The Project Gutenberg eBook of Sigismund Forster This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Sigismund Forster Author: Gräfin Ida Hahn-Hahn Release date: January 19, 2020 [eBook #61197] Language: German Credits: Produced by Franz L Kuhlmann and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Books project.) *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SIGISMUND FORSTER *** Produced by Franz L Kuhlmann and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Books project.) +-----------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Offensichtliche typografische und Fehler bei der | | Zeichensetzung sind stillschweigend bereinigt. | | | | Die Markierung mit Unterstrichen (_) zeigt das Verwenden | | einer anderen Schriftart (Antiqua) im Original an. | | Die Markierung mit der Tilde (~) zeigt eine „gesperrte“ | | Phrase im Original an. | | | +-----------------------------------------------------------+ Sigismund Forster. Von Ida Gräfin Hahn-Hahn. [Illustration] Berlin. Verlag von Alexander Duncker, Königl. Hofbuchhändler. 1843. 1. Am Rhein. Im Gasthof zum Stern in Bonn saß eine Gesellschaft fröhlicher Studenten beisammen. Sie tranken lebhaft und sprachen noch lebhafter über rosenrothe Mädchen und graue Professoren, und zwar nach Studentenart, nämlich so, daß am Ende sonnenklar erwiesen wurde, wie kein Mädchen hübsch genug und kein Professor geistreich genug sei, um von Studenten sonderlich beachtet zu werden. Darin stimmten Alle überein, auch die, welche eben zum Beginn der Wintervorlesungen nach Bonn gekommen waren, und folglich von dessen Professoren nur die Namen, und von dessen hübschen Mädchen nur das wußten, was ihnen die schnellgewonnenen Freunde, die schon länger da gewesen waren, von ihnen erzählten. Mitten in dieser allgemeinen Weiberverachtung sprang ein junger Mensch lebhaft auf und ans Fenster und rief: „Sacristi! da geht ein bildschönes Mädchen!“ Die Hälfte seiner Gefährten sprang ihm nach, aber das Mädchen war schon verschwunden. „Wer war es? wie sah sie aus?“ fragten sie ihn. „Die ist schön!“ wiederholte er und sah mit seinen dunkeln leuchtenden Augen unverwandt auf den Platz hinaus. „Diese Pomona etwa?“ fragte der Eine und zeigte auf eine recht hübsche Obstverkäuferin, die mit einem Korb voll Weintrauben sich dem Fenster näherte, als sie die jungen Leute an demselben sah. „Oder diese Meduse mit den schwarzen Schlangenlocken?“ fragte ein Anderer, auf eine ältliche Engländerin zeigend, die am Arm ihres Gatten auf den Gasthof zuschritt. „Wozu habt Ihr Augen, wenn Ihr damit nicht zu sehen versteht?“ rief der junge Mann, kehrte zu den Gefährten am Trinktisch zurück, setzte sich, und sprach zu dem Einen: „Friedrich! wer war das Mädchen?“ „Ich bin zwar ein großer Anhänger des animalischen Magnetismus, mein Alter, entgegnete Friedrich ernsthaft, aber so weit hab’ ich’s doch noch nicht gebracht, um mich mit allen Frauenzimmern in Bonn dermaßen in magnetischen Rapport gesetzt zu haben, daß ich, wenn ich mit dem Rücken nach dem Fenster gekehrt sitze, sagen könnte, wer diejenige ist, welche grade über die Straße geht.“ „Zum Teufel Dein Magnetismus!“ rief Jener; „damit hat das Mädchen nichts zu schaffen, denn es sieht weder blaß noch krank aus.“ „Nun, so gieb mir ihr Signalement,“ sagte Friedrich, „dann werd’ ich sie Dir vielleicht nennen können.“ „Ja, ihr Signalement!“ riefen die Uebrigen, „wir wollen sie auch kennen, wenn wir ihr begegnen.“ „Das ist leicht zu geben: groß, schlank, blond, Wangen zum Küssen, Mund zum Küssen“ .... -- „Tosca Beiron!“ unterbrach ihn Friedrich; „einzige Tochter des General Beiron allhier!“ „Richtig! sie ist’s! sie ging am Arm eines alten Schnurrbarts!“ jubelte Jener; „also, Tosca Beiron.“ „Aber warum sagst Du, Friedrich, daß sie die einzige Tochter des Generals sei?“ fragte ein Anderer. „Die Professorin Zeller ist auch seine Tochter.“ „Mein Junge,“ entgegnete Friedrich, „eine Professorin ist ein für alle Mal in meinen Augen keine Tochter mehr, sondern die Frau eines Professors, und als solche ein unerfreuliches Gebilde, das ich respectuös und zeremoniös zu behandeln habe, besonders wenn ich bei ihrem Manne, wie beim Professor Zeller, Collegia höre. Wie in aller Welt sollte mir einfallen, solch ein Wesen in die junge, frische, allerliebste Categorie der Töchter zu stellen! Nein! der General Beiron hat nur eine Tochter, die da verdiente von Sigismund Forster beschrieben und von mir nach dem Signalement auf der Stelle erkannt zu werden; und das ist Tosca. Auf ihr Wohl! gelt, Sigismund?“ Er hielt sein Glas hin. „Sie lebe! und schön und glücklich!“ rief Sigismund Forster, stieß an, trank und warf sein Glas zu Boden. Acht Tage darauf war Ball, und Tosca Beiron dessen Königin. So wie sie den Saal betrat, war sie umringt und hatte alle Tänze vergeben, ehe Sigismund Forster, der nicht zudringlich sein mochte, nur daran denken konnte, sich ihr zu nähern. Sie trug ein einfaches weißes Florkleid und einen Kranz von rothen Rosen auf ihrem schönen blonden Haar. Sie war selbst wie eine eben erblühende Rose, siebzehn Jahr alt, lieblich, heiter, unbefangen, vielleicht zu unbefangen, zu bewußt ihrer Schönheit und der Siege, welche durch sie zu erringen sind. Indessen, ihre Jugend und Grazie milderte das. Ein Beobachter hätte vielleicht gesagt: das junge Mädchen wird übermüthig werden; -- aber er durfte noch nicht sagen: sie ist es. Sigismund dachte heimlich: sie sieht ein wenig schnippisch aus, und das ist nun ganz und gar anbetungswürdig. Er bat sie um einen Walzer. Sie sah in dem Schreibtäfelchen nach, welches sie am Gürtel trug, und bedauerte sehr keinen mehr übrig zu haben. Dann um einen Galopp. Auch die waren sämmtlich vergeben. „Und welchen Tanz werden Sie die Gnade haben, mir allendlichst zu schenken, mein Fräulein?“ fragte er darauf. Tosca untersuchte abermals ihr Täfelchen. „O ich bitte!“ rief er, „nur keinen von den dort verzeichneten Tänzen! Die alle sind nicht für mich; sondern einen andern.“ Tosca sah ihn an. Bis daher hatte sie nur einen Tänzer in ihm gesehen; jetzt war sie durch den ungewöhnlich schönen jungen Mann überrascht, der so dringend und mit so wohlklingender Stimme um einen Tanz bat. Mit großen Augen sah sie ihn an; dann schlug sie die Augen nieder, weil er sie fixirte, und sagte endlich, munter auf ihr Täfelchen deutend: „Wenn die hier verzeichneten Tänze getanzt sind, ist der Ball aus.“ „Warum denn?“ entgegnete Sigismund ganz verwundert. „Befehlen Sie nur, und es wird mehr getanzt.“ Tosca sah ihn wieder an, wie um sich zu überzeugen, was für eine Art Mensch denn eigentlich vor ihr stehe, ob ein Geck, ob ein zudringlicher Gesell, ob ein roher Bursche. Nichts von dem Allen. Sigismund Forster sah vollkommen wohlerzogen aus. Ein kleines halbunterdrücktes Lächeln glitt über ihren allerliebsten Mund. „Ja,“ sagte Sigismund, als ob er dies Lächeln beantworten müsse, „ja, es würde mich sehr glücklich machen, wenn Sie mir einen Tanz gönnen mögten.“ In dem Augenblick näherte sich ihnen schüchtern ein junger Mann, und Tosca rief ihm mit einem zauberhaften Lächeln zu, indem sie ihre Hände bittend zusammenlegte: „O Herr von Geldern, welch’ eine unerhörte Confusion hab’ ich gemacht! Bitte, bitte! nehmen Sie es nicht übel. Nicht wahr, den dritten Walzer hatte ich Ihnen gegeben?“ „Sie waren so gnädig,“ antwortete Herr von Geldern. „Und sehen Sie -- diesen dritten Walzer hatte ich schon versagt,“ sprach Tosca erröthend und machte mit der Hand eine leise Bewegung, die auf Sigismund wies. Herr von Geldern verbeugte sich und zog sich zurück, ohne ein Wort zu sagen. Sigismund Forster hatte den Takt, nichts weiter zu sagen, als: „Der dritte Walzer also,“ und mit einer tiefen Verbeugung ebenfalls zurückzutreten. Tosca dachte bei sich selbst, um ihr Gewissen zu beschwichtigen: „Auf dem nächsten Ball will ich den Cotillon mit Geldern tanzen, er ist immer so bescheiden!“ -- Dergleichen kleine Ball-Unredlichkeiten hat jedes junge Mädchen begangen. Es darf nicht zu dem Einen sprechen: Mit Ihnen mag ich nicht -- und zu dem Andern: Mit Ihnen mögt’ ich gern tanzen. Es muß die Aufforderung annehmen, und es nimmt sie auch an, schon aus bloßer Furcht vor der Möglichkeit, einen Tanz sitzen zu bleiben. Aber dann treten kleine absichtliche Unordnungen ein, um die Tänze, welche regelrecht vergeben sind, nach Lust und Laune zu tanzen, und da weiß das junge Mädchen es sehr geschickt anzufangen, daß grade derjenige zu leiden habe, den es als so schüchtern, so wohlerzogen, oder so ergeben kennt, daß er es ihr nicht nachtragen wird, und für den es sich, trotz dieser guten Eigenschaften, nicht im Geringsten interessirt. Einen solchen Patito hat das junge Mädchen, und es nimmt sich sehr in Acht, einen Andern als ihn zu verletzen oder zurückzusetzen. Ohne ein wenig List und Grausamkeit geht es nun einmal nicht in der Welt, und im Ballsaal machen wir unsere Vorschule durch. Sigismund tanzte keinen Schritt vor dem dritten Walzer. Friedrich und mehre seiner Freunde neckten ihn mit seiner Unbeweglichkeit. „Ich muß Euch aufrichtig gestehen,“ sagte er lustig, „ich begreife nicht Euren Muth, wie Ihr wagen mögt, Euch mit diesen Tänzerinnen zu präsentiren.“ „Ah! und wem willst denn Du Dich präsentiren?“ rief Friedrich. „Nun, dem ganzen Ball,“ entgegnete Sigismund. „Und hab’ ich mich etwa schlecht präsentirt?“ fragte Friedrich weiter, der eben mit Tosca getanzt hatte. „O, Du lieber Bruder,“ sagte Sigismund lachend, „Du bist schon ein Jahr hier, Dich kennt man, Du hast nicht mehr nöthig, an einen glänzenden Eintritt zu denken, wie ich Fremdling. Aber ich tanze lieber gar nicht, als mit so einem winzigen, eckigen Grashüpfer, als Deine Tänzerin im ersten Walzer war.“ „Grashüpfer!“ wiederholte Friedrich, „das ist ein guter Name. Fortan soll sie gar nicht anders heißen. Aber ich habe auch einen Namen erfunden, und zwar für die Tosca Beiron.“ „Und der heißt?“ fragte Sigismund gespannt. „Dornenröschen! So schnippisch, so kurz angebunden ist mir in meinem Leben kein Mädchen vorgekommen. Es wird ihr zu viel weiß gemacht, und das taugt den Frauenzimmern nichts.“ Das Orchester spielte den dritten Walzer und Sigismund eilte zu Tosca. Tanz ist Tanz, meint man, und wenn zwei Personen nur Takt zu halten verstehen, so muß es ziemlich einerlei sein, mit wem man sich im Saal herumdreht. O mit nichten. Man versuche es nur einmal beim Gehen! Man nehme nur einmal den Arm und lasse sich führen, die Treppe herunter, oder nur über die Straße; welch ein Unterschied! Man kann nicht Schritt halten, man wird müde, man wird gestoßen, der Arm, der Schutz und Stütze sein soll, wird zur Last, zur Unbequemlichkeit; ganz lahm kann man davon werden, wenn’s lange dauert, und ganz verdrießlich. Und dann ein anderer Arm! Da geht man mit demselben Schritt, da hat man dieselben Bewegungen, da passen Gang und Haltung so genau zusammen, daß Keiner den Andern genirt, da sieht der Mann nicht gehemmt und die Frau nicht übereilt aus. Wie viel mehr ist das beim Tanz der Fall, wo man, von Melodien getragen, gleichsam in höherer Sphäre geht, und folglich durch den Mittänzer sehr gehoben und sehr gefesselt werden kann. Sigismund tanzte mit Tosca, als ob er sie trage. „Welch eine liebliche schwebende Musik hat dieser Walzer,“ sagte sie freundlich. Und es war doch nur eine ganz gewöhnliche Tanzmusik. Sie machten die oberflächliche Unterhaltung einer ersten Bekanntschaft, und Sigismund fand, daß Tosca auf keine Weise den Beinamen verdiene, welchen Friedrich ihr gegeben. Sie war fröhlich und gesprächig, und hatte zuweilen ein allerliebstes schelmisches Lächeln. Dies Lächeln wird ihn aus dem Häusel gebracht haben, den armen Friedrich, dachte Sigismund heimlich; er ist zuweilen ein bischen schwerfällig. Mit diesem dritten Walzer begann und beschloß sich der Ball für ihn. Er tanzte nicht mehr, aber er sah Tosca tanzen, und es war ihm, wenn sie an ihm vorüber schwebte, als sehe sie ihn bald fragend, bald freundlich an. Und allerdings verwunderte es sie sehr, daß ein so ausgezeichneter Tänzer so gar wenig Freude am Tanz zu finden scheine, und doch einen ganz besondern Werth auf einen Walzer mit ihr gelegt habe. Nach dem Cotillon verließ sie den Ball. „Die Lampen brennen ganz dunkel vom Staube,“ sagte Sigismund, der ihr bis zur Thür nachgeblickt, zu einem Freunde; „komm, laß uns gehen.“ „Gehen, trinken, spielen -- was? welch Verbum willst Du conjugiren?“ antwortete der. „Alle drei!“ rief Sigismund; „und nimm Dich nur in Acht! heut hab’ ich Glück.“ Als Sigismund Forster um acht Uhr früh statt ins Collegium -- zu Bett ging, hatte er nicht blos das Glück gehabt, hundert Louisd’or zu gewinnen, sondern das größere noch, daß seines Freundes Kasse sich grade in hoher Flut befand, so daß der ihm auch wirklich seinen Gewinn auszahlte. Tosca Beiron saß im Wohnzimmer ihrer Mutter am Stickrahmen im Fenster, und nähte sehr eifrig Tapisserie, während sie ganz leise, mehr mit den Gedanken als mit den Lippen die Melodie des Walzers summte, welchen sie mit Sigismund getanzt. Sie lehnte sich im Stuhl zurück, betrachtete ihre Arbeit aus der Ferne, und fand die Theerose, die sie eben gestickt, ungewöhnlich schlecht schattirt. Um ihr Werk zu verbessern, sah sie die wirkliche Theerose an, die in ihrem Fenster blühte. Sie stützte ihren Kopf in die Hand, und betrachtete gedankenvoll die zarte Blume. Da glitt ihr Blick auf die Straße hinab. Sigismund Forster ging vorüber mit einer Mappe unter dem Arm. Er schlenderte nur so hin, und blickte rechts und links; dabei gewahrte er sie, und grüßte. Sie dankte erröthend. Dann sah sie fast unwillkürlich, und gewiß ohne sich Rechenschaft davon zu geben, nach der Uhr. Es fehlten zwei Minuten an eilf. Er geht also hier vorüber in die Vorlesung, und gewiß täglich -- dachte sie. Nie war ihr eingefallen, von ihrer Arbeit auf- und nach den jungen Leuten hinzublicken, die, oft nur ihretwegen, über die Straße gingen. Nie war ihr eingefallen, von ihrem Fenster aus einen Gruß anzunehmen, oder gar zu erwiedern. Aber für Sigismund Forster machte sie fortan eine Ausnahme. Täglich ging er um zwei Minuten vor eilf Uhr vorüber, und täglich dankte ihm Tosca für seinen bescheidenen Gruß mit einer sanften Neigung ihres zierlichen Kopfes. Um zwölf Uhr, nach beendeter Vorlesung, ging er wieder vorüber; auch wol Nachmittags, und jedes Mal sah sie ihn zwischen ihren Blumen hindurch; aber dann grüßte sie nicht mehr. Sie dachte: guten Morgen dürfe sie wol auf diese Weise sagen, doch mehr nicht. Sie hätte gern etwas über ihn erfahren, woher er sei, was er studire; allein es war ihr ganz unmöglich, direct nach ihm zu fragen, erstens weil es sie verlegen machte, und zweitens weil sie nicht wußte wen; denn ins Haus ihrer Eltern kam Niemand von diesen jungen Leuten anders, als auf ganz besondere Empfehlung, und dann machte ihre Mutter mit ihnen die Unterhaltung, und sie konnte nur ein oder das andere Wort dazwischen werfen. Bei ihrem Schwager hatte sie einmal versucht indirect zu fragen nach seinen Zuhörern, und nach diesem und jenem; allein ihr Schwager war Arzt, und liebte als solcher genaue und klare Fragen und Antworten, so daß er sie ganz und gar nicht verstand. Tosca dachte heimlich und ein wenig verdrießlich: Ach, wie konnt’ ich nur meinen Schwager fragen! Unter dessen Zuhörern wird ~er~ ja nicht sein. Rezepte und Arzeneien und Krankenzimmer, und all die fatalen Sachen sind sehr gut für den lieben Zeller -- aber nur nicht für ihn. Ob er nicht studirt .... wie man König wird? -- -- Eines Morgens kam Tosca zu ihrer Schwester. Sie hörte lebhaft im Zimmer reden, und war schon im Begriff, vor der Thür wieder umzukehren, weil sie glaubte, ihr Schwager könne einen ernsthaften, langweiligen Besuch haben, als plötzlich eine klingende Stimme ihr Ohr traf, ~die~ Stimme, welche zu ihr gesagt hatte: Es würde mich sehr glücklich machen, wenn Sie mir einen Tanz gönnen mögten. Sie erröthete vor Freude, sie war ganz sicher, sich nicht zu irren. Sie blieb noch einen Augenblick vor der Thür stehen, um die kleine freudige Bewegung vorüberziehen zu lassen; dann trat sie ein. Sigismund Forster, Friedrich und noch ein dritter junger Mann waren bei ihrer Schwester. In Sigismunds Augen ging eine Freudensonne auf. Tosca sah es wol, und daher blieb sie ganz ruhig; so bringt es die Taktik mit sich! aber sie war glänzend schön, wie vom Morgenroth umstralt. Man sprach -- was man denn so zu sprechen pflegt. Die Professorin Zeller war eine beschränkte, hausmütterliche Frau, die den jungen Männern gute Rathschläge ertheilte, wie sie es anfangen müßten, um nicht zu viel Geld auszugeben, und die fast jede ihrer Phrasen mit den drei, für sie heiligen und unumstößlichen Worten begann: „Mein Mann sagt.“ Endlich richtete Sigismund das Wort an Tosca und fragte, ob sie den nächsten Ball besuchen werde. „Ich hoffe es,“ entgegnete sie mit stralenden Augen. Die drei jungen Männer baten sie sogleich, ihnen einen Tanz aufzuheben. Aber sie verneinte es standhaft. „Ich weiß noch nicht, ob der Papa es erlaubt,“ sagte sie. „Aber auf den Fall,“ bat Sigismund. „Dann können wir ja auf dem Ball selbst darüber sprechen,“ erwiederte sie. „Warum willst Du Dich denn nicht vorher engagiren, Tosca?“ fragte die Schwester; „ich dächte, es wäre doch sehr angenehm, im Voraus einiger Tänze sicher zu sein.“ „O, was das betrifft, liebe Marie,“ sagte Tosca nachlässig .... -- „Nur nicht übermüthig!“ unterbrach die Professorin Zeller mit seinsollender Bescheidenheit, und drohte der Schwester mit aufgehobenem Finger. „O gar nicht!“ rief Tosca mit ihrem reizend schelmischen Lächeln; „ich fürchte nur mein schlechtes Gedächtniß. So lange vorher .... könnt’ ich leicht die Engagements vergessen.“ Es ist der Instinkt der Frau, dem Manne die Sicherheit seines Glücks -- nicht zu geben. Hat sie’s gethan, so ist sie nicht mehr frei. Um den Verlust der Freiheit verschmerzen zu lassen, muß man lieben. Bei siebzehn Jahren liebt man noch nicht; man versucht es erst. Daher ist in den jungen Mädchenköpfen oft eine so wunderliche Verschrobenheit oder Exaltation. Das Herz mögte seine starken Schwingungen machen, aber es hat sich dazu noch nicht Raum in der Brust geschaffen, und weiß noch nicht, ob es für den mächtigen Schlag den Athem lang’ genug haben wird. -- Tosca verbrauchte einstweilen ihren Athem zum Tanzen und Singen. Als die jungen Männer ihren Besuch beendet hatten, sprang Sigismund mit einem Satz aus der Hausthür mitten auf die Straße, und sagte halblaut: „Welch ein unerhörtes Glück!“ „Ja,“ sagte Friedrich, „Dornenröschen war heute ungewöhnlich gnädig; aber es ist doch eine wunderliche Laune, daß sie sich nicht zum Tanz versagen will.“ „Wozu auch?“ rief Sigismund. „Man braucht ja nur auf dem Ball der Erste zu sein, und diese Aufmerksamkeit darf sie doch wol erwarten.“ Er nahm seine Freunde, jeden unter einen Arm, und sie gingen zum Speisen in den Gasthof zum Stern. Tosca blieb aber der Gegenstand ihres Gespräches; wenigstens wußte Sigismund es immer wieder auf sie zu bringen, und Friedrich fing schon an, ihm zu erklären, daß er nach grade langweilig werde. „Thut mir leid für Dich,“ entgegnete Sigismund fröhlich; „ich meines Theils bin in meinem Leben nicht muntrer und besser aufgelegt gewesen, und ich wünschte nichts, als die Gewißheit einer solchen täglichen Begegnung.“ Er ließ Champagner bringen. „Das geschieht ihr zu Ehren, daß Ihr’s wißt!“ sagte er; „nur der Champagner verdient’s, daß darin auf ihr Wohl getrunken werde. -- Tosca Beiron, Tosca Beiron, Blume deutscher Mädchenschaar“ .... -- Friedrich lachte laut auf: „Pascal Vivas, Pascal Vivas, Blume span’scher Ritterschaft!“ „Du parodirst Uhland in Deiner Extase,“ sprach der Dritte. „Was kümmert’s mich,“ rief Sigismund launig, „daß Uhland schon früher meine Verse gebraucht hat. Es ist eine große Ehre für seinen Pascal Vivas, daß sie mir grade jetzt einfallen.“ „Weißt Du auch den Anfang, mein Junge? -- In den abendlichen Gärten -- Ging die Gräfin Julia -- Es wär’ doch hübsch, wenn Du es auch zu solchem Ritterdienst bringen könntest. Nur schade, daß sie nicht Gräfin ist.“ „Schade?“ fragte Sigismund gedehnt. „Schade, weil’s so gewissermaßen feierlich und poetisch klingt: Gräfin Tosca!“ „Wäre Tosca Beiron Gräfin“ .... -- rief Sigismund sehr lebhaft und schwieg plötzlich. „Nun?“ fragte der Andere gespannt. „So wäre sie mir so gleichgültig wie ~das~,“ sagte Sigismund, und schnippte mit Daumen und Zeigefinger den Kork von der Champagnerflasche. „Dies finde ich unbegreiflich,“ sagte Jener und veränderte sichtlich die Farbe. „Nimm’s nicht übel, lieber Bruder,“ entgegnete Sigismund freundlich, „Du bist Graf Hohenberg und ich bin Dir eben so gut, als wärest Du Herr Hohenberg. Mit den Männern ist’s was Andres! Die werden vom Leben anders durchgebildet. Allein die Frauen Deines Standes sind im Durchschnitt zu verschrobene Geschöpfe, als daß ich nicht eine unüberwindliche Abneigung gegen sie haben sollte.“ „Und doch ist Tosca Beirons liebenswürdige und verständige Mutter -- Gräfin,“ sagte Hohenberg. „Was?“ rief Sigismund und stellte erblassend sein Glas auf den Tisch. „Ja, ja! ich sage Dir eine Gräfin, und noch dazu vom alten Reichsadel; ich kann mich nur eben nicht auf ihren Namen besinnen.“ „Und hat eine solche Mißheirath gemacht?“ rief Sigismund bitter. „Eine Mißheirath?“ entgegnete Hohenberg erstaunt; „nun, das muß ich sagen, Du ziehst scharfe Grenzlinien, wenn Du findest, daß der Freiherr von Beiron-Königsegg eine Mißheirath für irgend eine Gräfin unter der Sonne ist.“ „Und wer ist der Freiherr von Beiron-Königsegg?“ fragte Sigismund. „Mein Gott, der General, Tosca’s Vater!“ riefen Hohenberg und Friedrich aus einem Munde. „Ah, sie ist also ein Fräulein ~von~ Beiron!“ sprach Sigismund langsam und nachdenklich. „Nichts anders! stiftsfähig und hoffähig, wie Eine, die es von väterlicher und mütterlicher Seite wol bis zu zweiunddreißig Ahnen bringen mag.“ „O zum Teufel die Ahnen!“ sprach Sigismund und zerknickte sein Champagnerglas. Hohenberg fuhr heftig auf. „Meine Jungen, meine Jungen!“ sagte Friedrich begütigend, „habe Tosca Beiron zweiunddreißig Ahnen oder gar keine, sie bleibt ja immer das holdselig schnippische Dornenröslein, und das ist für ein Mädchen die Hauptsache; -- denn mit ihrer Schönheit verzaubert sie uns Alle, und daran liegt jedem Mädchen mehr, als an ihren vermoderten Ahnen. Ein Beispiel ist Tosca’s Schwester.“ Sigismund schlug ein schallendes Gelächter auf. „Lieber Bruder!“ rief er, „der guten Frau, so unschön, so geistlos, und ich glaube gar ein wenig bucklich, ist wohl Niemand sonst zu verzaubern vorgekommen, als der würdige Professor Zeller. Frag’ einmal Fräulein Tosca ~von~ Beiron, ob sie wird einen Arzt heirathen mögen.“ „Ich sehe nicht ein, weshalb sie grade für einen Arzt eine besondere Liebhaberei haben sollte, wenn ich nicht etwa dieser Glückliche wäre. Das, ja das würde mir ganz begreiflich sein,“ entgegnete Friedrich. „Uebrigens aber -- wer denkt denn gleich ans Heirathen? Man plaudert mit einem Dornenröslein, man tanzt mit ihm, man neckt es, man bekommt schnippische Antworten und -- wenn’s Glück ungeheuer gut ist .... könnte man wol gar einen Kuß erobern.“ .... -- „O,“ rief Sigismund sehr heftig, „jetzt könnte mir diese Tosca einen Kuß geben wollen -- ich nähm’ ihn nicht.“ „Holla! Holla!“ rief Friedrich, „ein Kuß ist immer eine ganz allerliebste Sache, von der man beileibe nicht so wegwerfend reden darf, Freund Sigismund Forster, möge er nun bei der Tochter des Großmoguls oder des Scharfrichters zu finden sein.“ „Und Tosca Beiron wird ihn Dir auch schwerlich geben wollen,“ sagte Hohenberg gleichzeitig. „Und wenn sie tausend Mal wollte!“ rief Sigismund; „ich, Sigismund Forster, würde nicht wollen! und meine Lippen sollten verdorren, wenn sie sie küßten!“ .... -- „Und das Alles, weil Tosca Beiron die Tochter einer Gräfin und eines Freiherrn ist?“ rief Hohenberg geärgert; „ich muß Dir sagen, mein lieber Bruder, daß ich das mehr wie sonderbar finde.“ Am andern Morgen schlug sich Sigismund Forster wegen des Kusses von Tosca Beiron, den er ~nicht~ wollte, mit seinem guten Freunde Hohenberg, verwundete ihn im Arm, und bekam von ihm eine Schmarre über die linke Wange. Ein Paar Tage hindurch blickte Tosca Beiron umsonst zwei Minuten vor eilf Uhr auf die Straße hinab -- umsonst! denn Sigismund Forster ging nicht vorbei! und weder dann, noch Mittags, noch Nachmittags. Was war ihm widerfahren? sie hatte alle Zeit, sich mit Beantwortung dieser Frage abzuquälen, und tausend Möglichkeiten und Unmöglichkeiten zu ersinnen. Endlich! endlich! sah sie ihn die Straße herauf kommen, mit der Mappe unter dem Arm, und mit einem breiten schwarzen Taftstreif über die linke Wange. Sie freute sich so, daß sie die Hand über die Augen legte, um deren Jubel zu beschwichtigen. Allein sie hätte diese Vorsicht nicht nöthig gehabt, denn Sigismund Forster ging vorüber ohne aufzublicken, geschweige zu grüßen. Tosca glaubte sich getäuscht zu haben. Ganz verwundert dachte sie: Wie doch so ein schwarzes Band übers Gesicht verändert! Ich hätte darauf gewettet, ~er~ sei es .... und er war’s doch nicht .... o, unmöglich! -- Um zwölf Uhr kam er aus der Vorlesung zurück. Sie gab genau Achtung, sie erkannte ihn unwidersprechlich; er war’s, aber er ging vorüber ohne aufzublicken und ohne zu grüßen. Ihr sanken die Hände in den Schooß vor traurigem Erstaunen. Sollte er es übel genommen haben, daß ich mich neulich nicht mit ihm zum Tanz engagiren wollte? fragte sie sich heimlich. Seit dem Tage ist er zuerst verschwunden, und ~so~ wiedergekehrt. Ich hatte aber eine bessere Meinung von ihm. -- Sie suchte sich zu zerstreuen; sie stickte emsig, sie sang, und dazwischen tauchte immer die Hoffnung auf, daß sich auf dem Ball Alles erklären und ausgleichen werde. Ob Herr von Geldern, ob Friedrich, ob Graf Hohenberg ihr eine kleine Laune übel genommen hätten, darüber hätte Tosca muthwillig gelacht oder gleichgültig die Achseln gezuckt; aber Sigismund Forster? -- Sie war nicht im Stande, sich Rechenschaft darüber zu geben, weshalb sie grade ihn um keinen Preis verletzen möchte. Am nächsten Morgen, als Sigismund vorüber ging, bückte sich Tosca tief auf ihre Arbeit, so daß er sie nicht gewahr werden konnte, wenn er etwa heimlich doch zum Fenster hinaufblickte. Dann hob sie rasch den Kopf -- und siehe! er ~hatte~ herauf gesehen, ihre Blicke begegneten sich. Aber blitzschnell wendete Sigismund den Kopf auf die andere Seite, und Tosca dachte: Richtig! er hat mir irgend etwas übel genommen ... aber in aller Welt was? So vergingen die Tage bis zum Ball. Dadurch, daß Sigismund immer pünktlich an Tosca’s Fenster vorüber ging, zeigte er ihr, daß er sie nicht sehen wollte. Sie hoffte auf den Ball! sie traute sich zu, durch einige Worte die Mißstimmung zu vernichten, in welche Sigismund, sie begriff nicht, wodurch? ihr gegenüber gerathen war. Sie kleidete sich mit äußerster Sorgfalt an. Sie schmückte sich nicht, aber sie wählte die Blumen, die Farben, die ihr besonders gut standen, und zuversichtlich, freudig, betrat sie den Ballsaal. Sigismund stand der Eingangsthür zehn Schritte gegenüber und mit dem Gesicht ihr zugekehrt. So wie Tosca mit ihren Eltern erschien, fixirte er sie einen Moment ganz starr, und trat darauf in eine Gruppe hinein, ohne sie zu grüßen, ja, ohne nur zu thun, als ob er sie kenne. Eine unermeßliche Traurigkeit drückte Tosca’s Herz zusammen. Was habe ich ihm gethan? fragte sie sich heimlich; und dann setzte sie schnell hinzu: Er ist übermüthig; weil er besser aussieht, als jeder Andere, bildet er sich gewiß ein, ich würde mich sehr um seine Vernachlässigung grämen! doch daraus soll nichts werden. -- Sie nahm sich zusammen, sie empfing alle Ansprachen der Tänzer, sie war munter, ungezwungen, sie versprach ganz von selbst dem Herrn von Geldern den Cotillon; sie sah gar nicht hin nach Sigismund. Allmälig zwang sie sich nicht mehr zur Heiterkeit, sie wurde wirklich heiter, sie fühlte sich befreit von dem unbegreiflichen Interesse, welches sie bis daher für Sigismund ganz unwillkürlich empfunden. Nie war sie schöner gewesen, und nie anmuthiger. Es war, als ob sie sich in ihrer ganzen Lichtseite zeigen, und all ihre kleinen Sonnenflecke vergessen machen wollte. „Heut ist Tosca Beiron wahrlich kein Dornenröslein,“ sagte Friedrich, nachdem er mit ihr getanzt hatte, ganz in Extase zu Sigismund, „sondern eine Rose ohne Dorn.“ „Wie Herr Walter von der Vogelweide bereits vor einem halben Jahrtausend von der Kaiserin Irene gesagt und gesungen,“ erwiederte Sigismund spöttisch und wandte sich ab. Er langweilte sich. Hätte er Tosca anders als triumphirend gesehen, so würde es ihn interessirt haben, sie aufs genaueste zu beobachten; jetzt, in ihrem Uebermuth, wie er es nannte, hatte er nicht Lust dazu. Und doch mochte er nicht den Ball verlassen. „Sie könnte meinen, ich ginge gelangweilt fort, weil ich mich nicht mit ihr beschäftige,“ sprach er heimlich; „ich muß nur tanzen! Aber mit wem denn? wie sie Alle, Alle so unhübsch, ungraziös, unbedeutend neben ihr aussehen! Gleichviel! getanzt muß werden!“ -- Er wählte aufs Gerathewohl eine Tänzerin. Es war die junge Person, welche er auf dem vorigen Ball Grashüpfer genannt, und er trat mit ihr zum Tanz an -- er wußte selbst nicht, zu welchem Tanz. Es war eine Française, und Tosca tanzte ihm gegenüber. Alles ging charmant! Sigismund tanzte mit einem Ernst, als ob es gelte, ein Examen des Tanzes zu bestehen, und wendete nicht eine Secunde den Blick von seiner Tänzerin ab. Tosca tanzte wie immer; nur erschien ihre Gestalt noch graziöser, ihre Haltung noch schwebender neben den springenden und beweglichen Sätzen des kleinen Grashüpfers. Jetzt kam eine Tour im Contretanz, wo Tosca und Sigismund einander die Hand geben mußten, und da konnte er nicht vermeiden, den Kopf zu ihr zu wenden. Er that es mit einem peinlichen Gefühl, denn er wußte wol, daß sein Benehmen gegen Tosca nicht schicklich sei. Hätte sie ihn spöttisch oder nur schelmisch angesehen, so würde er sich dennoch in seinem guten Recht ihr gegenüber gefühlt haben; allein der traurig ernste Ausdruck seines Gesichts frappirte sie, und sie sah ihn sanft an, mit großen erstaunten Augen, die zu fragen schienen: Aber was fehlt Dir denn, daß Du so verändert bist? Das rührte ihn. Er schlug unwillkürlich die Augen nieder, um sie nicht freundlicher anzublicken, als er wollte, und seine Hand zitterte. Es lagen nur die Spitzen von Tosca’s Fingern in dieser Hand; allein sie fühlte es doch! ... Da wurden sie getrennt durch eine neue Tour. Nach beendetem Contretanz ging Sigismund ins Büffetzimmer, hielt einige Freunde durch Champagner fest, und kehrte nicht in den Ballsaal zurück. Tosca blieb den ganzen Abend gedankenvoll. Sie konnte sich sein Benehmen nicht erklären. Wenn Uebermuth darin lag, so war es doch nicht der allein! das hatten ihr der traurige Blick und die zitternde Hand gesagt. Den Uebermüthigen würde sie sehr bald vergessen und ihn auf gleiche Weise behandelt haben. Der Traurige beschäftigte sie unablässig. Mit dem Gedanken an ihn blieb sie auf dem Ball, und kehrte erst in tiefer Nacht heim. „Der Ball war matt ... heute!“ sprach sie nachdenklich, als sie den Blumenkranz aus dem Haar nahm. „Ich glaube, ich werde schon zu alt für den Tanz. So recht großes Vergnügen ... wie neulich -- machte er mir nicht mehr.“ Sie entschlief und träumte von Sigismund. Von nun an ging Sigismund Forster nicht mehr an Tosca Beirons Fenster vorüber. Sie grämte sich und er -- grämte sich noch mehr. Woran hängen unsre Schicksale? Oft an Einflüssen, die, unabhängig von uns, um unsre Wiege gewaltet haben! oft an Eindrücken, die sich in unsre Seele ätzten, als sie sich zum ersten Mal dem Bewußtsein öffnete! oft an Begegnissen, die sich der reizbaren Empfänglichkeit eines Kindes unwiderstehlich bemeistern und ihm Zu- und Abneigungen einflößen, deren es dann in seinem ganzen Leben nicht wieder Herr wird. Es mögte interessante Aufschlüsse über manche Eigenthümlichkeiten der Menschen geben, wenn man wüßte, welcher Empfindung sie sich in der Kindheit zuerst bewußt worden sind. Die meine war Bangigkeit, ungeheure, namenlose, verzweiflungsvolle Bangigkeit. Ich war ganz klein damals, so klein, daß Jahre folgen, von denen ich nicht die geringste Erinnerung habe, also vielleicht zwei oder drei Jahre alt. Es war in Remplin und ein großer Maskenball, und ich armes kleines Geschöpf dazwischen! Wie ich dahin gekommen, ob man mir einen Spaß machen wollte, ob ich selbst dahin verlangte -- ich weiß es nicht! Aber ich war da, zwischen den unheimlichen, fabelhaften, vermummten Gestalten, mit Gesichtern ohne Augen, zwischen der Musik, dem Gewühl, den Lichtern, dem konfusen Tumult solchen Festes. Ich war halbtodt vor Angst; ich weinte, zuletzt schrie ich Zeter; da ward ich denn fortgebracht. Und dann war ein Feuerwerk auf der großen Pelouse hinter dem Schloß, und mein Vater, der mich abhärten und meine Nerven stählen wollte, bestand darauf, daß ich es ansehen sollte. Nun war aber dies große, wilde, grelle Feuer, und die Detonation der Schwärmer und Raketen, und die Menschenmasse bald flammend beleuchtet, bald schwarz und finster, und wieder dieser Tumult -- etwas so Grauenvolles für mich, daß ich wieder in unerhörtes Geschrei ausbrach. Da aber mein Vater wollte, daß ich bleiben sollte, so blieb ich, und ertrug bis zum letzten Augenblick die Marter eines Festes, das wahrscheinlich allen übrigen Anwesenden großes Vergnügen machte. Mein Gott, das ist ein halbes Menschenleben her! Doch ich glaube, daß meine traurige Scheu vor Allem, was Lärm und Tumult, sogar der eines Festes und des Vergnügens ist, sich von jenem entsetzenvollen Moment herschreibt; und daß der Eindruck, welchen die Maskenball-Gesellschaft auf mich machte, mich durch mein ganzes Leben in der Gesellschaft begleitet hat, und begleiten wird. Ja, ja, das sind die Gesichter ohne Augen aus Remplin! Wie viel tausend Mal hab’ ich mir das ganz unwillkürlich und ganz überzeugt gesagt, wenn ich in einen Gesellschaftssaal trete. Nur wein’ ich nicht, so wie damals; o nein! ich lache eher, und wohl gar ein wenig spöttisch und hochfahrend, um mir die Larven nicht allzu nah kommen zu lassen, aber ob mir innerlich nicht ganz beklommen dabei zu Muth ist ... das ist die Frage! -- Ich erzähle diese kindische Geschichte nur als ein Beispiel von der Heftigkeit früher Eindrücke. Daß man diese regeln soll und beherrschen kann, weiß ich wohl; aber dennoch glaube ich, daß die Seele dadurch auf einen gewissen Ton gestimmt wird, möge sie auch, wie ein fügsames Instrument, Symphonien von Beethoven oder Walzer von Strauß auf sich spielen lassen. Sigismund Forster ging nicht mehr an Toscas Fenster vorüber. „Sie ist eine hochfahrende Person, wie sie Alle sind!“ sprach er zu sich selbst. „Klagten die Uebrigen nicht sämmtlich über ihr hochmüthiges Benehmen? Ich will nicht warten, bis sie es auch gegen mich an den Tag legt. Und darum will ich sie auch nicht wieder sehen, nie wieder, und nicht vorbei gehen; ich würde es nicht lassen können, sie anzusehen -- und dann .... bekäme sie mich am Ende doch herum, mit ihren diabolisch himmlischen Augen. Seh’ ich sie aber nicht mehr, so bring’ ich’s vielleicht dahin, eine Andere anzusehen, und das wäre das Gescheuteste, was ich thun könnte ... das würde mich zerstreuen.“ Er versuchte dann auch diese Art von Zerstreuung, der arme Sigismund, während Tosca sich ganz vergeblich den Kopf zerbrach, ob Unglück oder Unheil, Verdruß oder Krankheit ihm zugestoßen sein könne. Zuletzt überredete sie sich, er sei zum bevorstehenden Weihnachtsfest in seine Heimath gereist, und das beruhigte sie über seine Schicksale. Aber zwischen Weihnachten und Neujahr begegnete sie ihm auf der Straße, mit mehren seiner Freunde. Alle kannten Tosca, alle grüßten sie; und Sigismund auch. Seinetwegen, oder seiner Gefährten wegen, wollte er sich nicht absichtlich auszeichnen. Es war sehr kalt, und er sah sehr bleich aus. Tosca bemerkte diese Blässe und seinen Gruß. „Ah! er ist krank gewesen!“ sagte sie sich fast erfreut; „wenn er nur übermorgen zu meinem Schwager kommt!“ -- Am Sylvesterabend gab der Professor Zeller einen kleinen Ball. „Heut’ Abend wird’s lustig sein bei Zellers!“ sagte Friedrich beim Mittagsessen im Gasthof zum Stern. „Nicht lustig genug für mich,“ entgegnete Sigismund. „Ich dächte, wir blieben unter uns.“ „Ich gewiß nicht!“ rief Friedrich. „Ich auch nicht,“ sagte Hohenberg; „denn unter uns können wir ja alle Tage lustig sein. Und komm doch mit, lieber Bruder, es soll ein wunderhübsches Mädchen bei Zellers zum Besuch sein, -- eine Nichte oder Cousine von ihm.“ .... -- „Eine Schwestertochter von ihm ist es,“ sagte Friedrich, „und sie ist allerdings recht hübsch, wenigstens so lange sie allein ist. Aber neulich, sobald die Tosca Beiron eintrat .... o weh! wie sah das arme Ding aus! schwarz wie eine Zigeunerin und ungeschickt wie eine Küchenmagd.“ „Ah, sie ist schwarz!“ rief Sigismund eifrig; „das gefällt mir! Dann ist sie ganz gewiß schön. Schwarze Augen? schwarzes Haar?“ „Pechfinsterrabenschwarz, mein Junge!“ „Bravo! dann werden wir doch endlich mal eine wahre Schönheit zu sehen bekommen.“ „Ich sage Dir, sie ist keine Schönheit.“ „Nun, im Vergleich zu der faden Schönheit von .... gewissen Blondinen.“ .... -- „Wenn Du etwa Tosca Beiron meinst.“ .... -- „Ja, grade sie mein’ ich!“ brach Sigismund aus. „So muß ich Dir sagen,“ fuhr Friedrich gelassen fort, „daß Du Dich irrst. Jenes kleine Mädchen, so munter und nett es auch ist, sieht neben ihr aus .... etwa wie ein schwarzes Hühnchen neben einem weißen Pfau.“ „Der Vergleich ist gut und passend!“ rief Sigismund laut lachend; „ja, ein Pfau! -- das ist sie.“ „Ein zarter, edler, seltner, weißer Pfau -- ganz gewiß!“ beharrte Friedrich. „Eure Hühnerhof-Vergleiche für ein Paar hübsche Mädchen wollen mir gar nicht behagen,“ rief Hohenberg. „Komm nur heut’ Abend zu Zellers, Freund Sigismund, dann kannst Du doch wenigstens mit Kenntniß der Dinge reden und Dich überzeugen, ob die kleine Fremde wirklich Deine bereitwillige Bewunderung rechtfertigt.“ „Nein,“ sagte Sigismund, „ich mag nicht! Ich könnte mich in sie verlieben, und das würde mir grade jetzt sehr unbequem sein -- abgesehen davon, daß man immer Verdruß und Aerger in Hülle und Fülle dadurch hat.“ „Aerger und Verdruß? in Gottes Namen,“ sagte Hohenberg; „die gehören nun einmal dazu, wie Senf und Pfeffer zum Salat, der ohne das gar nüchtern und kalt sein würde. Aber was verstehst Du denn eigentlich unter unbequem?“ „Etwas, das mich stört und mich von den Gedanken abbringt, die ich haben mögte und sollte.“ „Und darf man in diese Gedanken eingeweiht werden, oder ihrer Richtung folgen?“ „Warum nicht?“ entgegnete Sigismund ernst; „sie sind sehr einfach und natürlich. Morgen werd’ ich einundzwanzig Jahr alt; seit anderthalb Jahren soll ich studiren, und habe nichts gethan, gar nichts! Nämlich, ich hab’ viel getrunken, viel gespielt, viel Schlägereien gehabt, und die Universitäten sind gewiß dazu auf der Welt, daß man das Alles aufs Gründlichste treibe! Hat man’s aber achtzehn Monat getrieben, so wird man’s überdrüssig und das ist jetzt mein Fall. Von morgen an wird gearbeitet .... und zwar eisern.“ „Da Du Dich entschlossen zu haben scheinst, vor der Zeit ein Philister zu werden“ -- sagte Hohenberg ärgerlich, der seit drei Jahren auf Universitäten nichts trieb, als -- nichts; „so wäre es viel passender, dächte ich, auf den Zellerschen Ball gesetzt und artig in Deine _vita nova_ überzugehen, als diese Nacht mit Wein und Karten zu durchschwärmen.“ „Aus dem Philister wird nichts, mein Junge!“ rief Sigismund lustig; „aus dem gesetzten Leben mach’ ich mir nichts, aber aus dem tüchtigen viel. Und ich sage Dir ja, es wäre mir unbequem, in meinen ernsthaften und arbeitsamen Projecten durch irgend ein Paar schwarze Augen gestört zu werden.“ „Paperlapapp!“ sagte Friedrich; „~die~ Augen thun’s halt nicht! Hast Du Dich doch tapfer gegen die von Tosca Beiron vertheidigt.“ „Ist er nicht possirlich mit seiner ewigen Tosca Beiron!“ rief Sigismund und lachte. „Possirlich?“ entgegnete Friedrich gelassen; „mit nichten, mein Alter, nur beständig! und hauptsächlich .... beständig im guten Geschmack.“ Sigismund erröthete und fuhr auf: „Ein Geschmack, der mir zusagt, so oder anders, ist gut.“ „Charmant! charmant!“ erwiederte Friedrich noch ruhiger, „dasselbe meinte ich ja auch nur. Und übrigens wollt’ ich Dich nur aufmerksam machen, daß Du Dich vor übermächtigem Einfluß schöner Augen nicht sehr zu hüten brauchst. Du verstehst den Zauber zu brechen. Wenn ich bedenke, in welche Extase Du vor ungefähr acht Wochen, hier, zu dieser Stunde und in diesem Saal geriethest, als Du zum ersten Mal Tosca Beiron sahest“ .... -- „Wahrhaftig, da ist er wieder mit seiner Tosca!“ rief Sigismund und brach in ein so fröhliches Lachen aus, daß Hohenberg augenblicklich einstimmte, und Friedrich selbst lächeln mußte, als er seinen Satz zu Ende sagte: „Und jetzt Deine Gleichgültigkeit gegen sie damit vergleiche, so beruhigt mich das ganz ungemein über Deine ferneren Herzensschicksale.“ „Falsch! falsch! mein Junge!“ sagte Sigismund noch immer lachend. „Damals wußte ich nicht, daß sie blaue Augen habe. Blaue Augen .... siehst Du -- die kann ich nicht vertragen. Dabei fällt mir immer der alte Spruch ein: Blaue Augen sind lieblich, aber sehr betrüglich.“ „Und den von den braunen kennst Du nicht? Braune Augen sind hübsch, aber tück’sch. -- Chancen giebt’s immer, und Sonne und Mond haben ihre Nachtseite. Graue Augen haben auch ihre Meriten, aber nicht die der Schönheit, sondern der Tugend; denn von ihnen heißt’s: Graue Augen sind gräulich, aber sehr getreulich.“ „Gefallen mir auch nicht sonderlich!“ rief Sigismund. „Da bleibt’s denn schon für mich bei den schwarzen Augen, welche von keinem Sprüchlein weder gepriesen noch getadelt werden. Aber es bleibt bei ihnen auf meine Weise. Kennt Ihr das bairische Schnoderhüpfeln?“ „Nein,“ antwortete Friedrich verwundert. „Das lautet so,“ sprach Sigismund und sang: „Gelt, Du Schwarzaugeli, Gelt für Di tauget i, Gelt für Di wär’ i recht -- -- Wenn i Di mögt!“ „Kellner! eine Flasche Champagner!“ Einige Stunden später übersahen Tosca Beirons blaue Augen mit einem Blick die ganze Gesellschaft im Hause ihres Schwagers, und senkten sich betrübt zu Boden -- denn Sigismund Forster war nicht da. Sie beschloß, um jeden Preis den Grund seiner Abwesenheit zu erfahren, und da fiel ihr nichts Besseres ein, als geradezu Friedrich zu fragen. Der hatte ihn bei ihrer Schwester eingeführt, folglich mußte der mit ihm in Verbindung sein und ihr Antwort geben können. Als sie mit Friedrich einen Walzer tanzte, ließ sie alle Tänzer mit irgend einer kleinen Anmerkung die Revue passiren und sagte dann plötzlich, als bemerkte sie jetzt erst seine Abwesenheit: „Aber wo ist denn Herr Forster? meine Schwester sagte mir, er sei eingeladen. Er ist doch nicht krank? Er ist ein so guter Tänzer, wenn er tanzt!