The Project Gutenberg eBook of Dresden und die Sächsische Schweiz

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Title: Dresden und die Sächsische Schweiz

Author: Sophus Ruge

Release date: May 24, 2019 [eBook #59596]

Language: German

Credits: Produced by Peter Becker, Reiner Ruf, and the Online
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DRESDEN UND DIE SÄCHSISCHE SCHWEIZ ***

Anmerkungen zur Transkription

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Land und Leute

Monographien zur Erdkunde

Land und Leute

Monographien zur Erdkunde

In Verbindung mit hervorragenden Fachgelehrten

herausgegeben von

A. Scobel


XVI.

Dresden und die Sächsische Schweiz


Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1903

Dresden
und die
Sächsische Schweiz

Von

Prof. Dr. Sophus Ruge


Mit 148 Abbildungen nach photographischen Aufnahmen,
zwei Skizzen und einer farbigen Karte.

Verlagssignet

Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1903

Alle Rechte vorbehalten.

Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.


[S. 2]

Inhalt.

   
Seite
I.
Einleitung
II.
Das Talbecken von Dresden
III.
Die Bevölkerung
IV.
Die Städte
V.
Die Sächsische Schweiz. Allgemeines
VI.
Das Wasser in der Sächsischen Schweiz
VII.
Klüfte und Verwitterung
VIII.
Die Steine und Felsenhöhen
IX.
Volksverteilung und Städte
X.
Die ländliche Bevölkerung
  Literatur
  Verzeichnis der Abbildungen
  Register
  Karte der Sächsischen Schweiz.  

Abb. 1. Der Liebethaler Grund. Lochmühle.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 85.)


GRÖSSERES BILD

[S. 3]

Abb. 2. Dresden, von der Marienbrücke gesehen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden.

I.
Einleitung.

A

Aus der altgermanischen Sagenzeit klingt eine Kunde zu uns herüber, daß die Schwanenjungfrauen nach Süden über den unermeßlichen Dunkelwald geflogen seien. Dieser Dunkelwald wird in der alten Sprache Miriquido oder Miriquidi genannt, ja ein Chronist des Mittelalters braucht diese Bezeichnung einmal in einer so auffälligen Verbindung, daß man daraus den etwas voreiligen Schluß gezogen hat, im Mittelalter habe das Erzgebirge den Namen Miriquido gehabt. So viel Wahres liegt indes doch in diesem Schlusse, daß die unbewohnten und unzugänglichen Wälder des Erzgebirges mit zu dem tagereisenbreiten Grenzwalde gehörten, der die nördlich wohnenden Germanen von den südlichen Kelten trennte. Den Namen dieses Grenzwaldes haben uns die alten Griechen, jedenfalls aus dem Munde der ihnen näher wohnenden Kelten, in der Form Arkynnen überliefert, der dann später bei den Römern als Hercynischer Wald bekannt war. Die neuere Erdkunde hat den Namen als Hercynisches Gebirgssystem festgehalten und versteht darunter alle jene von Südost nach Nordwest streichenden Bergwälder und Gebirge, die das norddeutsche Flachland im Süden begrenzen. Es werden darunter namentlich zwei langgestreckte Gebirgszüge verstanden, die in ziemlich gleicher Richtung streichen, aber sich doch gegen Nordwesten einander immer mehr nähern.

Der südliche beginnt mit dem Böhmerwalde an der mittleren Donau, setzt sich im Fichtelgebirge und dem Thüringer Wald fort und endigt mit den letzten niedrigen Ausläufern des Teutoburger Waldes an der oberen Ems. Der nördliche Zug begrenzt als Sudeten (Riesengebirge u. a.) und Lausitzer Gebirge den Nordosten Böhmens, ist weiterhin bis zum Harz unterbrochen und nur noch an einigen stehengebliebenen Kuppen wie der Kollmberg bei Oschatz und der Petersberg bei Halle zu erkennen, und endigt als Parallelzug des Teutoburger Waldes im Weser- und Wiehengebirge.

Böhmen, Sachsen, Thüringen und die Weserlandschaften liegen zwischen den beiden Hauptzügen; aber da diese sich gegen Nordwesten einander immer mehr nähern, werden die zwischen ihnen lagernden Landschaften nach Nordwesten immer kleiner. Sachsen bildet insofern eine Ausnahme, als es nicht, wie die übrigen genannten Länderstriche, auch auf der Nordseite von Waldgebirgen abgeschlossen ist, also offener und ungehindert in das norddeutsche Flachland übergeht. Dazu ist auch seine Abgrenzung vom südlichen Nachbarlande Böhmen durch den eigenartigen Querzug eines Gebirges, das von Südwesten nach Nordosten streicht und in der neuen Zeit Erzgebirge genannt ist, viel[S. 4] schärfer und bestimmter erfolgt, als sonst zwischen den übrigen Landschaften innerhalb der hercynischen Bergketten.

Die Landschaften an der Elbe im böhmischen Gebirgsringe.

Die Ursache liegt darin, daß von der fast nur aus Urgesteinen bestehenden mächtigen böhmischen Scholle, die das ganze Land Böhmen samt allen Grenzgebirgen und darüber hinaus auch einen großen Teil des heutigen Landes Sachsen umfaßte, an tiefgehenden Spalten der Erdrinde, die in der Richtung des Erzgebirges verliefen und am leichtesten an der Richtung des Egerlaufes zu erkennen sind, sich die nördlichen Teile der Scholle (in Sachsen) von der böhmischen Masse trennten und nun eine derartige Verschiebung der Erdschichten erfolgte, daß sich der nördliche Teil (im heutigen Erzgebirge) im Norden senkte und im Süden hob, so daß hier der Steilrand sich wie eine bedeutende Gebirgsabdachung zeigt, während sich nach Norden das Erzgebirge ganz allmählich gegen das Flachland verliert. Diese große Verwerfungsspalte, an der die zahlreichen warmen Quellen und Mineralbrunnen Nordböhmens hervorgetreten sind, und die durch die Verwerfung verursachte Neigung der Erdschichten nach Norden und Nordosten reicht ostwärts bis zur Elbe. Dagegen hat alles Land östlich dieses Stromes an der erzgebirgischen Bewegung nicht mehr teil genommen. Dieses Land gehört, wenn auch nicht in politischer Hinsicht, zum Lausitzer Granitgebiet, dessen Richtung, durch das hercynische System vorgeschrieben, von Nordwest nach Südost geht. Der Lauf der Elbe in Sachsen zeigt uns diese Richtung an und an ihrem rechten Ufer ist die Lausitzer Bergmasse schroff abgebrochen und zeigt, wenn auch in mäßigeren Verhältnissen als das Erzgebirge, gegen das Elbtal einen steilen Bergrand. Auch hier ist an einer Verwerfungsspalte das Land abgesunken und bildet ein Talbecken, in dessen Mitte Dresden liegt.

Hier haben wir nun jene in ihrer Größe bescheidenen, aber nach ihrem Naturcharakter doch wichtigen Landschaften vor uns, denen unsere eingehende Beschreibung gewidmet ist: die Sächsische Schweiz und das Dresdener Talbecken.

Abb. 3. Altes Landhaus bei der Bahnwiese. Oberlößnitz.
Liebhaberaufnahme von H. Engert in Dresden. (Zu Seite 6.)

Eingebettet zwischen dem Erzgebirge und dem Lausitzer Gebiet, viel jüngerer Bildung als die gewaltigen Massen des Urgesteins zu beiden Seiten, bilden die Landschaften an der Elbe eine Lücke in dem böhmischen Gebirgsringe und in dem großen hercynischen Gebirgszuge; und durch diese Lücke hat auch die Elbe die beiden Nachbarländer in eine natürliche Verbindung gebracht und Böhmen nach Sachsen und weiter nach Norddeutschland geöffnet. Keilförmig erstreckt sich das Gebiet von[S. 5] Südost nach Nordwest in der angegebenen hercynischen Richtung und ähnelt dem ganzen Gebirgssystem um so mehr und gewährt in seinen horizontalen Umrissen insofern ein kleines, aber getreues Abbild des großen Ganzen, als sich der Keil nach Nordwesten verjüngt, und die östlichen und westlichen Grenzen, die durch den Fuß der Lausitz und des Erzgebirges gegeben sind, am nördlichen Abschluß des Talbeckens sich bereits bis auf 6 km einander nähern, während die Breite des Sandsteingebiets im Süden der Sächsischen Schweiz vielleicht 36 km betragen mag.

Das Gebiet zerfällt nach seiner jetzigen Gestaltung in das Talbecken von Dresden und in die Sächsische Schweiz, die wir nun eingehend betrachten wollen.

Abb. 4. Groß-Sedlitz bei Pirna. Schloßgarten.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 7.)

II.
Das Talbecken von Dresden.

Das Talbecken von Dresden.

Das Talbecken von Dresden erstreckt sich auf beiden Seiten der Elbe von Pirna bis Meißen. Der Elblauf selbst hat in diesem Gelände eine Länge von 43 km, doch zieht der Strom nicht, wie in der viel größeren oberrheinischen Ebene, seine Stromrinne durch die Mitte des Talbodens, sondern bespült oberhalb Dresdens von Pillnitz bis Loschwitz den Steilrand des Lausitzer Granits, unterhalb Dresdens von Niederwartha bis Meißen den Fuß der Vorhöhen des Erzgebirges. Dadurch gewinnen die Tallandschaften und Stromansichten an malerischem Reiz und erhöhen die Schönheit der beständig wechselnden Szenerie. Die Höhen auf beiden Seiten des Talkessels, dessen Entstehung bis in die Tertiärzeit zurückreicht, überragen den Talboden um 100–150 m, zeigen aber einen durchaus verschiedenen landschaftlichen Charakter.

Da die Talebene sich nach Nordwest erstreckt, so kann man die Abhänge des Erzgebirges als die Schattenseite, den steileren Abfall des Lausitzer Granitplateaus als die Sonnenseite bezeichnen. Die ganze östliche Tallandschaft, vom Stromufer an bis auf die Höhen des Lausitzer Granits, ist vorherrschend von Talsanden und Heidesand bedeckt, welche sich für die Sonneneinstrahlung weit empfänglicher zeigen als der Lehmboden[S. 6] der linken Talseite. Daher gedeiht dort an den Gehängen der Wein und feineres Obst und zwar auf der ganzen Strecke von Pillnitz bis Meißen und hat dadurch auch frühzeitig die Anlage von einzelnen Weinbergsgütern, Villen und Landhäusern aller Art hervorgerufen (Abb. 3); während auf dem linken Ufer nur ausnahmsweise, an der Nordseite der ausmündenden Seitentäler, die vom Sonnenstrahl kräftig getroffen werden, Weinberge und -gärten angelegt werden konnten. Dagegen sind in dem flacheren Gelände auf dem rechten Elbufer oberhalb Dresdens nur im Tal, im Pillnitzer Tännicht, aber unterhalb Dresdens auch auf den Höhen weithin die unfruchtbaren Sandflächen mit Nadelholz, meist Kiefern, bestanden; links der Elbe ist dagegen das steilere Gehänge zum Strom und an den zahlreichen Nebenflüssen auf Lehmboden vorherrschend mit Laubwald bedeckt.

Abb. 5. Die Begerburg im Plauischen Grunde. (Zu Seite 9.)

Gegen Süden endigt der Talkessel an den niedrigen Quadersandsteinmauern bei Pirna, wo die Elbe aus dem engen Felsental in die offene Elbaue eintritt. Im Norden bildet die aus Pläner bestehende Landschwelle, die von Meißen über Bohnitzsch und Gröbern nach Oberau zieht, den natürlichen Talabschluß, der von dem Eisenbahntunnel auf der Linie von Dresden nach Leipzig durchbrochen wird, während die Elbe unterhalb Meißen noch weithin bis nach Riesa sich durch den harten Granitboden ein enges Erosionstal geschaffen hat.

So ist also der Talkessel auf allen Seiten von Höhen begrenzt, ist ähnlich wie die oberrheinische Ebene während der Diluvialzeit durch Einbruch entstanden und bildet bei seiner niedrigen Lage, da der Elbspiegel in Dresden nur 105,5 m über der Ostsee liegt, den wärmsten Teil Sachsens. Es wird schon allein hieraus erklärlich, daß gerade dieser Landstrich zuerst Spuren menschlicher Besiedelung aufweist.

Aber nicht bloß das äußere Ansehen der Landschaften verdient Beachtung, sondern auch der wechselvolle Boden und seine Bodendecke, denn sie gerade wirken darauf bestimmend ein, daß die Umgebungen von Dresden durch ihren Wechsel so reizvoll werden und sich von jeder Höhe, sei es am rechten oder linken Elbufer, immer neue,[S. 7] unerwartete Landschaftsbilder dem entzückten Auge darbieten. Dieser Reichtum an prächtigen Spaziergängen und kürzeren Ausflügen wird von den Bewohnern Dresdens selbst noch viel zu wenig gewürdigt, und doch hat M. Christian Weiß schon vor länger als hundert Jahren auf diesen Reichtum an verschiedenen Landschaftsformen hingewiesen. „Man mag Gegenden benennen oder charakterisieren wie man will, so wird man gewiß jede Art derselben im Umkreise von zwei bis drei Stunden um Dresden finden.“ (I, 4.)

Die Westseite des Elbtales.

Wir betrachten zuerst die linke Talseite.

Von Pirna an elbabwärts streicht die Vorstufe des Erzgebirges, das Elbtalgebirge, ebenso wie auch das Lausitzer Tafelland in nordwestlicher Richtung, aber nicht wie das Erzgebirge nach Nordosten. Weil nicht mehr vorherrschend aus den für das Erzgebirge charakteristischen Gneisen, sondern aus jüngeren Schiefern bestehend, ist der den Elbstrom bis über Dresden hinaus begleitende vordere Höhenzug als Elbtalgebirge bezeichnet. Für unsere Zwecke reicht es aus, diese 6–8 km breite Abdachung des Erzgebirges als ein von der Hauptmasse in seinen Bestandteilen abweichendes Berggelände zu bezeichnen. Wo das Gebirge mit steiler Böschung ziemlich nahe an den Elbstrom herantritt, liegen auf der Höhe die Dörfer Klein- und Groß-Sedlitz; jenes hart an den Höhenrand vorgeschoben, so daß man von den vorderen Landhäusern eine entzückende Aussicht ins Elbtal hat, dieses etwas zurückgelegen und sich an eine Bodenfalte anlehnend, die, sich nach Osten zum Elbtal senkend, sehr geschickt zur Anlegung eines ausgedehnten parkartigen Gartens im französischen Stil benutzt worden ist (Abb. 4). Jetzt ziemlich einsam oder „kaum gegrüßt, gemieden“, waren Schloß und Garten mit seinen verschnittenen Hecken und zugestutzten Baumwipfeln, mit seinen jetzt trockenen Wasserkünsten und seinen meist kunstlosen Statuen, unter denen die allegorischen Darstellungen der vier Erdteile vielleicht am merkwürdigsten sind, vor 200 Jahren der Lieblingsaufenthalt Augusts des Starken und der Schauplatz vieler Hoffeste.

Abb. 6. Schloß Scharfenberg bei Meißen.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 10.)

Abb. 7. Dohna.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 10.)

Höhen und Aussichtspunkte.

Das älteste Gestein des Elbtalgebirges besteht aus Schiefern der silurischen Formation. Jünger ist der Zug von Grauwacke, der sich vorherrschend zwischen der Gottleuba und dem Lockwitzbach ausbreitet, aber vielfach mit Rotliegendem und selbst gneisartigen Gesteinen abwechselt. Ein Felsrücken, der sich quer über die alte Straße[S. 8] hinzieht, die von Dohna südwärts übers Erzgebirge nach Teplitz führt, und der sich unter dem Namen Ziegenrücken südlich von dem altberühmten Gasthof „Zur kalten Ruhe“ bis zu 274 m Höhe erhebt, besteht aus Quarzit. Von seiner Höhe, die durch einen Denkstein bezeichnet ist, genießt man eine herrliche Aussicht ins Elbgelände hinunter und gegen die Sächsische Schweiz. Etwas höher ragt nordwestlich davon bei Burkhardtswalde der Kanitzberg hervor, 342 m hoch. Er bildet eine kleine Kuppe aus Kieselschiefer, die infolge ihres härteren Gesteins der Verwitterung widerstanden hat und ebenfalls eine treffliche Rundsicht bietet. Noch weiterhin nach Nordwesten bildet bei Witgendorf der Sandberg, 336 m hoch, eine kleine, aber auffällige Kuppe von Kieselschiefer. Die durch einen einsamen Baum kenntliche Höhe ist ebenfalls als Aussichtspunkt durch bescheidene Ruhebänke geziert. Jenseit des Lockwitzbaches bedecken jüngere Gesteine, Plänerkalk und Quadersandstein noch die vordere Stufe des Gebirges bis zu ihrer Höhenlinie und erstrecken sich über den Plauischen Grund am Weißeritzbache bis in die Gegend von Cossebaude. Bei Brießnitz tritt der Pläner sogar als niedere Felsenmauer bis unmittelbar an das Elbbett heran, so daß für die über Elsterwerda nach Berlin führende Eisenbahn nur mit Mühe der nötige Raum gewonnen werden konnte, ohne den gepflasterten Leinpfad, noch näher dem Wasser, zu beeinträchtigen. Überall wo in diesem Gebirge die Platten des Pläners mit Leichtigkeit gebrochen und verwendet werden konnten, sind sie zu kunstlosen Mauern zum Schutz der bäuerlichen Gehöfte und Obstgärten aufgeschichtet und bilden in den zahlreichen Dörfern dieses Landstriches eine charakteristische Erscheinung. Auf der Höhenlinie selbst, die zu gleicher Zeit mit der Grenze der jüngeren genannten Gesteinsarten zusammenfällt, liegen wiederum drei aussichtsreiche Höhenpunkte, an der Babisnauer Pappel, 334,5 m hoch, die Goldene Höhe, 345,5 m hoch, und die Prinzenhöhe, 329 m hoch, von denen die Höhe an der Pappel nur mit einem Aussichtsgerüst, die beiden letzteren mit Aussichtstürmen versehen sind. Obwohl in der Luftlinie kaum je 2 km voneinander entfernt, und scheinbar fast dieselbe Aussicht bietend, wird doch die mittlere, die Goldene Höhe, am meisten besucht und bietet wohl auch, sowohl nach der zu Füßen liegenden Residenz Sachsens als gegen die ferneren Felsenberge der Sächsischen Schweiz die berühmteste[S. 9] Aussicht. Dann aber bietet auch noch näher an Dresden der Hohe Stein oberhalb des Vorortes Plauen von einem Turme aus einen entzückenden Ausblick sowohl in den unmittelbar darunter liegenden Plauischen Grund und über die sich immer mächtiger ausdehnende Hauptstadt, die recht eigentlich den Mittelpunkt des ganzen Talgeländes bildet, als auch auf die hinter ihr sich allmählich erhebenden weiten Nadelwälder der Dresdener Heide, auf das oberhalb der Stadt sich erstreckende Weingelände mit seinen zahllosen Landhäusern von Loschwitz bis Pillnitz, und auf den zunächst gelegenen Teil der Oberlößnitz. Die Felsen des Plauischen Grundes bestehen aus Syenit, der hier die silurische Formation durchbrochen hat (Abb. 5); aber über ihm lagerte, auch am Hohen Steine, Plänerkalk. Der Hohe Stein selbst, auf dem der Aussichtsturm sich erhebt, und die nächste Umgebung bot ehemals eine reiche Fundgrube von Versteinerungen der Kreidezeit, in der Haifischzähne und Austerschalen durch massenhaftes Auftreten besonders ins Auge fielen. Der Syenit des darunter liegenden, ehemals durch seine landschaftliche Schönheit hochberühmten Plauischen Grundes schließt sich dann weiter nach Nordwesten an das Syenit- und Granitgebiet von Meißen an.

Abb. 8. Schloß Weesenstein.
Nach einem Aquarell von Adrian Zingg. (Zu Seite 12.)

Nur eines kleinen Hügels auf der untersten Stufe des Gebirges, oberhalb Dresdens, muß noch gedacht werden, nämlich des Gamighügels bei dem Dorfe Torna, weil er eine geologische Merkwürdigkeit bietet. Er besteht oder bestand nämlich aus Lausitzer Granit, wird aber bald ganz verschwunden sein, weil er, bequem in der Nähe eines öffentlichen Weges gelegen, als Steinbruch ausgebeutet wird. Das Meißener Syenit- und Gneisgebiet tritt bereits an der Linie von Dresden westwärts nach Wilsdruff auf und reicht mit dem sich im Nordwesten anschließenden Granit bis an das Triebischtal und bis nach Meißen. Das Pläner- und Syenitgebiet verhalten sich in ihrer Abdachung gegen das Elbtal durchaus verschieden. Der leicht verwitternde Pläner- und Sandsteinboden schafft sanfte Abhänge, über die vom Gebirge im Süden, oder von dem Hochlande im Westen ohne Schwierigkeit bequeme Straßenzüge ins Tal in gerader Linie auf Dresden zu angelegt werden konnten, wodurch die Zugänglichkeit Dresdens von dieser Seite her wesentlich erhöht wurde.

[S. 10]

Der westliche Höhenrand zwischen Dresden und Meißen.

Anders im Syenit- und Gneisgebiet. Hier treten die Fels- und Berghöhen von Cossebaude an sofort mit schroffem Absturz gegen die schmale Elbaue und den Strom vor, doch ist zwischen Cossebaude und Gauernitz eine sanfter geneigte Plänerstufe angelagert, die aber den obern Steilrand nicht erreicht. Die steilen Abhänge sind mit Laubwald bedeckt. Von den Höhen blicken die alten Schlösser Scharfenberg (Abb. 6) und Siebeneichen in den Strom hinab. Diese Höhen bildeten weithin beim Vordringen der Deutschen im Mittelalter eine vortreffliche Verteidigungslinie und waren mit den ersten deutschen Wallburgen besetzt, allen voran zuerst Meißen. Aber die Gehänge sind auch so steil, daß kein Straßenzug vom Westen her die Stromebene erreichen kann; die Straße von Wilsdruff nach Meißen läuft immer über die Höhen, bis sie sich in steilen Windungen ins Triebischtal niedersenkt. Die Dresden zunächst gelegenen Höhen in der Umgebung von Cossebaude sind, nachdem die Eisenbahn das Gebiet von der Hauptstadt her bequemer zugänglich gemacht hat, in neuerer Zeit in beliebte, vielbesuchte Aussichtspunkte umgewandelt worden, so die Alberthöhe, Liebenecke (Gneis), Osterberg und Parkschenke.

Nur an einer Stelle in diesem Gebiete, nämlich bereits im nördlichsten Granitgebiet bei Scharfenberg, wird Bergbau getrieben, und zwar seit 1525. Die Hauptblüte liegt allerdings schon um einige Jahrhunderte zurück und fällt ins siebzehnte Jahrhundert; aber es wird auch jetzt noch gearbeitet. Man förderte Bleiglanz, Zinkblende und Fahlerz (Silber). Der Ertrag belief sich 1887 auf 175000 Mark. Dieser bergmännischen Tätigkeit verdanken die nahe beim Schlosse Scharfenberg gelegenen Orte Gruben und Bergwerk Entstehung und Namen.

In der Eiszeit dehnten sich die skandinavischen Gletscherströme über alle Höhen rechts und links der Elbe aus und drangen sogar bis in den unteren nördlichen Teil der Sächsischen Schweiz vor. Überall wo man ihre Spuren hat nachweisen können, sind nordische Kiese mit den eingeschlossenen Geröllen nach ihrem skandinavischen Ursprunge erkannt. Bis zu einer Höhe von 295 m ü. M. sind sie bei Burkhardtswalde gefunden und ebenso bei dem noch südlicher gelegenen Dorfe Nenntmannsdorf. Geschiebelehm, als Reste der alten Grundmoränen, deckt auch auf beiden Seiten des Plauischen Grundes die Höhen von Döltzschen und Koschütz. Bedeutende Lehmlager am Fuß der Vorhöhen, namentlich südöstlich von Dresden, werden zum Zweck des Ziegelbrennens erfolgreich ausgebeutet, tragen aber sowohl durch ihre baulichen Anlagen als durch die zahlreichen hohen Essen zur Verminderung der landschaftlichen Schönheit nicht unwesentlich bei. Weiter nordwärts gegen Meißen und noch weit über Meißen hinaus deckt die Höhen vielfach fruchtbarer Löß. Daher findet man mit Ausnahme der steilen Böschungen an den engen und vielfach gewundenen Seitentälern überall Feldbau und prangen namentlich die milderen Gehänge gegen den Talkessel hin im Frühjahr im schimmernden Schmuck der Obstblüte, welche den Großstädter mehr als sonst hinauslockt, namentlich elbabwärts, in den Zschonergrund, nach Cossebaude, ja sogar bis Meißen.

Aber auch das Gebiet westlich von dem Triebischtal und unterhalb Meißen müssen wir noch in unsere Betrachtung hineinziehen, weil es für die Stellung Meißens und seine geschichtliche Entwickelung wichtig ist. Hier treten nämlich Porphyre und Pechstein auf. Besonders wichtig sind die schwarzen, grünen und roten Pechsteine. Durch Verwitterung verliert dieses Mineral seine Farbe, bleicht völlig aus und bildet schließlich eine weiße Porzellanerde, die in neuerer Zeit immer mehr für die Porzellanindustrie verwendet wird. Weiterhin gegen Nordwesten deckt die immer niedriger werdenden Hochflächen ein lichtgrauer, bis zu 15 m mächtiger, höchst fruchtbarer Löß, der über die durch ihre besondere Fruchtbarkeit weithin bekannte Lommatzscher Pflege hinausreicht. Zahlreiche aber nur kleine Dörfer, aus wenigen aber stattlichen und behäbigen Gehöften bestehend, sind dicht über das ganze Land verstreut.

Abb. 9. Weesenstein, vom Belvedere aus.
Nach einer Aufnahme von F. & O. Brockmanns Nachf. R. Tamme in Dresden. (Zu Seite 12.)


GRÖSSERES BILD

Die westlichen Täler und Elbzuflüsse.

Die vom Erzgebirge herabkommenden, meist wasserreichen Bäche haben tiefe und enge Erosionstäler in den harten Boden eingegraben, an denen vielfach Felsenhöhen zu Tage treten. Dahin gehört das romantische Müglitztal, dessen Ausgang zum Talkessel der Elbe die alte Feste von Dohna (Abb. 7) bewachte, während zu gleicher Zeit[S. 12] in längst vergangenen Tagen von hier aus der einzige gangbare Verkehrsweg über das Gebirge, aber nicht durchs Müglitztal, wie man wohl gemeint hat, nach Böhmen führte. Den Glanzpunkt des Müglitztales bildet das malerische Felsenschloß Weesenstein (Abb. 8 u. 9), das sich auf und an einem frei aus dem Tale aufsteigenden und vom Bache umflossenen Felsen erhebt und von einem hochragenden Turm beherrscht wird. Die Verteilung der Wohn- und Wirtschaftsräume des der königlichen Familie gehörigen Schlosses, das in die Felsmasse eindringt und an derselben klebt, ist sehr merkwürdig; es wird daher viel von Fremden besucht, um so mehr, als ein herrlicher Park von hohen Laubbäumen den Felsenbau im Tale umgibt und das Tal selbst ober- und unterhalb reich an prächtigen, schattigen Spazierwegen ist.

Auf das Müglitztal folgt dann das liebliche Tal des Lockwitzbaches, dessen anmutigster Teil bei dem ehemals viel mehr besuchten, in neuerer Zeit vernachlässigten Bade Kreischa liegt. Soweit der Pläner reicht, haben die kleineren Zuflüsse der Elbe nur wenig eingeschnittene Täler mit sanfterem Gehänge, so daß mehrfach das Ackerland sich bis auf den Talboden hinunterzieht. Eine Ausnahme bildet nur das untere Tal des längsten Zuflusses von der linken Seite, der Weißeritz, das zwischen Potschappel und Plauen in Syenit eingeschnitten ist und in der Hauptrichtung von Westen nach Osten ziehend, als Plauischer Grund noch bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wegen seiner idyllischen und romantischen Szenerie nicht bloß von den Bewohnern der nahen Hauptstadt gern und oft besucht wurde, sondern auch, und damals wohl mit Recht, von allen Fremden, die durch die Kunstschätze Dresdens angelockt worden waren, aufgesucht wurde, schon weil man seine Schönheiten über alles pries, und selbst die grotesken Täler und wilden Gründe der damals erst bekannt werdenden Sächsischen Schweiz nicht daneben wollte gelten lassen. Seitdem aber die Eisenbahn nach Freiberg, Chemnitz und weiter hinaus nach Bayern den idyllischen Grund durchzieht, mancherlei Fabrikanlagen mit rauchenden Schloten die ehemals unter hohen Baumgruppen versteckten oder an rauschenden Wehren gelegenen einsamen Mühlen verdrängt haben und eine sehr belebte Landstraße im Grunde hin nach den Kohlengruben am Windberge und bei Zaukerode führt und die weitere Umgebung von Potschappel zu den dichtest bewohnten Gebieten von Sachsen gehört, ist der Reiz, den sonst die Einsamkeit des von Felsen umstarrten Grundes und die ländliche Ruhe gewährte, längst verwischt, so daß heutzutage der Grund von den Lustwandelnden eher gemieden als gesucht wird.

Die übrigen Täler bis nach Meißen sind bis zur Triebisch sämtlich nur kurz, sind tief in den Syenit eingeschnitten, mit buschigen und waldigen Gehängen, einsam, fast wegelos, ohne Ortschaften und werden nur gelegentlich von Freunden einer stillen Natur aufgesucht, die ganz abseits vom Weltgetriebe liegt. Anders und bedeutender ist das Triebischtal geartet, das aus dem Tharandter Walde, wo die Quellen liegen, nach Norden sich erstreckt und bei Meißen in die Elbe mündet. Der obere Teil gehört dem Porphyrgebiet, der mittlere der Grauwacke, der untere dem Syenit, Porphyr, Pechstein und Granit in raschem Wechsel an. Wechsel der Bodenarten bedingt auch einen Wechsel der landschaftlichen Ansichten. Und wenn auch das Triebischtal wie alle übrigen ein Erosionstal ist, das nur durch das unaufhörlich am Boden arbeitende Wasser entstanden ist, so bietet es doch in manchen Talweiten die Möglichkeit von Ansiedelungen, ist also belebter und ist dem Verkehr noch mehr durch die Anlegung der Eisenbahn von Meißen über Nossen nach Leipzig gewonnen. Doch darf man wohl kaum behaupten, daß im Mittelalter, als durch König Heinrich I. die Burg in Meißen (Abb. 10.) begründet wurde, das Triebischtal einen bequemen Zugang von Westen her zur Elbe gewährt habe; denn die leichteren und bequemeren Wege von Westen her nach Meißen liefen, wie auch heute noch, über die Höhen zur Stadt und zur Elbe.

Abb. 10. Die Albrechtsburg in Meißen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 12.)


GRÖSSERES BILD

Obwohl nun diese westliche Seite des Elbtales mancherlei landschaftliche Schönheiten bietet, so ist sie doch von den Bestrebungen aller Großstädte, sich über das Weichbild der Stadt hinaus in Villenkolonien einen erfrischenden Landaufenthalt zu[S. 14] sichern, fast noch gar nicht berührt worden. Nur bescheidene Anfänge lassen sich unterhalb Dresdens am Fuß der waldigen Höhen erkennen, und nur ein Versuch, auch die Höhen mit ihren herrlichen Fernblicken zu besetzen, in der Nähe von Cossebaude zu verzeichnen. Ausgedehnte und vielbesuchte Sommerfrischorte finden sich nur auf den Höhen der Lausitzer Seite.

Abb. 11. Kötzschenbroda-Niederlößnitz.
Nach einer Aufnahme von Carl Pittius in Kötzschenbroda. (Zu Seite 15.)

Die östliche Seite des Elbtales.

Unleugbar hat diese östliche Seite des Elbtales als die Sonnenseite ihre Vorzüge, sie ist wärmer, durch den Steilabfall des Hochlandes mehr gegen die rauhen Nordostwinde geschützt und übt ihre Anziehungskraft namentlich von Dresden an abwärts bis in die Nähe von Meißen durch die ausgedehnten Nadelwaldungen der Dresdener Heide und des Friedewaldes, die den ganzen Höhenrand in ununterbrochener Folge bedecken.

Der steile Abbruch des Lausitzer Hochlandes erstreckt sich über die ganze Länge des Talkessels von Oberau und Weinböhla an über Pillnitz bis nach Bonnewitz und erscheint von der Elbtalaue aus als ein Gebirgszug mit ziemlich gleichmäßigen Höhen. Es ist ein Teil der großen Verwerfungslinie, die sich auch noch weiter nach Südosten über Hohnstein nach Hinterhermsdorf an der Ostgrenze des Sandsteingebiets der Sächsischen Schweiz in ihren Wirkungen bemerklich macht. Die Hauptrichtung dieser Bruchlinie verläuft wie der Elblauf von Südost nach Nordwest; nur zweimal ist auf kurze Strecke eine Abweichung von dieser Richtung erfolgt und zwar sowohl oberhalb als unterhalb Dresdens in der Richtung von Ost nach West, das einemal östlich von Pillnitz, das anderemal östlich von Kötzschenbroda; und in beiden Fällen folgt südlich von diesen Abweichungen der Elblauf und schlägt ebenfalls eine veränderte Richtung ein.

Der Abfall des Lausitzer Hochlandes.

Auf der Südwestseite dieser großen Lausitzer Verwerfung ist nun der Gebirgsteil abgesunken und hat einerseits den Talkessel der Elbe veranlaßt, andererseits aber, auch infolge von Einsenkung, das Sandsteingebirge erhalten, während die Ablagerungen des Kreidemeeres, dem die Sächsische Schweiz ihre Entstehung verdankt, sowohl auf[S. 15] den Hochflächen des Lausitzer Gebiets, als auch auf den Vorstufen des Erzgebirges, über die sich das Kreidemeer ausdehnte, durch Verwitterung und Abtragung bis auf wenige Reste verschwunden sind.

Aber an der großen Lausitzer Bruchlinie ist nicht bloß ein Absinken erfolgt, sondern der Lausitzer Granit hat sich zum Teil schräg aufwärts über die jüngeren Schichten von Pläner und Sandstein hinübergeschoben und dadurch an den Berührungsflächen merkwürdige geologische Erscheinungen hervorgerufen. Auf diese Überschiebung des Granits ist man seit 1826 aufmerksam geworden und hat an vielen Stellen in der Nähe der Verwerfungslinie dafür unzweideutig Belege gesammelt. Bei Oberau, unfern des Tunnels der Leipzig-Dresdener Eisenbahn liegt Granit, bei Weinböhla Syenit auf dem Pläner. Hier sind die Gesteine des Lausitzer Hochlandes über die übergekippten Plänerschichten hinaufgeschoben. Ausgezeichnete Reibungs- und Rutschflächen mit starken Zerklüftungen zeigt der Syenit in einem Steinbruch unterhalb der Friedensburg bei Kötzschenbroda (Abb. 11). Am Fuße der Syenitberge beim „Letzten Heller“ sind (nach Gutbier) die Schichten des unteren Pläners unter steilem Winkel aufgerichtet und stark zerklüftet. Andere ähnliche Erscheinungen werden wir auch in der Sächsischen Schweiz kennen lernen.

Abb. 12. Hosterwitz bei Pillnitz.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 15.)

Der Höhenzug von Pillnitz bis Dresden.

Das Lausitzer Hochland selbst, wie es von Oberau bis Pillnitz als Gebirgsgrenze des Talkessels gegen Osten erscheint, hauptsächlich aus Granit, Syenit und verwandten Gesteinen bestehend, besitzt eine durchschnittliche Höhe von 300–350 m und ist auf seiner Hochfläche mit vielen flachen Hügeln und kleinen Kuppen bedeckt. Von seinen höchsten Punkten, dem Triebenberg, 383 m, und dem Porsberg, 354 m, bei Pillnitz, nehmen gegen Nordwesten die Höhen allmählich ab. Der Porsberg, hart gegen den Steilabfall des Gebirges vorgeschoben, besteht aus Granit und ist infolge seiner freien Lage gegen Südosten, Süden und Südwesten vor allen anderen Höhen durch seine umfassende Aussicht nach der Sächsischen Schweiz und gegen das Erzgebirge berühmt und gewährt dazu auch noch einen reizenden Blick in die mit Ortschaften bedeckte Elbtalaue bis weit über Dresden hinaus. Von Pillnitz bis Dresden fließt die Elbe hart am Fuße des von Ortschaften belebten und an den Gehängen von zahlreichen Landhäusern, die teilweise eine 30 m höhere Sandfläche vor dem Abfalle besetzt halten, geschmückten Gebirges hin; hier liegen an oder in der Nähe der Elbe die Schlösser und Villen der königlichen Familie in Pillnitz, Hosterwitz (Abb. 12)[S. 16] und Wachwitz. Hier sind die Abhänge mit Rebenpflanzungen und Obstgärten bekleidet und von dem Hochlande her öffnen sich mehrere tiefeingeschnittene, malerische und romantische Täler gegen die nahe Elbe. Ihr kurzer, bald sanft, bald steil in Stufen ansteigender Verlauf bietet eine Reihe reizender, vielbesuchter Spaziergänge, die zu zahlreichen Restaurants auf dem Höhenrande hinaufführen. So der Friedrichsgrund bei Pillnitz, der Keppgrund mit der malerischen Keppmühle (Abb. 13) bei Hosterwitz, der Helfenberger Grund bei Niederpoyritz, der Wachwitzgrund und endlich der Loschwitzgrund (Abb. 14 u. 15), der durch zahlreiche Neubauten von seiner sonst so gerühmten landschaftlichen Schönheit verloren hat, so daß er nicht mehr, wie vor 50 Jahren, den Jüngern der Landschaftsmalerei unter Leitung Ludwig Richters zahlreiche idyllische Vorwürfe für ihre Studien zu bieten vermag.

Wie Karl Maria von Weber an seinen unsterblichen Opern Freischütz und Oberon während seines Landaufenthaltes in Hosterwitz schuf, wie Schiller auf dem Landsitze seines Freundes Körner in dem Weinbergshäuschen in Loschwitz (Abb. 16) in den Sommern 1786 und 1787 als Gast lebte und an seinem Don Carlos arbeitete, so hat auch Ludwig Richter jahrelang hochgelegene, bescheidene ländliche Wohnungen in Loschwitz als stillen Ruhesitz für sein künstlerisches Schaffen geliebt.

Ganz anders erscheint uns die Landschaft an dem Steilabfall, der sich von Pillnitz nach Osten zieht und das volle Sonnenlicht von Süden empfängt. Zwar erscheint von der Talsohle aus das Gebirge hier noch mächtiger, weil die höchsten Erhebungen sichtbar werden; allein der ganze Hang ist mit Nadelholz bedeckt und Wege, die von den Höhen durch kurze Täler oder Schluchten hinabführen, sind ungepflegt, denn nirgends wird ein Landhaus sichtbar, nirgends zeigt der hochstämmige Wald eine Lücke für Gärten oder Obstpflanzungen. Das Gebirge erscheint von hier aus unbewohnt. Der Mensch hat es gemieden, denn das erquickende Auge der Landschaft, des Stromes fließender Spiegel fehlt, der das Gelände von Pillnitz bis Dresden mit erfrischendem Hauche belebt und durch seinen regen Schiffsverkehr anziehend macht. Dazu ist der ganze Talboden südwärts bis Pirna großenteils mit magerem Heidesand bedeckt, auf dem sich, die Hälfte des ganzen Gebietes einnehmend, das Pillnitzer Tännicht ausbreitet. Nur wo sich in der Nähe des Stromes, auf beiden Ufern, eine 1–2 m mächtige Decke von fruchtbarem Tallehm findet, sind die Ortschaften: Kopitz, Pratzschwitz, Birkwitz und Söbrigen auf dem rechten Ufer, Heidenau und Mügeln auf dem linken Ufer entstanden.

Doch auch die Hochflächen des Lausitzer Granitbodens haben ihre lebhaften Beziehungen zur Talebene und zur nahen Hauptstadt. Auf den Höhen sind manchmal die diluvialen Schottermassen so mächtig, daß sie einen sichtbaren Einfluß auf die Gestaltung der Oberfläche ausgeübt haben. Geschiebelehm deckt die Höhen, daher finden sich nordwärts bis zum Loschwitzgrunde zahlreiche Dörfer. Dann aber ändert sich das Landschaftsbild plötzlich. Der Heidesand beherrscht den Boden so vollständig, daß auf der weiten Strecke zwischen Dresden und Radeberg, auf einem Flächenraum von 70 qkm nur Wald, die Dresdener Heide, aber nicht ein einziges Dorf anzutreffen ist. Aber am Süd- und Nordrande der Heide haben sich städtische Villenkolonien auf dem Weißen Hirsch, in Klotzsche und Langebrück entwickelt, die, je mehr die Großstadt im Tale um sich greift, in der Nähe des Waldes auf einer 100 m höher gelegenen Hochfläche gedeihlich wachsen und sich immer weiter ausbreiten.

Nur hier auf der ganzen Strecke der steilen Böschungen der Lausitzer Verwerfungslinie hat der Heidesand den Abfall des Hochlandes zu einer sanft ansteigenden, geneigten Ebene ausgeglichen, die es allein ermöglichte, von Dresden aus nach Osten, Nordosten und Norden Straßenzüge anzulegen und gerade in Dresden die bequemste Übergangsstelle über den Strom zu schaffen.

Wie oberhalb der Stadt ist auch unterhalb derselben an dem Trachenberge eine deutlich aus der Elbaue absetzende Talstufe von Heidesand gebildet, die in neuester Zeit ebenfalls mit Landhäusern besetzt wird und deren nach Süden geöffneter halbkreisförmiger Bogen wie ein altes, längst verlassenes Elbufer erscheint.

[S. 17]

Abb. 13. Keppmühle im Keppgrunde bei Hosterwitz.
Nach einer Aufnahme von P. Heine in Dresden. (Zu Seite 16.)

Die Lößnitz.

Auf der Hochfläche hinter den Trachenbergen breitet sich fast wagerecht eine Sandebene bis zum Fuß der beim Wirtshause „Zum letzten Heller“ schroff aufsteigenden Syenitberge aus, wo der Sand eine ganz besondere Rolle spielt. Dieser Sand, der sich von dem die Dresdener Heide durchschneidenden Prießnitzgrunde bis in die Lößnitz ausdehnt, ist von hellgrauer und hellgelber Farbe, gleichmäßig feiner Quarzsand und deutlich geschichtet. Er bildet eine etwa 50 m hohe Stufe über der Elbebene. Und hier haben sich unter dem Spiel der Winde typische Dünen gebildet, wie man sie vielleicht im Binnenlande nicht erwartet. Wo eine Pflanzendecke fehlte, ist der[S. 18] Flugsand in langen Höhenzügen aufgeweht, die, den herrschenden Ostwinden entsprechend, meistens eine nordsüdliche Richtung innehalten. Viele dieser Dünen sind durch die neuen Militärbauten in der Albertstadt Dresdens eingeebnet und bedeckt, andere sind noch auf dem weiten Exerzierplatz am Heller, dem unfruchtbarsten Gebiet des Heidesandes, zu erkennen.

Abb. 14. Loschwitz.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 16.)

Abb. 15. Loschwitz. (Zu Seite 16.)


GRÖSSERES BILD

Die Lausitzer Hochflächen. Moritzburg.

So weit der Heidesand reicht — und das ist sowohl auf dem vorderen Höhenrande als am Gehänge und auf dem ganzen Talboden bis zum westlichen Strom und zur nördlichen Grenze des Talkessels —, so weit deckte ursprünglich der Kiefernwald fast ausschließlich das Land; aber die steileren Gehänge des Hochlandes zwischen Radebeul und Koswig sind schon seit dem Mittelalter für den Weinbau gewonnen, der allerdings in neuester Zeit durch die Reblaus bedeutende Einbuße erlitten hat und in manchen Weinbergen völlig aufgegeben ist. Dieser Strich mit der angelehnten Sandstufe, die sich langsam in die eigentliche Niederung der Elbaue senkt, in der allein die alten Dörfer liegen, trägt den Namen Lößnitz, durch den Lößnitzgrund (Abb. 17) in Ober- und Niederlößnitz geschieden. Der Name bedeutet eigentlich Waldland, bildet auch keine geschlossene Ortschaft, ist aber wohl als die früheste Kolonie von Dresden anzusehen. Von den gegenüberliegenden Höhen des westlichen Elbufers, vom Osterberge und den nahegelegenen Aussichtspunkten hat man eine mit Landhäusern bedeckte Landschaft vor sich, die sich 6–7 km weit am Fuß der Lößnitzberge ausdehnt. Die Straßen und Wege laufen dem Fuß des Gebirges parallel und die Namen obere, mittlere, untere Bergstraße zeigen, daß die Häuserreihen staffelweise emporsteigen. Nirgends trifft man städtisch aneinander gerückte Häuserzeilen, sondern an diesen Bergstraßen ist jedes Landhaus von Gärten umgeben. Gerade dieser Teil des Elbtales[S. 20] gilt als der wärmste und ist daher wohl am frühesten aufgesucht. Bis auf den Höhenrand stiegen die Winzerhäuser, die zum Teil in Villen umgewandelt sind, und die Weinbergshäuser empor. Meist durch ihre herrlichen Aussichten berühmt sind sie allmählich in besuchte Restaurants umgestaltet und auch auf bequemen Pfaden zugänglich gemacht. Zu ihnen gehören die Wilhelmsburg, das Spitzhaus, der Pfeifer, das Paradies und die Friedensburg. Wie man aber das Quadersandsteingebirge eine Schweiz genannt hat, so die Lößnitz das sächsische Italien oder noch seltsamer das sächsische Nizza, doch sind die Namen glücklicherweise nicht volkstümlich geworden. Besonders hervorragende Gipfel hat dieser Teil des Hochlandes nicht. So mögen denn nur der Spitzberg, 206 m hoch, bei Koswig genannt werden, dessen bewaldete Kuppe aus Gneis besteht, und der Himmelsbusch, 210 m hoch, eine Felsklippe am Steilrande bei Kötzschenbroda, die aus Hornblendeporphyr besteht. Diese beiden Höhen gehören also nicht dem eigentlichen Lausitzer Granit an und zeigen bereits, daß außer dem eigentlich typischen hellen oder dunkelblaugrauen Lausitzer Granit auch noch andere verwandte Gesteinsarten und zwar besonders Syenit an der Bildung der Lößnitzberge beteiligt sind.

Abb. 16. Pavillon auf Körners Weinberg in Loschwitz, wo Schiller wohnte.
Nach einem Stiche von G. A. Frenzel. (Zu Seite 16.)

Die Hochflächen östlich von dem steilen Abbruche haben ihre besondere Eigentümlichkeit in den vielen kleinen Kuppen und bewaldeten Höckern zwischen den Ackerfluren und sumpfigen Niederungen. Die Oberfläche besteht da, wo der Heidesand zurücktritt, aus Geschiebelehm, der Grundmoräne des nordischen Inlandeises, in dem man baltische Feuersteine, Porphyre und Quarzite antrifft, die aus Mittelschweden stammen. Bei Boxdorf liegt dieser Lehm 3 m mächtig. Seine Auswaschungs- und Schlemmprodukte bestehen aus Tonen und Tonsanden. Daneben findet sich östlich vom Lößnitzgrunde bei Wilschdorf feinerdiger gelbbräunlicher Löß, in der Nähe der Friedensburg auch mehliger feiner Lößsand. Wo diese besseren Erdarten vorherrschen, sind Dörfer gebildet und herrscht der Ackerbau vor; doch schieben sich die mageren Heidesandflächen mehrfach dazwischen.

Hinter der Lößnitz gegen Osten liegt auf den Hochflächen des Lausitzer Granitbodens von weiten Nadelwaldungen umgeben und mitten zwischen mannigfach gestalteten großen und kleinen Teichen ein eigenartig gebautes, nach seinem Erbauer Kurfürst Moritz benanntes fürstliches Schloß: Moritzburg (Abb. 18). Auf einer Insel, die nach Norden und Süden durch breite, fahrbare Dämme mit dem Lande verbunden ist, erhebt sich das mächtige Schloß, dessen gewaltige runde Ecktürme sich in dem stillen Wasser spiegeln. Als Jagdschloß besitzt es auch eine sehr merkwürdige Geweihsammlung und[S. 21] ist in seinen glänzend ausgestatteten Gemächern reich an malerischen Vorwürfen im Barockstil und besitzt für die zahlreich, namentlich von Dresden kommenden Besucher eine besondere Anziehungskraft in seinem ausgedehnten Tiergarten mit einem namhaften Bestand von Rot- und Schwarzwild, dessen allabendliche Fütterung auf einem bestimmten weiten Wiesenplatze im Walde stets viele Zuschauer anzieht.

Alte Elbarme. Das Spaargebirge.

Da wir auf dem Boden der eigentlichen Elbniederung nur jüngere Bildungen diluvialen und alluvialen Ursprungs und nirgends anstehendes Gestein bis in die Nähe von Meißen finden, so darf man wohl auch erwarten, daß wir in der Elbaue selbst noch hie und da Spuren des alten Elblaufes finden und daß das Strombett, das erst nach der Eiszeit seine festere Gestalt gewonnen hat, einst andere Wege eingeschlagen hat. So hat die Elbe nach ihrem Eintritt in den Talkessel unterhalb Pirna nicht bloß durch ihre Schottermassen den unteren Lauf der Wesnitz aus ihrer südwestlichen in eine westliche Richtung verschoben, sondern infolgedessen selbst auch eine westlichere Bahn einschlagen müssen, wobei die alte Talrinne, die noch jetzt in dem Birkwitzer See zu erkennen ist, verlassen werden mußte. Die langgestreckte Einsenkung dieser sumpfigen Niederung weist auf den kürzesten Weg von Pirna nach Pillnitz hin. Andere in ähnlicher Weise entstandene Niederungen lassen sich bei Zschachwitz und Laubegast oberhalb Dresdens und bei Kaditz und Serkowitz unterhalb der Stadt erkennen. Nur bei großen Hochfluten wie 1845 ist das Elbwasser in diese Niederungen wieder eingetreten und hat sie in ihren Beziehungen zur Elbe klar gelegt. Nur bei der großen Flut von 1845 hat die Elbe auch in der Nähe von Meißen den alten Weg um das Spaargebirge herum ostwärts von Sörnewitz über Zaschendorf benutzt. Wie der jetzige Durchbruch des Stromes zwischen dem Meißener Granitgebiet und dem Spaargebirge, der ein reines Erosionstal zu sein scheint, entstanden sein mag: das bleibt ein noch ungelöstes Rätsel, wenn auch manche Erklärung dafür versucht ist.

Abb. 17. Talsiedelungen und Felsformen. Lößnitzgrund.
Nach einer Aufnahme von Carl Pittius in Kötzschenbroda. (Zu Seite 18.)

Merkwürdig und eigenartig bleibt immerhin das eigentlich zur erzgebirgischen Seite gehörige Spaargebirge, das durch den gegenwärtigen Elblauf auf das rechte Ufer[S. 22] verlegt ist. Im Süden steil und schroff in Felsklippen ansteigend, senkt sich diese Gebirgsinsel, von kleinen Tälern und Schluchten durchzogen, langsam nordwärts in die Niederung von Cölln, Meißen gegenüber, und ist mit zahlreichen einzelnen Weinbergsgütern und Winzerhäusern besetzt, zu denen sich in neuerer Zeit auch Landhäuser gesellen. So bildet in Bezug auf Besiedelung dieser kleine Gebirgsstock einen bestimmten Gegensatz gegen den nördlichsten Teil des Talkessels, der, niedrig gelegen, fast nur aus feuchtem Wiesenland besteht, in das sich nur ein Dorf, Niederau, hineinschiebt, während die übrigen Dörfer nur auf oder an dem umgebenden Höhenrande liegen.

