The Project Gutenberg eBook of Gemälde und ihre Meister

This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.

Title: Gemälde und ihre Meister

Author: Arnold Reimann

Release date: April 13, 2019 [eBook #59275]

Language: German

Credits: Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GEMÄLDE UND IHRE MEISTER ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der 1921 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und inkonsistente Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert.

Die Verweise unter den Bildern zum betreffenden Abschnitt im Text wurden vom Bearbeiter eingefügt. Fußnoten wurden der Übersichtlichkeit halber an das Ende des jeweiligen Abschnitts verschoben.

Passagen in Antiquaschrift werden im vorliegenden Text kursiv dargestellt. Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original gesperrt gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt erscheinen.

Gemälde
und ihre Meister

MITARBEITER:

Prof. Dr. Emil Benezé * Dr. Edgar Byk * Dr. Friedrich Düsel * Dr. Johannes Eckardt * Dr. Gertrud Fauth * Geh. Hofrat Max Grube * Prof. Dr. Georg Lehnert * Felix Lorenz * Lyzeallehrer Willy Manig * Prof. Dr. Carl Muth * Dr. Wilh. Niemeyer * Dr. Max Osborn * Fritz v. Ostini * Maximilian Rapsilber * Stadtschulrat Dr. Arnold Reimann * Fränze Eleonore Röcken * Dr. Hans Rupé * Dr. Franz Servaes * Fritz Stahl * Felix Frhr. v. Stenglin * Gertrud Triepel * Paul Gerhard Zeidler * Fedor v. Zobeltitz * Dr. Paul Zucker

Gemälde
und ihre Meister

Mit erklärenden Texten berufener
Führer und Freunde der Jugend
sowie einem Geleitwort von

Dr. Arnold Reimann
Stadtschulrat in Berlin

Löwen-Logo

VERLAG VON RICH. BONG IN BERLIN

Alle Rechte, auch das der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten.

Copyright 1921 by Verlag von Rich. Bong in Berlin.

Druck von Julius Brandstätter, Leipzig C 1


[S. v]

Geleitwort

Nicht mit Unrecht klagt man über eine Entseelung unseres Volkskörpers und sieht in der Mechanisierung des Lebens, in der ideenlosen Jagd nach materiellen Gütern und äußerem Erfolg, in dem Mangel an wahrer innerer Kultur und Persönlichkeitspflege zwar vielleicht natürliche, aber sehr verderbliche Folgen einer überhasteten industriellen und volkswirtschaftlichen Entwicklung und zugleich auch mitwirkende Ursachen unseres Zusammenbruches. Wir haben in der Tat alle Veranlassung, die Grundlagen unserer Kultur auf das ernsteste zu prüfen und in gewissenhafter Selbstbesinnung nach Vertiefung unseres Daseins, nach neuem seelischem Gehalt, nach Ideen und Stimmungen zu suchen, die das Leben wieder lebenswert machen.

So sinken denn die Naturwissenschaften mit ihren Aufklärungstendenzen in der Schätzung der Einsichtigen, es beginnt in der Philosophie die Metaphysik, in der Religion die gottsuchende Mystik sich zu regen, die Geschichte strebt von der Spezialisierung fort zu denkender Gesamtbetrachtung, eine Erneuerung des politischen Gewissens hebt an, und auch die Kunst besinnt sich allmählich auf ihre eigentliche Aufgabe: seelisches Bedürfnisse zu befriedigen, sich dem Schönen, Erhabenen und Großen zuzuwenden und über die Niederungen des Alltäglichen und Gemeinen zu den Höhen der Empfindung zu führen; zugleich möchte sie wieder das innerste Sehnen und Schauen des Genius offenbaren und das tiefste Lebensgefühl der Nation zum unmittelbaren und selbstverständlichen Aus[S. vi]druck bringen. Sie will an dem seelischen Gesundungsprozeß teilnehmen, eine Quelle werden innerer Erneuerung und wahrer Kultur; sie will ein Erlebnis sein und die edelsten Kräfte entbinden, sie will den Menschen zum wahren Menschen bilden und über alle wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede hinaus der Emporentwicklung der Volksgemeinschaft dienen. Und wenn auch einige der neueren Richtungen in der Kunst — und nicht nur der bildenden Kunst — der Zerrissenheit unseres Inneren gar zu hohen Tribut zollen und noch nicht Führer zu einer harmonischen Weltanschauung sein können, sondern das Grelle, Sensationelle, Stürmische, Revolutionäre in Formen darbieten, die auf ein gesundes Gefühl abstoßend wirken, so interpretieren sie nur — soweit sie überhaupt echt sind — den Lebensinhalt unserer Zeit nach vorübergehenden Stimmungen, und halten für ewig, was der tieferen Beobachtung und dem sicheren Gefühl nur als Schaum einer flutenden Welle erscheint. Darin aber sind sie mit denen einig, die mit voller Hingebung das Schöne suchen, das sie zur reinen Anschauung führen wollen; d. h. sie streben wie alle großen alten Meister in jeder Kunst danach, einen psychischen Vorgang auszulösen, der für den modernen Menschen in der Musik und im Schauspiel leichter, in der Architektur, Plastik und Malerei aber schwer zu erreichen ist: daß nämlich Stoff, Inhalt und Form, Idee und Darstellung, Ton und Sinn, Farbe, Kontur und künstlerische Absicht zu voller, unbewußter Harmonie sich verschmelzen, also daß der Verstand sich gefangen gibt, die Seele aber ergriffen, ja erschüttert wird, daß das Kunstwerk lebt und zu einem Erlebnis wird. Und auch darin stimmen heute alle Künstler überein, daß unsere Gesamtkultur sich mit künstlerischem Geiste durch[S. vii]dringen müsse, daß Kunst Volkseigentum sei und nicht mehr ein Vorrecht der gebildeten und besitzenden Stände bleiben dürfe. In der Tat, sie muß in allen Formen und Erscheinungen des Lebens zum Vorschein kommen, das ganze Dasein durchdringen, vom Wollen und Fühlen des gesamten Volkes getragen werden; in seinem Kreise, in seinem Berufe muß ein jeder zum künstlerisch schaffenden, d. h. von Ideen durchleuchteten, nach Harmonie strebenden, die Form beherrschenden Menschen werden; dann erst werden wir wieder Kultur haben. Und mag dieses Ideal, wie jedes, auch unerreichbar sein, mögen auch die großen Künstler stets einsam, stets Geistesaristokraten bleiben, so muß doch mindestens die Fähigkeit, Kunst zu verstehen und zu genießen, Gutes vom Schlechten, Wahres vom Unechten zu unterscheiden, Feierstunden der Seele zu haben, die das Leben veredeln und über die Nöte des Alltags erheben, unserem Volke wieder anerzogen und zu einem Allgemeingute werden.

Von solchen Gesichtspunkten aus sind, wie die Volkstheater und Lesehallen, wie die populären Konzerte und der Kampf gegen Kino und Schund, auch die neueren Bestrebungen der Wander- und Schulkunstausstellungen zu bewerten; so will auch unser Buch beurteilt werden.

Es wendet sich zunächst an das empfängliche Gemüt der Jugend; ihr vor allem will es ein Wegweiser sein zu dem Schönen und Erhabenen. Es will den Kindern Ehrfurcht beibringen vor dem Genius, vor der gewaltigen, rätselhaften Kraft der Persönlichkeit, die aus dem tiefsten Drang des Unbewußten schafft, und vor dem Werk, in dem der große Künstler lebt mit seinem Hoffen und Streben, mit seinem Wollen und Können, mit der Tiefe seines Gefühls in Leid und Lust, in Ernst und Laune, mit[S. viii] seiner Sehnsucht und dem Frieden, den er erringt oder nicht erringen kann. Die Stimmungs- und Aufnahmefähigkeit zu erwecken mit all den seelischen Folgen, die sich daran knüpfen, nicht fertige Urteile „in den Busen zu stoßen“, war die Aufgabe. Zum Sehen müssen die Kinder angeleitet und zur unmittelbaren Einfühlung erzogen werden. Sie sollen selbsttätig bleiben und das Erlebnis des Künstlers nachempfinden; sie sollen das im Bilde Gegebene innerlich nachschaffen und sich so zum unverlierbaren Eigentum machen; sie sollen es durch Gefühl und Phantasie zu neuem Leben erwecken und im innersten Herzen sprechen: Wie ist das schön! Dann ist der Boden bereitet, und ein Samenkorn echter Kultur in ihn gebettet.

Unsere Erläuterungen gehen demnach davon aus, was wirklich auf dem Bilde zu sehen ist. Die Kinder interessiert ja auch zunächst das rein Stoffliche; erst, wenn der Gegenstand ganz verstanden und mit Freude aufgenommen ist, kann man auf seine Gestaltung, auf Form, Komposition, Linienfluß, Farbe, Licht und Schatten eingehen, d. h. auf die Bewältigung des Stoffes, das eigentlich Künstlerische. Beim Gegenständlichen muß aber langweilige Beschreibung vor allem vermieden werden. Darum sind die Bilder meistens dramatisch behandelt, d. h. in Vorgang und Handlung umgesetzt worden. Dabei ergab sich von selbst die Charakterisierung der Personen und die Einfühlung in die Natur- oder Milieustimmung. Alles sollte lebendig werden. Auch der Meister selbst und die Idee und Seelenlage, aus der heraus er schuf. Das Kunstwerk soll begriffen werden als ein Stück Natur, gesehen und geadelt durch eine starke Persönlichkeit. So ist denn der psychischen Einstellung des Künstlers,[S. ix] seinem Wesen und seiner Eigenart und dem, was er zum Ausdruck bringen, gerade hier erreichen wollte, mehr Raum gegönnt, als dem äußeren Lebens- und Bildungsgang oder gar künstlerischen Abhängigkeiten und Entwicklungslinien, obwohl gelegentlich auch hier das Nötige zur Erklärung nicht fehlt. Das Kind soll den Maler liebgewinnen, und wenn es zunächst auch nur ein Bild von ihm sieht, doch einen klaren Begriff von dem Mann und seinem Wollen bekommen, von den Idealen, denen er nachstrebte und der Art, wie er seinem Innenleben Form zu geben verstand. Und dabei hat nicht der sezierende Verstand des grübelnden Denkers und nicht die Gelehrsamkeit des wissensreichen Kunstforschers den Griffel geführt, sondern das liebevolle Verständnis des erfahrenen Pädagogen oder des begeisterten Kunst- und Jugendfreundes, der sich in die Kindesseele zu versetzen und die jugendliche Auffassungskraft und Interessensphäre richtig einzuschätzen weiß.

Darum hoffen wir auch, daß unsere Gabe gewiß manchem Lehrer willkommen sein wird, der mit seiner Klasse ein Museum besuchen will oder bei Gelegenheit Unterricht dieses oder jenes Bild zu erläutern, auf die Bedeutung des einen oder andern großen Malers einzugehen sich berufen fühlt. Zwar sind Kunsterziehungstage nicht mehr Mode, und andere Schlagworte sind an die Stelle des Rufs nach ästhetischer Erziehung getreten, aber jenseits aller wechselnden Strömungen des Tages bleibt die Wirkung auf das Gemüt der Jugend, die Weckung und Stärkung der Seelenkräfte, die Pflege des Verständnisses für das Große und Ehrfurchtgebietende in aller Geschichte und nicht zuletzt auch für Wesens und Art der Heimat eine der Hauptaufgaben des[S. x] Erziehers. Und dazu möchte auch dieses Buch an seinem bescheidenen Teile helfen. Und so werden auch Väter und Mütter, die im Hasten des Tages die frühere Fühlung mit der Kunst verloren haben, zu dem Buche greifen, um ihren Kindern Rede und Antwort stehen und ihnen rechte Berater zum Schönen und Edlen werden zu können.

Aber noch mehr: Wenn die Erneuerung des inneren Lebens, von der wir im Eingang gesprochen haben, wirklich so nötig ist, wie wir glauben, wenn die Kunst in der Tat ein Gebiet ist, auf dem man sich rein als Mensch fühlen darf und allen Klassenkampf, alle Erdenschwere und Lebensnot vergißt, wenn sie der Religion so nahesteht, daß auch sie Seelenruhe und Geistesfrieden zu geben imstande ist, dann möchten wir wünschen, daß dieses Buch in die breiten Schichten des Volkes komme. Es gibt so viele, die der Kunst ferner stehen, aber eine Ahnung von ihrer Bedeutung haben, die sich nach „des Lebens Bächen, ach nach des Lebens Quellen“ sehnen; ihnen möchten wir Wegweiser zu einem Jungbrunnen werden, der Frische und Erquickung bringt, von innerer Not erlöst und zu allem Guten fähig macht. Um diesen Weg in die Massen frei zu machen und so der großen Kulturaufgabe zu dienen, ist der Preis des Buches so billig wie möglich gestellt, trotz würdiger Ausstattung.

Verstehen kann das Buch jeder. Wir glauben, die richtigen Bearbeiter gefunden zu haben und sind ihnen dankbar für die Lösung der Aufgabe; es sind Namen von hohem Klang in ihrer Reihe. Fern von aller Plattheit ist der Ton auf wahre Popularität gestellt: wirkliche Kenner äußern sich in formvollendeter und allgemeinverständlicher Art. Auch die Auswahl der Bilder wird auf Beifall rechnen dürfen. Es sind die größten Meister seit dem[S. xi] Ausgang des Mittelalters in typischen Beispielen vertreten. Wir haben uns nicht auf die Deutschen beschränkt; die Kunst ist international, und die Großen haben stets voneinander gelernt; bei allen westeuropäischen Kulturvölkern findet sich zarte Innigkeit und dämonische Kraft, immer wieder hervorbrechende Hingabe an die Natur und eine gleiche Wucht der Charakteristik, ähnliche Strömungen in der Bewertung des antiken Vorbilds, im Sinn für Farbe und Form. Hier sind nun die Größten der letzten Jahrhunderte von Giotto bis zu Thoma, Uhde, Liebermann, Hodler und Segantini zu einem gewaltigen Konzert vereinigt, aus dessen Harmonien die hehre Melodie von den ewigen Werten wahrer Kunst immer wieder herausklingt. Und wenn dabei die deutsche Kunst im Vordergrunde steht, so entspricht das nicht nur unserem natürlichen Empfinden, sondern wir dürfen mit Stolz bekennen: wir haben zwar selten den Ton angegeben, aber doch zu allen Zeiten Meister hervorgebracht von solcher Tiefe und so herrlicher Größe, daß wir hinter keiner anderen Nation zurückstehen.

So möge denn dieses Buch auch die Freude am Vaterlande und den Glauben an eine glücklichere, an eine gute Zukunft stärken!

Dr. Arnold Reimann.


GRÖSSERES BILD

Die Sixtinische Madonna

Raffael Santi
1483–1520

Gemäldegalerie
Dresden

I

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Der Zinsgroschen

Tizian
um 1477–1576

Gemäldegalerie
Dresden

II

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Die heilige Nacht

Correggio
1494–1534

Gemäldegalerie
Dresden

III

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Die Nachtwache

Rembrandt van Rijn
1606–1669

Rijks-Museum
Amsterdam

IV

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Die Hochzeitsreise

Moritz von Schwind
1804–1871

Schackgalerie
München

V

Zum Text

Photographische Gesellschaft, Berlin


GRÖSSERES BILD

Gefilde der Seligen

Arnold Böcklin
1827–1901

Nationalgalerie
Berlin

VI

Zum Text

Kunstverlag Franz Hanfstaengl, München


GRÖSSERES BILD

Medea

Anselm Feuerbach
1829–1880

Neue Pinakothek
München

VII

Zum Text

Photographische Union, München


GRÖSSERES BILD

Das Tischgebet

Fritz von Uhde
1818–1911

Musée du Luxembourg
Paris

VIII

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Der heilige Franziskus predigt den Vögeln

Giotto di Bondone
1266–1337

Oberkirche
Assisi

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Maria im Rosenhag

Stephan Lochner
um 1400–1451

Wallraff-Richartz-Museum
Köln a. Rh.

2

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Der Frühling

Sandro Botticelli
1446–1510

Accademia
Florenz

3

Zum Text

Kunstverlag Rich. Bong, Berlin


GRÖSSERES BILD

Das heilige Abendmahl

Leonardo da Vinci
1452–1519

Refektorium des Klosters Sa. Maria delle Grazie
Mailand

4

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Christus am Kreuz

Matthias Grünewald
1470–1529

Museum
Kolmar i. Els.

5

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Selbstbildnis

Albrecht Dürer
1471–1528

Alte Pinakothek
München

6

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Das Paradies

Lukas Cranach d. Ä.
1472–1553

Kunsthistor. Sammlungen
Wien

7

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Die Erschaffung des Lichts

Michelangelo Buonarroti
1475–1564

Sixtinische Kapelle
Rom

8

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Das Konzert

Giorgione
um 1477–1511

Pitti-Galerie
Florenz

9

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Landschaft aus den Voralpen

Albrecht Altdorfer
1480–1538

Alte Pinakothek
München

10

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Kaufmann Georg Gisze

Hans Holbein d. J.
1497–1543

Kaiser-Friedrich-Museum
Berlin

11

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Bauernkirmes

Pieter Brueghel d. Ä.
1525–1569

Kunsthist. Sammlungen
Wien

12

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Die Hochzeit zu Kana

Paolo Veronese
1528–1588

Gemäldegalerie
Dresden

13

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Laokoon

El Greco
1548–1614

Privatbesitz

14

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Löwenjagd

Peter Paul Rubens
1577–1640

Alte Pinakothek
München

15

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Hille Bobbe

Frans Hals
1580–1666

Kaiser-Friedrich-Museum
Berlin

16

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Infantin Maria Theresia

Diego Velásquez de Silva
1599–1660

Kunsthistor. Sammlungen
Wien

17

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Die unbefleckte Empfängnis

Bartolomé Esteban Murillo
1618–1682

Louvre
Paris

18

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Der Tanz

Jean Antoine Watteau
1684–1721

Neues Palais
Potsdam

19

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Der Markusplatz in Venedig

Antonio Canaletto
1697–1768

Fürstl. Liechtensteinsche Galerie
Wien

20

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Herzogin von Devonshire mit ihrem Töchterchen

Sir Joshua Reynolds
1723–1792

Im Besitz des Herzogs von Devonshire
Chatsworth

21

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Napoleon auf dem St. Bernhard

Jacques Louis David
1748–1825

Museum
Versailles

22

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Der Regenbogen

Kaspar David Friedrich
1774–1840

Museum
Weimar

23

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Frühlingsmorgen

Jean Baptiste Camille Corot
1796–1875

Museum
Avignon

24

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Das Ständchen

Carl Spitzweg
1808–1885

Schackgalerie
München

25

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Angelus

Jean François Millet
1814–1875

Louvre
Paris

26

Zum Text

Photographische Union, München


GRÖSSERES BILD

Die Tafelrunde

Adolf Menzel
1815–1905

Nationalgalerie
Berlin

27

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Der Sankt-Stephansturm in Wien

Rudolf Alt
1812–1905

Privatbesitz

28

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Thusnelda im Triumphzug des Germanicus

Karl Theodor von Piloty
1826–1886

Neue Pinakothek
München

29

Zum Text

Photographische Gesellschaft, Berlin


GRÖSSERES BILD

Wie die Alten sungen

Ludwig Knaus
1829–1910

Nationalgalerie
Berlin

30

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Stiergefecht

Edouard Manet
1832–1883

Privatbesitz

31

Zum Text


GRÖSSERES BILD

Place du Théâtre Français

Camille Pissarro
1830–1903

Privatbesitz

32

Zum Text

Kunstverlag Franz Hanfstaengl, München


GRÖSSERES BILD

Das letzte Aufgebot

Franz von Defregger
1835–1921

Kunsthistor. Sammlungen
Wien

33

Zum Text

Photographische Gesellschaft, Berlin


GRÖSSERES BILD

Vorlesung

Lourens Alma-Tadêma
* 1836

Sammlung Balcer
Baltimore

34

Zum Text

Kunstverlag Rich. Bong, Berlin


GRÖSSERES BILD

Im Herbst

Johann Christian Kröner
1838–1911

Gemäldegalerie
Dresden

35

Zum Text

Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart


GRÖSSERES BILD

Die Flucht nach Ägypten

Hans Thoma
* 1839

Städelsches Kunstinstitut
Frankfurt a. M.

36

Zum Text

Photographische Gesellschaft, Berlin


GRÖSSERES BILD

Bäuerinnen in der Kirche

Wilhelm Leibl
1844–1900

Privatbesitz
Worms

37

Zum Text

Photographische Gesellschaft, Berlin


GRÖSSERES BILD

Netzflickerinnen

Max Liebermann
* 1849

Kunsthalle
Hamburg

38

Zum Text

Verlag Rascher & Cie., Zürich


GRÖSSERES BILD

Der Frühling

Ferdinand Hodler
1853–1918

Folkwang-Museum
Hagen i. Westf.

39

Zum Text

Photographische Union, München


GRÖSSERES BILD

Ave Maria

Giovanni Segantini
1858–1899

Galleria Moderna
Rom

40

Zum Text

[S. 1]

Der heilige Franziskus predigt den Vögeln
Von Giotto di Bondone

Geboren um 1266 in Colle bei Vespignano, gestorben 8. Januar 1337 in Florenz. — Oberkirche in Assisi

Bild 1

Wenn wir die innerste Seele dieses zarten Legendenbildes erfassen wollen, so finden wir zu ihr den Weg wohl am besten, wenn wir uns von den Legenden, die sich um den heiligen Franz von Assisi bildeten, erzählen lassen, wie der heilige Franz den Vögeln predigte. Schon die ersten Biographen des heiligen Franz, Thomas a Celano und Franziskus von Bonaventura, erwähnten, was die Legende dann noch weiter ausschmückte: Der heilige Franz war mit dem Bruder Masseo und dem Bruder Angelo auf dem Wege zwischen Cannara und Bevangna. Er sah einige Bäume am Wege stehen, und in diesen Bäumen war — wie die Legende berichtet — eine Mannigfaltigkeit der Heerscharen von allen Arten von Vögeln, die bisher niemals in dieser Gegend gesehen worden waren. Und eine große Menge befand sich auf dem Felde unter den Bäumen. Als der heilige Franz diese ganze Masse sah, kam der Geist Gottes über ihn, und er sagte zu den Jüngern: „Wartet hier auf mich, ich will hingehen und unseren Brüdern, den Vögeln, predigen.“ Und er trat auf das Feld hinaus zu den Vögeln, die auf der Erde saßen. Und sobald er anfing zu predigen, flogen alle die Vögel, die auf den Bäumen saßen,[S. 2] zu ihm nieder, und keiner von ihnen rührte sich, obgleich er so dicht zwischen sie hinging, daß seine Kutte mehrere von ihnen anrührte. Der heilige Franz aber sagte zu den Vögeln: „Meine Brüder, die Vögel! Ihr seid nun Gott viel Dank schuldig und müßt ihn immer und überall loben und preisen, weil ihr frei fliegen könnt, wo ihr wollt, und für euere doppelte und dreifache Kleidung und für euere bunte und zierliche Tracht und für das Futter, für das ihr nicht zu arbeiten braucht und für die schöne Gesangstimme, die der Schöpfer euch geschenkt hat. Ihr säet nicht und erntet nicht. Gott aber ernähret euch und gibt euch Flüsse und Quellen, um daraus zu trinken, und Berge und Hügel, Felsen und Klippen, um euch darin zu verstecken, und hohe Bäume, um Nester darauf zu bauen, und obgleich ihr weder spinnen noch weben könnt, gibt er doch euch sowohl als eueren Jungen die nötigen Kleider. Also liebt euch der Schöpfer sehr, da er euch so große Wohltaten erwiesen hat. Hütet euch daher wohl, meine Brüder, die Vögel, daß ihr nicht undankbar seid, sondern befleißigt euch stets darauf, Gott zu loben.“

Nach diesen Worten des heiligen Vaters aber fingen alle jene kleinen Vögel an, ihre Schnäbel zu öffnen, mit den Flügeln zu schlagen, den Hals zu strecken und ihre Köpfchen ehrerbietig zur Erde zu neigen, und mit ihrem Gesang und ihren Bewegungen zeigten sie, daß die Worte, die der heilige Franz gesagt hatte, sie sehr erfreuten. Der heilige Franz aber jubelte im Geiste, als er dieses sah, und wunderte sich über so viele Vögel und über deren Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit und darüber, daß sie so zahm waren, und er lobte den Schöpfer dafür und forderte sie mit Sanftmut auf, den Schöpfer selbst zu loben. Und als der heilige Franz seine Predigt[S. 3] und seine Aufforderung, Gott zu preisen, beendigt hatte, machte er das Kreuzeszeichen über alle jene Vögel. Und sie alle flogen auf einmal auf und zwitscherten wunderbar und stark und verteilten sich darauf und flogen fort. —

So wie aus der Überlieferung um die Gestalt des heiligen Franz aus dem Volke die schlichte Blume der Legende erblühte, so formte sich in Giotto der bildhafte Ausdruck dieses zarten, in Gott versunkenen Naturerlebnisses. Schöner als die Legende, mit verwandterem Geiste als dem ihren, ließe sich kaum das rein Stoffliche des Bildes erzählen. Ergriffen von der schlichten Größe des Themas, das der Künstler gestalten sollte, fand er, sicher unbewußt, aus der ganzen naiven starken Begabung seiner Künstlerschaft heraus, eine Form der Darstellung, die so viele Reize birgt, daß es sich lohnt, besonders auf sie hinzuweisen, um so das Auge für die Feinheit dieser Kunst zu schulen und das Erlebnis dieses Bildes aus der ganzen Kunst, die es wiedergibt, zu vertiefen.

Von links naht der heilige Franz mit einem seiner Brüder. Die beiden Gestalten sind nicht bis in die Mitte des Bildes vorgerückt; hinter ihnen steht ein spärlicher Baum, dem gegenüber sich ein viel größerer, wuchtigerer erhebt. Er mag das Blätterdach bergen, in dem sich all die Vögel verborgen hielten, die nun zum heiligen Franz hinflogen. Diese stärkere Herausarbeitung der Natur, der Giotto in der Raumanordnung des Bildes die größere Fläche zuwies, bewirkt, daß man unwillkürlich die äußere Form, die das Nahen des heiligen Franz darstellt, als den Ausdruck jener ergriffenen Ehrfurcht empfindet, mit der der Heilige die Natur, die Bäume und die Vögel sah. Der Baum, in dem die Vögel nisteten, neigt sich zu den beiden Mönchsgestalten und stellt so die innige[S. 4] Verbindung zwischen der Natur und dem Heiligen dar, eine Feinheit in der Anordnung, die der Künstler noch dadurch erhöht, daß einer der Vögel im Bilde dargestellt wird, wie er eben aus der Baumkrone zu den anderen Vögeln, die bereits auf dem Boden dem Heiligen zueilen, hinflattert. Alles ist Bewegung, die in Ehrfurcht zu den Füßen des Heiligen hinstrebt, eine Bewegung, die so geradlinig dargestellt wird, daß sie die ganze innere Naivetät, Ursprünglichkeit, Freudigkeit der sich dem Heiligen zuneigenden Natur ausdrückt.

Und der Heilige selbst? Seine gebückte Haltung, das Neigen seines heiligen Hauptes drückt jene ehrfürchtige Demut aus, mit der er in der Natur, in den Vögeln, Gottes Herrlichkeit erlebte. Seine Gestalt ist dadurch kleiner geworden als die des ihn begleitenden Mönches, dessen gerade Haltung, dessen Hand, die sich überrascht ausstreckt und wie scheu abwehrend die Handfläche darbietet, mehr ein Erstaunen ausdrückt, als jene heilige Innigkeit des Erlebnisses, die aus dem heiligen Franz hervorleuchtet. Diese Verschiedenheit der Größen beider Gestalten, ihrer Haltungen, ihres Zusammenhanges mit dem Naturvorgang des ganzen Bildes lassen uns sofort nachfühlen, wie der eine dieser Mönche in seiner heiligen kindlichen Größe den anderen überragt. Mit welcher Güte streckt der heilige Franz den Vögeln seine linke Hand entgegen! Auch sie öffnet sich. Sie drückt aber nicht das Erstaunen aus, sondern jene herzliche selbstverständliche Güte, die an sich zieht, die eine Vertrautheit ausdrückt und die Kraft hat, all die scheuen Sänger der Natur an sich zu fesseln. Auch der Blick des heiligen Franz stellt jene seelische Ergriffenheit, jene unausdrückbare Macht des Heiligen dar. Giotto formte[S. 5] aber nicht nur diese Kraft der gütigen Bezwingung der Natur, dieses mit ihr Einssein, sondern gibt dem ganzen Bilde eine ins Göttliche gerichtete Tendenz durch die Haltung des rechten Armes des Heiligen: während, wie schon erwähnt, der linke die Vögel an sich zieht und mit weicher Güte sie als Brüder anzusprechen scheint, weist die rechte Hand zum Himmel hinauf, als wollte sie sagen: ich will euch zu mir führen, damit ihr euch durch mich zu Ihm findet, der euch und mich erschaffen hat. Zarter, wundervollen ergreifender und selbstverständlicher ließe sich kaum dieses gütige Herzurufen, dieses sich Einsempfinden und Hinaufführen, Hinaufweisen zum Herrn der Welten ausdrücken. Diese ungemein zarte Religiosität des Bildes gibt ihm die Kraft einer selbstverständlichen Bezwingung, die aus sich heraus in ihrer schlichten Größe wirkt, die nicht beschwert erscheint durch Überladung, die nur die Sehnsucht, das Kindliche, Ursprüngliche der zum Himmel strebenden christlichen Seele formt.

Wer dieses Bild Giottos so sieht und aus dem Bilde zu dem Geiste vordringt, aus dem heraus es geworden ist und umgekehrt wieder aus dem Erlebnis der Gestalt des Heiligen, die nichts Gewolltes, nichts Gequältes, nichts Gekünsteltes, sondern nur den Ausdruck eines ganz in sich gekehrten und geschlossenen Lebens, trotz seiner Schlichtheit die unerhörte Größe einer Tat darstellt, dem ist es ohne weiteres klar, daß der Künstler Giotto nicht als der nachbildende Schüler antiker Überlieferungen, sondern als der ursprüngliche naturhafte Ausdruck einer elementaren Begabung angesehen werden darf, die trotz der Einfachheit ihrer technischen Fertigkeit eine Größe ausdrückt, die aus der Größe und Stärke ihres inneren Erlebnisses sich selbst zum Siege durchrang.

[S. 6]

Aus diesem inneren Drang Giottos muß man seine ganze Kunst verstehen. Sie ist in diesem Sinne der Ausdruck seiner Zeit, seines Volkes, das die alten Schranken verstaubter Vorrechte niedergerissen und sich selbst aus einem neuen Erlebnisse der Ewigkeitswerte zu erneuern begann. Dieser geschichtliche Werdeprozeß, aus dem als führende Persönlichkeit Franz von Assisi hervorleuchtet, hat, da er das ganze Volk erfüllte, auch künstlerische Kräfte ausgelöst, die bestrebt waren, mit den überkommenen Formen der Fertigkeit zu brechen und aus einem eigenen persönlichen Wollen heraus die innere Not und Sehnsucht der Zeit zu gestalten.

Giottos Bild vom heiligen Franz, wie er den Vögeln predigt, gehört in die Folge der Szenen aus der Franziskuslegende, die der 1266 geborene und 1337 verstorbene Künstler für die Oberkirche zu Assisi malte. Sie beweisen bereits seine starke, über die Überlieferung seiner Zeit hinauswachsende Eigenart und versinnbildlichen vor allem jenen Geist seiner Generation, der, erfüllt von all der Sehnsucht nach einer neuen Zeit, die sich in dem Heiligen von Assisi verkörperte, das Leben innerlich umzuformen begann. Was in den Legenden um den heiligen Franz von Assisi Poesie geworden ist, das wurde in den Franziskusbildern Giottos bildhafte Form. Aus ihnen quillt der Geist einer aus der inneren Erneuerung aufblühenden Zukunft, die stark genug ist, in jeder Hinsicht — ob es sich um gesellschaftliche, staatliche, soziale oder künstlerische Umwandlungen handelt — das Alte zu überwinden und sich selbst aus der Sehnsucht in die Erscheinung zu formen.

Johannes Eckardt.

[S. 7]

Maria im Rosenhag
Von Stephan Lochner

Geboren um 1400 in Meersburg am Bodensee, gestorben 1451 in Köln. — Städtisches Museum in Köln

Bild 2

Höheres bildet
Selber die Kunst nicht, die göttlich geborne,
Als die Mutter mit ihrem Sohn.
Schiller, Braut von Messina

An den Madonnenbildern, den Darstellungen der Mutter Gottes mit und ohne Kind, hat sich die christliche Kunst aller Zeiten je nach den wechselnden Anschauungen versucht und ihre höchsten Triumphe gefeiert. Schon im 2. und 3. Jahrhundert schufen sich die von den römischen Kaisern verfolgten Christen in den Katakomben, ihren unterirdischen Begräbnis- und Gottesdienststätten, Marienbilder, meist allerdings noch in frei erfundener Gesichtsbildung. Eine gewisse Bildnistreue wird erst von den sogenannten Lukasbildern angestrebt, Madonnen als Fürbitterinnen in betender Stellung, die nach der christlichen Legende vom Evangelisten Lukas nach dem Leben gemalt sein sollen, in Wirklichkeit jedoch Gemälde byzantinischen Ursprungs sind. Daneben geht aber noch ein anderer Typus einher und auch in die abendländische Kunst über: die Mutter in Vorderansicht stehend oder thronend, mit Kopfschleier und weit offenen Augen, das Kind vor der Brust oder auf dem Schoß haltend, häufig von Engeln, später auch von Heiligen umgeben. In dieser streng kirchlichen Auffassung wurde die Madonna zum beliebtesten[S. 8] Altarbild des späteren Mittelalters. Allmählich aber suchten die Menschen sie näher an sich heranzuziehen, in Maria das Mütterliche, im Jesulein das Kindliche stärker zu betonen. Da begegnen uns dann ab und zu schon Madonnenbilder, auf denen das Kind mit der Mutter spielt oder sich mit gleichaltrigen Engeln vergnügt. Diese beiden Auffassungen laufen nun friedlich nebeneinander her: als himmlische Frau, häufig zum feierlichen Sinnbild der Kirche erhoben, tritt Maria dem Gläubigen von oben in aller Schönheit und Hoheit entgegen, mit beglückendem Lächeln, die Krone auf dem Haupt; als Jungfrau Maria, mit dem Jesusknaben im Schoß oder an der Brust, weilt sie, eine Mutter unter Müttern, mitten unter den Menschen, als wollte sie teilnehmen an ihren Freuden und Leiden. Die geistige Schönheit und seelische Innigkeit wird dabei noch gewahrt, am eindringlichsten und erhabensten von dem frommen Florentiner Mönch und Maler Guido di Pietro, der sich nach seinem Kloster in Fiesole bei Florenz Fra (= Frater, Bruder) Giovanni da Fiesole oder Beato Angelico nannte (1387–1455), am innigsten bei den flämischen und kölnischen Meistern um 1400. Als dann aber die Renaissance, die Wiedergeburt des klassischen Altertums, von Italien her sich immer weiter verbreitete, regte sich mehr und mehr das Bedürfnis, die hehre Frau zur irdischen Mutter werden zu lassen, der sich das Kind in holdseliger Anmut oder rührender Bedürftigkeit hingibt, also statt der geistigen Verklärung die strahlende irdische Schönheit und den frauen- oder mädchenhaften Liebreiz zu betonen.

Die mittelalterliche Frömmigkeit hat in den Bildern der kölnischen Maler noch gelebt, als anderswo schon ein neuer Geist sich regte. Köln am Rhein, eine allzeit[S. 9] getreue Tochter der Kirche, war eben die mächtige Hochburg römischen Geistes im deutschen Wesen. Und dieser kirchliche Ortsgeist hat sich somit auch der Malerschule ausgeprägt, vor allem ihrem Haupt, dem Meister Wilhelm, der von 1358–1372 in Köln arbeitete. In Köln lebten und lehrten damals die großen Mystiker, Prediger und Dichter gottinniger Frömmigkeit: Albertus Magnus, Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse (Suso), Apostel derselben Lehre, die in Italien der heilige Franziskus von Assisi verkündet hatte. Eine irdische Liebesglut dringt in die Marienverehrung. War Maria bis dahin eine ernste, erhabene Königin gewesen, so erscheint sie jetzt als herzliebe Fraue, hold, lieblich, hauchzart, in sich selber selig. Die starre Erhabenheit macht der milden Güte, die strenge Feierlichkeit der empfindungsvollen Zärtlichkeit Platz; Maria, die ewige Jungfrau, wird die Seelenbraut des einsamen Geistlichen, der ihr Treue bis zum Tode hält. Unerschöpflich ist die geistige Dichtung jener Zeit in der Erfindung zärtlicher Beinamen für Maria. Hauptsächlich sind es Blumennamen, z. T. aus dem Hohen Liede, die ihr beigelegt werden. Sie ist die Rose ohne Dornen, die Lilie sondergleichen; sie ist die edle Rebe, der Zedernbaum, der Ölbaumast, der edle Garten von Jesse; sie ist das blühende Reis am Dornbusch, die Myrte der Enthaltsamkeit. Und diese lyrisch weiche Stimmung verpflanzt sich nun auch in die Malerei. Mit Recht hat man die Kölner Schule das Minnelied der alten deutschen Malerei genannt.

Die meisten heiligen Bilder der Kölner sind uns ohne den Namen ihres Malers überliefert. Außer dem schon erwähnten Meister Wilhelm von Herle, der „Achse der niederrheinischen Kunstgeschichte“, wie Goethe ihn nennt, tritt[S. 10] als festere Künstlergestalt nur noch Stephan Lochner hervor, das zweite Haupt der Schule.

Wenig wissen wir von Lochners äußerem Leben. Nur daß er in Meersburg am Bodensee geboren ist, sich 1442 in Köln ansiedelte, 1448 von seiner Zunft als Senator in die Stadtregierung geschickt wurde und 1451 dort starb. Sein berühmtestes Werk ist das Kölner Dombild mit der Anbetung der heiligen drei Könige und der Verkündigung, das er erst gegen Ende seines Lebens gemalt hat; eine Schöpfung voll Lebenswahrheit und würdevoller Anmut, von der auch der kühl zurückhaltende alte Goethe entzückt war. Schüchtern dringen bei Lochner weltliche Elemente ein; seine Wesen schlagen sozusagen die Augen auf und entdecken, daß dies irdische Jammertal eigentlich recht schön ist. Und weil sie sich wohlfühlen auf Erden, sind sie auch schon ein wenig eitel geworden und sehen auf hübsche Kleider und kostbaren Schmuck. Mit der Weltfreudigkeit ist bei diesen Malern auch die Farbenfreudigkeit erwacht. Völlige Einheit zwischen Zeichnung und Farbe suchen wir freilich auch bei Lochner noch vergebens; die Farben, meistens wunderbar leuchtend, treten erst hinzu, wenn das Bild fertig ist, so daß man manchmal statt Gemälden kolorierte Zeichnungen vor sich zu haben glaubt.

Weit, groß oder gar gewaltig ist Lochners Kunst nicht. Die Schrecken des Jüngsten Gerichts zu malen, war ihm nicht gegeben. Desto entzückender weiß er die zarte Schwärmerei der Marienverehrung auszudrücken. Er malt die Jungfrau, wie sie lauschend die feine, schmalfingerige Hand emporhebt, um die leise geflüsterten Worte des Engels der Verkündigung besser zu hören; er gibt der Madonna ein Veilchen in die Hand; er läßt die Mutter Gottes neben der Krippe, draus Ochs und Esel fressen, vor[S. 11] dem neugeborenen Kinde knien, mit einer rührend schlichten und innigen Gebärde der Anbetung.

Die Krone seiner Madonnendarstellungen aber ist die Maria im Rosenhag. Das war eine alte, dem mystisch zarten Betrachtungsleben des späteren Mittelalters entsprungene Auffassung, die Maria, die mystische Rose, inmitten eines (oft von Vögeln belebten) Rosengartens kniend, häufiger noch sitzend zeigt, mit dem Jesusknaben und von Engeln bedient. Im Gegensatz zu andern, nüchterneren Bildern dieser Art (z. B. Schongauers Maria in der Rosenlaube) atmet das Lochners innigste religiöse Wärme, so daß man es als die klassische Ausprägung des alten Themas bezeichnen darf. Da hebt sich aus dem leuchtenden Goldhintergrunde ein zartes, wie aus Glas gesponnenes Laubengitter heraus, durchrankt von Lilien (den Sinnbildern der Reinheit) und roten Rosen (den Sinnbildern der Liebe und Schönheit). Maria, in einen weitfaltigen himmelblauen Mantel gehüllt, sitzt darunter auf einer Rasenbank und hält auf ihrem Schoß das nackte Jesuskind, dessen blondgelocktes Köpfchen von einer breiten goldenen Gloriole umgeben ist. Auf dem Haupte, über dem von schlichtem blondem Haar umrahmten liebreizenden Antlitz trägt sie eine zierlich gearbeitete kostbare Krone, auf der Brust unter dem Ausschnitt eine Spange, ein Kleinod, das mit dem Einhorn, dem Sinnbild der Unschuld, geziert ist[A]. Und ein Bild mädchenhafter Unschuld ist sie selbst, diese züchtig den Blick niederschlagende, schämig befangene junge Mutter, die das Wunder auf ihrem Schoß so behutsam anfaßt, als fürchte sie, es zu zerbrechen.[S. 12] Das Christuskind aber sitzt ganz unbefangen kindlich da, im linken Patschhändchen ein rosig angehauchtes Äpflein, das es wohl von einem der sieben geflügelten Engel empfangen hat, die sich anbetend, bewundernd oder zutraulich schenkend über die Bankbrüstung zu ihm neigen. Aber damit nicht genug der Huldigung. Auch auf dem mit blauen, roten und gelben Blumen gesprenkelten Rasen kauern Engel mit apfelrunden Kindergesichtchen und spielen dem Jesulein mit Orgel, Harfe, Laute und Zupfgeige ein liebliches Konzert vor, wie es unsre alten Marienlieder so gern beschreiben:

Vom Himmel hoch, o Engel, kommt!
Eia, eia, susanni, susanni, susanni!
Kommt singt und klingt, kommt geigt und trommt.
Alleluja, alleluja!
Von Jesu singt und Maria.
Kommt ohne Instrumente nit,
Bringt Lauten, Harfen, Geigen mit,
Laßt hören eure Stimmen viel,
Mit Orgel und mit Saitenspiel.
Die Stimmen müssen lieblich gehn
Und Tag und Nacht nicht stillestehn ...

Doch auch von oben her nimmt die himmlische Liebe teil. Gott Vater selbst läßt die weiße Taube des heiligen Geistes herabflattern, und zwei schwebende Engel, die den goldbrokatenen Vorhang raffen, blicken segnend nieder auf Mutter und Kind und ihre himmlischen Gespielen.

Das alles, zumal die Blumenranken, die Schmuckstücke, die Engelsflügel, die Musikinstrumente, ist in schmelzartig klaren Farben mit dem gewissenhaftesten Fleiß und der größten Sorgfalt durchgearbeitet und zeugt von einem Künstlergemüt, das keinen Pinselstrich ohne Liebe und fromme Andacht tun konnte.

[S. 13]

Lochner oder Meister Steffen, wie die Mitwelt ihn nannte, kam früh zu Ansehen und Ruhm. Schon der große Maler Albrecht Dürer, als er 1521 auf seiner niederländischen Reise durch Köln fuhr, ließ sich für zwei Weißpfennige (= 18 Kupferpfennige) das Dombild „aufsperren“. Dann überschattete zwar drei Jahrhunderte lang die Renaissancebewunderung, die mehr auf Pracht und Erhabenheit sah, die holdselige Einfalt der altdeutschen Maler; als aber die Brüder Boisserée in Köln zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Werke der alten niederrheinischen Meister durch ihre Sammlung vor der Vernichtung zu retten begannen, kam gleich dem Meister Wilhelm, mit dem er damals oft verwechselt wurde, auch Stephan Lochner wieder zu Ehren. Ja, die deutschen Romantiker, besonders die Brüder Schlegel, feierten in ihm das Ideal ihrer auf altdeutschem Boden wandelnden Kunstanschauungen und spielten es als erwünschtes Gegenbild gegen Raffaels Schöpfungen aus. Viele der Alt-Kölner Bilder gelangten dann durch den kunstliebenden König Ludwig I. von Bayern in die Münchener Pinakothek; die Maria im Rosenhag aber blieb ihrer Vaterstadt Köln erhalten und ist dort noch heute eine der Hauptzierden des Städtischen Museums.

Friedrich Düsel.

[A] Eine alte Legende erzählt von der Jagd des Engels Gabriel auf ein Einhorn und wie dieses Schutz gefunden habe im Schoße der heiligen Jungfrau.

[S. 14]

Der Frühling
Von Sandro Botticelli

Geboren um 1446 in Florenz, gestorben 17. Mai 1510 ebendort. — Accademia in Florenz

Bild 3

Frühling! Wer würde nicht zu lichten Höhen reiner Freude emporgetragen bei dem Gedanken an den Lenz, den Bringer der Hoffnung, den Spender der Lust! Kein Fühlender kann sich dem holden Zauber des Auferstehungsfestes in der Natur entziehen. Mit leuchtenden Augen schauen wir die tiefen Geheimnisse im Walten und Werden, und unsres Staunens ist kein Ende.

Wenn der Föhn — ein warmer trockner Südwind in den Schweizer Alpen — mit tosendem Brausen die Bergketten durchtobt und des Winters starre Herrschaft mit wilder Gewalt zerbricht, dann ist der Frühling nicht mehr fern. Vom Süden her streicht ein warmer Odem über die Erde dahin, und der Menschen Herzen sind von wonnigen Ahnungen erfüllt. Langsam steigt der glühende Himmelsball höher und höher. Überall, in Bergen und Tälern, in Wald und Feld, in Hecken und Gärten erwacht tausendfältiges Leben, heimliches Werden. Zahllose Quellen und Bächlein bahnen sich ihren Weg durch Wiesen und Fluren; silberhell sprudeln die Wasser, und das erste schüchterne Grün leuchtet im Glanze junger Sonne. Mit schmetterndem Sange schwingt sich die Lerche zu den Wolken empor, den Lenz, den mächtigsten Zauberer, mit jauchzendem Jubel zu grüßen. Ein Wunder gebiert das andere! Unter dem winterlichen Laub stecken die frühen Blumen zag und[S. 15] sachte die Köpfchen hervor. Da, über Nacht, sind die Fluren plötzlich mit strahlenden Frühlingsboten übersät; die gestern noch schlummernde Erde ist in einen prangenden Blütenteppich verwandelt. Zuerst, gleichsam als Herolde, kommen die Schneeglöckchen. Sie läuten den Frühling ein. Bald folgen Anemonen und Himmelsschlüssel, Zyanen und Gänseblümchen, Windröschen und Tausendschönchen; dazwischen verborgen duftende Veilchen. Sie alle wollen mit ihrer Farben Glanz und ihres Duftes Süße das erwachende Leben bekränzen. Heller leuchtet die Sonne an solchem Frühlingstag, würziger weht die Luft und höher schlägt das Herz; überall, allüberall vernehmen wir den Pulsschlag der rastlos schaffenden Erde, die sich als Priesterin der Schönheit am Auferstehungsfeste mit den reichsten und köstlichsten Gewändern schmückt. In seinem sinnigen Gedichte „Lenz“ singt Felix Dahn von des Frühlings schöpferischer Macht und Zauberkraft:

Die Finken schlagen,
Der Lenz ist da,
Und keiner kann sagen,
Wie es geschah!
Er ist leise kommen
Wohl über Nacht,
Und plötzlich entglommen
In alter Pracht!

Diese Pracht und Herrlichkeit, die uns einmal alljährlich beglückt, hat auch den Meister Sandro (Alexander) Botticelli, der während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (1446 bis 1510) in der italienischen Stadt Florenz lebte, zu so hoher Begeisterung hingerissen, daß er uns diesen herrlichen Farbenhymnus an den Frühling dichtete. In dem zauberreichen Gemälde zeigt er uns das ewige[S. 16] Wunder der Schöpfung, wie es sich in seiner Phantasie malte. In uns, den Beschauern, will er die gleichen Gefühle der Erhebung und Erneuerung wecken, die mit des Frühlings Einzug seine Seele beglückten. In jedem Lande der Erde hat der Frühling ein eigenes Gesicht; in allen Zonen aber ist er von märchenhafter Prachtenfaltung in der Natur begleitet. Botticelli nun schildert uns den Frühling, wie ihn sein Künstlerauge in seiner toskanischen Heimat sah. Er folgte der Stimme des Herzens und malte, was seine Phantasie bewegte:

Im Mittelgrunde des Bildes erblicken wir eine feengleiche Frauengestalt, Venus, die Göttin der Liebe. Wie eine Königin schreitet sie daher, voll Hoheit und Würde. Der purpurne, golddurchwirkte Mantel ist herabgesunken, er wird von der linken Hand leicht gerafft, während er lässig über den rechten Arm hinabgleitet, der wie in segnender Gebärde erhoben ist. Das Antlitz der Liebeskönigin ist von holdseligem Lächeln verklärt; um das leicht geneigte Haupt fließt in sanften Linien ein goldgewebter Schleier, die edle Stirn verrät hoher Gedanken Flug.

Ganz vorn im Bilde, zur Linken der Liebesgöttin, schreitet Flora, die Priesterin des Frühlings, eine schlanke, liebliche Frauengestalt. Ihr wehendes Gewand ist mit Blüten geschmückt, ihre Lenden umschmiegt ein köstlicher Gürtel rankender Wildrosen. Wie eine Juwelenkette trägt sie als Halsschmuck einen Kranz frischer, üppig blühender Wiesenblumen. Auf der linken Seite bewegen sich in rhythmischem Tanz drei Grazien, die vor der Frühlingsgöttin einen Reigen aufführen. Ihnen voran schreitet als Herold Merkur, den holden Frauen den Weg zu bereiten. Er ist der Bote der Götter. An den Füßen trägt er beflügelte Schuhe, in der erhobenen Rechten schwingt er den[S. 17] Caduceus, den Zauberstab, der vorn zwei verschlungene, mit den Köpfen einander zugekehrte Schlangen zeigt. Merkur ist mit der Chlamys, einem leichten Übergewand, bekleidet und mit dem Krummschwert bewehrt. Als Abschluß nach rechts sehen wir Zephyr, den Gott der säuselnden Winde; mit flatterndem Haar und Mantel, aufgeblasenen Wangen und zusammengezogenen Augenbrauen hascht er nach einer vor ihm herfliehenden Mädchengestalt, die er in neckischem Spiel zu fangen sucht. Sie wendet sich, den Kopf leicht seitwärts gebeugt, in abwehrender Bewegung nach ihrem Verfolger zurück. Auch mit ihrem Gewand und Haar treibt der Wind sein Spiel. Aus ihrem Munde sprießen, wie aus einem Füllhorn, Blütenzweige von Kornblumen und Rosen; denn der Sage nach wurde alles in Blumen verwandelt, was mit Flora oder ihren Gespielinnen in Berührung kam, nachdem sie von Zephyr besiegt waren. Amor, zu Häupten der Liebesgöttin, spannt den Bogen und sendet zündende Pfeile nach der Gruppe der tanzenden, holden Mädchen hin, deren Glieder von leichten Schleiern verhüllt sind. Wie von einer prächtigen Kulisse ist die Wiese rückwärts von blühendem Lorbeer, von Myrten- und Orangebäumen umsäumt, deren dunkle Stämme sich gegen die Lichtgestalten wirkungsvoll abheben.

Die Hauptfigur des Gemäldes ist die Frühlingsgöttin, die alle Blicke fesselt und leichtfüßig über den blumigen Wiesenboden dahinschreitet. Ihr Blondhaar ist mit Primeln und Zyanen durchflochten, aus ihrem Schoß streut sie leuchtende Blüten über die erwachende Erde hin.

Die wunderbare sinnbildliche Darstellung auf den Frühling hängt in der Accademia, der Gemäldegalerie zu Florenz. Sie ist eine der Schöpfungen, die den Ruhm Botticellis in der ganzen Welt verbreitet hat. Die geistige Ver[S. 18]tiefung, der wir auf fast allen Bildern des Meisters begegnen, die Zartheit und Grazie seiner überschlanken Gestalten verrät den Maler, der schon frühzeitig eigene Wege suchte und sich von dem überkommenen Kunstideal seiner Zeitgenossen abwandte. Überall in seinen Werken läßt sich die Eigenart der Auffassung erkennen. Sie sind fast ausnahmslos mit erstaunlicher Beherrschung der technischen Mittel und großer Fertigkeit gemalt.

Der märchenhafte holde Hymnus auf den Frühling wird stets dieselbe Begeisterung hervorrufen, wie die mythologischen Phantasien und die Madonnenbilder Botticellis. Mit heiligem Eifer hat er sich dem Studium des klassischen Altertums und hier wieder ganz besonders der Mythologie gewidmet. Die mythologisch-allegorischen Stoffe, die er zum Vorwurf künstlerischer Darstellung wählte, hat er aufs glücklichste mit dem Zauber der Poesie umwoben. Durch seine Werke weht etwas vom Hauch des lyrischen Dichters, der uns in das Reich der Romantik entführt. Diesen Geist atmen auch fast alle seine Madonnenbilder, die er mit eigenem Reiz und zarter Grazie schmückt. Ich erinnere hier nur an eines der schönsten, die ideale Darstellung der heiligen Jungfrau mit dem Kinde, das berühmte „Magnificat“ in den Uffizien zu Florenz.

Botticelli suchte, auch wenn er Maria mit dem Kinde malte, mit einfachen Mitteln zu dem Beschauer zu sprechen. Niemals wollte er, trotz des feierlichen Ernstes in jedem Antlitz, die Madonna als die unerreichbar ferne, unendlich erhöhte Gottesmutter darstellen, sondern wie eine wirkliche Mutter, die für alle Schmerzen ihrer Kinder ein allzeit verstehendes, gütiges Herz hat.

Besonders seine Frauengestalten tragen einen ganz eigenen, schwermütigen Charakter. Um ihre Gesichter in ihrem[S. 19] herben, sinnigen Ernst schwebt etwas so Eindrucksvolles und Typisches, was sich in ähnlicher Eigentümlichkeit bei keinem anderen Künstler wiederfindet. Der seelische Glanz seiner Figuren prägt sich so unvergeßlich ein, daß man oft vergleichsweise von „botticellesken Gestalten“ spricht. Sie haben etwas von dem Symbol der Keuschheit, obgleich ein zarter Reiz reiner Sinnlichkeit zu dem Beschauer hinweht; das Haupt ist von wallenden Locken umrahmt, die Züge sind edel und durchgeistigt, der schwellende Mund und die fragenden Augen verraten etwas von ungestillter Sehnsucht und leisem Schmerz, der sich in jener verklärten Güte löst, die ihren Blicken entstrahlt.

Vasari, der uns das Leben der berühmten italienischen Meister des 15. und 16. Jahrhunderts geschildert hat, erzählt uns auch einiges aus Botticellis Werdegang. Alessandro, mit dem Kosenamen Sandro genannt, war der Sohn des Mariano Filipepi, eines Florentiner Bürgers. Der Vater ließ dem Knaben nach den Begriffen der damaligen Zeit eine sorgfältige Erziehung angedeihen, aber unser Sandro war, wie uns berichtet wird, kein Musterschüler und fand wenig Freude am Lernen. Weder im Schreiben und Lesen, noch im Rechnen brachte er es vorwärts. Da kam der Vater, der um Sandros Zukunft besorgt war, auf den Gedanken, den Jungen zu Botticello, einem Meister der Goldschmiedekunst, der in hohem Ansehen stand, in die Lehre zu schicken. Hier zeigte Sandro wider Erwarten viel Geschick und Eifer, Fleiß und Fertigkeit im Zeichnen und bat den Vater, der die Neigung des Sohnes inzwischen erkannt hatte, ihn Maler werden zu lassen. Nach seinem Lehrmeister Botticello hat er sich später Botticelli genannt. Er wurde von einem Karmelitermönch, dem berühmten Meister Fra Filippo del Carmine[S. 20] in die Geheimnisse der Malkunst eingeführt, und bald sollte es sich herausstellen, daß Sandro auf dem rechten Wege war. Rasch entfaltete sich sein Talent und brachte ihn rüstig vorwärts. Sein langes Leben war reich an künstlerischem Schaffen und zeitweilig auch an äußeren Erfolgen, wenngleich Botticelli nie eigentlich auf der Menschheit Höhen wandelte. In seinen letzten Lebensjahren war er ganz einsam geworden und widmete sich fast ausschließlich der Vollendung der Zeichnungen zu Dantes erhabener Dichtung „Divina Commedia“ (Göttliche Komödie). Von Botticellis Hand stammen 96 Blätter; davon sind allein 88 im Besitz des Kupferstichkabinetts zu Berlin. Er hat den gewaltigen Stoff mit den reichen Mitteln seiner Kunst und ganzer Seele zu erfassen und zu durchdringen gesucht. Nur ein eingehendes Studium, das höchste innere Sammlung voraussetzte, konnte die Phantasie des alternden Künstlers zu dieser hervorragenden Leistung beflügeln.

Botticelli starb am 17. Mai 1510 im Alter von 64 Jahren, hilflos und fast verarmt, von seinen Zeitgenossen bei Lebzeiten beinahe völlig vergessen. Seine irdische Hülle ruht in der Kirche Ognissanti zu Florenz. Erst dem 19. Jahrhundert war es vorbehalten, Botticellis Schaffen in ein helles Licht zu stellen und seine künstlerische Bedeutung richtig zu erkennen und zu würdigen.

Paul Gerhard Zeidler.

[S. 21]

Das heilige Abendmahl
Von Leonardo da Vinci

Geboren 1452 in Vinci bei Florenz, gestorben 2. Mai 1519 auf Château Cloux bei Amboise. — Refektorium des Klosters Sa. Maria delle Grazie in Mailand

Bild 4

Das weltberühmte Hauptwerk des Leonardo da Vinci ist uns nicht so überliefert, wie unsere Abbildung vermuten lassen könnte. Das wunderbare Bild, bei dem Leonardo das Wagnis unternahm, mit Ölfarben unmittelbar auf die Mauer zu malen, um besonders starke farbige Wirkungen zu erzielen (während man sonst bei solchen Arbeiten andere, praktisch besser brauchbare Malmittel, vor allem Temperafarben, verwendet) — es ist heute nur eine Ruine. Klagend, doch hilflos stehen die Kunstfreunde seit Jahrzehnten vor dem verfallenden Gemälde, dessen Farbschichten man nach und nach zerbröckeln und von der Wand sinken sah, ohne den fortschreitenden Zerstörungsprozeß wirksam aufhalten zu können. Um einen Begriff von der ursprünglichen Gestalt und Herrlichkeit des Werkes zu erlangen, das wir mit Trauer allmählicher Vernichtung preisgegeben sehen, muß man die glücklicherweise in großer Zahl vorhandenen Kopien von Leonardos Schülern und Nachfolgern, sowie die Studienzeichnungen, die der Meister selbst vor der Arbeit und hernach Jüngere nach dem vollendeten Gemälde gemacht haben, hinzunehmen. Mit Unterstützung solcher Hilfsmittel haben hervorragende Meister des Kupferstichs große Blätter geschaffen, die uns nun in der Tat eine treue Vorstellung[S. 22] von dem Mailänder Original vermitteln, wenn sie auch freilich die Schönheit seiner farbigen Harmonien, die unwiederbringlich verloren bleiben, nicht ersetzen konnten. Ihnen dankt es die Gegenwart, wird es die Zukunft danken, daß wenigstens ein Abglanz von der ewigen Pracht dieser Schöpfung erhalten blieb.

Es war das Refektorium, der Speisesaal des Klosters, in dem Leonardo sein Bild, auf eine der Schmalwände des langgestreckten Raumes, malte. Darum wählte er dies Thema: wenn die Mönche sich an ihren Tischen zum bescheidenen Mahle versammelten, sollte ihr Blick auf diese Darstellung des heiligen Abendmahls fallen. Das Gemälde wurde am oberen Teile der Wand angebracht[B], damit auch alle, die sich im Saal befanden, die biblische Handlung sehen konnten. Leonardo hat dabei die Architektur des Raumes, seine Wände und seine flache Decke auf dem Gemälde weitergeführt, so daß der Saal größer zu werden schien und vor den Augen der frommen Brüder die Vision aufstieg, als sitze Christus selbst und die Apostel mit ihnen zu Tische. Der Künstler wählte den Augenblick, da Jesus die inhaltschweren Worte zu seinen Jüngern spricht, daß einer unter ihnen sei, der ihn verraten werde. Die Erregung und Bestürzung der Getreuen ist der eigentliche Vorwurf der Schilderung. Mit einer großartigen Kunst der Komposition hat Leonardo die dreizehn Männer, die er auf der einen Seite der langen Tafel vereinigte, angeordnet. Er löste sie in Gruppen auf: in der Mitte, genau in der Achse des breiten Rechtecks, vor dem mittleren der drei Fenster des Hintergrundes, durch die der Blick in eine freie lombardische Landschaft schweift, Christus selbst — rechts[S. 23] und links von ihm zweimal gesonderte Gruppen von je drei Gestalten. In immer neuen Haltungen und Bewegungen drücken die Jünger ihr Erstaunen, ihr Entsetzen, ihre Trauer über die tragische Mitteilung aus, die ihnen geworden, beteuern sie ihre Unschuld. Als rechte Italiener benutzen sie dabei ihre Hände zu lebhaftem, vielsagendem Gebärdenspiel (auf diese Sprache der Hände hat Leonardo immer gern Nachdruck gelegt). Es ist, als wenn die einzelnen sagen wollten: Sieh, ich werde es gewiß nicht sein; ich kann es nicht sein; blicke in meine Seele, die dir in lauterer Treue ergeben ist. Die Gruppe rechts am Ende der Tafel bespricht den Fall unter sich; damit die Verbindung mit den anderen aber nicht unterbrochen wird, streckt die dritte Figur von rechts ihre Hand weithin nach links über die Tafel. Man verfolgt mit Staunen, wie der Künstler in immer neuen Erfindungen jedesmal die Drei zusammengefügt hat. Dabei sind alle von einem Geiste beseelt. Nur Judas, der dritte links von Christus, an dem Geldbeutel kenntlich, den er in der Hand hält, hebt sich aus der Menge heraus. Mit dem starren Erschrecken des bösen Gewissens blickt er Jesus an, doch so, daß kein anderer der Jünger es bemerkt. Mit feiner Absicht ist der niedrigen Verräterei des Judas in derselben Drei-Gruppe die innige Hingabe des jungen Johannes unmittelbar gegenübergestellt. Alles strebt in leidenschaftlicher Erregung von rechts und links zum Hauptpunkt der Komposition, der wunderbar schlichten und milden Figur Christi, der die Hände einfach ausstreckt, um zu bestätigen, daß er die furchtbare Wahrheit gesagt; der, umstrahlt von einem zarten Licht, das ihn von der Seite und von den Rückfenstern trifft, sich unmerklich als der Gesandte einer höheren Welt aus diesem Kreise sterblicher Menschen her[S. 24]aushebt. Die ganze Wirkung ist auf solche Kontraste gestellt: die Jünger in Bewegung, Christus in vollkommener Ruhe; die Jünger fast alle im Profil, während das Antlitz des Heilands uns voll zugewandt ist — auch dadurch den Mittelpunkt der bewegten Masse betonend. Das große Gesetz der klaren, sorgsam abgewogenen Anordnung, dem sich die Malerei der italienischen Renaissance auf ihrer Höhe unterwirft, ist hier an einem klassischen Beispiel durchgeführt: daß alles im Bilde auf das Zentrum des Vierecks hindeutet. Dies ist hier der Kopf Christi. Zu ihm führen nicht nur die Blicke und Bewegungen der Apostel, sondern auch die Linien der Arme der Jesusgestalt selbst, deren Oberkörper als ein gleichseitiges Dreieck erscheint, und die Balkenlinien der perspektivisch verkürzten Decke. So wurde der gesteigerte seelische Ausdruck des leidenschaftlichen Lebens, der die ganze Schar erfaßt hat, durch die festen Gesetze einer strengen Komposition zu einer großen Ruhe zusammengefaßt, welche die Erregung bändigt und das Erzählende der Darstellung zu monumentaler Wirkung emporführt.

Leonardo hat das Abendmahl im Jahre 1498 vollendet. Es gehört der letzten Phase der fast zwanzigjährigen Arbeitszeit an, die er in Mailand im Dienste und unter der Förderung von Lodovico Sforza, dem allmächtigen Herrn der Stadt, verbrachte. 1482 war er mit einem Geschenk des Lorenzo de Medici von Florenz nach Mailand gesandt worden. Denn dort, in Florenz, hatte Leonardo, der als der Sohn eines Florentiner Juristen in dem kleinen Orte Vinci bei Empoli, unweit Florenz und Pisa, im Jahre 1452 geboren war, seine Jugend verlebt. Als der älteste der drei gewaltigen Meister der Renaissance steht er neben Michelangelo und Raffael — als die reichste, machtvollste[S. 25] Erscheinung zugleich dieses ganzen unvergleichlichen Zeitalters. Vielleicht hat die Natur niemals ein einzelnes Menschenkind so verschwenderisch mit ihren Gaben bedacht wie diesen allumfassenden Geist, der nicht nur Maler, Bildhauer und Architekt in einer Person war, sondern daneben als Ingenieur, als Techniker, Naturforscher und Anatom Bedeutendes leistete, als Vorahner der modernen Flugmaschine neue Wege beschritt. Eine glänzende Persönlichkeit, von hoher Schönheit und unbezwinglicher körperlicher Kraft, ein siegreicher Beherrscher der aristokratischen Gesellschaft seiner Zeit, dem alt und jung zu Füßen lag, so schritt er königlich durch sein Jahrhundert. Die ganze Fülle der Kunst und der Wissenschaft seiner Epoche scheint sich in ihm wie in einem Brennspiegel zu treffen. Wir verdanken ihm die Niederschrift der tiefsten Gedanken über Sinn und Technik der Malerei, verdanken ihm die der Zukunft um Jahrhunderte vorgreifende Idee der Begründung einer Musterstadt nach ästhetisch-hygienischen Gesichtspunkten. Die Überfülle der Pläne und Entwürfe freilich, die sich in Leonardos Kopfe drängten, hat die Vollendung des einzelnen oft genug beeinträchtigt. Er liebte es, Begonnenes unausgeführt zu lassen, von einem Werke zum anderen überzuspringen, sich in kühnen Experimenten zu versuchen. Vieles von seinen Werken ist überdies verschwunden, wie das Abendmahl zerfallen, oder nur als Stückwerk erhalten. Von einem großartigen Reiterdenkmal, das er in Mailand dem Francesco Sforza, dem Vater Lodovicos errichten sollte, und das wenigstens bis zum Modell gedieh, besitzen wir nur die gezeichneten Skizzen. Von der bewunderten Schlachtendarstellung des florentinischen Sieges bei Anghiari, die untergegangen ist, kennen wir nur die Nachzeichnungen eines späteren Künst[S. 26]lers, aus der wir die Wucht und Größe erkennen, mit der hier das Gedränge auf Tod und Leben streitender Massen dargestellt war.

Die Arbeit an diesem Karton der Schlacht von Anghiari, den Leonardo im Wettstreit mit Michelangelo gezeichnet hat, fällt in seinen zweiten Florentiner Aufenthalt (nach den Mailänder Jahren), als dessen berühmtes Hauptwerk das Bildnis der Mona Lisa, heute in der Gemäldegalerie des Louvre zu Paris, vor uns steht. Schon in Mailand hatte Leonardo unter den Bildnissen, die ihm übertragen wurden, ein Frauenporträt von höchster Schönheit gemalt; man glaubt darin die junge Bianca Maria Sforza zu erkennen, die zweite Gemahlin Kaiser Maximilians I. Aber weit darüber hinaus ging nun das Florentiner Porträt, das man auch als die „Gioconda“ bezeichnet, weil die Dargestellte die Gemahlin des Francesco del Giocondo war. Wie das Abendmahl alle früheren Schilderungen der oft wiedergegebenen Szene übertraf, so steht dies Meisterporträt über allen Bildnissen, die vorher gemalt worden waren. So hatte noch niemand versucht und verstanden, mit dem Abbild der äußeren Erscheinung einer Persönlichkeit zugleich ihr tiefstes Wesen, das Geheimnis ihrer Natur zu erfassen. In dem nie ganz erklärten Lächeln der Mona Lisa spiegelt sich das Rätsel des Frauentums — und wunderbar paßt dazu die traumhafte, romantische Landschaft mit ihren Felsen und Tälern, Flüssen und Seen, aus der die Halbfigur aufwächst.

Über ganz Italien erstreckte sich Leonardos Tätigkeit. Mit den künstlerischen Aufträgen wechseln technische. Wir sehen ihn als Meister des Festungsbaus und des Geschützwesens, bei der Regulierung von Flußläufen mitwirken, mit Plänen für den Mailänder Dombau beschäftigt. Er[S. 27] taucht in Venedig auf, in Rom, wieder in Florenz, wieder in Mailand, wo ihn nun die Nachfolger der Sforza, die Franzosen, mit hohen Ehren empfingen. Frankreich ward dann für ihn die Zuflucht seiner späten Jahre, als auch ihm Enttäuschungen nicht erspart geblieben waren. Er folgt 1516 einem Rufe König Franz’ I., der dem Meister ein Schloß in der Touraine, Cloux bei Amboise, zur Verfügung stellte. Dort ist Leonardo am 2. Mai 1519 gestorben — doch niemand hat bis heute ergründen können, wo seine sterblichen Reste ruhen.

Max Osborn.

[B] Später hat man dort eine Tür gebrochen, deren Oberteil rücksichtslos in die Mitte der unteren Partie des Bildes hineinschneidet.

[S. 28]

Christus am Kreuz
Von Matthias Grünewald

Geboren um 1470, wahrscheinlich in Aschaffenburg, gestorben etwa 1529. — Museum in Colmar im Elsaß

Bild 5

Schwarzes Dunkel. Aber nicht das tiefe der Nacht, das beruhigt; das fahle der Sonnenfinsternis, das alle Kreatur seltsam bedrückt und erregt.

Aus der Tiefe hinten weint ein bleiches Grün, schattenhaft und ungewiß stehen die Hügel der Ferne. Vorn oben ragt das Kreuz in den finsteren Himmel, gegen den sich der Körper Christi abhebt, verzerrt durch die Krämpfe des Martertodes und in dieser Verzerrung erstarrt, in der Farbe der beginnenden Verwesung, und in dem Leichengrün blutrot die Wunden von Nagel und Dorn.

Auf der linken Seite kniet Magdalena, die Arme mit den vor Schmerz und Inbrunst gerungenen Händen zu dem Gekreuzigten erhoben. Von dem zurückgeworfenen Haupte fließt das gelöste Haar der Büßerin über das rötliche Gewand. Hinter ihr ist Maria, weiß wie ihr weißer Mantel, in die Arme des Jüngers Johannes zurückgesunken, die todbleichen Hände verkrampft, erstarrt in letztem Schmerz, bewußtlos. Sein guter Jünglingskopf neigt sich, aus dem roten Mantel heraus, liebevoll über sie.

Rechts steht der Täufer Johannes, ein fester blonder Mann, in Fell und rotem Mantel, ein weißes Buch im linken Arm, ein weißes Lamm zu seinen Füßen. Seine Gegenwart hebt die Szene aus der Einmaligkeit des Geschehens zu ewiger Bedeutung. Er steht neben, nicht in dem[S. 29] Vorgang, ist nicht in dem Schmerz der Zeugen befangen. Er weist mit der Rechten — sein Zeigefinger, grell gegen das Dunkel stehend, scheint von dem Auge, das er zuerst auf sich zieht, über alle Wirklichkeit hinaus zu wachsen — er weist mit einer Gebärde von unwiderstehlicher Wucht den Beschauer auf das furchtbare Schauspiel: „So ist er für dich gestorben. So sollst du ihn in der Erinnerung tragen.“ Und niemand kann dieses Bild vergessen.

Das Bild der Predella, des Unterbaues, absichtlich matt gehalten, zeigt die „Beweinung“. Eine öde graue Ebene. Auf dem schlichten roten Sarkophag liegt der Leichnam Christi. Er füllt fast die ganze Fläche. Um ihn, gegen die Wirklichkeit klein, knien die Nächsten. Magdalena, mit blutig geweinten Augen, ringt die Hände in rasendem Schmerz und schreit ihn, daß man es hört, ohne Scham in die Welt hinaus.

Das ist die erste Gestalt, in der man den Isenheimer Altar des Matthias Grünewald sah. Am Karfreitag. Auf den Flügeln neben der Kreuzigung standen dann die ruhigen Gestalten des hl. Antonius und des Blutzeugen Sebastian. — Er konnte sich in drei Gestalten wandeln. — Die zweite sah man an den Marienfesten. Auf dem linken Flügel die „Verkündigung“. Eine gotische Kapelle, weiß im Licht, in den Schatten von einem warmen Grau, in das sich das kühle Grün und das reine Rot der Bemalung mit wundersamem Wohlklang einfügen. Nachmittagssonne fällt durch die Fenster. Man sieht das goldene Licht flirren. Es hat etwas Körperliches. Und wo es sich am stärksten ballt, wiegt sich in ihm — wirklich, unwirklich — die weiße Taube. Vorn kniet vor ihrem Betpult Maria, ihr gegenüber der Engel, der ihr den himmlischen Gruß und die Botschaft bringt, beide tief erfüllt von[S. 30] dem Mystischen der Stunde, von Freude und Leid, die sie bedeutet. In der Mitte: „Maria mit dem Kind“. Aus der geheimnisvollen Verheißung ist köstliche Wahrheit geworden, aus dem sanften Licht des Innenraums am Nachmittag strahlende Helle eines Sonnentages im Freien. Dort schwebte die Stimmung zwischen Himmel und Erde, hier haben sich Himmel und Erde vermählt. Die blonde Maria, ganz hellfrische, lächelnde Mutter, sitzt im Garten bei rotblühendem Rosenbusch unter der großen Linde und hält mit köstlicher Sachlichkeit das Kind. Das Bett, die Badewanne mit dem weißen Tuch, einfach bürgerlicher Hausrat, stehen daneben; nicht einmal das Töpfchen ist vergessen. Über der blühenden Erde blaut ein herrlicher Sommertag. Blau liegt es auf der Wiese, blau auf dem fernen Wald, blau auf den schimmernden Schneebergen, die den Blick schließen. Unmittelbar an das sehr irdische Gerät stößt ein traumhafter Tempel. In gotischen Formen, gleißend von Gold, strebt er auf, ganz angefüllt von Engeln, in deren Gewändern und Flügeln alle Farben des Regenbogens ihr buntes Spiel treiben, und die eine ebenso fröhliche und launige Musik machen. Und oben über den Gletscherspitzen öffnet sich der Himmel: Gott erscheint in der Glorie, und in ihren Strahlen spielen Englein durcheinander wie Stäubchen in der Sonnenbahn, die in ein dunkles Zimmer fällt. Rechts: „Die Himmelfahrt“. Unten blauschwarze Nacht um das Grab, aus der die Rüstungen der Wächter in metallischen Reflexen blitzen. Aus der Nacht steigt, nein: rauscht, nein: braust Christus empor in das strahlende Licht einer goldenen Morgensonne. Blendend füllt dieser Glanz das Auge, daß es die Formen seiner Gestalt kaum unterscheiden kann, daß sich der Körper vor unserem Blick entkörpert. Wie dem mystischen Vorgesang der Verkündigung[S. 31] der freudige Hymnus der Geburt gefolgt ist, so folgt diesem nun der jauchzende Dithyrambus der Himmelfahrt. Licht und Farben singen diese Lieder. Der musikalische Begriff drängt sich geradezu auf. Die Himmelfahrt ist aus demselben Gefühl entstanden und löst dasselbe Gefühl aus wie das jubelnde „Et resurrexit“ in der Hohen Messe von Bach.

Die dritte Gestalt des Altars, die wohl die gewöhnlich sichtbare war, ist dem hl. Antonius geweiht. Die Mitte ist plastisch gebildet. Unter einem Baldachin von phantastischster und zierlichster Schnitzerei, in der die krauseste Gotik ein unbeschreibliches Etwas von Klarheit und Anmut hat, thront der Heilige. Gestalt und Gewandung in ihrer großen Einfachheit gehen über alles hinaus, was Bildschnitzer dieser Zeit geschaffen haben. Man muß durchaus an einen Einfluß Grünewalds denken. Das rechte Flügelbild stellt die „Versuchung“ dar. Abend. Hinten am Himmel wacht noch ein letztes Licht, aber in der Schlucht zwischen den dunklen Tannen, wo der Heilige im Gebet liegt, hat schon die Nacht gesiegt. Und hier fallen ihn die Gesandten der Hölle an. Diese Teufelsfratzen, die ein Schöpfer im Fieberwahn aus Gliedern von Mensch und Tier, aus Totenschädeln und Gliedern und Krallen und pestbeuligen Leibern zusammengeschmissen hat, haben den Greis gepackt und niedergeworfen und zerren und stoßen und kratzen den Hinfälligen, der in stillem Dulden verharrt. Mit dieser Nacht der Schrecken steht die Nacht des Friedens auf dem anderen Flügelbild im Gegensatz. Dieser „Besuch des Antonius bei dem Einsiedler Paulus“ ist ein köstliches und rührendes Idyll. Die Landschaft ist wie ein Gedicht. „Abend wird es wieder...“ Durch das stille Grün der Wiesen schlängelt sich dunkelblau ein Bächlein; Rehe grasen; in der Ferne steigt schwarzer Wald den Berg hinan;[S. 32] über ihm ragen die bizarren Massen des Gebirges. Vorn auf Urwaldboden zwischen griesbärtigen Bäumen sitzen die beiden heiligen Greise: Paulus der Einsiedler, uralt und wie die indischen Büßer fast in die Natur eingewachsen, seine Haut wie Rinde, sein Haar wie das Vlies eines Tieres; Antonius, dem Hundertjährigen gegenüber fast jung, erregt von der Gnade, daß der Rabe, durch den der Himmel dem Einsiedler seine Speise sendet, ein zweites Brot für ihn hat, die Narben der Teufelswunden wie Ehrenmale in dem geröteten Antlitz tragend.

**
*

Wir wissen nicht viel von dem Meister, der in diesem Altar das größte Werk deutscher Malerei geschaffen hat. Ein Schiff mit seinen Bildern ist in der Ostsee untergegangen. Unter den erhaltenen ist von erster Wichtigkeit nur noch das Altarbild in der Münchener Pinakothek, eine ganz ruhige Existenz von größter Erlesenheit der Farbe, voll stillen Leuchtens.

Wir brauchten gar nichts von ihm zu wissen. Ein solches Werk sagt alles über seinen Schöpfer aus: man erfährt seine Heimat, den Umfang seines Fühlens, sein Temperament, seine Kunstmittel.

Der Maler kann nur in dieser Südwestecke Deutschlands gelebt haben, wo ihm Taunus und Alpenlandschaft vertraut wurden. Überall spricht das Erlebnis der Berge mit, die den Menschen der Ebene so geheimnisvoll anziehen. Und seine Gestalten zeigen den alemannischen Schlag mit seinen eigensinnigen Gesichtern und Gebärden, herb bis zur Verzerrung. Hodlers Kunst ist aus der Anschauung desselben Menschentypus entstanden. Sie nehmen das Leben schwer und die Dinge furchtbar ernst.

[S. 33]

Grünewalds Gefühl ist grenzenlos. Auch die Beschreibung des Werkes kann das schon mitteilen. Alle Stimmungen der Natur, alle Möglichkeiten des Menschenwesens sind ihm vertraut. Er hat alles Licht durchgelebt vom Erglühen des Morgens bis zum Sterben des Abends in die Nacht. Und ebenso alle Tönungen des Gefühls: das Erbeben der Jungfrau, die zarte Stille der Mutter, die schreiende und die verstummende Verzweiflung des Weibes, den Duldermut des Blutzeugen, den Triumph des geistigen Helden, die eherne Festigkeit des Propheten. Er kann Götter und Teufel schaffen, wie Himmel, Welt und Hölle.

Der Meister hat die Kunst seiner Zeit im ursprünglichen Sinne dieses abgebrauchten Wortes „erfahren“, wie es damals Sitte war. Er ist in Nürnberg gewesen und in Basel und ist in Italien gewandert. Aber alle Einflüsse und alles Gelernte sind verhältnismäßig gleichgültig. Das Wesentliche ist sein persönliches Eigentum, und die Werke dieses größten Oberfranken haben so wenig Ähnlichkeit mit irgendwelchen anderen wie die Werke des niederfränkischen Rembrandt. Wie dieser ein Einziger und Einsamer, der nur auf sich steht und nur aus sich schöpft, hat er mit leidenschaftlichem Ungestüm seine Umwelt in sich hineingerissen als Rohstoff, aus dem er seine Träume gestaltete. Ganz erfüllt von seiner Sache, zum unmittelbarsten und stärksten Ausdruck entschlossen, gibt er Gestalten und Dingen all ihr Wesentliches, das er in sich trägt, das Ganze ihrer Wucht oder ihrer Zartheit, und schafft weniger Form, als daß er, ein empfindliches Medium, die Sache in die Form fließen läßt, die ihr zur wirksamsten Darstellung wird. Diesen mächtigen Drang und Strom schöpferischer Arbeit darf ihm nie die Rücksicht auf das Einzelne, auf die Richtigkeit, auf eine vorgefaßte Idee von Form schwächen.

[S. 34]

In der „Kreuzigung“ ist das ganz unmittelbar zu spüren. Nicht einmal der Maßstab der Gestalten ist derselbe. Keine Linie sucht runde Schönheit. Von dem Standpunkt südlicher Kunst, auf den sich damals Dürer und andere Nordländer stellten, kann man seinem Werk viele Mängel nachsagen. Es ist eben in seinem innersten Wesen etwas ganz anderes, Entgegengesetztes, und gerade dadurch von gleichem Recht. Das gotische Wesen hat in ihm seinen höchsten und letzten Ausdruck gefunden. Gotik ist die Kunst, in der das Wesen der nordeuropäischen, germanischen Menschengruppe sichtbar geworden ist. Grünewald zeigt, was sie werden konnte, als der fremde Einfluß ihre eingeborene Kraft zerstörte.

Fritz Stahl.

[S. 35]

Selbstbildnis
Von Albrecht Dürer

Geboren 21. Mai 1471 in Nürnberg, gestorben 6. April 1528 ebendort. — Alte Pinakothek in München

Bild 6

Ein goldenes Zeitalter der Kunst, wie es den Italienern während des 15. Jahrhunderts erblühte, war auch Deutschland mit dem Heraufziehen jener ewig denkwürdigen Epoche beschieden, die so einfach klar und gewaltig zugleich als „Reformation“ bezeichnet wird. „Die Geister regen sich in Deutschland; es ist eine Lust zu leben!“ rief der begeisterte Ulrich von Hutten. Die Wissenschaften drängten, von der verstaubten Scholastik des Mittelalters befreit, unter Führung der nordischen Humanisten (ihnen voran schritt Erasmus von Rotterdam) mächtig zum Licht, und die deutsche Kunst wuchs, nachdem ihr die große Entwicklung der niederländischen Malerei voraufgegangen war, in äußerst charaktervollen Einzelerscheinungen einer Weltgeltung entgegen. Zunächst sind es Malerei und Skulptur, welche Meisterleistungen ersten Ranges hervorbringen. Zwar bietet die deutsche Kunst des Reformationszeitalters nicht die grandiose Fülle des italienischen Cinquecento[C] dar, sie strebt auch nicht einer Idealisierung alles Realen wie dieses nach, sondern betont dafür die Wahrhaftigkeit — aber sie offenbart sich in höchst markanten Persönlichkeiten, deren Schöpfungen einzigartig sind und unser Gemüt so stark wie das ihrer Zeitgenossen[S. 36] ergreifen. Das sind vor allem die fünf Hauptmeister: Albrecht Dürer, Matthias Grünewald, Hans Holbein d. J., Lukas Cranach und Peter Vischer, der Erzgießer.

Albrecht Dürer ist zweifellos die stärkste und umfassendste Künstlernatur unter ihnen. Er ist eines jener wahrhaft ursprünglichen Genies, wie sie nur in Ausnahmezeiten geboren werden. Fest, treu und stark, deutsch bis ins Mark, steht er in männlicher Schöne und Kraft neben den beiden anderen großen Volksdeutschen der Reformationszeit: neben Martin Luther und Hans Sachs. Diese drei, die so wundersam übereinstimmten — da sie mit verschiedenen Mitteln ein und derselben Idee dienten, nämlich: der Wahrheit des Herzens zum Siege zu verhelfen — diese drei kann man sich immer nur zusammen denken: sie sind nicht voneinander zu trennen. Mit Luther hatte Dürer die Tiefe des seelischen Empfindens, die Hingabe an den Gegenstand, die mächtige Leidenschaftlichkeit und inbrünstige Vertiefung gemeinsam, zugleich auch die hohe sittliche Geistesbildung; mit Hans Sachs verband ihn die gleiche lautere Gesinnung und Herzenseinfalt, die Grundehrlichkeit des Wesens und die strengste Wahrheitsliebe. So gesellte sich seiner körperlichen Schönheit — wie sie aus seinem hier veröffentlichten Selbstbildnis leuchtet — auch die höchste seelische; aus allen seinen reichen Kunstschöpfungen bricht diese seelische Schönheit wie ein Gottesstrahl hervor. Das ist es, was Dürers Persönlichkeit so groß und unverlierbar für uns macht: daß er als Künstler wie als Mensch derselbe war, ein glühender Wahrheitsucher.