“ -- setzte sie hinzu, als wolle sie damit ihre Theilnahme entschuldigen und erläutern. „Er ist allerdings nicht ganz wohl,“ erwiederte Friedrich, der diese kleine Unwahrheit auch schon gegen den Professor Zeller ausgesprochen hatte, weil Sigismund dadurch sein Nichtkommen entschuldigte. „Und wol schon seit längerer Zeit?“ fragte Tosca. „Nein .... ganz plötzlich .... heut’ Mittag.“ „Er sah doch schon vorgestern, als ich Ihnen begegnete, recht blaß aus.“ „Ach ja, ich erinnere mich .... es ist wol schon seit vorgestern!“ sagte Friedrich ein wenig verlegen, weil er nicht recht wußte, welchen Charakter er dieser improvisirten Krankheit geben solle. „Sie sagen mir nicht die Wahrheit,“ rief Tosca schelmisch, „denn Sie sehen ganz verlegen dazu aus! Bitte, weshalb hat Herr Forster nicht herkommen wollen?“ „Nicht wollen? ach, der Arme! er kann ja nicht! Er hat ja den ganzen Tag zu Bett gelegen.“ .... -- „So? den ganzen Tag? Sie sagten doch eben -- heut’ Mittag, ganz plötzlich.“ „Gnädiges Fräulein, ich werd’ Ihnen die Wahrheit sagen,“ betheuerte Friedrich ernsthaft. „Er ist allerdings unwohl, und dann ist morgen ein wichtiger Tag für ihn, sein Geburtstag, an welchem er sich zu allerlei guten Entschlüssen von Studien und solidem Leben fest und stark machen will. Daher begreifen Sie gewiß, daß er den letzten Abend dieses Jahres nicht unter Tanzmusik hinzubringen wünschte.“ „O, das begreif’ ich!“ entgegnete Tosca sanft und nachdenklich. Hätte Friedrich ihr gesagt, daß Sigismund den Champagner mit einigen guten Freunden den tüchtigen Entschließungen weniger hinderlich finde, als den Ball beim Professor Zeller, so würde sich Tosca’s Theilnahme bedeutend abgekühlt haben. Aber das mußte er aus Rücksicht für den Professor verschweigen. Sie fragte weiter und mehr nach Sigismund. Sie erfuhr, daß sein Vater Präsident in Paderborn, daß er selbst der Aelteste von fünf Geschwistern sei. Jede Aeußerung Friedrichs interessirte sie tief: daß Sigismund so ausgelassen lustig sei, und dann wieder so ernst; scheinbar ganz hingerissen, ganz beherrscht, und dann plötzlich eisern fest. Zuletzt erschrak sie vor ihrer gar so großen Aufmerksamkeit, und wandte das Gespräch, allein ihre Gedanken blieben bei Sigismund. Sie blieben es den ganzen Abend und die ganze Nacht. Dieser ungewöhnliche Ernst bei einem so jungen und muntern Manne gefiel ihr außerordentlich, und daß er krank war, that ihr so leid! -- Er war freilich nicht krank, und der Champagner schmeckte ihm sehr gut; doch davon hatte sie keine Ahnung. Ihr Herzchen schlug für den Sigismund, den sie verstand. -- Sie erwachte ganz früh am Neujahrsmorgen, und mit dem Gedanken an ihn. Daß er krank, und heut an seinem Geburtstag so allein sei, und daß vielleicht Niemand daran denke, ihm an diesem doppelten Festtag Glück zu wünschen oder ihm eine kleine Freude zu bereiten, fiel ihr schwer aufs Herz. Sie stand auf. Es war noch ganz finster, und nur das letzte Viertel des Mondes warf einen matten Schimmer über die schneebedeckte Straße. Sie öffnete die Vorhänge, und blickte auf die leichtgefrornen Fensterscheiben. Nach einem alten Glauben kann man am Neujahrsmorgen aus den phantastischen Zeichnungen, welche der Frost auf die Scheiben gehaucht hat, den Inhalt des kommenden Jahres sich prophezeihen. „Blumen und nichts als Blumen!“ sagte sie halblaut; „das ist eine gute Vorbedeutung.“ Von den Eisblumen glitt ihr Auge auf die wirklichen, die im Fenster blühten; auf Tazetten, Hyazinthen, auf die schöne zarte Theerose, auf die prächtige dunkelrothe Camellia. Blumen sind lieblich -- und besonders am Geburtstag! dachte sie, und pflückte hastig die Theerose ab; nur schickt es sich wol nicht, daß ich ihm einen Strauß sende! Er wird aber nicht erfahren, von wem er kommt, und ganz heimlich darf ich mir doch wol die Freude machen, die Blumen in einen Glückwunsch zu verwandeln! ... Und was fing’ ich jetzt an mit der Rose, die nun mal abgepflückt ist, wenn ich sie nicht verschenkte? -- Sie brach noch einige Blumen ab, sie mischte sie graziös mit Wintergrün und Erika, die Theerose in der Mitte -- und der lieblichste Strauß war fertig. Mit klopfendem Herzen und zitternden Händen legte sie ihn auf den Tisch. Ob ich ihn nicht lieber der Mama gebe? aber die Mama ist ganz wohl, Gottlob! dachte sie; und einem Kranken machen Blumen so viel Freude! Das weiß ich noch, als ich vorigen Winter die Masern hatte, und die ersten Veilchen bekam. Sie rief ihre Kammerjungfer; sie nannte ihr Hausnummer und Straße, wohin die Blumen gebracht und schweigend abgegeben werden sollten. Das Mädchen rief auf der Straße den ersten besten kleinen Buben heran, und versprach ihm zehn Kreuzer, wenn er den Strauß pünktlich da und da abliefern wolle. Der Knabe versprach es freudig, gab den Strauß an Sigismund selbst ab, und empfing dankbar seine Belohnung. Tosca fühlte sich beängstigt, als sie die Gewißheit hatte, ihre Blumen wären nun in seinen Händen. Ihr einziger Trost war der, daß er nie erfahren könne, von wem sie kämen, und daß sie ihm doch vielleicht eine kleine Freude gemacht hätten. Sigismund empfing den Strauß mit einigem Erstaunen. Zuerst untersuchte er, ob nicht etwa ein Billet ihm sage, von wem. Aber nichts! Dann, ob der Strauß nicht mit irgend einem bekannten Bande gebunden sei. Wieder nichts! Er war durch eine Epheuranke zusammengeschlungen. Er betrachtete die Blumen so aufmerksam, als ob sie ihm einen Namen nennen könnten -- und siehe da! als er die Theerose erblickte, fuhr es ihm durch den Kopf: Tosca Beiron! -- Als er ehedem unter ihrem Fenster dahin ging, hatte er zu oft diese Blume bemerkt, um jetzt nicht die Zusammenstellung zu machen. „Oho!“ rief er, „von ihr ist der Strauß! von ihr! Wie kommt sie dazu, so -- zudringlich zu sein, sie, die Hochfahrende! die Uebermüthige! O Tosca Beiron, ich habe gesagt, Deinen Kuß wollt’ ich nicht; -- aber auch Deine Blumen will ich nicht .... siehst Du -- ich mag Dich nicht leiden, weil .... Du blaue Augen hast; luziferische Augen! und weil Du eine vornehme Närrin bist.“ -- Er riß den Strauß auseinander, und ließ die schönen, von Tosca so zärtlich gepflegten Blumen auf dem Tisch liegen. Er sann darüber nach, wie er ihr beibringen solle, daß er ihr Geschenk verachte. Einige Freunde störten ihn in seinen Meditationen. „Sieh’ da! Sigismund unter Blumen, wie ein Frühlingsgott!“ rief der Eine. „Und welche Flora hat Dich denn mit ihren Gaben überschüttet?“ fragte der Andre. „Ja, ja! die Weiber kommen uns immer mit Aufmerksamkeit zuvor;“ sprach der Dritte. „Kaum graut der Tag und wir sind bei Dir .... aber eine Frau hat Dir schon früher ihren Glückwunsch in einem bedeutungsvollen -- gelt, sehr bedeutungsvollen Selam ausgesprochen.“ „Nun! heraus damit! wer ist diese Flora! nur keine Geheimnißkrämerei, Sigismund! Nun? Du wirst doch nicht den Verschwiegenen spielen wollen?“ riefen sie durcheinander. „Ich kann nichts verschweigen, denn ich weiß nichts,“ antwortete Sigismund kurz. „Holla! holla! wer Dir das glaubt!“ „Die Verschwiegenheit ist eine vortreffliche Eigenschaft den Weibern gegenüber; -- aber den Freunden?“ .... „Wenn ich sage, daß ich nichts weiß,“ entgegnete Sigismund noch bestimmter, „so dürft Ihr Euch auf mein Wort verlassen: ich weiß nichts.“ Sigismund war heftig und leidenschaftlich wie ein Jüngling, und ungezogen wie ein Knabe; aber insolent -- fast hätte ich gesagt: wie ein Mann, -- war er nicht; und unter keiner Bedingung hätte er weder Toscas, noch irgend einen unbescholtenen Namen genannt, oder auch nur errathen lassen. „Für die große Verschwiegenheit, die Du an den Tag legst, Freund Sigismund, behandelst Du aber dies _pretium affectionis_ sehr schlecht, indem Du es so herumliegen läßt“ -- sagte der Eine, raffte die Blumen zusammen und stellte sie -- in einen Fidibusbecher. O arme Tosca! dieser Platz, und von fremder gleichgültiger Hand ihren Blumen gegeben! -- „Da ich nicht weiß, von wem sie kommen, so sind sie mir gleichgültig,“ antwortete Sigismund. „Auf Ehre, lieber Bruder?“ „Gleichgültig! auf Ehre!“ sagte er. „Da dürften wir uns wol die Blumen theilen?“ fragte der Andre, noch immer mißtrauisch und wie um Sigismund zu prüfen. „Meinetwegen!“ erwiederte der; „wir wollen sie unter uns theilen, ich nehme die Rose.“ O arme Tosca! im Nu wurden die Blumen aus dem Fidibusbecher herausgerissen und in das Knopfloch von jungen, ihr wildfremden Leuten gesteckt. Dann sprachen sie von andern Dingen. Gegen Mittag ging Sigismund aus. Könnte ich ~ihr~ doch die Lehre geben, dachte er, daß es sich ganz und gar nicht für ein vornehmes Mädchen schickt, so dem Ersten Besten einen Blumenstrauß, und um nichts und wieder nichts zu senden. -- Er ging vor ihrem Hause vorbei und trug die Rose im Knopfloch. Tosca saß wie gewöhnlich am Stickrahmen im Fenster, während verschiedene Personen mit Neujahrsglückwünschen um den Sopha ihrer Mutter versammelt waren. Sie beachtete nicht deren Gespräch; sie dachte an ihre Blumen und an Sigismund. Da erkannte sie ihn und ihre Rose. Ihre Augen leuchteten auf, ein glänzendes Roth flammte wie ein Blitz über ihr schönes Gesichtchen. Er trug die Rose, also freute er sich ihrer. Er blickte nicht herauf, also ahnte er nicht, daß sie von ihr komme; oder wenn er es ahnte? -- so wollte er sie auf keine Weise in Verlegenheit setzen. Sie wußte ihm tiefen Dank, daß er sie nicht grüßte. Er hatte sie sehr gut bemerkt; doch mit rascheren Schritten ging er vorbei und auf ein hübsches Frauenzimmer zu, das ihm entgegen kam. Es war seine Hauswirthin, die Frau eines Buchbinders, für die er immer ein halb scherzendes, halb verbindliches Wort hatte. Er kehrte mit ihr um, er stattete ihr seinen Glückwunsch ab, er sagte, er habe ihr nichts Besseres zu bieten, als diese Rose, und darum müsse sie sie nehmen. Die hübsche Frau sagte, sie nehme sie sehr gern, denn eine Theerose sei etwas Seltenes. Sigismund gab sie ihr. Tosca saß ein Paar Minuten ganz versunken in ihre heimliche Freude da, und blickte noch immer auf die Straße hinab. Da fuhr sie zusammen; Sigismund kam zurück, ohne die Rose. Eine hübsche Frau ging neben ihm, und ~die~ hatte sie in der Hand. Tosca erbleichte und konnte die Augen nicht abwenden. Sigismund sprach lebhaft mit jener Frau. Grade als er unter Tosca’s Fenster war, blickte er rasch mit einer stolzen Wendung des Kopfes zu ihr auf, und grüßte sie tief, aber mit einem eisigen Ausdruck. Dann ging er weiter mit seiner Gefährtin. Tosca erwiederte nicht den Gruß. Er weiß Alles, und er verachtet mich! blitzte es ihr durch den Sinn. Sie sprang auf, ging in ihr Zimmer, kniete nieder und weinte bitterlich. -- Sigismund schloß sich den ganzen Tag in seinem Zimmer ein. Nachmittags klagte die Generalin Beiron über Kopfweh und Uebelbefinden. Gegen Abend gesellte sich starkes Fieber dazu. Professor Zeller ward gerufen; er sprach seine Besorgniß vor einem Nervenfieber aus, und that Alles, um ihm vorzubeugen. Umsonst! nach drei Wochen starb Frau von Beiron. Tosca hatte ihre Mutter mit unglaublicher Treue und Ausdauer gepflegt, alle Nächte bei ihr durchwacht. Nach ihrem Tode brach die Kraft des jungen Mädchens zusammen. Nicht daß sie von einer großen Krankheit befallen wurde! das wäre besser gewesen, meinte der Professor Zeller; sie wurde nervenkrank. Ihr fehlte nichts, aber sie verblühte sichtlich und ihr sonst so fröhlicher Sinn war wie zerknickt. Sie klagte nie. Fragte man sie um ihre Krankheit, so antwortete sie nur: Ich bin nicht krank, aber ich gräme mich. Suchte man sie zu zerstreuen, schlug man ihr Gesellschaft und Bälle vor, die sie sonst so sehr geliebt, so gerieth sie in die heftigste Bewegung und bat dringend, sie damit zu verschonen. Sie verließ nicht das Zimmer. So verging der Winter und ein Theil des Frühlings. Im Mai trat der General eines Tages in ihr Zimmer und sagte: „Tosca, übermorgen reisen wir nach der Schweiz, Du sollst erst in Gais die Molken- und dann am Leman die Traubenkur brauchen.“ „Gott segne Dich, Papa!“ rief Tosca jubelnd; „nun werd’ ich gesund!“ Als Tosca Beiron im Herbst blühend und frisch, fröhlich und schön nach Bonn zurückkam, war Sigismund Forster nicht mehr dort. 2. Unter den Linden. Eine lange Reihe von Jahren lag dazwischen. -- Es giebt Momente, in denen wir Jahre verschwenden; es giebt Jahre, die uns in der Erinnerung zu Momenten zusammenschrumpfen. Wie wir sie durchleben -- ob arm, ob reich: das nimmt oder giebt ihnen Gewicht. Als ein Krösus sich zu fühlen, im königlichen Pomp des Daseins, überschüttet mit allen Kronen des Lebens, seien sie von Damen, oder von Rosen, oder von Diamanten, oder von Lichtstralen -- das preßt die Essenz des Lebens in flüchtige Augenblicke zusammen, die durch ihren Inhalt unermeßlich werden. Oder als ein Arbeiter sich zu fühlen, der pünktlich seine Aufgabe erfüllt und dafür seinen Lohn empfängt, von einem Tage zum andern, heute wie morgen, und der sich etwa nur Sonntags ein kleines Vergnügen bereitet, recht blaß, recht steril, ohne lange Vorfreude, ohne längeren Nachhall -- das dehnt das Leben aus, ohne es zu erfüllen, und verwandelt lange inhaltlose Epochen in schnellvergessene Augenblicke. Hier ist das Dasein wie ein Goldfädchen, das dünn, dünn und immer dünner, bis zur Unscheinbarkeit und Unhaltbarkeit fortgezogen wird; dort ein Goldbarren .... so prächtig, so schwer, häufig ~zu~ schwer. So ist das Leben eingerichtet: am Ueberfluß oder am Mangel leidet der Mensch. Es war in Berlin am Neujahrstage. Im ersten Stockwerk eines hellgrauen Hauses unter den Linden an der Ecke der Kirchgasse, saß ein noch junger Mann am Schreibtisch und schrieb. Vor ihm lag ein Brief von Frauenhand; er blickte zuweilen hinein, lächelte und schrieb weiter. Zuweilen legte er die Feder hin, lehnte sich zurück und verfiel in Nachsinnen. Die Mittagssonne glänzte hell ins Zimmer hinein. Es sah sehr freundlich, sehr wohlgeordnet aus, ebenso entfernt von Confusion, als von übertriebener Zierlichkeit. Kissen in Tapisserie genäht, lagen auf dem Sopha; an den Wänden hingen einige hübsche Lithographien, Blumen standen in den Fenstern. Ein Wagen hielt vor dem Hause, und eine Dame stieg aus, begehrte mit der Besitzerin desselben zu sprechen, und hatte eine lange Unterhaltung mit ihr. Der Schluß davon war, daß die Dame ein wenig ungeduldig sagte: „Nun, so werde ich selbst den Herrn darum bitten müssen! Sein Sie so gut, mich bei ihm zu melden.“ Die Hauswirthin ging voran, die Dame folgte ihr auf dem Fuß, und während sie die Treppe heraufstieg, fragte sie ein wenig besorgt: „Der Herr raucht wol sehr stark?“ „Gar nicht, gnädige Frau,“ lautete die beruhigende Antwort der Hauswirthin, welche eben das Zimmer nach raschem Anpochen hastig öffnete, und hineinsprach: „Herr Regierungsrath, die Frau Generalin von Beiron wünscht Sie zu sprechen.“ Der Mann machte eine lebhafte Bewegung, griff mechanisch nach der Brille, die neben ihm auf dem Schreibtisch lag, und setzte sie auf, indem er sich erhob. Heutzutag hat ein Mann über dreißig Jahr entweder eine kahle Platte, oder er trägt eine Brille. An diesen Wahrzeichen sind die Söhne unsers Jahrhunderts zu erkennen. Wem sie fehlen, der gehört, mit seltnen Ausnahmen, den letzten Tagen des vergangenen an. „Da ist der Herr Regierungsrath Forster,“ sagte die Hauswirthin zu der Dame. Tosca Beiron und Sigismund Forster standen sich gegenüber. Er erkannte sie auf der Stelle. Er wunderte sich, daß sie den Namen trug, den einst ihre Mutter getragen, aber er war nicht einen Augenblick in Zweifel. Sie hatte die ganze Eigenthümlichkeit ihrer Physiognomie behalten: ihre beherrschenden Augen, ihr reizendes Lächeln, ihre unbefangene stolze Haltung; auch ihre Züge waren dieselben, nur ausgeprägter, schärfer, der Mund vielleicht etwas zu groß und die Stirn an den Schläfen nicht mehr ganz frisch. Mit einem Blick übersah es Sigismund. Von Kopf zu Fuß war sie in violetten Sammet gekleidet, und in der Hand hielt sie einen großen Strauß der allerschönsten Frühlingsblumen. Sie sah magnifik aus, als sie so mitten in dem sonnenerleuchteten Zimmer stand. Sie erkannte ihn nicht; oder vielmehr -- sie dachte nicht daran, ihn zu erkennen. Sie hatte jetzt andere Gedanken, als ihn. Und überdies war Sigismund auch nicht mehr der schöne heitere Jüngling aus Bonn. Heutzutag ist das Leben eines Mannes, der seinen Weg auf ganz gewöhnlichem Wege machen muß, und darin durch keine allmächtige Protektionen und Connexionen unterstützt, oder durch keine ganz überwältigende Talente gehoben wird -- anstrengend und mühselig. Und Anstrengung zerstört die Schönheit -- die Schönheit der Züge, die des Ausdrucks nicht. Sigismund hatte scharfe Züge, und sah ernst und kalt aus, kalt sogar, wenn er verbindlich sprach und lächelte. Die Schmarre, welche ihm einst Hohenberg auf der linken Wange beigebracht, war durch einen starken dunkeln Bart bedeckt. Seine Augen hätten vielleicht die Strenge des Gesichts mildern können; aber die Brille verdarb sie, wie zu starker Firniß den Eindruck des schönsten Oelgemäldes schwächt. Bei dem Allen war etwas Festes und Klares in dem Gesicht, etwas, das Vertrauen weckte, und als er mit fester und tönender Stimme, und sich verbeugend, zu Tosca sagte: „Was verschafft mir die Ehre, Sie hier zu sehen, gnädigste Frau?“ Da entgegnete sie zuversichtlich: „Die Hoffnung, daß Sie mir eine große, eine übergroße Bitte nicht abschlagen werden.“ Sie setzte sich und fuhr fort, als er sie schweigend und erwartungsvoll ansah: „Mit zwei Worten: ich wünschte, daß Sie mir diese Ihre Wohnung abtreten und dafür die im zweiten Stockwerk, welche ihr ganz ähnlich ist, nehmen mögten. Meinethalben würde ich weder Sie noch irgend Jemand mit dieser Bitte belästigen; ob ich eine Treppe oder drei steige, ist mir einerlei, und eben so, ob mein Zimmer nach Süden oder nach Norden liegt. Aber mein Mann ist krank, sehr krank; jeder Schritt wird ihm schwer, und mit der, den meisten Kranken eigenen Laune behauptet er, grade diese Wohnung, eine Treppe hoch, Südseite, und in der wir schon vor einigen Jahren gewohnt haben, sei ihm die bequemste, ja mehr! die heilsamste in ganz Berlin. Wir wohnen in British Hotel; es hat dieselbe Lage, allein das Geräusch des Gasthofs ist ihm unerträglich. Da drüben ist ein Haus ganz zu unsrer Disposition; er behauptet, durch die Lage nach Norden wären die Zimmer in Keller verwandelt. Auf der ganzen Südseite der Linden ist in keinem Privathause eine Miethwohnung frei, außer hier im zweiten Stockwerk -- und die Linden .... verlassen Fremde so ungern“ .... -- „Gnädige Frau,“ sagte Sigismund, „diese Wohnung steht Ihnen sofort zu Befehl.“ „O Sie sind gütig!“ rief sie lebhaft. „Es ist mir, wie Ihnen, vollkommen einerlei, gnädige Frau, wie viel Stufen ich zu meinem Zimmer zu steigen habe,“ sagte er ruhig. „So freut es mich doppelt, daß Sie kein Opfer zu bringen haben, indem Sie den Wunsch eines beklagenswerthen Kranken erfüllen,“ entgegnete sie sanft. „Und wann würden Sie, ohne allzu unbequeme Uebereilung, diese Wohnung verlassen können?“ „Das Zelt eines einzelnen Mannes ist eben so leicht abgebrochen als wieder aufgeschlagen, gnädige Frau, und ich werde es heute und sogleich thun .... denn Ihr Herr Gemahl mag schon ungeduldig sein.“ Tosca stand auf und machte eine Bewegung, als wolle sie ihm die Hand geben; aber, sich besinnend, drückte sie beide Hände gefalten vor die Brust und sagte mit großer Herzlichkeit: „Ach, ~daß~ Sie es thun würden, wußt’ ich wohl, aber ~wie~ -- das konnt’ ich freilich nicht ahnen.“ „Und dürfte ich fragen,“ entgegnete Sigismund lächelnd, „was Ihnen im Voraus die Gewißheit meines Gehorsams gab?“ „O mein Herr!“ rief Tosca lebhaft, „die Außergewöhnlichkeit meiner Bitte! eine so extraordinäre Insolenz von meiner Seite muß durch einen sehr gewichtigen Grund motivirt und entschuldigt werden -- und das wird der begreifen, dem ich meinen Wunsch ausspreche, und ihm willfahren; -- so dacht’ ich. Allein, das ~Wie~ liebenswürdig zu finden .... darauf durft’ ich nicht rechnen.“ Sie ging der Thür zu, stand still, sah sich rings im Zimmer um und sagte: „Ach, es ist freundlich hier! Sie haben hier gewiß manche angenehme Stunde, manchen lieben Augenblick verlebt, und wir verjagen Sie unbarmherzig, und machen Ihnen gar heute den Festtag zu einem recht unbequemen Werktag. Nun, ich danke Ihnen aus voller Seele! Ein warmer aufrichtiger Dank bringt mehr Segen, als alle Neujahrsglückwünsche.“ „Das glaub’ ich gern, gnädige Frau,“ entgegnete Sigismund und begleitete Tosca bis zur Treppe. Dann kehrte er ins Zimmer zurück, trat ans Fenster und sah sie in den Wagen steigen, der die Linden herauf fuhr. Ihm war leicht ums Herz, so, als habe er die knabenhafte Ungezogenheit von Bonn gut gemacht. Und wie sie schön ist, wie beherrschend durch Blick und Haltung! dachte er, als er ihr nachblickte; eine prächtige Erscheinung -- ganz, wie sie zu werden versprach. -- Neben dem Stuhl, auf welchem Tosca gesessen, lag eine Tazettenblüthe, wie ein kleiner goldener, aus dem Himmel auf die Erde gefallener Stern. Sigismund hob sie auf und legte sie in sein Portefeuille. Dann begann er seine Uebersiedelung. Damit verging der Tag. Am Abend saß Sigismund im Zimmer des zweiten Stockwerks am Schreibtisch, um den Brief zu beenden, bei dem er durch Toscas Eintritt gestört worden war. Drei Seiten waren beschrieben. Auf die vierte schrieb er: „Ich bin unterbrochen worden, liebe Agathe. Aber es thut nichts, denn ich hoffe nächstens auf ein Paar Tage nach Magdeburg kommen zu können, und da holen wir mit Plaudern nach, was ich heut mit Schreiben versäumen mußte. Diese Aussicht macht Deine lieben freundlichen Augen noch freundlicher -- nicht wahr? Gott segne diese lieben Augen, meine Agathe, damit sie nichts als Freude, Glück und Liebe auf der Welt sehen, und mir ins Herz blicken mögen.“ S. F. Dreiviertel des letzten Blatts blieb unbeschrieben. Sigismund couvertirte den Brief und trug ihn selbst auf die Post. Er ging an British Hotel vorüber und sah zu einigen hellerleuchteten Fenstern im ersten Stockwerk empor. Da wohnt sie gewiß, dachte er, und mit einem kranken Mann! -- Ihm fiel ein, daß es grade zwölf Jahre waren seit jenem Tage in Bonn, wo er sie so muthwillig gekränkt, und zum letzten Mal ihr schönes Gesichtchen, aber erbleichend und traurig, zwischen den Blumen im Fenster gesehen hatte. Am Abend spät war er wieder vorbei gegangen, und mehrmals auf und ab; seine Ungezogenheit that ihm gar so leid! Er wünschte glühend, sie gut zu machen, Tosca um Verzeihung zu bitten .... aber er sah sie nicht mehr, nie wieder. Ihre Mutter starb, sie erkrankte, sie reiste; er trauerte mit ihr, um sie. Wie ein Meteor, das man ein Mal sieht und nimmer wieder, so war sie aus seinem Horizont verschwunden. Jahre lang dachte er an sie. Wenn er eine schöne Blondine sah, so flüsterte eine Stimme ganz heimlich in ihm: „Fast so schön wie Tosca Beiron.“ Großer Schmerz kam über ihn, sein Vater starb und hinterließ seine Familie unbemittelt. Es folgten eiserne Zeiten voll Sorge und Anstrengung. Durch Schmerzen und durch Mühen mußte er sich kämpfen, und er that es. Die Seinen blickten mit Hoffnung und Liebe auf ihn. Er war ihr Trost, ihre Zuversicht, ihre Freude. Und so ging es ihm denn allmälig besser, und zuletzt gut. Jetzt hatte er im Hause seiner Schwester, die in Magdeburg mit seinem Universitätsfreund Friedrich verheirathet war, ein junges Mädchen kennen gelernt, das er herzlich lieb hatte. Er war mit ihr verlobt, im Frühling wollte er sie heirathen. Toscas Bild war erst blaß und nebelhaft in ihm geworden, dann verschwunden, wie eine Todte im Grabe. Das Leben rauscht darüber hin, und deckt es zu, und nimmt uns so in Anspruch, daß wir nicht Zeit haben, an unsre Todten zu denken. Ständen sie aber auf aus ihrem Grabe, in ihrer alten Schönheit, mit ihrer alten Macht, so würden sie uns wieder beherrschen, wenn sie uns je beherrscht haben; denn begraben können wir viel, aber tödten nichts. Solche Bilder glitten an Sigismund vorüber, als er durch die Straßen ging. Er versuchte an die Zukunft zu denken, aber magnetisch zogen ihn die Gedanken in die Vergangenheit zurück. „Agathe, zu Dir!“ sagte er halblaut. -- -- Am andern Morgen gegen zehn Uhr nahm der General Beiron die Wohnung in Besitz, welche Sigismund verlassen hatte. Zwei Diener trugen ihn aus dem Wagen die Treppe hinauf; er hatte die Brustwassersucht. Ein junger Mann, der schon zwei Stunden früher in Begleitung von Handwerkern und Trägern mit vielen Meublen und Geräthschaften gekommen war, empfing ihn und Tosca, und sagte: „Ich hoffe, lieber Onkel, daß Sie ziemlich zufrieden mit meinen Anordnungen sein werden, und daß meine schöne Tante ein andres Wort, als ein spöttisches für mich hat.“ „Mein guter Ignaz, ich danke Dir!“ sagte der General freundlich, und gab ihm die Hand. „Das wollen wir sehen, Ignaz,“ sagte Tosca und ging durch die Zimmer. Nach zwei Minuten kam sie wieder und sagte lachend: „Ich muß Sie loben, mein Ignaz! in allen Zimmern ist etwas ganz Wesentliches vergessen. Hier im Salon ein Schachbrett-Tisch, im Zimmer meines Mannes Sophapolster, und in meinem Zimmer Blumen.“ „Sie sehen, lieber Onkel, daß ich wirklich Recht habe, mich ein wenig über die eiserne Unnachsichtigkeit meiner schönen Tante zu grämen. Gestern waren alle Magazine geschlossen; heute war’s bis früh acht Uhr Nacht. Ich schmeichelte mir, in zwei Stunden geleistet zu haben, was in menschlicher Kraft steht .... aber nein!“ .... „Und abermals nein!“ unterbrach ihn Tosca; „denn Sie haben mich bis daher immer glauben machen, daß Ihnen zu meinem Dienst mehr als menschliche Kräfte zu Gebot ständen.“ „Ist sie liebenswürdig?“ sagte der General lächelnd zu seinem Neffen. „Ach, ich bin unglückselig!“ rief Ignaz. „Eine solche Aeußerung müßte mir ja wenigstens Flügel und Zauberstab verleihen, und statt dem Allen steht mir nichts zu Gebot, als ein Miethwagen .... und mein guter Wille.“ „Mit dem guten Willen macht man hübsche Phrasen und weiter nichts!“ sagte Tosca lachend. „Ich gehe schon, ich gehe!“ rief Ignaz; „aber gestehen Sie, daß es hart ist, nie ein Wort der Zufriedenheit zu hören .... wenigstens kein directes.“ Er verließ das Zimmer. Tosca blickte ihm seltsam nach, und der General sagte: „Welch ein Mensch! welch ein goldnes Herz an Treue und Ergebenheit. Wahrlich, er gehört nicht unsrer Zeit und unsrer Welt an.“ „Das denk’ ich auch .... zuweilen,“ sagte Tosca. Ihr Mann sah sie fragend an. „Ja,“ fuhr sie fort, „mit dem Alter, glaub’ ich, kommt uns der Zweifel, und ich werde älter und immer älter, und da mein’ ich zuweilen, der Ignaz spiele Komödie.“ „Wenn er das thut,“ entgegnete der General, „so hat er sich wenigstens eine schöne und schwere Rolle gewählt.“ „O, nicht schwer!“ rief Tosca. Sie setzte sich zu ihrem Mann, sie nahm seine abgemagerte Hand in ihre weichen feinen Hände, sie sah ihm mit tiefer Innigkeit in das blasse, greisenhafte Gesicht. „Doch! doch! mein guter Engel,“ antwortete er traurig. „Welch ein Leben führt Ihr Beide, Du und er, seit drei Jahren. Es ist hart in Eurem Alter Krankenpfleger sein zu müssen.“ „Für ihn vielleicht, nicht für mich, denn ich thue ja nichts weiter für Dich, als daß ich bei Dir bin .... und auch das erlaubst Du mir ja nicht immer.“ „Gewiß nicht!“ sagte der General eifrig; „Du mußt ausgehen, mußt mit Menschen verkehren, mußt Dir die Welt ansehen und ihre Huldigung und Bewunderung hinnehmen. Ja, das mußt Du! dazu bist Du geboren, und ich bestehe vielleicht aus Egoismus darauf. Nicht als ob es mir schmeichelte, Dich gefeiert zu wissen -- wie das so oft alten Männern von schönen jungen Frauen geschieht -- sondern weil es Deiner Eigenthümlichkeit zusagt, sich in bunten Kreisen zu bewegen, weil es Dich anregt, Dich heiter stimmt, Dir Gelegenheit giebt, Deine Liebenswürdigkeit zu entfalten; und weil der Mensch, wenn er sich auf seinem rechten Platz fühlt, zufrieden mit sich und mit Andern ist und Muth und Laune nicht verliert, die Du doch so sehr nöthig hast bei Deinem alten kranken Mann. Du siehst, wie egoistisch ich bin.“ „Wie gut Du bist,“ sagte Tosca sanft. Sie weinte nicht, aber die Thränen fielen ihr langsam und fest aus den diamantnen Augen. Der General machte eine leise verneinende Bewegung mit dem Kopfe. „Ich kann besser Blut sehen als Thränen,“ sprach er. Tosca schloß einen Moment die Augen, und that sie frisch und stralend auf. Er nickte ihr freundlich zu. „Sag mir,“ hub er wieder an, nachdem er sich im Zimmer umgesehen, „wie heißt der Mann, den wir aus dieser freundlichen Wohnung vertrieben haben?“ „Regierungsrath ist er,“ antwortete sie; „die Hauswirthin nannte auch seinen Namen, aber, wie das bei Präsentationen immer geht, ich verstand ihn nicht.“ „Gleichviel! ich mögte doch sehr gern seine Bekanntschaft machen. Solche Bereitwilligkeit gegen wild-fremde Menschen ist erstaunenswerth.“ „Das dächt’ ich doch nicht,“ sagte sie gelassen. „Lieber Engel, die meisten Leute scheuen weniger ein großes Opfer, als eine große Unbequemlichkeit, und eine solche haben wir ihm doch verursacht.“ „Das ist wahr!“ rief sie, „ich werd’ ihm zwei Worte schreiben.“ Sie schrieb: „Sie müssen jetzt die Consequenzen Ihrer wundervollen Güte hinnehmen, und meinem Mann die Gelegenheit gönnen, Ihnen seinen herzlichen Dank auszusprechen. Es würde ihn betrüben, wenn er Ihre Freundlichkeit nur wie ein Almosen betrachten müßte -- und mich auch Tosca Beiron.“ Das Billet wurde herauf geschickt, und die mündliche Antwort lautete, der Herr werde später die Ehre haben, seinen Besuch zu machen. Ignaz kam zurück; Blumen, Schachbretttisch, Sophapolster langten auch an. Es wurde Alles geordnet, eingerichtet, so viel wie möglich behaglich gemacht. Der General sagte endlich: „Jetzt glaube ich, daß wir den Winter hier ganz leidlich verbringen werden.“ Da gab Tosca ihre Hand an Ignaz, und sagte mit ihrem holdseligsten Lächeln: „Das ist hauptsächlich Ihr Werk! ich danke Ihnen.“ Ignaz küßte diese Hand, aber er drückte sie heftiger, als man bei einem Handkuß zu thun pflegt. Der General ging in sein Zimmer; er war angegriffen, der unruhevolle Morgen hatte ihn ermüdet. Seine Nächte waren ohnehin fast immer schlecht; Tags schlief er zuweilen im Lehnstuhl ein. Ignaz kniete auf Toscas Fußkissen vor ihr nieder, als sie allein waren, und sagte: „Sie wissen, wie ein freundliches Wort, ein holder Blick von Ihnen mich beseligt: weshalb denn geizen Sie so unbarmherzig damit?“ „Ich geize nicht, Ignaz, ich verschwende nur nicht,“ antwortete sie ruhig, lehnte sich im Sopha zurück und ließ ihn knien. „Tosca!“ sagte er und schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf, „Sie sind schön, Sie sind geistreich, Sie sind edel, Sie sind liebenswürdig...“ „Ja, ja, ja! ich bin vollkommen!“ unterbrach sie ihn. „Nein,“ entgegnete er, „vollkommen sind Sie nicht.“ „Gott sei Dank!“ rief sie, „Gott sei Dank! denn vollkommne Menschen, hab ich mir sagen lassen, würden nicht geliebt -- nur bewundert.“ „Aber warum wollen Sie geliebt werden? was liegt Ihnen an Liebe? -- Sie lieben ja nicht wieder! Das ist Ihr einziger Fehler, Tosca, Sie haben ein eiskaltes, ein marmornes Herz: Sie können nicht lieben.“ „O doch!“ sagte sie höchst gelassen; „ich liebe meinen Mann, und nächst ihm -- Sie.“ Ignaz sprang auf und rief heftig: „O entweihen Sie nicht die Liebe, indem Sie jenes dürftige Gefühlchen so nennen.“ „Dürftig wie es ist, füllt es mein Herz aus. Ich kann nicht dafür, daß Gott es so eng und klein gemacht hat,“ entgegnete sie spöttisch. „Tosca!“ rief Ignaz ganz außer sich, „Du lästerst! Dein Herz“ .... -- „Ich bitte mir aus, Ignaz, daß Sie mich ~Sie~ nennen,“ unterbrach ihn Tosca, -- „nun also: mein Herz“ .... -- „O Sie haben kein Herz! ich sagte vorhin, es sei von Marmor, aber es ist nicht wahr! Sie haben keins. Gott hat Ihnen den Stempel der Vollendung nicht aufgedrückt, Ihnen fehlt die Glorie des Weibes.“ „So sagen alle Männer, wenn wir ihnen nicht überwunden in die Arme -- oder noch besser, zu Füßen sinken.“ „Ich zweifle nicht, gnädige Frau, daß Sie manche Erfahrungen der Art gemacht haben!“ rief er bitter. „Ach Ignaz,“ sagte Tosca freundlich, „ergrimmen Sie Sich doch nicht so unnütz gegen mich, Sie wissen ja, wie ich gegen Sie gesinnt, daß ich Ihnen von Herzen gut bin. Wir haben ja längst mit einander ausgemacht, ich sei keiner leidenschaftlichen Liebe fähig, Sie meinen: weil ich zu kalt und stolz sei; ich sage: weil ich zu schüchtern bin...“ „Aber Schüchternheit hindert die Liebe nicht, steigert sie wol gar! Das schüchternste Mädchen liebt“ .... -- „Und wird dafür gekränkt und verletzt, Ignaz; dadurch verlernt man zu lieben.“ „Sie wollen nicht lieben, Tosca!“ „Ich hab’ oft gehört und gelesen, die Liebe sei ganz unabhängig vom Willen, und stärker als er .... und ich glaub’ es.“ „Warum?“ fragte Ignaz mißtrauisch. „Inquisitor!“ warf sie hin. „Weil ich es mit dem Liebenwollen nie bis zum Lieben gebracht habe,“ setzte sie hinzu. Ignaz stand mit untergeschlagenen Armen vor ihr, fixirte sie scharf und sagte: „Das ist mein Trost.“ Er sah recht schön aus. Schwarze Locken legten sich dick und schwer um seine Stirn, von der sich die Nase zart und grade herabsenkte. Die Augen traten tief unter den Augenknochen zurück; schwarze Brauen und lange schwarze Wimpern verschatteten sie dermaßen, daß sie wie unterirdisches Licht glänzten, wozu freilich auch ihre Farbe beitrug; sie waren gelb und der äußerste Rand der Iris war orangefarben. Scharf wie die Augen war auch der Mund, ganz klein, ganz festgeschlossen, mit schmalen purpurrothen Lippen. Im Ganzen war das Gesicht vielleicht noch frappanter, als es schön war, weil es den Antinous und den Vampyr verschmolz. Auf Tosca schien er übrigens weder den einen noch den andern Eindruck zu machen. Sie fing an in einem großen Korb von indischem Rohr, zwischen Wolle, Seide, Chenille und Stickmuster umher zu suchen, und sagte während der Zeit: „Was wir ganz nothwendig haben müssen, das sind Reitpferde, lieber Ignaz. Gelt, die besorgen Sie?“ „Ich wundre mich, gnädige Frau, daß Sie nicht müde werden, Ihre Befehle einem so gleichgültigen Menschen, wie ich es Ihnen bin, zu ertheilen,“ sagte er gereizt. „Wenn’s Ihnen zu viel wird, so lassen Sie sie unausgeführt! ich finde wol einen andern Vollstrecker nicht meines letzten -- sondern überhaupt meines Willens.“ Diese Worte schienen Ignaz zur Besinnung zu bringen. Sein Ausdruck wurde sanfter, die leidenschaftliche Aufregung schien sich zu legen. „Vergebung!“ sprach er mit schmeichelndem Ton. „Gern, mein guter Ignaz!“ sagte sie ohne ihre arbeitsame Laune unterbrechen zu lassen. Er ging. Auf dem Vorsaal begegnete ihm Sigismund, der eben die Treppe herabkam. Beide fixirten sich im Vorüberstreifen. Ignaz eilte fort. Sigismund ließ sich bei Tosca melden. Als er dem Diener, der seinen Namen nannte, auf dem Fuß folgte, und ohne Brille eintrat, erkannte Tosca ihn plötzlich, erröthete heftig und sagte sehr überrascht, fast verlegen: „Sind ~Sie~ es?... mein Gott!“ „Ich glaube, wir sind alte Bekannte,“ entgegnete er, „und ich war schon gestern nicht im Zweifel, wen ich die Ehre hatte zu sehen.“ „Ich erkannte Sie nicht, und wahrscheinlich deshalb nicht, weil Ihr Auge wie ein Bild hinter Glas und Rahmen lag. Jetzt gut -- sehr gut!“ „Doch wol kaum, gnädigste Frau; ein halbes Leben liegt zwischen heut und damals. Da verändert man sich, oft, durch und durch! Ernst tritt an die Stelle der Heiterkeit, Zweifel an die des Vertrauens, Ueberlegung an die der Unbesonnenheit.“ „Vielleicht ist das mehr bei Männern der Fall als bei Frauen,“ entgegnete Tosca. „Jene müssen ihre Stellung oder ihre Existenz der Welt abringen; diesen wird sie gemacht und dargeboten. Unser Leben ist von der Wiege bis zum Grabe recht sorglos und leicht, und daher verändern wir uns auch wenig.“ „Es freut mich von ganzem Herzen, daß Sie Ihr Leben leicht und sorglos nennen, gnädige Frau -- und nicht blos darum, weil es für Ihre Zufriedenheit spricht, sondern ebensosehr, weil Sie es anerkennen.“ „Ja ja, ich weiß wol,“ sagte Tosca, „daß einige kleine Klagen über verschwundene Illusionen und unerfüllte Wünsche und zerknickte Hoffnungen uns sehr gut stehen; aber ich liebe es wahr zu sein, und da mir nichts zerknickt noch untergegangen ist, so versteh ich auch nicht graziös darüber zu lamentiren. Jetzt bin ich aber doch traurig,“ setzte sie ernst hinzu; „mein Mann ist leidend, und rettungslos. So spricht er selbst, so geben die Aerzte es zu verstehen. Es ist entsetzlich, keine andre Erlösung von so großen Qualen erwarten zu dürfen, als den Tod. Wissen Sie, was es heißt, Jemand leiden, hinsterben und sterben zu sehen, den man liebt?“ „Ich weiß es! ich habe meinen Vater an jammervoller Krankheit verloren.“ „Ihren Vater? ... o ja, das ist beklagenswerth. Aber sehen Sie, es ist doch noch ein andrer Schmerz. Ich habe auch meinen guten Vater verloren, und meine geliebte angebetete Mutter...“ „Damals war ich in Bonn.“ „Ich erinnre mich,“ sagte Tosca erröthend. „Nun, ich beweinte, ich betrauerte die Eltern, ich denke noch jetzt nie ohne Dankbarkeit für ihr Leben und Wehmuth um ihren Tod an sie; aber wenn der Mann uns stirbt, da fehlt uns die Erde unter den Füßen, da ist uns die Gegenwart und die Zukunft ruinirt; die Eltern gehören nur unsrer Vergangenheit an.“ „Die Natur hat Kräfte und Hülfsquellen, gnädige Frau, welche oft die Aerzte selbst überraschen“ ... -- Tosca schüttelte traurig den Kopf: „Seit drei Jahren leidet er an der Brustwassersucht; davon erholt man sich nicht! Er nicht! er ist nicht jung mehr, er ist im sechszigsten Jahr.“ Während Tosca gesprochen, hatte Sigismund sich unwillkürlich von dem General das Bild eines noch jungen Mannes entworfen, ihrem Alter angemessen, leidend an irgend einem Uebel, das durch eine starke Natur zu heben sein werde; -- aber die Brustwassersucht, aber sechszig Jahr, aber ein kranker Greis! und für ihn solche Zärtlichkeit! das überraschte ihn so, daß er Mißtrauen gegen sie faßte, und in diesem Sinn sagte er: „Tröstungen sind immer unstatthaft. Indessen gnädige Frau, sollte die bedeutende Altersverschiedenheit zwischen Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl Sie doch von Anfang an auf die Möglichkeit vorbereitet haben, ihn zu verlieren.“ „Ach!“ rief sie ein wenig ungeduldig, „wer denkt an so triste Möglichkeiten, wenn man glücklich ist? Es ist wahr! ich war 18 Jahr, als ich ihn heirathete, und er war 48. Allein der Unterschied der Jahre machte mir keinen andern Eindruck, als daß ich mich zuweilen zu jung für ihn fand; er kam mir nie zu alt für mich vor. Und dann .... daß man jung ist, ist ja kein Grund um lange zu leben.“ „Doch ist er gültiger für die Jugend als fürs Alter,“ erwiderte Sigismund lächelnd. „Ueber die Jugend kommen die plötzlichen, die vernichtenden Stürme,“ sagte sie. „Im Frühling fallen im Gebirg die Lawinen -- nicht im Winter.“ Sigismund sah sie an. Jung, schön, glücklich, und so ernst? dachte er heimlich; und weil er dachte, so schwieg er. Tosca sagte während der Zeit: „Mein Mann wünscht sehr Ihre Bekanntschaft zu machen. Wenn Sie diesen Wunsch ebenso freundlich erfüllen wollen wie seinen ersten, so müssen Sie ihn Abends besuchen; das ist seine gute Zeit. Er ist so gesellig, so mittheilsam, interessirt sich so lebhaft für Alles, was draußen in der Welt vorgeht, und kann jetzt nur noch durch Erzählung Anderer daran Theil nehmen. Aber das erfrischt ihn sichtlich. Zum Glück hat er hier manche Bekannte aus früherer Zeit, die ihm gern ein Stündchen schenken.... -- Vergebung!“ unterbrach sie sich plötzlich und verließ rasch das Zimmer. Sigismund blickte ihr nach. Er fand sie eine wunderherrliche Erscheinung, voll unsäglichem Adel, aber, dachte er noch immer mißtrauisch, warum spricht sie so viel von ihrem Mann? Tosca kehrte zurück. „Vergebung,“ sagte sie, „ich hörte eine kleine Schelle, durch die mein Mann mich zu rufen pflegt.“ Sigismund stand auf. „Ah!“ rief sie lachend, „haben Sie es übel genommen, daß ich Sie allein gelassen?“ „Ich muß mich wol sehr schlecht auf Pantomime verstehen, wenn Sie, gnädige Frau, die meine so deuten,“ antwortete er und setzte sich wieder. Sie sprachen allerlei, über fremde Länder, Reisen, Kunst, Gesellschaft, Schicksale. Tosca hatte Vieles gesehen, Manches gedacht, Einiges empfunden, und -- Nichts erlebt. Sie war an Allem vorbei geglitten, wie unter einer Taucherglocke oder wie in einem Luftballon. Erfahrung und Menschenkenntniß hatte sie gar nicht. Welch eine himmlische Unvollkommenheit! dachte Sigismund, und er konnte sich nicht enthalten, ihr diese Bemerkung auszusprechen. „Das kann wol sein,“ erwiderte Tosca. „Ich bin mit nichts und mit Niemand in Conflict gerathen ... mein Mann denkt, sorgt, thut für mich; wie hätte ich es da wol anfangen sollen, um klug zu werden... -- oder weltklug, wenn Sie lieber wollen,“ setzte sie mit heiterm Lächeln hinzu. „Ich stelle es mir als das höchste Glück des Mannes vor,“ sagte Sigismund, „in dieser Weise neben einer Frau stehen zu können. Er kämpft für sie den ganzen Kampf mit der Wirklichkeit, und sie freut sich der Trophäen seiner Siege, ohne zu wissen, welche Anstrengungen sie ihn kosten.“ „Und dann,“ sagte Tosca mit fröhlichem Spott, „wird die Frau so prächtig bequem durch ihre Unwissenheit beherrscht.“ „Immer noch spöttisch wie sonst,“ sagte Sigismund. Ihre Unterhaltung hätte vielleicht noch lange gewährt, wenn Ignaz nicht gekommen wäre. „Graf Adlercron, meines Mannes Neffe, unser treuer Gefährte seit drei Jahren;“ sprach Tosca und nannte darauf Sigismund. Ignaz machte ihm einen widerwärtigen Eindruck, obgleich er die verbindlichsten Manieren hatte; sie waren nur zu verbindlich; daher blieb auch Sigismund kalt und hoch. Er ging bald. Die Intimität zwischen Tosca und Ignaz mißfiel ihm. Er bat nicht um Erlaubniß wiederkommen zu dürfen, und da Tosca ihn schon einmal dazu aufgefodert hatte, so hielt sie die Wiederholung für überflüssig. Einige Tage vergingen, ohne daß er sich um seine Hausgenossen bekümmerte, und nur zufällig sah er einmal Tosca und Ignaz in der Mittagstunde spazieren reiten -- -- wie der Engel des Lichts und der der Finsterniß! flog ihm durch den Sinn. Ein Brief, den er erhalten hatte, mogte ihn wol in dem Entschluß bestärkt haben, sich nicht mit diesen Menschen abzugeben. „Lieber Sigismund,“ lautete der, „zum ersten Mal, seit Du mir schreibst, habe ich über Deinen Brief vom Neujahrstag und von Deinem Geburtstag keine reine Freude gehabt. Du wirst’s nicht glauben, und noch weniger glauben, wenn ich Dir die Ursache sage. Es war -- weil ich nicht Deine Schrift durch das Couvert schimmern sah. Sonst, wenn ich Deine Briefe bekomme, überfluthet mich immer eine ungeheure Freude, noch ehe ich sie erbreche, weil ich durch das dünne Papier hindurch sehe, daß Du nicht ein Plätzchen leer gelassen hast, auf welchem ein liebes Wort stehen kann. Gestern erschrak ich und dachte: Jesus! er ist krank, er schreibt mir flüchtig! -- Das war meine erste Empfindung bei Deinem Brief! ja, stell’ Dir vor, Sigismund, nicht Freude, sondern Bekümmerniß! -- Hernach, als ich ihn las, verlor sich das; ach, wie sollte es nicht, wenn Du an mich denkst, und ich an Dich? Aber es that mir doch leid, daß der Brief so gelegt sein mußte, um mich durch sein ungewohntes weißes Blatt zu erschrecken; und dann, daß Du mir nicht erzählst, ob eine angenehme oder unangenehme Unterbrechung Dich gestört hat. Aber das Alles ging unter, als ich Dein Versprechen las, bald wieder herüber zu kommen, Sigismund meines Herzens! Es ist doch noch nicht so gar lange her, seit dem Weihnachtsfest; doch wenn ich daran denke, daß ich Dich seitdem nicht gesehen habe, so kommts mir vor wie tausend Jahr. Und wenn ichs recht bedenke, so ist mirs doch auch wieder ganz nah, denn noch jetzt leb’ und webe ich darin, und mit Dir! und ich höre Deine Stimme, und ich weiß jedes Wort, das Du gesagt hast, und ich fühle Deinen Blick, und es kommt eine große Freude über mich -- weil ich Dich so sehr liebe! -- Hör! was Du von meinen Augen schreibst -- das machte mich glücklich, aber ganz himmlisch glücklich. Ich lief vor den Spiegel, und sah sie an. Ich sollt’s wol eigentlich nicht sagen, allein ich gesteh’ es Dir doch; ja, sie kamen mir hübsch vor, sehr hübsch, meine Augen! und wenn ich später nur erst immer und immer bei Dir sein werde, wie sollten sie da etwas Andres auf der Welt sehen, als Freude, Glück und Liebe? denn Du bist meine Freude, mein Glück und meine Liebe, Sigismund, und diese Gewißheit wird uns Beiden das Leben so verklären, daß auf der Erde unsrer Seligkeit kein Ende sein wird; -- nicht wahr? und im Himmel da geht sie von Neuem an. -- Ich bitte Dich, schreibe mir, wann Du kommen wirst; dann rechne ich die Stunden, Minuten und Sekunden bis zum Wiedersehen aus, und damit bild’ ich mir ein, vergeht die Zeit schneller. Geliebter Sigismund, leb’ recht wohl, und immer eingedenk Deiner Agathe.