III.
Die Bevölkerung.

Die Bevölkerung im Elbtal.

Verhältnismäßig erst spät ist der Mensch in das für Besiedelung günstige Talbecken eingezogen, und zwar erst, wie seine im Boden hinterlassenen Spuren an Waffen und Geräten zeigen, in der jüngeren Steinzeit, in der Zeit der durchbohrten und geschliffenen Steinwerkzeuge; denn in der älteren Steinzeit, die sich nur roher Steingeräte bediente, deckte noch der starre Mantel skandinavischer Eisströme das Land bis in das Sandsteingebirge und bis auf die Vorhöhen des Erzgebirges. Aber man hat auch südlich von der Grenze des nordischen Eises, das überall seine Spuren durch Moränen und Geschiebelehm zurückgelassen hat, keine Steingeräte oder Tonscherben gefunden, die uns das Vorhandensein von Menschen verrieten.

Abb. 18. Jagdschloß Moritzburg.
Nach einer Aufnahme von F. & O. Brockmanns Nachf. R. Tamme in Dresden. (Zu Seite 20.)

Die älteste Bevölkerung.

Die erste Besiedelung des flacheren Landes in Sachsen erfolgte von Westen, von Thüringen her; die Spuren dieser ältesten Bewohner sind nachgewiesen bei Leipzig, im Elbtal, besonders nördlich von Dresden, und um Bautzen an der Spree. Eine[S. 23] spätere, aber auch noch vorgeschichtliche Einwanderung scheint von Böhmen her ebenfalls das Elbtal von Pirna bis Riesa besetzt zu haben. Dann folgt die Bronzezeit. Gräberfelder aus diesem Zeitalter sind zahlreich über den ganzen Norden von Sachsen, über die Ebene und das Hügelland verbreitet. Die Bevölkerung erscheint bereits seßhaft zu sein; aber es haben sich doch aus dieser Zeit nur wenige Ansiedelungen nachweisen lassen, so bei Dresden[1] und überraschenderweise auf dem Pfaffenstein in der Sächsischen Schweiz. Die Herdstellen unterscheiden sich in der äußeren Form noch nicht von denen der Steinzeit. Und wenn nun gar in der Nähe von Dresden an hundert Feuerstätten nahe beieinander aufgedeckt sind, dann kann eine solche Ansiedelung schon als Dorf bezeichnet werden. Auch Eisen ist neben der Bronze bei diesen Urbewohnern gefunden. Daß die Römerzeit für Sachsen spurlos vorübergegangen ist, erklärt sich aus seiner Lage, die sich eben so fern von der Westgrenze Germaniens am Rhein, als von der Südgrenze an der Donau befand. Auch scheinen die Handelswege, die von der Donau her die Bernsteinküsten an der Ostsee aufsuchten, unser Land, das im Rücken des unwegsamen Erzgebirges lag, nicht berührt zu haben. Daher sind in Sachsen bis jetzt noch keine Funde von römischen Münzen gemacht, die auf einen solchen Verkehr hinweisen könnten. Und wenn römische Geschichtsschreiber doch eine allgemeine Kenntnis von den geographischen Verhältnissen Sachsens scheinen gehabt zu haben, insofern sie von der Elbquelle und dem Oberlaufe des Stromes Mitteilungen machen, so liegt doch die Vermutung nahe, die Römer hätten die Saale für den oberen Elblauf gehalten und danach ihre Beschreibung verfaßt. Wir wissen aus dieser Zeit nur, daß die deutschen Stämme der Hermunduren und Semnonen im Lande wohnten und zwar so, daß die Elbe etwa die beiden Volksstämme voneinander schied. Doch wird ein großer Teil dieser Bewohner in der Zeit der Völkerwanderung das Land wieder verlassen haben.

Abb. 19. Partie aus Brießnitz.
Nach dem Stich von Peschek. (Zu Seite 26.)

Die Wenden.

Im sechsten Jahrhundert erschienen dann, wahrscheinlich im Gefolge der Awaren, die Slaven, Wenden, die sich in kleinen Dörfern, sogenannten Rundlingen, oder auch in Straßendörfern ansiedelten. Die erste Form der Ortschaften zeigt uns die Häuser in Kreisform geordnet, mit den Giebeln nach dem inneren Dorfplatz gekehrt, der, da nur ein Weg von außen hineinführt, wohl geeignet ist, das Vieh der Gemeinde für die Nacht in sicheren Schutz zu nehmen. Man hat aus dieser Dorfanlage mit Recht geschlossen, daß die Bewohner vor allem Viehzucht getrieben haben. Die zweite Form der Dörfer stellt die Häuser in zwei parallele Reihen, zwischen denen die Straße entlang geht; daher der Name Straßendorf. — Die Wenden erscheinen uns aber keineswegs als Träger einer höheren Kultur, wie eine voreingenommene Geschichtsschreibung[S. 24] sie bezeichnet hat. Sie besaßen noch wenig Metalle, brauchten mehr Werkzeuge von Knochen, Horn und Holz. Nur in der Töpferei zeigt sich ein wesentlicher Fortschritt durch die allgemeine Anwendung der Drehscheibe.

Der Burgwall in Koschütz über dem Plauischen Grunde ist als zu einer slavischen Ansiedelung gehörig erkannt worden. Im allgemeinen nahmen die Wenden dieselben Gebiete in Sachsen ein wie vor ihnen die Germanen, das heißt, sie besetzten nur das Flachland und die offenen Flußtäler, ließen aber das höhere Bergland mit seinem schwereren Boden meist unaufgebrochen. Am meisten nach Süden drangen sie im Elbtale vor, aber auch hier nur bis nach Pirna. Es waren also immer wieder nur die schon in der Steinzeit besiedelten Gegenden, die von den neuen Ankömmlingen besetzt wurden. Die ersten Spuren eines in weitere Ferne gehenden Handels und Verkehrs sind in den Funden arabischer Münzen des zehnten Jahrhunderts aus den innerasiatischen Münzstätten von Bochara und Samarkand zu erblicken. Aber solche Funde sind nur in der Lausitz gemacht; indes wissen wir doch, daß arabische Kaufleute um dieselbe Zeit Deutschland durchzogen haben und elbaufwärts auch in Böhmen eingedrungen sind.

Von den Wenden ist auch Dresden gegründet; und da die Slaven von Osten her kamen, lag ihre älteste Ansiedelung Dresden auf dem rechten Elbufer, in der heutigen Neustadt. In der alten Gestalt des Neustädter Marktes nahe der Augustusbrücke will man noch den Rundling der ältesten Dorfanlage erkennen. Von hier sind die neuen Ansiedler dann auf das gegenüberliegende Ufer, die Altstädter Seite, hinübergegangen, haben aber hier sich nur als Fischer ansässig gemacht, legten daher nicht ein Dorf nach der Gestalt des Rundlings an, sondern wohnten in einer Reihe von Häusern am Flußufer, „an der Elbe“, der heutigen Terrasse und in der Fischergasse.

Der Ackerbau der Slaven war (nach O. Schulze) eine Art wilder Feldgraswirtschaft, womit eine halbnomadische Weidewirtschaft verbunden war. Der hölzerne Hakenpflug vermochte nur den leichten Alluvialboden oder den Heidesand umzubrechen. Nach wenigen Ernten wurde das Feld wieder verlassen. Wo sich Rundlinge erhalten haben, überwog jedenfalls die Viehzucht. Erst als die Deutschen mit dem Eisenpfluge erschienen, konnte auch der schwerere Löß- und Lehmboden des Berglandes urbar gemacht werden. Daher finden wir auch jetzt noch in den Tälern und im Flachlande slavische Ortsnamen, im Hoch- und Berglande dagegen deutsche.

Aber es wäre irrig, aus der Verbreitung slavischer Ortsnamen immer bestimmt auf altslavischen Anbau schließen zu können. Die slavische Benennung im allgemeinen ist nach Schulzes Ansicht gar kein Beweis dafür, daß wir es mit einem ursprünglich von Sorben oder Wenden angelegten Ort zu tun haben. Die leidige Vorliebe der Deutschen für alles Fremdländische war anscheinend schon den Kolonisten des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts eigen. Nicht nur behielten sie den wendischen Namen der Ortschaften, aus denen die sorbischen Bewohner vor ihnen wichen, sondern auch von ihnen selbst gegründeten neuen Siedelungen gaben sie oft genug der fremden Sprache entlehnte Namen. So 928 Misni (Meißen), ferner Albertitz, Berntitz, Rampoltitz oder Rampitz auf dem Boden von Altstadt Dresden. Der Name der Rampischen Straße erinnert noch an den Ortsnamen. Conradesdorf ist um 1190 von einem deutschen Ritter angelegt und erscheint schon um 1206 als Conratiz.

Es muß daher auffallen, wenn wir unter den zahlreichen Ortschaften im Dresdener Talkessel nur drei deutsche Ortsnamen: Niederau, Zaschendorf und Naundorf finden, von denen Naundorf urkundlich am frühesten, schon im zehnten Jahrhundert genannt wird und sicher damals ein neues Dorf, eine neue Dorfanlage war, wie der Name aussagt. Aber nach Schulzes Forschungen sind viele Dörfer mit slavischem Namen auch in der Ebene erst zur Zeit der deutschen Herrschaft nachweisbar und von deutschen Herren angelegt. Nur die Ortsnamen mit patronymer Bildung, in denen also ein Personenname steckt, sind entschieden slavischer Gründung und geben über die ältesten sorbischen Anlagen Auskunft. Aber ihre Erklärung ist deshalb oft schwierig, weil ein Name mehrere Deutungen zuläßt.

Abb. 20. Meißen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 31.)


GRÖSSERES BILD

[S. 26]

Abb. 21. Der Dom und die Albrechtsburg in Meißen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 32.)

Dazu kommt ferner noch die eigentümliche Erscheinung, daß die deutschen Rittergeschlechter fast durchweg die Namen der Sorbenorte annahmen, in denen sie saßen, als mit dem Ende des zwölften Jahrhunderts die Familiennamen aufkamen. Dahin gehören die Namen Carlowitz, Könneritz, Minckwitz, Nostitz, Planitz, Seydlitz, Seydewitz, Wallwitz und Zezschwitz.

Die Deutschen.

Die Deutschen kamen erst im zehnten Jahrhundert wieder an die Elbe, um ihren herrschenden Einfluß bis zu dem Strome auszudehnen. Als Heinrich I. 928 den Grund zur Burg Meißen legte, handelte es sich noch nicht um die Ausdehnung des Reiches bis dahin, sondern nur darum, die Slaven tributpflichtig zu machen. Das sollte dadurch erreicht werden, daß am hohen Rande des westlichen Elbufers an geeigneten Plätzen Burgen errichtet wurden, die eine Reihe von Militärposten darstellten, und die zu gleicher Zeit der Mittelpunkt und Hauptplatz eines besonderen, Burgward genannten Distrikts waren, der eine militärische Verfassung erhielt. Solche Burgwarde waren für den Elbtalkessel Meißen, Woz, das man fälschlich in Weistropp gesucht hat, wo sich kein geeigneter Platz findet, Brießnitz (Abb. 19), Pesterwitz und Dohna. Kriegserprobten Männern waren die Burgen anvertraut, die Deutschen fanden sich nur in den Burgen, deutsche Ansiedler wurden noch nicht herangezogen, auch lag es anfänglich noch nicht in der Absicht des Königs, die Wenden dem Christentum zuzuführen. Die deutsche Reichsgrenze blieb einstweilen noch an der Saale.

Die deutschen Ansiedelungen im Mittelalter.

Die Verhältnisse erfuhren zunächst eine Änderung unter Kaiser Otto I. Die Slaven wurden unterworfen, das Gebiet östlich der Saale in die drei Marken Merseburg, Zeitz und Meißen geteilt und 968 das Bistum in Meißen begründet, um die Christianisierung des Landes durchzuführen. Die Ritter, die zur Verteidigung des Landes herangezogen wurden, kamen meistens aus Thüringen und Franken. Bauern kamen auch jetzt noch nicht und konnten auch nicht die Urbarmachung des Bodens in Angriff nehmen, solange der Besitz des Gebietes noch von böhmischen und polnischen Fürsten bestritten wurde, solange das Land von unaufhörlichen Kriegen verheert und das Volk zu Tausenden in die Sklaverei geschleppt wurde. Also auch im elften Jahrhundert[S. 27] konnte noch nicht an eine Germanisierung gedacht werden. Es soll nur daran erinnert werden, daß 983 Meißen für die Deutschen verloren ging, aber 987 wieder gewonnen wurde. Im Jahre 1002 ging die Meißener „Wasserburg“, die am Fuße der Albrechtsburg gelegen haben soll, von neuem verloren, der Ort selbst wurde 1015 verbrannt, aber 1029 von Konrad II. wieder erobert. Endlich erschien 1075 noch ein feindliches böhmisches Heer im Lande. Erst als 1089 die Mark Meißen an den Wettiner Heinrich von Eilenburg, den Stammherrn des sächsischen Königshauses, kam, gewann das Land allmählich seine Ruhe wieder. Zwar besaß anfänglich, schon seit 1086, Wiprecht von Groitzsch, der Schwiegersohn des Herzogs Wratislaw von Böhmen, den Gau Nisani, in dem Dresden lag, aber auch dieser südlich von der Mark gelegene Gau fiel 1143 an das Haus Wettin. Wiprecht von Groitzsch hatte aber das Verdienst, zuerst in größerem Stil die deutsche Kolonisation befördert und deutsche Bauern von Thüringen und Franken ins Land gerufen zu haben. Ihm schreibt der Chronist auch die Verordnung zu, daß er den Einwanderern, die im Berg- und Hügellande Land angewiesen erhielten und es in fränkischen Hufen austeilten, gestattete, ihr Dorf nach ihrem Führer oder Schulzen zu benennen, daher wir in der Umgebung des Elbtales bis in die Sächsische Schweiz hinein so häufig Namen begegnen wie Kunnersdorf, Hermsdorf, Dittersbach, Seifersdorf, Rennersdorf u. a., die also nach Konrad, Hermann, Dietrich, Siegfried oder Reinhard benannt worden waren. Doch fand die Ansiedelung zunächst an der Elbe ihre Ostgrenze. Und so bildete der Strom noch bis ins zwölfte Jahrhundert auch die Grenze zwischen den christlichen Deutschen und den heidnischen Slaven.

Die deutschen Bauern kamen, wie die Ritter, vorwiegend aus Franken und Thüringen, einzelne Gruppen auch aus Niedersachsen oder wurden aus den Niederlanden gerufen. Diese, die Vlaemen, sollten vor allem die sumpfigen Niederungen entwässern und urbar machen. Sie teilen die Dorfflur, abweichend im Größenmaß, in vlaemische Hufen. Die viel häufiger angewandten fränkischen oder Königshufen, auch Waldhufen genannt, umfaßten in der Regel 47–50 ha.

Abb. 22. Die große Appellationsstube in der Albrechtsburg zu Meißen. (Zu Seite 33.)

[S. 28]

So hat man z. B. an der Gliederung der Dorfflur erkannt, daß das Dorf Biela bei Dresden (in seiner offiziellen schlechten Schreibweise Bühlau genannt) von Vlaemen angelegt ist. Die Dorfgemeinde teilte die ihr zugewiesene Flur nach der Zahl der Hofstellen oder Familien in gleichwertige Hufen, die sich von den in der Regel an einem Bach gelegenen Bauernstellen als lange Feldstreifen auf die Höhen bis zur Grenze hinzogen. Aus jedem Gehöfte führte dann ein Feldweg die ganze Hufe entlang. So viele Höfe, so viele fast parallel laufende Feldwege, die auf den Spezialkarten eingetragen, sofort die Einteilung der Dorfflur erkennen lassen. Eine zweite Art der Einteilung, die man besonders im Elbtal fast allgemein vertreten findet, sondert zunächst die Gemeindeflur in größere Stücke gleichartigen und gleichwertigen Bodens und teilte diese einzelnen Stücke wieder nach Anzahl der Hofstellen in gleiche Streifen. Dann war die Aufteilung in Gewannen erfolgt. Der Bauer besaß nicht einen einzigen zusammenhängenden Landstreifen, sondern mehrere kleine Streifen in verschiedenen Abteilungen der Gemeindeflur, die wohl auch bald besondere Namen erhielten. Ein Teil der Flur wurde aber nicht aufgeteilt, sondern blieb Gemeindeland als Weide oder Wald zu gemeinsamer Ausnutzung.

Abb. 23. Die Königl. Porzellan-Manufaktur in Meißen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 34.)

Deutsche Ansiedelung und Germanisierung.

Um die Ansiedelung des bisher unbebauten Landes machten sich nicht bloß Fürsten und Herren, sondern auch die Geistlichen, in unseren Gebieten ganz besonders das Domkapitel von Meißen, sehr verdient. Daneben aber auch die Cisterzienser, die nach ihrer Ordensregel besonders auf den Feldbau angewiesen waren. Das erste Cisterzienserkloster in Altzelle wurde 1162 vom Markgrafen Otto gegründet und die Mönche, die von Walkenried am Harz kamen, erhielten am Rande des bis dahin noch fast unbewohnten Waldes südlich von Nossen 800 Hufen Landes angewiesen, ein beträchtlicher Besitz, der aber erst für den Anbau gewonnen werden mußte. Dieser Besitz erstreckte sich südwärts bis über Freiberg hinaus, und hier wurde höchst wahrscheinlich, wenn auch nicht urkundlich zu belegen, durch die Mönche selbst der erste Silberfund gemacht. Denn da[S. 29] das Mutterkloster in Walkenried als wichtigen Teil seiner Einkünfte einen Anteil vom Ertrage des Silberbergbaues im Rammelsberge bei Goslar besaß, so verstanden die Mönche etwas vom Bergbau und kannten die Gesteine, in denen Silberadern vorkommen können. Das führte denn zur Entdeckung des Silbers bei Freiberg. Dadurch gewann der bis dahin gemiedene Urwald des Erzgebirges eine besondere Anziehungskraft und förderte wesentlich die Besiedelung auch der höheren Bergstriche. Es sind diese Verhältnisse hier kurz berührt, wenn sie auch scheinbar nicht in den Rahmen unseres landschaftlichen Gebietes fallen, weil, wie wir später sehen werden, ohne die rasche Blüte des Freiberger Bergbaues die Entwickelung Dresdens zur Hauptstadt des Elbtales und weiterhin zur Hauptstadt des ganzen Landes nicht denkbar wäre.

Abb. 24. Drehen, Formen und Gießen in der Königl. Porzellan-Manufaktur zu Meißen.
(Zu Seite 34.)

Die obersächsische Mundart.

Das oberfränkische Bauernhaus.

Die Besiedelung des flacheren Landes und des niedrigen Berglandes war am Ende des dreizehnten Jahrhunderts durchgeführt. Damit verschwanden die Slaven links von der Elbe und im Elbtal, ohne daß eine gewaltsame Vertreibung stattgefunden hätte. Auch die Sprache erlosch allmählich, und 1424 wurde der Gebrauch der wendischen Sprache vor Gericht im Meißenerlande verboten. Dazu trug namentlich auch die Abneigung der Deutschen bei, mit den Unterworfenen, den Hörigen, jedenfalls sozial Niedrigerstehenden irgend welche Verbindung einzugehen. Wo sie in den Städten aufgenommen wurden, mußten sie in besonderen Gassen wohnen. Man findet daher oft und westwärts sogar bis zum Harz in den deutschen Städten die Benennung „windische Gasse“. Die Zünfte nahmen keinen Wenden auf und noch bis ins achtzehnte Jahrhundert wurde wohl bei Ausstellung eines Lehrbriefes dem jungen Manne bezeugt, ehe er seine Wanderschaft antrat, daß er aus einer deutschen Familie und nicht aus slavischer Wurzel stamme. So breitete sich also auch im Elbgelände wiederum die deutsche Sprache aus, nachdem der slavische Laut über 500 Jahre allein geherrscht hatte. Es entwickelte sich die obersächsische Mundart, die aber eine ziemliche Anzahl slavischer Ausdrücke aufnahm und auch bis heute im Volksmunde bewahrt hat. Wie die Ansiedler aus Franken und Thüringen kamen, so ist auch das fränkische Wohnhaus im ganzen Lande verbreitet. Es hat im Gegensatz zum niedersächsischen[S. 30] Bauernhause ein Obergeschoß; Viehstall und Wohnhaus sind nicht unter einem Strohdache. Wohnhaus und Kuhstall stehen vielmehr rechtwinklig zur Straße und sind gegen die Straße durch eine Mauer, die den Hof abschließt, verbunden. Durch diese Mauer führen das oft hochgewölbte Einfahrtstor und die bescheidenere Pforte für die Fußgänger. Nach hinten schließt die Scheune den Hofraum ab. Auf der dem Hof zugekehrten Langseite des Wohnhauses lief sonst im Obergeschoß ein Laubengang entlang, der aber in neuerer Zeit schon vielfach verschwunden ist. In den Dörfern des Elbtales findet sich noch die Eigentümlichkeit, daß die Hofmauer nach der Straßenseite über die Giebelfront des Wohnhauses in die Straße hineingerückt ist, so z. B. in Radebeul und Kötzschenbroda; vielleicht geschah es, um das Weinspalier nicht unmittelbar an der Straße pflanzen zu müssen, sondern durch einen Zaun schützen zu können. In dem sehr charakteristischen Rundling von Radebeul ist so fast der ganze innere Dorfplatz von den vor den Häusergiebeln liegenden Weingärten eingenommen, so daß nur schmale Fußwege vom Platz zwischen diesen Weinpflanzungen zu den Häusern führen.

Abb. 25. Malersaal der Königl. Porzellan-Manufaktur zu Meißen. (Zu Seite 34.)

[1] Auf dem Boden der Stadt, in Blasewitz, Strehlen und Übigau; dann bei Löbtau, Brießnitz und Stetzsch.

IV.
Die Städte.

Die Städte des Elbtales.

Da erst die Deutschen als Städtegründer auftraten, so wird es ganz erklärlich, daß die drei Städte des Elbtalkessels: Meißen, Dresden und Pirna sämtlich auf dem linken Elbufer angelegt sind, die wir seit Otto dem Großen als die deutsche Seite bezeichnen können. Alle drei Städte liegen außerdem in der Nähe der Mündung größerer Zuflüsse der Elbe, nämlich der Triebisch, Weißeritz und Gottleuba, aber diese[S. 31] Zuflüsse mündeten ursprünglich nicht in, sondern neben den Städten. Ferner liegen die Städte auffällig symmetrisch: Dresden in der Mitte des Elbtales, Pirna am Eintritt der Elbe in dies Tal, Meißen am Austritt des Stromes; Pirna und Meißen als die Wächter des Stromes mit festen Burgen auf felsiger Höhe, Dresden dagegen ganz im Tal, in der Elbaue. Als wichtige Übergangsstellen über die Elbe liegt jeder der Städte auf dem rechten Stromufer ein Vorort oder eine Vorstadt gegenüber. Vor Meißen Cölln, vor Altstadt Dresden die Neustadt, vor Pirna Kopitz. Aber die Bedeutung der drei Städte ist im Laufe der Jahrhunderte bedeutend verschoben. Die älteste Stadt, nach der das ganze Land lange benannt worden ist, nimmt gegenwärtig, der Volkszahl nach, nur den zweiten Rang ein, und die Stadt Dresden, die ursprünglich neben unbedeutenden Fischerhütten gegründet wurde, hat sich, durch ihre natürliche Lage und durch Fürstengunst gehoben, zur Großstadt und Residenz des Königreichs aufgeschwungen und zählt zu den volkreichsten Städten des Deutschen Reiches.

Da die Deutschen von Nordwesten her an der Elbe aufwärts gedrungen sind, so würde es der geographischen Lage entsprechen, wenn Meißen zuerst und Pirna zuletzt als Stadt gegründet wäre. Leider ist das Gründungsjahr, abgesehen von der Burganlage in Meißen, nicht bekannt; aber urkundlich werden die Städte ihrer Reihenfolge nach so genannt, wie sie liegen und zwar Dresden zuerst als Stadt 1206 und Pirna 1233. Wir folgen bei unserer Betrachtung dieser Anordnung und beginnen mit Meißen (Abb. 20).

Daß König Heinrich I. auf einer, von Bäumen bestandenen Höhe an der Elbe den Grund zu einer Burg 928 gelegt habe, wird von dem Bischof Thietmar von Merseburg bezeugt. Wenn daneben in den frühesten Nachrichten eine Wasserburg erwähnt wird, die unterhalb des Rundturmes an der Ostecke des Burgkomplexes gelegen haben soll, so muß diese Angabe so lange zweifelhaft erscheinen, als sich von einer solchen Burg nicht die geringsten Spuren haben nachweisen lassen. Jedenfalls ist diese Mitteilung für die weitere Geschichte und Entwickelung der Stadt völlig bedeutungslos. Wie dann unter der Regierung Ottos des Großen von deutscher Seite die ernstesten Anstrengungen gemacht wurden, alles Land zwischen Saale und Elbe dem Deutschen Reiche einzuverleiben und zu behaupten, trotz der wechselnden Schicksale langdauernder Kriege und Unruhen, das ist bereits oben (S. 26 u. 27) mit Zeitangaben kurz belegt.

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Abb. 26. Porzellanbrennofen der Königl. Porzellan-Manufaktur zu Meißen. (Zu Seite 34.)

Für die Stadtentwickelung war es wohl von größerer Bedeutung, daß sie Bischofssitz wurde, als daß die Markgrafen zeitweilig bis zum Ende des elften Jahrhunderts hier ihren Sitz hatten, denn in dieser frühen Zeit war der Ort noch nicht im vollkommen sicheren Besitz der Deutschen. Doch soll schon in dieser Zeit, um 1025, die Elbbrücke angelegt sein, zunächst als Holzbrücke auf Steinpfeilern, denn es handelte sich darum, von der wichtigsten Burg an der Elbe auch einen dauernden Einfluß auf das überelbische Land im Osten zu gewinnen. Wenn gegenwärtig Dom und Burg das Stadtbild vor allem bestimmen, so wird nach oben erwähntem bischöflichem Einfluß auch der Dombau zuerst in Angriff genommen sein (Abb. 21).

Meißen.

Als ältester Bau gilt die Kapelle des heiligen Andreas, die 1269 vollendet wurde. Sie war eine Stiftung des Domherrn Konrad von Boritz, der sich auch um die Kolonisation namhafte Verdienste erworben hat. Die Kapelle gehört der Frühgotik an. Um dieselbe Zeit begann man mit dem Dombau und führte ihn bis in die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts fort. Der Meißener Dom ist das früheste Beispiel eines Hallenbaues in den Elbgegenden. Der Chor entstand nach 1270, das Langhaus wurde in der Zeit von 1312 bis 1342 aufgeführt. In ihm befinden sich die Grabdenkmäler sächsischer Fürsten des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Damals entstanden auch (nach Gurlitt) die Statuen, die sich jetzt im Chor des Domes und in der Johanniskapelle befinden und Kaiser Otto und seine Gemahlin Adelheid, den heiligen Donatus, Johannes den Täufer u. a. darstellen. Gurlitt spricht dabei die Vermutung aus, daß unter dem Namen des deutschen Kaisers und seiner Gemahlin der prachtliebende Markgraf von Meißen, Heinrich der Erlauchte, selbst dargestellt sei nebst seiner dritten Gemahlin Elisabeth von Maltitz; denn Heinrich residierte in Meißen und war auch als Minnesänger bekannt und geachtet. Der Tannhäuser nennt ihn „Heinrich den Mizenäre“ und Walther von der Vogelweide kurzweg den „Mizenäre“ (Meißener).

Abb. 27. Meißener Gefäße in Scharffeuerfarben. (Zu Seite 34.)

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Abb. 28. Das Mädchen aus der Fremde.
Erzeugnis der Königl. Porzellan-Manufaktur zu Meißen. (Zu Seite 34.)

Die Fürstenburg neben dem Dom, die erst 1676 offiziell den Namen Albrechtsburg erhielt, und jedenfalls eines der bedeutendsten Fürstenschlösser jener Zeit war, wurde unter der gemeinschaftlichen Regierung der beiden Brüder Ernst und Albrecht 1471 begonnen. Der Schöpfer des Baues, der denselben auch noch zehn Jahre bis zu seinem Tode leiten konnte, war der Baumeister Arnold aus Westfalen. Bei der Trennung der Hofhaltung beider Brüder 1482 wählte Albrecht Stadt und Schloß Torgau. Leider wurde die stolze Burg später, als die sächsischen Fürsten längst ihren dauernden Sitz in Dresden aufgeschlagen hatten, vernachlässigt und mußte über anderthalb Jahrhunderte die berühmte Meißener Porzellanfabrik in sich aufnehmen, bis erst nach der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts besondere Fabrikgebäude im Triebischtal errichtet wurden und die Albrechtsburg in würdiger Weise wieder hergestellt und mit Wandgemälden, die sich auf die Geschichte des Fürstenhauses und die sächsischen Lande beziehen, geschmückt werden konnte (Abb. 22). Diese Wiederherstellung der Albrechtsburg, die man den frühesten deutschen Palastbau genannt hat, war 1881 vollendet, nachdem die Porzellanfabrik schon 1864 daraus entfernt war.

Ein drittes Gebäude, das auf dem Höhenrande des Stadtgebietes errichtet, neben Dom und Burg die Silhouette des Stadtbildes mit bestimmt, ist die Fürstenschule, ein nüchterner, moderner Bau, der nur praktischen Zwecken dient und auf künstlerische Wirkung verzichtet hat. Ihre Gründung fällt in die Zeit Luthers, 1543. Ihre Bedeutung liegt darin, daß sie seit mehr als 300 Jahren eine vorzügliche Pflanzstätte humanistischer Bildung gewesen ist, aus der die bekanntesten sächsischen Dichter des achtzehnten Jahrhunderts: Gellert, Rabener und Lessing hervorgegangen sind. Dasjenige Erzeugnis aber, das den Namen Meißen in alle Weltteile getragen[S. 34] hat, ist das Porzellan der königlichen Fabrik (Abb. 23). Nachdem Johann Friedrich Böttger (gest. 1719) im Jahre 1707 das rote Steinzeug und 1709 das weiße Porzellan erfunden hatte, wurde die Fabrik schon im nächsten Jahre, 1710, in Meißen gegründet. Nach Berling (Das Meißener Porzellan, S. 27) wurde erst seit 1710 die auf dem Grundstücke des Hammerschmiedes Schnorr zu Aue im Vogtlande gegrabene Erde, die sogenannte Schnorrsche Erde, in der Meißener Porzellanfabrik verwandt, doch bildete daneben der weiße Ton von Colditz von Anfang an einen wesentlichen Bestandteil der weißen Masse. Unter der glänzenden Regierung Augusts des Starken wurde der damals herrschende Barockstil ganz besonders auch in den künstlerischen Gebilden des Porzellans angewendet und neben dem Rokoko, das sich ebenfalls für die zierlich koketten und bemalten Figürchen aus Porzellan eignet, bis auf die Gegenwart mit Erfolg beibehalten (Abb. 24–28). „Meißen hat dem Porzellan des achtzehnten Jahrhunderts das künstlerische Gepräge gegeben. Leicht, anmutig, gefällig in der Form, frisch, lebhaft, fröhlich in den Farben, so steht es vor uns. Nicht die Mutter des Rokoko ist es, wie man oft sagt, sondern eines seiner Kinder, allerdings das am reichsten entwickelte. — Es hat sich ein ganz besonderer Porzellanstil herausgebildet, der überwiegend von Meißen getragen erscheint und dessen Geschichte in großen Zügen die gesamte Entwickelung des Kunstgewerbes im achtzehnten Jahrhundert wiederspiegelt.“ (Lehnert, Das Porzellan, Bd. V der Ill. Monographien, S. 47.)

Abb. 29. Der Große Markt in Meißen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 34.)

Die Stadt Meißen, die sich zu Füßen des Burgfelsens und der anschließenden Höhen auf beschränktem Raume entwickelt hat (Abb. 29), zeigt in den krummen und ansteigenden Gassen und alten Häusern noch viel Altertümliches (Abb. 30) und bietet dem Maler zahlreiche Vorwürfe; namentlich aber ist die Gesamtansicht der Stadt von hoher malerischer Wirkung und unzählige Male gezeichnet, radiert, gemalt und photographiert. Daher denn auch die Stadt mit ihrer reizenden landschaftlichen Umgebung für den Fremden eine besondere Anziehungskraft besitzt und wohl unter allen kleineren Städten Sachsens am meisten besucht wird (vgl. Abb. 10 u. 20).

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Abb. 30. Rote Stufen in Meißen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 34.)

Dresden.

Gründung der Stadt Dresden.

Dresden, eine Großstadt von nahezu einer halben Million Einwohner, erscheint historisch an zweiter Stelle unter den Städten des Talkessels, hat aber im Laufe des letztvergangenen Jahrhunderts dermaßen die anderen überflügelt, daß gegenwärtig mehr als drei Viertel aller Bewohner des Talkessels von Pirna bis Meißen hier vereinigt leben. Und aus wie bescheidenen Verhältnissen ist sie erwachsen! Ein kleiner slavischer Rundling auf dem rechten Ufer, Fischerhäuschen auf der linken Seite des Stromes: das waren die Anfänge. Obwohl die Lage auf dem rechten Ufer günstiger scheint, wurde doch die deutsche Stadt Dresden auf dem linken Ufer errichtet (Abb. 31), das wir bereits als das deutsche Ufer bezeichnet haben, und zwar neben der slavischen Ansiedelung. Die Niederung der Elbaue war zum Teil mit Sümpfen und Teichen erfüllt, zwischen denen eigentlich kaum genügender Raum für eine Stadtanlage vorhanden war. Diese Sümpfe oder Seen, wie der Städter sie nannte, gewährten aber andererseits wieder dem Orte gegen unerwartete Überfälle und Angriffe Schutz. Jetzt sind diese Lachen verschwunden, aber Lokalnamen in der Stadt, wie Seestraße, Am See, Seevorstadt erinnern noch an die alten Zustände. Daß hier ursprünglich nur Sumpfwald und Gebüsch bestanden haben kann und daß danach die Slaven ihre Ansiedelung benannt haben, muß als die natürlichste Erklärung des Stadtnamens gelten, der in der Form dresga Sumpfland und Gebüsch bedeutet, wonach dann die Bewohner dresjan, d. h. Bewohner des Sumpfwaldes waren. Mit dieser Erklärung ist die früher beliebte Deutung des Namens Dresden als Fähre, Übergang über den Fluß (slavisch Trasi) gefallen. Aus der Entwickelung der Stadt ergibt sich auch, daß der Begriff einer Fähre historisch später zutreffend war, aber nicht von Anfang an paßte; abgesehen davon, daß sprachliche Bedenken gegen die Ableitung von Trasi erhoben sind. Aber die kleinen slavischen Siedelungen, die zum Burgwarde Brießnitz gehörten, traten lange Jahre noch hinter diesem benachbarten Dorfe derart zurück, daß auch in kirchlicher Beziehung Dresden von Brießnitz abhängig war. Brießnitz war nicht bloß die zweitälteste Kirche an der Elbe,[S. 36] sondern auch die Mutterkirche für Dresden. Die Frauenkirche, die älteste Kirche im Dorf Dresden, war eine Filiale von Brießnitz, und Dresden gehörte auch noch im ganzen Mittelalter zum Kirchensprengel von Brießnitz. Da die Frauenkirche nun vermutlich schon im elften Jahrhundert gegründet ist, so konnte sie nicht wohl in dem wahrscheinlich größeren Dorfe Dresden am rechten Elbufer errichtet werden, weil die Elbe noch bis ins zwölfte Jahrhundert die christliche und die heidnische Uferseite des Stromes trennte. Dresden selbst wird urkundlich zuerst 1206 genannt und zehn Jahre später, 1216, als Stadt bezeichnet. So wird also die Gründung der Stadt in den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts fallen. Die markgräfliche Burg (Abb. 32) und die Stadt lagen aber neben der slavischen Siedelung, die sich wohl um die Frauenkirche scharte; denn auch die Frauenkirche lag außerhalb der Stadt. Und wie nun sehr bald die Burg in Dresden sich in ihrer Bedeutung rasch über die Burg Brießnitz erhob, gewann auch die neue Stadt, die ihren Namen vom slavischen Nachbarorte entlehnt, bald das Übergewicht über das Dorf und nahm schließlich die alten Ansiedelungen auf beiden Seiten der Elbe in sich auf.

Abb. 31. Dresden von der Bärbastei. 1820. Nach dem Stich von L. Richter.
Aus: „Dreißig malerische An- und Aussichten von Dresden und der nächsten Umgebung“. (Zu Seite 35.)

Die Elbbrücke.

Wie bei vielen neuen Städten im slavischen Koloniallande, wurde auch die Stadt Neudresden, wie sie im Gegensatze zum Dorfe Altdresden genannt wurde, nach einfachem Grundplane angelegt. In der Mitte lag der Marktplatz (Abb. 33), gleichsam das Herz der Stadt, der Mittelpunkt des städtischen Lebens und Verkehrs, und eine Reihe Gassen, die sich rechtwinkelig schnitten, berührten die Seiten des Marktes oder liefen ihnen parallel. Die wichtigsten Gassen — denn diesen besseren Namen hatten die Straßen bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, wo von Norddeutschland her sich der auch sprachlich unschöne Name Straße eindrängte — waren die Elbgasse, die vom Markte nach und über die Elbe führte und die seit dem sechzehnten Jahrhundert Schloßgasse hieß, und die wilische Gasse, jetzt Wilsdruffer Straße. Wie auch heute, war schon damals der Punkt am Markte, wo diese beiden Gassen sich trafen, am meisten vom Verkehr belebt. Denn die wilische Gasse führte über Wilsdruff nach Freiberg. Freiberg war älter als die Stadt Dresden;[S. 37] und je mehr sich der Bergbau entwickelte, um so mehr hob sich auch der Verkehr nach und von Dresden. Freiberg war aber im ganzen Mittelalter bedeutender und volkreicher als Dresden. Dresden lag nicht an der ältesten Verkehrsstraße, die von Merseburg und Leipzig her durch das Flachland ostwärts führte und im Burgwart Boritz, südlich von Riesa, den bequemsten Elbübergang fand, um weiter nach Polen zu ziehen. Aber in dem ganzen Elbtalkessel hatte Dresden eine einzig günstige Lage, um einen bequemen Übergang über den Strom zu gestatten. Sonst traten, sei es am rechten oder linken Ufer, die steilen Bergabhänge hemmend in den Weg, und nur allein bei Dresden senkte sich sowohl vom Erzgebirge, als von dem Lausitzer Hochlande her das Gelände so allmählich, daß auch Warenzüge die Schwierigkeiten der Talsenkung leicht überwinden konnten. Als nun mit der Entwickelung des Bergbaues das höhere Bergland rasch besiedelt wurde, mußte die Straße von Freiberg den Elbübergang in Dresden suchen. Ihm diente in der Stadt die wilische Gasse, aus der dann aber am Markte die Elbgasse rechtwinkelig zum Strome abbog. Darin liegt die Erklärung, daß die Ecke am Altmarkt, bei der heutigen Löwenapotheke, von jeher die verkehrsreichste Stelle in der ganzen Stadt war.

Abb. 32. Hof im Königl. Schlosse zu Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 36.)

Nach dem erst in neuerer Zeit geschehenen Durchbruche der König-Johannstraße vom Altmarkte nach dem Pirnaischen Platze (Abb. 34), ist auch dieser Platz durch den immermehr wachsenden Verkehr, namentlich da sich die Vorstädte nach Südosten am meisten ausdehnen, außerordentlich stark belebt und bietet eins der interessantesten Verkehrsbilder der Stadt.

Die Elbbrücke bestand seit 1222, und zwar zunächst nur aus Steinpfeilern mit Holzverbindung, ähnlich wie in Meißen. Ganz in der Nähe lag die markgräfliche Burg in dem Stadtteil, der heute noch der Taschenberg heißt. Mit dem Worte Tasche bezeichnete man den Abhang zur Elbe. Die Burg beherrschte die Hauptverkehrslinie und den Zugang zur Brücke. Entfernter lag, aber auch in der Nähe des Marktes,[S. 38] die erste, dem heiligen Nikolaus, dem Patron der Schiffer und Fischer, geweihte Nikolaikirche. Als der jugendliche Markgraf Heinrich der Erlauchte (1221–1288) 1234 sich mit Constantia, der Tochter des Herzogs Leopold von Österreich vermählte, brachte diese als besonders wertvoll geachtete Reliquie ein Stück vom Kreuze Christi mit. Zur würdigen Aufstellung wurde an die Kirche eine Kapelle angebaut, die man die Kreuzkapelle nannte. Dieser Name verdrängte bald den Namen des heiligen Nikolaus und dann hieß die Hauptkirche allgemein „Kreuzkirche“. Zur Verehrung der Reliquie entstanden Wallfahrten. Die dadurch der Stadt zufließenden Einnahmen sollten zur Erhaltung der Brücke verwandt werden. Da nun der Wunsch, diese Brücke ganz aus Stein zu errichten, bedeutende Mittel erforderte, so wurde, um diese zu beschaffen, 1319 von seiten der Kirche gestattet, allen Wallfahrern einen vierzigtägigen Ablaß zu verheißen. Die dadurch erzielten Einnahmen flossen zunächst dem Vermögen der Kirche zu, aber diese hatte die Verpflichtung, für den Ausbau der Brückenbogen zu sorgen. So flossen Kirchen- und Brückeneinnahmen zusammen und werden bis heute unter dem Namen „Brückenamt“ verwaltet.

Abb. 33. Der Altmarkt mit dem Rathause zu Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 36.)

Die Häuser der Stadt waren anfänglich noch recht ärmlich und bestanden aus Holz und Lehm mit Strohdach, später aus Fachwerk mit Schindeln. Steinhäuser gab es noch wenig. Auf dem sumpfigen Boden waren die ursprünglichen Fahrwege nur Knüppelwege mit Kiesaufschüttung, von denen man deutliche Spuren noch 1898 beim Schleusenbau auf der Schloßstraße aufgedeckt hat. Erst in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts (1558) wurden die Straßen nivelliert und gepflastert.

Die Bürger waren ausschließlich Deutsche, doch durften auch Slaven in einer besonderen, ihnen angewiesenen Gasse wohnen. Sie hieß daher die windische Gasse, jetzt Galeriestraße. Da in der Stadt das Magdeburger Recht galt, so hat man mit Recht daraus geschlossen, daß die Kolonisten aus Niedersachsen stammten.

Dresden wird Residenz.

Es war für die junge Stadt von Bedeutung, daß Heinrich der Erlauchte die letzten Jahre, von 1277–1288, beständig in Dresden residierte. Bei seinem Tode, 1288, überwies seine Witwe die Güter Leubnitz und Goppeln bei Dresden dem Kloster Altzelle, wo Heinrich auch seine Grabstätte fand. Das Kloster erhielt damit[S. 39] auch das Recht, sich einen Verbindungsweg zwischen Altzelle und Leubnitz zu schaffen, der, wenn er auch gelegentlich durch ein Bauerngehöfte führte, Tag und Nacht dem Verkehr offen gehalten werden mußte. Dieser Weg führte als Zellescher Weg nahe an der Stadt vorbei und ist gegenwärtig, da sich Dresden über diesen Weg hinaus ausgebreitet hat, noch in einem Straßennamen erhalten. Nach Aufhebung des Klosters 1550 kam das Gut an Dresden.

Schicksale der Stadt Dresden im Mittelalter.

Nach Heinrichs Tode folgten lange unruhige Zeiten, bis Markgraf Wilhelm I. seit 1387 seinen Sitz in Dresden nahm. Aber auch das fünfzehnte Jahrhundert begann wieder durch die hussitische Bewegung mit neuen Drangsalen für die Stadt, bis 1459 endgültig Friede geschlossen wurde. Zwar hatte schon am Ende des dreizehnten Jahrhunderts die Stadt Dresden Mauern besessen, 1299 werden sie zum erstenmal erwähnt; aber als man nach der Niederlage der Sachsen bei Aussig 1426 einen neuen Einfall der Böhmen fürchtete, schritt man eiligst zu einer Verstärkung der Befestigung durch vorgeschobene Mauern an den gefährdetsten Stellen und so entstand 1427 am Taschenberge der „Zwinger“, ein Name, der heute noch die schönsten und eigenartigsten Bauwerke mit ihren weltberühmten Kunstschätzen umfaßt.

Als dann 1429 Prokop mit den Hussiten vor Dresden erschien, fiel ihm zwar der Ort rechts der Elbe, der als „Neustadt Dresden“ (Abb. 35.) 1403 Stadtrechte erhalten hatte, in die Hände, aber die Residenz der Markgrafen, die feste Stadt an der linken Elbseite, nicht.

Abb. 34. Pirnaischer Platz in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 37.)

Im Jahre 1465 schlugen die Söhne des Kurfürsten Friedrich II., Ernst und Albert, ihren Sitz in Dresden auf; für die erweiterte Hofhaltung mußte daher auch das Schloß vergrößert werden. Diesen Bau leitete von 1471–1474 Meister Arnold, der um dieselbe Zeit die Albrechtsburg in Meißen baute. Bei dem 1485 abgeschlossenen[S. 40] Teilungsvertrag zwischen den beiden fürstlichen Brüdern fiel Dresden dem jüngeren Bruder Albrecht zu und verblieb seit jener Zeit ununterbrochen im Besitz der Albertinischen Linie.

Albrecht selbst residierte zu selten in Dresden, um Einfluß auf die Entwickelung der Stadt zu üben; aber die Stadt selbst gewann während seiner Zeit — leider durch ein großes Brandunglück, dem 1491 die Hälfte aller Häuser zum Opfer fiel — ein durchaus anderes Ansehen, da beim Wiederaufbau alle Eckhäuser von Stein und Ziegeln gebaut werden mußten und auch sonst den Bürgern, die sich verpflichteten, feuersichere Wohnungen zu bauen, mancherlei Vergünstigungen zu teil wurden. Noch in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wird die Bevölkerung auf nicht mehr als 6000 Seelen geschätzt. Einen neuen Aufschwung gewann sie erst nach Albrechts Tode 1500, unter der Regierung des Herzogs Georg (1500–1539).

Abb. 35. Neustädter Markt in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 39.)

Abb. 36. Großer Ballsaal im Königl. Schlosse zu Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 40.)

Das Königliche Schloß.

Die Monumentalbauten des achtzehnten Jahrhunderts.

Der Zwinger.

Es kamen auch in diesem Jahrhundert „geschwinde Zeiten, weil man sich nicht wenig von den Türken und Wiedertäufern, je länger je mehr eines Ein- und Ueberfalls und anderes Schadens befahren mußte“. Darum war die nächste Sorge des Herzogs, neue festere Mauern um die Stadt mit Wall- und Wassergräben zu bauen. Die fürstliche Wohnung wurde durch den Bau des Georgenschlosses (Abb. 36, 37, 38) erweitert und 1534 das neue Torhaus nach der Elbe durch Hans Dehne Rothfelser begonnen, ein auch wegen seiner Skulpturen vielbewunderter Prachtbau. Leider wurde das Georgenschloß mit seinem herrlichen Giebel 1701 zum Teil durch Feuer zerstört. Kurfürst Moritz ließ dann 1547 das ältere enge und winkelige Schloß abbrechen und erneuern. Die Stadt wurde dadurch erweitert, daß die Frauenkirche samt ihrer Umgebung, die bis dahin außerhalb der Mauern gelegen hatte, in die Stadt einbezogen und in den Mauerring aufgenommen wurde. Damit wurde zugleich ein neuer Marktplatz gewonnen, der im Gegensatz des früheren, nun Altmarkt genannten, der Neumarkt hieß. Auch wurden die beiden bisher in der Verwaltung getrennten Städte Altstadt und Neustadt um 1550 zu einer Stadtgemeinde vereinigt. Die beiden wichtigsten Stadttore, das Brückentor und das wilische Tor wurden verstärkt, das Brückentor noch weiter hinausgerückt und zählte dann zu den sieben Wunderwerken. Daß alle übrigen Tore nach außen hin keineswegs die Bedeutung für den Verkehr hatten, als die beiden genannten, wird recht ersichtlich daraus, daß man im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts, zuerst 1548 das nach Süden geöffnete Seetor zumauerte, dafür mehr nach Südosten das Kreuz- oder Salomonistor öffnete, aber auch dieses 1592 wieder vermauerte und im Osten der Stadt das pirnische Tor dafür erbaute. Gegen das Gebirge zu war das[S. 41] Bedürfnis für eine Verkehrsstraße, wie es scheint, nicht vorhanden, eher in der Richtung flußaufwärts nach Pirna; aber als am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, 1678, der Große Garten (Abb. 39) angelegt wurde, mußte auch der Weg nach Pirna sich einen unbequemen Umweg, zur Ausbiegung vor dem Großen Garten gefallen lassen, gewiß ein Zeichen, daß das öffentliche Interesse an der Erhaltung eines natürlichen Straßenverlaufes nicht so mächtig war, als das private Interesse des Fürsten: oder mit anderen Worten, der Verkehr Dresdens ging vielmehr quer über die Elbe und die Elbbrücke, als im Elbtal entlang. Erst das achtzehnte Jahrhundert wurde für den architektonischen Charakter der Stadt und ihre kunstgeschichtliche Bedeutung maßgebend; und hier waren es in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die beiden Fürsten August der Starke (1696–1733) und Friedrich August II. (1733–1763), denen die Stadt die hervorragendsten Bauwerke und die Pflege und Bereicherung der unvergleichlichen Kunstschätze verdankt. Nach dem Schloßbrande von 1701 beschloß August der Starke den Bau eines großen Königlichen Schlosses, das in Größe des Entwurfes und Pracht der Ausführung mit den Bauten in Versailles wetteifern sollte. Die Ausführung wurde Daniel Pöppelmann (1662–1736) übertragen. Als geeignetster Bauplatz erschien der Raum zwischen den Mauern des Zwingers, der bereits in einen Garten umgewandelt worden war; aber die Schloßanlage sollte bis an die Elbe reichen. Denn es handelte sich nicht bloß um einen Schloßbau, sondern um eine Vereinigung von großen Speise-, Spiel- und Tanzsälen mit Bädern, Grotten, Bogenstellungen, Lust- oder Spaziergängen, Baum- und Säulenreihen, Gras- und Blumenbeeten, Wasserfällen und Lustplätzen, auf denen alle Arten öffentlicher Ritterspiele, Gepränge und andere Lustbarkeiten des Hofes abgehalten werden konnten. So begann man mit dem ersten großen Vorhof und den ihn umgebenden Galerien und Pavillons, ohne bei den ungeheuren Kosten bis zur[S. 42] Grundsteinlegung des Schlosses selbst zu kommen. Aber auch so, in seiner unvollendeten Gestalt, erregen die Gebäude des Zwingers (Abb. 40 u. 41), wie jetzt die Schöpfung Pöppelmanns genannt wird, in der Leichtigkeit und Kühnheit, mit der der Baumeister die phantastischen Formen des Barocks beherrschte, die allgemeinste Bewunderung. Der Zwinger ist, nach Steche, mit keinem Bauwerk der Welt vergleichbar, er überragt bei weitem die französischen Bauten gleicher Zeit und gleicher Zwecke, er ist das ganz individuelle Werk zweier sich ergänzender geistvoller Männer, Friedrich Augusts I. und Pöppelmanns, und das Charakteristikum einer ganz originalen sächsischen Kunst. Ganz besonders ragt das nach der Ostra-Allee (Abb. 42 u. 43) führende Südtor empor, das sich im Sinne eines römischen Triumphbogens aufbaut, aber in ein Gemisch von Willkür und Haltung, von Ungezogenheit und Grazie sich verliert. Jede ruhige Masse ist fast vermieden bei diesem aus Säulen, Pilastern und Anten zusammengefügten luftigen Gloriettenbau mit seinen vielen Figuren, Blumenkörben, Blumenvasen und seinem kioskartigen Kronenabschluß.

