen hatte ich die schrecklichsten Anblicke: Leute, die tot auf der Straße zusammenfielen, Geschrei und Geheul von Weibern, die in ihrer Todesangst die Fenster aufrissen und in herzzerreißender Weise hinausjammerten, kurz, es ist nicht zu beschreiben, zu welchen Anfällen die Verzweiflung die armen Leute brachte. Als ich einmal durch den Hof von Tokenhouse in Lothbury kam, flog gerade über meinem Kopfe ein Fensterladen auf, und eine Weiberstimme schrie, daß mir das Blut in den Adern vor Entsetzen gerann, dreimal hintereinander: »O Tod -- Tod -- Tod!« Kein Mensch war auf der Straße, auch alle Fenster blieben geschlossen, denn niemand war mehr neugierig, und zu helfen war ja doch nicht. So ging denn auch ich weiter. In der nächsten Straße gab es auch wieder ein fürchterliches Geschrei. Ich konnte hören, wie in einer Wohnung Kinder und Frauen durcheinander heulten wie die Wahnsinnigen. Plötzlich wurde gegenüber der Laden von einem Dachfenster zurückgeschlagen und jemand fragte, was es denn gäbe? Darauf kam aus dem ersten Hause die Antwort: »O Gott, mein alter Herr hat sich erhängt.« Der andere fragte: »Ist er denn schon tot?« und »Ja, tot und schon kalt!« tönte es zurück. Dieser Mann war Kaufmann, stellvertretender Ratsherr und sehr reich gewesen. Ich will seinen Namen nicht nennen aus Rücksicht auf die Familie, der es jetzt wieder ganz gut geht. Aber das ist nur ein Fall. Es ist nicht zu glauben, was sich alles täglich ereignete. Leute, die durch die Glut des Fiebers oder die Qualen der Geschwülste den Verstand verloren, Hand an sich legten, zum Fenster heraussprangen, sich eine Kugel durch den Kopf jagten, Mütter, die in ihrem Wahnsinn die eigenen Kinder umbrachten; manche, die am Kummer oder an Entsetzen zugrunde gingen, ohne im mindesten angesteckt zu sein; andere, die blödsinnig wurden oder in Schwermut verfielen. Die Qual der Schwellungen war sehr heftig, zuweilen ganz unerträglich. Man kann ruhig behaupten, daß die Ärzte manche der armen Geschöpfe einfach zu Tode marterten. Wenn die Geschwülste hart wurden, legten sie starke Zugpflaster oder Umschläge auf, um sie zu erweichen, und wenn das nicht half, schnitten sie an ihnen in der scheußlichsten Weise herum. Manchmal waren diese Geschwülste so hart, daß kein Instrument durchkam, dann brannten sie sie mit Ätzmitteln, daß die Leute nicht selten während der Operation verrückt wurden. Oft war niemand da, sie im Bett festzuhalten, so daß sie Gelegenheit fanden, mit sich ein Ende zu machen, andere rasten nackt auf die Straße und sprangen in den Fluß, wenn sie nicht von einem Wächter aufgehalten wurden. Es ging einem durch Mark und Bein, das Stöhnen und Brüllen der so Gemarterten zu hören, und doch waren sie von allen an der Seuche Erkrankten noch am besten dran. Denn wenn die Geschwülste zum Aufbrechen oder, wie die Ärzte sagten, zur Entleerung des Eiters nach außen, gebracht werden konnten, wurde der Kranke meistens wieder gesund. Diejenigen aber, die, wie jenes junge Mädchen, den Tod schon im Leibe trugen, so daß die Flecken allmählich herauskamen, fühlten sich oft bis zum letzten Augenblick ganz wohl. Sie fielen hin wie die Epileptiker oder als hätte sie der Schlag getroffen. Bei solchen kam das Ende ganz plötzlich. Gerade, daß sie noch irgendwo sich hinkauern konnten, vielleicht daß sie noch ihre Wohnung erreichten, dann wurde es ihnen schwach, und sie starben. Ihr Tod war so wie beim kalten Brand, in Bewußtlosigkeit oder fast wie im Traum. Sie wußten kaum etwas davon, daß sie angesteckt waren, bis sich der Brand durch den ganzen Körper verbreitet hatte. Auch die Ärzte konnten erst dann Sicherheit geben, wie es mit ihnen stand, nachdem sie ihre Brust oder andere Körperteile entblößt und darauf die Merkmale der Pest gesehen hatten. In dieser Zeit wurden die schauerlichsten Geschichten erzählt von Wächtern und gemieteten Pflegerinnen, die die Kranken in der schändlichsten Weise behandelten, sie verhungern ließen, erstickten oder auf andere Weise ums Leben brachten. Auch von den Wächtern, denen die Aufsicht über die abgesperrten Häuser übertragen war, sagte man, daß sie, wenn nur ein Kranker im Hause war, einbrachen, ihn ermordeten und gleich auf den Totenkarren warfen, ehe der Unglückliche noch ganz erkaltet war. Ich glaube auch, daß manche solche Schändlichkeiten von ihnen begangen wurden. Zwei wurden festgenommen, starben aber, ehe die Verhandlung gegen sie stattfand. Drei andere sollen wegen Mordes hingerichtet worden sein. Aber häufig waren solche Verbrechen nicht, wie man später behauptet hat. Und was hätte es auch für einen Sinn gehabt, Leute umzubringen, die gänzlich hilflos waren und in den meisten Fällen doch sterben mußten? Leugnen will ich ja nicht, daß Räubereien und ähnliche schlimme Dinge an der Tagesordnung waren. In gewissen Menschen ist die Habsucht so stark, daß sie auf jede Gefahr hin stehlen und rauben. Besonders in Häuser, von wo alle Inwohner schon als Leichen hinausgetragen worden waren, pflegten sie einzubrechen, ohne an die Ansteckungsgefahr zu denken, und schleppten selbst die Kleider der Gestorbenen und ihr Bettzeug fort. So war es der Fall bei einer Familie in Houndsditch, wo man einen Mann und seine Tochter, deren Angehörige schon früher dem Leichenkarren verfallen waren, splitternackt in zwei Kammern auffand, tot auf der Erde, während all das Bettzeug verschwunden war. Wahrscheinlich hatten die Diebe die Leichen von den Betten heruntergeworfen und liegen lassen. Bemerkenswert ist, daß während der ganzen Pestzeit die Weiber sich vor allen durch ihre Verworfenheit auszeichneten. Da eine Menge von ihnen als Pflegerinnen untergekommen war, hatten sie Gelegenheit, zu stehlen, wo es nur anging. Einige wurden öffentlich ausgepeitscht, statt daß man sie zum warnenden Beispiel gehängt hätte. Bis endlich die Kirchspielbeamten beauftragt wurden, die Pflegerinnen für die Kranken auszusuchen und sich erst nach ihrer Tauglichkeit zu erkundigen, so daß sie zur Rechenschaft gezogen werden konnten, wenn in dem betreffenden Hause etwas Verdächtiges vorkam. Freilich erstreckten sich diese Diebstähle meist nur auf Kleider, Bettzeug und etwa herumliegendes Geld und Kostbarkeiten; zu einer allgemeinen Ausplünderung des Hauses kam es nicht. Von einer Pflegerin könnte ich erzählen, die später auf ihrem Totenbette mit dem größten Abscheu die Räubereien eingestand, die sie während der Ausübung ihres Berufes begangen hatte, und durch die sie recht wohlhabend geworden war. Was aber Morde anbelangt, so glaube ich nicht, daß außer den schon berichteten, irgendwelche sonst sich ereigneten. Allerdings wurde mir von einer Pflegerin erzählt, die ein nasses Tuch auf das Gesicht der Kranken drückte, und sie so umbrachte, und von einer andern, die ein junges Frauenzimmer erstickte, als es ohnmächtig dalag, auch von sonstigen Greueltaten durch Verhungernlassen und was dergleichen mehr ist, aber diese Geschichten hatten immer zwei Eigenheiten, die sie verdächtig machten, einmal, daß ihr Schauplatz bei näherer Erkundigung stets an das andere und entfernteste Ende der Stadt verlegt wurde, dann, daß die Einzelheiten unweigerlich dieselben waren, so bei der Geschichte von dem nassen Tuch und der Erwürgung des jungen Frauenzimmers. Ich für meinen Teil wenigstens bin überzeugt, daß mehr vom Märchen als von Wahrheit darin war. -- Ein Bekannter aus meiner Nachbarschaft, der Geld von einem Ladenbesitzer in der Whitecroß-Straße zu fordern hatte, schickte seinen Lehrling, einen Jungen von etwa 18 Jahren, hin, um den Versuch zu machen, zu seinem Gelde zu kommen. Der Junge kam an die Tür, und da er sie verschlossen fand, pumperte er mit Gewalt dagegen. Er glaubte auch, irgend etwas innen zu hören, da er aber nicht sicher war, so wartete er eine Weile und wiederholte den Lärm so lange, bis er jemand die Treppe herabkommen hörte. Endlich erschien der Hausherr an der Türe. Er hatte nur seine Unterhosen an, eine gelbe Flanellweste, keine Strümpfe, dagegen ein paar Pantoffel, eine weiße Mütze auf dem Kopfe und, wie der Junge sagte, auf seinem Gesichte den Tod. »Warum läßt du mich nicht in Ruhe?« fragte er, während er die Türe öffnete. Der Junge antwortete ein wenig verlegen, er käme von dem und dem, um die Schuld einzutreiben, von der jener wohl wissen werde. »Schön, mein Junge,« sagte die lebende Leiche, »geh’, wenn du vorbeikommst, bei der Cripplegate-Kirche vor, und sage dort, man solle die Glocke läuten.« Damit schloß er die Türe, ging wieder hinauf und starb noch den gleichen Tag, vielleicht sogar in derselben Stunde. Der Junge hat’s mir selber erzählt, und ich habe keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Damals war die Seuche noch nicht auf ihrer Höhe. Es muß, scheint mir, im Juni gewesen sein, als man die Leichenkarren noch nicht eingeführt hatte, und noch die Glocke für jeden Toten läutete. Schon im Laufe des Juli wurde das anders, denn bei einer wöchentlichen Sterbeziffer von über 550 mußte man wohl oder übel mit den richtigen Beerdigungen aufhören, ob es sich um arm oder reich handelte. -- Ich habe schon erzählt, daß die Diebereien und Räubereien hauptsächlich von Weibern ausgeführt wurden. Eines Tages, ungefähr um die elfte Stunde, kam ich zu dem Hause meines Bruders in der Coleman-Straße, wohin ich öfters ging, um zu sehen, ob alles in Ordnung wäre. Vor dem Hause befand sich ein kleiner, mit einer Ziegelsteinmauer umgebener Hof, zu dem eine Türe führte. In dem Hof waren mehrere Schuppen, worin mein Bruder seine Waren aufbewahrte. In dem einen befanden sich einige Kisten mit hohen Deckelhüten für Frauen, die auf dem Lande, ich glaube für den Export, gemacht wurden. Als ich mich dem Hause meines Bruders näherte, war ich erstaunt, drei oder vier Frauen zu begegnen, die hohe Deckelhüte auf dem Kopfe trugen; eine oder zwei von ihnen hatten auch noch welche in der Hand. Da ich sie aber nicht aus dem Hause selbst kommen sah, auch nicht wußte, daß mein Bruder solche Hüte führte, sprach ich sie nicht an, sondern ging meines Weges weiter im Bogen um sie herum, wie man’s aus Angst vor der Ansteckung jetzt gewöhnlich tat. Als ich aber an die Tür kam, traf ich auf noch eine Frau mit gleich ein paar von diesen Hüten in der Hand. »Darf ich wissen, werte Frau, was Ihr hier zu suchen habt?« fragte ich. »Es sind noch mehr Leute hier,« antwortete sie, »und ich habe hier ebensoviel zu suchen wie jene.« Auf das hin schwieg ich und beeilte mich, an die Tür zu kommen, und die Frau ging weg. Gerade, als ich an der Tür war, sah ich zwei weitere Frauen über den Hof kommen, auch mit Hüten auf dem Kopfe und unter dem Arme. Nun schlug ich die Tür hinter mir zu, die einschnappte, und wandte mich an die beiden. »Was habt ihr hier zu tun?« fragte ich und nahm ihnen die Hüte weg. Die eine von ihnen sah gar nicht nach einer Diebin aus, das muß ich gestehen. »Es war wohl unrecht von uns,« entgegnete sie, »aber man sagte uns, daß die Sachen hier herrenlos wären. Nehmt sie nur wieder und seht dorthin, wenn’s Euch beliebt, dort gibt’s noch mehr Kunden.« Sie fing dabei zu weinen an und machte dazu ein so jämmerliches Gesicht, daß ich die Türe öffnete und die zwei gehen hieß, denn sie taten mir wirklich leid. Als ich dann aber nach dem Schuppen zu schaute, erblickte ich sechs oder sieben andere, die sich alle mit Hüten ausstaffierten, so ruhig und unbefangen, als wenn sie bei einem Hutmacher wären und für ihr gutes Geld etwas kauften. Ich war nicht wenig in Verlegenheit, die andern aber auch, wenn auch nicht aus demselben Grunde. Sie meinten alle, sie kämen aus der Nachbarschaft, hätten gehört, daß es hier Sachen gäbe, die niemand gehörten und mehr dergleichen. Zuerst fuhr ich gewaltig auf sie los, ging zur Türe, schloß ab und drohte, sie alle im Schuppen einzusperren und dann die Polizei herbeizuholen. Nun verlegten sie sich aufs Bitten, sagten, sie hätten die Tür offen gefunden, und sicher wäre schon früher jemand eingebrochen, der es auf viel Wertvolleres abgesehen hatte. Unwahrscheinlich war das gerade nicht, denn das Schloß war kaput und das Vorhängeschloß auch verdorben, und schließlich waren noch nicht recht viele Hüte gestohlen worden. So überlegte ich mir denn, daß man in einer solchen Zeit nicht so strenge sein dürfe, und daß ich im Falle einer Anzeige ein ewiges Herumgelaufe hätte, von einem zum andern, über deren Gesundheit ich nichts wußte, und daher leicht, statt einen Schadenersatz zu bekommen, mein eigenes Leben verlieren könne. Ich begnügte mich also, die Namen und Wohnungen von einigen aufzuschreiben und ihnen anzudrohen, daß mein Bruder sie zur Rechenschaft ziehen würde, wenn er zurückkehrte. Dann zog ich andere Saiten auf und fragte sie, woher sie den Mut hernähmen, in dieser Unglückszeit und angesichts von Gottes Gericht, sich so aufzuführen. Vielleicht stände die Pest schon vor ihrer Türe oder wäre schon ins Haus gedrungen, und der Leichenkarren hielte in wenigen Stunden davor, um sie auf den Kirchhof zu bringen. Ich kann nicht sagen, daß meine Rede einen großen Eindruck auf sie machte. Später kamen noch zwei Männer aus der Nachbarschaft, die von dem Vorfall gehört hatten und einige der Frauen kannten. Sie konnten mir ihre Namen und Wohnungen angeben; es scheint aber nicht, daß die Frauen mich vorher, als ich diese niederschrieb, angeschwindelt hatten. Bei diesen beiden Männern fällt mir etwas Merkwürdiges ein. Der eine hieß John Hayward und war seines Zeichens zweiter Küster im Kirchspiel von St. Stephan, wobei unter »zweiter Küster« damals der Totengräber und Leichenträger verstanden wurde. Er half bei der Beerdigung sämtlicher Leichen in diesem großen Kirchspiel, und als das förmliche Beerdigen aufhörte, begleitete er den Leichenkarren und holte die Toten aus den Häusern und Wohnungen. Oft konnte er mit dem Karren nicht bis ans Haus kommen, denn in der ganzen Gegend gab es und gibt es jetzt noch von ganz London die meisten Durchgänge, wo kein Karren Platz fand und man die Leichen oft eine lange Strecke weit tragen mußte. Oft gebrauchte man auch eine Art von Schubkarren, auf den man die Toten legte und bis zum Karren hinfuhr. All das machte der Mann, und bekam doch niemals die Pest, sondern lebte nach ihrem Erlöschen noch gut 20 Jahre, blieb auch bis zu seinem Tode im Amte. Sein Weib war zur gleichen Zeit Pflegerin, bekannt wegen ihrer Ehrlichkeit, und auch sie wurde nicht angesteckt. Er selbst benutzte niemals ein Gegenmittel gegen die Seuche, als daß er Knoblauch und Raute im Munde hatte und viel rauchte. Sein Weib pflegte sich den Kopf mit Essig zu waschen und ihre Haube beständig mit Essig anzufeuchten. Wurde der Gestank der Kranken zu stark, so schnupfte sie mit der Nase Essig auf und hielt ein ebenso getränktes Taschentuch vor den Mund. -- Man muß zugeben, daß die Armen, unter denen die Seuche am meisten wütete, sich auch am wenigsten darum scherten, und ihren Geschäften mit einer Art von rohem Mut nachgingen. Ich kann ihn nicht anders nennen, denn er stützte sich weder auf Vernunft noch Frömmigkeit. Selten, daß sie irgendeine Vorsicht beobachteten. Wenn sie nur Beschäftigung fanden, ganz gleich, ob sie gefährlich war, ob nicht. Zu den ersteren gehörte die Pflege der Kranken, die Bewachung der verseuchten Häuser, das Wegschaffen von Kranken nach dem Pesthause und das allerschlimmste, das Wegführen der Leichen in die Massengräber. Es war im Beisein jenes John Hayward, daß die Geschichte mit dem Sackpfeifer passierte, die den Leuten so viel Vergnügen machte. Er versicherte mir, daß sie wahr wäre. Es hieß, er wäre blind gewesen, aber John sagte mir, daß das nicht der Fall war, nur wäre er ein elender, jämmerlicher, armer Teufel gewesen. Nachts gegen zehn Uhr trat er gewöhnlich seine Runde an und wanderte mit seiner Sackpfeife von Tür zu Tür. Die Leute zogen ihn dann in die Wirtshäuser herein, wo er bekannt war, und gaben ihm zu essen und zu trinken und manchmal auch Geld, wofür er dann sang, die Sackpfeife spielte und komische Reden hielt, die seine Zuhörer belustigten. So lebte er, aber damals freilich waren schlechte Zeiten für solche Unterhaltungen. Nichtsdestoweniger trieb’s der Bursche weiter, wie er’s gewohnt war, ging aber dabei fast zugrunde. Fragte ihn jemand, wie’s ihm ginge, so pflegte er zu antworten: noch hätte ihn der Leichenkarren nicht geholt, aber für die nächste Woche wär’s ihm versprochen. Eines Nachts hatte er mehr als gewöhnlich zu essen bekommen, und da er daran nicht mehr gewöhnt war, legte er sich auf das Dach einer Bude und schlief fest ein. Auf dasselbe Dach legte man nun, als durch die Glocke das Nahen des Leichenkarrens sich anzeigte, einen Toten, der eben an der Pest gestorben war, weil die Leute wohl meinten, da läge so schon einer. Als nun John Hayward mit seinem Karren daherkam und zwei Tote auf dem Dach der Bude liegen sah, zog er sie mit dem Hacken, der dazu gebraucht wurde, herab und warf sie auf den Karren, was den Sackpfeifer in seinem Schlaf nicht störte. Dann ging’s weiter, und sie luden, wie mir John erzählte, so viele Leichen auf, daß sie den guten Sackpfeifer fast lebendig begruben. Er aber schlief immer weiter. Endlich gelangten sie zu dem Ort, wo die Leichen begraben werden sollten, wenn ich mich recht erinnere, bei Mountmill. Als nun der Karren hielt und die Leute sich fertig machten, ihre Ladung in die Grube zu werfen, erwachte der Bursche, machte mit einiger Anstrengung seinen Kopf unter den Leichen frei, stemmte sich auf und rief: »Hoho, wo bin ich denn?« Der eine von den Leuten entsetzte sich darüber nicht schlecht, John aber faßte sich schnell und sagte: »Beim Himmel, da ist einer auf dem Karren, der noch nicht ganz tot ist.« Darauf fragte der andere: »Wer bist du?« -- »Ich bin der arme Sackpfeifer,« antwortete der Bursche, »aber wo bin ich denn?« -- »Wo du bist!« meinte John Hayward, »nun, du bist auf dem Leichenkarren und sollst jetzt begraben werden.« -- »Ja, bin ich denn tot?« fragte er, worauf sie nun doch lachen mußten, obwohl sie zuerst nicht wenig erschrocken waren. Dann halfen sie dem Burschen herab, und er machte sich davon. Ich weiß, die Geschichte wird so erzählt, daß er auf dem Karren zu spielen anfing, und die Träger dadurch dermaßen in Schrecken setzte, daß sie davon liefen, aber davon wußte John Hayward nichts. Er erzählte die Sache genau so, wie ich sie wiedergegeben habe. -- Von dem Augenblick an, als man sah, daß die Seuche sich über die ganze Stadt verbreiten würde, und jeder floh, der es nur irgend möglich machen konnte, stockte aller Handel vollständig, bis auf die Geschäfte, die zur unmittelbaren Erhaltung des Lebens notwendig waren. Das war eine so ernsthafte Sache, die die Lage der Bevölkerung aufs Schwerste in Mitleidenschaft zog, daß ich ins einzelne gehen muß. Ich will in folgendem die verschiedenen Volksklassen zusammenfassen, die dadurch sofort in verzweifelte Umstände gerieten. Es wurden arbeitslos: 1. Alle Werkmeister in den Fabriken, besonders jenen, die Putz, Modeartikel, Kleider und Möbel herstellten; die Band- und Bortenwirker, die Verfertiger von Gold- und Silberspitzen, die Gold- und Silberdrahtzieher, die Näherinnen, Putzmacherinnen, Schuhmacher, Hut- und Handschuhmacher, dann die Tapezierer, Kunsttischler, Spiegelglaser und zahllose Arbeiter, die von ihnen abhingen. Die Werkmeister hörten auf und entließen alle ihre Arbeiter und Hilfsarbeiter. 2. Da der Handel gänzlich aufgehört hatte (denn nur wenige Schiffe wagten sich noch flußaufwärts, und hinaus ging gar keines), wurden mit einem Male alle überzähligen Zollbeamten, die Bootführer, Fuhrleute, Träger und alle die sonst mit dem Handel zu tun hatten, entlassen und arbeitslos. 3. Alle Bauarbeiter hatten nichts mehr zu tun, denn niemand hatte Lust, sich ein Haus zu bauen, zu einer Zeit, da Tausende leer standen, so daß dadurch alle Maurer, Ziegelträger, Schreiner, Zimmerleute, Stukkateure, Zimmermaler, Glaser, Schlosser und Dachdecker überflüssig wurden. 4. Da es keine Schiffahrt mehr gab, waren alle Seeleute ohne Beschäftigung und mit ihnen alle jene, die mit dem Bau und der Schiffsausrüstung zu tun hatten, die Schiffszimmerleute, Kalfaterer, Tau- und Segelmacher, Ankerschmiede, Figurenschnitzer, Kanonengießer, Lichtzieher u. a. m. Ihre Werkmeister konnten vielleicht von ihren Ersparnissen leben, aber der Handel lag so gänzlich darnieder, daß alle Arbeiter entlassen werden mußten. Dazu kam, daß auch der Bootsverkehr auf dem Flusse aufgehört hatte, und damit auch die Bootführer, Leichterführer, Bootbauer und was sonst noch damit zusammenhängt, arbeitslos geworden waren. 