“ Er wollte Agathen und sich selbst so bald wie möglich die Freude des Wiedersehens machen, und da er sehr beschäftigt war, jeden Augenblick zur Arbeit verwenden, um früher frei zu werden. Es war ein Uhr Nachts. Sigismund legte die Feder fort, um für heute sein Tagewerk zu beschließen. Da hörte er unten beim General Beiron, wo schon seit anderthalb Stunden Alles still gewesen war, heftig schellen, Thüren auf und zugehen, Schritte, Stimmen, große Unruh’. In einer Miethwohnung pflegt man sehr gleichgültig für seine Hausgenossen zu sein, allein der Gedanke, daß der General vielleicht im Sterben liege, erschreckte Sigismund, und noch mehr der, daß Tosca allein bei ihm sei, denn in solchem Moment zählen Dienstboten nicht und Ignaz, das wußte er, wohnte in British Hotel. Er ging herunter, wenigstens um Erkundigungen einzuziehen. Die Thür zum Salon stand auf, und Toscas Kammerfrau mitten drin, ganz verblüfft und verschlafen nach Art solcher Leute, die in ungewohnten Vorfällen vollkommen unbrauchbar zu sein pflegen, sobald sie nicht einen bestimmten Auftrag zu vollziehen haben. Dienstboten verstehen im Grunde nichts, als Befehle. Sigismund fragte nach dem Unfall. Das Mädchen antwortete im winselnden Ton. Als Tosca reden hörte, kam sie geschwind herein; sie glaubte, es sei der Arzt. Sigismund gewahrend versuchte sie zu lächeln und sagte: „Es ist ein erstickender Anfall, Schlagfluß ... ich weiß auch nicht was! aber ich ängstige mich!... Wir haben Sie wol gestört?“ -- Und ohne seine Antwort zu erwarten, ging sie zurück. Sie schien seine Gegenwart, seine Theilnahme ganz natürlich zu finden, und sie doch nicht im Geringsten auf sich selbst zu beziehen. Das Kammermädchen fuhr sehr gesprächig, aber in leiserem Ton fort, ihm von dem Befinden des Generals Bericht zu erstatten, und wie die gnädige Frau oft drei bis viermal Nachts aufstehe, um zu sehen, wie es ihm gehe, und wie der Herr General sie nie anders nenne als Engel -- was sie denn auch wirklich sei, und sich den Himmel an ihm verdiene. Er hörte ihr aufmerksam zu. Ach, er kannte die Welt so lange und so tief, daß es ihm schwer ward an den Engel zu glauben, daß er das große Vermögen des Generals und seinen schönen Neffen immer im Hintergrund von Toscas Zärtlichkeit für ihren alten Gemahl gewahrte. Wenn er sie sah, verschwand dies Mißtrauen; aber wenn er nur ihre Verhältnisse überdachte, stieg es auf. Der Arzt kam und ging zum Kranken. Sigismund blieb, um dessen Ausspruch zu erwarten. Da trat Tosca ein, sagte zur Kammerfrau: „Machen Sie mir Thee;“ und dann hastig zu Sigismund: „Gut! o gut, daß Sie da sind! nicht wahr, Sie sind Jurist, da können Sie ein Testament machen.“ „Mein eignes nur, gnädige Frau,“ entgegnete er fast verächtlich. „Also nicht das meine?“ fragte sie traurig. „Das Ihre!“ rief er überrascht; „aber dies ist ja gar nicht der Moment, um an das ~Ihre~ zu denken.“ „Sie meinen, an das meines Mannes,“ sagte sie und die Thränen rollten ihr langsam aus den Augen; „das ist längst gemacht, und ich weiß auch wie: ich bin seine alleinige Erbin. Aber eben darum will ich das meinige machen, oder vielmehr eine Donation“ .... -- „Eine Donation?“ rief er noch überraschter. „Ja, des ganzen Vermögens, an Graf Ignaz.“ „Ah so!“ sagte Sigismund wieder abgekühlt. „Denn sonst giebt es einen entsetzlichen Prozeß gegen mich von Seiten der Adlercronschen Familie, spricht Ignaz“ -- fuhr sie fort und weinte heftiger -- „und Sie sehen doch wol ein, daß ich mich nicht am Todbette und über dem Grabe meines Mannes um sein Vermögen mit seinen Verwandten zanken werde.“ „Und deshalb wollen Sie das ganze Vermögen an Graf Adlercron abtreten?“ fragte Sigismund mit dem höchsten Erstaunen. „Ja,“ sagte sie; „er wird dann Alles arrangiren, denn er versteht es, und ich nicht.“ „Eben deshalb,“ rief Sigismund lebhaft und bewegt, „dürfen Sie nicht -- verzeihen Sie das Wort! so unerhört unbedachtsam zu Werke gehen. Sie geben sich ja ganz in Graf Adlercrons Hände.“ „Nun ja! irgend Jemand muß meine Geschäfte führen; weshalb nicht er, der die Verhältnisse kennt?“ „Ich zweifle ja auf keine Weise an Graf Adlercrons Ergebenheit für Sie, noch an seiner Geschicklichkeit; -- aber ist er selbständig, unabhängig genug, um nicht einen fremden Vortheil -- ich sage nicht seinen eigenen -- dem Ihren vorzuziehen?“ „Er ist ganz unbemittelt,“ sprach Tosca nachdenklich, „und er hat eine Mutter und eilf Geschwister.“ Sigismund taumelte fast zurück, dann sagte er dringend und ernst: „Gnädige Frau, ich beschwöre Sie, in dieser Angelegenheit nicht mit allzu blindem Vertrauen zu Werke zu gehen. Hören Sie Rath und Vorschläge von Männern an, welche die Verhältnisse verstehen und auf keine Weise dabei betheiligt sind“ ... -- „Ich kenne Niemand als Sie,“ unterbrach sie ihn. „Geben Sie mir Ihr Wort, vor der Hand nichts zu thun, und Sich zu nichts drängen zu lassen“ ... -- „Aber warum soll ich nichts thun?“ „Weil Sie noch nicht an dem Zustand Ihres Herrn Gemahls verzweifeln dürfen!“ rief er. Indem trat der Arzt ein und sprach: „Beruhigen Sie Sich, gnädige Frau! es ist ein vorübergehender Anfall, vielleicht eine geringe Erkältung gewesen. Sie haben nichts zu fürchten.“ Tosca dankte dem Arzt. Dann warf sie ein stralendes Lächeln auf Sigismund und sagte: „Glücksprophet!“ und ging zu ihrem Mann. Sigismund eilte auf sein Zimmer. Er warf sich in einen Lehnstuhl und den Kopf in die Hand. Aber sie wird ja ruinirt, dachte er, wenn sie in ihrer blinden Großmuth oder großmüthigen Uneigennützigkeit solche Thorheit begeht. Jenem Menschen, mit seinem affablen Lächeln, seinen glatten Worten und seinen stechenden Augen, der unbemittelt ist, und eilf Geschwister hat -- und der, das ist ganz klar, sie zu diesem Schritt zu bewegen sucht -- dem traue ich nicht! -- Er nahm sich vor, Tosca zu bewachen, und Graf Adlercron zu beobachten. Ihm schien, als könne er dadurch einem großen Unrecht vorbeugen, heimliche Plane zerstören, welche eine arme, unbefangene Frau wie ein geschicktes Netz umgarnten. Er bat ihr heimlich den ungerechten Verdacht ab, den er gegen sie gehegt. Es freute ihn in der Seele, daß ihre prächtig edle Wesenheit ihre prächtig edle Erscheinung bedinge, daß ihr Herz so rein sei wie ihre Stirn, so hell wie ihr Lächeln, so hoch wie ihr Auge; daß ihre Seele ihrer Schönheit Wort halte. Er war innerlichst befriedigt, als habe er ein Kleinod, das er verloren geglaubt, überraschend wiedergefunden. Die Welt ist dermaßen in egoistischen Bestrebungen begraben, daß uns nichts so rührt, als die Uneigennützigkeit, die Absichtslosigkeit, welcher Art sie auch sei -- wohlverstanden, ~wenn~ sie uns rührt; denn Viele betrachten den Eigennutz als eine Schutzwaffe, um nicht düpirt zu werden, und den, der ihn verschmäht, als einen Einfaltspinsel. Gegen vier Uhr Morgens ging Sigismund wieder herunter, und fragte einen der Bedienten, wie es gehe. Der General war besser; Tosca hatte ihn eben verlassen, um die gestörte Ruhe zu suchen, und ganz beruhigt that Sigismund es auch. Als Ignaz am andern Morgen wie gewöhnlich kam und durch den General den nächtlichen Unfall erfuhr, gerieth er in die heftigste Aufregung, beklagte sich über Vernachlässigung, über Vorenthaltung seines Rechts, in solchem wichtigen Moment nicht gerufen worden zu sein, so daß sein Onkel gar nicht wußte, wie ihn trösten und beruhigen. Ignaz verharrte in seiner Verzweiflung, und ging tief gekränkt zu Tosca. „Mein Gott,“ sagte sie, nachdem er bitter geklagt, „ich dachte nur an meinen Mann, bis der Doctor kam, und als der ging, war ja fernere Sorge unnütz; wozu sollt’ ich Sie da noch rufen lassen?“ „Sie wissen, Tosca, daß ich jeden Augenblick der Sorge mit Ihnen theilen, und dadurch Ihnen erleichtern mögte, und es ist grausam von Ihnen, mir diese Befriedigung zu mißgönnen,“ sagte er heftig. „_Beau cousin_,“ antwortete sie gleichmüthig, „die Theilnahme der Freunde ist sehr wohlthätig, so lange sie nicht in Zwang und Zudringlichkeit ausartet.“ „Das ist die Entschuldigung der Undankbarkeit!“ rief Ignaz immer heftiger. Sigismund kam in dem Augenblick die Treppe herab, um auszugehen. Er hörte die heftige Stimme im Salon; sein geheimer Groll gegen Ignaz, dem er sie zuschrieb, erwachte; er wünschte ihn zu stören, und fragte den im Vorsaal sitzenden Diener, ob er die Frau Generalin sprechen könne. Der öffnete sogleich die Thür, und als Sigismund eintrat, rief ihm Tosca freudig entgegen: „Es geht gut, recht gut! aber sagen Sie mir, welcher gute Geist Sie über Nacht herführte?“ Ignaz fuhr zusammen. Er war so überrascht, daß er vergaß sein Gesicht zu beherrschen, und daß aus seiner verbindlichen Miene ein Blick, wie ein plötzlich gezückter Dolch auf Sigismund flog. Der beachtete ihn nicht, sondern gab an Tosca die begehrte Antwort, und bat um Erlaubniß, am Abend wiederkommen zu dürfen. „Das haben wir längst gewünscht,“ sprach sie, und Sigismund ging gleich darauf. Kaum war er fort, so brach bei Ignaz ein wahrer Sturm aus. Vorwürfe, Bitten, Warnungen, Bestürmungen jagten einander. Tosca zuckte stumm die Achseln. Endlich rief sie: „Mit welchem Recht sagen Sie mir eigentlich all diese Impertinenzen! ich bin wahrlich recht gütig, daß ich Ihnen nicht die Thür weise, und meine Liebe für meinen Mann muß sehr groß sein, um die Insolenz seines Neffen ertragen zu lassen.“ „Insolenz!“ rief Ignaz, und fiel wie geknickt in einen Stuhl. „Sie nennen Insolenz, wenn mir das Herz bricht, weil ich sehe, daß Sie einem wildfremden Manne Bevorzugungen gestatten, die Sie mir versagen.“ Tosca lachte hell auf: „Sie werden wahrhaft ergötzlich, armer Ignaz! Wären Sie vorhin nicht in Wuth gewesen, hätten Sie dem ‚wildfremden Mann,’ wie Sie ihn nennen, zugehört, so würden Sie jetzt wissen, wie es mit diesen Bevorzugungen zusammenhängt -- ein Wort,“ setzte sie sehr ernst hinzu, „das übrigens mir gegenüber in Ihrem Munde höchst unstatthaft ist.“ „Nun zürnen Sie mir wol gar?“ .... rief Ignaz. „Nein!“ unterbrach sie ihn; „Sie verstehen nur nicht die Verhältnisse -- wenigstens nicht mich. Sie scheinen immer von geheimer Angst bewegt“ .... -- „Ich? von Angst? und von geheimer?“ rief Ignaz erschrocken; „ich habe kein Geheimniß vor Ihnen! mein Herz liegt vor Ihren Blicken da. Ich liebe Sie. Mein Leben, meine Zukunft .... die Zukunft meines Herzens -- hängt von Ihnen ab.“ .... -- „O Ignaz! wie können Sie ~so~ zu mir sprechen?“ rief Tosca mit stolzem Unwillen. „Der beste, edelste Mann lebt, lebt in langer herber Qual; ich stehe an seinem Krankenbett mit den Gefühlen, die ich stets für ihn gehabt habe und die Sie kennen; Sie stehen ihm zur Seite als Sohn, mir als Freund, uns Beiden als Stütze; und Sie sprechen ~so~ zu mir! O schämen Sie Sich, Ignaz! das ist nicht recht!“ Sie stand auf, um den Salon zu verlassen. Er wollte sie zurückhalten, an der Hand, am Kleide; sie machte eine abwehrende Bewegung, und ging in ihr Zimmer. Ignaz blieb zurück, und in tiefen Gedanken. Ihm wurde diese Existenz neben einem kranken alten Mann und einer schönen unbeugsamen Frau nach grade unerträglich. Er lechzte nach Erlösung, nach Freiheit; aber er mußte nun schon in seiner Stellung verharren, um zu seinem Zweck zu kommen. Als der General Beiron zehn Jahr nach dem Tode seiner ersten Frau die achtzehnjährige Tosca heirathete, war dieser Schritt ein Todesstoß für die Hoffnung seiner Schwester, der verwittweten Gräfin Adlercron. Sie hatte sich in diesen zehn Jahren daran gewöhnt, sein glänzendes Vermögen als die Erbschaft ihrer zwölf unversorgten Kinder zu betrachten; sie war ihrem Bruder oft lästig gefallen durch die Ansprüche, die sie an seine Gegenwart und Zukunft machte; sie betrachtete es als seine Pflicht, daß er gutmache an ihren Kindern, was der verschwenderische Graf Adlercron gegen sie gefehlt. Aber solche Ansprüche sind unerträglich! Die Familien sollten es sich doch endlich merken, daß das, was ein Onkel, ein Großvater für sie thut, von ihnen nicht als eine Pflicht -- sondern als großmüthiger freier Wille betrachtet werden muß, sobald ihnen daran gelegen ist, den Geber nicht zu verstimmen oder gar zu erbittern. Kein Mensch läßt es sich gern gefallen, bei seinen nächsten Anverwandten für einen Ziehbrunnen des Glücks zu gelten, aus welchem zu schöpfen jedem Neffen, jeder Nichte, jedem Enkel frei steht. In ihrer Habgier und Unersättlichkeit vergessen diese die menschliche Schwäche zu schonen, die für ihre Güte und Wohlthätigkeit Dank -- oder mindestens Anerkennung, wenn nicht öffentlich begehrt, doch heimlich wünscht. General Beiron fand die Ansprüche seiner Schwester mit Recht eben so lächerlich, als unaushaltbar. Er war ein schöner stattlicher Mann; er hatte eine so glückliche Stellung in der Welt und einen solchen Ruf von Tüchtigkeit, daß er wol glaubte, mit diesen Eigenschaften noch gefallen, und in der Ehe glücklich werden zu können. Auf einer Reise in der Schweiz traf er ganz absichtslos mit seinem Namensvetter, Toscas Vater, und mit ihr selbst zusammen, und die Folge davon war seine Heirath. Gräfin Adlercron machte ihm Szenen, überhäufte ihn mit Vorwürfen; das hätte er vielleicht ihrer mütterlichen Zärtlichkeit vergeben. Allein sie vergaß sich so weit, Tosca eine raffinirte Kokette zu nennen; und das vergab er ihr nicht. Die Geschwister sahen sich von dem Augenblick an nicht mehr. Der General gab der Gräfin nach wie vor das Jahrgeld, welches sie dringend für die Erziehung ihrer Kinder bedurfte. Sie nahm es, weil sie es nicht entbehren konnte, allein sie nahm es mit Groll, und der Haß gegen ihre Schwägerin wuchs dadurch, denn sie hätte ihr gern einen bösen Einfluß hinsichtlich ihrer auf den General zugeschrieben, und sie konnte es nicht. Schuld und Fehler bei einem Feinde zu finden, erleichtert das Herz, das sich dem Haß hingegeben hat, weil es sich dadurch gleichsam in seinem Recht fühlt; das Gegentheil beschwert es. Tosca versuchte es, ihren Mann milder gegen seine Schwester zu stimmen, um ihn allendlich mit ihr zu versöhnen. Mit wundervoller Festigkeit widerstand er ihr. Er kannte die Charaktere beider Frauen, und daher wußte er, daß eine wirkliche Annäherung zwischen ihnen unmöglich -- und eine scheinbare für Tosca auf eine oder die andere Weise nachtheilig oder schmerzlich sein würde; und seiner Frau galten seine ersten, seine höchsten Rücksichten. Er liebte sie mit tiefer Zärtlichkeit, so wie in der Ehe der Mann das Weib lieben muß, mit dem stets wachen Bewußtsein, ihr Schutz und Schirm gewähren, ihr Halt und Stütze sein zu müssen. Er ließ sich nicht von ihrer Schönheit blenden, und durch ihre Anmuth gängeln. Er wußte wohl, daß das Glück einer Frau nicht darin besteht, daß der Mann zu jeder Laune, jedem Wunsch, jedem Einfall Ja spreche; sondern wie er Ja oder Nein spricht -- darin liegt ihr Glück. Eine Frau, welche nie ein brutales Nein! nie ein verdrießliches Ja! gehört hat, ist selig zu preisen. Ich weiß aber nicht, ob es eine solche giebt. Das fühlte Tosca, und mit jener tiefen Dankbarkeit, die jedes unverdorbene Frauenherz für den Mann empfindet, der ihm die Abhängigkeit leicht macht. Er hatte Alles, was das Vertrauen einer Frau weckt: Sicherheit, Erfahrung, Verstand, ernste Gesinnung. Wo inniges Vertrauen, ist Liebe nicht fern; -- ich meine die beglückende Liebe, nicht die Leidenschaft mit ihren Qualen und Entzückungen. Tosca liebte ihren Mann, und nur ihn. Die kleine, flüchtige, fast noch kindische und dennoch unvergeßliche Begegnung mit Sigismund Forster hatte ihrem stolzen, zarten Herzen eine Wunde gemacht, dessen Narbe ihr kein Schmerz, aber eine beständige Erinnerung war. Sie hatte Scheu vor den Männern; nicht in der Gesellschaft, da war sie ihrer Ueberlegenheit und Herrschaft gewiß; aber mit ihren Gefühlen einem Mann gegenüber. Um nicht verletzt zu werden, hielt sie sich immer hoch und fern. Das entsprang nicht sowohl aus Räsonnement, als aus ihrer Natur, die nicht in Glut aufloderte, nicht in wehenden Flammen stand, wol aber tiefen Feuers fähig war. Sie galt für kalt, für übermüthig, für wegwerfend: es war ihr gleichgültig, denn ihr Mann liebte sie und sie fühlte sich glücklich. Durch ihre Unbefangenheit, ihre Frische, vielleicht auch durch ihre prächtige Schönheit, gefiel sie allgemein und überall; auch das war ihr gleichgültig -- nämlich so, wie es einer Frau gleichgültig sein kann: sie nahm Huldigung und Bewunderung sehr gelassen hin, allein sie würde sich doch ein wenig verwundert haben, wenn sie ausgeblieben wären. Acht Jahr vergingen ihr in den glücklichsten Verhältnissen. Daß ihre Ehe kinderlos war, störte nicht das gute Vernehmen. Durch alle Liebenswürdigkeit, die ihr zu Gebote stand, bat Tosca um Vergebung für diesen Fehler, der von manchen Männern so streng gerügt wird; und der General liebte in Tosca die Frau, die er hatte, und das Kind, das ihm fehlte. Eine heftige Erkältung bei einem Manoeuvre zog ihm da die Krankheit zu, von der er nicht wieder genas, obgleich er seinen Abschied nahm, und in Bädern, bei berühmten Aerzten, in besserem Clima die Genesung suchte. Als Gräfin Adlercron von der Krankheit ihres Bruders hörte, durchblitzte sie dämonische Freude und dämonischer Schreck. Freude: wenn der General starb und die kinderlose Frau zurückließ, so war die Möglichkeit wieder da, durch Prozeß, oder List, oder Schmeichelei, gleichviel wie! das Vermögen an ihre Familie bringen zu können. Schreck: ~bis jetzt~ war die Ehe kinderlos gewesen; gegen die Wittwe ihres Bruders waren Machinationen zu versuchen, aber nicht gegen die Mutter seiner Kinder! wie, wenn Tosca das wüßte? Um jeden Preis mußte einem solchen Ereigniß vorgebeugt werden. Sie kannte Tosca nicht, und sie hielt sie gemeiner Gesinnung und niedriger Handlung fähig. Ignaz, der älteste Sohn der Gräfin Adlercron, war damals dreiundzwanzig Jahr alt. Sie hatte ihren Kindern die ~äußere~ Erziehung geben lassen, welche man in der Gesellschaft in einem gewissen Stande begehrt: jene oberflächliche Politur von Kenntnissen und Talenten, welche mit der wahren Bildung so wenig Aehnlichkeit hat, als Theaterdekoration mit der Gebirgsnatur. Für die ~innere~ Erziehung hatte sie nur eine Lehre: der Name Adlercron berechtige sie zu den höchsten Ansprüchen, und um diese in der Welt geltend zu machen, sei vor Allem Glanz nothwendig, Glanz der Stellung, des Vermögens, des Ranges -- und besonders des Namens, damit kein andrer dem Adlercron’schen gleichkomme. Nach diesem Prinzip verheirathete sie auch ihre Töchter, die zu sehr vom mütterlichen Einfluß beherrscht waren, um nicht gern und ganz die Ansichten der Mutter zu theilen. Sie war schlau und intrigant, die Mädchen waren sehr hübsch. So wie eine von ihnen erwachsen war, wußte sie eine Partie zu finden. Die Aelteste war mit einem Mann verheirathet, der dem Blödsinn so nahe war, wie es möglich ist, ohne unter Curatel gestellt zu werden; aber Graf und von kolossalem Vermögen. Die Zweite, mit einem Taugenichts, Spieler und Verschwender, dessen uralter gräflicher, mit fürstlichen Familien verwandter Name, der Gräfin Bürgschaft für das Glück ihres funfzehnjährigen Kindes gab. Die Dritte, mit einem gichtbrüchigen Greise von einigen sechszig Jahren, bei dem der Graf und viele Orden den Mangel an Jugend, Vermögen, Geist und Liebenswürdigkeit ersetzen sollten. Die Vierte hatte so eben nicht blos eine Partie, sondern wirklich eine gute Heirath gemacht; denn ihr Mann war nicht blos Graf, er war auch ein tüchtiger, wohlhabender, junger Mann. Gräfin Adlercron triumphirte. Doch jetzt blieben ihr noch zwei Töchter, und leider! leider! ebenso häßlich, als die vier ersten schön. Für deren Versorgung und für die Carriere ihrer sechs Söhne, von denen die meisten noch Kinder waren, zitterte sie. Sie überredete sich, daß sie ein Unrecht gegen ihre Kinder begehe, wenn sie nicht um jeden Preis das Vermögen des General Beiron ihnen zuzuwenden suche. Ignaz war ihr Liebling. Bei ihm sah sie ihre Prinzipien in Blüthe stehen; ihre Töchter hatten sie nur passiv annehmen und befolgen können; der Sohn, der schöne, gewandte, kluge Sohn, konnte freier und umsichtiger nach ihnen handeln. Eine Mutter muß es bereits zu einer so bodenlosen Verderbtheit gebracht haben, wie sie nur ausnahmsweise getroffen wird -- um ihrem Kinde gradezu eine Infamie anzurathen. Das that Gräfin Adlercron auch keineswegs. Aber sie hatte ihre Kinder in dem Gefühl auferzogen, daß der Onkel ihnen bitteres Unrecht durch seine zweite Heirath zugefügt, und daß seine Frau eine kokette Intrigante sei, welche seine Schwäche benutze, um ihn unglücklich, und sich selbst reich zu machen. Sie stellte ihrem Sohn vor, jetzt sei der Augenblick gekommen, um dem bösen Einfluß dieser listigen Frau durch seinen guten das Gegengewicht zu halten. Was er thue, geschähe zum Besten seiner Familie, und daher müsse er durchaus bei dem General erst Eingang, dann Einfluß gewinnen, und ihn benutzen, um die unerhörten Ansprüche der Frau zu unterdrücken. Ignaz verstand die halben Worte. Wie sich Männer nach einer Laufbahn sehnen, welche ihrem Ehrgeiz entspricht, oder Frauen nach einem Kreise, in welchem ihr Herz Befriedigung findet: so sehnte sich Ignaz nach einem Verhältniß, um sein Talent für die Intrigue zu üben, und mittelst derselben zu seinem Ziel, dem größtmöglichen Glanz in der Welt, zu gelangen. Er hatte, wie alle Leute, die unter jeder Bedingung entschlossen sind, ihre Zwecke zu erreichen, gar keine bestimmte Ansichten, und dafür die geschmeidigste Fügsamkeit in die fremden, von denen er sich Vortheil versprach. Er suchte alle Menschen für sich zu gewinnen, weil er nicht wußte, ob er sie nicht würde benutzen können; da er aber alle Menschen, die nicht Adlercron hießen, heimlich in unermeßliche Tiefen unter sich stellte: so rächte er sich durch inneren Haß für die äußere Artigkeit und Verbindlichkeit, mit welchen er sie aus Grundsatz behandelte. Er lechzte danach, aus seiner untergeordneten Stellung, in welche ihn die Welt wegen seines Mangels an Vermögen wies, in eine andre zu kommen, die seinem Hochmuth entsprach. Er lechzte danach, seiner wahren Gesinnung gemäß mit den Menschen umgehen zu dürfen, und sich unabhängig von ihnen zu fühlen. Darum lechzte er nach Geld. Nichts konnte ihm willkommner sein, als der Vorschlag seiner Mutter; und da der Mensch vor nichts eine so hohe Achtung hat, als vor unegoistischen Handlungen, so suchte Ignaz die seine zu heben und zu adeln, indem er sich bemühte, den Blick hauptsächlich auf der Zukunft seiner Familie ruhen zu lassen. Wer mit sich selbst heuchelt, wird es auch leicht mit Andern thun. Er kannte seinen Onkel und dessen Frau nur aus den Beschreibungen seiner Mutter, und obgleich er eine hohe Meinung von deren Welt- und Menschenkenntniß hegte, so war er doch klug genug, um zu wissen, daß nichts so einseitig ist, als die Parteilichkeit einer leidenschaftlichen Frau. Er beschloß, vorsichtig und aufmerksam, mit so geringen Vorurtheilen, wie möglich, das Terrain kennen zu lernen. Er ging nach Dresden, wo der General sich damals in ärztlicher Behandlung befand. Schüchtern betrat er dessen Haus; schüchtern wandte er sich an Tosca, mit der Bitte, seinen Onkel sehen zu dürfen. Frauen lieben es, zu protegiren -- dachte er. Es fiel ihr nicht ein, ihm Protection angedeihen zu lassen, und er brauchte sie nicht bei dem General. Der empfing ihn mit offenen Armen! Der pflegte die Menschen danach zu würdigen, was sie werth waren, und nicht woher sie stammten, und daher übertrug er seine Abneigung gegen Gräfin Adlercron nicht auf deren Sohn. Im Gegentheil! es gefiel ihm ungemein, daß der junge Mann ihn grade jetzt aufsuchte, jetzt, wo er krank und außer Dienst, und folglich nicht im Stande war, ihm irgend welche Wege zu öffnen oder zu ebnen. Ignaz wußte sich ihm erst angenehm, dann nützlich, endlich unentbehrlich zu machen. Der General behandelte ihn wie einen Sohn, und übertrug ihm seine Geldgeschäfte, die Führung seines Hauses, die Anordnungen seiner Reisen -- lauter Dinge, von denen Tosca nichts verstand, die der General bis daher immer in Händen gehabt hatte, und mit denen er höchst ungern seine Frau belästigt haben würde. Es war ihm eine Wonne, sie jeder Sorge und Beschwerde der materiellen Existenz zu überheben. Sie war es nicht anders gewohnt. Sie fand es natürlich, daß die Last des Lebens auf den Schultern des Mannes liege; sie betrachtete Ignaz als zu ihnen gehörig, und so war seine Stellung ganz in der Ordnung. Sie sah nur durch die Augen ihres Mannes die Menschen an, und der General, durch seine Krankheit abhängig, auf seine nächste Umgebung angewiesen, dankbar, wie eine edle Natur es immer für Theilnahme und Wohlwollen ist -- der General betrachtete Ignaz nicht mit dem unbefangenen Blick, den er noch vor einem Jahr für ihn gehabt haben würde. Ignaz staunte selbst, als er sich nach einigen Wochen so leicht, so ganz mühelos auf dem Platz sah, den er so schwer zu erkämpfen gewähnt: er war der Sohn des Hauses, und mit fast unumschränkter Gewalt bekleidet. Nichts geschah ohne seinen Rath, nichts unterblieb ohne seine Genehmigung. Er war Freund und Vertrauter. Einen Augenblick fiel ihm ein, ob er nicht auch Liebhaber werden könne; ob Toscas Herz, und mit demselben Hand und Vermögen dereinst, nicht zu gewinnen sein dürften, so daß ihr beiderseitiges Interesse zu verschmelzen wäre. Aber Männer wie Ignaz lieben nicht, können nicht lieben; der Egoismus hat ihr Herz dermaßen ausgedorrt und verschrumpft, daß es der Expansion der Liebe nicht fähig ist. Ihr Interesse für Frauen ist von der allerinferiörsten Art! entweder suchen sie in einem Verhältniß zu ihnen Befriedigung ihrer Eitelkeit, oder es ist eine Bedingung ihrer animalischen Existenz. Hätte Ignaz bei Tosca einen Nebenbuhler gefunden, und ihn zu überwinden gehabt: so hätte das seine Eitelkeit heftig aufgestachelt und ihr einen hohen Reiz verliehen. Jetzt aber hatte sie keinen Zauber für ihn! ihre reine hohe Natur verstand er nicht, und ihre wundervolle Schönheit ließ ihn höchst gleichgültig, weil er immer in geheime Intriguen verwickelt war. Sein einziges Bestreben bei Tosca ging dahin -- von ihr geliebt zu werden, nicht um sie wieder zu lieben, oder um sich von ihr beleben und durchstralen zu lassen, nicht um sie zu besitzen, blos um sie zu beherrschen. Mit der Herrschaft gelang es ihm; mit der Liebe nicht. Frauen wie Tosca, die sich schroff und stolz den Männern gegenüber stellen, weil sie scheu und mißtrauisch, entweder von Natur oder durch Erfahrung den Contact mit ihnen fürchten, sind, sobald sie einmal Vertrauen und Zuversicht zu einem Mann gefaßt haben, leichter zu beherrschen, als Kinder. Sie sind so erfreut, so glücklich endlich! endlich einmal einer Kraft ohne Mißbrauch zu begegnen, daß sie sich ihr alsdann blindlings ergeben. Tosca fand Ignaz so bewundernswerth, opferwillig, besonnen und stark, daß sie mit einer Art von Andacht zu ihm emporsah; aber bis zur Liebe brachte sie es nicht. Sie sah ihn in der größten Intimität, zu jeder Stunde, auf Reisen; er stellte sich ihr immer mit einer glühenden Adoration dar; er wußte allmälig die Sache so herauszustellen, daß er Alles, was er für den General that, ihretwegen zu thun schien; das rührte sie zum innigsten Dank, zur Liebe nicht. Ignaz hätte jedes Opfer von ihr begehren dürfen, und sie hätte es ihm gebracht, ohne sich zu besinnen; nur aber nicht die geringste Gunst, welche die Liebe gewährt: Er hatte Anfälle von Melancholie, von Trostlosigkeit, gar von Verzweiflung -- Alles, wie er glaubte es nöthig zu haben, um eine beabsichtigte Wirkung hervorzubringen -- sie lächelte, oder tröstete, oder scherzte die bösen Anfälle fort. Er hatte sich nicht gescheut, sich als zerfallen mit seiner Mutter darzustellen, weil sie den Plan habe, nach des Generals Tode mit Tosca um dessen Erbschaft zu prozessiren -- was er nicht billigen könne. Tosca fragte ihn, ob denn dieser Prozeß nicht durch einen Vergleich, oder durch Theilung des Vermögens vermieden werden könne. Mit unendlicher Vorsicht wußte er ihr allmälig einleuchtend zu machen, sobald er, wenn auch nur nominel, in Besitz der Erbschaft sei, so werde seine Mutter ganz natürlich gegen ihn, ihren ältesten und geliebtesten Sohn, keine Schritte thun; und Tosca dürfe wol überzeugt sein, daß und wie er in so kritischen Verhältnissen ihr Interesse wahrnehmen werde, da sie ja längst wisse und sehe, daß er ihr gegenüber ein persönliches völlig aufgegeben habe, und nichts beabsichtige, als ihre Ruhe und ihr Glück. Sie sah das auch wirklich. Weder sie noch ihr Mann brachten es in Anschlag, daß Ignaz bei ihnen so unabhängig, und in geselliger Beziehung so angenehm lebe, wie nur irgendwo. Wohin der General kam -- überall hatte er Freunde oder Bekannte; überall öffnete sich für Tosca ein ihr entsprechender socialer Kreis, und da er für sie Zerstreuung und Erheiterung liebte, so trat sie in jene Kreise, und Ignaz mit ihr. Ignaz war nicht ans Krankenzimmer gefesselt, nicht einmal ans Haus des Generals; zuweilen wohnte er mit ihm zusammen, dann auch wieder nicht -- wie nun eben die Localität es mit sich brachte. Der General hatte ihm mit liebenswürdiger Güte gesagt: „Du mußt Freiheit haben, zu kommen und zu gehen, Du mußt Luft und Athem schöpfen, und Deine eignen Allüren haben dürfen, Ignaz, und die sind bei einem jungen Mann anders, als bei einem alten und kranken. Du würdest immer auf mich Rücksicht nehmen, wenn Du bei mir wohntest, also richte Dich ein, wo und wie es Dir gefällt.“ Dafür allerdings hatte Ignaz die größten Aufmerksamkeiten für den General, und war bei ihm stets von bewundernswerth heitrer Laune -- was Tosca ihm als ein großes Zeichen von Selbstüberwindung anrechnete, weil er bei ihr oft schwermüthig und niedergeschlagen war -- während er doch durch beide Stimmungen wie ein Schauspieler durch seine Rollen ging. Wie die Dinge jetzt standen, so war ihr künftiges Schicksal in seiner Hand -- doch ihr Herz nicht. Der Zustand des Generals währte nun schon drei Jahr. Auf eine so lange Zeit war Ignaz nicht vorbereitet gewesen; er fand, daß der Onkel entsetzlich lange lebe. Aber er durfte ihn doch nicht verlassen, weil jeder Augenblick sein letzter sein konnte. Den Aufenthalt in Berlin wollte er benutzen, um Tosca den Schritt thun zu lassen, der ihm die Erbschaft in die Hände gab. „Hab’ ich sie,“ sprach er zu sich selbst, „so geb’ ich ~ihr~ eine Pension, und mache dann mit meinem Namen und meinem Vermögen eine ganz ungeheuer reiche und glänzende Heirath.“ -- Er fing an, ungeduldig zu werden, und sehnsüchtig in die Zukunft zu schauen; daher langweilte ihn die Gegenwart, und aus Langerweile dachte er: „In diesem tristen nordischen Nest würde es meine allzu einfarbigen Verhältnisse doch ein klein wenig pikant machen, wenn ich ~sie~ dahin brächte, sich in mich zu verlieben.“ An jenem Morgen, als sie ihn unwillig verließ, dachte er: „Sacristi! die Weiber! nie ist man mit ihnen sicher, nie! jahrelang kann man sich abgemüht haben, um sie auf einen Punkt hinzubringen; eine Laune kommt über sie, und siehe da! als wär’s ein Kartenhaus, so plötzlich, so leicht, werfen sie unsern kunstvollen, wohlstudirten und überlegten Bau über den Haufen. Ich hasse die Weiber, sobald sie etwas Andres sind, als mein Spielwerk! ich hasse ihre instinktmäßige Schlauheit, gegen welche wir mit unsrer feinsten List nichts ausrichten. Dumme Weiber -- das sind göttliche Geschöpfe! denn für Liebesintriguen haben auch noch die dümmsten Verstand genug, und über ~die~ brauchen sie nicht hinauszugehen. Sacristi! diese hochfahrende Tosca! es ist gar kein Weib! sie hat kein Herz, keine Seele ... ah bah! Herz? Seele? bah! sie hat kein Blut, keine Sinne! Dreißig Jahr ist ihr Mann älter als sie, und nie! nie! hat sie einen Liebhaber gehabt ... nie! das ist ja eine monströse Tugend. -- -- Aber wie kam denn dieser Herr .... Forster, oder wie er heißt! mit einem Mal hieher! und gar in der Nacht? Es ist wohl der, der unsertwegen eine Treppe höher gestiegen ist! Nun, ich hab’ nicht Lust, seinetwegen herabzusteigen! Aufgepaßt, Ignaz!“ -- -- Am Abend kam Sigismund. Der General empfing ihn mit großer Freundlichkeit. „Ihnen danke ich es, daß ich mich hier so behaglich fühle, wie ein Kranker sich fühlen kann,“ sagte er und gab ihm die Hand. Tosca warf ihm ihr prächtiges Lächeln zu. Sigismund fühlte sich ganz beglückt und sprach es unbefangen aus. „Denn es kommt so selten im Leben vor, daß man noch andern Menschen, als den Freunden, durch Kleinigkeiten wohlthun darf,“ sagte er, und ein heitrer Glanz legte sich über sein ernstes, fast strenges Gesicht, und erinnerte Tosca an ~den~ Sigismund Forster, welcher sie einst so dringend um einen Walzer bat. Er sprach mit dem General. Sie saß zurückgesunken in einem Fauteuil, hatte den Ellbogen auf die Seitenlehne gestützt, und das Kinn auf die Hand gelegt; ihr Blick haftete auf Sigismund, und mit diesem Blick schob sie ihn gleichsam tief, tief in die Vergangenheit zurück. Sie sah ihn, wie er damals war, wie er ihr kindisches Herzchen überwältigt und zerknickt hatte, wie sie mehr durch ihn gelitten hatte, als je durch einen Menschen, und ohne daß er es wußte. Und nun sah sie ihn wieder, unter ganz veränderten Verhältnissen! Da saß er -- ihrem Gemahl gegenüber. Das waren die Männer, welche ihrem Leben die Richtung bestimmt hatten. Es kam ihr unvollkommen vor -- das Leben; sie bedauerte nichts, sie beklagte nichts, sie wünschte nichts; aber die Halbheit oder Unvollkommenheit der Zustände, welche uns doch zuweilen so befriedigend erscheinen, glitt ihr durch die Seele, und machte, daß sie in die Zukunft einen traurigen fragenden Blick warf. Ihre langen blonden Locken rieselten ihr über den Arm herab, und die breiten Augenlieder deckten halb die großen Augen zu. „Warum so schweigsam, Tosca?“ fragte der General. Sigismund sah sie an und sein Herz bebte; denn diesen unsäglich traurigen Ausdruck hatte Tosca damals gehabt, als er sie zum letzten Mal in Bonn zwischen ihren Blumen am Fenster sah. Und langsam, auch wie damals, wendete sie den Kopf, und er würde sich nicht gewundert haben, eine Thräne aus ihrem Auge fallen zu sehen. Im Gegentheil! er wunderte sich, als sie die Locken zurückwarf und die Augen aufschlug, daß sie ganz munter sagte: „Ich glaub’, ich bin schläfrig, denn ich habe ein wenig geträumt.“ „Ich finde, es träumt sich am Besten ohne Schläfrigkeit, mit recht wacher Seele,“ sagte Sigismund. „Was hör’ ich!“ rief Tosca und schlug die Hände mit komischem Erstaunen zusammen; „Sie wissen von Träumen, die man mit offenen Augen träumt? Sie? ein Mann! ein Regierungsrath! -- Aber sagen Sie mir, thut das Ihrer Carriere keinen Schaden?“ „Was die betrifft,“ entgegnete Sigismund, „so ist sie dermaßen miserabel, daß meine kleinen Liebhabereien oder Absurditäten ihr keinen Eintrag zu thun im Stande sind.“ „Die Klage rührt mich gar nicht!“ sagte Tosca. „Alle Frauen klagen, daß sie nicht verstanden werden, und alle Männer, daß sie eine elende Carriere machen; das ist so in der Ordnung, denn unser Herz und Ihr Ehrgeiz sind nicht zu befriedigen.“ „So sind wir zwiefach beklagenswerth, gnädigste Frau,“ antwortete Sigismund lächelnd; „denn auf diese Weise leiden wir und machen leiden.“ „O was das Leidenmachen betrifft,“ rief Tosca, „darüber trösten sich die Männer gar leicht, und durch den Ehrgeiz zu leiden, das, denk’ ich mir, muß ein recht angenehmer Stachel sein, weil er zu lebhaften Bestrebungen anregt.“ „Kein Stachel ist angenehm,“ sagte Sigismund, „denn er überreizt uns leicht.“ „So?“ rief Tosca spottend; „Sie sind also, wie ich sehe, bequem und gemächlich für Rosen ohne Dornen?“ Plötzlich fiel ihm ein, daß sein Schwager Friedrich ehedem Tosca Dornenröslein zu nennen pflegte, und daß sie wol noch jetzt ganz den lieblichen Namen verdienen möge. Er antwortete lächelnd: „Ich würde es vielleicht sein, wenn ich das wundersame Glück hätte, eine solche Rose zu finden.“ „Dann müßte aber noch das Mirakel geschehen,“ sagte Tosca, „daß die Rose Ihnen nicht fade erschiene.“ „Mirakel gehört zu jedem Glück, gnädige Frau! oder vielleicht ist jedes Glück ein Mirakel, das uns in Sphären wirft, oder zu Zielen führt, die wir ohne sie, durch Mühsal, Anstrengung und Berechnung, nimmer erreicht hätten.“ „Ob solche Mirakel selten sind?“ fragte sie nachdenklich. „Ich denke, wol sehr selten! man muß die Seele haben, um sie aufzufassen, und das Auge, um sie zu erkennen; ach, und im Leben wird jene so leicht matt, und dieses so früh stumpf“ ... -- „Denn wir tragen Brillen!“ rief Tosca neckend. „Leider!“ sagte Sigismund mit Achselzucken. „Wie kann ein ehrlicher Mann Brillen tragen!“ rief sie. „Tosca!“ sprach der General ein wenig ermahnend. „Ich frage: wie kann er?“ fuhr sie fort und wendete sich zu ihm; „ich sehe Dir ins Auge und Du mir, und wir lesen so das Seelenaccompagnement zu unsern Worten. Wer Brillen trägt, liest es ebenfalls im fremden Auge, während das seine versteckt hinter einem gläsernen Wall liegt. Das ist ein Kampf mit ungleichen Waffen, und ist der ehrlich?“ „Ohne diesen kleinen gläsernen Wall,“ sagte Sigismund und nahm seine Brille ab, „ist mein Gegner im entschiedenen Vortheil -- denn er sieht, und ich bin blind.“ „Darum,“ sprach Tosca lieblich, „sollen Sie sie auch draußen in der Welt, wo es Gegner giebt, tragen, doch nicht zwischen Freunden. -- Und schon aus Eitelkeit sollten Sie es nicht thun!“ fuhr sie fort, ohne ihm Zeit zur Antwort zu lassen; „eine solche Maschine im Gesicht entstellt ja, und es giebt nichts Anmuthigeres, als den sanften, kurzsichtigen Blick einer Frau! da ich scharf wie ein Falke sehe, so darf ich das sagen.“ „Ja, einer Frau!“ wiederholte Sigismund, der an Agathens sammetschwarzes und sammetweiches kurzsichtiges Auge erinnert ward; -- „aber was bei einer Frau reizend ist, kann bei einem Mann linkisch aussehen.“ „Das ist wahr!“ rief Tosca lachend. Ignaz trat ein. Unwillkürlich, als fühle er sich dem Gegner, von dem er gesprochen, gegenüber, setzte Sigismund seine Brille wieder auf. Die Unterhaltung nahm eine andre Wendung. Ignaz kam aus der italienischen Oper. „Einen Act hab’ ich anhören können,“ sagte er, „mehr nicht. Eine italienische Oper, die nicht erster Ordnung ist, ist unaushaltbar. Diese Art der Musik begehrt die Perfektion des Vortrags. Sie würden nicht zufrieden sein, schöne Tante.“ „Dann geh’ ich lieber gar nicht hin,“ sagte Tosca. „Sie sollten doch -- um selbst zu hören und zu urtheilen,“ sagte Sigismund. „Wie mühselig!“ rief sie, und legte den Kopf bequem auf die Rückenlehne des Stuhls. „So träge?“ fragte Sigismund lächelnd. „O ganz unglaublich träge!“ rief Ignaz, „träge wie eine Orientalin. Nur keine Mühe, d. h. nur keine Langeweile! nicht wahr, schöne Tante?“ „Wozu auch?“ fragte sie. „Um ein eignes Urtheil zu haben,“ entgegnete Sigismund. „Sie protegiren die italienische Oper, Herr Regierungsrath?“ fragte Ignaz. „Nein, Herr Graf,“ erwiderte Sigismund, „ich liebe vielleicht zu exclusiv deutsche Musik, und nur im Allgemeinen sprach ich meine Ansicht aus.“ „Das Publikum war sehr entzückt,“ erzählte Ignaz weiter. „Es rief bravo! und brava! genau wo es hingehörte, und schien in dieser Darlegung tiefen Kunsturtheils große Befriedigung zu finden.“ So plauderte er weiter. Tosca lachte, der General lächelte; Sigismund mußte es auch zuweilen, fast widerwillig, thun, denn Ignaz mißfiel ihm über allen Ausdruck. Das ist ein Mensch, dachte er heimlich, dem ich mit Vergnügen eine Impertinenz sagen würde. Aber Ignaz war von der äußersten Höflichkeit. Obwol ihn das ein wenig verstimmte, fühlte er sich dennoch sehr wohl, fast glücklich. Das ist die Macht der Schönheit und Grazie. Wer ihr unbefangen gegenüber tritt, wer nichts von ihr begehrt, als sich an ihr zu erfreuen, wie an Duft und Farbenspiel einer Blume -- den wird sie immer wohlthätig berühren. Durch sie hat der Himmel den Frauen einen lieblichen Zauberstab verliehen. Wie gute Feen könnten sie herrschen. Aber ach! wer hat die Herrschaft nie mißbraucht? Als Sigismund ging, dankte ihm der General so herzlich, daß er ihn dadurch zum baldigen Wiederkommen fast verpflichtete; und das war ihm sehr lieb. Er lebte ziemlich einsam in Berlin; er war noch nicht lange da, hatte keine Anverwandten, keine näheren Freunde dort; er arbeitete sehr fleißig. Ueberdies gingen seine Interessen aus der Gegenwart heraus. Oberflächliche gesellige Verbindungen waren ihm grade jetzt gleichgültig, wo all seinen Verhältnissen durch seine Heirath ein großer Wechsel bevorstand. Dieser Umgang, mit Fremden, kam ihm höchst erwünscht. Die alte Theilnahme für Tosca mogte dann wol auch dabei im Spiele sein. Gewiß ist’s, daß wäre Tosca im ehrwürdigen Alter ihres Gemahls gewesen, Sigismund sich schwerlich der Aussicht gefreut haben würde, einige Mal wöchentlich den Thee bei ihr zu trinken. Nun that er das. Er kam um sieben Uhr Abends, und er ging um halb zehn. Das war die Stunde, in welcher Tosca in die Gesellschaft zu gehen pflegte -- denn der General und Ignaz hatten nicht eher mit Bitten nachgelassen, als bis sie sich dazu entschloß. Ihr Mann entbehrte sie nicht zu so später Stunde; er suchte dann die Ruhe, wenn auch nicht den Schlaf. Für Sigismund war jeder solcher Abend ein Fest, besonders wenn Ignaz fehlte; und das kam häufig vor, denn er machte einer russischen Fürstin lebhaft den Hof, und fehlte nicht gern im Schauspiel, wenn sie es besuchte. Daß andre Personen öfter bei dem General waren, störte Sigismund nicht; nur eben Ignaz machte ihm Unbehagen, so wie es manchen Menschen unbehaglich ist, mit einer Katze im nämlichen Zimmer zu sein, oder mit einer Spinne, oder mit einer Maus. Zuweilen warf er sich diesen Widerwillen als ein Unrecht vor; sah er aber, wie sich Tosca von Ignaz beherrschen ließ, zwar nicht in Meinung und Ansichten, jedoch in all den tausend kleinen Vorkommenheiten des Lebens, welche grade dem Beherrschenden eine außerordentlich große Gewalt gaben: so erwachte er verstärkt. Tosca zog ihn grade so an, wie vor zwölf Jahren, vielleicht noch mehr. Damals war er unbewußt ihrer Magie gefolgt; jetzt sagte ihm der Verstand, welch’ eine seltene und schöne Erscheinung sie sei. Ihr diamantenes Herz war ihm gleichsam eine Beruhigung, wenn er es sich auch nicht eingestand, daß das seine derselben bedurfte. Eines Abends kam er später als gewöhnlich herunter. Es waren mehre Personen beim General, und um Niemand zu stören, setzte sich Sigismund seitwärts hinter Tosca. Sie hatte eine Theerose in der Hand und spielte damit. „Gnädige Frau!