The Project Gutenberg eBook of Wilhelm Hauffs sämtliche Werke in sechs Bänden. Bd. 2 This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Wilhelm Hauffs sämtliche Werke in sechs Bänden. Bd. 2 Author: Wilhelm Hauff Annotator: Alfred Weile Release date: November 16, 2019 [eBook #60699] Language: German Credits: Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WILHELM HAUFFS SÄMTLICHE WERKE IN SECHS BÄNDEN. BD. 2 *** Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Wilhelm Hauffs sämtliche Werke in sechs Bänden Mit einer biographischen Einleitung von _Alfred Weile_ Neu durchgesehene Ausgabe :: :: in neuester Rechtschreibung :: :: Zweiter Band. A. Weichert, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei _Berlin_ NO.⁴³ Neue Königstr. 9 Novellen. Zweiter Teil. Phantasien im Bremer Ratskeller. Inhaltsverzeichnis. Seite Das Bild des Kaisers 5 Die letzten Ritter von Marienburg 88 Die Sängerin 145 Phantasien im Bremer Ratskeller 190 Das Bild des Kaisers. 1. In dem Kabriolett des Eilwagens, der zweimal in der Woche von Frankfurt nach Stuttgart geht, reisten vor einigen Jahren an einem der schönsten Tage des Septembers zwei junge Männer. Der eine von ihnen war erst eine Station hinter Darmstadt eingestiegen und hatte dem früheren Passagier schon beim ersten Anblick durch sein schmuckes Aeußere und den freundlichen Gruß, womit er sich neben ihn setzte, die Furcht, der Zufall möchte ihm eine unangenehme Nachbarschaft geben, völlig benommen. Der Fortgang der Reise bewies, daß er nicht unrichtig geurteilt hatte, wenn er seinen Reisegefährten für einen wohlerzogenen, anständigen Mann hielt. Was er sprach, war, wenn nicht gerade heiter, doch offen und verständig; nicht selten sogar überraschten den Reisenden leicht hingeworfene Aeußerungen, Gedanken seines Nachbars, die von feiner Bildung, gesellschaftlicher Erfahrung und einer Belesenheit zeugten, die er denn doch hinter dem etwas groben Jagdrock und der unscheinbaren Ledermütze nicht gesucht hätte. Ueberhaupt deuchte es diesem Reisenden, er müsse, je weiter er im Süden vordrang, desto öfter und nicht ohne Beschämung dem Lande und den Bewohnern Vorurteile abbitten, die man in der Ferne vom Hörensagen, besonders in einem Alter von vierundzwanzig Jahren, so leicht annimmt. Wie anders war ihm dieses Land im Brandenburgischen geschildert worden! Manche Reisende hatten zwar diese Bergstraße, dieses Neckartal gelobt, doch erschien dann ihre Beschreibung matt und klein gegen die Wunder der Schweiz, zu welcher sie auf dieser Straße geeilt waren. Ueber die Bewohner war aber in seiner Heimat nur _eine_ Stimme. Hier, bald hinter Darmstadt, fangen die Schwaben an, erzählte man dem jungen Reisenden in Berlin, mit einem mitleidigen Blick auf die Karte, mit einem noch mitleidigeren auf ihn, der diese Länder besuchen wolle. Da geht alles gesellschaftliche Leben, alle Bildung aus; ein rohes, ungesittetes Volk, das nicht einmal gutes Deutsch sprechen kann. Und leider! nicht nur die untersten Klassen leiden an diesem Mangel, auch die besseren Stände haben einen Anstrich von eingeschränktem, ungalantem Wesen und reden so elendes Deutsch, daß sie vor Fremden, um nicht erröten zu müssen, Französisch sprechen. Das war der Reisepfennig, den man ihm nach Schwaben mitgab, und in dem jungen und romantischen Kopf des jungen Brandenburgers hatten diese Sagen sich endlich während der schönen Muße, die ihm die Sandkunststraßen und die schnapsenden Postillons seines Vaterlandes gönnten, so sonderbar gestaltet, daß er sich selbst wie einer jener wohlerzogenen, jungen Herrn in einem Scottischen Roman erschien, die von den wehmütigen Erinnerungen an die feinsten Zirkel, an Theater und alle Genüsse der großen Welt erfüllt, von London aus reisen, um das _Hochland und seine barbarischen Bewohner_ zu besuchen. Doch als die herrliche Welt jener Berge voll Obst und Wein und jene gesegneten Täler sich vor seinen Blicken auftaten, als die schönen Dörfer mit ihren roten Dächern, mit ihren reinlichen, fröhlichen Menschen seinem erstaunten Auge sich zeigten, als da und dort zwischen prachtvollen Buchenwäldern eine alte Burg und ein Schloß mit schimmernden Fenstern auftauchte, da fiel er beinahe in das andere Extrem; er strömte über von Lob und Bewunderung und bemitleidete die arme, flache Mark, ihren kahlen Sandboden, ihre mageren Tannen und ihre bleichen Bewohner, von welchen vielleicht Tausende aus dem Leben gingen, ohne nur eine jener üppigen Trauben gesehen zu haben, die hier in unendlicher Fülle durch das grüne Laub schimmerten, und ein schwacher Trost für seinen Patriotismus war, daß die Natur seine Landsleute durch höhere Einsicht, eine wohllautendere Sprache und feinere Bildung in etwas wenigstens entschädigt habe. Der junge Mann an seiner Seite schien übrigens, obgleich man seiner Sprache den südlichen Akzent anfühlte, die Gesetze des Anstandes nicht minder gut zu verstehen als der Brandenburger; zum mindesten verriet keine seiner Fragen Neugierde, über dessen Stand, Vaterland und Reisezweck etwas zu erfahren, er benahm sich zuvorkommend, aber würdig, schien geneigter zu antworten, als zu fragen, und übernahm es, ohne sich dadurch belästigt zu fühlen, den Fremden über Namen und Geschichte der Burgen und Städte, die ihm auffielen, zu unterrichten. So ruhig und kalt übrigens der junge Mann im Jagdkleid über diese Dinge Aufschluß gab, so waren es doch zwei Punkte, über welche er wärmer und länger sprach. Einmal, als sein Nebensitzer über die gute Gesellschaft in Schwaben einige seiner sonderbaren Begriffe preisgab, sah ihn der Grüne mit Verwunderung an, fragte ihn auch, ob er vielleicht auf einem andern Wege schon früher in Schwaben gewesen sei, und als jener es verneinte, erwiderte er: »Ich weiß, man macht sich hin und wieder, besonders in Norddeutschland, sonderbare Begriffe von uns. Ob mit Recht, mögen Sie selbst entscheiden, wenn Sie einige Zeit in unserer Mitte verweilt haben. Doch möchte ich Ihnen raten, zuvor etwas unbefangener die mögliche Quelle solcher Urteile zu betrachten. Ich gebe zu, daß eine gewisse nachteilige Ansicht über mein Vaterland seit Jahrhunderten besteht; zum mindesten sind die Schwabenstreiche nicht erst in unseren Tagen bekannt geworden. Doch scheint ein großer Teil dieser aberwitzigen Dinge aus einer gewissen Eifersucht der Volksstämme hervorzugehen und aus der Kleinstädterei, die von jeher in unserem lieben Deutschland herrschte. In Schwaben zum Beispiel erzählt man alle jene Sonderbarkeiten, die andere uns aufbürden, von den Oesterreichern; daß aber dieses Vorurteil selbst in neueren Zeiten, selbst durch die Fortschritte der Kultur und das regere gesellige Leben nicht geschwächt wurde, hat zwei wichtige Gründe, die größere Schuld aber liegt nicht auf der Seite von Süddeutschland.« »Bitte!« rief der brandenburgische Reisende etwas ungläubig, »ich sollte doch nicht denken --« »Man beurteilt unsere Sitten nach meinen Landsleuten, die man in Norddeutschland sieht. Wenn nun diese auch die vernünftigsten Menschen wären, es würden ihnen doch zwei Mängel anhängen, die sie in Ihren Augen in Nachteil setzen. Einmal die Sprache --« »Bitte!« erwiderte sein Gefährte verbindlich. »Nicht alle, Sie zum Beispiel drücken sich allerliebst aus.« »Ich drücke mich aus, wie ich denke, und so macht es ein guter Teil meiner Landsleute auch; weil wir aber die Diphthongen anders aussprechen als ihr, die Endsilben entweder nach unserer altertümlichen Form ändern oder im Sprechen übereilen, klingt euch unsere Sprache auffallend, hart, beinahe gemein. Die meisten Schwaben, die Sie bei sich sehen, sind junge Männer, die von der Universität kommen und die Anstalten in Norddeutschland besuchen, oder Kaufleute, die ihr Handelsweg dahin führt. Diesen Menschen legen nun Ihre Landsleute durchaus ihren eigenen Maßstab an und tun sehr unrecht daran. In Ihrem Lande wird den äußeren Formen und dem Benehmen des Knaben und des Jünglings einige Aufmerksamkeit geschenkt, er wird sehr bald in die geselligen Kreise gezogen; bei uns findet dies vielleicht erst um acht oder zehn Jahre später statt.« »Nun das ist es ja gerade, was ich sagte,« entgegnete jener; »diese Formen gewinnt keiner durch sich selbst, und dies ist also ein Fehler Ihrer Erziehung --« »Vorausgesetzt, daß jene Formen wirklich so trefflich, daß sie _das_ sind, was dem zukünftigen Bürger eines Staates vor allem als nützlich und notwendig einzuimpfen ist.« »Das soll es ja nicht; aber so auf dem Wege mitnehmen kann er sie doch wohl,« meinte der Fremde. »Wenn er sie nur so mitnimmt, verliert er sie auch gelegentlich,« erwiderte der Schwabe. »Doch das ist nicht der Punkt, wovon wir sprechen. Ich behaupte nur, man hat in Norddeutschland unrecht, unsere Sitten und unsere Gesellschaft nach Leuten zu beurteilen, die der Gesellschaft eigentlich noch nicht angehört hatten, die vielleicht in die Welt geschickt wurden, um ihre Sitten abzuschleifen. Oder wollen Sie nach einigen jungen Gelehrten, die gerade aus der Studierstube zu Ihnen kamen und sich vielleicht ungeschickt in Sprache und Manieren zeigten, die Landsleute dieser Menschen beurteilen?« »Gewiß nicht, aber gestehen Sie selbst, man hört doch selbst von der guten Gesellschaft in Schwaben so sonderbare Gerüchte von ihren Sitten und Gebräuchen, von ihren Frauen und Mädchen.« »Vielleicht kaum so sonderbar,« versetzte der Jäger lächelnd, »als man bei uns von den Sitten Ihrer Damen hört; denn unsere Mädchen stellen sich die _norddeutschen_ Damen gewiß immer mit irgend einem gelehrten Buche in der Hand vor. Die zweite Quelle des Irrtums über mein Vaterland sind aber _Ihre_ reisenden Landsleute und die eigentümlichen Verhältnisse unseres Familienlebens. In Norddeutschland fällt es nicht schwer, in Familienkreisen Zutritt zu bekommen, durch _einen_ Bekannten zehn zu erwerben. In Schwaben ist es anders; man ist heiter, gesellig _unter sich_, der Fremde wird als etwas Fremdes angestaunt, aber eher vermieden als eingeladen, doch werden _Sie_ für diese scheinbare Kälte immer eine Entschädigung finden. Ihre Landsleute öffnen die Tür, aber selten das Herz; meine Schwaben sind vorsichtiger, aber sie schließen sich an _den_, welchen sie liebgewonnen, mit einer Herzlichkeit an, die Sie bei künstlich verfeinerten Sitten umsonst suchen.« »Und also liegt eine zweite Quelle unserer Vorurteile,« fragte der Fremde, »darin, daß meine Landsleute eigentlich gar nicht in Ihren Kreisen einheimisch wurden?« »Gewiß!« sagte der Nachbar. »Lernen Sie, wenn Ihnen das Glück wohlwill, in die Kreise unserer bessern Stände zu kommen, lernen Sie uns näher kennen, lassen Sie sich nicht durch Ihre eigenen Ansichten über Leben und Sitte durchaus leiten, und Sie werden ein gutes, herzliches Völkchen finden, gebildet genug, um, wenn man nur die rechte Saite anschlägt, sich mit den Gebildetsten zu messen, vernünftig genug, um die Grenzen guter Sitten festzuhalten und das Lächerliche der Unsitte zu belächeln.« Der Fremde aus der Mark lächelte. »Er liebt sein Land,« dachte er, »und er verteidigt es mit Wärme, weil er es nicht sinken lassen will oder Besseres nie gesehen hat.« Er entschuldigte bei sich die warme Verteidigung des Schwaben, aber dennoch konnte er es sich nicht versagen, einen kleinen Triumph über jenen zu feiern. Er machte ihn mit der Geläufigkeit der Zunge und jener Uebung, über ein _Nichts_ schnell und vieles zu sprechen, -- die man im Norden unseres Vaterlandes häufiger als im Süden treffen soll -- auf andere große Vorzüge aufmerksam, welche die nördlichen Provinzen Deutschlands vor den südlichen voraus haben. Er zählte immer zwanzig Schriftsteller und Dichter seiner Heimat gegen _einen_ im Süden, und der Schwabe konnte endlich dem Schwall seiner Beredsamkeit nur dadurch Einhalt tun, daß er, als sie um eine Ecke der Landstraße bogen, auf die erhabenen Ruinen von Heidelberg hinwies; der Fremde betrachtete sie staunend und mit Entzücken. Ihre rötlichen Steinmassen waren von der sinkenden Herbstsonne noch höher gerötet, und der Abend ließ die Bäume und Gesträuche, die in den verfallenen Mauern wachsen, im dunkelsten, wundervollsten Grün erscheinen. Durch die hohen, offenen Fensterbogen blickte der schwärzliche Wald hervor, den Gipfel des Berges umzog jener duftige Schleier, welcher allen Gegenständen so eigenen geheimnisvollen Reiz verleiht, und von oben herab spiegelten sich die rötlichen Abendwölkchen und der dunkelblaue Himmel in den Fluten des Neckars. »Und haben Sie solche Poesie in der Mark?« fragte der Jäger mit gutmütigem Lächeln. Der Fremde schien es nicht zu hören, unverwandt hingen seine Blicke an diesem reizenden Schauspiel; er mochte fühlen, daß es sich an solchen Stellen über Poesie nicht gut streiten lasse. Nach diesem Vorfall kehrte übrigens auf dem Gesicht des Jägers die vorige Ruhe und Unbefangenheit zurück; er stritt über keinen Gegenstand, schien sogar über manche Dinge sich behutsam auszudrücken. Als aber das Gespräch unter den beiden Reisenden, da die hereinbrechende Nacht ihre Aufmerksamkeit auf die Gegend hemmte, auf einige neuere Ereignisse und auf die Politik kam, schien es dem jungen Mann aus der Mark, obgleich er die Züge seines Nachbars nicht mehr gut unterscheiden konnte, sein Atem gehe schneller, seine Rede werde wärmer, kurz, man habe einen Punkt der Unterredung getroffen, welcher für den Schwaben von hohem Interesse sei. Man sprach von der Gestalt und der innern Kraft Deutschlands. Mit einer gewissen Erbitterung zog jener eine Parallele zwischen Jetzt und Sonst, die nicht gerade zum Vorteil der neuern Zeit ausfiel. Der Fremde, dessen Grundsätze im ganzen nicht mit diesen Ansichten übereinstimmen mochten, gab ihm dennoch, nicht ohne einiges Selbstgefühl, die letzten Sätze zu. Unglücklicherweise fing er seinen Satz »_Ich bin ein Preuße_« an und reizte dadurch unwillkürlich den Unmut des jungen Mannes noch mehr auf. Denn dieser vergaß nun jede Rücksicht der Klugheit; mit einer Beredsamkeit, die an jedem andern Orte dienlich gewesen wäre, suchte er seine Meinung durchzuführen, und nichts war ihm zu hoch, das er nicht mit seinem eigenen Maßstab gemessen hätte. Der Preuße, der solche Leute nur vom Hörensagen und unter dem gefährlichen Namen »Köpenicker« kannte, erschrak über diese Aeußerungen. Konnte nicht der Postillon, konnte nicht ein Passagier im Bauche des Wagens diese Reden vernommen haben! Spandau, Köpenick, Jülich und alle möglichen _festen Plätze_ schwebten vor seiner aufgeregten Phantasie, und das beste Mittel, seinen Nachbar zum Stillschweigen zu bringen, schien ihm, wenn er sich in die Ecke drückte und sich schlafend stellte. 2. Als die beiden Reisenden am Morgen nach dieser gefährlichen Nacht erwachten, sahen sie in geringer Entfernung die Türme von Heilbronn aus dem Nebel tauchen. »Hier endet meine Fahrt,« sagte der Herr im grünen Rock, indem er auf die Stadt deutete, »und Ihnen danke ich es,« setzte er mit einem freundlichen Blick auf seinen Nachbar hinzu, »daß ich diesmal den Wagen ungern verlasse. Wie angenehm wäre mir noch ein Tag in Ihrer Gesellschaft vergangen!« »Dies ist mein Los schon seit vierzehn Tagen gewesen,« erwiderte der Brandenburger. »Der enge Raum macht nachbarlich; Menschen, welche vielleicht in einer größern Stadt, selbst wenn sie Zimmernachbarn gewesen wären, jahrelang unter sich kein Wort gewechselt hätten, treten sich nahe durch den so natürlichen Drang nach Mitteilung. Der Platz an meiner Seite wechselte öfter als in einer Schlacht, doch darf ich mir Glück wünschen, Sie wenigstens so lange zu meinem Nachbar gehabt zu haben, denn so bin ich auf die angenehmste Weise in Ihr Vaterland eingeführt worden.« »Werden Sie länger in Württemberg verweilen?« »Ich besuche Verwandte meiner Mutter,« erwiderte der Fremde; »je nachdem sie und die Residenz mir gefallen, werde ich länger oder kürzer verweilen.« »Wir werden uns schwerlich wiedersehen,« sagte der Grüne, »ich wüßte wenigstens nicht, was mich nach Stuttgart treiben sollte. Vergessen Sie aber nie, was ich Ihnen über den Charakter meiner Landsleute sagte. Können Sie nach ihrer Denkungsart, nach ihren Sitten sich ein wenig richten, so werden Sie überall gesucht und willkommen sein. Unsern Damen sind Sie dann als Fremder nur um so interessanter, und unsern Männern -- nun da kommt es immer auf den Zirkel an, in welchem Sie leben; nur müssen Sie,« setzte er mit einem Lächeln hinzu, das zwischen Ironie und gutmütiger Freundlichkeit schwebte, »nie zu deutlich und fühlbar machen -- --« »Nun?« rief der Fremde erwartungsvoll, als jener innehielt. »Daß Sie kein Deutscher, sondern ein Preuße sind.« Das schmetternde Horn des Postillons und das Rasseln des schweren Wagens auf dem Steinweg übertönte die Antwort des Fremden. Den Passagieren ward in dieser Stadt eine kleine Rast vergönnt, und der Fremde wollte seinen Nachbar vom Eilwagen noch einmal zum Frühstück einladen. Doch schon unter der Tür des Posthauses überreichte diesem ein alter Reitknecht mehrere Briefe; er riß den einen hastig, errötend auf, und sein Reisegefährte bemerkte im Vorübergehen, daß es die Handschrift einer Dame sei. Der Fremde trat etwas verstimmt in dem Wirtshaus ans Fenster; er sah den Jäger angelegentlich mit seinem Diener sprechen, und bald darauf führte man zwei schöne Pferde vor. In demselben Augenblick trat der grüne Herr eilends in den Saal, seine Augen suchten und fanden den Reisegefährten, er trat zu ihm, doch nur, um schnell, aber herzlich von ihm Abschied zu nehmen; und so konnte ihn der Brandenburger zu seinem großen Verdruß nicht einmal nach dem Haus und der Familie _Käthchens von Heilbronn_ fragen, eine Frage, die er sich unter seinen Reisenotizen aufgezeichnet und doppelt unterstrichen hatte. Doch der Anblick des Jägers, wie er sich so leicht in den Sattel des schönen, stolzen Pferdes schwang, wie er so majestätisch über den Markt hinsprengte, söhnte ihn mit der beinahe unhöflichen Hast aus, womit jener von ihm Abschied genommen hatte. Er gestand sich, selten eine so wohlgebaute Gestalt mit einem so schönen, ausdrucksvollen Gesicht vereint gesehen zu haben. »Wer war dieser Herr im grünen Kleid?« fragte er den Kellner, der am andern Fenster dem Reiter nachblickte. »Mit dem Namen kann ich nicht dienen,« antwortete jener; »ich weiß nur, daß man ihn ›Herr Baron‹ nennt, daß sein Vater einige Stunden von hier am Neckar Güter hat, und daß sie sehr reich sein sollen; in die Stadt kommt er selten.« Nicht ganz zufrieden mit dieser Erklärung setzte sich der junge Mann wieder in den Wagen. Sein Vater, der früher einmal in diesem Lande gewesen war, hatte ihm so viel Sonderbares von schwäbischen Baronen erzählt, daß er in seinem liebenswürdigen und gewandten Reisegefährten keinen solchen vermutet hätte. Sein neuer Nachbar, der ihm gleich in der ersten Viertelstunde vertraute, daß er ein Hopfenhändler aus Bayern sei, machte ihm den Verlust, den er erlitten, nur um so fühlbarer, und da er am Hopfenbau wenig Unterhaltung fand, beschäftigte er sich damit, über den Charakter des jungen Mannes, der ihn verlassen hatte, nachzudenken und dann noch einmal alle Erwartungen und Hoffnungen zu durchlaufen, die er sich von seinen Verwandten, zu welchen er reiste, gemacht hatte. Von dem Oheim versprach er sich für seine Unterhaltung wenig; er mußte nach seiner Berechnung ein vorgerückter Sechziger sein; mürrisch, ungesellig und eigensinnig hatte ihn sein Vater schon vor fünfundzwanzig Jahren gekannt, und solche Eigenschaften pflegen sich im Alter nicht zu verbessern. Desto mehr versprach sich der junge Mann von Fräulein Anna, seiner Cousine. Von einem seiner Freunde, der längere Zeit in Schwaben gelebt hatte, war sie ihm als eine Zierde dieses Landes genannt worden. Ein angenehmes, trauliches Verhältnis von fünf bis sechs Wochen schien ihm ganz wünschenswert, und so eifrig war seine Berechnung der Mittel, die ihm zu Gebote standen, sich liebenswürdig zu zeigen, so gewiß war er sich des Eindrucks bewußt, den seine Person, sein Wesen unfehlbar machen müsse, für so leicht zu erobern hielt er das Herz eines Fräuleins in Schwaben, daß ihm nicht einmal der Gedanke kam, die schöne Cousine Anna könne sich vielleicht schon versehen haben. Er ließ sich, in der Residenz angekommen, sogleich nach dem Hause führen, wo sein Oheim sonst gewohnt hatte, aber mit dem Donnerworte ward ihm aufgetan: die du suchest -- wohnen schon seit langer Zeit auf einem Landgut, sie werden auch im nächsten Winter nicht zurückkehren, und selbst dies Haus gehört ihnen nicht mehr eigen. Der Reisende aus Brandenburg war schnell entschlossen. Er benützte diesen Tag, um sich die freundliche Stadt zu betrachten, und eilte dann denselben Weg, welchen er hergekommen war, zurück, nach dem unteren Neckartal, wo der Landsitz seines Oheims lag. Je näher er dieser reizenden Gegend kam, desto angenehmer war es ihm, daß er einige Wochen auf dem Lande zubringen sollte. Er wußte aus eigener Erfahrung, daß man auf dem Lande, abgeschnitten von den Zerstreuungen der Stadt und jener Formen enthoben, die man dort für schön und notwendig, hier für überflüssig und lästig hält, schnell bekannt und befreundet wird, daß man sich, auf eine kleine Gesellschaft beschränkt, schneller nahe rückt. -- Etwa eine Stunde von dem Gut bog der Weg von der Hauptstraße ab. Der Kutscher, den er gemietet hatte, deutete auf einen Fußpfad, der in den Wald lief; der Fahrweg wende sich um den ganzen Berg her, sagte er, doch auf diesem Pfad könne man zu Fuß in bei weitem kürzerer Zeit zum Schloß Thierberg hinauf gelangen. Der junge Mann stieg aus; er war bisher auf einem Bergrücken gefahren, sah nun eine mäßige, mit Wald bewachsene Anhöhe vor sich und schloß, weil er gehört hatte, das Schloß seines Oheims liege im Neckartal, man müsse von dieser Anhöhe eine weite Aussicht in das Tal genießen. Er ließ den Wagen weiterfahren und stieg den Seitenpfad hinan. Ein Wald von prachtvollen Buchen nahm ihn auf. Nie hatte er diesen Baum so kräftig, so majestätisch gesehen, zwischendurch erblickte er hie und da Eichen und schöne Eschen und zu seiner nicht geringen Verwunderung Waldkirschbäume von ungewöhnlicher Höhe. Nach und nach wurde ihm das Steigen schwerer; der Berg schien sich auf einmal steiler zu erheben, und er war oft versucht, die unbequeme Eleganz zu verwünschen, in welche ihn sein Berliner Schneider gekleidet hatte. Endlich hatte er den Gipfel erreicht, aber noch öffnete sich keine Aussicht. Die Bäume schienen dichter zu werden, je mehr sich der Pfad wieder senkte, und als sich, um seine Ungeduld zu vermehren, der kleine Pfad in zwei noch kleinere teilte, die nach verschiedenen Richtungen liefen, schmälte er auf den Kutscher und auf seine eigene Torheit, die ihn verleitet hatten, in einem fremden Wald sich zu verirren. Er schlug endlich den Weg rechts ein und sah, nachdem er einige hundert Schritte gegangen war, zu seiner großen Freude ein buntes Kleid durch das Laub schimmern. Er verdoppelte seine Schritte und war nicht wenig betroffen, als er plötzlich vor einer jungen Dame stand, die im Schatten einer alten Eiche auf einer Bank saß. Sie hatte ein Buch in der Hand, von welchem sie, als sein Schritt in den abgefallenen Blättern rauschte, langsam und ruhig ihre schönen Augen erhob; doch auch sie schien betroffen, als es ein junger, städtisch gekleideter Herr war, den sie in dieser Einsamkeit vor sich sah; sie errötete flüchtig, aber sie senkte ihren Blick nicht, der fragend an dem unerwarteten Besuch hing. Der junge Mann verbeugte sich einigemal, ehe er recht wußte, was er sagen sollte. »Ist wohl das schöne Mädchen Cousine Anna?« war alles, was er in diesem Augenblick zu denken und sich zu fragen vermochte, und erst, als er diese Frage schnell bejaht hatte, trat er näher zu der jungen Dame, die indessen ihr Buch schloß und von ihrem Bänkchen aufstand. »Bitte um Vergebung,« sagte er, »wenn ich Sie gestört haben sollte; ich fürchte, von dem Wege abgekommen zu sein. Kann ich hier nach dem Schloß des Herrn von Thierberg kommen?« »Auf diesem Fußpfad nicht wohl, wenn Sie hier nicht bekannt sind,« erwiderte sie mit einer klangvollen Stimme; »Sie haben oben einen Fußpfad links gelassen, der nach dem Schloß führt.« Sie verbeugte sich nach diesen Worten, und der junge Mann ging seinen Weg zurück; doch kaum hatte er einige Schritte gemacht, so zog ihn ein unwiderstehliches Gefühl zurück. Das schöne Mädchen stand noch einmal von ihrem Sitz auf, als sie ihn zurückkehren sah, doch diesmal schien Bestürzung ihre Wangen zu färben, und eine gewisse Aengstlichkeit blickte aus ihren großen Augen. Auf die Gefahr hin, für unbescheiden zu gelten, fragte der Reisende, ob er vielleicht die Ehre gehabt habe, mit Fräulein von Thierberg zu sprechen? »Ich heiße so,« antwortete sie etwas befangen. »~Eh bien, ma chère cousine!~« sagte er lächelnd, indem er sich artig verbeugte; »so habe ich das Vergnügen, Ihnen Ihren Vetter Rantow vorzustellen.« »Wie, Vetter _Albert_!« rief sie freudig. »So haben Sie endlich doch Wort gehalten? Wie wird sich der Vater freuen! Und was macht Onkel und die liebe Tante, und wie sind Sie gereist?« So drängte sich eine Frage nach der andern über die schönen Lippen, und Vetter Rantow fand, verloren in sein Glück, eine schöne Muhme zu besitzen, keine Worte, alle nach der Reihe zu beantworten. Wie reizend, wie naiv klang ihm die Sprache! Er konnte nicht sagen, daß sie gegen irgend eine Regel des Stils gesündigt hätte, und doch deuchte es ihn, es seien ganz andere Worte, ganz andere Töne, als die er in seinem Vaterland gehört hatte. Er fühlte, er sei zu schnell gereist, als daß er allmählich auf diesen Kontrast vorbereitet worden wäre. »Dies ist mein Lieblingsspaziergang,« sagte sie, indem sie langsam neben ihm herging. »Zwar ist der Weg im Tal noch angenehmer, der Neckar macht schöne Windungen, alte Burgen schmücken die Höhen -- und die unsrige spielt dabei nicht die schlechteste Rolle, wenigstens was das Altertum betrifft -- Dörfer und sogar ein Städtchen sieht man talauf und -ab; aber der Rückweg ins Schloß hinauf ist dann so steil und mühsam, und auf der Straße gehen mir zu viele Leute. Der Wald hier liegt nicht höher als das Schloß, in einem halben Stündchen geht man herüber und ist dann so köstlich einsam, als säße man in seinem Boudoir bei verschlossenen Türen.« »Bis dann der Zufall einen Vetter aus Preußen hereinwehen muß, der die köstliche Einsamkeit stört,« unterbrach sie Rantow. »Im ganzen genommen,« fuhr sie fort, »ist es im Schloß gerade auch nicht geräuschvoll. Es ist so einsam als irgend ein bezaubertes Schloß in Tausend und eine Nacht. Außer der Dienerschaft und im hintern Flügel dem Amtmann, den man nie zu sehen bekommt, sind wir, der Vater und ich, die einzigen Bewohner; ja die Einsamkeit im Schloß ist oft so schrecklich und traurig, daß ich mich lieber in die Waldeinsamkeit flüchte, wo das Rauschen der Bäume und der Gesang der Vögel doch noch einiges Leben verkünden.« 3. Ueberrascht stand der junge Mann stille, als sie aus dem dichten Holz durch eine Wendung des Weges auf einmal dem Schloß gegenüberstanden. Die Bewohner des südlichen Deutschlands sind von Jugend auf an Anblicke dieser Art gewöhnt. Man trifft in Franken und Schwaben selten ein Tal von der Länge einiger Stunden, in welches nicht eine Burg oder zum mindesten ein gebrochener Turm und ein halbes Tor herabschauen. Die natürliche Beschaffenheit des Landes, die vielen Berge und kleinen Flüsse, überdies die eigentümliche Verfassung des zahlreichen Landadels begünstigten oder nötigten in früherer Zeit zu diesen befestigten Wohnungen. Aber der Norden unseres Vaterlandes trägt weniger Spuren dieser alten Zeit; die weiten Ebenen boten keine so natürliche Befestigung wie die Felsen und Gebirgsausläufer des Südens, und hatte auch hier und dort eine solche Feste im platten Lande gestanden, so war sie nur desto schneller dem Verfall und der Zerstörung preisgegeben. Die Nachbarn teilten sich brüderlich in die teuren Steine, und ihr Gedächtnis verwehte der Wind, der über die Ebene hinstrich. Darum war es dem jungen Manne aus der Mark ein so überraschender Anblick, sich in solcher Nähe einer dieser altertümlichen Burgen gegenüber zu sehen, um so überraschender, da er durch diese düsteren, tiefen Tore als Gast einziehen, in jenem altertümlichen Gemäuer wohnen sollte. Doch bald erfüllte kein anderer Gedanke mehr als der malerische Anblick, der sich ihm darbot, seine Seele. Der alte schwärzlichgraue Wartturm war auf der Mittagsseite von oben bis in den Graben hinab mit einem Mantel von Efeu umhängt. Aus den Ritzen der Mauer sproßten Zweige und grüne Ranken, und um das Tor zog sich ein breites Rebengeländer, dessen zarte Blätter und Fasern sich mit sanfter Gewalt um die rostigen Angeln und Ketten der Zugbrücke geschlungen hatten. Zur rechten Seite des Schlosses hinderte der dunkle Wald die Aussicht, aber links, an den hohen Mauern vorüber, tauchte das Auge hinab in die Tiefe des schönen fruchtbaren Neckartals, schweifte hinauf, den Fluß entlang, zu Dörfern und Weilern und weit über die Weinberge hin nach fernen blauen Gebirgen. »Das ist unser Thierberg,« sagte das Fräulein; »es scheint, die Gegend habe einigen Reiz für Sie, Vetter, und ich möchte Ihnen wahrlich raten, recht oft aus dem Fenster zu sehen, um vor unserer Einsamkeit und diesem häßlichen alten Gemäuer nicht zu erschrecken!« »Ein häßliches Gemäuer nennen Sie diese alte Burg?« rief der Gast. »Kann man etwas Romantischeres sehen, als diese Türme mit Efeu bewachsen, diesen Torweg mit den alten Wappen, diese Zugbrücke, diese Wälle und Gräben? Glaubt man nicht das Schloß von Bradwardine oder irgend ein anderes aus Scottischen Romanen zu sehen? Erwartet man nicht, ein Sickingen, ein Götz werde uns jetzt eben aus dem Tore entgegentreten? --« »Für dieses Mal höchstens ein Thierberg,« erwiderte das Fräulein lachend, »und auch von diesen spukt nur noch einer in den fatalen Mauern. Dergleichen Türme und Zinnen liebe ich ungemein in einem Roman oder in Kupfer gestochen, aber zwischen diesen Mauern zu wohnen, so einsam, und winters, wenn der Wind um diese Türme heult und das Auge nichts Grünes mehr sieht als jenen Eppich dort am Turm -- Vetter! mich friert schon jetzt wieder, wenn ich nur daran denke. Doch kommt, Herr Ritter, das Burgfräulein will Euch selbst einführen.« Der düstere, schattenreiche Hof, in welchen sie traten, kühlte etwas die warme Begeisterung des Gastes. Er sah sich flüchtig um, als sie hindurchgingen, und bemerkte, daß der Platz für ein Turnier denn doch nicht groß genug gewesen sein müsse, erschrak vor einem halbzerstörten Turm, dessen Rudera drohend über die Mauer hereinhingen, erstaunte über den scharfen Zahn der Zeit, der in die dicke Mauer mächtige Risse genagt und dem Auge eine freie Aussicht in das Tal hinab geöffnet hatte, und gab in seinem Herzen schon auf den ausgetretenen Stufen der Wendeltreppe, wo ein heftiger Zugwind durch schlecht verwahrte Fenster blies, der Bemerkung seiner Cousine über die Wohnlichkeit des Hauses vollkommen Beifall. Sechs bis acht Hunde begrüßten in einer großen, mit Backsteinen gepflasterten Halle das Fräulein mit freundlichem Kläffen und Wedeln, und ein gefesselter Raubvogel, der in einer Ecke auf der Stange saß, stieß ein unangenehmes Geschrei aus und schwenkte die Flügel. »Das ist nun unsere Antichambre, unser Hofgesinde,« sagte Anna, indem sie lächelnd auf die Tiere zeigte; »verwünschte Prinzen und Prinzessinnen, die Sie entzaubern können. Doch lassen Sie uns jetzt eintreten,« setzte sie nach einer Weile ernster hinzu, »in diesem Zimmer ist der Vater.« Sie öffnete eine hohe, schwere Flügeltüre, und durch das altfränkisch ausstaffierte Gemach fiel der Blick des Jünglings auf einen alten Mann, der in einer tiefen Fensterwölbung saß, wie es schien, in ein Zeitungsblatt vertieft. Bei dem Gruß seiner Tochter sah er sich um, und als er den Fremden erblickte und Anna seinen Namen nannte, stand er auf und ging ihm langsam, aber festen Schrittes entgegen. Mit Bewunderung sah sein Neffe die hohe, gebietende Gestalt, die ihn unwillkürlich an jenen Wartturm dieser Burg erinnerte, den so viele Jahre nicht einzustürzen vermochten, und dessen Alter nur der Efeu anzeigte, der sich an ihm emporgeschlungen hatte. Zwar hatte die Zeit in diese fünfundsechzigjährige Stirne Furchen gegraben, um die Schläfe fielen dünne graue Haare, und der Bart und die Augenbrauen waren silberweiß geworden, aber das Auge leuchtete noch ungetrübt, und der Nacken trug den Kopf noch so aufrecht wie in jugendlicher Kraft, und die Hand gab einen beinahe kräftigeren Druck, als der Neffe zu erwidern vermochte. »Bist willkommen in Schwaben,« sagte er mit tiefer, kräftiger Stimme; »'s war ein vernünftiger Einfall meiner Frau Schwester, daß sie dich herausschickte. Mach' dir's bequem; setz' dich zu mir ans Fenster, und du, Anna, bringe Wein.« So war der Empfang auf Thierberg. So herzlich und offen er aber auch sein mochte, so konnte doch der junge Mann mehrere Stunden lang ein gewisses unbehagliches Gefühl nicht verdrängen. Er hatte sich den Oheim ganz anders gedacht. Er glaubte nach der Beschreibung, die ihm sein Vater gemacht hatte, einen rauhen, aber fröhlichen alten Landjunker zu finden, der seine Hasen hetzt, mit Laune die Händel seiner Bauern schlichtet, von seinen Kleppern gerne erzählt und zuweilen mit seinen Freunden und Nachbarn ein Glas über Durst trinkt. Er bedachte nicht, wie fünfundzwanzig Jahre und eine so verhängnisvolle Zeit wie die, welche dazwischen lag, auf diesen Mann gewirkt haben konnten. Das ruhige, ernste Auge des Oheims, das prüfend auf seinen Zügen zu ruhen schien, die ungesuchten, aber gründlichen Fragen, womit er den Neffen über sein bisheriges Leben und Treiben ins Gebet nahm, das ironische Lächeln, das hie und da bei einer Aeußerung des jungen Mannes um seinen Mund blitzte, dies alles und das ganze gewichtige Wesen des Alten imponierten ihm auf eine Weise, die ihm höchst unbequem war. Er konnte sich kein Herz fassen, den Oheim ebenso traulich zu behandeln wie jener ihn, er kam sich vor wie ein angehender Staatsdiener, dem ein Minister Audienz gibt, und es war dies zu seinem nicht geringen Verdruß das zweite Mal, daß er sich über die Landjunker in Schwaben getäuscht sah. Auch seine Base erschien ihm ganz anders, als er sie gedacht hatte. Er fand zwar alle jene liebenswürdige Natürlichkeit, jenes unbefangene, ungesuchte Wesen, was man ihm an den Töchtern dieses Landes gerühmt hatte, aber diese Unbefangenheit schien nicht aus Unwissenheit, sondern aus einem feinen, sichern Takt hervorzugehen, und was sie sprach, zeugte von einem so trefflich gebildeten Geist, daß ihre Natürlichkeit nur darin zu bestehen schien, daß sie alles Geistreiche, sei es witzig oder erhaben, wie etwas Natürliches, Angeborenes vorbrachte, daß es nie als etwas Erlerntes, als etwas Gesuchtes erschien. Am ärgerlichsten war es ihm, daß sie ihn schon nach den ersten Stunden zu durchschauen schien. Die ausgesuchten Artigkeiten, die er ihr sagte, zog sie ins Komische, den feineren Komplimenten wich sie auf unbegreifliche Art aus, wollte er ihr nur den zarten, in Berlin gebildeten jungen Mann zeigen, so nannte sie ihn gewiß immer Herrn von Rantow. Und dennoch mußte er sich gestehen, daß er nie soviel Harmonie der Bewegung, der Miene, der Gestalt und der Stimme gesehen habe. Ihr ganzes Wesen erschien ihm wie das Hauskleid, das sie jetzt eben trug. Es war einfach und von bescheidenen Farben, und dennoch kleidete es ihre feine, schlanke Gestalt mit jener geschmackvollen Eleganz, die auch dem anspruchlosesten Gewand einen geheimnisvollen Zauber verleiht; ein Toilettengeheimnis, worüber, soviel der junge Mann sich erinnerte, noch nie ein Modejournal Aufschluß gab, und das ihm mehr das Zeichen und Symbol einer harmonischen Seele als die Folge einer sorgfältigen Erziehung zu sein schien. Dieselbe Uebereinstimmung glaubte er zwischen dem alten Herrn und dem Gemach zu finden, in welches er zuerst geführt worden war. Es war der verblichene Glanz eines früheren Jahrhunderts, was ihm von den Wänden und Hausgeräten entgegenblickte. Die schweren gewirkten Tapeten, mit Leisten befestigt, die einst vergoldet waren und deren Farbe jetzt ins Dunkelbraune spielte; die breiten Armstühle mit ausgeschweiften, zierlich geschnitzten Beinen, die Polster, mit grellen Farben künstlich ausgenäht, mit Papageien, Blumentöpfen und den Bildern längst begrabener Schoßhündchen geziert. Wie manchen Wintertag mochten seine Ahnfrauen über dieser mühsamen Arbeit gesessen sein, die ihnen vielleicht einst für das Vollendetste galt, was der menschliche Geschmack je ersonnen, und die jetzt ihrem Urenkel geschmacklos, schwerfällig, und hätten sich nicht so ehrwürdige Erinnerungen daran geknüpft, beinahe lächerlich erschien. Und doch kam ihm dies alles, der ehrwürdigen Gestalt seines Oheims gegenüber, wie durch Altertum und langjährige Gewohnheit geheiligt vor. Er sah, man sei in Thierberg erhaben über den Wechsel der Mode, und wenn er hinzufügte, was ihm sein Vater über die mancherlei Unglücksfälle und die mißlichen Umstände, worin sich der Oheim befand, gesagt hatte, so fühlte er sich beschämt, daß er diese Umgebungen nur einen Augenblick habe grotesk und sonderbar finden können; er fühlte, daß er unverschuldeter Armut, wenn sie sich in so ernstem und würdigem Gewande zeige, seine Achtung nicht versagen könne; ja, vor diesen Wänden, diesem Geräte, und vor dem unscheinbaren, groben Hausrock des Oheims erschien er sich selbst, wenn er seinen Blick auf seine modische und höchst unbequeme Tracht warf, wie ein Tor, beherrscht von einem Phantom, das ein Weiser lächelnd an sich vorübergleiten läßt. Dies waren die Eindrücke, welche der erste Abend in Thierberg auf die Seele des jungen Rantow machte. So ernst sie aber am Ende auch sein mochten, so konnte er doch ein Lächeln nicht unterdrücken, als mit dem Schlage acht Uhr, den die alte Schloßuhr zögernd und zitternd angab, eine Flügeltür am Ende des Zimmers aufsprang, ein kleiner Kerl in einem verschossenen, bordierten Rock, der ihm weit um den Leib hing, hereintrat, sich dreimal verbeugte und dann feierlich sagte: »~Le souper est servi!~« »~S'il vous plaît!~« sagte der Alte mit ernsthaftem Gesicht und einer Verbeugung zu seinem Neffen, reichte seinen Arm der schönen Anna und ging langsamen Schrittes dem Speisezimmer zu. 4. Mit den Flügeltüren des Speisesaals und dem ersten Blick, den er hineinwarf, hatte sich übrigens dem Gast aus Brandenburg ein weites Feld der Erinnerung geöffnet. Von diesem gemalten Plafond, der die Erschaffung der Welt vorstellte, von dem schweren Kronleuchter, den der Engel Gabriel als Sonne aus den Wolken herabhängen ließ, von den gelben Gardinen von schwerer Seide hatte ihm seine Mutter oft gesprochen, wenn sie von ihrem väterlichen Schloß in Schwaben und von dem ungemeinen Glanz erzählte, welcher einst durch ihre hochselige Frau Großmutter, die Tochter eines reichen Ministers, in die Familie und in die schöneren Appartements zu Thierberg gekommen sei. Schon seine Mutter hatte in ihrer Kindheit diese Prachtstücke mit großer Ehrfurcht vor ihrem Altertum betrachtet, und seit dieser Zeit hatten sie zum mindesten dreißig bis vierzig Jahre gesehen. »Das ist der Familiensaal,« sagte während der Tafel der alte Thierberg, als er die neugierigen Blicke sah, womit sein Neffe dieses Gemach musterte. »Vor Zeiten soll man es die _Laube_ genannt haben, und meine Ahnherren pflegten hier zu trinken. Mein Großvater selig ließ es aber also einrichten und schmücken. Er war ein Mann von vielem Geschmack und hatte in seiner Jugend mehrere Jahre am Hof Ludwigs XIV. zugebracht. Auch meine Frau Großmutter war eine prächtige Dame, und sie beide haben das Innere des Schlosses auf diese Art eingeteilt und dekoriert.« »Am Hofe Ludwigs XIV.!« rief der junge Mann mit Staunen. »Das ist eine schöne Zeit her; wie mancherlei Gäste mag dieser Saal seit jener Zeit gesehen haben!« »Viele Menschen und wunderbare Zeiten,« erwiderte der alte Herr. »Ja, es ging einst glänzend zu auf Thierberg, und unsere Gäste befanden sich bei uns nicht schlimmer als bei jedem Fürsten des Reichs. Man konnte kein fröhlicheres Leben finden als das auf diesen Schlössern, solange unsere Ritterschaft noch blühte. Da galt noch unser Ansehen, unsere Stimme. Man war ein Edelmann so gut als der König von Frankreich, und ein Freiherr war ein freier Mann, der nichts über sich kannte als seinen gnädigen Herrn, den Kaiser, und Gott; jetzt --« »Vater!« unterbrach ihn Anna, als sie sah, wie die Ader auf seiner Stirn anschwoll, und wie eine dunkle Röte, ein Vorbote nahenden Sturmes, auf seinen Wangen aufzog. »Vater!« rief sie mit zärtlichen Tönen, indem sie seine Hand ergriff, »nichts mehr über dies Thema; Sie wissen, wie es Sie immer angreift!« »Törichtes Mädchen!« erwiderte der alte Herr, halb unwillig, halb gerührt von der bittenden Stimme seiner schönen Tochter; »warum sollte ein Mann nicht stark genug sein, nach Jahren von _dem_ zu sprechen, was er zu dulden und zu tragen stark genug war? Der Vetter kennt nur unsere Verhältnisse, wie sie jetzt sind. Er ist geboren zu einer Zeit, wo diese Stürme gerade am heftigsten wüteten, und aufgewachsen in einem Lande, wo die Ordnung der Dinge längst schon anders war; er kann sich also nicht so recht denken, was die Vorfahren seiner Mutter waren, und deshalb will ich ihn belehren.« Der Freiherr nahm nach diesen Worten sein großes Glas, auf dessen Deckel die Wappenschilde seines Hauses, aus Silber getrieben, angebracht waren, und trank, um Kraft zu seiner Belehrung zu sammeln, einen langen, tüchtigen Zug. Doch Fräulein Anna sah an ihm vorüber den Gast mit besorglichen, bittenden Blicken an. Er verstand diesen Wink und suchte den Oheim von dieser Materie abzubringen. »Es ist wahr,« fiel er ein, noch ehe jener das Glas wieder auf den Tisch gesetzt hatte, »in Preußen sind die Verhältnisse anders und seit langer Zeit anders gewesen. Aber sagen Sie selbst, kann man ein Land in Europa finden, das meinem Vaterlande gliche? Ich gebe zu, daß andere Länder an Flächeninhalt, an Seelenzahl uns bei weitem überwiegen, aber nirgends trifft man auf so kleinem Raum eine so kräftige, durch innere Tugend imponierende Macht; es ist das Sparta der neuen Zeit. Und nicht ein glücklicherer Boden oder ein milderer Himmel bewirkten so Großes; sondern der Genius großer Männer hat ein Preußen geschaffen, weil sie es verstanden, die schlummernden Kräfte zu wecken, und dem Volke selbst zeigten, welche Stellung es einnehmen müsse; weil sie _Preußen_ geworden sind, ist auch ein Preußen erstanden.« Der alte Herr hatte seinem Neffen ruhig zugehört, bei den letzten Worten aber zog sich sein Gesicht zu solcher Ironie zusammen, daß der Brandenburger errötete. »Der Sohn meines Nachbars, des Generals von Willi, würde sagen, wenn er dich hörte: ›O Deutschland, Deutschland, da sieht man, wie dein Elend aus deiner eigenen Zersplitterung hervorgeht! Sie wollen nicht mehr Griechen, sondern Platäer, Korinther, Athener, Thebaner und gar -- Spartaner heißen!‹ Ich wünsche nur,« setzte er lächelnd hinzu, »daß die Spartaner nicht zum zweitenmal einen Epaminondas im Felde finden mögen. Die Schlacht bei Leuktra war kein Meisterstück der Kriegskunst unserer modernen Spartaner.« »Unser Unglück bei Jena,« sagte der junge Mann verdrießlich, »kann man weder dem Volk noch dem Könige zuschreiben, und ich glaube, wir haben uns an Napoleon hinlänglich gerächt; wir haben nicht nur Deutschland wieder frei gemacht, sondern ihn selbst entthront.« »So? Das seid _ihr_ gewesen?« fragte der Oheim; »Gott weiß, ich tat bis jetzt sehr unrecht, daß ich dieses Ereignis der halben Million Soldaten zuschrieb, die man aus ganz Europa gegen ihn zusammenhetzte. Warst du vielleicht selbst mit dabei, Neffe? Du kannst wahrscheinlich als Augenzeuge reden?« Der Neffe errötete und schickte einen ängstlichen Blick nach Anna, die ihr Lächeln kaum unterdrücken konnte. »Ich war damals noch auf der Schule,« antwortete er, »und es hat mich nachher oft geärgert, daß ich nicht dabei war. Ich gebe zu, daß die andern auch mitgeholfen haben, aber in allen Schlachten waren es nur die Preußen, die entschieden haben; denken Sie nur an Waterloo.« »Seid überzeugt, ich denke daran,« erwiderte der alte Herr mit großem Ernst, »und denke mit Vergnügen daran. Wenn _einer_ ein Feind jenes Mannes ist, so bin ich es; denn er hat uns und alles unglücklich gemacht und das alte schöne Reich umgekehrt wie einen Handschuh. Aber das mit deinen Landsleuten weißt du denn doch nicht recht. Ich glaube schwerlich, daß eure jungen Soldaten, wenn sie auch wirklich so begeistert waren, wie man sagte, so viele Stöße auf ihr Zentrum ausgehalten hätten als am achtzehnten Juni jene Engländer, die schon in allen Weltteilen gedient hatten.« »Nicht die Jahre sind es,« sagte jener, »die in solchen Augenblicken Kraft geben, sondern das Selbstbewußtsein, der Stolz einer Nation und die Begeisterung des Soldaten für seine Sache; und die hat der Preuße vollauf.« »Ich habe in meiner Jugend auch ein paar Jahre gedient,« entgegnete der Oheim; »Anno 85 bei den Kreistruppen. Damals waren die Soldaten noch nicht begeistert, darum kenne ich das Ding nicht. Nächstens wird mich aber mein Nachbar, der General, besuchen, mit diesem mußt du darüber sprechen.« »Wie dem auch sei,« fuhr der Gast fort, »es freut mich innig, daß Sie über den Hauptpunkt, über den Unwillen gegen die Franzosen und im Haß gegen diesen Korsen, mit mir übereinstimmen. Bei uns zu Hause behauptet man, daß er in Süddeutschland leider noch immer als eine Art Heros angesehen und, es ist lächerlich zu sagen, von vielen sogar als ein Beglücker der Menschheit verehrt werde.« »Sprich nicht zu laut, Freund,« erwiderte der alte Herr, »wenn du es nicht mit dieser jungen Dame hier gänzlich verderben willst. Sie ist gewaltig _napoleonisch_ gesinnt.« »Sie werden darum nicht schlechter von mir denken,« sagte Anna hocherrötend, »weil ich einen Mann nicht geradehin verdammen mag, dessen unverzeihlicher Fehler der ist, daß er ein großer Mensch war.« »Großer Mensch!« rief der Alte mit blitzenden Augen, »den Teufel auch, großer Mensch! Was heißt das? Daß er den rechten Augenblick erspähte, um wie ein Dieb eine Krone zu stehlen? Daß er mit seinen Bajonetten ein treffliches Reich über den Haufen warf, seine herrliche natürliche Form zertrümmerte, ohne etwas Besseres an die Stelle zu setzen! Großer Mensch!« »Sie sprechen so, weil --« »Anna, Anna!« fiel er seiner Tochter in die Rede, »meinst du, ich spreche nur darum so, weil er uns elend machte? Weil er dieses Tal und den Wald mir entriß, weil er diese Menschen, die mir und meinen Ahnen als ihren Herren dienten, an einen andern verschenkte? Weil die ungebetenen Gäste, die er uns schickte, das bißchen aufzehrten oder einsteckten, was mir noch geblieben war? Es ist wahr, an jenem Tage, wo man ein fremdes Siegel über das alte Wappen der Thierberge klebte, wo man mein Vieh zählte und schätzte, meine Weinberge nach dem Schuh ausmaß, meine Wälder lichtete und die erste Steuer von mir eintrieb, an jenem Tage sah ich nur mich und den Fall meines Hauses; aber ging es der ganzen Reichsritterschaft besser, mußten wir nicht sogar erleben, daß ein Mann von der Insel Korsika erklärte, es gebe keinen deutschen Kaiser und kein Deutschland mehr?« »Gott sei es geklagt!« sagte der junge Rantow, »und uns wahrhaftig hat er es nicht besser gemacht.« »Ihr, gerade ihr seid selbst schuld daran,« fuhr der alte Herr immer heftiger fort. »Ihr hattet euch längst losgesagt vom Reich, hattet kein Herz mehr für das Allgemeine, wolltet einen eigenen Namen haben und tatet euch viel darauf zu gut. Ihr sahet es vielleicht sogar gern, daß man uns Schaft für Schaft entzweibrach, weil man uns fürchtete, solange die übrigen Speere _ein_ Band umschlang. Habt ihr nicht gesehen, wie weit es kam, als man in Sparta jeden Griechen einen Fremden nannte? Verdammt sei dieses Jahrhundert der Selbstsucht und Zwietracht, verdammt diese Welt von Toren, welche Eigenliebe und Herrschsucht Größe nennt!« »Aber lieber Vater --« wollte das Fräulein besänftigend einfallen, doch der alte Herr war bei seinen letzten Worten schnell aufgestanden, und der kleine Mensch in der Thierbergischen Livree eilte auf seinen Wink mit zwei Kerzen herbei. »Gute Nacht,« wandte er sich noch einmal zu seinem Neffen; »stoße dich nicht daran, wenn du mich zuweilen heftig siehst; 's ist so meine Natur. Schlafet wohl, Kinder!« setzte er ruhiger hinzu, »wenn die Gegenwart schlecht ist, muß man von besseren Zeiten träumen.« Anna küßte ihm gerührt die Hand, und die erhabene Gestalt des alten Herrn schritt langsam der Türe zu. Rantow war so betroffen von allem, was er gehört und gesehen, daß es ihm sogar entging, welche komische Figur der Diener machte, der seinem Herrn zu Bette leuchtete. Die weite Staatslivree, die er trug, hing beinahe bis zum Boden herab, und die langen bordierten Aufschläge bedeckten völlig die Hände, welche die silbernen Leuchter trugen. Er war anzusehen wie ein großer Pilgrim, der einen Kalvarienberg hinan auf den Knieen rutscht. Um so erhabener war der Kontrast des Mannes, der ihm folgte; er erschien, als er durch den altfränkischen Saal unter den Familiengemälden seiner Ahnen vorbeischritt, wie ein wandelndes Bild der guten alten Zeit. Als der alte Herr das Gemach verlassen hatte, stand das Fräulein mit einer Verbeugung gegen ihren Gast auf und trat in ein Fenster. Der junge Mann fühlte an ihrem Schweigen, daß er diesen Abend Saiten berührt haben müsse, die man anzutasten sonst vielleicht sorgfältig vermied. Sie blickte hinaus in die Nacht, und Rantow trat an ihre Seite; er hatte oft erprobt, wie sich Mißverständnisse leichter lösen, wenn man sie in einen Scherz kehrt, als wenn man mit Ernst oder Wehmut darüber spricht. Mit solch einem Scherz wollte er Anna versöhnen; doch als er zu ihr ans Fenster trat, war der Anblick, der sich ihm darbot, so überraschend, daß kein heiteres Wort über seine Lippen schlüpfen konnte. Das tiefe, schwärzliche und doch so reine Blau, das nur ein südlicher Himmel im Mondlicht zeigt, hatte er noch nie gesehen. Ueber Wald und Weinberge herab goß der Mond seltsame Streiflichter, und im Tal schimmerten seinen Glanz nur die zitternden Wellen des Neckars und die Spitze des dunkeln Kirchturms zurück. Der falbe Schein dieses Lichtes der Nacht hatte Annas Züge gebleicht, und in ihren schönen Augen schwamm eine Träne. Jetzt erst, als alles so still und lautlos war, vernahm man aus der Ferne die gehaltenen Töne einer Flöte, und diese Klänge verbanden sich so sanft mit dem milden Schimmer des Mondes, daß man zu glauben versucht war, es seien _seine_ Strahlen, die so melodisch sich auf die Erde niedersenkten. Ein seliges Lächeln zog über Annas Gesicht; ihr glänzender Blick hing an einer Waldspitze, die weit in das Tal vorsprang, und ihre tieferen Atemzüge schienen der Flöte zu antworten. »Wie prachtvoll ist selbst die Nacht in Ihrem Tal!« sprach nach einer Weile der Gast. »Wie schön wölbt sich der Himmel darüber hin, und der Mond scheint nur für diesen stillen Winkel der Erde geschaffen zu sein.« Anna öffnete das hohe Bogenfenster. »Wie warm und mild es noch draußen ist!« sagte sie, indem sie freundlich in das Tal hinabschaute. »Kein Lüftchen weht.« »Aber die Bäume neigen sich doch her und hin,« erwiderte er, »sie rauschen, gewiß vom Wind bewegt.« »Kein Lüftchen weht,« wiederholte sie und hielt ihr weißes Tuch hinaus. »Sehen Sie, nicht einmal dieses leichte Tuch bewegt sich. Und kennen Sie denn nicht die alte Sage von den Bäumen? Nicht der Nachtwind ist es, der ihre Blätter bewegt, sie flüstern jetzt und erzählen sich, und wer nur ihre Sprache verstünde, könnte manches Geheimnis erfahren.« »Vielleicht könnte man dann auch erfahren, wer der Flötenspieler ist,« sagte der Vetter, indem er Anna schärfer ansah; denn schon war er so eifersüchtig auf seine schöne Base geworden, daß ihm die süßen Töne vom Wald her und ihr Tuch, das sie noch immer aus dem Fenster hielt, in Wechselwirkung zu stehen schienen. »Das kann ich Ihnen auch ohne die Bäume verraten,« erwiderte sie lächelnd, indem sie das Tuch zurücknahm. »Das ist ein munterer Jägerbursche, der seinem Mädchen einen guten Abend spielt.« »Dazu ist aber die Entfernung doch beinahe zu groß,« fuhr er fort, »manche Töne werden nicht ganz deutlich.« »Im Dorf unten hört man es besser als hier oben«, sagte sie gleichgültig und schloß das Fenster; »überdies sagt ja das Sprichwort: ›Das Ohr der Liebe hört noch weiter als das des Argwohns.‹« »Schön gesagt,« rief der junge Mann, »doch das _Auge_ des Argwohns sieht weiter als das der Liebe.« »Sie haben recht,« entgegnete sie, »aber nur bei Tag, nicht bei Nacht.« Diese, wie es schien, ganz absichtslos gesagten Worte überraschten den jungen Mann so sehr, daß er beschämt die Augen niederschlug. Er warf sich seine Torheit vor, daß er nur einen Augenblick glauben konnte, es sei ein Liebhaber dieses arglosen Kindes, der dort im Walde musiziere. »Und nun gute Nacht, Vetter,« fuhr Anna fort, indem sie eine Kerze ergriff. »Träumen Sie etwas recht Schönes, man sagt ja, der erste Traum in einem Hause werde wahr; Hans! leuchte dem Herrn Baron ins rechte Turmzimmer! Und dies noch,« setzte sie auf französisch hinzu, als der Diener näher trat, »vermeiden Sie, mit meinem Vater über Dinge zu sprechen, die ihn so tief berühren. Er ist sehr heftig, doch gilt sein Zorn nie der Person, sondern der Meinung. Es war _meine_ Schuld, daß ich Sie nicht zuvor unterrichtet habe, morgen will ich nähere Instruktionen erteilen. -- Gute Nacht!« Sinnend über dieses sonderbare und doch so liebenswürdige Wesen folgte der Gast dem Diener, und die dumpf hallenden Gänge und Wendeltreppen, das vieleckige, in wunderlichen Spitzbogen gewölbte Gemach, das altertümliche Gardinenbette, so manche Gegenstände, die er sonst so aufmerksam betrachtet hätte, blieben diesmal ohne Eindruck auf seine Seele, die nur eifrig beschäftigt war, den Charakter und das Benehmen Annas zu prüfen und zu mustern. 5. Als der Gast am folgenden Morgen nach einer sorgfältigen Toilette hinabging, um mit seinen Verwandten zu frühstücken, konnte er sich anfänglich in dem alten Gemäuer nicht zurechtfinden. Ein Diener, auf welchen er stieß, führte ihn dem Saal zu, und an den Gängen und Treppen, die er durchwandern mußte, bemerkte er erst, was ihm gestern nicht aufgefallen war, daß er im entlegensten Teil dieser Burg geschlafen habe. Auf sein Befragen gestand ihm der Diener, daß sein Gemach das einzige sei, das man auf jener Seite noch bewohnen könne, und außer dem Wohnzimmer mit den gewirkten Tapeten, dem Schlafzimmer des alten Herrn, dem Saal, dem kleinen Zimmerchen in einem andern Turm, wo Fräulein Anna wohne, sei nur noch das ungeheure Bedientenzimmer, das früher zu einer Küche gedient habe, und die Wohnung des Amtmanns einigermaßen bewohnbar; die übrigen Gemächer seien entweder schon halb eingestürzt oder würden zu Fruchtböden und dergleichen benützt. Der stolze Sinn des Oheims und die fröhliche Anmut seiner Tochter standen in sonderbarem Widerspruch mit diesen öden Mauern und verfallenen Treppen, mit diesen sprechenden Bildern einer vornehmen Dürftigkeit. Der junge Mann war, wenn nicht an Pracht, doch an eine gewisse reinliche Eleganz in seiner Umgebung selbst an den Treppen und Wänden gewöhnt, und er konnte daher nicht umhin, seine Verwandten, die in so großer, augenscheinlicher Entbehrung lebten, für sehr unglücklich zu halten. Das romantische Interesse, das der erste Anblick dieser Burg für ihn gehabt hatte, verschwand vor dieser traurigen Wirklichkeit, und wenn er sich dachte, wie die Mauerrisse und Spalten, durch welche jetzt nur die warme Morgensonne hereinfiel, den Stürmen des Winters freien Durchgang lassen mußten, war ihm Annas Furcht vor dieser Jahreszeit wohl erklärlich. »Und ein so zartes Wesen diesen rauhen Stürmen ausgesetzt,« sagte er zu sich, »ein so reicher und gebildeter Geist ohne Umgang, vielleicht ohne Lektüre, einen ganzen Winter lang in diesen Mauern vom Schnee und Wetter gefangen gehalten, einsam bei dem ernsten, feierlichen, alten Mann! Und dieser ehrwürdige Alte, der einst bessere Tage gesehen, durch die Ungunst der Zeit in unverschuldete Dürftigkeit und Entbehrung versetzt!« Von so gutmütiger Natur war das Herz des jungen Mannes, daß er vor der Türe des Saales halb und halb den Entschluß faßte, um die schöne Anna zu freien, sie in die Mark zu führen, oder wenn ihm das Leben in Schwaben besser gefallen sollte, mit ihr in die Residenz zu ziehen und für den Sommer Thierberg wieder instandsetzen zu lassen. Der Alte empfing ihn mit einem herzlichen Morgengruß und derben Händedruck, und Anna erschien ihm heute noch freundlicher und zutraulicher als gestern. Das Tagewerk der Knechte wurde in seiner Gegenwart angeordnet, und mit Wonne sah er Anna eine Geschäftigkeit im Hauswesen entfalten, die er der feingebildeten jungen Dame nicht zugetraut hätte. Auch über ihre eigenen Geschäfte sprachen die Bewohner des Schlosses. Der Alte wollte vormittags mit seinem Verwalter rechnen, Anna den Gast unterhalten und einen Spaziergang mit ihm ins Tal hinab machen. Nach Tische wollte sie bei einigen Damen in der Nachbarschaft Besuche abstatten, der Alte das Stück Wald, das ihm noch eigen gehörte, mustern, und Albert sollte ihn begleiten. Der Abend sollte sie alle zum Spiel vereinigen. So angenehm dem jungen Manne die Aussicht war, einen ganzen Vormittag mit der schönen Cousine zu verleben, so erschreckte ihn doch ein so langer Waldspaziergang mit dem ernsten Onkel, der alle Augenblicke die sonderbarsten, vielseitigsten Kenntnisse verriet und in so hohem Alter noch ein Wortgedächtnis hatte, vor welchem jenem graute. »Wie, wenn er dich den ganzen Nachmittag ausfragte, was du gelernt hast!« sagte er zu sich. »Wie schnöde wird es dann an den Tag kommen, welche Lehrstühle und Säle in Berlin du _nicht_ besucht, und wie schnell wird er ahnen, _welche_ du besucht hast.« Einiger Trost für ihn war seine geläufige Zunge und ein wenig Disputierkunst, das einzige, was ihm von seinem Hofmeister übrig geblieben war. Doch wie einen zum Galgen Verdammten das Henkermahl noch erfreut, das ihm der Nachrichter zu- und anrichten muß, so richtete sich seine geängstigte Seele an der schönen Gegenwart auf. Und welcher Himmel ging ihm erst auf, als der Onkel, nachdem er schon Hut und Stock ergriffen hatte, sich noch einmal zu seinem Neffen wandte. »Noch etwas!« sagte er zu ihm. »So lange Thierberg steht, ist es Sitte, daß die nächsten Verwandten gleicher Linie mit Du unter sich reden; ich denke, du wirst mit Anna keine Ausnahme machen, weil du hundert Meilen nördlicher geboren bist.« Anna lächelte und schien es ganz in der Ordnung zu finden, aber mit freudeglühenden Wangen sagte der junge Mann zu; dankbar blickte er dem alten Oheim nach, der ihm in diesem Augenblick wie ein Bote der Liebe erschien. Leider vergaß er dabei, daß dieses Du nicht das süße, heimliche Du der Liebe sei, und daß ein so nahes Verhältnis zwar der Freundschaft förderlich, für die entstehende Liebe aber ein Hindernis sein könnte. »Und du wolltest mir gestern abend noch Instruktionen geben,« sagte er, indem er sich in das Fenster zu dem Fräulein setzte. »Es ist mir angenehm, wenn du mir recht viel vom Onkel sagst, ich habe ihn mir durchaus anders gedacht, und daher kam nun wohl gestern abend mein Mißgriff.« »Wie hast du dir ihn denn gedacht?« fragte Anna. »Nun, ich setzte mir aus dem, was Mutter und Vater erzählten, ein Bild zusammen, das nun freilich nicht paßt. Seit mein Vater Kammerjunker an eurem Hofe war und nachher die Mutter nach Preußen heimführte, mögen es doch etwa dreißig Jahre sein. Damals war wohl Onkel etwa fünf- bis sechsunddreißig Jahre alt, und man nannte ihn noch immer den Junker, denn der Großvater Thierberg lebte noch. Mein Vater beschreibt ihn nun gar komisch, wenn er auf ihn zu sprechen kommt. Er war hier im Schloß aufgewachsen unter der Aufsicht seines Herrn Papa und seiner Frau Mama. Die guten Großeltern könnte ich malen. Sie müßten in den geblümten und ausgenähten Fauteuils sitzen, aufrecht und anständig frisiert; die Großmama in einem blauseidenen Reifrock, der Großpapa in einem verschossenen Hofkleid. Sie sind die regierende Familie in ihrem Land, der Amtmann und der Pastor ihr Hofstaat. Der Erbprinz lernte hier nicht viel mehr, als sich anständig verbeugen, die Hand küssen, reiten und jagen, und die Prinzessinnen sollen ihn an Bildung weit übertroffen haben. Die zwei Jahre Garnisonleben bei den Reichstruppen hatten ihn nicht gerade verfeinert, und so soll er immer zur größten Lust der Verwandten gedient haben, wenn er um die Zeit, da man alljährlich die Remontepferde von Leipzig brachte, in die Residenz kam. Meine Mutter wurde damals bei Onkel Wernau erzogen, und mein Vater kam täglich in das Haus. Wenn dann dein Vater im Herbst zu Besuch kam, verhehlte er nicht, daß er nur gekommen sei, um die schönen Remontepferde zu betrachten, zog den ganzen Tag bei Bereitern und in den Ställen umher, freute sich, mit seiner großen Pferdekenntnis glänzen zu können, und unterhielt abends die glänzende Gesellschaft bei Wernaus durch sein sonderbares Wesen, das zwar nie linkisch oder unanständig, aber im höchsten Grade naiv, ungezwungen und komisch war. Mein Vater sagte oft ›Er war ein Bild der guten alten Zeit, nicht jener steifen Zeit, wo man den Hofton und die Reifröcke in jedem Winkel des Landes affektierte, sondern einer viel früheren. Er war das Muster eines schwäbischen Landjunkers.‹« Der junge Mann hielt inne in seiner Beschreibung, als er sah, daß seine Zuhörerin lächelte. »Du findest vielleicht diese Züge unwahr,« sagte er, »weil sie auf heute nicht mehr passen, und doch versichere ich --« »Mir fiel nur,« erwiderte sie, »als du dies das Bild eines schwäbischen Landjunkers nanntest, jenes Buch ein, das beinahe mit denselben Zügen einen Landjunker in -- Pommern schildert. Du versetzest nun dieses Bild in mein Vaterland, in dieses Schloß sogar; sonderbar ist übrigens, daß beinahe kein Zug mehr zutrifft. In dem gut gemalten Bilde eines Jünglings muß man sogar die Züge des Greises wiedererkennen, doch hier --« »Das wollte ich ja eben sagen; ich fand den Onkel so ganz und durchaus anders, daß ich selbst nicht begreifen konnte, wie er einst jener muntere, naive Junge habe sein können.« »Ich spreche ungern mit Männern über Männer, ich meine, es passe nicht für Mädchen,« nahm Anna das Wort; »über meinen Vater vollends habe ich nie -- _beinahe_ nie gesprochen,« setzte sie errötend hinzu, »doch mit dir will ich eine Ausnahme machen. Ich kenne zwar den Vater nicht anders, als wie er jetzt ist; es ist möglich, daß er vor dreißig Jahren etwas anders war, aber bedenke, Vetter Albert, durch welche Schule er ging! Alles, alles, was ihm einst lieb und wert war, hat diese furchtbare Zeit niedergewühlt. Oder meinst du, jene Verhältnisse, so sonderbar und unnatürlich sie vielleicht erscheinen, seien ihm nicht teuer gewesen? Wie oft, wenn die alten Herren in der vormaligen Reichsritterschaft im Saal waren und sich besprachen über die gute alte Zeit, wie oft hätte ich da weinen mögen, aus Mitleid mit den Greisen, die sich nun so schwer in diese neuen Gestaltungen finden!« »Aber ging es ganz Europa besser? Denke an Spanien, Frankreich, Italien, Polen und das ganze Deutschland,« erwiderte der Gast. »Ich weiß, was du sagen willst,« fuhr sie eifrig fort; »man soll über dem Unglück und der Umwühlung eines Weltteils so kleine Schmerzen vergessen; aber wahrlich, so weit sind wir Menschen noch nicht. Auf diesen Standpunkt erhebe sich, wer kann, und ich meine, er wird auch in seiner Großherzigkeit wenig Trost, weder für sich noch für das Allgemeine finden. Und ich möchte überdies noch behaupten, daß unter allen, die überall gelitten haben, vielleicht gerade diese Ritterschaft nicht am wenigsten litt. Andere Wunden, die man nur dem Vermögen schlägt, heilen mit der Zeit, doch wo, nicht durch Revolution, sondern im Namen gesetzlicher Gewalt, so alte, lang gewöhnte Bande zersprengt, und Formen, die auf ewig gegründet schienen, zertrümmert werden, das eine Stück hierhin, das andere dorthin gerissen -- werden die teuersten Interessen in innerster Seele verwundet. Wenn so die alten Hauptleute und Räte der Ritterschaft, einige Komture und deutsche Ritter um die Tafel sitzen, so glaubt man oft Gespenster, Schatten aus einer anderen Welt zu sehen. Doch wenn man bedenkt, daß dies alles, was sie einst erfreute, so lang vor ihnen zu Grabe ging, und diese Titel von der jungen Welt nicht mehr verstanden werden, so kann man mit ihnen recht traurig werden.« »Es ist wahr,« bemerkte der Gast, »und man muß gerecht sein; sie wurden von früher Jugend in der Achtung und im ritterlichen Eifer für jene alten Formen erzogen, glänzten vielleicht eben im ersten Schimmer einer neuen Amtswürde, als das Unglück hereinbrach und alles auflöste; und wie schwer ist es, alten Gewohnheiten zu entsagen, alte Vorurteile abzulegen!« »Um so schwerer,« setzte Anna hinzu, »wenn man ein Recht und gesetzliche Ansprüche darauf zu haben glaubt. Hätte man jene Bande sanft gelöst, man würde sich nach und nach gewöhnt haben; so aber war es das Werk eines Augenblicks. Vermögen, Ansehen und Würden gingen zugleich verloren, und mancher wurde geflissentlich gekränkt. So wurde der Unmut über die Veränderung zur Erbitterung. Der Vater hat oft erzählt, wie sie ihm an _einem_ Tage alle Familienwappen von den Wänden gerissen, das Vieh geschätzt, Pferde weggeführt, die Braupfannen versiegelt und für Staatseigentum erklärt haben; die Mutter war krank, der Vater außer sich gebracht durch höhnische Behandlung der neuen Beamten, und um das Unglück vollkommen zu machen, legten sie fünfundsiebzig Franzosen in dieses Schloß, die nicht plündern, aber ungestraft stehlen durften, und wenn sie weiter zogen, nur ebensoviel neuen Gästen Platz machten.« »Wahrhaftig!« rief Albert, »ein solches Schicksal hätte wohl auch den fröhlichsten Junker ernst machen müssen!« »Wie es ging, weiß ich nicht; nur so viel nahm ich mir aus den Gesprächen ab, daß er seit jener Zeit ganz verändert sei. Er hielt sich meistens zu Hause, las viel und studierte manches. Er gilt jetzt in der Gegend für einen Mann, der viel weiß, und muß in manchen Fällen Rat geben. Doch um auf die Instruktionen zu kommen, die ich dir erteilen wollte, so kannst du sie aus dem, was ich dir erzählte, selbst abnehmen. Berühre nie die früheren politischen Verhältnisse, wenn du ihn nicht wehmütig machen willst, sprich nie von dem Kaiser --« »Von welchem Kaiser?« unterbrach sie der Vetter. »Nun, von Napoleon, wollte ich sagen; er sieht ihn als den Urheber aller seiner Leiden an, und wenn etwa der General in diesen Tagen kommen sollte, laß dich in keinen politischen Diskurs ein; sie sind schon so heftig aneinander geraten.