The Project Gutenberg eBook of Cölestine, oder der eheliche Verdacht; Erster Theil (von 2) This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Cölestine, oder der eheliche Verdacht; Erster Theil (von 2) Author: Julian Chownitz Release date: October 5, 2016 [eBook #53217] Language: German Credits: Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive) *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK CÖLESTINE, ODER DER EHELICHE VERDACHT; ERSTER THEIL (VON 2) *** Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive) #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1842 erschienenen Ausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche sowie inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten, insbesondere wenn diese in der damaligen Zeit üblich waren oder im Text mehrfach auftreten. Fremdsprachliche Begriffe und Zitate sowie eingedeutschte Fremdwörter wurden nicht korrigiert; einzelne unleserliche Buchstaben wurden aber sinngemäß ergänzt. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter erstellt. Für die von der im Originaltext verwendeten Frakturschrift abweichenden Schriftschnitte wurden die folgenden Sonderzeichen verwendet: gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: _Unterstriche_ #################################################################### Cölestine, oder der eheliche Verdacht. Von Julian Chownitz, Verfasser von: Moderne Liebe, Marie Capelle, Leontin, Eugen Neuland, Geld und Herz, Heinrich von Sternfels u. s. w. Erster Theil. Mit 3 Illustrationen. [Illustration] Leipzig, Verlag von Franz Peter. 1842. Gedruckt bei +Friedrich Andrä+. Meinen Freunden Carl Herloßsohn und Eduard Maria Oettinger gewidmet. Cölestine, oder der eheliche Verdacht. Inhaltsverzeichnis. Erstes Kapitel. Eine Morgenszene auf dem Wasserglacis. 3 Zweites Kapitel. Cölestine von Randow und Alexander von A--x. 31 Drittes Kapitel. Die Trauung. 44 Viertes Kapitel. Der Hochzeitsball. 55 Fünftes Kapitel. Einige Lebensszenen. 85 Sechstes Kapitel. Die ersten Tage eines jungen Ehepaars. 113 Siebentes Kapitel. Ein _Tête à tête_ -- jedoch kein zärtliches. 136 Achtes Kapitel. Der Chevalier von Marsan. 155 Neuntes Kapitel. Die Thorheiten der Welt und die Leidenschaften des Herzens. 171 Zehntes Kapitel. Ernste und heitere Zwischenszenen. 195 Elftes Kapitel. Die beiden Gatten und der Verdacht. 231 Zwölftes Kapitel. Die Beweise der Untreue. 261 Dreizehntes Kapitel. Neue Proben -- neue Beweise. 285 Vierzehntes Kapitel. Die Morgenszene nach dem vorigen Tage. 322 Fünfzehntes Kapitel. Abend und Nacht. 334 Erstes Kapitel. Eine Morgenszene auf dem Wasserglacis. Die Morgensonne leuchtete mit goldener Klarheit über der schönen und großen Stadt Wien. Es ist das Wasserglacis wohin wir uns zum Eingange dieser Erzählung versetzt sehen. Sie kennen doch das Wasserglacis, meine liebenswürdigen Leserinnen, oder mindestens haben Sie davon bereits gehört; Sie wissen also so viel als nöthig ist, nämlich: daß dieses Wasserglacis am Morgen und Vormittags einen der lieblichsten, der herrlichsten Plätze Wiens bildet -- des Nachmittags und zur Abendzeit hingegen unter die abscheulichen und vermeidenswerthen Punkte der großen deutschen Metropole gehört -- dies, meine holden Leserinnen, werden Sie wohl schon gehört haben. -- O schreckliche Wasserglacis-Nachmittage -- da sich dort parfumirte Ladendiener, geniale Vagabonden, gutmüthige Limonadetrinker und buntbetakelte alte Kokotten versammeln, in deren Reihen sich einige honette Menschen verirren, wie Fettaugen in eine Gasthaussuppe! -- Wie oft hat man das Wasserglacis mit dem Volksgarten in eine Linie zu stellen versucht und diesen letzteren den Bruder von jenem genannt! Ach, das war ein schmähliches Unrecht, welches man dem ehrenwerthen Volksgarten anthat. In diesem hat zu jeder Zeit das bessere -- um nicht geradezu zu sagen: das edlere -- Element überwogen, was man vom Wasserglacis und dessen Abendunterhaltungen nicht sagen kann -- außer, wir wiederholen es, am Morgen und dann noch allenfalls an gewissen Tagen, wenn nämlich von dem Entrepreneur eine Barriere rund um den Platz herum gezogen wird, welches das einzige Mittel ist, (nicht gewisse Leute abzuhalten, sondern) bessere Gesellschaft anzuziehen. Zur Zeit des Frühjahrs werden jeden Tag hübsche Konzerte auf dem Wasserglacis abgehalten. Hieher strömen dann von der vornehmen und mittleren Welt alle Diejenigen, welche eine Morgenpromenade machen, das Frühstück im Freien nehmen, irgend eine Negotiation bei einem Glase Champagner verrichten oder aber -- jetzt hat dieser Ort sogar seine ehrwürdige Seite -- Mineralwasser trinken wollen, denn mit letzterem Artikel ist man hier in allen Sorten versehen. -- Es war an einem eben solchen Vormittage, als zwei Herren, deren einer älter, der andere noch ein Jüngling war, in raschen Schritten und eifrigem Gespräche sich dem Etablissement näherten und ungefähr in der Mitte desselben an einem kleinen Tische Platz nahmen. Zufällig oder absichtlich hatten sie sich in den am stärksten bevölkerten Theil des Ortes begeben, was jedoch -- sollte es mit Vorsatz geschehen sein -- nur durch den ältern Herrn bewirkt worden war, denn sein junger Begleiter schien seit einigen Augenblicken in tiefes Nachsinnen zu versinken. Um die Gestalt der Beiden zu schildern, werden wenige Striche genügen. Der Aeltere, ein Mann von 50 bis 60 Jahren, ließ auf den ersten Anblick merken, daß es ihm vor Allem darum zu thun sei, so jung als möglich zu scheinen. Es war dies mit einem Worte einer jener greisen Stutzer und Liebesritter, von welchen die Residenzen wimmeln -- namentlich seit dort die Schneider, die Friseure, die Zahnärzte und noch manche andere Künstler so große Fortschritte in ihren resp. Fächern gemacht haben. Unser alter Adonis war mittlerer Statur und ausnehmend wohlbeleibt, was weder seinen engen Kleidern noch dem Gurte, welchen er merkbarer Weise unter seinen Kleidern um die Taille oder vielmehr um den Bauch trug -- noch auch dem Mieder in seiner Weste gelang, zu verbergen. Sein Gesicht glänzte von Gesundheit, Verliebtheit und jener Schlauheit -- die sich selbst betrügt; auf dem Kopfe trug er eine kostbare schwarze Perücke, die von seinem rothen Gesichte abstach wie ein Rabe neben einem Papagei -- -- welchen Kontrast unser Mann jedoch dadurch zu vermitteln suchte, daß er seinen weißen Schnurbart (er trug einen Schnurbart!), und sogar seine Augenbraunen schwarz färbte. Es läßt sich denken, daß er stets nach der herrschenden Mode gekleidet war, auch Stock und Lorgnette trug, letztere um jede Dame zu begucken, ersteren um seinem ein wenig watschelnden Gange mehr Eleganz zu geben. Was den jungen Mann betrifft, so wird es hinreichen, einstweilen zu bemerken, daß er ein schöner, schlanker, etwas bleicher Jüngling war, an welchem man weder eine Tugend noch einen Fehler mehr bemerken konnte, als an andern schönen, schlanken und bleichen Jünglingen. Nur melancholisch schien der Arme! Ach, er schien sehr melancholisch. Einige Zeit hindurch herrschte zwischen beiden tiefe Stille. Der alte Seladon hatte mit seiner Lorgnette vollauf zu thun; er besah sich alle Frauen ringsherum, eine nach der andern -- manche zwei, drei Mal, und dabei schnalzte er zeitweise leise mit der Zunge, lächelte verschmitzt und strich sich vorsichtig den gefärbten Schnurbart. Endlich blieb sein kleines Aeuglein mit sichtbarem Vergnügen auf einer von den anwesenden Damen haften und jetzt ließ er ein leises Husten vernehmen. Dies brachte den Anderen aus dessen Träumereien. Er wandte sich nach dem Alten und sprach: „Also wirklich verhält es sich so, wie Sie mir vorhin erzählten? Wirklich? -- -- Nein, nein, ich kann es noch nicht glauben. +Cölestine von Randow+ hätte die Absicht, jenem Menschen ihre Hand zu geben, wie? --“ „Nicht blos: Sie hätte, bester Freund! Sie +hat+, sie +hat+ die Absicht, mein Lieber! Sie +hat+, sag’ ich -- und setze noch hinzu: ihm höchstwahrscheinlich die Hand schon +gegeben+.“ Hier schwieg der Alte und fuhr auf seinem Sitze ungeduldig hin und her, weil sich zwischen ihn und seinen Gegenstand Jemand gestellt hatte, so daß er zu jenem durch seine Lorgnette nicht hinüber sehen konnte. „Aber“ fuhr der Jüngling fort: „das ist ja ganz unmöglich! Sie sprechen da eine Absurdität aus, lieber Althing. -- Es ist unmöglich, sag’ ich! ich kann es nicht glauben.“ Ohne sich an diese Rede zu kehren, rief der Seladon, der nunmehr wieder sein _vis à vis_ sah: „Ach! Ach! Welche Formen! Welch herrlicher Wuchs! Welcher Gliederbau! Welche Taille -- -- und besonders, welches göttliche Gesicht! -- Wahrhaftig, das ist eine Juno -- oder nein eher noch eine Venus.... eine.... eine.... Allein, wer ist dort jener junge Gelbschnabel, der sich beständig an sie drängt? Offenbar mag sie nichts von ihm wissen -- -- und hat ihre Blicke beständig hierher nach mir gerichtet. O, glücklicher Althing! Du bist noch immer jener große Besieger der Weiberherzen........ Allein, bei Gott, +diese+ verdient Dich auch im vollsten Maße.“ „Von wem reden Sie, Althing?“ erhob der Jüngling jetzt Kopf und Stimme: „Reden Sie von Cölestine von Randow?“ „Ei bewahre!“ entgegnete der Andere lachend: „Ich rede -- -- sehen Sie denn nicht +dort+, meine Göttin +dort+ -- von ihr +dort+ rede ich -- -- sehen Sie +dort+ -- +dort+ -- bester Baron! +dort+ sehen Sie sie, bester +Leuben+!... Ha, beim Himmel! so eben hat sie mir einen Blick zugeworfen; einen Blick sag’ ich Ihnen! Haben Sie ihn denn nicht bemerkt?“ +Leuben+, denn so hieß der Jüngling, hatte schon wieder das Haupt auf die Brust fallen lassen und fragte jetzt eintönig: „Und Sie wissen es also wirklich?“ „Es ist so klar, wie die Sonne. Ueberzeugen Sie sich doch selbst, mein theurer Freund.“ „Man hat es Ihnen also nicht blos gesagt? Sie haben es nicht blos vom Hörensagen --?“ „Ei, was fällt Ihnen da ein, köstlichster Leuben! Vom Hörensagen! -- Ich wiederhole Ihnen: diese meine eigenen Augen haben es gesehen, diese Augen hier, verstehen Sie mich? und Sie wissen doch, ich habe ein Paar Augen wie ein Adler, wiewohl, ohne daß ich darauf eitel wäre, auch noch von manchen andern Vorzügen meiner Gestalt die Rede sein könnte. -- Allein...“ Der junge Mann stieß hier, als ganze Antwort darauf, einen schweren Seufzer aus, und als der einsammelnde Kassirer des Orchesters herbei trat, um seinen Groschen zu verlangen, warf Leuben ihm in der Zerstreuung einen Dukaten hin, was sonst für einen Morellischen Walzer doch wohl ein zu hoher Preis sein dürfte. Mit einem Male fing Althing wieder an: „Ach! Ach! bei Gott -- das ist zu stark! das war ein Blick so feurig wie eine Bombe! Du hast nicht nöthig, holde Zauberin, mein Herz mit so schwerem Geschütze zu bestürmen: es hat Dir seine Thore längst schon aufgethan. -- Abermals! Abermals! -- Ach, ich sehe, Du bist rasend in Deiner Zuneigung zu mir! Nun ja, Du bist ja erhört! -- Ha! auch noch mit dem Fächer winkst Du mir? --“ „Wie?“ fiel Leuben träumerisch ein, „Sie hat Ihnen mit dem Fächer gewinkt?“ „Und das so stark -- wie eine türkische Sultanin -- hehehe! Das war aber Alles nicht nöthig!“ „Und dies Alles sagen Sie mir, mit so kaltem Blute -- -- mir mir?“ „Mein Gott, was soll ich thun? Kann ich’s denn ändern? Ich habe nun einmal schon das Fatum, liebenswürdig zu sein! Was kann man für seine Vorzüge, seine Eigenschaften!?“ „Alle Teufel! es wird mir endlich zu toll!“ rief der Jüngling jetzt aus und erhob sich rasch von seinem Sitze. „Mein Herr“ sagte er in einem Tone, der auf halbe Sinnesabwesenheit schließen ließ: „es ist Alles möglich, es kann Alles wahr sein, was Sie da erzählen. Wer kennt die Weiber und ihre Launen, ihre Leidenschaften! Es ist bereits da gewesen, daß eine Hebe sich in einen Vulkan verliebt hat -- -- und demnach kann es auch bei Ihnen wiederkehren. Allein was brauche ich dieses zu wissen? Wollen Sie mich kränken oder beleidigen? Wenn dies der Fall, so erfahren Sie, daß ich weder zu dem Einen noch zu dem Andern ruhig zusehen werde.... Ja, ja, ich weiß, jenes Mädchen, jenes Geschöpf ist ein weiblicher Dämon, den wenigstens ich nicht verstehe: tugendhaft, streng, unbefleckt -- -- und zugleich eitel, gefallsüchtig und noch Gott weiß was. Allein wenn ich von ihr, wenn ich von diesem Mädchen, die mir Alles war, auch noch so Manches hätte denken müssen, das Eine, fürwahr -- das Eine wäre mir nie beigefallen: daß ein so junger und holder Engel fähig sei, einem alten Subjekt +Ihrer+ Art Gehör zu geben, während sie mich....“ Hier hatte sich jedoch bereits auch Herr von Althing erhoben und in Positur gestellt. Zuerst schlug er mit seinem Fuße, woran sich ein klirrender Sporn befand, gewaltig gegen den Boden, dann stemmte er sich auf seinen Stock und endlich fing er mit einer Stimme an, die furchtbar sein sollte: „Wie mich dünkt, so haben jetzt Sie, mein bester Leuben, jene Absicht, welche Sie mir zuvor untergeschoben, nämlich zu beleidigen.... Mindestens begreife ich nicht, was sonst Worte wie: „ein altes Subjekt“ u. s. w., wie Sie solche so eben gegen mich gebrauchten, zu bedeuten hätten.... Wenn nun dies wirklich der Fall sein sollte....“ „Nun?“ lächelte Leuben spöttisch: „wenn es der Fall sein sollte?“ „Dann, dann“ polterte Althing und gab sich ungeheure Mühe, so wild als möglich die Augen zu rollen: „dann muß ich ihnen sagen, daß --“ „Weiter, weiter!“ „Daß ich das nicht -- -- -- -- begreifen kann.“ „Wie, Sie können es nicht begreifen, daß mich Ihre verdammte Liebesgeschichte in Wuth bringt?“ „Aber mein Gott, ist es meine Schuld, wenn man mich liebt, wenn man wahnsinnig vernarrt in mich ist? Sie wissen doch, wie ich die Weiber zu behandeln pflege -- und doch ist diese da eine solche Närrin.....“ „Ha!“ schrie der Jüngling nun und das Aussehen, welches in der Umgebung entstanden war, vergrößerte sich von Augenblick zu Augenblick: „ha! Sie wagen es, mein Herr?“ „Allein, mein Himmel -- ich begreife nicht, warum Sie sich so ereifern, Leuben. -- Was gehen Sie meine Liebschaften, meine Eroberungen, meine Siege an --?“ „Elender -- so wissen Sie nicht, daß ich Cölestine von Randow liebe, wie ein Wahnsinniger, wie ein Wüthender!?“ „Nun -- und weiter?“ „Weiter? Noch weiter?“ „Nun ja, wozu erzählen Sie das mir? Weiß ich es denn nicht?“ „Nun ja -- eben darum; und doch sprachen Sie eben --“ „Von --? --“ „Cölestine!“ „Ich? -- Nicht eine Silbe.“ „Von wem also denn?“ „Ei -- alle Wetter! von jenem allerliebsten Brünettchen, die dort _vis à vis_ von mir, in der dritten Reihe, sehen Sie -- mit Mutter und Vater sitzt. Von ihr, von ihr, die, wenn mich mein Kennerblick nicht ganz täuscht, eine kleine Bäckerstochter aus der Wipplinger Straße ist.... von ihr sprach ich, mein Freund, und nicht von Cölestine!“ „Hahahaha! Hahahaha!“ erhob jetzt der früher so düstere Leuben ein schallendes Gelächter: „hahahaha! Ist das das Ganze?“ „Das Ganze! Hahahaha!“ lachte der alte Ritter mit. „Ein Mißverständniß also? Beim Himmel! das müssen Sie mir verzeihen, theuerster Althing!“ „Nun, nun es ist längst verziehen, verlassen Sie sich d’rauf. Uebrigens -- da wir uns in dem anstrengenden Diskours beinahe die Kehlen ausgedörrt haben, so dürfte, wie mich dünkt, eine Flasche Tokaier oder so etwas dergleichen kein unebenes Anfeuchtungs- und Restaurationsmittel sein. Daher: Marqueur! Holla! -- Johann! Oder wie der Bursche sonst heißt.“ „Befehlen Euer Gnaden? Schaffen Euer Gnaden! Womit können wir aufwarten?“ Mit diesen Worten und tiefen Katzenbuckeln waren zwei bis drei Aufwärter herbeigesprungen, so flink, so behend, so lustig, daß ein norddeutscher Kellner sich nicht einmal eine blasse Idee davon zu machen im Stande ist. „Wie steht es mit Eurem Keller?“ nahm Althing das Wort: „Habt Ihr guten Tokaier? Was?“ „Aufzuwarten, Euer Gnaden. Er ist aus dem Keller Sr. Durchlaucht des Fürsten -- --“ „Ach, wenn das ist, dann behaltet denselben für Euch; der Tokaier, welcher unter diesem Namen passirt, ist häufig der schlechteste. Es geht damit, wie mit den schlechten Büchern, die ein Verleger dadurch an den Mann zu bringen sucht, daß er zu denselben Vorreden von berühmten Literaten schreiben läßt. Also mit dem Tokaier ist es nichts; dafür bringst Du uns Champagner und zwar _non mousseux_. -- --“ „Zu dienen, Euer Gnaden! Im Augenblick, Euer Gnaden!“ Und diese Leute sprangen wieder wie die Hirsche davon, so daß es wie eine Art von Jagdvergnügen war, ihnen zuzusehen. „Ei, ei! -- Schon wieder! -- Das war noch deutlicher, als alles Frühere! -- Jetzt winkte sie mir gar mit dem Finger und deutete auf ihre Mutter neben sich, gleichsam als wollte sie sagen: Diese da genirt unser Zusammentreffen, du mein holder Mann! -- Nun, fürwahr, die hat an mir complett einen Narren gegessen.... Mein Gott, das ist jedoch für Unsereins etwas ganz Alltägliches.... Ha! da fällt mir etwas ein. Wissen Sie, was ich thun will, Leuben? Ich will jene verliebte Hexe noch rasender verliebt in mich machen -- und zwar dadurch, daß ich dieselbe eifersüchtig mache. O, ich bin in diesen Dingen erfahren! -- Also rasch auf irgend eine Zweite deine Blicke geworfen, Freund Althing -- und sie wird wahnsinnig, sie wird unglücklich! -- O, in dieser Beziehung bin ich ein ganz herzloser Gesell! -- Allein man muß es bei dieser Zeit auch sein -- sonst kommt man nicht fort. Nur den Ungeheuern in der Liebe sind die Weiber treu. Je beständiger man ist, desto wankender sind sie.... je gleichgültiger, um so mehr entbrennen sie für uns.... Meiner Treu, ich werde mich darüber weiter auslassen, wenn ich erst meine Memoiren unter dem Titel: „Casanova II.“ herausgebe....“ Der alte Schwätzer wäre noch lange in dieser Weise fortgefahren, indem er dabei seine lüsternen Blicke immerwährend von der einen seiner Auserkornen zur andern gehen ließ -- -- allein jetzt plötzlich schien er von einem neuen Anblick überrascht und mit lauter Stimme rief er aus: „Ah -- da kommt unser theurer Freund +Edmund von Randow+!... Ah, das ist wirklich schön! Der Bursche ist mir so zu sagen ans Herz gewachsen: es ist ein köstlicher Junge, der Edmund.“ Die Person, von welcher Althing also deklamirte, näherte sich in raschen Schritten und verdoppelte dieselben noch, sobald sie die Zwei ansichtig wurde. Man denke sich einen jungen eleganten Mann von guter aber etwas leichtfertiger Haltung -- dessen lachendes Auge kühn oder nach Umständen auch frech den Leuten bis zwischen die Zahnreihen sieht, dieser junge Mensch, ein Liedchen summend, eilte jetzt durch die Reihen der Gäste hin, indem er Diesem auf den Fuß trat, Jenen am Ellbogen anstieß -- und auf alle Mahnungen die hierauf erfolgten nichts that, als daß er mit seiner dünnen Reitgerte in der Luft umherfocht, als wollte er Mücken vertreiben. „Haha!“ ließ er sich mit einem Male so laut vernehmen, daß man es gewiß bis zum Zeughause hören konnte: „da sitzen sie ja beisammen die zwei Freunde, die zwei Kameraden..... Ach! und welche Blicke dieser alte Sünder wieder um sich herum wirft....“ In diesem Augenblick war er zu ihnen gelangt und ohne Weiteres warf er sich auf einen Stuhl, griff nach einer von den bereits herbeigeschafften Flaschen und schenkte sich ein Glas Champagner ein, das er auf einen Zug leerte; -- dann streckte er die Beine von sich, erhob die Reitgerte und versetzte damit seinem Nachbar, dem Liebesritter Althing, einen leichten Schlag auf die Knie: „Nun, wie geht es? Was macht Ihr da? Was machen die holden Fräuleins -- und wie viele hat ihrer dieser große Verführer bereits in einem Augenblick erobert? --“ Diese Apostrophe schien dem alten Seladon zu schmeicheln und mit den Lippen schmatzend versetzte er in geheimnißvollem Tone: „Bis jetzt ist es nur Eine -- -- aber diese kann für Tausend gelten, hahaha!“ „Wirklich?“ rief Edmund: „Das muß in der That ein kleines Weltwunder sein.... Nun und wo sitzt denn diese Helena -- mein lieber Alter..?“ „Ich habe“ versetzte dieser mit gekränktem Tone -- „Dich bereits zu oft gebeten, mich nicht „mein lieber +Alter+“ zu nennen; denn erstens bin ich noch in meinen besten Jahren -- zwischen 30 und 40 -- und zweitens haben wir uns, was man so sagt, conservirt -- -- endlich drittens -- --“ Er hatte noch nicht ausgesprochen, als ein neuer +Fall+, den man wirklich +Fall+ nennen konnte, sich ereignete; Edmund hatte nämlich seine Beine so weit ausgestreckt, daß ein Aufwärter, welcher eben mit einer Platte voll Confituren und Getränken vorübereilte und die sehr vernünftige Absicht hatte, auszuweichen -- so unvernünftig war, es ein wenig allzu rasch thun zu wollen -- solchergestalt mit seiner Platte hinfiel und den ganzen Inhalt der Gläser auf Edmunds Beinkleider und Althings Stiefel ausgoß -- das Uebrige vermälte sich mit dem Staube auf dem Boden und wurde von zwei herbeieilenden Knaben und drei Hunden in friedfertiger Weise getheilt. Edmund lachte wie toll über das, was er „Impromptu“ nannte -- hingegen war Althing über die Vertilgung des Glanzes auf seinen Stiefeln so untröstlich, daß er dem unseligen Aufwärter nicht nur einen Schimpfnamen nach dem andern -- sondern zum Beschluß auch noch einen Tritt auf einen gewissen Theil des Körpers versetzte; eine Mode, die in Wien eben nicht ungewöhnlich ist, während man dergleichen Divertissements der großen Herrn in dem ganzen übrigen Europa bereits längst abgeschafft hat. Die Unterhaltung erhielt demnach eine bedeutende Lücke, wenigstens in ihrer conversationellen Seite; das war jedoch Keinem angenehmer als unserm bleichen, melancholischen Freunde, unserm armen Freunde Leuben, der, während hier Alles lachte, auch nicht einmal das Gesicht verzog. „Alle Donner!“ schrie Althing -- „ich bin für diesen Augenblick ruinirt; meine Toilette ist hin! Und es ist doch ein so wichtiger Augenblick.... Jene kleine Brünette! -- Jene, die ich schon besiegt hatte, kraft der Gewalt meiner Physiognomie, -- wer weiß, ob sie nicht Anstoß nimmt an ungewichsten Stiefeln! O nichtswürdiger Marqueur! Dummkopf von einem Aufwärter -- ich könnte Dich --“ Mittlerweile hatte Edmund dem armseligen Marqueur, dem all dies Unglück galt und der da stand vor seinen zerbrochenen Tassen und Gläsern wie Niobe, die ihren verfolgten Töchtern nachsieht, -- diesem Unglücksmanne hatte der leichtfertige Edmund eine Banknote zugeworfen, die wohl den dreifachen Werth des Schadens enthalten mochte und daher ein ganz respektables Schmerzensgeld war. Der Unglücksmann verbeugte sich bis zu seinem Bauche und würde sich noch tiefer verbeugt haben, hätten ihn seine geschundenen Glieder daran nicht gehindert. „Nun, bist Du zufrieden?“ rief Edmund. „Vollkommen!“ versetzte der Kerl: „Wenn Euer Gnaden wieder ein ander Mal schaffen[A], so brauchen Sie mir’s nur sagen zu lassen. --“ Diese Replik versetzte Alles in heitre Laune, so daß sogar Leuben eine Anwandlung davon bekam; erst jetzt erwiderte er den Gruß Edmunds; doch plötzlich blieb sein Auge mit einem heftigen fieberhaften Ausdrucke auf demselben haften und ein leises Zucken der Lippen schien die gewaltsamen Gedanken, welche sich gerne in Worten Bahn brechen wollten, anzuzeigen. „Was haben Sie, mein bester Leuben?“ fragte der Andere: „Was ist Ihnen? Sie sind heute bei sehr schlimmer Laune, wie ich merke -- und ich finde deshalb den Einfall köstlich, sich dieselbe gleich am Morgen mit Champagner zu vertrinken.“ „O“ fiel der alte Dicke ein: „dieser Champagner hat etwas ganz Anderes zu bedeuten. Es ist ein Versöhnungstrank -- eine Libation; denn wir hatten ein Rencontre, bevor Du kamst -- und wenig fehlte, so hätten wir einander die Hälse gebrochen.“ Edmund schlug ein unsinniges Gelächter auf. „Wie -- ein Rencontre? einen Streit? -- Seid Ihr denn verrückt? Zwei alte Freunde und ein Streit!.. Macht doch keinen Narren aus mir.“ „Nein, nein, in vollem Ernste gesprochen, Du kannst Dich darauf verlassen -- -- und überdies, was hindert uns, Dir den Inhalt des Streites mitzutheilen. -- Ohnehin betrifft er ja in entfernterer Weise sogar Dich. --“ „Wie?“ schrie jetzt Edmund aus Leibeskräften: „Mich, mich, sagst Du, -- hahaha! -- Der Fall wird interessant -- doch bevor wir weiter gehn: Marqueur, noch eine Bouteille von diesem rothen Champagner -- -- er ist köstlich! -- -- So, und jetzt erzähle, mein Alter, erzähle!“ „Donnerwetter! noch ein Mal, Edmund, rede mich nicht immer so an, +Alter+! darauf werde ich künftig nicht mehr hören; verstehst Du? --“ „Also, mein Junge, wenn Dir dies lieber ist.“ „Das ist etwas Anderes. Ich verlange, wie Du weißt, nichts Unbilliges. Ich könnte zehn Taufscheine beibringen, worin mein Alter von 30 bis 40 Jahren bestätigt ist -- und --“ „Schon gut -- Alle Teufel! Wirst Du endlich zur Geschichte kommen, verd-- Alter -- Althing wollt’ ich sagen.“ „Nun ja, so höre: es handelte sich um Deine Schwester Cölestine.“ Bei diesen Worten nahm der Roué Edmund einen so ernsten Ausdruck des Gesichtes an, wie man ihn dessen nimmer fähig gehalten hätte: „Ueber diesen Gegenstand“, sagte er mit Nachdruck -- „bitte ich Dich zu schweigen, mein Freund, und erkläre Dir ein für alle Mal, daß ich hierbei keinen Scherz verstehe.“ „Meinetwegen,“ bemerkte Althing; „was geht die Geschichte mich an? -- Was mich betrifft, so will ich Dir gerne den Gefallen thun, darüber zu schweigen; jedoch ist hier Einer....“ und hierbei deutete er auf Leuben. Edmund richtete sich auf; in der That schien jetzt dieser ganze Mensch verändert -- die Lappen und Flitter der Liederlichkeit schienen alle von ihm gefallen zu sein und er stand so würdig da, als irgend Einer. Mit Ernst wandte er sich an seine beiden Gesellschafter: „Meine Herren,“ sprach er, „es ist da von einer +Geschichte+ und dann von Ihnen, Herr von +Leuben+, die Rede. Wollten Sie wohl die Güte haben, mir hierüber einige nähere Aufklärung zu geben.“ Der junge Mann, dessen Namen er so eben genannt, hatte seinen festen, durchdringenden Blick von ihm noch immer nicht abgekehrt. Jetzt zitterte er an allen Gliedern -- und schien mit unaussprechlicher Ungeduld den Moment erwartet zu haben, welcher so eben einbrach. „Reden Sie doch! Reden Sie doch!“ rief Edmund, bald zu Leuben, bald wieder zu Althing gewendet, welch’ Letzterer, durch die Aufmerksamkeit, die er seinem _vis à vis_, oder seiner Brünette, schenkte, gehindert, hier am Tische nur mit halben Ohren zuhörte. „Werden Sie mir endlich sagen --?“ wiederholte Edmund so heftig, daß der Dicke erschrack und nun rasch die Worte aussprach: „Aber mein Gott, welche Aufregung bei einer so kleinen Sache? Nun denn, unser ganzes Gespräch, so weit es Ihre Schwester, Fräulein Cölestine, betraf, drehte sich um die Frage: ob sie wirklich, wie man sich erzählt, Braut geworden sei oder nicht. Das ist Alles.“ „Ja --“ wiederholte Leuben mit einer wilden, sonderbaren Unruhe: „ob sie Braut geworden sei, darum handelte es sich, und dies können Sie, Herr von Randow, uns mit der größten Bestimmtheit sagen.“ „Nun -- wenn es sonst nichts ist!“ entgegnete Edmund in munterem Tone, „dann hatten wir freilich viel Lärmens um Nichts gemacht; denn es wird Ihnen Beiden doch wohl einerlei sein, ob oder ob dies nicht der Fall ist.“ „Nein, nein -- es ist uns keineswegs so ganz gleichgültig, wie Du glaubst, mein Lieber,“ meinte Althing: „und so magst Du es uns nur sagen, was die Sache Wahres enthält.“ „Nun denn -- Cölestine ist in der That die Braut des Grafen von A--x; diese Angelegenheit ist bereits abgeschlossen.“ Ein fahler Lichtschein fuhr über Leubens Angesicht, dessen Blässe jetzt eine todtenähnliche Farbe annahm. Dieser Mensch schien von einem elektrischen Schlag bis ins tiefste Leben hinein getroffen zu sein; die Veränderung, welche an ihm vorging, ward jedoch von keinem seiner beiden Nachbarn bemerkt -- denn mit einer an’s Uebernatürliche streifenden Gewalt schien er sich zu beherrschen. Er blieb auf seinem Stuhle sitzen -- bewegungslos, antheillos, und bis auf seine wechselnde Gesichtsfarbe, so unverändert, als wäre nichts vorgefallen. Bald darauf erhob man sich; Edmund hatte Besuche bei Freunden und im Kaffeehause zu machen (er traf seine Freunde gewöhnlich an solchen Orten); Althing beobachtete den so eben erfolgten Aufbruch seiner „Brünette“ -- natürlich, daß er Willens war, ihr zu folgen; was endlich Leuben betraf, so war demselben höchst wahrscheinlich wenig daran gelegen, dem einen oder dem andern dieser Herren zu folgen -- und in der That, wir sehen ihn auch alsbald nach einer leichten Begrüßung sich einsam hinweg begeben und den Weg rechts nach den Vorstädten -- vielleicht um in den nahen Garten des Fürsten Schwarzenberg zu gelangen -- einschlagen. Der Schwarzenberg-Garten ist ein allgemeiner Freund sowohl der glücklich wie der unglücklich Liebenden. Beide bergen sich in seinem Schatten. Althing und Edmund waren eine Strecke gegangen; da sie jedoch verschiedene Ziele verfolgten, so trennten sie sich auch sehr bald und unser dicker Adonis ging nun allein klirrenden Trittes Derjenigen nach, welche, wie er glaubte, ihm so viele und so ausdrucksvolle Liebeszeichen auf dem Wasserglacis gegeben -- und die, wie er nicht zweifelte, sich auch jetzt nur erhoben hatte, damit sie endlich ungestört mit ihm reden könnte. Aber welche Ueberraschung für unseren heißblütigen Ritter, als er sich plötzlich von einem leisen Handschlage auf seiner Schulter berührt fühlte und nun einen ihm unbekannten jungen Herrn hinter sich sah, der folgende Worte zu ihm sprach: „Mein bester Herr -- ich rathe Ihnen, von der Verfolgung jener Dame abzulassen, denn es würde Sie zu nichts führen und wahrhaftig, Sie können Ihre Zeit auf andere Weise weit besser verwenden. Sollten Sie Zweifel in meine Worte setzen, so werden diese bald zerstreut sein. Blicken Sie mir gefälligst nach und überzeugen Sie sich, daß unter diesem Monde nichts häufiger vorkommt, als der +Irrthum+... Man glaubt den goldnen Schatz bereits mit der Hand zu erfassen -- in diesem Augenblick jedoch entschlüpft er uns und im nächsten schon hat ihn derjenige, für welchen er bestimmt war.“ Dies sprechend, lachte der Fremde unserm dicken Freunde so recht ins Gesicht, verdoppelte seine Schritte, so daß er ihm bald vorkam und nach wenigen Schritten sich dicht hinter jener Dame, jener Brünette befand. Diese drehte sich rasch um, ließ ein Briefchen fallen, der Fremde hob es mit einer bewundernswerthen Geschicklichkeit auf und -- bald war er mit seinem Schatze hinter einer Hecke verschwunden. Herr von Althing blieb wie vom Donner gerührt auf dem Platze stehen -- schüttelte das Haupt -- ließ es ein wenig sinken -- stieß einen schweren Seufzer aus und begab sich nach zwei Minuten Ueberlegung auf den Rückweg, indem er vor sich hin murmelte: „Ei, ei, da glaubte ich ganz sicher zu sein. Meiner Treu, ich hätte eher meinen Kopf verwettet, als so etwas zu glauben.... Da seh’ man mal die Weiber an! Aber machen wir es mit ihnen denn besser? -- Also Geduld, Freund Althing! -- Du hast so manches Herz gebrochen -- -- gebiete dem deinigen jetzt Stillschweigen. Allons nach Hause! und neue Toilette gemacht. Ich wette darauf, an diesem ganzen Unglück waren meine begossenen Stiefel Schuld.“ Zweites Kapitel. Cölestine von Randow und Alexander von A--x. Cölestine von Randow war eine der reizendsten Jungfrauen der Residenz. Ihre Familie gehörte zu den edelsten des Landes. Erst vor einem Zeitraum von 100 Jahren aus Polen eingewandert, hatte der damalige Stammhalter durch Dienste, die er dem Staate leistete, derselben schnell eine der glänzendsten Stellungen zu verleihen gewußt. Doch verlor unter seinem Sohne das Geschlecht wieder einen Theil seiner Geltung und seines Vermögens, und erst den beiden Nachfolgern gelang es -- jene Fehler zu verbessern. Freilich ist ein Schade nicht so leicht gehoben wie gemacht, und noch bis zum heutigen Tage empfand die Familie Randow jene Nachwehen, die ihr von ihrem Großvater hinterlassen worden waren. -- Ueberhaupt war es ein Familienfehler der Randow, den fast jedes Glied derselben mehr oder minder theilte -- unüberlegt, ja leichtsinnig zu sein, und wiewohl sie alle von Herz und Geist edel und vortrefflich waren, so überwog in ihnen jenes Erbgebrechen oft so sehr, daß dadurch alle andern und bessern Eigenschaften häufig in Schatten gestellt wurden, wie dies z. B. gegenwärtig bei +Edmund+ von Randow, dessen Charakter wir schon ziemlich deutlich bezeichnet zu haben glauben, der Fall war. Was wir von Cölestine zu sagen haben, wird in Nachfolgendem bestehen. Sie war, wie gesagt, eine der schönsten, der glänzendsten Erscheinungen in der höheren Frauenwelt. Man begreift, daß, um in dem Kreise der Schönheiten Wiens auf jene Benennung Anspruch zu haben, man weit über den Verhältnissen eines gewöhnlichen Maaßes stehen müsse. In der That war Cölestine so schön, daß man aus ihrem Bilde einen modernen Canon für zeitgenössische Maler hätte machen können. Man stelle sich eine zarte, schlanke, feine und doch im höchsten Grade plastische Gestalt vor, als wäre sie aus einer Composition, die geschmeidiger als Marmor und fester als Wachs ist, von einem neuen Pygmalion gebildet worden.... Fürwahr, diese Frau schien nicht aus dem Alltagsmaterial, woraus uns der liebe Gott schafft, zu bestehen! -- Das schmale Oval des Gesichtes wies einen wie mattes Silber schimmernden Teint, der so durchsichtig war, wie Florgewebe, und durch welchen an den Wangen ein zart geschämiges Inkarnat, auf den Lippen aber das brennende Roth der Granatblüthe durchdrang.... Diese mandelförmig geschnittenen Augen mit der feurig dunklen Iris, die einen stechend schwarzen von goldnem Schimmer durchwirkten Kreis bot -- diese schweren dunklen Wimpern und diese dünnen gewölbten Brauen, die von Meistershand auf die glatte, nicht allzu hohe Stirne gezeichnet schienen -- -- diese feine, doch ein wenig gestülpte Nase, dieser nicht allzu kleine Mund, der geschlossen von einem eigenen unaussprechlichen Zauber -- geöffnet es jedoch in einem noch höheren Grade war -- da dann eine entzückende Kindlichkeit daraus sprach (eben so wie er, geschlossen, Ernst und Sinnigkeit ausdrückte) -- -- ferner dieses Kinn vom reinsten Ebenmaße, welches an einen Hals grenzte, der zugleich schlank und kräftig war.... wenn wir zu all diesem noch den prachtvollen, reichen Haarwuchs vom tiefsten Schwarz hinzuthun, der wegen seiner Ueppigkeit und strotzenden Fülle das Haupt nach hinten fast unverhältnißmäßig verlängerte, so daß er jenem der alten Griechinnen glich: so haben wir im Grunde nur erst einen Theil des reizenden Bildes Cölestinens gemalt. Es müßte uns jedoch ein weit kunstreicherer Pinsel als der, welchen die Muse unserer schwachen Hand anvertraut, zu Gebote stehen -- um Alles, Alles, um jedes einzelne Attribut der Schönheit dieses Originals in den vergänglichen Rahmen dieses Gemäldes zu fassen.... Gewöhnlich war der Ausdruck von Cölestinens Gesicht still und ernst, ohne Trauer; zeitweise jedoch wurde er von einer Lebhaftigkeit und jenem muntern Wesen durchstrahlt, das nur einer Französin und einer Polin in so entzückender Weise eigen. Cölestine träumte und schwärmte nicht -- sie emfang, sie faßte deutlich und zugleich tief auf; leicht aber gab sie sich der Wirkung irgend einer ungewöhnlichen Erscheinung in der Außenwelt hin und dann blitzte ihr dunkles Auge hell auf -- ihr Mund öffnete sich -- ihre Lippe verzog sich zum Lachen, zum Spott, zum Zorn, zur Zärtlichkeit, kurz zu dem Ausdruck jeder Empfindung. Man erzählte sich von ihren Kinderjahren, daß sie zu jener Zeit ein kleiner Wildfang und dazu über alles Maß eitel gewesen sei. In Wahrheit, die letztere Eigenschaft hatte sie bei sich noch immer nicht gänzlich abgestellt, so große Mühe sie sich deswegen übrigens auch gab. Sie wußte recht gut, daß Eitelkeit, Gefallsucht und leichter Sinn ein so tüchtiges Gemüth und einen so glänzenden Geist, wie womit sie ausgestattet war, entwürdigen, und gleichwohl ertappte sie sich -- mißtrauisch wie sie war -- alle Tage wohl zehn Mal bei diesen Fehlern. Sie zürnte dann mit sich, sie schmollte, sie bestrafte sich sogar.... allein _naturam si furca etc._ Allein welcher Charakter ist frei von Mängeln und welches Geschöpf tadellos in der Schöpfung? Ich mißtraue jenem Reinen und Fehlerlosen gar gewaltig und würde, hätte ich die Wahl frei, mich zehntausend Mal eher an diejenigen schließen, welche von irdischer Gebrechlichkeit nicht frei sein wollen. -- O, der Mann, welcher Cölestine einst besitzen sollte, hätte sich wahrhaftig in lautem Dankgebet an das Schicksal dafür wenden sollen, daß es ihm ein solches Geschenk gewährt. Dieser Mann nun, von dem wir reden, dieser Glückliche, der Cölestine als sein Weib in die Arme schließen sollte -- es war, wie wir schon erfahren haben, der Graf von A--x. -- Sein Geschlecht war inländischen Ursprungs und mindestens eben so glänzend wie jenes der Randow. Graf Alexander von A--x (denn das ist sein Vorname) war keineswegs mehr ein Jüngling; er stand im vollkräftigen Mannesalter von 36 Jahren -- -- und dieser Umstand war eine von den Ursachen, um derentwillen ihm die achtzehnjährige Cölestine den Vorzug vor dem Heere ihrer andern, theils stillen, theils ziemlich aufdringlichen Anbeter gegeben. -- +Alexander+ bekleidete eine wichtige Stelle im Staatsdienste und man glaubte ihn an dem Vertrauen hochmächtiger Personen betheiligt. Er war ein düsterer, kalter, verschlossener, fast schwermüthiger Charakter -- falls man ihn blos nach der Oberfläche beurtheilte.... aber ach, welches Feuer von Liebe, welche Lava der Leidenschaft mochte da tief unten auf dem Grunde der Seele glühen! -- Seine Gestalt war männlich und kräftig; eine nicht allzu hohe aber derbe Statur würde ihn als einen gewöhnlichen Kraftmenschen bezeichnet haben, wenn sein farbloses oder vielmehr braungelbes Angesicht, in welchem zwei gewaltig große, oft wildbewegte, oft düster starrende Augen wohnten -- durch die mannigfachen Bewegungen, denen es zeitweise unterworfen war, nicht auf ein höchst bewegtes Seelenleben würde gedeutet haben. Zwar wollte die Welt damit -- ein wüstes und wildes Sinnenleben in Verbindung bringen, welches der Graf in früheren Jahren und fremden südlichen Ländern geführt haben sollte; allein Niemand konnte hierüber etwas Bestimmtes sagen -- und so dürfen diese Behauptungen eben sowohl in das Reich der Annahmen -- wie in jenes der Wirklichkeit gestellt werden. -- Mit Einem jedoch verhielt es sich vollkommen richtig, nämlich, daß Graf Alexander in der Liebe von einer wahrhaft schrecklichen Eifersucht verfolgt wurde -- wie man aus einem Verhältnisse, in welchem er vor mehreren Jahren mit einer jungen liebenswürdigen Dame stand, die bereits als seine Braut galt, wußte. -- Jene Dame war in Folge eines Verdachts, den Alexander auf sie, die ganz unschuldig war, geworfen, von ihm so tief in der Seele gekränkt worden, daß sie ihr Schicksal nicht ertragen konnte und an der Seite des zu spät zur Reue zurückkehrenden Bräutigams ihren Geist aushauchte. Seit dieser Zeit hatte Alexander absichtlich der Liebe widerstrebt -- er schien sich hieraus eine Buße gemacht zu haben. Doch in der Nähe Cölestinens, wohin der Zufall ihn führte, und wo irgend ein verhängnißvoller Zwang ihn festhielt, war er nicht länger fähig zu widerstehen.... er faßte eine verzehrende Leidenschaft für das reizende Wesen und trat mit einer unglaublich großen Anzahl von Mitbewerbern in die Schranken. Trotzdem, daß Cölestine im Ganzen auch die Mitwerbung der Uebrigen nicht ohne geheimes Vergnügen sehen mochte -- trotzdem, sagen wir, daß sie, Gott weiß durch welche magische oder vielleicht auch ganz natürliche und positive Mittel, jenen dichtgeschlossenen Verehrer-Kreis (worunter es Einige von der glühendsten, ja von der wüthendsten Sorte gab) beständig um sich erhielt: hatte doch entschiedenermaßen Graf Alexander seit ziemlich lange her ihr Herz erworben, und endlich ward ihm ihre Hand in feierlicher Form zugesagt. In der Zeit, mit welcher dieser Roman beginnt, gingen in allen Kreisen der _haute crême_ Anzeigen folgenden Inhaltes herum: „Wir beehren uns, Ihnen anzuzeigen, daß am 15ten dieses Monats unsere Tochter, Fräulein Cölestine von Randow, mit dem Herrn Grafen Alexander von A--x, K. K. etc. etc. vermählt werden wird. Wir werden nicht ermangeln, Ihnen das Weitere demnächst bekannt zu geben und um die Auszeichnung Ihrer Gegenwart zu bitten. Wien am 9ten Mai 1842. Eugenie von Randow, geborne Ernini von Kronau. Friedrich von Randow, K. K. General-M.