The Project Gutenberg eBook of Die Tänzerin Barberina: Roman aus der Zeit Friedrich des Grossen

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Title: Die Tänzerin Barberina: Roman aus der Zeit Friedrich des Grossen

Author: Adolf Paul

Release date: January 27, 2016 [eBook #51051]

Language: German

Credits: Produced by Norbert H. Langkau, Matthias Grammel and the
Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE TÄNZERIN BARBERINA: ROMAN AUS DER ZEIT FRIEDRICH DES GROSSEN ***

[3]

Adolf Paul


Die
Tänzerin
Barberina

Roman

aus der Zeit
Friedrichs des Grossen

tb_003

Deutsche
Buchgemeinschaft GmbH

BERLIN


[4]

Copyright 1915 by Albert Langen, München

Alle Rechte,

insbesondere die der Übersetzung und Dramatisierung, vorbehalten!

Verfilmung verboten.

Albert Langen             Adolf Paul

Printed in Germany


Inhalt

Erstes Buch: Psyche
5
Zweites Buch: Hebe
67
Drittes Buch: Hahnenkampf
163
Viertes Buch: Fridericus Rex
253
Fünftes Buch: Virtuti Asylum
389


[5]

Erstes Buch
Psyche


[7]

1

Phantasieloses — poesieloses Gesindel!« rief Rinaldo Fossano unmutig, setzte sein Barett auf, warf mit geübter Geschicklichkeit den rot gefütterten Mantel um, daß der rechte Zipfel auf die linke Schulter flog, und verließ, in der Haltung eines mit seinen Truppen unzufriedenen Generals, die Bühne des Teatro Farnese.

Den ganzen Morgen hatte er sich mit den Tänzerinnen abgequält, um ihnen Verständnis für sein neukomponiertes pantomimisches Ballett beizubringen, mit dem er die Saison in Venedig zu eröffnen gedachte, nachdem seine für das Teatro Farnese zusammengestellte Stagione die Vorstellungen in Parma beendigt haben würde.

Die armen Jüngerinnen Terpsichores gaben sich die erdenklichste Mühe und boten ihre ganze Kunst auf, um ihren Herrn und Meister zu befriedigen.

Aber Signor Fossano war nicht nur ein Tänzer von Gottes Gnaden; er war auch ein Dichter, dessen Phantasie nach rhythmischen Orgien verlangte, in denen sich aber der menschliche Körper nur in den seltensten Fällen ergeht.

Von mit den raffiniertesten Kniffen des Kunsttanzes Vertrauten verlangte er noch Evolutionen, die sich mit Selbstverständlichkeit aus der inneren Empfindung heraus rein instinktiv und ohne Berechnung ergäben — Bewegungen ohne Dressur — , ein Spiel der Linien, das sich ganz unmittelbar aus der Phantasie des Tanzenden ins Körperliche übertrüge — ungewollt — fast improvisiert [8] und so, weil natürlich und einfach, als Kunstdarbietung vollkommen.

Das läßt sich nicht erlernen! Das muß von vornherein da sein! Und bei keiner von allen den schönen Ballerinas hat er's bis jetzt gefunden!

»Hüpfen können sie wie die Grasmücken — schöne Drehungen — kunstvolle Pirouetten machen! Auf den Fußspitzen trippeln — himmelhoch springen — bezaubernd lächeln — glühende Blicke abfeuern — Kußhände in die Logen werfen! Küssen können sie auch!

Aber keine einzige, die es verstünde, bloß als lebend gewordener Drang zur Loslösung von der Erdenschwere da zu sein! — als Wille zum Schweben, wie wenn der Schmetterling, soeben aus der Raupe gekrochen, zum ersten Male im Sonnenschein die Flügel ausbreitet, aber noch nicht fliegt! Ein Stück Himmelsbewohner, der Erde entwachsen, aber noch auf Erden da — noch nicht abgeflogen! — Ein Versprechen, im nächsten Augenblick dahinzuschweben — die Hoffnung unserer Sehnsucht — die Gewißheit der baldigen Erhörung auf der Schwelle der Erfüllung!

Keine einzige, die das hat! Keine, die sich bloß zu zeigen braucht, um das zu geben — die, kaum, daß sie sich bewegt, die Seele des Zuschauers in Orgien des wiegenden Tanzes berauscht, welche der Körper nur ahnen lassen kann, die aber die Seele bewegen, wenn man bloß die Augen schließt!« Er ging sie alle in Gedanken durch — — die Cesi — die Bandolini — die Grassini — die Gandolfi und die viel zu vielen, deren Namen noch keine Namen waren!

Schöne Körper — üppige Formen — schlanke Biegsamkeit — Feuer — Verve — Tempo — virtuoses Können — Geist — Temperament — alles war da!

Nur das eine nicht, was seiner Phantasie vorschwebte, das unnennbare gewisse Etwas, was sie dazu prädestiniert hätte, Psyche darzustellen!

[9]

»Zum Teufel mit allem Können! Verflucht die ganze Kunst, wenn sie das nicht hergibt! Lieber die erste beste von der Straße, wenn sie bloß die Empfindung hat und sich treiben läßt — wenn sie bloß ahnt, was ich will, und von keiner virtuosen Verbildung verhindert wird, es auch so zu geben!«

Mißmutig trat er auf den Burghof der »Pilotta« hinaus, wie man den ewig unvollendeten Prachtbau der Farnese nannte, in dessen einen Flügel das riesige Theater eingebaut war. Wie ein Triumphator wurde Fossano von den jungen Parmesanerinnen empfangen. Ein Regen von Blumen überschüttete ihn. Wie ein Schwarm von Schmetterlingen, so flatterte es um ihn, in bunter Mannigfaltigkeit lichter Farben — glutrote Lippen lächelten verheißungsvoll und lachten in übermütigem Jauchzen — Tausende von Händen wetteiferten, einen Zipfel seines Mantels zu erhaschen — es war ein Schreien, ein Aufjauchzen jugendlicher Stimmen, ein Feuerwerk aus glühenden dunklen Augen, ein Drängen, ein Stoßen — wie immer, wenn er nach beendigter Probe oder Vorstellung das Theater verließ.

Keinen Scherz aber hatte er zum Dank bereit, kein munter hingeworfenes Wort — keinen Gruß auf die vielen »Evviva«-Rufe! Die Blumen ließ er liegen, trat sie achtlos mit den Füßen, bahnte sich brüsk seinen Weg durch die Menge — machte dann kehrt, blieb einen Augenblick stehen und musterte sie alle, der Reihe nach, scharf, durchdringend, kehrte ihnen dann achselzuckend den Rücken, drückte den Hut in die Stirn und ging weiter.

»Keine einzige!« murmelte er halblaut, »keine einzige!« und achtete nicht weiter auf die Schar jugendlicher Verehrerinnen, die ihm trotz seiner Gleichgültigkeit das Geleit gaben.

Da, als er in die Strada al duomo einbiegen wollte, glitt eine Gestalt an ihm vorüber, die sofort seine Blicke gefangennahm.

[10]

Da war sie! Das war's! — Ein Schweben — ein leichtes Hinschreiten — eine Rhythmik der Bewegung — eine Hoheit der Haltung — ungewollt und selbstverständlich — ein Königtum der Linien, so stolz und frei, daß es die ärmliche Kleidung adelte, die den mädchenhaften, kaum noch der Kindheit entwachsenen Körper umhüllte!

Er wollte ihr nach, kam aber nur langsam vorwärts im Gedränge — verlor sie aus den Augen, fluchte — brach sich mit Ungestüm Bahn, stürzte wie ein Wahnsinniger vorwärts auf die Piazza del duomo hinaus und kam gerade noch zur Zeit, sie mit den Blicken zu fassen, als sie zwischen den roten marmornen Löwen Correggios am Tor des Domes hindurchschritt, um im Dunkel der Kirche zu verschwinden.

Schnell wie der Wind setzte er ihr nach und trat in das Gotteshaus.

Er suchte sie in den Kapellen der Seitenschiffe unter den dort Knienden — suchte sie unter den vor den Beichtstühlen Harrenden, aber umsonst.

Endlich fand er sie!

Da oben, auf den vielen Stufen am Ende des Mittelschiffes, wo die riesige Kuppel sich vor dem Hauptaltar wölbt, stand sie allein, die Blicke nach oben gerichtet. Sie war so tief in inbrünstiges Schauen versunken, daß sie nichts davon merkte, was sich um sie her zutrug. Schlank wie eine Gerte, erhob sich der jugendliche Körper in seltenem Ebenmaß der Formen — fast ohne Schwere stand sie da, kaum noch die Erde berührend, und — als wollte sie sich im nächsten Augenblick zum Fluge heben, so wuchs sie — löste sich allmählich vom Fußboden — hob sich mit unvergleichlicher Grazie auf die Fußspitzen und breitete die Arme nach oben.

So stark war der Eindruck, daß er im Nu die vielen Stufen nahm und auf sie zustürzte, um sie festzuhalten, damit sie ihm nicht entflöge. Aber sie bemerkte ihn nicht. Im Geiste war sie schon da oben, und sein Geist flog mit.

[11]

Er sah, was sie schaute und was ihre Seele erfüllte, er empfand ihre Empfindung.

Nicht unten auf den Steinfliesen des Fußbodens stand er mehr — dort oben weilte er unter den Gestalten, die der Pinsel Correggios hingezaubert hatte, teilhaft des Wunders der Erlösung aus dem Fleische.

Zunächst nur als Schauender, vom Licht Geblendeter, als einer der Apostel, die, rings um die Brüstung, über die sich die Kuppel wölbte, in ehrfürchtiger Anbetung festgebannt, kaum die Blicke zu erheben wagen, aber vom Lichte angezogen, in inbrünstiger Verzückung erstarrt, mit den Blicken die Herrlichkeit einsaugen, von der sie nachher den Erdenwürmern künden sollen, während ringsum die Genien den Tempel schmücken, die Flammen der Opferschalen mit den Flammen des ewigen Lichtes schüren und den Raum, durch den der Ausblick ins Himmlische verstattet werden soll, umsäumen, um jedem unheiligen Gedanken das Nahen zu verwehren.

Und sie?! Die Gottesmutter selbst war sie, die, von Genien und Cherubinen getragen, durch rosenrote Wolken dem ewigen Lichte entgegenschwebte, von einem Cherub zärtlich umschlungen, der sie vorwärts drängte und zugleich zurückhielt. Während ihre Blicke angstvoll nach oben starrten — ihre Arme sich öffneten — die Hände nach oben gestreckt, wie um das unfaßbare Glück zu erhaschen: — die Befreiung durch tiefste schmerzlichste Lust — die Auflösung fleischgewordenen Dunkels in geistsprühendes Licht!

Leben — volles leidvolles Leben war dies! — Und das war sie noch nicht — die Erfüllung noch nicht! Die Sehnsucht danach war sie, die süße verheißungsvolle Sehnsucht, die am höchsten trägt, weil sie immer noch unbefriedigt bleibt, immer noch strebt und nach Seligkeit verlangt! — Psyche war sie, die sich dort oben, frei und unbehindert, von ihrer inneren Kraft allein gehoben, aus dem Kranze der Seligen loslöste! Während [12] Maria noch, von ihrer irdischen Mutterschaft beschwert, sich von seligen Kindern tragen lassen mußte! Und er war nicht länger der geblendete Zuschauer, der kaum mit den Blicken zu folgen wagte — der Genius war er, der allein mitten im Kreise am höchsten schwebte, den Weg zu zeigen — dem sie alle zu folgen hatten!

Er hatte ihre Gedanken recht erraten. Erst war sie vom Bilde der leidenden Gottesmutter gebannt, vom Cherub umschlungen und nach oben gehoben wie sie — dann von ihm und den übrigen beschwert und nach unten gezogen! Sie stampfte auf, um sich frei zu machen, und da traf ihr Blick Psyche, die, von nichts gehalten, frei, von ihrer inneren Begeisterung gehoben, nach oben schwebte! Und dieselbe Begeisterung kam über sie! — Kaum noch empfand sie die Berührung mit der Erde — sie erhob sich in voller Entfaltung ihrer natürlichen Grazie, die Hände nach oben gestreckt, mit den Blicken verzückt das Licht und die Farben einsaugend.

Da packte ihn die Angst, sie zu verlieren! Der Führer und Wegweiser ins himmlische Licht wurde zum Luzifer, der ihr den Weg verlegte, das leuchtende Licht vom Himmel stahl und in Glut der Leidenschaft wandelte, um ihr damit auf dem Weg in die Tiefe zu leuchten.

In die Tiefe mußte sie — zur Erde zurück — in alle Höllen des Lebens untertauchen — das Erdhafte, das noch ihre Seele umfing, abstreifen! Dann erst durfte sie hinauf! Dann erst konnte sie den Staub hienieden verlassen — nach Kampf und Leiden! Eher nicht!

Und auf einmal von der Begegnung mit ihr in der Phantasiewelt zurück, stand er wieder hinter ihr, als der Tänzer Fossano, bereit, sie auch leiblich zu erhaschen und sie mit seiner Kunst an die Erde zu bannen!

Er trat an sie heran, und indem er auf das Deckenbild — die Himmelfahrt Marias — zeigte, flüsterte er ihr neckend zu:

[13]

»Das möchtest du wohl, so bis in den Himmel hineinschweben können?!«

Sie zuckte zusammen, war sofort wieder unten und sah ihn erschrocken an, aus großen dunklen Augen, die noch vor Erregung glühten!

»O ja!« sagte sie dann hingerissen, schloß die Augen, seufzte und war mit ihrer Seele wieder oben in der Region der Seligen.

Er ließ sie aber nicht so leichten Kaufes. Schnell umschlang er ihre Schulter und flüsterte noch eindringlicher:

»Das zu wollen — danach aus ganzer Seele zu trachten — weißt du, was das ist?«

»Nein«, antwortete sie, ohne die Augen zu öffnen.

»Das ist — der Tanz

Sie machte kehrt und sah ihn groß und fragend an.

»Ach, könnte ich's!« kam's wie ein Stoßseufzer zwischen ihren halbgeöffneten Lippen hervor.

»Du kannst es! Denn du scheinst mir den Trieb aus dir heraus zu haben! Das ist der Tanz in höchster Potenz: hinauf zu wollen und unten bleiben zu müssen — den Himmel offen zu sehen und so doppelt schwer die Abhängigkeit von der Erde zu fühlen!«

Sie sah ihn angstvoll an, sank dann plötzlich auf dem Steinboden zusammen und fing an bitterlich zu weinen.

Er hob sie auf.

»Nur nicht weinen«, sagte er. »Finde dich mit der Erde ab — sieh, wie schön sie ist, wie bunt sie in Gold und Farben glitzert! — Freue dich, daß du da bist — gib dich deiner Freude am Dasein hin — spende sie den anderen — mach auch sie den Drang hinauf vergessen — töte jene Sehnsucht, die Schmerzen bringt — tauche sie in Lust, wie's die anderen auch tun, und du wirst glücklich sein!«

Sie riß sich von ihm los, trat einen Schritt zurück und sah ihn entsetzt an.

»Folge meinem Rat! — Erkenne die Welt in ihrer [14] ganzen Schönheit — und du wirst ihre Herrin sein und über sie gebieten!«

Nochmals blickte sie nach oben, aber draußen war eine Wolke über die Sonne geglitten, das Licht unter der Kuppel schwand, die Farben erloschen, das Wunder der Himmelfahrt hatte seine Zauberkraft eingebüßt, alles durch ihn, den schönen, selbstgefällig lächelnden Mann, der ihr sein Gift in die Ohren geträufelt hatte! — Der Teufel war er, der ihr die Erdenlust pries und ihr zu sagen schien: »All das gebe ich dir, wenn du nur nicht hinaufblickst, wenn du mir zu Füßen fällst und mich anbetest!«

Schnell zog sie ihr herabgeglittenes Tuch um den Hals zusammen und floh aus dem Gotteshause, ohne zu wagen, den Versucher auch nur anzusehen.

Ein kurzes Lachen verfolgte sie und beflügelte ihre Schritte.

Draußen, im Menschengewühl, gewann sie allmählich ihre Sicherheit wieder. Die Sonne brach wieder durch die Wolken, alles prangte im Glanz des Frühlings — alles lachte und jauchzte und freute sich des Daseins. An einer Straßenecke war Musik und Tanz. Sie mischte sich unter die Neugierigen, drängte sich bis in die erste Reihe vor und schaute andächtig zu.

Ein kleines Mädchen von sieben Jahren, barfuß und mit nackten Beinen, in hellem leichtem Kleid und rotsamtner, mit Pailletten besetzter Jacke, tanzte eine Tarantella zu den Rhythmen ihres Tamburins, begleitet von einem alten schmutzigen, zerlumpten Kerl, der auf der Erde saß und die Zither spielte.

Sie hatte die natürliche Grazie der Kinder des Südens, die leichte Beweglichkeit und den rhythmischen Sinn; sie schlug taktfest ihr Tamburin, als sie im Kreise herumflog, schüttelte es hoch über dem Kopfe, die andere Hand in die Seite stemmend, und drehte sich schneller und schneller, immer wieder von den Zurufen ihres Begleiters [15] getrieben, dem sie nicht genug tun konnte. Ihr Lächeln hatte etwas Gezwungenes, ihr ganzes Auftreten war von einem fremden Willen gelenkt. Das einzige Natürliche bei ihr war die Angst — und die war nichts als die Furcht, den Unwillen ihres Herrn und Gebieters zu erregen. Sie strahlte vor Freude, als nach beendigtem Tanz die Kupfermünzen auf das bereit gehaltene Tamburin niederprasselten, und leerte es rasch in die Hand des Alten, der, unzufrieden brummend, die Ernte gierig in die Tasche schob und halblaut auf den Geiz der Leute schalt!

»Vorwärts, einsammeln!« rief er, »die da hat noch nichts gegeben!« und zeigte auf das junge Mädchen, das in der ersten Reihe stand.

Schnell wollte sie sich hinter die Umstehenden verbergen. Aber das Kind war rascher als sie. Schon stand es vor ihr, das Tamburin vorgestreckt, und sie hatte nichts zu geben und errötete vor Scham.

»Weiß Gott—ich möchte dir gern ein Goldstück hineinwerfen«, dachte sie, »aber woher es nehmen?«

Kaum gedacht, da flog ein Goldstück über ihre Schulter in das Tamburin hinein. — Sie blickte sich um und sah — einen jungen, hübschen, schlanken Menschen, in der Haltung stolz wie ein Fürst, der sie lächelnd anblickte. Derselbe, der sie in der Kirche erschreckt hatte, und doch nicht derselbe! Jetzt flößte er nur Zutrauen ein, wie ein alter Bekannter, ein guter Kamerad, der da war, ihr aus der Verlegenheit zu helfen!

Es schimmerte etwas wie Dankbarkeit in ihrem Blick, als sie ihn ansah. Er lächelte und, wie um ihr zu zeigen, daß er ihren Wunsch erraten hatte, warf er ein zweites Goldstück in das Tamburin, das das Kind noch hinhielt, starr über die unverhoffte fürstliche Gabe.

»Vorwärts«, rief er lachend, »nun tanz mir noch einen Saltarello!«

Und das Kind eilte, die goldene Ernte bei seinem Gebieter in Sicherheit zu bringen.

[16]

»Mille grazie, Signore!« kam es von dem Alten zurück, die Gitarre zirpte — das Kind flog wieder im Kreise herum, sein Tamburin schlagend und schüttelnd, daß die Schellen klirrten — und niemand schaute zu — alle hatten nur Augen für den berühmten Tänzer!

»Fossano! Evviva, Fossano!« riefen sie und drängten sich um den Vielbewunderten, der da stand und die Huldigung über sich ergehen ließ.

»Hier trete ich nicht auf«, rief er, sich lachend wehrend, »hier bin ich nur Publikum! Schaut zu ihr hin! Die hat jetzt die Kunst zu vertreten!«

Und alles lachte und klatschte Beifall. Die Kleine tanzte wie um ihr Leben. Und Fossano, der sich doch immer als Mann der Öffentlichkeit geben mußte, ob er auftrat oder nicht, fing an, sie laut zu kritisieren und ihren Tanz zu verhöhnen, immer noch sich an das junge Mädchen wendend, hinter dem er stand, und das ihn groß anblickte, beglückt, von dem berühmten Tänzer überhaupt bemerkt zu werden.

»Du blickst mich so an«, lachte er, »als fürchtest du, ich würde dich lebendig fressen! Blick lieber die Drehpuppe da an! — Da kannst du sehen, wie der Tanz nicht sein soll! Oder gefällt's dir?«

»Ich weiß nicht!«

»Nein, du weißt nicht! Aber du ahnst es, und deshalb werde ich dir sehen helfen. Das Überschäumen des Blutes — der landesübliche musikalische Sinn ohne Sinn, den das Pack hierzulande immer hat — die Geilheit, die das Tempo gibt, solange sie da ist, und dann nicht mehr! Angelernte Bewegungen ohne innere Notwendigkeit! Die Poesie — die Innerlichkeit, der Drang, sich zu geben, fehlen! Ebenso das Können, die Fähigkeit, aus anderer Leute Seele Funken zu schlagen, zu zünden, mitzureißen und zu begeistern. Woher Geist nehmen — wo keiner ist!—Ein hübsches Spiel für die Augen, solange sie hübsch ist — und dann ist's aus! — Der Tanz da [17] gibt nie im Leben eine Himmelfahrt! — Und wenn's im Leben versäumt wird, nachher ist's aus! — Hüpf zu!« rief er der Tänzerin zu. »Hüpf zu — und fall nicht! Denn nachher liegst du auf dem Rücken und zappelst, und da ist's aus mit dem Tanz, da hüpfst du nicht mehr!«

Die Umstehenden lachten und warfen ihr noch derbere Scherzworte zu — weinend floh sie zu dem Alten, um Schutz zu suchen. Brummend stand er auf, schlug seinen Mantel um sich und sie, ging um die Ecke und verschwand mit ihr und seiner goldenen Ernte! Das Publikum zerstreute sich. Fossano blieb stehen.

Ihm war alles andere gleichgültig. Er dachte nur an das junge Mädchen, dem er gefolgt war. Nur zu ihr oder für sie hatte er gesprochen, und nur um zu sehen, wie sie sich dabei verhielte! Alles andere war ihm gleichgültig. Zornig hatte sie geblickt und Empörung gezeigt — Tränen des Mitleids waren ihr in die Augen gekommen. Und als sie ihm den Rücken zukehrte und ging, bewunderte er die feine Biegung des Halses, den wundervoll angesetzten fein geschnittenen Kopf und die unabsichtlich natürliche Plastik ihrer Bewegungen, wie sie so langsam davonschritt und dann wieder stehenblieb.

»Niobe«, dachte er, »Niobe — die noch nicht die Kinderschuhe ausgetreten hat!«

Sie empfand seinen kalten, prüfenden Blick, sah ihn lächeln — das Blut schoß ihr gegen den Kopf, sie eilte auf ihn zu.

»Die Augen könnte ich Ihnen auskratzen!« rief sie und ballte ihre Fäuste unter seinem Gesicht.

»Bravo!« rief er, aufrichtig erfreut über ihren prächtigen Zorn, und packte ihre Hände.

Sie riß sich los, nicht ohne den bewundernden Ausdruck in seinem Gesicht bemerkt zu haben, und sagte, immer noch schmollend, aber bedeutend besänftigt: »Sie sind abscheulich!« —

[18]

»Und du bist entzückend!«

Sie stampfte auf den Boden!

»Sagen Sie, was Sie wollen, aber es war herzlos von Ihnen! Wie konnten Sie dem Kinde weh tun wollen?«

»Du willst wissen, was ich wollte!« lachte er. »Denkst du, die kümmert mich? Dich wollte ich sehen! Und du hast dich mir gezeigt — im Schmerz und Mitleid ganz gut — im Zorn ausgezeichnet!«

Tränen der Wut und Beschämung traten ihr in die Augen.

»Warum machen Sie sich über mich lustig?«

»Das tue ich nicht! Mein Interesse an dir ist aufrichtig! Ich mag dich gern!«

Sie blickte ihn fragend an. Er wollte es aber nicht gleich weitertreiben und fragte nur beiläufig:

»Wie alt bist du?«

»Sechzehn!«

»Wie heißt du?«

»Babara!«

»Nun, Baberina — hast du schon ein richtiges Ballett gesehen?«

»Nein!«

»Bist du nicht im Theater gewesen?«

»Niemals!«

»Aber du möchtest wohl?«

»O wie gern!«

»Willst du heute abend das Ballett sehen, in dem ich tanze?«

»O ja!«

»Komm also eine Viertelstunde vor der Vorstellung nach dem Teatro Farnese, frag nach dem Ankleidezimmer Fossanos — Fossano, das bin ich!«

»Ich weiß.«

»Frag also den Türwärter danach, und man wird dich hineinführen. Du nimmst deine Eltern mit.«

»Ich habe nur die Mutter!«

[19]

»Bring sie mit! Und nach der Vorstellung laßt euch zu mir führen!«

Er wandte sich zum Gehen, blieb aber stehen und sah sie an.

»Dein Vatersname?« fragte er.

»Campanini!«

»Babara Campanini! Babara Campanini! Sage mal, Baberina«, er kam wieder auf sie zu, »ihr seid wohl nicht allzusehr mit Glücksgütern gesegnet?«

»So wie heute sind uns die Goldstücke nicht gleich bei der Hand, wenn's ans Zahlen geht!«

»Das kann noch kommen!« lachte er.

»Wie meinen Sie?«

»Nun — das hast du doch soeben gesehen! Du brauchtest nur zu wünschen, und gleich waren sie da!« Sie wußte, daß er die Wahrheit sagte, aber sie mochte es doch nicht glauben.

»Woher wußten Sie, was ich gerade wünschte?«

»Ein Wunsch ist nicht schwer zu erraten, wenn das Interesse da ist!«

»Aber Sie warfen gleich ein Goldstück!«

»Wolltest du nicht ein Goldstück für sie?«

»Ja. Und daß Sie das gleich wußten, macht mich bange!«

»Wer fürstlich zu wünschen versteht und gleich vom Schicksal mit der Erfüllung bedient wird, braucht keine Angst zu haben! Wünsche nur weiter!«

Er lächelte, und dies Lächeln brachte sie wieder in Harnisch.

»Was wollt Ihr von mir? Warum seid Ihr hinter meinen Gedanken und Wünschen her — erst in der Kirche und dann jetzt?«

Er lachte laut.

»Hast du Angst, mir etwas schuldig zu bleiben?«

»Wenn Sie so lachen, ja — weiß Gott — da möchte ich eine Handvoll Goldstücke haben, um —«

[20]

»Um?«

»Um sie Ihnen ins Gesicht zu werfen!«

»Bravo«, lachte er wieder. »Das war wieder fürstlich gedacht! Das Vergnügen kannst du noch haben!«

»Wieso?«

»Etwa — wenn ich dir Unterricht gäbe und es ans Zahlen käme! Mich zahlt man nur mit Goldstücken!« lachte er.

»Ihr wißt gut, daß ich das nicht könnte! Und deshalb solltet Ihr nicht lachen!«

Die Tränen kamen ihr wieder in die Augen.

Er wurde plötzlich ernst. Er hatte sich das Vergnügen gemacht, sie aus der einen Stimmung in die andere zu hetzen! In jeder Empfindung hatte sie pariert, alles war echt und von ungesuchtester Natürlichkeit! Er durfte es aber nicht zu weit treiben, sonst würde er die Führung verlieren — sonst würde sie ihm aus den Händen gleiten! Und er wollte sie einfangen — er brauchte sie, denn sie war, was er suchte!

»Verzeih mir!« sagte er, und seine Stimme nahm eine warme Färbung an, »ich wollte dir nicht weh tun! Ich bin nicht gewohnt, alles so ernst zu nehmen und zu meinen! Mir lacht eben das Leben; daher kommt's, daß ich über alles lache! Mehr ist's auch nicht wert! Und ich möchte es dir auch beibringen! Du hast das Tanzen im Blute, da gehe ich nicht fehl! Ich mach es dir frei! Ich bringe dir das Tanzen bei — du wirst bei mir Unterricht haben!«

Sie sah ihn groß an, als erzähle er ihr ein Märchen.

»Sechzehn Jahre bist du schon?«

»Bald siebzehn!«

»Höchste Zeit denn, wenn aus dir noch was werden soll! Komm also mit deiner Mutter heute ins Theater. Nachher wirst du mir sagen, wie es dir gefallen hat! Und das Weitere wird sich finden!«

Sie war außer sich vor Freude. Ihr Traum, ihr Traum [21] sollte Wirklichkeit werden! Sie wagte es kaum zu glauben, sie wußte auch nichts zu sagen; von Glück überwältigt blickte sie ihn an, Tränen der Dankbarkeit in den Augen; sie beugte sich rasch, ergriff seine Hand und küßte sie. Errötete dann über ihre Dreistigkeit und floh davon wie der Wind.

»Babara!« rief er. Aber sie hörte ihn nicht.

»Ich hätte mitgehen sollen. Ich hätte wenigstens fragen sollen, wo sie wohnt!«

Er fürchtete, Psyche, die er so lange gesucht und endlich gefunden hatte, würde ihm wieder verlorengehen.

»Bah — sie wird schon ins Theater kommen«, dachte er dann achselzuckend. »Wenn sie die Richtige ist, wird es sie treiben — dann wird sie's nicht lassen können! Und sie ist die Richtige! Mein Auge betrügt mich nicht!«


2

Er hatte recht — und unrecht zugleich.

Die Begegnung in der Kirche hatte sie erschreckt, ihr Innerstes aufgewühlt und in eine noch nie empfundene Unruhe versetzt. Sein Hohn hatte sie empört, sein herzloses Lachen sie angewidert. Auch wenn er freundlich zu ihr sprach, war etwas Kaltes, Lauerndes in seinen Blicken, daß ihr angst und bange wurde, die freundlichen Worte würden im nächsten Augenblick schneidendem Hohn Platz machen. Und dem wollte sie sich nicht aussetzen.

Die Empörung trieb ihr das Blut ins Gesicht, als sie an seine herzlosen Worte an die arme Straßentänzerin dachte. Wenn er ihr jemals so kommen würde, sie würde ihm das Messer ins Herz stoßen!

Für ihr Leben gern wollte sie ins Theater! Sie hatte eine brennende Lust, einmal ein richtiges Ballett zu sehen! Aber nachher müßte sie ja zu ihm; und wer weiß, wie er zu ihr sprechen würde? Also lieber nicht!

[22]

Sie erzählte wohl der Mutter getreulich von der Begegnung mit ihm, tat nicht wenig stolz über ihre Unterhaltung mit dem berühmten Tänzer, über sein offenbares Interesse für sie: wie er ihr nachgegangen wäre, und wie wenig sie sich daraus machte! Aber sie erwähnte mit keinem Wort sein Anerbieten, auch nicht die Einladung, ins Theater zu gehen.

Die Mutter wurde ganz aufgeregt.

»Das Glück! Das Glück! Den bringe ich noch dazu, dich zu unterrichten!«

»Um aller Heiligen willen!«

»Schweig, du bist eine Gans — eine dumme Gans bist du! Das Glück fällt dir in den Schoß, und du brauchst bloß zuzugreifen! Bloß zuzugreifen brauchst du! Ja, hast du denn eine Ahnung davon, was das bedeutet, wenn solch ein großer Mann sich für dich einsetzt!? Ein Wort von ihm kostet es nur, und gleich liegt dir die Welt offen! — Schmuck, Reichtum, schöne Kleidung, Ehren aller Art werden sich dir zu Füßen häufen, und du brauchst bloß zuzugreifen —«

»Er wird sich hüten. Er hat anderes zu tun, als sich um so eine wie mich zu kümmern!«

»Wenn er dich bloß tanzen sieht, wird er weg sein! Du weißt nicht, wie hübsch du tanzest — du weißt es nicht! Ich hab's dir ja nie gesagt, denn ich wollte dich nicht eitel machen! Aber sooft ich dich sah, und neben dir die anderen, dann dachte ich es mir — und mehr als eine von den Basen hat's auch gesagt — und wie oft haben sie's mir gesagt: >Die Babara muß zum Ballett! — Die Babara könnte mit den Beinen ihr Glück machen! — Sie hat das Zeug, daß ihr das ganze Leben zum Tanz wird!< Das haben sie gesagt! Aber wo hätte ich das Geld hernehmen sollen, um dich in die Ballettschule nach Mailand zu bringen? So etwas kostet Geld — viel Geld, und bei unserer Armut ...! Nein, da hab' ich's mir verbissen! — Aber ich habe zu der Madonna gebetet, ihr so manche [23] Kerze geweiht! Und sie hat mich erhört! — Jetzt ist die Gelegenheit da — jetzt gehe ich zu ihm! — Sofort gehe ich und werfe mich ihm zu Füßen!«

Sie warf ihren Mantel um und wollte gehen.

»Tu's nicht!« rief Babara. »Ich will's nicht! Ich habe gar keine Lust.«

»Ob du Lust hast — ob du Lust hast?! Tanzest du nicht für dein Leben gern!«

»Zum Vergnügen, ja!«

»Das Leben ist kein Vergnügen, das Leben will verdient sein! Dir ist's gegeben, es dir mit den Beinen zu verdienen! Aber nicht so, daß du auf der Straße bettelnd herumstreichst, wie's sonst kommen wird! Sondern indem du die Gabe ausnützt, die dir der Himmel gab! Das Tanzen zum Vergnügen — wir wissen, wo das endet! In den Armen eines Burschen und dann in den Armen eines anderen und dann im Rinnstein! — Ins Elend führt der Tanz! Nein, da werde ich schon vorsorgen!«

»Ich will's aber nicht! Ich will nicht!«

»Ich will aber. Und du hast dich danach zu richten. Gehorchen sollst du, ob du willst oder nicht, wo deine Mutter nur dein Bestes will!«

Sie wollte gehen. Und da mußte Babara lieber mit der Einladung herausrücken.

»Ihr braucht nicht zu ihm zu gehen«, sagte sie schmollend. »Er hat mich gebeten, heute abend ins Theater zu kommen! — Mit Euch soll ich hinkommen! Und nachher will er uns sprechen!«

Die Alte sank auf einen Stuhl nieder.

»Und das verheimlichst du mir?!«

»Ich wollte nicht hin! Ich gehe auch nicht! Er macht sich nur lustig über mich! Ich mag nicht, daß er über mich lacht!«

Eine schallende Ohrfeige war die Antwort. Und dann prasselte eine Flut von Schimpfworten auf sie nieder. »Du Schlampe, du faules, nichtsnutziges Ding! [24] Lumpenprinzeßchen du! Du blähst dich auf und zierst dich und dünkst dich zu vornehm, etwas zu tun, um im Leben vorwärtszukommen! Als ob du auf Gott weiß was für großen Reichtümern säßest, so hast du dich! Und dabei hast du nichts als das bißchen Jugend, das bald vorüber ist! Du willst nicht?! Ja, sag' einer bloß! Schämst du dich gar nicht, solche Launen zu haben?! Du Undankbare! Denkst du denn gar nicht an deine alte Mutter, die sich um dich geschunden hat und bald nicht mehr imstande sein wird, sich weiter für dich abzurackern? Und dann — was dann? Dann bist du auf dich angewiesen — dann mußt du verhungern, so ein faules und vergnügungssüchtiges Ding wie du!«

»Scheltet nur, soviel Ihr wollt! Ich gehe doch nicht! Und wenn Ihr mich noch so schlagt!«

»Sei doch nicht albern, sei nicht dumm! Benutze die Gelegenheit, die dir der Himmel gibt! Denn da liegt dir das Glück offen! Und du brauchst nur die Hand auszustrecken, brauchst bloß zu wollen — die Gelegenheit ist da! Jetzt oder nie! Einmal im Leben kommt das Glück nur, und da gilt's zuzugreifen! Die Minute, die du unbenutzt vorüberstreichen läßt, ist für ewig verloren! — Ich hab's an mir erfahren! Ich wollte auch tanzen — mein Leben lang wollte ich's, und immer noch tanzt's in mir, wenn ich euch Kinder tanzen sehe! Ich hätte es gekonnt — ich hätte es zu was gebracht! — Habe ich euch nicht tanzen gelehrt, daß alle Leute die Augen aufreißen, wenn sie euch springen sehen? Ich hätte es sicher zu was gebracht. — Aber mein Vater war dumm! Er hat's nicht eingesehen! Ich sollte ehrbar bleiben, hieß es immer! Ich sollte arbeiten lernen — einen braven Mann heiraten, anständig leben — und ich habe ihm gehorcht! — Nun — was habe ich davon gehabt? Einen Mann, der trank, der mich schlug und der viel zu spät gestorben ist — Gott hab' ihn selig! Was habe ich davon? Euch, die ihr mich bis aufs Blut aussaugt, für die ich mich schinden muß, [25] ohne es zu etwas zu bringen! Und dann blüht mir das Siechtum und ein elender Tod! Hätte ich nur nicht auf ihn gehört! Wäre ich lieber davongelaufen! Hätte ich lieber mein eigenes Leben gelebt! Dann ging's mir besser! Euch aber will ich das Leben ersparen, das ich leben mußte! Ihr sollt es gut haben, in Glanz und Reichtum leben — ihr werdet es auch erreichen! Denn ihr seid schön — am schönsten du, Babara — und was ich nur in meinen Träumen haben durfte, das sollt ihr in der Wirklichkeit haben! Denn ich werde nicht so schlecht an euch handeln wie mein Vater an mir — ihr werdet mich nicht verfluchen wie ich ihn — ihr werdet meiner dankbar gedenken und für euren Gehorsam was vom Leben haben! Eine große Künstlerin wirst du werden, wenn du mir gehorchst; in der ganzen Welt wird man dich mit Ehren nennen, mit Auszeichnungen überhäufen! Greif nur zu, und die Welt wird dir zu Füßen liegen!

Komm, ich putze dich — komm, ich mache dich schön — du brauchst gar keine Angst zu haben, daß man dich im Theater scheel ansieht — du kannst dich in jeder Gesellschaft zeigen — komm, mein Püppchen, sollst sehen, deine alte Mutter wird schon für dich sorgen!« Und sie suchte aus ihren Schränken und Truhen allerhand vergessenen Tand aus ihrer Jugend, bunte Perlenschnüre, seidene Tücher, Schürzen, Mantillen, Hauben und einen geblümten seidenen Rock, der ihrer Babara wie angegossen saß!

»Jaha — ich war auch mal schlank — ich war auch mal wie ein Prinzeßchen — schau mal dies Mieder — da bist du noch viel zu üppig dazu — aber es geht schon — wir schnüren ein bißchen — das wird schon gehen!«

Und sie schnitt und nähte und änderte und paßte ab und putzte ihr Töchterchen aufs prächtigste heraus! Und die ließ sich's gefallen und fand sich so allmählich damit ab, mit ihr in die Vorstellung zu gehen.

Wenn die Mutter mitginge, wäre es ja nicht so gefährlich. [26] Da würde er sie wohl nicht zu verhöhnen wagen! Und wenn auch — schließlich war die Sache das wohl wert! Schließlich konnte man das hinnehmen, wenn man bloß einmal ins Theater könnte und ein richtiges Ballett zu sehen bekäme!

Am Abend saßen sie dann auch im Theater in einer der ersten Reihen des Parterre, wo man schon angefangen hatte, Sessel einzustellen, die Domina stolz und sicher, als wäre sie in ihrem Leben nichts andres gewohnt gewesen, als ihre Abende dort zu verbringen, und Babara aufgeregt und neugierig in diese ihr so neue und bunte Welt hineinblickend, die bald ihre Welt sein würde.

Es war ihr wie ein Traum. Das schwatzende, lachende Publikum in schönen Kleidern, reich geschmückt, die bunte Masse, die sich schreiend und johlend im Parterre hin und her schob und drängte, die Musik — das Mitsingen des Publikums, die fröhlich ausgelassene Stimmung, die Blumen, die festliche Beleuchtung, das Drängen, der Kampf um die besten Plätze, und schließlich die Aufführung, die viel zu schnell vorbei war. Sie fühlte sich bedrückt inmitten all der Pracht! Das bunte Treiben verwirrte sie — dann ging der Vorhang auf — und zum erstenmal empfand sie die Macht, die hat, wer auf der Bühne steht — die Herrschsucht packte sie — schlich sich in ihre Seele und nahm sie in ihre Gewalt. Jetzt konnte sie nicht mehr zurück — jetzt mußte sie hin, ob sie durfte oder nicht.

»Denk, Baberina — wenn du da oben stehst — und all die Tausende nach dir blicken!« flüsterte die Mama. »Das wäre doch ein Glück!«

Babara hörte nicht; mit weit offenen Augen starrte sie nur hinauf. Fossano gab die Hauptrolle in der Pantomime: »Pierrots letztes Abenteuer«, eine burleske Szene voll derb grotesker Situationen, die wahre Lachsalven im Publikum entfesselten. Dann tanzte er einen Bauerntanz mit dem ganzen Corps de Ballett, und zum Schluß »Das Urteil des Paris«, eine wahre Orgie in sinnbetörenden [27] Farben und Formen, eine bis an die äußerste Grenze des Gewagten gehende und doch das künstlerische Maß innehaltende Phantasie voll glutvoller Leidenschaft, deren einzelnen Phasen das Publikum in atemloser Stille folgte, um dann, als der Vorhang fiel, in rasende Beifallskundgebungen auszubrechen, die nimmer enden wollten.

Immer wieder mußte Fossano mit seinen Partnerinnen vor dem Vorhang erscheinen, von den Evvivarufen umtost. Er wurde mit Blumen, Kränzen und Goldstücken beworfen, und man ruhte nicht, ehe er nicht als Zugabe seinen berühmten »pas du diable« zum besten gegeben hatte.

Während sich die Zuschauer in dichten Massen am Bühneneingang und im Hof der Pilotta stauten, um ihm bei der Abfahrt vom Theater ihre Huldigung darzubringen, wurden Babara und ihre Mutter zu ihm geführt. Er empfing sie im Foyer der Solisten, immer noch im Kostüm, jetzt ganz der große Künstler, vornehm, herablassend, sie kaum eines Grußes würdigend.

»Ah — sieh da — die kleine Bekanntschaft von heute früh! Nun — du hast es jetzt gesehen! — Es ist kein Kinderspiel, so leicht es auch aussieht! — Arbeit, harte, emsige Arbeit — wenn einer es so weit bringen will — und — Talent, versteht sich — vor allem Talent! Nun — wir werden sehen, was mit dir los ist! Ich werde dich erst ausprobieren! Du wirst gleich im neuen Ballett mittanzen — du brauchst keine Angst zu haben! Es gilt da noch lange keinen Kunsttanz — es ist gar nicht schwer! Du brauchst bloß zu verstehen, was du darzustellen hast — ich mach es dir klar — ich übe es mit dir ein! Kannst du das bewältigen — und ich erwarte es von dir — dann werde ich dich unterrichten — dann wirst du meine Schülerin sein!

Erst will ich aber sehen, ob du Talent hast, und ob ich dir mit gutem Gewissen raten kann, Tänzerin zu werden! Und ich glaube, ich werde es können ——«

[28]

Domina Campanini ließ die Tochter nicht zu Worte kommen. Sie floß gleich über vor Seligkeit und Rührung, küßte Fossano die Hände und rief den Segen aller Heiligen auf ihn herab. — Er würde schon sehen, daß er sich nicht geirrt hätte! Die Babara hätte Begabung wie wenige! Seit sie klein war, hätte sie getanzt — wie eine Sylphide — wie eine Elfe — wie ein Engel Gottes! Und sie hatte es von sich aus — ganz allein hätte sie sich alles, was sie könnte, ausgedacht! Denn sie wären arm, sie hätten nichts, womit sie den Unterricht hätten bezahlen können — —

Hier stockte ihre Suada. Sie bekam plötzlich Angst, er würde sie nicht als Schülerin aufnehmen, wenn sie nicht zahlen könnte!

»Aber was sein muß, muß sein«, sagte sie dann rasch, ehe er noch antworten konnte. »Ich werde arbeiten gehen, ich werde verdienen — ich habe auch Verwandte und gute Bekannte, die alle gern helfen werden, damit meine Baberina ihr Glück machen kann — sie müssen alle was beisteuern, denn der Unterricht bei solch großem Meister kostet doch wohl viel ——?«

Hier stockte sie wieder, in der Erwartung, er würde ihre versteckte Frage mit der Erklärung beantworten, es koste bei ihm nichts! Er empfand das und wollte es auch gleich sagen, hielt aber inne und blickte Babara an. Ein unbestimmtes Vorempfinden sagte ihm, daß er vielleicht doch in die Lage kommen würde, einmal Entgelt von ihr zu verlangen!

Er lächelte also bloß, winkte der Alten gnädig zu, blickte Babara an und sagte:

»Das wird sich später finden! Vorerst wollen wir sehen, ob du was taugst, und dann fleißig lernen!«

Er hielt ihr die Hand hin, die die Alte schnell ergriff und mit Küssen bedeckte, streichelte Babara die Wange, nickte herablassend und ging in die Garderobe. Die Audienz war zu Ende.


[29]

3

Er hatte sich nicht geirrt. Babara strotzte von Talent. Sie war ein Genie — von einer Ursprünglichkeit in ihrer ganzen Art, sich zu geben, und von einer Poesie der Unberührtheit, die, im Verein mit ihrer jugendlichen Anmut, einen unbeschreiblichen Reiz ausübte.

Sie lebte noch in der Ahnung, da aber stark und voll, mit der ganzen Keuschheit einer natürlichen Leidenschaftlichkeit, die sich ihrer noch nicht bewußt geworden war. Sie hatte, obwohl noch Kind, die Kraft voll entwickelter Triebe. Und die erste Aufgabe seiner Erziehung wurde: sie bewußt einzudämmen, sie zu leiten und erst allmählich zu entfesseln, indem er sie mit ganzer Gewalt auf die Kunst losließ, ihr aber das Leben im übrigen verschloß.

Das Leben im Kunstwerk sollte zunächst ihr Leben sein. Wenn sie da alles erschöpft hätte, dann erst wollte er sie freigeben, denn dann wäre es notwendig zur vollen Entfaltung! Erst den Gipfel besteigen, und dann erst den Abflug!

So aber, wie sie jetzt war, war sie prädestiniert dazu, die Psyche zu geben! Dafür hatte sie von Natur aus alles in so reichem Maße, daß er nur leise daran zu rühren brauchte, damit sie es hergab, mit einer Sicherheit der Empfindung und einer Vollendung, die durch kein Studium je erreicht werden kann, wenn sie nicht von vornherein da ist.

Hatte sie es einmal erfaßt, so war sie sofort mittendrin, kaum daß er ihr den darzustellenden Vorgang erzählt hatte! — Sie war Psyche, wie sie ihm in seiner kühnsten Phantasie vorgeschwebt hatte! — Und seine ganze Lehrtätigkeit konnte sich darauf beschränken, ihr die Situationen zu erklären — ihr die Stellungen zu zeigen und die einfachen kunstlosen Tanzschritte mit ihr einzuüben, deren sie bedurfte — kurz, dem Gedicht, in dem sie auf der Bühne zu leben hatte, das Gerüst zu geben!

[30]

Ihr Triumph wurde auch vollständig.

Sie siegte — weil sie gar nicht daran dachte, überhaupt zu siegen — sie verstand noch nichts von »Wirkung«, war sich nicht bewußt, daß sie die vielen Zuschauer in ihren Bann zu bringen hatte — sie dachte nur an ihre Aufgabe, gab sich ganz dem hin, was sie darzustellen hatte; sie erlebte es und vergaß darüber alles andere.

Freilich — im ersten Augenblick, als sie auf der Bühne stand und durch den Vorhang das Stimmengewirr der draußen Harrenden hörte, da kam etwas wie Angst über sie.

Sie blickte hinaus, sah die vielen tausend fröhlichen Menschen, die lachten und plauderten und ihre Toiletten, ihren Schmuck zur Schau trugen. Sie entsetzte sich beim Gedanken, daß all diese Augen sich auf sie richten — all diese Lippen das Urteil über sie sprechen würden! Sie zitterte — das Herz klopfte hörbar — ein Schwindel befiel sie — sie vergaß alles außer der Angst — sie wußte nichts mehr von alledem, was sie darzustellen hatte — sie konnte sich kaum noch aufrecht halten!

Ganz vernichtet schlich sie in die Kulisse hinein, und da brach sie zusammen.

»Heilige Mutter Gottes, hilf mir«, flüsterte sie inbrünstig und schloß die Augen. Und da war sie wieder in der Kathedrale, deren hohe Gewölbe sich über sie erhoben! Und hoch über ihrem Haupte schwebte wie ein Kranz von Sommerblüten in den Wolken die Mutter Gottes, von seligen Geistern umgeben, der Verklärung entgegen, und allen voran Psyche! Sie vergaß alles andere, vergaß, wo sie war — die Erregung legte sich, kühle Besonnenheit, Sicherheit und Kraft kehrten in ihre Seele zurück.

»Ich danke dir — ich danke dir«, flüsterte sie und stand erquickt wieder auf. Und als Fossano, der sie voll Unruhe gesucht hatte, sie endlich fand und ihr Mut zusprach, da war's längst nicht mehr nötig!

[31]

Sie ließ sich von ihm zu ihrem Platz hinführen. Und als der Vorhang aufging und das Spiel begann, da dachte sie nicht mehr daran, daß sie sich den vielen Neugierigen zeigen mußte, sondern ging ganz in der Wonne auf, sich geben zu dürfen.

Gleich in der ersten Szene der Psyche nahm sie die Huldigung an Stelle der Schönheitsgöttin Venus mit einer Demut und einer holden Beschämung an, aus der sich die Hauptstimmung der nächsten Szene folgerichtig ergab. So kam die Empfindung ihrer Unwürdigkeit und ihrer Strafbarkeit, weil sie sich hatte göttliche Ehren erweisen lassen, natürlich zum Ausdruck, ebenso der Schrecken bei der Verkündung ihrer Strafe durch Merkur sowie ihre Zerknirschung und die Ergebenheit in ihr Schicksal, als sie unter Trauertänzen beim Fackelschein nach dem Felsen hingeleitet wurde, wo sie dem ihr zum Gatten ausersehenen Ungeheuer ob ihres Frevels geopfert werden sollte. Und als die Fackeln eine nach der andern zu ihren Füßen gelöscht wurden und Eltern und Geschwister als letzte sie weinend verließen, da waren ihr Schmerz und ihre Verzweiflung ebenso echt wie die dann allmählich wiedergewonnene Fassung, die Ergebung in das Unabwendbare. Wie sie dann in banger Erwartung die Augen schließt und sich unbeweglich, ohne sich mit einer Zuckung des Gesichts oder der Glieder zu wehren, von der unsichtbaren Gewalt des Zephirs packen läßt, um im sanften Fluge vom Felsen nach dem blumenbedeckten Rasen an dessen Fuße hinabzuschweben — eine staunenswerte maschinelle Leistung des damaligen Theaters —, da wurde es draußen unter den Zuschauern so still, daß man das eigene Herz schlagen hören konnte. Und alle Augen blickten gerührt zu dem zarten, kindlichen Wesen, das da, wie ein Schmetterling vor dem Winde, von einem unerbittlichen Schicksal dahingeweht wurde, um unten regungslos liegenzubleiben.

Aber die qualvolle Spannung bei den vielen tausend [32] Zuschauern löste sich in ein Gemurmel des Entzückens auf bei der unmittelbar darauf einsetzenden Szene ihres Wiedererwachens zu neuem Leben!

Sanfte Musik trifft die Schlummernde. Sie öffnet die Augen, erhebt sich halb — lauscht den lieblichen Liedern unsichtbarer Geister — erhebt sich — sucht die Sänger bald hier, bald dort zu entdecken — immer mehr wird ihr Körper von den Rhythmen der aufjauchzenden Musik bewegt, wirbelt schneller und schneller dahin, daß das leichte Kleid in tausend Wellenlinien den Körper umspielt und dessen Formen heraushebt — die Hände flehend emporgestreckt, die Blicke bittend, die Lippen halb offen, sehnsüchtige Seufzer aushauchend. Aber die unsichtbaren Sänger bleiben unerbittlich und zeigen sich nicht, senden nur einen Regen von Rosen auf sie herab, die sich zu ganzen Gewinden verdichten und allmählich die Bühne mit ihrem bunten Netzwerk verhüllen.

Dann erhebt sich der Blumenschleier unter langsam wallenden Wogen der Musik, und um sie herum ist alles verwandelt. Ein Palast hat sich aufgetan — die Wohnstätte Amors. — Alles glitzert und glänzt von edlem Metall und buntem Gestein — staunend steht sie da, ohne zu wagen, sich zu rühren, und blickt alles scheu an. Dann, von Neugier überwältigt, betastet sie alles in kindlicher Freude. Sehnsüchtig blickt sie sich nach Gespielinnen um, aber vergebens! Alles Erdenkliche, was ihr zur Erquickung oder zur Bequemlichkeit dienen kann, ist, kaum gewünscht, sofort zur Stelle! — Der Becher mit Wein, den Durst zu löschen — der reich besetzte Tisch, um den Hunger zu stillen! Und als sie, vor Erschöpfung müde, umsinkt, empfängt sie ein prachtvolles Lager, auf dem sie sanft einschlummert. Da kommt im Traum Gott Amor — in rosenrotem Dämmerlicht schwebt er einher. Sie sieht ihn nicht, fühlt aber seine Nähe. Eine leichte Unruhe bemächtigt sich ihrer. Ohne die Augen aufzutun, wirft sie sich unruhig hin und her, die Lippen flüstern leise, sie [33] streckt die Arme sehnsüchtig aus. Da schleicht er an ihr Lager, schmiegt sich an sie — sie erwacht — der Traum ist aus — der Geliebte verschwunden. Sie setzt sich auf, blickt sich nach ihm um — selig glaubt sie seine Stimme zu hören — schmerzvoll seufzend horcht sie auf seinen Befehl, legt die Hände auf die Augen, wie um ihnen das Sehen zu verbieten, drückt sie gegen den Mund, um ihm das Fragen zu untersagen — alles mit einer Natürlichkeit der Empfindung und einer Intensität im Ausdruck, die keinen Zweifel über den Vorgang aufkommen lassen.

Dann sinkt sie wieder um — ein Traum erschreckt sie. — Die Schwestern — neidisch auf ihr Glück, erscheinen, um sie zu verhöhnen, zeigen ihr — im Traum — das Ungeheuer, dem sie angeblich vermählt wurde, reden ihr vor, es wäre der Gebieter des Hauses und wage wegen seiner grausigen Gestalt nicht, sich ihr zu zeigen! Sie belehren sie, wie sie es töten soll, wenn es das nächste Mal im Dunkel der Nacht ihr zur Seite ruht, und schleichen davon — ihr heimlich den Dolch und die Lampe lassend.

Sie erwacht voll Entsetzen, flieht von ihrem Lager, wankt, von Angst und Grausen gepackt, durch die jetzt dunkle Halle — findet die verhüllte Lampe und den Dolch und schleicht dann, mit ihrer immer mehr zunehmenden Angst kämpfend — die Lampe hoch in der ausgestreckten Hand haltend, das Gesicht abgewandt, den Dolch an den keuchenden Busen gedrückt — zurück zum Lager, wo Amor wieder schlummernd liegt, schaudernd zögert sie und bricht halb zusammen! Und dann der schnelle Entschluß — der sich aufbäumende Trotz — der jähe Wille zur befreienden Tat — das Aufraffen der letzten Kraft — das zaghafte Hinblicken — die Überraschung — das Staunen beim Anblick des schlafenden Gottes — das Fallenlassen des Dolches — die Zerknirschung, die Gewissensbisse — die wuterfüllte Drohung gegen die unsichtbaren Traumschwestern, deren Hohnlachen [34] sie um sich zu hören glaubt! Dann das schrankenlose Aufgehen in diesem ungeahnten Glück — die Bewunderung, die Anbetung — das zaghafte Nahen — das Erhaschen und Fallenlassen seiner herabhängenden Hand — die Betastung seiner Flügel — das Auffinden seiner Waffen, das Spiel damit, die Verwundung an seinen Pfeilen und dann das sofort einsetzende Auflodern der Leidenschaft, die sie alles vergessen macht — das Hinsinken auf die Knie neben dem Schlafenden — das Aufgehen in einem namenlosen Glücksgefühl — und schließlich das Besitzergreifen des Glückes — das Zusammenbrechen über dem Geliebten und der Kuß, der ihn halb erweckt. Dann das Aufschrecken ob ihrer Dreistigkeit — die Flucht, die Wiederkehr, das unwiderstehliche Hingezogenwerden — das leichte Hinschleichen auf den Fußspitzen, um sich wieder an seinem Anblick zu weiden — das Zittern der Hand, die die Lampe hält, und dann die Katastrophe — der Tropfen brennenden Öls, der ihm auf die Schulter fällt und ihn jäh erweckt — das Zusammenbrechen unter seinem Zorn — ihr vergebliches Flehen, ihr Schluchzen, ihr Haschen nach seiner Hand, seiner Kleidung — ihr Versuch, ihn gewaltsam zurückzuhalten, und dann die Verzweiflung, als sie sich verlassen sieht und ohnmächtig zusammenbricht — das waren alles Momente der höchsten Kunst, die Babara mühelos geben konnte, weil sie's im Moment des Gebens sah und erlebte. Sie weilte in einer anderen Welt, hoch über allem Irdischen, und als der Vorhang fiel und der tosende Beifall der aufs höchste aufgeregten Menge draußen einsetzte, da erwachte sie mit einem heftigen Schrecken aus ihrem Traum. Sie war wieder auf der Erde, aus allen Himmeln gefallen; und mehr tot als lebendig ließ sie sich von Fossano an die Rampe schleppen, um die begeisterte Huldigung des Publikums anzunehmen.

»Nie mehr werde ich's können — nie mehr werde ich so voll darin aufgehen und alles vergessen«, jammerte [35] sie, als der Vorhang zum letztenmal fiel und Fossano sie umarmte und beglückwünschte.

»Du kannst«, erwiderte er, »wenn du nur mir folgst! An meiner Hand, unter meiner Führung wirst du das und noch viel mehr lernen! Aber — du mußt dich führen lassen — du mußt mir unbedingt gehorchen. Willst du?«

»Ja«, antwortete sie ohne Bedenken, aber auch ohne ihn zu verstehen.

Er war sich auch nicht ganz klar über die Tragweite seiner Worte, aber er folgte seinem Instinkt. Aus der Kulisse hatte er ihr Spiel verfolgt, sie innerlich Szene für Szene vorwärts getrieben; mit seiner ganzen Geisteskraft war er dabei gewesen, hatte alles miterlebt, jede ihrer Empfindungen voraus empfunden und sie so gestützt. Und jetzt, als es aus war, war er ebenso erschöpft wie sie. Und so sehr er sich auch über den Sieg freute — er empfand nur, wie sie, Angst, daß das alles verloren gehen könnte, daß es nie wiederkehren würde; aber auch, daß es seine Aufgabe sein würde, dafür zu sorgen, daß nicht dies echte schlackenfreie Talent, dem kein Mißerfolg je etwas anhaben könnte, durch den Triumph hochmütig gemacht und so zugrunde gerichtet werde.

»Demütigen, demütigen!« war sein erster Gedanke. Und so fing er, noch ehe sie die Bühne verlassen hatte, an, sie zu kritisieren und sagte ihr alle Fehler, die sein scharfes Auge, trotz seines Entzückens, gesehen hatte. Ernst und sachlich setzte er ihr auseinander, wie weit sie von der Vollendung entfernt sei — wieviel sie noch zu lernen hätte — wie wenig die Leute im Zuschauerraum begriffen, und wie wertlos ihre Beifallsäußerungen seien! So nahm er ihr sorgsam jedes eigene Verdienst, schon ehe sie sich ihres Sieges bewußt worden war und sich daran berauschen konnte. Er hatte sie wieder unterjocht — er hatte sie in der Gewalt und gewann damit auch seine eigene Sicherheit wieder.

[36]

Der Mutter spendete er, als sie, im Überschwang ihres Glückes, sich in Lobeshymnen erging, herablassend einige kühl bemessene Worte der Anerkennung für das unzweifelhafte Talent ihrer Tochter.

Es würde schon was aus Babara werden! Er glaubte es schon! — Aber — man könnte ja nicht wissen! Das Leben hinge von soviel Zufälligkeiten ab! Jedenfalls wollte er sich ihrer annehmen und mit ihr weiterarbeiten! — Sooft seine »Psyche« gegeben würde, sollte sie darin spielen dürfen, vorläufig ohne Gehalt, denn man könne nicht anders — wegen der anderen Tänzerinnen! Man müsse ihre Gefühle schonen! Sie wären schon ohnehin ärgerlich, daß er nicht einer von ihnen die Rolle gegeben hatte!

Er wolle aber mit aller Energie an ihrer Vervollkommnung arbeiten! Er wolle nichts dafür haben! — Aber sie müsse sich ganz seiner Führung anvertrauen! Das wäre die Bedingung!

Das sagte ihm die Domina auch zu, ehe sie beglückt dem Ausgang zuschritt, wo Tausende von Menschen sich gestaut hatten, um dem neuaufgegangenen Stern ihre Huldigung darzubringen. Begeisterte Zurufe flogen Babara entgegen, als sie sich zeigte — schüchtern blickte sie Fossano an, wie um Erlaubnis zu fragen, ob sie auch das alles auf sich beziehen dürfe! Er verzog keine Miene. Er gab ihr nur den Arm und führte sie ironisch lächelnd zu seinem Wagen, um sie nach Hause zu bringen und sie so ihren Verehrern zu entziehen!

Das gelang ihm freilich nicht. Ein Dutzend junge Leute nahmen den Wettlauf auf und folgten dem wegen des Gedränges nicht übermäßig schnell fahrenden Wagen.

Kaum waren sie in der bescheidenen Behausung der Campanini angelangt, so sammelte sich schon eine ganze Menschenmasse unter den Fenstern. Bald erklangen die Gitarren, und liebegirrende Stimmen schmetterten ihre sehnsüchtigsten Töne in die Nacht hinein. Die Passanten [37] blieben stehen und nahmen an der Kundgebung teil. Und bald war an kein Durchkommen mehr zu denken.

Die Domina schwelgte in Wonne. Babara wurde auch freudig bewegt. Die Geschwister waren außer sich vor Freude über den Triumph — das ganze Haus in größter Aufregung.

Nur Fossano blieb ruhig. Seine Züge verfinsterten sich mehr und mehr.

Schließlich konnte er nicht an sich halten.

»Höre nicht hin!« rief er. »Bei allem, was dir heilig ist, höre nicht hin! Wenn es dir ernst um die Kunst zu tun ist, dann höre nicht hin! Erst wenn du eine große Künstlerin bist, darfst du's wagen! Heute bist du nur eine große Hoffnung! Ein Versprechen, das nur durch emsige Arbeit in strenger Abgeschiedenheit einzulösen ist! Erst das! Dann tu, was du willst!«

Sie blickte ihn groß an. Sie verstand ihn nicht — hörte kaum zu. Draußen lockte das Leben — von dort drangen liebliche Klänge herein und schmeicheltem ihrem Ohr mit süßem Wohllaut! In ihr jauchzte es von Glück und Stolz! Das Leben brauste durch ihre Adern und rief sie hinaus zum Genuß und zum Glück! — Und er, der ihr den Weg in dieses Leben gezeigt hatte — er hielt sie zurück!? Er zeigte ihr das Ziel — und verbot ihr, es im Flug zu nehmen?!

»Wer etwas werden will«, sagte er noch eindringlicher, »darf sich nicht von den Freuden der Welt verlocken lassen! Nicht hinsehen! Nicht hinhören! Alle Sinne nur auf das Ziel richten, mit allen Trieben ganz und voll in der Kunst aufgehen! — Dein ganzes Sehnen, dein gesamtes Trachten mußt du nur darauf richten, die Schwierigkeiten des Weges zu überwinden! Nur so kannst du den höchsten Gipfel erklimmen! Und dazu bist du unter Tausenden ausersehen, wenn du treu bleibst! Einmal oben, dann entfalte die Schwingen — dann heb an zum [38] Flug und bewege dich frei — aber erst dann! — Willst du's so halten?«

»Ja!«

»Dann bringe ich dich auch so weit! Aber du mußt geloben, blind meiner Führung zu folgen. Du mußt mir unbedingten Gehorsam versprechen! Willst du das?«

»Ja.«

»Du darfst nie einen jungen Mann mit liebenden Augen ansehen, nie den Worten der Verführung lauschen — streng darauf achten, deinen Sinn rein von aller Betörung zu halten! Schwöre es bei allem, was dir heilig ist — bei der Madonna ——«

»Bei der Himmelfahrt im Dom«, sagte sie und lächelte inbrünstig — »dabei schwöre ich ——« »Stets so zu bleiben, wie's die heilige Kunst von mir verlangt —« sprach er ihr vor.

»Stets so zu bleiben, wie's die heilige Kunst von mir verlangt«, wiederholte sie feierlich.

Aber es genügte ihm nicht.

»Und brichst du den Eid«, sagte er, und es funkelte drohend in seinen Augen, »so jage ich dich auf der Stelle fort. Dann bist du nicht mehr meine Schülerin! Dann mußt du selbst sehen, wie du dich durchschlägst!« Große Tränen drangen ihr in die Augen.

»Ich bleibe treu«, sagte sie fast schluchzend. »Die Madonna wird mir helfen! Alle Tage will ich ihr Blumen opfern.«

Draußen klangen noch die Lieder ihr zu Ehren. Sie hielt sich die Ohren zu.

»Ich will gehen und sie fortjagen!« sagte Fossano. »Lebe wohl — morgen in der Probe sehen wir uns wieder.«

Er ging. Draußen versuchte er die Sänger zum Schweigen zu bringen. Aber sie lachten ihn aus. »Er ist eifersüchtig — er will sie selbst für sich behalten. Der Schwerenöter! [39] Das Schleckermaul! Don Juan du!« riefen sie. »Psyche hat schon ihren Amor gefunden! Fossano — evviva! Fossano — amoroso! Evviva!«

Lachend nahm er die Huldigung an und bestritt es mit keinem Worte, daß er ihr Liebster sei. Mochten sie's nur glauben — dann würden sie sie in Frieden lassen! Sie würden sich hüten, es mit ihm aufzunehmen!

Sie mochten dasselbe gedacht haben. Denn sie zogen lachend und johlend ab und widmeten im Gehen schnell noch ein Spottlied der spröden Schönen, die sich zum Dank für das Ständchen nicht einmal gezeigt hatte.

Fossano schickte seinen Wagen fort und ging zu Fuß nach Hause.

Er kam sich in der Rolle eines Sittenpredigers sonderbar vor! Weiß der Teufel, was in ihn gefahren war! Sonst hielt er es in der Beziehung nicht streng mit seinen Schülerinnen! — Sonst war er eben für jede Freiheit! Aber diese — — um die war ihm bange! Sie war ein seltenes Juwel, das ihm das Glück in die Hände gespielt hatte und das er nicht herausgeben wollte, ehe er ihm den besten Schliff und die schönste Fassung gegeben hätte, damit es über alle Welt leuchten könnte.

Und das war nur so möglich! Ihr ganzes Triebleben mußte ganz folgerichtig und mit vollem Bewußtsein auf den Ehrgeiz gerichtet werden, in der Kunst das Höchste zu leisten, bis sie ganz Meisterin geworden wäre! Da würde er sie auf das Leben loslassen!

Aber er — er selbst mußte das tun — kein anderer durfte es, und vor allem keine Minute zu früh!

Solange wollte er die eigene Leidenschaft, die schon jetzt in ihm loderte, zurückzudämmen suchen! Und wenn er selbst als Lohn für seine Mühe die Blume gepflückt hätte, dann wollte er ihre Leidenschaft in die richtige, die für die Karriere einzig mögliche Bahn leiten, ins Vergnügen, zum Rausch! Aber sie nimmermehr zur großen Passion oder gar zur hingebenden Liebe werden lassen. [40] Die mußte gründlich abgetötet werden, sonst würde sie die Kunst töten.

Das sollte der Gipfel seiner Erziehung sein! Denn nur so könnte er ihrer Kunst die letzte Weihe geben, die der bewußten Sinnlichkeit, die ihr jetzt mangelte und auch noch lange nicht zur Entfaltung kommen durfte — ehe sie auch als Künstlerin reif genug wäre, zu begreifen, wie in dieser Welt der Sinne die Selbstherrlichkeit des Fleisches herrscht und wie der Geist Fleisch werden muß, um hier zu gebieten — —

Er lächelte befriedigt bei dem Gedanken, schlug selbstgefällig den Mantel um die Schultern, drückte den Hut in die Stirn und ging halblaut summend nach Hause.

Babara aber verbrachte eine schlaflose Nacht voll unruhiger Gedanken. Und als der Morgen kam und alles noch in Schlaf versunken lag, schlich sie hinaus nach dem Dom, mit Blumen für die Madonna, und kniete da lange inbrünstig betend und in Betrachtung des Meisterwerks von Correggio versunken.


4

Sie machte so schnelle Fortschritte, daß er nicht aus dem Staunen herauskam. Sie bewältigte alles spielend leicht. — Es gab für sie keine Schwierigkeiten! Ihr Körper, elastisch wie eine Stahlfeder, war von der höchsten Harmonie der Formen, der größten Ausgeglichenheit der Glieder und einer fabelhaften Leichtigkeit der Bewegung. Der Tanz auf den Fußspitzen machte ihr gar keine Schwierigkeiten. In Sprüngen hatte sie nicht ihresgleichen. Sie hatte Rasse, Temperament und einen sprudelnden Humor, der sie für die burlesken Tänze ebenso geeignet machte wie für die seriösen. Aber bei allem Tempo und allem Übermut war über dem Ganzen doch [41] eine Keuschheit und eine Unberührtheit, als tanze sie im Traum.

Es wurde bald Zeit, sie ins wache Leben zu führen, ihr die Schleier von den Augen zu reißen. Es war ihr zur Gewohnheit geworden, jeden Morgen vor Beginn der Probe in den Dom zu gehen. Es zog sie immer wieder hin. Es war ihr, als hole sie sich von dort die rechte Weihe und die Sicherheit, der sie bedurfte, um, ohne nach rechts und links zu sehen, vorwärts zum Ziel ihres Ehrgeizes zu kommen.

»Dir zu Ehren — nur dir zu Ehren«, seufzte sie reuig, als ihr der Ehrgeiz zusetzte, und beugte ihr Köpfchen im Gebet. Und sie zwang sich mit Gewalt, an gar nichts als an ihre Pflicht zu denken! Keine Wünsche durften aufkommen, wie sehr das Leben ihren jungen Sinn auch lockte! Alles rang sie heldenmütig nieder, treu ihres Eides eingedenk!

Fossano sah es. Aber er sah auch, daß es nicht mehr lange so gehen durfte! Denn sonst wäre sie auch so für die Kunst verloren! — Sonst würde ihr eines Tages klar werden, daß ihre Kunst eben die Kunst der höchsten Sinnenlust und also verwerflich wäre! Und eine Heilige zu züchten, lag ihrem Lehrmeister ganz fern!

Eines Tages holte er sie aus dem Dom zur Tanzstunde ab. Er fand sie unter der Kuppel wie das erstemal, verzückt in den offenen Himmel Correggios schauend.

»Weißt du noch, Baberina, wie du mir das erstemal, als wir uns hier trafen, davonliefst?« Sie nickte.

»Hinauf zu wollen und hier unten bleiben zu müssen — — das ist der Tanz! So sagte ich dir damals — und versprach, dich durch die Kunst damit zu versöhnen! Ich wollte dir die Welt in ihrer ganzen Schönheit zeigen und sie dir erringen helfen! Weißt du noch?«

Sie nickte wieder, ohne ihren Blick von ihm zu wenden.

»Jetzt ist's Zeit für mich, mein Versprechen zu halten! [42] Jetzt ist dein Wille hinauf stark genug, um nicht im Rausch des Lebens verlorenzugehen! — Jetzt wirst du dich mit der Welt aussöhnen, in der du doch leben mußt
— sie in Besitz nehmen und über sie gebieten!«

»Ich versteh nicht!«

»Du bist eben noch blind! Ich will dich sehend machen! Was siehst du da oben? — Die Befreiung — nicht wahr?«

»Ja.«

»Aber auch die Gefangenschaft ist da! Und die siehst du nicht.«

»Nein.«

»Sie ist aber da. Und du siehst sie nicht, weil du immer noch Psyche bist, von deiner unbewußten Sehnsucht gehoben — ebenso gefangen wie sie, aber ohne es zu wissen. Werde wissend — werde Maria! Tauche unter ins Leid! Nimm das Märtyrertum des Weibes auf dich! Steig hinab in die Welt der Sinne, aber ohne dich selbst zu verlieren! Tauche unter in Lust, aber ohne die Reinheit einzubüßen! Töte das Fleisch ab, indem du es befriedigst! Blicke nur nach oben, aber lebe hier unten, solange du lebst! Sieh, da oben, wie hat er — Meister Correggio — da das Fleisch in seiner ganzen göttlichen Majestät zu schildern gewußt, von Sehnsucht nach Liebe verklärt! — Sieh all die schönen Körper, wie sie sich umschlingen — wie sie drängen — wie sie sich gegenseitig heben — und hinabziehen im ewigen Kampf, im ewigen Spiel der höchsten Lust! Es ist ein Ringen, ein Drängen, ein gemeinsames Aufgehen der Körper in Wolken, ein Auflösen der Wolken in Licht! Der Kampf mit der Erdenschwere wird da ausgefochten! Ohne den gibt's keine Bewegung! Ohne Bewegung keine Freiheit, und deshalb zeigt jene Gestalt, die in der Mitte als Wegweiser schwebt, wohl den Weg nach oben, drängt aber nach unten! — Denn nur der Geist kann hinauf! Der Leib darf nicht mit! — Er muß erst im Sturme der [43] Leidenschaft vergehen — im Tanze der Lebenslust sich befreien — im Fegefeuer der Passionen geläutert werden ——«

»Hör auf«, rief sie und hielt sich die Ohren zu, »fälsche mir nicht das Heiligste, was ich habe! — Laß es mir so, wie ich's immer gesehen habe! —— Ich will nicht — will nicht mit deinen Augen sehen!«

»Mit deinen, aber nach meiner Art«, antwortete er. »Denn die ist die wahre, weil ich die Erfahrung habe und das Leben kenne — das Leben, das auch du zu leben hast!«

»Ich will nicht — ich will nicht«, schrie sie und wollte ihm wieder entlaufen.

Er hatte es aber erwartet und hielt sie fest.

»Jetzt läufst du mir nicht davon«, lachte er, »jetzt halte ich dich. Komm, gehen wir an die Arbeit! Heute wirst du wieder die Psyche studieren — den zweiten Teil ihrer Sage wollen wir jetzt inszenieren — wo sie allmählich sehend und wissend wird!«

Und er zog sie mit aus der Kirche und führte sie am Arm nach dem Theater hin.

Unterwegs erzählte er ihr die Geschichte Psyches, wie er sie weiter zu gestalten dachte — wie sie, allmählich durch Leiden zur Einkehr gebracht, sich ihres eigenen Wesens bewußt wird und so Tatkraft gewinnt — wie sie durch Beharrlichkeit und vertrauensvolle Demut das Unmögliche möglich macht, jede, auch die schwerste Prüfung besteht, vergebens an das Mitleid der göttlichen Mächte sich wendet, sich selbst überlassen, ihr Leid auf sich nimmt und mit ihrem Schicksal ringt, wie sie endlich geläutert und verklärt in den Kreis der ewigen Götter aufgenommen wird und an deren heiterem Leben teilnehmen darf. Und schließlich, wie sie selbst Göttin und Mutter wird, nachdem sie würdig befunden wurde, dem Gott der Liebe Gattin zu sein!

»Die Sehnsucht — der ewig unbefriedigte Trieb über [44] sich selbst hinaus — Psyche, die so die Liebe beseelt und belebt, gebiert dann — die Wollust, die höchste Blume des Lebens! Denn Wollust nannten die Götter ihr Kind, das sie dem Amor gebar! Die Wollust ist nichts Irdisches! — Die Wollust ist etwas, was nur in der Phantasie lebt! — Der höchste Rausch des Geistes, das letzte Mysterium der Berufenen! Nur die Frau, die sich jenem holden Wahn ganz hinzugeben versteht und in der Hingabe ganz aufgeht, nur die ist wert, als segenspendende Priesterin hier im Leben zu walten, über dem Leben zu stehen und vor allen anderen geehrt zu werden.

Bloß geben, ohne an den Empfänger zu denken — so gibst du allen, weil du dich keinem weihst. Und entweihst die Gabe nicht durch selbstsüchtigen Vorbehalt. Opfern in tiefster vollster Bedeutung der Tat — ganz und ohne Nebengedanken im Opfern aufgehen, das ist die Gottheit Psyches!«

So drang er Schritt für Schritt in die Unberührtheit ihrer Seele ein und wühlte sie auf. Fliegenden Atems hörte sie zu. Die Augen halb geschlossen, ging sie an seiner Seite und sog Wort für Wort ein, ohne den Sinn noch ganz zu fassen, aber ihm mit ihrer Ahnung entgegenschwellend, bis die Spannung ganz unleidlich wurde und alles in ihr nach Erlösung drängte.

Da zur rechten Zeit hörte er auf und fing an, nachdem er die Grundstimmung gegeben hatte, Szene für Szene den Leidensweg der Psyche zu schildern, und wie er ihn darstellen wollte — wie sie zu Pan kommt — wie sie in den Tempel der Ceres, der Göttin der Fruchtbarkeit, flüchtet und, von dort vertrieben, in den Tempel Heras, der Göttin der Ehe — wie sie, von dort vertrieben, in die Hände der rachsüchtigen Göttin Venus fällt, von ihr und ihren Helfershelferinnen: »Angst und Verlassenheit« durch den Schmutz geschleift, geschlagen und geschunden wird, und wie sie doch ihre Liebe zu Amor rein im Herzen behält und, aller Erniedrigung zum Trotz, ihrem hehren [45] Ideal treu bleibt und endlich als Lohn ihrer Treue gegen sich selbst unter die ewigen Götter aufgenommen wird.

So wurde bei seiner Erzählung das Wort zum greifbaren Bild — die Empfindung zum wirklichen Geschehnis — immer näher brachte er sie dem Kern der Sache, immer klarer begann sie zu sehen, und doch war da ein Letztes, das ihr verschlossen blieb. Da konnte ihr nur noch ein Erlebnis helfen, da nützte keine noch so geschickte Erklärung.

Und das Erlebnis kam.

»Die letzte Szene wollen wir heute einstudieren, die Szene, wo Psyche, in den Kreis der Götter hineingeführt, ihnen den Tanz der Schleier tanzt, den letzten verhüllenden Erdenrest abstreift, um im Glanz ihrer Schönheit und Anmut zu siegen und sich die Gottheit zu erobern. Denn darauf kommt es an. Kannst du das bewältigen, dann wirst du mir helfen, die Sage der Psyche zu gestalten, und dann wird dein Triumph tausendmal größer werden als beim ersten Teil.«

Im Probesaal des Theaters angelangt, fing er gleich an mit ihr zu arbeiten, und er brauchte sich nicht viel Mühe zu geben.

Wie sie da, tief in Schleier gehüllt, die Arme über der Brust gekreuzt, den Kopf leicht geneigt und ehrerbietig grüßend, in den Kreis hineinschreitet, stehenbleibt und, zaghaft beschämt, kaum ihr liebliches Gesichtchen zu entschleiern wagt — wie sie, erstarrt über den Glanz, stehenbleibt — wie von der Musik gestreichelt die Starrheit sich löst — die Glieder sich recken, dem ganzen Leib so allmählich Bewegung einflößend — das zaghafte Schreiten — das scheue Zurückweichen, das allmählich in rhythmisch bewegte Biegungen und Drehungen übergeht — und dann ein Vorwärtsstürmen, daß der, die ganze Gestalt bis jetzt verhüllende, erste Schleier sich löst — davonflattert und liegenbleibt — das Zusammenraffen des zweiten Schleiers, das allmählich einsetzende neckische [46] Spiel damit, bis er auch halb zufällig, halb absichtlich fällt und noch mehr enthüllt —— die mit der allmählichen Befreiung immer schneller werdenden Rhythmen, das Umherwirbeln im aufjauchzenden Gefühl, das jähe Abwerfen des einen Schleiers nach dem andern — bis der letzte fiel — das kam alles heraus mit einer ungezwungenen Natürlichkeit, mit einer Naivität, die ihn entzückte — bis eben der letzte Schleier fiel. Dann war's aus — dann war sie wieder die kleine Baberina, die in ihrem kurzen Tanzrock vor ihm stand und ihn fragend anblickte. Und er ließ sie nicht auf Antwort warten.

»Was fühltest du, als der letzte Schleier fiel?« rief er aufgeregt.

»Ich weiß nicht!«

»Fühltest du nicht, daß du nackt warst?«

»Nein«, sagte sie kopfschüttelnd und blickte ihn fragend an. Wie kam er nur darauf?

»Das mußt du aber — darauf zielt der ganze Tanz —— das hast du auch ausgezeichnet angedeutet und vorbereitet. Du mußt dich nackt fühlen!«

»Aber ich bin's ja nicht!«

Er lachte auf.

»Das ist es eben. Du mußt dann jenen Tanz — nackt vor mir tanzen!«

Sie wich zurück und erhob die Hände zur Abwehr.

»Was sträubst du dich? Was ist denn dabei? Brauchst du dich denn zu schämen, dich so zu zeigen, wie die Natur dich geschaffen hat? Du am allerwenigsten! Jetzt darfst du es — jetzt mußt du es. Du bist jetzt in deiner Kunst so weit, daß du den letzten Schleier fallen lassen kannst! — Wenn du weiter willst, wenn du nicht stehenbleiben willst, mußt du es! — Tu's, Baberina, entschleiere dich mir — mir allein sollst du jenen Tanz so tanzen, wie er wirklich ist — den anderen nicht — auf der Bühne nicht! Willst du ihn aber auf der Bühne richtig und mit voller Wirkung geben, dann mußt du erst jenes Gefühl: [47] nackt — entblößt — dazustehen, wirklich erlebt haben! Dann erst hast du es erfaßt und kannst es geben, auch ohne die letzte Hülle fallen zu lassen und dich vor den Augen der schaulustigen Menge zur Schau zu stellen! Nur so will ich es — nur das will ich von dir!«

Sie stand in höchster Aufregung da, die Hände vor den Augen, und atmete heftig.

»Ich kann's nicht! Ich will nicht! Nie und nimmer!«

»Du mußt!«

»Nein, nein!«

»Du hast es geschworen!«

»Das habe ich nicht!«

»Alles, was die heilige Kunst von dir verlangt, das zu tun, hast du geschworen! — Sie verlangt es jetzt von dir durch mich, durch deinen Lehrer!«

Sie starrte ihn entsetzt an.

»Was starrst du mich so an? Bin ich dir so fremd? Sind wir nicht gute Freunde geworden? Bin ich dir nicht schon mehr als ein Freund?«

»Mein Vater sind Sie«, flüsterte sie und wollte seine Hand küssen.

»Nicht so, Baberina, nicht Vater bin ich dir, auch nicht mehr Lehrer — nicht so!« Er verwehrte ihr den Handkuß und zog sie an seine Brust, küßte ihr die Stirn und die zitternden Lippen. »Ich liebe dich — ich liebe dich mehr als mein Leben! — Werde mein, und ich werde dich zu der glücklichsten — zu der größten Künstlerin machen, die je da war — nur so kann ich es!«

Er wollte sie glücklich machen! Warum bat er sie nicht, ihn zu dem Glücklichsten zu machen? Im höchsten Sturm der Erregung horchte sie bei dem Gedanken auf, es überlief sie kalt, sie riß sich los und stand auf einmal hochaufgerichtet vor ihm. Unheimlich leuchtete es aus ihren Augen, als sie fanatisch rief:

»Ich habe geschworen, ja, so zu bleiben, wie's die heilige Kunst von mir verlangt! Und ich halte meinen [48] Eid, auch wenn du selbst mich in Versuchung bringst! Wenn das die Kunst von mir verlangt, so bin ich unwürdig, ihre Dienerin zu sein! Sie verlangt's aber nicht! Und du auch nicht! Du willst mich nur prüfen!«

Da packte er sie wieder und bedeckte ihr Gesicht mit den leidenschaftlichsten Küssen.

»Zum Teufel mit der Kunst«, rief er, »was ist mir die Kunst?! Das Leben will ich, dich will ich, weiter nichts! Und du mußt — du willst es ja — du liebst mich! Tausendmal hab' ich's dir aus den Augen gelesen! Komm, sei mein —— gib dich mir — Baberina!«

Da wußte sie, daß das keine Prüfung war, ob sie ihrem Eid treu bleiben wolle oder nicht! Sie fühlte, daß er sie betrogen hatte — daß er sie der Welt gegenüber bewahrt hatte, bloß um sich selbst ihres Besitzes zu erfreuen! Mit verbundenen Augen hatte sie sich von ihm bis dicht an den Rand eines Abgrundes führen lassen, und jetzt war ihr auf einmal die Binde von den Augen gerissen! Sie sah, wo sie war! Sie wußte nicht mehr, wohin — wußte nur, daß sie schnell zurück mußte, um ihr Leben zu retten! Und mit Aufbietung ihrer letzten Kraft riß sie sich los, stieß ihn von sich und floh, so schnell, daß er sie nicht mehr zu hindern vermochte! Sie kam in höchster Aufregung nach Hause und teilte ihrer Mutter mit, sie hätte das Tanzen aufgegeben, sie hätte es jetzt satt und wollte nunmehr den Schleier nehmen und den Rest ihrer Tage im Kloster verbringen!

Fossano stand allein und stampfte vor Wut. Er war ärgerlich über sich selbst! — Er war zu schnell vorgegangen! Trotz aller Behutsamkeit war die Enthüllung zu jäh gekommen, und er hatte das Wild verscheucht!

Jetzt würde das Einfangen doppelt schwer werden!

Er würde aber nicht von ihr lassen! Was hieß das auch, so vor ihm davonzulaufen? War er nicht Fossano, dem alle Weiber nachstellen — der nur die Hand [49] auszustrecken und zu winken brauchte, damit sie ihm an den Hals flogen?! Und jetzt diese Sprödheit, dies dumme Getue, als wäre sie Gott weiß was! Die blöde Person! Er hatte die Gnade haben wollen, sie zu sich emporzuheben — und die Gnade sollte ihr zuteil werden, ob sie wollte oder nicht! Er würde ihr schon zeigen, wer er war!


5

Am folgenden Tage trat er bei der Domina Campanini ein, die ihn mit bangen Fragen empfing und sich in lauten Klagen über das veränderte Wesen ihrer Tochter erging.

Was wohl geschehen wäre? Sie hätte nichts aus ihr herausbringen können! — Sie trüge ein sonderbares Wesen zur Schau! — Sie antworte auf keine Fragen! — Gestern hätte sie in ein Kloster gehen wollen! — Heute rede sie überhaupt nichts. Was denn geschehen wäre?!

»Nichts, gar nichts! Sie soll ruhig den Schleier nehmen! — Ich hab' nichts dagegen! Sie taugt nichts — sie wird es überhaupt in der Kunst zu nichts bringen! — Ich habe mich geirrt.«

»Aber mein Gott, was ist denn vorgefallen? Früher konntet Ihr nicht genug zuraten, und jetzt auf einmal ——«

»Ich habe mich eben geirrt — ich sagte es Euch ja. Ich habe meine Zeit an eine Unwürdige verschwendet!«

»Aber, Signore, das ist nicht möglich — diese plötzliche Veränderung! — Wie soll ich das nur verstehen? Ach, ich Unglückliche, ach, ich Arme! —— Ich werde noch vor Gram sterben müssen! Aber so sagt mir doch: ist da keine Rückkehr möglich? —— Ist da gar keine Hoffnung?«

»Wenn Ihr glaubt, Domina, daß ich gekommen bin, um meine Zeit mit dem Anhören Eurer Lamentationen zu vergeuden, so irrt Ihr Euch! Meine Zeit ist kostbar! [50] Das scheint weder Ihr noch Eure Tochter zu begreifen! Und das — nur das möchte ich Euch zu Gemüte führen. Um Eure Tochter kümmere ich mich nicht! — Mit Euren Klagen könnt Ihr mich verschonen! Aber meinen Zeitaufwand mit ihr müßt Ihr mir bezahlen!«

»Alle Heiligen — versteh ich Euch recht?«

»Ich hoffe, Ihr werdet so gescheit sein! Ihr müßt also jetzt die Kosten des Unterrichts aufbringen, den Eure Tochter bei mir gehabt hat!«

»Aber, Signore — Ihr habt ihr doch versprochen —«

»Was habe ich ihr versprochen? Nichts habe ich ihr versprochen! Gar nichts! Könnt Ihr ein Wort von mir anführen, daß ich auf ein Entgelt für meine Mühe verzichte?«

»Das nicht! Aber auch kein Wort von Zahlung!«

»Das ist selbstverständlich! Als ehrbare Frau werdet Ihr doch keine Geschenke annehmen?«

»Wir sind arm, wir haben nichts.«

»Woher denn der Stolz? Woher das hochfahrende Wesen, das sich Eure Tochter mir gegenüber herausgenommen hat?«

»Hat sie? Die Undankbare! Die Gottverlassene! Ich werde ihr schon — wartet nur, ich werde ihr schon den Kopf zurechtsetzen! Babara — komm her —— so komm nur —— schnell — auf der Stelle kommst du her und küßt dem gnädigen Herrn die Hand und bittest um Entschuldigung! —— Auf den Knien sollst du ihn um Entschuldigung bitten, du launenhaftes Geschöpf, du dummes Ding! Nun, kommst du?! Warte nur, ich bringe dich schon zur Vernunft!«

Aufgeregt lief sie durchs ganze Haus, um Babara zu suchen, aber fand sie nirgends und kehrte keuchend ins Wohnzimmer zurück, wo sich Fossano inzwischen auf einen Stuhl niedergelassen hatte und gleichgültig seine brillantengeschmückten Finger musterte.