5. Alle schränkten sich soviel als möglich ein, sowohl die Geflohenen als jene, die in der Stadt geblieben waren, so daß eine Unmenge Dienstpersonal, Tagelöhner, Buchhalter und besonders Dienstmädchen entlassen wurden und ohne Hilfe auf der Straße lagen -- und das war wirklich eine schlimme Sache. Ich könnte noch ausführlicher werden, aber es mag genügen, im allgemeinen festzustellen, daß jedes Geschäft aufhörte und damit den Armen die Arbeit und alle Möglichkeit, ihr Brot zu verdienen, abgeschnitten war. Im Anfang war denn auch ihre Lage schrecklich, bis die Wohltätigkeit sie ein wenig milderte. Viele flohen gleich hinaus aufs Land, die meisten aber blieben in London, bis der äußerste Mangel sie wegtrieb. Aber der Tod folgte ihnen auf ihrem Wege, und wirklich konnten sie als Boten des Todes gelten, denn sie trugen die Ansteckung hinaus und verbreiteten sie bis in die entferntesten Orte des Reiches. Von den entlassenen Dienstmädchen dagegen kamen viele als Pflegerinnen unter. In gewisser Weise muß man, so traurig es klingt, es als eine Erlösung bezeichnen, daß die Pest in der schlimmsten Zeit 30--40000 dieser armen, arbeitslosen Leute hinwegraffte, die sonst eine unerträgliche Last bedeutet hätten. Die ganze Stadt hätte sie weder erhalten noch mit Nahrung versorgen können, und so wären sie dazu gezwungen worden, in der Stadt selbst oder der Umgegend zu plündern, um sich durchzubringen, was früher oder später das reinste Chaos herbeigeführt hätte. Die meisten starben im August und September, in welchen beiden Monaten die Sterberegister fast 50000 Opfer verzeichneten. Genau waren diese Register freilich nicht, soviel ich glaube, und es konnte auch nicht wohl anders sein bei der allgemeinen Verwirrung. Die Leichenkarren arbeiteten doch nur bei Nacht, und in einigen Kirchspielen wurden die Toten überhaupt nicht eingetragen, da Küster und Schreiber wochenlang fehlten. Wenn ich sage, daß die Kirchspielbeamten in ihren Angaben nicht zuverlässig waren, so muß man anderseits berücksichtigen, daß das auch in einer solchen Zeit kaum möglich gewesen wäre. Viele von ihnen erkrankten selbst und starben vielleicht zur gleichen Stunde, als sie ihre Listen fertig hatten. In Stepney allein wurden während des Jahres 116 Küster, Totengräber, Leichenwagenkutscher und Träger von der Seuche hinweggerafft. Die Arbeit, die sie auszuführen hatten, erlaubte ihnen auch wirklich nicht, genaue Listen von den Toten aufzunehmen, die in der Nacht alle durcheinander in die Gruben hineingeworfen wurden, denen niemand ohne die äußerste Gefahr nahe kommen konnte. In Aldgate, Cripplegate, Whitechapel und Stepney gaben die wöchentlichen Listen 5, 6, 7 und 800 Tote an, während nach meiner Überzeugung und der meiner Mitbürger manchmal an 2000 in der Woche in diesen Kirchspielen starben. Von einem, der es wissen mochte und mich unter der Hand Einsicht in seine Aufzeichnungen nehmen ließ, erfuhr ich, daß er die Anzahl, der in einem Jahre an der Seuche Verstorbenen, auf 100000 berechnete, während die offiziellen Totenregister sie nur mit 68590 angaben. Und nach dem, was ich mit eigenen Augen sah und von anderen hörte, die auch Augenzeugen waren, glaube ich auch, daß 100000 nicht zu hoch gegriffen war, außer denen, die auf den Landstraßen, auf freiem Feld oder in verborgenen Schlupfwinkeln zugrunde gingen. Es war allgemein bekannt, daß eine Menge armer verseuchter Geschöpfe, die schon halb blödsinnig durch ihr Elend geworden waren, aufs freie Feld oder in die Wälder wanderte, um hinter einem Busch oder einer Hecke das Ende zu erwarten. Die Bewohner der anliegenden Dörfer brachten ihnen aus Mitleid Nahrung, die sie in einiger Entfernung hinstellten, damit jene sie holen konnten, wenn sie dazu noch imstande waren, was oft genug nicht der Fall war. Kamen sie dann das nächste Mal, so fanden sie den armen Teufel tot und die Nahrung unberührt. Ich weiß von vielen, die auf diese Weise zugrunde gingen, und könnte die Stellen so genau bezeichnen, daß ich mich anheischig machen wollte, ihre Gebeine dort auszugraben. Die Bauern gruben nämlich etwas entfernt davon ein Loch und zogen mittels langer Stangen, an denen ein Hacken befestigt war, die Leichen hinein, worauf sie von weit her, so gut es gehen wollte, Erde darauf warfen. Dabei beobachteten sie genau, woher der Wind kam, um nicht durch den Geruch angesteckt zu werden. Viele, viele Leute verließen so die Welt, ohne daß es jemals bekannt wurde. Ich weiß das hauptsächlich vom Hörensagen, denn ich selbst kam selten soweit hinaus, außer nach Bethnalgreen und Hackney. Geschah es aber einmal, so sah ich immer aus der Entfernung eine Menge dieser armen Leute. Näheres konnte ich freilich nicht über sie in Erfahrung bringen, denn ob in der Stadt oder draußen wich man stets jedem aus, den man herankommen sah. Und da ich gerade vom Ausgehen spreche, muß ich doch erwähnen, was für ein gottverlassener Ort die Stadt in jener Zeit war. Die Straße, in der ich wohnte, ist eine der breitesten in den Vorstädten, aber die ganze Seite, wo die Fleischer wohnten, besonders außerhalb der Schlagbäume, glich eher einer grünen Wiese als einer gepflasterten Straße. Es ist richtig, daß sie am äußersten Ende, gegen Whitechapel zu, nicht gepflastert war, aber auch auf dem gepflasterten Teile wuchs das Gras ganz dicht. Das darf nicht weiter wundernehmen, wenn man hört, daß auch in den großen Straßen in der inneren Stadt, wie der Leadenhall und Bishopsgate-Straße, in Cornhill und sogar vor der Börse große Grasflecken waren. Kein Wagen, keine Kutsche war von morgens bis abends auf den Straßen zu sehen, höchstens einige Bauernkarren, die Bohnen, Erbsen, Heu und Stroh auf den Markt brachten. Aber auch diese waren sehr spärlich. Droschken wurden nur gebraucht, um Kranke ins Pesthaus zu schaffen oder von Ärzten bei ihren Krankenbesuchen. Denn diese Droschken waren unheimliche Dinger, und die Leute hatten wenig Lust, sie zu benutzen, weil man nie wußte, wer zuvor damit befördert worden war. Wie gesagt: man brachte damit die Kranken ins Pesthaus und andere Krankenhäuser, und manchmal kam’s vor, daß sie während der Fahrt darin starben. Solange die Seuche am ärgsten wütete, ließen sich nur sehr wenige Ärzte zu Krankenbesuchen bereitfinden. Die berühmtesten waren tot, wie auch viele von den Wundärzten, denn durch einen ganzen Monat starben täglich 15--1700 -- Tag aus Tag ein. Zu dieser Zeit war die Arbeit, die Leichen auf Karren wegzuschaffen, so widerwärtig und gefährlich geworden, daß Klagen ergingen, die Träger gäben sich keine Mühe mehr, sie aus den Häusern zu bringen, die ganz ausgestorben waren, sondern ließen die Leichen darin liegen, daß die Nachbarn es vor Gestank nicht mehr aushalten konnten und angesteckt wurden. Diese Pflichtvergessenheit nahm so zu, daß die Kirchenvorsteher und Polizisten beauftragt wurden, der Sache nachzugehen. Selbst die Friedensrichter mußten sich dazu herbeilassen, den Leuten Mut zuzusprechen, denn zahllose Träger starben an der Ansteckung durch die Leichen, und wäre nicht die Anzahl jener, die Arbeit und Brot um jeden Preis suchten, so groß gewesen, würde man kaum noch jemand zu solcher Arbeit gefunden haben, und die Leichen wären überall halb verfault herumgelegen. Man kann den Behörden nicht genug Dank wissen, für die Art und Weise, wie sie sich des Beerdigungswesens annahmen. Sobald einer der Leichenträger der Seuche erlegen war, füllten sie seinen Platz sogleich mit einem anderen aus, was, wie gesagt, bei der Masse der Arbeitslosen nicht allzu schwer war, so daß man alles in allem niemals sagen konnte, die Lebenden wären nicht imstande gewesen, ihre Toten zu begraben. Je weiter die Seuche fortschritt, desto mehr nahm auch die Verwirrung der Bevölkerung zu. Was die einen in ihrem Fieberwahn, andere in der Qual der Krankheit alles taten, ist nicht zu sagen. Einige trieben sich schreiend und weinend mit gerungenen Händen in den Straßen umher, andere betend mit zum Himmel erhobenen Händen, um Gottes Barmherzigkeit anzuflehen. Ich glaube, daß man sich noch des berüchtigten Salomon Eagle erinnert, der, zwar nur im Kopfe angesteckt, manchmal völlig nackt, eine Pfanne mit glühenden Kohlen auf dem Kopfe, durch die Straßen rannte und der Stadt das Gericht des Herrn verkündete. Ich will ja nicht entscheiden, ob dieser Geistliche wirklich verrückt war oder nicht, und alles nur aus Mitleid mit den armen Leuten tat, die jeden Abend durch Whitechapel zogen und mit aufgehobenen Händen immer wieder flehten: »Verschone uns, lieber Gott, verschone dein Volk, das du durch dein heiliges Blut erlöst hat.« Ich kann nicht gut über all diese Dinge sprechen, weil ich sie nur aus meinem Fenster sah, denn ich öffnete selten die Läden, solange die Pest am ärgsten wütete, und viele glaubten, daß kein einziger übrigbleiben würde. Ich selbst glaubte das auch und hielt mich über zwei Wochen im Hause. Aber dann konnte ich nicht mehr. Übrigens gab es immer Leute, die trotz aller Gefahr den Gottesdienst nicht versäumten, sogar in der ärgsten Zeit. Freilich hatten manche Pfarrer ihre Kirchen geschlossen und waren geflohen wie die anderen Leute auch, aber doch nicht alle. Einige übten ihr Amt aus und hielten Gebetsversammlungen ab mit kurzen Predigten oder Ermahnungen zur Buße und Besserung, solange man sie nur hören wollte. Die Dissenters machten es gerade so, auch in den Kirchen, deren Pfarrer tot oder geflüchtet waren, und es war auch wirklich keine Zeit für Religionsstreitigkeiten. Die Gnade Gottes hatte mich bisher noch immer verschont, und ich fühlte mich völlig wohl, nur machte mich der lange Aufenthalt zu Hause in der geschlossenen Luft allmählich ungeduldig. Endlich hielt ich’s nicht mehr aus und machte mich auf, einen Brief an meinen Bruder auf die Post zu tragen. Auf der Straße war kaum ein Laut zu hören. Als ich zur Post kam, sah ich einen Mann in einem Winkel des Hofes stehen und zu einem Fenster hinauf mit einem zweiten sprechen. Ein dritter stand an der offenen Tür des Amtsraumes. In der Mitte des Hofes lag ein kleiner Geldbeutel aus Leder, der Geld zu enthalten schien und an dem zwei Schlüssel hingen. Aber keiner wollte ihn anrühren. Ich fragte, wie lange er schon dort gelegen habe, und der Mann sagte mir aus dem Fenster, vielleicht eine Stunde, aber sie hätten sich nicht drum gekümmert, weil sie dachten, die Person, die ihn verloren habe, würde wieder zurückkommen. Ich war gerade beim Weggehen, als der Mann an der Tür meinte, er würde den Beutel doch aufheben, aber nur, um ihn dem rechtmäßigen Besitzer wieder zurückzugeben, falls er kommen sollte. Er holte also einen Eimer voll Wasser und stellte ihn neben den Beutel, dann warf er einen Haufen Schießpulver auf den Beutel und streute es in einer Linie noch etwa zwei Ellen weit, holte darauf eine rotglühende Feuerzange, die er offenbar schon vorbereitet hatte, und setzte das Pulver am äußersten Ende in Brand, um den Beutel und die Luft zu reinigen. Aber auch damit war er noch nicht zufrieden, sondern nahm den Beutel mit der Feuerzange auf, bis sie sich durch das Leder gefressen hatte, schüttelte das Geld ins Wasser aus und trug es erst dann mit dem Eimer hinein. Es waren, soweit ich mich erinnere, 13 Schillinge und einige Kupferpfennige und Heller. Ungefähr um dieselbe Zeit machte ich einen Spaziergang über die Felder gegen Bow, denn ich war sehr neugierig zu erfahren, wie die Sachen auf dem Flusse und bei den Schiffen standen, und dachte, es wäre eigentlich das beste Mittel, sich vor der Seuche in Sicherheit zu bringen, sich auf einem Schiffe einzuquartieren. Unter solchen Gedanken war ich vom Wege etwas abgekommen und fand mich plötzlich an den Landungstreppen bei Blackwell. Hier traf ich einen armen Teufel, der ganz allein auf der Flußmauer auf und ab ging. Ich ließ mich mit ihm in ein Gespräch ein und erfuhr, daß seine Familie nicht weit entfernt lebte. Eins von seinen Kindern war bereits an der Pest gestorben, die Frau und eins der beiden anderen Kinder war krank, und er erhielt sie als Bootsführer, indem er jeden Abend, was er verdient hatte, auf einen Stein in der Nähe der Wohnung niederlegte. Das Boot diente ihm nicht nur als Mittel, den Lebensunterhalt für sich und die Seinen zu gewinnen, sondern zugleich als Schlafstätte während der Nacht. Ich fragte ihn dann weiter, wie er denn in der jetzigen Zeit zu Gelde käme, da doch niemand ein Boot brauche. »Doch Herr,« antwortete er, »ich kann mich schon nützlich machen. Seht Ihr dort, unterhalb der Stadt, die fünf Schiffe vor Anker liegen und dort oben weitere acht oder zehn? Sie alle haben Familien an Bord, von den Reedern und Besitzern, die sich dort aus Angst vor der Ansteckung hingeflüchtet haben. Ich besorge für sie, was sie brauchen, ihre Briefe, und was sonst nötig ist, damit sie nicht an Land kommen müssen. Nachts mache ich mein Boot dann an einem von ihren Schiffsbooten fest und übernachte darin, und Gott sei Dank, bin ich bis jetzt verschont geblieben.« »Ja, läßt man Euch denn an Bord,« fragte ich, »wenn Ihr aus diesem so schrecklich verseuchten Orte kommt?« »An Bord komme ich auch nur selten,« sagte er, »sondern lasse, was ich gebracht habe, in ihrem Beiboot oder sie ziehen es auch hinauf. Übrigens wäre ich auch dann wohl keine Gefahr für sie, denn ich gehe niemals in ein Haus, nicht einmal mein eigenes, noch komme ich jemand in die Nähe, außer um Lebensmittel einzukaufen.« »Um so schlimmer,« warf ich ein, »denn Ihr müßt doch die Lebensmittel von irgend jemand haben, und da dieser ganze Stadtteil aufs ärgste verseucht ist, ist es schon gefährlich, nur mit jemand zu sprechen, und auch dieses Dorf ist viel zu nah an London, um sicher zu sein.« »Wohl wahr,« meinte er, »aber Ihr versteht mich nicht recht. Hier kaufe ich nichts ein, sondern ich rudere nach Greenwich hinauf, um frisches Fleisch zu kaufen, und manchmal auch bis nach Woolwich hinab. Dann gehe ich in einzelne Bauernhöfe auf der Kentischen Seite, wo ich bekannt bin, und kaufe Geflügel, Eier und Butter und bringe sie zu den Schiffen, welche mir gerade den Auftrag geben. Hierher komme ich nur selten, um von meinem Weib zu hören, wie es allen geht, und ihnen das Wenige zu bringen, das ich in der vorigen Nacht verdient habe.« »Armer Kerl,« sagte ich, »und wieviel habt Ihr diesmal bekommen?« »Vier Schillinge, was heutzutage für einen armen Teufel schon etwas heißen will. Und außerdem haben sie mir noch einen Sack Brot, einen gesalzenen Fisch und etwas Fleisch mitgegeben, das kommt auch noch dazu.« Während wir noch weiter uns unterhielten, öffnete sich die Türe seiner Hütte, die Frau kam heraus und rief: »Robert, Robert!« Er bat sie, einen Augenblick zu warten, lief die Treppe hinunter und kam wieder mit einem Sack, der die Lebensmittel enthielt. Dann ging er zu dem großen Stein, den er mir gezeigt hatte, leerte den Sack aus und zog sich wieder zurück. Als darauf die Frau hinging, einen kleinen Buben an der Hand, um alles zu holen, erklärte er ihr, von wem jedes einzelne Stück herstamme, rief den Schutz des Himmels auf sie herab und ging dann weg. Ich fragte ihn dann, wie es käme, daß die Leute auf den Schiffen sich nicht mit genügenden Vorräten alles Nötigen versehen hätten? Er sagte, einige hätten das schon getan, andere aber hätten sich erst später an Bord geflüchtet, als es schon zu gefährlich war, in den Läden herumzukaufen. Er selbst bediene zwei Schiffe, auf denen sie fast nichts hatten als Schiffszwieback und schlechtes Bier, alles sonst müsse er besorgen. Ich fragte ihn darauf, ob es noch mehr Schiffe gäbe, die sich so abgeschlossen hielten? »Gewiß,« sagte er, »den ganzen Weg von einem Punkt gegenüber Greenwich bis Limehouse und Redriff ist der ganze Fluß voll, wo immer es Raum genug für zwei Schiffe gibt, nebeneinander zu liegen. Manche haben mehrere Familien an Bord.« Darauf wollte ich noch wissen, ob niemals die Seuche hingekommen wäre? Er meinte, er hätte nichts davon gehört, außer auf zwei oder drei Schiffen, die aus Nachlässigkeit die Seeleute an Land hätten gehen lassen. Als er sagte, er würde wieder nach Greenwich fahren, sobald die Flut einsetze, fragte ich ihn, ob er mich nicht mitnehmen und wieder zurückbringen wolle, denn ich hatte große Lust zu sehen, wie die vielen Schiffe auf dem Wasser lagen. Er sagte, wenn ich ihm als Christ und ehrlicher Mann mein Wort geben wolle, daß ich nicht angesteckt sei, so würde er mich fahren. Ich versicherte ihm, daß ich durch die Gnade Gottes bisher verschont geblieben war, daß ich in Whitechapel wohnte und nur durch das Bedürfnis nach frischer Luft herausgetrieben worden wäre, und daß niemand in meinem Hause auch nur die leiseste Spur einer Ansteckung gezeigt habe. »Nun,« sagte er, »da Ihr Mitleid mit mir und meinen armen Leuten gezeigt habt, könnt Ihr nicht so unbarmherzig sein, in mein Boot zu steigen, wenn Ihr nicht gesund wärt. Denn das würde für mich und meine Familie den Untergang bedeuten.« Seine Angst rührte mich so sehr, daß ich ihm sagte, ich wolle lieber meine Neugierde unterdrücken, als ihn in Unruhe versetzen, obwohl ich so gesund wäre wie nur irgendeiner auf der Welt. Aber davon wollte er nichts wissen und redete mir jetzt selbst zu, mit ihm zu kommen. So stieg ich denn, als die Flut einsetzte, ins Boot, und er fuhr mich nach Greenwich hinüber. Während er seine Besorgungen machte, ging ich auf die Spitze des Hügels, an den sich die Stadt anlehnt, um einen Blick über den Fluß zu haben. Es war auch wirklich ein erstaunlicher Anblick: die vielen Schiffe, die je zwei und zwei manchmal, wo es die Breite des Flusses erlaubte, zwei oder drei Reihen bildeten, und das nicht nur bis weit in die Stadt, sondern flußabwärts bis zum Knie von Long-Reach, also soweit man sehen konnte. Die Anzahl der Schiffe war nicht zu erraten, aber es mögen wohl an 300 gewesen sein, und ich mußte diesem Auskunftsmittel meinen Beifall spenden, durch das mehr als 10000 Menschen sich hier vor der Ansteckung geschützt hatten und in völliger Sicherheit lebten. Später erfuhr ich, daß die Schiffe, als die Seuche noch heftiger wurde, ihren Platz veränderten. Einige stachen sogar in See und suchten die Häfen an der Nordküste auf, wo sie eben am besten unterkommen konnten. Aber ganz sicher war man freilich auch an Bord der Schiffe nicht, eine ganze Anzahl Leute starb und wurde in den Fluß geworfen, manche in Särgen, andere ohne solche, die noch lange die Flut auf der Oberfläche des Wassers hin und wider trieb. Ich bin jedoch überzeugt, daß es sich in solchen Fällen stets um Leute handelte, die sich zu spät auf die Schiffe zurückzogen und schon angesteckt waren, wenn sie selbst auch nichts davon merkten, so daß man in Wahrheit sagen kann: die Seuche kam nicht auf die Schiffe, sondern die Menschen brachten sie erst hin. Das waren auch immer jene Schiffe, auf denen man nicht für Vorräte hatte sorgen können, und um solche an Land schicken mußte, wodurch die Ansteckung unversehens hingelangte. Ebenso wie die wohlhabenderen Leute auf die Schiffe flohen, hatten die Armen ihre Treckschuten, Schmacken, Leichter und Fischerboote, und viele, besonders die Bootführer, lebten vollständig auf ihren Fahrzeugen. Die letzteren gewannen allerdings nicht viel dabei, denn beim Einkaufen von Lebensmitteln wurden sie angesteckt und starben in Haufen, oft mutterseelenallein in ihren Booten, wo man sie erst auffand, als sie sich schon in einem unbeschreiblichen Zustand der Auflösung befanden. Die Lage der Seeleute in diesem Stadtteil war wirklich höchst bejammernswert und verdiente das größte Mitleid, aber zum Unglück war das eine Zeit, in der jeder zuerst an seine eigene Sicherheit dachte und sich mit dem Elend des Nächsten nicht abgeben konnte. Alle hatten den Tod vor ihrer Türe oder schon im Hause und wußten weder, wohin zu fliehen, noch was sonst sie tun sollten. Dadurch wurde alles Mitleid erstickt und die Selbsterhaltung zum obersten Gesetz. Kinder verließen ihre Eltern, Eltern ihre Kinder, wenn das auch vielleicht nicht so häufig vorkam. Schreckliche Geschichten waren in Umlauf von Müttern, die in ihrem Wahnsinn ihre eigenen Kinder umgebracht hatten. Die eine ereignete sich nicht weit von meiner Wohnung; das arme, von Sinnen gekommene, Geschöpf lebte nicht einmal mehr so lange, um zum Bewußtsein ihrer Untat zu kommen, geschweige denn, dafür bestraft zu werden. Wundern darf man sich darüber nicht, denn die ununterbrochene Todesgefahr zerstörte alles Mitgefühl und alle Sorge für andere. Ich rede natürlich nur im allgemeinen, denn es gab auch Beispiele einer unauslöschlichen Liebe, von Mitleid und Pflichtgefühl, von denen ich einige durch Hörensagen erfuhr. Für die Wahrheit in allen Einzelheiten kann ich freilich nicht einstehen. Ehe ich näher darauf eingehe, möchte ich noch bemerken, daß das ärgste Schicksal von allen Menschen in dieser Unglückszeit die schwangeren Frauen traf. Kam ihre Stunde und stellten sich die Wehen ein, so blieben sie ohne jede Hilfe. Weder Hebammen noch mitleidige Nachbarinnen kamen zu ihnen. Die meisten Hebammen waren schon gestorben, besonders jene, die unter den Armen ihren Beruf ausübten; die besseren waren geflohen, so daß es den armen Frauen, die nicht einen unerhörten Preis zahlen konnten, so gut wie unmöglich war, eine zu bekommen. Die man haben konnte, waren meistens ungeschickte und unwissende Weiber, und die Folge war, daß eine unglaubliche Anzahl von Schwangeren in das haarsträubendste Elend gerieten. Viele wurden bei der Entbindung durch die Dummheit jener sogenannten Hebammen zugrunde gerichtet, und zahllose Neugeborne, ich möchte sagen, ermordet, wobei sie sich darauf hinausredeten, sie hätten auf Kosten des Kindes die Mutter retten wollen. Oft genug starben Mutter und Kind, besonders, wenn die Mutter schon verseucht war, und nun niemand sich in ihre Nähe wagte. Viele starben während der Geburt, in anderen Fällen lebte das Kind, hing aber noch durch die Nabelschnur mit der toten Mutter zusammen. Man konnte wirklich damals von ihnen sagen: Wehe in diesen Tagen den schwangeren Müttern und jenen, die ihre Kinder säugen. Das Elend der stillenden Mütter war fast ebensogroß. Viele Kinder gingen zugrunde, weil ihnen die Amme fehlte. Man fand Kinderleichen bei der toten Mutter, die an nichts als Nahrungsmangel gestorben waren. Andere wurden durch die Ammen angesteckt, ja selbst durch die eigene Mutter, die ohne es zu wissen, ihnen das Gift mit der Milch einflößte. Sollte jemals wieder solch eine Seuche auftreten, so meine ich, daß alle schwangeren oder stillenden Frauen die Stadt verlassen sollten, denn ihr Elend ging wahrhaftig über alles menschliche Maß hinaus. Ich könnte manche Schauergeschichte erzählen von noch lebenden Kindern, die an der Brust ihrer bereits erkalteten Amme oder Mutter saugten. In meinem Kirchspiel geschah es, daß eine Mutter, deren Kind nicht ganz wohl war, zum Apotheker schickte, er möchte sich’s ansehen. Als er kam, stillte sie gerade und schien völlig gesund zu sein, aber wie er sich näherte, sah er die Merkmale der Seuche auf derselben Brust, die dem Kinde Nahrung bot. Er wollte die arme Frau nicht zu sehr erschrecken und bat sie, ihm das Kind zu geben. Als er’s nun in die Wiege legte und dabei sein Kleidchen öffnete, gewahrte er die gleichen Merkmale auch auf seinem Körper. Beide starben, noch ehe er nach Hause gekommen war, um ein Gegenmittel zu senden. Ein anderes Mal wurde ein Kind zu seinen Eltern wieder nach Hause gebracht, da die Amme an der Pest gestorben war. Trotzdem ließ es sich die zärtliche Mutter nicht nehmen, den Säugling an die eigene Brust zu legen. Dadurch wurde sie angesteckt und starb, das tote Kind in ihren Armen. Von einem Handelsmann in