“ So war denn also über Cölestinens und Alexanders von A--x Verhältniß kein Zweifel mehr -- man hatte die handgreiflichste Gewißheit. Als diese zu den früher so hoffnungsreichen, aber jetzt so jämmerlich durchgefallenen Amateurs und Adorateurs Cölestinens gelangte -- da schäumten Einige von ihnen vor Wuth, Andere sannen still auf Rache -- noch Andere verzweifelten -- und endlich Einige, (das waren die Wenigsten, weil die Vernünftigsten), lachten über dieses Ende vom Liede -- gingen nach Hause, wuschen ihre Erinnerungen mit Rosenwasser ab -- und traten als vollkommene Gentlemen wieder auf die Straße; denn es ist der Grundzug des wahren Mannes von Welt _nil admirari,_ d. h. über Alles höchstens -- die Achsel zu zucken. Warum aber hatte Cölestine dem Grafen Alexander einen so entschiedenen Vorzug vor so vielen Andern eingeräumt? -- -- Ach es ist schwer, die Calcule der Liebe zu verfolgen. Die Liebe berechnet nach einem dynamischen Zahlensysteme, wofür wir in der materiellen Welt keine Zeichen haben. Wer kann sagen, warum Diese Jenen liebt und nicht den Andern? -- Ja, das Beste dabei ist: wir selber können in den meisten Fällen uns das von unserer eigenen Liebe nicht nachweisen. Mich dünkt, Shakspeare hat es gesagt: Der Eine verliebt sich in die blauen Strümpfe seiner Dame, ein Zweiter in ihren süßen Athem -- -- ein Dritter findet in der Pupille ihres Auges eine Gottheit, die ihn zu ihren Füßen hinreißt; oft ist ein Traum, in welchem uns eine bisher ganz gleichgültige Person erscheint, hinreichend -- um uns in Wirklichkeit mit rasender Liebe zu ihr hinzureißen; ja man hat Beispiele, daß uns Jemand durch seine enorme Häßlichkeit eben so bezaubert, wie ein anderer Jemand unsern Freund durch seine unaussprechliche Schönheit. Das sagt Shakspeare. Und sollte er es auch nicht sagen, so sage ich es, was, wenn es gut gesagt sein sollte, die Sache am Ende auch nicht schlimmer macht. Was nun Alexander und Cölestine betrifft, so ist es höchst wahrscheinlich, daß die ernste, bedeutungsvolle, stolze und düstere Männlichkeit des Grafen -- sie zu allererst zu ihm hinzog. -- Solche ungewöhnliche tiefromantische und geheimnißvolle Charaktere beschäftigen zu sehr die Neugierde der Weiber, als daß sie später nicht auch deren ganze Seele herüberziehen sollten. Denn mag man dagegen sagen, was man will -- Neugierde ist der erste Ring in der Kette weiblicher Empfindungen; an ihm hangen die übrigen der Theilnahme, des Mitleids, der Freude, der Furcht, der Hoffnung, der Freundschaft und der Liebe. Ueberdies war Alexander, dieser stolze, selbstständige und geistreiche Mann auch -- ein nicht unschöner Mann. Grund allein schon, ihn zu lieben -- wenn er auch sonst nichts besessen hätte. Denn ist materielle Schönheit an sich nicht schon hinreichend, ein Weiberherz, oft das gebildetste und zarteste, zu besiegen? Wenigstens treffen wir täglich auf Beispiele, die hierher gehören. In Rom hat erst kürzlich eine jugendliche hochgeborne und hochgebildete Miß ihren -- Kutscher geheirathet, und Madame Dudevant in Paris hat sich, wie man mir erzählt, neulich in einen allerliebsten handfesten Ouvrier vernarrt, wiewohl die große Schriftstellerin nachgerade im Begriffe steht, eine -- Matrone zu werden. Doch wohin verirre ich mich? Graf Alexander ist ja nicht in diese Kategorie zu versetzen; aber man gelangt beim Raisonniren so leicht vom Hundertsten in’s Tausendste, und dies darum: weil es in der Natur so viele Aehnlichkeiten -- nahe und entfernte -- giebt. Genug an dem: sie hatten sich gefunden, sie hatten sich erreicht -- ein Himmel voll Lust ging auf über ihren Häuptern und der Erdendämon des Kummers zog grollend von dannen. Sie kannten ihn nicht mehr. Drittes Kapitel. Die Trauung. Der Vermählungstag erschien. Noch immer hatten die Neider und Nebenbuhler sich geschmeichelt, er werde hinausgeschoben und so durch irgend einen der zahllosen unberechenbaren Zufälle, auf die der Mißgünstige hofft -- endlich gar vereitelt werden. Aber nichts von dem Allen geschah. Es war mit diamantenen Buchstaben in dem Buche des Lebens geschrieben: Cölestine sollte Alexanders Gemahlin sein. Als man nun nichts mehr dagegen thun konnte, ergab man sich ins Schicksal -- jedoch mit einer Hölle im Herzen. -- Das Palais des Herrn von Randow lag in der --straße, innern Stadt. Man nennt diese und noch eine Straße vorzugsweise die: aristokratischen, weil sie aus einem Aggregat hochadeliger Wohnungen bestehen. Es ist das Quartier: St. Germain Wiens, wiewohl im verjüngten Maßstabe, da viele der größten Paläste der _haute volée_ in der ganzen Stadt zerstreuet stehen. Seit vielen Jahren hatte im Palaste der Randow kein so reges Treiben geherrscht, wie am heutigen Tage. Es ging und kam, es lief und rannte Alles, was der Bewegung fähig war. Vom Haushofmeister herab bis zu dem letzten Küchen- und Stalljungen hatten die Domestiken alle Hände voll zu thun. Die Gänge, die Vorsäle, der Hof, Küche und Keller -- hier wimmelte es von Menschen und menschenähnlichen Geschöpfen. Dagegen herrschte im Innern der Gemächer eine feierliche grandiose Stille, wie denn ein kommendes Ereigniß von höhern Menschen immer mit kalter Ruhe erwartet zu werden pflegt. Im großen Familiensaale stand die geschmückte Braut an der Seite ihres Bräutigams, umgeben von ihren Angehörigen und einigen Freunden -- und harrte des Augenblickes, der sie an die Stufen des Altars führen würde. Die Trauung sollte in der Hauskapelle vollzogen werden und man erwartete nur das Zeichen zum Aufbruch. Cölestine war ein wenig blässer als gewöhnlich und hierauf beschränkte sich die ganze Veränderung ihrer Gestalt. Man konnte gewiß auch nicht das leiseste Zeichen von Alteration auf ihrem Gesichte bemerken -- und der Blick, mit welchem sie, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, auf Alexander verweilte, war fest, mild und heiter. Es schien, als ob ein namenloses Glück in ihr Herz eingezogen sei, von welchem sie jedoch der Welt nichts verrathen wollte, da man nur insgeheim wahrhaft glücklich ist. Wenn man dann noch den Grafen, ihren Bräutigam, anblickte, so mußte uns anfangs die Aehnlichkeit, welche sich in der Seelenstimmung dieser beiden Personen aussprach, lebhaft überraschen -- und man konnte nicht umhin, sich zu gestehen: diese Beiden sind in der That für einander bestimmt. Graf Alexander stand in diesem Augenblick mit gleichem ruhigen Bewußtsein an ihrer Seite und auch er schien mit seinem Glück vollständig abgeschlossen zu haben. Doch jenes Leuchten, welches wie der Blitz momentan durch sein dunkles Auge zuckte, jedoch nur so selten, daß es kaum Jemand bemerkte, sprach von einer Lust, die wilder bewegt war, als sie es schien. Nur wenig von dem Allen fiel den Eltern Cölestinens auf. Ihre Zufriedenheit über das Geschick ihrer geliebten Tochter war so groß, daß ihr Augenmerk nur in diesem Kreise verweilte und nicht fähig war, selbst zu verwandten Dingen hinaus zu treten. Eine freundlichere Greisengestalt, wie die des Generals von Randow, konnte man sich nimmer vorstellen; es war in ihr jene Mischung von adeligem und militärischem Ritterthume vereint, die man auf den Bildern der Condé’s und ähnlicher Heldenfamilien so gerne erblickt; hiezu kam noch ein unvertilglicher Zug von Herzensgüte, die, wie wir wissen, ein Eigenthum aller Familienglieder der Randow bildete -- und die überdies auch sonderbarer Weise ein Attribut fast aller heroischer Charaktere ist und war. -- Die Mutter Cölestinens, aus einem deutschen Hause entsprossen, war eine der sanftmüthigsten und zartsinnigsten Seelen -- ein wahrer, echter, niemals getrübter Tugendspiegel, das Muster einer Gattin und Mutter. Seit einiger Zeit lebte sie nur in und für diese einzige Tochter, und die Thränen, welche sie zum ersten Male im Leben vergossen hatte, waren Freudenthränen über Cölestinens Glück. Es wird nicht eben nöthig sein, viel von den übrigen Personen zu reden, welche theils als nächste Verwandte des Hauses, theils als erbetene Zeugen das Brautpaar umgaben. -- Da stand eine +Gräfin von Wollheim+ mit ihrem Gemahle, der ein großer Jäger war, während sie zu den leidenschaftlichsten Mitgliedern des +Wohlthätigkeitsvereins hoher Damen+ gehörte und alle Jahre mit eigenen Händen 6 Paar grobwollner Strümpfe dazu strickte, die sie freilich viel leichter für einige Groschen hätte kaufen können. Ferner war eine Frau von +Porgenau+ ebenfalls mit Gemahl da, von welch’ letzterem man sich allerlei schnurrige Geschichten erzählte. Er wollte für einen großen Bonmotisten und Calembouristen gelten, und da hierzu sein Talent nicht völlig ausreichte, griff er zu dem auch bei einigen andern Leuten gebräuchlichen Mittel, daß er fremde Witze als eigene auftischte. Achtbarer und hochverehrter als der alte -- Rath und Ritter einiger Orden, Herr von +Labers+, konnte Keiner sein. Er zählte unter die verdientesten Staatsmänner der Regierung und seine Anwesenheit allein reichte hin, eine Gesellschaft auszuzeichnen. Er war einer von den Trauungszeugen des Brautpaares. An seinem Arme führte er die bejahrte Wittwe eines +Feldmarschall-Lieutenant E--z+, welche ebenfalls eine Zeugin bei der Ceremonie abgab. Noch mehrere Gäste befanden sich im Saale; jedoch ist es nicht unsere Absicht, sie hier alle aufzuzählen, um so weniger, da dieselben im Verfolge dieser Geschichte wohl nicht wieder auftreten dürften. Nur von Cölestinens Bruder, Edmund von Randow, müssen wir noch sprechen. Natürlich, daß auch er sich im Kreise der Gesellschaft befand. Ein Charakterzug, der an diesem leichtsinnigen Jüngling sehr auffallend erschien, war eine so zärtliche Liebe für seine Schwester, daß er in ihrer Nähe, man möchte sagen, einen ganz neuen Menschen anzog; denn es gab dann keinen gefühlvolleren und liebenswürdigeren jungen Mann, als wozu er sich Angesichts Cölestinens verwandelte. So stand denn Edmund jetzt auch schüchtern wie ein Mädchen neben seiner Schwester, und wenn er einen Blick von ihr erhielt, wäre er vor Seligkeit niedergesunken und hätte ihre Füße geküßt. Es ist in der That auffallend, und doch ist es vorgekommen, daß zwischen Bruder und Schwester oft eine so romantische Liebe existirt, wie man sie kaum zwischen Geliebten findet. Woher mag das kommen? Ist es vielleicht einerseits die Anziehungskraft zwischen den beiden Geschlechtern -- und anderseits die Macht jenes Naturgebots, welches eine Scheidewand stellt zwischen Menschen, die ein Schoß gebar? -- In diesem wechselnden anziehenden, abstoßenden Magnetismus ist gewiß ein namenloser Reiz verborgen und es entspringt hieraus einer jener romanesken Zustände, welche wir nur erleben, nicht schildern können. Endlich erschien der Hauskaplan im Chorhemd und Stola, um das Paar vor die Stufen des Altars zu laden. Man trat sogleich durch einen kurzen Corridor in das Heiligthum. Der Tisch des Herrn war festlich geschmückt, helle Lichter brannten auf demselben und zwischen ihnen glänzte auf silbernem Kreuze das schmerzvolle Bild des Erlösers. Der Priester stellte sich auf die oberste Altarsstufe und erwartete hier, daß Diejenigen, denen er ein Sakrament der Kirche ertheilen sollte, zu ihm kommen und darum bitten würden. -- So wurde denn Cölestine von der Wittwe des Feldmarschall-Lieutenant E--z und ihren Eltern, Graf Alexander aber von dem --Rath, Herrn von Labers, und seinen Freunden dahin geführt. Mit fester Stimme ward beiderseits das „Ja“ gesprochen, die Ringe gewechselt, die Stola schlang sich um die vereinigten Hände. Sie waren Mann und Weib. Edmund, der der Ceremonie von ferne zugesehen hatte, sank bei dem letzteren Akte ohnmächtig in einen Betstuhl. Zu gleicher Zeit hörte man draußen einen Pistolenschuß fallen, und wie man später erfuhr, hatte ein junger Mann, den man jedoch nicht erkannte, den Versuch gemacht, sich selbst zu entleiben. Vor der Trauungsfeier noch war er in der Nähe der Kapelle gesehen worden, hatte sich aber irgendwo zu verstecken gewußt, so daß man ihn nicht finden konnte. Nachdem der Schuß, welchen er gegen seinen Kopf zu thun beabsichtigt hatte, durch irgend einen Umstand fehlgegangen war -- war dieser Fremde wieder plötzlich verschwunden, ohne daß man wußte, wohin er gerieth. -- Diese ganze Szene trug sich vor der Kapelle zu und war von einigen Dienern des Hauses beobachtet worden. Ein heftiger Schrecken hatte sich beim Knall des Gewehres unter der Gesellschaft in der Kapelle verbreitet. Man glaubte anfangs, es sei nach dem Bräutigam oder gar nach der Braut geschossen worden. Indeß erfuhr der General und seine Gemahlin sogleich das Wahre von der Sache, und dem Brautpaar, so wie den übrigen Gästen sagte man: es sei unvorhergesehenerweise das Gewehr eines Jägers im Hause losgegangen. Aber welches Entsetzen ergriff Alle, als sie in einem Betstuhle Edmund leblos liegen sahen. Doch wieder beruhigte man sich, sobald man seinen wahren Zustand entdeckte. Man kannte seine schwärmerische Neigung für Cölestine. Aber war es diese Neigung, die ihn im Augenblick, als die Schwester ihm auf immer entrissen werden sollte -- oder war es ein Vorgefühl vor dem räthselhaften Schusse, -- welches ihn besinnungslos hinstürzen ließ, wer kann es berechnen? Als endlich wieder Alles geordnet war, als man den Ohnmächtigen wieder zu sich gebracht hatte, als er in den Armen seiner bräutlich geschmückten Schwester vollends zum Leben erwacht war -- verließ der Zug endlich die Kapelle und begab sich nach dem großen Familiensaale. Cölestine empfing hier den Segen ihrer Eltern, die ersten Glückwünsche der gegenwärtigen Gäste, so wie einige Geschenke ihrer Verwandten. Länger jedoch vermochte die Arme sich nicht aufrecht zu erhalten. Diese Menschen, die sie umgaben, waren so gesund, wohlbehalten, ihnen war nichts begegnet als ein gewöhnliches Fest -- -- hingegen auf Cölestine waren so viele Ereignisse, oder vielmehr ein einziges großes, tausend andere in sich fassendes Ereigniß, eingedrungen -- daß ihre ungewohnte Brust den Druck desselben nicht länger zu ertragen vermochte. Cölestine begab sich mit ihrem Manne und ihrer Mutter nach einem andern Gemache. Zurück blieben die Verwandten und Gäste, welche sich um den General stellten und ihm jetzt dasselbe wiederholten, was sie früher seiner Tochter gesagt hatten, nämlich Glückwünsche, Gratulationen, Prophezeihungen und andere leere Sachen, an denen die Welt immer reich sein wird, so lange es noch müßige Menschen und solche giebt, denen es an Nichts oder an Wenigem fehlt; mögen dieselben hohen oder niedern Standes sein, das ist einerlei. Viertes Kapitel. Der Hochzeitsball. Des Abends waren die Salons des Palastes glänzend erleuchtet. Natürlich, man mußte ja einen Ball geben, ohne das läuft so was nimmer ab. Wie hätte sonst die halbe Welt Gelegenheit haben sollen, die ersten Augenblicke des Ehepaars mit jener schmählichen Neugierde zu kontrolliren, welche Ihr -- Ihr armen braven Handwerksleute, Bürger und Bauern nicht kennt. Gewisse Gebräuche und Sitten der _beau monde_ hat die bloße, nackte Unverschämtheit erfunden -- und die herzlose Fühllosigkeit sanktionirt sie und bringt dieselben in Ausübung. Hierher gehört auch die Sitte, von welcher wir gegenwärtig sprechen. Wozu ein Ball, ein Fest, eine Versammlung nach der Vermählung? Sind sich in diesen Stunden Mann und Weib nicht genug, halten sie sich denn nicht zum ersten Male mit den Armen umschlungen, und sind diese nicht noch kräftig genug, um fremder Stütze zu entbehren? -- Bei Gott, es ist eine Perfidie -- mich unter dem Vorwande eines Gebrauchs -- von der ersten Besitznahme meines Eigenthums zu trennen. Der erste Augenblick ist ja der entzückendste, warum stört Ihr mich gerade jetzt? -- -- -- Oder sollen diese Gesellschaften am Tage der Vermählung soviel sagen, als: von nun an wollen wir immer und so oft als irgend möglich zwischen Euch treten und Euch die einsamen Augenblicke, die so süß sind, rauben.... von nun an wollen wir es hindern, daß Ihr Euch so ganz vereinigt, wie es in der Schrift geschrieben steht: ein Leib und eine Seele. -- Die Räume der Salons waren jetzt bereits so sehr angefüllt, daß kaum mehr Platz da war für neue Gäste, und doch kamen deren immer mehr und mehr. Namentlich Frauen waren mit ihren Männern in großer Menge erschienen und auch junge Leute; weniger waren Mädchen zu bemerken, die man von solchen Festen gerne ausschließt. Schon sammelte und sonderte man sich in Kreisen und Gruppen, schon unterhielt man sich in jener halbleisen und halbschreienden Weise, welche die Conversation der Leute vom guten Ton auszeichnet. Der Gegenstand dieser Conversation, dieser Blicke, dieser Deutungen und Zeichen war, wie natürlich -- Cölestine und ihr Mann. Ich weiß nicht, ob noch irgend ein anderes menschenmögliches Ereigniß im Stande gewesen wäre, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich zu ziehen, es müßte denn allenfalls das Herabfallen der Decke des Salons gewesen sein. „Allein finden Sie nicht, beste N**, daß er beiweiten hübscher ist, als wie man uns ihn beschrieb?“ „Gewiß, gewiß, meine Freundin: er kann sogar ein +schöner Mann+ genannt werden.“ „Was sagen Sie zu seinem Benehmen, theure Gräfin V**? Finden Sie es nicht ein wenig schroff? ungewöhnlich?“ „In der That -- ja.... indeß kleidet es ihn nicht schlecht, wie ich glaube....“ „Ist er Ihnen schon einmal irgendwo vorgestellt worden, meine Beste?“ „Das nicht, kleine Freundin; jedoch habe ich ihn zeitweise bei der Baronin von G--r getroffen, wo er sehr beliebt ist.“ „Es scheint mir unbegreiflich, daß dieser Mann beliebt sein könnte.“ „Warum nicht, liebste Beste! Sie thun ihm wahrhaftig Unrecht....“ „Ach -- wovon reden Sie da, meine schönen Damen?“ „Guten Abend, theure Freundin.... Sie sehen, wir reden von ihm....“ Und wer ist dieser Er und Ihm, und: +dieser Mann+? Wer sonst, als Graf Alexander, der junge Ehemann, der so glücklich ist, von heute an für zwölf volle Tage Stoff zu liefern für die Conversation der schönen Welt. Aber entgeht vielleicht Cölestine ihrem Schicksal? O, ein solcher Fall ist noch nicht da gewesen. In einigen Gruppen, gebildet aus jungen Leuten und auch älteren Gesellen, ist ein solches Flüstern und Lachen und Deuten (natürlich bloß mit den Augen) zu bemerken, daß es die Umstehenden genieren müßte, wären diese an dergleichen nicht gewöhnt. Man spricht nämlich in diesen Gruppen von der schönen jungen Frau, ohne jedoch hierbei außer Acht zu lassen, nebenbei auch über ihren Mann ein Wörtchen hineinzumengen. In dieser Beziehung sind die Klatschereien der Herren noch weit abscheulicher als jene der Damen, da hier in der Regel ihr eigenes Geschlecht viel günstiger beurtheilt wird. Wir haben in jener Damen-Unterhaltung, der wir vorhin beiwohnten, nur immer über den +Gemahl+, über +Alexander+ reden gehört -- -- aber glaube Niemand, daß er jetzt in der Herren-Unterhaltung, die wir sogleich besprechen wollen, bloß den Namen Cölestinens zu hören bekommt; im Gegentheil wird jener ihres Mannes tausend Mal genannt werden, und zwar nicht nur sein Name, sondern auch sein Kopf, sein Hals, seine Brust, sein Arm, sein Bein, sein Rock, sein Taschentuch. O über die männlichen Klatschschwestern! „Ach ja -- guter T*** -- Du findest diese Cölestine wirklich so allerliebst? Ich bemerke so eben, daß sie eine abscheuliche Stumpfnase hat.“ „Das deutet auf Herrschsucht und Trotz, meine Herren!“ „Um so besser. Der Herr Gemahl wird sich ihr trefflich fügen, denn wenn ich nicht irre, so deutet sein hängender Backenbart ein großes Talent zur Unterwürfigkeit an!“ „Hahahaha! hahahaha!“ „Ein vortrefflicher Einfall.... Er dürfte aus dem Munde des alten +Porgenau+ kommen! -- hahaha!“ „O, dann wäre er gestohlen!“ „Schadet nichts! Gedanken sind keine Waare!“ „Allein -- wie finden Sie diese Haltung +ihres+ Kopfes? Der Kopf an sich ist bewundernswürdig schön!“ „Jedoch entstellt ihn die übermäßige Coiffure.“ „Was man immer sagen mag: +sie+ ist eine der ersten Schönheiten Wiens.“ „Gewiß! Vom ersten Wasser! Vom ersten Wasser!“ „Vom ersten Kaliber.“ „Still -- -- welcher Vergleich!“ „Die Zahl +ihrer+ Anbeter soll Legion gewesen sein.“ „Ich wenigstens gehörte nicht dazu.“ „Jedenfalls war dieser Graf Alexander der Glücklichste unter allen...“ „Oder eigentlich der Unglücklichste, wie man’s nehmen will...“ „Ach, ach -- ich denke, er ist an sich schon unglücklich genug; wenn man die Physiognomie dieses Menschen betrachtet, so wird man finden, daß dieselbe aus lauter Unglücken, oder deutscher: Unglücksfällen zusammengesetzt ist...“ „Mäßigen Sie sich, Herr von G--r; denn da kommt eben die Schwiegermama, und die scheint in Beziehung auf ihren Tochtermann entgegengesetzter Meinung.“ Augenblicklich entstand in diesen Versammlungen eine musterhafte Stille und die Gesichter der Herren, welche erst von Satyre und Ironie (aber ziemlich erbärmlicher) überflossen, wiesen sich so freundlich süß, wie eine Hausfrau von ihren Gästen sie nur immer erwarten kann. Ja noch mehr, diese trefflichen jungen Leute umringten die Generalin und wußten ihr in einem Athemzuge so viel Schmeichelhaftes zu sagen, daß man gemeint hätte, über deren Zungen wäre niemals etwas Anderes als Lobgesang und Psalmodei gekommen. Nichts als Glückwünsche und zwar „aus dem Innersten des Herzens“ wurde gespendet -- man pries ihr Haus über diesen neuen Zuwachs an Ehre und Glück, der demselben so eben geworden war, und dann was den Grafen Alexander von A--x betraf, so bezeichnete man ihn als „einen der ausgezeichnetsten Kavaliere der Residenz und einen der einflußreichsten Diener des Staates.“ Die alte Dame erwiederte diese Höflichkeiten mit jener Miene von Liebenswürdigkeit und jenem feinen Takte, die einer vornehmen Frau immer zu Gebote stehen und wovon die erstere durch den zweiten stets sicher geleitet und bemessen wird. Man ordnete sich alsbald zum Tanze. Hierzu waren zwei weitläufige Säle bestimmt, wohin man sich jetzt paarweise begab. Cölestine, nun Gräfin von A--x, eröffnete an der Hand des Herrn von Labers den Zug, -- Graf Alexander bot ihrer Mutter und der General der Feldmarschall-Lieutenants Wittwe den Arm. Die übrigen Gäste schlossen sich ohne Rangordnung, die in der höhern Gesellschaft nicht existirt, an -- da hier mit dem Privilegium des Eintritts auch jenes der Gleichheit verbunden wird. Gräfin Cölestine hatte zum ganzen Feste so viel heitern Sinn und eine so sichere Fröhlichkeit mitgebracht, daß alle Welt sagen mußte: sie sei glücklich und hoffe es stets zu sein. Von dem Grafen, ihrem Gemahle, ließ sich dasselbe sagen, doch schien ihn in manchen Augenblicken dieses geräuschvolle und ostensible Treiben zu belästigen; man sah es ihm an -- er wünschte lieber allein zu sein mit Derjenigen, die er jetzt sein nannte. Sollte man es Besorgniß nennen, die sich momentan in seiner Miene kundgab? Vielleicht war es das nicht -- und doch flüsterten zwei seiner eifrigsten Beobachter, die vielleicht früher auch seine Nebenbuhler gewesen waren: „Ach, es ist die Eifersucht, die sich selbst in den ersten Tropfen seines Freudenkelches mischt! wie wird dies erst später werden?“ Dann lachten diese guten Herren und meinten, der Tag ihrer Rache würde schon von selbst kommen. Einige Stunden später -- Graf Alexander hatte während dieser Zeit nach der Sitte der vornehmen Welt mit seiner Frau +so wenig als möglich gesprochen und getanzt+ -- konnte ein feiner Menschenkenner Spuren eines tiefern Unmuths auf des jungen Ehemanns Stirne lesen. Und in der That, Alexander war jetzt von einem jener schrecklichen Gefühle geplagt, denen seine Seele in früherer Zeit so oft zur Beute geworden. Die immerwährende und sich stets gleichbleibende Heiterkeit Cölestinens hatte ihn bitter berührt, sie hatte ihn schmerzlich verletzt. Woher diese so bestimmt ausgesprochene Zufriedenheit bei ihr -- -- da doch er dieselbe nicht theilte? So fragte er sich. Der Bedauernswerthe! er bedachte nicht, daß seine Frage ein Widerspruch sei -- -- -- waren denn ihre beiderseitigen Gemüther gleich? ja, entsprangen denn ihre jetzigen so verschiedenen Stimmungen aus +einer+ Quelle? So oft es der Anstand und die Umstände erlaubten, versuchte Alexander sich seiner Gemahlin zu nähern und -- da traf er denn immer auf Hindernisse, die sich zwischen sie und ihn stellten. Cölestine war eine leidenschaftliche Tänzerin, und warum sollte sie an dem heutigen Freudentage sich diesem Vergnügen nicht mindestens im selben Maße überlassen, wie zu andrer Zeit? Werden doch, wenn wir fröhlich gestimmt sind, unsere innern Triebe freier entfesselt wie sonst. Aber so urtheilte Alexander keineswegs. Seine glühende, spanische, eifersüchtige Liebe lechzte nach dem Besitze des Gegenstandes, auf welchen nur er ein Recht zu haben meinte.... Zum Glück war sein Charakter fast eben so stolz und verschlossen wie eifersüchtig; sonst hätte er die Bewegungen seines Herzens nicht bemeistert. Indessen wurde sein Betragen zuletzt auffallend genug, daß einige Damen und Herren, die eher gekommen waren, zu beobachten und zu secciren -- als sich zu unterhalten, unter einander sprachen: „Unser junger Ehemann scheint von höchst eigenthümlicher Sorte zu sein; man könnte fast glauben, er befinde sich hier, um die Gäste, die seine Schwiegermutter eingeladen hat -- zu vertreiben...“ „Ohne eben weit zu sehen -- ließ sich dergleichen von ihm im Voraus erwarten. Sie kennen den Grafen A--x also nicht?“ „O! man muß ihm aber auch Gerechtigkeit widerfahren lassen: er macht schon im Voraus das Programm zu den künftigen Gesellschaften seines Hauses. Man wird sich darnach richten können. Sie dürften nicht ganz so glänzend ausfallen, wie die junge Gräfin vielleicht beabsichtigt.“ „Man spricht davon,“ sagte Frau von Porgenau, die sich so eben näherte, „Gräfin Cölestine werde ihre _jour fix_ am Sonnabende geben.“ „In der That?“ versetzten einige Damen und sagten zu einander im Stillen: „Um so besser, denn an diesem Tage gibt auch Gräfin Wollheim, Frau von H-- -- und die Marquise d’M-- ihre _cercles_.“ „Vortrefflich! Vortrefflich!“ ließ sich in diesem Augenblick die schallende Stimme des Grafen von Wollheim vernehmen. Der große Jäger sprach jedoch nicht zu dieser Gruppe, sondern zu einer einige Schritte von hier, in deren Mitte er saß. Seine Worte galten dem ersten tanzenden Paare, über welches alle Welt entzückt war. +Edmund von Randow+ tanzte nämlich mit seiner Schwester. Man hatte niemals ein eleganteres, ein schöneres Paar gesehen. Es war die Mazurka, ein Tanz, worin vielleicht in der ganzen Residenz Niemand so vollkommen war wie die beiden Geschwister. Man sah, daß es das nationelle Element sei, welches in ihnen zu einem so schönen äußern Leben erwache; denn wie wir wissen, waren die Randow ursprünglich Polen, und noch hatte das alte Vaterland an ihnen nicht ganz seine Söhne verloren. Die Mazurka war zu Ende. Man konnte sich nicht enthalten, die Virtuosen zu beklatschen -- -- Alexander sah von ferne zu; ob er sich freute, ob nicht, ist ungewiß; allein es zuckte keine Muskel auf seinem Gesichte, welches starr, kalt, theilnahmlos oder niedergeschlagen schien. -- -- Edmund verließ seine Schwester und ging kaum zwei Schritte, als er von den offenen Armen des großen Nimrod in Empfang genommen wurde. Denn beiläufig gesagt, waren Edmund und der alte Graf von Wollheim sehr große Freunde, weil Jener mit Diesem auf die Jagd ging, trank und spielte, von welchen Beschäftigungen sämmtlich unser Nimrod ein großer Liebhaber war. „Alle Hirsche und Rehe!“ rief Letzterer aus: „Edmund, Du hast Dich wacker gehalten. Fast so wie auf jener großen Treibjagd, Anno 1839, wo Du unter meiner Leitung Dein Meisterstück machtest. -- Aber wo zum Guckuck hast Du diese Gelenkigkeit in Deinen Knieen und Flechsen her?... ein Pullcinell hätte es nicht besser thun können....“ „Ganz recht, lieber Graf,“ versetzte der Jüngling; „übrigens machen Sie mir da kein Kompliment. -- Freilich ist es nicht Ihre Sache, von diesen Dingen zu sprechen -- und aufrichtig gesagt, ich unterhalte mich mit Ihnen tausend Mal lieber über unsre alten Gegenstände.... Kommen Sie daher, mein vielgeliebter Wehrwolf... lassen Sie uns dorthin zur Kredenze treten -- erst einige Schluck Wein und dann findet sich schon das Uebrige...“ „Köstlicher Junge! Köstlicher Junge!“ exklamirte der Jäger: „Er ist und bleibt immer derselbe. Nun fürwahr, an Dir, mein Edmund, habe ich mir einen Schüler erzogen, auf welchen ich stolz sein kann.... Allein, was meinst Du, wird uns nicht etwa Deine Mutter belauschen? Du weißt, sie sieht Dich nicht gerne mit dem Glase in der Hand.... Es scheint mir, auch Dein Vater schielt nach uns herüber.... Nehmen wir uns in Acht! Hübsch gescheidt, mein Jüngelchen.“ „Schon gut!“ entgegnete Edmund: „Kommen Sie nur... ich verspüre in mir einen teufelsmäßigen Durst.... Das kommt stets, wenn ich ein Mal etwas lang solid gewesen bin...“ „Ja, ja, Du hast Deiner Schwester heute den Hof gemacht, und zwar --“ „Still -- theurer Mann! Darüber kein Wort mehr.... Können wir nicht über andere Dinge reden? Du weißt, ich liebe jenes Thema nicht unter uns.“ „Nun so will ich Dir eine alte Jagdgeschichte von einem Herzog von Würtemberg erzählen. --“ „Erzähle in Gottes Namen! -- So, jetzt wären wir in der Nähe der Gläser.“ Wie man sieht, so dutzten sich die zwei an Alter zwar ungleichen, aber an Gesinnung desto ebenmäßigeren Freunde. So machte es Edmund übrigens immer. Er war mit allen Leuten seines Schlages auf Du. Während dieses hier vor sich ging, während Wollheim und Edmund, in eine dunkle Ecke zurückgezogen, dem Nierensteiner, oder was es sonst war, die möglichst größte Ehre anthaten und dabei Gespräche führten, wie sie der Wein eingibt und wie wir sie hier zu wiederholen uns sehr hüten werden, unterhielt man sich auf andern Punkten der Salons auch nicht übel. So zum Beispiel beglückte Gräfin von Wollheim einen Kreis alter und buckliger Zuhörerinnen mit einer Erzählung ihrer letzten Leistung im Fache „der Strümpfe für den Wohlthätigkeitsverein.“ „Glauben Sie, meine Damen,“ so sprach sie, „daß es eine der süßesten Empfindungen gewährt, unsere Talente und unseren Fleiß im Dienste der Armuth und Noth anzuwenden.... Im vergangenen Winter habe ich 4½ Paar guter Socken und Strümpfe gemacht, jedes Paar zu 2½ Pfund... Das gab eine Bekleidung! Welche Wärme!“ „Ja, ja -- welche Wärme!“ erwiederte ein altes Stiftsfräulein ohne Zähne, dafür jedoch mit einer Zunge, die hinreichend +schnitt+, sobald es sich um den Ruf eines Nebenmenschen handelte.... „Auch ich habe zwei Paar wollene Jacken an das Comité des +Frauen-Vereins+ gesendet. -- -- Alles eigene Arbeit! -- Wer weiß, welches Pack sie jetzt auf dem Leibe trägt.... Denn Sie wissen doch, meine Freundinnen, daß diese unverschämten Armen, welche wir mit unserer Hände Arbeit beglücken, die letztere bei nächster Gelegenheit zum Trödler oder in’s Branntweinhaus tragen...“ „Sollte das möglich sein?“ „Sie können mir’s glauben!“ „Mein Gott, das wäre ja recht abscheulich! -- Wozu arbeiten wir denn? -- Dann könnten wir ihnen ja die paar Kreuzer, welche sie für unsere Sachen lösen, viel bequemer selbst geben....“ „Das ist Alles wahr und ich habe darüber schon mehrfach nachgedacht. Hören Sie mich, meine Besten, welchen Vorschlag ich gesonnen bin, bei dem Comité des Frauen-Vereins in den nächsten Tagen einzureichen. -- Man soll in Zukunft jedes Stück unserer Handarbeiten mit kleinen Schlössern versehen: Strümpfe, Socken, Unterbeinkleider, Unterröcke -- kurz Alles. Jedes Stück wird sodann dem damit betheilten Armen mittelst des Schlosses förmlich an den Leib +geschlossen+.... den Schlüssel aber behalten wir oder besser das Comité. -- Sollte dieser Vorschlag nicht durchgehen, so habe ich einen zweiten in Bereitschaft. Man klebt mittelst einer Mischung, bestehend aus Gummi, Pech, Sägespänen und Teufelsd-- --, den Leuten ihre Kleidungsstücke an den Leib.... Jene Mischung muß in einem glühenden Becken heiß gemacht und in diesem Zustande unsern theuern Schützlingen über die nackten Glieder gegossen werden, sodann kommt das Kleidungsstück darauf -- und es geht niemals wieder herunter. -- Ist dies nicht eine köstliche Erfindung? Was sagen Sie dazu, meine Damen?“ So schloß die Stiftsdame. Die Uebrigen waren nicht ganz ihrer Meinung. Besonders schüttelte Gräfin Wollheim sehr unwillig das Haupt und sagte: „Aber da wird ja unsere schöne Arbeit völlig zu Grunde gerichtet. Das abscheuliche Pech muß ja durch alle Nähte dringen....“ Man sieht, sie dachte menschenfreundlich! „Fürchten Sie dieses nicht, meine Beste!“ beruhigte die Stiftsdame: „Das Pech dringt nicht heraus. Dagegen hilft der Teufelsd-- --, den ich nicht umsonst beigemischt habe. -- Der Teufelsd-- --, wie Sie wissen werden, meine Damen, hat eine contraktive Eigenschaft und ist überhaupt auch für die Gesundheit sehr zuträglich.... Unsere Armen werden dabei dick werden, wie ungarische Mastschweine....“ Die Stiftsdame hatte unter andern lieben Eigenschaften auch jene, daß sie alle Gegenstände bei ihren natürlichen Namen nannte, von welcher Gewohnheit sie keine Rücksicht abhielt. Da man dies von ihr wußte, ließ man sie reden; freilich redeten mit ihr nur die Buckligen und Häßlichen. -- -- Seit einer halben Stunde bereits lauerte Alexander auf eine Gelegenheit, die ihm eine ungestörte Zusammenkunft mit Cölestine verschaffen sollte. -- Jetzt schien auch sie seine Wünsche zu begreifen und gab ihm hierauf ihre Antwort durch sanfte und wehmüthige Blicke zu verstehen. -- Alexander war nun der seligste Mensch! -- So hatte er sich also wieder umsonst gequält!.... Er hätte früher nur gleich ihre Nähe aufsuchen und sie nicht verlassen sollen, so hätte er sich jeden Kummer erspart. -- Er brauchte ja deßhalb nicht die übrigen Leute von Cölestine zu verscheuchen. -- Ein günstiger Augenblick gönnte ihm jetzt, mit ihr mehrere Worte zu sprechen, und er flüsterte ihr zu: „Ach, wie sehne ich mich nach Dir, Cölestine!“ „Ich theile Dein Verlangen, mein theurer Geliebter!“ antwortete sie ihm leise und ein Blick ihrer schönen schwarzen Augen bestätigte die Wahrheit dieser Worte.... Dieser Blick versengte jedoch mit seiner Glut wieder die Besonnenheit des Grafen und er sprach mit dumpfem Schmerze: „Soll ich Dich noch lange entbehren -- so sterbe ich! Erbarme Dich meiner! Noch nie habe ich so gefleht.“ Aber in demselben Augenblick fühlte er sich an der Schulter berührt. Der Vater seines Weibes stand neben ihm: „Ei, ei!“ sprach der General: „was soll das heißen, Alexander? Sie rauben unseren Freunden ein sehr wichtiges Recht. Heute gehört Cölestine noch ihnen -- -- erst von morgen an dürfen Sie allein über Ihre Frau verfügen...“ Es ist nicht möglich auszudrücken, wie schwer diese Worte den Grafen verletzten; gleich einem vergifteten Degen fuhren sie durch sein Herz, und zwar eben deßhalb, weil sein Schwiegervater es war, der sie gesprochen. Mit einem unaussprechlichen Blick sah Alexander denselben an, zerdrückte in seiner Brust einen heftigen Seufzer und ließ sich sodann stumm von dem General fort führen. Dieser hatte ihn unterm Arme ergriffen und durchschritt mit ihm einen, zwei Säle.... Es schien, als könnte er ihn nicht weit genug weg von Cölestine führen.... Alexander hätte den Alten ermorden mögen -- aber was blieb ihm zu thun übrig? Er folgte, folgte wie ein Opferthier, das man zwar mit Blumen bekränzt, aber dennoch zur Schlachtbank führt. Der General hatte ihn zu einer Ottomane gebracht und ihn genöthigt, hier Platz zu nehmen. Er selbst setzte sich neben ihn und begann nunmehr ein Gespräch von Geschäftssachen und Gegenständen, die sich auf den zukünftigen Haushalt der Eheleute bezogen.... Alexander hätte vor Wuth aufspringen mögen wie ein Wahnsinniger... Der General aber schien sehr kalt und ruhig. Dies ist leicht zu begreifen; er war ein Greis und hatte so eben seine Tochter versorgt -- während der Andere vor Leidenschaft glühte, diese Tochter zu umarmen. Das war der Unterschied; bei Gott ein ziemlich großer. Um das Unglück voll zu machen, kam auch noch Herr +von Porgenau+ herbei und fing an, alte Witze aufzutischen, die im Jahre 1805 Mode waren, ja einige darunter mochten noch in der Arche Noah von dessen Söhnen aus Langerweile gemacht worden sein. „Ei -- so schön beisammen!“ rief der alte Bonmotist und lächelte schon im Voraus über den Witz, welchen er sofort zu machen beabsichtigte. Denn Herr von Porgenau hatte die Gewohnheit jener Humoristen und Komiker, sowohl auf dem Theater als auf dem Druckpapiere (ich will hier ihre Namen nicht nennen!), die, bevor sie einen Gedanken, den sie für einen Witz halten, preisgeben -- selbst zu lachen anfangen und sich so gleichsam den Erfolg sichern; denn die Zuhörer lachen dann auch mit -- freilich bloß über die Albernheit des Witzmachers. Herr von Porgenau war übrigens nicht ganz mit diesen Leuten zu vergleichen. Jene lachen nur +vor+ oder +während+ ihres Witzes -- -- er aber lachte auch +nach+ demselben. „Ah! Ah!“ rief er dem General in’s Gesicht und schien dabei vor Lust und Vergnügen umzukommen: „Sie theilen diesen Platz mit ihrem Schwiegersohne, guter Randow! -- Sie haben ihm also einen Theil ihrer +Besitzungen+ übergeben....“ Um dem alten Narren eine Freude zu machen, lachte der General über diesen schauderhaften Einfall mit; Alexander aber warf ihm einen durchbohrenden Blick zu, der so viel sagte, als: „Packen Sie sich, alter Dummkopf!“ „Guter Gott!“ fing Porgenau an, als er sich von seiner Heiterkeit wieder erholt hatte: „Wie sehen sie d’rein, lieber Graf von A--x? Das ist nicht die Miene eines jungen Ehemannes.... das ist, hahaha! hahaha! hahaha! -- vielmehr die Miene eines jungen +Wehemannes+!“ Ueber dieses Wortspiel konnte nicht einmal der heute so dienstfertige General lachen, was Herrn von Porgenau gar sehr verdroß. Er regalierte sich also zuvörderst durch eigenes Gelächter -- und sodann sann er auf einen neuen Witz, der, wie er sich vornahm, Alles besiegen würde, was bisher in diesem Fache geleistet worden war. „Finden Sie -- hahaha! Finden Sie, hahaha!“ begann er: „finden Sie nicht, daß, hahaha! hahaha!“ Er konnte vor Selbstvergnügen kaum fortkommen. „Finden Sie nicht, meine Herren -- daß heute ein, hahaha! -- sehr schöner Tag ist? hahaha!“ „Gewiß -- ein schöner Tag,“ bestätigte der General. „Und wissen Sie -- hahaha! -- weßhalb heute der Tag so schön ist -- hahaha!?“ „Nun?“ Der Bonmotist nahm eine Triumphatormiene an, platzte dann in eine entsetzliche Lache aus, und rief: „Also -- Sie wissen nicht, weßhalb -- hahaha!“ „Nein.“ „Nun -- +ich weiß es auch nicht!+ -- Hahaha! hahaha! hahaha! hahaha! hahaha.“ -- Das war der Witz! Porgenau wälzte sich in einem Lehnstuhle wie Einer, der den Lachkrampf hat.... Hier vermochte es Graf Alexander nicht länger auszuhalten. Er fuhr gleich einem Gehetzten von seinem Sitze auf, entriß sich den Armen seines Schwiegervaters und lief hinaus auf den Gang in die frische Nachtluft, wo er den Vater über den Sternen fragte, warum er auch solche Wesen, wie diesen Porgenau, geschaffen habe.... Er stand lange auf demselben Fleck, dann trat er auf eine Terrasse, die mit Orangenbäumen und Blumen bepflanzt war und einen Rasensitz darbot. Auf diesen warf er sich, das Antlitz in das feuchte Grün gedrückt -- und, zum ersten Male im Leben, weinte er.... Er mochte sehr lange hier liegen. -- [Illustration: S. 79] Da fühlte er sich von zwei heißen Armen umschlungen.... Vor ihm knieete +Cölestine+, sein Weib. Ihm schwindelte und er wollte das nicht glauben: „Es ist ein Traum!“ murmelte er vor sich und schüttelte das Haupt. „Es ist kein Traum, mein Geliebter!“ lispelte es ihm so süß von den Lippen der Geliebten entgegen, daß er die Hand nach ihr ausstreckte. Und was er erfaßte, war warmes, holdes, köstliches Leben.... er konnte nicht widerstehen, er tauschte das seinige damit aus -- mit fieberischem Entzücken stürzte er sich in dieses jetzt zur klarsten Einheit gewordene Doppeldasein: sie versanken beide in seinen unergründlichen, schwindelnden Tiefen. -- „Aber, meine Seele,“ sagte er darauf: „wie kommst Du hierher? Und wird man Dich mir nicht sogleich wieder entreißen?“ „Fürchte nichts, mein Geliebter!“ flüsterte sie und schmiegte sich ihm innig an, wie der Epheuzweig einer starken Säule....: „Jene Menschen, die uns einen ganzen Tag lang von einander gerissen -- haben nicht die Macht, uns auch noch die Nacht zu rauben. Alles entfernt sich bereits aus den Sälen unseres Hauses -- es ist ein wilder Tumult -- und in diesem stahl ich mich weg, um Dich aufzusuchen. -- Wenn Du glaubst, ich folgte Dir nicht überall mit den Augen, so hast Du Dich betrogen!... O Du wähnest, daß nur Du mich liebst! So weißt Du nicht, daß ich mich ganz, ganz Dir zu eigen gegeben habe? -- Diese Stunde soll es Dir sagen. Spricht sie nicht mit tausend Geisterzungen meine Liebe Dir aus -- -- so wird nie eine andere es Dir sagen. -- Ja, ja, ich liebe Dich -- tiefer, seliger, und ernster vielleicht, als Du mich.... Urtheile nicht voreilig über uns beide! Glaube meinen Worten!“ „Ja, sie reden jetzt mit überzeugender Gewalt zu mir!... Du bist mein -- und hast Dich aus freiem Trieb mir übergeben, und so mußt Du mich ja lieben! -- Entschuldige meine Thorheit, die mich vorher sich wie ein Kind betragen ließ.... Allein wenn man im innersten Herzen erregt ist, dann, in Wahrheit, geht man seines Verstandes verlustig, man wird ein Narr, ein Wahnsinniger, ein Elender!“ „Sprich, geliebter Engel -- --“ kos’te das holde Weib, das auf seinem Schoße saß -- „sprich,“ sagte sie mit einem Tone, der klang und duftete wie eine wehende Rose: „wirst Du auch immer so sein, wie jetzt? Wirst Du mich immer lieben? -- -- Denn jetzt, ich weiß es, werde ich von Dir vielleicht mehr geliebt, als irgend ein Weib von einem Mann. Aber wird dies auch immer so bleiben? Kannst Du mir dafür Gewißheit geben?“ „Und würde es Dich glücklich machen, wenn ich das könnte?“ „Gewiß -- mein Alexander! Liebte ich Dich nicht, hätte ich Dich nicht genommen.... und weil ich Dich liebe, muß ich ja wünschen, daß es immerdar so bleiben möge.... Allein es ist ein böser Zustand, hiefür keine Bürgschaft zu haben.... Höre mich, mein Gemahl! So wie ich jetzt fühle und denke -- würde ich die Hälfte meines Lebens dafür geben, wenn ich sicher wäre, daß während der andern Hälfte ich auch nicht einen Gran von Deiner Liebe einbüßen sollte!.... Glaubst Du meinen Worten, oder meinst Du, ich treibe nur Scherz?....“ Alexander vermochte kaum zu antworten; er preßte den blühenden Leib seines jungen Weibes an seine Brust, an seinen Körper -- er that ihr mit seinen ungestümen Umarmungen beinahe weh.... doch sie empfand es nicht.... „Alexander!“ rief sie mit gedämpfter, tiefer Stimme: „in dieser entzückenden Stunde, der heiligsten Stunde unseres Lebens, schwöre ich Dir, Dir ewig treu zu sein. Schwöre Du mir’s auch!“ Er wollte sprechen. „Still!“ rief sie und legte ihr kleines Händchen auf seinen Mund: „schwöre nicht eher, als bis Du Alles erwogen hast.... ich gebe Dir eine halbe Stunde Zeit.... aber länger vermag ich nicht zu harren, dann gelobst Du mir, was Du Deinem Schöpfer geloben kannst.... und jetzt, jetzt lass’ uns diesen Ort verlassen, lass’ uns eilen, um, bevor noch alle Gäste die Säle verlassen haben, dort gegenwärtig zu sein. -- Du gehst durch jene, ich durch diese Thür. Nach einer halben Stunde treffen wir uns -- -- -- --“ „Im einsamen Brautgemache!“ ergänzte er leise und verließ sie zitternd an allen Gliedern, glückselig wie ein Gott. In der That war ihm in diesem Augenblick der Zufall günstiger, wie heute den ganzen Tag über. Noch waren die Gäste in reicher Menge im Saale zugegen, und eben weil sich Alles zum Aufbruch rüstete (gewisse Leute brauchen dazu einige Stunden Zeit), war seine wie Cölestinens vorige Abwesenheit nicht bemerkt worden. Mutter und Vater vermutheten die junge Frau unter irgend einer Gruppe von Bekannten; dasselbe dachte man von dem Grafen, und da die Neidischen und Nebenbuhler zufällig alle längst fortgegangen waren, so konnten auch diese das geheime Glück der Eheleute nicht stören. Endlich war Alles aus dem Hause. Dieses stand jetzt still und leer.... die Lichter in den Sälen wurden ausgelöscht -- die Lakaien nahmen nunmehr von diesen Schauplätzen Besitz. Der General mit seiner Gemahlin entfernten sich nach dem rechten Flügel des Palais; Alexander mit Cölestine am Arme schlug seinen Weg nach dem linken ein. Nachdem sie eine Reihe von Gemächern durcheilt waren, nahm er sie auf seine Arme und ras’te mit ihr, wie ein Riese mit einem Kinde, in’s Brautgemach. Hier leistete er ihr den Schwur, welchen sie verlangte: +ewig ihr treu zu bleiben+. Fünftes Kapitel. Einige Lebensszenen. Im Kaffeehause bei +Daum+ trafen einige Tage darauf zwei Herren zusammen. Es war gegen Mittag, um welche Stunde dieses Etablissement sehr zahlreich und zwar von einer gewählteren Gesellschaft besucht wird. Hier sehen Sie den Stutzer, der so eben von seiner Toilette kommt, um sich hier in den vielen Spiegeln zu besehen, was er zu Hause niemals so gut kann, denn welcher Mensch, und sei er ein +Pelham+, besitzt in seinem Quartier ganz Spiegelwände? Uebrigens frühstückt hier der Stutzer auch, und das ist der Vorwand, unter welchem er erscheint. -- Ferner werden Sie eine zahlreiche Auswahl junger Kavaliere in diesem Saale bemerken.... man beabsichtigt einen Morgenritt nach dem Prater und kommt früher hierher, sich zu erfrischen.... Ein großer Theil jener Beamten, die eben keine zärtlichen Freunde der Bureaux sind -- sodann pensionirte Hauptleute und Majore und endlich Fremde, namentlich Franzosen, vollenden die Gesellschaft, welche Herrn Daums Kaffeehaus Vormittags zwischen zehn und zwei Uhr besucht. Man tritt, wie gesagt, gewöhnlich unter dem Vorwande, ein Frühstück zu nehmen, ein, aber nur bei den Wenigsten lauert keine andere Absicht im Hintergrunde. Dieser Herr z. B. will sich zwei Stunden lang auf weichen Sopha’s umherwälzen und Neuigkeiten aufschnappen -- -- Jener sieht durch’s Fenster nach den vorübergehenden Damen oder er stellt sich zu diesem Behufe lieber gleich vor die Thür des Kaffeehauses -- denn es liegt ja auf dem Kohlmarkt, der besuchtesten Straße Wiens; was einen Dritten betrifft, so hat dieser, dem die Gläubiger seine Wohnung stürmen, sich vor ihren zudringlichen Schaaren hierher, in dieses Asyl geflüchtet, weil öffentlich Niemand gemahnt werden darf. -- Und so ließe sich dieses Thema, welches wie so viele andere Kapitel über den Unterschied zwischen +Schein+ und +Sein+ handelt, noch weiter behandeln, wäre hier der Raum zu dergleichen vorhanden. -- Wir eilen jedoch lieber zu einem der Hauptfäden unserer Geschichte und überlassen Schilderungen von Nebendingen jenen Autoren, die in ihrer Naivetät solche für Hauptsachen halten. Jene zwei Herren, die sich bei Daum so eben getroffen haben und von welchen wir zuvor sprechen wollten, waren: unser wohlbekannter Weiberbesieger +Althing+ -- und +Edmund von Randow+. Sie begrüßten einander mit jenem Geschrei, welches zwischen gewissen noblen Leuten die herrschende Tonesart ist.... „Ah -- mein lieber Edmund!“ „Ah -- mein alter Bursche Althing!...“ Sie umarmten sich so herzlich als nur möglich. „Wie kommst Du hierher?“ „Diese Frage wollte ich eben an Dich stellen, furchtbarster aller Adonisse -- (ich hoffe, Du wirst mit dieser Charakteristik zufrieden sein!). Hab’ ich Dich doch niemals noch hier gesehen.... Ich glaubte immer, Du besuchtest dieses Etablissement nicht gerne -- weil keine Damen hierher kommen...“ „O, o! soll das ein Scherz sein! Bin ich ein Narr, der den Weibern nachläuft? Hoffentlich wirst Du nicht so gering von mir denken, Edmund! Ich den Frauen nachlaufen... haha! So etwas ist nicht nöthig. -- -- Es giebt Männer, die von +ihnen+ verfolgt werden, hahaha...“ Und unser Dicker zupfte an seiner Cravatte und schlug mit seinen Sporren, die er wie die alten Ritter immerwährend -- vielleicht auch im Bette -- an den Füßen trug, zusammen.... „Kurz gesagt: was suchst Du eigentlich hier?...“ „Theuerster Freund -- bevor wir über diesen Gegenstand reden -- lass’ uns eine Tasse Chocolate oder noch besser ein deutsches Frühstück zu uns nehmen.... das stärkt zum Diskours.... Marqueur! Marqueur! Chocolate, aber.... die Vanille nicht zu vergessen! hahaha!“ „Hahaha!“ -- lachte auch Edmund und rief dem Aufwärter nach: „schlagt auch ein Ei hinein und gebt ein wenig von jenem gewissen Pulver dazu, welches in Apotheken schwer zu bekommen ist.... hahaha!“ „Hahaha! Mein Freund -- Du übertreibst, Du übertreibst. Jene Ingredienzen sind bei mir alle noch nicht nothwendig, Dank Aeskulap, dem Gott der Gesundheit....“ „Und einem andern Gott, den man in unsern Schulmythologien nicht abgebildet findet.... hahaha!“ Althing hatte einen Tisch gewählt, von wo man sehr bequem auf den Kohlmarkt hinaussehen konnte -- und der Jüngling nahm neben seinem Mentor Platz. „In der That,“ sagte er, „ich bin äußerst neugierig, den Grund, der Dich hieher führte, zu erfahren, mein Alter....“ Zornig schnob ihn der Dicke an: „Ein für alle Mal, ich bin dieses Wort nun satt -- und werde es in Zukunft als eine Beleidigung ansehen, die gerächt werden muß, +Alter+ und immer +Alter+! -- -- Donnerwetter! Ihr macht es ja so, als gäbe es keinen Aelteren mehr in der Welt, als ich. Was soll das heißen?... Bin ich Euer Freund, oder foppt Ihr mich bloß!?“ „Ihr -- Ihr? -- sprichst Du zu mir per +Ihr+! --“ „Nun ja -- Du und die Andern; Du verstehst mich schon. -- Noch ein Mal, Edmund, wenn es in Zukunft zwischen uns nicht schrecklich hergehen soll -- so sprich jenes verdammte Wort nicht mehr aus.... namentlich vor so vielen Leuten....“ In diesem Augenblick ging draußen ein junges und sehr schönes Mädchen -- ein Ladenmädchen, Putzmacherin, Blumenmädchen oder dergl., kurz eine Grisette -- vorbei und Althing fuhr mit einem Ruck, als habe ihn Jemand gestochen, in die Höhe: „Alle T--l!“ rief er: „Was seh’ ich? -- Um diese Stunde schon? -- Sie sagte mir, sie würde erst um ein Uhr.... Sapperment, dahinter muß etwas stecken.“ Und er bemühte sich, hinter dem Tische, der ihn und seinen Bauch einzwängte, rasch vor zu kommen.... Das gelang jedoch nicht so leicht -- und unser Ritter, der sich mit den Sporren an den Wandtapeten verfangen, riß, während er davon stürmte, ein Stück davon mit sich.... Augenblicklich liefen ein Paar Marqueure herbei und stellten sich ihm in den Weg: „Entschuldigen -- Euer Gnaden!... -- Verzeihen -- Euer Gnaden.... aber....“ „Was wollt Ihr?“ schrie er wüthend und suchte durchzukommen.... augenscheinlich hatte er in der Eile von dem Schaden, welchen er verursacht, gar nichts gemerkt.... denn seine Wuth über die Kerle stieg von Moment zu Moment: „Was soll das heißen?“ tobte er mit von Zorn erstickter Stimme: „Bin ich hier unter Wegelagerern und Mördern?...“ Er fing jetzt an so zu springen, als wollte er über die zwei Aufwärter wegsetzen; zum Glück aber war er nicht im Stande, höher als zwei Zoll sich zu erheben -- dann plumpste er jedes Mal mit schrecklichem Geräusch auf den Boden herab. -- Endlich jedoch aufs Aeußerste gebracht, ballte er seine Fäuste, streckte sie, wie ein Stier die Hörner, vor sich hin -- und versuchte nun auf diese Weise eine Bresche zu machen; aber im selben Augenblick hatte ein dritter Marqueur ihn hinten beim Rockschoß ergriffen.... „Entsetzlich!“ stöhnte der Unglückselige, den bereits seine Kräfte -- er besaß deren nicht große -- verließen: „Entsetzlich! so etwas habe ich noch nicht erlebt!... Das ist hier eine Schlachtbank, aber kein Kaffeehaus!...