»Laßt nur — regt Euch nicht weiter auf — ich mache [51] mir nichts aus ihr, und wenn sie mir tausendmal die Hände küßte! Sie taugt nichts! Sie ist für mich abgetan! Basta! Und da ich mich in ihr geirrt habe — da sie nicht die große Künstlerin werden kann, wie ich hoffte, da ich also nicht die Befriedigung als Lohn für meine Arbeit haben kann, so müßt Ihr mir eben meine Mühe mit Geld zahlen! Das seht Ihr doch ein?«

»Gewiß sehe ich ein, daß wir Euch zu großem Dank verpflichtet sind! Aber woher das Geld nehmen, um Euch zu bezahlen? Ich bin arm — ich besitze nichts — als dies elende Haus!«

»Da müßt Ihr eben das Haus verkaufen.«

»Großer Gott —— dann müßten wir alle auf der Straße betteln gehen! —— Wo soll ich denn hin mit meinen Kindern?«

»Das wird Eure Sorge sein.«

»Ihr bleibt also dabei, so hart zu mir zu sein?«

»Dessen seid sicher!«

»Wo findet sich denn so schnell ein Käufer?«

»Wendet Euch an einen Makler, nicht an mich!«

Fossano stand auf.

»Ihr wißt jetzt Bescheid, Signora! Ihr wißt, woran Ihr mit mir seid! In ein paar Tagen sind die Vorstellungen hier in Parma beendigt, und wir ziehen nach Venedig, um da zu spielen!«

»Ohne Babara?«

»Wie oft soll ich Euch sagen, daß ich von Eurer Tochter nichts wissen will?«

»Soll sie denn in Venedig nicht Psyche spielen?«

»Nein!«

»Wer könnte es außer ihr? Keine, die so hübsch ist — keine, die mit solcher Poesie die Partie zu tanzen wüßte — keine, die dem Publikum so sehr gefallen würde!«

»Ihr irrt Euch! Niemand ist unersetzlich! Es gibt Hunderte von Tänzerinnen, die das ebensogut können wie sie! Tänzerinnen, die ihre Köpfe nicht so hoch tragen [52] — die die Ehre zu schätzen wissen, in einer Pantomime von Fossano tanzen zu dürfen! Babara hat sich verschlechtert — sie tanzt nicht mehr so gut — sie scheint keine rechte Lust mehr zu haben — sie ist auch zu entbehren!«

»Heilige Mutter Gottes — was muß ich da alles hören! — Bleibt doch, Signore, geht doch nicht! — Ich werde schon alles in Ordnung bringen — ich will sehen, was ihr fehlt — ich will sie ausforschen —— will schon aus ihr herausbringen, ob sie sich verliebt hat — ob sie sich nicht hat den Kopf verdrehen lassen —— verlaßt Euch darauf — ich bringe sie schon zur Vernunft — — ich bringe sie wieder zu Euch!— — Auf den Knien soll sie Euch um Entschuldigung bitten.«

»Das wird sie nicht — ich kenne sie besser als Ihr! Und es würde auch zu nichts führen! Addio, Signora — Ihr wißt jetzt Bescheid! In einer Woche geht's nach Venedig, bis dahin müßt Ihr zahlen, sonst werde ich die Schuldhaft gegen Euch beantragen müssen.«

Er war schon an der Tür. Die Alte ließ ihn aber nicht gehen. Sie eilte zu ihm, hielt ihn am Rock fest, warf sich vor ihm nieder, umschlang seine Knie und schluchzte und flehte, rief alle Heiligen an, ihr zu helfen, sein hartes Herz zu erweichen! Es half ihm nichts — er konnte nicht fort, er mußte ihr Jammern über sich ergehen lassen. Rasch entschlossen beugte er sich zu ihr, half ihr aufstehen, brachte die halb Ohnmächtige zum Kanapee und half ihr sich niederlegen.

»Ich will Euch einen Vorschlag machen«, sagte er dann nach kurzem Besinnen. »Vielleicht wird das Euch aus der Schwierigkeit helfen. Ich will Euch das Haus abkaufen! Sagt mir den Preis — ich zahle ihn.« Die alte Domina setzte sich auf.

»Und wir, wo sollen wir hin?«

»Ihr sollt hier wohnen bleiben wie bisher.«

»O Gott — das wollt Ihr für uns tun? — Der Himmel segne Euch! — Ihr habt mich nur erschrecken wollen [53] — ich wußte es ja! — Ich hab's ja immer gesagt: der Signor Fossano ist gut — er ist edel! — Der Signor Fossano hat ein Herz wie wenige —— ein Herz wie Gold ——«

Sie unterbrach sich und sah ihn auf einmal fragend an, wie er da lächelnd stand und ihre Gefühlsausbrüche über sich ergehen ließ.

»Warum tut Ihr das? — Ihr müßt doch einen Grund haben? Ich verstehe das alles nicht — es wird mir ganz wirr im Kopfe!«

»Der Grund ist der — ich will zu Euch ziehen und hier bei Euch wohnen!«

»Ihr wollt ——«

»Ich will mit Babara zusammenziehen! Sie muß meine Geliebte werden — und Ihr müßt Euren Segen dazu geben!«

Die Signora fiel auf ihr Kanapee zurück.

»Das war's also«, flüsterte sie — »das war's! Ihr habt sie ——«

»Ich habe sie haben wollen, und sie ist mir davongelaufen! Mir«, sagte er verächtlich lächelnd,»als wäre ich Gott weiß was für ein Bettler von der Straße — als wäre ich nicht, der ich bin! Tausende würden sie beneiden—«

»Ich glaub's schon —— ich glaub's schon! Aber Babara ist nicht wie die andern! — Sie ist ganz eigen —— hat immer ihren Kopf für sich! —— Sie hat Euch aber dadurch nicht beleidigen wollen — ich schwöre es! —— Sie hat immer mit der größten Achtung und Liebe von Euch gesprochen! Kümmert Euch nicht um sie —— laßt sie, wie sie ist —— aber verlaßt sie deswegen nicht—— nehmt nicht Eure Hand von ihr —«

»Sie gefällt mir —— ich mag sie gern —— offen gestanden, ich bin ganz vernarrt in sie! Sie muß die Meine werden!«

»Aber so heiratet sie doch!«

[54]

Er lachte laut auf.

»Ich — und heiraten! —— Ein Künstler wie ich — und heiraten! Wo würde das hinführen? Ein Künstler muß frei sein — eine Künstlerin erst recht! — Kein Band, keine Fessel darf sie da hindern! Wenn ich Babara zu meiner Geliebten mache, so denke ich gar nicht daran, ihr Fesseln aufzuerlegen oder sie auf die Dauer zu binden. Frei will ich sie haben — ich will ihr jetzt die Augen öffnen — ich will sie nicht mir geben, sondern ich gebe sie sich selbst, damit sie sieht, was sie ist, und was sie soll, und wie sie es anzufangen hat, um durchs Leben zu kommen.

Die Tugend, Signora, ist gut, aber nur für einige Zeit! — Die Keuschheit auch, solange die Seele noch knospt. Wenn sie zur Entfaltung drängt, dann muß ihr Gefäß, der Körper, mit, sonst erstickt sie und verwelkt — oder die Natur nimmt sich ihr Recht, bricht plötzlich durch und vernichtet in einem jähen Aufbrausen der Leidenschaft Körper und Seele!

So weit ist Eure Tochter jetzt — jetzt steht sie am Wendepunkt, wo's heißt vorwärtskommen oder zurückbleiben. Wenn sie sich da der behutsamen Leitung eines erfahrenen Lebenskünstlers wie mir vertraut, dann ist sie geborgen, dann liegt ihr die Welt offen — dann braucht sie nur die Hand auszustrecken, um über Pracht und Glanz und alle Reichtümer der Welt zu gebieten! Das will ich ihr geben — dazu will ich sie führen, nie und nimmer aber sie gefangensetzen und als mein Eigentum begraben! —— Aber — sie will anscheinend nicht — sie hat Angst, sie vertraut mir nicht genug. Und ich muß ihr äußerstes Vertrauen haben — dann erst kann ich aus ihr die große Künstlerin machen, die zu werden ihre großen Gaben sie berechtigen, wenn sie mir folgt.«

»Sie soll«, sagte die Domina, die allmählich ihre Fassung wiedergefunden hatte,»sie soll nicht ihr Glück zurückweisen dürfen. Ich werde noch heute mit ihr reden, [55] und dann werdet Ihr selbst mit ihr sprechen —— und morgen zieht Ihr zu uns!«

»So ist's recht«, sagte Fossano, »es freut mich, daß Ihr vernünftig seid! Als meine Geliebte wird sie mit nach Venedig gehen, sie wird da Triumphe feiern. Dann bringe ich sie nach Paris — im nächsten Winter trete ich da auf! — Sie wird bei Hofe tanzen! — Und Ihr geht mit, Signora — Ihr helft mir über sie wachen — Ihr werdet auch Eure Freude daran haben — Ihr werdet Euren Lebensabend ohne Sorgen verbringen! — Erst muß sie aber voll und ganz Mensch werden! — So, wie sie jetzt ist, kann sie nirgends Erfolg haben — Ihr fehlt noch das bewußt Sinnliche, das allein in der Kunst mitzureißen vermag! In ihrer Erziehung fehlt noch die Entschleierung des Fleisches — die Entfesselung der Leidenschaft, aber so, daß man sie bändigt, eindämmt, der Vernunft botmäßig macht! —— Sie soll ihr Leben genießen, aus dem vollen schöpfen, aber nie den Kopf verlieren! — Ehrgeizig muß sie werden, nach Macht muß es sie gelüsten, aber nie und nimmer darf sie in süßer Schwärmerei schwelgen oder im ruhigen Wohlleben hinduseln, denn dann ist sie verloren. Sie so weit zu bringen, soll der Lohn meiner Mühe sein — dafür scheue ich kein Opfer an Zeit und Geld. So will ich sie erziehen, aber so kann ich nur meine Geliebte erziehen!«

»Geht, Signore — tut's — macht mein Kind glücklich! Meinen Segen habt Ihr! Noch heute rede ich mit ihr! Noch heute mache ich Eure Wohnung bereit. Und morgen zieht Ihr hierher!«

Fossano ging. Vergnügt trällernd schlenderte er die Straße entlang nach seiner Wohnung.

»Diese blöden Mädchen«, sprach er leise im Gehen, »sie sind sich alle gleich! Schwierigkeiten ohne Ende! Erst um sie zu kriegen und dann um sie loszuwerden! Bei ihr soll es aber bei der ersten Schwierigkeit sein Bewenden haben! So spröd sie sich jetzt gibt — nachher wird sie [56] nicht mehr zu halten sein, wenn ich sie recht kenne! Das fehlte auch noch! — Angenommen, ich nähme sie mit nach Paris, und sie gefiele am Hofe — angenommen weiter, der König selbst wollte ihr eine Gnade erweisen — und sie würde nein sagen —— ich müßte mich ja rein schämen! —— Ich werde sie schon abzurichten wissen!«

Immer noch trällernd, betrat er seine Wohnung. Und da erwartete ihn eine Überraschung.


Er warf Hut und Mantel von sich und ging auf das Nebenzimmer zu, um die Kleidung zu wechseln. Als er aber an die Tür kam, flog der Vorhang zur Seite, und eine dichtverschleierte Gestalt trat auf ihn zu, den Kopf geneigt, die Arme, welche die Schleier zusammenhielten, über die Brust gekreuzt ——

Er wich zurück, sie mit weit offenen Augen anstaunend. Endlich begriff er.

»Babara«, rief er, »Baberina!« Er stürzte auf sie zu und wollte sie in die Arme schließen.

Sie wich ihm aus.

»Komm mir jetzt nicht zu nahe!« flüsterte sie, »nimm die Gitarre, spiel! Ich will jetzt vor dir tanzen!«

Eine Blutwelle schoß ihm in den Kopf. Er griff sich an die Stirn — er konnte es nicht fassen! Sie kam, ganz von selbst, ohne Zwang, ohne Zureden, um ihm zu Willen zu sein! Während er mit ihrer Mutter unterhandelte und feilschte, war sie, ohne Bedingungen zu stellen, gekommen, hatte auf ihn gewartet, ohne zu ahnen, was er bereits unternommen hatte, um sie zu gewinnen, stand bereit, ihm zu schenken, was er glaubte, kaufen zu müssen!

Er warf sich ihr zu Füßen.

[57]

»Baberina, verzeih mir, verzeih mir!« schluchzte er.

»Ich habe dir nichts zu verzeihen! Du aber mir! Du bist mein Herr und Gebieter — mit meinem Eide habe ich mich dir verpflichtet! — Ich hatte dir geschworen, alles zu tun, was die heilige Kunst von mir verlangt — ich wollte meinen Eid nicht halten, als du im Namen der Kunst auch das Letzte verlangtest! Mir schwindelte der Kopf, ich wußte nicht Bescheid mit mir, ich schlich mich heute zur Madonna im Dom, um, wie immer, dort die Ruhe zu finden, und ich fand sie nicht. Ihre Himmelfahrt war mir keine Himmelfahrt mehr! Ich sah alles nur mit deinen Augen — sah nur, was du mir erzählt hattest! Eine Orgie, einen Kampf, ein Drängen, ein Emporwollen und ein Niederziehen; meine Gedanken wurden in den Trubel mit hineingezogen, ich wirbelte mit in dem tollen Sturm der Entzückung! —— So sah ich es —— ich konnte nicht anders! —— Da ging's mir auf, daß ich zu dir mußte, um dies wieder loszuwerden und das heilige Bild wieder sehen zu können, wie ich's seit der Kindheit gewohnt bin! Gib's mir wieder, befreie mich, nimm den Wahnsinn von meinen Augen! Mach mich wieder sehend — tu's —— schnell —— laß mich jetzt tanzen!«

Von heiligen Schauern ergriffen, nahm er die Gitarre und ließ sie klingen. In langen, wallenden Harmonien ließ er die Töne über sie los, und sie gehorchte, sie folgte dem Strom seines Blutes, der in der Musik zu ihr hinüberflutete und ihr eigenes Blut zum Sieden brachte. Immer schneller wurden die Rhythmen, immer toller ihre Bewegungen, wie ein Schmetterling flog sie in wirbelnden Kreisen im Zimmer hin und her! Jetzt fiel der erste Schleier — jetzt der zweite — immer mehr seinen entzückten Augen entblößend ——

»Vorwärts — vorwärts!« schrie er und schlug die Saiten zum Platzen wild und trieb sie immer schneller und schneller — Schleier nach Schleier fiel — bis auf [58] den letzten, den sie noch mit beiden Händen erhaschte und so vor den Knien hielt, daß er in sanften Bogenlinien die Bewegung des Körpers brach und dessen üppige Formen umschwebte! Dann ließ sie auch den fallen und stand vor ihm in der sieghaften Majestät ihrer nackten Schönheit, Feuer und lodernde Leidenschaft in den Augen, und blickte lächelnd auf ihn herab. Er warf die Gitarre fort und sank in die Knie.

Eine solche Hoheit, eine solche Majestät der Keuschheit und Reinheit war über ihr, daß er, von tiefster Andacht bewegt, zu Boden fiel und die Erde zu ihren Füßen küßte.

Sie sah es. Ein Ausdruck von Hohn, von grausamer Siegesfreude glitt über ihr Gesicht — es leuchtete unheimlich auf in den schwarzen Augen, sie hob den kleinen, nackten Fuß, setzte ihn ihrem Peiniger auf den Nacken und drückte seinen Kopf leicht zu Boden ——

Dann war's um sie geschehen!

Wie ein Blitz war es über ihr, das lange Vorbereitete, lange Befürchtete. Und im nächsten Augenblick lag sie im Staube, gefangen, geknechtet, flügellahm.

Die Himmelfahrt der Psyche war jäh unterbrochen. Der Leidensweg einer Frau durch die Höllen des Lebens, durch die Freuden der Welt begann.


6

Am folgenden Tage zog er mit ihr zusammen in die Wohnung, die die Signora für ihn bereit gemacht hatte.

Beim Betreten des Hauses kam ihm Babara mit freudestrahlenden Augen entgegen, flog ihm um den Hals, küßte ihn und tanzte wie wild mit ihm herum.

»Du hast recht gehabt!« rief sie. »Es ist alles so, wie du's erzählt hast! So wie du's siehst, so hat er's gemeint!«

»Wer?«

[59]

»Der große Meister Allegri!«

»Ach so!«

»Ich war heute da — ich komme eben von dort! Und so tief, so herrlich hab' ich's noch nie gesehen! Es war ein Glanz, eine sonnige Glut über dem Bild, ein Leuchten der Farben! Meine Seele hat sich endlich satt trinken können — ich bin noch ganz berauscht! Und nun geh ich nicht wieder hin! So will ich es im Gedächtnis behalten!«

»So ist's recht!«

»Die ganze Himmelfahrt war lebendig geworden. Es tanzte, drehte sich und wirbelte wie toll, daß mir ganz wirr im Kopfe wurde! >Tanze mit<, rief es mir zu, >tanze, freue dich, lache, genieß die Lust, zu leben, ohne Angst, ohne Zaghaftigkeit!< So schrie es mir zu. Und ich wurde so vom Glück erfüllt, daß ich hätte fliegen können — ich habe getanzt — vor Freude getanzt, mitten in der Kirche, weil ich gestern zu dir gegangen war, um für dich zu tanzen, und weil ich jetzt wußte, daß ich ein Recht hatte, es zu tun — und auch die Pflicht!«

»So ist es auch. Aber nur mir darfst du jenen Tanz tanzen!«

»Warum nicht aller Welt? Bin ich nicht hübsch genug?«

»Viel zu hübsch! Sie werden alle von dir bezaubert sein!«

»Das ist ja gut!«

»Sie werden dich alle haben wollen, und das dürfen sie nicht!«

»Ich werde mich selbst haben, und außer mir keiner!«

»Ich auch nicht?«

Sie lachte.

»Du am allerwenigsten! Du willst es ja auch nicht! Du willst mich ja frei haben — du willst selbst frei sein!«

»Und wenn ich's nun nicht mehr will?«

Sie sah ihn lauernd an und lachte dann laut auf.

»Du willst mich nur versuchen, ob ich meinen Eid [60] halte, der Kunst treu zu bleiben! Ich lasse mich aber von dir nicht nasführen, ich weiß jetzt Bescheid — ob du den Eid so oder so auslegst, soll mir gleich sein. Ich tue doch, was ich will. Und jetzt will ich — mit dir tanzen! Komm!«

Sie flog ihm um den Hals, schloß seine Lippen mit einem Kuß und tanzte mit ihm herum, daß ihm der Atem verging.

»Wird das ein Tanz werden«, jauchzte sie, »über alle Köpfe hinweg, die höchsten wie die niedrigsten! Auf sie alle setz ich den Fuß — wie gestern auf deinen! Da gibt's keine Gnade — in den Staub müssen sie alle, alle werden sie getreten, und sie sollen noch meine Hand küssen und mir für die Qual danken!«

Mit einem Sprung stand sie in der entlegensten Ecke des Zimmers und lachte, daß die weißen Perlenreihen ihres Gebisses raubtierhaft glänzten.

Er erschrak. Der Engel wandelte sich schon in einen Dämon. Er fing an zu begreifen, welches Unheil er da entfesselt hatte!

Wie, wenn's schon zu spät wäre?! Wenn's ihm nicht mehr gelänge, den Strom der Leidenschaft einzudämmen und in ruhige Bahnen zu leiten! Wenn das losgelassene Element, alles niederreißend, alles vernichtend, ins Leben hinausbrausen und ihn selbst und seine Kunst mit fortreißen und vernichten würde?!

Das durfte nicht sein! Da mußte sofort mit aller Energie eingegriffen werden!

Er ließ sie nie wieder den Schleiertanz tanzen, so sehr sie es sich auch wünschte. Die Fortsetzung von Psyche wurde auch nicht einstudiert. Fossano dichtete keine Pantomimen mehr. Sein ganzes Dichten, sein ganzes Trachten hieß fortan Baberina.

Sie wurde die große Passion seines Lebens, der Feuerbrand, in dem er als Mensch und Künstler rettungslos vergehen sollte — mit der Windeseile einer Katastrophe.

[61]

Bis jetzt war er von Blume zu Blume geflattert, feil für jede Gunst des Augenblicks — Künstler bis zu dem Fanatismus, der überzeugt alles opfert, auch das Höchste, der das Liebesleben der Kunst unterordnet und als Mittel zum Herrschen und Glänzen benutzt.

Daran hatte er geglaubt und danach gehandelt, auch als er ihre Erziehung in diese Richtung leitete.

Dann kam die Wandlung, so jäh, daß er sie erst gewahr wurde, als es zu spät war.

Das herrliche Weib, das sich ihm in einem Augenblicke heroischen Opfermuts entschleiert hatte, liebte er jetzt mit einer tiefen, wahren Leidenschaft, die ihn ganz erfüllte und die ihm das höchste Glück hätte bringen können, wenn er es nicht vorher selber mit leichter Hand zerbrochen hätte.

Er fluchte seiner Dummheit, er war außer sich ob seiner Kurzsichtigkeit, aber — es war zu spät!

Psyche war ihm für immer entflattert, ihm blieb die allzu gelehrige Schülerin, und auch sie entglitt nur zu bald der Führung eines Meisters, der sich eifersüchtig gebärdete, obwohl er ihr unbedingte Freiheit zur Pflicht gemacht hatte.

Schon in den ersten acht Tagen betrog sie ihn mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre das ganz in der Ordnung. Er erwischte sie in flagranti mit einem jungen Choristen, der ein pflaumenweiches Gesicht und leidliche Beine hatte. Diesen Adonis schlug er grün und blau und kurierte ihn so gründlich von seiner Liebeskrankheit, daß er in den nächsten vierzehn Tagen weder zum Tanzen noch zum Stelldichein kommen konnte. Und Baberina überhäufte er mit Vorwürfen.

Sie war höchst erstaunt, daß er sich über die Kleinigkeit überhaupt aufregte, sah ihn mit weit offenen Augen an und sagte mit der größten Naivität von der Welt:

»Warum hätte ich es nicht tun sollen?! Ich hatte dich ja so über alles gern! Und davon hast du mich selber [62] kuriert. Das darf doch nicht überhandnehmen! Wie könnte ich sonst eine Künstlerin werden? Ich soll doch frei sein, insbesondere in der Liebe! Das hast du doch selber gesagt!?«

Sie schlug ihn mit seinen eigenen Worten. Und er konnte nichts dagegen sagen.

Er verbiß seinen Ingrimm und suchte Mama Campanini auf, um ihr klarzumachen, daß sie auf ihre Tochter besser aufpassen müsse. Da erlebte er die größte Überraschung.

»Passe ich vielleicht nicht auf?! Ich tue ja nichts anderes! Ich denke ja nur an sie! Tag und Nacht bin ich um ihr Glück bemüht! Ich ermahne sie stündlich, auf ihren Vorteil bedacht zu sein und sich ja nicht an einen Unwürdigen fortzuwerfen!«

»Das tut sie aber!«

»Unsinn! Das hat sie gewiß nicht nötig! — Sie braucht nur die Hand auszustrecken, dann hat sie alles, was sie will. Die reichsten Leute buhlen um ihre Gunst! Der ganze Adel von Parma macht mir ihretwegen den Hof! Ja — wir sind auf einmal begehrt! Sogar der Bischof selbst hat ——«

»Was hat er? — Hat er gewagt?« rief Fossano heftig.

»Nur ruhig, Signore! Wenn Seine Ehrwürden etwas gewagt hat — Ihr habt den Vorteil davon!«

»Der Teufel auch!«

»Denkt Ihr, das bedeutet nichts, daß er die Vorstellungen von Psyche besucht hat?! Fast jeden Abend, als Babara tanzte, war er da! — Das hat Euch wenigstens zehn volle Häuser eingebracht! Da erst strömte auch der hohe Adel Abend für Abend ins Theater! Nun ja! Die Leute sind fromm! Und wo Seine Ehrwürden selbst hingingen, obwohl sie das Manifest der hohen Geistlichkeit mit unterschrieben hatten, in dem die Tänzerinnen und Sängerinnen für die größte Gefahr erklärt wurden, und worin empfohlen wurde, nur Jünglinge tanzen zu lassen, [63] damit man weder das Ballett entbehre noch Schaden an der Seele nähme! Und nun geht er doch hin und sieht sich die Baberina an! Abend für Abend! Und mit ihm ganz Parma! Ihr müßtet ein Einsehen haben und ihr ein anständiges Honorar aussetzen!«

Fossano machte eine unwillige Bewegung.

»Nun«, rief sie dann schnell, »wenn Ihr's nicht wollt — ich rede Euch nicht drein! Was abgemacht ist, ist abgemacht! Babara macht auch so ihr Geschäft!«

Er horchte auf.

»Was meint Ihr damit?«

»Was soll ich meinen? Sie wird ja mit Geschenken überhäuft! Sie kann sich kaum noch wehren! Täglich kommen welche! Oh — es sind auch große Kostbarkeiten darunter! Seht hier diesen Solitär!«

»Von wem hat sie den?«

»Den hat ihr Ehrwürden geschenkt!«

»Du lügst!«

»Lies selbst! Der Brief war dabei!«

Sie reichte ihm ein rosafarbenes Billett, das er schnell las und fortwarf.

»Er will sie sehen?!«

»Ja — sobald er von Mailand zurück ist, wohin er auf einige Tage gereist ist, will er sie sprechen!«

»Das geschieht nicht. Sie darf nicht hingehen!«

»Warum soll sie nicht hingehen? Was ist denn dabei? Sie ist ein frommes Kind — sie wird hingehen — sie wird ihn sprechen — sie wird ihm beichten — er wird sie segnen — er selbst!«

»Wie der Segen beschaffen sein wird, läßt sich denken!«

Die Signora nahm den Brief auf und reichte ihn ihm noch einmal.

»Ihr habt ihn gelesen, lest ihn nochmals. Steht da ein Wort von Liebe drin? Nein!«

»Und das Parfüm?« rief Fossano und hielt ihr den [64] Brief unter die Nase. »Ist das der Geruch der Heiligkeit, wie?! Das duftet auf zehn Schritte nach Billetdoux, was auch drin geschrieben steht! Und der Ring spricht auch deutlich genug. Sie wird nicht hingehen!«

»Warum sollte sie nicht? Ihr könnt ihr doch nicht verwehren, um ihr Seelenheil besorgt zu sein!«

»Ihr Seelenheil soll fortan meine Sorge sein! Da hat kein Bischof dreinzureden!«

»Aber ——«

»Kein Aber! Entweder es bleibt dabei — oder ich gehe ohne sie nach Paris und nehme eine andere mit!«

»Eine andere wollt Ihr mitnehmen!? Ihr habt aber versprochen —«

»Wenn sie aber nicht will — wenn sie lieber zum Bischof geht, um nachher als seine Konkubine hierzubleiben!? Da kann sie doch nicht nach Paris mitgehen! Da muß ich ja eine andere mitnehmen. Seht hier — hier habe ich den Vertrag mit der Königlichen Akademie der Musik über mein Gastspiel dort. Seht nur — bereits unterschrieben — vom Prinzen Carignan, dem Generalinspekteur, selbst! Für mich und eine Partnerin, die ich mir nach Belieben aussuchen kann. Ich brauche nur den Namen auszufüllen. Nun, ich werde mir eben eine aussuchen — eine, auf die ich mich verlassen kann! Es gibt so viel Tänzerinnen — alle schön, alle talentvoll — ich werde nicht lange zu suchen brauchen!«

»Und Baberina?«

»Warum sollte ich ihrem Glück im Wege sein? Wenn sie den Bischof von Parma dem König von Frankreich vorzieht, dann mag sie eben ihren Willen haben!«

»Ihr habt mir aber versprochen — Signore!«

»Du hast mir versprochen, daß sie meine Geliebte sein sollte!«

»Das ist sie doch!«

»Eine Dirne ist sie, die mit aller Welt buhlt! Soeben habe ich sie mit einem anderen überrascht — einem dummen [65] Jungen, der nichts ist — der nichts hat als ein fades Gesicht und ein paar hübsche Beine — einem ganz gewöhnlichen Tänzer! Ich habe ihn aber krumm und lahm geschlagen!«

»Daran habt Ihr recht getan, Signore! Hättet Ihr ihr nur auch ihren Teil gegeben! Aber dem entgeht sie nicht, die Nichtswürdige! Ich werde ihr schon den Text lesen!«

»Ich kann mir das denken! Alte Kupplerin!«

»Das sagt Ihr mir? Das muß ich mir von Euch bieten lassen! Das ist zuviel! Ich — eine Kupplerin! Und mein Kind — mein eigenes Kind werde ich wohl verkuppeln? Habe ich das nötig?«

»Nein. Dafür scheint sie schon selbst sorgen zu können! Du hast aber nötig, auf sie aufzupassen! Und das mußt du mir bei allen Heiligen schwören! Sonst gehe ich geradeswegs von hier zu der Bandolini und schreibe ihren Namen in den Vertrag, und Babara geht nicht mit nach Paris. Sie mag dann selbst sehen, wie sie vorwärts kommt! Wenn sie glaubt, auf den Schutz Fossanos verzichten zu können — mir ist's recht! —— Will sie aber mit, so mußt du schwören! —«

»Ich schwöre ja — ich schwöre ja! — Habe ich mich denn geweigert? Ich werde schon auf sie aufpassen! Wie ein Drache werde ich sie bewachen! Alles tue ich, was Ihr nur wollt!«

»Nun, dann werde ich Gnade für Recht ergehen lassen!«

Fossano setzte sich an den Tisch, nahm einen Federkiel und kratzte ein paar Worte in das Papier hinein.

»Demoiselle Barberini«, sagte er — »so wird sie künftig heißen! — Das >r< fügen wir hinzu! — Das macht sich besser als Künstlername! Sie wird Furore machen, Demoiselle Barberini. — Sie wird es unter meiner Führung! Leicht wird's nicht werden. Die ersten Tänzerinnen der Welt sind da, an der Pariser Oper, die Camargo — die Sallé — die Mariette — da wird sie einen schweren [66] Stand haben! Wenn ich aber will, fallen alle Hindernisse! Und ich will! Aber Ihr kennt die Bedingung!«

»Verlaßt Euch nur auf mich —— das könnt Ihr — — wirklich, das könnt Ihr!« sagte die alte Domina und geleitete ihn unter tausend Komplimenten zur Tür! Das könnte er auch.

— Wenn sie auch entschlossen gewesen wäre, ihrer Tochter bei einem Vergnügen, das keins wäre — einem Vergnügen aus Gewinnsucht —, durch die Finger zu sehen — denn man mußte ja auf seinen Vorteil bedacht sein — , so würde sie ihr doch nie und nimmer ein Vergnügen aus bloßer Liebe gestatten, und gar zugunsten eines Unwürdigen, der nichts hatte als sein liebendes Herz und ein Paar hübsche Beine!

— Da würde sie schon aufpassen — dazu gäbe sie nie und nimmer ihren Segen!

Das brachte Mama Campanini ihrer hoffnungsvollen Tochter denn auch handgreiflich bei.

Aber — den Ring des Bischofs machte sie schleunigst zu Geld und stattete mit dem Erlös Babara prächtig für Paris aus.


[67]

Zweites Buch
Hebe


[69]

7

Der Prinz Carignan, Königliche Hoheit, ältester Prinz aus dem Hause Savoyen, Generalleutnant, Generalinspekteur der Königlichen Akademie der Musik, hatte sein Lever beendet und war bei der Morgentoilette.

In einen wattierten Schlafrock von chinesischer Seide gehüllt, saß er in einem bequemen Sessel, ließ sich die Haare kräuseln und wickeln und sie hinten zu einem koketten Beutel zusammennehmen, lauschte zerstreut auf die Erzählungen seines Friseurs und nippte dann und wann an einer Tasse Schokolade, die ihm der Kammermohr auf einem silbernen Tablett darbot. Der Kammerdiener schnallte ihm dabei die Schuhe.

Durch die offenen Balkontüren flutete der Sonnenschein; die hohen Baumwipfel draußen bewegten sich leise, ein lauer Wind trug die Düfte des Rosenparterres herein — es war ein herrlicher, stiller Sommertag.

Im durchlauchtigsten Schädel brummte und summte es wie ein ganzer Bienenschwarm. Das gestrige Souper hatte lange gedauert. Man hatte deshalb den ganzen Morgen sorgfältig vermieden, Seiner Hoheit Anlaß zum Zorn zu geben, und jede Äußerung, die als Widerspruch hätte ausgelegt werden können, ängstlich unterlassen.

Niemand, der ein Anliegen vorzubringen hatte, war gemeldet worden, ehe der Retter in der Not, der Friseur, mit den Neuigkeiten des Tages erschienen war. Zum Glück hatte der Haarkünstler heute eine besonders leichte Hand gehabt. Er war auch von den interessantesten Anekdoten [70] geschwollen. Die Stirn Seiner Hoheit erhellte sich sichtbar. Er hatte sogar geruht, wiederholt und huldvollst zu lächeln! Das fluchwürdige Verbrechen des Garderobiers, eine Rosette des linken Hosenbeins abzureißen, wurde gnädigst übersehen und das Annähen des illustren Gegenstandes in Geduld ertragen. Der Augenblick war günstig. Auf einen Wink des Kammerdieners wagte sich der Türsteher herein und meldete, daß unter den vielen Supplikanten draußen im Vorzimmer auch der berühmte Tänzer Signore Fossano warte, um die neue italienische Tänzerin Demoiselle Barberini vorzustellen.

»Sollen morgen wiederkommen!« antwortete der Prinz und wandte sich zum Friseur. »Weiter! Das interessiert mich sehr! Seine Majestät war also gestern wieder in La Muette?«

»Ja — zum zweitenmal in einer Woche!«

»Was?!« rief der Prinz. »Zweimal in einer Woche? Das ist gegen alle Gewohnheit! Das ist noch nicht dagewesen! Da ist sicher etwas Besonderes passiert! Hast du etwas erfahren?«

»Ja!«

»Schnell! Ich brenne vor Neugierde!«

»Beim ersten Besuch Seiner Majestät unseres allergnädigsten Königs in dieser Woche in La Muette« — begann der Friseur wieder und setzte mit Grazie seine Zange an, so daß ein leichtes Wölkchen verbrannter Pomade duftend emporwirbelte, wie um die Erzählung mit Weihrauch zu versüßen.

»Hoheit wollen gnädigst entschuldigen«, wagte der Türsteher mit wahrer Todesverachtung zum zweiten Male einzuwerfen, »aber der italienische Tänzer —«

»Er soll sich zum Teufel scheren!«

»Hoheit wollen gnädigst verzeihen — aber — damit droht er eben —«

»Das auch noch! Der Kerl droht? Man werfe ihn hinaus!«

[71]

»Zu Befehl!«

»Warten! Wie sagtest du? Womit drohte er?«

»Eben damit, sich hinauswerfen zu lassen!«

»Nicht schlecht!« lachte Se. Hoheit, »gar nicht übel! Da, nimm, du Spaßvogel!« — Er warf dem Türsteher ein Geldstück zu. »Was soll das aber heißen? Was meint er damit?«

»Er meint, daß er heute abreisen will, wenn er nicht empfangen wird!«

»Ich empfange, wann ich will und wen ich will!«

»Das habe ich ihm auch deutlich zu verstehen gegeben! Ich habe ihm gesagt, daß Hoheit mit Geschäften überladen sind — ich habe ihn gebeten, morgen wiederzukommen. Acht Tage hintereinander ist er auch wiedergekommen. Nun will er aber nicht mehr. Noch heute reist er nach London, sagte er. Und das glaubte ich Hoheit nicht vorenthalten zu dürfen ——«

»Hierbleiben soll er! Ich werde ihn arretieren lassen, sag ihm das von mir! Wenn er nur den Versuch macht, sich ohne Urlaub zu entfernen —— acht Tage —— acht Tage antichambriert er nur? Das genügt noch lange nicht! Und du hast ihn nicht gemeldet? Du hast ihn ruhig gehen lassen? Das ist sehr gut — sehr brav von dir! Diese Künstler müssen kurz gehalten werden! Verwöhntes Volk! Muß sich ducken lernen! Geh jetzt, laß ihn noch warten — vielleicht empfange ich ihn später!«

Der Kammerdiener ging.

»Wo waren wir denn mit dem König stehengeblieben?« »Ich wollte eben vom ersten Besuch Seiner Majestät in dieser Woche in La Muette erzählen ——«

»Ganz richtig! Was ist denn dabei geschehen?«

»Seine Majestät ritten, wie immer, durch das Bois nach Madrid zum gewohnten Besuch bei Mademoiselle, der Marquise du Charolais ——«

[72]

»Allwo er sehnsüchtigst von Madame du Mailly erwartet wurde ——«

»Zu Befehl! Und auch von ihrer Schwester, Madame de Vintimille —— und von der Gräfin von Toulouse ——«

»Wissen schon! —— Überspringen! — Der ganze >kleine Rat< Seiner Majestät war, wie immer, versammelt! Das war aber sicher kein Grund für den König, sich, gegen alle Gewohnheit, zweimal in einer Woche hinzubemühen!«

»Sicher nicht! Aber unterwegs — im Bois — hatten Seine Majestät eine Begegnung —«

»Was du sagst!«

»Mitten im Walde, bei einer Kreuzung des Weges, sauste ein Phaëton dicht an das königliche Pferd heran! Majestät mußten anhalten —— und als das Gefährt vorbeiflog, haben Majestät geruht, noch allergnädigst zu grüßen —«

»Sacré nom de Dieu! Wer saß denn drin, in jenem Phaëton?«

»Eine Dame —«

»Eine —?«

»Eine sehr schöne Dame — in Blau und Rosa gekleidet! —— Sie kutschierte selbst! — Statt der Peitsche hatte sie eine silberne Lanze in der Hand — am Hut einen Halbmond von Brillanten!«

»Wohl Diana selbst, die auf Königshirsche pirschte?«

»Majestät schienen es wenigstens anzunehmen! Wie gebannt blieben Majestät auf demselben Flecke und starrten mit allerhöchst aufgerissenen Augen der Erscheinung nach, bis sie an der nächsten Biegung des Weges verschwand! Dann erst gaben Majestät dem Pferde die Zügel und galoppierten davon, so schnell, daß das Gefolge kaum mit konnte —«

»Diana scheint eine glückliche Jagd gemacht zu haben! Weiß man, wer sie war?«

[73]

»Man vermutet ——«

»Man vermutet nicht! Man hat zu wissen, wenn man was erzählt!«

»Zu Befehl — ich habe auch schon in Erfahrung gebracht —«

»Schnell — ich muß es wissen! Ihr Name?«

»Es war —«

Aber ehe der allwissende Haarkünstler den Namen ausgesprochen hatte, flog die Tür zu den inneren Zimmern auf, und der Intendant des Prinzen stürzte herein, mit verstörter Miene, eine Schatulle in der Hand.

»Hoheit verzeihen — aber — ich muß bitten — wollen Hoheit geruhen, jetzt gleich die Kasse selbst an sich zu nehmen?«

»Was ist denn?«

»Es ist höchste Eile! Bei mir ist sie nicht mehr sicher!«

Der Prinz stand mit Mühe auf und wankte nach dem Schreibtisch.

»Gib her!«

Er schloß ein Fach auf.

»Wieviel ist drin?«

»Der Kassenzettel liegt obenauf; es ist der ganze gestrige Erlös der Rouletten!«

Hoheit flog schnell den Zettel durch.

»Miserabel! Die Pariser sind undankbar! Ich selbst erweise ihnen die Gnade, ihr Spiel zu protegieren! Sie haben die Ehre, im Palais Soissons selbst — in meinen schönsten Räumen — ihr Geld zu verlieren und schätzen es so gering ein!«

Er klappte verächtlich den Deckel der Kassette zu.

»Der Pächter bestiehlt mich aber! Es ist nicht anders möglich! Die Räume sind ja stets gedrängt voll! — Der Mob wird doch nicht so frech sein, noch zu gewinnen! Er stiehlt also! Oder er taugt nichts — versteht seine Sache nicht! Wieviel hat er uns im vorigen Jahre abgeliefert?«

[74]

»Knappe hunderttausend Livres!«

»Sag ihm, ich werde ihm die Spielerlaubnis entziehen, wenn ich nicht in diesem Jahre auf mindestens zweihunderttausend komme!«

»Zu Befehl!«

»Hast du auch den Diamanten bekommen, den ich gestern für die Camargo aussuchte?«

»Melde gehorsamst: ja!«

Er reichte dem Prinzen ein Etui. Der prüfte den Inhalt mit Kennermiene.

»Sehr schön! Wirklich magnifik! Das Geld soll sich der Juwelier in der Oper holen.«

»Die Kassen der Oper sind leer! Die Gagen wurden gestern bezahlt und auch die Wechsel der Gebrüder Paris.«

»So soll er nach der Komödie gehen!«

»Ich habe ihn bereits hingeschickt!«

»Es ist gut!«

Der Prinz leerte den Inhalt der Schatulle in die Schublade seines Schreibtisches, schloß ab und steckte den Schlüssel zu sich.

»So! Und darf ich nun wissen, warum du mich so früh und in dieser höchst unmanierlichen Weise mit dem Gelde bemühst? Meines Wissens hatte ich dich noch nicht rufen lassen!«

Der Intendant hatte nicht Zeit, zu antworten.

Es klopfte an die Tür, und alles war starr.

Beim Prinzen von Carignan selbst, im eigenen Palais Seiner Königlichen Hoheit — im Palais Soissons, das von Bedienten, Lakaien und Türstehern wimmelte, hatte man die Keckheit, ohne weiteres und unangemeldet anzuklopfen! Und gar noch, sans façon, einzutreten!

Zwei Gestalten in richterlicher Kleidung, die Hüte auf den Köpfen, standen auf der Schwelle.

»Im Namen des Königs ——«

[75]

»Ridicule!« sagte der Prinz gelassen. »Seit wann tritt man so — legère bei mir ein? Ich bin allerdings auch Chef der Theater! Aber — ich muß sagen —— diese Komödie! Zum mindesten geschmacklos!«

»Im Namen des Königs«, sagte die eine Gestalt und reichte dem Prinzen ein Dokument mit anhängendem Siegel. »Laut Urteil des Parlaments sind wir auf Antrag des Bilderhändlers Gersaint bevollmächtigt und haben den Befehl, hier im Palais Eurer Hoheit alles Geld und alle Kostbarkeiten an uns zu nehmen und, sofern es nicht ausreicht, um die Forderung nebst Zinsen, Kosten und unserem Salär zu decken, die Meubles und den Schmuck zu versiegeln und zur öffentlichen Versteigerung zu bringen!«

»Ja, bin ich denn diesem Ehrenmann, diesem Gersaint, etwas schuldig —? Wann habe ich ihm überhaupt etwas abgekauft —? Es ist doch wenigstens zwei Jahre her —«

»Ganz richtig! Zwei Jahre sind es bereits, daß Eure Hoheit die gekauften Gemälde nicht bezahlt haben!«

»Das ist ein Irrtum! Das muß ein Irrtum sein! — — Und wenn sie nicht bezahlt sein sollten — mon Dieu! — warum hat man sich nicht das Geld von meinem Intendanten geholt? — Wie kann man sich denn beklagen?! — Ja, sagen Sie, meine Herren, für wen halten Sie mich denn! — Ich, der Prinz von Carignan, muß mich mit derartigen inferioren Dingen persönlich befassen! — Bin ich dazu von Seiner Majestät, unserem allergnädigsten König, zum Generalintendanten der Akademie ernannt, damit man mir meine Zeit mit den Angelegenheiten eines obskuren Bilderhändlers stiehlt?!«

Beim Nennen des Königs hatten die Gerichtsbeamten ihre Hüte gelüftet und wollten sie wieder aufsetzen.

»Behalten Sie die Hüte in der Hand!« schrie ihnen der Prinz mit Donnerstimme zu. »Und verlassen Sie das Haus!«

»Wir sind auf Befehl des Parlaments hier ——«

[76]

»Verlassen Sie das Haus, Messieurs, oder ich lasse Gewalt anwenden!«

»Dürften wir Hoheit auf die Folgen eines gewaltsamen Widerstandes gegen eine amtliche Handlung aufmerksam machen ——«

»Mais non! — Sie dürfen mich auf nichts aufmerksam machen! Sie dürfen in meiner Gegenwart den Mund nicht auftun! Man werfe sie hinaus! Geschwind! Man schaffe sie mir aus den Augen!«

Die Lakaien und Türhüter griffen zu und beförderten die unwillkommenen Gäste auf dem kürzesten Wege auf die Straße.

»Sapperment!« rief der Prinz, »wie werde ich hier bedient! Das ganze Haus habe ich gedrängt voll von Tagedieben, die nicht wissen, was sie tun sollen — die mich vor lauter Langeweile bestehlen — die mich kahl fressen, bis ich wie ein entlaubter Baum dastehe! Nicht mal so viel können sie tun, mir derartigen Besuch vom Leibe zu halten! Aber ehe ich befehle, rührt sich keiner! Ich muß mich selbst bemühen! Ich muß mich echauffieren! Ich muß mich, in höchsteigener Person, bis auf die Knochen blamiert fühlen! — Ich muß mir wie'n Gauner — wie'n Betrüger — weiß Gott, wie'n Strauchdieb vorkommen! Und ihr steht alle dumm da und gafft und laßt den Tort zu und —— wer weiß — lacht euch noch ins Fäustchen! — Ich werde euch mit Ruten streichen lassen! Ich werde euch allesamt in die Bastille werfen! — — Ah — ah! — Das überlebe ich nicht! — Das wird mein Tod! Ich fühle schon, wie mir die Galle zurücktritt! — Luft — Luft ——!«

Erschöpft sank er auf den Sessel nieder, der Friseur benutzte die Gelegenheit, ihm den Pudermantel umzuhängen und setzte seine Quaste mit einer Fermeté in Bewegung, daß der ganze Prinz in einer Wolke weißen Staubs verschwand — wischte dann schnell den Puder aus dem Gesicht — schwärzte die Augenbrauen, klebte [77] zwei Mouchen auf ihre Plätze und hielt, als er fertig war, dem Prinzen ein silbernes Flakon mit Riechsalz unter die Nase.

Der halb Ohnmächtige sog gierig den scharfen Duft ein, seufzte leicht auf, geruhte dann kokett zu niesen, öffnete die Augen und flüsterte matt:»Darf ich nun endlich wissen, wer jene Dame war, die einen solchen Eindruck auf die Majestät, unseren allergnädigsten König, machte?«

»Madame le Normand d'Etioles«, flüsterte der allwissende Haarkünstler ihm ins Ohr, und der Prinz fuhr auf wie von einer Tarantel gestochen.

»Madame d'Etioles?! — Die kleine Poisson?! — Eine Diana bürgerlicher Extraktion?!«

»Ganz recht, Hoheit!«

»Sacré nom de Dieu! — Das ist keck! Und der König hatte die Gnade, sie zu bemerken?«

»Seine Majestät waren hingerissen! Seine Majestät haben von nichts anderem gesprochen die ganze Zeit! Und schon gestern sind Majestät dann, ganz unvermutet, wieder in La Muette eingetroffen!«

»Und gleich durch den Wald nach Madrid galoppiert?!«

»Ja!«

»Und er ist ihr wieder ——?«

»Nicht begegnet!«

Der Prinz lachte.

»Kann ich mir denken! Die kleine Poisson war auf einen so schnellen Erfolg ihres Wilderns nicht gefaßt! Sie wartet erst den gewöhnlichen Wochentag ab! — Nun, sie kann warten! Sie kann noch lange warten, ehe ihr das Taschentuch zugeworfen wird! Sie wird's kaum erreichen, die ehrgeizige, kleine Person! Ein süßer Racker ist sie aber! Ein ganz pikantes Kerlchen! — Witz, Geist, Charme und ein Exterieur! — Wenn ich sie am Ballett hätte, ich würde sie schon durchsetzen! Ich würde ihr schon die richtige [78] höfische Pirouette beibringen, die bis ins königliche Bett reicht! Aber so sans façon — so draufgängerisch! Da macht sie die bürgerliche Extraktion nicht vergessen — und wenn sie den halben Landadel heiratet!«

»Unser allergnädigster Herr ist ja auch erst beim Hochadel angelangt!«

»Überhaupt bei der allerersten Liaison! Noch nicht aus der Schwärmerei heraus! Und die gute du Mailly hat noch Schwestern!«

»Man spricht schon von der zweiten!«

»Man spricht erst? Dann hat's gute Weile! Der König ist ordnungsliebend! Die Familie du Nestle ist groß! Wenn er da durch ist, dann —«

»Wollen Hoheit prophezeien?« flüsterte der Friseur neugierig.

»Nein, du Schelm! Nimm aber die Börse da! Steck ein! Ich bin mit dir zufrieden! Bediene mich stets so gut wie heute!«

Der Friseur nahm die ihm zugeworfene Börse, verbeugte sich tief und ging. Der Kammerdiener räumte den Sessel und die Toilettengegenstände fort, und der Prinz, dem der Garderobier inzwischen den goldgestickten, blausamtenen Rock mit den großen brillantenen Knöpfen und dem Stern angelegt hatte, nahm den ihm gereichten Hut, ließ sich den Degen anschnallen und befahl die Karosse, um nach Versailles zum Lever des Königs zu fahren. Er hatte noch nicht den Hut aufgesetzt, als der Kriegsminister d'Argenson gemeldet wurde.

Der Minister, als echter Militär und Kavalier, war ein großer Connaisseur des Balletts, dessen Evolutionen ihm oft vertrauter waren als die der königlichen Armee. — Er trat ein, den Hut unterm Arm, und wurde äußerst aimable begrüßt.

»Eure Exzellenz wollen die Ordre de Bataille der nächsten Zeit für das Corps de Ballet geben?« rief der Prinz aufgeräumt. »Es wäre mir ein Vergnügen, mit Ihnen [79] zusammen gleich den Schlachtplan zu entwerfen! Sie sehen mich aber im Begriff, zu Hofe zu fahren. Ich darf heute beim Lever nicht fehlen!«

»Dann haben wir Zeit«, sagte d'Argenson und ließ sich in einen Sessel nieder. »Beim König wird es heute erst um vier Uhr Tag. Wegen später Heimkehr von La Muette ist das Lever erst um diese Stunde angesagt. Bei Ihnen doch auch bekanntgegeben?«

»Nein. Da sehen Sie eben, wie nötig meine Anwesenheit ist! Man benachrichtigt mich nicht mehr! Meine lange Absence fällt schon auf!«

»Beruhigen Sie sich, lieber Freund! Es gibt so viele andere Gründe zur Aufregung!«

»Sie bringen mir Neuigkeiten?! Was ist geschehen?«

»Sie wissen es noch nicht? Der Kardinal Fleury hat sich eine ganze Woche beim König entschuldigen lassen.«

»Seine Eminenz sind verstimmt?«

»Der Majestät des Königs gegenüber wird man nicht verstimmt, auch wenn man Kardinal Fleury ist und Frankreich regiert! Seine Eminenz bereiten sich nur, in stiller Zurückgezogenheit, auf eine schwere Entschließung vor. Er steht vor der Notwendigkeit, zu einer Staatsaktion ja und amen zu sagen, die mit den strengen Anschauungen, in denen er den König erzogen hat, wenig harmoniert! Er wird die Proklamierung der Madame du Mailly zur königlichen Mätresse, wenn nicht feierlich sanktionieren, so doch stillschweigend dulden müssen.«

»Also doch!«

»Ja — es ist gestern, anscheinend beim Besuch des Königs bei >Mademoiselle< beschlossen worden, das Verhältnis, trotz der Verstimmung Fleurys, offiziell zu machen.«

»Ich bin neugierig, wie sich der alte Fuchs damit abfindet! Er läßt sonst in solchen Dingen nicht mit sich spaßen! Erinnern Sie sich noch, wie erzürnt er über den Empfang des Königs in Luneville war?«

[80]

»Wie sollte ich nicht! Der Begebenheit verdanke ich ja mein Amt!«

»Ja! Ihr Herr Vorgänger hat's schwer büßen müssen! Und doch war das eine sehr graziöse Idee von ihm! Das hätte eine bessere Belohnung verdient! Den vielgeliebten König von einer Eskadron berittener Stadtdamen empfangen und zu seinem Schwiegervater eskortieren zu lassen! Das war doch märchenhaft schön!«

»Ja. Hätte er nur nicht die Ungeschicklichkeit begangen, auch die Königin bei ihrem Einzug von denselben Berittenen eskortieren zu lassen, dann wäre er noch im Amt. Der Kardinal und die Königin sind ein Herz und eine Seele!«

»Deshalb schmollt er anstandshalber vierzehn Tage, ehe er die Sonne der heiligen Kirche wieder über die sündenvolle Welt scheinen läßt! Innerlich wird er mit der Erhebung der Gräfin du Mailly zufrieden sein! Er wird sich sagen — wenn eine Grande Dame, wie sie, sich öffentlich als Mätresse proklamieren läßt, dann hat sie's auch nötig!«

»Sie meinen — das wäre der Anfang vom Ende?«

»Sicher! Und so ist es auch! Sie teilt die Gunstbeziehungen des Königs bereits mit ihrer Schwester!«

»Mit Madame du Vintimille?«

»Ich habe es aus sicherer Quelle! — Mein Friseur —«

»Arme Königin!«

»Werden wir nicht sentimental! Ihre Majestät kann sich nicht beklagen, solange der König — wie's die Konvenienz gebietet — unter den Damen des hohen Adels seine Wahl trifft. Leider scheint er aber schon seine Augen auf eine Bürgerliche oder — was viel schlimmer ist — auf eine gewesene Bürgerliche geworfen zu haben! Das endet nie gut! Die sind zu ehrgeizig!«

»Sie regen sich doch nicht darüber auf?«

»O doch! Es kränkt mich sogar sehr! Wenn der König solche Allüren hat, und gar auf eigene Faust vorgeht, da [81] ist der Staat in Gefahr! Da bedarf es mehr denn je der Führung Sachverständiger! Statt sich von gewissenlosen Strebern Mätressen aufschwatzen lassen — die eine dümmer als die andere — könnte er sich wirklich ——«

»Eurer Hoheit anvertrauen?«

»Ja — ich bitte Sie — wozu hat er mich? — Wozu hat er das Corps de Ballett? Ich würde ihm vortanzen lassen, daß ihm die Beine nur so um den Kopf schwirren!«

»Apropos!« sagte d'Argenson, der sich nicht zu weit auf das heikle Gebiet hinauswagen wollte! »Apropos — Hoheit wissen noch nicht, was alles draußen wartet! Der ganze Salon strahlt vor Jugend und Schönheit. Ich sah da unsere charmante Camargo. Die Sallé war auch da! Und dann etwas ganz Exquisites!«

»Exzellenz scheinen schon die Parade abgenommen zu haben! — Darf ich nach dem Gegenstand des hohen Entzückens fragen?«

»Es war ein ganz neues Gesicht! Eine Venus von Gestalt! Ein rassiger Kopf — schöne Augen — und ein Lächeln! —— Mein Kompliment, Hoheit! Sie wissen ihre Truppen zu rekrutieren!«

Der Prinz schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nicht, wen Exzellenz meinen!«

»Ich leider auch nicht. Es war nicht in Erfahrung zu bringen!«

Der Prinz faßte sich an den Kopf.

»Ich hab's! Das wird die neue italienische Tänzerin sein! Etwas ganz Unbedeutendes! Ich versichere — eine ganz obskure Person, von der niemand etwas weiß! Fossano versucht sie mir aufzudrängen!«

»Ich sah ihn auch draußen!«

»Ja. Ich lasse ihn diesmal lange antichambrieren! Ich bin unzufrieden mit ihm!«

»Ein glänzender Tänzer!«

»Ja, aber ein störrischer Kopf! Es ist sehr unbescheiden von ihm, mir eine ganz Unbekannte, eine, die nicht den [82] geringsten Namen hat, zu bringen! Ich erwarte eine Berühmtheit — und er bedient mich mit einer Demoiselle Barberini! — Haben Sie den Namen je gehört?«

»Nein. Ich muß gestehen —«

»Sehen Sie!«

»Wollen aber Hoheit nicht die Damen empfangen? Es wäre ja unrecht, sie meinetwegen warten zu lassen!«

»Sehr gütig! Wenn Exzellenz gestatten, bin ich dann so frei, sie Ihnen vorführen zu lassen. Auf welche belieben Eure Erzellenz zuerst die Augen zu werfen?«

»Ganz nach Ihrem Belieben, mein Prinz!«

»Auf einmal dürfen wir sie nicht besichtigen! — Sie sind spinnefeind miteinander! Eure Exzellenz lieben ja mehr den seriösen Tanz, nicht wahr?«

»Allerdings! Ich bewundere die Majestät der Sallé! Aber die schönen Augen der Camargo versöhnen mich auch mit ihrer ausgelassenen Tanzart!«

»Exzellenz gefallen sich in der Rolle des Paris?!«

»Ich gesteh's! Ich wüßte aber nicht, wem ich den Schönheitspreis zusprechen sollte! Ob Juno, ob Minerva —«

»Also der Reihe nach! Ich lasse Madame Sallé bitten!«

Der Türsteher ging hinaus und machte gleich nachher beide Flügeltüren auf.

»Madame Sallé!«

Herein schwebte in üppiger Majestät die Prima-Ballerina der Oper, die weiten Reifröcke graziös wiegend — die Spitzenmantille fest um den üppigen Busen zusammengenommen — die Mimik in einem spöttisch-ironischen Lächeln kulminierend — die Augen schmerzlich unter sanft zusammengezogenen Brauen blickend — die ganze Erscheinung voll ebenso verletzter wie unnahbarer Würde.

Sie segelte an dem sich galant verbeugenden d'Argenson vorbei, beantwortete seinen Gruß mit einer sanften Biegung des Kopfes und blieb vor dem Prinzen stehen, [83] öffnete wiederholt die Lippen, um zu markieren, daß sie keine Worte finden könnte, und schlug mit ihrem Fächer ein paarmal ungeduldig in ihre linke Hand. Sie war anscheinend aufs höchste empört!

»Blicken Sie mich nicht so ungnädig an, Madame« — fing der Prinz an, ergriff ihre Hand und führte sie an die Lippen. »Sie sehen mich äußerst besorgt über die harte Notwendigkeit, die mich zwang, Sie warten zu lassen! Aber wir Großen der Erde sind geplagte Geschöpfe! — Die Wünsche unseres Herzens müssen wir leider den Forderungen der harten Pflicht hintansetzen. Ich hatte mit Seiner Exzellenz Staatsgeschäfte von größter Wichtigkeit zu besprechen!«

Sie blickte den Kriegsminister von oben herab erstaunt an, als wollte sie fragen, welche Staatsgeschäfte wohl wichtiger sein könnten als die Affären des königlichen Ballettkorps — dann öffnete sie die Lippen und fand jetzt Worte.

»Ich bedaure, in so hochwichtigen Geschäften gestört zu haben«, lispelte sie. »Ich werde aber Eure Hoheit nicht lange in Anspruch nehmen. Ich komme nur, um von Eurer Hoheit Gnade meine Entlassung zu erbitten.«

»Jamais! Jamais de la vie! Was denken Sie sich nur? Wo kämen wir ohne Sie hin! Wir müßten ja die Oper schließen! Ganz Paris würde Aufruhr machen!«

»Hoheit täuschen sich! Seitdem die Camargo ihre italienischen Tänze in Mode gebracht hat, kümmert sich ganz Paris nur um sie! Die hohe Kunst schleicht beschämt davon!«

»Die hohe Kunst, deren einzige Vertreterin Sie sind, Madame, wird nach wie vor in Ehren gehalten! Und sollten Sie anderer Ansicht sein, so wird Sie unser Freund, der Kriegsminister, der hervorragendste Kenner und Verehrer der hohen Schule, vom Gegenteil zu überzeugen wissen! Seine Exzellenz brennt vor Verlangen, heute bei Ihnen zu dejeunieren —«

[84]

Sie grüßte d'Argenson jetzt mit äußerster Liebenswürdigkeit, sie bemerkte die verstohlenen Zeichen nicht, die Carignan ihm hinter ihrem Rücken machte, und akzeptierte deshalb auch anstandslos die Deutung, die er der erschrockenen Miene des Ministers sogleich gab.

»Seine Exzellenz werden mir verzeihen«, lachte der Prinz, »daß ich Gefühle ausplaudere, die er Ihnen am liebsten selbst verraten hätte.«

»Ich werde mich glücklich schätzen«, stammelte d'Argenson.

»Nicht wahr — und Sie haben dann die Güte, mit Madame Sallé das Programm zu vereinbaren, das wir demnächst Ihrer Majestät der Königin vorführen werden! — Sie sehen, Madame, wir machen nichts ohne Sie — Sie sind uns ganz unentbehrlich — und Exzellenz, als persona grata bei der Königin, wird Ihnen da helfen, das Richtige zu finden. Tun Sie Ihr Bestes, Madame — und lassen Sie mir bald Ihre Befehle zugehen!«

Er küßte ihre Hand — die Audienz war zu Ende. Die Ballerina beantwortete äußerst aimable die tiefen Reverenzen der beiden Kavaliere und schwebte, jetzt jeder Zoll eine triumphierende Göttin, wieder an dem Kriegsminister vorbei. Sie flüsterte ihm dabei hold zu, daß sie sich ein Vergnügen daraus machen würde, ihn in einer Stunde bei einer trüffierten Ente wiederzusehen, und verschwand.

»Demoiselle Camargo!« meldete der Türsteher, die Flügeltüren wieder weit offenhaltend!! — Und über die Schwelle rauschte jetzt eine Erscheinung, deren Glanz den der Sonne gewiß verdunkelt hätte, wenn dieser von plebejischen Neigungen angekränkelte Lichtklumpen jemals seine Schuldigkeit täte!

Es war eine hohe, schlanke Gestalt, mit fülligem, etwas süßlichem Gesicht und einer Lässigkeit in der Art, sich zu geben, die ebensosehr von verhaltenem Feuer wie von Neigung zur Bequemlichkeit zeugte — ein Temperament, [85] das bald lustig überschäumen, bald in Trübsinn hindämmern konnte — etwas Ungewisses, Unausgeglichenes — eine Persönlichkeit mit eigenem Gesicht und selbstbewußt, aber ohne Pose! Dem Prinzen war sie aber nur eine Frau unter den vielen, die man alle nicht ernst nehmen durfte! Sie beantwortete das Kompliment der beiden Kavaliere mit gemessener Würde und lächelte, aber nur so viel, wie die Konvenienz unbedingt erforderte.

»Monseigneur«, lispelte sie nonchalant, »wollen gütigst entschuldigen, daß ich wegen einer Kleinigkeit störe!«

»Ich freue mich immer, Sie zu sehen, Mademoiselle! Womit kann ich Ihnen gefällig sein?«

»Eure Hoheit sehen mich hier, um meinen Abschied zu verlangen!«

»Mon Dieu, Sie auch!« rief der Prinz mit komischer Verzweiflung. »Soeben teilte uns Madame Sallé ihre Demission mit — weil Ihre Schönheit und Ihre Kunst die ihrige verdunkelt! Nicht wahr, Exzellenz?«

»Ganz recht!« lächelte d'Argenson.

»Sehen Sie, Madame! Und jetzt wollen Sie auf Ihren Triumph verzichten?! Sie scherzen wohl?«

»Es ist mein Ernst, Hoheit!«

»Aber warum? Sie werden doch hier vergöttert! Ganz Paris liegt Ihnen zu Füßen! Alle Welt buhlt um ein Lächeln Ihrer holden Lippen —«

»Und Hoheit sehen sich trotzdem nach Ersatz um!«

»Madame, Sie wissen doch selbst am besten, wie unersetzlich Sie sind! — Brauche ich Ihnen wohl noch zu sagen, wie sehr ich das Glück schätze, Sie als Zierde der Oper bei uns zu wissen! Ich denke ja über nichts anderes nach, als wie ich Ihnen das recht deutlich zum Ausdruck bringen könnte! Gestern noch habe ich mich bei allen Juwelieren der Stadt bemüht! Nichts war mir schön genug; nichts, was mir Ihrer würdig erschienen wäre! Immerhin gestatten Sie wohl?«

Und er ergriff rasch ihre Hand, schob ihr mit Aplomb [86] den bereit gehaltenen Brillantring an den Finger und besiegelte seine Wertschätzung mit einem Kuß auf ihre rosigen Fingerspitzen.

»Als Zeichen unwandelbarer Treue, Madame! — Hübsch, nicht wahr?« wandte er sich zu d'Argenson, auf den Solitär zeigend.

»Charmant! Ein seltenes Feuer!« antwortete der Krieger im Tone höchster Bewunderung — und blickte der Tänzerin in die Augen, um ihr anzudeuten, daß kein noch so funkelnder Diamant mit deren Glut wetteifern könnte.

Einen Augenblick war sie vom Glanz des selten schönen Steines geblendet. Dann richtete sie sich auf, streifte den Ring vom Finger und legte ihn auf den Tisch.

»Nein, Hoheit«, sagte sie, »so war es nicht gemeint! Verletzte Eitelkeit dürfen Sie mir nicht zutrauen! Ich kenne meinen Wert und weiß, daß ich hier als Künstlerin etwas gelte! Wenn ich aber die neue Tanzkunst eingeführt und ihr zum Sieg verholfen habe, so will ich auch die Ehren davon haben. Ich gebe mich nicht dazu her, für andere zu arbeiten, nur damit sie nachher bloß heranzuhüpfen brauchen, um mit lächelnder Miene die Frucht meiner Mühe für sich zu ernten! Ich will keine Brillanten für meine Person. Ich will die gebührende Anerkennung für meine Kunst — oder ich gehe!«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Hoheit verstehen mich nur zu gut!«

»Ich höre wohl, daß Sie sich beklagen. Aber ich sehe wirklich nicht den geringsten Anlaß!«

»Wäre es denn möglich, daß hier eine neue italienische Ballerina ohne Wissen Eurer Hoheit engagiert werden könnte?«

»Jetzt begreife ich! Sie meinen die, die da draußen wartet?! — Die macht Ihnen Kopfschmerzen? Aber meine Liebe! Das ist ja etwas ganz Obskures — etwas ganz Unbedeutendes — ein Nichts, das ich nicht einmal bemerkt habe! Wenn das zu Ihrer Beruhigung beitragen [87] kann, so hören Sie: ich werde sie überhaupt nicht empfangen!«

»Hoheit werden sie empfangen!«

»Mein Ehrenwort, Madame — mein Ehrenwort als Kavalier, ich werde es nicht tun!«

»Ach, die Männer sind alle falsch! Hoheit werden sie empfangen! Hoheit werden sie auch tanzen lassen!«

»Mais non!«

»Warum auch nicht? Sie hat Geist — sie hat Genie! — Ich habe mit ihr geplaudert — sie führt eine glänzende Konversation! Und wenn meine liebe Landsmännin ebenso gut tanzt, wie sie schön ist — —«

»So braucht eine Camargo deswegen nicht besorgt zu sein! Oder wäre es möglich? — Die Camargo selbst fürchtet sich!«

»Ich fürchte mich nicht!«

»So bleiben Sie denn! Nehmen Sie den Kampf auf! Wenn Sie vor der Schlacht fliehen — dann allerdings ——« Sie überlegte einen Augenblick.

»Wohlan denn! Ich bleibe! Ich nehme den Kampf auf!«

»Aber keine Feindseligkeiten! Ich bitte Sie — ich flehe Sie darum an! Sie wissen: ich verabscheue nichts so sehr wie Aufregungen im Theater!«

»Hoheit können unbesorgt sein! Ich kämpfe nur durch meine Leistungen!«

»Bravo!« rief d'Argenson.

»Sie werden siegen!« beteuerte Carignan und griff nach dem verschmähten Ring. »Gestatten Sie mir, im Vorgefühl Ihres gewissen Triumphes Ihnen dies kleine Angebinde nochmals zu offerieren? Sie lehnen es doch nicht ab? Sie tun mir den Schmerz nicht an?«

Er schob ihr nochmals den Ring an den Finger, und sie ließ es jetzt zu.

»Merci! Ich werde ihn als Zeichen guten Einverständnisses [88] behalten«, sagte sie gnädigst. »Und jetzt will ich nicht länger aufhalten! Meine Nebenbuhlerin wartet!«

»Aber ich sagte Ihnen ja —— ich werde sie nicht —«

»Ich weiß! Hoheit gaben Ihr Ehrenwort, sie nicht zu empfangen! Dann ist es eben höchste Zeit, daß ich Platz mache! — Bon jour, messieurs! Ich wünsche gute Unterhaltung!«

Und hold lächelnd schwebte sie hinaus.

Die beiden Herren blickten sich an und lachten laut auf.

»Möchten Exzellenz nicht auch bei ihr frühstücken?«

»Es wird kaum noch not tun! Ich werde mir wohl bei der Sallé redlich den Appetit verderben! Sie haben ja bereits die Güte gehabt, Schicksal zu spielen — —«

»Ich glaubte der Neigung Eurer Erzellenz entgegenzukommen! Oder — wäre es noch zweifelhaft, welcher von den holden Göttinnen der Schönheitspreis gebührte?«

»Schön ist Minerva —— Juno verlockend ——«

»Nicht wahr?«

»Aber Venus —«

»Was Sie sagen? Ist sie denn wirklich so hübsch, die —?«

»Blendend schön!«

»Sacré nom de Dieu!«

»Wie schade, daß Hoheit Ihr Ehrenwort gaben!«

»Nun, wenn auch Sie mich daran erinnern, dann muß ich wohl jenes Ehrenwort schleunigst aus der Welt schaffen!«

»Bravo!«

»Ich werde sie also empfangen!«

Carignan setzte den Hut auf und gab dem Türsteher einen Befehl; dieser öffnete den einen Flügel der Tür, und herein traten Fossano und die Barberina.

»Nun, Signore?« fing der Prinz von oben herab an und ignorierte die Barberina gänzlich, »wir sind ungeduldig?«

»Ich kann es nicht leugnen, Hoheit ——«

[89]

»Ich höre es zu meinem Erstaunen! Ich hörte sogar von Drohungen?«

»Ich muß gestehen, Hoheit, ich war nicht darauf gefaßt ——«

»Weiß schon! Sie waren entrüstet! Der Prinz von Carignan, Königliche Hoheit, hätte Ihnen, dem berühmten Tänzer, wohl den Wagentritt halten — Sie, den Hut in der Hand, auf der Straße empfangen sollen ——«

»Sie hätten mich hier empfangen sollen, wie ich's wohl beanspruchen könnte! Einen Künstler meines Ranges läßt man nicht acht Tage hintereinander antichambrieren.«

Der Prinz maß ihn mit einem Blick grenzenloser Verachtung.

»Sie irren sich, Signore! Es interessiert uns keineswegs, zu wissen, warum Sie unzufrieden sind! Es interessiert uns nicht einmal, zu wissen, daß Sie sich mokieren! Es interessiert uns höchstens, was wir selbst Ihnen gegenüber empfinden! Und wir sind mit Ihnen sehr unzufrieden! Verstehen Sie? Sehr unzufrieden!«

»Dürfte ich fragen, warum?«

»Sie hatten von uns den bestimmten Auftrag bekommen, sich eine Partnerin auszusuchen! Die Camargo weigert sich ja, in Ihren Pantomimen aufzutreten! — Ich hatte Sie gebeten, eine Tänzerin ersten Ranges zu engagieren! Der Bequemlichkeit halber ließen wir im Vertrag den Platz für den Namen offen. — Und Sie mißbrauchen unser Vertrauen! Sie schreiben da einen Namen hinein, der kein Name ist — von dem kein Mensch etwas weiß — von dem kein Mensch je etwas gehört hat! Statt einer Künstlerin bringen Sie uns eine Anfängerin her.« — Auch jetzt würdigte Hoheit Barberina keines Blickes. »Ja, mein Lieber, wir sind kein italienischer Duodezstaat, wir sind Paris — wir sind am ersten Hofe der Welt! — Wir suchen uns unsere Leute unter den allerersten Berühmtheiten aus! Wir haben es nicht nötig, uns eine obskure Null oktroyieren zu lassen!«

[90]

»Ich bin durchaus der Ansicht Eurer Hoheit!«

»Sehr gnädig!«

»Ich wage sogar zu behaupten, daß ich den Befehl Eurer Hoheit nicht nur mit der größten Gewissenhaftigkeit ausgeführt, sondern noch weit übertroffen habe!«

»Diese Kühnheit! — Ich muß sagen —— da bin ich wirklich neugierig!«

Trotzdem aber würdigte er Barberina keines Blickes.

Fossano antwortete nicht. Er flüsterte Barberina nur schnell ein paar Worte zu, faßte sie bei der Hand, und im nächsten Augenblick wirbelte sie durchs Zimmer wie ein losgelassener Schmetterling und schloß ihr Extempore mit einem Luftsprung ab, wobei sie, ehe sie die Erde wieder berührte, die Füße wiederholt aneinanderschlug.

Der Prinz stand mit offenem Munde da.

»Achtmal«, sagte Fossano, »achtmal, Hoheit! — Das macht ihr in der ganzen Welt keine nach! Die Camargo bringt es nur fertig, die Füße im Schweben viermal aneinanderzuschlagen.«

»Nun, das wird wohl auch bloß viermal gewesen sein!«

»Vorwärts, Barberina!« rief Fossano, »noch einmal!«

Der Kriegsminister setzte sich, um besser zu sehen. Fossano faßte seine Schülerin wieder bei der Hand — noch einmal wirbelte sie durchs Zimmer — noch einmal machte sie den Sprung — aber jetzt absichtlich so nahe an dem Prinzen vorbei, daß sie ihm mit dem Fuße den Hut vom Kopfe schlug. Der Prinz wankte und sank in den Sessel und blieb da mit offenem Munde sitzen.

»Bravo!« rief d'Argenson begeistert. »Es war mindestens achtmal! Ich habe gezählt!«

»Das hohe C der Tanzkunst!« stammelte Carignan verblüfft. »Ich gestehe — ich bin konsterniert! Superb! — Ja, sagen Sie mal, mein Kind — wo haben Sie das gelernt?«

Fossano verbeugte sich, die Hand auf dem Herzen.

[91]

»Alle Achtung, Signore! Alle Achtung! Das macht Eurem Unterricht alle Ehre! Das kann noch etwas werden!«

»Das wird eine Sensation!« rief d'Argenson begeistert. »Man wird das Theater stürmen!«

»Warten wir es ab — warten wir ab! — Exzellenz sind immer sehr leicht begeistert! — Vergessen Sie nur nicht, bei wem Sie heute frühstücken!«

»So etwas macht einen alles andere vergessen! Das würde mich sogar der alten hohen Schule untreu machen können!«

»Da muß ich sagen! — Da muß ich wirklich gratulieren!« sagte Carignan, stand auf, nahm den Hut von dem sich verbeugenden Fossano in Empfang und ging auf Babara zu. »Da haben Sie einen großen Sieg über die Camargo gewonnen! Sie müssen wissen: nicht einmal die Camargo hat es vermocht, Seine Exzellenz den Kriegsminister zur neuen Tanzkunst zu bekehren! Er war bis jetzt der überzeugteste Verehrer der seriösen Schule! Und jetzt, auf einmal —! Ja — wenn Sie auf die Art gleich auch alle anderen Widerstände überwinden, dann wollen wir es mit Ihnen versuchen! — Wie heißen Sie?«

»Babara!«

»Demoiselle Barberini!« beeilte sich Fossano zu korrigieren.

»Sag mal, Babara«, sagte Carignan, nachdem er mit einem Blick Fossano seine Mißbilligung für die Einmischung ausgedrückt hatte, »sag mir, mein Kind, wo haben wir das — mit dem Hut — gelernt?«

Sie lächelte schalkhaft.

»Famos! — Wirklich exzellent!«

Er streichelte ihr gnädigst die Wange, und sie ließ es pflichtschuldigst zu.

»Und diese hübschen Augen — diese reizenden Grübchen!« — Er kniff ihr leicht die Wange, hochbefriedigt, nicht den leisesten Widerstand zu finden.

[92]

»Wirklich reizend! Sie werden meine Pariser bezaubern! Sie werden hier Ihr Glück machen!«

Endlich ließ er von ihr ab und ging ein paarmal durchs Zimmer, um die Fassung wiederzugewinnen. Dann blieb er vor Fossano stehen.

»Sie haben recht gehabt! Ich habe mich entschlossen, Ihre Schülerin anzunehmen! Sie wird sich hier machen. Wir werden gleich sehen, wie wir sie wirksam einführen!«

»Dürfte ich Eurer Hoheit vorschlagen, in meiner neuesten Pantomime —«

»Nein — nichts Neues! Noch nicht! — Die Oper von Rameau geht noch sehr gut! Wir sind dem Meister verpflichtet — wir müssen sie weiter geben! — Aber ich will mit ihm reden — noch heute werde ich ihn kommen lassen — er wird ein paar neue Tänze einfügen müssen — extra für unsere Akquisition hier etwas komponieren! Ich bringe ihn dazu! — Er wird entzückt sein! — Nachher konferieren Sie selbst mit ihm, Fossano!«

»Wie Eure Hoheit befehlen!«

»Und dann vergessen Sie die Presse nicht — sie muß vorbereitet sein! — Na, das verstehen Sie — Sie sind ja nicht zum ersten Male in Paris!«

»Ich weiß Bescheid!«

»Das muß eine Überraschung werden — eine sensationelle Überrumpelung!«

»Wie eine Bombe wird es einschlagen!« rief der Kriegsminister begeistert.

»Wie soeben hier, so muß es kommen! Man weiß nichts — man hat keine Ahnung — und plötzlich ist das Ereignis da! Und man ist entzückt! So muß es kommen!«

Er ging wieder auf sie zu und betrachtete sie mit Kennermiene.

»Wirklich eine ganz aparte Erscheinung — etwas ganz Seltenes! — Exzellenz haben recht gehabt! — Exzellenz sind Connaisseur!«lachte er.»Aber leider schon engagiert! [93] — Nun, das wird sich auch finden! — Sie werden sich kaum wehren können! — Ja, sagen Sie einmal, mein Kind — haben Sie schon eine Equipage?«

»Nein!«

»Die müssen Sie haben! Wie wollen Sie in Paris vorwärtskommen? — Equipage ist nötig — Remisen, Stallungen, Pferde, Kutscher, Diener — ein eigenes Hotel! — Unumgänglich nötig! — Man muß empfangen können — kleine intime Diners geben — Komponisten, Dichter, Journalisten bewirten und, vor allem, in der Gesellschaft eine Rolle spielen! Die elegante Welt bei sich sehen — viel von sich reden machen! — Das ist zum mindesten ebenso nötig wie das Talent!«

Babara blickte ihn groß an. — Dann auf einmal platzte sie mit einem silberhellen Lachen heraus.

»Sie lachen? — Das ist recht! — So ist's gut! — Das alles wird sich ja bei Ihnen ohne Schwierigkeit einstellen! Das ist selbstverständlich! Wer so viel Liebreiz hat!« — Er kniff sie nochmals in die Wange. — »Da habe ich gar keine Angst! Treten wir erst auf — gewinnen wir erst den entscheidenden Sieg, zeigen wir, welch ein Juwel wir sind — nachher findet sich schon die geeignete Fassung! — Also morgen bei meinem Lever konferieren Sie hier mit Rameau, Fossano! Und Sie auch, Mademoiselle — äh —«

»Barberini«, soufflierte Fossano.

»Barberini«, wiederholte Carignan, sich jede Silbe einprägend. »Nun, hoffentlich wird der Name bald so berühmt, daß man sich ihn ohne weiteres merkt! — Au revoir denn, liebe Barberini — au revoir, Fossano! — Ich hab's eilig — ich muß zu Hofe — Sie müssen mich entschuldigen!«

Er streichelte ihr leicht die Wange, nickte ihr freundlich zu. Fossano ging und nahm seine Schülerin mit.

D'Argenson verabschiedete sich ebenfalls, und Carignan setzte sich noch hin, um seine, durch den Sprung Babaras [94] etwas ramponierte Frisur vom Kammerdiener in ordnungsgemäßen Zustand bringen zu lassen.

Er wollte sich nach beendigter Reparatur wieder erheben, als sich plötzlich ein Paar weiche Hände vor seine Augen legten.

»Aber was soll das — wer erlaubt sich? — Kaum hat man Ordnung geschaffen, dann wird man wieder —«

»Ruhig Blut«, lachte eine silberhelle Stimme, »keine Aufregung, mein Ferkelchen! Ich frisiere dich nochmals, daß du mich nicht vergißt!«

»Marietta?« — rief er und machte die Hände los. »Was machst du hier? — Wie bist du hereingekommen?«

»Ich bin die ganze Zeit hiergewesen!«

»Wo denn?«

»Dort hinter der spanischen Wand! Ich habe alles gehört! Den sämtlichen Audienzen beigewohnt! Die große Sensation mitgemacht, die schnelle Wandlung in der allerdurchlauchtigsten Gesinnung bewundert. Mir machst du keine solchen Anerbietungen, Treuloser! Mir richtest du kein Hotel ein! Mir versprichst du keine Equipagen —«

»Aber erlaube mal«, rief Carignan, »wem hab' ich etwas versprochen? Ich habe diese junge Gans vom Lande über alles, was zur Karriere gehört, unterrichtet — weiter nichts!«

»Als ob man nicht hinter jedem Worte deine Lüsternheit gehört hätte! Du willst ihr ein Hotel einrichten, du selbst willst sie aushalten, leugne es nicht! Aber mich läßt du dir alles abbetteln! Tanze ich nicht ebensogut wie sie? Bin ich nicht die Mutter deiner Kinder?«

»Zum Tanzen bist du längst zu dick! Du warst einmal gut, das leugne ich nicht! Sonst wärst du nicht an der Oper! Und — was die Kinder betrifft, so ist es durchaus nicht sicher —«

»Willst du vielleicht behaupten —?«

»Ich will nichts behaupten! Ich sage nur: wenn ich von allen den Damen Kinder hätte, die angeblich welche [95] von mir haben, dann wäre Frankreich zu klein, sie sämtlich zu beherbergen!«

»Du willst dich also deinen Verpflichtungen entziehen?«

»Gott, ich vergöttere sie ja! Das Mädchen ist allerliebst und die beiden Buben auch! Ich sorge für sie wie ein Vater! Mehr kannst du doch nicht verlangen! — Adoptieren kann ich sie aber nicht! Das würde meine Frau nicht erlauben!«

»Wenn du nur willst!«

»Ich bitte dich — die Tochter eines Königs, wie meine Frau — und — die Kinder einer Ballettdame adoptieren! Du darfst nicht unbescheiden werden, Marietta, sonst setze ich dich ab!«

»Ich und unbescheiden! — Für wen plünderst du die Theaterkassen? — Für mich wohl? Kaufst du meinetwegen der Camargo Solitäre? — Hab' ich dich gebeten, dem italienischen Fratz, der soeben hier war, zu versprechen, sie einzurichten, als ob sie eine Fürstin wäre?«

»Pst — nicht so laut! Staatsgeheimnisse!«

»Wieso Staatsgeheimnisse? — Du willst mir doch nicht einreden, du hättest den Auftrag —?«

»Solche Aufträge hat man nie! Als getreuer Untertan führt man sie eben aus! Man bemüht sich! Und wer da zur rechten Zeit die rechte Person zu präsentieren versteht, der ist ein gemachter Mann!«

»Und da meinst du, daß du — daß der König sich dir anvertrauen würde?«

»Wozu hätte er sonst wohl einen Prinzen von Geblüt zum Generalinspekteur des Corps de Ballett gemacht! — Nun eben, um sich mit ihm en camerade über alle einschlägigen Fragen unterhalten zu können! Er wird schon ungeduldig! Es ist Zeit, daß ich mich ein wenig eifriger zeige! — Und diese Italienerin — sie hat Rasse, sie hat Feuer — sie scheint eine kluge Person zu sein! — Eine draufgängerische Art, sich zu geben! — Zum Entzücken! [96] — Sie wird nicht nur ganz Paris — sie wird auch Versailles in Aufruhr versetzen! — Du hast doch gesehen, mit welcher Fermeté sie mir den Hut vom Kopfe schlug?«

»Und nun, denkst du, wird sie dem König in derselben Weise die Krone vom Kopfe tanzen!«

»Mon Dieu, wie respektlos! Die Krone ist doch keine Nachtmütze! — Der König wird aber gnädig sein — sie wird Gnade vor seinen Augen finden, und wir auch! — Der Kardinal ist schon alt — der König muß einen neuen Staatsminister haben! Wer weiß, Marietta — wenn uns das Glück hold ist — vielleicht werde ich bald imstande sein, dir ein Marquisat zu besorgen!«

Er küßte ihre Stirn.

»Aber hübsch ruhig sein! — Mir nie mit Eifersucht kommen, so sehr ich auch für andere inkliniere! — Das geschieht alles nur wegen der Karriere! Laß mich meine Pläne verfolgen — kümmere du dich um meinen Hausstand und die Kinder, und du sollst sehen, ich kaufe dir ein Marquisat! Parole d'honneur, ich tu's! Und von deinen Söhnen kriegt jeder ein Regiment! Deine Tochter verheirate ich mit einem Grafen! Inzwischen nimm — nimm dies alles —«

Er zog das Fach seines Sekretärs auf, wo er den Erlös des gestrigen Spiels hineingetan hatte, und leerte den Inhalt in ihren Schoß.

»Nimm! Kauf dir alles, was du magst — verschwende — fühl dich reich, damit du einen Vorgeschmack bekommst! — Wenn du mir nur nicht in die Quere kommst — wenn du mir nur keine Szenen machst! — Dann wirst du's staunend erleben, wie der alte Glanz hier wieder heimisch wird! Dann mache ich all die Holzbaracken draußen um den Garten herum dem Erdboden gleich und mache es wieder gut, daß ich dem Schwindler Law gegen schnödes Geld erlaubte, sie zu errichten! Geld, das er mir noch schuldig ist! — Dann lasse ich die Gärten im alten Umfang und alter Herrlichkeit wieder auferstehen — wie [97] sie einst waren, als Katharina von Medici nach den Mühen des Tages drinnen lustwandelte! — Dann jage ich die Spieler und Wucherer hinaus und fege das Pack in den Rinnstein! — Dann, Marietta — dann —! Aber jetzt gib mir einen Kuß! — Und nun: — still sein, lächeln — was auch geschehen mag! — Du verstehst? — Du bist doch brav! — Du wirst dich tapfer halten? —— Noch einen Kuß! — Aber die Zeit eilt! Ich muß fort! — Au revoir, ma chère! Au revoir!«

Er setzte kokett den Hut auf den Kopf und trippelte graziös auf seinen hohen Absätzen hinaus — zwischen zwei Reihen gekrümmter Lakaienrücken zur wartenden Staatskarosse, um nach Versailles zu fahren und dem König von seiner neuesten Akquisition vorzuschwärmen.

Marietta blieb allein. Von Zeit zu Zeit nahm sie eine Handvoll Gold auf, ließ es durch die Finger auf ihren Schoß niederrieseln und freute sich der Musik des klirrenden Metalls, das die Welt beherrscht.


8

Es war die Zeit der ersten Mätressenschau im Leben des fünfzehnten Ludwig.

Das königliche Glücksschiff hatte, nach anfänglichem Zögern, den Hafen der ehelichen Treue verlassen und trieb noch etwas unsicher und ohne Führung auf dem Meere Kytheres umher.

Bange Ungewißheit hatte den Sinn der getreuen Untertanen ergriffen. Würde es, nach glücklicher Lustfahrt, mit Ehren und Ruhm reich beladen, in den schützenden Hafen zurückkehren oder, von ungeschickter Hand gelenkt, kläglich scheitern?

Jeder fühlte sich berufen, hier die Führerschaft an sich zu reißen! Ehrgeiz und Eigennutz waren am Werke; Neid und Verleumdung ebenso. Ein erbitterter Kampf im dunkeln wurde zwischen den verschiedenen Parteien [98] geführt — Kabalen wurden gesponnen — Intrigen entlarvt. Denn die Frucht des Sieges war auch der Mühe wert. Wer es vermochte, die Lenkstange an sich zu reißen, dessen Wille beherrschte die Fahrt. Ein unmerklicher Druck der Hand war imstande, das Ziel zu verrücken und das allgemeine Interesse in die Bahn des Einzelvorteils zu steuern.

Das Schlafzimmer des Königs war die Brutstätte der allerhöchsten Entschließungen, denen Frankreich — und, wenn's gelang, die ganze Welt — zu gehorchen hatte. Wer da der Trägheit des Königs die Mühe des Entschlusses möglichst schmerzlos — das heißt: möglichst unmerklich — abzunehmen verstand, hatte gewonnenes Spiel.

Es galt also, die geeignete Person vorzuschieben, ohne den Argwohn des Königs zu wecken, und sie nachher, ohne Eklat, zu beeinflussen.

Der hohe Adel, dessen ausschließliches Prärogativ es gewesen war, das heiß umstrittene Amt einer königlichen Mätresse zu besetzen, hatte schon ausgespielt. Zu mächtig und einflußreich durch seine allumfassenden Familienverbindungen, hatte der Adel wohl nicht die nötige Vorsicht walten lassen und längst das Mißtrauen des Königs geweckt.

Durch Verschwendung und Vergnügungssucht geschwächt, hatte der Adel schon angefangen, einen Teil seiner Macht den der reich gewordenen Bürgerschaft entstammenden Generalpächtern, Armeelieferanten und anderen Finanzgrößen abzutreten, deren Töchter — durch vollendete Erziehung den Damen der Gesellschaft gleich, durch adlige Heiraten hoffähig — nun auch den Wunsch bemerkbar werden ließen, an dem Wettrennen um die königliche Gunst teilzunehmen.

Der Wunsch des Königs, sich dem Ränkespiel der Höflinge zu entziehen, und wohl auch eine gewisse Übersättigung und ein Drang nach Abwechselung kamen ihnen da entgegen.

[99]

Mit Schrecken nahm es der Hochadel wahr!

Die Erinnerung an die Zeit des vierzehnten Ludwig, wo die Witwe Scarron das Land zum Besten der Jesuiten geschröpft hatte, war noch in frischer Erinnerung!