« »Wer ist denn der General?« fragte Albert. »Hat nicht dein Vater mich gestern aufgefordert, mit ihm über die neuere Kriegszucht zu sprechen?« »Der General Willi ist unser Nachbar,« erwiderte Anna, »und wohnt eine halbe Stunde von hier, den Neckar abwärts. Er gehört so sehr der neueren Zeit an, als der Vater der alten, und ich kann ihm seine Art zu denken ebensowenig verargen als meinem Vater. Er machte in den früheren Feldzügen eine sehr schnelle Karriere, und der Kaiser selbst soll ihn im Feldzuge von 1809 beredet haben, unsern Dienst zu verlassen und in die Garde zu treten. Er war mit in Rußland, wurde bei Chalons gefangen und zog sich nachher gänzlich zurück. Hier hat er nun ein Gut gekauft, ist ein sehr vermögender Mann und lebt im stillen seinen Erinnerungen. Du kannst dir denken, daß ein Mann, der in solchen Verhältnissen seine schönsten Jahre lebte, wohl auch noch heute von der Sache, für welche er einst focht, eingenommen ist; er ist, was man so nennt, ein eigensinniger Napoleonist und hat wenigstens so gut als irgend einer Grund dazu.« »Wenn er ein Franzose wäre,« entgegnete Albert, »dann möchte es ihm hingehen. Aber für einen Deutschen schickt es sich doch wahrhaftig nicht. Es war keine _Sache_, für welche er focht, sondern ein Phantom.« »Streiten wir nicht darüber,« fiel ihm Anna ins Wort. »Ich bin überzeugt, wenn du diesen liebenswürdigen, edlen Mann kennen lernst, wirst du ihm seinen Enthusiasmus vergeben.« »Wie alt ist er denn?« fragte jener befangen. »Ein guter Fünfziger,« erwiderte Anna lächelnd. »Mir aber scheint er, wie gesagt, für seine Gesinnungen ein so gutes Recht zu haben als der Vater. Wurde ja doch auch, was _ihm_ groß und erhaben deuchte, zerstört und verhöhnt, und du weißt, daß dies nicht der Weg ist, die Menschen mit dem Neueren auszusöhnen. Die beiden Herren haben große Zuneigung zueinander gefaßt, obgleich sie in ihren Meinungen so schroff einander gegenüberstehen. Oft kommt es unter ihnen zu so heftigem Streit, daß ich immer einmal einen wirklichen Bruch der nachbarlichen Verhältnisse voraussehe. Ich glaube, wenn mehr Damen zugegen wären, würde es nie so weit kommen, aber leider hat auch der General vor einigen Jahren seine Frau verloren. Sie war eine treffliche Frau, und meine Mutter schätzte sie sehr; der Vater konnte es ihr aber nie vergeben, daß sie eine Bürgerliche war, und seine Schwester, die jetzt eben bei ihm ist, pflegt immer nur auf kurze Zeit einzukehren.« Der alte Thierberg, der in diesem Augenblick von seinem Amtmann zurückkam, unterbrach dieses Gespräch, das der junge Mann noch lange hätte fortsetzen mögen; denn Base Anna erschien ihm, wenn sie lebhaft sprach, wenn ihre Augen während ihrer Rede immer heller glänzten, und ihre zarten Züge jede ihrer Empfindungen abspiegelten, immer reizender, liebenswürdiger zu werden, und er glaubte aus dem Vergnügen, das ihr die Unterhaltung mit ihm zu gewähren schien, nicht mit Unrecht einen günstigen Schluß für sich ziehen zu dürfen. 6. Von allen seinen früheren reichsfreiherrlichen Rechten war dem alten Thierberg nur die Ernennung oder, wie man es dort nannte, die Präsentation des Schulmeisters übrig geblieben, und er verwünschte auch diesen letzten Rest ehemaliger Größe und Gewalt, als er nachmittags zwei Schulamtskandidaten mit dem Thierberger Prediger ins Schloß treten sah. Er hieß seinen Neffen allein in den Wald vorausgehen und versprach, bald zu folgen. Der junge Mann wanderte langsam jenen Weg hinan, welchen ihn Anna zuerst geführt hatte. Oft stand er stille und sah zurück auf diese altertümliche Burg, und gerne verweilte sein Auge auf jenem Turm, in dessen Zimmerchen Anna wohnte. Wie liebte er dieses klare, ruhige, natürliche Wesen, gepaart mit so viel Anstand und mit so feiner Bildung! Er konnte sich auf nichts Aehnliches besinnen. Oft wollten zwar in seiner Erinnerung die Damen der Mark diesem Schwabenkind den Vorrang streitig machen. Es deuchte dem jungen Mann, er habe elegantere Formen gesehen, gewandter, zierlicher sprechen gehört, er rief sich jede einzelne Schönheit, die ihn sonst bezauberte, zurück, aber er bekannte, daß es gerade diese Unbefangenheit, diese Ruhe sei, was ihm so überraschend, so neu, so liebenswürdig erschien. »Sie ist zu verständig, zu ruhig, zu klar, um jemals recht lieben zu können,« fuhr er in seinen Gedanken fort, »aber schätzen wird sie mich, sie wird Interesse an mir finden. Und gerade diese Klarheit, diese Art, über das Leben zu denken, muß ihr andere, bessere Verhältnisse längst wünschenswert gemacht haben. Bequeme, elegante Wohnung, eine geschmackvolle Garderobe, Wagen, Pferde, Bediente, eine ausgesuchte Bibliothek, das sind die Dinge, welche in einem solchen kalten Herzen die Liebe ersetzen; so unbefangen sie ist, so weiß sie doch in ihrer Unbefangenheit die Dame recht wohl zu spielen, und wirklich -- es muß ihr als Frau von Rantow allerliebst stehen!« Der junge Mann war unter diesen Träumen einer schönen Zukunft auf einer Höhe angelangt, wo er einen Teil des reizenden Neckartales überschauen konnte. Vorwärts zu seiner Linken gewahrte er eine Waldspitze, die weit vorsprang und ihm die Aussicht auf den andern Teil des Tales verdeckte. Er verglich sie mit der Lage des Schlosses und fand, es müsse dieselbe Bergspitze sein, von welcher gestern jene süßen Flötenklänge herübertönten. Von dort aus, hatte ihm Anna gesagt, könne man einen weiten, freien Blick über das ganze Tal genießen, und rasch beschloß er, nicht erst den Oheim abzuwarten, sondern im Genuß einer herrlichen Aussicht auf jener Waldecke seinen Gedanken nachzuhängen. Er hatte sich die Richtung gut gemerkt, und nicht lange, so trat er auf diesen reizenden Platz heraus. Das Tal schwenkte sich in einem schönen Bogen an Thierberg vorüber um diese Bergecke. Rechts und bei weitem näher, als Albert gedacht hatte, lag die Burg, durch eine breite Waldschlucht von dieser Stelle getrennt. Man konnte mit einem guten Fernglas deutlich in die Fenster von Thierberg sehen, und der junge Mann ergötzte sich eine Zeitlang an den Zügen des Pastors und seines Oheims, die in eifrigem Gespräch an der Fensterbrüstung standen. Auch Annas Turmfenster war geöffnet, aber statt ihrer holden Züge sah man nur einen kleinen Orangenbaum, den sie an die Sonne gestellt hatte. In der Mitte des Tales zog in kleineren Bogen der Neckar hin, viele freundliche Halbinseln bildend und in kleiner Entfernung entdeckte das Auge des jungen Mannes ein neues Schloß, in dessen Fenstern sich die Mittagssonne spiegelte. Es war in gefälligem, italienischem Stil aufgebaut, die Säulen und der Balkon, schlank und zierlich, machten einen sonderbaren Kontrast mit den dunkeln schweren Mauern des Thierbergs zu seiner Rechten, und wie diese Burg auf der Nordseite des Gebirges auf einem steilen Waldberg hing, so ruhte jenes schöne Lustschloß auf der Südseite gegenüber an einem sanften Rebhügel, dessen reinlich und nett angelegten Geländer und Spaliere sich bis an den Fluß herabzogen. Albert war in diesen reizenden Anblick versunken und dachte nach über diesen Gegensatz, welchen die beiden Schlösser wie Bilder der alten und neuen Zeit hervorbrachten, als feste Männertritte hinter ihm durch das Gebüsch rauschten und ihn aus seinen Betrachtungen weckten. Er wandte sich um und war vielleicht nicht weniger erstaunt als der Mann, der jetzt durch die letzten Büsche brach und vor ihm stand. -- Es war sein Gefährte vom Eilwagen. Er hatte eine Jagdtasche übergeworfen, trug eine Büchse unter dem Arm, und zwei große Windhunde stürzten hinter ihm aus dem Gebüsch. »Wie, ist es möglich?« rief der Jäger und blieb verwunderungsvoll stehen; »ich hätte mir noch eher einfallen lassen, hier auf einen Adler denn auf Sie zu stoßen!« »Sie sehen, ich benütze Ihren Rat,« erwiderte der junge Mann, »ich durchspüre jeden Winkel Ihres Landes nach schönen Aussichten --« »Aber wie kommen Sie _hieher_?« fuhr jener fort, indem er ihn aufmerksamer betrachtete. »Und Sie sind auch nicht auf der Reise, wie ich sehe; haben Sie sich in der Nähe eingemietet?« Albert deutete lächelnd auf die alte Burg hinüber. »Dort -- und gestehen Sie,« sagte er, »ich hätte keinen schöneren Punkt wählen können.« »In Thierberg?« rief der Jäger mit steigendem Erstaunen, indem er auf einen Augenblick leicht errötete; »wie, ist es möglich, in Thierberg? Oder sind vielleicht gar Thierbergs die Verwandten, die --« »Die ich in der Stadt besuchen wollte und hier auf ihrem Landsitz traf. Ich segne übrigens diesen Geschmack meines Oheims,« setzte Albert mit einer Verbeugung hinzu, »da er mich aufs neue in die Nähe meines angenehmen Reisegesellschafters führte.« »So wären Sie vielleicht ein Rantow aus Preußen?« fragte der Jäger aufs neue. »Allerdings,« antwortete der Gefragte. »Aber wie folgern Sie dies? Sind Sie vielleicht mit meinem Oheim bekannt?« »Ich besuche ihn zuweilen,« sagte jener mit einem langen Seitenblick auf das alte Schloß, »ich bin gerne dort; doch beinahe hätte ich das Glück gehabt, Ihre Bekanntschaft noch früher zu machen; ich reiste vor einem Jahr in Ihre Heimat, und auf den Fall, daß mich meine Straße über Fehrbellin geführt hätte, war ich mit einem Brief an Ihre Eltern versehen, mit einem Brief von Ihrem Oheim selbst. -- Aber habe ich zu viel gesagt, wenn ich von den Reizen unseres Neckartales sprach? Finden Sie nicht alles hier vereinigt, was man immer für das Auge wünschen kann?« »Ich dachte schon vorhin darüber nach,« versetzte Rantow; »wie verschieden ist der Charakter dieser beiden Berge zur Seite des Tales! Hier dieser dunkle Wald, mit Schluchten und Felsenrissen, durch welche sich Bäche herabgießen, die alte Burg, halb Ruine, auf diese jäh abbrechende Wand hinausgerückt. Jenseits die sanften, wellenförmigen Rebhügel, mit bläulichroter Erde und dem sanften Grün des Weinstocks. Und diese Kontraste durch das liebliche Tal, durch den Fluß vereinigt, der bald hierhin, bald dorthin zu den Bergen sich wendet! Wahrhaftig, es müßte nichts Angenehmeres sein, als auf einer dieser grünen Halbinseln ein einsames Idyllenleben zu führen!« »Ja,« entgegnete der Jäger lächelnd, »wenn der Fluß nicht in jedem Frühjahre austräte und Damon, die Hütte und -- seine Daphne zu entführen drohte! Aber waren Sie schon unten im Tal?« »Noch nicht, und wenn etwa Ihr Weg hinabführt, werde ich Sie gerne begleiten.« Der Jäger lockte seine Hunde und schlug dann einen Seitenpfad ein, der in die Tiefe führte. Rantow, der hinter ihm ging, bewunderte den schlanken Bau, den kräftigen Schritt und die gewandten Bewegungen des jungen Mannes. Er war einigemal versucht zu fragen, wer er sei, wo er wohne; aber es lag etwas so Bestimmtes, Ueberwiegendes in seinem ganzen Wesen, daß er diese Frage immer wieder auf eine bequemere Zeit verschob. Im Tal wandte sich der Jäger stromabwärts; Kinder und Alte, die ihnen begegneten, grüßten ihn überall freundlich und zutraulich; manche blieben wohl auch stehen und schauten ihm nach. Oft stand er stille und machte den Fremden auf jeden schönen Punkt aufmerksam, erzählte ihm von der Lebensart der Leute, von ihren Sitten und ländlichen Festen. Der Weg bog jetzt um den Berg, und plötzlich standen sie dem neuen Schloß gegenüber, das Albert von der Höhe herab gesehen hatte. »Welch herrliches Gebäude!« rief er, »wie malerisch liegt es in diesen Weinbergen! Wem gehört dieses Schloß?« »Meinem Vater,« erwiderte der Jäger freundlich. »Ich denke, Sie setzen mit mir über und versuchen den Wein, der auf diesen Hügeln wächst.« Gerne folgte der junge Mann dieser einfachen Einladung; sie gingen ans Ufer, wo der Jäger einen Kahn losband; er ließ seinen Gast einsteigen und ruderte ihn leicht und kräftig über den Fluß. Auf reinlichen, mit feinem Kies bestreuten Wegen, durch hohe Spaliere von Wein gingen sie dem Schloß zu, dessen einfach schöne Formen in der Nähe noch deutlicher und angenehmer hervortraten, als aus der Ferne betrachtet. Unter dem schattigen Portal, das vier Säulen bildeten, saß ein Mann, der aufmerksam in einem Buche las. Als die jungen Männer näher kamen, stand er auf und ging ihnen einige Schritte entgegen. Er war groß, aufrecht und hager, und etwa zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt. Ein schwarzes, blitzendes Auge, eine kühn gebogene Nase, die dunkelbraune Gesichtsfarbe und eine hohe gebietende Stirne, wie seine ganze Haltung, gaben ihm etwas Auffallendes, Ueberraschendes. Er trug einen einfachen militärischen Oberrock, ein rotes Band im Knopfloch, und noch ehe er ihm vorgestellt wurde, wußte der junge Rantow aus diesem allem, daß es der General Willi sei, vor welchem er stand. Ihn selbst stellte der junge Willi als Vetter der Thierbergs und als seinen Reisegefährten vor. Der General hatte eine tiefe, aber angenehme Stimme; er antwortete: »Mein Sohn hat mir von Ihnen gesagt. Ihre Mutter kenne ich wohl, habe sie früher in der Residenz gesehen. Als wir nach Schlesien marschierten, wurde ich nach Berlin geschickt; ich blieb vier Wochen bei der Feldpost dort und ritt während dieser Zeit mehreremal nach Fehrbellin hinüber, Ihre Eltern zu besuchen.« »Wahrhaftig!« rief der junge Mann; »ich erinnere mich, mehrere französische und deutsche Offiziere damals in unserem Haus gesehen zu haben; es müßte mich alles täuschen, Herr General, oder ich kann mich noch Ihrer erinnern. Ihre Uniform war grün und schwarz, und einen großen grünen Busch trugen Sie auf dem Hut. Sie ritten einen großen Rappen.« »Ach ja, die alte Leda!« sagte der General; »sie hat treu ausgehalten bis an die Beresina; dort liegt sie zwanzig Schritte von der Brücke im Sumpf. Es war ein gutes Tier, und in der Garde nannte man sie ~le diable noir~. -- Grüne Büsche, sagen Sie? -- Richtig, ich diente damals unter den schwarzen Jägern von Württemberg. Ein braves Korps, bei Gott! Wie haben sich diese Leute bei Linz geschlagen!« »War es damals,« bemerkte Rantow, »als Marschall Vandamme, den Gott verdamme, äußerte: ~Ces bougres là se battent comme nous?~« »Sie haben da eine sonderbare Uebersetzung des Namens Vandamme, doch -- ach! Sie sind ein Preuße, gut! ich gebe zu, der General Vandamme war verhaßt, besonders in der süddeutschen Armee; er wußte es auch recht gut; seine Bewunderung über die Bravour jener Soldaten hätte er vielleicht artiger, aber nie mit mehr Wahrheit ausdrücken können.« Sie waren unter diesen Worten bis unter das Portal des Hauses getreten; ein Buch lag dort aufgeschlagen, der junge Willi sah es lächelnd an und sagte: »Zum sechstenmal, mein Vater?« »Zum sechstenmal,« erwiderte jener, indem auch durch seine ernsten Züge ein leichtes Lächeln ging. »Sie sehen, Herr von Rantow, man zieht oft die Kinder nur dazu auf, daß sie ihre Eltern nachher wieder aufziehen. So kann er es nicht recht leiden, daß ich gewisse Bücher oft lese; und doch ist es ein guter Grundsatz, nicht vielerlei Bücher, aber wenige gute öfter zu lesen.« »Sie haben recht,« erwiderte Rantow, »und darf ich wissen, _welches_ Buch Sie zum sechstenmal lesen?« Der General bot es ihm schweigend. »Ah! die schöne Fabel von 1812,« rief Albert, »der Feldzug des Grafen Segur! Nun, ein Gedicht wie dieses darf man immer wieder lesen, besonders wenn man, wie Sie, den Gegenstand kennen gelernt hat.« »Sie nennen es Gedicht?« fragte der General. »Da Sie nicht aus Erfahrung sprechen können, ist wohl General Gourgaud Ihr Gewährsmann. Aber ich kann Ihnen versichern, in diesem Buch ist so furchtbare Wahrheit, so traurige Gewißheit, daß man das wenige, was Dichtung ist, darüber vergessen kann. Die Figuren in diesem Gemälde leben, man sieht ihren schwankenden Marsch über die Eisfelder, man sieht brave Kameraden im Schnee verscheiden, man sieht ein Riesenwerk, jene große, kampfgeübte Armee, durch die Ungunst des Schicksals in viele tausend traurige Trümmer zerschlagen. Aber ich liebe es, unter diesen Trümmern zu wandeln, ich liebe es, an jene traurigen, über das Eis hinschwankenden Männer mich anzuschließen, denn ich habe ihr Glück und -- ihr Unglück geteilt.« »Ich bewundere nur deine Geduld, Vater,« erwiderte der Sohn; »du kannst diese französischen Tiraden, die, wenn man sie in nüchternes Deutsch auflöst, beinahe lächerlich erscheinen, lesen und immer wieder lesen! Ich erinnere mich aus diesem berühmten Buch einer solchen Stelle, die im Augenblick das Gefühl besticht, nachher, mich wenigstens, lächeln machte. Die Armee hat sich in größter Unordnung hinter Wilna zurückgezogen. Die Russen sind auf den Fersen. Eine Zeitlang imponiert ihnen noch die Nachhut des Heeres, aber bald löst sich auch diese auf, und die ersten der Russen, indem sie einen Hohlweg heraufdringen, mischen sich schon mit den letzten der Franzosen. Segur schließt seine Periode mit den Worten: ›Ach! Es gibt keine französische Armee mehr!‹ -- ›Doch, es gibt noch eine,‹ fährt er fort; ›Ney lebt noch; er reißt dem Nächsten das Gewehr aus der Hand,‹ u. s. w. Kurz, der edle Marschall tut in übertriebenem Eifer noch einige Schüsse auf den Feind und repräsentiert gleichsam in sich selbst die halbe Million Soldaten, die Napoleon gegen Rußland ins Feld führte. Ist dies nicht mehr als dichterisch, ist dies nicht lächerlich überstiegen?« »Ich erinnere mich noch recht wohl jenes Moments, und so grausam unser Schicksal, so gedrängt unser Rückzug war, so ließ er uns doch einige Augenblicke frei, diesem Krieger und seiner wahrhaft antiken Größe unsere Bewunderung zu zollen. Wenn du bedenkst, wie es von großer Wichtigkeit war, daß er mit wenigen Tapfern jenes Defilee eine Zeitlang gegen den Feind behauptete, daß er und die Seinen allerdings in diesem Augenblick noch die einzigen wirklichen Kombattanten waren, die den Russen die Spitze boten, so wird dich jener Ausdruck weniger befremden; ich wenigstens danke es Segur, daß er auch jenem erhabenen Moment einen Denkstein setzte.« »Also ist jene Szene wahr?« fragte Rantow. »Gewiß! Und eine schöne großartige Idee liegt darin, daß man weiß, wer von der großen Armee zuletzt gegen die Russen schlug, daß es Ney war, welchen jener hohe Ruhm, der ihm sogar aus diesem Rückzug sproßte, die Handgriffe des gemeinen Soldaten nicht vergessen ließ. Er war, wie Hannibal, der letzte beim Rückzug.« »Was sagen Sie aber über jenen, welcher der erste in der Armee und der erste beim Rückzuge war?« bemerkte Rantow. »Ich glaube, zwanzig Jahre früher hätte er jeden Schritt mit seinen Garden verteidigt --« »Und zwanzig Jahre später vielleicht auch,« fiel ihm der General ins Wort, »und wäre vielleicht als Greis eines schönen Todes mit seinen Garden gestorben. Anno 13, werden Sie aber wohl wissen, war er Kaiser eines Landes, von welchem er, ohne Nachricht, ohne Hilfe, auf so viele hundert Meilen getrennt war. Was hielt ihn bei der Armee, nachdem unser Unglück entschieden war? Glauben Sie nicht, daß er etwas Aehnliches, wie den Abfall Ihres York, geahnt hat! Mußte er nicht in Frankreich frische Mannschaft holen?« »Warum zog er gegen Asien zu Feld, der neue Alexander,« sagte Rantow spöttisch lächelnd, »wenn er ahnte, daß das Preußenvolk in seinem Rücken nur darauf laure, ihm den Todesstreich zu geben? War dies die gerühmte Klugheit des ersten Mannes des Jahrhunderts?« »Glauben Sie, junger Mann,« erwiderte der General, »der Kaiser war erhaben über einen solchen Verdacht. Er wußte, daß Ihr König ein Mann von Ehre sei, der ihn im Rücken nicht überfallen werde; er wußte auch, daß Preußen zu klug sei, um ~à la~ Don Quichotte die große Armee allein anzugreifen.« »Preußen war ihm nichts schuldig,« rief der junge Mann errötend; »man weiß, wie Bonaparte selbst seine Friedensbündnisse gehalten hat; man war nicht schuldig, zu warten, bis es dem großen Mann gefällig sei, die Kriegserklärung anzunehmen. Der Gefesselte hat das Recht, in jedem günstigen Augenblick seine Fesseln zu zerreißen, und sollte er auch _den_ damit zertrümmern müssen, der sie ihm anlegte.« »Nun, Vater,« setzte der junge Willi hinzu, »das ist es ja, was ich schon lange sagte, wenn ich den Aufstand des ganzen Deutschlands in Schutz nahm. Wer gab den Franzosen das Recht, uns in Ketten und Bande zu schlagen? Unsere Torheit und ihre Macht! Wer gab uns das Recht, ihnen das Schwert zu entwinden und die Spitze gegen sie selbst zu wenden? _Ihre_ Torheit und unsere _Macht_.« »Ich gebe zu,« antwortete der General mit Ruhe, »daß man im Volk, vielleicht auch unter Politikern, also spricht und sprechen darf. Niemals aber darf der Soldat diese Sprache führen, um eine schlechte Tat zu beschönigen. Es gibt manche glänzende Verrätereien in der Geschichte; die Zeiten, wo sie begangen wurden, waren vielleicht mit der Gegenwart so sehr beschäftigt, daß man die Verräter gepriesen hat; aber die Nachwelt, welche die Gegenstände in hellerem Lichte sieht, hat immer gerecht gerichtet und manchen glänzenden Namen ins schwarze Register geschrieben. Auch die Sache des Kaisers wird die Nachwelt führen. So viel ist aber gewiß, daß zu allen Zeiten, wo es Soldaten gibt, einer, der seine Fahne verläßt, immer für einen Schurken gelten wird.« »Ich gebe dies zu,« erwiderte Rantow, »nur sehe ich nicht ein, wie dies den übereilten Zug nach Rußland entschuldigen könnte.« »Meinen Sie denn, der Zustand Preußens sei uns so unbekannt gewesen?« fragte der General; »man wußte so ziemlich, wie es dort aussah. Ich war von Mainz bis Smolensk im Gefolge des Kaisers und namentlich in deutschen Provinzen oft an seiner Seite, weil ich die Gegenden kannte, und manchmal in seinem Namen Fragen an die Einwohner tun mußte. In den preußischen Stammprovinzen fiel ihm und uns allen die Haltung und das Ansehen der jungen Leute auf. Das ganze Land schien von Beurlaubten angefüllt, und doch waren es immer nur die jungen Männer, die hier geboren und erzogen waren. Die Haare waren ihnen militärisch verschnitten, ihre Haltung war aufgerichtet, geregelt; sie standen selten wie faule, müßige Gaffer da, wenn der Kaiser und sein Gefolge vorüberzog. Nein, sie machten Front, wenn sie ihn sahen, die Füße standen eingewurzelt, der linke Arm straff angezogen und an die Seite gedrückt, das Auge hatte die regelrechte Richtung, und die rechte Hand machte ihren Soldatengruß. Es waren dies keine Bauernbursche mehr, sondern Soldaten, und der Kaiser wußte wenigstens, daß nicht die ganze preußische Armee mit ihm ziehe.« »Er ließ einen gefährlichen, beleidigten Feind in seinem Rücken,« bemerkte Rantow. »Ein gefährlicher Feind, Herr von Rantow, ist etwa eine beleidigte Schlange, aber nicht eine Armee, nicht Männer von Ehrgefühl. Das preußische Heer hatte sich mit der großen Armee vereinigt, und sobald dies geschehen war, stand sie unter dem Oberbefehl des ersten Kriegers dieser Armee; in dieser Eigenschaft hatten wir weder von ihnen noch von den Zurückgebliebenen etwas zu fürchten; die Untergebenen band ihr Eid an ihre Fahnen, und die Generale, die Repräsentanten dieser Fahnen, band ihre Ehre. Wenn Sie die Sache aus diesem natürlichen Gesichtspunkt betrachten wollen, so werden Sie am Betragen des Kaisers bei Beginn jenes unglücklichen Feldzuges nichts Uebereiltes oder Unkluges finden.« »Das preußische Heer, das gezwungen mit ausrückte,« erwiderte der junge Mann, »gehörte nicht diesem Kaiser der Franzosen, sondern seinem rechtmäßigen König, und in demselben Augenblick, als dieser sie ihrer Pflichten gegen jenen ersten Krieger entband --« »Konnten sie gegen uns selbst die Waffen richten,« fiel der General ein; »da haben Sie vollkommen recht; sie konnten ihre Karrees bilden, uns den Gehorsam weigern und, im Fall des Zwanges, Feuer auf unsere Kolonnen geben, sie konnten sich im Angesicht der Armee mit den Russen vereinigen, sie durften dies alles tun --« »Nun ja -- das war es ja eben, was ich meinte. --« »Nein, Herr! Das war es _nicht_,« fuhr jener eifrig fort. »Nur erst, verstehen Sie wohl, _nur dann erst_, wann ihr König sie ihres Eides entband, konnten sie den Gehorsam verweigern, sie _mußten_ es sogar, auch auf die Gefahr hin, zu Grunde zu gehen. Solange dies nicht der Fall war, handelten sie, wenn sie feindlich auftraten, als Verräter an ihrer Ehre und sogar an ihrem König; denn die Ehre des Königs, der die Befehlshaber gewählt hatte, bürgte gleichsam für ihr Betragen.« »Nun, wenn ich auch dies von den Befehlshabern zugebe,« erwiderte Rantow, »so hat wenigstens die Armee immerhin ihre Pflicht getan.« »In diesem Fall nimmermehr!« rief der General; »wenn der Chef keinen Befehl seines Herrn vorweisen kann, um seine Schritte zu entschuldigen, und dennoch seine Schuldigkeit nicht tut oder sogar zum Verräter wird, und zum Verräter nicht für sich allein, sondern mit einem ganzen Korps, so hat jeder Offizier, jeder Soldat hat das Recht, ihn vor der Front vom Pferd zu schießen!« »Ei, Vater!« rief der junge Willi. »Mein Gott, dies denn doch nicht,« rief zugleich der Fremde; »einen General ~en chef~ vom Pferd zu schießen!« »Und wenn man es unterlassen hat,« fuhr jener mit blitzenden Augen fort, »so hat man seine Pflicht versäumt. Aber ich kenne noch recht wohl jene schändliche Zeit und die Motive, die damals die Handlungen der Menschen lenkten; Wölfe und Tiger waren sie geworden, die menschliche Natur hatte man ausgezogen, Treue, Ehre, Glauben, alles verloren, und für Heroismus galt damals, was sonst für eine Schandtat gegolten hätte!« »Nun, etwas Herrliches und Erhabenes, was sich damals offenbarte, werden Sie doch nicht leugnen können,« sprach der Märker; »der allgemeine Enthusiasmus, womit das ganze Volk aufstand, war doch wirklich erhaben, ergreifend!« »Das ganze Volk? -- aufstand?« rief der General bitter lachend; »da müßte Deutschland erst auferstehen, ehe die Deutschen aufstünden. Es war bei manchem ein schöner, aber unkluger Eifer, bei einigen Haß, bei vielen Uebermut, bei den meisten war es Sache der Mode; und Sie vergessen, daß Oesterreich, Bayern, Württemberg, daß Schwaben und Franken nicht, was Sie sagen, aufstanden und denn doch auch zu Deutschland gehörten. Und Ihre Enthusiasten selbst! Vor diesen wären wir gewiß nie aus Sachsen gewichen!« »Wenn es ihnen auch an jenen gerühmten Eigenschaften eines alten, gedienten Soldaten gebrach, wahrhaftig, ihr Wille war schön, ihre Taten groß, und ihre Einheit, ihre Aufopferung ersetzte vieles --« »Einheit? Aufopferung? Wir nahmen, es war schon auf französischem Boden, einmal ein solches Individuum gefangen. Es war ein junger, schön geputzter Mann. Der Kaiser hatte von diesen Volontärs sprechen gehört, man hatte ihm ihre Kleidung, ihre Haltung überaus komisch beschrieben; er ließ daher den Gefangenen vortreten. Als dieser den Kaiser erblickte, geriet er in augenscheinliche Verwirrung, dachte nicht mehr daran, daß er selbst Soldat geworden sei und gegen den größten Krieger zu Felde ziehe, sondern er nahm seinen Tschako am Schild, riß ihn nach gewöhnlicher, bürgerlicher Weise vom Kopf, daß der schöne Federbusch elendiglich in den Kot hing, und kratzte mit dem Fuß hintenaus. Der Kaiser ließ ihn durch mich fragen, ob er unter den deutschen Freiwilligen diene? Jener aber verbeugte sich noch einmal und sagte: ›Ich bin vom Frankfurter Korps der Rache.‹ Der Kaiser konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, und als er weiter ritt, wandte er sich noch einmal um. Der Sohn der Rache stand noch immer ganz verblüfft unter einem Haufen von Franzosen, und jetzt erst schien er aus dem Traum zu erwachen, er mochte sich auf die schöne _Zeil_ zurückwünschen. Der arme Teufel sah aus, als wäre er ein Volontaire ~malgré lui~, als hätte er nur seinem Schatz zu Gefallen sich in dem Korps der Rache einschreiben lassen. Und dieser Rächer kehrte nicht mehr hinter den Ladentisch seines Vaters heim. Ich sah ihn sechs Tage nachher ohne Beine, sterbend wieder, seine eigenen Landsleute hatten ihn in unseren Reihen getötet. Und von solchen Menschen verlangen Sie Einheit, Aufopferung?« Der Preuße hatte dem General unmutig zugehört; es kam ihm vor, als liege in den Zügen dieses Mannes Spott und Verachtung einer Sache, die er immer als etwas Ungeheures, Welthistorisches, Großartiges zu betrachten gewöhnt gewesen war. Der junge Willi sah diese unangenehmen Gefühle, die mit der Ehrfurcht vor dem General in Rantows Brust zu kämpfen schienen. Er nahm daher schnell das Wort und sagte: »Du warst damals auf feindlicher Partei, lieber Vater, du sahst alles in einem andern Lichte, und ich zweifle, ob nicht eure jungen Konskribierten sich auf ähnliche Weise benommen hätten. Aber wahr bleibt es immer und jedem unbefangenen Auge noch jetzt sichtbar, daß damals ein erhabener, ungewöhnlicher Geist unter dem Volke, hauptsächlich im Norden, wehte; die Mittelstände vorzüglich haben gezeigt, daß sie einer bewunderungswürdigen Kraftäußerung fähig seien, und darauf, so schlecht auch die Zeiten sind, kann man noch immer einige Hoffnung gründen.« Rantow sah den jungen Mann bei den letzten Worten befremdet an, als wüßte er sich diesen Satz nicht zu erklären; doch erfreut, seine eigenen Gesinnungen wiederholt zu hören, wandte er sich wieder an den General. »Er hat recht,« sagte er, »auf feindlicher Seite konnten Sie das rührende Bild dieser Aufopferung nicht so genau kennen lernen. Aber die großen Worte unserer Redner, die feurigen, aufrufenden Lieder unserer Sänger, die begeisternde Aufopferung unserer Frauen, sie gaben, verbunden mit dem Mut, der frommen Kraft und der gottgeweihten Hingebung unserer Jünglinge und Männer, Szenen, die ebenso erhaben als unvergeßlich sind.« »Und wofür denn dieses alles?« fragte der alte Soldat. »Wozu so große Aufopferungen, was hat man damit erreicht und errungen? Ließ sich dies alles nicht voraussehen?« »Und was haben denn Sie, Herr General, auf jener Seite erreicht und errungen? Das ist einmal das Schicksal alles menschlichen Lebens und Treibens, daß man kämpft, sich hingibt, aufopfert, um am Ende nichts oder wenig zu erreichen. Zwanzig Jahre haben Sie jenem Mann geweiht, jenem Eigensüchtigen, der nur sich und immer nur sich bedachte. Jetzt liegt er auf einem öden Felsen, seine Genossen sind zerstreut, aufgerieben -- was, was haben denn Sie gewonnen?« »Ein Endchen rotes Band und die Erinnerung,« antwortete er lächelnd, indem er mit einer Träne im Auge auf seine Brust herabsah. Es lag etwas so Ergreifendes, Erhabenes in dem Wesen des Mannes, als er diese Worte sprach, daß Rantow, errötend, als hätte er eine Torheit gesagt, seine Augen von ihm abwandte und betreten den Sohn ansah. Doch dieser schien nicht auf das Gespräch zu merken, er blickte unverwandt und eifrig auf ein kleines Gebüsch am Fluß, von welchem man eben das Plätschern eines Ruders vernahm; jetzt teilten sich die Zweige der Weiden, und ein schöner Mädchenkopf bog sich lächelnd daraus hervor. 7. »Unsere schöne Nachbarin!« rief der General freundlich und eilte auf sie zu, ihr die Hand zu bieten; die jungen Männer folgten, und mittels seiner trefflichen Lorgnette entdeckte Rantow zu seinem nicht geringen Vergnügen, daß es Anna sei, die hier so plötzlich, gleich einer Najade, aus dem Fluß auftauchte. Der General küßte sie auf die Stirne und bot ihr dann den Arm, sie grüßte seinen Sohn kurz und freundlich, fragte flüchtig nach des Generals Schwester und verweilte dann mit einem Ausdruck der Verwunderung auf ihrem Gast. »Du hier, Vetter Albert?« rief sie, indem sie ihm die Hand bot. »Nun das muß ich gestehen, für so klug hätte ich dich nicht gehalten, deinen schönen Verstand in Ehren, daß du sogleich die angenehmste Gesellschaft in der ganzen Gegend auffinden würdest; welcher Zauberer hat dich denn hieher gebracht?« »Mein Sohn,« sagte der General, »hatte das Glück, Ihren Vetter auf seiner kleinen Reise kennen zu lernen, und fand ihn jenseits in Ihrem Forst --« »Und lud mich ein, ihn hieher zu begleiten,« fuhr Rantow fort, »wo ich schon wieder wie gestern das Unglück hatte, zu streiten und immer heftiger zu widersprechen. Du lächelst, Anna? Aber es ist, als brächte es hier das Klima so mit sich; zu Hause bin ich der friedfertigste Kerl von der Welt, habe vielleicht in zwei Jahren nicht so viel disputiert als hier in zwei Tagen, und wie käme ich vollends mit Herren, wie der Herr General oder mein Onkel, in Streit?« »Ist es möglich?« fragte der General, »mit Herrn von Thierberg, mit Ihrem Vater, Aennchen, kommt er in Streit? Ich dachte doch, da Sie mit mir in politischen Ansichten so gar nicht übereinstimmen, Sie müßten von Ihres Oheims Grundsätzen eingenommen sein.« »Nun, so ganz unmöglich ist eine dritte oder vierte Meinung doch nicht,« bemerkte der junge Willi lächelnd; »ich bin gewiß nicht von Ihrem politischen Glaubensbekenntnis und glaube, daß sich mit der Welt jetzt etwas machen ließe, wenn _Ihr_ nicht fünfzehn Jahre früher mit Feuer und Schwert reformiert und die Menschen eingeschüchtert hättet; aber mit Herrn von Thierberg lebe ich deswegen doch in ewigem Kampf, und wir beide haben unsere gegenseitige Bekehrung längst aufgegeben.« »Demagogen streiten gegen alle Welt,« erwiderte ihm Anna lächelnd und doch, wie es schien, ein wenig unmutig. »Sie sind ein Inkurabel in diesem Spital der Menschheit; haben Sie je gehört, daß ein solcher politischer Ritter von la Mancha, solch ein irrender Weltverbesserer, von Grund aus kuriert worden wäre?« »Ich sehe, Sie wollen den Krieg auf _mein_ Land spielen,« sagte Robert, »Sie wollen, wie immer, meine Ansichten zur Zielscheibe Ihres liebenswürdigen Witzes machen, und doch soll es Ihnen nicht gelingen, mich aus der Fassung zu bringen, heute wenigstens gewiß nicht. Sie kennen wohl die schönen Eigenschaften Ihrer Fräulein Cousine noch nicht ganz, Rantow? Nehmen Sie sich um Gottes willen in acht, ihr zu trauen!« »Freund,« entgegnete Rantow, »in diesem Süddeutschland finde ich mich selbst nicht mehr; es ist alles ganz anders, man denkt, man spricht anders, als ich gewöhnt bin, und so mag ich mir selbst kein Urteil mehr zutrauen, am wenigsten über Anna.« »General!« rief Anna, »Sie führen nachher hoffentlich meine Verteidigung gegen Ihren Herrn Sohn?« »Nun merken Sie auf, Rantow!« sprach der junge Willi; »daß dieses Fräulein die schönste im ganzen Neckartal, von Heidelberg bis Tübingen, ist, behaupten nicht nur alle reisenden Studenten, sondern auch sie selbst weiß es nur allzugut und hat sich ganz danach eingerichtet; sie ist aber dabei so spröde wie Leandra im eben angeführten Don Quichotte. Nach ihren politischen Ansichten, denn sie ist gewaltig politisch, ist sie ein Amphibion. Sie hält es bald mit dem Alten, bald mit der neuen Zeit. Sie ist gewaltig stolz, daß sie vierundsechzig Ahnen hat, auf ihrem Stammschloß lebt, und daß schon Anno 950 ein Thierberg einen Acker gekauft hat. Auf der andern Seite ist sie durch und durch napoleonisch. Sie hat den ersten Lügner seiner Zeit, den Moniteur, öfter gelesen als die Bibel, trägt ein Stückchen Zeug, das Montholon meinem Vater schickte, und das angeblich von Napoleons letztem Lager stammt, in einem Ring, singt nichts als kaiserliche Lieder von Beranger und Delavigne, und kurz -- sie liebt eben jenen Mann mit Enthusiasmus, der den Glanz ihrer vierundsechzig Ahnen in den Staub geworfen hat.« »Sind Sie nun zu Ende?« fragte Anna, ruhig lächelnd, indem sie ihren Ring an die Lippen zog. »Weißt du aber auch, Vetter, daß er den ärgsten Anklagepunkt, das schwärzeste Verbrechen in seinen Augen, aus Edelmut verschwiegen hat? Nämlich das, daß ich kein sogenanntes deutsches Mädchen bin, daß ich nicht jetzt schon in meinem Kämmerlein mich im Spinnen übe, wie es einer deutschen Maid frommt, und keine Lorbeerkränze für die Stirne der künftigen Sieger flechte. Weißt du denn auch, wer dieser Herr ist? Das ist ein Glied eines ungeheuren, unsichtbaren Bundes, der nächstens das Oberste zu unterst kehren wird; nun, bei euch soll es ja noch mehrere solcher Staatsmänner geben. Aber, Herr von Willi, wie ist mir doch, ist es denn wahr, was man mir letzthin erzählte, daß unter euren geheimen Gesetzen eines ausdrücklich gegen junge Damen von Adel gerichtet sei und also laute: ›Wenn ein biderber deutscher Ritter um eine Jungfrau freit, die ehemals der adeligen Kaste angehörte, und solche aus törichtem Hochmut ihre Hand versagt, soll ihr Name öffentlich bekannt gemacht und sie selbst für wahnsinnig erklärt werden.‹« Das Pathos, womit Anna diese Worte vorbrachte, war so komisch, daß der General und Rantow unwillkürlich in Lachen ausbrachen; der junge Willi aber errötete, und unmutig entgegnete er: »Wie mögen Sie sich nur immer über Dinge lustig machen, die Ihnen so ferne liegen, daß Sie auch nicht das geringste davon fühlen können? Ich gebe zu, daß es Ihnen in Ihrem Stande, in Ihren Verhältnissen recht angenehm und behaglich scheinen mag, weil Sie freiere Formen und natürlichere Sitten nicht kennen, keine Ahnung davon haben. Warum aber mit Spott Gefühle verfolgen, die wenigstens in Männerbrust mächtig und erhaben wirken und zu allem Schönen und Guten begeistern?« »Wie ungezogen!« erwiderte Anna. »Sie haben mit Spott begonnen und meine Ahnen und den Kaiser der Franzosen schlecht behandelt, und nehmen es nun empfindlich auf, wenn man über die Herren Demagogen und ihre Träume scherzt! Wahrlich, wenn nicht Ihr Vater ein so getreuer Mann und mein getreuester Anhänger wäre, Sie sollten es entgelten müssen. Doch zur Strafe will ich Sie über das Gedicht examinieren, das Sie mir für meinen Vater versprochen haben.« Sie nahm bei diesen Worten Roberts Arm und ging mit ihm den Baumgang hin, und Albert Rantow hätte in diesem Augenblick viel darum gegeben, an der Stelle des jungen Willi neben ihr gehen zu dürfen, denn nie hatte ihm ihr Auge so schön, ihre Stimme so klangvoll und rührend gedeucht als in diesem Augenblick. »Sie ist ein sonderbares, aber treffliches Kind,« sagte der General, indem er ihr lächelnd nachblickte. »Wenn sie ihm doch alle seine Schwärmereien aus dem Kopfe reden könnte! Aber so wird er nie glücklich werden; denken Sie, Rantow! er hat oft Stunden, wo es ihm lächerlich, ja töricht erscheint, daß er in meinem bequemen Schloß wohnt und Nachbar Görge und Michel, die doch auch ›deutsche Männer‹ sind, nur mit einer schlechten Hütte sich begnügen müssen. Das ist eine sonderbare Jugend, das nennen sie jetzt Freiheitssinn! Und doch ist er sonst ein so wackerer und vernünftiger Junge.« »Ein liebenswürdiger, trefflicher Mensch,« bemerkte Albert, indem er oft unruhige Blicke nach jenen Bäumen streifen ließ, unter welchen Willi und Anna wandelten; »ich darf Ihnen sagen, daß ich über seine Gewandtheit, über die feinen gesellschaftlichen Formen staunte, die er so unbefangen entwickelt, er muß viel und lange in guten Zirkeln gelebt haben; und dennoch so sonderbare, spießbürgerliche Pläne!« »Er war in London, Paris und Rom,« sagte der General gleichgültig, »und er lebte dort unter meinen Freunden. Ich glaube, Lafayette und Foy haben mir ihn verzogen.« »Wie! Lafayette, Foy, hat er diese gesehen?« fragte Rantow staunend. »Er war täglich in der Umgebung beider Männer, und sie fanden an dem Jungen mehr, als ich erwarten konnte. Da hörte er nun die Amerikaner und die Herren von der linken Seite; und weil er manche der exaltiertesten Schreier als meine alten Freunde kannte, glaubte er in seinem jugendlichen Eifer, es müsse alles wahr sein, was sie schwatzen, und fand sich am Ende geschickt, selbst mit zu reformieren. Da ist er nun mit allen unruhigen Köpfen in diesem ruhigen Deutschland bekannt. Keine Woche vergeht, ohne daß sie einen jener deutschen Radikalreformer mit langen Haaren, Stutzbärtchen, Beilstöcken und sonderbaren Röcken in meinen Hof bringt; sie nennen ihn Bruder und sind so wunderliche Leute, daß sie alle Briefe an meinen Robert mit einem ›Deutschen Gruß zuvor‹ anfangen.« »Ich kenne diese Leute,« bemerkte Albert mit wegwerfender Miene; »sie zeigen sich auch bei uns zu Hause. Aber wie kann nur ein Mann von so glänzenden Anlagen für ein anständigeres Leben und für die gute Gesellschaft wie Robert, mit so gemeinen Menschen umgehen, die im Bier ihr höchstes Glück finden, rauchend durch die Straßen gehen, in gemeinen Schenken umherliegen und alles Noble, Feine gering achten?« »_Gemein_, lieber Herr von Rantow, habe ich sie noch nie gefunden,« erwiderte der General lächelnd, »was ich unter gemein verstehe; daß sie rauchen, macht sie höchstens für einen Nichtraucher unangenehm, daß sie Bier trinken, geschieht wohl aus Armut, denn meinen Wein haben sie nicht verachtet, und von der ~bonne société~ denken sie gerade wie ich; sie langweilen sich dort und finden das Steife gezwungen und das Gezierte lächerlich. Sonst fand ich sie unterrichtet, vernünftig, und nur in ihrer Kleidung und in ihren Träumereien dachte ich mit Anna an Don Quichotte und fand es komisch, daß sie sich berufen glauben, die Welt zu erlösen von allem Uebel.« Der junge Mann verbeugte sich stillschweigend gegen den General, als wolle er ihm dadurch seinen Beifall zu erkennen geben; bei sich selbst aber dachte er: Ich lasse mich aufknüpfen, wenn er nicht selbst raucht und lieber Stettiner und Josty als Franzwein trinkt; doch einem alten Soldaten kann man es verzeihen, wenn er roh und unhöflich ist. Er sah sich zugleich wieder nach Anna um; das Gespräch schien von beiden Seiten mit großem Interesse geführt zu werden, die Gegenwart des Generals verhinderte ihn, von seiner Lorgnette Gebrauch zu machen, und doch war sie ihm nie so nötig gewesen als in diesem Augenblick, denn er glaubte gesehen zu haben, wie der junge Willi Annas Hand ergriff und -- an seine Lippen führte. Der General mochte die Unruhe und Zerstreuung des jungen Mannes bemerken; er ging mit Rantow dem Baumgang zu, und als Anna sie herankommen sah, ging sie ihnen mit Willi entgegen. Des Generals Schwester, eine würdige Dame, welcher Annas Besuch galt, kam in diesem Augenblick herzu, und da in ihrer Gegenwart nichts Politisches, das zum Streit führen konnte, abgehandelt werden durfte, so zog es die Gesellschaft vor, ihrer Einladung zu folgen und unter der Halle des Schlosses den Wein des Generals und die schönen Früchte seiner Gärten zu kosten. Man beschloß, daß der General und sein Sohn morgen den Besuch auf Thierberg erwidern sollten, und so schieden die beiden Willi, als ihre Gäste in den Kahn stiegen, mit Ehrfurcht von Anna, mit der Herzlichkeit alter Freunde von Rantow. 8. Der Gast aus der Mark, obgleich er in jedem Damenkreis seiner Heimat mit jener Sicherheit aufgetreten war, welche man sich durch Erziehung und gehöriges Selbstvertrauen erwirbt, obgleich er sich in Berlin manches schwierigen Sieges hatte rühmen können, fühlte sich doch nie in seinem Leben so befangen als an jenem Abend, wo er mit Anna am Neckar hin nach Thierberg zurückkehrte. Tausend Zweifel plagten und quälten ihn, und jetzt erst, als ihm der letzte Blick, den Anna dem jungen Willi zugeworfen hatte, zu feurig für bloße Achtung, zu zögernd für gute Nachbarschaft geschienen hatte, jetzt erst fühlte er, wie mächtig schon in ihm die Neigung zu seiner schönen Base geworden sei. Zwar, wenn er seine eigene Gestalt, sein ausdrucksvolles Gesicht, sein sprechendes Auge, seine gewählte und reiche Sprache, seine eleganten Formen, die Sicherheit und Gewandtheit seines Geistes, kurz, wenn er alle seine Vorzüge mit Robert Willis Eigenschaften maß, so glaubte er sich doch ohne Anmaßung trösten zu können; fehlte doch jenem wenn er sich auch gut auszudrücken vermochte, jener unnachahmliche Tonfall der Sprache, fehlte ihm, wenn man ihm auch Anstand und Würde nicht streitig machen konnte, jene letzte Vollendung und Feinheit eines modischen Wundervogels (~Incroyabilis, _Linn_~), jenes unnachahmliche Genie des Geschmackes, das angeboren sein muß; es fehlte ihm, so schloß der Berliner mit heimlichem Lächeln bei sich selbst, jenes ~Je ne sais quoi~, das den Geschöpfen Gottes das Siegel der Veredlung und Vollendung aufdrückt und auch den gewöhnlichsten Menschen zu einem ~homme comme il faut~ macht! Aber Anna ist hier auf dem Lande, ist in Schwaben aufgewachsen, fuhr er fort, sie könnte, ehe sie mich sah, mit Robert Willi -- »Anna, eine Frage,« sprach er ängstlich zu ihr, nachdem sie eine geraume Weile still fortgewandelt waren, »und nimm doch diese Frage nicht übel auf! Liebst du diesen jungen Willi? Stehst du mit ihm in einem Verhältnis?« Das Fräulein von Thierberg errötete leicht über diese Frage, und diese Röte konnte ebensogut der Frage als dem Gegenstand gelten, den er berührte. »Wie kommst du auf diesen Einfall, Vetter?« erwiderte sie. »Und meinst du denn, wenn ich auch das Unglück haben sollte, diesen Willi zu lieben, was mir übrigens noch nie in den Sinn kam, ich würde etwa dich zum Vertrauten in meinen Herzensangelegenheiten wählen, weil ich dich schon seit zwei Tagen kenne? Mein Gott, Vetter,« setzte sie schalkhaft lächelnd hinzu, »was seid ihr doch für närrische Leute in Preußen!« »Ich will mich durchaus nicht in dein Geheimnis drängen, hochedle und gestrenge Dame,« sagte er, »aber meinst du denn, dein langes und, wie es schien, interessantes Gespräch mit ihm sollte mir nicht aufgefallen sein? Meinst du, ich glaube, ihr habt nur von Versen gesprochen?« »Wenn ich nun sagte, wir _haben_ nur von Versen gesprochen,« entgegnete sie eifrig, »so _müßtest_ du es doch glauben. Leuten, die gerne Arges denken, fällt alles auf. Diesmal übrigens hat sich dein Scharfsinn nicht betrogen; das übrige Gespräch drehte sich auch noch um etwas anderes als Verse, um ein Geheimnis, ein gar wichtiges Geheimnis.« »Also doch?« rief der junge Mann, mit ungläubiger Miene. »Siehst du, also doch?« »Doch,« antwortete sie lächelnd, »und weil du so artig bist, will ich dich auch mit ins Geheimnis ziehen, vielleicht kannst du behilflich sein; er riet mir selbst, es dir zu entdecken.« »Wie?« entgegnete er bitter. »Meinst du, ich sei nur deshalb nach Schwaben gekommen, um Herrn von Willis Liebesboten an meine Base zu machen? Da kennst du mich wahrhaftig schlecht; eher sage ich deinem Vater die ganze Geschichte, und ich glaube nicht, daß er sich einen solchen Tugendbündler, einen solchen Weltverbesserer und Demagogen zum Schwiegersohn wählen wird.« Anna war verwundert stehen geblieben, als sie diesen heftigen Ausbruch seiner Leidenschaft vernahm. »Habe die Gnade und höre zuvor, um was man dich bitten wird,« sagte sie, und wie es schien, nicht ohne Empfindlichkeit; »soviel weiß ich aber, daß, wäre ich ein junger Herr und überdies ein Berliner, ich mich gegen Damen ganz anders betragen würde.« Bestürzt wollte Albert etwas zur Entschuldigung erwidern, aber mit freundlicherer Miene und gütigeren Blicken fuhr sie fort: »Du weißt und hast es heute selbst gehört, wie sehr der General seinen Napoleon liebt und verehrt. Nun ist nächstens sein Geburtstag, der zufällig auf einen berühmten Schlachttag des Kaisers fällt, und da will ihn sein Sohn mit etwas Napoleonischem erfreuen. Er hat sich durch einen Bekannten in Berlin eine Kopie jenes berühmten Bildes von David verschafft, das Bonaparte zu Pferde noch als Konsul vorstellt. Es ist kein übler Gedanke, denn so nimmt er sich am besten aus, er ist noch jung und mager, und das interessante, feurige Gesicht unter dem Hut mit der dreifarbigen Feder ist malerischer, eignet sich mehr für die Darstellung eines Helden, als wie er nachher abgebildet wird. Und dieses Bild des Kaisers ist unser Geheimnis.« »Aber was soll ich hierbei tun?« fragte Albert, der wieder freier atmete, da kein anderes gefürchtetes Geständnis ihn bedrohte. »Höre weiter; dieses Bild wird in diesen Tagen ankommen, und zwar nicht bei Generals, sondern bei uns. In meinem eigenen Zimmer wird es bis am Vorabend des Geburtstages bleiben, und dann müssen wir beide dafür sorgen, daß der General, während das Bild herübergeschafft wird, nicht zu Hause oder wenigstens so beschäftigt sei, daß er nichts bemerkt. Während der Nacht wird dann das Bild im Salon aufgehängt und bekränzt, und wenn dann morgen der gute Willi zum Frühstück in den Salon tritt, ist es sein Held, der ihn an diesem feierlichen Tage zuerst begrüßt!« »Gut ausgedacht,« erwiderte Rantow lächelnd, »und wenn es nur nicht dieser Held wäre, wollte ich noch so gerne meine Hilfe anbieten, doch -- auch so werde ich mitspielen; hast ja du mich darum gebeten!« Sein Ton war so zärtlich, als er dies sagte, daß ihn Anna überrascht ansah. Er bemerkte es und fuhr, indem er ihren Arm näher an seine Brust zog, fort: »Du kannst ja ganz über mich gebieten, Anna, ach! daß du immer über mich gebieten möchtest! Wie freut es mich, daß du nicht schon liebst, nicht schon versagt bist! Darf ich bei dem Onkel um dich werben?« In Anna schien es zu kämpfen, ob sie bei diesen Worten wie über eine Torheit lächeln oder erzürnt weinen solle, wenigstens wechselte auf sonderbare Weise die Farbe ihres schönen Gesichtes mit Röte und Blässe. Sie zog ihren Arm schnell aus seiner Hand und sagte: »Soviel kann ich dir sagen, Vetter, daß uns hier in Schwaben nichts unerträglicher ist als Empfindsamkeit und Koketterie, und daß wir diejenigen für Toren halten, die nach zwei Tagen schon Bündnisse für die Ewigkeit schließen wollen.« »Anna!« fiel ihr der junge Mann mit bittender Gebärde ins Wort, »glaubst du nicht an die Allgewalt der Liebe? Wenn auch ihre Dauer unsterblich ist, so ist doch ihr Anfang das Werk eines Augenblicks, und ich --« »Kein Wort mehr, Albert,« rief sie unmutig, »wenn ich nicht alles dem Vater sagen und ihn um Schutz gegen deine Torheit anrufen soll! Das wäre dir wohl bequem,« fuhr sie gefaßter und lächelnd fort, »um deine Langeweile in Thierberg zu vertreiben, einen kleinen Roman zu spielen? Spiele ihn in Gottes Namen, wenn du nichts Besseres zu tun weißt, mich wirst du vielleicht trefflich damit unterhalten, nur verlange nicht, daß ich die zweite Rolle darin übernehme.« »O Anna!« sprach er seufzend, »verdiene ich diesen Spott? Ich meine es so redlich, so treu! Das Los, das ich dir bieten kann, ist nicht glänzend, aber es ist doch so, daß du vielleicht zufrieden, glücklich sein könntest.« »Werde nur nicht tragisch,« erwiderte sie; »alles höre ich lieber als solches Pathos. Spott verdienst du auf jeden Fall, und zum mindesten kann er dich heilen. Komm, sei vernünftig; begleite mich recht artig und wie es sich ziemt nach Hause. Aber sei überzeugt, wenn noch ein einziges Wort dieser Art über deine Lippen kommt, so beschäme ich dich vor dem nächsten besten Bauer und rufe ihn heran, und wenn du im Schloß oben diese Torheiten fortsetzest, so werde ich nie mehr mit dir allein sein.« Der Ton, womit sie dies aussprach, klang zwar bestimmt, mutig und befehlend, doch schien ihr schalkhaftes Auge und ihr lächelnder Mund dem strengen Befehl zu widersprechen, und Rantow, den diese widersprechenden Zeichen verwirrten, begnügte sich zu schweigen, zu seufzen, mit Blicken zu sprechen und einen erneuerten Kampf auf einen glücklicheren Moment zu verschieben. Mit großer Besonnenheit und Ruhe knüpfte sie ein Gespräch über den General an, und so gelangten sie, weniger verstimmt, als man hätte denken sollen, nach Thierberg. Der Alte ließ sich ihre Ausflüge erzählen und schien nicht unzufrieden, daß Albert diese neue Bekanntschaft gemacht habe. »Es sind wackere Leute, diese Willis, und das ganze Tal hat ihnen Wohltaten zu verdanken. Es soll wenige hohe Offiziere von der Bildung und den ausgezeichneten Kenntnissen des Generals geben, und den jungen habe ich selbst schon auf dem Korn gehabt und gefunden, daß er tiefe, gründliche Kenntnisse hat und mit Eifer Studien treibt, die man heutzutage unter der jüngeren Generation selten findet. Ein kluges, gewandtes, feuriges Bürschchen; aber, aber -- diese verschrobenen, überspannten Ansichten. Ich glaube, er würde mich in meinem eigenen Hause anfallen, wollte ich sagen, daß das Bauernpack immer Bauernpack bleibe, und wenn man sie auch noch so frei von Lasten, noch so gelahrt machte, daß die Bürgerlichen bei ihrem Leist bleiben und nicht an der erhabenen Figur des Staates künsteln und pinseln und meißeln sollen. Aber das kommt nur daher, weil der alte Tor unter seinem Stand geheiratet hat, da will nun der junge den Fehler gut machen, indem er die Vettern und Basen und das ganze Verwandtschaftgesindel seiner hochseligen Frau Mutter, spießbürgerlichen Angedenkens, recht hoch stellt!« »Aber, Vater,« bemerkte Anna, »daß er es aus diesem Grunde tut, kannst du doch nicht behaupten. Ich gebe zu, er stellt uns alle insgesamt etwas tief und die andern an unsere Seite, aber er ist ein Enthusiast und hat von Freiheit und Volksleben Begriffe, die sich nie ausführen lassen.« »Lehre mich die Menschen nicht kennen, Kind!« sagte der Alte lächelnd. »Eitelkeit ist der Grundtext in jedem, die Variationen mögen heißen, wie sie wollen; aber was sagst du zu dem Vater, Neffe?« »Bei uns würde man ihn steinigen, wollte er öffentlich aussprechen, was ich heute habe hören müssen. Ja, in einer Gesellschaft von Preußen sollte er einmal solch ein Wort sagen, ich glaube, man würde weder sein Alter noch seinen Stand berücksichtigen. Sein ganzes Gespräch ist ein Triumphgesang der Vergangenheit und ein Fluch der Gegenwart. Ich glaube, er hält es für die größte Sünde, daß wir das schmähliche Joch abgeschüttelt und die übrigen, vielleicht gegen ihren Willen, mit befreit haben. Eine Schande, daß ein deutscher Mann etwas solches nur denken kann. Aber bei nächster Gelegenheit will ich ihm sagen, wie sehr ich von Grund des Herzens seinen Kaiser und alle Franzosen hasse.« »Das hat er von mir schon oft gehört,« erwiderte Herr von Thierberg; »mehr denn zwanzigmal, ich hasse sie alle, allesamt wie die Hölle!« »Alle, Vater, alle?« fragte Anna mit Bedeutung. »Nein, du hast recht, Kind! Einen nehme ich aus, den ich täglich loben und preisen möchte. Hätte er nicht so verzweifelt gut Französisch gesprochen, ich hätte geglaubt, es sei ein Engel vom Himmel. Leider war und blieb er nur ein Franzose.« »Und wer ist denn dieser _eine_, den Sie so feierlich ausnehmen?« fragte Albert. »Siehe, das ist eine wunderliche Geschichte,« fuhr der Oheim fort; »doch will ich sie dir erzählen, es ist ein schönes Stück. Ich machte im Jahre 1800 eine Reise nach Italien mit meiner seligen Frau. Ehe wir uns dessen versahen, brach der Krieg aus, und da wir vernahmen, daß Moreau gegen Deutschland ziehe, beschloß ich, meine Frau bei einer befreundeten Familie in Rom zurückzulassen und allein, um desto schneller reisen zu können, nach Schwaben heimzukehren. Ich wählte, teils weil ich dort am wenigsten auf Franzosen zu stoßen hoffte, teils weil einer meiner Vettern die Besatzung in der kleinen Festung Bard kommandierte, teils der Neuheit der Gegend wegen die Straße über den großen Bernhard, der bald nachher durch den Uebergang des Konsuls Bonaparte so berühmt wurde. Dort am Fuße des Berges, auf der Schweizer Seite, überfielen mich fünf zerlumpte Kerls von der französischen Armee, die ich hier freilich nicht vermuten konnte. Ich zeigte ihnen meinen Paß, aber es half nichts, sie rissen mich und meinen Reitknecht, den alten Hans, den du noch hier siehst, vom Pferd, zogen uns Rock und Stiefeln aus, nahmen mir Uhr und Börse, und eben wollten sie auch meinen Mantelsack untersuchen, als eine schreckliche Stimme hinter uns _Halt_ gebot. Die Räuber sahen sich um und ließen, wie vom Donner gerührt, die Arme sinken, denn es war ein französischer Offizier, der hinter uns zu Pferde hielt, und sie hielten, man muß selbst dem Teufel Gerechtigkeit widerfahren lassen, strenge Mannszucht. ›Wer sind Sie, mein Herr?‹ fragte er, nachdem er abgestiegen war. Ich erzählte ihm kurz meine Verhältnisse und den Zweck meiner Reise. Er nahm meinen Paß, sah ihn durch und fragte mich, ob ich solchen den Soldaten gezeigt habe. Als ich es bejahte, wandte er sich an die Burschen, die noch immer kerzengerade und verlegen dastanden: ›Seid ihr Soldaten? Seid ihr Franzosen?‹ rief er zürnend und sah, trotz seinem schlechten Oberrock, sehr vornehm aus; ›auf der Stelle kleidet ihr diesen Herrn und seinen Diener an, ordnet sein Gepäck und geht dann, wohin ihr beordert seid.‹ Noch nie bin ich so schnell bedient worden; ein junger Kerl wollte mir gegen meinen Willen die Stiefeln anziehen und bat mich mit Tränen im Auge, es zu erlauben. Solchen Gehorsam habe ich nie in der Reichsarmee gesehen. Ich sagte es auch dem Offizier, der sich, nachdem wir fertig waren, zu mir ins Gras setzte und für seine Landsleute Vergebung und Entschuldigung erbat. Ich sagte ihm, daß dieser ganze Vorfall durch jenen schönen Anblick von Disziplin aufgewogen werde. Ehe ich mich dessen versah, waren wir in ein tiefes Gespräch über die Zeitereignisse und namentlich über das Schicksal des Adels verwickelt. Ich stritt lebhaft für unsern alten Reichsadel, aber kurz und bestimmt, und so artig als möglich wußte er meine besten Gründe zu widerlegen. Ich merkte wohl aus allem, und er gestand es auch offen, daß er ein ~Ci-devant~ sei. Er gestand auch zu, daß eine Republik in neueren Zeiten etwas Schwieriges, beinahe Unnatürliches sei, daß Institute wie der Adel nützlich, ja gewissermaßen notwendig seien, behauptete aber, daß der Adel überall von neuem geboren werden und nur aus kriegerischem Verdienst und Ruhm hervorgehen müsse.« »Wie?« fiel ihm Rantow ins Wort, »so allgemein dachte man schon damals in jener Armee an _das_, was nachher jener sogenannte Kaiser wirklich ausführte? Das ist wunderbar!« -- »Auch mir sind nachmals,« erzählte der alte Thierberg, »da Napoleon die Ehrenlegion und Dotationen schuf, oft die Worte meines guten Kapitäns eingefallen. Diesen gewann ich in _einer_ Stunde, die wir zusammen sprachen, so lieb, als wäre er kein Franzose, als wären wir langjährige Freunde. Endlich mahnte ihn die Feldmusik eines ferne heranziehenden Regiments zum Aufbruch. Ich schenkte ihm meine silberne Feldflasche, die er erst nach langem Streit und endlich lachend annahm; mir gab er dafür eine kleine Ausgabe des Tacitus und eine von den bunten Federn auf seinem Hut, womit sich damals die republikanischen Offiziere schmückten. Die Bajonette des Regiments blitzten über den nächsten Hügel herab, und die Musiker begannen eben ihr ›~Allons enfants~‹, als er aufs Pferd stieg; er gab mir noch einige Verhaltungsregeln, drückte mir lächelnd die Hand und unter dem ›~Marchons, ça ira!~‹ setzte er den Berg hinan. Noch heute steht dieser liebenswürdige, interessante junge Mann vor meinen Augen, wie er den Fuß der Alpe hinanritt, der Wind in seinem Mantel, in seinen Federn wehte, und er grüßend noch einmal sein geistreiches Gesicht nach mir umwandte. Damals, aber nur einen Augenblick lang, und ich weiß heute noch nicht warum, schlug mein Herz für diese Franzosen, und solange ich die Musik hören konnte, sang ich das ›~Allons enfants~‹ und das ›~Marchons, ça ira~‹ mit. Nachher freilich schämte ich mich meiner Schwäche, haßte dieses Volk nach wie vorher, und nur mein Retter in der Not, mein Kapitän, steht in meinem dankbaren Gedächtnis.« »Allerdings ein wunderbarer Fall,« sagte Rantow, als der Alte nicht ohne tiefe Rührung geendet hatte; »artige und honette Leute gab es zwar immer unter diesen Truppen, aber die gute Disziplin war ungleich seltener. Ich hätte mögen den Schrecken jener fünf Soldaten sehen.« »Nun Hans,« sagte Anna zu dem Diener, der aufmerksam und gespannt zuhorchte, »du hast sie ja gesehen.« »Ich sag' Ihnen, gnädiges Fräulein, wie aus Stein gemeißelt standen sie vor dem Kapitän und schämten sich, und Augen hat er auf sie dargemacht wie der Lindwurm auf den Ritter Sankt Georg. Als die Franzosen nachher zu uns herauskamen, bin ich oft halbe Tage lang an der Landstraße von Heidelberg gestanden und habe sie Regiment für Regiment defilieren lassen, aber der Kapitän war nie dabei; der ist wohl schon lange tot.« »Ehre und Segen mit seinem Andenken, wo er auch sein möge,« sprach der alte Thierberg. »Ist er gestorben, so hat er doch alles, was nachher in der Welt Ungerechtes und Frevelhaftes geschah, nicht mehr mitmachen müssen. Vielleicht hat er sich auch vom Dienst zurückgezogen, als der Diktator sich zum Kaiser machte, denn mein braver Kapitän, der so nobel dachte, kann kein Freund des übermütigen Korsen gewesen sein.« Anna lächelte, aber sie mochte das Lieblingsthema ihres alten Vaters, die Geschichte »vom besten Franzosen« nicht durch eine Apologie jenes großen Sohnes einer kleinen Insel stören. 9. Man hatte sich heute früher getrennt als gestern, und Albert, den der Schlaf noch nicht besuchen wollte, stand unter dem Bogenfenster seines altertümlichen Zimmers und schaute in das Tal hinab. Er dachte nach über alle Worte seiner schönen Cousine, er fand so viel Stoff, sie anzuklagen und sich zu bedauern, daß er das erste Mal in seinem Leben im Ernste sich selbst sehr schwermütig erschien. Dieses eine Mal, nach so vielen flatterhaften und flüchtigen Geschichten, war er sich recht klar und deutlich bewußt, ernstlich zu lieben; niemals zuvor hatte er einem Gedanken an ein häusliches Verhältnis, an das Glück der Ehe Raum gegeben, und nur erst diesem fröhlichen, unbefangenen Geschöpf war es gelungen, seine Ansichten über seine Zukunft ernster, seine Gefühle würdiger zu machen. Er wunderte sich, gerade da zurückgewiesen zu werden, wo er es wirklich redlich meinte, es befremdete ihn, gerade in jenen Augen als flüchtig und kokett zu erscheinen, die ihn so unwiderstehlich angezogen, gefesselt hatten; er schämte sich, daß bei diesem natürlichen Kind seine sonst überall anerkannten Vorzüge ohne Wirkung bleiben sollten; er sah darin ein böses Vorzeichen, denn seine bisherige Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß die Ueberraschung, daß der erste Eindruck entscheiden müsse. Aus diesen Gedanken weckte ihn eine Flöte, die wie am gestrigen Abend süße Töne vom Wald herüberhauchte. Aufs neue erwachte in ihm der Gedanke, daß diese Serenade wohl Anna gelten könnte. Er sah schärfer nach dem Wald hinüber, und, er irrte sich nicht, es war jene Waldecke, die er heute besucht hatte, woher die Töne kamen. Schnell warf er seinen Mantel über; eilte hinab und bat den alten Hans, ihm das Tor zu öffnen; er gab vor, auf einem Platz im Wald, unweit des Schlosses, ein Taschenbuch zurückgelassen zu haben, dem der Nachttau schaden könnte. Die Flötenklänge, die immer weicher und schmelzender wurden, dienten ihm zu Führern nach jener Waldecke; immer eifriger drang er durch das Gebüsch, denn er hatte einen Blick nach der Burg hinübergeworfen und gesehen, daß ein weißes Tuch von Annas Fenster wehte. Schon sah er die Umrisse des Flötenspielers, schon rief er: »Halt, Freund Musikus, ich werde die zweite Stimme spielen,« da schlug dicht neben ihm ein Hund an, und als er erschreckt auf die Seite sprang, stürzte er über die Wurzeln einer alten Eiche unsanft zur Erde. Als er sich nach einer Weile wieder aufgerichtet hatte und auf den Platz zutrat, wo der Mann mit der Flöte gesessen hatte, fand er weder von ihm noch von dem Hund eine Spur, wohl aber hörte er tief unten am Berg die Büsche rauschen und das Gesträuch knacken. Beschämt wandte er sich ab und sah nach dem Schloß hinüber. Ein heller Schein war an Annas Fenster, aber es war kein Tuch, wie er geglaubt hatte, sondern der Mond, der in den Gläsern sich spiegelte. Er warf sich seine Unbesonnenheit, seine Hast und Eile, sein Mißtrauen, seine Eifersucht vor. Er suchte für das Entweichen des Flötenspielers die gewöhnlichen und prosaischen Gründe auf, er _wollte_ Anna unschuldig finden, und dennoch wurde er nicht ruhig. So stand er in dem Anblick der vom Mondlicht übergossenen Burg da, als er plötzlich mit einem Schrei des Schreckens auffuhr, denn eine kalte Hand rührte an die seinige; er sah sich um, und eine dunkle Gestalt stand vor ihm. Ehe er noch fragen, sich nur fassen konnte, fühlte er, daß man ein Papier in seine Hand gedrückt habe, und zugleich stürzte sich dieses geheimnisvolle Wesen in den Wald, doch war es nicht so ätherischer Natur, daß es nicht im Forteilen das Gesträuch zerknickt und Zweige abgestoßen hätte. Albert wurde es ganz unheimlich an diesem Ort. Sein aufgeregtes Blut, die tiefe Stille der Nacht, das schaurige Dunkel der Buchen, und gegenüber die altersgraue Burg, ihre Fenster vom Monde so sonderbar beleuchtet, daß er geheimnisvolle Schatten in den hohen Gemächern hin und her schleichen sah -- es war ihm so bange, daß er schnell seinen Weg zurückeilte, daß er im Wald laut auftrat, nur um sich selbst in dieser unheimlichen Stille zu hören. Die Laterne des alten Hans warf ihm ein tröstliches Licht aus dem Tor entgegen. Eilends ließ er den Alten mit der Lampe voran nach seinem Zimmer gehen, er entrollte das Papier und erschrak vor einem fremden Unglück, denn die wenigen Zeilen lauteten: »Dein Brief traf mich erst heute, die Antwort ein andermal. S. Z. N. und noch drei andere wurden heute früh verhaftet und nach der Festung geführt. Ich weiß nicht, ob du dich schuldig fühlst, aber vernünftig wäre es, wenn du dich auf die Beine machtest. In _deiner_ Lage kann es nicht schaden. Ich schickte diese Zeilen an den gewöhnlichen Platz; Gott gebe, daß sie dich treffen. Was du auch tun wirst, Robert, sei diskret und nenne mich nie.« Wer der unglückliche Flötenspieler gewesen sei, sah jetzt Albert deutlich; doch zu großmütig, um aus dieser Verwechslung einen Vorteil ziehen zu wollen, faßte er rasch den Entschluß, den jungen Willi zu retten. Aber fremd und unbekannt in dieser Gegend deuchte es ihm unmöglich, dies allein auszuführen. Er schickte schnell den alten Hans nach dem Turm, wo Anna wohnte, er ließ sie dringend bitten, ihm nur auf zwei Minuten in einer sehr wichtigen Sache Gehör zu geben. Er folgte dem Alten bis an die Tür des Saales, und dort blieb er in dem großen weiten Gemach allein, um seine Cousine zu erwarten. Zu jeder andern Zeit hätte der Anblick, der sich ihm hier darbot, mächtig auf seine Seele wirken müssen. Ein ungewisses Licht schimmerte durch die Fenster und fiel auf die Gemälde seiner Ahnen. Ihre Gestalten schienen lebendiger hervorzutreten, ihre Gesichter waren bleicher als sonst, und die ausgestreckte Hand einer längst verstorbenen Frau von Thierberg schien sich zu bewegen. Dazu rauschten die Bäume und murmelte der Fluß auf so eigene Weise, daß man glauben konnte, dieses Geräusch gehe von den Gewändern der Verstorbenen aus. In diesen Augenblicken aber hatte er nur ein Ohr für die immer leiser schallenden Tritte des alten Dieners; sein Auge hing erwartungsvoll an der Türe, sein Herz pochte unruhig einer Gewißheit entgegen, die keine erfreuliche sein konnte. Bald tönten die Schritte wieder den Korridor herauf; er strengte sein Ohr an, ob er nicht auch den leichten Tritt seiner Base vernehme, die Türe öffnete sich, und sie erschien mit Hans und ihrem Mädchen, er sah ihrer Kleidung und ihren Augen an, daß sie noch nicht geschlummert hatte. Noch ehe sie ihn fragen konnte, reichte er ihr schnell das Billet und sagte französisch in wenigen Worten, wie er es erhalten habe. Eine hohe Röte flammte über das schöne Gesicht, solange er sprach, sie wagte es nicht, die zarten Augenlider aufzuschlagen; doch kaum hatte sie einen Blick auf die Zeilen geworfen, so erbleichte sie, sah ihn mit großen Augen erschrocken an und zitterte so heftig, daß sie sich an dem Tisch halten mußte. »Ich muß sogleich hinübereilen,« sagte er, näher tretend, »und nur darum habe ich dich rufen lassen, daß du mir ein Mittel angebest, wie ich durch den Fluß komme. Ich möchte bei den Domestiken nicht gerne Aufsehen erregen.