“ Jetzt trat der Obermarqueur vor ihn: „Entschuldigen Sie,“ meinte dieser -- „es ist ein Kaffeehaus, wie diese Herren hier alle bezeugen werden.... Man kommt jedoch nicht in ein Kaffeehaus, um Tapeten zu zerreißen, Frühstück zu bestellen und sich dann so beiläufig -- fortzumachen.... Ich gebrauche noch einen sehr milden Ausdruck, wie Sie sehen....“ „Ha! mir das?“ schäumte Althing: „Mir das? -- Fortmachen? „+Durchgehen+,“ wollen Sie wohl sagen! -- Wissen Sie denn auch, mit wem Sie’s eigentlich zu thun haben, mein Mann?“ „Eben deßhalb, weil man Sie hier nicht kennt, weil Sie noch niemals da gewesen sind, mein Herr, durften Sie bei Ihrem forcirten Abgang keine andere Behandlung erwarten.... Mein Gott, wer wird uns zumuthen, unsere Tapeten von fremden Herren zerreißen zu lassen?....“ „Aber ich wäre wieder gekommen; ich hatte nur ein wichtiges Geschäft abzumachen, das keinen Aufschub litt.“ „Mein Herr, ich erlaube mir die Bemerkung, daß, bevor man zu wichtigeren Geschäften geht, man so unwichtige, wie eine Kaffeehausschuld, abmacht...“ „Aber -- -- bin ich denn allein da? Wo ist denn mein Freund, Herr von Randow? -- War dieser denn Euch nicht Bürge genug? --“ „Allerdings; allein der Herr von Randow hatten ja eben die ganze Szene mit angesehen -- und da Dieselben sich dessenungeachtet nicht in’s Mittel legten....“ Bei diesen Worten drehte der mißhandelte Liebesheld sich um, um nach seinem Freunde Edmund zu sehen. Dieser saß zwei Schritte davon und hielt sich vor Heiterkeit kaum mehr auf dem Sitze. In der That, die eben vorgefallene Szene hatte ihm ein Vergnügen gemacht, in welchem er sich um großer Schätze willen nicht hätte mögen stören lassen; von ihm war also eine Unterbrechung desselben und somit der Szene nicht zu erwarten. Althing warf ihm einen indignirten Blick zu und sprach, bitter lächelnd: „-- -- O, das hat man für seine Freundschaft, für seine Lehren! -- Gewöhnlich erzieht man sich an seinen Schülern -- Schlangen und Nattern. -- Doch schon gut! Ich werde diesen Vorfall nicht vergessen -- und auch wie ritterlich man sich dabei gegen mich benommen....“ „Aber, mein Gott,“ entgegnete Edmund kichernd: -- „Was sollte ich thun? -- Du schlugst ja so wüthend umher, daß man nicht in Deine Nähe treten und Dir ein Wort zuflüstern konnte. ... Und überdies....“ „Schon gut! schon gut! Keine Entschuldigung, mein Herr!“ sagte unser Dicker in jenem kalten Tone, womit man einen Menschen seine Gleichgültigkeit fühlen läßt: „Marqueur! -- Was macht der ganze dumme Spaß....“ „Nicht mehr als zehn bis zwölf Gulden,“ antwortete der Oberaufwärter. „Was heißt das: Bis --“ „Das heißt, mein Herr, es läßt sich noch nicht ganz genau berechnen....“ „Wohl; hier habt Ihr zwölf Gulden! -- -- und nun ein Glas Limonade. Ihr bringt sie jedoch zu diesem Tische, hier nebenan.“ Der Gekränkte setzte sich wirklich an einen andern Tisch, jedoch hatte er auch von hier die Aussicht auf den Kohlmarkt. Er saß ganz allein -- denn die ihm früher während seines Kampfes mit den Aufwärtern umgebende Menge hatte sich, bis auf einige junge Herren, die ihn aus einer gewissen Entfernung durch Lorgnets besahen, verloren. -- Diese für ihn höchst wahrscheinlich jetzt sehr erwünschte Einsamkeit -- fing der gute Dicke nun damit an zu benutzen, daß er sein Wesen und seinen Anzug, die ein bischen derangirt worden waren, in die vorige Ordnung zu bringen versuchte,.... er zog seine Cravatte straffer an -- besah seine Sporren -- wischte den Schweiß von der Stirne -- und als die Limonade ankam, trank er sie auf einen Zug aus. Bei allen diesen Verrichtungen jedoch unterließ er nicht, sein Auge immerwährend nach der Straße hinaus zu richten.... Allein da konnte er lange schauen! es war Alles vergebens. Jetzt trat Edmund näher heran, setzte sich auf einen Stuhl neben ihn und sprach: „Althing, ich will Dir’s nur sagen! Wenn Du nach jenem Mädchen lugst, der Du vorhin nachspringen wolltest -- die ging bereits während Deiner Fehde mit den Aufwärtern zurück....“ Dieses Wort war im Stande, den Seladon Alles Geschehene vergessen zu machen: „Ist das wahr?“ rief er eifrig: „Du sprichst von jener hübschen, niedlichen Grisette?“ „Von jener niedlichen Grisette, ja, ja! -- Sie hat, dünkt mich, sogar Deine Rauferei hier vor dem Fenster mit angesehen...“ „Ist das möglich! Und was that sie dabei? -- Sie war gewiß im äußersten Grade entrüstet?“ „Nein, denn sie lachte wie toll und rief noch mehrere von ihren Freundinnen herbei, die eben vorbeigingen....“ „Aber das ist unglaublich! -- das Mädchen liebt mich ungeheuer!“ „-- Wie die Andern -- haha!“ „Nein, nein, Diese ist in mich total verschossen! Du hast keinen Begriff davon, mein Freund. Willst Du einen Beweis? Nun gut: so wisse, daß sie mir heute ein Rendezvous gab; daß sie eben meinetwegen hier so oft vorüber geht -- --“ „Ich sah jedoch ganz deutlich, daß sie auch nach andern Herrn blickte....“ „Blickte?“ „Und -- lachte!“ „-- Dieselben aus.“ „Nein, sondern: lachte sie an. Allein, Du scheinst Deiner Sache sehr gewiß.“ „Das bin ich auch, mein Freund! Sie gab mir Tausende von Beweisen, jene kleine Hexe.“ „Zum Beispiel.“ „Zum Beispiel --! -- Ach, wozu erst viele Beispiele. Ich weiß, woran ich bin und damit gut. Uebrigens weißt Du, daß ich in diesen Dingen nicht von heute bin. Man hat Erfahrungen -- man hat Abenteuer gehabt von allen Sorten.... kurz, man war glücklich... hehe!“ „Doch was seh’ ich!“ rief Edmund plötzlich: „Kommt sie da nicht schon wieder?...“ Rasch blickte der Alte durch’s Fenster: „Richtig! Richtig!“ rief er freudig aus.. „Nun, was sagst Du dazu, mein Junge! Siehst Du den Blick, welchen sie mir zuwirft.... hahaha! Wirst Du nun noch länger zweifeln.... daß man Sieger, daß man Geliebter des Herzens ist?“ Und kaum hatte er das gesagt, als er nun wieder aufsprang und -- diesmal von den Aufwärtern -- ungefährdet hinaus lief. Doch lief ihm fast das ganze Kaffeehaus nach und Alles lachte über eine Begebenheit, welche bisher in den Annalen von Daum’s Caffée unerlebt war. Unter den Zuschauern, welche sich jetzt vor der Thür des Etablissements aufstellten, um dem Alten nachzusehen, befand sich auch Edmund. Er nahm sich vor, seinem verliebten Freunde zu folgen und ihn nöthigenfalls zu hindern, abermals einen dummen Streich zu begehen. Denn hatte der junge Mann auch jenem Auftritt im Kaffeehause mit ruhigem Blute beigewohnt und sich an demselben auch noch obendrein erlustigt -- so war er gleichwohl, nach Art gutmüthiger Menschen, sogleich bereit, sein Vergehen durch eine edle That zu sühnen. Althing verfolgte die Grisette inzwischen Schritt für Schritt; er ging ihr über den Kohlmarkt, den Michaelerplatz, die Herrengasse bis zur Freiung nach -- -- aber er bemühte sich vergebens, sie einzuholen, denn das Mädchen hüpfte leichtfüßig wie ein Reh, während er Mühe hatte, seinen dicken Bauch fortzubringen; und dann genirten ihn auch seine Sporren, mit denen er alle Augenblicke anstieß und hängen blieb. -- Aber der Eifer des Jägers wächst mit der Mühe der Verfolgung -- und man sah es dem dicken Adonis an: er wollte sich lieber seine Beine und seine Lungen zu Grunde laufen, als von seinem Vorhaben, das Mädchen zu erreichen, abstehen. Endlich schien das Glück sich ihm wieder zuzuneigen. Die Kleine, auf dem tiefen Graben angelangt, wohin sie jetzt ihre Schritte lenkte, mäßigte die letzteren.... das gab dem Alten neuen Lebensmuth, und er ruderte ihr nun aus Leibeskräften nach, wobei sich Arme, Beine, der Kopf, kurz der ganze Körper bewegte. -- „Ah!“ dachte Edmund, der immer in einer kleinen Entfernung nachzog -- „sollte es wider Vermuthen günstiger ausschlagen? Doch, das ist unglaublich! -- Sehen wir nur nach, was es wieder geben wird.“ Schon hatte Althing die Grisette erreicht; -- er rückte ihr an die Seite und flüsterte ihr Etwas in’s Ohr... man konnte von hinten sehen, zu welcher freundlichen Fratze er sein rothes, schweißtriefendes Gesicht verzog; -- -- jetzt trennte ein Schubkarren, welcher mitten zwischen die beiden fuhr, den Ritter von seiner Dame.... und Jener mußte ein wenig zurückbleiben.... er wollte ihr rasch wieder nachspringen, aber in diesem Momente trat die Grisette in ein Haus, und unserem Dicken, welcher seinen Fuß schon auf die Schwelle gesetzt hatte, wurde die Thüre vor der Nase zugeschlagen... so daß wenig fehlte und er wäre um die letztere gekommen... Er prallte heftig zurück und auf eine Frau, die zu dieser Zeit eben vorbeiging und auf den Armen einen Korb voll Gemüse trug; es war eine Fratschlerin (Höckerweib) -- man weiß was eine Wiener Fratschlerin zu bedeuten hat. Augenblicklich entlud sich eine Fluth von Schimpfwörtern aus ihrem Munde: „Der alte Mensch da! -- Da seht ihn einmal an! Ist er toll? Wirft sich da in meinen Gemüsekorb hinein -- als gehörte er darunter.... Nun ja, er sieht mir auch gerade so aus, wie ein hohler Kürbis.... Tausendsapperment hinein!“[B] Althing schien der Verzweiflung nahe zu sein... Er hatte gänzlich den Kopf verloren; er wußte nicht wie ihm geschah -- und blickte bald das tobende Höckerweib hinter, bald das Haus vor sich an.... Allein auf beiden Seiten war nichts Tröstliches zu sehen, und der wackere Mann schüttelte jammervoll sein edles Haupt.... Da warf er einen zerknirschten Blick nach den sechsten Stockwerk hinauf und murmelte wehmuthsvoll: „Dort oben soll sie wohnen, wie sie mir gesagt hat; aber wozu sagt sie mir dieses, wenn sie mir die Thüre vor der Nase zuschlägt?.... O, Althing, so ist Dir noch niemals mitgespielt worden! --“ Die Fratschlerin war wieder langsam weiter gegangen, jedoch nicht ohne noch immerwährend zu fluchen und sich von Zeit zu Zeit nach dem Unglücksmanne zornig umzusehen. Was Edmund betrifft, so hatte sich dieser hinter einen Mauervorsprung zurückgezogen und sah von hier aus dem Treiben seines alten Kameraden zu. Er wartete blos auf die Gelegenheit, wie ein echter Retter in der Noth hervorzuspringen, falls dieses irgend nöthig sein sollte. Ach, wahrhaftig! er wartete vergebens; die Gelegenheit überrumpelte ihn und seinen Freund, wie ein unbarmherziger Feldherr seinen gar zu sicheren Gegner.... Während nämlich Althing noch immerfort nach den Fenstern der sechsten Etage hinaufsah -- denn er vermochte nicht sein Auge von da abzuwenden -- wurde plötzlich aus einem dieser Fenster, gerade über seinem Haupte, ein Gefäß ausgeleert, dessen Inhalt den armen Ritter völlig überfluthete, so daß er laut aufschrie: „Ah! Ah! -- Feuer! Feuer!“ und zuversichtlich noch mehrere ähnliche Rufe herausgestoßen haben würde -- wäre in diesem Augenblick Edmund nicht herbeigelaufen und hätte sich seiner bemächtigt, um ihn hastig in’s nächste Haus zu ziehen und so der Polizei, die unfehlbar sogleich herbeieilen mußte, zu entreißen. Denn ein unbegründeter Feuerruf mußte in Wien mit einer artigen Summe bezahlt werden. Althing’s Kleider verbreiteten eben keinen angenehmen Geruch; zum Glück war es indessen blos Seifenwasser oder etwas Aehnliches. -- -- Der Dicke triefte wie ein Pudel und überdies schien ihn sowohl vor Schreck als vor Kälte ein Fieber ergriffen zu haben, denn er bebte, zitterte und klapperte mit den Zähnen, daß es ein Erbarmen war. -- „O, mein Freund!“ sagte er zu dem Jüngling: „Beweine mich! -- Ich bin ein Märtyrer der Liebe geworden! -- Ach, wäre ich nur schon zu Hause, um andere Kleider anzuziehen! -- Der Zustand dieser hier wird mich tödten.... O, hätte ich das träumen können! -- Ich, ich, der so viele Siege davon getragen hat; der mit Cäsar sagen konnte: _veni, vidi, vici_ -- -- -- und nun eine solche Erfahrung zu machen...... Allein,“ fuhr er nach einigen Augenblicken fort, indem er sich im Gesichte mit der Hand herumwischte.... „was bemerkst Du an meiner Physiognomie, Edmund?“ „Ich bemerke, daß sie voll Ruß ist; ihr unterer Theil sieht wie bei einem Schornsteinfeger aus.... Dein Schnurbart hat seine Farbe gelassen. -- --“ „Glaube dies ja nicht; er ist von Natur schwarz und färbt nicht ab; du darfst dessen gewiß sein. Er ist immer schwarz gewesen, dieser Bart -- in meinem zehnten Jahre schon! -- Auch hat man dieses stets für eine meiner vorzüglichsten Zierden erklärt. Allein, werden wir nicht bald nach Hause gehen? Ich halte es hier nicht aus.“ „Willst Du der Polizei in die Arme laufen, Unglücklicher, und auf die Wachstube geführt werden?“ „Aber man wird uns nicht bemerken -- -- Schaffe einen Fiaker herbei, guter Edmund....“ „Das geht nicht; man darf auch mich nicht sehen. Wir müssen noch einige Zeit hindurch hier verweilen....“ „Das ist eine schlimme Aussicht.... Jedoch, was bemerke ich da rechts im Hofe, siehst Du -- dort, aus dem vierten Fenster, hat so eben ein allerliebster Lockenkopf herausgesehen.... das gewährt Zerstreuung. --“ „Ach, Althing -- wirst Du denn nie Vernunft annehmen? In unserer Lage haben wir nach andern Dingen zu sehen, als nach Lockenköpfen....“ „Ganz wohl; aber man darf keine Gelegenheit vorbeistreichen lassen --“ „Still doch! -- Hast Du nichts gehört? -- Mir schien es, als hätten sich draußen Stimmen hören lassen....“ Augenblicklich verstummte der Dicke und sein Fieberfrost kehrte zurück.... Jetzt vernahm man ganz in der Nähe eine Stimme, die keinen Zweifel über ihren Besitzer zuließ: „Hier hat Jemand Feuer gerufen! -- Wer ist das gewesen?“ „Wir wissen nichts, wir wissen es nicht!“ antworteten mehrere Stimmen! „Es war ein dicker Herr,“ rief jetzt eine --; „er muß in diesem Hause verborgen sein! -- ich sah ihn da hinein laufen...“ „O mein Edmund!“ ächzte Althing und fiel bewußtlos seinem Freunde in die Arme. Nun wurde die Thür geöffnet und ein Polizeimann trat ein; sogleich deutete ein Weib mit einem Korbe, die zu gleicher Zeit erschien, auf den Ohnmächtigen und rief: „Der da ist es gewesen! Der da hat Feuer geschrieen! Das ist der Vogel -- -- der früher auch in meinen Korb hinein flog, als hätte er sechs Tage nicht gefressen...“ „Mein Herr von Randow,“ bedeutete der Polizeisoldat gegen Edmund -- denn der Dicke hörte nichts -- „da ich so glücklich bin, Sie und diesen Herrn hier zu kennen, so ersuche ich Sie, falls es Ihnen nicht lieber wäre, sich sogleich auf die Direktion dieses Viertels zu bemühen -- -- einige Stunden später daselbst zu erscheinen, um über den Feuerruf, für dessen Urheber man Sie ausgibt, die nöthige Auskunft zu ertheilen...“ Nach diesen Worten empfahl sich der Diener der öffentlichen Sicherheit, wobei er nicht vergaß, mit der Spitze seiner Finger den Czako zu berühren.... zugleich jagte er die Schaar der Neugierigen, welche sich vor dem Hause angesammelt hatte, wie dies in Wien häufiger als anderswo zu geschehen pflegt, auseinander und öffnete so unsern beiden Freunden freies Feld, welches diese denn auch benutzten, nachdem Althing wieder zu sich gekommen war. Edmund packte denselben in einen Fiaker und schickte ihn nach Hause; er selbst wurde von Verrichtungen nach einem andern Theile der Stadt gerufen. Es war in der Nähe des Augartens, wohin er in einem Wagen sich bringen ließ. Eben stieg er aus, in der Absicht, sich nach einem von den schönen neuen Häusern, welche dort stehen zu begeben, -- als ihm aus der Allee, welche den Augarten von Außen umgibt -- ein Mensch entgegen stürzte, der auf den ersten Anblick einem Wahnsinnigen nicht unähnlich sah. -- Ohne Mühe erkannte unser Freund den +Baron von Leuben+, jenen glühenden Verehrer Cölestinens, welchen wir auf dem Wasserglacis kennen gelernt haben. Aber was war mit dem Menschen vorgegangen! Sein Anzug sah im höchsten Grade zerrüttet aus, so als hätte er ihn seit 8 Tagen nicht gewechselt und als hätte er die Nächte auf freier Straße oder im Felde liegend zugebracht. Das Gesicht war fahl und eingefallen, die Züge verzerrt -- das Haar flatternd, allen Winden Preis gegeben.... „Sind Sie es oder sind Sie es nicht?“ rief er Edmund an und faßte ihn bei der Hand. Dieser, der ohne Zweifel weder Zeit noch Lust hatte, sich aufzuhalten, entschuldigte sich und schützte dringende Geschäfte vor.... „Nein, nein!“ sagte Jener mit zitternder Stimme: „ich lasse Sie nicht; Sie müssen mit mir sprechen. Zwei Worte nur, aber um Gotteswillen reden Sie mit mir!“ „Mein Herr,“ versetzte Jener; „wäre dazu vielleicht nicht ein ander Mal Zeit? Wollen Sie z. B. nicht hier auf diesem Platze einige Augenblicke lang auf mich warten? Ich werde sogleich wieder zurück sein....“ „Nicht doch! Keinen Schritt von hier!“ schrie Leuben: „Wollen Sie, daß ich völlig toll werde? Zur Hälfte bin ich’s schon. Ich kann es nicht länger ertragen. Bei der Barmherzigkeit des Himmels beschwöre ich Sie: hören Sie mich an!“ „Nun denn,“ antwortete Edmund, halb in Unmuth und halb mitleidig: „was steht zu Ihrem Befehl?“ „Kommen Sie unter jene Bäume dort.... denn hier werden wir gesehen -- -- und ich weiß, mein Aeußeres taugt nicht dazu. --“ Diese Rede rührte den jungen Menschen, der, wie erwähnt worden, so leicht zu rühren war: er folgte dem Baron und war mit demselben bald in der Allee.... „Sie sehen in mir,“ fing der Letztere an, „einen Unglücklichen, einen Elenden -- dessen Herz gebrochen ist und für dessen Verstand nicht minder Gefahr droht.“ „-- Nun wohl, mein Herr,“ entgegnete unser Freund: „was Sie mir sagen, ist schrecklich genug, um meine innigste Theilnahme zu erwecken: drum reden Sie, was kann ich für Sie thun?“ „Was Sie für mich thun können?“ seufzte Leuben schwer auf: „Jetzt vielleicht nichts mehr oder sehr wenig; früher jedoch würden Sie ganz gewiß mein Leben, meine Seele, mein Glück und meinen Frieden haben retten können. --“ Daß Edmund den Zusammenhang und Sinn dieser abgebrochenen Worte errieth, läßt sich wohl denken. Er hatte es längst bemerkt, daß dieser junge Mann auch zu der Zahl derjenigen gehörte, die von den Reizen Cölestinens bezaubert waren; er wußte jedoch bisher noch nichts von der namenlosen, alle Grenzen einer gewöhnlichen Empfindung übersteigenden Leidenschaft Leubens. Diese Stunde gab ihm indeß hinreichende Aufklärung. Da ihm nun solchergestalt das Unzukömmliche seines jetzigen Zusammentreffens mit dem jungen Mann und das gänzlich Verwerfliche seines längern Verweilens bei demselben einleuchtete, so bemühte er sich eifrig, sein Mitleid für ihn zum Schweigen zu bringen und sich rasch von hier zu entfernen. Er wartete daher nur noch eine nähere Erklärung Leubens ab, sodann wollte er ihm ohne Rücksicht Adieu sagen. -- Der Unglückliche beschleunigte selber diesen Plan. Er faßte Edmund an beiden Händen -- stellte sich vor ihn hin und sprach mit düsterem Tone: „Ich liebe Ihre Schwester!“ „Mein Herr!“ versetzte dieser, der jetzt augenblicklich sich losriß und zwei Schritte zurück trat -- in kaltem Tone: „Meine Schwester ist seit acht Tagen die Gemahlin des Grafen von A--x.“ „Das weiß ich!“ sagte Leuben mit dumpfer Stimme. „Das wissen Sie!“ rief Edmund streng: „und dennoch wagen Sie es, mir eine solche Erklärung zu geben.“ „Und warum nicht?“ fragte Jener finster. „-- Weil ich,“ entgegnete zornig Randow: „dieselbe nicht zu dulden willens bin, mein Herr.“ „Und was weiter --?“ meinte der Jüngling gleichgültig. „Das Weitere ist, daß ich, Rücksicht auf Ihren Zustand nehmend, Sie nicht ferner anhören will. Adieu, mein Herr!“ Er wandte ihm den Rücken. „Aber -- -- ich habe Sie beschworen, es zu thun, und Sie haben eingewilligt. Wollen Sie Ihr Wort brechen?“ „Nach dem, was ich so eben hören mußte, fühle ich mich meiner Pflicht vollkommen entledigt. Darum noch ein Mal: Adieu!“ Edmund ging jetzt raschen Schrittes fort. Leuben aber lachte ihm in jenem schrecklichen Tone nach, welchen man so oft hört, wenn man an den Irrenhäusern vorbeikommt -- und welcher Ton ein Menschenherz durchschneidet und zerreißt. -- -- „O!“ rief der Unglückliche, so daß Edmund es noch hören konnte: „es ist auch so gut. Einer Wölfin Bruder -- pflegt kein Lamm zu sein.... wohl, wohl. So ist also Alles vorbei -- und mir bleibt nichts als Tod oder Verzweiflung.“ Einen Augenblick hielt er hier inne, dann kreischte er wild auf: „Doch nein! mir bleibt noch Eins! -- Noch Eins!“ und abermals ließ er ein heiseres Lachen hören -- doch schien durch dieses ein von dem früheren sehr verschiedener Grundton durchzuklingen. Jetzt verschwand er im Augarten. Edmund aber trat in ein neues und schönes Gebäude ein. Es war das Palais des Grafen Alexander von A--x, welches dieser seit Kurzem mit Cölestine bewohnte. Sechstes Kapitel. Die ersten Tage eines jungen Ehepaars. Sie lebten so glücklich. -- Welcher Abschnitt des Lebens läßt sich wohl mit jener Zeit vergleichen, da die erste Liebe in ehelicher Sicherheit und Kraft blüht, wie die Blume des Feldes, die von sorgsamer Hand in das Beet des Gartens versetzt wurde.... Ach, sie saugt jetzt edlere Säfte aus diesem edleren Boden -- und voll, farbig, duftreich, wie nie, steigt sie empor in die blauen Lüfte. -- Was ist die Liebe? Eine Waise, die arm und nackt nach einem Freunde sucht, der sie aufnimmt in seiner Hütte.... Hier wird sie groß gezogen -- reift zum Weibe -- und bringt als Hausfrau Segen über das ganze Haus. Wir fürchten in der That allzusehr hinter der Wirklichkeit zurückzubleiben, indem wir ein Bild von dem jetzigen häuslichen Leben Alexanders und Cölestinens zu geben versuchen. So hatten sie sich denn endlich erreicht. -- Niemand konnte mehr Eines dem Andern entreißen. -- Niemand? -- Mit Gewalt wenigstens nicht! Wir wissen nicht, wer von beiden das Glück, welches ihm an der Seite des Gatten geworden war, inniger und tiefer empfand. Es war zwischen ihnen ein steter Wettstreit von Zärtlichkeit: Jedes wollte hierin den Preis davon tragen. Das Haus, welches sie vom Tage ihrer Vermählung an bewohnten, war sehr geräumig und mit allen Bedürfnissen eines eleganten und wohnlichen Aufenthaltes auf verschwenderische Weise ausgestattet. Es enthielt zwei Etagen, wovon die erste zwei Salons und viel große Gemächer, die zweite kleinere Wohnzimmer, vorne zum untergeordneten Gebrauch der Herrschaft und nach hinten zu für die Beamten des Hauses dienten. Die eigentlichen Domestiken bewohnten das Parterre. Hinten schloß sich an’s Haus ein schöner geräumiger Garten an, ein Gegenstand, der in diesen Theilen Wiens nicht eben häufig angetroffen wird. Wie wir schon bemerkten, war dieser Wohnplatz, dieses Palais in Bezug auf seine innere und äußere Einrichtung im Sinne des Wortes +glänzend+ und +vollkommen+. Es konnte den ersten Häusern der Stadt den Rang ablaufen. Graf Alexander hatte von dem Augenblick, als er zu dem Besitze des Herzens Cölestinens gelangt war und sich Hoffnungen zu machen anfing auf ihre Hand -- mit wunderbarem, mit wahrhaft rührendem Eifer gestrebt, hier der Geliebten seines Herzens einen Sitz der Freude, der Bequemlichkeit und der Pracht zu schaffen. Was der zärtlichste Sinn ihm nur Schönes und Vortreffliches eingab, Alles suchte er zur Wirklichkeit zu bringen -- seine Sorgfalt für dieses Stückchen Erde glich derjenigen, welche fromme Gläubige für einen Platz, der ihrem Gott geweiht ist, hegen, und welchen Platz sie mit einem Tempel schmücken. Die Lebensweise des jungen Ehepaars war im Aeußeren ein Bild voll Jugend, Anmuth, Einfalt und Glückseligkeit. So ist die Zeit der ersten Gattenliebe immer. -- -- Cölestine war nicht getrennt von ihrem Manne; ihre beiderseitigen Zimmer wurden durch zahlreiche Thüren und jene süßen geheimen Gänge verbunden, welche die Liebe erfunden hat. -- Von den Verwandten und Freunden des Ehepaars war es schön, daß sie während der ersten Wochen seine Einsamkeit nicht störten. In der That, es hatte noch kein fremder Fuß diese Schwelle entweiht, welche den geheiligten Mysterien der ersten Gattenliebe geweiht war. -- Wenn Er und Sie früh erwachten, fanden sie einander in ihren Armen, so wie sie Abends sich umschlungen hatten -- dann erhoben sie sich Beide, um auf einige Augenblicke Abschied von einander zu nehmen.... Sie gingen in ihre Ankleidezimmer -- das einfachste Gewand wurde gewählt -- nur um keinen der kostbaren Momente zu verlieren, die sie zusammen genießen konnten. -- Alexander bot jetzt seiner Frau den Arm und führte sie in den Garten, über welchen eben der heranrückende Sommer das entzückende Kleid der Blätter, Gräser und Blumen ausbreitete. Schon winkten trauliche Boskets -- doch nicht belaubt genug, um in sich dieselben wie in eine undurchdringliche Freistätte zu flüchten. Alexander las seiner Gemahlin aus einem Buche vor und wovon handelte dieses Buch? Von -- glücklicher Liebe. -- Diese war für sie übrigens allenthalben vorhanden, wohin sie auch immer ihre Blicke wandten. Sie fanden diese glückliche Liebe bei den Blumen, die einander umschlangen, und im Bache, wo eine Welle in die andere hinüberfloß -- sie fanden sie am Himmel, wo die Sonnenstrahlen sich mit den kleinen Wölkchen eines schönen Tages vermählten und diese zärtlich vergoldeten -- -- sie fanden sie auch in den Vöglein unter den Wolken, welche da die Luft durchzogen und einander zärtlich verfolgten, sich dann auf einen Zweig niederließen und zusammen sangen.... ja sie fanden diese heilige und beseligende Liebe überall im Himmel und auf Erden, ja selbst zwischen diesen beiden; denn jener mit seiner blauen Decke umschlang diese in ihrem bräutlichen Festgewande, und sie streckte ihm durch die Bäume und Aeste ihre blühenden Arme entgegen. -- Aber wo wäre auch Liebe nicht? Hat man sie ja tausend Mal den Gottesodem genannt, der das Universum durchweht. Und als nun die Stunde erschien, in der früher die Liebenden, da sie noch nicht sich selbst sondern der Welt gehörten, sich aufmachen mußten, um im schalprunkenden Staate dem Götzen der Gesellschaft zu dienen -- als jene traurige Stunde erschien, in der man Besuche gibt und empfängt bei und von Leuten, die für unsere Herzen eben so fremd sind wie alltäglich für unsere Augen -- Leute, welche uns verleiten, mit ihnen im Verein einen Dienst der Lüge zu begehen, der unsere Seele verhärtet und unsern Geist verderbt -- -- der uns immer mehr von uns selbst und unserem geheiligten Innern ablenkt -- -- um diese Stunde nun saß jetzt das junge Paar noch immer beisammen und lebte noch immer für sich und pflanzte und bewirthschaftete den Baum des Glückes, dessen Wurzel ihre beiden Herzen waren -- und unter dessen Laub sie still und vergnügt wohnen -- von dessen Früchten sie dankbar essen sollten. -- Auch beim Mittagstische fanden sie einander wieder -- und widmeten die nächsten Stunden dann gewöhnlich einer süßerquickenden Ruhe. Gegen Abend verließen sie entweder zu Wagen oder zu Fuße das Haus und begaben sich hinaus in die freie Natur, wo sie gleich Kinder, auf den Wiesen umherhüpften, einander neckten, verfolgten, bis zum Rande des Flußes liefen, hier bunte Steinchen, Muscheln und Wasserblumen suchten -- -- auch wohl einen Kahn bestiegen und sich hinüber auf die einsame Insel rudern ließen, wo sie, nachdem sie die Dienerschaft zurückschickten, mit dem Bedeuten, erst nach einigen Stunden wieder zu kommen -- diese Zeit wie Einsiedler durchlebten; wie Robinson. -- Sie gaben sich hier dem unmittelbaren Naturgenusse hin, dessen erhabene Süßigkeit ein gewöhnliches Herz nicht zu fassen fähig ist. -- Abends im Sternenschimmer und im Silberscheine des Mondes fuhren sie sodann auf dem Flusse zurück und verlängerten, wenn es ging, immer diese Fahrt. -- Rings um sie herrschte das tiefe Schweigen der Nacht und langsam stiegen im Umkreise die Wassergeister aus der Fluth und umgaukelten den Kahn -- setzten sich auch wohl mit ihren luftigen, neblichten Gliedern auf den Rand desselben und glotzten das liebende Paar neugierig aus kristallenen Aeuglein an; -- dann, wenn die Gatten sich umarmten oder küßten -- hüpfte das Wasservölkchen schnell wieder in ihre nasse Heimath zurück, indem es ein leises Gekicher zurückließ, das sich mit dem Rudergeräusch vermählte. -- Mitternacht war längst vorüber und noch fuhren oft die jungen Gatten auf dem Wasser, oder wandelten in Auen, Wiesen und Wäldern; und überall, wo sie sich nur immer befanden, schien ihnen das bunte kleine Völkchen der Kobolde, Elfen und anderer Naturpüppchen zu folgen. -- -- Man sagt, dies begegne allen glücklichen Menschen. Elfen und Gnomen strömen gerne dahin, wo Freude herrscht -- so wie Dämonen und schlimme Geister sich stets an die Ferse des Elends und Unglücks hängen. -- Ja, Cölestine und Alexander fanden sich nicht selten noch unter freiem Himmel, da auf diesem bereits die ersten Lichtstreifen der Morgensonne sich ausbreiteten. -- Ach, sie hatten sich aber auch so Vieles zu sagen, wozu daheim im Hause der Raum zu beengt war. Warum suchen Liebende und Unglückliche so gerne die Einsamkeit? Weil das Glück wie das Unglück nur verstanden und mitempfunden wird von der Natur. Die Welt hat für unsere mittleren Zustände allein Raum -- für die kleinlichen, bürgerlichen, philisterhaften, katzenjämmerlichen Freuden und Leiden; was drüber hinaus geht, was über die Höhe der Marktpfähle und Schlagbäume reicht -- das muß draußen zwischen Himmel und Erde verhandelt werden. Das Gemüth Alexanders war weich und sanft geworden wie das eines jungen Mädchens; er war nicht mehr jener düstere, stolze, verschlossene Mann, der mit Niemand verkehrte als mit seinem Amte und seinem einsamen Hochmuthe -- -- dieser Alexander schmiegte sich jetzt an alle Freuden des Lebens an, sofern sie nur in seiner Liebe zu Cölestine begründet waren. -- Er wäre um dieses Weibes willen Alles geworden, was sie wollte. -- Sie hingegen, sie blieb sich gleich, nur daß sie das rauschende Sonntagskleid der Welt abgelegt und ein einfaches weißes der Poesie und Häuslichkeit angezogen hatte. Sie war noch immer das heitere, fröhliche, neckische Wesen mit den schwarzen, brennend funkelnden Augen und den tiefrothen Lippen, die sich so gerne zur Lust verzogen.... sie war noch immer jenes leichte, erregbare Wesen, fern von Melancholie oder Schwärmerei, einfach, natürlich und fröhlich. -- Indessen hatte doch das Gefühl der Gattenliebe durch ihr ganzes Wesen einen Ton durchklingen gemacht -- sanfter als alle andern, die bisher in ihrem Herzen wohnten. Es war dies jener Ton, den die Liebe allein nicht hervorbringen kann -- jener Ton, worin schon ein mütterliches Gefühl spricht. -- „Weißt Du, mein guter Alexander,“ sagte sie eines Tages zu ihrem Manne, als sie im Garten beisammen saßen -- „daß ich mit jedem Tage, ja ich könnte sagen mit jeder Stunde Dich mehr liebe! -- Bist Du gar so liebenswürdig oder entfaltet die Sehnsucht meines Herzens sich in immer mehr gesteigertem Maße? -- -- Ich habe Dich nun, ich habe Dich allein, ich glaube Dich ganz zu besitzen, und doch enthüllt mir jeder Augenblick, daß im vorhergegangenen Du mir noch nicht so vollständig angehörtest, wie jetzt. -- O, eine solche Liebe ist ein großes Glück! Niemand begreift sie, der sie nicht erfahren hat.“ „Und geht es mir nicht ebenso, Geliebte meines Herzens?“ entgegnete er, sie an seine Brust drückend -- ihre Lippen, ihre Augen, ihre Stirne, ihren Hals, ihre Schulter, ihre Arme und Fingerspitzen küssend -- --: „Ist meine Liebe zu Dir etwa weniger fortschreitend? Mein Gott, kommt es mir doch in manchen Augenblicken vor -- als seien wir zwei zu nichts Anderem in der Welt, als um unser Wesen immer tiefer in einander zu versenken, eine stets innigere Vereinigung zu bewirken. Was ist die Liebe doch so Unendliches und Geheimnißvolles! Wer hat sie noch ergründet in allen ihren Tiefen und Schätzen? -- Darum aber lass’ uns auch immer uns lieben -- jede Spanne Zeit dazu anwenden, uns in diesem göttlichen Beruf immer mehr zu vervollkommnen. Vielleicht, daß diese Stufenleiter des Liebesglücks jener Himmel mit seinen Rangstufen ist, von welchem unsere Dichter und frommen Weisen so begeistert reden... vielleicht, daß dies dieselbe Stufenleiter ist, auf deren untersten Sprossen wir standen, als wir zum ersten Male uns sahen -- auf deren oberen die seligen Cherubim und Seraphim wohnen, auf der obersten aber der allmächtige Gott selber thront. --“ „Wie dem auch sei,“ rief das zärtliche Weib aus: „so lass’ mich Dich lieben -- und es störe keine Betrachtung, keine Berechnung den Genuß unserer Wonne. Diese erfülle unser Herz, so weit dasselbe Raum hat -- und mag es auch überfluthen, was schadet das? Wir stürzen uns dann in einen Ozean von Glückseligkeit -- -- sollten wir darin auch untergehen. -- O, wie lieb’ ich Dich, mein Geliebter, mein theurer Alexander!... Wie preise ich mich glücklich, Dich jetzt so in meinen Armen halten -- -- Dir sagen zu können: Alles, Alles, was ich habe, worüber ich verfügen kann, gehört Dir!... Denn ich bin Dein Sklave, Dein Eigenthum, mein lieber Mann.... aber Dein Sklave aus entzückender Hingebung -- ein Eigenthum, das ich selber längst nicht mehr besaß....“ Sie umschlang seinen Nacken mit ihren beiden schönen, blüthenweißen Armen und zog sein Haupt herab auf ihren vollen, wogenden, duftenden Busen, der, hart wie Marmor, zu zerspringen drohte unter keuscher Sinnenlust. Sein Mund küßte die Stelle, wo ihr Herz schlug, und jeder Schlag durchfuhr sein ganzes Wesen mit einer magischen Gewalt, davon jede Faser in ihm selig erbebte. Er war keines Wortes mächtig -- er zitterte wie ein Kind in ihren Armen -- er hätte weinen mögen -- -- noch nie war es ihm so gewesen, wie jetzt: „So hab’ ich Dich noch nie geliebt, wie in diesem Augenblick!“ rief er ganz aufgelös’t. „Auch ich, auch ich!“ bebte es von ihren Lippen: „Auch ich habe Dich noch niemals so geliebt!“ Und diese beiden Wesen schienen von einer unaussprechlichen Trunkenheit erfaßt zu werden... Sie verloren alles Bewußtsein. -- -- -- Auf ihrem einsamen Wohnsitze erhielten sie zuerst den Besuch von Cölestinens Mutter, darauf erschien Edmund, der den Moment nicht erwarten konnte, seine Schwester in die Arme zu schließen. Diese Besuche störten nicht mehr das idyllische Glück des jungen Ehepaars -- -- es kam dann auch der alte Vater und auch er war willkommen; aber jetzt befürchtete man, daß sie nur allzubald herbeiströmen würden, die Schaaren der „Freunde,“ der Neugierigen, der Argwöhnischen und Neidischen. -- Alexander jedoch beschloß, so lange als möglich die feste Mauer, welche sein Haus umzog, zu vertheidigen. -- Ach, er kannte den unerschütterlichen Sinn und die sich immer erneuernde Tapferkeit der Belagerer nur zu gut, und so war denn höchstens nur noch für ein paar Wochen Sicherheit zu hoffen. Es war eines Vormittags, als sie von der Generalin besucht wurden. „O, meine Kinder,“ sprach Cölestinens Mutter, diese würdigste und tugendhafteste aller Matronen des Geschlechtes der Randow -- „wie danke ich meinem Schöpfer, der Alles so gefüget hat, wie es zu Eurem Glück erforderlich ist. So sind wir, so seid Ihr am Ziele aller Wünsche und unser Gebet kann sich nur auf den Fortbestand dieses gesegneten Zustandes beschränken. -- Ja, er wird fortbestehen und währen, bis Euer Auge bricht, bis Eure Herzen ausschlagen.... Ihr werdet Euch lieben und glücklich sein bis an’s Ende Eurer Tage. Mir sagt es mein ahnendes, mein vertrauendes Mutterherz -- und ich lese hierzu die Bestätigung in Euren Augen. -- O Cölestine, mein Kind, liebe Deinen edlen Gatten, sänftige und erquicke seinen ernsten, schwermuthvollen Sinn!... Aber, was sage ich? Du hast es ja schon gethan! -- Und so bleibt mir nur noch eine Bitte an Dich übrig: daß Du es auch in Zukunft nicht unterlassen sollst. -- -- Und nun zu Ihnen, mein theurer Freund und Sohn Alexander! -- Bewahren Sie für alle Zeiten Ihrem Weibe jene Zärtlichkeit, die Sie ihr jetzt widmen, eine Zärtlichkeit, an welcher Ihr großes Herz so reich ist!... Sie sind nicht mehr unverstanden, Sie sind nicht mehr ungeliebt.... es hat sich Ihnen ein Herz ergeben, das Ihrer würdig ist und das streben wird, dies immer mehr zu sein. -- Merkt Euch noch Eines, meine Kinder: Lasset Eure Liebe von der +Tugend+ geheiligt werden; seid fromm, sittig, rein und bescheiden: eine Liebe, welche dies nicht ist, sie wird, glaubt es mir, nimmerdar bestehen. -- Die echte Liebe ist nicht von dieser Welt; sie sucht an ihrem Gegenstande die höheren Eigenschaften und liebt ihn um so inniger, je mehr sie diese in ihm entdeckt -- -- ebenso bemüht sie sich, diese in der eigenen Brust zu erwecken, um sie ihm anzubieten -- um dieselben gegen die seinigen auszutauschen. Das ist wahre Liebe -- und so haben sich immer jene edlen Menschen geliebt, von deren Herzensgeschichte uns die alten Bücher so Rührendes erzählen....“ Die jungen Gatten, ergriffen von der Ermahnung Derjenigen, die jetzt ihnen Beiden Mutter war, sanken zu ihren Füßen nieder und gelobten feierlich, nach dieser Lehre zu leben. Da segnete sie die fromme Alte und weihte sie mit ihren Zähren, welche langsam auf deren Häupter herabrieselten. [Illustration: S. 128] Edmund, der in diesem feierlichen Momente eintrat, wurde von dem Anblick, der sich ihm hier bot, erschüttert, so daß auch er, ohne ein Wort zu sprechen, hinstürzte neben die Knieenden, die Hand der Mutter sowohl wie die der Schwester ergriff und sie abwechselnd an Herz und Mund drückte.... Dann schloß Cölestine den Jüngling in ihre Arme und nun konnte auch er seine Thränen nicht mehr zurückhalten: er vermischte sie mit denen der beiden Frauen. Niemals noch hatte er so selig geweint. In diesem Kreise waren nur zwei Augen trocken, die Alexanders, aber sie deuteten, auch trocken, auf eine, wenn auch stille, doch eben so tiefe Wehmuth -- als von welcher die übrigen Herzen erfüllt waren. „So bist Du nun ganz glücklich, meine Schwester!“ begann Edmund in jenem innigen, wunderbar gerührten Tone, welchen er für Niemand sonst in der Welt, als für sie hatte: „Du bist glücklich! -- Und so weißt Du: daß auch ich es bin. -- Ja, in der That, ich habe niemals Deine lieben Augen von so sanfter Zufriedenheit, niemals Deine holden Wangen von so heiterem Roth strahlen sehen, wie in diesem Augenblick; und nie, nie, Cölestine, warst Du so schön! -- O, wie glücklich wird Dein Mann sein in Deinem Besitze! -- Tausende werden ihn beneiden -- wie Fürsten einen König beneiden, der in seiner Krone eine Perle besitzt, die an Glanz und Werth die Summe aller der ihrigen übertrifft.... -- Doch Alexander hat Dich auch verdient! Ja, ja, er war der Edelste unter seinen Mitwerbern -- und so gönne ich Dich ihm.“ Diese Worte waren für den Grafen nicht ohne Bitterkeit; allein was ein romaneskes, schwärmerisches Bruderherz in seinem schrankenlosen Enthusiasmus verbrochen, das suchte die Schwester bei dem geliebten Manne ihrer Wahl wieder gut zu machen. Sie wandte sich mit einer Zärtlichkeit, deren Wahrheit jeder Athemzug ihrer Brust bestätigte -- zu Alexander und überhäufte ihn mit Beweisen von Liebe, dergleichen sie ihm sonst nur, wenn sie allein waren, widmete. Sie schien es gänzlich zu vergessen, daß sie nicht ohne Zeugen seien. Alexander verstand diese zarte und großmüthige Rücksicht: er fand in ihr einen hinreichenden Ersatz für die Unbill, welche er zuvor erfahren -- und ein zärtlicher Blick dankte seiner Gattin dafür. Da trat rasch und überraschend auch noch der alte General ein; er fand alle so heiter und gemüthlich, wie er sie brauchte: „Allons Kinder!“ rief er „fliegt mir an den Hals! -- Das geht mir noch Alles zu langsam. -- Ach, richtig, ich vergesse, daß ich hier nicht in meinem Hause bin, sondern unter jungen Eheleuten -- kleinen Turteltäubchen, die mit einander genug zu thun haben, als daß sie noch an einen so alten Steinadler, wie Unsereins, ihre Zärtlichkeit verschwenden sollten.... Nun denn, guten Tag, mein lieber Alexander -- guten Tag, theure Tochter Cölestine -- und auch Du, Mama, sei herzlich gegrüßt. -- -- Doch, alle Donner! da hätte ich fast eine sehr wichtige Person vergessen --“ bemerkte der lustige Alte, sich gegen Edmund wendend, der ehrfurchtsvoll, wie er es gewohnt war, vor seinem Vater stand: „Verzeihen Sie mir, mein Herr!“ fuhr der General gegen ihn fort: „und entschuldigen Sie ein schlechtes Gedächtniß, das bekanntlich gerade die nächsten Dinge am leichtesten vergißt...“ Cölestine hing am Halse ihres Vaters und küßte ihn so lange, daß er selbst endlich ausrief: „Ich denke, meine Tochter, es wird nunmehr genug sein!“ Dann reichte er dem Grafen die Hand und ließ sich im Kreise der Gesellschaft nieder. Nun mußte Cölestine ihm genau Bericht abstatten über ihren ganzen Haushalt -- und Alles, Alles bis auf die letzte Kleinigkeit sagen; denn der greise Kavalier zeigte eine Neugierde, als sei er an die Stelle irgend einer alten Haushälterin getreten. „Also dort auf jener Seite sind nun Deine Zimmer und hier die Deines Gemahls?“ fing er an. „Ja, bester Vater. Das habe ich so eingerichtet, denn Alexander überließ Alles meiner Bestimmung.“ „Dies ehrt sowohl Dich, wie Deinen Mann, und ich statte ihm für diese Liebenswürdigkeit meinen väterlichen Dank ab.“ „Ah -- aber glauben Sie mir, mein Vater, dies ist noch die kleinste der schönen Eigenschaften Alexanders.... Er ist an größern so reich....“ „Gewiß, gewiß, liebe Cölestine. Aber die innere Einrichtung Eures Hauses betreffend, so sage mir: ist Alles Uebrige in einem eben so feinen und großartigen Geschmack ausgeführt, wie dasjenige, was ich zu bemerken Gelegenheit hatte....“ „Alles, mein Vater. --“ „Aber -- dies wird Deinem lieben Manne große Auslagen verursacht haben, welche ich, da Du die Urheberin von Allem bist, mißbillige...“ „O, bester Vater, seien Sie überzeugt --, daß in dieser Hinsicht Alexander meine Wünsche stets übertroffen hat.... Dieser kleine Feenpalast war bereits in Allem fertig, als ich von ihm Besitz nahm -- -- und ich veränderte nur hie und da Etwas in der Anordnung. Darin besteht meine ganze Schuld.“ „Wie mich dünkt,“ fuhr der alte General in seinem Beichtamte fort: „so ist die Dienerschaft Ihres Hauses, mein theurer Schwiegersohn, mindestens um das Dreifache, gegen deren frühern Etat, vermehrt.... Habe ich nicht Recht?“ „Allerdings -- Herr General; ich fand es nothwendig, das Haus meiner Gemahlin in jeder Beziehung auf eine Stufe zu stellen, welche sowohl ihren Verdiensten als ihrem Range angemessen ist.... Ich fürchtete, noch zu wenig gethan zu haben. --“ „Und was Ihren Marstall anlangt -- lieber Graf -- so fand ich Gelegenheit, einen Blick hineinzuwerfen, wiewohl ich mir das Vergnügen, ihn genauer zu besichtigen, noch vorbehalte. -- -- Ihr Marstall nun, mein theurer Alexander, ist wirklich unvergleichlich, und ich weiß nicht, ob er es nicht mit jedem andern in der Residenz aufnehmen könnte. Dies nimmt mich um so mehr Wunder, da ich weiß, daß Sie im Ganzen keiner von unsern leidenschaftlichen Pferdeliebhabern sind ... ich glaube, Sie gehören auch nicht zu unserem Jokey-Clubb....“ Der Graf erwiederte lächelnd: „Bisher noch nicht; doch bin ich Willens, mich in denselben aufnehmen zu lassen.“ „Aber -- Sie besteigen ja höchst selten ein Pferd.“ „Ich werde es jetzt öfter thun.“ „Und der Grund davon?“ „Meine Frau wünscht es.“ Der General umarmte seinen Schwiegersohn. -- „Sie sagt,“ fuhr dieser fort: „ein Mann erscheine niemals schöner, als wenn er zu Pferde sitzt, und ich will mir das merken.“ „O!“ sagte Cölestine gerührt: „Du hast es nicht nöthig, Alexander, Dich werde ich ewig lieben -- und mehr Dich lieben, wie ich, ist kein Herz fähig.“ Jetzt schloß +sie+ ihn in ihre Arme und eine Pause entstand, reicher an stiller tiefer Wonne, als deren manches ganze Leben enthält. Die Eltern segneten die Stunde, welche den Grafen zum ersten Male in ihr Haus geführt. Nach einiger Zeit erhob man sich und nahm die Wohnung der Kinder in Augenschein. Man besichtigte sie von oben bis unten, man ließ nicht die kleinsten Winkel unbeachtet -- und es bestätigte sich Alles, was man früher von ihr erfahren hatte. Sodann ging man in den Garten hinab, dann in den Hof, in die Seitengebäude, Alles entsprach einem großartigen Plane, und Alles stand unter einander in der schönsten Harmonie. Endlich nahmen die Alten mit ihrem Sohne Abschied von dem Ehepaar -- und begaben sich auf den Rückweg nach Hause; denn es war heute bei ihnen, aus Anlaß des Nachfestes zu der Vermählungsfeier Cölestinens -- Tafel, bei welcher einige nähere Freunde des Hauses erscheinen sollten. -- Siebentes Kapitel. Ein _Tête à tête_ -- jedoch kein zärtliches. Es schlug sechs Uhr. Dies was die Zeit des Diners. Im kleineren Salon der Generalin waren bereits alle Gäste versammelt, unter denen uns mehrere Personen nicht ganz unbekannt sind. Denn es fanden sich hier der Graf und die Gräfin von Wollheim -- Herr und Frau von Porgenau -- die Wittwe jenes Feldmarschall-Lieutenants E--z, so wie die Stiftsdame, Fräulein Eugenie von +Bomben+ (62 Jahr alt). Auch Herr von Labers, der Mann, welchen Alles hochachtete, war zugegen. Man schritt paarweise in den Speisesaal, wo eine auserlesene Tafel bereit stand, die Gäste aufzunehmen. Dies Diner wäre ein ganz gewöhnliches gewesen und hätte sich durch nichts von einer materiellen Mahlzeit oder Esserei unterschieden, hätten nicht unsere drei oder vier Paar Originale, dergleichen nicht überall in der Welt zu finden sind, daran Theil genommen. So aber war für den Geist mehr als hinreichend gesorgt; d. h. für den Geist, welcher Kontraste und satirische Verwickelungen liebt. Nach den ersten Gängen -- man servirte in diesem Hause auf französische Weise -- wurde endlich jene einförmige Stille, die den Anfang eines Mahles bezeichnet, durch einige schlechte Witzworte des trefflichen Herrn von Porgenau unterbrochen und der Genius der Unterhaltung senkte sich auf die Gesellschaft herab. Es ist im Grunde zwar nicht nöthig, so gewissenhafte Geschichtsschreiber wir übrigens auch sind -- jedes alberne Wort Herrn von Porgenau’s durch unsern Griffel der Unsterblichkeit zu überliefern... Indeß dürfen wir auch diesem Manne, da er einmal ein Charakter ist, (obgleich nicht in dem Sinne, worin Börne von Gutzkow ein Charakter genannt wird) nicht Unrecht thun, und so geben wir denn so viel Züge und Striche von ihm, als zur vollständigen Zeichnung seines Bildes nothwendig sind. So möge man also wissen, daß der erste brillante Einfall Porgenau’s heute an dieser Tafel darin bestand, daß er einen Kalbskopf in einer _sauce piquante_ mit den Liebesgedichten des berühmten Lokalhumoristen Herrn Saphir verglich und hinzusetzte: so sehr dieser Kopf auch mit Saucen, Citronenscheiben, Gewürzen, Lorbeerblättern, Blumen und Blüthen begossen und bedeckt sei -- erkenne man doch augenblicklich, daß er vom +Kalbe+ komme.... Der Bonmotist setzte noch hinzu, daß man im Orient auf diese Weise auch +Affenköpfe+ bereite -- -- und meinte, dieser Vergleich sei noch viel passender. Ferner behauptete derselbe: eine schlechte Tafel sei die beste Universität, man werde da voll +Geleersamkeit+. „Wissen Sie,“ wandte er sich zur Gräfin von Wollheim, wobei er wieder im Voraus so sehr lachte, daß es eine wahre Freude war: „wissen Sie, gnädige Frau -- haha! -- welches mein schönster Calembour ist.... In der That, hahaha! ich bin stolz darauf, denselben geschaffen zu haben -- hahaha!