Man war also sehr auf der Hut gegen Überraschungen und schöpfte beim geringsten Anlaß Verdacht.

Noch herrschte wohl die Hofgesellschaft durch die Gräfin von Toulouse und Mademoiselle du Charolais, die die Galanterie des Königs in ihre Interessensphäre hineinzudirigieren verstanden. Sie hatten die Liaison des Königs mit der Gräfin du Mailly herbeigeführt und begünstigt und ihr durch die klug bereit gehaltene Reserve ihrer beiden Schwestern eine gewisse Stetigkeit zu geben versucht.

Aber man war in maßlose Aufregung geraten durch die anscheinend nicht ganz erfolglosen Attacken der unternehmungslustigen »kleinen Poisson«, wie man immer noch Madame d'Etioles nannte.

Und der Eifer und der Aplomb, mit denen der Prinz von Carignan seinen neuentdeckten Schützling zu inszenieren verstand, brachte alles in Verwirrung.

Seit einer Woche redete ganz Paris nur von der Barberini.

D'Argenson machte sich ein Vergnügen daraus, die Hofgesellschaft zu mystifizieren. Der Umstand, daß Rameau selbst extra für sie Tanzeinlagen komponieren mußte und, was noch mehr besagte, daß dieser eigenwillige Meister es mit Begeisterung tat, brachte die Künstler, die mit Madame d'Etioles intime Beziehungen unterhielten, in hellen Aufruhr, und der wurde durch den Neid der anderen Tänzerinnen und ihrer Parteigänger noch mehr geschürt.

Als der Tag ihres ersten Auftretens kam, war auch der Saal der Oper gedrängt voll von allem, was Namen oder Geltung hatte.

Die Logen boten einen glänzenden Anblick dar.

[100]

Das vergoldete Schnitzwerk, das vom Boden bis zur Decke die Logen umrankte, hatte selten so viel Pracht und Schönheit auf einmal eingefaßt. Überall gepuderte Lockenköpfe, Perlen, Geschmeide und funkelndes Edelgestein, nackte Schultern, schwellende Busen und kokette Blicke hinter spielenden Fächern — das vordere abgesperrte Parkett voll von eleganten Kavalieren des Hofes und der Aristokratie — hohen Beamten und tapferen Kriegern, die mit den Insassinnen der Logen liebäugelten und verstohlene Zeichen austauschten. Auf der Bühne, rechts und links im Proszenium auf den bevorzugten»bancs du théâtre«, die Habitués aus allen Gesellschaftskreisen! Und hinten, im Parkett, die reiche Bürgerschaft, die Künstler und die ganze goldene Jugend des Seinebabels, hin und her gehend, plaudernd, kritisierend und kokettierend.

»Mademoiselle«, wie der offizielle Titel der Madame de Charolais lautete, hatte ausnahmsweise auch Zeit gefunden. Ihre Anwesenheit hier war heute wichtiger als die gewohnte Unterhaltung mit dem König, dem sie nachher, beim Souper, mit dem Verlauf des großen Ereignisses zu unterhalten gedachte.

Spöttisch blickte sie zur Loge der Madame d'Etioles hinüber, die, strahlend schön und ebenso reich wie geschmackvoll geschmückt, sich von den Künstlern und Finanzleuten den Hof machen ließ.

Das war ein Kommen und Gehen bei ihr. Bald tauchte das spitze Fuchsgesicht Voltaires im Hintergrund der Loge auf, bald die würdige Dichtermajestät Crébillons. Der Präsident Henault verschmähte es nicht, ihr die neuesten Bonmots aufzutischen, auch ein Prinz von Geblüt, der stolze Herzog de la Vallière, küßte ihr die Hand, während ihre Beschützer und Manager, die reichen Armeelieferanten Paris-Duvernois und der Generalpächter Le Normand-Tournehem, dem sie die Ehe mit seinem Neffen und dessen neugebackenen adligen Namen verdankte — sich damit begnügten, sie aus der Ferne zu grüßen. Sie [101] waren nicht wenig stolz auf ihre Schöpfung und träumten von ihrer zukünftigen Macht und Größe, auf den vielumstrittenen Platz an der Seite des Königs.

Aus einer Loge der zweiten Galerie blickte beglückt Mama Poisson zu ihrer unternehmungslustigen Tochter hinunter und tauschte Grüße mit den Herren von Paris aus, mit deren Geld sie Frankreich ihrer Tochter erobern wollte.

Der ehrgeizige junge Prinz von Croy — die Mätressensprößlinge des vierzehnten Ludwig: die Herzöge von Chartres und von Nivernois — der erste Kammerherr Herzog de Chesvres, und der berühmteste Herzensbrecher seiner Zeit, der elegante Herzog von Richelieu — alle waren sie da — vom Theater alles, was frei war — die Minister d'Argenson und Maurepas — der alte Literat Fontenelle, der junge Textdichter Rameaus, Louis de Cahussac, und alle die jungen Reimschmiede der Tagesereignisse! — Alle waren sie herbeigeeilt — die Damen der Aristokratie, um die mutmaßliche Konkurrentin um die allerhöchste Gunst mit eigenen Augen zu sehen und Konterminen zu legen — die Dichter, um sich an ihrer Schönheit zu gut bezahlten Gedichten zu inspirieren, und die Kavaliere, um neuen Nervenkitzel zu suchen.

Aus seiner Loge musterte der Prinz von Carignan sein Publikum und schwelgte im Vorgefühl der Sensation, die er ihm heute bieten konnte. Er lächelte befriedigt, als er im Parkett eine ernste, würdige, einfach gekleidete Gestalt wahrnahm, deren Gegenwart sehr beachtet wurde, die sich aber um niemand kümmerte. Es war der erste Kammerdiener Ludwigs, Bachelier, den Carignan eigens gebeten hatte, sich heute einzufinden. Durch dessen Beihilfe hoffte er seine ehrgeizigen Pläne zu fördern und den anderen Aspiranten auf das Bett Frankreichs ein Schnippchen zu schlagen.

Im Orchester stimmten die Geiger ihre Instrumente und rückten die Pulte zurecht; die Holzbläser bliesen, um [102] ihre Flöten und Klarinetten zu erwärmen; die Hornisten prusteten diskret, wie sich's gebührte, und leerten das Wasser aus den Hörnern; die Rampe wurde angezündet; hinter dem Vorhang klopften und hämmerten die Theaterarbeiter, aber das Dirigentenpult war noch leer.

Endlich kam er, der gefeierte Liebling der Musen, Rameau! Langsam schlängelte sich seine lange, biegsame Gestalt mit dem feingeschnittenen Kopf, leicht vorgeneigt, zwischen den Pulten hindurch. Er blieb hier und dort stehen, blätterte in den Noten und erteilte einige letzte Instruktionen an seine Leute. Zerstreut streiften seine Blicke durch die glänzende Versammlung, ohne zu sehen — ganz erfüllt von den Bildern seiner Phantasie! — Er lächelte in sich hinein und versank in Träumereien, aus denen er dann und wann erwachte, um dem Publikum einen spöttischen Blick zuzuwerfen.

Er hatte noch nie eine solche Genugtuung empfunden wie heute. Von der Natur mit einem unbändigen Schaffenstrieb begabt — mit einer nie versiegenden Ader genialer Einfälle begnadet, hatte er sein Leben lang um ein einfaches Menschenrecht, sich nach seiner Veranlagung zu betätigen, kämpfen müssen. — Erst mit der lieben Familie, die ihm das langsame und sichere Klettern nach dem täglichen Brote auf der gesellschaftlichen Himmelsleiter beibringen wollte, ihn ins Jesuitenkolleg steckte und ihm die Robe des Richters als Gipfel der Entwickelungsmöglichkeiten anwies. Und dann, nach erfolgter Empörung und persönlicher Befreiung — nach dem geistigen Wachstum im Zigeunerleben der freien Kunst, als herumstreichender Musikant und Geiger bei den ambulierenden Theatergesellschaften — das nochmalige Einkapseln als ruhiges, gesetztes Mitglied der göttlichen Weltordnung! Aber jetzt als beamteter musikalischer Maître de plaisir und Modekomponist der verschrobenen Gefühle jener tausendköpfigen Bestie Publikum, die da in Samt und Seide, von Gold und Geschmeiden strotzend, gepudert, geschminkt [103] und mit Schmuck behangen, auch modisch empfinden und konventionell seufzen wollte! —— Eine noch schlimmere geistige Knechtung und Gefangenschaft der Persönlichkeit als die, in die die Familie ihn eingekerkert hatte! Und jetzt wie damals ums tägliche Brot! Aber jetzt nicht mehr aus Unkenntnis der eigenen Kräfte, sondern mit vollem Bewußtsein und aus beginnender Schwäche!

Er hatte sich gefügt — seine menschlichen Empfindungen modisch ausgeputzt und verschnörkelte Allegorien statt den einfachen Ausdruck natürlichen Gefühls gegeben! Statt als Bringer und Spender höchster Lebensfreude an die Herzen zu pochen und ihnen den Himmel des reinsten Glückes zu öffnen, hatte er sich dazu hergegeben, als Oberpriester ihres faden Götzendienstes ihre Genußsucht und ihre hohle Leichtfertigkeit zu beweihräuchern.

Die Götter des Olymps, längst aus dem realen Leben verbannt, herrschten noch unbeschränkt auf den Brettern der Oper und harrten noch des musikalischen Molière, der ihnen zum Cancan aufspielen und sie in tollem Veitstanz nach dem Hades hinfegen sollte.

Nur in ihrem Namen und mit ihrer Hilfe durfte er zu den Menschen sprechen! Das brachte einen Mißton in seine Musik, aber auch eine unsagbare Sehnsucht, die einen jeden, auch den Oberflächlichsten, aufhorchen machte. — Da war ein fremder Ton, ein einfacher Naturlaut, ein Widerhall längst verschwundener Einfachheit unter der modischen Verschnörkelung — ein Hauch des in der Materie gefangenen ewigen Lebens, das dumpf nach Befreiung seufzte und kaum noch zu hoffen wagte. Und das sollte heute endlich Luft bekommen!

Wie ein jäher Lichtstrahl die Nebel durchdringt und das wonnetrunkene Auge die Höhe des Himmels und die Unendlichkeit des blauen Weltraumes schauen läßt, die einen da alle umgebende Kleinlichkeit vergessen macht, so durchschauerte es ihn, als er zum ersten Male Barberina gegenüberstand. Ihre Jugendfrische, ihre seelische Unberührtheit [104] trotz aller Verdorbenheit, ihre Geisteshoheit, die Musik ihrer Bewegungen und ihres Mienenspiels berauschten ihn und machten sofort den Unwillen verstummen, den er, der gefeierte Meister, anfangs über die Zumutung empfand, jener unbekannten Namenlosen die zu ihren Pirouetten gehörige Musik zu komponieren!

Sein Herz tat sich weit auf, seine Seele flog ihr entgegen mit der herrlichsten Inspiration! — Er lebte, die Götzen verblaßten — das Göttliche selbst war ins Leben getreten, hatte sich erniedrigt, um wieder im beschwingten Flug den Weg nach oben zu zeigen und in alles aufwühlender Begeisterung die in süßer Selbstbeweihräucherung hindämmernden Sinne zu erlösen!

Und ihm war's gegeben, dazu aufzuspielen! Das war die Befreiung! — Das war die Rache für unwürdige Knechtschaft!

Mit Feuereifer warf er sich auf die Aufgabe. Sein Genius war ihm hold, im Wonnegefühl des Schaffens berauschte er sich an dem seltenen Glück, in Barberina die leibliche Verkörperung seiner kühnsten Träume von Grazie und beseelter Rhythmik gefunden zu haben. — Und die sollte er heute vor aller Welt ins Leben rufen dürfen! Sein Taktstock, der sonst dem verhaßten Göttergesindel zum Paradetanz aufklopfen mußte, war zum Zauberstab geworden, auf dessen Geheiß die Nebel weichen müßten, um die Krone der Schöpfung — den Menschen in seiner ganzen gottbegnadeten Majestät — in Erscheinung treten zu lassen.

Ob sie's auch begreifen würden, jene entmenschten Modepuppen, die da höchstens den Kitzel ihrer Trägheit oder Förderung ihres Ehrgeizes suchten?

Gleichviel, er würde das Glück — das große, unermeßliche Glück des Gebens haben und der voll empfangenen Gegengabe, einer gleichwertigen Genialität, einer ursprünglichen, weil im vollen Menschentum wurzelnden Künstlerpersönlichkeit!

[105]

Hinter dem Vorhang erschollen die üblichen drei Keulenschläge, den Beginn der Vorstellung verkündend.

Noch einmal überflog sein Blick die glänzende Versammlung, noch lächelte er spöttisch über seine Naivität, dort offene Herzen finden zu wollen, dann klopfte er auf das Pult, das Spiel begann, und er war in einer andern Welt.

Der Vorhang hob sich. Die Bühne stellte eine freundliche Gegend am Fuße des Olymps dar.

Hebe, die Göttergeborene, schwebte herein, von Momus, dem Gotte des Spottes und des Lachens, des Erdgeborenen, verfolgt — schmollend ob des Befehls ihres Vaters Zeus, die himmlischen Gefilde zu verlassen, um den Menschen göttliche Freuden zu spenden. — Sie wehrt sich — der lachende Gott versucht ihr den Himmel auf Erden finden zu helfen, ruft die Grazien herbei, die hold lächelnd einhertanzen, Amors Köcher und Bogen bringen und das Nahen des ungezogenen Göttersprößlings verkünden.

Amor stellt sich ein, denn — wie Momus, des Lachens Gott, sagt — Schönheit, Jugend und Liebe gehören zusammen. Hebe versöhnt sich mit dem Erdendasein, und, ihrer Göttersendung eingedenk, ruft sie die thessalische Jugend herbei, um die Weihen der Liebe zu empfangen und das Reich Amors auf Erden zu errichten, wo sie, Hebe, als Königin herrschen will.

Amor ruft Zephir herbei, um sie, ihn und die Grazien nach einem glücklicheren Klima zu bringen.

»Volons — volons sur les bords de la Seine«, ruft sie als Parole aus, und Jugend, Schönheit, die Grazien, Amor, Polyhymnia, Terpsichore und sämtliche benannten und unbenannten lyrischen Talente schweben hin zu den glücklichen Gestaden der Seine, um»la gloire«und »la victoire« zu beweihräuchern. — Hebe ladet zum Feste ein — »sur les bords de la Seine« —, und die lyrischen Talente haben sich zu produzieren!

[106]

Erst die Dichtung — (»la Poésie«)!

Das erste Bild, nach dem olympischen Prolog, stellt dann ein nach der am Seinestrand gerade herrschenden hortikulturellen Mode schön zugestutztes Boskett in der »maison« der durch ihre Verse und ihr Liebesschmachten rühmlichst bekannten Dichterin Sappho dar.

Denn»la Poésie« ist feminin — wenn auch nicht immer von lesbischer Extraktion.

»Thélème« liebt Sappho — Sappho liebt »Alcée«, und jener verfolgt diesen mit schwarzer Eifersucht, schleicht sich auf der Jagd von dem Gefolge seines Gebieters, Hymas, fort, um die liebesschmachtende Sappho in ihrem »Boskett« zu überraschen und rasch die Stelle des abwesenden Alcée einzunehmen. — Vergebens wehrt sie seine Werbung ab — schließlich greift sie zur List und verspricht, ihm zu gehören, wenn er den König herbeiruft, um einem Spiel ihres Talents zu lauschen. — Er geht, den Auftrag auszuführen.

Alcée stellt sich ein und empfängt die Kunde des schwarzen Verrats seines Freundes sowie ihrer Hoffnung, durch ihre Kunst ihn zu entlarven und den Segen des Hymas für ihre Liebe zu erringen.

Sie ruft den Gott der Verse und der Poesie herbei. Der König Hymas naht mit seinem Jagdgefolge, und Sapphos Sklaven führen dann eine Allegorie auf, wo eine Flußnymphe vergebens den geliebten Bach herbeiruft, aber ihn schließlich, kraft ihrer Sehnsucht und dem sich gegen diese Verwässerung wehrenden Flußgotte zum Trotz, dem Felsen entlockt.

»Je vous revois,
je vous revois;
tout cède a la douceur extrème
de retrouver l'objet qu'on aime!
J'ai vu troubler mes eaux des pleurs, des pleurs que j'ai versée!
Perdons les souvenirs de nos tourments passés«

[107]

singen sie — der König wird erschüttert — gerührt — exaltiert — »Mariniers« und »Marinières« tanzen Menuette, Bourrées, Rigaudons und Passepieds. — Sappho darf sich eine Gnade für ihre schöne Allegorie erbitten und erbittet sich Alcée. Treue Liebe hat gesiegt mit Hilfe der allbezwingenden Poesie — der Chor singt: »chantez Sappho, chantez sa gloire« — das Volk tanzt — Najaden, Flußgötter, das ganze mythologische Weltall jubiliert — Amor regiert mit Hilfe der Dichtkunst.

Im zweiten Bild tut er's mit Hilfe der Musik!

Held Tyrteus, Befehlshaber der Lazedämonier, der die Kunst erfand, mit Hilfe der Musik den Mut der Krieger anzufeuern und sie im unwiderstehlichen Furor zu entflammen, wird von Iphis geliebt. Der König Lykurgos jedoch bestimmt, daß dieser Sprößling seines Hauses nur dem Besieger der Messenier angehören kann. Also muß der gute Tyrteus erst die Messenier, die selbstverständlich bereits vor den Mauern Spartas darauf warten, besiegen — Iphis muß nach allen Regeln der Kunst hold um ihn bangen und seufzen — und Apollon um einen Orakelspruch bitten, der ihr auch prompt zuteil wird, aber so vorsichtig gehalten ist, daß eine Allegorie nötig wird, wo Amor erst Apoll hereinschleppt, dann beide vereint den Mars, dann mit ihm zusammen eine Siegesgöttin und zuletzt Hymen selbst — um, ihr zu Trost und Erbauung, ein »pas de cinq« miteinander zu tanzen! — Währenddessen siegt Tyrteus, von ihren Gebeten und seiner musikalischen Schwarzkunst wacker unterstützt — die siegenden Krieger tanzen eine triumphale Polonäse — die Liebenden haben sich, alles löst sich in Wohlgefallen auf, Rigaudons, Menuette, Passepieds, Tamburine lösen sich ab — Amor triumphiert, und ad majorem gloriam suam sollte der Vorhang fallen, um sich für das von Terpsichore allein beherrschte Schlußbild des Balletts wieder zu heben — da setzte die große Überraschung ein, die Rameau für sein Publikum bereit hielt!

[108]

Statt der traditionellen Göttin des Tanzes trat der Tanz selbst, das Mysterium der alle Materie besiegenden Bewegung, in Erscheinung — die Natur selbst erhob ihre Stimme — die nachgeschaffenen Götter des Olymps schwiegen und schlichen beschämt davon!

Die Bühne verdunkelte sich — wallende Nebelschleier verdeckten alles — aus dem Orchester wogten sie herauf, von leisen Arpeggien der Harfe getragen, und betäubten alle Sinne!

Da — ein Lichtstrahl — ein paar Töne der Flöte hüpften hervor — andere hinterher — sie haschten sich, formten sich zum Tanz, zur Melodie — von den wogenden Wellen der Harfenklänge getragen, trieben sie suchend hin und her und lockten — da — ein schwacher Schein, der sich langsam erhellte, um allmählich eine Gestalt aus dem Schatten herauszumodellieren — Barberina stand da, in der ganzen Majestät ihrer jungen Schönheit!

Der Inbegriff aller Talente — der Mensch war da! Licht und Töne hatten ihn aus dem Chaos geschaffen — in schmeichelnden Rhythmen aus den formlosen Nebeln heraus gestaltet!

Halb verschleiert stand sie da, feierlich, unbewegt, in der ersten Lebensdämmerung, leicht vornübergebeugt, den sanften Tönen der Flöte lauschend, die aus ihrem Innern den Widerhall der ersten unbewußten Sehnsucht wachriefen, aus der heraus die Starrheit sich allmählich in Bewegung auflöste und in suchendes, tastendes Schreiten umsetzte, das, noch ohne Ziel, nur der inneren Mahnung gehorchend, den wogenden Rhythmen nachgab und sich von ihnen treiben ließ.

Dann ein leises erstes Aufatmen — die geheimnisvoll klagenden Klänge verstummten, die Tonwellen sanken in sich zusammen und glätteten sich aus in einer endlosen Fermate in zart schillerndem Dur, Hornklänge aus der Ferne schwollen mächtig an, rötlich glühte der Morgen hervor, über die Geigen ein leises, schnelles Huschen wie [109] ein jäh erwachter Frühlingswind, der durch das Schilf streicht und die Fläche kräuselt. Der endlose Passagenfluß gliedert sich in Rhythmen — immer schneller jagen die Tonwellen dahin, immer sonniger leuchtet das Licht — der Tag ist da — sie erwacht, blickt geblendet die neugeschaffene Welt an, sieht mit sehnenden Blicken, begehrt nach deren Besitz, öffnet die Arme, um das Leben zu umschlingen — gleitet zaghaft hin und her — bald neugierig suchend — bald furchtsam zusammenschauernd — bald freudig sich an den Farben und Düften des Frühlings berauschend, dann im jähen Schrecken erstarrend, als aus dem nächsten Gebüsch mit kühnem Sprung ein fremdes Wesen auf sie einstürmt und in lüsternem Kreisen um sie herumschleicht, nach ihr greift, aber nicht wagt zuzupacken.

Der Mann ist in ihr Leben getreten! Liebegirrend umschmeichelt er sie und sucht ihr die Schreckensstarre abzuschmeicheln! Halb neugierig, halb scheu lächelt sie ihn an. — Er wird dreister — erhascht ihre Hand, küßt sie, läßt wieder los und fährt zurück! Denn die Berührung seiner Lippen hat die Starre gelöst — sie weicht aus, er folgt — das Spiel macht ihr Vergnügen — sie lacht laut auf — neckt ihn — lockt ihn heran und stößt ihn ab, sooft er sie zu ergreifen sucht. — Immer dreister wird er — immer zudringlicher sein Werben — immer stürmischer sein Angriff — immer verlockender ihre Abwehr — bis plötzlich die Angst sie packt und sie in jäher Flucht pfeilschnell davonwirbelt! — Hin und her geht die Jagd, von eilenden Rhythmen vorwärts gepeitscht, bis er sie endlich im allen Widerstand niederwerfenden Ansturm packt, sie hoch über sich erhebt und die verzweifelt sich Wehrende in den Wald trägt.

Hohnlachend setzt der Chor der Waldgeister ein — unsichtbar und überall anwesend erleben sie den Liebeskampf mit und begleiten mit kurzen, gellenden Schreien die Orgie, die jetzt im Orchester einsetzt, als die beiden, [110] bekränzt, halb nackt, mit flatternden Locken und wehenden Gewändern hereinstürmen im tollsten Bacchanal — ganz Werben und Gewähren, ineinander Aufgehen und Verschmelzen — in einem Sturm der Bewegung, der ihn schließlich erschöpft hinwirft, während sie sich, im Vollrausch der Lebenslust, aufreckt, triumphierend die Hände gegen den Urquell alles Seins emporstreckt und dem niedergerungenen Faun, dem sie erlag und den sie erliegend besiegte, den Fuß auf den Nacken setzt.

Fossano — denn er war's — , Fossano war besiegt, sein Schicksal besiegelt! — Und nie wieder sollte er den Kopf über sie erheben, nimmermehr sie als Schülerin meistern! — Sie war ihm Meisterin geworden, sie war jetzt Herrin — war alles — er nichts!

Er empfand es, wie er dalag und aus den Beifallsrufen draußen im Zuschauerraum nur den Namen: »Barberini!« heraushören konnte. Zähneknirschend sprang er auf, als der Vorhang fiel. Sie verstand das nicht gleich. Freudestrahlend schleppte sie ihn immer und immer wieder mit hervor! — Und erst als auch sie immer nur ihren eigenen Namen von draußen rufen hörte und er sich losriß und in Wut von ihr wegstürzte, da verstand sie, daß sie jetzt oben war — sie allein, und er besiegt, abgetan — ihr Partner nur, den sie zum Gegentanz benötigte, aber auch, wenn's ihr gefiele, verabschieden und durch einen anderen ersetzen konnte!

Triumphierend blickte sie zu ihm hinüber. Es kam ein unheimliches Leuchten in ihre Augen, die Lippen kniffen sich dünn zusammen, etwas in ihr empörte sich jäh gegen ihn — es war ihr nicht klar warum, aber sie hatte die bestimmte Empfindung, noch ein großes Unrecht an ihm rächen zu müssen!

Im Augenblick schwand die Aufwallung, kaum gekommen. Denn jetzt drängte sich alles um sie. Die elegantesten Kavaliere der Hofgesellschaft eilten auf die Bühne, bestürmten sie mit Komplimenten, mit den überschwenglichsten [111] Lobeshymnen — die ganze griechische Mythologie, kaum in die Flucht geschlagen, schwirrte aus allen Ecken und Enden herbei, um die galanten Herren mit den geziemenden Ausdrücken der Begeisterung zu bedienen! — Kythera, Amor, Hebe, Diana und sämtliche Grazien waren nichts gegen sie, deren Anmut und Schönheit und unvergleichliche Tanzkunst man hoch über den höchsten Olymp hob, um sie in liebegirrenden Interjektionen zu beweihräuchern, so der Adoration günstig zu stimmen und in das Garn der allerirdischsten Wünsche zu verstricken!

Sie empfing die verlockendsten Anerbietungen von rechts und von links — lächelnd stand sie da und hörte allen zu, aber erhörte niemand — sobald es irgend ging, stellte sie sie einen nach dem anderen der Mama vor. Und die Mama war ganz Ohr und floß über vor Wonne und freundlichstem Entgegenkommen! So umschwärmt von Kavalieren war sie in ihrem Leben noch nie gewesen! — Sie war lauter Aufmerksamkeit, prägte sich all die fremden Namen und Gesichter ein, sagte zu allem ja und amen und versprach auf ihre Ehre jedem einzelnen, ihm bei der nächsten Vorstellung Zutritt in die Garderobe ihrer Tochter zu verschaffen.

Heute ginge es nicht an! — Denn der Neid der Kolleginnen hätte dem Neuling die schlechteste Garderobe eingeräumt, wo man kaum Platz hätte, sich umzudrehen, noch weniger, Besuche zu empfangen! Das würde aber bis übermorgen anders werden, und dafür wollte Mama Campanini sorgen!

»Ganz Paris liegt Ihnen zu Füßen, Signorina«, lispelte der Prinz von Carignan, der sich zu guter Letzt den Komplimenten des Publikums entzogen hatte, um sich auf die Bühne zu begeben und Unheil zu verhüten. — »Ganz Paris wird morgen von nichts als von Ihnen reden! Sie werden bei Hofe tanzen! Auf Ehre, ich setze es durch! Aber wir müssen für Sie sorgen! In allem Ernst, Sie müssen Ihrer neuerrungenen Position gemäß [112] auftreten können! Sie müssen imstande sein, die Hofgesellschaft zu empfangen — müssen kleine Gesellschaften — kleine intime Soupers geben — müssen ausfahren können! — Nun, das lassen Sie meine Sorge sein! — Überlassen Sie sich nur meiner Führung — vertrauen Sie sich nur mir an — nur mir — ganz mir! Seien Sie meine Freundin — allein meine Freundin — und ermöglichen Sie es mir, so für Ihre Karriere zu wirken, indem Sie mir das Vorrecht geben, ganz für Ihr Leben zu sorgen! — Nicht wahr, süße Barberina?« lispelte er und führte ihre Hand an seine Lippen. — »Nicht wahr, Sie wollen mir vertrauensvoll Ihr Herz öffnen?«

»Hoheit gestatten?« sagte Barberina und zerrte ihre Mutter vor. — »Hoheit gestatten — — meine Mama!«

Und Mama machte ihr tiefstes Kompliment — Hoheit hatte die Gnade, es zu bemerken — er hatte auch die Gnade, ihr einige Fragen zu stellen, die so prompt und befriedigend beantwortet wurden, daß er sie bald abseits winkte und sich herbeiließ, ihr sehr diskrete Instruktionen zu geben, die sie, beglückt lächelnd, unter vielen Verneigungen empfing und gehorsamst zu befolgen versprach.

»Adieu, carissima!« lispelte er dann nochmals im allergnädigsten Ton Babara zu. »Ich sehe, wir werden schon einig! Finden Sie sich morgen bei meinem Lever ein mit Ihrer Frau Mama! Wir werden dann Ihre Gagen-und anderen Verhältnisse besprechen und zum allerbesten ordnen! Noch einmal mein Kompliment! Sie haben famos getanzt! Ihr Debut war entzückend! Ein Triumph sondergleichen!«

Er ging ein paar Schritte und wandte sich dann um.

»Apropos!« sagte er und winkte sie näher. »Fast hätte ich's vergessen: — Bachelier war da — der erste Kammerdiener des Königs! Er war sehr befriedigt — wirklich sehr entzückt! Sie können was darauf geben! Er ist ein Connaisseur! Stellen Sie sich gut mit ihm, falls Sie die Gelegenheit haben sollten! Seine Protektion ist nicht zu [113] verachten! Ich habe schon verschiedene Eventualitäten mit ihm besprochen! — Er wird dem König ein Wort sagen — er wird hoffentlich bald von sich hören lassen! — Ich denke — nach der Übersiedelung des Hofes nach Fontainebleau, bei einem der großen Gartenfeste, werden Sie Gelegenheit haben, den König mit Ihren Pirouetten zu bezaubern! Nun, warten wir es ab! Erst bringen wir all das andere in Ordnung — dann wollen wir sehen! Au revoir

Und gnädig winkend, entließ er die beiden Campanini, die jetzt endlich Zeit fanden, sich in die Garderobe zurückzuziehen.

Da gab's gleich mütterliche Ermahnungen und Gefühlsausbrüche durcheinander.

»Mia cara figlia! — Alles ist von dir begeistert! — Man rast vor Entzücken! — Die stolzesten Namen Frankreichs haben sich bei uns eingeschrieben! Die elegantesten Kavaliere von Paris! — Entzückende, graziöse Leute sind das! Die Edelknaben Parmas sind die reinen Bauerntölpel gegen sie! — Was uns da alles an Anerbietungen gemacht wurde! — Da gilt's aber aufzupassen und vorsichtig zu sein! — Ich werde schon meine Augen gebrauchen! Ich werde mich nach den Messieurs erkundigen! Verlaß dich darauf! — — Hast du dir auch die Namen gemerkt?«

»Keinen einzigen!«

»Keinen einzigen! — Entzückend! — Keinen einzigen hat sich das Kind gemerkt! — Und dabei sind das Namen, die die ganze Welt kennt! — Höre nur zu!« Sie ließ eine ganze Flut von Namen hervorwirbeln. Grafen, Herzoge, Prinzen von Geblüt schwirrten der Tochter nur so um die Ohren! — Schweigend saß sie da und ordnete selbst ihre Frisur. Denn eine Zofe hatte sie noch nicht.

»Morgen — morgen wird alles in bester Ordnung sein! Nichts brauchst du dir abgehen zu lassen, wenn du [114] nur auf mich hörst!« sagte die Mama, bedeutungsvoll lächelnd. — »Daß du mir aber keinem von all den Herren auch nur das geringste versprichst!«

»Sei nur ruhig!«

»Keinem von all den Messieurs, wie verlockend sie dir auch kommen! Sei freundlich zu ihnen allen! Ohne Ausnahme freundlich! Sag keinem ein Ja, aber auch kein Nein! — Laß sie glauben, was sie wollen — höre liebenswürdig zu und stoße sie nicht vor den Kopf! Werden sie aber zudringlich — wollen sie Antwort auf der Stelle, dann schicke sie nur zu mir — schicke sie überhaupt alle, ohne Ausnahme, zu mir!«

»Mit Wonne!«

»Es ist schon besser so! — Ich weiß sie richtiger zu behandeln — ich sehe gleich, was an ihnen ist — ich lenke schon alles zum besten! — Zunächst kapern wir den Prinzen von Carignan! Der zappelt schon im Netze — den hast du schon bezaubert! — — Kind — wenn du wüßtest, wie du mich heute glücklich gemacht hast!«

Und sie floß über vor Rührung.

»Ja, Signore Fossano«, fuhr sie den jetzt eintretenden bisherigen Beschützer an und nahm die Nase hoch, »Ihr seid jetzt distanziert! — Jetzt sollt Ihr's nur versuchen, dem armen Kinde die Siegesfreude zu dämpfen wie damals nach ihrem ersten großen Siege als Psyche! — Wie hat sie sich dann ducken müssen! Ins Herz hat's mir geschnitten, sie so grausam um die erste große Freude ihres Lebens gebracht zu sehen! — Jetzt lassen wir uns aber nicht mehr düpieren, Signore — jetzt seid Ihr der Düpierte! Ihr habt heute ausgespielt!«

»Meint Ihr?« lächelte Fossano ironisch.

»Nun, wer fragt wohl nach Euch? — Hat jemand auch nur ein einziges Wort an Euch gerichtet? — Hat man draußen ein einziges Mal >Fossano< gerufen? — Wo blieb Eure große Beliebtheit beim Publikum, mit der Ihr [115] Staat machtet? — Wo blieb auf einmal die Berühmtheit? — Nein, uns imponiert Ihr nicht mehr!«

»Ich sehe es«, sagte Fossano. »Ich erwarte auch gar nichts von Euch, Signora! Babara aber wird nicht vergessen, wer es war, der ihr den Weg zum heutigen Triumph geebnet hat! — Sie wird sich nicht der Dankespflicht entziehen, mir für die Mühe und die Arbeit, die ich mir mit ihr gegeben habe, erkenntlich zu sein! — Sie wird ihres Versprechens eingedenk bleiben, mir zu gehorchen und sich meiner Führung ganz anzuvertrauen!«

»Wir brauchen keine Führung! Wir wissen uns jetzt selbst zu helfen«, sagte die Domina brüsk. »Gewiß, wir sind Euch Dank schuldig, Signore — wir vergessen's nicht — wir sind nicht undankbar! Wir werden auch alles für Euch tun, was wir nur tun können! Unserer Protektion könnt Ihr jederzeit gewärtig sein!«

Es machte ihr eine grausame Freude, ihm das alles zu sagen. Sie hatte sich so lange vor ihm ducken müssen, daß sie lieber ihr Leben gelassen, als die Gelegenheit versäumt hätte, sich gegen ihn aufzulehnen. Und auch Babara war es aus dem Herzen gesprochen. Jedes Wort richtete sie innerlich auf — für jeden Hieb, den die Mutter ihm versetzte, fiel eine von den tausend Fesseln, die sie an ihn ketteten. Bis auf die letzte! Und die löste er selbst!

»Nicht wahr, Babara«, sagte er und verbiß seine Wut über die Ungezogenheit der alten Frau, »nicht wahr, du hast noch etwas übrig für mich? — Du bleibst mir treu? — Du hast noch ein wenig Dank für meine große Liebe zu dir?«

Er trat an sie heran und legte die Hand um ihre Schulter.

Da fuhr sie auf, wie von einer Schlange gebissen, und schlug ihn mit dem Handtuch, mit dem sie sich die Schminke abgewischt hatte, ins Gesicht.

»Ich hasse dich!« rief sie mit zornbebenden Lippen. [116] »Ich hasse dich und werde nie damit aufhören! Für jeden Schritt, den ich noch machen muß auf dem Wege, auf den du mich geführt hast, werde ich dich verfluchen und verabscheuen! Was ich habe, habe ich nicht von dir! Hast du mir aber geholfen, mich da zurechtzufinden — hast du mir das Höchste, das Heiligste im Leben gezeigt und mich es schätzen gelehrt, so hast du's getan, nur um es mir beschmutzen zu können! Jetzt bin ich drin — jetzt bin ich da, wo du mich haben wolltest! Laß mich jetzt zurechtfinden, so gut ich kann! Deiner bedarf ich nicht dazu! Komm mir jetzt nicht zu nahe! Geh! Hinaus — hinaus!«

Und sie trieb ihn, der sie mit weit offenen Augen anstaunte, rückwärts gegen den Ausgang und aus der Garderobe.

In der Tür stieß er mit Rameau zusammen, der kam, um sie zu beglückwünschen, und so den ganzen Auftritt mit angehört hatte.

Fossano drängte sich an ihm vorbei und ging schnell, hinter einem höhnischen Lachen seine Verlegenheit verbergend.

»Armes Kind«, sagte der alte Meister und streichelte ihre Hand, »wie schmerzt es mich, auch bei dir diese Erfahrung machen zu müssen! Nicht nur der Triumph — auch die entwürdigendste Erniedrigung ist dir geworden! Das ist die Kehrseite der Künstlerschaft, deren Herbheit keinem erspart zu bleiben scheint! Du wärest eines besseren Schicksals wert!«

Sie machte ihre Hand los, um ihre Tränen abzutrocknen. Ihre Lippen bebten noch vor Aufregung.

»Recht so!« setzte er fort, »nur dagegen ankämpfen — aus allen Kräften dagegen ankämpfen! — Mußt du auch um die Gunst Fortunas buhlen — mußt du, wie die meisten Künstler, den Preis zahlen, um das Recht, dich zu geben, zu erringen, so versuch wenigstens, dein Ureigenstes, deine Psyche rein und unbeschmutzt zu erhalten! Halte wenigstens den Trieb, dich in deiner Kunst zu geben, [117] rein und unberührt von den Verlockungen der Welt! Sonst ist's um dich geschehen!«

»Nur ruhig, Herr Musikmeister«, sagte die Domina, »sie wird schon ihren Weg machen! Da habt bloß keine Angst!«

»Sehr — sehr viel Angst habe ich um sie! Denkt Ihr, ich kümmere mich um die erste beste? Hier steht aber etwas ganz Seltenes — etwas in der Kunst noch nicht Dagewesenes auf dem Spiel! Das darf nicht gemißbraucht und durch den Schmutz geschleift werden! Da ist's heilige Pflicht zu reden! Und Ihr könnt Euch auf mich verlassen! Ich habe die bittere Erfahrung, die Ihr auch haben werdet, reichlich auskosten müssen! Um Gelegenheit zu haben, ein einziges schönes Lied zu singen und, ohne Rücksicht auf den Geschmack anderer Leute, mich voll und ganz in meiner Kunst zu geben, habe ich auch die Fratzen machen müssen, die die Welt sehen will!«

»Nun, dafür wurdet Ihr bezahlt!«

»Gewiß, Signora! Aber — ist man echt, kann man sich auch dann nicht ganz verleugen! Kunst wird eben alles, woran der echte Künstler rührt! Und es lebt, tant mieux, auch wenn die unsauberen Wünsche der Welt daran kleben! Die Gefahr ist, dabei der Welt zu unterliegen, zu versumpfen, zu veröden und seelisch abzusterben! — Da heißt's kämpfen — mit aller Macht, auch im Versinken, zur Höhe wollen! — Denn schließlich kommt doch der Moment der Befreiung, wo man auf einmal die Fessel abwirft und gegen die Sonne fliegen kann, wenn der Trieb hinauf noch lebendig blieb! Das ist das Wesentliche! Alles andere ist nur Nebensache! Und daran wollte ich eben mahnen, gerade jetzt, mitten im Triumph, wo die Versuchungen von allen Seiten auf Euch einstürmen! Nehmt den Wunsch für Euer Wohlergehen von einem alten Künstler an, der in Eurer Kunst eine der schönsten Offenbarungen seines Lebens gesehen hat!«

Er küßte ihr die Hand und ging bewegt. —— [118]

Die Signora brummte:

»Sie sind sich alle gleich! Neidisch, mißgünstig, der eine wie der andere! Immer kommen sie und suchen die Siegesfreude zu dämpfen! Nichts gönnen sie dir!«

Aber Babara hörte nicht zu. Sie stand da, in Gedanken versunken. — Sie war wieder im Dome zu Parma. Goldig strömte das Licht aus der Kuppel auf sie herab, und sie blickte wieder voll Sehnsucht hinauf zu den Glücklicheren, die befreit gegen das Licht hinaufschwebten, und wollte mit in ihren Reigen — fort von allem, was sie hier unten fesselte!

Die von Herzen kommenden Worte des alten Musikmeisters waren ihr ins Herz gedrungen und hatten da eine Saite vibrieren gemacht, die fortan den Grundton ihres ganzen Wesens angeben sollte. Sie fühlte sich wieder sicher — sie wußte, wohin! Und alles andere, wie es auch kommen mochte, wurde ihr gleichgültig.

Sie dachte nicht einmal daran.

Um so mehr tat es aber die Mama!


9

Im königlichen Schlafzimmer des Schlosses zu Fontainebleau waltete noch Gott Morpheus seines Amtes. — Allerdings nicht ganz gehorsamst! — Denn der allerchristlichste Monarch — Ludwig der Vielgeliebte — war zu seinem eigenen Entsetzen längst wach.

Müde von den Jagden des vorhergehenden Tages, hatte er beschlossen, sich heute gründlich auszuschlafen.

Aber draußen schien die Sonne, die Vögel zwitscherten, und auch das allerhöchste böse Gewissen ließ seine Stimme hören. Laut und vernehmbar sprach es, und weit respektloser, als es der Gemütsruhe — oder, sagen wir, dem Schlaf — eines großen Königs zuträglich war.

Er, dessen Macht unbegrenzt war, konnte nichts dagegen [119] tun. Er hatte am Abend befohlen, daß es heute erst viel später Tag werden sollte bei ihm. Und das Wort eines Königs ist heilig!

Er mußte sich also mit seinem bösen Gewissen abgeben, ob er wollte oder nicht. Jeder Versuch, einzuschlafen, war vergeblich! — Drehte er sich auf die linke Seite, so flüsterte es ihm ins rechte Ohr, und er hörte die Stimme seines Erziehers, des guten Kardinals Fleury, wie sie sich in ernster Mißbilligung seines sittenlosen Lebens erging; legte er sich aufs rechte Ohr, so raunte es ihm ins linke von dem schweren Unrecht, das er seiner getreuen Gemahlin, der guten Königin Maria Leszczynska, antat, als er ihr eine Nebenbuhlerin nach der anderen bescherte; und begrub er den Kopf ganz in den Kissen, dann summte ihm ein ganzer Schwarm zärtlicher Frauenstimmen um den Kopf und zauberte ihm wollüstige Bilder vor. — — Es war zum Wahnsinnigwerden!

Und doch war etwas dabei, was ihn gewissermaßen beruhigte. In puncto Regieren war sein Gewissen rein! — In der Beziehung schwieg die mahnende Stimme.

Er war also ein ausgezeichneter König! — Menschlich vielleicht nicht ganz einwandfrei — aber sonst — — wer könnte ihm etwas vorwerfen? Er führte ja die Geschäfte nicht selbst — er kümmerte sich fast gar nicht um die ganze Geschichte, konnte also unmöglich den geringsten Fehler begangen haben! — Das besorgten schon die Minister! — Das auch! — Mein Gott — wozu waren sie schließlich da?!

Aber die Weiber! — Da war etwas dabei, was ihn zum mindesten beunruhigte!

Er liebte sie — er verehrte sie! Und schließlich sollte das den holden Schönen genügen!

Aber sie wollten mehr! — Sie wollten Macht — oder andere wollten sie durch sie! — Wenn er da nicht von vornherein aufpaßte, würden sie ihn schließlich zwingen, in höchsteigener Person etwas zu wollen — ja, gar [120] zu regieren! — Und da wäre es um seine Ruhe geschehen!

Der Gedanke erschreckte ihn so, daß er sich plötzlich im Bette aufsetzte und nach der brillantierten Uhr auf dem Nachttische griff. Noch eine ganze Stunde bis zu dem für das Lever festgesetzten Glockenschlag!

Seufzend warf er sich wieder im Bette zurück und nahm sich vor, mit dem bösen Gewissen aufzuräumen.

Mit der Königin wurde er am schnellsten fertig.

Erstens war er nicht nur König, sondern auch ein Mann von Welt und hatte also gewisse Privilegien in amourösen Dingen, die sie als Frau und fromme Dienerin der Kirche nicht begreifen konnte oder durfte, und die er ihr also nicht klarzumachen brauchte!

Zweitens hatte sie die nicht ganz einwandfreie Gabe, ihm Töchter zu bescheren. Manchmal sogar zwei auf einmal! — Zum mindesten war das langweilig! Und die Langeweile war nicht seine Sache!

Drittens — und das war das schlimmste — war sie, wenn auch unfreiwillig, die Veranlassung zu einer höchsteigenen Willensäußerung, ja zu einer persönlichen Regierungshandlung Seiner, in dieser Hinsicht äußerst maßvollen königlichen Majestät gewesen!

Er hatte ihretwegen seinen Premierminister und lieben Vetter, den Herzog von Condé, höchstselbst zum Teufel gejagt, sobald er merkte, daß dieser, im Verein mit seiner Geliebten, Madame du Prie, ihm die Maria Leszczynska als Königin zugeführt hatte, nur um durch sie Einfluß auszuüben! — Allerdings merkte er's erst nachträglich, mit Hilfe seines getreuen Richelieu! — Aber es hatte die Bedeutung einer Katastrophe seines Gemütslebens gehabt! Seit dem Augenblick war das Mißtrauen wach und verleidete ihm auch jede illegitime Liaison!

Die gute du Mailly und ihre Schwestern, die sich mit ihr in sein Herz teilten, repräsentierten ebenso viele herrschsüchtige Cliquen des hohen Adels! Und was nach [121] ihnen käme — wer könnte wissen, was das mit sich brächte?!

Sie würden ihn zwingen, sich im Kreise der Bürgerschaft eine Freundin zu wählen, damit er Ruhe hätte!

Allerdings drängte sich auch da bereits jemand an ihn heran! Die kleine d'Etioles — die geborene Poisson — wer konnte wissen, ob sie nicht auch von irgendwelchen Kreisen geschoben wurde? — Bachelier wußte da so viel Bedenkliches zu erzählen! Auch da galt es, sich in acht zu nehmen!

Wo er sich auch hinwandte, überall flüsterte man ihm bald über diese, bald über jene Schönheit Empfehlendes zu! Richelieu hatte einen unerschöpflichen Vorrat an Protegés, für die er plädierte! Und seit einiger Zeit lag ihm, zum Überfluß, noch der Geck Carignan in den Ohren mit jener Tänzerin, von der ganz Paris sprach! — Man würde sie wohl ansehen müssen! — Aber nur ansehen!

Denn in betreff jener Dame schwieg das Mißtrauen Bacheliers total! — Er nahm sich sogar heraus, Zuversicht zu äußern — ja, begeistert von ihr zu reden! — Das war gefährlich! Der Hüter des allerhöchsten Mißtrauens funktionierte nicht mehr! Da galt es aufzupassen! Jene Dame durfte also gar nicht in seine Nähe! — Sie sollte nie bei Hofe tanzen! — Niemals!

Er setzte sich wieder auf.

Wozu hier liegen und sich wegen der eigenen Weibergeschichten Gedanken machen?! — Er war ja der König! — Er hatte sich also vor allem mit dem Sündenregister seiner lieben Untertanen zu befassen! Das war doch seine landesväterliche Pflicht! Man durfte nicht nur an sich selbst denken!

Wenn er aber an seine Landeskinder dachte, da schwieg das höchsteigene böse Gewissen vollends! Denn was die Leute zustande brachten, das spottete jeder Beschreibung! — — Allerdings fingen die Nachrichten an, in der letzten Zeit spärlich zu fließen! — Das Schwarze Kabinett lieferte [122] auf einmal nur politische Nachrichten — statt der befohlenen Resümees aus den täglichen Liebesbriefen! Der Generalpostmeister war wohl amtsmüde?

Ob gestern auch nichts passiert war? — — Das mußte er sofort wissen!

»Bachelier!« rief er. Aber niemand hörte. Kein Bachelier meldete sich.

Entgegen aller Etikette warf der König die Decke ab, setzte sich auf, warf höchstselbst den Schlafrock um, ging zur Tür, öffnete sie und rief:»Bachelier soll kommen!« — Eilte dann wieder zum Bette, schlüpfte in die Pfühle zurück und wartete den Effekt ab!

Bachelier kam atemlos herbeigestürzt und wurde sehr unsanft empfangen.

»Man muß ein König von Frankreich sein, um so schlecht bedient zu werden! — Wir müssen uns selbst aufwarten — müssen aus dem Bette steigen — allein, ganz allein! Wir müssen sogar rufen! Wenn wir hier verrecken, kein Mensch kümmert sich darum, kein Mensch ist da! Obwohl wir das Haus voller Tagediebe haben! — Sonst lauschst du immer an den Türen!«

»Majestät wollen gnädigst verzeihen! Ich hatte aber strengen Befehl, erst um elf anzuklopfen!«

»Und wenn ich nun um zehn sterbe?«

»Der Himmel bewahre uns vor dem Unglück!«

»Du bedienst uns schlecht, Bachelier! Wir sind mit dir unzufrieden! Seit einer Woche hast du uns nichts zu erzählen! — Wenn du wenigstens so viel Eifer zeigtest, uns den Bericht des Generalpostmeisters zu bringen! Aber auch da müssen wir erst befehlen! — Schnell, den Bericht — oder —« und die Blicke des Königs wurden scharf und stechend — »oder sollte auch gestern in meinem Lande nichts vorgefallen sein? Sind wir nach einer Wüste verschlagen — von lauter Schlafmützen umgeben? — Sind meine Granden alle heilig geworden?«

[123]

»Alles andere, nur das nicht! Sie sind so unternehmend wie immer!«

»Gott sei Dank! Wir fürchteten schon, der einzige zu sein, der hier etwas Courage hätte! Denke dir, Bachelier, wir liegen hier seit Stunden und ängstigen uns wegen der paar Weibergeschichten, die wir uns geleistet haben! Wir mußten böses Gewissen erdulden — wir kamen sogar in Versuchung, uns schwer schuldig zu fühlen — bloß, weil das Schwarze Kabinett seit geraumer Zeit von andrer Leute Laster schwieg — wir mußten uns geradezu als einziger Sünder in ganz Frankreich vorkommen — wir haben Höllenqualen gelitten!«

»Entsetzlich!«

»Nicht wahr?! Da ist es doch zu verstehen, wenn wir so etwas wie Neugier empfinden! Und du läßt uns warten!«

»Ich bitte alleruntertänigst, Gnade walten zu lassen! Es soll nie wieder vorkommen!«

»Für diesmal denn — wenn du endlich zu berichten beliebst!«

»Befehlen Majestät erst das Resümee der gestrigen Begebenheiten — oder den Bericht des Postmeisters?«

»Erst das Resümee!«

»Ich gestatte mir denn alleruntertänigst zu melden, daß Mademoiselle, Madame du Charolais — —«

»Von Mademoiselle wollen wir nichts wissen! Sie ist unsere Freundin!«

»Eben! Und da ist es von Gewicht, daß sie gestern gebeichtet hat!«

»Kennt man die Beichte schon?«

»Zu dem Zwecke hat sie sie ja abgelegt!«

»Was hat sie denn gestanden?«

»Für ihre Person nichts! Sie beichtet ja nur die Vergehen ihrer Freunde!«

»Himmel, wie wird sie mich denn beim lieben Gott [124] blamiert haben! — Daher das böse Gewissen zu solch ungelegener Zeit! Wer war denn ihr Beichtvater?«

»Wer denn sonst, als der Mitwisser aller Boudoirgeheimnisse — der treue Freund und Berater aller galanten Damen von Welt — —«

»Abbé Bernis?«

»Sehr richtig.«

»Dann ist Gefahr im Verzug! — Schnell ein lettre de cachet

»Ich war schon so frei, es mitzubringen!«

»Du bist ein getreuer Diener, Bachelier! Rasch, fülle es aus!«

»Es ist bereits geschehen!«

»Sieh nur, wie eifrig! Ja, bist du denn sicher, daß wir ihn nicht zum Minister machen wollen?«

»Ich gestatte mir sogar, gehorsamst anzunehmen, daß er einmal ein sehr hohes Staatsamt bekleiden wird!«

»Und trotzdem schickst du ihn in die Bastille?«

»Nicht trotzdem, sondern zu dem Zweck! Damit er beizeiten dem allerhöchsten Willen gefügig wird!«

»Sehr gut! Schicke ihn also hin!«

»Er ist schon da!«

»Das auch noch! Sage mir, Bachelier, wen verdammst du noch dazu? Erledigen wir erst die Bastille! Wen schicken wir heute noch hin?«

»Den Dichter Voltaire!«

»Was hat denn der verbrochen?«

»Er hat sich gestern auf offener Straße durchprügeln lassen!«

»Nun, dann hat er ja, was er braucht!«

»Zu Befehl, Sire! Diesmal war er aber unschuldig!«

»Er hat sooft keine Prügel bekommen, wenn er welche hätte haben müssen! Und schließlich: wenn er in die Lage [125] kommt, welche zu bekommen, dann hat er sie sicher verdient!«

»Er scheint anderer Ansicht zu sein! Er schickt uns diese Bittschrift!«

»Ad acta legen! Dieser suffisante Mensch! Er hat seinen Teil, und er suppliziert noch! Er malträtiert uns! Von der öffentlichen Ordnung nicht zu reden, die er durch den Skandal gestört hat! In die Bastille mit ihm!«

»Zu Befehl, Sire, es ist ihm schon besorgt!«

»Sag mal, Bachelier, es wird wohl gut sein, wir schicken dich auch hin! Du wirst schon dreist!«

Bachelier zitterte — lächelte aber gehorsamst mit, da der König selbst bei dem Gedanken lachte.

»Das wäre schon das beste, Bachelier! Aber wer schickt mir denn die anderen hin? Sei also unbesorgt! Und jetzt den Bericht des Generalpostmeisters! Wer figuriert auf der Liste heute? Richelieu?«

»Leider nicht!«

»Der Graf von Sachsen?«

»Auch nicht!«

»Unser Vetter de Chartres? — Der Prinz de Conti? Der Herzog de la Vallière? — d'Argenson? — Maurepas?«

»Seine Exzellenz der Marineminister, ja!« sagte Bachelier, der bei den anderen Namen den Kopf geschüttelt hatte. — »Die hohen Herren sind alle in der Benutzung der Post sehr vorsichtig geworden! Wenn sie nicht gerade andere kompromittieren wollen, senden sie jetzt alles durch Boten!«

»Und warum macht Maurepas da eine Ausnahme?«

»Damit man weiß, daß auch er zu den Verehrern der Tänzerin Barberini zählt!«

»Jene Tänzerin, von der alle Welt — und auch du — uns vorschwärmt?«

»Ganz recht!«

»Sie scheint hier zu gefallen?«

»Alles liegt ihr zu Füßen! — Das heißt, alles, was [126] sich die Erlaubnis der Frau Mama zu erwirken vermochte! Und das sind viele!«

»Wer?«

»Offiziell nur Seine Hoheit der Herr Prinz von Carignan!«

»Das läßt sich denken! Sie ist also seine Geliebte geworden?«

»Seine Hoheit hat ihr ein Hotel einrichten lassen, ihr Toiletten, Schmuck, Gespann geschenkt und ihr eine artige Rente ausgesetzt!«

»Das kann unserer Oper teuer zu stehen kommen — wenn sie ihm Treue hält!«

»Treue ist ein Wort, das sie nicht zu kennen scheint!«

»Glaubst du?«

»Wir haben gestern nicht weniger als zwei Dutzend Briefe ihrer Mama an ebenso viele Verehrer der schönen Dame aufgefangen! Die Briefe waren alle sehr deutlich! Die Mama wird bald ein artiges Vermögen zusammengebracht haben!«

»Zwei Dutzend Verehrer?!«

»Zu Befehl!«

»Und alle begünstigt?«

»Zweifelsohne! — Wenn man bedenkt, daß sie bloß achtzehn Jahre ist und keine drei Monate in Paris — —«

»Eine sehr respektable Leistung!«

»Sie hat eben eine sehr respektable Mutter, Sire!«

»Wer sind denn die Glücklichen?«

»Der Prinz de Conti war darunter! Dann der Marquis de Thibouville, der Herzog von Durfort und der Bischof von — —«

Bachelier flüsterte dem König respektvoll einen Namen zu. Der König lachte.

»Also Hochwürden auch! — Sie scheint jedenfalls keinen üblen Geschmack zu haben! — Und von alledem hat Carignan keine Ahnung?«

»Nein! Seiner Hoheit Ahnungsvermögen scheint in [127] betreff ihrer leiblichen Reize vollauf zu tun zu haben! Denn er ist immer noch rasend verliebt! Und also blind für alles andere!«

»Seine Liebe scheint ihn aber auch stumm zu machen! Das letztemal hat er uns kein Wort mehr von ihr gesagt!«

»Er wird fürchten, schon zuviel gesagt zu haben!«

»Wir sind damit nicht unzufrieden! Aber — er ist ein Geck! Wir wollen ihn heute beim Lever ein wenig vornehmen! Mit wem gedenkt sie ihn heute zu betrügen?«

»Für heute hat sich Mylord Arundel bei ihr zum Souper angesagt!«

»Der tolle Engländer?! Wir haben von ihm gehört! Er scheint sich vorgenommen zu haben, auf dem Felde der Galanterie Frankreich zu erobern! Das geht nicht, Bachelier! Wir gönnen zwar unserem Vetter von Carignan seine Hörner! Er ist aber nicht nur unser Vetter — er ist auch General unserer Armee! — Und die Ehre unserer Armee erlaubt keine englischen Victoiren! — Wir müssen da Sukkurs geben, Bachelier!«

»Wenn Majestät nur zu befehlen geruhen, daß sie heute in Fontainebleau tanzt — dann wird sie heute nicht in Paris soupieren können.«

»Nein, nein! — Wir wollen nicht in Versuchung kommen! — Wir neigen zu sehr dazu, aus einem gelegentlichen Amüsement Folgerungen zu ziehen, die uns nachher lästig werden! Wir sind zu sehr Gewohnheitsmensch! — Wir haben schon zuviel an unseren Fesseln zu tragen! Wir wollen von jener Dame nichts mehr hören! Kein Wort, Bachelier! Kein Wort!«

Und er warf sich in die Kissen zurück und erwartete mit Ungeduld von seinem Getreuen den striktesten Ungehorsam. Aber Bachelier blieb stumm.

»Sag mal, Bachelier«, fing der König von neuem wieder an, »ist sie wirklich so hübsch?«

»Wie ich schon zu berichten die Ehre hatte, liegt ganz Paris ihr zu Füßen!«

[128]

»Dann wird sie sicher ein Scheusal sein! Nicht wahr, Bachelier — sie ist abscheulich?«

»Zu Befehl, Sire, abscheulich wie Venus selbst!«

Der König schwieg einen Augenblick. Dann fragte er — anscheinend ganz gleichgültig:

»Welches Ballett steht heute abend auf dem Programm?«

»Der Herzog von Richelieu glaubte, da Ihre Majestät die Königin in Versailles geblieben ist, heute von den feierlichen Sachen absehen zu müssen!«

»Also, was wird denn getanzt?«

»Das Urteil des Paris —«

»Wer stellt die Venus dar?«

»Madame Sallé!«

»Das kann man mir unmöglich zumuten!«

»Eigentlich gibt es nur eine, die die Göttin der Liebe mit voller Illusion verkörpern kann, und das ist, nach Ansicht aller Kenner — —«

»Die Dame Barberini! — Ich weiß! — Man liegt mir seit Wochen in den Ohren damit! Als hätte ich gar nichts dabei zu bestimmen! Ja, sag einmal, Bachelier, wer gibt denn hier an unserem Hofe eigentlich den Ton an?«

»Wer würde sich wohl erdreisten, da den allerhöchsten Entschließungen vorzugreifen?!«

»Das möchte ich auch wissen! Man scheint da aber revoltieren zu wollen! — Man trifft Entscheidungen ohne uns! — Das geht nicht! Jene — — Dame soll heute tanzen! — Aber nur, weil man, ohne uns zu fragen, eine andere dazu designiert hat! Wir wollen zeigen, wer hier regiert! — Sie soll also die Venus darstellen! Und wir — wollen sie schlecht finden! Wir wollen uns nicht weiter von dem Gerede irritieren lassen! Du sollst gleich einen Kurier nach Paris senden! Aber unser guter Vetter Carignan darf es nicht wissen! Es soll eine Surprise für ihn sein! Du veranlaßt also alles!«

[129]

»Zu Befehl!«

»Und jetzt laß mich in Ruhe!« Bachelier ging.

»Bachelier!« rief der König ihm nach, ehe er noch an die Tür gelangt war.

»Majestät befehlen?«

»Wir hatten dir den Auftrag gegeben, für alle Fälle auch jene Tänzerin — anzusehen! Wir wollen immer sicher gehen! Hast du den Auftrag erfüllt?«

»Zu Befehl, ja!«

»Du hast also Gelegenheit gehabt?«

»Ja. Ich gab der Mutter ein angemessenes Geschenk und bekam dann Gelegenheit, sie aus einem Versteck beim Baden zu beobachten!«

»Nun?«

»Wie eine griechische Statue! — In jeder Beziehung vollendet! — Meine Augen haben noch nie etwas Schöneres gesehen!«

»Wir wollen dich heute eines Besseren belehren! Du kannst gehen!«

Bachelier ging, war aber jetzt nicht einmal halbwegs bis zur Tür gelangt, als der König — jetzt aber sehr aufgeregt — rief:

»Sage einmal, Bachelier — hast du sie dir auch ganz genau angesehen?«

Bachelier zitterte und antwortete nicht. Der König blickte ihn scharf an.

»Hatte sie auch gar keine Leberflecken?«

Bachelier wurde immer blasser. Er kannte die Angst Ludwigs vor den Blattern und wußte, daß er immer an jene Krankheit denken mußte, wenn ihm derartige Schönheitsflecken zu Gesicht kamen. Sein Abscheu davor war unüberwindlich.

Ludwig konnte nicht umhin, die Verlegenheit seines Getreuen zu bemerken.

»Du wirst auf einmal so still? — Du zitterst?! — Also, hat sie welche?«

[130]

»Ich gesteh's«, stotterte Bachelier — »ich habe sie im Verdacht! — Ich glaube etwas bemerkt zu haben! — Bestimmt kann ich's aber nicht behaupten! Aber etwas ganz Kleines — fast Unscheinbares — unter dem linken Busen war's!«

»Gnad' dir Gott!«

»Von meinem Versteck aus war's nicht genau zu kontrollieren! Ich habe aber die Signora, ihre Mutter, nachher examiniert! Und sie hat mir auf Ehre versichert, daß die Schönheit der Tochter makellos sei! — Bei der Jungfrau hat sie's beschworen!«

»Da hat sie sicher einen!« rief Ludwig entsetzt. »Und so etwas empfiehlst du mir! Du wagst sogar, mir von ihr vorzuschwärmen! Ich dachte, ich hätte in dir einen treuen Diener, Bachelier — ich sehe aber, ich habe mich geirrt! Du hast mein Vertrauen mißbraucht — du kannst nicht mehr in meiner Nähe sein! Betrügst du mich in einer Sache, dann wirst du mich auch in anderen Dingen hintergehen!«

»Eure Majestät wollen doch gnädigst in Anbetracht meiner langjährigen treuen Dienste geruhen, Gnade walten zu lassen. Eure Majestät wollen doch höchstselbst sich heute abend überzeugen, daß jene Mißgestaltung bei ihr kaum noch als solche zu betrachten ist!«

»Wir wollen dein Schicksal vom Ausfall unserer Besichtigung abhängig machen! — Sie soll heute tanzen — du fertigst sofort den Kurier ab! — Wenn ich aber degoutiert werde, Bachelier, dann brauchst du morgen nicht mehr Dienst zu tun! Du kannst gehen!«

Bachelier ging.

Kurz darauf schlug die Stunde, wo die Sonne Frankreichs aus den Wolken zu steigen geruhte. Ludwig erhob sich aus den Pfühlen. Das Lever begann. Das kleine Entree der höchsten Würdenträger fand statt — das große Entree der Fernerstehenden folgt — das Hemd Frankreichs wurde gewechselt, und heute hatte der Prinz von [131] Carignan den Vorzug, es, von allen beneidet, zu überreichen.

Der König war sehr aufgeräumt.

»Wir sind allerdings keine Tänzerin, mein lieber Vetter«, lachte er. »Aber wir wollen doch Ihre Dienste in betreff des Hemdes annehmen, damit Ihr nicht aus der Übung kommt! Wie wir hören, seid Ihr bei Eurer neuesten Eroberung, bei jener vielgerühmten italienischen Tänzerin, noch nicht so weit gekommen!«

Der Hof lachte. Carignan verbiß sich den Ärger.

»Macht deswegen kein betrübtes Gesicht, lieber Vetter«, fuhr der König gnädig fort. »Unsere königliche Fürsorge ist schon darauf bedacht gewesen, für Abhilfe zu sorgen! — Wir haben also angeordnet, daß die Dame Barberini im heutigen Ballett die Rolle der Venus zu übernehmen hat! — Wir haben von ihrer Sprödigkeit Euch gegenüber gehört! — Wir wollen sie denn unserem ganzen Hofe entschleiern — als gerechte Strafe für sie! — So bekommt Ihr sie auch einmal zu sehen!«

Der Hof war entzückt. — Carignan machte gute Miene zum bösen Spiel. — — Der Tag verging. Der Abend kam und mit dem Abend das Ballett.

Der ganze Hof war versammelt. Die Damen im Glanz ihrer Schönheit und ihrer Toiletten, vor allem die Damen des intimen Kreises: die Gräfin von Toulouse, Madame du Charolais, die Gräfin du Mailly und ihre beiden Schwestern. — Eine gewisse Unruhe hatte sich ihrer bemächtigt. Sie hatten alle von der neuen Schönheit gehört und der Neugier des Königs, sie zu sehen, geschickt entgegenzuarbeiten gewußt. Ihr Schicksal konnte davon abhängig sein, ob sie dem König gefiele oder nicht. Denn seine Entschließungen waren unberechenbar. Und sein Befehl, heute die gefürchtete Schöne vorzustellen, war so plötzlich gekommen, daß dagegen nichts hatte unternommen werden können!

Die Spannung stieg, je weiter der Abend fortschritt.

[132]

Ludwig lag, behaglich ausgestreckt, in seinem Fauteuil, in der ersten Reihe — er schien sehr aufgeräumt zu sein, plauderte angeregt mit seiner Nachbarin, der Gräfin von Toulouse, und blickte gelegentlich auch die Auftretenden an.

Endlich kam der große Moment, wo die Göttin der Liebe Paris naht. Barberina betrat die Bühne. Ein Ausruf der Bewunderung unter den Zuschauern! Dann wurde alles still. Auch der König schwieg und blickte, wie alle anderen, gespannt die schöne Erscheinung an.

Nur eine blickte nicht hin. Es war die Gräfin du Mailly. Sie hatte nur Augen für den König.

Der große Moment der Entschleierung kam, die letzte Hülle fiel. Venus zeigte sich den entzückten Blicken des trojanischen Hirten in vollendeter Grazie, mit den lässig erhobenen Armen den letzten Schleier lüftend — —

Der König sah sie mit Kennermiene an, nickte wiederholt, nahm schließlich die Lorgnette und hielt sie an die Augen.

Plötzlich ließ er sie fallen. — Ein kurzer Ausruf, den niemand verstand, entfloh seinen Lippen. — Er erhob sich halb aus dem Sessel, sichtbar aufgeregt, und fiel dann zurück.

Seine Aufregung fiel allgemein auf. Man fing an zu flüstern — man zog sich von der Gräfin du Mailly zurück. Sie saß da, bleich, zerknirscht und von ihrer vermeintlichen Niederlage überzeugt.

Noch einmal hob die Barberina den Schleier — noch einmal hielt Ludwig die Lorgnette an die Augen — kein Zweifel, dort, unter dem linken Busen, war er zu sehen — deutlich zu sehen, jener winzige Fleck, vor dem er eine solche Aversion hatte! Kein Zweifel!

Er ließ die Lorgnette wieder fallen und saß da, stumm das Ende der Vorstellung abwartend. Dann stand er auf, ohne sich um die Damen zu kümmern, rief seinen Maître des plaisirs, den Herzog von Richelieu, und zog [133] sich, von ihm allein begleitet, in seine Gemächer zurück. Im Saale war alles in heller Aufregung. Auf der Bühne ebenso, wo Carignan Barberina strahlend zu ihrem Sieg beglückwünschte.

»Noch niemals, solange ich mich erinnern kann, zeigte Majestät eine solche Teilnahme! — Sie haben einen Erfolg gehabt, wie nur Sie ihn haben konnten! Sie werden noch heute mit dem König soupieren — er zog sich mit Richelieu zurück! Dieser wird sicherlich alles veranlassen. Vergessen Sie aber in Ihrem Glück Ihren getreuen Diener nicht! — Vergessen Sie nicht, wer Ihnen den Weg ebnete!«

Er wurde von einem Kammerdiener des Königs unterbrochen, der zu Barberina herantrat und ihr ein Etui überreichte. Und dieser Kammerdiener war nicht Bachelier, sondern der Onkel der Madame d'Etioles, der bisherige zweite Kammerdiener, Binet.

»Von Seiner Majestät dem König«, sagte Binet herablassend, als sei er selbst die Majestät, und öffnete das Etui, das einen kostbaren Schmuck von Brillanten und Saphiren enthielt. — »Seine Majestät lassen allerhöchst Dero Zufriedenheit mit Mademoiselle aussprechen sowie Dero Absicht, Mademoiselle demnächst in Versailles im Beisein Ihrer Majestät der Königin — in einer anderen Rolle tanzen zu sehen!«

Sprach's, verbeugte sich kalt und ging.

Das war der ausgesprochenste Mißerfolg! — Keine persönliche Vorstellung — kein Souper! — Ein kostbarer Schmuck allerdings — aber die allerhöchste Befriedigung durch den Mund eines Lakaien — —!

Barberina erblaßte, biß sich auf die Lippen, verlor aber die Contenance nicht.

»Ich bitte mir aus, Monseigneur«, sagte sie dann gelassen zu Carignan, der wie ein begossener Pudel dastand, »ich bitte mir aus, mir in Versailles einen anderen Partner geben zu wollen, der mir nicht die Szene verdirbt! — [134] Mit Signore Fossano tanze ich nicht mehr! Er quält mich, er irritiert mich! Und wie hat er als Tänzer dekliniert!«

»Allerdings, mein lieber Fossano«, sagte Carignan, froh, seinen Ärger an jemand auslassen zu können, »ich kann nicht umhin, Ihnen zu sagen, daß Sie mir in diesem Jahre Enttäuschung über Enttäuschung bereiten! Sie sind lange nicht mehr der geistvolle Tänzer, als den ich Sie bisher kannte und bewunderte! Ihr Engagement war ein Fehler! Nun — er hat uns unsere liebe Freundin hier gebracht — das wollen wir Ihnen zugute halten. Aber bei Hofe haben Sie ausgetanzt!«

Womit er die Bühne verließ und sich zum König begab, der ihm jedoch sagen ließ, daß er seiner Dienste heute nicht mehr bedürfe.

Der König konferierte mit dem Herzog von Richelieu.

Hochwichtige Entscheidungen von weitestgehender politischer Tragweite wurden getroffen. — Bachelier, der allmächtige Hüter der Schlafzimmergeheimnisse Seiner Majestät, war in Ungnade gefallen, und Richelieu hatte geschickt die Gelegenheit benutzt, seinen Protegé, Binet, in Erinnerung zu bringen. Und so wurde die Brücke geschlagen, über die die schöne Madame d'Etioles, geborene Poisson, spätere Marquise de Pompadour, ihren Einzug ins Allerheiligste halten sollte, um da unumschränkt zu gebieten!

Das Schicksal Frankreichs war entschieden!

Wer weiß aber, wie es sich gestaltet hätte, wenn die schöne Barberina nicht jenen fast unmerklichen Leberflecken unter dem linken Busen gehabt hätte und Bachelier nicht so ehrlich gewesen wäre, dessen unseliges Vorhandensein dem Könige zu verraten?!


[135]

10

Seine Hoheit verbrachte eine schlaflose Nacht.

Das Fehlschlagen seines Planes mit Barberina war für ihn eine Katastrophe, die seine schönsten Hoffnungen vernichtete. Statt, wie er gehofft hatte, die Geschicke des Welttheaters zu lenken, war er mit einem Schlage in seine frühere Einflußlosigkeit zurückgeworfen und mußte sich auf die kleine Welt der königlichen Theater beschränken, wo niemand ihn respektierte — wo die kleinste Choristin ihn auslachen konnte.

In aller Frühe ließ er Fossano rufen, der nach langem Warten endlich erschien, müde, verschlafen und ebenso verärgert wie Hoheit selbst.

Er wurde mit den heftigsten Vorwürfen empfangen.

»Sie haben mich betrogen, Signore! Sie haben mich hintergangen! Sie haben die Barberina als eine makellose Künstlerin bei mir eingeführt! Sie haben ihre Gebrechen verheimlicht! — Diese scheußliche Verunstaltung, von der Sie wissen mußten, haben Sie verschwiegen! Sie haben mich blamiert, den ganzen Hof degoutiert — den Zorn des allerchristlichsten Königs gegen mich heraufbeschworen! Ist das der Dank für meine Protektion? — Schweigen Sie! — Reden Sie nicht! Machen Sie Ihre Verfehlung nicht durch Ausflüchte noch schlimmer! — Von jenem Leberfleck haben Sie gewußt! — Was sage ich, >Fleck<? Eine Landkarte war's! — Wer so etwas hat, zeigt sich nicht nackt — oder verdeckt sein Gebrechen mit Schminke! — Man renommiert doch nicht mit seiner Abstammung von Negern! Man kokettiert nicht mit einer Haut wie Ebenholz! Man tritt nicht vor den Augen Seiner Majestät auf, um seinen Schönheitssinn zu beleidigen und seine Geduld auf die Probe zu setzen! — Man erklärt sich unwürdig und bleibt dem Hofe fern! — — Und Sie selbst — wie haben Sie getanzt?! Miserabel — ganz miserabel!«

[136]

»Ich war wahnsinnig vor Eifersucht!«

»Mon Dieu, fangen Sie nicht auch an, mit solchen altmodischen Gefühlen zu prahlen! — Wären Sie wenigstens der alte geblieben! Hätten Sie's verstanden, alle Augen auf sich zu lenken wie früher! Da war Ihr Auftreten immer eine Sensation! Seine Majestät waren charmiert, haben mich stets komplimentiert! Und gestern kein Wort — keine Miene verzogen! Nicht einmal das übliche, befriedigte >Ah< bei Ihrem Erscheinen! Ich weiß nicht, ob ich Sie noch auftreten lassen kann!«

»Hoheit müssen mich verstehen! Ich bin doch auch nur ein Mensch! Und sie quält mich! Bei jedem Auftreten bringt sie mich außer mir durch ihr verächtliches Benehmen! — So auch gestern! Ich verlor ganz den Kopf! Die kühle Ruhe, die zum überlegenen Tanzen nötig ist, war hin! Statt mich ganz in die Lösung der künstlerischen Aufgabe zu versenken, dachte ich nur an sie! — Diese einzige Schönheit, die ich wie ein Juwel gehütet hatte und die seit dem einen Male, wo sie sich mir unverhüllt offenbarte, allen anderen Augen unzugänglich war, sollte jetzt den lüsternen Blicken dieser Roués der Hofgesellschaft preisgegeben und als Dekoration eines höfischen Festes zur Schau gestellt werden! Das machte mich verrückt! Ich tanzte schlecht! Insofern verdiene ich die Vorwürfe Eurer Hoheit!«

»Sehen Sie!«

»Dann kam aber statt des Triumphs der eklatante Mißerfolg Barberinas! Das hat mich wieder aufgerichtet! Jetzt bin ich wieder Herr meiner selbst! Jetzt bin ich wieder der alte! Wenn Hoheit jetzt befehlen, lege ich mir wieder Paris zu Füßen!«

»Umsonst, mein Lieber! Sie werden nie wieder bei Hofe tanzen! Sie haben mich betrogen! Sie haben mich schwer getäuscht! Wenn Sie jene Dame so intim kannten, hätten Sie mich auf jenes Gebrechen aufmerksam machen müssen!«

[137]

»Wenn jenes Gebrechen wirklich existierte, hätte ich es getan!«

»Sie wagen zu leugnen, was alle Welt gesehen hat?!«

»Hoheit müssen es doch selbst am besten wissen! Hoheit haben ja die Gnade gehabt, ihr ein Hotel einzurichten! Hoheit gelten doch vor aller Welt als ihr bevorzugter Beschützer!«

»Mon Dieu!! — Das ist eine Sache für sich! Die Intimität aber auch! Und — Sie wissen — ich war durch mein Amt am Hofe die letzte Zeit sehr in Anspruch genommen! Dienstlich verhindert sozusagen!«

»Dann wäre es wohl angebracht, wenn Hoheit sich jetzt herbeiließen, sich Höchstselbst vom Vorhandensein jenes ominösen Leberfleckens zu überzeugen — —?«

»Wozu? — Er ist vorhanden, nachdem unser allerchristlichster König geruht haben, es Allerhöchstselbst zu konstatieren!«

»Sollte es nicht möglich sein, daß jener Fleck auf einen Fehler im Glase der Allerhöchsten Lorgnette zurückzuführen wäre?«

»Sie geben mir eine Idee!«

»Nicht wahr — Hoheit haben selbst nichts gesehen?«

»Ich? Nein! Allerdings nicht!«

»Wollen denn Hoheit sich nicht nochmals durch Augenschein überzeugen?«

»Aber mit Vergnügen! — Nur möchte ich wissen wie?«

»Hoheit werden wohl als bevorzugter Beschützer jederzeit freien und unbehinderten Zutritt zu ihrem Räumen haben?«

»Das schon! Selbstverständlich habe ich das! Aber haben — — und Gebrauch davon machen! — Mein Lieber, man überrascht eine Dame doch nicht so —!«

»Wenn man sie liebt — —«

»Mon Dieu! — Kommen Sie mir wieder mit jenem [138] — Gefühl? Man hat eine Laune — heute diese, morgen jene — aber lieben, sich fesseln lassen — sich in jener vorsintflutlichen Weise echauffieren! — Was denken Sie von mir?«

»Auf alle Fälle gilt es, hier einen Irrtum aufzuklären — und zwar einen, dessen Folgen sonst verhängnisvoll sein könnten! — Da nimmt man keine Rücksicht!«

»Sie haben recht! Wir wollen uns gewissermaßen als Gerichtskommission konstituieren! Denn Sie müssen dabei sein. Wir wollen uns zu ihr begeben!«

Carignan klingelte. Der Kammerdiener erschien.

»Den goldenen Schlüssel!«

»Welchen befehlen Hoheit?«

»Den letzten!«

»Also Rue Viviennes?«

»Rue Viviennes, Schafskopf! Und dann sofort ein Kupee ohne Livree!«

»Das Kupee steht, wie immer, bereit!« antwortete der Kammerdiener und verschwand, um gleich danach mit einem purpurnen Kissen zurückzukehren, auf dem ein goldener Schlüssel ruhte.

Der Herzog nahm ihn, winkte Fossano und ging. So schnell wie möglich ließ er sich nach dem kleinen Hotel in der Rue Viviennes fahren, wo Barberina residierte, fuhr aber nicht an der Treppe vor, sondern ließ an dem kleinen Gartentor an der hinteren Seite des Parks halten, das stets verschlossen war.

Er öffnete es mit dem goldenen Schlüssel, desgleichen die Tür einer geheimen Treppe, deren Vorhandensein Barberina unbekannt war, und die direkt zu ihrem Schlafzimmer führte — stieg hinauf, von Fossano gefolgt, und blieb lauschend an einer Tür stehen.

»Kein Laut!« flüsterte er nach langem Horchen. »Sie wird noch schlafen!«

»Sicher!« sagte Fossano .»Wenn sie keine Probe hat, schläft sie bis in den Nachmittag!«

[139]

»Gehen wir hinein!« flüsterte der Prinz, schob vorsichtig den sämtlichen Schlössern angepaßten Schlüssel ins Loch und drehte ihn um.

Sie standen im Allerheiligsten. Ein betäubender Duft von starkem Parfüm schlug ihnen entgegen. Anfangs konnten sie, vom Sonnenschein draußen geblendet, nichts sehen. Aber allmählich gewöhnten sich ihre Augen an das Halbdunkel. — Das Himmelbett mit seinen zugezogenen Vorhängen aus rosaseidenem Brokat — die nachlässig auf alle Möbel hingeworfenen Kleidungsstücke — die goldgestickten kleinen Pantoffeln am Bett — die Schmucksachen auf der von Kristallflakons funkelnden Toilette traten so allmählich nebelhaft in Erscheinung.

Auf den Fußspitzen schlichen sie an das Bett heran und lauschten den ruhigen Atemzügen der hinter den Vorhängen Schlafenden.

»Sie wacht nicht auf!« flüsterte Fossano beruhigend. »Hoheit können ruhig näher treten! Wenn sie so schläft, könnte höchstens ein Pistolenschuß sie wecken!«

»Schweigen Sie! Machen Sie hell!« kommandierte der Prinz. Und Fossano tastete sich an das Fenster heran, zog die dichten Vorhänge zur Seite und ließ die Sonne herein, kam dann auf den Wink des Prinzen wieder ans Bett heran und hob den Bettvorhang vorsichtig auf.

Hoheit trippelte auf leichten Füßen näher, hielt das Lorgnon an die Augen, beugte sich vor, faßte mit eleganter Handbewegung den Zipfel der Bettdecke, hob sie hoch — ließ sie aber mit einem Ausruf der zornigsten Überraschung fallen und wankte zurück.

»Was gibt's?« fragte Fossano.

»Mon Dieu! — Aber so sehen Sie doch! Sehen Sie selbst!«

Fossano schlich näher. Ein Blick genügte. Auf dem Kissen neben Barberina ruhte — der jugendliche Kopf des Herzogs von Durfort!

»Diese Infamie!« rief der Prinz mit halberstickter [140] Stimme. »Diese unerhörte Treulosigkeit! Was mache ich nun mit dieser liederlichen Kreatur?«

»Hoheit sind hier der Herr und Gebieter!«

»Und Sie meinen, ich sollte hier den eifersüchtigen Betrogenen spielen?! Lächerlich!«

»Wenn's gilt, der Lächerlichkeit zu entgehen — ja!« sagte Fossano und verbeugte sich. »Hoheit werden aber gestatten, daß ich mich vorher entferne!«

»Sie lassen mich im Stich?!«

»Dergleichen wird gewöhnlich nur unter den direkt Beteiligten ausgemacht! Hoheit wollen doch keine Blamage!« versetzte Fossano, schadenfroh lächelnd, schlüpfte durch die Tür nach der Wohnung hinaus und überließ den Prinzen seinem Schicksal.

Die arme Hoheit stand da, blickte unsicher bald nach dem Bett, aus dem ihm das unbefangenste Schnarchduett entgegentönte — bald nach der Tür, durch die er gekommen war — konnte sich aber nicht entschließen.

Wäre er allein gekommen — sicherlich wäre er seines Weges gegangen — er hätte ihr den Laufpaß gegeben, und die Sache wäre ohne Aufregung abgelaufen!

Aber jetzt hatte er einen Zeugen gehabt! — Jetzt ging's nicht ohne weiteres! Seine Reputation verlangte eine Aktion — oder man würde über ihn lachen! — Entsetzlich! Ihn, den Prinzen von Carignan, sollte man wegen einer hergelaufenen Tänzerin lächerlich machen können!

Er machte entschlossen einen Schritt auf das Bett zu. Die Knie wankten ihm, er sank auf ein Taburett nieder und wischte sich mit dem Spitzentaschentuch den Angstschweiß aus dem Gesicht, der schon durch die dick aufgetragene Schminke hindurchsickerte.

»Mein Gott, was mache ich nur?« flüsterte er. Aber sein gequälter Seufzer fand bei dem ruhigen, zufriedenen Schnarchen der Schlafenden nur eine alles andere denn beruhigende Antwort!


[141]

11

Draußen in ihrem kleinen Kabinett hatte Mama Campanini soeben ihre Andacht beendigt, sie putzte die Flamme der ewigen Lampe, bekreuzigte sich vor dem Muttergottesbilde, setzte sich an ihren Sekretär, schlug ein kleines, rot gebundenes Büchlein auf und vertiefte sich in die langen Kolonnen von Zahlen, die da untereinandergereiht waren.

Das Geschäft blühte. Die goldene Jugend von Paris wetteiferte um den Vorzug, ihre Schätze Barberina zu Füßen zu legen. Und Mama nahm den Tribut gnädigst in Empfang, buchte ihn gewissenhaft, um ihn später nutzbringend anzulegen, vertröstete die jungen Leute je nach Rang und Vermögen mit Hoffnungen oder Versprechungen und ließ keinen ohne die bestimmte Zusage ihrer Fürsprache gehen.

So nahm sie die Sünden ihrer Tochter auf sich. Kein einziger von den jungen, galanten Herren durfte der schönen Babara nahen, ohne vorher von der Mama ins Gebet genommen zu werden. Sie war das Fegefeuer, Babara das Paradies. Im Fegefeuer wurden sie geläutert. Dort ließen sie den irdischen Tand. Im Paradiese genossen sie überirdische Wonnen.

Die Mama prüfte sie auf ihre Vermögensverhältnisse und ihre Opferwilligkeit und erledigte alles Geschäftliche.

Babara erledigte gelegentlich den Rest — frei von aller Schuld. Sie war eben nichts als die gehorsame Tochter.

Auch das Geschäftliche gegenüber dem Himmel erledigte die Mama. Täglich ging sie zur Beichte und ließ sich die Sünden des vorhergegangenen Tages vergeben. Empfing dann die Tochter abends in neugewonnener Unschuld in ihrem Gemach, so saß die gute Alte im Vorzimmer, lächelte beglückt beim fernen Klang der Gläser und betete ihren Rosenkranz. Sie schlief dann den Schlaf [142] der Gerechten und träumte von ihren Schätzen, die sich, dank der gehorsamen Tochter, wacker vermehrten.

Auch sie war enttäuscht über den bloß halben Sieg Babaras am Hofe. Aber Könige sind nicht im Sturm zu nehmen! Alles muß seine Zeit haben! Und inzwischen gab's ja zu tun!

Fossano war für sie erledigt. Sie sah ihn nur im Theater, wo sie nicht mehr mit ihm sprach.

Daß er sich rächen würde, wußte sie. Sie sah es aus den haßerfüllten Blicken, mit denen er ihre Tochter verfolgte, und wußte, daß er ihr auflauerte und nach einer Gelegenheit spähte, sie in ganz eklatanter Weise bloßzustellen.

Sie ließ sich aber nicht stören. Sie lebte in den Tag hinein und besorgte ihre Geschäfte pünktlich und gewissenhaft.

An diesem schönen Morgen war sie aber nicht ganz zufrieden, als sie ihr Büchlein mit den vielsagenden Zahlenreihen zuklappte. — Sie hatte gestern eine stattliche Summe im voraus buchen können, mußte sie leider aber heute mit einem Fragezeichen versehen.

Mylord Arundel, der gestern sich und jene Summe zum Souper angesagt hatte, war schmählich enttäuscht wieder abgezogen. Der Befehl, bei Hofe zu tanzen, war so schnell und unerwartet gekommen, daß sie ihm nicht einmal hatte abschreiben können.

Sie hatte ihn auf ihren Knien um Entschuldigung bitten müssen und ihm mit Mühe und Not ein halbes Versprechen abgerungen, heute zum Lever Babaras zu erscheinen.

Kommt er? — Kommt er nicht? — Die Frage hatte ihr ihre Nachtruhe verdorben! Und jetzt ging sie schon seit Stunden in der Wohnung umher und wartete auf Babara, die sie nicht zu wecken wagte — die aber schlief, als stünde für sie gar nichts auf dem Spiel!

Immer wieder ging sie an die Tür des Schlafzimmers [143] und lauschte. — Denn käme er, dann müßte Babara auch visibel sein! — Sonst wäre alles verloren und Seine Herrlichkeit würde den Strom seiner Schätze in ein anderes Bett leiten!

Sie gönnte dem guten Kinde ja die Ruhe! — Es mochte wohl müde sein nach der Vorstellung und der langen nächtlichen Fahrt! Kein Mensch konnte aber voraussehen, wie lange die Jugend und die Schönheit währen würden! — Für die Ruhe des Alters mußte gesorgt werden!

Nach langem Zögern entschloß die Mama sich endlich, an die Tür zu klopfen. Aber ehe sie noch ihre Absicht vollführt hatte, wurde sie durch einen entsetzten Schrei aufgeschreckt!

Es war drinnen im Schlafzimmer!

Noch einmal schrie es! Kein Zweifel, es war ihre Tochter! Dann wurden auch andere Stimmen laut — zornige Männerstimmen, die gegeneinander wetterten!

Sie eilte hinzu — sie rüttelte heftig an der verschlossenen Tür! — — Da gerade mußte man ihr den Besuch Arundels melden!

Sie durfte ihn nicht abweisen, sie mußte ihn sogar gleich empfangen! — — Und drinnen bei ihrer Tochter ging etwas vor! Sie wußte nicht was, begriff aber, daß es Seiner Herrlichkeit verheimlicht werden müßte! — — Sie tat ihr Bestes!

Sie nötigte Mylord zum Sitzen, schwatzte drauflos von allem möglichen — vom gestrigen Hoffest — vom Erfolg Barberinas — von der Gnade des Königs — fragte den Lord nach dem letzten Rennen — nach den Jagden auf seinen englischen Gütern — überhörte seine Antworten, unterbrach ihn mitten in der Rede, um nach dem Wetten zu fragen und nach der Möglichkeit, im Spiel Glück zu haben — sie ließ ihn nicht zu Worte kommen und hütete sich wohl, sich nach seinen Empfindungen für Babara zu erkundigen.

[144]

Mylord ließ mit echt englischem Phlegma alles über sich ergehen; er glaubte zunächst, eine Irrsinnige vor sich zu haben, entschied sich dann für die Annahme, Mama Campanini hätte sich die schönen Weine, die gestern nicht getrunken waren, zu Kopfe steigen lassen, wurde endlich zornig, herrschte sie an, sie solle mit dem Geschwätz aufhören, und stand auf, um sich selbst bei ihrer Tochter anzumelden, da sie seine wiederholte Frage nach ihr nur noch stotternd beantwortete.