Ost-Smithfield hörte ich, dessen Frau zum erstenmal gebären sollte und in die Wehen kam, während sie schon angesteckt war. Er konnte ihr weder eine Hebamme noch eine Pflegerin verschaffen. Die zwei Dienerinnen waren geflüchtet, und er rannte wie ein Verrückter von Haus zu Haus, fand aber keine Hilfe. Endlich versprach ihm ein Wächter, der vor einem verseuchten und abgesperrten Hause seinen Posten hatte, ihm bis zum Morgen eine Pflegerin zu schicken. Der arme Teufel ging verzweifelt heim, leistete seiner Frau Beistand, so gut es gehen wollte, und brachte ein totes Kind zur Welt. Auch die Frau starb eine Stunde später, und er hielt die Leiche noch in seinen Armen, als der Wächter mit der Pflegerin erschien. Er hatte das Haus offen gefunden, war die Treppe heraufgekommen und fand nun den Mann, wie er sein totes Weib umschlungen hielt, und so sehr drückte ihn der Kummer nieder, daß er einige Stunden später seinen Geist aufgab, ohne irgend ein Zeichen der Ansteckung zu zeigen. So war er wirklich an gebrochenem Herzen gestorben. Von andern habe ich gehört, die der Kummer über den Tod ihrer Angehörigen blödsinnig machte. Einer insbesondere wurde von seinem Trübsinn so völlig überwältigt, daß nach und nach sein Kopf förmlich zwischen die Schultern hineinsank. Er verlor allmählich Stimme und Empfindung, das Gesicht lehnte sich gegen das Schlüsselbein und konnte nur mit Gewalt aufgerichtet werden. Der arme Teufel kam nie mehr wieder zu sich, sondern blieb fast ein Jahr in diesem Zustande, ehe er starb. Niemals schlug er die Augen auf oder richtete seinen Blick auf einen der ihn umgebenden Gegenstände. -- Ich spreche jetzt von der Zeit, als die Pest im östlichsten Teile der Stadt wütete. Die Leute dort hatten gehofft, daß sie verschont bleiben würden, und waren nun entsetzt, als die Seuche wie ein geharnischter Mann auf sie eindrang. Dabei fallen mir wieder die drei Gesellen von Wapping ein, der Bäcker, Zimmermann und Segelmacher, von denen ich schon erzählt habe. Als sie sahen, daß sie nirgends mehr Arbeit bekommen könnten, entschlossen sie sich, sich vor der Seuche davon zu machen, und da sie haushälterisch angelegt waren, wollten sie versuchen, solange als möglich von ihren Ersparnissen zu leben und dann zusehen, wie sie weiterkämen. Aber zuerst wurde noch viel hin und her geredet wegen der Ausrüstung und der Straße, die sie einschlagen wollten. Besonders waren sie wegen eines Unterkommens zur Nachtzeit besorgt, aber dabei hatte der Bäcker, der, wie man sich erinnern wird, früher Soldat gewesen war, einen guten Einfall, indem er vorschlug, der Segelmacher solle ihnen ein kleines Zelt verfertigen. Der einzige Einwand, der dagegen gemacht wurde, war der, daß es zu schwer zum Tragen wäre, da sie ja schon alles mögliche mitzuschleppen hatten und das Wetter recht heiß war, denn es war um Mitte Juli. Aber auch in dieser Sache kam ihnen das Glück zu Hilfe. Der Meister, bei dem der Segelmacher gearbeitet hatte, besaß ein kleines elendes Pferd, und da er den drei ehrlichen Gesellen wohl wollte, überließ er es ihnen, zusammen mit einem alten Topbesansegel, das zwar nicht mehr viel wert, aber zu einem Zelt noch recht gut zu gebrauchen war. Nach den Anweisungen des gewesenen Soldaten war es bald fertig, und so konnte also die Reise angetreten werden. Ihre Ausrüstung bestand aus dem Zelt, dem Pferde, einer Flinte, da der Bäcker sich seines früheren Standes erinnerte und nicht ohne Waffe ausziehen wollte, einem kleinen Sack mit Werkzeugen für den Zimmermann und ein wenig Geld, das in eine gemeinsame Kasse zusammengelegt wurde. Da der Wind bei ihrem Ausmarsch aus Nordwesten blies, so entschlossen sie sich, in dieser Himmelsrichtung vorzugehen. Dabei gab’s gleich die erste Schwierigkeit, weil sie stark verseuchte Stadtteile hätten berühren müssen. Sie machten daher einen weiten Umweg und erreichten die Landstraße gerade bei Bow. Die Wache auf der Bowbrücke hätte sie nicht durchgelassen, so waren sie gezwungen, einen schmalen Nebenweg einzuschlagen, auf dem sie bis Oldford kamen. Auf allen Straßen standen Konstabler, nicht so sehr, um die Leute anzuhalten, als um dafür zu sorgen, daß sie sich nicht in den Orten, die sie zu bewachen hatten, niederließen. Außerdem war auf dem Lande das Gerücht verbreitet, daß die Bevölkerung Londons, aus Verzweiflung über den Mangel an Arbeit und an Lebensmitteln, sich bewaffnet hätte und ausziehen wollte, um die Orte in der Umgegend mit Gewalt zu plündern. In Oldford wurden die drei Wanderer nur ausgefragt, und da sie eher vom Lande als aus der Stadt zu kommen schienen, benahmen sich die Leute ganz freundlich gegen sie, ja führten sie sogar in ein Wirtshaus und setzten ihnen zu essen und zu trinken vor. Dabei hatten die Drei den guten Gedanken, von jetzt ab nie zu sagen, sie kämen von London, sondern aus Essex. Um diesen kleinen Betrug wahrscheinlicher zu machen, bewogen sie den Konstabler, ihnen ein Zeugnis auszustellen, daß sie von Essex kämen und nichts mit London zu tun hätten, was übrigens ja auch dem Buchstaben nach wahr war, da Wapping nicht mehr zu London gehörte. Diese Bescheinigung war ihnen von großem Nutzen. Mit ihrer Hilfe wurden sie nicht nur in Hackney durchgelassen, sondern erhielten auch vom dortigen Friedensrichter ohne viel Schwierigkeit ein richtiges Gesundheitsattest. So hatten sie denn bald Hackney hinter sich und wanderten weiter, bis sie bei Stamfordhill auf die große Heerstraße gelangten. Mittlerweile waren sie rechtschaffen müde geworden und beschlossen, ein wenig abseits von der Straße ihr Zelt aufzuschlagen. Dies taten sie denn auch, und zwar mit dem Eingange gegen einen Heuschober, den sie zuerst gehörig durchsuchten, ob niemand dort versteckt wäre. Dort legten sie sich schlafen, aber dem Zimmermann gefiel es nicht, daß sie so gleichsam schutzlos die Nacht zubringen sollten, er nahm die Flinte und ging als Wache vor dem Heuschober auf und ab. Bald hörte er das Geräusch von Stimmen, die lauter und lauter wurden, bis auch der Bäcker aus dem Zelt gekrochen kam. Die Leute gingen gerade auf den Heuschober zu, bis ihnen der Bäcker ein martialisches »Wer da?« zurief. Auf das hin hielten sie an und besprachen sich untereinander, woraus hervorging, daß sie alle zusammen 13 waren, darunter auch einige Frauen. Außerdem erfuhren unsere Freunde auf diese Weise, daß sie gleich ihnen auf der Flucht vor der Seuche waren und eine große Angst verrieten, von ihnen angesteckt zu werden, was wohl bewies, daß sie selbst gesund waren. Auf dies hin sagte der Bäcker zum Zimmermann, man solle die Leute doch herrufen, und nach längerem Hin- und Herreden kamen sie auch herbei und krochen in den Heustadel, der bis oben voll Heu war, so daß sie sich’s ganz bequem machen konnten. Ehe sie sich schlafen legten, hörte man sie noch beten und den Schutz Gottes auf sich herabrufen. Als der Tag angebrochen war, machten sie sich näher miteinander bekannt und erfuhren, daß die Leute auch aus London kamen und den Plan hatten, über den Fluß und durch die Sümpfe in den Wald von Epping zu wandern, wo sie hofften, sich länger aufhalten zu können. Sie hatten genug Vorräte für 2 oder 3 Monate bei sich, und dann, meinten sie, würde bei Eintritt kalter Witterung wohl die Seuche erlöschen, wenn auch vielleicht nur deshalb, weil kein Lebender mehr in der Stadt zurückgeblieben wäre. Die Absichten unserer drei Freunde waren eigentlich nach einer anderen Richtung gegangen, aber nun entschlossen sie sich doch, mit den anderen gemeinsame Sache zu machen und ihnen nach Essex zu folgen. So wurde denn das Pferd mit dem Zelt beladen und dann gemeinschaftlich der Marsch angetreten. An der Fähre über den Fluß gab es den ersten Aufenthalt, da der Fährmann Angst vor ihnen hatte. Aber endlich verständigten sie sich aus der Entfernung, und der Fährmann willigte ein, ein Boot etwas weiter flußaufwärts zu bringen und es dort zu lassen, damit sie sich selbst übersetzen könnten. Er zeigte ihnen, wo sie das Boot drüben lassen sollten, damit er’s mit seinem anderen wieder abholen könne, was er übrigens erst nach mehr als acht Tagen getan haben soll. Der Fährmann brachte ihnen auch Lebensmittel und Getränk ins Boot, nachdem man ihm das Geld dafür zuvor hingelegt hatte. Zum Schluß machte es noch nicht geringe Schwierigkeit, das Pferd hinüberzubringen, und da die Fähre dafür zu klein war, mußte man es abpacken und über den Fluß schwimmen lassen. Vom anderen Ufer aus marschierten sie gegen den Wald zu, aber als sie nach Walthamstow kamen, verwehrte ihnen die Bevölkerung den Zutritt, wie es jetzt überall geschah. Die Konstabler und Wächter hielten sich in einiger Entfernung und unterhandelten mit ihnen. Sie wiederholten, was sie schon das vorige Mal gesagt hatten, aber hier fanden sie keinen Glauben, da schon 2 oder 3 Gesellschaften unter denselben Vorwänden sich durch mehrere Orte durchgeschmuggelt und eine ganze Anzahl von deren Bevölkerung angesteckt hatten. Darauf war man, wenn auch gerechtermaßen, so unbarmherzig gegen sie vorgegangen, daß einige von ihnen auf freiem Felde zugrunde gegangen waren, ob an der Pest oder aus Mangel an Lebensmitteln, ließ sich nicht sagen. Daher waren die Leute in Walthamstow sehr argwöhnisch geworden und hatten den Entschluß gefaßt, niemand mehr aufzunehmen, von dessen Gesundheitszustand sie nicht überzeugt wären. Der Zimmermann und einer von der anderen Gesellschaft meinten, das alles wäre kein Grund, die offene Straße zu versperren und die Leute nicht durch die Stadt zu lassen. Sie wollten ja gar nichts von ihnen als die Freiheit, durch die Stadt zu ziehen. Hätten die Einwohner Angst, so könnten sie ja in ihre Häuser gehen und die Türen abschließen. Die Konstabler aber und wer sonst noch herumstand waren jedem vernünftigen Grunde unzugänglich und versteiften sich auf das, was sie schon gesagt hatten. So kehrten die beiden Unterhändler zu ihren Kameraden zurück, um mit ihnen zu beraten, was zu tun wäre. Darüber konnten sie sich nicht einig werden, bis der Bäcker und frühere Soldat sagte, sie sollten alles ihm überlassen. Er wies darauf den Zimmermann an, aus Baumzweigen etwas Flintenähnliches zu schnitzen, und nachdem sie auf diese Weise 5 oder 6 Musketen verfertigt hatten, die aus der Entfernung ganz gut für solche gehalten werden konnten, nahm er ein paar Leute mit sich und schlug das Zelt mitten auf der Straße auf, der Barrikade gerade gegenüber, die von den Stadtbewohnern errichtet worden war. Dann stellte er vor das Zelt eine Wache mit der einzig wirklichen Flinte in ihrem Besitz, der mit geschultertem Gewehr auf und ab gehen mußte, daß jeder ihn sehen konnte. Das Pferd wurde an eine Hecke neben dem Zelt gebunden und ein Feuer auf dessen anderer Seite angezündet, so daß man von der Stadt aus das Feuer und den Rauch sehen konnte, aber nicht, was die Leute dabei taten. Die Städter beobachteten sie eine gute Weile und mußten bei all diesen Zurichtungen glauben, daß sie es mit einer ganzen großen Bande zu tun hätten. Daher machten sie sich mehr Sorge, daß sie bleiben als daß sie weggehen würden. Von dem einen Pferd und der einen Muskete schlossen sie auf viele, und als sie noch Leute mit geschulterten Gewehren auf dem Felde hin- und hergehen sahen, gerieten sie in einen mächtigen Schrecken, liefen zum Friedensrichter und fragten ihn, was man tun solle. Was ihnen jener antwortete, weiß ich nicht, aber jedenfalls kamen sie gegen Abend auf die Barrikade und riefen die Schildwache vor dem Zelt an. Das Ergebnis der langen Unterhandlungen war endlich, daß die Flüchtlinge versprachen, einen Fußweg hinten um die Stadt herum über die Felder zu nehmen, und die Städter sich dagegen verpflichteten, sie mit reichlichen Lebensmitteln zu versorgen, unter der Bedingung, daß jene auch nicht einen Schritt gegen die Stadt von der Stelle aus hin machten, wo die Lebensmittel niedergelegt würden. Damit war alles einverstanden, und demgemäß wurden an den vereinbarten Platz 20 große Brotlaibe und ebensogroße Fleischstücke gebracht, auch einige Gatter auf dem Nebenwege geöffnet, aber niemand hatte den Mut, den Flüchtlingen zuzusehen, und da die Nacht schon hereingebrochen war, hätte man auch nicht gewahren können, wie wenige Leute sie waren. So zog der Soldat die ganze Gesellschaft aus der Schlinge, brachte aber dafür die ganze Grafschaft in Aufruhr. Wären sie wirklich 200 oder 300 gewesen, wie es hieß, so hätte man die Bevölkerung gegen sie aufgeboten und sie ins Gefängnis geworfen oder auch totgeschlagen. Das merkten sie bald, denn zwei Tage später trafen sie auf mehrere Haufen Reiter und Fußvolk, die »drei Kompanien mit Musketen bewaffneter Leute« verfolgen sollten, die von London kamen und mit der Pest verseucht waren, und nicht nur diese verbreiteten, sondern auch überall plünderten. Nun erkannten sie die Folgen ihrer Handlungsweise und die Gefahr, in der sie sich befanden. Sie beschlossen daher, auf den Rat des früheren Soldaten, sich wieder zu trennen. Die drei wandten sich gegen Waltham, die andern in zwei Teilen nach dem Walde von Epping zu. Die erste Nacht brachten sie alle im Walde zu, nicht weit voneinander, vermieden es aber, das Zelt aufzuschlagen aus Angst, daß sie dadurch verraten werden könnten. Dagegen machte sich der Zimmermann mit Axt und Beil an die Arbeit und schlug so viele Baumzweige herab, daß sie daraus drei hüttenartige Unterschlupfe machen konnten, in denen sich ganz gut übernachten ließ. Lebensmittel hatten sie auch genug, und die Sorge für den nächsten Tag überließen sie der Vorsehung. Die Ratschläge des alten Soldaten hatten ihnen so gut gefallen, daß sie ihn nun freiwillig zu ihrem Führer erwählten. Er zeigte auch gleich, daß sie damit das Richtige getroffen hatten. Er meinte nämlich, daß sie nun weit genug von London wären, und daß sie die gleiche Sorge tragen müßten, nicht angesteckt zu werden, als niemanden anzustecken. Gewaltsam wollten sie nicht vorgehen, und daher müßten sie sich den getroffenen Maßregeln anbequemen. Damit waren sie alle einverstanden und setzten am nächsten Tage ihren Marsch gegen Epping zu fort. Auch der Kapitän, wie er jetzt genannt wurde, und seine beiden Gefährten hatten sich wieder an die anderen angeschlossen. Als sie in die Nähe von Epping kamen, machten sie halt und suchten sich einen Platz im offenen Walde, nicht zu nah, aber auch nicht zu weit von der Straße in einem kleinen Gebüsch. Hier schlugen sie ihr Lager auf, das aus drei großen runden Hütten bestand, die der Zimmermann mit Hilfe der andern aus Zweigen aufbaute, die er an den Enden zusammenband. Die Seitenwände wurden mit Blättern und Moos verstopft, so daß sie vollständig dicht und warm hielten. Außerdem hatten sie das kleine Zelt, das den Frauen überlassen wurde, und eine kleine Hütte für das Pferd. Am nächsten Tage war zufällig Markttag in Epping, wohin der Kapitän mit einem Begleiter sich aufmachte, um einige nötige Lebensmittel einzukaufen, nämlich Brot und etwas Fleisch. Zwei der Frauen gingen für sich, als ob sie gar nicht zu der Gesellschaft gehörten, und kauften noch mehr. Mittlerweile verfertigte der Zimmermann einen Tisch und einige Bänke und Stühle, so gut es eben gehen wollte. Zwei oder drei Tage lang wurde ihre Anwesenheit nicht bemerkt, dann aber zogen die Leute haufenweise aus der Stadt, um sie anzusehen, und die ganze Gegend geriet ihretwegen in Aufregung. Anfangs hatte man Angst, ihnen nahezukommen, und die Flüchtlinge selbst waren froh, wenn dies nicht geschah, denn das Gerücht ging, daß die Pest auch in Waltham ausgebrochen sei und bereits auf Epping übergegriffen habe. Daher bat sie der Kapitän, nicht in ihre Nähe zu kommen, da sie alle völlig gesund wären und weder von ihnen angesteckt werden noch auch hören möchten, daß sie die Seuche zu ihnen gebracht hätten. Darauf erschienen die Kirchspielbeamten und fragten aus der Entfernung, wer sie wären und mit welchem Recht sie sich hier aufhielten. Der Kapitän antwortete ganz aufrichtig, sie wären arme Flüchtlinge aus London, die dem kommenden Elend sich hatten entziehen wollen, um ihr Leben zu retten und die weder Freunde noch Verwandte besäßen, wohin sie sich hätten flüchten können. Zuerst wären sie nach Islington gezogen, da aber die Seuche auch dahin gekommen sei, wären sie weitergewandert. Und weil sie voraussetzten, daß die Inwohner von Epping ihnen doch verwehrt hätten, in die Nähe der Stadt zu kommen, hätten sie nun ihr Lager unter dem freien Himmel aufgeschlagen und nähmen freiwillig all die Beschwerlichkeiten eines solchen Aufenthaltes auf sich, lieber, als daß irgend jemand ihnen vorwerfen könnte, er wäre durch sie zu Schaden gekommen. Zuerst wollten die Leute von Epping nichts davon hören, daß sie dablieben und befahlen ihnen, weiterzuwandern. Dies wäre kein Platz für sie, und wenn sie auch behaupteten, gesund zu sein, so möchten sie doch, ohne es zu wissen, schon angesteckt sein und die ganze Gegend anstecken, und deshalb könne man sie hier nicht dulden. Der Kapitän verhandelte mit ihnen in aller Geduld weiter und hielt ihnen vor, daß sie alle von London, wohin sie ihre Landesprodukte verkauften, lebten und ihre Höfe erhielten, und daß es nicht recht wäre, so unbarmherzig gegen Londoner zu sein, durch die sie so viel verdienten. Später würden sie sich nur mit Reue daran erinnern, wenn es sich herumspräche, wie ungastlich, unfreundlich und barbarisch sie sich gegen Bewohner von London verhalten hätten, die vor dem schrecklichsten Feinde des Menschengeschlechtes geflüchtet wären. Von nun an wäre jeder Eppinger in London verfehmt, und der Pöbel würde ihnen Steine in den Straßen nachwerfen, wenn sie wieder zu Markt kämen. Die Eppinger erwiderten darauf, in Walthamstow wäre eine ganze Bande erschienen, die auch behaupteten, sie wären alle gesund, und hätten gedroht, die Stadt zu plündern und mit Gewalt ihren Weg fortzusetzen. Fast 200 wären sie gewesen, mit Waffen und Zelten wie eine richtige Armee. Durch die Drohung, sonst sich alles selbst zu nehmen, hätten sie Lebensmittel von der Stadt erpreßt, und die ganze Umgegend wäre von ihnen verseucht worden. Wahrscheinlich gehörten auch sie zu dieser Bande und verdienten, ins Gefängnis geworfen zu werden, bis sie Schadenersatz geleistet hätten für alles, was sie angerichtet und für die Angst und den Schrecken, in die sie die ganze Gegend gestürzt hätten. So wurde noch lange hin- und hergeredet, bis endlich der Kapitän sagte, sie würden nichts mit Gewalt nehmen, selbst wenn die Eppinger ihre Herzen gänzlich jedem Mitleid verschlössen, und wenn dann das Wenige, das sie hätten, verbraucht wäre, so müßten sie eben nach dem Willen Gottes zugrunde gehen. Seine vernünftige und ruhige Art zu reden hatte eine solche Wirkung auf die Eppinger, daß sie fortgingen. Und obwohl sie wohl mit ihrem Bleiben nicht einverstanden waren, taten sie doch auch nichts, sie zu vertreiben, so daß die armen Teufel die nächsten drei oder vier Tage Ruhe hatten. Mittlerweile hatten sie sich mit einem Lebensmittelladen am Rande der Stadt in Verbindung gesetzt, der ihnen die nötigsten Bedürfnisse in der üblichen Weise lieferte, indem die Lebensmittel in einiger Entfernung auf die Erde gelegt wurden. Das junge Volk kam inzwischen oft bis ganz nahe ans Lager, stand da herum, schaute sich alles an und unterhielt sich mit ihnen, wobei aber immer noch ein Zwischenraum aufrechterhalten wurde. Daß man hörte, wie sie am ersten Sonntag beteten und ihre Sonntagsfeier mit Psalmensingen begingen, machte einen guten Eindruck, so daß allmählich die Stimmung der Leute umschlug, und man sie mit Mitleid zu betrachten begann. Die Folge davon war, daß nach einer schweren Regennacht ein gewisser Landedelmann, der in der Nachbarschaft lebte, ihnen einen Karren mit zwölf Bündeln Stroh schickte, um darauf zu liegen und die Dächer ihrer Hütten damit zu decken. Der Kirchspielgeistliche sandte ihnen auch, ohne von dem ersteren Geber zu wissen, zwei Scheffel Weizen und einen halben Scheffel weiße Erbsen. Nachdem diese beiden so begonnen und ein Beispiel der Nächstenliebe gegeben hatten, schlossen sich bald andere an, und es verging kaum ein Tag, der ihnen nicht irgendeine Gabe brachte. Einige schickten Sessel, Tische und solche Haushaltungsgegenstände, die sie nötig hatten, andere Leintücher und Bettdecken, die dritten Ton- und Küchengeschirr. Dadurch ermutigt, baute ihnen der Zimmermann in wenigen Tagen einen großen Schuppen oder ein Haus mit Dachsparren, einem richtigen Dach und einem oberen Stockwerk, wo sie trocken hausen konnten, denn das Wetter begann jetzt, anfangs September, allmählich feucht und kalt zu werden. Auf der einen Seite errichtete er noch eine Erdmauer mit einem Kamin darin, und ein anderes Mitglied der Gesellschaft fabrizierte dazu mit unsäglicher Mühe und Arbeit einen Rauchfang, um den Rauch hinauszulassen. Hier lebten sie also soweit ganz gut, bis anfangs September die schlimme Neuigkeit kam, daß die Seuche, die sich schon über die ganze Umgegend verbreitet hatte, nun auch Epping, Woodford und alle sonst um den Wald gelegenen Städte ergriffen habe. Daran sollten hauptsächlich die Hausierer schuld sein, die von und nach London her- und hinzogen. Wenn das wirklich der Fall war, so ist es ein klarer Gegenbeweis gegen die Behauptung, die man später in ganz England hörte, daß nämlich die Marktleute niemals angesteckt wurden oder die Seuche aufs Land hinaustrugen, was ich aus eigenem Wissen auch nicht bestätigen kann. Die Flüchtlinge aber gerieten nun in große Aufregung, da die umliegenden Städte tatsächlich verseucht waren; sie trauten sich nicht mehr, sich um Lebensmittel umzutun und kamen dadurch in eine sehr üble Lage. Denn nun hatten sie nichts mehr, als was die Güte der Landherren in der Umgegend ihnen zukommen ließ. Ein Glück war, daß einer, von dem sie bisher nichts erhalten hatten, nun anfing, ihnen Lebensmittel zu schicken und gleich mit einem ansehnlichen Schwein den Beginn machte. Von einem andern bekamen sie zwei Schafe und von einem Dritten ein Kalb, kurz, an Fleisch fehlte es ihnen nicht, und zuweilen kam dazu auch noch Milch und Käse. Nur mit dem Brot sah es schlecht aus, da