“ „Lassen Sie ihn hören, lassen Sie ihn hören, trefflicher Herr von Porgenau!“ hieß es an der ganzen Tafel; denn die Albernheit ist oft belustigender als Verstand und Witz. „Mein erster Calembour --“ sagte Porgenau stolz -- „aber,“ fuhr er nach einer Pause fort und verzog das Gesicht so breit, als es ihm nur möglich war -- „in der That, ich kann mich vor Lachen kaum halten, sobald ich diesen göttlichen Calembour preiszugeben im Begriffe stehe -- hahaha! hahaha! -- So hören Sie denn: +Was ist der Mensch+? Antworten Sie mir, meine Herrschaften, auf die Frage: Was ist der Mensch? -- hahaha!“ Alles lachte; aber Niemand sprach. „Ah -- hahahaha!“ platzte Porgenau aus: „Nicht wahr, Sie wissen es nicht. Hahaha! Das ist lustig! das ist sehr lustig -- hahaha!“ „Aber so sagen Sie es uns doch selbst!“ bemerkte die Gräfin achselzuckend.... „Sie sehen ja, daß es hier Niemand erräth.“ „Nun -- wenn Sie es wissen wollen.... hahahaha! -- hahahaha! -- Der Mensch -- ist ein unbefiedertes Thier mit zwei Beinen. -- Hahahaha! hahahaha!“ Und der große Mann wälzte sich in seinem Stuhle. „Zu diesem Porträt,“ bemerkte Edmund gegen einen jungen Mann: „hat ohne Zweifel Er +selbst+ gesessen....“ „Gewiß. Die Aehnlichkeit ist sehr auffallend.“ Aber Porgenau hörte es nicht, wiewohl es ziemlich laut gesprochen wurde; er lachte noch immer und hielt sich den Bauch -- es entzückte ihn, daß die ganze Gesellschaft mit lachte, was er als Resultat seines unwiderstehlichen Witzes nahm. „Dieser Porgenau,“ meinte Herr von Labers gegen seinen Nachbar, welches der General von Randow war: „ist ein halber Fallstaf; denn wenn er auch nicht selber witzig ist, so macht er doch Andere dazu. --“ „Sehr richtig,“ bemerkte General Randow -- „und wiewohl ich eigentlich nicht weiß, wer dieser Fallstaf sei, so kann ich mir denselben doch recht gut vorstellen. -- -- Ah, jetzt entsinne ich mich! Es ist, glaube ich, eine dicke, lustige Person in irgend einem Schauspiele. --“ „Ganz recht! in einem Shakspeare’schen.“ „Ah -- dies ist ja derselbe Dichter, welcher so viele kriegerische Stücke verfaßt hat, deren Namen mir leider zum größten Theil entfallen sind....“ antwortete der General, der wie so manche tüchtige Offiziere und -- Kavaliere des Kaiserstaates eben kein großer Literat war und welcher, gleich dem edlen Herzog von Reichsstadt, Schillers +Wallenstein+ nur wegen der großen Kriegsseite dieses Stückes so sehr liebte. -- „Sie sagen, meine Beste,“ sprach Gräfin Wollheim zu dem Stiftsfräulein -- „Ihr Vorschlag an das Comité, betreffend die Befestigung von Strümpfen, Jacken und andern Kleidungsstücken auf dem Leibe der Armen, sei zurückgewiesen worden? -- Ich halte dies nicht für möglich. Es wäre abscheulich!“ „Auch ich war darüber empört, glauben Sie mir, theuerste Gräfin --“ versetzte Fräulein von Bomben --; „es heißt dies die menschenfreundlichsten Absichten vernichten, mit Füßen treten.... aber so ist einmal unsere lasterhafte, sündige Welt. Ich bin überzeugt, mein Vorschlag wurde blos deßhalb nicht angenommen -- weil mehrere Damen des Comités, wie ich aus sicherer Quelle weiß -- mit einigen hübschen Armen im vertrauten -- -- u. s. w. -- Sie verstehen, beste Freundin!“ „Aber -- dies scheint mir unmöglich! --“ „Es ist wahr; ich kann es nöthigenfalls beschwören... Und,“ fuhr sie schwärmerisch fort, wie ein verliebter Jüngling, der von seinen Entwürfen spricht, mit welchen er die Geliebte seines Herzens glücklich machen will: „und ich hatte mich bereits mit allen Materialien versehen! Ich kaufte _en gros_ ein. Zwei Zentner Pech -- 80 Pfund Teufelsd-- 300 große und kleine Ketten, Schlösser, Fangeisen, Daumenschrauben...“ „Daumenschrauben? Wozu denn diese?“ „Um unseren lieben Armen die Handschuhe, welche wir ihnen im Winter geben, an die Finger zu schrauben....“ „Ah, mein Gott -- wie erfinderisch Sie sind, mein theures Fräulein!“ „O, wo es sich um das Wohl der Menschheit handelt!“ „Ach die Menschen verdienen es kaum.“ „Gewiß, gewiß; sie verdienen es nicht. Sie sind Wölfe und Hyänen -- und ich wollte nur, daß ich sie in Wolfsgruben oder mit Fußeisen fangen und ihnen das Fell abziehen könnte. Das wäre so meine Passion!“ „Indeß -- -- da wir Mitglieder des +Hilfsvereins+ sind.... meine Beste: scheint mir diese Ihre Passion doch ein wenig barbarisch.“ „Ei was!“ schrie das fromme Stiftsfräulein und warf Blicke umher wie eine Hyäne, von welcher sie eben gesprochen: „barbarisch hin -- barbarisch her; ich halte es mit Kaiser Nero und wünsche der ganzen Menschheit einen Kopf, um ihn mit +einem+ Schlage abzuhauen.“ Das war ein schönes Mitglied frommer Stiftungen und edler Wohlthätigkeitsvereine. Es war jetzt am obern Ende der Tafel die Rede von den Fremden, welche in letzterer Zeit die Residenz besucht hatten und Herr von Labers führte darunter auch den Namen eines +Chevalier de Marsan+ an. -- Sogleich erhob sich Edmund und lebhafte Freude malte sich in seinem Gesichte: „Wie?“ rief er, „der Chevalier de Marsan -- jener Marsan, der, vor zwei Jahren bei der N**schen Gesandtschaft attachirt, mit seinem Chef Wien besuchte.... jener elegante, hübsche, glänzende Kavalier: ist dieser gemeint?“ „Derselbe!“ entgegnete Herr von Labers: „Man sagt, er werde dies Mal für längere Zeit in unserer Stadt verweilen. Seine Gegenwart hängt übrigens mit keiner politischen Mission zusammen....“ „So wird man wohl diesen Herrn,“ sagte Frau von Porgenau, die Gemahlin des berühmten Calembouristen -- „zu sehen bekommen! Ist derselbe schon in vielen Häusern eingeführt?“ „So viel ich weiß, in mehreren -- -- doch scheint dieser stolze Chevalier nur die schwindelnden Höhen der Gesellschaft zu goutiren. Man erzählt sich, er habe neulich, als man ihn der Gräfin Holborlow vorstellen wollte, gefragt, ob diese Dame nicht zu jenen Holborlows gehörte, die erst vor beiläufig 150 Jahren in den Adelstand erhoben wurden -- und erst, nachdem man ihn überzeugte, daß jene neugeschaffene Familie eigentlich +Holbarolow+ heiße -- während die ersten +Holborlow’s+ bereits aus den ältesten Zeiten Moskowitischer Herrschaft abstammten, willigte er ein, mit der Gräfin bekannt zu werden.“ Von zahlreichen Stimmen erscholl jetzt das Lob des ausgezeichneten Kavaliers, dessen Grundsätze man als vom ersten Wasser erkannte.... und diese Personen, welche applaudirten, wünschten insgeheim alle mit dem Chevalier bekannt zu werden. Einer Dame, die ihre diesfällige Sehnsucht dem Sohne des Hauses vortrug, antwortete Edmund: „Nichts in der Welt ist leichter.... wenigstens für mich ist nichts leichter, als den Ritter von Marsan dahin zu führen, wohin es mir gefällt. -- In der That wir sind seit einer Reihe von Jahren die wärmsten Freunde. -- Unsere Verbindung schreibt sich noch von meiner Reise nach Paris her, wo ich damals den Chevalier in der Umgebung des Hofes fand. Dort wie an jedem Horizonte war er ein Stern erster Größe -- und ich gestehe es offen, auf keine Freundschaft stolzer zu sein, als auf die seinige.“ „In Wahrheit,“ rief Frau von Porgenau: „Sie machen uns neugierig und im höchsten Grade gespannt. -- Herr von Marsan muß eine Art kleinen Wunders sein!“ „Sagen Sie lieber +großen+ Wunders, beste Freundin!“ fiel die Stiftsdame ein: „Sieht er nicht etwa dem Antinous ähnlich -- und ist er an Geist nicht ein Cicero -- an Muth nicht ein Leonidas -- und an Reichthum nicht ein Rothschild....? hehehe! Wirklich, er muß sehr außerordentlich sein....“ schloß das Fräulein mit einem Lächeln, welches halb bitter und halb unverschämt war. -- Edmund ergriff den besten Ausweg und gab ihr keine Antwort -- er zuckte die Achsel und wandte ihr, so weit dies möglich war den Rücken. .... Darüber schien die liebenswürdige Menschenfreundin sehr ungehalten zu werden -- und begann nun ihrer Zunge vollen Lauf zu lassen: „Ei, ei -- wie Schade! daß unsere Residenz nicht auch solche illustre Exceptionen des Menschengeschlechtes aufzuweisen hat. -- Wahrlich, wir sind in dieser Hinsicht noch sehr weit zurück; -- und müssen, Dank Frankreich, von dort aus sowohl mit den Alleweltbezwingern, wie mit Seiltänzern und Harlekins versorgt werden....“ „Welche +Versorgung+ uns indeß oft sehr große +Sorgen+ verursacht... hahahaha! hahahaha! hahahaha!“ rief Herr von Porgenau, und dies war sein neuester Witz. „Ach, was dieser Porgenau -- witzig ist!“ schrie seine Gemahlin, von der wir noch nicht erwähnt haben, daß sie die staunende Bewunderin des Genies ihres Mannes war -- und stets in dessen unmäßiges Gelächter einstimmte, sobald derselbe ein _soi-disant_ Bonmot machte. „O, wie glänzend seine Einfälle heute wieder sind!“ und hielt sich die Seiten, was ihr sehr schwer wurde, denn sie hatte verschiedene sehr große Seiten. Sie war so ein verkleinerter Abguß des Heidelberger Fasses. „Meiner Treu!“ meinte der Graf von Wollheim: „diese Aeußerungen über den Chevalier stimmen keineswegs überein -- -- und wollte man sich nach ihnen halten, würde man von Herrn von Marsan nur ein sehr schwankendes Bild erhalten. Indessen scheint mir die Meinung meines Freundes Edmund da -- nicht ohne Gewicht, da derselbe den Ritter bereits seit so langer Zeit kennt, und überdies ein Jüngling ist, auf dessen Urtheil und Wort ich ungeheuer viel gebe....“ „Dies scheint mir,“ fuhr die Stiftsdame mit ihrem schneidenden Tone dazwischen -- „eben kein großes Kompliment für uns -- --“ „Erlauben Sie, mein Fräulein,“ schrie der Jäger, roth werdend vor Zorn -- „erlauben Sie --“ wiederholte er mit einer Stimme, als befände er sich im Walde und hätte sein Horn verloren.... „erlauben Sie!...“ Er konnte vor lauter „Erlauben Sie“ nicht weiter; -- seine Entrüstung war zu groß.... Diese wuchs noch, wo möglich, als Fräulein von Bomben sich ruckweise mit ihrem Stuhle zurückzog und stets rief: „O mein Gehör! Mein armes Gehör! -- Mein unglückliches Gehör! -- Gnade! Gnade! --“ „Das heißt wohl so viel, als, daß ich in Ihrer Nähe verstummen soll -- ich, ein alter Jäger, der schon vor manchem größern Ungeheuer nicht verstummt ist.... Alle Donner und Wehrwölfe!“ Der Nimrod hatte sich mit diesen Worten Luft gemacht -- aber die Stiftsdame war bei ihrem Klange auch leblos auf die Lehne ihres Stuhles zurückgesunken, indem sie leise das Wort „+Ungeheuer+!“ flüsterte. Sie verdrehte ganz entsetzlich die Augen und bald schien sie nicht mehr zu athmen.... Man konnte sie für todt halten. Dies war für den argen Nimrod ein ungeheures Gaudium und er unterließ es nicht, dasselbe auf folgende Weise auszuschreien: „Ah -- sie ist in Ohnmacht gesunken, die vortreffliche Frau!... Fräulein, wollt’ ich sagen.... Wie schade um eine so liebenswürdige, gutmüthige Dame! Ach, sie hat ein zu weiches Herz! Dies war immer ihr größter Fehler. Sie, die keiner Mücke weh thun kann -- empfindet natürlich selbst jede Verletzung in dreifachem Maße... Ach! daß ich das so wenig berücksichtigt habe! -- Und was vollends ihre Tugend -- ihre Reinheit betrifft....“ Hier vermochte das Fräulein nicht länger ohnmächtig zu bleiben. Sie, die früher einer Verstorbenen ähnlich gesehen, sprang jetzt plötzlich mit solcher Lebhaftigkeit auf, als sollte es zum Hochzeitstanze gehen: „Was?“ rief sie aus: „Welche Worte! Welche abscheuliche Rohheit! -- Und dieser sieht man sich in einer auserlesenen Gesellschaft ausgesetzt! Ist dies das Haus der Generalin von Randow, jener vornehmen Dame, die zu den ersten unserer _haute crême_ zählt -- -- oder was ist dies Haus für eines? -- -- --“ Sie überließ sich, wie man sieht, wieder so ganz recht ihrer milden Suade. Mittlerweile war die Hausfrau bereits längst an ihren Stuhl getreten und hatte die Erzürnte zu besänftigen gesucht -- wobei sie von noch zwei oder drei Damen unterstützt wurde. Den alten Waldmenschen aber hatte auf einen Wink des Generals Edmund bei Seite genommen und, da die Gelegenheit dazu eben günstig war, (das Mahl neigte sich nämlich seinem Ende zu) ihn aus dem Saale weggeführt. „Kommen Sie, kommen Sie, bester Graf --“ raunte er ihm in’s Ohr: „ich kann es nicht länger mit ansehen, daß Sie sich mit dieser alten Hexe da befassen.... Es ist empörend -- --!“ „Ja!“ fiel der Jäger ein: „Du sprichst ein wahres Wort aus, mein Jüngelchen! Empörend ist es, daß eine dürre und von Zorn ausgetrocknete Kreatur dieser Art es wagt, mit einem alten Jäger, der bereits so manchem Zauberhirsch und Waldteufel in’s feurige Gesicht geschaut.... haha! Aber ich hab ihr’s auch recht gegeben! Nicht wahr, Edmund! Ich habe sie ordentlich zugerichtet.... hahaha!“ „Ja -- Sie haben sie ordentlich -- --“ „Donnerwetter! Nenne mich nicht immer „Sie!“ Was hast Du heute?... Sind wir nicht mehr die alten Freunde?“ „Ei, das wäre!“ rief der Jüngling aus, als er sich mit dem Alten endlich in einem Seitenzimmer befand: „Du weißt,“ fing er an: „daß meine Familie von unserer Intimität nicht allzu viel merken darf. Unter uns -- meine Mutter sieht es nicht gerne, sie meint, ich nehme von Dir wilde Sitten an. -- --“ „Alle Hirsche und Rehe! -- Das wird sie doch nicht meinen! -- Geht dies wirklich auf mich? -- Wild, wild! -- Ja, freilich ein wilder Bursche bin ich.... aber dazu -- bei St. Hubertus! -- eine so ehrliche Haut, wie je eine in germanischen Wäldern von Regen und Wind durchgegerbt wurde. -- Allein, was fällt mir da ein? Mich dünkt, wir hätten jetzt die schönste Gelegenheit, in die Kellnerei hinüber zu spatzieren, die, (ich wittere die Spur!) hier irgendwo in der Nähe sein muß.“ „Der Einfall ist nicht übel! -- -- Ja, ja, der Einfall ist nicht schlecht!“ schrie Edmund: „Er ist sogar köstlich, beim Teufel!“ Diesen Einfall indeß hatte der Alte jeden Augenblick. Und alsbald saßen diese edlen Brüder wieder in einem still bescheidenen Winkel und vor ihnen erhoben sich mannigfache Humpen -- -- und alsbald hatte Edmund wieder seine eigenthümliche Laune (es war seine eigenste eigenthümlichste) angenommen; er trank, sang und betrank sich mit seinem Freunde, so, als wären sie in irgend einer Dorfkneipe eingekehrt. Nach Verlauf von einer Stunde befanden sich diese musterhaften Edelleute im Zustande vollkommener Bewußtlosigkeit -- und lagen mit erstarrten, bleischweren Gliedern -- Edmund +auf+, der Jäger +unter+ dem Tische. Die Dienerschaft, welche dergleichen schon gewohnt war und für diesen Fall ihre Verhaltungsregeln von Edmund empfangen hatte, schloß sie im Zimmer ein, damit die Biedern nicht etwa erwachen -- im halbnüchternen Zustande das Zimmer verlassen und im Hause Skandal machen könnten, wie sie es bereits einmal gethan. Das Schnarchen, welches sie entwickelten, war bis in den Gesellschaftssaal vernehmbar, wo die Gäste beim Kaffee saßen und wo eine Dame von sehr furchtsamer Natur beständig sagte: „Ich glaube, es zieht ein Gewitter heran. -- Ich glaube, es donnert in der Ferne....“ Die Verfassung, worin die Gesellschaft sich nach dem Abgang der beiden Herren befand, war übrigens von bewundernswürdiger Ruhe. Nachdem der Jäger, dessen derbe, waldmännische Natur sattsam bekannt war, sich entfernt hatte -- machte man dem Stiftsfräulein bemerklich, daß er ihr mit diesem Letzteren eine glänzende Genugthuung gegeben habe; -- Gräfin Wollheim selbst sprach dieses aus und wandte sich noch überdies mit der Versicherung, daß sie selbst das Betragen ihres Mannes mißbillige, an die ungeheuer empfindsame Dame.... so gelang es endlich, dieselbe zu versöhnen, und Alles kam wieder ins rechte Geleis. -- Herr von Porgenau machte wieder seine geistvollen Calembours -- lachte sich dabei sammt seiner Gemahlin halbtodt -- Gräfin Wollheim sprach von der nächsten Zusammenkunft des Frauenstiftsvereins, zu welcher sie bereits drei Unterröcke und sechs Beinkleider fertig liegen habe; zuletzt wurde auch noch die Stiftsdame cordial -- sprach von der Immoralität unter den Armen und bemerkte dazu sehr scharfsinnig: „Wer weiß, was in so manchen dieser Jacken und Beinkleider getrieben werden wird...“ Ja, endlich kam sie sogar auf ihr beliebtes Thema von Nero, wo sie der ganzen Menschheit nur ein Haupt wünschte, um es mit einem Schlage herabzusäbeln... -- Dieses Stiftsfräulein hätte in den Türkenkriegen leben und unter die Janitscharen gehen sollen. Sie würde dort große Dinge vollbracht haben. -- Achtes Kapitel. Der Chevalier von Marsan. Der Chevalier von Marsan machte wirklich in der großen Welt gewaltige Sensation. Er hatte sich bereits in den Cirkeln der Fürstin O-- M-- G--, der Herzogin B--, der Marquise A--, und Re--, der Lady P-- und noch in mehreren von den +allersublimsten+ sehen lassen, und Alles war von dem Manne entzückt, der gekommen schien, die Zeiten eines Alcibiades nach modernen Principien zurückzurufen. In Wahrheit, dieser Kavalier vereinigte in sich eine Summe von Liebenswürdigkeit und Vorzügen, die ihn zu einem wahren Prototyp der fasshionablen Männerwelt machten. Es hatte Natur und Kunst für ihn mit einem Worte -- Alles gethan, und noch +ein Stückchen dazu+. Er war schön, reizend, blendend, er war geistreich, witzig, gelehrt, er war vornehm, fürstlich, ja uns dünkt sogar -- von königlicher Verwandtschaft; er war reich, mächtig, großmüthig, verschwenderisch, stark wie ein Cyklope und sanft wie eine Hamadryade.... Und doch hatte bei diesem Monstrum von Schönheiten -- der Schöpfer Eines vergessen; Dasjenige nämlich, was er ihm schon deßhalb nicht geben kann, weil er ihm alles Uebrige gab, denn Dieses und Jenes sind Gegensätze, die einander aufheben. Dieses Eine, was dem Chevalier fehlte, und welches kein Gott ihm zu ersetzen im Stande war -- es war Dasjenige, was gerade einem Charakter die höchste poetische Weihe gibt: es war jene schöne menschliche Mangelhaftigkeit, jener große, oder jene tausend kleinen Fehler, wodurch ein kleines Individuum +interessant+, ein großes zum +tragischen Helden+ wird. Dieses Ingredienz, dieser Mangel im Menschen, oder eigentlich dieser +negative Vorzug+ ist es ja, welcher uns, in seiner höchsten Potenz, beim Anblick eines +Cäsar+, eines +Byron+, eines +Napoleon+, hinreißt -- während uns die makellose, glatte Reinheit eines edlen Menschen blos kalt erhebt. -- Nicht daß es dem Chevalier an Fehlern und Untugenden gemangelt hätte; ich weiß nicht, ob er auch nur im entferntesten Sinne einen Vergleich mit jenen edlen Menschen ausgehalten hätte, welche wir zuletzt nannten, vorausgesetzt, wir hätten ihn mit dem Maßstabe der reinen Moral zu messen; nach den Begriffen der Gesellschaft und Zeit jedoch war Herr von Marsan das Muster eines vornehmen Mannes, d. h. eines Salonsubjektes. Ach, Ihr guten Seelen, die Ihr in kleinen Häuschen mit Strohdächern, unter denen Schwalben und Bienen nisten, wohnt, Ihr habt freilich keinen Begriff von +dieser+ Tugendhaftigkeit und +dieser+ Mustergiltigkeit. Nach Eurer unverständigen Meinung wäre dieser Chevalier vielleicht weiter nichts, als ein hübscher, reicher, leichter, träger, thörichter, vielleicht auch gutherziger, jedenfalls aber ausgelassener und gewissenloser junger Springinsfeld gewesen. Gut, daß Euer Votum in der Wagschaale der +bessern Gesellschaft+ nicht gilt -- Ihr würdet dort eine schöne Confusion damit anrichten. Doch wir wissen jetzt ungefähr genug von dem Charakter des Ritters von Marsan und eilen nun zu den Begebenheiten, worein wir denselben schnell verflochten sehen. Eines Tages machte Edmund mit seinem Freunde, dem Grafen von Wollheim, einen Spazierritt in den Prater, als er, beim ersten Kaffeehause angelangt, ungefähr hundert Schritte davon ein Gedränge von Menschen, Pferden und Equipagen bemerkte. Hier muß etwas Außerordentliches vorgefallen sein, wiewohl dies nicht nothwendig ist und schon eine unbedeutende Kleinigkeit hinreicht, die guten Wiener sich mitten auf der Straße zu einer Schaar versammeln und neugierig den Himmel anstaunen zu sehen.... Als unser Freund näher kam, bemerkte er einen Herrn zu Pferde, der mit dem Thiere, welches äußerst widerspenstig schien, mit einer Kunst verfuhr, die ihn zum größten Reiter des Jahrhunderts stempelte. Dieser Herr hatte den Rücken gegen Edmund gekehrt, und so konnte dieser nicht wissen, wen er da vor sich habe. Jedoch schien es ein junger und äußerst glänzender Kavalier -- sein Pferd aber war von arabischem Vollblut, „halb Hirsch und halb Vogel,“ wie +Balzac+ sagt. „Er wird das Thier doch nicht zum Stillstehen bringen.“ „Es ist vergebens! Das ist ein wahrer Teufel von einem Afrikaner!“ „Wie heißt das Pferd nur gleich!“ „Jussuf! Jussuf ist sein Name.“ Diese Urtheile und Reden erschollen rings herum. Mitunter ließ eine von den schönen Damen, die aus den Wagen den schönen Reiter durch ihre Lorgnetten betrachteten -- einen leisen kokettirenden Angstruf hören.... oder die Herren zu Pferde suchten durch das gewöhnliche: „Prrr! -- Ohe! Heh! Heh!“ den wilden Jussuf zu besänftigen helfen -- was jedoch von dem fremden Reiter stets mit einer stolzen und unwilligen Bewegung erwiedert ward. -- Dieser schien endlich in die höchste Wuth zu kommen -- er riß den Zügel so heftig an sich und versetzte dem muthwilligen Thiere mit Sporn und umgekehrter Gerte einen so furchtbaren Schlag -- daß Jussuf wie ein Mensch aufstand, sich auf die Hinterbeine setzte -- und schon zu überschlagen in Gefahr war.... Ein tausendstimmiger Schrei der Zuschauer erfüllte die Luft.... Aber im Augenblick, wo die Gefahr am größten war, wo das Leben von Mensch und Thier nur mehr auf einer Nadelspitze stand -- machte der Fremde, welcher kalt und lächelnd in den Steigbügeln stand -- eines von jenen Maneuvres mit Zügel und Schenkel, die ein Geheimniß der Araberhäuptlinge und zwei bis drei Europäer sind -- -- und Jussuf, als sei er plötzlich in ein Hündchen verwandelt worden, ließ die Ohren fallen -- senkte die Augen, welche zuvor höllische Funken gesprüht hatten -- zog die dampfenden Nüstern zusammen -- -- jetzt mit einer Viertelkreiswendung drehte es sich auf den Hinterfüßen herum und ließ sich ruhig auf die Erde nieder, ohne ferner auch nur mit einer Muskel zu zucken. Bei dieser Evolution, welche an die Mythen der Centauren erinnerte -- lös’te sich ein zweiter allgemeiner Ruf aus der Mitte der Zuschauer; es war einer der Bewunderung und des Erstaunens. Noch nie hatte man so etwas in Wien gesehen, wo es doch in der That an bedeutenden Reitern, deren Koryphäe der Graf S-- ist, auch nicht fehlt. In dem Augenblick, in welchem der außerordentliche Fremde sein Pferd herumgedreht hatte -- erkannte Edmund in ihm den +Chevalier von Marsan+. Es bedurfte keinen zweiten Augenblick und der Jüngling hatte sich durch den dichten Kreis der Umstehenden hindurchgedrängt und stand neben seinem Freunde. Dieser erkannte ihn sogleich und ein lauter Willkomm erscholl von beiden Seiten. Zuerst bezeigte Edmund ihm seine Bewunderung über die glänzende That, deren Zeuge er so eben gewesen -- der Chevalier jedoch bat lächelnd, nicht weiter von „dieser Kleinigkeit“ zu sprechen -- wischte sich jedoch mittlerweile den dichten Schweiß von der Stirne, welchen diese +Kleinigkeit+ darauf gesäet hatte. -- Nach und nach zerstreuten sich wieder die Zuschauer, die meisten jedoch nicht eher, als bis sie sich dem Wundermanne noch einmal ganz dicht genähert hatten, um ihn auf ewige Zeiten ihrem bereitwilligen Gedächtnisse einzuprägen.... Nur noch einige Herren zu Pferde blieben neben Marsan, da sie zu seiner Gesellschaft gehörten. Es waren meist auch Bekannte des jungen Randow und sie störten daher nicht bei der Freude des Wiedersehens, welche sowohl dieser wie der Chevalier empfand. Man setzte nun den Ritt nach dem Jägerhause fort, gefolgt nur noch von einigen Spießbürgern, die zu spät gekommen waren -- den Wundermann jedoch noch, und sei es mit Aufopferung einiger Jahre ihres Lebens, sehen mußten; auch etliche Gassenjungen trabten beständig zur Seite einher. -- „Ach, mein theurer, theurer Marsan! -- wie finde ich Sie verändert, seit wir uns das letzte Mal sahen! Es war vor 5 Jahren und Sie zählten damals 21. Jetzt hat das Mannesalter Alles an Ihnen vervollkommnet. Es sind zwar dieselben Züge, aber kräftiger und fester -- es ist derselbe Wuchs, dieselbe Haltung, Alles, Alles -- -- nur in Allem viel gediegener, wie soll ich sagen? perfekter! --“ Es fehlte wenig und der gutmüthige Bursche, der in Liebe und Freundschaft eine Andacht besaß, die ihm im ganzen übrigen Leben so sehr fehlte, ja, deren +Gegentheil+ ihn hier sogar charakterisirte -- -- es fehlte wenig und er wäre dem Franzosen sammt dessen Jussuf -- vom Pferde aus um den Hals gefallen... „Und Sie, mein bester Edmund, wie ist es Ihnen seither ergangen?“ fragte der Chevalier theilnahmsvoll: „Uebrigens sind Sie mir seit länger als einem Jahre die Antwort auf mein letztes Schreiben, welches ich Ihnen von Brüssel durch den Baron d’Orville zugesandt habe, schuldig.“ „Beim Himmel, Freund, ich habe weder den Baron noch Ihren Brief gesehen; auch ist es mir nicht erinnerlich, daß ein d’Orville jemals unsere Stadt berührt hätte. Allein wie verhält es sich um diese Sache -- Herr von L**?“ wandte der junge Randow sich an einen ältern Herrn, der ihm zur Seite ritt, und welcher Herr eines von den lebendigen Neuigkeitsbureaux vorstellte, an denen in der _société_ einer großen Stadt wahrlich kein Mangel ist. Herr von L**, das Neuigkeitsbureau, (er wußte Alles) sann ein wenig nach, murmelte dann zwischen den Lippen „d’Orville, d’Orville“ -- -- und sagte zuletzt mit der größten Bestimmtheit: „Ein solcher Kavalier ist hier ganz gewiß nicht durchgereis’t.“ „Das kann möglich sein.... denn der Baron, der immer auf Reisen ist, hat die Gewohnheit, seine Route hundert Mal in einem Tage zu verändern.... und er ist im Stande, sich z. B. von hier aus auf die Reise nach dem +Ladoga-See+ zu begeben; in der Nähe der russischen Grenze -- besinnt er sich dann -- kehrt um und reis’t nach +Portugal+. --“ In diesem Augenblick fuhr an der Cavalcade eine Equipage vorbei. Marsan wandte sich zufällig nach der Seite und stieß beim Anblick der Personen im Wagen einen leisen Ruf aus. „Was haben Sie? Was haben Sie?“ fragte Edmund. „Können Sie mir vielleicht sagen,“ gegenfragte der Chevalier rasch -- „wem dieser Wagen gehört?“ Erst jetzt blickte Edmund nach demselben: „Mein Gott!“ rief er erstaunt -- „sollte dies möglich sein? -- Dies ist die Equipage meiner Schwester, der Gräfin A--x; da sie uns jedoch bereits zu weit vorgekommen ist, kann ich nicht sagen, ob Cölestine selbst sich darin befinde. Indeß wäre dies ihre erste Fahrt im Prater.... die ganz unvermuthet geschehen sein würde -- denn so viel ich weiß, ist die Zeit, wo sie sich zum ersten Male mit ihrem Gemahle zeigen sollte -- noch nicht erschienen.“ „Ah!“ versetzte Marsan nachdenklich: „jener Herr neben ihr war also ihr -- Gemahl....“ „Wenn sie es ist -- ganz zuverläßlich.“ „Brünett, ernst, männlich, fast etwas stark...“ „Ganz recht, ganz recht! -- Es ist Alexander!“ Marsan erstaunte einen Augenblick lang; er sah einige Mal angelegentlich der Equipage nach, die bereits sehr weit vor ihnen dahin rollte, abwechselnd von einer Staubwolke eingehüllt. „Also -- erst seit kurzem vermählt?“ richtete derselbe halbleise die Frage an Edmund... „Seit einigen Wochen!“ versetzte dieser: „Allein wie es scheint, so nehmen Sie ungewöhnlich Antheil an dieser Begebenheit, mein Freund. Ist Ihnen vielleicht Graf A--x näher bekannt?...“ „O nicht doch,“ erwiederte Marsan lächelnd: „ich habe nie etwas von diesem Herrn gehört...“ Der Ton in dem letztern Worte war fast schneidend und der Chevalier, der dies erst jetzt zu merken schien, setzte schnell, gleichsam als wollte er sich korrigiren, mit einer freundlichen Ungezwungenheit hinzu: „Ich wollte nämlich sagen, daß mir die +Person+ des Grafen gänzlich unbekannt sei -- denn sein Name ist es keineswegs; dieser Name, der einer der glänzendsten des Kaiserstaates ist -- --“ „Nun gut;“ fiel Edmund ein -- „aber dann sagen Sie mir, was diese Theilnahme sonst zu bedeuten hat...“ „Ei, mein Freund,“ bemerkte Marsan mit jener Liebenswürdigkeit in Ton und Blick, der man nicht leicht zu widerstehen vermochte: „die Sache ist, daß eine Dame meiner Bekanntschaft auf dem Gute meiner Mutter in der Provence jener Dame im Wagen, die Sie Ihre Schwester nennen, überraschend ähnlich sieht... das ist das Ganze...“ Hiermit ward das Gespräch auf einen andern Gegenstand geleitet und die Cavalcade trabte einem Seitenwege zu. Marsan war der Leiter, jedoch hatte er diesen Seitenweg gleichsam nur so zufällig eingeschlagen.... Auf diesem kürzeren Wege nun konnte man nach dem Jägerhause, welches der Schlußpunkt einer gewöhnlichen Praterpromenade ist, -- schneller als auf jedem andern gelangen, und kam daher den Wagen und Reitern, welche die Hauptstraße einschlugen, vor. -- Hieran dachte jedoch Niemand, auch wußte Marsan die Unterhaltung so zu lenken, daß durch sie die Gesellschaft hinlänglich beschäftigt ward. So allein war es möglich, daß man die Equipage Cölestinens, worin in der That sie mit ihrem Gemahle saß, zum zweiten Male begegnete -- ohne daß Jemand etwas davon merkte. Nur der Chevalier machte hiervon eine Ausnahme.... er warf in einem Augenblick, wo alle Andern tausend Schritte weit davon wegsahen, einen raschen und kurzen Blick in den Wagen; dieser Blick jedoch war hinreichend, um in Marsans Geiste eine Fülle entzückender Bilder -- in seinem Herzen eine Fülle heißer Wünsche zu erregen.... Alles dieses schien jedoch äußerlich nur dazu zu dienen, um aus seinem Munde ein kaltes, gleichgiltiges Gelächter, wie man ein solches hundert Mal des Tages aufschlägt, zu locken, womit er sich dann an seine Umgebung wandte, indem er dabei nach zwei Jungen wies, die in einiger Entfernung davon sich balgten. Man kehrte noch vor dem Jägerhause um und begab sich auf den Rückweg. Der Chevalier war nicht heiterer und auch nicht trauriger wie zuvor. Es schien nichts vorgefallen zu sein. Er sprach über Dieses und Jenes, kam aus dem Hundertsten ins Tausendste, wie es der Charakter einer Conversation unter jungen Männern dieses Standes mit sich bringt. Am Eingange des Praters trennte sich die Gesellschaft und zerstreute sich nach verschiedenen Gegenden. Der Chevalier und Edmund indeß blieben beisammen, da der Erstere ihn eingeladen hatte, seine Wohnung kennen zu lernen und mit ihm zu Mittag zu speisen. „Wir haben uns ja so lange Zeit nicht gesehen -- und so müssen wir uns endlich recht fest und ordentlich ansehen. Ach, mein Freund, wie freue ich mich, so wider Vermuthen mit Ihnen zusammengetroffen zu sein!“ bemerkte Marsan. „So wußten Sie also nicht, daß ich in Wien sei?“ „Gewiß nicht; ich vermuthete Sie tausend Meilen weit von hier. Sie stießen mir ja in keiner der ersten Gesellschaften auf...“ „Mein Freund -- der Grund hievon ist die Heirath meiner Schwester. So lange sie nicht in die Gesellschaft zurückkehrte -- hielt ich es für passend, ihr darin zu folgen.“ „Sehr richtig; dies beweis’t einen feinen Takt, lieber Edmund. -- Uebrigens -- wird vielleicht die Abgeschiedenheit der Gräfin A--x, Ihrer Schwester, nicht mehr lange dauern...“ „Ich vermuthe es selbst, nachdem ich weiß, daß sie sich heute im Prater gezeigt hat. -- Ach, die theure Cölestine! Wie gerne hätte ich sie gesehen!“ Dieses Gespräch über Cölestine schien den Chevalier sehr anzuziehen und er suchte den Andern so lange als möglich dabei festzuhalten. Sie gelangten so in die Wohnung Marsan’s, welcher eine Etage auf dem +Graben+ gemiethet hatte und sich hier mit fürstlichem Glanze umgab. Eine reichgallonirte Dienerschaft empfing sie in der Einfahrt des Hauses und nachdem die Freunde vom Pferde gestiegen waren, schritten sie hinauf in eine der prachtvollsten Belletagen, welche Edmund jemals gesehen. Neuntes Kapitel. Die Thorheiten der Welt und die Leidenschaften des Herzens. Edmund war in der That über die neuesten Verhältnisse im Hause seiner Schwester nicht unterrichtet. Heute Morgen hatte Cölestine mit ihrem Manne zum ersten Male sich in mehreren Häusern gezeigt. Dies Geschäft war nicht länger aufzuschieben. Das arme Ehepaar konnte den tausendfachen Machinationen, womit man in der vornehmen Welt ein Haus einzusprengen versteht, nicht ferner widerstehen. Sie seufzten, sie zürnten -- aber sie mußten endlich nachgeben. Nirgends ist man ein größerer Sklave als in den Cirkeln, welche sich die guten nennen. Nicht in dem +äußern+ Zwange, dem man sich unterwerfen muß, liegt das Wesen der Sklaverei; nein -- sondern daß man hier unsere Seele, unser Herz, unsere heiligsten Empfindungen zu knechten versteht, das ist es, welches einen Salon mit dem untern Schiffsraum afrikanischer Küstenfahrer in eine Parallele stellt. Und bei Gott, sie fällt zum Vortheil der letzteren aus. Was liegt mir daran, ob man jenes Theil an mir, welches jeden Augenblick durch einen herabfallenden Dachstein -- durch einen Trunk kalten Wassers, durch einen verfehlten Tritt vernichtet werden kann, mißhandelt, mordet. Hab’ ich es doch nie besessen, da ich es keine Stunde +sicher+ besaß. Aber jenes göttliche Theil in mir, welches unvergänglich und unvernichtbar ist.... jenes Theil, über das selbst Tod und Natur nichts vermag, zu knechten, zu quälen, zu peinigen, es an seiner erhabenen Entwicklung und in seinem geheiligten Streben zu hemmen -- -- diese Wunde schmerzt gewaltiger, ja, sie allein kann schmerzen -- und nie werden wir sie ganz verschmerzen. Von dieser trüben Betrachtung war auch unser junges Ehepaar durchdrungen.... es war dies der Tropfen Wermuth, der sich stets in ihren vollen Freudenkelch mischte... Ach, +ein+ Tropfen ist hinreichend, das ganze Leben zu vergiften! Doch wer zum Schmerz geboren ist, entgeht demselben nicht; und unsere vornehmen Stände wissen in der That mehr von diesem Kapitel zu erzählen, als jene glücklichen, beschränkten armen Leute, deren Schicksal wir thörichter Weise beklagen. -- Ach, geht doch hin in einen Salon und hebt diese glänzenden Decken, diesen goldnen Zierrath weg, welche Euch so sehr die Augen blenden: wie viel Elend und Jammer werdet ihr unter denselben finden. Ich weiß, daß ich hier eine alte Geschichte erzähle -- -- ich habe sie jedoch selbst erlebt und besitze das Recht, sie zu wiederholen. Und so mußten sich denn Cölestine und Alexander aus ihrer wärmsten, seligsten Umarmung reißen -- mußten die süße Einsamkeit, diese Zeugin ihres jugendlichen Liebesglückes, verlassen, um den Ansprüchen einer erbarmungslosen Welt Genüge zu thun. Dahin waren jetzt die holden Stunden, welche Morgens beim Erwachen anfingen, um erst tief um Mitternacht zu enden! So ungetrübt und schrankenlos beglückend sollten sie nie mehr wiederkehren. Dahin waren die Tage voll Sonnenschein -- und die Nächte voll Sternenpracht! -- dahin die stillen Gemächer, verhüllt mit dichten Vorhängen und mit eifersüchtigen Schlössern verriegelt!... dahin der Garten mit den treuen Boskets und der unzugänglichen Grotte!.. Alles, Alles, +ihre+ ganze Welt dahin, verschwunden, versunken wie ein fabelhaftes Land!... Von nun an gab es für sie nur eine laute, lebende, wilde, kalte, unverschämt zudringliche Welt: Salons mit offenen Thüren -- Boudoirs mit durchsichtigen Gazevorhängen -- Equipagen -- Praterfahrten -- Theaterabende -- Bälle -- Zorn -- Aerger -- Verläumdungen -- Mißmuth -- Verzweiflung oder -- Verderbniß. -- Dies Alles sah ihre ahnende Seele voraus und darum schien ihr der Abschied aus der Einsamkeit ein Abschied vom Leben: „Wie glücklich waren wir, mein Alexander!“ sagte das liebende Weib zärtlich, als er ihr mit schwerem Herzen verkündigte, daß Jenes geschehen müsse, was er selbst am schwersten fürchte. „O!“ rief er aus, seiner erlogenen Fassung nicht Meister bleiben könnend: „wir werden nimmer so selig sein! Cölestine, das Glück, was wir besaßen -- kehrt nicht mehr so hold zurück! Dies ist ein Gedanke, der ein Menschenherz zerreißen könnte....“ „Lass’ uns nicht verzagen!“ entgegnete sie sanft und legte ihren weichen Arm um seinen Nacken: „Warum sollen unsere süßen Stunden nicht ganz so wiederkehren? -- Wir sind nicht für immerdar von einander geschieden. Trennt uns auch der Tag; der Abend, die Nacht führt uns ja wieder zusammen.... und dann unsere Seelen wissen nichts von jenem Zwang, sie werden stets beisammen sein!“ So beruhigte sie ihn mit Worten, welche aus treuem, liebendem Herzen kamen -- und er, er glaubte ihr so gerne. Wenn man liebt, wenn man anbetet -- dann +glaubt+ man auch. Und es sind gerade die skeptischen, die mißtrauischen Naturen -- welche im Augenblick der Leidenschaft und Liebe sich zur innigsten Ueberzeugung hinreißen lassen.... Ist aber dieser Augenblick vorbei.... wird Liebe oder Leidenschaft auch nur durch den leisesten Windhauch verletzt: dann erwacht der Zweifel in diesen Herzen, und mit riesiger Gewalt reißt er sie zum Wahnsinn hin. Doch Alexander vertraute der Geliebten; er sah ja, daß sie nur in ihm und für ihn lebte... Nein, nein, er hatte noch nicht die geringste Störung empfunden an dem süßen Frieden seiner Seele. -- -- Ach, er liebte unaussprechlich! Wie gesagt, sie hatten bereits in mehreren Häusern Besuche gemacht. Ueberall waren sie mit einer Freude empfangen worden, der es an Worten nicht fehlte. Man sagte ihnen tausend schmeichelhafte Dinge -- und Alexander war entzückt über die Komplimente, welche man seiner Gemahlin zu ihrem heitern, rosigen, reizenden Aussehen machte. Imgleichen vergaß man bei diesen Lobsprüchen auch seine Person nicht -- nun glühten wieder die Augen Cölestinens im Feuer der Freude -- ihre Wangen färbte holde Zufriedenheit, und sie sagte sich im Stillen: „Das Alles ist mein Verdienst! Denn ich habe ihn so gemacht, wie er jetzt ist.“ Außerordentliches Aufsehen machte die naive Antwort, welche sie einer Dame auf die Frage gab: „An welchen Tagen in der Woche werden Sie Ihre Salons der Gesellschaft öffnen, meine Beste?“ „Meine Beste,“ hatte Cölestine geantwortet: „ich weiß es noch nicht.“ In weniger als vierundzwanzig Stunden war diese Aeußerung der jungen Frau in allen Häusern herumgekommen und überall rief man aus: „Ach, welche affektirte Einfalt! Man könnte es sogar einfältig nennen.“ Und dies war es auch. Einfältig war es gesprochen -- aber mit jener heiligen Einfalt, in der Gott unsere Herzen geschaffen hat. -- Dieses liebevolle und glückliche Weib hatte wirklich noch nicht an Pflichten gedacht, die der Welt so +überaus wichtig scheinen+, dem Herzen aber so wenig, daß es sie vergißt. In fünf bis sechs Tagen hatte das Ehepaar die Tour beendigt; die Equipage des Grafen A--x hatte so ziemlich in allen großen Straßen der Hauptstadt angehalten. -- Aber damit war nur noch die Hälfte der Arbeit geschehen; denn jetzt sollten die Besuche erwiedert werden, jetzt fuhren die fremden Equipagen colonnenweise vor dem Palais des Grafen auf. Und nun wurden die Augen mit jener unverschämten Neugier, die bis in den letzten Winkel dringt, in diesen Sälen umhergeworfen -- -- da gab es denn wieder Stoff zu Abhandlungen in bekannter Weise. Als man an dem Geschmack Cölestinens und ihres Gemahls nichts auszusetzen fand, kritisirte man die Pracht, und fragte sich mit allerliebster Albernheit: „Ist das wirklich Alles persisch, indisch und antik -- was man uns da als solches gezeigt hat? Nicht, daß wir den ernsten Grafen A--x für fähig hielten, uns damit einen kleinen Schelmenstreich zu spielen.... sondern es ist möglich, daß man +ihm+ einen solchen gespielt hat. O, man versteht es jetzt vortrefflich, etrurische Vasen, pompejanische Candelabers und indische Draperien zu erzeugen, d. h. in Europa. O, man hat Beispiele! --“ Glaube man ja nicht, daß das +Verläumden+ aus unseren neueren Salons ausgewiesen sei und von +schlechtem Geschmack+ zeige -- wie Herr +Eugen Sue+ uns versichern will. Es ist möglich und ich selbst kann mich dessen erinnern, daß man diesen Satz überall öffentlich +ausspricht+ -- -- aber man thut es nur, um ihn insgeheim +um so weniger zu befolgen+. -- Wir sind in dieser Hinsicht, wie in noch so mancher andern, beim Alten geblieben. Unsere Freunde: der Graf und die Gräfin von Wollheim, Herr und Frau von Porgenau, Fräulein von Bomben, die Stiftsdame -- erschienen unter den ersten Gästen. Der Graf von Wollheim hatte vorzüglich deßhalb seinen Besuch so beeilt, weil er seit längerer Zeit seinen Busenfreund Edmund nicht mehr zu Gesichte bekommen, ihn in dessen Wohnung vergeblich gesucht und ganz sicher bei Cölestine zu finden gehofft hatte. -- Leider sah er sich in seinen Erwartungen getäuscht und dies tobte fürchterlich in seinem Innern. Sein +Durst+ war nicht allein daran schuld, obgleich, nach seiner eigenen Behauptung, er diesen Durst nur in Compagnie mit seinem jungen Freunde und Schüler gehörig zu löschen verstand; in der That zog ihn wirklich das Herz -- zu dem Letzteren hin, den er nun schon seit so lange nicht fand. Im höchsten Grade wüthend, zog er sich in ausfallender Weise von der Gesellschaft zurück, ließ seine Frau sitzen -- und begab sich allein aus dem Hause fort in ein Nebengebäude, wo, wie er wußte, die Jäger und Forstbedienten des Grafen haus’ten. Er setzte sich mitten unter sie -- ließ Wein holen und fraternisirte mit ihnen, so, als befände er sich unter Brüdern. Natürlich, daß er nicht unterließ, sich zu betrinken, -- in diesem Zustande nun ergriff er eine Flinte, hing Pulverhorn und Schrotbeutel um seine Schulter -- trat in’s Wirthschaftsgebäude und schoß hier Sperlinge, Schwalben, Tauben, Hühner und Fasanen zusammen.... Man mußte dem Jagdingrimm unseres Nimrod mit Gewalt Einhalt thun. Während dieser Zeit producirten die übrigen Originale ihre Künste eben im Salon der Gräfin Cölestine. Frau von Porgenau lachte sich die Kolik in den Leib über den fulminanten Humor ihres Gemahls, des sehr ehrenwerthen Herrn von Porgenau. Gräfin Wollheim erzählte einige rührende Strickstrumpfgeschichten und brachte alle Augenblicke den Frauen-Hülfsverein zur Sprache, über den das Stiftsfräulein toller als je loszog: „Nicht nur meine Erfindung: die Composition aus Pech, Theer und Teufelsd--, nicht nur meine Fußangeln und Daumenschrauben, haben sie zurückgewiesen --“ sagte sie; „stellen Sie sich vor -- -- mich, mich selbst, das Stiftsfräulein von Bomben, mich selbst und meine Person wollten sie für die Zukunft zurückweisen, mich aus der Liste der Vereinsmitglieder streichen, mir Sitz und Stimme nehmen... Ist das erhört? -- -- Nein, bei Nero! so wurde noch Niemand für seine philanthropischen Bestrebungen belohnt!.. So in den Koth getreten wurde Tugend, Menschenfreundlichkeit und Erfindungsgeist noch nie -- seit die Welt steht, seit es Fußangeln und warme Unterröcke gibt.... Aber,“ fuhr die Biederfrau, glühend vor edler Entrüstung auf: „aber dies sollen sie mir auch büßen, jene liebenswürdigen Damen vom Comité! Sie sollen es büßen! -- So wahr Dionysos sein +Ohr+ gebaut -- so wahr Heliogabalus seine +Stühle+[C] erfunden hat! Ich, ich sage das; ich schwöre es und bin +Mann+ genug, meinen Schwur zu halten.“ Man ließ diese verfolgte Tugend ausreden, sodann aber schnitt man ihr das Gespräch für die ganze übrige Zeit dadurch ab, daß man Musik machte und Gesänge vortrug. Mit einem Male öffnete der Bediente die Thür und meldete die Namen +Edmunds+ und des +Chevalier de Marsan+. -- Bei der Nennung des Letztern entstand plötzlich eine athemlose Stille und alle Blicke richteten sich nach der Thür, durch welche jetzt die beiden jungen Männer eintraten. Jenes Gemurmel blieb nicht aus, welches bei solchen Gelegenheiten sich zu verbreiten pflegt -- und welches für die angekommene Person, falls sie nicht Routine genug hat, eben so angenehm ist, wie das Gesumme eines heranziehenden Bienenschwarms für einen armen Teufel ohne Maske... Edmund stellte Cölestinen seinen Freund vor und dieser wurde von ihr mit jener liebenswürdigen Freundlichkeit aufgenommen, an welcher sie alle Welt theilnehmen ließ. Der Chevalier verweilte nicht lange in ihrer Nähe -- er ließ sich sofort auch mit dem Grafen bekannt machen. Hier fand er die Behandlung, wie sie unter Männern von gutem Ton üblich ist; und es schien, als trachtete er auch nicht nach mehr; denn auch ihn verließ er alsbald, um sich mit Edmund nach einem Winkel zurückzuziehen, wo einige Herren sich mit politischen Discussionen unterhielten. Marsan stellte sich inmitten dieser Gruppen -- er achtete auf nichts weiter -- ihn schien nichts mehr in diesem Salon zu interessiren. -- „Nun -- haben Sie ihn gesehen? Was sagen Sie von ihm?“ begannen zwei Damen auf einer Ottomane mit Lorgnetts in der Hand, welche sie immer dahin richteten, wohin sie nicht sahen.... Sie kennen doch die Taktik der Lorgnetten, meine Leserinnen? Man schielt darunter oder daneben weg -- und Niemand weiß, wohin Sie blicken. -- „Ach, theure Freundin,“ antwortete die Andere: „Was ich von ihm sage? -- Er ist einer der schönsten Männer, die mir im Leben vorgekommen.“ „Mich dünkt, er hält sich nicht ganz gerade.... Ich glaube, sein Wuchs würde die strengere Kritik nicht befriedigen...“ „Im Gegentheil! Eben sein Wuchs ist unvergleichlich!“ „Und auch sein Mienenspiel! Es ist zu lebhaft!“ „Es ist südlicher Natur -- meine Freundin!“ „Allerdings.... aber wir hier im Norden!--“ „Uebrigens hat Herr von Marsan, wie man mir sagte, allerorts die günstigsten Urtheile hervorgerufen...“ „Allerorts? Ist Wien auch gemeint?“ „Gewiß.