Da sprang die Tür des Schlafzimmers auf, und der Prinz von Carignan erschien auf der Schwelle. Aber in welcher Verfassung! — Keuchend vor Zorn, die Augen blutunterlaufen, den Hut schief auf der derangierten Frisur, die eine Spitzenmanschette zerrissen — mit der Hand krampfhaft den Stock umklammernd und sich darauf stützend, um das Zittern des ganzen erlauchten Körpers besser zu prononcieren!

Als er Arundel sah, erkämpfte er mühsam, aber mit vollendeter Eleganz, die Fassung und grüßte genau so reserviert, wie es die Situation erforderte.

»Ich bin entzückt, Eurer Lordschaft hier zu begegnen!« lispelte er.

»Ich bin auch charmiert!«antwortete Seine Herrlichkeit ebenso steif und nicht minder höflich.

»Ich räume Eurer Herrlichkeit mit Vergnügen das Feld«, setzte Carignan fort, »und wünsche, Sie mögen es einmal ebenso befriedigt verlassen wie jetzt ich!«

»Hoheit sind sehr gütig!« gab der Lord zurück.

»Deine saubere Tochter aber werde ich ins Dirnenhospital schicken! Und dich auch, alte Kupplerin!« schrie der Prinz der alten Campanini zu, drohte ihr mit dem Stock und ging, ohne sich weiter um Seine Herrlichkeit zu kümmern.

Arundel blieb stehen und sah die Mama verächtlich an.

Diese alte Frau hatte sich erlaubt, ihn zum besten zu halten — hatte ihn herbestellt, um ein Renkontre zu [145] provozieren — um ihn mit Carignan zu brüskieren und ihn durch den publiken Skandal zu zwingen, offiziell das Protektorat des Hauses zu übernehmen! — Das war zu plump!

»Damn!« sagte er, »Sie haben den Prinzen von meinem Besuch unterrichtet! — Schweigen Sie — Sie führen mich nicht hinters Licht! Sie werden auch keine Freude an Ihrer Intrige haben! Ich gehe jetzt! Und ich weiß nicht, ob ich Ihr Haus noch besuchen werde!«

Da erschien Babara in der Tür — auch sie verwirrt und aufs äußerste aufgeregt, aber in ihrem Negligé so berückend schön, daß der Zorn Seiner Herrlichkeit sofort verrauchte.

Sie floh zwar in holder Verschämtheit, als sie Arundel sah. Aber ihre Decontenance hatte so viel Charme, daß Seine Lordschaft sofort den Kopf verlor! — Und jetzt wußte nicht nur er, sondern auch die Mama, daß er wiederkommen würde!

»Ich will Gnade vor Recht ergehen lassen, Signora«, sagte er und gab ihr die Hand, die sie sofort devot küßte. »Aber Sie werden mich nie wieder in eine derartige Situation bringen! Mademoiselle, Ihre Tochter wird etwas Zeit nötig haben, um die Folgen der Aufregung zu überwinden, denke ich. Ich komme also heute abend wieder!«

»Eure Lordschaft machen mich überglücklich!«

»An Sie denke ich überhaupt nicht! Ich will gut bedient sein! Das Beste, was in Paris Küche und Keller vermögen! Merken Sie sich's, Signora! Meine Börse steht Ihnen zur Verfügung!«

Und ohne ihre Beteuerung zu beachten, er würde besser als der König selbst bedient werden, ging er, kaum noch grüßend.

Als die Signora sich von ihrer tiefen Abschiedsreverence aufrichtete, stand Fossano vor ihr.

Aus dem Nebenzimmer, in das er schnell geschlüpft [146] war, hatte er die ganze Szene verfolgt und trat jetzt ein, um ihre Niederlage zu vervollständigen.

Sie schrie leicht auf, als sie ihn sah. — Sie erkannte ihn kaum wieder, so sehr hatte er sich verändert seit jenem denkwürdigen Abend in der Oper.

Der verwöhnte, siegesbewußte Liebling der Frauen — das Schoßkind des Glücks war aus seiner ganzen Erscheinung vertilgt. Nur noch ein Schatten von ehedem, stand er da, die Augen flackernd und vor ungestillter Rachsucht unheimlich aufleuchtend. Aber die Unsicherheit, die sonst aus den grämlich verzerrten Zügen sprach, war jetzt auf einmal verschwunden. Sonst schleichend wie ein Jäger, der einem schwer zu erlegenden Wild nachstellt — jetzt schadenfroh lächelnd, im frohen Vorgefühl, daß er dem gehetzten Wild den Fang wird geben können.

»Warum so ängstlich?« lachte er, als er ihre entsetzte Miene sah. »Ich tue Euch nichts an, und Eurer Tochter auch nicht! Ich komme nur, um Euch rein geschäftlich zu sprechen, und zwar in Eurem eigenen Interesse!«

»Wir brauchen Eure Hilfe nicht!«

»Mehr als Ihr denkt!« sagte er, schadenfroh lächelnd. »Und obwohl Ihr's nicht wünscht! Ihr seid wohl geschickt — Ihr versteht wohl die gute Gelegenheit auszunützen, die Ihr mir verdankt — aber wie Ihr den Erlös sichern — wie Ihr den Gefahren entgehen sollt, die Euch bedrohen, das wißt Ihr nicht! — Ebensowenig, wie Ihr wißt — wer jetzt drinnen bei Eurer Tochter weilt!«

»Bei ihr ist niemand!«

»Allerdings — in Eurem Sinne — ein Niemand, ein Tunichtgut! Aber in den Augen Babaras mehr wert als all die Schätze, die ihr die anderen zu Füßen legen! Und ein Prinz — ein vornehmer Herr, der Euch mit der größten Eleganz helfen wird, Eure Ersparnisse durchzubringen! Ich brauche nur den Namen Durfort zu nennen — —«

[147]

»Er hätte die Keckheit gehabt, trotz meines Verbotes —?«

»Er hatte die Güte, Eure Tochter von Fontainebleau hierher zu begleiten und ihr die lange Reise zu versüßen! Und, da hier alles schlief, mußte er ihr ja notgedrungen auch beim Zubettgehen behilflich sein! — Echauffiert Euch nur nicht deswegen! — Dergleichen kleine Launen werden bei Babara nie ganz zu vermeiden sein. — Das Herz muß dann und wann auch sein Recht haben. Wenn sie sonst nur gehorsam bleibt, so ist nichts verloren! — Der Mann, der heute abend hier soupieren wird — —«

»Ihr habt gelauscht!«

»Das hatte ich nicht nötig. Mylord sprach sehr laut. Und Ihr — — nun, Ihr scheint mir auch das rechte Wort gefunden zu haben! Haltet Euch den Engländer warm! Er wird Euch den Weg — drüben, in England — ebnen! Dort erst wird Babara zu Gold und Ehren kommen! Dort muß sie hin — hier hat sie verspielt! Bei Hofe wird sie nicht zu Geltung kommen. — Nach ihrem gestrigen Mißerfolge sicher nicht!«

»Von einem Mißerfolg kann bei ihr gar keine Rede sein! Ihr werdet wieder schlecht getanzt haben! Ihr werdet wieder versucht haben, sie aus der Stimmung zu bringen — von Eurer Niedertracht wäre es schon zu erwarten! Sie wird dann eben nochmals bei Hofe tanzen, aber ohne Euch! Ihr tanzt nie wieder mit ihr, dafür sorge ich!«

»Und wenn sie auch nochmals dort tanzen wird — die Augen des Königs werden nie wieder auf ihr ruhen, nachdem er sie einmal gesehen und unwürdig gefunden hat!«

»Das ist nicht wahr!«

»Ich war doch dabei! Ich habe ihre Niederlage mit eigenen Augen gesehen! Sie ist hier deklassiert! — Sie hat hier verspielt! Geht nur nach England — laßt sie durch Seine Lordschaft entführen! Aber raschen Entschluß! Schnelles Handeln, ehe der Zorn des Prinzen von Carignan [148] verraucht! Folgt meinem Rat! — Mich werdet Ihr auch drüben finden! — Nicht am Theater! — Nein, ich habe etwas Besseres vor! Wenn mein Engagement hier aus ist, lege ich drüben in London eine Spielbank auf; Ihr könnt partizipieren, wenn Ihr wollt! Im Handumdrehen verdoppele ich Euer Vermögen und Ihr könnt Euch's noch auf Eure alten Tage leisten, Eurer Tochter zu gestatten, dem Lord Arundel die Treue zu bewahren!«

Hohnlachend ging er seines Weges und ließ die erbitterte Signora sitzen.

Eben wollte sie gehen, um ihrer ungehorsamen Tochter den Text zu lesen, da erlebte sie die letzte und schwerste Überraschung dieses verhängnisvollen Morgens.

Der Vertraute des Prinzen von Carignan in allen galanten Dingen, ein gewisser Herr de Thunet, der von Seiner Hoheit Gnade existierte und auf dessen Namen die Hotels der prinzlichen Mätressen stets gemietet waren, trat unangemeldet herein, ein Register in der Hand und von mehreren Helfershelfern begleitet. Ohne die Signora eines Blickes zu würdigen, klappte er sein Register auf, klemmte eine Hornbrille auf die Nase und fing an, die kostbaren Meubles zu bezeichnen, mit denen er im Auftrag Seiner Hoheit das Hotel ausgestattet hatte. Für jedes Stück machte er eine Aufzeichnung im Register, gab den Gehilfen einen Wink und, von festen Fäusten gepackt, wanderte das betreffende Möbel durch die Tür hinaus, trotz der entrüsteten Proteste der alten Dame.

»Seine Hoheit haben nur den Wunsch, den Platz zu räumen«, war alles, was er zur Antwort gab. »Denn die Mietsquittung haben Sie doch in Händen, und Sie bleiben doch hier?«

»Ich bleibe! Und die Möbel auch!«

»Seine Hoheit haben befohlen, für die Meubles Seiner Herrlichkeit des Mylord Arundel Platz zu machen«, antwortete der Vollstrecker des prinzlichen Zornes trocken und räumte in aller Gemütsruhe Zimmer nach Zimmer [149] aus, bis nur noch das Boudoir und das Schlafzimmer übrig waren.

Da pflanzte sich die Signora mit ausgebreiteten Armen vor der Tür auf.

»Nur über meine Leiche kommt Ihr da hinein! — Keinen Stuhl, keinen Schemel, auch nicht das geringste Stück der Einrichtung nehmt Ihr von dort mit!«

»Seine Hoheit legen keinen Wert auf die Ausstattung des entweihten inneren Heiligtums«, antwortete der alte Registrator des galanten Inventars. »Alles, was geeignet wäre, peinliche Erinnerungen oder bittere Empfindungen zu erwecken, bleibt hier und mag auch ferner der Untreue dienen! Aber die kostbaren Spitzen aus Brabant, die alten Juwelen und sonstigen Schmucksachen, wie sie hier verzeichnet sind« — er klappte ein zweites, noch umfangreicheres Register auf —, »haben Hoheit mir befohlen, wieder in Empfang zu nehmen!«

»Er fordert seine Geschenke zurück!«

»Hoheit erachten sich für unwürdig, den schönen Leib Eurer Tochter zu schmücken, den sie fortan von anderen Anbetern verzieren lassen will! Dürfte ich bitten, die Sachen herbeischaffen zu wollen und so meine Aufgabe zu erleichtern?«

»Niemals!« schrie die alte Frau, entsetzt, eines so ansehnlichen Teiles ihres Gewinns beraubt zu werden. Aber sie hatte die Empfindungen ihrer Tochter außer Berechnung gelassen.

Babara, die sich allmählich von der Überraschung erholt hatte, war durch ihre Kammerjungfer von der Ausräumung ihres Hauses benachrichtigt worden und trat jetzt voller Zorn aus ihrem Boudoir heraus.

»Nichts — gar nichts will ich von ihm haben«, rief sie, streifte Armbänder und Ringe ab und warf sie dem Exekutor zu. »Da, nehmt nur! Und da!«Sie zeigte auf die Schatullen und Kästen, die ihre Zofe hinter ihr hertrug. — [150] »Schaut nur genau nach, daß nichts fehlt! — Die Roben, schnell! — Die Spitzen — das brokatne Zeug — schnell, her damit! Fort aus meinen Augen mit allem, was an diesen alten Gecken erinnert!«

Sie unterbrach ihre Rede und eilte ans Fenster, durch das sie Peitschenknall und rollende Räder gehört hatte.

»Ich wüßte nicht, daß ich den Wagen befohlen hätte!« rief sie, schwieg aber plötzlich, als sie das höhnende Lächeln des Abgesandten ihres bisherigen Gebieters sah.

»Die Mühe haben Seine Hoheit Ihnen abzunehmen geruht!« sagte er spöttisch. »Mademoiselle werden es unzweifelhaft vorziehen, eine andere Equipage bei Dero Ausfahrten zu benutzen? Die Stallungen des Hotels sind klein. Das Palais Soissons bietet mehr Platz! Seine Herrlichkeit, Mylord Arundel, bevorzugen ja das Vollblut, und die Schimmel meines Gebieters würden schwerlich Gnade vor seinen Augen gefunden haben! — Auch den Goldfüchsen Seiner Herrlichkeit wünschen Hoheit Platz zu schaffen. Und so beehre ich mich, seine Entschließung mitzuteilen, daß er auf die Auszahlung der Mademoiselle zugesicherten Rente von tausend Louis von heute ab verzichtet!«

Womit der brave Thunet sein Register zuklappte und nach einer steifen Verbeugung das nunmehr leere Zimmer verließ, das der aus allen Himmeln gestürzten Signora Campanini nicht das geringste Möbel mehr darbot, auf das sie hätte in Ohnmacht sinken können!

»Wir sind blamiert! Wir sind vor aller Welt lächerlich gemacht!« seufzte sie.

»Wenn's nur aller Welt gefällt, mich in Ruhe zu lassen, mir soll's recht sein!«

»Womit willst du den Lord Arundel empfangen? Auf der Erde kannst du nicht mit ihm soupieren!«

»Lord Arundel wird eben nach Hause geschickt!« sagte Babara gelassen.

»Du bist eine Undankbare! — Du wirst mich noch ins Grab bringen! Ach, ich Unglückliche! Ach, ich Armselige! [151] Hättest du nur nicht Fossano vor den Kopf gestoßen! Dem Elenden verdanken wir dies alles!«

»Ich werde es ihm auch zu danken wissen! Einen größeren Gefallen als heute hätte er mir nicht erweisen können!«

»Du redest wie eine Irrsinnige!«

»Ich rede wie eine, die bis jetzt im Traum gelebt hat und plötzlich erwacht! So ist's! Denn jetzt sehe ich klar, wo ich war und wo ich nicht mehr sein will! Und ich freue mich, endlich frei zu sein! Dies ganze abscheuliche Leben, zu dem ihr — du und er — mich gezwungen habt, widert mich an! Ekel ist alles, was ich dabei empfunden habe! — Ekel vor mir selbst — Ekel vor einer Welt, die ihre Gunst nur um den Preis der Selbstschändung verkauft! Das soll jetzt aber ein Ende haben! Das mache ich nicht mehr mit!«

»Was willst du denn tun? — Wovon gedenkst du zu leben?«

»Von meiner künstlerischen Leistung! Die soll man mir bezahlen — meine Person aber fortan in Ruhe lassen! Ich kann das verlangen!«

»Dann kennst du die Welt nicht!«

»Dafür weiß ich mit mir Bescheid. Und auch, daß ich niemals den Gipfel der Kunst erklimmen werde — niemals das Göttliche erreichen, was mir im Augenblick des künstlerischen Rausches vorschwebt, wenn ich noch an äußeren Erfolg und Schätzesammeln denke! Niemals werde ich das Gefühl der Erdenschwere los, das mich auch in den Augenblicken der höchsten Wonne herabzieht — wenn ich nicht mit aller Macht gegen das Lotterleben ankämpfe, in das du — und jener Elende mich hineingezogen habt!«

Sie kehrte der alten Frau den Rücken, setzte sich an den Schreibtisch, warf rasch ein paar Zeilen auf einen Briefbogen hin, faltete ihn zusammen, schrieb die Adresse, klingelte und reichte ihn der Zofe.

[152]

»An Mylord Arundel!« sagte sie. »Sofort durch Boten hinsenden! Und — daß du's dir merkst —, künftig bin ich für niemand zu Hause! Der Marquis von Thibouville, der Prinz von Gobriant, der Herzog von Durfort — alle ohne Ausnahme werden sie fortgeschickt! Und du auch, auf der Stelle, falls du dich unterstehst, auch nur einen einzigen zu melden, unter welchem Vorwand es auch sein mag! — Halt!« rief sie der Zofe zu, die sich eben entfernen wollte. — »Geh noch zur Oper, melde mich krank! — Sterbenskrank, verstehst du? — Ich tanze heute nicht und morgen auch nicht! Auch kannst du ein Wort fallen lassen, daß ich, sobald ich meine Kräfte wiedergewonnen habe, Paris verlasse und nach London gehe!«

Die Zofe ging.

Die Mama fand endlich Worte.

»Du denkst in allem Ernst daran, nicht mehr aufzutreten?«

»Ich betrete die Oper nicht mehr! Ich werde auch bei Hofe nicht mehr tanzen!«

»Aber der Befehl des Königs?«

»Gilt nur für seinen Generalinspekteur der Oper! Mag er sehen, wie er den Befehl befolgen kann! Mich kümmert's nicht!«

»Er hat die Macht, dich zu zwingen!«

»Nichts kann mich zwingen, wenn ich nicht will! Das wird der Prinz zu wissen bekommen! Ich tanze nicht, und wenn er mich kniefällig um Verzeihung bittet! Ich werde ihn schon klein kriegen!«

Und dann setzte sie sich endlich hin, um ihre Schokolade zu trinken, und trällerte vergnügt wie ein aus dem Bauer entschlüpfter Vogel!


[153]

12

Der Prinz von Carignan saß in seinem Kabinett und ließ sich von seinem Sekretär Vortrag halten. Seine Stirn war gefurcht, die Haut gelb von der übergetretenen Galle, die Augen blickten trübe.

Die Spielbank ging schlecht. Der Pächter lieferte keine Überschüsse ab. Die Oper spielte vor leeren Häusern. In der Theaterkasse war kein Sou zu finden. Paris war in Aufruhr. Die feine Welt revoltierte gegen das Regiment des Theatergewaltigen. Sein Thron wankte.

Fast zu gleicher Zeit hatte er drei seiner leuchtendsten Sterne verloren. Die Camargo war ihm mit einem Verehrer durchgegangen. Madame Sallé, erzürnt wegen ihrer Zurücksetzung zugunsten Barberinas in Fontainebleau, hatte ihm ihr Abschiedsgesuch, und zwar durch einen Gerichtsbeamten, zustellen lassen.

Was ihm noch blieb, war nicht zugkräftig genug.

Hätte er wenigstens die Barberina, dann wäre der Verlust der anderen zu verschmerzen! Aber die war immer noch krank und weigerte sich aufzutreten.

»Noch immer keine Besserung?« fragte er betrübt den Sekretär.

»Leider nicht! Wir haben ihr aber ein unfehlbares Heilmittel verabreichen lassen! Der Befehl, nächste Woche in Versailles zu tanzen, ist ihr gestern zugegangen! Das wird sicher helfen!«

»Und wenn sie sich weigert?«

»Sie wird sich hüten!«

»Du kennst sie eben nicht! Sie ist launenhaft und rachsüchtig. Sie wird mich sicher in Verlegenheit bringen wollen! Mir ahnt nichts Gutes! — — Wir können aber nicht unsere Position durch ihre Launen erschüttern lassen! Der König würde mir einen Ungehorsam gegen seinen Befehl niemals vergeben! Es wäre die sichere Ungnade! [154] Sie muß in Versailles tanzen und wenn die Welt darob zugrunde gehen müßte! Wir müssen sie versöhnen!«

»Wie gedenken Eure Hoheit das zu tun?«

»Geschenke! — Geld! — — Das vermag alles!«

»Wir haben kein Geld!«

»Wir haben unseren Schmuck — wir haben unsere Gemäldegalerie!«

»Hoheit wollen sich von den Schätzen der Galerie trennen?«

»Wenn wir sterben, müssen wir es sowieso! — Und ich ziehe den Tod der königlichen Ungnade vor! Du sollst die Gemälde zu Geld machen!«

»Zu Befehl!«

»Den Erlös schickst du ihr! Auch das Gespann und die Equipage! Und schreibe ihr, ich bedauerte den Vorfall von neulich! Die Aufregung, in der ich mich befand, war ja nur zu erklärlich! Ich will aber darüber hinweggehen und ihr wieder die Rente auszahlen lassen! Noch heute vormittag muß alles erledigt sein! Morgen hältst du mir Vortrag darüber!«

Der Sekretär eilte, die Befehle auszuführen. Der Prinz ließ sich in den Garten hinaustragen und gab Befehl, den ganzen Vormittag niemand vorzulassen außer Signore Fossano, den er zu sich befohlen hatte.

Fossano kam. Er sah nicht ohne Genugtuung die Spuren der Verheerung, die die Aufregung bei seinem erlauchten Nebenbuhler hinterlassen hatte.

»Sie haben mich da in eine schöne Situation gebracht, mein Lieber!« sagte der Prinz leicht vorwurfsvoll. »Man ist derartigen Gemütserschütterungen nicht mehr gewachsen! Sie sind auch schwer mit dem guten Ton vereinbar! Dergleichen geht man am besten aus dem Wege! — Sie hatten es aber so schlecht arrangiert, daß wir es nicht mehr konnten!«

»Geruhen denn Eure Hoheit einzusehen, daß auch ich in eine derartige Aufregung versetzt werden konnte? Und [155] daß es mir dadurch unmöglich gemacht wurde, so gut zu tanzen wie sonst?«

»Wenn das der Zweck Ihrer Demonstration war, so haben Sie ihn erreicht!«

»Eure Hoheit wollen also auch glauben, daß ich jene Schwäche niedergekämpft habe und jetzt ganz wieder der alte bin?«

»Keinesfalls! Wer einmal den Kopf verliert — —«

»Der nimmt sich ein anderes Mal in acht, wenn er in dieselbe Situation kommt! — Wollen Eure Hoheit mich auf die Probe stellen?«

»Ich kann Sie unmöglich wieder bei Hofe tanzen lassen!«

»Trotzdem wage ich, darauf zu bestehen! Jetzt eben bin ich es meiner Reputation schuldig, dort zu zeigen, was ich kann! Sonst ist's um meine Karriere geschehen!«

»Das interessiert uns nicht! Sie müssen für sich selbst sorgen! Sie waren eben schlecht! Warum haben Sie nicht besser getanzt?! Sie müssen die Folgen tragen!«

»Das werde ich auch tun! Eure Hoheit können aber versichert sein — wenn ich nicht in Versailles tanze, dann wird es Barberina auch nicht tun!«

Carignan richtete sich im Sessel auf.

»Ach, sieh nur! Sie drohen uns gar! Ja, sagen Sie einmal, haben Sie sich denn mit ihr versöhnt?«

»Weit entfernt!«

»Dann will ich Ihnen etwas sagen! Sie hat mir in Fontainebleau kategorisch erklärt, daß sie nie wieder mit Ihnen tanzen wird!«

»Das weiß ich! Sie soll es aber tun! Sie wird mit mir tanzen oder überhaupt nie wieder auftreten!«

»Sie planen doch keinen Anschlag auf sie?«

»Hoheit können unbesorgt sein!«

»Wie wollen Sie's denn bewirken?«

»Ich brauche gar nichts zu tun!«

»Ich verstehe Sie nicht!«

[156]

»Wenn ich spreche, werden Hoheit verstehen!«

»Also sprechen Sie!«

»Wenn ich spreche, wird sie tanzen! Wenn ich schweige, tanzt sie nicht!«

»So sprechen Sie doch!«

»Erst muß ich die Zusage Eurer Hoheit haben, in Versailles tanzen zu dürfen!«

»Unmöglich!«

»Hoheit werden es bereuen! Barberina tanzt nicht — das bedeutet den Zorn des Königs wegen Nichterfüllung seines Befehls! Aber Hoheit wissen das ebensogut wie ich!«

»Also reden Sie!«

»Hoheit kennen die Bedingung!«

»Mein Gott, Sie eigensinniger Mensch! Wenn's durchaus sein muß — meinetwegen können Sie gern tanzen!«

»Das Ehrenwort Eurer Hoheit!«

»Sie werden dreist!«

»Was ich weiß, rechtfertigt die Dreistigkeit!«

»Nun denn, Sie haben mein Ehrenwort! Aber Sie müssen sich gut halten! Die richtigen höfischen Pirouetten! Keine Seitensprünge wie das letztemal! Ich bitte mir das aus!«

»Hoheit können sich auf mich verlassen!«

»Schön! Und jetzt reden Sie!«

»Barberina hat mit Mylord Arundel ausgemacht, in der allernächsten Zeit Paris zu verlassen und nach London zu gehen!«

»Sie fabeln!«

»Heute früh ist der Diener des Lords nach Calais geritten, mit dem Befehl, überall Postpferde zu bestellen! Von morgen ab liegt ein Kutter zur Überfahrt nach Dover bereit!«

»Wir werden das zu verhindern wissen! Übrigens wird sie jetzt schon anderen Sinnes sein!«

[157]

»Hoheit meinen?«

»Ich habe guten Grund, es mit Bestimmtheit anzunehmen!« sagte Carignan, mit einem schmerzhaften Seufzer an die Opfer denkend, die er dafür bringen mußte. »Warten Sie's nur ab! Sie werden sehen! Ich verstehe es, Widerspenstige zu zähmen. Adieu, mein Lieber! Es bleibt bei unserer Verabredung! Aber — wie gesagt — die richtigen Pirouetten! — Keine Extempores! Keine Extravaganzen!«

Fossano ging.

Der Sekretär kehrte wieder mit der betrübenden Nachricht, daß die Barberina sich weigere, ihn zu empfangen. Sie wolle von Seiner Hoheit nichts wissen, keine Botschaft in Empfang nehmen — kurz, ihm war in der schnödesten Weise die Tür gezeigt worden.

Carignan raste. Aber es half nichts! Er mußte in den sauren Apfel beißen und in höchsteigener Person zu ihr fahren, um Buße zu tun. Sonst wäre es um ihn geschehen!

Er fuhr also in Begleitung des Sekretärs hin und wurde von Mama Campanini im leeren Salon empfangen.

»Ich kann Hoheit leider nicht bitten, Platz zu nehmen!« sagte sie mit der Miene einer Dulderin und zeigte auf den Fußboden. »Aber Hoheit haben selbst für den Mangel an Sitzgelegenheit gesorgt!«

»Halten wir uns darüber nicht auf, bitte! Ich will ja alles wieder gutmachen. Warum läßt man denn meinen Boten unverrichtetersache wieder zurückkehren? Geld, Schmuck, Gespann, Equipage — die ganze Einrichtung — alles kann sie wieder haben! Und die Rente auch!«

»Das nimmt sie nur von ihren Freunden an!«

»Mein Gott, ich bin doch ihr Freund! — Ich schätze sie nach wie vor! Ich war einen Augenblick alteriert! — Ich wurde von einer Situation überrascht, in der ich nicht erwartet hätte, mich befinden zu müssen! Aber es ist [158] ja alles wieder gut! — Ich versichere — ich bin ihr gar nicht böse! Sie soll nur hereinkommen!«

»Sie ist noch krank vor Aufregung!«

»Gegen die Krankheit bringe ich eben das beste Heilmittel mit! Holen Sie sie nur her!«

»Sie wird nicht kommen! Als der Sekretär vorhin hier war, hat sie mir rundweg erklärt, sie würde sich von Eurer Hoheit nicht einmal die Hand küssen lassen. Nicht einmal um hunderttausend Francs!«

»Das ist stark! Haben wir etwa den Handkuß angeboten? Wir verzichten gern auf jede Intimität! Wir haben aber nicht nötig, hier zu bitten! — Du bringst mir auf der Stelle deine Tochter her! Ich, ihr Chef, befehle es! Und es würde sowohl ihr wie dir teuer zu stehen kommen, wenn ihr meine Geduld noch lange auf die Probe stellt!«

Das half. Die Signora eilte in das Boudoir, und nach einigem Zögern ließ sich Barberina dazu herbei, vor dem Antlitz des gestrengen Herrn Chefs zu erscheinen.

Sie ließ sich aber durchaus nicht imponieren.

Sie war kalt, abweisend, sah ihn kaum an, wies jeden seiner Versuche, sie zu begütigen, ab und bat ihn schließlich, sie in Ruhe zu lassen. Sie wäre noch leidend! Sie könne keine Aufregung vertragen! Sie wolle sich wieder hinlegen!

Aufbrausend versuchte er es auch bei ihr mit dem Ton des Vorgesetzten. Sie lachte ihn aber aus.

Da verlor er die Fassung gänzlich und verlegte sich aufs Bitten! Sie könne ihm jede Bedingung stellen! — Sie müsse aber bei Hofe tanzen! Sie dürfe ihn nicht ins Unglück stürzen! Die Ungnade wäre ihm gewiß!

»Dann tanze ich erst recht nicht!« lachte sie, und die Schadenfreude leuchtete ihr aus den Augen.

Das gab ihm die Fassung wieder.

»Dann brauche ich Gewalt!« rief er. »Entweder Sie tanzen, oder ich lasse Sie und Ihre Mutter verhaften!«

[159]

»Ohne Grund? Das können Sie nicht!«

»Ich habe Grund genug! — Ich weiß von Ihren Fluchtplänen mit Lord Arundel! Meine Polizei ist schon in Bewegung, hat schon überall verboten, Ihnen Postpferde zu geben und das Auslaufen aller Schiffe aus dem Hafen von Calais bis auf weiteres untersagt! Beim ersten Versuch, zu entweichen, sind Sie verhaftet, und Seine Lordschaft auch! Sie werden schon überwacht! — Wollen Sie also tanzen?«

»Ich sehe ein — ich muß der Gewalt weichen! Ich werde also tanzen! Aber Eurer Hoheit Geschenke und die Rente nehme ich nicht wieder an! Ich verlange eine geordnete Stellung auf Grund meiner künstlerischen Leistungen! Mindestens fünfhundert Louis Gehalt monatlich! Und ebensoviel für das eine Mal in Versailles!«

Carignan biß sich auf die Lippen. Er dachte an die leeren Kassen seiner Theater. Aber er sah keinen anderen Ausweg und willigte ein.

Kühn gemacht durch den Erfolg, verlangte sie noch die Aufhebung aller polizeilichen Maßnahmen.

»So dumm sind wir nicht!« sagte der Prinz lächelnd. »Unsere Polizei wird ein wachsames Auge auf Sie haben, Signorina! Bis Sie am Hofe getanzt haben! Dann wollen wir sehen! Studieren Sie jetzt fleißig Ihre Tänze mit Fossano!«

»Mit Fossano?! Nimmermehr!«

»Sie müssen ihn als Partner in Versailles haben!«

»Nein, nein! Er würde mir alles verderben! Wenn Hoheit darauf bestehen, tanze ich nicht! Ich lasse mich lieber köpfen!«

»Nun, so erlassen wir's Ihnen! Er mag ein Solo tanzen! Ich habe übrigens für diesen Fall schon John Rich aus London als Gast engagiert! Er wird kommen, Sie kennen ihn sicher dem Namen nach? Der berühmte Harlekin des Coventgardentheaters! Er wird Ihnen glänzend sekundieren, Signorina!«

[160]

»Ich tanze auch mit ihm nicht! Ich will den jungen Riccoboni! Er tanzt mir mehr zu Gefallen! Er hat mehr Talent als all die andern!«

»Nun denn, in Gottes Namen, tanzen Sie mit Riccoboni! Wenn Sie bloß tanzen, ist's mir gleich, mit wem! Ich hätte mir dann den Rich ersparen können! Er wird aber schon unterwegs sein! — Na, das sind alles Bagatellen! Gehen Sie zur Ruhe, Signorina! Pflegen Sie Ihre Tochter, Signora! — Au revoir, meine Damen! Lassen Sie sich's gut gehen!«

Und Hoheit ging, froh, den Verkauf seiner Gemäldegalerie noch rückgängig machen zu können und der königlichen Ungnade so leichten Kaufs entronnen zu sein.


Barberina tanzte in Versailles vor der Königin und dem versammelten Hofe und errang einen glänzenden Erfolg.

Der König erschien aber nicht zur Vorstellung. Er hatte an dem Abend ein größeres Interesse an den Staatsgeschäften als an den Reizen Barberinas und blieb der Veranstaltung fern.

Barberina war außer sich. Carignan nicht weniger.

Aber er hielt Wort.

Nach dem Auftreten Barberinas in Versailles hob er die polizeiliche Überwachung auf. Und sie versäumte nicht, sich das zunutze zu machen.

John Rich, der berühmte Londoner Tänzer, hatte ihr von London vorgeschwärmt. Er verstand es, ihren künstlerischen Ehrgeiz aufzustacheln und spiegelte ihr ganz andere Triumphe vor als die der Galanterie, die sie jetzt bis zum Überdruß satt hatte.

Plötzlich eines Tages war sie verschwunden.

Der Herzog von Carignan erledigte eben die Kassenrapporte des vorhergehenden Tages und war voller [161] Freude, weil die Oper jetzt, nach dem Wiederauftreten Barberinas, allabendlich ausverkauft war.

Da brachte man ihm die Nachricht von ihrem Entweichen.

Das war zuviel!

Die Sallé, die Camargo — das hatte er verschmerzen können! Aber jetzt auch noch die Barberini!

Nach all den Opfern! Nach all den Demütigungen!

Seine Hoheit traf auf der Stelle der Schlag!

Barberina aber tanzte nach den Gestaden Albions hinüber. Und Fama flog vor ihr her mit der Kunde von ihrem Schönheitsflecken und ihren anderen galanten Vorzügen!


[163]

Drittes Buch
Hahnenkampf


[165]

13

Seine Herrlichkeit Lord Stuart-Wortley-Mackenzie trat heute etwas später als sonst seinen täglichen Spazierritt an.

Er zeigte seinem Sohn, der ihn begleitete, ein ungewöhnlich aufgeräumtes Wesen und unterhielt sich lebhaft, fast freundlich, mit ihm.

Der junge Lord war nicht wenig erstaunt darüber. Bis jetzt war er gewohnt, von seinem alten Herrn mehr als ein notwendiges Übel behandelt zu werden. Heute aber kam er sich vor, als sei er plötzlich ein gutes und lohnendes Geschäft geworden — ein reicher Gewinn im Spiel oder so etwas!

Nach Beendigung des Rittes beliebte Seine Herrlichkeit einen andern als den üblichen Weg einzuschlagen. Statt geradeswegs nach seinem an der Südseite des Parks gelegenen Palais zu reiten, warf er sein Pferd herum, lenkte es geradeswegs nach Piccadilly, bog in die Saint James Street ein, kam nach Pall Mall, wo mehrere der reichen Kaufleute ihre Wohnhäuser hatten, und hielt vor einem der reichsten und prächtigsten an.

Ein wohlbeleibter, rotwangiger Hauswart in prunkvoller Livree trat auf die Treppe heraus.

»Sir Josuah zu Hause?« fragte der Lord, stieg auf die bejahende Antwort des Hauswarts vom Pferd, warf dem Groom die Zügel zu und betrat, von seinem Sohn gefolgt, die geräumige, mit allerlei exotischen Trophäen und Waffen geschmückte Halle.

Der Hofmeister, der ihnen auf der Treppe zur ersten [166] Etage entgegenkam, zeigte dem vornehmen Besuch unter vielen devoten Verbeugungen den Weg und führte die Herren in die Bildergalerie, wo sie der Hausherr, der sehr ehrenwerte Sir Josuah Crichton, Großreeder und Mitglied des Hauses der Gemeinen, erwartete. Er empfing sie freundlich, aber würdevoll, und stellte ihnen seine Tochter vor — eine kleine, hübsche Blondine mit dem üblichen, süßlich nichtssagenden Gesicht.

Die gebräuchlichen Phrasen über Wind und Wetter wurden gewechselt. Auch erkundigte man sich, wie schicklich, nach dem derzeitigen Wohlbefinden. Dann zogen sich die alten Herren auf Anregung Sir Josuahs nach der Bibliothek zurück, um ihr »Geschäft« zu besprechen, und ließen die beiden jungen Leute allein!

Das Geschäft betraf eben das Lebensglück jener beiden Menschenkinder, die sich bis jetzt nicht gesehen hatten — die aber, wenn die Herren Väter einig wurden, ihre gegenseitigen Vorstellungen vom Lebensglück in Einklang zu bringen haben würden — ob's ihnen paßte oder nicht.

Zeit genug blieb ihnen dazu.

Denn die beiden alten Herren hatten gewichtige ideelle und materielle Interessen gegeneinander abzuwägen. Sie waren beide darauf bedacht, das Tauschgeschäft möglichst vorteilhaft zu gestalten. Und da ist ein ehrlicher Kaufmann mit dem Anpreisen seiner Ware nicht im Handumdrehen fertig! Seine Herrlichkeit gab sich auch redlich den Anschein, möglichst wenig Interesse am Zustandekommen des Geschäfts zu nehmen.

Er schlug mit der Reitgerte den Staub von den Schößen seines goldgestickten, grünen Rocks, legte sie nebst Hut und Handschuhen auf den großen mit Büchern und Zeitschriften bedeckten Tisch, setzte sich gravitätisch in einen großen Sessel und blickte etwas zerstreut den vor ihm stehenden dicken Sir Josuah an, dessen kleine Äuglein ihm aus dem hochroten, wohlgenährten Gesicht schlau entgegenblinzelten, indes er sich vergnügt die Hände rieb.

[167]

»Sie finden mich hier, Sir Josuah«, begann Seine Lordschaft, »um die zwischen uns schwebende Angelegenheit ein letztes Mal zu besprechen und — so oder so — endgültig zu erledigen! — Zunächst möchte ich Ihnen eröffnen — —«

»Ich bin ganz Ohr!« rief Sir Josuah lebhaft, zog einen Sessel näher und setzte sich ebenso würdevoll zurecht. Aber beileibe nicht, um es Seiner Herrlichkeit gleichzutun, sondern nur, um seine weiß gepuderte Staatsperücke nicht gegen die Stuhllehne zu drücken. »Wenn Eure Herrlichkeit also die Gnade haben wollen —«

»Sie wissen, daß das Haus der Stuarts von alters her zu den Stützen der Torys gehört?! — Mein Vater trat aus Überzeugung der Partei der Whigs bei, was unserem Zweig des Hauses den Unwillen der ganzen übrigen Verwandtschaft zuzog. Wir haben einiges darunter zu leiden gehabt! Wir lassen uns aber nicht von unserer Überzeugung abbringen! Man hofft es allerdings — man gedenkt meinen Sohn wieder ins Torylager hinüberzuziehen! — Denn wenn der ältere Zweig ausstirbt, was sehr bald zu erwarten ist, dann ist mein Sohn der Erbe des riesenhaften Vermögens. Und das möchte die Partei der Torys, der ja mein Vetter leider noch angehört, sich zunutze machen!

Das möchte ich verhindern. Ich will nicht nur ihn selbst fest an unsere Sache ketten, ich möchte vor allem den Parteifreunden meines Vetters schon jetzt möglichst klar zu Gemüte führen, daß sie in politischer Hinsicht von uns nichts zu erhoffen haben. — Sie verstehen, Sir Josuah?«

Sir Josuah rieb sich die Hände.

»Gewiß, Mylord, ich verstehe, und ich freue mich über die uneigennützige Treue Eurer Herrlichkeit unserer Partei gegenüber!«

Das Wort »uneigennützig« sprach Sir Josuah mit [168] einer leichten Anzüglichkeit aus, die Lord Stuart sofort in Harnisch brachte.

»Sie meinen das hoffentlich ernst, Sir Josuah?«

»Gewiß!«

»Schön! — Ich hätte sonst die Unterredung abbrechen müssen! — Geld und Geldeswert haben bei den Entschließungen eines Stuart nie eine Rolle gespielt! Ein Stuart war stets bereit, unter Hintansetzung aller materiellen Vorteile dem Rufe der Ehre zu folgen! — Wo Sie in der Geschichte Englands hinblicken — in der grauen Vorzeit — bei den Kreuzzügen, unter Wilhelm dem Eroberer — in den Kämpfen der Roten und der Weißen Rose — bei der glorreichen Revolution — überall sehen Sie meine Ahnen das Banner ritterlicher Gesinnung hochhalten und ihr Blut für die Ehre Englands vergießen! — Unser Stammbaum wurzelt tief in der Vergangenheit! Aus dem Clan der Stuarts sind Könige hervorgegangen! — Unser Haus ist eins der wenigen, die, ohne den guten Geschmack und die guten Manieren zu verlieren, die Periode der Heuchelei unter Cromwell und seinen Rundhäuptern überlebt haben! — Und wenn wir uns dann entschlossen zu der Partei der Whigs schlugen, so war es keinesfalls, um persönliche Vorteile einzuheimsen, sondern es geschah aus der Überzeugung, daß bei den Whigs der Fortschritt liegt, und daß nur auf dem von ihnen betretenen Wege die Größe und die Ehre Englands zu wahren ist! — Wenn Sie mich jetzt also bereit finden, in die Verehelichung Ihrer Tochter mit meinem Sohne zu willigen — —«

»Mylord verzeihen«, unterbrach ihn Sir Josuah, der sich durchaus nichts vergeben wollte — »Mylord verzeihen, wenn ich darauf aufmerksam zu machen wage, daß eine solche für mich gewiß sehr ehrende Einwilligung doch wohl vorher genau zu überlegen wäre!«

»Sie meinen?« — Lord Stuart richtete sich in seinem Sessel auf. »Ihrer Familie kann eine Verbindung mit [169] dem Hause Stuart doch nur Ehre bringen! Und was mich betrifft, so möchte ich nur bemerken, daß ein Stuart nichts ohne reifliche Überlegung zu tun pflegt!«

»Ich bezweifle das durchaus nicht«, sagte Sir Josuah beschwichtigend. »Aber trotzdem möchte ich Euer Herrlichkeit anheimstellen, sich meine Ahnen doch auch etwas näher anzusehen, ehe wir daran gehen, unsere Stammbäume sozusagen in denselben Garten zu verpflanzen!«

»Sie belieben zu scherzen!«

»Durchaus nicht!«

»Wie soll ich das denn verstehen?«

»Beileibe nicht so, daß ich da irgendwie Vergleiche ziehen möchte!«

»Das will ich auch hoffen!«

»Wir haben es ja vorläufig nur bis zum Baronet gebracht! Mein Vater war noch ein einfacher Gentry! Er hat sich nicht träumen lassen, daß bereits ich mir einen Sitz im Hause der Gemeinen kaufen würde. Den Luxus konnte er sich noch nicht gestatten! — Für meine Person bin ich denn auch am Ziel meines Ehrgeizes! Aber meinen Nachkommen möchte ich noch nach Kräften den Weg ebnen! Und so sehr ich die Ehre einer Verbindung mit dem Hause Stuart schätze, die Vorteile, die sie realiter mit sich bringt, sind mir, aufrichtig gesagt, bei dem Geschäft die Hauptsache!«

»Sie schielen wohl bereits nach einem Sitz im Hause der Lords? Die Krone eines Peers von England ist aber nicht um Geld zu haben!«

»Aber sie ist zu haben.«

»Par la grace de Dieu!«

»Die Gnade des Königs genügt mir! Und da reicht der Einfluß des Hauses Stuart wohl bis an die Stufen des Thrones!«

»Der Einfluß unseres Hauses stand unseren Freunden und Verwandten stets zur Verfügung! Also werden auch Sie mit ihm rechnen können — hoffe ich!«

[170]

»Für meine Person habe ich keine Wünsche! — Ich habe aber einen Sohn!«

»Wenn Ihr Sohn sich ebenso wie sein Vater um England verdient macht, findet er sicher den Einfluß meines Hauses auf seiner Seite! — Übrigens aber wollten wir nicht von Ihrem Sohn, sondern von Ihrer Tochter sprechen!«

»Ganz recht! Und nachdem ich Eurer Lordschaft Ansichten erforschen und eine so befriedigende Erklärung entgegennehmen durfte, liegt meinerseits nichts mehr im Wege, daß wir auch in dieser Beziehung die Unterhaltung fortsetzen!«

Lord Stuart rümpfte die Nase! Die geschäftsmäßige Art gefiel ihm nicht.

Sir Josuah sah es, ließ sich aber nichts anmerken, sondern fuhr in aller Gemütsruhe fort:

»Ich bin eben Nützlichkeitsmensch wie mein Vater und meine Vorfahren! Und das ist mein ganzer Stolz! — Weit zurück reichen, wie ich schon zu bemerken die Ehre hatte, bei uns die Ahnen von Geburt nicht! — Die haben wir uns erst geleistet, als sich auch bei uns die Notwendigkeit einstellte, den von uns aufgebauten Teil des Wohlstandes Englands auch nach außen hin mit dem gebührenden Glanz zu vertreten! Aber unser Stammbaum ist darum nicht weniger alt! Er wurzelt genau so tief in der grauen Vorzeit und in der Vergangenheit Englands wie der Eurer Herrlichkeit!«

»Was Sie sagen!«

»Eurer Herrlichkeit Vorfahren schlugen sich für die Ehre und den Glanz und hatten für anderes keine Zeit. Die Brosamen, die sie verschmähten, sammelten meine Ahnen ein, Krume für Krume. Das hat lange gedauert! Dann aber — als das erste Schiff gebaut werden konnte — dann ging's schneller. Der Heringsfang lohnte sich! Bald gingen unsere Schiffe — denn sie vermehrten sich rasch — auf Robbenfang aus, und jetzt hat unser [171] anfangs so unansehnlicher Stammbaum tausend Spitzen — tausend Mastbäume —, die alle die Flagge Old-Englands über die Meere tragen! — Hunderte von Schiffen sendet meine Reederei heute mit Gütern beladen nach allen Windrichtungen aus — die meisten mit Glück!«

»Ich weiß«, sagte Lord Stuart trocken. »Wenn Sie's für nötig halten, dieses Thema zu berühren, so kann ich nicht umhin, zu sagen, daß Ihr sonst gewiß sehr ehrenwertes Haus es sich wohl leisten könnte, auf den Sklavenhandel zu verzichten! Mit Heringen und mit Robben kann man handeln — mit Menschen nicht! Sie kennen meine Ansichten in dieser heiklen Frage?«

»Ich kenne sie und respektiere sie! Ich bin aber ein Nützlichkeitsmensch, wie ich schon die Ehre hatte, zu sagen! Das Geld ist mir gut, wo es auch herkommt! — So lange Südamerika >schwarzes Elfenbein< verlangt, wird die Ware beschafft; und da sehe ich nicht ein, warum ich andern Leuten ein gutes Geschäft überlassen sollte, das ich ebensogut selbst machen kann! Um so weniger, da die paar Schiffe, die ich auf die Trade eingestellt habe, ebensoviel einbringen wie alle die anderen zusammen!«

»Trotzdem sollten Sie damit aufhören!«

»Soll ich das so verstehen, daß Eure Lordschaft diese Forderung als Bedingung aufstellen?«

Lord Stuart antwortete nicht.

»Ich würde auf die Bedingung nicht eingehen können«, sagte Sir Josuah resolut. »Dank jenem schwarzen Elfenbein schloß ich im vorigen Jahre mit einem Reingewinn von zweihunderttausend Pfund ab! Ich werde nicht so dumm sein, auf das schöne Geld zu verzichten!«

»Sie wissen, daß unsere Partei eine Bill gegen den Sklavenhandel eingebracht hat?«

»Ich weiß! Aber auch, daß es gewiß Jahrzehnte dauern wird, ehe eine solche Bill Gesetz wird!«

»Ich hoffe doch nicht!«

»Ich schon! Aber wenn die Bill jemals Gesetz werden [172] würde, davon können Eure Lordschaft überzeugt sein, daß der derzeitige Chef des Hauses Crichton & Co. sich dem Gesetze fügen wird!«

»Diese Versicherung beruhigt mich! Ich sehe, wir werden uns über den Sklavenhandel einigen! Reden wir also weiter!«

»Dann möchte ich zunächst das gütige Anerbieten, auf Eurer Lordschaft Besitz Mackenzie-Hill eine Hypothek begeben zu dürfen, mit Dank annehmen!«

In den Augen Stuarts leuchtete es auf.

»Mackenzie-Hill muß ausgebaut werden«, sagte er zögernd. »Es soll der Wohnsitz meines Sohnes nach seiner Verehelichung werden. Sie lassen also die zwanzigtausend Pfund darauf eintragen?«

»Sobald wir im übrigen einig sind, liegt der Betrag zur Verfügung von Eurer Herrlichkeit Gutsverwaltung. Meiner Tochter gebe ich hunderttausend Pfund in die Ehe mit! — Außerdem eine jährliche Rente von zehntausend Pfund!«

»Wollen wir uns bei den Geldangelegenheiten nicht weiter aufhalten«, sagte Stuart, um den Schein zu wahren. »Mein Haushofmeister wird das alles mit Ihnen in Ordnung bringen! Es ist alles richtig so! Machen Sie's nur, wie Sie soeben sagten! Sie werden es zu schätzen wissen, in enge Beziehung zu unserem alten Hause zu treten!«

»So darf ich mir denn erlauben, Eurer Lordschaft Haushofmeister die Dokumente zur Prüfung und Unterschrift zu geben?«

»Bitte, tun Sie das! Sobald er sie gutgeheißen hat, werde ich unterschreiben, und die Sache ist in Ordnung!« Während der Dauer dieser Präliminarien waren die beiden jungen Leute, die durch jene Dokumente aneinandergekettet werden sollten, in der Bildergalerie mit dem Studium ihrer werten Persönlichkeiten beschäftigt.

In sportlichen Angelegenheiten waren sie bald einig. [173] Miß Betsy liebte das Ballspiel ebenso leidenschaftlich wie der junge Lord»Beß«, wie er in der Familie genannt wurde. — In puncto Pferde waren sie auch eines Sinnes und konstatierten mit beiderseitiger Genugtuung, daß die Fuchsjagden auf den Gütern des Sir Josuah Crichton eine ebenso illustre Gesellschaft zu vereinigen pflegten wie die Veranstaltungen Seiner Lordschaft. An beiden hatten bereits Prinzen von Geblüt teilgenommen. In der Poesie waren sie auch eines Sinnes, beide gleichbewandert in den dichterischen Erzeugnissen, die zu kennen der gute Ton von ihnen verlangte! — Sie konnten überdies die alten Balladen rezitieren, spielten beide vollendet die Laute und einigten sich bald darüber, daß die Gavotte à la cour und das Menuett, wie sie am Hofe des lebenslustigen Prinzen von Wales getanzt wurden, den steifen altmodischen Tänzen am königlichen Hofe vorzuziehen seien.

Kurz: alle Bedingungen einer glücklichen Ehe waren vorhanden. Bis auf eine Kleinigkeit. — Miß Betsy hatte zu tief in die dunkelblauen Augen eines jungen Landedelmannes geblickt und suchte in den hübschen Zügen des jungen Lords vergebens nach dem hausbacken treuherzigen Ausdruck, der ihr lieb geworden war, und von dem ihr Herz einzig und allein eingenommen werden konnte! Und dem jungen Lord war wiederum sie herzlich gleichgültig und ebenso uninteressant wie all die anderen jungen Damen, die er kannte.

Was die würdigen alten Herren miteinander zu besprechen hatten, wußten sie beide — auch, daß sich daraus aller Wahrscheinlichkeit nach eine Ehe zwischen ihnen ergeben würde! — Daß das eine Sache war, die mit der Liebe nichts zu tun hatte, wußten sie gleichfalls!

Dem jungen Lord war die Liebe nur eine modische Redensart, die ihm noch nicht geläufig geworden war, und deren vergnügliche Seite er kaum erst par renommée kannte! — Insofern war er eine Merkwürdigkeit seiner Zeit — streng gehalten und noch jung an Jahren.

[174]

Sie war da weit gewitzigter! — Ihr war das Eheproblem bereits bis zu der Frage vorgeschritten: — ob ihr zukünftiger Herr und Gebieter ihr die Freiheit verstatten würde, auch als seine Gattin den ländlichen Neigungen ihres Herzens zu folgen oder nicht? — Eine Frage allerdings, die vor der Trauung weder gestellt noch beantwortet werden konnte — deren Lösung sie aber der ruhigen und höflichen, fast bescheidenen Art des jungen Lords in für sich günstigem Sinne ohne weiteres entnehmen zu können glaubte. Sie gedachte der Küsse ihres geheimen Verehrers und ihres Treuschwurs, nur ihn zu lieben — war aber im übrigen bereit, sich als gehorsame Tochter dem väterlichen Entschluß zu fügen! — — In diesem Sinne verstattete sie sich sogar eine gewisse Annäherung, führte ihren Zukünftigen aus der Galerie in den Palmengarten, zeigte ihm ihre Papageien und Affen, lud ihn ein, auf ihrer Lieblingsbank Platz zu nehmen und sang ihm da, zur Laute, das alte Lied »Robin Adair« vor — sang es mit viel Empfindung, und dachte dabei wehmütig an das bitterböse Schicksal, das nicht jenem jungen Landedelmanne beschert hatte, ein Lord zu sein — den sie auch heiraten durfte!

»Treu und herzinniglich,
Robin Adair,
Tausendmal grüß ich dich,
Robin Adair,
Hab' ich doch manche Nacht
Schlummerlos zugebracht,
Immer an dich gedacht,
Robin Adair!
Mancher wohl warb um mich,
Robin Adair,
Treu aber liebt ich dich,
Robin Adair,
[175] Mögen sie andre frein,
Will ja nur dir allein
Leben und Liebe weihn,
Robin Adair!«

So sang sie, und der junge Lord wurde dabei von einer ihm nicht recht erwünschten Empfindung beschlichen.

Sie hatte ja eine ganz hübsche Stimme und sang mit viel Gefühl! — Ihre Augen wurden dabei feucht — ihre Wangen glühten! — Als wohlerzogener Mensch konnte er nicht umhin, das Lied auf sich zu beziehen! — Er überlegte sich's schon in allem Ernst, ob er es nicht seinerseits auch zu einer Annäherung kommen lassen müßte?! — Ein Handkuß schien ihm schon unumgänglich! — Da, zum Glück, erschienen die beiden Väter, die inzwischen einig geworden waren, und machten seiner Verlegenheit ein Ende.

Das Lied — das anscheinend intime Zusammensitzen der beiden — alles schien den alten Herren für eine glatte Abwickelung des Geschäfts zu bürgen!

Schmunzelnd trat Sir Josuah auf seine Tochter zu, teilte ihr in aller Form mit, daß Seine Herrlichkeit ihm die große Ehre erwiesen hätte, um ihre Hand für seinen Sohn zu bitten, sowie, daß er seine Zustimmung bereits gegeben hätte.

Seine Herrlichkeit hatte denn auch die Gnade, ihr die Stirn zu küssen und sie als Tochter zu begrüßen, und zwar ohne sie um ihre Meinung zu befragen. Er übergab ihr einen prachtvollen Schmuck, den er bereits mitgebracht hatte, und legte dann ihre Hand in die seines Sohnes, der sie gehorsamst annahm und sie formell küßte.

Nachdem Lord Stuart die ganze Familie Crichton auf den heutigen Abend zum Diner geladen hatte, verabschiedete er sich, nahm den frischgebackenen Bräutigam mit, schritt würdevoll, wie er gekommen, die Treppe hinab, bestieg sein Pferd und ritt denselben Weg zurück.

[176]

Unterwegs regte sich im Busen des jungen Lords so etwas wie eine Empfindung, daß auch er ein Mensch für sich sei! — Im Hydepark angelangt, beurlaubte er sich plötzlich von seinem gestrengen Herrn Vater, dem er glaubte für heute genügend Gehorsam gezeigt zu haben! — Er wollte sich noch in den Alleen des Parks ergehen und erst später nach Hause kommen.

Der Groom nahm sein Pferd am Zügel und folgte dem alten Herrn nach dem Palais. Und Lord Beß war endlich allein mit seinen Gedanken.

Er schlenderte durch den Park, ohne Ziel, sah zerstreut dem bunten Treiben zu und bog dann, ermüdet von dem Trubel, in einen entlegeneren Weg ein.

Die Bäume gaben hier mehr Schatten und gestatteten keinen weiteren Ausblick. — Die Wege schlängelten sich zwischen dichtem Gebüsch hin. Die Großstadt war hier kaum zu hören. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.

Beß dachte nicht mehr an das soeben Erlebte. Er war froh, für einen Augenblick dem Zwang entschlüpft zu sein, in dem sein gestrenger Herr Vater ihn bis jetzt unnachsichtlich gehalten hatte.

Das heutige Ereignis hatte für ihn keine andere Bedeutung, als daß er die Fesseln der väterlichen Beaufsichtigung mit denen der Ehe vertauschen sollte! — — Ein notwendiges Übel nur war's, das eine wie das andere, und keines Gedankens wert! Für den Augenblick fühlte er sich frei wie ein Schuljunge, der sein tägliches Pensum absolviert hatte! Und das war ihm die Hauptsache!

Er trieb sich ohne Ziel herum und war eben im Begriff, den Weg nach Hause einzuschlagen, als er plötzlich laute Hilferufe hörte. — Schnell lief er nach der Richtung, aus der die Rufe kamen, und sah auf einem Seitenweg eine junge Dame, die von zwei Männern fortgeschleppt wurde. In der Nähe hielt ein verschlossener Wagen.

[177]

Eine Entführung also am hellichten Tage!

Er lief hinzu, so schnell er konnte, zog den Degen und schlug auf die Bösewichter ein, die ihr Opfer sofort freiließen und, ohne sich zur Wehr zu setzen, eiligst an den Wagen liefen, den Pferden die Zügel gaben und in vollem Trab davonjagten.

Beß wandte sich der Überfallenen zu, die noch keuchend vor Aufregung dastand.

Es war ein reich gekleidetes, etwas fremdländisch anmutendes junges Mädchen von hohem, schlankem Wuchs. Mit der Leichtigkeit einer Sylphide, und mehr schwebend als gehend, kam sie auf ihn zu und reichte ihm die Hand.

»Mein Herr, wie soll ich Ihnen nur danken können«, sagte sie in gebrochenem Französisch, mit einer Stimme, in deren sonorem, etwas verschleiertem Klang der überstandene Schrecken noch nachzitterte. — — »Sie haben mir das Leben gerettet!«

Er stand da, stumm, ohne etwas sagen zu können, und hielt die kleine Hand fest, deren kaum fühlbarer Druck ihn wie ein elektrischer Schlag durchzitterte. Er blickte in ein Paar schwarze, wundervolle Augen, deren Glanz noch von den Tränen erhöht wurde, er sah ein jugendliches Gesicht, frisch wie ein Pfirsich, sah die roten, schön geschwungenen Lippen bezaubernd lächeln und schloß die Augen, um nicht der Versuchung nachgeben zu müssen, sie sofort zu küssen! — Was sie ihm sagte, hatte er nicht gehört, nur den Klang ihrer Stimme vernommen, der noch wie liebliche nie zuvor gehörte Musik in ihm nachzitterte und ihn in süße Aufregung versetzte.

So stark war der Eindruck, daß er, von einem plötzlichen Schwindel gefaßt, wankte und sich an einen Baum stützen mußte.

»Mein Gott! — Fallen Sie nur nicht in Ohnmacht!« lachte die silberhelle Stimme wieder. »Man könnte ja denken, nicht Sie hätten mich, sondern ich Sie gerettet!«

»Das haben Sie auch!« rief Beß mechanisch und [178] wiederholte mechanisch wie im Traum: »Sie haben mich gerettet! — Sie haben mich gerettet! — — Gott sei Dank!«

Die Liebe war wie ein Blitz des Himmels in seine Seele gefahren und hatte sein ganzes Wesen in Flammen gesetzt. Vor einigen Minuten noch ein Traumwandler, der sich von fremden Mächten hin und her treiben ließ, war er jetzt zum selbständigen Leben aufgewacht! — Er sah den Weg und empfand zum ersten Male voll das Glück, da zu sein.

Sie sah seine Aufregung und zog ihre Hand aus der seinen.

»Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, mein Herr!« sagte sie nochmals. »Mein Leben lang werde ich Ihre Schuldnerin sein! Ich darf Sie aber nicht länger aufhalten!«

»Tun Sie's nur! — Tun Sie's nur!«

»Ich habe Verpflichtungen, die ich erfüllen muß!« sagte sie. »Die Zeit eilt! Wenn Sie aber Ihre Güte noch so weit ausdehnen möchten, mich zu meiner Sänfte zu begleiten, wäre ich Ihnen dankbar!«

Ohne seine Antwort abzuwarten, legte sie ihren Arm in den seinen und führte ihn, mehr als er sie, den Weg zurück von der entlegenen Stelle des Parks zu dem Platz, wo ihre Sänfte wartete.

Viel zu kurz dünkte ihn der Weg. Ehe er recht zur Besinnung kam, hatte sie sich verabschiedet, sich in die Sänfte gesetzt und den Trägern ein paar Worte zugerufen. Und er stand da und blickte ihr groß nach und war nicht sicher, ob die ganze Begebenheit ein Traum war oder nicht.

In ihm jubelte es aber auf! Und um ihn war die ganze Natur wie verwandelt. Noch niemals hatte der Garten so strahlend schön dagelegen — niemals zuvor war die Luft so voll von Wohlgerüchen oder das Atmen so leicht! — Und das Zwitschern der Vögel gab nur das [179] Echo zu dem Aufjauchzen in seinem Innern, verstärkte es und trieb es zu einem einzigen Aufschrei unbändigster Lebenslust.

Ein anderer Mensch, kam er nach Hause.

Die Fesseln waren abgefallen. Was ihn bis jetzt beengt hatte, existierte nicht mehr, oder war unwesentlich geworden! Wo er hinsah, sah er nur das liebliche Bild, das ihm soeben begegnet war! — Wo er hinhörte, hörte er nur den silberhellen Klang ihrer Stimme! — Es war ihm unmöglich, einem Gespräch zu folgen, und nur mit Mühe konnte er sich so weit zusammennehmen, daß er auf direkte Fragen Antwort gab.

Das Diner verlief einförmig. Lord Stuart freute sich, daß sein Sprößling — wie er dachte — darauf bestrebt war, die Würde seines Standes zu wahren. — Die junge Braut war entzückt von der vielversprechenden Gleichgültigkeit, die ihr zukünftiger Herr und Gemahl ihr zeigte, und tat in ihrem Herzen das Gelübde, ihn nie auf andere Gedanken zu bringen.

Nur Sir Josuah war unzufrieden. Er fand seinen zukünftigen Eidam mehr als löblich dumm und überlegte noch, wie er sein gutes Geld gegen diese geistige Minderwertigkeit schützen sollte.

Aber das Essen war glänzend, die Weine ebenso. Und ehe man sich trennte, hatte man sich schon dahin geeinigt, die beiden Neuverlobten am nächsten Tag miteinander ins Theater zu schicken, damit sie sich so allmählich näher kämen!

Sir Josuah hatte bereits eine Loge im Coventgardentheater genommen, und man sollte die große Sensation der Saison, die Tänzerin Barberini, sehen.

Am folgenden Nachmittag holte Beß seine Braut ab. Er kutschierte selbst das Sechsergespann und machte erst eine Spazierfahrt in den Park, um sich auch da mit ihr öffentlich zu zeigen.

Kurz vor Beginn der Vorstellung langten sie in [180] Coventgarden an und suchten ihre Loge im ersten Rang auf.

Die Vorstellung begann, und da Beß ebenso gleichgültig und zerstreut war wie beim gestrigen Diner, so konnte seine Braut sich ungestört dem Zuhören widmen!

Die Vorstellung schien dem jungen Lord endlos zu sein. Er konnte es kaum noch abwarten, die junge Dame wieder nach Hause bringen zu dürfen, und wäre gern sofort aufgebrochen. Aber sie schien Vergnügen an der Aufführung zu finden. Und seufzend fügte er sich in sein Schicksal!

Endlich kam das Ballett.

»Haben Sie die Barberini schon gesehen, Mylord?« fragte die junge Dame, um einmal ein Wort zu sagen.

»Nein!« antwortete Beß, errötete aber dabei, als hätte er eine Lüge gesagt. Warum, war ihm unfaßlich, denn er glaubte die Wahrheit gesprochen zu haben! Aber jenes Gefühl kam wohl nur davon, daß diese ihm höchst gleichgültige junge Dame an seiner Seite ihn durch ihre bloße Anwesenheit irritierte! — Er wußte in ihrer Gegenwart kaum noch mit sich Bescheid und wünschte sie im stillen dahin, wo der Pfeffer wächst!

Der Vorhang ging auf und machte allem Fragen ein Ende.

Der Regisseur trat vor und teilte dem Publikum mit, das pantomimische Ballett müsse leider heute ausfallen, da Demoiselle Barberini noch unter den Folgen ihres gestrigen Unfalles leide! Sie würde heute nur ein Menuett, einen schottischen Tanz und eine Tarantella tanzen und ließe um die Nachsicht des Publikums bitten.

Das Parterre knurrte und schien nicht übel Lust zu haben, dem Regisseur auch tätliche Antwort zu geben! — Die Apfelsinenmädchen machten reißende Geschäfte und sahen in kurzem ihre Körbe leer von den auch als Wurfgeschoß beliebten Früchten.

Aber die Ankündigung, daß John Rich, der alte Liebling [181] des Publikums, als Ersatz einen »Saylor boys« und ein paar seiner Grotesktänze zugeben würde, verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Unruhe legte sich, und die Vorstellung konnte weitergehen.

Anfänglich blickte Beß kaum hin, sondern saß im Hintergrund der Loge, in Gedanken vertieft, und die gingen alle zurück zu dem Gegenstand des gestrigen Abenteuers, von dessen Lieblichkeit er noch ganz erfüllt war. Schließlich aber glitten seine Blicke auch nach der Bühne — und da, von den wiegenden Rhythmen getragen, schwebte ihm eine Erscheinung entgegen, bei deren erstem Anblick ihm alles Blut zum Herzen strömte.

Sie — sie war's!

Er hätte zu ihr hinunterspringen mögen, sich ihr zu Füßen werfen — sie in die Arme nehmen und forttragen — irgendwohin, gleichviel wo, wenn er sie nur den Blicken all dieser Leute zu entziehen vermöchte, die sie mit ihrem Entzücken verfolgten, beleidigten, ja entweihten! Allein wollte er sie anbeten, ihr in seiner Seele einen Tempel errichten, wo sie allein herrschen sollte und er als ihr erster und einziger Diener der Vermittler zwischen ihr und dem übrigen Leben auf dieser Erde sein würde!

Er saß ganz still und wagte kaum zu atmen! Seine Blicke hingen wie festgebannt an ihr. Jede Linie, jede Biegung des schmiegsamen Körpers fesselte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt. — Als sie aber wie ein Schmetterling über die Bühne flatterte und fast in seine Loge hineinfliegen zu wollen schien, da fuhr er auf und streckte die Arme gegen sie aus. Und er hätte jenen Unhold, mit dem sie tanzte, ermorden können, als er sie packte und mit seinem Raub davonstürmte.

Er schrie auf vor Wut ob der Beifallsstürme des Publikums!

Nur für ihn durfte sie da sein, nur für ihn tanzen! Ihm allein kam die Anbetung und die Verehrung zu! Das schien ihm von allem Anfang an so bestimmt! [182] — Der Himmel hatte sie ihm gesandt — hatte ihr gegeben, ihm die Augen zu öffnen, und zwar nur, um in ihr das Höchste und Schönste im Leben zu verehren und daran selbst zur vollen Entfaltung seines Selbst zu erblühen!

So heftig äußerte sich sein Unwille über die »Zudringlichkeit« des Pöbels, daß es der Aufmerksamkeit seiner Gefährtin nicht entging. Um so weniger, da sie selbst mit Eifer an den Beifallsäußerungen teilnahm.

»Sie mögen sie nicht?« fragte sie und blickte ihn erstaunt an. Und er, der fürchtete, sich verraten zu haben, griff dankbar nach ihrer Deutung seines Benehmens und antwortete mit einem bestimmten Nein!

»Das wundert mich«, sagte die junge Dame in geringschätzigem Ton. »Ihresgleichen hat man, soviel ich weiß, noch niemals in London gesehen! Sie ist ja ein Wunder von Anmut und Grazie und tanzt mit einer Vollendung, die mich ganz entzückt!«

Zu dieser Belehrung schwieg Beß wohlweislich. Mehr als über deren Inhalt freute er sich über den kühl überlegenen Ton, in dem sie gegeben wurde! Und er nahm sich vor, sein möglichstes zu tun, um noch mehr in ihrer Achtung zu sinken. Er war zu gut erzogen, um ihr zu widersprechen, ließ aber auch kein Wort der Zustimmung laut werden. Und das schon war in ihren Augen ein unverzeihlicher Mangel an der schuldigen Galanterie.

Schweigend stand sie auf, ließ sich von ihm zum Wagen führen, sagte unterwegs kein Wort und machte nicht Miene, ihn zu überreden, als er die höfliche Einladung Sir Josuahs zum Souper ausschlug. Zum Erstaunen ihres Vaters ließ sie ihn seines Weges gehen.

So waren sie bereits wegen Barberina entzweit, wenn auch in ganz anderem Sinne, als es noch kommen sollte. Keinen Augenblick länger mochte er in der Nähe eines anderen weiblichen Wesens weilen, am allerwenigsten da, wo er zum Überfluß noch gebunden war.

Nach Hause mochte er aber auch nicht fahren.

[183]

Er wußte jetzt, wer seine Angebetete war — er mußte aber auch mehr wissen als den bloßen Namen. Und so entschloß er sich, trotz seines Widerwillens gegen geräuschvolle Gesellschaften, zum erstenmal, den Aufforderungen seiner jungen Standesgenossen nachzukommen, und ließ sich nach einem Gasthaus fahren, wo die jungen Leute von Welt zusammenzukommen pflegten.

Er wurde mit Begeisterung empfangen und sah sich bald als Mittelpunkt eines Kreises junger Leute des höchsten Adels, die eine sehr angeregte Unterhaltung führten, bei der ihre galanten Abenteuer hauptsächlich den Gesprächsstoff abgaben.

Selbstverständlich wurde da auch der Name Barberinas genannt. Allerdings mit einem gewissen Unterton von Enttäuschung! Denn keiner der jungen Herren konnte sich rühmen, von ihr irgendeine Gunstbezeugung erlangt zu haben. Und sie war schon die zweite Saison in London.

Man hatte sich alles mögliche über ihr Vorleben erzählen lassen. Der junge Lord Albermale zeigte sich besonders gut unterrichtet — er hatte sein Wissen von Lord Arundel, der ihr in Paris — wie man sagte — nicht ohne Erfolg den Hof gemacht hatte! — Er hatte sie sogar selbst dort kennengelernt. Und wer weiß, wie es gekommen wäre, wenn nicht ihre plötzliche Abreise nach England ihm jede weitere Gelegenheit zu einer Annäherung abgeschnitten hätte! Hier hielt sie sich ja hermetisch abgeschlossen. Es sei aber ein gründliches Mißverständnis ihrerseits, wenn sie dächte, dem englischen Geschmack dadurch entgegenzukommen, daß sie sich zu einer Heiligen zu entwickeln suchte!

Man denke sich nur: — eine Heilige, die, aus der Entfernung, mit den Beinen predigte! Sie würde dem Himmel schwerlich Proselyten zuführen, wenn sie sich nicht entschlösse, ihnen schon auf Erden eine Kostprobe der Seligkeit zu geben!

Die lachende Zustimmung der übrigen verstummte, als [184] zum allgemeinen Staunen Lord Stuart für die gelästerte Schöne eintrat.

Er gebe nichts auf Verleumdungen — er möchte Lord Albermale empfehlen, auch diese Vorsicht walten zu lassen! Wer in der Öffentlichkeit stünde und gar, wie die Barberini, ein Gegenstand der besonderen Aufmerksamkeit des Publikums sei, entginge solchem Gerede niemals! Es brauche deshalb nicht auf Wahrheit zu beruhen! Er sähe nicht ein, warum eine junge Dame — denn das sei die Tänzerin unzweifelhaft —, warum sie nicht in Paris ebenso musterhaft gelebt haben sollte wie hier in London! Auf das Gerede eines als eitlen Gecken und leichtsinnigen Lebemann, wie Lord Arundel, bekannten Gentleman wäre nichts zu geben! Und er könne Lord Albermale den Vorwurf nicht ersparen, wider besseres Wissen diese, den Ruf einer jungen Dame kränkenden Gerüchte aus Ärger wegen Nichterfüllung galanter Wünsche weiterzuverbreiten! Das wäre zum mindesten nicht edel und vertrüge sich schlecht mit ritterlicher Gesinnung! Er selbst wäre jederzeit bereit, für sie — und zwar in jeder Weise — einzutreten! Er würde aber keinesfalls länger dulden, daß über ihre Tugend und ihre Keuschheit lästerlich geredet würde! Am allerwenigsten von jungen Leuten, deren persönliche Erfahrung sie eigentlich zwingen müßte, ihr das glänzendste Tugendzeugnis auszustellen, wenn ihre verletzte Eitelkeit sie nicht daran hindern würde!

Diese ruhig, aber mit einer unter dem Ernst deutlich wahrnehmbaren Leidenschaft vorgebrachte Rede Lord Stuarts bereitete der Fröhlichkeit der jungen Dandys ein jähes Ende.

Alle blickten Lord Albermale an, dem es als Angegriffenem zukam, dem jungen Herrn die gebührende Antwort auf seine Dreistigkeit zu geben.

Sie blieb nicht aus.

»Über die Tugend und Keuschheit der betreffenden [185] jungen Dame hätte ich längst aus eigener Erfahrung sprechen können, wenn nicht das unerbetene Dazwischenkommen eines jungen Fants mich gehindert hätte!«

»Sie, Mylord, Sie waren es, der jenen Schurkenstreich gegen sie plante?« rief Stuart — »jene Entführung, die ich noch rechtzeitig vereiteln konnte!«

»Ich war so frei«, sagte Albermale ruhig. »Aber auch ohne daß Sie sich jetzt als unerbetener Retter zu erkennen gegeben hätten, würde ich es nicht verabsäumen, von Ihnen volle Genugtuung für Ihre mich in meiner Ehre verletzenden Worte zu verlangen! Ich empfinde aber die Verpflichtung, Sie erst durch Tatsachen zu überzeugen! Ich will also sofort den Beweis für die Wahrheit meiner Behauptungen führen!«

»Das wird Ihnen niemals gelingen!« rief Stuart heftig.

»Im äußersten Falle wird meine Degenspitze für das Gelingen zu sorgen haben!« erwiderte Albermale ruhig. »Ich hoffe aber zuversichtlich, der Mühe überhoben zu werden, einen jungen Edelmann, den ich sonst schätze und achte, in solch empfindlicher Weise für einige unbesonnene Worte zu züchtigen! Als Mann von Ehre werden Sie sich nicht versagen können, die von mir gebotenen Beweise entgegenzunehmen und mir dann volle Genugtuung zu geben!«

»Sie können überzeugt sein, daß ich Ihnen jede Genugtuung geben werde, die Sie zu verlangen haben, soweit sie sich mit den Gesetzen der Ehre verträgt! — Es wird Ihnen aber nie und nimmer gelingen, mich zu überzeugen!«

»Folgen Sie mir nur, und Sie werden eines anderen belehrt werden! In Whites Schokoladenhaus wird zur Zeit von einem früheren Tänzer, Fossano, Bank gehalten! Er weiß genau Bescheid über sie! Gehen wir zu ihm!«

»Gehen wir!« — riefen die anderen, denen die Abwechselung willkommen war. Und Stuart folgte, obwohl [186] mit Widerwillen. Denn auf das Zeugnis derartiger Leute war seiner Ansicht nach nicht viel zu geben!

In Whites Schokoladenhaus trafen sie mit Spielern aus allen Gesellschaftsschichten zusammen. Der Hochadel war zahlreich vertreten. Söhne reichgewordener Kaufleute, die Beziehungen nach oben anknüpfen wollten, suchten auf dem Nahweg durchs Spielhaus etwas rascher einige Sprossen der gesellschaftlichen Leiter zu überspringen. Glücksritter aller Nationalitäten, Spieler ex professo, machten sich die Gelegenheit zunutze, den alten gefestigten Feudalbesitz zur Ader zu lassen. Und die galanten Damen fehlten selbstverständlich auch nicht. Es wurde viel und gut gegessen und getrunken — das Eintrittsgeld war auch danach bemessen. In einem größeren, dafür reservierten Saale hatte der ehemalige Tänzer und jetzige Bankhalter seine Spieltische aufgestellt.

Lord Albermale gelang es nach einigem Warten, mit seinen Freunden an den Tisch heranzukommen, wo Fossano selbst Bank hielt. Sie stellten sich ihm vor, nahmen Karten, und das Spiel begann.

»Auf Barberina!« rief Albermale übermütig und warf eine Handvoll Goldstücke auf Pik-Dame.

»Vorsicht, Mylord!« lachte Fossano. »Eure Herrlichkeit werden verlieren! — Die Dame Barberina hat noch niemand Glück gebracht — außer dem Bankhalter!«

Albermale verlor auch prompt. Die Pik-Dame echappierte mit seinem Gold!

»Ihr Zeuge läßt Sie böse im Stich, Mylord!« sagte Stuart trocken.

»Wieso?«

»Die von Ihnen benannte Dame hat doch eklatant gezeigt, daß sie für Geld nicht zu haben ist!«

»Das hängt ganz vom Betrag ab!« tröstete Fossano, strich die verlorenen Einsätze ein, zahlte aus, wo zu zahlen war, und gab neue Karten.

»Auf die Summe soll's mir nicht ankommen!« erwiderte [187] Albermale und warf eine ganze Börse hin. Er verlor nochmals.

»Ich wiederhole es, Mylord — die Gegenliebe dieser Dame ist nicht für Geld zu haben!« sagte Stuart noch nachdrücklicher. »Bei ihr ist der Einsatz das Leben!«

»Der Einsatz wird hier nicht angenommen!« entgegnete Fossano. »Und — bei ihr wird er auch nicht verlangt! — Genügend Geld und gut gemachte Gelegenheit waren bis jetzt alles, was nötig war!«

»Du lügst!« schrie Stuart, der auf einmal die Selbstbeherrschung verlor.

»Mein junger Herr, ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen, mit mir in dem Tone zu reden! — Sie wissen von ihr nichts! Wenn irgendeiner, muß aber ich mit ihr Bescheid wissen! Denn ich war ihr Lehrer! — Ich habe sie ausgebildet — in der Kunst des Tanzens wie in all dem anderen! — Ich habe sie in die Welt eingeführt — ich habe sie an den Hof von Frankreich gebracht — sie war meine Geliebte — sie wurde vom Prinzen von Carignan, von Lord Arundel und von vielen anderen ausgehalten — —«

»Sie hören, Lord Stuart?«

»In der kurzen Zeit von zwei Monaten hatte sie schon vierzehn Liebhaber, von denen man wußte!«

»Du lügst, du Hund von einem Falschspieler!« rief Stuart außer sich. Und im Übermaß seiner Aufregung warf er den Tisch um, daß Geld und Karten auf dem Fußboden rollten, zog den Degen und schwang ihn im Kreise um sich herum.

»Wer noch ein Wort über sie spricht, ist des Todes!« schrie er.

»Ich fürchte den Tod nicht«, sagte Albermale ruhig, »und bin sicherlich imstande, mich meines Lebens zu wehren, wenn's sein muß! Ich stehe Ihnen zur Verfügung! Hier ist aber nicht der Ort, wo Edelleute ihre Händel [188] auszutragen pflegen! — Wollen Sie nur die Güte haben, Ihre Zeugen zu benennen. Ich werde desgleichen tun. Und das Weitere werden diese Gentlemen dann vereinbaren!«

»Ich sende sie Ihnen«, sagte Stuart, »und hoffe, Sie schon morgen bereit zu finden! Es geht aber auf Leben und Tod! Denn wer, wie Sie, aus verletzter Eitelkeit die Ehre einer Dame durch den Schmutz schleift, verdient kein Erbarmen!«

»Sie haben die Beweise gehört!«

»Das Wort jenes Glücksritters, der sein ritterliches Wappen Gott weiß wo gestohlen hat, gilt mir nichts!«

»Reisen Sie nach Paris, junger Herr«, sagte Fossano, »überzeugen Sie sich!«

»Und wenn ganz Paris und ganz London aufstünden, um gegen sie zu zeugen und zu erklären, ihre Gunst genossen zu haben, so erkläre ich, Lord Stuart, sie alle für Lügner und Betrüger! — Diese Dame ist rein wie ein Engel des Himmels! — Ich brauchte ihr bloß ein einziges Mal in die Augen zu blicken, um zu wissen: — hier, in dieser Seele, wohnt die Tugend, der kein Erdenschmutz etwas anhaben kann, wie nahe er ihr auch kommt! — Speit eure schmutzigen Verleumdungen über sie aus! — Ertränkt sie in all dem Unrat eurer Seelen — sie wird aus dem Schlamm emportauchen wie ein Schwan, rein und makellos und ohne Flecken auf dem weißen Gefieder! Zieht sie nur mit Gewalt zu euch hinab! Ihr kann das nichts anhaben — sie bleibt keusch und unberührt trotz allem! — Sie hat sich noch niemand wahrhaft ergeben, dafür setze ich die Ehre meines Namens als Pfand ein und verteidige ihre Ehre mit meinem Leben!« Und damit ging er.

Die anderen folgten. Gespielt wurde sowieso nicht mehr nach der unliebsamen Unterbrechung. Fossano ließ Geld und Karten einsammeln, rechnete mit seinen Markören ab und ging gleichfalls.

[189]

Er vergaß aber nicht, sich vorher Kunde zu verschaffen von Zeit und Ort des bevorstehenden Zweikampfes, dessen Details Lord Albermale noch auf der Stelle mit zweien seiner Freunde geordnet hatte.

Mit dieser großen Neuigkeit wartete er gleich am anderen Morgen der Mama Campanini auf.

»Freut Euch, Signora!« rief er gleich in der Tür. »Eure Tochter wird endlich auch hier in London ihren Weg machen!«

Die Mama sah von ihrem »Gebetbuch« auf, in das sie vertieft war, und dessen Zahlenreihen sie eben zum soundsovielten Male zärtlich beäugelt hatte. — In so dichten Kolonnen marschierten sie nicht auf wie in Paris. Aber immerhin mächtig genug, um dem Leben jeden Wunsch abzutrotzen.

»Sie wissen doch, Signore —« begann sie von oben herab —

»Chevalier —« korrigierte er mit Nachdruck.

»Meinetwegen auch Marquis«, sagte sie trocken. »Auch wenn Sie sich vergolden lassen, so ändert das nichts daran, daß wir Sie hier zu Hause nicht zu sehen wünschen! Meine Tochter hat nicht den Willen, noch irgendwie mit Ihnen in Berührung zu treten! — Und da das Haus ihr gehört, muß ich mich danach richten! Wir müssen unsere Geschäfte wie sonst abwickeln!«

»Trotzdem konnte ich mir nicht das Vergnügen versagen, Ihnen heute die große Neuigkeit brühwarm zu servieren! Und obwohl es nicht der Erste des Monats ist, bringe ich Ihnen heute schon Ihren Anteil am Gewinn mit!«

Er hielt ihr einen wohlgefüllten Beutel hin und ließ das Geld darin klirren. Der Klang des Goldes verfehlte seine Wirkung nicht. Die Alte nahm ihn, schüttelte ohne weiteres das Geld aus, zählte es durch und trug die Zahlen in ihr »Gebetbuch« ein.

»Ihr solltet mir Euer ganzes Vermögen anvertrauen, [190] Signora«, sagte Fossano. »Bei mir verzinst es sich besser als in der Bank von England!«

»Mag sein!« antwortete sie. »Aber in der Bank von England liegt es sicherer! Euch traue ich nicht über den Weg, das wißt Ihr! Gebe ich Euch alles, so verschwindet Ihr auf Nimmerwiedersehen! Jetzt riskiere ich nur das, was wir zur Not entbehren können, obwohl Ihr's eigentlich gar nicht verdient, daß ich Euch irgendwie aushelfe!«

»Ihr verkennt mich, Signora«, lachte Fossano, »um Eure Hilfe ist's mir nicht zu tun, wenn ich Euch etwas bei mir verdienen lasse! Ich empfand so etwas wie Reue, als ich Euch das Anerbieten machte!«

»Ihr?!«

»Ja! Mein Dazwischentreten in Paris hatte die gewiß nicht beabsichtigte Wirkung, Eure Tochter auf die Bahn der Tugend zu drängen! Ich hielt es für eine Schrulle, eine augenblickliche Laune, als sie im ersten Ärger mit allen ihren Adorateuren brach! Aber es scheint mir doch ihr Ernst gewesen zu sein! Und so war es ja nur meine Pflicht, Euch den durch mich verursachten Ausfall an Einnahmen wieder hereinbringen zu helfen!«

»An Eure gute Absicht glaube ich nimmermehr!« sagte die Mama, die jetzt mit dem Nachzählen des Geldes fertig war. Sie stand auf, schloß den Beutel in ihren Sekretär ein und wandte sich wieder an ihn. — »Ihr brauchtet eben mein Geld, um Eure Spielbank einzurichten!«

»Geld hatte ich genug!«

»Dann wolltet Ihr also nur mit uns in Verbindung bleiben, um Euch gelegentlich an uns rächen zu können! — Ihr haßt meine Tochter! Ihr schreibt ihr Eure Niederlage in Paris zu, die Eurer Laufbahn als Tänzer ein Ziel setzte! Ihr wollt nicht einsehen, daß Ihr fertig wart — da Ihr, alt und verbraucht, nur noch an Eurem großen Namen zehrtet!«

»Weder alt noch verbraucht! Wenn ich aufrichtig sein soll, ich hatte die ganze Sache satt!«

[191]

»Ihr wart eben nicht mehr der erste! Ihr wurdet von meiner Tochter in den Schatten gestellt, so ist es! Und nun, wo sie sich mit ihrer ganzen Leidenschaftlichkeit ihrer Kunst widmet und ganz dem Vergnügen entsagt, nun schleicht Ihr hinter uns her und sucht nur nach Gelegenheiten, uns zu schaden — oder wartet zum mindesten darauf, daß ihr ein Unglück zustoßen wird, damit Ihr Euch freuen könnt!«

»Da brauche ich nicht lange zu warten«, lachte Fossano, »wenn, wie Ihr sagt, das meine ganze Sehnsucht ist! Wenn nicht alle Zeichen trügen, steht ihr jetzt etwas bevor, das ihr bald jede Lust an der weiteren Ausübung ihrer Kunst benehmen wird! Nun bin ich aber nicht so bösartig, wie Ihr denkt! Ich bin sogar gekommen, um ein Unglück zu verhüten!«

»Sieh nur!« sagte die Alte und blickte mißtrauisch zu ihm hinüber! »Das schöne Märchen wollt Ihr mich glauben machen!«

»Hört nur zu! Der Galan Eurer Tochter — —«

»Meine Tochter hat keinen Galan! Das wißt Ihr ebensogut wie ich!«

»Ich weiß jedenfalls: es war Euch sehr schmerzlich, daß sie vorgab, allen galanten Abenteuern entsagen zu wollen! Sie macht das Geschäft eben ohne Euch!«

»Ihr lügt!« rief die Signora empört.

»Warum sollte sie auch nicht?! — Ihr könnt ihr ja doch nicht ewig beistehen! Eure Tage sind gezählt! — Sie muß sich beizeiten daran gewöhnen, auf eigenen Füßen zu stehen! Sie macht es auch sehr geschickt — das muß man ihr schon lassen! Wenn nicht einmal Ihr etwas davon gemerkt habt — —!«

»Sagt mir's geradeheraus, was Ihr wißt!«

Fossano lächelte. Es machte ihm Vergnügen, sie zu quälen, und so zeigte er gar keine Eile, ihre Neugier zu befriedigen.

»Daß Ihr getäuscht wurdet, wundert mich nicht!« [192] sagte er. »Ein ganzes Jahr in London, ohne daß Fama das geringste über ihr Leben zu berichten wüßte! Das war gut gemacht! Und wie geschickt sie ihre Tugend in Szene zu setzen wußte! Mit welchem Eklat! Kaum hier angelangt, hat sie Gelegenheit, sich beim Feste des Prinzen von Wales einzuführen! Alle Welt war gespannt, sie im »Urteil des Paris« zu sehen — alles wußte von der bekannten Vorstellung in Fontainebleau! Jener famose Schönheitsfleck war auch hier schon zu einer gewissen Berühmtheit gelangt! Seine Königliche Hoheit selbst war äußerst gespannt — die Pantomime stand auf dem Programm des Abends — — und sie weigert sich, nackt zu tanzen! — Sie versteift sich darauf, nur ihre italienischen Bauerntänze vorzuführen! Alles war schokiert! Ganz London sprach monatelang von nichts anderem als von ihrer Kühnheit, einen Wunsch von so hoher Stelle zu ignorieren! Ihr Ruf war gemacht — aber ihre Karriere bei Hofe war hin! Auch hier! Und Ihr weintet! Leugnet es nicht! Blutige Tränen habt Ihr geweint! Obwohl der Prinz von Wales so gnädig war, sie nur durch ein kostbares Geschenk dafür zu bestrafen, weil sie das nicht zeigen wollte, wodurch sie den allerchristlichsten König in solche Aufregung versetzt hatte!«

»Wir können den Hof von England entbehren!« sagte die Mama und setzte die Nase hoch.