« »Zu Pferd, schnell zu Pferd!« rief sie hastig, indem sie bebend seine Hand ergriff; »schwimm hinüber und dann schnell nach Neckareck.« »Aber bei Nacht?« erwiderte er zaudernd. »Ich kenne die Stellen nicht, wo man durchkommen kann, der Fluß ist tief und reißend.« »Führe _mir_ des Vaters Pferd heraus, Hans!« wandte sie sich an den erschrockenen Diener; »schnell, du begleitest mich, ich will selbst hinüber!« »Führe es heraus, Alter, aber für mich!« fiel Rantow unmutig ein. »Wie magst du mich so verkennen, Anna? Du wirst mir den Weg zu einer Stelle zeigen, wo ich durch den Neckar kommen kann.« »Nein, so geht es nicht!« sagte sie beinahe weinend und sank auf einen Stuhl nieder; »du wirst nicht hinüberkommen. Führe ihn durchs Dorf hinab, Hans, mach' unsern Kahn los und schiffe den Vetter hinüber, du mußt zu Fuß hinüber, Albert, in einer halben Stunde kannst du dort sein. O Gott! ich habe es ja schon lange geahnt, daß es so kommen würde! Sag' ihm, er soll nicht zögern, ich wolle ihn überall lieber wissen als in einem Kerker!« Der junge Mann drückte ihr schweigend die Hand und winkte dem Alten, zu gehen. Nie zuvor hätte er sich für fähig gehalten, so schönen Hoffnungen so schnell zu entsagen, aber der Gedanke an die schöne, kummervolle Anna, die er bis jetzt nur lächelnd gesehen hatte, spornte ihn zu immer schnelleren Schritten, und so mächtig ist in einem Herzen, das die Selbstsucht noch nicht ganz umsponnen hat, das Gefühl, in einem entscheidenden Moment Hilfe oder Rettung zu geben, daß er in diesem Augenblick in dem jungen Willi nur einen Unglücklichen und nicht Annas Geliebten sah. Am Ufer schloß der Alte schnell den Kahn los und bat den Gast, sich ruhig niederzusetzen, aber dennoch konnte Albert diesem Gebote nicht völlig Folge leisten, denn als sie ungefähr die Mitte des Neckars erreicht hatten, hörte man deutlich den Hufschlag von Pferden und das Rollen eines Wagens von der Landstraße her, die sich jenseits dem Ufer näherte. Er richtete sich auf, trotz dem Schelten des Alten und dem unruhigen Schaukeln des Kahns, und sah im Schein einiger Laternen einen Wagen mit vier Pferden, von einigen, wie es schien, bewaffneten Reitern begleitet, vorüberfahren. »Ist dies eine Hauptstraße?« fragte er den alten Hans; »kann dies vielleicht ein Postwagen sein, der dort fährt?« »Hab' hier noch nie einen gesehen,« erwiderte jener mürrisch; »und um einen Postwagen zu sehen, möchte ich kein kaltes Bad im Neckar wagen.« »Schnell! wo geht man nach Neckareck, nach dem Gut des Generals?« fragte Albert, welcher besorgte, er möchte zu spät gekommen sein. »Spute dich, Alter!« »So lassen Sie mich doch den Kahn erst wieder anschließen!« sagte Hans; »doch wenn Sie Eile haben, nur hier links immer die Straße fort, sie führt gerade auf das Schloß zu; ich will schon nachkommen.« Der junge Rantow lief mehr, als er ging; der Alte keuchte mühsam hinter ihm her, aber so oft er ihn erreicht hatte, lief jener wieder schneller, als würde er verfolgt. Endlich sah er das Schloß mit seinen weißen Säulen durch die Nacht schimmern; es fiel ihm ängstlich auf, daß viele Fenster erleuchtet waren, und als er näher kam, sah er deutlich Menschen an den Fenstern hin und her laufen. Der Schrecken dieser Nacht und die ungewöhnlich schnelle Bewegung hatten seine Kräfte beinahe erschöpft, aber dieser beunruhigende Anblick trieb ihn zu noch rascherem Laufen; in wenigen Minuten langte er an dem Schloß an, aber er mußte sich an die Pforte lehnen und nach Atem suchen, ehe er eintrat. Der erste, dem er an der erleuchteten Treppe begegnete, war der Gardist, ein alter französischer Kriegsgefährte des Generals, der jetzt mehr den Haushofmeister als den Diener spielte. Er schien bleicher als sonst und schlich trübselig die Treppe herab. »Wo ist Euer junger Herr?« rief Albert hastig, »führt mich schnell zu ihm.« »~Sacre bleu!~« antwortete der Gardist erstaunt, als er den jungen Mann erkannte; »weiß es Fräulein Anna schon? ~O la pauvre enfant!~« »Wo ist Robert?« rief Rantow drängender. »~Il est prisonnier!~« erwiderte er traurig. »Auf die Festung gebracht ~comme ennemi de la patrie, comme démocrate~; vier ~Dragons de la gensdarmerie~ haben ihn eskortiert, o, mein armer Monsieur Robert!« »Führe mich zum General!« sagte Rantow, als er diese Nachricht hörte. »~Monsieur le general est sorti.~« »Wohin?« rief der junge Mann, unwillig darüber, daß er jedes Wort dem alten Soldaten abfragen mußte. »Mit seinem Sohn ~à la capitale~, zu fragen, was Monsieur ~de~ Willi verschuldet.« Als Rantow sah, daß hier nichts mehr zu tun sei, suchte er einen andern Bedienten auf und ließ sich die näheren Umstände der Verhaftung erzählen. Er hörte, daß spät abends, in Roberts Abwesenheit, ein Kommissär angekommen sei, der nach einer kurzen Rücksprache mit dem General die Papiere des jungen Willi untersucht und teilweise versiegelt habe. Darauf sei Robert nach Hause gekommen und habe sich gutwillig darein ergeben, dem Kommissär zu folgen; er habe seinem Vater das Wort darauf gegeben, daß man ihn unschuldig finden werde; das letztere hatte der General einem Bedienten befohlen, am nächsten Morgen dem Herrn von Thierberg und seiner Familie zu sagen; er habe sich dann zu Pferd gesetzt und sei, nur von einem Bedienten begleitet, vom Schloß weggeritten. Der junge Willi selbst hatte weder nach Thierberg noch sonst wohin Aufträge zurückgelassen. Soviel erfuhr Albert, und diese Nachrichten waren nicht dazu geeignet, ihn auf dem Rückweg freudiger zu stimmen. Er konnte auf den Trost, welchen Robert seinem Vater gegeben, keine große Hoffnung bauen, und vor allem war ihm vor dem Augenblicke bange, wo er die schmerzliche Kunde der trauernden Anna bringen sollte. 10. Es waren seit jener traurigen Nacht mehrere Wochen verstrichen, sie deuchten der armen Anna ebenso viele Monate. Das Laub der Bäume fing schon an, sich zu bräunen, der Herbst mit seinem fröhlichen Gefolge war in das Tal eingezogen, Gesang und Jubel schallte von den Rebhügeln, schallte antwortend aus dem Fluß herauf, welcher Kähne, mit Trauben schwer belastet, abwärts trug. Als würde einem verwegenen, in diesen Bergen eingedrungenen Feind ein Gefecht geliefert, so krachten Büchsen- und Pistolenfeuer aus den Weinbergen, doch nicht das Wutgeschrei zurückgeworfener Kolonnen, sondern das Jauchzen einer freudeberauschten Menge stieg auf, wenn die Gewehre recht laut knallten, oder wenn die vorspringenden Ecken der Bergreihen die tiefere Stimme eines Pfundböllers zehnfach nachriefen. Mit verschiedenen Empfindungen sahen die Bewohner des Schlosses Thierberg diesem fröhlichen Treiben von einer altertümlichen Terrasse des Schlosses zu. Der junge Rantow blickte unverwandt und mit glänzenden Augen auf dieses Schauspiel, das ihm ebenso neu als anziehend erschien. Er hatte in seiner Heimat, im Kreise vertrauter Freunde, oft bemerkt, wie der Wein, diese Himmelsgabe, die Wangen freundlicher färbte, die Zungen löste und zu traulichem Gespräch, wohl auch zum Gesang, selbst die Ernsteren fortriß; doch nie hatte er gedacht, daß eine noch rauschendere Freude, ein höherer Jubel mit der Bereitung des fröhlichen Trankes sich verbinden könnte. Wie poetisch deuchte ihm dieses lebhafte Gemälde! Welch frische, natürliche Bilder zeigte ihm sein Opernglas! Diese Gruppen hatte der Zufall geordnet, und doch schienen sie ihm reizender, als was die Kunst je erfunden. »Siehe,« sagte er zu Anna, die, den schönen Kopf auf den Arm gestützt, ihm gegenübersaß und zuweilen einen ernsten Blick über das Tal hingleiten ließ, »siehe, dort gegenüber jenen Alten mit den silbergrauen Haaren; wie viele solcher Herbste mag er schon gesehen haben! Wahrlich, ich könnte an der Gruppe um ihn her seine Lebensgeschichte studieren. Der blonde Knabe, der ihm eben die große Traube brachte, ist wohl sein Enkel; den jungen Burschen, der mit der Pritsche die Mädchen neckt und durch seine Scherze von der Arbeit abhält, indem er sie anzutreiben scheint, halte ich für seinen jüngeren Sohn; siehe, jenes Mädchen hat seinen Schlag derb erwidert, sie ist wohl das Liebchen des muntern Burschen, denn sie lachen alle und verspotten ihn. Dieser gebräunte, breite Mann von vierzig, der soeben den ungeheuren, mit Trauben gefüllten Korb auf seine Schultern hob, ist wohl der ältere Sohn und des blonden Knaben Vater. So hast du die vier Altersstufen, die sie wohl alle ohne viel Aenderung durchlaufen mögen.« »Gewiß, ohne viel Aenderung und ohne viel Vergnügen,« bemerkte der alte Herr von Thierberg, der gleichgültig hinblickte; »das ewige Einerlei seit vielen hundert Jahren. Der Kleine dort wird jetzt bald in die Schule getrieben und von seinem Schulmeister täglich geprügelt, gerade wie vorzeiten sein Großvater. Der junge Bursche wird bald Soldat oder auf ein paar Jahre Knecht in der Stadt. Kommt er dann nach Hause und der Vater ist tot, so bekommt er sein kleines Stückchen Erbe und glaubt heiraten zu müssen; und hat er vier Kinder, so werden sie, wenn auch er einst stirbt, das armselige Erbe unter sich teilen und gerade viermal ärmer sein als er. So treibt es sich herauf und herab; zu dem Pulver, das sie heute verschießen, haben sie ein ganzes Jahr gespart, um doch auch _einen_ Tag zu haben, an welchem sie sich betäuben können; und das nennen sie lustig sein! Das nennen die Städter ein Fest, ein malerisches Volksvergnügen!« »Nein! Sie sehen es zu düster an, Oheim!« entgegnete der Gast. »Mir scheint, ich gestehe es, eine wundervolle Poesie in diesem Treiben zu liegen. Diese Menschen sind so behende, so lebendig, so regsam. Stellen Sie einmal meine Märker hierher, wie unbeholfen und ungeschickt sie sich benehmen würden! Ich schäme mich heute noch der Unerfahrenheit, die ich letzthin zeigte; ich nahm in einem Ihrer Weinberge einem hübschen Mädchen das gebogene Messer ab und versprach, sie zu unterstützen; als ich die erste Traube abgeschnitten hatte und sie in das Körbchen legte, betrachtete das Mädchen nur den Stiel der Traube und sagte lächelnd: ›Er hat wohl noch nicht oft Trauben geschnitten;‹ und siehe, ich hatte, statt schief zu schneiden, gerade geschnitten. Nein! mir scheint diese Weinlese ein fortdauernder Festtag der Natur, eine liebliche, verkörperte Poesie.« »Poesie?« erwiderte Anna, indem sie einen trüben, wehmütigen Blick auf die Berge gegenüber warf; »eine Poesie, die mir das Herz durchschneidet. Mir erscheint dieses fröhliche Treiben wie ein Bild des Lebens. Unter langem Jammer und Ungemach _ein_ Tag der Freude, der durch seine hellen, freundlichen Strahlen das öde Dunkel umher nur noch deutlicher zeigt, aber nicht aufhellt! O, kenntest du erst das Leben dieser Armen näher! Wenn du sie beim ersten Erwachen des Frühlings sehen könntest! Jeder Winter verwüstet ihre steilen Gärten; der Schnee löst sie auf und reißt ihre beste, fruchtbarste Erde mit sich hinab. Aber rastlos zieht jung und alt heraus. Die Erde, die ihnen das Wasser nahm, tragen sie wieder hinauf und legen sie sorglich um ihre Reben her. Vom frühesten Morgen, in der Glut des Mittags, bis am späten Abend steigen sie, schwer beladen, die steilen engen Treppen hinan. Welche Freude, wenn dann der Weinstock schön steht, aber wie bitter ist zugleich ihre Sorge; denn der kleinste Frost kann ihre zarte Pflanze vernichten. Und fällt nun der böse Tau oder eine kalte Nacht, wie schauerlich ist dann ihr Geschäft anzusehen. Alle, selbst die kleinsten Kinder, strömen noch vor Tag in den Weinberg. Dort legen sie alte Stücke von Kleidern und Tüchern neben die Rebstöcke und brennen sie an, daß der qualmende Rauch die zarte Pflanze schützen möchte. Wie arme Seelen, ins Fegfeuer verbannt, schleichen sie um die kleinen, zuckenden Feuer und durch die Schleier, die der Rauch um sie zieht. Die Kleinen rennen umher, sie können noch nicht berechnen, welches Unglück sie sehen, aber die Männer und Weiber wissen es wohl; es ist _eine_ kühle Morgenstunde, die das Werk langer, mühsamer Wochen zerstört und sie ohne Rettung noch tiefer in die Armut senkt.« »Wahrhaftig! Du bist krank, Anna!« sagte der alte Herr, indem er lächelnd zu ihr trat und, doch nicht ohne leise Besorglichkeit, seine Hand auf ihre schöne Stirne legte; »du warst ja doch einst so fröhlich im Herbst, gabst solchen bösen Gedanken niemals Raum und freutest dich mit den Fröhlichen. Bist du krank?« Anna errötete und suchte fröhlicher zu scheinen, als sie es war. »Krank bin ich nicht, lieber Vater,« erwiderte sie, »aber ich bin doch alt genug, um sogenannte Herbstgedanken haben zu dürfen. Man kann doch nicht immer fröhlich sein, und -- mein Gott!« rief sie, indem sie errötend aufsprang -- »ist er es nicht? -- seht dort! --« »Willi?« rief Rantow verwundert und wandte sich nach der Seite, wohin Anna deutete. »Wer denn?« sagte der Alte, indem er bald seine zitternde und verwirrte Tochter, bald seinen Gast ansah. »Wie kommst du nur auf Willi? Wer soll denn kommen? So sprechet doch!« Aber in diesem Augenblick trat auch schon der, dem Annas Ausruf gegolten hatte, herein, es war der alte Gardist. Er war noch nicht ganz auf die Terrasse getreten, als schon Anna, jede andere Rücksicht vergessend, zu ihm hinflog, seine Hand ergriff und eine Frage aussprechen wollte, zu welcher ihr der Atem fehlte. Der alte Soldat zog lächelnd seine Hand zurück, grüßte mit militärischem Anstand und berichtete, in Form eines militärischen Rapports, daß der General noch diesen Abend zu Hause eintreffen und -- »Ist er frei?« unterbrach ihn Anna. »-- und seinen Sohn mitbringen werde, der auf sein Ehrenwort und die Kaution, die der Herr General gestellt habe, aus der Haft entlassen worden sei.« In Annas Augen drängten sich Tränen, sie zitterte heftig und setzte sich nieder; der alte Thierberg, durch diesen Anblick überrascht, preßte die Lippen zusammen und blickte seine Tochter unwillig an, und Albert, der in den Zügen seines Oheims las, daß jener ein Geheimnis ahne, dessen Teilnehmer er bis jetzt allein gewesen war, fühlte sich befangen; er fürchtete für Anna, und erst in diesem Augenblicke wurde es ihm deutlich, daß es für ihn selbst besser gewesen wäre, sich nie in diese Angelegenheit zu mischen. »Ich lasse dem Herrn General danken und Glück wünschen,« sagte nach einer peinlichen Pause Herr von Thierberg zu dem Grenadier und winkte ihm, zu gehen. »Wünsche nur,« fuhr er fort, indem er auf der Terrasse mit heftigen Schritten auf und ab ging, »wünsche nur, daß die paar Wochen Gefängnis eine gute Wirkung auf den Herrn Weltstürmer gehabt haben mögen! Ein paar Monate hätten nicht schaden können, wäre es auch nur gewesen, um das heiße Blut abzukühlen und die vorschnelle Zunge zu fesseln. Aber das alles ist das Erbteil seiner hochweisen Frau Mama! Ein junger Mann von unbeflecktem Adel hätte sich so weit nicht verirrt; aber das gewinnt man bei solchen Heiraten; weil sie sah, daß man in unserem Zirkel ihre Abkunft nicht vergessen habe, hat sie ihrem Sohn solche tollen, republikanischen Ideen eingeprägt und ihn zu einem Toren, wo nicht zu einem verderblichen Menschen gemacht.« Diese und andere Worte stieß er schnell und heftig aus, und plötzlich blieb er vor seiner Tochter stehen, sah sie mit grimmigen Blicken an und sagte dann: »Ich glaube jetzt in der Tat, daß du kränker bist, als ich dachte; geh auf dein Zimmer! -- Ich werde mit dem Vetter diesen Abend allein speisen; geh!« Das arme Kind ging hinweg, ohne ein Wort zu sagen; sie mochte die Natur ihres Vaters kennen und wissen, daß jeder Widerspruch seinen Zorn steigere, sie mochte auch fühlen, was in diesem Augenblick in seiner Seele vorgehe, wo sie zu wenig Macht über sich besaß, um ihr Geheimnis zu verbergen. Als sie weggegangen war, schritt der Alte wieder eine Zeitlang schweigend hin und her; dann trat er zu seinem Neffen und fragte mit bewegter Stimme: »Was sagst du zu dem Auftritt, den wir da gesehen haben? Meinst du wirklich, es wäre möglich?« »Ich kann Sie nicht verstehen, lieber Oheim.« »Nicht verstehen, Junge? So soll ich es denn selbst in den Mund nehmen? Wisse -- ich habe entdeckt, daß Anna den -- den von drüben -- nun daß sie den Sohn des Generals liebt. Zum Teufel, Junge! Du erwiderst nichts? Wie magst du so -- so gleichgültig aussehen, wenn von der Ehre deiner Familie die Rede ist? Rede!« »Ich kann nichts hierin sehen,« entgegnete der junge Mann trotzig, »was etwa der Thierbergschen Ehre zu nahe treten könnte. Der alte Willi ist von Adel, ist ein berühmter General, ist reich --« »Also abkaufen sollen wir uns unsere Ehre lassen, abhandeln? -- Bursche, wenn du nicht mein Neffe wärest -- Gott strafe mich, aber ich kenne mich selbst nicht, wenn ich in Wut bin. -- Reich? Siehe, für so schlecht und niederträchtig halte ich mein Kind selbst nicht, daß es daran gedacht haben sollte. Sieh dich um -- so weit du sehen kannst, war einst alles -- alles mein; ich habe nichts mehr als diese verfallenen Türme und eine Hufe Landes wie der gemeinste Bauer, aber auch dieses soll diese Nacht noch hinfahren, in den Schuldturm soll man mich werfen, mich auspfänden, mein altes Wappen entzweischlagen, wenn ich je zugebe --« »Oheim!« fiel ihm der Neffe erbleichend ins Wort, »bedenken Sie sich zuvor, ehe Sie einen solchen Frevel aussprechen! Was kann dieser junge Mann dafür, daß sein Vater reich ist? Beträgt er sich denn aufgeblasen? Macht er Ansprüche auf seinen Reichtum? Ich sagte es ja vorhin nur so in der Uebereilung.« »Nein, das tun sie nicht, die Willis,« antwortete nach einer Pause der Alte; »das ist noch ihre gute Seite. Aber das macht ihn nicht besser. Seine Grundsätze sind es, die ich hasse; er ist mein bitterster Feind!« »Wie wäre dies möglich?« erwiderte Rantow beruhigend. »Wie könnte er _Ihr_ persönlicher Feind sein!« »Was persönlicher Feind!« rief Thierberg heftiger. »Solche Feindschaft kenne ich nicht, und mein Feind müßte ein anderer sein als dieser Knabe; aber ein Todfeind bin ich all diesem Wesen, diesen Neuerungen, diesem Deutschtum, Bürgertum, Kosmopolitismus, und welchen Namen sie dem Unsinn geben mögen, und dessen treuester Anhänger eben dieser junge Mensch da ist. Das ganze erste Viertel des neunzehnten Jahrhunderts hatte den verdammten Geschmack dieses Unwesens, und man wird sehen, wohin es im jetzigen kommt, wenn diese Menschen und ihre Gesinnungen um sich greifen; aber, so wahr Gott lebt, man soll von dem letzten Thierberg nicht sagen können, daß er in seinen alten Tagen einem dieser Weltverbesserer die Hand zur Unterstützung gereicht hätte!« »Aber, Oheim!« fiel Albert ein, dem es in diesem entscheidenden Augenblicke keine Sünde deuchte, gegen seine eigene Ueberzeugung zu sprechen, »gibt es denn in diesem Jahrhundert auch nur _eine_ Familie, die nicht, wenn man sie einzeln durchginge, die verschiedensten Gesinnungen in sich schlösse? Wird denn der einzelne Mann dadurch schlechter, daß er eine andere Meinung hat als wir? Ist nicht Protestant und Katholik in den Augen des Vernünftigen gleich viel wert? Denkt nicht der General selbst ganz verschieden von seinem Sohn?« »Laß mir den Glauben aus dem Spiel, Neffe!« entgegnete jener. »Darüber zu richten, geht weder dich noch mich an. Aber dieser General vollends, der meinen Todfeind als Schutzpatron anbetet und diesen Bonaparte für den heiligen Georg hält, der den Lindwurm des veralteten Jahrhunderts tötete; _diesen_ in _meiner_ Familie! Es würde mich töten!« »Aber wissen Sie denn, ob auch der junge Willi Ihre Tochter liebt? Hat denn Anna irgend etwas gestanden?« Der Alte sah seinen Neffen bei dieser Frage lange und erschrocken an; dann fuhr er nach einigem Nachsinnen gefaßter fort. »Nein! Einer solchen Schmach halte ich sie nicht fähig; meinst du, _meine_ Tochter werde sich in einen solchen -- Menschen verlieben, ohne daß er sie zuvor mit tausend Künsten dazu verlockte? Nein! Dazu ist sie mir noch immer zu gut; aber -- ich will mir Gewißheit verschaffen!« Er sprach es, und noch ehe ihn Rantow aufhalten konnte, eilte der alte Mann hinweg, um seine Tochter zur Rede zu stellen. Düster schaute ihm der Gast aus der Mark nach. »Wahrlich, wenn die Aktien so stehen, werde ich weder Brautführer noch Hochzeitsgast in Thierberg sein,« sprach er, »der Alte müßte sich denn durch ein Wunder in einen Demagogen oder der Demagoge in einen rechtgläubigen Verehrer der alten Reichsritterschaft verwandeln.« 11. Es hatte dem General Willi nicht geringe Mühe gekostet, von seinem Sohn das Unglück einer längeren Gefangenschaft abzuwenden. Sein Ansehen war zwar in der Hauptstadt jenes Landes, welchem sein Gut angehörte, durch den Wechsel der Verhältnisse und Meinungen nicht gesunken; man verehrte in ihm einen Mann von hohem Verdienst, militärischer Umsicht und Tapferkeit, und es gab manche, die ihn wegen seiner treuen und ausdauernden Anhänglichkeit an jenen Mann, der einst das Schicksal Europas in der Rechten getragen, bewunderten; es gab viele, die ihm, wenn sie auch diese Bewunderung nicht teilten, doch wegen der Beharrlichkeit und Charakterstärke, die er in den Tagen des Unglücks entfaltet hatte, wohlwollten. Dennoch mußte er sein ganzes Ansehen aufbieten, manche Türe öffnen, um seinem Sohn, auf dem _der Verdacht, mit Verdächtigen in Verbindung zu stehen_, lastete, nutzen zu können. Der General war ein Mann von zu großem Rechtsgefühl, als daß er, wenn er seinen Sohn schuldig glaubte, diese Schritte für ihn getan hätte. Aber es genügte ihm an der einfachen Versicherung seines Sohnes. »Ich teile,« hatte er ihm gesagt, als er verhaftet wurde, »ich teile im allgemeinen die Gesinnungen jener Männer, die man jetzt zur Untersuchung zieht, aber -- ich teile weder ihre Pläne noch die Ansichten, die sie über die Mittel zum Zweck haben. Ich habe nur _gedacht_, nie _gehandelt_, habe mir selbst gelebt, nicht mit andern, und Beschuldigungen, welche andere treffen mögen, werden nie auf mich kommen.« So war es denn gelungen, den jungen Willi auf so lange frei zu machen, als nicht stärkere Beweise, die gegen ihn vorgebracht würden, seine Anwesenheit vor den Gerichten notwendig machten, eine Schonung, die er nur der Fürsprache seines Vaters und dem Vertrauen verdankte, das man in die Bürgschaft des Generals Willi setzte. Sie konnten sich beide wohl denken, welches Aufsehen dieser Vorfall in der Umgegend von Neckareck gemacht haben mußte; hätten sie in einer Stadt gewohnt, so würden sie sich wohl damit begnügt haben, ihren Bekannten von ihrer Rückkunft Nachricht zu geben; aber die Sitte auf dem Lande fordert größere Aufmerksamkeit für gute Nachbarn; man mußte fünf oder sechs Familien im Umkreis von drei Stunden besuchen, mußte ihre Neugierde über diesen Vorfall umständlich befriedigen; kurz, man mußte sich zeigen, wie man sich etwa nach einer überstandenen Krankheit bei den Bekannten wieder zeigt und für ihre Teilnahme Dank sagt. Als aber der General mit seinem Sohn am dritten Tag nach ihrer Rückkehr nach Thierberg aufbrach, war es noch ein anderer Grund als Höflichkeit gegen gute Nachbarn, was sie dorthin zog. Der junge Willi mochte in den einsamen Wochen seiner Gefangenschaft Zeit gefunden haben, über sein Leben und Treiben nachzudenken, er mochte gefunden haben, daß ihn jene politischen Träume, welchen er nachgehängt hatte, nicht befriedigen könnten, daß es ein höheres, reineres Interesse gebe, wodurch sein Leben Bedeutung und Gehalt, seine Seele Ruhe und Zufriedenheit gewänne. Der General lächelte, als ihm Robert sein Verhältnis zu Anna entdeckte und die Wünsche auszusprechen wagte, die sich mit dem Gedanken an die Geliebte verbanden. Er lächelte und gestand seinem Sohn, daß er längst dieses Verhältnis geahnt, daß er gewünscht habe, das unruhige Treiben des jungen Mannes möchte eine festere Richtung annehmen. »Ich kenne dich,« sagte er ihm, »wärest du zu jener Zeit jung gewesen, wo wir in Europa umherzogen, um Krieg zu führen, so hätte deine Phantasie mit aller Kraft die großartigen Bilder des Krieges ergriffen, ich hätte dir den ersten Raum geöffnet, du selbst hättest dann deine Laufbahn gemacht. Daß du in diesen stillen Feiertagen des Jahrhunderts nicht dienen willst, kann ich dir nicht übelnehmen. Des Umherschweifens in der Welt bist du satt, das Leben in den Salons genügt dir nicht, so bleibe bei mir; besorge an meiner Statt meine Güter, ich kann dabei nur gewinnen; ich gewinne Zeit für mich und meine Erinnerungen, gewinne dich, und« -- setzte er mit einem freundlichen Händedruck hinzu -- »wenn du anders deiner Sache gewiß bist, gewinne ich Anna.« Sie besprachen dieses Kapitel auch auf dem Weg nach Thierberg wieder, und Robert gab seinem Vater Vollmacht, bei dem Alten um Anna für ihn zu werben. Sie verhehlten sich nicht, daß eine nicht unbedeutende Schwierigkeit im Charakter des alten Thierberg liegen könne. Ihre Gesinnungen hatten so oft die seinigen beinahe feindlich durchkreuzt. Man hatte sich wegen Meinungen so oft gezankt, man war oft unzufrieden, beinahe verstimmt auseinander gegangen. Aber sie trösteten sich damit, daß er doch nie persönliche Abneigung gezeigt habe, und die Vorteile, die für Thierberg aus dieser Verbindung hervorgingen, erschienen so bedeutend, daß der General, als sie über die Zugbrücke ritten, sich schon im Geiste als Vater der schönen Anna zu sehen glaubte und vertrauensvoll auf das Thierbergische Wappen über dem alten Portal zeigte. »Mut gewinnt, führen sie als Symbol im Wappen,« flüsterte er seinem Sohn zu. »Das fügt sich trefflich, denn weißt du noch, was der Wahlspruch _deiner_ Ahnen war?« »_Der Will' ist stark!_« rief der junge Willi, freudig errötend. »_Mut gewinnt_ -- und _der Will' ist stark_!« Im Schloßhof empfing Rantow die Angekommenen. Er entschuldigte seinen Oheim mit einem kleinen gichtischen Anfall, der ihn verhindere, die steile Treppe herabzusteigen und seinen Gästen entgegenzugehen. Er sagte dies schnell und nicht ohne einige Verlegenheit, die er hinter einem Schwall von Glückwünschen für Robert Willi zu verbergen suchte. Nach den Verhältnissen, die gegenwärtig in den alten Mauern von Thierberg herrschten, konnte nicht leicht etwas störender wirken als dieser Besuch. Man hatte zwar den Vetter aus der Mark nicht mit in das Geheimnis gezogen. Der Vater schien es zu bereuen, daß er sich nur so weit gegen seinen Neffen ausgesprochen habe, und Anna hatte mit ihm seit einigen Tagen nie mehr über Willi gesprochen, sei es auf ein Verbot ihres Vaters, sei es aus Argwohn, er möchte dem Alten ihr Geheimnis verraten haben. Seit jenem Abend jedoch, wo die Rückkehr Roberts angekündigt worden war, herrschte eine Spannung, die um so drückender wurde, da die ganze Gesellschaft zwar aus dreierlei Parteien, aber -- nur aus drei Personen bestand. Anna sprach wenig und hielt sich meist auf ihrem Zimmer auf, wohin Albert noch niemals eingeladen worden war; der Alte war mürrisch, aufbrausender als sonst gegen seine Diener, gegen seinen Gast herzlich wie zuvor, aber ernster und einsilbiger, gegen seine Tochter kalt und gleichgültig. Er trank, trotz der bittenden Blicke, die Anna zuweilen nach ihm hinzusenden wagte, mehr Wein als gewöhnlich, schimpfte dann auf die ganze Welt, verschlief den Nachmittag und ließ sich abends den Amtmann holen, um ein Spiel mit ihm zu machen. Dann setzte sich Anna mit ihrer Arbeit in ein Fenster, ließ sich von dem Vetter etwas vorlesen, aber Tränen, die hin und wieder auf ihre Hand herabfielen, zeigten dem jungen Mann, wie wenig ihr Geist mit dem beschäftigt sei, was er eben las. Der Anfall von Gicht, der über den Alten kam, machte die Sache womöglich noch schlimmer. Man sah, wie er alle Kraft aufbot, seine Schmerzen zu unterdrücken, nur um der natürlichen Hilfe seiner Tochter weniger zu bedürfen, und wenn Fälle eintraten, wo er diese Hilfe nicht abweisen konnte, wenn das schöne Kind bleich und mit Tränen im Auge vor ihm kniete, um seine Beine in warme Tücher zu hüllen, da wandte er sich ab, pfiff irgend ein altes Liedchen, nannte sich einen Mann, der bald in die Grube fahren müsse, und fand es schön, daß doch ein Enkel der Thierberge zugegen sein werde, wenn man den letzten dieses Namens beisetze. Rantow wußte zwar, daß sein Oheim das Gastrecht gegen seine Nachbarn nicht verletzen werde, aber diese letzten Tage fielen ihm schwer auf die Seele, als er die Fremden die Treppe hinanführte, und er sah voraus, daß die beiden Willis gewiß nichts dazu beitragen würden, die Verstimmung aufzulösen. Der Empfang war übrigens herzlicher, als er sich gedacht hatte; es gibt eine gewisse höfliche Freundlichkeit, die man sich angewöhnen kann, ohne sich dessen bewußt zu werden. Besonders auffallend erscheint diese Eigenschaft, wenn sich Männer begrüßen, von welchen wir wissen, daß sie keiner Heuchelei fähig sind, und die dennoch, sei das durch Meinungen, sei es durch Verhältnisse, sich feindlich gegenüber stehen. So schien es auch der alte Thierberg nicht über sich vermögen zu können, sein gewohntes: »Ah! schön, schön! Freut mich, -- Platz genommen!« diesmal mit einem kälteren und förmlicheren Gruß zu vertauschen, und die fünfhundertjährige Gastfreundschaft dieser Burg schien die unwillkommenen Gäste in ihre schützenden Arme zu schließen. _Ein_ Blick von Anna hatte dem jungen Willi gesagt, was hier vorgegangen sei. Er fand sie blaß, ihre Stimme nicht so fest wie sonst, es lag Kummer um den holden Mund, und ihre Augen schienen weicher geworden zu sein. Er pries im stillen ihren richtigen Takt, daß sie mehr zu dem General sprach als zu ihm, denn er hätte, von diesem Anblick ergriffen, nicht Fassung genug gehabt, Gleichgültiges mit ihr zu reden. Rantow, der einen ganz andern Auftritt erwartet hatte, wunderte sich, daß auch in diesem »ehrlichen Schwaben«, wo ihm sonst alles so offen und ehrlich deuchte, vier Menschen, die sich so nahe standen, ein so falsches Spiel unter sich spielen könnten, ihre Gedanken, ihre Leidenschaften unter einer so ruhigen Hülle zu verdecken wüßten. Er sah staunend bald den jungen Willi und den alten Thierberg an, die ganz ruhig und abgemessen sich über die Ereignisse der letzten Woche besprachen; bald hörte er auf das Gespräch zwischen dem General und der Geliebten seines Sohnes, die dasselbe Thema, nur mit Veränderungen abhandelten, wobei übrigens Anna eine solche Ruhe an den Tag legte, daß sie nie hastig fragte, von nichts mehr, als schicklich, ergriffen war. Der General wandte sich im Gespräch und ging mit ihr langsam im Saal auf und ab; er stellte sich endlich, wie zufällig, in einen tiefen Fensterbogen, und Albert entging es nicht, daß er sich dort schnell zu dem schönen Mädchen herabbückte, ihr etwas zuflüsterte, was eine tiefe Röte auf ihre Wangen jagte; sie schien erschrocken, sie faßte seine Hand, sie sprach leise heftig zu ihm, aber er lächelte, schien sie zu beruhigen, zu trösten, und so stolz und zuversichtlich war seine Stirne, waren seine Züge, als müßte er in diesem Augenblick seine Division ins Feuer führen, um den schwankenden Sieg zu entscheiden. Der Gast aus der Mark ahnte, daß dort in jenem Fensterbogen ein Entschluß gefaßt oder mitgeteilt worden sei, der auf Annas Schicksal sich beziehe, und das Herz pochte ihm, wenn er an den eisernen Trotz seines Oheims dachte. Die Diener hatten indessen Wein herbeigebracht, man setzte sich in eines der weiten Fenster, und wenn nur die Gemüter der fünf Menschen, die um den kleinen Tisch saßen, weniger befangen waren, der schöne Tag, der Anblick des herrlichen Tales, das vor ihnen lag, hätte sie zu immer höherer Freude stimmen müssen. Der General, dem es peinlich sein mochte, daß das Gespräch nach und nach zu stocken anfing, bat Anna um ein Lied, und ein Wink ihres Vaters bekräftigte diese Bitte. Man brachte ihre Gitarre herbei, der junge Willi stimmte die Saiten, aber waren es die Worte des Generals, war es der Anblick ihres Vaters, war es die lang ersehnte Nähe des Geliebten, was sie verwirrte, sie errötete und gestand, daß sie in diesem Augenblick kein passendes Lied zu singen wüßte. Man schlug vor, man verwarf, bis Rantow beifiel, wie man einst in Berlin eine berühmte schöne Sängerin von einer ähnlichen Verlegenheit befreite. Er schnitt kleine Zettel und ließ jeden ein Lied aufschreiben. Dann faltete er die Papiere geschickt und zierlich zusammen, schüttelte sie als Lose durcheinander und ließ die Sängerin eines wählen. Sie wählte, sie eröffnete das Los und errötete sichtbar, indem sie den General besorgt anblickte. »Das hat niemand anders als Sie geschrieben,« sagte sie. »Warum denn gerade dieses Lied? Es ist nicht immer politisch, ein politisches Lied zu singen!« »Wenn es nun aber mein Lieblingslied ist?« erwiderte Willi; »ich appelliere an Ihren Vater; stand nicht die Wahl durchaus frei?« »Gewiß!« antwortete der Alte, »du singst, Anna; und wenn das Lied Politik enthalten sollte -- nun, erdichtete Politik kann man ja immer noch ertragen.« Sie nickte schweigend Gehorsam zu. Aber von jenem Augenblick an, wo sie mit einem kurzen, aber kräftigen Vorspiel den Gesang anhob, schien auf ihren lieblichen Zügen eine Art von Begeisterung aufzugehen; eine zarte Röte spielte auf ihren Wangen, ihre Augen glänzten, und um den schönen Mund, der die Töne so voll und rund hervorströmen ließ, spielte anfangs ein Lächeln, das mehr und mehr in Wehmut überging. Es war eine französische Ode, aus welcher sie einige Stellen vortrug; die Melodie, bald heiter, ermunternd, bald erhaben und triumphierend, bald ernst und getragen, schmiegte sich an das wechselnde Versmaß und den Gedankengang der Strophen, und so süß war ihre Stimme, so ausdrucksvoll ihr Vortrag, so hinreißend ihr ganzes Wesen, das mit dem Gesang sich zu verschmelzen schien, daß die Männer, wenn sie gleich über den Gegenstand die verschiedensten Gesinnungen hegten, doch von dem Strom der Töne mit fortgerissen wurden. Wie erhaben war ihr Vortrag, als sie sang: ~Cachez ce lambeau tricolore! C'est sa voix; il aborde, et la France est à lui.~ Ernst, beinahe traurig, doch nicht ohne Triumph, fuhr sie fort: ~Il la joue, il la perd; l'Europe est satisfaite Et l'aigle, qui, tombant aux pieds du Léopard, Change en grand capitaine un héros de hasard, Illustre aussi vingt rois, dont la gloire muette N'eût jamais retenti chez la postérité; Et d'une part dans sa défaite, Il fait à chacun d'eux une immortalité.~[1] [1] ~Sept Messéniennes nouvelles par C. Delavigne. 1re. Le départ.~ Als sie geendet hatte, legte sie die Gitarre nieder und ging, während die Männer noch in verlegener Stille saßen, schnell hinweg. »~Il la joue, il la perd~,« sprach der alte Thierberg lachend. »Eine große Wahrheit! Und dieser Dichter, wer er auch sein mag, konnte jenen Mann nicht besser schildern; seine ganze Größe bestand ja nur darin, daß er das ~rouge et noir~ so hoch als möglich spielte, und der alte Satz, daß der _kaltblütigste_ Spieler endlich gewinnt, bestätigte sich an ihm. Der Leopard hat doch die Bank gesprengt, und Wellington wird es eben darum keinen Kummer machen, wenn man ihn ~héros de hasard~ nennt.« »Wie lächerlich sind solche Hyperbeln!« rief Rantow, »als ob zwanzig Könige ihren Nachruhm, ihre Unsterblichkeit diesem Sommerkönig zu verdanken hätten! Was uns betrifft wenigstens, so wird man eingestehen müssen, daß der Ruhm der preußischen Waffen älter ist als der des sogenannten Siegers von Italien, und nicht erst von der großen Nation geadelt werden mußte.« »Und dennoch,« erwiderte der General mit großer Ruhe, »dennoch wird man _einst_ nicht sagen, es war Bonaparte, der zur Zeit dieses oder jenes Königs lebte -- man wird sagen, Herr von Rantow, sie waren Zeitgenossen Napoleons. Doch was den Obergeneral des englischen Heeres in der Bataille von Mont St. Jean betrifft, so möchte es die Frage sein, ob ihm der Titel ~héros de hasard~ sehr angenehm ist; soviel ist wenigstens gewiß, daß er jene Schlacht nicht gewonnen, sondern nur -- _nicht verloren hat_.« »Es ist ein Glück für die Welt,« bemerkte Thierberg lächelnd, »daß man Ihren Satz umkehren kann, und daß er dann noch höhere Wahrheit enthält; Ihr Herr und Meister hat jene Schlacht _zwar nicht gewonnen_, aber desto gewisser _verloren_.« »Er hat sie verloren,« antwortete der General; »was die Welt damit verlor, will ich nicht aussprechen, aber jene Strophe, womit Anna ihren Gesang schloß, drückt aus, wer noch am Abend jenes unglücklichen Tages, als Cäsar und sein Glück von der Uebermacht zerschmettert wurden, als meine braven Kameraden auf Mont St. Jean den letzten Atem aushauchten -- der _Größere war_.« »Der Größere! Und dies können Sie noch fragen, General?« entgegnete heftig der junge Mann aus der Mark. »Als die Strahlen der Abendröte über jenes denkwürdige Feld streiften, beleuchtend die Schande Frankreichs und sein verwirrtes Heer, als blutend, aber unbesiegt, das englische Heer jene Hügel deckte und Deutschlands Völker stolzen Schrittes in die Ebene herabstiegen, um den Kampf siegend zu entscheiden -- denken Sie sich, ich bitte, jenen erhabenen Moment, und sagen Sie mir, wer da der Größere war?« »Der Gott des Zufalls,« erwiderte der General. »Mächtiger war er wenigstens als jener alte Held, der auch noch an seinem letzten Schlachttage zeigte, welche mächtige Kluft zwischen dem Genie und roher, wohlgenährter, tierischer Kraft befestigt sei. Er ist gefallen, nicht weil ihm England oder Deutschland gewachsen waren, sondern weil er früher oder später fallen mußte, weil er einen Vertilgungskrieg gegen sich selbst führte, der seine Kräfte aufrieb; oder können Sie mir beweisen, daß an jenem Tage von Waterloo das Genie des englischen Feldherrn oder gar Ihres Blücher ihn besiegte?« »Seien wir gerecht,« nahm der junge Willi das Wort; »geben wir zu, daß ihm keiner seiner militärischen Gegner gewachsen war, so beweist dies noch immer nicht für jene innere Größe, für jene moralische Erhabenheit, welche die Mitwelt mit sich fortreißt, ihr Jahrhundert bildet und Segen noch auf die späte Nachwelt bringt. Napoleon war ein großer Soldat, -- aber kein großer Mensch.« »Sohn!« erwiderte der General, »wie kannst du in irgend einem Fach des Wissens groß, größer als sonst ein Mann des Jahrhunderts werden, _ohne ein großer Mensch_ zu sein? Die Maschine ist es nicht, nicht dieser Körper ist es, was sie groß macht, es ist der Geist. Jene veralteten Formen Europas, von klugen Männern vor tausend Jahren ausgedacht, stürzten zusammen, weil es Formen waren, die der Geist verlassen hatte; sie brachen ein vor den Blitzen seines Genies, sie hatten das Schicksal jener Leichname, die in Grüften eingeschlossen, in ihren fürstlichen Leichenprunk gehüllt, Jahrhunderte überdauern, weil sie die Kerkerluft ihres Grabes nicht vermodern läßt. Berühre sie mit _lebendiger_ Hand, hauche sie an mit _freiem_ Odem, und -- sie zerfallen in Asche!« »Dies beweist nicht gegen mich,« sagte Willi. »Und wo ist denn das große und feste Reich, das der große Mann gründete?« unterbrach ihn Thierberg; »Sie vergleichen unsere schönen, alten Institutionen, Gott möge es Ihnen verzeihen, mit einem Leichnam, aber was war denn jener korsische Kaiserthron, was sein Staatsgebäude als ein Kartenhaus?« »Ich habe nie gesagt, daß Napoleon der Mann war, einen großen Staat zu gründen,« antwortete der alte Willi; »Frankreich war unter ihm ein Lager, dessen erste Posten die Rheinbundstaaten bildeten. Er hätte vielleicht ein Ende genommen, das seiner oder Frankreichs unwürdig gewesen wäre, wenn er einige Jahre in beständiger Ruhe und in Frieden regiert hätte.« »So war also das Ende, welches er nahm, seiner würdig?« fragte Rantow lächelnd. »Nicht der Platz, auf welchem wir stehen,« versetzte der General nicht ohne Wehmut, »nicht der Raum, sei er groß oder klein, gibt uns Würde oder Schmach. Wir sind es, die uns und unsern Posten adeln oder schänden. Die Welt hat gelacht und gehöhnt, als man den größten Geist des Jahrhunderts auf eine öde Insel verbannte. Dort, an der höchsten Felsenspitze, haben sie den alten Adler angeschlossen, wo er nur in die Sonne, auf den weiten Ozean und in einige treue Herzen sah. Aber man hat nicht bedacht, wie vielen Stoff zum Lachen man der Nachwelt gebe; es war nicht _Strafe_, was ihn dorthin verbannte; wer in Europa konnte _ihn strafen_? Es war -- _Furcht_. So mußte es kommen, daß man in ihm noch immer den _Gefürchteten_ sah; und manche Herzen, die sich von ihm abgewendet hatten, fingen an, ihn wieder zu lieben; pflegt doch das Unglück die Menschen zu versöhnen, und -- es war ja nichts an seine Stelle getreten, was ihn hätte vergessen machen können.« »Glauben Sie etwa, Herr Nachbar,« sagte Thierberg, »es hätte wieder ein solcher Attila auftreten müssen, nur um die Zeitungsschreiber zu unterhalten? Vergessen wird man wohl jenen Namen noch lange nicht, aber -- man wird ihn verdammen.« »Mancher hat ein persönliches Recht dazu, und ich kann ihn darum nur beklagen, nicht entschuldigen, daß sein Gang über die Erde nicht die gebahnte Straße ging. Aber man wird auch mit andern Gefühlen sich seiner erinnern. Die Großen der Erde scheinen zwar nicht viel von ihm gelernt zu haben, desto mehr vielleicht die Kleinen. Er hat sich seine Bahn so erhaben aufgerissen als Alexander, er hat sie verfolgt wie Cäsar, man hat ihm gedankt wie dem Hannibal, auf jenem Felsen hat er gelebt wie Seneca, und seine letzten Tage waren eines Sokrates würdig.« »In diesem Punkt werden wir nimmer einig,« erwiderte der alte Thierberg; »was mich betrifft, so kömmt er mir vor, als habe er seine Laufbahn eröffnet wie ein Aventurier, habe sie verfolgt wie ein Räuber, habe mit seinem Raub verfahren wie ein verzweifelter Spieler, und habe geendet wie ein -- _Komödiant_!« »Wir sind noch nicht seine Nachwelt,« bemerkte Robert Willi. »Erst wenn alle Parteien, die persönliches Interesse aussprachen, von der Erde verschwunden sind, dann erst wird man mit klaren Augen richten. Mein Held ist er nicht, aber in seinen italienischen Feldzügen erscheint er wie ein Wesen höherer Art, und dies wenigstens werden auch Sie zugeben, Herr von Thierberg.« »Es ist möglich,« versetzte der Alte, »er hat damals mein Staunen, meine Bewunderung erregt; aber wie schnell wurde ich von meiner Vorliebe geheilt! Wenn er damals den Bourbons den Thron zurückgegeben hätte -- die Macht hatte er dazu --, so wäre er mir wie ein Engel erschienen.« »Dies war wegen seiner Armee, die anders dachte, unmöglich,« antwortete der General. »Sie erinnern sich,« fuhr der Alte fort, »daß ich Ihnen öfter von einem französischen Kapitän erzählte, der mich in der Schweiz aus großer Verlegenheit rettete; -- der einzige Franzose, den ich achte, und für den ich noch jetzt alles tun könnte. Mit diesem sprach ich damals auch über _diesen_ Punkt. Ich sagte ihm, daß Frankreich ohne Rettung verloren gehe, wenn es in der ewigen, sich immer von neuem gebärenden Revolution fortfahre. Nur ein König an der Spitze könnte es retten. -- Er gab es zu; er sagte mir, daß die Bourbons eine große Partei in Paris hätten, und daß mein Gedanke vielleicht erfüllt würde. Ich fragte ihn, wie der Konsul Bonaparte, der damals an der Spitze stand, darüber dächte. ›Er äußert sich nicht,‹ erwiderte mir der Kapitän, ›aber wenn ich ihn recht verstehe,‹ setzte er lächelnd hinzu, ›so wird Frankreich bald nur _einen_ Meister haben.‹ Ich deutete dies Wort meines neuen Freundes damals auf die Zurückkunft der Bourbons, leider ist es an Bonaparte selbst in Erfüllung gegangen.« Der junge Willi war schon zu Anfang dieser Rede aufgestanden; er hatte Annas Vater die Geschichte von seinem Kapitän schon einige Dutzendmal erzählen gehört, und sein Blut wallte in diesem Augenblick noch zu unruhig, als daß er sie von neuem anhören mochte; er ging mit zögernden Schritten im Saal auf und nieder; als aber der alte Thierberg im Gespräch mit dem General auf die jetzigen Verhältnisse Frankreichs einging, ein Punkt, über den sie niemals in Streit gerieten, gesellte sich auch Rantow zu dem jungen Willi. Er ließ sich von ihm die Geschichte der letzten Wochen noch einmal wiederholen, führte ihn unbemerkt in das nächste Zimmer und dann auf die breite Hausflur. Dort hielt er plötzlich inne und flüsterte dem erstaunten jungen Mann ins Ohr: »Sie dürfen vor mir kein Geheimnis mehr haben; Anna hat mir alles entdeckt, und auf meinen Beistand können Sie sich verlassen.« Noch einen Augenblick zweifelte Robert, weil ihm diese Nachricht zu neu und unerwartet kam; als aber Rantow ins einzelne einging und ihm erzählte, was in jener Schreckensnacht vorgefallen sei, als er ihm entdeckte, wie ungünstig gegenwärtig die Verhältnisse seien, da stand jener nicht länger an, die Hilfe, die ihm geboten wurde, anzunehmen; er bat Albert, ihm, wenn es möglich wäre, Gelegenheit zu verschaffen, mit Anna zu sprechen. Der Gast aus der Mark dachte einige Augenblicke nach, ob er dies möglich machen könnte. Anna hatte ihn zwar selbst nie auf ihr Boudoir im Turm eingeladen, aber er hoffte, in solcher Begleitung nicht unwillkommen zu sein; das einzige, was ihn hätte abhalten können, war die Furcht vor dem Zorn seines Oheims, im Fall diese Zusammenkunft entdeckt wurde; aber die Lust, wo er nicht selbst die Rolle übernehmen konnte, wenigstens die Intrige zu unterstützen, siegte über jede Bedenklichkeit; er winkte dem jungen Willi, ihm zu folgen. Der Gang nach Annas Turm war ihm bekannt. Nach der Lage ihrer Fenster mußte ihr Gemach noch zwei Stockwerke höher liegen als der Saal. Sie stiegen eine enge, steile Treppe von Holz hinan, die unter jedem Tritte, so behutsam sie auch stiegen, ächzte. Zum nicht geringen Schrecken begegnete ihnen auf dem ersten Stock der alte Hans, der sie verwundert ansah. Albert winkte seinem Gefährten, nur immer voranzugehen, er selbst nahm, ohne in seiner Bestürzung zu bedenken, ob es klug sein möchte, den alten Diener auf die Seite. »Hans!« sagte er, »wenn du deinem Herrn ein Wort --« -- »O,« erwiderte jener schlau lächelnd, »da hat es gute Wege, so wenig als in jener Nacht, da Sie mich beinahe in den Neckar warfen, ich bin so still wie ein toter Hund.« Beruhigt folgte Rantow dem Liebhaber; sie hatten bald das Ende der Treppe erreicht und standen nun auf einer Art von Vorsaal; die Reinlichkeit und Zierlichkeit, die hier herrschte, ließ ahnen, daß man sich nicht mehr weit von Annas Gemach befinde. Zwei Türen gingen auf diesen Vorplatz; sie wählten auf gutes Glück die nächste, pochten an -- keine Antwort. Sie pochten wieder; jetzt tat sich die zweite Tür auf, und Anna erschien auf der Schwelle. Sie errötete, als sie die beiden jungen Männer sah, doch, als habe dieser Besuch nichts Auffallendes an sich, lud sie dieselben durch einen freundlichen Wink ein, näher zu treten. »Ihr kommt wohl, um die schöne Aussicht von meinem Turm zu betrachten?« sagte sie; »jetzt erst fällt mir bei, daß du nie hier warst, Albert, aber so ganz bin ich schon an diesen herrlichen Anblick gewöhnt, daß es mir nicht einmal einfiel, dich hierher einzuladen.« 12. Das Gemach war klein, die Geräte gehörten einer früheren Zeit an, aber dennoch war alles so freundlich und geschmackvoll geordnet, daß Rantow, nachdem er die Aussicht geprüft, die nächsten Umgebungen gemustert und alles recht genau angesehen hatte, dieses Zimmer für das schönste im Schloß erklärte. Nur eine breite Kiste, von schlechtem Holz zusammengezimmert, die auf einer Kommode stand, schien ihm nicht mit den übrigen Gerätschaften zu harmonieren. So ungerne er die beiden Liebenden, die, anscheinend in die Aussicht auf das Tal hinab vertieft, eifrig zusammen flüsterten, stören mochte, so war doch seine Neugierde, zu wissen, was der geheimnisvolle Schrank verberge, zu groß, als daß er nicht seine Base darüber befragt hätte. »Bald hätte ich das Beste vergessen!« rief sie aus; »das Bild für Ihren Vater ist heute angekommen, Robert; ich habe es hierhergestellt, weil mein Vater nie hierher kommt, und weil ich es doch auch betrachten wollte.« Sie rückte unter diesen Worten den Deckel des Schranks, Willi half ihn herabnehmen, und das Bild eines Reiters, der auf einem wilden Pferd eine Anhöhe hinansprengt, wurde sichtbar. »Bonaparte!« rief Rantow, als ihm die kühnen, geistvollen Züge aus der Leinwand entgegensprangen. »Erkennst du ihn?« fragte Anna lächelnd. »Das war der Sieger von Italien!« »Ich hätte nicht geglaubt, daß die Kopie so gut gelingen könnte,« bemerkte Willi; »aber wahrlich, David war ein großer Maler. Wie edel ist diese Gestalt gehalten, wie glücklich der Einfall, diesen hochstrebenden Mann nicht in der gebietenden Stellung eines Obergenerals, sondern in einer Kraftäußerung aufzufassen, die einen mächtigen Willen und doch eine so erhabene Ruhe in sich schließt.« »Ich kenne das Original,« sagte Rantow, »es ist in der Galerie zu Berlin aufgestellt, und ich finde diese Kopie trefflich; für Liebhaber des Gegenstandes, worunter ich nicht gehöre, gewinnt dieses Gemälde um so höheres Interesse, als die Idee dazu von Napoleon selbst ausging. Man sagt, David habe ihn malen wollen als Helden, den Degen in der Hand, auf dem Schlachtfelde; Bonaparte aber erwiderte die merkwürdigen Worte: ›Nein! Mit dem Degen gewinnt man keine Schlachten; ich will _ruhig_ gemalt sein -- auf einem wilden Pferde.‹« »Dank dir für diese Anekdote,« erwiderte Anna, »sie macht mir das Bild um so lieber, und nicht wahr, Robert,« setzte sie hinzu, »auch dein Vater soll durch seine Originalität nur noch mehr erfreut werden.« »Anna!« unterbrach die Beschauenden eine dumpfe, wohlbekannte Stimme. Sie sahen sich um, der alte Thierberg, auf seinen Diener gestützt, stand mit hochrotem, zürnendem Gesicht und zitternd vor ihnen; der General, welcher seitwärts stand, schien verlegen und ängstlich. Aber so schnell war dieser Schreck, so groß die Furcht Annas vor ihrem Vater und so furchtbar sein Anblick, daß sie zu schwanken anfing, und hätte der General sie nicht unterstützt, sie wäre in die Knie gesunken. »Sind das die gerühmten Sitten Ihres Herrn Sohnes?« wandte sich der Alte bitter lachend zu dem General, indem er bald den Sohn, bald den Vater ansah; »heißt das, wie Sie mir vorzumalen suchten, sich in den zartesten Grenzen des Anstandes halten? Herr! Wie kommen Sie dazu, mit meiner Tochter _allein_ auf ihrem Zimmer zu sein?« »Onkel --« rief Rantow, um ihn zu belehren. »Schweig, Bursche!« antwortete ihm der zürnende Alte, indem er immer den jungen Willi mit glühenden Blicken ansah. »Ich denke,« erwiderte dieser ruhig und mit stolzer Fassung, »die Erziehung Ihrer Tochter und Annas Sitten müßten Ihnen Bürge sein, daß ein Mann, selbst wenn er allein käme, sie besuchen dürfte, vorausgesetzt, sie will ihn empfangen, und über den letztern Punkt steht nach allen Gesetzen der guten Sitte der jungen Dame selbst, nicht aber Ihnen, Herr von Thierberg, die Entscheidung zu.« Diese Worte schienen seinen Eifer noch mehr zu entflammen, er atmete tief auf; aber in diesem Augenblick trat sein Neffe mutig dazwischen und redete ihn auf eine Weise an, die, wie ihn sein kurzer Aufenthalt bei den Thierbergs gelehrt hatte, die Wirkung nicht verfehlen konnte. »Herr von Thierberg,« rief er bestimmt und mit ernster Miene, »Sie haben mir vorhin zu schweigen geboten, ich werde aber nicht schweigen, wenn man meiner Ehre zu nahe tritt. Ich bin es gewesen, der Herrn von Willi hierher führte, ich bin es gewesen, der ihn hier unterhielt, und er hat mich hierher begleitet, weil ich ihn darum gebeten habe.« »Du warst zugegen?« fragte der Oheim mit etwas gemilderter Stimme. »Aber was Teufel geht dich das Zimmer meiner Tochter an? Was hattest du hier zu suchen?« Mit einer theatralischen Wendung und sprechender Miene wandte sich der Neffe gegen die Hinterwand des Zimmers, deutete mit dem ausgestreckten Arm hin und sprach: »Hier steht, was ich suchte.« Der Alte trat mit schnelleren Schritten, als seine Krankheit erlaubte, näher. Er betrachtete das Bild und blieb mit einem Ausruf des Erstaunens stehen; seine trotzige Miene klärte sich auf, seine Stirn entfaltete sich, sein blitzendes Auge schimmerte nur noch von Rührung und Freude. »Gott im Himmel,« rief er aus, indem er das Mützchen abnahm, das er beständig trug. »Wer hat mir das getan, woher, woher habt ihr ihn? Wer hat ihn meinen Gedanken nachgebildet, wer hat mir diese Züge, diese Augen hier, hier aus meinem Herzen herausgestohlen?« Die Männer sahen sich staunend an, betreten richtete sich Anna auf und trat näher, denn sie besorgte, ihr alter Vater rede irre. »Wer hat dies Bild hierher gestellt?« fragte er nach einer Pause, indem er sich umwandte, und alle sahen Tränen in seinen Augen glänzen. »Ich, mein Vater,« sagte Anna zögernd. »O du gutes Kind,« fuhr er fort, indem er sie in seine Arme schloß, »wie unrecht habe ich dir vorhin getan! Als ich in dieses Zimmer trat, glaubte ich, du habest mich tief gekränkt, und doch hast du mich so unendlich erfreut! -- Kennst du ihn, Hans?« wandte er sich an seinen Diener. »Kennst du ihn nicht wieder?« »Gott straf' mich, er ist's!« erwiderte der alte Reitknecht. »Solche schreckliche Augen machte er gegen die fünf Buschklepper, die uns auszogen, o das war ein braver Herr!« Die, welche den Herrn und seinen Diener so sprechen hörten, konnten sich von ihrem Staunen kaum erholen, sie sahen sich lächelnd an, als ahnten sie eine sonderbare Fügung des Geschicks, als sei ein schweres Gewitter segnend über ihnen hinweggezogen. Der General aber, der bald Anna, bald das Bild mit blitzenden Augen betrachtet hatte, trat näher heran und fragte den alten Thierberg, wen er denn in diesem Bilde wiedererkenne? »Das ist derselbe treffliche Kapitän,« antwortete er, »der mich am Fuß des St. Bernhard aus der Gewalt ruchloser Soldaten errettete; wie? Er ist derselbe, von welchem ich Ihnen so oft erzählte; das Muster eines braven Mannes, eines gebildeten und klugen Soldaten.« »Nun, so bitte ich Sie,« fuhr der General mit inniger Rührung fort, indem auch ihm eine Träne im Auge schwamm, »ich bitte Sie im Namen dieses Mannes, den ich auch kannte, Sie mögen ihm vergeben, wenn er nachher anders handelte, als Sie damals dachten!« »Wie? Sie haben ihn gekannt?« rief der Alte dringend, indem er die Hand des Generals faßte, »wer war er, wie heißt er, lebt er noch?« »Er ist tot -- seinen Namen kannte die Welt -- dieser Mann hier ist --« »Nun?« drängte der Alte den General, dem die Stimme zu brechen schien. »Wer? Doch nicht --« »Dieser Mann,« rief der General mit einem feurigen Blick auf das Gemälde, »dieser Mann war -- _Napoleon Bonaparte_, der Kaiser der Franzosen.« Der Alte setzte seine Mütze auf; er drückte die Augen zu, und in seinem Gesicht kämpfte Unmut mit Rührung. Doch als er nach einer Weile das Bild wieder ansah, schien er es nicht über sich zu vermögen, dem stolzen Reiter gram zu werden; »du also?« sprach er zu ihm, »du warst dieser -- kühne Mann? Das war also deine Meinung? Du hast mir mein Kleid, meinen Hut und meine Börse zurückgegeben, um mir nachher mein alles zu rauben?« »Vater,« sagte Anna schmeichelnd, »wie glücklich waren Sie aber dennoch! Der erste Mann des Jahrhunderts hat so traulich zu Ihnen gesprochen.« »Ja, das haben wir,« erwiderte der Alte lächelnd und nicht ohne Stolz, »recht freundlich haben wir uns unterhalten, ich und er, und er schien Gefallen an mir zu finden. Ich habe nicht gehört, daß der erste Konsul sich je gegen einen so offen ausgesprochen hätte, wie damals gegen mich. ›Frankreich wird nicht mehr lange ohne König sein‹, waren seine eigenen Worte; du hast es erfüllt, kleiner Schelm! -- Ha! Und gerade so sah er aus, so warf er noch einmal den stolzen Kopf herüber, als er sein Roß den Berg hinantrieb und die Feldmusik des Regiments herüberklang. General Willi -- es war doch ein großer Geist!« »Gewiß!« sagte der General freudig gerührt, indem er dem Alten die Hand drückte. »Aber, wie kam nur dies Bild hierher zu Ihnen, Anna?« »Darf ich es verschweigen, Robert?« antwortete sie; »nein, er hat es ja doch schon gesehen. Ihr Sohn wollte Sie an Ihrem Geburtstag damit überraschen, und ich erlaubte, daß das Bild einstweilen hier aufgestellt würde.« Der alte Thierberg hatte aufmerksam zugehört; er schien überrascht und ging auf den jungen Willi zu, dem er seine Hand bot. »Junger Mann,« sagte er, »ich habe Ihnen vorhin bitter unrecht getan, ich sehe jetzt, daß Sie ein schönerer Zweck auf dieses Zimmer führte, als ich anfangs dachte; werden Sie mir meine übereilten Worte, meine Hitze vergeben?« Robert errötete. »Gewiß, Herr von Thierberg,« antwortete er, »und wenn Sie noch zehnmal heftiger gewesen wären, so konnten Sie mich zwar kränken, aber niemals beleidigen; es ist hier nichts zu vergeben.« »Wirklich?« erwiderte der alte Herr sehr freundlich, »und wenn ich fragen darf -- wo haben Sie das Bild gekauft? Könnte man nicht sich auch ein Exemplar verschaffen? Ich möchte doch den ~grand capitaine~, _meinen_ Kapitän, in meinem Zimmer haben.« »Wie ich meinen Vater kenne,« sagte der junge Mann, »so wird er dieses Bild vielleicht noch lieber in Ihrem Hause als in dem seinigen sehen. Ich bitte, erlauben Sie, daß ich es dort aufhänge.« »Sie machen mir ein großes Geschenk, lieber Robert,« sagte Thierberg; »wohin ist es mit unseren Gesinnungen gekommen? Ich glaube, wir denken im Grunde gleich über diesen Bonaparte, und doch sind _Sie_ es, der mir ihn anbietet, und mir macht es Freude, ihn anzunehmen. Ich habe wenige Bilder, aber einige alte, gute; suchen Sie sich etwas aus, nehmen Sie dafür aus meinem Schloß, was Sie wollen.« »Halt!« rief der General, »bei diesem Handel bin ich auch beteiligt; ich kenne den unglücklichen Geschmack meines Sohnes und weiß, wie wenig er auf _alte_ Bilder hält; wollen Sie ihm nicht ein _jüngeres_ dafür geben? Thierberg, vor diesem Bilde, das nun auch für Sie von Bedeutung ist, wiederhole ich meine Werbung: Ihre Anna um diesen Napoleon.« Der alte Herr war betreten, er warf verlegene Blicke auf die Umstehenden; endlich haftete sein Auge auf Davids Gemälde. »Du hast viel verschuldet,« sprach er, »Europas alte Ordnung hast du umgeworfen, und nun nach deinem Tode willst du dich in meine Haushaltung mischen?« »Herr Baron!« sagte der alte Hans mit gerührter Stimme, »nehmen Sie es einem alten Diener nicht ungnädig auf, aber wissen Sie noch, was Sie zu dem braven Kapitän sagten, und was Sie mir oft erzählt haben? Monsieur, haben Sie gesagt, wenn Sie einst durch Schwaben kommen und in unsere Gegend, so vergessen Sie nicht, auf Thierberg einzusprechen, daß Sie mich nicht zu Ihrem ewigen Schuldner machen.« Herr von Thierberg aber strich sich nachdenklich mit der Hand über die Stirne, warf noch einen zögernden Blick auf das Bild und führte dann Anna zu Robert Willi. »Nimm sie hin!« sagte er fest und ernst. »Ich habe es nicht tun wollen, aber vielleicht war es gut, daß _dies_ alles so kommen mußte; nimm sie hin!« Mit großer Rührung umarmte der General den alten Mann, und indem Robert überrascht und selig seine Braut, wir wissen nicht ob zum erstenmal, an seine Lippen drückte, schüttelte der Gast aus der Mark, um nicht ganz teilnahmlos zu erscheinen, dem alten Diener herzlich die Hand. Albert hat nachher erzählt, daß er in jenem feierlichen Augenblick, trotz seines inneren Widerstrebens, gut napoleonisch gesinnt gewesen sei und zum erstenmal in seinem Leben jene Macht und Ueberlegenheit gefühlt und anerkannt habe, die jener große Geist auf die Gemüter zu üben pflegte. Er erzählte auch, daß der alte Thierberg jenen sonderbaren Tausch niemals bereut habe; er fand in seinem Schwiegersohne Eigenschaften, die er ihm nie zugetraut hatte, und als er ihn bei der Verwaltung der Güter seines Vaters mit Rat und Tat unterstützte, lebte er im Glücke seiner Kinder die Tage seiner eigenen Jugend wieder. Von der Hochzeit des jungen Paares sprach der Gast aus der Mark nicht gerne, man sah ihm an, daß er lieber selbst mit der liebenswürdigen Anna vor den Altar getreten wäre. Einen Zug aber aus diesem glänzenden Tag pflegte er bei Wiederholung dieser Geschichte nie zu vergessen, vielleicht nur, um jene schwärmerischen Anhänger Napoleons und seinen neubekehrten Oheim ins Komische zu ziehen. Der alte Gardist des Generals, erzählte er, habe alle Domestiken und einige junge Burschen zum Vivatschreien abgerichtet und die schöne Braut mit ins Geheimnis gezogen; er habe seine Leute unter die Türen des großen Saales im Schlosse Thierberg gestellt, und als nun mancher Toast ausgebracht war, sei auch Anna mit dem Kelchglas aufgestanden und habe mit ihrer süßen Stimme »dem Bild des Kaisers« die Ehre eines Toasts gegeben. Da wurde der Jubel rauschend, die Gäste stießen an, Hans und der Gardist schwangen zum Zeichen ihre Mützen, und wohl aus fünfzig Kehlen schallte ein jauchzendes: »~Vive l'empereur!~« Die letzten Ritter von Marienburg. 1. »Guten Morgen, Neffe der Musen!« rief mit munterem Ton der junge Rempen einem Bekannten zu, dem er am Markt begegnete; »Ihre Augen leuchten, Ihre Mienen drücken eine gewisse Behaglichkeit aus, und ich wollte wetten, Sie haben heute schon gedichtet.« »Wie man will, bester Stallmeister,« entgegnete jener, »in Reimen zwar nicht, aber an meinem neuen Roman habe ich ein paar Kapitel geschrieben.« »Wie, an einem neuen Roman? Das ist göttlich, auf Ehre! Aber, bitte Sie, warum so geheim mit solchen Dingen, so verschlossen gegen die nächsten Bekannten und Freunde? Sonst ließen Sie doch hin und wieder ein Wörtchen fallen über Anordnung und Charaktere, lasen mir und anderen einige Strophen; wie kommt es denn, daß _dies_ alles nun vorüber ist?« »War es euch denn wirklich interessant?« fragte der Dichter nicht ohne wohlgefälliges Lächeln; »ich muß gestehen, mir selbst kommt, wenn ich etwas niedergeschrieben habe, alles so leer, so gemein, so langweilig vor, daß ich mich ennuyierte, wenn ich es nur in den Revisionsbogen wieder durchlas; da dachte ich denn, es könnte euch auch so gehen.« -- »Uns? Gewiß, es machte uns immer Vergnügen!« »Gut, lassen Sie uns dort bei dem Italiener eintreten und etwas trinken, dabei will ich Ihnen den Plan meines neuen --« »Wie!« rief der Freund des Dichters lachend. »So frühe schon am Tage in die Restauration? Sind wir denn Leute aus einer neumodischen Novelle, daß wir gleich anfangs, des Tages nämlich, in einem Wirtshaus sitzen müssen, als ob es außer der Kirche und der Weinstube kein öffentliches Leben mehr geben könnte?« »Wie kommen Sie nur auf diese Vergleichung!« entgegnete jener. »Wie oft waren wir morgens bei Primavesi!« »Es ging mir nur so durch den Kopf,« sprach der Stallmeister; »gestehen Sie selbst, seit Tieck mit Marlow und Green im Wirtshaus zusammenkam, glauben sie alle, es könne keinen schicklicheren Ort geben, um eine Novelle anzufangen; erinnern Sie sich nur an die Almanache des letzten Jahres; doch Sie selbst sind ja solch ein Stück von einem Poeten, und wenn Sie durchaus heute mit dem Italiener anfangen wollen, so mögen Sie Ihren Willen haben.« »Sie werden erwartet, Herr Doktor Zundler,« sagte der Italiener, als die beiden Männer in den Keller traten, »der Buchhändler Kaper sitzt schon seit einer Viertelstunde im Eckstübchen und fragt oft nach Ihnen.« Der Stallmeister machte Miene, sich entfernen zu wollen; Doktor Zundler aber faßte heftig seine Hand. »Bleiben Sie immer,« rief er, »kommen Sie mit zu dem Buchhändler; er wird wohl von meinem neuen Roman gehört haben und mir Verlag anbieten; da können Sie einmal sehen, wie unsereiner Geschäfte macht; habe ich ja selbst schon oft Ihren Pferdeeinkäufen beigewohnt.« Der Stallmeister folgte; in einer Ecke sah er einen kleinen, bleichen Mann, der hastig an einem Rippchen zehrte, und so oft er einen Biß getan, Lippen und Finger ableckte; er erinnerte sich, diese Figur hie und da durch die Straßen schleichen gesehen zu haben, und hatte den Mann immer für einen Krämer gehalten; jetzt wurde ihm dieser als Buchhändler Kaper vorgestellt. Zur Verwunderung des Stallmeisters sprach er nicht zuerst den Dichter, sondern ihn selbst an: »Herr Stallmeister,« sprach er, »schon lange habe ich mich gesehnt, Ihre werte Bekanntschaft zu machen. Wenn Sie oft an meinem Gewölbe vorbeiritten, ritten, ich darf sagen, wie ein Gott, da sagte ich immer zu meinem Buchhalter, und auf Ehre, es ist wahr, Winkelmann, sagte ich (Sie kennen ihn ja, Herr Doktor), Winkelmann, es fehlt uns schon lange an einem tüchtigen Pferde- und Bereiterbuch. Der Pferdealmanach erscheint schon lange nicht mehr, und was letzthin der Herr Baptist bei den Kunstreitern geschrieben, ist auch mehr für Dilettanten, obgleich die Vignette schön ist, Sie haben ja den Menschen persönlich gesehen, Herr Doktor; nun, sagte ich, ein solches Buch zu schreiben, wäre der Herr Stallmeister von Rempen ganz der Mann. Etwa fürs erste achtzehn bis zwanzig Bogen, statt der Kupfer nehmen wir Lithographien --« »Bemühen Sie sich nicht,« erwiderte der junge Rempen, mit Mühe das Lachen unterdrückend. »Ich bin zum Büchermachen verdorben; es geht mir nicht von der Hand, und überdies, Herr Kaper, bei unserem Metier, gerade bei unserem, muß der jüngere sich bescheiden. Da kommt es auf Erfahrung an.« »Und ich dächte, Sie hätten Verlag genug,« sagte der Doktor, wie es schien, etwas ärgerlich, von dem Buchhändler nicht gleich beachtet worden zu sein. »O ja, Herr Doktor, Verlag genug, was man so verlegene Bücher nennt; ich könnte Deutschland in allen Monaten, die ein R haben, mit Krebsen versehen, Sie wissen ja selbst.« »Ich will nicht hoffen,« rief der Dichter hoch errötend, »daß Sie damit etwa mein griechisches Epos meinen --« »Mit nichten, gewiß nicht, wir haben doch hundert etwa abgesetzt und die Kosten so ziemlich gedeckt, und der Herr Doktor werden mir nicht übelnehmen, wenn ich sage, es war eine frühe Arbeit, eine Jugendarbeit; hat doch auch Schiller nicht gleich mit dem ›Tell‹ angefangen, sondern zuerst ›Die Räuber‹ geschrieben, und überdies noch die erste Ausgabe bei Schwan und Götz, wo Franz Moor noch in den Turm kommt, die gar nicht so gut ist als die zweite; aber seit man Ihre vortreffliche Novelle in der Amathusia für 1827, seit man Ihre Rezensionen und Kritiken und die Sonette vor vier Wochen gelesen hat, läßt sich Großes erwarten.« Der Dichter schien beruhigt. »Ich habe Sie immer für einen Mann von gesundem Urteil gehalten, Herr Kaper,« sprach er mit gütigem Lächeln; »haben Sie vielleicht schon von meinem neuen Roman gehört?« »Ich habe, ich habe,« erwiderte der Buchhändler mit schlauer Miene; »und wo, raten Sie, wo ich davon gehört habe? Sie erraten nicht? Warum kommen denn der Herr Doktor so gerne in mein Gewölbe? Etwa wegen meiner Leihbibliothek, auf welche Sie immer zu schimpfen belieben, oder wegen des Vis-à-vis?« »Wie!« rief der junge Mann und drückte die Hand des Buchhändlers, »hätte etwa Elise --« »Elise Wicklow, meinen Sie?