Der Adel seiner Gesinnung, der sein ganzes Schaffen durchdringt, ward schon von den besten seiner Zeitgenossen gerühmt, so von Melanchthon und Pirkheimer.[S. 37] Dürer hatte nichts von der Anmut und dem Glanz der großen italienischen Meister; er ist im ganzen wie im einzelnen durchaus der Bekenner und Verkünder rein deutschen Geistes. Als solcher offenbart er in allem, was er geschaffen, Kraft und Herbe, Wahrheit und Gedankentiefe. Man darf aber, wie Heinrich Bergner sehr treffend sagt, nicht denken, daß Dürer nicht ebenso „schön“ habe zeichnen können wie Raffael; wenn er es nicht tat, wenn er überhaupt den Weg der äußeren formalen Schönheit nicht ging, so lag das tief in seinem Wesen, seiner deutschen Gesinnung begründet. Zu dieser gehört auch die namentlich in seinen Holzschnitten und Kupferstichen hervortretende Neigung zum Grüblerischen und Phantastischen. Er selber erzählt, wie ihn oftmals im Traume seine unaufhörlich arbeitende Phantasie Dinge von solcher Herrlichkeit sehen ließ, wie er sie nie mit seinen Augen erblickte; der Abglanz dieser innerlich geschauten Herrlichkeit liegt über den meisten seiner Werke. Das Idealische aber wird bei ihm allein zum Ausdruck gebracht durch die strenge Realistik seiner Darstellung. Er hält sich in seinen Gestalten und ihrer Umgebung, vor allem in den dekorativen Hintergründen, in Landschaft und Architektur allein an die Wirklichkeit; nur was er gesehen und erlebt hat, gibt er wieder. Melanchthon gegenüber äußerte er einmal, daß ihm erst in der Einfachheit der Natur die Idee der wahren Schönheit gekommen sei, und in seinen Schriften über das Wesen der Kunst bekennt er: „Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie.“ Ein beispiellos vielseitiges technisches Können, das rein „Handwerkliche“ bildet die massive Grundlage seines Schaffens, damit meisterte er die Natur; mit liebevollster Treue und unerschöpflicher[S. 38] Geduld — „fleißiges Kleiblen“ nannte er’s — besorgte er die Ausarbeitung des Details. Wie stark und vorbildlich müßte diese edle deutsche Handwerkskunst auf viele der heutigen „Richtungskünstler“ wirken, wenn sie eben eine solche tüchtige Grundlage besäßen oder auch nur anstrebten, aber sie machen aus der Not ihrer völligen Naturunkenntnis eine betrügerische Tugend. Trotzdem darf mit Sicherheit prophezeit werden, daß gerade dieses reiche Besitztum Dürers noch einmal für eine kommende Generation seinen hohen Wert erweisen wird!

Die wesentliche Bedeutung der Dürerschen Kunst ist nach alledem darin zu suchen, daß sie tief von innen angeschaute Ideen durch eine unbestechliche Naturtreue und Wahrhaftigkeit lebendig macht. Sie fesselt den Geist durch ihre mächtig daherbrausende Unmittelbarkeit und das Gemüt durch den Ernst und die Größe der Auffassung.

Wie bei jeder überragenden Persönlichkeit sind auch bei Dürer Lebensweg und Schaffen untrennbar miteinander verbunden. Unser großer deutscher Meister lebte die Kunst. Darum soll beides auch hier im Zusammenhang betrachtet werden.

Albrecht Dürer wurde am 21. Mai 1471 als Sohn eines aus Ungarn eingewanderten Goldschmieds in Nürnberg geboren. Es war die Zeit, da Bürgertum und Handwerk in der schönsten Blüte standen. Freilich wurde auch die Malerei damals von vielen nur als Handwerksgeschäft betrieben, so auch von Michel Wohlgemuth, zu dem Dürers Vater den fünfzehnjährigen Albrecht in die „Lehre“ gab. Sein ursprüngliches Talent vermochte hier nur aus rein Technischem etwas Gewinn zu ziehen; das Wesentliche konnte er nur aus sich selber entwickeln. Auf einer vier[S. 39]jährigen Wanderschaft, die ihn nach dem Elsaß und der Schweiz, wahrscheinlich auch nach Venedig führte, legte er sicherlich den rechten Grund zu dem, was er später leisten sollte. Leben und Kunst traten während dieser schönen langen Wanderzeit erst mit der rechten Greifbarkeit an ihn heran. Die herb-realistische Menschenkunst Mantegnas, die er in Venedig kennenlernte, hat wahrscheinlich einen großen, für seine Entwicklung bestimmenden Eindruck auf ihn gemacht. Daneben war es der Kupferstecher Jacopo de Barbari, von dem er Kenntnisse in den „körperlichen Verhältnissen“ einheimste und der ihn auch in die Antike einführte. Im Jahre 1494, als er in die Heimat zurückgekehrt war, heiratete er Agnes Frey, die sich als eine äußerst praktische Frau erwies, denn sie sorgte dafür, daß ihres Mannes Kunst wirklich zur „Kunst für das deutsche Haus“ wurde, indem sie mit seinen Kupferstichen auf die Messen zog, auf denen sie äußerst stark begehrt wurden. Während Wohlgemuth in Nürnberg die Malerei gewerbsmäßig rüstig weiterbetrieb, suchte der junge, von Begeisterung für die hohe Mission der Kunst erfüllte Dürer von seiner neubegründeten Werkstatt aus auf eine künstlerische tiefschürfende Weise in das Herz des deutschen Volkes zu dringen, und dies sollte ihm nach Überwindung mancher Schwierigkeiten auch gelingen. Die Schwarzweiß-Kunst: der Kupferstich und der Holzschnitt waren es, denen er sich zunächst zuwandte und die er dann während seines ganzen, vom Segen rastloser Arbeit überglänzten Lebens bis zur höchsten Höhe der Vollendung führte. Namentlich im Holzschnitt, der noch ganz in den Anfängen steckte, leistete er Unvergleichliches, bis heute nicht wieder Erreichtes. Dürers Verdienst, daß er mit diesen Blättern Wahrheit und[S. 40] Schönheit in jedes Bürgerhaus trug, ist nicht hoch genug zu schätzen. Als ein wahrer Priester arbeitete er hier im Heiligtum seiner Kunst; seine von aller kirchlichen Dogmatik losgelöste Frömmigkeit fand in diesen edlen Schöpfungen den ergreifendsten Ausdruck. Die tiefe Religiosität, die Wärme des Lebens, die natürliche Wucht des Ausdrucks, welche sie erfüllte, mußten jedes Gemüt bezwingen, und so wurde Dürer der berufenste und stärkste Mitarbeiter am gewaltigen Werke der Reformation. Gleich seine erste Schöpfung, eine Holzschnittreihe von fünfzehn Blättern, die 1498 erschienene „Heimliche Offenbarung Johannis“ mit dem besonders großartigen, weltberühmt gewordenen Blatt „Die apokalyptischen Reiter“ (Pest, Krieg, Hunger und Tod) begründete seinen Ruf — niemals war etwas Ähnliches gesehen worden! Hier schon konnte man die kolossale Bewältigung der menschlichen Gestalt, den dramatischen Aufbau in der Komposition, die meisterliche Herausarbeitung der Licht- und Schattengegensätze bewundern. Auf der gleichen Höhe stehen auch die Kupferstiche dieser frühen Zeit; hier nahm er zunächst antike Motive, wie in den Stichen „Herkules“ und „Das große Glück“. Dann folgten herrliche Blätter, die wie Gemälde wirken: „Adam und Eva“, „Der verlorene Sohn“, „Der hl. Eustachius“ in grandioser Bergumrahmung. Der Natur widmet er fortan immer größere Liebe; Dürer ist es, der die Landschaft damit überhaupt erst für die deutsche Kunst erobert.

Aber auch die Gemälde der Frühzeit verraten den ganzen Meister, so unser „Selbstbildnis“ (1500 gemalt; Alte Pinakothek, München). Welch feierlicher Ernst leuchtet aus dem wundersam beseelten Christuskopf! Wie dringen die großen Augen in die Welt hinein, wie redet[S. 41] die Hand, die so viel Edles schuf! Zahlreiche andere Bildnisse, wie das seines Freundes, des Nürnberger Ratsherrn Pirkheimer, ferner mehrere Stilleben, die von der schärfsten Naturbeobachtung zeugen, und die religiösen Gemälde, von denen eine „Beweinung Christi“ (München) und „Christus am Kreuz“ (Dresden) die bedeutendsten sind, zeigen die rastlos fortschreitende Entwicklung des Meisters. Eine zweite Reise nach Venedig (1505) gibt ihm wieder viel neue Anregung. „O wie wird mich daheim nach der Sonne frieren, hie bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer“, schreibt er von dort aus an Pirkheimer. Aber er brachte doch die Sonne in seinem Herzen wieder mit; sie leuchtete in seinem köstlichen „Allerheiligenbilde“ (Wien) auf, das italienischen Einfluß verrät, und vor allem in den drei hauptsächlichsten seiner Holzschnittwerke: dem „Marienleben“, der „Großen“ und der „Kleinen Passion“. „Das Marienleben“ spricht mit der Traulichkeit echten deutschen Familienlebens, in das es hineingebettet ist, heute am stärksten zu unseren Herzen. Diese Werke trugen Dürers Ruhm in alle Welt, besonders auch eine „Kupferstichpassion“ voll ungeheurer tragischer Wucht. Hier zeigen sich Gewand und Körperbildung so „knorrig und knitterig, als ob Dürer sein Deutschtum vor Verwelschung habe retten wollen“. Die letzte Höhe der Vollendung bezeichnen drei große Einzelblätter in Kupfer: „Ritter, Tod und Teufel“, „Melancholie“ und „Hieronymus im Gehäuse“, das letztere ein Preis- und Prachtstück voll altdeutscher Gemütstiefe.

Zwei schöne Freuden waren dem Künstler noch beschieden: seine langjährige Arbeit für den Kaiser Maximilian (den „letzten Ritter“), dessen Gebetbuch er mit den wundersamsten Randzeichnungen versah, und eine Reise nach[S. 42] den Niederlanden (1520), wo man ihn als den größten Künstler des Nordens feierte. In den Gemälden seiner Spätzeit gab er noch den ganzen Reichtum seines Innern her, der unversiegbar schien, so in den Meisterbildnissen des Kaisers Maximilian, des Erasmus, des Hieronymus Holzschuher; in Altarwerken und Madonnenbildern; zuletzt in den „vier Evangelisten“ (München), seinem ergreifendsten religiösen Bekenntnis in der Kunst.

Als Albrecht Dürer am 6. April 1528 in seiner Vaterstadt starb, betrauerte ihn sein ganzes Volk. Aber die Saat, die er gesät, war herrlich aufgegangen. In ewiger Jugend steht er heute als Mensch und Künstler vor uns. Sein leuchtendes Auge scheint uns durch alle Irrungen und Wirrungen der Zeit zu begleiten und die Unvergänglichkeit des deutschen Geistes zu verbürgen. Seine Kunst ist mächtig, stark und sieghaft wie das Lutherlied „Ein’ feste Burg ist unser Gott“... Und wir denken an Wagners Worte aus den „Meistersingern von Nürnberg“:

Ehrt eure deutschen Meister,
So bannt ihr gute Geister!

Felix Lorenz.

[C] Sprich: tschinkwetschénto, womit man kunstgeschichtlich das 16. Jahrhundert bezeichnet.

[S. 43]

Das Paradies
Von Lukas Cranach

Geboren 4. Oktober 1472 in Kronach (Franken), gestorben 16. Oktober 1553 in Weimar. — Kunsthistorische Sammlungen in Wien

Bild 7

Was Hans Sachs, der Nürnberger Schuhmacher, für die Dichtung der deutschen Reformationszeit, das war Lukas Cranach der Ältere als ihr Maler. Nicht nur, daß er die hauptsächlichsten Persönlichkeiten des jungen deutschen Protestantismus, Luther selbst voran, in Bildnissen festgehalten hat, auch die bürgerliche Lebensstimmung jener Tage spiegelt sich in seinen Bildern so getreu wie bei keinem andern seiner malenden Zeitgenossen. Andre Maler seiner Zeit, wie Holbein, wurden in der Fremde zu Weltmännern und nahmen sich die Werke der italienischen Renaissance, des in Kunst und Wissenschaft wiedergeborenen klassischen Altertums, zu Vorbildern; Cranach blieb im Banne deutschen Wesens und entfernte sich auch dann nicht aus seinem Bereich, wenn er sich in Träumerei verlor und seine schalkhafte Phantasie spielen ließ. Auch er hat vielfach Stoffe und Gestalten des Altertums gemalt, aber unter seinen Händen verwandelten sie sich in deutsche, und wenn er in Italien gewesen wäre und die ganze blühende Lebensfülle der wiedererwachten Weltfreude in sich aufgenommen hätte, aus seinem Schaffen würde das, was man Renaissance nennt, doch als deutsches Gebilde auferstanden sein. Wie fast alle seine Bildnisse, selbst die hoher fürstlicher Herren und geistlicher Führer, einen ge[S. 44]raden, ehrlichen, aber zugleich etwas nüchternen kleinbürgerlichen Zug haben, so schlüpfen auch seine Darstellungen aus der Bibel und der Sagenwelt gern in das heimisch deutsche Bürger- und Bauernkleid, worin er seine Zeitgenossen wandeln sah. Doch auch für das Zarte, Sinnige und Innige, das im deutschen Wesen liegt, blieben seine treuen Augen offen. Es wird uns heute noch warm und wohlig bei seinen waldduftigen, naiv-märchenhaften oder schalkhaft-humoristischen Schilderungen, und manchmal erscheint er uns geradezu als eine um drei Jahrhunderte vorweggenommene Vereinigung von Ludwig Richter, Schwind und Thoma.

Er ist im Oktober 1472, nur ein Jahr später als Dürer in Nürnberg, in dem kleinen oberfränkischen, damals bischöflich-bambergischen Städtchen Kronach geboren worden und nannte sich früh nach seinem Geburtsort, während er nach seinem Vater, einem ehrsamen Maler, eigentlich Müller (oder Sonder) hätte heißen müssen. In der väterlichen Werkstatt hat er wohl auch gelernt; um 1500 scheint er sich in Österreich (Wien) aufgehalten zu haben, vielleicht auch in Bayern. Näheres aus seiner Jugend- und Lernzeit ist nicht bekannt. Doch deutet manches darauf hin, daß er durch die fränkische Malerschule gegangen ist und dort Anregungen von dem phantastischen Matthias Grünewald und dem romantischen Albrecht Altdorfer empfangen hat. Davon zeugt noch sein 1504 entstandenes bezaubernd frisches und lebendiges Jugendbild „Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ (im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin), ein Meisterwerk der Naturanschauung und der Farbengebung, das er nie mehr übertroffen hat. Damals noch hätte sich seine Kunst wohl ebensogut nach Süden wie nach Norden wenden können, denn auf der Scheide zwischen Mittel- und Süddeutschland war er ja daheim.[S. 45] Aber etwas in seiner Art und inneren Anlage muß ihn nach dem strengeren und ruhigeren Norden gezogen haben. 1505 finden wir den Dreiunddreißigjährigen als Hofmaler des sächsischen Kurfürsten anfangs in Torgau, bald aber in Wittenberg ansässig, wo er sich noch in demselben Jahre mit Barbara Brengbier aus Gotha verheiratete. Dort, in der Stadt der Reformation, hat er dann — eine kurze Reise nach den Niederlanden (1508) abgerechnet — 45 Jahre lang unter drei sächsischen Fürsten, Friedrich dem Weisen, Johann dem Beständigen und Johann Friedrich dem Großmütigen, ein Freund Luthers und treuer Anhänger der neuen protestantischen Lehre, Apothekenbesitzer und Buchdrucker, Mitglied des städtischen Rates und Bürgermeister, eine außerordentlich reiche Tätigkeit entfaltet, die alle Zweige der Malerei und Holzschnittkunst umfaßte und eine solche Ausdehnung annahm, daß er zahlreiche Gehilfen heranziehen mußte. Seinem Künstlertum hat dieser handwerksmäßige Betrieb nicht immer zum Ruhme gereicht, da er alle Werke, gleichviel, ob er größeren oder kleineren Anteil daran hatte, mit seinem Malerzeichen (geflügelte Schlange mit Ring im Maul) versah; sein Ansehen bei den Zeitgenossen aber wuchs beständig, und sein Einfluß verbreitete sich durch ganz Mittel- und Norddeutschland. Noch in seinen letzten Lebensjahren bewies sich an ihm die Gunst seines Fürsten dadurch, daß er 1550 zu dem gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich nach Augsburg beschieden wurde und zwei Jahre später mit ihm nach Weimar ging. Dort ist der Einundachtzigjährige am 16. Oktober 1553 gestorben und in der Hofkirche begraben worden.

Kaum bei einem zweiten Maler scheiden sich die Werke der Frühzeit so deutlich von den späteren wie bei Lukas Cranach. In seinen Jugendtagen, darf man mutmaßen,[S. 46] ist er durch den Thüringer- und Frankenwald geschweift und hat sich von dort den Waldduft, die Ritter- und Burgenromantik in seine Bilder geholt. In Wittenberg, einem Städtchen ohne landschaftlichen Reiz und künstlerische Überlieferung, bekehrte er sich zum behaglichen Bürgertum, verfiel zeitweilig sogar ins Hausbackene und mußte nebenher doch, um seinem Hofmalertitel Ehre zu machen, pompöse Staatsbilder malen, die seine natürliche Freude am Kleinen und Traulichen hinter einer wohlgefälligen Glätte verbergen. Dabei ist er oft ins Schablonenhafte verfallen. Den menschlichen Körperbau hat er nur oberflächlich studiert, und mit der Kunst der malerischen Farbe hat er sich nie recht befreundet: vieles bei ihm erscheint wie hinterher oberflächlich angemalt, anstatt von vornherein malerisch gesehen und geschaffen. Dennoch ist es falsch und ungerecht, die vielgestaltige, in sich beruhigte und geklärte Schöpferfülle seiner späteren Jahre mit den freilich persönlicher und dichterischer gefühlten, kraftstrotzenden Werken des Dreißigjährigen verächtlich machen zu wollen. Wir sind es dem Künstler schuldig, ihm auf den Wegen seiner Entwicklung zu folgen und ihn in seiner Ganzheit zu begreifen, auch wenn er, wie manche Flüsse, seinen Lauf zurücklenkt zu Strecken, die schon überwunden schienen. Und Cranach ist in der Tat mit manchem seiner Alterswerke zu der Gebundenheit der mittelalterlichen Formen zurückgekehrt, über die seine Zeit, und eine Weile er selbst mit ihr, so entschieden hinausstrebte.

Zu diesen Werken aus Cranachs späterer Zeit gehört auch „Das Paradies“, eine Schöpfung des Jahres 1530.

Ein Jahr vorher hatte der Meister, wahrscheinlich auf Luthers Anregung, „Sündenfall und Erlösung“ dargestellt, eine Doppeltafel, die sich bei zierlicher Formgebung in recht[S. 47] frostigen und alltäglichen Allegorien bewegt und deshalb zur Erklärung des Dargestellten ausführliche Sprüche zu Hilfe rufen muß. Auch sonst knüpft er dort an die mittelalterliche Erzählungsform an. Statt die Dinge, wie es der Grundsatz der neuen Kunst verlangte, in Raum und Zeit zu einer Einheit zu gestalten, stellt er eine Reihe räumlich und zeitlich getrennter Vorgänge in fortlaufender Landschaft nebeneinander dar: über dem Sündenfall im Paradies das Jüngste Gericht in den Wolken, über dem gekreuzigten Christus den aus dem Grabe auferstehenden.

An dieser auffallenden, aber sicherlich gewollten und überlegten altertümlichen Bildanordnung nimmt nun auch „Das Paradies“ teil. Da finden wir in sechs Vorgängen die Geschichte des ersten Menschenpaares erzählt. Ganz rechts formt der Schöpfer aus dem Erdenkloß den Adam und bläst ihm den lebendigen Odem ein; unter den Bäumen in der Mitte nimmt er eine Rippe aus des schlafenden Mannes Leib und baut seine Gefährtin, die Eva, daraus; im Vordergrunde tritt der Herrgott, wie ein lieber freundlicher Großpapa mit langzapfigem weißem Barte, vor die vereinigten Menschen, die „sich ihrer Nacktheit nicht schämen“, wie es in der Bibel heißt, und ermahnt sie zum Gehorsam gegen seine Gebote; oben in halber Höhe unter dem weitverzweigten, dichtbelaubten und reichbefruchteten Apfelbaum, dem verbotenen Baum der Erkenntnis, vollziehen sich die Verführung durch die Schlange und der Sündenfall. Auf der linken Hälfte des Bildes suchen sich Mann und Weib vor dem Angesicht Gottes, das von oben aus dem leuchtenden Kranz einer Wolke auf sie herniederschaut, unter die Bäume im Garten zu verstecken; links daneben werden sie von dem Cherub mit dem Schwerte ausgetrieben. Zart und fein sind zwischen die Bäume des[S. 48] Gartens Eden („lustig anzusehen und gut zu essen“, sagt die Bibel) viele Sträucher und unzählige Blümchen gesetzt, und mit behaglichem Humor sind alle Arten von Tieren dargestellt: Rebhühner, Fasanen und Pfauen, Störche, Kraniche und Schwäne, Pferde, Hunde, Häschen, Rehe, Hirsche, das fabelhafte Einhorn (Pferd mit gewundenem Horn auf der Stirn) und ein Bärenpaar, auf fernem Felsen sogar eine Gemse. Das erinnert uns daran, daß sich Cranach in seinen jüngeren Jahren zu Wittenberg in Tierstücken und Stilleben hervorgetan hat, auf Bildern und Stichen, die heute leider fast alle verschollen sind, und daß er später mit großem Eifer und Sachverständnis die Jagden seiner fürstlichen Gönner geschildert hat, bei denen er selten fehlen durfte. So lebendig auch alle diese Einzelheiten hingestellt sind, sie wirkten vielleicht zerstreuend, wenn nicht das Ganze erfüllt wäre von einer herzerquickenden, heiteren Naturunschuld, die durch die Szene der Austreibung nicht zerstört werden kann.

Trotz den Fabeltieren und den etwas steifen Figuren ist diese Paradiesdarstellung in ihrem Landschaftseindruck durchaus deutsch, sehr verschieden z. B. von den prunkvollen Paradiesbildern der gleichzeitigen Italiener Tintoretto und Bordone. Es zeigt sich auch hier, daß Cranach seine Bedeutung in der Landschaft hat, zumal da, wo sie an den deutschen Wald, seinen Märchenzauber und sein Tierleben anklingt. Und diese uns so heimatlich anmutende Traulichkeit und Herzlichkeit hat wohl auch in erster Linie dem im Wiener Museum aufbewahrten Gemälde seine Beliebtheit und Berühmtheit verschafft.

Friedrich Düsel.

[S. 49]

Die Erschaffung des Lichts
Von Michelangelo Buonarroti

Geboren 6. März 1475 in Castel Caprese bei Arezzo, gestorben 18. Februar 1564 in Rom. — Sixtinische Kapelle in Rom

Bild 8

Ich lebte dahin unter Arbeiten und Anstrengungen, die mich außer mir brachten; ich wollte die Natur in all ihren labyrinthischen Windungen auf einmal ergreifen, und ich erkletterte ihre Gipfel, indem ich mich mit den Händen, mit den Fingern, mit den Füßen, mit den Knien, mit dem ganzen Körper an das anklammerte, was sie mir an Stützpunkten darboten. Ich bin Bildhauer, Maler, Dichter, Baumeister, Ingenieur, Anatom gewesen; ich habe Kolosse in Stein ausgehauen und Figurinen in Elfenbein ziseliert; ich habe die Wälle von Florenz und Rom entworfen, Bastionen errichtet, Fronten defiliert, Glacis ausgemessen, und nicht fern von dem Gebäude, dessen Wand ich mit der Offenbarung des Jüngsten Gerichts gezeichnet habe, ist es mir gelungen, die ungeheure Kuppel des Fürsten der Apostel bis in die höchsten Höhen der Atmosphäre emporzuführen. Kurz, wenn ich nicht alles vollendet, was ich gewollt, so ist es doch gewiß, daß ich einiges wenige vollbracht habe. Die Päpste, die Könige, der Kaiser, die Fürsten haben mich geehrt. Die Künstler haben mich zu ihrem Ersten ausgerufen... Ich bedaure es nicht, gelebt zu haben. Wir lassen große Dinge hinter uns und große Beispiele... Die Erde ist reicher als sie war, ehe denn wir kamen... Was verschwindet, wird nicht ganz und gar verschwinden!“

[S. 50]

Dieses stolze Selbstbekenntnis legt Graf Gobineau in seinem meisterlichen Werke „Die Renaissance“ dem neunundachtzigjährigen Michelangelo Buonarroti in den Mund, und er läßt ihn gleichzeitig die große Überzeugung aussprechen, daß die vollkommensten der Künstler ebenso große Bekehrer der Menschheit zum Guten sind als die Philosophen und Heiligen. Ein andermal, noch in seiner Florentiner Jugendperiode, sagt Michelangelo: „Ich werde tun, was meines Schöpfers heilige Güte zu tun in meine Macht gelegt hat.“

Nicht schärfer und gleichzeitig plastischer kann jemals das Elementarwesen des Mannes gekennzeichnet werden, dessen ungeheure Genieentfaltung alles menschliche Maß zu übersteigen scheint, als es in diesen wahrheitsstarken, von einem Dichter nachgefühlten Bekenntnissen geschieht. Wird in dem ersten die ganze Universalität des Schaffens umschrieben, welche Michelangelo neben zwei verwandte allumfassende Geister, neben Leonardo da Vinci und Goethe stellt, so reflektieren die beiden anderen Aussprüche seine innerste Überzeugung von der fortwirkenden Bedeutsamkeit seiner künstlerischen Sendung und seine inbrünstige Verehrung des Ewigen und Göttlichen, als dessen Diener er sich fühlt.

Überblicken wir Michelangelos gesamtes Werk, so sehen wir uns einer geradezu himmelstürmenden Monumentalität gegenüber, die alle einengenden Schranken niederreißt und nur nach ihren selbstgegebenen Gesetzen arbeitet. Weder die Antike noch die Kunst seiner Zeit kann zu einem Vergleich mit ihm herangezogen werden; es bleibt nur der Maßstab an seiner eigenen „Gewaltigkeit“ (terrabilità, wie seine Zeitgenossen es nannten) für ihn übrig. In allen drei Künsten, der Architektur, der Skulptur und[S. 51] der Malerei, leistete er das Äußerste und Höchste für die Menschheit. Sein ewig angespannter, den tiefsten Rätseln auf den Grund gehender Geist schreckte vor keinem Wagnis zurück, und er ruhte nicht, bis er seine aus tausend qualvollen Zweifeln geborenen Probleme bezwungen hatte.

Michelangelo ist der wahre Übermensch, Schöpfer schlechthin. Er ist in rastlosem Schaffen und Neugestalten In jedem seiner Werke überwindet er sich selbst. Wenn für den heiteren Raffael die Kunst Leben und Freude war, so bedeutete sie für Michelangelo, den finsteren Grübler, Leben und Kampf. Er rang mit jeder seiner künstlerischen Visionen, aber die Unerbittlichkeit gegen sein eigenes Genie, das er zum Äußersten zwang, trug immer den Sieg davon.

Durch Michelangelos ganzes Schaffen zieht sich unaufhaltsam ein einziges Streben: er sucht immer näher zu Gott zu kommen. Gott ist sein eigentlicher Auftraggeber; die Menschen, ob Päpste oder Fürsten, sind nur Mittler. In ihm lebte jene wahrhaft heilige Künstlerreligion, die allen großen Führern der Menschheit gemeinsam ist. Sie hatte auch bei Michelangelo nichts zu tun mit der äußerlichen Kirchenfrömmigkeit; wie diese zu seiner Zeit geübt wurde, mußte sie schon durch die weltliche Machtgier der Kirchenfürsten, durch das schändliche Treiben der niederen Klerisei seinen reinen, nur auf Veredelung gerichteten Sinn abstoßen. Nein — er lebte nur in einem „Drüben“, das er selbst in seinem Innern erschaut hatte; in keinem Diesseits Er stand hoch über der kleinen Welt, die er bitter haßte und verachtete, die ein Chaos wahnwitziger Widersprüche bildete. Neben all dem purpurnen Glanz, dem unerhörten Luxus der Renaissanceblüte sah er während seines ganzen langen Erdenlebens die Schrecken der[S. 52] Hölle auf dies Italien losgelassen. Die Fürsten, die Päpste, die Städterepubliken, die Parteien, die fremden Eindringlinge — Spanier, Franzosen, Deutsche, Schweizer —, alles bekriegte sich unaufhörlich untereinander, die fürchterlichsten Verbrechen geschahen fast täglich, und alle Laster wuchsen ungehindert empor. Savonarola hatte seinen kühnen Versuch einer sittlichen Erneuerung mit dem Tode auf dem Scheiterhaufen büßen müssen. Zwar die zahllosen Gelehrten, Dichter und Künstler, welche diese Zeit hervorbrachte, allen voran der lebensfreudige Raffael, schritten, von ihrer eigenen Sonne bestrahlt, mitten durch all dies Unheil hindurch, mit einem Lächeln auf den Lippen und ihr Werk im Herzen, denn sie lebten der Hoffnung, diese Welt durch ihre Taten verjüngen und das Übel ausrotten zu können. Aber Michelangelo sah tiefer, ihm war keine Freude vergönnt; er kannte nur ein Ziel: sich mit heiligem Ernst der Arbeit hinzugeben, die ihn verzehrte, Tag und Nacht mit einem fanatischen Ingrimm unermüdlich tätig zu sein, um der Gottheit immer näher zu kommen... Indem er alle Dinge der sichtbaren Welt in seiner gewaltigen Persönlichkeit zusammenfaßte, strahlte er sie als Schöpfungen seiner unsichtbaren Welt wieder aus. Seine Kunst ist Übertragung im höchsten Sinne.

Sein Menschentum erscheint ihr angepaßt: er war von einer anachoretischen Bedürfnislosigkeit; inmitten des lautesten gesellschaftlichen Lebens, das ihn umbrandete und das ihn suchte, trieb es ihn nur nach Einsamkeit. Eine weltscheue Empfindlichkeit trat oft an ihm hervor, die bis zur verletzenden Abweisung ging, aber seine Weltverachtung hinderte ihn nicht, einer der mildtätigsten und opferbereitesten Menschen zu sein.

So unvergleichlich vielfältig Michelangelos künstlerisches[S. 53] Schaffen ist, so außerordentlich bewegt zeigt sich sein äußerer Lebensgang. Als Sprößling einer armen Florentiner Familie wurde er am 6. März 1475 zu Caprese geboren; schon in seinem dreizehnten Jahre kam er in die Malschule des damals berühmtesten Meisters von Florenz, Ghirlandajo; gleichzeitig studierte er aber auch die antiken Skulpturen in den Gärten der Medici. Lorenzo der Prächtige, der größte Fürst seiner Zeit, der das bildhauerische Talent des Jünglings erkannte, zog ihn in sein Haus und ließ ihn weiter ausbilden. Seine Jugendarbeiten in Marmor, besonders ein Kentaurenkampf, verraten schon ein bedeutendes Werden. In dieser Zeit traf ihn ein körperliches Mißgeschick, das sein Gesicht für immer verunstaltete: ein Mitschüler zerschlug ihm im Streit das Nasenbein. Ein anderer Vorfall, der nie aufgeklärt wurde, zwang ihn als Freund des Mediceischen Hauses (mit dem er zeitlebens in Verbindung blieb) zu einer Flucht nach Bologna, wo er einige neue Marmorwerke schuf. Im Jahre 1496 ist der Einundzwanzigjährige in Rom, dort weilt er vier Jahre und vollendet hier das Hauptwerk seiner ersten Periode, die wundersame Pietà in der Peterskirche, mit der er ein schwieriges Problem: die Madonna mit dem Leichnam Christi auf dem Schoße, in ergreifender Weise löst. Nach Florenz zurückgekehrt, schafft er im Auftrag der Stadt aus einem verhauenen Marmorblock ein zweites Meisterwerk, die gigantische Figur des David; der verhaltene Groll des zum Kampfe bereiten Helden ist zu großartigem Ausdruck gelangt. Der David bildet die Grundlage seines Bildhauerruhmes — nun sollten aber auch bedeutende malerische Aufgaben an ihn herantreten. Im Wettstreit mit Leonardo ging er, von der florentinischen Regierung beauftragt, an den Entwurf eines großen Wandgemäldes[S. 54] für den Rathaussaal, das die früheren Kriege gegen Pisa darstellen sollte; das Werk gedieh aber nicht über die Kartonzeichnung hinaus, denn wiederum trieb Michelangelos Stern ihn nach Rom. Papst Julius II., der mächtigste Förderer der Künste, ein Mann, dessen rastloser Geist dem Michelangelos verwandt war, der sich und anderen niemals genug tun konnte, rief ihn herbei, damit er schon bei Lebzeiten ein in den gewaltigsten Maßen geplantes Grabdenkmal für ihn, den Papst, in der Peterskirche in Angriff nähme. Nicht weniger als vierzig Statuen sollten dabei Aufstellung finden. Das Riesenmonument wurde aber auf des Papstes eigene Veranlassung (denn es drängten ihn immer neue Projekte) bald wieder unterbrochen; Julius II. ließ den Künstler zunächst eine Bronzestatue für Bologna ausführen — dann aber übertrug er ihm eine Aufgabe, an die Michelangelo zunächst mit innerem Widerstreben heranging, die ihn aber zu einem herrlichen Gipfelpunkt seines Ruhmes emporführen sollte. Das war die Ausschmückung der Decke der Sixtinischen Kapelle im Vatikan.

Mit diesem Werk gelang dem dreiunddreißigjährigen, zur vollen Reife entwickelten Künstler in vierjähriger, äußerst mühevoller Arbeit (1508 bis 1512) eine beispiellose, in der Kunst aller Zeiten einzig dastehende Leistung, die ohne Vorbild war und bis heute keine gleichwertige Nachfolge gefunden hat. Die Wände der Kapelle waren schon ein Vierteljahrhundert früher durch Künstler der umbrisch-toskanischen Schule: Botticelli, Ghirlandajo, Perugino, Pinturicchio mit Fresken, das Leben Mosis und Christi darstellend, geschmückt worden — nun sollte an der Decke die alttestamentarische Vorgeschichte zu ihnen malerisch dargestellt werden. Michelangelos Geist entwarf unter[S. 55] Nichtachtung der großen technischen Schwierigkeiten eine großartige architektonisch-malerische Idee, die beide Künste in eine verschmolz. Er ersann für die völlig ungegliederte Decke ein mächtiges bauliches Scheingerüst aus Rahmen, Pilastern, Gesimsen, das von den Wänden emporsteigt und in der Mitte der Decke neun ungleiche Felder umschließt. In diesem Scheinbau, dessen Stützen nackte Männergestalten, in Marmor- und Bronzeton gemalt, bilden, schuf er nun jene zunächst verwirrende Fülle von Figuren und Legenden, „welche zwischen dem Anfang aller Dinge und der Erfüllung des Heils die Vermittlung bilden“.

Um sich von der ungeheuren Mühe, welche die Lösung dieser Aufgabe kostete, einen Begriff zu machen, muß man sich vorstellen, daß der Meister vier lange Jahre hindurch hier in einem Gewirr von Leitern, Treppen, Gerüsten, Balken, Kalk und Farben einsam und allein arbeitete — ohne einen Genossen, denn die Gesellen hatten ihn gleich am Anfang im Stich gelassen —, immer auf dem Rücken oder auf der Seite liegend und den Pinsel führend, während ihm die Farbe auf Brust und Antlitz tropfte... Welche Schwierigkeit, in dieser Lage das richtige Verhältnis zu seinen Gestalten zu finden, die sich in den verschiedenartigsten Dimensionen zu bewegen hatten!

Die neun Mittelfelder stellen die Geschichten der Genesis dar: die Schöpfungswelt und die ersten Menschen erscheinen in grandiosen Kompositionen. Die drei ersten Bilder: Die Trennung des Lichts von der Finsternis, die Erschaffung des Lichts und Gottvater über den Wassern, offenbaren gleich die höchste künstlerische Vollkommenheit; mit Recht ist gesagt worden, daß Michelangelo hier die Gestalt Gottvaters für alle Zeiten festgelegt und in der Versinnlichung der schöpferischen Allmacht durch eine scheinbar[S. 56] unbegrenzte, unendlich stürmische Bewegung das Muster gegeben hat, an das sich fortan alle Künstler halten mußten. Das zweite Bild von den dreien: Die Erschaffung des Lichts, das hier wiedergegeben ist, darf als das vollendetste gelten: in gewaltiger Majestät braust der Schöpfer aus der ewigen Unendlichkeit hervor, mit einer bezwingenden Gebärde und den mächtig ausgestreckten Armen Sonne und Mond dem Nichts entreißend. Auf demselben Freskogemälde erscheint Gottvater noch einmal, in einer technisch meisterlich bezwungenen Verkürzung von rückwärts gesehen, wie er der Erde den Segen des neugeschaffenen Lichtes spendet.

Die drei mittleren Bilder: die Erschaffung Adams, die Erschaffung Evas, der Sündenfall, stehen hinter den ersten kaum zurück; besonders die Gestalt des erwachenden Adam, auf den Gott durch die Berührung des Fingers den Lebensodem überspringen läßt, löst in ihrer rührenden Einfalt und menschlichen Schöne einen ergreifenden Eindruck aus. Die drei letzten Bilder erzählen die Geschichte Noahs und der Sintflut.

Den unteren Teil des Deckengewölbes füllen die scharf charakterisierten Gestalten der Propheten und Sibyllen aus, zwischen den Pfeilern sitzend. Das sind Gestalten, wie sie nur Michelangelo schaffen konnte, erschütternde Offenbarungen der höchsten geistigen Leidenschaft, vor allem der gramvoll in sich gekehrte Jeremias und die über ihre eigene Weissagung entsetzte Delphische Sibylle. — Zahlreiche Nebenfiguren schmücken noch die Lünetten und Ecken des erhabenen Meisterwerkes, das Michelangelo unter so viel Qualen und nur von der rücksichtslosen Energie des Papstes getrieben vollendete. Julius II. hatte die Genugtuung, noch kurz vor seinem Tode am 31. Oktober[S. 57] 1512 die Enthüllung der Decke zu sehen. Noch heute, nach vierhundert Jahren, strahlt sie in demselben unvergleichlichen Glanze, in dem sie die Mitwelt sah.

Im Jahre 1515 begab sich Michelangelo wieder nach Florenz. Der neue Papst, Leo X., ein Mediceer, der die Kunst als einen äußeren Luxus pflegte, hatte ihn mit einem Grab- und Ehrendenkmal der Medici im größten Stile beauftragt. Der Entwurf kam nur unvollständig zur Ausführung, da Florenz, das die Medici vertrieben hatte, von den kaiserlichen und päpstlichen Heeren angegriffen wurde. In diesem Krieg leitete Michelangelo die Befestigungs- und Verteidigungsarbeiten. Ein paar Jahre später, 1534, als wieder ein neuer Papst, Clemens VII., die Tiara aufsetzte, ließ er das Mediceergrabmal so wie es war und wie es sich heute in San Lorenzo zu Florenz den Blicken darbietet. Die sitzenden Figuren der beiden Herzöge sind Werke erster Qualität, während die berühmten Symbolisierungen von Tag und Nacht, Abend und Morgen, auf den Sarkophagdeckeln gelagert, im rein Dekorativen steckenbleiben.

Fortan schuf der Meister in Rom. Seit Raffaels Tode galt er unumstritten als der erste Künstler Italiens; alle Kreise des Volkes brachten ihm unbegrenzte Verehrung dar. In Rom widmete er sich zunächst ganz der Architektur: die Umgestaltung des Kapitols, die Verwandlung eines Teils der Diokletiansthermen in die mächtige Kirche S. Maria degli Angeli erfolgte nach seinem Entwurf. Endlich konnte er auch wieder an sein Schmerzenskind denken, das Grabdenkmal für Julius II.; es kam vierzig Jahre nach seinem Beginn, stark verkleinert, zum Abschlusse und wurde in S. Pietro in vincoli aufgestellt. Seinen Mittelpunkt bildet das großartigste Bildhauerwerk der ganzen[S. 58] nachantiken Plastik: der zornentflammte Moses. Eine Arbeit von sieben Jahren widmete Michelangelo noch einem seiner letzten malerischen Hauptwerke, dem „Jüngsten Gericht“, in dem der Tag des Zorns mit furchtbarer Eindringlichkeit heraufbeschworen wird.

Die letzten Jahrzehnte seines Lebens gehörten der Sorge für den Neubau des Domes von St. Peter; seine ganze Alterskraft widmete er dieser kolossalen Aufgabe, die er mit seiner höchsten architektonischen Leistung krönte: dem Entwurf der Riesenkuppel, die heute in majestätischer Herrlichkeit über der Ewigen Stadt schwebt, Michelangelos, des Großen, erhabenstes Denkmal.

In Einsamkeit, doch von der Liebe des Volkes getragen und der Freundschaft einer edlen Frau behütet, starb der unvergeßliche Meister am 18. Februar 1564 in der sicheren Gewißheit, daß sein Geist unsterblich sei. Sein irdisches Teil wurde in der ruhmreichen Kirche Santa Croce in Florenz beigesetzt, wo die erlauchtesten Männer Italiens ruhen. An demselben Tage, da er starb, wurde der Verkünder einer neuen Weltanschauung geboren: Galilei. Auch er schläft heute an der Seite Michelangelos. Zwei Sternenmenschen.

Felix Lorenz.

[S. 59]

Das Konzert
Von Giorgione

Geboren um 1477, wahrscheinlich zu Vedelago bei Castelfranco, gestorben 1511 in Venedig. — Pitti-Galerie in Florenz

Bild 9

Die Wiedergeburt alles Schönen und Großen der alten Griechen- und Römerwelt — das ist es, was wir heute unter dem Begriff „Renaissance“ (italienisch „Rinascimento“) verstehen, mit dem die höchste Blütezeit der italienischen Kunst, im 15. und 16. Jahrhundert, bezeichnet wird. Die hohe kulturelle Bedeutung dieser Epoche für ganz Europa liegt darin, daß mit ihr nach der antiken und mittelalterlichen Welt die eigentliche Neuzeit beginnt, die Zeit einer neuen freien Bildung und Denkweise (Humanismus), einer Dichtung größten Stils, deren Herolde in Dante und Petrarca schon ein Jahrhundert früher erschienen waren, und einer nach vollkommener Harmonie strebenden neuen Kunst. Dieses Kunstideal war durch die Wiederentdeckung unzähliger altrömischer Meisterwerke der Architektur und Plastik zu herrlichem Leben erweckt worden; die lebendige Kraft und Schönheit, die Vollendung der Verhältnisse, die über das Alltägliche weit hinaustragende Idealisierung des Ausdrucks bei Göttern und Menschen — wie sie die antiken Ausgrabungen zeigten — wies den italienischen Künstlern der Vor- und Frührenaissance die Richtung. Aber dies war nur der Antrieb, nicht etwa das dauernde Vorbild zur Nachahmung. Das Wesentlichste und Wirkungsreichste der italienischen Renaissance[S. 60] prägte sich vielmehr länger als zwei Jahrhunderte lang in einer völligen Selbständigkeit, einem mächtigen Streben nach unmittelbarer, individueller Auffassung des Geschauten, im Erfassen der reinsten Naturwahrheit aus. Ein begeisterter Vorläufer Leonardos, Alberti, stellte den Künstlern die Natur als die große Lehrmeisterin hin. In ihr allein liegen Wahrheit und Schönheit und damit jene vollkommene Harmonie beschlossen, welche der Künstler in sich selbst ausbilden und in seinem Werke ausdrücken soll.

So erweiterte die Renaissance das antike Kunstideal in einem völlig modernen Sinne; sie stellte sich auf den wirklichen Boden der Gegenwart und wußte diese Wirklichkeit doch — in Farbe, Form und Ideengehalt — aufs wunderbarste zu harmonisieren. „Alles verjüngt sich. Eine majestätische Ordnung tritt ins Leben.“ Eine Schöpferkraft ohnegleichen offenbart sich nun, immer weiter vorwärtsschreitend, aufbauend, vollendend, in einer fast unübersehbaren Reihe gewaltiger Persönlichkeiten, die Schönheit und Größe, Anmut und Kraft, Würde und Harmonie in unzähligen Meisterwerken über die staunende Erde verbreiten.

Neben Florenz und Rom war es Venedig, wo die Malerei von der Wende des 16. Jahrhunderts bis zu dessen Ausgang eine Hochblüte einziger Art erreichte. Die zauberische Stadt im Meere, mit ihrem dem Orient zugewandten, farbenrauschenden Leben, ihren prächtigen Palästen und Kirchen, ihren wundersamen Wolken-, Wasser- und Luftstimmungen mußte ja jeden malerischen Sinn erwecken und anziehen. Alles schwimmt und leuchtet hier in Farben — und deshalb ist es gerade die venezianische Malerei, welche den Triumph der Farbe bis zum Höchsten[S. 61] gesteigert hat. Statt der mattdumpfen Freskomalereien brachten die Künstler hier, schon mit Rücksicht auf das feuchte Seeklima, zuerst die Ölfarbe (welche die Brüder van Eyck in Flandern erfunden hatten) zur Anwendung und Geltung, und bald sollte la bella Venezia im herrlichsten Glanz erstrahlen — wie keine Stadt Italiens. Die Bildersäle Venedigs, die Akademie, die Kirchen füllten sich mit einem Farbenreichtum ohnegleichen. Die Stadt der Lagunen „wurde der letzte große Schauplatz der Renaissancekunst“. Die Meister aber, welche hier ihre Kostbarkeiten verstreuten, waren: Giovanni Bellini, Giorgione, Palma Vecchio und Tizian.

Giorgione[D], mit seinem vollen Namen Giorgio Barbarelli, war es, von dem die venezianische Malerei ihre eigentliche geistig-künstlerische Eigenart empfangen hat. Er ist derjenige Künstler, der ihr zuerst die herrliche Form, den unübertrefflichen Schmelz der Farbe, vor allem aber die Seele gegeben, und darum wird die bezaubernde Erscheinung dieses tief poetischen Künstlers immer von höchster Bedeutung bleiben. Die Würdigung, die ihm schon die Zeitgenossen neidlos und in reichem Maße zuteil werden ließen, kann niemals geringer werden.

Man hat ihn mit Recht den Dichter unter den Malern genannt. Seine Kunst verrät eine Persönlichkeit, in deren Grundwesen sich eine von wundersamen Bildern und Gesichten erfüllte Phantasie mit einem lyrisch-träumerischen Hingegebensein an Natur und Menschensein verbindet. Denn beides hat er als erster unter seinen Zeitgenossen in eines verschmolzen. Der Mensch geht in der ihn umgebenden Landschaft völlig auf; die Stimmung beider fließt ineinander, so daß der tiefste Gemütseindruck[S. 62] erzeugt wird. Eine eigene Welt tut sich in dieses Dichter-Malers Bildern auf, die von leiser, melancholischer Musik durchklungen scheint. Die meisten seiner Gemälde sind von einem mystischen Hauch umweht, von einer tiefen Nachdenklichkeit erfüllt, und es ist, als schwebe überall das Menschenrätsel, das ewige, heran... Schon Vasari, der Maler-Biograph, kennzeichnet Giorgiones künstlerische Natur als geheimnisvoll und schwer verständlich. Doch gilt dies, wie neuere Kritiker mit Recht betonen, nur von den Gegenständen seiner Schilderung. Die Stimmung und die Empfindungsweise, aus welcher seine in tiefe Farbenglut getauchten Gemälde hervorgehen, liegen offen zutage.

Das Geheimnis, das über den Motiven Giorgiones schwebt, ist auch über sein Leben gebreitet. Es ist seltsam, daß ein Künstler wie er, den schon sein eigenes Zeitalter zu den bedeutendsten Erscheinungen rechnete, der eine ausgeprägte Persönlichkeit war und als solche die größte Wirkung ausstrahlte, so wenig Zeugnisse seines Lebensganges hinterließ. Wie allen Götterlieblingen, wie Raffael, wie Mozart, war auch ihm nur eine kurze Zeitspanne für sein ganzes reiches Wirken vergönnt — Giorgione ist nur 34 Jahre alt geworden. Geboren war er bei Castelfranco in Oberitalien, nahe dem heiteren Treviso, wahrscheinlich im Jahre 1477. Die anmutige, von den fernen Alpen begrenzte Landschaft, in der er aufwuchs, gab dem sinnigen Wesen des jungen Giorgio gewiß die schönste Anregung und legte den Grund für jene bewundernswerte Einfühlung in die Natur, die in seinen Bildern zutage tritt. Seine Phantasie erhielt dann reiche Nahrung durch einen der berühmtesten Alchimisten seiner Zeit, den Grafen Bernhard von der Mark, der die ganze Welt durchstreift[S. 63] hatte, um den „Stein der Weisen“ zu finden (was ihm angeblich als Greis auch gelungen ist), und der damals in Treviso hauste. Der Künstler Giorgione aber erwachte erst, als er nach Venedig kam, der Stadt seiner Träume, die auch die Stadt seiner Erfüllung werden sollte. Venedig als Stadt und Staat stand auf der glänzendsten Höhe seiner Weltmacht; es bot das feinste gesellschaftliche Leben, die unerhörteste Pracht an Festen und Genüssen aller Art; seine farbenbunte Heiterkeit, seine Schönheit und sein Reichtum übersonnten ein Geschlecht von lauter daseinsfrohen Gegenwartsmenschen, und dazu kam noch eine unvergleichliche Natur- und Kunstfülle. Alles war in lebendigster, freudigster Bewegung.

Giovanni Bellini, dessen Ruhm als Madonnenmaler weit und breit erscholl, hatte die neue Technik der Ölmalerei zur glänzendsten Entwicklung gebracht. Seine Schule genoß das reichste Ansehen und gewann immer größeren Einfluß, denn er hatte die venezianische Malkunst aus ihrer früheren Steifheit und Konvention erlöst, sie zur Wahrheit und Freiheit geführt, mit dem Odem des Lebens erfüllt und ihr ein Kolorit geschenkt, das voll Wärme und Leuchtkraft war. Aus seiner Schule sollten denn auch die größten venezianischen Meister hervorgehen — als Giorgione[E] dort eintrat, waren schon Tizian, Palma Vecchio, Sebastiano del Piombo neben vielen anderen in der Werkstatt des berühmten Meisters tätig. Aber der jüngste Schüler erwies sich bald als der stärkste an Persönlichkeit und Eigenart, so daß sich alle ihm beugten. Hatte Bellini Wärme, Anmut, Natürlichkeit gelehrt, so[S. 64] brachte Giorgione das Wesentlichste, das die Mitstrebenden auf seine Bahn zog: die Beseelung. Das persönliche Wesen Giorgiones muß etwas Herzgewinnendes, Bezwingendes gehabt haben; schon früh wurde seine Schönheit und Liebenswürdigkeit, seine feine Bildung, seine große musikalische Begabung und sein Liebesglück gerühmt. Wie der Mensch war, war auch sein Werk — darum setzte sich auch sein Einfluß auf die künstlerisch schaffenden Zeitgenossen — vor allem auf Tizian — und das ganze ihm folgende Jahrhundert so mühelos und selbstverständlich durch. Gab ihm Bellini auch das technische Fundament, so ist Giorgione doch im Gedanklichen, in der Empfindung, im Gefühl der richtunggebende Führer, dessen Schöpfungen eine mächtige, bezaubernde Wirkung innewohnt und die ihn zum eigentlichen Befreier der Kunst machen. „Denn an Stelle der Überlieferung“ — so schreibt Max v. Boehn in seinem vortrefflichen Giorgione-Buch — „setzte er die eigene Persönlichkeit, er sprengte die Fesseln, welche die Kunst so eng an die Kirche banden, er überwand die alten Götzen, und der neuen Form, die er schuf, gab er neuen Inhalt: eine schöne Menschlichkeit. Weit fort von den prunkenden Festen prächtiger Farben, welche die anderen der Natur nachschrieben, weit fort aus der lauten Welt lärmender Genüsse, welche allen gemein ist, führt er die Seele in ein Reich, das er geschaffen, das ihm allein gehört, das Ziel der Sehnsucht, das Wunderland der Harmonie, die Heimat ewiger Schönheit, dauernden Glücks.“

Die weiteren Lebensumstände Giorgiones sind völlig in Dunkel gehüllt. Als er auf der Höhe seines Schaffens angelangt war, mußte er der Welt des Scheines Valet sagen.

Ein tragisches Geschick hat es gefügt, daß von den Werken Giorgiones nur wenige erhalten sind. Eine Reihe von[S. 65] Fresken, mit denen er das „Kaufhaus der Deutschen“ in Venedig geschmückt hatte, ist schon früh zerstört worden; um die Echtheit mancher seiner Staffeleibilder wird noch heute viel gestritten, andere wieder werden Zeitgenossen oder Nachfolgern zugeschrieben, die im „Giorgione-Stil“ gemalt haben (und derer waren nicht wenige!). Aber an der geringen Zahl verbürgt echter Schöpfungen Giorgiones, die auf uns gekommen sind, können wir mit Bewunderung die hohe Kunst des Meisters erkennen und studieren. Es sind im ganzen fünf Gemälde, die den seelischen Reichtum, die herrliche Schöpferkraft Giorgiones offenbaren. Allen voran muß sein tief ergreifendes Halbfigurenbild „Das Konzert“ gestellt werden (im Palazzo Pitti zu Florenz). Es zeigt drei musizierende Männer, zwei Mönche und einen ritterlichen Jüngling von fast mädchenhafter Zartheit. Dieses Werk charakterisiert den Künstler in seinem reinsten Wesen: es ist selbst ein Stück innere Musik, voll verhaltener Wehmut, wie ein leises Adagio verschwebend. Aus den fragenden Augen der beiden Mönche spricht ein unnennbares Geheimnis, das man nur zu ahnen vermag; es ist, als wäre mit den Tönen der Musik eine andere Welt zu ihnen herabgestiegen, in deren Zauber sie gebannt sind, während draußen das laute Leben verrinnt, vor dem sie sich in die Stille gerettet haben. Das durchgeistigte Gesicht der mittleren Gestalt scheint ein schweres inneres Erleben widerzuspiegeln, das nun überwunden ist... Die Versonnenheit des Jünglings, die in einem tiefen Gegensatz zu den beiden gereiften Männern steht, deutet auf ein träumerisches Ahnen, daß dieses Leben zu kurz für die Pläne der Jugend ist, daß alles in Vergessen endet. Und da steigt unsichtbar die Erscheinung des Künstlers selbst mit empor: es ist, als habe er in diesem[S. 66] Bilde die Ahnung seines eigenen frühen Todes ausgesprochen. Das Werk wurde lange Zeit Tizian zugeschrieben.

Wie Giorgione die Landschaft in den unmittelbarsten Zusammenhang mit seinen Menschen bringt, das zeigen seine anderen erhaltenen Gemälde, besonders ein Bild, das einen Ritter und eine Mutter mit ihrem säugenden Kinde in einer heroischen Gewitterszenerie dargestellt, gewöhnlich „Die Familie des Giorgione“ genannt (Venedig, Galerie Giovanelli). Ferner eins seiner schönsten Werke, eine thronende Madonna mit Heiligen (ein Altarbild in Giorgiones Heimatsstadt), mit einer herrlichen, weitgestreckten Landschaft im Hintergrunde. Alle Großartigkeit der Auffassung, alle Pracht des Kolorits, die Giorgione eigen war, leuchtet auch aus den „Drei Philosophen“ (in der Wiener Galerie), die in eine glänzende Abendlandschaft gestellt sind, und den schönsten Frauenkörper, den die Renaissancemalerei geschaffen, bewundern wir in der „Schlummernden Venus“ (Dresdner Galerie). Auch hier die reichste Naturumrahmung, bei der man an die Worte Hofmannsthals denkt, die er über Tizian sagt: „Er hat den regungslosen Wald belebt.“ —

Giorgiones Lebenswerk, von einem göttlichen Glanze erfüllt, trägt das Zeichen der Unsterblichkeit an sich. Er hat ein Zeitalter der höchsten Schönheit heraufgerufen, und wie seine strahlende Kunst auf seine Zeitgenossen, auf seine Freunde und Schüler, ja selbst auf seinen Lehrer Bellini eine so mächtige Wirkung übte, daß sie nur „giorgionesk“ malten; daß ihn die Besten neben Raffael stellten — so wird die hinreißende Kraft seiner Kunst und seiner Persönlichkeit auch noch viele Menschenalter überdauern.

Felix Lorenz.

[D] Sprich: dschordschóne.

[E] Vasari berichtet, daß er „Giorgio“ getauft, aber wegen seiner Schönheit und Größe „Giorgione“ (der große Georg) genannt worden sei.

[S. 67]

Die Sixtinische Madonna
Von Raffael Santi

Geboren 7. April 1483 in Urbino, gestorben 6. April 1520 in Rom. — Gemäldegalerie in Dresden

Buntbild I

Maria, aller Gnaden Born,
Du reine Rose sonder Dorn,
Du sonnenklare Krone!
Walter von der Vogelweide

Seit vielen Jahrhunderten sind alle Mittel der Kunst in üppigster Weise verschwendet worden, um in Kultbildern die Herrlichkeit und Süße, die Hoheit und Gnade der himmlischen Jungfrau zu besingen. Wie Weihrauchduft an heiliger Stätte steigen stündlich in allen Zonen und Zungen der Welt ambrosianische Lobgesänge zu Ehren ihres unvergänglichen Namens zum Himmel. Zahllose Bilder aus Marmor und Holz künden den Ruhm und Reichtum ihres Lebens und erzählen von der Gnadensendung, zu der sie erkoren ward. Aber kein Kunstmittel hat durch die Jahrhunderte mit solcher Innigkeit und Liebe diesen schier unerschöpflichen Vorwurf gewählt wie gerade die Malerei. Mit ihren zarten und sanften Tönen war es ihr beschieden, das seelische Bild der „Gebenedeieten unter den Weibern“ am reinsten und vollendetsten zu veranschaulichen. Unter den berühmten Künstlern, denen dieser große Wurf in höchster Meisterschaft gelungen ist, steht Raffael wohl unbestritten mit an erster Stelle. In zahlreichen Kunstwerken hat er das Urbild der Jungfrau mit seinem[S. 68] Pinsel verewigt. Am herrlichsten und eindringlichsten aber hat er uns die Madonna mit dem Kindlein in dem Altarbilde nahegebracht, das er für die Mönche der Klosterkirche zu Piacenza (am Po in Oberitalien) malte, die dem heiligen Sixtus geweiht war. Das ist die „Sixtinische Madonna“ oder die „Madonna di San Sisto“. Nicht für alle Zeiten sollte das glorreiche Gemälde an der Stelle bleiben, an die es der Meister selbst nach der Vollendung aus Rom gebracht hatte. Im Jahre 1754 verkauften die Benediktinermönche zu Piacenza das wunderbare Gemälde um eine für damalige Zeiten namhafte Geldsumme an den kunstbegeisterten Kurfürsten Friedrich August II. von Sachsen, den Sohn Augusts des Starken. In der Dresdner Gemäldegalerie hängt das berühmte Altarbild in einem kleinen kapellenähnlichen, von den großen Sälen abgesonderten Raum seit nun bald zweihundert Jahren. Noch immer leuchtet es in altem Glanze, noch immer trägt es jahraus, jahrein in das Leben Von Tausenden und Abertausenden, die anbetend vor ihm stehen, Glanz und Schönheit, Freude und Trost, Licht und Hoffnung, Zuversicht und Kraft... Allen ist die Madonna das erhabene Sinnbild der allgütigen Helferin, der Trösterin der Betrübten und Trauernden, der Mutter der Mütter:

Sie ist der Frauen Krone,
Sie ist der Mägde Kranz,
Sie ist der Engel Lohne,
Sie ist der Himmel Glanz.
Aus dem Gedicht: „Ich han mir userkoren“, 15. Jahrhdt.

Innerlich ergriffen schauen wir hin zu dem Bilde Marias, die uns den Erlöser geboren hat, zur Mutter des Herrn, des Königs der Könige. Maria, die Reine, die gnadenreiche Jungfrau, vom Strahlenglanze himmlischen[S. 69] Lichts umflossen, grüßt milde und hoheitsvoll zu uns herab mit dem Auge unvergänglicher, erbarmender Liebe. Ströme des Segens fließen aus ihrem verklärten Antlitz hin zu dem Pilger, der ihr naht, und keiner geht mit leeren Händen von dannen.

Einfach und schlicht ist das Kleid der Himmelskönigin. Aus dem blauen Mantel leuchtet das rote Untergewand und von ihrem Haupte herab fließt ein goldfarbiger Schleier. Ihre Züge verraten, daß sie von ihrer erhabenen Sendung durchglüht ist; sie weiß: in ihren Händen trägt sie das köstlichste Gefäß, das Heil der Welt, den Erlöser. Aus ihren Augen leuchtet Milde und Ernst, Glück und Schmerz, Hoheit und Würde. Ihr Haupt strahlt im Glanze eigener Schönheit. Das dunkelblonde Haar ist glatt gescheitelt und verdeckt fast völlig das linke Ohr. Mit überirdischer Leichtigkeit schwebt Maria auf den Wolken heran: sie tritt gewissermaßen aus dem Rahmen des Bildes heraus und drängt zu dem Beschauer hin. Der Heiland schmiegt sich in ihren linken Arm, von dem rechten sorgsam gestützt. Das rechte Beinchen des Kindes ist über dem linken, herabhängenden, rechtwinklig gekreuzt. Das linke Händchen faßt nach dem rechten Unterschenkel, die rechte Schulter wird von der Mutter Arm sanft hochgezogen. Die ganze Haltung der beiden Gestalten hat nichts Gekünsteltes, Schweres, sie mutet in allen Bewegungen und Stellungen durchaus natürlich und zwanglos an. Überall zeigen die Linien den edlen Schwung, den nur die Hand des großen Meisters führt. Gleich dem Auge der Mutter geht der Blick des Heilands in ferne Weiten und strebt hinaus in das All, als erfasse er suchend die ganze Menschheit, der seine Sendung gilt. Unendliche Süße und Zartheit, zugleich aber auch die herbe Ahnung kommenden[S. 70] bitteren Leids, zu dem der göttliche Knabe nach ewigem Ratschluß erkoren ward, leuchten aus den Augen der beiden Lichtgestalten.

Der von links unten zur Gottesmutter emporblickende heilige Sixtus, nach dem das Madonnenbild benannt ist, wird von der Pracht und dem Prunk seines Ornats fast bedrückt. Zum Zeichen der Demut und Inbrunst im Dienste der heiligen Jungfrau deutet er mit der Linken auf seine Brust; mit der Rechten weist er nach der dreizackigen Tiara, der päpstlichen Krone, die rechts in der Nähe der Schwelle steht, von der das Gemälde nach unten hin abgeschlossen wird. Als Gegenstück zu Sixtus sehen wir rechts die heilige Barbara. Ihre Haltung verrät tiefe innere Freude, selbstvergessene Hingabe, seliges Glück. Sie erscheint als Fürsprecherin der Gläubigen, die sich der heiligen Jungfrau mit ganzer Seele weihen und des Segens harren, der aus ihren Gnadenhänden fließt. Ich habe oft den Eindruck gehabt, als ob das Auge der heiligen Barbara von der Größe ihrer Mission und dem unerhörten Glanze geblendet sei, der wie der Offenbarung Licht von Maria und dem Kinde ausstrahlt. Sixtus und Barbara sind gleichsam die Herolde, die den in den Tiefen harrenden Gläubigen das Nahen der Himmelskönigin und des Heilands künden. Ganz im Vordergrunde, der irdischen Welt am nächsten, sehen wir die in seliges Schauen versunkenen, von harmloser Freude erfüllten beiden beflügelten Englein. —

Nun sollt ihr auch etwas aus dem Leben des hochberühmten Meisters erfahren, der uns mit dieser herrlichen, einzigartigen Gabe beschenkt hat.

Raffael Santi wurde am 7. April (auch der 28. März, ein Karfreitag, wird vielfach als Geburtstag angegeben) im Jahre 1483 in Urbino, der Hauptstadt des kleinen Herzogtums[S. 71] Montefeltro, geboren. Das Städtchen Urbino liegt auf einem östlichen Vorberge des römischen Apennin, zwischen dem Metauro und Foglio. Raffaels Mutter, Magia, die Tochter des Bottista Ciarla, war gleichfalls aus Urbino gebürtig. Sie starb, als der Knabe kaum acht Jahre zählte. Sein Vater, Giovanni Santi, hatte sich in mancherlei Tätigkeiten versucht, ehe er sich der Kunst zuwandte und als Maler sinnigfrommer Heiligenbilder im Stile der damaligen Zeit, für sich und die Seinen den Unterhalt erwarb. Er selbst hat den jungen Raffael in die Anfangsgründe der Malerei eingeführt. Es sollte ihm aber nicht vergönnt sein, den Ruhm des hochbegnadeten Sohnes zu erleben; denn auch er starb schon 1494, als Raffael im zwölften Lebensjahre stand. Beim Meister Perugino, der die sogenannte umbrische Malerschule leitete, fand der kunstbegeisterte Knabe die weitere Ausbildung. Er wurde von der sanften, milden Art seines Lehrers innerlich tief berührt. Seine ersten, selbständigen Schöpfungen beweisen, daß er ganz in Peruginos Bahnen wandelte. Da Raffael eine ausgezeichnete Vorbildung und ganz hervorragende Begabung mitbrachte, machte er rasch große Fortschritte. Es folgten die Jahre künstlerischen Aufschwungs in Florenz mit dem Florentiner Fra Bartolommeo. Zugleich ist der Einfluß der großen florentinischen Meister Masaccio, Donatello und Leonardo da Vinci auf seine Entwicklung ganz unverkennbar. Die Zeit des gewaltigsten und fruchtbarsten Schaffens stand ihm noch bevor. In Rom, der Ewigen Stadt, sollte sich unter dem Schutz kirchlicher Würdenträger seine Kunst zu der überwältigenden Höhe steigern, die ihn bis auf unsere Tage in die Reihen der glänzendsten Künstler aller Zeiten stellt. In Rom, wo er seit dem Jahre 1508[S. 72] lebte, entfalteten sich Geist und Kunst zu so überragender Reife und unerreichter Meisterschaft, zu solcher Fülle schöpferischen Schauens und Erlebens, die seinen Genius in hellstem Lichte zeigt. Seiner Hände Werk war sichtlich gesegnet; gleich seiner Kunst war sein Leben harmonisch und klangreich wie köstliche Musik, die jauchzende Jugend zu seligem Tanze ruft. Seine Stirn ist von unvergänglichem Lorbeer umkränzt; er ist ein Priester im Reiche der Schönheit, ein König im Reiche der Kunst! Fast will es scheinen, als hätte er den frühen Tod vorausgeahnt; denn die wenigen Jahre, die ihm bis zu seinem Scheiden von dieser Erde blieben, waren von beispielloser Fruchtbarkeit. Die erhabenen Schöpfungen, die in dieser kurzen Zeitspanne entstanden, könnten ein langes, reichgesegnetes Künstlerleben füllen.

Ein glänzendes Charakterbild des Menschen und Künstlers Raffael zeichnet uns einer der Zeitgenossen:

„Raffael ist sehr reich und steht beim Papste in Gunst; er ist von der höchsten Herzensgüte und doch mit bewunderungswürdigen Gaben ausgestattet. Unter den Malern ist er vielleicht der erste, in Theorie und Praxis gleich ausgezeichnet. Als Architekt so unermüdlich und erfinderisch, daß ihm zu ersinnen und auszuführen gelingt, woran die größten Geister verzweifelten. Er ist der oberste Baumeister von Sankt Peter. Doch davon will ich nicht sprechen, sondern von dem bewunderungswürdigen Werke, das er jetzt unternahm, das der Nachwelt unglaublich erscheinen wird; er hat das alte Rom in seiner alten Gestalt, seinem alten Umfange und seiner Schönheit zum großen Teil wiederhergestellt, um es unseren Blicken zu zeigen. Auf den Höhen und in den tiefsten Stellen der Stadt hat er nach den alten Fundamenten gesucht, die Zeugnisse der[S. 73] Alten hinzugenommen und den Papst und die Römer in solches Staunen versetzt, daß alle ihn wie ein vom Himmel kommendes göttliches Wesen ansehen, herabgesandt, um die Ewige Stadt in ihre alte Majestät zurückzuversetzen. Keine Spur von Hochmut aber ist dadurch in ihn hineingekommen, sondern er verdoppelt nur seine Freundlichkeit den Menschen gegenüber; wer immer ihm etwas Förderndes zu sagen hat, dem steht er gern Rede: Niemand leidet so willig, daß seine Behauptungen in Zweifel gezogen werden; sein höchster Lebensgenuß scheint zu sein, zu lehren und sich belehren zu lassen.“

Raffaels Wesensart könnte nicht trefflicher gezeichnet werden. Seine vielgerühmte Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit an Menschen und Dinge ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß er zeitig auf sich selbst gestellt war. Da lernte er frühe den Wert hilfreicher Freundlichkeit schätzen. Alle, mit denen er in Berührung kam, waren von dem Zauber seiner Persönlichkeit gefangen; alle Pforten öffneten sich ihm. Seine Gesichtszüge trugen, wie uns erzählt wird, etwas Edles, Durchgeistigtes. Auch der äußere Mensch war ein Abbild des inneren. Von hohem Wuchs, meist in prächtige Gewänder gehüllt, hatte er — ein Fürst im Reiche der Kunst — auch äußerlich fürstliche Allüren. Mit heißem Herzen suchte er Schönheit und Freude. Seine Sehnsucht fand Erfüllung in seinen unvergleichlichen Farbensymphonien, mit denen der begnadete Jüngling die Welt beglückt hat. So können wir es wohl verstehen, daß er zahlreiche Schüler um sich scharte, die ihm begeistert huldigten, denn nur wenige haben die künstlerischen Darstellungs- und Ausdrucksmittel in solcher Meisterschaft beherrscht wie er.

Vielleicht kennen manche von euch außer der Sixtinischen[S. 74] Madonna noch andere der zahlreichen Madonnenbilder von Raffaels Meisterhand. Ich nenne hier nur die bekanntesten: die „Madonna della Sedia“ und die „Madonna del Granduco“, beide im Pitti-Palast zu Florenz, die „Madonna mit dem Fisch“ im Prado-Museum zu Madrid, die „Madonna Colonna“ im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin, die „Madonna im Grünen“ in der Gemäldegalerie zu Wien und die „Belle Jardinière“, genannt „Die schöne Gärtnerin“, im Louvre-Museum zu Paris. Zahllos sind die von Raffael stammenden Zeichnungen und Skizzen. Die großen Wandgemälde und berühmten Fresken, die er für den Vatikan malte, wie seine unsterblichen Taten als Baumeister der Peterskirche in Rom seien hier nur kurz erwähnt. —

In der Blüte der Jahre und Fülle der Kraft, am 6. April 1520 wurde der erst siebenunddreißigjährige Meister von tückischer Krankheit dahingerafft. Wie groß und göttlich ist das Lebenswerk, das er uns hinterließ. Durch seine Hände ist uns Offenbarung geworden; ihn hatte die hohe Muse sich erkoren, um uns durch ihn zu ihren Wundern hinzuführen. Und eins der größten Wunderwerke spricht in beredter Sprache zu uns, wenn wir die Sixtinische Madonna in der Dresdner Galerie betrachten. Für alle Zeiten unerschöpflich bleibt die Quelle der Kraft und Schönheit, die diesem Meisterwerke entströmt. Darum, wann immer euch euer Weg in die Kunststadt Dresden führen sollte, versäumt nicht, die herrliche Gabe des großen Meisters mit eigenen Augen anzuschauen. Ihr werdet nie mit leerem Herzen von dannen gehn.

Paul Gerhard Zeidler.

[S. 75]

Der Zinsgroschen
Von Tizian

Geboren um 1477 in Pieve di Cadore (Friaul), gestorben 27. August 1576 in Venedig. — Gemäldegalerie in Dresden

Buntbild II

Glänzend entfaltet sich im 16. Jahrhundert die Malerei Italiens. Mit Recht spricht man von den drei Großmeistern dieser Zeit, Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael Santi. Aber neben sie tritt fast ebenbürtig Tizian Vecellio, der größte unter den Malern Venedigs.

Venedig hat von jeher einen besonderen Platz in der Malerei Italiens behauptet. Das hängt mit seiner Lage und der Tätigkeit seiner Bewohner zusammen. Im Mittelalter geht der gesamte Verkehr des Abendlandes mit dem Morgenlande über Oberitalien, über die drei Städte Venedig, Florenz und Genua. Unter diesen ist Venedig die bedeutendste; sie beherrscht den größten Teil des Levantehandels, d. h. den Austausch der Güter zwischen Europa und den Mittelmeerküsten Nordafrikas, Syriens und Kleinasiens bis zum Bosporus und dem Schwarzen Meere.

So kommt es, daß sich damals in Venedig die Schätze des Morgen- und des Abendlandes begegnen. Nach Venedig gelangen die Seidengewebe Chinas, die Teppiche Persiens, die Gewürze und Edelsteine Indiens, das Gold und Silber Südasiens, das Elfenbein Afrikas. Aus dem Norden aber strömen in Venedig zusammen alle die Einfuhrgüter, die abendländischer Gewerbefleiß erzeugt, Eisen und Stahl, Kupfer und Messing, Gefäße und Geräte[S. 76] aus Metall und Holz, Waffen aller Art, Leinwand, Tuch und Leder, rheinische Goldarbeiten, Nürnberger Spielwaren, Augsburger Kunstwerke.

All die Farbenpracht und Farbenfreude, die dem Morgenlande eigen sind, sie entfalten sich ganz von selbst in Venedig. Unterstützt wird diese Freude an Pracht und Farbe durch die gewaltigen, schier unermeßlichen Vermögen, die durch den Handel in Venedig aufgehäuft werden. Vor allen Dingen aber behauptet Venedig damals eine Machtstellung sondergleichen, dank der großzügigen, wenn auch rücksichtslosen Handelspolitik, die die Lagunenstadt im gesamten Gebiete des Mittelmeeres entwickelt. Nicht ohne Grund lautete damals ein Merkwort:

Straßburger Geschütz, Nürnberger Witz,
Venediger Macht, Augsburger Pracht,
Ulmer Geld, bezwingen die ganze Welt.

All diese venezianische Freude an Pracht und Schönheit, an Form und Farbe ist getaucht in den hellen Sonnenglanz, der den größten Teil des Jahres über der Stadt liegt und den das Meer mit seinen vielen, die Stadt durchziehenden Armen und Kanälen tausendfach widerstrahlt. Daher rührt es, daß in den Werken der Maler Venedigs immer eine berückende Farbenpracht und eine glänzende Farbengebung vorwalten, gleichsam als sei alles mit den leuchtenden Strahlen von Sonne und Meer getränkt. Das zeigt sich schon im 15. Jahrhundert in den Schöpfungen eines Jacopo Bellini und tritt noch schärfer hervor in den Werken seiner Söhne Gentile und Giovanni Bellini. Besondere Förderung erfährt dieses Bestreben dadurch, daß die beiden Brüder zwischen 1473 und 1475 die Technik der Ölfarbe erlernen und seitdem anwenden. Diese durch Antonella da Messina 1473 in Venedig eingeführte Öltechnik[S. 77] ist von der größten Bedeutung, denn sie allein gestattet die Wiedergabe der Farbe in ihrer vollen Tiefe, die Wiedergabe des Lichtes in seinem vollen Glanze. Bis dahin konnten sich die Maler nur mattwirkender Farben bedienen, indem sie entweder mit Kalkfarbe al fresco, d. h. auf den frischen Bewurf der Wand malten, oder aber Tafelbilder auf Holz, Kupfer oder Leinwand in Leimfarben oder Eifarben (Tempera) herstellten. In dem einen wie dem anderen Falle erscheinen nach dem Auftrocknen die Farben stumpf und flach. Jetzt ermöglicht die Ölmalerei die Anwendung von Farben, die denen der Wirklichkeit gleich sind an Kraft und saftiger Schönheit, die dabei jede Abwandlung vom zartesten Hauche bis zur sattesten Tiefe gestatten und die, nachdem sie aufgetrocknet sind, durch einen Überzug von Firnis (Lack) eine unveränderliche Leuchtkraft gewinnen. Darum haben so viele von den Meisterwerken jener Tage ihre volle Wirkung bis heute bewahrt.

In dieses Venedig hinein und gleich zu den Bellinis in die Lehre kommt im Jahre 1487 unser Tizian. Er war 1477 als Sprößling einer angesehenen Familie zu Pieve di Cadore im Friaul geboren, also inmitten einer großartigen, majestätisch-monumentalen Alpenwelt aufgewachsen. Wenn auch damals und noch mehr in späteren Jahren die Handelsmacht Venedigs sich allmählich verringerte, weil der Welthandel infolge der Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach Ostindien mit der Zeit andere Bahnen einschlug, so verschob sich das alles doch nur Schritt für Schritt, so daß Venedig seine Vormachtstellung im Mittelmeer noch Jahrhunderte behielt und damit seinen Reichtum und seinen Glanz, seine Pracht und seinen Ruhm.

Knapp zehn Jahre hat Tizian gebraucht, um zu einer selbständigen Wirksamkeit als Maler zu gelangen. Aber[S. 78] wie jeder heranwachsende Künstler unterliegt auch er in der ersten Zeit seines Schaffens fremden Einflüssen. Die Auffassung und Malweise seiner Lehrer hält er längere Zeit fest, dann nähert er sich mehr der weichen Art des Giorgione, mit dem zusammen er bis 1508 an der Ausmalung des deutschen Fondaco, des deutschen Kaufmannshofes in Venedig, tätig ist. Aber auch Leonardo da Vinci bleibt nicht ohne Wirkung auf ihn. Schließlich verläßt er Venedig und malt 1511 bis 1512 in Padua Fresken.

Aber Venedig hat es ihm doch angetan. Er mag es gefühlt haben, daß er, der hochgemute, scharfblickende, kühn und fest vorwärtsstrebende Sohn der Alpen, nur in dem stolzen, reichen, von allen Schätzen der Welt erfüllten Venedig sein Ziel erreichen könne, ein großer Maler zu werden. Und er wird es dort. Mit seiner Rückkehr nach Venedig 1512 beginnt der zweite Abschnitt seine Lebens voll künstlerischer Selbständigkeit und reicher Wirksamkeit. Schon 1516 wird er zum Ratsmaler von Venedig ernannt. Er knüpft Verbindungen mit den Fürstenhöfen von Ferrara und Mantua an, arbeitet zeitweilig auch dort. So sind die zwanzig Jahre von 1512 bis 1532, also sein Mannesalter vom fünfunddreißigsten bis fünfundfünfzigsten Jahre, ausgefüllt von unermüdlichem, niemals erlahmendem Schaffen, das ihn auf die Höhe seiner Kunst führt.

Das Jahr 1532 bringt eine entscheidende Wendung im Leben Tizians. Er malt Kaiser Karl V. und tritt zu ihm in enge Beziehungen. Damit wird er ganz von selbst zum gesuchtesten Maler seiner Zeit, dem seine großen Einkünfte gestatten, ein fürstliches Haus zu führen, dem aber auch seine ausgebreiteten persönlichen Verbindungen gestatten, die Größten und Besten seiner Zeit als Gäste bei sich zu sehen: die fürstlichen Staatshäupter, die Träger[S. 79] der höchsten kirchlichen Würden, die Großen an Geist und die Großen an Geld. Selbst wie ein Fürst anzusehen, hochgewachsen und von breiten Schultern, mit Adlernase und großen, kühnen Augen, vornehm und gelassen in Haltung und Bewegung, empfängt der 1533 Geadelte seine fürstlichen Gäste. Als ihn 1576 die Pest hinwegrafft, hat der Neunundneunzigjährige noch keine Abnahme seiner Arbeitskraft verspürt.

Groß ist die Zahl der Werke, die Tizian geschaffen. Nur die wichtigsten können genannt werden. In den Jahren seiner Entfaltung vor 1512 entstehen drei seiner berühmten Jugendwerke, der heilige Markus, der Zinsgroschen und das unter dem Namen der himmlischen und der irdischen Liebe bekannte Bild. In sein Mannesalter fällt die Assunta, d. h. die Himmelfahrt Mariä, weiter die Madonna der Familie Pesaro, die Ermordung des Petrus Martyr, die Madonna in der Glorie, die drei Bacchanale, die Flora, die Venus von Urbino. Aus der Zeit seines Alters, zwischen 1532 und 1576, stammen seine reifsten Werke, die Bildnisse Karls V., des Herzogs und der Herzogin von Urbino, des Papstes Paul III., seine Selbstbildnisse und das schöne Bild seiner Tochter Lavinia mit der Fruchtschale in den hocherhobenen Händen. Daneben der Tempelgang der Maria, die Dornenkrönung Christi, Danae im Goldregen.

Wie kaum ein anderer seiner Zeit hat Tizian es verstanden, die Farbe zur höchsten Wirkung zu bringen. Die Farben im Bild zusammenzustimmen, sie zu voller Harmonie und höchstem Schmelze zu entwickeln, das ist das koloristische Ziel, das ihm vorschwebt und das er erreicht. Daneben aber der hohe künstlerische, geistige und sittliche Gehalt seiner Werke. Denn was er malt, ist erfüllt von[S. 80] Schönheit und Kraft, von erhobener Ruhe, Würde und Majestät, stolzer Sicherheit und tiefstem innerlichen Leben.

So verlockend es ist, einem Künstler auf die Höhe seiner Laufbahn zu folgen, so reizt es doch noch mehr, aus einem seiner Jugendwerke das herauszulesen, was er als reifer Meister bekundet hat. Deshalb ist hier der Zinsgroschen ausgewählt, jenes Jugendwerk, das in der Dresdner Galerie hängt. Das Ölgemälde ist um 1508 entstanden, also zu einer Zeit, als Tizian etwa 31 Jahre gezählt hat.

Es handelt sich um die bekannte Begebenheit aus der Biblischen Geschichte. Die Pharisäer wollen dem Heiland aus seinen Reden einen Fallstrick drehen und entsenden einige ihrer Jünger, ihm verfängliche Fragen vorzulegen. So fragen sie ihn, ob es recht sei, dem Kaiser Zins zu zahlen, d. h. ihm Steuern zu entrichten. Sie hatten natürlich dabei die Absicht, den Erlöser zu einer unbedachten Antwort zu verleiten, zu einer Äußerung etwa des Inhalts, daß der Kaiser nicht berechtigt sei, Steuern zu erheben. Dann hätten sie natürlich diese Äußerung der Obrigkeit hinterbracht und Jesus Christus als Aufwiegler gebrandmarkt. Aber Jesus Christus, der die Fragenden durchschaut, spricht zu ihnen: Weiset mir die Zinsmünze, und als sie ihm einen Groschen reichen, fragt er sie: Wes ist das Bild und die Umschrift? Als sie ihm darauf antworten: Des Kaisers, spricht Jesus die Worte zu ihnen: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.