“ „So bedaure ich, daß ich eine Ausnahme mache; allein ich halte den Chevalier nicht im Geringsten für verführerisch -- hahaha!“ „Man spricht indeß von seinen Siegen, die er über die stolzesten Herzen davon getragen --“ Hierauf hatte die Andere nur ein mitleidiges Lächeln.... Da ward dieses Gespräch durch den Herzutritt einer dritten Dame unterbrochen, welche sich mit der Lobrednerin des Chevaliers in ein Gespräch einließ. Sogleich fing die zweite, welche früher so viel Tadel über ihn ausgegossen, an mit ihrer Lorgnette zu manövriren, wie oben angegeben... Die Gute richtete das Glas beständig nach dem Klavier, welches in der Mitte des Salons stand -- ihre Augen indeß schweiften beständig um die Gruppe, welche seitwärts war und in welcher Gruppe sich Marsan befand. Edmund verließ seinen Freund nicht. Augenscheinlich jedoch schien er von diesem zurückgehalten, -- selbst Cölestinen, der geliebten Schwester, hatte er sich noch nicht zum zweiten Male genähert. Sie war indeß von anderen Personen so zahlreich occupirt, daß sie den Bruder kaum entbehrte. Nur nach Alexander warf sie von Zeit zu Zeit Blicke, deren zärtlicher Ausdruck immer ungestümer zu sagen schien: „Ach, wäre nur dieser Tag schon zu Ende!“ Er war darüber glücklich wie ein König; und dieses Glück im Herzen, wie sollte er seiner Umgebung nicht liebenswürdig erschienen sein. In der That hieß es allenthalben: „Aber haben Sie den Grafen A--x je so gesehen, wie heute? Er ist ein ganz Anderer geworden.“ „Die Ehe scheint ihm sehr wohl zu bekommen.“ „Ein düsterer Timon hat sich da zu einem Ausbund von Artigkeit und Galanterie verwandelt. Haben Sie je früher bemerkt, daß er sich mit einer fremden Person länger als zwei Minuten unterhalten hätte? und heute amüsirt er eine Gesellschaft von zehn bis zwölf Personen so unvergleichlich -- daß sie seine Nähe nicht verlassen, die nichts als Frohsinn und Heiterkeit zu verbreiten scheint...“ „O -- meine Herren,“ sagte ein dritter; es war dies ein Jüngling, der für sehr unternehmend galt und ungeheuer viel Erfahrungen gesammelt haben sollte: „man muß in dieser Zeit +heirathen+... damit ist +Alles+ gesagt, d. h. +Alles gethan+. Sie glauben, gewisse Menschen mache die Liebe glücklich, die sie in der Ehe finden -- es zeigt sich jedoch, daß sie blos das +Geld+ glücklich gemacht hat... Bei Andern ist es umgekehrt. Was endlich die dritten betrifft, so wissen sie selbst nicht, weßhalb sie nach ihrer Verheirathung glücklicher sind -- als vor derselben.... Es gibt Leute, denen man allerhand in den Kopf setzen kann.... haha!“ Der Jüngling lachte äußerst selbstgenügsam. „Es scheint jedoch nicht -- daß Graf A--x unter Ihre dritte Classe gehört, mein Lieber!“ versetzte einer der Vorigen: „Dieser Graf scheint recht gut zu wissen, +was er besitzt+.“ „Ich hatte auch nicht die entfernteste Absicht, hier +ihn+ zu meinen; dies schwöre ich.“ Das waren Worte eines Thoren, die jedoch im Leben sehr oft in Erfüllung zu gehen pflegen; denn das Leben ist ein großer Freund jener Ironie, die uns oft Thränen, nicht selten das Leben selbst kostet. -- Trotzdem, daß die Gesellschaft schon wider Vermuthen zahlreich geworden war, vermehrte sich dieselbe noch mehr durch immer neu hinzukommende Individuen, worunter mehrere zum ersten Male der Gräfin vorgestellt wurden. -- Das ist bei Eröffnung eines Hauses nicht ganz in der Ordnung, indeß, was läßt sich dagegen thun? -- Da stiegen denn Physiognomien im Salon umher, wie sie Cölestine gewiß nicht freiwillig um sich versammelt hätte, -- Physiognomien, die für den Griffel eines Granville oder Phiz von unbezahlbarem Werthe gewesen wären... Unter diese Physiognomien und Subjekte hatte sich auch Eines hereingeschlichen, welches, gleich nachdem es eingetreten war, sich rasch hinter einer Versammlung verlor -- an der Wand hinhuschte, immer das dichteste Gedränge, ja selbst Möbeln wählend, um sich dahinter zu verstecken... Dieser Mensch trug einen dichten und dunklen Backenbart, der ihm das halbe Gesicht bedeckte -- und der, wiewohl das schwer zu erkennen war, ein falscher schien; ferner hatte er Brillen vor den Augen und eine dunkle Tour auf dem Kopfe; auch sein Anzug war nicht sein gewöhnlicher; kurz dieser Mensch schien um eines besondern Zweckes willen sich maskirt und in diese Gesellschaft eingeschlichen zu haben. Wie er so hinstrich, lauerte und hastig umher blickte, hätte man ihn für den bösen Geist nehmen können, der unsichtbar die Gesellschaft umschwebte. Allem Anscheine nach war es ein noch junger Mensch. Jetzt hatte sein Falkenblick die Person Cölestinens erspähet und hing an ihr fest wie an einer langgesuchten Beute... von diesem Augenblick verließ er sie nicht; er beobachtete jedes Zucken ihrer Augenbrauen, jedes Mienenspiel ihres Gesichtes. -- Immer durchdringender ward sein Blick -- immer finsterer und wilder. -- Endlich schien eine Art schadenfrohen Lächelns um seinen Mund zu spielen, er murmelte vor sich hin: „So ist es schon recht. Sie sitzt allein, umgeben von fremden Menschen, die sie jedoch alle weit mehr zu interessiren scheinen, als ihr eigner Gatte. -- Der Thor! Warum ging er in die Schlinge! -- Hätte er nicht wissen können, -- daß sie seine, wie jede andere Liebe mit -- Verrath vergelten wird?“ Und seine Augen, die vorhin starr nach ihr allein geblickt hatten, bewegten sich nun, rasch wie der Blitz, im ganzen Saale umher... Er lachte bitter -- drückte sich fester hinter einen Fenstervorhang, der ihn den Blicken völlig entzog und sah von hier aus mit teuflischem Grinsen dem Treiben der Gesellschaft zu, jedoch nicht ohne von Zeit zu Zeit Cölestine wieder ins Auge zu fassen, die für ihn stets der Mittelpunkt, ja, der einzige Punkt in dieser kleinen Welt zu sein schien.... Doch sie sollte es nicht lange bleiben. Mitten in seinem dumpfen Hinstarren zuckte er jetzt plötzlich, als wäre ein Pfeil vor ihm niedergefahren, zusammen: -- -- sein Blick hatte den +Chevalier von Marsan+ erspähet. Dies hatte nun an sich freilich nicht viel Bedeutendes; die einfache Person des Chevaliers konnte unsern Geheimnißvollen nicht mehr wie jede andere von den tausend Millionen Personen, welche diesen unsern Globus bevölkern, interessiren. Die Person also war es nicht, und zudem kannte er den Chevalier nicht einmal.... Es war gleichfalls ein Blick gewesen, der ihn so entsetzlich niederschmetterte; es war ein Blick voll heißen Feuers, welchen der Chevalier, der sich unbeobachtet wähnte, nach Cölestine geworfen. -- Sie jedoch hatte nichts davon bemerkt; sie hatte keine Ahnung von dem, was außer dem engen Kreis, der sie in diesem Augenblick umschloß und wozu auch ihr Gemahl gehörte -- im Salon vorging... sie war unschuldig an den Anschlägen, welche von zweifacher Seite gegen sie geschmiedet wurden. Der Vermummte schien in diesem Augenblick mit sich heftig zu kämpfen, welchem von den Zweien er seine Aufmerksamkeit schärfer, beharrlicher, durchdringender, wuthvoller zuwenden sollte: Cölestinen oder dem Chevalier. Er glich einer Schlange, die zwei Opfer vor sich sieht -- beide verschlingen möchte und daher mit keinem den Anfang machen will, weil sie fürchtet, das andere möchte ihr inzwischen entgehen. Ein Fieber hatte ihn ergriffen und schüttelte an seinen Gebeinen, daß diese an die Fensterwand anschlugen, wie hölzerne Klöppel... er konnte sich kaum mehr halten und drohte vor Zorn und Ohnmacht jeden Augenblick niederzusinken... „O wäre es möglich,“ bebte es von seinen bleichen Lippen: „Wäre es kein bloßes Kindermährchen: ich würde in diesem Augenblick jenem Satan und seiner höllischen Macht gerne meine halbe Seligkeit verschreiben -- -- könnte ich damit nur den Elenden dort von der Erde wegblasen, oder tausend Meilen weg von hier versetzen....“ Er hatte Marsan gemeint, Marsan, der jetzt in einer Ecke saß, den Rücken gegen die Gräfin gekehrt, die er jedoch in einem Spiegel vor sich erblickte, ganz so wie ein Bild in einem Rahmen, -- und von welcher er kein Auge verwandte -- in deren Zügen, in deren Geberden, in deren Bewegungen und Worten (denn auch diese schien er aus der Bewegung ihrer Lippen zu errathen) er las -- wie in einem Buche, mit dessen Inhalt er sich gänzlich vertraut machen wollte. Die Gesellschaft fing endlich an sich zu zerstreuen. Alles ging nach Hause; auch Herr von Marsan verließ an Edmund’s Arme den Salon. Der Vermummte war nicht der Letzte; mit wildem Widerstreben, aber gezwungen von unerbittlicher Nothwendigkeit, hatte er, wie er gekommen war, sich fortgeschlichen. Während alle Uebrigen nach der Stadt ihren Weg nahmen, verfolgte er einen Pfad nach dem Augarten. Hier langte er noch vor der Thorsperre an -- verlief sich in entfernte, waldige Partieen -- warf sich im Dunkel der Gebüsche auf die Erde nieder und -- verbrachte hier die Nacht. Er hatte sie im heftigsten Fieber -- im Wahnsinn von hundert Leidenschaften: in Liebe, Eifersucht, Verzweiflung, Wuth und Rachsucht hingebracht. -- * * * * * „O mein Alexander!“ rief Cölestine, als sie sich in ihrem Hause mit dem geliebten Manne wieder allein fand: „So ist endlich Alles vorbei -- alles Schale und Traurige vorüber -- und nur die Freude ist geblieben. Wir haben uns jetzt wieder -- wir können wieder glücklich sein, und was wir so lange entbehren mußten, ersetzt das gütige Schicksal in diesen Augenblicken uns in doppelter Fülle.... So komm denn, theurer Gatte, Mann meiner Wahl, komm an mein Herz -- und lass’ mich wieder die Schläge des Deinigen hören.... Lass’ uns eilen, lass’ zur geheimsten und einsamsten Stätte unserer Liebe uns flüchten -- und nicht eher werde sie verlassen, als bis uns eine tyrannische Gewalt von ihr wegreißt. --“ Sie bot ihm ihre Lippen dar und er hing sich daran, saugte an ihnen, wie ein Insekt an dem Kelche einer Blume. -- Fürwahr, diese zwei Menschen genossen eines Liebesglücks, wie es nicht mehr begehrenswerther kann gefunden werden. -- -- Zehntes Kapitel. Ernste und heitere Zwischenszenen. Allein wir haben eine sehr ehrenhafte Person dieser Geschichte gänzlich aus den Augen verloren und beeilen uns daher, sie wieder aufzusuchen, um uns auch nach ihrem Schicksale zu erkundigen und dies um so mehr, als dasselbe in letzterer Zeit sehr traurig sich zu gestalten anfing. Was kann es auch Lustiges um eine +Erkältung+ oder gar um eine +polizeiliche Vorladung+ sein; und beide diese Schläge trafen doch, wie wir wissen, zu gleicher Zeit das Haupt Althings, unseres Bruders Althing, des großen Herzenstyrannen und Weiberbesiegers Althing! -- O wie seufzte er unter diesen Schlägen auf, der Arme. Fürwahr, so hat noch Niemand geseufzt! Man hörte ihn bis in’s dritte Nachbarhaus hinüber. Mit der Erkältung war es noch so ziemlich gegangen; einige Gläser Essenz, (ein Artikel, welchen Althing zu Hause in allen Sorten und zu allen möglichen Zwecken: Aufregungen und Dämpfungen besaß) hatten auf seinen dicken Leib die wohlthätigste Wirkung geäußert;... allein die Polizei, die Polizei! Diese war dem Armen viel gewaltiger in den Leib gefahren, als die Kälte. Die Sache war, daß unser Dicker mit ihr zum ersten Male in Berührung kam; und Jedermann weiß doch, wie ängstliche Menschen ein Uebel, welches sie noch nicht kennen, für weit furchtbarer halten, als es wirklich ist. Althing dachte schon, man würde ihm auf dem Polizeibureau die +eiserne Jungfrau+ zu küssen geben, und ein so großer Freund der Jungfrauen er im Ganzen auch war -- vor dieser hatte er doch sehr großen Respekt. -- Wie glücklich war er daher, als nach angestelltem Verhör ihm bedeutet wurde, er sei verurtheilt, 10 Gulden zu bezahlen und einen Verweis zu bekommen. „O tausend Verweise, wenn Sie wollen, meine Herren!“ hatte er in seiner entzückten Dummheit gerufen; und in der That, es war ihm ein Leichtes mit dem Verweis: er hörte ihn nicht. Ach, seine Phantasie flog schon wieder auf den Straßen der schönen Kaiserstadt und in den 2ten, 3ten, 4ten, 5ten und 6ten Etagen umher. Er war kaum aus dem Polizeihause getreten, als er sich schon auf’s Casino verfügte, um da eine körperliche Restauration mit sich vorzunehmen: er aß und trank jedoch so eilfertig, als beabsichtige er irgend eine Flucht. Wirklich stürzte er auch, noch mit dem letzten Bissen im Munde, hinaus -- -- um dem ersten Dämchen, das ihm begegnen würde, die Begleitung seiner holden Persönlichkeit anzubieten. War es Zufall oder Schicksalsfügung -- (wir haben es schon irgendwo bemerkt, daß dies zwei Benennungen für +eine+ Sache seien) er stieß -- und das beinahe mit der Nase -- zuerst auf jenes böse Wesen, um derentwillen er alle letzteren Schläge erlitten hatte; um derentwillen er bei Daum compromittirt, im tiefen Graben begossen und endlich von der Polizei aufgegriffen und verurtheilt worden.... dieses reizend-verhängnißvolle Wesen stand schon wieder vor ihm. Er besann sich einen Augenblick, denn er fühlte sich wirklich ein wenig consternirt. Aber unser Mann wurde bei solcher Gelegenheit zuletzt immer entschlossener, als ein Türke: „Ah! Bah!“ murmelte er unter seinem gefärbten Schnurbart: „das sind Possen, was mir da einfällt! Es gibt kein Fatum -- kein Omen! Es gibt in der Welt nur Gewißheiten, und nichts ist mir reellere Gewißheit, als ein hübsches Schürzchen. Darum -- ohneweiters dieser da nach, Freund Althing! -- und hat sie dich auch früher in die Patsche geführt -- vielleicht wird sie dir’s jetzt um so süßer vergelten. Die Weiber haben ein mitleidiges Herz... namentlich bei Männern von einem gewissen Aussehen!“ Noch ehe er diesen Satz beendigte, hatte er sie schon eingeholt: „Mein schönes Kind,“ fing er an und watschelte an ihre linke Seite: „erkennen Sie mich noch?“ Die Grisette antwortete nicht und setzte rasch ihren Weg fort. „Ei,“ begann er wieder: „Sie thun, als ob Sie mich in Ihrem Leben niemals gesehen hätten! Das ist ein wenig stark! Blicken Sie mich doch ein Bischen an -- vielleicht wird Ihnen (wenn nicht Ihr Herz, doch) Ihr Auge Etwas sagen.“ „Ich wüßte nicht,“ lachte das Mädchen, „was mir mein Auge sagen sollte!“ „Wie? Sie wissen es wirklich nicht? Nun, mein Täubchen -- versuchen Sie’s doch nur ’mal. Vielleicht werden Sie finden, daß ich für Sie keine fremde Person mehr bin, -- hm, hm!“ Dieses „Hm, hm“ hatte Althing ertönen lassen, weil er so eben wieder mit seinen Sporren hängen geblieben war und seine Beinkleider tüchtig ausgerissen hatte. Jedoch es war jetzt nicht die Zeit, an Kleiderrisse -- es war vielmehr die Zeit, an Herzensrisse zu denken und er fuhr fort: „Sie dürften am Ende doch noch finden, mein Schätzchen -- daß ich derselbe Herr bin, welchem Sie da neulich bei Daum’s Kaffeehause ein Rendezvous gegeben -- -- ein Rendezvous, was mir, bei Gott, theuer genug zu stehen gekommen; Sie dürften ferner finden, daß ich auch derselbe Herr bin, der Ihnen auf dem tiefen Graben nachgegangen -- dem Sie die Hausthüre vor der Nase zugeschlagen -- -- und zuletzt noch als +höchstes+ Liebeszeichen vom 6ten Stockwerk den Inhalt eines Gefäßes auf den Kopf gegossen haben -- das Alles dürften Sie finden. Und doch, meine Theuerste, ist das Alles -- bei weiten nicht das ganze Alles. Da kann ich Ihnen noch mit einigen andern Aufopferungsgeschichten aufwarten: so zum Beispiel, daß ich mir aus Liebe zu Ihnen eine Erkältung zuzog, aus welcher ein heftiges Nervenfieber entstand -- ferner, daß ich von der Polizei in Beschlag genommen und wie ein blutiger Verbrecher behandelt wurde, -- das Alles und noch unzähliges Andere habe ich für Sie erduldet, getragen, gelitten, mein reizendes Kind.... und mit gutem Gewissen kann ich hinzusetzen, gelitten wie ein Mann, wie ein Held! Und jetzt frage ich Sie: wollen Sie noch immer so thun, als kennten Sie mich nicht; als wäre ich für Sie nichts? -- Antworten Sie, Holdeste!“ „Nun wohl,“ versetzte das Mädchen, die seiner ganzen früheren Schmerzengeschichte unter anhaltendem Kichern und Gelächter zugehört hatte: „so will ich Ihnen denn sagen, mein Herr -- daß Sie der unausstehlichste und zudringlichste alte Mensch sind, der mir je vorgekommen!“ „Was?“ schrie Althing, wie gelähmt stehen bleibend und sie am Arme ergreifend: „Was unterstehen Sie sich da?“ „Lassen Sie mich los!“ schrie sie: „oder ich rufe um Hilfe! -- Ja, ja, ich will es Ihnen nochmals wiederholen: noch niemals habe ich einen überlästigeren Menschen gefunden, als Sie. Was haben Sie nöthig, mich beständig zu verfolgen?... Alles was Sie bei mir erreicht zu haben oder zu erreichen glauben, ist pure Einbildung. -- -- Erstens habe ich Ihnen niemals eine Bestellung gegeben....“ „Wie -- Sie haben mich nicht zu Daum bestellt?...“ „Ich weiß kein Wort davon.“ „Sie sagten ja, Sie würden dort um 2 Uhr Nachmittags vorüber gehn.“ „-- Ich sagte das, um Sie los zu werden, als Sie mir nicht auf andere Art vom Halse gehen wollten....“ „Ah, so also?“ „Ja, ganz so.“ „-- -- Indeß -- indeß gingen Sie gleichwohl bei Daum vorbei.“ „Aber nicht um 2 Uhr.“ „Was schadet das: um 2 oder 12 Uhr, das ist gleich. Ich war einmal dort und wollte Ihnen eben folgen --“ „Dies wäre Ihnen schlecht bekommen.“ „Weßhalb, mein Fräulein?“ „Weil der Obermarqueur, der mein Geliebter ist, Sie am Rockschoße hielt -- und --“ „Ach! Ach!“ fuhr Althing auf: „jetzt begreife ich den ganzen Zusammenhang. Jener unverschämte Bengel oder Marqueur war also Ihr -- -- Geliebter! Darum wollte der Kerl mich durchaus nicht fortlassen --“ „Bis Sie bezahlt hätten; das ist so Weltgebrauch....“ „Allein -- Mademoiselle, für diesen Weltgebrauch habe ich Ihrem holden Geliebten einen Fußtritt versetzt -- hahaha!“ „Und er gab Ihnen denselben zurück, hahaha!“ „Er empfing von mir annoch eine Ohrfeige...“ „Und er blieb Ihnen auch diese nicht schuldig, hahaha!“ „-- O -- aber, meine Theure, glauben Sie mir, es beweis’t einen sehr schlechten Geschmack, einen Marqueur zum Geliebten zu haben...“ „Der Geschmack ist verschieden. Was mich betrifft, so ist mir ein hübscher Marqueur viel lieber -- als ein häßlicher alter Geck.... Ich habe in dieser Hinsicht den Geschmack so mancher Fürstin und brauche mich seiner also nicht zu schämen...“ „Allein...“ „Allein, mein Herr, ich erlaube mir Ihnen zu bemerken, daß dies Gespräch mich bereits dermaßen langweilt -- daß ich, sofern Sie mich nicht augenblicklich verlassen, ernstlich auf Mittel denken werde, mich von Ihnen zu befreien.... Ah, dort sehe ich meinen Freund! Es ist +Franz+, der Polizeikorporal. -- -- Heda! Herr Franz! Herr Franz, hören Sie!“ „Um Gotteswillen!“ rief der Dicke erbleichend und einen Satz seitwärts machend, daß er von der Grisette weg bis mitten auf die Straße gerieth: „verschonen Sie mich mit Ihrem Freund! -- Von dieser Gattung Freunde habe ich schon genug erfahren!...“ Und ohne sich weiter lange zu bedenken, machte unser Liebesheld schnell noch einen Satz, welcher ihn bis zur andern Seite der Straße brachte -- ließ Liebe, Leidenschaft und Zärtlichkeit im Stich und schlug eilends einen Weg ein, der entgegengesetzt von demjenigen war, welcher die Grisette mit ihrem „Freunde“ zusammenführte. „Teufel!“ meinte Althing, als er endlich nach langem Rennen sich in der Gegend der Piaristen in Sicherheit fand --: „Teufel! dieses Mädchen hat aber auch ganz kuriose Freundschaften: Marqueurs, Polizeikorporale und ähnliche Staatsmänner.... da bleibe ich, aufrichtig gesagt, recht gern aus dem Spiele. -- Allein, was man auch sagen mag,“ fuhr er fort, „sie bleibt doch eine ganz allerliebste Hexe -- und wäre nur wenigstens der verdammte Polizeikorporal nicht -- ich glaube, sie würde mir noch immer den Kopf verdrehen können.... Allein, so wie die Sachen stehen, bin ich freilich vollkommen geheilt und preise mein Schicksal, das mir zum zweiten Male beistand gegen Anfechtungen der Polizei.... Jedoch in Zukunft will ich mich auch in Acht nehmen und nicht mehr so hineinstürmen in’s Leben und in die Liebe. -- Alle Donner! mein lieber Althing -- Du hast freilich auch ein viel zu hitziges Temperament! Das Jugendblut schäumt noch zu sehr in Deinen Adern! Du mußt Dich gewöhnen, kälter, hartherziger, stolzer zu werden.... Dann werden Deine Siege sich verdreifachen -- wiewohl, was ihre Zahl betrifft, Du mit ihnen auch jetzt nicht eben unzufrieden zu sein brauchst -- haha!“ Er fing an seine Schritte zu mäßigen; jetzt machte er die Bemerkung, daß die Menschen, bei denen er vorbeikam, Blicke nach ihm warfen: „Was hat das zu bedeuten?“ fragte er sich. -- „Nun, nun -- was wird es wohl zu bedeuten haben? Sie sehen Dich an, mein guter Althing, das ist Alles. -- Die Liebe hat so eben Deine Wangen geröthet, -- Dein Auge glänzt noch im höhern Feuer, alle Muskeln Deines Körpers zeigen eine gewisse Elastizität: es ist kein Zweifel, Du imponirst diesen Leuten -- sie bewundern Deine Gestalt -- Deinen Reiz.“ -- Er fuhr selbstgefällig fort: „Das, was man nicht von Natur hat, kann man sich nicht selber geben. Die Schönheit ist ein Geschenk Gottes.... Man kann sie nicht erwerben. -- Wie muß ich über so manchen armen Teufel lachen, der von dem Allerhöchsten in dieser Hinsicht weniger bedacht ward -- wie muß ich über seine Anstrengung lachen, sich schöner zu machen, als er ist... Ach, mein Guter, sag’ ich ihm dann: lass’ das! alle Mühe ist hier vergebens. Du wirst nie ein erträgliches Gesicht zu Stande bringen, -- alle Deine Salben, Pomaden und Schminken nützen Dir zu nichts. Bei uns hingegen thut es einfaches Brunnenwasser -- ein bischen Seifenschaum dazu! Wir sind in dieser Hinsicht wie unsere Göttin: die holde Venus. Ihre und unsere Reize steigen fertig aus Wasser und Schaum hervor. --“ „Aber zum Guckuk -- -- was sehen mich denn diese Menschen gar so sehr an, und einige lachen noch dazu?... Sollte meine Gestalt heute ungewöhnlich verführerisch sein?... Ach, sie werfen ihre Blicke nach meinen Beinen... haha! Ja, unsere Beine!... Alle Donner!“ fuhr er plötzlich auf, nachdem er seine stolzen Blicke hinabgerichtet hatte auf seine Füße: „Was ist da mit meinen Beinkleidern geschehen? -- Sie sind lauter Fetzen! -- -- O verfl-- Sporren! O Unglück! -- O entsetzliches Unglück!“ Und er lief so schnell er vermochte in den offenen Thorweg eines Hauses hinein -- einige Gassenjungen aber, die ihm beständig gefolgt waren, stellten sich draußen vor dem Thore auf und erhoben ein lautes Geschrei: „Wohnt kein Tandler hier! Wohnt kein Tandler[D] hier! Es will Einer eine alte Hose verkaufen! Eine Hose! Eine Hose!“ Althing schwitzte drinnen dicke Tropfen. Er fand sich schon wieder in einer fürchterlichen Klemme. Das Schicksal hörte nicht auf ihn zu verfolgen.... und womit hatte er es denn verdient? Da führte dasselbe plötzlich einen leeren Fiaker vorbei. Dies war eine große Gnade vom Schicksal. Althing rief den Fiaker an und dieser lenkte seinen Wagen dicht vor den Thorweg. So stieg denn unser Unglücksmann unter dem Jauchzen von dreißig Jungen ein, die ein Vivat um’s andere riefen, daß ihm dabei die Sinne vergingen. „Wohin befehlen Euer Gnaden?“ hatte der Kutscher schon mehrmals gefragt, ohne daß es von dem Dicken vernommen worden wäre. „In die nächste Straße,“ sagte er endlich: „vor das Palais des Generals von Randow -- mein Freund.“ „Wie -- Euer Gnaden wollen in diesem Aufzuge dem Herrn General eine Visite machen? --“ „Bewahre Gott, bewahre Gott!“ seufzte Althing: „ich will bloß zu seinem Sohne -- der mein Freund ist und zum Glück hier nahe bei dem Schauplatze meines Unglücks wohnt -- zu ihm will ich mich begeben. Er wird mich einstweilen mit andern Beinkleidern versorgen...“ „Ah -- das ist etwas Anderes, und Euer Gnaden thun daran sehr recht; denn in diesem da -- sehen Sie gerade so aus, wie der Herr +Knieriem+ im Lumpacivagabundus. - Hott, Brauner! hott! --“ Der Wagen hielt vor dem Palais. Wie aber hineingelangen? Das ganze Haus mußte den Unglücklichen und seine Beinkleider sehen. Es war eine neue Schlinge, die ihm das boshafte Schicksal legte.... Da fiel dem Fiaker plötzlich ein großer Gedanke ein (die Fiaker sind geborne Genies!): „Wissen’s was, Euer Gnaden?“ sagte der Bursche. „Nun?“ spitzte unser Adonis seine Ohren. „Ziehen’s da meinen Mantel an -- und kein Mensch im Hause wird Sie erkennen. In dieser Maskirung können’s dann bis zu Ihrem Freunde, dem jungen gnädigen Herrn kommen....“ Dieser Rath war Goldes werth. Althing dankte dem Fiaker mit einer Thräne im Auge, dieser aber zog seinen Mantel vom Bocke herab und warf ihm denselben um.... Alles dieses geschah in wenigen Augenblicken.... Althing sah in diesem Costüme einem Banditen nicht unähnlich, denn der Mantel war von hellgrüner Farbe und der spitzbübische Fiaker hatte ihm denselben so umgeworfen, daß er sich drappirte und auf Althing’s Schultern hing, wie ein Theatermantel... Aber da war keine Zeit zu verlieren.... Der Dicke schritt mit entschlossenem Wesen in das Palais bei dem Portier vorbei, welcher die Augen aufriß, wie über eine nächtliche Erscheinung. Der Fiaker aber, mit dem Hut in der Hand, schritt unserem Alten nach -- und lachte in’s Fäustchen. So gelangten sie quer durch den Hof nach dem linken Flügel des Gebäudes, wo Edmund wohnte. Althing ging die Treppe hinauf und fragte einen Diener, der ihm begegnete, ob dessen Herr zu Hause wäre.... „Was will man denn bei ihm?“ antwortete der Kerl mit mißtrauischem Blick. Da öffnete der Seladon seinen Mantel, und der Diener rief nun: „Ah, Sie sind es, gnädiger Herr? Aber in welchem Aufzuge! Ist denn heute Maskenball bei uns?“ „Dummkopf!“ fuhr Althing auf: „ob der Herr zu Hause ist, frage ich.“ „Nun ja -- gewiß; aber er wird in diesem Augenblicke nicht zu sprechen sein.“ „Und weßhalb? Wegen meines Anzuges da?“ „Nein, sondern weil ein fremder Herr bei ihm ist, mit welchem er eifriger Geschäfte halber sich in ein Zimmer eingeschlossen hat.“ „Ei -- was thut das? -- Er wird doch wohl nicht ewig mit diesem Herrn eingeschlossen bleiben.... und überdies brauche ich ihn am Ende gar nicht zu sprechen.“ Althing war während dieser Gespräche immer höher gestiegen; jetzt stand er vor den Zimmern seines Freundes. Er riß hastig die Thür des nächsten auf -- -- und durchzog mit stürmenden Schritten eine ganze Reihe. Die Diener, welche auf seinen Anblick nicht vorbereitet waren, flohen entsetzt nach allen Seiten, indem sie riefen: „Ein Räuber! Ein Bandit! Zu Hülfe! -- --“ Dieses Geschrei verbreitete sich im ganzen Quartiere -- es gelangte auch zu Edmund. Dieser, der nicht wußte, was es bedeutete, öffnete seine Thüre und wollte eben darnach fragen. -- -- Da stürzte ihm Althing im romantischen Costüme entgegen -- wenig fehlte, so hätte er auch den jungen Mann in die Flucht geschlagen: „Aber -- zum Teufel!“ rief dieser: „bist Du es denn, Althing?“ „Ich bin’s! ich bin’s, lieber Freund.“ „Aber was hat denn das Alles zu bedeuten? Kommst Du aus dem Tollhause oder vom Theater?“ „Keines von Beiden, bester Edmund...... Es war eine Laune von mir, weiter nichts....“ „Was -- eine Laune?“ „Oder vielmehr -- eine Nothwendigkeit! -- Und hier dieser Mann,“ -- er wies auf den Fiaker, welcher nicht von seiner Seite wich -- „hat Alles zu verantworten. --“ „Das heißt: die zerrissenen Hosen des gnädigen Herrn haben es zu verantworten....“ „Nun, ja auch das!... Denke Dir nur, lieber Edmund -- wie ich da unten an den Beinen aussehe -- hehe!“ Er warf den grünen Mantel ab und wies die hintern Theile seines Körpers und seiner Kleider... „Tausend Sapperment! -- Aus welchem Welttheile kommst Du denn? Was sind denn dies Alles für Kleider?“ Jetzt erst erzählte Althing den ganzen Zusammenhang der Geschichte und nun war Edmund nicht länger im Stande, den Ernst, welchen er aus dem Zimmer mitgebracht hatte, zu behaupten. Er lachte wie toll -- ließ seinen Kammerdiener kommen und befahl ihm, den dicken und entblös’ten Freund in die Garderobe zu führen. „In einer halben Stunde,“ setzte er gegen diesen gewendet hinzu, „sehen wir uns wieder; Du magst bis dahin Dich in mein Rauchzimmer verfügen -- dort wirst Du neue Cabannas finden oder wohlriechenden Persier, den Du aus Wasserpfeifen rauchen mußt...! Bis dahin Adieu!“ Der Fiaker erhielt seinen grünen Mantel und seinen Lohn und begab sich inmitten einiger Lakaien hinweg, denen er den ganzen Vorfall erzählen mußte und welche, wie es die Art dieser Schelme ist, über das Malheur ihrer Herren oder dessen Freundes ein größeres Vergnügen empfanden, wie über irgend ein fremdes. Althing hatte sich bald wieder angekleidet. Nur mit seinem Schnurbart war er noch brouillirt. Dieser hatte unter dem Mantel, womit der Dicke sich zeitweise bis zur Nase bedeckt hatte, die ganze Farbe verloren; und ein solcher Artikel war auf Edmunds Toilette nicht zu finden, weil der Jüngling von Natur mit einem Haar vom schönsten Kastanienbraun bedacht war... Allein einem so wichtigen Mangel mußte abgeholfen werden und unser Adonis besann sich nicht lange; er schickte den Diener, der ihm beim Ankleiden geholfen, fort, griff nach einem in der Nähe stehenden Gefäße, welches er für ein Dintenfaß hielt, und bestrich sich mit dem Inhalt tüchtig den Bart... Aber o Entsetzen! Kaum daß er damit angefangen, als er ein Prickeln und ein Surren an seiner Lippe verspürte... bald erfüllte ein höllischer Gestank seine Nase -- ein brennender Schmerz verbreitete sich an der Lippe, drang immer tiefer ein -- der schöne Bart krümmte sich, schrumpfte ein -- -- und fiel stückweise herab... der Schmerz wurde fürchterlich -- die Lippen schwollen an... Der Unselige hatte sich mit Vitriolöl eingeschmiert. Wo aber war während der Operation seine Nase gewesen? Hatte er das Oel nicht gerochen? -- Ach, er war zu sehr beschäftigt und von seinen Reizen erfüllt... er hatte keinen Geruch, kein Gehör, keinen Geschmack -- er hatte nur Augen gehabt, der Bedauernswerthe. Diese Augen sahen aber auch nur -- ihn. -- Auf sein Geheul liefen abermals die Diener herbei. O weh! wie sah dieser noch vor wenigen Augenblicken so schöne Mann aus! Es schien, als gehörte er, seinem Kopfe nach, zu dem Geschlechte der Elephanten -- so rüsselförmig hatte sein Mund sich gestaltet. Man brachte ihn aus dieser Rauchatmosphäre heraus, die sehr nachtheilig auf das metamorphosirte Glied einzuwirken schien, und trug ihn in ein anderes Zimmer. Hier wurde er auf ein Sopha gelegt und man begann ihn oder eigentlich seinen Rüssel mit Eisumschlägen zu traktiren. Die jedoch schienen seine Schmerzen nur zu vergrößern und so sah man sich denn genöthigt -- da keiner von den Dienern medizinische Kenntnisse besaß -- nach einem Arzte zu senden. Aber die Zeit, bis dieser erschien, war für unsern unglücklichen Adonis eine Epoche schauderhafter Höllenqualen: „Oh! Oh!“ wehklagte er -- „was ist mit mir geschehen?.. Das brennt und sengt ja, als wenn zehntausend Pechfackeln darauf geschleudert würden! -- Ein ganzes Rudel von Beelzebubs tanzt mir auf dem Munde herum! -- Ein Gehenna, ein Gehenna -- wächst mir unter der Nase hervor! -- --“ Aber so deutlich wie hier angegeben wird -- konnte der Gequälte nicht sprechen. -- Es war ein stotterndes und stammelndes Geschrei, was seinem Munde entströmte... Zuletzt wurde es ganz unverständlich -- er konnte die Lippen nicht mehr auseinander bringen -- sie schienen zu verwachsen. -- Nach ewiglangem Zögern erschien der Sohn Aeskulaps. Sogar er schlug die Hände zusammen und konnte ein leises Gelächter nicht unterdrücken -- als er hier einen berüsselten Menschen vor sich erblickte. Der Fall war ihm noch nicht vorgekommen. -- Die Gesetzbücher Aeskulaps jedoch haben auch einem solchen Fall vorgesehen; überhaupt findet man in ihnen selbst für die unmöglichsten Fälle Rath -- -- nur daß letzterer häufig nicht viel hilft. [Illustration: S. 212] War es Bleiweißsalbe oder ein anderes Spezifikum, was der Doctor verordnete, genug es wurde eine Salbe auf einen Leinwandlappen gestrichen und dies dem Patienten auf den Rüssel gelegt.... Da ein ungeschickter Lakai ihm auch die Nase damit bedeckte, so war der Arme in Gefahr zu ersticken -- und nur indem er sich des Lappens mittelst eines kühnen Risses entledigte, befreite er sich vom Tode.... Eine gewandtere Hand legte das Pflaster jetzt dahin, wohin es gehörte -- und so ward die Ordination des Doctors vollzogen. -- -- Mittlerweile fand in dem Zimmer nebenan ein sonderbarer Auftritt statt. Es war dies dasselbe Zimmer, wo Edmund sich mit jenem +fremden Herrn+, von welchem der Diener zu Althing, als dieser sich im Banditenkostüm die Treppe hinauf begab, gesprochen... Der +fremde Herr+ nun war noch bis zur Stunde mit Edmund in diesem Zimmer eingeschlossen. Man urtheile also, von welcher Wichtigkeit diese Conferenz sein mußte -- da nicht einmal der pathologische Vorfall mit Althing im Stande war, Edmund aus dem Zimmer zu locken. Der +fremde Herr+, von welchem die Rede ist, war ein merkwürdiger Kauz. Seine Figur rangirte ihn zur Hälfte unter die Affen, zur andern Hälfte unter die Menschen. Seine Physiognomie läßt sich am besten mit der jenes Meisters +Jocko+ vergleichen, der in +Van Akens+ Menagerie so große Sprünge machte. Aber unter dieser Physiognomie saß der Verstand eines Archimedes. Mit einem Worte, unser Mann war in der Mathematik ein wahres Phänomen; denn er konnte Euch auf’s Haar beweisen -- daß Ihr, falls Ihr ihm für 1000 Thlr. 3000 verschreibt, mindestens 500 dabei gewinnen müsset. Ich glaube für einige meiner geliebten Leser deutlich genug gesprochen zu haben. Was den Anzug des Biedermannes betraf, so bestand dieser aus folgenden Stücken: Ein graues Beinkleid aus dem Zeitalter der Maria Theresia mit einem braunen Fleck am Hintertheil, welcher (nämlich der Fleck) aus der Zeit Josephs stammte -- einem blauen Fleck auf dem rechten Knie, der unter Leopold geboren war und einem hellgrünen Besatz vorne auf dem Bauche; dieser Besatz entstand während der ersten französischen Invasion. Ferner ein Rock -- zweien Dritteln nach einen Frack und einem Drittel nach einen Spenzer bildend -- von einer unzuenträthselnden Farbe. Dieser Rock war zu allererst ein Mantel gewesen -- aus welchem man später ein Wams -- dann einen Ueberrock -- dann eine altfränkische Schößen-Weste -- und endlich das gegenwärtige Mittelding zwischen Frack und Bonjour gedrechselt hatte. -- Der älteste Ursprung dieses Kleidungsstückes verliert sich in die Zeiten Gustav Adolphs. Ferner die Weste. Ihr Ursprung war nicht anzugeben. Sie schien indeß schon bei dem heidnischen Götzendienst der alten Germanen als Priestergewand funktionirt zu haben.... Statt der Knöpfe waren an dieser Weste natürliche Eicheln angenäht.... Zur Schonung jedoch knöpfte ihr Eigenthümer seine Weste niemals zu. Vom Hemde war bei ihm keine zuverläßliche Spur. Das Halstuch mochte wohl schon einmal bei einer Leiche als Trauerflor geglänzt haben. Die Stiefeln des Mannes waren veritable Wunderstiefeln, unzugänglich dem Wasser sowohl wie dem Feuer. -- Hier saß ein Fleck auf zehn andern... Man konnte sagen: vor lauter Flecken sah man den Stiefel nicht. Den Hut endlich anlangend, so mochte derselbe in guten Zeiten auch als Pferdesattel gedient haben... Man konnte nicht sagen: „er hatte diese oder jene Form,“ weil dieser merkwürdige Hut alle Formen annahm... Von den Stiefeln bleibt noch zu bemerken, daß sie ursprünglich verschiedenen Gattungen angehört hatten: der eine war lang und mit Kanonen versehen -- der andere ein Trichterstiefel, wie sie die Ritter trugen. An dem letzteren war noch ein Stück, von einem Sporren zu sehen. Es darf jedoch das Beste nicht vergessen werden. Der achtungswürdige Besitzer dieser Kleidersammlung trug in der Hand ein Instrument, welches einer Keule nicht ganz unähnlich war: deßhalb man auch eher sagen konnte, er +schleppte+, als er +trug+ dieses Instrument. An diesem Instrument oder an dieser Keule war oben ein Handriemen, welchen der Biedere um seine Finger geschlungen hatte.... so daß er das holde Instrument daran hin und her schwingen konnte wie einen Glockenschwengel. Der Mann nannte die Keule sehr zärtlich seinen „besten Freund“ und dabei lächelte er so seelenvergnügt, als hätte Achilles von seinem Freunde Patroklus gesprochen. Nachdem wir nun die Gestalt des Mannes beschrieben haben, bleibt uns nur noch übrig, Einiges von dem Gespräche mitzutheilen, welches er mit Edmund in diesem Zimmer bei festverschlossenen Thüren seit länger als einer Stunde führte. -- Freilich muß der Leser darauf verzichten, das +Ganze+ dieser interessanten Unterredung zu erfahren; indeß wird er sich hoffentlich auch bei dem Wenigen begnügen. „+Lips+“ hatte Edmund gesagt, indem er mit zorniger Miene ein Papier zwischen seinen Händen herumzerrte: „Lips, Sie sind mir ein entsetzlicher Mensch! Ein Teufel, ein Schurke!“ „Alles was Euer Gnaden beliebt,“ hatte Lips geantwortet; „ich bitte nur um Eins -- -- zerren Sie dieses Papierchen nicht so sehr hin und her: es wird, auf Ehrenwort! noch entzwei gehen...“ „Was schadet das, da Du Dir von jeder Schuldverschreibung, von jedem Wechsel +zwei Originale+ geben lässest.“ „Zwei ist besser als Eins -- -- sagte ein großer Philosoph in Spanien, und dieser große Philosoph hatte, auf Ehrenwort! Recht....“ „Aber -- Lips.... Du mußt mir noch in dieser Stunde 300 Dukaten schaffen -- und solltest Du sie in der Hölle holen.“ „Das ist nicht nöthig, mein Gnädiger: ich trage die 300 Füchse bei mir -- --“ antwortete Lips und schwang seine Keule hin und her... „Nun was zögerst? Du dann? Heraus mit ihnen!“ „Augenblicklich -- sobald es Ihnen früher gefallen wird, mir das Papierchen, welches ich da Ihren hohen Händen präsentirte und was Sie so erschrecklich verarbeiten -- zu honoriren. Es macht 1500 Gulden! Auf Ehrenwort! Eine Kleinigkeit!“ „Aber wenn ich sie besäße -- brauchte ich ja Deine 300 Dukaten nicht.“ „Das ist gewiß; allein wie können Sie einem Geschäftsmanne zumuthen, Ihnen neuen Kredit zu geben -- da Sie Ihre alte Schuld bei ihm noch nicht getilgt haben...?“ „Aber -- ich sagte Dir, bei allen Teufeln, zum hundertsten Male: ich habe kein Geld.“ „-- Aber -- ich sagte Ihnen ebenfalls schon hundert Mal: Was nützt mir das? -- Sie brauchen Geld, Sie brauchen Geld! -- -- Ich, auf Ehrenwort! brauche auch Geld, mein gnädigster Herr Graf.“ „-- Du hast dessen genug -- -- bei Dir wachsen die Banknoten in allen Winkeln.... bei mir fliegen sie zu allen Fenstern hinaus.“ „Dies ist eben der Unterschied zwischen unsern Geschäften, mein Gnädigster. Auf Ehrenwort!“ „Lips!“ schrie Edmund: „bringe mich nicht zur Verzweiflung. Bei Gott, ich lasse Dich zur Thür hinauswerfen. --“ „Wie es Euer Gnaden gefällt!“ lächelte dieser und schwang seine Keule. -- „Aber“ fuhr er fort, „bedenken Sie, daß, wenn Sie mich zur Thür hinauswerfen lassen -- die 300 Dukaten darum noch nicht zur Thür herein spaziert kommen... Auf mein Ehrenwort!“ „Hol’ Sie der Satan mit Ihrem Ehrenwort! Mißbrauchen Sie diesen Ausdruck nicht, der nur Ehrenmännern ziemt... und schaffen Sie lieber das Geld herbei!“ „Auf Ehrenwort, Gnädigster -- ich kann nicht anders --“ „Als --?“ „Als -- wenn Sie, wie ich gesagt habe, zuvor das alte Papierchen bezahlt haben...“ „Sind Sie denn taub, Verdammter Lips? Habe ich denn nicht schon so laut wie ein Löwe gebrüllt: +ich habe kein Geld! ich habe kein Geld!+ --“ „Auf Ehrenwort, das ist schlimm! Auf Ehrenwort!“ „Endlich -- zum letzten Male: Geld! oder packen Sie sich im Augenblick aus meinen Augen fort -- elender Wucherer! Seelenverkäufer!“ „Auf Ehrenwort, das trifft mich nicht! -- Ich habe noch in meinem Leben keine Seele gekauft. Was soll ich mit diesem Artikel? -- Er ist nicht courant! -- Auf Ehrenwort, behalten Sie Ihre gnädige Seele -- und geben Sie mir lieber mein Geld....“ Edmund ging mit raschen Schritten im Zimmer auf und nieder... er hatte tausend Mal Lust, den Spitzbuben zu erwürgen; aber damit half er weder sich noch seiner fatalen Lage. Er brauchte Geld, er brauchte 300 Dukaten, keinen Pfennig weniger... Er hatte eine Schuld zu bezahlen, die morgen fällig war und welche nicht zur Wissenschaft seines Vaters gelangen durfte; denn wiewohl der alte General seinen Sohn liebte -- so stand gleichwohl der Grundsatz bei ihm fest -- nicht einen Thaler an Edmunds Gläubiger zu bezahlen. Er wollte diesen dadurch vom Schuldenmachen abschrecken. Vergebliche Mühe! -- Ein junger Mensch wie dieser, den Verlockungen seiner Standesgenossen und Freunde -- dem Anbringen jener Blutigel, welche an dem Mark einer großen Stadt saugen, preisgegeben -- war von diesen Wegen nicht abzuhalten -- oder man hätte seiner ganzen Erziehung eine strengere Haltung, eine ernstere Richtung geben müssen, woran es jedoch im Hause des Generals gänzlich fehlte: er selbst mochte in seiner Jugend nicht die wenigsten tollen Streiche gemacht haben. Während Edmund so auf und ab lief, sah der biedere Herr Lips ihm ruhig zu. „Was soll das Alles heißen?“ sagte er achselzuckend: „Wozu rennen Sie so umher, Gnädiger! -- Auf Ehre, damit wird die Sache nicht besser werden.... Oder können Sie, wie Schillers Wallenstein, „+Dukaten aus dem Boden stampfen+?““ Meister Lips war auch in der Literatur bewandert. Ja, ja -- dieser Mann konnte Alles. Er wußte aus seiner Waare immer drei und vierseitigen Nutzen zu ziehen. So pflegte er die +Bücher+, welche man bei ihm verkaufte,[E] zuerst selbst zu lesen, sodann verlieh er sie für Geld an Andere -- dann gab er sie seiner Tochter zum Lesen (sie war ein sehr gebildetes Fräulein und hieß +Philomela+) und endlich verkaufte er dieselben. -- In diesem Augenblick sprang Edmund auf, lief nach einem Schranke, öffnete ihn und zog eine Pistole heraus. Mit grimmigem Tone schrie er: „Jetzt, nichtswürdiger Elender, wirst Du mir Geld geben -- oder beim Allmächtigen!“ Und hiermit legte er die Pistole nach ihm aus... Doch Lips war bei dem Manoeuver kein bloser Zuschauer geblieben. Flink wie der Wind hatte er seine Keule erhoben -- und an eine Feder gedrückt -- sogleich verwandelte sich diese bescheidene Keule zu einem allerliebsten Doppelgewehre, dessen Mündungen sich noch überdies trompetenförmig erweiterten (wie die alten Musketons), daß die Ladung (gewöhnlich bestehend aus einem Dutzend kleiner Kugeln) sich in die Höhe und Breite zerstreuen konnte und also ihren Gegenstand mehrfältig traf. Man muß gestehen, dieser Lips war ein Originalmensch. Als Edmund solche Demonstrationen sah, konnte er, so wüthend er war, das Lachen nicht halten. Die Pistole warf er auf den Tisch -- und ließ sich auf einen Stuhl nieder: „Aber zum Teufel!“ sagte er -- „Du bist ja eine wahre Festung, mein Freund Lips!..“ „Das muß man bei dieser Zeit auch sein, in welcher man einen armen Teufel, wie Unsereins, seines ehrlichen Erwerbes nicht froh werden läßt.... Glauben Sie mir, gnädiger Herr, ich habe ein weiches Herz -- -- aber es hätte Ihnen nur noch eine Miene gekostet -- und ich hätte Sie zusammengepfeffert, wie ein Schock Lerchen. Auf Ehre!“ „Aber -- dann wärest Du ja gehängt worden!“ „Wer weiß. Ich hätte mich aus dem Hause so ungesehen hinaus gemacht, wie ungesehen ich mich hereingeschlichen habe.“ „Jedoch man hätte Deinen Schuß gehört...“ „Sie vergessen, daß mein Gewehr eine +Windbüchse+ ist...“ „Spitzbube -- von einem Lips! Wer könnte Dir böse sein?“ „Auf Ehre, während der Dauer dieser guten Meinung, die Sie jetzt für mich gefaßt haben -- könnten Sie mir schnell das Papierchen bezahlen... Gnädigster.“ „Lips! Endlich höre mit Deinen Possen auf. Es ist Zeit, daß wir ernstlich in der Sache verfahren. Hinweg mit den Phrasen! Schenken wir uns gegenseitig reinen Wein ein. Ich habe keinen Groschen Geld und brauche 300 -- besser 400 Dukaten. -- Willst Du sie mir geben? Und was verlangst Du dafür?“ Lips hatte sein Gewehr wieder maskirt; es war wieder die schlichte, alte, treue Keule -- -- er erhob den Kopf -- zog Stirne, Mund und die übrigen Theile des Gesichtes, soweit dies nämlich möglich war, in den Mittelpunkt des Gesichtes zusammen (man erinnere sich seiner eigentlichen Physiognomie!) und nachdem er zwei Mal mit den Lippen geschmatzt und im Ganzen zwei Minuten nachgedacht hatte -- versetzte er: „Sie wollen reinen Wein haben? Nun gut! -- Zuerst: ob ich Ihnen Geld gebe? -- Ja -- -- wenn nämlich zweitens: Sie mir das geben, was ich brauche.“ „Und worin besteht dieses?“ „In einer Verschreibung von lumpichten 4000 Gulden nebst den +gesetzmäßigen Zinsen+!... Ist Ihnen das recht, sollen Sie: 1tens augenblicklich die 300 Dukaten -- und 2tens sollen Sie Ihr altes Papierchen über die 1500 Gulden zurückhaben in beiden Originalen, mein Gnädigster. -- Dies nennt man einen brüderlichen Handel, auf Ehre!“ Edmund besann sich nicht lange; so Etwas lag, bei einem Falle wie der gegenwärtige, nicht in seiner Art. Er +unterschrieb+ -- zerriß die alten Papiere und empfing das neue Geld. So endete diese Szene, nach welcher Meister Lips sich gehorsamst empfahl -- und durch eine Hinterthüre aus dem Palais schlich -- begleitet von Edmund, der ihn die verborgensten Wege führte. -- Elftes Kapitel. Die beiden Gatten und der Verdacht. Der Graf v. A--x hatte die Gewohnheit, sich nach dem Bureau, in welchem er arbeitete, zu Fuße zu begeben. Diese Sitte behielt er auch nach seiner Verheirathung bei, wiewohl jetzt seine Wohnung (wir wissen, daß sie sich in der Nähe des Augartens befand) von dem betreffenden Regierungsgebäude ziemlich entfernt lag. -- Aber der Weg dahin war größtentheils einsam, zum Theil sogar romantisch, denn Alexander wußte, indem er die Häuser vermied, ihn zwischen Gärten und Pflanzungen zu wählen -- und so stimmte er ganz zu seinem Gemüthe, das, wenn auch beglückt und froh, einen ernsten Grundzug niemals verläugnete. Eines Tages schritt der Graf wie gewöhnlich -- langsamen Schrittes in dieser Richtung seinem Ziele zu. Es war ein trüber nebeliger Tag und die Morgensonne -- die Zeit war 9 Uhr -- kämpfte ununterbrochen mit den Wolken, welche ihr den Weg zur geliebten Erde, auf welche sie täglich niedersteigt, zu verwehren strebten. -- Die Atmosphäre war schwer und drückend -- kein Lüftchen regte sich, und zudem befand man sich jetzt im höchsten Sommer: es läßt sich demnach begreifen, unter welcher Last die Brust eines düstern Melancholikers wie der Graf erseufzte.... Ohnehin waren die letzteren Tage nicht so ganz voll gewesen des ungetrübten Glückes. -- Grillen, Launen, Mißtrauen beschleichen eine Seele wie diese dann eben am heftigsten, wenn sich dieselbe auf dem höchsten Gipfel der Freude befindet. Indeß hatten alle diese Anfechtungen eine unbestimmte Natur -- Alexander wußte nicht recht, gegen wen er eigentlich mißtrauisch sein sollte!... Am liebsten wäre er es gegen den theuersten Gegenstand seines Herzens gewesen -- wenn er an diesem nur, selbst bei der schärfsten mikroskopischen Untersuchung, den geringsten Makel hätte entdecken können... Aber so ist jene versteckt glühende, rasende, melancholische Liebe. Sie fürchtet, das Geliebte zu verlieren -- und tödtet es lieber mitten im Taumel der höchsten Seligkeit, an welcher so eben Beide Theil genommen. -- Alexander ließ sich auf Gängen, wie der, welchen wir so eben berühren, von Niemanden begleiten, selbst nicht von einem Diener, und wie sehr Cölestine ihn auch bat und beschwor, von dieser Sitte abzulassen, da ihm ja so leicht einmal ein Unfall widerfahren könnte, wo er dann Niemand an seiner Seite haben würde -- so ließ er doch nicht ab. Zärtlich sprach er zu ihr: „Ich bin ja nicht allein, mein theures Weib! -- Begleitest doch Du mich im Geist und in der Seele überall, wo ich auch gehen oder stehen mag.