Abb. 37. Gobelinzimmer im Königl. Schlosse zu Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 40.)

Einen neuen Abschluß erhielt erst der nach der Elbe offengebliebene Zwingerbau durch die Einfügung des in edlem Renaissancestil von Gottfried Semper errichteten Prachtgebäudes für die Gemäldegalerie (1846–1855). Alle Teile des Zwingerbaues dienen gegenwärtig der Aufstellung naturwissenschaftlicher Sammlungen und inmitten des inneren Zwingergartens erhebt sich das von Rietschel 1843 geschaffene, würdige Denkmal Friedrich Augusts des Gerechten (1768–1827).

Die Frauenkirche.

Ein zweiter für die Stadt ebenso charakteristischer, aber ganz anderem Kunstgeschmack huldigender Bau war die Frauenkirche (1726–1748, Abb. 44) von George Bähr (1666–1738). Bähr war nach H. Hettners Urteil der einzige deutsche Baumeister des achtzehnten Jahrhunderts, der mit Ehren neben dem großen Andreas Schlüter[S. 43] genannt werden kann. Als rings um ihn, auch im Kirchenstil, entweder der verwildertste Barockstil oder die kahlste Nüchternheit herrschte, war er es allein, der in die gute italienische Renaissance zurückgriff und nach dem Muster der Peterskirche einen Bau errichtete, der in seiner Haltung und Gliederung so durchaus organisch aus sich herausgewachsen und in seinen Massen und Maßen so kraftvoll und würdevoll ist, daß kein zweiter deutscher Kirchenbau des gesamten Jahrhunderts an Mächtigkeit des Eindrucks auch nur entfernt ihm gleichkommt.

Ihre mächtige Kuppel widerstand bei der Belagerung 1760 selbst den preußischen Kanonenkugeln, durch die der Kreuzturm in einen Schutthaufen verwandelt wurde. Und sehr bezeichnend sagt nach der Beschießung der Prediger am Ende in seiner ersten Predigt, in der er dankerfüllten Herzens der Erhaltung des herrlichen Bauwerkes gedachte, daß die ganze Kirche von Grund auf bis oben hinaus gleichsam nur ein Stein sei.

Abb. 38. Arbeitszimmer des Königs von Sachsen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 40.)

Die Augustusbrücke.

Als drittes Bauwerk, das, wenn auch nicht unter August dem Starken neu geschaffen wurde, aber doch seine jetzige Gestalt erhielt, ist die Elbbrücke zu nennen, die danach den Namen Augustusbrücke erhielt und noch jetzt so oder die Alte Brücke heißt. Ihr Neubau wurde von 1727–1730 ausgeführt. Zwar war die steinerne Elbbrücke schon seit Jahrhunderten die Bewunderung aller Reisenden gewesen und wurde in den Reisewerken und Reiseführern als ein einzig dastehendes Wunderwerk gerühmt. Von nun aber war dieser Ruhm noch erhöht und hat bis auf den heutigen Tag unzählige Male den Künstlern zum Vorwurf gedient, um verbunden mit An- und Aussichten von dieser Brücke aus originelle Stadtansichten zu schaffen. Aber leider sind ihre Tage gezählt, denn sie bildet mit ihren engen Bogen ein wesentliches Hemmnis für den wachsenden Elbverkehr und schon mancher schwerbeladene Kahn ist an ihren Pfeilern gescheitert und samt der Ladung verloren gegangen. Noch kürzlich wurde dieser[S. 44] Brücke folgender, ich möchte sagen, ehrenvolle Nachruf gewidmet: Ein altbewährtes Wahrzeichen Dresdens und zugleich ein eigenartiges künstlerisch wertvolles Bauwerk erlebt, den Hamburger Nachrichten zufolge, heuer seinen letzten Sommer. Die Augustusbrücke, die jahrhundertelang als die „Dresdener Brücke“ schlechthin bekannt war und noch jetzt die schönste (?) unter den fünf großen Brücken zwischen Altstadt und Neustadt ist. Was diese altehrwürdige Brücke, die sozusagen zum Dresdener Stadtbild gehört, zum erklärten Liebling der Maler der verschiedensten Perioden gemacht hat, ist die stämmige, wuchtige Kraft ihrer stolzen Pfeiler, der schöne Schwung ihrer Bogen, die stolze Wölbung ihres Niveaus und ihre landschaftlich überaus günstige Lage über einer Biegung des Elbstroms, der zufolge man beim Durchblick durch jeden ihrer Bogen ein neues reizvolles Bild genießt. Tausendmal ist der altersgeschwärzte Bau gemalt worden; Canalettos Brückenbild (Abb. 45) ist weit bekannt und noch in der neuesten Zeit ist ihr in Gotthard Kühl ein verständnisvoller Meister entstanden, der mit seinen Bildern der Augustusbrücke selbst ihre bei regentrübem Wetter und winterlicher Abendbeleuchtung noch vorhandenen intimen Reize offenbar gemacht hat. Zudem kommt noch, daß das zwischen den breitgegründeten engen Bogen durchschießende Wasser mit seinen mannigfachen Strudeln und Lichteffekten den Künstler ganz besonders reizen mußte. (Allg. Zeitung 1902, No. 152.)

Abb. 39. Palais und Deich im Großen Garten zu Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 41.)

Der Rat zu Dresden hat sich neuerdings für einen völligen Neubau entschieden, der an der Stelle, wie jetzt, den Strom überbrücken soll. Die Brücke soll aus Stein aufgeführt und von 11 m auf 18 m verbreitert werden, auch sollen die Pfeiler, soweit möglich, in den alten Formen gehalten werden, daß die Bögen in gleichmäßig gerundeten Linien verlaufen. Doch wird die Zahl der Pfeiler von dreizehn auf neun verringert und dadurch die Möglichkeit gegeben, den jetzt schwierigen und gefürchteten Schiffahrtsweg durch die mittleren Bögen durch weitere Spannung der Bögen wesentlich zu erleichtern. Während die Spannweite dieser Bögen jetzt nur 21 m und 17,2 m[S. 45] beträgt, ist für den Neubau eine Spannung von 40 und 36 m in Aussicht genommen. Alsdann nimmt nach beiden Ufern die Spannweite der Bögen ab. Architektonisch bilden die fünf größeren mittleren Bögen der geplanten neuen Brücke eine harmonisch abgeschlossene Gruppe für sich, deren Grenzpfeiler mit gekröntem Wappenschild und einem kleinen Aufbau geschmückt sind. Nach der Altstadt zu schließen sich zwei, nach der Neustadt zu drei Seitenbögen an. Gegen den jetzigen gedrungenen Bau der Augustusbrücke ergibt sich dadurch ein schlankeres Brückenbild.

Abb. 40. Der Zwinger in Dresden. Gesamtansicht.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 42.)

Die Brühlsche Terrasse.

Die katholische Hofkirche.

Zum Bilde der Brücke gehört aber auch die anliegende Brühlsche Terrasse (Abb. 46). Es ist das erste Werk, das während der Regierung Friedrich August II. (1730–1763), wenn auch nicht durch ihn selbst angeregt, entstand und zu den für das Stadtbild charakteristischen Anlagen gehört. Die Terrasse wurde 1738 auf Befehl des allmächtigen Ministers Brühl als vornehmer Privatgarten auf den Festungswerken über der Elbe errichtet, wurde aber erst im neunzehnten Jahrhundert, 1814, durch den damaligen russischen Militärgouverneur Repnin allgemein zugänglich und somit zu öffentlichen Anlagen umgestaltet, indem er vom Schloßplatze die große Freitreppe (Abb. 47) anlegen ließ, die später, 1872, durch die prächtigen Gruppen der vier Tageszeiten von Schilling geschmückt wurden. Von der Höhe der Terrasse bieten sich sowohl nach Nordwesten bis zu den Lößnitzer Weinbergen, als nach Osten gegen die Waldhöhen der Dresdener Heide so fesselnde Landschaftsbilder, deren Reiz durch den zu Füßen des Beschauers dahinfließenden belebten Strom noch wesentlich erhöht wird, daß man ähnliches schwerlich inmitten einer Großstadt finden wird. Darum bewahrt auch die Terrasse zu allen Tages- und Jahreszeiten ihre mächtige Anziehungskraft nicht nur für den Fremden, der den Besuch dieser hochgelegenen, aussichtsreichen Anlagen oft der Besichtigung der Museen vorzieht. Für Dresden war es ein großes Glück, daß der kunstliebende König und Kurfürst Friedrich August II. mehr in Dresden als in Warschau lebte und daß er zur Verschönerung Dresdens noch größeren Glanz entfaltete. Vor allem galt es, da mit August dem Starken die königliche Familie zum[S. 46] katholischen Glauben übergetreten war, um die polnische Krone zu gewinnen, eine prächtige, dem Zeitgeschmack huldigende katholische Kirche (Abb. 48) zu erbauen. Sie wurde neben dem Zwinger und der Frauenkirche das dritte charakteristische Bauwerk der Stadt, das schon von ferne den Blick auf sich zog, und wurde in der Zeit von 1739–1751 durch den italienischen Baumeister Gaëtano Chiaveri (1689–1770) nur mit italienischen Bauleuten ausgeführt. Dabei entstand auf dem heutigen Theaterplatz das italienische Dörfchen, eine Reihe kleiner Wohnungen für die Arbeiter und daneben Steinmetzhütten, Kalkhütten, Tischler-, Schlosser- und Schmiedewerkstätten etc., die erst im neunzehnten Jahrhundert bis auf die Gebäude unmittelbar an der Elbe beseitigt wurden. Nur diese sind als vielbesuchte Restaurants erhalten und heißen noch das „Italienische Dörfchen“.

Abb. 41. Der Zwinger in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 42.)

Die Kreuzkirche.

Mit großem künstlerischen Geschick hat Chiaveri nicht bloß den Platz, sondern auch die Lage der Kirche und des Turmes gewählt. Er wich dabei von der üblichen Orientierung der Kirchen ab und legte den Chor südwestlich an, wodurch der Bau auf dem freien Platze neben dem Schlosse und der Brücke zur vollen Geltung kam. Ganz besonders merkwürdig ist die Stellung des Turmes, der nicht nur die ganze Elbseite beherrscht, sondern auch aus dem Inneren der Stadt über der ganzen Länge der Schloß- und Seestraße, und von der Moritzstraße her in voller Höhe gesehen wird. Die Kirche ist in dem für Italien maßgebenden Barockstil des siebzehnten Jahrhunderts errichtet; alles ist dabei auf malerische Wirkung berechnet und der Gesamteindruck durch die geschickte Verwendung von achtundsiebzig Statuen hoch oben auf dem Rande des Kirchendaches erst vollendet. Diese Statuen, Werke Mattiellis, sind perspektivische Kunstwerke und optische Kunststücke, denn auf die Verkürzungen, die bei der hohen Stellung der Figuren für den Beschauer unten entstehen, ist die größte Rücksicht genommen. Dadurch ist erreicht, daß die Statuen von nah und fern stets in[S. 47] klarer Silhouette erschienen. H. Hettner mag in strengerer Beurteilung der Statuen recht haben, wenn er behauptet, sie seien zum Teil von den allermanieriertesten Motiven, unnatürlich in der Form, gewaltsam in Stellung und Bewegung, völlig stillos in dem unruhigen Flattern der Gewänder, aber er kann sich dem Gesamteindruck auch nicht entziehen und gesteht, daß sie wesentlich dazu beitragen, das barocke aber geniale Werk in seiner überraschenden Wirkung zu steigern. „Man kann sogar ketzerisch genug sein, im Ernst zu behaupten, daß eine strengere Formengebung zu der architektonischen Umgebung, zu der heiteren Brücke und den lachenden Elbufern weit weniger malerisch stimmen würde. Weder der Außenbau noch der Innenbau ist kräftig. Es ist die kokette Grazie des Zopfstils.“

So bildete also diese Kirche einen strengen Gegensatz zu der protestantischen Frauenkirche und von diesem Gesichtspunkte aus konnte das 1883 errichtete Lutherstandbild (nach Rietschels Lutherdenkmal in Worms) keinen geeigneteren Platz finden als vor der Frauenkirche.

Abb. 42. Äußere Ansicht des Zwingers.
Älteste Darstellung nach dem Stich von Veith. (Zu Seite 42.)

Die Kunstsammlungen Dresdens.

Endlich gehörte zu der Vollendung des Stadtbildes noch die neu erstandene Kreuzkirche, deren Neubau 1764 begonnen und 1792 vollendet wurde. Immer aber handelte es sich bei dem historischen Stadtbilde nur um die Altstadt Dresden am linken Elbufer. Nur dieser Ansicht gelten auch H. Hettners Worte: „Es ist eines der anmutigsten und zugleich stolzesten deutschen Städtebilder, wenn wir auf der schönen Dresdener Elbbrücke (Augustusbrücke) stehen und die hochragende kühngeschwungene Kuppel der Frauenkirche und die keck anmutigen, leicht- und feingegliederten Massen der katholischen Hofkirche vor uns schauen. Beide Bauten stammen aus jener merkwürdigen Zeit, in welcher Dresden nach dem Ruhme strebte, das deutsche Versailles und zugleich das deutsche Florenz zu sein.“ Dresden behauptete damals in Kunst- und Prachtliebe den unbestrittensten[S. 48] Vorrang. Denn die Fürsten des Landes errichteten nicht bloß die bedeutendsten Bauwerke, sondern sie betätigten ihre Liebe zur Kunst und ihr Verständnis dafür auch durch die Erwerbung von Kunstschätzen allerersten Ranges. August der Starke legte 1728 den Grund zu der Antikensammlung durch die Erwerbung der Chigischen und Albanischen Sammlungen in Rom (vom Fürsten Agostino Chigi und vom Kardinal Albani), zu denen dann unter Friedrich August II. 1736 auch die herrlichen aus Herculaneum stammenden Frauengestalten kamen, die man aus dem Nachlasse des Prinzen Eugen erwarb. Mit gleichem Eifer wurde von August dem Starken auch die Bildergalerie eigentlich begründet, indem zunächst seit 1722 aus den verschiedenen Schlössern die Gemälde zu einer Sammlung vereinigt wurden. Dies geschah infolge eines kurfürstlichen Befehls vom Juli 1722, wonach alle in den kurfürstlichen Schlössern des Landes, sowie teilweise in den dazu gehörigen Kirchen und Kapellen vorhandenen Gemälde verzeichnet und nach geschehener Inventur auf ihren Wert geprüft werden sollten. So wurden über 4700 Gemälde inventarisiert, darunter 3110 wertvollere, und über 1590 minder wertvollere, aus denen dann in der Zeit von 1723 bis 1747 eine Auswahl für die Gemäldegalerie getroffen wurde, die ihre Aufstellung in dem von Kurfürst Christian I. 1586 und 1587 erbauten Reisigen-Stalle am Judenhofe erhielt. Die ganze Galerie umfaßte anfangs schon 1938 Gemälde.

Zur Vermehrung und Bereicherung dieser Sammlung wurden dann mit hochgestellten Männern, mit Malern und namentlich mit niederländischen Kunsthändlern in Brüssel, Antwerpen und Amsterdam Verbindungen angeknüpft. Von allen Seiten beeilte man sich, den Wünschen des Königs entgegen zu kommen. Selbst ausländische Fürsten wie der Papst Innocenz XIII., der König Viktor Amadeus von Sizilien (Sardinien), der Statthalter der Niederlande u. a. bestrebten sich, das löbliche Unternehmen nach Kräften zu fördern.

Abb. 43. Der Zwingerteich in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 42.)

[S. 49]

Die Gemäldegalerie.

Noch mehr begeistert für die Kunst zeigte sich der Nachfolger Augusts des Starken, sein Sohn Friedrich August II., der schon als Kronprinz bei seinem wiederholten Aufenthalte in Italien in den Jahren 1712, 1713, 1716 und 1717 unablässig für die Erwerbung hervorragender Gemälde eifrig Sorge getragen hatte. Nach seinem Regierungsantritte, am 1. Februar 1733, steigerte sich das Interesse für Bereicherung der Kunstsammlungen noch erheblich und dabei war sein Augenmerk namentlich auf Italien gerichtet. Und hier waren besonders der Graf Algarotti Ventura Rossi, der Gesandte Villio, der alte Kunstkenner Zanetti in Venedig und der Maler C. C. Giovannini in Bologna tätig. Daneben fanden sich auch hilfreiche Geister in Frankreich (Legationssekretär de Brais und der Maler Rigaud), in den Niederlanden und hie und da in Deutschland. Auch in Dresden selbst fehlte es nicht an einflußreichen Ratgebern, wie der Graf Brühl, der Hofmaler Dietrich, der Generaldirektor der Kunstakademie Christian Ludwig von Hagedorn, der Hofmaler Raphael Mengs, der Oberlandbaumeister Pöppelmann. Die bisherigen Räume der Galerie reichten bald nicht mehr aus, so daß 1744 ein Umbau vorgenommen werden mußte. Einstweilen wurden die Gemälde mittels Militär nach der Neustadt in das Japanische Palais geschafft, wo sie bis 1746 blieben. Bei der Neuaufstellung im Stallgebäude (jetzt Johanneum) war man bestrebt, wenigstens bei den vorzüglichen Originalbildern die Gemälde nach Schulen und Landschaften zu ordnen, „während sonst öfter Florentiner und Römer unter den Niederländern und Holländern, man weiß nicht aus welchen Gründen, ihren Platz gefunden hatten.“ (W. Schäfer, Die k. Gemälde-Galerie I. 47.)

Abb. 44. Die Frauenkirche in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 42.)

Unter den wichtigsten Erwerbungen in diesem Zeitraum sind für 1741 zu nennen 268 Gemälde aus der Sammlung des Grafen Waldstein im Schlosse Dux in Böhmen, für 1743 der Ankauf mehrerer Gemälde von Paul Veronese für nur 4000 Taler, sodann die Kopie der Holbeinschen Madonna für 22000 Lire und dann 1745/46 die Gewinnung von 100 wahrhaft klassischen Gemälden aus der Sammlung des Herzogs Franz von Este-Modena für 100000 Zecchinen (etwa 1 Million Mark).

Dresden als deutsches Florenz.

Unter diesen Meisterwerken italienischer Kunst, die auf fünf Wagen verpackt im August 1746 glücklich nach Dresden gelangten, nachdem während des Handels zahllose Schwierigkeiten hatten überwunden werden müssen, befanden sich sechs Gemälde von Correggio, darunter die weltberühmte „Heilige Nacht“ (Abb. 49), die Madonna mit dem heiligen Georg (Abb. 50) und die büßende Magdalena, der Zinsgroschen von Tizian[S. 50] (Abb. 51), ferner Bilder von Andrea del Sarto, Dosso Dossi, Carlo Dolce, Guido Reni, Giulio Romano, Caravaggio, Paul Veronese, Pordenone, den drei Carracci und Guercino; sodann aber waren auch Spanier, wie Ribera und Velasquez, Niederländer wie Rubens und van Dyck vertreten. Dazu kam 1748 noch eine Anzahl von 69 Gemälden aus der kaiserlichen Galerie zu Prag für 50000 Taler, darunter befanden sich u. a. van Dycks Karl I. von England und seine Gemahlin, L. da Vincis Tochter der Herodias, Caravaggios Spieler, Guido Renis Christus mit der Dornenkrone, außerdem Gemälde von Bassano, Tintoretto, Schiavone und mehrere Niederländer, unter ihnen Rubens und Honthorst. Die berühmteste Erwerbung jener Zeit geschah 1753, als es gelang, das beste Werk Raffaels, die Madonna di San Sisto (Abb. 52), aus der Benediktinerklosterkirche zu Piacenza für 20000 Dukaten und eine gleichgroße Kopie von dem venetianischen Maler Giuseppe Nogari zu gewinnen. Man erzählt, daß man, um den kostbaren Schatz sicher und unerkannt über die Grenze und über die Alpen zu bringen, zu einer List seine Zuflucht genommen und das ganze Bild mit einer in Leimfarbe ausgeführten Landschaft — überstrichen habe. Auch an die Ankunft des Meisterwerkes in Dresden, die im November 1753 erfolgte, knüpft sich noch eine anmutige Sage, die sogar im neunzehnten Jahrhundert durch den Maler Theobald von Oër in einem großen Ölbilde verherrlicht worden ist. Der König, erzählt man, war außerordentlich auf die Auspackung und Aufstellung der Madonna gespannt, denn er hatte das Bild schon früher als Kronprinz gesehen und bewundert. Er ließ also das Gemälde zunächst nach dem Thronsaale im Schlosse bringen und fand, als man sich hier nach einem geeigneten Platze für eine vorläufige Aufstellung umsah, daß das Bild das beste Licht empfange, wenn es an die Stelle des Thronsessels gerückt werde. „Allerhöchsteigenhändig“ erfaßte der König den Sessel und schob ihn mit den Worten beiseite: „Platz für den großen Raffael“. Murillos Madonna mit dem Kinde (Abb. 53) wurde 1755 in Paris erworben; aber mit dem bald darauf ausbrechenden Siebenjährigen Kriege hörten die großartigen Erwerbungen auf; es waren indes bereits alle die kostbaren Schätze zusammengebracht, die in Bezug auf die Meisterwerke des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts die Dresdener Galerie zu einer der ersten der Welt machen. „Noch niemals waren (nach H. Hettner) diesseits der Alpen solche Schätze gesehen. Es war eine völlig neue Welt, welche sich der deutschen Bildung durch diese gewaltigen Anschauungen und Anregungen auftat.“ Schon 1756 schrieb Winckelmann darüber in seinem ersten Werke: „Es ist ein ewiges Denkmal der Größe dieses Monarchen (Friedrich August II.), daß zur Bildung des guten Geschmacks die größten Schätze aus Italien, und was sonst Vollkommenes in der Malerei in anderen Ländern hervorgebracht worden war, den Augen aller Welt ausgestellet sind... die reinsten Quellen der Kunst sind geöffnet; glücklich ist, wer sie findet und schmecket. Diese Quellen suchen, heißt nach Athen reisen; und Dresden wird nunmehro Athen für Künstler.“

Aber nicht diese Vergleichung Athens mit Dresden hat sich erhalten und ist volkstümlich geworden, sondern der von Herder erwählte Vergleich mit Florenz, daher Dresden auch als Elbflorenz bezeichnet wird. In einem besonderen Kapitel über die „Kunstsammlungen in Dresden“ schreibt Herder in der Adrastea: „Für Deutschland und das Kurfürstentum Sachsen war es ein Verlust, daß ein Fürst von so seltenen Vorzügen, wie Friedrich August körperlich und geistig besaß, durch die polnischen Verwirrungen und Kriege gehindert ward, für Deutschland allein zu leben... Dresden indes zierte sein prachtliebender Geist mit Gebäuden; unter ihm war es eine Schule der Artigkeit und ist es geblieben. Vor allem aber sind die Kunst- und Altertumssammlungen, die er mit ansehnlichen Kosten stiftete, Trophäen seiner Regierung. Was ein Friedrich August am Anfange des Jahrhunderts anfing, hat ein anderer Friedrich August am Ende desselben vollendet. Durch sie ist Dresden in Ansehung der Kunstschätze ein deutsches Florenz geworden... Von Dresdens Kunstsammlungen geweckt, wurde Winckelmann Lehrer der Kunst für alle Nationen.

Blühe, deutsches Florenz, mit deinen Schätzen der Kunstwelt!
Stille gesichert sei Dresden-Olympia uns.“

Abb. 45. Ansicht von Dresden mit der Alten Brücke.
Gemälde von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto. (Zu Seite 44.)


GRÖSSERES BILD

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Abb. 46. Belvedere und Landeplatz der Dampfschiffe in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 45.)

Die Schicksale der Gemäldegalerie.

Aber dieser kostbare Schatz ist im Laufe der Jahre mancherlei Gefahren, sei es durch Kriegsunruhen oder durch Diebstahl, ausgesetzt gewesen, selbst fanatische Hände haben einzelne Bilder frevelhaft zu schädigen gesucht. Der erste Diebstahl, glücklicherweise an nicht gerade hervorragenden Bildern, geschah schon 1723, — kaum ein Jahr, nachdem ein Inventar der Sammlung aufgenommen war — hierbei war sogar die Schildwache beteiligt. Vierundzwanzig Jahre später, 1747, entwendeten die Feuerwächter, die die Schlüssel zu den Vorratsräumen hatten, ein Bild von Franz van Mieris.

Dann folgten die gefahrdrohenden Zeiten des Siebenjährigen Krieges, die die Stadt Dresden mehrmals in empfindlichster Weise berührten. Friedrich der Große zog am 10. September 1756 in Dresden ein. Der König Friedrich August II. hatte sich auf den Königstein geflüchtet, nur die mutige Königin Maria Josepha war in der Stadt zurückgeblieben. Die Staatskassen und die Kriegsvorräte im Zeughause fielen den Feinden als Beute anheim, die Kunstsammlungen blieben dagegen unberührt. Der preußische König besuchte sogar mehrfach die Gemäldegalerie und bestellte sich beim Hofmaler Dietrich eine Kopie der Magdalena von Battoni, verlangte aber, der Totenkopf solle weggelassen werden. So ist ihm dann am 17. März 1757 die Nachbildung übergeben. — Ängstlicher wurde die Sachlage, als der preußische Kommandant von Schmettau in den Jahren 1758 und 1759 die Stadt gegen den österreichischen Feldmarschall Daun verteidigen mußte. Nachdem die Vorstädte in Flammen aufgegangen waren, erfolgte am 4. September 1759 die Kapitulation der Preußen, und nun beeilte man sich, die kostbarsten Bilder nach dem Königstein zu retten. Allein auch dabei litten manche Gemälde infolge ungenügender Verpackung und Aufbewahrung in nicht ganz trockenen Räumen. Der größte Teil der Gemäldesammlung mußte natürlich in den Galerieräumen (Abb. 54) im Stallgebäude am Neumarkt verbleiben und hatte hier die sehr gefährliche Beschießung der Stadt 1760 zu überstehen. Da viele Geschosse der Preußen gegen die feste Kuppel der benachbarten Frauenkirche gerichtet waren, so wurden manche Gemälde durch Bombensplitter beschädigt, wie z. B. die Taufe Christi von Francia, ein Blumenstück von Mignon, von Sylvester das große Bild, auf dem die Zusammenkunft der königlichen Familie mit der Schwiegermutter, der Kaiserin-Witwe Amalia, zu Neuhaus dargestellt ist, sodann ein Altarbild von Torelli und der Hase von Weenix.

[S. 53]

Dann geschah auch noch im achtzehnten Jahrhundert, kurz vor dem Ausbruch der französischen Revolution, in der Nacht vom 21. zum 22. Oktober 1788 ein überaus frecher Diebstahl, während des Jahrmarktes, wo die Wachen wegen des Straßenlärmes nichts davon vernommen hatten, daß der Dieb das Drahtgitter vor dem Fenster durchbrochen und eine Fensterscheibe eingedrückt hatte, um von der Freitreppe am Jüdenhofe einzusteigen. Geraubt wurden drei kleinere, aber wertvolle Gemälde: Die berühmte Magdalena von Correggio, Das Urteil des Paris von Adrian van der Werff und ein jugendlicher Kopf mit Hut und Straußfeder von Seibold.

Abb. 47. Treppe zur Brühlschen Terrasse in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 45.)

Bei dem Bilde Correggios mochte der Dieb wohl ganz besonders sein Augenmerk auf den mit Edelsteinen (?) besetzten silbernen Rahmen gerichtet haben. Der Diebstahl wurde natürlich am nächsten Morgen sofort entdeckt und von seiten der Galeriedirektion dem Entdecker oder Wiederbringer der gestohlenen Bilder eine Belohnung von 1000 Dukaten zugesagt. Wenige Tage darauf fand ein Laternenwärter, als er frühmorgens die Laternen auslöschte, in der Nähe des jetzigen Hôtel Bellevue an einem Laternenpfahl eine Kiste angelegt mit einem Briefe, der unmittelbar an „Se. Durchlaucht den Kurfürsten zu Sachsen“ gerichtet war. Bei der Öffnung der Kiste fanden sich die Bilder van der Werffs und Seibolds und der Brief enthielt das Verlangen, dem unbekannten Übersender der Bilder 1000 Dukaten an einen Halbstundenstein in der Nähe des Wilden Mannes bei Dresden-Neustadt niederzulegen, worauf auch das Bild Correggios wieder ausgeliefert werden würde. Durch diese seine Handschrift und einige unvorsichtige Äußerungen hatte sich der Dieb bald selbst verraten, es war ein übelberufener Feldbesitzer in der Neustadt, Johann Georg Wochaz, der am 8. November bereits eingezogen werden konnte, nachdem man sich durch List noch eine zweite Probe seiner Handschrift verschafft hatte. Der Übeltäter leugnete zwar, wurde aber bald überführt, da man unter den aufgehobenen Dielen des obersten Bodens bei[S. 54] der mitten im Dache aufsteigenden Esse, nächst anderem gestohlenen Gute, auch das noch fehlende Bild von Correggio fand nebst dem größeren Goldrahmen und dem kleineren silbernen Rahmen, aus dem die Steine zwar ausgebrochen, aber noch daneben verwahrt waren. Der Verbrecher, der auch überführt wurde, die katholische Hofkirche beraubt zu haben, büßte seine Taten mit lebenslänglichem Zuchthause. Übrigens erhielt die Magdalena von Correggio den gefährlichen Silberrahmen nicht wieder. Auch in späteren Zeiten bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts kamen Diebstähle vor, denen u. a. ein kleines Bild Holbeinscher Schule und eine Skizze von Adrian Brouwer zum Opfer fielen; doch wurde ein berühmtes kleines Bild von Gabriel Metsu „Die junge Briefleserin“, das 1849 von einer Frau aus Langensalza entwendet wurde, in Leipzig wiedererlangt, wo es unvorsichtigerweise zum Kaufe angeboten war.

In demselben Jahre kam die Galerie zum letzten Male in große Gefahr, als während des Maiaufstandes in Dresden der Kampf zwischen dem von Militär besetzten Stallgebäude und den Aufständischen, die die Häuser auf der anderen Seite des Neumarktes besetzt hielten, wütete. Zwar waren die besten Bilder noch zeitig von den Wänden, die den Geschossen ausgesetzt waren, abgenommen; trotzdem wurden mehr als 70 Gemälde von Kugeln durchbohrt, darunter leider auch die Madonna von Murillo, ferner Bilder von Rubens, Celesti, Le Brun, Sylvestre und ein Pastellbild von Liotard. Unentdeckt ist leider die Frevelhand geblieben, die 1858 am 9. März, um Mittag, während der Besuchszeit, die Bilder von Guido Reni, Der trinkende Bacchus, und von Albano, Die badende Diana, mit einem spitzen Instrument durch Stiche verletzte und aus einer Kreuzigung Christi den Christuskopf herausschnitt.

Abb. 48. Die katholische Hofkirche und das Königl. Schloß in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 45.)

Die Räume, in denen diese Gemäldesammlung ein Jahrhundert lang aufgestellt gewesen war, erwiesen sich aber, je länger um so mehr, als unzureichend, als bedenklich, ja als gradezu verderblich; denn die Bilder konnten nicht gegen den eindringenden Steinkohlenrauch geschützt und vor den Einflüssen starker Temperaturwechsel bewahrt werden,[S. 55] weil es keine Heizvorrichtungen gab. Man mußte ein langsames, aber unausbleibliches Verderben des unersetzbaren Schatzes befürchten; davon hatte sich auch die Regierung überzeugen müssen. Ein Gutachten des Kunstmäcens J. G. von Quandt ging 1842 dahin, daß es eine Verpflichtung gegen die ganze zivilisierte Welt sei, ein Museum zu bauen, dessen Lage Gemälde von so hohem Werte vor zerstörenden Einflüssen sichere. Ehe Regierung und Landtag sich aber über die Wahl des Ortes einigten, wo der Neubau errichtet werden sollte, vergingen noch einige Jahre, bis die Stände 1845/46 die geforderte Summe von 350000 Talern bewilligten und den vorgeschlagenen Platz an der nördlichen Abgrenzung des Zwingers genehmigten. Auf diese Stelle als die geeignetste hatte der berühmte Baumeister Schinkel in Berlin schon zehn Jahre früher hingewiesen. Vor allem war aber König Friedrich August selbst auf das wärmste dafür eingetreten, der immermehr in ihrer Eigenart als unschätzbar anerkannten Gemäldesammlung ein ihrer würdiges Bauwerk zu errichten. Die Ausführung wurde dem genialen Gottfried Semper übertragen, worauf dann die Grundsteinlegung am 23. Juli 1847 erfolgte. Erst acht Jahre später, 1855, war der monumentale Bau im Äußeren und Inneren vollendet (Abb. 55).

Abb. 49. Die heilige Nacht.
Gemälde von Correggio in der Dresdener Galerie. (Zu Seite 49.)

Aber schon seit 1852 hatte man unter Schnorrs Leitung (von 1846–71) auf Neuerwerbungen Bedacht genommen, wenn auch anfänglich in bescheidenem Maße. Die neuere Malerei konnte aber erst seit 1873, als in einmaliger Bewilligung des Landtages bedeutende Mittel zur Verfügung gestellt wurden, in ausgedehnter Weise berücksichtigt werden. Dazu standen seit 1880 auch noch die Zinsen der Pröll-Heuer-Stiftung zur Verfügung.

Wir kehren nach dieser Abschweifung ins neunzehnte Jahrhundert wieder in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zurück.

„Die Zeit größerer Bauten und anderer Kunstunternehmungen erscheint mit Vollendung der im Jahre 1751 zwar nicht völlig beendeten, aber eingeweihten katholischen Hofkirche vorerst abgeschlossen. Die Greuel des Siebenjährigen Krieges brachen herein, und sie, nicht nur die notgedrungene Zahlungseinstellung der sogenannten Pensionen an die immer noch zahlreichen Hofkünstler, vertrieben eine schaffende Kraft nach der anderen, denen übrigens weder der Adel noch andere Wohlhabende in einer Zeit Hilfe zu bieten vermochten, wo jeder, der nur irgend konnte, Dresden verließ.“ (Wießner.)

Die Gründung der Kunstakademie.

So konnte denn eine Kunstakademie erst unter dem Kurfürsten Friedrich Christian und seiner hochbegabten, kunstverständigen Gemahlin Maria Antonia ins Auge gefaßt werden; aber die Verwirklichung erfolgte erst nach dem unerwartet plötzlichen Tode des Kurfürsten (17. Dezember 1763) unter der Administration des Prinzen Xaver August, der dann auch das Protektorat über die Akademie übernahm.

[S. 56]

Nachdem schon eine sogenannte Malerakademie in den vorhergehenden Jahrzehnten nur gelegentlich ein dürftiges Dasein gefristet hatte, trat nach dem Reskript vom 6. Februar 1764 eine volle Kunstakademie (Abb. 56 u. 57) mit den vier Abteilungen für Malerei, Bildhauer-, Kupferstecher- und Baukunst unter einem deutschen Generaldirektor, unter Christian Ludwig v. Hagedorn ins Leben.

Zu den Lehrern, die bereits 1766 an die Akademie berufen wurden, gehörten auch die beiden Schweizer Anton Graff (1730 bis 1813) und Adrian Zingg (1734–1816), und zwar Graff als Porträtmaler und Zingg als Kupferstecher und Landschaftsmaler. Ihnen werden wir in unserer Darstellung der Sächsischen Schweiz noch einmal begegnen. Zingg war der erste, der von den malerischen Ansichten des Sandsteingebirges die ersten naturgetreuen und wenn auch manierierten, so doch nicht stilvoll verzerrten Darstellungen entwarf. Die Arbeiten seiner Schüler, zu denen Chr. Klengel (1751–1824) und C. A. Richter, der Vater von Ludwig Richter (1803–1884), gehörten, haben wohl ebensoviel wie die Beschreibungen zum Bekanntwerden der mannigfachen Schönheiten der Sächsischen Schweiz beigetragen.

Abb. 50. Die Madonna mit dem heiligen Georg.
Gemälde von Correggio in der Dresdener Galerie. (Zu Seite 49.)

Zu den Zierden der Akademie gehörten in späterer Zeit die Maler Schnorr von Carolsfeld (1794–1872), Ludwig Richter (1803–1884), Bendemann (1811 bis 1889), Preller (1838–1901), Prell (geb. 1854), die Bildhauer Rietschel (1804 bis 1861), Hähnel (1811–1891), Schilling (geb. 1828) und der Architekt Semper (1803–1879). Dreien derselben und zwar Richter, Rietschel und Semper sind auf der Brühlschen Terrasse, wo sich auch die neue von Lipsius (1890–1894) erbaute Akademie erhebt, Denkmäler errichtet.

Das Königliche Opernhaus.

Hervorragende Bauwerke wurden in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, außer der schon erwähnten Kreuzkirche, nicht mehr errichtet, ebensowenig in der schwer auf Sachsen lastenden napoleonischen Zeit. Erst unter König Friedrich August II. (1836–1854) erhielt Dresden erhöhten Glanz in architektonischer Hinsicht durch Gottfried Semper, einen der geistvollsten Vertreter der Renaissance. Sein Museum (1846–1855) gehört zu den hervorragendsten Bauwerken der Neuzeit. Die Wirkung des Außenbaues wird durch den plastischen Schmuck wesentlich gehoben. Sempers zweites Werk, das Hoftheater (1838–1841), wurde leider 1869 durch Feuer vollständig zerstört. Und wenn auch das neue, ebenfalls von Gottfried Semper und seinem Sohne Manfred erbaute Königliche Opernhaus (Abb. 58) an demselben Platze in der Nähe des Museums und des Schlosses und in demselben Stil entworfen wurde, so macht selbst der größere umfängliche Bau, infolge gesteigerter Ansprüche an die Inszenierung der Spiele, nicht den einheitlichen sympathischen Eindruck wie das erste[S. 57] Werk. Das neue Opernhaus entstand in den Jahren 1871–1878, und zehn Jahre später wurden nach der Jubelfeier des Hauses Wettin 1889, an das ein von Schilling entworfenes Denkmal in Gestalt eines Obelisken in der Nähe des Schlosses (Abb. 59) erinnert, auch, zunächst durch Bewilligung der Stände dem allverehrten Könige Albert die Mittel angeboten, dem Schlosse selbst äußerlich einen reicheren und eines Fürstensitzes würdigen Schmuck zu verleihen. So erheben sich nun in der Umgebung des Schloß- und Theaterplatzes eine Anzahl von Staatsgebäuden, wie sie kaum in solcher Pracht in einer Großstadt auf so kleinem Raum vereinigt sind und doch dem Beschauer freien Umblick nach allen Seiten gestatten.

Die Bevölkerung Dresdens.

Wir wollen nun einen kurzen Blick auf das Wachstum der Stadt werfen und werden daraus ersehen, daß wie fast alle deutschen Städte, die Zunahme der Bevölkerung in früheren Jahrhunderten sehr langsam vor sich ging, teils weil es damals weit schwieriger war, einen festen Wohnsitz in der Stadt zu erlangen, teils weil der Mauerring eine Vermehrung der Wohnungen erschwerte und die Vorstädte außerhalb der Mauern sich nur in bescheidener Weise ausdehnten, da die Bewohner in unruhigen Zeiten, in Kriegen stets des Verlustes ihrer Häuser gewärtig sein mußten. Das hatte sich von den Hussitenzeiten bis zum Siebenjährigen Kriege bestätigt gefunden. Erst als seit 1811 die Stadtmauern niedergelegt, die Wallgräben ausgefüllt wurden und Dresden aufhörte eine feste Stadt zu sein, trat allmählich eine raschere Zunahme der Bevölkerung ein. Doch unterscheidet sich das Wachstum nach 1860 wieder auffällig von der vorhergehenden Zeit. Zwischen 1860 und 1890 wuchs die Einwohnerzahl in je zehn Jahren um je 50000; auch 1890 ward die jährliche Zunahme noch bedeutender, wozu auch die immer noch andauernde Einverleibung der Vororte wesentlich beitrug.

Abb. 51. Der Zinsgroschen.
Gemälde von Tizian in der Dresdener Galerie. (Zu Seite 49.)

Die Schulen Dresdens.

Im ganzen Mittelalter erreichte die Stadt noch nicht die Zahl von 10000 Bewohnern, für 1699, also in den ersten Regierungsjahren Augusts des Starken, wird sie auf 21000, 1727 auf 46000 und 1752 auf 63000 Einwohner angegeben. Damit sind wir am Ende der ruhigen Entwickelung des achtzehnten Jahrhunderts angelangt. Die verhängnisvollen Zeiten von 1756–1815 verminderten die Bevölkerung und erst 1834 konnte wieder ein sichtliches Wachstum auf 74000 Einwohner wahrgenommen werden. Im Jahre 1855 wurde die Zahl von 100000 überschritten und damit trat Dresden in die Zahl der Großstädte ein. 1861 zählte die Stadt 128000, 1871: 177000, 1880: 221000, 1890: 277000, 1900: 295000. Nach der Einverleibung der nächsten Vororte Strehlen, Striesen, Gruna und Pieschen folgten die Dörfer Räcknitz, Zschertnitz und Seidnitz links der Elbe und am 1. Januar 1903 Mickten, Übigau, Kaditz und Trachau rechts der Elbe, sowie Plauen, Löbtau, Cotta, Naußlitz und Wölfnitz auf dem linken Ufer. Dadurch hat die Stadtgemeinde von Dresden nahezu[S. 58] die Bevölkerung von einer halben Million Einwohner erreicht. Das Stadtgebiet umfaßt nunmehr einen Flächenraum von 6230,31 ha, also über 62 Quadratkilometer. Wenn aber neben der immer wachsenden Zahl der einheimischen Bevölkerung auch eine große Anzahl von Fremden zeitweilig ihren Wohnsitz in Dresden nimmt, so sind neben den Kunstsammlungen, die im achtzehnten Jahrhundert allein eine große Anziehungskraft ausübten, im neunzehnten Jahrhundert noch andere Gründe hinzugetreten. Zunächst die vorzüglichen Leistungen der Königlichen Theater, namentlich der Oper mit dem festbegründeten Ruf der Königlichen Kapelle unter der Leitung von Komponisten wie Reissiger, Weber (Abb. 60) und Wagner oder Dirigenten wie Rietz, Wüllner und Schuch. Dann aber ist Dresden auch durch seine Schulen berühmt. Wenn Herder die Stadt Dresden noch eine Schule der Artigkeit nannte, dann ist es im neunzehnten Jahrhundert auch für viele Fremde eine Schule der Bildung geworden. Die wissenschaftlichen Arbeiten werden wesentlich durch die schon von Kurfürst August im sechzehnten Jahrhundert begründete Bibliothek im Japanischen Palais (Abb. 61) gefördert, die über 400000 Bände zählt. Unter den Schulen sind in erster Reihe die drei Hochschulen zu nennen: die Technische Hochschule, die Kunstakademie und die Tierärztliche Hochschule, ferner vier Gymnasien, unter ihnen als ältestes die Kreuzschule (Abb. 62), zwei Realgymnasien, ein Reformgymnasium, zwei Schullehrerseminare, ein Lehrerinnenseminar, Kunstgewerbeschule, Taubstummen- und Blindenanstalt, zahlreiche gewerbliche Fachschulen, Baugewerkenschule sowie viele Bürger- und Volksschulen, außerdem aber noch mehrere private Realschulen, Mädchenschulen und Pensionate. Von diesen Bildungsanstalten verdient wegen ihrer Beziehung zur Pflege der bildenden Künste die Kunstgewerbeschule noch eine besondere Erwähnung. Diese Bildungsanstalt zweigte sich von dem Polytechnikum 1865 als Königliche Schule für Modellieren, Ornament- und Musterzeichnen ab. Einen Aufschwung nahm diese Schule erst 1875 als Königlich Sächsische Kunstgewerbeschule. Mit dieser Schule ist ein Kunstgewerbemuseum verbunden. Einzig in ihrer Art ist die Gehe-Stiftung durch unentgeltlichen Besuch ihrer Vorträge und Benutzung der reichhaltigen Bibliothek.

Endlich hat sich im neunzehnten Jahrhundert auch die Industrie in verschiedenen Zweigen mächtig entwickelt und in manchen Zweigen eine führende Rolle eingenommen. Weltberühmt sind die Drogen von Gehe & Cie., ferner Schokoladen, Nähmaschinen und Fahrräder, Mineralwässer, künstliche Blumen, photographische Apparate und Papiere, Lichtdrucke, Zigaretten, Gummiwaren, Hohlglas- und Steingutwaren und bedeutende Bierbrauereien; dazu kommen noch in den Vororten zahlreiche Kunst- und Handelsgärtnereien.

Abb. 52. Die Sixtinische Madonna.
Gemälde von Raffael in der Dresdener Galerie. (Zu Seite 50.)

Industrie und Handel Dresdens.

Diesen blühenden und sehr mannigfachen Gewerben entsprechend, hat sich auch der Handel entwickelt, der wiederum durch[S. 59] zwei größere Banken, die Sächsische und Dresdener Bank und mehrere Privatbanken eine gewichtige Förderung findet.

Abb. 53. Maria mit dem Jesusknaben.
Gemälde von Murillo in der Dresdener Galerie. (Zu Seite 50.)

Dem wachsenden Verkehr innerhalb der Stadt wurde Rechnung getragen durch den Durchbruch großer Straßenzüge aus der Mitte der Stadt nach den Vorstädten. Diese erfolgten nur in der von Haus aus enger und winkliger gebauten Altstadt. Es sind die Wettinerstraße, König-Johann-Straße und Johann-Georgen-Allee. Dann wurden auch die Alleen auf den ehemaligen Festungsgräben und Stadtwällen in breite Ringstraßen verwandelt. Doch hat auch die Neustadt nach Verlegung der Kasernen in die Albertstadt auf dem Boden der Dresdener Heide bedeutende Bauflächen auf dem rechten Elbufer gewonnen, durch welche von der Carolabrücke her die Albertstraße gelegt ist, an deren Anfang auf beiden Seiten, mit der breiten Front gegen die Elbe, die beiden stattlichen Neubauten der Ministerien sich erheben.

Der Verkehr auf der Elbe erhielt einen bedeutenden Aufschwung durch die Eröffnung der Dampfschiffahrt. Nachdem die Sächsisch-böhmische Dampfschiffahrtsgesellschaft am 6. Juli 1836 die Genehmigung von der Regierung erhalten hatte, wurde am 30. Juli 1837 mit dem ersten Dampfschiffe die erste Übungsfahrt von Dresden nach Meißen unternommen und damit der Dampferverkehr eröffnet. Gegenwärtig besitzt diese Gesellschaft siebenunddreißig Personendampfer, drei Schraubendampfer, einen Schiffsbauplatz in Laubegast und einen Winterhafen in Loschwitz.

Außerdem sind für den Frachtverkehr auf der Elbe tätig: Die Kette, Deutsche Elbschiffahrtsgesellschaft, die ihren Schiffsbauplatz in Übigau besitzt, ferner die Österreichische Nordwest-Dampfschiffahrtsgesellschaft, die Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft der vereinigten Elbe- und Saale-Schiffer und die Deutsch-österreichische Dampfschiffahrts-Aktiengesellschaft.

Der Eisenbahnverkehr wurde 1839 durch die Leipzig-Dresdener Eisenbahn eröffnet. Daran schloß sich die schlesische Linie nach Görlitz 1847, die böhmische Linie 1851, die Linie nach Chemnitz 1869 und die nach Berlin 1875 an. So liegt Dresden gegenwärtig im Knotenpunkte der Verkehrslinien, die von Westen nach Osten Deutschland durchschneiden und von Norden nach Süden die Hauptstädte des Deutschen Reiches und Österreichs verbinden. Alle Linien laufen in dem neuen Hauptbahnhof (Abb. 63), der an die Stelle des Böhmischen Bahnhofes getreten ist, in der Altstadt zusammen. Die Verbindung der Eisenbahnlinien rechts und links der Elbe erfolgte nach Vollendung des Baues der Marienbrücke, unterhalb der Alten Brücke, 1852, die aber auch zugleich für den Wagenverkehr zwischen Altstadt und Neustadt diente. Diese Verbindung ist 1901 aufgehoben, nachdem eine besondere Eisenbahnbrücke nahe[S. 60] unterhalb der Marienbrücke infolge des wachsenden Verkehrs notwendig wurde. Auch oberhalb der Alten Brücke erheischte die immer größere Ausdehnung der Stadt noch den Bau von zwei steinernen Brücken: der Albertbrücke 1877 und der Carolabrücke 1895. Somit besitzt die Stadt nunmehr vier Brücken, die ihrem Verkehr dienen und eine dem Staat gehörige Eisenbahnbrücke. Dresden ist eine der schönstgelegenen und auch im Inneren schönsten Großstädte des Deutschen Reiches.

Abb. 54. Der Galeriehof des Königl. Schlosses zu Dresden.
Nach einem Stiche von Hammer. (Zu Seite 52.)


Berühmte Dresdener.

Anhangsweise seien hier noch die berühmten Männer, die in Dresden geboren sind, in alphabetischer Reihe genannt:

[S. 61]

V.
Die Sächsische Schweiz. Allgemeines.

Die Sächsische Schweiz.

An den Dresdener Talkessel schließt sich gegen Südosten als zweites Zwischenglied zwischen dem Erzgebirge und dem Lausitzer Hochlande das Sandsteingebirge an, das unter dem Namen der „Sächsischen Schweiz“ allgemein bekannt ist. Die Sand- und Plänerablagerungen der Kreidezeit haben sich hier in größerem Zusammenhange erhalten, während sie im Talkessel der Elbe in die Tiefe gesunken sind. Das ist besonders in Dresden selbst bei Bohrung eines artesischen Brunnens auf dem ehemaligen Antonsplatz, der jetzt von der städtischen Markthalle eingenommen wird, nachgewiesen, denn hier liegen die Schichten derart übereinander, daß zu oberst eine 15 m mächtige Schicht von Sand und Geröll liegt, darunter 129 m mächtig unterer Pläner, darunter 19 m unterer Quadersandstein und dann erst folgen ältere Gesteine, namentlich roter Sandstein. In der Sächsischen Schweiz spielt dagegen der Quadersandstein eine weit größere Rolle als der Plänerkalk und die Ausdehnung des Sandsteins bestimmt daher auch die Grenzen der Sächsischen Schweiz. Die Westgrenze bildet etwa die nordsüdliche Linie von Pirna über Berggießhübel an der Gottleuba aufwärts und weiter über Tyssa nach Königswald an der Eisenbahnlinie von Bodenbach nach Teplitz; auch die Grenze gegen den Dresdener Elbtalkessel verläuft rechts der Elbe von Pirna nach Bonnewitz noch in derselben Richtung. Von Bonnewitz, östlich vom Porsberge gelegen, läuft die Grenze, ohne daß der Gegensatz des Lausitzer Granitgebietes und des Sandsteinlandes überall orographisch sofort in die Augen fiele, erst in östlicher Richtung über den Lohmener Wald, Hohnstein, Lichtenhayn und Ottendorf nach Hinterhermsdorf und wendet sich von hier mehr südlich über Hinterdaubitz nach Kreibitz. Von hier aus kehren wir nach der Elbe zurück, überschreiten sie bei Tetschen, wo das Schloß auf dem südlichsten Sandsteinfelsen an der Elbe sich erhebt und verfolgen von hier weiter westwärts das Tal am Südfuße des Hohen Schneebergs bis nach Königswald. Die so umschriebene Fläche hat nur die Größe von 450 qkm. Also seiner Ausdehnung nach gehört das Gebirge mit zu den kleinsten in Deutschland und ebenso gehört es auch zu denen, die durch ihre Höhen und Gipfelpunkte keineswegs einen bedeutenden Eindruck machen.