Es ist unverkennbar, daß Tizian dieses Bild unter dem Einflusse von Leonardo da Vinci geschaffen hat. Aber nur unter seinem mittelbaren Einflusse insofern, als Aufbau und Durchführung an das Vorbild Leonardos erinnern. Im übrigen aber ist das Werk eine vollkommen selbständige Schöpfung Tizians. Und mit welcher Meisterschaft[S. 81] hat er den Vorgang bewältigt! Zunächst schon erfüllt er in der Komposition, im Entwurfe das erste Erfordernis aller Kunst, sich auf das Notwendige zu beschränken, indem er weiter nichts darstellt als Christus und einen seiner Versucher, nämlich den fragenden. Und auch diese beiden gibt er nur als Halbfiguren wieder. Dadurch erzielt Tizian eine wertvolle Zusammendrängung seines Werkes, er führt den Vorgang zurück auf das Wesentliche, auf die an sich höchst einfache Handlung. Da aber setzt er mit allen Mitteln der Kunst die beiden Personen zueinander in Gegensatz und vereinigt sie doch wieder zu einer künstlerischen Einheit, den fragenden Pharisäer und den antwortenden Christus. Scharf sind beide gegeneinander gekennzeichnet. Christus, das Antlitz voll Milde und Sanftmut, durchgeistigt und voll ruhigen Ernstes, die Lippen als ob sie sprächen und doch um Mund und Augen herum so etwas wie ein gelassenes Lächeln innerer Überlegenheit über die Plumpheit, mit der der andere seine Schlinge stellt. Die Hand Christi, die auf den Zinsgroschen weist, ist ebenso durchgeistigt wie das Gesicht. Es ist die Hand eines tief und viel Denkenden, eines Mannes, der über die letzten Rätsel der Menschheit gegrübelt hat und erfüllt ist von Mitleid und Erbarmen. Ganz anders der Fragende. Braun von Hautfarbe, hager, ein Mann des Gierens und Erraffens, ein selbstsüchtig Hastender, der zeitlebens an nichts anderes gedacht hat als an das Erringen des Leiblichen, ein Mann voll Tücke und Schliche. Das Nachdenken über sich selbst und sein Beginnen, oder gar über Gott und Menschen hat er nie geübt oder doch schon längst verlernt. Das von Leidenschaften durchfurchte braune Gesicht des Fragenden steht in schlagendem Gegensatze zu dem feinen hellen, von unendlicher Güte durchleuchteten[S. 82] Antlitze Christi, und die grobe, braune, derbknochige, von dicken Adern durchzogene Hand des Pharisäers bildet ein vollständiges Widerspiel zu der feinen, schlanken Hand Christi. Dazu die Haltung der beiden. Der Fragende, der sich plötzlich wie eine falsche Katze an Christus herangedrängt hat und ihm nun listig und schmeichlerisch anhängt; Christus, der sich im Weiterschreiten nicht aufhalten läßt, sondern sich nur halb zu dem Fragenden umwendet und so ihm seine Antwort gibt.

Bemerkenswert weiterhin, mit welcher Meisterschaft die Farben der Gewänder gegeneinander abgestimmt sind. Christus mit dem hellrötlichen Untergewand und dem blaugrünen Mantel dazu, der Pharisäer in dem grünlichen Gelb seines Gewandes. So beherrscht der Farbendreiklang Hellrot, Blaugrün und Grünlichgelb das ganze Bild; und zu diesem Dreiklang gesellen sich harmonisch das Braun in der Hautfarbe des einen, der helle Ton in der Haut des anderen, die braunen Haare des einen, die braunschwarzen des anderen. Also auch hier wieder eine große Meisterschaft des Urhebers.

Vor allem aber tritt uns schon in diesem Jugendwerke Tizians alles das entgegen, was sein späteres Schaffen kennzeichnet, die monumentale Größe des Vorwurfes, die Wucht und Eindringlichkeit der Darstellung, die vornehme Ruhe und der tiefgeistige Gehalt des Vortrags, der klare, nur auf das Notwendige beschränkte Aufbau, die meisterhafte Beherrschung der Farbe, die unvergängliche Schönheit der Leistung. Man versteht es, daß solch ein Maler zu einem Fürsten unter den Künstlern heranreifen mußte.

Georg Lehnert.

[S. 83]

Die heilige Nacht
Von Antonio Allegri da Correggio

Geboren um 1494 zu Correggio, gestorben 5. März 1534 ebendort. Gemäldegalerie in Dresden

Buntbild III

An Stelle der überlieferten Anschauungen des Mittelalters trat im Italien des 15. Jahrhunderts die Renaissance und erweckte das klassische Altertum zu neuem Leben. Sie öffnete den schönen Künsten und Wissenschaften die lange verschlossenen Pforten hoher Erkenntnis. Wie schon ihr Name sagt, führte sie eine förmliche Wiedergeburt der Geister herbei und brachte Umwälzungen auf allen Gebieten. Die treibende Kraft war die Kunst, die in den Herzen der Menschen neues Leben entfachte. Gleichwie die Sonne mit sieghaften Strahlen die winterliche Nacht durchbricht und die Erde mit Glanz und Schönheit erfüllt, so wirkte das Zeitalter der Renaissance in Italien. In jeder Brust erwachte übermächtig die Sehnsucht nach Freude; alle Geister waren von leidenschaftlicher Liebe zu Kunst und Wissenschaft durchglüht: düsteres Grübeln und finsterer Aberglaube schwanden dahin; verheißungsvoll leuchtete das Morgenrot einer neuen Zeit. Begeisterung, Jubel, Lust und übersprudelnde Lebensfreude warfen die überlieferten Anschauungen in einem glücklichen Augenblick über den Haufen. Nicht nur die Edlen und Großen, Reichen und Mächtigen pilgerten freudeberauscht zu diesem Lebensquell, nein, das Dasein aller Volksschichten wurde durch einen Hauch der Erneuerung und Erhöhung verjüngt. Päpste und Fürsten wetteiferten miteinander[S. 84] im Dienste der hohen Muse. Herrliche Kirchen und Paläste entstanden, mit wunderbaren Gemälden und Skulpturen geschmückt; daneben wurden der Forschung und Wissenschaft langentbehrte Heimstätten errichtet.

Die reinste Blüte erreichte die Renaissance in den unsterblichen Werken eines Leonardo, Michelangelo und Raffael. Rom, Florenz, Venedig, Mailand, Bologna und andere Städte sind beredte Zeugen der hohen Blüte jener Tage. Aber auch in kleinere Plätze wie Ferrara, Mantua, Perugino, Parma, Rimini und viele andere warf die Fackel der Erkenntnis ihren lodernden Schein. Unter ihnen gebührt der zwischen Parma, Reggio, Modena, Carpi, Bologna, Ferrara und Mantua gelegenen Stadt Correggio ein Ehrenplatz. In ihren Mauern erblickte unser Meister Antonio Allegri da Correggio, der Schöpfer des wunderbaren Gemäldes „Die heilige Nacht“, das wir miteinander betrachten wollen, das Licht der Welt. Eigentlich heißt er nur Antonio Allegri, wurde jedoch, wie es damals Brauch war, nach seiner Geburtsstadt „da Correggio“ genannt. Unter diesem Namen ist er nach seinem Tode in der ganzen Welt bekannt und hochberühmt geworden. Von seinem Leben wissen wir verhältnismäßig wenig Zuverlässiges. Die Überlieferungen sind in vielen wichtigen Punkten lückenhaft geblieben, so sehr sich die Forschung auch bemüht, die Schleier zu lüften und Klarheit zu schaffen. Wahrheit und Dichtung stehen hart beieinander; denn viele Zeugnisse verblaßten, und manche Zugänge zu tieferer Erkenntnis wurden im Laufe der Jahrhunderte verschüttet. Überzeugender aber als alle beglaubigten Schriftstücke spricht zu uns die erhabene Kunst unsres Meisters, in der er sich selbst ein Denkmal gesetzt hat, dauerhafter als Erz!

[S. 85]

Der Vater unsres Malers hieß Pellegrino und bewohnte mit seiner Frau, einer geborenen Bernardina Piazzoli, ein bescheidenes Häuschen in Correggio. Er soll ein fleißiger und vorbildlicher Hausvater gewesen sein. Ganz unbemittelt waren die Eltern wahrscheinlich nicht; denn Antonios Mutter hatte dem Gatten eine Mitgift von hundert correggianischen Lire in die Ehe eingebracht. Den Geburtstag Antonios kennen wir nicht; auch über die Ereignisse der frühesten Jugendjahre schweigen sich die Quellen aus. Mit ziemlicher Sicherheit dürfen wir aber annehmen, daß der Knabe schon frühzeitig mit Künstlern in Berührung kam. In seiner Vaterstadt lebten, wenn oft auch nur vorübergehend, viele Maler, Bildhauer und Architekten. Daneben war das edle Kunstgewerbe durch angesehene Teppichweber und Goldschmiede würdig vertreten, und Antonios Oheim, Lorenzo, des Vaters Bruder, war selbst ein Maler. In seiner Werkstatt hat der Knabe vermutlich die ersten Eindrücke gewonnen und die erste, wenn auch ganz oberflächliche Berührung mit der Kunst gehabt. Vielleicht hat sich seine kindliche Phantasie, ganz unbewußt, in knabenhaftem Spiel der hohen Muse genähert. Zweifellos hat er in des Oheims Werkstatt das rein Handwerksmäßige, was damals von großer Wichtigkeit war, erlernt. Später, als er zum Jüngling heranreifte, haben sich frühzeitig gewonnene, vielseitige Eindrücke und Erlebnisse in seiner Seele geklärt und geläutert. Ganz unverkennbar bleibt ein nachhaltiger Einfluß aus dem Studium der Werke der Meister Andrea Mantegna in Mantua und Lorenzo Costa, der nach Mantegnas Tode von Ferrara nach Mantua übersiedelte. Hier hatte unser jugendlicher Maler, der wohl oft in Mantua war — er flüchtete 1511 dorthin, als seine Vaterstadt von der Pest heimgesucht wurde, und blieb hier zwei Jahre —[S. 86] in den Schlössern des Fürsten Francesco Gonzaga reichlich Gelegenheit, die Werke der großen Zeitgenossen zu bewundern und zu studieren. Aber auch bei Bianchi Ferrari, einem Meister der sogenannten „emilianischen“ Malerschule in Modena, soll Correggio manches gelernt haben. Mit knapp zwanzig Jahren entfaltete sich sein Genius. In dem Hochaltarbild für die dem heiligen Franziskus geweihte Kirche seiner Heimatstadt zeigte er der Mitwelt, daß er zum Künstler geboren war, daß er die früh gewonnenen Eindrücke seelisch verarbeitet und mit neuen, eigenen Ideen belebt hatte. Wenngleich er sich von der überlieferten Kunstauffassung noch nicht völlig freimachen konnte und vielfach an die Sonderwünsche seiner Auftraggeber gebunden war, so tritt uns in dem ganzen Aufbau dieses Werkes neben Eigentümlichem und Persönlichem eine gewaltige Kraft und Tiefe entgegen. Das beweisen allein schon die geistigen Beziehungen, die der Künstler in den Blicken der beiden Hauptfiguren dieses Gemäldes zum Ausdruck gebracht hat.

Nun folgte ein reichgesegnetes unermüdliches Schaffen der sogenannten ersten Kunstepoche Correggios, die etwa mit dem Jahre 1519 ihren Abschluß findet. Als willkommener Vorwurf tritt neben anderen das Kult- und Andachtsbild in den Vordergrund. Die Madonna mit dem Kinde in zahllosen Gruppierungen, Christus, die Geschichte des Leidenswegs, Heilige, Apostel, Propheten, Schutzpatrone und dergleichen gelangen in immer neuen Fassungen nach eigenen persönlichsten Auffassungen zur Darstellung. Daß Correggio nicht arm gewesen sein kann, geht wohl schon daraus hervor, daß er mit den teuersten Farben auf dem feinsten Material malte, auf Kanevas, Holz und Kupferplatten. Daneben trieb er eingehende anatomische[S. 87] Studien und war stets beflissen, auch in technischer Beziehung das Höchste zu leisten.

Nicht wie andere Könige im Reiche der Kunst fand unser Correggio den Weg zu Fürsten und höchsten kirchlichen Würdenträgern. Selten nur hat ihm die Sonne der Gunst geschienen. Er lebte meist still und zurückgezogen und war im Verkehr mit großen Herren wenig gewandt. Dazu trat ein tiefes Heimatgefühl, das ihn mit der Scholle der Väter innig verband. Nie eigentlich hat ihn der Wandertrieb ergriffen, und selbst Rom, die Ewige Stadt, hat er wahrscheinlich niemals betreten. Alle Stimmungen gewannen in seiner Phantasie Gestalt und Leben, ehe sie im Atelier oder an den Stätten, für die sie bestimmt waren, in farbiger Herrlichkeit geboren wurden. Wohl lebt viel Freude in seinen Werken, Freude, die seinem innersten Wesen entstammt, und doch ist er bis zu seinem Tode vermutlich ein Weltflüchtiger, ein eigentlich Einsamer geblieben.

Welche Fülle künstlerischen Schauens und Könnens vereinigt sich in dem Namen Correggio! Seine Werke sind die Zeugen eines unablässig suchenden Geistes nach hoher künstlerischer Auswirkung, nach eigenwilliger Beherrschung der Materie. Fast alle seine Schöpfungen überraschen durch die Liebe, mit der sie auch in den Einzelheiten gemalt sind, durch die glänzenden Lichteffekte, durch die oft eigentümliche Gruppierung der dargestellten Figuren und die wechselseitigen Beziehungen, die zwischen ihnen geschaffen sind, durch die Wärme und Weichheit der Farbentöne, durch die Behandlung der Landschaft und zarte Führung der Linien. Seine Hand war begnadet, Geist und Herz standen im Dienste höherer Erleuchtung. Von ihm stammen Werke, die neben den Schöpfungen Michelangelos und Raffaels würdig bestehen können. Die höchste Reife künstlerischen Könnens[S. 88] offenbarte Correggio in den Kuppelmalereien des Domes zu Parma. Hier hat seine Meisterhand ungeheure Schwierigkeiten spielend besiegt, und damit erreichte er im Jahre 1526 den Höhepunkt seines Schaffens, das ihn für alle Zeiten in die Reihen der größten Meister stellt. Auch von ihm gilt Goethes Wort: Es kann die Spur von seinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn. Sein Leben war reich und groß. In einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne sind Werke von unschätzbarem Werte entstanden. Am 5. März 1534 ist der berühmte Meister, kaum vierzig Jahre alt, in seiner Heimatstadt gestorben. Und nun wollen wir unsere Herzen höher stimmen und das herrliche Gemälde „Die heilige Nacht“ genauer miteinander betrachten. Alles, was unser Auge auf diesem Bilde erblickt, atmet die überwältigende Weihe der großen Stunde, die der Welt den Erlöser schenkte. Süß und verheißungsvoll klingen die Weihnachtsglocken. Sanft und mild senkt sich der Gnadengruß der himmlischen Heerscharen in unsere Seele. Wir hören ihr: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Der jahrhundertealte Zauber der „stillen, heiligen Nacht“ erfüllt unser Herz, und unsere Lippen sprechen den Vers des vertrauten, lieblichen Weihnachtsliedes „Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all“:

„Da liegt es, ihr Kinder, auf Heu und auf Stroh,
Maria und Joseph betrachten es froh;
Die redlichen Hirten knien betend davor,
Hoch oben schwebt jubelnd der Engelein Chor.“

Ganz wie es uns das Evangelium (Lukas 2, 1 bis 20) erzählt, das ihr ja alle kennt, zeigt uns Correggio das himmlische Kind auf einem Strohbündel in der aus rohem Holz gezimmerten bescheidenen Krippe. Maria, die gottbegnadete[S. 89] Jungfrau, hält das strahlende Körperchen des Heilands in zärtlicher Liebe umfangen und schaut in seligem Mutterglück zu ihm herab. Sie trägt ein Unterkleid von mattblauer Farbe, ein rotes Übergewand und einen blauen Mantel. Die beiden bilden die Hauptgruppe des Gemäldes, die in strahlendes Licht getaucht, den Beschauer vor allem gefangennimmt. Zur Linken sehen wir drei Gestalten: der Mittelgruppe am nächsten, an einer Säule, eine junge Hirtin, die in einem Körbchen zwei ganz junge, noch flaumbedeckte Gänse zum Geschenk darbringt. Mit der erhobenen Linken schützt sie die Augen vor dem Strahlenglanze, der den Stall durchflutet. Neben ihr steht ein jugendlicher Hirt, der sich zu einem älteren mit fragender Gebärde hinwendet. Der alte Hirt ist in ein braunes Gewand gehüllt und hat die Rechte erhoben, während seine Linke einen Stab hält. Dicht bei ihm, den Kopf weit vorgestreckt, steht sein Begleiter, der treue Wächterhund. Die Bewegungen der drei Gestalten verraten fragendes Staunen, das durch die geschickte Licht- und Schattenverteilung besonders glücklich zum Ausdruck kommt. Hoch in den Lüften schweben fünf Engel, die von dem Licht, das von dem Kindlein ausstrahlt, ätherisch beleuchtet werden. Die Engel sind in äußerst lebhafter, vielverschlungener Bewegung; drei von ihnen wenden ihr Antlitz dem Christkind zu, die beiden andern schauen zu den Hirten hin. Ganz ungewöhnlich sind die Überschneidungen und Verkürzungen bei der Gruppe der Engel. Hinter der Hauptgruppe entdecken wir dann noch die Gestalt Josephs, der sich bemüht, ein Eselein von der Krippe fernzuhalten. Der Erdboden ist mit großen Steinen bedeckt, zwischen denen hohe Gräser hervorsprießen. Der hügelige Horizont, der das Gemälde kulissenartig abschließt, liegt in nächtlichem Dunkel.[S. 90] In zarten Streifen bricht die Morgendämmerung an, die symbolisch den Sieg des Lichts im Kampfe mit heidnischer Finsternis zum Ausdruck bringen soll. Die Lichtwirkungen sind allenthalben meisterhaft; außerordentlich gelungen aber ist die Verteilung von Licht und Schatten. Schon die Zeitgenossen sprachen von den Farben auf diesem Gemälde mit den Ausdrücken höchsten Entzückens.

Nur an der Hand seiner herrlichen Werke und durch vergleichende Betrachtung mit zeitgenössischen Kunstschöpfungen können wir ein klares Bild vom Schaffen und Leben unseres Meisters gewinnen, da die historische Überlieferung fast ganz versagt. Den zahlreichen, willig weitergegebenen Legenden dürfen wir keinen Glauben schenken. Selbst Vasari gedenkt des Meisters in seiner Biographie nur mit wenigen, dürren Worten. Eins aber wissen wir: Correggios Leben war von emsigster, grüblerischer, sehnsuchtsvoller Arbeit ausgefüllt. Beharrlich hat er eigene Wege gesucht, mit dem Kunstideal und seiner Erhöhung gerungen und zu allen Zeiten fremde Einflüsse gemieden. Immer wollte er seine Phantasie selbstschöpferisch betätigen und kämpfte mit den Stoffen, bis er sie bezwungen und in freier Verarbeitung zu eigenem Leben erweckte. In den Beleuchtungsproblemen und ihrer Lösung sah er die letzte künstlerische Vollendung, die Krone aller künstlerischen Ausdrucksmittel. In seinem Leben und in seiner begnadeten Kunst war er ein Lichtsucher, und deshalb sind fast alle seine Werke in blendendes, sieghaftes Licht getaucht, dessen Träger auf dem von uns betrachteten Gemälde der himmlische Knabe in der Krippe ist.

Auch dieses Meisterwerk hat seine Geschichte: Correggio malte „Die heilige Nacht“ als Altarbild für die Kapelle der Kirche S. Prospero zu Reggio-Emilia. Der Vertrag[S. 91] zwischen dem Besteller und dem Künstler wurde am 13. Oktober 1522 geschlossen. Das Gemälde ist aber erst acht Jahre später vollendet und 1530 am Bestimmungsort aufgestellt worden. Nicht lange sollte es der Kirche zum Schmuck gereichen; denn schon im Mai 1540 wurde es vom Herzog Francesco I. für die Galerie in Modena geraubt. Im Jahre 1755 ist es dann vom Kurfürsten Friedrich August II. von Sachsen für seine Kunstsammlung erworben worden. Seitdem hängt das kostbare Werk in der Dresdner Gemäldegalerie. Es ist auf Pappelholz gemalt und noch ziemlich gut erhalten. Nur die Schatten sind an einigen Stellen dumpfer geworden, und die stark belichteten Stellen haben etwas von ihrer Leuchtkraft eingebüßt. Doch wird die gewaltige Wirkung auf den Beschauer dadurch nicht im geringsten beeinträchtigt. In der Dresdner Galerie finden sich neben wohlgelungenen Kopien noch drei Originale aus der Zeit der höchsten Entwicklung des Meisters: die Madonna des heiligen Franziskus, die Madonna des heiligen Sebastian und die Madonna des heiligen Georg. Eins der schönsten und wirkungsvollsten aber ist wohl „Die heilige Nacht“, die alte und junge Herzen mit ihrem unvergänglichen Zauber beglückt und neben ihrem hohen poetischen Wert für alle Zeiten ein dauerndes Zeugnis der erhabenen Kunst des großen Meisters bleiben wird.

Das Lebenswerk Correggios ist in alle Welt zerstreut. In Deutschland werden außer in Dresden nur in Frankfurt a. M., im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin, ferner in Wien Originalwerke von des Meisters Hand aufbewahrt.

Paul Gerhard Zeidler.

[S. 92]

Landschaft
Von Albrecht Altdorfer

Geboren um 1480 bei Landshut, gestorben 13. Februar 1538 in Regensburg. — Alte Pinakothek in München

Bild 10

Die alten deutschen Maler saßen als ehrbare Zunftmeister in den Städten und hielten wie die Meister aller anderen Zünfte offene Werkstatt, in der gearbeitet wurde, was die Kundschaft verlangte, vom Ladenschild an bis zum Altarbild mit heiligen Geschichten. Uns, die wir den freischweifenden und schaffenden Künstler kennen, klingt das wunderlich. Aber wir sehen, daß diese Verbindung von Alltagswerk und gehobener Schöpfung Kunst und Künstlern ganz wohl gediehen ist, jahrhundertelang. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts kamen Künstler auf, die diesen Betrieb wohl als Fessel empfanden. So frei sie in den religiösen Bildern waren, so viel von dem, was sie empfanden, sie in sie hineingeben konnten, bei manchem war das Erlebnis des Auges, des Herzens, der Traumkraft doch allzu reich und stark, als daß er in diesen immer gebundenen Werken sich ganz hätte ausdrücken können. Das war etwa der Fall Dürers, der sich deshalb in Holzschnitt und Kupferstich Mittel freier, von keinem Besteller abhängiger Kunst schuf. Ein Bild ohne festen Auftrag zu malen, war ein Wagnis, das er, wenn überhaupt, gewiß ganz selten unternahm. Das Bild als ganz freier Ausdruck eigenen Wollens, ohne Rücksicht auf Tradition, auf die der Besteller eines Altarbildes doch immer halten mußte, ohne Rücksicht auf[S. 93] repräsentative Wirkung, ganz als private Angelegenheit eines Künstlers und eines Liebhabers — dieses Bild war der Vorbehalt des Regensburgers Albrecht Altdorfer.

Vielleicht deshalb, weil er gar kein gelernter Maler im Sinne der Zunft war. Er war Stadtbaumeister von Regensburg. Ob er überhaupt das Recht hatte, eine große Altartafel zu malen? Er hatte es nicht gelernt und konnte es nicht, wie man aus den Figuren seiner größeren Bilder schließen kann. Er kam von der Miniaturmalerei her, die vielleicht die eigentliche Malerei des Nordens ist, wie das Wandbild die eigentliche Malerei Italiens. Der ungeheure Schatz, den die nordeuropäischen Völker, und besonders die Deutschen, in diesen Miniaturen besitzen, liegt noch versteckt und wird erst langsam an den Tag gebracht. Wie schon einmal Jan van Eyck, genau hundert Jahre vor Altdorfer geboren, so brachte nun dieser die Miniaturmalerei von dem Buchblatt auf die Tafel. In diesen kleinen Bildchen hatten die Maler viel mehr und viel Feineres aus Natur und Menschenleben geben können, als in den Altarbildern erlaubt und am Platze war. Ihre Kunst war in vieler Hinsicht geschmeidiger. Ganz besonders im Ausdruck von Licht und Luft, aus deren Weben die Landschaft ihre Stimmung erhält.

Alle deutschen Maler haben die Landschaft geliebt und ihre Stimmungen empfunden. Aber da der Zweck ihrer Bilder die Figur zur Hauptsache macht, so bleibt ihnen für ihre Schilderung nur der Hintergrund. Die Handlung steht vor der Landschaft, nicht in ihr. Bei Altdorfer nun kehrt sich dieses Verhältnis um. Es ist die Landschaft, die seine Tafel füllt und ihre farbige Erscheinung bestimmt. Alles andere, Bauten und Gestalten, fügt sich ein. Das ist ohne Zweifel eine Folge seines ganz persönlichen[S. 94] Verhältnisses zur Welt. Und es ist wie ein Bekenntnis, daß er zum ersten Male ein Bild malt, dessen Gegenstand nur eine Landschaft ist. Unser Bild — deshalb geschichtlich ebenso wichtig wie schön und voll in der Empfindung.

Keiner von den alten Meistern ist uns so nahe wie dieser, weil er aus seiner Zeit heraustritt. Die Bürger saßen damals in ummauerten Städten, und der Erholungsplatz war der Garten vor dem Tor. Reisend kamen sie wohl durch Feld und Wald, und so auch die Künstler. Aber das Wandern um des Wanderns willen, das zwecklose Streifen in der Natur haben sie nicht gekannt. Altdorfer dagegen — das bezeugt das Ganze seines Werkes, aber auch schon jedes einzelne Bild — Altdorfer war ein Wanderer, wie wir sehnsüchtige Stadtmenschen das Wort seit der Zeit des jungen Goethe verstehen. Und seine große Liebe, diese ganz deutsche Liebe, war der Wald.

Der Wald ist Wirklichkeit und Geheimnis: Wirklichkeit, in der hundert feinste Einzelheiten das Auge ansprechen, und Geheimnis, das die ganze Seele bewegt. Die beiden Züge, deren Verbindung das Besondere des deutschen Wesens ausmacht, Andacht zum Kleinen und Sehnsucht nach überweltlichem, machen die Menschen dieser Art für ihn empfänglich. Was für ein Buch wäre zu machen, wenn man sammelte, was das Volk, seine Dichter und seine Künstler vom Walde gesagt, gefabelt und geschildert haben! Man würde ihn sehen bis zum winzigen Moos, man würde ihn rauschen hören, man würde staunen über das seltsame Gelichter von Zwergen und Elfen und auch fremden Satyrn und Nymphen, das ihn durchtollt und am Ende in wohligem Schauer erbeben, wenn gehet leise nach seiner Weise der liebe Herrgott durch den Wald.

[S. 95]

Der erste aller Maler, die den Wald so erkannt haben, war Altdorfer. Er mag ihn schon als Knabe erlebt und seine Träume von antiken Fabelwesen, von christlichen Heiligen, von ritterlichen Schlachten in dieses selbst entdeckte Land hineinverlegt haben. Der Wald ist sein eigentlicher Gegenstand. Ohne edle Buchen mit ihrem zarten Laub, ohne bärtige Tannen sieht er selten ein Bild. Er stellt sie hinein, wie andere Meister nahe Menschen, Eltern, Geschwister und Freunde.

Und noch etwas liebt und kennt er, was keine Beobachtung, kein in realistischen Zeiten so hoch gepriesenes Studium erschließt, die Wolken. Sind nicht auch sie Wirklichkeit und Geheimnis zugleich? Auch sie muß man erfühlen, ihr Locken und ihr Drohen, ihr schweres Ruhen und ihr luftiges Wallen.

Diese erste Landschaft ist nicht das Werk eines Malers, der ein Motiv gesucht hat und dann daraus ein Bild gemacht. Dann würde es uns nicht so in sie hineinziehen. Nein, wir sind Mitlebende eines Erlebnisses. Der Beschauer ist selbst der Wanderer, der eben aus dem Dunkel des Waldes, aus dem Grün ins Grün heraustritt und nun zwischen zwei mächtigen Bäumen, die seinen Rand bewachen, in den hellen Sommertag hineinblickt. Eine Burg auf waldigem Hügel, Berge und See, und darüber blauer Himmel mit lockerem silberweißem Gewölk. Es ist so eine Stelle, bei der man plötzlich aufjauchzt.

Aber Altdorfer erschöpft sich nicht in der Andacht zur Natur. In seiner Zeit drang die Kunst Italiens über die Alpen und wirkte gerade durch ihr Anderssein mächtig auf die Künstler der gotischen Welt. Man darf da nicht von Nachahmung sprechen. Die kam später und hat dann der großartigen, ganz von einem eigenen Weltgefühl erfüllten[S. 96] Kunst des Nordens, die auch heute noch von den Völkern, deren Stolz, sie sein sollte, der fremden gegenüber gering geachtet wird, das Ende gebracht. Schlösser, wie sie der Baumeister Altdorfer in seine Bilder malte oder auch nur ähnliche hat es in Italien nicht gegeben. Sie sind echte und rechte Werke eines deutschen Phantasten, der aus gotischen Türmen und italienischen Hallen und Terrassen ein Neues schafft. Kein Fürst, geschweige denn ein Regensburger Bürger, wollte oder konnte damals dergleichen ausführen lassen. Es sind Verhältnisse und prunkhafte Häufungen, wie sie erst Jahrhunderte später die großen Monarchen verwirklichen ließen. So mußte sich eine starke baukünstlerische Begabung in gemalten Architekturen ausgeben.

Ein Bild, in dem der ganze Künstler Altdorfer sich offenbart, ist die „Ruhe auf der Flucht“ im Berliner Kaiser-Friedrich-Museum. Das heilige Paar hat an einem Brunnen haltgemacht, einem Brunnen, der in demselben Sinne italienisch ist wie die Schlösser des Malers, reich an Figur. Er steht am Ufer eines Sees, vor einem Weiler, aus dem Turm und Ruine einer alten Burg ragen. Man sieht weit über das Ufer hin, bis zu den Bergen, die sich wie der Spiegel des Wassers im Duft der Ferne auflösen. Das Kind auf Mariens Schoß beugt sich über den Rand des Beckens und spielt mit der Linken im Wasser. Und um es herum spielen Engel. Da ist alles: fromme Sage und deutsches Märchen, romantische Sehnsucht und Heimatliebe, und alles in das helle und lebendige Licht getaucht, das nicht aus Bildern stammt, sondern von dem ein Wanderer und Freilichtmensch seine Augen vollgesogen hat.

Fritz Stahl.

[S. 97]

Kaufmann Georg Gisze
Von Hans Holbein d. J.

Geboren 1497 in Augsburg, gestorben zwischen 7. Oktober und 29. November 1543 in London. — Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin

Bild 11

Die Natur wiederholt sich nicht gerne: eine unmittelbare und gleichmäßige Vererbung der Geisteskraft gehört zu den größten Seltenheiten der menschlichen Geschichte. Weit häufiger kommt es vor, daß eine überragende Begabung, wie bei Goethe und seinen Nachkommen, schon in der ersten Geschlechtsfolge ins Unfruchtbare entartet oder sich, wie bei Bismarck und seinen Söhnen Herbert und Wilhelm, die sich gleich ihm der Staatskunst widmeten, ins Beamtenmäßige wandelt. Aber auch für die entgegengesetzte Entwicklung gibt es tröstliche Beispiele. Wie Karl der Große an Bedeutung seinen Vater Pipin überragt, so steigt erst recht Friedrich II. von Preußen über seinen keineswegs unbedeutenden Vater Friedrich Wilhelm I. empor. Dieser Vorgang begegnet uns auch in der Kunst: Mozart und Beethoven, die beide die Musik von ihren Vätern ererbt haben, lassen diese in ihrem Fluge zur Höhe noch viel weiter unter sich als Hans Holbein der Jüngere seinen gleichnamigen Vater.

Denn schon das malerische Können und Schaffen dieses älteren Holbein war recht bedeutend. Mit leidenschaftlichem Drang suchte er nach einer neuen Schönheit und in ernstem Naturstudium zugleich nach Wahrheit und Treue. Noch im vorgerückten Alter erfreute er sich einer so lebendigen[S. 98] Entwicklungsfähigkeit, daß er freudig der herandrängenden neuen Formenwelt der italienischen Renaissance die Arme öffnete, wenn er selbst den Fuß auch nicht mehr in das gelobte Land setzen durfte. Seine Stärke lag im Bildnis, in einer persönlichen Auffassung des Menschen, dessen äußere Erscheinung er in wenig Strichen schlagend wiederzugeben verstand. Den scharfen Blick für das Eigentümliche und die sichere Fähigkeit, es mit zwingender Selbstverständlichkeit auszudrücken, hat er seinem Sohne Hans vererbt, während dieser das richtige perspektivische Zeichnen und die Beherrschung der Farbe in der väterlichen Werkstatt nur mangelhaft erlernen konnte.

Obgleich der Vater einer begüterten Augsburger Familie angehörte und in seiner Kunst durchaus tüchtig war, geriet er in Vermögenszerrüttung, noch ehe seine Söhne Ambrosius und Hans völlig erwachsen waren. So verließen beide schon um 1514 — Hans (geb. 1497) war kaum siebzehn Jahre alt — die Vaterstadt Augsburg, um sich draußen fortzubilden und ihren Verdienst zu suchen. Sie gingen nach Basel, denn in dieser Universitätsstadt blühte damals der deutsche Buchdruck und damit die Kunst des Zeichnens. Hans fand denn auch als Meisterschüler Hans Herbsters aus Straßburg bald gute Verbindungen mit Verlegern und Gelehrten, die ihn mit Holzschnittzeichnungen für ihre Bücher beauftragten, und mit derselben Leichtigkeit und Anmut wie für die Buchkunst arbeitete er für das Kunsthandwerk. Er lieferte bald feierlich ernste, bald launig lustige Vorlagen für Glasmalereien, malte Aushängeschilder, bedeckte einen Tisch oder ganze Häuserfassaden mit bunten Schildereien, zeichnete Damentrachten für Schneider, illustrierte Stücke aus der Bibel und die volkstümliche Schrift „Lob der Narrheit“ des gelehrten[S. 99] Humanisten Erasmus von Rotterdam, den er später oft porträtiert hat, und wagte sich, ein noch nicht zwanzigjähriger „Malergeselle“, an seine ersten Bildnisse. 1519, nachdem er sich in Oberitalien umgesehen hatte, wurde er selbständiger Meister. Eine Menge von künstlerischen Arbeiten erstanden in den nun folgenden Jahren unter seiner fleißigen, immer leichter und flotter werdenden Hand: biblische und moderne Holzschnittfolgen, symbolische Wandmalereien aus der Geschichte, Altargemälde, Passionsbilder, Madonnen — darunter als bedeutendste die „Madonna des Bürgermeisters Meyer“ (Original im Darmstädter Schloß) — und Totentänze, die uns in dramatischer Bewegung und oft von Humor gemildert zeigen, wie sich alle Stände und Lebensalter der Macht des Todes beugen müssen. Allmählich aber versiegten die Aufträge: ein bilderfeindlicher Geist, unter dem, wie Erasmus sagte, „die Künste froren“, griff in der Baseler Bürgerschaft um sich, die ohnedies durch die politischen und religiösen Kämpfe der Reformation von der Kunst abgezogen wurde.

So folgte Holbein 1526 dem Rate seines Gönners Erasmus, der überall Beziehungen und Verbindungen hatte, und floh aus der Enge und Ärmlichkeit der heimischen Verhältnisse in die geistig freie Luft Englands. Dort durfte er sich besonders als Bildnismaler lohnende Arbeit versprechen, denn so viele Kunstfreunde England damals auch schon hatte, einheimische Maler von Bedeutung fehlten dort, und auch unter den Angesiedelten waren wenige, die ein gutes Bildnis malen konnten. Nur zwei Jahre ist Holbein zunächst in England geblieben, aber erstaunlich viel hat er während dieser Zeit geschaffen, und seine Kunst hat ebenso erstaunliche innere Fortschritte gemacht. Hinfort durfte er als der größte Bildnismaler[S. 100] gelten, den das 16. Jahrhundert diesseits der Alpen hervorgebracht hat. Keiner übertraf seinen Pinsel an weltmännischer Eleganz und malerischer Geschmeidigkeit, keiner wußte wie er Natürlichkeit der Auffassung, Kraft und Vollkommenheit der Zeichnung mit lebhaftem Farbensinn und kristallklarer Form zu vereinigen. Als er 1528 nach Basel zurückkehrte und dort ein Haus erwarb, fand er die Heimat verändert. Dem Zuge zum Volkstümlichen, der die humanistische Gelehrsamkeit verdrängte, hätte er sich mit seiner weltmännischen Gewandtheit leicht angepaßt; als er aber den Bildersturm losbrechen sah, fühlte er sich und seine Kunst bedroht und kehrte (1532) nach England zurück. Nun erst entfaltet er, zunächst in enger Verbindung mit den dort ansässigen hanseatischen Kaufleuten, die von alters her im Stahlhof an der Themse ihre Kontore und Wohnungen hatten, dann als Hofmaler König Heinrichs VIII. seine volle Bildniskunst, ebenso groß als getreuer Schilderer der menschlichen Charaktere wie als glänzender Beherrscher der Farbe. Aus dem Maler der deutschen Kaufleute wurde er nun der Porträtist der Gelehrten und der hohen Geistlichkeit, des Adels und der königlichen Familie — ein großer Herr, der „in Seide und Samt gekleidet“ einherging und, wenn er einmal wieder daheim war, die Bewunderung seiner Baseler Landsleute erregte. Mehr als hundert Bildnisse, alle ohne Gehilfen gemalt, haben sich von ihm erhalten. Er ist, überall begehrt und gefeiert, viel gereist, auch in geheimen Staatsaufträgen, hat aber in London seinen dauernden Wohnsitz behalten, bis er, ein Sechsundvierzigjähriger, im Spätherbst 1548 ein Opfer der Pest wurde, die damals in der Stadt wütete. Mit ihm ging der letzte große Meister der altdeutschen Malerei dahin. Eine neue Zeit kam herauf.

[S. 101]

Deutsche waren es, in deren Dienste Holbein drüben in England zuerst seine Kunst stellte. Aus ihrem Kreise stammt auch das Bildnis des Georg Gisze (1497 bis 1562), eines aus Danzig herübergekommenen Kaufmanns, wohl das erste Werk, das Holbein während seines zweiten Londoner Aufenthalts malte, jedenfalls das schönste und vollendetste seiner Stahlhofbildnisse.

Mitten in seiner Schreibstube zeigt uns der Künstler diesen ihm gleichaltrigen blonden Kaufmann. Außerordentlich reich ist das Beiwerk, mit dem der Dargestellte umgeben. Auf dem mit einem kostbaren persischen Teppich bedeckten Tisch liegen oder stehen außer allerlei Schreibgeräten eine Schere, ein Ring, ein Petschaft, ein Falzbein, eine Gelddose und an die Wand gelehnt eine geschlossene Mappe mit Papieren. Über all diesen krausen Kleinkram steigen schlank und stolz aus zierlichem venezianischem Glase die drei rötlichen Nelken empor. Die Nelke war die Lieblingsblume der Porträtisten, weil sie als Zeichen glücklicher Liebe galt. Sie soll tragen, heißt es in einem alten Liede, „wer sich ein Lieb auserwählt, das ihm lustlich und herziglich ist, und wann sie beide ein Gemüte haben“.

Doch damit nicht genug der Ausstattung. Auch der Hintergrund des Bildes ist reich bedacht. Um die Wände laufen zwei Reihen Leisten, hinter die feingeschriebene Adressen, Verschlußstreifen mit Siegeln und aufbewahrte Briefe geklemmt sind; an den Borten rechts und links hangen eine Goldwage, eine Uhr mit Petschaft, eine reichziselierte Metallkapsel mit Bindfaden, Siegelringe und andre Kontorgerätschaften; oben auf den Brettern liegen Bücher, eine Schachtel, eine Kassette und sonst noch dies und das. Alle diese reichen und behaglichen Dinge — mit Ausnahme des dem Auge zu nahe gerückten weißen Blattes an der Hinter[S. 102]wand, das man sich aber als eine Art Katalogzettel vorstellen muß[F] — sind wahr und echt bis ins kleinste, aber doch so unaufdringlich gemacht, daß sie den Blick nicht unnütz ablenken von dem Manne, der diesen Raum mit seiner Arbeit erfüllt. Seine Erscheinung für das Auge zu betonen, bietet der Maler die kostbarsten und erlesensten Farben auf. Über den lachsfarbenen Seidenrock ist eine dunkle Schaube (ein weites, faltiges, mantelartiges Gewand, das erst im 15. Jahrhundert aufkam) gelegt, vorne auf der Brust läßt ein Ausschnitt das feingefältelte Hemd sehen, das mit einem schmalen Streifen auch die Ärmel säumt und leise anklingt mit dem gerade nur angedeuteten weißen Rand des „Fazenetleins“, des Taschentuches, von dem ein Zipfel auf der linken Brust zwischen schwarzer Schaube und rotem Rock hervorlugt.

Das Bild ist auf dem Titel farbig wiedergegeben. So vermag das Auge die malerische Schönheit des Originals nachzuempfinden, das im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin aufbewahrt wird und (auf kernigem Eichenholz gemalt) unter der Zeit kaum gelitten hat. Wie zart da der rote Rock zu der gelbgrünen Wandtäfelung steht, und wiederum, wie das leicht rosa angehauchte Hellbraun des Gesichts lebhaft absticht gegen das leise ins Violette hinüberspielende Schwarz der Schaube und der Mütze, die auf dem modisch gestutzten kastanienbraunen Haar liegt!

Der Weltmann Holbein wußte, welche Bedeutung die Dinge der Umgebung für einen lebensfrohen Menschen[S. 103] haben, und sein reger Farbensinn und seine leichte Hand erlaubten ihm, sie aufs liebevollste durchzuarbeiten. Aber mit sicherem Geschmack und feinem Takt verstand er sie so abzustimmen, daß sie helfen, den Menschen zu charakterisieren, ihn, der ihm die Hauptsache blieb. Zwar ist nichts von dem seelischen Ringen und der Schicksalsfülle in diesem Gesicht, wie sie Dürer seinen Menschen mitgibt, darum aber spricht das äußere und innere Leben des vierunddreißigjährigen Mannes aus diesem Bilde nicht minder beredt. Es ist eben ein Kaufmann, ein Mann des werktätigen Lebens, den wir vor uns haben. Eine kühle Ruhe, eine vornehme Zurückhaltung, eine selbstbewußte Unabhängigkeit lesen wir aus der Haltung und den Zügen. Das Auge scheint zu sagen: „Erst wägen, dann wagen“; um Mund und Kinn prägt sich ein fester Wille aus, der den Wert des Schweigens entdeckt hat; um die weichgezeichneten Augenbrauen schwebt eine leise Schwermut, der Enttäuschung und Schmerz nicht mehr unbekannt sind. Und nun versteht man, daß dieser Mann sich den Wahlspruch erkoren hat, der hinter der Goldwage an der Wand geschrieben steht: Nulla sine merore voluptas (Keine Lust ohne Leid). Nein, es ist kein oberflächlicher, kleinlicher Krämergeist, erfüllt von niederer Habsucht und Besitzgier, der uns hier begegnet, sondern ein redlicher, kluger, zielbewußter Sinn, der die Mittel und Zwecke wohl abzuschätzen weiß, der keine Luftschlösser baut, aber auch die steilen Wege zum Erfolge nicht scheut. Mit einem Wort: der Inbegriff des aufgeweckten, regsamen, tüchtigen und weltkundigen hanseatischen Kaufmanns, der über die Meere fuhr und, wohin er kam, nicht bloß seine Waren, sondern auch Geist und Gesittung verbreitete.

In dem Augenblick freilich, da der Künstler ihn erfaßt[S. 104] hat, sind seine Gedanken wohl mehr bei seinen Privatangelegenheiten. Jedenfalls kommt der Brief, den er im Begriff ist zu öffnen, aus der Heimat, ist doch die Aufschrift deutlich zu lesen: „Dem ersamen Jergen Gisze to lunden (London) in engelant Mynem broder to handen.“ Gilt der sinnend verweilende Seitenblick der dunklen Augen der Erinnerung an diesen Bruder in der deutschen Heimat? Oder wird Georg Gisze in dem Augenblick, da er sich von seinen Geschäften persönlichen Dingen zuwenden will, durch einen Besuch gestört, der eine Frage an ihn richtet? In seinem Blick liegt halbe Aufmerksamkeit und halbe Abwehr, als wolle er sagen: „Warum gerade jetzt?“ Doch sind Erziehung und Selbstbeherrschung zu stark in diesem Manne, als daß er unhöflich werden könnte, selbst in dieser Minute, die seinem Herzen und Gemüte gehören sollte.

Das Bild, so deutsch es uns mit seiner schlichten Vornehmheit, seiner kühlen Sachlichkeit und seinen klaren, bestimmten Farben erscheint, ist dank seiner Formvollendung und seiner abgeklärten Harmonie früh zur Weltberühmtheit gelangt. Denn nicht nur die künstlerische Persönlichkeit des Malers, dieses einzigen wahrhaften Renaissancemeisters unter den altdeutschen Künstlern, spricht sich darin vollendet aus, es lebt hier auch in einem ausdrucksvollen Vertreter eine ganze Zeitspanne und ein ganzer Stand, der Stand jenes „königlichen Kaufmanns“, der das alte Deutschland zum Neid der Welt groß gemacht hat und allein imstande sein wird, es aus seinem tiefen Fall wieder emporzuheben zu Macht und Größe.

Friedrich Düsel.

[F] Die Inschrift auf dem weißen Zettel lautet, aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt:

Distichon auf das Bild des Georg Gisze:

Was du hier siehst, dies Bild, zeigt Georgs Züge und Aussehn.
So ist lebendig sein Aug’, so sind die Wangen geformt.

[S. 105]

Bauernkirmes
Von Pieter Bruegel dem Älteren, genannt Bauernbruegel

Geboren um 1525 in Breda, gestorben 1569 in Brüssel. — Kunsthistorische Sammlungen in Wien

Bild 12

Des alten Bruegel fröhlich derbes Bild eines Dorfplatzes am Kirmesfest braucht keinerlei Erklärung seines Inhaltes. Alles, was wir erblicken, spricht sich unmittelbar in seiner vollen Lebendigkeit selbst aus. Sehen wir von einigen Besonderheiten der Bauerntracht und der Form des Dudelsacks ab, so ist das beinah alles noch heute mögliche Wirklichkeit. Wir werden mit unwiderstehlicher Gewalt in die laute, tolle Ausgelassenheit des Anblicks hineingerissen. Bruegel hat das Bauernleben seiner Zeit in seiner ganzen Wahrheit erfaßt. Selbst als Bauer geboren, ist er noch als berühmter Antwerpener Maler, wie der Geschichtschreiber der holländischen Kunst, Karel van Mander, erzählt, gern aufs Land zu den Bauern hinausgegangen zu Kirmessen und Hochzeiten. Wir haben hier also die mit größter Meisterschaft und lebendiger Anschaulichkeit widergespiegelte Wirklichkeit seiner Erlebnisse.

Ist von dieser Seite aus zu dem Bilde nichts weiter zu sagen, wird jeder Betrachter von dem Kraftüberschwang und der Formengewalt dieses Stückes Leben gepackt, so ist für geschichtliche Betrachtung dieser Wirklichkeitsatem des Werkes eine ganz hohe und für die Entwicklung der Kunst entscheidende Bedeutsamkeit. Denn[S. 106] Bruegel hat als erster die Möglichkeit einer solchen wirklichkeitsnahen Malerei überhaupt erwiesen, hat eine solche unmittelbare Darstellung des Lebens geradezu erst geschaffen. Er steht mit dieser Tat an einem wichtigen Wendepunkt der Kunstentwicklung Sein Schaffen ist die Überleitung von der noch religiös gestimmten, kirchlich bedingten Malerei der Frühzeit seines Jahrhunderts zu der ganz weltlichen Malerei, die nach seinem Tode in Belgien und Holland heranblüht und in der herrlichen Malerei des 17. Jahrhunderts ausreift, der Kunst von Rubens und Brouwer, Ter Borch und Rembrandt. Für alle diese Künstler ist Bruegel in irgendeinem Stück Vorgänger und Vorbereiter. Er hat die Anschauung von Wirklichkeit, die für sie die Grundlage ihrer herrlichen malerischen Formen sein wird, durch seine Arbeit geschaffen. Das ist seine geschichtliche Tat und Größe.

Den Begriff einer solchen Darstellung der Wirklichkeit hat die ganze große Kunstzeit des Mittelalters, an dessen Ausgang Bruegel steht, überhaupt nicht gehabt. Hier gestaltet Malerei das Natürliche gar nicht, sondern immer nur Geistiges, die heiligen Gestalten des Glaubens, die Vorgänge der heiligen Legende. Malerei ist Darstellung der religiösen Welt als Wandbild der Kirche, als farbiges Glasfenster. Im 15. Jahrhundert wird dann das Altarbild der Hauptort der Malerei. Hier zuerst ist der Hintergrund der heiligen Figuren ausgestaltet, das Gemach, die Landschaft, worin sie sind. Aber immer ist der Vordergrund und die Hauptsache die fromme Gestalt; die Landschaft wird nur als Ausblick danebengestellt, oder wie ein bunter Teppich dahintergehängt. Wohl wird mit Büschen und Bergen, Wegen und Flüssen die Erde malerisch wahrgenommen. Aber diese Erde ist nur Schauplatz[S. 107] der religiösen Vorgänge, die auch dieser Zeit noch die eigentliche Wirklichkeit, nämlich der seelisch wichtigste Weltinhalt, waren. Niemals hätte damals jemand auf den Gedanken kommen können, tanzende Bauern auf einer Kirmes zu malen, das wäre einfach sinnlos gewesen. Diesem gottbewußten Jahrhundert war die Erde nur als Schöpfung Gottes darstellbar. Malte man sie, so mußte es deutlich sein, daß alle Dinge aus Gott kommen. Darum ist alle diese Landschaft, auch wenn sie sehr genau, sehr reich dargestellt wird, doch Darstellung des menschlichen Gottgefühls, nicht ein Dasein für sich. Ein überirdischer Glanz liegt über Bergen und Meeren, ein Gottglanz, und das Licht strahlt von den leuchtend bunten Farben der heiligen Männer und Frauen im Bildvordergrunde aus.

Diese gotthafte Weltauffassung verwandelt sich im 16. Jahrhundert. Die Reformation Martin Luthers und die neu aufkommende Naturwissenschaft der Renaissance sind die großen Zeichen dieser Wandlung. Beides gehört zusammen. Das Mittelalter hatte die Natur nicht als volle Wirklichkeit angesehen, als geschlossenen Zusammenhang der Naturkräfte und Naturgesetze, hatte Wunder geglaubt und für Naturbeobachtung keinen Sinn gehabt. Die Natur als solche erschien der rein geistigen Hoheit der Gottheit gleichsam unwürdig. Der Gottesgedanke der Reformation und der Renaissance ist anders. Nun wird die Natur in ihrer gewaltigen großartigen, schöpferischen Gesetzlichkeit gerade ein Zeugnis für den Geist der Gottheit. Gott ist nun hehrer Schöpfer der Welt, der nicht nur den Menschen und seine Seele, sondern auch die Wunder des All erschuf, die man jetzt zum erstenmal erschaute. Der Gedanke von Gott wird gewissermaßen[S. 108] größer, weiter, dehnt sich vom Menschen, der bis dahin allein Gottgeschöpf gewesen war, auf die ganze Erde und die Himmelswelt aus. Alles wird nun Zeugnis Gottes. In diesem Gefühl gehören die Reformatoren und die großen Forscher der Zeit zusammen, wenn auch in der Zeit jener Geisteswende selbst diese Zusammengehörigkeit der neuen Gedanken nicht leicht erkannt wurde. Als Kopernikus begriffen hatte, daß nicht die Erde die Mitte der Welt sei, sondern sich um die Sonne drehte, als Kepler später die Bahn der Gestirne und der Erde genau bestimmte, da war für diese großen Denker ihr neues gewaltiges Weltbild nicht Zweifel und Einwand gegen Gott und Frömmigkeit, sondern gerade Erweis der unbegreiflichen Tiefe der Gottheit. Auch für die Ärzte oder Pflanzenforscher jener Tage war es Frömmigkeit, wenn sie die Gesetze zu ahnen begannen, nach denen Gott die Natur leitet. In zwei Geistern der Zeit wird das neue Weltgefühl besonders deutlich, in der Heilkunst und Naturbetrachtung des großen Arztes Paracelsus von Hohenheim und in der Philosophie des Giordano Bruno. Bruno ist dann der Blutzeuge der neuen Anschauung geworden. Seine auf die Lehren des Kopernikus und des Galilei begründete Denkart ward von der Kirche für Ketzerei erklärt, und der tiefe Denker starb auf dem Scheiterhaufen. Gott ist für Bruno der unendliche Geist, der die unermeßlichen Welten, welche die neue Astronomie gezeigt hatte, umfaßt, da er sie aus sich schuf. Erde, Planeten und die ungeheure Flur der Gestirne durchschwingen die unbegreifliche Tiefe der göttlichen Räume. Der Mensch ahnt in Andacht die allgewaltige Erhabenheit Gottes, wenn er alle diese Körperwelten, ihre Bahnen und Kreise denkt mitsamt der Körperwelten, ihre Bahnen und Kreise denkt mit der Glut ihrer Feuer und der Fülle des Lebens, das sie dahintragen.

[S. 109]

Dies ist das neue Weltbild, und dieses Weltbild ist die neue Wirklichkeit der Zeit. Und gegen dieses Weltbild, diese Wirklichkeit müssen wir die Malerei stellen, wenn wir begreifen wollen, was es bedeutet, wenn jetzt die Malerei die Wirklichkeit der Erde, wie das Auge sie sieht, in Farben nachzubilden unternimmt, wenn Pieter Bruegel als Künstler, als genialer Zeichner und Maler den natürlichen Anblick der Erde nachgestaltet. Malerei ist damit Ausdruck des neuen Weltgedankens der Reformation und der Renaissance, und Bruegel bedeutet für die Kunst, was Paracelsus und Bruno für die Welterkenntnis sind. Natürlich darf man nicht denken, er als Maler habe sich mit der neuen Philosophie, mit den neuen Naturlehren beschäftigt. Von dem allen hat er als Mensch wohl nichts gewußt. Er war ein Mann des Handwerks als Kupferstecher und Maler, in seinem Handwerk freilich genial. Da aber das geistige Leben als Ganzes in allen seinen Trieben und Bewegungen durchgehenden großen Gesetzen folgt, die seine Wandlungen bestimmen, so lebt die neue Andacht vor dem Wirklichen, die des Paracelsus und später des Kepler Denkarbeit durchwaltet, auch in der Malerei Pieter Bruegels d. Ä.

Bruegel findet den malerischen Ausdruck dieses neuen Weltgefühls auf dem Wege, daß er die malerische Vollendung, Kraft und Einheit des kirchlichen Bildes auf das weltliche Bild überträgt. In Einzelzügen hatte die Malerei vor ihm Formen für Darstellung des Irdischen schon längst gefunden. Es gab schon Landschaften ohne Heiligenfiguren. So bei Joachim Patinir. Aber die wirkten noch so, als habe der Künstler nur den Hintergrund eines kirchlichen Bildes gemalt, die Figuren vorn weggelassen. Es gab schon Darstellungen aus dem Alltagsleben. Der letzte[S. 110] große Maler der älteren Art, Quentin Massys, hatte Geldwechsler, Gruppen von Advokaten und Bauern gemalt. Deren Wirkung aber war so, als ob nur der Vordergrund eines religiösen Bildes allein da wäre, mit Gestalten aus dem Volk statt der Apostel und Heiligen. Es ist Bruegels malerische und geistige Größe, seine Genialität, daß er die irdischen Dinge, wie sie in ihrem natürlichen Zusammenhang als Erdoberfläche von Gott zeugen, in diesem ihrem gesetzmäßigen Zusammenhang, in ihrer einheitlichen Natur darzustellen vermochte. Seine Landschaften — die schönsten sind in Wien, wo sie Kaiser Rudolf II. sammelte, der für den großen niederländischen Maler ein tiefes Gefühl hatte, — sind in wunderbarer Vollendung Darstellungen der Natur und ihrer Stimmungen. Nie ist der Winter so packend wahrhaft, so schneeduftig und hauchfrostig gemalt worden, wie in Bruegels Jahreszeitenbildern. Er ist der erste, der das Meer gemalt hat, auf einem Bild in Wien, ganz groß, als Flächenspiel der Wellen, die tiefe Schattenmulden machen und jähe Tennen des Lichtes aufwerfen, indes Segel, Möwen und Wolken das fern vergehende Gewoge der gischtenden Gefilde bewegt und reich machen. Es sind bis heute die schwingenden Wasserfelder der See nicht wieder so wahr und mächtig dargestellt worden wie hier.

Das Mittel und Geheimnis der malerischen Kraft Bruegels sind diese breiten, klaren, lichthaft gefüllten Flächen der Farbe; sie geben allem, was sie darstellen, Einfachheit, Wucht, Größe. Zugleich sind sie so treffend gesetzt, so fein durchgebildet, daß sie alle entscheidenden Angaben über die körperliche Form und das Stoffliche der Erscheinungen in sich bannen. Nur wenige Maler aller Zeiten besitzen solche Macht der einfachen farbigen Fläche.

[S. 111]

Gerade dieser eigentümlich wirksamen Flächenanschauung verdankt der Künstler seine Stellung im Übergang von der religiösen zur weltlichen Malerei. Für die Hintergründe in religiösen Bildern hatten beste seiner Vorgänger schon solche knapp andeutenden, wuchtig zusammenfassenden, bunt-lichten Farbflächen gefunden. Vor allem der tiefsinnige Hieronymus Bosch, der berühmt ist mit seinen Teufeleien auf Bildern des Jüngsten Gerichts, war ein Meister solcher hellen, aus dem geheimnisvollen Dunkel der Bildtiefe herausleuchtenden Gestaltenflächen. Um der religiösen Phantasiewelt möglichst starken Wirklichkeitsschein zu geben, wandte Bosch hier lebendigste, beobachtungsschärfste malerische Darstellungsform an. Bruegel hat diese Malweise dem religiösen Bild entnommen und sie auf das Ganze des Erdanblicks angewandt. Dies ist der Quell seiner malerischen Form. Es ist noch die Andacht, die geistige Bedeutsamkeit des religiösen Bildes in diesen Malformeln. Sie geben den wirklichen Dingen, denen sie nun dienen, die geistige Lichtheit, die Sinnfülle, die sie den Veranschaulichungen der Glaubenswelt gegeben hatten.

Einen ganz neuen Darstellungsinhalt ermöglichen nun diese schwingenden Flächen: sie geben den Anblick von Bewegung. Sie schaukeln und wehen als Flächen der Meereswogen, sie zücken und sprühen als kleine Figuren arbeitender Bauern auf gelbem Erntefeld in Bruegels Jahreszeitenbild des Sommers. Mit dieser Eigenschaft sind Bruegels malerische Formeln noch einmal und in besonderem Sinne Ausdruck des neuen Weltgefühls. Dieses neue Weltbild des Kopernikus und des Galilei war Bewegung, Schwung der Erde und der Gestirne, harmonische Bewegung, kreisender Tanz der Weltkörper. Gotik war[S. 112] Ruhe, Stillstand der Erde, ihre Ruhe in Gott gewesen. Demgemäß war auch das Bild der Kirchen Stille, Stand der heiligen Gestalten vor dem Gebet und der Andacht. Bruegels Bild aber wird Bewegung. Er hat auf einem Bilde in Wien alle Kinderspiele zusammen gruppiert, die es damals in Holland gab. Das ist lustigste, vielfältigste Bewegung der gedrungenen, derb anmutigen kleinen Gestalten. Er hat den fliehenden Hirten gemalt, der wegläuft, als der Wolf die Herde überfällt, und das ganze Bild ist gleichsam schwingender Lauf. Er malt die Parabel von dem Blinden, wie alle von einem Blinden geführt in den Abgrund stürzen. Der Zug und Niedersturz dieser armen Alten ist ein tieferschütternder Anblick. Diese Bewegungsgestaltung gipfelt in der Bauernkirmes. Es ist mit hinreißender Kraft dargestellt, wie die schweren Körper im Raume schwingen, den Platz überjagen, sich heben, sich werfen, in großem Ring kreisen und drehen. Die Gestaltenflächen sind wie festliche Fahnen, die breit wogen und schlagen. Sehen wir das Bild so an, als große Darstellung von Bewegung und begreifen, daß diese Bewegung der stärkste Ausdruck des neuen Wirklichkeitsgefühles ist, so sehen wir das Bild erst im geistigen Sinne richtig. Wir erkennen seine Form nun als Ausdruck, als Gleichnis des Weltgefühls seiner Zeit. Die neue Vorstellung vom Sein, daß es ein Spiel von Kräften, ein Gefüge aus Schwung und Gegenschwung, Wirkung und Gegenwirkung, daß es Tanz der Gestirne und große Harmonie unendlicher Bewegungsvorgänge ist, sie lebt im schwingenden Rhythmus dieser Farben und Gestalten. Pieter Bruegel war vom Schicksal berufen, dies Weltgefühl der Neuzeit in seiner frühen, ganz schlichten Kraft, in seiner ersten großen staunenden Freudigkeit, in seiner[S. 113] klaren, frischen Unbefangenheit zu Malerei zu machen. Das ist seine geschichtliche Größe, seine Tat, seine künstlerische Gewalt.

Das äußere Leben Bruegels verlief einfach und ruhig. Karel van Mander, der alte Geschichtschreiber der holländischen Malerei, hat alle Nachrichten über ihn gesammelt. Er wurde um 1525 in dem Dorfe Breugel bei Breda im Lande Brabant geboren. In Antwerpen hat er die Malerei gelernt und wurde 1551 in die Malergilde aufgenommen. Bekannt wurde er zuerst durch seine Tätigkeit als Kupferstecher. 1553 machte er eine Reise nach Italien und Frankreich, die ihm reiche Anschauung der Erdwelt gab. Die genialen Landschaftszeichnungen, die er heimbrachte, sind in der zarten Führung des Striches und dem geistreichen Aufbau der Massen die unmittelbare Vorform des Zeichenstils, der in den Radierungen des Herkules Seeghers und Rembrandts lebt. 1569 ist er in Brüssel gestorben, als geistreicher und tiefsinniger Künstler schon von den Zeitgenossen geschätzt.

Wilhelm Niemeyer.

[S. 114]

Die Hochzeit zu Kana
Von Paolo Veronese

Geboren 1528 in Verona, gestorben 19. April 1588 in Venedig. — Gemäldegalerie in Dresden

Bild 13

Sie sitzen schon längere Zeit beim Mahle und scheinen bereits beim Nachtisch, beim süßen Gebäck angekommen zu sein. Einer großen Verlegenheit aber ist durch einen Gast, den großen Wundertäter Jesus von Nazareth, soeben abgeholfen worden. Der Wein war ausgegangen, und Mutter Maria hatte ihren Sohn besorgt darauf hingewiesen mit den Worten: „Sie haben nicht Wein.“ Sofort hatte er nichts tun mögen. Aber die Diener, von Maria geheißen, jeden Befehl des Meisters zu erfüllen, haben bald danach seiner Anordnung gemäß die sechs vorhandenen steinernen Krüge mit Wasser zu füllen. Und was sie daraus schöpfen und dem Speisemeister bringen, ist besserer Wein, als man ihn bisher beim Mahle genossen.

Unser Bild zeigt nun, wie der in der Mitte im Vordergrund stehende, auffallend vornehm wirkende Speisemeister sein Glas, das mit dem herrlichen Getränk gefüllt ist, in der Richtung nach dem Bräutigam hebt. Wie uns die Bibel (Joh. 2, 1) erzählt, macht er dem jungen Herrn einen Vorwurf, weil er den guten Wein bis zu dieser späten Stunde zurückgehalten habe, um ihn jetzt zu reichen, wo die Gäste ihn gar nicht mehr zu würdigen wissen. Die beiden, die Hochzeit halten, sitzen links und kehren uns den Rücken zu. Ihnen gegenüber aber hat der Geistliche seinen Platz, in diesem Kreise Jesus von Nazareth. Auf[S. 115] sein bleiches, bartumrahmtes, in leichtem Heiligenglanz schimmerndes Gesicht weist die ausgestreckte Hand des Küfers. Maria sitzt in mütterlichem Stolz zur Rechten Jesu; in dem Antlitz des jungen Ehemanns aber — wir haben uns jetzt mehr in das Bild hineingesehen — malt sich namenloses Staunen. Wie gebannt schaut er nach dem großen Wundermann. Die Männer, die ihn umgeben — wahrscheinlich seine Jünger — beschäftigen sich in tiefer Erregung mit dem, was sich eben zugetragen hat.

Die anderen hingegen machen sich nicht viel Gedanken. Sie feiern die Feste, wie sie fallen. Die stattliche Dame, die sich nach dem Küfer wendet und durch deren Bewegung uns die Hauptperson sichtbarer wird, ist, wie alle anderen, offenbar nicht sonderlich von dem Vorgang ergriffen. Sie alle lassen es sich schmecken. Und wie es ihnen schmeckt, diesen alten und jungen Leuten aus Kana! Ja, aber sind denn das alles wirklich Männer und Frauen aus jener kleinen galiläischen Stadt?

Sie trinken mit Kennerschaft und Genuß. Es lohnt sich, diesen Leuten einen guten Tropfen zu bieten. Der größte Sachverständige unter ihnen, der Speisemeister, betrachtet das edle Naß geradezu mit Ehrfurcht. Das kannten so die Freunde Christi nicht. Und wenn wir uns die ganze Tafelrunde näher ansehen, den Speisemeister in kostbarem Gewande, den in seiner Nähe stehenden andächtig schlürfenden jungen Mann, den grauköpfigen Herrn rechts am Tischende, der sich behaglich zu dem ihm einschenkenden Diener hinneigt, kurz, die ganze Tafelrunde: sie setzt sich aus verwöhnten Menschen zusammen, nicht aus dem Palästina Christi, sondern aus einer uns viel näherstehenden Zeit und einer Stadt, in der man es für das Höchste hielt, der Schönheit und üppigen Lebensfreude zu huldigen.

[S. 116]

Venezianer sind es, Mitbürger des Malers, der zwar aus dem alten Verona an der Etsch stammte und deshalb auch Il Veronese genannt wird. Er hieß eigentlich Paolo Caliari, machte aber die märchenreiche Lagunenstadt zu seiner eigentlichen Heimat. In den Zauber Venedigs hat der Künstler die liebenswürdige Geschichte des alten Evangelisten getaucht und damit in den Zauber jener Epoche, die eine Wiedergeburt des Menschen mit sich bringen wollte, die italienische Renaissance.

In den vorausgegangenen Jahrhunderten des Mittelalters hatte es zwar auch nicht an Frohmut und Festen gefehlt. Aber fast hatte man sich beides als Sünde angerechnet. Und der entsetzlichen Höllenpein, von deren Qualen man schaudernd täglich Neues hörte, verfiel man für immer oder aber dem Fegefeuer für lange, wenn man sich mit dieser Welt allzusehr einließ. Am sichersten schon war es, ihr zu entsagen, sein Kleid mit der unscheinbaren Tracht des Mönchs oder der Nonne zu vertauschen und sich in die Abgeschiedenheit eines Klosters zu flüchten, wo man mit Fasten, selbstauferlegten Martern und Qualen, endlosen Gebeten und Gesängen strengen Ordensgelübden oblag und sich damit die Aussicht auf den Himmel und die ewige Seligkeit verdienen konnte.

Zu Veroneses Zeit, der 1528 geboren ist, als Luther fünfundvierzigjährig war, dachte man schon lange anders. Da gab es der Klosterbrüder und -schwestern lange nicht mehr so viele, und man genoß die Freuden der Welt in vollen Zügen. Vor allem in Venedig!

Zu dem unerhörten Reichtum und Luxus kam ein ausgeprägter Sinn für Vornehmheit und edlen Anstand. Was unser Gemälde davon zeigt, ist nicht etwa nur auf Rechnung des Künstlers zu setzen, der veredelte Gestalten gezeigt[S. 117] hätte. Allerdings war den Italienern überhaupt eine feine Art eigen des Stehens, Gehens, Sitzens und Sichbewegens. Den Venezianer zeichnete aber noch eine besondere Würde der Haltung aus, die wohl nur noch der Römer mit ihm gemeinsam hatte. Es lag in seiner Art oft etwas wohltuend Getragenes und Gehaltenes. Die sichere Ruhe des Auftretens war ihm natürlich. Wie schön trinkt auf dem Bild der stehende junge Mann seinen Wein, wie würdig in seinem Sinnen wirkt der sitzende Alte vor ihm, wie anmutig-gefällig ist nahe dabei der Diener beim Einschenken aus dem Kruge! Und wie lieblich neigt auch die Braut ihr schön frisiertes Köpfchen.

Die Republik von San Marko konnte als eine hohe Schule der heiteren Geselligkeit gelten. Gab es doch sogar eine Gesellschaft lebensfroher Jünglinge, die sich eigens zu dem Zwecke gebildet hatte, glanzvolle Feste zustande zu bringen, um Frohsinn und Lebensfreude zu steigern.

Am fröhlichsten ging es natürlich bei den Künstlern einer solchen Stadt zu, am glanz- und zugleich geistvollsten im Palast Tizians, des Königs der Maler. Dort ließ sich auch gute Musik und boshafter Witz noch öfter hören als bei den reichen Patriziern. Infolgedessen waren jene Gottbegnadeten auch ständige Gäste in den vornehmsten Häusern, und dort sahen sie ihre eigenen Werke von den Wänden herabschauen. Das auf der Leinwand Dargestellte war dann oft wie ein gesteigertes Spiegelbild des Treibens in den Sälen der Paläste und Villen und wie eine Aufforderung, es sich auch weiterhin, womöglich in noch größerer Schönheit, Pracht und Üppigkeit wohl sein zu lassen.

Veronese hat aber gemalt nicht nur für Privathäuser der Stadt oder des Festlandes drüben, wohin die Republik ihren Machtbereich mehr und mehr ausdehnte,[S. 118] als man zur See und an ferneren Küsten vor den Türken zurückwich. Er hat vielmehr auch Staats- und Klosteraufträge ausgeführt. War ihm doch der große Tizian, der sonst auf fremden Ruhm so Eifersüchtige, gewogen, so daß er ihn empfahl. Auch im Dogenpalast verkündigen Gemälde seinen Ruhm. Schöne Damen, wie Venedig sie in Fülle bot, jene goldblondhaarigen, vollen, milden Frauen stellen hier Venezia, die Schutzgöttin der Stadt, und alle möglichen Tugenden dar. Tiefe Geistigkeit und Charakteristik darf man bei ihnen nicht suchen. Um dergleichen zu entwickeln, hatten die Schönen, die Modell saßen, ein zu geruhiges Leben in ihren Gemächern und auf ihren Balkonen, von denen sie den Blick auf die Lagunen genossen.

Das ist wohl überhaupt die Kehrseite von all der Herrlichkeit. Der festliche Rausch täuscht uns nicht über eine geistige Leere hinweg. Da gibt es vom selben Meister noch eine „Hochzeit zu Kana“. Sie war für den Speisesaal eines Klosters bestimmt und hängt im Louvre. Auf ihr ist alles noch viel prächtiger als auf der unsrigen. Der lange Tisch entsendet an beiden Seiten Flügel nach vorn, so daß Hufeisenform entsteht. Oberhalb ist noch eine Tribüne mit sehr vielen Menschen. Im ganzen zählt man 150 Köpfe. Rechts und links prangen herrliche Bauwerke, im Hintergrunde vor dem lichten Himmel ein hoher luftiger Turm. Überall auf den Balkonen und Söllern Menschen in jubelnder Seligkeit! Musiker im Vordergrund werden durch keinen Geringeren als Tizian, unsern Meister und ähnliche Größen dargestellt. Andere Personen auf dem Gemälde sind in Wahrheit Fürstlichkeiten von damals. Dazu Diener in Menge, Mohren, Kinder, Hunde, Schüsseln, Krüge und Pokale! Aber überkommt uns nicht auch hier, und hier erst recht das Gefühl der Leere, trotz aller Fülle?

[S. 119]

Da wird uns auf unserem kleineren und intimeren Bilde doch noch wohler. Zwar wird auch hier dem Heiland nicht die gebührende Ehre zuteil. Es ist, als wenn das mit dem Morgenland in so viel Berührung gekommene Venedig den geheimnisvollen überirdischen Hauch der Ferne nicht in dem Maße verspürt hätte, wie die übrige Christenheit und sich deshalb mit den Personen der Heilsgeschichte auf einen zu kameradschaftlichen Fuß gestellt hätte. Aber dem Wesentlichen in dem Vorgang kehrt sich unser Augenmerk doch rascher zu, schon weil sich das ablenkende Beiwerk nicht so breitmacht. Zwar treiben sich auch hier Kinder, Hund und Katze herum, aber ganz versteckt. Deshalb hätte ihm nicht, wie es zehn Jahre später (1573) geschah, die Inquisition die Mahnung erteilt, die Würde des Vorgangs besser zu wahren. Hier begegnet uns nichts, das so ärgerlich wäre wie Zwerge, Papageien, hinkende deutsche Landsknechte und ein Mann, der sich mit blutender Nase über ein Geländer beugt.

Solche Füllfiguren sind, das muß man nicht vergessen, oft unentbehrlich. So bietet der Rock des knienden Mädchens nicht nur kräftige Begleitlinien zu der großen Tischtuchfalte, sondern mit seinem warmen Gelb auch einen notwendigen Fleck. Dieser ganze Winkel würde wegfallen, wenn hier nicht die helle Farbe der Architektur und der zerrissenen Wölkchen aufgenommen würde. Das milde Weiß des Tischtuchs, unten durch blaue Reflexe verdunkelt, ist oben aber sehr angebracht, um Jesu Gestalt zu heben. Es wäre sonst zu einsam und darum grell, „fiele heraus“, wie die Maler in ihrer Sprache zu sagen pflegen. Endlich wird durch die Kleine gesorgt, daß der junge Mann mit der kunstvollen Frisur und dem leuchtenden patrizischen Rot, den wir als den Bräutigam erkannt[S. 120] haben, auch recht in die Erscheinung tritt. (Dieses Rot schmückt übrigens auch den Heiland.)

Daß das Gemälde koloristisch wertvoll ist, braucht bei einem Venezianer, wie Veronese, nicht erst gesagt zu werden. Der zarte Dunst des Meeres, der die Inselchen wie im Goldduft schwimmen und keine Härten aufkommen läßt, hat ein Malergeschlecht erzogen von einer Feinfühligkeit, wie sie nur noch die Holländer besitzen, und von Glut und Schmelz der Farben, wie sie nirgends wieder erscheinen. Das wunderbare Orange in der Kleidung des Speisemeisters wird von seiner Umgebung wohlig und lieblich, wie musikalisch, umspielt und umwogt.

Seine hohe Gestalt, die zur Vermeidung starrer Symmetrie die Mitte des Bildes nur ungefähr bezeichnet, und die Architekturen an den Seiten verleihen dem Ganzen für das Auge Würde und Tiefe. So ganz von der Seite gegeben, muß er ja mit seiner rechten Schulter in den Raum hineindringen, dahinter kommt der sitzende, nachdenkliche Greis, hinter ihm der trinkende Jüngling; die korinthische Säulenreihe leitet noch weiter. Was in dem Bau rechts durch den Rundbogen hindurch an menschenbelebten tiefen und hohen Räumen zu sehen ist, dient ferner noch der Vorstellung von Tiefe, die auch durch die mancherlei Verkürzungen bei den sich in mannigfacher Haltung bewegenden Figuren ständig erweckt wird.

Gemessen an den strengen Senkrechten und Wagerechten der Bauten, die sich Veronese übrigens von einem Bruder oder von einem Freunde malen ließ, und des Postaments, auf dem ein Glas steht, wirkt der natürliche weiche Wohllaut der übrigen Linien um so angenehmer. Was sich aber auf den ersten Blick wie gänzliche Ungezwungenheit ausnimmt, zeigt bei näherem Zusehen doch[S. 121] überlegten Aufbau. So führt eine scharfe Schräge vorbei an dem stehenden Trinkenden und der Frau, die sich stark umdreht, auf jene bedeutsame Leere des Tisches vor Jesus. Verfolgt man die Faltenkurven im Kleid der kleinen Knienden, so entdeckt man ihre Fortsetzungen im Rock der Frau, wo sie in einer Spirale enden. Eine Parallele zu jener Schrägen, über die Kopf und Hand des Speisemeisters herausragen, wird durch den Alten geboten, der sich einschenken läßt. Das sind kleine Hilfen für das Auge, das alles bewältigen soll. Im wirklichen Gemälde findet man sie noch besser heraus als in einer kleinen, farblosen Wiedergabe.

Haben wir so das Bild nach vielen Gesichtspunkten eingehend betrachtet, so haben wir seine Gestalten mehr und mehr liebgewonnen. Es ist uns dabei aber auch klar geworden, daß einige der Dargestellten Zeitgenossen Veroneses sind. Mit zwei anderen Bildern von seiner Hand hing dieses Gemälde im Palast der Familie Cuccina. Als Mitglieder dieses Hauses erscheinen der Mann im orangefarbenen Gewand, der neben ihm stehende, die ältere und die junge Frau. In Venedig durfte man keine Denkmäler haben. Auf solche Weise setzten sich reiche Familien ihre Denkmäler. Die Ruhmsucht der Renaissance-Menschen kam schon auf ihre Rechnung. Und ein wenig Frömmigkeit war auch mit im Spiele; nach deutschen Begriffen allerdings keine sehr tiefe und eindringliche.

E. Benezé.

[S. 122]

Laokoon
Von Domenico Theotocopuli, genannt El Greco

Geboren um 1548, wahrscheinlich auf Kreta, gestorben 1614 in Toledo. — Privatbesitz.

Bild 14

Greco“ so sagen wir Deutsche gern kurzweg, seitdem die Kunstforschung der jüngsten Zeit diesen merkwürdigen Renaissance-Maler aus langer Vergangenheit wieder zu Ehren gebracht hat. — „Il Greco“, so nannten ihn die Zeitgenossen in Italien, „El Griego“ in Spanien, weil er (um 1548) auf Kreta geboren und von dort aus erst nach den westlichen Ländern gekommen war. Heute gilt uns „der Grieche“ mit dem italienischen Namen als einer der größten Meister der spanischen Kunst um die Wende des 16. Jahrhunderts. Zugleich aber als eines der größten Genies der Malerei aller Völker. Als junger Bursche kam Domenico Theotocopuli nach Venedig, wo er ganz in den Bann der heiteren, farbenklingenden Kunst geriet, die dort herrschte. Es scheint, daß Tizian, damals schon in hohem Alter, noch sein Lehrer gewesen, daß die beiden jüngeren Führer der venezianischen Malerei der Hochrenaissance: Paolo Veronese und Tintoretto, seine Arbeitsgenossen waren. Greco lernte in solcher Schule die freie, leichte Pinselführung, das leuchtende Kolorit und die harmonische Komposition der Figurengruppen anwenden, die für die großen Venezianer bezeichnend sind. Er zog dann weiter durch Italien, kam nach Parma, nach Rom, und bewegte sich mit außerordentlichem Geschick in den Bahnen der Malerei, die[S. 123] dort gepflegt wurde. Aber sein Ruhm würde nicht so helleuchtend in unsere Gegenwart herüberstrahlen, wenn er in Italien geblieben und sich lediglich weiterhin in der Art seiner Frühzeit bewegt hätte. Da führte ihn ein Auftrag oder die Wanderlust, die damals den Mitgliedern der Malerzunft im Blute lag, nach Spanien. Das war die entscheidende Wendung, die sein ferneres Leben und sein ganzes Schaffen bestimmen sollte.

In Spanien fand Greco eine ganz andere Kunst vor als in Italien. Hier blühte nicht das ungebundene, in Freude und Schönheit schwelgende Leben, das der Kreter in den stolzen Städten, an den prunkfreudigen Fürstenhöfen der Apenninenhalbinsel kennengelernt hatte, und das in der italienischen Kunst sein Echo fand. Ein Land von strengeren Lebensformen nahm ihn auf, wo die Macht der Kirche unerschüttert war und starrer Glaubenseifer die Gemüter der Menschen in Bann schlug. Die eigentümliche, geheimnisvolle Volksart nahm ihn gefangen, und wie es immer ist: der Fremde versenkte sich mit besonderer Hingabe in das Wesen der Welt, in die er sich versetzt sah. Von dem Augenblick an, da Greco, im Jahre 1575, in der spanischen Stadt Toledo auftauchte und seine ersten Bilder für die dortige Kathedrale schuf — eine Himmelfahrt Mariä und eine Abreißung von Christi Rock vor der Kreuzigung —, macht sich eine ganz neue Malart bei ihm geltend. Es entstanden Bilder, die bewiesen, welchen Eindruck die düstere Dämmerung der spanischen Kirchen, die verschlossene, ernste Art der Menschen des Landes, die verzückte Schwärmerei der Mönche in den zahlreichen Klöstern, die finstere Strenge des ganzen öffentlichen Lebens auf ihn gemacht hatten. Es ist, als wenn die mystischen Schauer und der Wunderglaube der spanischen[S. 124] Religionsübung, die sonderbare Grausamkeit des Volkscharakters, die mit dem religiösen Fanatismus rätselhaft Hand in Hand ging, in seinen Darstellungen aus der Heiligengeschichte, vom Leben und Sterben frommer Märtyrer Gestalt angenommen hätten. In der „Casa del Greco“ in Toledo — dem Museumshause, in dem heute die Hauptwerke des Meisters vereinigt sind, soweit sie sich nicht an festen Plätzen in Kirchen befinden — erkennt man deutlich den tiefgreifenden Wandel seiner ganzen Auffassung. Nun ist nicht mehr, wie in der italienischen Zeit, sein Streben auf eine Schilderung gerichtet, die der Wirklichkeit entspricht. Alles kommt jetzt für ihn darauf an, den inneren Ausdruck der Begebenheiten und der Stimmung, die sie in ihm hervorriefen, sichtbar zu gestalten. Zu diesem Zweck wagte er es ohne Ängstlichkeit, die Gestalten seiner Personen phantastisch zu verändern, sie oft unnatürlich in die Länge zu ziehen, ihre Bewegungen zu übertreiben, ihre Gruppen sonderbar durcheinanderzuflechten — eben um das Unwirkliche dieser mit leidenschaftlicher Einbildungskraft geschauten Szenen zu betonen, das überirdische der Vorgänge dem Beschauer einzuprägen. Dies vor allem ist der Grund, weshalb Greco von allen spanischen Meistern den jungen Künstlern unserer Gegenwart ein besonderes Interesse abnötigt. Denn auch die moderne Kunst unserer Zeit sucht nicht so sehr die Spiegelung der Wirklichkeit ringsum als vielmehr das Deutlichmachen der Empfindungen und Erregungen, die in der Seele des Künstlers leben. Ein zweites Mittel, solche Wirkungen zu erreichen, ward für Greco das eigentümliche Helldunkel, das er nun anwandte. Aus einem Gewoge dunkler Töne heben sich, von gleißenden, geheimnisvollen Lichtern gestreift, die Körper seiner Personen heraus — als hätte er[S. 125] sie durch betäubende Weihrauchnebel hindurch gesehen. Etwas Geisterhaftes, fast Gespenstisches ist oft in Grecos Bildern, die dann im Kampf der Dunkelheiten und fahlen Helligkeiten ungewöhnliche Farbenzusammenstellungen von scharfem Gelb, gedämpftem Grün und blutigem Rot auftauchen lassen. Seine Altarbilder sind wie Visionen des Himmels und der Hölle. Seine Schilderungen der Leidensgeschichte Christi bohren sich wie in aufschreiendem Schmerz in die Gräßlichkeiten, denen der Heiland sich unterwerfen muß. Seine Bildnisse von Priestern und Mönchen und spanischen Granden sind ganz erfüllt von der Herbheit, Unerbittlichkeit und Grausamkeit dieser Vertreter des Landes und des Zeitalters der Inquisition. Besonders bezeichnend für Grecos Manier, in der er völlig allein steht, ist sein Bild des „Traumes Philipps II.“, das wie ein Spuk vor unseren Augen aufsteigt — wir denken daran, wie Schiller im „Don Carlos“ die Luft am Hofe dieses finstern Königs geschildert hat.

Das Gemälde Grecos, das an dieser Stelle erscheint, gehört zu den wenigen, die nicht der Biblischen Geschichte und der christlichen Legende gewidmet sind. Unwillkürlich denken wir, wenn wir den Titel „Laokoon“ lesen, an die berühmte antike Gruppe, die heute im Vatikan steht, und die den Anknüpfungspunkt zu Lessings kunstphilosophischem Werk gebildet hat. Aber indem wir daran denken, erkennen wir den grundlegenden Unterschied der Darstellung hier und dort. Der spätgriechische Bildhauer hatte die Schilderung des trojanischen Priesters und seiner beiden Söhne, die den Umschlingungen und Bissen der von den Göttern gesandten Schlangen erliegen, so gehalten, daß trotz der Furchtbarkeit des wiedergegebenen Vorgangs das Ganze sich in harmonischem Aufbau vor uns ordnete.[S. 126] Er berechnete genau die Linien, die sich von rechts und links über die Körper der Söhne zu dem Haupt des Vaters hinziehen, das die Spitze eines sorgsam gebildeten Dreiecks zeigt. Die strengen Gesetze solcher harmonischen Kompositionen erkannten auch die Meister der italienischen Renaissance an. Greco aber hat sie bewußt durchbrochen. Er stellte alle Regeln der Anordnung auf den Kopf, die er einst in Venedig gelernt hatte. Von einem Dreieck, einer „Pyramide“, wie man in Italien gern sagte, ist nichts mehr zu finden. Das Gleichgewicht wird anders gesucht: durch die stehenden Figuren rechts und links und die liegenden, hingestürzten in der Mitte, über denen nun noch Raum bleibt, im Hintergrunde die Stadt Troja wie eine Traumerscheinung emporsteigen zu lassen.