sie nur Weizen besaßen, aber endlich verfertigte der Bäcker eine Art Ofen und brachte damit ganz genießbare Brotkuchen zustande. So gelang es ihnen, ohne weitere Hilfe von den Städten auszukommen, und das war gut so, denn bald war die ganze Gegend verseucht, und in den umliegenden Dörfern starben nicht weniger als 120 Leute an der Pest. Auf dies hin beratschlagten sie aufs neue, und jetzt hatten die Städte keinen Grund mehr, sich vor ihnen zu fürchten, im Gegenteil zogen einige Familien der ärmeren Bevölkerung zu ihnen in den Wald und bauten sich dort nach ihrem Vorbild Hütten. Aber schon war es zu spät für sie, und die Ansteckung folgte ihnen auch dahin. Das war ein schwerer Schlag für die Gesellschaft, als sie davon Kenntnis erhielt. Denn nun hieß es wieder weiterwandern, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollten, ihr Leben zu verlieren. Es ist kein Wunder, daß sie den Ort nur mit schwerem Herzen verließen, wo sie so viele Barmherzigkeit und Menschlichkeit erfahren hatten, aber sie sahen ein, daß ihnen keine Wahl bliebe. So beschlossen sie, sich erst an jenen Gutsbesitzer zu wenden, der sich zuerst ihrer angenommen hatte, und ihn um Rat und Hilfe zu bitten. Der gute Mann redete ihnen zu, den Platz zu verlassen, um nicht von jeder weiteren Zuflucht abgeschnitten zu werden, wohin sie aber gehen sollten, wußte er ihnen auch nicht zu sagen. Schließlich bat ihn der Kapitän, ihnen als Friedensrichter Gesundheitszeugnisse auszustellen, die sie überall seinen Amtsgenossen vorzeigen könnten, damit man sie nicht wieder zurückwiese, obschon sie nun schon so lange von London fort wären. Dies geschah auch; sie erhielten die Atteste und hatten nun die Freiheit zu gehen, wohin es ihnen beliebte. Mit diesen Zeugnissen versehen machten sie sich also auf den Weg und wanderten gegen die Sümpfe auf der Seite von Waltham zu. Hier trafen sie auf einen Mann, der eine Art Wehr im Flusse errichtet hatte, um das Wasser für die aufwärtsgehenden Schiffe aufzustauen, und der ihnen erzählte, daß alle am Flusse liegenden Orte in ganz Middlesex und Hertfordshire, auch alle Plätze an der Hauptstraße verseucht wären. Dadurch ließen sie sich abschrecken, ihren Weg fortzusetzen, obwohl ihnen der Mann wahrscheinlich nur etwas vormachte, denn in Wirklichkeit lagen die Dinge lange nicht so schlimm. Sie beschlossen nun, durch den Wald gegen Rumford und Brentwood zu ziehen, hörten aber, daß der ganze Wald schon voll von Flüchtlingen aus London wäre, die ohne Obdach und Lebensmittel, ein jämmerliches Dasein führten und von denen es hieß, daß sie durch Gewalttaten aller Art ihr Los zu erleichtern suchten. Einige von ihnen hatten neben der Straße Hütten errichtet und bettelten in der frechsten und unverschämtesten Weise, so daß die ganze Gegend in Aufregung geraten war und manche festgenommen werden mußten. Mit der Mildtätigkeit und Freundlichkeit, die unsere Freunde früher erfahren hatten, war’s nun wohl zu Ende, das sahen sie ein, im Gegenteil waren sie in Gefahr, von den andern Flüchtlingen Böses gewärtigen zu müssen. In dieser Lage schickten sie den Kapitän zu dem guten Herrn zurück, ihrem Wohltäter, um ihn in ihrer aller Namen noch einmal um Rat zu bitten. Den gab er denn auch und meinte, sie sollten ihr altes Quartier wieder beziehen oder, wenn sie das nicht wollten, weil die Jahreszeit schon zu weit fortgeschritten wäre, sich näher an der Straße ansiedeln. Dort fanden sie ein altes, halbverlassenes Haus, das kaum noch bewohnbar war und ihnen deshalb gern von dem Bauern, dem es gehörte, überlassen wurde. Nun gab es für den Zimmermann und seine Helfer genügend Arbeit, aber in wenigen Tagen hatten sie das Haus ganz wohnlich hergerichtet, und da sie dort einen Kamin und einen Ofen fanden, waren sie auch gegen die kommende Kälte gesichert. Was sie sonst noch brauchten, nämlich hauptsächlich Bretter, um Fensterladen, Fußböden und Türen zu machen, erhielten sie von den Leuten, bei denen sie nun schon einmal bekannt waren, und wo ihnen jeder gern aushalf. Hier richteten sie sich nun für die Dauer ein, entschlossen, dazubleiben. Denn sie sahen wohl, wie aufgebracht die Provinz gegen alle war, die aus London stammten, und daß sie ohne die größten Schwierigkeiten nirgends durchkommen würden oder auf einen freundlichen Empfang rechnen könnten. Aber trotzdem ihnen von allen Seiten Hilfe zuteil wurde, hatten sie doch genug Beschwerden zu erdulden, denn nun, im Oktober und November, setzte die Kälte ein, so daß viele von ihnen erkrankten, freilich nicht an der Pest. Im Dezember kehrten sie dann wieder nach London in ihre Heimat zurück. Ich habe diese Geschichte so ausführlich erzählt, um zu zeigen, woher plötzlich die Masse Menschen kam, die in London erschienen, sobald die Seuche nachgelassen hatte. Die bessern Klassen hatten bei ihren Freunden auf dem Lande ein Unterkommen gefunden, und jene, die keine Freunde draußen hatten, waren nach allen Richtungen geflohen, ob sie nun Geld hatten oder nicht. Die ersteren kamen am weitesten, da sie sich selbst erhalten konnten, die andern aber mußten die ärgsten Entbehrungen erdulden und konnten sich oft nur durch Stehlen durchbringen. Dadurch wurde man wieder gegen sie aufgebracht und steckte sie ein, obwohl man nicht recht wußte, was man mit ihnen anfangen sollte und sie nicht gut bestrafen konnte. Oft genug aber schob man sie von Ort zu Ort ab, bis sie wieder in London waren. Ich habe seitdem überall nachgefragt und erfahren, daß es eine Menge von diesen armen, unglücklichen Leuten gab, die irgendwohin aufs Land hinaus geflohen waren und nun in Hütten und Heuschobern ihr Leben fristeten, wo man sie zuweilen auch unterstützte, wenn sie überzeugend dartun konnten, daß sie nicht zu spät London verlassen hätten. Die meisten aber wohnten in selbstgebauten Hütten auf freiem Feld oder in den Wäldern oder wie Einsiedler in Löchern und Höhlen, oder wo sie sonst bleiben mochten, wo es ihnen so schlecht ging, daß sie auf jede Gefahr hin wieder lieber nach der Stadt zurückkehrten. Die Hütten blieben dann verlassen, und das Landvolk glaubte, daß die Bewohner tot drin lägen, und traute sich noch lange nicht, in die Nähe zu kommen. Und wirklich ist es auch durchaus nicht unwahrscheinlich, daß eine Anzahl dieser unseligen Flüchtlinge allein und verlassen und ohne jede Hilfe zugrunde ging. -- Von einem traurigen Fall hörte ich, einem Bürger, der durch die Seuche seine Frau und alle Kinder verloren hatte. Nur er, zwei Dienstboten und eine alte Frau waren am Leben geblieben, eine Verwandte, die ihre Angehörigen bis zum Tode gepflegt hatte. Der Mann begab sich in ein nahes noch unverseuchtes Dorf, fand dort ein leeres Haus und mietete es von dem Besitzer. Nach einigen Tagen verschaffte er sich einen Karren, belud ihn mit dem Nötigsten und fuhr damit hinaus. Die Dorfbewohner wollten ihn zwar nicht durchlassen, aber teils durch Zureden, teils durch Gewalt, gelang es den Leuten, die den Karren schoben, doch bis zur Türe des Hauses zu kommen. Aber dort leistete der Konstabler ihnen neuen Widerstand und ließ sie nicht ins Haus. Der Mann ließ die Sachen vor der Tür abladen und schickte den Karren weg, worauf man ihn vor den Friedensrichter führte. Dieser befahl ihm, die Sachen auf dem Karren wieder zurückbringen zu lassen, was der Mann verweigerte. Darauf schickte der Friedensrichter den Karrenführern den Konstabler nach und beauftragte ihn, sie vorzuführen und sie zu zwingen, die Sachen wieder aufzuladen und fortzubringen, widrigenfalls sie in den Stock gelegt würden. Sollte er die Leute nicht finden und der Mann sich nicht bereit finden lassen, die Sachen zu entfernen, so sollten sie mit Hacken auf die Straße gezogen und dort verbrannt werden. Auf das hin ließ der arme Teufel die Sachen wieder holen, aber nicht, ohne sich über die ihm widerfahrene Härte und Grausamkeit aufs bitterste zu beklagen. Aber es half nun einmal nichts, der Selbsterhaltungstrieb zwang die Leute zu solchen Maßregeln, von denen sie unter andern Umständen nichts hätten wissen wollen. Was aus dem Manne wurde, kann ich nicht sagen, aber es hieß, er wäre schon damals angesteckt gewesen, wenn das auch vielleicht nur die Leute sagten, um ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Ein Haus in Whitechapel wurde eines angesteckten Dienstmädchens wegen abgesperrt, das nur Flecken, nicht die eigentlichen Merkmale der Seuche hatte und später auch wieder gesund wurde. Die Hausleute durften also 40 Tage lang auch keinen Schritt an die Luft gehen. Angst, Ärger, Wut, Mangel an frischer Luft und was sonst noch mit einer solch schlimmen Behandlung zusammenhing, zogen der Hausfrau ein Fieber zu. Darauf erschienen die Visitatoren und sagten, sie hätte die Pest, obwohl die Ärzte erklärten, daß das nicht der Fall wäre. So wurde die Familie gezwungen, die Absperrungszeit von neuem durchzumachen, obwohl an der ersten nur noch ein paar Tage fehlten. Der Kummer und die Empörung darüber warfen sie nun alle aufs Krankenlager, die einen erkrankten an Skorbut, andere an ähnlichen Übeln, bis schließlich, nachdem die Absperrung noch mehrmals verlängert worden war, einige Besucher, die mit den Visitatoren kamen in der Hoffnung, die Ärmsten endlich in Freiheit zu setzen, wirklich die Seuche ins Haus schleppten, an der fast alle starben. Also nicht an der Pest, die sie gehabt hatten, sondern die jene ihnen zugebracht hatten, die sie davor hätten schützen sollen. Dergleichen passierte häufig genug und war eine der schlimmsten Folgen der Häuserabsperrung. Um diese Zeit mußte ich eine kleine Mühe auf mich nehmen, die mich zuerst in große Bestürzung versetzte und sehr unbehaglich machte, obwohl sich später herausstellte, daß es damit nicht so schlimm war. Der Ratsherr unseres Distriktes nämlich ernannte mich zu einem der Untersuchungsbeamten in dem Bezirk, wo ich wohnte. In unserm Kirchspiel gab es deren nicht weniger als 18. Wir hatten den Titel Untersuchungsbeamte, das Volk aber nannte uns Visitatoren. Ich versuchte alles mögliche, um mich von einem solchen Amte loszumachen und brachte gegen den Stellvertreter des Ratsherrn einen Haufen Gründe vor, die mich verhinderten. Besonders führte ich an, daß ich gegen die Absperrung der Häuser sei, und daß es unrecht wäre, mich zur Durchführung einer Maßregel zu zwingen, die gegen meine Überzeugung wäre, und wie ich glaube, auch keinen wirklichen Nutzen brächte. Das einzige aber, was ich erreichen konnte, war, daß ich anstatt der üblichen zwei Monate nur auf drei Wochen verpflichtet wurde, vorausgesetzt, daß ich dann einen geeigneten Stellvertreter namhaft machen könne. Das war freilich nur ein schwacher Trost, denn es war äußerst schwierig, jemanden zu finden, der ein solches Amt auf sich nehmen wollte. Einen Erfolg hatte tatsächlich die Absperrung der Häuser, den ich durchaus nicht verkleinern will. Den Erkrankten wurde es dadurch unmöglich gemacht, in den Straßen herumzulaufen, wie es am Anfang so oft geschah, ehe man sie einschloß. Damals kam es sogar vor, daß sie an die Haustüren kamen, erklärten, sie hätten die Pest und um alte Lumpen baten, um ihre Geschwüre zu verbinden. Die Frau eines wohlhabenden Bürgers wurde, wenn die Geschichte wahr ist, von einem solchen Geschöpf in der Aldersgate-Straße oder da herum umgebracht. Der Mann, ganz von Sinnen, wanderte singend durch die Straßen. Die Leute meinten, er wäre nur betrunken, aber er selbst sagte, er hätte die Pest, was auch wohl wahr war. Als er der Frau begegnete, wollte er sie küssen. Entsetzt darüber, denn er war ein roher Patron, rannte sie davon, da aber nur wenig Leute auf der Straße waren, konnte ihr niemand zu Hilfe kommen. Als sie sah, daß sie ihm nicht entfliehen könne, wandte sie sich um und gab ihm mit aller Kraft einen solchen Stoß, daß er, schwach wie er war, auf die Erde fiel. Aber unglücklicherweise hielt er sich an ihr und zog sie auch zu Boden, worauf er sie packte und küßte. Das Scheußlichste war, daß er ihr dann sagte, er habe die Pest, und warum solle sie sie nicht ebensogut kriegen? Sie war schon zuvor außer sich, besonders da sie seit einigen Monaten schwanger war, als sie ihn nun aber sagen hörte, daß er die Pest habe, schrie sie auf und fiel in Ohnmacht oder vielmehr bekam einen Anfall, von dem sie sich zwar wieder erholte, aber doch wenige Tage darauf starb, ob an der Pest oder nicht, habe ich nicht erfahren können. Ein anderer erkrankter Mann erschien an der Tür eines Bürgers und klopfte. Da er dort gut bekannt war, ließ ihn das Dienstmädchen ein, und als man ihm sagte, der Hausherr wäre oben, lief er hinauf und trat in das Zimmer, wo eben die ganze Familie beim Abendessen war. Sie erhoben sich ein wenig erstaunt, da sie nicht wußten, um was es sich handelte. Der Mann aber bat sie, ruhig sitzenzubleiben, er käme nur, um Abschied zu nehmen. »Wieso?« fragte man ihn, »wohin geht Ihr denn?« -- »Wohin --« antwortete er, »ich habe die Pest und werde bis morgen abend tot sein.« Es dürfte schwer sein, sich die Bestürzung der ganzen Familie auszumalen. Die Frauen und die Töchter, die noch kleine Mädchen waren, hatten vor Schrecken beinahe den Tod. Sie standen auf und rannten hinaus, die eine zu der Tür, die andere zur andern, die Treppe hinauf und hinab, und als sie endlich alle beisammen waren, schlossen sie sich im Zimmer ein und schrien aus dem Fenster wie die Wahnsinnigen um Hilfe. Der Hausherr, der trotz alles Schreckens und aller Empörung ruhiger geblieben war, wollte den Eindringling zuerst packen und die Treppe hinunterwerfen. Dann aber überlegte er den Zustand des Mannes und die Gefahr ihn zu berühren, und vor Entsetzen erstarrte er, ohne eine Bewegung machen zu können. Der arme Kranke, dem die Ansteckung wohl schon bis ins Gehirn gedrungen war, stand mittlerweile ganz still. Endlich wandte er sich um. »So, so,« sagte er mit der größten Ruhe, »ist es so mit euch allen! Hab’ ich euch wirklich gestört? Dann will ich nach Hause gehen und dort sterben.« Mit diesen Worten ging er zur Tür und die Treppe hinunter. Das Dienstmädchen, das ihn hereingelassen hatte, folgte ihm mit einem Licht, hatte aber Angst, an ihm vorbeizugehen und die Türe zu öffnen, so blieb sie auf der Treppe stehen, um zu sehen, was er tun würde. Der Mann machte die Tür auf, ging hinaus und warf sie hinter sich zu. Es dauerte einige Zeit, bis die Familie über den Schrecken wegkam, da aber schlimme Folgen ausblieben, haben sie seitdem die Geschichte oft mit großer Genugtuung erzählt. Der Mann war jedoch schon einige Tage fort, ehe sie sich wieder im Hause richtig zu bewegen trauten, und auch dann erst, als sie einen Haufen Räucherwerk in allen Zimmern verbrannt und einen dicken Rauch mit Pech, Schwefel und Schießpulver gemacht hatten. Auch trugen sie Sorge, die Kleider zu wechseln und zu waschen. Was aber den armen Mann anbelangt, so kann ich mich nicht erinnern, ob er auch wirklich gestorben ist. Hätte man die Häuser nicht abgesperrt und die Kranken eingeschlossen, so wären sicher Haufen von ihnen in ihren Fieberdelirien beständig auf den Straßen hin und her gelaufen. Es taten’s ja so eine ganze Menge, die gegen die ihnen Begegnenden alle möglichen Gewalttätigkeiten verübten, wie ja auch die tollen Hunde jeden beißen, der ihnen in den Weg kommt. Ich bin auch überzeugt, daß jeder, der von solch einem verseuchten Geschöpfe gebissen worden wäre, sicher eine unheilbare Ansteckung davongetragen haben würde. Ich hörte von einem Kranken, der von der Qual der Geschwülste, von denen er drei hatte, aus dem Bett getrieben wurde, die Schuhe anzog und nach seinem Rock griff, aber von der Pflegerin daran gehindert wurde. Sie riß ihm den Rock weg, er aber warf sie zu Boden, rannte die Treppe hinunter und im Hemd gerade auf die Straße, die zum Flusse führt. Die Pflegerin hinter ihm her, rief dem Wächter zu, ihn aufzuhalten, aber der hatte Angst ihn anzurühren und ließ ihn weiterlaufen. Er rannte bis zu den Stillyard-Stufen, zog sein Hemd aus und sprang ins Wasser. Und da er ein guter Schwimmer war, schwamm er bis ans andere Ufer, als gerade die Flut einsetzte und ihn bis zu den Stufen bei Falcon hinabtrug, wo er aus dem Wasser stieg. Wie er nun jetzt, zur Nachtzeit, niemand sah, rannte er splitternackt eine Zeitlang in den Straßen umher, sprang dann wieder ins Wasser und kam mit der Flut an denselben Platz zurück, von wo er weggeschwommen war. Dann lief er nach Hause, klopfte an die Tür, stieg die Treppe hinauf und legte sich wieder ins Bett. Durch dieses merkwürdige Mittel genas er von der Pest, d. h. die heftige Bewegung von Armen und Beinen brachte die Geschwülste in den Schulterhöhlen und der Leistengegend zum Reifen und Aufbrechen, und das kalte Wasser schlug das Fieber nieder. Aber ungeachtet all solcher Vorfälle war man doch gegen die Absperrung der Häuser recht aufgebracht. Es ging einem durch Mark und Bein, das Geschrei der Kranken zu hören, die von der Hitze im Blut oder der Heftigkeit ihrer Schmerzen von Sinnen gebracht, eingeschlossen oder an die Stühle oder die Betten gebunden waren, um zu verhüten, daß sie sich selbst beschädigten. Sie beklagten sich immer wieder aufs jämmerlichste, daß man sie einsperrte und nicht im Freien sterben ließ, wie sie es haben wollten. Das Umhergelaufe der Erkrankten auf den Straßen war wirklich grausig, und die Behörden taten alles, um es zu verhindern, da es aber gewöhnlich bei Nacht geschah und sich um plötzliche Ausbrüche handelte, war meistens niemand da, der es hätte verhindern können. Und selbst bei Tage hatten die damit Beauftragten keine große Lust, sich einzumischen. Denn nur auf der Höhe der Ansteckung traten diese Anfälle ein, und demgemäß waren auch die Kranken besonders gefährlich, und es war das größte Wagnis der Welt, sie zu berühren. Ließ man sie aber in Ruhe, so rannten sie meistens so lange weiter, bis sie plötzlich tot umfielen oder völlig erschöpft zu Boden stürzten und dann nach einer halben Stunde oder einer Stunde starben. Das Kläglichste aber war, daß sie in dieser halben Stunde oder Stunde wieder zu sich kamen und dann die herzbrechendsten Klagen und Schreie ausstießen über ihre bejammerungswürdige Lage. Ehe die Absperrung der Häuser streng durchgeführt wurde, waren solche Anblicke nichts Seltenes, denn anfangs nahmen es die Wächter mit ihrer Pflicht nicht so ernst und genau wie später. Erst, als einige aufs strengste für ihre Nachlässigkeit und Pflichtvergessenheit bestraft wurden, weil sie die Leute unter ihrer Aufsicht ob krank oder ob gesund hatten entschlüpfen oder mit ihrem Einverständnis sich flüchten lassen, wurde es anders. Sie merkten nun, daß die Oberen, die ihre Führung zu prüfen und untersuchen hatten, entschlossen waren, sie zur Ausübung ihrer Pflicht zu zwingen oder zur Rechenschaft zu ziehen. Von da an wurden die Leute strenge bewacht, was sie aber aufs übelste aufnahmen und mit solchem Unwillen ertrugen, daß es kaum zu beschreiben ist. Aber die Notwendigkeit dazu war nun einmal da, das kann nicht geleugnet werden, außer man hätte zur rechten Zeit andere Maßregeln ergriffen, für die es nun zu spät war. Hätte man die Erkrankten nicht abgeschlossen, so würde damals London der schrecklichste Ort auf der ganzen Welt gewesen sein. Ich glaube, daß dann ebensoviel Leute auf der Straße gestorben wären als in ihren Wohnungen. Denn während die Krankheit auf ihrem Höhepunkte war, wurden sie rasend und wie wahnsinnig, und man konnte sie nicht dazu bringen, im Bett zu bleiben, außer durch Gewalt. Viele, die nicht angebunden waren, sprangen zum Fenster hinaus, als sie sahen, daß man sie zur Tür nicht hinauslassen würde. Es kam von dem Aufhören allen Verkehres während dieser Unglückszeit, daß man nur wenig von Einzelheiten erfuhr, die in verschiedenen Familien vorkamen. Ich glaube, bis auf diesen Tag weiß man nicht, wie viele Leute während ihrer Delirien sich in der Themse ertränkten und in dem Flusse, der bei Hackney vorbeifließt und als Warefluß oder Hackneyfluß bekannt ist. Was in den Sterberegistern davon angeführt wurde, war nur unbedeutend; denn wie hätte man auch wissen können, wer durch irgendein Unglück ertrunken war und wer nicht. Ich habe mir ausgerechnet, daß in diesem Jahre mehr Leute ertranken als überhaupt in den Sterbelisten aufgeführt sind, denn manche Leichen wurden niemals aufgefunden von Leuten, die man vermißte. Und so war es auch mit den andern Arten von Selbstmord. Ein Mann in der Nähe der Whitecroß-Straße verbrannte sich in seinem Bett. Einige sagen, er habe es selbst getan, andere, daß es durch die Verworfenheit seiner Pflegerin geschah, nur darin stimmen alle überein, daß er die Pest hatte. Ich wurde wieder von meinem gefährlichen Amte entbunden, sobald ich mir für einiges Geld einen Stellvertreter verschafft hatte. So war ich statt der üblichen zwei Monate nicht länger als drei Wochen im Amte, lang genug, wenn man bedenkt, daß es im August war, als die Seuche mit voller Heftigkeit in unserm Stadtteil ausbrach. Während ich meinen Amtsgeschäften nachging, konnte ich mich nicht zurückhalten, meinen Freunden offen meine Meinung zu sagen in Hinsicht auf die Absperrung der Häuser. Unser Haupteinwand war, daß sie letzten Endes erfolglos war. Denn die Kranken liefen doch auf der Straße umher. Es war unser aller Ansicht, daß eine Maßregel, die in einem verseuchten Hause die Kranken von den Gesunden getrennt hätte, in mehreren Hinsichten viel vernünftiger gewesen wäre. Man hätte dann bei den Kranken nur solche Personen gelassen, die ausdrücklich darum baten und sich bereit erklärten, mit den Kranken abgesperrt zu werden. Unser Vorschlag ging dahin, die Gesunden von den Kranken abzusondern, natürlich nur in verseuchten Häusern. Denn die Kranken abzusperren, konnte man keine Absperrung heißen. Jene, die sich nicht rühren konnten, hätten sich sicher nicht darüber beklagt, so lange sie noch bei Sinnen waren und ein Urteil hatten. Freilich, wenn das Fieber über sie kam, schrien sie laut über die Unmenschlichkeit, sie einzusperren. Was nun die Entfernung der Gesunden betrifft, so hielten wir’s für ebenso vernünftig als gerecht, sie um ihrer eigenen Sicherheit willen von