Abb. 55. Die Gemäldegalerie in Dresden. Fassade nach dem Theaterplatz.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 55.)

[S. 62]

Wenn trotzalldem die Sächsische Schweiz zu den von Fremden am meisten besuchten Gebirgen in Deutschland zu rechnen ist, so muß sie reizvolle Einzelheiten bieten, die eine große Anziehungskraft ausüben. Diese Eigenart ist schon in dem Namen Sächsische Schweiz angedeutet, wenn auch ein ernster Vergleich der wirklichen Schweiz mit unserem Gebirge das Maß der Ähnlichkeiten gewaltig einschränken würde.

Die Entstehung des Namens Sächsische Schweiz.

Es liegt in dem Namen aber auch zugleich ausgesprochen, daß der Vergleich aus verhältnismäßig neuer Zeit stammen muß und daß er natürlich erst in einer Zeit erteilt sein konnte, wo man die Schönheiten der wirklichen Schweiz zu würdigen lernte; und das geschah erst in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts.

Man darf zunächst daraus schließen, daß das Sandsteingebiet früher einen anderen Namen gehabt habe, und wenn man auch zugeben muß, daß Gebirge und Flüsse nur selten in langen Zeitläuften ihren Namen ändern, so wird man hier doch nach einem solchen forschen. Die Kleinheit des Gebirges und die geringen Erhebungen seiner Gipfel lassen aber zugleich die Vermutung aufkommen, daß, wenn das Gebiet nicht einen besonderen Namen getragen hat, es zu einem anderen, mächtigeren Gebirge muß gerechnet gewesen sein; denn man mag von den Höhen der Lausitz oder von den östlichen Höhen des Erzgebirges sich der Sächsischen Schweiz zuwenden, immer wird man überrascht sein, den Blick nach unten, aber nicht nach oben richten zu müssen, also das Sandsteingebirge gleichsam unter sich zu sehen.

Abb. 56. Die Königl. Kunstakademie in Dresden, von der Neustadt gesehen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 56.)

Nun ist bekannt, daß seit dem Mittelalter alle Gebirge, die das Land Böhmen mit ihrem Waldgürtel umgeben, die böhmischen Wälder hießen und zwar nicht bloß der jetzt noch so genannte Böhmerwald, sondern auch das Erzgebirge, die Sächsische Schweiz, das Lausitzer- und das Riesengebirge. Es war ein volkstümlicher Ausdruck, wie daraus hervorgeht, daß auch der Urtypus aller fahrenden Leute, Till Eulenspiegel „Dresden vor dem Böhmerwalde“ mit seinem Besuche beehrte, daß aber auf der anderen Seite, ich möchte sagen, offiziell der Name Böhmerwald[S. 63] für das Erzgebirge anerkannt wurde, wenn der Kurfürst August von Sachsen auf den von ihm selbst gezeichneten Reiserouten bei seiner Fahrt zum Regensburger Reichstage, 1575, über das Erzgebirge den Namen Böhmerwald einträgt. Und so wurde mehrfach noch im achtzehnten Jahrhundert die Sächsische Schweiz als ein Teil des Böhmerwaldes angesehen. In Sachsen selbst und zwar vorwiegend in der Nähe des Gebirges hörte man damals wohl auch die Bezeichnung „die Heide über Schandau“, aber es ist bezeichnend genug, daß mit diesem Ausdruck nur der ununterbrochene Wald, aber nicht die grotesken Felsenberge getroffen werden. Es gab also tatsächlich keinen allgemein bekannten Namen für das Sandsteingebirge, und es war also in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts eigentlich die günstigste Gelegenheit, das Gebirge zu benennen und es wurde dies fast zur Notwendigkeit, seitdem die Freunde einer erhabenen Natur immer zahlreicher in die einsamen Gründe und auf die Felsenberge sich hinaufwagten.

Abb. 57. Die Königl. Kunstakademie in Dresden. Ausstellungsbau.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 56.)

Die Maler Zingg und Graff in Königstein.

Die Veranlassung zu dem anfänglich von verschiedenen Seiten mit Kopfschütteln aufgenommenen Namen „Sächsische Schweiz“ haben zweifellos die beiden Schweizer Maler Zingg und Graff gegeben, die, wie bereits mitgeteilt ist, 1766 an die Kunstakademie in Dresden als Lehrer berufen wurden, aber erst später, und zwar Graff 1789 und Zingg 1803, den Titel Professor erhielten.

Gleich im ersten Jahre ihres Aufenthaltes in Dresden machten diese beiden Schweizer (Graff stammte aus Winterthur und Zingg aus St. Gallen) gemeinschaftlich einen Ausflug in das Sandsteingebirge, der so abenteuerlich verlief, daß es sich verlohnt, näheres darüber zu berichten. Wir folgen dabei der den Akten entnommenen Darstellung des ersten Herausgebers von „Über Berg und Tal“, Rechtsanwalt Gautsch.

Eines schönes Sommertags 1766 früh nahmen die beiden Schweizer ihre Zeichenmappen unter den Arm und den Wanderstab in die Hand und wanderten den vor den Toren der Residenz sichtbaren Bergen entgegen. Unbesorgt um Paß- und Polizeivorschriften[S. 64] gelangten sie am Mittwoch, den 27. August ungehindert an den Fuß des Königsteins, kehrten in der neuen Schenke vor der Festung ein und sprachen hier gegen den Wirt unverhohlen die Absicht aus, bei ihm einige Tage zu verweilen.

Abb. 58. Das Hofopernhaus in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 56.)

Der Wirt, der damals ohne Erlaubnis des Festungskommandanten keinen Fremden beherbergen durfte, meldete pflichtschuldigst am Abend, kurz vor Torschluß, seine Gäste bei dem damaligen Unterkommandanten der Festung, Oberst von der Pforte, an und übersandte zugleich ein Schreiben der Reisenden, worin sich der eine Graff und kurfürstlicher Hofmaler, der andere aber Zingg, Plattenstecher und Mitglied der Dresdener Akademie nannte und beide um die Erlaubnis baten, in der Schenke bleiben zu dürfen.

Der Oberst erlaubte ihnen das Übernachten daselbst, weil ihm die Namen „einigermaßen“ bekannt waren und weil es bereits später Abend geworden war, ließ jedoch denselben wissen, daß ihnen ein längeres Verweilen ohne Passe-port von ihm nicht gestattet werden könne.

Zinggs Abenteuer.

Graff, der wohl nur zur Gesellschaft mitgewandert war und keine Landschaften aufnahm, ging daher am andern Tage wieder nach Dresden zurück. Zingg dagegen, der hier überall Vorwürfe für landschaftliche Zeichnungen fand, wanderte mit seiner Zeichenmappe noch nach Schandau und kehrte erst nachmittags von da nach Königstein zurück, wo er in dem Gasthofe einkehrte. Inzwischen hatte Oberst von der Pforte erfahren, daß Zingg Ansichten vom Königstein aufnehmen wolle, auch schon die Gegend um den Lilienstein aufgenommen und abends am Königsteiner Wege unter der Festung gezeichnet habe. Das erschien dem für die Sicherheit seiner Festung besorgten Unterkommandanten doch im höchsten Grade bedenklich. Er ließ daher den Gerichtsvogt Jahn im Städtchen von dem allen unterrichten, damit derselbe Vorsichtsmaßregeln treffen könnte.

Jahn nahm daher den verdächtigen Maler ins Verhör, befragte ihn über den Zweck seines Hierseins und verlangte seinen Paß. Weil Zingg nun keinen Paß hatte, auch sich „seiner Verrichtungen halber nicht legitimieren konnte“, so wurde ihm von seiten des Stadtrates Stubenarrest angekündigt und Beschlag auf seine Effekten gelegt.

[S. 65]

Bei Durchsicht der Habseligkeiten fand man, daß Zingg den Lilienstein, alle vier Seiten der Festung Königstein und die Passage über die Elbe bei der Ziegelscheune, wo im Jahre 1756 die sächsische Armee übergegangen, aufgenommen hatte. Der Bürgermeister nahm ihm diese gefährlichen Zeichnungen weg und erstattete sofort an das Amt Pirna, seine vorgesetzte Behörde, über den Vorgang Bericht, sendete die Zeichnungen mit ein und fragte an, was mit dem Arrestanten geschehen solle.

Tags darauf langte der Bescheid des Amtmannes an: „Da dergleichen charakterisierte und bei Hof engagierte Personen keine Legitimationes oder Passe-ports, wie sie verlangt worden, und welche nur ein Militär-Terrorismus wären, nötig hätten, so sei Arrestant sofort wieder auf freien Fuß zu stellen und könne sich noch länger im Städtchen Königstein aufhalten und bei seiner Rückkehr nach Dresden die in das Amt gesendeten Zeichnungen wieder abholen.“

Über diesen der Kunst günstigen Bescheid beschwerte sich aber der Kommandant beim Generalfeldmarschall Prinzen Chevalier de Saxe, und dieser wiederum beim Administrator von Sachsen, dem Prinzen Xaver. Daraufhin bekam das Amt einen Verweis.

Zingg aber richtete nun ein Gesuch an die Regierung, worin er bat, ihm die Ausübung seiner Kunst überall in Sachsen zu gestatten. Darauf erhielt er unterm 20. August 1768 den Bescheid: „Dem Zingg bleibt zwar frei, die ihm gefälligen Gegenden in hiesigen Landen zu zeichnen und wird er auf sein Anmelden mit den hierzu etwa erforderlichen Pässen versehen werden, jedoch ist die Festung Königstein hiervon ausgenommen.“ An diese Ausnahme scheint sich Zingg später aber nicht gekehrt zu haben, denn wir finden unter seinen radierten Ansichten mehrfach den Königstein vertreten.

Abb. 59. Das Königliche Schloß und die Wettinsäule in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 57.)

Ein günstiger Zufall hat das Skizzenbuch Zinggs vom Jahre 1766 erhalten, es befindet sich in der Kupferstichsammlung der Sekundogenitur des Königlichen[S. 66] Hauses. Und unter diesen Zeichnungen befindet sich auch ein Blatt, eine Studie von einer alten Weide am Elbufer, mit der handschriftlichen Bemerkung Zinggs: „Den 30. August 1766, ware arretiert worden“ (Abb. 64).

Zweifellos haben Zingg und Graff auch die Veranlassung gegeben, daß sich auch aus der Schweiz Schüler einfanden, um unter ihren berühmten Landsleuten sich ganz der Kunst zu widmen. Daß Zingg als Kupferstecher und Landschafter weit mehr Veranlassung hatte, unser schönes Bergland immer wieder zu durchwandern, als der Porträtmaler Graff, das liegt auf der Hand, davon zeugen auch die zahlreichen in Sepia ausgeführten Umrißradierungen, die noch von Zingg bekannt sind.

Fabrikmäßig wurden die zierlichen, geschickt ausgemalten Blätter und Blättchen, mit Zinggs Stempel versehen, auf den Markt geworfen — Zingg selbst bezog mit großen gefüllten Mappen zu dem Behufe die Leipziger Messen —; aber bei einer solchen Massenproduktion mußte man eines guten Absatzes gewiß sein — und die Käufer waren nicht lediglich Liebhaber der Kunst, sondern vorwiegend Freunde der Sächsischen Schweiz, die sich Zinggs Blätter (Abb. 65) als Andenken erwarben. Unter ihnen wahrscheinlich auch Landsleute von Zingg. — Nun lesen wir in der von Götzinger verfaßten Geschichte und Beschreibung des Amts Hohnstein und Lohmen vom Jahre 1786 die Bemerkung: Alle Schweizer, welche die hiesige Gegend besucht haben, versichern, daß sie mit den schweizerischen Gegenden sehr viel Ähnlichkeit habe. Götzinger, der erste Schriftsteller und Lobredner der Sächsischen Schweiz, ist hier durchaus glaubwürdig; denn es wird ziemlich um dieselbe Zeit auch von anderer Seite bezeugt, daß von Schweizern zuerst die Vergleichung der Sandsteinfelsen mit den Schweizerbergen ausgegangen sei.

Man nahm bisher an, daß der Name „Sächsische Schweiz“ zuerst 1794 in der Literatur nachweisbar sei. Allein wir müssen noch weiter, noch vor dem Erscheinen der ersten Schrift Götzingers (1786) zurückgehen. Da findet sich nun in Hasches Umständlicher Beschreibung Dresdens (Leipzig 1783, II. 453) folgende Stelle zunächst in unmittelbarer Beziehung zu dem Plauischen Grunde: „Diese Sächsische Schweiz im kleinen, eine außerordentlich schöne Gegend fürs Auge,... ein Tal, so schön als die Natur nur bilden kann“ u. s. w. Der Plauische Grund wird jene Sächsische Schweiz im kleinen genannt; es mußte also damals jedermann bereits verstehen, was der Verfasser mit diesem Vergleiche sagen wollte. Der Ausdruck „Sächsische Schweiz“ mußte schon in aller Munde sein, denn der Verfasser macht keinerlei Andeutung, daß das eine neue, noch ungewohnte Bezeichnung sei. Dann mußte sie doch wohl schon Jahre vorher entstanden oder erfunden sein; und wir kommen auf solche Weise dem Zeitpunkt, wo die beiden Schweizer ihre ersten Ausflüge ins Gebirge unternahmen, immer näher.

Abb. 60. Weber-Denkmal in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden.
(Zu Seite 58.)

Später als bei Hasche erscheint dann um 1790 die Form „Sächsische Schweiz[S. 67]“ in dem handschriftlichen Tagebuch der Elise von der Recke und 1794 wird er zum zweiten Male in den „Mahlertschen Wanderungen durch Sachsen“ gedruckt. Der Name hat sich dann bald so eingebürgert, daß er allgemein angenommen wurde. Erst später bei der genaueren wissenschaftlichen Erforschung des Gebietes machte sich das Bedürfnis nach einem geologisch treffenderen Ausdruck geltend, und so wurde die Bezeichnung „Elbsandsteingebirge“ geprägt. Wenn dieser Ausdruck nun auch in wissenschaftlichen Schriften den Vorzug findet, so behauptet sich doch im volkstümlichen Sinne und touristisch der Name „Sächsische Schweiz“.

Abb. 61. Das Japanische Palais in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 58.)

Charakter der Sächsischen Schweiz.

Das ganze Gebirgsland besteht nun, wie schon aus dem wissenschaftlichen Namen zu ersehen ist, aus Sandstein, der nach der eigentümlichen Art seiner Zerklüftung Quadersandstein genannt wird. Nur an wenigen Stellen ist durch Klüfte und Spalten das plutonische Gestein des Basalts heraufgedrungen und tritt auch hie und da an die Oberfläche, ohne indes die eigentlichen für den Sandstein charakteristischen Formen zu beeinflussen. Die Sächsische Schweiz besitzt keine Bergketten, keine langhingezogenen Höhenrücken wie das Erzgebirge oder das Lausitzer Gebirge, sondern nur einzelne Tafelberge mit senkrechten Felswänden, tiefe, engschluchtige Täler und Talspalten mit und ohne fließendes Wasser; aber die Felsberge sind wieder auf Hochebenen aufgesetzt, und die Täler und Gründe zeigen vielfach deutlich ausgeprägte Talstufen. Dazu hebt sich das Hochland allmählich nach Süden immer mehr (Abb. 66) und die Höhen der Berge wachsen in gleicher Richtung, bis dann mit einem Male oder in kurzen Absätzen das Gebirge gegen Böhmen abbricht. Im nördlichen, niedrigeren Teile ist das Gebirge noch vielfach bebaut und sind Dörfer über das Gebiet verstreut, der Süden aber wird auf beiden Seiten der Elbe nur von Wald, vorherrschend Nadelwald, bedeckt. Nur wo der Basalt zu Tage getreten und ein fruchtbarerer Verwitterungsboden entstanden ist, trifft man auch Buchenwald an.

Abb. 62. Die Kreuzschule und das Körner-Denkmal in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 58.)

Abb. 63. Der Hauptbahnhof in Dresden.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 59.)

Aufbau des Sandsteingebirges.

Das ganze Sandsteingebirge wird in nordwestlicher Richtung von der Elbe durchschnitten. Das Tal des Stromes bleibt von Tetschen bis Pirna immer gleich eng, nirgends zeigt sich eine Talweitung, und so tritt uns dasselbe als ein von dem fließenden Wasser erzeugtes Durchbruchstal entgegen. Wenn man zu Schiff die ganze Strecke von Tetschen an zurücklegt, was bei den günstig liegenden Eilfahrten der Dampfer einen Zeitaufwand von vier Stunden beansprucht, dann wird man wahrnehmen, daß die Felsenhöhen, die wir vom Schiffe aus das Tal begrenzen sehen, im Süden sich noch mehr als 300 m über den Elbspiegel erheben, z. B. im Rosenkamm, an der Bastei noch 200 m, im Norden dagegen, bei Pirna, nur noch eine Höhe von 55 m über dem Wasser haben. Der Sockel des Sandsteingebirges, auf dem die Felsberge einzeln aufsteigen, scheint hiernach eine von Südost nach Nordwest langsam geneigte schiefe Ebene zu sein.

Überall haben wir dieselben Erscheinungen im vertikalen Profil, wenn wir vom Elbufer aus, sei es nach dem rechten oder linken Talrande hinaufsteigen. Die Gestalt[S. 68] ist immer die der nebenstehenden Figur: Auf eine sehr schmale Elbaue folgt eine aus Verwitterungsschutt des Sandsteines gebildete, meist mit Nadelholz bewachsene Böschung (a), aus der hie und da noch einige größere und kleinere Blöcke aufragen. Darüber steigen senkrechte Felsenmauern (b) empor, vielfach zerklüftet und gespalten, so daß man unschwer zwischen ihnen die Höhe gewinnen kann. Wo im Süden die Felsenmauern wesentlich höher sind, sind meist rohe Steinstufen angelegt, auf denen man die Höhe erklimmt; im Norden reichen mehrfach die Böschungen so hoch hinauf, daß es nur schräg aufwärts führender Fußpfade bedurfte, um die Höhe zu gewinnen.

Höhenstufen

Oben breitet sich ein meist ebenes Feld (c) aus, das an einigen Stellen so gleichmäßig flach erscheint, daß man ihm den Namen einer Ebenheit gegeben hat, z. B. Pirnische Ebenheit, Ebenheit am Lilienstein (Abb. 67), Flächen, die so groß sind, daß sie mehrere Dorffluren umfassen können. Weil hier vielfach besserer Lehmboden vorherrscht, so sind diese Hochflächen meist in Ackerland verwandelt. Wo besserer Boden fehlt, deckt Nadelwald das Land, das von zahlreichen engen Schluchten und Felsgründen durchschnitten ist, wodurch die Anlegung von Verkehrswegen erschwert wird.

Die Meeresablagerungen.

Hebungen und Senkungen.

Über die Hochflächen und Ebenheiten steigen dann die Felsberge (f) empor, die vorherrschend als „Steine“ bezeichnet werden, wie Königstein, Lilienstein. Hier wiederholt sich dasselbe Profil, wie beim Anstieg vom Elbufer aus, noch einmal: zuerst die Böschung (d), dann die Steilwand (e) und endlich oben die mit Wald bedeckte Fläche, wodurch alle diese „Steine“ das Aussehen von Tafelbergen gewinnen. Man kann nun leicht durch alle diese Hochtafeln sich eine zweite Ebenheit oder Fläche denken, von der aber nur die letzten Trümmer in den „Steinen“ stehen geblieben sind. Die Wasserwirkung, die wir vom Ufer der Elbe an, über die Böschungen und die Steilwände hinauf bis zu den Ebenheiten erkennen und dem Durchbruch des Stromes zuschreiben müssen, wird ebenso auch in der höheren Stufe der Steine, die das untere Profil noch[S. 69] einmal wiederholt, maßgebend für die Gestaltung der Sandsteinformen gewesen sein. Dann verdanken wir also der spülenden und sich in den Boden eingrabenden Kraft des strömenden Flußwassers, der Erosion, die heutige Gestalt der Sächsischen Schweiz und wir bezeichnen es demnach als ein Erosionsgebirge. Ursprünglich bestanden in der Bucht zwischen dem Erzgebirge und dem Lausitzer Gebirge nur mächtige Sandablagerungen mit wagerechter Oberfläche, die dann von der Elbe und ihren Zuflüssen auf das mannigfachste durchfurcht und zerteilt ist. Da man nun zu unterst Sandstein mit Resten von Landpflanzen, dann aber Sandstein mit Austernschalen findet, so muß die früheste Ablagerung noch in süßem Wasser, dann aber die spätere in Seewasser erfolgt sein. Reste von Seetieren, Muscheln, Schnecken, Seeigeln und Seesternen findet man dann bis zu den oberen Schichten, also müssen diese Sandablagerungen alle auch im Meere stattgefunden haben. Die Arten dieser Seegeschöpfe weisen uns aber geologisch in die Kreidezeit, in der auch die Kreideklippen auf der Insel Rügen und auf den dänischen Inseln gebildet wurden. Durch die in fast allen Meeren sich bildenden Niederschläge von kalkigem Schlamm wurden die Sandmassen fester verkittet und schließlich zu Stein. Nun wird aber hie und da auch der Abdruck von Zweigen eines Nadelholzes oder auch von Holzstücken gefunden, die, in dem Sande eingebettet, sich allmählich in Kohle umwandelten. Diese Pflanzenteile stammen vom Lande und werden gemeiniglich in der Nähe der Küsten gefunden; man hat daraus mit Recht geschlossen, daß diese Sandablagerungen im seichten Küstenwasser erfolgt seien. Aber in der Zuführung von Sand mußten längere Pausen eingetreten sein, da die mächtigen Schichten des Quadersandsteines auch dünnere Ablagerungen von Kalk (Pläner) oder Tonschlamm zeigen, deren Entstehung auf ein tieferes Meer, ferner von den Küsten, deuten. Somit entsteht die einfache Gliederung aller Ablagerungen in den unteren Quader, die Plänerschicht, und den oberen Quader. Die unteren und oberen Sandsteinlager enthalten aber verschiedene Einschlüsse von Muscheln und dergleichen. Die Änderung in der Gestalt dieser Seegeschöpfe erfordert aber lange geologische Zeiträume. Wenn nun die Ablagerungen teils im Küstenwasser, teils in tieferem Seewasser erfolgt sind, so müssen dementsprechend[S. 70] auch Hebungen und Senkungen der Erdrinde und Veränderungen in der Gestalt des Festlandes gegen das Meer angenommen werden. In unendlich langen Zeiträumen haben also die Ablagerungen stattgefunden, dazwischen sind Ruhepausen eingetreten, in denen sich die Sandmassen zu festeren Steinbänken befestigt haben, auf die dann dünnere Schichten von Kalk oder Tonschlamm niedergeschlagen sind. Dadurch sind die allenthalben sichtbar voneinander absetzenden Bänke entstanden, die eine so charakteristische Erscheinung des Sandsteingebirges bilden.

Abb. 64. An der Elbe bei Königstein. Zeichnung von Adrian Zingg. 1766.
Nach „Über Berg und Tal“, Monatsschrift des Gebirgsvereins der Sächsischen Schweiz. (Zu Seite 66.)

In der auf die Kreidezeit folgenden Tertiärzeit traten dann dauernde Hebungen ein, während auch das Erzgebirge langsam emporstieg. Die Hebung des Erzgebirges beeinflußte auch das Sandsteingebirge. Wie das Erzgebirge mit seiner längeren Abdachung nach Nord und Nordost sich neigt, so auch der Sandstein westlich der Elbe. Hier liegen die Quaderbänke nicht mehr wagerecht, sondern neigen sich allmählich in gleicher Richtung. Und wie das Erzgebirge mit einer viel kürzeren Abdachung gegen Süden, gegen Böhmen, abbricht und von dieser Seite her eine mächtige Gebirgsmauer zeigt, so sind auch die Bänke des Sandsteines zum Teil nach Süden abgesunken, zum Teil auffällig schräg gestellt, wie an der Schäferwand bei Bodenbach (Abb. 68), die eigentlich die scheefe, d. h. schiefe Wand heißen sollte, ein Name, aus dem erst durch Mißverständnis und Entstellung Schäferwand gemacht ist.

Abb. 65. Schandau.
Nach einem kolorierten Stich von Adrian Zingg. (Zu Seite 66.)


GRÖSSERES BILD

Die Zersprengung der Sandsteinbänke.

Anders lagert der Sandstein auf dem rechten Elbufer; hier sind die Sandsteinbänke in ihrer ursprünglichen wagerechten Lagerung nahezu geblieben. Doch hat ähnlich, wie wir es bereits am Elbtalkessel beobachtet haben, der Lausitzer Granit sich an einigen Stellen deutlich über den Sandstein heraufgeschoben. Am auffälligsten ist dies bei dem Städtchen Hohnstein nachgewiesen. Auf beiden Seiten des Polenztales und am tiefen Grunde liegt der Granit über dem jüngeren Jurakalk und dieser auf[S. 72] Quadersandstein. Die Reihenfolge der Gesteine ist völlig umgestürzt. Der Granit ist schräg aus der Tiefe emporgetrieben und hat den Jura, der sonst in ganz Sachsen nicht vertreten ist, mit in die Höhe genommen. Die Höhe der Überschiebung ist hier auf 300 m geschätzt. Auch südlich von der Kirnitzsch an dem Berggipfel der „Hohen Liebe“ liegt der Granit unter steilem Winkel über dem Sandstein, ähnlich bei Saupsdorf. An den Berührungsflächen mit dem Sandstein zeigt dieser sich oft stark verglast und gleichsam gefrittet. Durch den gewaltigen Druck, den der Granit auf den Sandstein ausgeübt haben muß, sind die mächtigen Quaderbänke zerdrückt, gesprengt und zerklüftet. So kamen zu den natürlichen wagerechten Abteilungen der einzelnen mächtigen Bänke auch noch unzählige, senkrechte Klüfte oder Lose, so daß die Verwitterung, Regen, Wind, Frost und rinnendes Wasser um so stärker an der Zertrümmerung des Gebirges arbeiten konnten. Diese Zerstörung hat seit der mittleren Tertiärzeit eingesetzt und ist noch rastlos an ihrem Werke tätig. Am meisten aber hat das fließende Wasser, am meisten also die Elbe geleistet.

Da nun die erzgebirgische Erhebung die Sandsteinbänke schräg gehoben hat, so daß die Neigung nach Nordosten geht, auf der Lausitzer Seite aber die Schichten wagerecht geblieben sind, so muß sich zwischen beiden Teilen von selbst eine nach Nordwesten geneigte Tiefenlinie bilden, die für das abfließende Wasser die natürliche Tiefenrinne vorzeichnet. Das ist das Elbtal, das den Sandstein in nordwestlicher Richtung durchschnitten hat.

Nun hat man früher angenommen, daß die Elbe, die alle Gewässer des inneren Böhmens in sich vereinigt, vor dem Sandsteingebirge zu einem See aufgestaut worden sei und dann den Damm überflutet und sich immer tiefer eingeschnitten habe. Allein wenn dem so wäre, müßte man noch jetzt Spuren der Ablagerungen eines solchen Sees in Nordböhmen finden. Diese fehlen aber, und daher muß eine andere Erklärung gesucht werden. Zunächst steht fest, daß die Hebung der Sandmassen vom Meeresboden, wo sie zuerst abgelagert sind, nur langsam vor sich gegangen ist und daß auch das Erzgebirge an dieser Hebung teilgenommen hat. Über und durch diese Sandmassen hat sich die Elbe ihren Weg gebahnt, ohne einen großen See vorher geschaffen zu haben. Und in dem Maße, wie die Hebung vor sich ging und sich die Ablagerungen zu festem Gestein verkitteten, mußte sich die Elbe immer tiefer einschneiden.

Anfänglich hatte das Elbwasser noch keine vollkommen fest vorgeschriebene Rinne, wenn auch die allgemeine Richtung gegeben war. Das Wasser floß also über die breiten, fast wagerechten Bänke hin und hat, da die Überschiebung des Lausitzer Granits die oberen Lagen stärker zersprengt hat, hier die Trümmer bis zum Niveau der jetzigen Ebenheiten fortgespült, so daß nur einzelne Felsberge oder Felsmassen stehen blieben. Sie stehen jetzt da als die Zeugen einer einstigen weit höheren Ebenheit; die Tafelflächen der „Steine“ sind die geringen Reste derselben.

Als die Elbe dann über die noch gegenwärtig erhaltenen Ebenheiten hinwegfloß, hat sie dort zuerst eine oft mehrere Meter dicke Schicht von Flußschottern und Sanden abgelagert und diese dann wieder mit fruchtbarem Lehm überdeckt. Daß diese Schotter von der Elbe gebildet sind, wird dadurch erwiesen, daß sie aus denselben Gesteinen zusammengesetzt sind, die noch jetzt im Flußbett abgelagert werden und daß diese reichlich von böhmischen Gesteinen, Basalte und Klingsteine, durchsetzt sind, die nur durch fließendes Wasser herbeigeführt sein können. Derartige Schottermassen liegen 50–150 m über dem jetzigen Elbspiegel, zum Beispiel am Cunnersbache beim Dorfe Cunnersdorf, am oberen Krippenbache (250 m ü. M.), auf der Ebenheit bei dem Dorfe Ostrau auf der sogenannten Ostrauer Scheibe bei Schandau, bei Rathmannsdorf (235 m ü. M.), Weißig (186 m), Waltersdorf und auf beiden Seiten der Elbe bei Pirna, also auf den Ebenheiten von Kopitz und Pirna.

Abb. 66. Ausblick von der Bastei elbaufwärts.
Nach einer Aufnahme von F. & O. Brockmanns Nachf. R. Tamme in Dresden. (Zu Seite 67.)


GRÖSSERES BILD

Daß nun aber in der auf die Tertiärzeit folgenden quartären Periode, in der Eiszeit, als die von Skandinavien über ganz Norddeutschland südwärts bis an den Fuß der mitteldeutschen Gebirge vorgeschobenen Massenströme von Binnenlandeis auch[S. 74] die nördlichen niedrigen Teile des Sandsteingebirges etwa bis zum Fuße des Liliensteines bedeckten, die Elbe noch über die Ebenheiten floß, geht daraus hervor, daß sich hier nordische Geschiebe mit dem böhmischen Geröll mischen.

Demnach ist das jetzige Elbtal nach der Eiszeit etwa bis zu dem Niveau eingeschnitten, das es noch jetzt innehält. Das Flußtal gehört also in seiner jetzigen Gestalt der jüngsten geologischen Zeit an. Die Lehmlager auf den Hochflächen sind aber die Grundlage für den Ackerbau, für die Ansiedelung der Menschen. Wo der Sand vorherrscht, breiten sich nur die Nadelwälder aus.

Abb. 67. Der Lilienstein.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 68.)

Basalte in der Sächsischen Schweiz.

Als ein fremdes Gestein erscheint nun an manchen Stellen, namentlich auf oder an den höchsten Gipfeln, Basalt, der von unten her während der Tertiärzeit in Klüften und Spalten emporgestiegen zu sein scheint. Teils sind von diesem vulkanischen Gestein Gänge ausgefüllt, teils erscheinen sie als die Stiele von früher ausgedehnten Basaltdecken. Manchmal sind sie schon 200 m unter der ehemaligen Oberfläche des Sandsteines erstarrt und erst, nachdem die Sandsteindecke durch Verwitterung abgetragen ist (Denudation), zu Tage getreten. Dann zeigt sich auch sofort eine üppigere Pflanzenwelt.

Abb. 68. Bodenbach und die Schäferwand.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 70.)


GRÖSSERES BILD

Die ausgedehnteste Basaltmasse bildet den Gipfel des Rosenberges, 620 m hoch, die als eine 60 m mächtige Decke auf dem Gipfel des Sandsteinberges lagert und in senkrechten Säulen ansteht. Auf dem höchsten Kamme des Großen Winterberges, 551 m hoch, tritt ein 100 m mächtiger Gang von Basalt auf, der durch seinen Buchenwald weithin kenntlich ist. Hier liegen die Basaltsäulen horizontal. Auf dem Großen Zschirnstein ist sein verwandtes Gestein, der Dolerit; hier sind fiskalische Steinbrüche angelegt, um das beste Material für Straßenbeschotterung zu gewinnen. Auch am Gorisch ist ein Basaltbruch angelegt, und ebenfalls ist am Schneeberge an mehreren Stellen Basalt angetroffen. Zwei merkwürdige Basaltkegel stehen in der[S. 76] Nähe oder an der Grenze des Sandsteingebirges: der Basaltberg in Stolpen, auf dem die alte, jetzt in Ruinen liegende, weithin sichtbare Burg thronte; und der Cottaer Spitzberg, der infolge der Steinbrüche schon fast abgetragen ist.

Gliederung des Quadersandsteins.

Im Quadergebirge unterscheidet man nach der Verschiedenartigkeit der Versteinerungen: Unter-, Mittel- und Oberquader. Der untere Quader herrscht im Südwesten, der obere im Nordosten des Gebietes vor. Zwischen dem Mittel- und Oberquader schiebt sich eine Einlagerung von Kalk (Pläner) ein, die für die Quellenbildung von großer Wichtigkeit ist. Wo der Pläner zu Tage ausstreicht, wie vorzugsweise auf der Seite westlich von der Elbe, da ist der Quellenreichtum größer und ermöglicht eher die Besiedelung; wo dagegen, wie östlich von der Elbe, der Pläner zu tief liegt, versickert alles Wasser in die Tiefe und das Land leidet an Wasserarmut. Der Oberquader allein hat mindestens eine Mächtigkeit von 300 m und bildet alle Tafelberge und Steinwände. Wie sehr das Landschaftsbild von der Natur und den Eigentümlichkeiten des Gesteins abhängig ist, das tritt uns nirgends deutlicher vor Augen als in der Sächsischen Schweiz, und das wollen wir nun im folgenden genauer betrachten.

Die Zertrümmerung und Zerstörung der Gesteinsmassen ist in sehr verschiedener Weise erfolgt und vollzieht sich auch jetzt noch und zwar durch das fließende Wasser, also durch die Erosion, ferner durch Zerklüftung, endlich durch die Verwitterungen und Auswitterungen des nackten Gesteins.

VI.
Das Wasser in der Sächsischen Schweiz.

Da das ganze Gebirge eigentlich erst durch die Wirkung des fließenden Wassers entstanden ist, so verdient das Wasser vor allem in seiner mannigfachen Erscheinung[S. 77] und Tätigkeit unsere volle Beachtung. Alles Wasser im ganzen Bereich der Sächsischen Schweiz gehört aber zum Stromgebiet der Elbe. Die Elbe wird also die Hauptarbeit gehabt und auch die bedeutendste Leistung gegenüber dem starren Sandstein aufzuweisen haben; dann folgen die größeren Nebenflüsse, die von rechts und links der Hauptwasserader zufließen und endlich die zum Teil im Boden versickernden und unsichtbar gewordenen Rinnsale und die immerfließenden Quellen.

Abb. 69. Tetschen und Obergrund.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 77.)

Abb. 70. Schloß zu Tetschen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 77.)

Die Bildung des Elbtales.

Die Nebenflüsse der Elbe.

Die Elbe entspringt auf dem Riesengebirge und hat bereits alle böhmischen Gewässer in sich vereinigt, wenn sie unterhalb Tetschen in das Sandsteingebirge eintritt (Abb. 69 u. 70). Kurz oberhalb Aussig in Böhmen hat sie auch den Fuß des malerischen Schreckensteins bespült (Abb. 71). Von dem ganzen auf 1154 km bemessenen Laufe des Stromes von der Quelle bis zur Mündung kommen auf das Gebiet der Sächsischen Schweiz von Tetschen bis Pirna nur 45 km Stromlänge, also ein verschwindend kleiner Anteil am ganzen Laufe. Das Gefälle der Elbe beträgt auf 45 km nur etwa 11 m; das ist im Verhältnis von 1 : 4112. Denn der mittlere Elbspiegel liegt bei Tetschen etwa 120,5 m ü. M., in Königstein 115 m, in Pirna etwa 109,5 m. Das Gefälle ist ebenmäßig ausgeglichen; nirgends zeigen sich Stromstufen oder Schnellen mehr, wodurch stärkere Strömungen entstehen. Der Fluß hat also seine Arbeit, das Sandsteingebirge zu durchschneiden, vollendet. Wie groß diese Arbeit gewesen ist, kann man ermessen, wenn man sieht, daß unterhalb Tetschen die Höhe des Talrandes 270–320 m (Abb. 72), im Rosenkamm sogar 420 m, also volle 300 m über dem Elbspiegel liegt. Die Felswände des oberen Talrandes stehen hier rechts und links der Elbe etwa anderthalb Kilometer voneinander ab. Der Anfang dieser Talbildung reicht in die mittlere Tertiärzeit zurück, in eine Zeit, wo das Erzgebirge noch bedeutend niedriger war als jetzt und Böhmen auch noch nicht den Gebirgskessel darstellte wie jetzt. Wir haben schon früher darauf aufmerksam gemacht, daß während der Eiszeit das Strombett der Elbe noch 150–50 m höher lag als jetzt und daß in den langen Zeiträumen, die nach vielen Jahrtausenden zu bemessen sind, die Elbe[S. 78] schließlich ihren Wasserspiegel bis auf den heutigen Stand hat erniedrigen können. In demselben Maße, wie mit dem Erzgebirge auch das Sandsteingebirge emporstieg, schnitt der Elbstrom sich tiefer in den Sandstein ein. Er hatte Kraft genug, die gelockerten Sandmassen mit fortzuführen, also erlitt die gleichmäßige Ausbildung der Stromrinne keine Unterbrechung. Jeder wasserreiche Strom bestätigt die Lehre, daß ein um so geringeres Gefälle eintritt, je mehr Wasser im Flußbett vorhanden ist, vorausgesetzt, daß der Boden gleichartig und der Widerstand des den Grund des Flußbettes bildenden Gesteins nicht zu groß ist. Im Gebiet des Sandsteingebirges mußte also auch die Elbe das geringste Gefälle erreichen (Abb. 73). Alle Nebenflüsse dagegen müssen ein steileres Gefälle aufweisen. Aber die Nebenflüsse von der rechten Seite zeigen eine andere Natur als die von der linken. Jene entspringen nämlich sämtlich im Lausitzer Granitlande, durchschneiden nur im unteren Laufe das Sandsteingebiet und empfangen hier keine irgendwie nennenswerten Zuflüsse mehr. Diese dagegen entspringen im Sandstein oder durchschneiden nur im Unterlaufe das Quadergestein und münden an der Grenze der Sächsischen Schweiz.

Abb. 71. Der Schreckenstein.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 77.)

Die Nebenflüsse der rechten Seite sind die Kamnitz, Kirnitzsch, Lachsbach mit Sebnitz und Polenz und endlich die Wesenitz. Die Namen sind fast sämtlich slavisch. Ihr Oberlauf im Granitgebiet geht in flachmuldigen Tälern, wo die Erosion noch weniger kräftig eingesetzt hat und demnach auch das Gefälle noch geringer ist. Aber auf dem undurchlässigen Boden bleibt das Wasser an der Oberfläche und bekommt der Hauptbach auch noch viele kleine Seitengewässer. Daher sind diese rechten Elbzuflüsse auch wasserreicher als die der anderen Elbseite.

Erst mit dem Eintritt in das Sandsteingebiet sind die Täler tiefer eingeschnitten und wird auch das Gefälle stärker.

[S. 79]

Dürrkamnitz und Kamnitz.

Der erste Bach, der von der rechten Seite in die Elbe einmündet, ist der Dürrkamnitzbach, der zwar eine tiefe, wenig begangene Schlucht in die Ebenheiten gegen den Rosenberg eingerissen hat, aber doch, wie schon der Name andeutet, oft fast ganz versiegt, sodaß eine alte malerische Mühle aus Mangel an Wasserkraft eingehen mußte und endlich vollständig verfiel. Sie hatte in der Kunstgeschichte der Sächsischen Schweiz insofern eine gewisse Bedeutung, als L. Richter eine seiner frühesten selbständigen Radierungen nach diesem Vorwurfe gearbeitet hatte. Nahe dem Ausgange des Grundes nach der Elbe zu liegt noch ein einziges größeres Haus, ein altes Gasthaus, eine Schankwirtschaft unter den steilen Wänden (Abb. 74).

Abb. 72. Die Elbe bei Niedergrund.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 77.)

Die Edmundsklamm.

Die Kamnitz entspringt nördlich von Hayda auf der Wasserscheide des vulkanischen Mittelgebirges. Der Unterlauf bildet ein enges, erst in der neuesten Zeit zum Teil gangbar gemachtes Felsental, einen amerikanischen Cañon, der zwischen steilen Felswänden fast ganz von Wasser eingenommen wird. Dieser untere Teil des Tales bildet den merkwürdigsten und sehenswertesten Abschnitt in der verschiedenartigen Bildung eines Erosionstales. Unterhalb Böhmisch-Kamnitz tritt der Fluß zuerst in ein von Sandsteinfelsen eingeengtes Tal in westlicher Richtung. Dann aber beginnt bei nördlicher Richtung des Wasserlaufes der Grund wieder offener zu werden und läßt Raum für das langgestreckte Dorf Windisch-Kamnitz. Erst von der Einmündung des Kreibitzbaches an, der oberhalb Dittersbach ebenfalls schon einen gewundenen engen Grund, den Paulinengrund, gebildet hat, schneidet nun der verstärkte Kamnitzbach mit beträchtlichem Gefälle und raschem Lauf kräftiger in die Sandsteinmassen ein und bildet die Ferdinandsklamm, die man in einem Kahne auf dem ungebändigten Wasser bis zur Grundmühle durcheilen kann. Aber auch hier wechseln Stromschnellen mit ruhigem Wasser ab. Das Gefälle ist also noch nicht ausgeglichen. Bald treten steile Felsen ans Wasser, bald erscheinen kleine Talbuchten mit einem Wiesenrande. Unterhalb der[S. 80] Grundmühle (Abb. 75) wendet sich die Kamnitz mehr in westlicher Richtung und hier ist für Fußgänger der malerische Grund zugänglich. Dann folgen die Wilde (Abb. 76 und 77) und die Edmundsklamm, von denen die erste 1898 eröffnet worden ist und auch zum Teil eine Kahnfahrt bietet; die Edmundsklamm (Abb. 78 u. 79) dagegen ist schon seit 1890 durch die Forstverwaltung des Fürsten Clary zugänglich gemacht und zu Ehren des Fürsten benannt. Wenn auch der den Alpen entlehnte Ausdruck „Klamm“ leicht zu falschen Vorstellungen oder zu hochgespannten Erwartungen Anlaß geben könnte, so muß man immerhin diesem Teil des Felsengrundes, der unmittelbar oberhalb Herrnskretschen (Abb. 80 u. 81) endigt, unter allen Szenerien in dem Sandsteingebirge die Palme reichen. Der obere Teil der Klamm bildet einen schmalen, von steilen, aber mit Nadelholz bewachsenen Felsen begrenzten See mit stillem Wasser, da der Bach durch Dämme gespannt ist. Über diesen See gleitet man mit dem Kahne langsam dahin, nach allen Seiten von stets wechselnden Landschaftsbildern umgeben. Der untere Teil des Tales, am längsten zugänglich und mit bequemen Fußwegen versehen, zeigt uns wieder den natürlich dahinrauschenden Bach, hie und da von mächtigen Felsblöcken, die in ihn hineingestürzt sind, eingeengt, zwischen denen das schäumende Wasser sich Bahn bricht. Aber zur malerischen Schönheit dieses Grundes tragen namentlich auch die herrlichen Buchen bei, die auf und zwischen den Felsmassen im Grunde wurzeln und ihre Zweige weit über das Wasser hinaussenden. Weil die Klamm bereits etwas weiter geworden, die Felswände mehr auseinander treten und das Sonnenlicht bis auf den Boden dringen kann, ist auch der Pflanzenwuchs üppiger und reicher und bildet den angenehmsten Gegensatz gegen die mit Fichten und Kiefern besetzten Felswände.

Abb. 73. Die Elbe bei Wehlen, flußaufwärts gesehen.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 78.)

Das Gefälle — das geht schon aus dieser allgemeinen Schilderung des Flußtales hervor — ist ungleich, wie das aus folgenden Angaben ersichtlich wird. Von Falkenau bis mitten in die Stadt Kamnitz beträgt das Gefälle auf 12 km 160 m, d. h. 1 : 75. Von Kamnitz bis Schemel, vor dem Eintritt in die Klamm, ist es[S. 81] auf 10 km wie 1 : 106 und von da zur Mündung in die Elbe auf 12 km wie 1 : 140. Das Gefälle von Falkenau bis zur Mündung beläuft sich auf rund 1 : 100.

Abb. 74. Gasthaus an der Dürrkamnitz.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 79.)

Das Kirnitzschtal.

Die Obere Schleuse.

Wesentlich anderen Charakter hat das Kirnitzschtal. Zwar ist die Hauptrichtung der Kirnitzsch westlich, doch geht der Bach gerade da, wo sich die landschaftlich schönste Umgebung an seinen Ufern findet, von Norden nach Süden. Unterhalb des ersten Dörfchens an seinen Ufern, unter Hinterdaubitz, befindet sich ein ganz enges Felsental, das durch einen festen Steindamm abgesperrt ist, in dem nur eine aus Holz bestehende Schleuse einen Durchlaß gewährt. Die ganze Anlage, durch die das Wasser des Baches zu einem langgestreckten Teiche angespannt ist, dient der Flößerei, die besonders im[S. 82] Herbst und Frühjahr ausgeübt wird. Diese Anlage heißt die Obere Schleuse (Abb. 82). Das enge Felsental mit dem dichten Hochwalde und der üppigen Krautvegetation am Ufer und bis ins dunkle und stille Wasser, das die Umgebung in wunderbarer Klarheit spiegelt, gehört zu den eigenartigsten Landschaftsbildern der Sächsischen Schweiz. Obwohl das Tal nicht so wild wie das Kamnitztal ist, und durch die üppige Pflanzenwelt ein Fußweg neben dem etwa 600 m langen stillen Wasserspiegel hinführt, ist auch hier die Möglichkeit geboten, die Strecke im Kahn zurückzulegen und noch mächtiger die besonderen Reize der Landschaft auf sich wirken zu lassen. Die Obere Schleuse wird daher, besonders von Hinterhermsdorf aus, sehr viel von Lustreisenden besucht und von manchen sogar der Edmundsklamm vorgezogen. Die Kirnitzsch (Abb. 83) fließt dann durch ein enges, einsames Felsental, in dem nur an einer Stelle die wenigen zerstreuten Häuser von Hinterdittersbach liegen, nach Nordwesten bis zur Buschmühle (Abb. 84), der ältesten, originellsten und malerischsten Mühle, berührt dann auf ihrem weiteren westlichen Laufe, der bald über Granitboden mit freierem, sanfterem Gehänge, bald wieder durch Felsengen des Sandsteines bis nach Schandau führt, nur einzelne Mühlen, aber kein Dorf mehr. Doch ist durch den ganzen unteren Teil des Tales bis zum Lichtenhainer Wasserfall (Abb. 85) eine elektrische Bahn angelegt, um die Besucher des Gebirges rascher durch den ziemlich einförmigen Grund in die Nähe der Hauptschönheiten des oberen Gebirges, auf den vielbetretenen Fremdenweg zu geleiten, der über den Kuhstall, den Großen und Kleinen Winterberg bis zum Prebischtor und von da hinab nach Herrnskretschen führt.

Abb. 75. Die Grundmühle.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 80.)

Um nun zu zeigen, wie viel stärker das Gefälle der Kirnitzsch als das der Elbe ist, wollen wir nur die Talstrecke von Hinterdittersbach oder der Kirnitzschschänke bis zur Mündung in Rechnung bringen. Hinterdittersbach liegt 243,6 m ü. d. M., die Mündung bei Schandau 119 m. Die Länge des Baches beträgt auf dieser Strecke 21 km, das Gefälle 125 m; daraus ergibt sich das starke Gefälle von 1 : 168. Der ganze Lauf der Kirnitzsch beträgt etwa 44 km; das hier berücksichtigte Stück entspricht also etwa der Hälfte des Gesamtlaufes. Ohne hier weiter auf einzelne Untersuchungen[S. 83] einzugehen, weil sie uns aus dem Gebiet der Sächsischen Schweiz herausführen würden, soll nur bemerkt werden, daß im oberen Teile das Gefälle des Baches, im Bereiche des Lausitzer Granites, nicht so stark ist.

Lachsbach.

Der dritte Bach, die Lachsbach, entsteht aus der Vereinigung zweier ziemlich gleich großer Bäche, der Sebnitz, 30,5 km lang und der Polenz, 33,6 km lang. Beide entspringen in der Umgebung des Hochwaldes. Die Sebnitz hat aber im unteren Lauf, der den Sandstein durchschneidet, westliche Richtung, die Polenz dagegen südliche und südwestliche Richtung.

Im Vergleich mit der Kamnitz und Kirnitzsch haben diese beiden Quellbäche der Lachsbach einen kürzeren Lauf durch den Sandstein, denn die Sebnitz tritt in dieses Gebiet erst von der Kohlmühle an, nördlich von Schandau ein, und die Polenz von Hohnstein an. Sie haben daher naturgemäß auch bereits auf ihrem längeren Oberlaufe tiefe Täler geschaffen; aber sie sind unwegsam und nur von wenigen Mühlen belebt.

Durch das Sebnitztal führt von Schandau nach Sebnitz eine Eisenbahn, auf der man wegen der vielen Windungen des Baches und der Enge des Tales durch sieben Tunnels auf einer Strecke von 15 km, also alle 2 km durch einen Tunnel kommt. Das früher selbst dem Fußgänger in manchen Teilen unzugängliche Tal zeigt nun dem Reisenden in raschem Zuge eine Fülle von wechselnden Landschaftsbildern.

Abb. 76. Die Wilde Klamm.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 80.)

[S. 84]

Polenztal und Tiefer Grund.

Die Steigerung in der Art und Möglichkeit des Verkehrs durch die drei bisher betrachteten Täler ist bemerkenswert: An der Kamnitz Kahnfahrt und Fußpfade, an der Kirnitzsch Kahnfahrt, Fahrwege und elektrische Eisenbahn, an der Sebnitz Eisenbahn. Ganz einsam wird dagegen dann das Polenztal wieder. Von hohen, vielfach zerklüfteten Felswänden, wie bei den berühmten Aussichtspunkten „dem Brand“, oder von einzeln stehenden Felsmassen wie dem Hockstein (Abb. 86) auf beiden Seiten eingefaßt, geht der engste Teil des romantisch-schönen Grundes von Hohnstein (Abb. 87) südwärts bis zur Waltersdorfer Mühle. Auf den höchsten Klippen der östlichen Talwand steigt, alle Nachbarbäume weit überragend und durch seine stolze Krone von allen Seiten in die Augen fallend, der schönste Baum des ganzen Felsenlandes empor, die Königskiefer (Abb. 88). Von hier wendet sich der Bach in einem weiteren mit Wiesenboden geschmückten Tale nach Südosten, bis er kurz vor der Vereinigung mit der Sebnitz auch das Bächlein des Tiefen Grundes aufnimmt, durch den die Fahrstraße von Schandau nach dem Städtchen Hohnstein hinaufführt. Vor hundert Jahren, als der Besuch der Sächsischen Schweiz lebhafter zu werden begann, gehörte der Tiefe Grund zu den ersten Zielen einer Wanderung im Gebirge und wurde voll Bewunderung über die wilde Romantik dieser Felsenwelt in überschwenglichen Schilderungen empfohlen. Heutzutage liegt er abseits der besuchtesten Pfade und wird wohl nur noch betreten, wenn man den östlich davon gelegenen Waitzdorfer Berg erreichen will, der zwar schon zum Granitlande gehört, aber doch nahe dem Sandsteingebirge eine umfassende Rundsicht über die ganze Sächsische Schweiz bis ans Erzgebirge gestattet.