Die Hauptfigur, die vor allem die Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, ist Laokoon selbst, im Kampfe mit dem Ungetüm, das ihn bedroht, zu Boden gesunken. Schon ist sein Widerstand entkräftet. Die linke Hand packt den gewundenen Leib der Schlange nur noch mit schwachen Fingern, die Rechte sucht wohl den Kopf des Tieres mit letzter Anstrengung fernzuhalten, aber die entsetzten, brechenden Augen scheinen schon zu sagen, daß der Gequälte hoffnungslos dem aufgerissenen Maul entgegenblickt, das sich zu tödlichem Bisse seinem Haupte nähert. Der Körper des Laokoon ist meisterlich durchgebildet, in der Stellung der Glieder, in den Verkürzungen, in der Zeichnung der Muskeln der Natur unmittelbar nachgeahmt — die Erinnerung an Statuen des klassischen Altertums scheint hier beim Maler mitgesprochen zu haben. Aber ganz in Grecos sonst geläufiger Art ist links der eine Sohn gehalten, der noch aufrecht stehend mit der Schlange kämpft und das mit schrecklicher elastischer Kraft ihn bedrohende[S. 127] Tier abzuwehren sucht. Hier ist die Figur über das Wirkliche hinaus gedehnt, der Körper überschlank emporgereckt, um den Ausdruck des verzweifelten, schon als vergeblich erkannten Kampfes zu steigern. Der zweite Sohn ist bereits dem Biß der Ungetüme erlegen. Zusammengekrampft, in einer Stellung, die die Wildheit des Kampfes mit der Schlange noch nachklingen läßt, ist er dicht beim Vater niedergestürzt. Und wie das emporgezogene rechte Knie des Laokoon zu dem stehenden Sohne, so leiten die aufwärts ragenden, eng zusammengepreßten Knie dieses zweiten Sohnes zu den stehenden Figuren rechts hinüber, die wiederum ein Gegengewicht zu der aufrechten Gestalt links bilden. So ist die Komposition in eigenartiger Weise ausgeglichen. Am Himmel des Hintergrundes aber steigen in zackigen, drohenden Umrissen finstere Wolken auf, die die Helligkeit der Tagesstunde verdunkeln wollen. Das schreckliche Schicksal der drei Männer im Vordergrunde, die qualvoll durcheinander taumeln, da sie der erbarmungslose Urteilsspruch der Götter getroffen hat, scheint in diesem grollenden Himmelsgewoge wieder anzuklingen.

Kein anderer Maler hätte in den Jahrhunderten der Renaissance der antiken Sage eine so merkwürdige und eigenwillige Gestaltung gegeben. Der große Nachfolger Grecos, den wir als den Hauptmeister der spanischen Schule verehren: Diego Velasquez, ging ganz andere Wege. Sein Ziel war, mit unbestechlich treuem Auge Natur und Wirklichkeit des Lebens abzuspiegeln. Greco allein versuchte in seinen Bildern nicht nur darzustellen, was sein Auge sah, sondern zugleich auch das, was seine Seele bewegte, seinen Geist erschütterte. Diese Durchgeistigung seiner Vorwürfe ist es, die Grecos Werke dem Kunstgefühl der heutigen Zeit so nahe bringt. Sie muß sich auch in[S. 128] seiner Persönlichkeit ausgesprochen haben. Denn wir hören, daß seine Werkstatt und sein Haus in Toledo, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1614 blieb, den Mittelpunkt des geistigen Lebens der Stadt gebildet hat. Die Zeitgenossen bewunderten die ergreifende Kraft und Eindringlichkeit seiner künstlerischen Sprache, die erstaunliche Fruchtbarkeit seiner unermüdlichen Schöpferkraft — als er starb, fanden sich noch über hundert Gemälde in seinem Nachlaß —, seine reiche Bildung und den Zauber seines menschlichen Wesens. Grecos Tod, in ganz Spanien als ein nationaler Verlust betrauert, fand ihn auf dem Gipfel seines Ruhmes. Es erscheint kaum verständlich, daß sein Stern in den folgenden Jahrhunderten fast gänzlich verblassen konnte, so daß es erst der Gegenwart vorbehalten blieb, das Verständnis für seine Größe wieder ganz neu zu erwecken.

Max Osborn.

[S. 129]

Löwenjagd
Von Peter Paul Rubens

Geboren 28. Juni 1577 in Siegen in Westfalen, gestorben 30. Mai 1640 in Antwerpen. — Alte Pinakothek in München

Bild 15

Eine Löwenjagd! Welchem Jungen schlägt da nicht das Herz höher! Gefahr? Wer fürchtet sich denn? Wer möchte nicht dabei sein, wenn der stolze Waffenmeister Alexanders des Großen die berbischen Scheichs zu dem nervenpeitschenden Wagnis aufruft? Vor zehn Tagen kam der Beherrscher der Welt zur Oase Siwah nach langem Wüstenmarsch, um das Orakel des Jupiter Ammon zu hören und sich zu des Gottes Sohn erklären zu lassen. Jetzt sind die Festlichkeiten vorbei, und den tollen, kühnen Gefährten reizt es, auf feurigem Araberhengst das seltene Spiel zu wagen, das nur eben die Libysche Wüste dem reisigen Griechen bieten kann. Schon seit Wochen hat ein grimmiges Löwenpaar die Oase beunruhigt, sich immer wieder neue Opfer aus den Rudeln der Antilopen und Kamele, Schafe und Ziegen geholt, heut endlich soll die Stunde der Rache schlagen! Man kennt die Fährte... frisch auf zur fröhlichen Jagd!

So traben denn die sieben Reiter auf edelstem Araberblut hinaus in die sandige Wüste zur frühen Morgenstunde. Drei vornehme Berber sind dem Rufe des Griechen gefolgt, und drei seiner Getreuen. Er hat sich die Hitze nicht so groß und die Sache doch wohl leichter gedacht; sonst hätte er seinen schweifgeschmückten Stahlhelm und das enge[S. 130] Panzerhemd im Tempelpalast gelassen und auch andere Waffen mitgenommen als nur das sieggewohnte Schwert, das er sooft im männermordenden Nahkampf gegen die Perser in Ehren geführt hat. Und sind nicht auch seine Mazedonier leichtsinnig, daß sie ausziehen, nur mit Schild und Schwert bewaffnet, wie zum Kampf Mann gegen Mann? Aber Griechen haben Mut. Sie haben ja die ganze Welt überwunden! Lanzen, wie sie die Berber führen, und gar ihr Bogen und Pfeil können ja auch den rechten Augenblick verpassen, wenn der Löwe sich in wildem Ungestüm auf Roß und Reiter stürzt! Auf sein Schwert aber verläßt sich der Krieger, das hält er mit eisernem Griff: Mann und Schwert sind eins!

Doch siehe, da hinten, im niedrigen Gestrüpp, da glänzen ja schon die gelben Felle der königlichen Tiere, da liegen sie, majestätisch und wild, den Kopf hochgestreckt, gierig spähend nach Beute! Sie haben die Reiter bemerkt, sie ahnen, daß es ihnen gilt: sie springen auf, und zornig schlagen die langgestreckten Schweife den Boden, ein wütendes, langgezogenes Gebrüll erschallt. Bestürzt scheuen die Pferde; die Nüstern blähen sich; ein Todesgrauen durchschauert sie; aber die eisernen Schenkel der Reiter drücken sie vorwärts: heran an den Feind! Aus dem Trab wird ein wilder Galopp. Der Führer winkt: man teilt sich in zwei Gruppen: von beiden Seiten will man den Gegner fassen. Die Löwen stutzen, dann wenden sie sich zur Flucht. Aber schon haben die linken Reiter, die drei Griechen, ihnen den Weg abgeschnitten. Da werfen sie sich mit wildem Geheul auf diese drei. Die Pferde, in wahnsinniger Angst, werfen die Reiter ab und suchen das Weite. Ohnmächtig liegt der eine am Boden, er hat einen schweren Fall getan. Oder ist er gar tot? Wer will es[S. 131] wissen? Die Rechte umklammert noch krampfhaft das Schwert. Auf den zweiten hat sich die Löwin gestürzt, sie hat ihn niedergerissen und krallt ihm die Pranken in Rippen und Oberschenkel. Er hat aber Besinnung genug, mit dem Schwert zuzustoßen, aber o weh, er verfehlt den geöffneten Rachen und trifft nur die Schulter. Aber schon eilt der dritte zu Hilfe, mit der Linken den Schild vorstreckend, mit der Rechten zu sicherem Stoße weit ausholend: ganz Eifer und Anspannung: um die Löwin ist’s jetzt geschehen! Der Löwe aber hat keine Zeit, den Ohnmächtigen zu zerfleischen, denn schon, in rasendem Sturmlauf, werfen sich auf ihn, hoch zu Roß, die vier anderen. Allen voran der heißblütige Berber im weißen Gewand auf dem Schimmel. Aber er hat Unglück, die Lanze verfehlt das Ziel, und schon hat ihn der Löwe in gewaltigem Sprunge mit der rechten Pranke vom Pferd gerissen; die Zähne des Rachens bohren sich in den herabstürzenden Körper, und auch das Pferd, durch die furchtbare Last halb niedergedrückt, bäumt sich in wildem Schmerze auf: die linke Pranke reißt ihm den Brustkorb auf. Armer Berber! Der nächste Augenblick bricht dir vielleicht das Genick: du schwebst zwischen Himmel und Erde: nur gerade dein linker Fuß ist noch auf dem Rücken deines Schimmels, und das verzweifelte Tier wird sich sogleich losgerissen haben! Aber schon senken sich die Lanzen von rechts und von hinten in den Nacken des Ungetüms. Die beiden anderen Scheichs, der eine links im roten Gewand, der andere rechts im dunkelbraunen Mantel, haben die stürmenden Pferde blitzschnell pariert, daß die Hinterläufe hoch in die Luft fliegen, sie wissen ihre Lanzen zu schwingen und mit nerviger Faust stoßen sie nach: der kurze Jagdspeer sitzt schon tief hinter dem Schulterblatt und auch die lange Lanze, von beider Arme Gewalt[S. 132] geführt, hat gut gepackt! Der Löwe wird sein Opfer lassen müssen, und er wird sich auf die neuen Gegner nicht mehr stürzen können: schon schwingt der behelmte Grieche wie ein zweiter St. Georg sein scharfes Schwert zum letzten Hieb: kein Zweifel, er wird ihm den Kopf zerspalten. In kaum einer Minute hat sich alles abgespielt. Jetzt gibt es ein Königspaar weniger auf der Welt.

Diese aufregende Szene hat ein großer Meister dargestellt, mit wunderbarer Kraft des Ausdrucks. Welch stürmische Bewegung ist doch in dem Bilde! Wie grauenhaft grimmig, wie königlich, wie katzenhaft kämpfen die Löwen um ihr Leben! Wie durchzuckt hingebender Kampfeseifer und wildester Jagdtaumel die stechenden und hauenden Männer! Und selbst die Pferde sind von der Wut des Kampfes angesteckt, zugleich freilich fast besinnungslos vor Angst und Grauen! Die Augen quellen heraus, die Mähnen sträuben sich, weißer Schaum steht vor dem Maule, weit geöffnet sind die Nüstern! Wie stemmt sich der Rappe rechts auf die Erde! Blickt er nicht fast wie ein Teufel hinüber dahin, wo das Schreckliche Ereignis wird? Wie stürmisch schlägt der Grauschimmel links mit den Hinterhufen aus: bricht nicht der gewaltige Hufschlag dem Löwen beinahe das Kreuz? Beide Pferde sind just in derselben Lage: im plötzlichen Halt fällt das ganze Gewicht ihrer selbst und des Reiters auf die straff gestreckten Vorderbeine, und der Schwung des Rennens entlädt sich fast im überschlagen: hoch ragt der Hinterleib in die Luft. Bald wird freilich der Grauschimmel das Weite suchen. Und auch die beiden anderen Pferde sind in wildester Bewegung. Von des Griechen Hand herumgerissen, springt der Braune in der Mitte mit schnaubendem Atem und halb wahnsinnig vor Entsetzen, aber doch dem Reiter gehorchend, beinahe[S. 133] auf den Löwen herauf, und wir hören fast den durchdringenden Schmerzensschrei des hoch in die Luft steigenden Schimmels, der mit Verzweiflung versucht, sich den Krallen des Untiers zu entwinden. Wie dehnt und reckt und streckt sich das wundervolle Tier, um dem Verhängnis zu entgehen! Es wächst ordentlich in den Himmel hinauf vor Schmerz, Wut und Erregung, und im nächsten Augenblick wird es davonrasen, seines Peinigers ledig. Was sind das alles für feurige, rassige Tiere, und was müssen das für vortreffliche Reiter sein, die in solchen Augenblicken Herr der Pferde bleiben, ja noch dazu mit überlegener Sicherheit die Waffen zu führen wissen! So verwachsen ist Mann und Roß nur bei den braunen Söhnen der Wüste oder einem kriegserprobten Reiterführer!

Nur der Ohnmächtige liegt in bleierner Ruhe am Boden, recht im Gegensatz zu der rings tobenden Leidenschaft, die dadurch nur um so gewaltiger wirkt. Wir fühlen, es geht ums Leben; um so straffer spannt sich jede Muskel, um so grimmiger haut, sticht, stößt man zu, beißt, kratzt, schäumt man gegeneinander: in wildem Wirbel wälzen sich Löwen, Rosse und Reiter, ein fast unentwirrbarer Knäuel! Und selbst die Natur scheint am Kampfe teilzunehmen: Gewitterwolken ballen sich zusammen, türmen sich auf und drohen, sich zu entladen; sie werden aber vom Sturme gejagt, wie die Löwen von den Jägern.

Wahrlich, es muß ein großer Künstler sein, der stürmische Leidenschaft, wildeste Bewegung, innerstes Leben von Mensch und Tier so packend darstellen konnte! Wie genau muß er den menschlichen und tierischen Körper, wie eingehend rasende Pferde studiert haben! Gab es doch 1616, als das Bild entstand, noch keine Photographie und keinen Film: mit scharfem Blick mußte der Maler alles[S. 134] selbst erfassen, mit hingebender Gewissenhaftigkeit jeden Zug der Natur ablauschen; aus unzähligen Einzelbeobachtungen mußte sich seiner Phantasie das Bild jeder besonderen Lage formen. So hat er denn auch in den Schaubuden mit Liebe die Löwen beobachtet, ja einmal eins der gewaltigen Tiere in seine Werkstatt bringen lassen und, welch gefährliches Wagstück! den Tierbändiger vermocht, es am Maule solange zu kitzeln, bis es gähnte und den offenen Rachen zeigte. Und das war kein gutmütiges Tier, denn es hat bald darauf seinen Bändiger in Stücke gerissen. Und neben der treuen Naturbeobachtung welche Kunst des malerischen Aufbaues! Denn das Größte an dem Bilde ist wohl, daß er alle Einzelfiguren so geschlossen um die sich verzweifelt wehrenden Löwen herumzugruppieren wußte, daß er es verstand, alle Bewegung, so verschieden sie ist, auf den einen entscheidenden Augenblick der höchsten Gefahr und der sicheren Überwindung zusammenzufassen, also daß wir bei aller scheinbaren Verwirrung die Handlung sofort als eine einheitliche begreifen. Ein einziger Moment ist dargestellt in stärkster Lebendigkeit und überzeugender Naturtreue; es stockt uns der Atem, so unmittelbar erleben wir, was wir hier schauen.

Peter Paul Rubens heißt der unnachahmliche Maler dieses Bildes. Er ist der größte Meister flämischer Kunst. In den spanischen Niederlanden, in der Hafenstadt Antwerpen hat er gelebt. Über 2000 Gemälde sind aus seiner Werkstatt hervorgegangen; bei vielen von ihnen haben seine Schüler geholfen, so daß er nur den Entwurf machte und die letzte Hand anlegte. Ein Dreiundzwanzigjähriger, reiste er im Jahre 1600 nach Italien, wo er acht Jahre blieb und die großen alten Meister studierte; mit 33 Jahren war er selbst weltberühmt. Seine Vielseitigkeit, seine[S. 135] Formensicherheit und der leuchtende Zauber seiner Farbe ist ganz erstaunlich. Es gibt keine erhabene oder menschlich schöne Szene in der Bibel, die er nicht gemalt hätte; ebenso hat er die alten Göttersagen ausgeschöpft, historische Ereignisse dargestellt, herrliche Landschaften neben Tier- und Jagdstücken und eine große Anzahl hervorragender Bildnisse geschaffen, die zeigen, wie tief er in der Menschen Seele zu lesen verstand. Auch sich selbst, seine erste Frau, Isabella Brant, seine zweite, Helene Fourment, und seine Kinder hat er immer von neuem gemalt und so Zeugnis abgelegt für das innige Glück, das er im Kreise seiner Familie fand. Doch er war auch ein eleganter Weltmann und hat seinem Vaterlande und befreundeten Fürsten mehrfach als Gesandter gute Dienste geleistet. Er hatte viele Schüler, von denen der bedeutendste der große Bildnismaler van Dyck geworden ist; und neben der Malkunst pflegte er in seiner Schule auch den Kupferstich: hier wurden die meisten seiner Bilder wunderbar nachgestochen. Er beschloß sein reiches Leben im Jahre 1640. Alle großen Museen sind seiner Werke voll. Sein Ruhm wird ewig dauern.

Arnold Reimann.

[S. 136]

Hille Bobbe
Von Frans Hals

Geboren um 1580 in Antwerpen, gestorben 24. August 1666 in Haarlem. — Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin

Bild 16

Habt ihr mal etwas von Haarlem gehört, der reichen holländischen Handelsstadt? Diese Stadt blühte nach den nationalen Freiheitskämpfen des 16. Jahrhunderts zu ungeahnter Größe auf. Ihr müßt euch mit mir in jene Tage zurückversetzen. Wir machen einen Gang durch Haarlem, sehen die schönen Patrizierhäuser mit schlanken Giebeln und reicher Ornamentik. Alles prunkt in echtem Material. Die Wetterfahnen, Gildenzeichen und Schilder sind kunstvoll geschmiedet; in den Gärten prangen bunte Tulpen und farbenglühende Hyazinthen. Im blanken Sonnenlicht leuchten die grünen Fensterläden an den sauberen Häusern festlich und froh. Im Hafen liegen zahlreiche Schiffe zur Ausfahrt bereit. Die Kaufherren schreiten mit gewichtigen Mienen durch Berge von Warenballen aus fernen Ländern. Neuer Reichtum spricht aus den satt lächelnden Gesichtern der Männer. Der Kampf ist beendet; aus Not und Tod sprießt wieder Segen auf Hollands Boden.

Das Haarlem jener Tage, die kraftvolle, fruchtbare Stadt, darf sich rühmen, daß aus einem ihrer Patriziergeschlechter ein Maler wie Frans Hals hervorgegangen ist. Dieser Künstler war ein echtes Kind seiner Zeit; im glühenden Blute fiebernde Kraft, die sich im engen Körper nicht zu fesseln wußte und mit elementarer Naturgewalt hervorbrach. Hier seht ihr eins seiner Bilder: „Hille Bobbe.[S. 137]“ Wendet euch nicht ab, lacht nicht spöttisch! Beides wäre unrecht. Ihr seht eine alte, robuste Frau mit einem Zinnkruge an einem Tische sitzen. Ihr werdet sagen: Wer ist das? Das ist ja nur eine alte, häßliche Frau, weiter nichts! Ja, dann müßt ihr sehen lernen, und dieses Frauenbildnis wird euch viel mehr sagen. Wie oft habe ich im Kaiser-Friedrich-Museum vor diesem Bilde gesessen, und es ist mir lieb und vertraut geworden. Und wenn es ganz still um mich her war, dann hat mir dieser lachende Mund erzählt von jener reichen Stadt der Gilden und Schätzen, der Ratsherren und Patrizier, der stolzen, harten Frauen, der Pracht und dem Glanze des Mittelalters, den engen Kaufmannskontoren unten am Hafen mit ihrem Welthandel, wo täglich Schiffe heimkamen mit kostbarer Ladung und wieder hinausfuhren nach Rotterdam, Haag, London und den fernen Kolonien. Ich habe dann gewußt, daß Hille Bobbe eine Matrosenschänke besaß, daß sie den großen Maler Frans Hals gut gekannt hat, der oft in ihre verräucherte Schänke kam, wo die alten Zinnkannen bis in die tiefe Nacht so fröhlich kreisten und der Wein in hohen Römern köstlich gleißte. Und da habe ich gern gelauscht auf all das, was mir Hille Bobbe zu erzählen hatte:

Der Maler Frans Hals sei etwa im Jahre 1580 in Antwerpen geboren, wohin seine Eltern geflüchtet waren, als Haarlem von Kriegsnöten bedrängt wurde. Aber bald kam Frans Hals nach der Stadt seiner Vorfahren. Zwei Jahrhunderte hindurch hatte die Familie in gutbürgerlicher Behaglichkeit in Haarlem gelebt. Der Vater des Malers, Meister Pieter Claszoon Hals, saß als Schöffe im Rate der Stadt. Obgleich in Antwerpen, der Stätte hoher Kultur geboren, war Frans Hals doch ein echter Holländer, kraft- und saftvoll, blühend, voll derben Schalks und Humors.[S. 138] In der Werkstätte des Karel van Mander übte sich der junge Frans im Handwerklichen seiner Kunst. Noch ganz im Geiste der Renaissancemeister erzogen, befreite er sich bald von jedem Zwange, jedem fremden Einfluß und ging mutig neue Wege. Das war nicht leicht. Die Holländer liebten ihre Altmeister, mit deren Kunst sie wohlvertraut waren, und hatten für das Neue wenig Verständnis. Und Frans Hals, dieses junge, ungestüme Talent, war ihnen zunächst fremd, fast feindlich. Wer war er, daß er so frei und sorglos lachend neue Wege ging? Er stand als neuer Mann in einer neuen Zeit, und was ihm alt und überlebt erschien, warf er von sich in der rücksichtslosen Art der Kraftnatur. Wir wissen heute, welch ungeheuren Umschwung die Porträtkunst des Frans Hals für Holland bedeutet. 1616 erhielt der Meister den ersten großen Auftrag, die Offiziere der Haarlemer Bürgermiliz zu malen. Dieses Werk gehört neben vielen anderen berühmten Werken noch heute zu seinen kostbarsten Glanzstücken. Unbekümmert um Neid, Ruhm, Verständnis, Liebe und Mißgunst ging Frans Hals die neuen Wege, die ihm sein Genius wies. Nicht immer waren diese Wege von Sonne beleuchtet. Aber in dem Künstler lebte eine so herrliche, starke Lebensbejahung, ein so kraftvoller Glaube an sich und seine Kunst, daß er spielend alles Schwere überwand.

Lebenslust, Schalk, Frohsinn, derbe, fast rohe Kraft und erquickendes Lachen in allen Abstufungen wurden das Eigentum seiner Kunst. Das Lachen auf seinen Bildern ist so ungekünstelt, so sorglos, so überzeugend, es steckt an. Wir schauen hin und lachen zwanglos mit.

Frans Hals wurde neben Rembrandt der größte und gefeiertste Porträtmaler seiner Zeit. Er warf mit wenigen, breiten, aber unendlich sicheren Strichen das Charakteristische[S. 139] seiner Modelle auf die Leinwand, und die Gestalten lebten. Auf seinen Bildern triumphierte das blanke Tageslicht, er liebte die Schatten der Dämmerung nicht. Seine feine Formen- und Farbenempfindung schützten ihn vor zu greller Realistik. Alles in seiner Kunst war ein Hymnus an die gesunde Natur, gleichviel wie er sie sah. Ich nenne euch hier nur einige seiner besten Werke: „Singender Knabe“ und „Bildnis eines jungen Mannes“, beide im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin, „Lustiger Flötenspieler“ in der Gemälde-Sammlung zu Schwerin, „Der Schalksnarr“ und „Selbstbildnis des Künstlers mit seiner zweiten Frau Lysbeth Reyniers“, beide im Reichsmuseum zu Amsterdam.

Frans Hals prahlte nie in Farben, selbst in seiner Hauptepoche liebte er eine kühle Tonskala: Grau, Blau und Gelb, in einen sanften bleichen Goldton übergehend. Und dennoch leben und blühen seine Gestalten in üppiger Pracht, selbst die kleinste Geste der Hände ist von warmer Natürlichkeit beseelt. Wohl oft noch erschraken seine Zeitgenossen vor der urwüchsigen Kraft in seinen Bildern, aber sie ließen sich gern von ihm malen. Der junge Reichtum jener Tage liebte es, mit hochmütigen Gesichtern einherzuschreiten. Die Männer kleideten ihre oft derben Gestalten in überreich verzierte Gewänder, die Frauen behingen sich mit schwerem Brokat, Samt und Seide, Gold, Juwelen, Brabanter und Brüsseler Spitzen und kostbaren Federn. Selbst diese hochmütigen, selbstbewußten Männer und unnahbaren, oft unschönen Frauen auf des Meisters Bildern lachen alle oder lächeln wenigstens.

Unser großer Künstler ist fast neunzig Jahre alt geworden. Er war zweimal vermählt; seine zweite Frau, Lysbeth Reyniers, überlebte ihn. Er hatte zehn Kinder:[S. 140] drei Töchter, sieben Söhne, die wie er selbst Musik und Gesang geliebt haben. Fünf seiner Söhne hatten das Talent des Vaters geerbt. Wenngleich sie Anerkennung und Ruhm fanden, so hat doch keiner annähernd die Kunst des Vaters erreicht. Frans Hals starb im Jahre 1666. Sein Leben, voll Schatten und Sonne, voll Freude und Wein, voll Musik und Gesang war bereits müde geworden, ehe der Tod kam. Er starb arm. Durch seine sorglosen Hände war das schimmernde Gold zu rasch geglitten, seine sangesfrohe Kehle hatte den goldnen und blutroten Wein zu sehr geliebt; da war für müde Tage nichts geblieben. Haarlem ließ seinen großen Bürger auf eigene Kosten bestatten. Das Begräbnis kostete vier Gulden. Frans Hals ruht im Chor der Hauptkirche zu Haarlem.

Das alles hat mir teils Hille Bobbe erzählt, teils stammt es aus alten Kunstchroniken. Nur über sich selbst schwieg Hille Bobbes lachender Mund.

Seht sie euch an, wie sie da breit und klobig vor euch sitzt. Die Farben sind spärlich: ein sanftes Violett der Jacke, ein kräftigeres Weiß der Flügelhaube und flatternden Krause und die wärmeren Fleischtöne des verwitterten Gesichts, das ist alles. Wohl schimmert die Zinnkanne im klaren Silberglanz, wohl huschen über die Gestalt noch einige frohe Lichter, dennoch, die Farbenpracht ist nicht reich. Aber welches Leben atmet diese Gestalt! Welche Fülle von ungebrochener, gestählter Kraft blitzt aus diesem Gesicht! Wir wissen nichts Bestimmtes von Hille Bobbe. Wer mag sie gewesen sein? War auch sie nicht einmal jung wie ihr? Saß sie wohl immer im verräucherten Schanklokal und füllte die Kannen und schlanken Römer? War sie eine alte Zauberin, die in der Geisterstunde auf einem Besen durch die Lüfte ritt? Kannte sie die dunkle[S. 141] Kunst des Wahrsagens? War sie eine böse Hexe aus alten Märchen? War sie den Matrosen und Fischern wie eine Mutter und betreute jeden, der in ihre Schänke kam? Wurde sie geliebt und verehrt? Sah sie den derben Zechern gutmütig zu, wenn sie beim Würfelspiel das blanke Geld verloren? Wir wissen es nicht!

Frans Hals hat diese Frau verewigt wie all das, was sein Künstlerauge fesselte. Er sah nie Häßlichkeit, nur die Natur. Und was gesunde Natur war, das umfaßte er mit der Kraft seiner begnadeten Kunst. So malte er Hille Bobbe, als sie die Kanne heben wollte, um einem Kumpane zuzutrinken. Daß sie just so herzlich lacht, ist wohl ihr Dank gewesen für Frans Hals.

In diesen Schanklokalen der holländischen Hafenstädte herrschte meist ein freies, ungebundenes Leben. Hier konnte die bunt zusammengewürfelte Gesellschaft — reisende Kaufleute, Händler, Soldaten, Schifferknechte, Bürger mit ihren Frauen, Söhnen und Töchtern — dem Frohsinn und der Ausgelassenheit die Zügel schießen lassen. Hier wurde getanzt und gespielt, gescherzt und gezecht, geraucht und musiziert, und hier, unter dem allzeit fröhlichen Völkchen, hatte der Künstler Gelegenheit, Studien zu machen und Modelle zu finden. Aus dieser Sphäre stammt denn auch Hille Bobbe.

Und wenn ihr Hille Bobbes Bild im Kaiser-Friedrich-Museum grüßt, dann fragt ihr sie wohl mal, wer sie war. Vielleicht liebt sie die Jugend und verrät es euch. Vielleicht! Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß Hille Bobbe auf meine Fragen immer schwieg, klug schwieg, wie die Eule, die geheimnisvoll auf ihrer linken Schulter hockt.

Fränze Eleonore Röcken.

[S. 142]

Maria Theresia
Von Velasquez

Getauft 6. Juni 1599 in Sevilla, gestorben 7. August 1660 in Madrid. — Kunsthistorische Sammlungen in Wien

Bild 17

Die meisten Maler, von denen die Geschichte erzählt, sind arme Teufel gewesen und haben sich ihr Leben lang sauer durchgeschlagen. Sie waren wenig geehrt und verkehrten mehr mit dem niederen Volk als mit den Vornehmen. Rembrandt zog sogar in die Amsterdamer Judenstadt, was nach der damaligen Auffassung einer Ausstoßung gleichkam. Andere aber, wie Raffael, Tizian, Rubens waren große Kavaliere und brachten es wohl auch zu ansehnlichem Reichtum. Kaum irgendein anderer Künstler aber war zeitlebens ein so vornehmer Herr und vollendeter Hofmann wie Spaniens bedeutendster Maler Don Diego de Silva Velasquez, der Urheber des Bildes der kleinen spanischen Prinzessin Maria Theresia, das wir hier miteinander betrachten wollen.

Velasquez lebte vom Jahre 1599 bis zum Jahre 1660. Er gehört also dem Spanien des 17. Jahrhunderts an, das damals seine eigentliche politische Blütezeit schon hinter sich hatte und vor dem mächtig emporstrebenden Frankreich mehr und mehr zurücktrat. Doch war es immer noch eine große Nation und spielte in der Welt eine Rolle. Das Leben am Madrider Hofe Philipps IV., der als jüngerer Herr und König dem Velasquez ähnlich gegenüberstand wie der Weimarer Herzog Karl August unserem Goethe,[S. 143] dieses Leben war immer noch reich an Glanz, doch ebenso auch an steifem und formelhaftem Zeremoniell. Der König war persönlich ein liebenswürdiger und einfacher Mensch und dankbar erfreut, in seinem Hofmaler einen Kavalier zu besitzen, dem gegenüber er sich auf Jagden und Ausritten, denen beide leidenschaftlich ergeben waren, frei gehen lassen durfte. Umgab ihn doch sonst, wo immer er offiziell sich zu zeigen hatte, ein starrer Pomp voll tyrannischer Abgemessenheit und Unfreiheit. Jeder Schritt, jede Bewegung war vorgeschrieben, jedes kleinste Wort hatte europäische Bedeutung, der ganze Mensch war aufgezehrt von der ihm aufgetragenen und einstudierten offiziellen Rolle, an die er gebunden war.

Nichts ist einem Künstler von Natur aus fremder als eine solche Welt. Doch auch in dieser zweiten Welt fand Velasquez sich wundersam zurecht. Er beherrschte ihre Formen in so tadelloser Weise, daß er es schließlich gar bis zum Hofmarschall brachte, der bei Reisen, Hoffesten und Turnieren das ganze Arrangement zu treffen hatte und dafür verantwortlich war. Dies alles beschäftigte den Künstler sehr, und es ist fast ein Wunder, daß seine Malerei dabei nicht verkümmerte. Doch Velasquez war eines jener gottgesegneten Genies, die selbst das scheinbar Unvereinbare aufs natürlichste miteinander zu verschmelzen wissen. So sehr er in seiner äußeren Berufsstellung vollendeter Hofmann war und allen Gesetzen des strengsten Prunkes und Zeremoniells sich fügte, so frei und schöpferisch handhabte er als Maler seinen Pinsel und war als Künstler ein Gott, der alles, was er rings um sich sah und erlebte, mit feurigen Sinnen in sich einsog und mit unverminderter Selbstherrlichkeit gleichsam zum zweiten Male erschuf.

So besitzen wir in Velasquez’ höfischen Repräsentationsbildern[S. 144] nicht nur ausgezeichnete Kunstwerke, sondern zugleich die bezeichnendsten, getreuesten und wahrhaftigsten Zeugnisse für das uns sonst völlig rätselhafte Wesen der Menschen auf und um den spanischen Thron. Im Madrider Prado, der größten und herrlichsten Galerie Spaniens, doch auch im Wiener Staatsmuseum befinden sich ganze Reihen von Bildnissen, die Velasquez nach seinem königlichen Herrn, dessen Gemahlin und Kindern, dem allmächtigen Minister Grafen von Olivarez und anderen Granden, und nicht zuletzt auch nach den Hofnarren und Hofzwergen gemalt hat. Wenn er Philipp IV. im einfachen Brustbild oder als schlichten Jäger oder auch einen der Infanten mit Büchse und Jagdhund abkonterfeite, so wirken diese Bildnisse durchaus menschlich-einfach und gewinnend. Man möchte sagen, diese Bilder hat der Freund gemalt, der diese Menschen ganz intim kannte, der in ihren Gesichtszügen las und der nichts zu verbergen brauchte, weil er Zug für Zug verstand und mit ebenso feiner Nachsichtigkeit als Aufrichtigkeit deutet. Anders war es, wenn dem Bilde ein gewisser politischer Repräsentationswert zugesprochen werden sollte. Dann sieht man sowohl den König wie auch den fünfjährigen kleinen Infanten Don Balthasar Carlos mit strenger Miene hoch zu Roß und, den Marschallstab in der Hand, sprengen sie in stürmischem Galopp heroisch einher. Auch die jungen Prinzessinnen mußten gelegentlich als solche wohldressierte Hofpuppen gemalt werden. Eines der berühmtesten Bilder z. B. heißt „Las Meninas“, d. h. die Hofdamen, und zeigt die etwa vier- oder fünfjährige Infantin Margarete, wie sie von den nur wenig älteren Damen ihres Hofstaates umcourt und umknickst wird. Doch wurde dies nicht etwa scherzhaft und mit versteckter Ironie gemalt, sondern mit vollem heiligem[S. 145] Ernst. Ja, der Maler hat sich selber auf dem Bilde angebracht, wie er mit Pinsel und Palette vor einer hohen Staffelei steht und die Szene beobachtet. Ganz im Hintergrunde aber öffnet sich eine Tür, in deren hellem Rahmen der König erscheint, der kommt, um nach dem Rechten zu schauen.

Jetzt werdet ihr wohl auch das Bild verstehen, das in diesem Buche wiedergegeben ist und das eine andere Infantin, die Donna Maria Theresia, darstellt. Diese ist im Jahre 1638 geboren, und da sie auf dem Bilde etwa 6 oder 8 Jahre alt sein mag, so kann man sich dessen Entstehungszeit danach berechnen; sie fällt in die sogenannte zweite Periode des Malers, die von zwei längeren Reisen nach Italien 1630 und 1649 begrenzt wird, sonst aber ganz in Spanien verläuft. Man darf getrost sagen, daß Velasquez damals auf seiner künstlerischen Höhe stand, und daß das Bild der jungen Prinzessin zu seinen besonderen Meisterwerken zählt. Dennoch werdet ihr euch in das Bild wohl erst mit einiger Mühe und gutem Willen hineinsehen müssen. Denn die furchtbar feine Prinzessin in ihrem schrecklich breiten und so ganz unkindlichen Reifrock wirkt gar zu fremdartig und, blickte sie nicht so steif und feierlich drein, so möchte man beinahe sagen, daß sie possierlich erscheint. Trotzdem wird niemand lachen wollen, der dieses Bild betrachtet. Der Maler hat etwas hineingelegt, daß man es durchaus ernsthaft nehmen muß, und fast möchte man, bei näherem Betrachten, ein wenig traurig darüber werden. Man fühlt beinahe etwas wie Mitleid mit der so zwangvoll eingeschnürten kleinen Prinzessin. Sie ist doch auch ein Kind und möchte gewiß viel lieber spielen und lachen, als so puppenhaft dastehen und vor lauter Vornehmheit sich gar nicht rühren.

[S. 146]

Aber ich glaube, das sind Empfindungen, wie nur wir heute sie hegen. Wir können uns in die kleine Prinzessin, wie sie hier gemalt ist, nur schwer hineindenken. Wenigstens widerstrebt es uns. Kreuzunglücklich würden wir uns fühlen, wenn wir uns an ihre Stelle denken. Aber wetten, daß die Prinzessin selber sich gar nicht so fühlte? Die kam sich gewiß ungemein hoheitsvoll vor. Sie war wunderbar frisiert und hatte ihr allerstaatsmäßigstes Seidenkleid an. Das war silbern und rosa und mit blinkenden Edelsteinen besetzt. Auf dem Bilde sieht man das ganz genau, denn das Kleid ist mit äußerster malerischer Liebe gemalt. Aber natürlich keineswegs nach der Art eines heutigen Photographen, der mit stumpfsinniger Genauigkeit alle Nebendinge notiert und oft wichtiger nimmt als die Hauptsache, sondern in freiem, sinnlichem, künstlerischem Zuge, mit echter Freude an der Schönheit der farbigen Scheine und mit sehr viel Geschmack an deren malerischer Wiedergabe. Der Prinzessin Maria Theresia wird es sicherlich sehr viel Freude gemacht haben, daß ihr Kleid so glänzend gemalt wurde: denn das Kleid war ihr zweifellos die Hauptsache und beinahe wertvoller als ihre eigene werte Persönlichkeit. Das heißt, sie nahm natürlich sich selber wichtig genug. Da sie aber in Wirklichkeit doch noch nichts Rechtes war, so gewann das Kleid, das schöne, weitabstehende Reifrock- und Staatskleid, natürlich eine höhere Bedeutung. In ihm drückt sich gleichsam handgreiflich aus — doch wehe der Hand, die etwa wirklich hätte hingreifen wollen! —, nun, kurz und gut, an dem Kleide erkannte die Prinzessin und erkennen auch wir, daß das kleine Mädchen auf dem Bilde kein gewöhnliches kleines Mädchen, sondern wirklich und wahrhaftig eine gemalte Prinzessin ist.

[S. 147]

So steht sie nun also da, beinahe wie eine Teepuppe, die wir zum Wärmen über eine Kanne stülpen, nur viel selbstbewußter und mit weit mehr Grandezza. Das Kleid ist so breit und so steif, daß die Prinzessin ihre beiden ausgestreckten Ärmchen wie auf ein Ruhepolster darauflegen kann. Das tut sie auch und hält in der einen Hand eine rote Rose, in der anderen ein weißes, lang herunterfallendes Spitzentaschentuch. Auch sind ihre beiden Ärmel mit wundervollen, breitausgeschlagenen Spitzen besetzt, und auf der Brust trägt sie einen mit Edelsteinen geschmückten seidenen Schleifentuff, abermals in der Mitte weißer Spitzen, die als Kragenrüsche um den Halsausschnitt laufen. Darauf aber sitzt auf gradgehaltenem Hälschen das ernste und würdevolle und doch so artige milde Kindergesicht, mit den weichen, bleichen Wänglein, dem niedlichen Knospenmund, dem reizenden Stumpfnäschen und den großen verwunderten Augen. Ja, dieses Gesicht ist, ob auch im Ausdruck prinzessinnenhaft zurechtgemacht, doch in allem Wesentlichen wirklich kindlich. Es ist ein kleines Menschengesichtlein, beinahe wider Willen und sicherlich ohne klares Bewußtsein. Aber der Maler, der denn doch ein wenig tiefer blickte, hat es erspäht und hat die kleine verborgene Seele darin gefühlt und es verstanden, sie mit dem Pinsel festzuhalten. Und dafür danken wir ihm heute ganz besonders, wiewohl es damals beinahe eine Respektlosigkeit und vorwitzige Keckheit war, so das Seelchen gleichsam zwischen die Fingerspitzen zu nehmen — und derlei hätte sich außer dem Don Diego Velasquez de Silva, dem künftigen Hofmarschall, wohl kaum ein anderer gestatten dürfen. Er tat’s ja auch nur ganz leise und heimlich, beinahe verschämt, und trug um so mehr Sorgfalt, die drumherumgerahmte blonde Lockenfrisur recht pompös[S. 148] herauszustaffieren und in weitem Halbbogen abstehen zu lassen, gleich als wolle sie den Reifrock des Kleides unter ihr im kleineren kopieren. Auch ist noch ein prächtig und schwer geraffter roter Damastvorhang da, bestimmt, die Feierlichkeit der ganzen Situation zu erhöhen, zugleich freilich auch, um ein farbiges malerisches Gegengewicht zu schaffen und dem Hintergrund mehr Bedeutung zu geben.

Ja, seht euch dies Bild nur recht genau an — so werdet ihr den Maler und seine ganze Zeit und seine eigentümliche Existenz am Hofe dieses spanischen Königs Philipp IV. ziemlich gut verstehen. Und was ist nun das Merkwürdigste an der Erscheinung dieses Bildes? Nichts anderes, so seltsam es klingen mag, als dieses: daß es ein malerisches Meisterwerk ist! Fühlt ihr, wie sehr das diesen ganzen Hof des sonst herzlich unbedeutenden Philipp IV. ehrt? Es hat weit wichtigere, weltgeschichtlich ungleich bedeutsamere Höfe gegeben, zumal in neuerer Zeit und kaum in sehr großer Ferne, an denen weit schlechtere Bilder gemalt wurden, ja von denen die Meisterwerke als unliebsame, gesinnungsverdächtige Erscheinungen mitunter geradezu systematisch ferngehalten wurden. Im Spanien Philipps IV., im siebzehnten Jahrhundert, aber hatte man bei Hofe einen festen und unerschütterbaren, einen hochgebildeten Geschmack. Auch wenn man scheinbar leere Zeremonienbilder bestellte, verlangte man untadelige, künstlerisch abgewogene und durchgebildete und keineswegs sklavisch der Wirklichkeit nachkopierte Meisterwerke. Der beste Maler des Landes, das selbstherrlichste Genie war grade gut genug, um an einem solchen Hofe der bestallte Porträtist des Königs und seiner Familie zu sein. Man fürchtete sich nicht vor ihm und zitterte[S. 149] nicht vor seinen gemalten Indiskretionen. Man versteckte auch nicht sein Menschliches vor ihm, sondern gab es ihm gutwillig preis. Der Maler war ja ein Freund. Er war Hofkavalier und Hofbeamter. Man wußte, er würde gegen die Etikette nirgends verstoßen. Aber damals ahnte man vielleicht und ließ es milden Lächelns geschehen, daß der Maler mehr gab als die Etikette; daß er durch die ganze starre, steife und verlogene Schicht von Konvention den wirklichen und eigentlichen Menschen aufspürte und für die Jahrhunderte dokumentarisch festhielt.

Franz Servaes.

[S. 150]

Die Nachtwache
Von Rembrandt van Rijn

Geboren 15. Juli 1606 in Leiden, gestorben 4. Oktober 1669 in Amsterdam. — Rijks-Museum in Amsterdam.

Buntbild IV

Eine lebhaft bewegte Gruppe von Männern zieht uns aus dem Bilde in kriegerischer Haltung entgegen. Wir sehen nicht recht, woher sie kommen; der Hintergrund wird durch ein Tor oder die Wand eines großen Rathauses gebildet. Entscheidend fallen zunächst die Figuren der beiden Vordersten, des Hauptmanns Frans Banning Cocq und seines in hellgelben Brokat gekleideten Leutnants auf, die miteinander in ein lebhaftes Gespräch verflochten zu sein scheinen. Der größere, der Hauptmann, rechts gehend, legt offenbar gerade seinem Unterführer irgendeine militärische Frage dar und unterstreicht seine Worte mit einer Bewegung seiner vorgestreckten linken Hand. Ihm gegenüber, einen halben Schritt zurückbleibend, der kleine Leutnant, fast erdrückt von der massiven Statur des anderen. Doch behauptet er sich durch die größere Farbenfreudigkeit der Kleidung, auf der sich fast alles Licht des Vordergrundes gesammelt zu haben scheint. Die anderen Mitglieder des Schützenkorps, scheinbar in ganz loser Haltung, mit ihren Hellebarden und Musketen — Trommler und Fahnenträger —, einer, der die Muskete lädt, geben eine Unzahl der verschiedenartigsten Bewegungsmotive. Wir werden, so scheint es in der Absicht des Malers zu liegen, uns zunächst über die Anzahl der dargestellten Personen durchaus nicht klar. Durch die Überschneidungen der[S. 151] Figuren, Köpfe, Gliedmaßen und Waffen, durch die unregelmäßige Führung des Lichtes, die starke Helligkeiten unmittelbar neben dunklen Partien auftauchen läßt, erhalten wir zuerst den Eindruck großer Fülle und eines bewegten Aufmarsches. Erst allmählich lernt das Auge zu gliedern, und erst langsam sondern sich aus dem dämmrigen Halbdunkel des Bildes, das auch die Veranlassung zur Namensgebung: „Die Nachtwache“ war, die einzelnen Figuren heraus.

Die in der linken Hand getragene Hellebarde des Leutnants bildet in ihrer starken Verkürzung den Übergang nach hinten. Hinter den beiden Führern erblicken wir zunächst zwei Schützen — den einen von ihnen in schleichender, gebückter Haltung, irgendwie mit seiner Muskete beschäftigt. Dann wird der Zug der Männer kurz unterbrochen, und eine seitliche Gruppe tritt von rechts her hinzu, beherrscht durch die Figur eines Unterführers, der den hinter ihm Stehenden mit der rechten Hand etwas zu befehlen scheint. Weiter nach vorn zu ein Trommler, der, vom Bildrand fast überschnitten, seine Trommel rührt und den bewegten Rhythmus des ganzen Aufmarsches diktiert. Hinter dieser Gruppe zieht sich der Trupp bis in die dämmernde Tiefe hinein, wobei die einzelnen weniger hervortreten, als Wämser, Hüte, ragende Lanzenschäfte und, hier und da aufblitzend, eine Hand oder ein Teil eines Kopfes. Unmittelbar vor der den Hintergrund bildenden Wand knickt sich gleichsam der Zug, denn alle Folgenden ziehen von links nach rechts, um an dieser Stelle erst die Drehung vorzunehmen und sich der Bewegung anzuschließen, die nach vorn zu aus dem Bilde herausführt. Unter den Schützen, die den breiten Streifen des Hintergrundes in ihrer Bewegung von links nach rechts aus[S. 152]füllen, fallen uns vor allen Dingen der Fahnenträger und eine offenbar von starkem Selbstbewußtsein erfüllte imposante Männererscheinung mit holländischem Spitzenkragen und dem typischen hohen Hut der damaligen Zeit auf. Hinter dem Fahnenträger wird der gleichmäßige Zug der Vorwärtsschreitenden wieder von einer anderen Bewegung unterbrochen. Von links hinten nach rechts vorn geht eine diagonale Bewegung durch das Bild: eine Gruppe von Bewaffneten schreitet nach vorn zu, deren Spitze von einem gerade die Muskete ladenden Schützen gebildet wird. Die lichte Figur eines kleinen Mädchens oder einer Zwergin mit einem Hahn im Gürtel, die an Helligkeit fast dem Leutnant im Vordergrund entspricht, trennt diese Gruppe von den übrigen.

Wie wir sehen, ist das Bild keineswegs leicht überschaubar. Wir bedürfen einer langen Arbeit, um uns in dasselbe hineinzufinden, die einzelnen Gruppen und Persönlichkeiten voneinander zu trennen und uns über den Ausbau des Ganzen, die bildmäßige Komposition klar zu werden. Ein Versuch, der zweifellos nicht völlig gelingen kann. Schon die Figur der Zwergin, die durch die Lichtansammlung so stark betont wird, ist für uns aus dem Zusammenhang des Ganzen nicht erklärlich. Wir wissen ja nicht einmal, ob eine Art Parademarsch oder ein wirklicher kriegerischer Aufbruch bei Alarm dargestellt werden soll. Erfahren wir nun gar, daß es sich hier um einen Porträtauftrag handelt, um die Aufgabe, eine Gruppe von Amsterdamer Bürgern, die in einer Schützengilde zusammengeschlossen waren, wiederzugeben und für die späteren Generationen festzuhalten, dann begreift man erst das eigentliche Problem des Bildes.

An und für sich handelt es sich um ein Gruppenbild,[S. 153] wie wir deren unzählige in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts kennen. Aber die wiedergegebenen Personen sind nicht wie auf den Gruppenbildnissen anderer Maler der gleichen Zeit nach irgendeiner langweiligen Regel nebeneinander aufgereiht. An die Stelle einer derartigen Rangordnung tritt dramatisches Geschehen. Rembrandt nimmt sich die Freiheit, anstatt der üblichen Aufreihung eine lebhaft bewegte Situation zu geben, deren Schilderung ihm wesentlicher erscheint als die getreue Wiedergabe der zu Porträtierenden. So könnte das Bild eher als „Kriegerischer Marsch“ oder „Aufbruch zum Schützenfest“, denn als Gruppenbildnis aufgefaßt werden. Wir können auch heute noch verstehen, daß die Schützengilde sich weigerte, dem Maler das Bild abzunehmen, da die Auftraggebenden, die alle ihren Anteil am Künstlerhonorar bezahlt hatten, sich nicht durchweg naturgetreu genug wiedergegeben fanden.

Und doch ist es für uns eins der größten Meisterwerke aller Zeiten! Denn uns interessiert nicht mehr, wie dieser oder jener Amsterdamer Bürger ausgesehen hat, sondern daß hier in einer ganz neuartigen Weise Bewegung und dramatisches Leben in einer Menschenmasse wiedergegeben werden. Rembrandt gestaltet, gliedert und betont nämlich allein durch das Licht und seine Abstufungen zum Helldunkel, durch die dunkel glühende Farbe und ihre verschiedenen Tonwerte. Und so macht er sich gleichsam unabhängig von dem, was er darzustellen hat. Noch ehe wir uns darüber klar werden, worum es sich eigentlich handelt, sind wir von dem geheimnisvollen Zauber der Lichtführung und des Zusammenwirkens der Farbe gefangengenommen und empfinden die ganze zuckende Bewegtheit des Vorganges. Und trotzdem jeder einzelne der großen dramatischen[S. 154] Idee des Bildes untergeordnet ist, erfahren wir genug von ihm, um uns ein Bild seiner ganzen Persönlichkeit machen zu können.

Interessant ist der Vergleich dieses Gruppenporträts mit jenen anderen, fast ebenso bekannten, die Rembrandt gemalt hat: mit der zehn Jahre früher entstandenen „Anatomie“ und mit einem seiner letzten großen Aufträge, dem Gruppenbildnis der „Staalmeesters“, d. h. der Vorsteher der Tuchmachergilde. In seiner Jugendarbeit spielt das Licht noch nicht dieselbe entscheidende Rolle wie in der „Nachtwache“. Aber auch dort gelingt es ihm bereits, aus der an und für sich gleichgültigen Aufgabe einen dramatischen Vorgang zu gestalten und die einzelnen Teilnehmer des Anatomiekursus überaus lebendig in ihrer individuellen Verschiedenheit zu charakterisieren.

Dieser größte aller nordischen Maler wurde am 15. Juli 1606 in Leiden als Sohn eines ehrsamen Müllers geboren. Seine Eltern legten ihm, als er den Beruf eines Malers ergreifen wollte, keine Schwierigkeiten in den Weg, denn dieser Beruf war damals in Holland durchaus geachtet. Bevor er zu seinem ersten Meister Swanenburg, der aber von geringem entscheidenden Einfluß auf seine spätere künstlerische Entwicklung geworden ist, in die Lehre kam, besuchte er das Gymnasium seiner Vaterstadt. Er ging schon mit siebzehn Jahren von Leiden weg und kam nun nach Amsterdam zu Pieter Lastman, aber auch die Art dieses an und für sich nicht so bedeutenden Malers spricht sich in seinen Werken nicht aus. 1623 kehrte er, nachdem er sozusagen „ausgelernt“ hatte, wieder nach Leiden zurück und eröffnete eine eigene Werkstatt, in der er selbst auch schon Schüler annahm. Schließlich wurde ihm aber die Heimatstadt zu eng, und er ging 1631 wieder[S. 155] nach Amsterdam zurück, jener Stadt, in der er nun sein Leben verbrachte. Er kam in die Kreise des wohlhabenden Bürgertums und hatte vor allen Dingen durch seine Porträts derartige Erfolge, daß er geradezu zum Modemaler des in Fragen der bildenden Kunst sehr verwöhnten Amsterdamer Publikums wurde. 1643 heiratete er Saskia van Uilenburgh, mit der er beinahe zehn Jahre lang eine überaus glückliche Ehe führte. Wir kennen ihre Erscheinung genau, denn sie kehrt immer als Modell auf seinen Bildern wieder, die er in den glücklichsten zehn Jahren seines Lebens schuf. Seine Erfolge als Maler ermöglichten es ihm, einen glänzenden Haushalt zu führen, sich Sammlungen von Kunstgegenständen, Waffen und orientalischen Teppichen anzulegen, kurz, ganz als vornehmer Herr seiner Zeit zu leben.

Anfangs der vierziger Jahre des Jahrhunderts beginnt das Schicksal, sich gegen ihn zu wenden. Zugleich mit dem Tode seiner Saskia kommt er in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die ihren letzten Grund in seiner künstlerischen Entwicklung finden. Er bleibt nicht mehr der glänzende Modemaler, der er war, sondern beginnt allmählich, in einer ganz anderen Art seine Erlebnisse malerisch festzuhalten, einer Art, der das Publikum verständnislos gegenüberstand, und so werden die Aufträge immer seltener.

Seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten wachsen derart, daß ihn 1656 seine Gläubiger für bankerott erklären; sein Haus und seine kostbaren Sammlungen wurden versteigert. In dieser Atmosphäre völliger Verlassenheit entstehen jene Wunderwerke der Malerei, die ihn zu der einzigartigen Erscheinung prägen, als die er bald seit einem Vierteljahrtausend in der europäischen Kunstgeschichte fortlebt. Nicht seine nachtwandlerische[S. 156] Sicherheit, aus der Vielfältigkeit der Erscheinungen die wesenhaften Einzelheiten herauszusehen und besonders betont darzustellen, — nicht jene letzte Naturwahrheit in der Wiedergabe von Licht- und Luftstimmung ist es, sondern ein Drittes, das jenseits einer reinen künstlerischen Bewertung liegt: die Besonderheit seines Menschentums. Und so gibt er auch sein Tiefstes und Letztes dort, wo er Menschen darstellt: in seinen Selbstporträts, in seinen Bildnissen und Bildnisgruppen. Selbst seine Landschaften scheinen mehr Verkörperungen menschlicher Gemütsstimmungen als Wiedergaben der Natur zu sein. Eine Grenze zwischen Mensch und Künstler vorzunehmen und richtend oder wertend der einen oder anderen Seite seines Wesens gegenüberzutreten, bewiese ein Versagen gegenüber dem Letzten seiner Sendung: der Tragik seiner Persönlichkeit.

Paul Zucker.

[S. 157]

Die unbefleckte Empfängnis
Von Murillo

Getauft 1. Januar 1618 in Sevilla, gestorben 3. April 1682 ebendort. — Musée du Louvre in Paris

Bild 18

Wenn auf die Kunst und Malerei irgendeines Landes, so muß auf die Spaniens in ganz besonderer Weise angewendet werden, was Goethe im „Westöstlichen Diwan“ von der Dichtung und dem Dichter sagt:

Wer den Dichter will verstehen,
Muß in Dichters Lande gehen.

Die Malerei keines Landes war, besonders in der Zeit ihrer Blüte, also im 17. Jahrhundert, so mit dem Volksleben verwachsen wie die spanische. Künstler und Volk waren eine lebendige Einheit. Durch gemeinsamen Glauben genährt, durchdrang ein hochgesteigertes Lebensgefühl die ganze Nation vom König bis zum Bettler. Dichter, ebenso wie bildende Künstler, brauchten nur einen Ton aus der Welt des Religiösen oder des Nationalen — und beides war meist geschichtlich eng verknüpft — anzuschlagen, um des Widerhalles durch alle Schichten der Bevölkerung sicher zu sein. Was das für den Schaffenden bedeutet, davon hat unsere Gegenwart kaum noch eine Vorstellung. Etwas diesem Zustande Ähnliches kennt man nur noch in Kreisen, die eine gemeinsame religiöse Überlieferung sich bewahrt haben, wie denn überhaupt in der Religion (religare = binden, verknüpfen) die stärksten Bindekräfte liegen. Die spanische „Mönchskultur“ war nicht eine Kultur für sich. Sie drückte nur in gesteigertem[S. 158] Maße aus, wie das Volk selber bei aller Lebenslust das Leben bewertete. Der Mönch spielte eine stellvertretende Rolle für alle diejenigen, denen das Leben die Kraft versagt hatte, dem höchsten Ideal, dem freiwilligen Verzicht auf viele irdische Freuden aus Liebe zum Ewigen, sich zu weihen. Er hatte gar nichts Finsteres für dieses Volk; es lag vielmehr in dieser Teilung der Aufgaben ein trostreiches soziales Moment: das Gefühl der gemeinschaftlichen Verantwortung.

Die religiöse spanische Malerei eine „Mönchskunst“ nennen, kann daher nur, wer von diesem Verhältnis keine Ahnung hat. Sie war recht eigentlich nationale Kunst; und wie im alten Griechenland das Bildnis der Athene die Tempel, die öffentlichen Plätze schmückte, so im katholischen Spanien das Bildnis der Madonna. Daß das ritterlichste Volk der Welt der Himmelskönigin, der Mutter der schönen Liebe, der Jungfrau der Jungfrauen eine ganz besondere Verehrung widmete, wäre auch ohne die hohen religiösen Vorstellungen, die es damit verband, begreiflich, obwohl der Kult seinen tiefsten Sinn erst aus der Heilslehre der christlichen Offenbarung schöpft. Das alles muß man sich klarmachen, um in das Wesen gerade einer Darstellung einzudringen, die vielleicht ein spanisches Seelenerlebnis von besonderer Stärke versinnbildet. Warum gerade Spanien dieses Erlebnis stärker hatte als andere christliche Völker, ist schwer zu sagen. Das Glück der Freiheit von erblicher Schuld, von einer Belastung aus dem Blute wird ja wohl dort am seligsten empfunden, wo der Druck am stärksten ist. Indem das spanische Volk mit besonderer Bewunderung, Liebe, ja Inbrunst zu derjenigen aufblickte, die das allgemeine christliche Bewußtsein längst, ehe die Tatsache als Lehre „definiert“ war,[S. 159] rein und unbefleckt von aller Erbschuld und nicht unterworfen dem Gesetze des Fleisches glaubte, scheint mir indirekt dargetan, daß ihm das Bewußtsein und Gefühl unser aller Verstrickung in die Sünde Adams, die das Gesetz ursprünglichen Lebens verkehrte, lebendiger gewesen ist als anderen Völkern. Sich dieses Bild der von der Erbschuld und ihren Folgen, der bösen Lust und dem verderbten Willen, freien menschlichen Natur zu gestalten, hat die spanische Kunst unablässig gerungen, bis ihr das Höchste in einigen Schöpfungen Murillos gelang. Das hier dargebotene Bild der Madonna immaculata, der unbefleckt Empfangenen, gehört zu den wenigen restlos geglückten Darstellungen des Ideals. Zweiunddreißigmal den gleichen Vorwurf gestaltend, hat der Meister nicht geruht, bis er das letzte ausgesprochen hatte, dessen er fähig war. Aber auch hierbei mußte er den Grenzen menschlichen Könnens seinen Tribut zahlen: das Ideal war zu groß, als daß er es ohne Zerlegung in einzelne Erscheinungsweisen hätte verbildlichen können. Aber wie oft er auch die Darstellung neu versuchte, immer ist es die von Urbeginn Schuldlose, im Mutterschoße schon rein Empfangene, was er unserm geistigen Sinn durch den Augenschein faßbar zu machen die Kühnheit hatte. Versuchen wir an dem Werke, das uns vorliegt, zu verstehen, in welch unmittelbarer Weise er dieses hohe Ziel anstrebte.

Auch der früheren Kunst war der Vorwurf der „Conceptio immaculata“ (der „unbefleckten Empfängnis“) nicht fremd. Aber weit entfernt, um ein Ideal menschlich bildhafter Verkörperung zu ringen, hat sie sich die Aufgabe leicht gemacht, indem sie durch Attribute der Reinheit ausdrückte, was ihr in der Gestalt selber auszusprechen versagt war. Ganz anders Murillo. Er wollte[S. 160] die verkörperte Schuldlosigkeit, die Jungfrau ohne Makel der Schuld Adams, die Eva des neuen Bundes vor dem Sündenfalle, also ein Bild gnadenvoll erhöhter Menschheit zur Erscheinung bringen. Er ging dabei vom Leben, von der Wirklichkeit aus. Er schuf sich keinen Typus im Stile griechischer Idealisierung — derlei war dem barocken Kunstempfinden seiner Zeit fremd —, er suchte, wo und wie sich Reinheit und Unschuld im Umkreis seiner andalusischen Mitwelt am rührendsten aussprach. Jugend und religiöse Innigkeit, wie wir sie auch heute noch bei gewissen sakramentalen Feiern in katholischen Kirchen in berückender Vereinigung oft beobachten können, mochten seinen Blick längst gefesselt haben. Und so hielt er sich ans Leben und wählte die unberührte Jugend in religiöser Hingegebenheit an das Göttliche als Symbol der unbefleckt geborenen Eva des „Neuen Bundes“. Was Schiller hundert Jahre später die „schöne Seele“ nannte, es ist in noch höherem Sinne hier gewollt. So „sentimentalisch“ — auch wieder im Sinne Schillers — die bewegte Haltung des Körpers, die Gebärdensprache der Hände, die Züge des Antlitzes sind, die Gestalt selbst ist die eines herrlichen Weibes im ganzen Reichtum schöner Menschlichkeit. Sie steht auf Wolken, die Mondessichel, das Sinnbild ewigen Wechsels, unter den Füßen, in einem goldenen Lichtglanz. Um sie weben und schweben Kinderengel — gleichsam die Elementargeister des Himmels — wie eine Aura der Reinheit und ewigen Jugend. Das Ganze drückt Ruhe in der Bewegung aus. Ein leiser Zug nach oben ist angedeutet, nicht bloß in der schreitenden Haltung des unsichtbaren Spielbeins, sondern auch in der leichten Diagonale, die über die Köpfe der unteren Engelgruppe hinweg von rechts nach links aufsteigt. Gerade die Bewegung,[S. 161] die innerhalb der durch tiefes Dunkel sich erstreckenden Lichtbahn — abermals eine Diagonale, diesmal von links nach rechts durch den ganzen Raum hindurch — herrscht, macht die Ruhe der ganz in Anschauung der Gottheit Versunkenen nur um so fühlbarer. über dem Weiß des Kleides liegt das Azurblau des Mantels — beides Farben der Unschuld. So ist kein sinnberaubter Punkt im Ganzen. Und alles hat Bezug zum Mittelpunkt, der seinerseits auf ein Höheres, Höchstes deutet. Das Werk ist in seiner Art vollendet. Diese Art selber ist die barocke, von der man sagt, daß sie unserem Lebensgefühl wieder nahekomme.

Das Bild ist um das Jahr 1678 entstanden, stellt also wenn nicht den letzten, so doch den letzten großen Versuch der Gestaltung dieses Vorwurfs dar. Bartolomé Esteban Murillo stand im 61. Lebensjahre. Vier Jahre später ist er an den Folgen eines Sturzes von dem Gerüst in einer Kirche, auf dem er malte, gestorben. Sein Leben hat sich ohne besondere Wechselfälle meist in seiner Vaterstadt Sevilla abgespielt, wo er, früh verwaist, als Kind einer alteingesessenen Sevillaner Familie zur Welt kam. Zeitig zu einem Maler von mittlerer Bedeutung in die Lehre geschickt, fand er sich selbst erst, nachdem er von einem etwa dreijährigen Aufenthalt in Madrid zurückgekehrt war, wo er, von seinem Landsmann Velasquez gefördert, die großen Schöpfungen der Malkunst des 16. und 17. Jahrhunderts in sich aufgenommen hatte. Nicht bloß die hervorragenden Meister der spanischen Schulen, Ribera, Zurbaran, Velasquez, auch die großen Italiener, Tizian und Correggio vor allem, dann aber auch die Niederländer Rubens und van Dyck haben auf ihn eingewirkt. Aber er ist ein Eigener geblieben; den Charakter seiner andalusischen Heimat hat er wie kein anderer Maler aus[S. 162]geprägt, und man nennt ihn mit Recht den „sevillanischsten der Sevillaner Maler“. Schon zu Lebzeiten galt er als der Maler seiner Vaterstadt, doch blieb sein Wirken örtlich beschränkt, und so konnte es kommen, daß sein Ruhm für einige Zeit verblaßte. Im Verlauf der folgenden Jahrhunderte hat die Schätzung seiner Kunst verschiedene Phasen durchlaufen. Als der französische Marschall Soult mit anderen geraubten Bildern auch die hier besprochene und nach ihm benannte „Conceptio immaculata“ von Sevilla nach Paris brachte, wo sie noch ist, da ging eine Flutwelle der Bewunderung Murillos durch die ganze Kunstwelt. Sie schlug in das Gegenteil um, als die Zeit des künstlerischen Naturalismus hereinbrach, und sie ist wieder im Steigen, seitdem wir aus der Stillosigkeit unserer Gegenwart heraus das Zeitalter des Barock als ein aus dem Geist der Gotik geborenes Zeitalter von neuem bewundern. Und doch ist Murillo nicht nur der Maler der Madonnen und verzückten Heiligen, sondern auch der Sevillaner Betteljungen und Zigeuner und nicht zuletzt der Kinder. Daß er, der Realist, nicht auch zugleich naturalistischer Derbheit gehuldigt hat, hat ihm den Ruf der Schönmalerei und der Süßlichkeit eingetragen. Kunstgeschichtlich ist sein Schicksal das Schicksal Raffael Santis, und es ist kein Zufall, daß in der Entwicklung der spanischen Malerei der Sevillaner die gleiche Stellung einnimmt wie der Urbinate.

Karl Muth.

[S. 163]

Der Tanz
Von Jean Antoine Watteau

Geboren 10. Oktober 1684 in Valenciennes, gestorben 18. Juli 1721 in Paris. — Neues Palais in Potsdam

Bild 19

Am Waldesrande vor dichtem Gebüsch haben sich drei Kinder gelagert. Ein etwa zehnjähriger Knabe in zierlichem Schäferanzuge spielt die Schalmei, zu deren Tönen sich die ältere Schwester oder Freundin in feierlich gemessenem Tanze bewegt. Die beiden anderen Kinder, ein Mädchen und ein zweiter Knabe, den Hirtenstab in der Hand, sehen in stummer Bewunderung der Kunst der kleinen Dame zu, die in der Tat diese Bezeichnung verdient, denn sie weiß ihr schweres, kostbar besticktes Gewand mit einer Würde und Anmut zu tragen, als stünde sie im kerzenerleuchteten Ballsaale und nicht auf dem weichen Wiesengrunde unter dem hellen Abendhimmel. Ein Windhauch führt die Glockentöne des Abendgeläutes von der Dorfkirche herüber; bald wird der Schäfer in der Ferne seine Tiere in den Stall treiben. Nichts stört den Frieden der Natur, leise bewegen sich die Zweige der Bäume und begleiten mit sanftem Rauschen die Melodie des kleinen Bläsers, zu dessen Füßen ein Hund, der muntere Spielgefährte der Kinder, wohlig zusammengekauert schläft.

„Der Tanz“ oder „Die tanzende Iris“ heißt dieses Bild des französischen Hofmalers Jean Antoine Watteau. Friedrich II., der große König, erwarb es für seine Privatgalerie in Potsdam, wo es noch heute im Neuen Palais hängt.

[S. 164]

Kleine Iris, du trägst deinen zarten Blumennamen mit Recht! Gleich einer Blume, die ihren Blütenkelch aus den starren Blättern erhebt und sich leise im Winde schaukelt, wächst dein feiner Leib aus dem schweren Faltenwerke des Rockes empor und neigt sich dein Lockenköpfchen, als wäre die Musik ein Hauch, der es bewegt.

Nein! du bist keine Ballkönigin, kein Kind dieser Welt, sondern ein Wesen aus einem Traumreiche. Unbeschreiblich zart und anmutig wie dein Körper ist dein Lächeln und der Elfenbeinschmelz deiner Haut; wie ein Schmetterling über der Blüte zittert das zierlich gefältelte Häubchen auf deinem blonden Haar. Und wie die Harmonie des Dreiklangs eine liebliche Melodie begleitet, so rauscht die Farbe deines rot, grün und silberhell gestreiften Kleides zu den schwingenden Linien des Umrisses deiner Gestalt. Von welcher Art war wohl der Künstler, der dich erträumte? Muß er nicht ein Glückskind gewesen sein, dem Kummer und Sorgen zeit seines Lebens fernblieben?

Jean Antoine Watteau, den die Franzosen so gern den französischsten der Maler nennen, stammte nicht aus Frankreich, sondern aus der flämischen, heute belgischen Stadt Valenciennes, die allerdings kurz vor seiner Geburt (1684) unter die Herrschaft des raubsüchtigen französischen Königs Ludwig XIV. gekommen war. Schon früh muß sich seine Begabung gezeigt haben, denn sein Vater, ein biederer Dachdeckermeister, schickte ihn als Kind bereits in die Lehre zu einem der angesehensten Maler der Stadt. Aber, wie erzählt wird, ging der Knabe bald seine eigenen Wege; das fröhliche Leben und Treiben auf dem großen Marktplatze fesselte ihn mehr als die strengen Schulregeln; dort trieben Gaukler, Seiltänzer und allerlei[S. 165] Abenteurer ihr Spiel, die er mit flinkem Stifte nach der Natur zeichnen konnte. Nach dem Tode seines Lehrers verließ der achtzehnjährige Jüngling plötzlich die Heimat und zog nach Paris, der Stadt seiner Sehnsucht. Aber seine Träume von Glück und Ruhm sollten sich nicht so bald erfüllen.

Vollständig mittellos, stand er allein in der großen Stadt und mußte sich bei einem kleinen Bilderhändler mit untergeordneten Malarbeiten seinen Teller Suppe verdienen, bis durch Vermittlung einer seiner Landsleute, Claude Gillot, ein bekannter und vielseitiger Dekorationsmaler auf ihn aufmerksam wurde und sich seiner annahm. Bei ihm konnte der junge Anton seine Begabung endlich entfalten; hier lernte er Fächer, Wandschirme und Zimmervertäfelungen mit jenem geistreichen, liebenswürdigen Rankenwerke bemalen, womit er seine Zeitgenossen entzückte, hier konnte er seiner Phantasie freien Lauf lassen und dem neuen heiteren Stile, dem zierlichen „Rokoko“, den Weg bereiten.

Die lange, über ein halbes Jahrhundert währende Regierung Ludwigs XIV., des „Sonnenkönigs“, wie ihn die Franzosen mit Stolz nannten, neigte sich ihrem Ende zu. Großzügig, aber tyrannisch hatte dieser Fürst nicht allein die Politik seiner Zeit, sondern auch die Kunst, ja selbst die Natur seinem Willen unterworfen: alles mußte der Verherrlichung seiner Person, seiner unersättlichen Ruhmsucht dienen. Wie seine Minister und Generäle das Staats- und Heereswesen neu organisierten, so mußten auch die Dichter, Baumeister und bildenden Künstler der „Großen Kunst“ neue Regeln und Gesetze schaffen.

Schwer und prunkvoll wie die Paläste, waren die[S. 166] Möbel, welche die mächtigen Säle füllten; die Maler und Bildhauer mußten in dekorativen Riesenwerken die Taten des Königs verherrlichen und jede selbständige Äußerung ihres Talentes unter dem Zwange der steifen Mode unterdrücken. Selbst die Gartenkunst wurde ihrer Freiheit und Leichtigkeit beraubt; die Hecken und Bäume wurden beschnitten, daß sie wie Mauern und Türme wirkten, die Wege in gerade, feierliche Bahnen gezwungen. Ein kalter, schwerer Glanz lag wie Meltau über dem natürlichen Leben und drohte, es zu ersticken. Doch die unsichtbaren, sich immer erneuernden Lebensquellen und Kräfte lassen sich auf die Dauer nicht vergewaltigen; plötzlich brechen sie hervor und befruchten den dürrgewordenen Boden, so daß er neue, niegesehene Blumen sprießen läßt.

Als der junge Watteau im Jahre 1702 nach Paris kam, begannen sich diese Kräfte schon allenthalben zu regen. Die Willenskraft des alternden Königs fing an nachzulassen; man war des steifen höfischen Zwanges überdrüssig geworden, und die Adligen zogen sich mehr und mehr vom Hofe zurück, um sich freier und ungebundener bewegen zu können.

Sie ließen sich kleinere, leichtere Schlösser und Hotels bauen, die zwar im Äußeren noch die Formen des strengen starren Stils zur Schau trugen, dafür aber im Inneren leichter und wohnlicher wurden; und die Bedürfnisse der vornehmen Welt begegneten der Sehnsucht der jüngeren Künstler nach größerer Natürlichkeit und Ungezwungenheit. So entstanden auch jene dekorativen Malereien als Schmuck von Wand- und Türfüllungen, in denen es Watteau bald seinem Lehrmeister Gillot zuvortat.

Aber seine Lehrzeit war noch nicht beendet. Einige[S. 167] Jahre später finden wir ihn bei Claude Audran, dem Haupte einer berühmten Malerfamilie, dem Kastellan des Luxembourg-Palastes, in dessen Diensten er den Pinsel noch freier und sicherer führen lernte. Doch wichtiger als die ermüdenden und ihn auf die Dauer langweilenden Aufgaben der dekorativen Malerei war es ihm hier, sein Auge mit neuen, ungeahnten Eindrücken sättigen zu können. Wie er als Knabe die Gaukler und Abenteurer konterfeit hatte, so durfte er hier in den schattigen Wandelgängen des breiten Parkes, den die Hand des modischen Gärtners zum Glücke unberührt gelassen hatte, das Stelldichein der vornehmen Damen und Herren von Paris beobachten und in den hohen Räumen des Schlosses die farbenprächtigen Bilder der venezianischen Meister und seines großen Landsmannes Rubens bewundern und studieren. Hier erwachte in ihm die Sehnsucht nach Italien, nach der klaren Luft und den starken Farben des Südens. Er wurde Schüler der Akademie, um im Wettbewerbe über seine Studiengenossen siegen und den Rompreis, die freie Fahrt nach Italien, erringen zu können. Allein seine Hoffnung erfüllte sich nicht; er mußte sich mit dem zweiten Preise begnügen.

Unmutig wandte er Paris den Rücken und begab sich nach seiner Heimat zurück. Doch was sollte er in der kleinen bürgerlichen Provinzstadt, wo niemand ihn verstehen konnte? Paris, das undankbare Paris hatte es ihm doch angetan! Zum zweiten Male versuchte er sein Glück bei der Akademie, und jetzt gelang es ihm über alles Erwarten. In stummer Bewunderung blieb der greise Kanzler der Akademie vor den eingesandten Bildern Watteaus stehen, und einstimmig wurde dieser für würdig befunden, als Mitglied aufgenommen zu wer[S. 168]den; ja es wurde ihm sogar überlassen, selbst den Vorwurf seines Aufnahmebildes zu wählen.

Aber merkwürdig, sein Ehrgeiz schien erloschen. Fünf Jahre ließ er die Akademie warten, ließ sich mahnen und drängen, bis er dann endlich 1717 in unbegreiflich kurzer Zeit das Bild auf die Leinwand zauberte, das ihm die Würde eines Hofmalers brachte. „Meister der galanten Feste“ wurde er fortan genannt. Er schien nicht stolz auf diesen offiziellen Titel; schon längst war er ein gemachter Mann. Die berühmtesten Kunstsammler seiner Zeit: Crozat, Julienne, der junge Graf de Caylus, bewarben sich um seine Freundschaft und öffneten ihm ihre reichen Häuser, wo er nach Herzenslust seine geliebten Meister, Rubens und die Venezianer, studieren konnte.

Ludwig XIV. hatte seine strengen Augen geschlossen, und die langunterdrückte Lebenslust brach sich nun unter der Regentschaft des Herzogs von Orleans, der für den unmündigen Kronprinzen die Herrschaft führte, ungehemmt Bahn. Die Straßen wogten von fröhlichen Menschen, Lustbarkeiten und rauschende Feste erfüllten die Paläste und Gärten der vornehmen Welt: Leben, das Watteaus schönheitsdurstiges Auge nun nicht mehr zu suchen brauchte; auf Schritt und Tritt bot es sich seinem Pinsel dar. Aber wie verwandelte es sich unter seiner Hand! Wir finden sie alle wieder auf Watteaus Bildern, alle, die scherzten und feierten und das Dasein in vollen Zügen bis zur Neige genossen: die galanten Kavaliere, die zarten Mädchen und Damen, die sich so anmutig zu bewegen wußten, die Liebespaare, die Lautenspieler und Tanzenden, und dazu den Schwarm des Komödiantenvolkes: Harlekin, Pierrot, Mezzetin, und wie sie alle heißen. Aber wie auf seinem Preisbilde, der „Einschiffung zur[S. 169] Liebesinsel Cythere“, die Pilger und Pilgerinnen von kleinen rosigen Engeln geleitet in das Traumreich ziehen, daher sie eigentlich stammen, so sind fast alle Gestalten des Malers traumhafte Sinnbilder der Wirklichkeit, aus einem Zwischenreiche von Musik und Malerei, nicht ganz wirklich und nicht ganz erlöst.

Watteau war nur eine kurze Lebensfrist bemessen; eine unheilbare Krankheit, die Schwindsucht, zehrte an ihm. Fieberhaft und rastlos mußte er arbeiten, um seine Träume mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Fast alle Bilder, die von seiner Hand erhalten sind, stammen aus seinem letzten Jahrzehnte. 1721 starb er, noch nicht siebenunddreißig Jahre alt, von seinen Freunden herzlich betrauert, denen er es oft wahrhaft schwer gemacht hatte; denn er war keineswegs heiter und glücklich, wie man auf den ersten Blick nach seinen Bildern vermuten könnte. Von unansehnlichem Äußeren, klein und schwächlich, hegte er Mißtrauen gegen sich und andere und stand abseits vom Leben, das ihn doch immer wieder rief.

Kleine Iris, du blickst mich plötzlich fragend und traurig an, doch — schon lächelst du wieder und erzählst schwebend von dem Glück, das immer gesucht und nie gefunden wird!

Hans Rupé.

[S. 170]

Der Markusplatz in Venedig
Von Antonio Canale genannt Canaletto

Geboren 18. Oktober 1697 in Venedig, gestorben ebendort 20. April 1768. — Fürstl. Liechtensteinsche Galerie in Wien

Bild 20

Fast ein halbes Jahrtausend hindurch erfreute sich die Stadt Venedig des Ruhms, die erste Handelsseestadt Europas zu sein. Ihre natürliche geographische Lage bestimmte sie von vornherein zur Vermittlerin zwischen Orient und Okzident. Das verstanden die Kaufherren der Stadt sehr geschickt auszunützen. Eine eigene mächtige Handelsflotte brachte Waren von Konstantinopel, Kleinasien und dem unteren Ägypten — besonders Gewürze, Gewebe und Farbstoffe — nach Venedig, von wo aus sie durch die Po-Ebene nach Italien, über die beiden hauptsächlichsten Alpenstraßen nach Frankreich und vor allen Dingen über Augsburg auch nach Deutschland gingen. Kriege, die von gemieteten Söldnerscharen geführt wurden, unterbrachen diese Handelsbeziehungen immer nur zeitweilig, besonders der Jahrhundertelang mit wechselndem Erfolg geführte Kampf gegen die einzige andere italienische Seestadt, die die Venezianer als mächtige Nebenbuhlerin betrachteten: gegen Genua. Mehrfache Seekriege wurden gegen die Türken geführt, die allerdings vom Beginn des 17. Jahrhunderts ab den venezianischen Besitz am Adriatischen Meer immer mehr und mehr einengten.

In dieser, im wesentlichen durch Handel und gelegentliche kriegerische Unternehmungen geschaffenen Atmosphäre[S. 171] einer Inselsiedlung bildete sich eine ganz besondere und eigenartige Kultur heraus. Einige vornehme Familien, die sich immer wieder untereinander vermischten und verschwägerten, hielten Jahrhunderte hindurch die gesamte politische Macht des Staates in Händen und bildeten bei aller scheinbaren Freiheit des Volkes ein politisches System aus, das diese Macht einer geschlossenen kleinen Gruppe bewahrte. Herrschte aber auf politischem Gebiet eine strenge Ordnung, so war zum Ausgleich dafür in den Dingen des täglichen Lebens dem Volke weite Freiheit gelassen. Nirgends verstand man so, Feste zu feiern und jeden Anlaß zur Erhöhung des Lebensgefühls auszunützen, wie in Venedig. Da Handel und Wandel blühten, bereicherte sich nicht nur das beherrschende Patriziat der Großkaufmannsfamilien, sondern es kam auch Geld unter das Volk, und es gab genug Gelegenheiten, daß das Geld ins Rollen kam. Wohlleben, Luxus und Verschwendung, die das venezianische Leben seit dem 16. Jahrhundert kennzeichneten, dürfen wir uns aber nicht nur allzu materiell vorstellen. Den derben Bauernkirmessen und holzigen Späßen niederländischer Volksfeste stand hier eine künstlerische Festkultur und ein Verständnis für die Schönheit selbst des kleinsten Gebrauchsgegenstandes gegenüber, das bis in die tiefsten Schichten des Volkes gedrungen war und zum natürlichen Sinn des Venezianers geworden zu sein schien.

Nicht wie im Florenz der Frührenaissance war die Kunst im wesentlichen dazu bestimmt, das Ansehen einer Herrscherfamilie zu erhöhen — soweit sie nicht ebenso wie in Rom dem Glanz der Kirche dienen sollte —, sondern hier, in Venedig, kann man, mehr als im übrigen Italien der gleichen Zeit, mit Recht von einer Volkskunst sprechen. Nicht etwa in dem Sinne, daß, wie in gewissen bäuerlichen[S. 172] Kulturen fast jeder Handwerker imstande gewesen wäre, Dinge von künstlerischer Prägung hervorzurufen, aber doch so, daß für die Architektur der Stadt, für die Ausmalung der Kirchen und Privatpaläste, für die Kostüme des Karnevals, für Serenaden, Opern und andere öffentliche Musikaufführungen beinahe jedermann offenes Auge und Ohr hatte.

Die jahrhundertelange Tradition bewirkte, daß im 18. Jahrhundert, jener Zeit, in der man zum erstenmal begann, zu seinem Vergnügen zu reisen — neben Rom, — Venedig das hauptsächliche Ziel jener bevorzugten Schicht des europäischen Adels und wohlhabenden Bürgertums wurde, die ein Jahrzehnt des Lebens darauf verwandte, sich durch Reisen in der angenehmsten Form weiterzubilden. Die venezianische Malerschule, die einen Bellini, Giorgione, Tizian, Tintoretto und Paolo Veronese hervorgebracht hatte, war weltberühmt. So wurde in vielen der Wunsch erweckt, jene Atmosphäre in Wirklichkeit kennenzulernen, in der die Farbe so merkwürdig leuchtend klar, so perlmutterartig schillernd sich dem Auge darbietet, wie man es auf den Gemälden der Hauptmeister zu bewundern gelernt hatte.

So wurde Venedig neben Paris und Rom die erste europäische Stadt, die mit den Fremden als einem wesentlichen Bestandteil ihres sozialen Lebens zu rechnen hatte, und hieraus ergab sich wieder eine ganz bewußte Förderung der künstlerischen Momente. Man zog zur Gestaltung der Karnevalsfeste, der Opernaufführungen, der historischen, alljährlich wiederkehrenden symbolischen Vermählung des Dogen mit dem Meere, wobei dieser auf einem prächtig geschmückten Staatsschiff auf die Adria hinausfuhr, und zu anderen außergewöhnlichen Gelegen[S. 173]heiten die bedeutendsten europäischen Künstler hinzu. So ließ man sich für eine Reihe von vorübergehenden Festtagen die provisorisch errichteten Baulichkeiten von großen Malern in Freskomalerei ausstatten. Andererseits bewirkte die Rücksichtnahme auf Fremde, und mehr noch als diese der bewußte Stolz des Stadtbürgers auf die ruhmreiche Vergangenheit seiner Vaterstadt, eine liebevolle Behandlung und aufmerksame Pflege der Architekturen aus der großen Zeit Venedigs und der erhaltenen Gemälde in den Palästen des Adels und in der Kirche. So fiel die künstlerisch bedeutungsvollste Zeit Venedigs keineswegs mit dem Höhepunkt seiner politischen Macht oder mit den Lebzeiten der bedeutendsten Künstler zusammen, sondern das achtzehnte Jahrhundert gab als glücklicher und verständnisvoller Erbe den umfassendsten Überblick über alle Höchstleistungen venezianischer Kunst aus den verschiedenen vorausgegangenen Jahrhunderten.