« fragte der Stallmeister, etwas näher rückend. »Ja, meine Herren! Fräulein Wicklow,« fuhr Herr Kaper, vertraulich flüsternd, fort, »doch nicht zu laut, wenn ich bitten darf; denn soeben hat sich der Oberjustizreferendar Palvi dorthin gepflanzt in seine tägliche Ecke --« »Welcher ist es?« fragte der Stallmeister, sich umkehrend; »ich hörte mancherlei von diesem Menschen, sonderbares Gerede von den einen und hohes Lob von anderen; der junge Mann, der so düster in sein Glas sieht, ist Palvi?« »Es ist nicht viel an ihm,« bemerkte der Dichter. »Auf der Universität -- ich war noch ein Jahr mit ihm in Göttingen -- war er so eine Art von Poetaster; einmal las ich ein paar gute Gedanken von ihm, die er zu einem Fest gemacht hatte; hier treibt er ein elendes, wüstes Leben und kommt selten in gute Gesellschaft.« »Aber gerade wegen Fräulein Wicklow dürfen wir vor ihm nicht zu laut werden,« flüsterte der Buchhändler. »Ich weiß, er kam, als er noch auf Schulen war, zuweilen hinüber ins Haus, und wie mir meine Tochter sagte, soll einmal ein Verhältnis zwischen den beiden Leutchen --« »Wie?« rief der Stallmeister gespannt. »Possen!« entgegnete der Dichter, indem er auf seinen eleganten Anzug einen Blick herabwarf, »er sieht aus wie ein Landstreicher; bringen Sie mir Elise auch nicht in Gedanken mit diesem Menschen zusammen. Ich weiß, sie liebt die Poesie; alles Erhabene, Schöne gefällt ihr, und sagen Sie aufrichtig, hat sie von meinem Roman gesprochen?« »Sie hat, und wie! Sie ist ein belesenes Frauenzimmer, das muß man ihr lassen; keine in der ganzen Stadt ist so delikat in der Auswahl ihrer Lektüre. So kommt es, daß sie immer in einer Art von Verbindung mit mir steht, und wenn ich etwas Neues habe, bringe ich es gleich hinüber, denn ich selbst habe es in meinen alten Tagen gerne, wenn ein so schönes Kind ›lieber Herr Kaper‹ zu mir sagt und gütig und freundlich ist. Es war letzten Sonntag, daß ich ihr den Roman, ›Die letzten Ritter von Marienburg‹, brachte, noch unaufgeschnitten, ich hatte ihn selbst noch nicht gelesen. Sie hatte eine kindische Freude und sprach recht freundlich und viel. Und wie wir so plaudern, komme ich auch auf Ihre Novelle, welche sie ungemein lobte und Stil und Erfindung pries. Und so sagte sie denn, ob ich auch schon gehört, daß Sie einen neuen Roman schreiben?« »Ja,« fiel der Dichter feurig ein, »und einen Roman schreibe, Kaper, wie Deutschland, Europa noch keinen besitzt!« »Historisch doch?« fragte der Buchhändler zweifelhaft. »Historisch, rein geschichtlich, aber dies unter uns!« »Historisch! das möchte ich auch raten!« sprach der Verleger, eine große Prise nehmend. »Das ist gegenwärtig die Hauptsache. Wenn man es so bedenkt, es ist doch eine sonderbare Sache um den deutschen Buchhandel. Ich war Commis in Leipzig, als ›Wilhelm Meister‹ zuerst erschien. ›Werther‹ und ›Siegwart‹ waren Mode gewesen, hatten Nachahmung gefunden lange Zeit. Aber mein Prinzipal sagte: ›Er wird sehen, Kaper (damals sprach man noch per Er mit den Subjekten), Er wird sehen, über kurz oder lang geschieht eine Veränderung.‹ So war's auch; wir gaben anfänglich nicht viel um den ›Wilhelm Meister‹, es schien uns ein gar konfuses Buch; aber siehe da, man schrieb allenthalben nach diesem Muster, und mancher hat sich ein schönes Stück Geld damit gemacht. Wieder eine Weile, ich hatte meine eigene Handlung etabliert, lag mir oft das Wort meines alten Prinzipals im Sinn: Alles im Buchhandel ist nur Mode. Wer eine neue angibt, ist Meister. Wie ich mich noch auf etwas Neues besinne und einen Menschen suche, der etwas Tüchtiges schreiben täte -- da haben wir's, kommt Fouqué mit den Helden und Altdeutschen, und alles machte nach. Und jetzt hat der Walter Scott wieder eine neue Mode gemacht; ich möchte mir die Haare ausraufen, daß ich keine Taschenausgabe machte, und nichts bleibt übrig, als etwa deutsche historische Romane, die gehen noch.« »Fürwahr!« bemerkte der Stallmeister lächelnd, »so habe ich bisher ohne Brille gelesen, und der deutsche Parnaß ist in ganz andern Händen, als ich dachte. Nicht um das Interesse der Literatur scheint es sich zu handeln, sondern um das Interesse der Verkäufer?« »Ist alles so ganz genau verknüpft,« antwortete Herr Kaper mit großer Ruhe, »hängt alles so fest zusammen, daß es sich um den Namen nicht handelt! Deutsche Literatur! Was ist sie denn anders, als was man alljährlich zweimal in Leipzig kauft und verkauft? Je weniger Krebse, desto besser das Buch, pflegen wir zu sagen im Buchhandel.« »Aber der Ruhm?« fragte der junge Rempen. »Der Ruhm? Herr, was nützt mich Ruhm ohne Geld? Gebe ich eine Sammlung gelehrter Reisen mit Kupfern heraus, die mich schwer Geld kosteten, so hat zwar meine Firma den Ruhm, das Buch verlegt zu haben. Aber wer kauft's, wer nimmt's, wer liest das Ding? Sechs Bibliotheken und ein paar Büchersammler, das ist alles, und wer geprellt ist, bin ich. Nein, Herr von Rempen! Eine vergriffene Auflage von einem Roman, eine Messe von höchstens dreißig Krebsen, das ist Ruhm, der echte, nämlich Ruhm mit Geld.« »Das ist also ungefähr wie Tee mit Rum, es schmeckt besser,« erwiderte der Stallmeister, »aber ich meinte den schriftstellerischen Ruhm.« »I nun, das ist etwas anderes,« antwortete er, »den haben die Herren neben dem Honorar umsonst. Und den weiß man sich zu machen, sehen Sie --« 2. Doch die Forschungen des Herrn Kaper wurden hier auf eine unangenehme Weise durch einen Lärm unterbrochen, der im Laden des Italieners entstand. Neugierig sah man nach der Türe, welche durch ein Glasfenster einen Ueberblick über den unteren Teil des Gewölbes gewährte. Ein ältlicher und zwei jüngere Herren schienen in heftigem Streit begriffen; jeder sprach, jeder focht mit den Händen; der eine stürzte endlich mit hochgeröteten Wangen aus dem Laden, die beiden andern, noch keuchend vom Wortkampf, traten in das Gewölbe, wo die Freunde saßen. »Herr Rat! Was ist mit Ihnen vorgefallen!« rief Doktor Zundler beim Anblick des älteren Mannes, der, ein gedrucktes Blatt in der Hand zerknitternd, atemlos auf einen Stuhl sank. »Haben Sie denn nicht gelesen, Doktor Zundler?« antwortete für den älteren der jüngere Mann, der unmutig und dröhnenden Schrittes im Zimmer auf und ab ging, »nicht gelesen, wie wir blamiert sind, nicht gelesen, daß man uns alle zusammen hier eine poetische Badegesellschaft, eine Bänkelsängerbande nennt?« »Tod und Teufel!« fuhr der Doktor auf. »Wer wagt es, diese Sprache zu führen? Wer wagt, die ersten Geister der Nation auf diese Art zu benennen? Ich will nicht von mir sagen; was habe ich viel getan, um auf einigen Ruhm Anspruch machen zu können? Aber was für andere Männer finden sich hier! Sind es nicht -- die schönsten Zierden der Nation? So jung Sie sind, Professor, sind denn nicht alle Blätter voll Ihres Lobes wegen Ihrer Trauerspiele, und unser Rat --« »Aber büßen sollen sie es mir, büßen,« rief der letztere, »so wahr ich lebe, und Zundler, Sie müssen mithelfen und alle, die ins Freitagskränzchen kommen. Hab' ich es mir darum sauer werden lassen zwanzig Jahre lang, daß man jetzt über mich herfällt, und wegen nichts, als wegen der Rezensionen über den dummen Roman: ›Die letzten Ritter von Marienburg‹, sonst wegen nichts!« »Die letzten Ritter von Marienburg,« fragte der Buchhändler, der als Mann vom Fach mitsprechen zu müssen glaubte; »mich gehorsamst zu empfehlen, Herr Rat, aber ist es nicht bei Wenz in Leipzig erschienen, 3 Bände Oktav, Preis 4 Taler netto?« »Und ich will nun einmal diese Schule nicht aufkommen lassen,« fuhr der Erboste fort, ohne auf Herrn Kaper zu hören; »woher kommt es, daß man keine Verse mehr lesen will, daß man die Lyrik verachtet, sei sie auch noch so duftig und gefeilt, daß man über die tiefsinnigsten Sonette weggeht wie über Lückenbüßer, woher, als von diesen Neuerungen?« »Aber so zeigen Sie doch, ich bitte,« flüsterte der Doktor, das zerknitterte Papier fassend; »ist es denn wirklich so arg, so niederschlagend?« »Lesen Sie immer,« erwiderte der Rat gefaßter, »lesen Sie meinetwegen laut, es ist doch in jedermanns Händen; die Herren sind ja ohnedies Zeugen meines Schmerzens gewesen, und mögen auch Zeugen sein, wie man Redakteur und Mitarbeiter eines der gelesensten Blätter behandelt!« Der junge Mann entrollte das Blatt. »Wie? In den Blättern für literarische Unterhaltung? Nein, das hätte ich mir nicht träumen lassen; die waren ja sonst immer so nachbarlich, so freundlich mit uns! Ist es die Kritik, die anfängt: ›Ehe wir noch dieses Buch --‹« »Ebendiese, nur zu!« »Die letzten Ritter von Marienburg, historischer Roman von Hüon. 3 Bände. Leipzig. Fr. Wenz.« »Ehe wir noch dieses Buch in die Hände bekamen, lasen wir in den Blättern für belletristisches Vergnügen eine Kritik, welche uns beinahe den Mut benahm, diesen dreibändigen historischen Roman nur zu durchblättern. Man kann zwar gewöhnlich auf das Urteil dieser Blätter nicht viel halten. Es sind so wenige Männer von Gehalt dabei beschäftigt, daß der wissenschaftlich Gebildete von diesen Urteilen sich nie bestimmen lassen kann; doch machte diese Kritik eine Ausnahme. Es ist nämlich eine Seltenheit, daß die Blätter für belletristisches Vergnügen etwas durchaus tadeln; selten ist ihnen etwas schlecht genug; aber diesmal hieben sie so unbarmherzig und greulich ein, daß wir im ersten Augenblick, auf die kritische Ehrlichkeit solcher Leute trauend, glaubten, dieser Roman müsse die tiefste Saite der Schlechtigkeit berührt haben. Doch zu einer guten Stunde entschlossen wir uns, nachzusehen, wie tief man es in der deutschen Literatur dermalen gebracht habe. Wir lasen. Aber welch ein Geist wehte uns aus diesen Blättern an! Welch mächtiges, erhabenes Gebäude stieg vor unsern Blicken auf; ein Gebäude in so hohem, erhabenen Stil wie die Marienburg selbst; wir fühlten uns fortgerissen, versetzt in ihre Hallen; der letzte Großkomtur und seine Ritter traten uns lebend entgegen, und noch einmal ertönte jene alte Feste vom Waffenspiel und den kräftigen Stimmen ihrer tapfern Bewohner. Wir wollen den Dichter nicht tadeln, daß ein Hauch von Melancholie über seinem Gemälde schwebt, der keine laute Freude, kein behagliches Vergnügen gestattet. Wo ein so großartiges Schicksal waltet, wo ein ganzes, großes Geschlecht untergeht, da muß ja wohl auch die zarte Liebe, die nur einen Frühling blühte, mit zu Grabe gehen. In diesem außerordentlichen Buche ist ein Geist unter uns getreten, so originell, so groß, so frei, daß er keine Vergleichung zuläßt. Er nennt sich Hüon, zwar ein angenommener Name, aber gut gewählt; denn der Verfasser scheint uns nicht minder würdig, von Oberon mit Horn und Becher beschenkt zu werden als jener tapfere Paladin Karls des Großen. Mit Vergnügen müssen einen solchen Jünger Meister wie Goethe und Tieck willkommen heißen, und unsere Zeit darf sich glücklich preisen, einen Mann wie diesen geboren zu haben. »Aber mit tiefer Indignation müssen wir hierbei einer Clique von Menschen gedenken, die diese edle Blume schon in ihrem Keim in den Staub drücken wollten. Freilich ist er euch zu groß, zu erhaben, ihr kleinen belletristischen Seelen; möge immer diese poetische Badegesellschaft in ihrem lauen Versewasser auf und nieder tauchen, nur bespritze sie nicht mit ihrem Schlammwasser den Wanderer, der am Ufer geht und sich verachtend abwendet. Ein Glück ist es übrigens, daß man anfängt, in der guten Gesellschaft auf reinere Melodien zu horchen, daß man diese Bänkelsänger dem Straßenpöbel überläßt.« »190.« Für den Stallmeister war es ein interessantes Schauspiel, die Gesichter der Zuhörer zu mustern, während der Dichter mit schnarrendem Tone diese Kritik ablas. Der Buchhändler, der ihm zunächst saß, versteckte schlecht seine Neugierde und eine gewisse Behaglichkeit hinter einer unmutigen Miene. Vielleicht hatte ihm der Hofrat einmal ein Verlagswerk schlecht rezensiert oder der Theaterdichter hatte ihm nichts zum Verlegen gegeben oder irgend einer der »Badegesellschaft« hatte ihn beleidigt. Er dachte wie so viele kleine Seelen im ähnlichen Falle: »Gottlob, es ist dafür gesorgt, daß die Rezensenten sich immer selbst wieder rezensieren.« Der Rat hatte den Mund auf seinen Stockknopf gepreßt, und seine Augen irrten auf dem Boden; der Theaterdichter zwang sich zu einer Art von vornehmer Ruhe, die ihm vorhin völlig gefehlt hatte. Sein »Ohe!« oder »Ei!«, das er hin und wieder mit einem kurzen Lachen herauspreßte, klang unnatürlich. Am merkwürdigsten war dem jungen Rempen ein stiller Zuhörer, der scheinbar ohne Teilnahme in der Ecke saß, der Referendär Palvi. Als der Doktor zu lesen anhub, lauschte er mit niedergeschlagenen Augen, dann ergoß sich plötzlich eine brennende Röte über seine Stirn und Wangen; sie verschwand ebenso schnell als der glänzende Blick seiner großen Augen, den er auf den Lesenden warf, und wer diesen Blick, dieses flüchtige Erröten nicht gesehen, konnte vor- und nachher glauben, er schenke weder diesen Literatoren noch der Ursache ihres Aufbrausens einige Aufmerksamkeit. »Nun was sagen Sie dazu?« fragte der Theaterdichter, nachdem Doktor Zundler geendet hatte. »Sie sind ja auch mit gemeint, denn zahlreiche Stanzen, Sonette, Triolette und Kritiken finden sich von Ihrer Arbeit in den Blättern fürs belletristische Vergnügen.« »Schweigen kann man nicht!« rief der Doktor entrüstet. »Ja, wir stehen alle für _einen_, und alle, die ins Freitagskränzchen kommen, müssen beleidigt sein, müssen sich rächen. Ich habe in Berlin einen Bekannten, in den Gesellschafter laß ich es rücken durch die dritte Hand, oder vielleicht nimmt es Doktor Saphir in die Schnellpost auf, ich kenn' ihn noch von Wien.« »In meinen Theaterkritiken mache ich Ausfälle,« fuhr der Theaterdichter fort; »ah! wenn nur Marienburg nicht preußisch wäre, ich wollte mich rächen, wollte, oh! aber so könnte man alles für Anzüglichkeit nehmen. Und gegen die Blätter für literarische Unterhaltung kann ich nicht schimpfen, ich habe noch drei Trauerspiele dort liegen, die noch nicht rezensiert sind. Aber wo ein Loch offen ist, will ich einen Ausfall machen!« »Ich will untergehen,« sagte der Rat pathetisch, indem er seinen Wein bezahlte und den Hut ergriff, »fallen will ich oder siegreich hervorschreiten aus diesem Kampf. Die ganze Lyrik ist in mir beleidigt, auch alle Romantiker, denn wir haben auch Romanzen gemacht, und diese Hermaphrodriten von Geschichte und Dichtung, diese Novellenprosaiker, diese Scott-Tieckianer, diese -- genug, ich werde sie stürzen; und damit guten Morgen!« Als dieser Rat nach seinem ~dixi~ mit vorgeschobenen Knieen aus dem Zimmer ging, war er zwar nicht anzusehen wie ein Ritter, der zum Turnier schreitet, der Professor aber und der Doktor Zundler folgten ihm in schweigender Majestät; sie schienen als seine Knappen oder Pagen Schild und Lanze dem neuen Orlando furioso nachzutragen. 3. Bei dem Stallmeister hatte diese Szene, nachdem das Komische, was sie enthielt, bald verflogen war, einen störenden, unangenehmen Eindruck hinterlassen. Er hatte sich mit der schönen Literatur von jeher gerade nur so viel befaßt, als ihm nötig schien, um nicht für ungebildet zu gelten; und auch hier war er mehr seiner Neigung als dem herrschenden Geschmacke gefolgt. Er wußte wohl, daß man ihn bemitleiden würde, wollte er öffentlich gestehen, daß er Smollets Peregrine Pickle für den besten Roman und einige sangbare Lieder von Kleist für die angenehmsten Gedichte halte; er behielt dieses Geheimnis für sich, brummte, wenn er morgens ausritt, sein Liedchen, ohne zu wissen, welcher Klasse der Lyrik es angehöre, und las, wenn er sich einmal ein literarisches Fest bereiten wollte, ausgesuchte Szenen im Peregrine Pickle. Ein paar Almanache, ein paar schöngeistige Zeitschriften durchflog er, um, wenn er darüber gefragt würde, nicht erröten zu müssen. So kam es, daß er vor Schriftstellern oder Leuten, »die etwas drucken ließen«, große Ehrfurcht hatte; denn seine Seele war zu ehrlich, um ohne Gründe von Menschen schlecht zu denken, deren Beschäftigung ihm so fremd war als der Hippogryph seinen Ställen. Um so verletzender wirkte auf ihn der Anblick dieser erbosten Literatoren. »Man tadelt es an Schauspielern,« sprach er zu sich, »daß sie außerhalb des Theaters oft roh und ungebildet sich zeigen, daß sie Tadel, auch den gerechten, nicht ertragen wollen und öffentlich darüber schimpfen und schelten. Aber zeigten sich denn _diese_ Leute besser? Ist es nicht an sich schon fatal, seinen Unmut über eine Beschimpfung zu äußern? Muß man das Wirtshaus zum Schauplatz seiner Wut machen und sich so weit vergessen, daß man wie ein Betrunkener sich gebärdet? Und wie schön ließen diese Leute sich in die Karten sehen! Also weil sie beleidigt sind -- vielleicht mit Recht --, wollen sie wieder beleidigen, wollen ihre Privatsache zu einer öffentlichen machen? Das also sind die Leiter der Bildung, das die feinfühlenden Dichter, die, wie Freund Zundler sagt, Instrumente sind, die nie einen Mißton von sich geben?« Nicht ohne Kummer dachte er dabei an ein Wesen, das ihm vor allen teuer war. Der Buchhändler hatte nicht mit Unrecht geäußert, daß Elise Wicklow ein sehr belesenes Frauenzimmer sei. Nach Rempens Ansichten über die Stellung und den Wert der Frauen schien sie ihm beinahe zu gelehrt, in Stunden des Unmuts nannte er es wohl gar überbildet. Er hatte es niemand, kaum sich selbst gestanden, daß sie seine stillen Huldigungen nicht unbemerkt ließ, daß sie ihm manchen gütigen Blick schenkte, aus dem er vieles deuten konnte. Er war zu bescheiden, um zu glauben, daß dieses liebenswürdige Geschöpf ihn lieben könnte, und dennoch verletzte ihn ihr ungleiches, zweifelhaftes Betragen. Es war eine gewisse Koketterie des Geistes, die das liebenswürdige Mädchen in seinen Augen entstellte. Wenn er zuweilen in freundlichem Geplauder mit ihr war, wenn sie so traulich, so natürlich ihm von ihrem Hauswesen, ihren Blumen, ihren Vergnügungen erzählte, wenn er sich ganz selig fühlte, daß sie so lange, so gerne zu ihm spreche, so führte gewiß ein feindlicher Dämon einen jener Literatoren oder Dichter herbei, deren diese gute Stadt zwei Dutzend zählte, und Elise war wie ausgetauscht. Ihre schönen Augen schimmerten dann vor Vergnügen, ihr schlanker Hals bog sich vor, und ohne auf eine Frage des guten Stallmeisters zu achten, ohne seine Antwort abzuwarten, befand man sich mit Blitzesschnelle in einem kritischen oder literarischen Geplänkel, wo Rempen zwar die ungemeine Belesenheit, das schnelle Urteil, den glänzenden Witz seiner Dame bewundern, sie selbst aber bedauern mußte, daß sie dieser Art von Gespräch, diesem gesuchten Vergnügen sichtbarer entgegenkam, als es sich für ein Mädchen von achtzehn Jahren schickte. »Und an dieses Volk, an diesen literarischen Pöbel wirft sie ihre glänzendsten Gedanken, ihre zartesten Empfindungen, wirft sie Blicke und Worte weg, die einen andern als diese gedruckten Seelen überglücklich machen würden. Und fühlen sie es denn? Sind sie dadurch geehrt, entzückt? Nur mit ihnen spricht sie über das, was sie gelesen, als ob sonst niemand lesen könnte, nur ihnen zeigt sie, was sie gefühlt, als ob gerade diese Versmacher und Rezensenten die gefühlvollsten Leute wären und ein so schönes, liebenswürdiges Wesen zu würdigen verständen. Nein, diese Toren sehen es überdies noch als einen schuldigen Tribut, als eine geringe Anerkennung ihrer eminenten Verdienste an, wenn die Krone aller Mädchen mit ihnen schwatzt wie mit ihresgleichen, während andere wackere Leute in der Ferne stehen. Und diese Menschen, die sich heute so niedrig gebärdeten, bilden ihren Hofstaat, dies sind die genialen Männer, mit welchen sie so gerne spricht!« Diese Gedanken beschäftigten ihn den ganzen Tag. Sein Stallpersonal konnte sich heute gar nicht in ihn finden. Der gutmütige, milde Herr war zu einem rauhen, mürrischen Gebieter geworden. Die Stallknechte klagten es sich beim Füttern; acht Pferde hatte er hinausgejagt durch dick und dünn, und jedes hatte einen andern Fehler gehabt. Die Bereiter hatte er zum erstenmal streng getadelt, und als es Abend wurde, war man im Stall darüber einig, dem Stallmeister von Rempen müsse etwas Außerordentliches begegnet sein, vielleicht sei er sogar in Ungnade gefallen. Man bedauerte ihn, denn sein leutseliges Wesen hatte ihn zum Liebling seiner Untergebenen gemacht. Und wahrlich, der Abend dieses Tages war nicht dazu gemacht, diese düsteren Gedanken zu zerstreuen. Der Geheimrat von Rempen, sein Oheim, gab alle vierzehn Tage einen großen Klub, in welchem er, das Unmögliche möglich zu machen, die getrenntesten Extreme zu vereinigen suchte. Dieser Klub hatte sich früher in drei verschiedene Abteilungen getrennt. Es war in jener Stadt eine literarische Sozietät, deren Mitglied der alte Rempen war; sie versammelte sich, um zu lesen, zu rezensieren, gelehrt zu sprechen; an einem andern Tage war großer, umwechselnder Singtee, an einem dritten Abend Tanzunterhaltung. ~Tria juncta in uno~, drei Köpfe unter _einem_ Hut, sagte der alte Rempen und lud sie alle zusammen ein. Der bunteste Wechsel schien ihm die interessanteste Unterhaltung, und darum preßte er wie ein Seelenverkäufer Literatoren, Soldaten, Justizleute, lese-, gesang- und tanzlustige Damen und packte sie in seinen Salon zusammen, zu Tee und Butterbrot, in der festen Ueberzeugung, die wahre Springwurzel der Unterhaltung gefunden zu haben. Für seinen Neffen aber vereinigten sich Himmel und Fegfeuer in diesem Klub. Er hörte Elisen singen; seine nahe Verwandtschaft zu dem alten Rempen, der keinen Sohn hatte, machte es ihm möglich, wie ein Kind des Hauses, nicht wie ein Gast aufzutreten und mit Elisen ungestört zu tanzen und zu plaudern. Aber seine Höllenqualen begannen, wenn er den Oheim, umgeben von einem Kreise älterer und jüngerer Herren, mit wichtiger Miene etwas erklären sah, wenn er endlich ein Buch aus der Tasche zog, durchblätterte, es im Kreise umher zeigte und die Herren vor Freude stöhnten: -- »Ah -- etwas Neues, schon gelesen? göttlich -- vorlesen, bitte vorlesen -- Professor am besten lesen -- in den Saal und lesen.« -- »Lesen, vorlesen!« tönte es dann von dem Munde älterer Damen und jener Herren, die nicht tanzen wollten, und Elise -- nahm mit einer kurzen Verbeugung Abschied, drängte sich in den literarischen Kreis, wurde als Königin des guten Geschmacks begrüßt, hatte gewöhnlich das Buch schon gelesen, stimmte für die Vorlesung und war für den armen Stallmeister auf den ganzen Abend verloren. Mit diesen trüben Erinnerungen gelangte er an das Haus seines Oheims. Er war eben im Begriff einzutreten, als das Gespräch zweier Männer, die sich diesem Hause näherten, seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Soviel der matte Schein einer fernen Laterne erraten ließ, war der eine ein ältlicher, dürftig gekleideter Mann, der andere jünger, höher und festlich gekleidet. »Brüderchen!« sprach der ältere mit einem Accent, der nicht dieser Gegend angehörte; »Brüderchen, bleibt mir aus dem fatalen Haus! So oft Ihr wieder herauskommt, seid Ihr zwei, drei Tage ein geschlagener Mann. Laßt die Bursche dort oben in Gottes Namen auf Stelzen gehen und Unsinn schwatzen, bleibt aber nur Ihr hinweg, 's ist noch Euer Tod!« »Ich muß sie sehen, Alter!« sprach der jüngere, »ich muß sie hören. Es gehört zu meinem Glück, sie gesehen zu haben.« »Ihr seid ein Narr!« erwiderte der andere, »sie mag Euch nicht, sie will Euch nicht. Ihr seid ein armer Teufel und gehört nicht in diese Sozietät. Aber fassen kann ich Euch nicht! 's gehört ein Wort dazu, nur ein Wörtchen, ein bißchen von einem Geständnis, und Ihr könnt vielleicht glücklich sein. Geh fort, geh fort; scherwenze in der nobeln Welt, werde ein Schuft wie alle und vergiß den alten, armen Bunker, lebe wohl, will nichts mehr von dir.« Er wollte unmutig weggehen, aber der junge Mann hielt ihn auf. »Sei vernünftig,« bat er; »willst auch du mich noch elend machen? Tu es immer, laß mich liegen wie einen Hund, wenn du es über dein Herz vermagst. Ich bin ja ohnedies unglücklich genug.« »Jammere nur nicht so!« sprach der Alte gerührt. »Geh hinauf, wenn du es nicht lassen kannst; aber bleibe nicht da, wenn sie vorlesen; du ärgerst dich! Komm zu mir!« »Ich komme,« erwiderte der jüngere nach einigem Nachsinnen. »Um zehn Uhr will ich kommen. Wohin?« »Heute in den Entenzapfen, im Rosmarin ist heilloses Volk, Schneider und Schuster und die Affen und Bären aus den Druckereien, es ist heute Montag. Aber Brüderchen, im Entenzapfen ist Cerevis, man trinkt es in Augsburg nicht besser.« Ein Wagen mit hellglänzenden Laternen rollte in diesem Augenblick auf das Haus zu, der junge Mann sagte eilig zu, und der Alte schlich langsam die Straße hin. Der Stallmeister konnte sich kaum von seinem Erstaunen erholen. Wer konnte aus so sonderbarer Gesellschaft in den Tanzsaal seines Oheims kommen? Noch sonderbarer schien es ihm, daß man diesen glänzenden Klub, der alle geistreiche und noble Welt der Stadt vereinigte, verlassen wollte, um in dem Entenzapfen Bier zu trinken, in einer Winkelkneipe, die er kaum dreimal von seinen Stallknechten hatte rühmen gehört. Er setzte dem sonderbaren Gast, der flüchtig die Treppe hinaneilte, nach, er holte ihn im hell erleuchteten Korridor ein, er ging an ihm vorüber, sah sich um und erblickte das düstere Auge und die markierten Züge des Referendärs Palvi. Verworrene Gedanken flogen vor seiner Seele vorüber, als er ihn erkannte; seine Worte: »Ich muß sie sehen,« der Wink des Buchhändlers, Palvi sei früher in einem Verhältnis zu Elisen gestanden, Staunen über die sonderbaren Reden mit dem Alten, wunderliche Sagen, die er früher über diesen Palvi vernommen, alle diese Gedanken wollten auf einmal zur Klarheit dringen und machten, daß er sich vornahm, über _eines_ wenigstens sich diesen Abend Gewißheit zu verschaffen, über sein Verhältnis zu Elisen. 4. Der größte Teil der Gesellschaft hatte sich schon versammelt, als die jungen Männer eintraten. Des Stallmeisters scharfes Auge durchirrte den Damenkreis, der an den Wänden hin sich ausbreitete; er fand endlich Elisen an einem fernen Fenster im Gespräch mit seiner Tante; aber ihr schönes Gesicht hatte nicht den Ausdruck von Heiterkeit und Laune, die er sonst so gerne sah, sie lächelte nicht, sie schien verstimmt. Es kostete ihn einige künstlich angeknüpfte Gespräche, einige Neuigkeiten vom Hofe, im Vorübergehen erzählt, um sich an jenes Fenster durchzuwinden. Die Tante sprach so eifrig, Elise hörte so aufmerksam zu, daß er endlich die herabhängende Hand der Tante erfassen und ehrerbietig küssen mußte, um sich bemerklich zu machen. Elisens Wangen glühten, als sie ihn erblickte, und die Tante rief staunend: »Wie gerufen, Julius! Ich sprach soeben mit dem Fräulein von dir, du kannst dir etwas darauf einbilden, so gut wird es dir nicht alle Tage.« »Und was war der Inhalt Ihres Gespräches, wenn man fragen darf?« »Deine Klagen von letzthin,« erwiderte die Tante lachend. »Dein Kummer, daß dich das Fräulein mitten in der Rede stehen gelassen habe, um mit irgend einem eminenten Dichter zu verkehren. Doch am besten machst du dies mit Fräulein Elise selbst aus,« setzte sie hinzu und ging weiter. Elise schien sich wirklich einer kleinen Schuld bewußt, denn sie schlug die Augen nieder und zögerte zu sprechen; als aber Rempen bei seinem unmutigen Schweigen verharrte, sagte sie halb lächelnd, halb verlegen: »Ich gestehe, es war nicht artig, und sicher würde ich es mir gegen einen Fremden nicht erlaubt haben; aber daß _Sie_ mir dergleichen übelnehmen, da Sie meine Weise doch kennen --« »So stünde ich Ihnen denn näher als jene gelehrten und berühmten Herren?« erwiderte er, freudig bewegt. »Darf es sogar als ein Zeichen Ihres Zutrauens nehmen, wenn Sie mich so plötzlich verlassen, um zu jenen zu sprechen?« »Sie sind zu schnell, Herr Stallmeister!« sagte sie. »Ich meinte nur, weil Sie meine Eltern kennen und ich viel zu Ihrer Tante komme, müsse man die Konvenienz nicht so genau berechnen. Und muß man denn im Leben alles so ängstlich berechnen?« Sie bemerkte dies halb zerstreut, und es entging Rempen nicht, daß ihr Auge eine andere Richtung genommen habe, als zu ihrer Rede passe, er verfolgte diesen Blick und traf auf Palvi, der mit einem ältlichen Herrn sprach und zugleich seine Blicke brennend und düster auf Elisen heftete. Ein tiefer Atemzug stahl sich aus ihrer Brust, als sie ihre Augen, die weder zärtlich noch freudig glänzten, von ihm abwandte. Sie errötete, als sie bemerkte, wie ihr Nachbar die Richtung ihrer Blicke bemerkt habe, und halb verlegen, halb zerstreut flüsterte sie: »Wie kommt doch er hieher zu Ihrem Onkel?« Der Stallmeister war so boshaft, sie zu fragen, wen sie denn meine. »Den Referendär Palvi,« antwortete sie leichthin, als wollte sie ihre vorige Frage verbessern, »er ist vielleicht mit Ihrem Hause bekannt?« »Ich kenn' ihn nicht,« erwiderte der Stallmeister etwas ernst; »doch warum sollte er nicht hier sein? Kennen Sie ihn vielleicht? Man sagt, es sei ein Mann von schönen Talenten, der --« »Wie freut es mich, dich wieder gesund zu sehen, Klothilde!« rief seine Nachbarin und hüpfte auf ein Mädchen zu, das sechs Schritte von ihr entfernt stand; verblüfft, als hätte er einen dummen Streich begangen, stand der Stallmeister und sah ihr nach. Man hatte indessen um Ruhe und Stille gebeten; ein Fräulein von kleiner Gestalt, aber gewaltiger Stimme wollte sich hören lassen und stellte sich zu diesem Zweck auf ein gepolstertes Fußbänkchen hinter ein elegantes Notenpult. Die Männer setzten sich Stühle hinter die Frauen, die Frauen machten erwartungsvolle Mienen, und es war so tiefe Stille in dem großen Zimmer, daß man nur die Bedienten hin und wieder »Ist's gefällig« brummen hörte, wenn sie Tee anboten. Beim ersten Takt, den man zur Begleitung des kleinen Fräuleins auf dem Flügel anschlug, entwich der junge Rempen in ein Nebenzimmer, um ungestört seinen Gedanken nachzuhängen; er zog weiter, wandelte einigemal im Salon auf und ab, bog dann in die nächste Türe, dem Ende der Enfilade zu. Im letzten Zimmer saß ein Mann in einem Sofa, der die Stirne in die Hand gelegt hatte. Bei Rempens Nähertreten wendete er den Kopf, und den Stallmeister hatte seine schnelle Ahnung nicht betrogen, es war Palvi. »Auch Sie scheinen die Musik nicht in der Nähe zu lieben,« sagte Julius, indem er sich zu ihm auf das Ruhebett setzte; »kaum bis hieher dringen die zarteren Töne.« »Es geht mir damit wie mit dem Geruch stark duftender Blumen,« erwiderte Palvi mit angenehmer Stimme. »Mit diesen Düften in einem verschlossenen Zimmer zu sein, macht mich krank und traurig, aber im Freien, so aus der Ferne atme ich ihren Balsam mit Wollust ein, ich unterscheide und errate dann jede einzelne Nuance, ich möchte sagen, jede Schattierung, jeden Ton, jeden Uebergang des Geruches.« »Sie haben recht, jede Musik gewinnt durch Entfernung,« bemerkte Rempen; »aber das jammervollste ist mir, jemand singen sehen zu müssen. Besonders ängstigt mich die kleine Person, die jetzt eben etwas vorträgt. Sie ist nett, beinahe zierlich gebaut, aber alle Gliederchen ~en miniature~. Nun stellt man sie immer auf ein Fußbänkchen, damit sie gesehen wird. Hinter ihr steht der Musikdirektor mit der Violine. Von Anfang macht es sich ganz gut. Der Direktor spielt ~piano~ und verzieht höchstens den Mund links und rechts nach dem Strich seines Fiedelbogens, nach und nach kommt er ins Feuer, ›~Forte, piu forte~‹, flüstert er und wackelt mit dem Kopf; jetzt fängt auch die Kleine an sich zu heben; anfänglich wiegt sie sich auf den Zehen und bewegt die Ellbogen, als nähme sie einen kleinen Anlauf zum Fliegen; doch ~crescendo~ mit des Musikers Perpendikularbewegungen schreiten ihre Gebärden vor, sie weht und rudert mit den Armen, sie hebt und senkt sich, bis sie im höchsten Ton auf den Zehenspitzen aushält und -- wie leicht kann da die Fußbank umschlagen!« Der Referendär lächelte flüchtig: »Beinahe noch verschiedener als beim Lachen gebärden sich die Menschen, wenn sie singen,« sagte er. »Haben Sie nie in einer evangelischen Kirche die Mienen der Weiber unter dem Gesang betrachtet? Betrachten Sie ein zartes, schwärmerisches Kind von sechzehn Jahren, das mit rundgewölbten Lippen, Frieden und Andacht in den Zügen, die zarten Wimpern über die feuchten Augen herabsenkt, seinen Schöpfer lobt. Sie können aus den vielen Hunderten ihre Stimme nicht herausfinden, und doch sind Sie überzeugt, sie müsse weich, leise, melodisch sein. Setzen Sie neben das Kind zwei ältliche Frauen, die eine wohlbeleibt, mit gut genährten Wangen und Doppelkinn, die Augen gerade vor sich hinstarrend, die andere etwas vergelbt, mit runzligen, dürren Zügen und spitzigem Kinn, auf die gebogene Nase eine Brille geklemmt -- und Sie werden erraten können, daß die Dicke einen hübschen Baßton murmelnd singt, die andere in die höchsten Nasentöne und Triller hinaufsteigt.« »Sie scheinen genau zu beobachten,« antwortete lachend der Stallmeister. »Es fehlt nur noch, daß Sie die dicke Frau mit dem murmelnden Baßton für die Mutter der Kleinen, die spitzige aber für ihre ledige Tante ausgeben, eine alte Jungfer, die nicht sowohl von unserem Herrgott als von den Nachbarinnen gehört sein will. Was sagen Sie aber zu der sonderbaren Gewohnheit der Primadonna unserer Oper? In den tiefen Tönen ist ihr hübsches Gesicht ernsthaft, beinahe melancholisch; wenn sie aber aufsteigt, klärt es sich auf, und hat sie nur erst die oberen Doppeltgestrichenen hinter sich, so schließt sie die Augen wie zu einem seligen Traum, sie lächelt freundlich und hold, und lächelt, bis sie wieder abwärts geht. Gleichgültig ist ihr dabei, was sie für Worte singt. Sie könnte in den tiefsten Tönen: ›Ich liebe dich, meines Herzens Wonne,‹ singen und ungemein ernsthaft dabei aussehen, und könnte ebenso leicht ›Ich sterbe, Verräter!‹ in den höchsten Rouladen schreien und ganz hold und anmutig dazu lächeln. Wie erklären Sie dies?« »Es ist nicht schwer zu erklären,« entgegnete Palvi nach einigem Nachsinnen; »die tiefen Töne fallen ihr etwas schwer; sie muß drücken, etwa wie man einen großen Bissen hinabwürgt, und unmöglich kann sie das mit heiterem Gesicht; mit den hohen Tönen geht es aber wohl folgendermaßen zu: als sie noch jung war und die höheren Töne sich erst in ihrer echten Kraft bildeten, mochte sie einen Lehrmeister haben, der ihr unerbittlich alle Tage die Skala bis oben hinauf vorgeigte. Für einen klaren höchsten Ton bekam sie wohl ein Stück Kuchen, ein Tuch oder sonst dergleichen etwas; je höher sie es nun brachte, desto freudiger strahlte ihr Gesicht vor Vergnügen über ihre eigenen Töne, und so mochte sie sich angewöhnt haben, mit der freundlichsten Miene zu singen: ›Ich verzweifle!‹« In diesem Augenblick ertönte eine reine, volle Frauenstimme in so schmelzenden, süßen Tönen, daß die beiden Männer unwillkürlich ihre Rede unterbrachen und lauschten. Eine leichte Röte flog über Rempens Gesicht, denn er erkannte diese Stimme. Sein Auge begegnete dem dunkeln Auge Palvis, das wohl eine Weile prüfend auf seinen Zügen verweilt haben mochte. »Kennen Sie die Stimme?« fragte Rempen etwas befangen. »Ich kenne sie,« erwiderte jener und stand auf. »Und wollen Sie sich den Genuß vermindern und näher treten?« »Ich möchte wohl auch die Worte des Textes hören,« entschuldigte sich jener nicht ohne Verlegenheit. Der Stallmeister folgte ihm; Palvi schwebte schnellen, aber leisen Schrittes über den Boden hin und setzte sich unweit des Zimmers nieder, wo Elise sang, auf ein Bankett, indem er Rempen durch einen stummen Wink einlud, sich neben ihn zu setzen. Sie lauschten; es war die bekannte Melodie einer jener alten französischen Romanzen, die, indem sie durch ihren ungekünstelten Wohllaut dem Ohre schmeicheln, in mutigen Tönen das Herz erheben; aber ein deutscher Text war untergelegt, Worte, von welchen die Sängerin selbst wunderbar ergriffen schien, denn sie trug sie mit einem Feuer vor, das ihre Zuhörer mit erfaßte. Der junge Rempen fühlte sein Herz von Liebe zu der Sängerin wie von dem hohen Schwung ihres Gesanges mächtiger gehoben; aber mit Verwunderung und Neugierde sah er die tiefe Bewegung, die sich auf den Zügen seines Nachbars ausdrückte. Seine Augen strahlten, sein Haupt hatte sich mutig und stolz aufgerichtet, und um Wangen und Stirne wogte eine dunkle Röte auf und ab, jene Röte, die ein erfülltes, von irgend einer mächtigen Freude überraschtes Herz verrät. Mit gekrümmtem Rücken, auf den Zehenspitzen schlich jetzt der Oheim Rempen heran. Schon von weitem drückte er seinem Neffen durch beredtes Mienenspiel seinen Beifall über den herrlichen Gesang aus, und als er nahe genug war, flüsterte er: »Heute singt sie wieder wie die Pasta, voll Glut, voll Glut; und der schöne Text, den sie untergelegt hat! -- er ist aus einem neuen Roman, die letzten Ritter von Marienburg.« Der junge Mann winkte seinem Oheim ungeduldig, stille zu sein; der Alte schlich weiter zu einer anderen Gruppe, und die beiden lauschten wieder ungestört, bis der Gesang geendet war. 5. Rauschender Beifall füllte nun das Gemach, man drängte sich um die Sängerin, und auch Rempen folgte seinem Herzen, das ihn zu Elisen zog. Aber schon war sie von einem halben Dutzend jener Literatoren umlagert, die ihn immer verdrängten. »Welch herrliches Lied!« hörte er den Doktor Zundler sagen, »welche Kraft, welche Fülle von Mut, und wie zart gehalten!« Doch dem Stallmeister entging nicht, daß der Hofrat, der ebenfalls bei der Gruppe stand, den jungen Doktor durch einen freundschaftlichen Rippenstoß aufmerksam darauf zu machen schien, daß er etwas Ungeschicktes gesagt habe. Er erschrak, errötete und fragte in befangener Verlegenheit, woher das Fräulein das schöne Lied habe? »Es ist aus den letzten Rittern von Marienburg, von Hüon.« Ein Gemurmel des Staunens und Beifalls lief durch die dichten Massen, als man diesen Titel hörte. »Wie, ein neuer Roman? -- Ah, derselbe, welchen die Blätter fürs belletristische Vergnügen so tüchtig ausg-- Sie sind ja da, leise, leise. -- -- Wo kann man den Roman sehen?« -- So wogte das Gespräch und Geflüster auf und ab, bis der Wirt des Hauses mit triumphierendem Lächeln ein Damenkörbchen an seidenen Bändern in die Höhe hielt, es öffnete und ein Buch hervorzog. Er schlug den Titel auf, er zeigte ihn der gespannten Gesellschaft, und mit freudigem Staunen las man in großen gotischen Lettern: »Die letzten Ritter von Marienburg.« -- »Vorlesen, bitte, vorlesen,« tönte es jetzt von dreißig, vierzig schönen Lippen, und selbst die jungen Männer, die sonst diese Unterhaltung weniger liebten, stimmten für die Vorlesung. Aber eine nicht geringe Schwierigkeit fand sich jetzt in der Wahl des Vorlesers; denn jene Literatoren, die sonst in diesem Zirkel dieses Amt bekleidet hatten, stemmten sich heute bestimmt dagegen; der eine war erhitzt, der andere hatte Katarrh, der dritte war heiser, und allen war die Unlust anzusehen, daß nicht ihre eigenen Produkte, sondern fremde Geschichten vorgelesen werden sollten. »Ich wüßte keinen Besseren vorzuschlagen,« sagte endlich ein Kriminalpräsident von großem Gewicht, »als dort meinen Referendär Palvi; wenigstens zeugen seine Referate von sehr guter Lunge und geschmeidiger Kehle.« Indem der Kriminalpräsident seinen eigenen Witz belachte und im Chorus sechs Juristen pflichtgemäß mit einstimmten, verbeugte sich der junge Mann, an welchen die Rede ging, während eine flüchtige Röte über sein Gesicht zog, und zur Verwunderung der Gesellschaft, die ihn sehr wenig kannte, ergriff er das Buch und die Tasche und fragte bescheiden, welcher von den Damen beides gehöre? Dem Stallmeister, der hinter ihm stand, hatte dies längst sein scharfes Auge gesagt. Elise war flüchtig errötet, als der Onkel den Beutel emporgehoben und das Buch daraus hervorgeholt hatte. Als aber Palvi anfragte, als er mit seinem dunkeln Auge den Kreis der Damen überstreifte und bei ihr stillestand, da goß sich ein dunkler Karmin über Stirne, Wangen und den schönen Hals des Fräuleins; sie schien überrascht, verlegen, und als jene Röte ebenso schnell verflog, schien sie sogar ängstlich zu sein. »Das Buch gehört mir, Herr von Palvi,« sagte sie schnell und mit einem kurzen Blick auf ihn. »Und werden Sie erlauben, daß daraus vorgelesen wird? Daß _ich_ daraus vorlese?« fragte er weiter. »Ich habe hier nichts zu bestimmen,« erwiderte sie, ohne aufzusehen, »doch das Buch steht zu Diensten.« »Nun dann nicht gesäumt!« rief der Oheim. »Sessel in den Kreis und ruhig sich gesetzt und andächtig zugehört, denn ich denke, wir werden einen ganz angenehmen Genuß haben.« Man tat nach seinem Vorschlag; in bunten Kreis setzte sich die zahlreiche Gesellschaft, und sei es, daß man auch hier Fräulein Elise als literarische Königin ansah, oder war es eine sonderbare Fügung des Zufalls, der Vorleser kam so gerade ihr gegenüber zu sitzen, daß, so oft sie die Augen aufhob, diese schönen Augen auf ihn fallen mußten. »Aber, Freunde,« bemerkte die Dame vom Hause, »dieser Roman hat, soviel ich weiß, drei Bände; wollen wir sie alle anhören, so kommt unsere junge Welt heute nicht mehr zum Tanzen, und wir andern nicht zum Spiel; ich denke, man wählt die schönsten Stellen aus.« »Wer aber soll sie wählen?« fiel ihr Gatte ein. »Das Ding ist nagelneu, niemand hat es gelesen; doch Fräulein Wicklow wird uns helfen können. Können Sie nicht schöne Stellen andeuten und uns den Faden des übrigen geben?« Man bat so allgemein, so dringend, daß Elise nach einigem Zögern nachgab. »Der Roman,« sagte sie, »spielt, wenn ich mir die Jahreszahl richtig gemerkt habe, in den Jahren 1455 bis 1456 in und um Marienburg in Ostpreußen. Der Deutsche Orden ist von seinen früheren einfachen und reinen Sitten abgekommen; dies und innerer Zwiespalt, wie Neid und Anfeindungen von allen Seiten her, drohen einen baldigen Umsturz der Dinge herbeizuführen, wie denn auch durch den Verrat böhmischer Ordenssoldaten, gegen Ende des dritten Teils, Marienburg für den Orden auf immer verloren geht. Auf diesem geschichtlichen Hintergrund ist aber die interessante Geschichte eines Verhältnisses zwischen einem jungen deutschen Ritter und einem Edelfräulein aufgetragen. Sie ist die Tochter des Kastellans von Marienburg, eines geheimen und furchtbaren Feindes des Ordens, der, anscheinend dem Deutschmeister befreundet, nur dazu in Marienburg lebt, um jede Blöße des Ordens den Polen zu verraten. Der Roman beginnt in der Ordenskirche, wo die Ritter und viele Bewohner von Marienburg und der Umgegend bei einem feierlichen Hochamt versammelt sind, um den Tag zu feiern, an welchem vor vielen Jahren der erste Komtur mit seinem Konvent in dieser Burg einzog. Der letzte Meister, Ulrich von Elrichshausen, ein Mann, der sich dem nahenden Verderben noch entgegenstemmen will, hält eine eindringliche Rede an die Ordensglieder. Der Gottesdienst endet mit einer feierlichen, lateinischen Hymne. Indem zwei der jüngsten Ritter, nach der Sitte bei solchen Gelegenheiten, den vornehmsten fremden Besuchern das Geleite bis in den Vorhof geben, bemerkt der eine von ihnen, daß der andere im Vorbeistreifen ein kleines Päckchen in die Hand einer verschleierten Dame gedrückt habe. Die Kirche ist leer, und im zweiten Kapitel fragt nun der erstere den zweiten um die Bedeutung dessen, was er gesehen. Er ist sein Waffenbruder, ein Bündnis, das nach der Sitte der Zeit fester als irgend ein Freundschaftsband galt, und Elrichshausen, der Neffe des Meisters, der Held des Romans, gesteht ihm endlich sein Verhältnis zu der Dame, erzählt ihm von seinem Leben, seinen trostlosen Aussichten. »Der Freund ratet ab, Kuno aber verschmäht jede Warnung und bittet jenen, er möchte ihn an diesem Abend zu einer Zusammenkunft mit der Geliebten begleiten. Diese Zusammenkunft in einem verfallenen Teil des älteren Schlosses ist so schauerlich schön, daß ich möchte, sie würde ganz gelesen.« Palvi las. Wer je ein Buch, das er sonst nicht kannte, in Gesellschaft vorgelesen, der weiß, daß etwas Beunruhigendes in dem Gedanken liegt, daß man mit gehaltener Sicherheit auf einem Felsenpfade gehen soll, den man noch nie betreten. Dieses beängstigende Gefühl wächst, wenn es ein Gespräch ist, das man vorträgt. Man kann den Atem, den Rhythmus, den Ausdruck der Empfindung nicht richtig abmessen und verteilen, man weiß nicht, ob jetzt die höchste Höhe der Lust ausgedrückt ist, ob jetzt der Dichter die tiefste Saite der Wehmut berührt habe, ob er nicht noch tiefere Akkorde anschlagen werde; und der Zuhörer pflegt diese Unsicherheit störend mitzuempfinden. Aber wunderbar las dieser junge Mann, den ein zufälliger Scherz seines Vorgesetzten zum Vorleser gestempelt hatte. Es war, als lese er nicht mit den Augen, sondern mit der Seele ohne dieses Organ, als spreche er etwas längst Gedachtes, eine Erinnerung aus, als kenne er den Inhalt, den Geist dieser Blätter, und sein Gedächtnis habe das Buch nur wegen der zufälligen Wortstellung von nöten. Wenn das, was er las, nicht durch Inhalt und Form so großartig, dieses Gespräch zweier Liebenden so neu, so bedeutungsvoll gewesen wäre, diese Art, etwas vorzutragen, hätte zur Bewunderung hinreißen müssen. Wir fürchten zu ermüden, wollten wir den Gang der Gefühle im Gespräch dieser Liebenden verfolgen. Wir bemerken nur, daß der jüngere Teil dieser Gesellschaft mächtig davon ergriffen wurde, daß Fräulein Elise, die anfangs den Vorleser mit scheuen, staunenden Blicken angesehen hatte, in tiefer Rührung die Augen senkte und kaum so viel Fassung fand, ihre Erzählung weiter fortzusetzen. »Die Liebenden,« sagte sie, »so wenig Trost im Schluß dieser Szene lag, sind zufrieden in dem Gedanken an die Gegenwart. Je dunkler aber die Zukunft vor ihnen liegt, desto angenehmer dünkt es ihnen, die Gegenwart mit schönen Träumen auszufüllen. Der Deutschmeister bekommt die Nachricht, daß der Kaiser, von den Einflüsterungen Polens halb besiegt, dem Orden zürne, ihm namentlich innere Zügellosigkeit vorwerfe. Der Meister versammelt daher ein Kapitel, wo er die Ritter anredet. Diese Stelle ist eine der trefflichsten im Buche, denn der Verfasser befriedigt hier auf wunderbare Weise zwei Interessen. Indem der Meister die Verhältnisse des Ordens bis auf die zartesten Nuancen aufdeckt und berechnet, bekommt der Leser nicht nur ein schönes Bild von dem einsichtsvollen, umsichtigen Ulrich von Elrichshausen, von der erhabenen Würde eines Nachfolgers so großer Meister, von der gebietenden Stellung eines Herrschers auf Marienburg, sondern er bekommt auch auf ungezwungene und natürliche Weise eine Uebersicht über die historische Basis des Romans. Der Meister schärft die Haus- und Sittengesetze und schließt mit einer furchtbaren Drohung für den Uebertreter. »Der Held des Romans, voll schönen Glaubens an alles Edle und Reine, sieht in seiner Freundschaft für Wanda, so heißt das Fräulein, kein Unrecht. Er setzt, begleitet von seinem Freunde, die nächtlichen Zusammenkünfte fort. In eine derselben ist ein wunderschönes Märchen eingewoben, eine Sage, die man auch mir in meiner Kindheit oft erzählt haben muß, denn sie klang mir wie alte Erinnerungen.« Sie hielt inne; mit einem Blick voll Liebe und Wehmut fragte Palvi, ob er das Märchen lesen solle? Sie nickte ein kurzes Ja, und er las. Der junge Rempen hatte während des Märchens sein Auge fest auf Elisen gerichtet. Er bemerkte, daß sie anfangs heiter zuhörte, mit einem Gesicht, wie man eine bekannte Lieblingsmelodie hört und die kommenden Wendungen zum voraus erratet; nach und nach wurde sie aufmerksamer; es kamen einige sonderbare Reime vor, die Palvi so rasch und mit so eigenem, singendem Tone vortrug, daß sie dadurch tief ergriffen schien; Erinnerungen schienen in ihr auf und nieder zu tauchen, sie preßte die Lippen zusammen, als unterdrücke sie einen inneren Schmerz; er sah, wie sie bleich und immer blässer wurde, er sah sie endlich ihrer Nachbarin etwas zuflüstern, sie standen beide auf, aber ebenso schnell sank Elise wieder kraftlos auf ihren Stuhl zurück. Die Bestürzung der Gesellschaft war allgemein. Die Damen sprangen herzu, um zu helfen, aber sei es, daß, wie es oft zu geschehen pflegt, gerade das unangenehme Gefühl dieser störenden, geräuschvollen Hilfe sie wieder emporraffte, oder war es wirklich nur etwas Vorübergehendes, ein kleiner Schwindel, der sie befiel, sie stand beinahe in demselben Moment wieder aufrecht, bleich, aber lächelnd, und konnte sich bei der Gesellschaft entschuldigen, diese Störung veranlaßt zu haben. An Erzählen und Vorlesen war übrigens nach diesem Vorfall heute abend nicht wohl wieder zu denken, und man nahm mit Vergnügen den Vorschlag an, sich am übernächsten Nachmittage in einem öffentlichen Gartensalon zu versammeln und die Ritter von Marienburg gemeinschaftlich zu genießen. 6. Der Stallmeister fühlte sich von dieser Szene auf mehr als eine Weise ergriffen; er konnte zwar Palvi nichts vorwerfen, er hatte zwei Worte mit Elisen und diese öffentlich gesprochen; es war, wenn er selbst auch wirkliche Rechte auf das Fräulein gehabt hätte, kein Grund zur Eifersucht da, denn sie schien jenen sogar zu scheuen, zu fliehen; aber dennoch lag etwas so Rätselhaftes in Palvis Betragen, etwas so schmerzlich Rührendes in seinen Mienen, und doch wieder in seinem ganzen Wesen eine so gehaltene Würde, daß Rempen sich vornahm, was es ihn auch kosten möge, Aufschluß über ihn zu suchen. Der Oheim war bemüht, die frühere Ordnung und Freude herzustellen. Spieltische wurden herbeigetragen, und aus dem Salon lud eine Violine und die lockenden Akkorde einer Harfe die junge Welt zum Tanzen ein. Mit bewachenden Blicken folgte der Stallmeister Palvi, der, noch immer das Buch in der Hand haltend, gedankenvoll umherging. In einer Vertiefung des Fensters saß Elise. Eben ging eine Freundin von ihr weg, und Rempen nahm wahr, wie sich Palvi ihr zögernd nahte, wie er ihr mit einer tiefen Verbeugung das Buch überreichte. Schnell trat auch er hinzu, und nur die breite, dunkelrote Gardine trennte ihn von den beiden. »Elise,« hörte er den jungen Mann sagen, »seit zehn Monaten zum erstenmal wird es mir möglich, so nahe zu stehen, nur _eine_ Bitte habe ich --« »Schweigen Sie,« sagte sie in leisen, aber leidenschaftlichen Tönen, »ich will nichts hören, nichts sprechen! ich habe Ihnen schon einmal gesagt: ich verachte Sie.« »Nur das _Warum_ möchte ich wissen,« bat er beinahe weinend; »nur _ein_ Wörtchen, vielleicht können Sie mich doch verkennen.« »Ich kenne Sie zu gut,« erwiderte sie unmutig, »einen so niedrigen, gemeinen Menschen kann ich nur verabscheuen.« »Gemein, niedrig?« rief er bitter, »und dennoch schwöre ich, daß ich Ihnen Achtung abzwingen will; diesen gemeinen niedrigen Mann sollen Sie schätzen müssen! Wissen Sie, ich bin --« »Daß Sie ein recht elender Mensch sind, weiß ich lange; darum bitte ich, entfernen Sie sich; diesen Zirkel werde ich aber nie mehr besuchen, wenn es Ihnen noch einmal einfallen sollte, mich anzureden.« Bei diesen Worten stand sie rasch auf und entfernte sich mit einer kurzen Verbeugung gegen den unglücklichen jungen Mann. So wichtig diese Worte, so bedeutungsvoll diese Szene war, konnte sie doch dem Stallmeister kein deutlicheres Licht geben. Palvi durfte wagen, sie mit »Elise« anzureden, sie behauptete, ihn ganz zu kennen, sie sprach so heftig ihre Gefühle aus, daß ihren Haß notwendig Liebe geboren haben mußte. -- Er sah Palvi, nachdem er noch eine Weile in der Vertiefung des Fensters verweilt hatte, nach der Türe des Vorsaals gehen. Er folgte ihm dahin, wie zufällig nahm er zugleich mit jenem seinen Mantel um. »Auch Sie scheinen kein Freund des Tanzes zu sein,« redete er den Referendär an. »Ich habe es längst aufgegeben,« antwortete er, »aber Sie, Sie -- ein Glücklicher, und nicht tanzen?« »Ein Glücklicher?« erwiderte der Stallmeister freundlich; »davon möchte ich mir doch noch eine nähere Definition erbitten. Ueberhaupt, hier wird mir so langweilig zu Mute, und zu Hause geht mir die Tanzmusik im Kopfe herum; gehen wir, wenn Sie nichts Besseres vorhaben, nicht irgend wohin zusammen?« Palvi schien in einiger Verlegenheit zu sein. »Ich weiß nicht, was mir Ihre Gesellschaft so wünschenswert macht,« antwortete er; »ich möchte die Hälfte der Nacht mit Ihnen verplaudern, und dennoch, werden Sie es glauben? -- ich rechnete darauf, früh diese Gesellschaft zu verlassen, und habe einem Freunde den übrigen Teil des Abends zugesagt.« »Wohlan,« fuhr der Stallmeister fort, »wenn Sie nichts gar zu Wichtiges zu besprechen haben, so folge ich Ihnen dahin.« Der junge Mann errötete. »Das Haus ist abgelegen,« sagte er, »und für solche Gäste nicht ganz passend.« »Und wenn es der Entenzapfen wäre,« rief Rempen; »es soll ja vortreffliches Cerevis dort geben.« Mit einer Mischung von Staunen und Freude blickte ihn der Referendär an, doch ehe er noch fragen konnte, sprach Rempen weiter: »Verzeihen Sie meiner Neugierde, die diesmal die Diskretion überwog. Der Zufall machte mich zum Zeugen, als ein wunderlicher alter Herr Sie einlud, und schon damals wünschte ich, mit von der Partie zu sein, um so mehr,« setzte er verbindlich hinzu, »da ich diesen Abend so manchen ~Point de réunion~ zwischen uns fand.« »Gut, so folgen Sie mir. -- Sie werden ein Original kennen lernen, das aber mehr unsere Aufmerksamkeit verdient als die schwachen Kopien dort oben, die doch immer für Originale gelten möchten, ja sich selbst dafür halten. Ich meine jene Poeten und Literatoren, die uns heute morgen ein so wunderbares Schauspiel gegeben haben.« »In seiner Art diesen Abend ein nicht minder sonderbares,« entgegnete Rempen; »oder sollte Ihnen entgangen sein, wie ungezogen sie sich benahmen, als man verlangte, dieser Roman solle vorgelesen werden; schien es nicht, als wollten sie durch stilles, höhnisches Lächeln, durch ihre kalte Entschuldigung, zum Vorlesen nicht bei Stimme zu sein, durch so manche Zeichen ihres Mißfallens der Gesellschaft die Ueberzeugung aufdringen, als sei das Buch schlecht und unwürdig? Man kann nicht verlangen, daß sie sich -- wollen sie einmal ungesittet sein -- im Keller eines Italieners Fesseln anlegen; sie bezahlen dort, und ihre Rede ist frei; aber in einer Gesellschaft wie diese mußten sie sich den Gesetzen des Anstandes fügen.« »Ich wollte vieles wetten,« bemerkte Palvi, »der Mann, zu dem ich Sie jetzt führe, ob er gleich in seinen Gewohnheiten und Sitten wenig gesellschaftliche Bildung verrät, würde sich weniger unschicklich benommen haben.« »Und wer ist er denn?« fragte der Stallmeister. »Er gehört einem Schlag von Leuten an, die man in unsern Ländern jetzt weniger oder nicht so auffallend und originell sieht als früher, ein sogenannter württembergischer Magister. Bitte zum voraus, glauben Sie nicht, daß in diesem Begriffe etwas Lächerliches liege, denn eine nicht geringe Zahl würdiger, gelehrter Männer unserer Zeit gehören diesem Stande an. Es gab in früherer Zeit, -- ob jetzt noch, weiß ich nicht, -- in jenem Lande eine Pflanzschule für tiefe Gelehrsamkeit. Es gingen Philologen, Philosophen, Astronomen, Mathematiker in Menge daraus hervor; zum Beispiel ein Keppler, ein Schelling, Hegel und dergleichen. Vor zwanzig Jahren soll man allenthalben in Deutschland Leute aus dieser Schule gesehen haben; den Titel Magister bekamen sie als Geleitsbrief mit. Sie waren gewöhnlich mit tiefen Kenntnissen ausgerüstet, aber vernachlässigt in äußeren Formen, in Sprache und Ausdruck sonderbar, und spielten eine um so auffallendere Figur, als sie gewöhnlich, ihrer Stellung nach, als Lehrer an Universitäten, als Erzieher in brillanten Häusern, in der Gesellschaft durch ihr Aeußeres den Rang nicht ausfüllten, den ihnen ihre Gelehrsamkeit gab. Eine solche Figur aus alter Zeit ist mein Freund. Er ging schon vor dreißig Jahren aus seinem Vaterlande, hat aber weder in Kurland noch in Sachsen seine Eigenheiten abgelegt. Er lebt hier, abgeschieden von der Welt, in einem Dachstübchen; ich halte ihn für einen der tiefsten Denker des Zeitalters, dabei ist er ein liebenswürdiger Dichter, und dennoch ist sein Name gänzlich unbekannt. Die gelehrtesten Rezensionen in den Leipziger und Haller Blättern sind von seiner Hand; manche Entdeckung, mancher tiefgedachte Satz, womit jetzt die neuen Philosophen ihre Werke aufputzen, sind von ihm; er hat sie spielend hingeworfen.« »Also ein literarischer Eremit,« rief Rempen aus, indem er, nicht ohne kleinen Schauder, an der Seite des Referendärs durch enge, schmutzige Gäßchen ging; »eine Nachteule der Minerva in bester Form?« »Wenn es heutzutage wieder einen Diogenes geben könnte,« erwiderte jener, »ich glaube, er müßte im Kostüm meines Magisters erscheinen. Dieses ehrliche, kluge, ein wenig ernste Gesicht, die kunstlos um den Kopf hängenden Haare, das verschossene Hütchen, der abgetragene Rock, den er mit keinem anderen vertauschen mag, die sonderbare, beinahe zärtliche Neigung zu einer alten, schwarz gerauchten Pfeife, dazu ein dunkelbraunes Meerrohr mit silbernem Knopfe, und diese ganze Gestalt in der düsteren, schwärzlichen Spelunke, in welche wir eben treten wollen -- nehmen Sie dies alles zusammen, und Sie werden finden, das Urbild eines modernen zynischen Philosophen ist fertig, nur würde er einen Alexander nicht um ein wenig Sonne, sondern um ein bißchen Feuer für seine Pfeife bitten.« Durch einen Vorplatz, wo das trübe Licht einer schmutzigen Laterne einen zweifelhaften Schein auf Kornsäcke und umgestürzte Bierfäßchen warf, traten jetzt die beiden jungen Männer in das größere Schenkzimmer des Entenzapfen. Der Wirt, dick und angeschwollen von dem Kosten seines eigenen Getränkes, schlief in einem Lehnsessel hinter dem Ofen; einige abgerissene Gestalten spielten bei einem Stümpchen Licht mit schmutzigen Karten und sahen die Vorübergehenden mit matten, schläfrigen Augen an. Palvi ging vorüber in ein zweites kleineres Gemach, das für bessere Gäste eingerichtet schien. Derselbe Alte, den Rempen diesen Abend flüchtig gesehen, saß dort allein hinter einer Kanne Bier. Auf den Tisch hatte er mit Kreide einen mathematischen Satz gemalt. Er schaute, die Stirn in die Hand gestützt, aufmerksam auf seine Berechnung nieder, und nur große Tabakswolken, die er hin und wieder ausstieß, zeigten, daß er lebe und atme. Erst auf den Abendgruß seines jungen Freundes richtete er sich auf und zeigte ein ernstes, gleichgültiges Gesicht, dem nur das glänzende, ungemein interessante Auge einiges Leben verlieh. Die Gegenwart eines Fremden schien ihm unangenehm aufzufallen. Kurz abgebrochen, indem er hastig mit dem Rockärmel die Figuren von dem Tische abwischte, sagte er: »Seid lange ausgeblieben.« »Dafür bringe ich aber einen seltenen Gast mit,« erwiderte der junge Mann, »der das Entenbier versuchen will.« »Literator?« fragte der Alte etwas mürrisch. »Wo denkst du hin, Magister; ein hiesiger Literator und der Entenzapfen! Nein, er ist nicht von diesen, sondern heißt Herr von Rempen und ist Stallmeister.« »Da haben der Herr die echte Quelle gefunden,« sprach der Alte freundlich und mit einer Herzlichkeit, die ihn sogar angenehm machte. »Der Entenzapfen hat solid Getränke. Setzet euch, da bringt die Kellnerin schon die Kannen.« Der Stallmeister erschrak vor der großen Kanne, die ihm das niedliche Kellnermädchen mit den roten Lippen kredenzte; aber die Neugierde nach dem Magister, der Drang, von Palvi nähere Aufschlüsse über Elisens Betragen zu erhalten, milderten seinen Schauder vor dem Entenzapfen. »Es hat einen eigenen Reiz für mich,« sagte er, um die Anrede des Alten zu erwidern, »so aus einer glänzenden Gesellschaft, wo alles voll Glanz und Putz, voll Berechnung und eitlen Benehmens ist, mich in die Einsamkeit einer solchen Schenke zu begeben. Man wird so leicht verführt, jenes schimmernde Wesen für wahres Leben, für ein Ideal der Gesellschaft zu nehmen, und nur ein plötzlicher, recht greller Tausch kann von diesem Wahne retten, besonders wenn man das Glück hat, Männer zu finden, die zu vernünftigem Gespräch bereitwillig sind.« »Ich kann mir's denken aus früherer Zeit,« entgegnete der Alte mit ironischem Lächeln. »Nun hat man wieder anständig geschnattert und gezwitschert, Tee getrunken und göttlichem Gesange gelauscht, und als man gar ästhetisch zu werden, vorzulesen anfing, seid ihr aus Angst davongelaufen?« »Nein,« antwortete Rempen, »so lange gelesen wurde, blieben wir.« »Wie?« rief der Magister. »Und Ihr habt es über Euch vermocht, Herr Referendär, allerlei rosenfarbene Poesie anzuhören?« »Man las die letzten Ritter von Marienburg,« belehrte ihn der Stallmeister. »Ei der Tausend!« sagte der Alte, mit einem sonderbaren Seitenblick auf Palvi, »konnte man doch solche Speise vertragen, ohne den ästhetischen Gaumen und Magen zu verderben? Hat sich denn die Welt gedreht, oder waren unsere hiesigen Schöngeister nicht zugegen?« »Doch, sie waren dabei,« erwiderte Rempen, »sie wagten es nicht, sich dagegen zu setzen, obgleich der Zorn aus ihren Augen sprühte, denn noch diesen Morgen hatten sie sich bündig und deutlich erklärt.« Und nun erzählte er den Auftritt im Keller des Italieners mit einer Geläufigkeit, über welche er sich selbst wundern mußte. Mehrmals wurde er von einem schnellen, kurzen Lachen des Alten unterbrochen, als er aber mit dem furchtbaren Bündnisse der literarischen Trias endete, brach der alte Mann in so herzliches Gelächter aus, daß der Wirt zum Entenzapfen mit einem tiefen Gestöhne erwachte und sich im Sessel umwälzte. »Der Herr Stallmeister erzählen gut,« sprach dann der Magister, indem er Tränen, die das Lachen hervorgelockt hatte, verwischte. »Ich kenne sie, diese Bursche, diesen Chorus von Halbwissern. Sie sind geachteter beim Stadtpublikum und auf dem Landsitze als der wahre Gelehrte, sie sind die Vornehmern unter den Musensöhnen und machen ungebeten die Honneurs auf dem Parnaß, als wären sie Prinzen des Hauses oder zum mindesten Kammerjunker; um so weniger können sie es verschmerzen, wenn ihre Blöße aufgedeckt und ihre Schande ans Licht gestellt wird. Sie fühlen ihr Nichts, sie sehen es einander ab, aber sie wollen es sich nicht merken lassen.« »Am sonderbarsten und unerklärlichsten scheint mir ihre Wut gegen _das_, was man jetzt historischen Roman nennt,« bemerkte der Stallmeister. »Ich bin zu wenig im Getriebe der Literatur bewandert, um es mir erklären zu können.« »Danken Sie Gott,« erwiderte der Alte, »daß Sie ein heiteres, rüstiges Handwerk erlernt haben und von diesem unseligen, feindlichen Treiben nichts wissen. Kommt mir doch diese schöne Literatur jetzt vor wie scharfer Essig. Mit gehöriger Zutat vom Oel des Lebens, Philosophie, ist sie die Würze eurer Tage; aber kostet sie gesondert, so ist sie scharf, abstoßend; betrachtet sie genau, etwa durch ein tüchtiges Glas, so sehet ihr das Acidum aufgelöst in eine Welt von kleinen Würmern, die sich wälzen und einander anfallen, übereinander wegkriechen.« »Pfui! Aber ihr Verhältnis zum historischen Roman?« »Sie gebärden sich,« antwortete Bunker, »als ob sie gegen irgend eine Erscheinung des Zeitgeistes ankämpfen könnten, wie Pygmäen gegen einen Riesen. Als ob nicht schon die Ilias so gut historisch gewesen wäre als irgend ein Roman des Verfassers von Waverley. Und ist nicht Don Quichotte der erste aller historischen Romane? Doch nehmen Sie nähere Beispiele bei uns. Spricht sich nicht in Wilhelm Meister das Element eines historischen Romans geheimnisvoll aus? Müssen wir nicht den Begebenheiten, in die der Held verwickelt ist, eine gewisse Zeitgeschichte unwillkürlich unterlegen? Müssen wir nicht das Lager des Prinzen als eine notwendige historische Dekoration damaliger Zeit ansehen? Und die Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten, sind sie nicht eine historische Novelle? Wir betraten also zum mindesten keinen neuen Boden, kein neues, zweifelhaftes Gebiet.« »Und welch kleiner Schritt,« bemerkte Palvi, »welch natürlicher Uebergang ist vom historischen Drama, wie wir es bei Goethe finden, zum modernen, geschichtlichen Roman. Sie sind ihm schon um vieles näher als die historischen Schauspiele Shakespeares. Wie im Romane sprechen dort die Helden nicht großartige Gefühle aus. Sie halten nicht gedehnte Reden, sondern ihre Reden erzählen von den schlummernden Entschlüssen ihrer Seele, und wir erblicken in einer einzelnen Wendung Motive, ahnen Handlungen, die sich nachher verwirklichen. »Die Völker scheinen sich in unseren Tagen zu scheiden und scharf abzugrenzen. Doch diese Scheidung ist nur scheinbar, denn die Menschheit ist durch so viele Erfindungen sich näher gerückt worden. Wir gehören mehr und mehr der Welt an. Wir sprechen von entfernten Polarländern oder von Amerika mit einer Bestimmtheit, einem Gefühl der Nähe, wie unsere Großväter von Frankreich sprachen. Wir sind jetzt erst Europäer geworden. Darum ist uns nichts mehr fremd, was in diesem alten Weltteile geschieht. Der Unterschied der Sprache hat aufgehört, denn Dank sei es unseren gewandten Uebersetzern, es ist, als ob Scott und Irving in Frankfurt oder Leipzig lebten.« »Gewiß!« fiel Rempen ein, »auch in der Gesellschaft sind sich die verschiedenartigsten Elemente näher getreten. Unsere jungen Männer erzählen jetzt von einer Reise nach London oder Rom mit mehr Bescheidenheit oder Gleichgültigkeit als sonst einer von einer Reise an einen zwanzig Meilen entfernten Hof erzählte. Aber ist uns durch alles _dies_, da wir in einer so breiten Gegenwart leben, die Geschichte nicht vielmehr fern als nahe gerückt?« »Ich gebe zu,« sagte der Alte, »das ernste Studium der Historie, aber nicht das rein menschliche Interesse daran. Die Geschichte war sonst die Geschichte der Könige, und an ihre oft unbedeutende Person knüpfte sich das Leben unsterblicher Männer. Die neuere Zeit, so große Veränderungen um uns her, haben uns anders denken gelehrt. Es ist die Geschichte der Meinungen, es sind die Schicksale gewisser Prinzipien, die wir kennen lernen möchten. Ihr Kampf erscheint in jedem Zeitalter mehr oder minder und unter der verschiedensten Gestalt, und dieser Kampf der Meinung ist es, was jeder Periode ihr Interesse gibt, er ist es, der, dem Romane zum Grunde gelegt, unsere Teilnahme auf unbeschreibliche Weise anzieht.« »Ich ahne, daß Sie recht haben,« erwiderte der Stallmeister. »Gleichwohl kann ich diese Idee meinen bisherigen Ansichten noch nicht recht anpassen. Denn wie vertragen sich zum Beispiel mit dieser welthistorischen Ansicht jene sonderbaren Figuren Walter Scotts, die bald als rohe Hochländer, bald als Räuber, als Fischer in die Geschichte unmittelbar eingreifen und so anziehend erscheinen?« »Das ist es ja gerade, was ich sagte,« antwortete der Magister. »Wir ahnen in der Geschichte des Landes und des Volkes, die uns Professoren auf Kathedern vortragen, daß es nicht immer die Könige und ihre Minister waren, die Großes, Wunderbares, Unerwartetes herbeiführten. Da oder dort hat die Tradition den Schatten, den Namen eines Mannes aufbehalten, von dem die Sage geht, er habe großen und geheimnisvollen Anteil an wichtigen Ereignissen gehabt. Solche Schatten, solche fabelhaften Wesen schafft die Phantasie des Dichters zu etwas Wirklichem um; in den Mund eines solchen Menschen, in sein und seiner Verbündeten geheimnisvolles Treiben legt er die Idee, legt er den Keim zu Taten und Geschichten, die man im Handbuch nur als geschehen nachliest, vergebens nach ihren Ursachen forschend. Indem solche Figuren die Ideen persönlich vorstellen, bereiten sie dem Leser hohen Genuß und oft ein um so romantischeres Interesse, je unscheinbarer sie durch Bildung und die Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft anfänglich erscheinen.