“ sagte er bittend. Tosca wendete sich zu ihm. „Ich wollte nur fragen, ob Sie ein gutes Gedächtniß haben?“ fuhr er fort und sah die Rose an. Tosca folgte seinem Blick, verstand ihn und rief: „O ein ganz excellentes! besonders für fremde Sünden.“ „Und ich hab’ es für die eigenen; werden Sie mich denn nicht etwas beklagen?“ „Behüte der Himmel! gerechte Strafe zu leiden ist sehr heilsam! -- Sagen Sie mir,“ fuhr sie fort, indem sie sich ganz zu ihm wendete, „was hatte ich Ihnen denn eigentlich damals zu Leide gethan? ich hab Sie schon immer danach fragen wollen.“ „Gnädige Frau, es ist eine kindische Geschichte!“ „Gleichviel!“ rief Tosca; „die Kindereien liegen jetzt so weit hinter uns, daß wir uns ihrer nicht mehr zu schämen brauchen ... denn sonst müßte auch ich es thun.“ „Und werden Sie in dieser kleinen Geschichte auch das entschuldigen, was -- nicht kindisch ist?“ „Gewiß! denn es ist verjährt,“ sagte sie erröthend. Sie erröthete sehr oft. Wenn sie lebhaft sprach, wenn sie Partei für und wider etwas nahm, wenn sie sich freute oder erschrak, wenn sie gar mit eigenen stillen Gedanken beschäftigt war -- all’ Augenblick zeigte ein rascher, feiner Farbenwechsel, daß die geistige Anregung ihr ans Herz klopfe. Diese reizende Gabe verlieren die Frauen fast Alle sehr früh, entweder weil sie durch so heftige Emotionen gehen, daß geringe keinen Effect auf sie machen, oder weil sie in Lagen kommen, welche ihnen die Beherrschung der Empfindung zur Pflicht und somit die des Ausdrucks zur Nothwendigkeit machen. Eine frische unangetastete Seele hat immer etwas Erquickendes; darin besteht der Zauber der jungen Mädchen; er ist doppelt groß da, wo man ihn nicht mehr voraussetzen darf. „So müssen Sie denn gleich zuerst wissen, gnädigste Frau,“ sprach Sigismund entschlossen, „daß ich Sie anbetete, so wie ich das Glück hatte Sie zu sehen.“ „Diese Sünde vergiebt jede Frau,“ sagte Tosca lachend; „gestehen Sie aber, daß Sie mir nicht Gelegenheit gegeben haben, diese Empfindung in Ihnen zu ahnen.“ „O doch, gnädige Frau, doch!“ rief er lebhaft. „Im Anfang unsrer flüchtigen Bekanntschaft gewiß.“ Das war so wahr, daß Tosca fast verlegen sagte: „Nun? wo bleibt die kindische Geschichte?“ „Sie hängt damit zusammen, gnädige Frau. Ihr Name verwandelte meine Anbetung in -- ich weiß selbst nicht was für ein Gefühl von Haß, Entsetzen, Schmerz, gar Verzweiflung.“ Tosca sah ihn ungläubig an. „Sie zweifeln, gnädige Frau? Sie werden es noch unbegreiflicher finden, sobald ich Ihnen den geheimen Grund, den Urgrund dieser plötzlichen Verwandlung sage; aber dennoch: ich sage Ihnen die Wahrheit. Ich war ein eitler Knabe, gnädige Frau, ein verzogenes, übermüthiges Kind; ich beherrschte meine Eltern, meine Geschwister; mein Vater konnte nicht meine Erziehung lenken; ich hielt mich für schöner, klüger, besser, als die ganze Welt. Was nicht meinen Eltern, nicht meinen Lehrern, nicht meinen Kameraden gelungen war, das gelang einem kleinen Mädchen: es demüthigte mich. Es war eine kleine Gräfin H., ein Kind von zwölf bis dreizehn Jahren. Ich sehe sie noch lebhaft vor mir, mit ihren funkelnden dunkelblauen Augen, ihren dicken hellbraunen Locken, die ihr bis zum Gürtel herabfielen. Sie hieß Antonie. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist; aber das Kind, gnädige Frau, war meine erste Liebe! Ich war damals funfzehn Jahr, und mein Vater hatte mich mit nach Pyrmont genommen, wo er die Kur brauchen mußte und wo er nicht ganz allein sein mogte. Dort war auch die kleine Antonie mit ihren Eltern, und wir bewohnten dasselbe Haus. Ich will Sie nicht langweilen mit der Beschreibung dieser knabenhaften Leidenschaft -- doch wie in der grünen Knospe die ganze duftende stralende Rose eingewickelt liegt -- und wie eine Ouvertüre alle Melodien der Oper enthält -- so entwickelte sie in mir alle Gefühle, welche spätern Jahren eigen zu sein pflegen. Bedenke ich, wie früh und wie vehement das Leben meines Herzens begann, so muß ich mir unwillkürlich sagen, daß es auch früh enden müsse.“ „Nein!“ unterbrach ihn Tosca; „es giebt immerblühende Rosen, und das Herz ist mehr, ist stärker und schöner als eine Blume.“ „Und gehorcht andern Gesetzen, gnädige Frau. Ein Leben, das früh und vehement beginnt, endet fast immer früh und matt. Nur seltene und hochbegabte Naturen machen Ausnahmen. Ich darf mich nicht zu ihnen rechnen, und so ist mein glühendster Wunsch denn der: so sei es früh, nur aber nicht matt! -- Jenes Kind warf mich in alle Emotionen, von der unsäglichsten Freude bis zur namenlosesten Traurigkeit; von der glühendsten Eifersucht bis zum blindesten Vertrauen. Wenn sie mich anlächelte, traten mir zuweilen die Thränen in die Augen; wenn sie fröhlich umherhüpfte, jauchzte ich vor Vergnügen. Sie spielte leidenschaftlich gern Ball und Volant; wir trieben das stundenlang. Dann liefen wir um die Wette in der großen Allee von Pyrmont, sie lief, wie ein Vogel fliegt, so leicht, so geschwind; es ward mir schwer, sie zu überholen. Zuweilen ließ ich ihr absichtlich den Spaß, früher am Ziel anzulangen, als ich. Aber das merkte sie jedes Mal, und dann schüttelte sie ärgerlich das schöne glühende Lockenköpfchen. Einmal sollte ich sie haschen, und ziemlich ungeschickt fing ich sie bei ihren flatternden Locken und that ihr weh, so daß sie einen kleinen Schrei ausstieß. „O, ich bitte um Verzeihung!“ rief ich trostlos, und küßte ihre Locken, wie um den Schmerz wieder gutzumachen. Allein sie nahm es heftig übel! sie ging stolz von dannen, und ich dachte den ganzen einsamen Abend darüber nach, ob ich nicht am Besten thun würde, auf und davon zu gehen, in die weite Welt, um ihr nie mehr vor die schönen erzürnten Augen zu kommen. Als sie mir am nächsten Morgen am Brunnen freundlich Guten Morgen sagte, war mir zu Muth, als sei ich von einem Verbrechen freigesprochen.“ „Mein Gott!“ rief Tosca, und schlug erstaunt die Hände zusammen, „welch ein bezauberndes Kind muß das gewesen sein, und welch eine interessante Frau mag sie geworden sein!“ „Sie vergessen, daß die kleine Antonie ihren Zauber an einem funfzehnjährigen Knaben übte, der sie jetzt vermuthlich selbst mit ganz andern Augen betrachten würde. Ich habe nie wieder von ihr gehört. Nun aber, um zum Ende zu kommen! Die Fürstin von Waldeck gab einen Kinderball. Antonie, mit einem frischen Rosenkranz auf ihren prächtigen Locken, und mit einem langen rosenfarbenen Gürtel, sah aus wie Psyche, so lieblich und ätherisch. Ich bat sie um den ersten Walzer; und einen Augenblick ~nach~ mir bat ein andrer Knabe sie darum, und sie schlug es mir ab, und tanzte mit ihm, mit ihm, der kaum so groß als sie, und ein blasser, unschöner Knabe war, der ein wenig stammelte, und auf den ich mit unsäglicher Geringschätzung herab sah. Eine ihrer Gespielinnen wollte ihr zu meinen Gunsten Vorwürfe machen und ihr vorstellen, daß ich doch im Grunde das erste Recht hätte. „Nein, nein!“ rief sie sehr entschieden, „er ist kein Graf!“ Hätte sie gesagt: „Der Andre ist hübscher, oder ist mir lieber“ -- das hätte ich ihr vergeben, denn es wäre nun einmal ihr Geschmack gewesen, und mein Selbstgefühl hätte mir vielleicht zugeflüstert, ihr Geschmack sei nicht der richtige. Aber dies Wort demüthigte mich fürchterlich, erstens, weil ich in der That kein Graf war und nicht wußte, welch Gewicht ich dagegen in die Wagschaale werfen könnte; zweitens, weil dieser Grund mir ihrer ganz unwürdig schien. Es kränkte mich über allen Ausdruck, meine Zärtlichkeit, meine Vergötterung an ein Mädchen verschwendet zu haben, das, als es zu wählen hatte, nur nach einer ganz inhaltlosen Aeußerlichkeit seine Wahl traf. Leidenschaftlich, wie ich war, fühlte ich mir förmlich das Herz im Busen umgedreht, und ein unerhörter Widerwille setzte sich darin gegen Frauenzimmer Ihres Standes fest. Sobald ich in Bonn erfuhr, Sie seien die Tochter einer Gräfin und eines Freiherrn, wachte meine alte Abneigung um so heftiger auf, je stärker die Anziehungskraft war, und von meiner fixen Idee beherrscht, benahm ich mich wie ein Verrückter, oder wenn Sie lieber wollen, wie ein dummer Junge. Und nun beschwör’ ich Sie, gnädige Frau, lachen Sie mich tüchtig aus.“ „Also ich war ganz, aber wirklich ganz unschuldig an Ihrem Benehmen, so daß, wäre mein Vater nicht Baron gewesen, Sie mit mir getanzt und meine Blumen nicht verschenkt hätten?“ „O nimmermehr!“ „Gott! Gott! wie freut mich das!“ sagte Tosca mit stillem Jubel und legte die Hand über die Augen. Dann erzählte sie ihm, wie sie eigentlich durch Friedrichs Bericht veranlaßt worden sei, ihm eine heimliche Freude machen zu wollen, und wie sie sich später halb todt gegrämt über ihre Unbesonnenheit, und über den Vorwurf, den sein Benehmen ihr darüber gemacht. „Aber dennoch bin ich Ihnen Dank schuldig, tiefen innigen Dank,“ schloß sie, „denn diese scharfe Warnung vor jeder Unbesonnenheit habe ich nie vergessen! Ohne es zu wollen, sind Sie vielleicht ein guter Schutzgeist für mich gewesen.“ „So wie Antonie mein böser Engel,“ sprach Sigismund traurig. „Und was halten Sie denn jetzt von uns?“ fragte sie neckend. „Ihre Strafe sei eine Beichte.“ „Ich denke, daß in jedem Stande holdselige Erscheinungen selten -- aber dennoch zu finden sind.“ „Sagen Sie das nur, oder denken Sie es wirklich?“ „Ich denk’ es! mein Wort darauf!“ „Das ist gut! man muß nicht exclusiv sein, denn man thut Andern weh und sich selbst nicht wohl. Aber ist es nicht ungemein interessant, in welcher feinen, geheimnißvollen und doch so gewichtigen Verbindung Menschen zu einander stehen, welche äußerlich und flüchtig aneinander vorbei gestreift sind? Wir sollten doch wirklich mehr auf uns und unser Thun und Lassen achten, da wir gar nicht wissen können, in welcher vortheilhaften oder nachtheiligen Weise wir dadurch auf Andre einwirken.“ „Die Schicksale blitzen vom Himmel herab,“ sagte Sigismund, „unbekümmert ob wir uns so oder so beachten! Einen unbeachteten Punkt giebt’s ohnehin immer in uns, und er wird getroffen oder trifft.“ „Dann sind wir willenlose Maschinen in Ihren Augen?“ „Nein! der Wille bleibt uns, um die Schicksale zu zerbrechen, oder uns selbst. Aber um zu sagen: in dieser oder jener Weise will ich wirken -- dazu, mein’ ich, ist unser Wille nicht stark genug, obgleich wir uns in der Jugend einbilden, nichts sei leichter, und wir dürften nur immer gradeaus gehen und sehen, um zu diesem Ziel zu gelangen.“ „Wie traurig, daß aus den kühnen, hochfliegenden Träumen der Jugend nichts wird, als eine lahme, matte Wirklichkeit.“ „O, sie ist nicht matt, gnädige Frau! ... wenigstens nicht immer. All unser Heil liegt in ihr, und ein tieferes, ein ächteres, als in unsern jugendlichen Träumen; denn die Wirklichkeit ist nicht die schaale und mittelmäßige Alltäglichkeit, die wie Staub und Nebel an uns vorüber weht und uns keinen bestimmten Eindruck zurückläßt; das Bleibende und Wahrhafte in ihr: das ist die Wirklichkeit, und ich gestehe Ihnen, ich habe sie schöner gefunden, als meine Träume.“ „Das freut mich sehr! dann müssen Sie Sich ungemein glücklich fühlen.“ „Zuweilen, wenn diese Ueberzeugung recht klar in mir aufwacht -- ja! Zuweilen, wenn ich mir sagen muß: sie ist schöner, aber sie gehört mir nicht! dann -- nein!... Und wo wäre der, der sich das nicht sehr oft sagen müßte?“ „Mit nichten!“ rief Tosca; „man sage sich doch lieber immer, daß man das Schönste und Beste erreicht habe, was auf dem eingeschlagenen Wege zu erreichen war.“ „Kann man das nicht mit Ueberzeugung sagen, so ist es Eigensinn und bleibt nutzlos.“ „Nutzlos -- wie ein Wiegenlied, das von wundervollen goldnen Herrlichkeiten, die nie existirt haben, uns vorsingt und in den Schlaf lullt.“ „Ist schlafen -- glücklich sein, gnädige Frau?“ „O Sie machen mich traurig,“ sagte Tosca lebhaft. Sie hatte sich bis daher so gesetzt, daß sie ihm grade ins Gesicht sah; nun wendete sie sich ab, und dem Kreise zu, der um den Tisch versammelt war. Sie mischte sich in die Unterhaltung, und sprach sehr munter und scherzend. Sigismund hörte ihr zu. Sie hatte eine reine biegsame Stimme, ein frisches Lachen, unbefangene Bewegungen, den natürlichsten Ausdruck. „Ist schlafen -- glücklich sein?“ wiederholte Sigismund heimlich für sich, „schläft sie? ... aber so selbstbewußt! wacht sie? ... aber so bewußtlos!“ -- Er vertiefte sich in seine Gedanken, wie einem das wol in der Gesellschaft geschehen kann, wenn man in schweigsamer Laune ist, und das Gespräch der Uebrigen, wie einen zum Nachsinnen auffordernden, murmelnden Bach, an sich vorübergleiten läßt. Es überfiel ihn eine brennende traurige Sehnsucht nach Agathen. „Denn sie liebt mich!“ dachte er. Hätte er gedacht: „denn ich liebe sie!“ so wäre die Sehnsucht wol brennender, aber nicht traurig gewesen. „Und Sie gehen morgen auch mit, nicht wahr?“ wandte sich Tosca plötzlich zu ihm. „Mit dem größten Vergnügen,“ sagte er fast erschreckt auffahrend; -- „aber wohin, gnädige Frau?“ Tosca drohte ihm mit dem Finger: „Ist das recht, so zerstreut, so theilnahmlos zu sein? Wo waren Sie denn mit Ihren Gedanken?“ Er wollte schon antworten: „Bei meiner Braut;“ -- aber sie setzte sogleich hinzu: „Und warum sehen Sie denn überhaupt so eisern ernst heute aus?“ -- Da paßte die Antwort nicht mehr, und er sagte: „Das Gespräch von vorhin hat mich so ernst gestimmt, denn die Erinnerungen sind in mir wach geworden, und die haben die melancholische Magie des Mondlichts über mich. Ich bitte, haben Sie die Gnade, mir zu sagen, wohin ich morgen gehen werde?“ „Ins Conzert, zu Liszt; ich denke, Sie thun es gern.“ Er verbeugte sich. Ignaz kam, und setzte sich zu ihm; aber das Gespräch belebte sich nie zwischen ihnen. Man findet bisweilen mit gewissen Personen durchaus keine Berührungspunkte, welche nach beiden Seiten hin eine vibrirende Saite anschlügen, und dann bleibt man bei den dürftigsten Aeußerlichkeiten haften. Ignaz hatte seine eifersüchtige Grille aufgegeben, weil Tosca nicht mehr noch weniger Interesse für Sigismund, als für jeden andern Mann ihrer Bekanntschaft an den Tag legte. Aber als Sigismund gehen wollte, ward Ignaz förmlich erschreckt durch den Ton, mit welchem Tosca zu ihm sagte: „Ich dank’ Ihnen tausend und aber tausend Mal.“ „Wofür?“ fragte Sigismund, selbst überrascht. „Für Ihre Erzählung,“ sagte sie. „Schöne Tante, Sie haben mich unerhört neugierig auf jene Erzählung gemacht,“ sagte Ignaz, nachdem Sigismund fort war. „Das kann ich mir vorstellen,“ sagte sie gleichmüthig. „Aber Sie dürfen sie mir wol nicht wieder erzählen?“ „Dürfen ist Eines -- mögen ein Anderes.“ „Und warum mögen Sie nicht?“ „Weil Sie die Geschichte gar nicht verstehen würden.“ „Ist sie so hoch in den Wolken, oder so tief unter meinem Horizont?“ „Ignaz,“ rief sie ganz ungeduldig, „Sie sind wahrlich ein Inquisitor.“ „Wenn meine Fragen Sie ärgern, schöne Tante, so war die Geschichte gewiß ausnehmend ... interessant.“ „Es ist keine Möglichkeit, von Ihnen los zu kommen,“ sagte sie lachend; „also hören Sie zu.“ Sie erzählte ihm Sigismunds Liebe zu Antonien, aber ohne die Folgen, welche sich später für ihn daraus entwickelt hatten. „Und dafür dankten Sie dem Regierungsrath Forster so herzlich, als ob er Ihnen weiß Gott was für eine Freude gemacht hätte?“ sagte Ignaz, nachdem sie zu Ende war. Tosca hatte keineswegs ihren Dank auf diesen Abschnitt von Sigismunds Erzählung bezogen, doch sie sagte: „Und warum nicht? solche kleine unschuldige Herzensregung hat etwas Rührendes und Erfreuliches zwischen der Abgestorbenheit späterer Jahre.“ „Sie hatten ganz Recht,“ entgegnete er; „solche Kindereien verstehe ich nicht, und ich glaube, daß sie die Abgestorbenheit vorbereiten und beschleunigen, von der Sie sprechen, schöne Tante.“ Tosca sah ihn an. Er saß auf dem Platz, wo Sigismund gesessen. Sein schönes Gesicht mißfiel ihr, wenn Sie es mit Sigismunds ernstem Antlitz verglich. Sie sagte gleichgültig: „Das kann wol sein, und geht mich nichts an.“ Dann gingen ihre Gedanken zu Sigismund zurück. „Seltsam!“ dachte sie; „die heftigsten Emotionen meines Lebens kommen mir durch diesen Mann, und von ihm! einst -- Schmerz, Beschämung, Gram; jetzt -- Freude, aber unglaubliche Freude, denn der einzige Moment in meinem Leben, an den ich mit einem kleinen Gefühl von peinlicher Bitterkeit dachte -- der ist jetzt hell und licht worden! und ~dafür~ hab’ ich ihm gedankt, und noch lange nicht genug.“ Sigismund kam am andern Abend und fand den General allein, der ihm sagte, seine Frau sei noch bei der Toilette, welche heute besondere Sorgfalt erheische, da sie aus dem Conzert auf einen großen Ball gehen müsse. Nach zehn Minuten etwa trat Tosca ein. Sie trug ein Kleid von blaßblauem Moor mit Fluthen von Spitzen garnirt, einen Schmuck von Türkisen und Perlen, und in den Locken einige hellrothe Camellien. Sie trat rasch ein, und sagte zu ihrem Mann, ohne Sigismund zu sehen, den sie noch nicht erwartete: „Da bin ich! ... nun? bin ich hübsch?“ „Wie eine Email von Petitot,“ antwortete der General freundlich, „glänzend und zart.“ „O Himmel!“ rief sie, Sigismund gewahrend; „sehen Sie, so macht man’s, um sich Complimente sagen zu lassen.“ Sigismund hatte unwillkürlich einen Moment die Augen geschlossen. Ihm war als fliege ein Meteor vorüber. Sie sah ganz ungewöhnlich schön aus, das Auge noch leuchtender, die Farbe noch duftiger, die Haltung noch ätherischer als sonst. „Wo sind die Flügel, von denen sie getragen wird?“ fragte er sich heimlich; „so sieht man im gleichgültigen Zustand nicht aus!“ „O ich freue mich!“ sagte sie und ihr Lächeln glitt über ihn hin, wie der Sonnenstral. Sigismund hätte ihr gern gesagt, daß ihre Freude ihm weh thue, denn ihm war trübe zu Sinn; er fragte nur: „Und wozu? gnädige Frau?“ „Zum Conzert! wozu denn sonst?“ „Nicht auch zum Ball?“ „Bah! mit achtzehn Jahren freut man sich zum Ball.“ Es kamen ein Paar alte Bekannte des Generals, um ihm Gesellschaft zu leisten; Tosca empfahl ihnen ihren Mann; es war ihr ungewohnt, ihn um diese Stunde zu verlassen. Dann fuhr sie fort mit Sigismund und Ignaz. Der Saal war gedrängt voll Menschen. Sigismund setzte sich hinter Tosca; der Platz war ihm willkommen: er brauchte ihr nun nicht in die stralenden Augen zu sehen, die ihm weh thaten. Er dachte an Agathens linde, sanfte Augen; aber ihr Blick blieb nicht in seiner Seele haften, glitt hinein, und erlosch, und war doch so lieb, so gut! Ihm war, als müsse er zu ihr, sie um Vergebung bitten, sie beschwören, sich zwischen ihn und Tosca Beiron zu stellen. Dann fragte er sich unwillig: „Aber wozu? ich werde doch nicht vor dem Lächeln einer schönen Frau zerschmelzen?“ -- Dann heftete er fest den Blick auf Tosca, wie sie da vor ihm saß; auf den zierlichen Kopf mit der Lockenfülle, den der schlanke Hals so stolz und so graziös trug, auf den schönen Nacken, um den ihr dunkler Sammetshawl sich in weichen, breiten Falten legte, auf die ganze Gestalt, bei der jede Bewegung von biegsamer Elastizität war. Er that es mit einem strengen, kritischen Blick; er wollte sich überzeugen, daß er schönere Frauen gesehen, daß Agathe reizender sei. Allmälig aber vergaß er die beabsichtigte Kritik, und Alles entschwand ihm, wie zwischen Nebeln und Hochgebirg: die Frauen, die Menschen, die Welt; nur nicht Tosca Beiron, die er als Jüngling gesehen und geliebt hatte, und die er jetzt als Mann wiedersah -- und nicht mehr lieben durfte! denn sie war gefesselt an einen siechen Greis, und er an ein blühendes Mädchen; denn ihre Wege gingen weit, weit auseinander, und hätten doch einst sich vereinigen können! Damals, als Tosca Beiron, um mit ihm zu tanzen, ein anderes Engagement brach; damals, als sie ihm täglich, wie aus dem Himmel, einen Guten Morgen zuwinkte; damals, als sie ihm, den sie krank und niedergeschlagen wähnte, mit süßer Theilnahme das Beste und Liebste schickte, was sie hatte -- ihre Blumen .... die er mit Füßen trat; denn damals -- o ja! da liebte sie ihn, mit jener aufdämmernden Empfindung, welche nur der Gewißheit der Erwiederung bedurft hätte, um in rosigen Flammen aufzuschlagen. Liszt spielte und spielte. Sigismund wußte nicht was, und fragte auch nicht danach; ihm war, als spiele er ihm seine ganze Vergangenheit wie eine stralende _Fata Morgana_ aus den grauen Wellen seiner Erinnerung empor. Und aus der Vergangenheit ging er in die Gegenwart über, in die des Augenblicks; es lag eine Berauschung in diesem Tonmeer, wie sie in jeder überschwenglichen Fülle liegt, und überdies giebt es wol keine feinere, zauberischere Seligkeit, als einen geistigen Genuß mit einer sehr geliebten Person zu theilen. Wie vor der Pforte des Paradieses findet man sich mit ihr zusammen, lautlos, anbetungsdurstig, bebend vor Sehnsucht, der ewigen Schönheit ins Sonnenantlitz zu schauen. Die Klänge, die sein Ohr berauschten, zogen auch in ihre Seele! die Melodien, die ihm das Herz umwogten, schaukelten auch das ihre! Es war eine unirdische, und doch wundersam süße Gemeinschaft! vielleicht ist die Liebe so auf irgend einem höheren und glückseligeren Gestirn, als unsre Erde ist. Toscas Sammetshawl war von ihrem Nacken auf die Lehne ihres Stuhles geglitten. Sigismund legte die Hand darauf, wie um sich an etwas zu halten, das im Stande sei, ihm wirklich einen Halt zu geben, denn ihm war, als könne er in die Unermeßlichkeit fortgeschleudert werden. Durch den Handschuh hindurch fühlte er den Sammet wie eine linde Berührung, wie eine Beschwichtigung. Er zog geschwind den Handschuh aus, und lehnte die Stirn auf die Hand, die auf dem Shawl lag. Ganz leise berührte er den Sammet mit seinen Lippen. Ein feiner, fast unmerklicher Duft von _vétivert_ war darin. Sigismund schloß die Augen; er vergaß die Unermeßlichkeit der Welt und des Lebens -- aber nicht die des Glücks. Liszt spielte und spielte. Goldne Wolken legten sich um Sigismunds Seele. Was war ihm Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft? es schmolz zusammen in dem seligsten Bewußtsein der Nähe der schönen Geliebten. Ja, sie gehörte einem andern Mann! Ja, sie war ihm verloren ... was man so verloren nennt! Aber sie war auf der Welt! aber sie war da! In ihrem bloßen Dasein schien ihm eine unendliche Verheißung zu liegen. Konnten sich nicht die Schicksale wenden? gab es nicht wunderbare, göttliche Fügungen? Fremde Gestalten blitzten wie Geister in seine wachen Träume: Agathe, das liebe Mädchen; der General, sterbend, todt; Ignaz, lauernd, schlangenhaft, als sinne er darauf, Tosca zu verderben. Sigismund fuhr verstört empor: Liszt hatte den Schlußakkord gemacht. Tosca kehrte sich zu ihm; sie sah beinah blaß aus. „Nicht wahr,“ fragte sie, „das ist kaum auszuhalten? Der Mensch spielt einem die Seele fort.“ „Ob er nicht eine neue Incarnation des alten Rattenfängers von Hameln ist,“ sprach Sigismund, aber mit so beklemmter Stimme und bleichen Lippen, daß Tosca besorglich und freundlich sagte: „Sie werden doch nicht ohnmächtig werden? wollen Sie mein Flacon? er fängt gleich wieder an zu spielen.“ Sie gab ihm das Flacon. Sigismund behielt es in der Hand, ohne es zu brauchen. Ohnmächtig wäre er nicht gern geworden -- doch gestorben recht gern; nur ~eine~ Gewißheit wollte er. „Sagen Sie mir,“ fing er an, „ich bitte, sagen Sie mir aufrichtig -- haben Sie mir vergeben?“ „Rührt die Musik Ihr Gewissen?“ fragte sie. „Also haben Sie mir nicht vergeben!“ rief er. Sie legte den Finger an die Lippen, und sagte dann: „Ich habe Ihnen vergeben.“ „Und warum haben Sie es gethan?“ „Weil Sie gutgemacht haben.“ „Wodurch?“ „Durch Ihre Erzählung von gestern Abend.“ „Und nun?“ „Und nun?“ wiederholte sie und sah ihm mit ihren großen mächtigen Augen grad’ ins Antlitz. Es glitt ein Rosenschimmer, wie der Wiederschein einer hohen Freude, über ihre Wangen; sie sah aus wie innerlich illuminirt, und sagte endlich: „O ... nun ist’s gut.“ Die Musik begann von Neuem. „Sie hat recht!“ dachte Sigismund; „nun ist’s gut .... zwischen ihr und mir. Ihr schönes lichtes Wesen bedarf des Friedens! weil es so friedlich ist wie der Regenbogen, und so hoch wie der Regenbogen -- darum ist’s auch magisch und herzstärkend, wie er. Du bist sehr göttlich, Tosca Beiron.“ -- -- -- Das Conzert war zu Ende. -- -- -- „Nun? hat es Ihnen gefallen?“ sagte Ignaz zu Tosca, als sie fortgingen. „Nein!“ antwortete sie kurz. „Nein?“ rief Ignaz; „nun, meine schöne Tante, dann wiederhol’ ich Ihnen, was ich schon oft gesagt, Sie haben kein Herz.“ Sie schwieg. Ignaz sprach mit Sigismund weiter. Als sie in den Wagen stieg, sagte Tosca: „Nach Hause!“ „Noch eine Ueberraschung!“ rief Ignaz verwundert; „wollen Sie nicht auf den Ball? ... oder etwa später?“ „Nein!“ sagte sie wieder. Ignaz schüttelte den Kopf. Zu Hause angelangt, sagte Tosca zu Sigismund: „Mein Neffe geht auf den Ball; kommen Sie zu meinem Mann, wir wollen ihm erzählen und Thee trinken.“ -- Er folgte ihr stumm. „Nun, bist Du befriedigt, liebe Tosca?“ fragte der General, als sie eintraten. Tosca ließ sich neben ihm in einen Lehnstuhl fallen, holte tief Athem; küßte ihm dann die Hand und sagte: „Befriedigt! ja, das ist das Wort! ... befriedigt, mein Ignaz -- wendete sie sich zu diesem -- und zwar so sehr, daß ich nicht im Stande bin, heute Abend Tanzmusik zu hören. Ich bleib’ daheim.“ Sie zog die Handschuhe aus, legte Shawl und Fächer ab, und sagte zum General: „Ich weiß nicht ... bin ich ~ent~seelt, bin ich ~neu~beseelt, aber genug! irgend etwas ist meiner Seele geschehen.“ „Sie ist den Launen zugänglich worden,“ sprach Ignaz lachend. „Lachen Sie immerhin, _beau neveu_!“ entgegnete sie sehr gleichmüthig und dann zu Sigismund: „Nicht wahr, ~er~ warf auch Sie in ganz überwältigende Emotionen? Sie sehen noch ganz angegriffen aus.“ „Haben Sie so schwache Nerven, Herr Regierungsrath?“ fragte Ignaz immer noch lachend. „Die Nerven sind gut, Herr Graf,“ erwiederte Sigismund eben so gleichgültig als Tosca; „aber die Emotionen gehen bei mir tiefer, als bis zur Erschütterung der Nerven.“ „Lieber Onkel,“ sagte Ignaz, „wie ein schlichter Mensch, der ich bin, habe ich Liszt’s Spiel in jeder Beziehung meisterhaft gefunden; allein so erschüttert, wie diese Herrschaften, bin ich nicht davon, und darum werde ich auch _tout bonnement_ auf den Ball gehen.“ „Wo Sie, als ein eleganter Tänzer, der Sie schlichter Mensch sind -- auch viel nothwendiger sind, als ich,“ sagte Tosca freundlich, und nickte ihm ihren Abschiedsgruß zu. „Sie bekommt Launen,“ dachte Ignaz, während er zum Ball fuhr: „das ist ein Zeichen von Herzensunruh. Aber durch wen? ... ~Der~ Mann? ... unmöglich! Doch wen sieht sie denn sonst noch?“ -- Er durchlief die Reihe der Männer, welche sie kannte, und wiederholte bei Jedem: unmöglich! Endlich blieb er bei sich selber stehen: „mir däucht, sie antwortete mir ein paar Mal kurz und verdrießlich; das pflegt ein Zeichen von Mißfallen zu sein -- allein das Mißfallen entspringt oft nur aus einer Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Moment, und nicht mit dem, gegen welchen es sich äußert.“ Dennoch brachte er es in diesem Punkt nicht bis zur Ueberzeugung; immer tauchte Sigismund wieder auf, so oft er auch sein: unmöglich! vor ihm wiederholte. Sigismund blieb nur kurze Zeit beim General. Alles, was Tosca sagte, wie sie es sagte, ihr Blick, ihre Bewegungen, magnetisirten ihn, machten ihn kraft- und willenlos. Sie saß ihm und dem General grade gegenüber und hatte beide Arme auf den Tisch gelegt. Zuweilen hob sie den einen, stützte den Kopf in die Hand, oder strich mit der Hand über die Stirn. Die Lampe warf ihr helles Licht auf sie und ins Zimmer hinein; sie schwamm in Glanz; nach der Seite des Generals war die Lampe mit einem Schirm bedeckt, so daß die beiden Männer im Finstern saßen. Tosca sprach viel über die Musik; Sigismund antwortete nur einsilbig, nur grade genug, um sie reden zu machen. Er konnte nicht anders. Er saß da, und blickte zu ihr hinüber, aus seiner Finsterniß in ihr Licht, wie von der Erde zu irgend einem goldnen Stern. Nichts stand zwischen ihnen als der Tisch; er meinte sich durch Welten von ihr getrennt, und dennoch war’s ein Durst, ein Drang nach der Sphäre dieses schönen Sternes, daß auch Welten den Gang zu ihm nicht hemmen würden. „Wollen Sie schon schlafen gehen?“ fragte Tosca, als er den Hut nahm. „Nicht schlafen -- arbeiten!“ sagte er mit so besondrem Ausdruck, daß Tosca sagte: „Ach, das wird Ihnen zu schwer werden! Sie seufzen ja, wenn Sie nur daran denken! lassen Sie die Arbeit, sie gelingt Ihnen nicht.“ „Gnädige Frau,“ erwiederte Sigismund in ganz heiterm Ton, „ich muß arbeiten, um morgen wieder ein vernünftiger Mensch zu sein.“ „Glück zu!“ sagte sie lieblich, und der General sprach: „Geben Sie Sich nicht allzu viel Mühe, um ein vernünftiger Mensch zu werden! -- es kommt eine Zeit, und früh genug, und ganz von selbst, in der wir tief bedauern, nicht mehr unsrer früheren extatischen Thorheiten und sublimen Schwärmereien fähig zu sein.“ „So ist’s!“ entgegnete Sigismund, „aufs Bedauern sind wir unser Lebelang angewiesen.“ Als er auf sein Zimmer kam, fiel er tödtlich erschöpft in den Sopha. „Lassen Sie die Arbeit, sie gelingt Ihnen nicht!“ hörte er unablässig Toscas Stimme in sein Ohr flüstern. Er verfiel in einen Zustand zwischen Wachen und Traum. Eine schwere, fieberhafte Aufregung brütete über ihm. Unbeweglich lag er da, und fühlte sich beängstigt, wie in schweren Ketten, und kraftlos, um sie abzustreifen. Plötzlich wehte ihn Erquickung an; Töne erklangen, er wußte nicht wo; sie kamen ihm bekannt vor und doch so, als ob er sie noch nie gehört. Er athmete freier, das Herz klopfte ihm ruhiger! allmälig kehrte ihm das volle Bewußtsein zurück. Er richtete sich auf und fuhr mit der Hand über Stirn und Augen, um sich zu überzeugen, daß er wache; dann horchte er. Es war Schuberts „_Ave Maria_,“ das Liszt gespielt hatte -- und das jetzt Tosca Beiron sang! -- Diese stillen innigen Töne, in tiefer Nacht von ihr gesungen, von ihm gehört, überwältigten ihn. Er warf beide Hände vors Gesicht, wie um sich zu verbergen; dann sprang er heftig auf, und sagte ganz laut: „Ja, es ist so! ich schmelze in ihre Wesenheit hinüber ... aber ich will nicht! -- ich will fort! Agathe, zu Dir!“ Tosca hatte aufgehört zu singen. Es war so still im Hause und auf der Straße, daß er hörte, wie sie die Thür aus dem Salon nach ihrem Zimmer auf- und zumachte. „Nun geht sie schlafen!“ dachte er; „Gott segne Dich, unvergeßliches Geschöpf!“ -- und mit einem traurigen Rückblick auf sich, fügte er den Schluß eines Liedes hinzu: „Und ~die~ Nacht, und ~die~ Nacht -- Hat sie schlafend verbracht!“ -- Dann traf er geschwind einige Anordnungen, warf sich aufs Bett, und fuhr in der Frühe des nächsten Morgens nach Magdeburg auf der Eisenbahn -- die, was das Zusammenkommen betrifft, eine eben so wundervolle Veranstaltung, als hinsichtlich des Reisens widerwärtig ist. Im Wagen bemächtigte sich seiner eine Art von Betäubung, die ihm sehr wohl that, ein Seelenschlaf, aus dem er gestärkt zu erwachen hoffte. Endlich griff er ungeduldig nach der Uhr, um zu sehen, wie lange er denn noch bis Magdeburg zu fahren habe. Außer der Uhr fand er in seiner Brusttasche Toscas Flacon. Es war von hellblauem Hyalith, mit goldnen chinesischen Zeichnungen, platt und flach, bequem in der Tasche zu tragen. Als Sigismund es betrachtete, die glänzende Farbe, die phantastischen Figuren, fiel ihm ein, ob es nicht ein Amulet sein möge, ein Talisman, und ob er es nicht lieber aus dem Wagen werfen solle; aber der Gedanke, daß es ihm ja nicht gehöre, hielt ihn zurück. Dies Flacon warf ihn wieder in seinen gestrigen Ideenkreis! er dachte wieder an Tosca, an den holdselig gedankenvollen Blick, womit sie „Und nun?“ gesagt, an die Musik, an ihren Sammetshawl, an den leichten Duft von _vétivert_. Er öffnete das Flacon; richtig! es war _vétivert_ darin. Er goß einen Tropfen auf seinen Rock. Zwei junge Leute saßen neben ihm. Er hatte bis daher ihr Geplauder nicht beachtet; als aber der Eine den Dom von Magdeburg erblickte, und zum Andern scherzend sagte, indem er auf die Stadt wies: „Da wohnt Deine künftige Liebste!“ Da erschrak Sigismund fast, denn seine Liebste wohnte da, und seine Gedanken gingen nicht zu ihr -- sondern zurück! zurück! -- -- Er eilte zu Agathen. Er schellte; ihre Mutter öffnete ihm die Thür und empfing ihn mit herzlicher Freude. Er fragte ungeduldig nach Agathen. „Sie plättet;“ sagte die Mutter, und rief in ein andres Zimmer hinein: „Agathe, komm einmal her, geschwind!“ Agathe kam munter hereingelaufen und stieß einen hellen Freudenschrei aus, als Sigismund ihr entgegen trat. Es war ein wunderhübsches Mädchen, groß, voll und schlank von Gestalt, mit einem prächtigen blaßgelben Teint, dessen Colorit ebenso warm und frisch als die rosigere Farbe der Blondinen ist, mit rabenschwarzem Haar, in welchem das farblose Antlitz wie eine Perle auf Sammet lag, und mit guten sanften schwarzen Augen, die das Gesicht, welches durch Züge und Farbe hätte hart sein können, ganz weich machten. Jetzt sah sie überdas sehr glücklich aus, so wie man bei zwanzig Jahren dem Geliebten gegenüber auszusehen pflegt. Dieser Ausdruck von Glück rührte Sigismund. Ist es Dankbarkeit? ist es Eigenliebe? nichts fesselt den Menschen so an einen andern, als das Bewußtsein, ihn bis ins innerste Herz zu beglücken. „O Sigismund!“ sagte Agathe, „Du hättest doch lieber vorher schreiben sollen, denn jetzt freu’ ich mich so sehr ... daß ich gar nichts sagen kann.“ Sie setzte sich, nahm seine Hand in die ihren und sah ihn an. Er erzählte ihr, daß er nicht vorher seine Ankunft hätte bestimmen können, weil er den Entschluß gern von augenblicklicher Stimmung abhangen lasse, von einer unüberwindlichen Lust, oder von tiefer Sehnsucht, oder von der plötzlichen Ueberzeugung: jetzt sei es grade an der Zeit. Zu Allem, was er sagte, nickte Agathe freundlich mit dem Kopf; sie hörte auf seine Stimme, auf seine Worte nicht. Was er sprach, war ihr höchst gleichgültig; daß er da war, beseligte sie. Sie unterbrach ihn plötzlich: „Sigismund!“ rief sie, „hast Du mich lieb?“ Das ist eine unselige Frage! Unter hundert Malen stimmt sie den, an welchen sie gerichtet wird, neunundneunzig Mal traurig. Liebt er aus voller Seele, mit tiefster Hingebung, so scheint ihm die Frage zu alltäglich, um nicht überflüssig zu sein. Thut er das nicht, so setzt er im Andern Mißtrauen und Zweifel voraus und fühlt sich gekränkt, wenigstens verstimmt, weil -- er es verdient. Die Frauen haben eine unglückliche Leidenschaft für diese Frage, denn sie lieben Demonstrationen des Gefühls, sie sind demonstrativer als die Männer -- vielleicht, weil sie mehr Zeit dazu haben, vielleicht weil es eine ihrer Grazien ist. Eine Frau weiß unter vier Augen unendlich viel mehr Liebliches zu sagen als ein Mann; darauf sollte sie sich beschränken, das hört er immer gern. Aber die Frage: „hast Du mich lieb?“ sollte sie nie an ihn richten, höchstens in den allerernstesten Momenten oder in fröhlichem Uebermuth, spottend, neckend; -- nur dann wird er zu antworten wissen. -- Dies rathe ich den Frauen sehr wohlmeinend. Ueber Sigismund legte sich ein Schatten, als er sagte: „Ja, liebe Agathe; aber warum fragst Du?“ „Weil ich dies Ja lieber hören mag, als Alles, was Du sonst sagst, mög’ es noch so gescheut und klug sein,“ erwiderte Agathe aus so vollem Herzen, daß er sie gerührt und zärtlich umfaßte und sagte: „Bei Dir hab’ ich’s gut, meine Agathe.“ „Und wo denn nicht, Sigismund?“ „Nirgends -- wo Du nicht bist.“ „Nun, das muß ja auch so sein. -- Aber,“ fügte sie hinzu und sah ihn besorgt an, „mir däucht, Du siehst angegriffen aus. Bist Du krank? hat Dir Jemand was zu Leide gethan?“ Sigismund lachte. „Das ist doch keine ordentliche Antwort,“ sagte Agathe kopfschüttelnd. „O,“ rief Sigismund, „sieh mich an, Agathe! sieh mich an mit Deinen guten lieben Augen! und freundlich, Agathe, nicht besorgt! Glaube mir, wenn ich bei Dir bin, so fehlt mir nichts, und wenn ich nicht bei Dir bin, so fehlt mir auch nichts -- als Du.“ Agathe versuchte ihn anzusehen, aber ihre Augen füllten sich mit Thränen; um sie zu verbergen, schlug sie die Augen nieder. Es war ein so milder sanfter Ausdruck in ihrer ganzen Erscheinung, daß Sigismund vor dem Gedanken bebte, diesem Mädchen auf irgend eine Weise weh zu thun. Der Abend verging gut. Die Erinnerung an den gestrigen stieg zwar ein Paarmal lebhaft in Sigismund auf, wenn er dessen extatische Emotionen mit dem Stillleben des heutigen verglich. Aber er schob sie gewaltsam zurück, und wiederholte heimlich: heute ist’s besser! -- In dem Glanz des gestrigen Abends stand Tosca wie die Rose in einem persischen Gedicht; in dem Frieden des heutigen erschien ihm Agathe wie das Veilchen in irgend einem deutschen Frühlingsliede. Spät ging er fort, und zu seinem Schwager, bei dem er wohnte. Er fühlte sich recht zufrieden, und seines Entschlusses herzlich froh. Einige Tage bei Agathen, und die Arbeit ein vernünftiger Mensch zu werden war dennoch gelungen -- trotz Toscas Prophezeihung, oder vielleicht wegen ihres „Glück zu!“ -- Denn mächtig ist sie! dachte Sigismund; und ob sie wol an mich denkt .... an ihr Flacon, das bei mir geblieben ist? -- So dachte er vor dem Einschlafen, wenn der Geist und der Wille nicht mehr im Stande sind die vagabondirenden Gedanken zu beherrschen; sie flogen zu Tosca, nicht zu Agathen. Am andern Morgen, nachdem Sigismund eine Weile bei Agathen gewesen war, sagte sie: „Aber, lieber Sigismund, warum parfümirst Du Dich so stark? ich bin das gar nicht an Dir gewohnt.“ Er griff unwillkürlich nach der Brusttasche, um sich zu überzeugen, ob das Flacon sich nicht geöffnet habe; denn er hatte sich schon so an den Geruch gewöhnt, daß er ihn nicht mehr bemerkte. Agathens Blick folgte seiner Hand. „Bitte, zeige mir, was es ist,“ sagte sie. Er gab ihr das Flacon, aber ein wenig widerwillig. Sie rief: „O das ist allerliebst! doch die Essenz wollen wir ausgießen; die mag ich nicht.“ „Gnade für die Essenz, liebe Agathe! sie wird Dir gewiß gefallen, wenn ich Dir sage, daß es die alten Narden sind, die Narden, welche die heiligen drei Könige samt Gold und Spezereien dem Christuskinde darbrachten. Jetzt heißen sie _vétivert_.“ „O, im _vétivert_ ist gewiß nichts mehr von den alten Narden enthalten! ich kann wirklich nicht ertragen, daß Du Dich damit parfümirst“ ... -- „Ich will es weglegen, liebe Agathe,“ sagte Sigismund und streckte die Hand danach aus. Aber Agathe behielt es in der ihren, die sie zurückzog, und sagte: „Bitte, Sigismund, o bitte, schenke mir das Flacon! es ist gar niedlich.“ „Ich werde Dir ein andres geben, liebe Agathe, ein größeres, eleganteres, mit irgend einer Essenz, die Du gern magst.“ „Nein, ich danke Dir! ein eleganteres will ich nicht ... und es giebt auch keines! und die größeren sind nur unbequem.“ „Du kannst ein größeres auf Deine Toilette stellen.“ „Ich hab keine Toilette, zu welcher ein elegantes Flacon paßt, Sigismund. Ich mögte nur dies ... um es immer bei mir zu tragen .... so wie Du es getragen hast.“ „Aber Du magst nicht den Parfüm, Agathe.“ „Nein gar nicht! drum will ich ihn Dir nehmen.“ „Ich könnte ihn mir ja wieder bei jedem Parfümeur kaufen.“ „O das thust Du nicht, wenn es mir unangenehm ist. Bitte, Sigismund, schenke mir das Flacon.“ Er hätte einfach sagen können, es gehöre ihm nicht; aber ihm graute vor den Erörterungen, wie, wann, von wem er es bekommen habe, und er fühlte, daß er nicht im Stande sei, irgend eine kleine erklärende Geschichte, wie die Männer sie sonst immer bereit zu haben pflegen, in ~diesem~ Augenblick zu erfinden. Wie man das denn immer höchst ungeschickt macht: um aus der Verlegenheit zu kommen wird man heftig. „Ich bitte sehr um Verzeihung,“ sagte er kurz, „allein das Flacon ist mir lieb.“ „Eben darum!“ sagte sie bittend. „Mein Gott!“ rief er heftig, „wenn Du eine so große Liebhaberei für Flacons hast, will ich Dir ein Dutzend kaufen!“ Kaum hatte er’s gesagt, so that es ihm leid, denn Agathe sagte sehr traurig: „Du willst es mir also nicht geben?“ „Laß es mir, liebe Agathe!“ bat er sanft. „Da!“ sprach sie. Doch noch ehe er es nehmen konnte, machte sie ihre Hand auf und ließ es fallen, zu absichtlich um den Zufall anklagen zu dürfen. Sigismund wurde blaß, stand auf und nahm seinen Hut. Als Agathe das gewahrte, sprang sie ihm in den Weg, faltete die Hände, und sagte zitternd: „Sigismund!“ „Es thut nichts, liebe Agathe,“ erwiderte Sigismund mit etwas gezwungenem Lächeln. „Ich bin ungeschickt gewesen -- nicht Du.“ „O Du bist erzürnt!“ rief sie mit tiefem Schmerz. „Gar nicht! mein Wort darauf! ein Flacon ist ja etwas sehr Zerbrechliches! In einer halben Stunde bin ich wieder hier, Agathe -- jetzt muß ich einen Gang durch die Stadt machen.“ „O nicht jetzt ... nicht so im Zorn!“ bat sie. „Geh nicht fort, ohne mir einen Kuß zu geben -- das ist noch nie geschehen, Sigismund!“ -- Sie sagte das aus tiefer, trauriger Liebe, doch es berührte ihn unangenehm. „Laß mich gehen, gute Agathe, ich bitte Dich!“ sprach er im halb gereizten, halb befehlenden Ton. „O Himmel!“ sagte Agathe und trat zurück. Sie bebte vom Scheitel bis zur Sohle, schloß die Augen, und lehnte sich an die Wand neben der Thür. Das ging ihm durchs Herz. Agathe hatte ja nicht Unrecht; sie hatte nur den unbegreiflich feinen und richtigen Instinkt der Liebe. Er! er hatte Unrecht gegen sie, und fügte jetzt noch die herbste Kränkung dazu! Er warf den Hut fort, er umfaßte Agathe, ließ sie niedersitzen, kniete vor ihr, gab ihr tausend süße Namen und liebe Worte. Sie hielt unablässig beide Hände vor dem Gesicht. Er bat sie ihn nur anzusehen, wenn auch nicht freundlich. „Nein!“ sagte sie, „ich bin beschämt, ich kann nicht.“ „Du strafst mich hart, Agathe,“ sagte er, wieder etwas heftig. „Es sollte nicht Strafe sein, Sigismund,“ sprach sie und ließ die Hände sinken. „Aber höre! wenn ich zu Dir spreche: Gieb mir einen Kuß! so mußt Du es thun -- denn Du kannst Dir vorstellen, daß mir so viel daran liegt ... so viel ... wie vorhin. Versprich mir das.“ „Ja, liebe Agathe.“ „Dafür versprech’ ich Dir, daß ich es nie wieder thun will -- nie wieder.“ „Aber wenn ich Dich um einen Kuß bitte -- was wirst Du thun?“ „Ich werde immer thun, was Du wünschest,“ entgegnete sie, und die Trauer auf ihrem Gesicht machte einer wunderholden Freundlichkeit Platz. „Und jetzt bleibst Du hier? nicht wahr?“ fragte sie. „Ich habe meiner Schwester versprochen bei ihr zu Mittag zu essen,“ antwortete er. „O nicht bei Deiner Schwester!