So sehen wir auch in dem Bilde Canalettos, das den Markusplatz in Venedig, den hauptsächlichsten Schauplatz alles öffentlichen Lebens dieser Inselstadt, darstellt, inmitten der Pracht-Architekturen zahlreiche Gruppen von Menschen, die sich nicht irgendeiner bürgerlichen Beschäftigung hingeben, sondern ersichtlich als Fremde und Betrachtende ihrer Umgebung gegenüberstehen. Ist es doch auch einer der schönsten Plätze der Welt, auf dem sie sich befinden! Links — vom Beschauer aus — die alten Prokurazien, ein Verwaltungsgebäude der Stadt, rechts die neuen, im Hintergrund der phantastische Märchenbau der Markuskirche und daneben das berühmte Wahrzeichen Venedigs, der Markusturm. All diese Baulichkeiten sind zu verschiedenen Zeiten entstanden und schließen sich doch zu einem Bilde von höchster Einheitlichkeit und un[S. 174]übertrefflicher, heiterer Würde zusammen. Die Baugeschichte all dieser einzelnen Gebäude zu geben, hieße, die Geschichte Venedigs wiederholen.

Die Markuskirche, in der die Gebeine des heiligen Markus, des Stadtheiligen, ruhen, kann in ihrer Bedeutung für die Baukunst nicht leicht überschätzt werden. Der heute noch stehende Bau wurde Ende des 11. Jahrhunderts begonnen und altrömische und andere Baubestandteile mit großer künstlerischer Freiheit verwendet. Innen und außen ist der Bau von starker Farbigkeit, eingehüllt in ein goldschimmerndes Kleid von Mosaiken, die in byzantinischer Zeit beginnen, und deren letzte nach Entwürfen Tizians und Tintorettos, ja selbst nach solchen Tiepolos und anderer venezianischer Künstler des 18. Jahrhunderts hergestellt wurden. Die fünf mächtigen Portale der Halle in ihrer bunten Modellierung werden von den grün patinierten, orientalisch wirkenden Kuppeln überragt, und neben dieser spielerischen Pracht wirkt die ernste Monumentalität des Glockenturmes wie ein gewaltiges und eindrucksvolles Ausrufungszeichen. Ist dieser Hintergrund zwar an und für sich etwas unruhig, so schließt er aber doch das Blickfeld harmonisch ab.

So fein nun auch bei den seitlichen Palästen die architektonischen Einzelheiten, namentlich die des rechten Baues, sein mögen mit ihren schönen Säulenordnungen und den dazwischen gestellten, wundervolles Gleichmaß atmenden Bogenöffnungen — eine echte harmonisch ausgewogene Bildung der Hochrenaissance —, nicht diese Schönheit der einzelnen Form ist das Entscheidende! Viel mehr dies: daß durch die stete Wiederholung desselben einfachen Motivs, durch die Zuführung der Seitenstraßen auf den Platz unter den Bogengängen ohne Durchbrechung[S. 175] der Platzwandung, wir gleichsam gezwungen werden, den ganzen Platz als einen einheitlichen Raum, eine Art prächtigen Festsaales, zu empfinden. Diese Empfindung diktiert uns wie den Menschen zu Canalettos Zeit die Art der Bewegung, mildert die Hast unseres Ganges und zwingt uns gleichsam, selbst lebendige und bewegliche Teile dieser prächtigen Fest-Architektur zu werden.

Ein typisches Kind seiner Zeit war auch der Maler selbst, Antonio Canale, gen. Canaletto, der 1697 in Venedig geboren wurde. Obwohl diese Stadt mit ihren architektonischen und landschaftlichen Reizen das wesentliche Stoffgebiet seiner Kunst blieb, schuf er auch Architekturbilder aus anderen Städten, die er gelegentlich seiner Kunstreisen kennenlernte. Diese Kunstreisen beschränkten sich keineswegs auf Italien, wo ihn außerhalb Venedigs hauptsächlich Rom zu klargegliederten Städtebildern anregte, sondern führten ihn über Deutschland und Frankreich bis nach England, wo er selbst Ansichten von London, einer Stadt, die sich in der Atmosphäre von seiner Vaterstadt so stark unterschied, wiedergab. Doch kehrte er immer wieder nach Venedig zurück, wo er im Jahre 1768 starb. Er darf nicht mit seinem Schüler und Neffen, Bernardo Belotto, der ebenfalls den Beinamen Canaletto führte, verwechselt werden. Die Werke dieses Schülers sind, verglichen mit denen seines Meisters und Oheims, nüchterner, spröder und entbehren ganz jener flüssigen, schimmernden Licht- und Luftstimmung, die die Bilder des eigentlichen Canaletto so besonders reizvoll macht.

Paul Zucker.

[S. 176]

Die Herzogin von Devonshire mit ihrem Töchterchen
Von Sir Joshua Reynolds

Geboren 16. Juli 1723 in Plympton bei Plymouth, gestorben 23. Februar 1792 in London. — Im Besitz des Herzogs von Devonshire zu Chatsworth

Bild 21

Seligstes Mutterglück! Das ist der erste, das ist der bleibende Eindruck, den dieses köstliche, frische Bild auf den Beschauer macht. Es ist ein herrlicher Frühlingstag; die Sonne scheint so warm und wohlig. Da sitzt eine junge, schöne, vornehme Frau, das feingeschnittene Gesicht von reichem Lockenschmuck umrahmt, in eleganter Toilette auf der Veranda ihres Schlosses; unser Blick schweift einen Moment über die Brüstung hinaus an der großen Steinvase vorbei weit hinein in den wohlgepflegten Park mit seinen breiten, grünen Rasenflächen und einzelstehenden Baumgruppen. Ja, diese Umgebung paßt zu der aristokratischen Erscheinung, und auch der schwere, aufgeraffte Vorhang, der vor dem garstigen Zuge schützt, und das bequeme Sofa, das aber nicht zu nachlässiger Haltung verführt. Gewiß, es muß eine Dame aus den höchsten Kreisen der Gesellschaft sein; alles atmet Gediegenheit, Vornehmheit, Reichtum. Und wirklich! Es ist eine Herzogin, Georgiana von Devonshire, die Gemahlin eines der größten Würdenträger von England, des Großschatzmeisters von Irland. Aber was kümmert uns das? Wir achten des Putzes nicht, nicht der stolzen Umgebung: wir sehen nur, wie eine Mutter in hingebender Liebe[S. 177] und träumerischer Zärtlichkeit mit ihrem süßen Baby spielt, es tanzen läßt auf ihrem Schoß. Sie hält das hampelnde, strampelnde Mädchen fest mit dem linken Arm, daß es nicht falle bei seinem Übermut; in schnellem Takte wippen die Knie: hoppe, hoppe, Reiter!, und mit der hochschwingenden Rechten lehrt sie es, auch seine vollen, dicken Ärmchen ganz, ganz hoch zu heben und mit ihr zu jauchzen: eia, eia! Hört man nicht ordentlich das vergnügte Kreischen des kleinen, gesunden Geschöpfes? Sieht man nicht die aufwärtssprudelnde Bewegung der Arme? Und trommelt es nicht mit seinen niedlichen, in keine Schuhe gezwängten Füßen so tapfer und keck, so voll Zutrauen und strahlender Lebenslust auf den Schoß der Mutter? Hängt nicht hier Auge an Auge in seliger Freude? Ja, sonnig ist das Dasein für sie beide, und das heitere Spiel von Mutter und Kind beglückt auch den Beschauer und führt ihn in die paradiesischen Zeiten der frühesten Jugend zurück. So hat auch mit uns allen einst die Mutter gespielt, uns geherzt und geküßt, auch wenn wir keine Herzogskinder waren. Die Mutterliebe ist gleich groß und rührend, gleich edel und selbstlos bei hoch und niedrig, und eben sie wollte der Maler preisen, für sie ein immerwährendes, ein typisches Beispiel geben.

Nun könnte wohl jemand denken, eine so feine Dame spielt wohl einmal zum Zeitvertreib mit ihrem Baby, aber so treu wie eine gute bürgerliche Mutter sorgt sie doch nicht für die Kinder; sie hat Angestellte, eine Amme, und später eine Kindergärtnerin; dann wird eine Erzieherin gehalten oder ein Hauslehrer; und die vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen lassen ihr keine Zeit; oft sieht sie wohl die Kinder tagelang nicht. Nun, englische Sitte ist das ganz und gar nicht, und in unserem[S. 178] Falle war es gewiß nicht so. Georgiana hat ihre Kinder selbst genährt, um der vornehmen Gesellschaft ein gutes Beispiel zu geben, und das fand tatsächlich Nachahmung: es wurde die Regel. Und überhaupt haben es die Kinder in England immer gut gehabt, wenigstens die der höheren Stände: sie regieren eigentlich das Haus, um sie dreht sich alles, sie gelten als der höchste Schatz der Familie. Sie wachsen auf dem Lande oder im Eigenheim der grünen Vorstadt auf und spielen den lieben Tag lang in den herrlichen Parks und Gärten, die zu solchen Landsitzen und Villen gehören. Ihnen wird das luftigste Sonnenzimmer eingeräumt, das, weiß in weiß gehalten, den fröhlichsten Eindruck macht; ihre Frische und Gesundheit ist die Hauptsorge der Eltern. Auf Lernen kommt es nicht so sehr an. Sport und Spiel, sich zurechtfinden im Leben, Benehmen und Charakter ist die Losung. Dem Adel machen das die besseren bürgerlichen Kreise nach, so weit es in ihren Kräften steht. Freilich dazu gehört Wohlstand. Aber England ist reich. Und mag auch heute das Kinderelend in den großen Städten und zumal in den schmutzigen Seitenstraßen Londons erschreckend sein, so hat doch seit Jahrhunderten jeder Engländer, der es sich leisten konnte, der Pflege der Kinder die größte Sorgfalt gewidmet.

Gerade unser Maler, Sir Joshua Reynolds, ist ein sprechender Zeuge dafür. Wie lacht und strahlt uns Englands vornehme Jugend aus Dutzenden seiner Bilder entgegen, wie gewichtig präsentieren sich die kleinen Lords und Ladies, wie lebendig, reizend und unschuldsvoll spielt das junge Volk mit der Mutter oder mit den treuen Freunden, den Hunden, die auch zur Familie gehören, wie andachtsvoll beten die Kleinen ihr Nachtgebet, wie gesittet benehmen sie sich! Aus so glücklicher Jugend[S. 179] erwächst dann jener selbstsichere Menschenschlag, der stolz und klar, etwas verwöhnt, aber gesund an Körper und Geist, mit geschultem Takt in allen Lagen stets das Richtige trifft; jene starken, sehnigen Jünglinge und Männer, die immer noch etwas vom Jungen an sich tragen, praktisch durch und durch, auf Leben, Welt, Natur mit gesundem Menschenverstand gerichtet, Herrenmenschen voll Haltung und Energie, die wissen, was sie wollen, und leisten, was zu leisten ist, die sich zu benehmen verstehen, aber auch recht rücksichtslos sein können und alles in allem das Ideal des Gentleman darstellen — und jene schlanken, hoch aufgeschossenen Mädchen und Frauen mit den ovalgeschnittenen, gleichförmigen Gesichtern, voll Elastizität, Grazie, Anmut und edelster Haltung, die erblüht sind wie Lilien auf dem Felde und eine eigene englische Art von Schönheit haben, die man mit Entzücken anschaut. Solche Menschen auf der Höhe des Daseins, Mann und Weib, Jung und Alt, hat uns Reynolds, der größte Porträtmaler des 18. Jahrhunderts, zu Hunderten in voller Leibhaftigkeit vor Augen gezaubert.

Zu ihnen gehört auch die Herzogin Georgiana. Sie war eine gute Mutter, und die kleine Hampelliese, die auch Georgiana heißt und später auch eine vornehme Frau und glückliche Mutter, eine Gräfin Carlisle, geworden ist, hat zeitlebens an ihr mit Ehrfurcht und Liebe gehangen. Aber die Herzogin verband damit die Vorzüge der großen Weltdame. Sie war — trotz der Königin — die erste Frau der englischen Gesellschaft. Sie gab den Ton, sie gab die Mode an. Alle Welt ahmte ihr nach, nicht nur, als sie ihren Kindern die Brust reichte: auch als sie die steifen Reifröcke der Rokokozeit ablegte, als sie die großen Federhüte erfand, die auf so manchen Bildern[S. 180] der Zeit das Lockenhaupt der vornehmen Damen wie ein Heiligenschein umgeben. Sie war reich, schön, von hohem Rang; ihre bestrickende Anmut, ihr Zartgefühl, ihr Geist, ihre lustige Schlagfertigkeit zog alle in ihren Bann, die ihr nahe kamen. Ihre Empfänge, die Feste, die sie gab, waren weltberühmt und versammelten das hoffähige und gebildete England in ihren Räumen. Sie hatte Sinn und Interesse für alles, was geistige Werte schafft, und versuchte sich auch selbst mit Glück in der Poesie: ihr Gedicht: Der Übergang über den St. Gotthard gehört zu den schönsten Reisebeschreibungen in gebundener Form, und auch in französischer Sprache machte sie gute Verse. Sie sammelte Gemälde, Stiche, Handzeichnungen und Altertümer und pflog Verkehr mit Philosophen, Malern und Dichtern; keinen Augenblick schwankte sie, den großen Menschendarsteller und Entdecker Shakespeares, Garrick, in ihr Haus zu ziehen und ebenso den jungen Sheridan mit seiner liebreizenden Gattin, die ihre Laufbahn als Sängerin Händelscher Oratorien aufgegeben hatte, um dem unbekannten Literaten ihre Hand zu reichen — und solche Förderung des Talentes war damals eine Tat, da Schauspieler und Sänger noch keineswegs in allgemeiner Achtung standen, sondern mit besseren Trinkgeldern abgefunden zu werden pflegten. Sie gründete auch den ersten Frauenklub, der prachtvolle Bälle gab, zu denen auch die Herren der Schöpfung eingeladen wurden und bei Spiel und Tanz angeregten Umgang pflegen konnten. Bei keiner großen Veranstaltung des öffentlichen Lebens fehlte sie. So hat sie dem Aufstieg der ersten Luftballons — welch ein Ereignis für das damalige London! — mit Würde beigewohnt und dem wackeren Blanchard das haltende Tau zerschnitten. Auch[S. 181] politisch war sie interessiert. Sie stand mit ihrem Gemahl auf seiten der Opposition, der Whigs, die eine reine Parlamentsherrschaft anstrebten, und bekannt ist die Anekdote, wie sie für den ihr befreundeten Staatsmann Fox bei seiner Wahl in Westminster temperamentvoll eintrat: sie begab sich mit einer ebenso schönen Freundin, Lady Crewe (die Reynolds auch gemalt hat), in das verräucherte Wahllokal, um Stimmen für ihn zu werben und soll einem dicken Fleischer, der sonst unter keinen Umständen zu erkaufen war, sogar einen Kuß zugestanden haben. Sie wirkte allerdings bezaubernd auf die Männerwelt. Einen braven Farmer hörte man bei einem Pferderennen sagen, als er sie sah: „Wäre ich der Allmächtige, sie müßte die Himmelskönigin sein!“ Man verglich sie wohl mit der Königin Marie Antoinette, und gewiß ist, daß sie an Schönheit, Liebreiz und Geist mit ihr wetteifern durfte, und daß das Leben am Hofe Georgs III. an den Stil ihres Daseins nicht heranreichte. Man verehrte sie wie eine Göttin, und sie besaß etwas von ewiger Jugend und Anmut. Als sie im 49. Lebensjahre starb, galt sie noch immer als die lieblichste Frau Englands.

Joshua Reynolds hat diese seltene Menschenblüte dreimal gemalt, schon als sechsjähriges Mädchen mit ihrer Mutter, der Gräfin Spencer, dann als junge Frau und wiederum auf unserem Bilde als glückliche Mutter, in ihrem 27. Lebensjahre, wohl zur Feier der zehnjährigen Hochzeit, denn schon mit 17 Jahren hatte sie dem blühenden Gatten sich verbunden. Auch der andere große Maler der Zeit, Gainsborough, hat ihre prachtvolle Erscheinung in einem majestätischen Bilde festgehalten; auch hier wirkt sie wie ein Wesen höherer Art, geadelt durch alle Reize[S. 182] einer schönen, starken und freien Persönlichkeit. Doch Reynolds hat ihr tiefer ins Herz geblickt: er sah, daß das echt Weibliche, das Mütterliche, ihrer Anmut erst die höchste Weihe gab.

Und darin eben liegt die Kunst Reynolds’ überhaupt: er war ein großer Psychologe. Er durchschaute die Menschen, fühlte mit sicherem Instinkt den Kern ihres Wesens heraus und verstand es, die Seele selbst zu malen. Wohl selten haben Verstandesschärfe und künstlerisches Empfinden einen so engen Bund geschlossen, wie bei ihm. Sein ganzes Dasein war auf Beobachtung gestellt, nichts entging seinem scharfen Auge; aber er blieb nicht in den Einzelheiten stecken: sein Geist ergänzte treffsicher, und seine Hand zauberte Leben. Klug, ehrgeizig, talentvoll, wollte er, der Sohn eines armen Geistlichen und Schulmeisters, die Prophezeiung wahrmachen, daß seinem England ein Raffael entstehen werde. So schulte er mit nie versagendem Fleiße und bohrendem Verstande sein Auge an den alten Meistern und an der Natur selbst und versäumte keine Gelegenheit, den Erscheinungen des Lebens auf den Grund zu gehen. Er war als Maler zugleich ein Rechner, ein Philosoph und ein Dichter, d. h. er beobachtete Menschen und Dinge mit denkender Zergliederung und nachschaffender Phantasie. Er hatte ein erstaunliches Gedächtnis und griff aus dem riesigen Schatz seiner malerischen Erinnerungen leicht das heraus, was er gerade brauchte. Er nahm von den alten großen Meistern, was ihm im Einzelfall gut deuchte: Gruppierung, Stellung, Farbenton; sein Streben war, die Licht- und Schattenwirkung Rembrandts mit der glühenden Farbenpracht der Venezianer, zumal Tizians, und dann des großen Vlamen Rubens zu vereinigen; dabei war er[S. 183] aber keineswegs sklavischer Nachahmer. Vielmehr waren ihm die Regeln der Alten und ihre Malweise allmählich so in Fleisch und Blut übergegangen, daß er vieles unbewußt erneuerte, und er versenkte sich so tief in die Eigenart seines Modells, daß es ihm gelang, aus den erborgten Elementen ein einheitliches Ganzes, ja etwas wirklich Neues von größter Überzeugungskraft zu schaffen.

Alle seine Werke sind bis ins einzelste auf die Wirkung berechnet, und doch stört diese nüchterne Verstandesarbeit den Beobachter kaum, denn sie ist ganz mit Geist durchtränkt: sein Formgefühl ist von der größten Feinheit und Sicherheit, und er erfaßt stets den ganzen Menschen. Und mehr noch: aus jedem Bilde leuchtet zugleich eine Idee heraus, die rein darzustellen ihm gelingt. Von dem platt Wirklichen, von den Unvollkommenheiten der Natur sieht er ab, um die tiefere Wahrheit herauszuholen. Ruhe und Einfachheit herrschen in seinen Bildern, auch in bezug auf die Farbengebung. Fern liegt ihm alles prickelnde oder erkünstelte Spiel mit kleinen Lichtern oder ein aufdringliches Hasten nach Farbengegensätzen; alles ist auf einen großen Ton gestimmt. Und sofort springt die Hauptfigur, die Haupthandlung hervor. Das Zufällige tritt zurück, das Charakteristische wird herausgehoben und im Sinne einer ihm vorschwebenden Idee vervollkommnet, erhöht, geadelt, zum allgemeinen Typus eines Standes, einer Lebensstimmung, einer Gemütsverfassung oder Geistesrichtung erweitert. Dadurch erst kommt die überzeugende Lebenswahrheit seiner Porträts zustande. Die Eigenart des einzelnen ist scharf wiedergegeben. Wie blicken uns diese Personen aus seinen Bildern an: die einen kalt, überlegen, energisch, willensstark, die andern heiter, strahlend oder gütig; wieder andere selbstbewußt,[S. 184] ja blasiert, oder auch nachdenklich oder wiederum stürmisch; die Männer im Gefühl ihrer Würde und Stellung, die Frauen im Bewußtsein ihrer Reize, stolz, abweisend, oder auch elegisch, unbewußt lieblich und von süßer Zartheit, und die Kinder wiederum frisch und fröhlich, lustig-herrenhaft, oder auch rührend engelgleich, andächtig und eine große Zukunft ahnen lassend — immer doch fühlen wir: sie stellen bei aller Sonderheit eine ganze Gruppe, eine Klasse dar. Sie huldigen dem leichten Daseinsgenuß jener überfeinerten Gesellschaft, oder leben in ernster Pflichterfüllung den idealen Pflichten eines bestimmten Berufes; hier ist ein englischer Lord in seiner Hoheit, hier eine vornehme Dame der ersten Kreise, oder wiederum eine glückliche Mutter, hier ein tiefsinniger Gelehrter, ein glänzender Redner, ein genialer Schauspieler, ein Dichter voll Tiefe und Gehalt, ein wackerer Haudegen oder ein Schwerhöriger. Wir sehen, wes Geistes Kind der Dargestellte ist, aus Gesicht, aus Haltung und Händen und empfinden ihn zugleich als Vertreter eines fest umrissenen Kulturkreis es, als ein Mitglied einer größeren Gemeinschaft. So wird jedes Porträt eine Seelenoffenbarung von höchstem Stimmungsgehalt und überzeugender Allgemeingültigkeit. Wir bewundern immer von neuem die durchdringende Menschenkenntnis des Malers und sehen in ihm neben den Dichtern seiner Zeit den größten Schilderer des Adels und des guten Bürgertums im England des 18. Jahrhunderts.

Sein Drang zum Typischen und Allgemeinen geht wohl manchmal weiter, als wir heute gutheißen. So wird die schöne Schauspielerin Sarah Siddons als tragische Muse dargestellt und schwebt nun auf einem Sessel in den Wolken, oder die reizende Lady Bunbury opfert als[S. 185] Priesterin der Schönheit den Grazien und wäre uns doch lieber ohne diese Verkleidung. Doch was will diese Unterstreichung des Ideengehalts oder auch des Anekdotisch-Genrehaften bedeuten gegen die hinreißende Kraft der Menschenschilderung, die diesem großen Seelenkünder eigen ist. Seine Bilder sind gewiß gesteigert im Ausdruck, aber sie heben auch den Geist über die unmittelbare Gegenwart hinaus, sie wärmen das Herz und reißen fort; seine Kunst wendet sich an den Funken der Gottheit in unserem Innern und hat etwas Befreiendes.

Mit vollem Bewußtsein hat Reynolds in diesem Sinne gemalt. Er hat tief und lange über die Grundlagen seiner Kunst nachgedacht und die Ergebnisse seines Nachdenkens und seiner Erfahrung in einer Reihe von Schriften und Reden der Öffentlichkeit unterbreitet. Als Begründer und erster, langjähriger Präsident der Akademie der Künste erfüllte er den Nachwuchs mit seinen Gedanken. Es gab vor ihm keine feste Überlieferung für die Maler in England. Gemalt hatten zwar große Meister, wie Holbein, van Dyck und Rubens, aber die Stürme der Revolution und die Kunstfeindschaft der siegreichen, allein auf die Herrschaft religiös-politischer Ideen gerichteten Puritaner hatten eine eigene englische Entwickelung der Kunst unterbunden. Erst Reynolds hat aus Italien, wohin ihn ein glücklicher Stern führte, die Anregungen mitgebracht, die über die brave, aber trockene Art seines Lehrers Hudson und die derb-satirische Karikaturenzeichnung des Sittenschilderers Hogarth hinaus zu einer an den klassischen Stil mahnenden, aber das innerste Leben Englands auf eigene Art wiedergebenden Kunst führten. In ähnlichen Bahnen bewegten sich dann seine großen Mitstreiter Gainsborough, Romney und Ramsay,[S. 186] und gemeinsam schufen sie nun eine bodenständige englische Malerei. Reynolds wurde der Führer, weil er eine Persönlichkeit großen Stiles war.

Aus ärmlichen Verhältnissen arbeitete er sich durch bewundernswerten Fleiß und reife Intelligenz empor. Einige seiner Bilder machten Aufsehen: er fand Eingang in die beste Gesellschaft und nahm sofort riesige Preise. Er forderte 25, dann 35, schließlich 70 bis 100 Pfund für ein Porträt je nach der Größe, d. h. nach heutiger Währung 7500–30000 Mark; sein Jahreseinkommen stieg bald auf 6000 Pfund (= 1880000 Mark); denn er malte im Jahre wohl 150 Bilder und mehr; über 2000 Porträts von ihm sind erhalten, und 92 Kupferstecher haben Stiche nach seinen Bildern gemacht. Seine Lebenshaltung richtete er entsprechend ein. Er wohnte in einem Palast, den er mit feinstem Geschmack ausstattete, legte sich eine Galerie alter Meister und eigener Werke an, hielt sich Equipage und Dienerschaft und gab glänzende Gastmähler, bei denen das vornehme und geistige London sich zu gemütlichem Stelldichein traf. Er fühlte sich durchaus jedem Lord gleichwertig und wurde als voll anerkannt, auch tatsächlich bei der Gründung der Akademie in den Adelsstand erhoben. Neben der hoffähigen Gesellschaft suchte er aber auch den Umgang von Staatsmännern, Gelehrten, Dichtern und bedeutenden Menschen jeder Art; es gibt kaum einen berühmten Namen, dem wir nicht in seinem Kreise begegnen. Zu seiner Tafelrunde gehörten die Politiker Fox und Burke, der Schauspieler Garrick, der Balladensammler Percy, die Malerin Angelika Kauffmann, die Dichter Sterne und Sheridan; seine vertrautesten Freunde aber waren der Verfasser des Landpredigers von Wakefield, Oliver Goldsmith, der ihm sein[S. 187] Verlassenes Dorf gewidmet hat, und der Gottsched Englands, der kluge Literat Dr. Johnson. Wie sprühte da der Geist, wie fuhren die Witze hin und her, wie ernst wurden die politischen, philosophischen und künstlerischen Fragen des Tages verhandelt! Und wenn die Stimmung einmal unter den heißgewordenen Geistern erregter wurde, so beschwichtigte der Hausherr durch seine Gelassenheit und Ruhe den Sturm und fand einen Ausgleich im Streite. Denn er stand immer über den Parteien und studierte mit Behagen Charaktere und Gesichtsausdruck, Mienenspiel und Haltung auch bei solchen Gelegenheiten; er trieb stets praktische Seelenkunde und machte auch die Freunde seiner Kunst dienstbar. Er war ein rechter Lebenskünstler, auch im Verkehr mit den vornehmen Frauen, die sich in sein Atelier drängten. Er wurde wohl mit einem Frauenarzt verglichen: so vorsichtig, taktvoll und feinfühlig nahm er auf die Eigenart seiner weiblichen Kundschaft Rücksicht. Der hinreißende Zauber seines Wesens, sein bescheidenes, ritterliches, aber festes Auftreten, die angenehme Unterhaltung, die er beim Malen bot, der Scharfblick, mit dem er das Einzigartige einer Erscheinung zu erfassen und die passendste Form der Darstellung zu finden verstand, und der Adel, den er allen seinen Schöpfungen aufdrückte, öffneten ihm die Herzen und ließen ihn alle Mitbewerber schlagen. Und so verstand er, der alte Junggeselle, es auch, den Rattenfänger zu spielen und die Kinder an sich zu fesseln. Er schloß mit ihnen Freundschaft, erzählte ihnen Märchen und artige Geschichten, wenn sie unruhig wurden, und wußte so recht als der liebe Onkel mit ihnen umzugehen. Nie zeigte er eine Verstimmung; es lohnte sich ihm nicht, sich zu ärgern; selbst seine zunehmende Taubheit, die Folge einer schweren[S. 188] Erkältung im Vatikan, trug er mit Würde, Geduld und Humor. Harmonisch und abgeklärt, praktisch, weltklug und gewandt, ein Mann von Geschmack und Kultur, mehr Verstandes- als Gemütsmensch, ein wenig zurückhaltend und sich nie ganz hingebend, aber doch gütig und wohlwollend, von offener Hand für seine Freunde und Verwandten, allem Edlen zugetan, auf der Höhe der Bildung seiner Zeit — so war sein Wesen. So steht er vor uns als ein würdiger Vertreter des geistigen Englands jener Tage: ein echter Gentleman. Und daraus erklären sich auch seine beispiellosen Erfolge: er verstand die vornehmen Leute, die sich bei ihm malen ließen, er schaute in ihre tiefste Seele. War er doch ihresgleichen.

Gainsborough mag uns heute als Künstler wahrer und moderner erscheinen, er mag auch der Tiefere und Genialere gewesen sein, der mehr unbewußt aus dem heißen Drange der Natur heraus schuf und, frei von akademischen Theorien und alten Vorbildern, ein Meister der reinen Farbenwirkung wurde: Reynolds bleibt der getreueste Offenbarer der englischen Seele, der Begründer der englischen Malerei und der Fürst der Maler seiner Zeit. Als ein Fürst ist er auch bestattet worden; in der Paulskirche, dem Pantheon Englands, wo auch van Dyck begraben liegt, fand er seine Ruhestätte. Drei Herzöge, zwei Marquis, drei Earls und zwei Lords hielten das Bahrtuch, als der imposante Leichenwagen sich durch die beflaggten Straßen Londons bewegte, gefolgt von etwa hundert Kutschen und einer unübersehbaren Menschenmenge. Man wußte, daß man einen der Besten zu Grabe trug. Noch heute ist England mit Recht stolz auf diesen seinen großen Sohn.

Arnold Reimann.

[S. 189]

Napoleon auf dem St. Bernhard
Von Jacques Louis David

Geboren 31. August 1748 in Paris, gestorben 29. Dezember 1825 in Brüssel. — Museum in Versailles; drei Wiederholungen, eine davon im Berliner Schloß

Bild 22

Karl: Ach, sieh mal! Da ist ja Napoleon: das berühmte Bild von David!

Otto: Das kann er doch nicht sein. Es fehlt ja jede Ähnlichkeit.

Karl: Ist denn Ähnlichkeit die Hauptsache bei einem Porträt? Es kommt doch vielmehr auf das Charakteristische an; der Künstler soll seine besondere Auffassung zur Geltung bringen und sich so in die fremde Persönlichkeit versenken, daß er ihr Wesen im Innersten erfaßt; er soll sie von den Schlacken des zufälligen Aussehens befreien und nur das Dauernde, das Geistige, das wahre Sein zum Ausdruck bringen. Sonst wäre ja auch die Photographie das beste Porträt.

Otto: Schade, daß man damals noch nicht photographieren konnte; sonst wüßte man wenigstens, wie Napoleon ausgesehen hat.

Karl: Nun, er selbst hat auf Ähnlichkeit keinen Wert gelegt und deshalb zu diesem Bilde auch nicht gesessen; das war ihm viel zu langweilig, und er hatte keine Zeit dazu. Als ihm David einwandte, das Bild würde dann nicht ähnlich werden, gab er zur Antwort:[S. 190] „Ähnlich? Besteht denn die Ähnlichkeit in der Genauigkeit, mit der man die Gesichtszüge oder etwa eine kleine Erbse an der Nase auf die Leinwand bringt? Den Charakter, das Wesen der Persönlichkeit, das, was ihr Leben gibt, muß man malen!“ — Das eine schließt das andere nicht aus, meinte der Maler, worauf Napoleon fortfuhr: „Sicherlich hat Alexander dem Apelles nicht gesessen. Niemand fragt danach, ob die Porträts großer Männer ähnlich sind. Wenn nur ihr Geist in ihnen lebt!“ — Da gab sich David gefangen: „Sie lehren mich die Kunst zu malen; im Ernst, ich habe die Malkunst noch nicht aus diesem Gesichtspunkt betrachtet. Nein, Sie sollen nicht sitzen; ich will Sie doch malen, ich werde es schon machen!“

Otto: Da hat der Maler dem Kaiser aber eine schöne Schmeichelei gesagt!

Karl: Aber Napoleon hat recht. Und daß du ihn Kaiser nennst, beweist, daß David ein gutes Bild gemalt hat. Denn es war im Jahre 1800, nach der siegreichen Schlacht bei Marengo; Napoleon war noch lange nicht Kaiser, sondern nur Erster Konsul; aber eben das unbedingt Sieghafte, das Herrschergewaltige, das Kaiserliche wollte der Künstler darstellen: Keine Macht der Erde hat dieser Mann zu fürchten. Was er will, wird er durchsetzen. Ihn schreckt nicht Schnee noch Eis, nicht die unwirtliche Höhe des Bergriesen St. Bernhard, nicht der tobende Sturm, der ihm fast den Mantel von der Schulter reißt; er wird die Alpen überwinden, wie einst Hannibal, wie Karl der Große, dessen Reich er wieder aufrichten will. Er wird seine Truppen von Sieg zu Sieg führen, er wird Frankreich zur ersten Macht der Welt erhöhen. Er regiert ja schon jetzt den Staat, so sicher und[S. 191] selbstverständlich, wie er das edle Roß zügelt, auf dem er reitet. Dieses Roß, stolz, stark, sich aufbäumend vor Feuer und innerem Leben, sturmgepeitscht und auf den vereisten Stufen des himmelanstrebenden Weges ein wenig ratlos, gehorcht doch so willig dem leisesten Schenkeldruck des fest im Sattel sitzenden Herrn; der Reiter braucht nicht einmal den Zügel, so fest er ihn auch in der Hand hält; sein Wille überträgt sich von selbst. Dieses Roß stellt Frankreich dar, das glorreiche Frankreich der Revolution, das der werdende Imperator auf die Höhe des Ruhmes und der Macht führt. Seine Hand weist aufwärts mit befehlender Gebärde: „Dorthin müssen wir, koste es, was es wolle. Dort, jenseits der Berge, liegt das Heil: Italien müssen wir beherrschen und das Mittelmeer, dann werden wir auch mit den Engländern fertig werden, dem Erbfeind seit Jahrhunderten! Dann werden wir die Herren Europas werden, werden Schätze heimführen, wieder reich und mächtig sein und ein Kolonialreich bekommen, größer und herrlicher, als es uns die Briten im Siebenjährigen Kriege gestohlen haben. Dann wird sich’s zeigen, daß die Revolution Kräfte entbunden hat, wie sie unter der jammervollen Politik der Könige und der Adelsherrschaft niemand unserem Volke zugetraut hat! Ich aber will euer Führer sein, euer Held und Kaiser; denn Männer machen die Geschichte, und nur der große Einzelne bringt die Welt vorwärts!“

Otto: Ja, so spricht wohl ein Theaterheld, und ich kann mir nicht helfen, das ganze Bild hat etwas vom Theater an sich. Pferd und Reiter sind zu elegant für die Umgebung. In Schnee und Eis, im unwegsamen Gebirge, nach anstrengenden Märschen sieht man anders[S. 192] aus. Und mir kommt das bergan springende Pferd beinahe komisch vor. Wo will es denn hin auf dem Stufenweg, der so steil ist, daß die Soldaten ihn nicht benutzen können? Und die Haltung des Reiters ist zirkusmäßig. Er gibt eine Vorstellung. Auch finde ich das Gesicht leer und ausdruckslos; dazu ist der rechte Arm falsch angewachsen, er sitzt ja viel zu hoch; und die Beine sind zu lang. Napoleon war viel kleiner, und auch dicker.

Karl: Du bist ein sehr harter Beurteiler. Etwas Wahres liegt deinen Beobachtungen freilich zugrunde. Es kam dem Künstler aber nicht auf die Wirklichkeit an; er wollte bestimmte Eindrücke erwecken, vor allem den des Unüberwindlichen und Majestätischen. Napoleon sollte als der unbezwingbare Sieger gefeiert werden, dessen Befehle die Welt ausführt, der wie ein antiker Imperator jedem das Gesetz vorschreibt. Ursprünglich hatte der Maler die Absicht, ihn zu Fuß auf dem Schlachtfelde, den Degen in der Faust, darzustellen; aber Napoleon wollte auf einem feurigen Pferde, doch vollkommen ruhig gemalt werden. „Mit dem Degen gewinne man keine Schlachten mehr.“ Er wollte sagen, man gewinnt sie mit dem Kopf, durch klare Abwägung der Mittel, durch geniale Erfassung des Augenblicks, durch Tatkraft, durch Disziplin und Begeisterung der Truppen, d. h. also durch intellektuelle und moralische Kräfte, und durch sie allein lenkt man auch den Staat. Und was dir an dem Bilde theatralisch vorkommt, als Pose, wie man sagt, oder als pathetischer oder rhetorischer Stil, mit anderen Worten als unwahr und gekünstelt, das eben sollte die Erhabenheit und Größe des Feldherrn, seine kraftvolle Herrscherpersönlichkeit, das Kaiserliche an ihm zum Ausdruck bringen. Darum ist auch alles andere so in den[S. 193] Hintergrund gedrängt: die Berge, die im Nebel fast verschwinden, die letzte menschliche Ansiedlung rechts im Hintergrunde, die Soldaten, die mühsam ihre Kanonen auf gewundenen Wegen hinaufschleppen. Über die Kleinheit der Soldaten hat sich Napoleon selbst lustig gemacht; er meinte, sie seien ja gerade nur so groß wie die Hufe seines Rosses und könnten leicht zertreten werden. Aber das war eben die Absicht des Künstlers, seinen Helden turmhoch über alle Menschen zu erheben: Er ist nur mit den ganz großen Vorgängern, mit Hannibal und Karl dem Großen, zu vergleichen; aber auch ihr Ruhm verblaßt vor dem seinen. Sieh doch nur, wie ihre Inschriften schon mehr oder weniger verwittert sind, während der Name Bonaparte frisch in den Felsen der Ewigkeit gemeißelt ist.

Otto: Diese Inschriften finde ich ja auch sehr geschmacklos. Daß der Maler seinen Namen bescheiden auf den Riemen des Vorderzeugs gezeichnet hat, dagegen läßt sich nichts einwenden. Aber die Inschriften mitten auf dem Felsen des Gebirges sind vom Übel; und noch dazu: wer soll denn Bonapartes Namen eingemeißelt haben, wenn er eben erst über die Stelle reitet?

Karl: Das sind ja Nebensachen. Bei einem Denkmal würde es dir doch gar nicht auffallen, wenn am Sockel der Name des Dargestellten und andere historische Erinnerungen zu lesen wären. Dies Bild soll auch ein Denkmal sein und hat Ähnlichkeit mit einem antiken Relief, wo auch die Hauptperson allein aus flachem Hintergrunde heraustritt. Reiterstatuen aus der Antike und der Renaissance, aus Rom und Florenz, sind Vorbild gewesen. David war überzeugt, daß die antike Linienführung in aller Kunst Ewigkeitswert beanspruche, und[S. 194] seine ganze Zeit lebte in antiken Vorstellungen. Der Franzose der Revolution fühlte sich als alter Römer; die Tugenden der Alten wurden über alles gepriesen, die alten Helden waren in aller Munde. Wenn Napoleon sich malen lassen will, denkt er an Alexander und Apelles, und die niedliche Erbse an der Nase, von der er spricht, hat bekanntlich dem Großvater Ciceros den Namen gegeben. David selbst hat fünf Jahre in Rom studiert, und fast alle seine großen Werke stellen Szenen aus dem Altertum dar, z. B. den Raub der Sabinerinnen, den Tod des Sokrates, den Schwur der drei Horatier, die für ihr Vaterland zu sterben bereit sind. Und er hat versucht, seine Stoffe auch im antiken Geiste darzustellen, selbst wenn sie, wie beim Tode Marats, aus der unmittelbaren Gegenwart genommen sind. Die Innenräume sind griechisch-römisch, die Möbel, die Geräte, die Kleidung sind nach den Funden in Herculaneum und Pompeji gezeichnet, und selbst die Figuren sind nach antiken Statuen aufgebaut. So ist auch der Mantel, den Napoleon trägt, im Faltenwurf antik, und man sieht durch die eng anliegenden Kleider den Linienfluß des Körpers. Und der schmale, geschmeidige Leib und auch die langgestreckten Beine, an denen du Anstoß nimmst, sind einfach dem Apollo vom Belvedere nachgebildet: das gehörte zum heroischen Stil. Das alles war in der damaligen Kunst eine Gegenwirkung gegen das Verschnörkelte, Unruhige, den Körper durch das Kostüm Verdeckende der Rokokozeit; man empfand das Rokoko als süßlich, als eine Hof- und Adelskunst. In den freien Staaten des Altertums sah man das politische Ideal verkörpert; die Erneuerung der antiken Kunst sollte auch politisch und erziehlich wirken. David war ein heftiger Revolutionär, er war[S. 195] Jakobiner, Mitglied und eine Weile sogar Präsident des Konvents, er hat Ludwig XVI. mit zum Tode verurteilt. So will auch seine Kunst revolutionär wirken. Er hat mit dieser antikisierenden Art zwar nicht als erster begonnen, sie aber in Frankreich durchgeführt und sie zur vollen Blüte entwickelt.

Otto: Aber die Verehrung für antike Schönheit hat doch nichts mit der Revolution zu tun?

Karl: In Frankreich sicherlich, und sogar sehr viel. In Deutschland freilich weniger; doch auch hier wurde die Rückkehr zu klassischen Formen als Befreiung betrachtet; freilich hauptsächlich vom künstlerischen Gesichtspunkte aus. Die ganze Richtung ging von einem Deutschen aus, von dem armen, gedrückten Schusterssohn Winckelmann, und ist durch den deutschen Maler Raffael Mengs in Italien zu Ehren gebracht worden. Man nannte diese Leute Klassizisten, weil die klassische Kunst ihnen als unerreichbares Ideal des Schönen galt. übrigens ist kein Geringerer als Goethe auf der Höhe seines Daseins ganz derselben Überzeugung gewesen, und seine Werke atmen fast alle den gleichen Geist; denke nur an „Tasso“, „Iphigenie“, „Hermann und Dorothea“; auch er will den antiken Dichtern nahekommen. Und wenn in Schillers „Wilhelm Tell“ Gertrud sagt:

„Ertragen muß man, was der Himmel sendet,
Unbilliges erträgt kein edles Herz.“

oder gleich darauf:

„Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen:
Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei“,

so ist diese edle, dem gewöhnlichen Leben fremde Sprache nichts anderes als heroischer Stil, genau so wie Napoleon[S. 196] hier als antiker Imperator dargestellt wird. Das ist eben eine künstlerische Ausdrucksweise, die über die platte Wirklichkeit hinausgeht, aber darum doch höchste innere Wahrheit hat.

Otto: Nun die Deutschen sind dabei doch sehr viel echter und tiefer. Das Bild hier kommt mir doch recht französisch vor, im schlechten Sinne.

Karl: Gewiß, in der französischen Literatur herrscht die Phrase, und etwas Gewolltes und Absichtliches zeigt auch dieses Bild. Etwas Prahlerisches liegt nun einmal im französischen Nationalcharakter. Aber auch etwas Glänzendes, Geistreiches, Fortreißendes.

Otto: Mich kann das Bild nicht begeistern. Ich will zugeben, daß Napoleon hier als antiker Heros aufgefaßt wird. Aber trotzdem bleibe ich dabei: der Ausdruck des Menschlichen, der allein einem Porträt Wert gibt, ist zu kurz gekommen.

Karl: Ein Heros hat eben etwas Übermenschliches, und das energische Gesicht mit den unerbittlichen Augen und dem feinen, festgeschlossenen Mund, der etwas starre Ausdruck der straffen Züge soll ja gerade etwas Marmornes, Ehernes andeuten. Von Milde und Menschlichkeit liegt im Charakter Napoleons herzlich wenig, und der Maler hatte keine Veranlassung, den gewaltigen Tatmenschen empfindsam oder weich zu schildern. Daß seiner Palette auch solche Töne zur Verfügung standen, hat er im übrigen durch viele schöne Porträts bewiesen, namentlich von Frauen, wie z. B. der lieblichen Madame Recamier. Und auch unser Bild hat sogar manchem Deutschen den Kaiser menschlich näher gebracht. Hast du nicht einmal Hauffs anmutige Erzählung: „Das Bild des Kaisers“ gelesen?

[S. 197]

Otto: Ach richtig, ja. Das ist also das Bild, das dort eine so versöhnende Rolle spielt und den Napoleonhasser bekehrt, weil er sich erinnert, von diesem Offizier einst aus den Händen plündernder Soldaten gerettet worden zu sein?

Karl: Ja, das ist es. Und wenn du Heines Buch Le Grand lesen wolltest oder an seine beiden Grenadiere denkst, so wirst du eine Ahnung bekommen, wie geliebt und bewundert Napoleon noch lange nach seinem Tode auch in deutschen Kreisen war. Denn er war keineswegs nur ein großes Raubtier oder eine Eroberungsbestie, wie man ihn wohl genannt hat, sondern einer der größten Männer der Geschichte, gleich groß als Verwalter und Friedensfürst, wie als Kriegsherr; er wollte nur Frankreichs Macht und Größe und hat seinem Lande wieder die führende Stellung in Europa gegeben. Wenn wir Deutsche darunter schwer zu leiden hatten, so lag das an unserer politischen Zerrissenheit und Ohnmacht; andererseits haben wir ihm recht viel zu danken; hat er doch schon allein dadurch, daß er bei uns die Kleinstaaterei und das geistliche Fürstentum beseitigte, daß er lebensfähige Mittelstaaten schuf, der deutschen Einheit mächtig vorgearbeitet. Er unterlag in dem gigantischen Kampfe gegen England, der sein Leben füllt, weil er die idealen Kräfte in den unterworfenen Nationen zu gering einschätzte; wie anders aber hätte sich die Geschichte des 19. Jahrhunderts gestaltet, hätte er England wirtschaftlich und militärisch auf die Knie zwingen können!

Otto: Ich kann ihn aber doch nicht leiden. Er hat die Deutschen gemein behandelt. Denk’ doch nur an die Königin Luise. Und auch das Bild ist und bleibt mir zu französisch; es ist zu prahlerisch, zu theatralisch, zu unwahr.

[S. 198]

Karl: Nun ich sagte dir schon, das ist der Stil der Zeit, allerdings in französischer Ausprägung. Und freilich hat gerade die französische Kunst um 1800 durch die sklavische Anlehnung an die Antike manches von dem inneren Seelenleben verloren, das sie früher besaß und später wieder gewann. Sie läßt uns im allgemeinen kalt, und auch von Davids Werken schätzen wir heute weniger seine steif-pomphaften Schilderungen des antiken Lebens und seine riesigen, personenreichen Darstellungen zur Verherrlichung des Kaisers, wie die Krönung, die Verteilung der Adler usw., die zu ihrer Zeit die Welt entzückten, als seine intimen Familienporträts: hier hat er der ganzen Kunst des 19. Jahrhunderts Anregung gegeben. Unser Porträt steht in der Mitte. Es ist gewiß noch mit zuviel Berechnung und zuviel Vernunft gemalt, es ist noch zu sehr Nachahmung des antiken Ideals; andererseits bricht sich doch die Natur Bahn. Napoleon war zu groß, als daß sein Bild in den antiken Formeln erstarren und zur Drahtpuppe hätte werden können. Wir fühlen doch, hier ist ein Gewaltiger dargestellt, und ein großer Maler hat den Pinsel geführt.

Otto: Ein großer Maler? Ich kann es noch immer nicht glauben.

Karl: Nun, unter den Malern seiner Zeit war er der erste. Schon in der Revolutionszeit war jedes Bild von ihm ein Ereignis für Paris. Er galt als der Kunst-Papst. Er erfand und leitete die großen Revolutionsfeste, löste die alte Akademie auf, ordnete die Museen und besetzte die Direktorposten, entwarf die Kostüme der Zeit, die Uniformen, die Möbel, alles im klassizistischen Stil, dem Empirestil, wie man ihn dann nannte, und gründete eine Schule, aus der sehr bedeutende Maler hervorgingen.[S. 199] Aus dem Revolutionär war der Hofmaler Napoleons und Verherrlicher des Kaiserreichs geworden; seine Kunst blieb aber dem alten Ideale treu. Nach des Kaisers Sturz wurde er als Königsmörder verbannt und zog sich nach Brüssel zurück. Wie angesehen er war, siehst du daraus, daß sich Friedrich Wilhelm III. lebhaft bemühte, ihn jetzt nach Berlin zu ziehen, wo er ihn zum Direktor aller Kunstanstalten machen wollte. David lehnte aber ab, weil er sich zu sehr als Franzose fühlte, obwohl Alexander von Humboldt ihm die schmeichelhaftesten Briefe im Auftrage des Königs schrieb und des Königs Bruder ihn sogar deshalb persönlich in Brüssel aufsuchte.

Otto: Nun, heute betrachten wir es wohl als ein Glück, daß er dem Rufe nicht gefolgt ist.

Karl: Vielleicht; die Kunst hat schon in der Romantik andere Bahnen genommen, und heute schätzen wir das Klassizistische nicht mehr so. Aber du weißt ja: „Wer den Besten seiner Zeit genug getan, der hat gelebt für alle Zeiten.“ Doch nun wollen wir ein paar andere Bilder ansehen.

Arnold Reimann.

[S. 200]

Der Regenbogen
Von Caspar David Friedrich

Geboren 5. September 1774 in Greifswald, gestorben 7. Mai 1840 in Dresden. — Museum in Weimar

Bild 23

Wem wären die beiden kleinen szenischen Dichtungen Goethes: „Künstlers Erdenwallen“ und „Künstlers Apotheose“ nicht bekannt? In der ersten führt uns der Dichter einen wackeren Maler im Kampfe mit der Alltäglichkeit und mit der Sorge ums tägliche Brot ringend vor, in „Künstlers Apotheose“ zeigt er, wie ein Werk jenes Künstlers mit den höchsten Ehren in eine fürstliche Galerie aufgenommen wird — nachdem sein Schöpfer schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilt. „Der Plafond eröffnet sich, die Muse, den Künstler an der Hand führend, erscheint auf einer Wolke“ und kündet Worte des Trostes für jeden Tüchtigen, dessen Streben zu seinen Lebzeiten nicht die volle, verdiente Anerkennung fand.

Es wirkt mit Macht der edle Mann
Jahrhunderte auf seinesgleichen.
Denn was ein guter Mensch erreichen kann,
Ist nicht im engen Raum des Lebens zu erreichen.
Drum lebt er auch nach seinem Tode fort
Und ist so wirksam, als er lebte:
Die gute Tat, das schöne Wort,
Es strebt unsterblich, wie er sterblich strebte.

Ein wenig an das Schicksal jenes braven, nicht genügend anerkannten Künstlers, von dem der Dichter singt, erinnert das des Malers Caspar David Friedrich.

[S. 201]

Nicht als ob er mit der Not des Lebens gekämpft hätte! Er war Professor an der Kunstakademie in Dresden, befand sich also wohl in auskömmlichen Daseinsverhältnissen, es hat ihm in einer solchen Stellung selbstverständlich auch nicht an der Anerkennung der Zeitgenossen gefehlt; es scheint aber nicht, daß man seiner Kunst mehr Achtung gezollt hat, als man sie einem tüchtigen Künstler zu widmen pflegt, den man nicht zu den allerbedeutendsten zählt. Der Vergleich trifft bei Caspar David Friedrich jedoch insofern zu, als seine Werke, von denen einige in der Dresdner und in anderen Galerien verstreut sind, keine besondere Aufmerksamkeit in kunstbegeisterten Kreisen erregt haben.

Erst seit etwa einem Jahrzehnt hat man angefangen zu erkennen, daß Friedrich sich weit über die Malweise seiner Zeit erhoben hatte, die man im allgemeinen als akademische bezeichnen kann. „Akademisch“ nennt man aber eine Kunst, die in althergebrachten Regeln und Anschauungen wurzelt, die einer zwischen den Blättern eines Buches gepreßten Blume zu vergleichen ist: trocken, ohne Duft und Leben. So etwa stand es um die Malerei zu Anfang des vorigen Jahrhunderts. Wer Bilder aus dieser Zeit betrachtet, wird, insbesondere bei den Landschaften, eine gewisse herkömmliche Manier erblicken, sogenannte schöne, geschwungene Linien und eine ziemlich kalte Farbengebung. Der Maler gab nicht den Eindruck wieder, den die Natur auf ihn machte, sondern er „komponierte“, d. h. ordnete das Bild nach bestimmten Regeln, er suchte die Natur seiner Meinung nach zu verschönern. In den Aufzeichnungen des seinerzeit berühmten Malers Philipp Hackert, † 1807, findet sich unter anderen auch eine Beschreibung, wie ein „schöner Gärtnerbaum“ beschaffen sein müsse, und er warnt den Kunstjünger ausdrücklich davor, „eine verstümmelte[S. 202] Natur nachzuahmen“. Sogar wenn er kranke und sterbende Natur nachahmt, schreibt Hackert, muß er auch hier das Schöne zu finden wissen, und sowohl bei nachgeahmten (d. h. nach der Natur gezeichneten) als bei komponierten Bäumen muß alles lachend, freundlich und lieblich sein.

Mit diesem „muß“, das durch nichts zu beweisen ist, brach Caspar David Friedrich und wurde so einer der Vorgänger der modernen Landschaftsmalerei, die in der Natur an sich schon Schönheit genug erblickt, die nicht erst durch „Komposition“ gehoben zu werden braucht. Damit ist nun nicht gesagt, daß der Maler, wie ein photographischer Apparat, alles sklavisch genau so nachbilden soll, wie er es sieht; die neuere Malerei hat aber Freude daran, den Eindruck, den ein Gegenstand auf Auge und Seele eines Künstlers hervorbringt, im Gemälde wiederzugeben, so daß der Beschauer ihn klar zu erkennen und voll nachzuempfinden imstande ist. Man nennt diese Art der Kunstanschauung Impressionismus. Dieser Impressionismus trat zum erstenmal in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts bei den Franzosen auf. Das Hauptgesetz der Impressionisten lautete damals: unbedingte Rückkehr zur Natur, d. h. sie waren bestrebt, den Eindruck (impression) wiederzugeben, den das Auge des Beschauers gewann, und dabei auch allen Lichtverschiebungen je nach der Beleuchtung Rechnung zu tragen. Sie verwarfen deshalb die Malerei, die lediglich im Atelier entstanden war, weil sie die Ansicht vertraten, daß dort das Ziel, das sie erstrebten, nie erreicht werden könne. Der Impressionismus hat im Laufe der letzten Jahrzehnte allerlei Wandlungen erfahren, und die allerneueste Zeit hat auch hier mancherlei andere Gesichtspunkte für das künstlerische Schaffen in Betracht gezogen. Im großen[S. 203] und ganzen geht aber die Absicht der Impressionisten dahin, der Wirklichkeit möglichst nahe zu kommen.

Ein Beispiel für diese impressionistische Auffassung gibt „Der Regenbogen“ von Caspar David Friedrich. Der Künstler stellt uns in eine flache Landschaft, wie wir sie etwa in der weiteren Umgebung von Berlin finden mögen. Friedrich hat ja auch längere Zeit in der preußischen Hauptstadt gelebt, und es ist nicht ausgeschlossen, daß er die Anregung zu seinem Gemälde hier gewonnen hat.

Der berühmte englische Maler Hogarth sah die edelste Linie in der Wellenlinie. Zweifellos gibt sie der Landschaft Anmut und Abwechselung, aber Hogarths Forderungen sind nicht überall zu erfüllen. Warum sollten nicht auch in einem flachen Gelände große Reize liegen?

Die geraden, langgezogenen Linien dieser Flachlandschaft entsprechen dem Hogarthschen Schönheitsideal keineswegs, und der einsame Baum, der aus der Ebene hervorragt, dürfte nicht einmal ein „schöner Gärtnerbaum“ im Sinne Hackerts sein, und doch, oder vielmehr gerade deswegen spricht aus dieser Schilderei etwas zu uns, was uns selten in den Bildern der Zeitgenossen des Malers entgegentritt: Stimmung. Und darauf kam es Caspar David Friedrich ja vor allem an. Seine Landschaften zeichnen sich fast durchweg durch einen ernsten, melancholischen Charakter aus; sie wollen die Natur zur Darstellung bringen in den Augenblicken, in denen sie im Menschen ganz besondere Empfindungen hervorruft. So fühlen wir, daß der Anblick dieser Gegend in der Seele des Künstlers ein Gefühl des Friedens, vermischt mit einer leisen, fast wohltuenden Wehmut hervorgerufen hat. In stiller Sehnsucht schweift sein Auge hinaus in die weite Ferne; doch diese Empfindungen werden nicht schmerzlich[S. 204] wach, denn das Zeichen der Versöhnung, der Regenbogen, spannt sich über den Wolken, und schon leuchtet nach dem Gewitterschauer die abendliche Sonne wieder freundlich über den Gefilden.

Das alles spricht aus dieser so bescheidenen Gegend zu unserem Auge und Herzen, obwohl der Abbildung das Hauptsächlichste fehlt: die Farbe; aber das Bild redet dennoch so eindringlich, daß unsere Phantasie sich die Farben fast selber hervorzuzaubern vermag.

Daß der Maler sich aber eine so schwierige Aufgabe, wie die des leuchtenden Regenbogens zumuten konnte und durfte, lehrt uns schon, wie weit er seiner Zeit vorausgeeilt war, die sich an ein so kühnes Unternehmen kaum je vorher herangewagt hat.

Wenngleich Caspar David Friedrich nicht zu den bedeutendsten Künstlern gezählt werden kann, so bleibt er doch beachtenswert als Vorläufer einer ganzen Kunstepoche. Caspar David Friedrich ist am 5. September 1774 in Greifswald geboren. Er studierte auf der Kunstakademie in Kopenhagen und kam als Einundzwanzigjähriger 1795 nach Dresden, wo er dann auch bis zu seinem Tode geblieben ist. Von hier aus führten ihn seine Studienreisen häufig in das Riesengebirge, den Harz, nach Rügen und Oesterreich. Im Jahre 1817 wurde er Mitglied und Professor der Akademie der Künste in Dresden. Auch die Berliner Nationalgalerie hat zwei Landschaften, „eine Harzlandschaft“ und „Mondaufgang am Meer“ von ihm erworben. Am 7. Mai 1840 ist der Künstler in seiner zweiten Heimat Dresden gestorben.

Max Grube.

[S. 205]

Frühlingsmorgen
Von Camille-Jean-Baptiste Corot

Geboren 29. Juli 1796 in Paris, gestorben 22. Februar 1875 in Paris. — Museum in Avignon

Bild 24

Gerade will ich von einem schwermütigen Frühlingstraum in den schönen Wäldern Frankreichs erzählen, da schaut mir ein zwölfjähriges Mädel fürwitzig über die Schulter. „Ach, das ist ja ein wunderschönes Bild! Und Corot heißt der Maler? Aber nein, das ist ja ein Franzose! Von den Franzosen will ich nichts wissen. Weißt du denn nicht...?“ — „Jawohl, mein Kind, ich weiß, wir leben in schlimmen Zeiten. Aber wenn das Bild hier vom Frühlingsmorgen ebenso herrlich ist wie der Frühling selber, warum sollen wir das schönste aller Frühlingsbilder, bloß weil es von einem Franzosen gemalt ist, verächtlich in den Winkel stellen?“ — „Aber unsere Lehrerin sagte uns doch, daß die Franzosen gar nichts von uns wissen wollen.“ — „Ich sage dir, gerade die Franzosen können ohne unsere Musik zum Beispiel gar nicht leben. Als wir kürzlich den 150. Geburtstag von Beethoven feierten, feierten ihn die gebildeten Franzosen andächtig mit. Und als sie gar wieder in ihrer großen Oper ein Musikdrama von Richard Wagner, „Die Walküre“, hören durften, waren sie förmlich begeistert. An diesem Abend waren sie unsere Feinde nicht. Ähnlich geht es uns mit den schönen alten Wald- und Weiherbildern der Franzosen, die in ihrer Art ebenso herrlich sind wie die Musik der Deutschen. Aber mit dem „guten Vater Corot“, wie er hieß in Paris, in den[S. 206] Dörfern und Wäldern ringsum, möchte ich dich doch recht nahe bekannt machen, intim befreundet, wie er selber in seiner Sprache sagte. Nun ist ja Vater Corot schon an die fünfzig Jahre tot. Aber wärest du ihm einmal begegnet auf stillen Waldwegen und hättest ihm gesagt, daß du seinen Frühlingsmorgen wunderschön findest, dann würde dich der kleine silberlockige Herr aus seinen kindlich-schönen Blauaugen gerührt angeschaut haben. Er würde dir die gottgesegnete Malerhand auf den Scheitel legen und halb wie im Traum zu dir sprechen: „Alle meine schönen Bilder, worin ich Gottesdienst im Walde und am spiegelnden Wasser gefeiert, habe ich nicht bloß für Franzosen gemalt, sondern gerade für dich, mein Kind, und für die feinen und zarten Seelen aller Völker und Länder, die selber von Frühlingssonne durchleuchtet sind, so wie ich.“ Dann führte Vater Corot dich an der Hand zu seinem Landhäuschen an den Teichen und zeigte dir seine vielen Bilder an den Wänden und in großen Stapeln auf dem Fußboden, daß man kaum einen Weg zwischen den dichtgestellten Reihen findet. Es machte ihm immer Freude, jungen Menschen seine Bilder zu zeigen, die lichtklaren und funkelnden aus Italien und die andern mit einem lustigen Menschengewimmel, mit alten Griechen, Heiligen, mit Rittern, Kavalieren, Damen, Soldaten aus alten Zeiten, was man so Geschichtsbilder nennt, obgleich ja die schöne Malerei darauf kostbarer ist, als die Taten aus der Geschichte, von denen man doch nichts Genaues wissen kann. Aber die schönsten sind gewiß die Bilder aus seiner „silbernen Zeit“, als er nämlich in den Wäldern die Nebel und Lichter noch viel zarter als Silberfiligran, rein wie Feenmärchen zu malen verstand. So wie wir’s sehen auf unserm berühmten Bilde des Frühlingsmorgens, das sozusagen die Krone seiner Schöpfungen[S. 207] ist. Und dann nach einer geschlagenen Stunde der Bilderschau, was denkst du wohl, was Vater Corot schließlich getan hätte? Er hätte dir eine von seinen schönsten silberhauchzarten Landschaften mit einem schönen Gruß an deine deutsche Mutter zum Andenken mitgegeben, ein Bild, das heute nach unserm Gelde mehr als eine Million wert ist. Ja, so war Vater Corot. Heute allerdings sind die Künstler nicht mehr wie die reinen Kinder. Mach’ nicht so ein ungläubiges Gesicht, Mädel! Camille Corot war wirklich so geartet. Noch ganz andere Dinge hat mir Albert Hertel, unser herrlicher deutscher Landschaftsmaler, der nicht nur mit dem zarten Corot, sondern auch mit dem strengen Gustave Courbet als Maler und Mensch befreundet war, aus alten französischen Ruhmestagen der Kunst erzählt. Als Corot noch in dem Malerdörfchen Barbizon am großen Märchenwalde saß, kam eines Tages ein feiner Herr und wollte ihm ein Bild abkaufen. Der gute Corot zitterte vor Aufregung, und so schlecht es ihm und seinem heute hochberühmten Genossen damals ging, er wagte keinen Preis zu nennen, aus Furcht, er möchte zuviel fordern. Da gab ihm der feine Herr 300 Francs. Corot war erschüttert über das Geld wie über die freundlichen Worte des klugen Kunstkenners, und in seines Herzens Freude drängte er dem Fremden noch ein zweites Bild als Gratiszugabe förmlich auf. Und wie kam’s? Nachdem seine feine Kunst jahrzehntelang mißachtet war, erlebte es Corot noch, daß jenes Zugabebildchen mit 20000 Francs bezahlt wurde, Albert Hertel erlebte noch die Preissteigerung auf 230000 Francs, lange vor dem Kriege, und du, mein Kind, wirst es für mehr als eine halbe Million in Gold in eine neue Hand gehen sehen. Und was die Hauptsache ist, die Bilder Corots sind auch wirklich so viel und noch mehr wert. Und warum?[S. 208] Das ist schwer zu sagen, oder du verstündest es noch nicht. Man könnte sagen, ein Bild wie unser Frühlingsmorgen ist eines so ungeheuren Preises wert, weil die Gnade Gottes darauf ruht, weil es unsterblich ist und noch in späteren Jahrhunderten jedes Auge und Herz entzücken wird, wie uns heute nach 400 Jahren die wunderschönen Muttergottesbilder von Raffael und nach 700 Jahren die zarten Lieder unseres Herrn Walter von der Vogelweide ebenso zu Herzen gehen wie den Zeitgenossen der unsterblichen Meister. Und das merke dir, Kind, in der Kunst von Gottes Gnaden (du ahnst wohl, was ich damit meine) fragt man nicht erst, ob der Maler oder Dichter ein Deutscher, Italiener oder Franzose gewesen ist. Sie waren Weltbürger, weil ihre Werke in der ganzen Welt heimatlich eingebürgert sind und von allen Menschen verstanden werden. Drum gräme dich nicht weiter um die bösen und sterblichen Franzosen, die doch nur Spreu vor dem Winde sind; aber die unsterblichen und guten Franzosen wünschen deine Freundschaft und Liebe, und da schlage mit deiner deutschen Hand getrost in ihre Wunderhand ein!“

Leise nahm das deutsche Mädel das Bildchen des Frühlingsmorgens vom Schreibtisch mit sich fort, um es mit Reißpinnen an die Wand ihres Stübchens festzuheften. Später wird sie’s in ein Rähmchen tun. Das Bildchen ist für sie zum Erlebnis geworden, das merke ich schon.

Nun wollte ich aber eingehend berichten, wann Corot geboren, gestorben, und was er alles nach und nach gemalt hat. Siehe, da steckt das blonde Mädel schon wieder den Kopf durch die Türspalte, diesmal jedoch mit glühenden Wangen und bittenden Blauaugen. Ob ich ihr nicht mehr erzählen wolle über den Camille, den guten Vater Corot, und ob er noch mehr deutsche Freunde gehabt habe? Natürlich, mein[S. 209] Kind, jeder Deutsche war sein Freund, der artig an seine bescheidene Tür klopfte. Sehr vielen jungen deutschen Künstlern hat Corot geholfen auf dem schweren Wege der Kunst, und nicht Corot bloß. Die Franzosen fühlten sich geehrt, wenn man sie um Rat ansprach. Sie sind ja sehr unruhige Nachbarn und Plagegeister, aber es hat doch auch schöne Zeiten gegeben, in denen deutsche und französische Maler ein Herz und eine Seele gewesen sind. Den Maler Ludwig Knaus, der so fein und sauber, gemütvoll und witzig das Bauern- und Bürgerleben geschildert, hat der Kaiser der Franzosen, der bei Sedan den Thron verlor, auf der Pariser Weltausstellung wie einen Fürsten gefeiert. Und unsern Adolf Menzel haben die Franzosen förmlich wie Füchslein den Löwen angestaunt. Und je deutschtümlicher einer war, um so mehr haben ihn die Pariser geehrt. Das magst du dir auch merken. Über vier Jahrzehnte gingen die jungen deutschen Künstler, nachdem sie in München, Berlin und Düsseldorf ihre Sache gelernt hatten, nach Paris, um sich hier sozusagen den letzten Schliff zu holen bei diesen geschickten, gewitzten und handwerkstüchtigen Parisern. Ein Fest war es, wenn sie in den großen Wald pilgerten, wo Corot malte und mit ihm große Künstler wie Rousseau, Millet, Courbet, Dupré, Diaz, Daubigny. Corot hat erst spät seinen Weg gefunden in das Paradies oder Feenreich, wo er die leuchtenden Wunder der Gottesschöpfung entdeckte. Im großen Walde von Fontainebleau glaubte er das verlorene Paradies wiedererschlossen zu haben, und wir glauben’s ihm gern. Er war am 29. Juli 1796 in Paris geboren. Aber sein geschäftsstrenger Vater hielt nicht viel von der Kunst und versagte dem Sohn die Mittel zu dem heilig ernsten Streben. Schließlich hat es Camille doch durchgesetzt, doch schon war er 26 Jahre alt. Und dann verlor[S. 210] er noch manches Jahr bei den Schulfuchsern und Modemalern, die gar nicht nach seinem Herzen waren. Nicht was in Büchern stand, wollte er malen, sondern was er in der Einsamkeit selber schaute, nicht eine aufgeputzte und frisierte Natur, sondern den Wunderglanz des Morgens und Abends und die Sonnenherrlichkeit des Mittags ohne menschliche Zutaten. So ganz fein und geheim wollte er die in der Sonne tanzenden Blätter, den silbersüß wallenden Frühnebel belauschen, und das nannte er, wie seine Freunde, die intime Landschaft, und sie alle zusammen bildeten die sogenannte „Schule von Fontainebleau“, um ihrer Kunst einen schönen Namen zu geben. Ich sage dir, es ist da, zwei Bahnstunden südlich von Paris, ein herrlicher Wald, auf Meilenweite mit Buchenhochwald, mit Hügeln, Schluchten, Sümpfen, Weihern, einsamen Heiden, seitwärts von der uralten Burg des blauen Brunnens, des gewaltigen und prächtigen Schlosses Fontainebleau, das vor vier Jahrhunderten erbaut und später vergrößert wurde, worin sehr viele heitere und böse Dinge sich begaben, was aber den guten Corot nicht weiter anfocht. Er saß weitab, am Waldrand im Dörfchen Barbizon, und jeden Morgen zog er in den grünen Walddom, auf die Höhen, schaute in die Schluchten und träumte und malte an murmelnden Quellen. Nun höre, wie er selber von seiner Malerarbeit und Waldandacht erzählt, und zwar in einem Briefe an seinen Freund, den Maler Dupré! „Am frühsten Morgen steht man auf, um drei Uhr, vor der Sonne. Man setzt sich an den Fuß eines Baumes, man schaut sich um und wartet. Zuerst sieht man nicht viel. Die Natur gleicht einem grauen Leintuche, worauf sich kaum die Umrisse einiger Massen abzeichnen. Alles duftet, alles bebt im erfrischenden Luftzug des kommenden Tages. Bing! Die Sonne wird[S. 211] hell. Sie hat noch nicht die Schleier zerrissen, wohinter sich die Wiese, das Tal, die Hügel des Horizonts verbergen. Die nächtlichen Dünste schweben noch wie Silberflocken über dem matten grünen Grase. Bing! bing! Im Gebüsch zwitschern unsichtbare Vögel. Ein erster Sonnenstrahl — ein zweiter Sonnenstrahl! Die kleinen Blümchen scheinen freudig aufzuwachen. Ein jedes von ihnen hat seinen glitzernden Tautropfen. Die zarten Blätter zittern in der Morgenluft. Es scheint, als ob die Blumen ihr Morgengebet sprächen. Die Liebesgötter schweben auf Schmetterlingsflügeln über die Wiesen und lassen das hohe Gras in sanften Wellen schwingen. Man sieht nichts. — Alles ist da. Die ganze Landschaft liegt hinter dem durchsichtigen Nebelschleier, der steigt und steigt, aufgesogen von der Sonne, und der schließlich alles enthüllt, die Silberzunge des Baches, die Wiesen, die Bäume, die Hütten, die fliehende Ferne. Endlich unterscheidet man alles, was man anfänglich vermutete...“ So geht’s noch viele Seiten weiter in dem Briefe. Nun sage, mein Kind, ist das nicht wundervoll? Da hast du mit einem Wort die intime Kunst, wie sie noch niemand intimer belauscht und gemalt hat, als Camille Corot. Aber das Bild des Frühlingsmorgens hat der Meister nicht in Fontainebleau, sondern in seinem späteren Wohnsitz Ville d’Avray gemalt. Dort, wo er auch bis zu seinem Tode am 22. Februar 1875 gewohnt, gearbeitet und seinen langsam aufsteigenden Ruhm genossen hat. Es ist auch ein schöner Fleck Erde am Rande des herrlichen Parks des berühmten Schlosses St. Cloud und unfern der großartigen Porzellanfabrik von Sèvres, auf dem Wege nach Versailles. Vor seinem Häuschen hatte Corot die drei Weiher im Zuge eines alten Mühlbaches. Diese Teiche mit ihrem sanften Spiegelglanz und den leisnebelnden Silberschleiern[S. 212] hat Vater Corot unsterblich gemacht, denn man schaut sie immer wieder auf den feinen, zarten, traumseligen Meisterwerken. Hat Friedrich der Große in der Galerie von Sanssouci den ersten Höhepunkt französischer Kunst mit den köstlichen Watteaus, Lancrets, Paters erfaßt, die volle Höhe erstieg diese Kunst an den Teichen von Ville d’Avray, nach deutschem Gefühl. Nun schaue einmal auf dem Bildchen diesen unendlich glückseligen Zauberhauch des Frühlingsmorgens auf dem perlschimmernden Spiegel des Teiches, dessen Ufer weichnebelndes Traumglück atmen! Die alte Erle greift mit hundert Armen dem göttlichen Licht entgegen, die Blätter zerflimmern, verhauchen im Morgenglanz, ganz so wie die arme Menschenseele in pfingstlicher Feierstunde vor dem Herrgott, der die schöne Welt erschaffen und immer wieder, immer schöner verjüngt, in Andacht sich demütigt und ewige Seligkeit vorempfindet. Corot war eine fromme, eine glückselig-fromme Seele. Halte das Bildchen in Ehren, mein Kind, und halte heilig fest an der Kunst der großen Meister, und du wirst ein guter und glücklicher Mensch werden!

Maximilian Rapsilber.

[S. 213]

Die Hochzeitsreise
Von Moritz v. Schwind

Geboren 21. Januar 1804 in Wien, gestorben 8. Februar 1871 in München. — Schackgalerie in München

Buntbild V

Wenn ich den Namen Schwind höre, dann fällt mir immer ein liebes altes Bilderbuch ein, das in unserer Kinderstube einen Ehrenplatz hatte. Sein äußeres Gewand war freilich nicht sehr schön, das Buch war schmal und hoch, hatte einen wirr und bunt bedruckten Pappdeckel und nannte sich mit großen krausen Buchstaben: „Münchener Bilderbogen.“ Aber innen — ja, da war es voll schwarzer und farbenfröhlicher Herrlichkeiten, an denen der gute Geschichten- und Märchenonkel Schwind reichlich mitgeschaffen hatte. Auf alle die vielen Bilder kann ich mich nicht mehr besinnen, bloß ein paar von ihnen stehen mir noch deutlich im Gedächtnis: das Bildermärchen vom „Gestiefelten Kater“, dessen anmutige und schalkhafte Einzelheiten wir nicht müde wurden, mit leuchtenden, deutenden und lachenden Augen zu betrachten; und dann „Die Geschichte vom Herrn Winter“, in der uns besonders ein Bildchen ans Kinderherz gewachsen war, das, auf dem der alte brummige Wintersmann, dick bereift und behaglich eingemummelt in Mantel und Kapuze, ein Tannenbäumchen im Arm, durch die schmalen, stillen Gassen des Städtchens stopft, hinter deren kleinen Fenstern die hellen Weihnachtslichter blitzen — wohin mochte der Alte gehen?

Ja, Meister Schwind ist immer ein Märchen- und Geschichtenerzähler gewesen! Das hing wohl mit seiner Herkunft[S. 214] zusammen, stammte er doch aus dem heitern, beweglichen Österreich, in dem man das warme Beisammensitzen mit Freunden und Gevattern in der Stube und in Gottes sonniger Natur mit all den guten Dingen der Gemeinsamkeit, wie Essen, Trinken, Musizieren, Plaudern und Geschichtenerzählen so recht von Herzen lieb hat. So steckte schon durch Blutserbe viel Behagen und Lebenslust in ihm, eine frische, frohe Sinnenfreude, die allem daseinsfremden Grübeln und blassen Deuteln abhold war und am farbigen, mit Herz und Sinn spürbaren Abglanz des Lebens ihr Genügen fand. Dazu aber kam noch ein besonderer Zug im Wesen unsres Malerdichters: sein leidenschaftlicher Hang zur Natur und ihrem Frieden, der so stark war, daß er schon als junger Mensch wirklich ernsthaft einmal daran gedacht hatte, als Einsiedler — natürlich mit einigen guten Freunden! — in der Stille des Waldes zu leben. Zum Glück ist daraus nichts geworden, das lachende Leben hat seinen Lieblingssohn festgehalten, aber der Hang zur Einsiedelei kam immer wieder einmal über ihn, so daß er ab und zu ein paar köstliche Bildergeschichten von einsamen Heiligen, Klausnern und Waldbrüdern erzählen mußte. Das alles machte ihn so recht zum Fabulieren fähig und bereit: er sah mit hellen, männlich tapfern, alle Erdenschönheit suchenden und bestaunenden Augen in die Welt, hauste fröhlich und behaglich mit den Seinen und den Freunden, schlug sich wacker mit den Feinden und lebte doch dabei tief innen in sich und ließ die Eindrücke und Erlebnisse sich in seiner Seele weiterspinnen, bis er sie, von ihnen gedrängt, wieder aus sich herauslassen mußte... und dann quollen all die bunten, krausen Geschichten, Märlein, Einfälle, die immer mit einem goldnen Fädchen des Humors mit dem wirklichen Leben seiner Umwelt zu[S. 215]sammenhingen, aus seinen Händen aufs Papier oder auf die Leinwand. Ja, auch das müßt ihr wissen, wenn ihr seine Bilderpoesien betrachtet: es steckte ihm auch die richtige verschmitzte österreichische Necklust im Blute, die im Grunde Liebe ist, und die auch den sinnig-ernsten Gedanken seiner Lebensanschauung unversehens ein Schellenmützchen aufsetzte und sie und sein ganzes Leben und Tun mit dem hellen Zauberton des Humors umklingt.

Da haben wir den ganzen Meister Schwind gleich auf unserm wunderschönen Bild „Die Hochzeitsreise“! Guckt es euch genau an, wir werden es gleich herausfinden! Kann man sich überhaupt satt daran sehen? Ich habe es nun schon an die hundertmal betrachtet, und immer wieder umspinnt mich die lichte, behagliche Lebenslust, der reine Friede seiner Bildseele. Und das Ganze, ja, ist wieder eine lächelnde Dichtergeschichte, welcher die liebevoll zusammengestimmte Farbe und die sauber und bedächtig schnörkelnden Linien recht eigentlich ein Rahmen sind, wie die zierhafte Goldfassung einem Edelstein. Seht, über dem alten giebeligen süddeutschen Städtchen steht ein blauer Sommermorgen, und vor dem Gasthaus zum Goldnen Stern wartet die prächtige, mit rotem Plüsch gepolsterte gelbe „Postchaise“; der stattliche Herr mit der Reisetasche hat wohl eben dem dicken Herrn Wirt die Rechnung für den Aufenthalt bezahlt und ihm seine Anerkennung für die sorgliche Unterkunft ausgesprochen, dann noch ein Wörtlein über das Wetter mit ihm geschwatzt und danach die guten Reisewünsche des Gastwirts entgegengenommen — denn damals, in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, hatte man noch viel Zeit, da gab es noch wenig Hast und kaum schon Eisenbahnen, da konnte man noch viele gute[S. 216] und umständliche Worte machen! Aber nun wurde es doch endlich Zeit mit der Abfahrt, denn die junge schöne Frau sitzt schon ein wenig ungeduldig und sehnsüchtig in dem offnen Chaischen, dafür bekommt sie nun auch noch ein paar artige Komplimente von dem Sternwirt und der Sternwirtin zu hören. Der Postschwager, von dem man bloß den hohen Tressenhut sieht, strängt umständlich das Handpferd wieder an, dem Gasthausspitz, der das sieht, fährt ein kleines Reisefieber in die Glieder, denn er will den Wagen bis vors Tor begleiten, und der würdige Kaufmann mit der sommerlichen Schirmmütze in dem Lädchen gegenüber steht schon lange in seiner Ladentür auf der Lauer, um der Abfahrt zuzuschauen und dann mit dem Sternwirt noch eine kleine wohlwollende Nachschwatz zu halten; auch die Mädchen am Brunnen stehen gaffend, wartend und schwatzend und lassen die Eimer überlaufen — o man weiß Bescheid, das waren vornehme Fremde, Herr und Frau v. Schwind aus der Hauptstadt, ein berühmter Kunstmaler, und seine junge Frau war eine Majorstochter, die Herrschaften waren auf der Hochzeitsreise, ei, ei, da lacht das Glück aus allen Winkeln, und da ist man galant und zärtlich und schmückt selbst den Postwagen mit frischen Blumen... der junge Ehemann hat gestern abend noch drüben in dem Kaufmannslädchen eine Tüte Honigzucker und ein Fläschchen Rosenwasser und für sich selbst ein Büchschen feinster Pomade gekauft — das weiß die ganze Stadt!... Und das, ihr könnt es glauben, stimmt alles aufs Haar! Meister Schwind hat sich selbst und seine geliebte junge Frau auf der Hochzeitsreise gemalt; und seht einmal ganz scharf hin —: der behäbige Wirt in der roten Sammetweste, der so ehrerbietig das grüne Käppchen schwingt, trägt die Züge von Schwinds liebem Jugendgenossen[S. 217] Lachner, des weitbekannten Kapellmeisters und Komponisten, der in Wien neben dem jungen Dichter Grillparzer, dem Musiker Franz Schubert und andern zu seinem Freundeskreis gehörte. Da haben wir den Schalk, der mit den Augen zwinkert und mit den Lippen schmunzelt, der lachend seine gute Freundesliebe und sein ganzes großes, helles Jungehemannsglück in das Bild hineingemalt hat. An solchem Spaß konnte er selbst seine herzlichste Freude haben, und solche launigen Anspielungen findet ihr auf vielen seiner Bilder, sie hingen immer irgendwie mit der ihm vertrauten Wirklichkeit und dem warmen Leben zusammen...

Und nun hört, was Meister Schwind selber einmal über seine Kunst zu einem guten Freunde, der auch ein Malersmann war, gesagt hat, als sie miteinander im Walde spazierengingen. „Sixt, schau, ist das nit herrlich! Wann einer an ein schön’s Bäumle sein Lieb und Freud hat, so zeichnet er all sein Lieb und Freud mit, und’s schaut ganz anders aus, als wenn’s ein Esel schön abschmiert.“ In dem frisch herausgesprudelten, fröhlich-weisen Satz steckt der ganze Schwind! Immer hat er „sein Lieb und Freud“ mitgemalt, die galten ihm mehr als alles bloß Handwerkliche oder Technische, wie es in der Künstlersprache heißt, und sie geben allen seinen Schöpfungen die zu Herzen dringende Augenlust. Aber ihr dürft deshalb nicht glauben, daß Meister Schwind seine Werke und Werklein in leichter oder gar leichtfertiger Arbeit geschaffen habe; man kann es in seinen lebendigen, in jedem Wort unverstellten Briefen nachlesen, wie ernst und schwer er mit Stoff und Form gerungen, gewiß in unverdrossener Lust, aber auch oft bis zur bittern Ermüdung, eh’ ihm selbst alles gelungen schien, daß es nun wie eitel Spiel und Lust wirkte.[S. 218] Hinter jeder Meisterkunst, auch hinter der anmutigsten, heitersten, steht ernste, tapfre und mühselige Arbeit, tagtäglicher Kampf und eine unablässige Aufopferung des ganzen Mannes durch lange Wochen und Monate — vergeßt das nicht im freudigen Schauen, denkt immer einmal mit Ehrfurcht daran, um so größer und staunenswerter wird dann die Meisterschaft auf euch wirken, und etwas von dem Hauch ihrer sittlichen Kraft wird euch in die Seele wehen. —

Ihr wißt es nun schon, Schwind ist in allen Werken ein Dichtermaler oder -zeichner gewesen. Oft gab ihm das eigene Erleben, Erinnern und Träumen, bot ihm die nächste vertraute Umwelt die Anregung und den Stoff zu holden Bilderfabeleien, an deren Ausgestaltung und Ausschmückung er sich nicht genugtun konnte. Aber noch eine andre Schatzkammer stand seinem Künstlersinn offen, angefüllt bis zur Decke mit edelstem, lieblichem Geistesgut, dessen reiner Glanz die Augen größer und den Geist heimatselig und andächtig machte, die Schatzkammer unsrer deutschen Märchen und Sagen. Auch hier trat Meister Schwind ein, um zu suchen und zu finden, tat es immer wieder, mit fast noch willigeren Händen als in den gabenreichen Kreis der nahen Erlebniswelt, ehrfürchtigen Sinnes und beglückten Herzens; hier fand er ja alles, was seinem Wesen teuer war, in andrer Form schon fein gebildet, so daß er nur zuzugreifen und es in sein eignes Schaffensreich zu ziehen brauchte, um es darin mit Lust und Freud’ auf seine besondre Art umzuschmelzen, und neu zu schaffen, sich und den Menschen zum Wohlgefallen... Vom Gestiefelten Kater habe ich euch schon erzählt, aber da gibt es noch viel, viel mehr und fast noch Schöneres! Habt ihr vielleicht dies und das schon ge[S. 219]sehen? Da hat er das liebe brave Aschenbrödel noch einmal zum Staunen schön in Farbe gedichtet, und das Märchen von den Sieben Raben und die Geschichte von der Schönen Melusine und mehr und mehr, lauter Gestalten und Begebenheiten, bei deren Namen das Herz aufhorcht und freudig klopft wie beim Klang von Mutterworten oder Weihnachtsglocken; da hat er in der herrlichsten deutschen Burg, der Wartburg im Thüringerwald, das wunderreiche Leben der heiligen Elisabeth an die Wand gemalt, die trotz Strafe und Verbot ihres Gemahls der Barmherzigkeit diente, und in deren Schoß das Brot zu Rosen ward, als der Zorn des Gatten sie treffen wollte... Ihr müßt das alles und noch viel andres, was er geschaffen hat, selbst einmal anschauen, jetzt oder später, wie sich euch die Gelegenheit bietet, und wie ihr sie euch nehmt, und ihr werdet den Meister Schwind, der so erdenfroh und lebensselig und ein ganzer Poet war, mit jedem Bild und Blatt lieber gewinnen und in jedem ein Labsal fürs Leben gefunden haben, zu dem ihr euch in guten und schlimmen Stunden immer willig und dankbar zurückfinden werdet.