« »Und so hielten Sie es für möglich, daß auch die deutsche Geschichte interessante Stoffe für historische Romane bieten könnte?« fragte Rempen; »mir schien sie immer zu zerrissen, zu flach, zu wenig romantisch und großartig.« »Das letztere glaube ich nicht,« erwiderte Palvi; »und muß denn gerade der Hintergrund, das historische Faktum, das Erhabene sein? Ist es nicht der Zweck des Romans, Charaktere in ihren verschiedenen Nuancen, Menschen in ihren wechselseitigen Beziehungen zu schildern? Und kann sich nicht ein großartiger Charakter in einer Tat, einem Zwiste erproben, der für die allgemeine Geschichte von geringerer Bedeutung ist? Oder glauben Sie, weil Tieck in die Cevennen flüchtete, um einen historischen Hintergrund zu holen, er habe damit sagen wollen, unsere Geschichte biete keinen Stoff, der seines hohen Genius würdig wäre?« »Diese Ritter von Marienburg,« nahm der Alte das Wort, »beschäftigen sich mit keinem großartigen historischen Ereignisse. Schon fünfzig Jahre, ehe das Unglück des Ordens in Ostpreußen wirklich hereinbricht, gewahrt man, daß er sich nie mehr zu seinem alten Glanze erheben könne, daß früher oder später die Elemente selbst, die seine Größe beförderten, seinen Sturz bereiten werden. Er fällt, denn er hat seinen Beruf erfüllt. Aber an die geschichtliche Figur des Großmeisters, an die Täler der Nogat, an die Mauern der erhabenen Burg weiß jener Hüon Fäden anzuknüpfen, woraus er ein erhabenes Gewebe schafft. Ich möchte sagen, er baut aus den Trümmern jenes gestrandeten Schiffes eine Hütte, worin sich bequem wohnen läßt.« »Nun verstehe ich Sie,« rief der Stallmeister, »und weil sie diesen Standpunkt nicht erreichten, weil sie diese höhere Ansicht nicht erfassen mögen, kämpfen jene Leutchen gegen diesen historischen Roman. Es ist Brotneid, sie wollen ihn nicht aufkommen lassen, weil er die Kunden an sich ziehen könnte.« »Hat er nicht recht, der Herr Stallmeister?« wandte sich der Magister lächelnd an seinen Nachbar. »Sie schimpfen alle aufeinander und zusammen auf jedes Größere, diese Kleinmeister. Mich freut es nur, daß mein Doktor Zundler auch bei der furchtbaren Freitags-Trias ist.« »_Ihr_ Doktor Zundler?« fragte Rempen befremdet. »Kennen Sie ihn?« »Ob ich ihn kenne!« erwiderte der Alte lachend. »Der Herr Stallmeister macht keinen schlimmen Gebrauch davon,« sagte Palvi zu dem Magister, »und zu größerem Verständnis der Poesie ist es ihm nützlich, wenn er es weiß. Bist du es zufrieden, Alter?« »Es sei; aber der Herr Stallmeister wird diskret sein,« antwortete der Alte. »Was werde ich erfahren?« fragte Rempen. »Wie geheimnisvoll werden Sie auf einmal?« »Sie kennen den Doktor Zundler, einen der ersten Lyriker dieser Stadt,« sprach Palvi; »sein Ruhm war früher gerade nicht sehr groß, doch etwa seit einem halben Jahre regt er die Flügel mächtig. Hier sitzt der Dädalus, der sie ihm gemacht hat.« »Wie soll ich dies verstehen?« erwiderte der Stallmeister. »Unser Magister hier ist ein sonderbarer Kauz,« fuhr jener fort, »einer seiner bedeutendsten Fehler ist Aengstlichkeit, sonderbar verschwistert mit Gleichgültigkeit. Er hätte es weit bringen können auf dem deutschen Parnaß, aber er war zu ängstlich, um etwas drucken zu lassen. Doch wie vermöchte ein dichterischer Genius von diesem Hindernisse sich besiegen zu lassen; er dichtete fort, für sich.« »Ich machte Verse,« fiel der Alte gleichgültig ein. »Du hast gedichtet!« sagte Palvi. »Aber seine besten Arbeiten, seine gründlichsten Forschungen hat er um acht Groschen den Bogen in Journale verzettelt, weil er sich scheute, seinen Namen auf ein Titelblatt zu setzen; und von den glühendsten Poesien seiner Jugend fand ich die einzigen Spuren in halbverbrannten Fidibus. In meinen Augen bist du entschuldigt, guter Magister, durch deine Erziehung und die Art und Weise deines Vaterlandes. Wer hat sich dort zu deiner Zeit um einen Geist, wie der deine war, bekümmert? Was hat man für einen Mann getan, der nicht in die vier Kardinaltugenden, in die vier Himmelsgegenden der Brotwissenschaft, in die vier Fakultäten paßte? Haben sie ja sogar Schiller zwingen wollen, Pflaster zu streichen, und Wieland floh das Land der Abderiten, weil es dort keinen Raum für ihn gab als den Posten eines Stadtschreibers, den er freilich so schlecht als möglich ausgefüllt haben mochte.« »Mensch, nichts Bitteres gegen mein schönes Vaterland,« sagte der Alte mit sehr ernstem Blick; »es war die Wiege großer Männer.« »Du sagst es,« erwiderte Palvi, »die _Wiege_, aber nicht das _Grab_. Und dieser Umstand mag seine eigenen Ursachen haben. Zum mindesten findet man in Odessa wie am Mississippi, in Polen und in Rio-Janeiro, und überdies noch auf den Kathedern aller bekannten Universitäten deine Landsleute. Doktor Zundler nun, um von diesem zu reden, hatte das Glück, eines Tages eine Wohnung zu beziehen, in deren Giebel unser Magister ein Freilogis bewohnt, weil er den Knaben des Hausherrn zum Gelehrten bilden soll. Doktor Zundler hat, um sich zum Dichter zu bilden, viel gelesen und hat den großen Menschenkennern bald abgemerkt, daß sie auf Originale Jagd machen. Er stellt sich daher alle Tage zwei Stunden mit seinem Glas unter das Fenster und stellt Betrachtungen über die Menschen an wie der selige Hoffmann in Vetters Eckfenster, nur, behauptet man, mit verschiedenem Erfolg. Denn der selige Kammergerichtsrat guckte durch das Kaleidoskop, das ihm eine Fee geschenkt, der Doktor Zundler aber durch ein ganz gewöhnliches Opernglas. Da sah er einigemal den Magister und -- nun, Bunkerchen, erzähle.« Ein behagliches Lächeln verbreitete sich über das Gesicht des Alten; er trank in längeren Zügen aus seinem Glas und erzählte dann: »Eines Tages sagte mir meine Aufwärterin, daß sich der wunderschöne reiche Herr in der Bel-Etage nach mir erkundigt habe, wer ich wäre, was ich treibe und dergleichen. Bald darauf kam ein schön geputzter Herr in mein Stübchen, beguckte mich von allen Seiten, fragte mich allerlei und wunderte sich ungemein, daß ich ein Gelehrter sei. Er hatte mich, meiner Physiognomie nach, für einen unglücklichen Musiker gehalten. Sein Staunen wuchs, als er einige poetische Versuche, die am Boden lagen, aufnahm und las. Er wollte nicht glauben, daß sie von mir herrühren, und nahm sie endlich aus reinem Interesse, wie er sagte, mit. Den folgenden Tag schickte er mir ein paar Flaschen Wein. Es freute mich, ich hatte gehört, daß er reich sei; ich bin arm und trank den Wein. Als ich die erste Flasche hinunter hatte und warm war, ging die Tür auf, und mein Doktorchen trat herein. Ein Wort gab das andere; man kam auf Poesie, ich machte wenig daraus, er viel; er schwatzte mir etwas vor von einer Erbschaft, die er gewinnen könne von seinem Oheim, einem portierten Verehrer der Musen. Seine bisherigen Versuche haben aber nur den Unwillen des Erblassers erregt. So machte es sich von selbst, daß ich ihm meinen ganzen Kram von Poesien anbot; mich selbst amüsierten diese Verse nur, solange ich sie entwarf und ausarbeitete; ob sie das Publikum lese, ob es mich dabei nenne, war ja so gleichgültig! Im Scherz ging ich einen Akkord ein, daß ich ihm auch eine Novelle und später einen Roman schriebe. Er gibt mir dafür Wein, Knaster, zuweilen Geld, und ich habe das Bequeme, daß niemand, weder in Lob noch Tadel, meinen Namen nennt, was mir unausstehlich ist, und daß ich mich mit keinem Journalredakteur, mit keinem Buchhändler, keinem Rezensenten herumbeißen muß.« »Ist dies nicht köstlich, Stallmeister?« fragte Palvi lachend. »Was halten Sie von diesem trefflichen Lyriker, von diesem Zunder, der ohne fremden Stahl und Stein kein Feuer gibt?« »Ist es möglich?« rief der junge Rempen staunend aus. »Ist eine solche lächerliche Niederträchtigkeit jemals erhört worden! Und diesen Menschen konnte auch ich für einen Dichter halten, konnte den Genius bewundern, der auf einmal über ihn gekommen? Und auch _sie_, auch _sie_,« fuhr er in Gedanken versunken fort, »auch _sie_ ehrt und achtet ihn um dieser Gaben willen, zeichnet ihn aus, spricht mit ihm über seine neuesten Werke. Es ist, um rasend zu werden!« Palvi sah den jungen Mann bei diesen Worten teilnehmend, beinahe gerührt an; er schien mit Mühe eine tiefe Wehmut zu bekämpfen, aber der Alte fuhr fort: »Solch belletristisches Ungeziefer, das sich vom Marke anderer mästet, hätte ich schon längst gern in der Nähe geschaut, und so studierte ich diesen Hohlkopf. Wenn allerlei Mittel von außen her einen Dichter machen könnten, er müßte es längst sein. Denken Sie nur, er trägt, wenn er sich zum Dichten niedersetzt, einen Schlafrock, dessen Unterfutter aus einem Schlafrock gefertigt ist, den einst Wieland trug. Hoffmanns Tintengefäß hat er in Berlin erstanden, von einem Sattler in Weimar aber den ledernen Ueberzug eines Fauteuils, in welchem Goethe oft gesessen. Mit diesem hat er seinen Stuhl beschlagen lassen, und so will er seine Phantasie gleichsam ~a posteriori~ erwärmen. Auch liegt auf seinem Tisch eine heilige Feder, Schiller soll damit geschrieben haben. Er hat gehört, daß große Dichter gern trinken, darum geht er morgens ins Weinhaus und zwingt sich zu einer Flasche Rheinwein; abends aber, wenn er schon ganz dumm und schläfrig ist, trinkt er schwarzen Kaffee mit Rum und liegt dann in schrecklichen Geburtsschmerzen und ist gewärtig, irgend eine neue Maria Stuart oder Jungfrau von Orleans hervorzubringen.« 7. Während der Magister Bunker also sprach, schlug es elf Uhr, und nicht sobald hatte er den ersten dumpfen Ton der Glocke vernommen, als er hastig sein Glas austrank, einige Groschen auf den Tisch legte, dem erstaunten Stallmeister mit einer gewissen freundlichen Rührung die Hand bot und sie ihm und Palvi herzlich drückte. Dann aber rannte er so eilends aus dem Entenzapfen, daß Rempen nicht einmal sein freundliches »Gute Nacht!« erwidern konnte. »Sie staunen,« sprach der Referendär, »daß uns der sonderbare Mensch so plötzlich und verwirrt verläßt. Er wohnt bei einem strengen Mann, der immer fünf Minuten nach elf Uhr die Haustür schließt. Weil nun der arme Magister eigentlich als Almosen sein Freilogis genießt, darf er keinen Hausschlüssel führen wie Leute, die ordentlich bezahlen, und so jagt er wie ein Gespenst, das mit dem ersten Hahnenschrei in sein Grab entweicht.« »Ist dieser Mensch glücklich oder unglücklich zu nennen?« fragte Rempen nicht ohne Bewegung. »Ich denke glücklich,« erwiderte Palvi sehr ernst; »wer wenig hofft, hat nichts zu fürchten; er ist ruhig. Die Zeit mildert ja alles, und für die Erinnerung ist er kalt geworden.« »Hat er je geliebt?« »Er hat geliebt, die Tochter jenes Hauses in Kurland, wo er Erzieher war. Er muß sehr liebenswürdig gewesen sein, denn die junge Gräfin starb nachher aus Kummer. Er selbst aber brachte zwei Jahre tiefer Schwermut in einem Irrenhause zu.« »Gott, welch ein Schicksal!« rief der junge Mann gerührt. »Wer hätte dies ahnen können? Er hat uns eine so heitere Außenseite gezeigt.« »Wozu soll er seinen Schmerz zur Schau tragen?« entgegnete Palvi. »Er gehört nur sein, und er verschließt ihn mit den Trümmern besserer Tage in seiner Brust. Ich denke, es ist dies die einzige Art, wie Männer leiden müssen.« »Es müßte mich alles täuschen,« sagte Rempen nach einer Pause, »oder auch Sie lieben nicht glücklich. Nennen Sie mich nicht unbescheiden. Sie haben mir zu viel Interesse eingeflößt, und auch die Dame, die ich meine, steht mir nicht so fern, als daß nicht meine wärmste Teilnahme bei dieser Frage wäre.« Der Referendär sah ihn überrascht, doch nicht gerade verwundert an; sein ernstes, dunkles Auge schien die Züge des Fragenden noch einmal zu prüfen. »Es gibt wenige Menschen,« antwortete er, »die diese Frage an mich gerichtet hätten. Doch an Ihnen freut mich gerade diese Offenheit. Ich weiß, Sie meinen Elise Wicklow; ich liebe sie.« »Und werden wiedergeliebt?« fragte Rempen errötend. »Ich zweifle; doch möchte ich von Ihnen nicht verkannt werden, darum will ich Ihnen die kurze Geschichte dieser Liebe geben. Meine Eltern, sie sind beide tot, lebten in dieser Stadt. Unser Haus war mit den Wicklows sehr befreundet, denn mein und Elisens Großvater sind aus demselben Lande hier eingewandert. Ich bin um so viel älter denn Elise, daß uns unsere Kinderspiele nicht zusammenführten. Wohl aber durfte ich, als auch meine Mutter starb, das Haus hin und wieder besuchen, und ich faßte in einem noch sehr jungen Herzen eine glühende Neigung für das schöne Kind. Nach den ersten Jahren meines Universitätslebens kam ich hierher. Sie war herrlich herangeblüht und gestand mir, daß sie mir recht gut sei. Elise war damals fünfzehn Jahre alt. Ich kam in rohe Gesellschaften. Mein Vermögen und mein Stipendium reichten nur das erste Mal hin, meine Schulden zu decken. Das zweite Mal drückte mich eine bei weitem geringere Verlegenheit bei weitem unangenehmer, weil ich keinen Rat wußte. Sie hatte es erfahren, und durch fremde Hand wurden meine Schulden getilgt. Mädchen in guten Ständen, in einem soliden Hause aufgewachsen, wissen nicht, wie leicht ein armer Teufel in solche Verlegenheit kommt. Sie schmälte mich in den Ferien und hielt mich für einen schlechten Menschen. Ich versprach Fleiß und solides Leben. Das Unglück eines meiner Freunde, der einen andern erschoß, riß mich mit fort und wieder ins Elend. Auch da hat sie mir wieder geholfen und mich zu Ehren gebracht. Bei so vielen Wohltaten konnte mich vor mir selbst nur der Gedanke entschuldigen, daß es die Hand der Geliebten sei, die mich gerettet, daß ich diese Hand einst auf immer in die meinige legen werde. »Ich raffte mich zusammen, und bald darauf gelang es mir durch Fleiß und Eifer, hier angestellt zu werden. Meine Stellung zu Elisen war aber eine ganz andere geworden. Der alte Wicklow hatte erfahren, wie mich seine Tochter unterstützt hatte, und verbot mir schon beim ersten Besuch sein Haus, aus dem einfachen Grunde, weil ich _arm_ und _leichtsinnig_ sei. »Elise selbst lebte in großen, glänzenden Zirkeln, wo ich keinen Zutritt hatte, verkehrte mit allerlei schönen Geistern und galt für die Krone der jungen Damen. Ich konnte sie höchstens in öffentlichen Gärten, auf Bällen und Konzerten, im Theater sehen. Und nur ihr freundlicher Blick konnte mich für so viel Entsagung trösten, konnte mich von dem beinahe Unbegreiflichen überzeugen, daß dieses allgemein angebetete Geschöpf -- mich liebe.« Der Stallmeister suchte vergebens seine Bewegung zu verbergen. Eine hohe Röte lag auf seinem Gesicht, und sein Auge hing voll Erwartung an den Lippen Palvis. »Beruhigen Sie sich,« sagte dieser, als er den unangenehmen Eindruck bemerkte, den seine Erzählung auf den jungen Mann machte. »Fürchten Sie nichts, ich werde bald zu Ende sein. Ich war glücklich und zufrieden; ich kannte ihre Vorliebe für Poesie, und die Liebe ermutigte mich, einen Versuch zu wagen, der mich ihr noch werter machen sollte. Ich strengte alle meine Kräfte an, um sie mit etwas Gelungenem zu überraschen. Da brachte man mir eines Tages einen Brief. Ich erkannte ihre Züge, ich riß ihn auf und -- sie schrieb mir mit kurzen, aber heftigen Worten, daß sie sich auf ewig von mir lossage, daß sie mich in tiefster Seele verachte; warum? werde mir mein eigenes Gewissen sagen. Ich versuchte mancherlei Wege, um mich ihr zu nahen, mein Gewissen sprach mich von irgend einem Fehler gegen die Geliebte frei, darum wollte ich mir Gewißheit über das Warum verschaffen. Doch sie wich überall aus, und noch heute -- heute abend in jenem Zirkel hat sie alle meine Hoffnungen zertrümmert.« In dem edelmütigen Herzen des jungen Rempen siegte jetzt Mitleiden über jedes andere Gefühl. Er faßte die Hand des unglücklichen, ihm so interessanten Mannes; er gelobte ihm, bei Elisen für ihn zu sprechen, sie um die Ursache ihres Betragens zu befragen. Aber jener erwiderte mit dem Stolze, den unverdiente Kränkung gibt: »Vertrauen ist die erste Bedingung der Liebe. Wo Vertrauen fehlt, da war nie Liebe, oder sie ist jedem Zufall ausgesetzt. Ich habe Elisen auf immer verloren, selbst wenn sie mich wieder lieben würde.« »Und in diesem Zustand wollen Sie hier fortleben?« fragte Rempen, seine Hand ergreifend; »wollen Elisen sehen und dabei immer fühlen, daß Sie verachtet sind?« »Nein, gewiß nicht,« erwiderte jener mit düsterem Lächeln; »_mein_ Geschäft in dieser Stadt ist zu Ende. Es bleibt mir nur noch übrig, die Geliebte vor Menschen zu warnen, die ihrer nicht wert sind. Diesen literarischen Pöbel, der ihr so unendlich wert scheint, will ich noch vor ihren Augen entlarven; und ich glaube ihr damit nützlich zu sein, denn die Stellung, die Elise jetzt eingenommen, würde sie später nimmer glücklich machen. Sie selbst werden mir dazu helfen, mein Freund; schlagen Sie ein, wir wollen unsere Penelope von diesen Freiern erretten.« »Wohlan!« rief der Stallmeister, indem er aufbrach, »vielleicht findet sich morgen schon Gelegenheit, wenn uns die letzten Ritter von Marienburg versammeln; aber dann,« setzte er entschlossen hinzu, »noch _einen_ Versuch, um auch Sie glücklich zu machen!« 8. Der schöne Frühlingstag und die Furcht, für ungebildet zu gelten, wenigstens durch ihr Nichterscheinen geringes Interesse an der schönen Literatur zu verraten, vereinigte den größten Teil des Rempenschen Klubs in dem Gartensaal, den man zum Sammelplatz bestimmt hatte. Der junge Rempen war zu Pferd herausgekommen, geraume Zeit vor den übrigen Gästen; gedankenvoll setzte er sich auf den Altan des Hauses und schaute in den Fluß hinab. Wie so gern hätte er sich schon heute am frühen Morgen Gewißheit verschafft, warum Elise so plötzlich mit Palvi gebrochen, auf eine Weise gebrochen, die notwendig, er gestand es sich mit Schmerz, auf den Charakter des jungen Mannes einen düstern Schatten werfen mußte. Oft verwünschte er den gestrigen Tag und daß er diesen Menschen kennen gelernt habe, nur um ihn heute unaussprechlich zu achten und vielleicht morgen zu verlieren, zu -- bedauern; denn verachten? nein, es konnte keinen Fall geben, der ihm diesen Mann hätte verächtlich machen können. War es denn möglich, daß eine so großartige Seele etwas Gemeinem, Niedrigem sich hingeben konnte? »Er ist arm,« sagte der gutmütige Rempen zu sich, »er muß dürftig sein, denn seine Stelle kann ihn nicht ernähren; vielleicht hat er wieder Schulden gemacht, sie hat es erfahren und deutet als Leichtsinn, was vielleicht Not ist? Aber kann, selbst wenn es Leichtsinn wäre, dieser den Geliebten in ihren Augen verächtlich, elend machen?« Wie ergrimmte er in seiner Gedankenfolge über jene Schranken, welche das Herkommen und die »gute Sitte« um vornehme Häuser und ihre Töchter gezogen, wie unnatürlich erschien es ihm, daß der Geliebte die Zürnende nicht in ihrem Hause, auf dem Wege, überall befragen, vielleicht versöhnen konnte, daß vielleicht ein kleines, aber sichtbares Ausweichen, eine scharfe und laut gesprochene Rede dazu gehörte, ihn, nach den Sitten der Gesellschaft, auf immer von sich zu entfernen! »Oder wie? Sollte sie ihn vielleicht nie geliebt haben?« setzte er getrösteter hinzu. »Es wäre möglich, daß ihm diese Gewißheit weniger schmerzlich wäre als ihr Haß; aber -- darf sie ihn deswegen hassen?« Ein großer Zug von Damen und Herren hatte während dieser Gedanken des jungen Rempen den Berg erstiegen und war jetzt in den Gartensaal getreten. Noch fehlte Elise, aber man konnte nur um so ungezwungener ihren Geschmack und ihre Belesenheit bewundern. Auch Palvi wurde gebührendes Lob gespendet; man hatte selten mit dieser Gewandtheit, mit diesem Ausdruck etwas vorlesen gehört, und die Bewunderung stieg, als man sich sagte, daß er wahrscheinlich diesen Roman nicht zuvor gelesen habe. Elise kam mit Onkel und Tante Rempen angefahren, und Julius vergaß so ganz seine vorigen Gedanken, seine Vorsätze, daß er vor Freude errötend herbeisprang, sie aus dem Wagen zu heben, daß er halb unbewußt ihre Hand drückte und dies erst erkannte, als er diesen Druck erwidert fühlte. Alle jene düstern Bilder, die auf dem Altan vor seiner Seele vorübergezogen, verschwanden vor dem Glanz ihrer Schönheit. Er hatte sie nie so reizend, so wundervoll gesehen, wenigstens so huldreich war sie nie gegen ihn gewesen. Den Grund davon gestand ihm in einer Ecke des Saals die Tante. Er hatte den Zirkel gestern abend so bald verlassen, daß Elise glaubte, sie habe ihn gekränkt. Dieser Gedanke erfüllte ihn jetzt so ganz, daß er in ihre Nähe eilte, daß er mit ihr sprach und scherzte und erst durch die wiederholte Mahnung seines Onkels darauf aufmerksam gemacht werden konnte, daß die Gesellschaft sich bereits im Kreise gesetzt habe und die Erzählung des Fräulein Wicklow erwarte. »Mein Unfall,« sprach sie mit leichtem Erröten, »hat mich gestern, wenn ich nicht irre, gerade bei der Zusammenkunft der Ritter mit dem Fräulein getroffen. Des Fräuleins Vater, der nicht nur von außen, sondern auch im Innern dem Bund durch Zwischenträgerei und Uneinigkeit zu schaden sucht, hat überall Spione. Erwünscht ist ihm, daß ihm einer die Anzeige von jenem nächtlichen Rendezvous macht. Er denkt keinen Augenblick daran, daß es seine Tochter sein könnte, sondern schleicht sich mit Knechten in jene Ruinen und überfällt zuerst den Freund; die Dame und ihre Amme, die immer zugegen war, entfliehen; es kommt zum Gefecht, die Knechte werden in die Flucht geschlagen, und auch der Alte zieht sich zurück, doch nicht ohne sich vorher mit einem Zeichen von seinem Gegner versehen zu haben. »Den andern Tag versammelt der Großmeister ein Kapitel. Er entdeckt den Rittern diesen Vorfall und beschwört die Schuldigen, sich zu nennen. Sie schweigen. Noch einmal fordert er sie vergebens auf und zeigt dann der Versammlung eine goldne Kette, woran ein Siegelring befestigt ist. Das Wappen wird erkannt, und der Freund sieht sich genötigt, zu gestehen. Er übersieht mit klarem Blick seine Lage; die geschärften Gesetze müssen ihn schuldig sprechen, darum ist für ihn keine Rettung. Doch glaubt er, da er selbst verloren ist, seinen Freund retten zu können. Er gesteht, in den Ruinen mit einer Dame gesprochen zu haben. Der Meister ist tief ergriffen von diesem Geständnis; es ist ein tapferer, junger Mann, den das Urteil trifft, er wurde von vielen geliebt. Peinlich ist die Lage des Helden selbst, und treffend die Beschreibung, wie die Furcht vor Entehrung, die Hoffnung, der Freund könne gerettet werden, ihn bald zur Entdeckung antreiben, bald davon zurückhalten. Das Urteil der Ritter wird gesammelt. Es lautet: ›Entehrender Ausschluß aus dem Orden.‹ Jetzt aber erzählt der Meister, daß noch ein zweiter Johanniter diesen Fehltritt geteilt habe; er verspricht, die Strafe in Entlassung zu mildern, wenn der Schuldige den Mitschuldigen entdecke. Jener schweigt und verratet ihn nicht. Da stürzt der Neffe des Meisters hervor und bekennt seine ganze Schuld. Diese Szene, der Schmerz des alten Ulrich von Elrichshausen und der Wettstreit der Freunde, von welchen jeder der Schuldige sein will, ist so treffend, daß man sie hören muß.« Jetzt erst sah man sich nach dem Vorleser um. Doktor Zundler sprang nach dem Buch, das auf dem Tische lag, um zu lesen, und hatte sich schon mit freundlichem, zuversichtlichem Lächeln Elisen genähert, als der alte Rempen plötzlich aus den dichten Reihen der Männer Palvi herbeiführte. »Nein, nein,« sagte er, »hier steht der Mann, der uns gestern gezeigt hat, wie gut er einen Roman vorlese; ich denke, bester Doktor, Ihre Stimme paßt mehr zum Leichten, Lyrischen.« Mit spöttischem, halb verlegenem Lächeln reichte der Doktor das Buch hin, und Palvi las, wenn es möglich war, noch schöner als am gestrigen Abend. Diese erhabene und so unglückliche Freundschaft, die Zeremonien ihrer Ausstoßung aus dem Orden, ihre letzten Worte, als sie das Schloß verlassen, lockten in manches Auge Tränen der Wehmut, und Elise selbst schien so gerührt, daß Palvi mehrere Kapitel weiter las, um ihr Fassung zu geben. Unsern Lesern ist dieser Roman zu bekannt, als daß wir nicht besorgen müßten, sie durch längere Auseinandersetzung zu ermüden. Jene interessanten Abteilungen, wo die beiden verstoßenen Ritter an den romantischen Ufern der Nogat umherstreifen, jene glücklichen Schilderungen eines schönen Landes, die Nachrichten über die alten Preußen, in deren Mitte der Orden zwei Jahrhunderte zuvor den Samen der Kultur getragen hatte, ihre altertümlichen Gebräuche, die unverkennbaren Spuren heidnischer Sitten, auf sonderbare Weise mit christlichem Ritus vermischt, dies alles, getragen und veredelt von der tiefen Melancholie Kunos, von seines Freundes Seelenstärke und heiterem, unverzagtem Mut, spannte die Zuhörer und riß sie hin. Elise hatte sich bald wieder so weit gefaßt, daß sie mit Ruhe weiter erzählen konnte. Sie erzählte, wie die beiden Vertriebenen die Verräterei des Ordenskastellans entdecken, der die Polen heimlich nach Marienburg rief; wie sie unter Gefahr und Beschwerden sich durch die aufrührerischen Preußen nach Marienburg durchschlagen, den Meister warnen und verborgen auf Gelegenheit harren, dem Orden zu nützen. Mit großer Begeisterung las Palvi jene Schlachtszenen, worin der Meister, bei einem Ausfall auf die Polen, von seinem Neffen gerettet wird, wo der Freund die heilige Fahne des Ordens, der ihn verstoßen, aus dem dichtesten Haufen der Feinde zurückbringt und diese erhabene Tat mit einer tödlichen Wunde zahlt. Tiefe Rührung brachte jene Szene hervor, wo der Sterbende seinem Freund so manches Rätselhafte in seinem Betragen auflöst und ihm gesteht, daß auch er selbst Wanda aufs innigste geliebt habe. Der Schmerz um den Sterbenden bewegt Kuno zu dem romantischen Entschluß, seiner Liebe auf immer zu entsagen, besonders da ein Verdacht in ihm keimt, daß sie ihn weniger geliebt als den Freund. Die nächtliche Bestattung dieses edeln Menschen, die Wiederaufnahme Kunos in den Orden waren von ergreifender Wirkung, nicht minder rührend Wandas Versuche, den Geliebten noch einmal zu sprechen, und als sie sich vergessen glaubt, ihr schnelles Hinwelken. Der Kastellan ist von dem Czirwenka, dem Hauptmann der böhmischen Besatzung, der dessen Geständnis fürchtet, selbst getötet worden; verlassen, verwaist, auch von der Liebe verlassen, will sie nur so lange noch in der Nähe des Geliebten weilen, bis der Frühling heraufkommt; doch nicht nur diese zarte Blume, auch der Orden trägt den Tod im Herzen, und beide sollten den letzten Frühling in Marienburg sehen. Der Großmeister Ulrich von Elrichshausen kann sich mit seinen Rittern nicht mehr gegen den Aufstand der Preußen und gegen seine eigenen Söldner halten. Er will den Orden nach Deutschland führen und bedingt sich von den Verrätern freien Abzug. Schon sind die Pferde gerüstet, der Zug will aufbrechen, und die Ritter nehmen mit blutenden Herzen von den Hallen dieser Burg Abschied. Und als alle noch einmal ihr Teuerstes mustern, was sie verlassen sollen, kann Kuno dem letzten Ruf der Geliebten nicht widerstehen; er will zu ihr -- und findet sie sterbend. Sie schien nur noch so viel Leben in sich zu tragen, um ihn von ihrer Treue, ihrer Liebe zu versichern. Indessen hat Czirwenka die Tore geöffnet. Sechshundert Polen ziehen ein, und, statt dem Orden freien Abzug zu gönnen, wird der Großmeister vom Pferde gerissen, verspottet und verhöhnt. Kuno verläßt die sterbende Geliebte, um ihm beizuspringen; ein heftiges Gefecht entspinnt sich in den Höfen; einem großen Teil der Ritter, den Meister in der Mitte, gelingt es, zu entkommen, aber Kuno mit sechs anderen tapferen Ordensbrüdern, welche die Fahnenwache bildeten, werden von den übrigen abgeschnitten; kämpfend ziehen sie sich über die breiten Stufen bis in den großen Rempter zurück, wo sonst die Ordensfahne stand. Der Entschluß, sie lebend nicht zu übergeben, beseelt sie, sie pflanzen das Panier an seinem alten Standpunkt auf und umgeben es. Lange gelingt es ihnen, das Siegeszeichen so vieler Schlachten zu verteidigen. Aber die Polen dringen immer heftiger ein; Uebermacht und Verrat siegen, und über ihre Fahne gebreitet, sterben _die letzten Ritter von Marienburg_. Es entstand eine Pause, als Palvi geendet hatte; es schien niemand zuerst jene Stille stören zu wollen, die unter zwei oder drei heilig und rührend, in größeren Gesellschaften peinigend ist. Doch je erhabener das Gefühl ist, welches zu einer solchen Ruhe zwingt, desto ängstlicher sind die Menschen, mit etwas Gemeinem diese Nachklänge tieferer Empfindungen zu unterbrechen. Sie rennen dann auf allen vieren durch die Speisekammer ihrer Erinnerung, um etwas Feines, Eingemachtes, Kandiertes vorzusetzen, statt ihre frischen natürlichen Gefühle sprechen zu lassen. »Dieser ganze Roman,« lispelte endlich eine Dame, deren Blässe und feuchte Augen auf zarte Nerven schließen ließen, »kommt mir vor wie jener Ausspruch Jean Pauls: ›Wie manche stille Brust ist nichts als der gesunkene Sarg eines erblaßten geliebten Bildes.‹ Dieser Hüon liebt gewiß unglücklich, und darum gefällt er sich in diesem tragischen Geschick.« »Gerade dies kommt mir überaus komisch vor,« bemerkte der Hofrat, dem Neid und Verdruß um die Nasenflügel spielten; »dieser Mensch hat zu wenig Tiefe, zu wenig Empfindung, um die Wehmut, das Unglück zu zeichnen, doch ich habe mich an einem andern Ort hinlänglich darüber ausgesprochen. Gewiß, es ist so, wie ich sage. Es steht ja gedruckt, mein Urteil,« setzte er hinzu, indem er sich vornehm in den Stuhl zurücklehnte. »Doch glaube ich, auch gegen ein gedrucktes findet noch Appellation statt,« sagte der junge Rempen mit gleichgültiger Miene. »Wieso?« rief der Hofrat errötend. Rempen war etwas betroffen, aber die munteren Augen seines Oheims, der hinter dem Stuhl des Hofrats stand, winkten ihm, fortzufahren. »Ich meine, ich habe so etwas gelesen, das Ihr Urteil, bester Hofrat, völlig umstieß,« entgegnete er; »übrigens ist ein gedrucktes Urteil immer nur das Urteil eines einzelnen, und dem einzelnen muß erlaubt sein, dagegen zu streiten. Ich zum Beispiel finde diesen Roman besser, als Sie ihn gemacht haben. Auch glaube ich, Tiefe des Gefühls müsse dem abgehen, der dies in den letzten Rittern von Marienburg nicht findet.« Der Oheim hatte solches wohl nicht geahnt, denn er und die ganze Gesellschaft schienen erstaunt über die Kühnheit des Stallmeisters. »Solche historischen Romane,« nahm der Professor das Wort, »sind nur Fabrikarbeiten. Die Form ist gegeben, und wie leicht, wie sicher läßt sich diese Form von jedem handhaben! Nehmen Sie irgend einen Lappen der Welthistorie, zerreißen ihn in kleine Fetzen und kleiden die hergebrachten Personen von A bis Z darein, so haben Sie einen historischen Roman. Die weitere Entwicklung ist leicht, besonders wenn man es sich so leicht macht wie dieser Hüon, und nur genugsam Floskeln eingestreut sind; wenn das Tränentuch häufig als Panier aufgepflanzt wird, so kann der Eindruck nicht verfehlt werden.« »Und doch deucht mir,« erwiderte Palvi, »es ist bei weitem schwerer, einen Roman zu dichten, der den Forderungen einer wahren, vernünftigen und billigen Kritik entspricht, als ein Drama zu schreiben.« »Und was nennen Sie denn eine vernünftige und billige Kritik, Herr Referendarius?« fragte Doktor Zundler mit ungemein klugem und spöttischem Gesicht. »Man muß ein Buch,« erwiderte Palvi mit großer Ruhe, »man muß besonders ein Gedicht zuerst nach den Empfindungen beurteilen, die es in uns hervorruft, denn auf Gefühl ist ja ein solches Werk berechnet; es soll angenehm unterhalten, durch den Wechsel freudiger und wehmütiger Szenen befriedigen. Und dann erst, wenn unser Herz darüber entschieden hat, daß das Buch ein solches sei, das unsere Gefühle erhoben, befriedigt hat, dann erst erlaube man dem Verstand, sein Urteil darüber zu fällen, und ihm bleibt es übrig, nachzuweisen, was in Anordnung oder Stil gefehlt ist.« »Da müßte man am Ende alle Herzen abstimmen lassen,« sagte der Hofrat mitleidig lächelnd, »müßte umherfragen: hat's gefallen oder nicht? ehe man ein öffentliches Urteil fällt. Aber dem ist nicht so; unsere Journale waren es von jeher, denen zu loben oder zu verdammen zustand, und der gebildete, geläuterte Geschmack ist es, der dort richtet.« »Ueberhaupt dächte ich,« setzte Doktor Zundler mit zärtlichem Seitenblick auf Elisen hinzu, »man kann über Dinge dieser Art in Gesellschaft eine gebildete Dame mit Vergnügen hören, wie schon Goethe im Tasso sagt, aber ein öffentliches Urteil müssen nur Leute vom Fach fällen, und nur Leute vom Fach können dagegen opponieren.« »Und halten Sie sich etwa für einen Mann vom Fach?« fragte Palvi mit großem Nachdruck. Der Doktor verbarg seinen Unmut über diese Frage nur mühsam hinter einem lächelnden Gesicht. »Ich denke, die Welt zählt mich zu Deutschlands Dichtern,« sagte er. »Die Welt,« antwortete der Referendar, »die betrogene Welt, aber nicht ich; so wenig als ich meinen Dekopisten für ein Genie halte.« Die Gesellschaft fiel aus ihrer Spannung in eine sonderbare Bewegung. Die Damen sahen unmutig auf Palvi, ein Teil der Männer lachte über des Doktors auffallenden Mangel an Fassung, ein anderer Teil mißbilligte laut solche Reden in einer guten Gesellschaft. »Herr von Palvi,« rief endlich Zundler bebend, man wußte nicht, ob vor Wut oder Schrecken, »wie soll ich Ihre sonderbaren Reden verstehen?« »Ja, ja, Doktor,« sagte der Stallmeister laut lachend, »auch mit meiner Bewunderung hat es ein Ende; man sagt, Sie haben sich Ihre Gedichte und sonstigen schönen Sachen machen lassen.« »Machen lassen?« fragte der Chorus der Literatoren mit Bestürzung. »Hat sie machen lassen?« rief die Gesellschaft. »Wer wagt dies zu sagen?« schrie der Doktor, indem er bleich und atemlos aufsprang. »Nun, leider derjenige selbst, der sie Ihnen verfertigt hat,« antwortete Rempen mit großer Ruhe, »der Magister Bunker; er logiert oben in Ihrem Hause.« Der entlarvte Dichter versuchte noch einige Worte zu sprechen; er war anzusehen wie der Kopf eines Enthaupteten; die Augen drehen sich noch, die Lippen scheinen Worte zu sprechen, aber der Geist ist entflohen, der diesen Organen Leben gab. Eilig drängte er sich dann durch den Kreis, stürzte nach seinem Hut und verließ den Saal und die vor Verwunderung verstummte Gesellschaft. »Ist es denn wahr?« sprach endlich die von Angst und Sorge erbleichte Elise, indem sie den Stallmeister sehr ernst ansah. »Gewiß, mein Fräulein!« erwiderte dieser lächelnd. »Ich würde der Gesellschaft diese Szene erspart haben, aber ich war zu tief über diese freche Stirn erbittert, womit dieser Mensch mich und Sie alle hinterging. Doch hören Sie von dem wunderlichen Mann, der ihm alles dichtete.« Man setzte sich schweigend, und Rempen erzählte; während seiner Erzählung schlich sich der Redakteur der »Blätter für belletristisches Vergnügen« aus dem Saal, ihm folgten seine Genossen, beschämt und ergrimmt über sich, den Doktor und die ganze Welt. Der Gesellschaft aber gereichte die Erzählung des Stallmeisters zu nicht geringem Vergnügen. Die gute Stimmung war wiederhergestellt, der Punsch, den der alte Rempen als Nachsatz von gestern gab, löste die Zungen, man fühlte sich weniger beengt, seit die öffentlichen Schiedsrichter hinweggegangen waren, man sprach allgemein das Lob des vorgelesenen Romans aus. Auch die Toasts wurden nicht vergessen, und als Julius von Rempen die Gesundheit aller wahrhaften Dichter und ihrer gründlichen Kritiker ausgebracht hatte, wagte es Elise, mit glänzenden Augen, aber tief errötenden Wangen, die Gesellschaft aufzufordern, auf das Wohl des neuen Hüon und der letzten Ritter von Marienburg zu trinken. 9. Elise hatte dem Stallmeister, als er beim Nachhausefahren neben dem Wagen ritt, erlaubt, sie den andern Tag zu besuchen; er kam, er fand sie allein und gütiger gegen ihn gesinnt als je. Sie neckte ihn über seine Eingriffe in die literarische Welt und riet ihm, nie etwas drucken zu lassen, denn er habe alle Rezensenten gegen sich aufgebracht. »Und sind denn nicht auch Sie mir einige Minuten gram gewesen,« fragte er lächelnd, »weil es einer Ihrer Freier war, den ich entlarvte?« »Einer meiner Freier?« fragte sie hocherrötend. »Zundler? Sie irren sich.« »O, Sie schenkten ihm oft ein geneigtes Ohr,« fuhr er fort, »verabschiedeten mich oft mitten im Gespräch, um auf die Worte dieses großen Dichters zu lauschen!« »Gewiß nicht, Rempen!« antwortete sie verlegen. »Und _einer_ meiner Freier, sagten Sie, als ob ich deren viele hätte!« »Ich kenne wenigstens einige,« erwiderte er mit lauerndem Blick. »Und wen?« »Zum Beispiel Palvi.« »Palvi!« rief sie erbleichend. »Was wollen Sie mit Palvi? Ich kenne ihn nicht.« »Elise,« erwiderte der Stallmeister sehr ernst, »Sie kennen ihn. Der Zufall ließ mich vorgestern hören, daß Sie ihm selbst sagten, wie gut Sie ihn kennen. Sie lieben ihn.« »Nimmermehr!« rief sie mit glühendem Gesicht. »Er ist ein Abscheulicher! Glauben Sie, ich werde einen Elenden lieben, der -- mein Kammermädchen anbetet?« »Elise! Palvi?« »Ja, ich gestehe es,« flüsterte sie, in Tränen ausbrechend, »Ihnen gestehe ich es, es gab eine Zeit, wo ich für diesen Menschen alles hätte tun können. Ich kannte ihn noch aus meiner Kindheit und auch später, er war mir wert. Aber hören Sie: schon oft hatte mir mein eingebildetes Kammermädchen von einem schönen Herrn erzählt, der sie immer anrede, ihr von Liebe vorschwatze, und dem sie recht herzlich zugetan sei. Eines Tages stand sie dort am Fenster; auf einmal schlägt sie die Hände zusammen vor Freude, bittet mich, ans Fenster zu treten, und ruft: ›Sehen Sie, der dort in der Türe des Buchladens steht, der ist der schöne Herr.‹ Sie macht mir Platz, ich trete arglos hin, und aus dem Laden tritt in diesem Augenblick --« »Wie, doch nicht Palvi?« rief der Stallmeister, ergrimmt über das schlechte Betragen eines Mannes, den er geachtet hatte. »Er selbst,« flüsterte Elise und drückte ihre weinenden Augen in ihr Tuch. Der Stallmeister überließ das unglückliche Mädchen einige Minuten der Erinnerung an einen tiefen Kummer, hatte er ja doch selbst diese Pause nötig, um sich zu sammeln. Liebe, Mitleiden, so viele andere Empfindungen stürmten auf ihn ein, rissen ihn hin, Elisens Hand zu ergreifen und sie an seine brennenden Lippen zu ziehen. Erschreckt, überrascht blickte sie ihn an; doch schien ein günstiges Gefühl für ihn ihren strafenden Blick zu mildern. »Und darf ein Mann,« sprach er bewegt, »zu Ihnen von Liebe reden, nachdem Sie so Bitteres von uns erfahren? Darf er sagen, er würde treu sein bis in den Tod, wenn Sie ihm nur einen Teil jener Liebe schenken könnten, die jener ganz besaß?« »Julius, was fällt Ihnen ein?« rief sie mit bebenden Lippen, doch ohne ihm ihre Hand zu entziehen. »Wozu --« »Elise,« fuhr er fort, »ich kann einem so großen und schönen Herzen, wie das Ihrige ist, wenig Trost geben; aber die Zeit mildert, und kann nicht treue und aufmerksame Liebe selbst schönere Vorzüge ersetzen?« Sie wollte antworten, sie errötete und schwieg, aber ihren Blick voll Liebe und Wehmut durfte er günstig für sich deuten; er schloß sie in seine Arme und küßte ihren schönen Mund. »Aber, mein Gott, Rempen,« sagte sie, indem sie sich sanft von ihm loszumachen suchte, »was machen Sie doch?« »Ich habe dich ja längst geliebt,« fuhr er fort, »hatte nur _einen_ Wunsch, ich glaubte dein Herz nicht mehr frei und zögerte; jetzt, da ich weiß, daß nur Gram, aber keine fremde Liebe in diesem Herzen wohnt, jetzt muß ich dieses lästige Geheimnis von mir werfen. Aber wie? -- zürnen Sie mir vielleicht über alles dieses?« »Julius!« rief sie erschreckt von dem wehmütigen Ton, womit er die letzten Worte sagte. Dieser Name, so sanft und wohlwollend ausgesprochen, ihr ängstlicher, zärtlicher Blick sagten ihm mehr als alle Worte. »Und darf ich mit dem Vater reden, Elise? Darf ich?« setzte er hinzu. Sie errötete und erbleichte ebenso schnell wieder, sie sah ihn eine kleine Weile prüfend an, eine Träne trat in ihre schönen Augen; aber um ihren Mund zog ein flüchtiges, feines Lächeln; sie drückte seine Hand; eine kleine Bewegung des Hauptes und die hohe Röte, die wieder über ihre Wangen ging, sagten ja, und schnell, wie vom Wind hinweggetragen, war sie in ein anderes Zimmer entschlüpft. Der Stallmeister war in jeder Hinsicht eine so gute und anständige Partie, daß der alte Wicklow, als der Geheimrat von Rempen für seinen Neffen warb, keinen Anstand nahm, seine Zusage zu geben. Der junge Mann selbst war so von seinem süßen Glück erfüllt, daß er lange nicht an die Begebenheiten dachte, die diesem wichtigen Schritt vorangegangen waren. Endlich erinnerte ihn ein Zufall an Palvi; so unangenehm diese Erinnerung war, so fühlte er doch als Mann und als künftiger Gatte Elisens, daß er diesem Menschen, mochte er sich auch wirklich schlecht gezeigt haben, Erklärung schuldig sei. Und wie bebte seine Hand, als er ihm in wenigen Zeilen sagte, daß Elisens Widerwille unüberwindlich sei, daß er ihn versichern könne, daß sie niemals einen Mann mehr lieben werde, welchen sie aufzugeben nicht unrecht gehabt, daß er selbst versuchen wolle, Palvis Stelle bei ihr zu ersetzen. Ja, seine Hand, sein Herz bebte, als er diese Buchstaben niederschrieb; es konnte ihn nicht beruhigen, daß er sich ins Gedächtnis recht lebhaft zurückrief, wie niedrig und elend dieser Mensch an einer so zarten, heiligen Liebe, wie sie Elise gab, gefrevelt habe. Die edeln Züge, das Auge dieses Mannes standen vor ihm; sein so hoher und liebenswürdiger Geist, so fein in Urteil und Benehmen, und dennoch so wenig sittliche Würde? Die Erinnerung an jenen Abend, wo sich ihm dieser Mensch so ernst und doch so herzlich genähert hatte, wo er ihm sein inneres Leben aufschloß und ein verarmtes Herz bei solchem Reichtum der Gedanken, eine tief verwundete Seele bei solcher Gesundheit des Geistes zeigte, machte ihn so wehmütig, daß er nahe daran war, die kaum geschriebenen Zeilen zu zerreißen; aber der Gedanke an Elise, die Vermutung, daß dieser Palvi so schöne Empfindung, so tiefe Rührung nur geheuchelt haben müsse, erkälteten schnell seine warme Teilnahme. Entschlossen schickte er den Brief ab, und doch deuchte es ihm, als er seinen Boten verschwinden sah, er habe einen Todespfeil auf ein edles Herz entsendet. 10. Der alte Herr von Rempen erinnerte sich mehrerer Fälle, wo die feierliche Verlobung gräflicher, sogar fürstlicher Paare gleich den andern oder dritten Tag, nachdem die Werbung angenommen worden, vor sich gegangen war. Er stand daher um so weniger an, seinen Neffen und Elisens Vater zu gleicher Eilfertigkeit zu treiben, als er selbst gleich nach dieser Szene, wobei, seiner Meinung nach, sein Segen notwendig war, auf mehrere Wochen auf das Land gehen wollte. So kam es, daß sich der Stallmeister durch den verhängnisvollen Zug der Umstände in die ruhige Bucht eines schönen, häuslichen Glückes versetzt sah, als er sich kaum noch auf hoher See glaubte oder wenigstens von Klippen träumte, an welchen seine Hoffnung auf immer scheitern könnte. Am Morgen jenes festlichen Tages, der zu seiner Verlobung angesetzt war, brachte ihm ein Knabe einen Brief; die Hand, die ihn geschrieben, war ihm unbekannt. Er öffnete und fand den Namen des Magisters Bunker unterzeichnet. So unangenehm auch die Erinnerungen sein mochten, mit welchen dieser Name in Verbindung stand, so machte doch das Andenken an diesen alten Mann und die wenigen rührenden Worte des Briefes tiefen Eindruck auf ihn. Er bat, der Stallmeister möchte dem Knaben zu ihm folgen; er habe ihm notwendig etwas zu eröffnen und sei selbst zu schwach und angegriffen, als daß er über die Straße gehen könnte. Rempen fürchtete anfangs ein Zusammentreffen mit Palvi. Als aber der Knabe auf seine Frage, ob Herr von Palvi bei dem Alten sei, antwortete: »Ach nein! der ist ganz schnell weggereist und kommt nimmer wieder, und der alte Herr Magister hat geweint wie ein Kind,« nahm er eilends seinen Hut und folgte. Der Knabe führte ihn durch mehrere Seitenstraßen in einen abgelegenen Teil der Stadt, wo arme Leute und Handwerker wohnten, bis vor ein kleines, aber reinliches Haus. Dort stieg er eine Treppe hinan und öffnete dem Stallmeister eine Türe. Es war ein Zimmer voll Verwirrung und Unordnung, in das sie traten. Papiere und Bücher lagen am Boden zerstreut, und die Trümmer einer Gitarre mischten sich mit ausgeleerten Flaschen und alten Schuhen. Auf den Stühlen lagen Kleidungsstücke, auf dem schlechten Kanapee aber saß, den Kopf in die Hand gestützt, ein Mann, in welchem Rempen den Alten erkannte. Beim Geräusch, das ihr Eintritt verursachte, wandte er den Kopf um und hatte Tränen in den alten Augen. »Vergeben Sie mir!« sagte er, indem er mit Mühe sich aufraffte. »Meine Füße trugen mich nicht mehr zu Ihnen, und meine Hand zittert -- ich mußte meine Botschaft mündlich geben.« »Was ist vorgegangen!« rief der junge Mann bestürzt. »Sie sind krank, Sie weinen, um wen? Und von wem eine so feierliche Botschaft?« Der Alte trocknete sich die Augen. »Er hat viel auf Sie gehalten,« sprach er, »noch gestern und vorgestern hat er immer von Ihnen gesprochen und innig bedauert, daß er Sie so spät erst kennen gelernt hat. Sie hätten können herzliche Freunde werden, denn Sie sind keiner von den schuftigen Gesellen, die er verabscheute.« »Mein Gott, Sie sprechen von Palvi? Wo ist er?« »Möge ihn ein gütiger Arm vor den Wellen des Flusses bewahrt haben!« erwiderte der Alte sehr ernst; »doch nicht wahr, junger Mann, es gehört größere Kraft dazu, einen Kummer zu tragen, als sich von ihm zerbrechen zu lassen? Nicht wahr? Ich glaube es wenigstens, und er ist eine kräftige Seele, er kann nicht zum Selbstmörder werden.« Rempen verhüllte sein Gesicht, er konnte den tiefen Gram des Alten nicht länger sehen. Aber dieser zog ihm ängstlich die Hand von den Augen. »O lesen Sie doch,« sagte er; »lesen Sie genau, prüfen Sie jedes Wort, nicht wahr, es steht nichts darin, daß er sich töten wolle?« Rempen nahm das Blatt; es war in wenigen Worten ein kurzer, aber ergreifender Abschied an den Alten. Er müsse ihn und diese Stadt verlassen, schrieb er. Als Grund gab er nur flüchtig sein unglückliches Verhältnis zu Elisen an, von welchem der Alte völlig unterrichtet schien. Rempen suchte den Alten zu trösten; »es sei so natürlich,« sagte er, »daß Palvi sich zerstreuen wolle, daß er vielleicht nur eine kleine Reise mache!« Aber der Alte schüttelte mit bitterem Lächeln den Kopf. »Er kommt nicht wieder; und ach! ich habe keine Freude und keinen Freund mehr! Er hat alle seine kleinen Rechnungen bezahlt, und mir,« setzte er weinend hinzu, »mir hat er seine Bücher und alles hinterlassen. -- Doch mein Auftrag. Sie sehen, wie sehr er Sie schätzte, hier ist ein Paket mit Büchern an Sie, die Adresse schrieb er noch heute morgen, und in einem kleinen Zettelchen, das er darauf gelegt hat, bittet er mich, Sie bei allem, was heilig sei, zu versichern, daß er kein schlechter Mensch gewesen sei, daß er Sie liebe und in Ihrem Glück sein eigenes finde.« Indem der Magister noch diese Worte sprach, hörte man ein Geräusch auf der Treppe, eilende Schritte nahten dem Zimmer, die Türe ging auf, und ein Zeitungsblatt in der Hand stürzte der Buchhändler Kaper in das Zimmer. »Wo ist er?« rief er erhitzt und atemlos; »wo ist der große und unvergleichliche Hüon, unser Scott, unser letzter Ritter! Wo ist Blüte und Kern unserer Literatur? Ich meine den Herrn Referendär von Palvi, der hier logiert, wenn ich nicht irre,« setzte er hinzu, als er den Gesuchten nicht im Zimmer fand. »Er ist verreist,« antwortete der Alte. »Himmel! komme ich zu spät?« fuhr Kaper fort, »wissen Sie nicht, hat Hüon schon einen Verleger zum nächsten Historischen? Daß wir es erst heute erfahren müssen! -- Ei! ei! gratuliere, Herr Stallmeister, zu meiner schönen Nachbarin -- aber wer hätte das gedacht, daß wir den göttlichen Hüon in den eigenen Mauern hätten, daß es dieser Herr von Palvi wäre!« »Wie!« rief der Stallmeister, indem er den Alten staunend anblickte. »Er wäre Hüon?« »Da steht's, da steht's gedruckt im Konversationsblatt,« schrie der Buchhändler, seine Zeitung dem jungen Rempen überreichend. »Hüon,« sagte der Alte, »er war Hüon. Wohl hat er den Ungläubigen die Backenzähne ausgezogen, und vergebens kämpften sie gegen meinen edlen, jugendlichen Paladin, aber sein Geschick wollte, er sollte Hüon ohne Rezia sein.« Noch einmal öffnete sich die Türe und spie, wie das Tor im Löwengarten des Königs Franz, zwei Leoparden auf einmal aus. Es waren der Hofrat und der dramatische Professor, die hereinstürzten. »Wo ist er?« riefen sie. »Vergessen sei alle Fehde! Wir hatten ja einen ganz andern im Verdacht, der Autor dieses Romans zu sein; darum, gewiß nur darum haben wir ihn gehauen. Ins Freitagskränzchen soll er kommen, Mitarbeiter soll er werden am belletristischen Vergnügen! Den Zundler soll er uns ersetzen, der treffliche Hüon.« So schrieen sie durcheinander, aber mit Hohn und Verachtung blickte sie der Alte an. »Ihr findet ihn nicht mehr,« sagte er. »Er ist hinweg für immer.« »Hat er etwa einen Ruf bekommen?« rief der Professor. »Ha!« rief ihm der Hofrat nach, »das ist ja wohl Zundlers rätselhafter Magister. Herrlicher Fund! Wir zahlen zehn Taler pro Bogen, Wertgeschätzter; arbeiten Sie mit an unserm Blatt, was Sie wollen; Gedichte, Novellen, Rezensionen, Kunstgefühle, wir nehmen alles auf!« »Zurück!« entgegnete der alte Mann mit mehr Hoheit, als ihm Rempen zugetraut hatte; »ich habe einen Freund verloren, eine große, schöne Seele, und bin nicht gesonnen, ihn mit euch und euren Talern zu ersetzen. Dort am Boden liegen Palvis Papiere -- teilt euch in seinen poetischen Nachlaß.« Er sprach es, nahm den Stallmeister unter den Arm und verließ mit ihm langsam das Zimmer. Kaper, der Hofrat und der Professor stürzten wie Drachen auf den Boden und über die Papiere her, und mitten in seinem Kummer mußte der Stallmeister lächeln, als ihm der Alte auf der Treppe entdeckte, jene werden nur Fragmente von juristischen Relationen und unbedeutende Kriminalakten finden. Als aber der Alte an der Türe des Hauses, mühsam und auf seinen Stab gestützt, an den Häusern hinschleichen wollte, ergriff Rempen seinen Arm von neuem und führte ihn trotz seiner Widerrede bis zu seiner Wohnung. Dort setzte sich der Magister auf einen Stein, um Kräfte zu gewinnen; denn sein Stübchen lag fünf Stockwerke hoch. 11. Elise saß zu derselben Stunde vor der Toilette. Gedankenvoll sah sie vor sich hin, indem das Kammermädchen ihre Haare ordnete. Vielleicht hatte der tägliche Anblick dieser Zofe den Stachel entheiligter Liebe nur immer noch tiefer in das Herz gedrückt; und dennoch vermochte sie es nicht über sich, dieses Mädchen wegzuschicken; es war der Stolz einer erhabenen Seele, was sie von diesem Schritt abhielt, der vielleicht auch von ihren Eltern getadelt worden wäre, denn das Mädchen diente treu und geschickt. Doch so tief diese Wunde sein mochte, Elise suchte in diesem Augenblick ihren Schmerz zu übertäuben. Wenn nach den Gesetzen der Natur das Wesen in uns zu derselben Zeit verschiedentlich beschäftigt sein könnte, wenn es möglich wäre, in dem nämlichen Moment in dem Herzen so ganz anders zu fühlen, als man oben hinter den Augen denkt, so müßte Elisens Seele in dieser Stunde nach verschiedenen Richtungen sich geteilt haben. Im Hintergrund ihres Herzens flüsterten tiefe, wehmütige Töne die Erinnerung einer schönen Zeit, sie sangen in klagenden Weisen jene Tage, wo Elise auf der ersten Stufe der Jugend das Auge des Geliebten verstand. In volleren Akkorden rauschten diese Erinnerungen, als sie von Stunden seliger Liebe, von Trennung und der Wonne des Wiederfindens sprachen. »Verloren, verloren durch seine eigene Schuld!« weinte dann ihre Seele. »Untergegangen ein so großer, schöner Geist in Leichtsinn und Niedrigkeit!« Doch diese Gefühle schlichen nur gleich Schatten vorbei; sie suchte mit aller Gewalt des Geistes den Blick von diesen Erinnerungen abzuwenden, sie dachte an das ruhige, klare Wesen ihres zukünftigen Gatten, sein bescheidenes und doch so würdiges Betragen, seine reine Herzensgüte. Sie rief sich alles dies hervor, ja, sie versuchte zu lächeln, um freundlichere Gefühle dadurch zu erringen, aber -- es gelang ihr, ruhig, doch nicht, heiter zu werden. Der Putz war vollendet, sie richtete sich vor dem hohen Spiegel auf, und die Freude an ihrer eigenen hübschen Gestalt verdrängte auf Augenblicke jene düsteren, wehmütigen Bilder. »Nein, und wenn er noch so proper angetan wäre,« sagte in diesem Augenblick das Kammermädchen, »mich soll er nicht mehr anreden dürfen!« »Ich habe dir gesagt, du sollst nicht mehr von solchen Dingen reden,« rief Elise mit der Röte des Unmutes auf den Wangen. »Ach Gott! gnädiges Fräulein, ich will ja auch gar nichts mehr von dem schlechten Menschen wissen, aber ich sagte nur so, weil er wieder in Herrn Kapers Laden steht.« Elise zitterte, sie wollte von dem Spiegel hinwegeilen, aber unwiderstehlich zog es sie an das Fenster. Sie warf einen Blick hinüber, und unter jener Türe stand Zundler. »Wie!« rief sie, kaum ihrer Worte mächtig, der Zofe zu, »ist es denn dieser?« »I, freilich! aber werden Sie mir nur nicht böse!« »Und dieser ist derselbe, den du _damals_ meintest?« fuhr sie mit bebenden Lippen fort. »Wer denn anders?« entgegnete jene ruhig; »aber ich weiß jetzt, er ist ein schlechter Mensch, und jetzt weiß ich auch, wie er heißt, Doktor Zundler.« »Geh, geh, bringe die Kleider weg,« flüsterte Elise, indem sie ihr glühendes Gesicht halb bewußtlos in die Kissen des Sofas drückte; das Mädchen eilte erschrocken hinweg, und die unglückliche Braut war mit ihrem Gram allein. Welche Gefühle stürmten auf sie ein! Beschämung, Liebe, Unmut über sich selbst. Sie sprang auf; ein Gang durch das Zimmer machte sie mutiger. Sie wollte Rempen alles gestehen, sie war einen Augenblick überzeugt, er werde so edel sein, zurückzutreten, Palvi werde leicht zu versöhnen sein. Aber die Stadt wußte, daß heute ihre Verlobung sei. Ihr Vater hatte dem Geliebten sogar das Haus verboten, würde er jemals einwilligen, sie glücklich zu machen? Nein! -- Scham vor der Welt, Reue, Angst warfen sie nieder. Bleich, erschöpft und zitternd fand sie der Stallmeister, als er bald darauf ernster, als zu diesem fröhlichen Tag sich schickte, in Elisens Zimmer trat. »Ich muß Ihnen eine sonderbare Nachricht geben,« sagte er bewegt, indem er sich zu ihr setzte und, beschäftigt mit seinen Gedanken, ihre Verwirrung nicht bemerkte. »Palvi ist weggereist, und zwar auf immer.« »Er ist tot!« rief sie. »Gewiß, schnell, sagen Sie es nur heraus, er hat sich getötet!« »Nein,« erwiderte Rempen, »er hat mir einen Brief zurückgelassen, worin er Sie und mich zum letztenmal begrüßt; er ist nach Frankreich gegangen. Dorthin lautet auch sein Paß, wie mir soeben mein Onkel erzählte.« Elise schwieg; sie fühlte, daß sie ihn erst in diesem Augenblick ganz verloren habe; aber sie hatte Kraft genug, jeden Laut des Kummers zu unterdrücken. »Doch was Sie noch mehr befremden wird,« fuhr er fort, »jenen Roman, den Sie uns letzthin erzählt haben, hat uns der Autor selbst vorgelesen.« »Palvi!« rief sie in so eigenem Ton, daß der Stallmeister erschrak. »Er wäre --« »Hüon, der Autor der ›letzten Ritter von Marienburg‹. Es steht schon in öffentlichen Blättern, und hier schickt er mir und Ihnen dieses Werk.« Der Stallmeister öffnete ein Paket und gab Elisen die Bücher. Sie öffnete eines derselben; ihr Blick fiel auf das Märchen, woraus Palvi mit so sonderbarem Accent einige Reime gelesen, und jetzt erst stieg eine längst verbleichte Erinnerung in ihr auf. Es war ein Märchen, das Palvis Vater den Kindern so oft erzählt hatte. Eine große Träne schwamm in ihrem schönen Auge und fiel herab auf diese Zeilen. In diesem Augenblick öffneten sich die Flügeltüren. Mit feierlichem Gesicht und überladen mit seinen Orden trat der Geheimrat von Rempen herein. Mit Anstand trat er vor das Fräulein, ihr den Arm zu bieten. »Die Familien sind im Salon versammelt,« sprach er; »ist es gefällig, die Ringe zu wechseln? Doch wie? Sind Sie so sehr in unsere Literatur verliebt, daß Sie sogar gerade vor der Verlobung Lesestunden mit meinem Neffen halten? Was lesen Sie denn, wenn man fragen darf?« Mit einem schmerzlichen Lächeln stand Elise auf und nahm seinen Arm. »Etwas Altes in neuer Form,« erwiderte sie, »ein Märchen von untergegangener Liebe!« »Ei! ei!« setzte der Oheim lächelnd und mit dem Finger drohend hinzu. »Etwas solches vor der Verlobung? und wie heißt denn der Titel?« fragte er, indem er sie in den Saal führte. »Er heißt: _Die letzten Ritter von Marienburg_.« Des Verfassers eigene Kritik über vorstehende Novelle. (Litteraturblatt des Morgenblatts 1827 Nr. 92 u. ff.) _Die letzten Ritter von Marienburg_, Novelle von W. Hauff. Auch wieder einmal eine Novelle, doch gottlob keine historische, wie wir beim ersten Anblick geargwöhnt hatten; lieber wäre es uns gewesen wenn Herr Hauff seinen Stoff, wie es im ersten Kapitel geschieht, durchaus zu einer Satire der historischen Romane, nicht aber zu einer ziemlich unnötigen Belobung derselben benützt hätte. Auch ist es nicht sehr bescheiden, daß der Herr Verfasser den Roman »Die letzten Ritter von Marienburg« so oft als trefflich und unvergleichlich schildert, da er doch selbst es ist, der die Skizze davon entworfen hat. Die letzten Partien der Novelle sind abgerissener und eilender als die ersten und verfehlen dadurch den Charakter der besonnenen Ruhe und Rundung, den die Novelle haben soll. Herr Hauff scheint sich zwar diesmal in Hinsicht auf Sprache und Anordnung mehr Mühe gegeben zu haben als im vorjährigen Frauentaschenbuch; aber auch hier sind die Figuren nur skizziert, flüchtig angedeutet und gelangen somit nicht zu echterm, farbigem Leben. Das Motiv, aus welchem Fräulein Elise den Dichter Palvi aufgibt, ist, wenn ein natürliches, doch jedenfalls kein poetisches. Die Sängerin. 1. »Das ist ein sonderbarer Vorfall!« sagte der Kommerzienrat Bolnau zu einem Bekannten, den er auf der breiten Straße in B. traf; »gesteht selbst, wir leben in einer argen Zeit.« »Ihr meint die Geschichte im Norden?« entgegnete der Bekannte, »habt Ihr Handelsnachrichten, Kommerzienrat? Hat Euch der Minister des Auswärtigen aus alter Freundschaft etwas Näheres gesagt?« »Ach, geht mir mit Politik und Staatspapieren; meinetwegen mag geschehen, was da will. Nein, ich meine die Geschichte mit der Bianetti.« »Mit der Sängerin? Wie? Ist sie noch einmal engagiert? Man sagte ja, der Kapellmeister habe sich mit ihr überworfen --« »Aber um Gottes willen,« rief der Kommerzienrat und blieb staunend stehen; »in welchen Spelunken treibet Ihr Euch umher, daß Ihr nicht wisset, was sich in der Stadt zuträgt? So wisset Ihr nicht, was der Bianetti arrivierte?« »Kein Wort, auf Ehre! was ist es denn mit ihr?« »Nun, es ist weiter nichts mit ihr, als daß sie heute nacht totgestochen worden ist.« Der Kommerzienrat galt unter seinen Bekannten für einen Spaßvogel, der, wenn er morgens von elf bis Mittag seine Promenaden in der breiten Straße machte, die Leute gerne aufhielt und ihnen irgend etwas aus dem Stegreife aufband. Der Bekannte war daher nicht sehr gerührt von dieser Schreckensnachricht, sondern antwortete: »Weiter wisset Ihr also heute nichts, Bolnau? Ihr müßt doch nachgerade mit Eurem Witz zu Rande sein, weil Ihr die Farben so stark auftraget. Wenn Ihr mich übrigens ein andermal wieder stellet in der breiten Straße, so besinnt Euch auf etwas Vernünftigeres, sonst bin ich genötigt, einen Umweg zu machen, wenn ich von der Kanzlei nach Hause gehe.« »Er glaubt's wieder nicht!« rief der Spaziergänger; »seht nur, er glaubt's wieder nicht! Wenn ich gesagt hätte, der Kaiser von Marokko sei erstochen worden, so hättet Ihr die Nachricht mit Dank eingesteckt und weitergetragen, weil sich dort schon Aehnliches zugetragen hat. Aber wenn eine Sängerin hier in B. totgestochen wird, da will keiner glauben, bis man den Leichenzug sieht. Aber, Freundchen, diesmal ist's wahr, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin.« »Mensch! Bedenket, was Ihr sagt!« rief der Freund mit Entsetzen. »Die Sängerin erstochen? Tot, sagtet Ihr? Die Bianetti totgestochen?« »Tot war sie vor einer Stunde noch nicht, aber sie liegt in den letzten Zügen, soviel ist gewiß.« »Aber sprechet doch ums Himmels willen! Wie kann man denn eine Sängerin totstechen? Leben wir denn in Italien? Für was ist denn eine wohllöbliche Polizei da? Wie ging es denn zu? Totgestochen!« »Schreiet doch nicht so mörderlich!« erwiderte Bolnau besänftigend; »die Leute fahren schon mit den Köpfen aus allen Fenstern und schauen nach dem Straßenlärm. Ihr könntet ja ~sotta voce~ jammern, so viel Ihr wollt. Wie es zuging? Ja sehet, da liegt es eben; das weiß bis jetzt kein Mensch. Gestern nacht war das schöne Kind noch auf der Redoute, so liebenswürdig, so bezaubernd wie immer, und heute nacht um zwölf Uhr wird der Medizinalrat Lange aus dem Bette geholt, Signora Bianetti liege am Sterben; sie habe eine Stichwunde im Herzen. Die ganze Stadt spricht schon davon, aber natürlich das tollste Zeug. Es sind allerdings fatale Umstände dabei, daß man nicht ins reine kommen kann; so darf z. B. niemand ins Haus als der Arzt und die Leute, die sie bedienen. Auch bei Hof weiß man es schon, und es kam ein Befehl, daß die Wache nicht am Haus vorbeiziehen dürfe; das ganze Bataillon mußte den Umweg über den Markt nehmen.« »Was Ihr sagt! Aber weiß man denn gar nicht, wie es zuging? Hat man denn gar keine Spur?« »Es ist schwer, sich aus den verschiedenen Gerüchten auf das Wahre durchzuarbeiten. Die Bianetti, das muß man ihr lassen, ist eine sehr anständige Person, der man auch nicht das geringste nachsagen kann. Nun, wie aber die Leute sind, besonders die Frauen, wenn man da von dem ordentlichen Lebenswandel des armen Mädchens spricht, zuckt man die Achsel und will von ihrem frühern Leben allerlei wissen. Von ihrem frühern Leben! Sie hat kaum siebzehn Jahre und ist schon anderthalb Jahre hier? Was ist das für ein früheres Leben!« »Haltet Euch nicht so lange beim Eingang auf,« unterbrach ihn der Bekannte, »sondern kommt auf das Thema. Weiß man nicht, wer sie erstochen hat?« »Nun, das sage ich ja eben; da soll es nun wieder ein abgewiesener oder eifersüchtiger Liebhaber sein, der sie umbrachte. Sonderbar sind allerdings die Umstände. Sie soll gestern auf der Redoute mit einer Maske, die niemand kannte, ziemlich lange allein gesprochen haben. Sie ging bald nachher weg, und einige Leute wollten gesehen haben, daß dieselbe Maske zu ihr in den Wagen stieg. Weiter weiß niemand etwas Gewisses; aber ich werde es bald erfahren, was an der Sache ist.« »Ich weiß, Ihr habt so Eure eigenen Kanäle, und gewiß habt Ihr auch bei der Bianetti einen dienstbaren Geist. Es gibt Leute, die Euch die Stadtchronik nennen.« »Zu viel Ehre, zu viel Ehre,« lachte der Kommerzienrat und schien sich ein wenig geschmeichelt zu fühlen. »Diesmal habe ich aber keinen andern Spion als den Medizinalrat selbst. Ihr müßt bemerkt haben, daß ich, ganz gegen meine Gewohnheit, nicht die ganze Straße hinauf und hinab wandle, sondern mich immer zwischen der Karls- und Friedrichsstraße halte.« »Wohl habe ich dies bemerkt, aber ich dachte, Ihr macht Fensterparade vor der Staatsrätin Baruch.« »Geht mir mit der Baruch! Wir haben seit drei Tagen gebrochen, meine Frau sah das Verhältnis nicht gerne, weil jene so hoch spielt. Nein, der Medizinalrat Lange kommt alle Tage um zwölf Uhr durch die breite Straße, um ins Schloß zu gehen, und ich stehe hier auf dem Anstand, um ihn sogleich aufs Korn zu nehmen, wenn er um die Ecke kommt.« »Da bleibe ich bei Euch,« sprach der Freund, »die Geschichte der Bianetti muß ich genauer hören. Ihr erlaubt es doch, Bolnau?« »Wertester, geniert Euch ganz und gar nicht,« entgegnete jener; »ich weiß, Ihr speiset um zwölf Uhr, lasset doch die Suppe nicht kalt werden. Ueberdies könnte Lange vor Euch nicht recht mit der Sprache heraus wollen; kommt lieber nach Tisch ins Kaffeehaus, dort sollet Ihr alles hören. -- Machet übrigens, daß Ihr fortkommt, dort biegt er schon um die Ecke.« 2. »Ich halte die Wunde nicht für absolut tödlich,« sprach der Medizinalrat Lange nach den ersten Begrüßungen; »der Stoß scheint nicht sicher geführt worden zu sein. Sie ist schon wieder ganz bei Besinnung, und die Schwäche abgerechnet, die der große Blutverlust verursachte, ist in diesem Augenblick wenigstens keine Spur von Gefahr.« »Das freut mich,« erwiderte der Kommerzienrat und schob vertraulich seinen Arm in den des Doktors; »ich begleite Ihn noch die paar Straßen bis ans Schloß; aber sag' Er mir doch ums Himmels willen etwas Näheres über diese Geschichte; man kann ja gar nicht ins klare kommen, wie sich alles zugetragen.« »Ich kann Ihm schwören,« antwortete jener, »es liegt ein furchtbares Dunkel über der Sache. Ich war kaum eingeschlafen, so weckt mich mein Johann mit der Nachricht, man verlange mich zu einem sehr gefährlichen Kranken. Ich warf mich in die Kleider, renne hinaus, im Vorsaal steht ein Mädchen, bleich und zitternd, und flüstert so leise, daß ich es kaum hörte, ich soll mein Verbandzeug zu mir stecken. Schon das fällt mir auf; ich werfe mich in den Wagen, lasse die bleiche Mamsell auf den Bock zu Johann sitzen, daß sie den Weg zeige, und fort geht es bis in den Lindenhof. Ich steige vor einem kleinen Hause ab und frage die Mamsell, wer denn der Kranke sei?« »Ich kann mir denken, wie Er staunte --« »Wie ich staunte, als ich hörte, es ist Signora Bianetti! Ich kannte sie zwar nur vom Theater, hatte sie sonst kaum zwei-, dreimal gesehen, aber die geheimnisvolle Art, wie ich zu ihr gerufen wurde, das Verbandzeug, das ich zu mir stecken sollte, ich gestehe Ihm, ich war sehr gespannt, was der Sängerin zugestoßen sein sollte. Es ging eine kurze Treppe hinan, eine schmale Hausflur entlang. Das Mädchen ging voran, ließ mich einige Augenblicke im Dunkeln warten und kam mir dann schluchzend und noch bleicher als zuvor entgegen. ›Treten Sie ein, Herr Doktor,‹ sagte sie, ›ach! Sie werden zu spät kommen, sie wird's nicht überleben.‹ Ich trat ein, es war ein schrecklicher Anblick.« Der Medizinalrat schwieg sinnend und düster, es schien sich ein Bild vor seine Seele zu drängen, das er umsonst abzuwehren suchte. »Nun, was sah Er?« rief sein Begleiter, ungeduldig über diese Unterbrechung. »Er wird mich doch nicht so zwischen Türe und Angel stehen lassen wollen?