»Saure Trauben! Das kennen wir! Euch wäre der Hof von England schon recht! Obwohl ich nicht leugnen will, daß man hier in England Künstlerinnen ihres Ranges so gut bezahlt, daß sie königliche Gnadengeschenke entbehren können!«

»Ihr erkennt also ihre große Künstlerschaft doch an!«

»Ohne weiteres! Sie hat gut an sich gearbeitet! Sie ist eine große Künstlerin geworden! Ihre Leistungen sind über jede Kritik erhaben! Aber es war stets etwas in ihrem Tanze, wovon sie heimlich getrieben wurde! Ich habe sie genau beobachtet! Sie schien mir jemand zuliebe [193] zu tanzen, dessen Bild sie insgeheim im Herzen trug! Das gab ihr die Schwungkraft, das gab ihr den Sieg! Ohne das kann sie nun ein für allemal nichts! Das weiß ich! Auf die Art habe ich sie doch abgerichtet!

Wer dieser Jemand wäre, gelang mir bis jetzt nicht zu ermitteln! Seit gestern aber weiß ich's! Weiß aber auch, daß sie Gefahr läuft, ihn zu verlieren! Und da ist es auch um ihre Kunst geschehen! Um das zu verhüten, bin ich eben hergekommen — —«

Er schwieg. Denn vor ihm stand Barberina, die im Nebenzimmer seine letzten Worte gehört hatte und nun hereinkam.

»Ich glaube schon«, rief sie, »daß Ihr hinter mir her seid, um Nachteiliges zu erkunden und weiterzuverbreiten! Wenn Ihr aber glaubt, irgendwelche geheimen Beziehungen aufgespürt zu haben, die mich fesseln würden, so seid Ihr im Irrtum!«

»Sollte es möglich sein?« lachte Fossano gallig. »Sollte es wirklich möglich sein?! — Zwei Sprossen der edelsten Geschlechter Englands stehen im Begriff, Euretwegen die Klingen zu kreuzen — und Ihr wüßtet nichts davon?! Ihr wollt den Mann nicht kennen, der sein Leben zur Verteidigung Eurer Ehre einsetzt?!«

»Meine Ehre verteidige ich selbst! Niemand gab ich den Auftrag, für mich einzutreten! Ich wüßte auch nicht, wer sich erdreisten könnte, so aufdringlich zu sein!«

»Ganz London weiß es — und Euch sollte es unbekannt sein?!«

»Ich sag's ja, ich weiß von nichts! Es interessiert mich auch nicht im geringsten! Meinetwegen können sich die jungen Dandys hier die Nasen gern abschneiden, wenn sie nichts Besseres zu tun wissen!«

»Sonderbar!« sagte Fossano, der nicht umhin konnte, zu merken, daß sie die Wahrheit sprach. »Soll ich den Namen jenes jungen Herrn nennen?«

[194]

»Mir ist's gleich! Wenn's Euch aber ein Vergnügen macht —!«

»Es ist der junge Lord Stuart-Wortley-Mackenzie!«

»Ich kenne ihn nicht!« sagte sie kalt. »Auch der Name ist mir völlig unbekannt!«

Fossano blickte sie staunend an.

Das ging doch über alle Begriffe! Die Leidenschaftlichkeit des jungen Lords konnte doch nur einer persönlichen Bekanntschaft entspringen! Er schüttelte den Kopf.

»Seine eigenen Worte bezeugen mir aber, daß er Euch gesehen hat, und zwar nicht nur aus der Ferne!«

»So führt ihn her, damit ich ihn der Lüge zeihen kann!« rief Barberina entrüstet.

»Das steht nicht in meiner Macht! Wohl aber kann ich Euch dort hinführen, wo der Zweikampf stattfinden wird, damit Ihr in der Lage seid, das Unglück zu verhindern!«

»Das interessiert mich nicht! Den Platz mögt Ihr mir aber nennen! Denn jener Lüge möchte ich entgegentreten und ihr ein für allemal den Garaus machen! Für Eure Begleitung aber danke ich!«

Fossano gab die verlangte Auskunft und ging.

Und Barberina ließ ihre Sänfte kommen, warf eine Mantille um und begab sich dann schnurstracks ohne jede weitere Begleitung an Ort und Stelle!

An einer der entlegensten Stellen des Hydeparks, an einem kleinen, verlassenen, von Efeu überwachsenen Hause, das seit alters her da stand und als pittoreske Ruine belassen worden war, ließ sie halten. Sie kannte die Ruine. Sie hatte sie bei ihren Spaziergängen oft aus der Ferne gesehen, war aber noch niemals hingegangen, da jener Teil des Parks von umherstreichendem Gesindel besucht wurde und als unsicher galt.

Hinter dem Hause hörte sie Stimmen und Waffengeklirr.

[195]

Sie war also nicht zu früh gekommen! — Wer weiß, vielleicht schon zu spät?!

Sie eilte um das Haus herum.

Auf dem offenen, nach allen Seiten von hohen Bäumen umschlossenen Rasen sah sie im Sonnenscheine zwei jugendliche Gestalten ohne Röcke und Hüte, die mit leichten Degen nach allen Regeln der Kunst gegeneinander fochten. Ein Sekundant stand mit dem Degen bereit, den Kampf abzubrechen — ein anderer, die Uhr in der Hand, zählte die Minuten. Ein Waffengang wurde eben beendigt. Aus dem Hemdärmel des einen Kämpfers tröpfelte Blut!

»Macht nichts!« rief er und grüßte den Gegner mit dem Degen. »Bis zur Kampfunfähigkeit, Mylord — so lautete die Bedingung! Ich bin noch lange nicht fertig!«

»Wie Sie wollen«, sagte Lord Albermale ruhig. »Ich dachte aber, der Denkzettel genüge! Sie sind auch nicht ruhig genug, mein Lieber! Sie machen es mir gar zu leicht! Aber wie Sie wollen!«

Er stellte sich in Positur, der Sekundant hob seinen Degen, der Kampf begann wieder.

Barberina, die von der Mauerecke aus den Vorgang beobachtet hatte, lief jetzt kurz entschlossen hinzu. — Ohne die Gefahr zu bedenken, lief sie in die gekreuzten Degen hinein, faßte die Klingen mit beiden Händen und bog sie auseinander.

Die beiden Gegner ließen in der Überraschung die Griffe los, und Barberina blieb so zwischen ihnen stehen, die Degen in den Händen.

»Entwaffnet!« rief sie übermütig lachend.

»Sie, Mademoiselle?!« rief Albermale. »Mein Kompliment! — Der Coup war ausgezeichnet! — Welchem glücklichen Zufall verdanken wir diese angenehme Überraschung?«

»Keinem Zufall, Mylord«, antwortete sie und warf einen schnellen Blick auf den anderen Kämpfer, der wie [196] ein ertappter Schuljunge dastand. »Man hatte mir mitgeteilt, daß diese Auseinandersetzung meiner Wenigkeit galt, und da war ich so frei, mich auch zur Stelle zu begeben! Mich dünkt, ich habe da ein Wort mitzureden!«

»Gewiß, Signorina«, sagte Albermale. »Ich gestehe Ihnen ohne weiteres das Recht zu! — Obwohl die Auseinandersetzung einen mehr — wie soll ich sagen — rein akademischen Charakter hat!«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte sie scharf und bog die dünnen Klingen in ihren Händen.

»Sehr einfach! Es handelt sich um Ihren Tanz!«

»Nur um meinen Tanz, will ich hoffen? — Nicht auch um meine Person?«

»Ihre Person ist von Ihrem Tanz untrennbar, Mademoiselle! Sie erfüllen Ihren Tanz mit so viel Poesie — mit so viel Reiz der Persönlichkeit — kurz, Sie sind so entzückend —«

»Auf Komplimente verstanden Sie sich immer gut, Mylord! Das sah ich schon in Paris! Ich wußte aber nicht, daß Sie solchen leicht hingeworfenen Nichtigkeiten mit der Waffe Nachdruck zu verleihen pflegen!«

Albermale biß sich auf die Lippen.

»Geradeheraus gesagt, Mademoiselle — es handelt sich um Ihre Tirolienne, die Sie neulich tanzten!«

»Wirklich?«

»Ich hatte die Kühnheit, zu behaupten, daß Sie die Erotik, die in jenem Tanze steckt, mit einer Vollkommenheit zum Ausdruck bringen, daß einem dabei Hören und Sehen vergeht!«

»Sie sind sehr kühn!«

»Sie hatten selbst eine Aufklärung gewünscht! Ich kann Ihrem Befehl nur so nachkommen, daß ich Ihnen die mir von Ihren Tänzen eingeflößten Empfindungen getreulich wiedergebe! — Lord Stuart dagegen — aber Sie kennen ihn doch?«

»Ich hatte noch nicht den Vorzug!« sagte Barberina, [197] die wohl ihren Retter von neulich erkannte, aber sich hütete, es zu verraten. Sie grüßte ihn mit einer knappen Neigung des Kopfes und blickte ihm mit so viel schelmischer Unbefangenheit in die erstaunten Augen, daß der arme Beß den Kopf gänzlich verlor.

»So gestatten Sie denn, daß ich ihn Ihnen vorstelle?« sagte Albermale, dem es doch zu bunt wurde, daß der junge Mensch wirklich rein »akademisch«, wie er dachte, für eine ihm gänzlich Unbekannte sein Leben in die Schanze schlug. »Lord Stuart neigte mehr zu der Ansicht, daß in jener Tirolienne, die Sie mit so viel Anmut zu tanzen pflegen, eine Apotheose der Tugend und der Keuschheit zu sehen sei — ja, daß es Ihnen überhaupt unmöglich sei, etwas anderes auszudrücken! Unsere Ansichten waren eben nicht in Einklang miteinander zu bringen! So mußten denn die Waffen entscheiden!«

»Mylord«, sagte Barberina spitz, »Ihre Darstellung entbehrt nicht der Pikanterie! Ich verstehe wohl den Ernst, der sich dahinter verbirgt, von dem Spiel der Worte zu unterscheiden! Ich möchte auch weder gegen die eine, noch gegen die andere Auffassung meine Stimme erheben! Es steht Ihnen ja frei, meine Herren, meinem Tanze all die Empfindungen abzugewinnen zu suchen, die Ihnen eben geläufig sind! Das ist stets die Angelegenheit des Publikums und geht die Tänzerin nichts an! Ich bemühe mich nur, nach bestem Können den Empfindungsgehalt des Tanzes bildlich darzustellen und bin gern bereit, neben der Stimme meines Gewissens auch ein sachverständiges und parteiloses Urteil zu hören! Über meine Person aber, die, wie Sie, Mylord, so richtig sagten, von meinem Tanz untrennbar ist, gestatte ich keinem fremden Urteil so laut zu werden, daß es mein Ohr berührt! Das entspricht nicht meinen Gepflogenheiten! Sowohl gegen Angriff wie gegen unerbetene Verteidigung meiner Person werde ich mich zu wehren wissen! Sie, meine Herren, haben gar kein Recht, um meiner Person willen [198] handgemein zu werden! Sie werden also sicherlich nichts dagegen haben, meinen Wunsch zu erfüllen und von jeder Auseinandersetzung mit den Waffen aus diesem Grunde Abstand zu nehmen!«

Sie blickte die beiden Kämpfer an, die noch unschlüssig dastanden, und brach in ein helles Lachen aus, in das sie nolens volens einstimmen mußten.

»Geben Sie sich die Hände zum Frieden!« rief sie übermütig, »sonst — ich schwöre es — tanze ich nie wieder, weder Tirolienne noch irgend etwas anderes!«

»Großer Gott«, lachte Albermale, »dies Unglück muß verhütet werden! Um jeden Preis! — Mylord Stuart — da meine Hand! Ich nehme alles zurück! Ich gebe mich besiegt und bitte Sie um Entschuldigung!«

»Die nehme ich gern an«, sagte Stuart, dem die Situation peinlich wurde. »Ich bitte Sie ebenfalls, meine beleidigenden Worte zu vergessen!«

Er nahm die dargebotene Hand an.

»So ist's recht«, sagte die triumphierende Schöne. »Und nun, da der Friede geschlossen ist, werde ich mich entfernen! Diese Trophäen aber« — sie hob die Degen hoch — »nehme ich mit als Wahrzeichen der Versöhnung und als Erinnerung an den Kampf!«

»Unsere Degen wie unsere Herzen legen wir Ihnen zu Füßen, Mademoiselle —«

»Dann werde ich aber auch nie wieder tanzen können! Denn ich möchte weder meine Füße verwunden noch Ihre Herzen zertreten!«

»Mein Herz hält etwas aus!« rief Albermale. »Versuchen Sie's nur ruhig! Überlegen Sie sich's nicht erst lange!«

»Ich werde es mir sehr überlegen!« sagte sie spöttisch. »Ich glaube sogar bestimmt versichern zu können, daß jener Tanz für mich gar keinen Reiz haben wird! Ich verzichte — das wird schon das beste sein!«

[199]

Und wie sie gekommen war, so verschwand sie und ließ die überraschte Gesellschaft stehen.

Lord Albermale und seine Freunde verabschiedeten sich von Stuart, der noch träumend dastand und der verschwundenen Erscheinung in Gedanken nachging.

Er hörte nicht die Aufforderung seiner Freunde, mitzukommen. Ihre spöttischen Bemerkungen drangen nicht bis an sein Bewußtsein. Er merkte nicht, daß er allein auf dem Platze blieb, und daß es still um ihn wurde.

Er liebte — er hatte für sein Liebstes das Leben gewagt! Und er würde es noch tausendmal wagen! Gegen eine ganze Welt wollte er das Heiligtum verteidigen, das er in seinem Herzen aufgebaut hatte! Nichts — auch nicht, daß sie selbst sich es als eine Zudringlichkeit verbat, konnte ihn davon abbringen!

Mechanisch ging er seines Weges, und, war's Zufall, war's Absicht — seine Schritte führten ihn langsam nach der Gegend des Parks, wo er sie zum ersten Male gesehen hatte.

Barberina dagegen, kaum, daß sie in der Sänfte saß, fühlte so etwas wie Reue.

Jener junge Mann, mit dem sie kaum ein Wort gesprochen hatte, dem sie nur einmal begegnet war — der sie aus großer Gefahr gerettet hatte, er war der Verleumdung, der üblen Nachrede der Welt entgegengetreten! — Ohne Bedenken hatte er für ihren guten Namen sein Leben eingesetzt und sein Blut vergossen! Er hatte sie von dem Schmutz, in dem sie versunken war, mit seinem Blute reinwaschen wollen! — Niemals hatte sie sich vorher einen Gedanken über ihr Leben gemacht, sondern es hingenommen als etwas Selbstverständliches, als ein ihr obliegendes Lebensschicksal! — Jetzt aber gingen ihr die Augen dafür auf, wie elend ihr ganzes Dasein bis jetzt gewesen war, und auch dafür, wie unwürdig sie sei, jenes große, ihr von dem reinsten Empfinden dargebrachte Opfer anzunehmen!

[200]

Und wie hatte sie ihm dafür gedankt?

Aber wollte sie Herrin ihrer selbst bleiben, so hatte sie nicht anders sprechen können! Sie hatte eben so gesprochen, wie ihr der Schnabel gewachsen war, und die jungen Dandys ob ihrer Dreistigkeit zurechtgewiesen! Denn eine Dreistigkeit war's, das eine wie das andere! Weder hatte Albermale den geringsten Grund, schlecht von ihr zu sprechen, noch hatte sie Lord Stuart zu ihrem Retter erkürt!

Sie hielt inne.

Nicht sie — aber das Schicksal, das sie zusammengeführt hatte, hatte ihn erkürt! Er war im Recht! Sie sah noch seine großen erstaunten Augen, als sie sich seine Verteidigung verbat — die er als seine heiligste Pflicht empfunden hatte! Sie sah, wie er sie nicht verstand — sah unermeßliche treue Liebe in seinen Blicken — sah, was mehr war — den Glauben an sie, trotz allem!

Und wie hatte sie's ihm gedankt?!

Sie zog die Schnur und ließ die Sänfte halten, stieg aus und wollte zurück zu ihm, wollte ihm sagen, wie wenig sie solche Verehrung verdiene, und ihn um Verzeihung bitten!

Sie eilte rasch den Weg vorwärts. Da, fast auf derselben Stelle, wo er sie vor einigen Tagen gerettet hatte, sah sie ihn kommen, langsam und traumverloren!

Sie eilte auf ihn zu, und mit der ganzen Glut der Südländerin umschlang sie ihn, küßte seine Augen, die sie so vorwurfsvoll angesehen hatten, küßte ihn, glühend heiß, mitten auf den Mund!

Ehe aber der Überraschte die Besinnung wiederfand, ehe er sein Glück zu fassen vermochte, war sie fort, schneller als Sie gekommen war! Er sah nur noch ihre Sänfte an der Biegung des Weges verschwinden.

In der Sänfte aber saß sie in einer Ecke zusammengekauert, das Taschentuch an die Augen gepreßt, und schluchzte, als ob ihr das Herz brechen wollte.


[201]

14

Sie war plötzlich zum Leben erwacht. Und es war ihr, als hätte sie bis jetzt nur geschlafen und geträumt — wüst geträumt!

Was sie bis jetzt erlebt hatte, war kein Erlebnis! Was sie gehofft hatte und immer noch hoffte, war keines Gedankens wert!

Vom Strome getrieben, hatte sie sich willenlos hin und her zerren lassen, bald von diesem, bald von jenem Strudel angezogen! Jetzt fühlte sie zum ersten Male so etwas wie festen Boden unter den Füßen! Sie hatte etwas gefunden, woran die Wurzel ihres Wesens sich anklammern, wachsen und erstarken konnte!

Die Sonne schien ihr zum erstenmal bis in die Seele hinein! — Sie fühlte die Wärme des Lebens in sich pulsieren! Alle Triebe erwachten und drängten zur Entwickelung! Die Seele, deren Knospen die äußere Gewalt roher Hände bis jetzt gewaltsam beschleunigt hatte, auf die Gefahr hin, sie noch vor der Entfaltung völlig zu vernichten — ihre arme, getretene Seele trieb jetzt selbst zur Entfaltung! Die äußere vergewaltigte Hülle fiel! Und rein und unberührt, in voller Unschuld, trotz alles Schlamms, durch den sie emporgetrieben war, entfaltete sich die Blume ihres Seelenlebens, in tausend Farben des reichsten Empfindens schillernd und stark und lieblich duftend!

Die große Liebe war da und hob sie mit ihrer Allgewalt aus dem Sumpf. Und alles, was ihr bis jetzt das Leben gewesen war, wurde ihr gleichgültig! Ohne Bedenken wollte sie es wegwerfen, nie wieder auftreten, nie wieder tanzen, sich ganz vom Getriebe der Bühne zurückziehen!

Sie sah nur ein Paar tiefblaue Augen, die sie anblickten — naiv, groß —, wie wenn ein Kind in einen bunten Traum hineinblickt! Sie hörte nur den Klang [202] einer tiefen, sonoren Männerstimme — sie empfand die ganze Jugendfrische eines Heldentums, das sich ohne Bedenken bereit fand, um ihretwillen alles von sich zu werfen und, ohne Rücksicht auf Familie, Namen oder das Gerede der Welt, aus Liebe zu ihr sein Leben für sie einzusetzen!

Psyche war wieder frei!

Aber die Wandlung war zu schnell gekommen! Die Fesseln waren gelöst, aber sie lagen noch zu ihren Füßen. Sie sah sie noch — sah ihr bisheriges Leben —, sah, was ihr unwiederbringlich verlorengegangen war und wie man an ihr gesündigt hatte! — Sie war wieder frei. Aber die Schwungkraft ihrer Flügel erlahmte! Vom jähen Glück wie vom Unglück gleichermaßen erschüttert, brach sie zusammen!

Ein heftiges Nervenfieber warf sie nieder und fesselte sie für Wochen ans Krankenlager. Die »Mama« war wie verwandelt. In ihr erwachte so etwas wie böses Gewissen. Die Gefahr, in der die Tochter schwebte, hatte es geweckt. Sie sah, wie schwer sie sich aus Eigennutz an ihrem Kinde versündigt hatte, und gelobte dem Himmel, nie wieder ein männliches Wesen an sie heranzulassen, wenn es ihr bloß vergönnt würde, sie dem Leben zu erhalten! Sie nahm die berühmtesten und teuersten Ärzte, streute ihr Geld mit vollen Händen aus — alles umsonst!

Jäh, wie Barberinas Gestirn emporgeschnellt war, war es auch vom Firmament verschwunden.

Ganz London interessierte sich für ihr Schicksal. Die tollsten Gerüchte wurden in Umlauf gesetzt, man glaubte nicht an ihre Krankheit, und die Theaterleitung hatte dem Publikum gegenüber einen schweren Stand.

Das Fieber ließ nicht nach. Barberina wurde täglich schwächer und schwächer, ihre Fieberphantasien immer verworrener.

Der junge Lord Stuart suchte vergebens zu ihr zu gelangen. Ihre Tür blieb ihm wie jedem andern hermetisch [203] verschlossen. Tag für Tag besuchte er das Theater, um zu fragen, wann sie wieder auftreten würde. Er ging in den Spielsaal Fossanos und suchte durch diesen Kunde zu gewinnen — vergebens! — Man wußte, daß sie krank war — das war alles!

Eines Tages ging er wieder zu ihrer Wohnung, bestürmte die alte Signora mit Bitten, ihn doch an das Krankenlager zu lassen, bot ihr Geld, bot ihr die Ehe mit ihrer Tochter an, begegnete aber nur kalter Abweisung und mußte unverrichtetersache wieder seines Weges gehen.

Als er auf die Straße heraustrat, wurden von reichgekleideten Trägern eben zwei Sänften vor dem Hause abgesetzt.

Zwei würdige Herren entstiegen ihnen und betraten das Haus nach langem Komplimentieren wegen der Ehre des Vortritts.

Er schlich ihnen nach, eilte die Treppe hinauf und blickte durch die angelehnte Tür des Empfangszimmers hinein.

Die Signora war zu der Kranken hineingegangen, um sie auf den Besuch vorzubereiten. Die beiden Herren waren allein. Stuart kannte sie wohl.

Es waren der berühmte Arzt Sir William Westmore und der nicht minder beliebte Modearzt Dr. Petit, dessen Wunderpillen ihm die Gunst des vornehmen Publikums erobert und den Haß seiner englischen Kollegen zugezogen hatten.

Die beiden Herren konnten sich nicht ausstehen, hüteten sich aber wohl, es merken zu lassen, und bewahrten auch im persönlichen Verkehr eine bewaffnete Neutralität, bereit, jede Blöße des Gegners auszunützen, wenn er sich durch irgendeine mißratene Kur als Scharlatan entpuppen würde. Wie ungern sie sich auch begegneten, so war es ihnen doch stets willkommen, an dasselbe Krankenlager berufen zu werden. Denn da hatten sie Gelegenheit, einander zu belauern. Jeder tat also sein Bestes, um den [204] Argwohn des Kollegen zu entkräften, und bot seine ganze Geschicklichkeit auf — was dem Publikum nicht entging und es auch veranlaßte, sie beide kommen zu lassen, um seines Lebens sicher zu sein. Ein jeder konnte sich nicht den Luxus leisten, durch so berühmte Hände in die Ewigkeit hineinbefördert zu werden. Mama Campanini aber konnte es. Und so wurde die arme Barberina in die Hände dieser beiden Gewaltigen gegeben, die denn auch ihr möglichstes taten, um ihre Krankheit am Leben zu halten.

Doktor Petit, mager, gelenkig und lebhaft, nahm kunstgerecht eine Prise aus seiner goldenen Schnupftabakdose, um sein Geruchsorgan von den bei anderen Kranken empfangenen Eindrücken zu »reinigen«, empfahl seinem entsetzten Kollegen dasselbe Verfahren, steckte die Dose ein, bürstete den Schnupftabak von der Weste, goß dann aus einem Glas das »Sekret« der Kranken in ein Glasrohr, mischte einige Tropfen einer Tinktur bei, hielt die Mischung an das Licht, roch daran, schüttelte den Kopf und reichte die Glasröhre Sir William, hütete sich aber, seine Meinung zu sagen.

Sir William, dessen dicker, stämmiger Körper den ganzen Sessel füllte, roch auch an der Röhre, stellte sie fort, schüttelte auch den Kopf, daß die Perücke wackelte, und verschloß die Lippen mit dem goldenen Knopf seines spanischen Rohres.

»Bedenklich, nicht wahr?« fing der Franzose an.

»Allerdings! Aber durchaus nicht hoffnungslos!«

»Hab' ich auch nicht behauptet!«

»Wenn wir aber der Kranken heute etwas Blut ablassen — —?«

»Unter keinen Umständen, Sir William! Unter keinen Umständen! Keinen Tropfen Blut mehr — keinen Tropfen! Höchstens durch eine gelinde Reinigung des Darms ihr einige Erleichterung verschaffen!«

»Das hält sie noch weniger aus!«

»Sir William, ich gestatte mir, Sie darauf aufmerksam [205] zu machen, daß auch gestern dieselbe Meinungsverschiedenheit zwischen uns bestand! Ich habe dann aus reiner Kollegialität nachgegeben! Wir haben sie dann zur Ader gelassen! — Mit welchem Erfolg?! — Nun, Sie haben eben daran gerochen!«

»Mein lieber und verehrter Herr Konfrater«, antwortete Sir William mit all der Würde, die seine fette Stimme aufbringen konnte, »wenn Sie gestern meiner Ordination den Vorzug gaben, so tat ich vorgestern Ihren Pillen dieselbe Ehre an! Ich neige auch zu einer leichten Reinigung des Darms, um ihn von den vorgestern eingenommenen Pillen zu säubern — aber nur auf dem einzig richtigen Weg eines milden Klistiers! Ich weiche aber nicht von meiner Ansicht, daß auch ein Aderlaß unbedingt nötig ist, und habe deshalb die Blutegel gleich mitgebracht!«

»Blutegel? Niemals!« rief der Franzose, entsetzt bei dem Gedanken, daß der Nebenbuhler seine Blutegel verkaufen würde. »Diese wilden Tiere sind sehr mit Vorsicht zu gebrauchen! Bei dem Schwächezustand der Patientin wäre das geradezu ein Frevel! Ein Tropfen zuviel könnte da eine Katastrophe herbeiführen! Wir haben es nicht in der Hand, die Raubgier jener Tiere nach Wunsch zu dirigieren! Ich schröpfe immer! Da weiß ich am besten die zu entnehmende Blutmenge genau zu bemessen! Ich willige in den Aderlaß ein, Sir William, aber nur, wenn Sie mich schröpfen lassen!«

»Wenn Sie mir zugestehen, auch mein Klistier in Anwendung zu bringen, so verzichte ich auf die Blutegel und akzeptiere das Schröpfen!« sagte Sir William phlegmatisch.

»Einverstanden!« rief der Franzose und fing sofort an, sein Arsenal auszupacken und sich zum Angriff bereit zu machen. Sein Mitbruder tat desgleichen. Da ereilte sie die Strafe des Himmels!

Stuart, der hinter der Tür der Unterhaltung mit wachsendem [206] Entsetzen gelauscht hatte, warf die Tür auf und stürzte hinzu, schlug ihre Flaschen und Röhren in Scherben und bearbeitete die beiden Wunderdoktoren so nachdrücklich mit dem spanischen Rohr des dicken Sir William, daß sie schreiend und hilferufend die Treppen hinunterliefen, sich in ihre Sänften warfen und sich eilends forttragen ließen.

Schröpfköpfe und Blutegel, Pillen und Klistier waren in die Flucht geschlagen! — Die Liebe behauptete das Schlachtfeld. Sie sollte auch fernerhin siegreich bleiben!

Der alten Signora, die bestürzt aus dem Krankenzimmer herauskam, erklärte der Sieger rundweg, daß er sie und sich auf der Stelle töten würde, wenn sie ihn nicht sofort an das Krankenlager ihrer Tochter führe!

Seine Entschlossenheit machte ihr jeden Widerstand unmöglich. Sie öffnete die Tür und ließ ihn eintreten.

Barberina, von dem Lärm und dem Wortwechsel aufgeschreckt, machte einen schwachen Versuch, sich im Bette aufzurichten. Als sie den Geliebten in der Tür sah, glitt ein frohes Lächeln über ihr Gesicht. Mit einem dankbaren Blick empfing sie seinen Gruß und sank dann in die Kissen zurück.

Er stürzte hinzu, ergriff die vom Bettrand herabhängende Hand und bedeckte sie mit glühenden Küssen. Lange kniete er am Bette, die Lippen auf ihre Hand gepreßt. Als er wieder emporblickte, lag sie da, ganz still, mit geschlossenen Augen. Sie schlief und atmete ruhig, von schönen Träumen umgaukelt. Lange saß er so, immer noch ihre Hand in der seinen haltend. Und die Alte, die die beruhigende Wirkung seiner Anwesenheit sah, ließ ihn gewähren.

Das Fieber wich allmählich; die Gefahr war vorüber, und so hatte er sie zum zweiten Male aus Räuberhänden befreit.

Sie genas in ganz kurzer Zeit und konnte bald das Bett verlassen. Er besuchte sie täglich und genoß in vollen [207] Zügen das Glück, sie zu sehen und an ihrer Seite zu weilen. Sobald sie völlig wiederhergestellt war, wollten sie heiraten und sich ganz vom Getriebe der Welt zurückziehen. Sie wollte das Theater verlassen und er die ihm aufgezwungene Braut.

Während er mit ihr Zukunftspläne schmiedete, zogen sich gewitterschwangere Wolken über seinem nichtsahnenden Haupt zusammen.

Das Duell mit Lord Albermale hatte ein gewaltiges Aufsehen erregt, um so mehr, als es von dem plötzlichen Verschwinden Barberinas von der Schaubühne begleitet wurde. Gänzlich davon abgesehen, wurde jene Begebenheit aber auch aus anderem Grunde zum Gegenstand des Spottes und der allgemeinen Lachlust. Der unverbesserliche Lord Albermale gab auch dafür den Anlaß.

Unter anderem war er nämlich auch ein leidenschaftlicher Verehrer des Hahnenkampfes und versäumte keine Gelegenheit, diesem in England so eifrig betriebenen Sport zu frönen.

So sah man Seine Lordschaft sich oft mit der übelsten Gesellschaft um die Arena drängen, wo irgendein berühmter Hahn sein Leben in die Schanze schlug. Die tollsten Wetten wurden von ihm eingegangen und verloren. Und wie wüst die Kämpfer sich auch zerzausten — der am meisten Gerupfte war am Ende stets der Lord! — Aber es machte ihm Spaß, sein Geld zu verlieren. Und so war er nicht nur in der Lebewelt, sondern auch unter dem Gesindel Londons eine der populärsten Persönlichkeiten.

Hogarth, der damals im Zenit seines Ruhms als rücksichtsloser Sittenschilderer seiner Zeit stand, hatte längst ein Auge auf ihn geworfen und ihn mehrfach als Prototyp eines Modegecken auf seinen Stichen abkonterfeit.

Lord Albermale, weit entfernt, es ihm übelzunehmen, war stolz darauf. Er hatte sogar eine ganze Menge Abzüge eines Stiches erstanden, auf dem er als Präsident [208] des bunt zusammengewürfelten Publikums eines Hahnenkampfes dargestellt worden war, um sie seinen Freunden zu geben.

Er schloß sich eng dem Freundeskreis Hogarths an und verkehrte fast täglich mit ihm, zum nicht geringen Ärger seiner Standesgenossen. — Sie betrachteten ihn als das enfant terrible, das ihre kleinen Menschlichkeiten dem treffsichern Grabstichel Hogarths preisgab und diesen so in die Lage versetzte, sich an ihnen wegen ihrer Geringschätzung seiner Malereien zu rächen.

Der gute Lord hatte auch nichts Eiligeres zu tun, als seinem guten Freunde die näheren Details seines gloriosen Zweikampfes mit Lord Stuart zu schildern. Und das war für Hogarth ein gefundenes Fressen.

Sein Zeichenstift schwelgte in karikaturistischen Orgien — seine Kupferstecher kratzten und schwitzten — seine Pressen gingen Tag und Nacht! Und eines schönen Tages überraschte er seine Verehrer und Abnehmer mit einem neuen Stich, der reißenden Abgang fand und ungeheures Aufsehen machte.

Der Stich war eine Travestie seines eigenen, wegen Albermales bereits weitverbreiteten Stiches: »Der Hahnenkampf«.

Aber keine richtigen Hähne standen sich in der Arena gegenüber, sondern Mitteldinge zwischen Federvieh und Dandy — die Hahnenkämme zu federgeschmückten Dreimastern angeschwollen — die gerupften Körper in den modisch geschwungenen Linien von Fechtern stutzerhaft posierend. So standen sie einander gegenüber — die linken Flügel halb an die Seite gedrückt, die rechten gekreuzt — das rechte Bein vorgestreckt! — Die Köpfe der Kampfhähne aber waren deutlich erkennbare Karikaturen von Albermale und seinem jungen Gegner.

Um die zirkelrunde, tischförmige Arena herum rekelte sich die übliche Versammlung von Spielern, Beutelschneidern und allerlei Gesindel nebst ihren Opfern aus der [209] besten Gesellschaft. Alle aber trugen die Gesichter von bekannten Aristokraten, Parlamentariern oder Großkaufleuten. Sir Josuah Crichton sowie sein edler Gönner Lord Stuart waren auch da, und mit ihnen mancher ihrer Standesgenossen.

Von der Seite aber, wo für gewöhnlich der Besitzer des Kampfhahns von dem ihm allein zustehenden Recht, den Fuß auf die Arena zu setzen, Gebrauch zu machen pflegte, war eben in kühnem Satz eine Tänzerin über die Häupter der Kämpfenden gesprungen. Man sah von ihr nur die Beine über das Ganze schwirren und die Waffen der beiden Kampfhähne auseinander schlagen. — Diese und die Zuschauer starrten mit weit offenen Mäulern und lüsternen Mienen dem über sie hinwegschwebenden Wunder nach — die Blicke an die Strumpfbänder gebannt, an denen eine Unzahl kleiner Herzen aufgereiht war. — Nur einer blieb teilnahmslos — der Mann am Eingang, dessen Züge eine sprechende Ähnlichkeit mit dem berühmten Minister Walpole verrieten, und der, ganz wie sein Ebenbild, mit dem Verkauf von Sitzen beschäftigt war. Wenn's auch keine Parlamentssitze waren, so schien doch der Profit, nach seiner vergnügten Miene zu urteilen, recht einträglich zu sein.

»Allerhöchst dero Pirouetten«, lautete die Unterschrift unter dem Stich. Und trotz des hohen Preises von einer Guinee für jeden Abzug ging er zu Tausenden ab.

Hogarth machte ein glänzendes Geschäft und konnte es sich leisten, sich für einige Zeit zurückzuziehen, um an einem neuen Gemälde zu arbeiten, das ihm wohl weder Gold noch Ehren einbringen würde!

Es konnte nicht ausbleiben, daß der Stich auch auf den Tisch Seiner Herrlichkeit, des Lords Stuart, flatterte. Und auch unter den Fakturen des Chefs des Hauses Crichton & Co. fand sich eines Tages ein Exemplar eingeschmuggelt. Die beiden würdigen Vertreter der Ehre und des Reichtums Englands hatten also das Vergnügen, [210] sich selbst in gar nicht würdevoller Weise unter den Zuschauern des Hahnenkampfes abkonterfeit zu sehen, und vertieften sich in die Selbstbetrachtung, ohne eine Miene zu verziehen.

Die Wirkung war aber bei den beiden verschieden.

Sir Josuah gab in aller Ruhe und im trockensten Tone den Befehl, sofort eine Annonce aufzugeben, worin bekanntgemacht wurde, daß sein Kontor alle nur erlangbaren Exemplare des Stiches zum doppelten Preise aufkaufen würde. Er sandte seinen Prokuristen zu Hogarth und ließ ihm ohne Feilschen den von ihm verlangten Preis für die Platte und die noch nicht verkauften Exemplare auszahlen sowie ihm die schriftliche ehrenwörtliche Verpflichtung abnehmen, keine weiteren Vervielfältigungen des Stiches anzufertigen und die Originalzeichnungen zu vernichten. Nach Erledigung dieses Geschäfts ging Sir Josuah stillschweigend über die Angelegenheit zur Tagesordnung über und vertiefte sich in eine Kalkulation über die Gewinnung von schwarzem Elfenbein für Südamerika.

Lord Stuart dagegen trug nur äußerlich Ruhe zur Schau. Innerlich kochte er vor Wut. Und die Wut eines Engländers nimmt manchmal sonderbare Formen an. — Bei Lord Stuart schlug sie sich gleich auf die Würde und brachte eine eisige Unnahbarkeit hervor, die alles Leben um ihn lähmte. Alles schlich auf den Fußspitzen um Seine Herrlichkeit herum und bot den äußersten Scharfsinn auf, um die Ursache seines Mißvergnügens ausfindig zu machen und ebenso unmerklich zu beseitigen, wie sie entstanden war. Selbstverständlich ohne den Lord selbst darüber zu interpellieren oder irgendwie damit zu belästigen. Denn Fragen zu stellen, wo man selbst Augen und Ohren hatte, war im Hause Stuart zur Zeit der Wut Seiner Herrlichkeit mehr als lebensgefährlich.

Gelang es, den Grund seines Zornes zu beseitigen, so war alles gut und nahm von selbst wieder die gewohnten [211] Formen an. Sonst konnte man auf Überraschungen gefaßt sein. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel sauste dann urplötzlich das Endergebnis der Entschließungen Seiner Herrlichkeit auf das Haupt des damit bedachten Schuldigen oder Unschuldigen nieder. Aber Mylord verzog dabei keine Miene und verharrte in der Eisregion seiner unverletzlichen Würde.

Ein derartiges Einfrieren alles Lebens — wie diese einer Eruption entgegengesetzte Erscheinung wohl genannt werden darf — bereitete sich eben in der erlauchten Seele Seiner Herrlichkeit vor, als ihm der Besuch Sir Josuah Crichtons gemeldet wurde.

Eine Neigung des Kopfes teilte dem Hofmeister mit, daß der Lord empfangen wollte. Eine Handbewegung deutete ihm auch an, wo. Da er nicht verstand, aber auch nicht wagte, nach der Bedeutung der Geste zu fragen, so führte er Sir Josuah, zum Entsetzen Stuarts, der auf die Ahnengalerie gedeutet hatte, geradeswegs ins Allerheiligste — ins Arbeitszimmer hinein, wo sonst nur Mitglieder der allernächsten Familie empfangen wurden. Dieser Mangel an Distinktionsvermögen brachte ihm einen kalten Blick unter mäßig gerunzelten Brauen ein. Zitternd zog er sich zurück und ließ die beiden Herren allein.

Lord Stuart mußte also seinen Gast selbst in die Galerie hineinführen, ehe er sich herablassen konnte, seinen Mund aufzutun. Denn nur im Kreise seiner Ahnen konnte er so sprechen, wie's die Situation von ihm, einem Peer von England, verlangte! — Da allein war er sicher, es mit der gebührenden Würde tun zu können, ohne Gefahr zu laufen, das Gleichgewicht des Gemüts zu verlieren.

Mit einer Handbewegung stellte er seinem Gast alle die Stuarts vor und lud ihn dann ein, unter ihnen Platz zu nehmen! — Eine symbolische Handlung, deren hohe Bedeutung Sir Josuah nicht gebührend zu schätzen schien! [212] Denn er lächelte belustigt und verstieg sich sogar zu der respektlosen Äußerung:»Ich könnte Eurer Herrlichkeit allerdings nicht mit derselben Ehrung aufwarten, falls ich bald einmal den Vorzug Ihres Besuches haben sollte! — Denn all die Heringstonnen, die ich dann als Ahnengalerie vor Eurer Herrlichkeit Augen auffahren lassen müßte, fänden in ganz Pall Mall keinen Platz!« Eine Bemerkung, die die Würde Mylords auf den Gefrierpunkt brachte!

»Als Staatsvisite habe ich Ihren Besuch auch nicht aufgefaßt, Sir Josuah!« sagte er, setzte sich zuerst und lud seinen Gast mit einer Handbewegung ein, seinem Beispiel zu folgen. »Ich gehe wohl auch in der Annahme nicht fehl, daß ein besonderer Anlaß Ihres Kommens vorliegt?«

»Sicher nicht!« sagte Sir Josuah und versenkte seine kugelrunde Gestalt in einen ebenso prachtvollen Thronsessel wie den Seiner Herrlichkeit. »Es liegen sogar ganz besondere Gründe vor!«

»Dürfte ich denn bitten?«

»Zunächst hätten wir einen Brief Ihres Herrn Sohnes —« Sir Josuah holte seine große Hornbrille hervor, putzte die Gläser und hakte das Ungetüm hinter den Ohren fest, faltete dann einen Brief auseinander und hielt ihn hoch. »Dieser Brief, den ich die Ehre haben werde vorzulesen — —«

»Ich darf wohl hoffen«, unterbrach der Lord, »daß jenes Schreiben nichts von Geld oder Geldangelegenheiten enthält? — Denn ich müßte sonst ablehnen, mich damit zu befassen und mich auf die Erklärung beschränken, daß ich meinem Sohn ausdrücklich verboten habe, in geschäftlichen Dingen irgend etwas ohne meine Erlaubnis zu unternehmen, sowie, daß diese Erlaubnis weder von ihm nachgesucht, noch von mir erteilt wurde!«

»Eure Herrlichkeit können in dieser Hinsicht ganz außer [213] Sorge sein! Der Brief betrifft nur eine Herzensangelegenheit!«

»Da gestatte ich mir zu bemerken, daß er wohl falsch adressiert worden ist?«

»Durchaus nicht!« sagte Sir Josuah und zeigte ihm die Rückseite des Briefes, wo die Adresse deutlich zu lesen war.

Lord Stuart geruhte hinzublicken, las die Aufschrift: »Sir Josuah Crichton«, und sagte dann trocken: »Soviel ich weiß, haben wir meinen Sohn in aller Form mit Ihrer Tochter verlobt?«

»Ich bin derselben Ansicht, Mylord!«

»Sonderbar! Wie kommt er denn dazu, seine Liebesbriefe an Sie zu adressieren?«

Sir Josuah lachte kurz auf. Lord Stuart ignorierte es.

»Etwas weltfremd war mein Sohn ja immer! Das kommt aber von dem Erziehungsplan seiner Mutter, der seligen Lady Stuart, den ich ihr auf ihrem Sterbebette getreulich zu befolgen versprach und auch befolgt habe! Er sollte vor den Verlockungen der Welt möglichst bewahrt werden!«

»Die selige Mylady muß eine seltene Frau gewesen sein!« sagte Sir Josuah. »In unserer Zeit sieht man, besonders unter den Frauensleuten, die Verlockungen der Welt nicht nur als gänzlich ungefährlich, sondern als wünschenswert an. Und, unter uns gesagt, ist's auch so! Ein junger Mann muß sich austoben, soll etwas Rechtes aus ihm werden! Sonst speichern sich die gefangenen Lebenskräfte auf, es kommt im ungeeignetsten Augenblick zur plötzlichen Entladung, und man wird von irgendeinem Geschehnis überrascht, das alle Berechnungen über den Haufen wirft! — — Sausen und brausen, solange die Säfte noch gären! — Das gibt im reifen Alter guten Wein! — Meine Jungens sind mir alle durch die Lappen gegangen! — Weiß der Satan, wenn ich sie wieder einfange! [214] — Aber Gott verdamm mich, wenn ich sie anders haben wollte!«

Lord Stuart rümpfte mehrmals die Nase bei den Ausführungen seines Besuchers und nahm wiederholt einen Anlauf, sie zu unterbrechen. Aber Sir Josuah ließ sich nicht stören. Als er endlich aufhörte, räusperte sich der Lord ein paarmal laut und vernehmlich und sagte dann kurz und scharf:

»Ich würde mir niemals erlauben, an der Lebensphilosophie meiner seligen Gattin noch nachträglich Kritik zu üben! Ich billigte sie auch schon im Leben! — Wenn ich jene Lebensanschauungen trotzdem soeben erwähnte, so tat ich es nur, um Ihnen den Grund für die Lebensfremdheit meines Sohnes zu erklären! Und auch — weil ich, wie ich sagte, mich trotzdem über seine Distraktion wundere, seine Liebesbriefe an Sie, statt an Ihr Fräulein Tochter zu adressieren!«

Sir Josuah lachte wieder kurz.

»Er wird schon wissen, wohin er sie adressiert!«

»Wie soll ich denn das verstehen?« fragte Stuart kopfschüttelnd. »Sie hatten doch die Güte, zu bemerken, daß der Brief eine Herzensangelegenheit betrifft!«

»So ist es auch!«

»Aber — —«

»Mein lieber Freund«, sagte Sir Josuah, auf einmal alle Förmlichkeit außer acht lassend, und blickte ihn über die Brille sarkastisch an. »Mein lieber, guter Freund — wir zwei brauchen uns wahrhaftig nichts vorzumachen! Am allerwenigsten in dieser Sache! Soviel ich weiß, handelt es sich zwischen unseren Familien um gar keine Herzensangelegenheiten, sondern nur um die rein geschäftliche Operation einer ehelichen Verbindung zwischen unseren Kindern! In dem zwischen uns geschlossenen Vertrage steht gar nichts von zärtlichen Empfindungen! Bei geschäftlichen Abmachungen pflegt es, soviel ich weiß, auch nicht anders zu sein! Ich würde mich auch schön hüten, [215] das Herz meiner Tochter in Liebessachen beeinflussen zu wollen! Dann käme sie mir am Ende gar mit Wünschen in dieser Beziehung, die mit dem kindlichen Gehorsam, den ich von ihr verlangen muß, gar nichts zu tun haben! Sie mag meinetwegen mit ihrem Herzen tun, was sie will! Aber heiraten soll sie so, wie ich will! — Das ist mein Standpunkt, und daran ist nicht zu rütteln! — Eben um Eurer Lordschaft zu versichern, daß wir, was auch kommen mag, an der Verlobung festhalten werden, bin ich hierhergekommen!«

»Ich wüßte nicht, daß ich jemals den geringsten Zweifel über die Loyalität Ihrer Absichten geäußert hätte«, sagte Lord Stuart und richtete sich im Sessel auf.

»Das erkenne ich durchaus an!«

»Ich darf wohl hoffen, daß Sie Ihrerseits keinen Zweifel uns gegenüber hegen?«

»An Eurer Herrlichkeit guten Willen glaube ich schon!«

»Das möchte ich mir auch ausbitten! Und was meinen Sohn betrifft, wird er Ihnen wohl sicherlich ebenso vertrauenswürdig erscheinen müssen!«

Sir Josuah antwortete mit einem Achselzucken. Lord Stuart blickte ihn fragend an.

»Sie denken hoffentlich nicht an jene Albernheit — jenen Stich Hogarths, den Sie wohl auch gesehen haben? Derartigen Erzeugnissen eines verwilderten Geschmacks können wir doch unmöglich irgendeine Bedeutung beimessen!«

»So ganz ohne Bedeutung ist jener Stich in diesem Falle nicht, Mylord!«

Lord Stuart ließ einen seiner verächtlichsten Blicke seinen Gegenpart streifen und schüttelte leise den Kopf.

»Mein lieber Sir Josuah«, sagte er dann gemessen. »Wer, wie ich oder Sie, in der Öffentlichkeit steht, muß in solchen Sachen über jede Empfindlichkeit erhaben sein! Man muß sich schon einiges gefallen lassen! Es war stets [216] das gute Recht des Mobs, unsereinen zu verspotten — notabene: wenn er uns dabei nicht die schuldige Ehrfurcht versagt! Ich hätte nichts gegen jene Erzeugnisse des Grabstichels einzuwenden, die an die Lachlust des Publikums appellieren, wenn sie nicht meistens den guten Geschmack verletzten! — Sehen Sie sich nur den Wisch da genau an!« Er schob ihm einen Abzug des Stiches zu. »Sehen Sie ihn nur an! Wie zum Beispiel hat der Zeichner mich dargestellt?! Sehen Sie nur! Trage ich etwa jemals die Perücke schief?! Kann irgendeiner behaupten, mich jemals so gesehen zu haben?!«

»Ich glaube kaum!« lächelte Sir Josuah.

»Und der Ordensstern! — Jeder gebildete Mensch weiß doch, daß ich das Großkreuz des Bathordens trage! Der Maler aber weiß nicht mal, wie der Bathorden aussieht! — Wie kommt er dazu, in den Stern den Steward eines Porterhauses einzuzeichnen? Diese absurde Idee! Und — die Geige! Wann bin ich jemals mit einem derartigen Instrument in Berührung gekommen? Haben Sie mich geigen sehen? Und gar öffentlich — bei einer derartigen Gelegenheit! — Besuchen Sie etwa ein Hahnengefecht?«

»Heute nicht mehr!« sagte Sir Josuah. »Heute ist mein Platz da, wo die Menschen sich rupfen!«

»Aber trotzdem sind Sie auch dabei!« sagte der Lord und zeigte auf die Zeichnung. »Und wie hat er Sie dargestellt?! Als einen Schlemmer — einen Gourmand schlimmster Sorte! — Sie lecken sich sogar den Mund!«

»Das könnte schon vorkommen!« schmunzelte Sir Josuah.

»Sagen Sie, was Sie wollen!« rief Lord Stuart entrüstet, »aber daß Sie so schlechte Manieren hätten, könnte Ihnen nicht einmal Ihr schlimmster Feind nachsagen!«

»Aber auch nicht, daß ich schlechten Geschmack hätte! Und da muß ich sagen — wenn mir einmal so'n paar hübsche Beine um den Kopf schwirren würden, da könnte es schon sein, daß ich auch die guten Manieren außer [217] Gefecht setzte! Ich bin gewiß kein Kostverächter! Meine verstorbene Frau könnte Ihnen da verschiedenes bestätigen, wenn sie noch am Leben wäre!«

Das war zuviel für Seine Herrlichkeit. Seine Würde kochte bis zum Gefrierpunkt hinunter.

»Ich will nicht hoffen, Sir Josuah«, sagte er in einem Ton, der auch diesen in Harnisch brachte, »daß Sie mir zumuten wollen, mich noch nachträglich in irgendeine Intimität mit Ihrer verstorbenen Frau einzulassen!«

Und er schob den Stich, der zu so unliebsamen Erörterungen Anlaß gegeben hatte, weit von sich.

»Die Intimitäten haben jetzt ihre Herrlichkeiten die Würmer zu besorgen!« replizierte der unverbesserliche Sir Josuah, der durch den bloßen Gedanken an diese »nachträgliche« Intimität seine gute Laune sofort wiedergewann und sich spitzbübisch darüber freute, Mylords Entsetzen noch mehr zu steigern. »Von dem guten Geschmack Eurer Herrlichkeit in puncto Intimitäten war ich auch ohne diese Erklärung hinlänglich überzeugt! Auch den allernächsten Angehörigen gegenüber!«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Daß Eure Herrlichkeit meines Erachtens also wohl von den Herzensangelegenheiten Ihres Sohnes ebensowenig Notiz nehmen wollen wie ich von denen meiner Tochter!«

»Ich glaube, Ihnen bei der Verlobung hinlänglich Gelegenheit gegeben zu haben, diese Überzeugung zu gewinnen! Sie werden nicht gemerkt haben, daß ich meinen Sohn irgendwie um seine Ansicht gefragt habe!«

»Ganz recht! Und deshalb bedaure ich, Eure Herrlichkeit darum bitten zu müssen, das nachzuholen!«

»Was Sie sagen!«

»Ich muß sogar dringend auf der Erfüllung dieses Wunsches bestehen und hoffe, daß Eure Herrlichkeit dabei die ganze väterliche Autorität aufbieten wollen!«

[218]

»Sie sind sehr kühn!«

»Der Inhalt dieses Briefes wird meine Kühnheit rechtfertigen!«

»So lesen Sie ihn doch endlich vor!«

Sir Josuah schob seine Brille zurecht, gab dem Briefbogen einen Klaps, um ihm die nötige Strammheit beizubringen, und fing endlich an:

»Mein lieber Sir Josuah!

Als ein Mann von Ehre werden Sie einen Schritt billigen, den zu tun mir meine Ehre gebietet, auch wenn er Ihren Wünschen nicht entspricht! Kurz und gut — ich kann Ihre Tochter nicht heiraten! Ich habe mein Herz einer anderen geschenkt und ihr die Ehe versprochen! — Ich gedenke dies Versprechen, das ihr und mir das Lebensglück verbürgt, auch zu halten, trotz der Schwierigkeiten, die sich uns entgegentürmen werden! — Nichts wird mich davon abbringen! Werfen Sie mir nicht vor, ich hätte dies als Ehrenmann vor der Verlobung mit Ihrer Tochter erklären müssen. Ich war nicht in der Lage, es zu tun! Ich wußte nicht mit mir Bescheid! Ich hatte keine Ahnung von der großen Liebe, die jetzt mein ganzes Wesen erfüllt! Ich handelte wie im Traum! — Ich dachte mir die Ehe als etwas ganz Gleichgültiges, das man mit in den Kauf nehmen und der Entscheidung fürsorglicher Eltern überlassen muß! — Es war ein Irrtum! — Das Leben ist jetzt zu mir gekommen! — Ich habe gesehen, daß keiner außer mir die Macht haben kann oder darf, mein Leben zu gestalten, wenn meine Neigung mit im Spiele ist! Ich bitte das zu berücksichtigen und es mir nicht nachzutragen oder es gar als Schimpf auffassen zu wollen, wenn ich die Verbindung mit Ihrer Tochter hiermit löse. Aber auch wenn Sie mich nicht entschuldigen wollen — es könnte nichts an meinem Entschluß ändern, oder an der Hochachtung, die ich für Ihr Fräulein Tochter und für Sie selbst hege! Ich überlasse es Ihnen, die nötigen Maßnahmen zu treffen, und bitte Sie, Ihr Fräulein Tochter von meinem Entschluß in Kenntnis zu setzen!

[219]

In unabänderlicher Wertschätzung Ihr

Lord Stuart-Wortley-Mackenzie.«

»Mylord wollen sich selbst überzeugen?« sagte Sir Josuah nach beendigter Vorlesung, legte den Brief auf den Tisch, nahm die Brille ab und steckte sie in die Tasche. »Mylord wollen sich gütigst überzeugen, daß ich richtig gelesen habe!«

Lord Stuart erhob sich feierlichst zu seiner ganzen Größe und schlug zum erstenmal in seinem Leben mit der Hand auf den Tisch. Einmal nur! — Aber das genügte, um auch Sir Josuah aus der Tiefe seines Thronsessels emporschnellen zu lassen. Mit dem Blick eines Imperators verkündete dann Seine Herrlichkeit ihren Willen.

»Die Heirat findet statt! Der Junge hat da nicht mitzureden! Er wird sich das abgewöhnen müssen! Morgen geht er nach Schottland zu seinem Regiment, um Subordination zu lernen! Zur festgesetzten Stunde tritt er zur Trauung an! Verlassen Sie sich darauf! Aber behalten Sie doch Platz!«

Er setzte sich wieder, jetzt ganz Herr der Situation, und Sir Josuah tat desgleichen. Einen Augenblick blieben sie so in feierlichem Schweigen und blickten sich mehrmals hochachtungsvoll an.

»Die Hypotheken —« fing Sir Josuah an, um das Schweigen zu brechen. »Eure Herrlichkeit wissen wohl bereits, daß alles in Ordnung ist?«

»Mein lieber Sir Josuah«, sagte der Lord langsam, »mein Haushofmeister hat mir noch nichts darüber gesagt! Ich nehme aber ohne weiteres an, daß der unüberlegte Schritt meines Sohnes auch daran nichts geändert hat oder ändern wird!«

»Das wollte ich eben bemerken!« sagte Sir Josuah [220] und schwieg eine Weile, um dem Lord Zeit zum Auftauen zu lassen. Dann hustete er leicht und fing wieder an.

»Ist Eurer Herrlichkeit nichts in dem Briefe aufgefallen?« fragte er.

»Ich kann nicht sagen! Die üblichen Redensarten in derartigen Fällen! Finden Sie etwas daran?«

»Nein! Aber da fehlt etwas zur Vollständigkeit der Sache!«

»Was denn?«

»Der Name der betreffenden Person, die Ihr Herr Sohn heiraten will!«

»Ganz recht! Wissen Sie, wer die Dame ist?«

»Nein. Aber ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich sie in Beziehung zu jenem Stich bringe!«

Lord Stuart nahm den Stich und sah ihn prüfend an.

»Ja — wenn wir danach gehen wollten!« sagte er und warf ihn wieder auf den Tisch. »Man sieht da ja von ihr bloß die Beine!«

»Allerdings!« sagte Sir Josuah. »Aber man weiß auch, wem diese Beine gehören!«

»Meinen Sie?«

»Ja! Jenes Duell, das auf dem Stiche so lustig persifliert wird, hat wirklich stattgefunden!«

»Mein Sohn hätte sich also geschlagen?«

»Regelrecht geschlagen!«

»Was Sie sagen! Mit wem denn?«

»Mit Lord Albermale!«

»Mit dem? Nun — der ist ja immer gleich bereit! Hoffentlich hat mein Sohn ihm einen Denkzettel verabreicht!«

»Ich weiß über den Verlauf des Duells nichts — nehme es aber ohne weiteres an! Man hätte sonst wohl von einer Verwundung gewußt und gesprochen.«

»Und der Anlaß jenes Duells?«

»Eben die Besitzerin jener Beine, die Eure Herrlichkeit soeben auf dem Stiche bewundert haben!«

[221]

»Wer ist diese Dame?«

»Die Tänzerin Barberina vom Coventgardentheater.«

»Eine Tänzerin? Wegen einer Tänzerin hätte er sich mit Albermale geschlagen? Ich kenne den Albermale! Er ist wohl zu jedem tollen Streich imstande! Aber er hat Geschmack! Und eine Tänzerin! Wegen einer solchen Person fängt ein Peer von England keine Ehrenhändel an!«

»Sie ist sehr schön. Und Lord Albermale ist ein großer Don Juan!«

»Nun, ich will hoffen, daß mein Sohn sich von dem Albermale nicht ausstechen läßt!« sagte der Lord selbstbewußt, merkte aber dann, daß er sich verplappert hatte, und fügte noch rasch hinzu: »Das heißt: ich hoffe, mein Sohn wird wissen, was sich gehört! Oder sollten Sie den Brief auf jene Tänzerin beziehen?«

»Es bleibt mir nichts anderes übrig! Man hat sie zwar niemals öffentlich mit Ihrem Sohne zusammen gesehen! Aber wenn er sich schon ihretwegen duelliert hat —«

»Da will ich Ihnen gleich etwas sagen, Sir Josuah: — Werfen Sie jenen Brief nur in den Ofen! Der hat gar keine Bedeutung! Wenn es sich um eine erste Liebschaft handelt, da fangen die jungen Leute schon gleich mit dem Eheversprechen an! Und nach vierzehn Tagen denken sie nicht mehr daran! — Ein Rausch, wie wir ihn alle einmal gehabt haben; weiter nichts! — Der wird sich austoben und ebenso schnell vergehen, wie er kam!«

»Auch meine Meinung!« sagte Sir Josuah. »Aber aus dem Briefe spricht eine Entschlossenheit und eine gewisse Überspanntheit, die mir doch zu denken geben! Ihr Sohn scheint mir ganz anders geartet als andere junge Leute seines Alters! Und deshalb wäre es meine Bitte an Eure Herrlichkeit, ihn in aller Form darauf aufmerksam machen zu wollen, daß diese Liaison nur als vorübergehender Rausch zu betrachten sein darf!«

[222]

»Verlassen Sie sich darauf, Sir Josuah! Jener >Rausch< ist schon vorüber! Mein Sohn geht morgen nach Schottland zu seinem Regiment!«

»Das wäre wohl doch zu grausam!«

»Schadet nichts! Er bekommt auf die Weise seinen Kopf frei — sie nimmt sich inzwischen einen anderen! In Schottland hat er keine Gelegenheit, Ihre Tochter so auffallend zu vernachlässigen wie jetzt hier! So wird sie es auch weniger merken!«

Am anderen Ende der Galerie wurden Stimmen laut. Lord Stuart schwieg und blickte um die Rücklehne seines Sessels herum.

»Mein Sohn!« sagte er. »Er scheint jemand in der Galerie herumzuführen!«

Sir Josuah blickte auch, so gut es ging, um die Lehne seines Sessels herum, sank aber gleich wieder zurück.

»Sie ist es!« rief er.

»Wer? — Sie meinen doch wohl nicht jene — — jene Tänzerin?!«

»Sie ist es!«

»Diese Dreistigkeit!« — Lord Stuart richtete sich in seiner ganzen Würde auf und saß kerzengerade da, die Hände auf die Stuhllehnen gestützt, und wartete den Schicksalsschlag mit der Ruhe eines alten Römers ab.

Es waren wirklich Beß und Barberina, die am anderen Ende der riesigen Galerie hereingekommen waren und sich langsam näherten. Sie blieben hier und dort stehen. Er gab die nötigen Erläuterungen zu den Bildern, und sie lauschte neugierig.

Die Sessel der beiden alten Herren standen so, daß sie sie nicht sehen konnten. Sie glaubten sich allein und unterhielten sich zwanglos und vertraulich, plauderten vergnügt und tauschten manchen Händedruck aus. Schließlich blieben sie vor einem Bilde stehen und blickten es lange an. Es war das Porträt einer blonden, schlanken Dame von [223] außergewöhnlicher Schönheit, deren große tiefblaue Augen dem Betrachter melancholisch entgegenblickten.

»Meine Mutter!« sagte er.

»Wie schön!«

»Nicht wahr? — Was gäbe ich darum, wenn sie noch am Leben wäre! Sie hätte dich gleich liebgewonnen!«

»Glaubst du?«

»Wie wäre etwas anderes möglich?«

Er schloß sie plötzlich in die Arme und küßte sie leidenschaftlich. Am anderen Ende der Galerie wurde ein heftiger Husten laut.

»Mein Vater!« flüsterte er und ließ sie schnell los. Rasch entschlossen nahm er sie dann bei der Hand und führte sie zu dem alten Lord, der steifnackig dastand und die Begleiterin seines Sohnes mit einer kaum merkbaren Neigung des Kopfes grüßte.

»Ich wußte nicht, daß du Besuch hattest!« sagte der alte Herr und auf Sir Josuah deutend: »Wie du siehst, habe ich auch welchen! Du mußt mich also entschuldigen!«

Er blickte Barberina prüfend an und mußte vor sich selbst zugeben, daß sie es mit jeder Dame der höchsten Aristokratie an Haltung und Eleganz aufnehmen konnte.

Die schlanke, biegsame Gestalt war eingehüllt in ein Kleid von neuester Pariser Mode aus heller, geblümter Seide. — Um die halbentblößten herrlichen Schultern hatte sie eine Mantille aus echten Spitzen — um den Hals das Diamantkollier König Ludwigs. Die Haare waren gepudert, aber weder Schminke noch Mouches auf den blühenden Wangen; die Augen sprühten von jugendlichem Übermut und Lebenslust.

»Mein Vater, Lord Stuart«, stellte Beß vor. »Sir Josuah Crichton!« Und Sir Josuah machte sein schönstes Kompliment.

[224]

»Mademoiselle interessieren sich für alte Gemälde?« fragte Stuart der Ältere und trat auf sie zu. »Da haben Sie in London gute Gelegenheit! Wir haben hier eine Reihe vorzüglicher Privatsammlungen. Aber — gestatten Sie mir, Sie auf einige Perlen meiner Galerie aufmerksam zu machen? Mein Sohn wird Sie etwas flüchtig geführt haben!«

Er bot ihr den Arm und führte sie von den beiden anderen Herren fort, um ihnen Möglichkeit zur Aussprache zu geben.

Sir Josuah versäumte nicht, die Gelegenheit auszunutzen. Er machte es dem Herrn Schwiegersohn klar, daß er wohl geneigt wäre, bei einer kleinen Unbesonnenheit durch die Finger zu sehen, keinesfalls aber ohne weiteres gesonnen sei, den Schimpf anzunehmen, den eine Lösung der Verlobung bedeuten würde.

Barberina hörte von alledem nichts.

Der alte Lord schien ganz bezaubert von ihr zu sein und entwickelte eine Liebenswürdigkeit, daß seinem Sohne angst und bange wurde und Sir Josuah vor Schadenfreude ganz aus dem Häuschen geriet.

Er zeigte ihr ein vom Alter geschwärztes Bild.

»Der Ritter hier«, sagte er, »gilt als Stammvater unseres Hauses — obwohl wir schon vor ihm, unter Eduard dem Bekenner, Stuarts nachweisen können. Er kämpfte mannhaft bei Hastings gegen die normannischen Eroberer und wurde, nach unserer Niederlage, später von Wilhelm dem Eroberer enthauptet.«

Barberina lachte.

»Gleich der Stammvater hat den Kopf verloren? Seitdem tun's die Stuarts wohl immer?«

»Ich möchte es nicht behaupten!« antwortete der Lord, auf den Spaß eingehend. »Ich kann aber nicht leugnen, daß die Neigung dazu oft vorhanden war — wenn sie einmal zu tief in schöne Frauenaugen blickten! Sie wußten aber stets den Weg zur Pflicht zurückzufinden und werden es hoffentlich auch künftig so halten!«

[225]

Die letzten Worte sprach er mit besonderem Nachdruck aus.

Barberina ließ sich aber nicht beikommen. Sie zuckte leicht mit den Schultern, blickte den Lord spöttisch an und fragte in leicht verächtlichem Ton:

»Was waren denn das für Frauen?«

»Schöne Frauen — geistreiche Frauen! Oft von feinen Sitten, aber nicht von gleichem Rang mit uns!«

»Hängen hier Bilder von ihnen?«

Der Lord schüttelte den Kopf.

»Die Galerie enthält nur Mitglieder unseres Hauses. Und nur einer von diesen Damen gelang es, der Ehre teilhaft zu werden!«

»Zeigen Sie mir ihr Bild!«

Er zog den Vorhang von einem schwarz verhüllten Bildnis zur Seite.

»Warum ist es verhängt?«

»Sie brachte Unglück über unser Haus. Durch ihre Untreue machte sie ihren Mann zum Mörder und brachte ihn um Ehre und Leben! Er war der erste Protestant in unserer Familie! Sein und ihr Sohn war ein Verschwender und ein Konspirateur! Er schloß sich den Aufrührern an, die Johanna Grey auf den Thron setzten —«

»Wer war diese Dame?«

»Sie war neun Tage Königin von England. Jung und schön und unglücklich!«

»Aber Königin!« sagte Barberina, und ihre Augen blitzten.

»Das mußte sie mit dem Leben bezahlen! Und mit ihrem Haupte fielen die Köpfe ihrer Anhänger — auch der meines Vorfahren! Seine Güter wurden konfisziert. Königin Elisabeth gab sie uns wieder. Und seitdem sind sie in unserem Besitz geblieben!«

»Und die Stuarts haben seitdem nie wieder eine Nichtadlige geheiratet?«

[226]

»Nein. Das war die erste und hoffentlich letzte Mesalliance in unserem Hause!«

Barberina blickte ihn spöttisch an und zog ihn mit sich von Bild zu Bild, stets die Porträts der Frauen mit besonderer Neugier betrachtend.

»Gott, wie gelangweilt sehen sie aus! Wenn ich nicht annehmen würde, daß die Stuarts auch damals Geist hatten, ich würde die armen Ladys bedauern! Am Ende liegt's an den Malern?«

»Wir haben stets die ersten Maler der Zeit beschäftigt! Hier sind auch mehrere van Dycks unter den Bildern!«

»Was treibt denn solch eine vornehme Dame ihr Leben lang? Sie vegetiert wohl nur — in den Stadtpalästen — auf ihren Landschlössern — geht in die Kirche — sorgt für fromme Stiftungen — gebärt die Stammhalter — verzieht sie — verwelkt und stirbt? — Nicht wahr?«

»Sie haben nicht so unrecht!«

»Und nachher wird sie hier aufgehängt!«

Es fröstelte sie leicht. Sie zog die Mantille um ihre Schultern zusammen.

»Ich möchte nicht hier hängen! Weiß Gott, ich möchte keine solche Lady sein!«

»Wenn ich nicht irre, hat Ihr Ehrgeiz bereits — und zwar mit großem Erfolg — andere Wege eingeschlagen! Ich habe mir auch sagen lassen, daß die Kunst die Hingabe ihrer Adepten so voll und ganz verlangt, daß ihnen weder Zeit noch Neigung für die Ehe übrigbliebe!«

Barberina lachte laut auf — so silberhell, so bestrickend, daß der alte Herr gegen seinen Willen einstimmen mußte.

»Man hat Sie sicher hinters Licht geführt, Mylord!« sagte sie spöttisch. »Ich kann mir ganz gut denken, daß ich verliebt genug sein könnte, um meiner Kunst zu entsagen und dem Manne meines Herzens zu leben! Aber beileibe nicht, um ihm zu helfen, irgendwelche vermodernden Familientraditionen aufrechtzuerhalten! Eher um sie [227] auf den Kopf zu stellen! Das würde mir sogar viel Spaß machen!«

»Sie sind gefährlich!«

»Sie fürchten sich hoffentlich nicht?«

»Mein Alter stellt mich leider außerhalb des Wettbewerbs«, lächelte er, küßte ihr dabei aber so galant die Hand, daß es den guten Beß kalt überlief. »Wenn ich noch jung wäre und eine schöne Dame liebte, die derartige Absichten hegte, würde ich jedenfalls alles tun, um sie zu bekehren! Denn wir Stuarts bleiben unweigerlich dabei, auch in Liebessachen die glorreichen Traditionen unseres Hauses aufrechtzuerhalten!«

»Mit mir hätten Sie da kein Glück! Wenn ich jemand mein Herz schenke, muß er meinetwegen ganz den Kopf verlieren! Meinetwegen muß er von allem fortgehen, nur um mit mir zu leben und irgendwo glücklich zu sein, wo die Sonne scheint und wo's weder englische Nebel noch hochvornehme Urteile gibt! Seinetwegen gäbe ich denn auch gern alles auf! Und, Mylord, wenn ich mir vornehme, jemand so den Kopf zu verdrehen, dann führe ich es auch sicherlich durch! — — Ich darf aber Ihre Güte nicht länger in Anspruch nehmen! — Es war sowieso eine Dreistigkeit von mir, ohne weiteres herzukommen! Ich war aber neugierig! Ihr Herr Sohn hatte mir so viel von seiner Mutter erzählt, daß ich begierig wurde, ihr Bildnis zu sehen! — Ich danke Ihnen für Ihre gütige Nachsicht! — Und nun gestatten Sie wohl —?«

Sie legte ihren Arm in seinen und ließ sich zu den beiden anderen Herren zurückführen.

»Sie werden wohl die Güte haben, mir den Weg zu zeigen?« sagte sie zu Beß, der auch sofort bereit war. Aber sein Vater kam ihm zuvor.

»Es sind für dich Befehle deines Regiments da, die keinen Aufschub erleiden! Deine Anwesenheit in deiner Garnison scheint erwünscht zu sein! Du wirst wohl morgen [228] früh abreisen müssen! — Gestatten Sie, Mademoiselle, daß ich Sie selbst zu Ihrem Wagen geleite?«

Er bot ihr galant den Arm. Und Barberina, ohne mit einer Miene zu zeigen, wie sehr sie von der bevorstehenden Abreise ihres Geliebten betroffen war, nahm lächelnd Abschied und folgte dem alten Herrn, immer noch lustig lachend und plaudernd.

Beß stand da und vermochte kein Wort hervorzubringen.

»Hoffentlich hast du gutes Reisewetter, mein Sohn!« sagte Sir Josuah in seinem freundlichsten Ton.

»Ich lasse mich nicht fortschicken!« rief Beß heftig. »Ich bin kein Kind mehr! Ich nehme meinen Abschied! Aber ich gehe nicht von London fort! Am allerwenigsten jetzt!«

»Das wirst du dir wohl doch erst überlegen!«

»Keinesfalls! Mein Entschluß ist gefaßt!«

»Da mußt du eben einen neuen Entschluß fassen! — Schließlich — Schottland ist hübsch! Das Garnisonleben hat auch seine Reize! Und — zur Hochzeit kommst du ja wieder her!«

»Aus der Hochzeit wird nichts!« schrie der junge Mann.

Aber Sir Josuah pflegte sich grundsätzlich nie auf Diskussionen längst erledigter und bereits als Tatsachen feststehender Geschäfte einzulassen. Er antwortete also nicht, sondern besah sich den Stich Hogarths noch einmal, legte ihn gelassen aus der Hand und sagte:

»Schade, daß sie's so eilig hatte! Ich hätte sie zu gern über den Stich interpelliert! Es hätte mich interessiert, auch ihre Kritik zu hören!«

Beß riß den Stich an sich, zerknüllte ihn und warf ihn in die Ecke. Sir Josuah tat, als bemerke er es nicht.

»Na, schließlich kann ich mir eine Loge im Theater nehmen!« sagte er gelassen. »Sie wird mir den Stich am besten — mit den Beinen erläutern!«

[229]

»Sie hat Geist und Witz!« sagte der alte Lord Stuart, der wieder hereintrat. »Wirklich, sie hat viel Liebreiz und wird es in ihrem Beruf sicherlich weit bringen. — Wäre ich selbst jung — ich wäre imstande, mir von ihr den Kopf verdrehen zu lassen! — Nun — es wird ihr schon nicht an Anerbietungen fehlen!«

»Sicher nicht!« sagte Beß. »Aber sie nimmt keine an, die nicht ernst gemeint sind! — Und was meine Verlobung betrifft — —«

Ein eisiger Blick des alten Herrn unterbrach ihn jäh.

»Über deine Verlobung möchte ich mich jetzt nicht mit dir unterhalten!« sagte er mit Nachdruck. »Nachher, wenn wir allein sind, haben wir allerdings verschiedenes miteinander zu bereden! Das Arrangement deines zukünftigen Hauswesens und so weiter! Denn morgen wirst du keine Zeit mehr dazu haben!«

»Dann möchte ich nicht länger stören!« sagte Sir Josuah rasch, um der Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn aus dem Wege zu gehen. »Eure Herrlichkeit gestatten wohl, daß ich mich empfehle?«

»Leben Sie wohl, Sir Josuah! Sagen Sie Ihrer Tochter, daß mein Sohn sich noch von ihr verabschieden wird!«

»Ich werd' sie schonend darauf vorbereiten!« sagte Sir Josuah schmunzelnd und ließ die beiden allein.


15

Beß wagte es, seinem Vater zu trotzen. Er ließ die Braut sitzen und machte seinen Abschiedsbesuch — bei Barberina, noch am gleichen Abend, in ihrem Ankleidezimmer im Theater.

Er verabredete mit ihr, nach einigen Tagen mit ihr nach Paris zu gehen, um sich dort mit ihr trauen zu lassen.

[230]

Ihr Engagement in London ging sowieso in einigen Tagen zu Ende, und sie war noch nicht anderweitig verpflichtet. Von Paris und Dublin hatte sie Anerbietungen. In Dublin hatte sie im ersten Jahre ihres englischen Aufenthaltes Triumphe gefeiert und Schätze angesammelt. Trotzdem wollte sie vorgeben, daß sie in Paris annehme und — sich frei halte!

Am Tage nach dem Besuch ihres Geliebten saß sie im Ankleidezimmer und wartete auf ihn, als es an die Tür klopfte.

Sie rief »herein!« — Und herein trat — nicht Beß, sondern Sir Josuah Crichton!

Sie blickte erstaunt auf und wollte ihn zunächst hinausweisen, nahm aber an, daß sein Besuch in irgendwelcher Beziehung zu ihrem Geliebten stehe, und ließ es also.

»Verzeihen Sie, Mademoiselle, daß ich so sans façon bei Ihnen anklopfe —«

»Ich war allerdings nicht auf den Besuch gefaßt —!«

»Ich hätte mich ja melden lassen können! Aber — am Ende wäre ich dann nicht empfangen worden —?«

»Ich gestehe, daß ich nur meine ganz intimen Bekannten hier zu sprechen pflege!«

»Das nahm ich auch an! Da Sie also sicher ohne weiteres >herein< rufen würden, zog ich es vor, unangemeldet anzuklopfen! Denn ich konnte mich nicht abweisen lassen!«

»Ich wüßte nicht, was wir zwei miteinander zu besprechen hätten!«

»Werden's schon merken!« schmunzelte Sir Josuah.

Sie blickte die kugelrunde, selbstgefällig posierende Gestalt an, und es leuchtete schelmisch auf in ihren Augen.

»Wenn Sie wußten, daß ich jemand hier erwartete, der darauf ein Recht hat — wie konnten Sie annehmen, daß er nicht bereits hier bei mir wäre, und daß Sie also doch hätten an der Tür umkehren müssen?«

[231]

»Weil ich wußte, daß jener Bevorzugte nicht kommen konnte!«

»Was ist ihm denn geschehen?« rief sie unüberlegt.

»Weiter nichts, als daß er nach Schottland unterwegs ist!«

»Das weiß ich besser! — Ich nehme an, Sie reden von Lord Stuart?«

»Ganz recht!«

»Er ist noch in London! Er wird überhaupt nicht nach Schottland gehen!«

»Er hatte allerdings die Absicht, hierzubleiben! Er machte sich also des Ungehorsams gegen einen dienstlichen Befehl schuldig. Und da läßt man hier in England nicht mit sich spaßen! — Notabene, wenn der Herr Papa nicht seinen Rang und seine Beziehungen für ihn betätigt! Und der Herr Papa war über seinen Trotz am meisten erzürnt und verlangte, daß man mit aller Strenge gegen ihn vorgehe! So wurde er denn heute früh verhaftet —!«

»Verhaftet?« Barberina erblaßte und verlor auf einmal ihre sonstige Überlegenheit.

»Ja, verhaftet und unter militärischer Bedeckung nach seinem Garnisonsort gebracht! Man wird ihn aber sicherlich schonend behandeln. Bis zur Hochzeit wird er sich allerdings dort gedulden müssen!«

»Bis zur — —«

»Sie wissen doch Bescheid? Er wird Ihnen sicherlich nicht verheimlicht haben, daß er meine Tochter heiraten soll?«

»Sie irren sich in Ihrer Annahme nicht!« sagte Barberina kurz. »Und — jene große Begebenheit — wann findet die statt?«

»In sechs Wochen!«

»Wie schade!« sagte sie übermütig lächelnd, »daß er gerade für die Zeit ein Rendezvous mit mir in Paris verabredet hat! Er wird nicht zur Hochzeit kommen können!«

»Sie glauben?« — Sir Josuah lachte kurz.

[232]

»Gewiß! — Er wird sich nicht teilen können! Und er wird sicherlich Paris vorziehen!«

Sir Josuah ließ sich aber auch nicht mit einer schönen Dame auf Diskussion über eine abgemachte Sache ein. Er zog es vor, die Unterhaltung lieber auf ihre Person zu lenken.

»Sie wollen uns verlassen?«

»Ja! Man setzt mir in Paris sehr zu! Die Königliche Akademie der Musik macht mir die verlockendsten Anerbietungen!«

»Wie schade, daß wir Sie verlieren müssen! — Ich bin ganz außer mir! Ich habe Sie heute mit der größten Bewunderung gesehen und habe nur bedauern können, daß ich mich durch meine Geschäfte abhalten ließ, früher zu kommen! Von heute ab gehe ich aber jeden Abend ins Theater, sooft Sie tanzen! Ich bin wirklich charmiert!«

Barberina neigte zum Dank für das Kompliment leicht den Kopf.

Er wurde dadurch kühner.

»Gestatten Sie mir, noch hinzuzufügen«, sagte er, »daß ich es als einen Vorzug und eine Ehre betrachten würde, Sie künftig nicht nur aus der Ferne bewundern zu dürfen. Ihre Unterhaltung bietet so viel Reiz, daß ich mich glücklich schätzen würde, ihrer öfters teilhaft zu werden!«

»Sie tun mir viel zuviel Ehre an, Sir Crichton!«

»Sagen Sie Sir Josuah, bitte!«

»Nun denn, Sir Josuah! Sie, ein hochmögender Mann, ein Mitglied des Hauses der Gemeinen — und ich, die ich gar nichts von Politik verstehe —!«

»Das tue ich, bei meiner Seele, auch nicht! Ich bin nur aus repräsentativen Rücksichten im Parlament! Sonst aber gehe ich ganz in meinem Geschäft auf!«

»Von Geschäften verstehe ich aber auch nicht das geringste!«

[233]

»Das würde im Verkehr mit mir bald kommen!«

»Ich bezweifle es! Ich bin ganz Künstlerin! Die Unterhaltung müßte sich also auf das Gebiet meiner Kunst beschränken! Und da — nehmen Sie's mir nicht übel, aber —«

Sie lachte laut auf.

»Warum lachen Sie?«

»Ich mußte mir eben sagen, daß Sie als Adept der Tanzkunst keine gute Figur machen würden!« »Ich traue Ihrer Kunst zu, auch das Wunder noch zu bewirken! Befehlen Sie, und ich mache sofort die tollsten Kapriolen!«

»Nein, Sir Josuah, nein! Ich würde vor meinem Gewissen keine Ruhe mehr haben!«

»Sie geben mir also einen Korb? Ah, Sie sind grausam!«

Er legte die Hand aufs Herz und seufzte schmerzlich.

Die Barberina lachte, daß ihr die Tränen in die Augen kamen. Die Allüren eines Liebhabers standen dem eingebildeten alten Dickwanst zum Entzücken komisch! Ihm den Kopf zu verdrehen, mußte eine wahre Wonne sein! »Sir Josuah«, sagte sie, »ich gebe Ihnen Unterricht!«

»Daran tun Sie recht!« sagte er. »Dann werde ich Sie auch geschäftlich ausbilden!«

»Wozu?«

»Damit Sie lernen, wie sehr Kunst und Geschäft eins ist!«

»Dann muß Mama diesen Unterricht nehmen! Mit dem Geschäftlichen befasse ich mich nicht!«

»Sie werden viel Mühe mit mir haben!«

»Ich glaube schon!«

»Ich werde mir denn erlauben, der Frau Mama für den Tanzunterricht bei Ihnen tausend Pfund anzubieten!«

»Aber nur für den Tanzunterricht!«

»Selbstverständlich nur dafür! — Ich bitte aber außerdem, mir die Gnade erweisen zu wollen, diese kleine [234] Gabe anzunehmen als Zeichen, daß Sie mich des Vorzugs würdigen, mich auch als Ihren Freund zu betrachten!«

Er entnahm seiner Tasche ein Etui, öffnete es, und vor ihren Augen glitzerte ein herrlicher Brillantschmuck.

Barberina liebte die Brillanten, und diese waren von auserlesener Schönheit. Die Glut der Hölle schien mit dem Leuchten des Himmels in ihrem Funkeln vereinigt zu sein! Als sie aber den Schmuck in die Hand nahm, schossen aus ihm blaue Blitze hervor wie aus den Augen ihres Geliebten, als er von der ihm aufgezwungenen Verlobung erzählte!

Sie klappte das Etui zusammen, stellte es auf den Tisch und blickte Sir Josuah scharf an.

»Wie ich Ihnen bereits sagte, verstand ich bis jetzt nichts von geschäftlichen Dingen! Es scheint mir aber, daß Ihre bloße Anwesenheit genügt, mir die Augen zu öffnen! Ich fange schon an, ein wenig zu begreifen!«

»Sehen Sie!«

»Da Sie wohl aber von den zwischen mir und Lord Stuart bestehenden Beziehungen ebensogut unterrichtet sein werden wie von den gewaltsamen Maßnahmen, uns zu trennen, möchte ich Ihnen gleich sagen, daß meine Empfindungen — oder vielmehr der Verzicht darauf — nicht käuflich sind!«

»Wer wird denn gleich so häßlich denken? Dieser Schmuck sollte nur ein Zeugnis von meiner aufrichtigen Bewunderung für die große Künstlerin ablegen, und von der Verehrung, die ich für Ihre Person empfinde! — Sie werden mir doch nicht den Schmerz antun, ihn zurückzuweisen?«

»Die Annahme verpflichtet mich also zu gar nichts?«

»Keinesfalls! Sie würde nur mich auf alle Zeit als Ihren Freund und gehorsamsten Diener verpflichten!«

»Gut! Ich nehme ihn denn an! Aber unter einer Bedingung!«

»Und die wäre?«

[235]

»Sie dürfen mir gegenüber niemals meine Beziehungen zu Lord Stuart oder seine Verlobung mit Ihrer Tochter auch nur andeuten!«

Sir Josuah zögerte.

»Warum verlangen Sie das?« fragte er schließlich etwas betroffen.

»Aus gar keinem anderen Grunde«, antwortete sie, kokett auflachend, »als weil ich's nicht gewohnt bin, daß ein Mann mir — von den Empfindungen eines anderen Mannes für mich spricht!«

»Von meinen eigenen Empfindungen für Sie dürfte ich also sprechen?«

»Soviel Sie nur wollen!« lachte Barberina, die sich jetzt vornahm, dem alten Mann den Kopf gehörig zu verdrehen. »Und wenn es Sie beruhigen kann, will ich Ihnen noch versprechen, keinen Finger zu rühren, um Lord Stuart Ihrer Tochter abspenstig zu machen!«

»Abgemacht!« rief Sir Josuah und küßte ihre Hand.

»Wenn Sie galant wären, hätten Sie antworten müssen, daß ich das nicht nötig hätte!« schmollte sie und entzog ihm die Hand.

»Üben Sie Gnade!« rief er. »Ich bin eben in galanten Dingen ein Anfänger und wußte nicht, daß man Selbstverständliches sagen müßte!«

»Sie werden sich eben bessern müssen!«

»Nachdem Sie die Gnade hatten, mir zu gestatten, Ihnen möglichst viel von meinen eigenen Empfindungen für Sie zu erzählen, bezweifle ich es nicht — wenn Sie mir nur Gelegenheit geben!«

»Sooft Sie wollen!«

»Dann erlaube ich mir, Ihnen den Vorschlag zu machen, schon heute mit mir zu soupieren!«

»Mit Vergnügen — wenn Mama Ihre Einladung annimmt!« antwortete Barberina und stellte ihm die Signora vor, die eben zur rechten Zeit hereinkam, um ja zu sagen.

[236]

Und so kam es, daß Fossano, der sich noch hinter den Kulissen umhertrieb, sehen konnte, wie Barberina am Arme Sir Crichtons das Theater verließ, um mit ihm und ihrer Mutter in dessen Wagen Platz zu nehmen. Eine Entdeckung, die er nicht zögerte, Lord Albermale zuzuflüstern, der die große Neuigkeit denn auch prompt nach Schottland weiterbeförderte, damit sein Freund Beß nicht denke, seine Geliebte stünde ganz verlassen da.

Das Souper verlief sehr vergnügt. Sir Josuah war von der Konversation Barberinas entzückt und verlor gleich am ersten Abend total den Kopf. Kein Tag verging dann, ohne daß er ihr seine Aufwartung machte. Er brachte ihr Blumen und machte ihr Geschenke aller Art. Barberina sah sich bald im Besitz eines Landhauses an der Themse — das Bankguthaben der »Mama« schwoll an, und Sir Josuahs Hoffnungen auf Erfolg ebenso — wenn er sich auch gedulden mußte. Denn Barberina selbst erlaubte ihm nicht die geringste Vertraulichkeit und verstand es geschickt, jedem seiner Annäherungsversuche auszuweichen — jedoch ohne ihm diese förmlich zu verbieten.

Eines Tages schenkte er ihr einen kleinen, hübschen Mohren zu ihrer persönlichen Bedienung, was ihr einen Ausruf des Entzückens entlockte.

»Wo haben Sie den her?« fragte sie neugierig.

»Eins meiner Schiffe brachte ihn von der letzten Reise mit. Die Negerknaben sind sehr begehrt für den intimeren persönlichen Dienst bei den Damen der feinen Welt! Ich kann kaum so viele anschaffen, wie man von mir verlangt!«

»Sie handeln auch mit Menschen?!« rief Barberina schaudernd.

»Wer tut das denn nicht!«

»Schrecklich!«

»Wieso? Der Mensch wird doch immer gehandelt! [237] Geschäft war doch stets mit den Transaktionen in Menschenfleisch verbunden!«

»Wie können Sie?!«

Sir Josuah lächelte.

»Das ist nicht meine Erfindung! Und übrigens — am Theater werden Sie's gesehen haben!«

»Verlassen Sie mich!« — Barberina stand plötzlich kerzengerade vor ihm und zeigte auf die Tür. Er war aber nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.

»Beruhigen Sie sich, Mademoiselle«, lächelte er, »ich handle nur mit Schwarzen! Die zählen ja kaum noch zu den Menschen! Sie sind aber als solche gut zu gebrauchen! Sie lernen schnell und sind verschwiegen! Die besten Hüter der Boudoirgeheimnisse, die man sich wünschen kann!«

Barberina wandte sich ab, um ein Lächeln zu verbergen. Er sah es und beeilte sich, hinzuzufügen:

»Übrigens versetze ich sie aus einem halb tierischen Zustande in menschenwürdige Verhältnisse! Ich bin also geradezu ihr Wohltäter! Sie werden ihn doch gut behandeln?!«

»Sicher! Wo haben Sie ihn gekauft?«

»Ich kaufe nicht! Ich bediene mich nicht der Sklavenhändler. Ich rüste selbst Expeditionen aus, führe Krieg, mache Gefangene und verkaufe sie dann dort, wo ihre Arbeitskraft benötigt wird!«

Er fing zu erzählen an und gab ihr rasch einen Einblick in die Geheimnisse des echt englischen Geschäfts mit »schwarzem Elfenbein«. Vor ihren entsetzten Augen rollten sich grausige Bilder auf von Mord und Raub und gewaltsamem Zerreißen aller menschlichen Bande. Sie sah in der Phantasie das Treiben auf den Menschenmärkten, wo der Gatte der Gattin, die Kinder den Eltern genommen wurden — sah in engen Schiffsräumen zusammengepferchte menschliche Leiber, in Ketten geschlossen, von Hunger verzehrt, von Krankheiten dahingerafft [238] — die Überlebenden zu Skeletten abgemagert, dem traurigsten Schicksal entgegengeführt. — Und alles, damit England groß und mächtig werde, indem jener dicke, feiste Kerl, der da vor ihr stand, und viele seinesgleichen sich die Taschen mit Gold füllten!