den Kranken zu trennen. Zum Schutz der andern Leute konnte man sie ja für eine Zeitlang absondern, damit sie nicht Gesunde ansteckten, aber dazu schienen uns 20 oder 30 Tage genügend. Hätte man nun Gebäulichkeiten für die Gesunden hergerichtet, um dort diese halbe Quarantäne abzusitzen, so hätten sie sich kaum darüber beklagen können, wie es geschah, wenn man sie mit den Angesteckten zusammensperrte. Es muß aber bemerkt werden, daß man mit dem Absperren der Häuser aufhörte, als der Begräbnisse so viele geworden waren, daß man nicht mehr die Sterbeglocke ziehen, trauern, weinen oder schwarze Kleidung tragen konnte, wie es früher geschehen war. Nicht einmal Särge gab es damals mehr für die Toten. Die Wut der Seuche erschien zu fürchterlich, und alle Maßregeln, die man versucht hatte, waren fruchtlos gewesen. Die Pest verbreitete sich mit unwiderstehlicher Gewalt, wie im folgenden Jahre das Feuer, das zu löschen die Bürger auch in ihrer Verzweiflung aufgaben. So wurde auch endlich die Heftigkeit der Pest so furchtbar, daß die Leute nur noch still einander ansahen und sich der Verzweiflung überließen. Ganze Straßen schienen verlassen und nicht nur abgesperrt, sondern aller Bewohner entblößt. Türen standen auf, die Fenster schlugen im Winde gegen die leeren Häuser, da niemand da war, sie zu schließen. Mit einem Worte: das Volk fing an, in Angst und Entsetzen zu versinken und zu glauben, daß doch alle Maßregeln und Gegenmittel umsonst wären. Man wartete auf nichts mehr als auf ein allgemeines Verderben, und gerade dann, als die Verzweiflung auf den Höhepunkt gestiegen war, gefiel es Gott, seine Hand zu erheben und der Wut der Seuche Einhalt zu gebieten, in einer Weise, die ebenso wunderbar war, wie der Beginn, und klärlich anzeigte, daß seine Hand im Spiele war und der Gegenmaßregeln nicht bedurfte. Aber noch muß ich weiter von der Pest erzählen, als sie am ärgsten wütete und das Volk geradezu zur Verzweiflung brachte. Es ist kaum zu glauben, was die Menschen alles in diesem Zustande vollführten. Kann man sich z. B. etwas Grausigeres vorstellen, als einen halbnackten Mann, der aus seinem Hause oder vielleicht gerade aus dem Bett kam und nun tanzend und singend unter tausend fratzenhaften Gebärden auf der Straße umherlief, während fünf oder sechs Frauen und Kinder ihm nachrannten, weinend und schreiend, er möchte doch um Gottes willen heimkommen, und die Hilfe aller Begegnenden anrufend, aber umsonst, da sich doch niemand traute, ihn zu berühren oder in seine Nähe zu kommen. Es brach mir fast das Herz, während ich von meinem Fenster aus zusah. Denn zu allem kam noch, daß der Kranke offenbar die äußerste Qual ausstand. Er hatte zwei Geschwülste an seinem Körper, die nicht zum Aufbrechen oder Eitern zu bringen waren, weswegen man Ätzmittel aufgelegt hatte, die wie glühendes Eisen in sein Fleisch brannten. Ich weiß nicht, was aus diesem Unglücklichen wurde, aber ich denke, er wird wohl weitergelaufen sein, bis er hinfiel und starb. Kein Wunder, daß der Anblick auch der innern Stadt nur noch Entsetzen erregen konnte. Wo sonst ein lebhafter Verkehr war, herrschte jetzt Einsamkeit und Öde. Die Börse war zwar nicht geschlossen, aber niemand ging hin. Die Straßenfeuer waren zusammengesunken und infolge eines heftigen Regens fast erloschen, aber einige Ärzte erklärten, daß sie nicht nur keinen Nutzen hätten, sondern der allgemeinen Volksgesundheit eher schädlich wären. Sie machten darüber ein großes Geschrei und wandten sich sogar an den Lordmayor. Andere Ärzte, die ebenso berühmt waren, traten ihnen entgegen und brachten allerlei Gründe vor, warum die Feuer unterhalten werden müßten, und inwiefern sie notwendig wären, um die Heftigkeit der Seuche zu brechen. Ich erinnere mich nicht mehr an alle Argumente, die von beiden Seiten ins Treffen geführt wurden, und weiß nur noch, daß sie sich gegenseitig aufs eifrigste befehdeten. Die einen sprachen sich für die Feuer aus, vorausgesetzt, daß es Holz- nicht Kohlenfeuer wären und durch besondere Holzgattungen, vornehmlich Kiefern und Zedern, des Harzes wegen, genährt würden; andere waren für Kohlen- und nicht für Holzfeuer, weil jene mehr Schwefel und Erdpech enthielten; die dritte Partei war überhaupt gegen jede Art von Feuer. Übrigens verfügte der Lordmayor, daß mit den Feuern aufgehört würde, und zwar hauptsächlich deshalb, weil man einsah, daß alle Gegenmittel erfolglos waren und mehr dazu dienten, die Seuche zu verschlimmern als ihr vorzubeugen. Diese Erfolglosigkeit der Anstrengungen der Behörden kam aber mehr von ihrer Unfähigkeit als von ihrer Abneigung, sich der Gefahr auszusetzen oder von einem Mangel an Verantwortungsfreudigkeit. Wenn man ihnen gerecht sein will, muß man anerkennen, daß sie weder Mühe noch Kräfte sparten, aber es half alles nichts, die Seuche wütete weiter und brachte die Bevölkerung in die äußerste Verzweiflung, so daß sie jede Hoffnung aufgab. Hier muß ich jedoch bemerken, daß ich keine religiöse Verzweiflung meine oder eine Verzweiflung an den ewigen Verheißungen, wenn ich sage, die Bevölkerung habe sich der Verzweiflung überlassen. Ich meine: sie hatte jede Hoffnung verloren, der Seuche zu entgehen oder sie zu überleben, nachdem sie ihre unwiderstehliche Gewalt gesehen hatte. In der Tat entrann während der Höhe der Seuche fast niemand von den einmal Angesteckten dem Tode. Das war besonders im August und September, während im Juni und Juli und auch noch Anfang August viele erkrankten, aber nach einigen Tagen wieder gesund wurden. Jetzt aber dauerte die Krankheit meistens nur zwei oder drei Tage und nahm fast stets einen tödlichen Verlauf. Oft starben die Leute am gleichen Tage, da sie angesteckt wurden. Ob die Hundstage oder, wie die Astrologen das auszudrücken pflegten, der Einfluß des Hundssterns diese bösartige Wirkung hatte, oder ob die Ansteckung nun bei allen zugleich zum Ausbruch kam, weiß ich nicht, aber es war die Zeit, da in einer einzigen Nacht 3000 Personen gestorben sein sollen. Diejenigen, die angeblich besonders genaue Beobachtungen anzustellen in der Lage waren, behaupteten, daß sie alle binnen zwei Stunden starben, nämlich zwischen 1 Uhr und 3 Uhr des Morgens. Für den plötzlichen Verlauf der Todesfälle in dieser Zeit gibt es unzählige Beispiele, und ich könnte mehrere davon in meiner nächsten Nachbarschaft anführen. Eine Familie, die gerade außerhalb der Schlagbäume und nicht weit von mir wohnte, war allem Anschein nach noch am Montag völlig wohl. Sie zählte alles in allem zehn Mitglieder. Am Abend legten sich ein Dienstmädchen und ein Lehrling und starben am nächsten Morgen. Tags darauf wurde der zweite Lehrling und zwei Kinder von der Seuche ergriffen, von denen eines noch am selben Abend, die beiden andern am Mittwoch starben. Bis Samstag mittag waren alle: Mann, Frau, vier Kinder und vier Dienstboten eine Beute des Todes. Das Haus war völlig leer bis auf ein ältliches Frauenzimmer, das für den Bruder des verstorbenen Hausherrn die Aufsicht über die zurückgelassenen Sachen übernahm. Sie wohnte in der Nähe und war nicht erkrankt. Viele Häuser, deren Bewohner ausgestorben waren, waren nun gänzlich verlassen, besonders in einer engen Gasse auf meiner Seite außerhalb der Schlagbäume, die beim Wirtshaus von Aaron und Moses abbiegt. In mehreren Häusern nebeneinander war nicht ein Mensch mehr am Leben, und die Letztverstorbenen lagen lange darin herum, ehe sie begraben wurden. Der Grund hierfür war aber nicht, wie man später behauptet hat, daß es nicht mehr genug Lebendige gab, um die Toten zu begraben, sondern, weil die Seuche in der Gasse niemand mehr übrig gelassen hatte, der die Leichenträger oder Küster hätte benachrichtigen können, daß noch Tote vorhanden waren. Man erzählte, ob mit Recht, ist mir nicht bekannt, daß einige jener Leichen so verfault und zersetzt waren, daß man sie kaum noch herausschaffen konnte. Besonders auch, weil die Gasse zu eng war, um mit dem Karren weiter als bis zum Tor in der High-Straße zu gelangen. Um wie viele Leichen es sich handelte, weiß ich nicht. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß für gewöhnlich derartiges nicht vorkam. Ich muß wohl zugeben, daß jene Zeit so fürchterlich war, daß alle meine Entschlüsse zusammenbrachen und ich den anfangs gezeigten Mut nicht aufrechtzuerhalten vermochte. Wie die Verzweiflung andere Leute aus der Stadt trieb, so trieb sie mich nach Hause, und nach meinem kleinen Ausflug nach Blackwell und Greenwich, von dem ich schon erzählt habe, blieb ich fast beständig zwischen meinen vier Wänden, wie ich es schon früher 14 Tage lang gemacht hatte. Ich wiederhole, daß mich oft die Reue faßte, in der Stadt geblieben zu sein und nicht mit meinem Bruder und seiner Familie mich fortgemacht zu haben. Aber für die Reue war es nun zu spät. Nachdem ich schon lange Zeit mich im Hause gehalten hatte, ehe meine Ungeduld und Neugier mich zu dem besagten Ausflug veranlaßten, brachte mich die Folgezeit in ein gefährliches und nicht weniger als angenehmes Amt, das mich zum Ausgehen zwang. Als nun meine Amtsdauer abgelaufen war, die Seuche aber noch immer in voller Stärke andauerte, zog ich mich von neuem zurück und schloß mich für zehn oder zwölf Tage ein. Doch gab es noch manchen schauerlichen Anblick, den ich aus meinem Fenster mitansehen mußte, wie jenes unglücklichen, in seiner Todesangst tanzenden und singenden Menschen, und noch viele andere. Kaum ein Tag oder eine Nacht verging, ohne daß sich das eine oder andere Fürchterliche am Ende der Harrow-Gasse ereignete, wo nur arme Leute, hauptsächlich Fleischer wohnten, oder solche, die mit dem Schlachten irgendwie zu tun hatten. Zuweilen spie diese Gasse Haufen von Menschen, meistens Weiber aus, die mit Schreien, Kreischen, Heulen und Durcheinanderbrüllen einen schrecklichen Lärm vollführten, so daß wir gar nicht wußten, was wir daraus machen sollten. Fast jede Nacht stand der Leichenkarren am Ende der Gasse, denn innen konnte er nicht mehr umwenden und blieb stecken. Dort stand er, um die Leichen in Empfang zu nehmen, und da der Kirchhof nicht weit entfernt war, kehrte er immer gleich wieder zurück, wenn er seine Last abgeladen hatte. Es ist ganz unmöglich, das Klagegeschrei und Gejammer zu beschreiben, das die armen Leute ausstießen, wenn sie die Leichen ihrer Kinder und Freunde an den Karren brachten. Es waren so viele, daß man denken mußte, kein einziger wäre mehr zurückgeblieben; genug, um eine kleine Stadt zu bevölkern. Manchmal schrien sie: »Mord!« manchmal: »Feuer!« es war aber leicht zu sehen, daß das nur in ihrer Verwirrung geschah, in die sie Krankheit und Verzweiflung gestürzt hatten. Ich glaube, es war überall so zu dieser Zeit, denn die Pest wütete sechs oder sieben Wochen lang über alle Beschreibung schrecklich und erreichte endlich eine solche Höhe, daß alle die behördlichen Maßregeln, die noch beobachtet worden waren, außer acht gelassen wurden. Bisher hatte man weder Leichen auf den Straßen gesehen, noch hatte es Begräbnisse während der Tageszeit gegeben, aber nun brach die ganze, mühsam aufrecht erhaltene Ordnung für eine Zeitlang zusammen. Etwas möchte ich hier nicht zu erwähnen versäumen, da es mir merkwürdig erscheint und zum wenigsten die Hand der göttlichen Gerechtigkeit deutlich zeigt, nämlich, daß alle die Wahrsager, Astrologen, Schwarzkünstler, Geisterbeschwörer, Hexenmeister, Traumdeuter und wie sie sonst alle heißen mögen, fort und verschwunden waren. Nicht ein einziger von ihnen war noch aufzufinden. Ich glaube wohl, daß eine große Zahl von ihnen der Wut der Seuche zum Opfer fiel, meistens wahrscheinlich solche, die die Aussicht auf großen Gewinn zum Bleiben verlockt hatte. Eine Zeitlang verdienten sie auch wirklich glänzend an der Torheit und Unzurechnungsfähigkeit der Leute. Jetzt aber waren sie stumm geworden, und manche hatten ein Schicksal gefunden, das vorherzusehen sie nicht imstande gewesen waren und auch in ihren eigenen Horoskopen nicht entdeckt hatten. Es hat nicht an Behauptungen gefehlt, daß alle insgesamt gestorben wären. Ich selbst kann das nicht bestätigen, aber so viel ist wahr, daß ich von keinem einzigen mehr hörte, nachdem die Pest erloschen war. Inzwischen war, wie gesagt, der Monat September wohl der schrecklichste, den London je erlebt hat. Alle Ziffern, die ich aus früheren Pestjahren gesehen habe, wurden bei weitem überboten. Das wöchentliche Sterberegister brachte eine Todesrate von fast 40000, vom 22. August bis zum 26. September, also für fünf Wochen. Für die einzelnen Wochen sind die Zahlen die folgenden: Vom 22. zum 29. August 7496 zum 5. September 8252 zum 12. September 7690 zum 19. September 8297 zum 26. September 6460 -------------- Zusammen: 38195 Dies ist an und für sich eine unerhörte Anzahl, wenn ich aber noch all die Gründe anführte, die es mir gewiß machen, daß und um wieviel sie zu niedrig gegriffen ist, würde man zweifellos meine Ansicht teilen, daß während dieser ganzen Zeit jede Woche, eine wie die andere, mehr als 10000 starben. Die Verwirrung unter dem Volke, besonders in der inneren Stadt, war damals unbeschreiblich. Ein solches Entsetzen hatte sich schließlich der Bevölkerung bemächtigt, daß selbst jene, die beauftragt waren, die Leichen wegzuschaffen, den Mut verloren. Viele von ihnen starben, obwohl sie die Seuche schon einmal durchgemacht hatten und davongekommen waren. Andere stürzten tot zu Boden, nachdem sie die Leichen schon bis an den Rand der Grube gebracht hatten und eben im Begriffe waren, sie hineinzuwerfen. In der inneren Stadt war die Verwirrung deshalb am größten, weil die Leute sich dort eingebildet hatten, die Seuche würde sie verschonen und die Bitterkeit des Todes ihnen erspart bleiben. Ein Leichenkarren, der Shoreditch hinauffuhr, wurde von den Fuhrleuten im Stiche gelassen. Oder vielmehr: es blieb nur ein Mann bei dem Karren, der auf der Straße starb. Die Pferde aber gingen weiter, warfen den Karren um, so daß die Leichen durcheinander herauskollerten. Einen andern Leichenkarren fand man in dem großen Massengrab in den Finsburyfields. Der Treiber war wohl gestorben oder fortgegangen, und als die Pferde zu nahe an die Grube kamen, fiel der Karren hinein und zog die Pferde mit nach. Es wurde behauptet, daß der Treiber auch mit hineinfiel und vom Karren erdrückt wurde, weil seine Peitsche mitten aus den Leichen herausstand, aber Gewißheit war darüber nicht zu erlangen. In unserm Kirchspiel von Aldgate fand man oftmals die Leichenkarren voll ihrer schauerlichen Last vor dem Tor des Kirchhofs, aber weder Treiber noch sonst jemand dabei. Fast nie wußte irgendwer, welche Leichen auf dem Karren lagen, denn zuweilen wurden sie mit Seilen aus den Fenstern oder von den Balkonen herabgelassen, oder Träger oder andere Leute brachten sie zu dem Karren. Übrigens sagten die Leichenträger selbst, daß sie sich um die Anzahl nicht kümmerten. Die Umsicht der Behörden war nun bis zum äußersten angespannt, was niemals genügend anerkannt werden kann. Wie überbürdet sie auch sonst sein mochten, zwei Dinge wurden doch niemals weder in der eigentlichen Stadt noch in den Vorstädten vernachlässigt. 1. Lebensmittel waren immer reichlich vorhanden, und das zu einem Preise, der kaum nennenswert den üblichen übertraf. 2. Nirgends gab es unbeerdigte und unbedeckte Leichen, man mochte von einem Ende der Stadt zum andern wandern, und während des Tages war auch nichts von Begräbnissen zu sehen, vielleicht die ersten drei Wochen des September ausgenommen, was ich schon erwähnt habe. Dies letztere wird möglicherweise wenig Gläubige finden, nachdem in andern Berichten, die seitdem veröffentlicht wurden, zu lesen stand, daß die Leichen unbeerdigt herumlagen, was ich für gänzlich unrichtig halte. Wenn es wirklich der Fall war, so doch nur in Häusern, wo die Lebenden die Leichen verlassen hatten und Mittel gefunden hatten, zu entfliehen, ohne eine Anzeige zu erstatten. Alles in allem will das gar nichts bedeuten. Ich kann aus Erfahrung reden, nachdem ich selbst ein wenig mit diesem Teil des Ordnungswesens in unserm Kirchspiel zu tun hatte, wo, im Vergleich zur Dichte der Bevölkerung, die Verödung ebenso groß war wie irgendwo anders. Und ich bin ganz sicher, daß keine Leichen unbeerdigt blieben, wenigstens keine, von der die Aufsichtsbeamten erfuhren, und jedenfalls keine aus Mangel an Leuten, um sie wegzuschaffen oder Totengräbern, um sie in die Grube zu werfen und mit Erde zuzudecken. Mehr will ich auch gar nicht behaupten, denn was in Winkeln und Löchern herumlag, wie in der Moses- und Aaron-Gasse, zählt nicht, da auch dort alle Leichen beerdigt wurden, sobald man sie nur aufgefunden hatte. Was nun meine erste Behauptung betrifft, nämlich in Hinsicht auf die Lebensmittel, so habe ich davon schon gesprochen und werde noch mehr davon sprechen, muß aber doch für jetzt folgendes erwähnen: 1. Der Brotpreis insbesondere wurde nicht erhöht. Am Anfang des Jahres, d. h. in der ersten Märzwoche, war das Pennyweizenbrot 10½ Unzen schwer. Als die Seuche auf ihrem Höhepunkt war, wog es 9½ Unzen, und teurer wurde es niemals während der ganzen Zeit. Anfang November verkaufte man es schon wieder zum alten Gewicht, und ich glaube nicht, daß etwas derartiges während einer solchen Unglückszeit jemals irgendwo anders erhört wurde. 2. Noch war, was mich selbst nicht wenig wundernahm, irgendein Mangel an Bäckern und Backöfen, um die Bevölkerung mit Brot zu versehen. Doch wurde von einigen behauptet, daß ihre Dienstmädchen, die sie mit dem Teig zu den Backöfen geschickt hatten, wie es damals der Brauch war, krank, d. h. mit der Pest zurückkehrten. Während der ganzen Seuchenzeit standen nur zwei Pesthäuser in Benutzung, das eine außerhalb der Old-Straße, das andere in Westminster. Aber niemand wurde gezwungen, die Kranken dahin zu schaffen. Es war auch kein Grund zum Zwang vorhanden, da Tausende von armen Leuten, die weder Hilfe noch irgendeine Bequemlichkeit hatten, und auch an Mitteln nur das, was ihnen die Mildtätigkeit zukommen ließ, überglücklich gewesen wären, hätte man sie ins Pesthaus gebracht, wo man sich ihrer annahm. Und hier liegt der einzige Mangel in der Behandlung der öffentlichen Angelegenheiten, daß nämlich niemand, der kein Geld hatte oder nicht Sicherheit stellen konnte, ins Pesthaus gebracht oder dort behandelt werden durfte. Viele wurden dort wieder gesund, denn man hatte sehr gute Ärzte dort zum Dienst bestimmt, wovon ich später noch reden werde. Die meisten, die hingeschickt wurden, waren Dienstboten, die sich die Seuche holten, wenn sie für ihre Familien Besorgungen machen mußten. Kamen sie dann angesteckt nach Hause, so ließ man sie fortschaffen, um den Rest der Familie vor Ansteckung zu schützen. Sie hatten es während der ganzen Unglückszeit so gut dort, daß in dem einen Pesthaus nur 156 starben, und 159 in dem andern, dem von Westminster. Die Behörden ließen es niemals daran fehlen, das Volk zu ermutigen, praktische Verfügungen herauszugeben, auf den Straßen gute Ordnung zu halten und allen Klassen der Bevölkerung die Schwere ihres Daseins nach Möglichkeit zu erleichtern. In erster Linie faßten der Lordmayor, die Scherifs, das Ratskollegium und eine bestimmte Anzahl der Gemeindebevollmächtigten sowie ihre Vertreter den Beschluß, der sofort veröffentlicht wurde, die Stadt nicht zu verlassen, sondern sich beständig bereit zu halten, überall nach dem Rechten zu sehen und bei allen Gelegenheiten nach Billigkeit zu entscheiden. Sie gelobten, die Mittel, die durch die öffentliche Mildtätigkeit aufgebracht würden, nach Gerechtigkeit zu verteilen, kurz, das Vertrauen, das von der Bürgerschaft in sie gesetzt wurde, bis zum äußersten ihrer Kraft zu rechtfertigen. In Übereinstimmung mit diesem Beschlusse hielten sie fast täglich Sitzungen ab, um die für das öffentliche Wohl gerade nötigen Verfügungen zu treffen, und obwohl sie gegen das Volk die größte Nachsicht ausübten, gingen sie gegen alle vermessenen Burschen, als Diebe, Einbrecher, Leichenräuber und dergleichen mit Strenge vor, bestraften sie entsprechend und sparten nicht mit Bekanntmachungen, die gegen sie gerichtet waren. Auch alle Polizeibediensteten und Kirchspielbeamten wurden bei schwerer Strafe verpflichtet, in der Stadt zu bleiben, oder geeignete Stellvertreter zu besorgen, die von den höheren Distriktsbeamten bestätigt werden mußten und für die sie Sicherheit zu stellen hatten. Auch für den Todesfall galt diese Sicherheit und verpflichtete zur Stellung eines neuen Stellvertreters. Durch derartige Verordnungen wurde der Mut der Bevölkerung nicht wenig gestärkt, besonders am Anfange der Seuche, als im ersten Schrecken jeder nur an Flucht dachte. Damals war die Stadt in Gefahr, gänzlich verlassen zu werden, bis auf die Armen, was sicher eine allgemeine Plünderung durch den Pöbel im Gefolge gehabt hätte. Auch blieben die Behörden nicht hinter dem zurück, was sie durchzuführen gelobt hatten. Der Lordmayor und die Scherifs waren beständig auf der Straße um dort, wo die Gefahr am größten war, zu sehen, und wenn schon sie den Volksansammlungen aus dem Wege gingen, hatte doch in dringenden Fällen jedermann Zutritt zu ihnen. Alle Klagen und Beschwerden wurden mit Geduld von ihnen angehört. Der Lordmayor ließ zu diesem Zwecke in seiner Empfangshalle eine kleine Tribüne errichten, wo er von der Menge ein wenig abgesondert, sich aufhielt, wenn Beschwerden vorgebracht wurden, um wenigstens in einiger Sicherheit zu sein. Auch die zu seinem Amtsbereich gehörenden Beamten wechselten in bestimmtem Turnus, und wenn einer von ihnen krank oder von der Ansteckung ergriffen wurde, trat sofort ein anderer an seine Stelle, bis sich herausstellte, ob jener am Leben bleiben würde. Ebenso hielten es die Ratsherren und Scherifs in ihren verschiedenen Amtsbezirken. Ihre Unterorgane waren angewiesen, den Dienst der Reihenfolge nach zu versehen, so daß der Lauf der Gerechtigkeit niemals unterbrochen zu werden brauchte. Zu ihren besonderen Obliegenheiten gehörte es, danach zu sehen, daß die Marktstatuten jederzeit beobachtet würden. An jedem Markttage war der Lordmayor oder einer oder beide