“ rief Agathe ängstlich; „iß bei uns, Sigismund.“ „So muß ich ihr doch sagen, daß ich nicht komme.“ „Ja, thue das! aber komm’ bald wieder; denn Deine Schwester mag mich nicht.“ „Sie mag Dich nicht?“ rief er befremdet. „O, sie mag nicht, daß Du mich heirathest! ich bin ihr für Dich nicht reich und vornehm genug. Sie meint, Du könntest eine ganz andre Partie machen -- was ich freilich auch sehr gern glaube.“ „Eine Partie machen!“ rief Sigismund; „aber ich will gar keine Partie machen! Heirathen will ich! ... und zwar Dich, Agathe!“ Er umarmte sie und ging. Sie sprang an das Fenster und blickte ihm nach, wie er dahin ging, fest, rasch, mit wenigen Bewegungen. Ihr schien, als habe sie nie Jemand so sicher und ruhig gehen sehen. So lange sie ihn sah, fühlte sie sich froh und leicht; als er verschwand, als sie ins Zimmer zurücktrat, als sie die himmelblauen und goldnen Scherben des Flacons gewahrte, fiel ihr Herz gleichsam in namenlose Beklommenheit zurück. Sie grämte sich, daß Sigismund ihr nicht das Flacon hatte geben wollen, daß sein Wunsch, es zu behalten, größer war, als sein Wunsch, ihr eine Freude zu machen. „O wenn er es mir gegeben hätte,“ sagte sie halblaut, „so hätte ich es ihm ja auf der Stelle zurückgegeben! behalten wollte ich es gar nicht, nur wissen, ob das, was sein ist, auch mein ist.“ Als die Mutter eintrat, fand sie Agathe am Boden kniend, und weinend die Scherben in ihrer Schürze sammelnd. Sie fragte, was ihr widerfahren sei? Agathe sagte nur, es thue ihr so leid, daß sie Sigismunds allerliebstes Flacon habe zu Boden fallen lassen, und dabei weinte sie, als wolle sie mit ihren Thränen die Erinnerung daran überfluthen. Das sind unsre bittersten Schmerzen, die, welche wir Keinem anvertrauen mögen, weil wir sie in uns selbst nicht zum Bewußtsein kommen lassen mögten. Sigismund fühlte sich mißgestimmt. „Es liegt doch etwas Krittliches, Kleinliches, Eifersüchtelndes im Frauencharacter,“ sprach er zu sich selbst. Sein Besuch bei seiner Schwester erhöhte diese Mißstimmung; sie machte ihm Vorwürfe, daß er sie um seiner Braut willen vernachlässige; -- sehr zärtlich, sehr freundlich that sie das; die Intimität eines halben Menschenlebens, ihre lange vertrauliche, durch die Kindheit und erste Jugend fortgesetzte Freundschaft rechnete sie ihm vor, welche jetzt durch eine Bekanntschaft von sechs Monaten in Schatten gestellt werde. Sie war eine sehr hübsche und elegante Frau, durch die günstigen Verhältnisse ihres Mannes in eine glänzende Lage versetzt. Wie das zuweilen geht zwischen Geschwistern, so ging es auch hier: eins von ihnen ist der Liebling der übrigen -- bald ist es das älteste, bald das jüngste, bald der einzige Bruder oder die einzige Schwester, bald nichts von dem Allen, sondern eben nur der allgemeine Familienliebling; für den ersinnen sich die übrigen ganz besondre Schicksale voll Glück und Segen und Glanz, und malen seine Wege mit so idealischen Farben aus, wie sie ihn selbst in eine Glorie der Vollkommenheit stellen. Sucht er dann auf ganz gewöhnlichen Pfaden und zwischen gewöhnlichen Verhältnissen sein Glück, so liegen die ~unter~ der Erwartung der Geschwister, und sie fühlen sich ein wenig gedemüthigt in ihren hochfliegenden Hoffnungen. Wirft er sich aufs Ungewöhnliche, so liegt das, wenn nicht ~über~ -- doch ~außerhalb~ der Kreise ihrer Wünsche, und es verletzt sie, daß er etwas ergriffen hat, was sie nicht für ihn ausgedacht. Und dies Alles aus lauter Liebe! -- Sigismunds Schwester fand, daß Agathe durch ihre Heirath ein namenloses Glück mache, zu welchem sie durch nichts berechtigt sei. „Es ist ein hübsches gutes Kind,“ sagte sie oft zu ihrem Mann, „doch ich dächte, mein Bruder dürfte wol andre Ansprüche machen.“ -- Und jetzt fand sie sich in ihrer schwesterlichen Zärtlichkeit beeinträchtigt um Agathens willen! Geschwisterliebe ist ein geliehenes Gut; sie kann so lange genügend, ja, exclusiv sein, bis das Herz zur Erkenntniß gekommen. Ist das geschehen, weiß es, was es fordern -- oder besser, was es geben kann: so tritt die geschwisterliche Liebe in ihre Schranken zurück, kann Trost, Freude, Beruhigung gewähren, aber nicht das unermeßliche Glück, nach welchem das Herz durstig worden ist, ach! oft ohne Befriedigung zu finden. Um Familien- und überhaupt alle intimen Verhältnisse in einer Sphäre zu erhalten, wo sie nicht allzu sehr vom dicken Staube der Alltäglichkeit zu leiden haben, ist nichts so nothwendig, als gewisse Fühlfaden an der Seele, welche auf manchen Punkten vor der lindesten Berührung sich zusammenziehen, und vor dem Vorwärtsdringen warnen. Wir ~haben~ auch solche Fühlfaden; wir ~empfinden~ auch ihre Einwirkung; dennoch übertäuben wir oft ihre Warnung, weil übertriebene Eigenliebe uns zuflüstert, daß wir mehr geben, als empfangen, daß Kälte und Mangel an Vertrauen uns gegenüber stehen. Das kann wol sein! aber der Bruder ist Mann, aber die Schwester ist Weib; tausend und aber tausend feine, unsichtbare und dennoch unzerreißbare Rücksichten weben eine leicht verletzliche Schranke. Ich glaube, daß die Menschen, um sich ~nur~ als Geschwister zu fühlen, immer in der Kinderstube bleiben müßten. Sigismund hatte für die zärtlichen Vorwürfe seiner Schwester keine Antwort. Er versuchte mit ihr darüber zu scherzen, aber sie nahm die Sache tragisch, als sie sah, daß er sie lustig nehmen wollte -- so, aus bloßem Widerspruchsgeist, der sich bisweilen wie eine nervose Irritation der Frauen bemeistert, und sie fast gegen ihren Willen Dinge thun und sagen läßt, welche sie hinterdrein herzlich bereuen. Ich habe sehr nachgedacht, woher das kommen möge; ich glaube, es ist, weil die Frauen sich nothgedrungen so sehr fügen und schicken, der fremden Meinung unterordnen, der fremden Ansicht folgen, das Gegentheil von dem thun und lassen müssen, wie es ihnen ums Herz ist. All die heimlichen Protestationen, welche sie einreichen, und welche vom Schicksal nicht angenommen werden, sammeln sich in ihrer Seele auf, und bilden darin eine Opposition, welche nur darum bei erbärmlichen Kleinigkeiten hervortritt, weil sie es bei wichtigen Dingen nicht immer darf. Um Vieles verstimmter, als er gekommen war, verließ Sigismund seine Schwester. Vor der Thür begegnete ihm sein Schwager, und hielt ihn am Arm fest. „Was Teufel fehlt Dir, daß Du mich fast über den Haufen rennst?“ fragte er. „Frag’ mich nur nicht!“ rief Sigismund; „denn Deine Frau hat mich geärgert!“ „Meine Frau ist Deine Schwester,“ entgegnete Friedrich äußerst gelassen; „und wie kannst Du Dich überhaupt ärgern lassen? so lange Du das noch thust, bist Du nicht reif für die Ehe. Ich ärgere mich nie über meine Patienten; sie sind eben krank.“ „Seelenunarten kann ich nicht Krankheit nennen,“ erwiederte Sigismund. „Ich thue es, und ich befinde mich sehr wohl dabei,“ entgegnete Friedrich. „Deine Schwester ist eine so gute Frau, wie eine! das hindert aber nicht, daß ich häufig Gelegenheit hätte, mich über sie zu ärgern. Oben hinaus will sie, immer oben hinaus .... und das hat denn doch seine Grenzen! da setz’ ich ihr eine unerschütterliche, eiserne Ruhe entgegen“ .... -- „Und reizest sie dadurch immer heftiger auf,“ unterbrach Sigismund; „nein, Freund! von solcher Ruhe kann eine Frau ganz desperat werden.“ „Ich werde mich doch nicht mit ihr zanken sollen? Das ist ganz gegen meine Grundsätze.“ Sigismund machte eine ungeduldige Bewegung. „Es ist kalt hier draußen, nicht wahr?“ sagte Friedrich; „komm zu mir, wir wollen schwatzen.“ „Nein!“ rief Sigismund, „heut komm’ ich nicht zu Dir! heut hab’ ich Unglück! es giebt solche verwünschte Tage, die im Kalender eines schadenfrohen Dämons übel angestrichen sein müssen -- und ein solcher ist der heutige.“ „Was hast Du denn mit der Auguste gehabt?“ fragte Friedrich bedächtig. „Sie ist eifersüchtig auf Agathe! ich bitte Dich, bringe ihr doch bei, daß die Eifersucht nicht in geschwisterliche und freundschaftliche Verhältnisse gehört, sondern zur Liebe, zur Ehe“ .... -- „Den Teufel auch!“ rief Friedrich; „Eifersucht zur Ehe! ein horrender Gedanke, der! besonders in meinen Verhältnissen. Nein! wenn meine Frau eifersüchtige Launen haben will, so gönne ich sie Dir von ganzem Herzen, lieber als mir -- Denn ein Bruder fragt doch weniger danach, als ein Mann. Adieu, mein Alter.“ Er ging ins Haus, und Sigismund zu Agathen. Agathe hatte so heftig geweint, daß ihre Augenlieder noch ganz roth und geschwollen waren, und daß ihre Stimme noch das leise Zittern hatte, das nach starkem Weinen eine Zeitlang währt. Davon wissen die Männer nichts -- schon darum nicht, weil sie nicht zu weinen pflegen. Thränen sind ihnen nun einmal verhaßt. Bei sich selbst schämen sie sich ihrer, weil sie als weibische Schwäche sie betrachten; bei den Frauen sind sie ihnen unerträglich, theils weil sie allzu gerührt durch deren Thränen werden -- was ihnen wieder weibisch vorkommt -- theils weil sie der Aufrichtigkeit dieser Thränen mißtrauen. Das Aeußerste, was ein Mann in dieser Beziehung für eine Frau thut, ist, daß er sie weinen läßt, ohne ihr darüber Vorwürfe zu machen. Hat er ihr das gestattet, wie man einem verzogenen Kinde stillschweigend eine Unart nachsieht, so soll sie dafür, wenn sie sich kaum die Augen abgetrocknet hat, flugs fröhlich und freundlich sein. Könnte sie das sein, so wären ihre Thränen wirklich nur aus einer Unart, nicht aus einem Schmerz entsprungen, und die Männer begreifen nun einmal nicht, daß man aus Schmerz weint. Begriffe es einer, so würde er mild gegen die Thränen sein. Aber es giebt Punkte, in denen der Mann und das Weib sich gegenseitig durch und durch unverständlich sind, und aller Mühe ungeachtet auch bleiben werden. Das rührt nicht von der Erziehung, von den Gesetzen der Welt und der Gesellschaft her; es liegt an der geistigen und körperlichen Organisation: von seinem Geschlecht kann keiner sich losreißen, und das Geschlecht ist an gewisse Bedingungen geknüpft, die sich ewig gelten machen. Je größer die Liebe, um desto tiefer wird das gegenseitige Verständniß sein; doch auf ein vollständiges rechne nur Niemand. Es giebt gute Momente; da kann man sagen: „Siehst Du! so und so und so bin ich, denk’ ich, fühl’ ich; hast Du das begriffen?“ -- Und der Andre wird mit Ueberzeugung Ja! sagen, und dennoch nach fünf Minuten handeln, als ob er Nein! gesagt hätte. Das ist um sich todt zu grämen! Kämen wir gleich beim ersten Schritt ins Leben zu dieser Erkenntniß, so würden wir vielleicht wirklich durch sie überwältigt und zerknickt werden; aber die Schule der Enttäuschung ist so lang, und wir sind so ungemein wißbegierige Schüler, daß wir selbst nicht auf der Schwelle zusammensinken mögen. Agathe hatte eine sanfte Seele und ein liebendes Herz; sie empfing also Sigismund sehr freundlich, nur aber fröhlich, so wie sie sonst zu sein pflegte, und wie er sie immer gesehen, fröhlich war sie nicht. Bisher war zwischen ihr und Sigismund die vollkommenste Einigkeit gewesen; die Ueberzeugung, daß zwei Wünsche, zwei Willen bei ihnen existiren, und von jedem bis zur letzten Consequenz durchgeführt werden könnten, drängte sich wie ein Stachel in ihre Brust. Sie dachte nicht daran, ob er Unrecht habe, oder sie; auch nicht, worin es bestehe; sie dachte nur: O Gott, wie ist es möglich, daß ich nicht ganz glückselig bin, wenn Er da ist! -- Durch nichts wird eine Frau so traurig, als wenn sie sich das zum ersten Mal eingesteht. Was für Schmerz und Weh und Leid ihr auch widerfahren möge: ~damit~ ist nichts zu vergleichen! es ist doch Alles höchstens nur der ~Verlust~ einer Welt; aber jenes Gefühl ist der ~Untergang~ der ganzen goldnen, seligen, unerschütterlich gewähnten Liebeswelt. In der Ehe -- da sind denn die Kinder dazu da, um den Stachel minder fühlbar zu machen, so heißt es; so spricht der Mensch, der sich nun einmal entschlossen hat, mit seinen Schmerzen fertig zu werden. Aber vor der Ehe, wenn man das Herz in die Liebe getaucht hat, wie in das Weltmeer, dessen Küsten man nicht kennt -- wenn man jung und stark genug ist, um nicht an Ersatz zu glauben und um Trost zu verschmähen -- welche wohlklingende, halbwahre, oberflächliche Redensart spricht da der Mensch? Am Besten ist’s noch, wenn er die Achseln zuckt und schweigt. Die Rückwirkung von Agathens Niedergeschlagenheit auf Sigismund war heftig. Sonst neben ihr wie unter dem lichten blauen Himmel, fühlte er sich jetzt wie unter einer Wolke, und der Gedanke, daß seine Anwesenheit sie nicht mehr durch und durch erfreue, daß sie sich gegenseitig weh gethan, daß er sie verletzt, daß sie um ihn geweint habe -- lag lähmend auf seinem Herzen. Indessen, er verstand mehr, sich zu beherrschen, als die junge unerfahrne Agathe. Er wollte nicht die Nebel, die zwischen ihnen aufdämmerten, sich verdichten lassen. Er gab sich die größte Mühe, Agathe heiter zu stimmen, indem er mit ihr Plane für die Zukunft machte, und sie so rosenroth ausmalte, wie seine Liebe für sie es ihm gestattete. Er war sehr gesprächig, sehr herzlich, sehr theilnehmend, sehr munter -- und dadurch sehr liebenswürdig, weil sein gewohnter Ernst dabei zerschmolz und in den Hintergrund trat, wie die Gletscher in einem Alpenthal. Und Agathe widerstand dieser Liebenswürdigkeit nicht. Die unruhigen Wellen ihres Herzens legten sich. Sigismund war der Zauberer, der sie zur Ruhe sprach. Sigismund war der Stern, der das Gewölk in ihrem Innern lichtete. „Sigismund!“ rief sie; „o, ich liebe Dich.“ Sie warf die Arme um seinen Hals; sie sah ihn an, so fest, so lang, so tief, als ob sie mit dem Blick in seine Seele hinein gleiten wollte. „Wohl mir!“ sagte Sigismund. Aber er sagte es nicht triumphirend, sondern erschöpft; es klang wie ein Seufzer, nicht wie ein Jubelruf. Agathe strich leise mit der Hand über seine Stirn. Er fragte: „Was ist da?“ „Ich weiß nicht,“ entgegnete sie, „aber Etwas ist da, was ich wegschaffen mögte.“ „Falten, Agathe?“ „O nein! ich weiß nicht, was es ist! sag’ es mir, Sigismund.“ „Kind! Kind!“ sagte er lächelnd, „grabe doch nicht so in die Tiefe! da giebt’s ja Särge und Leichen.“ „Ja,“ rief sie lebhaft, „und deren Gespenster kommen auf die Oberwelt, und ich mögte sie verscheuchen.“ „Was meinst Du eigentlich?“ fragte er und sah sie ein wenig befremdet an. „O! daß ich Dich liebe, Sigismund!“ sagte sie sanft. Als er Agathe in ihrer Liebe bestärkt und beruhigt sah, that er einen langen innerlichen Athemzug, als fühle er sich von einer Sorge befreit. Später kam seine Schwester mit ihrem Mann. Sie sagte freundlich: „Wenn Du mich nicht aufsuchst, lieber Sigismund, so such’ ich Dich auf -- verwöhnter Mensch, der Du bist. Wir können nun einmal Alle nicht von Dir lassen.“ Das rührte und erfreute ihn. Sein Herz hob sich wieder, um aus der Beklommenheit herauszutreten, die ihn den ganzen Tag umspannt gehalten. Diese Frauen, Auguste und Agathe, beide so verschieden, und einander so fremd im innersten Wesen, schienen sich nur in der Liebe zu ihm zu begegnen und zu verstehen. Die Schwester freute sich an der Adoration, mit der die Braut zu ihm emporsah; und die Braut an der huldigenden Zärtlichkeit der Schwester. Ihm wurde wohl, er fing an, sich heimisch zu fühlen. Plötzlich fragte ihn sein Schwager: „Bist Du denn nicht in Berlin der Tosca Beiron begegnet? sie soll ja da sein -- hört’ ich heute.“ Sigismund war zu Muth wie Jemand, der dem Ufer nah in den Strudel der Wellen sich zurückgerissen fühlt. Er sagte entschlossen: „Ich wohne mit ihr in demselben Hause und habe sie öfter gesehen.“ „Und das sagst Du mir nicht!“ rief Friedrich; „aber nun erzähle! wie sieht sie aus, wie geht’s ihr, wie lebt sie? hat sie wirklich einen alten kränklichen Mann? Tosca Beiron mußt Du wissen, Gustchen -- wandte er sich an seine Frau -- war in Bonn meine Göttin, und Sigismunds erste Liebe, Fräulein Agathe“ -- sagte er zu dieser. „Ich kann mir keine Person vorstellen,“ entgegnete Auguste, „die auf Euch Beide einen gleich tiefen Eindruck machen könnte.“ „Das war er auch mit nichten!“ sagte Friedrich; „ich behielt immer den Kopf oben; aber Sigismund war weg -- rein weg. Sigismund bei einundzwanzig Jahren, als Student zu Bonn, Fräulein Agathe, war nicht der ernsthafte Regierungsrath zu Magdeburg, der Ihnen jetzt zur Seite sitzt, und ich war damals auch ein ganz Andrer.“ „Ich glaube gar, Du seufzest,“ rief Auguste. „Wenn ich mit Dir zufrieden bin, so wie Du jetzt bist, so seh’ ich nicht ein, was Du zu seufzen hast.“ „Es ist eine ganz schlechte Gewohnheit,“ sagte Sigismund, „bei der Erinnerung an die Jugendzeit zu seufzen. Wir sollten lieber lachen, daß wir ihre Freuden gehabt haben, und daß ihre Thorheiten hinter uns liegen.“ „Aber Sigismund -- wer ist Tosca Beiron?“ fragte Agathe. „Erlauben Sie mir Ihre Frage zu beantworten!“ nahm Friedrich schnell und neckend das Wort; „den armen Sigismund dürfte es verlegen machen.“ „O!“ rief Sigismund, „es wäre übel mit mir bestellt, wenn ich um jedes Frauenzimmer verlegen werden sollte, das mir gefallen hat.“ „Gefallen hat!“ rief Friedrich lachend; „das nennt er gefallen hat! Fräulein Agathe, die Zeiten sind längst vorüber, und ein Student hat ein andres Herz als ein Mann, aber glauben Sie mir: Ihr Sigismund war dermaßen ernsthaft verliebt in Tosca Beiron, wie zu seiner Zeit von den sechshundert Studenten zu Bonn nicht ein einziger verliebt war.“ „Das gefällt mir von meinem Bruder!“ sagte Auguste. „Würd’ es Dir auch von Deinem Mann gefallen?“ fragte Friedrich. „Gewiß!“ entgegnete sie, „lieber tüchtig, als matt verliebt sein.“ „Gustel! so spricht eine alte Ehefrau aus der temperirten Zone des ehelichen Lebens heraus,“ sagte ihr Mann. „Eine Braut wird immer wünschen, daß ihr Herzliebster wo möglich gar nicht -- oder doch nur so matt wie möglich verliebt gewesen sei, bis er ihr gegenüber in Flammen steht. Gelt, Fräulein Agathe?“ „O Himmel, Sigismund! wer ist Tosca Beiron?“ sagte Agathe und faltete bittend ihre Hände gegen ihn zusammen. Es war ihr unmöglich auf Friedrichs Scherze einzugehen. Sie konnte das sonst, zuweilen, wenn sie grade recht fröhlicher Laune war. Die gehört dazu, um solchen Neckereien zu begegnen, welche manche Menschen die Gewohnheit haben gegen ein Brautpaar, und vorzugsweise gegen die Braut zu richten. Eine gräßliche Gewohnheit! ganz genügend, wenn man glücklich ist, einem die neckenden Leute -- und wenn mans nicht ist, einem den Bräutigam unerträglich zu machen. „Sie ist die Frau des General Beiron,“ antwortete Sigismund, „lebt diesen Winter in Berlin, und ich habe unsre durch zwölf Jahre unterbrochene Bekanntschaft wieder angeknüpft, weil wir in demselben Hause wohnen, und weil ich ihr -- oder eigentlich ihrem Mann -- eine kleine Gefälligkeit erzeigen durfte.“ -- Er erzählte darauf den Wechsel seiner Wohnung, und Agathe hörte ihm mit gespannter Theilnahme zu. „Und ist sie denn noch schön?“ fragte Auguste. „O wunderschön!“ entgegnete Sigismund; „es ist vielleicht zu viel Licht in dem Antlitz; die Augen, die Farben, die Zähne, die Lippen, das Haar -- Alles ist Glanz, nirgends Schatten! aber es ist der Glanz des Diamants. Und so ist auch ihr Wesen, ihr Blick, ihr Lächeln, ihre Stimme -- nichts Dunkles in der ganzen Erscheinung.“ „So war sie schon damals!“ rief Friedrich; „ganz genau so! mirakulös, daß sie sich so gut conservirt hat! die Blondinen verblühen meistens mit fünfundzwanzig Jahren, und sie muß wol dreißig sein.“ „Ah, sie ist schon dreißig Jahr alt?“ rief Agathe mit einem freudigen Seufzer. „Ich schmeichle mir,“ sagte Auguste, „daß ich mit meinen dreißig Jahren nicht blos gut conservirt aussehe, was beiläufig eine ganz unerträgliche Redeweise ist, lieber Friedrich, sondern sehr bezaubernd.“ „Es ist eine alte Erfahrung,“ sprach Sigismund lächelnd, „daß die Bezauberung völlig unabhängig von Jugend und Schönheit sein kann. Cleopatra war eine kleine magre schwarze Frau; Prinzessin Eboli hatte nur ein Auge; Diane de Poitiers hätte bequem die Mutter ihres königlichen Geliebten sein können. Die Bezauberung fängt eben da an, wo die gewöhnlichen Mittel um zu gefallen aufhören.“ „Das ist recht trostreich für uns!“ rief Auguste. „Ach nein!“ sagte Agathe; -- „man müßte denn das Bewußtsein eines Zaubermittels in sich tragen.“ „Ich weiß etwas,“ sagte Friedrich, „worauf solch’ ein Zauber sich wesentlich stützt. Aber Ihr werdet mich Alle dermaßen anschreien, daß ich es Euch nicht zum Besten gebe.“ „O ich errathe schon, was das ist!“ entgegnete Auguste; „Geist, Güte, Grazie -- dies Kleeblatt, welches Ihr uns immer in vollen Sträußen anwünschet, und an welchem Ihr doch häufig so gleichgültig vorüberstreift.“ „Sehr natürlich!“ erwiderte Friedrich neckend. „Geist? -- unbequem! Güte? -- langweilig! Grazie? -- überflüssig! am Heerd und in der Kinderstube total überflüssig! -- Nein, Gustel, das war schlecht gerathen! denk Dir was Andres aus!“ „Ich verstehe gar nicht zu rathen,“ sprach Agathe bittend; „sein Sie gut! sagen Sie mir das Mittel.“ „Gut denn! ich werd’ es sagen! Paßt auf und glaubt mir,“ sprach Friedrich. „Die Gesundheit ist’s.“ „Das nenn’ ich wie ein Arzt gesprochen!“ rief Auguste. „Wie ein Menschenkenner, liebes Kind,“ entgegnete ihr Mann gelassen, „was freilich synonym mit Arzt ist. Ich sage Euch: ohne Gesundheit, ohne die Frische, die Kräftigkeit, die Unverwüstlichkeit der leiblichen Organisation ist gar keine Verzauberung möglich. Ja, die schöne Eboli hatte nur ein Auge! ja, die schöne Diana war vierzig Jahr alt! und geweint, und gesorgt, und sich gegrämt haben Beide gewiß in reichlichem Maß -- denn umsonst ist Niemand bezaubernd! das merkt Euch, und man muß dafür zahlen mit Schmerzen und Thränen! -- aber was schadet das? die schönste Gabe des Himmels, eine unzerstörbare Gesundheit, machte, daß sie durch Sorgen, Unruh und Aengste nicht häßlich wurden. Eine Frau kann ein halbes Jahr in Thränen zerschmelzen, und es wird ihrer Schönheit bei Weitem weniger Eintrag thun, als wenn sie drei Tage den Magenkrampf hat. Gesund muß sie sein! in einem welken und gebrechlichen Körper ist der Seele schlecht zu Muth, hat sie nicht ihre Fähigkeiten, ihre Gaben rund und klar und frisch beisammen! weder die leiblichen noch die geistigen Grazien können hervortreten. Der Geist ist ohne Spannkraft, ohne Energie; in lahmen, mürrischen oder sentimentalen Launen schleicht er dahin -- matt wie der Puls, der das Blut nur nothdürftig durch die Adern treibt, so daß das Auge nicht stralen, die Wange nicht glühen kann. Wenn ich von einer ungewöhnlich schönen und liebenswürdigen Frau höre, so schreib’ ich flugs sieben Achtel ihrer Herrlichkeit ihrer guten Gesundheit zu, und freue mich einen Beruf gewählt zu haben, der dies Fundament aller Vortrefflichkeit im Menschengeschlecht herzustellen oder zu begründen strebt. Gewiß hat Tosca Beiron eine wundervolle Gesundheit.“ Sigismund lachte hell auf, klopfte seinen Schwager auf die Achsel und sagte zu seiner Schwester: „Straf’ ihn Lügen, liebe Auguste, weil er vorhin gesagt hat: ein Mann hat ein andres Herz als ein Student. Glaube Du mir: er hat noch ganz dasselbe wie vor zwölf Jahren! da fing er auch seine Reden mit Galenus, Boerhaave und Paracelsus an, und endete sie unfehlbar mit Tosca Beiron.“ „Ich mögte sie wol sehen,“ sprach Agathe. „Uns würde sie nicht verzaubern, liebe Agathe,“ rief Auguste. „Frauen, die allen Männern gefallen, gefallen uns nicht.“ „Sehr natürlich!“ sprach Friedrich; „Ihr beneidet sie.“ „Neid? weil sie Euch gefallen?“ sagte Auguste spöttisch. „Ach nein! das gelingt Jeder, die es darauf anlegt; und eben diese Koketterie ist’s, welche uns Andere abstößt.“ „Euch Andere, die Ihr nicht kokett seid; nicht wahr, Gustel, das willst Du sagen?“ sprach Friedrich. „Liebes Kind, wenn Dirs nur einer glaubte! Koketterie ist Euer Fach, Eure Bestimmung, Eure Neigung, Eure Glorie. Ihr sollt und wollt gefallen -- dazu seid Ihr von der Natur bestimmt. Eine Frau, die keinem Mann gefällt, ist ein unglückseliges Geschöpf, eine mißrathene Creatur, ein Monstrum“ .... -- „Welche Uebertreibung!“ unterbrach Auguste ihn verdrießlich. „Was Du eine mißrathene Creatur nennst, ist oft ein liebes bescheidenes Wesen, das sich nicht vordrängt, nicht breit macht, nicht ihre kleinen Vortrefflichkeiten herausstellt, dafür von Euch übersehen, aber von uns mit den allerfreundlichsten Augen angesehen wird.“ „Das glaub’ ich gern!“ rief Sigismund lachend. „Und was hat das liebe bescheidene Wesen davon, daß Ihr sie freundlich anseht?“ fragte Friedrich. „Du bist allzu impertinent, Friedrich!“ sagte Auguste geärgert. „Ich würde mich und jeden Mann heftig bedauern,“ sagte Sigismund, „der nur seinem Geschlecht gefiele. Das läßt eine überwiegend plumpe, bärenhafte, brutale Natur voraussetzen, die Euch durch und durch zuwider ist; aber es schließt freilich nicht gewisse Verdienste und eine gewisse Tüchtigkeit aus, die wir zu schätzen wissen. Wenn ich von Jemand sagen höre: Er ist ein prächtiger Junge! oder auch: Er ist ein guter Kerl! -- so weiß ich schon, daß ihm die Bärentatzen zu schaffen machen, wenn er auch zwölf Paar gelbe Handschuh über einander zöge, und daß er den Frauen ein Greuel sein wird. Nun sag mir, liebe Auguste, was hat der arme Teufel davon, daß ein Paar von uns sagen: Er ist aber doch ein guter Kerl! -- Ihr müßt ein lobendes und beifälliges Wort über uns sagen; das erquickt, das erfreut, das giebt Sicherheit, Feinheit, Takt, endlich gar -- Glück! -- Und das sollte bei Euch anders sein?“ „Lieber Sigismund,“ erwiderte Auguste, „gefallen wollen und kokettiren hat mit dem Glück nichts zu schaffen.“ „Wer weiß!“ entgegnete er; „man muß der Koketterie nur keine böswillige Bedeutung beilegen, ihr keine heuchlerische Absicht unterschieben; was ist sie dann anders, als eine graziöse Geschicklichkeit, liebliche und einnehmende Gaben herauszustellen, und das am rechten Ort thun -- kann tiefes Glück begründen.“ „Aber welch’ ein Studium, welche Absichtlichkeit und Berechnung läßt das voraussetzen!“ rief sie. „Nichts von dem Allen!“ sagte Sigismund; „dafür habt Ihr Euern wundervoll feinen Instinkt! Nämlich die Begabten unter Euch haben ihn! die gemeinen und schwerfälligen Naturen machen aus dem reizenden Scherz der Koketterie eine plumpe abstoßende Berechnung, die oberflächlichen ein ödes gedankenloses Spiel, die eiteln ein leichtsinniges“ ... -- „Und was sollen wir denn eigentlich daraus machen, Sigismund?“ fragte Agathe ganz ernstlich. „Bravo, Agathe!“ rief Auguste schadenfroh. „Eure schöne, liebenswürdige Natur sollt Ihr zeigen,“ entgegnete Sigismund; „sollt nicht prüde thun, wie vorhin mein Schwesterchen gegen die Frauen, welche uns gefallen; sollt nicht die prächtigen unter Euch beneiden, und die alltäglichen herausstreichen, was beiläufig gesagt, ein ganz abgebrauchtes Mittel ist; kurz, lieblich sollt Ihr sein.“ „O,“ rief Auguste, „wie kannst Du das ~Sein~ Koketterie nennen!“ „Nicht das Sein -- das Zeigen!“ sagte Sigismund. „Ich nenne nur das Scheinen so,“ entgegnete sie. „Es ist umsonst, Sigismund!“ sprach Friedrich; „gegen manche Dinge, Worte, Personen, haben die Frauen Vorurtheile, und es ist leichter, eine Welt von Männern zu bekehren, als das Vorurtheil einer einzigen Frau zu besiegen. Auguste hat sich nun einmal entschlossen, der Koketterie ihren Platz im tiefsten Höllenpfuhl anzuweisen. Da könnte unser Herrgott sie des Paradieses würdig erachten; Auguste würde sprechen: Unser Herrgott thut sehr übel daran. Und das geschieht, um mir einen Beweis ihrer Aufrichtigkeit zu geben, ihrer himmelklaren Gesinnung, welche jede Schminke verachtet, jeden Um- und Nebenweg verschmäht, jede Huldigung abweist. Und das soll ich glauben! O Ihr Frauen! wenn’s Euch möglich wäre, aufrichtig zu sein, so wärt Ihr göttlich“ .... -- „Und folglich viel zu gut für Euch!“ unterbrach ihn Auguste. „Ihr könnt so wenig unsre Aufrichtigkeit vertragen, daß wir sehr gescheut daran thun, Euch nicht zu tief in unsre Gefühle, sogar für Euch selbst, einzuweihen. Das macht Euch auf der Stelle gleichgültig. Eigenliebig, wie Ihr nun einmal im erschreckendsten Grade seid, denkt Ihr alsbald: ‚So hoch liebt sie mich nur? so tief liebt sie mich nur? Aber da sind ja Schranken und Grenzen! Nein, ich muß ganz anders geliebt werden! Wollen es mal mit einer Andern versuchen.’ Was Euch fesseln sollte, stößt Euch ab, Euch verkehrte Leute! und wenn wir Takt genug haben, unsre Seele vor Euch zu verschleiern, um Euch Euer Glück zu bewahren, so klagt Ihr, wir wären nicht göttlich genug für Euch. Das ist zum Todtlachen!“ „Ach! zum Todtweinen eher!“ rief Agathe. „Nun grämt sich dies arme unschuldige Kind,“ sagte Auguste lachend. „Tröste sie doch, Sigismund. Sag’ ihr doch, das, was ich gesagt habe, sei nicht wahr. Sie wartet ja nur auf ein halbes Wort von Dir, um auf dessen Wahrheit zu schwören, und um meine Wahrheiten Blasphemie zu nennen.“ „Es ist doch etwas Traurig-Wahres in ihnen!“ entgegnete Sigismund; „es paßt auf die allgemeinen Fälle, aber Jeder behauptet, für seinen besondern Fall sei eine Ausnahme zu machen.“ „Und glaubst Du nicht an solche Ausnahme, Sigismund?“ fragte Agathe dringend. „Ich hoffe auf sie, liebe Agathe,“ sprach er freundlich. „Ich wüßte aber doch gern noch mehr von Tosca Beiron,“ hub Friedrich wieder an; „erzähle mir von ihr, von ihrem Mann, ihren Verhältnissen“ ... -- „Ach!“ rief Auguste, „Du wirst langweilig! wie kannst Du Dich so lebhaft für eine Frau interessiren, die Du in zwölf Jahren nicht gesehen hast?“ „Ich dächte, Gustel, das müßte Dir angenehmer sein, als wenn ich sie in zwölf Tagen nicht gesehen hätte,“ antwortete Friedrich. „Nein!“ entgegnete sie; „diesmal will ich aufrichtig sein und Dir sagen, daß solche unvergeßliche Personen mich geniren. Gegen eine so lange Erinnerung kann nichts -- nichts in die Schranken treten, und die Gegenwart am wenigsten, weil grade deren Mangelhaftigkeit uns den Erinnerungen gegenüber doppelt fühlbar wird.“ Bei jedem Wort seiner Schwester fühlte Sigismund sein Herz schwerer und immer schwerer werden. Er dankte ihr und dem Himmel, als sie sich sofort mit einer Frage nach Liszt an ihn wendete, und ihn aufforderte von ihm zu erzählen, wie er gespielt habe, und was. „Schuberts Ave Maria hat er gespielt,“ antwortete Sigismund. „Weshalb ist Dir das besonders im Gedächtniß geblieben? war es vorzugsweise schön?“ fragte Agathe. „Es war Alles schön!“ entgegnete Sigismund ausweichend; „ich hab’ Euch den Conzertzettel mitgebracht -- da könnt Ihr sehen, was er gespielt hat.“ Er zog sein kleines Portefeuille aus der Tasche und nahm den Zettel heraus. „O wie verbraucht sieht Dein Schreibtäfelchen aus!“ rief Agathe. „Ich werde Dir ein anderes arbeiten. Zeig’ her! ich will genau das Maß nehmen.“ Sigismund gab es ihr. „Darf ich wol ein wenig darin blättern?“ setzte sie neugierig hinzu. „O sehr gern,“ erwiederte er; „es ist nur gar nichts drin, was Dich unterhalten könnte. Auf der einen Seite ein Paar Visitenbillets, auf der andern ein Paar Thalerscheine.“ Agathe hatte mit der äußersten Geschwindigkeit die Papiere durch ihre Finger gleiten lassen. „Und das?“ fragte sie plötzlich, „was ist das für eine getrocknete Blume?“ Sie nahm aus der Tiefe des einen Seitentäschchens die Tazette heraus, welche am Neujahrstag aus Toscas Blumenstrauß gefallen war, und welche Sigismund wirklich ganz und gar vergessen hatte -- nicht aus Vergeßlichkeit, sondern weil er des dürren Erinnerungszeichens an Tosca nicht bedurfte. „Was ist das für eine Blume?“ wiederholte sie. „Eine Tazette!“ sagte er gedankenlos. Agathe sah ihn rasch mit tief fragendem Blick an; darauf schlug sie eben so rasch die Augen nieder. Sie wollte nicht in Sigismunds Augen lesen, daß seine Gedanken nicht bei ihr waren. Sie hielt die arme Tazette krampfhaft zwischen ihren Fingern. Sie hatte Lust, sie in Staub zu zerreiben und unter ihre Füße zu werfen. Da fiel ihr das Flacon ein, und die Szene, welche darauf gefolgt war, und auf einmal fühlte sich das arme Mädchen in ihre Bestimmung eingeweiht: zu schweigen und zu leiden. Sie ließ die Tazette zwischen die Visitenbillets zurückgleiten, schloß das Portefeuille, gab es sanft an Sigismund zurück und sagte: „Ich werde Dir eins von violettem Maroquin mit goldnen Schnürchen machen; das trägt sich sehr bequem, und dann wirst Du es brauchen -- nicht!“ Er nahm ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen. Er fühlte sich innerlichst zerknirscht durch diese Selbstverleugnung, und durch seine Undankbarkeit; denn Freude darüber, daß sie nicht weiter fragte, hatte großen Theil an seinem innigen Dank: das verhehlte er sich nicht. „Aber ich bin ein Ungeheuer!“ sprach er immerfort heimlich zu sich selbst, während er laut eine muntere Unterhaltung mit seiner Schwester und ihrem Mann fortsetzte. Die Zeit wurde ihm lang, unermeßlich lang. Ihm war, als sei er bereits Wochen in Magdeburg gewesen. Die Gegenwart drückte ihn, und doch graute ihn vor der Rückkehr nach Berlin. Erschöpft, wie von der mühseligsten Arbeit, verließ er Agathe am späten Abend, und so wie der gestrige ihn beruhigt hatte, eben so aufgeregt hatte ihn der heutige. Der ganze Tag war qualvoll gewesen .... qualvoll durch die unendliche Erinnerung an Tosca, die sich zwischen ihn und die arme Agathe wie eine Wolke drängte ... qualvoll durch die Sorge, Agathen weh gethan zu haben in Allem, was er gesagt, und nicht gesagt ... qualvoll durch die Vorwürfe, die er sich selbst nicht sparte über seine Kälte gegen die Liebe eines so jungen, frischen, zärtlichen Herzens. Er hatte nie eine leidenschaftliche Neigung für Agathe gehabt; aber er hatte sich auch sonst noch nie darüber entsetzt, daß er sie nicht habe. Jung, schön, intelligent, von tiefem Gefühl, einfach und anspruchlos erzogen, wie Agathe war, konnte er unmöglich an einem häuslichen Glück, an einer zufriedenen Ehe mit ihr zweifeln. In dieser tiefen Zuversicht hatte er ihr seine Hand geboten .... und durch die Begegnung mit einer Frau, welche die Gattin eines Andern war, und von der er gar nicht wußte, ob sie andre, als gleichgültige Gesinnungen gegen ihn hege -- war diese Zuversicht im Fundament erschüttert. Er stellte die beiden Frauen neben einander; er führte sich Alles vor die Seele, was zu Agathens Gunsten sprach. Ja, Tosca war zehn Jahr älter! war verwöhnt durch die Welt und die Menschen! machte Ansprüche, hatte Wünsche, welche Agathen vielleicht ewig fern bleiben würden! -- Aber wenn er sich die Möglichkeit dachte, sie die Seine nennen zu dürfen, wie Agathe es werden sollte: so kam ihm auf einmal das Leben durchstralt und verklärt vor, und zu einer Sphäre emporgehoben, die sich zu seinem gewohnten Zustand verhielt, wie der volle Mittsommertag zu einem stillfreundlichen Herbsttag; -- so fluteten ihm namenlose Freudigkeiten durch die Seele, wie Naphthaquellen, unauslöschlich, flammend; -- so erschien ihm sein ganzes Dasein klar, abgerundet, ein Weg zu ihr, ein Streben nach ihr, befriedigt und beseligt durch sie, die ihm die Krone des Lebens reichen würde. Für sie würde die Anstrengung ein Reiz und der Ehrgeiz ein Genuß sein. Weil sie fliegende Wünsche und große Ansprüche hatte, weil sie vom materiellen Leben nichts kannte, als Sammt und Atlas, so wär’ es ihm eine Wonne gewesen, sie wie eine Königin unter einen sammtnen Baldachin zu stellen. „Denn ich liebe sie!“ sprach er ganz laut in der stillen Nacht, und fuhr zusammen bei dem Schall seiner Stimme, bei dem Wort, durch welches er von sicherm Glück sich schied, um ungewissen Qualen entgegen zu gehen. Die Arme fielen ihm schlaff herab. „Nein!“ rief er dann plötzlich ermannt, „es soll und darf nicht sein! ist bei ~ihr~ die Macht, so sei bei mir die Kraft. Ich gehöre Agathen an; ich habe kein Recht mehr auf mich selbst.“ Kaum war es Tag, so eilte er zu Agathen. Freudig überrascht fiel sie in seine Arme. Er drückte sie heftig an sich und sagte beklommen: „Agathe, liebe einzige Agathe! ich hab’ eine Bitte, eine glühende, dringende Bitte. Heirathe mich heute, gleich, auf der Stelle.“ „Um Gottes willen, Sigismund, was ist Dir widerfahren!“ rief Agathe und blickte mit Angst in sein bleiches Antlitz, in sein tiefliegendes Auge, das von der schlaflosen Nacht und der bittern Seelenpein zugleich müde und fieberhaft aussah. „Nichts! ich schwör’ Dir -- nichts!“ sagte er. „Es sind mir nur Gedanken gekommen von der Nutzlosigkeit unsrer ferneren Trennung. Wo ist Deine Mutter, liebe Agathe? hilf mir bitten, bis sie Ja sagt! ... Denn Du sagst Ja! nicht wahr?“ „Ich weiß nicht, Sigismund,“ entgegnete sie schüchtern; „aber ich werde die Mutter rufen.“ Sie ging. „Gott lenke ihr Herz!“ dachte Sigismund. „In dem Bewußtsein, mein Wort nicht gebrochen und Agathens Glück begründet zu haben, werd’ ich all’ meine Kraft und Besonnenheit wiederfinden.“ -- Agathe kam mit ihrer Mutter, und weniger stürmisch, doch ebenso dringend, legte Sigismund ihr seine Bitte ans Herz. „Das ist ganz unmöglich,“ entgegnete die Justizräthin Gertner höchst gelassen, „denn Agathens Aussteuer ist nicht fertig.“ „Ums Himmels willen!“ rief Sigismund; „lassen Sie doch nicht von ein Paar unfertigen Kleidern das Glück meines Lebens abhängen.“ „Aber was soll denn diese unstatthafte Eile vorstellen?“ sagte die Justizräthin mißvergnügt. „In die ersten Tage des April war Ihre Hochzeit gesetzt; darauf hab’ ich mich eingerichtet, und dabei muß es bleiben. Sie haben ja weder Dach noch Fach für eine Frau.“ „Ich hab’ meine Wohnung!“ rief Sigismund; „drei freundliche Zimmer! was braucht Agathe mehr?“ „Küche, Keller, Kammern,“ erwiederte die Justizräthin. „Und was zahlen Sie für Ihre Wohnung?“ „Monatlich sieben Louisd’or,“ sagte Sigismund ein wenig ungeduldig. „Da das jährlich vierundachtzig Louisd’or sein würden, und da man das Sechsfache von dem was die Wohnung kostet, als ganz nothwendig zur Bestreitung des Hauswesens annimmt -- die ungewöhnlichen und unvorhergesehenen Ausgaben abgerechnet -- so ist Ihre jetzige Wohnung ganz gewiß zu kostbar für Ihre Verhältnisse, mein lieber Forster,“ sagte die Justizräthin. „So können wir eine andre nehmen,“ rief er. „Aber so warten Sie doch bis zum April,“ sagte sie ermahnend. „Das ist die Zeit, wo man Wohnungen fürs Jahr zu nehmen pflegt. Sie haben dann eine größere Auswahl, und bekommen sie obenein viel billiger, als wenn Sie nur monatweise sie nehmen. Gönnen Sie doch Agathen die Annehmlichkeit, in eine ruhige, geordnete Wohnung einzuziehen, in der es an nichts fehlt, und die ihr den Eindruck eines Hauses und ihres Eigenthums macht. So wie Sie jetzt eingerichtet sind, mit lauter fremden Sachen, ohne Wirthschaft, ohne Hauswesen -- da hinein findet sich kein verständiges, ordnungsliebendes Frauenzimmer. Das ist eine Art von Gasthofsleben, welches sich nicht für die Ehe schickt.“ „Es würde ja nur auf kurze Zeit sein, liebe Mutter;“ wandte Agathe schüchtern ein, da sie sah, daß die mütterliche Predigt keineswegs nach Sigismunds Geschmack war; „und ich würde mich recht gut darein finden, wenn er es wünscht.“ „Dieser Wunsch ist wirklich nicht zu begreifen, mein bester Forster“ .... -- sagte die Justizräthin. „Ich find’ es in der That noch unbegreiflicher,“ unterbrach Sigismund sie lebhaft, „daß Sie Sich so sehr darüber verwundern. Wir sind jetzt sechs Wochen verlobt, und die Zeit ist mir lang genug geworden, um zu wünschen, daß sie aufhören möge. Agathe lebt hier, ich lebe in Berlin; ich kann nicht so oft herüber kommen, als es uns Beiden lieb wäre; -- die Heirath bringt das in Ordnung.“ „Ich bin nicht für solche eilfertige Heirath, ohne vorhergegangenen Brautstand,“ sagte die Justizräthin sehr trocken, und fügte die hergebrachte Phrase hinzu: „Ihr müßt Euch doch Beide ein wenig kennen lernen, ehe Ihr Euch heirathet.“ „Das geschieht viel gründlicher in der Ehe,“ versicherte Sigismund. „Aber lassen Sie mir meine Tochter doch noch die zwei armseligen Monate!“ rief die Justizräthin. Sie hatte nun einmal ihre Einrichtungen für die ersten Apriltage gemacht; pünktlich und bedächtig, wie sie war, schien es ihr Frevel, an dieser wohlüberlegten Veranstaltung zu rütteln. Da sie durch ihre Gründe Sigismund nicht überzeugte, so nahm sie zur mütterlichen Zärtlichkeit ihre Zuflucht, wohl wissend, daß dies die letzte Epoche sei, in welcher der künftige Schwiegersohn auf dieselbe Rücksicht nehmen würde. „Auf diesen Ausspruch darf ich freilich keine Bitte mehr folgen lassen,“ sagte Sigismund sehr niedergeschlagen; „aber Sie wissen nicht, Frau Justizräthin, wie weh Sie mir thun.“ „Mein bester Forster,“ erwiederte sie begütigend und froh, weil sie den Sieg davon getragen, „wie kommen Sie, ein verständiger Mann, zu solcher kindischen Ungeduld? Das Gute trifft ja immer früh genug ein, sobald wir nur sicher wissen, daß es eintrifft, und wir haben das Glück um desto lieber, je länger wir uns danach gesehnt haben.“ Sigismund konnte ihr nicht antworten, daß diese Sehnsucht aber zuweilen verschwinde, und daß es das höchste Glück des Glückes sei, wenn es grade im rechten Moment eintreffe; denn heute kann dasjenige Wonne bereiten, was morgen Angst bereitet, und das Ereigniß, das uns jetzt als ein Segen trifft, hätte ein Jahr früher ein Fluch sein können. Die Justizräthin erzählte ihm weitläuftig, wie die Wohnung beschaffen sein müsse, die er zu wählen habe: nicht unten im Hause, da sei es leicht kellerhaft und feucht; und auch nicht zu viel Treppen hoch, das sei beschwerlich für die Wirthschaft; nicht unter den Linden, wo es wenigstens um ein Drittel theurer sei, aber auch nicht zu tief in der Stadt, weil die Abgelegenheit auch ihre großen Unbequemlichkeiten mit sich bringe. Dann ging sie auf die Meubles über, auf Tische und Stühle; ob von Mahagoni, ob von weniger kostbarem Holz. Zuletzt auf das Küchendepartement! Sigismund wurde immer einsylbiger und einsylbiger. Vorgestern noch, vielleicht noch gestern, hätte er lebhaften Antheil an diesen kleinen Verhandlungen genommen, die allen Personen interessant sind, welche sich ihr Haus begründen wollen, weil sich dabei viel Eigenthümlichkeit des Geschmacks und der Neigungen offenbart. Je enger die Verhältnisse sind, um desto mehr nehmen sie den Character der Wichtigkeit an, denn es gehören Studium und Combinationen dazu, um mit beschränkten Mitteln auszulangen. In leichter Stimmung fühlt man diese Beschränkung nicht wie einen Druck; im Gegentheil! nur wie einen Reiz, um ihn zu besiegen. In trüber Stimmung wird ein unerträglicher Druck daraus! Ein schweres Herz ist gleichgültig gegen die materiellen Aeußerlichkeiten des Lebens, die ihm nicht anders als nebensächlich erscheinen können, und durch diesen höchst natürlichen Mangel an Theilnahme, den Andre sich freilich nicht erklären können, kommt er ihnen, und wol gar sich selbst, lieblos vor. Was lag Sigismund in diesem Augenblick daran, ob ein Tisch von Polixandre- oder von Tannenholz sei? Agathe nahm seine Verstimmung wahr, und sie grämte sich darum. Sie hatte ihre alte Zuversicht zu Sigismund verloren. Der gestrige Tag, voll Unbehagen und Schmerzlichkeit; dann seine heutige übereilte Bitte, auf welche eine so große Abspannung, wie eben jetzt folgte -- brachte sie ganz aus ihrem Gleichgewicht. Sie hätte ihm gern etwas Herzliches gesagt; aber sie fürchtete, zu viel zu sagen. Sie hätte auch eben so gern geschwiegen; aber dann erfuhr sie noch weniger Sigismunds Gedanken, der gar nicht in mittheilender Laune zu sein schien. Am liebsten unzweifelhaft hätte sie geweint; aber sie schämte sich so zu weinen ohne bestimmten Grund. Endlich ging die Justizräthin, um einen Blick in die Küche zu werfen, und Sigismund sprach ganz erschöpft: „Liebe Agathe, spiele mir etwas auf dem Piano vor, das wird mir gut thun.