Sie begriff auf einmal, daß er sich auch noch erdreistete, mit seinen plumpen Händen in die Poesie ihres eben erwachten Empfindungslebens eingreifen und kalten Blutes über das Glück zweier Menschen hinwegschreiten zu wollen, nur um seine geschäftlichen Interessen zu fördern! Keine Strafe schien ihr da schwer genug! Sie schauderte ob der selbstgefälligen Nonchalance, mit der er sein schandbares Gewerbe als durchaus ehrenwert und verdienstvoll hinzustellen wagte, und rief voll Entrüstung:

»Ein Räuber sind Sie! Ein Mörder!«

»Ich bin ein Kaufmann, Mademoiselle, weiter nichts!«

»Nennen Sie's, wie Sie wollen, aber schandbar ist es! Und noch schandbarer, daß es geduldet wird! Legt man Ihnen denn gar keine Hindernisse in den Weg?«

»Doch! Das Metier hat auch seine Unannehmlichkeiten! Das gebe ich zu! Die Neider zum Beispiel! — Da kam vor kurzer Zeit ein Franzose — ein homme de lettre — über den Kanal, angeblich, um englisches Wesen und englische Zustände zu studieren und ein Buch darüber zu schreiben. Er schnüffelte auch bei mir herum. Und ich, in meiner Harmlosigkeit, tat ein bißchen dick und ließ ihn mehr wissen als nötig war. Da wurde er gleich Feuer und Flamme und wollte sein Geld in meinem Niggergeschäft mitarbeiten lassen — angeblich nur aus Neugier und um praktische Erfahrung zu gewinnen! Ich habe mich aber gehütet! Da ist er gleich zu einem meiner Nebenbuhler gelaufen und hat ihm alles verraten, was er bei mir gelernt hatte! Und nun machen die mir schwere Konkurrenz. Ein Vermögen hat er schon damit verdient! Nichts habe ich so sehr bereut wie das!«

Das waren seine ganzen Bedenken! Menschliche Gefühle schienen bei ihm nicht vorhanden zu sein! Und doch [239] versuchte er den Liebhaber herauszukehren! Sie lachte laut auf.

»Warum lachen Sie?«

»Weil Sie so ganz anders aussehen, als Sie müßten!«

»Wie müßte ich denn aussehen?«

»Nun — einen Menschenfresser hätte ich mir jedenfalls ganz anders vorgestellt! Man müßte vor Ihnen Grauen empfinden können!«

»Sie werden noch von mir verlangen, daß ich hier vor Ihren Augen den kleinen Negerjungen mit Haut und Haaren verspeise!«

»Ich will überhaupt nichts von ihm wissen! Nehmen Sie ihn zurück!«

»Ich bitte Sie —!«

»Wenn ich ihn sehe, würde ich an all das Schauderhafte denken müssen, was Sie mir erzählt haben! Ich würde böse Träume bekommen!«

»Dann nehmen Sie ihn nur an! Er wird Ihnen süße Wiegenlieder singen! Er ist musikalisch! Er spielt schon sehr gut die Laute!«

»Am Ende tanzt er auch?«

»Sie werden ihm das Tanzen jedenfalls leicht beibringen! Die Schwarzen haben ein angeborenes rhythmisches Gefühl und eine natürliche Empfindung für den Tanz! — Übrigens ist er ein Prinz!«

»Wer's glaubt!«

»Ganz gewiß! Sein Stammbaum ist allerdings drüben in den Urwäldern Afrikas geblieben! Aber Sie können mir aufs Wort glauben!«

»Also, Sie handeln auch mit königlichen Hoheiten! — Das ist zum mindesten originell! Das versöhnt mich ein wenig mit Ihrem Elfenbeinhandel!«

Sie lachte plötzlich auf.

»Mir fällt was ein! Die Schwarzen müßten auch anfangen, mit weißen Sklaven zu handeln! Ich möchte zu gern unsere gepuderten Prinzen in ihren seidenen [240] Strümpfen und Spitzenjabots als Sklaven der schwarzen Schönen sehen!«

»In Wirklichkeit werden Sie's kaum erleben! Vielleicht aber auf dem Theater!«

»Da geben Sie mir eine Idee! Daraus lasse ich mir ein pantomimisches Ballett machen! Das wird entzückend! Eine Nummer, die ich allein habe!«

»Sie werden damit Triumphe feiern!«

»Ohne Zweifel! Sie müssen mir aber richtige Negerprinzen dazu besorgen! Eine ganze Schiffsladung!«

»Welche absurde Idee!«

»Sie sagen, daß Sie mich lieben, Sir Josuah, und Sie finden einen Wunsch von mir absurd?! Sie lieben mich eben nicht!«

»Ich bete Sie an!«

»Schweigen Sie! Ich glaube nichts von Ihren Beteuerungen! Kein Wort glaube ich Ihnen!«

»Sie töten mich!«

Er warf sich auf die Knie, so gut es ging, und suchte ihre Hand zu erhaschen. Sie stieß ihn aber zurück.

»Wie hieß jener Franzose, der Ihnen Ihre geschäftlichen Kniffe ablauschte?«

»Warum fragen Sie?«

»Die Franzosen sind galant! Wie heißt er?«

»Voltaire!«

»Er soll mir meine Negerprinzen besorgen!«

»Mademoiselle, Sie töten mich! Ich liebe Sie ja!«

»Kein Wort von Ihren Empfindungen, bitte!«

»Üben Sie Gnade!«

»Wollen Sie mir hoch und heilig versprechen, daß ich bald eine ganze Schiffsladung schwarzer Prinzen mir zu Füßen haben werde?«

»Sie sollen Ihren Willen haben!«

»Schwören Sie's!«

»Ich schwöre!«

»Stehen Sie also auf! Nein, nein — stehen Sie auf! [241] Ich kann Sie nicht so daliegen sehen! Sie versetzen mich in die tödlichste Angst um Sie! Denken Sie doch an Ihr Embonpoint! Ich kann's nicht dulden, daß Sie Ihr mir so kostbares Leben aufs Spiel setzen! Wer würde mir dann meine Schwarzen besorgen!«

Sie lachte wie ein ausgelassenes Kind.

Er stand etwas begossen auf.

»Setzen Sie sich dahin! Und ganz artig stillsitzen! Wenn Sie brav sind, dürfen Sie mir auch die Hand küssen!«

Sie reichte ihm die Hand, die er sofort begierig ergriff.

»Ich will also Ihren schwarzen Prinzen annehmen! Ich ernenne Sie auch zu meinem Sklaven! Aber nur unter einer Bedingung!«

»Und die wäre?«

»Daß Sie — in meinem Negerballett mittanzen!«

Sir Josuah fuhr auf. Seine Züge verfinsterten sich. Sie ignorierte es.

»Sie sollen einen französischen Prinzen darstellen, den ich für schweres Geld gekauft habe und den Häuptlingen meines Stammes in seinen nationalen Tänzen vorstelle! Die französischen Prinzen sind alle dick wie Sie! Sie tanzen alle gut!«

»Sie halten mich zum besten!«

»Durchaus nicht!«

»Bedenken Sie doch, was Sie von mir verlangen! Ich, ein Baronet von England, Mitglied des Hauses der Gemeinen, Chef eines der größten Handelshäuser —«

»Diesen Herrn kenne ich nicht! Ich kenne nur meinen Sklaven Josuah, der mir unbedingt gehorchen muß oder zu den Toten geworfen wird! Entweder — oder!«

»Mademoiselle, ich beschwöre Sie!«

»Gehen Sie, Sir Josuah, ich will nichts von Ihnen wissen! Wie oft haben Sie mir nicht geschworen, Sie wollten mir zuliebe alles tun! Und gleich den allerbescheidensten [242] Wunsch schlagen Sie mir ab! Ich hätte Indiens Schätze verlangen können und verlangte nur einen Tanz! Ich war im Begriff, um Ihretwillen den einzigen Mann zu vergessen, den ich je geliebt habe! Und Sie — wollen meinetwegen nicht einmal die Beine bewegen! — Abscheulich!
— Sie sollten sich schämen!«

Und Sir Josuah schämte sich wirklich.

»Alles, was Sie wollen, will ich tun! Aber Sie verlangen das Unmögliche von mir! Ich kann nicht tanzen!«

»Was man nicht kann, kann man lernen! Ich werde Sie unterrichten! Keinen Widerspruch!«

»Wohlan denn! Aber ich werde nicht sehr gelehrig sein! Sie werden nicht viel Freude an mir haben!«

»O doch! Sehr viel!« lachte Barberina, die sich den Spaß göttlich vorstellte. »Und sollten Sie's wirklich nicht so weit in der Tanzkunst bringen wie bis zum französischen Prinzen im Ballett, so will ich Gnade üben und von Ihrer Mitwirkung in meinem schwarzen Ballett absehen! Aber erst dann! Erst müssen Sie Ihren guten Willen zeigen —«

»Und dann?« fragte Sir Josuah sehnsüchtig und ergriff wieder ihre Hand.

»Dann will ich Ihnen erlauben, mir alles zu sagen — was Sie mir heute nicht sagen dürfen!« antwortete sie und entzog ihm die Hand.

»Und was werden Sie mir dann darauf antworten?«

»Tanzen Sie hübsch brav, Sir Josuah, und Sie werden mit der Antwort zufrieden sein!«

Sie ließ den Worten einen ihrer betörendsten Blicke folgen. Und so kam es, daß Sir Josuah die folgenden Tage in ihrem, ihr von ihm geschenkten Landhause unter ihrer Leitung die schwersten Pas seines Lebens — seine »Fauxpas«, wie sie sagte — einstudieren mußte. Er vergaß darob das ganze Parlament von England und versäumte gröblich sein ganzes großes Handelsunternehmen, [243] um seine Baronie, statt mit der ersehnten Lordschaft, mit der vergoldeten Papierkrone eines französischen Theaterprinzen von Geblüt zu schmücken.

Sie hatte ihre helle Freude daran, den verliebten alten Gecken wie einen Tanzbären zu dressieren. Zu den Unterrichtsstunden mußte er in vollem Habit antreten — in engen seidenen Hosen, Spitzenjabot, Schuhen mit brillantenen Schnallen und federgeschmücktem Dreispitz, das Gesicht rot und weiß getüncht, die Haare gepudert und einen koketten Degen an der Seite.

Als Zuschauer wurde nur der Mohr zugelassen, der auf der Laute den Tanz begleiten mußte.

Sie mußte ihrem Schüler recht geben. Er hatte nicht das geringste Talent, und was er leistete, grenzte ans Groteske. Aber sie hütete sich, es ihm zu sagen. Es machte ihr Vergnügen, ihn zu quälen. Seitdem er ihr triumphierend die Verhaftung ihres Geliebten mitgeteilt hatte, haßte sie ihn mit der ganzen Glut ihres südländischen Temperaments. Sie nahm sich vor, ihm den Kopf zu verdrehen und ihn vor aller Welt so lächerlich zu machen, daß der alte Stuart genötigt sein würde, auf die Verbindung zu verzichten.

Bald hatte sie ihn so weit.

Eines Tages, nach einem ermüdenden endlosen Studium der Gavotte à la cour, blieb Sir Josuah mitten in einem Kompliment stehen und wischte sich die von Schminke gefärbten Schweißtropfen aus dem Gesicht.

»Habe ich mich nun genug blamiert?« fragte er stöhnend.

»Noch nicht!«

»Ganz London lacht über mich!«

»Die ganze Welt muß lachen!«

»Sie wollen mich vernichten!«

»Ich will Sie lancieren, weiter nichts! Sie sind aber wie alle Debutanten — das Lachen macht Sie nervös! [244] Freuen Sie sich doch! Wenn man lacht, haben Sie Erfolg! Wenn Sie auf der Bühne stehen, werden Sie's begreifen!«

»Auf der Bühne?! Das verlangen Sie auch noch?!«

»Als Beweis Ihrer Liebe, ja!«

»Fordern Sie jeden anderen Beweis! Treiben Sie's nicht zu weit! Sie richten mich zugrunde! Man hält mich bereits für verrückt! Meine eigenen Angestellten lassen es an der schuldigen Achtung fehlen! Wo ich mich zeige, fängt man zu flüstern an! Wenn ich jemand anrede, wendet er sich achselzuckend ab! Meine nächsten Freunde werfen mir vor, ich wäre auf meine alten Tage ein Geck geworden! Und sie haben recht! Wie sehe ich denn aus? — Angestrichen wie die Fassade meines eigenen Landhauses — geputzt wie ein Affe! — Ich, der einstige Stolz der City! Und warum? — Weil ich wahnsinnig in Sie verliebt bin — weil ich an nichts anderes denken kann als an Ihre schwarzen Augen — weil ich ganz in Ihrer Gewalt bin und dazu verdammt, jede Ihrer Launen zu befolgen! Hätte ich nur das geringste davon, ich würde kein Wort sagen! Gern opfere ich Ihnen alles! Aber Sie machen mir kaum Hoffnung! Sie zeigen mir nicht die geringste Gegenliebe! Jetzt mache ich das nicht mehr mit! Jetzt habe ich genug!«

Erschöpft von diesem Energieanfall, sank er auf einen Sessel nieder und fächelte sich mit dem Hut Kühlung zu.

»Sie vergessen Ihren Eid, Sir Josuah!«

»Ich vergesse ihn nicht! Aber ich breche ihn! Ich erkläre Ihnen hiermit in allem Ernst: wenn Sie sich nicht jetzt entschließen, die Meine zu werden, so gehe ich und kehre nicht wieder, obwohl ich weiß, daß es mein Tod sein wird!«

»Sie lieben mich also nicht?«

»Sie sehen mich hier in diesem Zustande und fragen noch? Sie haben keinen Funken von Mitleid für mich und erst recht keine Liebe!«

[245]

»Sie können überzeugt sein, daß ich mit meinen Gefühlen für Sie im reinen bin!«

»Wenn das wahr ist, müssen Sie mir jetzt eine Antwort geben.«

»Fragen Sie!«

»Gut! Ich frage Sie also: Wollen Sie von mir eine Jahresrente von fünftausend Pfund annehmen? Wollen Sie in einem fürstlich eingerichteten Hause in jeder erdenklichen Weise mit allem, was das Leben angenehm macht — als meine Geliebte residieren?«

Barberina blickte ihn unter den halbgesenkten Lidern prüfend an, lächelte dann verschmitzt und fragte, als hätte sie gar nichts gehört:

»Sagen Sie mir, Sir Josuah, wo bleibt meine Schiffsladung von Negerprinzen?«

»Sie ist unterwegs mit sämtlichen Stammbäumen und Ahnentafeln! — Wo bleibt aber die Antwort auf meine Frage?«

»Auch unterwegs!« lachte sie.

»Sie sind eine Kokette!«

»Mag sein! Damit Sie aber einsehen, daß ich auch mehr sein kann, will ich Ihnen gleich in allem Ernst etwas sagen: Auf solche Fragen antwortet die Barberina nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil es unter ihrer Würde wäre!«

Sir Josuah sperrte den Mund auf. Eine Ballettdame und Würde?! Bei fünftausend Pfund Jahresrente?! Seine Ehre als Krösus stand auf dem Spiel!

»An mir soll's nicht liegen!« sagte er, nicht ohne einen leichten Seufzer. »Wenn's sein muß, verdoppele ich die Jahresrente!«

Barberina blickte ihn kalt an.

»Ich wäre bereit«, sagte sie, »mich Lord Stuart ohne irgendeine Zusicherung hinzugeben — weil ich ihn liebe! Er könnte mir aber alle Schätze der Welt anbieten, und [246] ich würde doch nicht die Seine werden — wenn's gegen mein Gefühl wäre! Ich bin kein Kind mehr, das man durch glitzerndes Spielzeug lockt. Ich kenne das Leben und weiß mit ihm Bescheid!«

»Ich müßte Sie also zum Altar führen?!«

»Wenn ich überhaupt an eine Verbindung mit Ihnen dächte, wäre das der einzige gangbare Weg!«

Sir Josuah kämpfte mit sich selbst. Das würde seiner Torheit die Krone aufsetzen und ihn erst recht unmöglich machen! Er sah sich von aller Welt gemieden, von seiner Familie als ein altersschwacher Tor kaum noch geduldet, sah die Verbindung mit den Stuarts unmöglich gemacht, die Lordschaft immer ferner gerückt. Aber es half alles nichts. Seine Leidenschaft war unüberwindlich!

»Nun denn«, sagte er endlich, »so bitte ich Sie, meine Gattin zu werden!«

Und somit hatte Barberina ihn da, wo sie ihn haben wollte, und konnte ihm am eigenen Leibe zeigen, wieviel ein Eheversprechen wert war!

»Der Entschluß ehrt Sie«, sagte sie, »und verdient immerhin ernst genommen zu werden. Ich will aber die Situation nicht mißbrauchen. Überlegen Sie sich den folgenschweren Schritt erst reiflich, und wenn es Ihnen Ernst ist, so kommen Sie in zwei Wochen nach Paris, wohin ich morgen gehen muß, um mein Engagement anzutreten. Wenn Sie Ihr Anerbieten dann wiederholen, so glaube ich Ihnen versichern zu können, daß ich Ihnen zum Altar folgen werde!«

Sie reichte ihm die Hand, die er küßte.

»Bis dahin werden wir uns aber nicht mehr sehen«, sagte sie noch. »Ich nehme jetzt Abschied von Ihnen!«

Sir Josuah versicherte ihr, daß er gar keine Zeit zur Überlegung brauche. Sie könne ebensogern heute wie nach zwei Wochen »ja« sagen und auch auf ihr Pariser Engagement ohne weiteres verzichten. Aber sie war unerbittlich. Und er mußte ihr ihren Willen lassen. Seufzend [247] verabschiedete er sich, warf sich in seinen Wagen und fuhr nach London zurück.

Und Barberina setzte sich an den Schreibtisch, um ihrem Beß zum ersten Male seit der Trennung zu schreiben.

    »Ungetreuer!

Nicht genug, daß Du ohne Abschied fortgingst — keinen Gruß, keine Zeile Deiner Hand ließest Du mir diese ganze lange Zeit zukommen! So hast Du mich denn vergessen! Ich verlasse jetzt England, um in Paris meine Kunst weiter auszuüben! Aber nicht auf lange Zeit — denke ich! Der recht ehrenwerte Sir Josuah Crichton hat mir die Ehe angetragen! Und da Du wohl kaum etwas unternehmen wirst, um das zu verhindern, wirst Du mich bald, statt als Deine Frau, als Deine Schwiegermutter begrüßen können! Bis dahin lebe wohl!

Barberina.«    

»Wenn ihn das nicht dazu bringt, die Fesseln zu sprengen, dann wäre ich wirklich imstande, den anderen zu nehmen!« sagte sie rachsüchtig. »Dann glaube ich an keine Liebe mehr! Dann ist mir das Leben einerlei, wie es auch kommt!«

Sie schickte ihren Mohren, auf dessen Treue sie sich verlassen konnte, ab, den Brief zu überbringen.

Mama Campanini aber, der sie das Anerbieten Crichtons mitteilte, war vor Freude außer sich. Ihr Entzücken steigerte sich zum Triumph, als ihr alter Feind Fossano sie aufsuchte, um sich neues Geld für seine gesprengte Bank zu borgen, und sie ihm die große Neuigkeit auftischen konnte.

Bald wußte es ganz London, zum großen Leidwesen Sir Josuahs, der gehofft hatte, die Angelegenheit im stillen zu erledigen und die Welt mit einem fait accompli überraschen zu können.

Die ganze City lachte. Lord Stuart grüßte Crichton nicht mehr, hob aber die Verlobung nicht auf. Sir Josuahs [248] gute Familie aber stellte ihm das Irrenhaus in Aussicht, nachdem sie vergebens alles aufgeboten hatte, um ihn zur Vernunft zu bringen.

Er entzog sich allen Beeinflussungen durch eine schleunige Abreise nach Paris, angeblich, um dort die neuesten Modeerzeugnisse für die Ausstattung seiner Tochter einzukaufen. Und dort traf er mit Barberina zusammen, die sich über nichts so sehr freute als über den Eklat, den die Sache ohne die geringste Betätigung von ihrer Seite gemacht hatte.

Sie hatte noch nichts von ihrem Beß gehört und auch keine Antwort auf ihren Brief bekommen. Das machte ihr großen Kummer, denn sie fühlte sich seiner Liebe sicher und konnte deshalb sein Stillschweigen nicht verstehen.

In der Öffentlichkeit sah man sie niemals, außer bei ihrem Auftreten in der Oper. Fama hatte diesmal gar nichts von ihren galanten Abenteuern zu erzählen, um so mehr aber von ihren außerordentlichen Leistungen als Künstlerin.

Die verlockendsten Anerbietungen wurden ihr von allen größeren Theatern gemacht. Aber sie schlug sie alle aus. Ihre Mutter redete ihr zu, ein Anerbieten des Königs von Preußen anzunehmen. Aber sie antwortete, sie wolle sich frei halten, um, nach ihrer Verheiratung, der Kunst ganz zu entsagen.

Sie dachte dabei an Beß, auf dessen Ankunft sie immer noch hoffte. Ihre Mutter aber an Sir Josuah, der immer dringender wurde und jetzt die Festsetzung des Tages der Trauung kategorisch verlangte. Doch sie hatte plötzlich das Interesse für seine Schätze verloren. Preußen war ihr mehr wert!

Die gute Mama hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt, ein Königreich zu erobern! Zweimal war ihr die Eroberung mißlungen. Das drittemal sollte die Launenhaftigkeit ihrer Tochter sie nicht um die Siegespalme [249] bringen! Sie ließ sich vom preußischen Botschafter einen Vertrag geben, aber Barberina unterschrieb nicht, sondern setzte den Tag für die Trauung fest.

Sie machte sich aus Sir Josuah nach wie vor gar nichts. Aber ihr Beß ließ nichts von sich hören. Und aufs äußerste darüber erregt, dachte sie jetzt nur noch daran, sich an ihm zu rächen.

Am Morgen des Hochzeitstages kam ihre Mutter zu ihr herein, ein Dokument in der Hand.

»Noch ist es Zeit«, sagte sie. »Noch bist du frei! Bedenke, was du tust! Entweder du unterzeichnest diesen Vertrag mit dem König von Preußen oder den Ehevertrag mit jenem alten Gecken! Die Wahl sollte dir nicht schwer sein! Drüben im Nebellande — Reichtum und Vergessenheit; in Preußen — Ehren, Glanz und Ruhm und ein Königreich, das du mit Leichtigkeit in die Tasche stecken kannst, wenn du nur von deinem Eigensinn abläßt und dich meiner Führung anvertraust! Da — überleg nicht lange! Nimm die Feder und unterzeichne! Und wenn Sir Crichton kommt, werde ich ihm den Standpunkt schon klarmachen.«

Sie reichte ihr eine Feder, und Barberina, die immer noch hoffte, daß Beß eintreffen würde, unterschrieb, um Sir Josuah mit guten Gründen hinhalten zu können und so wenigstens einen Aufschub zu erhalten. Käme Beß, so wollte sie den Vertrag nicht einhalten! Käme er nicht, so müßte Sir Josuah sich um die Lösung ihrer Verpflichtung bemühen! Und das würde immerhin Zeit in Anspruch nehmen!

»Jetzt kann der alte Kerl sich in seinem Gelde begraben!« rief die Mama erfreut und steckte das kostbare Dokument ein. »Jetzt gehört uns Preußen! Und das wiegt mehr als zehn Castles in England!«

Sie begab sich schnurstracks zum preußischen Gesandten, dem Herrn von Chambrier, und ließ ihre Tochter allein.

[250]

Dieser war es nicht ganz geheuer zumute! Sie hatte sich wieder dem Theater verschrieben, obwohl sie das öffentliche Auftreten verabscheute! — Das Leben schien ihr nur an der Seite eines geliebten Wesens Wert zu haben! Ihrer Liebe hätte sie alles opfern wollen! Bis vor einer Minute hatte sie die Freiheit gehabt, es zu tun! Und jetzt hatte sie sich wieder fesseln lassen!

Wenn Beß jetzt käme?

Kaum gedacht, war er schon da! Wie der Dieb in der Nacht schlich er zu ihr hinein, nahm sie in die Arme und küßte sie ab! Und die Freude war unbeschreiblich auf beiden Seiten! Dann ging es los mit Vorwürfen, Fragen und Erklärungen.

Warum er nicht geschrieben hätte?

Wohl Hunderte von Briefen hätte er ihr geschickt! Sie hätte sie doch bekommen müssen!

Keine Zeile! Kein Lebenszeichen von ihm die ganze Zeit.

Wo die Briefe geblieben waren, war nicht schwer zu erraten! Aber die Familie sollte ihm keine derartigen Streiche mehr spielen! Er war jetzt frei! Sein Onkel war tot, dessen riesiges Vermögen in seinen Händen! Er hatte seinen Abschied genommen, war sein eigener Herr und konnte tun, was er wollte! Aber sie?! — Man hatte ihm von der Bewerbung Sir Josuahs erzählt! — Man wußte auch, daß dieser auf Erhörung rechnen durfte! — Ihr eigener Brief an ihn — der einzige, den sie ihm geschrieben hatte, hatte ihn beunruhigt! War sie noch frei — oder —?

»Ebenso frei wie Sie, Lord Stuart!« sagte sie und hob die Nase hoch.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Daß ich mich auch anderweitig verlobt habe! Genau wie Sie!«

»Du hast ihm also dein Wort gegeben?!«

»Ich habe ihm mein Wort gegeben! Und ich werde es halten!«

[251]

Er fuhr zurück, als hätte ihn ein Peitschenhieb getroffen.

»Treulose!« rief er. »So bald vergißt du deinen Eid!«

Da wurde ihr gemeldet, Sir Josuah sei da, um sie zur Trauung abzuholen.

»Ich werde dich schon an den Eid erinnern!« rief sie, eilte hinaus und kam zurück, gefolgt von Sir Josuah.

Die Überraschung der beiden Herren war von derartiger Komik, daß sie in lautes Lachen ausbrach.

»Sie scheinen sich nicht zu kennen, meine Herren?!« rief sie. »So gestatten Sie mir denn vorzustellen: Sir Josuah Crichton, mein Verlobter — Lord Stuart, mein Gemahl!«

Sie legte dem erstaunten Beß die Hand auf den Mund, um ihn am Sprechen zu hindern. »Wir sind vor Gott getraut, Sir Josuah! Daran ist nichts zu ändern! Sie und Ihre Tochter müssen eben das Nachsehen haben!«

Sir Josuah brach in die heftigsten Vorwürfe aus. Die Ehe wäre ungültig und würde wieder gelöst werden! — Lord Stuart wäre nicht mündig und könne ohne Einwilligung seines Vaters keine Ehe eingehen — außer der, zu der ihn sein Vater bereits verpflichtet hatte! Und was sie beträfe, so hätte sie doch ihm ihr Wort gegeben!

»Ich habe Ihnen versprochen, Ihnen zum Altar zu folgen, Sir Josuah, weiter nichts! Wenn Sie's verlangen, werde ich mit Ihnen den Spaziergang machen! Aber nie und nimmer, um mich mit Ihnen trauen zu lassen!«

»Sie haben mich getäuscht!«

»Durchaus nicht! Sie sollen aber keinen Schaden an mir haben! Das Landhaus an der Themse steht Ihnen wieder zur Verfügung. Die Luft ist mir dort zu feucht! Beim Ballett können wir keinen Rheumatismus gebrauchen! Den Negerprinzen aber, die ich immer noch nicht bekommen habe, können Sie in meinem Namen die Freiheit schenken! Um Ihren Tanz tut es mir aber leid! Ich habe Sir Josuah ausgebildet«, wandte sie sich an Beß. [252] »Er hat sich in der choreographischen Kunst sehr bewährt! Man könnte ihn schon für Geld zeigen! Nicht wahr, Sir Josuah?«

Aber Sir Josuah hörte nicht. Er war längst davongelaufen, und die beiden Liebenden blieben laut lachend zurück, um sich über den gelungenen Streich zu freuen.

»Alle Heiligen!« rief Barberina plötzlich. »Den König von Preußen habe ich ja vergessen! Wie werde ich den nun los?«

»Dem hast du doch nicht auch die Ehe versprochen?!«

»Weit schlimmer! Ich habe mich von ihm anwerben lassen!«

»Au weh!«

»Wo fliehen wir nun hin?«

»Nach Italien! Da kommen seine Werber nicht hin!« Sie war sofort bereit. Noch ehe die Mutter nach Hause kam, war der Vogel ausgeflogen, und sie hatte das Nachsehen. Eine kurze Nachricht, daß sie mit ihrem Gemahl nach Venedig gereist sei, und daß der »Gemahl« nicht Sir Josuah, sondern sein entlaufener Schwiegersohn in spe sei, war alles, was Barberina ihr hinterlassen hatte! Und — eine Aufforderung, bald nachzukommen!

Sie folgte den Flüchtigen auf den Fersen, mit dem verschmähten Vertrag, aus dem sie ihre Tochter gewiß nicht entlassen wollte!

Sir Josuah aber kehrte nach London zurück und war von seiner Liebestollheit gründlich geheilt. Er einigte sich mit dem alten Lord Stuart dahin, dem jungen Herrn Beß Zeit zu lassen, sich auszutoben, was der heiligen Ehe nur zuträglich sein würde! — Die Hochzeit müsse allerdings verschoben werden. Aber die Verlobung bliebe bestehen! Denn was ein Gebieter der City von London ausgemacht, verbrieft und besiegelt hatte, daran war nicht zu rütteln! Eher müsse die Welt untergehen!

Lord Stuart war ganz seiner Meinung. Und grüßte ihn wieder, wenn auch mit gemessener Würde.


[253]

Viertes Buch
Fridericus Rex


[255]

16

Es war ein bitterkalter Januarmorgen im Jahre 1744. Vom Turme der Garnisonkirche zu Potsdam schlug es fünf, und das Glockenspiel klimperte seinen Choral ins Dunkel hinaus. Die Stadt schlief noch.

Im Stadtschloß war es aber schon seit einer Stunde lebendig. Von der Brücke aus konnte man Licht in einem der ersten Fenster des linken Flügels sehen, wo der König residierte.

Die Ofenheizer waren schon dabei, in den Kaminen Holz und Kohlen aufzuschichten. Im Vorzimmer wartete der Kammerdiener Michaelis.

Als der letzte Schlag aus dem Turme verklungen war, trat er durch das Schreibzimmer ins Schlafzimmer, gefolgt von den Heizern, die sich sofort anschickten, das Feuer im Ofen anzumachen. Er ließ die Kerzen in der Krone anstecken, öffnete die silberne Balustrade nach dem Alkoven, zog die hellblauen Vorhänge auseinander und trat an das von einem Baldachin überdachte Bett heran, dessen versilberte Schnitzereien im Schein der Kerzenflammen fröhlich aufglänzten.

Der König schlief noch fest.

Rechts vom Bett stand die Tür zum kleinen, runden »Konfidenzzimmer« halb offen, wo Friedrich seine intimen Soupers abzuhalten pflegte, bei denen keine Bedienung anwesend sein durfte.

Über dem runden Tisch glimmte noch eine fast niedergebrannte Kerze in der vielarmigen Bronzekrone und [256] warf ihren flackernden Schein über das kleine, intime, ganz in Rosa und Gold gehaltene Kabinett. Der Tisch war mit den Resten des gestrigen Soupers bedeckt.

Schnell ging der Kammerdiener hinein, ließ die leeren Flaschen durch die Öffnungen an den Seiten des Tisches hinuntergleiten, schob Geschirr und Gläser auf die Mitte des Tisches zusammen und drückte auf einen Knopf. Die Tischscheibe senkte sich lautlos mit allem, was darauf stand, in das unten befindliche Kredenzzimmer hinab. Er zog noch kräftig an einer Klingelschnur, um die Bedienung da unten aufmerksam zu machen, löschte die hinsterbende Flamme aus, ging wieder in den Alkoven hinaus und schloß lautlos die Tür. Feierlich trat er dann an das Bett heran und hustete dreimal laut und vernehmlich.

Der Eroberer Schlesiens ließ sich nicht stören.

Der Kammerdiener streckte die Hand aus und berührte die Schulter des Schlafenden. Umsonst.

Der König drehte sich auf die andere Seite und schnarchte weiter. Er hatte den Schlaf offenbar sehr nötig heute, und es tat dem getreuen Diener im Herzen weh, ihm die Ruhe nicht gönnen zu dürfen. Er hatte aber bestimmte Befehle und hatte sofortige Entlassung zu gewärtigen, wiche er nur einen Zoll breit vom Pfade des Gehorsams ab.

Seufzend trat er an die Waschtoilette heran, entnahm einem ihrer Schubfächer eine zusammengefaltete Serviette, tauchte sie in Wasser und legte sie dann auf das Gesicht des Schlafenden.

Fluchend setzte sich Friedrich auf, lachte aber laut, als er das erschrockene Gesicht von Michaelis sah.

»Hast heute wieder zum Äußersten greifen müssen?« sagte er gähnend und schielte nach der Tür des Konfidenzzimmers.

»Eure Majestät hatten streng befohlen — —« stotterte der Diener beklommen.

[257]

»Es wäre dir schlecht bekommen, hättest du da nicht Ordre pariert!« sagte Friedrich gelassen und ließ sich die Strümpfe und die schwarzsamtenen Hosen reichen. »Aber es ist schlimm, sehr schlimm! Wie lange hast du heute Reveille geblasen?«

»Eine Viertelstunde!« antwortete Michaelis.

»Wir können nicht soviel Zeit verlieren! Das gestrige Souper hat zu lange gedauert! Die Dame Cochois wird nicht mehr hierher befohlen!«

Er ließ sich die hohen Stiefel anziehen, trat aus dem Alkoven heraus und nahm in einem Sessel am Feuer Platz.

Michaelis zog zweimal die Klingelschnur an der Wand und trat dann an den König heran, um ihm die Haarpeitsche zu machen.

Ein Kammerpage kam mit einem Korb herein, in dem die soeben eingegangenen Briefschaften lagen, kniete vor dem König nieder und hielt ihm den Korb hin.

Friedrich entnahm ihm Brief für Brief, prüfte sorgfältig Aufschrift und Siegel, warf diesen oder jenen ungeöffnet in den Ofen, machte die anderen auf, las den Inhalt halblaut durch und schichtete die Briefe in drei Haufen auf den neben ihm stehenden Tisch. Im ersten Haufen bekamen die Briefe einen Kniff nach innen — im zweiten einen nach außen und im dritten einen nach innen und nach außen, je nachdem, ob sie abschlägig beantwortet werden sollten oder nicht, oder ob die Antwort noch ungewiß sei.

Einen einzigen Brief behielt der König heute auf den Knien. Der Inhalt dieses Briefes mochte nicht angenehmer Natur sein. Denn nach Lesen der ersten Worte hielt er unwillig inne, las den Rest gegen seine Gewohnheit still durch und machte dabei so zornige Bewegungen, daß Michaelis den Haarbeutel wiederholt neu binden mußte.

Ein scharfes: »Nimm dich besser in acht!« wurde ihm höchst ungnädig zugerufen. Und der Kammerpage mußte [258] mit dem geleerten Korbe wieder abziehen, ohne vom König einen Blick, geschweige denn einen Gruß zu erlangen.

Friedrich las den Brief noch einmal durch.

»Eine süffisante, kapriziöse Kreatur wie all die anderen Mamsells! Ohne Gewalt nicht zur Räson zu bringen!«

Er warf den Brief zu den anderen.

Michaelis, der inzwischen mit dem Frisieren fertig geworden war, öffnete eine Tür links im Alkoven und ließ den Kammerhusaren herein, der ohne weitere Zeremonien das königliche Gesicht einzuseifen begann. Er hatte keinen leichten Stand.

Friedrich war äußerst nervös und aufgeregt. Seine gewöhnliche Ruhe und Überlegenheit schienen ganz geschwunden. Er saß keinen Augenblick still. Der arme Kammerhusar bekam Angst, ihn zu schneiden; seine Hand fing an zu zittern, und er mußte die ganze Ungeduld des Königs über sich ergehen lassen.

»Er ist heute aber auch zu ungeschickt!« rief Friedrich, dem beim Einseifen ein wenig Schaum in den Mund gekommen war. Er schielte mißtrauisch nach dem Messer, das sein Getreuer über einen ledernen Riemen hin und her gleiten ließ.

»Nehme Er sich zusammen! Kratzt Er mir nur die kleinste Ritze in die Haut, so kommt Er noch heute nach Spandau!«

Der Kammerhusar setzte das Messer an und begann zu schaben, kam aber nicht weiter als bis zur halben Wange, als Friedrich ihn sans façon beiseiteschob und Michaelis winkte, der mit einem Waschbecken in einiger Entfernung wartete.

»Winterfeldt!« befahl der König.

Michaelis stellte das Becken fort und ging, immer noch die Serviette in der Hand, zur Tür des Schreibzimmers, öffnete sie und ließ den Generaladjutanten herein.

[259]

»Den Rapport!« befahl Friedrich, den untertänigen Gruß seines Getreuen kaum beantwortend, und setzte sich im Sessel zurecht.

Der Kammerhusar fing an weiterzuschaben, der Generaladjutant zu berichten, und Friedrich, das Messer an der Kehle, mußte vieles über sich ergehen lassen.

Zunächst lagen da militärische Angelegenheiten vor, Urlaubsgesuche und so weiter, die Friedrich, den Kammerhusaren nochmals beiseiteschiebend, kurz erledigte.

»Von jetzt ab wird kein Urlaub bewilligt! Die Beurlaubten sollen binnen vier Wochen bei den Fahnen sein! Den Kommandanten der Artillerie ist einzuschärfen, daß sie mit allem Fleiß dafür sorgen, mit Einbruch des Frühlings die Geschützbespannungen vollständig zu haben!«

Damit überließ er sich wieder dem Messer. Aber da kam Winterfeldt mit einem Gesuch um Heiratskonsens für einen Offizier, und die Hand des Kammerhusaren wurde wieder beiseitegeschoben.

»Wird abgelehnt! Die Herren Offiziers denken nur an Mariage und sind im Dienste danach!«

Winterfeldt versuchte einen schwachen Einwand. Die betreffende Braut wäre reich und die Tochter eines angesehenen Bürgers! — Da kam er aber schlecht an.

»Wir halten nicht Soldaten zum Amüsement der Bürgertöchter! Wir permittieren keine Mesalliancen! Überhaupt keine Offiziersmariagen! Das gibt allemal Chagrin und böse Suiten! Und ich habe das Frauenzimmer auf dem Hals, nachher, wenn's in die Kampagne geht und der Herr Offizier tot bleibt! Kopulieret wird nicht!«

»Krieg in Sicht«, dachte Winterfeldt und hielt mit weiteren derartigen Gesuchen zurück. Er schloß mit der Meldung, daß auf der heutigen Parade Rekruten zur Besichtigung da sein würden, damit der König die für seine Grenadiergarde geeigneten aussuchen könnte.

»Eh bien!« sagte der König. »Wer ist zur Audienz da?«

[260]

»Der Staatsminister von Podewils, der Finanzminister Boden, Baron von Pöllnitz —«

»Der Schwätzer! Und Knobelsdorff? Ich hatte ihn heute befohlen!«

»Knobelsdorff hat sich krank gemeldet!«

»Das sind leere Exkusen! Er hat sich echauffiert, weil er mein Sommerhaus draußen in den Weinbergen nach meinem Kopf bauen muß! Geh Er hin zu ihm! Er soll mir heute bei der Parade seine Krankheit präsentieren! Wir werden ihn höchstselbst kurieren! Zum Diner werden heute befohlen: Pöllnitz, Maupertuis, der malade Knobelsdorff und Er selbst! Lege Er die Liste der Herrschaften, so Audienz haben wollen, draußen auf meinen Schreibtisch! Au revoir!«

Winterfeldt salutierte und ging.

»Nun kratz endlich zu! Sonst wirst du, meiner Seele, nimmermehr fertig!« herrschte Friedrich den Kammerhusaren an. Und dieser kam denn endlich dazu, seine kitzliche Arbeit ohne weitere Störungen zu beenden.

Friedrich musterte sein Gesicht genau im Spiegel. Er schien eher ärgerlich als zufrieden damit zu sein, daß nicht die geringste Schramme zu sehen war, und fertigte sein Faktotum ab mit einem kurzen: »Er kann gehen!«

Darauf befahl er die Kabinettsräte, die die aufgeschichteten Briefe an sich nahmen, kurz den Inhalt referierten und die Antwort des Königs auf der Rückseite notierten. Sie entfernten sich dann, um die Antworten ins reine zu schreiben, und ließen nur den einen Brief zurück, dessen Inhalt den König so sehr geärgert hatte, und den er nochmals las und wieder hinwarf.

Dann stand er auf, entnahm einem Etui auf der weitbauchigen Kommode zwischen den Fenstern eine Flöte, ließ die beiden Windspiele, die die letzte Nacht nicht in seinem Bett, sondern im Vorzimmer verbracht hatten, ein und ging, von ihnen umwedelt, ins Schreibzimmer, um den Kaffee zu trinken.

[261]

Der Kaffee mundete ihm heute nicht. Gegen seine Gewohnheit trank er nur eine Tasse, nahm dann die Flöte und fing, auf und ab gehend, an zu blasen. Aber die Hunde wollten nicht Ruhe halten. Sie witterten die Nervosität und die Verstimmung ihres Gebieters und waren auch ob der nächtlichen Zurücksetzung indigniert. Nach den ersten paar Takten fühlten sie sich bemüßigt, auch ihrer Verstimmung in Tönen Luft zu machen, und heulten brav mit.

»Tu beau, Biche!« rief Friedrich und blies weiter. Aber Biche war nicht zu besänftigen, und auch Alkmene machte brav die Musik mit.

Halb belustigt, halb geärgert, legte Friedrich die Flöte fort, nahm die Liste der im Audienzzimmer Wartenden in die Hand und las sie laut durch, während er im Zimmer auf und ab ging. Einen Augenblick blieb er stehen und blickte durchs Fenster in den grauenden Tag hinaus. Unter der Linde draußen auf der Straße standen ein paar Leute und stampften und froren ganz erbärmlich!

»Michaelis!« rief der König. »Laß den Leuten ihre Suppliken abnehmen! Wenn sie da stehen sollen, bis ich Zeit für sie habe, frieren sie mir fest und machen die Aussicht malproper! Und laß mir den Staatsminister herein!«

Michaelis ging in das kleine ganz mit Zedernholz getäfelte Kabinett, das das Schreibzimmer des Königs von den übrigen Gemächern trennte, schickte einen Lakaien die von dort direkt nach dem Lustgarten führende kleine Treppe hinunter, um den Befehl auszuführen, öffnete dann selbst die Tür zum angrenzenden Musikzimmer, wo die zur Audienz Befohlenen warteten, und machte dem Herrn Staatsminister feierlichst die befohlene Mitteilung.

Podewils verfügte sich zu Friedrich hinein und mußte zu seinem Schrecken wahrnehmen, daß sein allergnädigster Gebieter sich über Nacht in das Gegenteil verwandelt hatte.

[262]

Friedrich saß im Sofa hinter dem Schreibtisch, den ominösen Brief in der Hand, und lächelte seinen Staatsminister sarkastisch an.

»Exzellenz wollen sich bei uns nach dem Stand der auswärtigen Angelegenheiten erkundigen? Das ist recht! Das ist brav! Als Staatsminister müssen Exzellenz doch auch Bescheid wissen! Wir können also wieder mit der alten Neuigkeit aufwarten, daß wir schlecht — sehr schlecht — bedient sind! Unsere Diplomaten taugen alle nichts! Sie sind, wie immer, nur unsere Briefträger! Wir selbst müssen jeden Schritt der Herren dirigieren — müssen an alles denken! Da schwätzt uns unser Botschafter in Paris eine Tänzerin auf! Den Vertrag hat er wirklich zustande gebracht! Das ist aber auch alles! Der gute Chambrier wird senil! Wir werden ihn rappellieren müssen! Wir lassen jene Tänzerin zur Dienstleistung hierher befehlen! Und was tut sie? — Sie weigert sich! — Es konveniert ihr, in Venedig ihren Amouren nachzulaufen! Und in Venedig kennt man den König von Preußen nicht! Man kennt nicht einmal Podewils — unseren unvergleichlichen Podewils! Seiner höflichen Bitte, die leichtfüßige Schöne festzunehmen, setzt man ein unverblümtes >Nein< entgegen! — Wir müssen uns echauffieren! Wir nehmen unseren Podewils vor! Wir waschen ihm den Kopf! Wir fragen ihn: >Podewils, wozu haben wir unsere Verbündeten?! Wozu haben wir Spanien, wozu haben wir Frankreich?!< — Und Podewils, der exzeptionell gescheite Podewils, setzt Spanien, er setzt Frankreich in Bewegung! Die Botschafter der Großmächte werden in der hochwichtigen Sache vorstellig! Und Venedig sagt >nein<! — Wir lassen — immer noch durch Podewils — unseren Ambassadeur in Wien ersuchen, sein diplomatisches Genie zu unserem Faveur in dieser fatalen Sache zu betätigen! Wir denken: Dohna, der es so gut verstand, Maria Theresia warm zu halten, wird uns auch jenes obstinate Frauenzimmer zur Räson zu bringen wissen! Er wird sich noch lange nicht [263] pensionieren lassen wollen! Und Dohna, galant wie immer, unterliegt dem einen Unterrock wie dem anderen! Dohna schreibt uns — — aber lese Er selbst den Wisch!«

Er warf ihm den Brief zu. Podewils las ihn und legte ihn dann achselzuckend auf den Tisch.

Friedrich blies inzwischen ein paar Passagen auf der Flöte. — Biche sekundierte, prompt wie ein alter routinierter Kapellmusiker einsetzend. Ärgerlich warf Friedrich die Flöte hin und blieb vor Podewils stehen, der sein Entzücken ob des Doppelkonzerts kaum verbeißen konnte.

»Wir sind nicht gesonnen, uns von einem Frauenzimmer auf der Nase herumtanzen zu lassen — sei's die Königin von Ungarn — sei's die regierende Mätresse von Frankreich — sei's eine verlaufene Tänzerin! Er soll dem Senat von Venedig beibringen, dem Könige von Preußen gefällig zu sein! Jene Tänzerin soll hier in unserer Oper vertragsmäßig ihre Pirouetten exequieren! Das ist unser Wille! Und können meine Herren Ambassadeurs nicht einmal das durchsetzen, so sollen sie alle miteinander in Spandau über die Künste der Diplomatie nachsinnen! Schreibe Er das sofort an Dohna!«

»Zu Befehl!« sagte Podewils und steckte den Brief Dohnas in sein Portefeuille, dem er noch einige Dokumente entnahm, um sie dem König zur Unterschrift vorzulegen.

Friedrich flog rasch den Inhalt der Schriftstücke durch, nahm den Gänsekiel und kratzte mit seiner feinen Handschrift einige Randbemerkungen hinein, unterschrieb und blickte wieder seinen Staatsminister an.

»Daß Er sich aber nicht noch einen Korb holt! Weder vom Senat von Venedig, noch von jener Tänzerin!«

»Majestät geruhen gnädigst zu entschuldigen, aber das Ballett ist für mich eine terra incognita! Da wäre wohl eher der Zeremonienmeister, Baron von Pöllnitz, zuständig?!«

[264]

»Pöllnitz ist ein mauvais sujet, ein Plappermaul! Immerhin hat er mehr Esprit als mancher Staatsminister!«

»Wollen Majestät nicht geruhen, ihm den Auftrag zu geben? Er wartet draußen!«

»Wir pflegen uns präzise auszudrücken, Podewils, und wollen unsere Befehle, wie gegeben, auch exekutieret wissen! Er hat gehört! Lege Er mir morgen das Schreiben an Dohna vor! Und nun: Gott befohlen!«

Podewils verbeugte sich und ging.

Friedrich befahl, den Baron von Pöllnitz vorzulassen. Und herein tänzelte mit unnachahmlicher Grazie dessen wohlgenährte Gestalt und machte seine allerschönsten Reverenzen vor dem Herrn und Gebieter.

»Pöllnitz — Er soll den erbetenen Abschied haben!« rief der König ihm zu, und der Angeredete blickte hocherfreut auf. »Er soll seine Witwe in Nürnberg haben! — Er soll wieder katholisch werden dürfen! — Er soll die achtzigtausend Taler für Sein Seelenheil einsacken dürfen, obwohl es keinen Groschen wert ist! Aber nur unter einer Bedingung!«

»Und die wäre?«

»Daß Er mir die Tänzerin Barberina aus Venedig hierher besorgt, und zwar mit allergrößter Schnelligkeit! Die Sache dauert mir schon zu lange!«

Der König erzählte ihm den Zusammenhang und fügte hinzu:»Zeige Er, daß er mehr vermag als die gesamte europäische Diplomatie! Verdiene Er seine Witwe! Keinen Widerspruch! — Beim Diner werden wir die Ordre de bataille gemeinsam entwerfen! Bis dahin kann Er auf Rat sinnen!«

Mit einer schnellen Handbewegung verabschiedete er den verdutzten Höfling, ging in sein Schlafzimmer zurück, ließ sich das Haar pudern, den blauen Uniformrock mit dem Stern anlegen, den Degen umschnallen und trat in den Musiksaal hinaus, um die weiteren Audienzen zu erledigen.

[265]

Die Minister standen im Kreis da und harrten des Gebieters. Friedrich, den Hut auf dem Kopf, den Krückstock in der Hand, trat zu ihnen hin, musterte sie alle scharf der Reihe nach und blieb dann vor seinem Justizminister Cocceji stehen.

»Heute sind wiederum Briefe eingelaufen, worin über eine verdorbene Justiz in meinen Landen geklagt wird! Ich kann nicht länger dazu stilleschweigen!« sagte er ärgerlich. »Wenn ich mich selbst darein melieren muß, so befehle ich Ihm denn, an alle meine Justizkollegien eine nachdrückliche Ordre ergehen zu lassen, worinnen diese angewiesen werden, bei Vermeidung hoher Bestrafung darauf zu arbeiten, daß jedermann ohne Ansehen der Person eine solide Justiz administrieret wird. Die Ordre ist mir morgen vorzulegen!«

Sprach es und drehte Cocceji, der noch niemals ein hartes Wort von ihm zu hören bekommen hatte, den Rücken und wandte sich an den nächsten mit einer kurzen Anfrage über den Stand der Hafenbauten in Swinemünde sowie über die Arbeit an dem Oder-Spree-Kanal, bekam aber, statt klaren Bescheid, eine ausweichende Antwort, die anzunehmen er heute am wenigsten gesonnen war.

»Herr, Seine Entrepreneure sind Tagediebe und faule Bäuche!« sagte er barsch und klopfte dem Minister mit der brillantierten Krücke seines Stockes auf die Schulter. »Der Kanal muß ohnfehlbar und sonder einiges Räsonieren ganz und gar fertig und in brauchbarem Stande sein! Das merke er sich!«

Bei jedem Worte fiel die Krücke seines Stockes immer energischer auf die Schulter des Herrn Ministers, der kein Wort zu erwidern wagte und keine Miene verzog.

Dann wandte er sich an den Finanzminister Boden, nahm ihm den Rapport aus der Hand und las ihn halblaut durch. Seine Züge klärten sich beim Lesen auf, und er nickte wiederholt befriedigt. Nur bei einem Voranschlage [266] schüttelte er den Kopf und wies auf die betreffende Stelle in dem Aktenstück.

»Wird gestrichen!« resolvierte er kurz. »Sternwarten sind gut und nützlich, vorläufig aber der Bauverwaltung der Luftschlösser zu überweisen! Den Akademikern ist zu schreiben, der König gründe vorerst Bauernansiedlungen! Wenn für diese gesorgt sein wird, wird man an die Sterne denken! Unser eigener Stern geht vor!«

Eine Handbewegung — ein kurzes Lüften des Hutes, eine tiefe Verbeugung der Exzellenzen — die Audienz war erledigt! Der Privatsekretär nahm den Herren die noch nicht abgegebenen Rapporte ab und ging. Friedrich blieb allein.

Am Fenster hatte man ein eben abgeliefertes Gemälde Meister Pesnes, die Tänzerin Cochois darstellend, zur Besichtigung aufgestellt. Friedrich besah es sich genau, nickte befriedigt und rief Michaelis.

»Hänge Er mir die Mamsell dort an den Nagel!« befahl er kurz. »Als dekoratives Detail immerhin noch zu gebrauchen! Und degoutiert so nicht durch ihr dummes Plappern! Ruf mir dann Fredersdorf!«

Michaelis hängte das Bild auf und rief Fredersdorf, den ehemaligen Kammerdiener und jetzigen Hoftrésorier, der auch so schön das Hautbois und die Flöte traktieren konnte und daher schon seit der Kronprinzenzeit in Ruppin das besondere Vertrauen Friedrichs genoß.

»Dem Meister Pesne sollst du den doppelten Preis für das Bild zahlen!« befahl ihm Friedrich, »und ihm den Gruß von uns bestellen, seine Malerei sei exquisiter als das Modell — seine Kunst charmiere uns weit mehr als die Mamsell! Und wir wollen bald Neues bestellen! — Apropos! Jene neue Tänzerin, Fredersdorf, die uns der brave Chambrier aufgehalst hat, sie häsitiert noch mit dem Dienstantritt! Sie will nicht! — Was sagst du dazu?«

»Ich gestatte mir, Eure Majestät in aller Untertänigkeit [267] darauf aufmerksam zu machen, daß die Oper uns auch ohnehin teuer zu stehen kommt! In den zwei Jahren seit der Eröffnung kostet sie der Privatschatulle bereits achthunderttausend Taler!«

»Eine artige Summe!« sagte Friedrich nachdenklich. Und Fredersdorf hielt gleich den Augenblick für günstig, um mit Vorschlägen zu kommen.

»Wenn Eure Majestät zu befehlen geruhen möchten, dem Publikum den Eintritt nur gegen Entgelt zu gewähren —?«

»Impossible! Der Eintritt ist frei zu geben! Wir sind es unserer Reputation schuldig! Wenn jedermann das Recht hätte, für Geld hereinzukommen, dann wären wir ja nicht mehr in der Lage, nur die Würdigsten einzuladen!«

»Ein Glück, daß jene Tänzerin nicht kommt; denn«, seufzte Fredersdorf, »die Damens kosten das meiste Geld! Und Tänzerinnen hätten wir genug!«

»Die Mamsell wird tanzen! — Wegen der paar Taler mehr brauchst du dich nicht zu echauffieren! Siehst ansonsten schlecht genug aus! Was macht deine Leber?«

»Danke alleruntertänigst für gnädige Nachfrage! Es steht nicht zum Besten!« seufzte Fredersdorf, dessen Teint schon eine Färbung ins Gelbliche hatte.

»Sollst die Doktors zum Teufel jagen! Die sind keinen Schuß Pulvers wert! Mach endlich ein Ende mit deinem närrischen Quacksalbern, sonst krepierste meiner Seele aus purem Übermut!« warf Friedrich kurz hin, pfiff seinen Hunden und trat, von ihnen gefolgt, in den Marmorsaal, wo die Generale und Kommandanten harrten, um ihn in den Lustgarten zur Parade und Abnahme der Rekruten zu begleiten.

Draußen wartete schon sein dicker Freund Knobelsdorff, in dichtes Pelzwerk wohlverhüllt. Friedrich ließ ihn aber lange stehen, ehe er geruhte, seine Anwesenheit zu bemerken.

[268]

Endlich, nach beendigter Besichtigung der Rekruten, blickte Friedrich ihn an und freute sich im stillen, als er ihn frieren sah.

»Nun, wir sind malade? — Wir haben immer noch Chagrin ob unserer verunglückten Baupläne?! Komm, mon ami, wir wollen dich kurieren! Gehen wir zu Fuß nach unserem Weinberg Vigne hinaus, wo das Haus gebaut werden soll! Suchen wir den Platz aus!« »Jetzt, bei Schnee und Kälte?!« rief Knobelsdorff entsetzt.

»Der Schnee ist weiß wie das weißeste Papier! Da kannst du deine Linien recht sichtbar ziehen! Und die Fußtour wird deiner Krankheit gut tun!«

Knobelsdorff folgte seufzend. Und der König hatte seine Freude daran, zu sehen, wie er stöhnte und schwitzte.

»Das Schwitzen ist gut vor die Gicht!« sagte er hämisch. »Mir setzt die Krankheit viel schlimmer zu. Ich habe sie mir aber im Kriege geholt und nicht am Schreibtisch wie du!«

Und er fing vom Bau der neuen Bibliothek in Berlin an.

»Da hielt unser guter Jordan neulich eine lange Dissertation, um uns darzutun, daß unser Lateinisch lauter Arabisch sei, und daß die von uns gewählte Devise auf der Fassade nichts tauge!«

Friedrich blieb stehen und stieß mehrmals mit dem Krückstock auf den gefrorenen Boden.

»Wir suchen den Klang und das rhythmische Gleichgewicht! Eine Fanfare und ein Programm! Davon verstehen aber die Herren Lateiner nichts! Ob die Devise richtig ist oder nicht, hingehauen wird sie! Es soll mich freuen, wenn sie den gelahrten Herren recht weh in den Ohren tut! Und wäre meine Devise noch so schlecht — ich wette, sie wird sich länger behaupten als das meiste von dem Geschreibsel, was die in dem Hause aufhäufen [269] werden. Mehr gelesen wird sie auch werden! Nutrimentum spiritus — das ist eben mein Latein!«

Sie waren inzwischen nach dem Weinberg hinausgekommen, blieben auf der Anhöhe stehen und blickten über die Stadt hin, die sich hinter den Bäumen verkroch und aus allen Schloten Rauchsäulen kerzengerade in die klare Winterluft hinaufsandte.

»Hier oben ist der Platz! Wie ich's dir aufgezeichnet habe, so wird's gebaut! Einstöckig; und wenn dich die Gicht dabei noch so sehr plagen sollte! Wir wollen keine babylonischen Türme! Wir mögen das Treppensteigen nicht! Aber in die Sonne wollen wir sehen! Ein Haus mit allen Gemächern nach Süden gelegen — das ist doch kein Problem für einen Baumeister wie dich! Und willst du partout Palastwirkung — meinetwegen holz nur den Hügel ab, gliedere ihn in Terrassen, so viele, wie da Platz haben, mit Gewächshäusern und Tausenden von Glasfenstern, die in der Sonne glitzern! So bleibt's, wie ich's will — und wirkt doch, wie du willst, und wir sind alle beide zufrieden! Da oben, auf der obersten Terrasse, baust du mir aber neben meinem Tuskulum mein Grabgewölbe gleich hin, damit ich weiß, wo ich Ruhe vor den Sorgen der Welt haben werde, wenn ich sie nicht in meinem Hause finden sollte! Immerhin haue mir die Worte >Sans-Souci< auf dem Hause ein, damit die Leute meinen Willen wissen! Schaden wird's nichts!«

Langsam gingen sie den Weg nach dem Stadtschloß zurück, Knobelsdorff versöhnt und der König weniger nervös als vorhin.

Die Uhr ging auf zwölf, und für zwölf war das Diner angesagt.

Der Speisesaal war ein großer, freundlicher Raum zwischen dem Marmorsaal und dem Teezimmer und hatte Fenster nach dem Schloßhof wie auch nach dem gegenüberliegenden Lustgarten.

Der runde Tisch inmitten des Saales war für fünf [270] gedeckt. An einem der Fenster nach dem Schloßhof erwartete der Tafeldecker die Rückkehr des Königs. Im Teezimmer plauderten schon die eingeladenen Gäste: der Generaladjutant Winterfeldt, der Zeremonienmeister Baron von Pöllnitz und der neuernannte Präsident der Akademie, Maupertuis, ein prätentiös aussehender, etwas auffallend gekleideter Herr voll herablassender Würde. Schließlich meldete man ihnen die Ankunft des Königs, der, von Knobelsdorff begleitet, über die große Treppe hereintrat und sich direkt in den Speisesaal begab, ohne sich erst umzukleiden. Der einfache blaue Uniformrock mit den roten Aufschlägen und die hohen Stiefel kontrastierten seltsam gegen die prächtigen Hoftrachten der anderen Herren.

Friedrich nahm sofort Platz, lud mit einer Handbewegung die Gäste ein, seinem Beispiel zu folgen, und fing gleich an, den Baron von Pöllnitz über die Tagesneuigkeiten auszufragen. Insbesondere interessierten ihn die neu angekommenen Fremden, und da wußte Pöllnitz, der über eine schier unerschöpfliche Personalkenntnis verfügte, stets gut Bescheid.

Berlin hatte allerdings schon hunderttausend Einwohner, aber trotzdem gelang es keinem illustren Reisenden, lange unbemerkt zu bleiben. Der Kurier, der die täglichen Briefschaften des Königs nach Potsdam brachte, hatte auch einiges von Interesse mitzuteilen gehabt, was Pöllnitz selbstverständlich gleichfalls längst wußte. Er konnte also aufwarten.

Friedrich ließ ihn, gegen seine Gewohnheit, berichten, ohne ihn zu unterbrechen, aß dabei mit gutem Appetit von seinem Leibgericht, einer stark gewürzten Polenta, und lauschte aufmerksam.

Als Pöllnitz in seinem Resümee den Namen Capello nannte, legte Friedrich die Gabel fort.

»Capello — qu'est ce que c'est?

[271]

»Der Gesandte Venedigs in London, Sire! Ein exzellenter Kavalier! — Ein alter Bekannter von mir!«

»Und der befände sich hier in meinen Landen?«

»Ja! Er ist gestern, auf der Durchreise nach Hause, gemeldet. Wenn Majestät befehlen, werde ich ihn zu veranlassen suchen, hier in Berlin Station zu machen!«

»Wir wollen Ihm die Mühe abnehmen!« sagte Friedrich und flüsterte dem hinter seinem Stuhl stehenden Lakaien einen Befehl zu. Dann wandte er sich wieder zu Pöllnitz.

»Weiter, lieber Pöllnitz!«

Der Baron fuhr in seinem Resümee fort. Alles lauschte gespannt und höchst angeregt, und niemand schien zu bemerken, daß der König schnell einige Zeilen auf ein ihm vorgelegtes Blatt Papier warf, die Schriftzüge mit Sand bestreuen ließ, das Papier zusammenfaltete und es einem an der Tür wartenden Jäger gab.

»Sofort durch Extrakurier dem Staatsminister von Podewils zu senden!«

Dann rieb er sich vergnügt die Hände, trank ein Glas Mosel und nötigte den Zeremonienmeister, zu essen, was jener über seinem Erzählen zu seinem Leidwesen bis jetzt nur oberflächlich hatte besorgen können. Er nahm ihn aber dabei, in einem plötzlichen Anfall von übermütigster Laune, zur Zielscheibe seines Witzes, was den Appetit der anderen Gäste stets zu würzen pflegte und den guten Pöllnitz keineswegs störte.

»Mon cher«, sagte er und wandte sich an Maupertuis. »In Ihrem geistreichen Buche >Vénus physique< legen Sie die amüsanten Resultate Ihrer hochinteressanten Kreuzungsversuche vor! Bei der nächsten Edition könnten Sie noch einiges hinzufügen!«

»Und das wäre, Sire?«

»Die Kreuzung zwischen Pöllnitz und einer katholischen Predigerwitwe!«

»Ich gestehe, Sire, wenn Eure Majestät mich über [272] die Kreuzungsmöglichkeit zwischen Papagei und Affe zu interpellieren geruht hätten — ich könnte in keiner größeren Verlegenheit um die Antwort sein!«

»Sehr gut!« lachte Pöllnitz, den Mund voll Geflügel, wischte sich die fettglänzenden Lippen und nippte an dem Burgunder, der in einem schönen Kristallglase vor ihm stand. »Mein Kompliment, Maupertuis!«

»Sie halten also nichts davon?« fuhr der König fort, sich wiederum an Maupertuis wendend.

»Sire, ich würde einen Versuch zwischen so verschiedenartigen Gattungen kaum riskieren! Wenigstens mit meinen Tieren nicht!«

»Die Gattungen sind allerdings sehr verschieden!« lachte der König. »Aber es interessiert mich doch sehr, in Erfahrung zu bringen, wie Pöllnitz, der an gar nichts glaubt, es anstellen würde, den protestantischen Glauben gegen den katholischen umzutauschen!«

»Der Kasus ist schwierig!« lachte Maupertuis.

»Aber von großem Reiz! Ich möchte das Experiment anstellen und erteile denn unserem Freunde schweren Herzens den erbetenen Abschied aus meinen Diensten, auf daß er sich dem Witwenstand widme!«

Pöllnitz hörte zu essen auf und blickte Friedrich mit offenem Munde an.

»Majestät hätten wirklich die Gnade?«

»Ich muß wohl, lieber Pöllnitz, da Sie so prompt die Ihnen gestellte Bedingung erfüllen!«

»Ich — ich hätte —?«

»Sie haben mir soeben ein unfehlbares Mittel in die Hand gegeben, den Senat von Venedig zu zwingen, mir in der Angelegenheit der Tänzerin Barberina zu Gefallen zu sein!«

»Nicht, daß ich wüßte —!«

»Sie sind eben ein Genie, lieber Pöllnitz! Sie haben Eingebungen, ohne zu wissen woher! Sie geben sie weiter, ohne zu wissen wie!«

[273]

»Sire, wenn ich um die Gnade bitten dürfte, mir zu erklären —!«

»Später, lieber Pöllnitz! Sobald die Sache spruchreif ist, werden Sie der erste sein, der sie weitererzählen darf! Wer weiß — vielleicht schon beim heutigen Konzert! Sie machen mir doch das Vergnügen?«

Pöllnitz bedankte sich überglücklich, denn seine Neugier war größer als sein Abscheu gegen Musik. Das Diner nahm seinen Fortgang. Friedrich war in der heitersten Stimmung, er machte seinem Küchenchef nicht die geringste Änderung in dem ihm vorgelegten Küchenzettel für den nächsten Tag und hob die Tafel erst gegen drei Uhr auf, um sich in sein Schlafzimmer zurückzuziehen und einer kurzen Mittagsruhe zu pflegen.

Nach einer halben Stunde erhob er sich, setzte sich an den kleinen Schreibtisch am Fenster und las laut und bedächtig die frisch geschriebenen Blätter eines französischen Manuskripts von seiner Hand durch. Es waren die »Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg« (»Mémoires pour servir à l'histoire de la maison de Brandenbourg«). Er war eben im Begriff, die Geschichte seines Vaters abzuschließen, und mußte noch einiges über dessen häusliches Leben hinzufügen. Das wurde ihm schwer.

Tagelang stockte die Arbeit bei diesem Punkt. Er fühlte sich nicht unbefangen genug. Wenn er sich wieder in die Vergangenheit vertiefte und die ganzen Leiden seiner Kronprinzenzeit durchlebte, geriet er in eine Aufregung, die ihm den Blick zu trüben drohte. Das ganze gewaltsame Zurückdrängen seiner Neigungen — seine Verzweiflung — sein vereitelter Fluchtversuch, die Leiden im Gefängnis, die Hinrichtung seines Freundes Katte — alles stand ihm wieder lebendig vor Augen, und nicht minder die lange Zeit der allmählichen Aussöhnung mit dem Vater, das schrittweise Eingehen auf dessen Intentionen und das Verheimlichen der eigenen — wobei es bei aller [274] guten Absicht nicht ohne einige Unaufrichtigkeit gegangen war!

Das alles gehörte mit ins Bild! Vergebens rang er seit Tagen mit sich selbst, um sich darüber zu erheben und die unumgängliche Objektivität zu erlangen!

Heute wollte er die Sache zu Ende bringen. Er war nicht der Mann des geduldigen Harrens und Sinnens! Er war der Mann der Tat!

»Wir dürfen der neidischen Mitwelt nicht den Schlüssel unserer Seele ausliefern! Wir leben nicht nur für uns, sondern für das Land! Da dürfen wir nur Taten zeigen, die die Zukunft schaffen — nicht Reflexionen über die Vergangenheit liefern, die's dem Feinde erleichtern, unser Lebensrätsel zu deuten und unsere Taten zu hintertreiben!« Er tauchte den Gänsekiel ein und setzte ihn zum Schreiben an. Legte ihn aber plötzlich aus der Hand und ging ein paarmal durchs Zimmer, setzte sich dann entschlossen hin und schrieb kurz und gut:

»Wir haben die häuslichen Verdrießlichkeiten dieses großen Fürsten mit Stillschweigen übergangen. Man muß in Anbetracht der großen Tugenden eines solchen Vaters für die Fehler der Kinder einige Nachsicht haben!« Das war alles!

Die Erinnerung seiner Leiden war verblaßt und in nichts zerflossen neben dem Bewußtsein, machtvoll in das Leben seiner Zeit eingreifen zu können, und neben der Dankbarkeit gegen den Vater, dessen große Tüchtigkeit ihm das ermöglicht hatte. Dieses Mannes Sparsamkeit, sein Ordnungssinn, sein unermüdlicher Fleiß und sein organisatorisches Genie hatten das Preußen geschaffen, das Friedrich zum Sieg führen durfte! Ein wohlgefüllter Staatsschatz, ein streng geordnetes Staatsgebilde, eine schlagfertige Armee — alle Vorbedingungen zur großen Tat hatte Friedrich von ihm empfangen. Der fruchtbare Nährboden künftiger Größe und gloriosen Ruhms war [275] da, wohlgeackert und in gutem Stand! Das wog alles andere auf!

Schon hatte er Schlesien erobert, die Karte Europas umgestaltet — er hatte Österreich niedergerungen, das Ansehen seines Hauses gehoben — er hatte schon Geschichte gemacht!

Er griff noch einmal zur Feder.

»Machen wir Geschichte, so sollen die Federfuchser sie uns nicht verderben! Wir haben selbst alle Fäden in der Hand! Können sie also selbst am besten entwirren!«

Er schrieb den Titel: »Histoire de mon temps«, ließ dann aber die Feder wieder sinken.

Noch war's zu früh! Die Tat war getan! Aber noch wob der Neid der andern sein Fangnetz immer dichter um ihn her! Noch stand er Gewehr bei Fuß, um seine Eroberung zu schützen! Sicherlich würde er noch um sie zu kämpfen haben!

»Eh bien!« sagte er, »zweimal erobern! Dreimal, wenn's sein muß! Aber nur einmal beschreiben!«

Er warf das Blatt beiseite, schlug auf die Tischglocke und befahl dem Lakaien, den Privatsekretär zu rufen.

Dieser trat ein, nahm an dem anderen Schreibtisch Platz, spitzte seinen Gänsekiel und legte ein Blatt Papier zurecht.

Der König ging auf und ab, blieb dann und wann stehen und diktierte einen Abschiedsbrief an den jungen Herzog Karl Eugen von Württemberg, der die letzten Jahre bei ihm gelebt hatte und jetzt, sechzehn Jahre alt, für mündig erklärt wurde und in sein Land zurückkehrte.

»Denken Sie nicht, das Land Württemberg sei für Sie geschaffen, sondern glauben Sie, daß die Vorsehung Sie hat geboren werden lassen, um das Volk darin glücklich zu machen. Ziehen Sie immer den Wohlstand desselben Ihren Vergnügungen vor. Wenn Sie schon in Ihrem zarten Alter Ihre Wünsche dem Wohl Ihrer Untertanen aufzuopfern wissen, so werden Sie nicht nur die Freude [276] Ihres Landes, sondern auch die Bewunderung der Welt sein —«

So weit kam er im Diktat, da klopfte es an der Tür, und der Kurier trat ein, machte Honneur und überreichte dem König auf dem Hut einen Brief.

»Von Seiner Exzellenz dem Staatsminister von Podewils!«

Friedrich nahm den Brief, las ihn rasch durch, hieß den Kurier gehen und wandte sich dann an den Privatsekretär.

»Du sollst an unseren Gesandten in Wien, den Grafen Dohna, privatim schreiben, er soll dem Gesandten Venedigs sofort in unserem Auftrage mitteilen, wir hätten den Gesandten der Republik am Hofe von England, der sich auf der Durchreise in unseren Staaten befindet, aufheben und festnehmen lassen mitsamt seinem Gepäck! Er möge es dem Senat von Venedig mitteilen! Weiter ist nichts nötig! Der Kurier geht noch heute ab!«

»Zu Befehl!«

»Der Senat wird sich beeilen, unser Wohlgefallen wiederzugewinnen«, sagte Friedrich halb für sich selbst und blieb dann stehen.

»Weiter den Brief an den Herzog Karl Eugen!«

Der Sekretär legte das angefangene Blatt wieder zurecht und tauchte seine Feder ein. Friedrich diktierte weiter.

»Sie sind das Oberhaupt der bürgerlichen Religion in Ihrem Lande, die in Rechtschaffenheit und allen sittlichen Tugenden besteht! Es ist Ihre Pflicht, die Ausübung derselben, besonders der Menschlichkeit, zu fördern, welche die Haupttugend jedes denkenden Geschöpfes ist. Die geistliche Religion überlassen Sie dem höchsten Wesen! In diesem Stück sind wir alle blind und irren auf verschiedenen Wegen. Wer unter uns wäre so kühn, daß er den rechten Weg bestimmen wollte! Hüten Sie sich also vor dem Fanatismus in der Religion, der Verfolgungen bewirkt!«

[277]

Dann noch die üblichen Höflichkeitsphrasen — die Unterschrift im Stehen hingekratzt, und der Sekretär wurde entlassen.

Die Kabinettssekretäre traten ein mit den fertigen Antworten auf die am Morgen eingegangenen Briefe und legten sie dem König zur Unterschrift vor. Und dann war die Arbeit des Tages beendigt.

Michaelis meldete, daß alles zum Konzert bereit sei, und half dem König, sich zurechtzumachen. Friedrich nahm seine Flöte, suchte die Noten zusammen und ging durch das Schreibzimmer in den Musiksaal hinaus, wo eine kleine, aber auserlesene Gesellschaft wartete, vom Schein der unzähligen Kerzen des Kronleuchters überflutet.

Er verteilte die Stimmen unter die Musiker, tauschte ein paar scherzhafte Worte mit Meister Graun aus, der am Flügel saß, ging an sein Pult und gab das Zeichen zum Beginn.

Alles lauschte andächtig — die alten Generale ganz gehorsamst, als gälte es eine Ordre de bataille zu empfangen. Pöllnitz litt unsägliche Qualen.

Nach Beendigung des Konzertes ging Friedrich hin und klopfte ihm mit der Flöte auf die Schulter.

»Nun, Pöllnitz, habe ich auch einen Ohrenschmaus für Ihn! Seinen Freund Capello, den Er so gern in Berlin sehen wollte, habe ich aufheben und in festen Gewahrsam bringen lassen! Das war eine gute Idee von Ihm!«

»Von mir?« rief Pöllnitz entsetzt, »Majestät verzeihen, aber —«

»Ich weiß«, unterbrach ihn Friedrich, »Er hat mich nicht direkt darum gebeten. Vorsichtig wie immer, hat Er sich mit Andeutungen begnügt! — Ich glaube sogar, Er hat weiter nichts als seine Durchreise erwähnt! Das genügt aber, damit ich weiß, was ich tun soll! Er hat mich also gut bedient! Denn jetzt werden wir bald das [278] Vergnügen haben, die Pirouetten der schönen Barberina hier zu bewundern — dank Seiner Findigkeit, Pöllnitz!«

»Ich versichere aber —«

»Gebe Er sich keine Mühe! Ich glaube Ihm doch keine Seiner Versicherungen! Er hat aber Pech, daß Er nicht dabeisein kann! Als Connaisseur und Verehrer Terpsichores würde Er sicher auf Seine Kosten kommen! Nun — Er hat ja Seine reiche Witwe! Wer weiß, was für Sprünge die Ihm macht!«

Und damit drehte er dem Zeremonienmeister den Rücken, legte die Flöte auf sein aus Schildpatt und Perlmutter angefertigtes Notenpult nieder und befahl das Souper.


17

Es dauerte nicht lange, da ging vom Gesandten Preußens in Wien, dem Grafen Dohna, ein Bericht ein.

Chevalier Contarini, der Gesandte Venedigs am kaiserlichen Hofe, hätte ihm im Auftrag seiner Regierung mitgeteilt, der Senat von Venedig habe sich beeilt, die Tänzerin Signorina Campanini verhaften zu lassen, um Seiner Königlichen Majestät gefällig zu sein, und hielte sie der Krone Preußen zur Verfügung. Graf Dohna erbat sich Instruktionen.

Ob ihr einfach befohlen werden solle, sich nach Berlin zu begeben, um ihr Engagement anzutreten, ober ob es nicht ratsamer wäre, sie als Gefangene zu transportieren?

Friedrich überlegte sich die Sache nicht erst lange.

Die »Mamsell« hielte ja ihre geschriebenen und verbrieften Verpflichtungen nicht ein! Sie hatte ihm, dem Könige von Preußen, zu trotzen gewagt! — Sie würde sich den Teufel um den Befehl des Senats von Venedig kümmern!

Der König verfügte kurz und gut, die Sylphide inhaftiert zu lassen und sie unter guter und sicherer Bedeckung [279] nach Wien zu bringen, von wo aus sie über Schlesien nach Berlin weitergebracht werden sollte!

Der Senat, der die Grausamkeit gehabt hatte, Barberina aus den Armen ihres geliebten Stuart zu reißen, um sie bis zum Eintreffen der Antwort Friedrichs in Haft schmachten zu lassen, hatte nichts Eiligeres zu tun, als sie in eine Gondel zu setzen, um sie mitsamt ihrer über das Abenteuer hocherfreuten Mutter und trotz ihren Tränen nach Mestre zu spedieren, von wo aus die Fahrt dann unter Bedeckung einer starken Kavallerieeskorte nach der österreichischen Grenze ging.

Dort wurde sie von einem alten Hausmeister Dohnas, namens Mayer, in Empfang genommen, der dem venezianischen Offizier den »Habenden Schein« über den richtigen Empfang instruktionsgemäß »extradierte« und die Tänzerin, ohne sie zu sehr zu fatigieren und unter richtiger Berechnung und »tunlichstem Menagement« des mitgegebenen Geldes weitertransportierte.

Anzunehmen ist, daß es sich der gute Mayer instruktionsgemäß auch angelegen sein ließ, ihr unterwegs »auf alle Weise zu flattieren« und ihr klarzumachen, wie sehr sie sich eigentlich freuen müßte, in die schöne Stadt Berlin, an einen großen Hof und in die Dienste eines gnädigen Königs zu kommen!

Anzunehmen ist aber auch, daß Barberina die große Gnade, als eine Kriegsgefangene wochenlang durchs Land geschleppt zu werden, nicht besonders hoch einschätzte, sowie, daß sie unaussprechliche Qualen ob der jähen Unterbrechung ihres Liebesglücks litt.

Jedenfalls machte ihr Geliebter unterwegs einen vergeblichen Versuch, sie zu befreien. Und Mayer bekam somit Anlaß, von seiner Instruktion Gebrauch zu machen, auf Grund einer ihm von der Königin Maria Theresia ausgestellten Vollmacht»benötigten Falls von den K. Hungarischen und Böheimbschen Gouverneurs oder [280] Magistraten der Städte und Dörfer um eine kleine Eskorte von Ort zu Ort zu ersuchen«.

Graf Dohna konnte also seinem Souverän berichten, daß die so heißbegehrte Schöne unterwegs sei und im »besten Zustande« bald ankommen würde. Und Friedrich hatte die Befriedigung, einmal seine »überflüssige« Diplomatie für ihre »Briefträgerdienste« loben zu können.

Wochenlang dauerte die Reise. Mayer hatte, um den Nachstellungen des »völlig rabiaten« Galans zu entgehen, die Reiseroute geändert und hatte seine liebe Not, mit seiner Tänzerin durchzukommen. Denn, wie er sich zu berichten veranlaßt sah, war sie »etliche Tage vor Liebe und Chagrin« krank. Aber es ging. Und Anfang Mai langte er mit der teuren Last in Berlin an.

Einige Tage später wurde Friedrich gemeldet, daß der Gesandte Englands, Lord Hyndford, um Audienz bitten lasse.

Er empfing ihn sofort.

Der Vertreter Albions fand den König in seinem Schreibzimmer vor dem Modell eines aufgetakelten Kriegsschiffes stehen.

»Sehen Sie hier, Mylord! Wie gefällt es Ihnen?«

»Ein hübsches Spielzeug! Wohl französische Arbeit?«

»Ganz recht! Wir sind eben in Verhandlung mit einer französischen Werft! Man ist etwas unbescheiden mit dem Preis! Aber wir werden uns das Spielzeug wohl trotzdem bauen lassen!«

»Eure Majestät wollen eine Flotte ins Leben rufen?!«

»Den Anfang dazu werden wir wohl machen müssen! Seitdem wir Ostfriesland haben und uns in Emden eine Ostindische und eine Bengalische Kompanie errichten, müssen wir auch bereit sein, unsere Kauffahrteischiffe zu schützen! Wenn England in den Kreis unserer Feinde tritt —«

»Eure Majestät belieben zu scherzen!«

[281]

Friedrich blickte ihn an, und vor dem durchdringenden Glanz seiner tiefblauen, großen Augen mußte der Engländer zur Seite sehen.

»Allerdings liebe ich den Scherz! Nur möchte ich nicht selbst dessen Ziel sein! Und das mutet mir Ihre Regierung zu!«

»Darf ich mir alleruntertänigst erlauben, feierlichst zu erklären —«

»Mein lieber Lord Hyndford, auf Erklärungen geben wir nichts, wenn sie mit den Tatsachen nicht übereinstimmen! In dem mir sehr wohlbekannten Vertrage von Worms hat England der Kaiserin und Königin ihren Besitz vor dem Jahre 1739 feierlichst garantiert! Obwohl wir ihr nach besagtem Jahre Schlesien abgenommen haben! Es ist genau so, als ob mein Onkel, der König von England, ihr noch nachträglich den Besitz ihrer Unschuld garantieren wollte, die sie zweifelsohne besaß, ehe sie ins Brautbett stieg! Und — von dem gleichen Effekt! Denn weder Schlesien noch ihr Jungferntum kriegt sie wieder!«

Lord Hyndford lachte diskret.

»Ich freue mich, Eure Majestät bei so guter Laune zu finden!«

»Freuen Sie sich, Mylord! Denn wenn die Sache nicht zum Lachen wäre, fürwahr, wir wären in Versuchung, als guter Neffe die Anregung Frankreichs zu befolgen und Ihrem König, meinem Onkel, sein Erbland Hannover zu nehmen! Die Gelegenheit wäre günstig! Mit Frankreich stehen wir dank der Gewogenheit der regierenden Mätresse gut. Rußland akzeptiert die Tochter unseres Feldmarschalls, des Grafen von Anhalt-Zerbst, als Gemahlin des Thronfolgers. In Schweden wird unsere Schwester einstmalen regierende Königin! Sie sehen, wir haben gut vorgesorgt! Wir haben in allen politischen Schlafzimmern Alliierte! Und bleiben selbst wach! Was will das tugendhafte Albion dagegen tun?«

[282]

»Eurer Majestät seine Bewunderung und seine Freundschaft aussprechen!«

»Soll das die Kapitulation bedeuten?«

»Sire, wenn Eure Majestät so viel Unterröcke gegen uns ins Feld führen, bleibt kaum noch etwas anders übrig, als standhaft zu kapitulieren!«

»Echt englisch geantwortet! Schöne Phrasen als Verzierung der Fassade und irgendwo für alle Fälle eine offene Hintertür! Gegen den Unterrock helfen aber die Künste der Politik wenig!«

»Eure Majestät haben uns durch Allerhöchst Dero Siege das Gegenteil glorreich bewiesen!«

»Nun«, sagte Friedrich, »mit einer Armee von hundertvierzigtausend Mann kann man sich einiges in betreff der Unterröcke Europas erlauben! Aber reden wir von etwas anderem! Mylord haben sich sicherlich nicht hierher bemüht, um uns mit politischen Schlafkammerangelegenheiten zu unterhalten!«

»Allerdings nicht! Aber der Gegenstand meines Besuches steht doch in einiger Beziehung zu diesem Thema!«

»Also doch! Am Ende möchten Sie auch uns den Besitzstand garantieren, den wir vor unserer Eroberung Schlesiens hatten?«

»Den Besitzstand nach jener glorreichen Eroberung, Majestät!«

»Wie soll ich das verstehen? England will Österreich Schlesien wiedergeben — aber gleichzeitig uns gnädigst gestatten, es zu behalten?!«

»Das nicht! Eure Majestät werden sicherlich auch ohnedem danach trachten, das zu behalten, was Eure Majestät erobert haben!«

»Sie irren sich nicht!«

»Trotzdem ich dieser Überzeugung bin, möchte ich mir doch alleruntertänigst die Frage erlauben, ob Eure Majestät nicht auch in einem anderen Falle denselben festen Willen bekunden möchten?«

[283]

»Es handelt sich also nicht um Schlesien?«

»Nein — nur um die Tänzerin Barberina!«

Friedrich lachte laut auf, ging einmal auf und ab, setzte sich dann ins Sofa und blickte den Lord ironisch an.

»Ach, sieh nur, auch in der Angelegenheit will England mitreden?!«

»England nicht! Nur meine Wenigkeit! Ich wollte mir alleruntertänigst erlauben, in betreff jener Dame um eine Gnade zu bitten!«

»Sie wissen, Mylord, daß wir Ihnen persönlich gewogen sind, und daß Sie sich jederzeit eine Gnade von uns erbitten können! Was jene Tänzerin betrifft, so möchten wir Sie aber ersuchen, keine Fürbitte zu tun! Sie erleidet ihre gerechte Strafe! Sie hat gewagt, uns zu trotzen! Wir haben sie also als eine Gefangene hierher transportieren lassen, damit sie sieht, daß man dem König von Preußen nicht ungestraft auf der Nase herumzutanzen sucht! Sie ist jetzt hier. Das ist alles, was wir wollen! Wir haben unseren Willen durchgesetzt und werden sie jetzt laufen lassen!«

»Wollen Eure Majestät sie nicht tanzen sehen?«

»Tänzerinnen haben wir genug! Wir sind nicht neugierig!«

»Sie soll aber eine hervorragende Künstlerin sein — und sehr schön!«

»Die Person interessiert uns nicht im geringsten!«

»Eure Majestät haben sie eben nicht tanzen sehen!«

»Wir werden ihr auch nicht die Ehre antun! Wir sagten Ihnen, warum wir sie haben herbringen lassen, und auch, daß sie uns gleichgültig ist! Sie glauben doch nicht, wir hätten es nötig, die ganze europäische Diplomatie — wegen einer Tänzerin in Bewegung zu setzen? Um das Ansehen des Königs von Preußen war es uns zu tun — um weiter nichts! Die Krämers an der Adria hatten es gewagt, uns zu verhöhnen, als wir in einer gerechten Sache an ihre Justiz appellierten! Sie hatten uns die [284] Sottise an den Kopf geworfen, unser Vertreter, Graf Cattaneo, hätte kein Recht, in unserem Namen zu sprechen, obwohl wir ihn schickten — weil er schon sein Abberufungsschreiben überreicht hatte, als jene Tänzerin frech wurde. Sie haben uns zu Gegenmaßregeln gezwungen! Mein Botschafter in Wien hat es sich viel Geld und Mühe kosten lassen und auch den Sukkurs der Königin von Ungarn erbitten müssen! Und das alles wäre nur wegen einer Tänzerin geschehen? Glauben Sie das wirklich?«

»Nein! Ich glaube aber: wenn Eure Majestät sie gesehen hätten, dann wäre auch das möglich!«

»Er ist dreist!«

Friedrich stand auf, ging an das Fenster und trommelte an der Scheibe. Plötzlich wandte er sich um.

»Sage Er mir — kennt Er einen gewissen Lord Stuart?«

»Er ist mein Neffe!«

Friedrich lachte kurz.

»Da fange ich an, Seine Manövers zu begreifen! Er möchte wohl, daß ich wegen Seines Neffen die Mamsell in meinen Diensten behalte?«

»Wenn ich mir gestatten dürfte, eine Bitte auszusprechen —?« »Mais non! Das gestatten wir Ihm nicht! Der Stuart ist Sein Neffe! Er ist in jene Tänzerin vernarrt! — Sie scheint auch nicht klüger zu sein! Da — seh Er nur, was mir der junge Herr schreibt!«

Er reichte Hyndford einen Brief.

»Mein Neffe hätte gewagt —?«

»Er hat um Audienz gebeten! Sein Stand und Rang erlauben ihm das schon! Er scheint aber ganz außer Rand und Band zu sein! Er will sie zur Frau haben! Er bietet sich an, uns eine andere Danseuse zu stellen, die ihre Sache ebensogut macht! Er will uns die Kosten ersetzen! Er fleht uns an, ihm die Mariage mit ihr zu gestatten!«

[285]

»Die möchte ich eben verhindern! Eine Person von solch niedriger Geburt kann nimmermehr in unsere Familie aufgenommen werden! Da bitte ich Eure Majestät, mir die große Gnade erweisen zu wollen, seine Bitte rundweg abzuschlagen!«

»Mein lieber Lord, wir haben genug zu tun, um unsere eigenen jungen Leute vom Adel davor zu bewahren, sich zu mesalliieren! Wir haben keine Neigung, uns auch in die amoureusen Affären der Herren Engländer zu melieren! Mag Sein Neffe sich mit der Mamsell kopulieren lassen oder nicht — uns tangiert das nicht im geringsten! Wenn sie bezaubernd schön ist, wie Er sagt, so riskiert Seine gute Familie höchstens, das abgestandene Blut ihrer Ahnen aufzufrischen! Wir wollen England darinnen gerne begünstigen!«

Hyndford gab den Brief zurück und verbeugte sich schweigend.

»Er braucht mir das nicht krumm zu nehmen! Er kann sich dafür eine andere Gnade ausbitten!«

»Wie dürfte ich es wagen, nachdem ich so unglücklich war, Eure Majestät mit dieser geringen Bitte zu mißfallen!«

Friedrich dachte einen Augenblick nach.

»Er ist ein Querkopf! Er ist mir aber trotzdem persönlich wert! Wenn ich nun ihm persönlich zu Gefallen in Seine Bitte einwillige — sage Er mir, will Er mir dann auch persönlich zu Diensten sein?«

»Majestät brauchen nur zu befehlen!«

Friedrich ging ein paarmal auf und ab und blieb dann vor dem Modell des Kriegsschiffes stehen!