« »Es ist mir manches in meinem Leben begegnet,« fuhr der Doktor fort, nachdem er sich gesammelt hatte, »manches, wovor mir graute, manches, das mich erschreckte, aber nichts, was mir das Herz so in der Brust umdrehte wie dieser Anblick. In einem matt erleuchteten Zimmer lag ein bleiches, junges Weib auf dem Sofa, vor ihr kniete eine alte Magd und preßte ihr ein Tuch auf das Herz. Ich trat näher; weiß und starr wie eine Büste lag der Kopf der Sterbenden zurück, die schwarzen, herabfallenden Haare, die dunkeln Brauen und Wimpern der geschlossenen Augen bildeten einen schrecklichen Kontrast mit der glänzenden Blässe der Stirn, des Gesichtes, des schönen Halses. Die weißen faltenreichen Gewänder, die wohl zu ihrer Maske gehört hatten, waren von Blut überströmt, Blut auf dem Fußboden, und von dem Herzen schien der rote Strom auszugehen. -- Dies alles stellte sich mir in einem Augenblick dar -- es war Bianetti, die Sängerin.« »O Gott, wie mich das rührt!« sprach der Kommerzienrat bewegt und zog ein langes, seidenes Tuch hervor, um sich die Augen zu wischen; »gerade so lag sie noch letzten Sonntag vor acht Tagen in der Oper Othello da, als sie die Desdemona spielte. Schon damals war der Effekt so grausam wahr und wahrhaft greulich, daß man meinte, der Mohr habe sie in der Tat erdolcht; und jetzt ist es wirklich so weit mit ihr gekommen! Wie mich das rührt!« »Habe ich Ihm nicht jede übermäßige Rührung verboten?« unterbrach ihn der Arzt. »Will Er mit Gewalt wieder seine Zufälle bekommen?« »Er hat recht,« sagte der Kommerzienrat Bolnau und fuhr schnell mit dem Tuch in die Tasche; »Er hat recht; meine Konstitution ist nicht für den Affekt. Erzähl' Er nur weiter, ich werde die Tafelscheiben am Kriegsministerio im Vorbeigehen zählen, das hilft gegen solche Anfälle.« »Zähl' Er nur, und wenn es nicht hilft, so kann Er auch noch den oberen Stock des Palais mitnehmen. -- Die alte Magd nahm das Tuch weg, und mit Erstaunen erblickte ich eine Wunde, wie von einem Messerstich, die dem Herzen sehr nahe war. Es war nicht Zeit, mich mit Fragen aufzuhalten, so viele derselben mir auch auf der Zunge schwebten, ich untersuchte die Wunde und legte den Verband um. Die Verwundete hatte während der ganzen Operation kein Zeichen von Leben gezeigt; nur, als ich die Wunde sondierte, hatte sie schmerzlich zusammengezuckt. Ich ließ sie ruhen und bewachte ihren Schlummer.« »Aber das Mädchen und die alte Magd, hat Er denn diese nicht gefragt, woher die Wunde rühre?« »Ich will es Ihm nur gestehen, Kommerzienrat, weil Er mein alter Freund ist; ja, als für die Kranke im Augenblicke nichts mehr zu tun war, habe ich ihnen rund genug erklärt, daß ich weiter keine Hand mehr an die Dame legen werde, wenn sie mir nicht alles beichten.« »Und was sagten sie? So sprech Er doch!« »Nach elf Uhr war die Sängerin zu Hause gekommen, und zwar von einer großen männlichen Maske begleitet. -- Ich mochte bei dieser Nachricht die beiden Weiber etwas sehr zweideutig angesehen haben, denn sie fingen aufs neue an zu weinen und beteuerten mir mit den außerordentlichsten Schwüren, ich solle doch nichts Schlechtes von ihrer Herrschaft denken; es sei die lange Zeit, seit sie ihr dienen, nie nach vier Uhr abends ein Mann über ihre Schwelle gekommen; das kleinere Mädchen, das wohl Romane mußte gelesen haben, wollte sogar behaupten, Signora sei ein Engel an Reinheit.« »Das behaupte ich auch,« sagte der Kommerzienrat, indem er gerührt die Scheiben des Palais, dem sie sich näherten, zu zählen anfing; »das sage ich auch; der Bianetti kann man nichts Böses nachsagen, sie ist ein liebes, frommes Kind, und was kann sie denn dafür, daß sie schön ist und ihr Leben durch Gesang fristen muß?« »Glaub' Er mir,« entgegnete Lange, »ein Arzt hat hierin einen untrüglichen psychologischen Maßstab. Ein Blick auf die engelreinen Züge des unglücklichen Mädchens überzeugte mich mehr von ihrer Tugend als die Schwüre ihrer Zofen. Doch höre Er weiter: Die Sängerin trat mit dem Fremden in dieses Zimmer und hieß ihr Mädchen hinausgehen. Diese war vielleicht aus Neugierde, was wohl dieser nächtliche Besuch zu bedeuten habe, der Türe nahe geblieben; sie hörte einen heftigen Wortwechsel, der zwischen ihrer Dame und einer tiefen, hohlen Männerstimme in französischer Sprache geführt wurde; Signora sei endlich in heftiges Weinen ausgebrochen, der Mann habe schrecklich geflucht; plötzlich hörte sie ihre Dame einen gellenden Schrei ausstoßen, sie kann sich vor Angst nicht mehr zurückhalten, reißt die Türe auf, und in demselben Augenblicke fährt die Maske an ihr vorbei und durch den Gang an die Treppe. Sie folgt ihr einige Schritte, vor der Treppe hört sie ein schreckliches Gepolter, er mußte hinuntergestürzt sein. Von unten dringt ein Aechzen und Stöhnen herauf wie das eines Sterbenden, aber es graut ihr, sie wagt keinen Schritt weiter vorzugehen. Sie geht zurück in die Türe -- die Sängerin liegt in ihrem Blute und schließt nach wenigen Augenblicken die Augen. Das Mädchen weiß sich nicht zu raten, sie weckt die alte Magd, ihrer Herrschaft einstweilen beizustehen, und springt zu mir, um vielleicht Signora noch zu retten.« »Und die Bianetti hat noch nichts geäußert? Hat Er sie nicht befragt?« »Ich ging sogleich auf die Polizei und weckte den Direktor; er ließ noch um Mitternacht alle Gasthöfe, alle Gassenkneipen, alle Winkel der Stadt durchsuchen, aus dem Tore ist in jener Stunde niemand passiert, und von jetzt an wird jedermann strenge untersucht. Die Hausleute, die im oberen Stock wohnen, erfuhren die ganze Sache erst, als die Polizei das Haus durchsuchte; unbegreiflich war es, wie der Mörder entspringen konnte, da er durch seinen Fall hart beschädigt sein mußte, denn man fand viel Blut unten an der Treppe, und es ist mir nicht unwahrscheinlich, daß er sich im Falle durch seinen eigenen Dolch verwundet hat. Es ist um so unbegreiflicher, wie er entkam, da die Haustüre verschlossen war. Die Bianetti selbst erwachte um zehn Uhr und gab dem Polizeidirektor zu Protokoll, daß sie im strengsten Sinne nicht wisse, auch nicht einmal ahne, wer die Maske sein könne. Alle Aerzte und Chirurgen sind verpflichtet, wenn sie zu einem Patienten, der durch einen Fall oder eine Messerwunde lädiert ist, gerufen werden, solches anzuzeigen, weil man vielleicht auf diesem Wege dem Mörder auf die Spur kommen könnte. So stehen die Sachen. Ich bin aber überzeugt wie von meinem Leben, daß ein tiefes Geheimnis zu Grunde liegt, das die Sängerin nicht entdecken will; denn die Bianetti ist nicht die Person, die sich von einem ihr völlig unbekannten Mann nach Hause begleiten läßt. Das scheint auch ihr Mädchen, das beim Verhör zugegen war, zu ahnen. Denn als sie sah, daß Signora nichts wissen wolle, gab sie nichts von dem Wortwechsel an, den sie gehört hatte, mir aber warf sie einen bittenden Blick zu, sie nicht zu verraten. ›Es ist eine entsetzliche Geschichte,‹ sagte sie, als sie mich nachher zur Treppe begleitete, ›aber keine Welt brächte mich dazu, etwas zu verraten, was Signora nicht bekannt werden lassen will.‹ Sie gestand mir noch etwas, das vielleicht auf die ganze Sache Licht verbreiten würde.« »Nun, und darf ich diesen Umstand nicht auch wissen?« fragte der Kommerzienrat; »Er sieht, wie ich gespannt bin; spann' Er ab, spann' Er ab, um Gottes willen, ich könnte sonst leicht meine Zufälle bekommen!« »Höre Er, Bolnau, besinn Er sich, lebt noch ein Bolnau außer Ihm in dieser Stadt? Existiert noch irgend ein anderer in der Welt, und wo, sag' Er, wo?« »Außer mir keine Seele in dieser Stadt,« antwortete Bolnau; »als ich vor acht Jahren hieher zog, freute es mich, daß ich nicht Schwarz, Weiß oder Braun, nicht Meier, Müller oder Bauer heiße, weil damit allerlei unangenehme Verwechselungen geschehen. In Kassel war ich der einzige Mann in meiner Familie, und sonst gibt es auf Gottes Erdboden keinen Bolnau mehr als meinen Sohn, den unglücklichen Musiknarren, der ist verschollen, seit er nach Amerika segelte. Aber warum fragt Er nach meinem Namen, Doktor?« »Nun, _Er_ kann es nicht sein, Kommerzienrat, und Sein Sohn ist in Amerika. Aber es ist schon ein Viertel über zwölf Uhr, Prinzeß Sophie ist krank, ich habe mich nur zu lang mit Euch verschwatzt; lebt wohl, ~à revoir~!« »Nicht von der Stelle,« rief Bolnau und hielt ihn fest am Arm, »sagt mir zuvor, was das Mädchen noch gesagt hat.« »Nun ja, aber reinen Mund gehalten, Bolnau! ihr letztes Wort, ehe sie in jene tiefe Ohnmacht sank, war _Bolnau_.« 3. Man hatte den Kommerzienrat Bolnau noch nie so ernst und düster schleichen sehen wie damals, als ihn der Doktor Lange vor dem Palais verließ. Sonst war er munter und rüstig einhergeschritten, und wenn er mit dem freundlichsten Lächeln alle Mädchen und Frauen grüßte, mit den Männern viel lachte und ihnen allerlei Neues erzählte, so hätte man ihm noch keine sechzig Jahre zugetraut. Er schien auch alle Ursache zu haben, fröhlich und guter Dinge zu sein; er hatte ein hübsches Vermögen zusammenspekuliert, hatte sich, als es genug schien, mit seiner Frau in B. zur Ruhe gesetzt und lebte nun in Freude und Jubel jahraus, jahrein. Er hatte einen einzigen Sohn gehabt, dieser sollte die Laufbahn des alten Herrn auch durchlaufen und handeln und sich umtun im Kommerz, so wollte er es haben. Der Sohn aber lebte und webte nur im Reich der Töne, die Musik war ihm alles, der Handel und Kommerz des Vaters war ihm zu gemein und niedrig. Der Vater hatte einen harten Sinn, der Sohn auch, der Vater brauste leicht auf, der Sohn auch, der Vater stellte gleich alles auf die Spitze, der Sohn auch; kein Wunder, daß sie nicht miteinander leben konnten. Und als der Sohn sein zwanzigstes Jahr zurückgelegt hatte, war der Vater fünfzig, da brach er ab, sich zur Ruhe zu setzen, und wollte dem Sohn den Handel geben. Es war auch bald alles in Richtigkeit und Ruhe; denn in einer schönen Sommernacht war der Sohn nebst einigen Klavierauszügen verschwunden, kam auch richtig nach England und schrieb ganz freundschaftlich, daß er nach Amerika gehen werde. Der Kommerzienrat wünschte ihm Glück auf den Weg und begab sich nach B. Der Gedanke an den Musiknarren, wie er seinen Sohn nannte, trübte ihm zwar manche Stunde, denn er hatte ihn ersucht, sich nie mehr vor ihm sehen zu lassen, und es stand nicht zu erwarten, daß jener ungerufen wiederkehre; es wollte ihn zuweilen bedünken, als habe er doch töricht getan, als er ihn durchaus im Kommerz haben wollte; aber Zeit, Gesellschaft und heitere Laune ließen diese trüben Gedanken nicht lange aufkommen; er lebte in Jubel und Freude, und wer ihn recht heiter sehen wollte, durfte nur zwischen elf Uhr und Mittag durch die breite Straße wandeln. Sah er dort einen langen, hagern Mann, dessen sehr moderne Kleidung, dessen Lorgnette und Reitpeitsche, dessen bewegliche Manieren nicht mehr recht zu seinen grauen Haaren passen wollten, sah er diesen Mann nach allen Seiten grüßen, alle Augenblicke bei diesem oder jenem stille stehen und schwatzen und mit den Armen fechten, so konnte er sich darauf verlassen, es war der Kommerzienrat Bolnau. Aber heute war dies alles ganz anders. Hatte ihn schon zuvor die Ermordungsgeschichte der Sängerin fast zu sehr affiziert, so war ihm das letzte Wort des Doktors in die Glieder geschlagen. »Bolnau« hatte die Bianetti noch gesagt, ehe sie vom Bewußtsein kam. Seinen eigenen ehrlichen Namen hatte sie unter so verfänglichen Umständen ausgesprochen! Seine Kniee zitterten und wollten ihm die Dienste versagen, sein Haupt senkte sich auf die Brust sorgenvoll und gedankenschwer. »Bolnau!« dachte er, »königlicher Kommerzienrat! Wenn sie jetzt stürbe, die Sängerin, wenn das Mädchen dann ihr Geheimnis von sich gäbe und den Polizeidirektor mit den näheren Umständen des Mordes und mit dem verhängnisvollen Worte bekannt machte! Was kann nicht ein geschickter Jurist aus einem einzigen Wort argumentieren, besonders wenn ihn die Eitelkeit anfeuert, in einer solchen ~cause célèbre~ seinen Scharfsinn zu zeigen.« Er lorgnettierte mit verzweiflungsvoller Miene das Zuchthaus, dessen Giebel aus der Ferne ragte. »Dorthin, Bolnau, aus ganz besonderer Gnade und Rücksicht auf mehrjährige Dienste!« Er atmete schwerer, er lüftete die Halsbinde, aber erschreckt fuhr er zurück; war dies nicht der Ort, wo man das hänfene Halsband umknüpfte, war nicht dies die Stelle, wo das kalte Schwert durchging? Begegnete ihm ein Bekannter und nickte ihm zu, so dachte er: Holla, der weiß schon um die Sache und will mir zu verstehen geben, daß er wohl unterrichtet sei. Ging ein anderer vorüber, ohne zu grüßen, so schien ihm nichts gewisser, als daß man ihn nicht kennen wolle, sich nicht mit dem Umgang eines Mörders beflecken wolle. Es fehlte wenig, so glaubte er selbst, er sei schuldig am Mord, und es war kein Wunder, daß er einen großen Bogen machte, um das Polizeibureau zu vermeiden; denn konnte nicht der Direktor am Fenster stehen, ihn erblicken und heraufrufen? »Wertester, beliebt es nicht, ein wenig heraufzuspazieren, ich habe ein Wort mit Ihnen zu sprechen!« Verspürte er nicht schon jetzt ein gewisses Zittern, fühlte er nicht jetzt schon seine Züge sich zu einem Armensündergesicht verziehen, nur weil man glauben könnte, er sei der, den die Sängerin mit ihrem letzten Worte angeklagt? Und dann fiel ihm wieder ein, wie schädlich eine solche Gemütsbewegung für seine Konstitution sei; ängstlich suchte er nach Fensterscheiben, um sich ruhig zu zählen, aber die Häuser und Straßen tanzten um ihn her, der Glockenturm schien sich höhnisch vor ihm zu neigen, ein wahnsinniges Grauen erfaßte ihn, er rannte durch die Straßen, bis er erschöpft in seiner Behausung niedersank, und seine erste Frage war, als er wieder ein wenig zu sich gekommen, ob nicht ein Polizeidiener nach ihm gefragt habe. 4. Als gegen Abend der Medizinalrat Lange zu seiner Kranken kam, fand er sie um vieles besser, als er sich gedacht hatte. Er setzte sich an ihrem Bette nieder und besprach sich mit ihr über diesen unglücklichen Vorfall. Sie hatte ihren Arm auf die Kissen gestützt, in der zartgeformten Hand lag ihr schöner Kopf. Ihr Gesicht war noch sehr bleich, aber selbst die Erschöpfung ihrer Kräfte schien ihr einen eigentümlichen Reiz zu geben. Ihr dunkles Auge hatte nichts von jenem Feuer, jenem Ausdruck verloren, der den Doktor, obgleich er ein bedächtiger Mann und nicht mehr in den Jahren war, wo Phantasie der Schönheit zu Hilfe kommt, schon früher von der Bühne aus angezogen hatte. Er mußte sich gestehen, daß er selten einen so schönen Kopf, ein so liebliches Gesicht gesehen hatte; ihre Züge waren nichts weniger als regelmäßig, und dennoch übten sie durch ihre Verbindung und Harmonie einen Zauber aus, für welchen er lange keinen Grund wußte; doch dem psychologischen Blicke des Medizinalrates blieb dieser Grund nicht verborgen; es war jene Reinheit der Seele, jener Adel der Natur, was diese jungfräulichen Züge mit einem überraschenden Glanz von Schönheit übergoß. »Es scheint, Sie studieren meine Züge, Doktor,« sprach die Sängerin lächelnd; »Sie sitzen so stumm und sinnend da, starren mich an und scheinen ganz zu vergessen, was ich fragte. Oder ist es zu schrecklich, als daß ich es hören sollte? Darf ich nicht erfahren, was die Stadt über mein Unglück sagt?« »Was wollen Sie alle diese törichten Vermutungen hören, die müßige Menschen erfinden und weitersagen? Ich habe eben darüber nachgedacht, wie rein sich Ihre Seele auf Ihren Zügen spiegle; Sie haben Frieden in sich, was kümmert Sie das Urteil der Menschen?« »Sie weichen mir aus,« entgegnete sie, »Sie wollen mir entschlüpfen, indem Sie mir schöne Dinge sagen. Und mich sollte das Urteil der Menschen nicht kümmern? Welches rechtliche Mädchen darf sich so über die Gesellschaft, in welcher sie lebt, hinwegsetzen, daß es ihr gleich gilt, was man von ihr spricht? Oder glauben Sie etwa,« setzte sie ernster hinzu, »ich werde nichts danach fragen, weil ich einem Stand angehöre, dem man nicht viel Gutes zutraut? Gestehen Sie nur, Sie halten mich für recht leichtsinnig.« »Nein, gewiß nicht; ich habe immer nur Schönes von Ihnen gehört, Mademoiselle Bianetti, von Ihrem stillen, eingezogenen Leben, und daß Sie mit sicherer Haltung in der Welt stehen, obgleich Sie so einsam und mancher Kabale ausgesetzt sind. Aber warum wollen Sie gerade wissen, was die Menschen sagen? Wenn ich nun als Arzt solche Neuigkeiten nicht für zuträglich hielt?« »Bitte, Doktor, bitte, foltern Sie mich nicht so lange,« rief sie; »sehen Sie, ich lese in Ihren Augen, daß man nicht gut von mir spricht. Warum mich in Ungewißheit lassen, die gefährlicher für die Ruhe ist als die Wahrheit selbst?« Diesen letzten Grund fand der Medizinalrat sehr richtig; und konnte in seiner Abwesenheit nicht irgend eine geschwätzige Frau sich eindrängen und noch Aergeres berichten, als er sagen konnte? »Sie kennen die hiesigen Leute,« antwortete er, »B. ist zwar ziemlich groß, aber, du lieber Gott, bei einer Neuigkeit derart zeigt es sich, wie kleinstädtisch man ist. Es ist wahr, Sie sind das Gespräch der Stadt, dies kann Sie nicht wundern, und weil man nichts Bestimmtes weiß, so -- nun so macht man sich allerhand seltsame Geschichten. So soll z. B. die männliche Maske, die man auf der Redoute mit Ihnen sprechen sah und die ohne Zweifel dieselbe ist, welche diese Tat beging, ein --« »Nun, so reden Sie doch aus,« bat die Sängerin in großer Spannung, »vollenden Sie!« »Es soll ein früherer Liebhaber gewesen sein, der Sie in -- in einer andern Stadt geliebt hat und aus Eifersucht umbringen wollte.« »Von _mir_ das! O, ich Unglückliche!« rief sie schmerzlich bewegt, und Tränen glänzten in ihren schönen Augen; »wie hart sind doch die Menschen gegen ein so armes, armes Mädchen, das ohne Schutz und Hilfe ist! Aber reden Sie aus, Doktor, ich beschwöre Sie! Es ist noch etwas anderes zurück, das Sie mir nicht sagten. In welcher Stadt, sagen die Leute, soll ich --« »Signora, ich hätte Ihnen mehr Kraft zugetraut,« sprach Lange, besorgt über die Bewegung seiner Kranken. »Wahrlich, ich bereue es, nur so viel gesagt zu haben; ich hätte es nie getan, wenn ich nicht fürchtete, daß andere mir unberufen zuvorkämen.« Die Sängerin trocknete schnell ihre Tränen; »ich will ruhig sein,« sagte sie wehmütig lächelnd, »ruhig will ich sein wie ein Kind; ich will fröhlich sein, als hätten mir diese Menschen, die mich jetzt verdammen, ein tausendstimmiges Bravo zugerufen. Nur erzählen Sie weiter, lieber, guter Doktor!« »Nun, die Leute schwatzen dummes Zeug,« fuhr jener ärgerlich fort. »So soll, als Sie letzthin im Othello auftraten, in einer der ersten Ranglogen ein fremder Graf gewesen sein; dieser will Sie erkannt und vor etwa zwei Jahren in Paris in einem schlechten Hause gesehen haben. -- Aber, mein Gott, Sie werden immer blässer --« »Es ist nichts, der Schein der Lampe fiel nur etwas matter herüber, weiter, weiter!« »Nun, dieses Gerede blieb von Anfang nur in den ersten Zirkeln, nach und nach kam es aber ins Publikum, und da dieser Vorfall hinzukommt, verbindet man beides und versetzt das frühere Verhältnis zu Ihrem Mörder in jenes berüchtigte Haus in Paris.« Auf den ausdrucksvollen Zügen der Kranken hatte während dieser Rede die tiefste Blässe mit flammender Röte gewechselt. Sie hatte sich höher aufgerichtet, als solle ihr kein Wort dieser schrecklichen Kunde entgehen, ihr Auge haftete starr und brennend auf dem Mund des Arztes, sie atmete kaum, ihr Herz schien stillzustehen. »Jetzt ist's aus,« rief sie mit einem schmerzlichen Blick zum Himmel, indem Tränen ihrem Auge entstürzten, »jetzt ist es aus, wenn _er_ dies hörte, so war es zuviel für seine Eifersucht. Warum bin ich nicht gestern gestorben, ach! da hätte ich meinen guten Vater gehabt, und meine süße Mutter hätte mich getröstet über den Hohn dieser grausamen Menschen!« Der Doktor staunte über diese rätselhaften Worte; er wollte eben ein tröstendes, besänftigendes Wort zu ihr sprechen, als die Türe mit Geräusch aufflog und ein großer, junger Mann hereinfuhr. Sein Gesicht war auffallend schön, aber ein wilder Trotz verfinsterte seine Züge, sein Auge rollte, sein Haar hing verwildert um die Stirne. Er hatte ein großes zusammengerolltes Notenblatt in der Faust, mit welchem er in der Luft herumfuhr und gleichsam agierte, ehe er Atem zum Sprechen fand. Bei seinem Anblick schrie die Sängerin laut auf, der Doktor glaubte anfangs, aus Angst, aber es war Freude, denn ein holdes Lächeln zog um ihren Mund, ihr Auge glänzte ihm durch Tränen entgegen. »Carlo!« rief sie, »Carlo! Endlich kommst du, nach mir zu sehen!« »Elende!« rief der junge Mann, indem er majestätisch den Arm mit der langen Notenrolle nach ihr ausstreckte. »Laß ab von deinem Sirenengesang, ich komme -- dich zu richten!« »O Carlo!« unterbrach ihn die Sängerin, und ihre Töne klangen schmelzend und süß wie die Klänge der Flöte. »Wie kannst du so zu deiner Giuseppa sprechen!« Der junge Mann wollte mit tragischem Pathos antworten, aber der Doktor, dem dieser Auftritt für seine Kranke zu angreifend schien, warf sich dazwischen. »Wertester Herr Carlo,« sagte er, indem er ihm eine Prise bot, »belieben Sie zu bedenken, daß Mademoiselle in einem Zustand ist, wo solche Szenen allzusehr ihre schwachen Nerven affizieren!« Jener schaute ihn groß an und wandte die Notenrolle gegen ihn. »Wer bist du, Erdenwurm?« rief er mit tiefer, dröhnender Stimme. »Wer bist du, daß du dich zwischen mich stellst und meinen Zorn?« »Ich bin der Medizinalrat Lange,« entgegnete dieser und schlug die Dose zu, »und in meinen Titeln befindet sich nichts von einem Erdenwurme. Ich bin hier Herr und Meister, solange Signora krank ist, und ich sage Ihnen im guten, packen Sie sich hinaus, oder modulieren Sie Ihr ~Presto assai~ zu einem anständigen ~Larghetto~.« »O, lassen Sie ihn doch, Doktor,« rief die Kranke ängstlich, »lassen Sie ihn doch, bringen Sie ihn nicht auf! Er ist mein Freund, Carlo wird mir nichts Böses tun, was ihm auch die schlechten Menschen wieder von mir gesagt haben.« »Ha! Du wagst es noch zu spotten! Aber wisse, ein Blitzstrahl hat die Tore deines Geheimnisses gesprengt und hat die Nacht erhellt, in welcher ich wandelte. Also darum sollte ich nicht wissen, was du warst, woher du kamst? Darum verschlossest du mir den Mund mit deinen Küssen, wenn ich nach deinem Leben fragte? Ich Tor! Daß ich von einer Weiberstimme mich bezaubern ließ und nicht bedachte, daß sie nur Trug und Lug ist! Nur im Gesang des Mannes wohnt Kraft und Wahrheit. ~Ciel!~ Wie konnte ich mich von den Rouladen einer Dirne betören lassen!« »O Carlo,« flüsterte die Kranke, »wenn du wüßtest, wie deine Worte mein Herz verwunden, wie dein schrecklicher Verdacht noch tiefer dringt als der Stahl des Mörders!« »Nicht wahr, Täubchen,« schrie jener mit schrecklichem Lachen, »deine Amorosi sollten blind sein, da wäre gut mit ihnen spielen? Der Pariser muß doch ein wackerer Kerl sein, daß er endlich doch noch das fromme Täubchen fand!« »Jetzt aber wird es mir doch zu bunt, Herr,« rief der Doktor und packte den Rasenden am Rock; »auf der Stelle marschier' Er sich zu dem Zimmer hinaus, sonst werde ich die Hausleute rufen, daß sie Ihn expedieren!« »Ich gehe schon, Erdenwurm, ich gehe,« schrie jener und stieß den Medizinalrat zurück, daß er ganz bequem in einem Fauteuil niedersaß; »ja ich gehe, Giuseppa, um nimmer wiederzukehren. Lebe wohl oder stirb lieber, Unglückliche, verbirg deine Schmach unter der Erde. Aber jenseits verbirg deine Seele an einem Ort, wo ich dir nie begegnen möge; ich würde der Seligkeit fluchen, wenn ich sie mit dir teilte, weil du mich hier so schändlich um meine Liebe, um mein Leben betrogen.« Er rief es, indem er noch etwas weniges mit den Noten agierte, aber sein wildes, rollendes Auge schmolz in Tränen, als er den letzten Blick auf die Geliebte warf, und schluchzend rannte er aus dem Zimmer. »Ihm nach, halten Sie ihn auf,« rief die Sängerin, »führen Sie ihn zurück, es gilt meine Seligkeit!« »Mit nichten, Wertgeschätzte,« entgegnete Doktor Lange, indem er sich aus seinem Lehnstuhl aufrichtete; »diese Szene darf nicht fortgespielt werden. Ich will Ihnen etwas Niederschlagendes aufschreiben, das Sie alle Stunden zwei Eßlöffel voll einnehmen werden.« Die Unglückliche war in ihre Kissen zurückgesunken, und ihre Kräfte waren erschöpft, sie verlor das Bewußtsein von neuem. Der Doktor rief das Mädchen und suchte mit ihrer Hilfe die Kranke wieder ins Leben zurückzubringen, doch konnte er sich nicht enthalten, während er die Essenzen einflößte, das Mädchen tüchtig auszuschmälen. »Habe ich nicht befohlen, man solle niemand, gar niemand hereinlassen, und jetzt läßt man diesen Wahnsinnigen zu, der Ihr braves Fräulein beinahe zum zweitenmal ums Leben brachte.« »Ich habe gewiß sonst niemand hereingelassen,« sprach die Zofe weinend; »aber _ihn_ konnte ich doch nicht abweisen; sie schickte mich ja heute schon dreimal in sein Haus, um ihn zu beschwören, nur auf einen kleinen Augenblick zu kommen; ich mußte ja sogar sagen, sie sterbe und wolle ihn vor ihrem Tode nur noch ein einziges Mal sehen!« »So? Und wer ist denn dieser --« Die Kranke schlug die Augen auf. Sie sah bald den Doktor, bald das Mädchen an, ihre Blicke irrten suchend durchs Zimmer. »Er ist fort, er ist auf ewig hin,« flüsterte sie; »ach, lieber Doktor, gehen Sie zu Bolnau!« »Aber, mein Gott, was wollen Sie nur von meinem unglücklichen Kommerzienrat, er hat sich über Ihre Geschichte schon genug alteriert, daß er zu Bette liegen muß; was kann denn er Ihnen helfen?« »Ach, ich habe mich versprochen,« erwiderte sie, »zu dem fremden Kapellmeister sollen Sie gehen, er heißt Boloni und logiert im Hotel de Portugal.« »Ich erinnere mich, von ihm gehört zu haben,« sprach der Doktor, »aber was soll ich bei diesem tun?« »Sagen Sie ihm, ich wolle ihm alles sagen, er soll nur noch einmal kommen -- doch nein, ich kann es ihm nicht selbst sagen; Doktor, wenn Sie -- ja ich habe Vertrauen zu Ihnen, ich will Ihnen alles sagen, und dann sagen Sie es wieder dem Unglücklichen, nicht wahr?« »Ich stehe zu Befehl; was ich zu Ihrer Beruhigung tun kann, werde ich mit Freuden tun.« »Nun, so kommen Sie morgen frühe, ich kann heute nicht mehr so viel sprechen. Adieu, Herr Medizinalrat; doch noch ein Wort; Babette, gib dem Herrn Doktor sein Tuch!« Das Mädchen schloß einen Schrank auf und reichte dem Doktor ein Tuch von gelber Seide, das einen starken, angenehmen Geruch im Zimmer verbreitete. »Das Tuch gehört nicht mir,« sprach jener, »Sie irren sich, ich führe nur Schnupftücher von Leinwand.« »Unmöglich!« entgegnete das Mädchen; »wir fanden es heute nacht am Boden, ins Haus gehört es nicht, und sonst war noch niemand da als Sie.« Der Doktor begegnete den Blicken der Sängerin, die erwartungsvoll auf ihm ruhten. »Könnte nicht dieses Tuch jemand anderem entfallen sein?« fragte er mit einem festen Blick auf sie. »Zeigen Sie her,« erwiderte sie ängstlich, »daran hatte ich noch nicht gedacht.« Sie untersuchte das Tuch und fand in der Ecke einen verschlungenen Namenszug; sie erbleichte, sie fing an zu zittern. »Es scheint, Sie kennen dieses Tuch und die Person, die es verloren hat,« fragte Lange weiter; »es könnte zu etwas führen; darf ich es nicht mit mir nehmen? Darf ich Gebrauch davon machen?« Giuseppa schien mit sich zu kämpfen; bald reichte sie ihm das Tuch, bald zog sie es ängstlich und krampfhaft zurück. »Es sei,« sagte sie endlich; »und sollte der Schreckliche noch einmal kommen und mein wundes Herz diesmal besser treffen, ich wage es; nehmen Sie, Doktor. Ich will Ihnen morgen Erläuterungen zu diesem Tuche geben.« 5. Man kann sich denken, wie ausschließlich diese Vorfälle die Seele des Medizinalrats Lange beschäftigten. Seine sehr ausgebreitete Praxis war ihm jetzt ebensosehr zur Last, als sie ihm vorher Freude gemacht hatte, denn verhinderten ihn nicht die vielen Krankenbesuche, die er vorher zu machen hatte, die Sängerin am andern Morgen recht bald zu besuchen und jene Aufschlüsse und Erläuterungen zu vernehmen, denen sein Herz ungeduldig entgegenpochte? Doch zu etwas waren diese Besuche in dreißig bis vierzig Häusern gut, er konnte, wie er zu sagen pflegte, hinhorchen, was man über die Bianetti sage, vielleicht konnte er auch über ihren sonderbaren Liebhaber, den Kapellmeister Boloni, eines oder das andere erfahren. Ueber die Sängerin zuckte man die Achseln. Man urteilte um so unfreundlicher über sie, je ärgerlicher man darüber war, daß so lange nichts Offizielles und Sicheres über ihre Geschichte ins Publikum kam. Ihre Neider -- und welche ausgezeichnete Sängerin, wenn sie dazu schön und achtzehn alt ist, hat deren nicht genug? -- ihre Neider gönnten ihr alles und machten hämische Bemerkungen; die Gemäßigten sagten: so ist es mit solchem Volke; einer Deutschen wäre dies auch nicht passiert. Ihre Freunde beklagten sie und fürchteten für ihren Ruf beinahe noch mehr als für ihre Gesundheit. Das arme Mädchen! dachte Lange und beschloß, um so eifriger ihr zu dienen. Vom Kapellmeister wußte man wenig, weder Schlechtes noch Gutes. Er war vor etwa drei Vierteljahren nach B. gekommen, hatte sich im Hotel de Portugal ein Dachstübchen gemietet und lebte sehr eingezogen und mäßig. Er schien sich von Gesangstunden und musikalischen Kompositionen zu nähren. Alle wollten übrigens etwas Ueberspanntes, Hochfahrendes an ihm bemerkt haben; die, welche ihn näher kennen gelernt hatten, fanden ihn sehr interessant, und schon mancher Musikfreund soll sich ein Couvert an der Abendtafel im Hotel de Portugal bestellt haben, nur um seine herrliche Unterhaltung über die Musik zu genießen. Aber auch diese kamen darin überein, daß es mit Boloni nicht ganz richtig sei, denn er vernachlässige, verachte sogar den weiblichen Gesang, während er mit Entzücken von Männerstimmen, besonders von Männerchören spreche Er hatte übrigens keine näheren Bekannten, keinen Freund; von seinem Verhältnis zur Sängerin Bianetti schien niemand etwas zu wissen. Den Kommerzienrat Bolnau fand er noch immer unwohl und im Bette; er schien sehr niedergeschlagen und sprach mit unsicherer, heiserer Stimme allerlei Unsinn über Dinge, die sonst gänzlich außer seinem Gesichtskreise lagen. Er hatte eine Sammlung berühmter Rechtsfälle um sich her, in welcher er eifrig studierte; die Frau Kommerzienrätin behauptete, er habe die ganze Nacht darin gelesen und hie und da schrecklich gewinselt und gejammert. Seine Lektüre betraf besonders die unschuldig Hingerichteten, und er äußerte gegen den Medizinalrat, es liege eigentlich für den Menschenfreund ein großer Trost in der Langsamkeit der deutschen Justiz; denn es lasse sich erwarten, daß, wenn ein Prozeß zehn und mehrere Jahre daure, die Unschuld doch leichter an den Tag komme, als wenn man heute gefangen und morgen gehangen werde. Die Sängerin Bianetti, für welche der Doktor endlich ein Stündchen erübrigt hatte, war düster und niedergeschlagen, als sei keine Hoffnung mehr für sie auf Erden. Ihr Auge war trübe, sie mußte viel geweint haben, die Wunde war über alle Erwartung gut; aber mit ihrem zunehmenden körperlichen Wohlbefinden schien die Ruhe und Gesundheit ihrer Seele zu schwinden. »Ich habe lange darüber nachgedacht,« sagte sie, »und fand, daß Sie, lieber Doktor, doch auf höchst sonderbare Weise in mein Schicksal verwebt werden. Ich kannte Sie vorher nicht; ich gestehe, ich wußte kaum, daß ein Medizinalrat Lange in B. existiere. Und jetzt, da ich mit einem Schlage so unglücklich geworden bin, sendet mir Gott einen so teilnehmenden, väterlichen Freund zu.« »Mademoiselle Bianetti,« erwiderte Lange, »der Arzt hat an manchem Bette mehr zu tun, als nur den Puls an der Linken zu fühlen, Wunden zu verbinden und Mixturen zu verschreiben. Glauben Sie mir, wenn man so allein bei einem Kranken sitzt, wenn man den innern Puls der Seele unruhig pochen hört, wenn man Wunden verbinden möchte, die niemand siehet, da wird auf wunderbare Weise der Arzt zum Freunde, und der geheimnisvolle Zusammenhang zwischen Körper und Seele scheint auch in diesem Verhältnis auffallend zu wirken.« »So ist es,« sprach Giuseppa, indem sie zutraulich seine Hand faßte; »so ist es, und auch meine Seele hat einen Arzt gefunden. Sie werden vielleicht viel für mich tun müssen. Es möchte sein, daß Sie sogar vor den Gerichten in meinem Namen handeln müssen. Wenn Sie einem armen Mädchen, das sonst gar keine Stütze hat, dieses große Opfer bringen wollen, so will ich mich Ihnen entdecken.« »Ich will es tun,« sprach der freundliche Alte, indem er ihre Hand drückte. »Aber bedenken Sie es wohl; die Welt hat meinen Ruf angegriffen, sie klagt mich an, sie richtet, sie verdammt mich. Wenn nun die Menschen auch auf Sie höhnisch deuten, daß Sie der verrufenen Sängerin, der schlechten Italienerin, ach! _meiner_ sich angenommen haben, werden Sie das ertragen können?« »Ich will es!« rief der Doktor mit Ernst und Heftigkeit. »Erzählen Sie!« 6. »Mein Vater,« erzählte die Sängerin, »war Antonio Bianetti, ein berühmter Violinspieler, der Ihnen aus jüngeren Jahren nicht unbekannt sein kann, denn sein Ruf hatte durch die Konzerte, die er an Höfen und in großen Städten gab, sich überall verbreitet. Ich kann mir ihn nur noch aus meiner frühesten Kindheit denken, wie er mir die Skala vorgeigte, die ich schon im dritten Jahre sehr richtig nachsang. Meine Mutter war zu ihrer Zeit eine vorzügliche Sängerin gewesen und pflegte in den Konzerten des Vaters einige Arien und Kanzonetten vorzutragen. Ich war vier Jahre alt, als mein Vater auf der Reise starb und uns in Armut zurückließ. Meine Mutter mußte sich entschließen, durch Singen uns fortzubringen. Sie heiratete nach einem Jahr einen Musiker, der ihr von Anfang sehr geschmeichelt haben soll, nachher aber zeigte es sich, daß er sie nur geheiratet, um ihre Stimme zu benützen. Er wurde Musikdirektor in einer kleinen Stadt im Elsaß, und da fing erst unser Leiden recht an. »Meine Mutter bekam noch drei Kinder und verlor ihre Stimme so sehr, daß sie beinahe keinen Ton mehr singen konnte. Dadurch war die größte Geldquelle meines Stiefvaters versiegt, denn seine Konzerte waren nur durch meine Mutter glänzend und zahlreich gewesen. Er plagte sie von jetzt an schrecklich; mir wollte er gar nicht mehr zu essen geben, bis er endlich auf ein Mittel verfiel, mich brauchbar zu machen. Er marterte mich ganze Tage lang und geigte mir die schwersten Sachen von Mozart, Gluck, Rossini und Spontini ein, die ich dann Sonntagsabend mit großem Applaus absang; das arme Schepperl, so hatte man meinen Namen Giuseppa verketzert, wurde eines jener unglücklichen Wunderkinder, denen die Natur ein schönes Talent zu ihrem größten Unglück gegeben hat; der Grausame ließ mich alle Tage singen, er peitschte mich, er gab mir tagelang nichts zu essen, wenn ich nicht richtig intoniert hatte; die Mutter aber konnte meine Qualen nicht mehr lange sehen, es war, als ob ihr Leben in ihren stillen Tränen dahinfließe; an einem schönen Frühlingsmorgen fanden wir sie tot. Was soll ich Sie von meinen Marterjahren unterhalten, die jetzt anfingen? Ich war elf Jahre alt und sollte die Haushaltung führen, die kleinen Geschwister erziehen, und dabei noch singen lernen für die Konzerte! O, es war eine Qual der Hölle! »Um diese Zeit kam oft ein Herr zu uns, der dem Vater immer einen Sack voll Fünffrankstücke mitbrachte. Ich kann nicht ohne Grauen an ihn denken. Es war ein großer, hagerer Mann von mittlerem Alter; er hatte kleine blinzelnde, graue Augen, die ihn durch ihren unangenehmen, stechenden Ausdruck vor allen Menschen, die ich je gesehen, auszeichnete. Mich schien er besonders liebgewonnen zu haben. Er lobte, wenn er kam, meine Größe, meinen Anstand, mein Gesicht, meinen Gesang. Er setzte mich auf seine Knie, obgleich mich ein unwillkürliches Grauen von ihm wegdrängte; er küßte mich trotz meines Schreiens, er sagte wohlgefällig: ›Noch zwei -- drei Jahr, dann bist du fertig, Schepperl!‹ Und er und mein Stiefvater brachen in ein wildes Lachen bei dieser Prophezeiung aus. An meinem fünfzehnten Geburtsfest sagte mein Stiefvater zu mir: ›Höre, Schepperl, du hast nichts, du bist nichts, ich geb' dir nichts, ich will nichts von dir, habe auch hinlänglich genug an meinen drei übrigen Rangen; die Christel (meine Schwester) wird jetzt statt deiner das Wunderkind. Was du hast, dein bißchen Gesang, hast du von mir, damit wirst du dich fortbringen. Der Onkel in Paris will dich übrigens aus Gnade in sein Haus aufnehmen.‹ -- ›Der Onkel in Paris?‹ rief ich staunend, denn bisher wußte ich nichts von einem solchen. ›Ja, der Onkel in Paris,‹ gab er zur Antwort, ›er kann alle Tage kommen.‹ »Sie können sich denken, wie ich mich freute; es ist jetzt drei Jahre her, aber noch heute ist die Erinnerung an jene Stunden so lebhaft in mir, als wäre es gestern gewesen. Das Glück, aus dem Hause meines Vaters zu kommen, das Glück, meinen Onkel zu sehen, der sich meiner erbarme, das Glück, nach Paris zu kommen, wo ich mir den Sitz des Putzes und der Seligkeit dachte, -- ich war berauscht von so vielem Glück; so oft ein Wagen fuhr, sah ich hinaus, ob nicht der Onkel komme, mich in sein Reich abzuholen. Endlich fuhr eines Abends ein Wagen vor unserem Hause vor. ›Das ist dein Onkel,‹ rief der Vater; ich flog hinab, ich breitete meine Arme aus nach meinem Erretter -- grausame Täuschung! Es war der Mann mit den Fünffrankenstücken. »Ich war beinahe bewußtlos in jenen Augenblicken, aber dennoch vergesse ich die teuflische Freude nie, die aus seinen grauen Augen blitzte, als er mich hoch aufgewachsen fand; noch immer klingt mir seine krächzende Stimme in den Ohren: ›Jetzt bist du recht, mein Täubchen, jetzt will ich dich einführen in die große Welt.‹ Er faßte mich mit der Hand, mit der andern warf er einen Geldsack auf den Tisch; der Sack fuhr auf, ein glänzender Regen von Silber- und Goldstücken rollte auf den Boden; meine drei kleinen Geschwister und der Vater jubelten, rutschten auf dem Boden umher und lasen die Stücke auf, -- es war -- mein Kaufpreis. »Schon den folgenden Tag ging es nach Paris. Der hagere Mann (ich vermochte es nicht, ihn Onkel zu nennen) predigte mir beständig vor, welch glänzende Rolle ich in seinen Salons spielen werde. Ich konnte mich nicht freuen, eine Angst, eine unerklärliche Bangigkeit waren an die Stelle meiner Freude, meines Glückes getreten. Vor einem großen, erleuchteten Hause hielt der Wagen; wir waren in Paris. Zehn bis zwölf schöne, allerliebste Mädchen hüpften die breiten Treppen herab uns entgegen. Sie herzten und küßten mich und nannten mich Schwester Giuseppa; ich fragte den Hagern: ›Sind dies Ihre Töchter, mein Herr?‹ -- ›~Oui, mes bonnes enfants!~‹ rief er lachend, und die Mädchen und die zahlreiche Dienerschaft stimmten ein mit einem rohen, schallenden Gelächter. »Schöne Kleider, prachtvolle Zimmer zerstreuten mich. Ich wurde am folgenden Abend herrlich gekleidet; man führte mich in den Salon. Die zwölf Mädchen saßen im schönsten Putz an Spieltischen, auf Kanapees, am Flügel. Sie unterhielten sich mit jungen und ältern Herrn sehr lebhaft. Als ich eintrat, brachen alle auf, gingen mir entgegen und betrachteten mich. Der Herr des Hauses führte mich zum Flügel, ich mußte singen; allgemeiner Beifall wurde mir zu teil. Man zog mich ins Gespräch, meine ungebildeten, halb italienischen Ausdrücke galten für Naivität; man bewunderte mich, ich erröte heute noch, mit welchen Worten man mir dieses sagte. So ging es mehrere Tage herrlich und in Freuden. Ich lebte ungeniert, ich hätte zufrieden leben können, wenn ich mich nicht höchst unbehaglich, beinahe bänglich in diesem Hause, in dieser Gesellschaft gefühlt hätte; in meiner naiven Unschuld glaubte ich, so sei nun einmal die große Welt, und man müsse sich in ihre Sitten fügen. Eines fiel mir jedoch auf; als ich an einem Abende zufällig an der Treppe vorbeiging, sah ich, daß die Herren, die uns besuchten, dem Portier Geld gaben, dafür blaue oder rote Karten bekamen und solche einem Bedienten vor dem Salon wieder übergaben. Ein junger Stutzer, der an mir vorüberkam, wies mir mit zärtlichen Blicken eine dieser roten Karten; ich weiß heute noch nicht, warum ich darüber errötete. Aber hören Sie weiter, was sich alsbald zutrug. »Sehen Sie, lieber Doktor, hier habe ich ein kleines, unscheinbares Papier. Diesem bin ich meine Rettung schuldig. Ich fand es eines Morgens unter dem Brötchen meines Frühstücks, ich weiß nicht, von welcher gütigen Hand es kam, aber möge der Himmel das Herz belohnen, das sich meiner erbarmte. Es lautet: ›Mademoiselle! Das Haus, welches Sie bewohnen, ist ein Freudenhaus; die Damen, die Sie um sich sehen, sind Freudenmädchen; sollten wir uns in Giuseppa geirrt haben? Wird sie einen kurzen Schimmer von Glück mit langer Reue erkaufen wollen?‹ »Es war ein schreckliches Licht, es drohte mich völlig zu blenden, denn es zerriß beinahe zu plötzlich meinen unschuldigen Kindersinn und den Traum von einer unbesorgten glücklichen Lage. Was war zu tun? Ich hatte in meinem Leben noch nicht gelernt, Entschlüsse zu fassen. Der Mann, dem dieses Haus gehörte, war mir ein fürchterlicher Zauberer, der jeden meiner Gedanken lesen könne, der jetzt schon darum wissen müsse, was ich erfahren. Und dennoch wollte ich lieber sterben, als noch einen Augenblick hier verweilen. -- Ich hatte ein Mädchen geradeüber von unserer Wohnung zuweilen Italienisch sprechen hören; ich kannte sie nicht -- aber kannte ich denn sonst jemand in dieser ungeheuren Stadt? Diese vaterländischen Klänge erweckten Zutrauen in mir; zu ihr wollte ich flüchten, ich wollte sie auf den Knieen anflehen, mich zu retten. »Es war sieben Uhr frühe; ich war meiner ländlichen Gewohnheit treu geblieben, stand immer frühe auf und pflegte gleich nachher zu frühstücken, und dies rettete mich. Um diese Zeit schliefen noch alle, sogar ein großer Teil der Domestiken. Nur der Portier war zu fürchten. Doch konnte er denken, daß jemand aus diesem Tempel der Herrlichkeit entfliehen werde? Ich wagte es; ich warf mein schwarzes, unscheinbares Mäntelchen um mich, eilte die Treppe hinab; meine Kniee schwankten, als ich an der Loge des Portiers vorbeiging; er bemerkte mich nicht; drei Schritte, und ich war frei. »Rechts über die Straße hinüber wohnte das italienische Mädchen. Ich sprang über die breite Straße, ich pochte am Haus, ein Diener öffnete. Ich fragte nach der Signora mit dem schwarzen Lockenköpfchen, die Italienisch spreche. Der Diener lachte und sagte, ich meine wohl die kleine Exzellenza Seraphine; ›dieselbe, dieselbe,‹ antwortete ich, ›führen Sie mich geschwind zu ihr.‹ Er schien anfangs Bedenken zu tragen, weil es noch frühe am Tage sei, doch meine Bitten überredeten ihn. Er führte mich in dem zweiten Stock in ein Zimmer, hieß mich warten und rief dann eine Zofe, der Exzellenza mich zu melden. Ich hatte mir gedacht, das hübsche italienische Mädchen werde meines Standes sein; ich schämte mich, einer Höheren mich zu entdecken, aber man ließ mir keine Zeit, mich zu besinnen; die Zofe erschien, mich vor das Bett ihrer Gebieterin zu führen. Ja, sie war es, es war die schöne junge Dame, die ich hatte Italienisch sprechen hören. Ich stürzte vor ihr nieder und flehte sie um ihren Schutz an; ich mußte ihr meine ganze Geschichte erzählen. Sie schien gerührt und versprach, mich zu retten. Sie ließ den Diener, der mich heraufgeführt hatte, kommen und legte ihm das strengste Stillschweigen auf, dann wies sie mir ein kleines Stübchen an, dessen Fenster in den Hof gingen, gab mir zu arbeiten und zu essen, und so lebte ich mehrere Tage in Freude über meine Rettung, in Angst über meine Zukunft. »Es war das Haus des Gesandten eines kleinen deutschen Hofes, in welches ich aufgenommen war. Die Exzellenza war seine Nichte, eine geborene Italienerin, die bei ihm in Paris erzogen worden war. Sie war ein gütiges, liebenswürdiges Geschöpf, dessen Wohltaten ich nie vergessen werde. Sie kam alle Tage zu mir und tröstete mich; sie sagte mir, daß der Gesandte durch seine Bedienten in dem Hause des argen Mannes nachgeforscht habe. Man sei sehr in Bestürzung, suche es aber zu verbergen. Die Diener drüben flüstern geheimnisvoll, es habe sich eine Mamsell aus einem Fenster des zweiten Stocks in den Kanal der Seine gestürzt. Sonderbare Fügung! Mein Zimmer war ein Eckzimmer und sah mit der einen Seite nach der Straße, die andere ging schroff hinab in einen Kanal. Ich erinnerte mich, an jenem Morgen ein Fenster dieser Seite geöffnet zu haben; wahrscheinlich war es _offen_ geblieben, und so mochte man sich mein Verschwinden erklären. Signora Seraphine sollte um diese Zeit nach Italien zurückkehren, sie war so gütig, mich mitzunehmen. Ja, sie tat noch mehr für mich; sie bewog ihre Eltern in Piacenza, daß sie mich wie ihr Kind in ihr Haus aufnahmen; sie ließ mein Talent ausbilden, ihr habe ich Freiheit, Leben, Kunst, o! vielleicht mehr, als ich weiß, zu danken. In Piacenza lernte ich den Kapellmeister Boloni, der übrigens kein Italiener ist, kennen; er schien mich zu lieben, aber er sagte es mir nicht. Ich nahm bald nachher den Ruf an das hiesige Theater an. Man schätzte mich hier, man hat mir sonst wohlgewollt, mein Leben und mein Ruf waren unsträflich; ach, ich habe in dieser langen Zeit nie einen Mann bei mir gesehen, als -- ich kann Ihnen dieses schöne Verhältnis ohne Erröten gestehen -- als Boloni, der mir bald hierher nachgereist war. Sie haben mein Leben jetzt gehört; sagen Sie mir, habe ich etwas getan, um so bittere Strafe zu verdienen? Habe ich so Entsetzliches verschuldet?« 7. Als die Sängerin geendet hatte, ergriff der Medizinalrat lebhaft ihre Hand. »Ich wünsche mir Glück,« sagte er, »den wenigen Menschen, die Sie auf Ihrem Lebensweg gefunden haben, beitreten zu können. Meine Kräfte sind zwar zu schwach, um für Sie tun zu können, was die treffliche kleine Exzellenza für Sie tat, aber ich will suchen, Ihr trauriges Geschick entwirren zu helfen; ich will den Brausewind, Ihren Freund, zu versöhnen suchen. Aber sagen Sie mir nur, was ist denn Herr Boloni eigentlich für ein Landsmann?« -- »Da fragen Sie mich zu viel,« erwiderte sie ausweichend: »ich weiß nur, daß er ein Deutscher von Geburt ist und, wenn ich nicht irre, wegen Familienverhältnissen vor mehreren Jahren sein Vaterland verließ. Er hielt sich in England und Italien auf und kam vor etwa drei Vierteljahren hierher.« »So, so; aber warum haben Sie ihm _das_, was Sie mir erzählen, nicht schon früher selbst gesagt?« Giuseppa errötete bei dieser Frage; sie schlug die Augen nieder und antwortete: »Sie sind mein Arzt, mein väterlicher Freund, es ist mir, wenn ich zu Ihnen spreche, als spräche ich als Kind zu meinem Vater. -- Aber konnte ich denn dem jungen Mann von diesen Dingen erzählen? Und ich kenne ja seine schreckliche Eifersucht, seinen leicht gereizten Argwohn, ich habe es nie über mich vermocht, ihm zu sagen, welchen Schlingen ich entflohen war.« »Ich ehre, ich bewundere Ihr Gefühl; Sie sind ein gutes Kind; glauben Sie mir, es tut einem alten Manne wohl, auf solche dezente Gefühle aus der alten Zeit zu stoßen; denn heutzutage gilt es für guten Ton, sich über dergleichen wegzusetzen. Aber noch haben Sie mir nicht alles erzählt; der Abend auf der Redoute, jene schreckliche Nacht? --« »Es ist wahr, ich muß Ihnen noch weiter sagen. Ich habe, so oft ich im stillen über meine Rettung nachdachte, die Vorsehung gepriesen, daß man in jenem Hause glaubte, ich habe mich selbst getötet, denn es war mir nur zu gewiß, daß, wenn jener Schreckliche nur die entfernteste Ahnung von meinem Leben habe, er kommen werde, sein Opfer zurückzuholen oder es zu verderben; denn er mochte manches Fünffrankstück für mich bezahlt haben. Deswegen habe ich, solange ich in Piacenza war, manches schöne Anerbieten fürs Theater abgelehnt, weil ich mich scheute, öffentlich aufzutreten. Als ich aber etwa anderthalb Jahre dort war, brachte mir eines Morgens Seraphine ein Pariser Zeitungsblatt, worin der Tod des Chevalier de Planto angezeigt war.« »Chevalier de Planto?« unterbrach sie der Arzt: »hieß so jener Mann, der Sie aus dem Hause Ihres Stiefvaters führte?« »So hieß er; ich war voll Freude, meine letzte Furcht war verschwunden, und es stand nichts mehr im Wege, meinen Wohltätern nicht mehr beschwerlich zu fallen. Schon einige Wochen nachher kam ich nach B. Ich ging vorgestern abend auf die Redoute, und ich will Ihnen nur gestehen, daß ich recht freudig gestimmt war. Boloni durfte nicht wissen, in welchem Kostüm ich erscheinen würde, ich wollte ihn necken und dann überraschen. Auf einmal, wie ich allein durch den Saal gehe, flüstert eine Stimme in mein Ohr: ›Schepperl! was macht dein Onkel?‹ Ich war wie niedergedonnert; diesen Namen hatte ich nicht mehr gehört, seit ich den Händen jenes Fürchterlichen entgangen war. Mein Onkel! Ich hatte ja keinen, und nur _einer_ hatte gelebt, der sich vor der Welt dafür ausgab, der Chevalier de Planto. Ich hatte kaum so viel Fassung, zu erwidern: ›Du irrst dich, Maske!‹ Ich wollte hinwegeilen, mich unter dem Gewühl der Menge verbergen, aber die Maske schob ihren Arm in den meinigen und hielt mich fest. ›Schepperl!‹ sprach der Unbekannte, ›ich rate dir, ruhig neben mir herzugehen, sonst werde ich den Leuten erzählen, in welcher Gesellschaft du dich früher umhergetrieben.‹ Ich war vernichtet, es wurde Nacht in meiner Seele, nur _ein_ Gedanke war in mir lebhaft: die Furcht vor der Schande. Was konnte ich armes, hilfloses Mädchen machen, wenn dieser Mensch, wer er auch sein mochte, solche Dinge von mir aussagte? Die Welt würde ihm geglaubt haben, und Carlo! ach, Carlo wäre nicht der letzte gewesen, der mich verdammt hätte. Ich folgte dem Manne an meiner Seite willenlos. Er flüsterte mir die schrecklichsten Dinge zu; meinen Onkel, wie er den Chevalier nannte, habe ich unglücklich gemacht, meinen Vater, meine Familie ins Verderben gestürzt. -- Ich konnte es nicht mehr aushalten, ich riß mich los und rief nach meinem Wagen. Als ich mich aber auf der Treppe umsah, war diese schreckliche Gestalt mir gefolgt. ›Ich fahre mit dir nach Hause, Schepperl,‹ sprach er mit schrecklichem Lachen; ›ich habe noch ein paar Worte mit dir zu reden.‹ Die Sinne vergingen mir, ich fühlte, daß ich ohnmächtig werde, ich wachte erst wieder im Wagen auf, die Maske saß neben mir. Ich stieg aus und ging auf mein Zimmer, er folgte; er fing sogleich wieder an zu reden; in der Todesangst, ich möchte verraten werden, schickte ich Babette hinaus. »›Was willst du hier, Elender?‹ rief ich voll Wut, mich so beleidigt zu sehen. ›Was kannst du von mir Schlechtes sagen? Ohne meinen Willen kam ich in jenes Haus; ich verließ es, als ich sah, was dort meiner warte.‹ »›Schepperl, mache keine Umstände; es gibt nur zwei Wege, dich zu retten. Entweder zahlst du auf der Stelle zehntausend Franken, sei es in Juwelen oder Gold, oder du folgst mir nach Paris; sonst weiß morgen die ganze Stadt mehr von dir, als dir lieb ist.‹ Ich war außer mir. ›Wer gibt dir dieses Recht, mir solche Zumutungen zu machen?‹ rief ich. ›Wohlan! sage der Stadt, was du willst; aber auf der Stelle verlasse dieses Haus! Ich rufe die Nachbarn.‹ »Ich hatte einige Schritte gegen das Fenster getan, er lief mir nach, packte meinen Arm. ›Wer mir das Recht gibt?‹ sprach er, ›dein Vater, Täubchen, dein Vater.‹ Ein teuflisches Lachen tönte aus seinem Mund, der Schein der Kerze fiel auf ein Paar graue, stechende Augen, die mir nur zu bekannt waren. In demselben Moment war mir klar, wen ich vor mir hatte; ich wußte jetzt, daß sein Tod nur ein Blendwerk war, das er zu irgend einem Zweck erfunden hatte; die Verzweiflung gab mir übernatürliche Kraft; ich rang mich los, ich wollte ihm seine Maske abreißen. ›Ich kenne Euch, Chevalier de Planto,‹ rief ich, ›aber Ihr sollt den Gerichten Rechenschaft über mich geben müssen.‹ -- ›So weit sind wir noch nicht, Täubchen,‹ sagte er, und in demselben Augenblick fühlte ich sein Eisen in meiner Brust, ich glaubte zu sterben --« Der Doktor schauderte; es war heller Tag, und doch graute ihm, wie wenn man im Dunkeln von Gespenstern spricht. Er glaubte, das heisere Lachen dieses Teufels zu hören, er glaubte, hinter den Gardinen des Bettes die grauen, stechenden Augen dieses Ungeheuers glänzen zu sehen. »Sie glauben also,« sagte er nach einer Weile, »daß der Chevalier nicht tot ist, daß es derselbe ist, der Sie ermorden wollte?« »Seine Stimme, sein Auge überzeugten mich; das Tuch, das ich Ihnen gestern gab, machte es mir zur Gewißheit. Die Anfangslettern seines Namens sind dort eingezeichnet.« »Und geben Sie mir Vollmacht, für Sie zu handeln? Darf ich alles, was Sie mir sagten, selbst vor Gericht angeben?« »Ich habe keine Wahl, alles! Aber, nicht wahr, Doktor, Sie gehen zu Boloni und sagen ihm, was ich Ihnen sagte? Er wird Ihnen glauben, er kannte ja auch Seraphine.« »Und darf ich nicht auch wissen,« fuhr der Medizinalrat fort, »wie der Gesandte hieß, in dessen Haus Sie sich verbargen?« »Warum nicht? Es war ein Baron Martinow.« »Wie?« rief Lange in freudiger Bewegung. »Der Baron Martinow? Ist er nicht in ...schen Diensten?« »Ja, kennen Sie ihn? Er war Gesandter des ...schen Hofes in Paris und nachher in Petersburg.« »O, dann ist es gut, sehr gut,« sagte der Medizinalrat und rieb sich freudig die Hände. »Ich kenne ihn, er ist seit gestern hier; er hat mich rufen lassen; er wohnt im Hotel de Portugal.« Eine Träne blinkte in dem Auge der Sängerin, und von frommen Empfindungen schien ihr Herz bewegt. »So mußte ein Mann,« sagte sie, »den ich viele hundert Meilen entfernt glaubte, hierher kommen, um die Wahrheit meiner Erzählung zu bekräftigen! Gehen Sie zu ihm; ach, daß auch Carlo zuhören könnte, wenn er Ihnen versichert, daß ich die Wahrheit sprach!« »Er soll es, er soll mit mir, ich will es schon machen. Adieu, gutes Kind; seien Sie ganz ruhig, es muß Ihnen noch gut gehen auf Erden, und nehmen Sie die Mixtur recht fleißig, alle Stunden zwei Löffel voll!« So sprach der Doktor und ging. Die Sängerin aber dankte ihm durch ihre freundlichen Blicke. Sie war ruhiger und heiter; es war, als habe sie eine große Last mit ihrem Geheimnis hinweggewälzt; sie sah vertrauensvoller in die Zukunft, denn ein gütiges Geschick schien sich des armen Mädchens zu erbarmen. 8. Der Baron Martinow, dem Lange früher einmal einen wichtigen Dienst zu leisten Gelegenheit gehabt hatte, nahm ihn freundlich auf und gab ihm über die Sängerin Bianetti die genügendsten Aufschlüsse. Er bestätigte nicht nur beinahe wörtlich ihre Erzählung, sondern er brach auch in die lautesten Lobeserhebungen ihres Charakters aus; ja er versprach, wohin er in dieser Stadt kommen würde, überall zu ihren Gunsten zu sprechen und die Gerüchte zu widerlegen, die über sie im Umlauf waren. Er hat auch Wort gehalten, denn hauptsächlich seinem Ansehen und der edelmütigen Art, womit er sich der Italienerin annahm, schrieben es ihre Freunde zu, daß die Gesinnungen des Publikums über sie in wenigen Tagen wie durch einen Zauberschlag sich änderten. Der Medizinalrat Lange aber stieg an jenem Tage, als er vom Gesandten kam, aus der Bel-Etage des Hotels de Portugal noch einige Treppen höher, in die Mansarden; in Nr. 54 sollte der Kapellmeister wohnen. Er stand vor der Türe still, um Atem zu schöpfen, denn die steilen Treppen hatten ihn angegriffen. Sonderbare Töne drangen aus dieser Türe in sein Ohr. Es schien ein schwer Kranker darin zu sein, denn er vernahm ein tiefes Stöhnen und Seufzen, das aus der tiefsten Brust aufzusteigen schien. Dann klangen wieder schreckliche französische und italienische Flüche dazwischen, wie wenn Ungeduld dem Jammer Luft machen will, und ein heiseres Lachen der Verzweiflung bildete wieder den Uebergang zu jenen tiefen Seufzern. Der Medizinalrat schauderte. »Habe ich doch schon neulich etwas weniges Wahnsinn an dem Maestro verspürt,« dachte er, »sollte er vollends übergeschnappt sein, oder ist er krank geworden aus Schmerz?« Er hatte schon den Finger gekrümmt, um anzuklopfen, als sein Blick noch einmal auf die Nummer der Türe fiel; es war 53. Wie hatte er sich doch täuschen können; fast wäre er zu einem ganz fremden Menschen eingetreten. Unwillig über sich selbst ging er eine Türe weiter; hier war 54; hier lautete es auch ganz anders. Eine tiefe schöne Männerstimme sang ein Lied, begleitet von dem Pianoforte; der Medizinalrat trat ein, es war jener junge Mann, den er gestern bei der Sängerin gesehen. Im Zimmer lagen Notenblätter, Gitarre, Violinen, Saiten und anderer Musikbedarf umher, und mitten unter diesen Trümmern stand der Kapellmeister in einem weiten, schwarzen Schlafrock, eine rote Mütze auf dem Kopf und eine Notenrolle in der Hand; der Doktor hat nachher gestanden, es sei ihm bei seinem Anblick Marius auf den Trümmern von Karthago eingefallen. Der junge Mann schien sich seiner von gestern zu erinnern und empfing ihn beinahe finster; doch war er so artig, einen Stoß Notenblätter mit einem Ruck von einem Sessel auf den Boden zu werfen, um seinem Besuch Platz anzubieten; er selbst stieg mit großen Schritten im Zimmer umher, und sein fliegender Schlafrock nahm geschickt den Staub von Tischen und Büchern. Er ließ den Medizinalrat nicht zum Worte gelangen, er überschrie ihn. »Sie kommen von ihr?« rief er. »Schämen sich Ihre grauen Haare nicht, der Kuppler eines solchen Weibes zu werden? Ich will nichts mehr hören; ich habe mein Glück zu Grabe getragen, Sie sehen, ich traure um meine Seligkeit; ich habe meinen schwarzen Schlafrock an, schon dies sollte Ihnen, wenn Sie sich entfernt auf Psychologie verstehen, ein Zeichen sein, daß ich jene Person für mich als gestorben ansehe. O Giuseppa, Giuseppa!« »Wertester Herr Kapellmeister,« unterbrach ihn der Doktor, »so hören Sie mich nur an --« »Hören? Was wissen Sie von Hören? Lauschen Sie, wenn Sie von Hören sprechen; ich will prüfen, ob du Gehör hast, Alter! Siehe, das ist das Weib,« fuhr er fort, indem er den Flügel aufriß und einiges spielte, das übrigens dem Doktor, der kein großer Musikkenner war, vorkam wie andere Musik auch; »hören Sie dieses Weiche, Schmelzende, Anschmiegende? Aber bemerken Sie nicht in diesen Uebergängen das unzuverlässige, flüchtige, charakterlose Wesen dieser Geschöpfe? Aber hören Sie weiter,« sprach er mit erhobener Stimme und glänzendem Auge, indem er die weiten Aermel des Trauerschlafrockes zurückschüttelte, »wo Männer wirken, ist Kraft und Wahrheit; hier kann nichts Unreines aufkommen, es sind heilige, göttliche Laute!« Er hämmerte mit großer Macht auf den Tasten umher, aber dem Doktor wollte es wieder bedünken, als sei dies nur ganz gewöhnliche Musik. »Sie haben da eine sonderbare Charakteristik der Menschen,« sagte er; »da wir doch einmal so weit sind, dürfte ich Sie nicht bitten, Verehrter, daß Sie mir doch einmal einen Medizinalrat auf dem Klavier vorstellten?« Der Musiker sah ihn verächtlich an. »Wie magst du nur mit einem schlechten quiekenden Cis hereinfahren, Erdenwurm, wenn ich den herrlichen, strahlenwerfenden Akkord anschlage!« Die Antwort des Doktors wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen; eine kleine verwachsene Figur trat herein, machte eine Reverenz und sprach: »Der kranke Herr auf Nr. 53 läßt den Herrn Kapellmeister höflichst ersuchen, doch nicht so gar erschrecklich zu hantieren und zu haselieren, wasmaßen derselbe von gar schwacher Konstitution und dem zeitlichen Hinscheiden nahe ist.« »Ich lasse dem Herrn meinen gehorsamsten Respekt vermelden,« erwiderte der junge Mann, »und meinetwegen könne er abfahren, wann es ihm gefällig. Es graut mir ohnedies alle Nacht vor seinem Jammern und Stöhnen, und das greulichste sind mir seine gottlosen Flüche und sein tolles Lachen. Meint vielleicht der Franzose, er sei allein Herr im Hotel de Portugal? Geniert er mich, so geniere ich ihn wieder.« »Aber verzeihen Euer Hochedelgeboren,« sagte der verwachsene Mensch, »er treibt's nicht mehr lange, wollten Sie ihm nicht die letzten Augenblicke --« »Ist er so gar krank, der Herr?« fragte der Medizinalrat teilnehmend, »was fehlt ihm? Wer behandelt ihn? Wer ist er?« »Wer er ist, weiß ich gerade nicht; ich bin der Lohnlakai; ich denke, er nennt sich Lorier und ist aus Frankreich; vorgestern war er noch wohlauf, aber etwas melancholisch, denn er ging gar nicht aus, hatte auch keine Lust, die Merkwürdigkeiten dieser Stadt zu sehen, aber am andern Morgen fand ich ihn schwerkrank im Bette; es scheint, er hat in der Nacht einen Schlaganfall bekommen. Aber um alle Welt will er keinen Arzt. Er flucht gräßlich, wenn ich frage, ob ich einen zu ihm führen solle. Er pflegt und verbindet sich selbst; ich glaube, er hat auch eine alte Schußwunde aus dem Krieg, die jetzt wieder aufgegangen ist.« Man hörte in diesem Augenblick den Kranken nebenan mit heiserer Stimme rufen und einige Verwünschungen ausstoßen. Der Lohnlakai schlug drei Kreuze und flog hinüber. Der Doktor versuchte noch einmal, ob seine Reden bei dem verstockten Liebhaber keinen Eingang fänden, und wirklich schien es diesmal zu gelingen. Er hatte eine Partitur in die Hand genommen, aus welcher er mit leiser Stimme vor sich hinsang; der Doktor benützte diese ruhigere Stimmung und fing an, ihm das Leben der Sängerin zu erzählen. Anfangs schien der Kapellmeister nicht darauf zu achten; er las emsig in seiner Partitur und tat, als sei außer ihm niemand im Zimmer; nach und nach aber wurde er aufmerksamer, er hörte auf zu singen; bald hob sich zuweilen sein Auge über die Partitur und streifte glühend über des Doktors Gesicht, dann ließ er das Notenheft sinken und sah den Erzähler fest an; sein Interesse schien mehr und mehr zu wachsen, seine Augen glänzten, er rückte näher, er faßte den Arm des Mediziners, und als dieser seine Erzählung schloß, sprang er in großer Bewegung auf und rannte im Zimmer auf und nieder. »Ja,« rief er, »es liegt Wahrheit darin, ein Schein von Wahrheit, eine Wahrscheinlichkeit; es ist möglich, es könnte etwa so gewesen sein; Teufel! könnte es nicht auch eine Lüge sein?« »Das heißt man, glaube ich, ~decrescendo~ in Ihrer werten Kunst, Herr Kapellmeister; aber warum denn bei dieser Sache so von der Wahrheit bis zur Lüge herabsteigen? Wenn ich Ihnen nun einen Bürgen für die Wahrheit stellte? Maestro, wie dann?« Boloni blieb sinnend vor ihm stehen: »Ha! wer dieses könnte, Medizinalrat, in Gold wollte ich dich fassen, schon dieser Gedanke verdient, groß und königlich belohnt zu werden. Ja! wer mir Bürge wäre! -- Es ist alles so finster -- verworrene Labyrinthe -- kein Ausgang -- kein leitendes Gestirn!« »Wertgeschätzter Freund,« unterbrach ihn der Doktor; »ich ertappe Sie hier auf einer Reminiszenz aus Schillers Räubern, so in der Cottaschen Taschenausgabe stehet, wenn ich mich recht erinnere. Demungeachtet weiß ich einen solchen Bürgen, ein solches leitendes Gestirn.« »Ha! Wer mir einen solchen gäbe!« rief jener. »Er sei mein Freund, mein Engel, mein Gott -- ich will ihn anbeten!« »Es ist zwar in der angeführten Stelle von einem Schwert die Rede, womit man der Otternbrut eine brennende Wunde versetzen will; nichtsdestoweniger aber will ich Sie überzeugen; jener Gesandte, der die arme Giuseppa in seinem Hause aufnahm, logiert zufällig hier im Hause auf Nr. 6; belieben Sie einen Frack anzuziehen und ein Halstuch umzuknüpfen, so werde ich Sie zu ihm führen; er hat mir versprochen, Sie zu überzeugen.« Der junge Mann drückte gerührt die Hand des Arztes; doch auch jetzt noch konnte er ein gewisses erhabenes Pathos nicht verbergen. »Ihr wart mein guter Engel,« sagte er; »wie vielen Dank bin ich für diesen Wink Euch schuldig; ich fahre nur geschwind in meinen Frack, und sogleich folg' ich Euch zu dem Gesandten.« 9. Die Aussöhnung mit dem Geliebten schien beinahe noch von größerer Wirkung auf die Sängerin zu sein als die kunstreichsten Tränklein ihres Arztes. Ihre Gesundheit besserte sich in den nächsten Tagen zusehends, und bald war sie so weit hergestellt, daß sie die Besuche ihrer teilnehmenden Freunde außer dem Bette empfangen konnte. Diese Wendung ihres Zustandes mochte der Direktor der Polizei abgewartet haben, um die Sache weiter zu verfolgen. Er war ein umsichtiger Mann, und der Ruf sagte von ihm, daß ihm nicht leicht einer entgehe, auf den er einmal sein Auge geworfen, sollte er auch hundert und mehrere Meilen entfernt sein. Von dem Medizinalrat war ihm die Geschichte der Sängerin mitgeteilt worden, er hatte sodann mit dem Baron Martinow noch weitere Rücksprache genommen und einiges erfahren, was ihm von großem Interesse schien. Der Gesandte hatte ihm nämlich gestanden, daß er von dem Vorfall mit der jungen Bianetti Gelegenheit genommen, das ruchlose Leben des Chevalier de Planto höheren Orts zu berühren. Er hatte nicht versäumt, hauptsächlich den Umstand, daß jenes arme Kind eigentlich verkauft wurde, ins rechte Licht zu setzen. Jenes berüchtigte Haus wurde kurze Zeit darauf von der Polizei aufgehoben, und der Baron schien dies hauptsächlich den Schritten, die er in der Sache getan, zuzuschreiben. Auch er hatte von dem Tod des Chevaliers gehört, glaubte aber mit dem Polizeidirektor, daß dies nur ein Kunstgriff gewesen sei, um sein Gewerbe sicherer fortzusetzen; denn beide hegten keinen Zweifel, jener Mordversuch an der Sängerin könne nur von diesem schrecklichen Menschen herrühren. Wie schwer war es aber, der Spur dieses Mörders zu folgen; die Fremden, die sich damals in B. aufhielten, waren, wie der Direktor versicherte, alle unverdächtig; nur zwei Umstände konnten zu Gewisserem führen; das Schnupftuch, welches sich im Zimmer der Bianetti gefunden hatte, konnte, wenn man irgendwo ein ähnliches sah, zur Entdeckung leiten; es war daher die genaueste Beschreibung davon in den Händen aller jener Nähterinnen und Waschfrauen, welche die Garderobe der Fremden in B. zu besorgen pflegten. Sodann glaubte der Direktor aus psychologischen Gründen annehmen zu können, daß ein zweiter Versuch auf das Leben der Sängerin bald folgen würde, im Falle sich nämlich der Mörder noch in der Nähe aufhielte. Sobald daher die Sängerin wieder bei Kräften war, begleitete der Direktor der Polizei den Doktor Lange, so oft er sie besuchte; es wurden dort manche Maßregeln besprochen, manche schienen gut, aber nicht wohl auszuführen, manche wurden geradehin verworfen. Giuseppa selbst kam endlich auf einen Gedanken, der den beiden Männern sehr einleuchtete. »Der Doktor,« sagte sie, »hat mir erlaubt, in der nächsten Woche wieder auszugehen; wenn er nichts dagegen hat, würde ich auf der letzten Redoute des Karnevals zuerst wieder unter den Leuten erscheinen; es hat etwas Anziehendes für mich, mich dort, wo mein Unglück eigentlich anfing, zum erstenmal zu zeigen. Wenn wir dafür sorgen, daß dies in B. hinlänglich bekannt wird, und wenn der Chevalier noch hier ist, so bin ich wie von meinem Leben überzeugt, daß er unter irgend einer Maske sich wieder in meine Nähe drängt. Er wird sich zwar hüten zu sprechen, er wird durch nichts sich verraten, aber seine Anschläge auf mein Leben wird er nicht ruhen lassen, und ich will ihn aus Tausenden erkennen. Seine Größe, seine Gestalt, vor allem seine Augen werden mir ihn kenntlich machen. Was meinen Sie, meine Herren?