Abb. 77. Wilde Klamm. Dreyfußfelsen.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 80.)

Wir wollen nun noch das Gefälle der beiden Bäche Sebnitz und Polenz betrachten. Für den Teil der Flüsse, der hier in Frage kommt, ist das Ergebnis überraschend. Es stellt sich nämlich ziemlich gleich heraus.

Der Spiegel der Sebnitz liegt in der Stadt gleichen Namens 268,7 m über dem Meer, an der Mündung in die Polenz 128,1 m. Der Unterschied in der Höhenlage beträgt[S. 85] 140,6 m. Bei einer Tallänge von 15,3 km ergibt sich ein Gefälle von 1 : 109. Bei der Polenz beträgt der Höhenunterschied zwischen der Häselichtmühle (206,7 m) und der Mündung der Lachsbach (115 m) 91,7 m. Daraus folgt bei einer Tallänge von 11,3 km ein Gefälle von 1 : 124.

Wenn der Fall des Wassers im Sebnitztal noch größer ist, als an der Polenz, so dürfte die Ursache wohl darin liegen, daß der Boden des Sebnitztales noch auf längerer Strecke dem festen Granitboden angehört. Vielleicht ist aus derselben Ursache der Fall der Kirnitzsch noch geringer, weil er nur auf einer kurzen Strecke südlich von Lichtenhain den Granit berührt, sonst aber am längsten dem Sandsteingebiet angehört.

Abb. 78. Im Edmundsgrunde. Winterstimmung.
Liebhaberaufnahme von Hofgraveur P. J. Wolf in Dresden. (Zu Seite 80.)

Liebethaler Grund.

Schloß Lohmen.

Von einem Vergleich mit der Wesnitz sehen wir ab, weil dieser Bach, der übrigens bei 75 km Länge der bedeutendste Zufluß von der rechten Seite ist, nur auf kurze Strecke von Bärreute bis zur Grundmühle unterhalb Liebethal den Sandstein durchschneidet und von da an teils an der Grenze des Quadergebirges entlang, teils durch den südlichen Teil des Dresdener Talkessels fließt. Landschaftlich dagegen gehörte von Anfang an, als die Schönheiten der Sächsischen Schweiz mehr gewürdigt wurden, der enge Felsengrund von Bärreute bis zur Grundmühle unter dem Namen des Liebethaler Grundes (Abb. 89) zu den besuchtesten Partien. Vor Eröffnung der böhmischen Eisenbahn wanderten alle Besucher — und diese kamen fast ausnahmslos von Dresden — oder fuhren mit eignem Geschirr über Pillnitz nach Lohmen und besuchten von hier aus den Glanzpunkt des Grundes, die Lochmühle (d. h. Waldmühle, Abb. 1) und die Liebethaler Steinbrüche, wohl die ältesten im Sandsteingebiet, und ließen es wohl gar an dem Besuche dieses Grundes bewenden und kehrten dann nach Dresden zurück. Wer aber noch weiter ins Gebirge eindrang, besuchte die Bastei, Hohnstein und Schandau. In Lohmen wurde gewöhnlich das erste Nachtlager genommen; daher war das Erbgericht dort jahrzehntelang das beste und[S. 86] bestempfohlene Gasthaus, und weil der wachsende Strom der Vergnügungsreisenden immer denselben Weg nahm, so sah sich wohl auch der Pfarrer von Lohmen, Karl Heinrich Nicolai (1739–1823), ein begeisterter Freund der Natur und ein guter Kenner des Gebirges, dadurch veranlaßt, den ersten Führer durch die Sächsische Schweiz zu schreiben unter dem Titel: „Wegweiser durch die Sächsische Schweiz, aufgestellt von C. H. Nicolai, Prediger an der Grenze dieser Schweiz in Lohmen. Pirna 1801.“ Das Büchlein, kurz und praktisch verfaßt, erlebte in seinem anspruchslosen Gewande mehrere Auflagen und beginnt seine Beschreibung mit dem Liebethaler Grunde. Seinem Beispiele folgten fast fünfzig Jahre lang alle späteren Wegweiser und Reiseführer, bis Dampfschiff- und Eisenbahnverkehr darin einen Wandel hervorriefen. Da wir uns im Liebethaler Grunde bereits im nördlichsten, also niedrigsten Teile des Sandsteingebirges befinden, so sind die Felshöhen auf beiden Seiten der Wesnitz nur etwa 40 m über dem Wasser des Baches. Das Tal ist von Lohmen bis zur Grundmühle so eng, daß abgesehen von dem unteren Teil desselben, in dem sich die altberühmten Steinbrüche befinden, keine Fahrstraße im Grunde hingeführt werden konnte, und nur ein gutgepflegter Fußweg an den zwischen Felsblöcken dahinbrausenden Bache aufwärts leitet. Da die Hochflächen beiderseits guten Ackerboden haben, so liegen die Dörfer Lohmen und Daube auf der Südseite, Mühlsdorf und Liebethal auf der Nordseite hart am Grunde langgestreckt ausgedehnt, aber oben auf den Ebenheiten, unten aber nur einige Mühlen, zu denen man auf Steintreppen hinuntersteigen muß. Nur in Lohmen führt eine Kunststraße mittelst Steinbrücke über das Wasser. Wenn man von der Nordseite kommt, hat man da, wo sich der Fahrweg zur Wesnitz hinunterzieht, das alte Schloß Lohmen (Abb. 90), lange der Sitz eines Amtsgerichts, in überaus malerischer Lage gerade vor sich. Unzählige Male ist von hier aus und dann unten vom Wasser aus, bei der Vordermühle, das auf einem fast überhängenden Felsen thronende Schloß gezeichnet und gemalt und gehört schon seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts in den illustrierten Reiseführern und in einzelnen von Dresdener Malern entworfenen Blättern zu den ersten landschaftlichen Zierden der Sächsischen Schweiz.

Abb. 79. Die Edmundsklamm.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 80.)

[S. 87]

Die kleinen Zuflüsse der Elbe.

Hier seien zum Schluß die erwähnten Bäche nach ihrem Gefälle noch einmal mit der Elbe zusammengestellt:

Elbe
45 
km
1 : 4112.
Kamnitz
34 
„ 
1 : 100.
Kirnitzsch
21 
„ 
1 : 168.
Sebnitz
15 
„ 
1 : 109.
Polenz
11 
„ 
1 : 124.

Wenn schon hier bei verhältnismäßig bedeutender Wassermenge in den Bächen, die beständig fließen, die Wasserwirkung auf den Boden wesentlich geringer und demnach das Gefälle wesentlich stärker ist als in der Elbe, so daß man sagen muß, die Erosion der Bäche hat längst nicht gleichen Schritt halten können mit der der Elbe, so wird sich der Gegensatz noch mehr steigern bei den kleineren und wasserärmeren Bächen oder Rinnsalen, die aus dem Sandsteingebirge selbst kommen.

Abb. 80. Herrnskretschen, von der Elbe gesehen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 80.)

Nun ist die ganze rechte Seite des Stromgebietes der Elbe im Bereiche des Sandsteins viel ärmer an Quellen als die linke Seite, weil hier die undurchlässige Plänerschicht zu tief, zum Teil unter dem Elbspiegel liegt. Also ist der östliche Teil der Sächsischen Schweiz entschieden trockener, und beständig fließende Sandsteinquellen fehlen. Dazu ist nach der Eiszeit ein wesentlich trockeneres, steppenartiges Klima lange in Deutschland verbreitet gewesen, infolgedessen die Erosion nicht ununterbrochen, sondern stoßweise, nur gelegentlich nach plötzlichen stärkeren Niederschlägen erfolgen konnte. Es lagen also ähnliche meteorologische Verhältnisse vor wie in dem Becken auf dem nordamerikanischen Hochlande westlich vom Felsengebirge, wo namentlich im Flußbereich des Rio Colorado die merkwürdigsten unter dem spanischen Namen Cañon bekannten Felsenschluchten ausgehöhlt sind, mit denen die Felsengründe in der Sächsischen[S. 88] Schweiz eine unverkennbare Ähnlichkeit haben, wenn sie auch lange nicht so tief und wild sind und ihr starres Aussehen durch reichlichen Pflanzenwuchs gemildert ist. Doch darf man annehmen, daß in der späteren Diluvialzeit bei den viel geringeren Niederschlägen der landschaftliche Charakter, solange der Wald fehlte, dem der Cañons noch ähnlicher war.

Der Uttewalder Grund.

Der längste unter den ausschließlich im Sandstein liegenden Gründen ist der Uttewalder Grund. Der Name Uttewalde ist leider nach der gemeinen Aussprache des Personennamens Utte statt Otto im neunzehnten Jahrhundert erst offiziell vorgeschrieben, während bis dahin das Dorf, nach dem der Grund benannt ist, Ottowalde hieß. Derselbe Name kehrt in älterer Form, Oddo statt Otto, in dem oberrheinischen Odenwalde wieder. Die Richtung des höchstens 4 km langen Uttewalder Grundes, dessen unteren Teil man höchst überflüssigerweise Wehlener Grund nennt, geht von Norden nach Süden. Im Sommer ist das Bachwasser gewöhnlich versickert und auf der Erdoberfläche nicht zu sehen. Es ist auch bezeichnend für die Wasserarmut, daß der Name des Baches nirgends genannt wird und daß man nur von dem Grunde spricht.

Daß dieser dem Wasser seinen Ursprung verdankt, ist zweifellos, und daß besonders nach starkem Sommerregen an der Mündung bei Wehlen bedeutende Schuttmassen aufgehäuft werden und an Weg und Steg im Grunde arge Verheerungen angerichtet werden können, ist im vorigen Jahrhundert mehrfach beobachtet worden. Ebenso kann das Wasser im Frühjahr nach der Schneeschmelze seine erodierende Wirkung zeigen; dann aber wieder scheint die Erosion monatelang zu schlummern. Jedenfalls nehmen die entstehenden Veränderungen und Vertiefung des Bachbettes lange Zeiten in Anspruch.

Im Gegensatz zu den dauernd fließenden größeren Bächen muß man, um von der Elbe her in den Grund zu gelangen, sofort in die Stadt Wehlen hinein bis auf den Marktplatz und von hier bis zum Fuß der alten Burg die erste Talstufe hinansteigen. Für die Ausmündung des Bachbettes liegt der Elbspiegel jedenfalls bereits zu tief oder mit anderen Worten: Das Elbtal ist den Sandsteinbächen gegenüber übertieft. Die Bächlein der Seitengründe haben mit dem Elbstrom in Bezug auf Erosion nicht gleichen Schritt halten können.

Die Seitengründe haben nicht bloß noch viel stärkeres Gefälle als die größeren Zuflüsse, sondern sie haben noch nicht einmal die einzelnen Absätze oder Talstufen, den horizontalen Sandsteinbänken entsprechend, überwunden; und wenn plötzlich ein stärkerer Wasserzufluß in diesen Gründen erfolgte, müßten zahlreiche Wasserfälle entstehen, die den größeren Bächen bereits fehlen. Und doch sind auch in so wasserarmen Gründen, wie der Uttewalder, so malerische Szenerien entstanden, wie sie nur irgend die Sächsische Schweiz bietet. Zu diesen malerisch schönen Gründen gehört auch der Uttewalder, wird aber vollends, weil er den Zugang zu der Bastei bildet, unter allen Gründen des Gebietes am meisten begangen. — Sowie man bei der alten Burg Wehlen die erste Talstufe erreicht hat, wird der Grund ebener, ein breiter bequemer Talweg führt durch herrlichen gemischten Wald allmählich bergan. Im trockenen Bachbett zur Linken treten mehrfach die Sandsteinbänke als Stufen bis zu einem Meter Höhe auf, die vom Wasser noch nicht durchsägt oder allmählich abgeflacht sind. Man sieht aber, daß das Wasser, wenn es einmal größere Kraft zeigt, die unteren Schichten des Sandsteins unterhöhlen kann, bis die Wände, ihrer Stützen beraubt, von oben niederbrechen und mächtige Felsblöcke, denen man zur Unterhaltung der Fremden allerhand unpassende Namen gegeben hat, auf den Talgrund stürzen, wo die sieghafte Natur auch diese starren Massen mit dichten Moospolstern und Farnkraut überzieht oder sogar Nahrung für den Anflug von Tannensamen schafft, der sich zu stattlichen Bäumen entwickelt und wieder einen grotesken Schmuck des Grundes bildet. Denn in den Gründen ist es immer feucht, auch wenn fließendes Wasser fehlt, und statt der genügsamen Kiefer auf den Felsenhöhen siedelte sich im Tal gern die kräftigere hochstrebende Fichte an.

Abb. 81. Herrnskretschen. Talsiedelung.
Nach einer Aufnahme von Dr. Trenkler & Co. in Leipzig. (Zu Seite 80.)

Der Teufelsgrund.

Weiter aufwärts verengt sich der Grund und die Felswände treten so nahe aneinander heran, daß nur ein Felsenspalt statt eines Tales übrigbleibt. Von oben hereingestürzte[S. 89] Blöcke haben den Talboden nicht erreichen können, sondern sind eingeklemmt so hoch in dem Spalte befestigt, daß man ungehindert durch dieses natürliche Felsentor hindurch und weiter talauf wandern kann. Die Seitenschluchten des Uttewalder Grundes, die alle auf der gleichen Hochfläche ihren Anfang nehmen, müssen bei kürzerem Verlauf auch stärkeres Gefälle haben und daher in verstärktem Maße auch die Erscheinungen kräftiger Talstufen und eingestürzter Felsmassen zeigen. So vor allem der Teufelsgrund, der in seinem oberen Teile eine ganz enge Felsschlucht bildet, die von hineingestürzten[S. 90] Felsblöcken dermaßen erfüllt ist, daß man künstlich einen Durchgang schaffen mußte, um unter und zwischen den Blöcken halb kriechend, halb steigend die Höhe gewinnen zu können.

Der Zscherregrund.

Einen ganz anderen Charakter trägt die Seitenschlucht, die etwa der Teufelsschlucht gegenüber von Nordosten her in den Hauptgrund mündet und Zscherregrund (Abb. 91) genannt wird. Hier fehlt das Gewirre von Blöcken, ein bequemer breiter Fußpfad führt in ihm bergan und bildet den nächsten Zugang zur Bastei. Steile, wenn auch nicht sehr hohe aber mehrfach überhängende Felswände begrenzen ihn. Die Felswände sind kahl, der reiche Pflanzenwuchs des Uttewalder Grundes fehlt, das Gestein sieht düster aus, erscheint an manchen Stellen wie geglättet, ob von Wasser oder Eis bleibe unentschieden, eigentliche Talstufen fehlen, denn der Weg steigt stetig aber allmählich an. Indes ist unverkennbar hier besonders am Fuß der Felswände zu sehen, daß ehemals ein kräftiger Bach den Grund durchflutet und Sand und Stein mit sich fortgeführt haben muß. Als Zeugen dafür dienen nicht bloß die geglätteten und unterwaschenen Wände, sondern auch das Vorhandensein eines noch teilweise wohlerhaltenen Riesentopfes, einer kesselartigen runden Vertiefung mit senkrechten Wänden, eingegraben in das feste Gestein. Derartige Riesentöpfe, wie sie namentlich im Hochgebirge gefunden werden und in viel größerem Umfange besonders im Gletschergarten bei Luzern weltbekannt sind, werden der Wirkung wirbelnden Wassers zugeschrieben, das in einer flachen Schale oder Mulde des Gesteins einen größeren Stein unaufhörlich im Kreise herumwälzt, bis dieser Mahlstein durch die beständige Reibung unter sich eine rundliche Vertiefung ausarbeitet, die sich immer mehr eingräbt, solange das Wasser mit gleicher Kraft auf den Stein und in die Vertiefung stürzt. Ob dazu immer ein senkrechter Strahl, ein Wasserfall erforderlich ist, kann fraglich erscheinen; denn auch in einem Bache, der in Stromschnellen stufenweise abwärts stürzt, können ähnliche Wirkungen erzielt werden. Es sei dabei an die merkwürdigen Erscheinungen bei den Katarakten des Rieslochbaches am Arber im Böhmerwalde hingewiesen, wo aus dem schäumenden Bache plötzlich fontänenartig mächtige Wasserstrahlen emporgeschleudert werden, die sich nur dadurch erklären lassen, daß im Felsbache des Bachbettes rundliche Vertiefungen entstanden sind, in die das Wasser stürzt und wieder herausgeschleudert wird.

Jedenfalls sind zur Bildung von Riesentöpfen beträchtliche Wassermassen erforderlich. Und daher erklärt sich wohl, daß auch der Riesentopf im Zscherregrunde auf einen früheren Wasserfall zurückgeführt wird. Allein dafür ist an dieser Stelle keine Möglichkeit vorhanden, da die Felsbänke über dem Riesentopfe überhängen, also das von ihnen etwa herabfließende Wasser gar nicht die Öffnung der runden Vertiefung treffen könnte. Andererseits muß aber, nachdem der Kessel schon ausgehöhlt war, noch lange Zeit hindurch der Bach des Zscherregrundes über den Riesentopf hinweggeströmt sein, denn er hat durch langsame Erosion den oberen Teil des Kessels wieder abgeschliffen und zwar, weil er sich immer mehr an die Felswand herangedrängt hat, in ganz schräger Richtung. Der obere Topfrand ist also in einem starken Winkel abgeschliffen. Wir würden uns mit dieser Frage nicht so eingehend beschäftigt haben, wenn auch jetzt noch ein Bach durch den Grund flösse, also auch heute noch die Hochflächen nach der Bastei zu, von denen das Wasser abfließen müßte, wasserreich wären. Allein das Gegenteil ist der Fall! Gerade das ganze Gebirge in der Umgebung der Bastei mit seinen wild zersplitterten Felsmassen, -Wänden und -Türmen (Abb. 92, 93 u. 95) gehört zu den wasserärmsten Gebieten des ganzen Sandsteingebirges. Auch kann der Grüne Bach, der den Amselfall (Abb. 96) bildet, nicht als Ausnahme herangezogen werden, denn er hat seine Quellen nördlich von Rathewalde im Granit.

Abb. 82. Die Obere Schleuse.
Nach eigener Aufnahme der Verlagshandlung. (Zu Seite 82.)


GRÖSSERES BILD

Wasserarmut im Gebirge.

Es bleibt also keine andere Erklärung für den ehemals größeren Wasserreichtum und seine noch jetzt sichtbaren Spuren, als daß die Höhen um die Bastei vergletschert waren, und daß das Wasser mit dem Verschwinden des Eises nach den niedriger gelegenen, zuerst eisfrei gewordenen Gegenden abfließen konnte. Es wird dies um so[S. 92] eher verständlich, wenn man die weite Verbreitung des Inlandeises ins Auge faßt. „Es verbreitete sich (nach Penck) über das ganze sächsische Mittelgebirge und reichte bis zum erzgebirgischen Becken, es legte sich auf die Höhen der Sächsischen Schweiz und verhüllte fast gänzlich die Lausitzer Platte; es stieg so hoch am Saume des Lausitzer Gebirges an, daß es die an 500 m heraufreichenden Pässe desselben überschreiten konnte.“

Alle typischen Formen von Schluchten sind somit im Uttewalder Grunde mit seinen Nebentälern vertreten; aber die Wasserwirkungen sind seit sehr langer Zeit auf gelegentliches Auftreten beschränkt. Die ungeheuere Zersprengung der Felsen des Basteigebietes muß daher anderen Ursachen zugeschrieben werden. — Nun herrscht aber auch um den Winterberg in dem weiten Gebiet zwischen Kamnitz und Kirnitzsch der gleiche Wassermangel. Abgesehen von einigen Quellen auf dem Basaltboden des Großen Winterberges ist hier so wenig Feuchtigkeit in den Gründen anzutreffen, daß diese wenigen Stellen sofort in der Namengebung als „nasser Grund“, „nasse Schlüchte“ zu erkennen sind. In der Zerklüftung des Gesteins gleicht das Winterberggebiet vollkommen dem an der Bastei.

Abb. 83. Partie aus dem Kirnitzschtal bei Hinter-Hermsdorf.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 82.)

Der Große Zschand.

Für die geringe Tätigkeit des rinnenden Wassers, abgesehen von einzelnen starken Sommerregen, oder im Frühjahre bei Schneeschmelze, kommt endlich noch in Betracht, daß die Sandsteinbänke rechts von der Elbe fast vollkommen wagerecht liegen, daß also der Ablauf des Regenwassers, soweit es nicht im lockeren Sande versickert, durch eine natürliche Neigung des Bodens nach keiner bestimmten Richtung vorgeschrieben ist, daß also ein Gefälle des Wassers eigentlich nicht vorhanden ist. Kleine Unebenheiten auf der Oberfläche der Ebenheiten sind dann die Veranlassung zu den ersten Anfängen der Erosion und zur Entstehung von Schluchten. Die langsame Entwässerung der Sandsteinmassen ostwärts von den Schrammsteinen, die sich kaum oberirdisch vollzieht, zeigt eine unendliche Zersplitterung in kleine Tälchen nach allen Richtungen; nur um den Großen Zschand gruppieren sich zahlreiche Schluchten, die von rechts und links,[S. 93] aber ohne Wasser, einmünden. Es ist ein Flußsystem ohne Flüsse, das einzige in seiner Art, das ganz dem Sandstein angehört. Der Talboden im Großen Zschand ist scheinbar ziemlich wagerecht, aber er steigt doch gegen Süden von der Kirnitzsch bis zur Wasserscheide um 150 m an.

Abb. 84. Die Buschmühle im Kirnitzschtal.
Liebhaberaufnahme von H. Engert in Dresden. (Zu Seite 82.)

Der Große Dom.

Von der Wasserarmut in diesem Gebiet noch ein bemerkenswertes Beispiel. Westlich vom Kleinen Winterberge liegt der Große Dom, ein Felsenkessel, der von hohen Sandsteinklippen und -Türmen (Abb. 97) auf drei Seiten umschlossen ist. Die Talseite ist außerdem noch durch riesig große Blöcke, die von den Seiten hineingestürzt sind, dergestalt abgesperrt, daß ein innerer, rundlicher Platz entsteht, auf dem mächtig hohe alte Tannen emporsteigen. An der Westseite kann man auf einer Flucht von kühn angelegten Stein- und Holzstufen zur Höhe des Felsengrundes gelangen und bemerkt nun, daß man sich in einem Hochtale befindet, das in der Mitte die natürliche Tiefenlinie eines Rinnsals hat und auf den Seiten wieder von einer Reihe niedriger Klippen eingefaßt ist. Der Dom bildet also den mittleren Teil eines Erosionstales, aber liegt um 80 m niedriger als das obere Hochtal. Nun wird uns erst verständlich, woher im Dom an der hinteren Felswand aus einer Spalte der dünne Wasserfaden rinnt, um unter Moos und Steinen bald zu versickern. Bei der Seltenheit des Wassers in der ganzen Umgebung hat man diesen Quell zu fassen vermocht, daß er auf einer dünnen Holzrinne aus dem Felsen abfließt und in feuchteren Jahren von den Besuchern des Domes als eine Erfrischung aufgesucht wird, während in trockenen Jahren das Wasser völlig versiegt. Ob gegenwärtig dieser Wasserfaden noch im Boden sich eingraben kann und überhaupt auf die Bodengestalt eine und sei es auch die geringste Wirkung ausüben kann, möchte ich bezweifeln. Übrigens können in engen Schluchten und Grotten, wohin kein Sonnenstrahl dringen kann, die Sickerwässer im Winter gelegentlich märchenhaft schimmernde Eisgebilde schaffen, wie in der Eishöhle in der Weberschlüchte (Abb. 98).

[S. 94]

Abb. 85. Lichtenhainer Wasserfall.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 82.)

Die Biela.

Das Sandsteingebiet auf der linken Seite der Elbe ist bedeutend wasserreicher, daher hier die Bodengestalt eine andere. Die Ursache des größeren Quellenreichtums ist, wie schon mehrfach ausgesprochen, in der zu Tage tretenden Plänerschicht zu suchen, auf der fast sämtliche Quellen ihren Ursprung haben. Dazu gehören in erster Linie die Quellen, die nach allen Seiten aus der Umgebung des Schneeberges abfließen und größere Bäche bilden, vor allem die Biela mit dem Cunnersdorfer Bache und der Krippenbach. Ferner müssen, wie von Gutbier hervorhebt, die prächtigen Quellen erwähnt werden, die in der Umgebung der Schweizermühle (Abb. 99) hervortreten und zur Begründung der dortigen Wasserheilanstalt Veranlassung gaben. Sodann die Quellen in der Umgebung von Hermsdorf und diejenigen, die das versumpfte Terrain am Dorfe Leupoldishain bilden; sie entspringen jedenfalls auf den Plänerlagen. Dann die reichen Quellen der Wasserheilanstalt Königsbrunn im Hüttental, ein am südlichen Abhange der Festung Königstein vorbrechender starker Quell, ein eisenhaltiger Brunnen im Städtchen Königstein am Fuße des Pfaffenberges, die Quellen bei Naundorf und Kleinstruppen, die Quellen bei Pirna, aus denen die Stadt mit Wasser versorgt wird.

Die erwähnten Bäche dieses Gebietes führen beständig Wasser und haben einen drei- bis viermal so langen Lauf als die sandgeborenen Bächlein östlich von der Elbe. Der längste Bach, die Biela, die oberhalb Eiland entspringt, hat eine Länge von 17 km. Von Eiland, wo der Talboden noch 440,6 m hoch liegt, bis zur Mündung in Königstein (118,8 m über Meer) sinkt der Bachspiegel um mehr als 300 m und daher beträgt das Gefälle 1 : 53, ist also noch einmal so bedeutend als bei der Kirnitzsch und Polenz. Betrachtet man das Quellental der Biela oberhalb Eiland, wie es mit einemmale tief zwischen Felsen eingesenkt erscheint, so möchte man meinen, es fehle das eigentliche Quellgebiet, das wir auf der Hochebene suchen müßten. Dazu zeigt die gleiche Richtung des Oberlaufes der Biela, des Cunnersdorfer- und Krippenbaches, daß dieselbe durch die Bodengestalt vorgeschrieben ist. Zugleich erinnern wir uns, daß die Sandsteinbänke dieser Seite bei der Hebung des Erzgebirges mit gehoben sind und sich nach Nordnordost senken. Größerer Wasserreichtum und schräggeneigter Boden mußten die Erosion kräftiger gestalten und das nachfließende Wasser mußte die Kraft haben, einen Teil des verwitterten und aufgelösten Gesteins mit fortzuführen. Daher mußte auf dieser Seite die Zerstörung des Gebirges viel weiter vorgeschritten sein; es mußten vor allem die der Dürre zugeschriebenen Cañons der rechten Elbseite[S. 95] wenn auch nicht ganz fehlen, aber doch viel seltener erhalten sein: kurz das Wildgroteske der Landschaft östlich von der Elbe mußte hier zurücktreten, folglich mußte aber diese Seite weniger besuchenswert erscheinen. Und so kann es uns nicht mehr befremden, zu sehen, daß der Begriff der Sächsischen Schweiz ursprünglich nur dem östlichen Teile des Sandsteingebietes galt, wo wilde, klippenreiche, enge Gründe, Felsenkessel und Felstürme häufiger anzutreffen waren. Westlich der Elbe sind statt der Klippenreihen nur einzelne Felsmassen als „Steine“, die aus den Hochflächen hervorragen, erhalten geblieben; und dies trotz alledem, daß links der Elbe, dank der Hebung des Erzgebirges, die Sandsteinbänke höher emporgehoben, also auch die höchsten Punkte des Gebirges, den Hohen Schneeberg und Großen Zschirnstein umfassen.

Abb. 86. Der Hockstein.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 84.)

Gottleuba.

Langenhennersdorfer Tal.

Wie die Wesnitz am rechten Elbufer, so berührt auch die Gottleuba auf dem linken Ufer auf nur kurzer Strecke das Sandsteingebiet. Ihre Quellen liegen schon im Erzgebirge. Aber beider Bäche Umgebung zeigt auch darin eine Ähnlichkeit, daß wir den ehemals berühmteren Liebethaler Steinbrüchen die gegenwärtig noch bedeutenderen Brüche von Rottwerndorf gegenüberstellen können, die aber, obwohl auch sehr sehenswert, doch nie das Ziel bewundernder Naturfreunde geworden sind. Nur eine Merkwürdigkeit muß noch im Gottleubatal Erwähnung finden, nämlich der Langenhennersdorfer Wasserfall, der einzige natürliche Wasserfall in der ganzen Sächsischen Schweiz, der also nicht bloß, wie alle anderen, durch Stauwasser gebildet wird. Der Langenhennersdorfer Bach entspringt im Sand[S. 96]steingebiet, fließt durch das langgestreckte Dorf, das ihm den Namen gegeben und stürzt sich dann über die Sandsteinbank unmittelbar in den Gottleuber Grund. Dieser Grund gehörte noch vor vierzig Jahren zu den besuchtesten Partien des Gebirges. Die wasserreiche Gottleuba schäumte in einem von riesigen Edeltannen bestandenen Grunde, durch den ein wenig gepflegter Fußpfad zwischen Felsblöcken und üppigem Gebüsch aufwärts führte, zwischen bemoosten Steinmassen talabwärts und nahm den zeitweilig wasserreichen Hennersdorfer Bach in einer einsamen, aber höchst malerischen Umgebung in sich auf.

Abb. 87. Hohnstein und das Polenztal.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 84.)

Jetzt zieht die Eisenbahn durch den engen Grund, Hotels und Fabrikanlagen sind entstanden, das Bachbett ist zwischen Steinmauern gefesselt und der unnützen Felsblöcke entledigt, der hohe Tannenwald ist gefällt, das Wasser des Baches ist wie verschwunden. Daher sagt O. Lehmann mit Recht: „Der Besuch des Falls ist selbst nach starkem Regen kaum noch lohnend, da der Fall infolge des Straßenbaues und der Entwaldung die früher schöne Umgebung gänzlich verloren hat.“ Wer aber diese Landschaft noch in ihrer ganzen Pracht gesehen hat, denkt nur noch mit Wehmut an die verschwundene Herrlichkeit und wünscht, es möchten solche Meisterstücke der Natur ebenso wie die Denkmäler alter Kunst von seiten des Staates vor der Vernichtung geschützt werden können.

Abb. 88. Die Königskiefer über dem Polenzgrunde.
Liebhaberaufnahme von W. Thiel in Dresden. (Zu Seite 84.)


GRÖSSERES BILD

[S. 98]

Doch ist glücklicherweise das Tal der Gottleuba nicht das einzig sehenswerte auf dieser Seite der Elbe gewesen. Das obere Bielatal, namentlich südlich und in der Nähe der herrlich gelegenen Wasserheilanstalt Schweizermühle, ist reich an grotesken Felsbildungen (Abb. 100), die in ihren abenteuerlichen Formen leider nur zu leicht die Veranlassung wurden, daß diesen Felstürmen oder Säulen allerhand zum Teil recht abgeschmackte Namen erteilt worden sind. Aber damit sind die romantischen Talbildungen auch erschöpft, denn alle übrigen Täler sind an den Seiten von dichtem Wald bekleidet, aus dem selten noch ein Felsen oder eine Steinwand aufragt; dagegen ist diese Seite des Gebirges reicher an ausgedehntem Hochwald, und Freunde einer stillen Waldespracht durchstreifen gern diese Einsamkeiten, in denen nur selten, wie etwa am Krippenbache, eine einsame Mühle steht, wie die Forstmühle oder die uralte Rölligsmühle, die seit mehr als dreihundert Jahren im Besitz derselben Familie Röllig sich erhalten hat.

Abb. 89. Der Eingang in den Liebethaler Grund. Stich von Ludwig Richter.
Aus „Dreißig An- und Aussichten zu dem Taschenbuch für den Besuch der Sächsischen Schweiz“. (Zu Seite 85.)

VII.
Klüfte und Verwitterung.

„Der hervorstechende Charakter dieser Berge und der zunächst daranstoßenden Gründe ist Verwüstung und Untergang im großen und kleinen.“

M. Chr. Weiß.

Klüfte und Verwitterungen.

Aus unseren bisherigen Betrachtungen hat sich ergeben, daß zur Bildung der Oberflächengestalt der Sächsischen Schweiz das fließende Wasser, namentlich der Elbe, sehr viel beigetragen hat und daß auch ihre Nebenflüsse mitgewirkt haben, daß aber der Betrag ihrer Leistungen mit der geringeren Wassermenge, über die sie verfügen, abnimmt. Die Erosionsarbeit an den Nebenflüssen ist größer als bei deren Zuflüssen.

Abb. 90. Schloß Lohmen.
Nach eigener Aufnahme der Verlagshandlung. (Zu Seite 86.)


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Bei der Elbe ist die Durchsägung des Gebirges vollendet, bei den Nebenflüssen noch nicht; bei deren Zuflüssen hat sie kaum begonnen. Mit Abnahme der überhaupt vorhandenen Wassermengen hat die Tätigkeit der Nebenflüsse mit der des Hauptstromes[S. 100] nicht gleichen Schritt halten können. Das ist am klarsten bei der Größe des Gefälles zu erkennen. Wenn hier wenigstens noch ein Verhältnis von 1 zu mehr als 100 festgestellt werden konnte, so beträgt das Gefälle in manchen Seitenschluchten gar 1 : 6 oder 1 : 4.

Abb. 91. Der Zscherregrund.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 90.)

Die Möglichkeit einer noch weiterhin wirkenden Erosion und damit einer weiteren Modellierung des Reliefs ist damit gegeben. Die Abtragung und Umgestaltung des Sandsteingebirges wird also seinen stetigen, wenn auch sehr langsamen Fortgang haben.

Aber es treten auch noch andere Kräfte und andere Ursachen hinzu, die eine allmähliche Vernichtung der Gebirgsgestalt herbeiführen und zwar schneller als in den benachbarten Gebirgen, in der Lausitz und im Erzgebirge, in denen weit festere, widerstandsfähigere Gesteine vorherrschen als in der Sächsischen Schweiz.

Abb. 92. Die Basteibrücke, vom Ferdinandstein gesehen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 90.)


GRÖSSERES BILD

Der Quadersandstein.

Die Entstehung der Klüfte.

Von dem allergrößten Einfluß ist hier die uranfängliche Schichtung des Gesteins in wagerechte Bänke und die sehr frühzeitig hinzugetretene Zerklüftung der Bänke durch meist senkrechte Spalten. Diese zahlreichen senkrechten Klüfte, die in Verbindung mit den wagerechten Schichtenfugen die Sandsteinbänke in Quader zerlegen, wonach dieser Kreidesandstein als Quadersandstein bezeichnet und das Gebirge auch wohl ein Quadergebirge[S. 102] genannt wird, sind nirgends mit Verschiebungen verknüpft, dürfen also nicht, wie es noch durch Gutbier geschah, einfach dadurch erklärt werden, daß die Meeresablagerungen, sobald sie aus dem Wasser auftauchten und allmählich austrockneten und sich daher zusammenzogen, Risse bekommen hätten, die wir nun als Klüfte bezeichnen. Denn unter solchen Umständen wäre die große Regelmäßigkeit der Kluftrichtungen durchaus nicht zu erklären. Vielmehr müssen zur Erklärung die geologischen Kräfte herangezogen werden, durch die überhaupt die Sandablagerungen aus dem Wasser gehoben wurden.

Wenn wir nun sahen, daß die erzgebirgische Hebung in der Richtung von Westsüdwest nach Ostnordost erfolgte, und daß die eine Hauptkluftrichtung im Sandstein genau dieselbe ist, so suchen wir dafür die einfache Erklärung, daß beide Erscheinungen, Gebirgserhebung und Kluftrichtung, auf diese Ursache zurückführen.

Nun erfolgte aber die Überschiebung des Lausitzer Granits in der Richtung von Südost nach Nordwest, und in derselben Richtung sehen wir eine zweite Hauptrichtung der Klüfte im Sandstein verbreitet. Wir können auch diese beiden Erscheinungen wieder in denselben Zusammenhang bringen und erkennen zugleich, daß die Entstehung der Klüfte in die Tertiärzeit zurückreicht, daß also damals, als die Elbe über den noch viel niedrigeren Ebenheiten ihre erodierende Arbeit begann, sie bereits ein stark zertrümmertes Gestein vorfand, das sie mit ihren Wasserfluten bewältigen und fortführen konnte. In die entstandenen Klüfte ist damals auch an vielen Stellen der Basalt von unten her eingedrungen, hat aber nur selten die Oberfläche des Sandsteins erreicht.

Abb. 93. Die Schwedenlöcher.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 90.)

Da die Hauptrichtungen der Klüfte sich fast rechtwinkelig durchschneiden, so können dadurch merkwürdige Bildungen der Felswände entstehen.

Der Gorisch.

Die beste Vorstellung von der Gruppierung der Klüfte gewinnt man aus der Betrachtung eines Grundrisses, wie ihn von Gutbier vom Gorisch entworfen hat (Geographische Skizzen S. 31, vergl. Abb. 94). Zur Erläuterung fügen wir seine eigenen Worte hier an. „Um auf hinreichend großem Raum das gegenseitige Verhalten jener Absonderungen (Klüfte) zu beobachten, war der Gorisch[S. 103]stein, welcher gegen eintausend Quadratruten (fast zwei Hektar) Felsoberfläche bietet und nur mit niedrigem Strauchwerk, Heidelbeergestrüpp und Heidekraut bewachsen ist, am besten geeignet. Der Gorisch verdient besondere Beachtung wegen der Wildheit, welche ihm die größte Unebenheit seiner Platte und die zahlreichen weiten und tiefen Klüfte verleihen, zugleich wegen der Regelmäßigkeit, welche dennoch in dessen Absonderungen herrscht. Die durch diese Beschaffenheit wesentlich erschwerte Aufnahme dieses Felsens wurde mit Meßtisch und Kette in großem Maßstabe ausgeführt und dann reduziert.“

Abb. 94. Grundriß der Felsplatte des Gorisch (nach v. Gutbier).

Z Zugang; G Gipfel; B vorstehende Blöcke; L Längenabsonderung,
auf den Königstein treffend; Q Querabsonderung; F Fallrichtung
der Schichten. (Zu Seite 102.)

„Die eine Absonderung streicht aus Nordwest in Südost, die andere aus Nordost in Südwest. Diese Klüfte aus Nordost in Südwest sind am häufigsten, aber die anderen von Südost in Nordwest wichtiger, denn in dieser Richtung ist der Felsen in zwei Teile getrennt und hat in ebenderselben seine längste Erstreckung.“

An diese allgemeinen Beobachtungen fügt von Gutbier dann noch die beachtenswerte Bemerkung: „Es bewährt sich hierbei wieder die alte Regel der das Gebirge am besten kennenden Forstmänner: Die Klüfte, welche an einer Seite der Felsen den Aufweg möglich machen, gestatten gewöhnlich auf der anderen Seite das Herabsteigen.“

Man darf aber nicht meinen, die Beobachtung dieser Erscheinungen komme in der Landschaft nicht zum Ausdruck. Wir wollen gleich das auffälligste Beispiel voranstellen. Man kann sich wohl vorstellen, daß, wenn wie am Gorisch die Klüfte sich fast rechtwinkelig schneiden und diese Klüfte an den aufragenden Felsen und „Steinen“ bis auf den Schuttkegel heruntergehen, dann solche eigentlich von der Hauptmasse des Felsens schon abgelöste Quadertürme niederbrechen und die rechtwinkeligen Lücken als ihren ehemaligen Standort noch lange Jahre erhalten. Das zeigt sich nun auf der Südseite der Felswände am Königstein, die geradezu im Zickzack verlaufen, was man besonders bei abendlicher Beleuchtung vom Pfaffenstein aus beobachten kann, wo die Felswände in gleichen Abteilungen beleuchtet sind oder im Schatten liegen. An anderen Orten treten aus den Felsmassen einzelne sich immer mehr verjüngende Pfeiler vor; so etwa am Heringsgrunde oberhalb Schmilka, in der Richtung nach der Heiligen Stiege. Es kann schließlich auch alles Gestein neben dem vordersten Pfeiler niedergebrochen sein; dann bleibt ein einzelner Turm stehen und „zeugt von verschwundener Pracht“. Dafür bietet der Felsenturm auf der senkrecht zerklüfteten Wand rechts vom Eingange in den Großen Dom ein schönes Beispiel oder die Barbarine am Pfaffenstein (Abb. 101) oder der Felsenturm an der Heiligen Stiege (Abb. 102) oder am Wildschützensteige (Abb. 103), den die Gebirgsvereinssektion Postelwitz am Fuße der Schrammsteine angelegt hat, oder der Bloßstock (Abb. 104), d. h. der alleinstehende Fels an den Klippenausläufern des Kleinen Winterberges, oder der Zuckerhut am Gabrielensteige (Abb. 105) im Prebischgrunde.

[S. 104]

Wenn nun auch in der Regel die Klüftung von oben nach unten senkrecht verläuft, so ist gleichwohl doch nicht im entferntesten an eine Gleichmäßigkeit zu denken oder daß die Klüfte in annähernd gleichen Abständen niedergehen. Sie sind vielmehr häufig gesellig, dicht nebeneinander mehrere, und dann erst wieder in weiterer Entfernung. Wo sie nun gesellig auftreten, wird natürlich das Gestein der Felswand am meisten in kleinere Quadern zerlegt und diese verlieren, da die Verwitterung leichter in die wagerechten Schichten eindringen kann, leicht ihren Halt und brechen heraus. Da unten am Boden bei größerer Feuchtigkeit die Auflösung des Gesteins rascher fortschreitet, brechen am ehesten unten einzelne Quadern aus ihrem Zusammenhange und bilden so, bei fortschreitender Zerstörung, den Anfang einer Schlucht.

Abb. 95. Die Kleine Gans.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 90.)

Das Uttewalder Tor.

Oben können Blöcke eingeklemmt bleiben und erreichen, wenn sie auch niederbrechen, doch nicht den Boden, sondern zeigen uns das Bild des Uttewalder Tores (Abb. 106), das nicht einzig in seiner Art dasteht und sich mehrfach, wenn auch in bescheideneren Verhältnissen, wiederholt.

Auf dem genannten Bilde sind die wagerechten Bänke mit der an den Schichtenfugen deutlich sichtbaren Verwitterung durch gesellige Klüfte von oben nach unten[S. 105] gespalten, aber die dadurch entstandenen kleineren Quader in den vorderen Lagen bereits niedergebrochen. Es ist also der Anfang einer Schlucht gemacht.

Abb. 96. Der Amselfall.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 90.)

Kluftrichtung im Zscherregrunde.

Zusammengebrochene Wände.

Die Klüfte brauchen aber nicht, wie auf dem Grundriß, immer rechtwinklig gleichsam in die Felswände einzudringen. Die vorliegende Erscheinung ist durch die Richtung des Uttewalder Tales bedingt. Wo die Gründe in anderer Richtung streichen, wie im Zscherregrunde, kann die Klüftung parallel der dem Grunde zugekehrten Wandfläche erfolgen und dann löst sich eine große Tafel dermaßen von dem dahinter liegenden Bergmassiv ab, daß man hinter der Tafel durchschlüpfen kann, besonders wenn die Tafel sich noch etwas nach vorn geneigt hat infolge des ehemals den Grund unterwaschenden Baches. Dieses schöne Beispiel im Zscherregrunde hat leider den geistlosen Namen „Die Schiefertafel“ erhalten. Viel häufiger aber kommt es vor, daß geneigte Felspfeiler niederbrechen, aber ihren Zusammenhang behalten und unten am Boden sich schräg an die unerschütterlich feststehende Felswand anlehnen, oder daß mehrere Felsmassen bei ihrem Sturze schräg gegeneinander geneigt bleiben und unechte Höhlen bilden, wie es dergleichen viele in der Sächsischen Schweiz gibt. Dieses schräge Anlehnen größerer Felsmassen und Gegeneinanderfallen von Steinwänden ist nirgends so häufig und so dicht nebeneinander eingetreten als bei Tyssa (Abb. 107);[S. 106] man möchte sagen, eine ganze Felsenwelt sei hier zusammengebrochen und habe so ein Labyrinth von Felsen, Wänden und Steintürmen geschaffen, daß man sich in diesen Höhlen und Felsengen nur mit dem Kompaß zurecht finden kann. Ähnlich liegen auch im „Labyrinth“ bei Hermsdorf, ebenfalls in der Nähe des Bielatales, die Felsmassen durch- und übereinander, daß man unter und zwischen ihnen hindurchschlüpfen kann und sich nur mittels der zahlreich an den Felswänden angebrachten Wegemarken aus diesem Wirrsal wieder heraus zu finden vermag. Auch die Kamine, Spalten und Pfeiler am Pfaffenstein zeigen ähnliche Bildungen. Die Schwedenlöcher an der Bastei und der Teufelsgrund bei Wehlen gehören auch hierher. Ein historisch noch besonders merkwürdiges Beispiel bildet die Götzinger-Höhle (Diebeskeller, Abb. 108) am Abhange des Kleinen Bärensteins. Hier ist durch das Zusammenstürzen oder Gegeneinanderfallen der Wände eine größere, in der Mitte höher gewölbte Höhle gebildet, in der der Gebirgsverein eine Gedenktafel mit folgender Inschrift hat anbringen lassen: „Dem Andenken | Wilhelm Leberecht Götzingers | der hier die erste Anregung empfing | zur Erforschung | der Naturschönheit der sächs. Schweiz | weihte diesen Ort |am 12. Sept. 1886 | der Gebirgsverein für die sächs.-böhm. Schweiz.“ — Der Tag wurde gewählt, weil hundert Jahre vorher Götzinger die Vorrede zu seinem ersten Werke, in dem er die Schönheiten des Gebirges pries, am 12. September unterschrieben hatte und der Ort für besonders geeignet gefunden, für Götzinger eine ehrende Gedächtnistafel anzubringen, weil in seinem Werke „Schandau“ gerade der Besuch dieser Höhle als die besondere Veranlassung bezeichnet ist, wodurch vor allem in Götzinger die Bewunderung und Liebe für sein schönes Heimatland erregt wurde. Er schreibt darüber: „Einige zusammengestürzte, sehr große Felsenbänke bilden hier eine große hohe Höhle, durch welche man ganz hindurch gehen kann und welche so geräumig ist, daß sie oft zum Notstall der Thürmsdorfer Schäferei gebraucht wird... Die Außenseite der anlehnenden Wand zeigt ganz besondere eingefressene Figuren (Auswitterungen), welche auf der einen Seite viele Ähnlichkeit mit einem großen Wespenneste haben, und auf der anderen Seite wie die in Holz eingefressenen Fahrten des Holzwurmes aussehen, die in Menge übereinander laufen und welche inwendig viel weiter sind als ihre Öffnungen ...“

Abb. 97. Der Talwächter am Großen Dom.
Liebhaberaufnahme von Marine-Oberstabsarzt Dr. Ruge in Kiel.
(Zu Seite 93.)

Abb. 98. Eisgrotte in der Weberschlüchte.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 93.)

Die Götzinger-Höhle.

„Ich verlasse diese Höhle aber nicht ohne frohes — innig dankbares Andenken an die Jahre meiner Kindheit. — Bilder der Erinnerung meiner frühesten Lebens[S. 107]jahre, ihr steht vor mir, so oft ich dieser Höhle und seiner Umgebungen gedenke! — In dem benachbarten Dorfe Struppen geboren und acht Jahre darin erzogen, hörte ich schon als Kind von dieser Höhle sprechen, und da ich von einem Vater meine erste Geistesbildung erhielt, der selbst ein so warmer Freund der Natur war und so gern und so oft unter ihren Schönheiten wandelte, so hielt es nicht schwer, die Erlaubnis zu einer kleinen Reise nach dieser Höhle zu erhalten. — Es war meine erste Naturreise, denen so viele gefolgt sind. — Wie ich mit stummem Erstaunen vor ihr und in ihr stand, und es gar nicht begreifen konnte, wie man so etwas habe bauen können; und wie ich in der Folge diese Höhle und diese Felsen mit meinen Gespielen mehrmals besuchte; wie gerade diese Höhle mich auf die Natur und auf die sonderbaren Gestalten immer aufmerksamer machte, die sie in der Gegend umhergestellt hat; wie dadurch der Geschmack an den Freuden der Natur und die Liebe zu ihr in mir erweckt, erwärmt und immer mehr gebildet ward; wie ich da so oft auf hohen Standpunkten dieser Gegend und besonders vom Königstein herunter, in dem Anschauen ihrer nahen und fernen Reize versunken war; — das alles kommt mit den Erinnerungen an diese Höhle und ihre Umgebungen lebhaft in mein Gedächtnis und geht in den innigsten Dank gegen den Urheber meines Daseins über, das gerade[S. 108] in dieser die Aufmerksamkeit so sehr aufreizenden Gegend seinen Anfang nehmen mußte. — Die Anhänglichkeit an die Schönheiten der Natur hat so viele reuelose Freuden über mein Leben verbreitet, so viel Aufheiterung und Erquickung in mein oft gebeugtes Herz gegossen und selbst zur Bildung meines Geistes und Herzens so vieles beigetragen, als daß ich an der Stelle, bei welcher der erste Grund dazu gelegt ward, nicht ihrer dankbar erwähnen sollte. — Jeder gute, jeder wahre Freund der Natur und ihres Schöpfers wird mir es daher gewiß gern verzeihen, wenn ich mit diesen Rückblicken auf mich und meine frühesten Jahre die Beschreibung unterbreche. Er wird mich verstehen.“

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*

Schräge Klüfte.

Bisher sind eigentlich nur die Erscheinungen und Wirkungen der senkrechten Klüftungen geschildert; aber es kommen auch zahlreiche schräge Klüftungen vor, die aber gegen das Gesamtbild der Steinwände nur als Ausnahmefälle gelten können. Nur wo an größeren Steinmassen, wie z. B. am Großen Bärenstein (Abb. 109), die schräge Richtung jedem Beschauer in die Augen fallen sollte, ist sie wohl beobachtet worden. Die meisten Wanderer gehen achtlos daran vorüber. Nun hat zwar Gutbier (Abb. 19, S. 35) eine Zeichnung von der Südwestseite des Naundorfer Großen Bärensteins gegeben, auf der die schräge Zerklüftung neben der senkrechten in auffälliger Weise zur Anschauung gebracht ist, allein das Bild ist nicht getreu und gibt eine falsche Vorstellung, fast als ob die schrägen Wände eben noch im Fallen begriffen wären. In Wirklichkeit erscheint, von derselben Seite aufgenommen, die Felsenwand des Bärensteins doch anders. Und hier sieht man namentlich auf der rechten Seite des Bildes die senkrechten und schrägen Klüfte in merkwürdiger Weise wechseln. Die Ursache dieser Erscheinung harrt noch der Erklärung.

Abb. 99. Bad Schweizermühle.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 94.)

[S. 109]

Die Verwitterung.