»Seh Er, solch ein Spielzeug kostet Geld — viel Geld! Wir haben ja eine wohlgefüllte Schatzkammer, haben aber auch Aufgaben, die dringlicher wären! Wir möchten es nicht schon jetzt nötig haben, eine Kriegsflotte zu bauen! Will Er mir persönlich damit dienen, das Mißtrauen [286] Seiner Regierung und Seiner Landsleute gegen meine Handelsunternehmungen in Emden zu zerstreuen? Will Er drüben ernstlich zu verstehen geben, daß wir, wenn nötig, gleich daran gehen werden, Kriegsschiffe zu bauen! Das heißt, wenn man nicht einsieht, daß die Erde so groß ist, daß auch wir von deren Reichtümern profitieren können, ohne das Geschäft Seiner Landsleute zu verderben? Er versteht mich?«

»Eure Majestät können überzeugt sein, daß ich alles aufbieten werde, um ein gutes Einvernehmen im Sinne von Eurer Majestät Intentionen herzustellen!«

Friedrich blickte ihn durchdringend an.

»Eh bien! Da will ich auch Ihm persönlich einen Gefallen tun!«

Er setzte sich ins Sofa hinter den Schreibtisch, nahm einen Gänsekiel und kratzte unter den Brief des jungen Stuart eiligst ein paar Zeilen hin, deren Inhalt er beim Schreiben laut vor sich hin las.

»Wird nicht beantwortet! Der junge Lord Stuart wird beordert, sofort und auf dem kürzesten Wege meine Staaten zu verlassen! — — Ist Er jetzt zufrieden?« Lord Hyndford verbeugte sich, küßte dankbar die ihm gereichte Hand des Königs, und entfernte sich auf den Wink, daß die Audienz beendet sei.

Inzwischen war Barberina in Berlin angelangt.

Ihre Reise durch Österreich und Schlesien war nicht gerade ein Triumphzug gewesen. Die Wege waren jetzt im Frühjahr miserabel, das wochenlange Schütteln darauf eine schwere Strapaze! Dazu kam noch die seelische Aufregung wegen der Trennung von ihrem Geliebten! Alles in allem Umstände, die nicht zu ihrem Wohlbefinden beitrugen.

»Mama« vertrug die Reise besser, trotz ihrer Jahre und dank ihrer Eitelkeit. Das Aufgebot der europäischen Diplomatie um ihretwillen — die militärische Eskorte [287] — die aufmerksame Fürsorge der mit ihrem Transport betrauten Beamten machte sie das körperliche Ungemach der langen Fahrt ganz vergessen.

Sie blähte sich wie ein Puter — sie kam sich zum mindesten so vor wie eine eroberte Provinz jenes Königreiches, das ihre Tochter wohl bald darstellen würde!

Berlin gefiel ihr ausnehmend gut. Es war kein solcher von allem möglichen Geschmeiß kribbelnder Ameisenhaufen wie London — nicht so atemberaubend wie das berauschende Paris, sondern solid, neu und proper gebaut, mit geraden Straßen und nicht zuviel Menschen! Gerade der richtige Rahmen für ihr gesetztes, dem ruhigen Genuß zuneigendes Matronentum.

Sie saß vor dem Spiegel in einem Zimmer des Gasthauses, wo sie abgestiegen waren, und war bemüht, ihr Exterieur mit dem neuen Rahmen einigermaßen in Einklang zu bringen.

Leicht war das nicht. Die scharf gebogene Nase, die stechenden schwarzen Augen unter buschigen Brauen, die etwas aufgeschwemmten Formen muteten gar zu orientalisch an! Aber die Damen hier waren auch wohlbeleibt, und gepuderte Frisuren trugen sie auch! Und wennschon das landesübliche Blau der Augen nicht herzustellen war — das Schwarze würde um so mehr Effekt machen!

Man würde sich schon einleben!

Freilich — ihre Tochter dachte anders! Sie war sogleich am ersten Tage zum Intendanten der Oper, Baron Swerts, gegangen, um sich vorzustellen, sich über die ihr zugefügte Unbill zu beklagen und um eine Audienz beim König zu bitten.

Dem König wollte sie dann den zerrissenen Vertrag vor die Füße werfen und erklären, daß sie ihrem »Gemahl« Lord Stuart, der gleichfalls hier eingetroffen war, bis ans Ende der Welt zu folgen gedenke. Berlin wäre noch lange nicht das Allerletzte! Und sie würde hier nicht tanzen! — Sie ließe sich überhaupt nicht zwingen!

[288]

Mit den Worten war sie gegangen! — Die Worte würde sie wenigstens nicht wiederfinden! Das beruhigte die Mama ein bißchen! Man ist zu Hause, den Angehörigen gegenüber, stets mutiger als angesichts des Feindes! — Ihre Tochter hatte auch um nichts auf der Welt Venedig verlassen wollen! Trotzdem war sie jetzt hier!

Es würde auch so weitergehen! Der König würde schon Mittel und Wege finden, seine Eroberung zu befestigen! — Wenn er Babara erst sähe! — — Mama brachte ihm in dieser Hinsicht großes Vertrauen entgegen! Die unwiderstehliche Gewalt der Reize Babaras und ihre Lebenslust waren ihr da unschätzbare Verbündete! Lord Stuart war allerdings da und im Wege! Aber Beständigkeit in Liebessachen war nie die Sache Babaras gewesen. Sie würde bald auch ihn, den so heiß Begehrten, satt haben!

Mama blickte prüfend ihr Spiegelbild an. Die Runzeln des Gesichts waren schon unter der geschickt aufgelegten Schminke verschwunden! Ein paar Mouchen erhöhten die Zartheit des gut gemalten Teints! Man könnte vielleicht noch ein wenig Rot riskieren!

Sie setzte ihre Malerei fort und lächelte wohlgefällig beim Gedanken an die vielen kräftigen, jungen Kavaliere, die ihr hier in Berlin aufgefallen waren und deren frisches, frohes und unverhüllt zur Schau getragenes Draufgängertum ihrem alternden Herzen wohltat!

Da wurde ihr Lord Stuart gemeldet, der auch gleich hereintrat und etwas enttäuscht war, Barberina nicht anzutreffen.

»Sie wird bald da sein, Mylord — und, so Gott will, auch da bleiben!« beschied ihn die»Mama«und deutete auf einen Sessel.

Stuart nahm Platz und bemerkte so nebenbei, daß wegen des »Dableibens« zwischen ihm und Babara ganz andere Vereinbarungen getroffen wären.

»Das war auch in Venedig der Fall«, antwortete die Alte kalt. »Und trotzdem befinden wir uns heute hier! [289] Unser Kommen hätte sich allerdings angenehmer gestalten können, wären Sie nicht gewesen!«

Stuart machte eine ungeduldige Miene. Aber »Mama« ließ ihn nicht zu Worte kommen.

»Wir beklagen uns durchaus nicht deswegen«, sagte sie schnell. »Die diplomatische Aktion — die Gefangennahme — der Transport unter militärischer Bedeckung — das hat ohne Zweifel in ganz Europa gewaltiges Aufsehen geweckt! Wir sind dadurch noch berühmter geworden, als wir es schon waren. Man wird sich sagen, daß wegen der ersten besten nicht ein derartiger Apparat in Bewegung gesetzt zu werden pflegt!«

»Dann wären Sie mir eigentlich zu Dank verpflichtet!«

»Nun, es hätte ja anders kommen können! Man hätte sich hier kurzerhand mit Babaras Eigensinn abfinden und auf ihre Dienste verzichten können, wenn der König, zum Glück, nicht so eigensinnig gewesen wäre, auf seinem Recht zu bestehen! Das war nicht Ihr Verdienst, Mylord! Sie hätten uns kalten Blutes die schöne Karriere verderben können, die sich uns hier bietet!«

»So Gott will, werde ich das auch tun!«

»Dazu sind Sie uns also bis hierher gefolgt?«

»Um ihr und mein Glück vor Vernichtung zu schützen, dazu bin ich hier!«

»Über Ihr Glück, Mylord, will ich mit Ihnen nicht streiten! Was aber meine Tochter betrifft, so wird sie kaum so töricht sein, das sogenannte »Glück« an Ihrer Seite der Gewogenheit eines großen Königs vorzuziehen!«

Lord Stuart wurde durch die Ankunft Barberinas verhindert, zu antworten. Und die Zärtlichkeit, mit der sie ihn begrüßte, strafte die Worte ihrer Mutter Lügen.

Sie war aber sonst sehr schlecht gelaunt.

Der Intendant hatte sie zwar sehr höflich empfangen und mit ihr das Programm für ihr erstes Auftreten besprochen, [290] aber die erbetene Audienz wurde ihr rundweg abgeschlagen. Er hatte ihr die Antwort Friedrichs auf die Eingabe mitgeteilt, und die war in ihrer Kürze nicht dazu geeignet, sie zu beruhigen.

Was die »Mamsell« zu sagen hätte, sollte sie mit den Beinen vorbringen! Dazu wäre sie engagiert, keineswegs aber zu anderer »Konversation« befohlen! — So ungefähr hatte der Bescheid gelautet!

»Ich werd's ihm schon >vorbringen<, daß er's merkt! Fußtritte werde ich ihm tanzen! Ihm und seinem ganzen Hof! Wenn er mich dann nicht entläßt, werde ich keinen Schritt mehr auf die Bühne tun! — Setze dich, ich will's mit dir probieren!«

Sie drückte ihn auf einen Sessel nieder und fing einen ihrer wilden italienischen Bauerntänze an, den sie für ihr erstes Auftreten als Einlage gewählt hatte.

»Nun aufgepaßt, wie ich das machen werde!« rief sie. »Ich tanze mit meinem Geliebten ein zärtliches pas de deux und denke dabei an dich — tanze von rechts oben nach links unten, wo die kleine Loge des Königs ist. Du kannst dir denken, wie erfüllt ich dabei von dir sein werde — und auch, wie deutlich ich es zur Schau tragen will! Wenn er die geringste Ahnung von Tanz hat, wird er's verstehen! Dann aber, wenn mein Partner — in meinen Augen du — vorn an der Rampe mir zu Füßen liegt und ich ihn auf die Stirn küsse, schleicht sich aus der vorderen Kulisse ein Kobold hervor, wirft mir unvermerkt eine Rosenkette um den Leib, und wie wir dann beglückt davontanzen, läßt er die Kette, die ich immer noch nicht merke, ablaufen, bis wir, du und ich, miteinander hinaustanzen wollen. Dann zieht er sie wieder ein, langsam und unwiderstehlich. Mit immer größerem Widerstreben folge ich, kämpfe dagegen, anfangs vergeblich, bis er mich ganz eingefangen hat. Dann, beim Anblick seines häßlichen Gesichts, bäumt sich alles in mir auf, die Wut gibt mir Kraft, ich zerreiße die Fessel und schleudere sie ihm ins [291] Gesicht! — Sei sicher, ich schleudere sie in die Loge des Königs — und fliehe dann! Er natürlich hinterher und versucht, mich mit Gewalt zurückzuhalten! — — Aber so mach's doch! — Schnell, ich will's mit dir probieren! — Du umfassest mich also — ich mache mich frei — — du packst mich wieder — — aber nicht so tolpatschig! Dreist zugreifen, Mylord! — So war's gut! — — Ich entwinde mich der Umklammerung — er verfolgt mich über die ganze Bühne — dann mache ich kehrt und treibe ihn mit einer ganzen Kette von Luftsprüngen zurück — so!«

Und mit einer Serie der wütendsten Entrechats trieb sie ihren Geliebten vor sich her und verfehlte nicht, ihm dabei immer wieder mit viel Grazie die Fußspitze auf die Nase zu applizieren. Er versuchte vergebens, den Fuß zu erhaschen und zu küssen.

»So ist's gut!« rief sie, im Tanzen lachend. »Wenn Lany das mimisch ebenso ausdrucksvoll macht wie du, wird sich das Theater vor Lachen wälzen!«

Und sie versuchte, ihm einen letzten Tritt zu versetzen, den aber die Mama, hinter die er sich rasch flüchtete, zu ihrer großen Entrüstung, auf höchst ihrer eigenen Nase zu fühlen bekam.

»Nichts für ungut, Mama!« rief Babara immer übermütiger. »Das war für den König von Preußen bestimmt, dessen Majestät zu vertreten du jetzt die Ehre hattest! — Bis in seine Loge hinein treibe ich den Lany! Und so, daß der König schon merkt, für wen die Fußtritte bestimmt sind! — Dann wirbele ich zurück über die Bühne und verschwinde da, wo ich gekommen bin, eile aus dem Theater hinaus und in den Wagen, den du mir bereit halten wirst, Beß! Und das Weitere wird sich finden!«

»Das denke ich auch«, sagte die Mama mit Ruhe. »Denn ebenso, wie Mylord tatsächlich die für den König bestimmten Fußtritte bekam — ebenso sicher wird [292] er sie für sich allein behalten! Der König ist nicht der Mann, dem man auf der Nase herumtanzt! Das, glaube ich, hätte er uns wohl ausdrücklich genug bewiesen! — Für den Wagen aber nach der Vorstellung sorge ich! Mylord brauchen sich da nicht zu bemühen!«

Zu ihrem Erstaunen entgegnete die sonst widerspenstige Tochter nichts. Sie war betroffen von der Deutung, die die Mutter ihrem Tanz gegeben hatte! Ebenso ging es ihrem Geliebten, der, wie alle Engländer, etwas abergläubisch war. Als eine böse Vorahnung stieg gleichzeitig dasselbe Gefühl in ihren Herzen auf. Müde und verdrossen warf Babara sich aufs Kanapee.

Ihre Mutter hatte die Wahrheit gesagt! — Das Band, das sie an Berlin fesselte, ließ sich nicht durch einen bloßen Scherz zerreißen! — Anfangs leicht wie Spinnwebsfaden, als sie sich's in Paris anlegen ließ, hatte es sich als unzerreißbar erwiesen und war zur eisernen Kette geworden, die sie in jeder Beziehung unfrei machte! Und weswegen?!

Sie blickte schnell zu Beß hinüber!

Seinetwegen hatte sie das alles durchmachen müssen! — Gewiß, sie liebte ihn — er war ihr mehr wert als die meisten! Aber doch trat die Sättigung mit dem erlangten Besitz ein! — Es fing schon an langweilig zu werden! — —

Sie fuhr auf. Das Gewissen schlug ihr. Sie ging hin und gab ihm einen Kuß.

»Kümmere dich nicht darum, was sie auch sagt! Die Mama ist ehrgeizig! Sie ist ja auch stolz auf mich! Laß ihr das! Denk nur an mich! Ich liebe dich ja!«

Aber die Verstimmung wich nicht. Man empfand es allseitig wie eine Erlösung, als ein Bote ihr einen Brief des Intendanten brachte, in dem ihr mitgeteilt wurde, daß sie am folgenden Tage, am 13. Mai, die Ehre haben würde, zum ersten Male in der Oper vor dem Könige zu tanzen.

[293]

Das gab ihr alle Hände voll zu tun, um mit den Vorbereitungen fertig zu werden.

Stuart wurde fortgeschickt und für den nächsten Tag nach der Vorstellung zum Souper bestellt.

Er ging nach seinem Quartier, um zu sehen, ob die Antwort auf sein Audienzgesuch eingetroffen sei! Und fand da — einen Polizeibeamten vor, der den Auftrag hatte, ihn zu sofortiger Abreise zu veranlassen und ihn im Falle der Widersetzlichkeit festzunehmen und mit Gewalt über die Grenze zu schaffen!

Der Staatsminister Podewils hatte strenge Ordres gegeben. Er hatte genug Scherereien und Ungemach wegen der Liebelei dieses jungen Dandys gehabt und Zeit und Mühe verloren, die seines Erachtens einer besseren Sache wert waren! Jetzt machte er Schluß!

Stuart mußte gehorchen, so sehr er sich auch sträubte! Es wurde ihm nicht gestattet, erst von der Geliebten Abschied zu nehmen! Keine Zeile durfte er ihr schicken — keine mündliche Botschaft hinterlassen! Seine Bitte, erst seinen Vetter, den Lord Hyndford, besuchen zu dürfen, wurde ihm auch abgeschlagen. Wie er ging und stand, mußte er in die bereit gehaltene Postkutsche steigen, und der freundliche Polizeibeamte hatte noch die Güte, ihm das Geleit zu geben.

Am folgenden Tage rollten die Karossen der vornehmen Welt die Linden entlang und hielten an der Paradetreppe des langgestreckten neuen Opernhauses, das der König auf dem freien Platz dem Zeughause gegenüber erbaut hatte.

Man war beim Könige zu Gast! Er ließ seinen Märkern französische Komödie vorspielen. Aber zahlen durften sie nicht! Kommen auch nur, wenn ihre gesellschaftliche Stellung oder ihr Rang ihnen ein Anrecht auf eine Einladung gab.

Kritik wurde nicht geübt. Die Gazetten durften nicht genieret werden, so hatte der König wohl im ersten Jahre [294] seiner Regierung geboten. Sie durften aber auch nicht genieren — dafür sorgte er auch! — Jede Besprechung öffentlicher Angelegenheiten, insbesondere militärischer Dinge, war rundweg verboten, und jede Zuwiderhandlung mit hoher Geldstrafe oder Entziehung der Konzession belegt.

Das Theater war des Königs Privatangelegenheit. Man schrieb also Berichte, erwähnte kurz, wer dagewesen war, was man gespielt und wer die Ehre gehabt hatte, aufzutreten. Aber man enthielt sich jedes Urteils. Dies wurde aber um so mehr bei den Vorstellungen laut. Und die Besprechungen erfolgten bei den gesellschaftlichen Veranstaltungen der feinen Welt — wenn auch mit der durch die Furcht vor Spionage gebotenen Reserve.

Der König wollte heute die Komödie besuchen.

Das genügte, um zu bewirken, daß alles sich nach der Vorstellung drängte.

In den Logen sah man, außer einigen distinguierten Fremden, deren gepuderte Lockenköpfe und modische Trachten das Aufsehen weckten, die ganze offizielle Welt.

Der Staatsminister Podewils war da, und mit ihm die meisten seiner Amtsbrüder. Die Herren vom Generaldirektorium, die hohen Justizbeamten und, sehr vornehm und distinguiert in den Sesseln ihrer Loge thronend, die Herren Akademiker. Die hatten aber oft das Pech, weder gesehen zu werden, noch sehen zu können.

Vor ihrer Loge weitete sich das Parterre, und das war gedrängt voll von Soldaten, die hier das Vorrecht hatten, und die ihre Weiber mitnahmen und sie sich gelegentlich auf die Schulter setzten, damit sie besser sehen könnten. Wobei es nicht immer ohne derbe Späße zuging und Gekreisch und Lachsalven einander ablösten.

Endlich kam der König, von seinem Freunde Keyserlingk, dem Grafen Algarotti und Chevalier Chazot begleitet.

Am Vormittag war er aus Potsdam angelangt, hatte [295] das Diner bei der Königinmutter, Sophie Dorothea, im Schlosse Monbijou eingenommen und sich von dort in die Komödie begeben.

Man spielte das Hirtenspiel irgendeines modischen Franzosen. Als Zwischenspiel kam dann die große Sensation des Tages, das erste Auftreten Barberinas, um deren Haupt Fama schon den Schimmer der Romantik gegossen hatte, und über deren Person zahlreiche galante Legenden kursierten.

Sie hatte einen rauschenden Erfolg mit ihren wilden Bauerntänzen — nicht zum mindesten bei dem Parterre, wo die Begeisterung wohl nicht mit Zuhilfenahme der geschniegelten Salonmythologie, aber um so urwüchsiger und derber laut wurde.

»Dunnerschlag — die Schenkel!« rief ein bärtiger Musketier, als sie ihre Luftsprünge machte.

»Een Paradetritt jibt se her!«

»Beene hat se wie'n Pandur!« bemerkte ein anderer.

»Schwerenot — wenn das dem Fritze nich jefällt!«

»Der macht se noch zum Flügelmann bei de Jrenadiere!«

»Der Fritze wird wissen, wo er se läßt! Hab man keene Sorge nich!«

Immer und immer wieder mußte sie vortreten, um die Huldigung des Publikums zu empfangen. Und nachher wurde sie in die königliche Loge befohlen.

Sie hatte mit der ganzen Wut getanzt, die sie über die ihr angetane Gewalt empfand, und dabei — trotz aller Grazie — eine Verve entwickelt und ein Temperament bewiesen, das alles bezwang! Man hatte etwas anderes erwartet — eine Explikation ihrer Meisterschaft in der hohen Tanzkunst — und stand vor einer entfesselten Naturgewalt, die frappierte und jede Regung einer Opposition unmöglich machte! Sie hatte gehofft zu verletzen [296] — hatte aber nur angenehm überrascht und fand schrankenlose Bewunderung in allen Blicken der lächelnden Gesichter.

Bei einem einzigen aber war diese Bewunderung mit solch überlegener Ironie gepaart, daß sie unwillkürlich den Trotzkopf beugte und von einer Anwandlung von Reue beschlichen wurde.

Eine unwiderstehliche Gewalt ging von der kleinen, eleganten, in reiche französische Tracht gekleideten Gestalt aus, die vor sie hintrat. Der große Kopf mit dem ausdrucksvollen Gesicht, das sarkastische Lächeln — die Freiheit von jeder Pose und, vor allem, das unergründliche tiefe Blau der großen Augen machte sie alles andere vergessen. Der Genius einer Zeit lebte in dieser unscheinbaren Gestalt! — Vor ihm versank alles andere und wurde zu nichts! — Ihre Kunst, und erst recht ihre persönlichen Wünsche, schienen ihr so unsagbar klein! Und als die Erscheinung mit einer menschlichen Stimme menschliche Worte an sie richtete — da war Staunen die erste Empfindung. Bis sie antworten mußte. Da regte sich ihr eigenes Genie, und sie gewann ihre Keckheit wieder.

»Nun, Mademoiselle, Sie hatten den Wunsch geäußert, mich zu sprechen! Was hatten Sie mir zu sagen?«

»Ich habe mich bemüht, Sire, es nach bestem Können in der mir gnädigst anbefohlenen Sprache vorzubringen!«

»Sehr gut!« lachte Friedrich.

»Hatten Eure Majestät auch die große Gnade, meine Dissertation so, wie sie gemeint war, aufzufassen?«

»Sie haben — mit den Beinen — sehr entgegenkommend gesprochen«, sagte Friedrich, der wohl das Zielen ihrer Entrechats nach seiner Loge bemerkt hatte. »So wollen wir es auch gern auffassen! Wir haben es wohl verstanden, daß Sie das Bedürfnis empfanden, Ihr Temperament in der neuen und ungewohnten Umgebung auszutoben — sich sozusagen Luft zu machen — sich Platz zu bereiten! Das nächste Mal hoffen wir Sie in der [297] seriösen Kunst bewundern zu können! Sie werden uns bald in der Pantomime Pan und Syrinx vortanzen!«

Er gab ihr die Hand, die sie ehrerbietigst küßte.

»Mein Kompliment, Mademoiselle«, sagte der König noch gnädig. »Mit einem Charme haben Sie die Ketten zerrissen, mit denen sie der Faun zu fesseln versuchte — mit einem Furor, daß man denken müßte: da halten keine Ketten stand! — Es gibt aber Ketten, die nicht zu zerreißen sind! — Bon soir, mademoiselle!«

Und damit war die Audienz zu Ende.

Noch ganz wirr von dem überwältigenden Eindruck der ersten Begegnung, ging sie auf die Bühne zurück und folgte ihrer Mutter nach dem Wagen, ohne überhaupt daran zu denken, nach ihrem Beß zu sehen. Sie fragte nicht einmal nach ihm, als beim Souper sein Platz leer blieb.

Am folgenden Tage wurde ihr ein hoher Ministerialbeamter gemeldet, der ihr einen definitiven Vertrag vorlegte. Der Vertrag enthielt die ausdrückliche Bestimmung, daß sie während dessen Dauer, vorläufig drei Jahre lang, nicht heiraten dürfte — ließ aber den Platz für das Gehalt leer, denn sie sollte ihn nach Belieben ausfüllen dürfen. Sie schrieb 5000 Taler hinein — eine Summe, die der König sofort auf 7000 erhöhte.

Außerdem wurde ihr, im Auftrage des Königs, bedeutet, sie möge in der Komödie tanzen, wann es ihr beliebe. Nur in den Opern oder im Ballett sei sie an das Repertoire gebunden.

Und — so ließ der König gnädigst ansagen — bei Gelegenheit ihres nächsten Auftretens wollte er sich das Vergnügen geben, in ihrer Garderobe den Tee einzunehmen.


[298]

18

Man durfte des Königs Hunde nur per »Sie« und mit dem Hut in der Hand anreden. Die königlichen Lakaien hatten den exzellenten Vierfüßlern gegenüber einen schweren Dienst und konnten auf keine Gnade rechnen, wenn sie es an Aufmerksamkeit fehlen ließen.

Wenn der König spazieren fuhr, folgten ihm die Hunde oft in einer zweispännigen Karosse, sie selbst auf dem Hauptsitz, die aufwartenden Lakaien auf dem Rücksitz. So auch eines schönen Sommermorgens, als der König von Charlottenburg, wo er bis zur Beendigung der Hochzeitsfeierlichkeiten für seine Schwester Ulrike residiert hatte, nach Berlin hineinfuhr.

An seiner Seite im vierspännigen Wagen saß der Generaladjutant Winterfeldt. Sie kamen im tiefen Sande der Charlottenburger Chaussee nur langsam vorwärts. Das schöne Sommerwetter machte indessen die sonst einförmige Fahrt erträglich. Der König war gut gelaunt. Und als sie beim königlichen Tiergarten anlangten, wo er eine Menge neue Spazier-und Fahrwege hatte aufnehmen lassen, befahl er, vom »Großen Stern« nach dem »Zirkel« an den Zelten einzubiegen, wo die elegante Welt sich um diese Zeit Rendezvous zu geben pflegte.

An dem Ufer der Spree hatte der König dort einen freien Platz abholzen lassen. Im weiten Bogen zog sich der breite Fahrweg hin, von Promenaden umfaßt, wo unter schattigen alten Bäumen die Spazierenden sich ergehen konnten, während auf dem Damm in doppelter Kavalkade Fuhrwerke und Reitende sich in beiden Richtungen bewegten.

Am Wasser hatten einige, in Bereitung von Erfrischungen aller Art kundige französische Emigranten, von denen es seit den Religionsverfolgungen in Frankreich in Deutschland wimmelte, die Konzession erhalten, ihre Waren in Zelten feilzubieten.

[299]

Von den Wiesen jenseits der Spree wehte der laue Sommerwind die Düfte der Blüten herüber; durch das Laub der hohen Bäume rieselte der Sonnenschein herunter auf die bunten Farben der Trachten. Das goldene Schnitzwerk der zwischen hohen Federn aufgehängten Karosserien glänzte und glitzerte. Drinnen, auf schwellenden Kissen schaukelten schöne Damen in rauschenden Gewändern, lieblich grüßend, lächelnd, nickend. Die Augen glühten unter sauber gepinselten Brauen — die gepuderten Locken erhöhten durch ihr Mattweiß das duftige Rot der schön geschminkten Wangen, deren Reiz durch die Kontrastwirkung der schwarzen »Mouches« eine erhöhte Wirkung bekam.

Zwischen den Wagenreihen tummelten die Offiziere stolz ihre mit goldbestickten Schabracken verzierten Pferde, schlossen sich öfters an, um mit ihren in den Wagen thronenden Göttinnen verstohlen verliebte Gespräche zu führen. Auf dem Flusse glitten langsam Kähne vorüber, die Segel geschwellt — an den Zelten wehten Wimpel und Flaggen im bunten Spiel — Flöten und Geigen ließen ihre zarten Tonwellen steigen und hinsterben — das Lachen der silberhellen Stimmen — das Gesumm der Gespräche, das Wiehern der Rosse — alles floß zusammen zu einer Symphonie der Lebenslust — leise, zart, graziös und liebenswürdig —, die die Sinne der Teilnehmer bestrickend umfing, ihre Gedanken zerstreute und ihren Seelen Erholung brachte.

Berlin holte Atem. Als die königlichen Equipagen in die Kavalkade einschwenkten, ging eine Bewegung durch die Reihen. Aber nur für einen Augenblick. Weit entfernt, das Getriebe zu lähmen, spornte die Gegenwart des Königs die Fröhlichkeit an und hob die Stimmung noch mehr.

Friedrich unterhielt sich mit seinem Adjutanten, grüßte nach allen Seiten, schaute sich einmal nach dem Wagen seiner vierbeinigen Lieblinge um, winkte dann gnädigst [300] einen vorbeireitenden Offizier an den Wagenschlag heran und richtete einige kurze Fragen an ihn. Er freute sich des luxuriösen Treibens seiner aufblühenden Hauptstadt, das, unter seinem Vater in strenge Zucht zurückgedämmt, sich jetzt wieder ans Licht wagte.

Plötzlich kam etwas Scharfes in seinen Blick, und seine Haltung straffte sich etwas.

In die Reihe der Entgegenfahrenden war eine prachtvolle, schön verzierte Karosse eingeschwenkt, von vier Schimmeln mit Vorreitern gezogen. Das vergoldete Schnitzwerk der Karosserie glänzte und glitzerte; die schön gedrechselten Speichen der hohen Räder drehten sich wie die Blitze des Sonnenrades; hinten auf dem Tritt, zwischen den hohen, schön geschwungenen Federn, standen in prachtvollen hellblauen und silbernen Livreen zwei Lakaien, stolz die Dreimaster auf den gepuderten Perücken balancierend. Ein fast königlicher Aufzug! Und im Wagen, auf schwellenden Kissen ausgestreckt, eine Königin der Anmut und der Schönheit — die Barberina! Neben ihr ihre Mutter, von Stolz gebläht und freundlich lächelnd den Gruß Friedrichs auf sich beziehend, als die Wagen sich begegneten.

Drüben, auf der anderen Seite des »Zirkels«, schloß sich ein Reiter ihnen an — es war der Gesandte Englands, dem die schnell intim gewordenen Beziehungen Barberinas zum König wohlbekannt waren, und der sich als Macher der Sache jetzt großtat und sie umschmeichelte, um vielleicht so etwas politisch Wertvolles durch sie zu erfahren.

Friedrich sagte rasch einige Worte zu seinem Adjutanten. Dieser winkte einen der Läufer, die dem königlichen Wagen voranschritten, herbei und erteilte ihm einen Befehl, den der Läufer dem folgenden Wagen übermittelte.

Dann schwenkte der königliche Wagen aus der Reihe und setzte die Fahrt nach Berlin fort.

[301]

Als aber der Wagen Barberinas, immer noch den englischen Gesandten am Schlage, nochmals vorbeikam, da bog der Wagen der königlichen Hunde dicht vor ihrem Wagen in die Reihe ein, und sie mußte ihm auf Schritt und Tritt folgen. So ging's einmal die Runde herum, als hätte der König dem Publikum das Rangverhältnis unter seinen Lieblingen recht deutlich ad oculus demonstrieren wollen. Dann setzten auch die Hunde ihre Reise nach der Stadt fort — Berlin hatte seinen Gesprächsstoff, die Neider der königlichen Favoritin bekamen Nahrung für ihre Schadenfreude, und Barberina hatte ihren Ärger, den man ihr jedoch unter der Schminke nicht anmerken konnte.

Sie tat, als hätte sie den Vorfall gar nicht bemerkt; sie unterhielt sich noch mit einigen ihrer Bekannten, lud ein paar befreundete Offiziere zum Besuch bei sich ein und kehrte dann nach ihrer Wohnung in der Behrenstraße zurück.

Dort fand sie einen Befehl des Intendanten vor, am nächsten Tage beim Konzert im Stadtschlosse zu Potsdam zu tanzen, und sie freute sich. Denn bei dem nachfolgenden Souper mit dem König wollte sie schon ihre Rache nehmen.

Der König aber hatte sich dazu bereit gefunden, noch unterwegs im Wagen seinem Adjutanten einige erklärende Worte zu sagen.

»Wir lieben die Mätressenwirtschaft bei unseren Gegnern und Verbündeten! Die Herren Politiker irren aber, wenn sie glauben, uns auf diesem ausgetretenen Pfade der irrenden Tugend beikommen zu können! Und was die Mamsells betrifft, so sollen sie amüsant sein und Charme haben, aber weiter nichts! Sie wollen aber alle erst belehrt sein, die rechte Distanz zu halten!«

Er freute sich nicht wenig, als ihm nachher berichtet wurde, daß der englische Gesandte bei seinem Versuch, [302] die Hunde des Königs zu streicheln, von ihnen sehr übel abgefertigt worden war. Biche hatte sogar nach ihm gebissen.

»Die Biche weiß, was sich gehört! Sie versteht die Kunst, naseweisen Diplomaten Edukation beizubringen! Hört sie Geheimnisse mit an, so versteht sie sie nicht! Und was sie winselt, versteht kein Mensch! Das hat sie den Mamsells voran! Treu ist sie auch! — Sei er ruhig!« sagte er, da Winterfeldt schmunzelte. »Das verlange ich ja nicht von den Damen! Die müssen ihre Amouren haben! Sie sind Schmetterlinge und müssen hin und her flattern! Wenn sie bloß mit ihrer Buntheit das Auge entzücken — wenn sie graziös sind, Witz, Esprit, Charme zeigen und uns nicht mit zuviel Sentiment belästigen, sind wir zufrieden und widmen ihnen gern zur Erholung von unserer freien Zeit! — An unserem ernsten Tun aber können sie keinen Anteil haben! Und unsere Würde dürfen sie auch nicht mit einem Blick antasten wollen! Da hört jedwede Galanterie auf! Da geht der Hund vor!«

Friedrich sprach noch bei der Königinmutter vor — besichtigte den Dombau, von Knobelsdorff begleitet, befahl ihm, am nächsten Tage die Pläne seines Sommerschlosses in Potsdam vorzulegen, und reiste nach seiner Havelresidenz ab.

Am Abend soupierte bei Barberina der Graf Rothenburg, ein eleganter, liebenswürdiger und geistreicher Kavalier, der soeben aus Paris zurückgekehrt war, wohin ihn eine wichtige politische Sondermission Friedrichs geführt hatte.

Er wußte ihr viel vom Hofe in Versailles zu erzählen — von der alles beherrschenden Stellung der derzeitigen Favoritin Ludwigs, der Herzogin von Châteauroux, deren Ehrgeiz und Stolz die Politik Frankreichs immer mächtiger auf die Bahn der kriegerischen Ehre zu treiben bemüht war und aus Ludwig gar einen Helden machen wollte.

[303]

Er wußte nicht genug des Lobes über ihre große Liebe zur Kunst vorzubringen und das unermüdliche Mäzenatentum, das sie den Dichtern gegenüber betätigte.

»Sie könnte für Frankreich eine große Zeit herbeiführen, denn in ihr wohnt der Geist der Größe! Aber sie reibt sich auf. Die Glut ihrer Seele verzehrt sie innerlich! Wie ein leuchtender Meteor, der plötzlich auftaucht, blendet, imponiert und alles in Staunen versetzt, um ebenso plötzlich zu verschwinden, so kommt sie mir vor! Immerhin — sie herrscht jetzt! Und sie hat das größte Verständnis für unsere Ziele! Es war leicht, mit ihr Politik zu machen! Wenn Frankreich jetzt mit uns ist — ihr ist es zu verdanken!«

Barberina dachte mit einiger Bitterkeit an die Rolle, die sie hier spielte, und wurde einen Augenblick ernst.

Rothenburg wußte von der Begebenheit bei der heutigen Spazierfahrt und beeilte sich, die Sache zu überzuckern.

»Allerdings — hier könnte sie niemals zur Geltung kommen! Hier trägt das Genie selbst die Krone! Jeder Versuch einer Beeinflussung müßte an dem stolzen Selbstbewußtsein scheitern, das wir bewundern und dessen Ehrgeiz wir schon so viel Ruhm verdanken! Um bei Friedrich etwas zu sein, muß man eine große Künstlerin wie Sie sein! Das Epikureertum des Geistes will die Anregung der Schönheit, der Grazie, des Esprits! Ihm die geben zu dürfen, ist mehr, als der ganzen übrigen Welt Gesetze zu diktieren! Das zu können ist beneidenswerter als Reichtum und Macht! Das ist Ihnen geworden! Und jetzt, nachdem Sie diese große Aufgabe verstehen lernten, jetzt werden Sie schon zufrieden sein, daß man Sie, wenn auch mit sanftem Zwang, dazu brachte!«

Barberina lachte laut auf. Das nannte er noch »sanft«: von den Häschern Venedigs wie eine Verbrecherin aufgehoben und eingekerkert zu werden, um dann [304] unter wochenlangen Mühseligkeiten und militärischer Bewachung hierher geschleppt zu werden!

»Sie sind ein Heuchler!« rief sie.

»Und Sie entzückend!« replizierte er und küßte ihr die Fingerspitzen. »Viel zu entzückend — viel zu charmant, um in der Langeweile einer englischen Ehe zu verkommen! Geben Sie's nur zu — das Ganze war nur eine Marotte — eine augenblickliche Laune!«

»Sie kennen eben Lord Stuart nicht!«

»Ich kenne Sie, und das genügt! Ich glaube schon, daß es sich im Falle Stuart um eine echte, tiefe Empfindung handelte, wie sie einem Menschen nur in den seltensten Fällen zuteil wird. Und ich glaube auch, Sie waren so sehr davon ergriffen, daß Sie meinten, jener Empfindung alles andere opfern zu müssen, um nur ihr zu leben! Die Flamme der Liebe loderte so heftig und so klar auf, daß im ersten Augenblick alles daneben verblaßte! Wie alles andere aber, ist auch sie nur zu vergänglich! Der Funke ewigen Lebens, der Ihnen mit dem Genie gegeben wurde, kann aber nie erlöschen! Der glüht noch unvermindert, wenn alles andere zu Asche wurde! Die Sucht, zu glänzen und zu leuchten, wird zum Ehrgeiz, etwas zu leisten und in der Leistung den eigenen Geist zu verfeinern und groß und geschmeidig zu machen! Geben Sie's nur zu — Sie sind nicht unzufrieden, daß sie wieder auf die Bahn der Kunst getrieben worden sind — sei's auch mit Gewalt! Vor den großen Aufgaben, die Ihnen hier wurden, verblaßt doch die kleine Unannehmlichkeit, die sie mit sich brachten?«

Barberina antwortete nicht. Sie empfand die Wahrheit dessen, was er sagte. Ihr Gefühl trieb sie zu ihrem Beß — ihr Herz schlug noch für ihn. — Aber die Kunst hielt sie stärker gefangen. Sie sah die glanzvolle Laufbahn, die sie dachte für immer verlassen zu haben, offen und jetzt weit leuchtender vor sich liegen. Sie dachte dabei an den Vormittag im Hause Stuart und die trübe Aussicht, nach [305] langer Vergessenheit dort als eine Nummer mehr in der Sammlung der Ahnengalerie hängen zu dürfen. Ein leichter Schauder ergriff sie.

Rothenburg sah es, und mit seinem Instinkt half er ihr, die Formel zu finden, mit der sie ihr Gewissen abtun könnte.

»Ihr Erlebnis mit Stuart war ein Glück, für das Sie dankbar sein können! Das war eine seelische Bereicherung — und Ihr Gewinn daraus: die Entfaltung Ihres Gefühlslebens zu voller Blüte! — Das mußten Sie vor allen anderen haben, eben, um eine wahre Künstlerin zu werden! Das kann Ihnen nimmermehr genommen werden! Er aber mußte Ihnen genommen werden — weil er Ihrer Kunst im Wege war! Sie sehen es! Sie waren der Kunst untreu geworden! Die Kunst hat sich gerächt! Sie tritt jetzt gebieterisch vor und verlangt als Strafe, daß Sie ihr zuliebe auf Ihre Liebe verzichten! Und da gibt's nur eins — gehorchen!«

»Um — hinter den königlichen Hunden zu rangieren!«

»Das nur — wenn Sie sich das gefallen lassen!« lachte Rothenburg. »Der König hat Geist, und nichts ist ihm lieber, als wenn man ihm geistreich antwortet! Nur nicht schmollen! Nur nicht sentimental werden! Scharf, witzig, pointiert die Klinge zur Parade bereit halten! Den Kampf aufnehmen, wie er angeboten wurde! Das ist das einzige! Rächen Sie sich, wenn Sie wollen — aber geistreich und amüsant, und Sie werden gewonnenes Spiel haben!«

»Sie sind der geborene Konspirateur! Helfen Sie mir, einen Feldzugsplan zu entwerfen! Ich muß für die heutige Schmach Rache nehmen!«

»Die werden Sie haben!« sagte Rothenburg und erhob sein Glas, in dem der Champagner perlte. »Auf treue Bundesgenossenschaft!«

»Auf treue Bundesgenossenschaft!« erwiderte sie und [306] erzählte ihm dann den Vorfall, dem sie, nach ihrem Dafürhalten, die soeben erlittene Demütigung verdankte.

Es war beim letzten intimen Souper mit dem König gewesen, im »Konfidenzzimmer« des Potsdamer Schlosses. In übermütigster Laune hatte sie sich da einen Scherz erlaubt, der besser unterblieben wäre. Aber in der Situation sah sie in dem König nur noch den galanten Mann und vergaß ganz, daß man auch in Stunden, wo die königliche Würde nicht mittafelt, die Finger von ihr zu lassen hat.

Mit ihren rosigen Fingern hatte sie nach der Krone aus Kandiszucker gegriffen, die, wie immer, den Aufbau der Konfitüren krönte, hatte sie aufgehoben und hoch über ihren Kopf gehalten. Mit lachenden Blicken hatte sie gefragt:

»Warum wird die Krone nicht auch einmal verspeist?«

»Das ist hier in Preußen nicht üblich, Mademoiselle!« hatte er geantwortet mit einem Blick und in einem Ton, die gerade in dem Moment ihren Übermut zum Trotz aufflammen ließen.

»Wenn man aber gerade danach Appetit hat?« hatte sie gefragt.

»So wäre es doch nicht anzuraten! Sie würde Ihnen nur schwer im Magen liegen!«

»Trotzdem wage ich den Versuch! Heute abend wollen wir sie gemeinsam verspeisen!«

»Nein!« hatte er etwas gereizt gerufen und versucht, ihr das zuckerne Kleinod zu entreißen. Lachend wehrte sie's ab. Beim Kampfe bröckelte ein Stück von der Einfassung ab und blieb in ihrer Hand. Als sie es aber rasch in den Mund stecken wollte, entwand er ihr den Raub, fügte das Stück rasch wieder an seinem Platz ein und stellte die Krone auf den Tisch zurück.

»Je suis fatigué, mademoiselle«, hatte er dann kurz gesagt, den Glockenstrang gezogen, ihren Wagen befohlen und sich kühl von ihr verabschiedet!

[307]

»Das war alles!« sagte sie.

»Aber gerade genug!« lachte Rothenburg, trank sein Glas aus und fing sofort an, sie eine bessere Taktik zu lehren.

»Nie — auch nicht im Scherz — an das rühren, was er hochhält! Sonst aber können Sie sich fast alles erlauben! Persönlich duldet er jede Anspielung, jeden Scherz, wenn er nur geistreich und amüsant ist! Da gestattet er sich selbst die größte Ausgelassenheit, und uns anderen auch, weil es ihn nur anregt und ihm zum Spott und zur Satire Anlaß gibt! In boshaften Ausfällen ist er jedem gewachsen! Da stellt er seinen Mann und kämpft mit ebensoviel Bravour wie auf dem Schlachtfelde! — Also packen Sie ihn nicht bei der Krone! — Necken Sie ihn lieber mit der Thronfolge! Da werden Sie etwas erleben! — Fragen Sie ihn, warum er, der große Held, der überlegene Geist — der männlichste unter uns allen — keine männlichen Leibeserben hat! — Fragen Sie ihn, ob das immer das Ergebnis seiner galanten Abenteuer zu sein pflegt! — Fragen Sie nach der Tochter, die er von der Frau des Obersten Wreech hat! Fragen Sie, warum er, der mit lauter gekrönten und ungekrönten Frauen in Fehde liegt — warum gerade er eine Frau in die Welt setzt? — Er wird sagen, die Weiber wären heutzutage unfähig, Männer zu gebären — die Männer, die sie auf die Welt brächten, wären alles alte Weiber! Er wird Anlaß haben, seine Bosheit gegen die sämtlichen Evastöchter weidlich loszulassen, und dann wird er Ihnen die Hand küssen und guter Dinge sein und viel Galantes sagen! Nicht aber, um seine Sottisen zu überzuckern! Sondern nur aus Erkenntlichkeit, weil Sie ihm halfen, jene Sottisen zur Welt zu bringen! Tun Sie's recht boshaft, recht dreist, und Sie werden gewonnenes Spiel mit ihm haben!«

Damit war sie gleich einverstanden! Schon am nächsten Tage, nach dem Konzert, beim Souper, zu dem sie wohl, [308] wie üblich, aufgefordert werden würde, wollte sie's ins Werk setzen und ganz gehörig Rache nehmen!

Sie stieß nochmals mit dem Grafen an. Unter Lachen und Scherzen verging so der Abend, und das Bündnis gestaltete sich immer intimer.

Am folgenden Tag in aller Frühe rollte sie also in ihrer eleganten Karosse nach Potsdam, um ihren Dienst zu versehen.

Der König war an dem Tag schlechter Laune. Die Erledigung der täglichen Post hatte ihm mehr Mühe als sonst gemacht. Die Politik nahm ihn völlig in Anspruch. Der Horizont Europas war umwölkt — das Gewitter konnte jeden Augenblick losbrechen, und der Entschluß, bei der Entladung die Rolle des Blitzes zu spielen, stand bei ihm fest.

Trotz dieser vielfachen Inanspruchnahme seines Gemüts hatte er Zeit für künstlerische Pläne. Die bildnerische Wiedergabe einer künstlerischen Idee beschäftigte ununterbrochen seinen Geist. Die unwiderstehliche Lust, den Drang nach Schönheit in bildnerische Tat umzusetzen — die Materia zu bezwingen und ihre Starrheit in Bewegung auszulösen, durchtobte sein Gehirn, bald in Versen, bald in zeichnerischen Entwürfen, bald in Tönen nach Ausdruck ringend! — Aber vergebens! — Alles mißfiel ihm! — Immer wieder wurde das Begonnene vernichtet! — Und doch deuchte es ihn so einfach! Die unwiderstehlich belebende Wirkung des künstlerischen Dranges selbst zu gestalten — gewissermaßen die Geschichte des eigenen künstlerischen Werdens im Kunstwerke auszudrücken — im kalten Stein das Leben nachbilden, aber so, daß der Stein selbst zu leben anfängt und zu warmem, schwellendem Fleisch wird!

»Pygmalion!« rief er — »Pygmalion ist's! Das Altertum hat für jede Regung des Geistes die treffende Formel gefunden! Was könnten wir wollen, was nicht schon die Alten in ihren Legenden zum treffenden Symbol [309] erhoben hätten? — Nachbeten — nachbilden — nachempfinden — dazu sind wir verurteilt! So arm sind wir heutigen Menschen!«

Er sann darüber nach, wie die Legende zu gestalten sei.

In Worten — in Versen — in glatt und zierlich dahintrippelnden Rhythmen?

Unsinn! — Das Wort versagte, wo es nicht die Macht hatte, durch ein kurzes: »Es sei!« das Gewollte auch handgreiflich vor den Augen entstehen zu lassen!

In Tönen?

Unsere Sehnsucht geben, ja! — Unsere Freude über das Erreichte aufjauchzen — unsere Trauer über die Enttäuschung ausklingen — nie aber das innerlich Erschaute in Formen und Farben so aufleben lassen, daß die Mitwelt es mit dankbarem Staunen empfangen könnte.

In Marmor aushauen? — Und wenn der Meißel noch so geschickt zu arbeiten verstünde — erstarrte Bewegung war alles, was dabei herauskam! Die Bewegung — das Leben selbst aber niemals! Und der Anfang — die Entstehung der ersten Bewegung — das war der Vorwurf, den es zu gestalten galt!

Einzeln vermochten die Künste nichts!

»Wohlan, so treten die Musen zum gemeinsamen Sturmangriff an! Terpsichore kommandiert die Attacke! So geht's! Im Ballett stellen wir's dar! Malerei, Musik assistieren — der Mensch, aus toter Materia gebildet, wird, vom künstlerischen Schöpferwort beseelt, vor unseren staunenden Blicken zum Leben erwachen! So wollen wir's versuchen! Es sei!«

Er schellte. Dem herbeieilenden Kammerdiener befahl er, die Herren Graun und Pesne sowie den Intendanten der Oper zum Konzert zu befehlen, wo er sie zu sprechen wünsche.

Dann wieder allein, warf er die Papiere auf seinem Schreibtische durcheinander, um ein leeres Blatt zu finden und rasch das Bild zu entwerfen, daß er vom Meister [310] Pesne nachher als Vorlage ausführen lassen wollte, nach der die Ballettszene gestellt werden könnte.

Plötzlich blieb er sitzen, ein Dokument in der Hand, und starrte es entsetzt an. Es war — ein ihm zur Unterschrift vorgelegtes Todesurteil! Tagelang hatte er es liegenlassen und die Entscheidung verschoben! — Und gerade jetzt mußte es ihm unter die Augen kommen!

Sein Geist rang mit dem Chaos, um aus dem Nichts Leben entstehen zu lassen! Fast glaubte er sich des Sieges gewiß — glaubte sich Herr und Gebieter des Lebens!

Und da hielt er es schwarz auf weiß in der Hand! — Herr über Tod und Leben! Aber wie anders! Nicht Schaffen! Vernichten war ihm gegeben! Dazu hatte er die Macht! Er vor allen anderen!

Er seufzte und warf das Papier hin.

»So armselig sind wir! Weiter reicht menschliche Gewalt nicht — nicht einmal in eines Königs Hand!«

Er nahm das Papier und las es aufmerksam durch. — Ein nach Recht und Gesetz gefälltes Todesurteil über eine Kindesmörderin! Ein Kasus, wo er keine Gnade walten lassen durfte — wo die Pflicht ihm gebot, die mitleidige Regung des Herzens zurückzudämmen und als höchster Richter den Stab zu brechen.

Er seufzte, tauchte den Gänsekiel ein und schrieb. Da stand es: »Fridericus Rex.« — Die starren Worte der Justiz hatten Leben gewonnen! Der Federstrich seiner Hand gab ihnen die Gewalt, das Henkersbeil in Bewegung zu setzen!

Er las es nochmals durch. Sein künstlerisches Gefühl empörte sich — sein gesundes natürliches Denken ebenso!

»Das seyndt verworrene Köpfe — verknöcherte Paragraphendrescher, die uns den Wisch zusammengereimt haben! Das sollen wir mit unserem Namenszug sanktionieren?! Nimmermehr!«

Da stand es aber bereits: »Fridericus Rex!«

[311]

Rasch entschlossen nahm er den Gänsekiel, kratzte in aller Eile einige Zeilen über seine Unterschrift hin und las es dann laut durch:

»An meinen Minister von Broich!

Ich remittiere Euch beikommende Ordre unvollzogen! Ihr hättet von selbsten leicht einsehen können, wie es sich ganz nicht schicke, Mir Rubriquen, so mit so viel juristischen Latein bespicket sind, vorzulegen, da solche zwar deren Juristenfakultäten, Schöppenstühlen und Kriminalgerichten bekannt genug sein mögen, vor Mir aber lauter Arabisch sind. Ihr hättet solches auch in dieser piece umsomehr verhüten sollen, da es auf Menschenleben ankommt und ich keineswegs dergleichen mit so vielen Mir unbekannten Worten angefüllte Confirmationes unterschreiben kann, ohne den wahren Innhalt zu wissen. Ihr sollet also mit dergleichen lateinischen Rubriquen sparsamer sein und, wenn Ihr etwas berichtet oder zur Unterschrift schicket, hübsch Teutsch schreiben, solches auch deren Secretarien der Kanzlei bekannt machen.

Potsdam 7. August 1744.«

»Bis meine Herren Juristen Teutsch lernen — das kann lange dauern! So lange hat denn jenes armselige Geschöpf eine Gnadenfrist. — Und wir auch!«

Zufrieden, für heute über die Sache hinweggekommen zu sein, klingelte er, ließ den Privatsekretär kommen, übergab ihm das Dokument, erledigte auch die anderen Unterschriften und befahl die Audienzen.

Zunächst wurde der Staatsminister von Podewils vorgelassen, der ein sehr bekümmertes Gesicht zur Schau trug.

Friedrich zog gleich scharfe Saiten auf.

»Nun, Podewils, woher die grämliche Miene? Wir stehen dicht vor dem Losschlagen! Und Er schaut aus, als hätte Er einen Topf mit Senf unter der Nase! Wir dachten, Er hätte sich an die üblen Gerüche aus der politischen [312] Hexenküche gewöhnt? Schöne Düfte werden uns da nicht beschert! Nach Niederlage riecht's aber nicht! Und Er sieht aus wie ein leibhaftes Debakel!«

»Majestät werden verzeihen, wenn die Sorge um die Wohlfahrt des Vaterlandes —«

»Die Sorge haben wir Ihm abgenommen, als wir uns entschlossen, das Schwert zu ziehen! Er braucht sich deshalben nicht zu fatigieren! Wir brauchen Seine Einwände heute nicht mehr! Daß Er ein Angsthuhn ist, wissen wir! Hat Er ansonsten etwas zu berichten?«

»Auf die Gefahr der allerhöchsten Ungnade hin wage ich doch darauf hinzuweisen, daß der Krieg noch zu vermeiden wäre!«

»Wenn unsere Herren Politiker so räsonieren, dann ist erst recht Not am Mann! Da müssen wir darauf gefaßt sein, sofort zur Attacke blasen zu lassen! Sonst haben wir die Kriegsfurie über Nacht im eigenen Lande.« »Und doch muß ich einen Widerspruch darinnen sehen, wenn Eure Majestät einen Krieg anfangen wollen, um einen Krieg zu vermeiden!«

»Er ist dreist! Doch Er glaubt wohl seine Pflicht zu erfüllen! Ich will Ihm denn antworten! Zu vermeiden ist ein Krieg nicht mehr, den wir als unvermeidlich ansehen! So Er die Augen auftut, wird Er uns beipflichten! Der Friede von Breslau gibt uns schon — nach zwei Jahren keine Sicherheit mehr! Wir schlagen also los, um den Krieg, der doch kommen muß, zu der für uns günstigsten Zeit zu führen — nicht erst, wenn's dem Feind am bequemsten! Das Haus Habsburg duldet nicht, daß ein Wittelsbacher die kaiserliche Krone trägt! Der Kurfürst von Bayern ist aber recte zum Kaiser gewählt! Trete ich dann als reichstreuer Fürst für den Kaiser ein, so kämpfe ich doch in erster Reihe für Preußen gegen Österreich! Denn uns droht der nächste Schlag!«

»Der König von England lenkt aber ein und will seinen [313] Einfluß aufbieten, um die Königin von Ungarn zum nochmaligen feierlichen Verzicht auf Schlesien zu bewegen!«

»Weil er weiß, daß ich jetzt schon losschlage!«

»Zunächst wohl aber auch aus dem ganz natürlichen Interesse für das Wohlergehen Eurer Majestät, die die enge Verwandtschaft ihm nahelegen muß!«

Friedrich lachte laut auf.

»Wahrlich, die großen Fürsten, die die Bande des Blutes respektieren, sollen noch gefunden werden!«

Er setzte sich in das Sofa hinter dem Schreibtisch und blickte seinen Minister spöttisch an.

»Er erschwert uns die Arbeit, Podewils, statt sie uns zu erleichtern! Wir müssen hier Zeit und Mühe aufwenden, um unsere Minister zu überzeugen, damit wir sicher sein können, daß sie nachher Ordre parieren, wenn wir im Felde stehen! — Nach dem Wormser Traktat glaubt Er noch an England?! Hat England uns wohl von jenem Traktat unterrichtet?! Nein! Aber im Breslauer Frieden hat sich der König von England verpflichtet, uns sofort alle Bündnisse, die er eingeht, mitzuteilen! Das hat er in diesem Falle nicht getan! Also geht das Bündnis gegen uns!«

»Im Traktat von Worms steht kein Wort von Preußen!«

»Zwischen den Zeilen ist aber nichts als Preußen zu lesen! Preußen muß vernichtet werden!«

»Der König von England ist aber auch Kurfürst von Hannover! Als deutscher Fürst kann er nicht die Vernichtung Preußens wollen!«

»Die deutschen Fürsten, die ihre Königreiche anderswo haben, sind keine deutschen Fürsten mehr! Der Kurfürst von Hannover hat sein Königreich in England — der von Sachsen seins in Polen! Ich allein habe mein Königreich in Deutschland! Das gibt von Rechts und Billigkeit wegen Preußen die Führung! Und das wollen die anderen Kurfürsten nicht! Wir sind ihnen zu mächtig, daher die Wut! [314] Daher der Neid! Sachsen ist ärgerlich, weil wir im letzten Frieden ihm nicht Mähren zuschreiben ließen! England tut freundlich, weil es erst seine in Schlesien steckenden Gelder von uns haben will! Es intrigiert aber überall und isoliert uns, wo es kann, damit wir von ihm allein abhängen sollen! Beider Länder Herrscher aber sind nur insofern deutsche Kurfürsten, daß sie dem Kurfürsten von Bayern nicht die Kaiserkrone gönnen! Weil sie sie nicht haben können, darum nur soll sie an Österreich zurück! Wenn der Kaiser sie aber bezahlen könnte, wären sie für ihn und ihre Armeen ebenso! So sind sie alle! Kein Geld — kein deutscher Fürst! Er weiß das ebensogut wie wir! Die Kurfürsten von Hessen, Württemberg, Köln und von der Pfalz — sie wollten sich doch sämtlich schon unserer Aktion für den Kaiser anschließen! Warum taten sie's nicht?! Weil wir nicht so viel Geld haben und Frankreich nicht das nötige bewilligte! Gleich fingen die Herrschaften mit der Gegenpartei zu schachern an!«

»Hessen geht ja mit uns!«

»Nun, da bot Frankreich eben mehr für Hessen als England! Dafür hat aber der Herzog von Gotha den Seemächten seine Truppen verkauft! Die paar Brocken machen übrigens den Kohl nicht fett! Meine preußischen Grenadiere werden in Österreich das entscheidende Wort sprechen!«

»Österreich bedroht uns nicht, ich wiederhole es immer und immer wieder!«

»Lese Er die Kopien des Briefwechsels der österreichischen Podewilse mit den sächsischen Podewilsen, die wir Ihm aus Dresden besorgt haben! Zu welchem Zwecke hätte Sachsen, das sich uns versperrt, den Österreichern freien Durchzug zugesichert? Gegen den Mond — oder gegen Preußen? Les' Er doch in dem Wormser Traktat genau die Stelle durch, wo Sardinien sich verpflichtet, mit seinen Truppen die Lombardei zu besetzen, damit Österreich seine Truppen — in Deutschland verwenden kann, und sage [315] Er mir dann — gegen wen? Gegen den Mond oder gegen Preußen?! Wir sind da nicht im Zweifel und warten deshalb nicht erst ab, bis Österreich seine Truppen nach Berlin schickt! Und unsere Minister werden uns da gnädigst pardonieren! Wir verhandeln nicht mehr, Podewils — wir handeln! Was Verhandlungen zu tun vermögen, haben wir — trotz Ihm erreicht! Rothenburg kehrte mit dem französischen Bündnisvertrag wieder! Gegen Schweden haben wir uns Rückendeckung verschafft!«

»Rußland wird nicht ruhig bleiben, wenn wir Sachsen betreten!«

»Deshalb betreten wir es auch nur auf kaiserlichen Befehl! Die kaiserlichen Requisitorialbriefe, die von Sachsen freien Durchzug für Seiner Majestät preußische Hilfstruppen verlangen, sind bereits in Dresden abgegeben worden!«

»Und Sachsen rüstet! Dresden wird befestigt! Man hat uns Drohbriefe geschickt!«

»Dann fängt eben Sachsen den Tanz an! Wir nicht! Wir ziehen vorläufig nur mit unseren Truppen durch das Land! Er soll sehen, wie hübsch brav die Sachsen dann mit dem Säbelrasseln aufhören und uns noch Brücken über die Elbe schlagen werden! Wenn nicht — dann riskieren wir eben die Ungnade Rußlands! Bis die Russen marschieren, haben wir längst gesiegt! Nun gehe Er aber und lasse Er mich mit Seinen Bedenken ungeschoren! Meine Befehle hat Er! Daß Er sie mir richtig exekutiert und keine Minute mit unnützem Geschwätz verliert, weder vor mir noch vor anderen, will ich nunmehro hoffen! Gott befohlen!«

Podewils ging, und der König ließ seine beiden Freunde Jordan und Knobelsdorff rufen, die auch auf Audienz warteten.

Knobelsdorff überbrachte, wie befohlen, einige Detailpläne für Sanssouci, die auch Jordan begutachten sollte. Und die drei Freunde waren bald in die Betrachtung der [316] Zeichnungen und Entwürfe vertieft und ließen Politik Politik sein.

Die Bibliothek war endlich nach Friedrichs Wünschen, ebenso die Schlaf-, Empfangs-, Musikzimmer und die beiden großen, runden Pfeilersäle des Mittelteils, die als Speise-und Audienzsaal vorgesehen waren. Um diese Säle und ihre Einrichtung hatte man schon viel hin und her beraten — heute lagen die endgültigen Entwürfe zur Genehmigung vor.

Die Zimmer des linken Flügels fehlten noch. Friedrich wollte sie als Gastzimmer für seine Freunde herrichten lassen. Und da sollte das letzte, das dem Bibliothekzimmer im rechten Flügel entsprach, als besondere Ehrung für den von ihm vielbewunderten Voltaire eingerichtet werden — was wieder den beiden anderen Freunden überflüssig erschien!

Knobelsdorff sträubte sich energisch dagegen.

»Knobelsdorff wurmt's«, sagte der König, »daß er in meinem Hause nicht die übliche Schloßkapelle bauen darf! Nicht, weil ihm daran gelegen wäre, Gotteshäuser zu bauen! Bloß — wegen der dekorativen und architektonischen Aufgabe, die ihm so entgeht! Die Baumeisters sind wie die Pfaffen! Heuchler alle miteinander! Die Sache gilt ihnen stets weniger als das, was drum und dran ist!«

»Nein, nein!« rief Knobelsdorff aufgeregt, »an meiner Person ist mir wahrhaftig nichts gelegen!«

»Und wenn du auch selbst das Gegenteil glaubst — dir ist es doch nur um Befriedigung deines künstlerischen Ehrgeizes zu tun — auch wenn du Kirchen baust! Da ist's dir, wie all den anderen, ganz gleich, ob der Bau den Menschen andere Empfindungen eingibt als Bewunderung für eure Leistung! Daß sie drin veranlaßt werden sollten, durch all das Schöne, womit ihre Sinne umgaukelt werden, die Gottheit zu verehren, daran denkt ihr nicht — das Wunder zu bewirken traut ihr euch eben nicht zu! Ebensowenig, wie die Pfaffen glauben, die Menschen [317] durch ihre Worte von der Wahrheit dessen zu überzeugen, was sie ihnen predigen! Beweisen können sie nichts — deshalb verlangen sie, man soll glauben, blind glauben, und erschleichen sich so eine Autorität, die denen Strohköpfen nicht zukommt! Man soll ihnen aufs Wort glauben, man soll an sie glauben — das ist der geheime Sinn ihrer dunklen Rede! Tut man nur das — dann mag man im Herzen über das jenseitige Leben denken und glauben, was man will. Sie erziehen zur Heuchelei! Dem wollen wir keinen Vorschub leisten! Und deswegen lassen wir die Baumeisters in unserem Hause keine Kapellen zur Befriedigung ihrer künstlerischen Eitelkeit oder zur Befestigung der pfäffischen Autorität einrichten! Für unseren persönlichen Gebrauch haben wir keine besonderen Gebetzimmer nötig. — Im Speisesaal verkehren wir mit geistreichen Männern — im Musiksaal hat die Kunst das große Wort — in der Stille der Bibliothek finden wir allein und ohne Pfaffen die nötige Erbauung! Als Huldigung für den Geist der Aufklärung aber richten wir dem größten zeitgenössischen Geist eine Wohnung ein!«

»Die er doch niemals bewohnen wird! — Wie oft haben Eure Majestät ihn schon in der schmeichelhaftesten Weise eingeladen! Und er läßt sich immer noch bitten, trotz des glänzenden Empfangs bei seinem letzten Besuch! Er wird niemals ganz nach Potsdam kommen! Ihn wird's immer wieder nach Cirey zu seiner geliebten Marquise ziehen!«

»Die Marquise du Chatelet ist nicht unsterblich! Ihre Reize werden auch einmal welk! Ihr Geist mag noch so viele Künste der Verführung haben, dagegen kommen wir sicherlich zehnfach auf! Nicht wahr, Jordan — du glaubst doch auch, daß er kommen wird?«

»Ich glaube schon, daß er eitel genug ist, nicht zu widerstehen, wenn er von der besonderen Ehrung erfährt, die ihm durch diesen Bau zuteil wird! Er wird jedenfalls [318] aus Neugier herkommen und da Wohnung nehmen! Ob er bleibt? — Ich wage es zu bezweifeln! Zwei so geistvolle Menschen können es sicherlich nicht auf die Dauer vertragen, so intim zu verkehren, daß ihre kleinen Menschlichkeiten ihnen nicht mehr verborgen bleiben!«

»Die kleinen Menschlichkeiten nehme ich ohne weiteres bei ihm an, wie er wohl bei mir! Ebenso aber genügend Geistesgröße, um sie zu ignorieren!«

»Die Art Größe war noch nie auf Erden da!« rief Jordan. »Verehrung braucht Distanz! Die Götter müssen über den Wolken, im Verborgenen, thronen! Hat man sie im Hause, so schlägt man sie, wie die Wilden ihre Götzen!«

»Sein Affentum hat mich nur amüsiert, als er hier war, weiter nichts!«

»Auch die Affen sind nur amüsant — in sicherer Ferne! Läßt man sie zu nahe heran, dann beißen sie manchmal! Das schmerzt — man wehrt sich — man schlägt sie! — Und so wandelt sich das Amüsement in sein Gegenteil!«

»Mit dir ist nicht auszukommen!« rief der König, »du behältst immer das letzte Wort! In der Sache aber behalte ich's, denn ich habe die Macht dazu, indem ich der Bauherr bin! Knobelsdorff soll seine kirchenbauerische Phantasie im Dombau austoben! Hier aber soll er mir einen Rahmen für Voltaire schaffen, der nicht nur ihn zwingt, zu bleiben, sondern schon durch die Aufmachung seinen Geist dazu bringt, seine kleinen Menschlichkeiten im Zaum zu halten und seine Würde zusammenzunehmen!«

»Ich hab's!« rief Knobelsdorff, und seine kleinen Augen leuchteten. »Ich baue ihm einen vergoldeten Affenkäfig! Da sperren Majestät ihn ein, wenn er beißen will!«

»Wir können wieder beißen, wenn's sein muß, und haben keine andere Abwehr nötig! Aber tob dich in der Einrichtung aus, soviel du willst, um seine Eitelkeiten zu geißeln! Bring das ganze Tierreich an — der Papagei [319] darf nicht fehlen! Gieß Hohn und Spott und Satire aus vollen Schalen über ihn aus! — Nur mach's geistreich! Und schaff dir gute Handwerker zur Ausführung! Mach mir einen Entwurf und lege ihn mir vor, wenn ich wieder da bin! Spätestens zu Weihnachten! Denn im Frühjahr legen wir den Grundstein, ob der Krieg vorüber ist oder nicht!«

Knobelsdorff packte seine Zeichnungen ein. Die beiden Freunde verabschiedeten sich und wollten gehen. Da packte Friedrich noch Jordan so heftig am Rockzipfel, daß der kleine dürre Mensch fast umgefallen wäre.

»Du mußt mir noch ein Amt und eine rein praktische Tätigkeit für Voltaire finden!« sagte er. »Mit dem mache ich's wie mit den Pfaffen! Ich lasse keinen Pfaffen ins Amt, der sich nicht vorher verpflichtet, Obstbäume zu pflanzen und im Gartenbau vorbildlich zu wirken! Der Gartenbau veredelt und besänftigt! — So wirken wir der Entstehung von Fanatikern entgegen und haben nebenbei auch fürs zeitliche Leben einen kulturellen Gewinn der priesterlichen Tätigkeit!

Mit Voltaire wollen wir's ebenso machen! Auch er soll hier im Lande von Amts wegen pflanzen und säen, damit sein unruhiger Geist keine Zeit zum Extravagieren hat! So bleibt er uns sicher, und wir haben keine Mühe, ihn zu bändigen! Denk darüber nach! Au revoir!« Die beiden Freunde gingen. Friedrich ließ sich den Degen umschnallen, nahm die Handschuhe, pfiff seinen Hunden und ging hinaus, um noch vor dem Essen die Exerzitien anzusehen!

Nachmittags um sechs war, wie befohlen, das Konzert!

Ausnahmsweise spielte der König heute nicht selbst. Die Hauptnummer füllte diesmal ein Tanzdivertissement von Barberina und Lany aus.

Wie sich's im intimen Rahmen des Musikzimmers von selbst ergab, mußte auf größer angelegte Nummern verzichtet werden.

[320]

Man beschränkte sich auf Schäfertänze, zierliche pas de deux, allemagnes, und zuletzt kam eine mit hinreißender Bravour von der Barberina getanzte Tarantella!

Es waren nur einige wenige Eingeladene, vor allem die zur Beratung Befohlenen, der Intendant Baron Sweerts, Graun und der Maler Pesne, die Friedrich noch vor Beginn des Konzerts über seine Pläne orientiert hatte.

Kein Beifall durfte laut werden. Aber in den Blicken der Zuschauer, die alle von der Leistung Barberinas hingerissen wurden, war helle Begeisterung, und Entzücken in allen Zügen.

Nur der König saß sinnend da und sah zerstreut dem Tanze zu. Er war noch ganz erfüllt von den vielen künstlerischen Entwürfen, die seinen Geist beschäftigten! Denn auch die Politik, und insbesondere der Krieg, stellte ihm künstlerische Aufgaben, die er sich mit der ganzen Schwungkraft seines leidenschaftlichen Ehrgeizes zu bewältigen bemühte. Nach allen Seiten suchte sein Geist Expansion — von allen Seiten stürmten die Aufgaben auf ihn ein — er war in vollem Kampf mit der Materia — voller Eroberungslust und dem Schöpferdrang, ihr Bewegung, Schönheit, Ruhm, Macht und geistige Werte abzuringen.

Was sich da vor seinen Augen, beim Tanze Barberinas, in schönen Linien und Rhythmen bewegte, war ihm weiter nichts als leidenschaftlich bewegte Materia — sein Material: das lebendige Fleisch und Blut, das er seinen Ideen dienstbar machen wollte, um es in neue künstlerische Werte umzubilden, wenn auch nur für die Lebensdauer einiger Minuten.

Die Materia in höchster Vollendung, in schönster Belebung — weiter nichts!

Was die Barberina gab — was sie seinen Augen und seiner Phantasie darbot, war ihm nur insofern wert, als es ihn sehen ließ, was aus ihr herauszuholen wäre! Keinen anderen Reiz hatte ihr Tanz im gegenwärtigen Augenblick [321] für ihn, der, von seinen Plänen ganz erfüllt, wie ein Vulkan vor der Eruption zitterte.

Noch lange, nachdem der Tanz beendigt war, saß er so, in Sinnen versunken, und bemerkte weder die fragenden Blicke seiner Gäste, die auf ihm ruhten, noch die Enttäuschung der Künstler, die, wegen des Ausbleibens der gnädigen Komplimente, ganz vernichtet dastanden.

Nur Barberina ließ so etwas wie Trotz in ihren Augen aufleuchten! Und das empfand er.

Zögernd stand er auf, kam langsam auf sie zu, ergriff ihre Hand und berührte flüchtig ihre Fingerspitzen mit den Lippen.

»Charmant!« sagte er galant. »Sie haben viel Grazie und echte Passion bewiesen! Aber was Sie tanzten, das sind Spielereien! Sie sind eine große Künstlerin, voll schöpferischer Intuition. Sie müssen lernen, Ihrer würdige Sujets zu eruieren! Sie bedürfen darin noch der Führung! Wir haben Anlaß genommen, Ihnen ein Ballett komponieren zu lassen, worinnen Sie alle Ihre exzellenten Vorzüge zu voller Geltung bringen können! Meister Graun wird es in eine der auf dem Spielplan stehenden Opern einfügen. Die Idee stammt von uns selbst! Meister Pesne fertigt die dekorativen Entwürfe an — unser Intendant hat die Anweisung, an nichts zu sparen, sondern alle Kräfte unserer Oper aufzubieten. Alle Schwesterkünste Terpsichores werden Ihnen dienstbar gemacht — Schönheit, Grazie, Leidenschaft haben Sie auch zur Verfügung Ihres eminenten Könnens! — Wir wollen eine Apotheose der durch den Geist belebten Materia — die Geburt der Bewegung — des Lebens selbst wollen wir durch Ihre Person in Erscheinung treten lassen! Sie sollen Galathée darstellen, Mademoiselle, die unter den Händen Pygmalions zu leben beginnt! Das können Sie, darauf vertrauen wir fest, wie keine andere! So wollen wir Sie — in Ihrer Kunst — verehren! [322]Bon soir, mademoiselle! — Bon soir, messieurs!«

Er hob den Hut leicht, neigte den Kopf gegen die Anwesenden und ging in seine Gemächer!

Wie ein General nach beendigter Parade Kritik hält oder, vor einer Schlacht, die ordre de bataille erläutert — so hatte er gesprochen! Auch das Lob kurz bemessen und dienstlich knapp!

Und dann: »Bon soir, mademoiselle!«

Nicht die erwartete, ihr so oft schon erteilte Einladung zum Souper im Konfidenzzimmer! — Ihr ganzer übermütiger, mit Rothenburg ausgeheckter Racheplan war ins Wasser gefallen! Sie war gewiß gewesen, durch ihn alles wieder einzurenken und seine gute Laune wiederherzustellen! Und nun entzog er ihr die Gelegenheit, stellte sie auf die Stufe der angestellten Künstlerin und kehrte den gnädigen Herrn und Gebieter heraus, statt, wie so oft, den galanten Verehrer!

Sein Feldherrngenie hatte eben mit feinem Instinkt die Falle gewittert und der Gefahr geschickt vorgebeugt.

»Bon soir mademoiselle!« hatte er gesagt und das Schlachtfeld verlassen! Gleichzeitig aber es glänzend behauptet!


19

Im Hause des Grafen Rothenburg war eine glänzende Tafelrunde um Barberina versammelt.

Die Koryphäen der Hofgesellschaft hatten sich Rendezvous gegeben. Graf Algarotti, Chevalier du Chazot, Rothenburg selbst — alle waren sie da; selbstverständlich auch Pöllnitz, der nach dem Scheitern seines Nürnberger Heiratsprojekts zurückgekehrt und vom König wieder in Gnaden oder vielmehr in gnädigsten Ungnaden aufgenommen war.

Die erlesensten Speisen wurden aufgetragen — der Champagner perlte in den Kelchen — die Stimmung [323] war ausgelassen — Scherze und Anekdoten lösten sich ab. Und da hatte der unermüdliche Erzähler Pöllnitz, wie immer, das große Wort.

»Er war ein Landsmann von Ihnen, Mademoiselle!« bemerkte er, die eben angefangene Erzählung für einen Augenblick unterbrechend. — »Er machte am Hofe des Königs von Preußen Karriere wie Sie — wenn auch in anderer Weise! Er wurde General der Artillerie — was Sie niemals erreichen werden, und endigte am Galgen, vor dem Sie ein gnädiges Geschick sicherlich bewahren wird!«

»Ich strebe auch nicht so hoch, Baron!« lächelte Barberina. »Mein Ehrgeiz hält sich auf einem viel bescheideneren und weniger luftigen Niveau!«

»Eine schöne Dame hängt man überdies hierzulande nicht, wie Sie als Zeremonienmeister wohl wissen werden!« lachte Rothenburg.

»Man hängt ihr höchstens — im Notfall — einen Gatten an!« replizierte Algarotti.

»Wie ungalant!« rief Chazot.

»Sie scheinen nicht zu wissen, daß mein Vertrag mir verbietet, an die Freuden der Ehe zu denken?!« lachte Barberina.

»Wäre es indiskret, zu fragen, oh Sie Ihr Gelübde zu halten gedenken?«

»Sie, Graf Rothenburg, werden mich sicherlich nicht in Versuchung bringen!«

»Ich werde jedenfalls alles aufbieten, um Sie vom Pfade der Tugend abzubringen, Mademoiselle!«

»Von der Tugend steht nichts im Vertrag!« beeilte sich Pöllnitz einzuwerfen. »Nur von der Ehe!«

»Und auch das war gänzlich überflüssig!« sagte Barberina. »Ich wüßte jedenfalls keinen, dem ich meine Freiheit opfern möchte!«

»Und doch weiß Fama zu berichten, daß Mademoiselle [324] unter Dero berühmtesten Entrechats auch den Sprung in die heilige Ehe zu studieren mit Erfolg bemüht waren!«

Barberina nippte an ihrem Glas und gedachte einen kurzen Augenblick ihres entschwundenen Liebhabers.

»Die Zeit des Studiums ist vorüber!« sagte sie dann mit einem leichten Seufzer. »Aber wir wollen unseren liebenswürdigen Baron nicht unterbrechen! Erzählen Sie weiter von Ihrem illustren Abenteurer! Sein Metier interessiert mich!«

»Sein Metier brachte ihm nicht so viel Schätze ein wie Ihnen das Ihrige!«

»Der Ärmste!«

»Er war nämlich Goldmacher —!«

»Die Kunst haben Sie dann wohl bei ihm gelernt, Pöllnitz, nach Ihren Reichtümern zu urteilen?« fragte Rothenburg sarkastisch.

»Ich habe sie gelernt! Wahrhaftig, ich nahm bei ihm Unterricht! Leider aber lernte ich später auch die Kunst, Gold zu Papier zu machen, als ich zu Zeiten Laws in Paris war! Und das rächt sich! Das gelbe Metall verlangt vor allem Treue! Aber — bleiben wir bei unserem Abenteurer! Ich war noch ein junger Mann, als er an den Hof von Berlin kam!«

»Welchen Glauben hatten Sie damals gerade, lieber Baron?« fragte Rothenburg süffisant.

»Den, den alle anderen Leute von Geist und Erziehung hatten! Ich glaubte an den Stein der Weisen!«

»Und auch Sie — haben ihn niemals zu sehen bekommen?«

»Doch! Ich habe ihn sogar in der Hand gehalten!« Er streckte die Rechte aus. »In dieser meiner Hand!«

»Und — trotzdem ist er ein Geheimnis geblieben?«

»Mein Fehler ist es nicht!« rief Pöllnitz lebhaft.

»Das glauben wir Ihnen aufs Wort!«

Alle lachten.

[325]

»Lachen Sie nicht! Wenn Sie, wie ich, mit Ihren eigenen Augen gesehen hätten, wie sich ein Stück Silber in pures Gold verwandelte, würden Sie nicht lachen!«

»Das hätten Sie gesehen?«

»Parole d'honneur, ich habe es gesehen! Und es war kein Traum! — Ich ging zu ihm in sein Laboratorium! Ich war neugierig! Alle Welt drängte sich ja dazu, sein Geheimnis zu erforschen — er aber wies sie sämtlich ab. Nur zu mir hatte er Vertrauen!«

»Er war ein Menschenkenner!«

»Zweifelsohne! Er lud mich also ein — ließ mich feierlichst schwören, das Geheimnis zu wahren —!«

»Sehen Sie!« rief Chazot. »Er wußte, daß er sich auf Ihr Plaudertalent verlassen konnte!«

»Lieber Graf!« schmollte Barberina, »ich brenne vor Neugier! Reden Sie doch dem armen Baron nicht ins Gewissen! Lassen Sie ihn doch weiter erzählen!«

»Ich bemühe mich ja nach Kräften, ihn dazu zu bringen, den Schwur zu brechen!«

»Nicht nötig, lieber Graf!« rief Pöllnitz lebhaft. »Ein Eid ist doch nur dem Sinn nach zu halten! Wenn jemand mir ein Geheimnis unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit anvertraut, so tut er's doch nur in der Absicht, ihm die größtmögliche Verbreitung zu verschaffen!«

»Ganz recht!« lachte Rothenburg, und alles lachte mit.

»Ich bitte Sie«, sagte Pöllnitz, »sonst würde er mir doch nicht das Geheimnis verraten. Ich hab's denn auch ruhig weitergegeben, und — wenn's Ihnen Vergnügen macht —«

»Aber sehr!« rief Barberina.

»Ich will also weitererzählen! Ich kam zu ihm in sein Laboratorium! Er zeigte mir seine beiden Tinkturen — die rote Tinktur — die materia prima, auch der Stein der Weisen genannt — ein fleischfarben schillerndes Pulver — und ein weißes Pulver, das er die >weiße Tinktur< nannte, mit der er Quecksilber in reines Silber [326] verwandeln zu können vorgab. Mit der materia prima aber wollte er nicht nur Gold herstellen, sondern auch alle möglichen anderen Wunderdinge verrichten. So zum Beispiel die Jugend wiederherstellen und das Leben mittels des unfehlbar wirksamen und alleinseligmachenden >Jungfernpergaments< verlängern — —«

»Und von all dem Schönen haben Sie das schnöde Gold gewählt?«

»Man nimmt, was man nicht hat, Mademoiselle! Jugend hatte ich, und an die Verlängerung des Lebens zu denken, schien mir noch verfrüht! Gold aber ist, besonders bei einem jungen Mann von Welt, ein seltenes Metall! Ich nahm also sein Anerbieten an, vorerst einen Taler in Gold zu verwandeln! Das bewirkte er folgendermaßen: er breitete ein Stück Pergament auf meiner Hand aus, streute Sand darauf, nahm dann ein Gran seines kostbaren roten Pulvers, breitete es über dem Sand aus, legte den Taler darauf, streute Sand über das Ganze und hieß mich die Hand schließen! Ein seltsames Gefühl, als ob alle Lebenswärme meines Körpers sich auf einmal in meiner Hand konzentrieren wollte, durchrieselte mich! Ich schrie auf! >Nur ruhig!< sagte er und ergriff meine Linke und fühlte den Puls. >Ich passe auf! Öffnen Sie die Hand nicht, ehe ich's erlaube! Sonst ist's vertan!< Ich gehorchte! Ein gelblicher Rauch quoll zwischen meinen Fingern hervor. Ich fühlte eine durchdringende Glut in der Hand — mein Atem stockte — der Puls schlug immer schwächer und schwächer — der Angstschweiß trat mir auf die Stirn. — >Genug<, rief er dann plötzlich. >Machen Sie die Hand auf!< — Ich tat's und — hielt in der Hand ein Stück puren Goldes! — Es ist wahr, Rothenburg — ich schwör' es Ihnen! — Eine Täuschung ist ausgeschlossen! Den Taler hatte ich aus meiner eigenen Tasche genommen!«

»Wenn Sie das nicht gesagt hätten, lieber Pöllnitz«, sagte Rothenburg ruhig, »so würde ich's ohne weiteres [327] angenommen haben. So muß ich glauben, daß Sie, in Ihrer bekannten Distraktion, sich im Wert des Geldes oder — sagen wir — im Metall geirrt haben! Sie werden ihm ein Goldstück gegeben haben!«

»Mais non! — Wofür halten Sie mich?! Am Letzten des Monats — bei dem kargen Gehalt eines Kammerpagen! — Wo hätte ich das Goldstück hernehmen sollen? Der Taler war mein letzter! Der Goldklumpen, den mir Don Caetano — denn so nannte sich mein Abenteurer — der Goldklumpen, den er mir gab, rettete mir das Leben!«

»Und der Eid der Verschwiegenheit, den er Ihnen abnahm, machte ihn berühmt! Denn Sie sangen natürlich sein Lob in allen Tonarten! Der Hof wurde neugierig!«

»Ob der Hof neugierig wurde! Der König selbst — weiland König Friedrich der Erste, Gott habe ihn selig! — interpellierte mich höchstselbst über die Sache! Er ließ daraufhin den Goldmacher kommen! Und Don Caetano hatte dann die Ehre, in allerhöchst Dero Gegenwart, unter Beaufsichtigung des damaligen Kronprinzen, unseres späteren Königs Friedrich Wilhelm des Ersten, selig, Quecksilber zu einem Pfund puren Goldes zu tingieren! Der König war nicht undankbar! Er schenkte ihm sein Bildnis in einem mit Brillanten besetzten Rahmen im Werte von zwölfhundert Talern, und auch das Patent als Generalmajor der Artillerie!«

»Und dann ließ er ihn aufhängen?«

»Nun ja. — Der Goldmacher war ein Betrüger! Er verpflichtete sich, dem König sechs Millionen Taler zu tingieren — und er hielt sein Wort nicht!«

»Und Sie, Baron, wie entgingen Sie dem Galgen?!«

»Ich fiel in Ungnade — das war weit schlimmer als der Galgen! Ich ging nach Paris!«

»Und hatten kein brillantenbesetztes Porträt des Königs zum Trost?«

»Das war mein Glück! Hätte ich das gehabt, dann wäre mir auch der Galgen gewiß gewesen! Man soll sich [328] vor königlichen Brillanten in acht nehmen! Sie stellen immer die erste Phase der Ungnade dar —«

Ein Bedienter trat ein und meldete dem Grafen Rothenburg die Ankunft des Königs. Rothenburg eilte hinaus, und bald darauf trat Friedrich ein, von ihm und Jordan gefolgt.

Er grüßte gnädigst, küßte Barberina galant die Hand und nahm neben ihr Platz.

»Sie haben uns heute durch Ihren Tanz exzeptionell divertiert!« sagte er. »Hätten wir nicht noch verschiedenes zu ordnen gehabt, da wir morgen abreisen wollen, so hätten wir Ihnen unser Wohlgefallen in der Oper bezeugen können! Sie gestatten uns, es jetzt nachzuholen und Ihnen dies Zeichen unserer königlichen Gewogenheit zu dedizieren!«

Er nahm aus der Tasche seines Uniformrockes ein Etui und legte ihr selbst — ein Armband von glitzernden Brillanten um! Eine seltene Auszeichnung!

Barberina zuckte zusammen und blickte Pöllnitz an. Friedrich merkte es.

»Was haben Sie, Mademoiselle? Gefällt Ihnen unsere Gabe nicht?«

»Ich ersterbe vor Dankbarkeit ob der Gnade Eurer Majestät! Der Schmuck ist wahrhaft königlich und selten schön!«

»Was haben Sie denn?«

»Baron Pöllnitz erzählte uns soeben die Geschichte eines anderen Brillantschmucks — eines Schmucks von schicksalsschwangerer Bedeutung!«

Friedrich lachte.

»Man soll sich von Pöllnitzens Aberglauben nicht gleich anstecken lassen! Er wird Ihnen seine alte Geschichte vom Stein der Weisen erzählt haben?«

»Ganz recht, Sire!«

»Und — Sie werden alle trotzdem ebenso klug sein wie zuvor!«

[329]

»Ganz recht, Sire!«

»Das ist eben die Quintessenz von Pöllnitzens Weisheit!« scherzte Friedrich. »Ihm ward es wie wenigen gegeben, den erlesensten Lebensrätseln zu begegnen und — blind zu bleiben! Er lernte nie philosophisch denken! Deshalb begreift er nichts — und glaubt an alles!«

»Selig sind, die glauben und nicht sehen!« wagte Pöllnitz einzuwerfen.

»Der blinde Glaube mag gut sein — für Subalterne«, sagte Friedrich. »Eine gewisse Nützlichkeit ist ihm da nicht abzusprechen! Wer aber zum Führer berufen ist, darf nicht auf die eigene Überzeugung verzichten! Ich glaube, was ich greifen und begreifen kann, und lasse mir ohne vollgültige Beweise nichts weismachen!«

Er wandte sich galant an seine Nachbarin.

»Ich glaube zum Beispiel fest an die unvergleichliche Kunst unserer charmanten Barberina und bin durch ihre Leistungen von ihrem Genie überzeugt! Ich werde aber trotzdem nicht darauf verzichten, sie erst als Galathée zu sehen, ehe ich die Überzeugung ausspreche, daß sie in der Rolle so außerordentlich sein wird — wie ich hoffe!«

Barberina dankte mit einem Blick für das Kompliment. Die Tafelrunde geriet in Bewegung.

»Sire, da spricht wohl nur der Wunsch Eurer Majestät nach einem seltenen ästhetischen Genuß mit?« sagte Rothenburg.

»Mich überzeugten die Worte Eurer Majestät nur von allerhöchst Dero Galanterie!« sagte Jordan ruhig und freimütig wie immer. »Majestät werden noch dazu kommen, vor Dero Victorien sich die Karten legen zu lassen! Denn Aberglauben ist's, und kein Glaube, der sich erst überzeugen lassen muß!«

»Wärest du Pastor geblieben, Jordan, so würde ich vielleicht auf dein Urteil in Glaubenssachen etwas geben — wenn's gilt, über Aberglauben zu reden! So gebe ich mehr auf das Feuer der schönen Augen unserer charmanten [330] Barberina! Das wäre schon imstande, mich gläubig zu machen, wenn ich nicht fest in dem Aberglauben wäre, mich erst durch ihre Leistung überzeugen zu lassen!«

»Wovon wollen Eure Majestät noch überzeugt werden — wenn meine Kunst schon das Glück hatte, heute die allerhöchste Anerkennung zu erringen?« fragte Barberina.