“ Um dieser Zärtlichkeit willen ließ sie ihn endlich doch gewähren -- -- aber sie sendete, ohne daß er’s wußte, ihm zeitweise einen ihrer treuen Diener nach, der ihm in der Ferne folgen mußte. -- Heute hatte sie es unterlassen. -- Wie Alexander nun hinwandelte, fing er an, immer mehr und mehr seine Schritte zu verkürzen; zuletzt blieb er stehen. Er war im tiefen Nachdenken verloren. Ohne daß er’s wußte, stand er schon länger als eine Viertelstunde auf demselben Fleck, die Arme verschränkt, den Kopf auf die Brust gesenkt. -- Mit einem Male jedoch fuhr er auf -- über seine trübe Miene zog, wie Sonnenschein, eine freundliche Helle, der ganze Körper strebte leicht und jugendfroh zur Höhe, die Lippen aber murmelten: „Nein! nein! -- Ich will mir die Süße des Lebens nicht verbittern -- durch unsinnige Betrachtungen! -- Bin ich nicht glücklich -- so ist es die ganze Menschheit nicht! denn wer unter allen Männern besitzt ein Weib wie Cölestine? -- -- -- Ach!“ fuhr er fort und seine Stimme nahm den Ton tiefer Rührung an: „Vergib mir, theure Gattin! Ich habe an Dir ein Verbrechen begangen. Du bist rein wie ein Engel und gütig wie eine Heilige -- und doch konnten meine Gedanken, meine tollen Einfälle Dich beflecken! -- -- Ich verdiene Dich nicht! Ach -- und doch liebe ich Dich so sehr! --“ Und er beflügelte jetzt seine Schritte -- die nicht mehr ihm zu gehören schienen, sondern einem Jüngling von sechzehn Jahren... Er hatte jetzt einen Hohlweg, dessen obere Flächen mit Wald bewachsen waren, durchschritten -- rechts neben dem Ausgange stand ein Gesträuch, an welches dann später wieder Wald gränzte. -- In dem Augenblick, wo Alexander dieses Gesträuch erreichte, ganz Lust und Freude im Gemüth -- -- hörte er in der Nähe ein Knistern, welches aus dem Dickicht zu kommen schien. -- Bald zeigte sich ihm der Kopf eines unbekannten Menschen; von der übrigen Gestalt aber war nichts zu sehen, sie war gänzlich hinter der Pflanzung verborgen. Dieses Gesicht nun, welches so plötzlich und unheimlich auftauchte, war mit einem dichten Bartwuchse bedeckt und überdies noch von einem großen Hute so stark beschattet, daß man von seinen Zügen wenig zu entdecken vermochte. Es konnte einem Bettler, einem Hirten, einem Bauer und auch einem Räuber gehören -- wiewohl es der Letzteren auf dem gegenwärtigen Stück Erde nicht eben viel geben mag. Alexander, überrascht, rief den Menschen an. -- Dieser begnügte sich damit, den Grafen mit einem unbeschreiblichen Blicke zu betrachten. „Wer bist Du und was willst Du, Bursche?“ rief Alexander zum zweiten Male, zugleich ging er fest und kalt, wie es seine Art mit sich brachte, auf ihn zu.... „Halt!“ rief dieser jetzt -- „keinen Schritt weiter!.. oder Sie haben sich unnöthige Mühe gegeben und erfahren nichts, -- während ich jetzt im Begriffe stehe, Ihnen eine für Sie wichtige Nachricht zu ertheilen. --“ Diese Szene paßte so ziemlich in eine komische Räuberaffaire, welche man auf den Theatern, wohl auch in der Wirklichkeit, zu sehen bekommt. Dessenungeachtet brachte sie den Grafen nicht zum Lachen; im Gegentheil seine Neugierde ward durch deren Seltsamkeit auf’s lebhafteste erregt, so daß er unwillkührlich dem Verlangen des Fremden nachgab und den Fuß nicht weiter setzte. -- Aber er schärfte seinen Blick und suchte die Hülle seines Gegners zu durchdringen -- woran er jedoch sogleich scheiterte, denn der Fremde bedeckte nun auch mit seinem Arme das Gesicht, gleichsam als hätte er die Absicht des Grafen errathen. „Nun!“ rief dieser ungeduldig: „was hast Du mir zu sagen, Unbekannter! -- Oder sollte das Ganze nur ein Scherz sein, den Du Dir mit mir erlaubst? -- Möglich auch, daß Du nicht völlig bei Sinnen bist...“ „In der Welt, mein verehrter Herr“ antwortete der Mann mit einer tiefen Stimme: „ist Alles möglich; dieß habe ich erfahren. So ist es zum Beispiel möglich, daß ein Weib unter ihren Anbetern gerade denjenigen glücklich macht -- der von diesem Glücke am allerwenigsten einen Begriff hat. Sodann ist noch folgendes möglich: dasselbe Weib, welches den Ersten vermöge einer augenblicklichen +Laune+ wählte -- entledigt sich desselben wieder, sobald jene Laune vorbei ist.... und sucht sich einen Andern, gleichfalls aus Laune.... Das Alles ist möglich, mein verehrter Herr -- und dieß ist zugleich das Ganze, was ich Ihnen sagen wollte!“ Kaum verklang das letzte Wort, als der Kopf des Unbekannten verschwunden war; -- man hörte nur noch folgende Worte: „Nehmen Sie sich vor einem glänzenden jungen Herrn in Acht!“ Dann knisterte es noch in den Zweigen, bald hörte auch dieß auf und Alles war still. Der Graf aber stand da, wie von einer furchtbaren Macht festgebannt -- er konnte kein Glied bewegen und glich im ersten Augenblicke vollkommen einer Statue. -- Endlich ermannte er sich und rief dem Verschwundenen nach: „Halt! halt! Noch ein Wort!“ -- Umsonst! von diesem war längst nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu hören. Alexanders ganzes Wesen verfinsterte sich und schien zu erstarren. Seltsame Gedanken wütheten in seiner Seele. Was hatten jene Worte zu bedeuten? Standen sie in irgend einer Verbindung mit ihm, mit Alexander? -- Das mußten sie; sonst hätte der Unbekannte sie nicht ihm zugerufen.... Aber vielleicht war es wirklich nur Scherz, vielleicht Wahnsinn! -- -- Ach, hatte Jener denn nicht gesagt: „Ich stehe im Begriffe, +Ihnen+ eine wichtige Nachricht zu ertheilen!“? -- Es war nicht länger zu zweifeln, diese Nachricht betraf das innerste Leben Alexanders -- das seines Hauses und seines Glückes: seines Weibes! mußte er hinzusetzen, um sich selbst zu verstehen. Wie der Zahn einer Hyäne nagte diese Idee an dem Herzen des Unglücklichen, der es vom jetzigen Augenblicke an auch wirklich ward. Er stürzte weg von dem Orte des Schreckens -- als fürchtete er, daß aus dem Gesträuche noch mehrere solche Gedanken-Bestien auf ihn hervorbrechen könnten... er rannte in wilder Eile auf dem Wege fort: ob es der rechte war oder nicht, er wußte nichts davon, es kümmerte ihn auch wenig. -- So war er über eine Stunde gelaufen -- ohne daß diese ihm länger als ein Augenblick vorgekommen wäre. Jetzt schlug er die Augen auf und fand sich in einer ihm ganz unbekannten Gegend. Doch mußte es fern von der Stadt sein, denn ihn umgab hier Wald und rauhe Wildniß. -- Diese Landschaft war ihm willkommen; diese tiefe Einsamkeit that ihm noth und er eilte, von ihr Gebrauch zu machen. Er warf sich in eine Vertiefung des Bodens nieder, rings herum standen Büsche und Sträucher so dicht, daß sein Blick sie nicht zu durchdringen vermochte.... Sein Lager war jenes alte vorjährige Laub, welches um diese Zeit bereits in Fäulniß übergeht und den natürlichen Dünger des Waldes bildet. -- Was kümmerte ihn das -- er achtete der Feuchtigkeit und des Moderduftes nicht, welche sich unter ihm verbreiteten.... er sah sich von Insekten umschwirrt, von Kröten umhüpft -- er achtete nicht darauf;... in der Nähe seines Hauptes raschelte und zischelte es im Grase -- vielleicht war es eine Schlange -- auch darauf achtete er nicht; ja selbst als eines jener häßlichen Thiere, die in feuchten und moderigen Plätzen wohnen, als eine graue Wasserratte bei ihm vorbeilief -- durchzuckte weder Ekel noch eine andere Empfindung seinen Körper.... Er schien für die äußere Welt gänzlich erstorben -- und versenkte sich nur tief und tiefer in den Feuerpfuhl, der in seiner Seele glühte... „So ist sie also falsch?!“ sagte er, ohne zu wissen, daß dieser Gedanke sich auf seinen Lippen belebt hatte... „Sie ist treulos,“ fuhr er fort: „ich habe es ja geahnt! -- Ich kann nicht glücklich sein! das hätte ich wissen und mich darnach benehmen sollen. Ach! habe ich es denn nicht gewußt -- daß in dem Garten dieser Welt für mich die Rose der Liebe nicht blüht? Vielleicht blüht sie auch für keinen Andern... und vielleicht ist das, was wir Weibesliebe und Weibertreue nennen, die größte Thorheit, der größte Unsinn, der je ausgesprochen wurde..... O! ich bin hinlänglich bestraft worden für meinen Vorwitz. -- Habe ich mir nicht schon einmal den scharfen Dorn in den Fuß getreten?... mußt’ ich noch ein Mal auf diesem Pfade wandeln? -- Freilich jenes erste Mädchen habe ich verkannt -- an ihrem Sterbebette enthüllte sich die Reinheit ihrer Seele mir! -- Aber -- konnte ich mich nicht auch hier getäuscht haben? -- und ist vielleicht nicht gar diese Sterbende mit einer Lüge aus der Welt gegangen? -- Wer will mir das bestimmen? Fälle solcher Art sind schon vorgekommen! -- zu Hunderten; zu Tausenden da gewesen! -- -- --“ Er verstummte. Plötzlich schrie er wieder auf: „Welcher Gedanke entsteht da in meiner Seele? -- Seit ungefähr vierzehn Tagen besucht jener Chevalier de Marsan, von welchem man so Fabelhaftes erzählt, mein Haus fast Tag um Tag. +Seine Ruhe und Stille ist mir aufgefallen!+ -- Sagte man mir denn nicht, dieser Mensch sei ein Phänomen im Weltleben; das Leben der Welt aber ist regsam und laut. -- -- O, meine vertrauende Seele, wohin hast Du mich geführt?!.. Jetzt, jetzt erst fällt mir ein, daß Marsan bis jetzt weder mit mir, noch mit meiner Frau gesprochen hat. Was fesselt ihn also so sehr an unser Haus? -- Doch nicht eine fremde Person, die er hier stets antrifft?... Allein, auch das wäre möglich! -- -- Aber +möglich+! Was nützt mir dies Wort? -- Möglich ist Alles. O mein Gott, ich muß +Gewißheit+ haben. --“ „Und ist es -- der Chevalier nicht, ist es vielleicht ein Anderer! denn jene Worte drückten es ja deutlich aus: Nehmen Sie sich vor einem glänzenden jungen Manne in Acht! -- Aber o Gott! -- könnte der Elende, der sie mir zuraunte -- könnte er mich nicht betrogen, oder konnte er sich nicht auch in mir geirrt haben? -- Welche Thorheit, welches Verbrechen, einem Menschen, den man nicht kennt, und welcher ganz so aussieht wie ein Schurke, zu vertrauen??........... Ach! Ach! reißt mir erst den Pfeil des Verdachts aus der Brust.... bis dahin kann ich nichts Anderes thun, als: fürchten, argwöhnen, beben, zittern und -- glauben!! -- --“ Erst zu später Tageszeit verließ Alexander diesen Wald und fand sich endlich mit dem Wege zurecht. Er ging nun nach Hause, in der Absicht, sich in sein Zimmer zu begeben und darin bis zum Morgen eingeschlossen zu bleiben; denn es war bereits dunkel geworden. Für den Eifersüchtigen, für den Unglücklichen ist es eine Wollust, sich in seinen Schmerz zu vergraben -- in den Wunden seiner Seele zu wühlen, und er hört damit oft nicht eher auf, als bis er unter dieser wahnsinnigen Selbstqual den Geist aushaucht. Doch blieb Alexander nicht lange allein; man hatte ihn in das Haus treten sehen und es Cölestinen gemeldet. Diese, in qualvoller Angst wegen der Abwesenheit ihres Gatten, eilte auf den Flügeln der Liebe zu ihm -- -- ach, wie erschrak sie, ihn in diesem Zustande zu finden! „O mein Gott!“ schrie sie auf und stürzte an seine Brust: „Was ist mit Dir geschehen, Alexander? -- Wo bist Du gewesen? -- Welcher Unfall hat Dich getroffen? -- Rede, rede, um Himmelswillen, befreie mich von meiner Angst!“ Er hatte sich in einem frühern Augenblick vorgenommen, ihr +Alles+ zu sagen; in einem nächsten faßte er den Vorsatz, ihr +Nichts+ wissen zu lassen -- d. h. ihr mit kalter Ruhe, unter welcher tiefer Abscheu lag, zu begegnen.... Jetzt, in dem gegenwärtigen Augenblicke faßte er einen dritten Entschluß: +er wollte heucheln, um sie auf die Probe zu stellen!+ Es gelang ihm in sehr kurzer Frist, ein so heiteres Lächeln auf seine Lippen zu zaubern, daß Cölestine freudig aufathmete und ihn mit dem Ruf: „So darf ich also ruhig sein!“ umarmte; „doch sprich,“ setzte sie hinzu -- „was ist das heute gewesen? Beruhige mich vollständig, denn irgend etwas Ungewöhnliches muß dennoch mit Deinem Ausbleiben zusammenhängen.“ „Nichts, nichts, meine theure Cölestine!“ versetzte er: „nichts -- oder nur sehr wenig. Mich hatte, als ich das Haus verließ, um nach dem Bureau zu gehen, auf einem Umwege, welchen ich nahm -- eine leichte Unpäßlichkeit überfallen, und da ich glaubte, dieselbe würde bald vergehen, trat ich in ein nicht weit von dem Orte stehendes Gasthaus -- wo ich mir ein Zimmer öffnen ließ, um daselbst etwas Stärkendes zu mir zu nehmen; denn, wie Du weißt, ich habe heute nicht gefrühstückt. -- Doch zum Unglück verlief mein Zustand nicht so schnell, als ich erwartete -- ich mußte mich auf eine Ruhebank hinstrecken und blieb da so lange liegen, bis ich wieder hinlängliche Kräfte gesammelt hatte, um den Rückweg nach Hause anzutreten. --“ „Aber mein Gott,“ versetzte die Gattin und Thränen traten ihr in die Augen: „warum hast Du mir davon nichts wissen lassen? Ich wäre mit dem Eifer der Liebe zu Dir geeilt, und hätte Dich gepflegt.... Mindestens hättest Du Dich ja in einem Miethwagen nach Hause können bringen lassen. -- --“ „-- -- Es war mir jedoch darum zu thun, Dir jede Unruhe zu ersparen, theure Geliebte!“ „+Jede?!+ Unruhe wolltest Du mir ersparen? -- O das hat Dein Herz nicht gesprochen, Alexander. Weißt Du denn nicht, daß ich es für meine Pflicht halte, Leid und Freude mit Dir zu theilen -- und daß diese Pflicht mir Lust ist?.. Und dann, könntest Du glauben, Deine lange Abwesenheit, Dein Wegbleiben zur gewöhnlichen Zeit hätte mich nicht doppelter Unruhe, der Unruhe und Qual der +Ungewißheit+! preisgegeben?..... Geh doch -- -- abscheulicher Mann! Böser, böser Alexander! Welche Angst, welche Sorge habe ich um Dich ausgestanden!“ Er sah sie mit einem Blicke an, der sie bis in dem tiefsten Winkel der Seele ausholen sollte, und fragte mit halblauter Stimme: „Wirklich hast Du das?“ „Nun!“ erwiederte Cölestine arglos: „und Du zweifelst noch? Du willst es mir am Ende nicht einmal glauben? -- Wahrhaftig -- Du schlimmer Mensch, wäre in diesem Augenblick freudigen Wiedersehens die Zeit dazu -- ich würde sie Dir recht fühlen lassen, diese Worte, welche Du so eben gesprochen; doch hat Dein Herz sicherlich keinen Antheil daran. --“ „Sicherlich -- nein!“ erwiederte er mit heiterer Miene und nahm die Beweise ihrer Zärtlichkeit, mit denen sie ihn überschüttete, wie ein glücklicher, wie ein froher Mann hin. Und doch war dieser Mann im Grunde seiner Seele so unglücklich, so kummervoll. Aber das ist eben die Natur des Eifersüchtigen, daß seine entsetzliche Leidenschaft, einmal erregt, durch nichts zu stillen ist -- als durch die Macht der Zeit. Der größte Beweis von Liebe überzeugt ihn nicht -- er sieht, wie der Fieberkranke, Alles blutroth und schwarz -- selbst die reinste Lilie erscheint ihm ihres jungfräulichen Schmuckes entkleidet als dunkle Todesblume. -- Die Eifersucht ist ein niederer Grad von Wahnsinn, der jedoch bisweilen zum höchsten führen kann. „Nun aber“ sagte Cölestine, als sie ihren Mann sich aufrichten und an ihrer Seite Platz nehmen sah: „will ich Deiner Gegenwart mich auch in doppeltem Maße erfreuen. Du warst einen ganzen Tag nicht bei mir -- ich will jetzt in einer Stunde so viel Glück zu erwerben suchen, wie sonst in dreien; und es wird mir auch gelingen, denn ist Dein Herz nicht reich und ist es das meine etwa weniger? O wir dürfen ja nur mit beiden Händen zulangen -- das Füllhorn unserer Freude ist unerschöpflich! Meinst Du dies nicht auch, Alexander?“ „Gewiß, gewiß, mein holdes Weib! -- Und so bist Du denn meiner Wiederkunft, wie ich sehe, recht inniglich froh! Ja, ja -- ich begreife es, wie Du während meiner Abwesenheit Dich in Sehnsucht nach mir verzehrt haben wirst -- ich kann mir Deine Seufzer, Deine Thränen so lebhaft vorstellen! --“ „Du kannst es -- Alexander? -- Und doch hast Du sie -- ich möchte sagen -- muthwilliger Weise hervorgerufen; denn eine Zeile, die Du mir geschrieben -- ein Wort, das Du mir hättest sagen lassen, würden mich beruhigt, dieses Fürchten, diese Angst von mir gebannt haben. -- Ach, es ist nicht schön, eine Gattin, welche Dich so zärtlich liebt, zu quälen.... es ist nicht schön....“ „Es ist nicht schön -- Du hast Recht.“ „Nun, wenn Du es nur selbst zugibst! -- Doch Alles das ist ja vorbei, und so reden wir nicht mehr davon. Ach gewiß, mein Geliebter -- der gütige Schöpfer hat auch den Schmerz zu unserem Glück erschaffen. Wir empfinden nach ihm die Freude um so inniger. -- Und überdies, welches Herz vermag unausgesetzt Wonne zu ertragen? Es erlahmt, es sinkt dahin unter ihrer Last.“ „Eine richtige Bemerkung,“ entgegnete der Mann mit bitterem Lächeln: „und darum wurde von der Natur die -- +Abwechslung+ erschaffen.“ Sie hatte weder in seine Mienen geblickt noch den Ton seiner Stimme abgewogen. Sie schien so selig, so zufrieden -- -- in ihrer Brust war für nichts Anderes Raum. -- Sein Blick lief jetzt auf ihre ganze Gestalt umher. Er bemerkte zuerst, daß Cölestine nicht das gewöhnliche Deshabillé, welches sie sonst zu Hause trug, und das er so sehr liebte -- sondern ein elegantes Gesellschaftskleid angezogen habe. An diesem Strohhalm hielt er zuerst sich fest. -- Er sprach noch über Dies und Jenes, dann leitete er die Unterhaltung so, daß er unvermerkt die Frage stellen konnte: weßhalb Cölestine gesellschaftsmäßig gekleidet sei. -- „Weßhalb?“ -- wiederholte sie: „Ach, in der That -- wenn ich Dir einen Grund angeben soll, ich weiß keinen. Es ist dies eins von den neuen Kleidern, welche ich neulich bestellt habe.... Da ich den ganzen Tag über nichts Anderes zu thun hatte und um mich von den bösen Gedanken wegen Deiner Abwesenheit zu befreien, machte ich mir mit meiner Garderobe zu schaffen: ich zog ein Kleid um’s andere an -- -- und dachte bei mir: in welchem würde ich ihm wohl, wenn er nach Hause kommt, am besten gefallen? Da fiel meine Wahl auf dieses da -- und darum stecke ich noch in demselben -- wiewohl es mir sehr unbequem ist und mich hindert, Dich tausendmal zu umarmen.“ Alexander blieb nach dieser Erklärung stumm und senkte den Blick. Höllischere Argwohnsflammen hatten aus demselben heute noch nicht gezüngelt.... Er glaubte seine Frau auf einer Lüge ertappt zu haben -- ihre ganze Rede schien nichts als Widersprüche zu enthalten. Denn weßhalb hatte sie früher gesagt, daß sie den Tag in Angst und Sorge zubrachte -- da sie doch jetzt erklärte, sich mit ihren Kleidern unterhalten und ihrer Eitelkeit gedient zu haben. -- Ferner welche erbärmliche Unwahrheit lag darin versteckt, daß sie einmal vor Schwermuth und Verlangen nach seiner Wiederkehr fast vergangen sei -- und gleich darauf sich die Frage gestellt habe: in welchem Kleide sie ihm bei seiner Ankunft wohl am besten gefallen möchte? Dieser Mann, der hier so vortrefflich philosophirt, glaubte seiner Geistesgröße nun dadurch die Krone aufzusetzen, daß er sich äußerlich von dem, was in ihm vorging, nicht das Geringste merken ließ. Von dem Augenblick, wo er gegen seine Gemahlin einen so wichtigen Beweis, wie den obigen, in Händen zu haben meinte, war er der Ueberzeugung, die Rolle, welche er zu spielen angefangen habe, sei vortrefflich gewählt, -- und er werde unter ihrem Beistande dem Dinge nach und nach völlig auf den Grund kommen. Cölestine lud ihn ein, den Abend mit ihr im Garten zuzubringen, und er willigte sogleich mit der liebevollsten Freundlichkeit ein. Er bot ihr den Arm -- führte sie zuerst nach ihren Zimmern, wo sie das Salonkleid mit einem bequemeren vertauschte, dann warf sie einen Shawl um -- und nun schritten sie Beide hinab in den Garten. -- Sie zog ihn zuerst zu allen den Plätzen, die durch irgend eine Erinnerung an die erste Zeit ihrer Liebe geheiligt waren. Da traten sie hinein in die Lauben -- in die Grotten -- da setzten sie sich hin auf die Rasensitze und Blumenplätze -- -- überall verweilten sie einige Augenblicke -- und als sie überall gewesen waren, fingen sie den süßen Erinnerungsgang wieder von Neuem an. Ach, wie erfinderisch ist wahre Liebe! Sie weiß in einen gewöhnlichen Schritt, in einen kurzen Spaziergang Welten voll Seligkeit zu legen.... Sie weiß auf einer Scholle Erde ein Paradies erblühen zu lassen. Das Silberlicht des Mondes ergoß sich über den ganzen Garten und tauchte jedes Blatt und jedes Steinchen in ein Meer voll stillen Zauberscheins. Einem entzückten Auge, wie dem ihren, schien die ganze Welt jetzt eine höhere, eine mehr als irdische zu sein. +Ihrem+ Auge? -- Ja dem +ihren+, dem Auge Cölestinens... nicht dem seinen. Dieses sah nichts. Dieses sah nur eine gewöhnliche, schlechte, schändliche Welt. -- Nach und nach fand er, unter dem Beistand der früheren, neue Gründe, die ihn in seinem Verdachte bestärkten -- er nahm sie als Beweise gegen sein Weib hin, wie er die früheren als solche genommen. -- Woher, sagte er zu sich -- diese Fröhlichkeit, diese lustige, diese muthwillige Fröhlichkeit? -- Jedenfalls ist es das erste Mal, daß ich Cölestinen +so+ sehe. Sie war heiter, zufrieden, wonnevoll; aber sie war noch niemals lustig und ausgelassen..... Und doch und doch! Damals gleich nach unserer Vermählung, auf dem Balle! -- -- Ah! ah! -- habe ich das so schnell vergessen? -- Aber jetzt fällt es mir dennoch wieder bei. Jetzt, jetzt, da ich es am besten brauchen kann. -- -- Und ich Thor ließ mich zu jener Zeit so schnell beruhigen, ließ mich von ihrer glatten Zunge beschwatzen. -- Ich Thor! -- Das war damals der Anfang -- dieses jetzt ist die Fortsetzung. „War Niemand zum Besuche da?“ warf er später die Frage hin und erfuhr nun, daß +Edmund+ mit seinem Freunde dem +Chevalier von Marsan+ sich hatten anmelden lassen.... sie, Cölestine, jedoch habe ihren Besuch nicht angenommen und ein Unwohlsein vorgeschützt. -- „Und diese zwei Herren gingen fort?“ „Allerdings -- -- jedoch soll Edmund sehr ungehalten gewesen sein, nicht vorgelassen zu werden; nun Du kennst die Weise des Tollkopfes!“ entgegnete sie. „Er wird es nicht allein gewesen sein, der ungehalten war;“ meinte der Ehemann bei sich: „vielleicht war Edmund nichts weiter, als das Echo seines Freundes -- -- das Organ, welches der innern Stimme Marsans Worte lieh.“ Und laut setzte er hinzu: „Diese beiden Herren besuchen uns in der That sehr fleißig.“ „Findest Du das? -- Ich habe daran noch gar nicht gedacht. Ja in der That, Du hast Recht: sie waren in der letzten Woche mehrmals bei uns.“ „Sie waren“ verbesserte er: „+alle Tage+ bei uns.“ „Nun ja, gewiß, gewiß. -- Aber was liegt daran? Reden wir von andern Dingen, mein Freund...“ „Und warum nicht von diesen -- meine Freundin?“ „Wie? scheinen diese Dir von so großer Wichtigkeit?“ fragte sie und sah ihn dabei an. „Eine solche Frage“ meinte er bei sich: „hätte ich eher an sie stellen sollen -- -- indeß nicht als Frage -- sondern als -- Anklage. -- O bei Gott, diese Heuchlerin ist in ihrer Kunst erfahrener als ich glaubte. -- Ach, ach, ein so junges Wesen und doch schon so verderbt! -- Aber liegt so Etwas nicht im Blute? -- Und ist es von ihr nicht bekannt, ja von ihrem ganzen Stamme -- daß sie insgesammt leichtsinnige, thörichte, eitle und gefallsüchtige Menschen sind? -- +Schlecht+ jedoch... ist nur diese da! Von ihren Verwandten habe ich noch niemals gehört, daß sie ein böses Herz besäßen.“ „Du bist heute ungewöhnlich nachdenklich, Alexander!“ bemerkte Cölestine und fuhr nach einer Pause, in welcher sie vor sich hinblickte, fort: „Was fehlt Dir? Rede! Was hast Du, lieber Mann?“ „Dies soll“ sagte er wieder zu sich: „das letzte Mal sein, daß ich ihr von meiner Gemüthsbewegung etwas merken ließ.... Hinfort mag ihr Blick nicht mehr durch diese äußere Hülle dringen, welche ich glatt, geschmeidig, lustig und so weltnärrisch als nur möglich machen will. --“ Und von dem gegenwärtigen Momente an seiner Gestalt, seinen Reden, seinem Benehmen einen Schein der natürlichen Heiterkeit gebend -- fing er an mit ihr nur mehr von Liebe und Lust, von Welt und Thorheit zu sprechen, Tändeleien zu treiben -- -- u. s. w. -- Sie spielten wieder wie die Kinder, hüpften und tanzten im Garten umher, so daß der alte Mond gar satirisch d’rein sah. Es war, als hätten sie Raum und besonders -- Zeit vergessen... denn Mitternacht war bereits vorüber; doch „die Uhr schlägt keinem Glücklichen!“ Endlich ließ Alexander matt und müde sich auf einen Ruhesitz nieder und zog sie, die Lachende, neben sich: „Was meinst Du,“ sagte er -- „werden wir hier bis zum Morgen bleiben?“ „Ich hätte“ versetzte sie ausgelassen: „große Lust dazu.“ „Ich --“ meinte er sehr aufrichtig -- „nicht!“ „Und weßhalb nicht?“ „Weil -- -- -- wie Du weißt, ich mich leicht erkälte.“ „Aufrichtig, mein Freund, davon hast Du mir bisher noch nichts gesagt.“ „Wozu sollte ich Dich mit dergleichen belästigen. Kommen diese Dinge heran, so ist es noch immer Zeit genug, sie beim Namen zu nennen.“ „Nun ja; dann aber will ich Dich auch keinen Augenblick länger der Nachtluft ausgesetzt sehen -- Alexander. -- Komm, komm -- laß uns hinauf gehen. Da, nimm meinen Shawl.“ „Warum nicht gar! Ich würde darin schön aussehen.“ „Wer sieht es denn? -- Es ist ja pechfinster. Nun denn, sei nicht eitel -- und folge meinem Rathe.... siehst Du, so will ich Dich einhüllen -- so --“ Sie war im Begriffe, ihm den Shawl um den Hals zu wickeln; er ließ es jedoch nicht geschehen... „Behalte, was Du mitgebracht hast, für Dich; Du bist dessen eben so bedürftig wie ich.... und lass’ uns lieber die Schritte beschleunigen, so werde ich nichts zu fürchten haben.“ Er hüllte nun sie in den Shawl ein, gab ihr den Arm, zog sie dicht an sich, und eilte mit ihr raschen Schrittes aus dem Garten in ihre Wohnung. Sie langten im Schlafzimmer an, wo eine große Kugellampe ihren milchweißen Schein auf alle Gegenstände warf. Als der Graf diese Zeugen ihrer ersten beiderseitigen Zärtlichkeit, ihres ersten Liebesschwures, den er ihr, den sie ihm feierlicher leistete, als dies am Altare geschehen war, gewahrte -- als sein Blick auf die Stätte fiel, wo sich ihre Arme so heiß, so brünstig, so selig in einander verschlungen hatten... da konnte er einen leisen Schauer, der seine Glieder schmerzlich und wild durchzog, -- nicht unterdrücken. -- Aber seine Selbstbeherrschung kehrte rasch zurück und er erwiederte auf die Frage, welche sie mit süßgeschämiger Stimme und begleitet vom feuchten Liebesblick, ihm zulispelte: „Du wirst mich nicht verlassen, mein Geliebter?“ „Nein, ich bleibe bei Dir, meine holde Seele.“ Er sprach es mit dem Tone glückseliger Uebereinstimmung aus. Ach, wie viel hatten sie sich jetzt noch zu sagen, zu erzählen.... Die Liebe, die Leidenschaft ist nicht stumm, wie man glaubt -- sie ist beredsam und phantasievoll wie ein Dichter. Jene einsilbige Liebe gehört den Kindern und den schüchternen Jungfrauen an. Eine glühende Stunde war vergangen. „Wirst Du mich immer so lieben?“ fragte das beglückte Weib. „Immer, ewig; und Du?“ flüsterte er. Hierauf konnte sie nur mit einem Kusse, der ihre Seele in seine Brust hinüberzuhauchen schien, antworten.... „Und -- --“ sagte sie mit vor Angst zitternder Stimme: „hast Du nie einer Andern so angehört wie mir? Rede mir Wahrheit, Alexander!“ „Nie! niemals!“ Er konnte dieses mit gutem Gewissen sagen. „Niemals --?-- auch vor Jahren, vor vielen Jahren nicht?“ „Nein, nein. Aber wozu diese Fragen?“ „Weil -- -- ich zu glücklich in Deinem Besitze bin, und ihn keiner Andern, wäre es selbst jene Todte -- Du weißt, welche ich meine -- vergönne. O -- ich bin eifersüchtiger als Du wähnst!... Ich könnte es nicht ertragen, Dich mit einer Zweiten getheilt zu haben, zu theilen -- oder -- --“ „Oder?“ nahm sie wieder das Wort: -- „Es gibt hier kein Oder. -- Denn der Zukunft wirst Du mich doch hoffentlich nicht berauben, wenn Du mich auch willenlos um die Vergangenheit oder selbst um die Gegenwart betrogen hättest. Nicht wahr -- -- Du wirst mich nicht unglücklich, nicht elend, nicht verzweifeln machen, mein Mann?“ „O nein, nein!“ rief er mit leidenschaftlichem Feuer aus, das sich in seinem ganzen Wesen verbreitet zu haben schien. „Herz meines Herzens! Seele meiner Seele! --“ lispelte sie, sich innigst an ihn schmiegend --: „O!“ seufzte sie: „möchte ich doch mein ganzes Leben in diese holdselige Stunde bergen -- oder möchte ich dieselbe zur Dauer meines ganzen Lebens ausdehnen können. -- Niemals, niemals noch war ich so glücklich!“ Zwölftes Kapitel. Die Beweise der Untreue. Die Nacht mit ihren dunkelsten Fittigen umfing die Schläfer und ließ sie ein kurzes Vergessen ihres Daseins finden. Bald aber erschienen die Genien der Träume und flatterten mit kleinen Spiegelchen, in denen sich irgend ein Stück aus dem Leben der Schläfer abconterfeite, (oft sehr verworren und verkehrt) um deren Häupter herum. Cölestine träumte von ihrer Liebe -- ihr Mann von seinem Schmerze. Da fand er Alles wieder, wie er es gestern liegen gelassen: da war wieder der fremde Kopf -- da dröhnte dessen unheimliche Ermahnung -- da der Wald mit Schlangen und Salamandern -- dort Cölestine an ihrer Toilette -- -- und hinter ihr, hinter ihr lauschte ein junger, schlanker, feiner Mann, dessen Antlitz man jedoch nicht sehen konnte... Mit schwerem Kopfe und noch schwererem Herzen erhob Alexander sich vom Lager, während seine Gattin noch schlief: „Diesen ruhigen, festen, tiefen Schlummer“ sprach er, sie anblickend, „hat nur ein reines Gewissen -- -- oder ein gänzlich verderbtes...“ Dann trat er leise vom Lager weg und blickte überall umher im Gemache, welches er jetzt sich vornahm zu durchsuchen...: „Ich werde“ sprach er vor sich hin -- „ohne Zweifel auf Etwas stoßen, was mir Aufschluß geben oder mindestens als Faden in dem Labyrinthe dienen wird, worein ich gerathen bin.“ Ein Dieb hätte es ihm nicht so geschickt nachthun können. Es schien, als wären seine Füße, als wäre sein Körper nicht von Fleisch und Blut: so leise, so luftig, so schattenhaft strich er in diesem Gemache umher. Er öffnete zuerst einige Kästchen und einen Schrank;.. hier fand er nichts als Dinge, die dahin gehören und mit denen man jedes Schlafgemach ausstattet. Er schritt sodann zu einem Tische und zog dessen Schubladen heraus. Er fand nichts. -- Er hob den Deckel ab -- auch hier nichts; -- er untersuchte die Winkel, Ritzen, ja selbst die Unterlage der Füße, wie er es früher bei dem Schranke gethan: nichts, nichts! -- Jetzt trat er zu einem Repositorium, auf welchem einige Bücher standen. Zuerst prüfte er das Gestell, sodann bespionirte er die Bücher, Blatt für Blatt.... Halt! hier fand er Etwas: einen Zettel mit den Zahlen: 58 -- 21 -- 333 -- und 578 -- --. Was war das? Sicherlich eine Chiffersprache. -- Konnte es aber nichts Anderes sein? -- Und was hätte es sein sollen? -- Mit der Lotterie machte seine Gemahlin sich niemals etwas zu thun... Also steckte hinter diesen Zahlen gewiß irgend ein verborgener Sinn, von dem man nicht haben wollte, daß er einem Andern bekannt werde. -- Mit zitternden Fingern ergriff der Mann das Papier, faltete es und steckte es zu sich.... dann fuhr er mit seiner Nachsuchung fort. Unter dem Repositorium lag eine halbverwelkte Hortensie. Woher kam diese? Sie mußte erst gestern gepflückt worden sein -- -- aber gestern war ja Cölestine nicht im Garten gewesen, sie hatte sich mit ihrer Garderobe unterhalten. Freilich konnte sie sich eine Hortensie durch den Bedienten haben +holen+ lassen, denn in ihrem Garten gab es deren.... Aber das schien nicht wahrscheinlich, denn Cölestine pflegte sonst diese Blume nicht zu lieben.... Wie, wenn es ein Geschenk jenes eitel-glänzenden jungen Mannes wäre -- dessen sprechendes Bild diese reizende aber duftlose Blume war? Unwillkührlich mochte das Schicksal sie ihm in die Hand gespielt haben -- denn das Schicksal liebt solche Ironien. -- Indeß... so weit konnte die Vertraulichkeit der Beiden doch noch nicht reichen?! -- -- Ach, wer wird dies entscheiden wollen! Alles war möglich und das Schlimmste um so eher! -- -- Wie schön reimte sich Folgendes zu einander: Cölestine hatte gestern die Blume empfangen, (vielleicht ließ der Chevalier sie zufällig fallen) -- sie legte dieselbe an ihr Herz -- ganz dicht an’s Herz -- und dort blieb die Hortensie bis zum Augenblicke des Schlafengehens, wo sie unter die Bücher fiel. -- Er steckte auch sie zu sich. Jetzt gab es in diesem Gemache nichts mehr zu untersuchen und unser Mann ging hinaus, um sein Geschäft in den andern Gemächern fortzusetzen... Da stand zuerst das Boudoir. -- Ach hier in den tausend Fächern, Büchsen, Dosen -- Schatullen und Kästchen -- hinter diesen tausend Decken, Vorhängen, Falten und Draperien -- -- unter diesen Kissen, Pölstern, Teppichen -- was konnte da nicht Alles versteckt werden? Alexander verzweifelte fast an dem Erfolge einer Untersuchung, die er hier anstellen sollte.... Er wußte nicht, wo er anzufangen habe.... Doch die Eifersucht weiß sich immer Rath zu schaffen; auch ermüdet sie niemals. Er hatte über eine halbe Stunde gearbeitet. Die Ausbeute davon bestand in einigen Ringen ohne großen Werth, von denen er jedoch bisher nichts gewußt -- -- dann in einer Locke von hellbraunem Haar, besonders sorgfältig in ein kleines Medaillon gelegt, welches man auf dem Herzen tragen kann... die Locke konnte wohl von Edmund sein -- aber sie konnte auch einem Andern gehören. -- Ferner: zwei Briefe folgenden Inhalts: „Ich habe sehr angelegentlich mit Dir zu sprechen und muß es noch heute. Bestimme der Ueberbringerin eine Stunde.“ Kein Datum, keine Unterschrift. Das war sehr verdächtig; denn welcher ehrliche Mensch unterschreibt heutzutage ein Billet nicht? -- Es war freilich möglich, daß die Eile und der Umstand, daß Cölestine die Schriftzüge kannte, dies unnöthig gemacht habe, und unter diesen Verhältnissen konnte das Schreiben ebenfalls von Edmund sein.... Allein wer verbürgt diese Alternative? -- Der andere Brief war länger und wo möglich noch verrätherischer. Er lautete: „Seit Deiner Verheirathung -- lebst Du für mich nicht mehr, meine geliebte Cölestine.... und doch ist es nicht denkbar, daß dieser Mann allein Dein Herz ausfüllen könnte. Hast Du meiner denn ganz und gar vergessen? -- So wisse, daß meine Seele fester als je an Dir hängt! Ach würde uns nicht das mächtigste Band unzertrennlich mit einander verknüpfen, wo Du auch sein magst, wo ich auch weilen möge: wahrlich, ich würde glauben, gänzlich aus Deinem Gedächtnisse ausgelöscht zu sein. Doch so ist dies nicht möglich! -- Magst Du es wollen oder nicht -- wir gehören uns für immerdar an. Darin liegt mein süßer Trost. Leb’ wohl -- ich werde Dich morgen küssen! --“ Auch keine Unterschrift; doch schien sie hier wie +zufällig weggerissen+ zu sein. Von wem war dieser verliebte, eifersüchtige Brief? -- Es war nicht schwer zu errathen. -- Von einem älteren Liebhaber, der seine Ansprüche noch nicht aufgab. -- -- Diese Züge hatten so viele Aehnlichkeit mit einer Hand, welche Alexander schon irgendwo ein Mal gesehen! Aber wo? -- Auch sie schienen sehr eilig hingeworfen.... Eben darum aber konnte man nichts mit Bestimmtheit annehmen.... Der unglückliche Gatte glaubte nun einen +Beweis+ in Händen zu haben, einen Beweis, der weder zu deuten noch umzustürzen war.... Er suchte sich mit einer Art wollüstigen Wahnsinnes darin zu bestärken, daß hier nicht mehr gezweifelt werden könne -- ja mit demselben wollustvollen Wahnsinn sträubte er sich sogar gegen jede fremde Auslegung, gegen jede genauere Untersuchung... Er fürchtete sein Unglück zu schmälern! -- Denn so ist der Mensch im Leiden. Ein riesiges, ein außerordentliches Weh erscheint ihm willkommener, als jene tausend kleinen Schmerzen und Unannehmlichkeiten des gewöhnlichen Lebens.... Es ist als ob im Kampfe mit dem Ersteren ein göttlicher Theil unserer Natur, der sonst schläft, erwachte, als ob ein höheres Bewußtsein in uns erstände, das uns unser schweres Unglück tragen hilft -- während wir hier allein unter der Last des Tages keuchen und niedersinken. Aus dem Boudoir begab er sich in das Arbeitszimmer seiner Frau. Welche Ausbeute hoffte er wieder hier nicht zu finden! -- Mit lautem Lachen, welches ein Fremder für den Ausbruch heiteren Frohsinns genommen hätte, -- vergrub er sich hinter allen Möbeln, in allen Cartons, Körbchen -- er stürzte Tische, Stühle um -- zerlegte ganze Schränke.... Ach was fand er da nicht Alles! Ihm erschien jetzt, so weit war es mit ihm schon gekommen -- eine Stickerei, die für einen Mann paßte, ein buntes Tuch -- ja ein Faden Seide zureichend.... um daran die möglichst bösartigen Auslegungen zu knüpfen. O wie jubelte er über seinen neuen Fund -- wie packte er ihn sorgfältig zu seinem übrigen Krame! -- Jetzt betrat er einige Nebengemächer -- -- in einem fand er ein leeres Stück Papier, welches wie ein Briefumschlag gefaltet war, jedoch ohne auch nur einen Buchstaben, ohne ein Stückchen von einem Siegel zu enthalten. Was schadet das? -- sagte er zu sich. Man hat schon Briefe unter solchen Couverts abgesendet -- -- und überdies scheint dieses an der Stelle, wo sonst das Siegel aufgedrückt wird, durchstochen; ein Beweis, daß der Brief mit einer Stecknadel zusammengeheftet war. -- Haha! Eine sehr beliebte Art bei Frauen... Ferner noch zwei wichtige Indicien! -- Im Gesellschaftssalon war auf einem Teppich -- die Spur eines männlichen Fußes abgedrückt -- und wiewohl sie eben so gut einem Bedienten, der herbeigerufen wurde, wie jedem andern Manne gehören konnte -- schloß unser Gatte dennoch: „Sie gehört einem Liebhaber!“ Nahe am Fenster auf einem Stuhl lag ein Lorgnon seiner Frau. Was sollte hieraus sonst gefolgert werden, als: „sie sah durch das Fenster auf die Straße -- nach ihm -- nach dem Liebhaber....?“ Mein Gott, dieser Graf hätte heute einem Tollhäusler zum Muster dienen können. Der albernste Einfall erschien ihm als die reinste Vernunft. Er mochte wohl recht stolz sein auf seine geistvollen Einfälle! Um die Zeit, da Cölestine das Schlafgemach zu verlassen pflegte, war er mit seiner Entdeckungsreise zu Ende. -- Er hörte jetzt ihre Tritte, die sich dem Zimmer, in welchem er, um auszuruhen, sich niedergelassen hatte, sich näherten -- und bald darauf trat sie ein. Alexander empfing sie mit einer Liebenswürdigkeit, welche meisterhaft gespielt sein sollte. Sie war es vielleicht auch -- Cölestine jedoch nahm sie für Wahrheit -- denn was sollte sie sonst -- nach einer Nacht, wie die vergangene? -- Das süße Weib fiel diesem Menschen, welcher einer kalten schönbemalten Bildsäule glich, mit ihren noch von Liebe heißen Armen um den Hals -- stumm, wortlos, stillbeglückt... Er seinerseits brach dies Schweigen auch nicht -- und so war es zuletzt an ihr, ihm die ersten Tagesgrüße zuzurufen: „Theurer Mann!“ sagte sie und sah ihn mit Blicken an, aus welchen Himmel strahlten: „Theurer, einziger Mann -- wie lieb’ ich Dich! -- So bist Du heute wieder mein, wie Du gestern es gewesen! -- ja Du bist mein, ich fasse Dich, ich halte Dich in den Armen -- -- ewig, ewig werden sie Dich als ihr süßestes Eigenthum umklammern. -- Allein, sprich -- was hast Du schon Alles verrichtet?.. warum mich so früh verlassen? -- Ach, ich Schläferin.... und ich fühlte Dich im Traume immer an meiner Seite! -- Da schlug ich die Augen auf: -- da griff ich mit der Hand nach Dir -- da fühlte ich eine leere, kalte Stelle... und der holde Traum war entflohen... Ach warum hast Du mir das gethan? Welcher Seligkeit hast Du mich beraubt! Welches Verlangen brannte beim Erwachen in mir, an Deine Brust zu sinken!.... Vergebens! vergebens! -- -- Da sprang ich auf, entfloh der treulosen Stätte, die mich um mein schönstes Glück gebracht -- -- ich lief Dir nach -- und so kam ich hierher... wo ich Glückliche Dich endlich wieder finde. --“ Er gab sich ihren Liebkosungen bereitwillig hin -- ja er erwiederte dieselben zärtlich und warm; das arme Weib schien sich in Lust zu berauschen -- sie vergoß eine Fluth entzückter Thränen -- ihr weißer Busen wogte heftig, voll süßen Schmerzes -- voll wehmuthsvoller Zärtlichkeit. „Und nicht wahr,“ begann sie sich zu sammeln und trocknete mit ihrem Battisttuche, woran breite Spitzen hingen, die feuchten Augen, -- „nicht wahr, mein Alexander, Du bleibst heute bei mir? Diesen Tag verlässest Du mich nicht? Du schenkst ihn ganz Deinem Weibe -- Deiner Liebe. -- Hast Du ihn mir doch gestern vom frühen Morgen zum späten Abend entzogen!... Nun, rede doch, mein geliebter Mann. Rede! Sprich: Ja! Hörst Du, Alexander!“ „Theure Cölestine --“ antwortete er mit bebender Stimme und einem sonderbaren Blick, mit welchem er sie seit langer Zeit verstohlen anblickte, dieser Blick aber schien jetzt von Trauer umflort: -- „Cölestine,“ wiederholte er: „ich weiß nicht, ob es bei mir steht, Deinen Wunsch zu erfüllen.... Du kennst die Verantwortung nicht, welche ich dadurch vor meinen Obern auf mich nehme....“ Er schwieg, er vermochte nicht weiter zu reden. Die Wahrheit ist, daß zum ersten Male seit vier und zwanzig Stunden ein guter Engel ihm durch den Mund Cölestinens etwas zugeflüstert hatte, was sein Herz erschütterte. Er hatte, als er heute in ihr reines, spiegelklares Auge sah -- als er es so treu lächeln und weinen sah, wie nur Engel lächeln und weinen -- als er ihre Worte so voll süßen Klanges, voll Liebe und Wahrheit vernahm -- endlich als er diese so seligen Umarmungen -- diesen so beflügelten Schlag ihres Herzens -- diese trunkenen Küsse fühlte: er hatte sich da gefragt: ist es möglich, daß dies Alles Verstellung sei? -- Und er hatte sich hierauf keine Antwort geben können. -- Aber die Beweise, die Zeugnisse vom Gegentheil, die er in Händen hielt? -- Er befand sich in einer entsetzlichen Lage. Sein Herz fing an unter dem Andringen entgegengesetzter Gewalten zu seufzen. Es war jetzt ein Moment, wo er wünschte, daß dies Herz verbluten möchte.... Da fiel ihm der Gedanke ein, die Hortensie aus seiner Tasche zu ziehen und sie Cölestinen zu zeigen: „Kennst Du diese Blume?“ rief er mit einem Tone, als fragte ein Verurtheilter: „Werde ich hingerichtet?“ O Himmel! Eine Purpurröthe überzog plötzlich ihr Gesicht, das sich zitternd senkte. „Sie ist schuldig!“ sprach eine Donnerstimme in seiner Brust -- diese drohte zu zerreißen -- er fiel fast ohnmächtig um. Doch sein Stolz ließ ihn sich schon in den nächsten Augenblicken wieder emporreißen und von jetzt an ward er fest und hart wie Granit. Sie, die noch immer gesenkten Blickes vor ihm stand -- wußte nicht, was mit ihm vorging, und erst nachdem er, der jetzt wieder ruhig lächelte wie zuvor -- mit seinen eigenen Händen ihr Haupt aufgerichtet hatte -- wagte sie es, ihm in’s Gesicht zu sehen -- und sie erblickte einen vollkommen gefaßten Mann, der mit liebreicher Stimme zu ihr sprach: „Nun, meine süße Taube, was ist mit Dir geschehen? Warum diese Ueberraschung? Was lag in meiner Frage wegen jener Blume, die jetzt hier auf dem Boden zu unseren Füßen liegt -- so Sonderbares? Du schienst erschreckt -- hätte ich dies voraussehen können, ich würde die Frage nicht gestellt haben.“ Eine Pause entstand. „Du antwortest nicht?“ fuhr er fort: „Du hast mir nichts zu sagen. Ei, es ist so auch gut! Was liegt an der ganzen thörichten Blume? Reden wir nicht mehr von ihr.“ „Ja, reden wir nicht mehr davon!“ wiederholte sie, abermals leicht erröthend: „Es ist eine Thorheit, eine Schwäche -- was Du sonst willst... Reden wir also nicht davon, geliebter Mann.“ „Gehen wir“ begann er mit einem lustigen Tone: „zu wichtigeren Dingen über: _A propos_, was unsere Soirées, unsere _jours fix_ betrifft, hast Du deshalb schon einen bestimmten Entschluß gefaßt? Wir müssen uns darüber endlich doch mit der Gesellschaft verständigen; sie ist über unsere Zögerung sehr ungehalten, wie ich vernommen habe. -- Also an welchem Tage öffnest Du Deinen Salon den Leuten von gutem Ton?“ „Ach, mein Freund“ sagte sie bittend: „reden wir jetzt nicht von diesen Dingen. Scheinen sie Dir denn wirklich so wichtig? -- Wie kommt das so plötzlich? -- Du warst sonst eher ein Feind Alles dessen, was sich hindernd zwischen unsere Liebe stellte. --“ „Ich habe jedoch einsehen gelernt, daß ich in einer solchen Gesinnung nicht verbleiben kann. Man hat nicht allein gegen sich, man hat auch gegen die Welt Pflichten zu erfüllen... Und was die letztere betrifft, so gibt sie ihre Ansprüche an uns ebenfalls nicht auf. --“ „Allerdings, und wir wollen ihr auch ihr Recht nicht vorenthalten --.... aber nur heute, nur an diesem Tage, wo ich allein und ganz in Deinem Besitze leben und alles Andere vergessen möchte -- nur heute kein Wort mehr.“ „Ach Du, mein Närrchen,“ lachte er -- „wie bist Du mit einemmale so kindisch und schwärmerisch geworden -- schwärmerischer als in den ersten Tagen unserer Liebe --! --“ Das rauhe Wort hatte Cölestine verletzt. Ueber ihr freundliches Angesicht zog eine trübe Wolke -- und eine von den Thränen, die kaum erst versiegt waren -- perlte wieder an ihrer Wimper: „Du hast Recht!“ sprach sie nach einer Weile eintönig, aber sanft: „Was Du verlangst, soll geschehen. Ich achte Deine Wünsche, so wie Du sie bisher bei mir geachtet hast. -- Noch heute will ich in Betreff unserer Gesellschaften einen bestimmten Plan entwerfen und ihn Dir vorlegen.