Eine sehr merkwürdige Vereinigung der verschieden gerichteten Schichtung trifft man im Hochtal oberhalb des Großen Domes (Abb. 110). Unten erblicken wir in der Mitte des Bildes die wagerechten Bänke der Sandsteinablagerungen, durch Verwitterung unterhöhlt, weil Wasser aus dem Gestein sickert. Darüber die etwa unter einem Winkel von 45° aufsteigende schräge Kluftbildung und linker Hand die Anfänge von Schluchtenbildung bei senkrechter Zerklüftung der hier wieder wagerecht liegenden Bänke. Gerade die Mannigfaltigkeit dieser verschiedenen Kluftbildungen mußte zur Zerstörung größerer Steinmassen wesentlich beitragen und dadurch die unglaubliche Abwechselung in der Gestaltung der erhaltenen Trümmer erzeugen, die immer von neuem die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die Menschen reizte, je nach der Leistungsfähigkeit ihrer Phantasie, den abenteuerlichen Steingebilden passende und unpassende Namen zu erteilen, die einmal gegeben, von Mund zu Mund weiter gingen und sich einbürgerten. Hier könnten vor allem die Verfasser von Führern und Wegweisern durch die Sächsische Schweiz zur Beseitigung zunächst der ganz unpassenden oder zwecklosen Namen beitragen, indem sie dieselben grundsätzlich nicht mehr erwähnen.

Die Zerklüftung und Schichtung schafft eckige Formen, die Verwitterung in der Regel rundliche.

Abb. 100. Die Herkulessäulen bei Bad Schweizermühle.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden.
(Zu Seite 98.)

Die Verwitterung greift die Steilwände zuerst und zwar von oben her an. Die Abrundung der Felsmassen geht von oben nach unten vor sich. Eingedrungener Regen, Schnee, Frost und Wiederauftauen des Eises in den Klüften arbeiten beständig an der Erweiterung der Spalten; auch eingedrungene Baumwurzeln können dazu beitragen; aber dieser Zerstörungsprozeß geht sehr langsam vor sich. Vor allem aber fällt ins Gewicht, daß das tonige Bindemittel, das den Sand der alten Meerablagerung zu festen Steinbänken verkittet hat, sehr leicht durch Wasser aufgeweicht wird und damit das Gefüge gelockert wird. Dagegen widersteht das kieselig tonige Bindemittel, wie es in den meisten feinkörnigen Sandsteinen vorhanden ist, weit besser der Zerstörung. Wie stark diese Auflockerung und Auflösung des Gesteins gewesen ist, sieht man an allen den unzähligen senkrechten Wänden. Wenn nicht am Fuß derselben ein Rinnsal[S. 110] oder gelegentlich ein Bächlein entlang fließt und den herabgefallenen Sand mitnimmt und fortspült, findet man überall an den Felsenwänden einen Schuttkegel von Sand und Blöcken mit einer bedeutenden Böschung aufgehäuft, die namentlich an den alleinstehenden Steinmassen auffällt und eine typische Erscheinung aller „Steine“ bildet. Die Verwitterung greift vor allem die Schichtenfugen und die Klüfte an. An kahlen Felstürmen verwittern die Gipfel dermaßen zu rundlichen Köpfen, daß man ihnen Namen gegeben hat, wie Mehlsäcke und die Hafersäcke am „Brand“. Derartig abgeschliffene Formen finden sich auch in den Schrammsteinen und am Großen Zschand (Abb. 111, 112, 113). Wenn aber vollends die oberen Bänke aus besonders weichem Gestein bestehen und sich daher völlig in Schutt und Sand auflösen, der auf den unteren festeren Schichten zum Teil liegen bleibt, dann entstehen großartige Felsterrassen wie am Teichstein in der Nähe des Zeughauses oder an den Wänden nordöstlich vom Prebischtor. Hier erscheinen die Steilwände der unteren Bänke schon fast ganz in dem Schuttkegel begraben.

Abb. 101. Die Barbarine beim Pfaffenstein.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 103.)

Felsformen am Gorisch.

Nur wo das Gestein der Verwitterung trotzt, zeigen auch die Felsplatten und Felstürme wunderlich eckige oder höckerige Oberflächen (Abb. 114), auf denen der Fuß nur schwierig einen festen Stand gewinnen kann; oder es zeigen die Felstürme nicht eine abgerundete, abgeschliffene Kopfform, wie sie bei den Mehlsäcken beschrieben sind, sondern es bleiben Zacken, Widerhaken und abenteuerliche Spitzen stehen. Für diese Gestaltung ist vor allem der Gorisch charakteristisch. „Die Oberfläche der Felsenpfeiler ist nach Theiles Beschreibung in Über Berg und Tal, 1887, S. 157, meist sehr uneben, an vielen Stellen mit kegelförmig zugespitzten Höckern versehen oder zeigt Nachbildungen von ganzen Gebirgslandschaften.“ Eine höchst seltsame, wohl einzig in der Sächsischen Schweiz dastehende Bildung zeigt ein isolierter Steinkegel (unterhalb der eigentlichen Tafel des Berges) in der Nähe des westlichen Endes. Dieser Turm läuft[S. 111] oben in eine stumpfe Spitze aus, die mit allerhand wunderlichen Felszacken und Spitzen besetzt ist.

Abb. 102. Felsenturm an der Heiligen Stiege.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden.
(Zu Seite 104.)

Auswitterungen und Höhlen.

Die letzte Form dieser Art von Zerstörung der Felsmassen könnte man schon als Auswitterung bezeichnen; allein im engeren Sinne soll darunter der Angriff der Atmosphärilien auf die senkrechten Wände und einzelne Steinblöcke bezeichnet werden, die durch raschen Wechsel der Temperatur, durch anschlagenden Regen, durch einfressenden Nebel, vielleicht auch durch anhaftende Moospolster verursacht werden können. Es entstehen Aushöhlungen am Gestein, die bei weiterem Fortschritt zu wirklichen Höhlen sich auswachsen können.

Das Prebischtor.

Vor allem sind die Schichtungsfugen der wagerechten Bänke den Angriffen der Luft ausgesetzt. Reihenweise erscheinen die Aushöhlungen dann nebeneinander, meistens in den höheren Teilen der Wände. Klein, rundlich und von wenigen Centimetern Tiefe und Breite stehen sie da mit gewölbter Decke und wagerechter Sohle, von der nächsten Höhlung oft nur durch zierliche Pfeiler getrennt, die in ihrer Gestalt an Sanduhren erinnern. Auch übereinander treten sie auf (Abb. 115). Wenn die Pfeiler dann auch gefallen oder verwittert sind, vereinigen sich die benachbarten Vertiefungen schon zu größeren Höhlungen. Beispiele dafür bietet das Bild einer Felswand am Gorisch, rechts vom Aufstieg zur Tafel des Berges; aber hier finden sich die Höhlungen ziemlich niedrig an der Felswand. Weiter fortgeschritten sieht man solche Bildungen auch am Quirl und hier namentlich die große Höhle des Diebeskellers, die 29 m tief in den Felsen eindringt. Und schließlich können, wenn schmalere hochaufragende Felswände oder Felsmassen von zwei entgegengesetzten Seiten in dieser Art von der Auswitterung angegriffen werden, große Höhlen und Tore, wie der Kuhstall (Abb. 116) und das Prebischtor entstehen, die als die berühmtesten ihrer Art kleinen Nachbildungen wieder ihren Namen verliehen haben wie Kleines Prebischtor, Großer und Kleiner Kuhstall auf dem Pfaffensteine, wenn diese auch nicht auf dieselbe Art entstanden sind. Auch die Kleinsteinhöhle (Abb. 117) gehört hierher. Man ist früher der Ansicht gewesen, diese großen Höhlen seien durch Meeresbrandung ausgewaschen und hat auch die schrägliegenden und gestürzten Sandsteinbänke an den Nikelsdorfer Wänden mit den von der Brandung angegriffenen Klippen an der See verglichen oder auf die Stufenabsätze am Teichstein und am Prebischtor hingewiesen; allein wirkliche Spuren eines hier vorhandenen Meeres in der Diluvialzeit sind nicht nachzuweisen und es müßten, wenn die Höhlen durch Wellen und Brandung geschaffen wären, dieselben doch in annähernd[S. 112] gleicher Meereshöhe liegen. Das ist aber nicht der Fall. Das Prebischtor liegt 420 m, der Kuhstall 309 m, die Kleinsteinhöhle 325 m überm Meer. Allerdings muß zugegeben werden, daß das Prebischtor, statt durch Auswitterung, auch durch Ausbrechen der lockeren inneren Quadern entstanden sein kann. Jedenfalls bleibt dies Tor die merkwürdigste und sehenswerteste Bildung im ganzen Sandsteingebiet und wird außerdem noch wegen seiner einzig schönen Aussicht geschätzt.

Abb. 103. Am Wildschützensteige.
Nach einer Aufnahme von Dr. Trenkler & Co. in Leipzig. (Zu Seite 105.)

Endlich gibt es noch eine Art von Auswitterung, die den Fels nur auf der Oberfläche angreift, ohne ihn völlig umzugestalten. Es entstehen dadurch an den Wänden schmale vortretende Simse oder wagerecht verlaufende Leisten. Oder es bilden sich auf den höchsten Steinplatten beckenförmige Vertiefungen, gleichsam rundliche Steinwannen, die eine allzu geschäftige Phantasie für Opferbecken aus der Heidenzeit erklärt hat, weil man an der Gestalt dieser Becken glaubte, die Arbeit von Menschenhand zu erkennen. Häufig findet sich Wasser in diesen Becken, wie auf dem Großen Zschirnstein, wo man diese Wanne das Rabenbad genannt hat; auch auf dem Lilienstein findet man ein solches Becken, das über 1 m lang und 40 cm tief ist.

[S. 113]

Die Auswitterung.

Eine wirkliche Kleinarbeit trifft man aber an einzelnen Felsen namentlich in höheren Lagen, wo die Oberfläche so zierlich durchlöchert ist, daß man diese Auswitterungen mit Honigwaben oder mit einem Schwamm verglichen hat. Häufig ist hier der Sandstein von einem eisenschüssigen Bindemittel durchsetzt und rostbraun gefärbt, und wenn hier das Eisen nicht den ganzen Stein durchdringt, sondern nur eine Oberflächenschicht erfüllt, dann wird, da das Eisen sich am schnellsten zersetzt, nur der Überzug durchlöchert, wie bei einer Filigranarbeit, und diese fällt, wenn sich nach innen der Zusammenhang mit der Hauptmasse des Steines verloren hat, ab und sinkt zu Boden oder kann sehr leicht abgeschlagen werden. Als Beispiel für diese Art der Auswitterung geben wir zwei Ansichten, erstens von einem Felsblock unmittelbar am Eingange zur Götzinger-Höhle (Abb. 118). Hier ist die Oberfläche rostfarben von Eisen durchsetzt und die Oberflächenschicht an manchen Stellen schon abgefallen, so daß man den glatteren Fels sieht. Die zweite Ansicht zeigt einen grauweißlichen Sandstein, die untere Felsbank am Schuttkegel im Hochtal oberhalb des Großen Domes (Abb. 119). Hier wird nicht bloß die Oberflächenschicht angegriffen, sondern die Auswitterung dringt tiefer, die ausgewitterten Höhlungen sind verhältnismäßig größer.

Abb. 104. Der Bloßstock, fälschlich Blaustock; alleinstehender Felsen.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 103.)

Die Ursache dieser Art von Aushöhlungen ist noch nicht mit Sicherheit gefunden. Gutbier schreibt dem Nebel die Ursache zu, und seine Begründung hat viel für sich. Nach seinen Beobachtungen werden diese Auswitterungen hauptsächlich am Fuß der Felsen angetroffen. „Diese Zone ist unabhängig von der Höhe über dem Meere, unabhängig von gewissen Schichten des Sandsteines, sie steht dagegen in genauester Beziehung zu den sogenannten Fichtendickichten, zu der Höhe, in welcher junge Nadelhölzer am dichtesten zusammengewachsen sind, tiefen Schatten verursachen und jeden Luftzug verhindern.[2] In dieser Zone schlagen sich an vielen Tagen im Jahre die Nebel nieder und können nicht entweichen. Die Feuchtigkeit hängt sich in Tropfen an das Gestein und wird zum großen Teile von demselben aufgenommen. Ein kieselig toniges Bindemittel, wie in den meisten feinkörnigen Sandsteinen vorhanden, widersteht am besten der Zerstörung; waltet aber der Ton vor, so nimmt er begierig das Wasser auf, welches ihn mechanisch aufweicht und ausführt; kalkiges Bindemittel wird durch die Kohlensäure im Wasser zersetzt, ebenso wird der vorhandene Eisenocker ausgelaugt und zur Zerstörung und Umbildung des Gesteines benutzt... Während der Wintermonate verstärkt der Frost den Verwitterungsprozeß, indem die kleinen Eiskristalle der eingedrungenen Feuchtigkeit das Gestein auseinander treiben und zum Zerfallen bringen. Wie schwer außerhalb der Nebelzone die ersten Anfänge der Verwitterung auf Felswände mit[S. 114] frischem Bruch einwirken, zeigt eine hohe Wand an der Nordseite des Pfaffensteines, welche sich durch helle Färbung vor ihren Nachbarn heraushebt. Am 3. Oktober 1838 fand nämlich hier ein Felsensturz statt, und die seit fast zwanzig Jahren bloßgelegte Wand hat ihre Farbe bis jetzt (1857) noch nicht im mindesten verändert. Sie ist aber auch der Wirkung aller Stürme bloßgestellt. Die architektonischen Verzierungen an der Spitze des Höckerigen Turmes zu Meißen, welche gegen 500 Jahre der Witterung ausgesetzt waren, haben kaum einen Zoll Stärke von außen herein eingebüßt. Welche Zeiten werden nötig gewesen sein, um die Felsensäule des Bieler Grundes aus dem Zusammenhange ihrer Schichten zu bringen! Je mehr sie aus der ursprünglichen Verbindung heraustraten, desto mehr wurden sie der Nebelzone, die überall in den Klüften herrscht, entrückt, desto langsamer ging in den letzten Jahrtausenden ihre Zerstörung von statten.“

Abb. 105. Zuckerhut am Gabrielensteig im Prebischgrunde.
Nach einer Aufnahme von Dr. Trenkler & Co. in Leipzig. (Zu Seite 103.)

[2] Daß aber in allen Gegenden unseres Gebirgslandes seit Jahrtausenden viele Generationen der Nadelhölzer heranwuchsen, mithin jeweilig überall am Fuße der Felsen Dickichte bildeten, darüber wird niemand im Zweifel sein. —

VIII.
Die Steine und Felsenhöhen.

Die Steine und Felsenhöhen.

Vergleich der Felsenhöhen rechts und links der Elbe.

Was den spülenden Wassern der Elbe und ihren Zuflüssen, und was den zersetzenden Einwirkungen der Luft auf dem Boden der Sandablagerungen widerstand und im ganzen Gebirge durch seine auffälligen Gestalten und seine Höhe vor allen den Blick auf sich zieht, sind die Felsenhöhen, die nackten und zerrissenen Klippenreihen und die einzeln aufragenden Steine. Ihre Höhe nimmt nach Norden ab; eine[S. 115] durch ihre Gipfelpunkte oder Bergplatten gezogene Linie würde die allmähliche Neigung nach Norden deutlich zum Ausdruck bringen. Aber es besteht doch ein Unterschied zwischen den Bergen und Felsen rechts und links der Elbe; ähnlich wie uns die Lagerung der Sandsteinbänke rechts der Elbe wagerecht, links vom Strome nach Norden geneigt erscheint. Links von der Elbe liegen die höchsten bewaldeten Bergplatten und einzeln aufragende Steine, rechts die höchsten Basaltkuppen und zahlreiche Felsenkessel und Klippenzüge. Wir wollen die höchsten und bekanntesten Höhen hier einander gegenüberstellen.

Links der Elbe:
Rechts der Elbe:
Schneeberg
721 m
Rosenberg
620 m
Großer Zschirnstein
561 m
Großer Winterberg
551 m
Kleiner Zschirnstein
471 m
Kleiner Winterberg
500 m
Papststein
452 m
Rudolfstein
486 m
Pfaffenstein
428 m
Lilienstein
411 m
Königstein
360 m
Basteifelsen
305 m

Über den Ebenheiten oder über den Fuß des Berges erheben sich diese Höhenpunkte durchschnittlich etwa 200 m, mit Schwankungen von 120–270 m. Es sind das natürlich nur annähernd zutreffende Zahlen, weil sich bei manchen dieser Berge der Fuß nicht sicher angeben läßt. Die angesetzten Zahlen sollen nur eine allgemeine Vorstellung davon geben, wie hoch sich über der umgebenden Landschaft die einzelnen Felsenberge mit ihren Steilwänden erheben und welchen Einfluß diese kühnen Formen auf das Landschaftsbild ausüben müssen, so daß sich die Sächsische Schweiz dadurch schon in weiter Ferne von den Umrissen der Lausitzer oder Erzgebirgischen Höhen durchaus unterscheidet.

Abb. 106. Felsentor im Uttewalder Grund. (Zu Seite 104.)

Der Hohe Schneeberg.

Wir beginnen mit der Beschreibung der wichtigsten Berge auf dem linken Elbufer. Der Hohe Schneeberg (Abb. 120) stellt eine von Südwest nach Nordost gestreckte Bergplatte von fast 2 km Länge und 700 m Breite dar. Die Sandsteintafel, die ganz mit Wald, auch an den Abhängen, bedeckt ist, neigt sich in der Richtung der Längserstreckung[S. 116] und fällt vom höchsten Punkte im Süden, 721 m, auf 628 m im Nordosten. Der Berg bricht allenthalben in Steilwänden in den ihn rings umgebenden Wald ab, namentlich aber nach der Südseite, wo der rasche kurze Abfall ins Tal des Eulaer Baches einen Höhenunterschied von 500 m ausmacht, während auf der Nordseite der Unterschied höchstens 200 m beträgt. Der Abfall nach Süden ist aber nicht, wie bei den meisten „Steinen“, durch eine einzige senkrechte Felswand erfolgt, sondern in mehreren Absätzen und es sind hier infolge der großen Verwerfungsspalte am ganzen Südrande des Erzgebirges die etwa 10 m starken Sandsteinbänke unter einem Winkel von fünf Graden nach Süden eingefallen. Im Jahre 1824 wurde auf der höchsten Stelle des Berges ein Steinwürfel gesetzt mit der Inschrift: Monumentum astronomico-geometricum. Er bildete also einen wichtigen Knotenpunkt für die Landesvermessung von Böhmen. Östlich von dem Denkstein erhebt sich seit dem Jahre 1864 ein hoher steinerner Aussichtsturm, von dem aus man die schönste und umfassendste Aussicht im ganzen Sandsteingebirge genießt; denn man hat von hier aus nicht bloß das landschaftlich schönste Bild namentlich gegen das Böhmische Mittelgebirge vor sich, sondern auch die belehrendste Rundsicht, insofern man vier verschieden gestaltete Gebirge: Erzgebirge, Mittelgebirge, Sandsteingebirge und Lausitzer Gebirge um sich erblickt. Der südliche Abhang des Schneeberges ist an der tektonischen Bruchlinie mit einem ausgedehnten Felsenmeere von mächtigen Sandsteinblöcken überdeckt.

Abb. 107. Tyssaer Wände nach Franzens Aussicht.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 105.)

Die Zschirnsteine.

In einer Entfernung von 8 km Luftlinie beginnt nun im Norden vom Hohen Schneeberg die Zone der „Steine“. Die Zone erstreckt sich von Südost nach Nordwest, hat eine Länge von etwa 16 km und eine Breite von 6 km und liegt mit Ausnahme der von der Elbe umflossenen Halbinsel des Liliensteins ganz auf dem linken Ufer des Stromes. Meistens liegen diese Steine paarweise, wie der Große und Kleine Zschirn[S. 117]stein, der Zirkelstein und die Kaiserkrone, der Katzstein und der Müllerstein, Koppelsberg und Kohlbornstein, Papststein mit Gorisch und Kleinhennersdorfer Stein (hier liegen drei Steine zu einer Gruppe vereinigt), Pfaffenstein und Quirl, Bernhardstein und Nickolsdorfer Stein, Große und Kleine Bärenstein. Diese Steinpaare liegen stets nordsüdlich zueinander. Dabei ist der südliche Stein höher als der nördliche, wenn auch in einzelnen Fällen nur um einige Meter.

Getrennt voneinander durch das tiefe Elbtal und einsam liegen die beiden Stromwächter Königstein und Lilienstein.

Abb. 108. Eingang zur Götzinger-Höhle (Diebeskeller) am Bärenstein.
Liebhaberaufnahme von Marine-Oberstabsarzt Dr. Ruge in Kiel. (Zu Seite 106.)

Der Große Zschirnstein (561 m), der höchste Sandsteingipfel in Sachsen, bildet fast eine rhombische Gestalt mit der Längsachse von Südost nach Nordwest und erhebt sich von allen Seiten in steilen, zum Teil überhängenden Wänden. Die Bergplatte ist etwa 1 km lang und im Norden etwa 40 m niedriger als im Süden. Der Buchenwald auf der Höhe deutet auf das Vorkommen von basaltischem Gestein. Es ist Dolerit, ein Feldspatdolerit, der gelegentlich in Feldspatbasalt übergeht, aber sich nicht in Säulen absondert. Der Sandstein ist grobkörnig und arm an Versteinerungen. Die Aussicht von seiner Höhe gehört durch die prächtige Gruppierung der ihn umgebenden Berge und Felsenhöhen zu den reichsten und reizendsten in der Sächsischen Schweiz, daher manche sie auch jener vom Großen Winterberge, der nur 10 m niedriger ist, vorziehen. Der Kleine Zschirnstein (471 m) fällt nur gegen Norden in steilen Wänden ab. Nordöstlich vom Zschirnstein liegen, in der Luftlinie nur einen Kilometer von der Elbe entfernt, der Zirkelstein (385 m) und die Kaiserkrone (358 m), beide nur noch Trümmer ehemaliger Tafelberge, aber weil von offenen, etwa 270 m hohen Ebenheiten umgeben, weithin sichtbar und immer eine charakteristische Erscheinung in der Landschaft. Der Zirkelstein ist nur noch ein bewaldeter Fels[S. 118]turm, der in zwei Absätzen aufgebaut ist, so daß man auf der unteren Stufe ganz um den Felsen herumgehen kann, der sich als oberer Absatz noch 42 m hoch als steile Wand erhebt und in einer Schlucht erstiegen wird. Von Odeleben meinte, der so einzig und sonderbar gestaltete Zirkelstein könnte dem Mathematiker und Geometer als Symbol dienen.

Kaiserkrone, Papststein und Gorisch.

Die Kaiserkrone ist bis auf drei einzelne Felsspitzen zertrümmert, die in der Ferne eine gewisse Ähnlichkeit mit einer einfachen Krone, aber nicht mit einer Kaiserkrone haben mögen. Früher hieß der Felsen Galitzstein, ein Name, der erst im neunzehnten Jahrhundert verdrängt wurde. Beide Felsen bestehen aus grobkörnigem Gestein, ihre Zertrümmerung muß dem ehemaligen Elblauf, dessen Spuren wir weiter westlich noch im Cunnersdorfer Tal finden, zugeschrieben werden.

Nordwestlich von ihnen erheben sich die drei Steine: Papststein (452 m), Gorisch (448 m, Abb. 121 u. 122) und Kleinhennersdorfer Stein (395 m). Von ihnen sind die beiden ersten einer kurzen Beachtung wert. Die Paßhöhe der Straße, die zwischen diesen Bergen hindurchführt, beträgt 350 m, die „Steine“ an beiden Seiten ragen also nur 100 m darüber hinaus und sind daher in einer Viertelstunde von der Straße aus bequem zu ersteigen. Die Felsbildungen auf dem Papststein bieten nichts Eigentümliches; aber der Berg wird vornehmlich seiner Aussicht wegen besucht; er trägt seinen Namen nach dem nahegelegenen Orte Papstdorf und wurde, seitdem der sächsische Prinz und Mitregent, später König Friedrich August, ein großer Naturfreund, 1830 oben gewesen war, bequem zugänglich gemacht und erhielt 1852 einen Aussichtsturm. Die Ausblicke sind durch den Vordergrund bewaldeter Felsberge in der Nähe malerischer als vom Gorisch oder Pfaffenstein. Man könnte den Papststein ein Idyll nennen, lieblicher, traulicher als die anderen Felsennachbarn. Die Rundsicht dagegen vom Turme aus umfaßt zwar den ganzen Gesichtskreis, ist dadurch lehrreich, aber eigentlich nicht schön.

Einen ganz anderen Charakter zeigt der Gorisch, der sich südlich vom Dorfe Gorisch erhebt. Er hat im Grundriß fast dreieckige Gestalt und wird durch eine von Nordwest nach Südost gehende Kluft in zwei Teile getrennt, von denen der nördliche mehr als doppelt so groß als der südliche ist. Außerdem ist früher (S. 103) schon darauf aufmerksam gemacht, daß der ganze Felsberg auch noch durch zahlreiche Spalten in der Richtung von Südwest nach Nordost zerschnitten ist. Die Sandsteinmasse hat der Verwitterung gegenüber einen ungleichen Widerstand geleistet. Es ist auf den oberen Bänken nur wenig Humus gebildet worden, meist sind die höckerigen und seltsam ausgewitterten Platten der Oberfläche ohne Pflanzenwuchs und so rauh und uneben, daß man nicht darüber hingehen kann. Die wunderlichen Felsgebilde haben ebenso wunderliche Namen, wie Schildkröten, Hundsköpfe, ruhende Löwen, Vögel, Drachen u. s. w. veranlaßt. Nach dem Westende zu sieht man auf einer Felsplatte, die wie mit lauter kleinen Pyramiden besetzt zu sein scheint, auch die Riesenmaske eines menschlichen Gesichts (natürlich etwas verzerrt) liegen. Besonders schön ist der Berg an seiner Ostseite; tief unten an den Felswänden finden sich jene zierlichen Höhlenbildungen, wie man sie auch an der Nordseite des Königsteins antrifft. Der Basalt tritt an der Ostseite des Schuttkegels zu Tage, und hier findet man auch die Nachbildung der Basaltsäulen von Sandstein geformt. — Die Zerrissenheit der ganzen Felsmasse, die wildrauhen Verwitterungsflächen und die Schwierigkeit, einen bequemen Platz zum Umschauen zu gewinnen, haben lange Zeit von einem Besuch des Berges abgehalten, bis er im Jahre 1886 bequem zugänglich gemacht wurde, so daß er nun gerade wegen seiner von anderen Felsbergen abweichenden Erscheinung, seinen seltsamen Verwitterungen und einzelnen fesselnden Landschaftsbildern häufiger besucht wird.

Abb. 109. Der Naundorfer Bärenstein mit schräger Klüftung,
rechts schräge und senkrechte Klüftung wechselnd.

Liebhaberaufnahme von Marine-Oberstabsarzt Dr. Ruge in Kiel.
(Zu Seite 108.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 110. Im Tal oberhalb des Großen Domes.
Unten horizontale Bänke, darüber in der Mitte schräge Klüftung, links davon senkrechte Klüfte.
Liebhaberaufnahme von Marine-Oberstabsarzt Dr. Ruge in Kiel. (Zu Seite 109.)

Der Pfaffenstein.

Das Gegenstück zum Gorisch bildet in vieler Beziehung der Pfaffenstein (Abb. 123). Er ist in seiner Weise ebenso originell wie der Gorisch, wird aber weit mehr besucht, weil er bei weiter fortgeschrittener Zerklüftung und Verwitterung bereits die mannigfachsten Formen zusammengebrochener Wände und dadurch entstandener Höhlen und einzelne stehengebliebene Felstürme zeigt. Die Oberfläche der Felstafel ist bedeutend[S. 120] umfänglicher als die des Gorisch und bietet viel eher Gelegenheit zur Errichtung von Hütten und Häusern, und doch ist auch der Pfaffenstein erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mehr besucht, seitdem sich oben eine Bergwirtschaft, jetzt ein stattliches Gasthaus, befindet. Man hat auch in der Sächsischen Schweiz die alte Erfahrung gemacht, daß, so gering auch die relativen Erhebungen der Felsberge über den Ebenheiten sind, doch jene Berge wenig besucht werden, auf denen dem „erschöpften“ Wanderer nicht eine leibliche Erfrischung in Aussicht steht. Die gegenwärtige Gestalt des Pfaffensteins mit seinen zahlreichen Klüften, durch die man sich hindurchzwängen mag, mit seinen Felsenengen und Toren, durch die man kriechen kann und dazu dem überraschend reichen Pflanzenwuchs ist vor allem der sehr starken Verwitterung zuzuschreiben. Infolge stärkerer Tonbeimischung ist der Pfaffenstein stärker verwittert als ausgewittert. Daher sind die Klüfte wesentlich weiter, vielfach auch bequem zu durchwandeln. Häufig sind die Klüfte zu förmlichen Felsenkesseln erweitert. Blöcke sind hineingestürzt, oder die Gesteinsschichten sind schief gestellt. Die so entstandenen grotesken Höhlen bilden natürlich einen „Kuhstall“. Anderswo sind die Schichtfugen der Bänke durch den Einfluß der Verwitterung dermaßen erweitert und damit der Verband der Steinlager gelockert, daß die mächtigen Felsmauern der Außenseite zusammengebrochen sind und die Riesenblöcke nun über den Schuttkegel des Pfaffensteins zerstreut liegen. Die größten dieser Blöcke, größer als am Gorisch oder Papststein, liegen an der Westseite, an der Wetterseite des Berges. Die starke Verwitterung auf der Hochfläche des Steines hat oben den tiefsten, zum Teil moorigen Boden geschaffen, den wir nur auf den Bergplatten des Sandsteingebirges antreffen. Auf diesem tiefgründigen Boden hat sich eine üppige Pflanzenwelt angesiedelt: Eichen, Buchen, Birken, Ebereschen, Tannen, Fichten, Föhren und darunter üppiges Heidekraut. Der gute Boden hier oben muß schon in ältester Zeit Ansiedler angelockt haben, denn nur hier allein sind die deutlichen Spuren von Ansiedelungen in der jüngeren Steinzeit gefunden. Seiner Natur nach hätte man ähnliches auch auf dem Königstein erwarten können; allein auf seiner seit[S. 121] Jahrhunderten bewohnten Hochfläche sind die ältesten Spuren längst unkenntlich geworden. — So bietet also der Pfaffenstein in seiner jetzigen, allenthalb bequem zugänglich gemachten Natur wiederum etwas durchaus Eigenartiges, das sich auf den anderen Steinen nicht findet.

Abb. 111. Aussicht von den Schrammsteinen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 110.)

Der Königstein.

Für sich allein steht der Königstein (360 m); er liegt der großen Schleife, die die Elbe um den Lilienstein macht, gegenüber und ist zum Beherrscher des Flusses wie kein anderer Fels geschaffen (Abb. 124). Daher erscheint der Berg auch schon früh im Mittelalter auserlesen, als Grenzwächter zu dienen. Bis ins fünfzehnte Jahrhundert war aber das Gebiet der Sächsischen Schweiz von Böhmen abhängig, nur in Böhmen gab es seit 1198 Könige, aber nicht in Sachsen. Die ersten Befestigungen müssen also von den Herrschern in Böhmen ausgegangen sein. Der Name Königstein wird nun in der lateinischen Form lapis regis zuerst 1241 in einer Urkunde genannt, die der König Wenzel am 7. Mai auf dem Königstein vollzog und in der er die Grenze zwischen Böhmen und der Lausitz genau festsetzte. Das Jahr und die Ursache, weshalb der König die neue Festung besuchte, sind merkwürdig genug, um noch länger dabei zu verweilen.

Es war im Frühling des Jahres 1241, gerade während des heftigen Streites zwischen Kaiser und Papst, als der große Mongolensturm von Asien her über Westeuropa hereinbrach und auch Deutschland zu verwüsten drohte, wie schon Rußland und Polen verheert waren. Von den Ufern des Kaspischen Meeres wälzte sich die Mongolenflut mit ihren wilden Reiterscharen erst über Rußland. Die moskowitischen Zaren wurden von dem Chan der Goldenen Horde „zum Dienste seines Bartes und seines Bügels“ erniedrigt. Der Polenkönig suchte Schutz in Ungarn, seine Hauptstadt Krakau ging in Flammen auf. Der König Wenzel von Böhmen sah den Sturm kommen. Er ermahnte schriftlich feine Nachbarn, den Herzog Otto von Bayern und den Landgrafen Heinrich von Thüringen, zu schleunigster Hilfeleistung. Im Lande selbst ließ er alle nur irgend haltbaren Städte und Burgen so eilig befestigen, daß selbst Geistliche und Mönche mit Hand anlegen mußten. Dann bereiste er die Grenzen, um überall in[S. 122] den Böhmen umgebenden Waldgebirgen die Pässe durch Verhaue zu sperren, damit die asiatischen Reiterscharen nicht eindringen könnten. Bei dieser Gelegenheit wird auch der Felsen an der Elbe als sehr geeignet gefunden sein, um als Grenzwächter zu dienen und hat dabei höchst wahrscheinlich seinen Namen bekommen; denn der „Stein“ wird zwar schon vorher genannt, aber noch nicht als Königstein bezeichnet. Nach Beendigung dieser Schutzarbeiten brach Wenzel mit einem Teile seines Heeres von Nordböhmen auf und zog über Zittau nach Schlesien, um seinem Schwager, dem Herzog Heinrich von Schlesien, Hilfe zu bringen, der sich bei Liegnitz mit seinen Panzerreitern den Mongolen entgegengestellt hatte. Leider kam Wenzel zu spät. Die heldenmütige Schlacht war schon am 9. April 1241 geschlagen, Heinrich selbst fand im Kampfe den Tod; aber die Verluste der Asiaten waren so groß gewesen, daß sie von einem Weitervordringen nach Westen absahen und vor Wenzel zurückwichen, um auf einem anderen Wege in Böhmen einzubrechen. Allein es gelang ihnen nicht, und Wenzel kehrte auf dem Wege über Zittau zurück. Die Ostgrenze glaubte er genug gesichert zu haben; aber wenn die Mongolen eine Kriegslist gebrauchten, war es nicht undenkbar, daß sie von Norden her, von der Lausitz, in Böhmen einzudringen versuchten. Daher verweilte im Mai 1241 Wenzel noch länger an den nördlichen Grenzen seines Reiches, und hier war es, wo er am 7. Mai die erwähnte Urkunde auf dem Königsteine ausstellte. Es besteht demnach die größte Wahrscheinlichkeit, daß von dem wiederholten Aufenthalte des Königs der Königstein seinen Namen erhielt und daß die Benennung eine geschichtliche Beziehung zu dem Mongolensturme hat. Unter böhmischer Oberhoheit saßen dann Burggrafen auf der Feste, die im fünfzehnten Jahrhundert an Sachsen kam. Nachdem im sechzehnten Jahrhundert nur für kurze Zeit die Felsenhöhe als Kloster gedient hatte, wurde unter den Kurfürsten August und Christian die Festung in umfassender Weise ausgebaut, daß sie dann als uneinnehmbar galt und in unruhigen Zeiten eine sichere Zuflucht für die kurfürstliche Familie bot. Kurfürst August ließ auch den 152 m tiefen Brunnen anlegen, der keineswegs bis zum Elbspiegel hinunter reicht, aber wahrscheinlich sein Wasser aus einem Lehmlager erhält, das in einer Tiefe von 139 m im Quadersandstein eingebettet liegt. Der Pläner liegt hier viel tiefer, also stammt das Brunnenwasser weder aus dem Pläner, noch aus dem noch tiefer liegenden Urgestein.

Der Königstein bildete seit dem ausgehenden siebzehnten Jahrhundert das einzige Ziel fremder Reisenden, zu einer Zeit als man die Naturschönheiten der Sächsischen Schweiz noch wenig beachtete. Den modernen Schußwaffen gegenüber hat der Königstein seine frühere Bedeutung nicht behaupten können und gilt nur noch als Sperrfort. Aber die durch hohe Mauern gesicherte und mit mancherlei Gebäuden besetzte Felsenhöhe zieht inmitten der Schar der „Steine“ den Blick beständig auf sich und von dem Elbgestade her ist die Ansicht der Feste imposant.

Die Bärensteine.

Nördlich vom Königstein erheben sich die Bärensteine, die man, nicht nach der Höhe, sondern nach der Flächenausdehnung, den Großen und den Kleinen Bärenstein nennt; jener im Norden, dieser im Süden, jener 328 m, dieser 338 m hoch, also ist der Kleine Bärenstein 10 m höher als der Große und wird seiner hübschen Aussicht wegen und weil er von der Eisenbahnstation Pötscha aus auf angenehmen Wegen leicht zu erreichen ist, viel besucht, um so mehr als sich auch ein Bergwirtshaus oben befindet. Zum Kleinen Bärenstein kann man auch die Götzinger-Höhle rechnen. Die eigentümlichen Formen oberflächlicher Verwitterungen sind schon erwähnt, ebenso auch die beachtenswerte schräge Schichtung am Großen Bärensteine.

Abb. 112. Aussicht vom Hohen Torstein über die Schrammsteine,
Ostertürme, Schrammtürme und Dreifingerturm.

Nach einer Aufnahme von Dr. Trenkler & Co. in Leipzig. (Zu Seite 110.)


GRÖSSERES BILD

Der Rosenberg und die Dittersbacher Felsen.

Die Berg- und Felsformen auf dem rechten Elbufer weichen, wie schon kurz angedeutet ist, wesentlich von denen auf der anderen Seite des Stromes ab. Wir haben das Gebiet der „Steine“ fast völlig verlassen, wenigstens herrschen diesen einzelstehenden Steinmassen, die man mit abgesonderten Individuen vergleichen könnte, keineswegs mehr vor. Auf der rechten Elbseite stehen die Berge und Bergmassen mehr miteinander in Zusammenhang, und von diesen Massen strahlen nach verschiedenen Seiten wildzerklüftete Klippenreihen (Abb. 125) fast wie unheimliche Fangarme aus.[S. 124] Diese Klippentürme und Klippenwände fassen zwischen sich enge Schluchten oder rundliche Felskessel. Die so geartete Felsenwelt gruppiert sich um die beiden Winterberge und erstreckt sich nach Südosten weit über Sachsens Grenzen hinaus bis in die Gegend des romantisch gelegenen Dorfes Dittersbach. Südlich von dieser Klippenzone erhebt sich nur ein einsamer und zugleich der höchste Berg dieser Seite, der Rosenberg, während nördlich von dem Winterberggebiete sich eine Reihe einzelner Steine von geringem Umfange erhebt, von denen aber keiner als Aussichtspunkt berühmt ist. Abgesehen von den höchsten Gipfeln, die von ihren Türmen aus eine umfassende Rundsicht bieten, stellen die besuchtesten Aussichtspunkte nördlich vom Winterberge sich nicht als einzelne aufragende Felsen, sondern als auf dem Rande einer langhingezogenen Felsenwand gelegen dar, so daß diese Plätze sich in der Silhouette der Landschaft gar nicht hervorheben. Dahin sind Prebischtor, Brand und selbst die Bastei zu rechnen. Nur ein „Stein“ tritt, die ganze Landschaft beherrschend, kräftig hervor, der Lilienstein, der aber eigentlich zu der Zone von Steinen auf dem linken Elbufer gehört. Sonst ist das ganze Gebiet, namentlich in dem oberen Teile, vielmehr durch unzählige Gründe und Schluchten zerschnitten und zerspalten, darum treten hier viel zahlreicher die ausgedehnten Felswände auf. Darum hat sich dies Gebiet auch sehr verkehrsfeindlich bewiesen. Arm an Quellen und fruchtbarem Boden, daher arm an Dörfern, aber voll von Schluchten und Felsspalten, reich an Schlupfwinkeln und Zufluchtstätten auf unzugänglichen Felshöhen ist die ganze Gegend südlich von der Kirnitzsch, das böhmische Grenzland, so lange ein Tummelplatz für Wegelagerer und ritterliche Strolche gewesen, deren Raubnester noch gezeigt werden, bis die Kurfürsten von Sachsen, einer solchen Nachbarschaft unfroh, mit eiserner Hand zugriffen und das räuberische Herrengeschlecht der Birken von der Duba durch erzwungenen Gutstausch vertrieben und unschädlich machten. Später konnten dieselben Zufluchtsstätten und Schlupfwinkel friedliche Bauern mit ihrer Habe in den bösen Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, einzelne Flüchtlinge wohl gar noch im Nordischen Kriege aufnehmen.

Unsere Wanderung geht auch auf dieser Seite der Elbe im allgemeinen von Süden nach Norden, entsprechend der Höhe der Berggipfel. Der Rosenberg (620 m), ein schön geformter Kegelberg, nach seiner Gestalt einzigartig im Sandsteingebiet, weil seine Kuppe ganz aus Basalt besteht, erhebt sich ganz frei aus der ziemlich einförmigen Ebenheit um fast 300 m; er wird daher von allen Seiten gesehen und beherrscht das Landschaftsbild vollständig. Aus den Tälern und den flachen Mulden der Ebenheit lenkt er stets den Blick auf sich und bestimmt das landschaftliche Motiv; allein die Aussicht von seiner Höhe, wo sich seit 1893 ein Aussichtsturm erhebt, entspricht den Erwartungen nicht vollständig, weil die nächste Umgebung in einem Umkreis von 8–10 km Radius ganz flach erscheint und die malerischen und grotesken Felsbildungen namentlich der Steilwände in der Umgebung des Prebischtores schon zu fern liegen, um eine malerische Wirkung hervorzubringen. Das Gesichtsfeld ist groß, aber es fehlt ihm der Vordergrund. Schön ist dagegen auf dem Basaltboden des Gipfels der herrliche Ahorn- und Buchenwald und die üppige Pflanzenwelt auf diesem Boden. Der Basalt sondert sich in Säulen von ansehnlichem Durchmesser und diesem Gestein verdankt der Berg auch nahe unter dem Gipfel eine gute Quelle.

Abb. 113. Das Pechofenhorn am Zeughauswege.
Nach einer Aufnahme von Dr. Trenkler & Co. in Leipzig. (Zu Seite 110.)


GRÖSSERES BILD

Östlich vom Rosenberg zieht die Kamnitz von Windisch-Kamnitz über Kamnitzleiten und Stimmersdorf eine immer tiefer eingeschnittene Erosionsfurche in einem mächtigen Bogen durch das Gelände bis nach Herrnskretschen; breite, wellige Hochflächen, hie und da von basaltischen Kegeln überragt, begrenzen das tiefe Flußtal. Aber jenseits desselben, im Nordosten, erheben sich in einer durchschnittlichen Entfernung von 2 km von der Kamnitz die Steilwände des Sandsteingebirges, nordöstlich vom Rosenberge, um den malerisch gelegenen böhmischen Ort Dittersbach (Abb. 126) ein förmliches Amphitheater von grotesken Felshörnern, Kuppen und Wänden bildend. Unter ihnen ragen besonders der Rudolfstein (486 m) und der Marienfelsen (422 m), beide nach dem Fürsten und der Fürstin Kinsky benannt, als aussichtsreiche Punkte hervor. Der Rudolfstein, 1824 zugänglich gemacht, ragt zwar nur etwa 50 m über die umgebenden[S. 126] Felsenhöhen hinaus, aber er gewährt doch die schönste Aussicht in der ganzen Umgebung von Dittersbach. Er bietet (nach Schiffner) eine lehrreiche Übersicht über die Felsenzüge und wildschönen Waldgründe der hinteren Schweiz, sowie herrliche Fernsichten nach dem Kreibitzer Gebirge, nach dem Rosenberge und besonders ins sächsische Land hinab, wo er dagegen wenig bemerkt wird. Der Marienfelsen erhebt seine schlanke Turmgestalt noch näher bei Dittersbach, etwa 200 m über dem Tal; man steigt zu seiner von einem Pavillon gekrönten Höhe auf 240 Stufen hinan. Der Marienfelsen bietet wohl die abenteuerlichste Gestalt im ganzen Sandsteingebirge.

Abb. 114. Verwitterungen des Sandsteins auf dem Gorisch.
Liebhaberaufnahme von Marine-Oberstabsarzt Dr. Ruge in Kiel. (Zu Seite 110.)

Das Prebischtor.

Weiter westlich und näher dem Großen Winterberge findet sich auf den schroff abbrechenden Felswänden des großen Amphitheaters auch das vielbewunderte Prebischtor (438 m), das sich in einer schmalen und kurzen Felsenmauer, in den obersten Bänken des wagerecht gelagerten Sandsteines über 20 m hoch auswölbt (Abb. 127), nach oben einen schön geschwungenen Bogen zeigt und auf dem unteren Boden sonst eine hohe Kiefer nährte, deren Gipfel das obere Gewölbe nicht erreichte. Allein schon die Größe dieses natürlichen Tores bringt eine mächtige Wirkung auf den Beschauer hervor. Es ist eine in ihrer Art einzig dastehende Felsbildung. Der mächtige Eindruck wird aber noch wesentlich erhöht durch die Aussicht, die man von der oberen Platte des Tores aus gegen Süden hat. Es ist die reizendste Mischung der Böhmischen Mittelgebirgslandschaften mit den wilden Felsmassen des Sandsteines. Daher kein Wunder, daß das Prebischtor zu den wichtigsten Reisezielen im Gebirge gehört.

Die hintere Sächsische Schweiz.

Nördlich von diesen berühmten Aussichtspunkten breitet sich zwischen den Elbzuflüssen Kamnitz und Kirnitzsch eine fast gänzlich unbewohnte Felsen- und Waldwildnis aus von über 100 qkm Fläche, ohne Dörfer und Ackerfluren. Diese Wüstenei wird im Westen durch die Elbe begrenzt, im Süden etwa durch eine Linie, die die Dörfer Herrnskretschen, Stimmersdorf und Hohenleipa berührt und nach Osten bis Kreibitz reicht. Die Ostgrenze läuft von Niederkreibitz durch Daubitz, Khaa nach Zeidler und die Nordgrenze von hier über Hemmhübel und Hinterhermsdorf ins Kirnitzschtal nach Schandau. Die Nordgrenze trifft ungefähr mit der des Lausitzer Granits zusammen.[S. 127] Das Ganze bildet ein Schluchtengewirr ohne Wasser, und doch scheinen sich diese Gründe und Schluchten zu förmlichen Flußsystemen mit Haupt- und Nebenflüssen zu ordnen, die sich alle nach Norden zum Kirnitzschtale senken und öffnen; denn die Wasserscheide dieses Gebietes liegt hart an der südlichen Grenze. Nur zwei Straßen durchschneiden diese Wildnis: die Zschandstraße von der Neumannsmühle an der Kirnitzsch über den Ziegenrücken nach Reinwiese, und die Böhmer Straße von der Kirnitzschschänke nach Dittersbach, diese aber noch nicht völlig fahrbar. Die beste Aussicht in die Waldeinsamkeit der hinteren Sächsischen Schweiz genießt man vom Königsplatz (434 m) aus, der südlich von Hinterhermsdorf liegt. Die Wald- und Felsenstufen bringen in das Bild des unermeßlichen Waldes, in dem keine menschliche Wohnung sichtbar wird, eine Abwechslung, die das Auge fesselt und den Sinn beruhigt.

Abb. 115. Höhlenartige Auswitterungen am Fuße des Gorisch.
Liebhaberaufnahme von Marine-Oberstabsarzt Dr. Ruge in Kiel. (Zu Seite 111.)

Durch die beiden genannten, von Nordwesten nach Südosten ziehenden Straßen wird die ganze Felsen- und Waldzone in drei Teile zerlegt. Es mag dabei noch darauf aufmerksam gemacht werden, daß auch die Elbe, an der Westgrenze dieses Gebietes von Herrnskretschen an eine nordwestliche Richtung einschlägt. Der östliche Abschnitt, östlich von der Böhmer Straße, ist ziemlich eintönig, ohne besondere Felsbildungen, ohne hervorragende Gipfel; der mittlere Teil bis zur Zschandstraße macht in den Torwalderwänden östlich vom Zschand den Anfang jener zersprengten und verwitterten Wände und Felsmassen, wie sie in dem westlichen Stücke so hervorragend ausgebildet sind. Gegen Norden lösen sich auch die Torwalderwände bereits in einzelne Steine auf, die auch als kurze, in der Richtung des Erzgebirges streichende Felsketten bezeichnet werden könnten: der Teichstein, Kanstein und Heulenberg (mit Basalt). Zwischen dem Zschand und der Elbe erstreckt[S. 128] sich von Südosten nach Nordwesten das Gebiet des Großen Winterberges, das bedeutendste und eigenartigste Gebirgsstück östlich von der Elbe. An der Außenseite seiner grotesken Schluchten, Wände und Felsentürme liegen im Süden das Prebischtor und der Prebischkegel, im Norden der Winterstein (Hinteres Raubschloß), Affenstein, die Schrammsteine mit dem Falkenstein und im Westen der Rauschenstein (Abb. 128). Zu Füßen dieser wilden Felsen und Klippen schmiegt sich in eine nach der Elbe rasch abstürzenden Schlucht das kleine malerische Dörfchen Schmilka (Abb. 129), von wo auch ein vielbegangener Weg zum Großen Winterberge hinanführt.

Abb. 116. Der Kuhstall.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 111.)

Der Große Winterberg.

Der Große Winterberg erhebt sich so recht in der Mitte des Gebietes bis zu 551 m Höhe und überragt mit seiner Basaltkuppe die Umgebung noch um mehr als 100 m. Der Basaltkamm, richtiger noch als Basaltkuppe, streicht von Südwesten nach Nordosten in der Hauptkluftrichtung des Sandsteines. Daß der Cottaer Spitzberg und der Sattelberg im Erzgebirge dieselbe Richtung einschlagen, hat schon Gutbier bemerkt. Das Winterberggebiet kam erst 1492 von Böhmen an Sachsen; richtiger wäre damals schon, auch nach historischem Recht, die Grenze an die Kamnitz gelegt. Die erste genaue Vermessung erfolgte 1782 durch Offiziere des sächsischen Ingenieurkorps. Eigentümliche Beobachtungen machte Odeleben 1825 bei seinen Vermessungen. Er kam erst am sechsundachtzigsten Tage seiner Arbeiten auf den Großen Winterberg und schreibt in seinem Kommentar: „Wie gut war es, daß ich die Arbeit nicht von diesem Gipfel begonnen hatte, denn dies würde zu den schwierigsten Rätseln geführt haben. Sollte man es glauben, daß die Magnetnadel auf dem Basaltknopfe neben dem kleinen Häuschen für Besuchende, wo der Meßtisch aufgestellt ward, mehr als 37 Grad von der, zuvor sorgfältig geprüften und auf den anderen Punkten größtenteils genau übereinstimmenden Richtung abwich.... Die Abweichung blieb sich, wie[S. 129] späterhin bemerkt wurde, nicht gleich. Zwei, drei Schritt von jenem Standpunkte war sie minder bedeutend. Sie schien selbst durch die Witterung zu variieren ... Dieses Schwanken läßt sich wohl nicht anders erklären, als durch die Anhäufung von Magneteisenstein.“ Der 100 m mächtige Basaltgang besteht nach den neueren Untersuchungen aus Nephelinbasalt mit zahlreichen Olivinkristallen. Die Aussicht vom Winterberge ist umfassend, großartig durch den Reichtum an Gestaltungen der Erdoberfläche in der nächsten Umgebung, besonders fesselnd durch den Blick auf die Elbe. Die Aussicht reicht vom Kollmberge bei Oschatz bis zur Tafelfichte. Einer der ersten Reisenden, Magister Christian Weiß, der seine Wanderung 1796 zu Fuß und größtenteils allein unternahm, meint: „Es war mir am interessantesten, den Lauf der Elbe aus Böhmen nach Sachsen zu übersehen.“ Der jugendliche Dichter Theodor Körner äußerte sich 1810 über die Aussicht so: „Der Blick, den der Winterberg gewährt, ist weniger weit umfassend, aber malerischer als viele bedeutend höhere Berge ihn gewähren.“ Dieser Ausspruch ist insofern berechtigt, als Körner die Aussicht vom Gipfel mit der von noch höheren Bergen vergleicht und sie in dieser Beziehung malerischer nennt; denn je höher der Standpunkt ist, um so weniger malerisch wirkt die Ansicht der Landschaft. Bei der Bedeutung und Höhe des Berges ist es auch erklärlich, daß er in die Hauptwanderlinie einbezogen ist, die von Schandau über den Kuhstall, Winterberg, Prebischtor nach Herrnskretschen führt. Sehr bezeichnend heißt der Teil des Weges zwischen Kuhstall und Winterberg „der Fremdenweg“.