“ „Ach Sigismund,“ sagte sie, „kannst Du mir denn wirklich nicht sagen, was Dir eigentlich geschehen ist? Schon vorgestern kamst Du mir vor, als habe man Dir etwas zu Leid gethan .... und heute noch mehr! und dazu Deine seltsame Bitte!“ ... -- „Agathe!“ unterbrach er sie, „sprich nicht wie Deine Mutter! Dir kann die Bitte unmöglich seltsam vorkommen, wenn Du mich lieb hast.“ „Ich meinte nur die heftige, fast angstvolle Art und Weise,“ entgegnete sie erröthend. „Ich bin sehr heftig, Agathe, ~wenn~ ich’s einmal bin,“ sagte er. „Und daher thut es mir bitter leid, daß Deine Mutter keine Rücksicht auf meinen glühenden Wunsch genommen hat. Es giebt Wünsche von so unerhörter Gewalt, daß sie vielleicht Fingerzeige des Schicksals sind, und daß an ihrer Erfüllung Leben und Tod hängen mag.“ „Sigismund!“ sagte Agathe mit bebenden Lippen, „Du ängstigst mich todt.“ Er nahm ihre Hände und drückte sie vor seine heiße Stirn. „Das thut gut!“ sagte er; „was hast Du für prächtig kalte Hände! O ängstige Dich nicht, Agathe! mir wird besser. Der plötzlich zurückgedrängte Wunsch machte mir ein flüchtiges Fieber.“ „Aber wie ist er nur so plötzlich in Dir aufgewacht?“ fragte sie. „Ich dachte daran, wie das glücklich wäre, wenn ich Dich morgen mit mir nach Berlin nehmen dürfte. Dann wäre Alles abgethan, sicher und fest. Nun bin ich in ewiger Spannung; ich möchte zu Dir, und kann nicht; nichts ist mir recht, weil ich weiß, daß es bald so ganz anders sein wird. Das einsame Leben ist mir zur Last, macht mich unruhig, und die Menschen ... geben mir auch nicht die Ruhe, nach der mich so tief verlangt. Es ist eine zernagende Sehnsucht in mir, die sich zuweilen ins Unglaubliche, und immer ins Unsägliche steigert; -- und der Gedanke, daß sie mich noch ganze Tage, Wochen, Monate, zernagen soll, macht mich unglückselig. In mir, vor mir, um mich, muß Alles klar und bestimmt sein: dann bin ich in meinem Element! dann kann ich ertragen, thun, handeln, auch leiden -- wenn’s sein muß! -- nur aber die Schwankungen vernichten mich.“ „O Sigismund, wie ist das traurig, daß eine süße Erwartung Dir zur Qual wird. Aber ich sehe doch wirklich keinen Grund zu Schwankungen um uns herum! was Du für heute gewünscht hast, wird in zwei Monaten statt finden: das ist ja ganz fest bestimmt.“ „Du hast Recht! ich bin ein Thor, Agathe! ob heut, ob in zwei Monaten -- darauf kommt im Grunde nichts an.“ Er richtete den Kopf auf, und hielt ihre Hände fest, während er das sagte. „Ich werde Dich auszanken, Sigismund,“ rief Agathe ganz fröhlich, „daß Du Dich so nutzlos in einen Anfall von Spleen, und mich dadurch in tiefe Bekümmerniß versenkst. Bist Du denn oft in solcher Stimmung, sag’ mir? Ich weiß wirklich nicht, wie ich mich dabei benehmen werde, wenn ich Deine Frau bin! muß ich dann schweigen, oder reden, oder fortgehen, oder Dich zerstreuen, oder was sonst? -- sprich!“ Während sie plauderte, war sein Blick auf ihre Hände gefallen. Agathe, wie die meisten jungen Mädchen, hatte rothe Hände. Darüber gräme sich doch Keine! sie werden mit der Zeit schon weiß werden, aber freilich schön, so daß das Innere der Hand und die Fingerspitzen rosenfarben bleiben -- schön werden nicht alle. Nun, rothe Hände machen unnützer Weise manchen jungen Mädchen Sorge, und auf manche Männer einen schlechten Eindruck. Sigismund würde sie dennoch nicht mißfällig bei Agathen bemerkt haben, wenn ihm nicht zum Unglück ein Wort von Ignaz an Tosca eingefallen wäre. Als sie einmal die Theemaschine aufheben wollte, und damit nicht zu Stande kam, rief er mit scheinbarer Ungeduld, indem er ihr Hülfe leistete: „Aber muthen Sie doch diesen Händen von weißem Musselin mit rosenfarbenem Tafft gefüttert, keine solche Anstrengung zu!“ Der Gedanke an diese Hände von weißem Musselin machte ihn ganz, aber ganz zerstreut. „Sprich!“ wiederholte Agathe; „was muß ich thun?“ „Ein wenig das Piano spielen,“ sagte Sigismund der nicht auf ihre Worte geachtet hatte, und dem seine frühere Bitte einfiel. „O das ist leicht! das thue ich gern!“ rief sie und ging zum Flügel. Sie spielte ungewöhnlich gut. Sie hatte noch immer einen Lehrmeister, der seine höchste Ehre darin setzte, daß sie mit Geschmack und Gewandtheit die krausen wirbelnden Compositionen der neusten Zeit zu spielen verstehe, welche mehr Auge und Finger, als den musikalischen Sinn ausbilden. Sie studirte und übte die Musik, auch gern, auch mit innerem Genuß; aber noch nie hat ein junges Mädchen, sobald nicht der Genius der Kunst sie beseelt, an ein Talent ihre ganze Seele verschwendet. Sie kann Anmuthiges leisten, sie kann zu schönen Hoffnungen berechtigen; allein ihre Productionen werden dämmerig und unvollständig sein, und nie einen befriedigenden Eindruck machen. Was kannst du werden? ist die Frage, die man in jeder Beziehung an ein junges Mädchen richten muß; und nie: Was bist du? Da liegt das Räthsel, und daneben -- der Irrthum. Agathe setzte sich an den Flügel und spielte mit bewundernswerther Fertigkeit höchst schwierige Variationen von Chopin, bei denen Sigismund alle Gedanken an Musik vergingen. Es war ihm ein wirres Getön, das ihn weder erfreute noch beruhigte. Keine Melodie umschmiegte ihn! keine Harmonie trug ihn! Er dachte an Tosca, wie ihr Ave Maria in stiller Nacht ihn erquickt hatte. Agathe erschien ihm oberflächlich. Er verfiel in namenlose Traurigkeit. „Es geht nicht!“ sprach er dumpf zu sich selbst. Trotz ihres Spiels hatte Agathe sein halblautes Wort gehört, und es auf eine schwierige Variation beziehend rief sie eifrig: „Aber es soll gehen!“ und spielte sie noch einmal. Dann sprang sie fröhlich auf und sagte: „Nun lobe mich, Sigismund! hab’ ich meine Sache nicht sehr gut gemacht?“ „Unbegreiflich gut!“ sprach er zerstreut. Sein kühler Ton that ihr weh; weher noch die Vorstellung, daß sie nicht das Rechte getroffen, um ihn zu zerstreuen, und daß sie doch nichts Andres habe auffinden können. Sie setzte sich und nahm eine Arbeit zur Hand, schweigend, niedergeschlagen. Auch Sigismund schwieg. In solchem Moment ist das Schweigen höchst bedenklich. Ist man ganz vertraut mit einander -- ich meine seelenvertraut -- so ist es nicht lästig; ja, in Momenten tiefen Glückes kann es sehr süß sein. Aber in einem vertraulichen Verhältniß wie zwischen Sigismund und Agathen, wenn da das Schweigen aus Befangenheit, aus Mangel an Hingebung eintritt: so ist’s ein böses Zeichen. Jeder hat dann Zeit, sich in seine einsamen störenden Gedanken wie in Nebel einzuhüllen, welche ihn dem Andern unerkennbar und unerreichbar machen. Zuweilen fällt ein günstiger Sonnenstral auf die Nebel, und verjagt sie, wenn es grade noch Zeit ist. Aber das ist ein hohes Glück. Sigismund fühlte wol, daß er Agathen irgend etwas sagen müsse. Sie nähte emsig; sie mogte in ihre Arbeit vertieft sein! aber er! er saß auf dem Sopha, den Kopf in die Hand gestützt, und that nichts! er hatte gar keinen Vorwand um schweigen zu dürfen. O Gott! dachte er heimlich, was das für ein unschätzbares Glück ist -- nähen zu können, und was für Vortheile die Stellung der Frauen ihnen bringt! hinter solchem Stückchen Leinwand oder Tapisserie sind sie wohlverschanzt und kümmern sich um nichts, während wir uns abängstigen müssen! -- Während er so dachte, bekämpfte Agathe mühsam ihre Thränen; aber freilich! so eine Handarbeit ist ein Ableiter für die innere Aufregung. Die mechanische Regelmäßigkeit, die mit ihr verbunden ist, übt eine beschwichtigende Gewalt über Manche. Ueber Andere übt das Gehen eine solche, und die ist vielleicht noch kräftiger, weil sie zugleich den Leib müde macht. Gewiß aber bleibt es, daß eine mechanische Bewegung Beschwichtigung auf die leidende Seele ausübt. Endlich fiel Sigismund auf das unglücklichste Thema, welches er zum Gespräch mit Agathen hätte wählen können. Er sagte: „Was war denn das, was Du mir gestern sagtest, Agathe? meine Schwester wäre Dir nicht freundlich gesinnt -- oder dergleichen. Davon hab’ ich doch wirklich nichts bemerkt.“ „O nein!“ sagte Agathe unbefangen, „wenn Du da bist, so ist sie freundlich .... Deinetwegen.“ Diese Antwort verdroß ihn, weil er die Ueberzeugung hatte, daß sie ganz wahr sei. Auguste hatte ihm seit mehren Jahren verschiedene Partien vorgeschlagen, die sie glänzend und daher wünschenswerth nannte. Als seine Wahl überraschend auf Agathe fiel, hatte sie in _prima furia_ schwesterlicher Theilnahme für Agathe passionirt, und ihr eine Menge von Vortrefflichkeiten angedichtet, welche Sigismunds Neigung motiviren sollten. Aber von solcher excentrischen Vorliebe kommt man ebenso schnell zurück, als man sie heftig gefaßt hat, und dann erscheint einem die Person doppelt insipid mit dem illusorischen Bilde verglichen, das wir uns von ihr ausgemalt haben. So ging es Augusten, und Sigismund kannte sie zu gut, um an Agathens Wahrhaftigkeit zu zweifeln. Doch wenn er auch innerlich einstimmte -- es schien ihm Pflicht, äußerlich die Schwester zu vertheidigen, und er sagte: „Ich habe doch niemals Auguste so falsch gefunden.“ „Ach!“ rief Agathe, „sie ist nicht falsch! sie zeigt sich jedes Mal, wie ihr eben ums Herz ist.“ „Dann wäre sie doch sehr launenhaft!“ Agathe schwieg; sie mogte nicht Ja -- und konnte nicht Nein sagen. „Bist Du nicht etwa ein wenig mißtrauisch, liebe Agathe?“ fragte Sigismund. „Wie käm’ ich dazu?“ entgegnete sie unbefangen. „Du bist das einzige Kind Deiner Mutter, ein wenig verzogen als solches, durch Liebe verwöhnt, das kann gar nicht anders sein. Aber wenn Dir Andere nicht mit ähnlicher Liebe entgegen kommen, so setzest Du sofort einer Mißstimmung gegen Dich bei ihnen voraus. Ist das wol recht? und besonders gegen meine Schwester, die eine so ganz brave und angenehme Frau ist, und mich so zärtlich liebt, daß Du ihr schon deshalb gut sein müßtest!“ Er hatte ganz freundlich und sanft gesprochen, nicht ermahnend, viel weniger erzürnet; aber Agathe war in schmerzlich gereizter Stimmung! die Thränen, welche sie den ganzen Morgen mühsam verhalten hatte, brachen hervor, und sie sagte weinend: „Ich bitte Dich, Sigismund, mache mir keine Vorwürfe .... ich verdiene sie nicht.“ „Es fällt mir nicht ein, Dir Vorwürfe zu machen,“ sagte er gelassen; „aber Du siehst, daß ich Recht habe, Dich ein wenig verwöhnt zu nennen: der bloße Gedanke an einen möglichen Tadel kränkt Dich.“ Die arme Agathe suchte nicht sich zu entschuldigen; sie nahm den Vorwurf hin, aber sie fragte: „O Sigismund! warum bist Du denn so sehr unzufrieden mit mir?“ -- und weinte, als ob sie sich in ihren Thränen auflösen wolle. „Wenn Du bei der geringsten Diskussion sofort anfängst zu weinen, Agathe, so ist es ganz unmöglich, mit Dir vernünftig zu sprechen.“ „Vernünftig wol! ... aber nicht hart.“ Er war sich bewußt, weder in Ton, noch Worte, noch Ausdruck, die geringste Härte gelegt zu haben. Er stand auf und sagte: „Einer so übertriebenen Empfindlichkeit gegenüber kann ich nur schweigen, denn was ich sagen mögte, würde Dich in Deiner gegenwärtigen Stimmung kränken oder betrüben.“ Er nahm den Hut und ging. Gestern, bei einer ähnlichen Szene, hatte Agathe ihm den Weg vertreten und ihn nicht fortgehen lassen; heute hatte sie nicht mehr den Muth dazu, weil sie nicht die Zuversicht zu sich selbst hatte, ihn festhalten zu können. Sie ließ ihn gehen; aber es war ihr, als ob er über ihr Herz wegginge. Sigismund dachte traurig: Ach! warum hält sie mich denn nicht bei sich zurück? -- -- Er ging zu seiner Schwester. Er wollte mit ihr plaudern, von der Heimat, der Mutter, den Geschwistern, den alten gemeinschaftlichen Jugendfreunden. Er wollte sich recht ausruhen, recht still werden, um ganz gelassen wieder vor Agathe zu treten. O Himmel! welch’ einen Tumult fand er bei seiner Schwester! Die Köchin und die Kinderwärterin hatten sich aufs Heftigste mit einander verzankt, und schrien zu der Frau Doctorin um Recht und Gerechtigkeit, indem Jede begehrte, daß die Gegnerin auf der Stelle das Haus verlasse, und im entgegengesetzten Fall es zu verlassen drohte. Die Doctorin suchte die Megären, die übrigens höchst schätzbare Eigenschaften hatten, zu beschwichtigen, weil sie keine von ihnen verlieren wollte. Ihr Töchterchen weinte bitterlich, weil sie die zärtlichgeliebte Wärterin weinen sah; ihre Knaben benutzten den Zustand allgemeiner Verwirrung, um sich einmal recht gründlich und ungestört gegenseitig durchzuprügeln. Es war eine häusliche Szene, die auf den glühendsten Enthusiasten für die Freuden der Häuslichkeit abkühlend wie ein Sturzbad gewirkt hätte. Hilf Himmel! dachte Sigismund, können denn auch solche widerwärtige Ereignisse dereinst unter meinem Dach vorfallen? eine empfindliche, weinende Frau, und zänkische Dienstboten, und schreiende Kinder -- das ist mehr, als ein Mann billiger Weise ertragen kann! -- Er betrat nicht das Zimmer seiner Schwester, in welchem sie ihren Gerichtshof hielt. Er begnügte sich aus dem Vorzimmer einen Blick hineinzuwerfen, und zog sich dann schleunig in das seine zurück. Nach fünf Minuten lockte ihn ein heftiges Gepolter, durchdringendes Geschrei, und die Donnerstimme seines Schwagers wieder heraus. Die Schlacht der beiden Knaben hatte sich bis zur Treppe gezogen, und der älteste hatte den jüngsten hinabgestoßen, so daß der die Stufen hinab dem eben heimkehrenden Vater vor die Füße kollerte. Auguste ließ die keifenden Mägde im Stich, um zu den schreienden Kindern zu eilen. Ihr Mann trat ihr heftig erzürnt entgegen. Der Kleinste war sein Liebling, weil er ihm am ähnlichsten war; der Aelteste war Liebling der Mutter. Der Kleine blutete aus Nas’ und Mund, und schrie, daß er ganz blau im Gesicht war, und ohne Weiteres gab der Vater dem Großen einen tüchtigen Schlag und sagte: „Auguste, Du verziehst den Heinrich so unmenschlich, daß er Deinetwegen ungestraft den Theophil umbringen dürfte.“ „Aber der Theophil kann ja von selbst die Treppe herabgefallen sein!“ sagte sie ärgerlich. „Ei was!“ rief ihr Mann erzürnt, „wenn ein Bube von fünf Jahren sich über einen dreijährigen hermacht, so fällt der nicht von selbst die Treppe herunter! Und es ist überhaupt unverantwortlich, daß Du den Buben solche Streiche gestattest, bei denen sie ums Leben kommen können.“ „Wie soll ich’s anfangen!“ rief sie heftig; „sie sind so unbändig, daß sie mir nicht gehorchen.“ „Ja, das kommt von Deiner verkehrten Erziehungsweise her! es ist doch wirklich miserabel, ein Paar Würmern, hoch wie der Tisch, keinen Respect beibringen zu können.“ Die häusliche Szene hatte sich in eine eheliche verwandelt. Auguste schien auf der Stelle der Ermahnung ihres Mannes Folge leisten zu wollen. Sie nahm den Theophil heftig von seinem Arm, und sagte zu dem schreienden Kinde sehr zornig: „Schweig’ auf der Stelle, Junge! sonst giebt es die Ruthe.“ Mit großen Schritten trug sie ihn ins Zimmer zurück, während ihr Mann den widerstrebenden Heinrich beim Arm nahm, und ihn fortführend ebenso zornig sagte: „Warte! ich werde Dich lehren, Deinen kleinen Bruder von der Treppe zu schleudern!“ Sigismund, über die Schicksale der Kinder beruhigt, hatte sich sogleich wieder zurückgezogen. In einer andern Stimmung hätten all diese kleinen Ungewitter ihn vielleicht höchlichst belustigt. Wenn die Verhältnisse uns vor ihnen sicher stellen, so sieht man ihnen aus der Ferne oder als Beobachter mit demselben Behagen zu, welches man im warmen Zimmer empfindet, wenn es draußen regnet und stürmt. Das warme Zimmer kommt einem paradiesisch vor gegen das Unwetter; und so auch die einsamen stillen Verhältnisse paradiesisch gegen die gemeinschaftlichen geräuschvollen. Steht man in diesen mitten drin, so hat man sie dennoch lieb, trotz des Verdrusses und der Widerwärtigkeiten, die sie mit sich bringen, so treibt man doch Abgötterei mit den schreienden Kindern, so fühlt man sich doch dem heftigen Mann oder der empfindlichen Frau ans Herz gekettet. Aber Sigismunds Herz war wund: dann erscheint das Alltägliche schwer, und das Schwere unaushaltbar. Wie ein Rosenknöspchen hatte ihm die Neigung zu Agathen vor Augen gestanden; wie eine Rose mit all’ ihren Reizen und all’ ihren Dornen, drang ihm die Liebe zu Tosca in die Seele. Bei ruhigen und mäßigen Ansprüchen an Glück, wenn man sich in der Welt umgesehen und erkannt hat, daß die positiven Verhältnisse sich selten über die Mittelmäßigkeit erheben -- da kann man sich in ihr und ihren Beschränkungen zurechtfinden, ohne sich verletzt zu fühlen. Man kommt nicht auf den Gedanken, eine Ausnahme vom allgemeinen Gesetz für sich zu begehren, was eine höchst günstige Stimmung ist, um eine Ehe zu schließen. Je geringer die Erwartung, desto geringer die Enttäuschung; und das ist in einem Verhältniß, welches lang und fest und dauernd sein soll, und welches ganz positive Zwecke hat, die Hauptsache. Alles, was man von der Ehe hoffen darf, ist: daß man sich gegenseitig achte und ertrage. Die Leute werden sprechen, wie sie das denn auch schon thun: ich sei gemüthlos, ich sei in Vorurtheil befangen, es gebe unendlich viel Glück in der Ehe. Gott hat den Wurm so eingerichtet, daß er in einem Regentropfen ertrinken kann, als ob es das Weltmeer sei; Gott hat den Menschen so eingerichtet, daß er aus und in den engsten Verhältnissen, den trübsten und dürftigsten Lagen, etwas Erfreuliches und Erleichterndes finde; daß er sich stets bereit zeige mit Ersatz vorlieb zu nehmen; daß er schmiegsam genug sei, seine eigenen Wünsche zu vergessen. So mag er denn in der Ehe manche Freude, manchen Genuß, ja sogar große Zufriedenheit -- mehr noch! er mag Glück finden; aber ~das~ Glück, was er geträumt hat, das hohe, selige, unermeßliche -- das hat er ~nicht~ gefunden. Vielleicht ist es nirgends; das ist möglich! Aber eben darum frag’ ich: weshalb soll es denn in der Ehe sein? Da ist Keiner, aber nicht ein Einziger, der sich mit einem Jubelruf in sie hineingeworfen, und dem sich nicht der Freudengesang in einen Schmerzensschrei verwandelt hätte. Er mag ihn erstickt haben, er mag ihn sich selbst nicht eingestehen wollen -- und daher ist es auch ganz begreiflich, daß er ihn mir nicht eingestehen will; -- allein die Prahlerei, die sollte er denn auch dafür bei Seite lassen und, wenn nicht offenherzig, doch wenigstens ehrlich sein. Die Ehe ist eine ernsthafte Veranstaltung, zu der zwei Menschen sich entschließen, um mit Anstand Kinder zu haben, und um ein mühsames, sorgenvolles Leben gemeinschaftlich zu führen, und durch die Gemeinschaft zu erleichtern und zu erheitern. Dies Leben fördert ihre innere Entwickelung und entspricht ihrer Bestimmung, die da auf Erden heißt: viel Arbeit und wenig Genuß; und ich denke, es wäre recht gut, wenn die Menschen mit diesen seriösen Ansichten die Ehen eingingen. Statt aber an die ungeheuren und schweren Verpflichtungen zu denken, die sie über sich nehmen, denken sie an ein ungeheures Glück, in das sie geradesweges ohne sonderliche Mühe hineinschweben werden; denn sie sind nun einmal so beschaffen, daß sie in den Zustand, den sie ~nicht~ kennen, die Seligkeit verlegen. Bis zu dem Augenblick, wo Sigismund Tosca Beiron wiedersah, war ihm die Ehe in einem ernsten und wohlthätigen Licht erschienen, das den Ansprüchen des Verstandes, und mäßigen Forderungen des Herzens genügte, und Agathe als eine Frau, welche in solcher Ehe vollkommene Befriedigung finden und geben müßte. Jetzt auf einmal war das anders. Aspirationen nach einem namenlosen Glück, nach endlosen Freuden, nach ungeahnten Verständnissen, nach extatischen Offenbarungen, gingen wie Götterbilder leuchtend durch seine allerinnerste Seele, wohin der Gedanke Agathe! nie gedrungen war, und jetzt erschien ihm die Ehe -- bald in einem Licht, das aus dem Himmel stralte, und für das es keine irdische Verfinsterungen gab, und bald in so grauen, matten Farben, daß kein Sonnenstral im Stande war, sie zu verklären. Die kleinen Verdrießlichkeiten des Alltaglebens, unvermeidliche Momente, wie die, deren Zeuge er so eben gewesen war, wälzten sich ihm wie unüberwindliche Lasten auf die Brust, und beklemmten ihm den Athem. Ihm fiel ein Wort ein, welches ihm einst eine liebenswürdige Frau gesagt hatte: „Eine glückliche Ehe besteht darin, daß man sich alle Tage zankt und alle Abend wieder versöhnt.“ Er war ein feingebildeter und nervenzarter Mensch; er litt geistig und körperlich durch die kleinen Szenen dieser Tage mit Agathen. Er suchte nicht vor sich selbst zu verleugnen, daß er Veranlassung dazu gegeben; aber die Art, wie Agathe sich dabei benommen, war ihm peinlich. Wie sie listig das Flacon fallen ließ, das ihm lieb war! wie sie weinte nur bei dem Gedanken, daß er sie tadeln könne! Das ist so recht der Frauencharacter nach kleinem Zuschnitt -- dachte er. Ich denke, er hätte sagen müssen: nach allgemeinem Zuschnitt. Sein Unbehagen wuchs von einer Minute zur andern. Ihm war zu Muth, als müsse er schnurstracks nach Berlin zurückfahren, und nie wiederkommen. „Aber einer Frau das gegebene Wort brechen, das ist ehrlos!“ sagte er plötzlich ganz laut. -- Wenn zwischen Verlobten das Frauenzimmer ihr Wort zurücknimmt, so sieht es unter hundert Fällen neunundneunzig Mal nur launenhaft und leichtsinnig, und höchstens ein Mal gehässig aus; thut’s der Mann, so ist’s grade umgekehrt! Das ist das einzige Verhältniß auf der Welt, bei dem man die Frau leichter entschuldigt, als den Mann, wahrscheinlich deshalb, weil ihre Zukunft mehr dadurch gefährdet wird, als die seine. Er wird über einer solchen Kränkung nimmermehr am gebrochenen Herzen sterben; aber bei Frauen ist das geschehen. Er soll überlegt und besonnen zu Werk gegangen sein, während sie oftmals nur gehorcht hat. Das Alles stürmte ihm durch die Gedanken, und jagte sich wild, wie Wolken vom Sturm getrieben. Kein bestimmtes Bild, keine klare Gestalt tauchte empor; nicht einmal Tosca. Er wußte gar nicht, ob Tosca ihn lieben könne, lieben werde; er glaubte es nicht; er wagte nicht es zu hoffen; aber er -- er liebte sie! ihn schwindelte bei der Vorstellung, der Gatte einer Andern werden zu müssen, denn er fühlte, neben seiner eigenen Verzweiflung darüber, das Unheil, welches nothwendig für Agathe daraus erwachsen müsse, sobald sie früher oder später in der Ehe zur Erkenntniß seiner Gesinnung kommen werde. „Aber so weit kann es nicht kommen!“ sagte er ganz gefaßt; „denn es ist mir schlechterdings unmöglich, sie zu heirathen! sterben will ich, wenn sie’s verlangt; heirathen kann ich sie nicht.“ Er hörte den Schritt seines Schwagers sich seiner Thür nähern. Er hatte große Lust, den Riegel vorzuschieben, um ungestört allein zu sein; doch bevor er es thun konnte, trat Friedrich ein, die Cigarre im Munde, die Cigarrentasche in der Hand, welche er sogleich Sigismund anbot. Der dankte. Friedrich setzte sich bequem im Sopha zurecht, nahm mit einer gewissen nachlässigen Leichtigkeit, welche nur eingefleischten Rauchern eigen ist, die Cigarre zwischen Vor- und Mittelfinger aus dem Munde, ließ ebenso nachlässig den Rauch zwischen seinen Lippen hervorgehen, und sagte: „Die Wohlthat einer Cigarre wirst Du erst schätzen lernen, mein lieber Sigismund, wenn Du Ehemann bist. Als Student raucht man aus jener unwiderstehlichen Liebhaberei der Studenten, alles Andre lieber zu thun, als zu studiren. Ist jene Oppositionszeit vorüber, so sinken Pfeife und Cigarre häufig in die Vergessenheit hinab, bis die Ehe ihnen wieder ihren Ehrenplatz anweist. Sokrates ~ohne~ Cigarre seiner holdseligen Gemahlin gegenüber, scheint mir ein bewundernswerther Kauz; ~mit~ der Cigarre ein ganz alltäglicher, so wie ich selber es bin. Sie giebt eine gewisse hausherrliche Würde, die von ganz vortrefflichem Effect auf die Frauen ist. Mit der Cigarre zwischen den Lippen ist es nicht gut möglich, anders als in kurzen Sätzen zu reden -- das klingt so majestätisch. Nimmt man sie zwischen die Finger, so darf man auch so gar viel Worte nicht machen, sonst erlischt sie, und man muß sie wieder anrauchen, was unbequem ist, sobald nicht beständig ein Licht im Zimmer brennt -- was beiläufig gesagt, meiner Frau aus angeborner Sparsamkeit ein Greuel ist. Sie behauptet zwar, sie lösche es nur aus, weil das Kerzenlicht im Tageslicht fahl und widerwärtig aussehe, aber da sie sehr gelassen rohes blutiges Fleisch und geschundenen Fisch ohne sonderliche Beleidigung ihres Schönheitssinnes anschaut, so weiß ich sehr gut, woran ich bin; allein ich thue ihr den Gefallen, denn ich finde es zweckmäßig für unsern häuslichen Frieden, daß kein Licht bei Tage brenne. Je weniger Worte der Mann bei gewissen Diskussionen der Frau gegenüber macht, um desto mehr imponirt er ihr. Und dann! welch ein niederdonnernder Moment der, wo meine Geduld dermaßen erschöpft und meine Langmuth so ganz aufgezehrt ist, daß ich meine Cigarre bei Seite werfe, mich gar nicht um ihre ferneren Schicksale kümmere, nicht hinsehe, ob sie ein Loch in die Tischdecke brennt, oder uns das Haus über dem Kopf anzündet, -- und nun meine Meinung sage. So wie meine Frau gewahr wird, daß ich Miene mache, meine Cigarre fortzuwerfen, so sucht sie fast immer einzulenken, denn sie erkennt daran, daß sie zu weit gegangen. Die Bewegungen meiner Cigarre sind das Quecksilber im Barometer unsers häuslichen Lebens. Fällt sie, so giebts Unwetter.“ Sigismund sagte fast traurig: „Ich muß Dir gestehen, lieber Friedrich, daß ich bis daher Eure Ehe immer für eine recht glückliche gehalten habe, und daß es mich betrübt, mehr als ich’s sagen kann, daß sie es nicht so ganz ist.“ „Aber, zum Teufel! wo nimmst Du das her?“ fragte Friedrich mit ungeheuchelter Verwunderung. „Meine Ehe ist nicht blos eine recht glückliche -- wie Du bis daher gemeint hast; sondern eine ganz außerordentlich glückliche. Was? weil man verschiedener Meinung ist, weil man Fehler und Schwächen hat, weil man gegenseitiger Nachsicht bedarf, weil hie und da ein heftiges Wort fällt -- darum müßte man sofort eine unglückliche Ehe führen? Aber was für extravagante Foderungen stellst Du denn überhaupt an die Ehe? welch ein idealisches Glück soll sie Dir gewähren, wenn Dir die simpelste Schattenseite jedes intimen Verhältnisses: zwei Köpfe, die bisweilen ein wenig Mühe und Arbeit haben, um sich unter einen Hut zu bringen, -- wie ein gramwerthes Unglück erscheint? Da beklag’ ich Dich, mein Alter! und noch mehr beklag’ ich die Agathe. Sei doch nicht so ungerecht, von ihr zu begehren, daß sie zu Allem, was Du thust, denkst, sprichst, wünschest, ein willenloses Ja sage.“ „Das begehre ich keinesweges!“ rief Sigismund erstaunt; „wie kannst Du das von mir glauben! Aber ich will nur keinen Zank, keinen Streit, keine Heftigkeit, keine Vorwürfe, keinen Hader“ .... -- „Dann laß Dir eine Wachsfigur antrauen, denn eine solche Frau existirt nicht.“ „Aber ich verlange ja von meiner Seite ganz dasselbe! ich begehre ja nichts von ihr, was ich nicht bereit wäre für sie zu thun!“ „Ach Du willst urplötzlich in die Vollkommenheit hineinspringen!“ sagte Friedrich gleichmüthig. „Das ist so eine ächte Bräutigamslaune, die Du drei Wochen nach der Hochzeit total vergessen hast.“ „So wiederhol’ ich Dir, daß mich das sehr betrübt,“ sagte Sigismund ernst. „Du mißverstehst mich absichtlich!“ rief Friedrich ungeduldig. „Niemand ist mehr als ich der Meinung, daß man sich in jedem Verhältniß bemühen müsse, brav und tüchtig zu sein; nur muß man dabei die menschliche Natur, die bürgerlichen Einrichtungen im Auge behalten, und sich nicht einbilden, urplötzlich, durch den Zauberspruch des gewechselten Ringes, das Kleid des Alltagmenschen, das wir vielleicht dreißig Jahr getragen haben, mit dem idealen Gewande eines Halbgotts vertauschen zu können. Das werden wir eben so wenig, als das arme junge Mädchen, das wir heirathen, ein Engel wird. Aber eine brave und treue Frau und eine sorgsame Mutter kann sie werden, und uns dadurch so glücklich machen, wie der Mensch es nur sein kann, und wie ich es mit Deiner Schwester bin.“ Indem kratzte etwas an der Thür. Sigismund öffnete. Es waren die beiden Knaben, welche Auguste schickte, um die Männer zum Speisen rufen zu lassen. „Nun, Ihr Buben,“ sagte der Vater freundlich, „habt Ihr Euch denn auch mit einander vertragen?“ In Kinderseelen wechseln die Affecte mit solcher Blitzesschnelle, wie Erwachsene es sich gar nicht vorstellen können. Die Knaben hatten nicht daran gedacht, sich wieder zu vertragen, weil sie vergessen, daß sie sich verzankt hatten. Als aber der Vater sie daran erinnerte, umarmten und küßten sie sich mit jener unnachahmlichen Lieblichkeit der Bewegungen und des Ausdrucks, welche fast allen Menschen als Kind, und später höchstens einer oder der andern Frau eigen ist. „So macht man’s, um sich zu versöhnen, wenn man sich gezankt hat,“ sprach Friedrich und nahm seinen Schwager lachend unter den Arm, während Sigismund nicht umhin konnte, bei dieser Erklärung an die Definition einer glücklichen Ehe zu denken, die ihm vorhin schon in den Sinn gekommen war. Es wäre nicht freundlich gewesen, wenn er nicht bei seiner Schwester zu Mittag gegessen hätte; aber es that ihm doch leid, Agathe in Thränen verlassen zu haben, und sie jetzt mehre Stunden nicht zu sehen. Wenn der Nachtfrost den Abendthau auf den Blumen in Eistropfen verwandelt, so erfrieren die armen Blumen. Es geht auch zuweilen mit Thränen so. Während sie bei Tische waren, bekam Auguste einen Brief von der Mutter mit Beilagen von den Geschwistern. Die Schwester war im ersten Wochenbett, und schrieb glückselig über ihr Kind. Der jüngste Bruder hatte sein erstes Duell auf der Universität gehabt, war im kleinen Finger verwundet, und schrieb ebenso glückselig über diese Wunde. Der andere Bruder schrieb traurig, niedergeschlagen, man wußte nicht warum; die Mutter wußte es auch nicht; das machte solchen Contrast mit den zwei Jubelbriefen -- Contraste, an denen das Leben so reich ist. Sigismund und Auguste vertieften sich ganz in die Briefe, und in Plaudereien und Muthmaßungen über deren verschiedenen Inhalt. Wenn das Gespräch innig und lebhaft ist, vergeht die Zeit gar schnell. Dem Doctor wurde sein Wagen gemeldet, um die gewohnte Abendrundfahrt bei den Kranken zu machen. Sigismund erschrak, daß es schon so spät sei. Er lief zu Agathen. Er kam an einem Blumenladen vorüber; er trat hinein, um irgend eine recht schöne Blume für sie zu kaufen. Das Prachtstück des Magazins, worauf sein Auge sogleich fiel und haften blieb, war ein Topf voll wunderschöner blaßrother Camellien. Keine Blume auf der Welt kam ihm so schön vor, als die blaßrothe Camellie, seit er sie in Toscas Locken gesehen. Er kaufte den Topf und ließ ihn sich nachtragen, und ganz heiter kam er zu Agathen. Sie empfing ihn eiskalt. Sein Benehmen, sein steter Wechsel von Freundlichkeit und Gleichgültigkeit, heut früh die dringende Hast, darauf die Apathie, und dann gewisse Räthsel oder Falten in seiner Seele, die sie nicht zu ergründen vermogte -- das Alles schien ihr so unbehaglich, so launenhaft, so ganz unähnlich dem ernst ruhigen Sigismund, den sie bis dahin gekannt, daß sie zu sich selbst sprach: „Es ist etwas Fremdes in ihn hineingedrungen, und das Fremde, mir Unverständliche, ist mir feindlich; so lange also das in ihm ist, muß er mir fern bleiben.“ -- Aber der Schmerz, den sie über diese Erkenntniß oder über ihren Entschluß empfand, machte sie herb und streng. Nur schmerzgeprüfte Seelen, nur solche, die den Schmerz wie einen Segen empfangen, ganz still, ganz klagelos, aber die sich dennoch von ihm weder beugen noch brechen lassen, nur die macht er mild. Und wie kann man von dem unerfahrnen, auf Glück rechnenden jungen Gemüth erwarten, daß der erste Schmerz es schon so reif mache? „Da bin ich, liebe Agathe,“ sprach Sigismund freundlich, „und bringe Dir eine Blume mit, die Deinen Platz dort im Fenster in die prächtigste Laube verwandeln wird.“ Er ließ die Camellie hinstellen, und rückte sie sorgsam zurecht, um sie schön zu präsentiren. „Ich danke Dir,“ sagte Agathe. Er erzählte ihr darauf von den Briefen der Seinigen und Agathe war froh, daß er sprach, und von einem Gegenstand, der ihm lieb war, und daß sie schweigen, oder höchstens eine Frage thun durfte, um die Unterhaltung nicht fallen zu lassen. Sie sah so heftig verweint aus, daß Sigismund erschrak, als Licht in das dämmerige Zimmer gebracht wurde. „Aber sie wird sich grämen, vielleicht krank werden, vielleicht sterben .... Gott, mein Gott! sie wird sich fürchterlich grämen, wenn es zum Bruch zwischen uns kommt!“ dachte er heimlich, indem er sie unsäglich traurig ansah. Vor wenig Stunden hatte er es für eine Unmöglichkeit gehalten, sie zu heirathen; jetzt, dieser lieben, stillen Gestalt gegenüber, schien es ihm noch unmöglicher. Sie gefiel ihm, er hatte sie lieb, so wie am Ende jeder Mann ein wunderhübsches, anmuthiges, junges Mädchen, das ihn von ganzer Seele liebt, lieb hat; aber weder in ihrem Wesen, noch in ihrer Erscheinung lag etwas Hinreißendes für ihn. Agathe war keine Macht für Sigismund. Er konnte mit ihr gehen, ihr entgegenkommen; doch niemals -- ihr folgen! niemals in dem Drang, in der Nothwendigkeit ihr folgen zu müssen, und nicht zu sollen, nicht zu dürfen, Qual und Befriedigung finden. Er fühlte sich nicht ~ihr~ unterworfen, sondern seinem Wort, und durch nichts an sie gefesselt, als durch die Pflicht. „Aber Wort und Pflicht einer Frau, einem jungen Mädchen gegenüber -- sind hochheilig!“ sprach er leise. Wie das manchen Personen geht: wenn sie traurig sind, sehen sie statt dessen verdrießlich aus, so ging es auch Agathen. Es kommt darauf an, wohin der Ausdruck der Trauer sich flüchtet. Ist es in die Augen -- ich meine nicht blos in den Blick -- sondern in die ganze Umgebung, in die Augenhöhle, Braunen, Lieder: so kann er von unbeschreiblich schöner Melancholie sein; ist es auf die Stirn, so wird er meistens streng und finster sein, wie die Knochen, die Falten das mit sich bringen; ist es um Mund und Wangen, so herrscht die Verdrießlichkeit vor, und das macht sehr unschön. Agathe stellte sich so unvortheilhaft als möglich dar; und grade das rührte Sigismund, denn er stellte sich vor, wie schwer und bitter das arme junge Herz zerwühlt sein müsse, um zu diesem ihm so fremden Ausdruck zu kommen. „Agathe,“ sagte er plötzlich, „vergieb mir.“ Manchen Menschen ist nichts in der Welt geläufiger, als zu sagen: „Vergieb mir!“ Ob sie Jemand auf den Fuß, oder aufs Herz treten -- sie sagen ganz unbefangen: „Vergebung! es thut mir sehr leid! es soll nicht wieder geschehen!“ etc. und damit haben sie Alles gut gemacht nach ihrer Meinung, und nach drei Tagen beginnt dieselbe Geschichte von Neuem. Ich bin für die Menschen, die ~nicht~ um Vergebung bitten, und sich dafür in Acht nehmen, nicht wieder Andern weh zu thun. Aber es giebt doch Momente und Menschen, wo es sehr schön und sehr stark ist, wenn man die Bitte um Vergebung ausspricht, und eine solche muß man immer erhören. Freilich muß man tiefe Erkenntniß seiner selbst sowol als des Andern haben, um zu wissen, ob sie am rechten Ort ist, um zu erwägen, welche Selbstüberwindung, welch Opfer sie kostet. Die arme Agathe hatte nie Gelegenheit gehabt, das zu ermessen. Sie hatte wol tausend Mal im Leben die Mutter um Vergebung gebeten, die Lehrer, die Gespielinnen, um kleiner armseliger Vergehen willen; und unter dem Einfluß dieser Erinnerungen, des Flacons gedenkend, der getrockneten Blume, des Namens Tosca Beiron, der Fieberhast des heutigen Morgens, rief sie ganz trostlos: „O Sigismund, was hast Du denn gethan?“ „Gethan!“ sagte Sigismund fürchterlich verletzt; „o ganz und gar nichts, liebe Agathe.“ „Weshalb bittest Du mich denn um Verzeihung?“ „Du hast geweint, Agathe, und siehst betrübt aus -- da denk’ ich, daß das meine Schuld sein muß.“ Das hätte Agathe annehmen sollen. So etwas sagt ein Mann selten, und sagt es nie zum zweiten Mal. Aber Agathe hätte begehrt die ganze Geschichte von dem Flacon, von der getrockneten Blume, von Tosca Beiron, von Allem, was ihr seit zwei Tagen verwirrend durch den Kopf ging. Als sie hörte, daß nur von ihrer Betrübniß die Rede war, sagte sie kalt: „Ich verstehe Dich nicht, Sigismund!“ -- und setzte dann abbrechend hinzu, indem sie zur Camellie trat: „Eine prächtige Blume, aber recht stolz, recht kalt ... findest Du nicht?“ „Die Rose ist allerdings lieblicher,“ sagte er sanft; aber seine gerührte Stimmung war dahin. Die Justizräthin kam herein und sagte froh und neckend: „Ah, da sind Sie, mein lieber Forster, das ist gut! ich dachte schon, Sie wären in Ihrem Raptus von heute früh auf und davon gefahren. Mit den Dampfwagen ist das jetzt so, daß man im Nu verschwinden und hundert Meilen von einander sein kann, ohne daß der Andre eine Ahnung davon hat. Jetzt wollen wir ein wenig von Ihrer künftigen Einrichtung reden. Heute morgen waren Sie gar nicht dazu aufgelegt, und ich versichere Sie, daß es noch ganz entsetzlich viel zu bedenken und zu besprechen, zu beschaffen und zu thun gibt bis zur Hochzeit.“ „Sie haben ganz recht, Frau Justizräthin, und nichts kann wichtiger für mich sein,“ entgegnete Sigismund geduldig und freundlich, und setzte sich zu ihr, um mit ihr Berathungen zu pflegen. Agathe setzte sich auch an den Tisch, aber mit ihrer Arbeit, obwol sie wußte, daß Sigismund es unerträglich fand. Er meinte, Abends, wenn man traulich beisammen sitzt, um zu plaudern, da dürften die Hände ruhen und das Tagewerk sei vollbracht. Stricken -- das ließ er noch gelten; das beschäftigt nicht die Gedanken, läßt das Auge, das Gesicht frei, verkrümmt nicht die Haltung; stricken ist ebenso mechanisch, als mit dem Fächer oder der Lorgnette spielen; aber zu nähenden Frauen zu reden, die gesenkten Hauptes dasitzen, und mit Nähnadel und Faden in den Lüften herumfahren, -- das war ihm ein Greuel. Agathe wollte ihn aber nicht ansehen, ein wenig um ihn zu strafen, ein wenig -- weil sie eben verdrießlich war. Sie umbaute sich mit Arbeitskästchen und Körben, und nähte. Zuweilen blickte sie beobachtend auf ihn, und horchte genau auf die Inflexionen seiner Stimme. Zuweilen, wenn er gradezu das Wort an sie richtete, sah sie ihn an, aber gleichsam nur gezwungen durch seine Auffoderung. Ganz unwillkürlich stellte sich für Sigismund Toscas Bild, wie er sie am letzten Abend gesehen, neben Agathe, und wurde immer heller und heller. Wie hatte er einst sie verletzt, sie, die Schöne, die Gefeierte, und in ihrem zartesten, ihr selbst fast unbewußten Gefühl, und welch einen stillen _Mater dolorosa_-Blick hatte sie ihm dafür zugeworfen! und welch einen heiligen und heiligenden damals, als er sie fragte: „Und nun?“ Und welche Seele wohnte überhaupt in dieser Frau, um in so schwierigen Verhältnissen, wie die ihrigen unleugbar waren, zwischen den Verlockungen der Welt und den Vorspiegelungen der Eitelkeit, in dieser wundervollen, unangetasteten Klarheit zu bleiben. Bei zwanzig Jahren ein Engel zu sein -- das ist sehr leicht; bei dreißig -- sehr schwer. Allmälig gingen all’ seine Gedanken zu ihr. Er schob Ja und Nein, ganz gewiß! und: meinen Sie? mit mechanischer Geläufigkeit zwischen die Auseinandersetzungen der Justizräthin, aber seine ganze Seele war bei ihr, der Frühgeliebten, der Verlornen, der Wiedergefundenen, der Einzig- und Ewiggeliebten. Und jetzt, grade jetzt, wo sie nicht da war, wo ihr Blick sich nicht wie eine Sonne über ihn legte, wo ihr Lächeln ihm nicht Morgenröthe und Gestirne vors Auge und in die Seele zauberte -- jetzt, mit dem ungestörten klaren Gedanken an sie, jetzt war’s erst recht, als ob die Liebe ihre stillen und unlöschbaren Naphthaquellen in ihm erschließe. „Liebe Mutter, Du ermüdest Sigismund,“ sagte Agathe plötzlich zur Justizräthin. „Das ist wahr!“ rief diese gutmüthig; „wenn man in Einzelheiten übergeht und auf Kleinigkeiten kommt, so sind die Männer gleich gelangweilt. Merke Dir das, mein liebes Kind. Aber hast Du denn schon heute dem Sigismund etwas vorgespielt?“ „Ja,“ sagte Agathe trocken. „Nicht genug,“ sagte Sigismund. „Es ist gewiß ein hübsches Talent, das meine Agathe hat,“ fuhr die Justizräthin fort, „und das allerangenehmste fürs Haus. Musik erheitert Alle; jedes andre Talent nur den, der es treibt. Was hat der Mann davon, wenn die Frau schön malt, oder schön dichtet? nichts als Langeweile in den Stunden, die ihr sehr kurz und sehr angenehm scheinen. Musik allein verbindet die Herzen; jedes andre Talent scheidet sie.“ Zu dieser etwas einseitigen, d. h. mütterlichen Lobpreisung des Talentes ihrer Tochter lächelte Sigismund und bat Agathe, ein wenig Musik zu machen. „Soll ich singen oder spielen?“ fragte sie und stand bereitwillig auf, ganz froh, seinen Gedanken eine andre Richtung geben zu dürfen. „Ich bitte Dich -- singe, liebe Agathe,“ sprach er. Sie blätterte in ihren Noten; wählte und sang. Ihr erster Ton traf sein Herz wie ein elektrischer Schlag. Es war Schuberts Ave Maria. Eine Musik, die wir in gewissen Momenten gehört haben, und die uns damals durch ihre Uebereinstimmung oder durch ihren Contrast mit unsrer Stimmung frappirte, werden wir nie wieder hören, ohne in jene Stimmung zurückversetzt zu werden. Ich erinnere mich, daß ich einmal in Baden bei Wien, auf der Straße, unter meinem Fenster, von einer vorübergehenden frischen jungen Stimme ganz gedankenlos: „Freut euch des Lebens“ singen hörte. Seitdem, wenn ich das Lied höre, gar nur an die Melodie denke, geht mir ein Schauer durch die Seele, Thränen treten mir in die Augen, und ich meine, nie ein melancholischeres gehört zu haben. Doch ist es nur _tout bonnement_ ein Gassenhauer. Was uns trifft -- sei’s ein Sandkorn, sei’s eine Krone -- hat keine Bedeutung für uns. Wie es uns trifft, darin liegt das Gewicht! das kann den Sandkorn zum Montblanc machen, wie es den Gassenhauer zum Grablied macht. Sigismund wagte nicht, Agathe zu stören. „Das ist ein überwältigendes Lied,“ sagte er nachdem sie geendet. „Meinst Du wegen der Composition, oder weil Du es neulich gehört hast?“ fragte sie. „Woher weißt Du, daß ich’s gehört habe?“ rief er ganz erstaunt, denn er dachte an Tosca. „Du sagtest, nichts in dem ganzen Conzert habe Dir so hinreißend geschienen.“ „Das ist wahr,“ sprach er zerstreut; „es mag also wol sein, weil ich es gehört habe und nicht wegen der Composition.“ Agathe spielte und sang noch Einiges; der Abend ging hin. In der Frühe des nächsten Morgens wollte Sigismund wieder abreisen. Er sagte es. „Du kommst wol fürs Erste nicht wieder?“ fragte Agathe. „Wenn es Dir keine Freude macht, gewiß nicht,“ sagte Sigismund. „Mein Gott, liebster Forster! wie sollt’ es der Agathe keine Freude machen!“ rief die Justizräthin ganz erstaunt über den kühlen Ton der beiden Verlobten. Sie sah erst Sigismund, dann ihre Tochter an, und fragte endlich besorgt: „Aber was ist denn zwischen Euch vorgefallen?“ Wie vorhin Agathens Frage: „Was hast Du gethan?