“ „Warum aber kann das nicht sofort geschehen? Es ist besser, man thut ein solches Geschäft rasch ab -- und da ich über diesen Gegenstand schon selber nachgedacht habe, so will ich Dir ohne Aufschub meine Ansichten mittheilen. --“ „Ich höre Dich!“ „Zuerst also ist meine Meinung, daß wir -- wie schon einmal berührt worden -- den +Sonnabend+ zu unserem _jour fix_ wählen; an diesem Tage wären dann Deine Salons für die ganze Gesellschaft offen...“ „Wohl, mein Freund.“ „Du empfängst alle Welt: Freunde, Bekannte und durch sie eingeführte Fremde. -- --“ Der Bediente trat mit der Meldung ein, daß das Frühstück servirt sei. „Wir wollen es hier einnehmen -- in diesem Gemache, wenn Du damit zufrieden bist...“ bedeutete Alexander gegen seine Gemahlin. „Wie es Dir gefällt, mein Freund,“ entgegnete sie, und während man fortging, um das Nöthige herbeizuschaffen, fuhr er in seinem Gespräche fort: „Es ist einer meiner Lieblingsgedanken, unsern größern Cirkel so glänzend und zahlreich als möglich zu machen und deßhalb möchte ich Dir vorschlagen -- besonders die ausgezeichneteren Fremden herbeizuziehen... Personen, wie z. B. die so eben in der Residenz anwesenden Grafen Orlowosky aus Petersburg -- die Vicomtesse Defour, die aus den Bädern von Ems hierher zurückkehrte -- die Laval’s, die Du Quintin’s, die jungen Lord Walpole -- und Aehnliche.... Ach, beinahe hätte ich den Wichtigsten vergessen: den +Chevalier de Marsan+!“ Bei Nennung dieses Namens heftete er seinen Blick mit zersetzender Schärfe auf Cölestine .... sie, welche diesem Blicke begegnete, entsetzte sich vor demselben dermaßen, daß sie zurückfuhr wie von einem Schlage getroffen und ein heftiges Zittern sich über ihren ganzen Körper verbreitete: „Die Schändliche! Sie sieht sich entdeckt!“ rief es in seinem Innern und laut fragte er im Tone der Ueberraschung: „Aber was ist Dir geschehen?.. Was hast Du, Cölestine?“ „Dein Blick --“ erwiederte sie -- „hat mich erschreckt.“ „Mein Blick --?“ „Noch nie sah ich Dich so --“ „Eine Einbildung von Deiner Seite -- ein Zufall -- eine Kleinigkeit von der meinen; die Nachwirkung vom gestrigen Unwohlsein...“ Inzwischen ward das Frühstück hereingebracht; der Graf verabschiedete mit einem Winke die Dienerschaft und führte seine Gemahlin zum Tische -- welcher vor einem Divan stand, worauf jetzt Beide Platz nahmen.... Er langte wacker zu -- er hatte freilich auch gestern den ganzen Tag nicht gegessen; indeß auch ohne diesen Zufall hätte er sich zum Essen +gezwungen+; es gehörte zu seiner Rolle. Sie jedoch berührte nichts und dies -- dies schien er gar nicht zu bemerken. -- „Kannst Du, meine Freundin, mir nicht sagen,“ fing er wieder an -- „ob wir den Chevalier noch lange in unserer Stadt behalten werden?“ „Welchen Chevalier?“ „-- Den Chevalier de Marsan. -- Allein was macht Dich fortwährend so nachdenklich -- -- mein Kind?“ „Du sprichst von Herrn von Marsan?“ sagte sie zerstreut -- „ich kann Dir über diesen Herrn keine Auskunft geben.“ „In der That -- er ist einer der glänzendsten Kavaliere...“ „Gewiß!“ versetzte sie, wahrscheinlich an etwas ganz Anderes denkend. „Und -- einer der interessantesten Charaktere.“ „Ohne Zweifel.“ „Der schönste Mann, den ich je gesehen.“ „Ein reizender Mann!“ bestätigte sie arglos. Der Graf sprang nun plötzlich von diesem Gegenstande ab und erkundigte sich nach den Eltern Cölestinens. „Ach!“ sagte sie wehmüthig bewegt: „Du erinnerst mich an meine guten Eltern. Ich bin eine schlechte Tochter. -- Seit mehreren Tagen habe ich an die lieben Ehrwürdigen nicht gedacht. -- Ich dachte nur an -- Dich!“ „Wirklich?“ lachte eine Hölle in seiner Seele. „Du theures, theures, geliebtes Weib!“ sprach er gegen sie gewendet mit zärtlichem Tone und umfing mit seinen Armen ihren Leib -- zog sie an sich heran -- und berührte mit seinen fieberischen Lippen die ihrigen. „Dein Mund brennt wie Feuer!“ rief sie. „Aus Liebe!“ „Dein Hauch ist so glühend -- so heftig. --“ „Die Leidenschaft in meinem Herzen ist es auch!“ rief er und schloß das Weib mit einer Gewalt in seine Arme, die derjenigen glich, da er sie noch so heiß liebte. -- -- Ach, die Arme ließ sich bethören... ihr Herz schlug und glaubte... es glaubte ihm auch jetzt.... Sie hatte in diesem Augenblick ein so großes Bedürfniß, von ihm geliebt zu werden -- und er wußte sich so meisterhaft zu verstellen.. -- So ward denn dieses Frühstück, welches traurig genug anfing, für sie noch zum Freudenmahle. Sie aß wieder, sie trank wieder -- -- -- denn seine Küsse, seine Betheurungen, seine Zärtlichkeit hatten sie besiegt, genesen gemacht. In Wahrheit, es war ihr leicht beweglicher Sinn, ihr, lebhafter Eindrücke fähiges, und eher zur Lust als zur Trauer geneigtes Gemüth, das ihm hier so trefflich zu statten kam und seine Eroberung in kurzer Zeit vollenden half... Wäre ihre Natur der seinigen ähnlich gewesen, hätte das Resultat leicht ein entgegengesetztes werden dürfen. Ueberzeugt und sicher gemacht -- entfaltete ihre Natur sich nun wieder rasch in allen jenen eigenthümlichen Formen, die wir von und an ihr kennen und vielleicht auch lieben gelernt haben. Sie war wieder das jugendliche, holde, heitere, fröhliche, tändelnde, eitle und doch so liebenswürdige Wesen, welches die Männer bezauberte und die Frauen erfreute... sie war wieder jene Cölestine, die wir als so glücklich und froh kennen gelernt haben. -- Was ihren Gatten betrifft, so erfüllte er ihren Wunsch und blieb heute den ganzen Tag über bei ihr. Er schien durch sein Betragen Alles wieder gut zu machen -- und sie sagte zu sich im Stillen: „Ach -- der Arme! Es war eine kurze Rückkehr seiner alten bösen Krankheit.... Diese Schwermuth, diese Hypochondrie machte ihn nicht minder unglücklich als mich.... Man muß Nachsicht mit ihm haben. -- -- Jetzt aber ist Alles vorbei; er ist wieder mein guter, treuer, geliebter Alexander, und ich -- ich bin die seligste der Frauen. --“ Dreizehntes Kapitel. Neue Proben -- neue Beweise. Es war heute Sonnabend. -- Mehrere Reihen Equipagen standen bereits draußen vor dem Palaste des Grafen A--x aufgefahren. Die Lakaien in ihren bunten, abstechenden, oft verschwenderisch mit Gold und Silber beladenen Livréen tummelten sich dazwischen und im Thorwege, während das gravitätische Volk der Kutscher auf ihren Wagensitzen voll ernster Unbeweglichkeit thronte und sich gegenseitig die Vorzüge und Eigenschaften ihrer Pferde erörterte, was diese klugen Geschöpfe auch recht gut zu verstehen schienen und wobei sie durch Wiehern, durch Prusten, Stampfen und allerhand Bewegungen (in deren geheimnißvolle Bedeutungen wir noch nicht völlig eingedrungen sind) ihre Freude, ihren Stolz, ihren Unwillen zu erkennen gaben -- denn bekanntlich herrscht zwischen Pferd und Kutscher oder Reiter ein Verständniß, eine Sympathie... Drinnen im Hause, in den Salons der Gräfin tummelte sich heute eine reiche prunkende und zahlreiche Welt. Nur Gott weiß es, wie sein Himmel alle diese Menschen so auf ein Mal herabgeschneit hatte; denn mehr als die Hälfte unter ihnen waren für unsere holde Hausfrau, wie man sich ausdrückt, „+wildfremd+.“ -- Indeß mangelte es ihnen nicht an jenen Eigenschaften und Bedingnissen, vermöge deren selbst ein „wildfremder“ Mensch in guter Gesellschaft das Recht erhält, sich sofort wie einer ihrer ältesten Bekannten zu geriren. Das heißt: alle diese Leute waren eingeführt und jetzt theils der Gräfin, theils ihrem Manne vorgestellt worden. -- Die beiden Ehegatten schienen heute unvergleichlich liebenswürdig; das sagte die ganze Versammlung -- und wir können hinzusetzen: über Cölestine täuschte sie sich nicht. Was ihren Gatten betrifft, so ist dies freilich eine andere Sache. -- Zum ersten Male nach so langer Zeit hatte die junge Frau wieder die Freude, ihre Eltern bei sich zu sehen; sie umarmte die gute Mutter mit Thränen in den Augen. General von Randow scherzte, wie gewöhnlich, ihr gleich den Willkomm weg und küßte ihr die Worte von den Lippen, so daß sie ihm weiter nichts sagen konnte als: „Mein liebes gutes Väterchen --!“ worauf er in seiner Weise „Schon gut! schon gut!“ entgegnete. -- Mit dem General war auch die Gräfin Wollheim und die Wittwe des Generals E--x angekommen.... Graf Wollheim hatte sich von diesen Personen noch in der Wohnung des Generals Randow getrennt, unaufschiebbare Geschäfte vorschützend, welche von der Art waren, die wir schon kennen. -- In der That war der Graf auch nur deßwegen in das Randow’sche Haus gekommen, weil er gehofft hatte -- seines Sehnens Ziel endlich zu erreichen, nämlich den Freund Edmund, welchen er bereits seit 6 ewiglangen Wochen nicht zu Gesicht, d. h. nicht vor das Glas bekommen; ein Umstand, wegen dessen der alte Bär zu verschiedenen Malen die bittersten Zähren vergossen. -- General Randow unterhielt sich später mit seiner Tochter; hierüber schienen einige von den Anwesenden äußerst ungehalten, indem, ihrer Meinung nach, dies sehr wenig Artigkeit gegen die übrigen Gäste bewies, von denen fünf oder sechs, die so eben eingetreten waren, vorgestellt zu werden wünschten. „Finden Sie nicht,“ lispelte eine alte Dame einer jungen zu: „daß in diesem neuen Hause auch ein ganz neuer Ton herrscht?..“ „Gewiß, meine Freundin -- ein sehr neuer; er ist äußerst interessant, und ich muß mir in meinem Tagebuche eine eigene Notiz machen. -- Erlauben Sie es wohl?“ Hiermit nahm die Jüngere ein dünnes Maroquinbändchen heraus und fing an zu schreiben... „Ach, Sie tragen Ihr Tagebuch bei sich, meine Beste?“ „Immer. Sie wissen doch, mein Gedächtniß zwingt mich zu dieser Vorsichtsmaßregel! O ich habe ein schrecklich schwaches Gedächtniß...“ „Ich weiß, ich weiß...“ „Apropos -- Sie erinnern sich wohl noch jenes hübschen jungen Mannes, der vor beiläufig einem halben Jahre hier anwesend war... ich meine den Herrn von Ingelstein, **schen Gesandtschafts-Sekretär?“ „Ganz recht, ganz recht!... O wie sollt’ ich nicht? -- Nun, was ist mit ihm geschehen?“ „Dieser Herr, wie Sie wissen werden, hatte damals die Absicht, dem Fräulein von Randow den Hof zu machen....“ „Richtig, richtig --“ „Wurde jedoch -- wie Sie ebenfalls wissen müssen -- von ihr sehr gleichgültig behandelt --“ „Sehr wahr, sehr wahr. Und -- nun --“ „Er reis’te demzufolge plötzlich ab.... es war, wenn ich nicht irre, am 11ten Februar -- einem sehr häßlichen, frostigen Tage....“ „Dieses Umstandes erinnere ich mich nicht mehr --“ „Ja, ja, ich weiß es noch wie heute: es schneite, hagelte -- es glatteis’te --“ „So -- so --“ „Ach und der arme schöne junge Mann -- er fuhr ab, verzweifelnd -- halbsterbend...“ Diese Dame schien demnach kein gar so schlechtes Gedächtniß zu haben, wie sie klagte. Sie führte ihre Erzählung von dem schönen jungen Manne noch bis zum Schlusse, wobei sie nicht undeutlich merken ließ, daß dieser schöne, junge Mann in ihrer Brust kein Felsenherz gefunden hätte, falls es auf einen Versuch angekommen wäre. In diesem Augenblicke trat Graf Wollheim ein, näherte sich dem alten General und zog ihn mit sich fort. Dadurch wurde den Verzweifelnden und Harrenden Platz gemacht. „Wirklich,“ setzten jene zwei Damen ihr Gespräch fort: „es war endlich Zeit! Dieser alte General hielt seine Tochter occupirt, als wäre es ein erobertes Land. -- Dies ist eine Undelikatesse, wie sie mir noch nie vorgekommen....“ „Was wollen Sie, meine Beste? -- -- diese Randow’s, so vornehm und stolz sie sein mögen, haben keinen Ton, keinen Takt; bei ihnen ist noch Alles polnisch...“ „Ja, ja, -- ganz wojwodenmäßig -- bojarisch -- baschkirisch -- hahaha!“ Wollheim hatte unterdessen den General in einen Winkel gezogen: „Ich bitte Sie um Himmelswillen,“ fing er mit der Miene eines Menschen an, der andeuten will, daß er keinen Spaß versteht: „wo ist denn dieser Edmund hingekommen? Ihr Sohn, Ihr einziger Sohn Edmund? -- --“ Es mußte in Wahrheit weit gediehen sein, da der Jäger sich so geradewegs an den Vater seines Intimsten wandte, von dem er doch wußte, daß ihm diese Intimität sehr fatal sei. Aber unser Nimrod dachte, wie jener Araber, der sich seinem Kalifen näherte, um den Aufenthalt von dessen Tochter zu erforschen: „Sagt er mir’s, so weiß ich es genauer, als wenn mir’s ein Anderer sagen würde; sagt er mir’s nicht -- so steh ich auf dem alten Fleck -- und wegen meines Kopfes ist dann noch immer Zeit Sorge zu tragen; jedenfalls ist der Kopf hier blos Nebensache.“ „Hinsichtlich meines Sohnes Edmund,“ antwortete der General -- „weiß ich Ihnen nichts zu sagen, als daß er in letzterer Zeit sich an den Chevalier von Marsan, mehr als mir lieb ist, angeschlossen hat. --“ „Und mehr als mir ebenfalls lieb ist!“ setzte der Jäger im Stillen hinzu: „Aber,“ bemerkte er laut -- „sollte es nicht Mittel geben, den jungen Mann von dieser Gesellschaft zu trennen?.. Der Chevalier ist glänzend, verschwenderisch -- seine Nähe demnach äußerst gefährlich, wie Sie selbst einsehen werden, mein bester Freund. -- Ach! hier sollten Sie fürwahr Ihr Ansehen als Vater geltend machen. Es gilt, einen arglosen Jüngling vor den Fallstricken der Welt zu schützen.... ihn vor einem finstern Abgrunde... zu bewahren. Es ist Christenpflicht! Es ist Vaterpflicht, hier einzuschreiten -- glauben Sie mir’s, mein alter Freund Randow...“ Der General, als er Wollheim so pathetisch deklamiren hörte, konnte ein Lächeln nicht unterdrücken; er mochte insgeheim an die Fabel denken: Wie der Fuchs das Lamm vor dem Wolfe warnt -- es bleibt indeß doch das Opfer. -- „Lieber Wollheim,“ versetzte er: „es scheint, daß Sie dem Chevalier nicht minder gram sind, als Sie es gut mit meinem Sohne meinen; ich bin Ihnen jedoch, aufrichtig gesagt, weder für das Erste noch für das Zweite sehr verbunden; denn wiewohl ich im Ganzen dieses schrankenlose Anschließen Edmunds an den Chevalier nicht gerne sehe, so muß ich doch gestehen, daß dies keineswegs aus Mißbilligung des, wie Sie sagen, glänzenden und verschwenderischen Charakters Marsans entspringt, welchen Charakter ich im Gegentheil bei einem großen Herrn von diesem Schlage mit Vergnügen erblicke; es ist also hier nicht von den Fehlern Marsans -- sondern von dem Uebermaß der Liebe Edmunds zu ihm die Rede. -- Sie wissen, wozu eine solche Hingebung führt: man wird ein Sklave, verliert alle selbstständige Würde -- u. s. w. -- Anderseits, um von dem zweiten Punkte zu reden: so habe ich das Verhältniß, welches bisher zwischen Ihnen, lieber Graf, und meinem Sohne bestand -- ebenfalls nicht gebilligt. Abgesehen vom Unterschied der Jahre --“ „Ach -- warum nicht gar!“ fuhr der Jäger auf: „Unterschied der Jahre! -- Zwischen Freunden gibt es keinen solchen!“ „-- So ist auch die Grundlage und das Motiv dieser Freundschaft nicht geeignet -- mich zu beruhigen, wie Sie selbst einsehen müssen.“ „Alle Guckuck -- mein Freund! Wie ich selbst einsehen muß, sagen Sie? -- Aber ich sehe hier gar nichts ein, mein bester Randow! -- ich sehe hier nicht das Geringste ein...“ „Sie sehen hier nicht das Geringste ein, lieber Graf? -- So finden Sie, daß Trinken, Spielen -- Gelage -- Müßiggehen -- in Wäldern umherstreifen, welche überdies zum kaiserlichen Revier gehören, -- -- finden Sie, daß dies Alles nichts sei. -- --“ „Ei -- allerdings ist es Etwas, mein bester Randow... Allein, hoffentlich werden Sie mir glauben, daß es dies nicht ist, worauf unsere Freundschaft beruht. -- Unsere Freundschaft -- der Bund unserer Herzen gründet sich auf ganz andere Dinge -- auf Tugenden und ritterliche Gesinnungen, bei St. Hubertus! -- auf Gesinnungen, sag’ ich, die einem Bayard zur Ehre gereicht haben würden...“ „Unter uns,“ bemerkte der General leise: „rechnen Sie hierher auch jene That, die Sie neulich -- im Hühnerhofe dieses Hauses vollbracht haben? -- --“ Zum Glück für den Jäger, welcher bei dieser Frage seine sonst derbe Fassung ein wenig verlor -- zum doppelten Glück für ihn öffnete sich jetzt die Thür, und Edmund, wie gewöhnlich am Arme des Chevaliers, trat ein. -- Sogleich wollte der Jäger auf ihn zustürzen, der General jedoch hielt ihn zurück und sagte mit ernster Stimme: „Mäßigen Sie sich, Graf Wollheim! Sie bemerken, daß Alles aufmerksam ist und nach den Beiden sieht.“ „Nun -- und was weiter?“ „Sie würden sich in eine lächerliche Lage versetzen. Sehen Sie das nicht ein, bester Wollheim?“ Nach kurzer Ueberlegung entgegnete dieser: „Sie haben Recht, Freund Randow. Ich bin Ihnen dankbar für diesen Wink, und wollen Sie sich mir noch mehr verpflichten -- --“ „Nun?“ „-- So reden Sie mit Edmund und fragen ihn, wie er es bei sich verantworten kann, seinen alten Freund Wollheim, seinen Lehrer und Führer in den edlen Künsten des Ritterthums -- seit vier Wochen mit keinem Auge angesehen zu haben...“ Wir wenden uns jetzt von diesem Vorspiel des Drama’s ab. Seit etwa einer Viertelstunde war Cölestine wieder von einem Kreise jener intimeren Freunde des Hauses umgeben, die sich zu dieser Würde größtentheils aus eigener Machtvollkommenheit zu erheben pflegen. Nicht nur Gräfin Wollheim -- Fräulein Eugenie von Bomben -- Frau von Rabenstein und Andere, deren Namen weder die Blätter der Weltgeschichte noch die gegenwärtigen je nennen werden -- -- sondern sogar Frau von Porzenheim, die edle und obligate Mitlacherin ihres Mannes, gehörten hierher, saßen neben Cölestine und deren Mutter. -- Der Graf, ihr Gemahl, hatte in der Nähe, doch so, daß sie ihn nicht im Auge behielt, einen Sitz eingenommen und unterhielt sich hier mit einigen Herrn über Staatsgeschäfte und die neuesten Zeitungsnachrichten. Er schien ganz Aug und Ohr für seine Gesellschaft -- während er doch so achtsam, als hätte er neben seinen zwei Menschenaugen die tausend kleinen der Insekten gehabt, den ganzen Salon überwachte, so daß ihm hier nichts entgehen konnte. -- Dieser Mann war in der Kunst des Lauschens, wozu er vermöge seiner mißtrauischen Natur die besten Anlagen zur Welt mitgebracht hatte, bereits zu jenem hohen Grade gekommen, welcher seinem Besitzer eine Art dämonischer Gewalt verleiht, vermöge deren er eine Sache nicht einmal zu sehen braucht, um sich von ihrem Zustande zu überzeugen.... er fühlt, er ahnt, er schaut, wie der Clairvoyant, mit geschlossenen Augen Alles. In dem Augenblicke, als Herr von Marsan eintrat, hatte Alexander eben über einen Gegenstand gesprochen, der seine volle Aufmerksamkeit erforderte -- und dennoch verrieth es ihm ein magnetisches Gefühl, daß der Chevalier hier sei. -- Indeß blieb er dabei ruhig, kalt, theilnahmlos im Aeußern -- und nur ein Blick, den er später so rasch, daß Niemand ihn gewahrte, nach seinem Nebenbuhler warf, sollte ihn überzeugen, ob er richtig gefühlt habe. -- Wider Erwarten näherte sich ihm jetzt Dieser mit Edmund und Beide nahmen in seiner Nähe Platz. „Dies ist,“ dachte er bei sich: „eine Schicksalsfügung welche ganz in meine Intention paßt, so daß ich die Götter heute zum ersten Male in meinem Leben preisen muß, mir einen +wirklichen Dienst+ erwiesen zu haben.“ -- Alexander hatte sehr gut bemerkt, daß, so oft sich zwischen Marsan und Cölestine noch ein Dritter oder, wie hier, eine ganze Gesellschaft befand, Jener seinen glühenden Blicken einen ehrfurchtsvollen Ausdruck gab. Dies, rief Alexander bei sich -- soll blos das heilige Pilgerkleid sein, unter welchem sich ein Mörder mit Dolch und Gift verbirgt --; -- so will ich ihm denn den Weg abkürzen und die Arbeit erleichtern.... den Moment der Ausführung rascher herbeiführen. -- Dann soll er entweder entlarvt werden -- oder aber das Opfer, welches für mich keinen Werth mehr hat, mag verbluten -- zum Aase werden, auf welches Tags darauf sich die Raben setzen. „Herr von Marsan,“ sagte er nach mancherlei Hin- und Herreden zu dem Chevalier -- „ich weiß nicht, ob Sie mir erlauben, eine Bitte an Sie zu stellen, welche Ihnen vielleicht an sich sonderbar vorkommen wird, es jedoch durch die nähern Umstände, die mich dazu veranlassen, nicht ist. Sie erzählten so eben eine hübsche Anekdote aus der Zeit Ihrer Anwesenheit im südlichen Frankreich -- diese Begebenheit nun ist mir selbst einmal in der Schweiz arrivirt, und so wahrscheinlich ich dieselbe auch stets der Gräfin, meiner Frau, zu machen suchte -- sie wollte mir niemals glauben. In diesem Falle fertigte sie mich stets mit dem gewiß sehr vernünftigen Satze ab: es giebt keine Geister, keine Gespenster, selbst die Kinder glauben nicht mehr daran. -- Da Ihr Zeugniß, mein Herr, nun von großem Gewicht ist, würden Sie sich hier ein Verdienst erwerben, wenn Sie mit einigen Worten die Glaubwürdigkeit eines Mannes bei dessen Gemahlin feststellen wollten.“ „Und auf welche Weise würde ich Ihnen diesen Dienst, den ich mit so großer Bereitwilligkeit übernehme, leisten können?“ fragte aufmerksam der Chevalier. „Einfach dadurch, daß Sie die artige Historiette, die Sie uns so eben vortrugen, meiner Gemahlin wieder erzählen. -- Sie wird diese Gelegenheit ergreifen, einen unserer interessantesten Kavaliere näher kennen zu lernen...“ Ein mephistophelisches Zucken bewegte sich, während er diese Worte sprach, um den Mund des Grafen. Marsan seinerseits ließ ein augenblickliches Freudeleuchten über sein Gesicht ziehen, welches jedoch bald einer merkbaren Blässe wich. „Nur so fort!“ dachte der Graf im Stillen, erhob sich jetzt kalt und führte den Chevalier zu Cölestinen: „Meine Gemahlin -- Sie sollen diesen liebenswürdigen Herrn einige Augenblicke +in meinem Interesse+ anhören -- dies ist meine inständige Bitte. Herr von Marsan wird Ihnen Etwas, worüber unter uns so oft Streit war, bestätigen und sich dadurch nicht nur um mich, sondern auch um Sie, meine Theure, ein Verdienst erwerben.“ Cölestine starrte bei dieser Rede ihren Mann an, als verstände sie den Sinn seiner Worte nicht; zugleich aber ihrer Pflicht als Frau vom Hause eingedenk, wies sie dem Franzosen und Alexander Plätze in ihrer Nähe an, indem sie zu Jenem gewendet sprach: „In der That, mein Herr, Sie erweisen mir kein geringes Vergnügen, indem Sie mir eine Mittheilung machen, die von solchem Interesse ist, daß dieselbe meinen Gemahl sogar zu Gedächtnißfehlern verleiten konnte; denn meines Wissens haben wir nie über einen Punkt gestritten, der nicht sofort aufgeklärt worden wäre. --“ „Du erinnerst Dich jedoch jenes Vorfalls, den ich in Lausanne erlebte. --“ „Ach -- jene Geistergeschichte, worüber ich so lachte! -- Und diese scheint Ihnen so wichtig, mein Gemahl? -- --“ „Gnädige Frau,“ nahm Marsan das Wort, der nicht mehr wußte, ob man hier Ernst oder Scherz treibe, und der seinerseits zu dem Letzteren sehr wenig Lust haben mochte. „Gnädige Frau,“ sagte er in einem ruhigen, gemessenen Tone: „nicht mich klagen Sie an, falls es sich hier um Etwas handelt, was ich noch nicht begreife... ich bin blos das Werkzeug des Herrn Grafen und habe mich aus Hochachtung für Sie gerne diesem sonderbaren Berufe unterzogen. --“ Er warf hier zugleich einen jener leichten, blitzenden unaussprechlichen Blicke auf Alexander, womit ein Mann von gutem Tone eben sowohl seine unerschütterliche Fassung wie die Geringschätzung einer Gefahr oder auch eines Menschen zu erkennen giebt. Alexander kämpfte, seit Marsan die erste Silbe an Cölestine gerichtet hatte, mit einem convulsivischen Zittern, welches er zwar bezwang, -- doch nicht so ganz, daß es dem scharfen Blicke seines Gegners entgangen wäre. Das Letztere ward für ihn Marsan von diesem Augenblicke an in der That. Er ward sein Gegner, sein Feind, sein entschiedener Widersacher. Der größte Beweis hierfür war wohl der, daß er beschloß, es ihn sofort merken zu lassen. So groß war die Zuversicht des Chevaliers auf Eigenschaften, die ihn bereits unzählige Mal als Sieger aus den gefährlichsten Kämpfen hatten hervorgehen lassen: „Dieser Mensch da,“ murmelte er lächelnd: „hat es gewagt, Dich mit Waffen zu bedrohen, welche Du mit der Fußsohle zertreten und ihm die Bruchstücke davon an den Kopf werfen solltest...“ Und ohne Weiteres forderte er Cölestine in Gegenwart ihres Mannes zu einem Gespräch auf, welches himmelweit von demjenigen verschieden war, zu dessen Behuf der Graf ihn mit seiner Frau zusammengeführt hatte; dieses Gespräch, in welches er sie mit großer Gewandtheit und rasch zu verschlingen wußte, betrieb er überdies mit einem so auffallenden Eifer, daß derjenige, welcher hieher gekommen war, um zu beobachten und zu beschämen, dies durch die Umstehenden selbst ward, und zwar in einem Maße, daß er, so heftig er sich auch dagegen sträubte, endlich gleichwohl sich zu erheben gezwungen war, um nur nicht als schmählich Ueberwundener dem allgemeinen Bedauern zu verfallen. Wozu hatte er nöthig gehabt, die Fehde so offen zu provociren? Vermöge des heitern, lustberauschten Sinnes, von welchem Cölestine heute den ganzen Tag, beiläufig in derselben Weise, wie an jenem Vermählungstage, beherrscht wurde, war sie nicht fähig, ihrem Gatten in die Region der Melancholie, des Unmuths und des Schmerzes zu folgen, um so weniger, als er diese Stimmungen durch sein äußeres Betragen auf alle Weise zu verdecken sich bemühte; so geschah es denn auch, daß, während alle Welt auf ihn aufmerksam ward und ihn mit penetranten Blicken verfolgte, sie die Einzige war, welche hievon eine Ausnahme machte. -- „Aber sehen Sie doch dorthin! Was bedeutet das?“ „Ach, die Gräfin A--x scheint der berühmten Unwiderstehlichkeit des Chevaliers endlich auch ihren Tribut zu entrichten. In der That, diese Unterredung ist eklatant.“ „Von ihrer und von seiner Seite. Wer hätte dies erwartet.“ „Mindestens von der Gräfin war es nicht vorherzusehen. Allein da hat man nun den besten Commentar zu jenen Berichten, durch welche diese jugendliche Ehe als eine solche geschildert ward, wie sie Adam und Eva im Paradies geführt haben. --“ „Nämlich -- den Baum und den Apfel mitinbegriffen...“ „Ah, ah -- meine Besten, was wollen Sie? Gräfin A--x hat, Alles erwogen, den gegründetsten Anspruch auf unsere Bewunderung. Sie hat sich so schnell als es kaum zu erwarten war -- aus einer Gefühlsnärrin zur Weltdame aufgeschwungen. Das verdient Anerkennung.“ „Ja, ja -- es verdient dieselbe.“ „Aber mein Himmel! was ist das?“ rief mit einem Male Jene aus, indem sie mit den Augen nach Cölestinen deutete: -- „Haben Sie nichts bemerkt, meine Damen? -- So eben hat der Chevalier die Gräfin verlassen -- und sie, diese junge hoffnungsvolle Calypso -- -- ist ihm mit einer sonderbaren Bewegung in Blick und Miene gefolgt, mit einer Bewegung, sag’ ich, die den Grafen, ihren Mann, welcher dort hinter der Blumenpyramide -- wie eine Klapperschlange hinterm Gesträuche -- verborgen lauert, dem Wahnsinn nahe gebracht zu haben scheint.... denn sehen Sie -- seine Hand, die krampfhaft einen Oleander hielt -- hat denselben wahrscheinlich ohne daß er es weiß mitten entzwei gebrochen.“ „Richtig! richtig! -- Ah, es ist zu reizend! zu interessant! -- -- Ein Herkules also -- der Bäume entwurzelt....“ „Ah! Ah! Ah! -- Ungeheuer großartig! -- Dieser Marsan ist ein Phänomen! -- -- Er hat sich der Gräfin wieder genähert -- -- -- und bei Anadyomene! -- ihr Auge scheint ihm dafür einen eben so stillen als ausdrucksvollen Dank zu spenden....“ „Der Mann aber -- der Gemahl -- was thut er?“ „Mein Gott -- er ist halbtoll...... Um Himmelswillen! bemerken Sie doch, holde Freundin. -- Seine Phrenesie geht so weit -- -- daß er im Angesicht des ganzen Salons sich hinter den Blumen auf alle Vier niederläßt, um bequemer zu beobachten, der Bedauernswerthe. Gleicht er nicht dem Nabuchedonosor -- und scheint es nicht, als wolle auch er Gras fressen?.. hahaha!“ „Es ist entsetzlich! Es ist entsetzlich! -- Das ist noch nie da gewesen!“ „Inzwischen scheinen die beiden jungen Leutchen dort -- Marsan und die niedliche Frau vom Hause -- sich gar köstlich die Zeit zu vertreiben. Sie lacht so viel und er erzählt so unermüdlich, daß man seine Freude an diesem Gedeihen haben kann....“ „Der Nabuchedonosor aber huckt noch immer in froschähnlicher Positur hinter den Blumen.... Meiner Treu, dieser Mensch muß complett den Verstand verloren haben...“ „O wie Schade! -- Jetzt entzieht uns eine allgemeine Bewegung der Gesellschaft seinen Anblick. Allein, was soll das bedeuten? -- Auch Cölestine hat sich erhoben.“ „Man hat das Zeichen zum Tanzen gegeben -- man wird in den nächsten Salon gehen...“ „Also man tanzt heute auch hier?..“ „Man tanzt, man spielt -- man wird sich noch ganz allerliebst unterhalten.“ „Meinetwegen. Dann aber lassen Sie uns den Paaren nicht folgen, sondern lieber nach dem Spielzimmer gehen -- so werden wir an jener Blumenhecke vorbeikommen und unsern Vierfüßler ganz nahe beaugenscheinigen können...“ „O was ist das? -- Er ist fort! Verschwunden! -- Keine Spur von ihm mehr vorhanden! -- -- Wahrscheinlich durch eine Versenkung wie im Theater. --“ „Hahaha! -- -- Vorwärts, meine Freundinnen!“ Und fast Alles verließ diesen Salon, in welchem nur noch wenige Gruppen, bestehend aus ältern Herren, zurückblieben, die ein angesponnenes Gespräch augenblicklich zu unterbrechen nicht für gut fanden. Was den Chevalier betrifft, so hatte er Cölestine den Arm gegeben -- -- und Edmund, dadurch allein gelassen, entging seinem Schicksale nicht: er, der seine Mutter führen wollte, sah plötzlich -- -- den Grafen +Wollheim+ ihren Platz einnehmen. „O! O! O!“ schrie dieser mit einer Freude, die sich glänzend auf seinem Gesichte malte: „da hätten wir ihn endlich den Bösewicht -- den Undankbaren -- den treulosesten aller Freunde und Schüler! -- Also so weit ist es mit uns gekommen, daß wir auf Bällen als +Paar+ zu einander treffen müssen. Wir, wir -- die den Tanz und die Springerei verachten -- außer er würde in Wäldern hinter den Rehen aufgeführt! -- Allein schon gut. Ich werde mir das merken. -- So voll Wonne mein Herz in diesem Augenblick auch ist -- eine Wunde, eine Blessur hat es dennoch erwischt, die nie vernarben wird -- und das sind: die letzten 40 Tage, die ich in der Wüste zugebracht habe -- -- in der Wüste, sage ich, und verstehe unter diesem Bilde die Welt, in so fern es in derselben weder zu trinken, noch zu spielen, noch zu pirschen giebt -- was Alles ich, wie bekannt, allein nicht thun kann, sintemalen ich dazu auch meine Schüler und Freunde brauche. -- So verhalten sich die Dinge! Ja so! -- Und nun sprich, Unglückseliger: was konnte Dich zu solchen Verbrechen gegen Deinen Meister verleiten?...“ Edmund sah sich vergebens nach einem Ausweg um; der Jäger hatte ihn dermaßen gepackt, wie man es etwa mit einem Fuchs, welcher der Schlinge entwischen will, thut; wollte er also kein Aufsehen machen, mußte er dem Alten folgen -- und Dieser zog ihn geradewegs in ein Gemach, das nach der Kellnerei führte. -- Nun wissen wir zwar, daß des jungen Mannes Hingebung in letzterer Zeit dem Chevalier von Marsan gegolten, und zwar in jenem Uebermaße, welches wir an dem gutmüthigen Roué bereits kennen. -- Indeß, und dies muß zu seiner Ehre gesagt werden, glich er darum doch nicht jenen unbeständigen und undankbaren Leuten, die aus Liebe zur Abwechslung, indem sie das Neue erwählen, des Alten vergessen .... Er hatte seines Freundes Nimrod nicht vergessen -- er hatte denselben nur auf einige Zeit in den Hintergrund gestellt: aufrichtig gesagt, weniger aus eigenem selbstständigen Antriebe -- als weil er, durch Marsan occupirt, von diesem ununterbrochen absorbirt worden war, was ihm im Ganzen schmeichelte, da er so gut wie jeder Andere sein Stück Eitelkeit besaß -- und Marsan war ja ein Glanzpunkt in der Gesellschaft... Das Entscheidende bestand darin: daß Marsan ihm mehr zu imponiren wußte, als der Jäger. Denn wir haben schon erwähnt: Edmund mußte sich stets an Jemand anlehnen. -- Dies war eine jener Naturen, die allein nicht leben können. -- Es wird nach Allem diesen Niemand Wunder nehmen, wenn er erfährt, daß Edmund binnen weniger als einer Viertelstunde mit Leib und Seele wieder seinem alten Mentor gehörte, d. h. mit demselben in einem dunkeln Kellerwinkel (denn diesmal gingen die Edlen direkt in den Keller: sie hatten ja so Vieles nachzuholen) zechte und Trinklieder sang. -- Wer oben in den Gemächern gute Ohren hatte, konnte folgende Strophen herauftönen hören: „Zwei Flaschen wollten einander frei’n, Die eine, die war leer -- Die and’re war zwar etwas klein -- Doch war sie gefüllt und schwer.“ Hier ward die Hymne durch eine Art unverständlichen Lärmens unterbrochen -- -- und erst nach einiger Zeit ließ sich das Ende vom Lied nachstehender Weise vernehmen: „Ich nehme, ich nehme Dich nicht zum Mann -- Du bist zwar dick und reich -- Doch dabei ein grober Bauersmann, Ein Stadtkind ich, fein und bleich.“ „So geht es auch im Leben her -- Der Dicke der thut dick -- Da kommt darauf ein mag’rer Herr Und ruft: Vor mir -- zurück!“ Besonders schön nahm sich zuletzt die Moral, die Nutzanwendung aus. Sie war ganz aus den Zeiten des Meister +Rothnas+ in Nürnberg († _Anno Domini_ 1352,) genommen und hätte auch ganz wohl in die Liedersammlung eines sichern +nasenlosen+ Poeten -- dieser Poete lebt heutigen Tag’s in Wien -- gepaßt. Das Lied hatte man wohl bis hinauf gehört; aber die sublimen Discourse, welche hier unten geführt wurden -- vernahm, außer den zwei Glückseligen, welche dieselben führten, Niemand. „Und so säßen wir denn wieder beisammen....“ begann der Jäger, der mit aufgestreiftem Hemdärmel (die Edlen saßen im Hemde bei diesem anstrengenden Geschäft,) seine Kanne emporhob: „Und so könnt’ ich denn wieder aus vollem Herzen rufen: Auf Dein Wohlsein, mein Jüngelchen, Hurrah!“ „Hurrah!“ rief auch Edmund mit erhobener Kanne -- -- seine Stimme war bereits sehr klar und metallisch geworden. „Möge der Himmel,“ schrie +Wollheim+, „Dich zu einem eben solchen Manne machen, wie ich bin, mein Junge! Besseres kann ich Dir nicht wünschen, Hurrah!“ „Hurrah! -- Hussah!“ „Ich habe nur gerufen +Hurrah!+ und nicht Hussah! -- Achtung auf den Ruf des Meisters! -- Hurrah!“ „Hurrah! Zehntausend Mal Hurrah!“ „Blos ein Mal: Hurrah! mein Jüngelchen; blos ein Mal!“ „Nein, nein -- zehntausend Mal!“ „Alle Sechzehnender! -- Was für zehntausend Teufel sind Dir denn heute in den Magen gefahren -- verdammter Bursche, Du!“ Es war ihm indessen blos der Wein in den Magen gefahren und der Dunst davon in den Kopf. „Ich sage Dir,“ fing der Alte wieder an: „etwas Besseres als ich kannst Du doch nicht werden. Befleißige Dich also, in meine Fußstapfen zu treten. Nimm z. B. diesen Krug so, -- siehst Du! -- und leer’ ihn mit einem Guß -- -- so, siehst Du!“ Und der größte Humpen entledigte sich seines Inhalts im Nu -- vermöge der freundlichen Bereitwilligkeit von Nimrods breiter Kehle. -- Edmund wollte es auch versuchen, um der Aufforderung seines Lehrers zu genügen.... „Ah! Ah!“ schrie dieser so dröhnend, daß das Gewölbe des Kellers in Schrecken gerieth: „das will nichts sagen, das will nichts sagen -- Freund Edmund! -- Du hast zwar den Humpen geleert, aber dabei Dein ganzes Gesicht begossen... Dies darf nicht stattfinden! Dies ist nicht in der Ordnung!... Du mußt den Humpen mit dem Munde allein aussaufen: So, siehst Du?!“ Und abermals rollte eine ganze Sündfluth hinab in des Jägers verderblichen Schlund... Sein Leib schien ein wahrer Abgrund zu sein. Edmund versuchte es sogleich nochmals -- und in Wahrheit er that es diesmal mit solcher Virtuosität, daß sein Meister auf eine Bank sprang und ausrief: „Ein dreimaliges Hussah auf das Wohl meines Jüngelchens und Jagdkumpans!“ Und „Hussah! Hussah! Hussah!“ schrien Beide, als ob sie toll wären.... die Kellerratten und Maulwürfe liefen einstweilen in’s dritte Nachbarhaus hinüber... .... Aber als sollte das Alles noch nicht ausreichen, seines Zöglings Ruhm zu verkünden, sprang Wollheim auf ein in der Nähe stehendes großes Weinfaß, welches, gegen den Gebrauch, mit dem Boden aufgestellt war -- -- auf dieses Faß also sprang er und zwar mit einem solchen Aplomb seines dicken Leibes, daß der obere Boden unter seinen Füßen durchbrach und er im Nu unter entsetzlichem Geschrei bis an die Ohren im rothen Ofner schwamm: „Au! Au! Weh! Hurrah! -- Zur Hilfe -- Kumpane! Jäger! Piqeurs!“ brüllte er in der Verzweiflung.... wobei er, vermöge des Wellenschlags, welchen der Ofner beständig um sein Kinn machte, von demselben _nolens volens_ ein gutes Theil abtrank.... Nur mit Mühe entkam er dem Verderben und stieg endlich heraus. Er stieg allein heraus -- denn Edmund war nicht fähig, ihm dabei zu helfen..... er hatte mit sich selbst genug zu schaffen. „Alle Doppelbüchsen!“ rief Nimrod und schüttelte sich wie ein Bär, der untertauchte -- „das war ein unvorhergesehenes Bad... Aber der Ofner war gut!... Schade um das Faß, welches von schweizerischer Arbeit schien. -- Hol’ der Teufel indeß ein schweizerisches Faß, welches durchbricht, kaum daß man es betastet. -- -- Wo aber jetzt sich abtrocknen.... Brr! brr! -- denn es ist hier verteufelt kalt.... Ha! da kommt mir ein göttlicher Einfall! Diesen lieben Ort hier zu verlassen wäre unmenschlich. -- Wie wär’ es, wenn ich meine Kleider hier trocknete?.. Wir machen dort im Hintergrunde ein Feuer.... Holz ist genug vorhanden... der Rauch kann auch zu den Kellerluken abziehen. Beim St. Hubertus! das geht! -- Hat man es doch von Faßbindern hundert Mal gesehen, daß sie bei Reparaturen mitten im Keller ihren Herd aufschlugen.... Also -- vorwärts mein Jüngelchen! und sogleich soll hier eine Flamme brennen, so lustig und hoch, daß man dabei zwei und zwanzig Ferkel braten kann.... Dann will ich meine Kleider ausziehen -- wir wollen uns an’s Feuer setzen -- unsere Krüge in die Hand nehmen.... Hurrah! das soll ein Teufelsleben werden!“ „Hurrah!“ lallte Edmund mit schwerer Zunge nach. Gesagt, gethan. In kurzer Zeit loderte ein Feuer mächtig auf und seine Flamme leckte das schwarze Gewölbe des Kellers... Aber was man nicht berechnet und erwartet hatte, geschah. Die Luken waren zu klein und konnten den Rauch nicht hinreichend ableiten, so daß sich dieser nun hier im Innern zu einer schauderhaften Menge anhäufte... und jeden andern Menschen als diese zwei Ehrenmänner vertrieben hätte. -- Aber sie waren nicht so leicht von diesem Orte wegzubringen und zwar: ob der ruhmwürdigen Wein-Eigenschaften, die er neben diesem Uebelstande noch besaß.... Was den Jäger betrifft, so stürzte er eine Kanne um die andere hinunter -- und hustete beständig dazwischen. Er schien einen ordentlichen Kampf mit dem Rausche eingegangen zu sein -- und eben deßwegen war ihm der letztere nicht ganz unangenehm... Edmund jedoch, nicht so taktfest in vorliegender Kunst, sprang sinnlos wie er bereits war, umher und stotterte: „Donnerwetter! -- wir -- stecken -- ja da -- in einem -- Schornsteine! -- Donnerwetter! -- -- Wie -- kommen -- wir da heraus? -- Puh! Brr! -- --“ „Ei warum nicht gar!“ brüllte Wollheim: „Was sind das für dumme Faxen --? Schornstein? -- Im Keller sind wir! Im Keller! -- --“ „Nein -- im -- Schorn -- steine -- -- Ah -- Ah -- ich -- ersticke -- --.“ Und der arme Jüngling fuhr wie ein Gehetzter umher, stieß überall an -- und wäre beinahe in’s Feuer gerannt -- wenn der Jäger ihn nicht schnell bei der Hand ergriffen hätte. -- Aber das Tanzen hörte bei Jenem deßhalb nicht auf und wider Willen sah sich der Alte jetzt selbst davon fortgerissen. Er, in seinem halbnackten Zustande (er hatte Alles, nur die Strümpfe nicht, ausgezogen, aus angeborner Schamhaftigkeit hatte er sich noch überdies sein Taschentuch, statt eines Feigenblattes, vor den Bauch gebunden) -- tanzte nun wie ein wilder Neuseeländer mit seinem Schüler um die Flamme herum.... Es war ein Bild zum Malen! -- In diesem Augenblicke öffnete sich die vorhin geschlossene Thür des Kellers und ein halbes Dutzend Bediente traten mit den Worten ein: „Aber was giebt es denn da? Ein Rauch verbreitet sich aus den Luken im ganzen Hause!... Ist denn hier ein neues Gomorrha untergegangen?..“ Man denke sich die Ueberraschung dieser guten Leute, als sie unser Freundespaar in einem eben so interessanten Costüme als Geschäfte erblickten.... * * * Aber während hier Momus, Comus und noch andere närrische Halbgötter ihre Schellenkappen schüttelten, ward einige Fuß über diesem Orte -- ein Gemüth von höllischen Qualen durchwühlt und hätte zerreißen müssen, läge für manche Naturen nicht eben im Schmerze selbst eine nährende, eine belebende Kraft. Es sind dies jene Naturen, die zum Unglück geboren scheinen -- die schon in der Wiege von demselben mit Milch getränkt, später mit Speisen genährt und mit Kleidern versehen werden -- denen also das Unglück: Amme, Erzieherin, Lehrerin und Lebensgefährtin ist. Man hört, wenn von solchen armen Verfluchten die Rede ist, oft sagen: „Mein Gott, wie konnte er das nur Alles ertragen? Ich wäre unter solchen Umständen schon hundert Mal untergegangen.“ Gewiß, denn Dich hat das Schicksal bei Deiner Geburt gesegnet und es hatte nicht nöthig, Dir Nerven von Stahl für’s Leben mitzugeben. -- Allein von wem haben wir zuvor gesprochen? -- Wer war der Unglückliche, der Elende, der vom Schicksal Verfluchte -- welcher sechs Fuß über dem Keller der zwei lustigen Ritter -- von Qualen gepeitscht wurde, wie eine Feder sie nicht beschreiben kann? -- Der Leser wird es wissen. Es war Alexander, der Gemahl Cölestinens, Alexander, der sein Weib mehr wie sich selbst liebte -- -- und der sich von ihr betrogen, verrathen, um seine ganze irdische Seligkeit gebracht sah. -- Ach, diesmal war ihm der milde Trost, der ihn noch vor einigen Stunden, wenn auch blos vorübergehend, erquickte, gänzlich geraubt. Diesmal konnte er nicht, wie zuvor, sich zurufen: „Vielleicht -- ist sie doch unschuldig! --“ Er hatte sie jetzt an der Seite jenes Menschen, der ihm ihr Herz geraubt hatte, beobachtet -- hatte gesehen, wie Jener für sie glühte und wie sie von dieser Gluth erwärmt schien. Welche Blicke hatte sie ihm gegeben -- und welche von ihm empfangen! Und Alles das so offenbar, so vor aller Welt. -- Sollte es denn schon so weit gekommen sein, daß sie sich nicht einmal mehr verstellen konnten oder daß sie es nicht wollten? -- So war er, Alexander, also nicht mehr blos das Opfer, er war auch das Spielzeug, die Puppe, der Narr, durch welche Dinge sie ihrem Vergnügen neue Reize verliehen. -- Ach -- was kümmerte ihn Dieses. Er hatte an Jenem schon genug. Er war geopfert, verkauft, sein Herz zertreten -- seine Seele zerrissen, sein Leben vergiftet.... So konnte es mit ihm nicht mehr lange bestehen.... Er rannte hinaus aus den Sälen, wo Alles Lust, Freude und herzloser Verrath war -- er stürzte hinaus auf eine Terrasse.... Es war wieder eine Terrasse, wie dort in der ersten Nacht ein Balkon -- es war wieder eine Sternennacht -- und durch diese Nacht strich wieder jener allwaltende Geist, der sich eines Elenden erbarmt, oder aber ihn verstößt, ihn nicht kennen will.... Diesmal aber war das Letztere der Fall. Diesmal erschien keine Cölestine auf dem Balkon und schlang liebewarm ihre Arme um seinen Hals. -- Diesmal, diesmal, als Alexander verzweiflungsvoll, wahnsinnig die Hände rang gegen das dunkle Firmament, rufend: „O -- hat sie wirklich an mir gefrevelt? -- Nur noch ein Zeichen! Einen letzten Beweis!“ Diesmal antwortete eine Stimme hinter ihm: „Warten Sie einige Tage ab -- und Alles wird Ihnen offenbar werden.“ Rasch drehte Alexander sich um. Er bemerkte nur noch die Umrisse einer dunkeln männlichen Gestalt, die gleich einem Schatten forteilte -- in der Nähe um eine Ecke verschwand -- und weiter keine Spur hinter sich ließ, als den Wiederhall ihrer schrecklichen Worte...: „Warten Sie einige Tage ab -- und Alles wird Ihnen offenbar werden.“ Alexander fiel ohnmächtig gegen die marmorne Balustrade des Balkons und schlug sich daran die Stirne blutig. Er erwachte erst nach einer Stunde. -- Vierzehntes Kapitel. Die Morgenszene nach dem vorigen Tage. „Ach, mein lieber Alexander, wie köstlich haben wir uns gestern unterhalten. Es herrschte die allgemeinste Fröhlichkeit. -- Alles war vergnügt: man wird sich gewiß dieses Tages noch lange erinnern, und das gereicht uns zu großer Ehre. -- Man hat nun den Maßstab in Händen, nach welchem man für die Zukunft unser Haus beurtheilen wird.... Wie bin ich erfreut, daß dieser Maßstab kein gewöhnlicher ist.“ So, mit diesen Worten begrüßte Cölestine den folgenden Morgen ihren Gatten, als dieser, wie es seine Gewohnheit war, in ihr Boudoir trat, um ihr hier galanterweise einen Guten Morgen zu wünschen. -- Alexander schien sehr heiter -- fast so wie seine Frau; er küßte mit dem Ausdruck inniger Zärtlichkeit ihre Hand und nahm neben ihr auf einem Tabouret, welches etwas tiefer als ihr Sessel stand, Platz. „Allein,“ fuhr sie fort, indem sie sich mit jenen tausend Quincaillerien, die eine vornehme Dame in einem Boudoir vor sich liegen hat, zu schaffen machte: „allein,“ sagte sie: „wie kommt es, daß wir seit dem gestrigen Tage bis zu dieser Stunde für einander fast gar nicht existirt haben, mein Freund? Ich erfuhr weder, zu welcher Stunde Du schlafen gingst, noch wann Du aufstandest....“ „-- Noch,“ setzte lachend der Graf hinzu: „was mit mir gestern während des Festes geschah, nicht wahr, mein liebes Kind?“ „Ja, ja -- ganz recht. Jetzt erinnere ich mich, daß ich Dich in der That gestern während der Dauer der Unterhaltung auch nicht mit einem Auge sah --“ „Jetzt erst erinnert sie sich!“ sagte er zu sich, und, ohne sie zu unterbrechen, ließ er sie fortfahren: -- „Wie hängt das zusammen, mein Freund? Erkläre mir es!“ „Ach, was liegt daran?“ versetzte er unbefangen und fast im lustigen Tone: „es ist eine Kleinigkeit -- eine Kinderei, wer wird von ihr reden. Dir sowohl, der Frau, wie mir, dem Herrn vom Hause, war der Platz getrennt angewiesen, und wir durften ihn nicht verlassen, um uns einander zu nähern... Bei solcher Gelegenheit besteht eine Pflicht, wie die unsrige war, darin, daß man sich dem Vergnügen seiner Gäste opfert ... und dies, meine liebe Cölestine,“ sagte er, ohne dem Drange widerstehen zu können, eine Schärfe in den Ton zu legen: „hast mindestens Du in vollem Maße erfüllt...