« Der Plan war nicht übel. »Ich wollte wetten,« sagte der Direktor, »wenn er erfährt, Sie kommen auf diesen Ball, so bleibt er nicht aus; sei es auch nur, um den Gegenstand seiner Rache wiederzusehen und seiner Wut neue Nahrung zu geben. Ich denke übrigens, Sie sollten keine Larve vors Gesicht nehmen, er wird Sie dann um so leichter erkennen, um so eher in Ihrer Nähe in seine Falle gehen; ich werde ein paar tüchtige Bursche in Dominos stecken und sie Ihnen zur Eskorte geben; auf ein Zeichen von Ihnen soll der alte Fuchs gefangen sein.« Babette, das Kammermädchen der Sängerin, war während dieses Gespräches ab und zu gegangen; sie hatte gehört, wie ihre Dame entschlossen sei, den Mörder oder seine Gehilfen ausfindig zu machen, sie glaubte es sich selbst schuldig zu sein, nach Kräften zu dieser Entdeckung beizutragen. Sie paßte daher den Direktor ab, faßte sich ein Herz und sagte, sie habe schon neulich den Doktor auf einen Umstand aufmerksam gemacht, der zur Entdeckung führen könnte, er scheine aber nicht darauf zu achten. »Kein Umstand ist bei solchen Vorfällen gering, meine liebe Kleine,« antwortete der Mann der Polizei; »wenn Sie irgend etwas wissen --« »Ich glaube fast, Signora ist zu diskret und will nicht recht mit der Sprache heraus; als sie den Stich bekam und in meinen Armen ohnmächtig wurde, war ihr letzter Seufzer -- Bolnau.« »Wie?« rief der Direktor entrüstet, »und das verschwieg man mir bis jetzt? Einen so wichtigen Umstand; haben Sie auch recht gehört, Bolnau?« »Auf meine Ehre,« sagte die Kleine und legte die Hand beteuernd auf das Herz. »Bolnau sagte sie und so schmerzlich, daß ich nicht anders glaube, als so heißt der Mörder; aber bitte, verraten Sie mich nicht!« Der Direktor hatte den Grundsatz, daß kein Mensch, er sehe so ehrlich aus, als er wolle, zu gut zu einem Verbrechen sei. Der Kommerzienrat Bolnau, und einen andern wußte er nicht in dieser Stadt, war ihm zwar als ein geordneter Mann bekannt, aber -- hatte man nicht Beispiele, daß gerade solche Leute, denen man vor der Welt nichts nachsagen konnte, der Justiz am meisten zu schaffen machten? Konnte er nicht mit diesem Chevalier de Planto unter einer Decke spielen? Er setzte unter diesen Betrachtungen seinen Weg weiter fort, er näherte sich der breiten Straße, es fiel ihm bei, daß um diese Zeit der Kommerzienrat sich dort zu ergehen pflegte; er beschloß, ihm ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Richtig, dort kam er die Straße herab, er grüßte rechts, er grüßte links, er sprach alle Augenblicke mit einem Bekannten, er lächelte, wenn er weiter ging, vor sich hin, er schien munter und guter Dinge zu sein. Er mochte etwa noch fünfzig Schritte vom Direktor entfernt sein, als er dessen ansichtig wurde; er erbleichte, er wandte um und wollte in eine Seitenstraße einbiegen. »Ein verdächtiger, sehr verdächtiger Umstand!« dachte der Direktor, lief ihm nach, rief seinen Namen und brachte ihn zum Stehen. Der Kommerzienrat war ein Bild des Jammers; er brachte in hohlen Tönen ein »~Bon jour, bon jour~« hervor, er schien lächeln zu wollen, aber die Augen gingen ihm über, und sein Gesicht verzog sich krampfhaft; seine Kniee zitterten, seine Zähne schlugen hörbar aneinander. »Ei, ei, Sie machen sich recht rar. Habe Sie schon ein paar Tage nicht an meinem Fenster vorbeigehen sehen; Sie scheinen nicht recht wohl zu sein?« setzte der Direktor mit einem stechenden Blick hinzu, »Sie sind so blaß, fehlt Ihnen etwas?« »Nein, -- es ist nur so ein kleines Frösteln -- ich war wirklich einige Tage nicht wohl, aber gottlob, es geht mir besser.« »So? Sie waren nicht wohl?« fragte jener weiter; »das hätte ich kaum gedacht; ich glaubte Sie doch noch vor wenigen Tagen auf der Redoute recht munter gesehen zu haben.« »Ja freilich; aber gleich den folgenden Tag mußte ich mich legen; ich bekam meine Zufälle wieder, aber ich bin jetzt ganz wiederhergestellt.« »Nun, da werden Sie nicht versäumen, die nächste Redoute zu besuchen; es ist die letzte und soll sehr brillant werden; ich hoffe Sie dort zu sehen; bis dahin adieu! Herr Kommerzienrat.« 10. »Werde nicht mankieren!« rief ihm der Kommerzienrat Bolnau mit jammervollen Mienen nach. »Der hat Verdacht!« sprach er zu sich. »Der weiß etwas von dem Wort der Sängerin. Zwar sie soll wiederhergestellt sein; aber kann nicht der Verdacht im Herzen dieses Polizisten um sich fressen? Kann er mich nicht aus Argwohn beobachten lassen? Die geheime Polizei wird mich verfolgen; auf allen meinen Schritten und Tritten sehe ich schlaue, fremde Gesichter. Ich darf nichts mehr reden, so wird es rapportiert, gedeutet; ich werde, o Gott im Himmel, ich werde ein unruhiger Kopf, ein gefährliches Individuum; und doch lebte ich still und harmlos wie Wilhelm Tell im vierten Akt!« So sprach der unglückliche Bolnau bei sich; seine Angst vermehrte sich, als er über die verfängliche Frage wegen der nächsten Redoute nachdachte. »Er meint gewiß, ich werde mich nicht in die Nähe der Sängerin wagen, aus bösem Gewissen; aber ich muß hin, ich muß ihm diesen Verdacht benehmen! Und doch -- wird mich nicht in ihrer Nähe ein Zittern und Beben überfallen, gerade weil er glauben kann, ich werde aus Gewissensbissen und Angst zittern?« Er quälte sich ab mit diesen Vorstellungen, sie beschäftigten ihn tagelang, er erinnerte sich, daß ein berühmter Schriftsteller in einer Schrift bewiesen habe, daß man Angst vor der Angst haben könne, und dies schien ihm ganz sein Fall zu sein. Aber er fühlte, daß er sich ein Herz fassen und der Gefahr entgegengehen müsse. Er ließ sich vom Maskenverleiher den prachtvollen Anzug des Pascha von Janina holen; er zog ihn alle Tage an und übte sich vor einem großen Spiegel, recht unbefangen aus seiner Maske hervorzuschauen. Er machte sich aus seinem Schlafrocke eine Puppe und setzte sie auf einen Sessel: sie stellte die Sängerin Bianetti vor. Er ging als Pascha um sie her, näherte sich ihr und sprach: »Es freuet mich unendlich, Sie in so erwünschtem Wohlbefinden zu sehen.« Am dritten Tage konnte er seine Lektion schon ganz ohne Zittern sagen, daher legte er sich noch Schwereres auf. Er wollte recht artig und unbefangen sein und ihr einen Teller mit Bonbons und Punsch offerieren. Er übte sich mit einem Glas Wasser, das er auf einen Teller setzte. Von Anfang klirrte es schrecklich in seiner zitternden Hand; aber auch diese Schwachheit überwand er, ja er konnte ganz lustig dazu sagen: »Verehrte, beliebt Ihnen nicht etwas weniges Punsch und etliche Bonbons?« Es ging trefflich; kein Sterblicher sollte ihn beben sehen. Ali Pascha von Janina fühlte Mut in sich, trotz seiner Angst auf die Redoute zu gehen. Der Medizinalrat Lange hatte es sich nicht nehmen lassen, die Genesene zum erstenmal wieder unter die Leute zu führen. Sie hatte es ihm gerne zugesagt; hatte er doch durch seine treue Pflege, durch die väterliche Sorgfalt, womit er sich ihrer angenommen, ein Recht auf ihre wärmste Dankbarkeit gewonnen. So kam er mit ihr auf die Redoute, und er schien sich nicht wenig auf den Platz an der Seite des schönen, interessanten Mädchens zu gut zu tun. Die Leute in B. sind ein sonderbares Volk. In den ersten Tagen hatte man von den nobelsten Salons bis hinab in die Bierschenken von der Sängerin Uebles gesprochen; als aber Männer von Gewicht sich ihrer annahmen, als angesehene Damen sich öffentlich für sie erklärten, drehte sich die Fahne nach dem Wind, und die B...er liefen, gerührt über das Schicksal des armen Kindes, in den Straßen umher und starben bald vor Entzücken, daß sie genesen. Als sie in den Saal der Redoute trat, schien alles nur auf sie, als die Königin des Festes, gewartet zu haben; man jubelte und jauchzte, man klatschte in die Hände und rief bravo! als hätte sie eben die schwersten Rouladen zustande gebracht. Auch dem Medizinalrat fiel sein Anteil am Beifall zu: »Sehet, der ist's,« riefen sie, »das ist ein geschickter Mann, der hat sie gerettet!« Die Sängerin fühlte sich freudig bewegt von diesem Beifall der Menge; ja sie hätte, berauscht von dem Gemurmel der Glückwünschenden, beinahe vergessen, daß sie noch ein ernsterer Zweck in diesen Saal geführt habe; aber die vier handfesten Dominos, die ihren Schritten folgten, die Fragen des Doktors, ob sie der grauen Augen des Chevaliers noch nicht ansichtig geworden, erinnerten sie immer wieder an ihr Vorhaben. Ihr selbst und dem Doktor war es nicht entgangen, daß ein langer, hagerer Türke (man hieß in B. sein Kostüm den Ali Bassa) sich immer in ihre Nähe dränge; und so oft der Strom der Masken ihn wegriß, immer war er ihnen wieder zur Seite. Die Sängerin stieß den Doktor an und winkte mit den Augen nach dem Pascha hin. Er erwiderte ihren Wink und sagte: »Ich habe ihn schon lange bemerkt.« Der Pascha näherte sich mit ungewissen Schritten; die Sängerin klammerte sich fester an Langes Arm; er war jetzt ganz nahe, starre, graue Aeuglein guckten aus der Maske, und eine hohle Stimme sprach zu ihr: »Es freut mich unendlich, wertgeschätzte Mamsell, Sie in so erwünschtem Wohlsein zu sehen.« Die Sängerin wandte sich erschreckt ab und schien zu zittern; auch die Maske fuhr bei diesem Anblick bebend zurück und verschwand unter der Menge. »Ist er es?« rief der Medizinalrat; »fassen Sie sich doch; es gilt hier, ruhig und mit Umsicht zu handeln; glauben Sie, er ist es?« -- »Noch weiß ich es nicht gewiß,« entgegnete sie; »aber ich glaube, seine Augen zu erkennen.« Der Medizinalrat gab den vier Dominos die Weisung, recht genau auf diesen Pascha acht zu geben, und ging mit der Dame weiter. Aber kaum hatte er einige Gänge durch den Saal gemacht, so erschien der Türke wieder; doch hielt er sich mehr in der Entfernung, als beobachte er die Sängerin. Der Doktor trat mit seiner Dame an ein Büfett, um ihr auf den gehabten Schrecken eine Tasse Tee zu verordnen; er sah sich um -- auch hier wieder der Türke. Und siehe da, jetzt hatte er auf einem Tellerlein ein Glas Punsch und einige Bonbons; er nähert sich der Sängerin, seine Augen funkeln, das Glas hüpft und klappert in seltsamen Klängen auf dem zitternden Teller; er ist an ihrer Seite, er bietet ihr den Teller und sagt: »Verehrte, beliebt Ihnen nicht etwas weniges Punsch und etliche Bonbons?« Die Sängerin sah ihn starr an, sie erbleichte, sie stieß den Teller zurück und rief: »Ha! der Schreckliche! Er ist's, er ist's, er will mich vergiften!« Der Pascha von Janina stand stumm und regungslos, er schien jeden Gedanken an Verteidigung aufzugeben; willenlos ließ er sich von den vier handfesten Dominos hinwegführen. Beinahe in demselben Augenblick wurde der Doktor heftig an seinem schwarzen Mantel gezogen; er sah sich um, jener kleine verwachsene Lohnlakai aus dem Hotel de Portugal stand vor ihm, bleich und von Schrecken entstellt: »Um Gottes Barmherzigkeit willen, Herr Medizinalrat, kommen Sie doch gefälligst mit mir auf Nr. 53, eben will der Teufel den französischen Herrn holen.« »Was schwatzt Er da?« sagte der Doktor unwillig und wollte ihn auf die Seite schieben, um dem Gefangenen auf die Polizeidirektion zu folgen; »was geht es mich an, wenn ihn der Satan zu sich nimmt?« »Aber ich bitte Sie,« rief der Kleine beinahe heulend, »er kann vielleicht doch gerettet werden; Hochdieselben sind ja Stadtphysikus allhier und verpflichtet, zu den Fremden in den Hotellern zu kommen.« Der Medizinalrat unterdrückte einen Fluch, der ihm auf der Zunge schwebte; er sah, daß er diesem unangenehmen Gang nicht ausweichen könne, er winkte den Kapellmeister Boloni herbei, übergab ihm die Sängerin und eilte mit dem kleinen Menschen nach dem Hotel de Portugal. 11. Es war still und öde in diesem großen Gasthof, Mitternacht war beinahe schon vorüber, die Lampen in den Gängen und Treppen brannten düster und trübe; es war dem Medizinalrat unheimlich zu Mut, als er zu dem einsamen Kranken hinanstieg. Der Lakai schloß die Türe auf, der Doktor trat ein, wäre aber beinahe wieder zurückgesunken. Denn ein Wesen, das seit einigen Tagen unablässig seine Phantasie im Wachen und im Schlafe beschäftigt hatte, saß hier wirklich und verkörpert im Bette. Es war ein großer, hagerer, ältlicher Mann, er hatte eine spitzig aufstehende, wollene Schlafmütze tief in die Stirne gezogen, seine enge Brust, seine langen, dünnen Arme waren mit Flanell überkleidet, unter der Mütze ragte eine große, spitzige Nase aus einem mageren braungelben Gesicht hervor, das man schon tot und erstorben geglaubt hätte, wären es nicht ein Paar graue, stechende Augen gewesen, die ihm noch etwas Leben und einen schrecklichen, grauenerregenden Ausdruck gaben. Seine langen, dünnen Finger, die mit den hageren Gelenken weit aus den Aermeln hervorragten, hatte er zusammengekrümmt, er kratzte mit heiserem, wahnsinnigen Lachen auf der Bettdecke. »Schaut! er kratzt sich schon sein Grab!« flüsterte der kleine Mensch und weckte damit den Doktor aus seinem Hinstarren auf den Kranken. So, gerade so, hatte sich dieser den Chevalier de Planto gedacht, dieses tückische, graue Auge, diese unheilverkündenden Züge, diese dürre, gespensterhafte Figur -- es war hier alles, was die Sängerin von jenem schrecklichen Manne gesagt hatte. Doch er besann sich, kam er denn nicht jetzt eben von der Verhaftung jenes Chevaliers? Konnte nicht ein anderer Mann auch graue Augen haben? War es zu verwundern, daß ein Kranker abgefallen und bleich war? Der Doktor lachte sich selbst aus, fuhr mit der Hand über die Stirne, als wolle er diese Gedanken hinwegwischen, und trat an das Bett. -- Doch noch nie hatte er in so langen Jahren am Bette eines Kranken Grauen und Furcht gefühlt -- hier, es war ihm unerklärlich, hier befiel ihn eine Beengung, ein Schauer, den er umsonst abzuschütteln suchte, und er fuhr unwillkürlich zurück, als er die feuchte, kalte Hand in der seinigen fühlte, als er lange umsonst nach einem Puls suchte. »Der dumme Kerl,« rief der Kranke mit heiserer Stimme, indem er bald Französisch, bald schlechtes Italienisch und gebrochenes Deutsch untereinanderwarf, »der dumme kleine Kerl hat mir, glaube ich, einen Doktor gebracht. Sie werden mir verzeihen, ich habe nie viel von Ihrer Kunst gehalten. Das einzige, was mich heilen kann, sind die Bäder von Genua; ich habe der Bête schon befohlen, daß er mir Postpferde bestellt; ich werde heute nacht noch abfahren.« »Freilich wird er abfahren,« murmelte der kleine Mensch; »aber mit sechs kohlschwarzen Rappen, und nicht nach Genua, wo der selige Fiesco ertrunken, sondern dahin, wo Heulen und Zähneklappern.« Der Doktor sah, daß hier wenig zu machen sei; er glaubte die Vorzeichen des nahen Todes in den Augen, in den unruhigen Bewegungen des Kranken zu lesen, selbst jene Sehnsucht zu reisen und hinaus ins Weite zu kommen, war schon oft der Vorbote eines schnellen Endes gewesen. Er riet ihm daher, sich ruhig niederzulegen, und versprach ihm, einen kühlen Trank zu bereiten. Der Kranke lachte grimmig. »Liegen, ruhig liegen?« antwortete er. »Wenn ich liege, höre ich auf zu atmen; ich muß sitzen, im Wagen muß ich sitzen, fort, weit fort! -- Was sagt der kleine Mensch? Hat er die Pferde bestellt? Kleiner Hund, hast du mein Gepäck in Ordnung?« »Ach, Herr und Vater!« krächzte der Kleine, »jetzt denkt er an sein Gepäck; ja einen schweren Pack Sünden nimmt er mit, der Unmensch. Es ist nicht an den Himmel zu malen, was er geflucht und gotteslästerliche Reden geführt hat.« Der Medizinalrat faßte noch einmal die Hand des Kranken. »Fassen Sie Vertrauen zu mir,« sagte er, »vielleicht kann Ihnen die Kunst doch noch nützen; Ihr Diener sagt mir, es sei Ihnen eine Schußwunde wieder aufgegangen; lassen Sie mich untersuchen.« Murrend bequemte sich der Kranke dazu, er deutete auf seine Brust. Der Arzt nahm einen schlechtgemachten Verband weg, er fand -- eine Stichwunde nahe am Herzen. -- Sonderbar! es war dieselbe Größe, derselbe Ort, wie die Wunde der Sängerin. »Das ist eine frische Wunde, ein Stich!« rief der Doktor und sah den Kranken mißtrauisch an. »Woher haben Sie diese Wunde?« »Sie glauben wohl, ich habe mich geschlagen? Nein, beim Teufel! Ich hatte ein Messer in der Brusttasche, fiel eine Treppe herab und habe mich ein wenig geritzt.« »Ein wenig geritzt!« dachte Lange; »und doch wird er an dieser Wunde sterben.« Er hatte indessen Limonade bereitet und bot sie dem Kranken; dieser führte sie mit unsicherer Hand zum Munde, sie schien ihn zu erquicken; er war einige Momente still und ruhig; doch, als er sah, daß er einige Tropfen auf die Decke gegossen hatte, fing er an zu fluchen und verlangte ein Schnupftuch. Der Lakai flog zu einem Koffer, schloß auf und brachte ein Tuch heraus -- der Doktor sah hin, eine schreckliche Ahnung stieg in ihm auf -- er sah wieder hin, es war dieselbe Farbe, derselbe Stoff, es war das Tuch, das man bei der Sängerin gefunden. Der kleine Mensch wollte es dem Kranken überreichen; er stieß es zurück: »Gehe zu allen Teufeln, du Tier! Wie oft muß ich es sagen, ~Eau d'héliotrope~ darauf!« Der Diener holte eine kleine Flasche hervor und besprengte das Tuch; ein angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer -- es war dasselbe Parfüm, das jenes gefundene Tuch an sich getragen. Der Medizinalrat bebte an allen Gliedern; es war kein Zweifel mehr, er hatte hier den Mörder der Sängerin Bianetti, den Chevalier de Planto vor sich. Es war ein Hilfloser, ein Kranker, ein Sterbender, der hier im Bette saß, aber dem Doktor war es, als könne er alle Augenblicke aus dem Bette fahren und nach seiner Kehle greifen, er ergriff seinen Hut, es trieb ihn fort aus der Nähe des Schrecklichen. Der kleine Lakai packte ihn am Rock, als er ihn gehen sah. »Ach, Wohledler!« stöhnte er, »Sie werden mich doch nicht bei ihm allein lassen wollen? Ich halte es nicht aus, wenn er jetzt stürbe und dann sogleich als flanellenes Gespenst mit der Zipfelmütze auf dem Schädel im Zimmer auf und ab spazierte! Um Gottes Barmherzigkeit willen, verlassen Sie mich nicht!« Der Kranke grinste fürchterlich und lachte und fluchte untereinander, er schien dem Kleinen zu Hilfe kommen zu wollen, er streckte ein langes, dürres Bein aus dem Bette, er krallte die dünnen Finger nach dem Doktor. Doch dieser hielt es nicht mehr aus; der Wahnsinn schien ihn anzustecken, er warf den Kleinen zurück und floh aus dem Zimmer; noch auf den untersten Treppen hörte er das gräßliche Lachen des Mörders. 12. Am Morgen nach dieser Nacht fuhr ein hübscher Stadtwagen vor dem Hotel de Portugal vor; es stiegen drei Personen, eine verschleierte Dame und zwei ältliche Herren, heraus und stiegen die Treppe hinan. »Ist der Herr Oberjustiz-Referendarius Pfälle schon oben?« fragte der eine dieser Herren den Kellner, der sie hinaufführte. Dieser bejahte, und der Herr fuhr fort: »Und doch ist es eine sonderbare Fügung des Schicksals, daß er die Treppe hinabstürzt und sich selbst den Dolch in die Brust stößt, daß er sich selbst verhindert, zu entfliehen, daß gerade Sie, Lange, zu ihm beschieden werden!« »Gewiß,« sagte die verschleierte Dame, »finden Sie aber nicht auch ein eigentümliches Verhängnis in diesen Schnupftüchern? Das eine mußte er bei mir liegen lassen, welcher Zufall! das andere muß er gerade in dem Augenblick verlangen, wo der Doktor noch bei ihm ist.« »Es mußte so gehen,« erwiderte der zweite Herr, »man kann nichts sagen, als es mußte so kommen. Aber in diesem Strudel hätte ich beinahe etwas vergessen; sagen Sie, was ist es denn mit dem Pascha von Janina? Signora mußte sich offenbar getäuscht haben. Sie haben ihn wieder auf freien Fuß gesetzt? Wer war der arme Teufel?« »Mit nichten und im Gegenteil,« sprach der erstere, »ich habe mich überzeugt, daß es ein Mitschuldiger des Chevaliers ist, dem ich schon lange auf der Spur bin. Ich habe ihn schon hieher bringen lassen, er wird mit dem Mörder konfrontiert werden.« »Nicht möglich!« rief die Dame; »ein Mitschuldiger?« »Ja! ja!« sagte der Herr mit schlauem Lächeln, »ich weiß allerlei, wenn man mir es auch nicht angibt. Aber gottlob, wir sind oben, hier ist ja gleich Nr. 53. Mademoiselle, haben Sie die Güte, einstweilen hier auf 54 einzutreten; der Kapellmeister hat es erlaubt und wird Sie nicht hinauswerfen; dafür wollte ich stehen. Wenn das Verhör an Sie kommt, werde ich Sie rufen.« Wir brauchen nicht erst zu sagen, daß diese drei Personen die Sängerin, der Doktor und der Direktor waren; sie kamen, um den Chevalier de Planto eines Mordversuchs anzuklagen. Der Direktor und der Medizinalrat traten ein; der Kranke saß noch ebenso im Bette, wie ihn der Doktor in der Nacht gesehen; nur schienen beim Tageslicht seine Züge noch krasser, der Ausdruck seiner Augen, die schon zu erstarren anfingen, noch schauerlicher. Er sah bald den Doktor, bald den Direktor mit seelenlosen Blicken an, dann schien er nachzusinnen, was hier in seinem Zimmer vorgehe, denn der Referendarius Pfälle, ein kurzer, junger Mann mit roten Wangen und kleinen Aeuglein hatte sich einen Tisch zurecht gestellt, einen Stoß Papier vor sich hingelegt und hielt eine lange Schwanenfeder in der Rechten, um zu protokollieren. »Bête, was wollen diese Herren?« rief der Kranke mit schwacher Stimme dem kleinen Lakaien zu. »Du weißt ja, ich nehme keine Besuche an.« Der Direktor trat dicht vor ihn hin, sah ihn fest an und sagte mit Nachdruck: »Chevalier de Planto!« »~Qui vive?~« schrie der Kranke und fuhr mit der Rechten an die Schlafmütze, als wolle er militärisch salutieren. »Mein Herr, Sie sind der Chevalier de Planto?« fuhr jener fort. Die grauen Augen fingen an zu glänzen, er warf stechende Blicke auf den Direktor und den Referendär, schüttelte mit höhnischer Miene den Kopf und antwortete: »Der Chevalier ist längst tot.« »So? Wer sind denn Sie? Antworten Sie; ich frage im Namen des Königs.« Der Kranke lachte: »Ich nenne mich Lorier; Bête, gib dem Herrn meine Pässe!« »Ist nicht nötig; kennen Sie dies Tuch, mein Herr?« »Was werde ich es nicht kennen, Sie haben es da von meinem Stuhl weggenommen; wozu diese Fragen, wozu diese Szenen? Sie genieren mich, mein Herr!« »Belieben Sie auf Ihre linke Hand zu schauen,« sagte der Direktor; »dort halten Sie ja Ihr Tuch; dieses hier fand sich im Hause einer gewissen Giuseppa Bianetti.« Der Kranke warf einen wütenden Blick auf die Männer; er ballte seine Faust und knirschte mit den Zähnen; er schwieg hartnäckig, obgleich der Direktor seine Fragen wiederholte. Dieser gab jetzt dem Doktor einen Wink; er ging hinaus und erschien bald darauf mit der Sängerin, dem Kapellmeister Boloni und dem ...schen Gesandten in dem Zimmer. »Herr Baron von Martinow,« wandte sich der Direktor zu diesem, »erkennen Sie diesen Mann für denselben, den Sie in Paris als Chevalier de Planto kannten?« »Ich erkenne ihn für denselben,« antwortete der Baron, »und wiederhole meine Aussage über ihn, die ich früher zu Prototoll gab.« »Giuseppa Bianetti! erkennen Sie ihn für denselben, der Sie aus dem Hause Ihres Stiefvaters führte, in sein Haus nach Paris brachte, für denselben, den Sie eines Mordversuches beschuldigen?« Die Sängerin bebte bei dem Anblick des fürchterlichen Mannes; sie wollte antworten, aber er selbst ersparte ihr jedes Geständnis. Er richtete sich höher auf, seine wollene Mütze schien spitziger aufzustehen, seine Arme waren steif, er schien sie mit Mühe zu bewegen, aber seine Finger krallten sich krampfhaft auf und zu; seine Stimme schlich sich nur noch leise und heiser aus der Brust herauf, selbst sein Lachen und seine Flüche wurden beinahe zum Geflüster. »Kommst du, mich zu besuchen, Schepperl?« sagte er; »das ist schön von dir; nicht wahr, du weidest dich recht an meinem Anblick? Es ist mir wahrhaftig leid, daß ich dich nicht besser getroffen, ich hätte dir dadurch den Schmerz erspart, deinen Oheim vor seiner Abreise von diesen deutschen Tieren verhöhnt zu sehen.« »Was brauchen wir weiter Zeugnis?« unterbrach ihn der Direktor. »Herr Referendarius Pfälle, schreiben Sie einen Verhaftungsbefehl gegen --« »Was tun Sie?« rief der Doktor, »sehen Sie denn nicht, daß ihm der Tod schon am Herzen ist? Er treibt es keine Viertelstunde mehr. Eilen Sie, wenn Sie noch etwas zu fragen haben.« Der Doktor befahl dem Lakai, den Gerichtsdienern zu rufen, sie sollen den Gefangenen heraufbringen; der Kranke sank mehr und mehr zusammen, sein Auge schien stillzustehen, es hatte nur eine Richtung, nach der Sängerin, aber auch jetzt noch schien Wut und Ingrimm daraus hervorzublitzen. »Schepperl,« sprach er wieder, »du hast mich unglücklich gemacht, zu Grunde gerichtet, darum verdientest du den Tod; du hast deinen Vater zu Grunde gerichtet, sie haben ihn auf die Galeere geschickt, weil er dich mir um Geld verkauft hat; er hat mich beschworen, dich umzubringen; es tut mir leid, daß ich gezittert habe. Verflucht seien diese Hände, die nicht einmal mehr sicher stoßen konnten!« Seine greulichen Verwünschungen, die er über sich und Giuseppa ausstieß, wurden durch eine neue Erscheinung unterbrochen. Zwei Gerichtsdiener brachten einen Mann in türkischer Kleidung; es war der unglückliche Ali Pascha von Janina -- der Turban bedeckte das jammervolle Haupt des Kommerzienrats Bolnau. Alle erstaunten über diesen Anblick, besonders schien der Kapellmeister sehr betreten; er erblaßte und errötete und wandte sein Gesicht ab. »Monsieur de Planto,« sprach der Direktor, »kennen Sie diesen Mann?« Der Kranke hatte die Augen geschlossen; er riß sie mühsam auf und sagte: »Gehet zu allen Teufeln, ich kenne ihn nicht.« Der Türke sah die Umstehenden mit kummervoller Miene an; »ich wußte wohl, daß es so kommen werde,« sprach er mit weinerlichem Tone, »es hat mir schon lange geahnet. Aber, Mademoiselle Bianetti, wie konnten Sie doch einen unschuldigen Mann so ins Unglück bringen?« »Was ist es denn mit diesem Herrn?« fragte die Sängerin; »ich kenne ihn nicht. Herr Direktor, was hat denn dieser getan?« »Signora,« sprach der Direktor mit tiefem Ernst, »vor den Gerichten gilt keine Nachsicht oder irgend eine Schonung, Sie müssen diesen Herrn kennen; es ist der Kommerzienrat Bolnau. Ihr eigenes Kammermädchen hat eingestanden, daß Sie bei dem Mord seinen Namen ausgerufen haben.« »Freilich!« klagte der Pascha, »meinen Namen genannt, unter so verfänglichen Umständen!« Die Sängerin erstaunte, eine tiefe Röte flog über ihr schönes Gesicht, sie ergriff in großer Bewegung den Kapellmeister bei der Hand; »Carlo,« rief sie, »jetzt gilt es zu sprechen, ich kann es nicht verschweigen; ja, Herr Direktor, ich werde diesen teuren Namen genannt haben, aber ich meinte nicht jenen Herrn, sondern --« »Mich!« rief der Kapellmeister und trat hervor. »Ich heiße, wenn es mein lieber Vater dort erlaubt, Karl Bolnau!« »Karl! Musikant! Amerikaner!« rief der Türke und umarmte ihn; »das ist das erste gescheite Wort in deinem Leben, du hast mich aus einem großen Jammer befreit.« »Wenn sich die Sache so verhält,« sagte der Direktor, »so sind Sie frei, und wir haben in dieser Sache nur mit gegenwärtigem Herrn Chevalier de Planto zu tun.« Er wandte sich um zu dem Bette; dort stand der Arzt und hielt die Hand des Mörders in der seinigen; er legte sie ernst und ruhig auf die Decke und drückte ihm die starren Augen zu. »Direktor,« sagte er, »der macht es jetzt mit einem höheren Richter aus.« Man verstand ihn; sie gingen aus dem Gemach des furchtbaren Toten und traten drüben bei dem Kapellmeister, dem glücklichen, wiedergefundenen Sohne des Pascha, ein; die Sängerin verbarg ihr Gesicht an der Brust des Geliebten, ihre Tränen strömten heftig, aber es waren die letzten, die sie ihrem unglücklichen Schicksal weinte; denn der Pascha ging lächelnd um das schöne Paar, er schien an einem großen Entschluß zu arbeiten; er besprach sich heimlich mit dem Medizinalrat und trat von diesem zu seinem Sohn und der Sängerin. »Liebste Mademoiselle,« sprach er, »ich habe Ihretwegen vieles ausgestanden, Sie haben meinen Namen so verfänglich genannt, daß ich Sie bitte, ihn mit dem Ihrigen zu vertauschen. Sie haben gestern meinen Teller mit Punsch verschmäht, werden Sie mich wieder zurückstoßen, wenn ich Ihnen gegenwärtigen Herrn Karl Bolnau, meinen musikalischen Sohn, präsentiere, mit der Bitte, ihn zu ehelichen?« Sie sagte nicht nein; sie küßte mit Freudentränen seine Hand, der Kapellmeister schloß sie mit Entzücken in seine Arme und schien diesmal sein erhabenes Pathos ganz vergessen zu haben. Der Kommerzienrat aber faßte des Doktors Hand: »Lange, sage Er, hätte ich denken können, daß es so kommen würde, als Er mir den Schrecken in alle Glieder jagte, als ich die Scheiben des Palais zählte und Er mir sagte: ›Ihr letztes Wort war Bolnau!‹« »Nun! was will Er weiter!« antwortete der Medizinalrat lächelnd; »es war doch gut, daß ich es Ihm damals sagte; wer weiß es, ob alles so gekommen wäre ohne das _letzte Wort der Sängerin_.« Phantasien im Bremer Ratskeller, ein Herbstgeschenk für Freunde des Weines. Den zwölf Aposteln im Ratskeller zu Bremen in dankbarer Erinnerung Im Herbst 1827. Der Verfasser. Guter Wein ist ein gutes, geselliges Ding, und jeder Mensch kann sich wohl einmal davon begeistern lassen. _Shakespeare._ »Mit dem Menschen ist nicht auszukommen,« sagten sie, als sie in meinem Gasthof die Treppe hinabstiegen, und ich konnte es noch deutlich hören. »Jetzt will er wieder schlafen von neun Uhr an und leben wie ein Murmeltier; wer hätte das gedacht vor vier Jahren!« Sie hatten nicht unrecht, die Freunde, daß sie mich in Unmut verließen. Gab es ja doch heute abend eines der glänzendsten musikalischen, tanzenden und deklamierenden Butterbrote in der Stadt, und hatten sie sich nicht alle mögliche Mühe gegeben, mir, dem Landfremden, einen angenehmen Abend dort zu verschaffen? Aber es war wahrhaftig unmöglich; ich konnte nicht gehen. Warum sollte ich einen tanzenden Tee besuchen, wo _sie_ nicht tanzte, warum ein singendes Butterbrot, wo ich (ich wußte es zum voraus) hätte singen müssen, ohne von _ihr_ gehört zu werden; warum einen trauten Kreis von Freunden durch Trübsinn und finsteres Wesen stören, das ich nun heute nicht verbannen konnte? O Gott! ich wollte ja lieber, daß sie mir auf der Treppe einige Sekunden fluchten, als daß sie sich von neun Uhr bis ein Uhr langweilten, wenn sie nur mit meinem Körper sich unterhielten und bei der Seele umsonst anfragten, die einige Straßen weiter auf Unserer Lieben Frauen Kirchhof nachtwandelte. Aber das tat mir wehe, daß mich die guten Gesellen für ein Murmeltier hielten und dem Drang nach Schlafe zuschrieben, was aus Freude am Wachen geschah. O nur du, ehrlicher Hermann, wußtest es mehr zu würdigen! Hörte ich denn nicht, wie du unten auf dem Domhof sagtest: »Schlaf ist es nicht, denn seine Augen leuchten. Aber entweder hat er wieder zu viel oder zu wenig Wein getrunken, das heißt, er trinkt noch welchen und -- allein.« Wer verlieh dir denn diese prophetische Kraft? Oder konntest du ahnen, daß meine Augen wacker waren, weil sie heute nacht alten Rheinwein schauen sollten? Konntest du wissen, daß ich gerade heute von dem Patent und Erlaubnisschein, vom Rate auf meine Person ausgestellt, Gebrauch machen werde, um die Rose und eure zwölf Apostel zu begrüßen? Und überdies, war denn heute nicht mein Schalttag? Meines Erachtens ist es keine üble Gewohnheit, die ich von meinem Großvater angenommen, nämlich hie und da Einschnitte zu machen in den Baum des Jahres und sinnend dabei zu verweilen. Wenn der Mensch nur Neujahr und Ostern, nur Christfest oder Pfingsten feiert, so kommen ihm endlich diese Ruhepunkte in der Geschichte seines Lebens so alltäglich vor, daß er darüber hinweggleitet ohne Erinnerung. Und doch ist es gut, wenn die Seele, sonst immer nach außen gerichtet, auch einmal auf ein paar Stunden einkehrt im eigenen Gasthof ihrer Brust, sich bewirtet an der langen Table d'hôte der Erinnerung und nachher gewissenhaft die Rechnung ~ad notam~ schreibt wie Frau Hurtig dem Ritter. Der Großvater nannte solche Tage seine Schalttage; nicht daß er etwa ein Bankett veranstaltete mit seinen Freunden oder den Tag lustig und in Freuden lebte, in Saus und Braus; nein, er kehrte ein bei sich, und seine Seele schmauste in der Kammer, die sie seit fünfundsiebzig Jahren kannte. Noch jetzt, da er längst im kühlen Friedhof ruht, noch jetzt kann ich es seinem holländischen Horaz ansehen, welche Stellen er an solchen Tagen gelesen; noch jetzt, als wäre es gestern geschehen, sehe ich sein großes blaues Auge sinnend auf den vergelbten Blättern seines Stammbuchs weilen; und wie deutlich sehe ich, wie dieses Auge nach und nach sich füllt, wie eine Träne in den grauen Wimpern zittert, wie der gebietende Mund sich zusammenpreßt, wie der alte Herr langsam und zögernd die Feder ergreift und »einem seiner Brüder, der geschieden«, das schwarze Kreuz unter den Namen malt. »Der Herr hält seinen Schalttag,« pflegten die Diener uns zuzuwispern, wenn wir Enkel laut und fröhlich wie gewöhnlich die Treppe hinanstürmten; »der Großvater hält seinen Schalttag,« flüsterten wir uns zu und glaubten nicht anders, als er beschere sich selbst den heiligen Christ, weil er ja doch niemand habe, der ihm den Christbaum anzünde. Und war es nicht so, wie wir in kindlicher Einfalt glaubten? Zündete er nicht den Christbaum seiner Erinnerung an, flammten nicht tausend flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsstunden eines langen Lebens, und schien er nicht, wenn er am Abend des Schalttags still und ruhig im Sessel saß, sich kindlich zu freuen an den Gaben der Vergangenheit? Es war sein Schalttag wieder eingetreten, als sie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen, als ich dachte, daß der alte Mann seit langer Zeit zum erstenmal wieder in die freie Luft komme. Sie führten ihn den Weg, auf dem ich so oft an seiner Seite gegangen war. Aber nicht lange, so beugten sie über die schwarze Brücke und legten ihn tief in die Erde. »Nun hält er seinen rechten Schalttag,« dachte ich, »aber wundern soll es mich doch, wie der alte Herr wieder da heraufkommen will, denn sie haben doch viele Steine und Rasen auf ihn hinabgeworfen.« Er kam nicht wieder. Aber sein Bild blieb in meinem Gedächtnis, und als ich herangewachsen war, gehörte es zu meinen liebsten Beschäftigungen, seine feine offene Stirne, das klare Auge, den gebietenden und doch so freundlichen Mund mir vorzumalen. Mit seinem Bilde stiegen tausend Erinnerungen auf, und seine Schalttage waren mir die Lieblingsstücke in der langen Bildergalerie. Und ist denn heute nicht der erste September, den auch ich mir zum Schalttag erwählte? Und ich sollte Butterbrot verzehren in einer Gesellschaft und allerlei Arien absingen hören mit beigefügtem Applaus und Gezwitscher? Nein! Heraus mit dir, köstliches Rezept, das kein Arzt der Erde so köstlich mischt! Hinab zu dir, alte, wahrhaftige Apotheke, um »nach Vorschrift jedesmal einen _Römer_ voll zu nehmen.« * * * * * Es schlug zehn Uhr, als ich die breiten Stufen des Ratskellers hinabstieg; ich durfte hoffen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es war Werktag bei andern Leuten, und draußen heulte der Sturm, die Windfahnen stimmten sonderbare Weisen an, und der Regen rauschte auf das Pflaster des Domhofs. Aber der Ratsdiener maß mich mit fragenden Blicken vom Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweisung auf einigen Wein darreichte. »So spät noch, und heute, in _dieser_ Nacht?« rief er. »Mir ist es vor zwölf Uhr nie zu spät,« entgegnete ich, »und nachher ist es wohl frühe genug am Tage.« »Aber muß es denn,« wollte er eben fragen, doch Siegel und Handschrift seiner Obern fiel ihm wieder ins Auge, und schweigend, aber nicht ohne Zögern, schritt er voraus durch die Hallen. Welch herzerquickender Anblick, wenn sein Windlicht über die lange Reihe der Fässer hinstreifte, welch sonderbare Formen und Schatten, wenn es an den Schwibbogen des Kellers zitterte und die Säulen im dunkeln Hintergrunde wie geschäftige Küper um die Fässer schwebten! Er wollte mir eines jener kleineren Gemächer aufschließen, wo höchstens sechs bis acht Freunde, eng zusammengerückt, den Becher kreisen lassen können. Doch, mit trauten Gesellen liebe ich ein solches heimliches Plätzchen; der enge Raum drängt Mann an Mann, und die Töne, die hier nicht verhallen können, klingen traulicher; aber allein und einsam liebe ich freiere Räume, wo der Gedanke, gleich den Atemzügen, sich freier ausdehnt. Ich wählte einen alten gewölbten Saal, den größten in diesen unterirdischen Räumen, zu meinem einsamen Gelage. »Erwarten Sie Gesellschaft?« fragte der Mann an meiner Seite. »Ich bin allein.« »Sie könnten ungebeten welche haben,« setzte er hinzu, indem er sich scheu nach den Schatten umsah, die seine Lampe warf. »Wie meint Ihr das?« fragte ich verwundert. »Ich meinte nur so,« antwortete er, indem er einige Kerzen anzündete und einen großen Römer vor mich hinsetzte. »Man spricht mancherlei vom ersten September -- der Herr Senator D. waren übrigens schon vor zwei Stunden da, und ich erwartete Sie nicht mehr.« »Der Herr Senator D.? Warum? Fragte er nach mir?« »Nein, er hieß mich nur die Proben herausnehmen.« »Welche Proben, mein Freund?« »Nun, die von den Zwölfen und der Rose;« erwiderte der alte Mann, indem er anfing, einige niedliche Fläschchen mit langen Papierstreifen an den Hälsen hervorzuziehen. »Wie!« rief ich, »man sagte mir ja, ich könnte den Wein von den Fässern selbst trinken!« »Ja, aber nur im Beisein eines Herrn vom Senat. Darum hieß mich der Herr Senator die Zungenpröbchen herausnehmen, und so will ich sie Ihnen einschenken, wenn's gefällig.« »Nicht einen Tropfen,« unterbrach ich ihn, »hier kein Glas voll; nein, das ist der echte Genuß, _vom Fasse_ zu trinken, und ist es mir nicht mehr möglich, so will ich doch am Fasse trinken. Kommt, Alter, nehmet die Proben mit, ich will das Licht tragen.« Ich stand schon einige Minuten und sah dem wunderlichen Treiben des alten Dieners zu. Bald stand er still, sah auf mich und räusperte sich, als wollt' er sprechen, bald nahm er die Proben vom Tisch und packte sie in seine weiten Taschen, bald nahm er sie zögernd wieder heraus, um sie auf den Tisch zu setzen. Es ermüdete mich; »nun, sollen wir bald gehen?« rief ich voll Sehnsucht nach dem Apostelkeller. »Wie lange wollt Ihr noch an Euren Gläschen hier aus- und einpacken?« Der ernste Ton, in welchem ich dies sagte, schien ihm Mut zu machen. Ziemlich bestimmt antwortete er: »Es geht nicht, -- nein! Heute geht es nicht mehr, Herr!« Ich glaubte hierin einen jener gewöhnlichen Kniffe zu sehen, womit Hausverwalter, Kastellane oder Kellermeister dem Fremden Geld abzuzwacken suchen, drückte ihm ein hinlängliches Geldstück in die Hand und nahm ihn beim Arm, ihn fortzuziehen. »Nein, so war es nicht gemeint,« entgegnete er, indem er das Geldstück zurückzuschieben suchte: »so nicht, fremder Herr! Ich will es nur gerade heraus sagen: mich bringt man nicht mehr in den Apostelkeller in dieser Nacht, denn wir schreiben heute den ersten September.« »Und welche Torheit wollt Ihr daraus folgern?« »Nun, in Gottes Namen, Sie können denken davon, was Sie wollen; es ist dort nicht geheuer in dieser Nacht, das macht, es ist der Jahrestag der Rose.« Ich lachte, daß die Halle dröhnte. »Nein! In meinem Leben habe ich doch so manchen Spuk erzählen gehört, aber einen Weinspuk nie! Schämt Ihr Euch nicht mit Euren weißen Haaren, noch solches Zeug zu schwatzen? Doch hier ist nicht lange zu spaßen. Hier ist die Vollmacht des Senats; im Keller darf ich trinken heute nacht, ohne nach Zeit und Raum zu fragen. Darum im Namen des Rates heiß' ich Euch folgen. Schließe den _Keller des Bacchus_ auf.« Dies wirkte; unwillig, aber ohne etwas zu entgegnen, nahm er die Kerzen und winkte mir, zu folgen. Es ging zuerst wieder durch den großen Keller, dann durch kleinere, bis der Weg in einen engern schmalen Gang zusammenlief. Dumpf dröhnten unsere Schritte in diesem Hohlweg, und unsere Atemzüge tönten, wenn sie an den Mauern sich brachen, wie fernes Geflüster. Endlich standen wir vor einer Türe, die Schlüssel rasselten, sie gähnte ächzend auf, der Schein der Lichter fiel in das Gewölbe, mir gegenüber saß Freund Bacchus auf einem mächtigen Weinfaß. Erquickender Anblick! Sie hatten ihn nicht zart und fein dargestellt, die alten Bremer Künstler, nicht zierlich als einen griechischen Jüngling; sie hatten ihn nicht alt und trunken sich gedacht, mit gräßlichem Bauch, verdrehten Augen und hängender Zunge, wie ihn die gemein gewordene Mythe hin und wieder gotteslästerlich abkonterfeit. Schmählicher Anthropomorphismus; blinde Torheit des Menschen! Weil einige seiner im Dienste ergrauten Priester also einhergehen, weil ihnen voll guten Mutes der Leib anschwoll, die Nase von dem brennenden Widerscheine der dunkelroten Flut sich färbte, das in stummer Wonne aufwärts gerichtete Auge stehen blieb, -- so legten sie dem Gott bei, was seine Diener schmückt! Anders die Männer von Bremen. Wie fröhlich und munter reitet der alte Knabe auf dem Faß! Das runde, blühende Gesicht, die kleinen muntern Weinäuglein, die so klug und neckend herabsehen, der breite, lächelnde Mund, der sich an mancher Kanne schon versuchte; der kurze kräftige Hals, das ganze Körperchen von behaglichem, gutem Leben strotzend! Ganz besondere Kunst hat aber der Meister, der dich geschaffen, auf Arme und Beinchen gelegt. Meint man nicht, dein kräftiges Aermlein werde sich bewegen, du werdest mit den runden Fingerchen ein Schnippchen schlagen, und der breite, lächelnde Mund werde sich auftun zu einem muntern Juheisa, heisa, he! Ist man nicht versucht zu glauben, du werdest im tollen Weinmut die runden Knie beugen, den Waden anlegen, mit dem Fersen stauchen und das alte Mutterfaß in Galopp setzen, daß alle Rosen, Apostel und andere gemeinere Fässer mit Hussa und Hallo dir nachjagen durch den Keller? »Herr des Himmels!« rief der Ratsdiener, indem er sich an mir festklammerte, »seht Ihr nicht, wie er die Augen verdreht und mit dem Füßchen baumelt?« »Alter, Ihr seid verrückt!« sagte ich, einen scheuen Blick nach dem hölzernen Weingott werfend; »es ist der Schein der Kerzen, der an ihm hin und her flackert.« Dennoch war mir wunderlich zumute, ich folgte dem Alten aus dem Bacchuskeller. Und war es denn auch der Schein der Kerzen, war es auch Täuschung, als ich mich umsah? Nickte er mir nicht mit dem runden Köpfchen, streckte er mir nicht das eine seiner Beinchen nach und schüttelte und krümmte sich vor heimlichem Lachen? Ich rannte unwillkürlich dem Alten nach und schloß mich dicht hinter ihm an. »Jetzt zu den zwölf Aposteln,« sprach ich zu ihm, »wie sollen uns dort die Proben munden!« Er antwortete nichts; kopfschüttelnd ging er weiter. Man steigt vom Keller einige Stufen aufwärts zum kleinen Kellerlein, zum unterirdischen Himmelsgewölbe, zum Sitz der Seligkeit, wo die _Zwölfe_ hausen. Was seid ihr, Trauergewölbe und Grüfte alter Königshäuser, gegen _diese_ Katakomben! Pflanzet Särge neben Särge, rühmet auf schwarzem Marmor die Verdienste des Mannes, der hier einer »fröhlichen Urständ« entgegenschläft, stellt einen schwatzhaften Cicerone an, in Trauermantel und florumhängtem Hute, laßt ihn die absonderliche Herrlichkeit dieses oder jenes Staubes rühmen, laßt ihn erzählen von den trefflichen Tugenden eines Prinzen, der in der Bataille so und so gefallen, von der holden Schönheit einer Fürstin, auf deren Sarge die jungfräuliche Myrte sich um die kaum erblühte Rosenknospe schlingt -- es wird euch an die Sterblichkeit mahnen, es wird euch vielleicht eine Träne kosten; aber kann es euch also rühren, wie der Anblick dieser Schlafkammer eines Jahrhunderts, dieser Ruhestätte eines herrlichen Geschlechtes? Da liegen sie in ihren dunkelbraunen Särgen, schmucklos, ohne Glanz und Flitter. Kein Marmor rühmt ihr stilles Verdienst, ihre anspruchlose Tugend, ihren vortrefflichen Charakter; aber welcher Mann von einigem Gefühl für Tugenden dieser Art fühlt sich nicht innig bewegt, wenn der alte Ratsdiener, dieser Aufwärter in den Katakomben, dieser Küster der unterirdischen Kirche, die Kerzen auf die Särge stellt, wenn dann das Licht auf die erhabenen Namen der großen Toten fällt! Wie regierende Häupter führen auch sie keine langen Titel und Zunamen; einfach und groß stehen die Namen auf ihren braunen Särgen geschrieben. Dort Andreas, hier Johannes, in jener Ecke Judas, in dieser Petrus. Wen rührt es nicht, wenn er dann hört: dort liegt der Edle von Nierenstein, geboren 1718, hier der von Rüdesheim, geboren 1726. Rechts Paulus, links Jakob, der gute Jakob! Und ihre Verdienste? Ihr fraget? Seht ihr denn nicht, wie er eingießt in den grünen Römer, wie er das herrliche Blut des Apostels mir darreicht? Gleich dunkelrotem Golde blinkt es im Glase. Als ihn die Sonne aufzog auf den Hügeln von St. Johannes, da war er blond und helle; ein _Jahrhundert_ hat ihn gefärbt. Welche Würze des Geruches! Welche Namen leg' ich dir bei, du lieblicher Duft, der aus dem Römer aufsteigt? Nehmet alle Blüten von den Bäumen, pflücket alle Blumen in den Fluren, führt Indiens Gewürz herbei, besprengt mit Ambra diese kühlen Keller, löset den Bernstein in bläuliche Wölkchen auf -- mischet aus ihnen alle die feinsten Düfte, wie die Biene ihren Honig aus den Blüten saugt, wie schlecht, wie gemein, wie unwürdig gegen die zarte Blume deines Kelches, mein Bingen und Laubenheim, gegen deine Düfte Johannes und Nierenstein von 1718! »Ihr schüttelt den Kopf, Alter? Tadelt Ihr meine Freude an Euren alten Gesellen? Da, nimm diesen Römer, alter Mensch, trink auf das Wohlsein dieser Zwölfe! Komm, stoß an, sie sollen leben!« »Gott soll mich bewahren, daß ich einen Tropfen trinke in _dieser_ Nacht,« erwiderte er; »man soll mit dem Teufel kein Spiel treiben. Aber wenn Ihr sie alle durchgekostet, wollen wir weiter gehen. Mir graut in diesem Keller.« »Gute Nacht denn, ihr alten Herren vom Rheine, gute Nacht und herzlichen Dank für euer Labsal. Und wenn ich dir, mein ernster feuriger Judas, wenn ich dir, mein sanfter lieblicher Andreas, dir, mein Johannes, dienen kann, so kommt, kommt zu mir.« »Herr des Himmels!« unterbrach mich der Alte und schlug die Türe zu und drehte hastig die Schlüssel um, »seid Ihr von den paar Tropfen schon betrunken, daß Ihr den Teufel heraufschwört? Wißt Ihr denn nicht, daß die Weingeister aufstehen diese Nacht und einander besuchen, wie immer am ersten September? Und sollt' ich meinen Dienst verlieren, ich laufe davon, wenn Ihr noch solche Worte sprecht. Noch ist es nicht zwölf Uhr, aber kann denn nicht alle Augenblick einer aus dem Faß kriechen mit greulichem Gesicht und uns zu Tode schrecken?« »Alter, du faselst! Doch sei ruhig, ich will kein Wort mehr sprechen, daß deine Weingespenster nicht wach werden. Doch jetzt führe mich zur Rose.« Wir gingen weiter, wir traten ein in das Gewölbe, in das Rosengärtlein von Bremen. Da lag sie, die alte Rose, groß, ungeheuer, mit einer Art von gebietender Hoheit. Welch ungeheures Faß! und jeder Römer ein Stück Goldes wert! Anno 1615! Wo sind die Hände, die dich pflanzten! Wo die Augen, die sich an deiner Blüte erfreuten, wo die fröhlichen Menschen alle, die dir zujauchzten, edle Traube, als man dich abschnitt auf den Höhen des Rheingaus, als man deine Hüllen abstreifte und du als goldener Born in die Kufe strömtest? Sie sind dahin, wie die Wellen des Stromes, der an deinem Rebenhügel hinabzog. Wo sind sie, jene alten Herren der Hansa, jene würdigen Senatoren dieser alten Stadt, die dich pflückten, duftende Rose, dich verpflanzten in diese kühlen Räume zum Labsal ihrer Enkel? Gehet hinaus auf Angarii Friedhof, gehet hinauf zur Kirche Unserer Lieben Frauen und gießet Wein auf ihre Grabsteine! Sie sind hinunter, und zwei Jahrhunderte mit ihnen! »Nun auf euer Wohlsein, alte Herren von Anno 1615, und auf das Wohl eurer würdigen Enkel, die so gastfreundlich dem Fremdling die Hand und dieses Labsal boten!« »So! Und jetzt gute Nacht, Frau Rose!« setzte der alte Diener freundlicher hinzu, indem er sein Körbchen zusammenräumte. »Jetzt gute Nacht und Gott befohlen; hier heraus, nicht dort um die Ecke, hier heraus geht der Weg aus dem Keller, wertgeschätzter Herr. Kommt, stoßet Euch nicht hier an die Fässer, ich will Euch leuchten.« »Mit nichten, Alter,« erwiderte ich, »jetzt geht das Leben erst recht an. Das alles war nur der Vorschmack. Gib mir Zweiundzwanz'ger Ausstich, so etwa zwei bis drei Flaschen in das große Gemach dort hinten. Ich hab' ihn grünen sehen diesen Wein und war dabei, als sie ihn kelterten; hab' ich das Alter bewundert, so muß ich _meiner_ Zeit nicht minder ihr Recht antun.« Er stand da mit weit geöffneten Augen, der Jammermensch; er schien seinen Ohren nicht zu trauen. »Herr,« sprach er dann feierlich, »sprechet nicht solch gottlosen Scherz. Heute nacht wird nun und nimmermehr was daraus; ich bleibe um keine Seligkeit.« »Und wer sagt denn, daß du bleiben sollst? Dort setze den Wein hinein und dann mache in Gottes Namen, daß du fortkommst; ich will nun einmal diese Gedächtnisnacht hier feiern und habe mir deinen Keller ausersehen; dich habe ich nicht vonnöten.« »Aber ich darf Euch nicht allein im Keller lassen,« entgegnete er; »ich weiß wohl, nehmt mir nicht ungütig, daß Ihr den Keller nicht bestehlet, aber es ist einmal gegen die Ordnung.« »Nun, so schließe mich ein in jenes Gemach; hänge ein Schloß davor, so schwer als du willst, daß ich nimmer heraus kann, und morgen früh um sechs Uhr kannst du mich aufwecken und dein Schlafgeld holen.« Der Mann des Kellers versuchte noch mancherlei Einreden, doch umsonst; er setzte endlich drei Flaschen und neue Kerzen vor mich hin, wischte den Römer aus, schenkte mir den Zweiundwanziger Ausstich ein und wünschte mir, wie es schien, mit schwerem Herzen, gute Nacht. Richtig schloß er auch die Türe zweimal ab und hängte, wie es mir schien, mehr aus zärtlicher Angst für mich als aus Vorliebe für seinen Keller noch ein Hängeschloß vor. Eben schlug die Glocke halb zwölf. Ich hörte ihn ein Gebet sprechen und davoneilen. Seine Schritte hallten immer ferner und ferner im Gewölbe; doch als er oben das Außentor des Kellers zuschlug, hallte es wie Kanonendonner durch die Gänge und Hallen. So wäre ich denn allein mit dir, meine Seele, tief unten im Schoße der Erde. Oben auf der Erde schlafen sie jetzt und träumen, und auch hier unten, rings um mich her, schlummern sie in ihren Särgen, die Geister des Weines. Ob sie wohl träumen, von ihrer kurzen Kindheit träumen und der fernen Berge, der Heimat gedenken, wo sie groß wurden, und des Stromes, des alten Vaters Rhein, der ihnen allnächtlich freundlich ein Wiegenlied murmelte? Gedenket ihr der wonnigen Tage, da die milde Mutter, die Sonne, euch aus dem Schlummer küßte, da ihr in klarer Frühlingsluft die Aeuglein öffnetet zum erstenmal und hinabschautet ins herrliche Rheingau? Und als der Mai einzog in sein deutsches Paradies, gedenket ihr noch, wie euch die Mutter antat mit grünen Kleidchen von Laubwerk und wie der alte Vater baß sich dessen freute, herauflugte aus seinem grünen Bette und euch zuwinkte und munter rauschte am _Lurlei_? Und gedenkst denn auch du der Rosentage deiner Jugend, o Seele, der sanften Rebenhügel der Heimat, des blauen Stromes und der blühenden Täler des Schwabenlandes? O Wonnezeit voll holder Träume! Wie reich bist du behängt mit Bilderbüchern, Christbäumen, Mutterliebe, Osterwochen und Ostereiern, mit Blumen und Vögeln, Armeen aus Blei und Papier und den ersten Höschen und Kollettchen, in welche sich deine kleine sterbliche Hülle, stolz auf ihre Größe, kleiden ließ. Und wie dich der selige Vater auf den Knieen schaukelte, und dir der Großvater gerne das lange Meerrohr mit dem goldenen Knopf abtrat, um es dir als Reitpferd zu leihen! Und rücke mit dem nächsten Glase um einige Jahre vorwärts! Erinnerst du dich des Morgens, als sie dich hineinführten zu einem wohlbekannten Mann, dessen Gesicht so blaß geworden war, dessen Hand du weinend küßtest, weinend, ohne zu wissen warum? Denn konntest du glauben, daß die harten Männer, die ihn in einen Schrank legten und mit schwarzen Tüchern zudeckten, konntest du glauben, daß sie ihn nicht mehr zurückbringen würden? Sei ruhig, auch er schlummert nur ein Weilchen. -- Und gedenkst du des geheimnisvollen Freudenlebens in Großvaters Büchersaal? Ach, damals kanntest du noch keine Bücher als den schnöden kleinen Bröder, deinen ärgsten Feind, wußtest nicht, daß jene Folianten noch zu etwas anderem in Leder gebunden seien, als um Hütten und Ställe daraus zu erbauen für dich und dein Vieh! Gedenkst du noch des Frevels, wie roh du mit der deutschen Literatur in kleinerem Format umgingst? Hast du nicht deinem Bruder den Lessing an den Kopf geworfen, wofür er dich freilich mit Sophiens Reisen von Memel nach Sachsen erbärmlich zudeckte? Damals dachtest du freilich nicht daran, daß du einst selbst Bücher machen werdest! Tauchet auch ihr auf, aus dem Nebel verschwundener Jahre, ihr Mauern des alten Schlosses. Wie oft dienten deine halbverfallenen Gänge, deine Keller, deine Zwinger, deine Verließe der fröhlichen Schar zum Tummelplatz ihrer Spiele! Soldaten und Räuber, Nomaden und Karawanen! Wie wohl war uns oft in der untergeordneten Rolle eines Kosaken, während andere -- Generale, Platows, Blüchers, Napoleone und dergleichen vorstellten und sich prügelten? Ja, waren wir nicht zuzeiten sogar ein Pferd, dem Freunde zu Gefallen? O Himmel, wie schön ließ es sich dort spielen! Wo sind sie hin, die Gespielen deiner Kindheit, die Genossen jener goldenen Tage, wo kein Rang, kein Stand, kein Ansehen gilt. Grafen und Barone machen jetzt wohl die große Tour oder dienen an Höfen als Kammerherren. Arme Teufel pilgern als Handwerksbursche durchs Reich, den schweren Bündel auf dem Rücken, ohne Schuhe an den Füßen, haschen nach Pfennigen aus dem Kutschenschlag, die sie mit dem vom Regen gebräunten Hut künstlich aufzufassen wissen. Und die Liebe drückt sie oft noch schwerer als das Bündel auf dem Rücken. Andere Kameraden, Seelen, die sich in der Schule durch geordneten Fleiß in Humanioribus hervorgetan, sitzen jetzt schon auf einer Pfarre, im Schlaf- oder Chorrock bei der Frau Liebsten. Andere sind Amtleute, wieder andere Apotheker, einige Referendäre und dergleichen, und nur wir beide, ausschweifend aus dem gewöhnlichen Gang der Dinge, sitzen hier im Bremer Ratskeller und tun uns gütlich im Weine. Und was sind denn wir Absonderliches geworden? Doktor? Das kann jeder werden, der vernünftig genug ist, eine Dissertation zu schreiben. Doch ich trinke das vierte Glas, Seele. Das vierte! Fühlst du nicht einen gewissen Nexus zwischen dem Wein und der Zunge? Zwischen der Zunge und dem Gaumen? Hier, behaupte ich, ist ein Scheideweg und daran ein Wegezeiger aufgestellt. Nämlich auf der einen Seite steht: »_Weg nach dem Magen._« Eine breite fahrbare Straße. Es geht so schnell, so glitschend bergab! Daher auch der gemeinere Stoff gewöhnlich diesen Weg nimmt. Der andere Arm des Zeigers heißt: »_In den Kopf._« Dahin ziehen die Geister, die sich schon im Faß lange genug bei dem schnöden gemeineren Stoff gelangweilt haben, und jetzt, da sie freien Lauf nehmen können, schielen sie nach dem Wegezeiger rechts hinauf. Während die Masse links hinabströmt, steigen sie aufwärts und finden sich im Wirtshaus zur Zirbeldrüse wieder zusammen. Es sind friedliche, verständige Leute, diese Geister. Sie erhellen dein Haus, o Seele, solang ihrer vier oder fünf beisammen sind, nachher möchte ich wohl für nichts stehen, denn sie raufen sich dann und treiben allerhand Unfug im Gehirn. Wie schön ist die vierte Lebensperiode, die wir mit dem vierten Glase beginnen wollen! Du bist vierzehn Jahre alt, o Seele! Aber was ist mit dir vorgegangen in der kurzen Zeit? Du spielst keine Knabenspiele mehr, Soldaten und alles dieses Gezeuge liegt hinter dir, und du scheinst mir viel zu lesen. Du bist hinter Goethe und Schiller geraten und verschlingst sie, ohne alles zu verstehen. Oder wie? Du verstehst _jetzt schon_ alles? Du willst meinen, du könntest Liebe verstehen, weil du im letzten Sonntagsklub Elvire hinter der Kommode im Dunkeln geküßt und Emmas Zärtlichkeit zurückgewiesen hast? Barbar! Ahnest du nicht, daß dieses dreizehnjährige Herz auch den Werther und sogar etwas von Clauren gelesen haben kann und Liebe für dich fühlt? Aber die Szene ändert sich. Sei mir gegrüßt, du Felsental der Alb! Du blauer Strom, an welchem ich drei lange Jahre hauste, die Jahre lebte, die den Knaben zum Jüngling machen. Sei mir gegrüßt, du klösterliches Dach, du Kreuzgang mit den Bildern verstorbener Aebte, du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar, ihr Bilder alle in schönes Gold des Morgenrotes getaucht! Seid mir gegrüßt, ihr Schlösser auf den Felsen, ihr Höhlen, ihr Täler, ihr grünen Wälder! Jene Täler, jene Klostermauern waren das enge Nest, das uns aufzog, bis wir flügge waren, und ihrer rauhen Albluft danken wir es, daß wir nicht verweichlichten. Ich komme ans fünfte Glas ins fünfte Säkulum unseres Lebens. Ich schlürfe euch ein, liebliche Erinnerungen, wie ich dies Glas edlen Rheinweins schlürfe. Ihr duftet auf in herrlicher Schöne, Jahre meiner Jugend, wie das Aroma aufsteigt aus dem Römer. Mein Auge wird wacker, o Seele, denn sie sind um mich, die Freunde meiner Jugend! Wie soll ich dich nennen, du hohes, edles, rohes, barbarisches, liebliches, unharmonisches, gesangvolles, zurückstoßendes und doch so mild erquickendes Leben der Burschenjahre? Wie soll ich euch beschreiben, ihr goldenen Stunden, ihr Feierklänge der Bruderliebe? Welche Töne soll ich euch geben, um mich verständlich zu machen? Welche Farben dir, du nie begriffenes Chaos! Ich soll dich beschreiben? Nie! Deine lächerliche Außenseite liegt offen, die sieht der Laie, die kann man ihm beschreiben, aber deinen innern, lieblichen Schmelz kennt nur der Bergmann, der singend mit seinen Brüdern hinabfuhr in den tiefen Schacht. Gold bringt er herauf, reines, lauteres Gold, viel oder wenig, gilt gleich viel. Aber dies ist nicht seine ganze Ausbeute. Was er geschaut, mag er dem Laien nicht beschreiben, es wäre allzu sonderbar und doch zu köstlich für sein Ohr. Es leben Geister in der Tiefe, die sonst kein Ohr erfaßt, kein Auge schaut. Musik ertönt in jenen Hallen, die jedem nüchternen Ohr leer und bedeutungslos ertönt. Doch dem, der _mit_ gefühlt und _mit_ gesungen, gibt sie eine eigene Weihe, wenn er auch über das Loch in seiner Mütze lächelt, das er als Symbolum zurückgebracht. Alter Großvater! Jetzt weiß ich, was du vornahmst, wenn »der Herr seinen Schalttag feierte«. Auch du hattest deine trauten Gesellen seit den Tagen deiner Jugend, und das Wasser stand dir in den grauen Wimpern, wenn du einen beisetztest im Stammbuch. Sie leben! Wirf die Flasche weg, Mensch, stich eine neue an zu neuer Freude. Das sechste! Wer kann dich berechnen, o Liebe! Es ging uns, wie es so manchem Erdensohn ergeht. Wir lasen von Liebe und glaubten zu lieben. Das Wunderbarste und doch Natürlichste an der Sache war, daß die Perioden oder Grade dieser Art Liebe sich nach unserer Lektüre richteten. Haben wir nicht Vergißmeinnicht und Ranunkeln gebrochen und des Doktors Tochter in G. verschämt überreicht und uns einige Tränen ausgepreßt, weil wir lasen: »Das Schönste sucht er auf den Fluren, womit er seine Liebe schmückt?« -- »Aus seinen Augen brechen Tränen?« Haben wir nicht ~à la~ Wilhelm Meister geliebt, das heißt, wir wußten nicht mehr, war es Emeline oder Camilla, die Zarte, oder gar Ottilie? Haben nicht alle drei in zierlichen Schlafmützen hinter den Jalousieen hervorgeschaut, wenn wir Ständchen brachten im Winter und die Gitarre weidlich schlugen, obgleich uns der Frost die Finger krumm bog? Und nachher, als es sich zeigte, wie sie alle nur schnöde Koketten seien, haben wir da nicht die Liebe törichterweise verschworen und uns vorgenommen, erst dann zu heiraten, wenn die Schwaben klug werden, das heißt im vierzigsten? Wer kann dich berechnen, verschwören, o Liebe? Du tauchst nieder aus dem Auge der Geliebten und schlüpfst durch unser Auge verstohlen in das Herz. Und dennoch so kalt konntest du bleiben, wenn ich meine Lieder sang, wolltest den Blick nicht erwidern, den ich so oft nach dir aussandte? Ich möchte ein General sein, nur daß sie meinen Namen in der Zeitung läse, daß es ihr bange würde, wenn sie läse: »Der General Hauff hat sich in der letzten Schlacht bedeutend hervorgetan und acht Kugeln ins Herz bekommen, -- woran er aber nicht gestorben.« Ich möchte ein Tambour sein, nur daß ich vor ihrem Haus meinen Schmerz auslassen und fürchterlich trommeln könnte, und fährt sie dann erschrocken mit dem Köpfchen durchs Fenster, so will ich gerade das Gegenteil russischer Fellraßler machen und vom Fortissimo abwärts trommeln und piano und im leisen Adagiowirbel ihr zuflüstern: »Ich liebe dich.« Ein berühmter Mensch möchte ich sein, nur daß sie von mir hörte und stolz zu sich sagte: »Der hat dich einst geliebt.« Aber leider reden die Leute nicht von mir, höchstens wird man ihr morgen sagen: »Gestern nacht ist er auch wieder bis Mitternacht im Weinkeller gelegen!« Und wenn ich vollends ein Schuster oder Schneider wäre! Doch dies ist ein gemeiner Gedanke und deiner unwürdig, Adelgunde! -- Jetzt wacht wohl keiner mehr als der Höchste und Niedrigste dieser Stadt, nämlich der Turmwächter hoch oben auf der Domkirche und ich tief unten im Ratskeller. Wär' ich doch der auf dem Turme! in jeder Stunde wollte ich das Sprachrohr ansetzen und dir ein Lied hinabsingen ins Schlafkämmerlein; doch nein! das würde ja den süßen Engel aus seinem Schlummer wecken, aus seinen holden, lieblichen Träumen. Doch hier unten hört mich niemand, da will ich eines singen! Seele! komme ich mir denn nicht gerade vor wie ein Soldat auf dem Posten, dem das Heimweh recht schwer und tief im Herzen liegt? Und hat nicht einer meiner Freunde dies Lied gedichtet? Steh' ich in finstrer Mitternacht So einsam auf der fernen Wacht, So denk' ich an mein fernes Lieb, Ob mir's auch treu und hold verblieb? Als ich zur Fahne fort gemüßt, Hat sie so herzlich mich geküßt, Mit Bändern meinen Hut geschmückt Und weinend mich ans Herz gedrückt! Sie liebt mich noch, sie ist mir gut, Drum bin ich froh und wohlgemut, Mein Herz schlägt warm in kalter Nacht, Wenn es ans treue Lieb gedacht. Jetzt bei der Lampe mildem Schein Gehst du wohl in dein Kämmerlein, Und schickst dein Nachtgebet zum Herrn Auch für den Liebsten in der Fern'! Doch, wenn du traurig bist und weinst, Mich von Gefahr umrungen meinst -- Sei ruhig; bin in Gottes Hut, Er liebt ein treu Soldatenblut. Die Glocke schlägt, bald naht die Rund' Und löst mich ab zu dieser Stund': Schlaf wohl im stillen Kämmerlein Und denk' in deinen Träumen mein! Und denkt sie auch wohl meiner in ihren Träumen? Die Glocken summten dumpf auf den Türmen, sie begleiteten meinen Gesang. Schon Mitternacht? Diese Stunde trägt eigenen, geheimnisvollen Schauer in sich; es ist, als zittere die Erde leise, wenn sich die schlummernden Menschen unter ihr auf die andere Seite legen, die schwere Decke schütteln und den Nachbar im Kämmerlein nebenan fragen: »Ist's noch nicht Morgen?« Wie so ganz anders zittert der Ton dieser Mitternachtsglocke zu mir hernieder, als wenn er am Mittag durch die hellen klaren Lüfte schallt. Horch! Ging da nicht im Keller eine Türe? Sonderbar; wenn ich nicht so ganz allein hier unten wäre, wenn ich nicht wüßte, daß die Menschen nur oben wandeln, ich würde glauben, es tönen Schritte durch diese Hallen. -- Ha! es ist so; es kommt näher, es tastet an der Türe hin und her; es faßt und schüttelt die Klinke; doch die Türe ist verschlossen und mit Riegeln verhängt; mich stört heute nacht _kein Sterblicher_ mehr. -- Ha, was ist das? die Türe springt auf! Entsetzen! -- * * * * * Vor der Türe standen zwei Männer und machten gegenseitig Komplimente über den Vortritt; der eine war ein langer, hagerer Mann, trug eine große, schwarze Lockenperücke, einen dunkelroten Rock nach altfränkischem Schnitt, überall mit goldenen Tressen und goldgesponnenen Knöpfen besetzt; seine ungeheuer langen und dünnen Beine staken in dünnen Beinkleidern von schwarzem Samt mit goldenen Schnallen am Knie; daran schlossen sich rote Strümpfe, und auf den Schuhen trug er goldene Schnallen. Den Degen mit einem Griff von Porzellan hatte er durch die Hosentasche gesteckt; er schwenkte, wenn er ein Kompliment machte, einen dreispitzigen kleinen Hut von Seide, und die Lockenschwänze seiner Perücke rauschten dann wie Wasserfälle über die Schultern herab. Der Mann hatte ein bleiches, abgehärmtes Gesicht, tiefliegende Augen und eine große feuerrote Nase. Ganz anders war der kleinere Geselle anzuschauen, dem jener den Vortritt gönnen wollte. Seine Haare waren fest an den Kopf geklebt mit Eiweiß, und nur an den Seiten waren sie in zwei Rollen gleich Pistolenhalftern gewickelt, ein ellenlanger Zopf schlängelte sich über seinen Rücken; er trug ein stahlgraues Röcklein, rot aufgeschlagen, stak unten in großen Reiterstiefeln und oben in einer reichgestickten Bratenweste, die über sein wohlgenährtes Bäuchlein bis auf die Kniee herabfiel, und hatte einen ungeheuren Raufdegen umgeschnallt. Er hatte etwas Gutmütiges in seinem feisten Gesicht, besonders in den Aeuglein, die ihm wie einem Hummer hervorstanden. Seine Manöver führte er mit einem ungeheuren Filzhut aus, der auf zwei Seiten aufgeklappt war. Ich hatte, nachdem ich mich von dem ersten Schrecken erholt, Zeit genug, diese Bemerkungen zu machen, denn die beiden Herren machten wohl mehrere Minuten lang vor der Schwelle die zierlichsten Pas. Endlich riß der Lange auch den zweiten Flügel der Türe auf, nahm den Kleinen unter dem Arm und führte ihn in mein Gemach. Sie hingen ihre Hüte an die Wand, schnallten die Degen ab und setzten sich, ohne mich zu beachten, stillschweigend an den Tisch. »Ist denn heute Fastnacht in Bremen?« sprach ich zu mir, indem ich über die sonderbaren Gäste nachdachte; und doch kam mir ihre ganze Erscheinung so unheimlich vor, besonders wußte ich mich in ihre starren Blicke, in ihr Schweigen nicht zu finden; ich wollte mir eben ein Herz fassen und sie anreden, als ein neues Geräusch im Keller entstand. Schritte tönten näher, die Türe ging auf, und vier andere Herren, nach derselben alten Mode wie die ersten gekleidet, traten ein. Mir fiel besonders der eine auf, der wie ein Jäger gekleidet war, denn er trug Hetzpeitsche und Jagdhorn und schaute ungemein fröhlich um sich. »Gott grüß euch, ihr Herren vom Rhein!« sprach der Lange im roten Rocke im tiefen Baß, indem er aufstand und sich verbeugte. »Gott grüß euch,« quiekte der Kleine dazu, »haben uns lange nicht gesehen, Herr Jakobus!« »Frisch auf! Holla und guten Morgen, Herr Matthäus,« rief der Jäger dem Kleinen zu, »und auch Euch guten Morgen, Herr Judas! Aber was ist das? Wo sind die Römer, wo Pfeifen und Tabak? Ist der alte Maueresel noch nicht wach aus seinem Sündenschlaf?« »Die Schlafmütze!« erwiderte der Kleine. »Der schläfrige Bengel! Droben liegt er noch in Unser Lieben Frauen Kirchhof, aber das Donnerwetter, ich will ihn herausschellen!