“ -- ebenso erkältend traf die der Justizräthin auf Sigismund. Er wunderte sich, daß die Frauen so positiv im Inquiriren sind, und das mißfiel ihm über alle Maßen. Eine fragende, spähende, forschende Schwiegermutter war der Schlußstein der Marterkammer, Ehe genannt, in die er heute einen andern Blick, als bisher, geworfen. Die Möglichkeit eines ungeheuern Glückes in ihr, zu deren Realisirung für ihn auch nicht die allergeringste Hoffnung da war, hatte sein Verlangen nach mittelmäßigem und alltäglichem Glück für immer ausgelöscht. Vorgefallen aber, wie die Justizräthin sagte, war nichts, gar nichts. Nur sein Herz war näher zu Tosca gedrungen -- sein äußeres Leben um kein Haar breit. Er beantwortete nicht die Frage der Justizräthin; er sprach ebensowenig davon, daß und wann er wiederkommen werde. Er sprach allerlei Oberflächlichkeiten, wie man thut, um die Zeit hinzubringen. Dann nahm er Abschied mit trauriger Freundlichkeit. Er fühlte -- es war aus und vorbei. Als die Thür hinter ihm zugefallen war, sank Agathe der Justizräthin in die Arme und rief in lauter Verzweiflung: „Mutter, o Mutter, er liebt mich nicht!“ -- -- „Die Schwankungen in mir müssen aufhören,“ dachte Sigismund in dieser Nacht. „Es ist ja ganz miserabel, die Sachen um acht Uhr anders zu sehen, als um sieben, und um neun wieder anders. Ich breche mein Wort, ich thue Agathen weh, ich zerstöre ihr und mir das ruhige Leben, welches ich so friedlich für uns zu begründen hoffte, ich stelle mich vor der Welt als ein wankelmüthiger, leichtsinniger Mensch dar -- und das Alles .... um mich nicht in Zwiespalt mit meinem Gefühl zu bringen. Ist das Gefühl solcher Opfer werth? werde ich nie bedauern, nie bereuen, sie gebracht zu haben? Nicht heut, nicht morgen -- aber in zehn oder zwanzig Jahren? Reue thut weh, und das Leben ist lang .... lang und einsam ohne Liebe, ohne ~die~ Liebe, die Hütten bauen läßt.“ Das sagte er sich Alles, ernst, überlegt, gelassen. Er führte sich Agathe vor, wie sie war, lieb und gut, jung und schmiegsam, bereit Alles zu sein, zu werden, was er wünschte; wie sie auf keine Weise die bittere Kränkung, den tiefen Schmerz verschuldet hatte, die sie bedrohten; wie er vielleicht ihre ganze Zukunft in Grund und Boden verderbe, indem er ihre Zuversicht auf die Treue, ihren Glauben an Liebe untergrabe. Aber immer und immer kam er auf den Schluß zurück: Es ist doch unmöglich, meine Hand Agathen zu geben, während mein Blick ~sie~ sucht und, wenn nicht außer mir, doch ewig in mir sie findet. Denn in mir -- da hat sie gelebt, die langen, langen Jahre hindurch, und nur zuletzt .... geschlafen, eingewiegt von dem monotonen Geschwirr des Lebens, das mich umfing. Hätte ~sie~ nicht immer in mir gelebt, wie würde sie denn urplötzlich so göttlich lebendig geworden sein? Es giebt Menschen, in denen lebt nichts; deshalb können sie für Alles leben, was außerhalb ihnen liegt. Andre fühlen sich gedrungen ~für~ das zu leben, was ~in~ ihnen lebt; die nennt man thöricht, oder egoistisch, oder ... groß, je nachdem ihre Wesenheit sich an ihrer inwohnenden Idee ausbildet. Die Größe giebt Gott seinen Begnadigten; die erwirbt man nicht, man empfängt sie nur. Aber tüchtig kann man auf seine eigene Hand werden; auch wenn man seinen Ideen nachgeht, auch wenn es thöricht aussieht. Und egoistisch? wer sich elend fühlt, und ein fremdes Wesen an dies Bewußtsein schmiedet, macht es um so elender, je zarter es empfindet, und bei zwanzig Jahren wiegen ein Paar Tage voll Schmerz nicht so schwer, als bei vierzig ein Leben voll Bitterkeit, Mißstimmung und Jammer. Und egoistisch? ich erreiche nichts, ich gewinne nichts! ~sie~ denkt nicht an mich. Aber ich, o Gott, bin frei, an sie denken zu dürfen. Er versuchte sogleich an Agathe zu schreiben. Doch Herz und Hand zitterten ihm. Es ist ein fürchterlicher Entschluß für einen besonnenen Menschen, einem Unschuldigen weh zu thun. Auch schien es ihm gar so übereilt. Er verbrannte den Brief. Drei Tage nach seiner Rückkehr nach Berlin wollte er lieber schreiben. Es kam ihm kein Zweifel ein, daß auch dann sein Brief in demselben Sinne lauten würde, denn sein Herz war wie erfroren gegen Agathe. Er hatte sie im Schmerz gesehen: das ist ein scharfer Probirstein für die Seelen. Die Freude nicht! ihrer Natur nach verklärt sie, so wie der Schmerz seiner Natur nach verdüstert. Wie stralend muß die Seele beschaffen sein, welche mit ihrem Licht die Verdüsterung des Schmerzes besiegt. Als er im Ausbruch des tiefsten und wahrsten Gefühls sie um Vergebung bat, da fragte Agathe: „Was hast Du gethan?“ -- und vergab nicht, und blieb verdrießlich. Das ist das Uebelste, was eine Frau thun kann. Die Verdrießlichkeit ist etwas so ganz Unerträgliches, daß ihr gegenüber der Mann sich selbst ganz gerechtfertigt vorkommt, auch wenn er weiß Gott was für Unthaten begangen hätte. Tags darauf ging Sigismund Forster von der Eisenbahn kommend die Linden herauf. Er ging unter den Bäumen. Er sah sich nicht um, als auf dem Reitweg rasches Pferdegetrappel erscholl, aber als Tosca Beiron, ihr Pferd an die Barriere lenkend, ihm zurief: „Guten Morgen! aber schönen guten Morgen!“ Da mußte er freilich aufsehen. Er that’s; er nahm den Hut ab. Es war ihm eine selige Befriedigung so, mit diesem Zeichen der Ergebenheit, und zu ihr emporschauend, vor ihr stehen zu dürfen. Sein erstes Gefühl ihr gegenüber war, wie einst, das der unermeßlichsten Bewunderung; nur aber war es nicht, wie einst, in das kleine Wort zu fassen: sie ist schön! sondern -- in gar keines. „Wie geht’s denn?“ fragte sie. Er antwortete nicht. Er sah sie an -- wer kann sagen, mit welchem Blick! Blitzschnell berührte sie den Hals ihres Pferdes mit der Reitgerte und sprengte fort; Ignaz ihr nach. Ignaz sagte zum General, als er mit Tosca bei ihm eintrat: „Stellen Sie Sich vor, lieber Onkel, meine schöne Tante hat den Regierungsrath Forster entdeckt. Ja, ja, entdeckt! wir waren eben ins Brandenburger Thor hineingeritten, und er war ungefähr zwanzig Schritte von unserm Hause“ .... -- „Wie Sie übertreiben, Ignaz!“ rief sie lachend. „Und, wohlverstanden, den Rücken uns zugewendet, als meine schöne Tante sich plötzlich, allen Polizeigesetzen zuwider, in Carriere setzt, oder, daß ich nicht übertreibe! _in train du chasse_, weil sie in dieser unerhörten Entfernung, unter diesen vielen Menschen, den Regierungsrath Forster erkannt hat -- vermuthlich mit einem sechsten oder siebenten Sinn, denn die gewöhnlichen fünf reichen unmöglich dazu aus -- und eben deshalb nannte ich diese Erkennung eine Entdeckung.“ „Ich war ganz neugierig, zu erfahren, was ihn so lange unsichtbar gemacht hat,“ -- sagte Tosca unwillkürlich, ein wenig verlegen und ein wenig unwahr; denn mogte sie auch noch so neugierig gewesen sein, als sie Sigismund gewahrte, empfand sie nichts -- als Freude. „Nun? und was sagte er?“ fragte der General. „Ich hatte nicht Zeit, ihn zu fragen,“ entgegnete sie noch etwas verlegener; „Ignaz ritt so rasch fort.“ ... -- „Ich? himmlische Tante! wie ein Lamm so ruhig verhielt ich mich neben Ihnen! Aber die Wahrheit ist, lieber Onkel, daß der Regierungsrath Forster nicht sehr bei Laune zu sein schien, und noch ernsthafter als gewöhnlich aussah. Da verlor meine schöne Tante die Geduld, und sprengte von dannen, wie sie gekommen war -- da es gewiß höchst verdrießlich ist, keine Antwort auf die freundlichsten Fragen zu erhalten.“ „Ignaz! was erfinden Sie für Geschichten!“ sprach Tosca lächelnd; aber sie sah ihn mißtrauisch an, nicht wissend, ob Scherz oder Bosheit im Spiel sei. „Aber welch ein Scharfblick! aber welch ein Adlerauge!“ fuhr er fort; „woran erkannten Sie ihn nur? nicht wahr, am schwarzen Ueberrock und an den gelben Handschuhen, welche alle Welt genau so trägt?“ „Trägt; aber vermuthlich nicht ~so~ trägt,“ entgegnete sie gelassen; „denn am Gang und an der Haltung muß ich doch wol den Regierungsrath Forster erkannt haben, da Sie selbst ja meinen, an der Allerweltslivree von schwarzem Rock und gelben Handschuhen könne es nicht sein. Uebrigens wundre ich mich auch über mein scharfes Auge. Ich habe nie diese Fähigkeit in solchem Grad bei mir bemerkt.“ „Vielleicht weil Sie kein Interesse hatten, sie zu beachten.“ Sie sah ihm scharf in die Augen; sie fand darin den kleinen lauernden Ausdruck, den sie immer hatten, und an den sie dermaßen gewöhnt war, daß sie sich wunderte, wie sie ihn bemerkte; auf seinen Lippen lag sein gewohntes Lächeln, das, obgleich in Gewohnheit ausgeartet, dennoch auf seinem schönen Munde hübsch war. Es war nichts, gar nichts in dem Gesichte, was sie plötzlich hätte frappiren können. Sie sagte scherzend: „Mein Ignaz, Sie sind neidisch.“ Er fuhr innerlich zusammen, und sprach mit unveränderter Miene: „Und wenn ich’s wäre?“ „So würde ich Ihnen rathen, den fatalen Fehler abzulegen,“ antwortete sie halb ernst, halb schelmisch, und ging ihrem Zimmer zu. „Bleib hier, Tosca!“ rief der General, „und hadert noch ein wenig mit einander, liebe Kinder! ich versichere euch, daß nichts in der Welt mir ergötzlicher anzuhören ist.“ „Ich werfe nur das schwere Reitkleid ab,“ sagte Tosca. Als sie nach zehn Minuten wiederkam, fand sie Besuch vor. Am Abend, zur gewohnten Stunde, erschien Sigismund. Der General sagte freundlich: „Wir haben Sie recht vermißt.“ „Und sind ganz besorgt um Ihr Verschwinden gewesen,“ sagte Ignaz noch freundlicher. „Das ist viel,“ sagte Sigismund zum General und „Zu viel“ zu Ignaz. „Und ist Ihre Arbeit gelungen?“ fragte Tosca. „Welche Arbeit, gnädige Frau?“ entgegnete er. „Nun die, welche Sie am Abend nach Liszts Conzert mit schwerem Herzen unternehmen wollten, und zu der ich Ihnen Glück zu! wünschte.“ „Ah die!“ rief er, plötzlich sich auf die Unterhaltung besinnend; -- „ja, gnädige Frau, ich schmeichle mir“ ... „O wenn Schmeichelei dabei im Spiele ist, dann irrt man sich leicht!“ rief sie. „Aber welch’ erstaunenswerthes Gedächtniß haben Sie,“ sagte Sigismund. „Ja!“ rief Ignaz, „merkwürdige Gaben aller Art hat meine himmlische Tante, und es ist wirklich eine Gnade von Gott, daß er ihr ~eine~ versagt hat. Rathen Sie, Herr Regierungsrath, was das ist, ich bitte.“ „Sie werden es nie errathen,“ sagte Tosca und sah Sigismund vertrauend an. „Ich bitte, rathen Sie doch!“ fuhr Ignaz fort; „was meinen Sie wol das meiner schönen Tante fehlen dürfte?“ „Ich wüßte nichts -- als Menschenkenntniß etwa,“ sagte Sigismund etwas trocken. Der General neigte mit bejahender Zustimmung den Kopf, und Tosca rief sehr vergnügt: „Mit dieser Lösung bin ich ungemein zufrieden, um so mehr da mein Mann ganz derselben Meinung ist. Nun, _beau neveu_, haben Sie noch Lust mit Ihrer Behauptung hervorzutreten?“ „Hervortreten? nein! denn ich könnte Ihnen doch am Ende damit etwas zu leide thun, schöne Tante; aber behaupten -- ja! in aller Demuth, versteht sich.“ Der kleine gewohnte Kreis fand sich zusammen. Ignaz ging fort. Sigismund nahm lebhaft an der Unterhaltung Theil, und es machte sich von selbst, daß er von seiner Fahrt nach Magdeburg, von seinem Besuch bei seiner Schwester erzählte, und dabei Tosca die Huldigung seines Schwagers darbrachte, welche dieser im Augenblick des Abschieds ihm dringend aufgetragen, mit der banalen Anhängselphrase: Falls sie sich noch meiner erinnert. Tosca nahm es dankbar an; sie freute sich bei der Gelegenheit erfahren zu haben, wo und bei wem er gewesen sei. Sigismund hatte gefühlt, daß sie das zu wissen wünsche. Nun ward er schweigsamer. Er versank in ein ihm ganz neues Glück: er fühlte sich innerlichst frei, frei sie anbeten zu dürfen, und er dachte mit tiefster Aufrichtigkeit, daß, wenn er sie alle Abend in seinem Leben so wie heute sehen dürfe, so fehle ihm nichts, um glücklich zu sein. Sie war gar nicht übernatürlich geistreich, sie hatte auch keine ungewöhnliche Talente, sie war schön -- wie man es bei dreißig Jahren sein kann. Aber wie sie ist, so ist sie ein Lichtgeist, der nicht unsrer Zeit und unsrer Welt angehört! -- dachte Sigismund -- und welche himmlische Gabe könnte ihr fehlen? was Ignaz Mangel nennt, ist gewiß nur eine Herrlichkeit mehr. Zuletzt schwieg er ganz. Die Minuten, in welchen er sie hören und sehen durfte, kamen ihm wie Jahrhunderte vor, zu wichtig, zu inhaltschwer, um oberflächliche Worte in sie zu verflechten. Es sollte eine Schachpartie organisirt werden; der General sah ihr gern zu. Sigismund wechselte seinen Platz mit einem der Anwesenden, und setzte sich zu Tosca, welche die in seinen Augen wundervolle Gewohnheit hatte, Abends niemals Tapisserie zu nähen. Sie sagte freundlich: „Ich werde Sie bei Gelegenheit um mein kleines blaues Flacon bitten.“ „Ach Gott!“ rief er, „das ist zerbrochen.“ Er hatte ganz und gar das unglückliche Flacon vergessen, und daß Tosca daran ein Recht habe. Die Aufrichtigkeit in seinem Ton überzeugte sie. „Nun wenn’s zerbrochen ist, so ist’s gut!“ sagte sie beruhigend. „Sie würden es mir also nicht lassen?“ „Ich weiß, daß Sie Sich nichts aus kleinen Geschenken machen,“ erwiderte sie mit heiter spöttischem Lächeln. „Gnädige Frau,“ entgegnete Sigismund ganz ernsthaft, „wenn man einmal huld- und gnadenreich Vergebung der Sünden ertheilt hat, so darf man nicht mehr auf sie zurückkommen. Das heißt nutzlos martern.“ „Da haben Sie wol Recht,“ antwortete sie sanft, „aber ich scherzte nur, denn glauben Sie mir, es ist kein Vorwurf mehr in meiner Seele, nur Dank.“ „Dank, weil ich Ihnen Schmerz gemacht?“ fragte er ungläubig. „Als der Schmerz über mich kam, da nahm ich mir vor, besser zu werden als ich war, damit mich künftig kein ähnlicher treffen möge; denn in all’ unsern Schmerzen liegt eine ganz heimliche, ganz kleine, oft vor uns selbst verborgene Schuld. Je besser der Mensch, um desto weniger Schmerz hat er, weil innerer Vorwurf der Giftzahn des Schmerzes ist -- und keinen Schmerz hat er, der ihn zernichtet. Ich denke doch ein wenig tüchtiger geworden zu sein, als ich damals war, und ist es da nicht sehr natürlich, demjenigen Dank zu wissen, der mir dazu geholfen hat?“ „Mit diesen Gefühlen wird man Märtyrin,“ sagte Sigismund, der es besser fand, im Scherz als im Ernst zu antworten. „O behüte!“ rief sie, „um das zu werden, müssen sich diese Gefühle einzig und allein Gott zuwenden.“ „Wenn ich Sie reden höre, so gut, so klar, so einfach, so wünschte ich wol von Graf Adlercron zu erfahren, welche Vollkommenheit Ihnen fehlen sollte.“ „Er meint, daß ich kein Herz hätte,“ sagte sie unbefangen. „Da ist er im großen Irrthum!“ rief er. „Nicht wahr?“ fragte sie; und mit wundervoller Klarheit legten sich ihre Blicke auf sein Auge. „Ich meine, daß Sie es da haben, wohin es gehört -- und nirgends sonst,“ sagte Sigismund fast feierlich. „Haben Sie zu vielen Menschen so tiefes Vertrauen?“ fragte Tosca. „Nein, o nein!“ rief er rasch; „nur zu Ihnen ... denn ein Character, wie der Ihre, rechtfertigt jede Zuversicht dieser Art“ -- setzte er gefaßter hinzu. Seine Worte, sein Ton, sein Ausdruck fielen tief und stark in ihre Seele; sie meinte plötzlich in sich eine Schatzkammer von ungeahnten Reichthümern gewahr zu werden, und um sich eine Frühlingswelt voll duftender, glänzender, freudiger Blüten. Es überlief sie der wundersam geheimnißvolle Schauer, der über uns hinrieselt, wenn wir fühlen, ohne es zu denken, daß unserm innerlichsten Leben eine Krisis bevorsteht. Es ist, als hörten wir die Würfel fallen, die den Gang unsrer zukünftigen Schicksale bezeichnen, und wir schauern in uns selbst zusammen, wie die alten Propheten, wenn der Finger Gottes sie berührte. Ja, sie waren mächtig, die alten Propheten, mit tiefsinnigem Blick, mit weisheitvollen Lippen, sie wußten die Geschicke der Völker und die Umwandlungen der Welt; -- und wir sind schwach und blind! aber wenn der Finger Gottes uns berührt, so sind wir Alle gleich klein oder gleich groß; -- und er berührt Jeden von uns. Mit bewundernswerther Kraft deckte Tosca, wie eine Nonne mit ihrem Schleier, ihre mächtige Bewegung zu, und sagte in ihrer heitern Weise, die Ignaz, nur weil er herzensunkundig war, herzlos nannte, und ohne Sigismund anzusehen: „Ah! ich hab’ also einen Character! das ist mir lieb zu erfahren! ich gesteh’ Ihnen, ich hab’ ihn mir nicht zugetraut.“ „Das ist die Art und Weise tüchtiger Menschen: sie sind, sie haben; allein sie trauen es sich nicht zu.“ „Sagen Sie mir nicht solche Sachen!“ rief sie fast ungeduldig; „oder sagen Sie sie in einem Ton, womit man Fadaisen zu sagen pflegt! denn jetzt mit Ihrem ernsten Ton gesprochen, da machen Sie mich am Ende glauben, daß Sie aus Ueberzeugung sprechen.“ „Und das ist’s grade, was ich wünsche und was Sie, gnädige Frau .... sollt’ ich meinen, wünschen müßten. Man hört und sagt so unermeßlich viel Fadaisen, daß man ihrer, nach einer Reihe von Jahren, so überdrüssig wird, wie gewisser allzu süßer Speisen.“ „Sie sind aber wirklich nicht für die Fadaisen, das merk’ ich!“ rief Tosca lachend. „Wer in aller Welt hat je zu einer Frau, die sich einbildet noch sehr schön und sehr jung zu sein, von ‚einer Reihe von Jahren’ gesprochen?“ „Sie sind so ganz anders, als die Frauen zu sein pflegen, daß man unwillkürlich auch anders zu Ihnen redet, freier, zuversichtlicher, des Verständnisses gewisser -- und daher unbefangen.“ „Und das Alles zu Ehren meines Characters?“ „Ja, denn er ist das, was ich am höchsten im Menschen schätze.“ „Ach,“ sagte Tosca mit einem leichten Seufzer, „er mag doch schwer durchzuführen sein, ein Character, sobald das Leben schwer wird. Was am Morgen leicht war, kann am Mittag mühselig sein! wie schwierig, unter allen Umständen immer Dasselbe zu thun!“ „Nicht -- immer Dasselbe thun, das kann auch der urtheil- und einsichtslose Eigensinn. Aber -- immer das Rechte thun, unter allen Umständen: das macht den Character.“ „Haben Sie Character?“ fragte sie mit gedankenvollem Ernst. „Gnädige, Frau, Sie selbst wissen am Besten, daß ich keineswegs zu jeder Zeit das Rechte gethan,“ erwiderte er lächelnd. „O ich denke nicht an die Kindergeschichten!“ rief sie ungeduldig. „Sie bereiten doch vielleicht den Character vor,“ antwortete er gelassen. „Trotz, Eigensinn, Uebermuth können wohldurcharbeitet zum Character heraufgebildet werden, und undurcharbeitet ein wüstes Chaos bleiben.“ „Nun? und Sie?“ „Ich arbeite!“ sagte er. Sie blickte ihn an; sein ungewöhnlich strenger Ausdruck überraschte sie. „O Verzeihung, wenn ich Ihnen weh gethan!“ sprach sie schüchtern. „Sie thun mir nie anders als wohl,“ erwiederte er, und ein Lächeln glitt in seine Augen, ohne bis zu den Lippen herab zu steigen. Tosca schlug die ihren zu Boden und fragte: „Reiten Sie nie spazieren?“ Es ist bedenklich, wenn so abgebrochene und unzusammenhängende Fragen plötzlich ins Gespräch hineinspringen, weil sie eben zeigen, daß es durchaus unterbrochen werden soll. Sigismund kam und ging, und ging und kam. Er hatte in diesen Tagen keine Gelegenheit zu einer besondern Unterhaltung mit Tosca. Er fand sie immer allein mit ihrem Mann; aber grade dann kam sie ihm am allerbewundernswerthesten vor. Immer die gleiche freundliche Laune, immer das liebe herzliche Wort, und eine Geschicklichkeit ohne Gleichen, um den Gesprächen die Wendung zu geben, welche dem General die liebste war. Gottes Engel müssen so klar, so mild aussehen -- dachte Sigismund -- aber ist es denn möglich, daß dies zarte, schöne, tiefe Herz nichts geliebt hat, als die Pflicht? Ihn hatte es geliebt, und nach ihm -- die Pflicht; sonst nichts. Seelen wie Tosca sind aus einem Stück. Sie lieben ganz, ~wenn~ sie lieben und ~was~ sie lieben, ohne zu handeln, zu feilschen, oder Concessionen zu machen. Sie sehen stolz aus, weil sie hoch -- und kalt, weil sie tief sind; wenigstens urtheilen so die oberflächlichen, an die gewöhnlichen Allüren gewohnten Menschen. „Sie ist nicht stolz, sie ist nicht kalt,“ dachte Sigismund. Aber: „Mich hat sie geliebt!“ -- das wagte er nicht zu denken, denn das konnte bei einer Gesinnung, wie die ihre, wol heißen: „Und mich würde sie lieben.“ Der General befand sich so gut, wie lange nicht. Die Aerzte hatten nicht grade Hoffnung zur Genesung, aber doch zu einem bessern Zustand gegeben. Tosca sprach vom Frühling, von sommerlichen Reisen, um dem armen Kranken immer mehr Zuversicht einzuflößen, als ob es nur seines Entschlusses bedürfe, um in den Wagen zu steigen. „Anfang April, gewiß! da werden wir abreisen können,“ sagte sie, „und nach dem Rhein -- nicht wahr? -- Dort ist’s am schönsten auf der ganzen Welt ... so weit ich sie kenne.“ Ein unsäglicher Schmerz legte sich wie eine Geierkralle auf Sigismunds Brust. Anfang April, da wollte sie gehen! wenn der Frühling kam, wollte sie fort, und dann sah er sie vielleicht nie wieder -- wahrscheinlich sogar. Dann sank das Leben wieder in die Schatten zurück, die sie, wie die Sonne, zertheilt hatte. Aber äußerlich ruhig sprach er mit ihr vom Rhein, von Bonn und vom Professor Zeller. Später ging er auf sein Zimmer und schrieb: „Agathe! Du ahnest gewiß, was ich Dir zu sagen habe. Nein! Sie wissen es, Agathe, ohne daß ich es Ihnen zu sagen brauchte. Vergebung. Aber es ist so: lieber kein Herz, als ein halbes. Das Leben führt uns bisweilen zu überraschenden Wendepunkten, von wo man die Dinge anders, in anderm Licht, in andrem Zusammenhang betrachtet. Das ist mir geschehen, und Sie haben es nur zu wohl bemerkt. Ein Name ist genannt, auch in Ihrer Gegenwart; ~der~ Name ist’s. Ich sage das, weil ich nicht lügen kann, noch mag, und weil ich wünsche, daß Sie mir nun auch glauben, wenn ich ferner sage: ~der~ Name zerstört meine Gegenwart, ohne mir eine Zukunft zu verheißen, und er hat nichts für mich gethan, als daß er, wie ein Gestirn, wieder aus dem Meer der Vergangenheit aufgetaucht ist. Weiter nichts! und auch ferner wird es heißen: weiter nichts! Sie sehen, ich weise das stille, schöne Glück, das Sie mir versprachen, nicht für die Hoffnung auf ein chimärisches Glück fort, sondern -- für gar keine. Es muß also wol aus Ueberzeugung sein. Aber ich fühle, daß ich Ihnen nichts Andres sagen kann und darf, als -- Vergebung! -- Sigismund Forster.“ Er versiegelte und adressirte den Brief. Am andern Tage wollte er ihn nach seiner Gewohnheit selbst auf die Post bringen. Eh das geschah, empfing er einen von der Justizräthin Gertner. „Mein lieber Forster,“ schrieb sie, „da ich keine Ahnung davon habe, was eigentlich zwischen Ihnen und meiner Tochter vorgefallen sein mag, und da Agathe mit unglaublicher Hartnäckigkeit darüber schweigt, so habe ich Ihnen nichts weiter zu sagen, als das, was Agathe mir aufträgt. Sie bittet Sie, ihr binnen drei oder vier Wochen nicht zu schreiben, keine Zeile, kein Wort, und noch viel weniger herzukommen. Sie sagt: bis dahin werde sie ruhig sein und Ihnen schreiben, und dann würde Alles gut werden; doch jetzt könne sie nichts hören, nichts denken, nichts schreiben, nichts, gar nichts; und sie hofft, daß Sie diesen Wunsch ehren werden, indem Sie ihm nachkommen. Sie sei übrigens ganz wohl und gesund, läßt sie Ihnen sagen, und ich bestätige das, weil ich meine, daß Sie diese Beruhigung brauchen.“ Eine freudige Aufregung bemächtigte sich Sigismunds. Zwar that es ihm leid, daß der Brief an Agathe nicht auf der Stelle Alles zwischen ihm und ihr klar machen solle; aber der Gedanke, daß sie wahrscheinlich selbst die Vorstellung der gelösten Verbindung in sich keimen und wachsen lassen, daß sie selbst ihr Wort zurücknehmen wolle, machte ihn fast glücklich. Auf welche Weise der Bruch geschehen solle, je weniger peinlich und schmerzlich für Agathe -- desto willkommner ihm! und alle Eitelkeit, alle eigenliebige Härte, welche im Mann so mächtig sind, verstummten gänzlich vor der unsäglichen Freude -- frei zu werden ohne zerknickende Härte. Er wollte hinaus, in die frische Luft, unter den heitern blauen Himmel. Ihm war, als höre er schon die Lerche ihren kleinen jubelnden Auferstehungsgesang tiriliren. Er sprang die Treppe hinab, und traf auf dem Vorsaal des ersten Stockwerks mit Tosca zusammen. „Da bin ich!“ sagte er mit ganz besondrer Freudigkeit. Was lag ihm jetzt daran, ob sie einst fortging. Jetzt war sie da, und er bei ihr. „Himmel!“ rief sie, „Sie sehen aus wie vor zwölf Jahren -- so gewissermaßen glückselig übermüthig.“ „Fahren Sie aus, gnädige Frau?“ fragte er, denn sie war im Pelz und ein Diener stand hinter ihr. „Ich gehe aus, es ist so schön! ich muß in die Stadt, muß etwas kaufen für Ignaz, dessen Geburtstag morgen ist -- ich weiß nur nicht, was und nicht wo.“ „Darf ich Sie zu Rey führen?“ „O ja .... aber ich schäme mich Ihrer ein wenig, denn Sie sehen wahrlich aus, als hätten Sie nicht übel Lust, unter den Linden einen Freudensprung zu machen.“ Sigismund versicherte, ganz gesetzt einher wandeln zu wollen. Sie gingen zusammen aus. Es war ein prächtiger Wintertag. Lauter Krystall, und die Sonne durchfunkelte ihn. Und die Herzen waren auch frisch und hell wie Krystall, und die Aurora der Liebe dämmerte ihren bezaubernden Prismaschein in sie hinein. Aber sie sprachen von den allergleichgültigsten Dingen, und amüsirten sich dennoch vortrefflich. Ich gestehe, nichts hat mir einen höhern Begriff von der Zaubermacht der Liebe beigebracht, als die Bemerkung, daß wenn zwei Menschen unter ihr stehen, kluge, gescheute, geistreiche Menschen, die sonst ziemlich viel Aufwand von Verstand begehren oder machen, wenn sie sich bei einem Gespräch unterhalten sollen, -- daß die ganz befriedigt sind, und die Conversation vollkommen nach ihrem Geschmack zu finden scheinen, wenn der Eine spricht: „Heut ist schön Wetter!“ -- und der Andre antwortet: „O wunderschön.“ -- So gewiß ist’s, daß man nicht durch den Geist glücklich ist ... nur durch das Herz. Aber dennoch glaub’ ich auch, daß auf die Dauer ein wenig Geist der Liebe keinen Schaden thut. Sie hat nur so ihre kindlichen Momente, wo sie gleichsam in der Wiege liegt und lallt. Da ist sie noch nicht bis zum Geist, bis zum Bewußtsein vorgedrungen, da hat der Schmetterling erst eben seine Raupenhülle abgestreift, und die Schwingen noch nicht versucht; und da meint er noch, in dem Rosenkelch, wo er geboren sei, müsse er leben und sterben. Später wagt er denn doch den Flug, und bis zum Himmel hinauf; und dazu gehören denn freilich alle Kräfte der Psyche. Tosca war nicht zufrieden mit den Sachen, die man ihr bei Rey zeigte. „Was soll ein Mann mit all solchen Kinkerlitzchen anfangen?“ fragte sie. „Lieben Sie dergleichen Kram?“ „Als Geschenke von lieben Händen -- sehr.“ „Das ist was Anders! auf dem Fuß steh’ ich nicht mit Ignaz. Warum lachen Sie?“ rief sie, als Sigismund nicht ein Lächeln unterdrücken konnte. „Weil ich mich wundre, daß Sie Sich zu täuschen suchen. Sie wissen sehr wohl, welchen Werth Graf Adlercron auf Ihre Huld legt.“ „Ja, in wichtigen Dingen! aber bei solchem Plunder“ .... „Für dies Gefühl giebt es keinen Plunder! die Krone oder der Bonbon sind von gleichem Werth.“ „Wenn ich Ihnen aber sage, daß grade von diesem Gefühl nicht die Rede ist, und daß mein Neffe, so sehr er mir auch ergeben ist, und so gern er auch Bonbon speist, dennoch lieber eine Krone von mir annimmt, als ein Schreibzeug?“ „So beklag’ ich ihn.“ „Aber das wußten Sie ja längst.“ „Wie hätte ich das wissen sollen, gnädige Frau?“ fragte Sigismund unbarmherzig. Tosca erröthete und rief: „Sie haben mich auf einen guten Einfall gebracht! ich werde Bonbon für Ignaz kaufen. Er ißt leidenschaftlich gern Bonbon. Begreifen Sie diese Liebhaberei?“ „Jede Liebhaberei ist schwer zu begreifen, wenn man sie nicht theilt; indessen scheint sie mir doch viel unschuldiger, als für den Wein z. B., oder für Cigarren, oder für Schnupftaback.“ „Ach!“ rief sie lachend, „die Unschuld ist so entsetzlich unpassend für einen Mann! Ja, ja! ich spreche ernsthaft. Es giebt allerlei kleine Dinge, die ihm nicht gut stehen, und die er den unschuldigen Kindern oder den schwachen Frauen überlassen muß.“ „Ich weiß nicht,“ rief Sigismund, „wie Ihr Geschlecht zum Prädikat des schwachen gekommen ist, gnädige Frau! da es doch unleugbar das stärkere ist. Wir haben freilich die Kraft, aber bei der Frau ist die Macht.“ „Die Leute sehen sich nur auf der Oberfläche um und nach außen: da tritt ihnen die Kraft überwältigend entgegen. Um die Macht zu erkennen, muß man tiefer gehen, muß eigene Beobachtungen und Erfahrungen gemacht haben, wozu ich, als Frau, natürlich nie Gelegenheit hatte.“ Sigismund schüttelte den Kopf und sagte: „Jede Frau ist sich ihrer Macht bewußt“ .... -- „Vielleicht in sehr glücklichen Verhältnissen,“ unterbrach ihn Tosca. „Im Allgemeinen scheitert dies Bewußtsein an der Kraft des Mannes, die oft .... Härte ist.“ Ihm schien, als ob sich eine Wolke über ihre schönen Augen legen wolle. Darum fragte er hastig und scherzend: „Ich bitte, gnädige Frau, bin ich etwa auch mit einigen von den ‚kleinen Dingen’ behaftet, die Sie unpassend für einen Mann finden?“ „Ich kann’s nicht leiden,“ entgegnete sie, „wenn ein Mann Bonbon liebt, Parfüms braucht, helle, bunte Farben im Anzug trägt, und kleine Hände hat. Das Alles hat einen gewissen gebrechlichen Anstrich, den ich nur uns gestatte.“ Ignaz hatte heute viel zu leiden, obgleich Tosca Geburtstagsgeschenke für ihn einkaufte; denn dies Alles war gegen ihn gesagt. „Wie Sie mich demüthigen, gnädigste Frau!“ rief Sigismund; „die einzige Schönheit, welche ich mir schmeichelte zu besitzen, eine wohlgebildete Hand -- belegen Sie mit dem Anathema.“ „Ja,“ sagte Tosca lachend, „wenn Ihre Hand nicht durchgearbeitet, stark und geschmeidig aussieht -- wenn sie nicht aussieht fest und bestimmt, als wisse sie zu halten, was sie ergriffen, zu stützen, was sich ihr anvertraut, durchzuführen, was sie begonnen hat: so haben Sie eine ganz unschöne Hand, zu der Niemand auf der Welt Vertrauen haben wird.“ Sie wußte sehr genau, welch eine schöne, edelgebildete Hand Sigismund hatte, und er freute sich unglaublich, daß sie es ihm in dieser Weise sagte. „Also eine ganze Theorie über die Bildung der Hände steht Ihnen zu Gebot?“ fragte er. „Gewiß! ich kenne Jemand, der aus dem Fuß und dem Gang der Menschen Schlüsse auf ihren Charakter macht; weshalb sollt’ ich nicht aus der Hand und ihren Bewegungen?“ „Für den Scherz ist das Alles sehr gut, für den Ernst sehr gefährlich.“ „Ach!“ rief Tosca, „mit all meinen Beobachtungen komme ich doch nicht vom Fleck! es ist mir nicht Ernst damit. Ich frage meinen Mann, was er von Diesem und von Jenem hält; und danach richt’ ich mich ein. Das ist ungleich bequemer.“ Während sie das sagte, fiel ihr ein, daß sie bei Sigismund eine Ausnahme von dieser Gewohnheit gemacht, und den General nie um seine Meinung über ihn gefragt hatte. „Denn ich kannte ihn früher,“ -- sagte sie sich heimlich, wie zu ihrer Rechtfertigung. „Und warum verschmähen Sie, durch eigene Beobachtung zu einem Urtheil zu kommen?“ fragte er. „Weil ich ihm so gern dankbar und verpflichtet mich fühle,“ entgegnete sie ruhig. Sigismund antwortete nichts. Er sah sie an mit einem Blick voll Ehrfurcht und Huldigung. Könnte ein demüthiges Herz je triumphiren, so würde dies Gefühl jetzt Toscas Herz bewegt haben, denn zum ersten Mal fiel es ihr ein, daß ihr Leben schön und edel sein möge. Sie hatte nie daran gedacht; sein Blick sagte es ihr. „Aber das Schöne und Edle wird geliebt“ -- sprach heimlich eine Stimme in ihr -- „und nur das!“ Sie fuhr zusammen und sagte fast ängstlich: „Der Wind hebt an recht scharf zu wehen;“ und sie gingen nach Hause. Auf dem Vorsaal trat Toscas Kammermädchen ganz verstört ihr entgegen, und sagte, der General sei plötzlich heftig erkrankt. Tosca eilte zu ihm. Ignaz war schon da; der Arzt auch. Es war derselbe Zufall, wie in jener Nacht; nur stärker, bedenklicher. „Er stirbt!“ rief Tosca, als sie ihn ohne Bewegung und Besinnung fand. Der Arzt sagte nicht Nein. Es vergingen einige fürchterliche Tage. Es ist eine unermeßliche Folter, am Krankenbett nicht mehr hoffen zu dürfen! unwillkürlich taucht der Gedanke auf, der Tod sei unter diesen Umständen ein Erlöser, und doch kommt Einem solch ein Wunsch wie ein Mord vor. Tosca litt unsäglich. Sie warf sich die anderthalb Stunden ihrer Entfernung als ein Verbrechen vor, obgleich es ihre tägliche Promenade war. Sie glaubte eine Strafe des Himmels für jedes Wort zu empfangen, welches sie zu Sigismund gesagt hatte. „Mit der Liebe für einen Andern im Herzen, sitz’ ich am Sterbebett des besten und edelsten Mannes“ -- sprach sie langsam und schwer zu sich selbst. Sie war erdrückt, wie von einer ungeheuern Schuld. Sie flehte zu Gott um das Leben ihres Mannes, und wenn sie der Erhörung ihres Gebets gewiß zu sein glaubte, so ergriff sie ein namenloser Schmerz, denn sie fühlte, daß ihr innerstes Leben umgewandelt sei, und daß sie in Zukunft Dornen finden werde, wo sie bisher nur Blumen gekannt. Sie war die unermüdliche Pflegerin des Generals. Sie verließ nie freiwillig sein Zimmer. Wenn sie überwältigt vom Schlaf, oder halbohnmächtig zusammensank, so trugen Ignaz und die Krankenwärterinnen sie nach ihrem Zimmer, wo sie ein Paar bleierne Stunden verschlief. Ignaz stand ihr treu zur Seite. „Sie sind sublim, Ignaz!“ sagte sie einmal und gab ihm die Hand. Er schüttelte den Kopf und sagte: „Und Sie sind es wol nicht, Tosca?“ „Oh .... ich!“ rief sie, und faltete demüthig die Hände. Sie hatte keinen andern Gedanken, als der sich auf die Pflege ihres Mannes bezog. Ignaz sprach zu sich selbst: „In der Stimmung wäre sie, um die Donation zu machen; aber! aber! der Moment ist nicht günstig! ich darf mir jetzt, am Sterbebett, nicht merken lassen, woran ich denke. Sie muß für mich in ihrer gegenwärtigen Stimmung bleiben.“ -- Sie sah Sigismund nicht. Er hatte den Takt, nicht zu kommen. Er fragte die Dienstboten .... wol zwanzig Mal täglich; zuweilen den Arzt. Bei den Fragen nach dem General erfuhr er beiläufig etwas über Tosca. Er war in qualvoller Angst, daß ihre Gesundheit leiden möge, und die Sorge, welche er zuerst um sie gehabt, erwachte mit erneuter Stärke: Ignaz werde ihre Rührung und Trauer benutzen, um sie zu einem, hinsichtlich ihres Vermögens nachtheiligen Schritt zu bewegen -- im Fall der General stürbe. Im Fall der General stürbe! sein Herz schlug hoch auf. „O wenn sie mich liebte!“ dachte er unter jenem Strom des Entzückens, der wie der Tod den ganzen Menschen zugleich vernichtet und verklärt. „O wäre doch mein Brief an Agathe damals fortgegangen!“ dachte er gleich darauf. Ehe er sich ihr gegenüber nicht frei hingestellt hatte, fühlte er sich nicht frei. Am siebenten Tage starb der General. Tosca benahm sich ernst und ruhig, eben so fern von Verzweiflung, als von Gleichgültigkeit. In seinen letzten Stunden war ihm das Dämmerlicht des Bewußtseins aufgeflackert, und er hatte ihr Worte des Dankes, der Anerkennung, der Liebe gestammelt, die sie zu hören verdiente, und die sie mit heiliger Rührung anhörte. Er war todt und begraben. Bis dahin hatte sie Niemand gesehen, nicht Ignaz, nicht Sigismund; sie wollte nicht. Ihr war beklommen zu Muth, wenn sie an Sigismund dachte. Sie versuchte nachzudenken, wie sie sich ihm gegenüber zu benehmen, was sie zu thun habe. Der Schluß davon war: Nichts hab’ ich zu thun, denn ich liebe ihn .... und Er? -- -- Am Tage nach dem Begräbniß des Generals kam sie aus ihrer Klausur hervor. Sie wollte sich nicht den Anschein einer Untröstlichkeit geben, die sie nicht wirklich empfand. Sie ließ Ignaz zu sich bitten. Sie sagte ihm, sie gedächte die ersten sechs Wochen der tiefen Trauer in Berlin zuzubringen, und dann zur Testamentseröffnung nach Trier zu gehen, wo der General das seine gemacht und niedergelegt habe. Während der Zeit wolle sie hier mit Rechtsgelehrten sprechen über die Art und Weise, wie sie sich mit seiner Familie am besten in der Erbschaftsangelegenheit auseinanderzusetzen habe. Sie hatte nicht vergessen, was Sigismund ihr in jener Nacht gerathen. Sie sprach und erschien ganz selbständig und überlegend. Sie schien zu fühlen, daß sie für die Zukunft allein auf sich selbst angewiesen sei, und für sich selbst sorgen müsse. Sie sprach so klar und bestimmt, daß Ignaz seine Hoffnungen schwinden sah. Kein Rechtsgelehrter auf der Welt, das wußte er sehr gut -- würde ihr je zu der Donation rathen. Durch diese Donation allein konnte er Herr des ganzen Vermögens werden; alsdann gab er der Mutter, den Geschwistern, an Tosca selbst, nur eine Rente; die Masse blieb sein, und er konnte mit diesem Vermögen Anspruch auf eine große und reiche Heirath machen. Ohne die Donation, wenn es zu einem Vergleich kam, ja, wenn Tosca sogar die Hälfte der Erbschaft abtrat, war immer seine Mutter die Erbin, und er ging mit seinen Geschwistern dereinst nur zu gleichen Theilen aus. Das war ein ganz miserables Loos! Er dachte, da sei es doch schon besser, Tosca zu heirathen, und er freute sich unaussprechlich, daß er von jeher Worte hatte fallen lassen, welche auf eine tiefe und heimliche Liebe zu ihr deuteten. Er hatte freilich einer Andern lebhaft den Hof gemacht, und sogar in Toscas Gegenwart von der Möglichkeit einer Verbindung mit ihr gesprochen; aber das ließe sich vielleicht als eine nothwendige Zerstreuung darstellen. Auf einmal fuhr über diese geistige Rechentafel ein nasser Schwamm. Es war der Gedanke an Sigismund Forster. „Tosca!“ rief Ignaz sehr lebhaft, „warum sprechen Sie mit mir von Hab und Gut? Haben Sie keine andre Worte für mich?“ „Ihre Zukunft liegt mir sehr am Herzen, guter Ignaz,“ erwiederte sie, „denn Sie haben die schwere Vergangenheit treu mit mir getheilt. Ich mögte jene gern sicherstellen und leicht machen. Und wir haben ja auch schon früher darüber geredet! -- Uebrigens wissen Sie wol, daß mir für meinen Dank nur die Worte fehlen, und daß ich ihn in Gesinnung und That auszusprechen wünsche. Wie kann Sie das plötzlich kränken?“ „Nicht kränken -- nur tief betrüben, daß Sie mich nicht verstehen wollen. Vergebung!“ rief er, als sie ihn ernst und mißbilligend ansah; „Vergebung! ich schweige .... jetzt! -- Aber,“ fuhr er in seinem gewohnten Ton fort, „weshalb wollen Sie hier sechs lange Wochen verbringen? Sie haben hier keine nähern Freunde und da draußen am Rhein so viele, welche sich alle beeifern würden Sie zu zerstreuen.“ „Wozu das?“ fragte Tosca; „die Zerstreuung kommt immer früh genug.“ „Jetzt, bei dem frischen Winterwetter würde das Reisen nicht beschwerlich sein.“ „Das Hierbleiben ist es auch nicht, lieber Ignaz, und ich mag mich nicht gern ohne Noth in meinen tiefen Trauerkleidern auf der Landstraße und in Gasthöfen umhertreiben.“ Ignaz ergrimmte innerlichst. Es quoll ein bittrer Haß gegen Sigismund in ihm auf. Ist er denn nicht aus dem Wege zu schaffen? dachte er. Aber er versuchte nicht Toscas Plänen länger zu widersprechen, er wußte wol, daß nichts den Menschen so fest an seine Meinung schmiedet, als der fremde Widerspruch. Nachdem Ignaz gegangen war, ließ Tosca an Sigismund sagen, es würde ihr lieb sein, wenn er zu ihr kommen könne. Er kam sogleich. Er war ganz schwarz gekleidet, und sah sehr blaß und sehr ernst aus. Seit jenem heitern Morgen hatten sie sich nicht gesehen. Nun standen sie einander gegenüber, die zwei edlen Gestalten, und die Herzen voll verschwiegener Liebe waren mit den Trauerkleidern zugedeckt. Ein leichtes Zittern überglitt Tosca; sie setzte sich. Da trat Sigismund zu ihr heran, kniete vor ihr nieder, und reichte ihr seine Hand. Sie legte die ihre hinein, und er hielt sie einen Augenblick, wie man ein Geschenk empfängt, ohne sie anzufassen, ohne sie zu drücken. Dann ließ er sie sanft fallen, stand auf, und setzte sich ihr gegenüber. Das Alles war ernst und langsam geschehen, fast feierlich. Kein Wort war gewechselt, nur ein Blick. „Gnädigste Frau,“ sagte Sigismund darauf mit fester Stimme, „wenn Sie bei irgend einer Angelegenheit eines ergebenen Menschen bedürfen, so befehlen Sie nur über mich.“ Es war eine große Erquickung für Tosca, daß es ihm nicht einfiel, ihr sein Bedauern oder seine Theilnahme anders auszusprechen, als durch seine Erscheinung. Sie sprach von der großen Dankbarkeit, die sie Ignaz schuldig sei, und wie ihr so sehr daran liege, mit ihm und seiner Familie in freundlichem Vernehmen zu sein. Sie sagte in Bezug auf den General: „Er hatte gewichtige Gründe, um zu handeln, wie er eben that, und wenn er in den letzten Jahren sein Testament nicht verändert hat, so geschah das ganz gewiß, weil er wohl wußte, daß ich der Veränderung seines Sinnes gemäß handeln würde. Ignaz hat sich wie ein Sohn für ihn benommen, und so denk’ ich, daß er auch in die Rechte eines Sohnes treten muß.“ „Thun Sie Alles, was Sie für recht und gut halten, gnädige Frau, nur begeben Sie Sich nicht in irgend eine Abhängigkeit von dem Grafen Adlercron. Dergleichen Verhältnisse sind immer peinlich, auch bei den edelsten, den reinsten Gesinnungen auf beiden Seiten, und es können Umstände eintreten, welche sie unerträglich machen. Daher beschwör’ ich Sie, den Gedanken an eine Donation, den Sie einmal flüchtig gegen mich äußerten, aufzugeben.“ „Ich hab’ es gethan,“ sagte sie erröthend; ... „aber ich mögte doch gern ohne einen Prozeß davon kommen.“ „Wer sind die nächsten Blutsverwandten des Generals?“ „Seine einzige Schwester, Gräfin Adlercron.“ „Wenn Sie die Erbschaft mit ihr theilen, so wird sie diesen friedlichen Ausgang dem unfriedlichen und unsichern eines langwierigen Prozesses vorziehen .... sollt’ ich meinen.“ „Ignaz hat mir gestanden,“ sagte Tosca ein wenig verlegen, „daß seine Mutter sehr ... ja, ganz außerordentlich an Geld und Gut hange; da würde sie vielleicht doch nicht damit zufrieden sein.“ „Es wäre doch des Versuches werth, gnädigste Frau. Ich gestehe Ihnen, ich zweifle nicht an friedlicher Ausgleichung.“ „Und das wäre vielleicht ein Mittel, um sie mit ihrem Sohn zu versöhnen!“ rief Tosca lebhaft. „Ist sie mit ihm entzweit?“ fragte Sigismund. „Ja,“ sagte Tosca, vertrauenvoll nacherzählend, was Ignaz ihr vorerzählt hatte; -- „weil sie mit ihrem Bruder gespannt war, so mißbilligte sie es, daß Ignaz zu uns kam, und hat ihn in den ganzen drei Jahren nicht sehen wollen. Da sie aber so am irdischen Gut hangen soll, so mein’ ich, wird sie ihm seinen Ungehorsam verzeihen, wenn sie einsieht, daß sie ihm das ersehnte Vermögen verdankt. Dann, welch’ eine Freude für Ignaz!“ Sigismund dachte auf der Stelle, daß Ignaz, wenn er wirklich nicht im guten Vernehmen mit seiner Mutter lebe, wol im Stande sein könne, die Erbschaft für sich allein zu wünschen und ... zu behalten. Eingedenk der eilf Geschwister, welche ihn damals in Toscas Mund so heftig erschreckt hatten, bestärkte er Tosca in ihrer Ansicht, die Erbschaft mit Gräfin Adlercron und nicht mit ihrem Sohn zu theilen, weil sie die natürliche Erbin des Generals sei. An der Freude, welche Ignaz nach Toscas Meinung empfinden würde, zweifelte Sigismund heimlich; aber er sprach den Zweifel nicht aus. Möge sie ihn immerhin für gut und redlich halten, dachte er, sobald Ignaz dies Vertrauen nicht mißbrauchen kann, so schadet es ihr nichts. Tosca bat Sigismund ihr einen verständigen und zuverlässigen Mann zuzuführen, dem sie diese Angelegenheit übertragen könne. Er versprach es. Dann wechselten sie noch ein Paar Worte über ihr Befinden, und Sigismund ging ernst und gelassen, wie er gekommen war, und ebenso blickte Tosca ihm nach; aber Beiden war zu Muth, als hätten sie ein neues Leben angetreten. Tosca war ein Paar Tage hindurch nicht wohl. Der Rückschlag der heftigen Emotionen machte sich durch nervöse Abspannung fühlbar. Sie litt nichts Bestimmtes, aber sie fühlte sich durch und durch leidend, wie das zart organisirten Personen geht, welche nicht an schmerzlich aufregende Erschütterungen gewöhnt sind. Sie sah Ignaz alle Tage auf kurze Zeit, und Sigismund gar nicht. Daraus schöpfte Ignaz Hoffnung, und als sie sich eines Abends besser befand, sprach er ihr sein Entzücken darüber so lebhaft aus, daß er sich dafür einen kleinen Vorwurf von ihr zuzog. „Wie kann ich anders!