“ „Ach ja,“ entgegnete sie, nicht ahnend, worauf er zielte: „ich sah mich gestern ununterbrochen von einem Kreise interessanter und liebenswürdiger Bekannter umgeben, und muß gestehen, daß ihnen gegenüber meine Obliegenheit als Frau vom Hause mir nicht schwer erschien. Gewiß bin ich jenen Personen zu eben so großem Danke verpflichtet wie sie mir. -- Es war ein reizender Abend!“ „Er war reizend und die Nacht darauf ebenfalls!“ „Ich erinnere mich z. B. nicht, daß die Baronin von +Halderstein+, diese Blume der guten Gesellschaft, ihren glänzenden Geist sowohl wie ihre schöne Seele jemals freudiger entfaltet hätte, als sie es gestern in meiner Nähe that. So war auch Herr von Labers dadurch, daß er sich meiner Gesellschaft gütig erwies, dies gegen mich; -- er allein streute so viel edle Heiterkeit im Kreise aus, daß man noch manchen Tag daran wird zu zehren haben.... Sodann die liebe gute E--z, diese alte Freundin meiner Mutter, und die Letztere selbst: o, wie sind uns an der Seite dieser ehrwürdigen Frauen die Stunden verflossen!... Endlich mein guter Vater, sogar Edmund, Alle schienen sich wonnevoll nur um mich zu vereinigen....“ „Sie verschweigt absichtlich den Namen Marsan’s!“ sagte er im Stillen: „O -- diese Manier ist ungeheuer veraltet -- -- wiewohl man sie in neuerer Zeit wieder in Mode zu bringen versucht.“ In seinem Herzen wühlten die Leiden eines Trostlosen, eines in der innersten Seele Verzweifelnden -- -- aber auf dem Angesichte zeigten sich hiervon keine Spuren; dieses glänzte nicht minder zufrieden, wie jenes Cölestinens. „Was sagst Du,“ warf er leicht hin -- „zu Herrn von Marsan, der, wie ich mich erinnere, gestern längere Zeit mit Dir gesprochen? --“ In diesem Augenblicke überzog eine schreckliche Blässe das Gesicht der jungen Frau -- und indem sie starr nach seiner Stirne blickte, schrie sie auf: „Um Gotteswillen! was ist das? Was ist mit Dir geschehen, Alexander? -- Deine Stirne ist verwundet -- mit Blut unterlaufen....“ „Oh!“ höhnte es in seinem Innern: „die Elende! Welche Ausflucht! -- Jetzt da meine Frage sie in die Enge getrieben, weiß sie keinen Ausweg, als daß sie von einer unbedeutenden Verletzung redet, die sie schon längst bemerkt haben muß....“ Ob er Recht hatte, so zu urtheilen, bleibt dahin gestellt. Da jedoch seine Wunde sehr hoch oben auf der Stirne war, so konnte sie zuvor leicht durch sein dunkles Haupthaar bedeckt -- und erst jetzt, da er mehrmals mit den Fingern durch dasselbe strich -- blosgelegt und von Cölestinen bemerkt worden sein... Sie hatte sich ihm rasch genähert, sein Haupt mit beiden Händen ergriffen und bebend in ihn gedrungen: „Sprich, um Alles in der Welt! Was soll ich denken, Alexander? -- Erkläre mir’s! Lasse mich nicht in Ungewißheit? -- Dir ist irgend ein Unglück widerfahren! -- O rede, rede! hörst Du denn nicht?..“ „Wie man’s nehmen will,“ entgegnete er in dem gleichgiltigsten Tone: „ein Unglück oder auch keins. Jedenfalls aber ist das Ganze nicht dieses Aufhebens werth -- und deßhalb laß uns endlich schweigen.“ Er entwand sich sanft ihren Händen, die aber sogleich wieder nach ihm griffen, sich um seinen Hals legten, ihn heran zogen.... „Die nichtswürdigste aller Heuchlerinnen!“ dachte er und ließ sie gewähren. -- Indessen jammerte sie fort: „O mein Alexander, o mein Gemahl! Es ist nicht recht von Dir, mir Dein Vertrauen bei einer Gelegenheit wie diese zu entziehen. Womit hätte ich das auch verdient? -- Alexander -- etwas Besonderes muß seit der ewiglangen Zeit, daß wir uns nicht sahen, vorgefallen sein -- -- etwas sehr Schlimmes.... mir sagt es mein Herz.... Bei unserer Liebe, bei unserer Treue beschwöre ich Dich, meine Bitte zu erhören!“ Während der letzteren Worte lachte er gellend auf, so daß sie entsetzt von ihm losließ und die Hände zusammenschlagend vom Sitze aufsprang, indem sie rief: „Mein Gott -- erbarme Dich seiner und meiner! Träume ich blos oder geschieht das wirklich hier, was ich nicht fassen kann?!“ Er richtete sich nun selbst auf und antwortete ganz in der Art, wie er sie heute seit seinem Eintritt in das Boudoir angenommen: „Aber -- meine Freundin, Du bist in der That ganz außer Dir, und ich, ich selbst hätte Grund, jene Fragen an Dich zu stellen. -- Was soll denn geschehen sein? Weßhalb erschrickst Du? weßhalb fährst Du von Deinem Sitze so auf -- als sei der Tod vor Dich hingetreten? -- Es ist ja nichts geschehen -- sonst hätte ich Dich davon natürlich schon in Kenntniß gesetzt. -- Du starrst noch immer nach meiner Stirne! Nun wohl, diese Wunde von der ich bisher selber nichts wußte -- und die ich erst jetzt im Spiegel bemerke -- ich muß sie mir im Schlafe geschlagen haben....“ „Nachts im Schlafe?“ schüttelte Cölestine das Haupt. „Nun ja. Es ist wohl schon vorgekommen, daß man so fest schlief, daß man selbst von einem Stoß an die Wand -- an die Säulen der Bettvorhänge -- nicht erwachte.... Uebrigens, wie gesagt, ich spüre die Wunde kaum. Ich fühle keinen Schmerz!“ Wirklich konnte diese Rede auch ein furchtsameres Herz beschwichtigen, und nach einigen Augenblicken sprach man bereits nicht mehr von diesem Gegenstande... „Es war ihr nur darum zu thun,“ meinte er „recht lange hierbei zu verweilen und mich die Frage wegen des Chevaliers vergessen zu machen;..“ und laut setzte er hinzu: „Hast Du dem engern Kreise unserer Freunde gestern nicht eröffnet, an welchem Tage außer dem Sonnabend Du Dich ihrer Gesellschaft erfreuen möchtest?“ „Ich sprach davon, mein lieber Mann,“ sagte sie: „und wir wählten den Dienstag, den Donnerstag und den Freitag....“ „Auf diese Weise,“ bemerkte er laut: „wird ja in unserem Hause ewige Lust und Freude herrschen....“ „Ich dachte bei mir, es sei dies zu Deinem Besten, Dein ernster Sinn werde dadurch zerstreut werden.“ „Gewiß, gewiß -- Sie hat bei jedem Schritt, den sie thut, mich im Auge -- -- wie ein kluger Fechter seinen Gegner. Und,“ fragte er sie: „wird auch die Baronin von Halderstein uns recht oft besuchen --“ „Ja, mein Freund, sie hat mir’s bestimmt zugesagt.“ „Auch der Chevalier von Marsan.“ „Du weißt -- daß er sich in letzterer Zeit innig an meinen Bruder Edmund anschloß, und demnach dürften wir ihn wohl häufig bei uns sehen.... Uebrigens,“ lächelte sie fein: „habe ich mit Herrn von Marsan noch einen eigenen Plan...“ „Wirklich?“ „Wenn mich nicht Alles trügt, so hat er während des gestrigen Abends -- sich mit unserer theuren Baronin von Halderstein angelegentlicher als mit einer andern Person beschäftigt. -- Es verging keine Viertelstunde, so kehrte er immer wieder zu ihr zurück....“ „Nämlich -- von Dir!“ dachte Alexander: „denn für diesen Herrn scheint es nicht zu viel, bei zwei Damen auf einmal den Ritter zu spielen...“ „Und was die Baronin betrifft --“ „Nun?“ „Es schien nicht eben -- daß sie seine Bewerbungen zurückgewiesen hätte.“ „Das Alles ist möglich!“ murmelte der Mann. „Kurz, wenn es glückt, so soll die reizende Frau, welche gegen einen Gatten, der sie verließ, keine Pflichten mehr hat, -- die schöne Freundin Halderstein soll es übernehmen, den unbezwinglichen Roland, den nie überwundenen Tankred in Fesseln zu legen...... Wir haben uns dieses gelobt...“ „Wir? -- Wer ist darunter zu verstehen?“ „Das Nähere kann ich Dir leider nicht vertrauen, mein Freund. Genug an dem -- ich bin es nicht allein, die sich über diesen Fall freuen wird...“ „Und,“ fragte nach einigem Sinnen Alexander: „wird das Spiel, von dem Du sprichst, bald beginnen?..“ „Es nimmt mit dem morgigen Tage seinen Anfang. Du weißt, wir sind morgen bei der Generalin E--z. Es ist ihr Tag.“ „So wird also auch der Chevalier dort sein?“ „Ohne Zweifel -- und auch die Halderstein wird nicht fehlen....“ „-- Ich weiß genug!“ sagte er zu sich. -- -- Er verließ seinen Platz, umarmte Cölestine und empfahl sich ihr. „Wohin so eilig?“ fragte sie. „Eine wichtige Angelegenheit ruft mich nach der Stadt.“ „Wirst Du heute nicht mit mir frühstücken?“ „Ich habe dies bereits allein auf meinem Arbeitszimmer gethan.“ „So geh mit Gott und komme bald zurück!“ „Sehr bald, liebe Cölestine.“ Er war bereits an der Thür, als sie ihn noch einmal zurückrief -- ihn umfing, leidenschaftlich mit Küssen bedeckte und dann mit den Worten zärtlich fortstieß: „Jetzt gehe!“ -- Sie wandte sich von ihm ab -- gleichsam um sein Scheiden nicht zu sehen. Er aber draußen vor der Thür schüttelte das Haupt, sein Gesicht verfinsterte sich und wild rief er aus: „O schändlich! schändlich! -- -- und dies Alles ist Lüge..... Falschheit...... Betrug!...“ Fünfzehntes Kapitel. Abend und Nacht. Viel beschäftigte den Grafen A--x der Gedanke, wer jener geheimnißvolle Unbekannte sein könne, der wie ein Schatten ihm auf allen Wegen zu folgen schien, um sich von Zeit zu Zeit zu verkörpern und Warnungen zuzurufen, für welche er ihm bis jetzt noch stets dankbar sein zu müssen glaubte -- und welche Warnungen diesen mysteriösen, geisterhaften Freund zu seinem Schutzgeiste erhoben. -- Bisweilen redete er sich vor, eine Stimme seines eigenen Innern ertheile ihm diese Nachrichten -- oder, was dasselbe ist, es seien Ahnungen, die auf solche Weise zu ihm sprächen. -- Genug an dem, wegläugnen ließ sich diese Erscheinung, so geheimnißvoll sie auch war, keineswegs.... eben so wenig, wie die Wahrhaftigkeit in ihren Worten. -- Auch gehörte der Graf nicht zu jenen hausbackenen Flachköpfen, die dasjenige, was sie nicht begreifen können, kurzweg läugnen... und nach deren Meinung es in der Welt nichts geben kann, was nicht mit ihrer armen Alltagsweisheit übereinstimmt; Menschen, die da glauben, Alles müsse sich mit den Händen greifen und mit den Augen, über welche eine zwei Linien breite Hornhaut einen ewigen Schleier legen kann, sehen lassen.... arme bedauernswürdige Tröpfe, die, gleich den Kindern, welche die Meinung hegen, außer ihrem Dorfe gebe es weiter keins mehr in der Welt, ihre fünf Sinne für das einzige Medium halten, wodurch sie mit dem Universum in Verbindung treten... weil sie von dem sechsten und siebenten göttlicheren Sinn, der im Hirne und in der Brust wohnt, keine Ahnung haben.... Zu diesen spaßhaften Leuten gehörte Graf A--x keineswegs. Nicht daß wir ihm hieraus ein Verdienst machen wollten; in unseren Tagen ist man, Dank den ewigen, Alles wieder zu sich selbst zurückführenden, Gesetzen der Natur -- nachdem man sich am schöngedrechselten Springbrunnen der Philosophie hinlänglich vollgetrunken hatte und nun sah, daß es doch nur Wasser war -- wieder zu dem einfachen Felsenquell der Natur zurückgekehrt, dessen geheimes Herkommen, dessen sanftes Rauschen uns so Manches erzählt, wovon jene künstlichen Wasserbogen nichts sagen können. Wir sind, sage ich, auf unserer zirkelförmigen Wanderung, von traurigem Halbwissen endlich zu einem glaubensvollen höhern Anschauen gelangt... Wer war aber jener Warner, falls es ein Mensch wie der Graf selbst war? Er wußte Keinen zu nennen -- er kannte Niemand, den er fähig hielt, ein so seltsames und edles Amt bei ihm zu übernehmen. -- Nach einigem Nachdenken mußte Alexander seine Forschung völlig einstellen; auch gestehen wir in seinem Namen, diese Sache schien ihm nicht wichtig genug, um sein Augenmerk von einer weit größern lange abzulenken. Welche dieses war, begreifen wir: es war der Gedanke, es war der Schmerz seiner liebenden Seele. So ungeduldig kann der Räuber hinter einem Felsenvorsprung auf einen die Straße herabkommenden Reisenden nicht warten, um ihm Geld, Glück, Leben und vielleicht den Himmel zu rauben, wie Alexander des morgigen Abends harrte, an welchem er doch -- wie er mit Gewißheit annahm -- Alles dieses selbst verlieren sollte. -- Er glaubte vor Sehnsucht, vor Erwartung rasend zu werden.... die Stunden rollten so unerbittlich gemessen dahin... ihm schien es, als sei jede der doppelte Inbegriff aller früheren. -- Endlich brach die entscheidende an. -- Es war um neun Uhr Abends, als der Bediente eintrat, meldend, daß die Equipage bereit stehe. Alexander war im Zimmer wild auf und niedergerannt, er stieß gegen jeden Gegenstand an, ohne es zu wissen, und beinahe hätte er auch seine Frau, die eben in diesem Augenblick von ihrer Toilette zurückkehrte, niedergeworfen. „Mein Gott, Alexander, was ist Dir denn?“ redete ihn Cölestine an, nachdem der Lakai das Zimmer verlassen hatte: „Ueberhaupt kommst Du mir seit einiger Zeit so sonderbar vor -- -- Du bist nicht traurig, bist aber auch nicht heiter, und wenn Du lachst, scheint es beinahe, als ob Du Dich dazu zwingen wolltest....“ „Meine gewöhnlichen Anfälle -- -- krankhafte Reizungen -- Du kennst diesen Zustand bei mir; also bringen wir denselben nicht neuerdings zur Sprache...“ versetzte er, indem er ein Paar Handschuhe anzog; den Hut ergreifend fragte er dann: „Bist Du bereit, Cölestine? Können wir gehen?“ „Wenn es Dir gefällt!“ sie legte ihren Arm in den seinen und ging mit ihm die Treppe hinab.... Sie saßen neben einander in einem weiten Batard, und da es überdies auf den Straßen bereits ganz dunkel war, konnte Cölestine sich ihrem Manne ungesehen nähern; sie ergriff seine Hand mit ihren beiden: „Alexander,“ sagte sie mit sanft einschmeichelnder Stimme: „Was hast Du? Es ist nicht Alles so, wie Du mir sagtest. Deine düstere Stimmung hat einen andern Grund.... Alexander!“ wiederholte sie mit rührender Stimme: „soll ich denn Deine Liebe verloren haben -- daß Du gar nicht sprichst?“ Dies indeß bewog ihn keineswegs zur Aenderung seines Entschlusses. Wirklich ließ er seine Gemahlin heute und in diesem Augenblick mehr als je eine Kälte, eine Theilnahmlosigkeit fühlen, an welche sie noch nicht gewöhnt war. -- Er redete auch nur wenig zu ihr -- er beschränkte sich auf die kürzeste Beantwortung ihrer Fragen, durch +Ja+ oder +Nein+. „Es ist gleichwohl möglich,“ sagte sie zu sich, -- „daß dieser Trübsinn aus der alten Quelle entspringt. -- Und so wird er durch Geduld allein zu bannen sein....“ In diesem Augenblick blieb der Wagen stehen, er war vor dem Hause der Generalin E--z angekommen. -- Einsilbig, wie man eingestiegen, verließ man den Wagen und begab sich durch ein hellerleuchtetes Portal zum Saale hinauf. Die Gesellschaft, welche sich hier versammelte, war nicht außerordentlich zahlreich, aber man konnte sie eine gewählte nennen. Die Generalin E--z, alt und ohne Kinder, ohne Erben, verwendete ihr ziemlich ansehnliches Vermögen darauf, ihren Freunden und dadurch sich selbst Vergnügen zu bereiten. -- Bei ihr fand man Alles, wornach einer zerstreuungssüchtigen Seele verlangt: die trefflichsten Concerte, Theater, Bälle, literarisch-artistische Matinées u. s. w. u. s. w. Im Sommer wurden kurze Ausflüge nach ihren Landsitzen -- im Winter auf diesen echt russische Divertissements: Schlittagen, Rutschpartien und was weiß ich sonst noch, veranstaltet... Hierbei machte dann, da die Frau vom Hause zu einer Glanzrolle dieser Art nicht mehr taugte, stets eine ihrer jüngern Freundinnen die Honneurs, und so kam es, daß ihr Haus in der That unter die besuchtesten gehörte... Als Cölestine mit ihrem Gemahl eintrat, wurde sie von der Matrone und der Gräfin Wollheim mit jener Auszeichnung empfangen, die man einer jungen Frau, welche in dieser Eigenschaft zum ersten Male unser Haus besucht, immer zu Theil werden läßt. Wie Alexander bemerkte, so war der Chevalier von Marsan schon hier -- er stand nach seiner Gewohnheit an der Seite Edmunds und zwischen mehreren Herren, die irgend eine Debatte führten. -- Der Chevalier hatte ihn fast in demselben Augenblicke wahrgenommen, und es wäre für einen Psychologen interessant gewesen, diesen heftigen und völlig naturgesetzlichen Moment: das Zusammenfahren zweier feindlicher Elemente, die sich gleich darauf wieder abstoßen, zu beobachten. Diese zwei Menschen verstanden sich schon vollkommen, sie lasen einer in des andern Seele. Auf ihren beiden Gesichtern spielte ein geringschätzendes Lächeln -- und in ihren Augen blitzte das Feuer des Zornes.... Aber als jetzt Alexander nothgedrungen seine Schritte neben dem Chevalier vorbei lenken mußte, grüßte dieser artig und als ein Mann von Welt -- während jener es nicht überwinden konnte, diese Eigenschaft völlig zu verläugnen -- tyrannisirt von der tödtlichen Eifersucht und dem tödtlichen Rachedurst eines betrogenen Ehemanns. -- Ach, es ist leichter zu hoffen, zu besitzen -- als zu verlieren! Cölestine war bei ihren Freundinnen zurückgeblieben und eilte nun, sich ihrer Mutter, die auch zugegen war, in die Arme zu werfen... Aber ihr Blick folgte von Zeit zu Zeit dem Grafen; wie erschrak sie, als sie ihn jetzt nicht weit von dem Chevalier stehen und diesen mit Blicken und Mienen durchbohren sah...... In einem Augenblicke wurde ihr so Vieles klar. Sie glaubte nun den wahren Ursprung von ihres Mannes Gram zu kennen.... Aber welches Entsetzen faßte sie, als sie in dem nämlichen Augenblicke den Chevalier seinen Platz verlassen und ihn mit Edmund auf sich zukommen sah. -- Wenig fehlte und sie wäre umgesunken; sie zitterte an allen Gliedern -- diese schienen gelähmt. Sie mußte sich niederlassen und empfing so, mit farblosem Angesichte, die Huldigung der zwei Herren. -- Als jetzt ihr Auge wieder Alexander aufsuchte, sah sie, wie dessen Miene sich zu einem gräßlichen, grinsenden Lachen verzog, während sein Haupt fast unmerklich nickte, -- gleichsam als wollte er sagen: „Also so? Es ist gut! --“ Kaum hatte sie dies erblickt, als sie Marsan, der sie in ein längeres Gespräch verflechten zu wollen schien, ohne ihn ausreden zu lassen -- rasch und gegen die bisher in allen Gesellschaften herrschende Gewohnheit, verließ -- und sich, so schwach sie war, einige Schritte weiter zur Generalin E--z begab, an deren Seite sie Platz nahm... Marsan schien bei diesem Impromptu einen Augenblick überrascht, sogleich aber faßte er sich wieder und lachte vor sich hin: „Ach, meine reizende Kleine -- das war ein Meisterstreich, den Sie da Ihrem Herrn Gemahle spielten!... Freilich etwas ungewöhnlich, aber eben darum um so eher geeignet, ihm Sand in die Augen zu streuen...“ Dieser Alexander hingegen zuckte dabei mit den Achseln und sagte: „Der Kunstgriff ist so plump, daß Du mich fast dauerst, armes Weib! Elendes Weib!“ setzte er zähneknirschend hinzu. Sodann mischte er sich unter eine Gesellschaft, nahm an Allem Theil, was um ihn vorging -- ließ sich jedoch vermöge seiner Kunst des Beobachtens, worin er sich ununterbrochen übte, keine Bewegung Cölestinens entgehen. -- Der Chevalier hatte sich ebenfalls auf einen andern Punkt begeben und schien schnell den ganzen früheren Vorfall vergessen zu haben, denn mit aller Unbefangenheit und mit dem feinsten Takte eines Mannes, der zwar Geist und Liebenswürdigkeit, aber kein Herz besitzt -- begann dieser glänzende Salonsmann sich mit einem Kreis von Damen zu beschäftigen, die ihn gewiß nicht mehr interessirten, als alle jene Schönheiten der Welt, die er noch mit keinem Auge geschaut. Aber Alexander meinte: „Alles das gehört zu seiner Rolle... Alles das ist schon abgekartet gewesen, bevor wir noch in diesen Salon traten. -- Wo aber ist jene Baronesse von Halderstein, um derentwillen Marsan eigentlich erschienen sein soll? Ich sehe sie nirgends. -- Und Cölestine wußte es doch so gewiß, daß dieselbe hier zugegen sein werde.... Es handelt sich um nichts anderes, als die beiden sich vis à vis zu bringen.... Hahaha, -- Um nichts anderes -- nein, um gar nichts sonst! -- --“ Eine sonderbare Unruhe war heute an Edmund von Randow sichtbar. -- Er hatte Marsan seit jenem letzten Impromptu verlassen und schien deutlich eine Gelegenheit zu suchen, mit seiner Schwester insgeheim zu reden. Er hatte ihr bereits mehrere Winke gegeben -- er hatte sich ihr schon einigemal genähert -- sie jedoch schien das Alles nicht zu beachten, oder vielmehr, sie vermied absichtlich das Zusammentreffen mit ihm; ohne Zweifel weil sie, die bereits hinlänglich gelesen hatte auf dem Gesichte ihres Mannes, fürchtete, hierdurch dessen Verdacht noch zu nähren. -- Die Angst Cölestinens läßt sich nicht beschreiben... Sie hatte Recht. Selbst dieses Letztere entging den Argusblicken Alexanders nicht: „Dort,“ sprach er, indem er auf Edmund sah, „geht der Busenfreund, der Abgesandte ihres Geliebten, um ihr das zu sagen, wozu für ihn die Gelegenheit nicht günstig ist. O, nicht umsonst hat mein ahnendes Herz diesen Menschen, der sich ihren Bruder nennt, vom ersten Augenblick an gehaßt.“ Die Qual des armen Grafen ward jetzt auch noch durch seine Umgebung erhöht. Da man nämlich am andern Ende des Salons begann, Musik zu machen (+Parish-Alvar+’s hatte unschuldigerweise eine neue Terzett- und Quartett-Epoche heraufbeschworen) -- beschloß unser guter Freund, der Herr von +Porgenau+, welcher sich an diesem Ende befand, die Gesellschaft hier zu entschädigen, indem er anfing, haarsträubende Witze zu machen, nachdem er natürlich zuvor auf haarsträubende Weise pränumerando gelacht hatte: „Wissen Sie, meine Freunde,“ sagte er: „wie viele Dinge -- hahahaha! -- die Franzosen bei ihrem Kriege -- hahahaha! in Algier brauchen... hahahaha! hahahaha!“ Alles schwieg. Einige, die Herrn von Porgenau noch nicht kannten, erwarteten hier etwas ganz Besonderes zu hören. „Sie wissen also nicht -- wie viele Dinge -- hahaha! die Franzosen dort brauchen -- -- um hahaha! -- sicher zu reussiren?...“ „Nein, nein!“ versetzten jene Neulinge. „Nun,“ antwortete Porgenau -- -- „aber -- hahahaha! hahahaha! er ist wirklich zu gut dieser Einfall... hahaha! ich kann ihn vor Lachen kaum von mir geben...“ „Die Franzosen brauchen,“ sagte er einigermaßen gefaßt: „drei Dinge: Erstens:“ Aber in diesem Augenblick platzte die Gemahlin des Bonmotisten, die natürlicherweise in seiner Nähe saß, um ihr Amt zu verwalten, in ein so markerschütterndes Wiehern (Lachen konnte man’s nicht nennen) aus, daß selbst ihr Mann erstaunte. Endlich hörte ihr Wiehern auf. Aber ein neues Hinderniß trat ein, nun begann wieder er zu lachen -- und dieses abwechselnde ehelich-zärtliche Anticipations-Gelächter dauerte so lange, daß sich schon einige Personen erhoben -- -- da schrie Porgenau laut auf: „Sie können nicht fortgehen, bevor Sie nicht meine drei Kriegsbedingungen gehört haben. Also zum Kriege brauchen die Franzosen: 1tens Geld, 2tens Geld und 3tens -- -- was glauben Sie wohl, was wird das sein? -- Ebenfalls Geld! -- hahahahahahahahahahahahaha!! --“ (Aus Mangel an Raum geben wir nur -- wie Handlungsreisende -- eine Probe dieses Lachens, welches nach genauer Berechnung zwei und eine halbe Meile lang wäre, falls man es ganz niederschreiben wollte.) Das war zu schauderhaft. Auch die Geduldigsten und die Trägsten von den Umstehenden hielten es in der Nähe Porgenau’s nicht länger aus -- Alles verließ seine Plätze. Da rief er in edlem Unwillen ihnen nach: „So! Sie gehen, meine Herren? --“ Und sich umwendend, bemerkte er gegen seine Frau, der noch immer alle Muskeln des Gesichts krampfhaft manoeuvrirten: „Die Undankbaren! Nachdem man ihnen seine Ideen mitgetheilt hat -- suchen sie das Weite, um damit zu wuchern!“ Unter den Zweien oder Dreien, welche zurück blieben, befand sich auch Alexander. An ihn hielt sich nun Porgenau vorzüglich und fragte den düster vor sich Hinstarrenden --: „Nun, liebster Graf -- es freut mich, Sie bei mir behalten zu haben. -- Was sagen Sie zu der Aufführung der übrigen Herrn? -- Abscheulich, nicht wahr? -- Allein ich will mir’s auch merken. Künftig sollen meine Bonmots nur Ihnen, lieber Freund, und diesen zwei, drei Herrn hier mitgetheilt werden. Und zum Beweis wollen wir gleich jetzt den Anfang machen....“ Er gab seiner Frau einen Wink; sie fing wieder an zu wiehern... „Was meinen Sie,“ sagte er -- „-- ich werde Ihren Scharfsinn, lieber A--x, ein wenig auf die Probe stellen... Sie werden ohne Zweifel glänzend bestehen. Also sagen Sie mir gefälligst, welcher +Nuß+ haben die Alten göttliche Ehren erwiesen? -- hahahaha! hahaha! -- --“ Er hielt ein wenig inne und gab seiner Frau ein Zeichen, worauf auch sie schwieg. Es erfolgte jedoch keine Antwort. „Nicht wahr?“ begann Porgenau nach einer Pause -- „nicht wahr? -- hahahaha...“ Jetzt platzte auch seine Dame wieder aus... „Nicht wahr -- das ist ein göttliches Wortspiel! -- hahaha! -- O -- ich habe hundert ähnliche alle Tage erfunden -- hahaha! hahaha! -- Bei mir kommen die Wortspiele, Bonmots und geistreichen Einfälle wie im Sommer die Frösche -- hahaha, auch wieder ein guter Vergleich! -- -- Also noch einmal, bester Graf: Welches war die Nuß, der die Alten -- --“ In diesem Augenblicke sprang Alexander plötzlich auf und eilte davon -- im Nu war er vor den Augen des großen Witzboldes verschwunden, welcher, nachdem er sich von der ersten Ueberraschung erholt hatte, ausrief: „Ach -- Sie entwischen, lieber Graf? Das ist ein alter Kniff. Sie schämen sich, das Räthsel nicht auflösen zu können -- -- hahaha! hahaha! -- --“ Und zu den drei Letzten des Platzes, die seit einiger Zeit sich unter dem Einflusse seiner Unterhaltung einem köstlichen Schlummer ergeben hatten, rief er: „Nun -- ich will Sie nicht länger warten lassen, meine Herrn -- -- Jene Nuß, der die Alten göttliche Ehre erwiesen, war -- -- hahahahahahahahahaha u. s. w. es war: _Venus!_ Hahahahahahaha -- -- -- -- u. s. w.“ (Das Schlußgewieher der Ehehälfte läßt sich typographisch nicht darstellen; es fehlen im Setzkasten die Zeichen dafür.) Jetzt erst bemerkte Porgenau den Zustand der Drei. „O!“ sprach er: „meine Freunde, Sie stellen sich, als ob Sie schliefen!... Hahaha! -- Wieder ein neuer Kniff! Doch auch er ist mir bekannt: Sie fürchten, daß ich Ihnen einen neuen Calembour aufgeben würde -- den Sie nicht lösen könnten... Fürchten Sie nichts, fürchten Sie nichts! Ich weiß, was ich echten Freunden schuldig bin... wiewohl +Schuldner ein schlechtes Gedächtniß haben+.... hahaha! hahaha! Wieder ein Witz! hahaha! wieder ein Witz!“ Wir wenden uns von dieser _partie honteuse_ der Gesellschaft unseres Salons ab, um zu einer interessanteren zu eilen. -- Als Alexander so plötzlich seinen Sitz neben dem unglückseligen Porgenau verlassen hatte, war dies auf eine Veranlassung geschehen, welche hier näher beschrieben werden muß. Wir wissen, daß Alexander ununterbrochen seine Frau sowohl wie ihren Bruder und den Chevalier im Auge behielt; wir wissen ferner auch, daß Cölestine, als wir zuletzt von ihr gingen, von Edmund, welcher sie durchaus zu sprechen verlangte, auf alle mögliche Weise verfolgt ward. Sie hatte diesen Aufforderungen bisher hartnäckig widerstanden -- indem sie dieselben durchaus nicht zu verstehen schien.... sie war, bald dadurch, daß sie sich abwendete, bald dadurch, daß sie mit irgend einer Dame sich in ein Gespräch einließ -- bald durch die Aufmerksamkeit, die sie der Musik schenkte -- dem Andringen ihres Bruders entgangen. -- Dieser schien darüber in Verzweiflung -- er hatte sich bereits vorgenommen, Cölestinen geradezu entgegenzutreten -- bald jedoch verließ ihn der Muth -- und er stand einige Augenblicke in kläglichem Zorne, stumm an die Wand gelehnt. Ein leichter Schlag weckte ihn aus seinem Trübsinn -- es war Marsan. „Ah!“ rief Edmund so laut, daß seine Stimme bis zu Alexander drang -- „Sie sehen, guter Marsan -- es ist umsonst!“ Mehr hatte Alexander nicht vernommen; dies aber war für ihn genug, um, wie wir wissen, gleich einem Wahnsinnigen von seinem Sitze aufzuspringen -- und die Nähe der Zwei aufzusuchen, welche er behorchen wollte. Zum Glück boten die Draperien des Salons an dieser Stelle einen vortrefflichen Schlupfwinkel und der Ehemann eilte, davon Gebrauch zu machen. Er hörte -- freilich hatte er jedoch den Anfang ihres Gesprächs versäumt -- Folgendes: „Aber -- es ist mir unerklärlich, daß Ihre Schwester Sie durchaus nicht hören will....“ sagte Marsan; „bei mir freilich ist das eine andere Sache -- -- sie hat Rücksichten auf den Narren, ihren Mann, zu nehmen!...“ „Sagen Sie lieber -- den Elenden!“ versetzte Edmund: „dieser Mensch hat sie gegen mich aufgehetzt -- es ist klar. Doch ich will ihm das entgelten....“ „Ja, ja -- wir wollen es gemeinschaftlich thun, mein Freund! -- Also sie will Ihnen die ersehnte Gelegenheit durchaus nicht gewähren, Edmund? -- Nun, wissen Sie was? -- Dringen Sie jetzt nicht weiter in sie.... Man darf es mit dem Narren Alexander nicht vorzeitig verderben.... Zwar übt er durchaus keine Macht auf sie aus... allein da er fähig ist, einen öffentlichen Skandal zu provociren, so muß man Cölestinen wenigstens in seiner Gegenwart schonen.... Befolgen Sie also die Regel, die ich Ihnen vorhin gegeben habe.... Ach!“ rief mit einem Male der Chevalier aus: „jetzt ist die Zeit dazu -- der Narr Alexander ist nirgends zu sehen -- er muß den Saal verlassen haben.“ „Bei Gott, Sie haben Recht -- Marsan!“ versetzte der Jüngling: „Ha! sehen Sie doch -- -- Cölestine blickt überall herum -- sie scheint dieselbe Entdeckung gemacht zu haben.... sie sieht den Tyrannen nicht -- -- -- jetzt giebt sie mir einen Wink! Ich eile zu ihr!“ Hier hörte das Gespräch auf; die zwei Freunde verließen rasch den Platz. -- Aber sie waren nicht rascher, wie der Gatte, welcher über das, was er so eben gehört hatte, entsetzt aus seinem Hinterhalte hervor eilte, um den Zweien nachzugehen. -- Beim ersten Schritte jedoch schon blieb er stehen; Cölestine hatte in dem Momente, wo sie im Begriffe war, sich mit ihrem Bruder in ein Fenster zurückzuziehen -- ihn erblickt und war rasch umgekehrt -- indem sie sich auf eine Ottomane warf.... Ihr Mann aber zog sich mit einem schweren, tiefen Seufzer zurück -- in ein anstoßendes Kabinet. Doch konnte er noch, als er an der Thür sich umwandte, sehen, wie sowohl Marsan als Edmund mit kühnem Schritt sich abermals Cölestinen näherten -- und sie jetzt anredeten. „Aber, meine Freundin, ich versichere Ihnen -- dieser Verein unserer Damen hat keinen andern Zweck -- als Aufsehen zu erregen, und dann noch einen, welchen ich schon einmal angedeutet und hier, vor dieser Gesellschaft nicht wiederholen will....“ „Nein, nein, meine Liebe -- Sie irren sich wirklich, Sie thun uns Allen so bitteres Unrecht.“ „Wem ist das größte geschehen?“ rief das Stiftsfräulein aus und öffnete dabei ihren zahnlosen Mund so gewaltig, daß man, wie am Rande eines Precipisses in der Schweiz, den Schwindel bekam -- --: „Ist es nicht etwa mir geschehen? -- Mir, mir, die so viele menschenfreundliche Plane hegte -- mir, die den Frauenverein zu einer respektableren Bedeutung führen wollte -- mir, der Erfinderin jener Composition und jener Schlösser, jener Ketten -- jener Fangeisen....“ „Freilich, freilich, es war nicht wohlgethan, Sie, beste Freundin, so zu behandeln, wie geschehen ist,“ erwiederte Gräfin von Wollheim.... „man hat sich übernommen, man war zu strenge -- man -- --“ „Wie? man war zu strenge?!“ schrie die verkannte Edle, auf das Wort „zu“ ein Gewicht legend.... „Was hatte man für ein Recht, +strenge+ zu sein gegen mich? -- Gegen mich, ein Mitglied, welches sich rühmen kann, zeitlebens für die Tugend, die Sittsamkeit, die Menschenfreundlichkeit und für das Menschenwohl im Allgemeinen gelebt zu haben..? -- für mich, die Erfinderin -- die Entdeckerin so vieler vortrefflicher Dinge, welche ich alle hier nicht aufzuzählen brauche, da man dieselben hinlänglich kennt!... Oder wie, kennt man sie nicht, die Fußangeln! die Daumenschrauben? -- --“ Mehrere von den buckligen und liebenswürdigen Zuhörerinnen (wir wissen, daß das Fräulein ihr eigenes Auditorium hatte) hielten sich hier die Ohren zu; selbst ihnen, die doch an Humanität auf gleicher Stufe mit ihr standen -- wurde es endlich zu arg. „Es ist indeß, wie ich Ihnen vorhin sagte, Hoffnung vorhanden, daß Ihr Wiedereintritt in den Verein nicht länger beanständigt werden wird, beste Bomben!“ nahm die Gräfin das Wort. „Ich habe Ihnen gleichfalls bemerkt,“ erwiederte diese aufgebracht -- „daß ich das nicht annehmen werde! Mich, mich soll man nie mehr -- ich hab’s geschworen! -- in einem Vereine sehen, dessen geheimer Zweck darin besteht -- -- hübsche Bauernbursche --“ Hier hielten sich die Zuhörerinnen abermals die Ohren zu, und die Wollheim wandte sich mit gefalteten Händen an die Rednerin: „Um Gotteswillen -- nicht weiter, meine Freundin! Was denken Sie? Wenn diese Worte zur Kenntniß des Vereins kommen sollten!... des Vereins, der Sie ohne Zweifel wieder in seine Mitte zurückrufen wird...“ „Aber ich wiederhole zum hundertsten Male: daß ich nichts mehr mit diesem Vereine zu thun haben will. Ich bin hierzu viel zu moralisch! -- Hinfort soll es mein Beruf nur sein: mich dem saubern Vereine +entgegenzustellen+... ihn zu bekämpfen... ihn zu ruiniren..... Oh! Oh!“ schäumte sie: „Wenn ich schon Nero’s Schwert nicht besitzen kann, um diesem hübschen Damenkranz mit einem Hiebe die Köpfe abzuschlagen.... so möchte ich doch wenigstens das Gift der +Lukretia Borgia+ haben -- -- -- --“ Hier hielt die genügsame Dame plötzlich inne, gemahnt ohne Zweifel von der Erinnerung, daß wir in dieser verderbten Welt auch eine Polizei haben.... Die buckligen und anderen Zuhörerinnen aber erhoben sich, und ohne ein Wort zu sprechen, verließen sie die Aspirantin des Giftes der Borgia -- Es mußte wirklich bis zu einem solchen Punkte kommen, um diese Damen zu vertreiben. -- Allein Gräfin Wollheim überdauerte sie alle, vermöge ihrer Gutmüthigkeit und einer Leidenschaft für Strumpfgespräche, die beide, seit die Welt steht, noch nicht da waren. Indessen, als diese Episoden sich hier zutrugen, rollte anderwärts die Haupthandlung des Abends in ununterbrochener Gleichförmigkeit fort. Die Musik war zu Ende -- d. h. jenes Harfenterzett oder Quartett, von dem wir oben gesprochen haben. Jetzt -- sollte etwas Neues kommen; eine große brillante Arie aus der jüngsten Oper Donizetti’s, dieses Lieblings der Musen, der es bleiben wird, mögen seine nordischen Eiferer und Geiferer sich und ihre traurigen Federn noch so vollsaugen mit Gift und Galle.[F] -- Da die Arie, welche wir meinen, von einer sehr berühmten Dilettantin (Fräulein von G--e--) gesungen wurde, so widmete man derselben die größte Aufmerksamkeit, und einige Augenblicke schien der Geist dieser Versammlung sich nur um die Sängerin zu concentriren. -- Dies schien jedoch blos so. Es mochten in so manchen Herzen Dinge vorgehen, die keinen Bezug auf die schöne Sängerin hatten, wiewohl man Blicke und Mienen nur auf sie richtete -- wiewohl man nur zu athmen schien, um Worte des Beifalls für sie zu haben. Wo in aller Welt wäre auch eine größere und tiefere Schauspielkunst zu finden, als in den Kreisen jener Gesellschaft, die sich ausschließlich die gute nennt? Mich dünkt -- es könnte hier Jemand wissen, daß die nächste Minute die seines Todes sein werde, und er würde, in der vorhergehenden zu einer Polonaise aufgefordert -- süß lächelnd entgegnen: „Mit dem größten Vergnügen!“ Diesen Gesichtspunkt müssen wir im Auge behalten, um den Zustand, worin sich in diesem Augenblick eine Person in diesem Salon befand, gehörig zu würdigen. Da saß Cölestine, dieses schöne, junge, reizende Weib und hörte stumm den Tönen der Musik zu. Auf ihrem blüthenreinen -- aber auch blüthenbleichen Gesichte malte sich Aufmerksamkeit, Spannung und tiefe Anschauung ab -- auf diesem Gesichte, worin sonst nur Lust, Heiterkeit und schalkhafte Koketterie zu lesen war. Jene Mienen schienen mit der herrlichen Musik im Zusammenhange zu stehen -- -- aber auch hier können wir sagen: daß sie dieses blos +schienen+. Dieses schwarze, glühende, jetzt durch den seidnen Vorhang der Wimpern halbverdeckte Auge -- war zwar auf die Sängerin gerichtet; es sah jedoch nichts von ihr, es sah in sich selbst zurück, in die eigene Brust sah es hinein... Welche mochten die Gedanken sein, die in dieser Brust sich drängten? -- denn sie war voll, überfüllt davon -- so daß sie zu überfließen schienen, wie ein allzu voller Becher: O hätte sie das wohl vor einigen Monaten geahnt -- in jener Zeit, als sie ihrem Manne aus inniger Zuneigung die Hand reichte? -- Ach, damals kannte sie ihn noch nicht! Sie träumte damals von paradiesischen Tagen und hesperidischen Nächten... dies war nun vorbei.... es schien ein Wahn, eine Seifenblase... Cölestine warf, wie von einem plötzlichen Gedanken beunruhigt, ihren Blick jetzt wieder im Saale umher.... da sah sie den Chevalier neben Edmund, welcher sie erst vor Kurzem verlassen hatte, in einiger Entfernung, an der entgegengesetzten Wand stehen -- und Marsan schien sie mit seinen Augen zu verschlingen... -- Er wollte sich ihr schon wieder nähern -- -- da winkte sie ihm flehend mit beiden Händen.... und er blieb. -- -- Diese ganze Scene aber hatte Alexander wieder aus dem Nebenzimmer beobachtet. Noch sah er, daß Edmund versteckt ein Zeichen mit der Hand machte, wobei zwei Finger ausgestreckt waren, wie man die zweite Stunde zu bezeichnen pflegt. -- Der unglückliche Ehemann rief mit Thränen in den Augen vor sich: „Das ist eine Bestellung -- um 2 Uhr! Ein Kind müßte es begreifen.“ Gleich darauf verließ Edmund sowohl wie der Chevalier den Saal und sie waren hier heute nicht ferner zu sehen. -- -- -- Mitternacht nahte heran, als man von allen Seiten sich zum Aufbruch anschickte. -- Alexander erschien, um seine Frau wegzuführen; Arm in Arm gelangten beide zu ihrem Wagen. Jedoch glaubte Alexander zu bemerken, daß nicht nur der Arm, sondern der ganze Körper seiner Frau von aller Kraft entblößt war. Man sprach sowohl beim Einsteigen als auch während der Fahrt kein Wort. Nur in der Nähe ihrer Wohnung erst war es, wo Cölestine wie aus einem tiefen Schlafe erwachte. „Ach! schon zu Hause?“ sagte sie, und er erwiederte eintönig: „Schon zu Hause!“ Hierauf schwiegen sie wieder. Er hob sie aus dem Wagen. -- Vor ihren Gemächern verabschiedete er sich von ihr, indem er vorgab, diese Nacht in seinem Studierzimmer zubringen zu wollen. „Wachend?“ fragte sie. „Nein, nein; im Schlafe!“ entgegnete er, ergriff ihre Hand, führte sie zu seinen Lippen und wollte forteilen. Aber sie faßte ihn plötzlich, zog ihn zurück, sah ihn einige Augenblicke stumm und mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Schmerz an -- preßte sodann seine Hand an ihr Herz und fragte endlich mit matter Stimme: „Warum willst Du die Nacht so fern von mir zubringen, Alexander?“ Und als er schwieg, fuhr sie fort: „Du zürnst mir, Du verdammst mich... Aber ein Gott ist mein Zeuge, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe! -- O Alexander, mein Gemahl, ich liebe Dich so innig! Könntest Du in mein Herz sehen!“ Sie wollte noch weiter sprechen, er hatte sich jedoch bereits sachte losgemacht, und noch ein Mal „Gute Nacht!“ wünschend, war er über den Corridor verschwunden. -- -- Er betrat, wie er gesagt hatte, sein Studierzimmer, schraubte die Lampe, die hier bereits brannte, höher, warf einige Kleidungsstücke ab und sich in seinen Schlafrock. Sodann verschloß er die Thür, ließ die doppelten Rouleaux vor den Fenstern herab, setzte sich an den Tisch und legte seine Taschenuhr, die sehr verläßlich war, vor sich nieder. -- Er zählte Minute um Minute; es war jetzt nahe an Eins. -- „Noch eine Stunde --“ murmelte er dumpf -- „dann ist die Betrügerin entlarvt.... Ja, ich vertraue fest auf die Zeichen, welche ich sah, und auf die Ahnung in meinem Innern, die mir zuflüstert, daß ich das Schrecklichste erst jetzt sehen werde. -- -- O, mein Gott! womit habe ich es verdient? -- Wesen, das Du voll Allmacht und Gerechtigkeit thronst über uns -- wo sind hier die Spuren dieser Eigenschaften? -- Was habe ich gethan? Ich habe dieses Weib geliebt wie das Blut meines Herzens -- wie den Hauch meiner Seele.... und sie, sie vergiftete dafür das erstere und erstickte diesen auf meuchlerische Weise. -- Soll das die Dankbarkeit sein, welche Du Deinen Kreaturen einimpfest? dann freilich entsprechen sie genau Deiner Liebe und Gerechtigkeit, deren Ausfluß sie ja sein sollen.... Doch genug! -- Ich will harren und das tödtliche Gift bis zum letzten Tropfen einschlürfen!.... Ich will die Stunde erwarten.... sie ist nicht mehr fern.“ Er legte sein Haupt in die offene Hand, welche er auf den Tisch stützte, und versank in einen Abgrund entsetzlicher Träume. Nur ein an Allem, auch dem Letzten und Höchsten, Zweifelnder und Verzweifelnder kann so träumen. -- -- Endlich richtete er den Blick auf die Uhr. Der Zeiger stand gerade auf Zwei. Wild fuhr er vom Sitze auf und rannte nach einem Schranke, aus welchem er ein Kästchen von Sandelholz, mit Perlenmutter und emaillirtem Silber ausgelegt, hervorholte. Er stellte es auf den Tisch und schloß es auf. Zwei Paar Pistolen lagen darin, eine von ihnen lud er und steckte sie zu sich -- dann stellte er das Kästchen wieder an seinen Platz, löschte die Lampe aus und verließ das Zimmer. -- In dem Augenblicke, als er den Fuß vor die Thür setzte, fiel ihm ein, daß er vielleicht gar zu spät kommen könnte. Er schalt sich, nicht +vor+ der Stunde aufgebrochen zu sein, denn noch wußte er ja nicht den Ort, an welchen er sich begeben sollte. Er sann einen Augenblick nach, dann ging er rasch, aber mit leisem Schritte hinab zu dem Portier, weckte den guten Mann, der bereits längst wohlgemuth in einem thurmhohen Federbette schnarchte, und fragte ihn, ob er vor Mitternacht keine Person aus- oder eingehen gesehen habe, die ihm verdächtig, unbekannt oder verkleidet schien. Der brave Mann in seinem Federbette versetzte, daß ihm nichts dem Aehnliches vorgekommen wäre. Schon wollte Alexander fortgehen -- als der brave Mann aus seinem Federbette plötzlich auffuhr, rufend: „+Halt!+ -- +gräfliche Gnaden verzeihen gehorsamst+ .... jetzt fällt mir ein -- oder vielmehr es kommt mir so vor... als sei so zwischen 11 und 12 Uhr ein Herr rasch hereintreten, durch den Thorweg geeilt -- und ehe ich ihn anrufen konnte, im Hofe verschwunden. -- Leider ging die Hauptlampe heute früher aus wie sonst -- -- und es war dort pechfinster, trotz der andern kleinen Lämpchen, gräflichen Gnaden aufzuwarten. -- Ueberdies dacht’ ich bei mir: wer weiß, wer der Herr ist! ’s kann auch Jemand aus dem Hause sein; Nachts sind alle Kühe schwarz....“ So schloß der Portier, welcher, wie man sieht, ein wahres Muster seiner Zunft war. -- Alexander aber war bereits fortgeeilt.... er schlug den Weg zum Schlafzimmer seiner Frau ein. -- Ein wildes Fieber schüttelte seine Glieder, als er hier anlangte. -- Er hatte bisher alle Thüren leise geöffnet -- an diese legte er zuerst sein Ohr an, um zu horchen. Nichts war zu hören, auch nicht die Athemzüge einer Schlummernden. -- Er trat vorsichtig ein, näherte sich dem Bette Cölestinens -- tastete -- -- fand es leer. Doch konnte nicht gezweifelt werden, daß sie noch kurz vorher darin gelegen habe. -- Es war am untern Ende noch warm von den Füßen... Das Gefühl, welches bei dieser Entdeckung des Armen Herz durchschnitt, ist nicht zu beschreiben. Er säumte jedoch nicht lange und ging weiter. Wohin aber sollte er sich zuerst wenden? War sie nicht im Schlafgemache, wohin sonst sollte sie sich zu dieser Stunde begeben haben? -- Etwa aus dem Hause hinaus. Dies schien nicht wahrscheinlich -- und überdies stimmte diese Annahme nicht mit jener von dem Herrn überein, in welchem Manne Alexander keinen Andern als den +Chevalier+ vermuthete. Was -- vermuthete? -- +Wußte!+ muß gesagt werden; denn er hätte für diese Ueberzeugung sein Leben hingegeben. -- Es fiel ihm ein, nach dem Arbeitszimmer seiner Frau zu gehen, da dieses sehr einsam und mit den Fenstern nach dem Garten zu lag. Um jedoch dahin zu gelangen, mußte er an Cölestinens Boudoir vorüber gehen. Als er in dessen Nähe gelangte -- fiel ein Lichtschimmer nicht größer als ein kurzer Seidenfaden auf einen seiner Füße -- -- es hätte ein Blitzstrahl sein können, er hätte ihn nicht fester an den Platz gebannt. -- Jetzt glaubte er ein heftiges Flüstern zu vernehmen -- das mit einem Male abbrach -- und bald darauf wieder anhob -- sogar von einem leisen Schluchzen unterbrochen. -- Er konnte nicht länger zweifeln. Dies hier war der Schauplatz des Verbrechens. -- Vorsichtig trat er an die Thür des Boudoirs -- und versuchte durch’s Schlüsselloch zu blicken -- -- aber in demselben Augenblick wurde im Innern das Licht ausgelöscht. -- Er hatte jedoch mit dem letzten Blick noch die Umrisse einer hohen eleganten Mannesgestalt, in einen langen Oberrock gehüllt, erhascht. Das war hinreichend, hätte er übrigens auch die letzten Worte, welche Jener mit gedämpfter Stimme sprach, nicht gehört. Diese Worte lauteten: „Niemals, niemals werde ich dieser Stunde vergessen, und was Du, Geliebte, in ihr für mich gewagt!“ -- Mehr konnte er nicht verstehen -- die Beiden hatten sich bereits in einem der nächsten Gemächer verloren. -- Alexander vermuthete, daß Cölestine ihren Geliebten zuerst unten im Garten abgeholt und sodann durch eine Reihe von Zimmern, also auf Umwegen, hierher geführt habe. -- Seiner Berechnung nach, mochten hierüber bis zum gegenwärtigen Augenblick eine und eine halbe Stunde verflossen sein, denn es war jetzt ein Viertel auf vier Uhr. Er hatte von seiner Waffe keinen Gebrauch machen können und trat nun den Rückweg nach seinem Arbeitszimmer an -- dumpf im Hirn, todt in der Brust. Ende des ersten Theiles. Fußnoten: [A] Befehlen. [B] Man verzeihe es uns, wenn wir nicht im Stande sind, die klassische Mundart der Dame in ursprünglicher Form wiederzugeben. [C] Man kennt diese und andere sinnreiche Werkzeuge, welche jene zwei Tyrannen des Alterthums zum Verderben ihrer Opfer erfanden. [D] Trödler. [E] Meister Lips Firma, die über seiner Wohnung hing, lautete: +Sophronias Lips+, +Wechsler+, +Antiquar+, +Juwelier und Hühneraugen-Operateur+. [F] Es fallen mir hierbei Heine’s Worte ein, der den Feinden des göttlichen +Rossini+ wünscht, daß sie verdammt sein sollen, nach dem Tode in alle Ewigkeit +Bach’sche Fugen+ anzuhören. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK CÖLESTINE, ODER DER EHELICHE VERDACHT; ERSTER THEIL (VON 2) *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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