Abb. 117. Der Kleinstein.
Nach einem älteren kolorierten Kupferstich von C. A. Richter. (Zu Seite 111.)

Abb. 118. Rostfarbige Auswitterungen am Thürmsdorfer Diebeskeller
(Götzinger-Höhle).

Liebhaberaufnahme von Marine-Oberstabsarzt Dr. Ruge in Kiel. (Zu Seite 113.)

Die Lichtenhainer Steinfelsen.

Eine ganz andere Landschaft umgibt uns, sowie wir aus dem menschenarmen Felsenlande den ersten Schritt über die Kirnitzsch nach Norden tun. Parallel mit der Kirnitzsch fließt die Sebnitz. Beide fließen nach Westen und biegen erst im unteren Laufe nach Süden um, wo sie bei Schandau und Wendischfähre die Elbe erreichen. Dieser Landstrich bildet bei einer durchschnittlichen Breite von 1 km einen breitgewölbten Rücken, der nach Osten allmählich um 100 m ansteigt, ohne der Anlegung einer Hochstraße, die sich der Länge nach über den Rücken hinanzieht, Schwierigkeiten zu bereiten. Übrigens ist die Straße wieder ein Beleg für die Warnung, Gebirgsstraßen nicht in den Tälern zu suchen und auf diese Lehrmeinung allerhand hübsche Schlüsse zu bauen. Vor allem ist auffällig, daß das ganze Land unter der Wirkung des Pfluges licht und grün aussieht und daß vier ansehnliche Dörfer: Lichtenhain (880 Ew.), Mittelndorf (440 Ew.), Altendorf (500 Ew.) und Rathmannsdorf (1050 Ew.) in ziemlich gleicher Entfernung voneinander sich auf dem Landrücken ausbreiten. Von wilden Klippenzügen und tiefen Felsgründen keine Spur, denn der ganze Rücken bis nahe an Rathmannsdorf gehört dem Lausitzer Granit. Hier ist also tatsächlich die Sächsische Schweiz in ihrem Zusammenhange unterbrochen, eine Lücke trennt die obere und die untere Gebirgs[S. 130]landschaft, und aus dieser Beobachtung heraus wird uns auch die alte Benennung der Sächsischen Schweiz als „die Heide über Schandau“, womit also namentlich das Winterberggebiet gemeint ist, verständlich und erscheint durchaus berechtigt. Bei alledem bleibt es merkwürdig, daß eine der ältesten Erwähnungen der wunderbaren Felsgebirge in der Sächsischen Schweiz 1743 betitelt ist: „Nachricht von denen Lichtenhaynischen Steinfelsen.“ Es heißt da: „Lichtenhayn ist um und um mit Bergen, Felsen und Wäldern umgeben. Und zwar so sind die aus denen hohen Bergen von Natur gewachsene Felsen sehr weit zu observieren: Sie präsentieren von ferne den Prospekt derer zierlichst mit Türmen, Mauern und Spitzen erbauten Bergschlösser, weshalben sie auch weit und breit bekannt und berühmt und von vielen Fremden mit Vergnügen besucht und mit Verwunderung betrachtet werden. Weil sich nun in diesen Steinklüften vor alten Zeiten entweder viel Räuberrotten, oder die in der Gegend wohnende Leute in Verfolgung sicher aufgehalten, so nennt man solche in genere Raubschlösser, z. B. Rabstein (Hinteres Raubschloß), Spögenhörner (Speichenhörner = Vorderes Raubschloß), der Große und Kleine Winterberg, der Hausberg (Wildenstein = Kuhstall) u. s. w. Dasjenige Raubschloß, welches man den Hausberg nennt, ist das erste von Lichtenhayn, mitten im Walde... Dieser Felsen hat unten eine große und sehr lichte Höle von Natur, als wie die Tore einer Stadt gewölbt, in welchen verschiedene Klippen, gleich denen Feuerherden, Tischen und Bänken zu finden.... Man nennt diese Höle den Kuhstall“ u. s. w. — Aus der ganzen Darstellung geht hervor, daß der Verfasser dieses etwas altfränkisch anmutenden Berichtes, aus dem hier nur eine Probe gegeben ist, den Blick nur nach Süden, also in die Heide über Schandau gerichtet hat, daß unter allen Merkwürdigkeiten der Kuhstall am ausführlichsten beschrieben wird; und wenn wir hinzufügen, daß von allen Dörfern jener Gegend Lichtenhain dem Kuhstall am nächsten liegt, so leuchtet ein, daß der Titel „Lichtenhainer Steinfelsen“ eine[S. 131] gewisse Berechtigung hat. Von Lichtenhain nordwärts gab’s weder merkwürdige Felsen noch unheimliche Raubschlösser.

Abb. 119. Schwammartige Auswitterungen oberhalb des Großen Domes.
Liebhaberaufnahme von Marine-Oberstabsarzt Dr. Ruge in Kiel. (Zu Seite 113.)

Der Lilienstein.

Erst jenseits, westlich des Tiefen Grundes und der Lachsbach gelangen wir wieder in den Sandsteinboden. Und hier bildet die Elbe die große Schlangenwindung, wodurch zwei Flußhalbinseln entstehen, auf deren oberer der Lilienstein, und auf deren unterer die Bärensteine hervorragen. Die Landschaft um den Lilienstein mutet uns ganz westelbisch an: Eine fruchtbare Ebenheit mit darüber aufsteigender Felsmasse. So hat der Lilienstein eine ganz eigenartige Lage und gewährt, inmitten des Sandsteingebietes liegend, die schönste Umsicht unter allen Felshöhen, wobei besonders der Blick aufwärts den Elblauf bis über Schandau und zum Winterberg immer von neuem fesselt. Der Lilienstein, über 400 m lang und in der Mitte 120 m breit, erstreckt sich ziemlich in der Richtung des Elbtales von Schandau abwärts und erhebt sich 411 m ü. M., überragt also den gegenüberliegenden Königstein um 50 m. Sein Name, in Urkunden gelegentlich Ylgenstein geschrieben, hat nichts mit dem Namen Aegidius zu tun, wie mehrfach behauptet ist; vielmehr ist Ilge mundartlich die Lilie. Die Felsmasse, gerade in der Stromrichtung der Elbe gelegen, hat gewaltig unter der Wirkung der abspülenden Gewässer gelitten und darum viel an Flächenraum verloren. Jedenfalls hat auch die starke Zerklüftung dazu beigetragen, daß die Felsmasse den unterspülenden Fluten wenig Widerstand entgegensetzen konnte. Im Südosten und Nordosten läuft der Stein in ganz schmale, schon halb zertrümmerte Felsgrate aus. Eine Kluft trennt das Westende vollständig von der übrigen Felsmasse und dieser abgetrennte Teil ist wieder durch neue Klüfte in einzelne Felsenpfeiler zerteilt. Am Ostende erhebt sich ein kleiner Obelisk zur Erinnerung an die Besteigung des Felsens durch August den Starken. An dieser Stelle hat man die schönste Aussicht; später hat der Kurfürst Friedrich August 1771 den Besuch wiederholt und bei diesen Gelegenheiten wurde der Lilienstein von der Südseite her bequemer zugänglich gemacht.[S. 132] Ruinen von Mauerwerk zeigen aber nebst einer Zisterne, daß schon in früheren Zeiten der Felsen zugänglich war und vielleicht dauernd bewohnt war, weil gelegentlich in Urkunden ein Fortalitium, also eine Befestigung erwähnt wird, wobei aber nicht gleich an eine Burg gedacht zu werden braucht. Ein Raubnest, wie in der Heide über Schandau noch manche nachzuweisen sind, war der Lilienstein jedenfalls nicht. Im Jahre 1902 ist auch von der Nordseite her der Felsen zugänglich gemacht; auf dieser Seite wurden 1813 von den Franzosen Schanzen angelegt. Die Ebenheit am Fuße des Liliensteines hat dadurch eine traurige Berühmtheit erlangt, daß hier die sächsischen Truppen am 15. Oktober 1756 vor Friedrich dem Großen die Waffen strecken mußten.

Abb. 120. Auf dem Hohen Schneeberg. (Zu Seite 115.)

Der Brand und die Bastei.

Es bleibt uns nur noch übrig, zwei vielbesuchte Aussichtspunkte zu erwähnen, die sich nicht auf einem einzeln hervorragenden Gipfel darbieten, sondern am Rande einer steilen Felswand; es sind dies der Brand und die Bastei. Der Brand (323 m) liegt auf dem linken Ufer der Polenz und bietet, obwohl nur nach Süden und Westen, infolge der für den Beschauer höchst glücklichen Gruppierung der Berge, bebauten Hochflächen und Wälder das anmutigste Landschaftsbild in der ganzen Sächsischen Schweiz. Die Bastei (305 m) ist ein Felsenvorsprung, der sich von einer zwischen dem Wehlgrunde und der Elbe aufsteigenden Felsenkette abtrennt und gerade gegen die Elbe vortritt, so daß der Basteifelsen etwa 200 m senkrecht über der Elbe emporzusteigen scheint (Abb. 130 u. 131). So nahe tritt kein anderer Aussichtspunkt an den Strom vor; darin liegt seine Eigenart und darin liegt auch der mächtige Eindruck, den der Besucher der Bastei empfängt, wenn er auf der ziemlich wagerecht über die Hochfläche der bewaldeten Wehle verlaufenden großen Fahrstraße, an den Gasthäusern vorbei sich dem Platze nähert und nun auf die durch Eisengitter gesicherte, senkrecht abstürzende Felsplatte tritt. Der Blick hinab in die Elbe ist einzig in ihrer Art, auch die Aussicht auf Lilienstein und Königstein, sowie elbaufwärts gegen den Winterberg ist recht[S. 133] schön, aber keineswegs die schönste in dem ganzen Gebirge. Einheitlicher, geschlossener und nur die wilde Gebirgsnatur zeigend, bietet sich ganz in der Nähe die Aussicht in den Wehlgrund: zwei Aussichten von ganz verschiedenem Charakter. Aber daß von der Bastei im weiteren Sinne beide Landschaftsbilder in ihren gewaltigen Gegensätzen sich darbieten, erhöht den Genuß. Nimmt man dazu, daß der Aufstieg von Wehlen und dem Uttewalder Grunde aus ebenso reich an landschaftlichen Bildern ist, wie der Abstieg über die kunstvolle Steinbrücke und das Felsentor hinab nach Rathen (Abb. 132) wiederum eine Fülle von grotesken Felsgebilden und Ausblicke in die umgebenden und tief unter uns liegenden Landschaften vorführt, so wird daraus erklärlich, warum die Bastei der besuchteste Punkt in der Sächsischen Schweiz ist, und, obwohl unter allen die niedrigste Aussichtshöhe, doch gleichsam in der Außenwelt die ganze Sächsische Schweiz vertritt, daß beide Begriffe sich zu decken scheinen.

Abb. 121. Der Gorisch.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 118.)

Jedenfalls gehört die Sächsische Schweiz zu den besuchtesten Gebirgslandschaften, und dieser Besuch ist in fortwährendem Wachsen begriffen, ein Beweis, daß ein durch falsche Kunsttheorien noch nicht verdorbener Geschmack und offener Natursinn hier, namentlich in den einsameren Teilen, noch immer volles Genüge und reichen Genuß finden wird. Und wenn neuerdings sogar behauptet ist, die Sächsische Schweiz liege von dem modernen Landschaftsideal weit abseits, so möchte man wohl eher den Maler als die[S. 134] Sächsische Schweiz bedauern, denn wer hier Studien machen will, muß nicht bloß, wie Lessing sagt, Farben verquisten, sondern auch zeichnen können, was die „Moderne“ vielfach nicht mehr kann.

Abb. 122. Auf dem Gipfel des Gorisch.
Nach einer Aufnahme von Paul Heine in Dresden. (Zu Seite 118.)

IX.
Volksverteilung und Städte.

Volksverteilung und Städte.

Die Bevölkerung der Sächsischen Schweiz ist desselben Stammes und derselben Herkunft wie im Elbtalkessel. Es sind Franken, Thüringer und Niedersachsen, in einzelnen Fällen auch Friesen, die nach der Eroberung im Mittelalter von den Herren des Landes zur Kolonisation herbeigerufen wurden. Da aber das Gebirgsland bis nach Pirna lange zwischen Böhmen und Meißen streitig war, so hat die Besiedelung nicht so rasch erfolgen können; außerdem trat auch der vielfach schlechte Boden und die Unsicherheit des Landes hemmend dazwischen. So sehen wir denn, ähnlich wie im Elbtalkessel die Siedelungen, so hier die slavischen Ortsnamen vor allem an der Stromrinne haften. Herrnskretschen (d. h. Grenzwirtshaus), Schmilka, Schandau, Krippen, Prossen, Rathen, Pötscha, Wehlen, Poste, Copitz, Pirna sind keine deutschen Namen. Gelegentlich sind aber die Slaven auch auf die Höhe gestiegen, wie die Namen Gorisch, Weißig, Dorf Wehlen, Krietzschwitz und Struppen beweisen. Die untere Ebenheit rechts der Elbe, von Wehlen abwärts, weist fast nur slavische Namen auf: Lohmen, Doberzeit, Daube und Zatzschka. Ja selbst die deutsch klingenden Namen Mockethal und Liebethal möchten kaum aus deutscher Wurzel stammen, um so mehr, wenn man sieht, daß der Vorort von Dresden Löbtau urkundlich Liubitawa heißt und auf einer alten handschriftlichen Karte des sechzehnten Jahrhunderts sogar Liebethal geschrieben ist. Dazu[S. 135] muß man erwägen, daß das Liebethal in der Sächsischen Schweiz nicht im Tal der Wesnitz, sondern oben, über dem Grunde, auf der Ebenheit liegt. An der Elbe liegen nur drei unzweifelhaft deutsch benannte Orte: Wendischfähre, Königstein und Vogelgesang. Die deutschen Dörfer im Gebirge endigen, ziemlich eintönig, fast alle auf -dorf, wie Naundorf, Hennersdorf, Hermsdorf etc.; außerdem sind noch die Bestimmungswörter -walde, -hain und -hübel verwendet; verhältnismäßig junge Bezeichnungen für spät erfolgte Besiedelung. Auch im böhmischen Gebiet herrscht das „Dorf“ in den Ortsnamen vor, daneben erscheint auch -bach. Dagegen fällt auf, daß die deutschen und slavischen Namen scheinbar planlos gemischt sind.

Abb. 123. Der Pfaffenstein. Gesamtansicht von Südwesten gesehen.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 118.)

Die Volksdichte.

Die Volksdichte, die im Elbtalkessel, nach Schätzung, unterhalb Dresdens 1000 Menschen auf einem Quadratkilometer beträgt, und oberhalb Dresdens immer noch 750 Einwohner zeigt, sinkt in der Sächsischen Schweiz auf 120, und steigt im böhmischen Sandsteingebirge wieder auf 200 Einwohner. Die mittlere Dichte im Deutschen Reiche beträgt 104, so daß also selbst in der Sächsischen Schweiz die Ziffer noch höher steht. Ausschlaggebend mag dafür gewesen sein, daß die am Rande des Sandsteins gelegenen Städte Sebnitz, Pirna und Berggießhübel mit einbezogen sind. Wenn auf der böhmischen Seite, wo ebenfalls die Randstädte Bodenbach-Tetschen, Kamnitz und Kreibitz in der Rechnung mit aufgenommen sind, die Volksdichte noch ansehnlich höher steht als in Sachsen, so liegt der Grund vor allem in der stärkeren Industrie auf böhmischer Seite. Die Zahl 200 ist eine zuverlässig genaue, da in dem statistischen österreichischen Werke glücklicherweise die Bodenfläche jeder Gemeinde ganz genau angegeben ist, was leider bei dem sächsischen Ortsverzeichnisse noch vermißt wird. Überdies muß für die Gegenwart die Zahl von 200 Einwohnern auf einem Quadratkilometer schon als nicht mehr zutreffend bezeichnet werden, da sie sich auf die[S. 136] Zählung von 1890 bezieht. Die Ergebnisse der neuesten Volkszählung von 1900 sind in dieser Beziehung noch nicht veröffentlicht.

Der Verkehr auf der Elbe.

Die von Natur gebotenen Beschäftigungen sind Ackerbau und Viehzucht, Waldwirtschaft und die damit zusammenhängenden Gewerbe der Holzflößerei, Sägewerke und Holzhandel, endlich das Steinbrechergewerbe. Ackerbau (Abb. 133) beschäftigt die Bewohner der Ebenheiten, die Elbanwohner besitzen mit sehr wenigen Ausnahmen bei Prossen und Rathen kein Ackerland auf dem Talboden; sie sind namentlich auf den Elbverkehr, Flößerei, Schiffahrt angewiesen. Außerdem verdient noch die blühende Industrie in künstlichen Blumen erwähnt zu werden. Das ganze Verkehrsleben zieht sich aber nach der Elbe hin. Wir wenden daher unsere Aufmerksamkeit zuerst der Elbe, der Pulsader des Gebirges, zu. Die Elbe hat von Tetschen bis Meißen eine Länge von 93 km. Das Gefälle des Flusses ist, wie früher schon erwähnt ist, sehr gering, die Schiffahrt dadurch also nirgends gehemmt. Durch Uferdämme ist die Tiefe des Fahrwassers auf durchschnittlich 1¾ m erhöht, und es hat sich daher ein sehr lebhafter Verkehr, namentlich stromabwärts, entwickelt, der besonders Braunkohlen, Obst und Holz aus Böhmen, und Bausteine aus der Sächsischen Schweiz abwärts führt. Dieser Verkehr erleidet auch durch die in neuerer Zeit zahlreich gebauten Brücken kein Hemmnis. Schwierigkeiten und Gefahren bereitet eigentlich nur die Alte oder Augustusbrücke in Dresden. Aus dem Mittelalter stammen überhaupt nur zwei Brücken, die genannte Augustusbrücke und die Meißener Brücke, beide in der nächsten Nähe fürstlicher Residenzen angelegt. Erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts traten die Eisenbahnbrücken bei Mittelgrund, Schandau, Dresden, Niederwartha und Meißen hinzu, außerdem die steinernen Brücken bei Pirna, die Albert-, Carola- und Marienbrücke in Dresden.

Abb. 124. Stadt und Festung Königstein.
Nach einem Aquarell von Adrian Zingg. (Zu Seite 121.)

Abb. 125. Die Schrammsteine.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 122.)


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Abb. 126. Dittersbach.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 124.)

Abb. 127. Das Prebischtor und der Rosenberg.
Nach einer Aufnahme von Stengel & Co. in Dresden. (Zu Seite 126.)


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Dampf- und Segelschiffahrt.

Güterverkehr. Elbflößerei.

Das Steinbrechergewerbe.

Die Dampfschiffahrt begann durch die Sächsisch-böhmische Dampfschiffahrtsgesellschaft für öffentliche Benutzung am 25. August 1837. Die erste Fahrt wurde von Dresden[S. 138] nach Meißen gemacht. Gegenwärtig wird durch die Dampfer dieser Gesellschaft der Strom von Leitmeritz bis Mühlberg befahren. Später traten für den Frachtverkehr noch drei andere Schiffahrtsgesellschaften, die schon bei Dresden genannt sind, hinzu. Am Schluß des Jahres 1901 waren bei den sächsischen Elbstromämtern registriert 80 Personendampfer und zwar 35 große und 5 kleine Raddampfer, 40 Schrauben- und sonstige Maschinenschiffe, 8 Güterdampfer, 46 Radschleppdampfer, 31 Kettenschleppdampfer und 492 Segel- und Schleppschiffe mit zusammen 186641 Tonnen Tragfähigkeit. Die Häfen befinden sich in Postelwitz, Königstein, namentlich aber in Dresden, der Alberthafen im Großen Gehege, und in Riesa. Die Verbesserung des Fahrwassers durch Uferbauten begann 1861. Wie sehr seit dieser Zeit die Schiffahrt sich gehoben hat und die Tragfähigkeit der Elbkähne gesteigert werden konnte, wird aus folgendem Vergleiche ersichtlich: Um 1852 trugen die größten Kähne 3000 Zentner, 1886: 15000 Zentner oder 750 Tonnen. Verglichen mit dem Raumgehalt der neuesten großen Seedampfer erscheint die Zahl von 750 Tonnen gering; anders erscheint die Größe, wenn man zum Vergleiche in ältere Zeit zurückgeht. Man wird erstaunen, wenn man hört, daß die aus fünf Seeschiffen bestehende Flotte Magalhães’ bei der ersten Weltumsegelung 1519–1521 zusammen nur 500 Tonnen Gehalt hatte, also an Tragfähigkeit bedeutend gegen einen einzigen großen Elbkahn zurücktrat. Ehe die Schleppdampfschiffahrt ins Leben trat, machten die Segelkähne gewöhnlich drei Reisen nach Hamburg in einem Sommer, später aber und jetzt kann die Zahl auf sieben und gar auf zehn Reisen gesteigert werden. Die Segelschiffahrt ist daher fast völlig verschwunden und das durch die weißen, hohen Segel belebte Strombild, wenn die Schiffe mit günstigem Fahrwinde elbaufwärts flogen, gehört ebenso der Vergangenheit an, wie die zahlreichen Schiffsmühlen auf der Elbe, die hart am Ufer in mancher malerischen Stromecke, aber auch an Stellen sich angesiedelt hatten, die der lebhafter werdenden Schiffahrt unbequem waren. Auch die Schiffzieher, die Bomätschen, sonst eine volkstümliche Erscheinung auf den Leinpfaden am Wasser, sind ausgestorben.[S. 140] Über die Größe des Güterverkehrs auf der Elbe beim Zollamt in Schandau sei folgendes erwähnt. Es betrug dieser Verkehr im Jahre 1900: 2735000 Tonnen. Einen noch größeren Verkehr zeigen die vier Rheinhäfen Mannheim (4¼ Mill. T.), Duisburg (3½ Mill. T.), Ruhrort (über 5 Mill. T.) und Emmerich an der niederländischen Grenze (10 Mill. T.), und ferner die zwei Häfen im Elbgebiet Berlin (4¾ Mill. T.) und Hamburg (5⅓ Mill. T.). Schandau steht also unter den deutschen Flußhäfen an siebenter Stelle. Die Frachten gehen meistens flußabwärts. Befördert wurden 1698000 T. Braunkohlen, 369000 T. Holz, 309000 T. Zucker, 80000 T. Steine (nur von den Brüchen oberhalb Schandau), 72000 T. Gerste und 14000 T. Obst. Flußaufwärts gingen namentlich Düngmittel (81000 T.), Roheisen und Erze (je 51000 T.). Was die Beförderung von Floßholz betrifft, so weisen die Häfen an der Memel (Memel) und Weichsel (Thorn) eine noch höhere Zahl von Tonnen auf, nämlich Thorn 722000 T. und Memel 647000 Tonnen. Hier steht Schandau an dritter Stelle. Die Elbflößerei hat darum eine besondere Bedeutung. Das Holz kommt aus den böhmischen Herrschaften, vor allem von der oberen Moldau. In Böhmen haben die Prager Juden diesen Handelszweig in der Hand. Die größten Holzniederlagen sind in Niedergrund und Herrnskretschen. Von hier gehen die großen Prahmen oder Flöße nach Magdeburg als dem Haupthandelsplatz an der mittleren Elbe; jedes Floß ist bis 110 m lang und hat vorn und hinten Ruder, acht Stämme liegen nebeneinander. Eine solche Magdeburger Prahme hat 14 Mann zur Bedienung für die 14 Ruder, je sieben vorn und hinten. Die Flöße dürfen nach dem Reichsgesetz von 1894 nicht länger als 130 m und 12,6 m breit sein. Sie dürfen auf der Elbe auch nicht nebeneinander, sondern nur, und zwar in einem Abstande von 400 m, hintereinander fahren. In der Regel dauert eine Fahrt bis Magdeburg acht Tage. Wenn die Flöße die Elbbrücken passieren, sammeln sich immer Zuschauer, um dem Steuern[S. 141] dieser schlangenartig sich bewegenden Fahrzeuge zuzusehen. Seit 1878 wird ein Zoll von dem böhmischen Holze erhoben, der dem Deutschen Reiche etwa ¾ Mill. Mark abwirft. Seitdem kommen nicht mehr verarbeitetes Holz, Bretter und dergleichen herein, sondern nur Rundholz und es haben sich auf deutschem Gebiet große Schneidemühlen an der Elbe in Schandau, Königstein, Laubegast, Dresden und Riesa entwickelt. Die Flößer stammen meistens aus den böhmischen Elbdörfern Herrnskretschen, Johnsdorf, Rosendorf, Arnsdorf, Elbleiten, Kamnitzleiten und Stimmersdorf, die sich, von Haus aus Handwerker und Bauern, ein Nebengewerbe aus der Flößerei gemacht haben.

Abb. 128. Am Rauschentor bei Schmilka.
Liebhaberaufnahme von W. Thiel in Dresden. (Zu Seite 128.)

Abb. 129. Schmilka.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 128.)

Ein anderes nur am Sandstein haftendes Gewerbe ist das Steinbrechergewerbe (Abb. 134, 135 u. 136). Glücklicherweise ist die Zahl der in diesem Beruf beschäftigten Arbeiter nicht groß (sie betrug nur 3 vom Hundert der Bevölkerung), denn diese Arbeit ist sehr ungesund und rafft die Leute in ihren besten Jahren hin. Am gefährlichsten ist die Arbeit der Hohlmacher. Der Sandstein wird nicht von oben abgesprengt, sondern die wagerechten Klüfte oder Schichten, wodurch die Bänke voneinander geschieden sind, werden von unten her erweitert, bis der Arbeiter wohl 12 m tief unter der hohen Wand vordringen kann. Dieses Hohlmachen der Wand gestattet aber nur, daß der Mann, auf dem Rücken liegend, sich weiter vorschiebt, wobei er, nach oben arbeitend, immer den feinen Sandstaub einatmet. So entsteht durch Erkältung infolge der Lage auf dem nackten Steine die sogenannte Steinbrecherkrankheit, die bei wachsendem Siechtum oft schon mit 30 Jahren den Steinbrecher „bergfertig“ macht und ihn mit 40 Jahren dem Tode zuführt. Daher die große Zahl der Witwen und Waisen. Im Jahre 1881 gab’s allein in dem sächsischen Dorfe Schöna 35 junge Steinbrecherwitwen. Aber der höhere Lohn lockt die jungen Leute immer wieder an, sich dem Gewerbe zu opfern. Im Jahre 1897 waren beschäftigt 139 Bruchmeister, 68 Hohlmacher, 1391 Steinbrecher, 418 Steinmetzen, 1274 Räumer, 241 Räumerinnen, und es wurden in 387 Brüchen 177000 cbm Steine gewonnen. Der Arbeitslohn betrug bei den Männern für jede Stunde im niedrigsten Satz 22–25 Pfennige, im höchsten 40[S. 142] bis 50 Pfennige; bei den Frauen dagegen nur 12–18 Pfennige. Im Jahre 1892 waren nur 334 Brüche mit 3300 Arbeitern im Betrieb, aber die Ausbeute betrug 187000 cbm. Die Ursache liegt wohl darin, daß oft jahrelang an dem Hohlmachen einer Wand gearbeitet werden muß, daß aber, wenn sie glücklich gefällt ist, auch ebenso lange Zeit wieder zur Aufarbeitung gebraucht wird. Die großen Stücke bis zu 500 Zentner nennt man Hamburger Ware. Die kleineren behauenen Werkstücke werden auf zwei aneinander befestigten hölzernen Schlitten „heruntergehuscht“ an den Strand und dort auf die Kähne verladen.

Abb. 130. Das Felsentor auf dem Neurathen. Stich von Ludwig Richter.
Aus: Dreißig malerische An- und Aussichten von Dresden und der nächsten Umgebung. (Zu Seite 132.)

Das Fällen einer Wand.

Eine sehr interessante Beschreibung von der Art und Weise, wie eine Wand hohlgemacht und gefällt wird und welches wunderbare Schauspiel das Stürzen einer Wand gewährt, hat ein tüchtiger Fachmann in der Zeitschrift: „Über Berg und Tal“ 1887 veröffentlicht. Danach darf eine Wand nur mit behördlicher Genehmigung zu Fall gebracht werden, wenn der königliche Steinbruchsaufseher und der königliche Kommissar die Wand vorher besichtigt haben und wenn nachgewiesen ist, daß durch den Fall kein Nachbar geschädigt, kein öffentlicher Weg gefährdet wird. Namentlich unterliegen die Brüche an der Eisenbahn der schärfsten Kontrolle. Es war früher doch vorgekommen, daß Blöcke bis in die Elbe stürzten und der Schiffahrt hinderlich wurden. Dann erst erfolgt nach genauer Prüfung die Genehmigung zum Hohlmachen; vielleicht muß auch sogar eine namhafte Kaution gestellt werden.

Abb. 131. Bastei von der Elbseite.
Nach einer Aufnahme von F. & O. Brockmanns Nachfolger R. Tamme in Dresden.
(Zu Seite 132.)


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Das Stürzen einer Wand.

Zuerst wird mit einer kurzgestielten Hacke, deren flachgebogenes Eisen in der Mitte durchlocht ist und nach jeder Seite in eine Spitze ausläuft, hohlgemacht. Bei weiterem Vordringen unter der Wand wird auch mit Pulver, seltener mit Dynamit gesprengt, das Unterhöhlen muß an der Seite der Wand beginnen, wohin diese fallen soll. Ist nun die Verlosung (Kluftbildung) normal, dann ist die Arbeit leicht; ist aber die Wand mit der daranstoßenden verwachsen, dann löst sie sich nicht in gewöhnlicher Weise, sondern muß abbrechen und das geschieht oft unerwartet und wird gefährlich, weil die gewöhnlichen Warnungszeichen, die dem Fallen der Wand voraus[S. 144]gehen, nicht Zeit lassen zu fliehen. So ging am 18. Oktober 1887 eine regelrecht unterhöhlte Wand bei Posta unerwartet nieder und drückte einem noch unter derselben befindlichen Hohlmacher die Brust ein, so daß er nach wenigen Stunden starb. Ein großes Aufsehen erregte am 25. Januar 1862 die Kunde, daß bei Wehlen 21 Steinbrecher von einer fallenden Wand verschüttet seien; aber noch größere Verwunderung und Freude sprach sich aus, als man vernahm, daß sämtliche Arbeiter nach 30stündiger ununterbrochener Anstrengung aus ihrem steinernen Grabe unversehrt wieder ans Tageslicht gebracht werden konnten. Die fallende Wand hatte sich, wie wir es bei Höhlenbildungen, z. B. beim Eingang der Götzinger-Höhle, gesehen haben, schräg angelehnt und so den Verschütteten Raum und Luft genug gelassen, um 30 Stunden auszuharren.

Die zu fällende Wand in den Teichsteinbrüchen oberhalb Schöna, von der unser Gewährsmann spricht, war 45 m hoch, 40 m lang und unten 20 m, oben 15 m breit. Die Höhe der Unterhöhlung wurde, im Verlauf der Arbeit, immer niedriger, so daß die Hohlmacher zuletzt liegend „schroten“ (hohlmachen) mußten. Dann wurden die Steifen aufgestellt. Das sind Hölzer, Stützen von kerngesundem Holz in der Stärke von 30–45 cm und 2½-4 m Höhe. Es wurden 24 solcher Steifen unter die schwebende Wand gesetzt, wobei jeder, auch der geringste Zwischenraum, zwischen der Steife und dem Stein durch harte Holzkeile fest ausgeschlagen wird. Nur an einer kleinen Stelle wird so viel leerer Raum gelassen, um ein kleines Glasfläschchen anzubringen, dessen Zerspringen den geringsten Druck der Wand von oben anzeigt. Diese Steifen werden nur ganz vorn, höchstens 1–2 m zurück gestellt. Unter diesen Verhältnissen war die Wand bis 30 m hinein unterhöhlt. Die Gläser waren gesprungen, die Steifen zum Teil geborsten, loses Gestein fiel aus der Verlosung ab: alles Anzeichen, daß man nun durch Wegschießen der Steifen die Wand zu Falle bringen könne.

Allein vergebens. Die Wand fiel trotzdem nicht, und man mußte nicht nur neue Steifen setzen, sondern auch mit dem Hohlmachen noch weiter vordringen. Nur drei Arbeiter wagten es für einen Lohn von 5–6 Mark weiter zu schroten. Nun endlich, aber erst nach 14 Tagen, fiel die Wand. Aus ihrem Innern kamen starke, dumpfe Schläge wie von verhallenden Kanonenschüssen, zuerst in tagelangen Pausen, dann aber am Tage vor dem Fall stärker und häufiger. Dann begann die Bewegung der Wand. Loses Gestein rollte aus der Verlosung nach außen, dazu ertönte im Inneren lautes Krachen. Das dauerte noch vier Stunden. Dann neigte sich die kolossale, weit über eine Million Zentner enthaltende Wand langsam unter donnerähnlichem Getöse, begleitet von hellen Flammen, die durch die riesige Reibung abgleitender Teile entstanden, und fiel. Große, dicke Staubwolken verhüllten minutenlang vorerst jeden Ausblick; dann sah man den günstigen Ausgang, daß das Material für mehrere Jahre genügte, um die weitestgehenden Ansprüche zu befriedigen. Den Schluß bildete natürlich ein heiteres Arbeiterfest mit Bier, Zigarren und schönen Reden.

Abb. 132. Rathen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 133.)


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Aus diesen Teichsteinbrüchen stammen unter anderen die zwölf Säulen zu dem neuen Gebäude der Kunstakademie auf der Terrasse, jede dieser Säulen hat eine Höhe von 8 m. Zu dem Neubau am Königlichen Schlosse zu Dresden wurden aus denselben Brüchen auch zwei Blöcke geliefert, die jeder 638 Zentner wogen. Aus den Postelwitzer Steinbrüchen stammt der weiße Stein zu den Schillingschen Figurengruppen an der Terrassentreppe. Überhaupt sind alle monumentalen Bauten in Dresden: die Augustusbrücke, die Frauenkirche, katholische Hofkirche und Kreuzkirche, nicht minder der Zwinger und das Hoftheater aus Sandstein gebaut. Der Stein von Cotta eignet sich wegen seiner Feinheit und Weiche besonders zu größeren Luxusbauten und hat daher ein Absatzgebiet, das weit über Deutschlands Grenzen hinausgeht. So wurde 1738–1742 auch das königliche Schloß in Kopenhagen aus solchem Sandstein errichtet. Der Cottaer Bildhauersandstein, mit gleichmäßig feinem Korn, läßt sich leichter bearbeiten, ist aber auch leicht zerstörbar. Im Gottleubatal von Goës bis Klein-Cotta und Dohna werden in Steinsägewerken die Blöcke in Platten und Säulen[S. 146] zerschnitten und finden ihren Absatz über ganz Norddeutschland bis Schleswig-Holstein und Ostpreußen. Ihre Abfuhr erleichtern die beiden in Pirna einmündenden Zweigbahnen von Berggießhübel und Groß-Cotta. Der Poster Stein und der Teichstein werden wegen ihrer großen Härte und ihrer Widerstandsfähigkeit besonders zu Wasser- und Bahnbauten geschätzt. Härteres Material, gröberes Korn und größere Tragfähigkeit rühmt man an dem Liebethaler Stein, er wird daher zu Mühlsteinen verwandt. Der Stein aus den Kirchleiten bei Königstein ist dagegen wegen seiner großen Dichte zu Trögen in den chemischen Fabriken beliebt. So sieht man auch an der verschiedenen Verwendung des Quadersandsteines, wie verschiedenartig das Gestein in den einzelnen Teilen des Gebirges ist.

Abb. 133. Ernte bei Weißig.
Liebhaberaufnahme von H. Engert in Dresden. (Zu Seite 136.)

Fabrikation künstlicher Blumen.

Es bleibt nur noch kurz zu erwähnen übrig, daß sich in Sebnitz und Umgegend und bis nach Schandau hinab die Herstellung künstlicher Blumen zu einem blühenden Erwerbszweig entwickelt hat. In Schandau ist sogar eine Fachschule für Blumenarbeiter gegründet. Die Ausfuhr dieser Erzeugnisse nach Nordamerika belief sich 1895 schon auf mehr als 750000 Mark.

So haben wenigstens die beiden größten Städte der Sächsischen Schweiz, Pirna und Sebnitz, eine Industrie, die ihren Namen über die Grenzen des deutschen Landes hinaus bekannt gemacht hat. Denn aller Sandstein, der versandt wird, heißt in der Fremde Pirnischer Sandstein. Und Sebnitz hat neben älteren Gewerbszweigen durch die Herstellung künstlicher Blumen einen erhöhten Handelsverkehr gewonnen. Übrigens sind die Städte in unserem Gebiete nur als klein zu bezeichnen, denn keine erreicht eine Bevölkerung von 20000 Seelen. Die meisten sind in ihrer Lage im engen Elbtal oder in einem tiefen Seitental oder auf einer Felsenanhöhe dermaßen beschränkt, daß an eine bedeutendere Ausdehnung nicht zu denken ist. Einzig und allein Pirna ist einer größeren Ausdehnung fähig. Daher kommt es, daß auch jetzt schon Pirna fast ebenso volkreich ist, als die anderen Städte zusammen, nämlich 18300 Einwohner gegen 18900 Einwohner.

[S. 147]

Zunächst mögen diese Städte hier der Größe nach aufgeführt und zugleich ihre Volkszahl vor 100 Jahren in Klammern dahinter gesetzt werden.

Pirna zählte 1900: 18300 Einwohner (3660 im Jahre 1801), Sebnitz 8650 Einwohner (2320), Königstein 4270 Einwohner (1080), Schandau 3260 Einwohner (950), Wehlen 1400 Einwohner (670), Hohnstein 1320 Einwohner (600).

Man sieht daraus, daß Pirnas Bevölkerung in 100 Jahren um mehr als das fünffache, die von Sebnitz fast um das vierfache, Königstein um das vierfache, Schandau um mehr als das dreifache gestiegen ist und Wehlen und Hohnstein sich nur verdoppelt haben.

Pirna.

Pirna (Abb. 137) hat zweifellos die günstigste Lage, es lehnt sich an das Sandsteingebirge, genießt aber auch alle Vorteile des offenen Elbtalbeckens. Pirna hat schon im Mittelalter eine größere Bedeutung. Wir haben schon bei der Schilderung Dresdens auf den alten Straßenzug durch das Pirnische Tor und die Pirnische Straße hingewiesen. Gedeckt war die Stadt im Mittelalter durch die über Pirna auf der ersten Sandsteinhöhe thronende Feste Sonnenstein, die seit 1811 in eine Irrenanstalt umgewandelt ist. Die Stadt hat eine lebhafte Industrie, günstige Handelsverbindungen, da es im Knotenpunkt mehrerer Bahnen liegt und ist in erfreulicher Blüte begriffen. Erst seit 1404 gehört Pirna dauernd zur Markgrafschaft Meißen.

Abb. 134. Steinbruch in der alten Posta.
Gesprengte Wand, die aber nicht fiel, sondern sich nur gesetzt hat.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 141.)

Sebnitz.

Sebnitz (Abb. 138), die zweite und ebenso gewerbreiche Stadt, liegt gleichfalls am Rande der Sächsischen Schweiz. Trotz ungünstiger Lage und schwieriger Verkehrsverbindungen, weil die Stadt nach allen Seiten von hohen Bergen und Landrücken umgeben ist, hat Sebnitz doch immer eine lebhafte Industrie entwickelt und für seine Erzeugnisse auch Absatz gefunden. Ursprünglich herrschte hier wie weiter im Osten in der ganzen Lausitz und in Nordböhmen die Weberei vor. Schon vor hundert Jahren bezeichnete Götzinger den Ort von damals nur 2300 Einwohnern als eine bedeutende Manufakturstadt Sachsens, wo besonders leinene und halbseidene Waren verfertigt[S. 148] wurden und verschiedene von diesen Artikeln unter dem Namen Sebnitzer Zeuge bekannt waren und wohl gar im Auslande für französische Zeuge verkauft wurden; jetzt scheint nur Leinwandweberei und Druckerei noch zu bestehen. Man hat sich einem anderen Zweige der Industrie zugewandt, der Verfertigung künstlicher Blumen, wofür sich Sebnitz dermaßen emporgeschwungen, daß es der erste Platz dafür in Sachsen geworden ist. Daneben sind noch die Herstellung von Papier und Knöpfen zu nennen.

Abb. 135. Steinbruch in der alten Posta. Gefallene Wand.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 141.)

Abb. 136. Steinbruch in der alten Posta bei Pirna.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 141.)


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Königstein.

Königstein verdankt seine Entstehung dem Schutze der die Stadt überragenden Festung; die Stadt ist also jedenfalls jünger als Sebnitz. In seiner Lage im engen Bielatal und am schmalen Elbstrande hin für weitere Entwickelung beschränkt, war eine Ausdehnung nur in bescheidenem Maße gestattet. Trotzdem hat sich diese Stadt weiter entwickelt und bei wachsender Volkszahl auch neue Industriezweige entfaltet. Wenn Götzinger zu seiner Zeit als Hauptnahrung Brennerei und Viehmast, Schiffahrt und Steinbrechen nennt und darauf hinweist, daß das im siebzehnten Jahrhundert so berühmte Königsteiner Bier kaum noch gebraut werde, so finden wir statt dessen gegenwärtig bedeutende Holzsägewerke und Schiffbau, Papier- und Zellulosefabrikation und verschiedene Gewerbe, die sich mit der Verarbeitung und Verwendung des Holzes beschäftigen. Der Erfinder der Holzschleiferei und des Holzstoffes, Friedrich Gottlob Keller (1816 bis 1895), starb in Krippen, wo ihm auf dem Kirchhofe ein Denkmal gesetzt wurde. Die Inschrift auf dem Grabsteine Kellers lautet: „Hier ruht Friedrich Gottlob Keller, geb. den 27. Juni 1816 zu Hainichen, gest. den 8. September 1895 zu Krippen. Dem Erfinder des Holzschliffes in dankbarer Anerkennung gewidmet von Mitgliedern des Sächsischen Verbandes deutscher Holzschleifer und des Vereins Sächsischer Papierfabrikanten.“ Das Städtchen Königstein führte im Volksmunde auch den Spottnamen Quirlequitsch. Derartige Hänseleien und auch Spottverse, womit die „getreuen Nachbaren“ einander zu necken pflegten, waren auch an der Elbe beliebt. Da hieß[S. 150] es von Schandau: „Meißnische Ehre und Redlichkeit haben in Schandau ein Ende;“ und der Antiquarius des Elbstroms fügt 1741 in biederer Gesinnung hinzu, damit man sich nicht für die böse Seite des doppelsinnigen Ausspruches entscheide, daß das Meißner Land bei Schandau zu Ende gehe und daß man daher unrecht tue, wenn man diesen Ort zum Leitmeritzer Kreise und nach Böhmen rechne. — Von der Armut der Hohnsteiner lautete der Denkspruch: „Wer sich will in Hohnstein nähren, muß essen Schwämme, Pilze und Heidelbeeren.“ Die Städte Stolpen, Neustadt und Sebnitz wurden summarisch abgetan mit den Reimen:

Von Stolpen weht der Wind,
Zu Neustadt haben sie’n Bock geschindt,
Zu Sebnitz henkt man’s eigne Kind.

Auch Pirna blieb nicht ungeneckt, doch gehört der Spottvers erst der neueren Zeit an, da die darin ausgesprochene Gleichstellung der Insassen von Pirna und von der Irrenanstalt auf dem Sonnenstein erst nach Errichtung dieser Anstalt 1811 entstehen konnte.

Am meisten hat aber wohl stets der Name Quirlequitsch für Königstein heitere Zustimmung erfahren, auch wenn man sich die Entstehung des Namens nicht klar gemacht hat. Ist man doch in satirischer Laune sogar geneigt gewesen, das Wort aus dem Lateinischen „querularum quies“ zu deuten. Das mag wohl auch den Satiriker Rabener veranlaßt haben einen „Auszug aus der Chronike des Dörfleins Querlequitsch, an der Elbe gelegen“, zu schreiben, der zuerst in den Belustigungen des Verstandes und Witzes, 1742, erschien. Dieser Aufsatz enthält keinerlei Beziehungen auf Zustände in der Stadt Königstein, sondern soll nur, wie schon der Pfarrer Süßen in seiner Historie des Städtchens Königstein 1755 vermutet, durch eine inventierte angenehme Erzählung die Schwachheiten mancher Geistlichen kritisieren, welche diese bei Abfassung von Chroniken an den Tag legen, wenn sie zuweilen mitten in der Chronik anfangen zu predigen, oder sich sonst bei Erzählung geringfügiger und fabulöser Dinge aufhalten, aber dabei wichtigere Mitteilungen versäumen.

Abb. 137. Pirna und der Sonnenstein.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 147.)


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Geschichte Klettenbergs.

Sonst muß man leider bekennen, daß das Städtchen nie Gegenstand besonderer Beachtung in der beschreibenden Literatur gewesen ist. Ganz anders stand die Festung Königstein da (Abb. 139 u. 140). Sie wurde schon eines Besuchs für wert gehalten, ehe noch die Schönheiten der Sächsischen Schweiz erkannt worden waren und man scheute auch die beschwerlichen Wege nicht, die von Dresden her auf die unbezwingliche Burg hinaufführten. Es gab außer den eigentlichen Festungsanlagen und der kriegerischen Ausrüstung noch mancherlei staunenswerte Werke zu besichtigen; namentlich den tiefen Brunnen und das große Weinfaß. Auch erfuhr man mancherlei über die bemerkenswertesten Gefangenen, die hier, sei es mit Recht oder Unrecht, in den Kerkern geschmachtet hatten. Unter diesen Gefangenen waren mehrere, die durch ihre einflußreiche Stellung im Leben entweder eine beachtenswerte Rolle auf der Bühne der Weltgeschichte gespielt hatten oder durch Schwindeleien und Betrug ihre Freiheit und wohl gar das Leben verwirkt hatten. Zu jenen zuerst genannten gehörte der unglückliche Kanzler Nikolaus Crell, der nach zehnjähriger Gefangenschaft 1601 vom religiösen Fanatismus dem Blutgericht überliefert wurde, und ferner der livländische Edelmann Johann Reinhard von Patkul, der während des Nordischen Krieges eine Zeitlang eine Vertrauensstellung bei August dem Starken innegehabt hatte, aber im Altranstädter Frieden 1706 auf besonderes Verlangen Karls XII. an Schweden ausgeliefert und im folgenden Jahre in Polen gerädert wurde. Zu der zweiten Gruppe gehören der Abenteurer Johann Hektor von Klettenberg und der Geheimsekretär Menzel. Klettenberg war in Frankfurt 1680 geboren, studierte auf mehreren Universitäten und wurde, da er in einem leichtfertig veranlaßten Zweikampf seinen Gegner erstochen hatte, in Frankfurt zum Tode verurteilt, fand aber, indem er seine Wächter mit Opium betäubte, Gelegenheit zu entfliehen und führte nun von 1710–1720 ein Abenteurerleben, das ihn in vielen Städten des alten deutschen Reiches bekannt machte, wo er sich für einen Adepten[S. 152] ausgab. Im Herbst 1713 trat er mit August dem Starken in Verbindung, den er bald durch seine frechen Behauptungen, er verstehe die Kunst, unedle Stoffe in Gold zu verwandeln, derart zu gewinnen und zu bestricken wußte, daß er mit dem damals ungeheueren Gehalte von 1000 Talern monatlich in des Königs Dienste genommen wurde, um durch seine geheime Kunst reichliche Mittel zu schaffen für die mannigfachen kostspieligen Unternehmungen und Feste des prachtliebenden Fürsten. Anfangs „arbeitete“ Klettenberg in Dresden selbst, aber schon 1715 verlegte er sein Laboratorium nach Senftenberg, wo er ganz ungestört sein Wesen treiben konnte. Er kam nur gelegentlich noch nach Dresden. In Senftenberg, wo er sich Exzellenz nennen ließ, wie er früher sich auch schon ganz unberechtigter Weise den Rang und Titel eines russischen Oberst zugelegt hatte, ging nun eine tolle Wirtschaft los. Von den Amtsuntertanen schrieb er eigenmächtig Lieferungen aller Art aus: Schlachtvieh, Hühner, Eier, Fische, Stroh und Holz verlangte er nach ganz geringen, in einer alten Amtstaxe enthaltenen Preisen, die er nicht einmal bezahlte. Die Klagen der bedrückten Untertanen, schreibt von Weber (a. a. O. X. 139), verhallten ungehört. Aus Senftenberg und Umgegend versammelte Klettenberg einen zahlreichen Kreis um sich zu täglichen Schmausereien, bei denen unmäßig getrunken wurde. Wüste Szenen spielten sich an Buß- und Feiertagen auf offener Straße ab, widerliche Unflätereien wurden öffentlich betrieben. Dabei entblödete sich Klettenberg nicht, trotz seines hohen Gehaltes noch Geld zu unterschlagen und Schulden zu machen. Das brach ihm den Hals. Im Januar 1718 wurde er wegen Wechselschulden (18000 Taler) verhaftet. Den König hatte er immer wieder mit Ausflüchten und leeren Versprechungen hingehalten, nachdem für die Goldmacherei bereits 60000 Taler verausgabt waren. Nun kam das Strafgericht. Klettenberg kam in Untersuchungshaft. Sein Gehalt wurde monatlich von 1000 Taler zuerst auf 50 und dann auf 25 Taler herabgesetzt und im Februar 1719 seine Abführung nach dem Königstein befohlen.

Abb. 138. Sebnitz. (Zu Seite 147.)

Abb. 139. Topographischer Plan der Festung Königstein.
(Zu Seite 150.)


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[S. 154]

Der Kommandant vom Königstein war Kyau, ein Mann, der durch seine jovialen Einfälle sich eines gewissen Rufes erfreute, kam aber dem Befehle, den Adepten sorgfältig bewachen zu lassen, nicht in vollem Umfange nach und so konnte denn Klettenberg am 30. April einen Fluchtversuch ausführen, wurde aber schon am nächsten Orte, Gorisch, wieder eingefangen und weil er später einen zweiten Versuch wagte, sich zu befreien, am 1. März 1720 hingerichtet.

Der zweite Sträfling, der sich die langjährige Gefangenschaft auf dem Königstein durch seinen Verrat von Staatsgeheimnissen zugezogen hatte, war der Geheimsekretär Friedrich Wilhelm Menzel, der die Abschriften der Verträge zwischen Rußland und Sachsen und des Briefwechsels, den Graf Brühl mit Rußland und Österreich unterhalten hatte, an Friedrich den Großen in den Jahren kurz vor dem Siebenjährigen Kriege auslieferte und dem preußischen Könige damit die Beweismittel in die Hand gab von dem Vorhandensein eines geheimen gegen ihn gerichteten Bündnisses. Friedrich der Große rechtfertigte seinen Einbruch in Sachsen 1756 damit, daß er diese Schriften veröffentlichte. Der Verräter wurde aber später entdeckt und büßte seine Tat durch eine dreiunddreißigjährige Gefangenschaft von 1763–1796.

Der Brunnen und das große Weinfaß auf Königstein.