Scherifs zu Pferde anwesend, um über die Aufrechterhaltung ihrer Verordnungen zu wachen und dafür zu sorgen, daß die vom Lande Kommenden in keiner Weise, auch nicht bei ihrer Rückkehr belästigt würden. Ferner, daß nichts auf der Straße zu sehen war, das sie entsetzen und vom Wiederkommen abhalten könnte. Auch die Bäcker standen unter besonderen Verordnungen. Das Haupt der Bäckerinnung wurde mit seinen Hilfskräften verpflichtet, die vom Lordmayor erlassenen Verfügungen in Vollzug zu setzen und sich um das richtige Gewicht des Brotes, das wöchentlich vom Lordmayor bestimmt wurde, zu kümmern. Alle Bäcker waren verpflichtet, ihre Öfen beständig in Tätigkeit zu halten, bei Strafe, sonst die Vorrechte eines Meisters in der Stadt London zu verlieren. Durch solche Mittel wurde erreicht, daß es stets genügend Brot gab, und zwar, wie ich schon erwähnt habe, zu dem üblichen billigen Preise. Auch mangelte es niemals an Vorräten von Lebensmitteln auf den Märkten. Es gab so viel davon, daß ich oftmals darüber erstaunt war und mir Vorwürfe machte über meine Zaghaftigkeit und Vorsicht beim Ausgehen, während doch das Landvolk ohne Bedenklichkeit auf den Markt kam, als ob es gar keine Ansteckung und Gefahr von der Seuche gäbe. Es war, wie gesagt, eine bewunderungswürdige Maßregel von seiten der Behörden, daß die Straßen immer rein und frei von allen ekelhaften Gegenständen gehalten wurden, wie von Leichen oder irgend etwas, das Widerwillen hätte hervorrufen können. Stürzte jemand plötzlich zu Boden oder starb auf der Straße, so wurde die Leiche meistens mit einem Tuch oder einem Leintuch zugedeckt oder bis zur Nachtzeit in den nächsten Kirchhof verbracht. Alles, was, wenn auch unumgänglich nötig, doch gefährlich und mit peinlichen Anblicken verknüpft war, wurde in die Nacht verlegt. Der Transport der Kranken, die Beerdigung der Toten, das Verbrennen der verseuchten Kleider wurde bei Nacht vorgenommen. Die Leichen, die in den großen Massengräbern auf den Kirchhöfen eingescharrt wurden, holte man nur bei Nacht zusammen, und ehe der Tag anbrach, waren sie alle mit Erde bedeckt und alles wieder in Ordnung gebracht. So daß unter Tage nichts von dem allgemeinen Unglück zu sehen oder zu hören war, außer was die Verödung der Straßen, das Klagegeschrei der Leute hinter den Fenstern und die vielen geschlossenen Häuser und Läden von selbst erzählten. In der innern Stadt war diese Verödung der Straßen nicht so stark wie in den Vorstädten, als die Seuche sich nach Osten zu ausdehnte und über die ganze Stadt verbreitete. Es war wirklich eine barmherzige Fügung Gottes, daß die Seuche zuerst an einem Ende der Stadt ausbrach und nur allmählich auf die andern Stadtteile übergriff. Nach Osten kam sie erst, nachdem sich ihre Heftigkeit im Westen erschöpft hatte, und so nahm sie gleichzeitig zu und ab. Ich möchte um Erlaubnis bitten, wenn man mir auch Wiederholungen vorwerfen wird, noch einmal mich der Schilderung der jämmerlichen Lage der innern Stadt und jener ihrer Teile, wo ich wohnte, in jener Unglückszeit zuwenden zu dürfen. Die City und die andern Stadtteile waren noch immer, trotz der ungeheuren Anzahl der Geflüchteten, gestopft voll von Leuten. Besonders auch deshalb, weil der allgemeine Glaube war, die Seuche würde weder die City, noch die Orte auf dem jenseitigen Flußufer, wie Southwark, Wapping und Ratcliffe, erreichen. So fest war dieser Glaube, daß viele aus den westlichen und nördlichen Vorstädten nach Osten und Süden ihrer Sicherheit wegen verzogen und, wie ich bestimmt glaube, dadurch die Seuche früher dahin brachten, als sie im natürlichen Verlauf der Dinge gekommen wäre. Hier möchte ich auch einiges zum Nutzen der Nachwelt bemerken, was die Art und Weise der gegenseitigen Ansteckung betrifft, nämlich, daß es nicht nur die Kranken waren, von denen die Gesunden den Keim der Ansteckung empfingen, sondern ebensogut die Gesunden. Um mich näher zu erklären: unter den Kranken verstehe ich jene, die als krank bekannt waren, im Bett lagen, gepflegt wurden, Geschwüre an ihrem Leibe hatten usw. Vor ihnen konnte sich jedermann in acht nehmen, da sie entweder im Bett lagen oder doch auch sonst ihren Zustand nicht zu verheimlichen vermochten. Mit den Gesunden aber meine ich solche, die wirklich angesteckt waren und das Gift in sich aufgenommen hatten. Es war in ihrem Blut, aber in ihrem Aussehen zeigte sich davon nichts. Ja, sie wußten selber nichts davon, oft mehrere Tage lang. Diese verbreiteten den Tod überall hin, wohin sie auch kamen. Wer in ihre Nähe kam, war verloren. Aus ihren Kleidern ging die Ansteckung hervor, und was ihre Hände berührten, war verseucht, besonders, wenn sie warme und feuchte Hände hatten, was im allgemeinen der Fall war. Nun war es unmöglich, diese Leute zu erkennen, nachdem sie ja selbst oft nicht wußten, daß sie angesteckt waren. Sie gehörten zu jenen, die plötzlich auf der Straße ohnmächtig wurden und hinstürzten. Oftmals gingen sie bis zu ihrem letzten Augenblick auf den Straßen umher. Mit einem Male fingen sie dann zu schwitzen an, es wurde ihnen schwach, sie setzten sich an einer Türe hin und starben. Erkannten sie so ihren Zustand, so boten sie meistens noch alle Kräfte auf, ihr Heim zu erreichen, und manchmal gelang es ihnen auch gerade noch, um dort zu sterben. Andere wanderten umher, bis die Merkmale der Seuche sich schon am Körper zeigten, ohne daß sie es bemerkten. Draußen fühlten sie sich noch ganz wohl, sobald sie aber dann nach Hause kamen, legten sie sich hin und starben innerhalb weniger Stunden. Dies waren die gefährlichen Leute, vor denen die wirklich Gesunden sich hätten in acht nehmen müssen, wenn es nur möglich gewesen wäre, sie herauszukennen. Viele hatten keine Ahnung, daß sie bereits die Seuche im Leibe trugen, bis zu ihrer unaussprechlichen Bestürzung die Merkmale sich am Körper zeigten, worauf sie selten länger als noch sechs Stunden zu leben hatten. Denn die Flecken, die man als »Merkmale« bezeichnete, waren Brandflecken oder absterbendes Fleisch, in kleinen Knötchen von der Größe eines Silberpennys und hart wie ein Stück Horn. War es einmal mit der Krankheit so weit gekommen, so war der Tod unausbleiblich. Und trotzdem wußten solche Leute nichts davon, daß sie verseucht waren und fühlten sich auch nicht im geringsten unwohl, bis jene tödlichen Anzeichen herauskamen. Dabei muß man aber zugeben, daß sie schon früher im höchsten Grade verseucht waren, vielleicht schon längere Zeit, und daß daher ihr Atem, ihr Schweiß, und ihre Kleider schon während dieser ganzen Zeit die Ansteckung verbreiteten. Es gab eine ungeheuere Verschiedenheit der Krankheitsfälle, an die sich ein Arzt natürlich viel leichter erinnern könnte als ich, aber einige, die ich selbst beobachtet, oder von denen ich gehört habe, will ich doch in folgendem anführen. Ein gewisser Bürgersmann, der wohl und gesund bis zum September gelebt hatte, als die Seuche sich erst in der innern Stadt auszubreiten begann, war sehr zuversichtlich, ja für meinen Geschmack fast etwas zu vermessen in seinen Redensarten: wie sicher er sei, wie vorsichtig er gewesen wäre und daß er niemals sich in die Nähe eines Kranken gewagt hätte. Ein anderer Bürger, ein Nachbar, sagte eines Tages zu ihm: »Seid nicht zu vertrauensselig. Es ist schwer zu sagen, wer gesund und wer krank ist, denn wir sehen Leute, die jetzt dem Anschein nach völlig gesund aussehen und in einer Stunde tot sind.« -- »Gewiß«, sagte der erste, der nicht etwa übermütig war, aber die ganze Zeit über verschont geblieben war und zu den Leuten in der City gehörte, die deshalb ein wenig zu zuversichtlich geworden waren. »Gewiß, ich glaube ja auch nicht, daß ich sicher bin, aber ich hoffe, daß ich nie mit jemand verkehrte, bei dem irgendeine Gefahr der Ansteckung vorgelegen hätte.« -- »So,« meinte der Nachbar, »seid Ihr denn nicht vorgestern im Wirtshaus zum Stierkopf in der Gracekirch-Straße mit dem so und so zusammengewesen?« -- »Jawohl,« antwortete der erste, »aber sonst war kein Mensch dort, den wir vernünftigerweise für gefährlich hätten halten können.« Darauf schwieg der andere, um ihn nicht in Bestürzung zu versetzen, aber gerade das machte jenen noch neugieriger, und je zurückhaltender der eine wurde, um so mehr drängte der andere in ihn, bis er endlich laut fragte: »Nun, er wird doch nicht gestorben sein?« Sein Nachbar entgegnete kein Wort, blickte aber nach oben und murmelte etwas zu sich selbst, worauf der erste bleich wurde und nichts sonst herausbrachte als: »Dann bin ich auch schon so gut als gestorben.« Er ging sofort nach Hause und schickte nach einem Apotheker, der in der Nähe wohnte, um sich irgendein Gegenmittel geben zu lassen, denn bisher hatte er sich noch ganz wohl befunden. Der Apotheker öffnete seine Kleider, schaute die Brust an, seufzte tief auf und sagte nur: »Wendet Euch an Gott«, und der Mann starb innerhalb weniger Stunden. Die Pest ist wie eine große Feuersbrunst. Bricht sie dort aus, wo nur wenige Häuser zusammenhängen, kann sie nur diese vernichten; bricht sie in einem einzelstehenden Hause aus, so fällt ihr nur dieses zum Opfer. Entsteht sie aber in einer großen volkreichen Stadt und wird nicht gleich gelöscht, so verheert sie den ganzen Ort und alles, was sie erreichen kann. Gewiß, Hunderte, ja Tausende von Familien flüchteten sich vor der Pest, aber viele flohen zu spät und gingen auf der Flucht zugrunde. Und nicht nur das, sie verschleppten auch die Seuche überallhin, wohin sie kamen und steckten die an, bei denen sie Sicherheit und Zuflucht gesucht hatten. Dadurch wurde die beste Maßregel, um der Seuche zu entgehen, zu einem Mittel sie zu verbreiten. Dies bringt mich auf das zurück, was ich schon angedeutet habe, von dem ich aber nun ausführlicher sprechen möchte. Darüber nämlich, daß viele Leute nach außen hin völlig wohl umhergingen, während sie schon tagelang das Gift der Seuche im Leibe trugen und ihr Blut so sehr verseucht war, daß sie nicht mehr zu retten waren. Während dieser ganzen Zeit waren sie für andere höchst gefährlich, und die Tatsachen haben das bewiesen. Denn solche Leute steckten die Orte an, wohin sie kamen und die Leute, mit denen sie umgingen. So geschah es, daß fast alle größeren Städte Englands mehr oder weniger verseucht wurden, und immer wieder kam’s heraus, daß es durch den oder jenen Londoner verursacht worden war. Ich muß hier ausdrücklich erklären, daß ich annehme, diese Leute, die den andern so gefährlich wurden, seien selbst ohne jede Kenntnis von ihrem eigenen Zustande gewesen. Wäre es anders, so hätte man jene überlegte Mörder heißen müssen, die sich mit vollem Bewußtsein der Umstände unter die Gesunden mengten. Aber nichtsdestoweniger hieß es, wenn ich auch selbst es nicht für richtig halte, daß die Angesteckten gegen die Weiterverbreitung der Seuche gänzlich gleichgültig, ja eher dafür als dagegen waren. Daraus mag jenes Gerücht entstanden sein, von dem ich nur hoffen kann, daß es nicht den Tatsachen entsprach. Freilich besitzt ein einzelner Fall keine Allgemeingültigkeit, aber ich könnte doch die Namen einiger Leute nennen, die auch anderwärts bekannt und deren Familien noch am Leben sind, die das genaue Gegenteil bezeugen. So wurde ein Mann in meiner Nachbarschaft krank. Er vermutete, von einem armen Arbeiter angesteckt worden zu sein, den er bei sich beschäftigt hatte oder in dessen Wohnung er gekommen war. Schon damals hatte er eine trübe Ahnung, aber erst am nächsten Tage kam die Krankheit wirklich zum Ausbruch, und er fühlte sich gleich recht schlecht. Auf dies hin veranlaßte er sofort, daß er in ein Hinterhaus auf seinem Grundstück gebracht würde, wo sich über der Rotgießereiwerkstatt eine Kammer befand. Hier lag er, und hier starb er und ließ sich von niemand pflegen als einer fremden Pflegerin. Seiner Frau, den Kindern und Dienstboten verwehrte er aufs strengste den Eintritt, um sie nicht der Ansteckung auszusetzen, und übersandte ihnen nur seinen Segen und Wünsche für ihre Erhaltung durch die Pflegerin, die aber auch nicht in ihre Nähe kommen durfte. Und all das nur, um sie vor der Seuche zu bewahren. Es muß erwähnt werden, daß die Pest, wie wohl alle Krankheiten, je nach der Beschaffenheit des Körpers, ganz verschieden wirkte. Manche wurden sofort von ihr völlig überwältigt; es kam zu schweren Fieberanfällen, Erbrechen, unerträglichen Kopf- und Rückenschmerzen, bis zu Tobsuchtsanfällen. Bei andern brachen Geschwülste im Genick, in der Leistengegend oder unter den Armen aus, die, wenn sie nicht zum Reifwerden gebracht werden konnten, eine furchtbare Qual verursachten. Die Dritten endlich wurden unmerklich angesteckt, das Fieber wütete in ihnen, ohne daß sie darum wußten, bis sie schließlich das Bewußtsein verloren und schmerzlos dahingingen. Ich bin nicht Arzt genug, um die Einzelheiten dieser verschiedenen Wirkungen einer und derselben Seuche schildern oder erklären zu können, noch halte ich das für meine Aufgabe, da sie von den Ärzten viel besser ausgeführt wurde, wenn unsere Meinungen auch in einigen Punkten auseinandergehen. Darum habe ich auch nur berichtet, was ich selbst gesehen und beobachtet oder gehört habe und was in den verschiedenen Fällen, die ich erwähnte, in Erscheinung trat. Nur das mag noch angeführt werden, daß die schlimmsten Fälle, was die Schmerzen und die Schwere der Krankheitserscheinungen betrifft, oft zur Heilung gelangten, besonders wenn die Geschwülste aufbrachen, daß aber in jenen Fällen von einer kaum merklichen Erkrankung der Tod unvermeidlich war. Die Krankheit und Weiteransteckung, ohne daß die betreffenden Personen das geringste davon wußten, zeigte sich in zwei Arten von Fällen, die in jener Zeit ziemlich häufig und in London allgemein bekannt waren. 1. Väter und Mütter gingen umher, als ob sie völlig wohl wären, waren auch davon überzeugt, bis sie ihre ganzen Familien verseucht hatten und die Ursache ihres Unterganges geworden waren. Hätten sie die leiseste Ahnung ihres Zustandes besessen, so würden sie nimmermehr so gehandelt haben. Eine Familie, von der ich hörte, wurde auf solche Weise vom Vater angesteckt. Einige Mitglieder wurden krank, noch ehe er selbst von der Seuche etwas merkte. Als er aber durch genauere Beobachtungen herausbrachte, daß er das Gift zu den Seinen gebracht hatte, wurde er wahnsinnig und hätte Hand an sich gelegt, wenn man ihn nicht verhindert haben würde. In wenigen Tagen war er tot. 2. In anderen Fällen fühlten die von der Seuche auf diese Weise Betroffenen nur ganz leichte Beschwerden, etwa eine Verminderung des Appetits, oder ein wenig Magenweh oder auch Heißhunger und leichte Kopfschmerzen, worauf sie zum Arzte schickten, um irgendein Mittel zu begehren und dann aufs tödlichste erschrocken waren, als sie hörten, daß sie auf der Schwelle des Todes standen und rettungslos verloren waren. Es ist schauerlich, darüber nachzudenken, daß solche Menschen als Mörder vielleicht wochenlang umhergingen, diejenigen zugrunde richteten, die sie unter Gefahr ihres Lebens gerettet haben würden und vielleicht durch eine zärtliche Liebkosung dem Tode überlieferten. Und doch kam das oft vor, und ich könnte zahlreiche derartige Fälle anführen. Wenn nun der Schlag so aus dem Hinterhalte herabsaust, wenn der Pfeil ungesehen und unentdeckbar von der Sehne fliegt, was haben dann alle Maßregeln von Häuserabsperren und Fortschaffen der Kranken für einen Zweck? Dort ja, wo die Ansteckung offen zutage tritt, aber in den tausenden von Fällen, wo es sich um anscheinend völlig Gesunde handelt, sind sie gänzlich nutzlos. Dies setzte natürlich auch unsere Ärzte in Verwirrung, und besonders die Apotheker und Wundärzte, die die Kranken nicht von den Gesunden zu unterscheiden wußten. Aber alle gaben die Tatsachen zu, daß viele Leute die Seuche im Blut hatten und eigentlich nichts anderes als herumwandelnde verpestete Gerippe vorstellten, deren Atem Tod, deren Schweiß Gift war, und die doch eben so aussahen wie andere Menschen, und selbst nichts von ihrem fürchterlichen Zustande ahnten. Die Tatsache also wurde von allen zugegeben, aber keiner wußte ein Mittel dagegen. Mein Freund, der Dr. Heath, war der Meinung, daß es an dem Geruch des Atems zu erkennen wäre, aber wer hätte sich dem aussetzen mögen, die Wahrheit aus dem Atem eines Menschen zu holen, um sie mit dem eigenen Tod zu erkaufen. Denn um den Geruch zu unterscheiden, hätte er das Gift des Atems in das eigene Gehirn einziehen müssen. Andere sollen behauptet haben, daß man den Verdächtigen auf ein Stück Spiegelglas hauchen lassen müsse. Wäre er verseucht, so würde der Niederschlag des Hauches, durch ein Mikroskop gesehen, die Form von lebenden Geschöpfen gräulichster und scheußlichster Art, als Drachen, Schlangen, Vipern und teufelsartigen Gebilden, annehmen. Aber das halte ich doch für recht zweifelhaft; auch besaßen wir damals noch keine Mikroskope, um den Versuch anzustellen. Die Ansicht eines andern sehr gelehrten Mannes war, daß der Hauch solch eines Kranken einen kleinen Vogel im Nu vergiften und töten würde, und nicht nur einen kleinen Vogel, sondern sogar ein Huhn oder einen Hahn, oder wenn nicht gleich töten, ihn doch räudig machen müßte. Besonders merkwürdig wäre, daß zu dieser Zeit gelegte Eier alle verfault wären. Ich habe aber nie gehört, daß diese Behauptungen durch einen Versuch bewahrheitet wurden. So gebe ich sie als das, was sie sind, möchte aber doch bemerken, daß ich sie für sehr wahrscheinlich halte. Manche haben vorgeschlagen, daß solche Leute recht heftig auf warmes Wasser hauchen sollten, worauf sich ein ungewöhnlicher Schaum darauf bilden würde. Es ginge aber auch bei andern klebrigen Substanzen, die geeignet wären, den Schaum aufzunehmen und festzuhalten. Alles in allem muß ich aber doch sagen, daß diese Art der Ansteckung jeder Möglichkeit der Entdeckung spottete, und daß keine menschliche Geschicklichkeit imstande war, die Weiterverbreitung zu verhindern. Zu jener Zeit war die Aufregung groß, als man erkannte, daß die Ansteckung in dieser Art verbreitet, durch anscheinend völlig Gesunde verbreitet werden könne, und man fing an, jeden, der in die Nähe kam, mit äußerstem Mißtrauen und größter Unbehaglichkeit zu betrachten. Einmal, ich glaube an einem Sonntage in der Aldgate-Kirche, glaubte irgendeine Frau in einer vollbesetzten Kirchenbank einen schlechten Geruch zu verspüren. Sofort bildete sie sich ein, die Pest wäre in der Bank, gab flüsternd ihren Verdacht der Nächsten weiter und verließ schnell ihren Platz. Die Nachbarin machte es geradeso, und in einem Augenblick hatten sämtliche Insassen von zwei oder drei Kirchenbänken die Kirche verlassen, ohne daß irgend jemand wußte weswegen oder von wem der üble Geruch ausgegangen wäre. Infolgedessen fiel man darauf, irgend etwas in den Mund zu stecken, was von alten Weibern oder auch Ärzten empfohlen wurde, um die Ansteckung durch den Atem von Kranken unmöglich zu machen. Dies ging so weit, daß besonders in den Kirchen man gleich beim Eingange von einer Wolke aller möglichen Gerüche empfangen wurde, die viel stärker, wenn auch wahrscheinlich nicht so bekömmlich waren, als die Gerüche in Apothekerläden oder bei Drogisten. Die ganze Kirche war eine große Riechflasche. In der einen Ecke roch es nach Parfüms, in der andern nach aromatischen Essenzen, balsamischen Düften und allen möglichen Kräutern, in der dritten nach Riechsalz und scharfen Wassern, da jeder sich mit etwas anderem zum Schutze versehen hatte. Nachdem aber einmal der Glaube allgemein geworden war, daß die Ansteckung von scheinbar Gesunden übertragen werden könne, wurde der Kirchenbesuch erheblich schwächer. Aber ganz geschlossen wurden die Kirchen und Betsäle während der ganzen Zeit der Seuche in London niemals, außer in einigen Kirchspielen, wo die Seuche gerade besonders arg wütete, und auch da wurden sie, sowie es einigermaßen besser wurde, wieder geöffnet. Im Gegenteil war nichts erhebender, als zu sehen, mit welchem Mute die Bevölkerung die öffentlichen Gottesdienste besuchte, sogar zu einer Zeit, als man sich fürchtete, zu irgendeinem andern Zwecke das Haus zu verlassen. Daß die Kirchen bis auf eine kurze Zeit während des Höhepunktes der Seuche immer voll waren, war auch ein Beweis für die außerordentliche Bevölkerungsdichtigkeit beim Ausbruch der Pest, trotz der ungeheuren Menge, die gleich damals sich aufs Land hinaus geflüchtet hatte und den Massen, die später von ihrem sinnlosen Entsetzen in die Wälder hinausgetrieben wurden. Man muß anerkennen, daß die Leute, die alle jene Vorsichtsmaßregeln anwandten, von denen ich gesprochen habe, der Ansteckung weniger ausgesetzt waren. In solchen Häusern brach die Seuche nicht mit der gleichen Heftigkeit aus, und ganze Familien wurden auf solche Weise gerettet, womit die schuldige Ehrfurcht vor der göttlichen Vorsehung natürlich nicht verletzt werden soll. Aber es war unmöglich, irgend etwas Vernünftiges in die Köpfe der _armen_ Leute hineinzubringen. Wurden sie krank, so konnten sie sich mit Geschrei und Gejammer nicht genug tun, doch solange sie gesund waren, blieben sie gleichgültig, sorglos und eigensinnig. Wo sie Arbeit kriegen konnten, fluteten sie hin, wenn auch die Beschäftigung noch so gefährlich und der Ansteckung ausgesetzt sein mochte. Machte man ihnen Vorwürfe, so war die gewöhnliche Antwort: »Das muß man Gott überlassen. Hat’s mich, so ist wenigstens für mich gesorgt, und die ganze Geschichte hat ein Ende.« Oder sie sagten: »Was soll ich sonst tun? Schlimmer als Verhungern ist die Pest auch nicht. Arbeit habe ich nicht, also was machen? Sonst bleibt mir nichts übrig als zu betteln.