Gertrud Triepel.

[S. 220]

Das Ständchen
Von Carl Spitzweg

Geboren 5. Februar 1808 in München, gestorben 23. September 1885 ebendort. — Schackgalerie in München

Bild 25

Nun, liebe Jugend, horche auf und siehe! Jemand tritt in eure Mitte, seine Augen grüßen euch voll Güte, Schalk und Humor: Carl Spitzweg!

Aus der Fülle der Bilder, die dieser Künstler geschaffen hat, greife ich eins heraus, um es euch zu zeigen, nämlich das „Ständchen“. Lacht ihr wohl? Ja, ihr lacht! Schaut nur mit recht hellen Augen auf dieses köstliche Bild. Die große Kunst Carl Spitzwegs, kleine Dinge getreu und unendlich liebevoll wiederzugeben, kommt hier zu ihrem vollen Recht, und deshalb ist er auch wohl treffend der „Maler des Idylls“ genannt worden.

Seid ihr wohl einmal in einer schimmernden Mondnacht ans Fenster getreten und habt hinausgeblickt? Habt ihr da gesehen, wie das Mondlicht auf den simplen Steinfließen glitzert und gleißt? Habt ihr die Zärtlichkeit des glasklaren Nachthimmels beobachtet, der sich hoch über die Erde spannt, wie eine sternbesäte Kuppel über einen großen Dom? Das alles seht ihr hier auf unserm Bilde. Im Hintergrunde ragen Tore und Türme einer alten südspanischen Stadt, einer Stadt, in deren Winkeln und blaudämmernden Höfen reine Romantik blüht. Vor uns steht das stolze Patrizierhaus, vom Mondschein umflossen. Die Nacht träumt... Bis dann ganz plötzlich die nächtliche Stille durch Musik zerrissen wird...

[S. 221]

Die schöne Frau, die da auf dem Balkone steht und vorsichtig hinunterspäht, hatte in ihrem Schlafgemach das Kerzenlicht noch brennen. Ihre Gedanken waren in Glück versponnen; denn sie ist Braut. Sie hatte die Musikanten nicht kommen hören und war nun bei den Klängen der Musik aufgeschreckt. Das aus dem Zimmer dringende Licht legt um ihre Gestalt einen goldigen Schein; seltsam flimmern die bleichen Strahlen des Mondlichts in ihrem Haar. Ob sie wohl den Bräutigam erkennt, der vornehm lässig am Sockel der hohen Steintreppe lehnt und sinnend dem Spiele der Freunde lauscht?!...

Hier ist Carl Spitzweg wieder einmal der kluge, humorvolle Lebenskünstler, der schalkhaft all die Personen vor uns hinstellt, wie auf der Bühne. Sie stehen gespreizt, etwa wie Schauspieler, ihre Bewegungen haben etwas Geziertes. Sie wollen der Braut des Freundes ihre beste Kunst zeigen und spielen begeistert. Diese acht jungen Männer sind die echten Vertreter der guten, alten Zeit, jener Zeit, da die Menschen noch nicht das rasende, nervenzerrüttende Tempo der Eil- und D-Züge, Autos und Flugzeuge kannten, als vielmehr die dicken, schweren Gäule die behaglich gemütliche Postkutschen zogen.

Die Geigen jauchzen, das Cello schluchzt, die Flöte tönt silbern leis, dazwischen klingen die lustigen Akkorde der Zither und Klarinette, das sentimentale Klagen der Ziehharmonika und das jubelnde Rufen des Waldhorns. Wie behutsam und doch so sicher leuchten die Farben dieses Bildes! Das warme kräftige Blau triumphiert, das sanfte abgestufte Grau der Steine, das tiefe Samtdunkel der Kleidung, das ruhende Grün des Efeus; alle Farben stimmen glücklich zueinander. Die Lichtwirkung ist meisterhaft. Auch das Helldunkel des Hintergrundes hat Carl[S. 222] Spitzweg so treffend gemalt, daß der Bräutigam, obgleich im Schatten des Hauses, doch scharf umrissen vor uns steht. Wir sehen seine Gestalt, die lässig über der Brust verschlungenen Arme, selbst die kühn aufstrebende Feder des Baretts ist deutlich sichtbar. Er scheint zu lauschen, und doch fühlen wir, daß sein Blick die Braut sucht, die von Licht umflossen an der Balkonbrüstung lehnt.

Ihr werdet die fröhliche Kunst Carl Spitzwegs noch näher kennenlernen, wenn ihr erst weiter ins Leben hineinschreitet. Sicher begegnet euch hier und da wieder einmal eines seiner lieblichen Bilder in ihrer klaren Wahrheit. Es sind deren ja so viele; denn das Leben dieses Malers war lang und reich an Schaffen. Und wer das Leben so geliebt hat wie Carl Spitzweg, dem mußte der Tod sachte und gütig den Pinsel aus den Händen nehmen, ehe sie ganz müde wurden.

Alles war gut, behaglich und schön im Leben dieses heiteren Künstlers. Er wurde am 5. Februar 1808 geboren. Im Hause seines Vaters verlebte er eine stille, aber frohe Jugend in der alten, berühmten Kunststadt München. Sein Vater war Kaufmann und wollte seine Kinder fürs praktische Leben erziehen. So sollte Carl Apotheker werden. Er wurde Lehrling und dann Provisor, wenngleich ihm treibende Wandersehnsucht im Blute lag. Seinen Freunden war er ein guter Kamerad, hatte für harmlose Freuden ein warmes, empfindsames Herz und hätte wohl bis an sein Ende das Leben eines zufriedenen Bürgers geführt, wenn nicht eines Tages sein Talent entdeckt worden wäre. Auf Anraten des Landschaftsmalers Christian Heinrich Hansonn gab er seinen Beruf auf und sattelte um. Nun durfte er reisen, konnte die vielfältigen Reize fremder Länder sehen, und seine feine intime Kunst blühte auf.

[S. 223]

Carl Spitzweg hatte bereits das achtundzwanzigste Lebensjahr erreicht, als er sich der Malerei zuwandte. Schon als Lehrling in der Dr. Pettenkoferschen Apotheke zeigte er kluge Beobachtungsgabe und reges Interesse für seine Umwelt. Er studierte die Menschen, mit denen er in Berührung kam, achtete auf ihre Gebärden, ihr Mienenspiel und ihr Lächeln. Und selbst komische Schwächen und irgendwie törichte Angewohnheiten bei ihnen erfaßte er schnell. Diese Gabe ist ihm dann in seinem neuen Beruf von hohem Nutzen gewesen. Wo immer er durch etwas gefesselt wurde, er hielt es gleich im Bilde fest; wie oft mußte ein Zigarrenkistendeckel oder sonst etwas zu diesen Skizzen herhalten. So lebt in seinen Bildern vornehmlich das kleinbürgerliche Treiben der guten, alten Zeit. Mit feinem Humor hat Carl Spitzweg die kleinbürgerlichen Gestalten und ihre Eigenheiten in unzähligen Abarten verewigt: die dicken, gutmütigen Bürger, die behäbige, gestrenge Hausfrau, heitere Jugend in hellen, steifgestärkten Kleidern, selbstbewußte und darum drollig wirkende Soldaten und den Postkutscher mit seinem schönen Horn.

Wie sein großer Freund, Moritz v. Schwind, liebte auch Carl Spitzweg die deutsche Märchenwelt. So wuchsen unter seinen frohen Händen Nymphen, Eremiten, Waldbrüder und allerlei lustige Fabelwesen. Und er baute um diese Märchenfiguren tiefe, schweigende Wälder, durch deren Dämmergrün muntere Wasser plätscherten.

Obgleich unseren Künstler die Pracht und Schönheit ferner Länder entzückte und bewegte, so war er für seine Heimat doch von kindlicher Liebe erfüllt. Alle seine Landschaftsbilder sind in stillem Jubel geschaffen; er zeigt uns sein bayrisches Mutterland: goldene Felder in reifer Fruchtbarkeit, von Sonnenglanz überflammt, von Bergen[S. 224] umschlossen. Der Erfolg blieb nicht aus. Schon vordem war Carl Spitzweg kein Unbekannter mehr; denn er hatte bereits oft für die „Fliegenden Blätter“ kleine Bildchen voll feiner Schelmerei gezeichnet.

Aber Spitzweg blieb auch in den Tagen äußerer Anerkennung der bescheidene Mensch, der in seiner Güte nicht zu wissen schien, wie reiche Gaben aus seinen Händen flossen. Wohl hatte auch er zu kämpfen gegen Neid und Mißgunst, aber er stritt nicht! Er zog sich still zurück. Nach seinen Wander- und Reisejahren kehrte er nach München heim, und dann gingen alljährlich aus seinem Atelier, das sich in einem hohen Hause am Heumarkt befand, viele seiner Bilder in die Welt hinaus. Hier verbrachte er die letzten dreiundzwanzig Jahre seines Lebens, umgeben von seinen geliebten Bergen, hier konnte er in stillen Stunden träumen, ohne daß seine beschauliche Einsamkeit gestört wurde. Nur die Kinderherzen wandten sich ihm in schwärmerischer Liebe zu. Schmunzelnd ließ er die Taschen seines langschößigen Rockes auf Näschereien und Spielzeug untersuchen. Der Jubel der kleinen Besucher machte sein Herz froh. Er ging mit der Jugend, mit ihren neuen, wilden Freiheitsplänen, ihrer ungebrochenen Kraft und ihren reinen Idealen. Obgleich seine Gestalt durch die Last der Jahre mehr und mehr gebeugt, seine Haut welk wurde, blieb er innerlich jung, weil er von Sehnsucht nach Schönheit durchglüht war und diese Schönheit, die in der bescheidensten Blüte und dem kleinsten Grashalm zu ihm sprach, mit liebendem Blick zu umfassen suchte. Dort oben in seinem Künstlerheim, das viel Urväterhausrat barg, lebte er sorglos und glücklich. Hier war der stille Hafen, der ihm Frieden gab. Wohl drang noch manch lockender Ruf aus der bunten, lebenslustigen Welt in seine Einsam[S. 225]keit. Seine Wandersehnsucht war gestillt, denn seine Augen hatten auf der langen Lebensfahrt viel leuchtende Schönheit schauen dürfen. Die Erinnerung daran schuf ihm keine Bitterkeit. Dankbar gedachte er früherer, froher Zeiten; nun war er wunschlos geworden! Carl Spitzweg hatte ein kluges Lächeln voll stillen Humors, eines Humors, der nie wehe tat. Nur seine guten Augen, hinter dicken Brillengläsern versteckt, konnten fremde Besucher zornig anblitzen, wenn sie ihn unerwartet überraschten. Er blieb am liebsten allein. Seine Lebensregel war einfach und klar:

„Wenn’s dirs vergönnt je, dann richt’ es so ein,
Daß dir ein Spaziergang das Leben soll sein!
Stets schaue und sammle, knapp nippe vom Wein,
Mach’ unterwegs auch Bekanntschaften fein,
Des Abends kehr’ selig bei dir wieder ein
Und schlaf in den Himmel, den offnen, hinein!“

Die wenigen Freunde, mit denen er öfter zusammentraf — unter ihnen vor allem die Maler Moritz v. Schwind und Schleich —, liebten ihn um seines goldnen Humors und seiner reichen Güte willen. Am 23. September 1885 vollendete sich dieses Leben voll Harmonie. Für die Kunst bedeutete sein Tod einen herben Verlust. Und wenn ihr einmal das Porträt dieses freundlichen Künstlers sehen solltet, dann grüßt ihn im Geiste voll Dankbarkeit und Liebe. Er hat’s verdient! Seine goldklare Kunst wird gerade für euch, die Jugend, immerdar ein Brunnen bleiben, aus dem ihr schöpfen dürft, um eure Seelen zu erquicken.

Fränze Eleonore Röcken.

[S. 226]

Angelus
Von Jean François Millet

Geboren 24. Oktober 1814 in Gruchy bei Cherbourg, gestorben 20. Januar 1875 in Barbizon (Departement Seine-et-Marne). — Musée du Louvre in Paris

Bild 26

Am Eingang des Waldes von Fontainebleau unweit Paris liegen Felsblöcke zu einem Naturdenkmal getürmt. Beim Herantreten sieht man, daß dies wahrhaft ein Denkmal ist; denn einer der Blöcke trägt auf einer Bronzeplatte die Köpfe zweier Freunde. Und einer dieser Männer ist der Maler Jean François Millet. Mit gutem Recht hat man ihm hier auf dem Lande ein Naturdenkmal gesetzt; aus der Natur, ihrem Leben, ihren Menschen sog dieser Maler seine Kräfte. Hier, im Dörflein Barbizon, lebte er, nachdem er ein Meister geworden war. Da konnte man ihn herumstreifen sehen auf der weiten Ebene von Chailly, die immer wieder auf seinen Bildern auftaucht. Da ging und stand er mit dem Gang und Gehabe eines Bauern, mit Knotenstock und Holzschuhen, die Fischermütze oder den breitkrempigen Strohhut auf dem Patriarchenhaupt mit dem wallenden Bart.

„Ich bin Bauer, Bauer“, hat er einmal voll Stolz geschrieben.

Eines Bauern Sohn war Jean François Millet. Aber dieser Vater war zugleich Kantor des Dorfes am Meer, er machte Holzschnitzereien und hatte gelehrte und geistliche Männer zu Verwandten. Und eine feinsinnige[S. 227] Großmutter nährte des Knaben Phantasie und Seele mit Sagen und Legenden. So hatte man Verständnis für die Lateinstudien des grüblerischen, klugen Buben und für seine Freude am Zeichnen. Wie sollte Jean da nicht wachsen? Und als ein Maler — sein späterer Lehrer — in Cherbourg, wegen der Zeichnungen des Burschen um Rat gefragt, dem Vater antwortete: „Sie sollen verdammt sein, daß sie ihn so lange zu Haus behielten; Ihr Junge hat das Zeug zu einem großen Maler“, da machte der Bauer kein mürrisches Gesicht, sondern ließ ohne Schelten seinen Buben den Weg gehen, der ihm vom Schicksal bestimmt war.

Jahre später kommt unser junger Bauer eines Abends, mit einem Stipendium versehen, in Paris an, und der Gestank, der Wirrwarr der Großstadt überwältigen ihn so, daß er schluchzend zur Nacht seines Dörfleins gedenkt, das hinter den Klippen nistet, der Gäßchen zwischen den Hecken und — der Großmutter.

Aber Paris war Paris: der Mittelpunkt des Lebens und Lernens. In den Museen waren die Bilder der großen Meister, die der Kunstschüler mit lernhungriger Seele immer wieder in sich aufnahm.

Nicht leicht hatte es der Bub. Im Atelier seines Lehrers zuckten die modischen Kameraden die Achseln über den „Waldmenschen“ mit seiner Naturliebe und Naturkraft. Sie malten im Stil der Romantik und falschen Sentimentalität, von der der junge Millet nichts wissen wollte.

Hier zeigte sich, wie verschieden Kunst aufgefaßt werden kann. Gerade in Frankreich haben die Anschauungen große Wechsel erlebt. Immer wieder ringt hier in der bildenden, malenden Kunst das Romanentum, das wirkungsvollen Aufbau, schöne Staffage, schwungvolle[S. 228] Linien, bunteste Farbe bevorzugt, gegen das germanische Kunstwollen, das echtes Gefühl, Einfachheit, Natürlichkeit, notwendige Verkörperung seelischen Ausdrucks erstrebt. Die einen wollen formvollendete Kunst, die anderen inhaltlich vollendete Kunst.

Hier das eigene Ich zu finden und zu behaupten, war nicht leicht. In Paris und Cherbourg, in den Jahren des Hungerns, wo er um des Geldes willen schließlich Modebildchen und Firmenschilder malte, schien ihm das Emporklimmen oft fast unmöglich. Und erst 1848 war er in seiner Entwicklung so weit, daß er den ganz urwüchsigen Ton fand, in seinem ersten ländlichen Bild, dem „Kornschwinger“. Doch schon im folgenden Jahr, als er — durch die Cholera von Paris vertrieben — nach dem Dorf Barbizon zu den Bauern übersiedelte, wird er der echte Millet, der Maler der Bilder, um derentwillen wir ihn lieben, der das gewaltige Epos von der Erde und den Menschen der Scholle in seinen Gestaltungen und in seiner Farbensprache immer wieder aussingt wie ein Prophet.

Da wohnte er in dem Dorfhäuschen, das von Efeu und Rosen fast zugedeckt und von einem bunt verwilderten Garten umgeben war. Da malte er in seiner Scheune — seinem Atelier — jene Menschen, die völlig in der Natur aufgehen, oder draußen jene Natur, die völlig diesen Bauern zugehörig ist. Da saßen abends an dem rohen Tisch seine Gattin, die zahlreichen Kinder um die Suppenschüssel, und er dazwischen, der große, starke Mann mit dem Stiernacken, den buschigen Brauen, den tiefblauen Augen, allzeit gastfrei in aller Einfachheit.

Was ihn damals menschlich und künstlerisch bewegte, hat er in feine Worte gefaßt, die uns einen Schlüssel zu seinem inneren Leben und Malen geben: „Wenn Sie[S. 229] sähen, wie schön der Wald ist! Ich laufe manchmal am Ende des Tages und nach meiner Tagesarbeit hin und komme jedesmal zermalmt wieder. Das hat eine Ruhe, eine schreckliche Größe, so daß ich mich manchmal dabei überrasche, daß ich wirklich Furcht habe. Ich weiß nicht, was diese Bettler von Bäumen einander sagen, aber sie sagen sich etwas, was wir nur nicht verstehen, weil wir eine andere Sprache sprechen.“ „Wenn ich einen Wald zu malen hätte, so möchte ich... daß man... dächte... an sein Grün, an sein Dunkel, das das Herz des Menschen zugleich weitet und zusammenschnürt.“

„Ich will Ihnen gestehen, auf die Gefahr hin, wieder für einen Sozialisten zu gelten, daß es die menschliche Seite ist, die mich am meisten in der Kunst bewegt. Niemals erscheint mir die lustige Seite, ich weiß nicht, wo sie ist, ich habe sie niemals gesehen... Da sehen Sie aus einem kleinen Pfad eine arme Gestalt mit einem Reisigbündel hervortreten. Die... Art... wie dieser Mensch Ihnen erscheint, führt Sie sofort auf das traurige menschliche Los, die Müdigkeit... Auf den bestellten Feldern... erblicken Sie grabende, hackende Gestalten. Von Zeit zu Zeit sehen Sie, wie sie sich das Kreuz wieder zurechtrücken... Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen. Ist das die fröhliche ausgelassene Arbeit, an die manche Leute uns glauben machen möchten? Und doch befindet sich gerade da für mich die wahre Menschlichkeit, die große Poesie.“

Hier in jenen Worten haben wir den ganzen Millet, den Kämpfer gegen die verlogene, seelenlose Schönmalerei damaliger Mode, den Aufrufer für eine Gestaltung echter Empfindung voll Ernst und Natürlichkeit.

[S. 230]

In jener naturfremden Kunstepoche hatte unser Maler einen schweren Stand, namentlich mit seinen realistischeren, der Wirklichkeit abgelauschten Bauernbildern, die uns heute die liebsten sind. Wie prächtig stehen sie vor uns, diese Milletschen Gestalten, etwa „Der Schäfer“, der sich auf seinen Stab stützt, neben seinem Hunde, „Der Mann mit der Hacke“, „Der ausruhende Winzer“. Man sehe sich — etwa in der Knackfuß-Monographie, die Gensel schrieb — einmal die feinen Zeichnungen und Skizzen an. Da ist ein „Reisigsammler“ mit dem schweren Bündel auf dem Rücken, mit ein paar Strichen prächtig treffend hingeworfen. Der belastete Körper schreitet so gebückt, daß der gebundene Reisighaufen und die Neigung des Rumpfes und der Unterschenkel eine lebendige Bewegungs- und Linieneinheit bilden. Oder man vergleiche die Zeichnung der „Ährenleserinnen“ mit dem Ölgemälde gleichen Namens. Dieses hat zwar den Vorzug der Farbe, aber unübertrefflich ist die Zeichnung im Aufbau und Umriß. Die häusergroßen Erntehaufen und der Wagen im Hintergrund, ihn ganz füllend, und im gleichen Bewegungsrhythmus die Leute, die die Garben vom Wagen zum Haufen heben. Vorn — groß gehalten — die drei ährenlesenden Weiber. Wieder entzücken uns der Zusammenklang der Linien — überall die geballte Rundung —, die glänzende Kompositionsgabe dieses Künstlers. Und nicht vergessen sei die kleine Skizze vom sitzenden „Hirtenmädchen“ mit dem Kopftuch. Das ist nichts als eine Gestalt ohne Hintergrund. Aber ihr verträumtes Sichgehenlassen schlägt uns entgegen aus den nackten Füßen, auf denen die Hände liegen, dem vorgebeugten Rücken, und den lässigen Zügen. Es ist wahr: aus den Skizzen spricht Millet oft am unmittelbarsten zu uns.

[S. 231]

Wie oft mag der Alte von Barbizon auf der Ebene herumgestreift sein, diese arbeitenden oder ruhenden Gestalten auf den Feldern tief sich einprägend. Dutzende von Skizzen macht er, bis ihm endlich die einfachste Fassung so lebendig vor der Seele steht, daß er zum Pinsel greifen muß. Wie einen Mythos der Arbeit hat er das Leben der Landleute erlebt und in seiner Kunst verlebendigt. Religiös, im freiesten Sinn, hat er diese Bilder empfunden und gezeichnet und gemalt.

So müssen wir auch sein berühmtes Bild „Das Abendgebet“ oder „Angelus“ verstehen: Im Vordergrund das betende Bauernehepaar, groß in die Mitte des Bildes gestellt, mit dem Körper hinausragend über die weite Ebene, über die Erde, — hineinragend in die Klarheit des Himmels. Und diese goldige Klarheit des Abendlichtes durchflutet das ganze Bild, hängt in der Luft, fängt sich an den Schollen, der hügellosen Weite, den Kleidern der Betenden. Dies Leuchten strömt von dem roten Kopftuch der Frau, dies Schimmern schwillt aus der weißgoldenen Schürze des Weibes. Das Land, die Gestalten, alles ist hineingebettet in diesen Zauber des Lichtes und — der Andacht. In solche Ebene, in solche Abendstimmung gehören nur diese Menschen, diese Bauern, diese betenden Bauern. Nach so hartem Arbeitstag ist es wie ein Wunder, solchen Abend zu erleben. Aus ihrer Müdigkeit versinken sie in Andacht. Keine verzückte, zum Himmel emporgeworfene Andacht ist es, sondern eine schlichte, zu sich selbst gewandte Bauernfrömmigkeit.

Der Mann mit der linkischen Haltung der Beine, wie wir sie am schwerfälligen bäuerlichen Menschen oft sehen, hat die Arme gegen den Leib herangerafft, den Kopf nur ein wenig zwischen die Schultern vorgesenkt. Herbe[S. 232] ist sein Dastehen; mehr ein Besinnen auf sich selbst als ein Hinweggenommensein vom Gebet. Die Mütze ist herabgerückt zwischen die Hände, noch klafft ihm das Hemd von der schweißtreibenden Arbeit. Ja, dies Beten ist ihm zugleich ein Ausruhen, aber ein wohliges; denn sein Ohr füllen geruhsam die Klänge der Abendglocke, die weit über die Ebene hergetragen werden, deren stillende Kräfte zusammenstimmen mit dem Fluten des abendlichen Lichtes. Die kantige Linie dieses bäuerlichen Leibes — eckig von oben nach unten geführt und sich im Schaft der Gabel wiederholend — kreuzt die Linien der Äcker, des Horizontes, die quer nach den Seiten entströmen.

Weicher sind die Umrisse des Weibes, hingegebener. Tiefer ist dieser Kopf gebeugt, inniger die Faltung der Hände, die besinnliche Einkehr. Bunter ist die Kleidung, runder die Linien des Leibes, die sich wiederholen im gerundeten Kartoffelkorb zu ihren Füßen, im Karren mit den gestapelten Säcken. Und ihr ist auch die malerisch aufgebaute Andeutung des Hintergrundes beigesellt: jene ferne Kirche, von der eben das verträumte Läuten durch die goldgesiebte Dämmerung über die Ackerbreiten herschwimmt: „Gegrüßest seist du, Maria!“ Wie eine Verkündigung ist dies Tönen, ja dies ganze Bild ist wie eine Verkündigung, daß nach Tagesnöten ein Abend voll Schimmer und Stille die Welt segnet, daß nach dieser an die Scholle gebundenen Mühsal, die den Leib hinabdrückt zur Erde, die Töne der Glocke Sinne und Herz hinausführen über die Schollenschwere in eine Welt geweiteter Ruhe, da die Seele eingedenk wird, daß sie Flügel hat.

Gertrud Fauth.

[S. 233]

Die Tafelrunde
Von Adolf Menzel

Geboren 8. Dezember 1815 in Breslau, gestorben 1905 in Berlin. — Nationalgalerie in Berlin

Bild 27

Im Jahre 1830 siedelt mit seinem Vater, einem Steindrucker, ein fünfzehnjähriger Lithograph von seiner Geburtsstadt Breslau nach Berlin über, Adolf Menzel. Wie in Breslau, so muß er auch in Berlin seinem Vater im Geschäfte helfen, später sogar ganz die Sorge für die Familie auf sich nehmen. Und doch reift er unter diesem Drucke der Arbeit ums tägliche Brot zum Künstler heran, zum tüchtigsten unter den deutschen Sachlichkeitsmalern des 19. Jahrhunderts. Die Kunstakademie in Berlin kann er nur kurze Zeit besuchen; er muß sich selbst im Zeichnen und Malen ausbilden. Aber voll zäher Tatkraft verfolgt er seinen Weg und entwickelt eine schier unglaubliche Wirksamkeit als Zeichner und Maler, als Maler der Vergangenheit und als Maler der Gegenwart.

Seine handwerkliche Tätigkeit als Lithograph hatte ihn von selbst zum Zeichnen hingeführt. Meisterhaft benutzt er die lithographische Technik zur Wiedergabe fein durchgeistigter, streng sachlich durchgeführter Vorwürfe.

Dann aber hat sich ihm ein anderes Gebiet der Schwarzweißkunst erschlossen, der Holzschnitt. Er erhält gegen Ende der dreißiger Jahre den Auftrag, Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen mit Holzschnitten zu schmücken. Nun entfaltet er in den Jahren 1839 bis 1842 eine Wirksamkeit, die ihn auf diesem Gebiete zum größten[S. 234] Meister unserer Zeit stempelt. — Es ist nicht leicht, aus dem Holzschnitte alle Ausdrucksmöglichkeiten herauszuholen, insbesondere dann nicht, wenn sich der Holzschnitt wie hier dem gedruckten Texte anschließen soll. Denn der Holzschnitt setzt sich nur aus schwarzen Punkten, Linien und Flächen zusammen, und diese Schwärzen muß der für den Holzschnitt arbeitende Künstler mit den dazwischen erscheinenden weißen Flächen des Papieres, den sogenannten Weißen, so vereinen, daß eine vollständig künstlerische Wirkung herauskommt. Das ist eben die Schwarzweißkunst, und das ist das Schwierige in der Schwarzweißkunst. Menzel hat diese Aufgabe glänzend gelöst. Die verblüffende geschichtliche Treue seiner Holzschnitte hat aber Menzel nur dadurch erreicht, daß er mit dem größten Eifer die geschichtlichen Quellen jener Zeit durchforscht hat, die wir Rokoko nennen.

Die Früchte dieser Menzelschen Quellenforschung sind der Allgemeinheit neben den Holzschnitten vornehmlich bekannt geworden durch seine Geschichtsbilder aus der friderizianischen Zeit. Sie sind in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden, in jener Zeit, in der sich die Historienmalerei des höchsten Ansehens erfreut hat. Das war so gekommen. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entfaltet sich in Deutschland die romantische Malerei, die sich sehnsuchtsvoll aus der Gegenwart in die Vergangenheit flüchtet, dieser die darzustellenden Vorwürfe entnimmt und sie mit einem merkbaren Einschlage von Gefühlsseligkeit malerisch darstellt. Neben diese Romantiker mit ihrem stimmungsreichen Wirken treten die Sachlichkeitsmaler, wie sie namentlich in Berlin durch Franz Krüger, Erdmann Hummel, Eduard Gärtner, Karl Steffeck, Eduard Meyerheim, Albrecht Adam, und[S. 235] nicht zuletzt durch Adolf Menzel selbst vertreten sind. Peinliche Genauigkeit in der Wiedergabe des Dargestellten, Ablehnung jeglichen Gefühlsüberschwanges, klare, ruhige Gegenständlichkeit, das sind ihre Tugenden.

In Frankreich hatte sich inzwischen die Geschichtsmalerei herausgebildet, die bedeutungsvolle geschichtliche Begebenheiten in Bildern größten Umfanges darstellte. Diese Geschichtsmalerei gelangte 1842 in zwei großen Gemälden der Belgier Gallait und de Bièfve, die Abdankung Karls V. und der Kompromiß des niederländischen Adels, nach Deutschland und riß hier bedeutende Künstler mit sich, allen voran Karl von Piloty, Karl Friedrich Lessing, Eduard Bendemann, Wilhelm von Kaulbach. Für die Erfolge dieser großen Galeriebilder war nicht nur das darin niedergelegte künstlerische Können maßgebend, sondern ebenso der geschichtliche Vorgang selbst. Ihn brachte der Künstler zur Darstellung, wie er ihn sich dachte. Dadurch kam in den Aufbau dieser großen Geschichtsbilder immer etwas Bühnenhaftes, Unwirkliches hinein, an dem diese Geschichtsmalerei schließlich zugrunde ging.

Aber in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stand sie noch in höchstem Ansehen. Also wandte sich ihr auch unser Menzel zu. Es lag nahe, daß er die ihm vertraute Zeit Friedrichs des Großen wählte. Aber das ist das Große in dem Künstler Menzel, daß er in der Hauptsache zu seinen Friedrichsbildern nicht bedeutungsvolle weltgeschichtliche Ereignisse als Anlaß nimmt, sondern sich immer bemüht, in diesen nur die Persönlichkeit des Königs zu schildern und alles das, was sich damals als wirklich Vorhandenes um den König herum befunden hat. Er gibt also weit mehr nur den Zustand jener Zeit wieder und das mit der ihm eigenen peinlichen Sachlichkeit. So[S. 236] entstehen die berühmten Friedrichsbilder, die Tafelrunde in Sanssouci 1850, das Flötenkonzert 1852, der König auf Reisen 1854, die Huldigung in Breslau 1855, der Überfall bei Hochkirch 1856, die Begegnung mit Kaiser Joseph 1857, die Überraschung in Lissa und die Ansprache Friedrichs des Großen an seine Generale vor der Schlacht bei Leuthen, beide 1858 begonnen und nicht vollendet.

Wie Menzel seine Werke geschaffen hat, zeigt am besten die hier abgebildete Tafelrunde, dieses Ölgemälde, das sich neben zahlreichen anderen Werken Menzels in der Nationalgalerie zu Berlin befindet. Bereits in der Kuglerschen Geschichte Friedrichs des Großen hat Menzel die Tafelrunde in einem Holzschnitte geschildert, aber wesentlich anders als jetzt im Bilde. Jedoch ganz so wie damals geht er auch jetzt von der geschichtlichen, sachlichen Treue aus. Das Zimmer in Sanssouci ist ebenso genau wiedergegeben wie seine Ausstattung, sein Kronleuchter, seine Tische und Stühle. Wie er das alles vorher genau nach der Wirklichkeit gezeichnet hat, so hat er auch vorher die Personen der Tafelrunde nach zeitgenössischen Stichen gezeichnet, ebenso ihre Kleidungsstücke und alles andere Beiwerk noch. Nun erst baut er das Bild auf; Friedrich als Mittelpunkt vor der Tür, die den Blick in die anschließenden Gemächer gehen läßt. Noch besonders betont wird der König durch den über ihm hängenden Kronleuchter. Ungezwungen erscheint Friedrich als Mittelpunkt der Tafel, ungezwungen gibt der ihm gegenübersitzende Marquis d’Argens den Blick auf ihn frei, indem er sich in der Unterhaltung zu seinem Nachbar rechts vom Beschauer wendet. Ebenso leicht und gefällig ist die ganze Tafelrunde gruppiert. Voltaire, vom Beschauer aus der zweite links vom Könige, hat eben etwas Witziges gesagt.[S. 237] Der ihm gegenüber sitzende Graf Algarotti, der zweite rechts vom Könige, beugt sich vor, um kein Wort zu verlieren. Die beiden Herren rechts und links vom Könige hören ebenfalls eifrig zu, lehnen sich aber zurück, um das Zwiegespräch nicht zu stören. Friedrich hat das hellbeleuchtete Gesicht mit glänzenden Augen und lächelndem Munde Voltaire zugewandt und wird ihm im nächsten Augenblicke antworten. Die anderen Teilnehmer an der Tafelrunde hören entweder zu oder unterhalten sich, wie die beiden Paare vorn im Bilde. Dieser Vordergrund des Bildes empfängt wiederum seine besondere Belebung durch eines der Windspiele des Königs, das unter dem Tischtuche hervorkommt. Das Ganze ist getaucht in das warme Licht des Spätnachmittags, das durch die zur Parkterrasse führenden geöffneten Fenstertüren hereinflutet.

In der Folge hat Menzel noch mehrere Geschichtsbilder gemalt, aber aus der Zeit Wilhelms I. So die Königskrönung in Königsberg, die ihn 1861 bis 1865 beschäftigt hat, und die Abreise des Königs 1870 zur Armee. Dann wendet er sich mehr den Darstellungen von Hoffestlichkeiten zu, wie das Ballsouper, 1878 gemalt. Die „kleine Exzellenz“ — Menzel war zum Wirklichen Geheimen Rate mit dem Prädikat Exzellenz ernannt und geadelt worden — war eine bekannte Erscheinung auf den Hoffestlichkeiten, viel beachtet und vielfach auch gefürchtet. Denn genau so scharf, wie er sah und zeichnete, konnte er auch im Worte sein. Er war von kleinem Wuchse, mit großem Kopfe und klaren, hinter scharfen Brillengläsern funkelnden Augen. Von Jugend auf war er gewohnt, sein innerstes warmes Empfinden unter kurz angebundenem äußeren Wesen zu verstecken. Unermüdlich ist er zeitlebens tätig gewesen und hat alles, was ihn nur irgendwie[S. 238] gefesselt hat, gezeichnet. Mit sicherem Striche und in verblüffender Schnelligkeit entstanden diese Zeichnungen.

Jene Bilder von Hoffestlichkeiten schlagen schon die Brücke zu den Gegenwartsbildern, in denen Menzel seine höchste Kunst entfaltet hat. Die Öffentlichkeit hat von einem Teile dieser Bilder erst nach 1867 und 1868 Kenntnis erhalten, seitdem Menzel zum zweiten und dritten Male in Paris gewesen war. Seitdem entstanden diese Bilder, die das Leben schildern, wie es kribbelt und krabbelt, wie es sich drängt und stößt in unendlicher Fülle und Folge der Gestalten. So malt er das Menschengewimmel im Restaurant der Pariser Weltausstellung 1867, eine Pariser Straße am Wochentage 1869, das Eisenwalzwerk 1875, im Eisenbahnkupee 1893. Dazu zahlreiche Bilder in Wasserfarben und Deckfarben, so aus Bad Kissingen, aus dem Zoologischen Garten in Berlin usw. In allen diesen Bildern kommt zutage, daß Menzel sich befreit hat von jener Malweise der Geschichtsmaler, die ihre Vorwürfe im sogenannten Atelierlicht darstellten, nämlich in einer meist von oben kommenden Beleuchtung, die die Hauptpersonen heraushebt, das Nebensächliche zurücktreten läßt. Das ist eine Beleuchtung, die der Wirklichkeit nicht entspricht. Denn wenn sich beispielsweise im hellen Tageslichte ein Festzug über den Marktplatz bewegt, so sammelt sich das Licht auch nicht nur auf dem Anführer des Zuges, sondern es verteilt sich gleichmäßig über den ganzen Marktplatz und Zug.

Gegen diese Atelierbeleuchtung hatte sich auf Grund solcher Beobachtungen wie die eben geschilderte die Freilichtmalerei gewendet, die in Frankreich ihren Anfang genommen und in Deutschland alsbald Anhänger gefunden hatte. Es war schier unglaublich, daß Menzel ganz unvermittelt[S. 239] mit einer derartigen Darstellungsweise vor die Öffentlichkeit trat. Erst nach seinem Tode fand man den Schlüssel dazu in Arbeiten, die er in den vierziger und fünfziger Jahren ganz selbständig nur für sich geschaffen und niemals an die Öffentlichkeit hatte gelangen lassen. Da malt er 1845 das Balkonzimmer, das er in der Schöneberger Straße in Berlin bewohnt, da malt er 1846 den Blick aus seiner Werkstatt auf den Garten des Prinzen Albrecht, da malt er im gleichen Jahre den Bauplatz mit Weiden, den späteren Hafenplatz, 1847 die Potsdamer Bahn, 1848 den Kopf eines toten Schimmels, eine Abendgesellschaft und seinen Bruder, 1849 Frau Schmidt von Knobelsdorff, 1851 eine prächtige Wolkenstudie, 1852 die Wand seines Ateliers mit den daran hängenden Gipsabgüssen von Gliedmaßen und Gesichtern, 1855 den Tuileriengarten und das Théâtre Gymnase in Paris, 1858 und 1859 Darstellungen von Fackelzügen. Immer gibt er da nur den Gesamteindruck der Vorgänge wieder, hält Form und Farbe gleichsam nur im großen Zuge fest, ganz so, wie es die späteren Impressionisten getan haben. So hat Menzel die Entwicklung, die die Kunst erst in unseren Tagen durchlaufen hat, schon fünfzig Jahre vorher in sich selbst durchlebt. Aber alles das, was er damals so impressionistisch aus sich selbst heraus gemalt hat, hat er zur Seite gestellt und nie an die Öffentlichkeit gebracht. Hätte er nicht so gehandelt, so hätte er sich bei Lebzeiten noch weitere unvergängliche Lorbeerzweige in seinen Ruhmeskranz geflochten.

Georg Lehnert.

[S. 240]

Der Stephansturm
Von Rudolf Alt

Geboren 28. August 1812 in Wien, gestorben 12. März 1905 in Wien. — Privatbesitz

Bild 28

Wenn ihr jemals in Wien wart, so kennt ihr auch den „alten Steffel“, das Wahrzeichen der Stadt. Und wenn ihr nicht dort wart, so laßt euch sagen, daß „der Steffel“ die volksmundartlich-zutrauliche Bezeichnung für den Stephansturm ist, und der erhebt sich im Mittelpunkte der Stadt, 136 Meter hoch, als imposantester Teil der Kathedrale, der weltberühmten Stephanskirche. Von welcher Seite immer ihr euch Wien nähern möget, von wo aus immer ihr, sei es von Waldhügeln oder aus der Ebene her, auf Wien schauen möget, das erste, das euch in die Augen fällt, ist der steil und spitz über das Häusermeer ehrwürdig emporragende Stephansturm. Die Wiener haben ihn darum in ihr bekanntlich „goldenes“ Herz geschlossen. Sie lieben ihn, als sei er ein lebendiges Wesen, ja ein Freud und Leid mitfühlender Genosse und Teil ihrer selbst, so daß sie sich ohne ihn ihr Leben und Dasein einfach nicht mehr vorzustellen vermögen.

Und der Turm verdient diese Liebe. Er ist wirklich kein gewöhnlicher Kirchturm, sondern neben den beiden Türmen des Straßburger und des Ulmer Münsters das wundersamste Denkmal altgotischer Kirchenbaukunst in deutschen Landen. Vierundvierzig Jahre ist an ihm gebaut worden, und während der als sein Zwillingsbruder gedachte Nordturm etwa in der Hälfte stecken blieb und durch ein kurzes[S. 241] Nottürmlein 1579 künstlich zugedeckt werden mußte, wurde der Südturm, eben unser „Steffel“, bereits im Jahre 1433 durch Hans Prachatitz zu Ende geführt und mit der Turmrose gekrönt. Ganz so, wie er damals gebaut wurde, hat er nun freilich den Wetterstürmen der Zeit nicht standzuhalten vermocht. Er mußte später teilweise abgetragen und wieder erneuert werden, und so hat denn das 19. Jahrhundert noch zweiundzwanzig Jahre (von 1842 bis 1864) an ihm herumgebaut, bis zum Schluß auf das neue Turmkreuz ein drei Zentner schwerer Steinadler aufgesetzt wurde — den nun so leicht keiner mehr herunterholen wird.

Alles in allem ist der Turm recht flink entstanden. An der Domkirche selbst wurde weit länger gebaut, vom 13. bis ins 16. Jahrhundert, und mehrere Stilepochen, Gotik, Renaissance und im Innern die Barockkunst, haben dem Bauwerk ihren Stempel aufgedrückt. Der Turm aber ist völlig einheitlich und harmonisch gefügt und auch, was unsere neueren Zeiten hinzugetan haben, geschah ganz im Geiste und nach dem Vorbilde alter Kunst. Niemand denkt mehr ans 19. Jahrhundert, im Anblick des Stephansturms. Jeder fühlt hier den Hauch des Mittelalters, das zuerst dieses Kunstwerk errichtete, und das aus seinem religiösen Geiste heraus, in tiefer Inbrunst und mit hoher Schöpfermacht, dieses Wunderwerk ersann. Wie die steile Spitze aus flankierenden Turmspitzen, über einem hohen, geschmückten Quaderunterbau, herauswächst, immer schlanker und dünner wird, von steinernen Krabben wie von einem begleitenden Zackenwerk bis zur höchsten Spitze lebendig umkrochen, und so in den Wolkenhimmel vorstößt, ein gleichsam aus der Erde emporschießender Sehnsuchtspfeil zur Gottheit, das reißt auch den heutigen Betrachter[S. 242] immer wieder mächtig mit sich fort und schenkt ihm fromme und hohe Gefühle der Verehrung und der Andacht.

Und da ist nun in unseren Zeiten in Wien ein Maler gewesen, der hat den Stephansturm und überhaupt den ganzen Stephansdom mit besonders warmem Herzen geliebt, und er ist nicht müde geworden, ihn zu malen. Immer aufs neue, bald von dieser, bald von jener Seite aus, bald von innen und bald von außen. Doch nie als bloßes kaltes Gemäuer und einsam ragende Steinmasse, sondern stets mit einem pulsierenden Stück Menschenleben drumherum — so daß man so recht fühlt, wie auch dieser Dom kein beliebiges totes Bauwerk, sondern selbst ein Stück Leben ist, umbraust und ausstrahlend, und gleichsam atmend und fühlend. Der Maler, der das so erfaßt hat, hieß Rudolf Alt, und er hat seinem Namen Ehre gemacht und hat nicht bloß das Alte geliebt, sondern ist auch selber alt geworden, 92 Jahre und noch ein paar Monate drüber. Hierdurch paßt er nun gerade erst recht zum alten Stephansturm, so daß man wohl sagen kann: die beiden gehören zueinander. Und das haben die Wiener auch so empfunden und nannten schließlich die beiden immer gewissermaßen in einem Atem.

Aber wenn ich sage: der Rudolf Alt liebte das Alte, so muß ich doch hinzufügen: er liebte nicht minder auch das Junge und das Neue. Er zählte sechsundachtzig Jahre, da gründete man in Wien, 1898, die Sezession, d. h. die jungen Künstler taten sich zusammen und wollten der Welt zeigen, daß sie auch da wären und etwas machen könnten und den hergebrachten Schlendrian nicht mehr brauchten. Viele, namentlich alte Leute haben sie darum gehaßt und haben sie geschmäht und befehdet, vor allem natürlich aus Künstlerkreisen. Aber just der älteste Künstler von allen,[S. 243] eben unser Rudolf Alt, ließ sich nicht ins Bockshorn jagen, stellte sich frisch und fröhlich zu den Jungen und wurde Ehrenpräsident der Sezession. Er war aber damals keineswegs das, was man eine künstlerische Ruine nennt, sondern er malte noch fest und feurig drauflos und stellte jedes Jahr mit den Sezessionisten zusammen aus. Und er konnte sich noch sehr gut blicken lassen, alles, was er machte, zeigte Leben, und er wurde mitunter so keck mit der Farbe, als spürte er eine neue Jugend in sich. März 1905 ist er dann gestorben.

Ja, so war er, der Rudolf Alt, ein Alter und ein Junger zugleich, ein ehrfürchtig Zurückschauender und ein hoffnungsfreudig in die Zukunft Blickender. Das sind aber grade immer die Allerbesten, die so fühlen. Denn es ist kein Kunststück, immer nur das Neueste mitmachen zu wollen und auch in der Kunst ein Modefex zu werden, der Tracht und Art von Jahr zu Jahr wechselt. Ebensowenig freilich kann der einem imponieren, der stets nur am Überlieferten klebt und alles immer so weitermacht, wie er es als Schüler gelernt hat, und nichts Neues hinzu erfindet. Die wirklich guten und tüchtigen Künstler vielmehr leben gewiß gern mit ihrer Zeit und lassen sich heiß davon erfüllen und durchdringen, aber sie verlieren dabei nie die Ehrfurcht vor dem, was die Jahrhunderte und Jahrtausende vorher gemacht und als Zeugnisse ihres höchsten und heiligsten Strebens und Könnens hinterlassen haben. Es kommt eben darauf an, daß man überall das zu finden weiß, was einem die meiste Kraft gibt, und das strömt sowohl aus der Vergangenheit wie aus der Zukunft — man muß es nur einzufangen wissen. Und dann muß es in einem neu erstehen und aufblühen. Doch das kann man nicht „machen“, das muß man „werden“ lassen.

[S. 244]

Rudolf Alt war einer, der die Kunst in sich werden ließ. Er hatte die schöne Geduld und feine Versenkung des bescheidenen und liebenswürdigen Österreichers und dabei doch etwas von der emsigen Tätigkeit und geistigen Bestimmtheit des Reichsdeutschen. Er stammte nämlich von Vaters Seite her aus dem Reich. Dieser, Jacob Alt und auch schon ein Maler, kam aus Frankfurt am Main her und war in Wien in jungen Jahren eingewandert. Er heiratete dann eine echte Wienerin, und so wurden seine beiden Jungens, Rudolf und Franz, beide Wiener und beide Maler. Also Künstlerblut, wohin wir blicken! Und darum auch echte und ehrliche Liebe zur Kunst! Zur Kunst und zur Heimat! Denn die schöne österreichische Heimat ist von Vater und Söhnen Alt, vorab von Rudolf, der der bedeutendste war, mit unermüdlicher Zuneigung durchstreift und abgemalt worden. Es gibt kaum eine Gegend im schönen alten Österreich, zumal im Alpengebiet, die Rudolf Alt nicht irgendwann einmal vor den Pinsel bekommen hätte. Von allen seinen Fahrten aber kehrte er immer nach Wien zurück und blieb und arbeitete dort den größten Teil des Jahres. Wiener Menschen und Wiener Häuser, Wiener Paläste und Wiener Kirchen, manchmal auch nur schöne Bruchstücke von solchen, fesselten ihn immer wieder zu malerischer Wiedergabe. Und dabei guckte er genau und scharf hin. Er malte nicht bloß so von ungefähr, er gab das Ding mit all seinen Eigenheiten, den Stein mit seinen Verwitterungen, das Schmuckstück mit seinen Verschnörkelungen. Ihm war jede Kleinigkeit wichtig, sie hatte für ihn Sinn und Bedeutung. Er war darin nicht anders als unser norddeutscher Malmeister, der große Adolf Menzel. Darum hat man auch öfters die beiden miteinander verglichen. Das ist immerhin viel[S. 245] Ehre für Rudolf Alt. Denn Menzel war gewiß der Größere, der Vielseitigere und der Mächtigere. Dafür hat Alt freilich mehr Liebenswürdigkeit, Innigkeit und Plauderhaftigkeit.

Von all seinen Bildern ist kaum eines so populär geworden wie das des Stephansturmes, das wir hier abbilden. Es ist sowohl für Rudolf Alt selber wie auch für die Stephanskirche am bezeichnendsten. Was immer auch der Maler sonst dieser Kirche abzugewinnen vermochte — mochte er das Riesentor an der Westfront oder den Chor im Osten mit dem steckengebliebenen Nordturm malen, mochte er auch nur die Armeseelennische mit einem stillen Beter wiedergeben oder sich in die mystische Pracht des Inneren versenken, mit dem durchs Dunkel flimmernden Geleuchte der Kerzen und der bunten Kirchenfenster — soviel unser Künstler auch in solchen Bildern an feiner Kunst und zärtlichen Versenkungen darzubieten hatte: es schwang doch nicht in dem Maße sein ganzes Innere mit, wie wenn es dem ruhmvollsten Vergangenheitszeugen der Wienerstadt galt, dem vielgeliebten „Steffel“.

Den hat er nun auf unserem Bilde in seiner ganzen Schönheit und Ehrwürdigkeit wirklich gepackt. Wenn er von jeher liebte, jedes Detail sorgsam und hingebend malerisch nachzubilden, hier tat er es ganz besonders. Die ganze krause Vielfältigkeit gotischer Verzierungskunst, an Fenstern und Fensterkrönungen, an Wimpergen und Fialen, an Kreuzblumen und Nischenstandbildern, sei es am Turm selbst oder am anstoßenden Langhaus, das, dem Beschauer entgegen, aus dem Bilde herauswächst: allüberall folgte die zarte und anschmiegende Kunst des Pinsels dem Werke des mittelalterlichen Architekten, notierte jeden Einfall, liebkoste jedes vorkragende Steinchen und[S. 246] zauberte so das ganze überzierliche und doch so mächtig empfundene Spitzennetz, das der alte Baukünstler seiner gewaltigen Schöpfung zum Schmucke übergeworfen hat, aufs neue vor unsere Sinne. Welche Gefahr bestand, hierbei kleinlich zu werden und sich ganz in lauter Einzelwerk zu verlieren! Alt wich dieser Gefahr aus oder vielmehr, er bemeisterte sie, indem er stark das Konstruktive und die Umrißlinien betonte und so den großen Zug des Bauwerkes zur Geltung brachte. Nirgends haftet unser Blick ungebührlich an wertlosen Nebendingen. Diese schweben wie Koloraturen um das Ganze, aber sie ordnen sich dem Hauptzuge unter. Was uns er Blick sofort und mit innerster Bewegung umfaßt, das ist: wie dieser machtvolle Turm in zierlicher Verjüngung gleichsam zum Himmel emporstößt; wie er, klar und scharfumrissen, zwischen Wolken und Himmelsblau den Sieg der Menschenhand verkündet; und wie er dabei zum ekstatischen Gottesanbeter wird, der in verklärter, sich selbst verzehrender Andacht einen wundervollen und hinreißenden Formausdruck findet.

Alles dieses, das Religiös-Wesenhafte der mittelalterlichen Kirchenschöpfung, findet sich auf dem Altschen Bilde wieder. Und dennoch geht es keineswegs hierin auf. Dafür ist es zu wienerisch. Dem Wiener, wenigstens dem heutigen, liegt das Verzückte nicht und hat ihm im Grunde wohl niemals gelegen. Er liebt das Gemütliche und Natürliche, das dem Augenblick lässig Hingegebene. So gewissenhaft er in seiner Frömmigkeit ist, so wenig er die Religion missen möchte — schon um der schönen Feierlichkeiten willen, die damit verbunden sind — seine Behaglichkeit und sein Vergnügen will er keinesfalls darum aufgeben. Der gute alte Steffel hat nun gewiß nichts Aufdringliches noch Aufreizendes. Er ist kein fanatischer Bußprediger. Er[S. 247] steht als braver erprobter Sittenwächter und Gottheitsmahner mitten in der Stadt, hebt den Finger zum Himmel, aber raubt den Menschen nicht ihr irdisches Behagen. Wenn sie nur als liebe Schäflein sonntags und feiertags folgsam zu ihm kommen, und ihm ab und zu mal einen warmen und stolzen Blick bewundernder Verehrung schenken, so ist er schon ganz zufrieden und läßt das liebe dumme Menschenvolk in seiner Tagesgeschäftigkeit um sich herumwimmeln.

Das gehört eben zum frommen Stephansturm, dieses durchaus weltliche Menschengewimmel — sonst könnte er nicht in Wien stehen, noch die Herzen der Wiener in dem Grade, wie er tat, sich erobert haben. Darum hat auch der Maler recht daran getan, das bunte und ach so selbstvergessene Straßenleben, das sich um das Gotteshaus ergießt, mit in sein Bild hineinzubeziehen, die braven Spießerhäuser mitzumalen, die der Kirche gegenüberlagern, die Omnibusse nicht zu vergessen, die ihrer Fahrgäste harren, und das ganze Gemisch von volksmäßigem Gaffertum, flüchtiger Eleganz und geschäftigem Umherschlendern redlich einzufangen, das für diese Stadtgegend — nahe bei der Kärntnerstraße und dem Graben, den vornehmsten Geschäftsgegenden Wiens — so charakteristisch ist. Erst hiermit haben wir das richtige Bild, das richtige Wien. Der Stephansturm aber ragt darüber auf in gleichgültiger Majestät, ein milder Mahner, ein duldsamer Verzeiher, ein einsamer Heiliger und Gottesheld.

Franz Servaes.

[S. 248]

Thusnelda im Triumphzug des Germanicus
Von Karl Theodor v. Piloty

Geboren 1. Oktober 1826 in München, gestorben 21. Juli 1886 in Ambach (Oberbayern). — Neue Pinakothek in München

Bild 29

Düster, fast teilnahmlos sitzt der römische Kaiser Tiberius auf seinem Thron und wohnt dem Triumphzug des Germanicus bei, der mit dem wohlgerüsteten und disziplinierten Römerheere Siege über die Germanen erfochten in frechen Raubkriegen. Pyrrhussiege übrigens, die es den Römern für die Zukunft verleideten, weiter in Germanien vorrücken zu wollen. Die Römer hatten die Gewohnheit, bei solchen Triumphzügen gefangene, hervorragende Persönlichkeiten aus der besiegten Nation dem Volke vorzuführen. Dieses Mal gab Tiberius die ein paar Jahre vorher in Römerhände gefallene Thusnelda, des edlen Arminius Gemahlin, die in der Gefangenschaft einen Sohn, den Thumelikus, geboren hatte, der Schaulust des römischen Pöbels preis. Und den Augenblick, in dem die Unglückliche, die ihren Gatten nie wiedergesehen hat, am Sitze des finsteren Kaisers vorbeischritt, hat Karl v. Piloty in seinem Riesenbilde geschildert. Hoheitsvoll wandelt sie mit ihrem Knaben einher, an Wuchs und Würde alle andern überragend. Hinter ihr gefangene deutsche Frauen, vor ihr gefangene Germanen, gefesselt und mißhandelt von römischen Sol[S. 249]daten. Mit roher Faust zerrt der eine von diesen einen greisen germanischen Barden an seinem langen Bart vorwärts, ein zweiter Skalde liegt gefesselt, tot oder ohnmächtig, im Vordergrund unter einem Haufen von Beutestücken. Im Hintergrunde sieht man den Triumphator heranfahren, dunkel gegen lichte Bauten gestellt, umjubelt von der kranzspendenden, Kränze werfenden Menge. Eine Fülle mehr episodenhafter Charakterfiguren ist unter die Hauptgestalten gemischt: um den Kaiser ein Kranz von Frauen, neben ihm ein Germane, der vielleicht zu seiner Leibwache gehört und beschämt den Blick wegwendet von seinen gedemütigten Landsleuten, weiter unten ein Weib, das den gefangenen Germanen haßerfüllt die Faust zeigt, Gassenjugend usw.

Die mächtige Komposition ist auf verhältnismäßig engem Raum mit Meisterschaft zusammengedrängt, reich, für ihre Entstehungszeit über alle Begriffe reich, und doch nicht mit Menschen und Dingen überladen. Aber darin wie in den glänzend gegebenen Einzelheiten, liegt nicht der Wert des 1873 für die Wiener Weltausstellung vollendeten Bildes. Es war ein Triumph der Malerei, die Offenbarung eines neuen Begriffes vom Malen, nachdem man darunter viele Jahrzehnte lang nur ein Kolorieren, nur das Ausfüllen von Umrissen durch farbige Flächen verstanden. Auch die Form, die Bewegung der Gestalten war von einer überzeugenden Wahrhaftigkeit, die damals den Beschauern mit atemraubender Wucht vor Augen trat — heute freilich kommt das Bild denen, die inzwischen Epochen eines viel robusteren Realismus in der Kunst durchgemacht, durchaus nicht mehr durch seine Naturwahrheit verblüffend vor — oder höchstens durch seine Größe.

[S. 250]

Und doch ist dies Gemälde ein Markstein in der Entwicklung der deutschen Malerei, und Karl v. Piloty, von tiefer empfindenden Künstlern, ja seinen Schülern schon bei Lebzeiten in den Hintergrund gedrängt, ist in Wahrheit ein Bahnbrecher von Verdiensten gewesen, die nicht hoch genug eingeschätzt werden können. Er führte die Deutschen, wie gesagt, von der Kartonkunst zur wirklichen Malerei, er brachte ihnen Freude an der Farbe bei und den Begriff der malerischen Freiheit. Viele seiner Schüler haben sich große Namen gemacht; die von ihnen noch leben, gelten auch noch heute, und was er vor so vielen voraus hatte — er ließ seine Schüler werden und wachsen, wie es ihnen ihre Natur vorschrieb. Von allen seinen bekannten Schülern hat vielleicht einzig der Ungar Benczur Palette und Vortragsweise seines Meisters auf die Dauer behalten. Die anderen, die Gabriel Max, Defregger, Hans Makart, Eduard Grützner, Hugo v. Habermann, Franz v. Lenbach usw. nahmen wohl des klugen und weitschauenden Meisters Korrektur und Ratschläge dankbar entgegen, aber, sobald sie selbständig geworden und genug gelernt hatten, gingen sie ihre eigenen Wege. Auch jene, die ihren „historischen Unglücksfall“ — so nannte boshafterweise damals der Künstlerwitz die von den Schülern gefürchteten Pilotyschen Geschichtsmotive — bereits hinter sich hatten. Ohne einen Versuch in der Geschichtsmalerei kam bei Piloty selten einer durch, so wenig engherzig der Meister war, wenn er fühlte, daß die Begabung des Schülers nach einer anderen Seite drängte. Er selbst blieb bei seiner „Großen Historie“ — nur ein paar Bildnisse hat er außer den Geschichtsbildern gemalt, ihn verlangte nach malerischem Aufwand, nach dramatischem, ja oft ein[S. 251] wenig theatralischem Effekt — und dazu gab ihm eben das Stoffgebiet, das er gewählt hatte, Gelegenheit! —

Die Familie des Künstlers stammte aus Italien, hatte sich in der Pfalz niedergelassen, und der Großvater Karl v. Pilotys war, als die Sulzbacher Linie in Bayern zur Regierung kam, mit dem Kurfürsten Karl Theodor nach München übergesiedelt. Dieses Piloty künstlerisch begabter Sohn Ferdinand hatte eine lithographische Kunstanstalt eröffnet, bald nachdem Senefelder seine große Erfindung gemacht, und sein Sohn Carl besuchte die Münchener Kunsthochschule. Sein Talent zeigte sich so früh, daß ihn der Vater schon mit zwölf Jahren auf die Akademie schickte, an der freilich damals — 1838 — noch wenig künstlerischer Gewinn zu holen war. Aber Pilotys eiserner Fleiß ließ ihn, der übrigens in allem ein Mensch von fast düsterm, schwerblütigem Ernste war, auch hier vorwärtskommen. Aber nach wenigen Jahren schon warf ihn das Schicksal einstweilen jäh aus der Laufbahn des Malers. Der Vater starb, und um die Familie zu erhalten, mußte der Sechzehnjährige die Leitung des umfangreichen lithographischen Geschäftes übernehmen, was er auch zustande brachte. Nur in den Freistunden, die wohl spärlich genug waren, lebte er noch seiner Kunst, bis ihn glücklichere Lebensumstände aus diesem Frondienst befreiten und er zu seiner Malerei zurückkehren konnte.

Um die Mitte der vierziger Jahre — damals schickte man die großen und sensationellen Bilder noch auf Reisen — wurde in München des berühmten Belgiers Gallait „Abdankung Karls V.“ ausgestellt. Das packende Werk wirkte mächtig auf Piloty und drängte ihn in die Richtung der historischen Malerei. Er sah auch unter starken Eindrücken ein verwandtes Werk von Gallaits Landsmann[S. 252] Bièfve, lernte in Paris die Kunst Delaroches kennen, und in Venedig, wohin er 1847 zum ersten Male zu Fuße pilgerte, begeisterte er sich an Paolo Veronese. Alle diese Einflüsse bestimmten seine endgültige Richtung. Nach ein paar „Genrebildern“ kam er zu seinem ersten historischen Gemälde, als König Maximilian II. von Bayern für seine, der Historienmalerei gewidmete Galerie des Maximilianeums ein Bild bestellte: „Kurfürst Maximilian tritt 1609 der katholischen Legion bei“. Das Werk des siebenundzwanzigjährigen Jünglings fiel so glänzend aus, daß alle Welt staunte. Und als er ein Jahr später das in der Münchener Pinakothek befindliche Werk „Seni an der Leiche Wallensteins“ mit der für die damalige Zeit blendenden Vollendung aller Stillebenteile, namentlich der Stoffe, herausgebracht, stand sein Ruhm für alle Zeit fest. Im nächsten Jahre wurde er Professor an der Kgl. Kunstakademie und nach W. v. Kaulbachs Tode, allerdings fast zwei Jahrzehnte später, deren Direktor. Nach dem „Seni“ folgte ein Geschichtsbild dem andern. Einige Stoffe nahm der Künstler noch aus der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges; 1860 vollendete er das gewaltige Werk „Nero nach dem Brande Roms“, 1861 „Galilei im Kerker“, „Gottfried von Bouillon auf der Wallfahrt zum Heiligen Grabe“, „Kolumbus als Entdecker Amerikas“, „Maria Stuart, die Verkündigung ihres Todesurteils empfangend“, „Der Dauphin Ludwig XVII. bei seinem ‚Pfleger‘, dem Schuster Simon“. Eine Berufung zum Leiter der Berliner Kunstakademie lehnte er (1869) ab und vollendete 1873 seine „Thusnelda“, ein Werk, in dem er die glänzenden Seiten seiner Kunst vielleicht klarer offenbarte, als in irgendeinem späteren: seine höchst vervollkommnete Gabe zu komponieren, seine Zeichenkunst und seine farbige Wahr[S. 253]heit. Von gewaltigen Ausmaßen ist auch das damals begonnene, 1879 vollendete Werk „Die Munichia“, umgeben von allen um die Entwicklung Münchens verdienten Männern — eine schwere Aufgabe, meisterlich gelöst. Die vielen Bildnisse in dem Gemälde, das den Sitzungssaal des Münchener Rathauses ziert, sind voll frischen Lebens und, so weit es das Thema nur irgend zuließ, frei von akademischer Konvention. Der kleiner gehaltene „Letzte Gang der Girondisten“, die „Klugen und die törichten Jungfrauen“, „Unter der Arena“, „Der Rat der Drei in Venedig“ folgten — ein „Tod Alexanders des Großen in Babylon“ blieb unvollendet; denn während der Arbeit, am 21. Juli 1886, starb Piloty in seiner Besitzung am Starnberger See, in Ambach. Mit den oben aufgezählten Bildern ist übrigens noch lange nicht das ganze Malerwerk des Historienmalers Piloty erschöpft. Sein Hauptverdienst aber erwarb er sich trotz jener glänzenden Leistungen als Anreger, als Lehrer. Wilhelm v. Kaulbach, damals Direktor der Kunstakademie, hat seinen Sohn Hermann in Pilotys Schule geschickt, damit er malen lerne, und er selbst plagte sich hinter verschlossenen Türen noch in seinen alten Tagen, im neuen Sinne nach der Natur malen zu lernen. Vielleicht die schlagendsten Beweise für die Macht von Pilotys Wirkung auf seine Zeit!

Fritz v. Ostini.

[S. 254]

Gefilde der Seligen
Von Arnold Böcklin

Geboren 16. Oktober 1827 in Basel, gestorben 16. Januar 1901 in Fiesole bei Florenz. — Nationalgalerie in Berlin

Buntbild VI

Welch wunderbare, farbenfrohe Märchenwelt!

Ein seltsam fremdes Fabelwesen, Chiron, der Zentaur, halb Mensch, halb Pferd, trägt sinnend, in beschaulichem Wohlgefühl, eine schöne junge Frau über das geheimnisvolle Dunkel blauschimmernden Wassers hinüber an ein grünes, durch ragende, silberglänzende Pappeln belebtes Gestade. Das ist ein Ereignis für die Geister des weltfernen, ruhig in einsamem Stolz dahinflutenden Stromes; denn nur wenigen Auserwählten ist der Zutritt vergönnt zu der Stätte seliger Gottesnähe und ewigen Friedens, zum paradiesischen Reiche der Schönheit und Anmut. Zwei Nixen haben es bemerkt, holde Wesen, denen der schuppige Fischschwanz nichts von ihrer Schönheit nimmt; sie trieben im Wasser blumengeschmückt ihr neckisches Spiel; nun schwimmen sie heran und singen, überwältigt von der Schönheit der Frau, die ihren Einzug hält, zum Gruß am schilfigen Gestade ihr schönstes Lied von Lust und Liebe, von seliger, goldener Zeit. Aber der Beschauer muß lächeln: sie mühen sich vergebens. Mögen sie noch so hingebungsvoll ihren Sang ertönen lassen: die stolze Frau ist solcher Huldigungen gewohnt; sie hört wohl die schmelzenden Klänge, aber ihr Geist ist auf Höheres gespannt;[S. 255] ihr Auge mag flüchtig mit Wohlgefallen auf ihnen geruht haben, jetzt richtet sie den Blick vorwärts und schaut erhobenen Hauptes in das Land ihrer Sehnsucht, und:

Wundersam, auch Schwäne kommen
Aus den Buchten hergeschwommen,
Majestätisch rein bewegt.
Ruhig schwebend, zart gesellig,
Aber stolz und selbstgefällig,
Wie sich Haupt und Schnabel regt ...

Sie fühlen sich recht wichtig, wie sie von beiden Seiten in großen Bogen würdevoll heranschwimmen, halb neugierig fragend, halb geheimnisvoll-feierlich Ungeahntes kündend. Fast ein wenig aufdringlich scheinen sie den Zugang wahren oder doch prüfen zu wollen, ob der getreue Grenzwächter auf seinem breiten, braunen Rücken auch eine würdige Last herübertrage; ganz erfüllt sind sie von der Herrlichkeit der Dinge, die hier zu schauen sind. Aber Chiron stemmt den Arm in die Seite und ist spöttisch gestimmt. Er hat sein weißes Haar festlich bekränzt, und sein Herz ist voll Neigung zu dem reizvollen Wesen, das auf ihm ruht und seinen Hals so wonnesam umfängt; ihm ist der Augenblick zu kostbar und seine Last zu lieb, um Neugierigen und Propheten Rede zu stehen; halb belustigt, halb verächtlich bannt er sie durch seinen Blick: Was wollt ihr Wichtigtuer? Kümmert euch um euch!

In ähnlicher Spannung wie die Schwäne harrt der Ankommenden ein auf dem Rasen zwischen den Stämmen am Landungswege ruhendes Liebespaar. Erwartungsvoll richten sie sich ein wenig auf: Wer bist du, königliche Frau, so erhaben und doch so lieblich, der die Götter erlauben, mit uns das Paradies zu teilen? In der Ferne, sich klar abhebend von einer einsamen lichten Baumgruppe, sieht[S. 256] man Jünglinge mit Tamburinen und Jungfrauen mit Girlanden in strahlenden, rot, goldgelb und rosa blinkenden Gewändern; sie führen einen festlichen Reigen auf um einen hellen Altar und sind der hohen Frau gewärtig zu freudigem Empfang: ein Götterbote hat verkündet, wer da kommt. An ihnen vorbei blickt man weit hinein in die lachende sonnige Ebene, bis hin zu den sanft schwellenden Hügeln am fernen Horizont.

Vorbei zieht die Kommende an der dunklen Felsengrotte, die schauerlich geheimnisvolle Tiefen birgt: an jenem Eingang zu der traurigen Stätte ewigen Todes, wo die leiblosen Schatten ein dumpf-bewußtloses Dasein führen. Ihr winkt die strahlende Sonne paradiesischer Freude und ungetrübten Glückes, ein erhöhtes Leben voll Genuß und Schönheit, unter südlich leuchtendem Himmel, in vollkommenem Einklang mit der Natur, in seligster Harmonie mit Wesen von gleicher Feierstimmung. Es ist Helena, die lieblichste der Frauen, die Gattin des Menelaos, die einst Paris freventlich entführte, um derentwillen dann der männermordende Trojanische Krieg entbrannte; jetzt ist sie den Ihren daheim gestorben und geht zur Seligkeit ein in das traumhafte Reich ewigen Lichtes, reinster Schönheit, nie aufhörender Wonne. Alles Schwere und Trübe des Erdendaseins ist abgestreift, golden liegt die Zukunft vor ihr. Unter Göttern und Heroen, mit den edelsten Helden der Vorzeit und den blühendsten Mädchen und Frauen vergangener Tage wird sie leben in unverwelkbarer Jugendschöne und unbekümmerter Heiterkeit, in sieghafter Anmut, liebend und geliebt, ein einziges großes Fest feiernd. Von ihr, die so vieles erlebt, die aller Menschen und selbst der Greise Herz rührte, die von allen Dichtern als die Herrlichste auf Erden gepriesen ward, der die gütige Parze zur[S. 257] Schönheit noch alle beglückenden Gaben des Geistes und Herzens in die Wiege legte, von ihr wird Chiron mit den Goetheschen Versen reden, wenn er später dieses Augenblicks gedenkt:

Was! ... Frauenschönheit will nichts heißen,
Ist gar zu oft ein starres Bild;
Nur solch ein Wesen kann ich preisen,
Das froh und lebenslustig quillt.
Die Schöne bleibt sich selber selig;
Die Anmut macht unwiderstehlich,
Wie Helena, da ich sie trug.

Ja, sie hat recht, sie darf sich als Königin, als Göttin fühlen! So zieht sie denn hoch erhobnen Hauptes, mit anmutiger Gebärde den rötlichen Schleier haltend, der von dem blendenden Körper herabzufallen droht, als Herrscherin ein in ihr neues Reich, Glück spendend schon allein durch ihr Dasein. Richtet man ihr, der Göttin, nicht dort schon den Altar? Welch herrliche Festesstunden wird sie erleben im fröhlichen Spiel auf den sanften grünen Wiesen, oder ruhend im Schatten der geheimnisvoll-dunklen Büsche, hingegeben dem sanften Klang der fernher tönenden Hirtenflöte, oder oben auf der ragenden Bergesspitze, wenn sie einmal das Bedürfnis hat, ihre Seele in voller Einsamkeit auszuweiten und ganz mit Gott und der Natur eins zu sein! Jetzt erst wird das wahre Leben beginnen, ein Genießen, das nicht gemein macht, sondern erhebt, das eigene Selbst erhöht und in die Unendlichkeit aufgehen läßt. Der Seele Feiertag hebt an!

Auch das ist Religion. Der christliche Gedanke einer Belohnung im Jenseits für ein Leben voll Güte und Reinheit, für ein nie aufhörendes Ringen nach Vervollkommnung, für eine irdische Laufbahn, an deren Schluß der tröstende[S. 258] Engelsang ertönt, der die Seele der Gnade der himmlischen Mächte gewiß macht:

Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen

— hier ist er durch die Kunst des Malers ins Heidnisch-Antike gewendet. Wir atmen die Luft des alten Griechenlands, wir fühlen den Geist jener glücklichen Heldenzeit, in der Kraft, Schönheit, Anmut inmitten einer gottbegnadeten Natur unter südlichem Himmel sich ungehemmt entfalten durften, in der die Menschen, vollsaftig, schön und gut, kindlich und lebensfroh, ringsum in der Natur Götter, Halbgötter und fabelhafte Zwischenwesen zu spüren meinten, in Baum und Fluß, in Strauch und Tier lebende Wesen verehrten und sich selbst als Götter fühlten.

So liegt religiöse Feierstimmung über diesem Bilde, und sie wird durch die leuchtende Pracht der tiefen, satten Farben noch gesteigert. Wie träumerisch und seltsam erwartungsvoll stimmt uns das tiefe Blau in seinen fein erwogenen Abstufungen, wie wird unser Auge durch das herrliche Grün erquickt, das in mannigfachster Stärke vom zartesten bis zum tiefdunklen Ton das Ganze durchzieht und frohe Hoffnung weckt! Und gibt nicht das schimmernde Rot, zumal das merkwürdige Krapp des Schleiers und das strahlende Weiß der Schwäne und Wolken gerade in Verbindung mit den blauen Farbenwerten den Eindruck des Festlichen? Spüren wir nicht pulsierendes Leben in den hellgetönten Körpern, und den Ernst des Daseins, wenn wir in das Dunkel der Felsengrotte schauen, die den Weg zum Hades allen weist, die nicht des Götterglückes würdig sind?

Und der Eindruck des Feierlich-Prächtigen wird noch erhöht durch die straffe Linienführung. In klarer Schärfe hebt sich der sanft ansteigende Anger vom Wasser ab, und[S. 259] eine fast parallele Linie begrenzt die freie Fläche, auf der die Gestalten des Hintergrundes sich bewegen. Kerzengerade streben die Bäume aus dem Erdboden empor, nur die am weitesten links neigen sich ein wenig zur Seite. Und weil wir ihre Wipfel nicht sehen, haben wir die Empfindung, sie wüchsen immer noch höher hinauf. Nicht minder zeigt auf der rechten Seite die gewaltige Felsenplatte über der Grotte parallele Linien, und senkrecht fließt das träumerisch-plätschernde Quellwasser herab. Aber dieser rechtwinkelige Aufbau wirkt nicht langweilig, sondern gibt nur das Gefühl von Ruhe, Frieden und Sicherheit; dazu erwecken die gleichmäßig aufwärts sich wölbenden Äste den Eindruck reicher Fülle, und die wagerechten Linien werden angenehm durchbrochen durch die üppige Rundung des dunklen Gebüsches in der Mitte und die davon sich lebenswahr abhebenden, das Auge festhaltenden weichen Formen der Körper im Wasser; auch lenken links die weißen Schwäne den Blick von der starren Linie ab, und auf der andern Seite klingt die sich himmelhoch türmende Felsenlandschaft mit ihren Kreisformen an die Rundung des großen Gebüsches an. Die etwas unruhige Zeichnung dieser Felsengegend, in der ein Hirte in weltfliehender Einsamkeit die Flöte bläst, trägt wiederum dazu bei, die beseligende feierliche Stimmung der im frohen Verein sich regenden, zueinander strebenden Gruppen zu betonen; denn auch durch den Gegensatz wirkt der Maler. So zeigt das ganze Bild eine wunderbare Übereinstimmung von Gedanken, Farbe und Form: wir fühlen, es mußte so und konnte nicht anders gemalt werden.

Arnold Böcklin ist der Schöpfer dieses großen Kunstwerkes, ein Künstler von Gottes Gnaden. Er war Baseler von Geburt und ein treuer Schweizer sein Leben lang,[S. 260] wenn er auch viel reiste und lange Zeit in Deutschland und Italien lebte. Die Jahre 1827 bis 1901 begrenzen sein Dasein. Er besaß eine großartige Phantasie, geniale Gestaltungskraft, ein tiefes Gemüt und launigen Humor. Er sah mit dem freudetrunkenen Auge der alten Griechen die Natur belebt durch allerhand Fabelwesen, wie Zentauren, Nixen, Faune, Pane, Einhörner, Tritonen, Meergreise, Waldteufel, Najaden und Wasserkinder, die an Strand und Busch und Felsen, in Wald und Wasser und Heide ihr Spiel treiben, sich necken und zanken, immer von Kraft und Laune strotzen und das innerste Weben und Leben, die schöpferische Kraft der Natur offenbaren. Daneben stehen ergreifende Bilder von höchstem Ernst der Lebensauffassung, wie die Beweinung Christi, die Toteninsel, der alte Eremit, der in rührender Einfalt vor einem Madonnenbild Geige spielt, Odysseus und Kalypso, der heilige Hain, das Schweigen im Walde, und eine geringe Zahl von Porträts, unter denen die Selbstbildnisse am bedeutendsten sind. Er war ein aufrechter Mann, stark, sicher, selbstbewußt, ehrlich auch in der Malerei: er malte mit guter handwerklicher Technik und nur das, was er wirklich empfunden und erlebt hatte. Und dies Erleben war heiß und innig: so steigerte er die Natur über das hinaus, was er mit dem leiblichen Auge sah, gab ihr noch tiefere und leuchtendere Farben und eine strengere und klarere Linienführung, um das innere Schauen und die gehobene Seelenstimmung zum Ausdruck zu bringen. Er wird stets zu den größten deutschen Malern gerechnet werden, denn die Innerlichkeit seines Wesens, die träumende Sehnsucht seiner Phantasie, seine Liebe zur Natur und sein goldener Humor, das alles ist von deutscher Art und erfüllt den Beschauer mit Andacht und Entzücken.

Arnold Reimann.

[S. 261]

Medea
Von Anselm Feuerbach

Geboren 12. September 1829 in Speyer, gestorben 4. Januar 1880 in Venedig. — Neue Pinakothek in München

Buntbild VII

In herber, trauervoller Größe blickt uns aus dem Medea-Bilde Anselm Feuerbachs in der Neuen Pinakothek zu München der Geist der griechischen Tragödie an. Um dies einsame Felsenufer weht heroische Luft. Aus dem Vorgang, den unser Auge verfolgt, steigt die Ahnung einer furchtbaren Tat, eines schweren Schicksals auf, das unerbittlich waltet. Medea, die Tochter eines barbarischen Stammes, in dem noch die Künste finsterer Zauberei gedeihen und die ungebändigte Wildheit ursprünglicher Leidenschaft regiert, hatte in ihrer Verbindung mit dem Griechenfürsten Jason den Weg zu höherer Gesittung beschritten. Nun sieht sie sich von Jason betrogen und verraten, und die schreckliche Enttäuschung dieses Erlebnisses wirft sie wieder in barbarische Art zurück. In dem Herzen der Beleidigten reift ein ungeheurer Entschluß der Rache: sie will Jason verlassen und die Kinder, die sie ihm geschenkt, töten. Der Augenblick des heimlichen Aufbruchs ist dargestellt, und wie der Wille und die Gedanken Medeas von dem felsigen Gestade, das sich zur Linken auftürmt, in die Ferne fortstreben, so wird das ganze Bild durch eine Linienbewegung von links nach rechts hin bestimmt. Durch die stehende Gestalt des Knaben wird das Auge in die Höhe geführt,[S. 262] zu seinem Kopf, zu dem Haupte der Mutter, das sich nach rechts beugt, und dessen Neigung die in großem Schwung abfallenden Umrisse des Gebirges im Hintergrunde wiederholen. Dann wandert der Blick weiter, über die zweite sitzende Gestalt in der Mitte der Komposition, zu der Gruppe der kräftigen Gestalten rechts, die das Segelschiff vom Strand ins Meer stoßen, um es flott zu machen. Während vorher aufrechte Linien betont wurden, gleitet nun alles in die Wagerechten über, die durch den Schiffsbord und das zusammengerollte Segel gebildet werden. So ist die Anordnung darauf gestellt, daß ein starker, mächtiger Ton zur Linken angeschlagen wird, der nach rechts hin langsam abklingt. Wundervoll wird durch dies Liniengefüge die heldenhafte, tragische Stimmung des Ganzen zum Ausdruck gebracht. Erschütternd wirkt auf uns der Blick, den Medea auf ihr Jüngstes senkt, die Bewegung ihrer Hände, mit denen sie die Kinder an sich zieht, die ahnungslos sich an die Mutter schmiegen — denn wir wissen, welch gräßliche Gedanken in ihrem Haupte reifen. Mit unvergleichlicher Kunst hat der Maler in der ganzen Haltung dieser Frau den Widerstreit zwischen mütterlicher Zärtlichkeit und entschlossener Härte gespiegelt. Was sie sinnt, wird noch deutlicher zum Ausdruck gebracht durch die dunkle, verschleierte Gestalt der Dienerin, die das kommende Unheil zu ahnen scheint und ihr Haupt in den Händen verbirgt. Der sitzenden Gestalt Medeens, in geringer Verkleinerung, im Umriß fast gleich, sitzt sie dort wie ein düsterer Schatten ihrer Herrin, wie eine Verkörperung ihres entsetzlichen Planes. Der Druck der seelischen Wirrnis, die unter der Hülle äußerer Ruhe lebt, wird noch fühlbarer durch den Gegensatz zu der Tätigkeit der kräftigen Männer, die das Schiff gegen die Brandung ins Wasser drücken.