Unter den Sehenswürdigkeiten auf dem Königstein verdiente natürlich der unter Kurfürst August vollendete tiefe, wasserreiche Brunnen, von dem schon berichtet ist, vor allem einen Besuch. Man zeigte den staunenden Fremden aber nicht bloß die Tiefe dadurch, daß man von oben Wasser hineingoß und darauf aufmerksam machte, wie viel Zeit vergehe, ehe das Wasser den Spiegel unten im Grunde erreiche, aufschlage und der Schall des Geräusches wieder herauftöne, sondern man ließ auch Lichter an der Brunnenkette hinab, um an dem Immerkleinerwerden der Lichter die ungeheuere Tiefe sehen zu können. Zu einer weiteren Ergötzlichkeit war aber auch ein Gedicht verfaßt, das als eine Anrede des Brunnengeistes an den Besucher gedacht war.

Vergänglicher als dieser für eine Festung unentbehrliche Wasserspender war das andere Bauwunder der Felsenfeste, das große Weinfaß. Es ist merkwürdig, wie seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts zwei Kurfürsten des heiligen römischen Reiches sich wetteifernd zu überbieten suchten, wer das größte Weinfaß zu bauen im stande sei, und doch war keiner von beiden des Reiches Mundschenk. Es waren dies die Fürsten von der Pfalz und von Sachsen. Der Pfälzer begann und ließ im Schloß zu Heidelberg 1586 ein Weinfaß bauen, das 1185 Hektoliter faßte. Darauf entstand 1624 auf dem Königstein ein solcher Weinhälter für 1450 Hektoliter. Das neue Heidelberger Faß von 1664 war auf 1651 Hektoliter berechnet; aber das neue Königsteiner vom Jahre 1680 faßte 2235 Hektoliter und kostete 20000 Mark zu bauen. Da aber dieses bald baufällig wurde, so mußte der berühmte Erbauer des Zwingers in Dresden, Daniel Pöppelmann, auf Befehl Augusts des Starken den Entwurf zu einem noch größeren Weinfasse anfertigen, das dann 1725 fertig gestellt wurde, 23000 Mark Baukosten verursachte und 2428 Hektoliter faßte. Dieses neue Riesenfaß verlangte aber auch ein neues Haus und so belief sich der Gesamtaufwand für diese Spielerei auf 40000 Mark. Im Jahre 1819 beschloß dieses Weingebäude sein fast hundertjähriges Leben und wurde wegen Baufälligkeit abgetragen; auch sollten die Räumlichkeiten der Magdalenenburg, in der sich das Faß befand, zu einem bombenfesten Provianthause umgebaut werden.

Von der ganzen Herrlichkeit sind nur die Schnitzwerke, ein riesiger Bacchus und allerhand Embleme und Zierat, übriggeblieben, die noch gezeigt werden. Der Königstein hatte durch die wachsende Größe seiner Fässer mehremal über Heidelberg gesiegt; aber der dichterische Ruhm ist am Rhein geblieben. Das Heidelberger Faß wird in lustigen und durstigen Liedern verherrlicht, vom Königsteiner „meldet kein Lied, kein Heldenbuch“. Die Sänger sahen gewiß mehr auf den Inhalt als die Form des Behälters.

Abb. 140. Stadt und Festung Königstein.
Nach einer Aufnahme von F. & O. Brockmanns Nachfolger R. Tamme in Dresden. (Zu Seite 150.)


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Daß aber die Besichtigung aller Herrlichkeiten auf dem Königsteine in früheren Zeiten kein billiges Vergnügen war, das hat uns Carl Julius Weber, der bekannte[S. 156] Verfasser des immer noch gern gelesenen „Demokrit“ verraten und zwar in seinen „Briefen eines in Deutschland reisenden Deutschen“ (Stuttgart 1834, 2. Auflage. III. 68–70). Er nennt den Königstein das Wunder Sachsens und meint: „Es gibt hier allerlei Merkwürdigkeiten — sehr unmerkwürdige Merkwürdigkeiten um des Trinkgeldes willen — höchst interessant aber bleibt die Runde um den Felsen, in Begleitung eines Invaliden, wie der meinige, der mit im Lager von Pirna war (1756) und Friedrich (dem Großen) ins Auge gesehen haben wollte.“ (Weber hat zweimal die Festung besucht: 1802 und 1823 — hier kann natürlich nur der erste Besuch gemeint sein.)

„Recht gern,“ erzählt unser Reisender weiter, „gab ich ihm den verdienten sächsischen Konventions-Taler — aber nun begannen beispiellose Prellereien! Der Kerl muß geglaubt haben, meine Achtgroschenstückchen seien Steinchen, die ich in der Sächsischen Schweiz aufgelesen hätte. Ich mußte das Zeughaus sehen, ob ich gleich versichert, daß ich von Berlin käme, und gab 8 gr. ‚Ja Herr! unter 16 gr. nicht!‘ Stolz gab ich noch zwei Achtgroschenstücke. ‚Nun haben Sie einen Taler, und mehr kostet mich das Berliner Zeughaus nicht.‘ Am Brunnen wurde mir ein Glas Wasser gereicht — 4 gr. Das große Faß mußte ich auch sehen — 4 gr. Ich mußte in die neuen Kasematten, und da man hier nichts forderte, so glaubte ich, sie gehörten in das Departement meines Führers, irrte mich aber sehr. Wir kamen an einen Opferstock: ‚Legen Sie doch einen Groschen ein!‘ Gut! Wir kamen zu einigen Arbeitern: ‚Geben Sie einige Groschen, wenn Sie nicht geschnürt sein wollen!‘ Gut. Aber bin ich nicht schon genug geschnürt? Ein Soldat, der den Schlüssel geholt hatte, erwartete seine 4 gr. — Die Wache, die meinen Namen hinaufgerufen, auf- und zugeschlossen und das ‚Kann passieren!‘ gerufen hatte, erwartete Gleiches. Aber nun kam mein Meister Prellhans mit einer Nachforderung, als ich ihm ohne Dank den Konventions-Taler in die Hand drückte. ‚Für die Kasematten, mein Herr!‘ Wie? Nun, hier sind noch 4 gr. ‚Wenigstens 8 gr., mein Herr.‘“

„So unverschämt geplündert, wie nirgendwo vor und nach, eilte ich vom Königstein hinab und kam schneller als es sonst geschehen wäre, nach Pirna — kaum, daß mich die schöne Natur mit der Menschheit versöhnte!“ —

Derartige Szenen, wie sie Weber auf der Feste erlebt haben will, gehören gegenwärtig natürlich der „guten alten Zeit“ an. Aber man darf nicht vergessen, daß der Besuch derartiger Merkwürdigkeit, ebenso wie der Besuch einer jeden Kunstsammlung in Dresden ähnliche Kosten verursachte. In jedem Museum zahlte man dem Leiter der Sammlung, mochte es ein Hofrat oder ein Professor sein, einen Dukaten und dem Aufwärter einen Gulden. Der Begriff der Öffentlichkeit fehlte noch und die Liberalität, die bereits in Paris oder Wien geübt wurde, war in Sachsen noch nicht eingeführt.

Schandau.

Schandau (Abb. 141), in ähnlicher Lage wie Königstein an der Mündung eines Nebenflusses und auf der schmalen Elbaue gelagert, hat zwar noch mehr Raum als Königstein zu weiterer Ausdehnung; allein die Lage der Aue ist so tief, daß der Ort mehr als alle anderen Städte den Überschwemmungen und Hochfluten ausgesetzt ist. Magister Christian Weiß bezeichnete Schandau im Jahre 1796 als eine kleine, aber sehr schön gelegene und meist von Schiffern, Webern und Handwerkern bewohnte Stadt. Die sehr schöne Lage ist der Stadt als natürliche Mitgift geblieben und hat vor allem nach diesem Mittelpunkte der Sächsischen Schweiz die Fremden hingezogen. Die ansehnliche Reihe großer stattlicher Gasthäuser, die sich an der Elbe erheben, verleiht der Stadt einen großstädtischen Anstrich. Kein anderer Ort kann sich in dieser Beziehung mit Schandau messen, es ist auch für vornehme Gäste nirgends in der Sächsischen Schweiz besser gesorgt als hier, sei es zu kürzerem Besuch oder zu längerem Aufenthalt. Auch der Stadtteil im Kirnitzschtal mit seinen Landhäusern und Gärten bis zu dem ehemals mehr als jetzt besuchten Bade macht einen anmutigeren, freundlicheren Eindruck als sonst eine Stadt an der Elbe. So ist Schandau die Stadt des lebhaftesten Fremdenverkehrs geworden, dem keine andere den Rang streitig machen kann. Wie bedeutend der Elbverkehr hier ist, an dem sich die Stadt auch beteiligt, ist bereits erwähnt worden.

Abb. 141. Schandau.
Nach einer Aufnahme von F. & O. Brockmanns Nachfolger R. Tamme in Dresden. (Zu Seite 156.)


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[S. 158]

Wehlen.

Wehlen, früher Wehlstädtel genannt, auf einer Vorstufe oder einem höheren festen Ufer unter einem mäßig hohen, alleinstehenden Burgfelsen gelegen, verdankt wohl seine Entstehung der ehemaligen Burg, von der gegenwärtig nur noch die unteren Mauern des Burghügels erhalten sind (Abb. 142 u. 143). Erst 1364 wird Wehlen als Städtchen (oppidum) bezeichnet. Die Burg war älter; aber, wenn auch slavischen Namens, wohl schwerlich schon im frühesten Mittelalter eine slavische Burg. Erwähnt wird sie erst in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, wo Heinrich der Erlauchte (1222–1288), Markgraf von Sachsen in der Zeit von 1269–1272, hier mehrfach Urkunden unterzeichnet hat, woraus geschlossen werden darf, daß er hier längere Zeit residiert hat. Ist dies der Fall, dann würde sich damit auch erklären, daß unter allen Burgen in der Sächsischen Schweiz Wehlen den stattlichsten, man möchte sagen einen fürstlichen Bau zeigte, der, wenn auch vernachlässigt, verfallen und mancher Schmuckteile beraubt, bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts noch eine sehenswerte, malerische Ruine vorstellte, die von den Künstlern jener Zeit vielfach gezeichnet und gemalt worden ist. Noch im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts erinnerten die beträchtlichen und ehrwürdigen Ruinen des Schlosses, die aus hohen, sehr starken Mauern, Rundungen und Wänden von Türmen und Basteien bestanden, an den ehemaligen großen Umfang desselben. Auch aus den Trümmern konnte man noch erkennen, daß der Bau frühestens dem zwölften Jahrhundert angehört hatte. Aber die immer morscher werdenden Mauern bedrohten durch Einsturz mehrfach die darunterliegenden Häuser im Städtchen, infolgedessen dann die Burg bis auf die Grundmauern abgetragen werden mußte, wodurch die ganze Landschaft leider einen herrlichen, romantischen Schmuck einbüßte. Das Städtchen ist auf einen kleinen Raum am Ausgange des Uttewalder Grundes beschränkt und hat daher nicht in demselben Maße wachsen können, wie die anderen Elbstädte. Auch hier herrscht ein lebhafter Fremdenverkehr, denn die Stadt bildet, nach Beginn des Dampfschiff- und Eisenbahnverkehrs, recht eigentlich das Eingangstor zur Sächsischen Schweiz.

Abb. 142. Die alte Burg Wehlen um 1755.
Nach der gleichzeitigen Radierung von Grundmann. (Zu Seite 158.)

Hohnstein.

Hohnstein, die kleinste unter den Städten des Gebirges, die nicht an der Elbe liegt, ist ähnlich wie Sebnitz am Außenrande, aber doch noch auf dem Sand[S. 159]stein gelegen (Abb. 144 u. 145). Das Städtchen, in einer flachen Senkung der Sandsteinkette, auf deren Ende die alte Burg thront, hat eine überaus romantische Lage, von tiefen Gründen auf mehreren Seiten begrenzt. Es gehört nebst seiner grotesken Umgebung zu den beliebtesten Wanderzielen; aber der Ort lag bis vor wenig Jahren, wo er eine Eisenbahnverbindung mit Schandau erhielt, wie aus allem Verkehr weggesetzt. Er ist auch nur gleichsam als ein Anhang zur Burg entstanden, denn diese bildete den Mittelpunkt einer ausgedehnten Herrschaft, die bis ins vierzehnte Jahrhundert ebenfalls dem böhmischen Geschlechte der Birken von der Duba gehörte. Nach Böhmen zu hatte der Ort noch eine leidliche Verbindung, gegen Sachsen erschien er vom tief eingeschnittenen Polenztal aus wie eine unbezwingliche Burg. Unter sächsischer Herrschaft seit 1444, war Hohnstein der Sitz eines Amtes, und hier wurde 1765 durch den damaligen Kurfürsten die erste Merinostammschäferei begründet. Sonnenstein, Hohnstein und Königstein dienten in früheren Jahrhunderten oft auch als Gefängnis, namentlich Hohnstein und Königstein, die am sichersten galten, weil ein Entkommen von den steilen Felsenhöhen für unmöglich galt. Daher der leidige Trost für die Sträflinge auf dem Hohnstein: „Wer da kommt nach dem Hohenstein, der kommt selten wieder heim,“ oder „Den Gefangenen frißt im Turm kein Wolf und sticht keine Fliege“ (in den dunkeln, feuchten, fast lichtlosen Kerkern). Hohnstein hat im Lauf der Jahre Fürsten, Grafen, Edele und gemeine Verbrecher beherbergt. Wir sehen darunter die Grafen von Mansfeld und Stollberg, die Herren Reuß von Plauen; auch viel fahrendes Volk. Mehreren von diesen ist es sogar gelungen, auf abenteuerliche und verschmitzte Weise auszubrechen und zu entkommen. Aber noch verwunderlicher erscheint es, daß auch „ehrliche“ Diebe eingebrochen und, da sie nur Staatsgelder zu stehlen für erlaubt hielten, die aus Versehen mitgenommenen Privatgelder wieder zurückerstatteten. Der Fall ist jedenfalls in der Gaunerpraxis ein Unikum und verdient daher, näher beleuchtet zu werden. Wir folgen hier der auf Akten des Hauptarchivs zu Dresden beruhenden Darstellung Karl von Webers („Aus vier Jahrhunderten“ II. 366), wenn er schreibt:

Abb. 143. Wehlen.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 158.)

An einem Dezembermorgen des Jahres 1693 ward der Amtmann zu Hohnstein mit der Schreckensbotschaft geweckt, daß Diebe in der Nacht das Schloß erstiegen (!!), die Kasse erbrochen und eine bedeutende Summe, die darin verwahrt gewesen, entwendet hätten. Wie der Augenschein lehrte, waren die Spitzbuben durch ein sehr hoch gelegenes Fenster, das nur mit äußerster Lebensgefahr vermittels einer langen Leiter[S. 160] zu erreichen war, nach Ausbrechung eines eisernen Gitters in die Amtsstube eingedrungen, hatten dort Licht angebrannt und einen festen Schrank, in dem sich die Steuergelder und Depositen befanden, aufgebrochen. — Sechs Wochen waren in vergeblichen Bemühungen, die Täter zu erforschen, vergangen; keine Spur war zu entdecken. Da fand man am 14. Januar 1694 an der Tür der Pfarrwohnung zu Hohnstein eine Schrift angeklebt des Inhalts, der Herr Magister möge sich mit dem Schulmeister und einem Kirchenvater in die Sakristei der Kirche begeben, da werde er auf dem Boden unterm Fenster etwas finden. Eine ähnliche Aufforderung fand auch der Kirchenvater Jakob Röllich an seiner Haustür angeheftet. Beide begaben sich samt dem Lehrer in die Kirche. Ein enges, wohlverwahrtes Fenster der Sakristei war erbrochen; aber die Täter hatten diesmal nichts geraubt, sondern etwas gebracht, nämlich in zwei versiegelten Säcken 312 Taler. Die Diebe erklärten zugleich, das seien Depositengelder, die sie „aus Ungefähr“ aus der „Hunstner“ (Hohnsteiner) Amtsstube mitgenommen, da sie doch nur kurfürstliche Gelder und Amtmannsgeld zu holen beabsichtigt, aber nicht so blutarmen Leuten, wie den Deponenten, das Ihrige hätten nehmen wollen. Das Wort „stehlen“ war in dem Schreiben vorsichtig umgangen und umschrieben. Auch wurde der Pfarrer dringend gebeten, das Geld nicht wieder ins Amt zu liefern, sondern den Geschädigten selbst wieder zu geben, damit es in die rechten Hände gelange. Diesem Wunsche konnte nun allerdings der Herr Magister nicht entsprechen; er übergab die ganze Summe wieder dem Amtmann zu Hohnstein. Von den großmütigen Dieben fehlt bis heute jede Spur. Aber wem fällt dabei nicht der sarkastische Ausspruch des zweiten Mörders in Shakespeares Richard III. (1. 4) ein: „Das Gewissen hat mich einmal dahin gebracht, einen Beutel voll Gold wieder herzugeben, den ich von ungefähr gefunden hatte; es macht jeden zum Bettler, der es hegt.“

X.
Die ländliche Bevölkerung.

Die ländliche Bevölkerung.

Die ländlichen Wohnungen tragen im allgemeinen denselben Charakter und Baustil zur Schau wie im Elbtalkessel. Zu Grunde liegt der Plan des fränkischen Bauernhauses. Die so anheimelnden Strohdächer verschwinden, weil feuergefährlich und mehrfach ungesund, immer mehr (Abb. 146 u. 147). Neue Häuser dürfen nicht mehr mit Stroh gedeckt werden. Neben den bäuerlichen Wohnungen treten aber immer häufiger Bauten im städtischen Charakter und im Villenstil auf; denn in manchen Orten des Gebirges haben sich gesuchte und beliebte Sommerfrischen entwickelt, so daß, wie z. B. in Gorisch, das ehemalige Dorf zwischen den Neubauten fast verschwindet. Andere besuchte Orte sind Cunnersdorf bei Königstein und Hinterhermsdorf.

Die Volkstrachten sind leider nicht bloß im Elbtalkessel und in der Umgebung der Großstadt, sondern auch im Gebirge fast völlig verschwunden (Abb. 148 u. 149). Das Zeitalter der Eisenbahnen hat ihnen den Garaus gemacht. Aber noch im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts waren derartige Trachten noch bis nahe an Dresden lebendig. Jetzt erinnern uns hier noch Bilder an diese Vergangenheit. Da sehen wir eine Mutter im Sonntagsstaat mit dem Gebetbuche in der Hand und einer Pelzmütze auf dem Haargeflecht, daneben ein Mädchen mit buntgestreiftem Kopftuch nebst langer und breiter Schürze. Die Männer trugen Kniehosen, dazu eine frackartige Jacke mit ganz kurzen Schößen. Die Erwachsenen trugen einen Hut, die Knaben eine Mütze mit zwei roten Streifen, was an die Uniformmütze unserer Postboten erinnert. Wie nun alle solche Trachten sich aufs Land verbreiten, wenn sie in der Stadt aus der Mode gekommen sind, in der Nähe einflußreicher Städte aber die Tracht auf dem Lande noch etwas moderner, manchmal allerdings auch hundert Jahre jünger ist, als in abgelegeneren Orten, so ist es auch in den Dörfern der Sächsischen Schweiz gewesen. Man trug lange Kittel von ungebleichter Leinwand mit[S. 161] farbigen Aufschlägen und Kragen. In den Waldgegenden wurden Jacken und Beinkleider von ungebleichter Leinwand getragen und im Sommer sehr oft hohe und schwarze Pelzmützen. Diese Tracht erstreckte sich westwärts bis ins Erzgebirge, wo man im Weißeritztal um Schmiedeberg schon die erzgebirgische Tracht beginnen sah.

Alte Sitten und Gebräuche.

Von Sitten und Gebräuchen hat sich hie und da wohl noch einzelnes erhalten, anderes ist von unverständigem Eifer beseitigt, wohl gar von „polizeiwegen“; anderes hat man neu zu beleben gesucht. Allein man muß befürchten, daß auf dem Naturboden des Volkstums künstliche Blumenzucht nicht gedeihen kann.

Viele dieser Sitten schließen sich oder schlossen sich an den Gang des christlichen Jahres an; allein gleich der erste Brauch scheint durchaus vom Heidentum her überliefert zu sein, wenn um Wintersonnenwende die sogenannte lange Nacht mit Spiel und Gesang und Tanz wie ein altes Julfest gefeiert wurde. Übrigens bergen sich bekanntlich unter manchen Gebräuchen an hohen Festtagen uralte Gepflogenheiten, die unter christlichem Schutz einen Unterschlupf finden und ihr schwaches Leben fristen.

Abb. 144. Stadt und Schloß Hohnstein, vom Hockstein. Stich von Ludwig Richter.
Aus: Dreißig An- und Aussichten zu dem Taschenbuch für den Besuch der Sächsischen Schweiz. 1823.
(Zu Seite 159.)

Das Weihnachtsfest bietet nichts Besonderes, Abweichendes; die Poesie, mit der die Bewohner des Erzgebirges dieses Fest umwoben haben, hat hier keinen Anklang, keine Verbreitung gefunden. Dagegen wurde das Fastenbeten früher den drei hohen Kirchfesten gleichgestellt. M. Martin erzählt darüber: „Als bei einer Kircheninspektion der Herr Superintendent einen Jungen nach den drei hohen Festen fragte, gab dieser die klassische Antwort: Fastenbeten, Lobetanz und Schweineschlachten.“ Das Fastenbeten besteht in einem kleinen Abendgottesdienst in der Schule und daran anschließender freier Tanzmusik. Vor fünfzig Jahren wurde die Feierlichkeit des Morgens abgehalten und für das gute Hersagen des sogenannten Beteliedes wurden Fastenbrezeln verabreicht.

Schifferfastnacht.

Darauf folgte die Schifferfastnacht, ein, wie es scheint, nur in den Dörfern an der Elbe verbreitetes echtes Volksfest, namentlich für die Jugend. Ursprünglich nur zu Ehren des löblichen Schiffergewerbes entstanden, dessen wir bereits ausführlicher gedacht haben, wurde dieses Fest im Winter, vor der eigentlichen Fastnacht gefeiert, ehe die Elbe eisfrei wird und die Schiffahrt wieder beginnen kann. Den Mittelpunkt des[S. 162] Festes bildete ein von Haus zu Haus durchs ganze Dorf führender Masken- oder Kostümaufzug. Die Teilnehmer des Zuges bestanden aus den sogenannten Schwarzen und Weißen. Zu den Weißen gehörten der Schiffsdoktor und seine Frau, der Kapitän und seine Frau, zwei Hanswürste und die Jungen, die das Festschiff tragen, einen Dreimaster mit vielen bunten Bändern und Wimpeln geschmückt, die von den jungen Frauen im Dorfe verehrt werden. Ein solches Ehrenschiff wird alle Jahre wieder hervorgeholt und dient oft hundert Jahre lang. Die zweite Abteilung bilden die Schwarzen, das sind die jungen Burschen in oft komischer und abenteuerlicher Tracht als Förster, Nachtwächter, Briefträger und Handwerker aller Art. So zieht man unter Vorantritt eines Musikchors durchs Dorf. Nach dem Umzuge beginnt dann der Tanz oder werden auch Schauspiele, am liebsten verwegene Ritterschauspiele, zur Aufführung gebracht. Von den Zuschauern werden kleine Geldbeiträge eingesammelt, die dann am zweiten Tage von den Mitspielern, die als Dorfkünstler mit dem Namen „die Narren“ (ganz nach der Bezeichnung des alten Mummenschanzes) beehrt, in einer heiteren Nachfeier verspeist oder vertrunken werden. In Postelwitz dauerte sonst die Schifferfastnacht vier Tage, zwei für die Erwachsenen und zwei für die Jugend. Seitdem aber die Polizei die Larven und die Vermummung bei Umzügen, wahrscheinlich als groben Unfug, verboten hat und auch sonst dergleichen Festlichkeiten strenger überwacht, hat diese Schifferfastnacht viel von ihrer Urwüchsigkeit verloren. In Schandau wurde sie 1869 abgeschafft, neuerdings, seit 1893, hat man sie wieder zu beleben gesucht.

Abb. 145. Hohnstein.
Nach einer Aufnahme von Römmler & Jonas in Dresden. (Zu Seite 159.)

Das Todaustreiben.

Ein anderes Fest galt der Wiederkehr des Frühlings, auf den allerdings auch der Fastnachtsscherz schon anspielen soll. Mit der Wiederkehr des Frühlings und der Sonne verknüpfte sich dann weiter der volkstümliche Glaube, daß damit auch die Krankheiten wieder zunehmen und sich als böse Geister oder Dämonen einzuschleichen suchen.[S. 163] Man darf sie nicht ins Land lassen und muß namentlich im Frühling auf seiner Hut sein, sonst bleiben sie das ganze Jahr und plagen die Menschen, namentlich wenn sie mit der Feldarbeit beschäftigt sind, die vor Ostern beginnen soll. Daher wird am Lätarefest der Dämon der Krankheit und des Todes in Gestalt einer Strohpuppe erst durchs Dorf unter alten Volksversen getragen und dann ins Wasser geworfen. Dieser aus Franken und Thüringen eingewanderte Brauch hat überall eine besondere örtliche Färbung angenommen und wird das „Todaustreiben“ genannt.

Möglicherweise stammt der Brauch noch weiter her aus Südwestdeutschland, wo die Kinder im schwäbischen Saulgau schon zu Fastnacht durch den Ort rufen: „Dåraus, dåraus, Dôt naus, Dôt naus!“

In Süd- und Westdeutschland scheint mit diesem Maskenspiel hauptsächlich der Gedanke verknüpft zu sein, den Sieg des Sommers über den Winter zu feiern. „Das lebendige Naturgefühl der Germanen,“ schreibt Felix Dahn in der „Bavaria“ (Oberbayern, S. 369), „hat den poesievollen Kampf und Wechsel der Jahreszeiten mit innigster Empfindung erfaßt, und wie so viele ‚Mythen‘ ihres Götterglaubens auf diesen Sieg der holden Zeit, des freudigen Lebens und Lichtes über Tod und Finsternis zurückweisen, so hat sich auch in christlicher Zeit noch der Jubel über die Wiederkehr des „milden Mayen“ in den verschiedensten Formen ausgeprägt erhalten... Hie und da kommt noch der Umzug der beiden Figuren des Sommers und des Winters vor... Endlich wird nach kurzem Gefecht der Winter vom Sommer besiegt und nun entweder in dem Dorfbrunnen ersäuft oder unter Jubel und Lachen zum Dorfe hinaus in den finstern Wald gejagt, wohin er auf lange Zeit verbannt ist.“

Ähnlich ist’s auch an der Haardt in der Rheinpfalz, wo noch das Lied dazu gesungen wird: Ri—ra—ro, der Summerdak isch do! Es ist der gleiche Anfang wie in dem weitverbreiteten Kinderliede: Tra—ri—ra, der Sommer, der ist da.

Abb. 146. Altes Häuschen im Dorfe Wehlen.
Liebhaberaufnahme von H. Engert in Dresden. (Zu Seite 160.)

Eine andere Färbung erhält das Spiel in manchen Seitentälern der Rednitz in Mittelfranken, z. B. im Aisch- und Zenngrunde. Da verfertigen die Burschen eine Strohpuppe, die den Tod vorstellt, durchs Dorf geschleppt und schließlich verbrannt wird. Winter und Tod erscheinen fast identisch. Um ein fruchtbares und gesegnetes Jahr[S. 164] zu erzielen, wird der Tod den Wellen übergeben; aber es verknüpft sich zugleich der Gedanke damit, daß die Pest und der jähe Tod wie jene Strohpuppe ersäuft werden mögen. Und dieser spätere Nebengedanke scheint im Mittelalter mit den fränkischen Kolonisten auch nach Sachsen gekommen und an einzelnen Orten zum Ausdruck gebracht worden zu sein.

In Postelwitz und dem Dorfe Ostrau oberhalb Schandau trieben drei Wochen vor Ostern, also am Lätaresonntage, drei Jungen den Tod aus. Jeder trug eine an einen Stock gespießte Strohpuppe, die unter Begleitung der ganzen Jugend erst durchs Dorf getragen und dann in den Bach geworfen wurde. Wer von den dreien mit seiner Puppe zuerst ans Wasser kam, durfte nachmittags darauf den Todbaum tragen, während der zweite den Geldbeutel und der dritte einen Korb bekam. Damit begann wieder ein neuer Umzug durchs Dorf, wobei allerlei Gaben eingesammelt wurden. Der Todbaum war ein Tannenbaum, den man mit buntem Papier und Ketten von durchfädeltem Stroh behängt hatte. Vor jedem Hause wurde dann der altüberlieferte Vers, dessen Wortlaut in den einzelnen Dörfern voneinander abwich, gesungen:

Jetzt treiben wir den Tod aus,
Den alten Mann im Seehaus;
Und hätten wir heuer nicht ausgetrieben,
So wär’ er zu Jahre hinne geblieben
In unsres Vaters Lande.
Das wäre uns eine Schande.
Wir haben getrieben, wir haben gejagt
Zu Magdeburg (Hamburg) über die große Stadt,
Zu Magdeburg über die Brücke,
Gott gebe uns besseres Gelücke.
Wenn uns die Frau Wirtin eine Gabe gibt,
So soll’s mit ihrem Willen geschehen,
Wir woll’n auch fleißig danken,
Wir haben noch weiter zu wanken.

Abb. 147. Altes Haus im Dorfe Wehlen.
Liebhaberaufnahme von Hofgoldschmied P. Eckert in Dresden. (Zu Seite 160.)

[S. 165]

Hatte man ein Geschenk erhalten, dann lautete der Abgesang:

Hab Dank, hab Dank, Frau Wirtin mein,
Das Himmelreich soll Euer sein
Und auch die himmelsche Krone;
Gott wird Euch belohne.

Darauf zog man vors Dorf und verkaufte den Todbaum für sechs bis acht Groschen. Und wer ihn erstand, nagelte ihn ans Haus. Er sollte vermutlich dann ein Schutzmittel gegen Krankheit und Tod abgeben und das Haus sollte samt seinen Bewohnern vor dem bleichen Gaste gefeit sein. Den Beschluß machte dann des Abends das Absingen von beliebten Gesangbuchliedern; dieses Singen wurde bis Ostern noch an mehreren Abenden wiederholt.

Diakonus Glootz in Schandau, dessen Schilderung (Über Berg und Tal, Bd. VI 291) wir diese Mitteilungen entlehnten, erzählt weiter, daß man in Postelwitz die zu dem Todaustreiben verwendeten Kinderpuppen von den jungen Frauen, die seit dem letzten Todaustreiben verheiratet waren, zu erwerben suchte. Die Puppen hießen Brauttode. Die größeren Schulknaben bemühten sich nun, solche Puppen zu bekommen. Diese wurden gern gegeben, die jungen Frauen gaben wohl gar außer der Puppe dem Bittsteller noch ein Geschenk von acht bis zehn Groschen drauf. Dieser alte Brauch nahm 1844 ein jähes Ende und zwar infolge der Anzeige eines Gensdarms an das Amt in Hohnstein. Es hatte jedenfalls seine religiöse Empfindung unangenehm berührt, daß die größere Jugend das Todaustreiben während des Gottesdienstes begann — „ein alter Brauch aus dem Heidentum“ —, wie der Polizist mit Recht bemerkt; „was ich jedoch durch Wegnahme der Karikatur vereitelte“. Der Tod wurde also arretiert und der Gensdarm berichtete weiter: „In Postelwitz zogen fast die ganzen Schulkinder in einer versammelten Schar im Dorfe umher und waren hierbei eine größere Anzahl Schulknaben ebenfalls mit auf Stangen gespießten Karikaturen versehen. Diese, sowie die übrigen nicht mit dergleichen Puppen versehenen Kinder zogen unter heftigem Wüten und Toben im Dorfe umher, und sind dieselben gemeint, auf diese Weise den Wintertod auszutreiben, worüber deren Eltern ihre Freude bezeigen. Bei diesem lärmenden Umherziehen üben diese Kinder eine feine Bettelei aus, indem sie die diese Gaukelei liebenden Einwohner um Gaben ansprechen. Auf dieses Todaustreiben folgt nun in den nachfolgenden Tagen bis auf Ostern abends das sogenannte Ostersingen, welches dann mit dem Osterschießen beendigt wird. Bei allen diesen Gelegenheiten findet der größte Unfug statt, indem am Ostersingen das ledige Personal teil nimmt. Da nun von einigen Einwohnern dieser Ortschaften Beschwerde über diese Übelstände geführt worden ist“ u. s. w.

Auf diese Anzeige hin erhielt der Pastor in Schandau den Auftrag, den angezeigten Unfug der Schuljugend auf geeignete Weise abzustellen, was dann auch geschah.

Abb. 148. Bauer aus Weißig.
Liebhaberaufnahme von H. Engert in Dresden. (Zu Seite 160.)

In Schöna und Reinhardtsdorf wird noch jetzt der Todbaum, eine aufgeputzte Birke, unter Gesang durchs Dorf getragen. Die Kinder selbst ziehen mit grünen Maien hinterher. Fällt Lätare zu zeitig, daß das Laub noch nicht heraus ist, dann legt man vorher die Birkenreiser ins Wasser, um die Knospen zu treiben. Dieser Zweig wurde[S. 166] dann später bei Aufgang der Sonne in fließendes Wasser geworfen, um den Tod zu ersäufen. Während des Umzuges durchs Dorf erklang das Lied:

Den Tod, den Tod haben wir ausgetrieben,
Den lieben Sommer bringen wir wieder.
Die Mädchen und die Maien;
Da wachsen Blümlein und Feigeln,
Wir haben getrieben, wir haben gejagt
Durch Hamburg, durch die große Stadt,
Durch Magdeburg über die Brücke.
Gott gebe Euch Gelücke!

An den Todbaum werden die erhaltenen Geschenke gehängt. In Rathmannsdorf bei Schandau hat sich noch ein letzter Rest dieses alten Brauches insofern erhalten, als zu Ostern mit bunten Papierstreifen, Eierschalen u. s. w. aufgeputzte Birken als Osterbäume vor den Häusern aufgestellt werden. Doch ist ein Umzug oder ein Gesang nicht mehr damit verbunden.

Geographische Erinnerungen an die Ersäufung der Todpuppe finden sich in mehreren Benennungen, z. B. der Todhübel bei Ostrau, ein Waldsteig bei Kleinhennersdorf heißt der Todweg, ebenso der Todweg nördlich von Cunnersdorf.

Lobedanz.

Dieser Brauch des Todaustreibens war im Gebirge wohl am originellsten ausgebildet. Die anderen sogenannten Feste haben dergleichen Eigenarten nicht aufzuweisen. Nur ein ursprünglich wohl lokal ganz beschränktes Fest mag noch etwas näher betrachtet werden. Daß es schon aus recht alter Zeit stammt, mag wohl schon der seltsame, in seiner jetzigen Gestalt unverständlich gewordene Name „Lobedanz“ beweisen. Allerdings wird auf diesem Feste, wie ursprünglich wohl bei allen, auch getanzt; aber daraufhin darf man das Wort „danz“ nicht deuten. Vielmehr soll es Lob- und Dankfest heißen und ist ein kirchliches Fest, das 14 Tage nach Pfingsten — nach unsicherer Vermutung und Überlieferung — wohl entstanden ist, als die Orte Schöna und Reinhardsdorf von einer schweren Pest heimgesucht und dann davon befreit wurden oder überhaupt verschont geblieben waren. Nach der kirchlichen Feier folgt am Abend ein freier Tanz und dabei, jedenfalls mit besonderer Beziehung zu der Veranlassung des Festes, der „Blumentanz“. Blumen und Laubschmuck bleiben aber zur Erinnerung noch erhalten, bis vier Wochen darauf der „Rascheltanz“ damit aufräumt.

Mundart in der Sächsischen Schweiz.

Die in der Sächsischen Schweiz vom Volk gesprochene Mundart ist die obersächsische. Diese Mundart herrscht im größten Teile des nordwestlichen Sachsen und noch in die Provinz Sachsen hinein; ihre Südgrenze findet sich am höheren Erzgebirge, im Osten endigt sie an der Lausitzer Grenze. Der besondere Zweig dieser Mundart, der namentlich im Elbtal und in dem Sandsteingebirge verbreitet wird, ist die meißnische Mundart. Im Erzgebirge und im Lausitzer Gebirge haben sich besondere Mundarten entwickelt, in der Sächsischen Schweiz nicht. Trotzdem findet ein geübtes Ohr bald den Unterschied in der Sprache eines Talbewohners unterhalb Dresdens und eines Gebirgsbewohners aus den Dörfern oberhalb Königsteins heraus.

K. Franke gibt in der Sächsischen Volkskunde von Wuttke eine ganze Reihe von Wörtern, von denen er meint, sie kehrten in den meisten obersächsischen Mundarten wieder, z. B. apblatn (einzelne Blätter von den Kräutern nehmen), aptofln (ausschelten), ärpern (Kartoffeln), bärladsch (Filzschuh), bemme (ein flachgeschnittenes Stück Brot), betäpperd (verblüfft), blaudse (Brust), breedn (fertig bringen), tattrich (Zittern), debs (Lärm), tembrn (die Zeit vertrödeln), titsche (Sauce, Verlegenheit), towrich (schwül), tutch (dumm), eschrn (sich abmühen). Diese wenigen genügen hier, um den eigentümlichen Wortschatz dieser Mundart zu kennzeichnen. Es wird hier vielleicht noch besser am Platze sein, zum Schluß unserer ganzen Darstellung eine Probe der meißnischen Mundart und ganz besonders aus der Sächsischen Schweiz selbst zu geben. Wir entnehmen diese Probe einem älteren, immer noch sehr geschätzten Werke von K. Preusker (Blicke in die Vaterländische Vorzeit, Leipzig 1843, II. 56); und wenn auch die Schreib[S. 167]weise nicht mehr den neuen Anforderungen einer schärfer unterscheidenden Sprachwissenschaft genügt, so scheint uns doch eine Umschmelzung für unsere Darstellung nicht am Platze, namentlich da die Zeit der ersten Niederschrift Preuskers schon um 60 Jahre zurückliegt.

Abb. 149. Hochzeitszug bei Naundorf.
Liebhaberaufnahme von H. Engert in Dresden. (Zu Seite 160.)

Mundart der Elbgegend um Hohnstein und Wehlen.

Ein Steinbrecher bietet sich einer von der Bastei herabkommenden Gesellschaft als Führer an und erklärt nun das Bemerkenswerteste nach seiner Weise: „Wenn Se hier fremde sein duhn un nich wissen, wo der Wahk giht, su will ich Se führen, wenn Se wunn. Sähn Se hier ungen leit Roaden (Rathen) un doa uben leit eene oale Burg, weil Se oaber schune runger sein, doa wären Se nich erscht roan steign; man sieht nischt wedder als en oaln Durm, un drunger ees e Kaller. In oalen Zeiden han eemoal oale Ridder druben gewohnt, ich weeß oaber nischt darvunn, un’s gibt wull lange keene raichten me, wenn oach manche so duhn, als wärn’s welche. Uff dr linken Seite ees de Elbe; se hat wedder uben viäl Strum, doa missen se Ucksen firspann, wenn sie ni furt kinn. Ooch’s oale Dampfschiff (das zuerst erbaute) ees schund uft liegen gebliebn. ’s ies en schund raicht, weil se unsern Schiffleiden viäl Abbruch dhun. Jetzt sein mer bale unger der Bastei. Do iber uns is a Fels, der heeßt de Steenschloider, do haben de Raiber sonst Steene bis uff de Schiffe in der Elbe geschmissen, die se han beroben wunn; ’s is aber nicht wohr; ’s is gar weit nibber, un wenn mer von dort uben en Steen nider werfen dhut, kommt er nur e klee Stückel her un dhut gleich an Felsen runger fallen. Sähn Se, hier han mir Steenbrecher eene Wand gefällt, e Sticke dervund leit in der Elbe. ’s ees duch[S. 168] immer besser, als wenn’s uffn Steenbrechern liegen dhäte. Se globen mersch wuhl nich? Vor dreizen Jahren, ’s war grade na Fingsten, kamen eemoal dreizen unger eene sicke Wand, ochte waren glei dut geschmissen, oaber finfe wurden erschtn sechsten Toag rausgesoh’n. Ich hoa sälber mit gereimt. Un wie se raus kummen dhaten, doa kunnten se nich giähn, se läbten oaber noch, un weil se so hungrich gewiäßt waren, doa hatten se vun en duten Kammeraden e Stickel abgeschniden un gegässen. ’s is och in en Bichel gedruckt wurrn. Hier müßmer fix giähn, denn weil eene Doafel doa stiht (zur Warnung wegen sich lösender Sandsteinwände), doa werd wieder eene Wand fallen. Hernachens kummer uff eene Wiese, doa giht’s bässer, die ees ä Sticke geflastert (nämlich wegen darauf gefallener Sandsteine). Durt sähmer schund Willstädtel (Wehlen, Wehlstädel). Ich hoa oach eene Schwester durt, die hatte en Schiffmann, er dhate oaber in der Elbe ersaufen. De Kerche ees oach racht schihn, eegentlich summer nachen Kinsten (Königstein) giähn, oaber doas es zu weit, de Kinder mißmer oaber durt doafen lassen. Un durt uben, übern Stadtel, is oach en oales Schluß gewiäsen. Da hoat sich in e oales Gemeier vun de oalen Riddern ä Schuster eigebaut un dhut sich stulz druf. — Ich muß abber nu furt, denn weil ich kee Schild hoaben dhue, doa derf ich kennen urdentlichen Führer machen. Bis Berne (Pirna) ees es nuch anderthalb Stunden. Schloafen Se wuhl. ’s giht nu grade aus.“

Dergleichen Unterhaltungen und Belehrungen konnte man in früheren Zeiten auch von den privilegierten Führern hören. Gerade darum ist dieses Beispiel der Mundart hier am Platze, wo es sich nicht bloß um die richtige Erkenntnis der Natur, sondern auch um Mitteilungen aus der Volkskunde handelt. Das Führerwesen selbst wird aber auch wohl bald der Vergangenheit angehören. Denn wo eine Berglandschaft so bequem zugänglich gemacht ist und überall genügende Wegweiser hat, wo die bekanntesten Wege so viel begangen werden, und manche Teile parkartige Szenerien bieten: da ist der Naturfreund nicht mehr auf fremde Führung angewiesen und nimmt allein und ungestört die mannigfachen Schönheiten der Sächsischen Schweiz tiefer in sich auf denn sonst.

Schlussvignette

[S. 169]

Literatur.

[S. 170]

Verzeichnis der Abbildungen.

Abb.
 
Seite
1. 
Der Liebethaler Grund. Lochmühle
2
2. 
Dresden von der Marienbrücke gesehen
3
3. 
Altes Landhaus bei der Bahnwiese. Oberlößnitz
4
4. 
Groß-Sedlitz bei Pirna. Schloßgarten
5
5. 
Die Begerburg im Plauischen Grunde
6
6. 
Schloß Scharfenberg bei Meißen
7
7. 
Dohna
8
8. 
Schloß Weesenstein
9
9. 
Weesenstein vom Belvedere aus
11
10. 
Die Albrechtsburg in Meißen
13
11. 
Kötzschenbroda-Niederlößnitz
14
12. 
Hosterwitz bei Pillnitz
15
13. 
Keppmühle im Keppgrunde bei Hosterwitz
17
14. 
Loschwitz
18
15. 
Loschwitz
19
16. 
Pavillon auf Körners Weinberg in Loschwitz, wo Schiller wohnte
20
17. 
Talsiedelungen und Felsformen. Lößnitzgrund
21
18. 
Jagdschloß Moritzburg
22
19. 
Partie aus Brießnitz
23
20. 
Meißen
25
21. 
Der Dom und die Albrechtsburg in Meißen
26
22. 
Die große Appellationsstube in der Albrechtsburg zu Meißen
27
23. 
Die Königl. Porzellan-Manufaktur in Meißen
28
24. 
Drehen, Formen und Gießen in der Königlichen Porzellan-Manufaktur zu Meißen
29
25. 
Malersaal der Königl. Porzellan-Manufaktur zu Meißen
30
26. 
Porzellanbrennofen der Königl. Porzellan-Manufaktur zu Meißen
31
27. 
Meißener Gefäße in Scharffeuerfarben
32
28. 
Das Mädchen aus der Fremde. Erzeugnis der Königl. Porzellan-Manufaktur zu Meißen
33
29. 
Der Große Markt in Meißen
34
30. 
Rote Stufen in Meißen
35
31. 
Dresden von der Bärbastei. 1820
36
32. 
Hof im Königl. Schlosse zu Dresden
37
33. 
Der Altmarkt mit dem Rathause zu Dresden
38
34. 
Pirnaischer Platz in Dresden
39
35. 
Neustädter Markt in Dresden
40
36. 
Großer Ballsaal im Königl. Schlosse zu Dresden
41
37. 
Gobelinzimmer im Königl. Schlosse zu Dresden
42
38. 
Arbeitszimmer des Königs von Sachsen
43
39. 
Palais und Teich im Großen Garten zu Dresden
44
40. 
Der Zwinger in Dresden. Gesamtansicht
45
41. 
Der Zwinger in Dresden
46
42. 
Äußere Ansicht des Zwingers
47
43. 
Der Zwingerteich in Dresden
48
44. 
Die Frauenkirche in Dresden
49
45. 
Ansicht von Dresden mit der Alten Brücke
51
46. 
Belvedere und Landeplatz der Dampfschiffe in Dresden
52
47. 
Treppe zur Brühlschen Terrasse in Dresden
53
48. 
Die katholische Hofkirche und das Königl. Schloß in Dresden
54
49. 
Die heilige Nacht. Gemälde von Correggio in der Dresdener Galerie
55
50. 
Die Madonna mit dem heiligen Georg. Gemälde von Correggio in der Dresdener Galerie
56
51. 
Der Zinsgroschen. Gemälde von Tizian in der Dresdener Galerie
57
52. 
Die Sixtinische Madonna. Gemälde von Raffael in der Dresdener Galerie
58
53. 
Maria mit dem Jesusknaben. Gemälde von Murillo in der Dresdener Galerie
59
54. 
Der Galeriehof des Königl. Schlosses zu Dresden
60
55. 
Die Gemäldegalerie in Dresden. Fassade nach dem Theaterplatz
61
56. 
Die Königl. Kunstakademie in Dresden, von der Neustadt gesehen
62
57. 
Die Königl. Kunstakademie in Dresden. Ausstellungsbau
63
58. 
Das Hofopernhaus in Dresden
64
59. 
Das Königliche Schloß und die Wettinsäule in Dresden
65
60. 
Weber-Denkmal in Dresden
66
61. 
Das Japanische Palais in Dresden
67
62. 
Die Kreuzschule und das Körner-Denkmal in Dresden
68
63. 
Der Hauptbahnhof in Dresden
69
64. 
An der Elbe bei Königstein. Zeichnung von Adrian Zingg. 1766
70
[S. 171] 65. 
Schandau. Nach einem kolorierten Stich von Adrian Zingg
71
66. 
Ausblick von der Bastei elbaufwärts
73
67. 
Der Lilienstein
74
68. 
Bodenbach und die Schäferwand
75
69. 
Tetschen und Obergrund
76
70. 
Schloß zu Tetschen
77
71. 
Der Schreckenstein
78
72. 
Die Elbe bei Niedergrund
79
73. 
Die Elbe bei Wehlen, flußaufwärts gesehen
80
74. 
Gasthaus an der Dürrkamnitz
81
75. 
Die Grundmühle
82
76. 
Die Wilde Klamm
83
77. 
Wilde Klamm. Dreyfußfelsen
84
78. 
Im Edmundsgrunde. Winterstimmung
85
79. 
Die Edmundsklamm
86
80. 
Herrnskretschen, von der Elbe gesehen
87
81. 
Herrnskretschen. Talsiedelung
89
82. 
Die Obere Schleuse
91
83. 
Partie aus dem Kirnitzschtal bei Hinter-Hermsdorf
92
84. 
Die Buschmühle im Kirnitzschtal
93
85. 
Lichtenhainer Wasserfall
94
86. 
Der Hockstein
95
87. 
Hohnstein und das Polenztal
96
88. 
Die Königskiefer über dem Polenzgrunde
97
89. 
Der Eingang in den Liebethaler Grund
98
90. 
Schloß Lohmen
99
91. 
Der Zscherregrund
100
92. 
Die Basteibrücke, vom Ferdinandstein gesehen
101
93. 
Die Schwedenlöcher
102
94. 
Grundriß der Felsplatte des Gorisch
103
95. 
Die Kleine Gans
104
96. 
Der Amselfall
105
97. 
Der Talwächter am Großen Dom
106
98. 
Eisgrotte in der Weberschlüchte
107
99. 
Bad Schweizermühle
108
100. 
Die Herkulessäulen bei Bad Schweizermühle
109
101. 
Die Barbarine beim Pfaffenstein
110
102. 
Felsenturm an der Heiligen Stiege
111
103. 
Am Wildschützensteige
112
104. 
Der Bloßstock, fälschlich Blaustock; alleinstehender Felsen
113
105. 
Zuckerhut am Gabrielensteig im Prebischgrunde
114
106. 
Felsentor im Uttewalder Grund
115
107. 
Tyssaer Wände nach Franzens Aussicht
116
108. 
Eingang zur Götzinger-Höhle (Diebeskeller) am Bärenstein
117
109. 
Der Naundorfer Bärenstein mit schräger Klüftung, rechts schräge und senkrechte Klüftung wechselnd
119
110. 
Im Tal oberhalb des Großen Domes
120
111. 
Aussicht von den Schrammsteinen
121
112. 
Aussicht vom Hohen Torstein über die Schrammsteine, Ostertürme, Schrammtürme und Dreifingerturm
123
113. 
Das Pechofenhorn am Zeughauswege
125
114. 
Verwitterung des Sandsteins auf dem Gorisch
126
115. 
Höhlenartige Auswitterungen am Fuße des Gorisch
127
116. 
Der Kuhstall
128
117. 
Der Kleinstein
129
118. 
Rostfarbene Auswitterungen am Thürmsdorfer Diebeskeller (Götzinger-Höhle)
130
119. 
Schwammartige Auswitterungen oberhalb des Großen Domes
131
120. 
Auf dem Hohen Schneeberg
132
121. 
Der Gorisch
133
122. 
Auf dem Gipfel des Gorisch
134
123. 
Der Pfaffenstein. Gesamtansicht von Südwesten gesehen
135
124. 
Stadt und Festung Königstein
136
125. 
Die Schrammsteine
137
126. 
Dittersbach
138
127. 
Das Prebischtor und der Rosenberg
139
128. 
Am Rauschentor bei Schmilka
140
129. 
Schmilka
141
130. 
Das Felsentor auf dem Neurathen
142
131. 
Bastei von der Elbseite
143
132. 
Rathen
145
133. 
Ernte bei Weißig
146
134. 
Steinbruch in der alten Posta
147
135. 
Steinbruch in der alten Posta
148
136. 
Steinbruch in der alten Posta
149
137. 
Pirna und der Sonnenstein
151
138. 
Sebnitz
152
139. 
Topographischer Plan der Festung Königstein
153
140. 
Stadt und Festung Königstein
155
141. 
Schandau
157
142. 
Die alte Burg Wehlen um 1755
158
143. 
Wehlen
159
144. 
Stadt und Schloß Hohnstein, vom Hockstein
161
145. 
Hohnstein
162
146. 
Altes Häuschen im Dorfe Wehlen
163
147. 
Altes Haus im Dorfe Wehlen
164
148. 
Bauer aus Weißig
165
149. 
Hochzeitszug bei Naundorf
167

[S. 172]

Register.

Dekoration
Karte von Dresden und der Sächsischen Schweiz


GRÖSSERES BILD

Linker oberer Teil der Karte

Rechter oberer Teil der Karte

Linker unterer Teil der Karte

Rechter unterer Teil der Karte