« Ob es sich darum handelte, die Leichen einzuscharren oder Kranke zu pflegen oder verseuchte Häuser zu bewachen, ihre Antwort war immer dieselbe. Sicher war die Not eine gute Entschuldigung, aber sie redeten nicht anders, wenn auch keine Not vorlag. Erst durch solche Handlungsweise der Armen kam es, daß die Seuche unter ihnen auf so schreckliche Weise wütete. Zusammen mit ihrer ohnehin wenig erfreulichen Lage war es der Hauptgrund ihres Massensterbens. Ich kann nicht behaupten, daß sie nach meinen Beobachtungen besser haushielten, als sie noch alle gesund waren und Geld verdienten. Das flog heraus, und das »Morgen« scherte sie auch nicht einen Deut. So kam es, daß sie im Falle der Krankheit gleich in das äußerste Elend gerieten, ebenso der Krankheit wegen als aus Mangel. Allerdings hing dies auch zusammen mit der Lage unseres Handels während jener Zeit des allgemeinen Unglücks, und zwar sowohl des Außen- wie des Binnenhandels. Was den Außenhandel betrifft, braucht nur wenig gesagt zu werden. Die europäischen Handelsvölker hatten alle Angst vor uns. Kein Hafen in Frankreich, Holland, Spanien oder Italien ließ unsere Schiffe einfahren. Und zudem hatten wir mit den Holländern einen heftigen Krieg, obwohl wir dazu kaum in der Lage waren, nachdem wir einen so schrecklichen Feind im eigenen Lande zu bekämpfen hatten. Unsere Kaufleute hatten daher alle nichts zu tun. Ihren Schiffen war jeder auswärtige Platz verschlossen, und von ihren Waren und Fabrikaten, die im Lande hergestellt wurden, wollte man auswärts nirgends etwas wissen. Vor den Waren hatte man dieselbe Angst wie vor uns selber, und mit gutem Grund. Denn unsere Wollwaren hielten die Ansteckung fest wie menschliche Körper. Wurden sie von kranken Leuten verpackt, so waren sie ebenso gefährlich als die Kranken selber. Wenn daher ein englisches Schiff in einem fremden Hafen löschte, mußten die Ballen immer geöffnet und auf dazu bestimmten Plätzen gelüftet werden. Aus London durfte überhaupt kein Schiff in den Hafen, um wieviel weniger erst die Waren, die es an Bord hatte. Ebenso war es in Spanien und Portugal. Es ging ein Gerücht um, daß eine Ladung von englischem Tuch, Baumwollwaren, Kirseizeug und dergleichen, die heimlich an Land gebracht worden war, von den Spaniern verbrannt wurde, während sie die an dem Schmuggel beteiligten Leute mit dem Tode bestraften. Ich kann das Gerücht nicht bestätigen, glaube aber schon, daß es auf Wahrheit beruhte. Noch muß ich über den Stand des Binnenhandels während dieser Schreckenszeit berichten, besonders insofern es sich um die Fabriken und die Geschäfte in der Stadt handelt. Beim ersten Ausbruch der Seuche entstand, wie jeder sich selbst leicht ausmalen kann, unter der Bevölkerung ein allgemeiner Schrecken, und infolgedessen ein völliger Stillstand im Handelsverkehr, außer in Lebensmitteln. Aber auch darin war er durch die Flucht der vielen Tausende, die zahllosen Kranken und das Massensterben bis auf die Hälfte zurückgegangen. Durch die Gnade Gottes war das Jahr in Getreide und Obst überaus fruchtbar gewesen. Nicht so in Heu und Gras. Daher war das Brot billig, weil es Getreide in Überfluß gab, und Fleisch war billig der schlechten Heuernte wegen. Aus demselben Grunde aber waren Butter und Käse teuer, und Heu wurde, gleich außerhalb der Schlagbäume von Whitechapel, um 4 Pfund die Ladung verkauft, was allerdings für die Armen von keinem Belang war. Dafür gab es eine unerhört gute Obsternte. Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen und Trauben kosteten fast nichts, aber das hinwiederum veranlaßte die Armen, davon im Übermaß zu essen, wodurch sie sich die Ruhr, Darmleiden, Magenbeschwerden und dergleichen zuzogen, was oft genug mit der Pest endigte. Um aber zum Handel zurückzukehren, so war der Export gleich null oder wenigstens aufs äußerste erschwert, so daß natürlich alle Fabriken still lagen, die für den Export arbeiteten. Und obwohl die auswärtigen Kaufleute Waren brauchten, konnte doch fast nichts geschickt werden, da man englische Schiffe nirgends zuließ. Damit kam der Export so gut wie in ganz England zum Stillstand, abgesehen von einigen entlegenen Häfen, aber bald auch dort, denn nach und nach kam die Pest überall hin. Doch noch weit schlimmer war, daß auch der Binnenhandel aufhörte, so weit er über London ging, denn hier war er gänzlich zum Erliegen gekommen. Alle Handarbeiter, Kaufleute und Mechaniker waren, wie ich schon früher ausgeführt habe, arbeitslos, und das griff natürlich auf das Heer von Tagelöhnern u. a. m. über, da nichts mehr geschah, was nicht absolut notwendig war. Dadurch waren nun alle Leute, die keinen eigenen Hausstand hatten, mit einemmal ohne jede Versorgung, ebenso wie die Familien, deren Einkommen gänzlich von dem Verdienst des Familienoberhauptes abhängig war. Sie gerieten in ein unsagbares Elend, und es muß zur immerwährenden Ehre der Stadt London gesagt werden, daß durch wohltätige Gaben die Bedürfnisse so vieler Tausende, von denen Unzählige später erkrankten, in einer Weise befriedigt wurden, daß niemand an Mangel zugrunde ging, wenigstens soweit die Behörden davon erfuhren. Jetzt bleibt mir nur noch übrig, etwas über den gnädiger verlaufenen Teil dieses schrecklichen Gerichtstages zu sagen. In der letzten Woche des September hatte die Seuche ihren Höhepunkt erreicht und begann von da an abzunehmen. Ich erinnere mich, daß mein Freund, der Dr. Heath, mich in der vorhergehenden Woche besuchte und mir versicherte, daß in einigen Tagen die Heftigkeit der Seuche gebrochen wäre. Als ich aber in das wöchentliche Sterberegister blickte, das mit 8297 Toten alle früheren übertraf, hielt ich ihm das vor und fragte ihn, auf was er denn sein Urteil gründete. Seine Antwort war allerdings nicht das, was ich erwartet hatte. »Seht,« sagte er, »nach der Anzahl der Erkrankten und Verseuchten hätten wir in der letzten Woche 20000 statt 8000 Tote haben müssen, falls der Verlauf der Krankheitsfälle ebenso ungünstig geblieben wäre wie vor zwei Wochen. Damals starben die Kranken gewöhnlich nach zwei oder drei Tagen, jetzt nicht vor acht oder zehn; früher war unter fünf Fällen eine Heilung, jetzt sterben nur noch höchstens zwei von fünfen. Glaubt mir, die nächste Liste wird eine Abnahme bringen, und Ihr werdet sehen, daß die Heilungen stark zunehmen werden. Denn obwohl wir überall Massen von Verseuchten haben, und auch eine große Anzahl noch täglich erkrankt, sterben doch nicht mehr so viele als früher. Die Bösartigkeit der Seuche hat nachgelassen, und ich habe jetzt Hoffnung, nein, mehr als das, daß die Krisis vorüber ist.« Und wirklich war es auch so, denn in der letzten Septemberwoche zeigte die Liste nur noch 2000 Tote. Es ist wahr: noch immer herrschte die Pest mit großer Heftigkeit. Die nächste Liste brachte 6460 und die weitere noch 5720 Tote. Aber dennoch hatte mein Freund mit seiner Behauptung recht; die Leute erholten sich schneller und in größerer Anzahl als früher. Was hätte auch sonst aus London werden sollen? Der Berechnung von Dr. Heath nach waren zu dieser Zeit nicht weniger als 60000 erkrankt, von denen nur 20477 starben, während der Rest wieder gesund wurde. Solange die Seuche aber auf ihrem Höhepunkte war, waren von einer solchen Anzahl Erkrankter zum mindesten 50000 gestorben, vielleicht noch ebenso viele dazu erkrankt, und dann hätte man wohl wirklich glauben müssen, daß kein Mensch mehr davonkommen würde. Noch weiter bewahrheiteten sich die Beobachtungen meines Freundes während der folgenden Wochen. Die Sterbefälle gingen beständig zurück und betrugen in der ersten Oktoberwoche nur noch 1843, in der nächsten 1413, und das, obwohl die Zahl der Erkrankungen nicht ab-, sondern eher etwas zugenommen hatte. Aber, wie gesagt: die Bösartigkeit der Seuche war gebrochen. Und so ist nun einmal die Art unserer Bevölkerung, wie vermutlich auch auf der ganzen übrigen Welt: gerade, wie man beim ersten Ausbruch der Seuche jeden Verkehr aufgegeben hatte, vor Schrecken und Entsetzen sich gegenseitig aufs eifrigste aus dem Wege gegangen war und die Flucht aus der Stadt ergriffen hatte, ehe es noch nötig gewesen wäre, nahm man jetzt, als man sah, daß eine Menge Menschen erkrankte, aber wieder geheilt wurde, die Pest überhaupt kaum noch ernst, betrachtete sie nicht anders, als wäre sie ein einfaches Fieber und kümmerte sich nicht im geringsten mehr um die Gefahr der Ansteckung. Nicht nur, daß die Leute ohne Scheu mit solchen verkehrten, die laufende Geschwüre und Geschwülste an sich hatten, sie aßen und tranken auch mit ihnen, gingen in ihre Häuser und selbst in die Zimmer, wo sie krank lagen. Für vernünftig konnte ich das nicht halten. Mein Freund, der Dr. Heath, gab zu, daß die Seuche so ansteckend als nur je wäre und auch noch viele daran erkrankten, behauptete aber, daß die Sterblichkeit in keinem Verhältnis mehr zu der Zahl der Erkrankungen stände, verglichen mit der früheren Todesrate. Ich meine aber, daß doch immer noch eine ganze Anzahl sterben mußte. Und da die Krankheit an sich sehr qualvoll war, von den Geschwülsten und Geschwüren gar nicht zu reden, die Todesgefahr auch durchaus nicht ausgeschlossen schien, die Heilung endlich sehr lange Zeit brauchte, so hätte nach meiner Meinung sich jeder wohl überlegen sollen, mit den Erkrankten zusammenzukommen und die Ansteckungsgefahr leichter als früher zu nehmen. Noch etwas anderes hätte die Leute veranlassen müssen, die Erkrankung an der Pest wie das höllische Feuer zu scheuen, das war die schreckliche Wirkung der Ätzmittel, die die Wundärzte auf die Geschwülste legten, um sie zum Aufbrechen und Eitern zu bringen, da sonst die Gefahr eines tödlichen Ausganges bis zum letzten Augenblick äußerst groß war. Auch ohnedies waren die Geschwülste an sich sehr qualvoll, und wenn sie die Leute auch nicht mehr wie vordem zum Wahnsinn brachten, verursachten sie doch kaum erträgliche Schmerzen. Diejenigen, die mit dem Leben davonkamen, beklagten sich später aufs bitterste, daß man ihnen gesagt hätte, es wäre keine Gefahr bei der Sache und bereuten tief, daß sie sich nicht besser in acht genommen hatten. So rächte sich die unkluge Handlungsweise der Leute, die alle Vorsicht beiseite ließen. Viele wurden geheilt, aber viele starben auch, und ich bin überzeugt, daß das Herabgehen der Sterberate dadurch nicht unwesentlich verzögert wurde. Nach dem ersten starken Abflauen zeigten die beiden nächsten Listen keine entsprechende Abnahme, und der Grund hierfür war sicherlich, daß das Volk alle früher gebrauchten Vorsichtsmaßregeln vernachlässigte in dem Glauben, es würde niemand mehr die Seuche bekommen und wenn, würde es auch nicht gleich ans Sterben gehen. Die Ärzte widersprachen solcher Kopflosigkeit aus allen Kräften. Sie veröffentlichten gedruckte Anweisungen und verbreiteten sie über die ganze Stadt und in allen Vorstädten, worin sie die Leute zur Zurückhaltung ermahnten und ihnen rieten, trotz der Abnahme der Sterbefälle die äußerste Vorsicht im täglichen Leben zu beobachten, weil es sonst leicht zu einem neuen Ausbruch kommen könnte, der noch weit schrecklicher und verhängnisvoller sein würde als der erste. Zum Beweise fügten sie eine Menge Erläuterungen und Erklärungen an, die aber an dieser Stelle nicht wiederholt werden können. Aber all das half nichts. Die Leute waren wie besessen von der Freude über das Herabgehen der Sterblichkeit, daß die neu angedrohten Schrecknisse bei ihnen nicht mehr verfingen. Sie ließen sich den Glauben nicht nehmen, daß es nun mit dem Sterben zu Ende wäre, und wer ihnen das Gegenteil beweisen wollte, hätte ebensogut in den Wind sprechen können. Man öffnete wieder die Läden, spazierte in den Straßen umher, machte Geschäfte und sprach jeden an, der gerade in den Weg kam, ob man mit ihm zu tun hatte oder nicht, und ohne jemals nur nach der Gesundheit zu fragen oder sich um die Gefahr der Ansteckung zu kümmern, wenn es sich um einen augenscheinlich Kranken handelte. Ein gewisser John Cock, ein Barbier, war ein ausgezeichnetes Beispiel für die überstürzte Rückkehr der Leute, nachdem die Seuche etwas nachgelassen hatte. Er hatte seinerzeit mit seiner ganzen Familie die Stadt verlassen, sein Haus zugesperrt und war, wie so viele andere, aufs Land verzogen. Als er nun hörte, daß im November nur noch 900 wöchentlich starben, beeilte er sich, wieder nach Hause zu kommen. Sein Hausstand bestand aus zehn Personen: seiner Frau, fünf Kindern, zwei Lehrlingen und einem Dienstmädchen, wozu noch er selbst kam. Er war noch nicht eine Woche zu Hause und hatte eben seinen Laden wieder aufgemacht und sein Geschäft begonnen, als die Seuche bei ihm ausbrach; und binnen fünf Tagen starb die ganze Familie völlig aus, und nur das Dienstmädchen blieb am Leben. Aber die Gnade Gottes war größer, als wir vernünftigerweise hätten hoffen dürfen. Die Bösartigkeit der Seuche war erloschen, das Ansteckungsgift hatte sich erschöpft, und zudem stand der Winter vor der Tür. Als bei klarer Luft einige scharfe Fröste einsetzten, trat bei den meisten Kranken Heilung ein, und die Gesundheit fing an, in die Stadt zurückzukehren. Zwar gab es noch im Dezember einige Rückfälle, und die Listen stiegen wieder bis auf hundert Tote an, aber dies war nur vorübergehend, und in kurzem war alles wieder im alten Gleise. Es war erstaunlich zu beobachten, mit welcher Schnelle sich die Stadt von neuem bevölkerte. Ein Fremder hätte sich nicht vorstellen können, daß Zehntausende zugrunde gegangen waren. Auch die Wohnungen schienen alle wieder bezogen. Leere Häuser waren eine Seltenheit, und an Mietern für sie war kein Mangel. Nachdem, im allgemeinen gesprochen, nun wieder alles beim alten war, mußte es den Leuten um so seltsamer vorkommen, wenn sie auf Erkundigungen hin hören mußten, daß ganze Familien so völlig ausgestorben waren, daß man sich kaum noch an sie erinnern konnte. Niemand kam, der auf das, was sie etwa hinterlassen haben mochten, einen rechtmäßigen Anspruch geltend gemacht hätte. Allerdings war in den meisten Fällen solcher Art das, was sich vorgefunden hatte, längst vergeudet und gestohlen worden. Es hieß, daß alles herrenlose Gut dem König als einzigem Erben verfallen wäre. Wie dem auch sein mag, schien es doch, daß der König darauf zugunsten des Lordmayors und des Ratskollegiums von London verzichtete, damit es unter die zahlreichen Armen verteilt würde. Denn obwohl die Gelegenheiten zur Erleichterung der Lage der Armen während der Pestzeit weit vordringlicher gewesen waren als jetzt, da alles vorüber war, ging es ihnen jetzt doch viel schlechter, da alle Kanäle der allgemeinen Wohltätigkeit versiegten. Die Leute schienen zu glauben, daß sie genug getan hätten und hielten sich zurück, während doch noch manches Elend zu lindern gewesen wäre. Ich hätte erwähnen sollen, daß die Quäker zu jener Zeit einen eigenen Begräbnisplatz besaßen, der auch jetzt noch in Gebrauch ist. Sie hatten auch einen eigenen Leichenkarren in Benutzung. Und merkwürdigerweise war es jener Salomon Eagle, der, wie ich schon erzählt habe, die Pest als Gericht Gottes vorhersagte und, nackt in den Straßen umherrennend, die Leute zur Buße aufgerufen hatte, der als eines der ersten Opfer in dem Leichenkarren auf den neuen Begräbnisplatz gefahren wurde. Recht ernst waren die Vorwürfe, die man den Ärzten machte, weil sie während der Pest ihre Kranken im Stiche gelassen hätten. Als sie jetzt wieder in der Stadt erschienen, wollte niemand mehr mit ihnen zu tun haben. Man nannte sie Deserteure, und häufig wurden Zettel an ihre Türen geheftet, auf denen geschrieben war: Hier ist ein Doktor zu vermieten! So daß nicht wenige es für besser hielten, sich einige Zeit nicht zu zeigen oder in eine andere Wohnung zu ziehen, in deren Umgebung man sie nicht kannte. Ebenso war es mit der Geistlichkeit, die vom Volke in Spottgedichten und dergleichen bös mitgenommen wurde. Auf den Kirchentüren fand man oft die Inschrift: Hier ist eine Kanzel zu vermieten oder, was fast noch schlimmer war: zu verkaufen. Besonders waren es die Dissenters, die der Geistlichkeit der englischen Kirche vorhielten, daß sie geflohen war, und das Volk dann, als es sie am nötigsten gebraucht habe, verlassen hätte. Aber das läßt sich kaum billigen, denn nicht alle Menschen haben die gleiche Zuversicht und den gleichen Mut, und die Heilige Schrift befiehlt uns, stets ein mildes und günstiges Urteil abzugeben. Ich versuchte einmal, eine Liste von allen Berufen und Beschäftigungen aufzustellen und jene darin zu verzeichnen, die bei Ausübung ihres Amtes oder ihrer Geschäfte gestorben waren, aber für einen Privaten war es ganz unmöglich, dabei zu irgendeiner Sicherheit zu gelangen. Nach meinen Erinnerungen starben 16 Geistliche, 2 Ratsherren, 5 Ärzte, 13 Wundärzte innerhalb der inneren Stadt vor Anfang September. Aber da erst dann die Seuche ihren Höhepunkt erreichte, kann diese Liste kaum vollständig sein. Was das niedere Volk betrifft, so starben 46 Konstabler und Gemeindevorsteher in den beiden Kirchspielen von Stepney und Whitechapel. Leider konnte ich meine Liste nicht fortsetzen, denn als im September die ganze Wut der Seuche über uns kam, spottete sie aller Aufzeichnungen. Die Menschen starben nicht mehr als einzelne, sondern in Massen und wurden in Massen eingescharrt, ohne sie zu zählen, mochten die öffentlichen Sterberegister auch 7 oder 8000 oder was immer für eine Zahl anführen. Wenn man jenen glauben darf, die bessere Gelegenheit hatten als ich, diese Dinge der Wahrheit gemäß zu untersuchen, so starben zu dieser Zeit wöchentlich etwa 20000 Menschen. Ich selbst will mich lieber an die veröffentlichten Zahlen halten, denn schon 7 oder 8000 Tote wöchentlich sind genug, um zu rechtfertigen, was ich von dem Grauen jener Zeit berichtet habe. Es erfüllt mich mit Genugtuung, sagen zu dürfen, daß ich in keiner Weise übertrieben habe und eher noch unter der Wirklichkeit geblieben bin. Für die Nachwelt sei bezeugt, daß alle bürgerlichen Beamten, die Konstabler, Gemeindevorsteher, Scherifs und Kirchspielbediensteten, in deren Aufgabe es lag, sich der Armen anzunehmen, ihre Pflichten im allgemeinen so gut wie nur irgendeiner und vielleicht besser erfüllten. Sie waren den meisten Gefahren ausgesetzt, da ihr Werk in den Armenvierteln lag, wo die Ansteckung am leichtesten war. Fielen sie selbst der Krankheit zum Opfer, so war ihre Lage höchst bejammerungswürdig. Es ist auch nicht anders möglich, als daß eine große Anzahl von ihnen von der Seuche verschlungen wurde. Ich habe noch kein Wort über die Medizinen und Vorbeugungsmittel gesagt, die man gewöhnlich während jener Zeit gebrauchte. Wenigstens alle jene, die wie ich auf der Straße zu tun hatten. Von den Quacksalbern ist viel darüber geschrieben worden, aber auch das Ärztekollegium veröffentlichte täglich Vorbeugungsmittel, von deren Wirkung es sich überzeugt hatte. Da alle diese Dinge gedruckt vorliegen, brauche ich sie nicht zu wiederholen. Eine Geschichte aber möchte ich doch noch erzählen. Sie betrifft einen Quacksalber, der sich gerühmt hatte, ein Gegenmittel gegen die Pest zu besitzen, das den Träger vor jeder möglichen Ansteckung schütze. Dieser Mann, der doch jedenfalls niemals ausging, ohne etwas von seinem unübertrefflichen Gegenmittel bei sich zu führen, erkrankte an der Seuche und starb binnen zwei oder drei Tagen. Ich gehöre nicht zu jenen, die einen Widerwillen oder gar Verachtung gegen alle Medizinen haben, im Gegenteil habe ich ja schon oft von der Achtung gesprochen, die ich für die Vorschriften meines besonderen Freundes, Dr. Heath, hatte. Aber ich muß doch gestehen, daß ich selbst nichts gebrauchte, als ein stark riechendes Mittel, für den Fall, daß mir irgend etwas Ekelhaftes unterkäme, oder daß ich in die Nähe einer Leiche oder eines Begräbnisplatzes gelangte. Es herrschte damals ein Streit unter den Gelehrten, der die Leute nicht wenig in Verlegenheit brachte, nämlich, in welcher Weise die Wohnungen und Sachen, wo die Pest hingekommen war, wieder gereinigt werden möchten. Besonders auch, was man zu tun hätte, um die lange leergestandenen Häuser bewohnbar zu machen. Eine Unmenge von Räuchermitteln von der oder jener Zusammensetzung wurde von den Ärzten angegeben, die die Leute, die sie anwendeten, ein nach meiner Meinung unnützes Geld kosteten. Die ärmeren Leute, die ihre Fenster Tag und Nacht offenstehen ließen und in den Zimmern Schwefel, Pech und Schießpulver verbrannten, hatten mindestens ebensoviel davon. Und diejenigen, von denen ich schon gesprochen habe, die sich auf jede Gefahr hin beeilten, wieder in die Stadt und nach Hause zu kommen, taten wenig oder gar nichts und fuhren dabei doch nicht schlimmer. Im allgemeinen waren es vornehmlich die ärmeren Klassen, die sich mit der Rückkehr so beeilten, die Reichen folgten viel langsamer. Die Geschäftsleute kamen wohl schnell, aber sie ließen ihre Familien erst im Frühling nachkommen, als man allen Grund zu dem Glauben hatte, daß die Seuche nicht wieder erscheinen würde. Der Hof kehrte bald nach Weihnachten zurück, der Adel jedoch, der nicht bei Hof angestellt war oder bei der Regierung zu tun hatte, folgte erst später. Merkwürdig war, daß die Pest trotz ihrer Heftigkeit in London und anderen Orten nie auf die Flotte übergriff. Obwohl sowohl auf dem Flusse wie auf der Straße zu jener Zeit stark gepreßt wurde, um Leute für den Dienst auf der Flotte zu bekommen. Das war allerdings am Anfang des Jahres, als die Seuche kaum begonnen hatte und noch nicht in jene Stadtteile gedrungen war, wo hauptsächlich gepreßt zu werden pflegte. Der holländische Krieg, der damals geführt wurde, war durchaus nicht nach dem Geschmack des Volkes, und die Seeleute meldeten sich nur mit großem Widerwillen zum Dienst und beklagten sich bitter, wenn sie mit Gewalt dazu gepreßt wurden, aber für viele war es eine wohltätige Gewalt. Denn wahrscheinlich wären sie bei dem allgemeinen Unglück, der Pest nämlich, zugrunde gegangen, während sie so nach Ablauf des Sommerdienstes heil und gesund zurückkehren konnten. Freilich fanden manche unter ihnen ihre Familien im Grabe, worüber sie mit Recht klagen und jammern mochten, aber deshalb konnten sie doch einem Schicksal dankbar sein, das sie selbst, wenn auch gegen ihren Willen, vom Verderben gerettet hatte. Es war in jenem Jahre ein heißer Krieg zwischen uns und den Holländern mit einer sehr großen Schlacht, bei der die Holländer den kürzeren zogen. Aber auch wir verloren viele Leute und einige Schiffe. Die Pest aber kam, wie gesagt, nicht auf die Flotte, und als diese zurückkam, war auch die Heftigkeit der Pest gebrochen. Ich wäre sehr froh, wenn ich den Bericht dieses schrecklichen Jahres mit einigen Beispielen der Dankbarkeit gegen Gott, unsern Erhalter, abschließen könnte, der uns vom Verderben erlöste. Die Umstände dieser Erlösung von dem furchtbaren Feinde hätten die ganze Nation dazu veranlassen müssen. Nur die Hand Gottes und seine Allmacht konnten sie vollbringen. Die Ansteckung spottete aller Gegenmittel, der Tod wütete bis in die letzten Winkel, noch einige Wochen, und in der Stadt wäre keine lebende Seele zurückgeblieben. Überall bemächtigte sich die Verzweiflung der Menschen, Angst verdrängte den letzten Rest von Mut, und auf allen Gesichtern zeigte sich nur noch die äußerste Hoffnungslosigkeit. Und da, als man wohl sagen konnte: Umsonst ist alle menschliche Hilfe, gefiel es Gott, die Wut der Seuche einzudämmen und ihre Bösartigkeit zu lähmen. Es ist unmöglich, die Veränderung in den Zügen der Leute zu beschreiben, als an jenem Donnerstag das wöchentliche Sterberegister erschien. Eine heimliche Freude und Heiterkeit war auf allen Gesichtern zu sehen. Während man früher sich sorgsam auswich, schüttelte man sich jetzt die Hände. In den Straßen öffneten sich die Fenster, und die Inwohner fragten einander, wie sie sich befänden und ob sie schon die gute Neuigkeit wüßten, daß die Pest nachgelassen habe. Einige taten verwundert und meinten: »Was denn für eine gute Neuigkeit?