“ rief er, und kniete neben dem Sopha nieder, auf dem sie lag; „Sie wissen ja, daß mein Herz voll von Ihnen ist.“ „Ja, nebenher!“ sagte Tosca lächelnd. „Sie haben mich nie verstehen wollen, immer den Ausbruch des Gefühls in mich zurückgedrängt,“ sprach er mit niedergeschlagenem Ton. „Früher mogten Sie Gründe haben, die ich ehrte; doch jetzt martern Sie mich nicht länger -- es wäre eine ganz nutzlose Grausamkeit. Ich liebe Sie, Tosca,“ fuhr er lebhaft fort, ohne sich von ihr unterbrechen zu lassen; „ich habe Sie geliebt, drei Jahr an Ihrer Seite, täglich, stündlich Sie sehend, in Ihrer größten Intimität lebend, hab’ ich Sie schweigend geliebt, und gewiß nur in ganz überwältigenden Momenten meine Liebe verrathen. Aber nun ist’s vorbei mit der Kraft! ich kann nicht mehr schweigen! ach! zürnen Sie mir nicht; ich sehe Ihre Trauerkleider, ich kenne die kühle abwehrende Außenseite, welche Sie wie einen Schild hervorkehren; ich begehre ja auch vor der Hand keine Gewißheit, nur Hoffnung, Tosca!“ Während er sprach, sah sie ihn gelassen an. Sigismund hatte vor einigen Tagen auch vor ihr gekniet, nichts gesagt, nichts gethan, nichts erfleht; und sie hatte ihn verstanden und ihm geglaubt. Von Allem, was Ignaz ihr sagte, glaubte sie kein Wort. „Sie täuschen sich, Ignaz!“ antwortete sie ruhig; „bis daher hab’ ich immer geglaubt, daß Sie mir gut wären; jetzt, glaub’ ich, daß Sie Sich für mich fanatisirt haben, durch die traurigen und schmerzenreichen Situationen, in denen Sie mich gesehen, durch meine tiefe Einsamkeit, welche mich ohne Eltern, ohne Kinder, ohne Brüder ins Leben gestellt hat, und mich jetzt der treusten und sichersten Stütze -- des Generals beraubt. Aber lieben? ... nein, Ignaz, Sie lieben mich nicht!“ „Aber was verstehen Sie denn unter Liebe, Tosca, wenn eine so grenzenlose Ergebenheit, wie die meine, Ihnen nicht diesen Namen zu verdienen scheint!“ rief Ignaz heftig; „und wenn Sie doch eben so wenig die Ausbrüche der Leidenschaft, die in mir wohnt, dafür gelten lassen werden.“ „Die grenzenlose Ergebenheit und die Glut der Leidenschaft gehören auch zur Liebe,“ sagte sie gedankenvoll, aber ohne an Ignaz zu denken. „Allein ... wie ich sie mir vorstelle, muß sie doch noch etwas Andres sein“ .... -- „Und was muß sie sein, Tosca! wie stellst Du Dir vor, daß die Liebe sein müsse?“ fragte Ignaz, ganz bereit auf ihre Vorstellung einzugehen. „Ignaz!“ sagte Tosca ungeduldig, „ich hab’ Ihnen schon einmal verboten mich Du zu nennen.“ Ignaz drückte die Zähne zusammen; aber er sagte nur: „Nun, Tosca?“ Sie stützte sinnend den Kopf in die Hand, legte fest und tief ihre prächtigen Augen auf die seinen und sagte langsam: „Die Liebe muß ein unvergänglicher Austausch von unerschöpflichen und magnifiken Gefühlen sein.“ Hätte sie alles Andre gesagt -- auch auf die kolossalste Sentimentalität, auch auf die höchste Ueberspannung wäre Ignaz eingegangen! Er war gefaßt auf irgend eine grandiose Phrase der Art. Aber, daß sie keine leere Phrase sagte, sondern die Wahrheit; aber daß sie auf den Tausch, auf die Gegenseitigkeit, die Liebe basirte: das machte ihn stumm. „Also lieben Sie mich nicht,“ setzte Tosca nach einer Pause hinzu, „und Sie werden früher oder später zu dieser Erkenntniß gelangen. Auf morgen, lieber Ignaz, morgen werd’ ich ganz gesund sein.“ Sie wünschte es lebhaft -- um die Geschäfte zu ordnen! sprach sie heimlich. Doch weit lebhafter um Sigismund wiederzusehen. Ach, liebt er mich denn wirklich? fragte sie sich wol tausendmal in diesen Tagen. Aber das war nur nervöse Unruh. Ihr Herz zweifelte nie. Diese innere Gewißheit, welche keines Wortes, keines Zeichens bedarf, ja, zuweilen sie verschmäht, erhebt die Liebe zu einer göttlichen Eigenschaft: zur Allwissenheit; denn ihr All’ ist das geliebte fremde Herz. Ignaz war im heftigsten Zorn. Ein Tausch von magnifiken Gefühlen! rief er; Gott! wie kommt nur solcher Unsinn in den Kopf einer sonst ziemlich verständigen Frau. Ein Tausch von Ringen -- _à la bonne heure!_ unter diesen Umständen gehörte ~der~ wesentlich zu meiner Ansicht von der Liebe. Aber ist es denn möglich, daß sie diesem widerwärtigen, langen, blassen, finstern Regierungsrath gegenüber auf jenen magnifiken Tausch verfallen kann? Wenn’s eine passende Partie wäre -- oder wenn der Mann ebenso brillant und bezaubernd wäre, wie er ~nicht~ ist -- dann ließ’ ichs gelten! ich könnt’ es begreifen! Jetzt ist’s unbegreiflich! Und welchen Einfluß er auf sie hat! Sie denkt nicht mehr an die Donation. O Himmel, warum ließ ich sie nicht früher machen, ehe unberufene Rathgeber sich hinein mischten! es wäre alsdann ein freundschaftliches Uebereinkommen zwischen uns gewesen! Jetzt, wenn die Gerichte dabei ins Spiel kommen, wenn sie ein Paar Dutzend Advokaten, oder Justizräthe, oder wie die Rechtsverderber heißen mögen! darum befragt: jetzt verwandelt sich die pompöse Donation in einen magern Vergleich .... der meiner eigensinnigen Mama zu gut kommt und ... dem Herrn Regierungsrath Forster! Sacristi! Grade diesen Vergleich besprach Tosca am nächsten Morgen mit einem Rechtsgelehrten, den Sigismund ihr empfohlen hatte, und den sie zu sich bitten ließ; dann ließ sie Ignaz rufen, und sagte, indem sie ihm mit freudestralendem Gesicht entgegentrat: „Mein lieber Ignaz, ich mache mir ein wahres Fest daraus, Ihnen etwas zu sagen, das Ihnen lieb sein wird, weil es meinen unbehaglichen Zwiespalt mit Ihrer Mutter unfehlbar beendet. Der Herr Justizrath hier hat mir gesagt, daß ihr die Hälfte der Erbschaft zukomme“ ... -- „Ich habe nicht gesagt: zukomme! gnädige Frau,“ unterbrach sie der Justizrath. „Entschuldigen Sie meine ungeschickte Weise mich auszudrücken,“ sagte Tosca, „und Sie, lieber Ignaz, schreiben Sie das Ihrer Mutter, und bitten Sie sie in meinem Namen, die kleine Spaltung zu vergessen, welche bis daher, ohne meinen Willen, stattgefunden hat. Der edle Todte, den wir Alle betrauern, wird dann mit uns Allen zufrieden sein.“ Milde Thränen flossen über ihr schönes klares Antlitz, als sie ihre Hand an Ignaz gab und die seine herzlich drückte. Er sprach sich auch höchst gerührt und höchst dankbar aus; aber ihm war zu Muth, als müsse er seiner Mutter rathen einen Prozeß gegen Tosca zu beginnen. Wer weiß, ob er nicht zu unsern Gunsten sich entschiede! dachte er. -- -- -- Sigismund war durch die Ankunft seines Schwagers überrascht worden. Er erschrak förmlich, als er ihn bei sich eintreten sah; sein Kommen schien ihm in Verbindung mit Agathen zu sein. Aber keineswegs. „Stell’ Dir vor!“ sagte Friedrich, „dies verdammt feuchte Wetter, und ein Paar nothgedrungene Fahrten längs der Elbe, während ihrer perniziösen Nebel, haben mir ein Paar Anfälle von kaltem Fieber zugezogen. Kein Chinin ist dagegen so wirksam, als Luftveränderung: drum komm’ ich her! morgen geh’ ich zurück.“ „Das ist zu schnell,“ sagte Sigismund; „Du hast ja nicht Zeit, die Wirksamkeit Deines Mittels zu erproben.“ „Nicht hier, aber in Magdeburg! -- Und nun komm, mein Alter! wir wollen zu Sala Taroni Austern essen, und zu Meinhard speisen gehen. Ich habe schon Diesen und Diesen und Jenen besucht und begegnet, und ihnen gesagt ebenfalls dahin zu kommen.“ „Wie?“ sagte Sigismund lachend, „Austern essen und bei Meinhard diniren? ein Fieberkranker?“ „Wenn man reist wie ein Gesunder, muß man sich auch übrigens wie ein Gesunder geriren!“ rief Friedrich. „Und glaubst Du, daß ich nur Andern, nicht mir selbst, ein Rezept zu schreiben verstehe? und glaubst Du, daß so ein Rezept sich schwerer einnimmt gegen die Austern, als gegen das kalte Fieber? _Allons!_ zu Sala Taroni!“ Er nahm Sigismund unter den Arm. In der Thür begegneten sie einem Diener, der Sigismund bat, gegen Abend zur Frau Generalin zu kommen; sie wünsche ihn in Geschäften zu sprechen. „Was ist das für eine Generalin?“ fragte Friedrich ganz neugierig. „Frau von Beiron,“ entgegnete Sigismund. „Was Wetter! Tosca Beiron? und in Geschäften!“ „Der General ist vor vierzehn Tagen gestorben und ich habe ihr den Justizrath Kleber empfohlen,“ sagte Sigismund; „darauf werden sich vielleicht die Geschäfte beziehen.“ „Ich würde ihr für mein Leben gern meine Aufwartung machen, wenn ich nur wüßte, daß sie mich empfinge!“ rief Friedrich. „Könntest Du sie nicht fragen?“ Sigismund war tödtlich erschrocken über diesen Vorschlag. „Sie hat noch gar keine Besuche in dieser Zeit angenommen,“ sagte er ein wenig verlegen. „So so! -- Nun, mein Junge, Agathe läßt Dich vielmal grüßen!“ sagte Friedrich etwas boshaft. Sigismund sah ihn ganz erstaunt an. „Ja ja,“ fuhr Friedrich lachend fort, „Du magst es wol nicht um sie verdienen, aber sie läßt Dich doch grüßen -- gutmüthig wie sie ist -- und läßt Dir sagen, daß sie Dir sehr bald schreiben würde.“ „Gottlob!“ rief Sigismund aus tiefster Seele. „Was Wetter? habt Ihr Euch verzankt? und schon vor der Hochzeit?“ sagte Friedrich gespannt. „Nein, bester Friedrich,“ sagte Sigismund kurz. Ihm schwebte auf den Lippen dem Schwager zu sagen, wie er mit Agathen stehe; aber er dachte, es schicke sich nicht, daß er sich früher gegen einen Andern, als gegen sie selbst darüber ausspreche. Darum bog er ferneren Neckereien durch die abgebrochene Antwort vor. Nachdem die Herren die Austern bei Sala Taroni excellent gefunden hatten, gingen sie zu Meinhard hinüber, wo sich ein Paar gute Freunde Friedrichs zu ihnen fanden, und wo sie sehr munter zusammen speisten. An einem Tisch neben dem ihren saß Ignaz mit zwei andern Herren. Um fünf Uhr verließ Sigismund die fröhliche Gesellschaft, und versprach seinem Schwager, ihn später in der italienischen Oper aufzusuchen. Tosca sagte, als er bei ihr eintrat: „Ich freue mich recht Sie wiederzusehen, jetzt wo mir so viel besser und leichter ums Herz ist.“ „O es ist eine Seligkeit, sich leichten Herzens zu fühlen, und wenn es auch nur, wie das Ihre, von einem Sonnenstäubchen gedrückt worden ist,“ sagte Sigismund. Sein Herz war schwer. Die ungelöste Verbindung mit Agathen zermarterte ihn. Während er vor der Welt noch ihr Verlobter war, während sie ihm Grüße schickte wie einem Geliebten -- hatte er sich mit Herz und Hand einer Andern anverlobt. Gern hätte er keine fernere Rücksicht auf ihre Bitte genommen, und ihr geschrieben; allein sein Brief, der noch immer versiegelt im Schreibtisch lag, und der vor drei Wochen die Wahrheit sagte -- war jetzt nicht mehr wahr! Er konnte nicht mehr sagen: „weiter nichts;“, denn eine Zukunft, reich, voll, glänzend wie das Paradies, hatte sich ihm erschlossen, und Tosca stand in dessen Mitte und winkte ihn zu sich hinein. Er liebte, und Liebe macht das Herz zart und empfindlich, auch für Andre; daher fühlte er, daß jener Brief Agathe wol sehr traurig gemacht hätte; daß es aber eine unerhörte Kränkung für sie sein würde, wenn er heute die volle Wahrheit schriebe. Und so entschloß er sich denn, immer wieder auf Agathens Beschluß zu warten, und die quälende Pein, die er bis dahin leiden mußte, als eine Buße für den etwaigen Leichtsinn, den er sich bei seiner Verlobung zu Schulden hatte kommen lassen, hinzunehmen. Daß Agathe ihm ~nicht~ sein Wort zurückgeben werde, fiel ihm nicht ein: so gänzlich und durch und durch fühlte er sich von ihr abgelöst, auch wenn er nicht, wie jetzt, sich Tosca gegenüber befand. Tosca kannte nicht die Qualen eines zerspalteten Herzens; ihr Geschick hatte sie anders geführt. Ja, sie kannte nicht einmal ein großes Leid, denn jener eine frühe Schmerz ihrer Jugend, der wie das Hyadengestirn trübe an ihrem Horizont gestanden hatte, war untergegangen, seitdem sie jetzt Sigismund kennen gelernt; -- und ihre gegenwärtige Trauer um den General war kein herzbrechendes Weh, und sie suchte auch nicht es vor sich selbst als ein solches darzustellen, aufrichtig, wie sie war. Daher kannte sie im Grunde nur Aeußerlichkeiten, peinliche Verhältnisse zu Andern etwa, welche das Herz bedrücken konnten, und theilnehmend fragte sie Sigismund, ob er vielleicht in und mit seiner Familie Unannehmlichkeiten habe. Ihm war zu Muth, als müsse er vor ihr niederknien und ihr Alles sagen, seine Liebe zu ihr, sein Verhältniß zu Agathen, das doch keins mehr war. „Aber nein!“ dachte er; „wenn ich frei bin -- dann will ich sprechen, von Lieb’ und Leid, von Allem! weshalb soll ich sie jetzt aus ihrem Himmel voll Frieden in meine Unruhe hinabziehen? ... und wie lange kann es dauern? zwei, drei Tage vielleicht, so bin ich frei.“ Er sagte zu Tosca: „Nein, gnädige Frau, Unannehmlichkeiten hab’ ich nicht in meiner Familie, und auch nie gehabt. Wir sind unser fünf Geschwister und die Mutter, Alle vollkommen einig unter einander; aber Sorgen hat man doch, wo so Viele sind, an deren Wohl und Weh man Theil nimmt. Ich habe zwei Brüder; der jüngste ist ein Glückskind: der würde vom Thurm herunterfallen und wohlbehalten, wie eine Katze, auf seinen Füßen auf dem Boden anlangen; das ist ein lieber guter unbedeutender Mensch, der es aber doch einmal zu etwas ganz Tüchtigem bringen mag. Der Andere hat große Gaben, Geist, Schönheit, Charakter -- aber kein Glück.“ .... -- „Und darüber wundern Sie sich?“ rief Tosca; „wo die Gaben sind, ist nie das Glück! In großen Gaben ist immer ein gewisser Stolz, der zum Glück zu sagen scheint: ‚Geh’, ich brauch’ dich nicht.’ Wo sie fehlen, da hat das Glück so recht freie Hand, und es liebt, wie alle Despoten, Alles für den Schützling zu thun. Die Menschen mit großen Gaben würden ja die ganze Welt an sich reißen, verbrauchen, beherrschen, zernichten, wenn sie auch noch Glück hätten! nein, Gott sorgt auch für seinen Mittelschlag.“ „Nennen Sie die Reichbegabten weniger ~sein~?“ fragte Sigismund lächelnd. „Ach,“ sagte Tosca, „sie sind es vielleicht mehr. Jede Gabe ist ja eine Gnade.“ „Mein Bruder hat nicht nur kein Glück,“ fuhr Sigismund fort, „sondern ein entschiedenes und beängstigendes Unglück. Er hatte eine große Liebe -- und die Liebste starb, als nach fünf Jahren ihre Eltern endlich ihre Einwilligung gaben. Er hatte ein Duell, und sein Gegner fiel. Er flößte einem jungen Mädchen niedrigen Standes, als er in Folge dieses Duells auf der Festung saß, ohne es zu wollen, ja, ohne eine Ahnung davon zu haben, eine so heftige Leidenschaft ein, daß sie geisteskrank ward und noch ist“ ... -- „Gott behüte mich vor dem unheimlichen Menschen!“ rief Tosca. „Liest man solche Schicksale in Romanen, so meint man, der Autor habe sie sich hinter seinem Schreibtisch zusammen gedacht.“ „Es ist doch traurige Wirklichkeit bei meinem armen Bruder,“ entgegnete Sigismund. „Nur das Eine muß ich bezweifeln,“ sagte sie, „daß Ihr Bruder keine Ahnung von jener Leidenschaft des armen Mädchens gehabt haben soll. Solche Ahnung haben Männer .... nein! ich will ehrlich sein! hat man immer.“ „Wie konnte er! er hat sie nie gesprochen .... kaum gesehen. Wenn auch das Wort überflüssig ist -- der Blick ist es nicht. Das Mädchen war die Tochter des Thorschreibers. Sie sah meinen Bruder täglich. Morgens und Abends, mit hypochondrischer Pünktlichkeit, machte er einen Spaziergang um die Wälle der Festung, und ging dabei immer an ihrem Häuschen, ihrem Fenster vorüber. Er war immer allein, denn er floh dazumal die Menschen; er sah zergrämt und melancholisch aus; schön ist er, wie ich selten einen Mann gesehen. Auf welche Weise sich die Liebe in ein Herz von sechszehn Jahren schleicht, mit welchem Gefolge von Mitleid, von Theilnahme, vielleicht von Romanlectüre -- wer hat das ergründet! Als mein Bruder nach einem Jahr die Festung verließ, wurde das Mädchen immer stiller und stiller, dann tiefsinnig, und jetzt halten die Aerzte sie für unheilbar, weil sie in Stupidität versunken ist.“ „O Himmel, wie ist denn Ihrem Bruder dabei zu Muth?“ rief Tosca schaudernd. „Wie einem Manne, der, ohne es zu wollen, großes Unheil gestiftet hat: traurig und ruhig.“ „Ist es Ihrem Bruder nie eingefallen, das arme Mädchen herzustellen, indem er es heirathet?“ „Das glaub’ ich wol nicht, gnädige Frau! sie war ganz ungebildet, ganz unschön, fremd seinem Wesen, seinem Herzen.“ .... -- „Aber da sie ihn so sehr liebte!“ „Was liebte sie, gnädige Frau? seine Erscheinung! seine gesenkte Stirn, seinen melancholischen Ausdruck! ist es nicht sehr leicht möglich, daß ihr exaltirter Kopf aufgehört hätte, ihn zu lieben, sobald sie ihn hätte lachen hören oder Champagner trinken sehen? -- Um ein solches Opfer sublim zu machen, muß es am rechten Ort gebracht werden.“ „Ach,“ sagte Tosca, „wird der klügelnde Verstand nicht immer behaupten, es sei nicht der rechte Ort?“ „Wohl dem, den die Verhältnisse in einfache Situationen bringen!“ sagte Sigismund schwer. „Und was ist jetzt Ihrem Bruder widerfahren?“ fragte Tosca. Sie meinte, es müsse Sigismund erfrischen, sich ihr mittheilen zu dürfen. „Jetzt wissen wir nichts Bestimmtes von ihm. Er spricht sich selten aus, und in gewissen Fällen nie. Wir haben nur gehört -- wie sich denn das so herum zu sprechen pflegt -- und wie wir das nach seinen Briefen vielleicht schließen dürfen, daß jetzt ~er~ von einer heftigen und unglücklichen Leidenschaft ergriffen ist, die ihm seine Stellung, seinen Beruf, ja seine ganze Existenz unerträglich macht.“ „Mein Gott!“ rief Tosca, „wenn ich aus meinem stillen, kühlen, friedlichen Winkel heraus in die Wirbel-Existenz solcher Kinder des Sturmes sehe, wie preise ich dann mein Schicksal, das mich nie mit ihnen zusammen geführt hat! Sie würden mich vernichten oder zerbrechen“ .... -- „Oder auch Sie würden ihnen Ihren Frieden, Ihre lichtvolle Klarheit geben, und wie ein Regenbogen in die Gewitterwelt hineintreten. Einer Seele wie der Ihren begegnet zu sein, ist ein unermeßlicher Segen, denn er wird zum Polarstern, -- und solch ein Glück ist’s, das der Mensch braucht; denn Kind der Stürme oder nicht, Glückskind oder nicht, seine umdunkelten Tage und Wege hat Jeder, und da fällt es schwer, sich ohne solchen Stern zurechtzufinden.“ Er hatte mit solchem tiefen Ernst gesprochen, daß Tosca nicht daran dachte, zu erröthen oder verlegen zu werden. Aber eine Thräne trat ihr ins Auge. War es Freude? war es Wehmuth? sie wußte es nicht. Aber sie dachte, indem sie Sigismund anblickte, daß er ihrem ganzen Leben die unwandelbare Richtung gegeben habe. Sigismund wurde ruhiger bei ihr. Seine Niedergeschlagenheit wich, die Beklommenheit ließ nach. Er fühlte sich neben ihr wie auf dem Gebirg, in einer freiern, reineren, herzstärkenderen Atmosphäre. Unablässig wollten ihm die Worte, wie glücklich er sei, welche huldigende Liebe er für sie empfinde, über die Lippen gleiten. Er drängte sie gewaltsam zurück. Ihm schien, als sei er noch nicht werth, sie auszusprechen. Aber dieser verhehlte Kampf machte ihn schwermüthig, und als er jene Thräne in Toscas Auge sah, warf er zerbrochen und überwältigt beide Hände vors Gesicht, und sank zu ihren Füßen nieder. Sie legte sanft ihre Hand auf sein Haupt. Es war, als erlöse ihn die linde Berührung von den spröden Fesseln der Qual. Er ließ die Hände fallen, und blickte zu ihr empor, während sie zu ihm herabblickte. Magnetisch sanken ihre Lippen auf einander; es war ein schüchterner, zitternder Kuß, den das Uebermaß und nicht der Mangel an Liebe so scheu und so flüchtig machte. „Gehen Sie,“ sagte Tosca mit einer so süßen Inflexion der Stimme, wie er sie nie gehört, und so sanft, daß es ihm unmöglich war, ihr nicht zu gehorchen. Als er sie verlassen hatte, als er sich wiederfand unter dem Himmel voll blitzender Sterne und mit einem Himmel in der Brust; da wollt’ er sich besinnen, wie das Glück über ihn gekommen sei. Er legte die Hand an die Stirn. Da tauchte es wie ein Blitz in ihm auf, das Wort, welches er einst im kindischen Uebermuth gesagt: „Meine Lippen sollen verdorren, wenn sie Tosca Beiron küßten.“ -- „O Thorheit!“ sprach er zu sich selbst; „die Fülle des Lebens erschließt sich .... und jetzt erst recht!“ -- -- Er suchte in der Oper seinen Schwager auf und brachte den Abend mit ihm zu. Tosca hätte sehr gewünscht, allein und ungestört bleiben zu dürfen; aber sie wollte Ignaz nicht absichtlich kränken und ihn abweisen lassen, wenn er nach seiner Gewohnheit käme, um ihr guten Abend zu wünschen. „Mein Gott!“ rief er ihr entgegen, als er kaum ins Zimmer getreten war, „was ist Ihnen widerfahren, schöne Tante, Sie sehen stralend aus!“ „Ich habe gelesen,“ sagte sie ein wenig verlegen und legte das Buch fort, welches sie in der Hand hielt. „Wenn Sie gelesen haben, so ist’s gewiß zwischen den Zeilen gewesen -- was allerdings manchem Autor öfter widerfahren mag, als ihm lieb ist.“ „Aber Sie selbst, Ignaz, sehen ungewöhnlich heiter aus,“ sagte Tosca. „Ich hab’ auch gelesen, meine schöne Tante.“ „Und darf man fragen, welchen Autor?“ „Einen anonymen.“ „So? anonym? ist denn das heut zu Tag noch Mode? ich meinte, in unserm vom _quasi_ beherrschten Jahrhundert sei man lieber pseudonym.“ „Briefe erlauben sich noch zuweilen die Anonymität.“ „Ach, Ignaz! einen anonymen Brief haben Sie bekommen? was steht darin? darf ich ihn nicht sehen?“ „Es ist ein _Rendez vous_.“ ... -- „Und das plaudern Sie aus!“ rief sie, scherzend mit dem Finger drohend. „Es ist gewiß, daß die Männer ihr Glück gar nicht zu schätzen wissen -- denn es ist Glück, mein Ignaz, in eine gewisse Spannung und Erwartung versetzt zu werden, und ein Paar Stunden der Ungeduld und Neugier zu haben.“ „Ach, ich glaube, die ganze Sache geht mich wenig oder gar nichts an,“ sagte Ignaz, und nahm einen Brief aus dem Portefeuille. „Was sagen Sie zu der Handschrift?“ Tosca sah sie an und sagte: „Das ist ein absichtliches Gekritzel und keine Handschrift.“ „Lesen Sie, wenn es Ihnen Spaß macht,“ sagte Ignaz gleichgültig. „Sie scheinen mir sehr blasirt zu sein,“ sagte Tosca lachend, und las den Brief, der nur die Worte enthielt: „Wenn Graf Adlercron Mittheilungen zu haben wünscht, welche ihm wichtig sein werden, weil sie eine Person interessiren, für die er sich ganz außerordentlich interessirt: so muß er morgen früh um 9 Uhr im Thiergarten bei der Statue der Venus von Milo sein.“ „O,“ sagte Tosca, „das ist nur eine Redensart! die Person, für welche er sich ganz außerordentlich interessirt, wird wol .... er selbst sein.“ „Und wenn Sie es wären, Tosca?“ „Ich!“ rief sie sehr erschrocken. „Es ist doch ganz gewiß, daß ich mich lebhafter für Sie, als für mich selbst interessire.“ „Was wissen Ihre anonymen Correspondenten davon!“ sagte sie stolz und warf den Brief auf den Tisch. „Die Welt weiß Alles, erfährt Alles, mischt sich in Alles“ -- sprach er kalt. „Personen, die in ihr eine gewisse Stellung einnehmen, werden sehr beobachtet.“ .... -- „Jetzt wollen Sie mir erzählen, daß die Augen von ganz Berlin, vielleicht vom ganzen preußischen Staat auf meine arme Person gerichtet sind -- nicht wahr? während ich doch die Ueberzeugung habe, daß höchstens ein Dutzend Menschen sich sehr oberflächlich um mich kümmern.“ „Es ist eine Schwäche der unbedeutenden Menschen, sich einzubilden, daß die Augen der ganzen Welt auf sie gerichtet sind; und es ist eine Manie gewisser ausgezeichneter Personen, sich einzubilden, daß sie unsichtbar, wie verhüllte Gottheiten, durch die Welt gehen. Hier, wie dort, ist es ein Irrthum, aber dort ist er schmeichelhaft, hier bequem.“ „Das mag fein und richtig bemerkt sein,“ entgegnete Tosca ruhig; „nur ich ... gehöre nicht zu denen, die sich durch fremde Augen geschmeichelt oder genirt fühlen, und ich bleibe bei meiner Meinung, daß der Brief Sie allein betrifft.“ „Dann lohnt’s nicht der Mühe, hinzugehen.“ „O bitte, bitte! lieber Ignaz, gehen Sie hin! erzählen Sie mir, wie man sich benimmt bei so einem geheimnißvollen _Rendez vous_.“ „Ob es nicht Spitzbuben sind, die mich ausplündern wollen? der Thiergarten soll nicht ganz geheuer sein.“ „Lassen Sie Uhr und Geldbeutel zu Haus und nehmen Sie ein Pistol mit.“ „Oder ob es nicht _tout bonnement_ eine Bettelei sein wird?“ „Nun, so nehmen Sie den Geldbeutel mit.“ „Und so früh! neun Uhr! da muß ich um sieben aufstehen.“ „Wenn Sie so lange Zeit auf Ihre Toilette verwenden wollen,“ rief Tosca lachend, „so ist das ein unverkennbares Zeichen, daß Sie sich weder auf Spitzbuben, noch auf Bettler gefaßt machen.“ „Aber ich muß doch frühstücken, schöne Tante! Sie werden mir doch nicht zumuthen, diese enorme Promenade zur Venus von Milo in der Morgenkälte nüchtern zu machen?“ rief Ignaz, und begann an seinen Knöpfen zu zählen: „Soll ich -- soll ich nicht.“ .... -- „Sie sollen!“ unterbrach ihn Tosca; „ich übernehme den Ausspruch des Schicksals.“ „Sie haben es gewollt ... ich werde gehorchen,“ sprach Ignaz. Er hatte bei Meinhard ganz genau zugehört, wie Friedrich erzählte, nachdem Sigismund fortgegangen, daß und mit wem sein Schwager verlobt, und daß die Hochzeit ganz nah sei. Kein Wort war ihm entfallen. Sein Herz schlug hoch auf vor Freude. Es war nicht seine Gewohnheit, in irgend einer Angelegenheit ehrlich zu Werk zu gehen. Darum fiel es ihm nicht ein, diese Nachricht an Tosca, wie eine Neuigkeit etwa, zu erzählen. Er wollte sie ängstigen; durch die Heimlichkeit, die immer noch eine gewisse Unsicherheit zuließ, abquälen; gegen Sigismund erbittern; darum erfand er Brief und _Rendez vous_. Und dann war es möglich, ja wahrscheinlich, daß Sigismund die anonymen Beschuldigungen läugnen würde; und that er das: so wollte Ignaz schließlich Friedrichs Namen nennen. Dann hatte er sich an Sigismund gerächt, und Tosca gestraft; dann hoffte er die Gewalt wieder über sie zu gewinnen, die er unleugbar nur verloren hatte, seitdem Sigismund in ihrer Nähe lebte; und dann gab sie ihm vielleicht in Zorn und Schmerz ihre Hand -- und somit das halbe Vermögen, welches doch immer besser war, als nichts. Jetzt war er von ganz besonders liebenswürdiger und scherzhafter Laune; denn er fühlte sich seines Triumphes gewiß. „Gott!“ dachte Tosca, nachdem Ignaz endlich gegangen war; „er ist wirklich ein recht angenehmer und guter Mensch ... aber ich sehe wirklich nicht ein, weshalb er noch immer wie an mich geschmiedet ist! wenn er doch zu seiner Mutter ginge ... oder wohin er sonst wollte. Ich kann ja sehr gut allein nach Trier reisen.“ Wenn ein tiefes und mächtiges Interesse sich des Herzens bemeistert, so werden dadurch die Bande der gewöhnlichen freundschaftlichen Theilnahme sehr gelockert. Es müssen eben so tiefe und mächtige Freundschaften sein, welche frisch wie der Phönix aus dem Scheiterhaufen auffliegen, den das Herz aus seinen früheren Schätzen und Kleinodien erbaut, und den es von den Flammen der Liebe gleichgültig verzehren läßt. Der Justizrath Kleber kam früh am andern Morgen zu Tosca, und brachte ihr die Acte, die er für sie nach ihrer Angabe aufgesetzt hatte. Sie war ganz damit zufrieden, und behielt sie, um sie erst an Sigismund, dann an Ignaz zu zeigen. Sie wünschte, Jenen früher als Diesen zu sprechen, für den Fall, daß er irgend eine Bemerkung oder Aenderung an der Acte zu machen habe; und dann ... hauptsächlich! ... sie wünschte ihn zu sehen. Er war seit dem Tode des Generals noch nie zu ihr gekommen, ohne daß sie ihn darum hatte bitten lassen; und so that sie es auch jetzt. Sigismund kam sogleich. Er hatte seinen Schwager zur Eisenbahn das Geleit gegeben, und Agathe durch ihn dringend beschwören lassen, ihm morgen zu schreiben, ihn nicht länger zu quälen; er sei wie auf der Folter. „Ich sehe Dir wohl die Aufregung an, mein Alter,“ erwiederte Friedrich. „Warte nur! ich werde es der Agathe so beweglich vorstellen, was und wie Du leidest“ .... -- „Nein, nein! um Gottes willen, sag’ ihr nichts, gar nichts, als daß sie mir zwei Zeilen schreiben soll!“ rief Sigismund heftig. Und kopfschüttelnd versprach Friedrich den Auftrag auszurichten. Tosca erschrak über Sigismunds Aussehen. Es giebt einen gewissen fatiguirten Zug um Mund und Wange, der deutet auf körperliche Erschöpfung, und einen fatiguirten Zug um die Augen, der auf seelische deutet. Dieser Zug in einem geliebten Antlitz ist herzzerschmelzend oder herzzerreißend -- je nachdem man das Bewußtsein hat, ihn verscheuchen zu können, oder nicht. Tosca wagte nicht, sich diese Kraft zuzutrauen. Sie fragte schüchtern und traurig: „Wie geht es?“ „Schlecht ... -- schlecht!“ antwortete Sigismund langsam und gepreßt. Tosca hätte gern weiter gefragt: Schlecht? und ich liebe dich! Aber liebst du mich denn nicht? -- Allein Sigismund imponirte ihr durch seine unerschütterlich gleichmäßige Haltung, so daß sie ihm höchstens auf ähnliche Fragen geantwortet, jedoch nimmer den Muth gehabt hätte, sie an ihn zu richten. Sie nahm all’ ihre Kraft zusammen, gab ihm die Akte, und bat ihn sie durchzusehen. Sigismund that es, aber seine Hand, die das Papier hielt, zitterte. „O Sie sind krank!“ rief Tosca, stand auf und nahm das Papier. Sigismund sprang lebhaft auf, ergriff ihre Hand und rief überwältigt: „Aber Tosca, könnten Sie mich denn lieben?“ Indem trat Ignaz ins Zimmer. Als er Tosca und Sigismund Hand in Hand gewahrte, warf er ihnen ein hämisches Lächeln zu. Tosca zog ihre Hand langsam und unverlegen zurück, nachdem sie Sigismunds gedrückt hatte, und Sigismund setzte sich wieder, nachdem er Ignaz begrüßt hatte, und fuhr fort die Akte zu lesen. Diese große Ruhe und der Gedanke, daß Sigismund es sei, der ihn um ein Vermögen bringe, welches er als das seine betrachtet hatte, erweckte den bittersten Groll in Ignaz. Als Tosca zu ihm sagte: „Das ist das Papier, lieber Ignaz, das Alles zwischen mir und Ihrer Familie aufs Reine bringt;“ erwiderte er höhnisch: „Wie glücklich ist der Regierungsrath Forster, daß Sie ihm in einer so wichtigen Angelegenheit Ihr unbedingtes Vertrauen schenken.“ Sigismund hob den Kopf und sah Ignaz an. Tosca sagte ruhig: „Sie haben ganz Recht, Ignaz! der Regierungsrath Forster besitzt allerdings mein volles Vertrauen. Doch in dieser Angelegenheit hab’ ich auch noch einen Rechtsgelehrten zu Rath gezogen, und er hat jene Acte aufgesetzt.“ „Schöne Tante,“ sagte Ignaz mit seinem verbindlichsten Lächeln, „sollte volles Vertrauen nicht gegenseitig sein? und hat der Regierungsrath Forster Ihnen wol je anvertraut, daß er verlobt ist?“ Sigismund stand grade in die Höhe auf und sagte gelassen: „Herr Graf, Sie sind ein Nichtswürdiger.“ Tosca warf einen prächtigen Blick von oben herab auf Ignaz und sprach mit unsäglicher Verachtung: „Ah, Sie kommen von Ihrem _Rendez vous_.“ „Herr Regierungsrath,“ sagte Ignaz, „darauf werde ich Ihnen zu seiner Zeit antworten.“ Dann wandte er sich zu Tosca: „Nein, schöne Tante! die Anonymität würde Sie nicht überzeugen; aber das eigene Geständniß des Regierungsrath Forster soll es. Fragen Sie ihn doch, ich bitte, ob er sich nicht Mitte Dezember vorigen Jahres mit Fräulein Agathe, einzigen Tochter der verwittweten Justizräthin Gertner verlobt hat, und ob seine Hochzeit nicht auf die ersten Tage des April angesetzt ist, und ob sein Schwager, der Doctor Friedrich zu Magdeburg, etwa diese Geschichte nur erfunden hat. Ich würd’ es Ihnen gönnen, Herr Regierungsrath,“ sagte er mit dem bittersten Hohn zu diesem, „wenn Sie jetzt: Lügner! sprechen dürften.“ Während Ignaz sprach, hatte Tosca ihn so scharf und durchbohrend angesehen, als wolle sie in den Grund seiner Seele dringen und dort die Wahrheit lesen. Es war etwas in seinem Ausdruck, das wie vollkommne Ueberzeugung klang, daher warf sie einen fast flehenden Blick auf Sigismund, um ihn zu beschwören, Ignaz mit einem Worte zu widerlegen. Sigismund stand da, wie in die Erde gewurzelt, wie versteint, nur lebend in dem Blick, den er auf Tosca heftete. Als sie diesem Blick begegnete, schrie sie hell auf. Sie fühlte, daß Sigismund das Wort: Lügner! das sie hoffte und ersehnte, mit einem andern Ausdruck gesagt haben würde. „Tosca!“ rief Sigismund und fiel vor ihr auf die Knie. Sie trat zu ihm heran; sie blickte ihn fest an, legte fest ihre beiden Hände auf seine Schultern, als ob sie ihn damit zu Boden drücken wollte, und sagte mit fester Stimme: „Sigismund Forster! Du fragtest mich, ob ich Dich lieben könnte. Sieh! so tief, so stark, so unauslöschlich ich Dich geliebt habe -- so tief, so stark, so unauslöschlich verachte ich Dich.“ Langsam ging sie in ihr Zimmer. Sigismund und Ignaz wechselten einige Worte. Dann ging Sigismund herauf. Ein Brief von Agathen lag auf seinem Schreibtisch. Er erbrach ihn mechanisch, gedankenlos; ihm war, als habe er mit der Welt und dem Leben abgethan, als sei er begraben unter Toscas Verachtung. Agathe schrieb: „Ich habe ruhig werden wollen, um ohne Zorn und ohne Uebereilung den letzten Schritt zu thun, den, der uns trennt, und den Sie gewiß von mir erwarten. So lange ich glücklich war, habe ich mich über Ihre Gefühle für mich täuschen können; jetzt, da ich es nicht mehr bin, kann ich es nicht. Sie haben mich nie geliebt, nie mit dem ganzen Herzen, so wie Sie lieben können, geliebt. Das ist nicht Ihre Schuld, und nicht die meine, die Herzen liegen in Gottes Hand. Daß Sie sich mit mir verlobten, war Ihre Schuld, und die vergeb’ ich Ihnen aus voller Seele. Gott segne Sie -- denn es ist meine feste Ueberzeugung, daß Sie seinen besten Segen verdienen. Agathe Gertner.“ „Der Himmel hat meine Schuld an Dir gerächt, Agathe!“ sprach Sigismund zu sich selbst. „Vor 24 Stunden wär’ ich mit diesem Blatt zu ihren Füßen, frei, selig, niedergesunken; jetzt ... ist Alles, was ich ihr sagen möge, nur eine matte Entschuldigung.“ Ignaz schickte seinen Sekundanten zu ihm. Sigismund erklärte sich mit Allem zufrieden: das Duell sollte auf Pistolen sein, und in der Frühe des nächsten Morgens auf der mecklenburgischen Grenze stattfinden. Ignaz selbst wollte zu Tosca; sie ließ ihm sagen, sie könne ihn nicht sehen. Sie war zermalmt. Sigismunds unerhörte Falschheit ätzte sich in ihr Herz, wie nach einer Sage Gift den Diamanten zerfressen soll. Dazwischen tauchte, wie bei einem Fieberkranken die Besinnung, so bei ihr die Zuversicht auf, daß es sich anders verhalten könne, müsse. Aber weshalb sprach er nicht, als es Noth that! weshalb sprach er nicht! er konnte sich nicht entschuldigen! -- wiederholte sie wol tausend Mal, während sie mit jener qualvollen Rastlosigkeit, welche immer das Unbehagen der Seele zu begleiten pflegt, auf und ab in ihrem Zimmer ging. Als ihre Kammerfrau mit zwei Briefen eintrat, entsetzte sie sich dermaßen, daß sie halbohnmächtig ins Sopha fiel: sie erkannte auf dem einen Sigismunds Schrift. Sie dachte, ob es nicht besser sei, ihn uneröffnet zurückzusenden. Aber, besser oder nicht, zu diesem Grad von Heroismus hat es noch nie ein liebendes Herz gebracht. Schriftzüge der geliebten Hand sind magische Zeichen, welche zu uns in andrer Sprache reden, als die, womit man gewöhnlich zu reden pflegt. Und dann: indem unser Blick auf ihnen ruht, hat er die Wirkung, welche das Feuer auf sympathetische Dinte hat: unsichtbare Worte kommen zum Vorschein. Als Tosca ihre Adresse auf dem Brief las, kam ihr Name ihr geadelt und verklärt vor. „Ach! heiße ich denn wirklich so prächtig?“ fragte sie sich zweifelhaft. Und es war doch nur der Name, den sie ihr ganzes Leben hindurch getragen hatte. Sie vergaß Alles: Schmerz, Zorn, Kränkung. Sie erbrach den Umschlag. Zwei andre Briefe fielen heraus; der eine, von Sigismund an Agathe, den er ihr nach seiner Rückkehr von Magdeburg geschrieben und nicht gesendet hatte; der andre, den er heute von Agathen empfangen. Von ihm an sie -- keine Zeile, kein Wort; weder Entschuldigung noch Bitte; nichts! Tosca las die Briefe, verglich den Datum, dachte nach, an welchem Tag Sigismund geschrieben, und das Eine, das eine Nothwendige wurde ihr klar: Sigismund liebte sie! mogte er Agathe gekränkt, mogte er unbesonnen und leichtsinnig gehandelt haben -- sie durfte es ihm nicht vorwerfen, denn unter dem Einfluß seiner Liebe zu ihr, und einer damals auf jede Weise hoffnungslosen Liebe, hatte er gestanden. „O, er liebt mich ... er liebt mich doch! nur mich!“ rief sie; und die Thränen, welche bis daher vom bittern Schmerz erstarrt, wie Eis in ihrer Brust gelegen hatten, brachen hervor und erquickten sie, wie ein Frühlingsregenschauer nach einem beklemmenden Gewitter. Sie las die Briefe unzählige Mal. Abwechselnd jauchzte sie, dankte Gott, und weinte wieder. „Aber ich liebe ~ihn~ wol zu sehr?“ fragte sie sich plötzlich, und der andre Brief fiel ihr in die Augen. Er war von Ignaz. Sie erbrach ihn mit einem Gefühl, als ob eine Natter über ihre Hand gleite. „Heimtückischer Mensch!“ murmelte sie. Sie wurde starr vor Entsetzen, nachdem sie den Brief gelesen. Sie schrie nach Ignaz. In der Viertelstunde, die bis zu seiner Ankunft verging, hatte die Zeit für Tosca ihren realen Werth verloren, und Jahrhunderte rollten vernehmlich über ihrem Haupt dahin. -- -- -- „Ignaz!“ rief sie bebend dem Eintretenden entgegen; „aus dem Duell kann nichts werden! Sie müssen ~ihn~ um Verzeihung bitten! ... Ja, Sie müssen, Ignaz! denn es ist nicht wahr, was Sie gehört und gesagt haben! Alles, Alles, Alles ist nicht wahr!“ „Und was ist dann wahr?“ fragte er eisig. „Das!“ rief sie und warf ihm die Briefe hin. „Gut!“ sprach er kalt, nachdem er sie gelesen; „und was wird dadurch gehoben?“ „Die Veranlassung zum Duell.“ „Mit nichten! ~er~ -- wie Sie den Regierungsrath Forster zu nennen belieben -- hat mich beleidigt.“ „Aber Sie haben ihn gereizt, verleumdet“ .... -- „Nur gesagt, was damals Wahrheit war! und wer weiß denn, ob die Briefe nicht falsch sind.“ „Ignaz ... Sie sind schlecht!“ rief Tosca empört. „Ah bah, schöne Tante!“ rief Ignaz heftig, „ich handle für Sie, zu Ihrem Heil, für Ihr Glück, ich warne Sie, ich rette Sie -- und Sie machen mir die seltsamsten Vorwürfe in einem Augenblick, wo ich vielleicht für Sie sterben werde ... das ist um die Geduld zu verlieren!“ „O Ignaz!“ rief Tosca ganz außer sich, „nur nicht sterben! nicht Sie, nicht er sollen sterben. Es geht nicht, ich will’s nicht! ... O Ignaz! Gott will es nicht!“ „Einer von uns Beiden muß sterben!“ sprach eisig Ignaz. „Nun, so hab’ ich die Hoffnung, daß er der Ueberlebende sein wird,“ sagte Tosca ruhig mit einem Blick voll unüberwindlichem Haß auf Ignaz. „Lieben Sie ihn so sehr?“ „Ja!“ sprach sie triumphirend. „Und Sie werden ihn heirathen?“ „Ja.“ „Und das sagen Sie -- Sie in der ersten, tiefen Wittwentrauer um den kaumverstorbenen edlen General?“ „Warum fragen Sie mich?“ sagte sie stolz; „ich habe es bis zu diesem Moment mir selbst noch nicht gesagt.“ „Und kennt er Ihr Herz?“ „Ich hoffe es.“ „Gut, gut!“ sprach Ignaz gelassen; „dies Alles ist im glücklichen Fall ~meines~ Todes. Aber ich habe den ersten Schuß, meine schöne Tante, und Sie wissen, wie ich treffe.“ „Ignaz!“ schrie sie und fiel auf die Knie. „Ein Mittel giebt’s,“ sprach er und hob Tosca gelassen auf, „und ich würde bereit zur Versöhnung, zu jeder Art von Ausgleichung auf friedlichem Wege sein. Nur meine Liebe zu Ihnen, Tosca, giebt es mir ein: versprechen Sie mir Ihre Hand“ .... -- „Ihnen?“ sagte sie gedankenlos. „Dann retten Sie ihn und machen mich glücklich.“ „Dann rette ich seinen Leib und tödte sein Herz. Nein, nein, und abermals nein!“ sprach sie bestimmt. „Sein Blut über Sie!“ sagte Ignaz feierlich. „Gott wird gnädig sein,“ erwiederte sie ruhig und winkte ihm zu gehen. Sie schrieb drei Worte an Sigismund -- die uralte, ewig neue Zauberformel des Glücks: „Ich liebe Dich!“ „Es ist nun so!“ sprach sie, als er gleich darauf zu ihren Füßen lag, und sah ihn an mit himmlischer Zärtlichkeit; -- „Du bist meine erste, Du bist meine letzte, Du bist meine alleinzige Liebe.“ Sie klagte nicht mehr, sie weinte nicht mehr; sie wollte ihm nicht das Herz schwach und das Auge trübe machen. In ihrer Seele war das Bewußtsein ernsten und heiligen Glückes; sie ruhte in ihrer Liebe. Sie hatten keine Zeit, um von Tod und Gefahr und Furcht zu sprechen. Sie waren glücklich. Im Himmel weiß man nur von der Seligkeit. Dem Justizrath Kleber schickte Tosca die Akte zu, mit dem Auftrag, sie in dieser Form zu vollziehen. Dann schrieb sie ihrem Arzt und bat ihn um den Freundschaftsdienst, heut Abend um zehn Uhr zu ihr zu kommen, und sie auf einer kurzen Reise zu begleiten. „Wozu? wohin?“ fragte Sigismund bebend. „Mit Dir!“ antwortete sie gelassen. „O nimmermehr!“ rief er. „Soll die einsame Qual mich tödten?“ fragte sie. „Starkes Herz!“ sagte er bewundernd. „Sprich: liebendes Herz -- Sigismund.“ Um zehn Uhr Abends fuhr Ignaz mit seinem Sekundanten und seinem Arzt von British Hotel ab, und Sigismund mit seinem Sekundanten, und Tosca mit ihrem Arzt, fuhren um dieselbe Stunde von dem grauen Hause, an der Linden- und Kirchstraßenecke fort. Es war eine feuchte, kalte Märznacht. Durch die halb mit Schnee, halb mit Nebel gefüllte Luft schimmerten die Laternen der drei Wagen roth und trübe wie Trauerfackeln. Gegen Morgen kamen sie im Gehölz von Dannenwalde auf der mecklenburgischen Grenze an. Sigismund stieg zu Tosca in den Wagen, um sie zu beschwören, nach dem Gasthaus des Dorfes zu fahren. „Nein!“ sagte sie, „ich bleibe Dir so nah ich kann.“ Sie war weiß, kalt, fest wie Marmor. Es war ein fürchterlicher Abschied zwischen ihnen. Dann verließ er sie. Tosca ließ die Fenster ihres Wagens herauf, und die Stores herunter, und kniete nieder. Gott allein weiß, ob sie gebetet haben mag. Es fiel ein Schuß. „Sigismund!“ schrie Tosca. Es fiel kein zweiter. Die Aerzte und Sekundanten brachten Sigismund getragen. Ignaz fuhr mit Courierpferden gen Hamburg; seine Kugel hatte Sigismund dicht über dem Herzen getroffen. Die geringste Bewegung und er mußte sterben. „Unrettbar?“ fragte Tosca. Die Aerzte schwiegen. „Tosca“ rief Sigismund, richtete sich auf und streckte die Arme nach ihr aus. Sie umschlang ihn und küßte ihn; -- so starb er. Drei Tage und drei Nächte wachte sie neben der geliebten Leiche; dann ließ sie auf dem Gottesacker zu Dannenwalde sie bestatten. Als Erde den Sarg bedeckte, der Alles umfing, was sie je geliebt hatte, sagte sie: „Sigismund! bei Dir ist mein Herz erwacht und mit Dir ist’s gestorben. Was es von Schmerz und von Glück auf der Welt gekannt hat, kam von Dir .... Alles von dem Einen! Friede mit Dir ... und mit mir.“ Sie stieg in ihren Reisewagen. „Wohin befehlen Sie zu fahren?“ fragte ihr Arzt, der mitleidig bei ihr geblieben war. „Die Welt ist groß!“ sprach sie gleichgültig. Druck und Papier von ~Phil. Reclam~ _jun._ in Leipzig. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SIGISMUND FORSTER *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country other than the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that: • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.” • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works. • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. • You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.