[S. 263]

Es geht durch dies Werk etwas wie eine Klage über die tragischen Verkettungen, denen das Dasein des Menschen unterworfen ist. Und wir fühlen aus dem innerlichen Ernst, mit dem das Ereignis geschildert wird, daß der Künstler sich nicht für eine einzelne Arbeit in diese Stimmung hineinzwang, sondern daß sie seinem tiefsten Wesen eigen war. Anselm Feuerbach gehörte zu den großen Meistern der deutschen Kunst des vorigen Jahrhunderts, die bis zu ihrem Ende mit dem Unverstand der Menschen zu ringen hatten und, diesem Kampfe nicht gewachsen, früh verbittert und zerrüttet starben, um erst lange nach ihrem Tode die Anerkennung und den Ruhm zu finden, nach dem sie im Leben vergebens gedürstet hatten. In einer Zeit, da die allgemeine Aufmerksamkeit der Erforschung der Naturkräfte zugewandt und daher auch das ganze Streben der Kunst darauf gerichtet war, die Wahrheit des Lebens ringsum zu schildern, gehörte Feuerbach zu dem kleinen Kreise der Meister, in deren Herzen eine unbezwingliche Sehnsucht nach Schönheit, Größe und Hoheit lebendig war, die sie in ihren künstlerischen Werken zu offenbaren suchten. Um die Umgebung zu finden, die solchem Schaffen entsprach, zog Feuerbach, ebenso wie der Schweizer Arnold Böcklin und der Rheinländer Hans von Marées, über die Alpen nach Italien, wo die großartigen Linien der südlichen Landschaft, der freiere Zug des Volkslebens und die Erinnerungen an die Welt der Antike, deren Reste und Trümmer den fremden Wanderer grüßen, den Deutschen von jeher aus Gegenwart und Alltag in eine ferne Schönheitswelt entrückt haben. Mit den beiden Meistern, die eben genannt wurden, lebt Feuerbach in der Kunstgeschichte fort als einer der Führer des Kreises der „Deutsch-Römer“, die sich in ausgesprochenen Gegensatz zu den Realisten und[S. 264] Impressionisten stellten. Diese wollten die malerische Spiegelung von Leben und Bewegtheit, von Natur und modernem Wesen wiedergeben, den Zauber des Lichtes und seiner farbigen Brechungen ergründen, den Reiz und den Schimmer der Erscheinungen festhalten, die das Auge ringsum, überall und jeden Augenblick wahrnimmt. Die Deutsch-Römer erstrebten ganz andere Ziele. Einer mit der Phantasie erschauten bedeutungsvolleren Welt wollten sie Form geben, die in der Wirklichkeit nicht zu finden ist, und in der menschliche Empfindungen und Leidenschaften, unser innerstes Lebensgefühl und unsere Träume in Gebilden von einer höheren Geltung sichtbaren Ausdruck gewinnen. Stärker noch als seine Genossen fühlte sich Feuerbach bei solchem Streben zu der Schönheit und der Kultur Italiens hingezogen. Als Sohn eines gelehrten Archäologen war er 1829 in Speyer geboren. Er entstammte einer Familie von Wissenschaftlern und Universitätsprofessoren. Von Kindheit an war ihm die Welt des klassischen Altertums nahe vertraut. Als blutjunger Kunstschüler war er zuerst, sechzehnjährig, auf die Akademie nach Düsseldorf, dann nach München und Antwerpen gekommen, um das malerische Handwerk zu erlernen. In Paris, im Atelier von Thomas Couture, der um die Mitte des Jahrhunderts unzählige Schüler aus der ganzen Welt unterrichtete, schloß Feuerbach dann seine Ausbildung ab. Aber sein Herz ging ihm erst auf, als er 1855 nach Italien kam. „In Venedig“, so heißt es in seinen wundervollen Briefen, deren Sammlung einen kostbaren Schatz unserer Kunstliteratur bedeutet, „verkündigte sich das Morgengrauen, in Florenz brach die Morgenröte an, in Rom aber vollzog sich das Wunder, das man eine vollkommene Seelenwanderung nennen kann — eine Offenbarung.“ Seine zarte, empfindsame[S. 265] Seele suchte hier die freie Heiterkeit der Antike, die Klarheit und Geschlossenheit der alten Kunst. In dem Gegensatz und Widerspruch zwischen dieser Sehnsucht und der Wirklichkeit des modernen Lebens, in die er sich geschleudert sah, ruht der tragische Konflikt seines Wesens, ruht aber auch der Reiz seiner Kunst. In seinen Bildern ist etwas wie Trauer, wie eine Klage um ein verlorenes Glück. Wiederholt hat er Iphigenie gemalt, wie sie, an ein fernes, fremdes Gestade verbannt, über das Meer hinblickt, „das Land der Griechen mit der Seele suchend.“ So mochte er selbst empfinden. Und nicht anders mag er auch die tragische Zerrissenheit im Herzen der Medea in sich gefühlt haben. Alle diese Bilder wurden nicht nur Darstellungen aus einem Stoffgebiet der Sage, sondern zugleich persönliche Bekenntnisse eigenen Erlebens. Daher die zurückhaltende Farbenstimmung seiner Werke, das schwermütige Halbdunkel, der trübe nordische Himmel, der Landschaft wie Menschen in ein ernstes Grau hüllt. Auch auf unserm Bilde herrscht dieser graublaue Ton, der sich über die breiten Farbflächen legt. Er dämpft und mildert das satte Rot vom Mantel der Medea und von den Mützen der halbnackten Schiffsmannschaft, das Blau der Hose, die der eine Bursche trägt, das Weiß vom Gewande der Fürstin und von dem lässig über die Schulter geschlungenen Hemde des einen Bootsmanns — und er sinkt nieder bis zu schwärzlicher Dunkelheit in der Gestalt der Dienerin, die wie eine aus dem Boden gestiegene, unheimliche Schicksalsgöttin mitten im Bildviereck als finsteres Wahrzeichen schattenhaft aufragt. Deutlich erkennen wir auf diesem Meisterwerke, wie der Aufenthalt in Italien Feuerbachs Art beeinflußte. Medea selbst ist die Idealisierung einer schönen Italienerin. Ihr Faltenwurf deutet auf das Stu[S. 266]dium antiker Kunstwerke. Die prachtvoll bewegte Gruppe der Schiffsleute zeigt, was der Künstler dort unten mit durstigen Blicken in sich aufgenommen hatte: dergleichen kann man an den Küsten Italiens jederzeit beobachten. Auch die Kinder Medeas stammen von den Straßen italienischer Städte und Dörfer. So gewann die ganze Szene eine unmittelbare Wahrheit und Lebendigkeit. Aber sie wurde darüber hinaus emporgehoben zu einer heroischen Würde und edlen Hoheit. Die innere Erregung ist durch die Ruhe und Gemessenheit der Anordnung gebändigt. Ein Griechentum steigt empor, das durch die Seele eines modernen Menschen hindurchgegangen ist.

Nicht lange nachdem Feuerbach dies Werk geschaffen, schien sein Leben eine glückliche Wendung zu nehmen. Im Jahre 1873 wurde er nach Wien berufen, um dort zu wirken. Endlich glaubte er Anerkennung und Verständnis gefunden zu haben. Aber was ihn erwartete, war nur noch grimmigere Enttäuschung. In der fröhlichen österreichischen Stadt, die damals den farbentrunkenen Bildern von Hans Makart zujubelte, konnte die schlichte Vornehmheit der Feuerbachschen Kunst sich nicht durchsetzen. In nervöser Überreizung verließ er Wien nach wenigen Jahren wieder und flüchtete nach Venedig. Die Verzweiflung darüber, daß sein heißer Wunsch, den Deutschen eine monumentale Malerei großen Stiles zu schenken, ohne Echo blieb, trieb ihn, wenig über fünfzig Jahre alt, 1880 in den Tod. Seine Selbstbiographie, die unter dem Titel „Ein Vermächtnis“ nach seinem Hingang erschien, zeigt ergreifend das schmerzvolle Ringen, in dem er sich zerquält hat, und bleibt für alle Zeiten eine Mahnung für unser Volk, das einen seiner größten Künstler verkannte und mißachtete.

Max Osborn.

[S. 267]

Wie die Alten sungen
Von Ludwig Knaus

Geboren 5. Oktober 1829 in Wiesbaden, gestorben 7. Dezember 1910. — Nationalgalerie in Berlin

Bild 30

Als Ludwig Knaus im Oktober 1899 auf der Höhe seines Ruhms seinen siebzigsten Geburtstag feierte, hatte die Berliner Akademie der Künste ihm zu Ehren in einer großen Ausstellung alle Gemälde und Zeichnungen vereinigt, die aus seinen fleißigen Händen hervorgegangen und nur irgendwie erreichbar gewesen waren. Zufolge einer Zufälligkeit entsinne ich mich dieser Ausstellung noch ganz genau. Ich hatte einen reichen Amerikaner kennengelernt, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, seinen hübschen fünfjährigen Buben von Knaus malen zu lassen. Nun war Knaus, obwohl er auch einige ausgezeichnete Bildnisse nach dem Leben geschaffen hat, nicht so recht eigentlich das, was man einen Porträtmaler zu nennen pflegt. Aber da er einen großen Teil seiner Berühmtheit insonderheit seiner lebensfrischen Auffassung des Kindlichen verdankte, so versteifte der amerikanische Herr sich auf seinen Wunsch. Er war bereits dreimal bei Knaus gewesen und nie empfangen worden und wollte es nun mit einer Art Überfall versuchen. Da ich wußte, daß Knaus zu einer bestimmten Stunde von dem Vorstande der Akademie in seiner Ausstellung empfangen werden sollte und ich ihn persönlich kannte, so hatte ich meinen leidenschaftlichen Amerikaner mitgenommen, und es glückte mir auch, ihn bei einer günstigen Gelegenheit dem Jubilar vorzustellen.[S. 268] Da kam es nun zu einer drolligen kleinen Szene. Der Amerikaner pflanzte sich breitspurig vor Knaus auf und radebrechte in seinem schlechten Deutsch: „Sie sein das weltberühmte Knaus. Ich uollen malen lassen mein Boy von Ihnen. Ich zahle die höchste Preis. Uas soll dies koste...?“ Knaus war anfänglich etwas verblüfft, lächelte dann (die Umstehenden kicherten bereits) und erwiderte: „Sehr freundlich von Ihnen, aber ich nehme in meinen hohen Jahren keine Aufträge mehr an...“ Doch mein Amerikaner ließ sich nicht aus der Fassung bringen. „Ich uill zahlen 20000 Dollars vor die Bildnuß“, schoß er von neuem los. Knaus strich sich über den grauen Kinnbart. „Kann ich Ihren Jungen einmal sehen?“ fragte er. Der Amerikaner nickte. „Well,“ sagte er, „ich haben ein Photograf von ihn —“ und er zog seine Brieftasche, holte eine Photographie hervor und zeigte sie Knaus. „Ein hübscher Junge,“ meinte der Maler, „aber ich muß ihn schon lebendig vor mir haben...“ „Er sein in Milwaukee in Amerrrika,“ antwortete der andere, „kommen Sie mit, Mister Knaus, wir fahre morgen ab, ich zahle Reise hin und her und Aufenthalt und alles, Sie sollen auch meine liebe Frau malen, und in Chikago habe ich Freunde zu malen, und in Washington und in New York, es kann sein ein splendid Geschäft vor Sie. Uollen Sie fahre morgen mit mir ab?“ Nun lachte der alte Knaus herzlich, und der Kreis um ihn stimmte fröhlich in das Lachen ein. „Ich danke Ihnen sehr für Ihr gütiges Anerbieten,“ antwortete der Maler, „aber ich bin siebzig Jahre alt und auf längere Reisen nicht mehr eingerichtet...“ Die Freunde des Jubilars hielten es jetzt für zweckmäßig, der Szene ein Ende zu bereiten, zumal ein paar königliche Prinzen in der Eingangstür sichtbar wurden — sie faßten Knaus unter den Arm und zogen ihn mit[S. 269] sich. Der Amerikaner wollte nach, aber nun hielt ich ihn fest und versuchte, ihm klar zu machen, daß er nach Lage der Sache schon notgedrungen auf seinen Wunsch verzichten müsse. Er hörte mich kopfschüttelnd an und meinte schließlich: „Der alte Herr sein kein smarter Geschäftsmann...“

Auf dieser Ausstellung befanden sich auch zwei Gemälde und einige dazu gehörige Skizzen, die uns hier besonders interessieren. Das eine Bild hieß ursprünglich „Der Katzentisch“ und zeigt fast genau dieselbe Darstellung wie auf dem unter dem Titel „Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen“ bekannten, in der Berliner Nationalgalerie hängenden und hier wiedergegebenen Gemälde. Nur ein Unterschied waltet ob: auf der ersten Bearbeitung, dem sogenannten „Katzentisch“, tragen die Figuren die halb kleinstädtische, halb ländliche Tracht unserer Tage, während das zweite Bild sie in Rokokokostüm zeigt. Knaus selbst erklärte mir einmal, warum er die Umarbeitung vorgenommen hat. Ihn reizte das farbige Kostüm aus dem dritten Viertel des 18. Jahrhunderts in diesem Falle um so mehr, als dadurch die Gegensatzwirkung zwischen dem altväterischen Gehaben am Tische der Erwachsenen und der naiven Kindlichkeit an den Katzentischen viel stärker zum Ausdruck gebracht werden konnte. In der Tat ist dies Bild von den „zwitschernden Jungen“ eins der reizendsten und liebenswürdigsten Kunstwerke, die aus dem Knausschen Atelier hervorgegangen sind, und ist auch zu einem Lieblingsbilde unsrer kinderreichen Nation geworden.

Auf dem freien Platz außerhalb der Stadt unter den Linden vor dem alten Wirtshause tafelt die Gesellschaft, vielleicht aus Anlaß eines Geburtstags- oder eines sonstigen Familienfestes. Wie die Kleidung zeigt, ist es eine gutbürgerliche Gesellschaft, die eines Beamten oder[S. 270] eines vermögenden Handwerksmeisters, und zwar sitzen die Erwachsenen im Hintergrunde an einem langen Tische auf schlichten Holzbänken, denn gerade ausgangs des vergnügungssüchtigen 18. Jahrhunderts liebte man es, im Gegensatz zu der recht üppigen Lebensführung in den Städten, bei ländlichen Ausflügen die Einfachheit aufzusuchen und „zur Natur zurückzukehren“. Ganz vorn steht das eigentliche Katzentischchen, an dem unter der Obhut eines hübschen Kindermädchens die Allerkleinsten ihren Platz gefunden haben. An diesem Tischchen merkt man noch nicht viel von der angeborenen Nachahmungssucht der Kinder, die zu dem Sprichwort geführt hat, das dem Bilde seinen Titel gab. Höchstens versucht das niedliche Dirnchen an der linken Tischecke durch sein ehrpusseliges Getue, die steife Haltung und die Sicherheit in der Handhabung von Messer und Gabel, sich als wohlerzogenes junges Dämchen zu erweisen, das schon den Vergleich mit den Erwachsenen aufnehmen kann. Um so wilder benehmen sich die beiden Buben, von denen der eine dem andern den Teller mit Naschwerk fortreißen möchte, was ihm, nach der drohenden Bewegung seines Tischnachbarn zu urteilen, vermutlich schlecht bekommen wird. Artiger ist der kleine Krauskopf neben dem sittigen Dämchen, der sogar von seinem Imbiß das schwarze Katzerl etwas abbekommen läßt. Gegenüber sitzt das Kindermädchen (es kann auch eine ältere Schwester sein) und füttert das jüngste Baby, was die große Ulmer Dogge, die zutraulich den dicken Kopf auf die Schulter des Mädchens legt, mit Neugier und — Freßlust beobachtet, indes ein zweites Baby im festgesicherten Kinderstuhl am Däumchen lutscht.

Anders geht es schon an dem größeren Tische dahinter zu. Da „zwitschern“ wahrhaftig die Jungen, „was die Alten[S. 271] sungen!“ Seh’ einer den frechen Bengel links unten an der Tafel an, der dem sich lachend sträubenden Mädelchen sogar einen Kuß rauben will! Da benimmt sich das Pärchen, das dem Beschauer den Rücken wendet, immerhin vornehmer, wenn seine Haltung auch zeigt, daß es gerne die Verlobten und Verliebten spielen möchte, vielleicht so wie der ältere Bruder und die künftige Schwägerin. Da ist aber auch einer, der stehende Junge rechts, der nach Vatersart zu einer Strafpredigt ausholt und den sich Schnäbelnden unten die Wahrheit sagt, während die neben ihm sitzenden Kleinen lachende Zuschauer sind und zwei andere Bübchen in ihrem Essenseifer gar keine Zeit haben, sich um das Zuständliche ringsum zu kümmern.

Das reizende Bild beweist am schlagendsten die wundervolle Gabe der Beobachtung der Kindernatur, die der Maler in hohem Maße besaß. Ludwig Knaus, am 5. Oktober 1829 zu Wiesbaden geboren, bezog als sechzehnjähriger Jüngling die Düsseldorfer Akademie und erregte bereits durch seine Erstlingsarbeiten, den „Bauerntanz“ und „Die falschen Spieler“ (1851), die durch ihre eigentümlichen Hell-Dunkelreize an die alten Niederländer mahnten, allgemeine Aufmerksamkeit. Unter dem Einfluß der französischen Meister entwickelte sich während eines Pariser Studienaufenthalts seine malerische Technik so schnell, daß ihm (1855) die schon damals nicht häufige Ehre zuteil wurde, eins seiner Bilder an das Luxembourg-Museum verkaufen zu können — den „Spaziergang“ einer von einem kleinen Mohren als Diener begleiteten Dame in einem sommerlichen Park. In seinem innersten künstlerischen Wesen blieb Knaus aber trotz seines langjährigen Pariser Aufenthalts immer ganz deutsch, das zeigten seine Ende der fünfziger Jahre entstandenen Genrebilder aus dem rheinischen[S. 272] Bauernleben in der Tiefe und Reinheit des Empfindens und der von warmem Humor durchsonnten Charakterzeichnung. Nach Rückkehr in die Heimat lebte Knaus zunächst fünf Jahre in Berlin, siedelte hierauf nach Düsseldorf über und wurde 1874 abermals nach Berlin berufen, diesmal als Vorsteher eines Meisterateliers in der Kunstakademie, an deren veredelnder Umwandlung er tätigen Anteil nahm. Auch in dieser Periode entstanden vorzugsweise Bilder aus dem Leben des Volks, Lustspielszenen voll zauberhaften Reizes wie schmerzerfüllte Dramen, Gemälde, die gewissermaßen die ganze Stufenleiter menschlichen Empfindens zu malerischem Ausdruck brachten. Eine besondere Meisterschaft aber erreichte er in dieser Zeit in der mannigfaltigen Charakteristik der Kinderwelt. So sind selbst die rührenden Engelsfiguren auf seiner „Heiligen Familie“ Kinderbildchen im besten Sinne des Wortes, pausbäckige Erdenkinder mit drallen Gliederchen, die auf ihren Fittichen munter durch die Luft tummeln. Neben seinen zahlreichen Darstellungen aus dem Kinderleben schuf er in seiner Berliner Zeit auch mannigfache Bilder aus dem Hasten und Treiben der Großstadt und zudem noch eine kleinere Anzahl von Porträts (meist berühmter Gelehrter, wie der Professoren Mommsen und Helmholtz), die er für die Nationalgalerie malte, Bilder voller Feinheit und Echtheit im seelischen Ausdruck und eigenartiger Intimität der Auffassung. Das Knaussche Gesamtwerk ist von einer erstaunlichen Vielseitigkeit, aber was er auch schaffte, er schaffte sozusagen „vom Herzen zum Herzen“, wie einer seiner Biographen sich ausdrückt, er malte das, was der Menschen Augen und Seelen erquickt, froh macht und rührt — deutsche Innigkeit spiegelt in seinen Bildern sich wider.

Fedor v. Zobeltitz.

[S. 273]

Stiergefecht
Von Edouard Manet

Geboren 1832 in Paris, gestorben 30. April 1883 ebendort. — Privatbesitz

Bild 31

Der Schöpfer dieses Bildes mußte zu seinen Lebzeiten viel Kummer und Schmerz erdulden. Die Herren, die vor Eröffnung einer Kunstausstellung darüber entscheiden, welche Bilder dem Publikum gezeigt werden dürfen und welche nicht, haben oft genug Edouard Manets Bilder zurückgewiesen. Da verband sich Manet mit einigen gleichgesinnten Malern, denen es ebenso böse wie ihm ergangen war, und sie eröffneten gemeinsam eine eigene Ausstellung, die sie trotzig die Ausstellung der „Zurückgewiesenen“ nannten. Und hier zeigten sie dem Publikum die Bilder, die das Prüfungskollegium mit „ungenügend“ bezeichnet hatte. Nun aber ging das Spotten und Schimpfen erst los. Die Herren, die in den Zeitungen über Kunstausstellungen zu schreiben pflegen, verstanden diese Kunstwerke nicht, und so sagten sie in ihren Zeitungen, die Bilder Manets und seiner Freunde seien überhaupt nicht Kunst. Um aber auch das Publikum auf ihre Seite zu bekommen, machten sie über die Bilder Manets und seiner Freunde boshafte Witze. Denn sie wußten, daß die Menschen immer jenen gerne zustimmen, die den, der etwas Neues oder Kühnes zu unternehmen wagt, verspotten. Weil aber die Besucher der Ausstellung selber von Kunst nicht viel verstanden, waren sie über das ungewohnte, das sie in den Bildern Manets und seiner Freunde fanden, ebenso[S. 274] wütend wie die Zeitungsschreiber und gingen mit Schirmen und Stöcken gegen die Bilder los. Und wie Manet, so erging es vielen, ja den meisten großen Künstlern aller Zeiten. Da sie lebten, da sie mit ihren großen, entscheidenden Werken hervortraten, mit jenen Werken, die sie später berühmt und unsterblich machen sollten, wurden sie von ihren Zeitgenossen verlacht, verspottet, ja beschimpft.

Und wenn ihr euch nun dieses „Stiergefecht“ von Manet betrachtet, findet ihr etwas daran, das häßlich oder den Spott herausfordernd wäre? Ich glaube kaum. Es ist ein Bild voll Leben, Kraft und Licht, schlicht und doch prächtig und bewegt, wie solch Stiergefecht da unten in Spanien oder Südfrankreich wirklich ist. Der Tag, an dem so eine „Corrida“ — dies ist der spanische Ausdruck für „Stiergefecht“ — stattfindet, ist einer der aufregendsten und größten Festtage für die betreffende Stadt. Schon Tage vorher sieht man in allen Händen das Programm, auf dem die Namen der einzelnen Stierkämpfer und die Anzahl der Stiere, die die Arena betreten sollen, verzeichnet stehen. In den Straßen, an den Tischen vor den Kaffeehäusern, ja beim Abendbrot in der Familie wird von nichts anderem gesprochen. Die Namen der größten „Toreros“ — so heißen die Stierkämpfer auf spanisch — gehen von Mund zu Mund; ihre Tapferkeit, ihre Geschicklichkeit wird voll Feuer erörtert oder bestritten. Die ganze Stadt zittert förmlich vor Aufregung. Da kann es einem wohl geschehen — wie ich es selbst einmal erlebte —, daß man auf der Straße von einem wildfremden Menschen angesprochen wird, der einem ungefragt einen Rat darüber erteilt, was für einen Sitzplatz man in der Arena wählen müsse, um alles nur ja recht gut sehen zu können. Denn solch einem Spanier oder Südfranzosen erscheint es ganz[S. 275] und gar undenkbar, daß man in seiner Stadt, heute, an diesem Tage zu einem andern Zweck weilen könne, als um eben der Corrida beizuwohnen. Und nun der Tag des Stiergefechts! Schon am frühen Vormittag gerät die Stadt in Bewegung. Von überallher strömen die Menschen zusammen. Mit der Bahn, in von kleinen Mauleseln gezogenen Wagen, zu Pferde und auf dem Fahrrad, einzeln und in ganzen Trupps, selbst aus vielen Stunden weit entfernten Orten und Städten kommen sie herbeigeeilt. Und alles, Männer, Frauen, Knaben, Greise, ja sogar Kinder, alles pilgert hinaus zur Arena vor der Stadt. Die Luft zittert vor Hitze, Pferden und Hunden hängt die Zunge zum Maul heraus, der Himmel ist dunkelstrahlendblau, und der feine weiße Staub der südlichen Landstraße, von all den tausend Füßen aufgewirbelt, legt sich auf die Gewänder. Endlich ist es soweit. Eine nach Tausenden und Tausenden zählende Menge erfüllt die Arena, die Sonne brennt auf die Köpfe und auf den Sand, die Damen und Herren fächeln sich Luft zu, Limonadenverkäufer bieten ihre Getränke an, alles lacht, schwätzt, gestikuliert und schreit durcheinander und erfüllt die aufsteigenden Sitzreihen der Arena mit ständiger Bewegung — da ertönt plötzlich Musik, und unter klingendem Spiel vollzieht sich der Aufmarsch der „Quadrille“: die Stierkämpfer zu Fuß und zu Pferde, in den farbenprächtigsten, reich mit Gold und Silber gestickten Gewändern, ziehen in die Arena ein. Dann öffnet sich eine Pforte: der Stier betritt den Kreis. Und nun beginnt, unter der gespanntesten Aufmerksamkeit der Menge, der Kampf. Der Stier wird mit roten Tüchern und durch Stiche buntbebänderter, kurzer Lanzen gereizt. Es ist ein wundervolles Spiel von Mut, Kraft, Geschicklichkeit und blitzschneller Geistesgegenwart, bis[S. 276] schließlich der „Espada“, der erste Torero und Held des ganzen Spieles, die Arena allein betritt, das Publikum mit dem blanken Degen in der Hand grüßt und dann, zuletzt, ganz Muskel und Auge, den Stier mit einem einzigen scharfgezielten Degenstoß in den Nacken tötet. Mißlingt ihm der Stoß, bricht ihm der Degen, vermag er ihn nicht bis ans Heft hineinzustoßen, so spießt ihn der wütende Stier mit seinen Hörnern auf, und er muß seine Ungeschicklichkeit mit dem Leben bezahlen, zumindest aber zischt und pfeift ihn die empörte Menge unerbittlich aus, so wie es etwa bei uns im Theater einem ganz, ganz schlechten Schauspieler geschehen kann. Gelang ihm der Stoß aber, dann bricht die ganze tausendköpfige Menge in nicht endenwollenden, tosenden Beifall aus.

Einen Moment nun aus solch einem Stiergefecht hat Manet in diesem Bilde festgehalten. Er hat jedoch keineswegs einen sehr aufregenden, spannenden oder besonders schönen Moment gewählt, sondern irgendeine ganz nebensächliche, gleichgültige, beinahe langweilige Szene. Er hätte ja die farbenprächtige Quadrille oder eine aufregende Kampfszene malen können. Aber das wollte der Künstler nicht. Er wollte die Aufmerksamkeit des Betrachters nicht durch das fesseln, was er malt, sondern gleich allen großen Malern nur dadurch, wie es gemalt ist. Und dies ist ihm auch vollkommen gelungen. Ihr ahnt wohl die blendende Glut der Sonne, wenn ihr die scharfen Schlagschatten des Stieres und der Toreros betrachtet, und fühlt die Kraft des zornigen Stieres, der voll Aufregung den Schweif emporstreckt und, vor lauter Wut zitternd, nicht weiß, was er beginnen soll; daß aber mit ihm nicht zu spaßen ist, davon könnt ihr euch an dem toten Pferd überzeugen, das er mit seinen Hörnern durchbohrt hat. Und[S. 277] obwohl ihr die Augen des Toreros, mit dem roten Tuch in der Hand, gar nicht seht, spürt ihr doch, mit welch scharfen Blicken er jede Muskelbewegung des Stieres beobachtet. Auch an der Haltung der anderen Stierkämpfer könnt ihr ihre Gelassenheit und Sicherheit erkennen, und wie sie trotzdem dieses schwarze, gefährliche Tier nicht einen Moment lang aus den Augen verlieren. Und im Hintergrunde sehen wir, fast unerkennbar, die Menge. Aber dadurch, daß sie in unregelmäßige größere und kleinere Gruppen verteilt ist, zwischen denen einzelne Personen hervorragen, ahnen wir die Aufregung besser, als wenn wir die einzelnen Gesichter sehen würden. überdies könnten wir ja ihre Gesichtszüge gar nicht erkennen, da sie viel zu weit von uns entfernt sitzen. Das hat der Maler wohl bedacht. Denn Manet malte immer nur so viel, als er wirklich sah, und nicht, was er hätte sehen können, wenn er seinem Modell näher gestanden hätte, als es in Wirklichkeit der Fall war. Sah er also ein Gesicht von der Ferne nur als einen lichten Fleck, so malte er auch nur einen lichten Fleck und nicht Augen, Nase, Mund und tausend kleine Fältchen, die er gar nicht wahrgenommen hatte. Denn Manets oberster Grundsatz war — Wahrheit! Der Beschauer des Bildes sollte nur den Eindruck haben, den auch der Maler gehabt hatte. Deshalb nannte man Manet und seine Freunde nach dem französischen Wort impression (d. h. auf deutsch: Eindruck) Impressionisten. Wißt ihr überhaupt, wie sorgfältig solch ein Künstler alles vorher überlegt, bevor er zu malen beginnt? Ihr glaubt vielleicht, der Stier und die Stierkämpfer seien so auf gut Glück, einer hierhin, einer dahin gestellt, wie’s gerade der Zufall wollte? Nein. Dies ist alles nach einem genau vorher festgelegten Plan geordnet.[S. 278] Seht euch einmal die obere Balkonbalustrade an: sie beginnt genau im Schnitt des zweiten und dritten Drittels der Höhe des Bildes, steigt ein klein wenig an und fällt dann in einem schön geschwungenen Bogen nach rechts unten zu ab. Und wenn ihr nun ein Ölpapier auf das Bild legt und eine Linie vom Kopf des nur halb sichtbaren Stierkämpfers (ganz links) über die Kruppe des Stieres, die schwarzen Mützen der beiden hell gekleideten Toreros, dann am oberen Rand des über den Plankenzaun hängenden Mantels entlang und weiter über den Kopf des Toreros rechts bis zum Schweif des toten Pferdes zieht, so werdet ihr eine Linie erhalten, die der ähnlich ist, die die Balkonbalustrade beschreibt; und wenn ihr, wiederum links beginnend, den Arm des nur halb sichtbaren Stierkämpfers bis zum Kopf seines Schattens verlängert und weiter über die Schulter seines Schattens, am unteren Rand des roten Tuches entlang bis zum Schatten des Mannes, der das Tuch hält, dann durch den Kopf seines Schattens, die Blutlache des toten Pferdes bis zu dessen Schweif, so habt ihr wiederum eine Bogenlinie erhalten. Verbindet ihr nun die erste und zweite Linie, so habt ihr ungefähr die Form eines liegenden Eies nachgezeichnet. Und dies ist auch tatsächlich die Form solch einer Arena, in der die Stierkämpfe abgehalten werden. Ihr seht also, wie wohlbedacht Figuren, Schatten und Dinge auf dem Bild eines solchen Meisters angeordnet sind, und wie aufmerksam man ein Bild betrachten muß, ehe man auch nur begreift, was der Maler alles beabsichtigte, und ehe man ein Urteil darüber abgeben darf. Wenn ihr dies Bild hier längere Zeit genau beseht, werdet ihr gewiß noch selber mancherlei dem Ähnliches, wie ich es euch eben erklärte, finden. So z. B. wie die Gruppen der Zuschauer die Formen[S. 279] und Farben des großen schwarzen Stieres und der beiden hell gekleideten Toreros in der Mitte, dann des einen dunkel gewandeten Toreros rechts und endlich noch das lichte Dreieck, das der Pferdekadaver bildet, in Linie und Farbe, d. h. in lichteren oder dunkleren, ähnlich geformten Flecken wiederholen. Aber ich will euch nicht alles sagen, denn selber entdecken macht mehr Freude: und sicher werdet ihr nicht nur hier an diesem Stiergefecht von Manet, sondern auch an den anderen Bildern dieses Buches, etwa beim Botticellischen Frühling oder bei El Greco, Menzel und manchen anderen, Ähnliches herausfinden.

Manet malte dieses Bild wahrscheinlich, nachdem er aus Spanien zurückgekommen war, wohin er eine kurze Reise unternommen hatte; dort hatte er sicherlich solche Stierkämpfe gesehen. Aber auch schon viel früher, vor seiner spanischen Reise, hat er Stierkämpfe und andere Bilder, auf denen die Leute spanische Kostüme tragen, gemalt. Ihr fragt, wie das möglich sei? Nun erstens hatte Manet schon in Paris Bilder des großen spanischen Malers Velasquez, der 200 Jahre vor ihm lebte, gesehen; und diese gefielen ihm ausnehmend gut, weil er wohl fühlte, daß, wenn Velasquez gleichzeitig mit ihm gelebt hätte, sie beide sicher sehr gute Freunde geworden wären. Und zweitens kam eines Tages eine spanische Tänzertruppe nach Paris, und ihre prächtigen Kostüme, sowie ihre feurigen und kräftigen Bewegungen entzückten Manet aufs äußerste. Da malte er nun nicht nur so manches Bild von dieser Tänzertruppe, sondern auch damals schon Stierkämpfer und Stiergefechte. Daran aber zeigt sich der große Künstler. Denn während wir gewöhnlichen Menschen nur das richtig wiedererzählen oder zeichnen können, was wir in[S. 280] Wirklichkeit gesehen haben, vermag der Künstler durch seine Phantasie schon beim bloßen Anblick eines spanischen Kostüms sich ganz Spanien mit seinen Stierkämpfen so deutlich in seinem Innern vorzustellen, als hätte er es leibhaftig geschaut. So vermochte auch zum Beispiel Goethe uns den Wahnsinn Gretchens zu zeigen, obwohl er bis dahin niemals in Wirklichkeit einen wahnsinnigen Menschen gesehen hatte. Denn der große Künstler weiß durch den Geist Gottes, der in ihm ist, alle Dinge in seinem Innern schon von vornherein, die wir, um sie zu kennen, erst in Wirklichkeit erleben oder sehen müssen. Und Manet war einer dieser großen, von Gottes Geist begnadeten Künstler. Er starb, ein berühmter Mann, im Jahre 1883, einundfünfzig Jahre alt, in Paris, wo er geboren worden war und gelebt hatte. Die aber, die ihn zu seinen Lebzeiten verlacht und verspottet hatten, werden heute von uns und allen Menschen verlacht und sind dem Spott vieler Jahrhunderte preisgegeben, soweit man ihre Namen kennt. Wir aber wollen ihre Namen gar nicht wissen; denn wer nicht den Wert eines Künstlers zu achten weiß, ist nur namenloser Verachtung wert.

Edgar Byk.

[S. 281]

Place du Théâtre Français
Von Camille Pissarro

Geboren 1830 auf der Insel St. Thomas in den Antillen, gestorben 1903 in Paris. — Privatbesitz

Bild 32

Dies Bild zeigt euch den Platz des Théâtre Français, auch Comédie Française genannt; das ist das älteste und berühmteste Schauspielhaus von Paris und damit auch von ganz Frankreich. Ihr könnt auf dem Bilde, ganz rechts vorn, noch eine Ecke von dem alten, dunklen Gebäude sehen. Die breite Straße, die ihr mitten in dem Bilde weit nach hinten verlaufen seht, ist die berühmte Avenue de l’Opéra, die geradeaus zur großen Pariser Oper führt. Stellt ihr euch hier auf diese kleine, weiße Rettungsinsel neben die Laterne, die ihr rechts vorn auf dem Bilde bemerkt, dann steht ihr im Mittelpunkt von Paris; denkt euch nun einen riesigen menschlichen Körper, viel, viel größer als etwa die Bavaria in München, ja so groß wie ganz Frankreich, dann wäre dieser Platz hier die Stelle, wo das Herz Frankreichs schlägt. Durch diese Avenue de l’Opéra hasten ständig zahllose fleißige Menschen an ihre Arbeit, Müßiggänger schlendern dahin und betrachten die wundervollen Schaufenster der Kaufläden, die — einer immer herrlicher als der andere — sich zu beiden Seiten der Straße hinziehen; Arme und Reiche eilen aneinander vorbei, Droschken und Equipagen, Automobile und Pferdeomnibusse rollen in endlosen Reihen dahin, und tief unter der Erde rast donnernd die elektrische Stadtbahn, die „Métro“, wie sie der Pariser nennt. Dies aber ist es eben,[S. 282] was diese Stadt so viel schöner erscheinen läßt, als andere große Städte: nur Droschken, Wagen, Automobile, Pferde- und Automobilomnibusse eilen durch die Straßen, flink, beweglich und abwechslungsvoll; nirgends fast sieht man Straßenbahnen mit ihren langweiligen, steif auf Schienen dahinrollenden unförmlichen Wagen. Dazu kommt noch, daß der Pariser nicht so bequem wie die Leute in anderen Großstädten ist. Er geht viel mehr. Ein halbe Stunde Wegs zu Fuß macht ihm nichts aus. Und so kommt es, daß dort die Straßen immer von eilenden Menschen belebt sind. Abends erglänzen Millionen Lichter, die Stadt ist hell wie beim hellsten Sonnenschein und die Straßen voll Menschen wie am Tage. Die Leute sind heiter, liebenswürdig, und so du selbst freundlich dreinblickst, lächeln sie dir zu. Bittest du sie aber um eine Gefälligkeit, so zeigen sie sich nett und hilfsbereit. Du möchtest zum Beispiel gerne in diese oder jene Straße kommen, weißt aber nicht den Weg. Da sitzt so ein Schuster vor seinem kleinen Laden — denn die Luft ist warm und mild — und hämmert einen Fleck auf eine zerrissene Sohle, die von den vielen langen Pariser Straßen schon ganz dünn und abgewetzt ist. Du trittst an ihn heran und fragst ihn nach dem Weg, natürlich hübsch bescheiden: denn nichts ist dem Pariser in der Seele mehr zuwider, als wenn man hochmütig ist. Und siehe da: er wirft den Hammer hin, springt auf, ruft seiner Frau zu, daß sie ein wachsames Auge auf sein Handwerkszeug habe, und führt dich dorthin, wohin du gehen wolltest. Und obwohl du dich wehrst und ihm sagst, es sei ja gar nicht nötig, er möge dir nur den Weg beschreiben, den du einzuschlagen hättest, du würdest dich schon zurechtfinden: er läßt sich nicht abweisen, sondern läuft ein ganzes Stück[S. 283] Weges mit dir, bis er sicher ist, daß du nicht mehr fehlgehen könnest. Denn die Stadt ist groß, der Straßen sind unzählige, und verwirrend ist die Menge der Menschen und Gefährte, die durch sie nach allen Richtungen flutet.

Nun aber denkt euch, ihr blicktet vom obersten Stockwerk eines dieser großen Häuser, wie ihr sie da auf dem Bilde seht, aus einem Fenster auf die Straße herab: — da wird euch all dies Gewimmel von Menschen, Wagen und Pferden wie das aufgeregte Durcheinanderkribbeln eines ungeheuren Ameisenhaufens anmuten, in dem ihr mit einem Stock herumgestochert habt. Hinter solch einem Fenster aber saß, vor noch gar nicht vielen Jahren, ein alter, schöner, gütiger Mann mit einem schneeweißen Bart und malte solche Bilder wie dieses, das da vor euch liegt. Er hieß Camille Pissarro, war in den Antillen als Franzose geboren und in seiner Jugend mit den größten französischen Malern seiner Zeit befreundet. Von ihnen allen hatte er ein wenig gelernt, von Manet, Cézanne, Renoir; aber auch von Signac, Seurat und Monet, die damals in Paris eine ganz neue Art des Malens erfunden hatten. Ihr wißt vielleicht aus der Physikstunde, daß die meisten Farben, die wir sehen, erst durch Mischung der reinen Regenbogenfarben entstehen; so erhält man Grün, wenn man Blau und Gelb mischt, und die weiße Farbe ist eine Mischung aller Farben zusammen. Diese Lehre nun machten sich einige Maler jener Zeit teilweise zunutze, die auf das Auge des Betrachters mit ihren Bildern denselben Eindruck wie die Natur erzielen wollten. Sie mischten also die Farben nicht, bevor sie zu malen begannen, auf der Palette, sondern wenn sie z. B. etwas Grünes malen wollten, dann setzten sie viele kleine blaue und gelbe Tupfen nebeneinander auf die Leinwand; und so[S. 284] machten sie es mit allen gemischten Farben. Und besah man sich ein solches Bild, wenn es fertig war, aus einiger Entfernung, dann bedünkten einen alle Dinge so natürlich, wie sie draußen im Freien in strahlendstem Sonnenlicht erscheinen. Diese Art zu malen war besonders bei Landschaftsbildern, die recht hell und sonnig sein sollten, sehr schön. Die Künstler, die auf diese Weise beim Malen verfuhren, nannten sich Neo-Impressionisten (was so viel wie Neu-Impressionisten heißt), zum Unterschied von jenen Impressionisten, von denen ich sprach, als ich euch von Edouard Manet erzählte. Pissarro nun, der sein ganzes Leben lang nur Landschaften, Felder, Wiesen, Wald, Meer und Häuser malte, gefiel diese neue Art des Malens sehr gut, denn er dachte, auf diese Weise würden seine Bilder noch viel schöner werden. Und obwohl er schon 56 Jahre alt war, begann er die neue Malweise mit Eifer zu studieren und auszuüben, trotzdem die Leute über diese Bilder lachten und schimpften. Denn er war wie jeder echte Künstler fleißig und arbeitsam, und Schwierigkeiten oder Mißgeschick vermochten ihn nicht von seinem Wege abzuschrecken. So waren ihm z. B. bei der Belagerung von Paris im Jahre 1870 an die 300 Bilder verbrannt. Aber er klagte darüber nicht, obwohl es für ihn, wie ihr euch wohl denken könnt, ein schwerer Verlust war, sondern begann — er war damals schon 40 Jahre alt — tapfer und fröhlich aufs neue. Zuletzt, in hohem Alter, mit 70 Jahren, erkrankte er an einem unheilbaren Augenübel, so daß er das Sonnenlicht nicht mehr vertragen und nicht mehr in der Art der Neo-Impressionisten malen konnte. Aber auch diesmal verlor er den Mut nicht, sondern zog in die hohen Häuser von Paris. Und dort, hinter den Fenstern der obersten Stockwerke, von wo aus[S. 285] Paris zwischen seinen vielen wundervollen Gärten nur wie eine große einzige Masse erscheint und die Menschen und Wagen nur wie Punkte aussehen, saß Pissarro und malte in diesen letzten drei Jahren die schönsten Bilder seines Lebens. Was er früher bei all den andern Malern seiner Zeit gelernt hatte, das vergaß er nun aber nicht. Denkt euch vielmehr, einer lernt in seiner Jugend allerlei schwere Turnübungen; als Erwachsener braucht er euch dann keine Turnübungen mehr vorzumachen, aber an seinem elastischen Gang, an seinen beherrschten Bewegungen werdet ihr den früheren Turner erkennen. So war es auch mit Pissarro: er malte freilich nicht mehr nach den verschiedenen Malweisen seiner mannigfachen Freunde, sondern jetzt, im hohen Alter, kehrte er wieder zu seiner eigenen duftigen Malart seiner Jugendzeit zurück. Aber an dem zarten Hauch, an dem hellen Licht und an der strahlenden Lebendigkeit, die seine Bilder jetzt zeigten, sah man, wieviel er inzwischen gelernt hatte. Und steht ihr vor solch einer Straßenansicht des alten Pissarro, dann fühlt ihr die Größe und Fülle der Stadt und das Gewimmel in den Straßen. Aber nicht kalt und böse sieht es aus; sondern wenn ihr diese Bilder betrachtet, dann glaubt ihr, Blumen aus dem Straßenpflaster sprießen zu sehen, die Häuser sehen heiter und festlich aus, als wären sie mit Girlanden geschmückt, und ewiger Sonnenschein flimmert über Paris. 73 Jahre alt, mitten in friedlicher Arbeit, starb Pissarro, 11 Jahre bevor der grauenvolle Weltkrieg begann.

Edgar Byk.

[S. 286]

Das letzte Aufgebot
Von Franz Defregger

Geboren 30. April 1835 in Ederhof in Tirol, gestorben 1921. — Kunsthistorische Sammlungen in Wien

Bild 33

Tirol 1809! Der Übermut des korsischen Abenteurers, der fremde Länder vergab und weite Gebiete von ihren Mutterlanden losriß, ohne Erbarmen, ohne Rücksicht auf menschliche Rechte, er hatte Tirol von Österreich getrennt und den Bayern zugesprochen. Die Tiroler, die ihr schönes, wenn auch armes Vaterland aus tiefster Seele liebten, erhoben sich in todesmutigem Aufstande, geführt von Andreas Hofer, dem Sandwirt von Passeyer, und ihr Kampf gegen die aufgezwungene Fremdherrschaft gehört zu den glorreichsten Episoden in der ganzen Geschichte der Kriege. Es war ein furchtbarer, ungleicher und blutiger Kampf. Nicht die männliche Jugend allein bis zum Knabenalter herab, auch die Frauen taten mit, und als die schlechtbewaffneten Scharen immer mehr zusammenschmolzen, da griffen die Greise zur Wehr, als „Letztes Aufgebot“. Flinten gab’s kaum mehr — aus Sensen und anderem Gerät schmiedeten sie sich ihre Waffen und zogen hinaus gegen den grausamen, das Recht verhöhnenden Feind, bereit, das letzte für das Vaterland zu tun, was sich tun ließ — dafür zu sterben!

Den Auszug eines solchen „Letzten Aufgebotes“ hat 1874 Franz Defregger gemalt. — Das zweite Bild nach dem „Speckbacher“, das er der Tiroler Geschichte entnahm, und das, in Berlin ausgestellt, so recht eigentlich[S. 287] seinen Ruhm begründete. Wir sehen durch die Gasse eines typischen Südtiroler Dorfes einen Trupp solcher kümmerlich bewehrten alten Männer hinausziehen, bitter ernst, aber aufrecht und entschlossen. Sie wissen, sie kehren nicht wieder. Und die andern wissen es auch, die Frauen ringsumher. Aber keine sentimentale Gebärde, keine Tränen. Ein einziges altes Paar sieht man einander abschiednehmend die Hand drücken. Die andern Frauen sehen stumm dem ergreifenden Zuge nach. Ein gleich erschütternder Moment kann im Bilde nicht mit weniger Theatralik gegeben, das Geschichtliche nicht mit größerer Innerlichkeit geschildert werden. Jede Gestalt, jedes Gesicht auf dem Bilde „erzählt“ — aber nichts Anekdotisches: durch das ganze Werk weht der Atem einer großen Zeit. Zu den markigsten Gestalten der ganzen Defreggerschen Kunst gehört die des voranschreitenden Führers, der auf seine Leute einspricht. Der alte Hüne ist der einzige, der einen Stutzen trägt — ganz unsoldatisch, verkehrt, mit dem Kolben nach hinten. Weit greifen die Schritte der greisen Helden aus — sie haben Eile, zu kämpfen und zu sterben. Defregger hat ein paar Jahre später (1876) noch ein Gegenstück zu dieser Szene voll düstern Ernstes gemalt — die von jauchzendem Übermute belebte „Heimkehr der Sieger“. Auch eine Tiroler Dorfgasse im Jahre 1809, auch einen Trupp Freiheitskämpfer, aber solcher, die irgendwo die Franzosen geschlagen haben, wie das ja in jener Zeit oft genug geschah, ohne daß es das traurige, ungerechte Schicksal von dem tapferen, heimattreuen Volke abwenden konnte. Die packende Eindringlichkeit des „Letzten Aufgebots“ wurde aber durch die buntere und figurenreichere Siegerheimkehr trotz ihrer prächtigen Typen nicht mehr erreicht. Durch das erste[S. 288] Bild klang eben ein tiefstes Empfinden, das heiße Weh um ein Schicksal, wie es ein menschlich gleich wertvolles Volk vorher nur selten erlebt hatte — und erst 1920 wieder erleben sollte!

Franz v. Defregger hat am 30. April 1835 in Tirol als der Sohn eines wohlhabenden Bauern das Licht der Welt erblickt. Des Vaters Hof stand im stillen Pustertale und gehörte zur Gemeinde Dölsach, für deren Pfarrkirche der inzwischen längst berühmt gewordene Künstler später ein prächtiges Altarbild gemalt hat.

Der junge Bauernsohn, dessen Begabung sich früh auf die vielseitigste und merkwürdigste Weise offenbarte, mußte bis in sein fünfzehntes Jahr hinein das Vieh des Vaters hüten und wußte wenig von Kunst, insbesondere vom Malen. Er machte Figuren aus Teig, schnitzelte sie aus Rüben und Kartoffeln, bemalte mit seinen Stiften, als er endlich solche bekam, die Wände, ja er zeichnete einmal einen Fünfzigguldenschein, wohl die einzige Vorlage, die er hatte, so genau nach — in aller Unschuld! —, daß jener für echt gehalten wurde. Später mußte er als Knecht arbeiten in des Vaters Hof, und als er zweiundzwanzig Jahre alt war, starb plötzlich der Vater, und dem Jüngling fiel der Hof zu. Nicht zu seiner Freude. Er wollte erst den Hof verkaufen und nach Amerika auswandern. Das letztere zerschlug sich, der Hof aber wurde verkauft, und der Defregger-Franzl ging, bereits vierundzwanzigjährig, mit einer Empfehlung des Dorfpfarrers nach Innsbruck zu einem Bildhauer in die Lehre. Nach einigen Monaten empfahl ihm dieser, obwohl mit seinen Leistungen zufrieden, doch lieber Maler zu werden. Noch in seiner Tiroler Landestracht stellte er sich in München Meister Karl v. Piloty vor, und nach einem Jahre bereits[S. 289] war er Schüler einer Malklasse. Im Zeichnen war er durch eisernen Fleiß bereits selbst vorangekommen. Freilich muten uns heute seine ersten Bildversuche seltsam an: die Figuren sind silhouettenhaft, noch stark biedermeierisch angehaucht, aber vorzüglich gekennzeichnet und echt.

Defregger arbeitete unermüdlich und voll Freudigkeit. In der Malklasse bei Anschütz gefiel es ihm allerdings wenig. Er ging nach Paris, wo er als sprachunkundiger Ausländer freilich in keine Schule aufgenommen wurde. Trotzdem blieb er fünf Vierteljahr, sah wenigstens sehr viel gute Kunst und malte für sich. Zurückgekommen, blieb er einen Sommer lang in seiner Tiroler Heimat und begann dort — es war im Jahre 1864 — sein erstes gutes Bild „Der verwundete Wilderer“. Im Herbst des Jahres nahm ihn Piloty in seine Schule auf. Nun ging es rapid aufwärts, nachdem einmal das Handwerkliche von dem spät und mit etwas schweren Händen in die Schule Gekommenen überwunden war. 1868 wurde das vaterländische Bild „Speckbacher und sein Sohn Anderl“ fertig, das einen Riesenerfolg brachte. Und nun folgte Jahr um Jahr ein Schlager, und immer nahm der Maler den Stoff aus dem heimatlichen Leben oder der Tiroler Geschichte, die Figuren aus dem eigenen geliebten Volke. In Zeiten des „Naturalismus“ hat man ihm vorgeworfen, daß er seine Gestalten zu sehr verschönere — in Wahrheit wählte er sich nur aus dem prächtigen Menschenschlage seiner Tiroler Heimat die für seine Art passendsten Erscheinungen aus oder suchte sich unter den Münchener Modellen solche, die mit jenen eine gewisse Rassenähnlichkeit hatten. In der langen Reihe seiner Bilder finden wir übrigens genug Erscheinungen, die zwar im höchsten Grade charakteristisch sind, auf die aber das[S. 290] Wort „schön“ im alltäglichen Sinne durchaus nicht paßt. Man denke nur an seine ungezählten knorrig-schnittigen Köpfe alter Männer, an denen oft nur eins schön ist, die stark ausgeprägte Rasseneigenart. Als Defregger noch jung war, hat ihn freilich Jugendschönheit und Kraft als Künstler mehr gereizt, als vielleicht später. Seinem Volkstum ist er aber auch damals immer treu gewesen, und gerade die Typen auf seinem „Letzten Aufgebot“ konnten auf keinem andern Boden gewachsen sein, als auf dem Tirols. Als er später für den bayrischen Staat den „Schmied von Kochel“ schuf, gelang ihm das Typische der Erscheinungen weit weniger, trotz der nahen Stammverwandtschaft zwischen Tirolern und Bayern.

Er hat noch eine ganze Reihe von Szenen aus dem Befreiungskampfe von 1809 gemalt — die großen Bilder: „Andreas Hofers letzter Gang“ und „Andreas Hofer im Innsbrucker Schloß“ gehören zu den besten. Voll frischen, blühenden Lebens und sehr volkstümlich geworden sind aber zahlreiche Schilderungen aus dem friedlichen Volksleben: „Der Ringkampf“ (1870), „Der Ball auf der Alm“ (1872), „Das Preispferd“ und „Die Bettelmusikanten“ (1873), „Das Tischgebet“ (1875), „Der Zitherspieler“ (1876), „Brautwerbung“, „Abschied der Jäger von der Alm“ (1877); dann „Sepps erster Brief“, vielbewundert wegen der bildhübschen beiden Frauentypen (1880), „Der Salontiroler“ (1882), „Ankunft auf dem Tanzboden“ (im gleichen Jahr) usw. Die Zahl kleinerer Tiroler Genrebilder und gar die Reihe der beliebten Studienköpfe, die von Defreggers Staffelei kam, ist Legion. Er war ein Liebling des Kunsthandels und der Sammler, und lange Jahre hindurch war auch jede seiner Arbeiten, kaum begonnen, auch schon in festen Hän[S. 291]den. Im Jahre 1878 wurde er Professor an der Münchener Akademie, und seine Schule zog natürlich vor allem seine Landsleute an. Freilich gingen aus diesen mehr Nachahmer, als selbständige Künstler hervor. In München besaß er ein schönes Wohnhaus und Ateliergebäude, ein prächtiges Besitztum in Bozen. Im hohen Alter büßte er sein Augenlicht fast ganz ein, blieb aber immer noch der gleiche gütige und lebensfrohe Mensch. Er starb, fast sechsundachtzigjährig, im Winter 1921.

Die heutige Kunst hat vielleicht in manchem andere Ziele, als sie einem Franz v. Defregger naturgemäß waren, sie erzählt heute weniger, verschmäht die „Historie“, will weniger ergötzen durch Lieblichkeit der Szenen oder dramatische Wucht der Begebenheiten — aber sympathischere Persönlichkeiten, als den schlichten, starken Tiroler Maler Defregger wird sie so bald nicht aufzuweisen haben. Und heller als je wird gerade jetzt in den Herzen nicht nur seiner engeren Landsleute, sondern wohl aller echt deutsch Empfindenden das hohe Lied widerhallen, das den Tiroler Freiheitskämpfern 1809 seine Kunst gesungen hat! Zumal im „Letzten Aufgebot“.

Fritz v. Ostini.

[S. 292]

Vorlesung
Von Lourens Alma-Tadêma

Geboren 8. Januar 1836 in Dronryp in Friesland, gestorben 25. Juni 1912 in Wiesbaden. — Sammlung Balcer in Baltimore

Bild 34

Das Bild Alma-Tadêmas zeigt uns, wie man im Altertum aus den Werken der Dichter vorzulesen pflegte. Der Platz, auf den uns der Künstler führt, ist eine Exedra, die man bei den Alten in jedem vornehmen Hause und in den öffentlichen Bädern (Thermen) fand. Durch die Ausgrabungen der Städte Herkulaneum und Pompeji ist viel von dem Leben der Völker des Altertums bekannt und verständlich geworden. Ein Landsmann Alma-Tadêmas, Edward Bulwer, hat in seinem Roman „Die letzten Tage von Pompeji“ ein lebendiges Bild von dem Treiben dieser Stadt gegeben.

Wahrscheinlich befindet sich die Exedra, die uns der Künstler auf dem Bilde zeigt, in den neuen Bädern von Pompeji. Die Pompejaner kamen hier nicht nur zusammen, um zu baden, es wurde hier vorgelesen, rezitiert und musiziert; einer der Plätze war besonders für Ringkämpfe eingerichtet. Das war die Palästra.

Die Hauptperson unseres Bildes ist der Vorleser. Er liest aus einem Papyrus vor, den wir unseren heutigen Büchern etwa vergleichen können. Diese Papyrus bestanden aus langen, aus der Papyrusstaude geschnittenen Streifen, die auf ein Stäbchen gerollt wurden. Am Ende des Streifens war ein zweites Stäbchen angebracht, worauf[S. 293] das Gelesene gewickelt wurde. Die einzelnen Absätze des Textes entsprechen den Seiten unserer Bücher. War der Vorleser mit Lesen fertig, so mußte der Papyrus vom Anfang dem Ende zu aufgerollt werden; denn sonst bekam der nächste Leser das Ende des Buches zuerst zu lesen. Auf unserem Bilde sehen wir, daß der Vorleser in große Begeisterung geraten ist. Er scheint ganz vergessen zu haben, seine Rolle an dem abgelaufenen Ende wieder aufzuwickeln, oder sie gleiten zu lassen, wie es bei dem Papyrus üblich war. Auch die Körperhaltung des Vortragenden verrät seine große innere Teilnahme an der Lektüre. Er hat das Haupt nach vorn geneigt, sein Blick geht in die Ferne.

Die Augen der Zuhörer sind mit Spannung auf den Vortragenden gerichtet. Sie lesen ihm die Worte vom Munde ab. Unter den auf der Marmorbank sitzenden lauscht eine schöne Tänzerin mit besonderer Aufmerksamkeit. Das Instrument, ein Tamburin, mit dem sie beim Tanzen den Takt schlägt, hat sie in der Linken. Ihre Rechte hält die Hand eines der Musikanten, der ihr zur Seite auf dem Fußboden Platz genommen hat. Neben ihm steht seine Kithara. Mit diesem Instrument begleiteten Sänger und Dichter die Vorträge ihrer Werke. Es wurde aber auch als Solo-Instrument gespielt. Häufig war eine solche Kithara reich verziert. Auch die auf unserem Bilde gezeigte ist durch Ornamente vielfältig geschmückt. Die Gestalt eines vornehmen Pompejaners schließt das Bild nach links hin ab. Sein Obergewand, die Toga, zeigt reichen Faltenwurf, darunter sehen wir die Tunika oder das Untergewand. An dem Faltenwurf der Kleider erkennen wir, daß der Vornehme in kostbare Stoffe gehüllt ist. Im Vordergrunde, dem Vortragenden gegenüber, liegt eine[S. 294] andere Gestalt, die zum Unterschiede der übrigen dargestellten Personen ganz schmucklos nur mit einem Felle um Brust und Lenden bekleidet ist. Offenbar ein Barbar, der vielleicht zum ersten Male den Werken des Dichters Homer lauscht. Alma-Tadêma hat diesen Barbaren möglicherweise deshalb in den Vordergrund gelegt, um dadurch anzudeuten, daß die Macht, die von dem Geiste der Kunst ausstrahlt, viel stärker ist als alle anderen Kräfte, und daß keiner ihr widerstehen kann.

Das Bild gibt einen Ausschnitt aus dem Leben der Völker des Altertums, es soll eine zufällige Begebenheit wirklichkeitsgetreu darstellen. Diese Wirkung will der Künstler dadurch erreichen, daß er nur einen Abschnitt des ganzen Raumes zeigt.

Alma-Tadêma hat eine große Anzahl solcher Bilder gemalt, die uns das tägliche Leben der Völker des Altertums veranschaulichen sollen. Da sehen wir, wie ein Kaiser der Römer zu einem Töpfer geht, oder wir wohnen dem Feste der Weinlese im alten Rom bei, oder betrachten die Arbeit eines Künstlers an den Tempeln der Griechen, eine Unterhaltung der Ägypter vor dreitausend Jahren, eine Audienz bei einem römischen Kaiser und anderes mehr. Es kam dem Künstler bei seinem Schaffen offenbar darauf an, die Gegenstände und Personen möglichst so darzustellen, daß sie lebendig wirkten. Wenn er z. B. Marmor malte, sollte das Auge wirklich Marmor empfinden, ebenso Stoffe und Bronzen. Durch diese Farbengebung erreichte er am ehesten, daß seine Bilder lebensvoll die Begebenheiten aus dem Alltagsleben der Völker des Altertums veranschaulichen. Es war Alma-Tadêma möglich, die Bilder so zu malen, denn er war in den Ländern des Altertums viel gereist und hatte mit größtem[S. 295] Eifer die Reste der antiken Kunst studiert. In London ließ er sich dann ein Haus bauen, das einem altrömischen Hause getreu nachgebildet war. In dem Hause des Künstlers befanden sich alle Einrichtungen der alten Pompejaner. Und nun malte der Künstler sein eigenes Haus in London, hüllte die Gestalten, die er darstellen wollte, in antike Gewänder und konnte dem Beschauer auf diese Weise ein Bild vom Leben und Treiben der klassischen Völker schaffen.

Lourens Tadêma — so heißt der Künstler eigentlich nur — ist im Jahre 1836 in Dronryp geboren. Er ist demnach Holländer. Schon auf dem Gymnasium studierte er die alten Klassiker mit besonderem Eifer. Mit sechzehn Jahren bezog er die Akademie in Antwerpen und lernte von seinem Lehrer Leys vieles, was ihm später bei seiner Beschäftigung mit der Antike nützlich wurde. Lourens Tadêma war, wie uns erzählt wird, ein sehr ehrgeiziger, fast eitler Mann; er setzte deshalb seinem Namen noch „Alma“ vor, um in den Katalogen als Erster genannt zu werden. Schon sein erstes Bild „Die Erziehung der Söhne Chlothildens, der Gemahlin Chlodwigs“, erregte viel Aufsehen. Im Jahre 1899 wurde Alma-Tadêma baronisiert. Damit war auch sein Ehrgeiz äußerlich befriedigt. Leider ist sein Haus mit dem Atelier und einem großen Teil seiner Werke durch eine Feuersbrunst zerstört worden.

Die Begeisterung der Maler für die Kunst des Altertums war zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts so groß, daß eine Zeitlang nur noch Werke Beachtung fanden, die dem Geiste des Altertums ganz entsprachen. Man nannte diese Künstler Klassizisten. Spuren dieser klassizistischen Richtung finden wir auch in Berlin in der Nähe des Schlosses, im Lustgarten oder Unter den Linden. Da[S. 296] sehen wir Bauwerke, die an griechische Vorbilder erinnern, z. B. das Alte Museum, das Opernhaus, die Schloßwache oder das Brandenburger Tor. Die ganze Bewegung, die den Geist des Altertums neu aufleben ließ, war gleichzeitig in Deutschland, Frankreich und England zu finden. Zeitgenossen von Alma-Tadêma sind die englischen Maler Leighton und Pointer. So stellt Pointers bestes Bild beispielsweise einen Besuch bei einem griechischen Arzte dar. Tadêmas Gemälde unterscheiden sich von den Werken dieser Künstler dadurch, daß sie in ihrem Aufbau nicht so geschlossen sind und mehr den Charakter zufälliger Szenen, also wirklicher Augenblicksbilder aus dem Leben der Alten tragen. Alma-Tadêma malte klassische Stoffe mit der Absicht, sie möglichst wirklichkeitsgetreu darzustellen. Das unterscheidet ihn von den Klassizisten, denen es in erster Linie auf eine geschlossene harmonische Bildwirkung ankam. Doch kann man Tadêma wegen der Auswahl seiner Stoffe nicht zu den Realisten rechnen, die nur die Wirklichkeit darstellen wollen. Er ist ein Nachklassizist, ein Künstler, in dem sich zwei Strömungen kreuzen.

Willy Manig.

[S. 297]

Im Herbst
Von Johann Christian Kröner

Geboren 3. Februar 1838 in Rinteln, gestorben 16. Oktober 1911 in Düsseldorf. — Gemäldegalerie in Dresden

Bild 35

An einem wunderschönen Herbstmorgen war es, der Nebel hatte sich verzogen, die Sonne glitzerte im feuchten Grase, da wanderte ein junger Mann frohgemut durchs Waldgebirge. Er war groß und schlank, trug einen grau-grünen Joppenanzug, den derben Wanderstock in der Hand, und aus seiner Rocktasche lugte etwas von der grauen Leinwand eines Skizzenbuches hervor. Langsam stieg er aufwärts und hielt Umschau, manchmal blieb er stehen, um tief aufzuatmen. Der Zauber des deutschen Waldes hatte ihn ergriffen. Feierlich ernst standen die alten Tannen da, die schon soviel Leben gesehen hatten, Menschen und Getier, Blumen und Gräser — das alles war gekommen und gegangen, die Bäume hatten es überdauert. Sie mochten nun bald ihre hundert Jahre auf derselben Stelle stehen. Freilich, auch ihre Zeit war binnen kurzem vorüber, die Axt hieb sie nieder, sie gingen hinaus, um menschlichen Zwecken dienstbar gemacht zu werden, und neues Leben siedelte sich dann dort an, wo jetzt noch die tiefen Schauer des Hochwaldes den Wanderer umfingen. Ein geheimnisvolles Dunkel lag zwischen den Stämmen. Dort rauschte das Wasser hernieder zwischen Gestein und allerlei Kräutern. Hie und da flog ein Vöglein vom Bache auf, eine Meise oder eine Bachstelze. Ein Raubvogel strich[S. 298] langsam von einer Tanne ab und verschwand im Dickicht. — Der junge Mann kam auf die Höhe des Gebirgskammes, stand auf einer Halde und blickte tief hinein auf waldige Hänge, die in blaugrauem Dunste dalagen, und sah weit hinüber auf immer neue Gebirgsbildungen und grüne Täler.

Da — was war das? Ein Schrei, laut und fast schrecklich, ein tiefes Orgeln, drang ihm ins Ohr. War es ein Mensch, der dort in tiefer Angst um Hilfe rief? Oder war es der Schrei eines Tieres? Es wiederholte sich mehrmals. Der junge Mann blieb stehen und lauschte. Er wußte: es war der brünstige Schrei des Edelhirsches, des Königs dieser Wälder.

So wie an diesem Tage ist der Wanderer gar manches Mal in seiner Jugend und in seinem Mannesalter durch den Wald gegangen. Er ist Maler geworden, einer der bedeutendsten und bekanntesten, sein Name: Christian Kröner. Immer wieder hat er Wald und Wild zum Gegenstande seines Schaffens gemacht. Früh schon hat er gezeichnet und gemalt und auch in jungen Jahren schon die Freuden der Jagd kennengelernt, in seiner hessischen Heimat, wo er in Rinteln am 3. Februar 1838 geboren wurde. Im dortigen Revier des Herrn von Münchhausen hat er sich zuerst als Jäger betätigt.

Es sieht nicht mehr so wild aus in unserem deutschen Walde wie in früheren Jahrhunderten. Da gab es ganze Waldgebiete, die keines Menschen Fuß betrat, und die in voller Unberührtheit dalagen; andere, die von den Menschen nutzbar gemacht wurden, in denen aber keine geregelte Waldwirtschaft bestand. Der Wald ergänzte sich durch eigene Besamung immer wieder neu, der Mensch aber nutzte ihn aus, ohne ihn zu pflegen.

[S. 299]

Das alles ist jetzt anders, der deutsche Wald ist zahmer und ordentlicher geworden. Mit der Erkenntnis, daß die zügellose Wirtschaft das Holzkapital rasch aufzehren würde, begann das Streben nach Ordnung im Walde und seine Pflege. Saat und Pflanzung, Schutz des natürlichen Nachwuchses unter dem Schirme der alten Bäume führten zur Aufzucht junger Holzbestände. Aber auch heute noch ist genügend Mannigfaltigkeit im deutschen Walde vorhanden, um uns zu erfreuen. Schonungen und Bestände verschiedenen Alters wechseln miteinander ab, Berg und Tal, Bäche und Teiche, anmutige Waldwiesen, Farnkräuter und Blumen gefallen uns wohl, und gerne atmen wir die reine Luft, die uns neue Kräfte verleiht. Und immer noch gibt es Wild und Jagdgründe, wenn auch diese meist gegen das Ackerland hin eingehegt sind, damit das Wild auf den Feldern keinen Schaden tun kann, wie das einst vor allem durch Hirsche und wilde Schweine geschah. Noch immer weiß der Jäger dieses Großwild zu hegen und zu erlegen, häufiger als dieses finden wir das zierliche Reh, der Fuchs schleicht noch immer vorsichtig auf Raub aus, Habichte nisten im hohen Gipfel, der Kuckuck ruft, und die wilde Taube gurrt, und die Scharen der kleinen Singvögel beleben Busch und Tann.

Von Jagd und Jägerleben wollen allerdings heute viele nichts mehr wissen. Es mag dies daher kommen, daß große Teile des Volkes der Natur entfremdet sind. Der wahre Jäger ist nicht nur ein Freund der freien, schönen Natur und besonders des Waldes und seiner Bäume, die er mit Verständnis behandelt, er ist auch ein Freund des Wildes, das er nach Möglichkeit hegt und zur rauhen Winterszeit an bestimmten Stellen füttert. Das Erlegen des Wildes vollführt er weidgerecht und mit Schonung, und sehr[S. 300] schmerzlich ist es ihm, wenn er einmal ein Stück Wild schlecht getroffen hat und es krank „zu Holze“ zieht, wo es trotz eifrigster Nachsuche häufig nicht gefunden wird.

Ist der Jäger aber ein Maler, so bringt er doppelte Beute mit heim, das Wild und die Beobachtungen, die er mit Auge und Stift im Revier gemacht hat.

„Der Wald hat ihn geboren“, so schrieb einmal jemand über Kröner, den großen Meister. Nie ging er ohne sein Skizzenbuch, dem er mit dem Stifte seine Beobachtungen anvertraute. Oft wanderte er mit Leinwand, Pinsel und Farben hinaus, um landschaftliche Skizzen zu machen, denn als Maler der Landschaft war er ebenso hervorragend wie als Wildmaler. Er hat Wald und Wild in allen Jahreszeiten gemalt, im knospenden Frühling, im stillen Sommer, im bunten Herbst und im weißen Gewande des Winters. Es gelang ihm sowohl das Liebliche, Anmutige, wie das Große und Erhabene. Jede Stimmung der Landschaft und die ganze Tierwelt des Waldes hat er uns in zahlreichen Bildern überliefert. Das Wild hat er in der Bewegung beobachtet und seine Studien am erlegten Tiere fortgesetzt. Von der Sorgfalt solchen Studiums machen sich wohl viele kaum einen rechten Begriff. Der Maler läßt sich sogar die Mühe nicht verdrießen, das tote Wild mittels eines Drahtgestelles aufzurichten, um die Formen und Farben nun genauer auf der Leinwand festhalten zu können. Er malt das erlegte, „zerwirkte“ Wild, d. h. von der Decke entblößt, um so die Muskelteile und Sehnen und ihre Lage besser zu erkennen und dieses Studium rückwärts wieder bei der Darstellung des lebenden Tieres verwerten zu können. Auch an eingefangenen lebenden Tieren lassen sich natürlich gute Studien machen.

Mit Zielbewußtsein ging Kröner seinen Weg. Eine[S. 301] Zeitlang studierte er in Düsseldorf. Auch Paris besuchte er zu weiterer Ausbildung. Immer wieder aber ging er zu seinem besten Lehrmeister, der Natur selbst, in die Schule. Nicht sogleich stellte sich der Erfolg ein, nach und nach aber wurde er als einer der ersten Maler des Waldes und Wildes anerkannt. Viele ehrende Auszeichnungen sind ihm zuteil geworden, zahlreiche silberne und goldene Medaillen wurden ihm auf Ausstellungen verliehen, auch wurde er zum Mitgliede der Berliner Akademie gewählt. Seine Bilder wanderten in die bedeutendsten Gemäldegalerien Deutschlands. Er hat nicht nur in Ölfarben, sondern auch meisterhaft in Wasserfarben gemalt. Auch die Schwarzweißkunst übte er, radierte Blätter eines Jagdbuches und zahlreiche Einzelblätter.

Ein glückliches Familienleben war ihm beschieden. In seiner Gattin Magda Kröner, seiner Schülerin, fand er eine gleichstrebende Lebensgefährtin. Wie oft sind sie gemeinsam miteinander gewandert! Im Teutoburger Walde hatte Kröner seine Jagd, dort hat er viel nach der Natur gemalt, ebenso an der Mosel, besonders aber im Harz, in der Brockengegend bei Schierke. Hochbetagt ist er am 16. Oktober 1911 in Düsseldorf gestorben. Außer seiner Witwe überlebten ihn zwei Söhne, von denen der ältere Kaufmann, der jüngere ebenfalls ein tüchtiger Maler geworden ist.

Das Bild „Im Herbst“ ist ein Werk aus Kröners bester Zeit. Schauplatz ist der Teutoburger Wald, in der Nähe der Externsteine. Wie da ein leichter herbstlicher Duft über dem Walde lagert, wie das Licht hindurchdringt und überall seinen Glanz verbreitet, wie sich dagegen die dunklen Flächen der großen Buche und der hinteren Wipfel abheben, und wie dann wieder über diesen die letzte Höhe,[S. 302] von der Sonne voll beschienen, in lichtem Blau das Ganze krönt. Wie aber auch alles einzelne den Eindruck voller Naturwahrheit macht, zum Greifen deutlich und doch nicht kleinlich, in flotten Strichen hingesetzt; je ferner, desto mehr Fläche, denn auch in der Natur erkennt man da die Einzelheiten nicht mehr. Gerade fällt die Sonne auf die Lichtung, der leichte Schatten der großen Buche nur dämpft diese Helligkeit in der Mitte ein wenig. Auf diese sonnenbeschienene Fläche fällt naturgemäß das Auge des Beschauers zuerst, und dort spielt sich denn auch der dargestellte Vorgang ab. Die dunkleren Körper der Tiere treten aus dem Hellen deutlich hervor, besonders die des vorderen Hirsches mit den beiden Alttieren. Es ist der Platzhirsch mit dem Wilde, das sich ziemlich gleichgültig verhält, er steht ruhig in seiner sicheren Kraft da, der andere, der Angreifer fordert ihn schreiend zum Kampfe heraus, man erkennt seinen Atem in der kühlen Herbstluft. Er will dem Gegner seinen Rang als Führer des Rudels streitig machen. Was wird werden?... Es kommt zum Kampfe. Gewaltig geraten sie aneinander, man hört das Klappen der Geweihe. Die Kämpfer schieben sich hin und her, endlich weiß der Schwächere sich los zu machen und zu flüchten — wenn er nicht, was selten vorkommt, schwerverwundet auf der Walstatt bleibt und seinen Wagemut schließlich doch mit dem Leben bezahlen muß.

Es sind ein Paar kräftige Knaben, die sich hier auf dem Bilde gegenüberstehen, „Zehnender“, wie man sie nach dem Geweih nennt, d. h. sie haben fünf Enden an jeder Stange. Im ersten Jahre schiebt der Hirsch nur ein Paar Spieße aus, im zweiten manchmal ein Paar Gabeln, daher Gabler genannt, meist aber schon ein Geweih mit drei Enden an jeder Stange, so daß er zum Sechsender geworden[S. 303] ist. In der Regel wird er dann mit jedem Jahre stärker, es folgt der Achtender, der Zehnender. Die starken Geweihe über zwölf Enden sind immer seltener geworden.

Der Maler-Jäger Christian Kröner vereinigte den scharfen Blick des Malers mit dem des Jägers. Er schenkte uns herrliche Kunstwerke, er lehrte uns aber auch eindringlich, wie wir mit offenem Auge und Herzen vertieft sehen sollen, um die Schönheit der Dinge in unserem deutschen Walde reicher zu genießen.

Felix Freiherr v. Stenglin.

[S. 304]

Die Flucht nach Ägypten
Von Hans Thoma

Geboren 2. Oktober 1839 in Bernau (Baden). — Städelsches Kunstinstitut in Frankfurt am Main

Bild 36

Unter den deutschen Malern der Gegenwart der innigste und deshalb deutscheste — das ist Hans Thoma! Alles, was Gutes in der deutschen Volksseele lebt: Schlichtheit und tiefe Herzlichkeit, frohe und fromme Liebe zur Natur, aber auch zum Menschen, der in ihr lebt und schafft, schalkhafter Humor und träumerisches Sinnen, fröhliche Lebensbejahung und doch ein Zug der Sehnsucht über Leben und Alltag hinaus — das sucht in Hans Thomas Werken seinen Ausdruck und spricht erquickend zu uns aus seinen Bildern.

Gewiß habt ihr schon das eine oder andere davon gesehen und liebgewonnen; wenigstens wohl einen der farbenschönen Steindrucke, die von des Meisters Hand in die Welt hinausgegangen sind. Vielleicht den „Geiger“, den verträumten Schwarzwaldjungen, der in blauer Nacht, von den silbernen Strahlen des langsam heraufsteigenden runden Mondes umspielt, im kleinen Bauerngarten sitzt und seine junge Sehnsucht, sein Hoffen und Wünschen in leisen, schwebenden Melodien in das traumstille Dunkel hinausklingen läßt, oder den „Säemann“, der hoch aufgerichtet, ernst und feierlich über die feuchtbraune Erde schreitet und in breitem Wurf den Samen in die Scholle streut, daß er keime und Frucht bringe, oder das „Schwarzwaldhaus“, das uns der Maler im ersten Frühlingsscheine zeigt, wenn die Bäume noch kahl sind und die Luft durchsichtig klar ist;[S. 305] hell läßt er die Sonne auf dem braunen Gebälk spielen, fleißige Frauen arbeiten im Gärtchen hinter dem Lattenzaun, und lenzselig kräht der bunte Haushahn in den Morgenglanz hinein.

In diesem Häuschen, hoch oben in den Schwarzwaldbergen, im Dorfe Bernau, ist Hans Thoma am 2. Oktober 1839 geboren worden. Hier hat er die ersten zwanzig Jahre seines Lebens verbracht und alle Süße und alle Stille seiner geliebten Heimat in sich eingesogen. Wie oft mag er, an die Hauswand gelehnt, hier auf dem hölzernen Balkon gestanden und in das wellige Tal mit seinen tief niederhängenden grauen Schindeldächern, den bunt geblümten Wiesen und glitzernden Bächen hinausgeträumt haben und dann weiter über die fernen Wälder und Berge in die unbekannte Welt, die dahinter lag, oder nächtens in die hehre und geheimnisvolle Sternenwelt hinauf. Denn ein Träumer und „Sinnierer“ war der Thoma Hans von klein auf, das lag ihm schon im Geblüt; den größten Einfluß aber auf das Gemüt des Knaben hatte die Mutter, die mit ungewöhnlicher Erzählergabe tausend bunte Bilder aus ihrem eigenen wunderlichen Traumleben, aus der Märchenwelt und aus der Heiligen Geschichte in die Seele ihres Buben senkte und seinen Sinn für das geheimnisvolle Leben in und um uns empfänglich machte; sie war eine fromme Frau, die des Abends gern aus der Bibel vorlas oder vorlesen hörte; dann lauschten alle mit stillen Augen, unter ihnen der kleine Hans, und sahen die Gestalten des heiligen Buches leben und sich regen, und dann sprachen die Großen über das Gelesene. Diese Eindrücke senkten sich unverwischbar in das weiche, phantasiebegabte Kindergemüt, in dem das Gelesene vielleicht am klarsten und reinsten zum Bilde sich formte. Und so griff er auch später als Mann und Greis[S. 306] immer wieder zur Bibel, um mit gereiftem Sinn und tieferer Demut dem göttlichen Geheimnis nachzugehen. Aus dieser religiösen Erinnerungs- und Erlebnisfülle mußten auch dem Künstler und Meister Hans Thoma mancherlei Gesichte zuströmen, denn alles, was sein Herz bewegte, wurde ihm zum Bilde, und Mensch und Künstler waren eins in ihm.

Seht euch die „Flucht nach Ägypten“ an. Es ist eines seiner schönsten und innigsten Bilder. Ihr kennt die Stelle der Heiligen Geschichte? „Da die Weisen aus dem Morgenlande aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Joseph im Traum und sprach: Stehe auf und nimm das Kindlein und seine Mutter zu dir und fliehe in Ägyptenland und bleibe allda, bis ich dir sage; denn es ist vorhanden, daß Herodes das Kindlein suche, dasselbe umzubringen. Und er stand auf und nahm das Kindlein und seine Mutter zu sich bei der Nacht und entwich in Ägyptenland...“ Ernst und behutsam führt Joseph das brave Eselein durch das blühende, grüne Land. Er sieht nicht vor, nicht hinter sich. Sorge beugt seinen Nacken und macht seinen Schritt schwer. Aber Maria, die mütterliche Frau, die still und gefaßt auf dem geduldigen Grautier sitzt, hat den Blick hoffnungsvoll erhoben. Ihr Auge hängt gläubig an der lichten Engelsgestalt, die in holdernster Kindlichkeit neben ihr schwebt und mit tröstender Gebärde in die Ferne, in eine glücklichere Zukunft der Geborgenheit deutet; strömendes Sonnenlicht verklärt ringsum das Land wie eine göttliche Verheißung, als sollten alle Not und Trübsal der geängstigten Kreatur sich über ein Weilchen in Frieden und Seligkeit wandeln. Im Schoße der Mutter aber schlummert tief und glücklich das Jesuskind dem Ziele entgegen. Und noch ein andrer kleiner Himmelsgesandter[S. 307] gibt Eltern und Kind das Geleit, er trägt Blumen im Arm und hat Blüten auf den Leidensweg der heiligen Familie gestreut und auch das getreulich schreitende Tierlein mit den bunten lebendigen Sternen geschmückt...

Fühlt ihr den Zauber des Bildes? Was ist nun das Schöne an ihm, das, was uns erfreut, ergreift und rührt und zugleich mit tiefem Frieden erfüllt? Ist es die klare, rein leuchtende Farbe? ist es die schlichte, liebevoll geführte Linie, mit der jedes Antlitz, jede Hand, jede Gewandfalte gestaltet ist, ist es der fromme Vorgang des Bildes oder die Anordnung der ziehenden Gruppe vor der in Sonnenglast und Ferne verdämmernden Landschaft, die einen so süßen deutschen Klang hat —? Ach, ihr fühlt es schon, es ist der Geist, es ist die Seele und Liebe des Meisters, aus der das alles geflossen ist, Farbe und Linie, und was sonst noch auf dem Bilde zu uns spricht, die alles zur Einheit verschmilzt, durchleuchtet und verklärt. Aus ihr heraus mußte alles schlicht und innig, rein und klar, friedlich und inneren Lebens voll, lieblich und köstlich auf der Leinwand entstehen und mußte auch so in unsre Augen und Herzen scheinen. Meister Thoma hat niemals bloß etwas mit der Hand oder mit den Augen gemalt und gezeichnet; er hat immer und vor allem mit dem Herzen geschaffen und für die Herzen der andern. Das Herz aber kennt keinen Prunk und aufregenden Lärm und keine kalte oder erregende Schönheit der Farben und der Linien und andern gefälligen Zauber. Der Meister schrieb einmal über seine biblischen Bilder: „Diese Bilder sind wie die andern auch emporgewachsen aus einer Summe von Empfindungen, aus denen die Phantasie sie zur künstlerischen Form gestaltet. Es sind Empfindungen, wie sie im Volksgemüte leben, uraltes Erbgut; ich möchte fast sagen, ich male[S. 308] solche Sachen so, als ob ich sie für die einfach gläubige Frömmigkeit meiner Mutter malte — ohne Geistreichheit — die Stoffe, wie sie sich geben, nur mit dem Schmucke versehen, den ich ihnen nach Kraft und Recht meines künstlerischen Vermögens geben kann —“ und man darf hinzusetzen: seines männlich-schlichten, innig deutschen Herzens, seines gott- und menschennahen Gemüts, das er aus der reinen und erhabenen Stille seiner Bergesheimat ins Leben mitgenommen hat.

Hans Thoma hat viel, unendlich viel geschaffen. Sein Leben, das jetzt in den Achtzigen steht, war reich und gesegnet und ist es geblieben bis diesen Tag. Ach, es ist vor diesem Reichtum und dieser Fülle schwer und unmöglich zu sagen: das ist das Schönste, das Beste, das Eigentliche! In allen Blättern und Bildern leuchtet ja die Thoma-Seele, lebt das Thoma-Herz.

Ebenso tief ihm eingesenkt, wie die Liebe zum altehrwürdigen religiösen Erbgut, ist ihm die Liebe zur Heimat. Ein Mensch wie Thoma mußte mit Liebe und Lust an Gottes schöner Natur hängen, und die Natur ist für einen solchen Herzmenschen immer und vor allem die Heimat. So hat Thoma von Anfang an und immer wieder seine Heimatlandschaft gemalt und gezeichnet und ist ihr als Schaffender durch alle Jahrzehnte seines langen Lebens treu geblieben. Nach großen, lärmenden, „gigantischen Motiven“ hat unser Meister auch hierbei niemals ausgeschaut, die welligen Gelände seines geliebten Schwarzwaldes oder des ihm formverwandten Taunus, der Mainlauf mit seinen heitern Ufern waren für ihn immer wieder voll stiller, feiner, lieblicher Bildergedanken.

Wie wundervoll vertraut leuchten die Bilder und Bildchen uns mit ihren klaren ruhigen Farben an — die[S. 309] Wärme, die von ihnen weht, der Thoma-Zauber machen sie uns im Beschauen zu beglückenden Sinnbildern deutscher Heimat; wir atmen den Duft des Korns, das auf sonnenheißen Feldern schauert, hören den Bach plaudern, der sich hell schimmernd aus blumigem Dickicht seinen Weg über feuchtes Geröll sucht, wir riechen den starken Erdodem der Schalle, die der warme Frühling gelockert hat, hören das Flüstern und Schwirren der Blätter auf einsamer Berghalde oder das geheimnisreiche Raunen der Nacht, wenn sie mit weichem, blauem Dunkel die Hütten im Tale umfängt; wir lagern mit dem wegmüden Wanderer am Waldrand und träumen hinab in den kühlen Grund und hinaus in die besonnte Ferne, in der lichte Bergkuppen, heitre Wiesen und Felder und ein heimelig verstecktes Städtchen schimmern, und über uns am blauen Himmel ziehen die großen, weißen Sommerwolken — ach, so könnte man noch von hundert Bildern erzählen, aus denen die Wärme und der Frieden der Heimatliebe und die stille, leise Trauer der Erdensehnsucht ihren Zauber spinnen! Und in dieser von ihm geliebten Landschaft malt er auch die Menschen seiner Heimat; seine heitern oder versonnenen Fabelwesen, Nymphen, Faune, Waldschrate und die holden sinnbildlichen Gestalten des Traums und des Frühlings; ja, selbst die Bildnisse von Freunden und Verwandten, die er mit behutsamer Hand und bis ins Innerste spähenden Augen geschaffen hat, sind fast immer vor so einen landschaftlichen Hintergrund gestellt, der wie eine leise, kennzeichnende Melodie das Bildwesen des Dargestellten umklingt. Meister Thoma hat gemalt, gezeichnet, lithographiert, radiert — da gibt es kein Ende, nicht für ihn und nicht für uns! Ihr kennt sicherlich manche seiner hundertfach vervielfältigten Federspiele und Zeichnungen,[S. 310] zum mindesten die lustig-putzigen, auf Wolken jubilierenden und segelnden, auf Vögeln reitenden Engelein — er hat mit zahllosen dieser Blätter und mit seinen schönen Steindrucken die Wärme seiner Kunst bis in die fernsten und einfachsten Hütten getragen und Augen und Herzen Tag um Tag erfreut.

Ach, lieber Meister Hans Thoma, wieviel ließe sich noch über dein reiches, köstliches Lebenswerk sagen. Aber ich hoffe, etwas von deiner guten Menschlichkeit, von deiner dankbaren und sehnsüchtigen Frommheit, von deinem Frohsinn und deiner heißen, zarten Liebe zur Heimat, ein Hauch deiner innigen, schlichtgroßen Kunst, der jeden erfüllt, der dein Werk betrachtet und liebt, ist vielleicht auch in diese bescheidenen Zeilen eingegangen und hat dich den jungen Lesern lieb gemacht, so daß sie gern mehr von dir sehen wollen, um dich ganz kennenzulernen und zu besitzen. Und so nehmen wir Abschied von dir und grüßen dich dankbar und ehrfurchtsvoll mit dem schönen Dichterwort, das so gut auf dich paßt:

Der ist in tiefster Seele treu,
Der die Heimat liebt wie du.