« Dann riefen die anderen: »Die Pest hört auf, die Liste ist schon auf fast 2000 heruntergegangen!« und nun schrien sie alle miteinander: »Gott sei Dank!« und weinten aus Freude und erklärten, sie hätten noch nichts davon gehört gehabt. Die Seligkeit der Leute war so groß, als wäre das Leben aus dem Grabe zu ihnen zurückgekehrt. Ich könnte eine ganze Reihe der verrücktesten Dinge anführen, die sie im Übermaß ihrer Freude vollführten, wie früher im Übermaß ihrer Verzweiflung, aber ich will’s lieber unterlassen, um den Wert ihres Glückes nicht herabzusetzen. Jetzt war’s auf einmal mit allen Befürchtungen zu Ende, und das zu früh, denn nun machte es uns nichts mehr aus, einem Mann mit einer weißen Kappe auf dem Kopfe zu begegnen, oder mit einem Tuch um den Hals gewickelt oder hinkend wegen der Geschwülste in der Leistengegend, was uns alle noch eine Woche vorher in den äußersten Schrecken versetzt haben würde. Die ganze Straße war jetzt voll dieser armen Geschöpfe, die sich ihrer unerwarteten Erlösung von ganzem Herzen freuten. Ich würde ihnen sehr Unrecht tun, nähme ich nicht an, daß viele unter ihnen aus voller Seele dankbar waren. Bei den meisten mochte es allerdings zu Recht heißen, was von den Kindern Israels gesagt wurde, als sie nach ihrem Durchzug durch das Rote Meer die Ägypter im Wasser versinken sahen: »Sie lobten Gott, aber bald vergaßen sie seine Werke.« Doch hier will ich Schluß machen, um nicht tadelsüchtig und vielleicht ungerecht gescholten zu werden, wenn ich mich in Erwägungen einließe, warum die Undankbarkeit und Schlechtigkeit wieder zu uns zurückkehrte, deren Zeuge ich seitdem oft genug gewesen bin. Daher werde ich die Schilderung dieses unseligen Jahres mit einem schlechten aber gutgemeinten Verschen eigener Mache beschließen, das ich an das Ende meiner Tagebücher setzte in demselben Jahre, in dem sie geschrieben wurden. Im Jahre fünfundsechzig hat’s Die Pest in London gegeben, An Hunderttausend nahm sie mit, Doch ich, ich blieb am Leben! Nachwort des Übersetzers Es liegt wohl an der Grausigkeit des Stoffes, daß das »Tagebuch aus dem Pestjahr« (Journal of the Grand Plague of London. -- London 1723), abgesehen von einer unauffindbaren Übersetzung aus dem 18. Jahrhundert, jetzt wohl zum erstenmal in deutscher Sprache erscheint. Wer es mit seinen, bis in die kleinsten und unbedeutendsten Einzelheiten gehenden Schilderungen durchgelesen hat, dürfte einigermaßen erstaunt sein, zu hören, daß es von einem 61jährigen Manne geschrieben wurde, der zurzeit der großen Pest 4 Jahre alt war, und daher aus eigener Anschauung nichts und vom Hörensagen kaum allzuviel über jenes Ereignis wissen konnte. Auch mit gründlichen Quellenstudien hat Defoe sich sicherlich nicht abgegeben. Das geht einmal aus der ungemeinen Flüchtigkeit bei der Abfassung des Werkes hervor, die in zahlreichen Widersprüchen und noch viel zahlreicheren oft wörtlichen Wiederholungen (die in der Übersetzung ein wenig beschnitten wurden) zutage tritt, dann aus dem Umstande, daß er im gleichen Jahre, außer einem religiösen Traktat und einer Gelegenheitsschrift, noch eine Kriminalgeschichte und zwei umfangreiche Romane veröffentlichte. Daß trotzdem in dem »Pestbuche« ein Werk entstehen konnte, das trotz Robinson von vielen für die beste Arbeit Defoes gehalten wird und selbst wohlunterrichtete Männer der Wissenschaft dazu verführte, in ihm eine historische Quelle für die damaligen Zustände zu sehen, erklärt sich aus der besonderen Natur von Defoes Schaffensweise. Er besaß, neben einer erstaunlichen Fruchtbarkeit, im allerhöchsten Maße die Gabe, die man »Wirklichkeitsphantasie« nennen könnte, d. h. die Fähigkeit, sich in eine erdichtete und bloß vorgestellte Umwelt ganz und gar hineinzuversetzen und so völlig in ihr aufzugehen, als ob er tatsächlich darin zu leben und sich ihr anzupassen hätte. Da er aber in allen möglichen Tätigkeiten sich versucht hatte und als überaus vielseitiger Journalist auf fast jedem Gebiete der öffentlichen Angelegenheiten zu Hause war, fand seine Phantasie immer Schranken und Anhaltspunkte an den ihm wohlvertrauten Umständen und Verhältnissen aller Seiten des menschlichen Lebens. Das behütete sie davor, ins Uferlose zu schweifen und gibt den vielleicht phantasievollsten Werken der Weltliteratur den Anschein einer fast grausamen Nüchternheit. Darum wird die einzigartige Begabung Defoes bei den Lesern nicht immer die ihr gebührende Wertschätzung finden, wer aber gerade das vorliegende Buch als bewußte Mystifikation mit ähnlichen Werken der neuesten Zeit vergleicht, möchte doch vielleicht das Urteil Walter Scotts nicht allzu übertrieben finden, daß Defoe, würde er auch den Robinson nicht geschrieben haben, für sein »Pesttagebuch« die Unsterblichkeit verdient hätte. Daniel Defoe: Die Romane In deutschen Übertragungen herausgegeben von _Joseph Grabisch_. 12°. Halbleder. Denkwürdigkeiten eines englischen Edelmannes aus dem großen Kriege. 1.--3. Tausend. 12°. 275 Seiten. Die glücklichen und unglücklichen Begebenheiten der vielberufenen Moll Flanders. 1.--3. Tausend. 489 Seiten. Leben und Abenteuer des weltbekannten Seeräubers Bob Singleton. 1.--3. Tausend. 425 Seiten. Oberst Hannes. Mit der Vorrede des Autors. 1.--3. Tausend. 423 Seiten. _Hermann Hesse_ in «_~Vivos voco~_»: Der Verlag Georg Müller, der früher schon die Hauptwerke eines der bedeutendsten älteren Engländer, Sternes, in wunderschönen deutschen Neuausgaben gebracht hat, legt in vier Bänden vier Hauptwerke Defoes vor, neu in deutschen Ausgaben, die Joseph Grabisch besorgt hat. Die schönen Bände sind ein Leckerbissen für Bücherfreunde, schon äußerlich. Defoe, der mit seinem »Robinson« eines der gelesensten und schönsten Bücher der Welt geschrieben hat, ist ein unglaublich positiver und lebendiger Mensch gewesen. Er stand mitten im politischen Leben seiner Zeit, war eine Weile der Vertraute Wilhelms von Oranien, war Soldat, machte Reisen, kam mehrmals ins Gefängnis. Viel von seinem vollen, fast überfüllten Leben ist in seine Romane geflossen, auch sie sind voll, reich, gespickt mit Erlebnis, Bildern und Abenteuern. Die schöne neue Ausgabe dieser kuriosen, im Kern unveralteten Bücher sei begrüßt. Georg Müller Verlag · München Der große englische Roman Laurence Sterne: Gesammelte Schriften. Vier Bände. 8°. Halbleder. Tristram Schandis Leben und Meynungen. Nach der Übertragung von Johann Joachim Bode herausgegeben von Otto Julius Bierbaum. Neun Teile in drei Bänden. 12°. 3.--4. Tausend. 499, 464 und 367 Seiten. Yoricks empfindsame Reise. Übertragen von Johann Joachim Bode. 12°. 3.--4. Tausend. Zwei Bände in einem. 153 und 141 Seiten. Sterne ist ganz genau der Geburtsort des modernen englischen Humors, nicht des klassischen Humors des absolutistischen Englands, der in Shakespeare seine höchste Höhe erreicht, sondern des sentimentalen Humors des bürgerlichen Englands (es ist interessant, daß das deutsche Wort »empfindsam« als Wiedergabe des englischen «~sentimental~» anläßlich der Übersetzung von Sternes »Empfindsamer Reise« von Johann Joachim Bode geprägt und seither deutsches Sprachgut geworden ist. Es drückt sich darin aus, daß Sterne der Schöpfer eines ganz neuen, bürgerlichen Gefühles ist). _Hermann Hesse_ schrieb über diese Sterne-Ausgabe: Nun kommt also auch Sterne dazu. Gewiß lag er längst deutsch vor, aber ich muß zugeben, daß diese alte Bodesche Übertragung wirklich in Klang und Geist etwas Kongeniales und Wahlverwandtes mit dem Originale hat, und was den Neudruck betrifft, so hat der Verlag Georg Müller damit ein Prachtstück geliefert. Für Freunde außergewöhnlich hübscher Bücher tut sich hier ein Lustgarten auf. Die Ausgabe wurde in altertümlicher Fraktur gedruckt. Als Format wurde ein zierliches Oktav gewählt. Gebunden wurden die Bändchen in Halbfranz nach einem Entwurfe von Paul Renner. Tobias George Smollet: Roderich Random. Ein Seitenstück zum Gil Blas. Nach der W. Ch. S. Myliusschen Übersetzung herausgegeben von Marianne Trebitsch-Stein. Zwei Bände. 12°. In Halbfranz gebunden. _Wiener Allgemeine Zeitung_: Ein neuer Band der von Otto Julius Bierbaum begründeten Bücher der Abtei Thelem, ein literarischer Leckerbissen, ein Buch, das als Zeitdokument interessiert und unterhält. Ein Seitenstück zum »Gil Blas« nennt es der Autor, aber wo der Franzose nur unterhält und die Kritik hinter lächelnder Wohlgelauntheit verbirgt, gibt Smollet unerbittliche Wahrheit, ehrliche Entrüstung. Neben den weiten Möglichkeiten, die der Roman Smollets satirischen Absichten bot, lockten ihn die abenteuerlichen Fahrten, die er selbst erlebt hatte, die wechselvollen Geschicke, die ihn in allen Weltteilen umhergeschleudert hatten, deren lebendiger Atem das Werk so frisch bewegt und es vor dem Veralten bewahrte. Marianne Trebitsch-Stein hat mit viel Sorgfalt die Ausgabe vorbereitet und in der Einführung eine Geschichte des Smolletschen Romans gegeben, die in ihrer umfassenden Gründlichkeit schon eine kleine englische Kulturgeschichte jener Zeit ist. Tobias George Smollet: Peregrine Pickle. Nach der W. Ch. S. Myliusschen Übersetzung herausgegeben von Rudolf Kurtz. Zwei Bände. 12°. In Halbfranz gebunden. _Walter Scott_: Es findet sich zwischen »Roderich Random« und »Peregrine Pickle« ein Unterschied, den man oft zwischen dem ersten und zweiten Werke eines Verfassers, der mit glücklichen Erfolge aufgetreten ist, finden wird. »Peregrine Pickle« ist vollendeter, sorgfältiger ausgearbeitet; man bewundert darin eine größere Verschiedenheit von Abenteuern und Charakteren als im »Roderich Random«. Allein dieser ist mit einer gewissen Ruhe und Natürlichkeit geschrieben, die nicht im gleichen Maße im »Peregrine Pickle« anzutreffen ist. Wenn aber auch Smollet die Einfachheit seines ersten Romanes dem zweiten nicht gegeben hat, geben wollte oder konnte, so entschädigt doch »Peregrine Pickle«, ohne eine Spur von Abnahme der Kräfte des Verfassers zu verraten, durch eine viel reichere Sammlung von Gestalten und Verhältnissen als sein Vorgänger. Henry Fielding: Tom Jones. Roman. In der Übersetzung von J. J. Bode. Herausgegeben und eingeleitet von Johannes von Guenther. Drei Bände. 8°. In Halbfranz gebunden. Henry Fieldings »Tom Jones«, die Geschichte eines Findlings, ist der berühmteste und wohl auch der beste englische Roman des 18. Jahrhunderts. Er durfte in den Büchern der Abtei Thelem nicht fehlen, nachdem die Leser mit Smollets Meisterwerken bekannt gemacht wurden. Das Krasse und Rohe in Smollets Manier erscheint hier gemildert zugunsten einer versöhnlicheren Wirkung; das Derb-Komische Smollets wurde hier zum Ewig-Heiteren, ohne dabei an komischer Wirkung einzubüßen. Frisches und wahres Leben bietet dieses ewig junge Buch, das entstanden ist (wie s. Z. der »Don Quijote«), um den weinerlichen und rührseligen Sentimentalisten jener Zeit die wahre und ungenierte Poesie einzubleuen. Der reizende Humor des Romans wurde am besten von der alten Übersetzung J. J. Bodes wiedergegeben, die hiermit ihre fröhliche Auferstehung feiert. Lord Chesterfields Briefe an seinen Sohn. Auf Grund der ersten deutschen, hier verbesserten Ausgabe in Auswahl herausgegeben und eingeleitet von Hans Feigl. Mit dem der ersten englischen Ausgabe beigegebenen Porträt Chesterfields. Zwei Bände. 12°. In Halbfranz gebunden. _O. A. H. Schmitz_ im »Tag«: Was der »Cortigiano« für die Renaissance ist, bedeuten diese Briefe für das 18. Jahrhundert. Will man die Gestalt Lord Chesterfields, die aus seinen Briefen mit der wünschenswertesten Deutlichkeit in ihren Umrissen hervortritt, richtig fassen, so wird man sagen müssen: Er hat, wie alle nach Vollkommenheit strebenden Menschen, eine Menge freundlicher menschlicher Dinge unterdrückt, die dieser Vollkommenheit im Wege gestanden hätten, als Unbefangenheit, Harmlosigkeit, Naivität und dergleichen. Die von ihm erstrebte Vollkommenheit hat er dagegen durchaus erreicht. Er war ein Mann von großem Wissen und weitreichender Belesenheit, gleichzeitig ein tüchtiger Staatsmann und einer der glänzendsten Vertreter der äußeren Kultur des 18. Jahrhunderts. Robert Louis Stevenson: Südseenachtgeschichten / Die Schatzinsel. Zwei Bände. Die Einbände entwarf Charlotte Christine Engelhorn. Die meisten deutschen Leser kennen nur die »Schatzinsel« und haben die unbestimmte Vorstellung, daß Stevenson ein Jugendschriftsteller war, dessen Werke sich erstaunlich lange frisch erhalten haben. Wäre er nur das, so wäre es schon sehr viel, denn Jugend läßt sich dauernd nur von dem ansprechen, was selbst innerlich jung und bilderreich ist. In Wahrheit beruht die Wirkung Stevensons auf einer großen menschlichen Überlegenheit und einer damit verbundenen naiven Fabulierfreudigkeit, wie sie in unserem gehetzten Jahrhundert kaum mehr vorkommt. Walter Savage Landor: Erdichtete Gespräche. Deutsch von E. von Schorn. (Sammlung Lebenskunst Band 8.) 8°. 404 Seiten. _Der Tag, Berlin_: Diese erdichteten Gespräche sind ein berühmtes Buch der Weltliteratur, das seine erzählenswerten Schicksale gehabt hat, bevor und nachdem es weltberühmt geworden ist. Der Autor dieser Gespräche, deren Inhalt die ganze Weltgeschichte umfaßt, ist kein ausgeklügelt Buch, sondern ein Mensch mit mehr als einem Widerspruch gewesen. Die vorliegende Übersetzung bringt einige der berühmtesten Gespräche, wie das zwischen Alexander dem Großen und dem Ammonspriester, Elisabeth und Maria, Katharina II. und der Fürstin Daschkow, Pitt und Canning, die schon eine hinreichende Vorstellung von dem reifen Geist und der Kunst Landors geben. Die Bücher der Abtei Thelem Begründet von Otto Julius Bierbaum. Johann Gottwerth Müller: Siegfried von Lindenberg. Eine komische Geschichte. Bearbeitet und mit einem Vorwort versehen von Richard Elchinger. Mit den Kupfern von Daniel Chodowiecki. 12°. IX und 460 Seiten. Herrn Johann Gottwerth Müller darf man sich als einen sehr liebenswürdigen und gebildeten Menschen vorstellen. Er hat in seinem langen Leben, das 86 Jahre währte, eine große Menge Papier beschrieben: das meiste zu Itzehoe, Tobak rauchend und aufs angenehmste umzirkt und geschützt vom Palisadenwerk seiner geliebten Bücherbretter. Überdauert hat seinen Namen nur jenes Buch, das einst Müllers nicht geringen Ruhm begründet hat: Der komische Roman »Siegfried von Lindenberg«. Naturburschen von seiner echten Artung sind auch heute noch wie vor 150 Jahren im Leben und in den Büchern eine seltene Spezies, der man nicht allzuoft begegnet. Denis Diderot: Jakob und sein Herr. Unter Zugrundelegung der Myliusschen Übersetzung herausgegeben von Hanns Floerke. 12°. 515 Seiten. Diderot ist von den Schriftstellern der Aufklärungsepoche vielleicht der tiefste und gehaltreichste. Dies entspricht auch dem Interesse, das das klassische Weimar, Goethe an der Spitze, an seinen Schriften nahm. Goethes mannigfaltige und begeisterte Äußerungen über den Eindruck Diderotscher Erzählungen, schließlich seine eigene wundervolle Übersetzung des Dialogs »Rameaus Neffe« zeugen davon, welche Schätzung sich Diderot bei den Größten seiner Zeit erfreute. Laurence Sterne: Yoricks Predigten. Übertragen von Josef Grabisch. Zwei Bände. 12°. XXII, 505 und 511 Seiten. Die sechsundvierzig Predigten des Vikars von Sutton sind für den, der in das Geheimnis der Dreieinigkeit Tristram-Yorick-Sterne eindringen will -- und welcher Bakkalaureus der Lebensweisheit, dem es gelungen ist, sich in der Shandyluft wohl zu fühlen, wollte das nicht? -- unentbehrlich. Sie leuchten aber auch ohne das Licht des Sterneschen Ruhms und nicht nur für die Verehrer des »Tristram Shandy« und der »Empfindsamen Reise«. F. M. Voltaire: Candide. Nach der anonymen Übersetzung von 1732, neu herausgegeben von Lothar Schmidt. Nebst dem zweiten Teil unbekannter Herkunft und mit 5 Heliogravüren nach Kupfern von Chodowiecki. 8°. XXXI, 218 und 155 Seiten. (In einem Bande.) Den Ruhm Voltaires können seine Dramen kaum mehr aufrechterhalten. Sein souveräner Geist, sein Witz, seine ganz unvergleichliche Schlagkraft konzentriert sich in seinen satirischen Erzählungen, von welchen »Candide« alle Vorzüge vereinigt. Marie Madeleine Gräfin von La Fayette: Die Prinzessin von Cleve. Ins Deutsche übertragen und herausgegeben von Paul Hansmann. Mit einem Nachwort. 8°. 293 Seiten. _Aus dem Vorwort_: Man hat diesen ersten psychologischen Roman, der in Frankreich geschaffen wurde, eine Herzensbeichte der La Fayette genannt und in der Cleve und ihrem Schicksal eine Verwandtschaft mit der Autorin, in Monsieur de Nemours den Herzog de La Rochefoucauld sehen wollen. Sei dem wie ihm wolle, zuversichtlich wissen wir, daß nur eine edle, freimütige und wahrhafte Frau, die ein gutes Frauenschicksal hatte, dieses rührende, zarte Werk schreiben konnte, das seinen Platz in der Weltliteratur ewig frisch behaupten wird. Erasmus: Das Lob der Narrheit. Aus dem Lateinischen nach der Ausgabe von 1781. Neu herausgegeben von Lothar Schmidt, mit Wiedergaben der meisten Holzschnitte von Hans Holbein. 12°. III und 207 Seiten. Das elegant geschriebene Werk verdankt seine äußere Anregung dem deutschen »Narrenschiff« des Sebastian Brant, kommt aber geistig aus viel früherer Zeit her, nämlich aus der freien Sphäre des Lucian. H. J. Dulaurens: Gevatter Matthies oder die Ausschweifungen des menschlichen Geistes. Nach der ersten deutschen Übersetzung von 1779 neu bearbeitet und herausgegeben von Hanns Floerke. Zwei Bände. 12°. XXII, 408 und 463 Seiten. Der «~Compère Mathieu~» erschien zum ersten Male 1766 und hat in knapp 70 Jahren 25 Auflagen erlebt, obgleich das Buch sicherlich kein Buch für die Menge ist. Auch die vorliegende Ausgabe ist nur für diejenigen bestimmt, welche Distanz genug besitzen, um nicht jeder Suggestion zu erliegen. Wer ihn untergeordneten Geistern in die Hand gibt, der versündigt sich an ihnen. Joh. Gottfr. Schnabel: Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Cavalier oder Reise- und Liebesgeschichte eines vornehmen Deutschen von Adel, Herrn von St. Zwei Bände. 397 und 368 Seiten. _Berliner Tageblatt_: Schnabels herumtaumelnder Kavalier ist ein sogenannter »galanter Roman«. Da das Werk heute außerordentlich selten geworden ist, hat sich der Verlag durch diese Ausgrabung entschieden ein Verdienst erworben. Schnabels Werk atmet durchweg den naiven italienischen Geist, das Buch ist ganz »Rokoko«, von einer unwiderstehlichen Grazie und Heiterkeit, die uns, ach, so sehr abhanden gekommen ist. Johann Gottlieb Schummel: Spitzbart. Eine komitragische Geschichte. Mit einem Vorwort und Anmerkungen von C. G. von Maassen. 12°. XLII und 485 Seiten. Dieses Werk, in dem der Herausgeber den ältesten komischen Schulroman wiederentdeckt hat, ist ein lustiges Buch, das nichts von der Weitläufigkeit alter Romane an sich hat. 1779 geschrieben, in einer Zeit, da die pädagogischen Reformen der Philanthropen in aller Welt von sich reden machten, verspottet es in kecker Satire die pädagogischen Projektenmacher jener Tage. Mörike schätze das Buch besonders hoch. Moritz August von Thümmel: Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich im Jahre 1785--86. Mit Kupfern und Vignetten von Pentzel, Schnorr von Carolsfeld und Ramberg. Herausgegeben von Conrad Höfer. Einmalige numerierte Ausgabe von 1600 Exemplaren. Drei Bände. 12°. 569, 475 und 399 Seiten. _Jahrbuch der Bibliophilen_: Es war naheliegend, Thümmels schon zu dessen Lebzeiten vielangefeindetem, ebenso auch vielgerühmtem, amüsantem, lebensfrohem Reisewerk ein Plätzchen in der Abtei Thelem zu gönnen. Es sei hier begrüßt. Das von Conrad Höfer angefügte Nachwort unterrichtet knapp, aber vorzüglich über Wesen und literarhistorische Wertung dieser Reisebilder. Moritz August von Thümmel: Wilhelmine. Herausgegeben von Conrad Höfer. Mit 7 Kupfern und 13 Vignetten nach Friedrich Oeser, Stock und Geyser. Einmalige numerierte Ausgabe von 1600 Exemplaren. 12°. 156 Seiten. Die oben unter »Englische Romane« aufgeführten Werke von Sterne, Smollet, Chesterfield und Henry Fielding erschienen ebenfalls in der »Abtei Thelem«. * * * * * Als Otto Julius Bierbaum die »Bücherei der Abtei Thelem« ins Leben rief, entwarf er nicht allein das literarische Programm, sondern er nahm sich auch der äußeren Gestaltung dieser Bibliothek bis in jede Einzelheit an. Die Einbände dieser im Geschmack der Zeit gehaltenen zierlichen Duodezbändchen entwarf Paul Renner, sämtlich Halbfranzbände mit reicher Rückenvergoldung. Georg Müller Verlag · München Herrosé & Ziemsen GmbH. & Co., Wittenberg (Bez. Halle) Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ansonsten wurde die Originalschreibweise beibehalten. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE PEST ZU LONDON *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. 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