« Dabei ergriff er eine große Glocke, die auf dem Tische stand, und klingelte und lachte in grellen, schneidenden Tönen. Auch die drei anderen Herren hatten Hüte, Stock und Degen in die Ecken gestellt, sich gegenseitig gegrüßt und an den Tisch gesetzt. Zwischen dem Jäger und dem roten Judas saß einer, den sie Andreas nannten. Es war ein überaus zierlicher und feiner Herr, auf seinen schönen, noch jugendlichen Zügen lag ein wehmütiger Ernst, und um die zarten Lippen schwebte ein mildes Lächeln; er trug eine blonde Perücke mit vielen Locken, was mit seinen großen, braunen Augen einen auffallenden, aber angenehmen Kontrast bildete. Dem Jäger gegenüber saß ein großer, wohl gemästeter Mann, mit rotausgeschlagenem Gesicht und einer Purpurnase. Er hatte die Unterlippe weit herabhängen und trommelte mit den Fingern auf seinem dicken Bauch, sie hießen ihn Philippus. Ein starkknochiger Mann, fast wie ein Krieger anzuschauen, saß neben ihm; ein mutiges Feuer brannte in seinen dunkeln Augen, ein kräftiges Rot schmückte seine Wangen, und ein dichter Bart umschattete den Mund. Er hieß Herr Petrus. Wie unter echten alten Trinkern, so wollte unter diesen Gästen das Gespräch nicht recht fortgehen ohne Wein; da erschien eine neue Gestalt in der Türe. Es war ein kleines, altes Männlein mit schlotternden Beinen und grauem Haar; sein Kopf sah aus wie ein Totenkopf, über den man eine dünne Haut gespannt, und seine Augen lagen trübe in den tiefen Höhlen; er schleppte keuchend einen großen Korb herbei und grüßte die Gäste demütig. »Ha! siehe da, der alte Kellermeister Balthasar,« riefen die Gäste ihm entgegen; »frisch heran, Alter, setz' die Römer auf und bring' uns Pfeifen! Wo steckst du nur so lang? Es ist längst zwölf vorüber.« Der alte Mann gähnte einigemal etwas unanständig und sah überhaupt aus wie einer, der zu lange geschlafen. »Hätte beinahe den ersten September verschlafen,« krächzte er, »ich schlief so hart, und seitdem sie den Kirchhof gepflastert haben, höre ich auch ziemlich schlecht. Wo sind denn aber die anderen Herren?« fuhr er fort, indem er Pokale von wunderlicher Form und ansehnlicher Größe aus dem Korbe nahm und auf den Tisch setzte; »wo sind denn die andern? Ihr seid erst eurer sechs, und die alte Rose fehlt auch noch.« »Setze nur die Flaschen her,« rief Judas, »daß wir endlich was zu trinken bekommen; und dann gehe hinüber, sie liegen noch im Faß, poch' an mit deinen dürren Knochen und heiße sie aufstehen, sage, wir sitzen schon alle hier.« Aber kaum hatte Herr Judas also gesprochen, als ein großes Geräusch und Gelächter vor der Türe entstand. »Jungfer Rose hoch, hussa, hoch! und ihr Schatz der Bacchus, hoch!« hörte man von mehreren Stimmen rufen; die Türe flog auf, die gespenstischen Gesellen am Tische sprangen in die Höhe und schrieen: »Sie ist's, sie ist's, Jungfer Rose und Bacchus und die anderen! Hallo! Jetzt geht das Freudenleben erst recht an!« und dabei stießen sie die Römer zusammen, lachten, und der Dicke schlug sich auf den Bauch, und der blasse Kellermeister warf die Mütze geschickt zwischen den Beinen durch an die Decke und stimmte ein in das Juheisa, heisa, he! daß mir die Ohren gellten. Welch ein Anblick! Der hölzerne Bacchus, so auf dem Faß im Keller geritten, war herabgestiegen, nackt, wie er war; mit seinem breiten, freundlichen Gesicht, mit den klaren Aeuglein grüßte er das Volk und trippelte auf kleinen Füßchen in das Zimmer; an seiner Hand führte er ganz ehrbarlich wie seine Braut eine alte Matrone von hoher Gestalt und weidlicher Dicke. Noch weiß ich nicht bis dato, wie es möglich war, daß dies alles so geschehen, aber damals war es mir sogleich klar, daß diese Dame niemand anders sei als die alte Rose, das ungeheure Faß im Rosenkeller. Und wie hatte sie sich köstlich aufgeputzt, die alte Rheinländerin! Sie mußte in der Jugend einmal recht schön gewesen sein, denn wenn auch die Zeit einige Runzeln um Stirne und Mund gelegt hatte, wenn auch das frische Rot der Jugend von ihren Wangen verschwunden war, zwei Jahrhunderte konnten die edlen Züge des feinen Gesichtes nicht völlig verwischen. Ihre Augenbrauen waren grau geworden, und einige unziemliche graue Barthaare wuchsen auf ihrem spitzigen Kinn, aber die Haare, die um die Stirne schön geglättet lagen, waren nußbraun und nur etwas weniges mit Silbergrau gemischt. Auf dem Kopfe trug sie eine schwarze Samtmütze, die sich enge an die Schläfe anschloß; dazu hatte sie ein Wams vom feinsten schwarzen Tuche an, und das Mieder vom roten Samt, das darunter hervorschaute, war mit silbernen Haken und Ketten geschnürt. Um den Hals trug sie ein breites Halsband von blitzenden Granaten, woran eine goldene Schaumünze befestigt; ein weiter, faltenreicher Rock von braunem Tuch fiel um ihre wohlbeleibte Gestalt, und ein kleines weißes Schürzchen, mit feinen Spitzen besetzt, wollte sich recht schalkhaft ausnehmen. An der einen Seite hing ihr eine große Tasche von Leder, an der anderen ein Bündel gewaltiger Schlüssel -- kurz, sie war eine so ehrbare Frau, als je eine Anno 1618 in Köln oder Mainz über die Straße ging. Aber hinter der Frau Rose kamen noch sechs jubelnde Gesellen, die Dreispitzenhüte schwingend, die Perücken schief auf den Kopf gesetzt, mit weitschößigen Röcken und langen, reich gestickten Westen angetan. Ehrbarlich und sittsam führte unter dem allgemeinen Jubel Bacchus seine Rose oben an die Tafel; sie verbeugte sich mit großem Anstand gegen die Gesellschaft und ließ sich nieder; an ihrer Seite nahm der hölzerne Bacchus Platz, und Balthasar, der Kellermeister, hatte ihm ein tüchtiges Polster untergeschoben, weil er sonst gar klein und niedrig dagesessen hätte. Auch die anderen sechs Gesellen nahmen Platz, und ich merkte jetzt, daß es wohl die zwölf Apostel vom Rheine seien, die hier um die Tafel saßen, sonst aber im Apostelkeller in Bremen liegen. »Da wären wir ja,« sagte Petrus, nachdem der Jubel etwas nachgelassen, »da wären wir ja, wir junges, munteres Volk von 1700, und alle wohlbehalten wie sonst. Nun auf gutes Wohlsein, Jungfer Rose! Auch Sie hat gar nicht gealtert und ist noch so stattlich und hübsch wie vor fünfzig Jahren. Gutes Wohlsein, Sie soll leben und Ihr Liebster, Herr Bacchus, daneben!« »Soll leben, die alte Rose soll leben!« riefen sie und stießen an und tranken; Herr Bacchus aber, der aus einem großen silbernen Humpen trank, schluckte zwei Maß rheinisch ohne viele Beschwerden hinunter, und er ward zusehends dicker davon und größer wie eine Schweinsblase, die man mit Luft füllt. »Mich gehorsamst zu bedanken, wertgeschätzte Herren Apostel und Vettern,« antwortete Frau Rosalia, indem sie sich freundlich verneigte. »Seid Ihr noch immer solch ein loser Schäker, Herr Petrus? Ich weiß von keinem Schatz nicht, und Ihr müßt ein sittsam Mägdlein nicht so in Verlegenheit setzen.« Sie schlug die Augen nieder, als sie dies sagte, und trank ein mächtiges Paßglas aus. »Schatz,« erwiderte ihr Bacchus, indem er sie aus seinen Aeuglein zärtlich anblickte und ihre Hand faßte, »Schatz, ziere dich doch nicht so; du weißt ja wohl, daß dir mein Herz zugetan schon seit zweihundert Herbsten; und daß ich dich noch heute vor allen anderen liebe, soll ein feuriger Kuß auf deine rosigen Lippen beweisen.« Er neigte sich zärtlich gegen die Rose. »Wenn nur das junge Volk hier nicht dabei wäre,« flüsterte sie verschämt, indem sie sich halb zu ihm neigte; aber unter dem Jubeln und Jauchzen der Zwölfe hatte der Weingott sein Schürzenstipendium nebst Zinsen eingenommen. Dann leerte er seinen Humpen wieder und ward um zwei Fäuste breiter und größer und hub an mit einer rauhen Weinstimme zu singen: Vor allen Schlössern dieser Zeit Lob' ich ein Schloß zu Bremen, An seinen Hallen hoch und weit Darf sich kein Kaiser schämen; Gar seltsam ist es ausstaffiert, Mit schmuckem Hausrat ausgeziert, Doch hat daselbst vor allen Eine Jungfrau mir gefallen. Ihr Auge blinkt wie klarer Wein, Ihre Wangen sind nicht bleiche, Wie prächtig ihre Kleider sein, Von lauter schwerem Zeuge; Von Eichenholz ist ihr Gewand, Von Birkenreifen ihre Band', Das Mieder das sie zieret, Mit Eisen ist geschnüret. Doch ach, man hat ihr Schlafklosett Mit Riegeln wohl versehen, Dort schlummert sie im Rosenbett, Und ich muß draußen stehen; Drum poch' ich an die Kammertür: Steh auf, mein Schatz, und komm herfür, Damit ich mit dir kose, Mach' auf, herzliebe Rose. So steig' ich jede Mitternacht Zu ihrer Kammer nieder; Nur einmal hat sie aufgemacht, Jetzt will sie nimmer wieder; Und seit ich einmal sie geküßt, Mein Herz von Sehnsucht trunken ist, Nur einmal, Rosamunde, Küß' mich, daß es gesunde. »Ihr seid ein Schäker, Herr Bacchus,« sagte Rosa, als er mit einem zärtlichen Triller geendet hatte. »Ihr wißt wohl, daß mich Bürgermeister und Rat unter gar strenger Klausur halten und nicht erlauben, daß ich mit jedwedem mich einlasse.« »Aber mir könntest du doch zuweilen das Kämmerlein öffnen, lieb Röschen!« flüsterte Bacchus; »mich gelüstet nach der süßen Speise deines Mundes.« »Ihr seid ein Schelm,« rief sie lachend, »Ihr seid ein Türke und habt es mit vielen zugleich; meint Ihr, ich wisse nicht, wie Ihr mit der leichtfertigen Französin scharmiert, mit dem Fräulein von Bordeaux, und mit dem Kreidengesicht, der Champagnerin; geht, geht, Ihr habt einen schlechten Charakter und verstehet Euch nicht auf treue deutsche Minne.« »Ja, das sag' ich auch!« rief Judas, und fuhr mit der langen knöchernen Hand nach der Hand der Jungfer Rose. »Das sag' ich auch; drum nehmet mich zu Eurem Galan, liebwerteste Jungfer, und lasset den kleinen, nackten Kerl seiner Französin nachziehen.« »Was?« schrie der Hölzerne und trank im Zorn einige Maß Wein. »Was? Mit dem jungen Fant von 1726 willst du dich abgeben, Röschen? Pfui, schäme dich; was mein nacktes Kostüm betrifft, Herr Naseweis, so kann ich ebensogut wie er, eine Perücke aufsetzen, einen Rock umhängen und einen Degen an die Seite stecken; aber ich trage mich so, weil ich Feuer im Leibe habe und mich nicht friert im Keller. Und was Sie da sagt, Jungfer Rose, mit den Französinnen, so ist das gänzlich erlogen. Besucht habe ich sie zuweilen und mich an ihrem Geiste erlustiert, aber weiter gar nichts; dir bin ich treu, liebster Schatz, und dir gehört mein Herz.« »Eine schöne Treue, Gott erbarm's!« erwiderte die Dame. »Was hört man nur aus Spanien, wie Ihr es dort mit dem Frauenzimmer habt? Von der süßlichen Metze, der Xeres, will ich gar nichts sagen, das ist eine bekannte Geschichte, aber wie ist es denn mit der Jungfer Dentilla di Rota und mit der von San Lucas? Und dann mit der Sennora Ximenes?« »Alle Teufel, Ihr treibt die Eifersucht auch gar zu weit,« rief er ärgerlich, »man kann doch alte Verbindungen nicht ganz aufgeben. Und was die Sennora Ximenes betrifft, so seid Ihr sehr ungerecht, ich besuche sie ja nur aus Freundschaft für Euch, weil sie Eure Verwandte ist.« »Was macht Ihr da für Fabeln? Unsere Verwandte?« murmelten Rose und die Zwölfe untereinander. »Wie das?« »Wißt Ihr denn nicht,« fuhr er fort, »daß diese Sennora eigentlich eine Rheinländerin ist? Der ehrsame Don Ximenes hat sie heimgeführt als blutjunges Rebstöcklein aus dem Rheingau nach seiner Heimat Spanien, und dort hat sie sich angesiedelt und seinen Familiennamen angenommen. Noch jetzt, obgleich sie den süßen, spanischen Charakter angenommen, noch jetzt hat sie große Aehnlichkeit mit Euch, wie die Grundzüge des Gesichtes sich in der Familie nicht ganz verlieren. Dieselbe Farbe und jener süße Duft, jenes feine Aroma ist ihr eigen und macht sie zu Eurer würdigen Base, wertgeschätzte Jungfer Rose.« »Sie soll leben, soll leben!« riefen die Apostel und stießen an, »Base Ximenes in Hispanien soll leben!« Jungfer Rose mochte ihrem Galan nicht ganz trauen und stieß mit bittersüßer Miene an; doch schien sie nicht ferner mit ihm hadern zu wollen, sondern sprach weiter: »Und auch ihr, meine lieben Vettern vom Rhein, seid ihr alle hier? Ja, da ist ja mein zarter, feiner Andreas, mein mutiger Judas, mein feuriger Petrus. Guten Abend, Johannes, wische dir den Schlaf fein aus den Aeuglein, du siehst noch ganz trübselig aus; Bartholomäus, du bist unmäßig dick geworden und scheinst träge zu sein. Ha, mein munterer Paulus, und wie fröhlich Jakobus um sich schaut, noch immer der Alte. Aber wie, ihr seid ja zu dreizehn am Tische, wer ist denn _der_ dort in fremder Kleidung, wer hat ihn hieher gebracht?« Gott, wie erschrak ich! Sie schauten alle verwundert auf mich und schienen mit meiner Anwesenheit nicht ganz zufrieden. Aber ich faßte mir ein Herz und sagte: »Mich gehorsamst der werten Gesellschaft zu empfehlen. Ich bin eigentlich nichts weiter als ein zum Doktor der Philosophie graduierter Mensch und halte mich gegenwärtig hiesigen Orts in dem Wirtshause zur Stadt Frankfurt auf.« »Wie wagst du es aber, hierher zu kommen in dieser Stunde, graduiertes Menschenkind?« sprach Petrus sehr ernst, indem er Blitze aus seinen Feueraugen auf mich sprühte. »Du hättest wohl denken können, daß du nicht in diese noble Sozietät gehörst.« »Herr Apostel,« antwortete ich und weiß noch heute nicht, woher ich den Mut bekam, wahrscheinlich aus dem Wein; »Herr Apostel, das Du verbitte ich mir fürs erste, bis wir weiter bekannt sind. Und was die noble Sozietät betrifft, in die ich gekommen sein soll, so kam sie zu mir, nicht ich zu ihr, denn ich sitze schon seit drei Stunden in diesem Gemach, Herr!« »Was tut Ihr aber so spät noch im Ratskeller, Herr Doktor?« fragte Bacchus etwas sanfter als der Apostel. »Um diese Zeit pflegt sonst das Erdenvolk zu schlafen.« »Euer Exzellenz,« erwiderte ich, »das hat seinen guten Grund. Ich bin ein portierter Freund des edlen Getränkes, das man hier unten verzapft, habe auch durch die Vergünstigung eines wohledlen Senats die Permission erhalten, denen Herrn Aposteln und der Jungfrau Rose meinen Besuch abzustatten, was ich auch geziemendst getan.« »Also Ihr trinkt gerne Rheinwein?« fuhr Bacchus fort, »nun, das ist eine gute Eigenschaft und sehr zu loben in dieser Zeit, wo die Menschen so kalt geworden sind gegen diese goldene Quelle.« »Ja, der Teufel hole sie all!« rief Judas. »Keiner will mehr einige Maß Rheinwein trinken, außer hie und da solch ein fahrender Doktor oder vazierender Magister, und diese Hungerleider lassen sich ihn erst noch aufwichsen.« »Muß ganz gehorsamst deprezieren, Herr von Judas,« unterbrach ich den schrecklichen Rotrock. »Nur einige kleine Versuche habe ich getan mit Dero Rebenblut von 1700 und etlichen Jahren, und den hat mir allerdings der wackere Bürgermeister einschenken lassen; was Sie aber hier sehen, ist etwas neuer und in barer Münze von mir bezahlt.« »Doktor, ereifert Euch nicht,« sagte Frau Rose, »er meint's nicht so böse, der Judas, und er ärgert sich nur und mit Recht, daß die Zeiten so lau geworden.« »Ja!« rief Andreas, der feine, schöne Andreas. »Ich glaube, dieses Geschlecht fühlt, daß es keines edlen Trankes mehr wert ist, drum sollen sie hier ein Gesöff von allerlei Schnaps und Sirup brauen, heißen es Chateau-Margaux, Sillery, St. Julien und sonst nach allerlei pompösen Namen, und kredenzen es bei ihren Gastmahlen, und wenn sie es saufen, bekommen sie rote Ringe um den Mund, dieweil der Wein gefärbt war, und Kopfweh den andern Tag, weil sie schnöden Schnaps getrunken.« »Ha, was war das für ein anderes Leben,« führte Johannes die Rede fort, »als wir noch junge, blutjunge Gesellen waren, Anno 19 und 26. Auch Anno 50 ging es noch hoch her in diesen schönen Hallen. Jeden Abend, es mochte die Sonne scheinen in hellem Frühling oder schneien und regnen im Winter, jeden Abend waren die Stübchen dort gefüllt mit frohen Gästen. Hier, wo wir jetzt sitzen, saß in Würde und Hoheit der _Senat von Bremen_, stattliche Perücken auf dem Haupt, die Wehre an der Seite, Mut im Herzen und jeder einen Römer vor sich.« »Hier, hier, nicht oben auf der Erde, hier war ihr Rathaus, hier die Halle des Senats; denn hier beim kühlen Weine berieten sie sich über das Wohl der Stadt, über ihre Nachbarn und dergleichen. Wenn sie uneinig in der Meinung waren, so stritten sie sich nicht mit bösen Worten, sondern tranken einander wacker zu, und wenn der Wein ihre Herzen erwärmt hatte, wenn er fröhlich durch ihre Adern hüpfte, da war der Beschluß schnell zur Reife gediehen, sie drückten sich die Hände, sie waren und blieben immer Freunde, weil sie Freunde waren des edlen Weines. Am andern Morgen aber war ihnen ihr Wort heilig, und was sie abends ausgemacht im Keller, das führten sie oben im Gerichtssaal aus.« »Schöne, alte Zeiten!« rief Paulus; »daher kommt es auch, daß noch heutzutage jeder vom Rat ein eigenes Trinkbüchlein, eine jährliche Weinrechnung hat. Den Herren, die alle Abende hier saßen und tranken, war es nicht genehm, allemal in die Tasche zu fahren und ihr Geldsäckelein heraus zu kriegen. Aufs Kerbholz ließen sie es schreiben, und am Neujahr ward Abrechnung gehalten, und es gibt einige wackere Herren, die noch jetzt oft Gebrauch davon machen, aber es sind deren wenige.« »Ja, ja, Kinder,« sprach die alte Rose, »sonst war es anders, so vor fünfzig, hundert, zweihundert Jahren. Da brachten sie abends ihre Weiber und Mädchen mit in den Keller, und die schönen Bremerkinder tranken Rheinwein oder von unserem Nachbar Moseler und waren weit und breit berühmt durch ihre blühenden Wangen, durch ihre purpurroten Lippen, durch ihre herrlichen blitzenden Augen; jetzt trinken sie allerlei miserables Zeug als Tee und dergleichen, was weit von hier bei den Chinesen wachsen soll und was zu meiner Zeit die Frauen tranken, wenn sie ein Hüstlein oder sonstige Beschwer hatten. Rheinwein, echten gerechten Rheinwein können sie gar nicht mehr vertragen; denkt euch ums Himmels willen, sie gießen spanischen Süßen darunter, daß er ihnen munde, sie sagen, er sei zu sauer.« Die Apostel schlugen ein großes Gelächter auf, in das ich unwillkürlich einstimmen mußte, und Bacchus lachte so gräßlich, daß ihn der alte Balthasar halten mußte. »Ja, die guten alten Zeiten!« rief der dicke Bartholomäus; »sonst trank ein Bürger seine zwei Maß, und es war, als hätt' er Wasser getrunken, so nüchtern blieb er, jetzt wirft sie ein Römer um. Sie sind aus der Uebung gekommen.« »Da trug sich vor vielen Jahren eine schöne Geschichte zu,« sagte Fräulein Rose und lächelte vor sich hin. »Erzähle, erzähle, Jungfer Rose, die Geschichte!« baten alle; sie aber trank bedeutend viel Wein, damit sie eine glatte Kehle bekam, und hub an: »Anno tausend sechshundert und einige zwanzig, dreißig Jahre war ein großer Krieg in deutschen Landen von wegen des Glaubens; die einen wollten so und die anderen anders, und statt daß sie bei einem Glase Wein die Sache vernünftig besprochen hätten, schlugen sie sich die Schädel ein. Albrecht von Wallenstein, des Kaisers Generalfeldmarschall, hauste schrecklich in protestantischen Landen. Des erbarmte sich der Schwedenkönig, Gustav Adolf, und kam mit vieler Mannschaft zu Roß und zu Fuß. Es wurden viele Bataillen geliefert, sie hetzten sich herum am Rhein und an der Donau, geschah aber weiter nicht viel, weder vor- noch rückwärts. Zu der Zeit waren Bremen und die anderen Hansestädte neutral und wollten es mit keiner Partei verderben. Dem Schweden lag aber daran, durch ihr Gebiet zu ziehen und sich freundlich mit ihnen einzulassen, darum wollte er einen Gesandten an sie schicken. Weil aber im Reich bekannt war, daß man in Bremen alles im Weinkeller verhandle und die Ratsherren und Bürgermeister einen guten Schluck hätten, so fürchtete sich der Schwedenkönig, sie möchten seinem Gesandten gar sehr zusetzen mit Wein, daß er endlich betrunken würde und schlechte Bedingungen einginge für die Schweden. »Nun befand sich aber im schwedischen Lager ein Hauptmann vom gelben Regiment, der ganz erschrecklich trinken konnte. Zwei, drei Maß zum Frühstück war ihm ein kleines, und oft hat er abends zum Zuspitzen ein halb Imi getrunken und nachher gut geschlafen. Als nun der König voll Besorgnis war, sie möchten im Bremer Ratskeller seinem Gesandten allzusehr zusetzen, so erzählte ihm der Kanzler Oxenstierna von dem Hauptmann, Gutekunst hieß er, der so viel trinken könne. Des freute sich der König und ließ ihn vor sich kommen. »Da brachten sie einen kleinen, hageren Mann, der war ganz bleich im Gesicht, hatte aber eine große, kupferrote Nase und hellblaue Lippen, was ganz wunderlich anzusehen war. Der König fragte ihn, wieviel er sich wohl zu trinken getraue, wenn es recht ernstlich zuginge. ›O Herr und König,‹ antwortete er, ›so ernstlich bin ich noch nie daran gekommen, habe mich bis dato auch noch nicht geeicht; der Wein ist nicht wohlfeil, und man kann täglich nicht über sieben, acht Maß trinken, ohne in Schulden zu geraten.‹ -- ›Nun, wieviel meinst du denn führen zu können?‹ fragte der König weiter. Er aber antwortete unerschrocken: ›Wenn Euer Majestät bezahlen wollen, möchte ich wohl einmal zwölf Mäßchen trinken, mein Reitknecht, der Balthasar Ohnegrund, kann es aber noch besser.‹ Da schickte der König auch nach Balthasar Ohnegrund, dem Knecht des Hauptmann Gutekunst, und war der Herr schon blaß gewesen und mager, so war es der Diener noch mehr, der ganz aschenfarb aussah, als hätt' er sein Leben lang Wasser getrunken. »Da ließ nun der König den Hauptmann und Ohnegrund, den Reitknecht, in ein Zelt setzen und einige Fäßlein alten Hochheimer und Nierensteiner anfahren und wollte haben, die beiden sollten sich eichen lassen. Sie tranken von morgens elf Uhr bis abends vier Uhr ein Imi Hochheimer und anderthalb Imi Nierensteiner, und der König ging voll Verwunderung zu ihnen ins Zelt, um zu sehen, wie es mit ihnen stehe. Die beiden Gesellen waren aber wohlauf, und der Hauptmann sagte: ›So, jetzt will ich einmal die Degenkoppel abschnallen, dann geht's besser;‹ Ohnegrund aber machte drei Knöpfe an seinem Koller auf. »Da entsetzten sich alle, die dies sahen, der König aber sprach: ›Kann ich bessere Gesandte finden nach der fröhlichen Stadt Bremen als diese?‹ Und alsobald ließ er dem Hauptmann prächtige Kleider und Waffen geben, wie auch Ohnegrund, dem Reitknecht, denn dieser sollte den Schreiber des Gesandten vorstellen. Der König und der Kanzler unterrichteten den Hauptmann, was er zu sagen hätte bei der Unterhandlung, und nahm beiden das Versprechen ab, daß sie auf der ganzen Reise nur Wasser trinken sollten, damit nachher das Treffen im Keller um so glorreicher würde! Gutekunst aber, der Hauptmann, mußte seine rote Nase mit einer künstlichen Salbe anstreichen, auf daß sie weiß aussah, damit man nicht merke, welch ein Kunde er sei. »Ganz elendiglich von vielem Wassertrinken kamen die beiden nach der Stadt Bremen, und nachdem sie bei dem Bürgermeister gewesen, sagte dieser zum Senat: ›O, was hat uns der Schwede für zwei bleiche, magere Gesellen geschickt; heute abend wollen wir sie in den Ratskeller führen und zudecken. Ich nehme den Gesandten auf mich ganz allein, und der Doktor Schnellpfeffer muß auf den Schreiber.‹ So wurden sie denn abends nach der Betglocke feierlichst in den Ratskeller geführt, der Bürgermeister führte Gutekunsten, den Hauptmann, der Doktor Schnellpfeffer, was auch ein guter Trinker war, führte den Reitknecht am Arm, der als Schreiber angetan sich recht züchtiglich gebärdete; hinter ihnen gingen viele Ratsherren, die zur Verhandlung geladen waren. Hier in diesem Gemach setzten sie sich um den Tisch und verspeisten zuerst Hasenbraten und Schinken und Heringe, um sich zum Trinken zu rüsten. Dann wollte der Gesandte ganz ehrbar mit der Verhandlung anfangen, und sein Schreiber zog Pergament und Feder aus der Tasche; aber der Bürgermeister sprach: ›Mit nichten also, Ihr edlen Herren; so ist es nicht Gebrauch in Bremen, daß man die Sache also trocken abmacht; wollen einander vorerst auch zutrinken nach Sitte unserer Väter und Großväter.‹ -- ›Kann eigentlich nicht viel vertragen,‹ antwortete der Hauptmann, ›dieweil es aber Seiner Magnifizenz also gefällig, will ich ein Schlücklein zu mir nehmen.‹ Nun tranken sie sich zu und hielten ein Gespräch über Krieg und Frieden und über die Schlachten, so geliefert worden; die Ratsherren aber, um den Fremden mit gutem Beispiel voranzugehen, tranken sich weidlich zu und bekamen rote Köpfe. Bei jeder neuen Flasche entschuldigten sich die Fremden, wie sie gar den Wein nicht gewohnt wären und er ihnen zu Kopfe steige; des freute sich der Bürgermeister, trank in seiner Herzenslust ein Paßglas um das andere, so daß er nicht mehr recht wußte, was zu beginnen. Aber, wie es zu gehen pflegt in diesem wunderbaren Zustand, er dachte: jetzt ist er betrunken, der Gesandte, und auch dem Schreiber hat der Doktor tüchtig zugesetzt; und sprach daher: ›Nun wollen wir anfangen mit unserem Geschäft.‹ Das waren die Fremden zufrieden, taten, wie wenn sie voll Weines wären und tranken auf ihrer Seite den Herren weidlich zu. »Da wurde nun gesprochen und getrunken, gehandelt und wieder getrunken, bis der Bürgermeister mitten im Satz einschlief und der Doktor Schnellpfeffer unter dem Tische lag. Da kamen denn die anderen Ratsherren und tranken den Fremden zu und führten die Verhandlung fort; aber trank der Hauptmann lästerlich, so machte es sein Reitknecht noch schlimmer; fünf Küper mußten immer hin und her laufen und einschenken, denn der Wein verschwand von dem Tisch, als wäre er in den Sand gegossen worden. So geschah es, daß die Gäste nacheinander den ganzen Rat unter den Tisch tranken bis auf einen. »Dieser eine aber war ein großer starker Mann, mit Namen Walther, von welchem man allerlei sprach in Bremen, und wäre er nicht im Rat gesessen, man hätte ihn längst böser Künste und Zauberei angeklagt. Herr Walther war seines Zeichens eigentlich ein Zirkelschmied gewesen, hatte sich aber hervorgetan in seiner Gilde, war unter die Aeltermänner gekommen und nachher in den Senat. Dieser hielt aus bei den Gästen, trank zweimal so viel als beide, so daß ihnen ganz unheimlich wurde, denn er war so verständig wie zuvor, während der Hauptmann schon trübe Augen bekam und glaubte, es gehe ihm ein Rad im Kopf herum. So oft der Senator Walther ein Paßglas getrunken, fuhr er mit der Hand unter den Hut, und dem Reitknecht kam es vor, als sähe er ein bläuliches Wölkchen ganz fein wie Nebel aus seinem rabenschwarzen Haar hervorsteigen. Er trank wacker drauf los, bis der Hauptmann Gutekunst selig einschlief und sein Haupt ganz weich auf des Bürgermeisters Bauch legte. »Da sprach der Senator Walther mit sonderbarem Lächeln zu dem Schreiber des Gesandten: ›Lieber Geselle, du führst einen mächtigen Zug, ich vermeine aber, daß du mit dem Roßstriegel besser fortkommst als mit der Feder.‹ Da erschrak der Schreiber und sprach: ›Wie meinet Ihr dies, Herr? Ich will nicht hoffen, daß Ihr mir hohnsprechen wollt; bedenket, daß ich Seiner Majestät Gesandtschaftsschreiber bin.‹ »›Hoho!‹ rief der andere mit schrecklichem Lachen, ›seit wann haben denn ordentliche Gesandtschaftsschreiber solche Kittel an und führen solche Federn bei der Sitzung?‹ Da sah der Reitknecht auf sein Kleid und bemerkte mit großem Schrecken, daß er seinen gewöhnlichen Stallkittel anhabe, er sah auf seine Hand, und siehe da, statt der Feder hielt er eine ganz gemeine Kratzbürste. Da entsetzte er sich und sah sich verraten und wußte nicht, wie ihm geschah. Herr Walther aber lächelte seltsam und höhnisch und trank ihm einen Humpen von anderthalb Maß zu auf einen Zug, fuhr dann mit der Hand hinter die Ohren, und der Reitknecht sah ganz deutlich, wie ein feiner Nebel aus seinem Kopf kam. ›Gott soll mich bewahren, Herr, daß ich fürder mit Euch trinke,‹ rief er; ›Ihr seid ein Schwarzkünstler, wie ich nun vermute, und könnt mehr als Brot essen.‹ »›Darüber wäre noch vielerlei zu sagen,‹ antwortete Walther ganz ruhig und freundlich; ›aber es würde dir auch nicht viel helfen, wertgeschätzter Stallknecht und Roßkamm, wenn du mir fürder zusetztest mit Trinken, mich trinkst du nicht unter den Tisch, wasmaßen ich einen kleinen Hahnen in mein Gehirn geschraubt habe, durch welchen der Weindunst wieder herausfährt. Schau zu!‹ Dabei trank er ein großes Paßglas aus, wandte seinen Kopf herüber zu dem Reitknecht Ohnegrund, strich sein Haar zurück, und siehe da, in seinem Kopf steckte ein kleiner silberner Hahn, wie an einem Faß; da drehte er den Zapfen um, und ein bläulicher Dunst strömte hervor, so daß ihm der Weingeist keine Beschwerden machte in der Hirnkammer. »Da schlug der Reitknecht vor Verwunderung die Hände zusammen und rief: ›Das ist einmal eine schöne Erfindung, Herr Zauberer! Könnet Ihr mir nicht auch so ein Ding an den Kopf schrauben, um Geld und gute Worte?‹ -- ›Nein, das geht nicht,‹ antwortete jener bedächtig; ›da seid Ihr nicht erfahren genug in geheimer Wissenschaft; aber ich habe Euch liebgewonnen wegen Eurer absonderlichen Kunst im Trinken, darum möchte ich Euch gerne dienen, wo ich kann. Zum Beispiel, es ist gegenwärtig die Stelle des Kellermeisters vakant allhier. Balthasar Ohnegrund, verlaß den Dienst dieser Schweden, wo es doch mehr Wasser als Wein gibt, und diene dem wohledlen Rat dieser Stadt; wenn wir auch einige Lasten Wein mehr brauchen des Jahres, die du heimlich saufest, das tut nichts, ein solcher Kapitalkerl hat uns längst gefehlt; Balthasar Ohnegrund, ich mach' dich morgen zum Kellermeister, wenn du willst. Willst du nicht, so ist's auch gut; dann weiß aber morgen die ganze Stadt, daß uns der Schwede einen Reitknecht als Schreiber geschickt.‹ Dieser Vorschlag mundete dem Balthasar wie edler Wein; er tat einen Blick in dieses unermeßliche Weinreich, schlug sich auf den Magen und sagte: ›Ich will's tun.‹ Nachher machten sie noch allerhand Punkte aus, wie es gehalten werden soll nach Ohnegrunds zeitlichem Hinscheiden mit seiner armen Seele. Er wurde Kellermeister, der Hauptmann Gutekunst aber zog mit zweideutigen Bedingungen ab ins schwedische Lager, und als nachher die Kaiserlichen in die Stadt kamen, war der Bürgermeister und Senat froh, daß sie sich mit dem Schweden nicht zu tief eingelassen, obgleich keiner recht wußte, wie es so gekommen war.« So erzählte die Rose, die Apostel und ich dankten ihr und lachten sehr über die beiden Gesandten; Paulus aber fragte: »Und Balthasar Ohnegrund, der wackere Kunde, was ist aus ihm geworden? Blieb er Kellermeister?« Die Rose aber wandte sich um mit Lächeln, deutete auf eine Ecke des Gemachs und sagte: »Dort sitzt er ja noch, wie vor zweihundert Jahren, der wackere Zecher.« Mir graute, als ich hinsah. Eine bleiche, abgehärmte Gestalt saß in der Ecke, schluchzte und weinte sehr und trank dazu sehr viel Rheinwein. Aber es war niemand anders als eben der Kellermeister Balthasar, der aus Unser Lieben Frauen Kirchhof herabgekommen war, nachdem ihn Matthäus aus dem Schlaf geschellt. »Nun, alter Balthasar,« rief ihm Jakobus zu. »Du hast also als Reitknecht gedient beim Hauptmann Gutekunst und warst sogar Gesandtschaftsschreiber oder Sekretär, ehe du Kellermeister wurdest? Was machte denn der Herr, so den Hahnen im Hirnkasten hatte, für Bedingnisse?« »O Herr!« stöhnte der alte Kellermeister aus tiefer Seele, und es war, als ob ihn der ewige Tod auf dem Fagott begleitete, so greulich tönte es aus seiner Brust, »O Herr! fordert nicht von mir, daß ich es sage.« »Heraus damit!« schrieen die Apostel, was wollte der mit dem Spiritusableiter? Der Weingeistschröpfer, was wollte er?« »_Meine Seele._« »Armer Kerl,« sagte Petrus sehr ernst; »und um was wollte er deine arme Seele?« »Um Wein!« murmelte er dumpf, und mir war es, als ob eine Stimme ohne Hoffnung spräche. »Rede deutlicher, Alter, wie hat er es gemacht mit deiner Seele?« Er schwieg lange; endlich sprach er: »Warum dies erzählen, ihr Herren? Es ist grausig, und ihr versteht doch nicht, was es heißt, eine Seele verlieren.« »Wohl wahr,« sprach Paulus. »Wir sind fröhliche Geister und schlummern im Weine und freuen uns ewiger ungetrübter Herrlichkeit und Freude; darum kann uns aber auch kein Grauen anwandeln, denn wer hat Macht über uns, daß er uns elend mache oder uns schrecke? Darum erzähle!« »Aber es sitzt ein Mensch am Tisch, der kann es nicht vertragen,« sprach der Tote; »vor ihm darf ich es nicht sagen.« »Nur zu, immer zu,« erwiderte ich, an allen Gliedern schauernd, »ich kann eine hinlängliche Dosis Schauerliches ertragen, und was ist es am Ende, als daß Euch der Teufel geholt?« »Herr, es wäre Euch besser, Ihr betetet,« murmelte der Alte, »aber Ihr wollt es so haben, so höret: Der Mensch, der in jener Nacht in diesem Zimmer bei mir saß, -- es war ein böses Ding mit ihm -- der hatte seine Seele dem Bösen verhandelt, und es war dabei bedingt, daß er sich loskaufen könnte durch eine andere Seele. Schon viele hatte er auf dem Korn gehabt, aber allemal waren sie ihm wieder entgangen. Mich faßte er besser. Ich war wild aufgewachsen, ohne Unterricht, und das Leben im Kriege ließ mich nicht viel nachdenken. Wenn ich so über ein Schlachtfeld ritt, und der Mondschein fiel herab, und Freund und Feind niedergemähet dalagen, da dachte ich: sie sind jetzt halt tot und leben nicht mehr; von der Seele hielt ich nicht viel und von Himmel und Hölle noch weniger. Aber weil man so kurz lebt, wollt' ich's Leben recht genießen, und Wein und Spiel war mein Element. Das hatte mir der Höllenknecht abgemerkt und sprach zu mir in jener Nacht: ›So zwanzig, dreißig Jahre zu leben in diesem Kellerreich, in diesem Weinhimmel zu trinken nach Herzenslust, nicht wahr, Balthasar, das müßt' ein Leben sein?‹ -- ›Ja, Herr,‹ sprach ich, ›aber wie könnte ich dies verdienen?‹ -- ›An was liegt dir mehr,‹ fuhr er fort, ›hier recht zu leben nach Herzenslust auf der Erde, hier im Keller, oder an den Geschichten, die sich nachher begeben, wo man gar nicht weiß, ob man nur noch lebt und Wein trinkt?‹ Ich tat einen gräßlichen Schwur und sagte: ›Meine Gebeine werden dahin fahren, wo die Gebeine meiner Gesellen liegen. Ist der Mensch tot, so fühlt er nicht und denkt nicht; hab' es an manchem Kameraden erlebt, dem die Kugel das Hirn zerschmetterte, darum will ich leben und lustig sein.‹ Er sprach aber zu mir: ›Wenn du Verzicht leisten willst auf das, was nachher kommt, so ist es ein leichtes, dich hier zum Kellermeister zu machen; schreib nur deinen Namen in dies Büchlein und tue einen recht tüchtigen Schwur dazu.‹ -- ›Was nachher mit mir geschieht, das kümmert mich nicht,‹ sprach ich; ›Kellermeister will ich hier sein immerdar und ewiglich, solang ich bin, und der Teufel, oder wer will, kann das andere haben alles, wenn sie mich einst einscharren.‹ »Als ich so gesprochen, waren wir nicht mehr zu zwei, sondern ein dritter saß neben mir und hielt mir das Büchlein hin zum Unterschreiben. Der aber, der dies tat, war nicht der Zirkelschmied, sondern ein anderer.« »Wer war es denn? Sag' an!« riefen die Apostel ungeduldig. Die Augen des alten Kellermeisters funkelten greulich und seine bleichen Lippen bebten; er setzte mehreremal an, um zu sprechen, aber ein Krampf schien ihm die Kehle zuzuschnüren. Da blickte er auf einmal fest und mutig in eine dunkle Ecke, trank sein Glas aus und warf es an die Erde. »Was hilft alle Reue, alter Balthasar!« sprach er, indem große Tränen in seinen Wimpern hingen; »der bei mir saß -- war der Teufel.« Es war bei diesen Worten unheimlich, bis zur Verzweiflung unheimlich in dem Gemach. Die Apostel schauten ernst und schweigend in ihre Römer, Bacchus hatte das Gesicht in die Hände gedrückt, und die Rose war bleich und stille. Kein Atemzug rührte sich, man hörte nur, wie in dem Totenkopf des Alten die Zähne schaudernd aneinander klapperten. »Mein Vater hatte mich gelehrt, meinen Namen zu schreiben, als ich noch ein kleiner, frommer Knabe war; ich unterschrieb ihn ins Buch, das mir der andere mit seinen Krallen vorhielt. Von da an ging mir ein Leben auf in Saus und Braus. In ganz Bremen gab es keinen Mann so fröhlich als den Kellermeister Balthasar, und getrunken hab' ich, was der Keller Gutes und Köstliches hatte. Zur Kirche ging ich nie, sondern wenn sie zusammenläuteten, schritt ich hinab zum besten Faß und schenkte mir ein nach Herzenslust. Als ich alt wurde, kam oft ein Grauen über mich, und es fröstelte mir durch die Glieder, wenn ich ans Sterben dachte; hatte zwar kein Weib, das um mich jammerte, aber auch keine Kinder, die mich trösteten; da trank ich denn, wenn die Todesgedanken über mich kamen, bis ich von Sinnen war und schlief. So trieb ich's lange Jahre, mein Haar ward grau, meine Glieder schwach, und ich sehnte mich, zu schlafen im Grabe. Da war mir eines Tages, als sei ich erwacht und könne doch nicht recht erwachen. Die Augen wollten sich nicht auftun, die Finger waren steif, als ich mich aus dem Bette heben wollte, und die Beine lagen starr wie ein Stück Holz. An mein Bett aber traten Leute, betasteten mich und sprachen: ›Der alte Balthasar ist tot.‹ »Tot, dachte ich und erschrak, tot und nicht schlafen? Tot bin ich und _denke_? Mich erfaßte eine unnennbare Angst, ich fühlte, wie mein Herz stillestand, und wie sich doch etwas in mir regte und in sich zusammenzog und bange, bange war; das war mein _Körper_ nicht, denn der lag steif und tot, was war es denn?« »Deine Seele!« sprach Petrus dumpf. »_Deine Seele!_« flüsterten die andern ihm nach. »Da maßen sie meine Länge und Breite, um die sechs Brettlein fertig zu machen, und legten mich hinein, und ein hartes Kissen von Hobelspänen unter meinen Schädel und nagelten die Bahre zu, und meine Seele wurde immer ängstlicher, weil sie nicht schlafen konnte. Dann hörte ich die Totenglocke läuten auf der Domkirche, sie hoben mich auf, und kein Auge weinte um mich. Sie trugen mich auf Unser Lieben Frauen Kirchhof, dort hatten sie mein Grab gegraben, noch höre ich die Seile schwirren, die sie heraufgezogen, als ich unten lag; dann warfen sie Steine und Erde herab, und es ward stille um mich her. »Aber meine Seele zitterte heftiger, als es Abend wurde, als es zehn Uhr, elf Uhr schlug auf allen Glocken. Wie wird es dir gehen, wie wird es dir gehen? dachte ich bei mir. Ich wußte noch ein Gebetlein aus alter Zeit, das wollte ich sprechen, aber meine Lippen standen still. -- Da schlug es zwölf Uhr, und mit einem Ruck war die schwere Grabesdecke abgerissen, und auf meinen Sarg geschah ein schrecklicher Schlag.« Ein Schlag, daß die Hallen dröhnten, sprengte jetzt eben die Türe des Gemaches auf, und eine große weiße Gestalt erschien auf der Schwelle. Ich war durch Wein und die Schrecknisse dieser Nacht so exaltiert und außer mir selbst gebracht, daß ich nicht aufschrie, nicht aufsprang, wie wohl sonst geschehen wäre, sondern geduldig das Schreckliche anstarrte, das jetzt kommen sollte; mein erster Gedanke war nämlich: »Jetzt kommt der Teufel.« Habt ihr je im Don Juan jenen bangen Moment geschaut, wo Tritte dumpf und immer näher tönen, wo Leporello schreiend zurückkommt und die Statue des Gouverneurs, ihrem Streitroß auf dem Monument entstiegen, zum Gastmahl kommt? Riesengroß mit abgemessenem, dröhnendem Schritt, ein ungeheures Schwert in der Hand, gepanzert, aber ohne Helm, trat die Gestalt ins Gemach. Sie war von Stein, das Gesicht steif und seelenlos; aber dennoch tat sich der steinerne Mund auf und sprach: »Gott grüß' euch, vielliebe Reben vom Rheine; muß doch das schöne Nachbarskind besuchen an ihrem Jahrestag. Gott grüß' Euch, Jungfrau Rose. Darf ich auch Platz nehmen in Eurem Gelaggaden?« Sie schauten alle verwundert nach der riesigen Statue, Frau Rose aber brach das Stillschweigen, schlug vor Freude die Hände zusammen und schrie: »Ei, du meine Güte! 's ist ja der steinerne Roland, so seit vielen hundert Jahren auf dem Domhofe in der lieben Stadt Bremen steht. Ei, das ist schön, daß Ihr uns die Ehre antut, Herr Ritter; leget doch Schild und Schwert ab und machet es Euch bequem; wollet Ihr Euch nicht obenan setzen an meine Seite? O Gott, wie mich das freut!« Der hölzerne Weingott, so indessen wieder um ein Erkleckliches gewachsen, warf mürrische Blicke bald auf den steinernen Roland, bald auf die naive Dame seines Herzens, die ihre Freude so laut und unverhohlen ausgelassen. Er murmelte etwas von ungebetenen Gästen und strampelte ungeduldig mit den Beinen. Aber Rose drückte ihm unter dem Tische die Hand und beschwichtigte ihn durch süße Blicke. Die Apostel waren näher zusammengerückt und hatten dem steinernen Gast einen Stuhl neben dem alten Fräulein eingeräumt. Er legte Schwert und Schild in die Ecke und setzte sich ziemlich ungelenk auf das Stühlchen, aber ach, dies war für ehrsame Bremer Stadtkinder und nicht für einen steinernen Riesen gemacht; es knackte, als er sich setzte, morsch zusammen, und so lang er war, lag er im Gemach. »Schnödes Geschlecht, das solche Hütschen zimmert, worauf zu meiner Zeit nicht einmal ein zartes Fräulein hätte sitzen können, ohne mit dem Sitz durchzubrechen!« sagte der Heros und stand langsam auf; der Kellermeister Balthasar aber rollte ein Halbeimerfaß herbei an den Tisch und lud den Ritter ein, Platz zu nehmen. Es knackten nur ein paar Dauben, als er sich setzte, aber das Faß hielt aus. Dann bot ihm der Kellermeister ein großes Römerglas mit Wein, er faßte es mit der breiten steinernen Faust, aber krach! war es entzwei, daß ihm der Wein über die Finger lief. »Ei, Ihr hättet auch die Handschuhe von Stein füglich ablegen können,« sprach Balthasar ärgerlich und kredenzte ihm einen silbernen Becher, so ein Maß hielt und in früherer Zeit Tummler genannt wurde. Der Ritter faßte ihn, drückte nur einige unbedeutende Buckeln in den Becher, sperrte das steinerne Maul auf und goß den Wein hinab. »Wie mundet Euch der Wein?« fragte Bacchus den Gast; »Ihr habt wohl lange keinen getrunken?« »Er ist gut, bei meinem Schwert! Sehr gut! Was ist es für Gewächs?« »Roter Ingelheimer, gestrenger Herr!« antwortete der Kellermeister. Das steinerne Auge des Ritters bekam Leben und Glanz, als er dies hörte, die gemeißelten Züge verschönerte ein sanftes Lächeln, und vergnüglich schaute er in den Becher. »_Ingelheim!_ du süßer, trauter Name!« sprach er. »Du edle Burg meines ritterlichen Kaisers; so nennt man also noch in dieser Zeit deinen Namen, und die Reben blühen noch, die Karl einst pflanzte in seinem Ingelheim? Weiß man denn auch von Roland noch etwas auf der Welt und von dem großen Carolus, seinem Meister?« »Das müßt Ihr den Menschen dort fragen,« erwiderte Judas, »wir geben uns mit der Erde nicht mehr ab. Er nennt sich Doktor und Magister und muß Euch Bescheid geben können über sein Geschlecht.« Der Riese richtete sein Auge fragend auf mich, und ich antwortete: »Edler Paladin! Zwar ist die Menschheit in dieser Zeit lau und schlecht geworden, ist mit dem hohlen Schädel an die Gegenwart genagelt und blickt nicht vor-, nicht rückwärts; aber so elend sind wir doch nicht geworden, daß wir nicht der großen, herrlichen Gestalten gedächten, die einst über unsere Vatererde gingen und ihren Schatten werfen noch bis zu uns. Noch gibt es Herzen, die sich hinüberretten in die Vergangenheit, wenn die Gegenwart zu schal und trübe wird, die höher schlagen bei dem Klang großer Namen und mit Achtung durch die Ruinen wandeln, wo einst der große Kaiser saß in seiner Zelle, wo seine Ritter um ihn standen, wo Eginhart bedeutungsvolle Worte sprach und die traute Emma dem treuesten seiner Paladine den Becher kredenzte. Wo man den Namen Eures großen Kaisers ausspricht, da ist auch Roland unvergessen, und wie Ihr ihm nahe standet im Leben, so enge seid Ihr mit ihm verbunden in Lied und Sage und in den Bildern der Erinnerung. Der letzte Ton Eures Hifthorns tönt noch immer aus dem Tal von Ronceval durch die Welt und wird tönen, bis er sich in die Klänge der letzten Posaune mischt.« »So haben wir nicht vergebens gelebt, alter Karl!« sprach der Ritter, »die Nachwelt feiert unsere Namen.« »Ha!« rief Johannes feurigen Mutes; »diese Menschen wären auch wert, Wasser aus dem Rhein zu saufen statt des Rebenblutes seiner Hügel, wenn sie den Namen des Mannes vergessen hätten, der zuerst die Reben pflanzte im Rheingau. Auf, ihr trauten Gesellen und Apostel, stoßet an, unser herrlicher Stammvater lebe, es lebe _Kaiser Karl der Große_!« Die Römer klangen, aber Bacchus sprach: »Ja, es war eine schöne, herrliche Zeit, und ich freue mich ihrer wie vor tausend Jahren. Wo jetzt die wundervollen Weingärten stehen vom Ufer bis hinauf an die Rücken der Berge, und hinauf und hinab im Rheintal Traube an Traube sich schlingt, da lag sonst wüster, düsterer Wald. Da schaute einst Kaiser Karl aus seiner Burg in Ingelheim an den Bergen hin, er sah, wie die Sonne schon im März so warm diese Hügel begrüße und den Schnee hinabrolle in den Rhein, wie so frühe die Bäume dort sich belauben und das junge Gras dem Frühling voraneile aus der Erde. Da erwachte in ihm der Gedanke, Wein zu pflanzen, wo sonst der Wald stand. »Und ein geschäftiges Leben regte sich im Rheingau bei Ingelheim, der Wald verschwand, und die Erde war bereit, den Weinstock aufzunehmen. Da schickte er Männer nach Ungarn und Spanien, nach Italia und Burgund, nach der Champagne und nach Lothringen und ließ Reben herbeibringen und senkte die Reiser in der Erde Schoß. »Da freute sich mein Herz, daß er mein Reich ausbreite im deutschen Lande, und als dort die ersten Reben blühten, zog ich ein im Rheingau mit glänzendem Gefolge; wir lagerten auf den Hügeln und schafften in der Erde und schafften in den Lüften, und meine Diener breiteten die zarten Netze aus und fingen den Frühlingstau auf, daß er den Reben nicht schade; sie stiegen hinauf und brachten warme Sonnenstrahlen nieder, die sie sorgsam um die kleinen Beerlein gossen, schöpften Wasser im grünen Rhein und tränkten die zarten Wurzeln und Blätter. Und als im Herbst das erste zarte Kind des Rheingaues in der Wiege lag, da hielten wir ein großes Fest und luden alle Elemente zur Feier ein. Und sie brachten köstliche Geschenke und legten sie dem Kindlein als Angebinde in die Wiege. Das Feuer legte seine Hand auf des Kindes Augen und sprach: ›Du sollst mein Zeichen an dir tragen ewiglich; ein reines, mildes Feuer soll in dir wohnen und dich wert machen vor allen anderen.‹ Und die Luft in zartem, goldenem Gewande kam heran, legte ihre Hand auf des Kindes Haupt und sprach: ›Zart und licht sei deine Farbe, wie der goldene Saum des Morgens auf den Hügeln, wie das goldene Haar der schönen Frauen im Rheingau.‹ Und das Wasser rauschte heran in silbernen Kleidern, bückte sich auf das Kind und sprach: ›Ich will deinen Wurzeln immer nahe sein, daß dein Geschlecht ewig grüne und blühe und sich ausbreite, so weit mein Rheinstrom reicht.‹ Aber die Erde kam und küßte das Kindlein auf den Mund und wehte es an mit süßem Atem. ›Die Wohlgerüche meiner Kräuter,‹ sprach sie, ›die herrlichsten Düfte meiner Blumen habe ich für dich gesammelt zum Angebinde. Die köstlichsten Salben aus Ambra und Myrrhen werden gering sein gegen deine Düfte, und deine lieblichsten Töchter wird man nach der Königin der Blumen heißen -- die _Rosen_.‹ »So sprachen die Elemente; wir aber jubelten über die herrlichen Gaben, schmückten das Kindlein mit frischem Weinlaub und schickten es dem Kaiser in die Burg. Und er erstaunte über die Herrlichkeit des Rebenkindes, hat es fortan gehegt und gepflegt und die Rebe am Rhein seinen herrlichsten Schätzen gleich geachtet.« »Andreas!« rief Jungfrau Rose. »Lieber Vetter, du hast solch eine schöne zarte Stimme, willst du nicht singen zum Ruhme des Rheingaues und seiner Weine?« »Wenn es Euch erheitert, edle Jungfrau, und Euch nicht Beschwerde macht, edler Bacchus, wie auch Euch nicht unangenehm ist, mein Herr und Ritter Roland, so will ich eines singen.« Und er sang eine schöne Weise voll zarter Töne und Worte, klangvoll und zierlich gefüget, so, daß man wohl merken konnte, es sei ein Lied eines alten Meisters von 1400 oder 1500. Verflogen sind seine Worte aus meinem Gedächtnis, aber seine Weise möchte ich doch wohl finden, denn sie war einfach und schön, und Petrus begleitete ihn mit einem sonoren, herrlichen Sekund. Die Lust des Gesanges schien über alle herabzukommen, denn als Andreas geendet, sang Judas unaufgefordert ein Lied, und ihm folgten die übrigen. Selbst Rose, so sehr sie sich zierte, mußte ein Lied von 1615 singen, was sie mit angenehmer, etwas zitternder Stimme vortrug. Mit dröhnendem Baß sang Roland eine Kriegshymne der Franken, von welcher ich nur einige Worte verstand, und endlich, als sie alle gesungen, schauten sie auf mich, und Rose nickte mir zu, etwas zu singen. Da hub ich denn an: »Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben, Gesegnet sei der Rhein, Da wachsen sie am Ufer hin und geben Uns diesen Labewein.« Sie lauschten, als sie diese Worte hörten, sie nickten sich zu und rückten näher zusammen; und die Entfernteren streckten die Köpfe vor, als wollten sie kein Wort verlieren. Mutiger erhob ich meine Stimme, lauter und immer lauter war mein Gesang, denn es wogte in mir wie Begeisterung, vor solchem Publikum zu singen. Die alte Rose nickte den Takt mit dem Kopfe und summte den Chorus leise, leise mit, und Freude und Stolz blickten aus den Augen der Apostel. Und als ich geendet, drängten sie sich zu, drückten mir die Hände, und Andreas hauchte einen Kuß auf meine Lippen. »Doktor!« rief Bacchus, »Doktor, welch ein Lied! Wie geht einem da das Herz auf! Herzensdoktor, hast du das Lied gedichtet in deinem eigenen graduierten Gehirn?« »Nein, Euer Exzellenz! solch ein Meister des Gesanges bin ich nicht. Aber den, der es gedichtet, haben sie längst begraben; er hieß Matthias Claudius!« »_Sie haben -- einen guten Mann begraben_,« sagte Paulus. »Wie klar und munter ist dies Lied, so klar und helle wie echter Wein, so mutig und munter wie der Geist, der im Weine wohnet und gewürzt mit Scherz und Laune, die wie ein würziger Duft aus dem Römer steigen; der Mann hat gewiß verstanden, welch gutes Ding es um ein Glas lautern Weines ist.« »Herr, er ist lange tot, das weiß ich nicht, aber ein anderer großer Sterblicher hat gesagt: ›Guter Wein ist ein gutes, geselliges Ding, und jeder Mensch kann sich wohl einmal von ihm begeistern lassen!‹ Und ich denke, der alte Matthias hat auch so gedacht unter guten Freunden, hätte ja sonst solch ein schönes Lied nicht machen können, das noch heute alle fröhlichen Menschen singen, die im Rheingau wandeln oder edeln Rheinwein trinken.« »Singen sie das?« rief Bacchus. »Nun seht, Doktor, das freut mich, und so gar miserabel muß Euer Geschlecht doch nicht geworden sein, wenn sie so klare, schöne Lieder haben und singen.« »Ach, Herr!« sprach ich bekümmert. »Es gibt der _Ueberschwenglichen_ gar viele, das sind die Pietisten in der Poesie, und wollen solch Lied gar nicht für ein Gedicht gelten lassen, wie manchen Frömmlern das Vaterunser nicht mystisch genug zum Beten ist.« »Es hat zu jeder Zeit Narren gegeben, Herr!« erwiderte mir Petrus, »und jeder fegt am besten vor seiner eigenen Türe. Aber weil wir gerade bei seinem Geschlecht sind, erzähl' Er uns doch, wie es auf der Erde ging im letzten Jahr?« »Wenn es die Herren und Damen interessiert,« -- sprach ich zögernd. »Immerzu,« rief Roland, »wegen meiner könntet Ihr die letzten fünfhundert Jahre erzählen, denn auf meinem Domhof sehe ich nichts als Zigarrenmacher, Weinbrauer, Pfarrer und alte Weiber.« Auch die übrigen stimmten mit ein; ich hub also an: »Was zuerst die deutsche Literatur betrifft --« »Halt, ~manum de tabula~!« rief Paulus. »Was scheren wir uns um euer miserables Geschmier, um eure kleinlichen, ekelhaften Gassenstreite und Kneipenraufereien, um eure Poetaster, Afterpropheten und --« Ich erschrak; wenn diesen Leuten nicht einmal unsere wunderherrliche, magnifike Literatur interessant war, was konnte ich ihnen denn sagen? Ich besann mich und fuhr fort: »Offenbar hat Joco im letzten Jahre, was das Theater anbelangt --« »Theater? Geht mir weg!« unterbrach Andreas, »was sollen wir von euren Puppenspielen, Marionettenkomödien und sonstigen Torheiten hören! Meinet Ihr etwa, uns komme viel darauf an, ob einer eurer Lustspieldichter ausgepfiffen wurde oder nicht? Habt Ihr denn dermalen gar nichts Interessantes, nichts Welthistorisches, das Ihr etwa erzählen könntet?« »Ach, daß Gott erbarm',« erwiderte ich, »bei uns ist die Welthistorie ausgegangen, wir haben in diesem Fach nur noch den Bundestag in Frankfurt. Bei unsern Nachbarn höchstens gibt es noch hin und wieder etwas; zum Beispiel in Frankreich haben die Jesuiten wieder Macht gewonnen und das Zepter an sich gerissen, und in Rußland sollte es eine Revolution geben.« »Ihr verwechselt die Namen, Freund!« sagte Judas, »Ihr wolltet sagen, in Rußland sind die Jesuiten wieder eingezogen, und in Frankreich sollte es eine Revolution geben.« »Mit nichten, Herr Judas von Ischariot,« antwortete ich, »so ist es, wie ich gesagt.« »Ei der Tausend!« murmelten sie nachdenklich, »das ist ja ganz sonderbar und verkehrt!« -- »Und,« fragte Petrus, »Krieg gibt es nicht?« »Ein klein wenig, wird aber bald vollends zu Ende sein, in Griechenland, gegen die Türken.« »Ha! das ist schön,« rief der Paladin und schlug mit der steinernen Faust auf den Tisch. »Hat mich schon vor vielen Jahren geärgert, daß die Christenheit so schnöde zuschaute, wie der Muselmann dies herrliche Volk in Banden hielt; das ist schön, wahrlich! Ihr lebet in einer schönen Zeit, und Euer Geschlecht ist edler, als ich dachte. Also die Ritter von Deutschland und Frankreich, von Italien, Spanien und England sind ausgezogen wie einst unter Richard Löwenherz, die Ungläubigen zu bekämpfen? Die Genueser Flotte schifft im Archipel, die Tausende der Streiter überzusetzen, die Oriflamme naht sich Stambuls Küsten, und Oesterreichs Banner weht im ersten Reihen? Ha! zu solchem Kampfe möchte ich selbst noch einmal mein Roß besteigen, mein gutes Schwert Durande ziehen und in mein Hifthorn stoßen, daß alle Helden, die da schlafen, aufstünden aus den Gräbern und mit mir zögen in die Türkenschlacht.« »Edler Ritter,« antwortete ich und errötete vor meiner Zeit, »die Zeiten haben sich geändert. Ihr würdet wahrscheinlich als Demagoge verhaftet werden bei sotanen Umständen und Verhältnissen, denn weder Habsburgs Banner noch die Oriflamme, weder Englands Harfe noch Hispaniens Löwen sieht man in jenen Gefechten.« »Wer ist es denn, der gegen den Halbmond schlägt, wenn es nicht diese sind?« »Die Griechen selbst.« »Die Griechen? Ist es möglich?« rief Johannes; »und die andern Staaten, wo sind denn diese beschäftigt?« »Noch haben sie Gesandte bei der Pforte.« »Mensch, was sagst du?« sprach Roland, starr vor Staunen; »kann man es ignorieren, wenn ein Volk um seine Freiheit kämpft? Heilige Jungfrau, was ist dies für eine Welt! Wahrlich das möchte einen Stein erbarmen!« Er quetschte im Zorn, während er die letzten Worte sprach, den silbernen Becher wie dünnes Zinn zusammen, daß der Wein darin hoch an die Decke spritzte, fuhr rasselnd auf vom Tisch, nahm seine Tartsche und sein langes Schwert und schritt düster mit dröhnenden Schritten aus dem Gemach. »Ei, was ist der steinerne Roland für ein zorniger Kumpan!« murmelte Rose, nachdem er die Pforte klirrend zugeworfen, indem sie etliche Weintropfen, die sie benetzten, vom Busentuch abschüttelte. »Will der steinerne Narr auf seine alten Tage noch zu Felde ziehen! Wenn er sich sehen ließe, sie steckten ihn gleich ohne Barmherzigkeit als Flügelmann unter die Brandenburger Grenadiere, denn die Größe hat er.« »Jungfer Rose,« erwiderte ihr Petrus, »zornig ist er, das ist wahr, und er hätte können auf andere Weise davongehen; aber bedenket, daß er einst Furioso, wahnsinnig war und noch ganz andere Sachen getan, als silberne Becher zerquetscht und Frauenzimmer mit Wein besudelt. Und genau beim Lichte besehen, kann ich ihm seinen Unmut auch nicht verdenken; war er doch auch einmal ein Mensch und dazu ein herrlicher Paladin des großen Kaisers, ein tapferer Ritter, der, wenn es Karl gewollt hätte, allein gegen tausend Muselmannen zu Felde gezogen wäre. Da hat er sich denn geschämt und ist unmutig geworden.« »Laßt ihn laufen, den steinernen Recken!« rief Bacchus, »hat mich geniert, der Bursche, hat mich geniert. Er paßt nicht unter uns, der Lümmel von zehn Schuh, er sah immer höhnisch auf mich herab. Die ganze Freudigkeit und mein Vergnügen hätt' er gestört. Wir wären nicht zum Tanzen gekommen, nur weil er mit seinen steifen, steinernen Beinen keinen tüchtigen Hopser hätte riskieren können, ohne elend umzustülpen.« »Ja tanzen, heisa, tanzen!« riefen die Apostel; »Balthasar spiel' auf, spiel' auf!« Judas stand auf, zog ungeheure Stülphandschuhe an, die ihm beinahe bis zum Ellbogen reichten, trat zierlich an die Jungfrau heran und sagte: »Ehrenfeste und allerschönste Jungfer Rose, dürfte ich mir die absonderliche Ehre ausbitten, mit Ihr den ersten --« »~Manum de~ --« unterbrach ihn Bacchus pathetisch. »Ich bin es, der den Ball arrangiert hat, und ich muß ihn eröffnen. Tanze Er, mit wem Er will, Meister Judas, mein Röschen tanzt mit mir. Nicht wahr, Schätzerl?« Sie machte errötend einen Knicks zur Bejahung, und die Apostel lachten den Judas aus und verhöhnten ihn. Mir aber winkte der Weingott heroisch zu; »versteht Er Musik, Doktor?« fragte er. »Ein wenig.« »Taktfest?« »O ja, taktfest wohl.« »Nun so nehme Er dies Fäßlein da, setze Er sich neben Balthasar Ohnegrund, unseren Kellermeister und Zinkenisten, nehme Er diese hölzernen Küperhämmer zur Hand und begleite jenen mit der Trommel.« Ich staunte und bequemte mich. War aber schon meine Trommel etwas außergewöhnlich, so war Balthasars Instrument noch auffallender. Er hielt nämlich einen eisernen Hahnen von einem achtfuderigen Faß an den Mund wie ein Klarinett. Neben mich setzten sich noch Bartholomäus und Jakobus mit ungeheuern Weintrichtern, die sie als Trompeten handhabten, und warteten des Zeichens. Der Tisch wurde auf die Seite gerückt, Rose und Bacchus stellten sich zum Tanze. Er winkte, und eine schreckliche, quiekende, mißtönende Janitscharenmusik brach los, zu der ich im Sechsachteltakte auf mein Faß als Tambour aufschlegelte. Der Hahn, den Balthasar blies, tönte wie eine Nachtwächtertute und wechselte nur zwischen zwei Tönen, Grundton und abscheulich hohem Falsett, die beiden Trichtertrompeter bliesen die Backen auf und lockten aus ihren Instrumenten Angst- und Klagelaute so herzdurchschneidend wie die Töne der Tritonen, wenn sie die Meermuscheln blasen. Der Tanz, den die beiden aufführten, mochte wohl vor ein paar hundert Jahren üblich gewesen sein. Jungfer Rose hatte mit beiden Händen ihren Rock ergriffen und solchen an den Seiten weit ausgespannt, daß sie anzusehen war wie ein großes weites Faß. Sie bewegte sich nicht sehr weit von der Stelle, sondern trippelte hin und her, indem sie bald auf, bald nieder tauchte und knickste. Lebendiger war dagegen ihr Tänzer, der wie ein Kreisel um sie herfuhr, allerlei kühne Sprünge machte, mit den Fingern knallte und heisa, juhe! schrie. Wunderlich war es anzusehen, wie das kleine Schürzlein der Jungfer Rose, das ihm Balthasar umgetan, hin und her flatterte in der Luft, wie seine Beinchen umherbaumelten, wie sein dickes Gesicht lächelte vor inniger Herzenslust und Freude. Endlich schien er ermüdet, er winkte Judas und Paulus herbei und flüsterte ihnen etwas zu. Sie banden ihm die Schürze ab, faßten solche an beiden Enden und zogen und zogen, so daß sie plötzlich so groß wurde wie ein Bettuch. Dann riefen sie die andern herbei, stellten sie rings um das Tuch und ließen es anfassen. »Ha,« dachte ich, »jetzt wird wahrscheinlich der alte Balthasar ein wenig geprellt, zu allgemeiner Ergötzung; wenn nur das Gewölbe nicht so nieder wäre, da kann er leicht den Schädel einstoßen.« Da kam Judas und der starke Bartholomäus auf uns zu und faßten -- _mich_; Balthasar Ohnegrund lachte hämisch; ich bebte, ich wehrte mich; es half nichts, Judas faßte mich fest an der Kehle und drohte mich zu erwürgen, wenn ich mich ferner sträube. Die Sinne wollten mir vergehen, als sie mich unter allgemeinem Jauchzen und Geschrei auf das Tuch legten; noch einmal raffte ich mich zusammen; »nur nicht zu hoch, meine werten Gönner, ich renne mir sonst das Hirn ein am Gewölbe,« rief ich in der Angst des Herzens, aber sie lachten und überschrieen mich. Jetzt fingen sie an, das Tuch hin und her zu wiegen, Balthasar blies den Trichter dazu. Jetzt ging es auf- und abwärts, zuerst drei, vier, fünf Schuh hoch, auf einmal schnellten sie stärker, ich flog hinauf und -- wie eine Wolke tat sich die Decke des Gewölbes auseinander; ich flog immer aufwärts zum Rathausdach hinaus, höher, höher als der Turm der Domkirche. »Ha,« dachte ich im Fliegen, »jetzt ist es um dich geschehen! Wenn du jetzt wieder fällst, brichst du das Genick oder zum allerwenigsten ein Paar Arme oder Beine! O Himmel, und ich weiß ja, was _sie_ von einem Mann mit gebrochenen Gliedmaßen denkt! Ade, ade! Mein Leben, meine Liebe!« Jetzt hatte ich den höchsten Punkt meines Steigens erreicht, und ebenso pfeilschnell fiel ich abwärts. Krach! ging es durchs Rathausdach und hinab durch die Decke des Gewölbes, aber ich fiel nicht auf das Tuch zurück, sondern gerade auf einen Stuhl, mit dem ich rücklings über auf den Boden schlug. Ich lag einige Zeit betäubt vom Fall. Ein Schmerz am Kopfe und die Kälte des Bodens weckten mich endlich. Ich wußte anfangs nicht, war ich zu Hause aus dem Bette gefallen oder lag ich sonstwo. Endlich besann ich mich, daß ich irgendwo weit herabgestürzt sei. Ich untersuchte ängstlich meine Glieder, es war nichts gebrochen, nur das Haupt tat mir weh vom Fall. Ich raffte mich auf, sah um mich. Da war ich in einem gewölbten Zimmer, der Tag schien matt durch ein Kellerloch herab, auf dem Tische sprühte ein Licht in seinem letzten Leben, umher standen Gläser und Flaschen, und rings um die Tafel vor jedem Stuhl ein kleines Fläschchen mit langem Zettel am Halse. -- Ha, jetzt fiel mir nach und nach alles wieder ein. Ich war zu Bremen im Ratskeller; gestern nacht war ich hereingegangen, hatte getrunken, hatte mich einschließen lassen, da war --; voll Grauen schaute ich um mich, denn alle, alle Erinnerungen erwachten mit einemmal. Wenn der gespenstige Balthasar noch in der Ecke säße, wenn die Weingeister noch um mich schwebten! Ich wagte verstohlene Blicke in die Ecken des düsteren Zimmers, es war leer. Oder wie? Hätte dies alles mir nur geträumt? Sinnend ging ich um die lange Tafel; die Probefläschchen standen, wie jeder gesessen hatte. Obenan die Rose, dann Judas, Jakobus -- Johannes, sie alle an der Stelle, wo ich sie leiblich geschaut hatte diese Nacht. »Nein, so lebhaft träumt man nicht,« sprach ich zu mir; »dies alles, was ich gehört, geschaut, ist wirklich geschehen!« Doch nicht lange hatte ich Zeit zu diesen Reflexionen; ich hörte Schlüssel rasseln an der Tür, sie ging langsam auf, und der alte Ratsdiener trat grüßend ein. »Sechs Uhr hat es eben geschlagen,« sprach er, »und wie Sie befohlen, bin ich da, Sie herauszulassen. Nun,« fuhr er fort, als ich mich schweigend anschickte, ihm zu folgen, »nun, und wie haben Sie geschlafen diese Nacht?« »So gut es sich auf einem Stuhl tun läßt, ziemlich gut.« »Herr,« rief er ängstlich und betrachtete mich genauer, »Ihnen ist etwas Unheimliches passiert diese Nacht. Sie sehen so verstört und bleich aus, und Ihre Stimme zittert!« »Alter, was wird mir passiert sein!« erwiderte ich, mich zum Lachen zwingend. »Wenn ich bleich aussehe und verstört, so kommt es vom langen Wachen, und weil ich nicht im Bette geschlafen.« -- »Ich sehe, was ich sehe,« sagte er kopfschüttelnd; »und der Nachtwächter war heute früh auch schon bei mir und erzählte, wie er am Kellerloch vorübergegangen zwischen zwölf und ein Uhr, habe er allerlei Gesang und Gemurmel vieler Stimmen vernommen aus dem Keller.« »Einbildungen, Possen! Ich habe ein wenig für mich gesungen zur Unterhaltung und vielleicht im Schlaf gesprochen, das ist alles.« »Diesmal einen im Keller gelassen in solcher Nacht und von nun an nie wieder,« murmelte er, indem er mich die Treppe hinauf begleitete; »Gott weiß, was der Herr Greuliches hat hören und schauen müssen! Wünsche gehorsamst guten Morgen.« * * * * * »Doch hat daselbst vor allen Eine Jungfrau mir gefallen.« Der Worte des fröhlichen Bacchus eingedenk und von Sehnsucht der Liebe getrieben, ging ich, nachdem ich einige Stunden geschlummert, der Holden guten Morgen zu sagen. Aber kalt und zurückhaltend empfing sie mich, und als ich ihr einige innige Worte zuflüsterte, wandte sie mir laut lachend den Rücken zu und sprach: »Gehen Sie und schlafen Sie erst fein aus, mein Herr.« Ich nahm den Hut und ging, denn so schnöde war sie nie gewesen. Ein Freund, der in einer andern Ecke des Zimmers am Klavier gesessen, ging mir nach und sagte, indem er wehmütig meine Hand ergriff: »Herzensbruder, mit deiner Liebe ist es rein aus auf immerdar, schlage dir nur gleich alle Gedanken aus dem Sinne.« »Soviel ungefähr konnte ich selbst merken,« antwortete ich. »Der Teufel hole alle schönen Augen, jeden rosigen Mund und den törichten Glauben an das, was Blicke sagen, was Mädchenlippen aussprechen.« »Tobe nicht so arg, sie hören es oben,« flüsterte er; »aber sag' mir um Gottes willen, ist es denn wahr, daß du heute die ganze Nacht im Weinkeller gelegen und getrunken hast?« »Nun ja, und wen kümmert es denn?« »Weiß der Himmel, wie sie es gleich erfahren hat, sie hat den ganzen Morgen geweint und nachher gesagt, vor einem solchen Trunkenbold, der ganze Nächte beim Wein sitze und aus schnöder Trinklust ganz allein trinke, solle sie Gott behüten. Du seiest ein ganz gemeiner Mensch, von dem sie nichts mehr hören wolle.« »So?« erwiderte ich ganz gelassen und hatte einiges Mitleiden mit mir selbst. »Nun gut, geliebt hat sie mich nie, sonst würde sie auch mich darüber hören; ich lasse sie schön grüßen. Lebe wohl!« Ich rannte nach Hause und packte schnell zusammen und fuhr noch denselben Abend von dannen. Als ich an der Rolandsäule vorüberkam, grüßte ich den alten Recken recht freundlich, und zum Entsetzen meines Postillons nickte er mir mit dem steinernen Haupt einen Abschiedsgruß. Dem alten Rathaus und seinen Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, drückte mich dann in die Ecke meines Wagens und ließ die Phantasieen dieser Nacht noch einmal vor meinem Auge vorübergleiten. Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere Korrekturen: S. 15: hinab → hinauf Rückweg ins Schloß {hinauf} ist S. 26: wilden → milden mit dem {milden} Schimmer des Mondes S. 30: verschlossen → verschossenen in einem {verschossenen} Hofkleid S. 128: die → wie treffend die Beschreibung, {wie} die Furcht vor S. 150: noch → nach nie {nach} vier Uhr abends ein Mann S. 200: Napoleine → Napoleone Generale, Platows, Blüchers, {Napoleone} und dergleichen *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WILHELM HAUFFS SÄMTLICHE WERKE IN SECHS BÄNDEN. BD. 2 *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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