Gertrud Triepel.

[S. 311]

Das Tischgebet
Von Fritz von Uhde

Geboren 22. Mai 1848 in Wolkenburg in Sachsen, gestorben 25. Februar 1911 in München. — Musée de Luxembourg in Paris

Buntbild VIII

Wer Palästina bereist und seine heiligen Stätten, wird immer eine Kette von Gedanken mit sich tragen, die zurückführen auf die Geschichten des Neuen Testaments, und fast unbewußt wird ihn über die Berge und Täler bis zu der Lehmflut der Jordanfurt und dem stillen Wasserspiegel des Toten Meeres eine Gestalt begleiten, der unsre religiöse Phantasie Leben geschaffen hat: ein Mann mit hehrem, durchgeistigtem Gesicht, lockigem Haupthaar, gekleidet in eine schlichte, lang herabwallende Tunika, mit Sandalen an den Füßen — die Gestalt Jesu Christi.

Mir wenigstens ist es so ergangen. Ich hatte mich freilich vorher in die Evangelien vertieft und folgte ihrem Erzählungsstoff als ich oben am Saume des Plateaus über Tiberias stand, unter mir den schweigenden See von Genezareth mit den ihn umgebenden, schroff abfallenden, zerklüfteten Bergen. Auch auf Jerusalems hochehrwürdigem Tempelplatz und am Quellstrom des Jordan, im Garten Gethsemane, wo Judas den Herrn verriet, und auf der Höhe des Ölbergs, am Jakobsbrunnen, am Grabe Josephs und vor allem in jener grünen Talmulde, in die sich die weißen Häuser von Nazareth schmiegen, der Jugendheimat Jesu.

Kein Ort in Palästina ist durch die Überlieferung so zu[S. 312] Ansehn gekommen wie gerade Nazareth. Das Alte Testament erwähnt seiner nicht, und da es bei Johannes an einer Stelle heißt: „Was kann von Nazareth Gutes kommen?“ — so läßt sich vielleicht annehmen, daß es dermaleinst die kleinste und unbedeutendste Stadt Galiläas war. Aber sie wurde zu weltgeschichtlicher Bedeutung durch den Aufenthalt des Heilands. Wie lange lebte er in der Stille und Einsamkeit dieses abgeschiedenen Fleckens? Wir wissen es nicht. Im Lukas-Evangelium wird von dreißig Jahren gesprochen, ehe der Ruf des Täufers Johannes durch das Galiläische Land drang; aber sei es eine kürzere oder längere Zeit gewesen, eins steht fest: es war die Zeit der Vorbereitung für Jesus und sicher gefüllt mit einem überreichen und wunderbaren Inhalt.

Der Vater Jesu war ein Zimmermann, ein Wanderhandwerker, und seine Werkstatt zu Nazareth zeigt man noch heute — oder wenigstens den Ort, wo sie gestanden haben kann, und einen Pfeiler aus porösem Gestein als letztes Überbleibsel der Wohnung von Joseph und Maria. Ich malte mir in der Phantasie die Wohnung aus, wie sie zu Zeiten Jesu gewesen sein könne: ein winziges Häuschen aus Holz und Lehm mit runden Dachbalken und dem üblichen Söller, auf den eine Holztreppe führte. Im Hause wenig mehr als zwei Räume, einfach ausgestattet mit groben Decken und Teppichen, den nötigen Geräten und dem Handwerkszeug. Jesus half dem Vater bei der Arbeit, auch er war ein Zimmermann. Er lebte in dieser verlorenen Kleinstadt, ging am Sabbat in die Synagoge, ließ sich am Wochenende seinen Lohn auszahlen. Er lebte wie ein Mensch unter Menschen, aber von einem anderen Geiste erfüllt als diese, das zeigt uns jener Besuch mit den Eltern zum Osterfeste in Jerusalem, da die angsterfüllte[S. 313] Mutter nach langem Suchen den Sohn im Tempel mitten unter den Lehrern fand.

Neben der kleinen maronitischen Kirche in Nazareth liegt die sogenannte Mensa Christi in einem neueren Gebäude mit einem großen runden Steinblock. Fromme Legende erzählt, das sei der Tisch gewesen, an dem Jesus vor und nach seiner Auferstehung mit den Jüngern gespeist habe. Und an diesem Tische sah ich ihn im Dämmer einer Nachmittagsstunde scheinbar leibhaftig sitzen: als einen Mann mit hehrem, durchgeistigtem Gesicht, lockigem Haupthaar, gekleidet in eine schlichte, lang herabwallende Tunika mit Sandalen an den Füßen.

So lebt er in der nachschaffenden Erinnerung des Christentums — und so sehen wir ihn auf dem berühmten Bilde Fritz von Uhdes, das hier in seiner farbigen Wirkung wiedergegeben ist. Das Zuständliche ist eine Bauernstube, dem Eindruck nach eine holländische oder eine aus dem deutsch-belgischen Grenzgebiet, die Wände kahl, der Boden mit Ziegelfliesen belegt. Durch das gardinenlose Fenster fällt der Blick auf flaches Land und das rote Dach eines Fabrikgebäudes, über dem noch der Himmel blaut, sich aber schon in zartes Dämmerlicht einwebt. Die Armut wohnt in diesem kärglichen Heim. Doch alles ist blitzsauber, auch der zur Abendmahlzeit hergerichtete Tisch mit dem großen Kartoffelnapf in der Mitte. Mann und Frau stehen sich gegenüber, er noch in seiner Arbeitsbluse, hinter der Frau wird das Elternpaar sichtbar, am Ende des Tisches warten die Kinder.

Ehe sich die Familie zum Essen setzt, wird das Tischgebet gesprochen. Es ist das uralte: „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast. Amen.“ Woher dies Gebet stammt, läßt sich nicht nach[S. 314]weisen. Der Volksmund hat es geformt, vielleicht schon vor Jahrhunderten, in dem innigen Glauben, daß auch des Leibes Nahrung von Gott kommt und des Segens des Himmels bedarf. Und während dies Gebet gesprochen wird, erscheint der Herr Jesus Christus selbst, wie eine Lichtgestalt, und erhebt segnend seine Hand.

Er ist nicht etwa eine geisterhafte Erscheinung, das Ganze soll keineswegs wie eine Vision wirken. Hätte das der Maler so gewollt, so würde der Ausdruck in den Gesichtern der Bäuerin und der Kinder ein anderer geworden sein, ein erstaunter ob des Wunders, ein ekstatischer, ein verzückter. Aber während der junge Mann nur andächtig vor sich niederschaut und das eine der Kinder, wohl der Kleine, der das Gebet gesprochen, noch die Hände auf dem Tisch gefaltet hält, lebt im Gesicht der Bäuerin ein unendlich dankbarer, fromm einfältiger Ausdruck. Der Maler hat geflissentlich seine Szene aus dem Bereich des übersinnlichen und des Unwirklichen in das der Natürlichkeit gerückt. Da steht der freie Stuhl und der Teller für den Herrn Jesus, die symbolische Einladung des Tischgebets ist zur Wirklichkeit geworden, der Herr ist eingetreten in die niedrige Stube des armen Mannes und will mit der Familie speisen.

Dies Gemälde, dessen Original das Pariser Luxembourg-Museum ankaufte, ist 1885 entstanden und nicht das erste, in dem der Künstler rücksichtslos mit den Überlieferungen der religiösen Malerei brach, wie sie die Düsseldorfer Schule unter E. v. Gebhardt in Anlehnung an die alten niederländischen und deutschen Meister wiederaufgenommen hatte. Wählten diese Darstellungen aus der evangelischen Geschichte im Spiegel des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts und ihrer zeichnerischen[S. 315] und malerischen Prinzipien, so ging Uhde ein gewaltiges Stück weiter und versetzte den Stifter der christlichen Religion in seiner typischen, nur realistisch umgebildeten Erscheinung unmittelbar in die lebenatmende Gegenwart. Und zwar zog er den Gläubigen auf seinen Bildern nicht etwa eine besondere Feiertagstracht an, wie sie die Besteller und Stifter der Altarbilder des Mittelalters und der Renaissance in sichtbarem Stolze zur Schau tragen, sondern er stellte den Heiland in seiner „Knechtsgestalt“ auf Erden mitten unter die „Knechte“, die Ärmsten der Armen, die Zöllner und Sünder, die „Mühseligen und Beladenen“ in ihrer Alltagsgewandung.

Dieser Bruch mit der Auffassung des Hergebrachten erschreckte anfänglich, wie alles Neue in der Kunst, aber der Kreis der Anhänger Uhdes erweiterte sich bald. Man erkannte und fühlte die Tiefe des Grundgedankens, der den Künstler beherrschte: die Gleichberechtigung aller Gläubigen vor dem göttlichen Mittler — man verstand auch die schöne und geistvolle Auslegung des Schriftworts: „Wo Zween oder Drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Am Schluß des Matthäus-Evangeliums steht ein ähnliches Wort: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.“ Dies ewige Beiunssein des Gottessohnes in unsern Gebeten ist der verklärende Gedanke in Uhdes religiösen Bildern. Im übrigen: läßt sich die Berechtigung bestreiten, Christus unter den Menschen der Gegenwart darzustellen, wenn dies den alten Meistern unter den Menschen ihrer Zeit erlaubt war? Gewiß nicht. Aber das Äußerliche, so verblüffend es auch durch seine Neuheit wirkte, wäre doch nur leere Form geblieben ohne die seelische Verinnerlichung, die aus Uhdes Bildern spricht. Dabei fließen[S. 316] naturgemäß Gemüt als die Fähigkeit zum Fühlen, Geist als die Fähigkeit des Denkens und Technik als die Fähigkeit zur malerischen Ausgestaltung zusammen. Wir betrachten unser Bild. Draußen vor dem Fenster noch blauender Himmel, im Zimmer streifen schon die Schatten des Abends über die Decke und durch die Winkel, und in diesem Herbstlicht stehen die Figuren in vollkommener Körperlichkeit. Uhde lag es fern, in seinem Gemälde das Christentum zu verwässern und der Heilandserscheinung etwa ein plattnaturalistisches Gepräge zu geben. Im Gegenteil, die Gestalt Christi in der dürftigen Bauernstube wirkt wunderbar erhaben, doppelt erhaben in ihrer Schlichtheit und Anspruchslosigkeit, alles Licht scheint von ihr auszustrahlen, und es bedurfte kaum des Glorienscheins über ihrem Haupte, um den Adel der geistigen Auffassung noch mehr zu betonen.

Im gleichen Jahre 1885 entstand, etwas früher als „Das Tischgebet“, ein zweites Bild nach genau demselben Motiv, bekannt geworden unter dem Text des Gebetspruchs „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast“ (Original in der Berliner Nationalgalerie). Hier ist der Raum größer und gewährt einen behaglicheren Eindruck, der Heiland tritt eben in die Stube, und der Hausvater ladet ihn mit entsprechender Gebärde ein, am Tische Platz zu nehmen, auf den die junge Frau gerade die gefüllte Schüssel niedersetzt. Aber die Gestalt Christi ist in dieser Erstfassung nicht ganz frei von etwas theaterhafter Haltung, und ich ziehe schon deshalb das „Tischgebet“ vor, auf dem zudem die Figuren knapper gruppiert sind und dem Beschauer gewissermaßen näherrücken. Dadurch wirkt das Ganze geschlossener, traulicher und intimer, es wird zu einem Familienidyll.

Fritz von Uhde, der heute leider nicht mehr unter den[S. 317] Lebenden weilt, wurde am 22. Mai 1848 zu Wolkenburg in Sachsen geboren und bezog achtzehnjährig die Dresdner Kunstakademie, sattelte indes bald wieder um und trat in das Gardereiterregiment ein, in dem er bis zu seiner Beförderung zum Rittmeister verblieb. Aus dieser Zeit kenne ich ein Porträt von ihm, als großen, schlanken, schönen Mann mit mächtigem dunklen Schnurrbart, und dies Charakteristische seiner Erscheinung hat er auch später nicht verloren. 1877 nahm er in München die Kunst als Lebensberuf wieder auf, und zwar zunächst ohne eine führende lehrende Hand, bis er mit dem ungarischen Maler Munkacsy bekannt wurde und ihm nach Paris folgte. In der technischen Behandlung zeigten seine ersten Bilder durchaus den Einfluß des älteren Meisters, in der Wahl der Motive aber und mehr noch in der Beleuchtung die Einwirkung der alten Niederländer wie Frans Hals und Jan van der Meer. Eine Studienreise nach Holland eröffnete ihm das Verständnis für die „freie Luft“, für die Schönheit der hellen Durchsichtigkeit, und seine prächtigen Bilder aus dieser Zeit, meist Genreskizzen aus dem holländischen Volksleben, beweisen, wie entschlossen er sich von der Pariser Atelierüberlieferung und ihren schablonenhaften Modellen lossagte. Die Übertragung seiner neuen Darstellungsart, der Hellmalerei in freier Luft und bei zerstreutem Licht, auf heimische Motive stieß anfänglich auf Widerstand, machte aber später Schule. Und dann kam sein erstes religiöses Bild, „Christus und die Kinder“, und erregte gewaltiges Aufsehn, und doch schließlich nur, weil es so gar nicht der Tradition entsprach. Die ernsthafte Kritik freilich betonte schon damals das Gelungene dieses kühnen Wagemuts und die Ehrlichkeit in der Überzeugung des Malers, daß es nicht die höchste Aufgabe christlicher[S. 318] Darstellungskunst sei, blind der Vergangenheit zu folgen, sondern daß auch die Gegenwart historische Rechte an sie stelle. Jede seiner neuen Schöpfungen war nun ein weiterer Schritt vorwärts, die Kraft der malerischen Behandlung wuchs zusehends, und wenn er sich auch in der Übertragung biblischer Überlieferung auf die moderne Gegenwart immer vorsichtig vor einem Zuviel hütete, so blieb er doch seiner Auffassung und Auslegung des religiösen Stoffes getreu. Nur in seinem sehr schönen Abendmahlsbilde hat er den Jüngern die übliche Tracht gegeben, den weiten gegürteten Rock mit dem Mantel darüber. Den Höhepunkt seines Schaffens aber erreichte er wohl in dem hier wiedergegebenen Gemälde. Die Geschichte Jesu Christi ist vielfach romantisch behandelt worden. Ein deutscher Schriftsteller, Max Kretzer, hat sogar versucht, die künstlerische Auffassung Uhdes in einen Gegenwartsroman zu übernehmen, und Christus redend und handelnd in die moderne Welt der Arbeit eingeführt. Aber was da schemenhaft an uns vorübergleitet und fast gespensterhaft wirkt, das wird in den Bildern Uhdes zu jenem Quell sprudelnder Wahrheit, der den Geist des Christentums beherrscht, und zu einer das Tiefstinnere durchdringenden Schönheit.

Fedor von Zobeltitz.

[S. 319]

Bäuerinnen in der Kirche
Von Wilhelm Leibl

Geboren 23. Oktober 1844 in Köln, gestorben 4. Dezember 1900 in Würzburg. — Kunsthalle in Hamburg

Bild 37

Wilhelm Leibl vertritt für die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts diejenige künstlerische Anschauung, die man in der französischen Entwicklung den Impressionismus nennt. Er gibt dieser Sehart eine deutsche Form und führt sie zur Größe. Impressionismus ist die malerische Form, die es durchführt, das Bild ganz rein aus den Farbeneindrücken der Dinge im Auge aufzubauen, die alles andere, Deutlichkeit der Körpergestalt, Klarheit des Bildraumes, geistige Bedeutung der Erscheinung, zurücktreten läßt, einschmelzen läßt in die reine Erscheinung der Welt als Farbe. Da die Farbe an sich — als Farbenfleck — eben, flächig ist, hat auch das Gesamtgebilde, das Malerei aus solchen kleinsten Farbeneindrücken erschafft, eine ebene, raumlose, zarthauchige, schwebende Wirkung. Es wird das Einssein aller Dinge im Erlebnis des Sehens, ihr bloßes Dasein für das Auge als Schönheit, als ein tiefer Geisteswert gefühlt, und darum dies und nur dies gestaltet. Die Seele nimmt das Sein der Dinge als Farbenspiel ins Bewußtsein, und dies von Farben getragene Gefühl vom Sein der Welt als Farbenleben ist Glück, so daß der Geist besondere Inhalte, Bedeutsamkeiten der dargestellten Dinge nicht weiter sucht. So entstand eine sehr geistige, feinsinnige Kunst, die der Stolz der Spätzeit des 19. Jahrhunderts und Ausdruck ihres Weltgefühls gewesen ist.

[S. 320]

Der erste, der Malerei in diesem Sinne als reines Sehen auffaßte, war Gustave Courbet in Frankreich. Die neue Farbe aber, die er für die Erscheinungen und für seine Liebe zur Erde fand, war noch dunkel, schwer, wenn auch in zarten Tonabstufungen belebt. Nach ihm kam Edouard Manet und vermählte diese rein flächige Farbigkeit der Erscheinung mit dem Licht, dem Äther über und um die Dinge. Es entstand die Hellmalerei, der vollendete Impressionismus.

Ihren Ausgang hatten die französischen Maler, die den Impressionismus schufen, von der älteren Wirklichkeitsmalerei der Spanier genommen, Courbet von Ribera, Manet von Goya und Velasquez. Leibl in Deutschland geht dagegen von der Malart der Holländer der großen Zeit aus. Wie die holländischen Bildnismaler stellt er die Figur auf dunklen Grund und gibt eine geschlossene Bewegung der Farbe aus diesen Dunkelheiten über Zwischentöne und Farbenstufen empor zum hellsten Licht auf Händen, Gesicht und dem Weiß der Kleidung. Und die hohe Aufgabe des Künstlers ist es, diese Gegenwerte von Dunkel und Hell, den Farbengrund und das Leben von Händen und Antlitz, in ein frei abgestimmtes Gleichgewicht zu bringen. Diese Anschauung vom schönen, tonfeinen Bilde hat Leibl in seinen ersten Münchner Lehrjahren gewonnen. Adrian Brouwer, Ostade, Rembrandt waren die großen Lehrmeister solcher Form, die als malerisches Handwerk auch von Ramberg, einem begabten und geschmackvollen Manne, gepflegt wurde, in dessen Malschule Leibl arbeitete. Wie nahe er altholländischer Schönheit kam, zeigt das wundervolle Bildnis der Frau des Baumeisters Gedon aus dem Jahre 1869, das heute in der Münchner Neuen Pinakothek ist.

[S. 321]

Dies Bild des Fünfundzwanzigjährigen bezeichnet das Ende seiner Lehrjahre. Es beginnen die Wanderjahre. Ihm waren, als dem Künstler einer anderen Zeit, neue und eigene Ziele gestellt. Die Zeitaufgabe einer neuen Malform, die Sehart des Impressionismus, rührte ihn an. Diese neue Form war nicht Willkür, französische Laune. Sie war ein Zeitgebot. Die Welt rein als Farbe, als Eindrucksspiel aus Farben zu begreifen, war das Sehgesetz des technischen Zeitalters. In den Dienst dieses künstlerischen Zeitgedankens trat Leibl mit dem Jahre 1869. Da war in München eine große Kunstausstellung, auf der auch Bilder von Courbet und Manet zu sehen waren. Leibl, der genialste der jungen Maler in Deutschland, war der einzige, der sofort begriff, was hier vom romanischen Formsinn Neues und Bedeutendes erstrebt wurde, denn seine eigene innere Entwicklung hatte ihn verwandter Anschauung zugeführt. Längst war sein Bild viel flächiger und viel mehr auf reinen Farbeneindruck, auf reinen Seheindruck gestellt, als je ein holländisches Stück. Diese seine eigenen Ahnungen bestätigten ihm die französischen Werke. Daß er von ihnen Anregungen nahm, das hat nichts zu tun mit dem Begriff Nachahmung. Geistesverwandtschaft, Zeitverwandtschaft wirkte sich aus. Leibl begriff die geistreiche Art, wie Manet Eindrücke als Farben, als knappe, treffende, lichtrichtige und lufthaltige Farbflächen in die Bildfläche zwang. Vor allem aber tat es ihm Courbet an, der als ein Sproß burgundischen Bauerntums aus dem Schweizer Jura dem Pfälzer, der Leibl war, dem Blute nach näher stand. Courbets dunkle klangschwere Farben antworteten seinem Farbengefühl. Courbet kam damals nach München, lernte Leibl kennen und befreundete sich[S. 322] mit ihm. So geschah es im Zusammenhang mit dieser Bekanntschaft, daß Leibl zu Beginn des Jahres 1870 nach Paris ging. Hier sind nun Werke entstanden, die dem französischen Impressionismus so nahe sind, wie nichts Deutsches sonst. Und doch sind sie immer aus deutschem Gefühl geboren und mochten den Franzosen eher der Art Holbeins verwandt erscheinen, als der ihren.

„Die Pariserin“, heute im Wallraf-Richartz-Museum in Köln, der „Savoyardenknabe“ ebendort, das sind Glanzstücke impressionistischer Form, aus tiefem, schönem Schwarz zu weichen, blonden Helligkeiten geführt. Aber das Meisterwerk war das Bildnis eines Mädchens in schwarzem Gewand, die eine holländische Tonpfeife hält, eingeschmiegt in einen Sitz aus farbigen orientalischen Wirkereien. („Die Cocotte“ im Wallraf-Richartz-Museum.) Ein Schwarz, das förmlich leuchtet, ist hier in tiefe, warme Umfarbe gebettet, und das schöne, weiche Hell der Hände und des Gesichts steht zart luftig über dem Tönespiel der Farben. Diese Pariser Bilder sagen es schon aus, daß Leibl einmal der größte Maler der Hände in deutscher Kunst sein wird.

Der Krieg zwang Leibl, Paris zu verlassen. Aber er blieb zunächst in der gleichen Schaffensbahn. Immer heller, immer leichter wurden seine Farbtöne, immer freier, immer treffender, dem reinen Seheindruck immer gemäßer seine Farbenformeln. Hauchige blütenhafte malerische Gebilde sind damals entstanden, wie das Bildnis einer Nichte Leibls, Nina Kirchdorff, heute in der Pinakothek. Diese Entwicklung gipfelt in dem herrlichen, leider unvollendeten Bild der „Tischgesellschaft“ (Köln, Wallraf-Richartz-Museum), an dem er von 1871 bis 1874 arbeitete. Eine ganz strenge, schwierige Farbenrechnung,[S. 323] ein großartiger Aufbau der Farbenflächen zu reinem Einklang, dient hier als äußeres Mittel doch nur dazu, seelisch Tiefes auszusprechen, das stille Zusammensein von Menschen, ihr Dasein an sich als Gefühl füreinander.

Aber nun erwachte in Leibl ein neues tiefes Gefühl, die Natursehnsucht des künstlerischen Menschen. Er verließ München, wo zuletzt nur noch die alten Bilder der Pinakothek seine Freunde gewesen waren, ging aufs Land, wohnte unter Bauern in einfachster Lebensart. Und hier gab er seiner impressionistischen Malform ein neues Ziel, eine große Wendung: sie sollte fähig werden, aufs schärfste, treueste die ganze Wirklichkeit der Gesichtswelt nachzugestalten. Bis dahin waren Leibls Bilder geistreich und geisttief gewesen, jetzt sollten sie naturhaft und naturtief werden. Hierfür gab er die Sehart des Impressionismus durchaus nicht auf. Sein Mittel bleibt die feine, zartest abgestimmte kleinste Farbenfläche, die malerische Eindrucksformel als Wiedergabe eines kleinsten Eindrucksteiles. Sein Bild bleibt Erscheinungsfläche, geschlossen einheitliche Ebene aus Farbtönen. Aber diese feinen, luftigen Farbtönungen und der gesetzmäßige Zusammenbau der Eindrucksformeln zum Bildfeld, das wird so verfeinert und gesteigert, daß nun ein Stück Welt in seiner vollen Festigkeit, Fülle und Tiefe darstellbar wird. Es entsteht jetzt der eigentliche deutsche Impressionismus. Wie in französischer Freilichtmalerei ist alle zeichnerische Darstellungsart auch bei Leibl streng ausgeschlossen, alle Linienarbeit, mittels deren man wohl leicht Körper- und Raumtiefe erfassen kann, aber dadurch die Einheit des Farbenlebens verfehlt. Alle Körperlichkeit und Raumheit, aller Eindruck von Stofflichkeiten soll im Impressionismus ganz rein als Ergebnis der Farbenzusammenhänge[S. 324] da sein; denn die Sehwelt ist hier als Farbe und nur als Farbe begriffen. Es war eine unsäglich schwere Aufgabe, die Leibl sich so stellte. Fernstes wollte er verbinden, zusammenzwingen: höchste Geistigkeit der reinen Farbenanschauung, geistigstes Gesetz der Farbe an sich und die naturhafte Tiefe und Gewalt der Wirklichkeit. Daß Leibl in ungeheurem Ringen mit der Last dieser Aufgabe sie löste, macht ihn zu einer der großen Gestalten der Kunst. Etwas Hohes ist hier geschaffen: die Wiedergeburt der Wirklichkeit aus dem Geist der Farbe. Den großen Geistern der germanischen Malkunst gesellt sich Wilhelm Leibl mit den Schöpfungen seines persönlichen Stils, den Jan van Eyck, Bruegel, Brouwer und Vermeer erscheint er nun verwandt, die alle das Tiefste wollten: in Farben das Vollwirkliche fühlen lassen.

Schritt um Schritt hat Leibl sein Ziel erreicht, jeder Schritt eine große Schöpfung. Das wundervolle Bild von 1874, „Dachauer Bäuerinnen“, in der Berliner Nationalgalerie hat noch weiche hauchige, lockere Flächen, aber schon eine neue Festigkeit der Gestalten, eine scharfe Klarheit des Flächengefüges, ein sicheres Gleichgewicht der Massen und Farben. Man fühlt förmlich das Schweben und Widerschweben der feinen Gewichte der Farbabtönungen, die den Bau des Bildes zur Harmonie stimmen. Im Fortgang seines Schaffens sucht der Künstler nun den Farbenflächen vollste Festigkeit, letzte Klarheit zu geben. Das ist erreicht im Bildnis des jungen Baron Perfall von 1876 (Berlin, Nationalgalerie). Hier steht die Gestalt als Aufbau der lufthaften Töne der Jägerkleidung und der gebräunten Glieder fest und klar im freien Raum. Wie dann der Seespiegel und der Himmelsgrund luftblaß durch das Zweigegitterwerk der jungen[S. 325] Triebe am alten Weidenstock über dem See hindurchschimmern, wie die Seeufer drüben flach, weich im Wasserduft liegen, das ist Malerei des Wirklichen in diesem neuen Geist. Das alles noch einmal angespannt und verschärft bringt das Bild der „Dorfpolitiker“ von 1877 (Berlin, Sammlung Arnhold). Sicherste Darstellung der Menschen als individueller Charaktere ist hier vereint mit lichtscharfer, farbenklarer Malart. Aber die Genauigkeit der malerischen Form ist hier fast bis zur Härte getrieben. Das eingehende Studium der einzelnen Bauerngesichter, wie sie eine Amtsverfügung bereden, hatte Züge des Anekdotischen in das Bild gebracht. Die zauberhafte malerische Schönheit der „Dachauer Bäuerinnen“ von 1874 war hier allzuweit ferngedrängt. So ging Leibl daran, alles, was er an Darstellungsmitteln errungen hatte, in einer großen Schöpfung zu vereinigen. Dies Werk ist das Bild der „Bäuerinnen in der Kirche“ in der Kunsthalle zu Hamburg, das in Berbling von 1878 bis 1881 in vier Sommern entstand. Hier gipfelt Leibls Schaffen. Nicht so, daß die einzelnen Schönheitswerte der übrigen Bilder überboten würden. „Die Raucherin von 1870“, die „Tischgesellschaft“, die „Dachauer Bäuerinnen“, viele Einzelbildnisse — ihre Schönheit ist in sich vollendet und unüberbietbar. Was dem Kirchenbild seine einzigartige Bedeutung gibt, ist die hier voll und endgültig erreichte Wirklichkeitsnachschaffung in den höchsten Mitteln malerischer Form. Diese drei Weiber sind vor uns, als ob wir ihnen ins Auge blickten. Wir fühlen ihre Seele, die harte, verstandesscharfe Art der Bäuerin, deren Andacht Wille und starre Bewußtheit ist, die eifrige, betuliche, etwas zittrige Betfrömmigkeit der betenden Alten, die gleichgültige, nüchterne, leere Gelassenheit des jungen Mädchens. Und[S. 326] Wunder des Pinsels, Erstaunung jedes Malers und Laien sind die Stoffe der Kleider, die gestickten Blumen auf dem Schultertuch des Mädchens, das geschnitzte Muschelwerk des braunen, bestaubten Holzgestühls, die Holzmasern des vom Knien im Gebet abgeschliffenen Brettes der Kirchenbank. Das alles miteinander macht, daß wir hier nicht wie vor Malerei, sondern wie vor Dingen selbst empfinden, so sehr ist Malerei hier geistige Wiederschöpfung des Seheindrucks geworden, Impressionismus, Eindrucksdarstellung in einem letzten, tiefsten Sinne. Solche Erzeugung des vollsten Wirklichkeitsscheines konnte nur als Endergebnis strengster malerischer Eindruckswiedergabe gelingen. Nur ein Meister impressionistischer Malart, der die innerste Tonfeinheit, Tonrichtigkeit nachzugestalten verstand, der in der Arbeit von Jahrzehnten die Handhabung der zartesten Farbtonmittel gelernt hatte, eben nur Leibl, der Schöpfer des deutschen Impressionismus, konnte derart reine Farbenbewegungen, gesetzmäßigen Farbenaufbau in den Dienst der unbedingten Sehwahrheit führen. Es gibt Maler und Laien, die meinen, solche Sehwahrheit sei lediglich Fleiß und peinliche Naturtreue. Kein Irrtum kann größer sein. Nur die restlose Durchführung der impressionistischen Tonmalerei hat diese letzte malerische Sachwahrheit möglich gemacht. Leibls Weg ist hier am Ziel. Der Impressionismus als künstlerischer Schaffensgedanke war hier ganz deutsch geworden und hatte sich als tiefste Erfüllung vollendet.

In der Tat hatten Leibls Werk und Weg hier zunächst einen Abschluß. Eine solche Sehwirklichkeit noch einmal und immer wieder zu bringen, hätte keinen Sinn gehabt. Es wäre nur ein anderer Stoff zur Darstellung gelangt.[S. 327] Leibl hat es versucht, hat statt der Bäuerinnen Gemsjäger gemalt. Das Bild ist mißlungen, Leibl hat es darum zerschnitten. Es gab keine Steigerung dieser Form, kein Weiter auf dieser Bahn. Leibl ist darum in diesen achtziger Jahren tief erkrankt und lange schaffensunfähig gewesen. Erst im neuen Jahrzehnt ist ihm wieder Schönes gelungen, aber Schönes einer ganz anderen Art. Er kehrte zur Anschauung seiner Anfänge zurück, und es entstanden rembrandtisch zauberhafte Einzelheiten in Bildern bayrischer Bauernmädchen, Brustschmuckstücke, in geistiges Glanzspiel entrückt, ein buntes Brusttuch, in reine Farbenmelodien zerlöst. Das sind Herrlichkeiten, aber der große Leibl-Stil, das war seine malerische Eroberung der naturhaften Wirklichkeit. Damit hatte Leibl die uralte, tiefe Sehnsucht der deutschen Seele in der Kunst, daß sie ganz eins werde mit dem Geheimnis der Schöpfung, einmal wieder erfüllt. Darum, daß er das errang, wird Wilhelm Leibl immer die deutsche Liebe haben.

Wilhelm Niemeyer.

[S. 328]

Netzflickerinnen
Von Max Liebermann

Geboren 29. Juli 1849 in Berlin. — Kunsthalle in Hamburg

Bild 38

Alle Maler von Bedeutung, die von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an erstanden sind, haben einen Zug gemeinsam. Die entscheidende Tatsache ihres Lebens ist immer der Schritt aus dem Atelier in die Welt gewesen. Dann haben sich ihre Wege weit getrennt und trennen müssen, weil jeder Künstler, von dem zu sprechen lohnt, seine eigenen Augen hat und selbstverständlich ein eigenes Temperament, das ihre Blicke leitet, und die Welt ist unendlich weit und mannigfaltig. Das hatten die Menschen in der Zeit der Ateliermalerei vergessen, und so war sie jetzt neu zu entdecken: für scharfe Augen als Wirklichkeit, für sanfte Seelen als Stimmung, für Träumer als Mittel, ihren inneren Gesichten Gegenwart zu geben. Es war eine Zeit der Entdeckungen, der Bereicherung. Und es war auch eine Zeit des Kampfes. Denn die Menschen hatten aus der Ateliermalerei sehr bestimmte Ideen über Schön und Häßlich und nannten alles häßlich, was anders war als die Bilder, an die sie gewöhnt waren.

In Deutschland war der stärkste Maler Max Liebermann. Er war in Berlin geboren und hatte von Natur den tiefen Respekt vor der Wirklichkeit, der hier zu Hause ist und auf den alle Vorzüge und die Grenzen dieses besonderen Menschentums zurückzuführen sind. Denselben[S. 329] Respekt, auf dem die Kunst aller hier wirklich einheimischen Meister beruht: des Bildhauers Schadow, des Baumeisters Schinkel, des Malers Menzel. Auf den Maler mußte natürlich der Maler besonders stark wirken. Und Liebermann wußte das Genie Menzel zu schätzen, als man in Berlin im allgemeinen in ihm noch einen durch seine Kleinheit und Grobheit kuriosen alten Malprofessor sah, dessen Bilder deshalb sehr bedeutend seien, weil man sie mit der Lupe ansehen könne. Menzel war in Wirklichkeit der erste Maler des neunzehnten Jahrhunderts, der seine Kunst ganz aus sich selbst und seiner Umwelt entwickelt hatte, zu einer Zeit, als noch alles das eigene Leben als unkünstlerisch floh. Liebermann sah den Grundzug dieser großen Kunst und wurde durch sie in seinem Wesen bestärkt.

Aber er war, durch Blut und Jugend, ein ganz verschiedenes Temperament. Es gibt einen besonderen Blick, den man den Malerblick nennt. Er ist die Folge der Gewohnheit scharfen Sehens und bringt über der Nasenwurzel eine tiefe Falte hervor, die man die Malerfalte nennen könnte. Bei Menzel ist dieser Blick bohrend, bei Liebermann rasch und nervös. Der Unterschied der Naturen wird hier sinnfällig. Menzels Absicht ist, Ruhendes festzuhalten, Liebermann will die flüchtige Bewegung des Augenblicks aus der Wirklichkeit herausreißen.

Ein anderer Unterschied trennte den jungen Liebermann wenigstens von dem alten Menzel. Er stand anders zu Licht und Farbe. Die viel stärkere Empfindlichkeit für diese Elemente teilte er mit dem jüngeren Geschlecht aller europäischen Maler. Und wie sie alle lockte ihn auch hier die Bewegtheit, das in jedem Augenblicke wechselnde Spiel, die Stimmung, die, kaum empfunden, schon wieder[S. 330] vorüber ist, aber ebenso wie die Bewegung des Menschen nur durch den schnellsten und schärfsten Blick aus der Wirklichkeit herausgerissen werden kann. Die Arbeit eines solchen Malers hat etwas von dem Schießen und Treffen des Jägers.

Wie dieser muß auch der Maler erst ein lohnendes Ziel aufspüren und braucht ein Revier, in dem es viele gibt. Dieses Revier fand Liebermann in Holland, wo der eingeborene Josef Israels das besondere Licht, aus dem einstmals Rembrandts Kunst entstanden war, wieder entdeckt hatte. Dieses Land wurde seine Wahlheimat. Nicht nur durch seine Atmosphäre. Es ist noch so viel ursprüngliches, heimliches Leben erhalten, es ist in seinen Wohn- und Arbeitsstätten noch wenig von der trostlosen Gleichförmigkeit berührt, die das moderne Leben den Künstlern so verhaßt gemacht hat. Gewiß ist auch in entlegenen deutschen Landschaften noch dergleichen zu finden, aber nirgends so rein und in solcher Fülle und mit diesem Beharren des Volkes bei alter Tracht. Die Menschen, die in dieser Welt geboren sind, sehen das als Alltag; auch ein Israels fand die Fischer von Zandvoort doch eigentlich erst kunstfähig durch ihr Schicksal, nicht schon durch ihre Erscheinung. Erst für das Auge des Fremden wird es etwas Besonderes, an Reizen Reiches, er kann Tage und Wochen unermüdet durch diese alten Städte und Dörfer wandern. Selbst wenn er nicht fein genug sieht, um das Weben und Wechseln des Lichtes zu genießen. Für ein Entdeckerauge, wie es die Natur Liebermann verliehen hat, verzehnfachte sich der Reiz. Er fand Stoffe auf Schritt und Tritt, ganz Neues, nie Gesehenes. Durch eine schattige Straße — Niederland ist wie England ein Land der schönen Bäume — kommen Mädchen mit ihren[S. 331] weißen Hauben und roten Schürzen daher, im Schatten, von Sonnenpfeilen mit Lichtern befleckt. Unter den Bäumen der Reeperbahn schreitet der Seiler rückwärts und zieht sein Tau. In einer niedrigen Scheune wird auf alte Art Flachs gesponnen: an der Fensterscheibe sitzen alte Frauen und drehen mit gleichförmiger Bewegung die Räder, große Mädchen tragen, rückwärts gehend, die blonden Wocken; sie sind blau gekleidet und weiß behaubt. In den Hoofjes, Gartenhöfen mit kleinen Häuschen, leben alte Männer und Frauen ein behagliches Spittlerleben, in eigener dunkler Tracht zwischen bunten Blumen und unter schattigen Laubgängen. Vor dem stattlichen alten Waisenhaus aus rotem Backstein tummeln sich die Amsterdamer Waisenmädchen in ihren merkwürdigen Kleidern, die nach mittelalterlicher Art geteilt sind, rechts schwarz, links rot. Und alles das von der feinen Hülle sanften Lichtes umschlossen, das die Erscheinungen zugleich bewegt und harmonisch macht.

Es ist richtig, daß Liebermann den holländischen Malern, einem Israels, einem Mauve viel verdankt. Sie haben ihm zu den ersten Ausdrucksmitteln geholfen. Aber keiner von ihnen hat gesehen, was er sah, hat so gesehen, wie er sah. Und keiner brauchte für seine ruhigen Erlebnisse die Mittel, deren sein zugreifendes Temperament bedurfte, und die er allein finden konnte und gefunden hat. Als Liebermann einmal in Laren malte, kam der holländische Zeichner und Schriftsteller Jan Veth zu ihm und sagte dem Fremden: „Hier ist etwas; das können nur Sie malen.“ Er zeigte ihm dann die Flachsscheuer, die dem Künstler das berühmte Bild der Nationalgalerie gab. Man könnte dasselbe von allen holländischen Bildern Liebermanns mit Ausnahme der allerersten sagen.

[S. 332]

Man kann dafür kein stärker beweisendes Beispiel geben als die Netzflickerinnen. Weiter, flacher Strand an grauem Tag. Vom Meere her geht ein scharfer Wind. Man spürt seine Nähe, schmeckt die salzige Luft und ihre Frische. Weithin sind über den Plan Netze gebreitet. Frauen in der Tracht des Landes sind bei ihnen beschäftigt, spreiten sie gebückt aus, ziehen kniend den Faden durch die Nadel, bessern hockend die zerrissenen Maschen aus. Und diese Landschaft mit ihren mannigfaltig bewegten Figuren bildet den Hintergrund, von dem sich die große Gestalt vorne klar abhebt: eine junge Frau, die mit ihren Netzen herankommt, und deren Haar und Kleider die starke Brise bewegt.

Nur ein ganz stumpfer Blick kann hier von Naturalismus, das bedeutet etwa: ungestalteter Abschilderung einer Wirklichkeit, sprechen. Es ist dabei gleichgültig, ob diese Wirklichkeit überhaupt einmal existiert hat, was ganz unwahrscheinlich ist. Selbst wenn sie existiert hätte, ließe sie sich nicht abmalen, weil ja die Gestalten nicht in Ruhe, sondern in Bewegung sind. Aber es ist gar keine Zufälligkeit in dem Bilde. Alle diese Gestalten sind bewußt verteilt zu einer bestimmten rhythmischen Bewegung, ganz so verteilt, daß die kleinen Gestalten in einer festen Beziehung zu der Hauptfigur stehen, ihre Bewegung betonen und ihren klaren Umriß nicht beeinträchtigen.

Die Natürlichkeit ist nicht die billige, die der Zufall gibt, sondern die künstlerische, die aus vollkommener Herrschaft über die Erscheinung folgt. Es ist unter den Figuren keine, die man stellen kann. Sie sind nicht auf den Beschauer gerichtet, sie stehen und gehen unbelauscht für sich. Sie sind der Wirklichkeit, dem Moment abgestohlen. Und weil sie so dem Maler ganz gehören, weil er[S. 333] nicht diese zehn oder zwanzig Stellungen abgezeichnet hat, sondern Hunderte sich zu eigen gemacht, deshalb kann er sie in das Bild stellen, wie das Bild sie braucht. Und deshalb ist jede Figur voller Ausdruck, neu und überraschend. Was für eine Vielbewegtheit ist in der Frau des Vordergrundes, die schreitet und trägt und sich gegen den Wind zu behaupten hat!

Diese Gestalt ist der allerechteste Liebermann, Fund eines Auges, das auf nie gesehene, auf ganz besondere Bewegungen jagt, auf solche, die nicht gestellt werden können, deren Umriß man kaum notieren, die man schließlich nur aus der Erinnerung des Gefühles gestalten kann. Es war die merkwürdige Antwort der Menschen, daß sie, wenn er ihnen einen solchen Fund, seine Schönheit gab, behaupteten, er suche das Häßliche.

Aber das Bild ist nicht nur Fügung von Figuren. Es ist mehr, ein Ganzes auch durch die Stimmung, durch Licht und Ton. Und auch diese sind nicht von außen faßbar, so daß man etwa die Entstehung durch ein Zusammenarbeiten von Landschafts- und Figurenstudien erklären könnte, wie es die ältere Malerei trieb. Nein, das Erlebnis eines Augenblickes hat den Anstoß gegeben, und die Tat des Malers ist, es nach vielen Beobachtungen und langer Arbeit so gestaltet zu haben, daß seine ganze Kraft sich mitteilt.

Nach langen Lehrjahren in Holland ist Liebermann zu dem Meister geworden, der keinen besonderen Stoff mehr zu suchen braucht, dem Welt und Menschen überall solchen Stoff gaben, weil er sie mit ganz eigenen Augen ansieht.

Fritz Stahl.

[S. 334]

Der Frühling
Von Ferdinand Hodler

Geboren 14. März 1853 in Bern, gestorben 19. Mai 1918 in Genf. — Folkwang-Museum in Hagen (Westfalen)

Bild 39

Da schaut nur die zwei seligen jungen Menschen! Trunkenheit, süße Lenztrunkenheit durchrieselt ihre Glieder, und vom Wunder des Neuerwachens, in ihnen selbst und in der Natur, sind sie wie in Seligkeit entrückt. Sie wissen nicht, wie ihnen geschieht; sie fühlen nur den geheimnisvollen Rausch, der wie eine lohende Flamme jählings sie durchbraust...

Stolz und tatbegierig, aus dumpfem Faulenzen, richtet der Knabe zu halb hockender Stellung sich empor. Wie Schlummerhauch ist etwas von ihm niedergeglitten, ein Strom junger, neuer Kraft perlt durch seine Adern. Halb bewußtlos träumt er hinaus ins Weite, der Umgebung nicht achtend. Er sieht auch nicht — in diesem Augenblick nicht! — das ganz verzückte junge Mädel, das gleich ihm plötzlich, wie aufgeschreckt, vom Boden emporfährt; dann tiefbetroffen innehält, wie durchbohrt vom Anblicke der männlichen jungen Schönheit, die im Knaben sich darbeut. Sie hat vielleicht eben noch ahnungslos neben ihm gelagert und harmlos mit ihm geplaudert, „halb Kinderspiele, halb Gott im Herz“. Da traf sie beide der erste heiße Strahl der erwachenden Frühlingssonne — und damit war es um sie geschehen!

Ist es Liebe, was sie so mit Riesen- und Rätselmacht durchweht und durchsickert? Ach, beide haben bis dahin[S. 335] von Liebe noch nichts gewußt und geahnt! Unschuldige Spielkameraden, haben sie miteinander verkehrt, bekleidet oder unbekleidet — was kam darauf an?

Er, der Bub, weiß auch jetzt noch nichts anderes. Was kümmert ihn Liebe? was kümmert ihn das Mädel? Aber das Leben spürt er plötzlich, das große, unermeßliche, das wie eine lockende Rennbahn vor ihm liegt, mit fernher blitzender Zielsäule. In dieses Leben will er sich stürzen, abenteuergierig, erobererfreudig! Kraftgeschwellt sind seine Glieder und stählern und sturmpochend ist sein Herz. O Leben, o Wonne! O Kampf, o Sieg! Schier zerspringen wollen ihm Herz und Adern, doch dumpf und wie verfangen bannt ihn noch träumerischer Sinn.

Aber in dem Mädel quirlt und fiebert alles empor. Der Pfeil sitzt in ihrem Blute, der Pfeil des tückischen Liebesgottes. Sie fragt nicht nach dem Leben, das draußen liegen mag in weiter Ferne. Sie fühlt nur die Nähe des Einzigen, des Geliebten — o des Angebeteten, der neben ihr sich emporrichtet wie ein junger Gott! Und all ihr Sein, das fühlt sie in schmerzlich-süßer Erleuchtung, gehört von dieser Sekunde ab nur ihm — zu dem es sie hindrängt in heißer Wonne, und von dem es sie fernhält, wie in fassungsloser Andacht! Beten möchte sie, weinen, jubeln, hinausschreien — und gleichzeitig ganz stille sein oder nur leise-bebend und dumpf vor sich hin stammeln! Liebe, Liebe, einzige Himmelsmacht! Und Frühling, Frühling, der sie in uns weckt und entzündet!

— — Doch können arme Worte, niedergeschrieben auf Papier, wiedergeben, was an mächtigem und zartgestuftem Gefühlsinhalt die Kunst des Malers in Formen und Farben so viel bezwingender ausgedrückt hat? Nur leise, bescheiden hindeuten können sie auf das, was stumm und gewaltig[S. 336] das Bild in sich birgt, das ein großer neurer Meister aus der Tiefe seiner Schöpferkraft als ein innerstes Erlebnis herausgeholt hat. Wie muß er die Macht und Wunderkraft des Frühlings in und um sich gespürt haben, um sie in solch herrlich erfaßtem und ausgebautem Sinnbild uns zu künden! Seht nur, wie er das getan hat! Die beiden Figuren des Knaben und des Mädchens, nehmen fast das ganze Bild ein. Getrennt voneinander, ohne sich zu berühren, sind sie nebeneinander hingesetzt, jedes ganz erfüllt von seiner gärenden und treibenden Gefühlswelt. So tritt jede Einzelgestalt voll und plastisch heraus und beide sind widereinander aufs abgewogenste abgesetzt. Das in sich gekrümmte Mädchen, im Profil gesehen und hitzig bewegt, nimmt auf der linken Hälfte des Bildes für sich einen kleineren Raum ein als der Knabe auf der rechten, der, in gerader Haltung, mit seinem steil aufgerichteten Kopfe schier den oberen Bildrand zu durchstoßen droht und hierdurch das Jähe, Impulsive, das ihn bewegt, auch formal vortrefflich zum Ausdruck bringt. Nackt ist dieser Knabe, während das Mädchen um den Leib ein lichtblaues Hemdkleid trägt. Und die rosig-braune Hautfarbe des Knaben, die am Hals und Oberarm grünliche Schatten wirft, kontrastiert sehr wirksam mit dem Gewande des Mädchens und dessen heller getönter Hautfärbung. Rings um sie her aber ist der Frühling erblüht in einer wogenden Fülle gelber Primeln, die brünstig und üppig aus spärlicher grüner Grasnarbe hervorquellen. Nach oben zu gewahrt man ein Stückchen graugelber Sandfläche, darüber einen ganz schmalen Streifen dumpfblauen Himmels; die schließen das Bild über den beiden Figuren kurz ab. Es ist kein sehr großes Bild; aber es birgt in sich eine wahre Pracht an malerischer Eingebung und poetischer Durchgeistigung.

[S. 337]

Der Maler dieses Bildes ist Ferdinand Hodler, ein Schweizer Meister, der am 14. März 1853 in Bern geboren und am 19. Mai 1918 in Genf gestorben ist. Sein Vater war ein Schreinergeselle, ein Bauernsohn aus dem nahe gelegenen Gurzelen, seine Mutter, ehemals Jungfer Neukomm, eine Köchin aus einem Strafgefangenenhaus. Der Vater war ernst und schweigsam und starb, als der Sohn fünf Jahre zählte, an der Schwindsucht. Die Mutter war redselig und heiter, schlug sich als Witwe tapfer durchs Leben, überdauerte indes ihren Gatten um nicht mehr als acht oder neun Jahre. Nach der Mutter Tod trat der Sohn, ein kaum vierzehnjähriges Bürschlein, in Thun beim Maler Sommer in die Lehre und lernte „Erinnerungslandschaften“, d. i. Andenkenbilder für Fremde und Touristen, malen. Mit vielerlei Sorgen ums tägliche Brot fristete der junge Mensch sein Dasein, lernte ganz brav, bekam aber von den höheren Zielen der Kunst kaum etwas zu hören. Erst als er mit neunzehn Jahren nach Genf kam und dann an der dortigen Kunstschule bei dem ausgezeichneten Lehrmeister Barthélemy Menn fünf Jahre lang in Unterweisung trat, öffneten sich ihm allmählich die Augen, und er ward seiner künstlerischen Sendung inne. In Genf erlernte Hodler auch das Französische; wie sein Biograph C. A. Loosli berichtet, bei dem Musiker Henri Giroud. Bis dahin beherrschte er, der von Eltern des deutschen Volksschlages Abstammende, lediglich deren Sprache, d. h. kaum ein reines Hochdeutsch als vielmehr das sogenannte „Berner Ditsch“. Wenn daher Hodler, der in Genf ansässig blieb, später im Verkehr und in Briefen sich überwiegend der französischen Sprache bediente, so geschah das, weil er diese in korrekterer Weise gelernt hatte und überdies täglich um sich her vernahm. Diese Sprache[S. 338] war ihm die bequemere geworden, sie gilt überdies in seinem engeren Vaterlande, der Schweiz, ebenso als Volks- und Staatssprache wie das Deutsche und das Italienische. Mit der französischen Kunst aber, besonders mit der beherrschenden des 19. Jahrhunderts, dem Impressionismus, hat Hodler kaum irgendwelche Berührungspunkte und fast mehr im gegensätzlichen als im gleichfühlenden Sinne. Was „romanisch“ an seiner Kunstsprache anmutet, geht auf italienische Maler der Frührenaissance, wie Luca Signorelli und Andrea Mantegna, ferner wohl auf die Nachwirkungen eines einjährigen Aufenthalts in Spanien zurück. Im übrigen nennt er selbst als die Meister, an denen er sich vorzugsweise emporgebildet hat: Dürer, Holbein und Rembrandt.

Wir haben demnach ein volles Recht, Hodler, ebensogut wie seinen Landsmann Arnold Böcklin, als ein Glied unserer großdeutschen Kunstbewegung zu betrachten. Überdies ist er in deutschen Kunstkreisen, erst in Wien, dann in Berlin, mit voller Brüderlichkeit aufgenommen worden und hat, außer im deutschschweizerischen Zürich, in reichsdeutschen Städten seine größten Freskenwerke gemalt: in der Universität zu Jena den „Auszug der Jenenser Studenten von 1813“ und im hannöverschen Rathaus, zur Erinnerung an die Einführung der Reformation, das Riesenwandbild „Die Einmütigkeit“. Daß Hodler in den Wirren des Weltkrieges einmal mit vielen anderen sich dazu hat hinreißen lassen, gegen deutsche Beschießungen des Reimser Domes zu protestieren, hat weit weniger politische als künstlerische Bedeutung: auch unser eigenes kulturelles Gewissen hat geblutet, weil hier ein erhabenes und nie zu ersetzendes Kunstdenkmal den grausen Kriegsnotwendigkeiten hat zum Opfer fallen müssen. Nach wie[S. 339] vor aber behielt Hodler seine deutschen Freunde, die fest und stark an ihn glaubten und bis zu seinem Tode innige Wechselbeziehungen mit ihm unterhielten.

Wie soll ich euch nun mit kurzen Worten darlegen, worin Hodlers kunstgeschichtliche Bedeutung besteht? Blickt noch einmal auf das Bild vom „Frühling“, so werdet ihr in dessen klarem und geschlossenem Aufbau, in der Bestimmtheit und Schärfe seiner figuralen Durchbildung einen Zug entdecken, den ihr nur als „monumental“ bezeichnen könnt. Die Größe der Auffassung, die Strenge der Komposition und die beherrschende Sicherheit dessen, was wir den Rhythmus nennen, stellten Hodlersche Bilder sehr bald in einen vielfach als feindlich empfundenen Gegensatz zu der mehr weichlichen und verschwommenen Kunstübung jener Zeit, vor allem der siebziger und achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Die Strenge des Hodlerschen Stiles wurde als Härte, seine Freiheit gegenüber der photographisch aufgefaßten Naturvorlage als Gewaltsamkeit bezeichnet — während wir heute hierin doch bloß ein wohlberechtigtes Beiseitewerfen pedantischer Hemmungen zu erkennen vermögen. Der Hauptwiderstand aber richtete sich wider das, was Hodler selbst den „Parallelismus“ zu nennen liebte, d. h. die Übertragung architektonischer Stilgedanken auf den Bau gemalter Bilder, sowie die öftere Wiederholung und Nebeneinanderreihung gleicher, nur wenig abgewandelter Umrisse und Stellungen. Indes zeigt sich gerade in dieser scheinbar kühnen und revolutionären Neuerung ein Zurückgreifen auf die klassischen Kompositionsgepflogenheiten alt-orientalischer, früh-antiker und byzantinischer Kunstübungen, die nur im Laufe der Zeiten, zum Schaden der Kunstentwickelung, wieder verlorengegangen waren. Hodler ist[S. 340] also weit weniger ein Umstürzler als ein Wiedererneuerer, dem eine wahre und vergeistigte Ausdruckskunst mit ihren künstlerisch gebotenen Freiheiten weit über jeglichem befangenen Naturabklatsch steht.

Trotzdem war die Natur für Hodler, als einen echten Schweizer, sein ewiges A und O. Leider sind seine Landschaften, zumal die aus den letzten Jahrzehnten, bei uns in Deutschland nicht sehr bekannt geworden. Die wundersame Frische, Luftklarheit, Farbenblankheit und Gefühlskeuschheit, die sie ausstrahlen, hätten ihnen bei uns viele begeisterte Freunde erwerben müssen. Unendliche Schätze ruhen hier noch im verborgenen. Auch in seiner Menschendarstellung, vor allem auf Bildnissen, ist Hodler von einer Geradheit und Ehrlichkeit, die nur im besten Sinne als germanisch bezeichnet werden kann. Im Grunde suchte und zeigte Hodler auf seinen Bildern stets nur den naturentbundenen, freien und selbstherrlichen Menschen. Denkt nur einmal ein Weilchen an Velasquez’ „Infantin Maria Theresia“, die wir früher miteinander betrachtet haben, zurück und werft dann wieder einen Blick auf unser Frühlingsbild: welch ein Unterschied im Gefühl für das, was den „Menschen“ ausmacht, faltet sich vor uns auseinander! Velasquez war gebunden durch ein ungemein strenges, alles Menschliche rücksichtslos unterjochendes Hofzeremoniell und hat sich als Maler in bewundernswerter Weise damit abgefunden. Hodler aber bedurfte eines derartigen Sichabfindens nicht. Er schildert den Menschen in seiner Nacktheit, Körpers und der Seele, und steigt so in schöpferischer Weise auf die Urgründe der Natur hinunter, aus denen alle Schönheit und alle Menschlichkeit wahrhaft erwachsen.

Franz Servaes.

[S. 341]

Ave Maria
Von Giovanni Segantini

Geboren 15. Januar 1858 in Arco, gestorben 29. September 1899 bei Pontresina (Oberengadin). — Moderne Galerie in Rom

Bild 40

Tiefster Friede über dem weiten See. Nichts bewegt die klare Wasserfläche als der Ruderschlag des Schiffers, der eine junge Mutter mit ihrem Kinde und eine dichtgedrängte kleine Herde von Schafen in seinem Kahn übersetzt. Am fernen Ufer spiegelt sich eine Ortschaft im Wasser, und ihr spitzes Kirchtürmlein hebt sich von der reinen Abendluft ab. Von da drüben tönen die Aveglocken herüber, deren Klang der ganzen lieblichen Szene die Stimmung gibt. Die Frau mit dem Kindchen sitzt andachtsvoll, ruhig im Kahn, wie ein Urbild der Madonna, und auch der Schiffer scheint seine Ruder einen Augenblick, wie betend, ruhen zu lassen. Die friedvollste Szene, die ein Mensch erdenken kann, ein Bild, vor dem man vergißt, daß es Häßliches, daß es Haß und Streit gibt auf der Welt. Und doch, trotz aller fast überirdischen Lieblichkeit, alles gesehen, alles wahr!

Dieses Bild hat ein Vierundzwanzigjähriger gemalt, Giovanni Segantini, geb. am 15. Januar 1858 zu Arco im damals noch österreichischen Südtirol, ein Künstler von einer Größe, Tiefe und Reinheit des Empfindens, wie das vergangene Jahrhundert wenige aufzuweisen hat, eigenartig durch und durch, in seinem Fühlen wie in seinen künstlerischen Ausdrucksmitteln hochstrebend,[S. 342] wie nur die besten der ganzen Kunstgeschichte es waren! Sein Leben, von verschiedenen Biographen geschildert, ist ein seltener, tief ergreifender Roman. Aus dem Dunkel der bittersten Not rang er sich zur Höhe durch, und auf dieser Höhe ereilte den noch nicht Zweiundvierzigjährigen ein viel zu früher, tragischer, man möchte fast sagen, großartiger Tod. Er starb inmitten seiner Kunst, starb für sie, darf man sagen, auf höchster Höhe der Engadiner Alpen, deren herbe, großzügige Natur, deren kristallreine Luft er über alles geliebt und sicher besser gekannt hat, als irgendein anderer Sterblicher vor und nach ihm.

Giovanni Segantinis Eltern besaßen einen armseligen Kramladen, einen kleinen Handel mit Obst und Gemüsen. Die Mutter starb dem Kinde früh — sie war des viel älteren Vaters dritte Frau. Diesem lebten in Mailand zwei Kinder aus erster Ehe, Bruder und Schwester, die sich durch den Betrieb einer kleinen Parfümfabrik kümmerlich ernährten. Als Giovannis Mutter verschieden war, beschloß der Vater, mit seinem Söhnchen nach Mailand überzusiedeln. Aber gerade damals brach das kleine Unternehmen jener Geschwister zusammen, und Vater Segantini wanderte, kurz entschlossen, mit dem älteren Sohne aus und ließ den kleinen Giovanni bei der Stiefschwester zurück. Seine ganze erste Lebensgeschichte ist eine Geschichte der Armut und der Leiden. Er wurde tagsüber, während die Schwester zur Arbeit ging, in die Wohnung eingesperrt, von der er nicht einmal einen Blick auf die Straße, sondern nur auf Himmel und Wolken hatte. Den Vater sah er nie wieder. Monatelang verging so Tag für Tag eintönig dem kleinen Gefangenen. Schließlich beschloß er, zu entfliehen, was er sich in kindlicher Torheit sehr einfach vorstellte, als er eines Tages[S. 343] Nachbarn davon reden hörte, daß ein Bursche zu Fuß von Mailand nach Frankreich gewandert war. Mit einem halben Pfund Brot versehen, lief er davon. Die Nacht überraschte ihn im Freien, gute Leute fanden den Knaben, der schon eingeschlafen war, und nahmen ihn mit in ihr Haus. Er wollte sich um keinen Preis wieder in sein Gefängnis nach Mailand bringen lassen, und die mitleidigen, aber selbst armen Leute behielten ihn. Sein Brot jedoch mußte er sich selbst verdienen, und zwar als — wohlbestallter Hüter der Schweine und Gänse des Ortes. Hier war er verhältnismäßig glücklich, wurde aber nach einigen Monaten zurück nach Mailand geholt; neue Plagen begannen, ein Vetter, Schweinemetzger in Trient, nahm ihn als Lehrling an, und nach trüben Schicksalen landete er in einer Art von Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder, wo er drei Jahre blieb. Weil er wegen einer harmlosen Sache, die eigentlich ein spitzbübischer Kamerad begangen, abermals entlaufen war, hatte man ihn dorthin gebracht. In der Anstalt wurde er als Schuhflicker beschäftigt; entlassen, lebte er in Mailand bei einem Allerweltsgenie und Tausendsasa Tettamanzi, der ihm die Anfangsgründe des Zeichnens beibrachte. Dann malte der hoch aufgeschossene Jüngling auf eigene Rechnung Landschaften in Lecco, kam wieder ins Elend und nach Mailand zurück, wo er endlich in der Kunstschule der Brera-Galerie eines geregelten Unterrichtes teilhaftig wurde. 1878 gewann er die erste Medaille als Schüler, fing an, in engeren Kreisen ein wenig Aufsehen zu erregen — fand aber selbst wenig Genügen in der Schule. Er erwies sich vielfach als widerspenstig, als kleiner „Revolutionär“, da er sich dem rückständigen Betrieb der Anstalt nicht unterordnen wollte, riß andere mit sich und[S. 344] verlor schließlich durch einen Akt des Jähzorns seinen Platz in der Akademie. Aber seine schwerste Prüfungszeit war vorüber. Er fand Kunsthändler, die ihn der Sorge ums Leben enthoben, und bezog sein eigenes Atelier.

Nun entwickelte sich auf mannigfachen Umwegen, auch über minder geratene Werke, sein eigener Stil, in der Stoffwahl und Auffassung sowohl, wie in der Malweise. Er war durch eigenes Nachdenken zu dem Grundsatz der Farbenzerteilung (des „Divisionismus“) gekommen, den unabhängig von ihm auch eine französische Malerschule angenommen hatte. Er hatte gefunden, daß sich im Bilde mehr Farbenpracht und wahreres Licht erzielen lasse, wenn man die Grundfarben nicht mische, sondern nebeneinander hinsetzte, so daß sie sich erst im Auge des Beschauers zu den gewünschten Wirkungen vereinigten. So entstand Segantinis eigentümliche Technik, die ihn vielleicht zunächst bekannter gemacht hat, als die Größe und Tiefe seiner Werke, als die, vielleicht bis heute von keinem Maler übertroffene Menschen- und Naturliebe, die aus ihnen spricht. Überblickt man mit Verständnis das riesige Lebenswerk Segantinis, so wird dessen Umfang doppelt rätselhaft, wenn man die erwähnte Art seiner Maltechnik berücksichtigt. Nur eine ganz ungeheure Arbeitskraft, die kein Schicksal und kein Ruhebedürfnis ablenken konnte, vermochte das zu leisten. Was ein anderer mit ein paar breiten Pinselstrichen hingestrichen hätte, war für ihn eine unendlich mühevolle Arbeit der Zusammensetzung von Farbtönen, die, Strichelchen neben Strichelchen, wie gestickt, wie verflochten, nebeneinander lagen. Und die letzten Nebendinge wurden mit der gleichen Innigkeit und Sorgfalt ausgeführt, wie die Hauptsachen im Bilde, die trotzdem ihre höhere Geltung als[S. 345] Hauptsachen behielten. Viele Bilder hat er mehrfach gemalt, immer verändert — auch unser „Ave Maria“. Oft schuf er noch mehr oder weniger farbige Zeichnungen nach den Bildern — in verwandter, gestrichelter Weise, holte die in der Jugend versäumte Bildung nach, kurz man weiß nicht, woher er bei dieser Tätigkeit noch die Zeit zum Leben nahm. Noch in seinem letzten Lebensjahr hat er nach eigener Mitteilung fünfzehn Stunden am Tage gearbeitet. Und von seinen Frühwerken, die ihm nicht mehr genügen konnten, hat er selbst vieles zerstört.

Die Kunst seiner Glanzperiode gehörte zunächst ganz der Verherrlichung der Gebirgsnatur, der Schilderung von Menschen und Tieren in den Alpen, sie ist ein hohes Lied der Arbeit, und zwar der Bauernarbeit in der kargen Umwelt des Hochgebirges. Auf ungezählten seiner Bilder finden wir Schafe, die er mit einer so wunderbaren Lebenstreue wiedergab, wie kaum ein Schafmaler vor oder nach ihm. Er verstand die Tiere, als hätte er mit ihnen geredet, auch Rinder, Pferde und Ziegen. Und doch wäre es falsch, ihn unter die Tiermaler einzureihen. Sein Ziel stand höher — Segantini zählt zu den höchststehenden Darstellern des Menschlichen — dazu freilich holte er sich seine Stoffe aus den Tiefen der Armut, der er ja selbst entstammte.

Immer höher drang er, nicht nur im Gebiet der Kunst, sondern auch auf dem Rücken der Erde. Sein Auge suchte die kristallklarste, reinste Luft, und nach manchem Umherziehen fand er endlich, was er suchte, auf den Höhen des Engadin, das nun seine künstlerische Heimat wurde. Er ließ sich in Savognino (1239 Meter über dem Meere) nieder, studierte und malte aber in weit beträchtlicherer Höhe. Jetzt hatte er die ersehnte kristallene Helle, und die Bil[S. 346]der, die sie ihm beleuchtete, verloren trotz ihrer verwickelten Malweise nichts an ihrer lichten Klarheit. Jene lichtumflossenen Höhen blieben fortan die Heimat seiner Kunst, auch wenn er nicht den vollen, flimmernden Sonnenschein, wenn er Nacht und Dämmerung, ja düstere Innenräume, wie seine berühmten Stallbilder, wie „Am Spinnrocken“, „Im Schafstalle“ und das herrliche Werk „Zwei Mütter“ malte. Klarheit ist auch in diesen dunkleren Stücken, ein geheimnisvolles Weben und Leben des Lichtes. Es hat wenig Wert, die Reihe aller bedeutsamen Werke Segantinis aufzuzählen, ihr Vorgang ist meist zu einfach, die Art der Auffassung alles. Besonders berühmt sind die Bilder „An der Barre“ (1887), „Maientag im Gebirge“, „Mittag in den Alpen“, „Alpenweide“, „Dämmerstunde“. Das erste Aufsehen in Deutschland erregte er durch das „Pflügen im Engadin“, das 1890 der bayrische Staat erwarb, nachdem es erst in Stuttgart ausgestellt gewesen war. Prächtig sind ferner „Das Rosenblatt“, „Die Heimkehr“, „Neuer Frühling“.

Im Jahre 1894 übersiedelte der Meister nach Maloja, und nun begann auch jene letzte Periode seines Schaffens, in der dies nicht mehr an den schweren Geschehnissen des Lebens klebte, in der vielmehr seine Kunst sich zu immer höheren Flügen der Phantasie und der Gedanken aufschwang. Da entstand das liebliche Bild „Liebesfrucht“, der „Engel des Lebens“, die Phantasie der „Schlechten Mütter“, die „Liebe am Born des Lebens“, der „Quell des Übels“, „Musik“.

Für die Pariser Weltausstellung an der Jahrhundertwende plante er ein gigantisches Werk, ein Rundbild (Panorama), das auf 4400 Quadratmetern die ganzen Herrlichkeiten des Engadin, wie er sie erlebte, darstellen sollte,[S. 347] und zu dem er sich allerlei wunderliche Nebendinge — Heuduft, Ozonluft, Wind, Herdengeläute — ausgedacht hatte. Die Idee zerschlug sich an der Platzfrage und wohl auch am Kostenpunkt. Nun begann er ein Triptychon (Dreiflügelbild), in dem er die Quintessenz aus seinem Studium der Gebirgswelt, einen Hochgesang ihrer Schönheit geben und in architektonischem Rahmen Werden, Sein und Vergehen darstellen wollte. Noch großzügiger behandelt waren die drei Abwandlungen über das gleiche Thema, die er zum Teil unvollendet hinterließ — vielleicht waren sie auch für jenes, nur leider mit etwas zu viel Beiwerk belastete Triptychon als Hauptbilder bestimmt. Mitten in der Arbeit aber ereilte ihn der Tod. Der Maler hatte im September 1899 den Schafberg bei Maloja bestiegen, um die Berge für sein großes Werk noch einmal zu studieren. Er ließ das Riesenbild „Sein“, das Mittelstück des Triptychons, auf die Höhe schaffen und arbeitete da im Freien. Eine Erkältung warf ihn aufs Krankenlager. Ärztliche Hilfe kam zu spät. In der Nacht des 28. September 1899 starb er. — Das Äußerliche seiner Malweise haben viele norditalienische Maler sich angeeignet. Aber da sie von seiner Seelengröße und heißen Naturliebe nicht viel dazu zu geben hatten, sind gerade die Werke der „Segantini-Schüler“ oft leer und langweilig.

Fritz v. Ostini.

Inhaltsverzeichnis

Die größere Seitenzahl bezieht sich auf den Text, die kleinere arabische Zahl auf die einfarbigen Bilder, die kleinere römische auf die Buntbilder

 
Seite
 
Der heilige Franziskus predigt den Vögeln. Von Giotto di Bondone (1266–1337)
1
1
Maria im Rosenhag. Von Stephan Lochner (1400–1451)
7
2
Der Frühling. Von Sandro Botticelli (1446–1510)
14
3
Das heilige Abendmahl. Von Leonardo da Vinci (1452–1519)
21
4
Christus am Kreuz. Von Matthias Grünewald (um 1470 bis etwa 1529)
28
5
Selbstbildnis. Von Albrecht Dürer (1471–1528)
35
6
Das Paradies. Von Lukas Cranach d. Ä. (1472–1553)
43
7
Die Erschaffung des Lichts. Von Michelangelo Buonarroti (1475–1564)
49
8
Das Konzert. Von Giorgione (1477–1511)
59
9
Die Sixtinische Madonna. Von Raffael Santi (1483 bis 1520)
67
I
Der Zinsgroschen. Von Tizian (um 1477–1576)
75
II
Die heilige Nacht. Von Correggio (1494–1534)
83
III
Landschaft aus den Voralpen. Von Albrecht Altdorfer (1480–1538)
92
10
Kaufmann Georg Gisze. Von Hans Holbein d. J. (1497–1543)
97
11
Bauernkirmes. Von Pieter Bruegel d. Ä. (1525–1569)
105
12
Die Hochzeit zu Kana. Von Paolo Veronese (1528 bis 1588)
114
13
Laokoon. Von Domenico Theotocopuli, gen. El Greco (1548–1614)
122
14
Löwenjagd. Von Peter Paul Rubens (1577–1640)
129
15
Hille Bobbe. Von Frans Hals d. Ä. (1580–1666)
136
16
Infantin Maria Theresia. Von Diego Velásquez de Silva (1599–1660)
142
17
Die Nachtwache. Von Rembrandt (1606–1669)
150
IV
Die unbefleckte Empfängnis. Von Murillo (1618 bis 1682)
157
18
Der Tanz. Von Jean Antoine Watteau (1684–1721)
163
19
Der Markusplatz in Venedig. Von Antonio Canale, gen. Canaletto (1697–1768)
170
20
Die Herzogin von Devonshire mit ihrem Töchterchen. Von Sir Joshua Reynolds (1723–1792)
176
21
Napoleon auf dem St. Bernhard. Von Jacques Louis David (1748–1825)
189
22
Der Regenbogen. Von Caspar David Friedrich (1774 bis 1840)
200
23
Frühlingsmorgen. Von Camille-Jean-Baptiste Corot (1796–1875)
205
24
Die Hochzeitsreise. Von Moritz v. Schwind (1804 bis 1871)
213
V
Das Ständchen. Von Carl Spitzweg (1808–1885)
220
25
Angelus. Von Jean François Millet (1814–1875)
226
26
Die Tafelrunde. Von Adolf Menzel (1815–1905)
233
27
Der Stephansturm. Von Rudolf Alt (1812–1905)
240
28
Thusnelda im Triumphzug des Germanicus. Von Karl Theodor v. Piloty (1826–1886)
248
29
Gefilde der Seligen. Von Arnold Böcklin (1827 bis 1901)
254
VI
Medea. Von Anselm Feuerbach (1829–1880)
261
VII
Wie die Alten sungen. Von Ludwig Knaus (1829 bis 1910)
267
30
Stiergefecht. Von Edouard Manet (1832–1883)
273
31
Place du Théâtre Français. Von Camille Pissarro (1830–1903)
281
32
Das letzte Aufgebot. Von Franz von Defregger (1835 bis 1921)
286
33
Vorlesung. Von Lourens Alma-Tadêma (1836–1912)
292
34
Im Herbst. Von Johann Christian Kröner (1838–1911)
297
35
Die Flucht nach Ägypten. Von Hans Thoma (* 1839)
304
36
Das Tischgebet. Von Fritz von Uhde (1848–1911)
311
Bäuerinnen in der Kirche. Von Wilhelm Leibl (1844 bis 1900)
319
37
Netzflickerinnen. Von Max Liebermann (* 1849)
328
38
Der Frühling. Von Ferdinand Hodler (1853–1918)
334
39
Ave Maria. Von Giovanni Segantini (1858–1899)
341
40

Bilderverzeichnis

Die größere Seitenzahl bezieht sich auf den Text, die kleinere arabische Zahl auf die einfarbigen Bilder, die kleinere römische auf die Buntbilder

 
Seite
 
Abendmahl, Das heilige. Von Leonardo da Vinci
21
4
Angelus. Von Jean François Millet
226
26
Aufgebot, Das letzte. Von Franz von Defregger
286
33
Ave Maria. Von Giovanni Segantini
341
40
Bäuerinnen in der Kirche. Von Wilhelm Leibl
319
37
Bauernkirmes. Von Pieter Bruegel d. Ä.
105
12
Christus am Kreuz. Von Matthias Grünewald
28
5
Empfängnis, Die unbefleckte. Von Murillo
157
18
Erschaffung des Lichts, Die. Von Michelangelo Buonarroti
49
8
Flucht nach Ägypten, Die. Von Hans Thoma
304
36
Franziskus predigt den Vögeln, Der heilige. Von Giotto di Bondone
1
1
Frühling, Der. Von Sandro Botticelli
14
3
Frühling, Der. Von Ferdinand Hodler
334
39
Frühlingsmorgen. Von Jean Baptiste Camille Corot
205
24
Gefilde der Seligen. Von Arnold Böcklin
254
VI
Gisze, Kaufmann Georg. Von Hans Holbein d. J.
97
11
Herbst, Im. Von Johann Christian Kröner
297
35
Herzogin von Devonshire mit ihrem Töchterchen, Die. Von Sir Joshua Reynolds
176
21
Hille Bobbe. Von Frans Hals
136
16
Hochzeit zu Kana, Die. Von Paolo Veronese
114
13
Hochzeitsreise, Die. Von Moritz von Schwind
213
V
Konzert, Das. Von Giorgione
59
9
Landschaft aus den Voralpen. Von Albrecht Altdorfer
92
10
Laokoon. Von Domenico Theotocopuli, gen. El Greco
122
14
Löwenjagd. Von Peter Paul Rubens
129
15
Madonna, Die Sixtinische. Von Raffael Santi
67
I
Maria im Rosenhag. Von Stephan Lochner
7
2
Maria Theresia, Infantin. Von Diego Velásquez de Silva
142
17
Markusplatz in Venedig, Der. Von Antonio Canale, gen. Canaletto
170
20
Medea. Von Anselm Feuerbach
261
VII
Nacht, Die heilige. Von Correggio
83
III
Nachtwache, Die. Von Rembrandt
150
IV
Napoleon auf dem St. Bernhard. Von Jacques Louis David
189
22
Netzflickerinnen. Von Max Liebermann
328
38
Paradies, Das. Von Lukas Cranach d. Ä
43
7
Place du Théâtre Français. Von Camille Pissarro
281
32
Regenbogen, Der. Von Kaspar David Friedrich
200
23
Selbstbildnis. Von Albrecht Dürer
35
6
Ständchen, Das. Von Carl Spitzweg
220
25
Stephansturm, Der. Von Rudolf Alt
240
28
Stiergefecht. Von Edouard Manet
273
31
Tafelrunde, Die. Von Adolf Menzel
233
27
Tanz, Der. Von Jean Antoine Watteau
163
19
Thusnelda im Triumphzug des Germanicus. Von Karl Theodor von Piloty
248
29
Tischgebet, Das. Von Fritz von Uhde
311
Vorlesung. Von Lourens Alma-Tadêma
292
34
Wie die Alten sungen. Von Ludwig Knaus
267
30
Zinsgroschen, Der. Von Tizian
75
II

Künstlerverzeichnis

Die größere Seitenzahl bezieht sich auf den Text, die kleinere arabische Zahl auf die einfarbigen Bilder, die kleinere römische auf die Buntbilder

 
Seite
 
Alma-Tadêma, Lourens (1836–1912): Vorlesung
292
34
Alt, Rudolf (1812–1905): Der Stephansturm
240
28
Altdorfer, Albrecht (1480–1538): Landschaft aus den Voralpen
92
10
Böcklin, Arnold (1827–1901): Gefilde der Seligen
254
VI
Botticelli, Sandro (1446–1510): Der Frühling
14
3
Bruegel d. Ä., Pieter (1525–1569): Bauernkirmes
105
12
Canale, Antonio, gen. Canaletto (1697–1768): Der Markusplatz in Venedig
170
20
Corot, Camille-Jean-Baptiste (1796–1875): Frühlingsmorgen
205
24
Correggio, Antonio da (1494–1534): Die heilige Nacht
83
III
Cranach d. Ä., Lukas (1472–1553): Das Paradies
43
7
David, Jacques Louis (1748–1825): Napoleon auf dem St. Bernhard
189
22
Defregger, Franz von (1835–1921): Das letzte Aufgebot
286
33
Dürer, Albrecht (1471–1528): Selbstbildnis
35
6
Feuerbach, Anselm (1829–1880): Medea
261
VII
Friedrich, Caspar David (1774–1840): Der Regenbogen
200
23
Giorgione (um 1477–1511): Das Konzert
59
9
Giotto di Bondone (1266–1337): Der heilige Franziskus predigt den Vögeln
1
1
Greco, El, s. Theotocopuli, Domenico
 
 
Grünewald, Matthias (um 1470 bis etwa 1529): Christus am Kreuz
28
5
Hals d. Ä., Frans (1580–1666): Hille Bobbe
136
16
Hodler, Ferdinand (1853–1918): Der Frühling
334
39
Holbein d. J., Hans (1497–1543): Kaufmann Georg Gisze
97
11
Knaus, Ludwig (1829–1910): Wie die Alten sungen
267
30
Kröner, Johann Christian (1838–1911): Im Herbst
297
35
Leibl, Wilhelm (1844–1900): Bäuerinnen in der Kirche
319
37
Leonardo da Vinci, s. Vinci
 
 
Liebermann, Max (* 1849): Netzflickerinnen
328
38
Lochner, Stephan (1400–1451): Maria im Rosenhag
7
2
Manet, Edouard (1832–1883): Stiergefecht
273
31
Menzel, Adolf (1815–1905): Die Tafelrunde
233
27
Michelangelo (1475–1564): Die Erschaffung des Lichts
49
8
Millet, Jean François (1814–1875): Angelus
226
26
Murillo (1618–1682): Die unbefleckte Empfängnis
157
18
Piloty, Karl Theodor von (1826–1886): Thusnelda im Triumphzug des Germanicus
248
29
Pissarro, Camille (1830–1903): Place du Théâtre Français
281
32
Raffael Santi (1483–1520): Die Sixtinische Madonna
67
I
Rembrandt (1606–1669): Die Nachtwache
150
IV
Reynolds, Sir Joshua (1723–1792): Die Herzogin von Devonshire mit ihrem Töchterchen
176
21
Rubens, Peter Paul (1577–1640): Löwenjagd
129
15
Schwind, Moritz von (1804–1871): Die Hochzeitsreise
213
V
Segantini, Giovanni (1858–1899): Ave Maria
341
40
Spitzweg, Carl (1808–1885): Das Ständchen
220
25
Theotocopuli, Domenico, gen. El Greco (1548–1614): Laokoon
122
14
Thoma, Hans (* 1839): Die Flucht nach Ägypten
304
36
Tizian (1477–1576): Der Zinsgroschen
75
II
Uhde, Fritz von (1848–1911): Das Tischgebet
311
Velásquez, Diego (1599–1660): Infantin Maria Theresia
142
17
Veronese, Paolo (1528–1588): Die Hochzeit zu Kana
114
13
Vinci, Leonardo da (1452–1519): Das heilige Abendmahl
21
4
Watteau, Jean Antoine (1684–1721): Der Tanz
163
19

Bongs Goldene Klassiker-Bibliothek

Die Texte sind sorgfältig revidiert, eine von den ersten Literarhistorikern geschriebene Einleitung führt in den Dichter und sein Werk ein, und reichhaltige Erläuterungen erleichtern das Verständnis.

Artur Brausewetter in der „Danziger Zeitung“.

*Conrad Ferdinand Meyer, sämtliche Werke, 3 Bände.

Jeder Band in Ganzleinen 3 M., Halbleder 5 M., Ganzleder 6 M., die mit * bezeichneten Bände 50 Pf. mehr.

Den Freunden von „Bongs Goldener Klassiker-Bibliothek“ steht das 160 Seiten starke, reich illustrierte Bändchen „Lebensbilder unserer Klassiker“ gegen Einsendung von 25 Pf. postfrei zur Verfügung. Die „Lebensbilder“ enthalten eine Schilderung des Lebens und Wirkens unserer Klassiker sowie die Inhaltsangaben der in „Bongs Goldener Klassiker-Bibliothek“ erschienenen Werke, ferner: 57 Porträte und einen Anhang: „Grundlinien der Kultur- und Literaturgeschichte von 1740 bis zur Gegenwart“.

Bongs Jugendbücherei

Von Ministerien, Schulmännern Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, Erziehern, sowie den Prüfungsausschüssen für Jugendschriften und der Presse bestens empfohlen

*Die Abenteuer des Fürsten Dshaparidse, des größten Bärenjägers Sibiriens. Erzählt vom letzten überlebenden Gefährten Egon von Kapherr. Mit 81 Abbildungen.

*Triumphe der Technik. Von Hans Dominik. Mit vielen Abbildungen, Zeichnungen und Photographien.

*Jugend-Turn- und Sportbuch von Dr. Ed. Neuendorff. Mit zahlreichen Abbildungen.

*Das Buch der Physik. Errungenschaften der Naturerkenntnis. Von Hans Dominik. Mit 150 Abbildungen, Tabellen, technischen Skizzen und Photographien.

*Das Buch der Chemie. Errungenschaften der Naturerkenntnis. Von Hans Dominik. Mit 154 Abbildungen, Tabellen, technischen Skizzen und Photographien.

Gemälde und ihre Meister. Mit erklärenden Texten sowie einem Geleitwort von Dr. Arnold Reimann, Stadtschulrat in Berlin. Mit 8 farbigen und 40 schwarzen Beilagen.

Unter den Wilden. Entdeckungen und Abenteuer. Von Dr. Adolf Heilborn. Mit 5 farbigen Beilagen und 36 Textbildern.

Wilde Tiere. Von Dr. Adolf Heilborn. Mit 4 farbigen Beilagen und 39 Textbildern.

Leben und Treiben zur Urzeit. Von Dr. O. Hauser. Mit 4 farbigen Beilagen, 145 Textbildern und einer Karte des Vézèretales.

Deutsche Dichter. Von Felix Lorenz. Mit Proben aus den Werken, 4 bunten Beilagen, 73 Textbildern und 66 Handschriftenproben.

Berühmte Musiker und ihre Werke. Herausgegeben von Dr. Richard Sternfeld, Professor an der Universität zu Berlin. Mit 76 Textbildern, 13 Faksimiles und 44 Notenbeispielen.

Seelenleben unserer Haustiere. Von Dr. Th. Zell. Mit 4 bunten Beilagen und 103 Textbildern.

Im Wunderlande der Technik. Meisterstücke und neue Errungenschaften. Von Hans Dominik. Mit 182 Abbildungen u. Originalzeichnungen, technischen Skizzen und Photographien.

Das Sternenzelt und seine Wunder. Von Dr. Joseph Plaßmann, Professor an der Universität zu Münster i. W. Mit 2 Tafeln u. 108 Abbildungen.

Die schönsten Märchen der Weltliteratur. Gesammelt u. herausgegeben von Prof. Friedrich v. d. Leyen. Mit vielen farbigen Kunstblättern und Textbildern. 2 Bde.

Jeder Band in Halbleinen 4 M., die mit * versehenen Bände 5 M.

Berlin * Verlag von Rich. Bong * Leipzig