»Von Ihrer Fähigkeit, das männlichste aller Probleme — im Leben wie in der Kunst — zu erfassen und zu lösen! Denn das stellt meines Erachtens der Pygmalionmythos dar! Ich will sehen, ob Ihr Wille nachgiebig genug sein kann, ohne seine Elastizität zu verlieren! Ich will wissen, ob Ihr weiblicher Instinkt Schwungkraft genug hat — ob er mitkann — oder zurückbleibt, wie bei den andern! Wird die Statue aus Stein im Morgenrot einer männlichen Tat zu vollem, hingebendem Leben aufflammen?«

»Sire — das hängt von der Sonne ab! Man kann in ihrem Glanz erfrieren — man kann auch von ihren Strahlen versengt werden, ehe man sich seines Lebens recht bewußt wird! Ich fürchte fast, ich werde versagen!«

»Wir wünschen, daß Sie die Probe bestehen, Mademoiselle! Wenn der Feldzug vorüber ist und die Truppen ins Winterquartier gehen, kehren wir wieder und holen uns die Bestätigung! Wir werden dann Pygmalion sehen und das Wunder seiner Schöpfung bestaunen!«

»Dem in der Phantasie Erschauten kommt die Realität des Kunstwerks doch niemals auch nur entfernt nahe!« sagte Jordan.

»In diesem Falle glaube ich es sicher!«

»Dieser feste Glaube Eurer Majestät ist eben, was ich Aberglauben nenne!«

»Der Aberglauben wird zur süßen Pflicht — wenn eine so schöne Dame sein Gegenstand ist!« lispelte Pöllnitz und blickte trotz der Anwesenheit Friedrichs Barberina so verliebt an, daß sie ihm lachend auf die Hand schlug.

»Pöllnitz wechselt eben den Glauben so oft wie den [331] Gegenstand seiner Verehrung!« sagte Friedrich. »Was die Frauen betrifft, so habe ich aber den festen Glauben — daß er immer Pech hat!«

»Sire, sagen Sie das nicht!« ereiferte sich Pöllnitz. »Lesen Sie meine Memoiren — lesen Sie meine Memoiren!«

»Wir brauchen sie nicht zu lesen, um uns davon zu überzeugen, wie sehr Er darinnen nach Rache schnaubt — Rache an dem schönen Geschlecht, das so undankbar war, Seine Verehrung abzulehnen!«

»Mais non!«

»Sie werden uns Frauen in Ihren Memoiren schön zugerichtet haben, Baron!« lachte Barberina.

»Seine Memoiren, ebenso endlos wie seine Abenteuer, lassen sich auf das eine Wort Verachtung — Verachtung für das Weib — zurückführen!«

»Sire, ich protestiere — —«

»Wenn man ihre Grundstimmung in Verse bringen würde, käme nichts als ein Spottgedicht heraus —«

»Wenn Sie es in Verse bringen, Sire — dann sicher!« seufzte Pöllnitz in seinen falschesten Tönen.

»Ach, bitte, Sire, das dürfen Sie uns nicht vorenthalten!« lispelte Barberina, mit einem Blick, als erwarte sie von ihm alles andere — nur keinen Spott. »Haben Sie die Gnade, spenden Sie uns Pöllnitzens Zorn königlich gereimt!«

»Wohlan, wir wollen den Versuch riskieren!« antwortete der König.

Alles wartete entzückt lächelnd. Er sann einen Augenblick nach und begann dann:

»Als Gott in seinem Zorn
Den Teufel schuf,
Er nahm vom Bock das Horn,
Vom Pferd den Huf,
Und schuf ein Scheusal, garstig von Gesicht,
Dem Wesen nach ein rechter Bösewicht!
[332] Er hüllte ihn in Lieblichkeit,
Gab ihm ein weiblich Auge,
Zum Liebeswerben stets bereit,
Und hieß ihm: >Geh und sauge
Den Männern ihre beste Kraft
Aus Herzen und aus Nieren!
Vergifte ihren Lebenssaft
Und mach' sie gleich den Tieren!
Kannst du das, sollst du gleich mir sein,
Honig und Manna essen,
Bleibt aber einer im Herzen rein,
Sollst ewig Staub du fressen!<
Dann schnitt er ihm die Krallen ab
Und gab ihm Lilienhände,
Ein voller Busen ward zum Grab
Für seine Teufelsbrände!
Er ließ ihn auf die Männer los
Als wundersüße Dirne!
Der Hölle Qualen birgt ihr Schoß,
Den Himmel täuscht die Stirne
Den armen Erdentoren vor,
Und rote Lippen lockten
Zum Küssen! — Wer den Kopf verlor,
Wem da die Pulse stockten,
Auf ewig in die Glut versank!
Unselig mußt' er leiden,
Weil er des Teufels Liebestrank
Nicht tat auf Erden meiden!«

»Bravo, bravo!« rief die ganze Gesellschaft, als er geendet hatte.

»Nun, Pöllnitz, haben wir da Seine Gefühle richtig getroffen?«

»Sire, ich würde nie im Leben zu beanspruchen wagen, als Urheber einer so schönen Improvisation zu gelten!«

»Sie gaben uns doch den Anlaß!«

[333]

»Den äußeren vielleicht! Wenn Eure Majestät mir aber gestatten, offen zu sprechen — —?«

»Wir befehlen es sogar! Hier wollen wir uns doch keinen Zwang auferlegen! Wir wollen auch nicht die Welt um das seltene Amüsement bringen — Pöllnitz offen sprechen zu hören! Also sans ceremonies, Herr Zeremonienmeister!«

»Dann möchte ich mir gehorsamst zu bemerken erlauben, daß Eure Majestät da nicht meinen Gefühlen Ausdruck gegeben haben! So intensiv äußert sich nur eigene Erfahrung!«

Friedrich runzelte die Stirn. Aber nur für einen Augenblick.

»Wir leugnen nicht, in amoureusen Dingen einige Erfahrungen gemacht zu haben! Und waren sie nicht immer nach unserem Wunsch, so sind wir doch jetzt persuadiert, eines Besseren belehrt zu werden!«

Er streichelte die Hand Barberinas.

»Die Hoffnung habe ich längst aufgegeben«, sagte Pöllnitz mit einem affektierten Seufzer. »Ich ließ mir von jener in Lieblichkeit gehüllten Teufelsbrut, von der Eure Majestät sangen, den Lebenssaft eben nicht vergiften!«

»Himmelsbrut müßten Sie sagen, lieber Baron«, lispelte Barberina. »Gott hat doch, wie Majestät so richtig sagten, auch den Teufel erschaffen!«

»Er hat aber auch Pöllnitz erschaffen!« lachte Friedrich.

»Und Pöllnitz blieb im Herzen rein!«

»Entsetzlich!« rief Pöllnitz. »Meiner Reinheit halber müßte also jenes höllische Ungeheuer Weib, dem Eure Majestät in dem soeben mit so großer Kunst vorgetragenen Gedicht die Krallen abzuschneiden die Gnade hatten, statt Honig und Manna >ewig Staub< fressen!«

»Geben wir uns besiegt, Mademoiselle! Wir kommen gegen Pöllnitzens Logik nicht auf!«

»Majestät wollen nicht vergessen«, sagte Barberina, [334] »daß unser lieber Baron der einzige unter uns ist, der den Stein der Weisen in der Hand gehabt hat!«

»Dagegen möchte ich protestieren!« rief Jordan lebhaft. »Jeder Mensch hält einmal im Leben, wenn auch ohne es zu wissen, den Stein der Weisen in seiner Hand, und damit die Macht, in dem Moment sein Schicksal zu gestalten! Hat er Glück, so übt er, justement in dem Augenblick, instinktiv seine Macht aus — und wird sehend, nicht nur für sich, sondern auch für die anderen!«

»Du hast recht, Jordan«, sagte Friedrich ernst. »Die Natur stellt uns da auf die Probe, ob wir die empfangenen Fähigkeiten so weit zu entwickeln imstande sind, daß wir unsere Bestimmung ahnen und danach unsere Handlungsweise für alle Zukunft richten! Bestehen wir die Probe, so werden wir nicht verworfen, und Fortuna hält in jeder Gefahr schützend ihre Hand über unsere Person und unser Tun! Die Aufgabe, die einem jeden dabei gestellt wird, fällt weniger ins Gewicht! Die Hauptsache ist, daß man die Fähigkeit erlangt, schnell wie der Blitz die Gelegenheit zu erfassen und zu benutzen! Die wird einem jeden, der sie will! Sie geht ihm aber unwiederbringlich verloren, wenn er nur ein einziges Mal zaudert, im Entschluß zaghaft oder in der Ausführung unsicher wird! Zäh an dem Glauben der Vorbestimmung unseres Lebensschicksals festhalten — das ist mein Glaube!«

»Selig macht dieser Glaube aber auch nicht! Und Enttäuschungen bringt auch er«, entgegnete Jordan. »Also möchte ich das auch Aberglauben nennen! Aber — der Aberglauben des Genies!«

»Ob mein Glaube mich selig macht oder nicht, das wird nicht einmal Jordan zu entscheiden haben!« lachte Friedrich. »Wir wollen hier nicht dem Jüngsten Gericht präjudizieren!«

»Warum nicht, Sire«, sagte Barberina. »Es wäre doch amüsant, sich eine Vorstellung des Hergangs zu [335] machen! Ich bin wirklich begierig, zu wissen, ob und wie wir, die wir hier um den Tisch sitzen, uns beim Jüngsten Gericht wiedersehen werden!«

»Wenden Sie sich an Pöllnitz, Mademoiselle! Er ist der einzige von uns, der mit zeremoniellen Dingen Bescheid weiß!«

»Majestät haben also die Gnade, anzunehmen, daß ich wenigstens als Sachverständiger für die himmlische Seligkeit in Frage käme?«

»Das muß Er uns eben beweisen! Wie würde Er es zum Beispiel anstellen, um für uns selbst die ewige Seligkeit zu beanspruchen?«

»Ein schwerer Kasus!« lachte Jordan.

»Um so mehr Reiz muß es für Pöllnitz haben!«

»Ich muß gestehen«, sagte Pöllnitz, »ich befinde mich da in einiger Verlegenheit! Ich hatte noch nie einen König auf der Liste der von mir zu erbittenden Audienzen. Wenn ich also am Himmelstor anklopfe, und Sankt Petrus mir aufmacht —«

»Dann wird Er weder König noch Bettler, sondern den Menschen zu melden haben, lieber Pöllnitz! Mich melde Er also nur als den Fritz!«

»Zu Befehl! Ich melde also den Fritz! — >Was will denn der hier?< wird der gestrenge Hüter des Himmelstors fragen. >Der hat schon auf Erden seine Seligkeit — im Ruhm gesucht! — Der hat keine andere gelten lassen! Hat der jemals Liebe empfunden? Hat er sich wie ein wahrer Christ gedemütigt?! Hat er den rechten Glauben betätigt?! Er will vor Gottes Thron erscheinen?! — Ja — hat er denn etwa — er, der stets die Gottheit mit den Lippen verleugnete — im geheimen doch an sie geglaubt?< — Was soll ich armer Erdenwurm dann auf so knifflige Fragen antworten, Sire?«

»Mein lieber Zeremonienmeister«, sagte Friedrich, und es kam etwas Straffes in seine Haltung und Festigkeit in seinen Blick, »frage Er mich danach — in der nächsten [336] Schlacht, wenn die Kugeln uns um die Ohren pfeifen und nicht treffen! Wenn Er mich dann noch fragt — da werde ich Ihm auch zu antworten wissen!«

Es wurde still in der Runde. Aller Blicke senkten sich vor der Majestät, die aus den Worten sprach. Barberina wagte zuerst die Stille zu brechen.

»Und der Graf Rothenburg? — Wenn Sankt Peter nach seinen Meriten fragt — was werden Sie sagen?« Pöllnitz lachte boshaft auf.

»Da habe ich gar keine Angst! Wenn auch der Torhüter des Himmels beim Lesen des Namens Rothenburg seinen silbernen Bart schüttelt und mich unter buschigen Brauen barsch anglotzt und sagt: >Wie? Dieser Sybarit — dieser lockere Gesell bemüht sich auch um Eintritt? Ich sah ihn noch nie auf dem schmalen Pfad der Tugend!< — >Exzellenz<, werde ich sagen, >der Graf hat sich zwar in Worten mit seinem Unglauben gebrüstet, aber nur weil es Mode war! Seine eigene Tugend hat er stets so gut zu verbergen gesucht, daß kein Mensch sie je in Gefahr bringen konnte! Sein Leben lang lag er stets in inbrünstiger Anbetung auf den Knien. Aus ganzer Seele verehrte er die Schönheit, die Anmut und den Geist, die der Schöpfer in das Vollkommenste seiner Schöpfungen niederlegte! Stets machte er die schönsten der Frauen zu Altären seines Gottesdienstes! Sein Gebet war Poesie — seine Beichte atmete beseligende Liebe. — — Ehren, Auszeichnungen, Reichtum — allem entsagte er und legte es den Frauen zu Füßen! Gesundheit, Leben — alles opferte er ihnen in zahllosen Duellen, und was hatte er davon? Undank, Neid, Verleumdung, die grausamsten Qualen der Eifersucht! — Kein Heiliger war öfter in Versuchung als er! Kein Heiliger wurde je so schwer geplagt — kein Heiliger fiel öfter als er — und lernte die Sünde so gut aus eigener Erfahrung kennen!< — >Laß den braven Mann eintreten!< wird Petrus sagen. >Als abschreckendes Beispiel — als bußfertiger Schlemmer — als Prediger [337] für die Wüstlinge wird er das rechte Wort zu finden wissen!<«

»Fürwahr!« lachte Rothenburg, »wenn ich mit Sicherheit darauf rechnen dürfte, daß Pöllnitz mir als Fürsprecher dienen würde — mir wäre es um die Seligkeit nicht bange! Denn er hat mehr und bessere Ausreden als tausend Priester! Ich befürchte aber, daß er seine Gewandtheit in höfischen Künsten mitsamt seiner übrigen Leiblichkeit hienieden lassen wird, um im Stande der Unschuld da oben zu erscheinen!«

»Da wird nicht viel von ihm übrigbleiben!« lachte Friedrich.

»Er wird jedenfalls so viel Geist damit verbrauchen müssen, uns andere hineinzuschmuggeln, daß er selbst nachher dumm draußen stehen muß!« sagte Jordan.

»Mit Ihnen werde ich nicht viel Mühe haben, Jordan!« rief Pöllnitz. »Bei Ihnen wird der Hinweis genügen, daß Sie Pastor waren und aufhörten es zu sein! Die Tatsache, daß Sie schon bei Lebzeiten aufhörten, mit dunklen Rätseln die Geister hienieden zu verwirren und so, wenn auch negativ, zur Aufklärung beitrugen, wird beredter für Sie sprechen als ich! Und wenn das nicht genügen sollte — ich brauchte bloß darauf hinzuweisen, daß Sie sich bei jedem Gewitter bekreuzigen und Ihre lästerlichen Reden bei Tag durch allabendliche Gebete vor dem Zubettegehen wieder gutmachen! — Mit Ihnen werde ich es also leicht haben! Weit mehr Sorge macht es mir, wie ich einen anderen, der hier nicht anwesend ist, hineinbringe, denn er wird sicherlich zunächst dem Könige auf meiner Liste stehen! Ich meine Voltaire! Ich wüßte nicht, was ich Gutes über ihn vorbringen könnte!«

»Da wäre ich auch in Verlegenheit!« sagte Barberina, die auf die in den Augen des Königs alles überragende Bedeutung Voltaires auch eifersüchtig war. »Was würden Sie zum Beispiel antworten, wenn Petrus Ihnen [338] vorhielte, daß er durch Sklavenhandel Reichtümer sammelte?«

»Ich will Ihnen helfen, Pöllnitz«, rief Rothenburg.

»Ach bitte, tun Sie das!«

»Sagen Sie nur: wenn er sich mit Sklavenhandel befaßte, so tat er's nur, um das Leben in seiner grausamsten und scheußlichsten Form kennenzulernen. Denn das mußte er als Sittenschilderer! Und wenn er dadurch Reichtümer sammelte, so tat er's — um frei und unabhängig zu werden! — Denn nur als freier Mann wird er sich den Luxus leisten können, für die Rechte des Menschen einzutreten und aufklärend zu wirken!«

»Wenn aber Petrus mir dann vorhält, Voltaire hätte das Heiligste verspottet, da er sagte: >Wenn jener Jude mit seinen zwölf Aposteln die christliche Religion zu stiften vermochte — warum sollten nicht ich und zwölf ebenso gescheite Leute eine weit bessere Religion machen können?< — Denn das hat er gesagt!«

»Er hat aber keine gemacht!« sagte Friedrich ruhig. »Und wenn Sie darauf hinweisen, wird es genügen! Denn schon die Tatsache, daß er der Welt nicht noch eine neue Religion bescherte, ist ein so ungeheures Verdienst um den Frieden auf Erden, daß das allein da oben all seiner Bosheit und seinem Spott zur Entschuldigung dienen würde!«

»Sire, wenn Eure Majestät da oben so gut Bescheid wissen — dürfte ich dann alleruntertänigst bitten, mir gnädigst zu sagen, unter welchem Vorwand ich selbst hineingelangen würde?« fragte Pöllnitz. »Ohne allerhöchst Dero Protektion geht's sicherlich nicht! Es gibt wohl keinen Erdenwurm, der so viel Pech hat, wie ich — — keinen, dem so viel Schlechtes nachgesagt wird! Wenn ich mit all dieser Sündenlast da oben ankomme — und überdies noch für Eure Majestät und die gesamte Suite von Philosophen aufkommen muß — dann wird man [339] mir zu guter Letzt sagen: >Pöllnitz, in die Hölle mit dir! — Du verseuchst uns den Himmel mit all den Freigeistern! Wenn unsere Leute hier oben zu viel Aufklärung erhalten, dann glauben sie nichts mehr, dann werden sie zu gescheit — dann werden sie sagen, die Seligkeit hier oben ist keine Seligkeit, und was weiß ich noch!«

»Sei Er unbesorgt, lieber Pöllnitz!« sagte Friedrich und leerte sein Glas. »Dann wird Seine Flatterhaftigkeit und Sein loses Maul da oben erst recht als Kontrast gebraucht, um das Gleichgewicht gegen uns andere herzustellen. Und wenn Er wirklich all die Schlechtigkeit mit heranschleppen würde, die man Ihm, mit Recht oder mit Unrecht, hienieden nachsagt, und alle die Flüche, die Er in dem langen Lotterleben auf Seinem sündigen Haupt angesammelt hat — dann wird der Herrgott, sofern ich ihn kenne, laut auflachen und sagen: >Geh, Pöllnitz, Er ist ein Schaf! Tret Er her und stelle Er sich zu meiner Rechten!<«

Worauf er Barberina die Hand küßte, aufstand, den Hut lüftete und ging, wie er gekommen war, von Jordan gefolgt und von Rothenburg unter vielen tausend alleruntertänigsten Komplimenten bis an den Wagen geleitet.


20

Das Opernhaus lag hell erleuchtet da, dicht umstanden von glänzenden Equipagen, Dienern mit lodernden Fackeln und Hunderten von Neugierigen, die der Winterkälte trotzten, um etwas von dem Glanz und der Pracht zu sehen.

Der König war nach sechsmonatigem Aufenthalt im Felde wieder nach Berlin zurückgekehrt und hatte einen Maskenball ansagen lassen. Und alle, die irgendwie berechtigt waren, zugelassen zu werden, drängten sich, ihn zu sehen und am Feste teilzunehmen.

Die Auffahrt des Hofes war beendigt, der Ball in vollem Gange. Da trat aus einer Tür der dem Schlosse [340] zugewandten Seite des Hauses eine Gestalt heraus, den Hut tief in die Stirn gedrückt, den weiten Mantel dicht zusammengezogen, drängte sich schnell durch die Schar der Gaffer und entfernte sich nach dem Schlosse zu. Über die lange Brücke ging ihr Weg und dann am Ufer des Flusses entlang, an dessen anderer Seite die riesige Silhouette der Hohenzollernburg hoch zum Nachthimmel ragte.

Kein Licht war im ganzen Hause zu sehen, außer in der offenen Wasserpforte, durch die dunkle Schatten heraus und hinein huschten, schwere, verhüllte Gegenstände trugen und sie auf einen langen Spreekahn verluden.

Der Wanderer blieb an der Brüstung stehen und schaute neugierig dem geheimnisvollen Treiben zu, bis die Fackeln verloschen, das Tor verschlossen wurde und der Kahn sich langsam in der Richtung nach der Münze zu in Bewegung setzte. Dann ging der Wanderer weiter durch die dunklen Straßen, stieg die Treppen eines alten Patrizierhauses hinauf und trat in das geräumige Schlafzimmer im ersten Stock ein, das nur schwach erleuchtet war.

Er trat an das Bett, aus dem beim Öffnen der Tür ein schwacher Husten hörbar wurde.

»Du hast mich rufen lassen, Jordan! So geht es dir schlimmer?«

»Nicht schlimmer als sonst — aber doch schlimm genug! Ich konnte meiner Unruhe nicht Herr werden! Der Gedanke, daß ihr Feste feiert, wenn um uns herum alles in Trümmer zu fallen droht, peinigte mich. Um so mehr, da ich hier ohnmächtig liege und kein Wort der Warnung am rechten Ort und zur rechten Zeit laut werden lassen kann! Den König durfte ich nicht stören! Und so rief ich dich!«

Keyserlingk, denn er war es, schlug den Mantel zurück und setzte sich in den Sessel am Bett.

»Wie du siehst, bin ich deinem Rufe gleich gefolgt! [341] Ich mußte mich aber beim König beurlauben und sagte ihm also von deinem Wunsch! Er läßt dich grüßen und will selbst nach dir sehen! Ihm wird es auch darum zu tun sein, des Freundes Stimme zu hören!«

»Wäre das der Fall, so würde er sich nicht mit Festen zu betäuben suchen!«

»Andere will er betäuben, nicht sich! Er will keine Beunruhigung aufkommen lassen, deshalb zeigt er sich der Menge froh und vergnügt! Du kennst den Fritz doch ebensogut wie ich!«

»Ich kannte ihn vielleicht besser als irgendeiner! Ich erkenne ihn aber nicht wieder, seitdem er die großen Enttäuschungen dieses so glorreich begonnenen Feldzuges erlebt hat! Kein Wort spricht er darüber, er, der mir sonst alles anvertraute!«

»Du bist krank, und er will dich nicht beunruhigen!«

»Dann müßte er mir eben reinen Wein einschenken! Er fürchtet aber meine Kritik! Voll Übermut zog er hinaus in den Krieg! Jetzt schämt er sich!«

»Du fieberst, sonst wärest du der letzte, solche Worte zu sprechen! Wann ging er je einem offenen Wort aus dem Wege?! Er bedarf deiner Kritik nicht! Er steht mitten in seiner Tat und kennt sie besser als irgendeiner! Alles, was du ihm sagen könntest, hat er sich selbst gesagt — und mehr noch dazu!«

»Mir ist es darum zu tun, zu helfen, nicht zu tadeln! Vier Augen sehen mehr als zwei! Und jetzt, wo alles von ihm abfällt, wo er nicht mehr weiß, auf wen er sich hier im eigenen Hause verlassen kann, täte es ihm not, daß auch andere die Augen für ihn offen halten!«

»Wennschon, so bedarf er vor allem, daß man ihn nicht verstimme. Dem geht er aus dem Wege, und da hat er recht!«

»Das tat er aber früher nicht!«

»Die sechs Monate haben ihn eben um Jahre der Erfahrung reicher gemacht. In der Not lernt man die [342] Menschen kennen! Wer was taugt, entnimmt der Niederlage die Lehre für den Sieg! Anderer Lehren bedarf er dann nicht!«

Jordan schwieg. Ein heftiger Husten erschütterte die kleine, dürre Gestalt! Keyserlingk reichte ihm den auf dem Nachttisch bereit stehenden Labetrunk und setzte sich wieder.

Jordan betrachtete ihn lächelnd.

»Ewiger alter Sausewind, der du bist! Wenn man dich so aufgeräumt, heiter und lebenslustig dasitzen sieht, wäre man in Versuchung, zu glauben, daß uns nichts etwas anhaben könnte! Leider sind nicht alle so!«

»Das sind Schafsköpfe!« rief Keyserlingk übermütig. »Wo sie den Fritze haben und wissen, wie er gleich dem Blitz dreinfahren kann, wenn's gilt, müßten sie sich freuen, wenn sich recht schöne Gewitterwolken am Horizont zusammenballen! Was schadet es, daß der Kaiser jetzt plötzlich starb und die Süddeutschen abfallen und wieder die Kaiserkrone an Österreich verschachern wollen! Preußen macht den Schacher nicht mit — und wir sind die Rücksicht auf die Verbündeten los! Die Rücksichtnahme hat uns den Feldzug gekostet! Fritze hat am eigenen Leibe gelernt, daß Bündnisse unter Menschen nur so weit reichen wie der eigene Vorteil, und daß offene Feindschaft besser ist als hinterhältige und säumige Verbündete! Wenn auch der Bund mit Frankreich noch hält — Fritze wird auf die Wünsche Frankreichs keine Rücksicht mehr nehmen! Er wird, wie er es selbst für gut findet, handeln! Hätte er das gleich getan, hätte er nicht Böhmen wieder aufgeben müssen! Dann stünde er jetzt vor Wien und hätte es nimmer nötig gehabt, noch mitten im Winter zu kämpfen, um die Österreicher aus Schlesien herauszuwerfen!«

»Allein kann aber auch er nicht gegen eine ganze Welt an! England, Holland, Sachsen, Österreich haben sich gegen ihn verbündet! Rußland ist unsicher! Die Armee ist von Krankheiten dezimiert und immer noch schwer [343] heimgesucht. Die Magazine sind leer, das grobe Geschütz ist vor Prag gänzlich verlorengegangen! Wir sind arm! Wo nehmen wir das Geld her, um Soldaten, Munition, Ausrüstung und Proviant zu beschaffen?«

»Das — Federikus Jordan — laß nur ruhig meine Sorge sein!« sagte eine Stimme an der Tür.

Keyserlingk sprang aus dem Sessel auf. Jordan richtete sich im Bett empor.

»Sorge du nur dafür, daß mein lieber alter Jordan wieder gesund wird, damit mir die Sorge genommen wird. Dann ist alles andere auch gut!«

Der König trat an das Bett und nahm in dem Sessel Platz. Er ergriff die Hand Jordans.

»Ein wenig Arzenei bringe ich dir mit, alter Querkopf!« sagte er und ergriff seine Hand. »Über den Feldzug will ich nicht mit dir rechten! Da genügt's, wenn wir einsehen, daß wir Fehler gemacht haben, und sie bloß nicht wiederholen! Wenn's dich ansonsten beruhigen kann, so höre: England, das mit den andern gegen uns verbündet ist, fängt an, mit uns zu liebäugeln! Carteret, unser Feind, ist nicht mehr Minister! Die Pelhams sind am Ruder! Sie sind uns wohlgesinnt! Und wenn auch England noch an seine Traktate mit der Gegenpartei gebunden ist — das Doppelspiel verstanden die Krämer drüben immer gut! — — Aber setze dich, Keyserlingk! Du wirst heute noch das Tanzbein zu schwingen haben! Du bist wohl den Weg zu Fuß gegangen wie ich? Ich sah keinen Wagen vor dem Hause!«

Keyserlingk bejahte die Frage — und erwähnte dabei die geheimnisvollen Vorgänge am Schloß, die er unterwegs beobachtet hatte, in der Hoffnung, daß Friedrich seine Neugier befriedigen würde.

»Du hast wohl Gespenster gesehen!« sagte der König lächelnd. »Sonst pflegst du deine Augen nur zu benutzen, wenn schöne Weiber im Fahrwasser sind! Sollten wohl die Nixen eine Invasion gemacht haben?!«

[344]

»Das sah mehr nach Heiducken aus!« sagte Keyserlingk eifrig.

»Wenn's nur keine Russen waren, wie es Jordan geträumt hat!« lachte der König. »Sei ruhig, Jordan — nicht die Russen — ich selbst habe da ein bißchen geplündert! Nicht, weil ich's nötig hätte — nur damit du wahr träumst! Denn — auf die Plünderung kam's dir bei dem Traum wohl an!«

Und er erzählte den Freunden, wie er all die silbernen Tischplatten, Kandelaber und anderes Gerät, auch den großen silbernen Musikantenchor aus dem Rittersaal, den sein Großvater, der erste König von Preußen, hatte anfertigen lassen, nach der Münze schaffen ließ, um die Schätze in harte Taler umzuprägen.

»Nicht aus Zwang der Not«, sagte er nochmals eilig, als er die erschrockene Miene Jordans sah. »Wir haben Geld genug, den Krieg weiterzuführen. Sechs Millionen Taler haben wir dem Schatz entnommen, anderthalb Millionen haben die Stände hergegeben! Wir benutzen nur die Gelegenheit, den alten geschmacklosen Plunder im Schlosse loszuwerden und nutzbringend anzulegen. Wir verwandeln ihn in Soldaten, Pulver und Blei, die uns in den Stand setzen, Viktorien zu gewinnen! Nachher lassen wir ihn wieder auferstehen — aber in veredelter, künstlerisch wertvollerer Form! Die Künstler kriegen zu tun, und wir haben den Gewinn! Jordan aber, dessen Traum von der Plünderung des Schlosses uns auf den Gedanken brachte, hat die Verantwortung für den Schaden — wenn's ein Schaden sein sollte!«

Er lachte kurz.

»Ich werde mich in acht nehmen«, sagte Jordan, »Eurer Majestät nochmals meine Träume mitzuteilen! Reliquien sind Heiligtümer —«

»So viel Wert haben sie nimmermehr wie das Blut eines einzigen meiner Grenadiere, das auch für die Sache fließen muß! — — Sag einmal, Jordan, du Allerweltsbesserwisser [345] — was hältst du von den Tanzmeisters?« fragte er dann, plötzlich auf ein anderes Gebiet überspringend.

»Eure Majestät wollen gnädigst den Grafen Keyserlingk darüber interpellieren! Er versteht sich auf das Ballett besser als ich!«

»Sicherlich!« lachte Friedrich. »Auch ich traue mir einiges Urteil auf dem Gebiet Terpsichores zu. Nun fragte ich aber nicht wegen des Tanzes! Ich möchte nur wissen, was du von denen Tanzmeisters — als Politikern hältst!«

»Eure Majestät belieben zu scherzen!«

»Auch im Scherz suchen wir den Ernst! Diplomaten sind oft gute Tänzer, aber zu weiter nichts zu gebrauchen! Warum sollte denn nicht ebensogut ein Tanzmeister Pirouetten in der Diplomatie machen können? — Da kam uns jedenfalls neulich einer herangehüpft mit einer guten Idee, die unserer Politik nützlich werden konnte! Wir griffen sie auf! Wir nahmen die Invitation zum Tanz an — wir streckten die Hand aus — da macht der Teufelskerl ein Salto mortale und läßt uns die Tour solo beendigen!«

»Wollen Eure Majestät die Gnade haben, zu erklären, um was der Tanz ging?«

»Wenn wir mittanzen, geht's immer um die Krone, Jordan!«

»Um die — —?«

»Um die Kaiserkrone, mon ami! Um eine andere wird hier im Lande nicht getanzt! Die will man jetzt wieder dem Hause Österreich zu tanzen! Wir wollen es aber nicht! Wir sehen sie lieber auf dem Haupte des Kurfürsten von Sachsen — obwohl er, als König von Polen, eigentlich nicht in Frage käme! Rußland teilt unseren Wunsch und bietet dem Grafen Brühl ansehnliche Summen, um ihn dazu zu bewegen, die Kandidatur Augusts aufzustellen! Österreich, England e tutti quanti haben ihm aber schon [346] erhebliche Summen für das Gegenteil bezahlt! Und Brühl hat also das Angebot Rußlands zu dem Versuch benutzt — England mehr Geld abzupressen!«

»Abscheulich!«

»Was willst du! Ohne Bestechung wird in der Politik nichts erreicht! Brühl hat noble Passionen — teure Passionen! Er verkauft aber auch seinen erlauchten Herrn nur zu den höchsten Preisen! Seine Briefe in dieser Sache an Carteret kannten wir dem Inhalt nach! Wir brauchten aber die Originale, um sie in Petersburg vorlegen zu lassen und so das Doppelspiel Brühls aufzudecken. Können wir das, dann wird sich Rußland ruhig verhalten, wenn wir nicht ganz so sanft mit Sachsen umspringen!« »Und die Originale?« fragte Keyserlingk.

»Die wurden unserem braven Klinggräff von einem ehemaligen Tänzer, Chevalier Fossano, angeboten, dem sie — da er auch Spielbankhalter war — als Pfand für eine Spielschuld einer der Kreaturen Charterets in die Hand gegeben waren. Unser braver Klinggräff aber griff nicht gleich zu! Der Preis war hoch — er glaubte erst unsere Erlaubnis einholen zu müssen! Und inzwischen tanzte der Ballettmeister mit seinem interessanten Raub in die weite Welt hinaus! So wenig Wagemut haben unsere Diplomaten! Sie sind unfähig oder ängstlich, hüben wie drüben! Wir müssen alles selbst tun! Auch im Felde! Unsere besten Generale sind gefallen, oder sie kehren uns schmollend den Rücken!«

»Wollen Majestät den General Einsiedel nicht pardonieren?«

»Nimmermehr! Er hat uns durch seine miserablen Manövers schon eine halbe Armee gekostet!«

»Wenn aber dann der Feldmarschall Schwerin wiederkehrt?«

»So wird Schwerin nicht wieder angenommen! Wer seinem König Bedingungen macht, wenn Not am Mann ist, den kann der König nicht gebrauchen! Schwerin war [347] unser bester Mann! Das mit dem Einsiedel hat er uns krumm genommen und ist gegangen, weil wir ihm seinen Willen nicht tun! Wir lassen uns aber nicht zwingen! Überdies ist ja Winterfeldt noch da! Und den Alten Dessauer haben wir wieder ins Kommando berufen!«

»Eine harte Nuß!« lachte Keyserlingk.

»Aber doch noch zu knacken!« meinte der König. »Er ist ein Querkopf wie Jordan — aber ein General wie wenige! Schlesien hat er uns bereits gesäubert! Er wird auch noch weiter gut funktionieren, wenn sein Eigensinn mit dem Feinde so viel zu tun bekommt, daß er uns damit ungeschoren lassen kann! Und dafür wollen wir sorgen! Wir sind aber nicht gekommen, um über unsere Generale mit dir zu räsonieren! Es gibt Leute, die uns weit schwierigere Probleme stellen!«

»Dürfte ich fragen, welche?«

»Wir sagten bereits — die Tanzmeisters! Und auch die Tänzerinnen!«

Jordan warf sich im Bette zurück und blickte den königlichen Freund lächelnd an.

»Nun«, sagte Friedrich, »du zeigst mit deinem Lächeln, daß du recht geraten hast! Wir meinten die Barberina! Die Dame hat Ehrgeiz! Sie schien mir nicht nur in der Kunst eine Rolle spielen zu wollen! Wir haben sie auf die Probe gestellt! Wir haben versucht, ob sie imstande wäre, auch nur in der Kunst — also auf ihrem eigenen Gebiet — unseren Intentionen Leben zu verleihen! Wir hofften das! Sie hat uns aber enttäuscht! Wir waren mit ihrer Galathée sehr übel zufrieden! Du hast sie doch auch gesehen?«

»Allerdings!«

»Wie gefiel sie dir?«

»Gut!«

»Wir fanden sie miserabel! Gekünstelt, gemacht, gewollt, berechnet! Keine Spur von der unmittelbaren Natürlichkeit, die wir wollten! Die Poesie des ersten, zum [348] Bewußtsein erwachenden Lebens empfand sie nicht — sie verstand sie nur! Und deshalb gab sie nur Theater — gut gemachte Pantomime — aber keine wahre Kunst! Wir haben uns da in der Kunst auch eine Niederlage geholt, Jordan! Und keine kleine! Das Weib ist eben ein schwer zu behauptendes Schlachtfeld!«

»Das Schlachtfeld verlangt eben eine ganz besondere Strategie!« sagte Jordan lächelnd. »Wer vom Weib Empfindung haben will, muß sie zu erwecken verstehen!«

»Und das meinst du, könnten wir nicht?«

»Das könnten Eure Majestät wohl auch! Eure Majestät haben es aber vorgezogen, zu ihrem Verstand zu sprechen! Da kann sie sich doch nicht herausnehmen, mehr zu geben, als von ihr verlangt wird! Nur das, was man dem Weibe gibt, gibt es wieder heraus!«

»Sie ist aber nicht nur Frau, sondern auch eine große Künstlerin! Die Aufgabe selbst muß zu ihrer Empfindung sprechen — nicht der Auftraggeber!«

»Ein echter Künstler empfängt vom Leben allein seine Aufgaben! Ein königlicher Befehl löst keine Kunst aus, nur dienstliche Verrichtung!«

»Du kannst uns doch nicht zumuten, selbst bei ihr den Pygmalion zu agieren?!«

»Im gewissen Sinne — ja — wenn Eure Majestät mehr als den bloßen Dienst von ihr sehen wollen!«

»Die bloße künstlerische Anregung genügt da also nicht?«

»Vielleicht — wenn sie richtig gegeben wird! Sie ist vor allem ein Weib — da liegt der Schlüssel zu ihrer Kunst! Sie ist nicht mehr jung, sie hat das Leben schon ausgekostet! Sie ist vor allem als Künstlerin nicht mehr jung! Ihr Ehrgeiz hat alle gewünschte Befriedigung gehabt, alle Triumphe gefeiert! Die Kunst allein gibt ihr nicht mehr den nötigen Reiz, um ihre Seele in Schwung zu versetzen! Ihr Ehrgeiz richtet sich auf das Leben selbst, um da neue Nahrung zu finden! [349] Und da das Leben sie auf eine so hohe Stufe gestellt hat — — —«

Friedrich begann zu verstehen. Er blickte Jordan scharf an.

»Du hörst: wir haben sie auf die Probe gestellt! Wir sind aber nicht Ludwig von Frankreich! Wir werden also dem Ehrgeiz der Damens, die auch nach unserer Macht schielen, nur wenig Befriedigung bescheren! Unser Tun ist unser Tun! Da teilen wir mit niemand. Uns kann sie nichts als das Amüsement bieten! Da aber verlangen wir alles und echtes — auch wenn es sich nur um eine künstlerische Leistung handelt! Sie hat das, was wir von ihr wollen! Und sie soll es hergeben — — wir zwingen sie noch! Auch die Schlacht gewinnen wir!«

»Wie wollen Eure Majestät das anstellen?«

»Frage mich, wie ich die Schlachten, die ich noch mit Österreich auszukämpfen habe, gewinnen werde! Ich weiß, daß ich sie gewinne! Wann, wo und wie, das ist Sache des Augenblicks! Ich lasse die Gelegenheit an mich herankommen und benutze sie! Enfin! Gute Nacht, Jordan! Ruhe dich aus! Morgen sehe ich noch nach dir!«

Er nahm Keyserlingk unter den Arm und ging mit ihm zu Fuß nach der Oper, von wo er, nachdem er sich gezeigt hatte, unbemerkt fortgegangen war, um seinen kranken Freund zu besuchen.

In seinem kleinen Salon hinter der Proszeniumsloge angekommen, legte er Domino und Maske an. Keyserlingk folgte dem Beispiel, und sie mischten sich unter die Schar der Tanzenden, die das Parkett und die Szene füllten.

Das Menuett hatte eben begonnen. In feierlich graziösem Reigen wogte die Menge hin und her.

Auf einer Erhöhung stand eine glänzende Gesellschaft und sah sich das Treiben an. Eine Menge von eleganten Masken umdrängte eine reich kostümierte, mit kostbaren Brillanten geschmückte Hirtin, in der unschwer die gefeierte [350] Königin des Balles, die Barberina, zu erkennen war.

Friedrich, von Keyserlingk begleitet, näherte sich der Gruppe. Da trat aus der Menge eine in einen schwarzen Domino gehüllte Gestalt vor und richtete in reinstem Italienisch einige Worte an Barberina. Sie stutzte, blickte ihn scharf an, zögerte einen Augenblick, reichte ihm dann aber die Hand und trat zum Menuett mit ihm an. Die Menge machte Platz und hielt im Tanzen inne, um Barberina zuzusehen, denn ein jeder erkannte sie. Die kleine Halbmaske verbarg nur Stirn und Augen.

Noch niemals hatte Friedrich sie so tanzen sehen. Ein Feuer war auf einmal über sie gekommen, ein Schwung der Linien, eine Poesie des Ausdrucks! Der halboffene Mund atmete lauter Hingabe — sie schien von einem fremden Willen getrieben, von dem sie die Bewegung empfing! Nicht auf dem Maskenball in der Oper tanzte sie — fern, in einer anderen Welt, die ihre Phantasie erschlossen, schwebte sie — eine Elfe, ein Wesen aus Mondschein und Nebel, flatterte sie über feuchtgrüne Wiesen hin — leicht, luftig, kaum noch imstande, mit dem Druck ihres Fußes einen Grashalm zu biegen!

»So ist's recht, Psyche!« sagte die Maske plötzlich mitten im Tanze und lachte kurz auf. »Nun laß noch den letzten Schleier fallen!«

Mit einem Ruck blieb sie stehen und griff sich keuchend an die Brust. Dann, schnell wie der Blitz, streckte sie die Hand aus und versuchte ihrem Partner die Maske vom Gesicht zu reißen. Er aber war schneller als sie, er entrann dem Griff und verschwand schnell in der Menge, die sie jetzt aufgeregt umwogte.

Friedrich aber verlor ihn nicht aus den Augen.

»Wir wollen uns jenen Zauberer näher ansehen!« sagte er und zeigte ihn Keyserlingk. »Nimm du ihn fest, aber möglichst unbemerkt, und bring ihn in unsere Loge!«

Keyserlingk winkte einigen maskierten Dienern, die dem [351] König in respektvoller Ferne folgten, drang, von ihnen begleitet, zu dem Unbekannten vor, der sich jetzt unbemerkt glaubte und an der Brüstung einer Loge lehnte. Sie nahmen ihn, wie zum Scherz, in ihre Mitte und drängten ihn nach der Tür der königlichen Loge, die aufging und sich dann sogleich hinter ihnen schloß.

Friedrich wollte zu Barberina — aber er kam nicht rasch genug durch die aufgeregte Menge. Ehe er bis zu ihr gelangte, sah er, wie sie den Arm einer Maske nahm, in der er unschwer Rothenburg erkannte, und, auf ihn gestützt, den Saal verließ, um sich nach ihrer Garderobe zu begeben.

Er wartete noch die Rückkehr Rothenburgs ab und ließ ihn dann zu sich befehlen.

»Nichts Schlimmes!« antwortete Rothenburg auf die Frage des Königs nach ihrem Befinden. »Sie wird bald wieder erscheinen!«

»Was hat sie denn so aufgeregt?«

»Wohl weiter nichts als einer der üblichen Maskenscherze! Eine Mystifikation, der sie zum Opfer fiel!«

»Erkläre dich näher!«

»Wir standen im heiteren Gespräch mit ihr und belustigten uns über die grotesken Krummsprünge der Masken. Da trat ein Domino an sie heran und bekomplimentierte sie im reinsten Italienisch für ihren schönen Schmuck! >Wären Sie aber auch vom Scheitel bis zur Sohle mit Brillanten bedeckt, Mademoiselle — so könnten Sie meine Blicke doch nicht blenden, daß ich nicht imstande wäre, Ihren allerschönsten Schmuck zu sehen, den Sie darunter verbergen!< — >Welchen Schmuck?< fragte sie. >Den einzigen, den Sie — in Fontainebleau als Venus trugen!<«

Friedrich lachte.

»Wir kennen die Geschichte jenes Leberfleckens! Unser braver Chambrier versäumt es niemals, uns von derartigen weltbewegenden Begebenheiten zu berichten!«

[352]

»Ein Schönheitspflästerchen war's nur! Parole d'honneur!« rief Rothenburg schnell!

»Du wirst es am Ende wissen!« antwortete Friedrich ruhig. »Und sie — wie nahm sie jene delikate Anspielung auf?«

»Sie blickte den Fremden stechend an. — >Die Stimme kenne ich!< rief sie, >wer sind Sie?< — >Wenn Mademoiselle mir die Ehre eines Tanzes geben wollen, werden Sie's wissen!< lachte er. Kurz entschlossen nahm sie seine Hand. Das Weitere haben Eure Majestät gesehen!«

»Wir werden bald zur Demaskierung blasen lassen«, sagte der König. »Dann wird sich das Geheimnis aufklären. Geh zu ihr, sag ihr das von mir. Und auch, daß ich sie bitten lasse, nach dem Ball mit mir zu soupieren!«

Rothenburg ging, und der König begab sich nach seiner Loge.

Im kleinen Salon erwarteten ihn Keyserlingk und sein Gefangener, immer noch maskiert. Friedrich legte Maske und Domino ab und nahm in dem Sofa Platz.

»Wir haben Sie kommen lassen, um Sie zu bitten, uns aufzuklären«, sagte er, sich an die Maske wendend: »Wir bekomplimentieren Sie übrigens! Sie tanzen ganz ausgezeichnet! Und — noch mehr — Sie verstehen es exzellent, Ihre Partnerin in den Rausch der Rhythmen zu versetzen, ohne den der Tanz kein Tanz ist!«

»Eure Majestät überschätzen meine Wenigkeit! Die Signorina Barberina ist eine der ersten Künstlerinnen unserer Zeit!«

»Ohne Zweifel! Sie hat viel Charme, eine unnachahmliche Grazie, viel Kunstfertigkeit — das geben wir zu! Ihr Tanz hat aber etwas Kaltes, Kühles, Überlegenes — in jeder Beziehung vollendet, aber stets ihrem Willen untertan! So eruptiv — so in Ekstase sahen wir sie — seit ihrem ersten Auftreten nicht!«

»Majestät — wenn's so ist, dann muß auch ich selbst [353] annehmen, einigen Einfluß auf sie ausgeübt zu haben! Ich war selbst in Ekstase — war selbst von ihr berauscht!«

»Ich kenne wenige, die das nicht wären«, sagte der König langsam, »aber keinen einzigen, dem es gelungen wäre, sie aus ihrer Reserve herauszuholen! Wie haben Sie das bewirkt?«

»Die Erklärung ist nur bei ihr zu finden! Sie ist eine Frau im vollsten Sinne des Wortes! Und eine Frau — wenn sie wirklich eine ist — öffnet ihre Seele nur dem einen Auserwählten, der von der Natur für sie bestimmt ist!«

»Wenn sie eine Frau ist?«

»Ja. Ehe sie aber eine wird und vollbewußt als Frau empfindet — dann vielleicht öffnet sich die Knospe ihrer Seele dem ersten, der es versteht, sie mit der Wärme des Lebens anzuhauchen!«

Friedrich schwieg. Einen Augenblick hielt er die Hand vor die Augen.

»Pygmalion!« flüsterte er leise vor sich hin. »Am Ende habe ich da den Pygmalion gefunden, der imstande wäre, meiner steinernen Galathée Leben einzuhauchen!«

Er blickte rasch auf.

»Wir sind weit entfernt«, sagte er, »die Gesetze des Mummenschanzes aufheben zu wollen, obwohl wir uns in unserem eigenen Hause befinden. Noch ist die Demaskierung nicht geboten! Wenn es Ihnen gefällt, bitten wir Sie jedoch, die Maske abzunehmen!«

Der Fremde gehorchte, und Friedrich blickte in ein unbekanntes Gesicht. Er stand auf.

»Wer sind Sie? Ihr Name?«

»Fossano!«

Friedrich blieb vor ihm stehen und blickte ihn scharf an.

»Unser Gesandter in London hat uns den Namen genannt! Sind Sie jener Chevalier Fossano — jener Spielbankhalter — jener ehemalige Tänzer, der uns seine Dienste angeboten hat, nur um uns an der Nase herumzuführen?! [354] Sie haben noch die Dreistigkeit, uns unter die Augen zu treten?!«

»Ich bitte Eure Majestät, Gnade walten zu lassen! Jener Brief schien mir zu kostbar, um ihn in eine dritte Hand zu geben! Ich bin gekommen, um ihn selbst Eurer Majestät zu Füßen zu legen!«

Er zog ein zusammengefaltenes Billett hervor.

»Geben Sie her!«

Fossano überreichte den Brief. Friedrich öffnete ihn und erkannte die Handschrift des Grafen Brühl.

»Très bien!« sagte er. »Es ist vielleicht besser so! Geben Sie Ihre Wohnung an! Mein Schatzmeister wird Ihnen eine angemessene Belohnung auszahlen!«

»Ich danke alleruntertänigst für die große Gnade! Ich muß es aber ablehnen, Geld anzunehmen für etwas, was ich aus Ergebenheit für Eure Majestät getan habe!«

Friedrich blickte ihn an.

»Eh bien!« sagte er kurz. »Wir lassen uns aber nichts schenken! Wenn Sie nicht Geld wollen — so bitten Sie sich eine andere Gnade aus!«

»So bitte ich alleruntertänigst darum, an der Oper in Berlin tanzen zu dürfen!«

Friedrich lachte kurz auf.

»Wir glauben schon«, sagte er, »daß Sie in unserem Corps de ballet Ihren Mann stellen würden! Wenn Sie aber auch die Gabe haben, die Tänzerinnen derartig in Aufregung zu versetzen, wie wir es heute gesehen haben, so sind wir nicht sicher, daß die Damen nicht plötzlich fahnenflüchtig werden! Und das wollen wir vermeiden! Nach Ihrer eigenen Erklärung des soeben Geschehenen müssen wir annehmen, daß Sie im Leben der Dame Barberina entweder die Rolle des >Auserwählten<, wie Sie sagen — oder die des >Ersten< gespielt haben. Und auch, daß Ihre Rolle in diesem Sinne beendigt ist! Denn sonst — wenn es ihr angenehm wäre, wären Sie wohl längst hier?«

[355]

»Eure Majestät haben nicht so unrecht!«

»Wollen Sie uns also über jene Beziehungen näher aufklären?«

»Gern!«

Und Fossano erzählte, wie er sie gefunden und unterrichtet, wie er sie in die Welt eingeführt hatte — er erzählte von Psyche, Hebe, Venus und all den anderen Etappen ihrer Karriere. Und Friedrich, in die Ecke seines Sofas zurückgelehnt, lauschte gespannt, und lachte nur dann und wann kurz vor sich hin.

»Eh bien!« sagte er dann, als Fossano geendet hatte. »Sie sind das, was wir suchen! Wir wollen Sie engagieren — aber für die Oper in Dresden!«

Fossano blickte ihn erstaunt an.

»Gehen Sie nach Dresden, melden Sie sich beim schwedischen Gesandten am dortigen Hofe, Wulffenstjerna! Wir wollen ihn benachrichtigen. Er wird das Weitere veranlassen! Suchen Sie das Vertrauen Brühls zu gewinnen, schimpfen Sie auf uns! Wir pardonieren Sie im voraus — nehmen Sie nur kein Blatt vor den Mund! Wenn Sie sich als der verschmähte Geliebte Barberinas ausgeben, wird er Ihnen Glauben schenken! Spielen Sie Ihre Rolle gut. Bedienen Sie uns mit Fleiß. Wir wollen alles wissen. Halten Sie sich dann bereit, hier an unserer Oper zu tanzen, wenn wir Sie rufen lassen! Aber kein Wort davon im voraus! Ihr Auftreten hier behalten wir uns vor — als Surprise!«

Fossano verbeugte sich.

»Ich stehe Euer Majestät zu Diensten und werde mich bemühen, das in mich gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen!«

»Wir glauben es! Reisen Sie also morgen früh nach Dresden. Zeigen Sie sich heute nicht mehr auf dem Ball!« Er lachte kurz auf. »Apropos!« sagte er. »Da Sie doch nach Hause gehen, brauchen Sie Ihren Domino nicht mehr! Sie können ihn hier lassen!«

[356]

Fossano blickte Friedrich verständnisvoll lächelnd an, legte dann Domino und Maske auf das Sofa, küßte ehrerbietig die ihm gnädigst gereichte Hand des Königs, empfahl sich und ging.

Draußen im Saal wogte das Treiben der Masken hin und her. Der Trubel hatte seinen Höhepunkt erreicht.

Da auf einmal schmetterten die Trompeten eine Fanfare, die Masken drängten sich nach der königlichen Loge, vor der sie sich in einem Halbzirkel aufstellten.

Allen voran, am Arm des Grafen Rothenburg und von unzähligen Verehrern umschwärmt, die Barberina.

An der Brüstung der königlichen Loge erschien Friedrich, unmaskiert — an seiner Seite jener schwarze Domino, der mit Barberina getanzt hatte.

Auf einen Wink des Königs schmetterten die Trompeten noch einmal, und sämtliche Masken fielen — auch die des schwarzen Dominos an seiner Seite.

»Keyserlingk!« rief die Barberina enttäuscht und blickte zu dem pausbäckigen, lebenslustigen Grafen hinauf, dessen Augen ihr lustig entgegenlachten. »Er war's? — Nicht möglich!«

Und sie wollte sich nicht davon überzeugen lassen, so viel Mühe Rothenburg sich auch gab, als er sie langsam durch das Gedränge führte, um sie nach dem Speisesaal des Königs zu begleiten, wo das Souper sie erwartete.

Friedrich aber war sehr aufgeräumt und gab Keyserlingk den Auftrag, schon am nächsten Tage seinem Freund Jordan zu berichten, die schwerste Schlacht in dem zu eröffnenden Feldzuge wäre bereits halb gewonnen!


21

Hohenzollernwetter in Berlin! Strahlender Sonnenschein, kalte, klare Winterluft mit Frostkristallen und Rauhreif über Baumstämmen und Ästen — einer der seltenen herrlichen Wintertage mit klarblauem Himmel [357] und rosig-goldenen Wolken, mit weißem Schnee auf gefrorenem Boden, glitzernden Fensterscheiben und hastendem Hin und Her von aufgeräumten, lustig der Kälte trotzenden, siegesfrohen Menschen, die ihre Freude austobten und vor Begeisterung aufjauchzten, weil sie endlich den schweren Alp los waren, der seit Beginn des nun über ein Jahr dauernden Krieges auf den Gemütern gelastet hatte.

Der Sieg war da! Und heute hielt er seinen feierlichen Einzug in Berlin.

Alles, was Leben und Atem hatte, jung und alt, drängte sich auf den »Linden« zusammen, um den Einzug des Hofes zu sehen und den Siegern von Hohenfriedberg und Soor zuzujubeln.

Pomphaft nahte der Zug in der Mitte der Straße vom Brandenburger Tor her, dessen beide Zollhäuser mit Fahnen und Girlanden von Tannengrün geschmückt waren.

Zuerst die Eskorte — Dragoner in glitzernden Kürassen auf prächtig aufgezäumten Pferden, die, wie heraldische Wappentiere aufgeputzt, stolz einherschritten und ihren heißen Atem mit Kraft in die kalte Luft bliesen, wo er gleich zu weißem Dunst wurde, der sich wollig weich seitwärts ringelte, den ganzen Zug von Rossen und Reitern mit einer einzigen, vorwärts gleitenden Wolke umschloß, aus der nur die Köpfe der Pferde, die bunt gestickten Schabracken und die darauf paradierenden Sieger emportauchten.

Hinter ihnen her die königlichen Karossen, mit Spitzenreitern und Läufern in prachtvollen Livreen — die Pferde mit bunten Troddeln und silberbeschlagenem Geschirr geschmückt —, hinter den von goldenem Schnitzwerk eingefaßten Spiegelscheiben gepuderte, diademgeschmückte Köpfe, am Wagentritt Pagen in großer Gala und auf dem Brett zwischen den hoch geschwungenen Wagenfedern goldbetreßte Lakaien in königlichen Livreen!

Dann ein Wald von mächtig wallenden Fahnen, deren [358] schwere, buntseidene Pracht sich majestätisch im Sonnenschein entfaltete und auf ihren Tüchern und Fahnenbändern, stolz flatternd, die Wappenzeichen der Besiegten zeigten — die Ehrenzeichen der österreichischen und sächsischen Regimenter, im heldenhaften Kampf erbeutet und jetzt als Trophäen vom Sieger in seine Residenz eingebracht.

Und hinter ihnen, zu Pferde, an der Spitze einer glänzenden Schar von Generalen und Obersten, die kleine, jugendlich schlanke Gestalt des Königs in seinem blauen Uniformrock mit den roten Aufschlägen, den Stern auf der Brust, den Dreimaster auf dem hocherhobenen Kopf, die wundervollen, tiefen Augen strahlend vor Siegesglück! Immer wieder mußte er, mit dem Degen salutierend, für die begeisterten Zurufe der Menge danken, die sich in Huldigungen nicht genug tun konnte und ihren jugendlichen Helden stürmisch feierte — ihren »alten Fritzen«, wie sie ihn schon mit dem ihm von seinen Kriegern beigelegten Ehrennamen liebkosend nannten.

Die Menge drängte sich dicht um sein Pferd — allen voran die Straßenjungen, die ihre Mützen in die Luft warfen! »Hoch!« und »Hurra!« und »Vivat, Fritze!« schrien sie und sangen die Melodie mit, die er selbst gemacht hatte — die die voranziehenden Trompeter in die Luft hinausschmetterten, und die fortan, für alle Zeiten, nach der schönsten Viktorie Fritzens benannt, die Preußen zum Siege führen sollte.

Hohenfriedberg — wundervolles Aufjauchzen jugendlichen Draufgängertums — Frühlingssieg altpreußischen Heldentums — unwiderstehliches Aufbäumen unbezwinglichen Kraftbewußtseins — unverwelklicher Ruhmeskranz aufgehender Sonne, in den kurzen Stunden eines herrlichen Hochsommermorgens glorreich errungen! — — Wem schwillt nicht die Brust, wem klopfen die Pulse nicht höher — wer wird nicht wieder jung bei den Gefühlen, die der bloße Klang deines stolzen Namens in [359] der Brust eines jeden Deutschen wachruft! — — Da knüpfte sich für immer der Sieg an Preußens Fahnen — da weihte der Herr der Schlachten Preußens Schwert zum steten unbeugsamen Kampf ums Dasein — da stählte sich die Manneskraft zum Machtbewußtsein — da keimte zuerst die Ahnung von der großen Aufgabe Preußens, zu einigen, zu reinigen, zu befreien — da hob sich zuerst das Banner im vollen Siegesglanz, das einst das ganze Deutschtum zum Siege führen sollte!

In Nacht und Nebel, in Demütigung und Niederlagen, in tiefster Bedrängnis fremden Knechttums — wo auch die Schicksalsschläge am schwersten fielen — tief im innersten Herzenswinkel bliebst du als unentreißbarer Besitz — als kostbares Juwel! Und wo die Töne deiner Jubelfanfaren schmetterten, da wallten wieder Siegesfahnen in den Lüften, und ihnen voran zog wieder der jugendliche Held, vorwärts zum Kampf, und der Wille zum Sieg war wieder wach, der Furor teutonischer Kraft unbezwingbar am Werke!

»Ich will meine Machtstellung behaupten oder untergehen und alles, selbst den Namen Preußen, mit ins Grab nehmen! — — Entweder ich werde keinen einzigen Mann nach Berlin zurückführen, oder wir werden Sieger sein!«

So schreibt nur, wer den festen Glauben an sein Glück und die Schwungkraft seines Genies hat, die Überlegenheit seiner Führung kennt und den unbeugsamen Mut seiner Krieger!

Der Sieg gab ihm recht.

Und als er da am schönen Novembertag an der Spitze seiner Helden in seines Reiches Hauptstadt einzog, wo er auch — »wie sich's schickte« — hatte »tedeumieren« lassen — da mochten seine Gedanken wieder zurückeilen zu dem schönen Junimorgen am Striegauer Wasser, wo der Feind, trotz dem glänzenden Patrouillenritt Zietens und der dadurch bewirkten Wiedervereinigung des Heeres des [360] Markgrafen Karl mit der Hauptarmee, ihn im Rückzug auf Breslau wähnte — wo die feindlichen Führer ruhig auf dem Galgenberge bei Hohenfriedberg tafelten und Fritz wie ein losbrechendes Gewitter auf sie niedersauste, sie mit einer noch in der Entwicklung begriffenen Schlachtordnung angriff — erst den rechten Flügel, dann das Zentrum, dann trotz schwierigen Flußübergängen im Kampfe auch den linken Flügel warf — wo der in den Annalen des Krieges einzig dastehende Ritt der Bayreuther Dragoner unter Keßler Dutzende von Bataillonen wie eine Windsbraut vor sich herfegte, zusammenhieb und jene stolzen Siegeszeichen erbeutete, die ihm jetzt unter den Klängen des Hohenfriedberger Marsches voranflatterten bis ans Zeughaus, wo die Ruhmeszeichen von Fehrbellin auf sie warteten!

Dort wurde Halt geboten, zur Parade angetreten und dann die Trophäen am König vorbei, und von ihm, dem Hofe und der Suite gefolgt, in den Ehrenhof eingebracht.

Vor den Fahnen nahmen die Generale und Obersten Aufstellung, allen voran der alte Fürst von Anhalt-Dessau und der bravouröse Reiterführer und Günstling des Königs, Winterfeldt.

In kurzen, kernigen Worten dankte ihnen Friedrich, wies auf die Bedeutung des Tages hin, an dem die Trophäen erbeutet wurden, und auf den glorreichen Frieden, der mutmaßlich bald daraus resultieren würde! Und bestimmte, in welchen Kirchen die Siegeszeichen aufgehängt werden sollten.

Dann empfing er die Gratulationen der fremden Gesandten, auch Englands, das sich jetzt als Friedensvermittler hervortat, nachdem es sich nach Kräften bemüht hatte, vorher den Brand zu schüren, um auch so im trüben fischen zu können.

Den Gesandten Schwedens, Rudenskjöld, dem er besonders zugetan war, zog er dann in ein Gespräch, das sich zum Erstaunen der Anwesenden sehr in die Länge zog [361] und, ohne Rücksicht auf Zeit und Ort und den wartenden Hof, immer eifriger und aufgeregter wurde.

Schließlich faßte ihn der König am Knopf seiner Weste und sagte so laut, daß alle es hören konnten:

»Die Kugel, die mich treffen soll, ist noch nicht gegossen! Er hat sich düpieren lassen! Und Sein Freund Wulffenstjerna auch!«

Er ließ ihn los, machte ein paar Schritte gegen das Gefolge, kehrte dann um und sagte noch halblaut zu Rudensköld:

»Ich will Ihm etwas sagen — aber es bleibt unter uns: der Kerl, vor dem Er mich warnt, tanzt heute im Ballett mit! Will Er in meinem Gefolge sein, so kann Er sich die Pirouetten meines Quasimörders aus nächster Nähe mit ansehen! Für die politischen Nachrichten, die Er mir gab, danke ich Ihm — wenn auch sie nicht sehr erfreulicher Natur waren!«

Darauf wandte er sich zu den Generalen.

»Messieurs!« sagte er laut. »Wir feiern hier Viktorien und gebärden uns, als wäre das Spiel schon gewonnen und weiter nichts zu tun, als die Friedenstraktate auszutauschen! Das ist ein Irrtum! Den Hauptschlag müssen wir noch führen, schnell und mit Wucht, sollen sich unsere Viktorien nicht in Niederlagen verwandeln! — Wir bitten Euer Liebden«, fuhr er fort, sich an den Fürsten von Anhalt-Dessau wendend, »uns sofort ins Schloß zu folgen, um mit uns und unserem Staatsminister die zu ergreifenden Maßnahmen zu beraten! Messieurs —!«

Und er lüftete den Hut und begab sich, von der nächsten Umgebung gefolgt, nach dem Schloß.

Die Generale und Würdenträger sahen sich an! — Die Mitteilungen, die der König vom schwedischen Gesandten empfangen hatte, waren also ernstester Natur! — Und äußerst dringlich — da er ganz gegen alle Gewohnheit eine Beratung zusammenberief! Er, der seine Pläne sonst [362] stets selbst in größter Verschlossenheit auszuarbeiten und sie niemand anzuvertrauen pflegte, ehe die Ausführung heranreifte!

Im Schlosse ließ Friedrich noch vor der Tafel die beiden Herren und auch den Generaladjutanten Winterfeldt in sein Arbeitszimmer bitten.

Zuerst trat der »Alte Dessauer« ein. Beim ersten Blick auf die alte, knorrige Kerngestalt sah Friedrich, was ihm bevorstand, und bereute fast, ihn gerufen zu haben.

Der eigenwilligste Mensch in der ganzen preußischen Armee — ein Querkopf und Rechthaber, auf langjährige Diensterfahrung pochend, auf alten, wohlerworbenen Kriegsruhm und unvergängliche Verdienste um die preußische Armee gestützt, neidisch auf die alles überstrahlende Glorie des Jüngeren und gekränkt durch — wie er fand — unverdiente Zurücksetzung!

Beim Vater des Königs von allmächtigem Einfluß, von Friedrich aber sofort beim Regierungsantritt auf den rein militärischen Dienst beschränkt und auch da kaltgestellt — das waren Erfahrungen, die seines Erachtens in keinem Verhältnis zu seinen langen und treuen Diensten standen und die den Groll immer noch wachhielten! Der Erste Schlesische Krieg wurde unternommen, ohne ihn um Rat zu fragen oder seine Erfahrung in Anspruch zu nehmen! Der zweite ebenso! Und erst, als es schief ging, wurde er berufen, um alles wieder einzurenken! Und jetzt wollte man gar seinen so lange verschmähten Rat haben! — Auf den Augenblick hatte er gewartet!

Er nahm stillschweigend den ihm gebotenen Sessel ein und wartete ohne ein Zeichen der Neugier ab, welche Mitteilungen der König ihm machen würde.

»Wir hätten Euer Liebden gern vergönnt, nach dem langen Feldzug Dero otium in Dessau zu pflegen! Noch vor Weihnachten werden wir aber Euer Durchlaucht Dienste wiederum in Anspruch nehmen müssen! Wir haben heute überraschend schlimme Kunde bekommen!«

[363]

Der alte Fürst räusperte sich, sagte aber nichts.

»Der schwedische Botschafter überbrachte uns heute Nachrichten — —«

Da hakte der Alte Dessauer ein.

»Nachrichten, Majestät, sind für gewöhnlich wie Spatzen! Sie flattern hin, und sie flattern her und machen ein groß Geschrei! Gelingt es aber, eine zu packen, so ist meistens nicht viel daran! Mir schien die Jagd nach solchem Wild immer wenig lohnend!«

Der König richtete sich auf und blickte den Redner scharf an.

»Wenn wir aber trotzdem Euer Liebden dahin informieren, daß Sachsen und Österreich im Begriff sind, uns meuchlings zu überfallen und ihre Armeen über Nacht auf Berlin marschieren lassen werden — —«

»So war das nicht ein Spatz, sondern eine fette Ente! Meines Wissens sind wir doch in Friedensverhandlungen mit den genannten Staaten und haben durch den Vertrag von Hannover seitens England die Zusicherung bekommen, es wollte seinen ganzen Einfluß auf die Verbündeten geltend machen, um einen baldigen Friedensschluß herbeizuführen!«

»Englands Einfluß ist gleich Null, seitdem der Prätendent, Karl Eduard, in Schottland einfiel und den König zwang, seine hannoverschen Truppen in England zu verwenden! Das wissen Euer Liebden ebensogut wie wir! Wir haben heute ganz bestimmte Kunde erhalten von dem Plan Brühls, die Armee des Prinzen von Lothringen durch Sachsen gehen zu lassen, um, mit der sächsischen Armee vereint, auf Berlin zu marschieren! Man ist so sicher, uns zu zerschmettern, daß man schon die Beute geteilt hat. Sachsen soll Magdeburg, Halberstadt und Halle mit Umgegend erhalten — Österreich Schlesien —«

»Ich wette meinen Fürstenhut gegen die Sturmhaube eines Kürassiers, daß das ein Ammenmärchen ist!«

Friedrich sah ihn scharf an.

[364]

»Wir glaubten unseren Feldmarschall — unseren lieben Vetter, des Fürsten von Anhalt-Dessau Durchlaucht, vor uns zu haben, zu ernster Beratung mit uns befohlen, und gekommen, um von uns ein Kommando zu empfangen! Euer Liebden aber scheinen zu glauben in die Zeiten des Tabakskollegiums zurückversetzt zu sein!«

Der Verweis wirkte. Der alte Herr wurde glutrot und zupfte heftig an seinem Schnurrbart.

In dem Augenblick trat Podewils ein, entnahm seiner Mappe einige Briefe und reichte sie dem König.

Der König entfaltete sie und gab sie dem Fürsten von Anhalt.

»Da haben Euer Liebden die Beweise! Aus den Briefen geht hervor, daß General Grünne bereits nach zwei Tagen mit seinem Korps zu Gera eintrifft, um bei Leipzig zu den Sachsen zu stoßen. Auch, daß die Sachsen bereits in der Lausitz Magazine errichten für die Armee des Prinzen von Lothringen. Alles, während man mit uns verhandelt, damit wir möglichst lange untätig bleiben!«

Der Fürst von Anhalt legte die Briefe wieder hin.

»Ich halte trotz dieser Briefe auch jetzt noch das Ganze nur für einen Schreckschuß, um die Verhandlungen günstig zu beeinflussen und von Eurer Majestät bessere Bedingungen zu erlangen! Man soll nicht leichtgläubig alles für bare Münze nehmen. Brühl fühlt sich beleidigt durch die scharfe Abfuhr, die ihm in dem Manifest Eurer Majestät zuteil wurde! Aber es wäre doch widernatürlich, wenn er — ein geborener Sachse — bloß aus Rachsucht und Übermut vier Armeen in Sachsen einziehen ließe und so das Land dem Untergang preisgäbe!«

»Podewils!« rief der König.

»Ich gestatte mir ganz gehorsamst, der Ansicht des Fürsten von Anhalt Durchlaucht beizupflichten!« beeilte sich Podewils einzuwerfen. »Graf Brühl ist nicht der Mann, ein so keckes Unternehmen ins Werk zu setzen!«

[365]

»Podewils denkt, alle anderen Minister müssen ebenso ängstlich sein wie er!« rief Friedrich ärgerlich. »Wir aber entnehmen dieser schönen Beratung die Lehre, uns nie wieder mit einer derartigen, gänzlich überflüssigen Aktion zu behelligen! Wir wollten Eure Ansichten hören über die Maßnahmen, die jetzt so schnell wie möglich ergriffen werden sollen, um dem Unheil zuvorzukommen! Und müssen uns von langen und unnützen Erörterungen aufhalten lassen, ob die Tatsachen, die wir bereits als solche anerkannt haben, auch wirklich wahr sind! Das war unser Wunsch nicht! Wir schließen solche Beratung auf der Stelle und verordnen und befehlen: Er, Podewils, soll sofort Depeschen an die auswärtigen Höfe abfertigen, worinnen die Anschläge Sachsens und unser Entschluß, denen zuvorzukommen, mitgeteilt werden. Des Fürsten von Anhalt-Dessau Durchlaucht befehlen wir, das Kommando über unser bei Halle zusammengezogenes Heer zu übernehmen! Noch heute reisen Eure Durchlaucht ab, um für dessen Unterhalt Sorge zu tragen und sofort gegen Leipzig und Torgau zu operieren. Winterfeldt kehrt unverzüglich zur schlesischen Armee zurück, die sich an der Grenze der Lausitz zusammenzieht und bereit hält! — Wir selbst nehmen dort den Oberbefehl! Hat Er noch etwas da?« wandte er sich an Podewils, der noch in seiner Mappe kramte.

»Eine Mitteilung des russischen Gesandten: die Kaiserin, seine erhabene Souveränin, ließe die Hoffnung aussprechen, Eure Majestät wollten davon Abstand nehmen, Sachsen anzugreifen — weil ihre Allianz mit dem König von Polen sie verpflichte, für diesen Fall Hilfstruppen zu senden!«

»Das soll sie ruhig tun!« rief Friedrich. »Ihrer Majestät ist zu erwidern, wir wollten gern mit allen Nachbarn in Frieden leben! Wenn wir aber angegriffen werden, wie jetzt, soll uns keine Macht auf Erden — auch nicht die ihrer russischen Majestät — hindern, uns zu verteidigen [366] und unsere Feinde zusammenzuhauen! Messieurs, Ihr habt Eure Ordres!«

Er lüftete seinen Hut. Der Fürst von Anhalt und der General von Winterfeldt salutierten militärisch und gingen. Podewils sammelte seine Papiere und folgte ihnen.

Friedrich rief den Kammerdiener, fragte, ob der Intendant der Oper draußen warte, und befahl, ihn hereinzuführen.

»Wir haben«, rief er, als der Baron Sweerts eintrat, »heute eine Surprise für die Barberina bereit — Er muß uns damit helfen! — Sie ist als Galathée langweilig! Wir haben daher einen neuen Partner für sie kommen lassen, der den Lany als Pygmalion remplacieren soll — den berühmten italienischen Tänzer Fossano! Er ist heute aus Dresden angekommen und befindet sich im Hause des schwedischen Gesandten Rudenskjöld, bereit, uns zu Diensten zu sein. Nebenbei hat er den Auftrag, uns zu ermorden«, setzte er geheimnisvoll flüsternd hinzu. »Erschrecke Er nicht und verrate er dies große Geheimnis niemand — am allerwenigsten der Polizei, damit uns wirklich kein Unheil passiert! — Stelle Er nur — Scherzes halber — rechts und links von der Bühne je einen sergeant d'armes hin! Die sollen auf ihn achtgeben! Aber keinen Ton davon verraten, daß er tanzen wird, lieber Sweerts! — Lany darf, bei Strafe meiner Ungnade, nichts sagen! — Der neue Tänzer wird ohne Aufhebens ins Theater geführt und in seiner Rolle instruiert! — Barberina vor allem darf nichts ahnen! Höre Er — bei seinem Kopf — ehe sie als Statue dasteht, darf sie von dem Tausch nichts wissen! Der Coup darf nicht mißlingen! Wir freuen uns schon auf ihr Erwachen! Gehe Er, lieber Sweerts, besorge Er mir das prompt, und Er kann auf meine Gewogenheit rechnen!«

Der Intendant ging, und der König befahl, das Diner servieren zu lassen.

[367]

»Ich zwinge die Canaille noch!« sagte er halblaut auf dem Wege nach dem Speisesaal. »Ich reiße ihr durch den Coup die Maske vom Gesicht! — Ihre Seele will ich nackt und unverhüllt vor mir sehen! Ich will wissen, wer sie ist! Dann vielleicht revidieren wir noch unsere Ansichten über die Damens!«

Er lachte laut auf bei dem Gedanken daran, daß Brühl, ahnungslos, gerade seinen eigenen Spion als Spion gegen ihn engagiert und hergesandt hatte! Und gar noch — als Werkzeug seiner persönlichen Rache!

»Zu plump!« sagte er halblaut und ging in der Erinnerung noch die Erzählung Rudenskjölds durch. Bei der Spielpartie im Hause Brühls, unter der Nachwirkung eines lukullischen Diners, hatte Brühl mit seinem überlegenen diplomatischen Geschick glänzen wollen und seinem Freunde, dem schwedischen Gesandten, gegenüber einige Äußerungen von dem geplanten Überfall auf Preußen fallen lassen — auch von den vielen — glücklichen oder unglücklichen — Zufällen, die die Geschicke der Völker über Nacht verändern könnten — wie zum Beispiel neulich das am Anfang des Jahres erfolgte Hinscheiden des Kaisers! — —»Auch andere Potentaten sind sterblich!« hatte er hinzugefügt, rasch aber das Gespräch unterbrochen. Wulffenstjerna hatte sofort den Eindruck gehabt, daß etwas gegen die Person des Königs von Preußen geplant sei, und ließ die Bemerkung fallen, das plötzliche Verschwinden solch eines hervorragenden Fürsten, wie Friedrichs, wäre noch geeigneter, das Gesicht Europas gründlich zu verändern! Brühl hatte das Spiel unterbrochen, ihn lange angesehen und dann bedeutungsvoll gesagt:»Auch Schweden hätte seinen Vorteil davon, da es schon so viele Provinzen an Brandenburg verloren hat!« und Trumpf-As ausgespielt. Am folgenden Tage wäre dann Fossano bei Wulffenstjerna aufgetaucht, als sei er geschickt, und hätte ihm mitgeteilt, er wäre zum Gastspiel in der Berliner Oper befohlen! Der Graf Brühl [368] hätte ihm den Urlaub von der Dresdener Oper verschafft und ihm auch besondere Aufträge gegeben! Der schwedische Botschafter möge ihm nur auch in Berlin seine Protektion leihen und für seine Sicherheit sorgen! — Wulffenstjerna hatte getan, als verstünde er Halbausgesprochenes, und ihm Empfehlungen an den schwedischen Gesandten in Berlin mitgegeben und diesem noch im geheimen von seinem Verdacht geschrieben, mit der Bitte, den König zu warnen! — So weit Rudenskjölds Erzählung heute im Zeughause.

Friedrich blieb stehen.

»Wir selbst haben den Mann beauftragt, in Dresden so zu tun, als ob er uns wegen der Barberina tödlich hasse! Er wird seine Rolle gut gespielt haben, wenn er das Vertrauen Brühls dermaßen gewonnen hat! Wulffenstjerna hat sich auch von der Komödie düpieren lassen, obwohl er ihn selbst bei Brühl eingeführt hat! Brühl wird nicht so dumm sein, derartige Anschläge gegen uns zu versuchen!«

Er sann einen Augenblick nach.

»Als unser Spion hätte er selbst uns sofort Mitteilung von der Sache machen müssen! Er hat aber nichts gesagt! Entweder — und das wird wohl die Wahrheit sein — existiert kein Anschlag! Oder — er hat's übernommen, uns den Streich zu spielen, und schweigt deshalb! Aber warum? Geld bekommt er auch von uns! Sollte der Kerl uns die Ehre antun — auf uns jaloux zu sein?! — Nun — um so temperamentvoller wird er tanzen!«

Er trat in den Speisesaal, wo die befohlenen Gäste warteten, und aß und trank mit gutem Appetit, scherzte und war guter Laune wie immer, wenn sein Entschluß gefaßt war und er Großes vorhatte.

Am Abend saß er allein in seiner Loge in der Oper.

Er hätte viel darum gegeben, heute Jordan da zu haben, mit dem er so oft das Thema »Weib«, insbesondere [369] das Problem Barberina, diskutiert hatte. Aber Jordan war während des vergangenen Feldzuges plötzlich gestorben, Freund Keyserlingk war ihm einige Monate später in den Tod gefolgt! — Der jähe Verlust seiner beiden intimsten Jugendfreunde hatte Friedrich verschlossen gemacht. Unter all den anderen war niemand, der ihm so nahegekommen wäre, um tief in sein Innerstes hineinblicken zu dürfen! Keiner, der, wie die zwei, ihm helfen durfte, den Lebensrätseln, von der Geburt der ersten Idee an, nachzugehen und sie gestalten zu helfen! Das mußte er fortan allein tun! Und dazu war er geschaffen! Heute aber regte sich nochmals die Sehnsucht danach, ein anderes menschliches Wesen zu finden, eine Seele, der seinen gleich an Tiefe, Empfänglichkeit und fruchtbarer Triebkraft — regte sich zum letzten Male mit voller Gewalt! Die Welt würde er aus den Angeln heben können, wenn er das fände!

Der Vorhang hob sich.

Auf dem Postament in der Werkstatt Pygmalions erhob sich sein Meisterwerk, seine Galathée, im vollen Glanz jugendlicher Schönheit — in einer Anmut der Linien und einer Weichheit der Formengebung, wie sie in der Kunst nur ganz selten und im Leben kaum jemals — außer dieses eine Mal — gesehen wurde!

Bläulichgrünes Licht gab dem Körper die Färbung des Steins.

Pygmalion stand in seliger Verzückung vor seinem vollendeten Werk. Mit aller Inbrunst der Liebe hatte er daran geschaffen, seinen ganzen Drang, seine Sehnsucht nach Erhörung mitschaffen lassen, in dem holden Wahn, daß es ihm gelingen würde, der erschaffenen Gestalt noch den belebenden Funken einzuhauchen! Er zündet Räucherwerk an, opfert der Göttin Venus Rosen, fleht sie an, ihm Erhörung zu schenken und ein Wunder geschehen zu lassen.

Und das Wunder vollzieht sich. Auf rosigen Wolken [370] schwebt die Göttin der Liebe herab. Auf ein Zeichen ihrer Hand erhebt Amor die Fackel, schwingt sie über die Statue — der ganze Raum strahlt in goldig warmem Licht, das die steinerne Gestalt mit der Glut des Lebens überflutet — sie erhebt die Arme, öffnet die Augen, erblickt ihren Schöpfer — zieht, mechanisch, die herabgeglittene Hülle um den entblößten Leib, gleitet vom Postament und steht vor ihm, die Arme halb geöffnet, die Blicke erstaunt, fragend — das Lächeln voll der süßesten Verheißung, bereit, in seine Arme zu sinken, um für das empfangene Leben zu danken — —

So weit entwickelte sich das Drama folgerichtig wie immer! Da geschah das Unerwartete — das was Friedrich herbeiführen wollte — und versetzte den ganzen Zuschauerraum in die größte Aufregung!

Die Barberina hatte, wie immer, ihre Rolle mit dem äußersten Raffinement der Bewegung — aber ohne jede innere Teilnahme ausgeführt. Sie haßte diese Aufgabe! Sie hätte sie mit der ganzen Glut ihrer Seele lösen können! Aber ihr ganzes Empfinden lehnte sich dagegen auf, auf Befehl eines Mannes, und sei's eines Königs, Empfindungen darzustellen, die sie gern und freiwillig gegeben hätte, wenn er ihr mit Gleichem entgegengekommen wäre — statt sie, wie stets, durch eine fortgesetzte Kette von Demütigungen auf ein niedrigeres, ihm untergeordnetes Niveau hinabzudrücken!

Dazu kam ein Gegenspieler, der ihr widerwärtig war — trotz allem Glanz des Auftretens und aller Virtuosität des Könnens! Eine ganz äußerliche, eitle, von ihrer eigenen Vollkommenheit überaus eingenommene Natur — ihr auch als Mann zuwider!

Ekel und Abscheu war alles, was sie empfand, als sie auf dem Postament stand und er um sie herumhantierte, ihr seine Verliebtheit mit leeren Gesten und ausgedörrter Phantasie vormimte! Sie war froh, solange sie noch die Lider geschlossen halten konnte, denn sie wußte — [371] sobald sie sie auftäte, um ihn anzublicken, würde in ihr nichts mitsprechen! Ebenso leer und nichtssagend wie in ihm würde es in ihrem Innern aussehen, weil er ihr nicht die Wärme entgegenbrachte, die ihre Seele zum Mitschwingen geschwungen hätte!

Ein ebenso leeres Theater wie er würde sie denn auch machen und die Bestätigung des Mißlingens den kalten Blicken aus der königlichen Loge entnehmen können.

Heute, wie immer, empfand sie es so; sie tat auf das Stichwort ihre Augen auf, ihre Blicke irrten, suchend, ihrem Schöpfer entgegen und fanden statt Lany — Fossano!

Sie mußte sich Gewalt antun, um nicht laut aufzuschreien!

Ihr ganzes Leben, vom Augenblick ihrer ersten Begegnung mit ihm an bis jetzt, zog mit Blitzesschnelle durch ihr Gehirn!

Sie sah ihn vor sich, wie er ihr mit der Kunst feinster Menschlichkeit den Ausblick in das Höchste und Erstrebenswerteste öffnete — hörte noch die einschmeichelnden Worte, die betörenden Töne seiner Stimme, deren bloßer Klang sie in einen derartigen Rausch der ersten überschwenglichen Begeisterung versetzt hatte, daß ihre Seele, keusch und unberührt, sich zum erstenmal auftat, aber nur, um statt dem erhofften Himmelslicht — der Glut der Hölle Einlaß zu geben, die ihr alles Zarte, Duftige versengen und die Keime der höchsten Entwicklung verdorren machen sollte!

Der Spender des ersten Lebens — und dessen Räuber war er, der ihrem unberührten Sinn zuerst und für immer sein Siegel aufgedrückt und sie sich hörig gemacht hatte, daß sie keinen anderen — sei's dem Herzensgeliebten, sei's dem alles überragenden Genius des großen Königs — etwas anderes bedeuten konnte — als das, wozu dieser Mensch sie gemacht hatte!

Wäre er nicht gewesen; wäre einer von jenen ihr mit [372] derselben Macht genialen Schöpfertums genaht — wie anders hätte sich ihr Leben gestaltet — zu welchen Höhen hätte nicht ihr Genius an solcher Hand schreiten können!

Das alles stürmte auf sie ein, mit einer Gewalt, als müsse sie jäh zerspringen, und spiegelte sich in tausend schillernden Reflexen auf ihrem Antlitz wider. Entsetzen, Angst, Enttäuschung, Bitterkeit, Rachsucht und bodenloser Haß loderten ihm aus ihren Blicken entgegen, so daß er erschreckt wurde von jenem eruptiven Aufflammen der geknechteten Leidenschaft. Er wich zurück und sah sich nach einer Zuflucht um.

Einen Augenblick stand sie so entflammt, in voller Raserei, keuchend, die Hände gegen den Busen gepreßt! Dann stürzte sie mit erhobenen Händen auf ihn zu, wie um ihn in Stücke zu reißen — ein paar Schritte nur — und dann fiel sie wie vom Blitz getroffen nieder — und lag ihm leblos zu Füßen!

Starr vor Entsetzen stand er da, ohne zu begreifen, ohne eine Bewegung machen zu können, um ihr zu helfen.

Da stürzte aus der, der königlichen gegenübergelegenen Proszeniumsloge ein junger Mann auf die Bühne, nahm sie auf seine Arme und trug sie in die Kulisse hinaus!

Der Vorhang fiel rasch, die Musik hörte auf, ein aufgeregtes Stimmengewirr erhob sich im Zuschauerraum!

In seiner Loge saß Friedrich, in seinen Sessel zurückgelehnt, die Hand vor den Augen.

Er hatte alles gesehen, alles miterlebt — in den kurzen Minuten ein ganzes Menschenschicksal vor sich ablaufen sehen, und er wußte jetzt Bescheid!

Ein Weib nur wie die anderen — eine mehr, aber nicht das Weib! Sie hatte das Zeug dazu, wie wenige von all denen, die er gekannt hatte! Und weil sie es voll und ganz hatte — deshalb war sie ihm voll und ganz verlorengegangen! Denn der erste, der sich ihr genaht und sie mit dem Leben gerufen hatte, war der Unrechte [373] gewesen — der nicht für sie Bestimmte — aber von der gleich genialen Kraft, sie voll in Besitz zu nehmen! Und deshalb konnte sie nie einem anderen das sein, was sie ihm sonst hätte werden können — auch nicht dem Rechten — sei er Bettler oder König!

Er — der König — hatte sie heute zum vollen Bewußtsein ihres verlorenen Paradieses geweckt! Er hatte ihren Schöpfungsakt da fortgesetzt, wo sein Vorgänger, Fossano, aufgehört hatte! Der Haß, der gegen jenen so jäh zum Ausbruch gekommen war, würde beim Erwachen lebendig bleiben und sich gegen ihn richten, der ihr die letzte Hülle von der Seele gerissen hatte!

»Sie wird sich ärgern, den verhaßten Kerl vor sich zu sehen!« hatte er gedacht, als er ins Theater fuhr. »Taugt sie etwas, dann wird sie wohl fühlen, daß der Streich von mir kommt und dem Scherz mit gutem Humor begegnen! Sonst taugt sie eben nichts — und kann mir nichts sein!«

Sie taugte eben nichts! Das wußte er jetzt! Ihre Leidenschaft hatte ihn in ihrem gewaltsamen Aufbrausen frappiert! Aber etwas anderes als Haß würde sie ihm nicht entgegenbringen können!

Er ging in den kleinen Salon hinaus. Da erwartete ihn der Intendant, Baron Sweerts, um, falls es erwünscht wäre, die nötigen Aufklärungen zu geben.

Friedrich sah ihn kalt an.

»Die Geschichte haben wir jetzt satt! Es gelingt uns nicht, aus dieser Pantomime das herauszubekommen, was wir gewollt haben! Jedesmal kommt etwas anderes heraus! Die Dame fühlt ihre Ohnmacht der Aufgabe gegenüber! Das ist ihr auf die Nieren gegangen! Sie hat sich heute gar zu sehr alteriert! Wir entbinden sie davon, weiter in der Rolle aufzutreten, und befehlen, den Pygmalion vom Spielplan abzusetzen! — Apropos — Knobelsdorff braucht einige Panneaus für unser neues Haus! Schaffe Er den ganzen Appareil in das Atelier Pesnes! [374] Der kann uns die Geschichte malen! Die Dame soll ihm dafür posieren! Aufzutreten braucht sie dann nicht mehr als Galathée!«

Der Intendant verbeugte sich und fragte den König, ob er den fremden Tänzer zu sehen wünsche?

»Laß Er ihn kommen!«

Fossano wurde vorgelassen. Er war noch blaß von der Aufregung und außerstande zu sprechen, aber auch unfähig, sich die gebührende Selbstbeherrschung aufzuerlegen. Er begriff die Situation voll und ganz, und daß er nur das Werkzeug in der Hand eines größeren Meisters gewesen war. Sein Selbstgefühl bäumte sich auf; aus seinen Blicken loderte etwas wie Wut.

Friedrich sah es, schenkte dem aber keine Beachtung. Er wußte aber jetzt auch, woran er mit ihm — in jeder Beziehung war, und was zu geschehen hatte.

»Mein Kompliment, monsieur — Er hat seine Sache gut gemacht — fast zu gut! Die Galathées sind zerbrechliche Dinger und können's nicht vertragen, wenn das Leben zu ungestüm auf sie einstürmt! Da tut eine behutsame Hand not! Er hat aber einen schönen Eifer gezeigt! Auch in der anderen Aufgabe, die wir Ihm in Dresden gaben! Aber auch da viel zu gut! Wir befahlen Ihm, sich da als unser Feind aufzuspielen! — Sein Spiel hat andere verführt, hat aber — wie mir scheint — auch Ihn selbst zu sehr hingerissen! Da kann aus dem Spiel nur zu leicht Ernst werden! Und das wäre gefährlich — für Ihn! Wir wollen Ihn davor bewahren, wollen Ihn davor schützen — uns zu nahe zu kommen! Geh Er — warte Er draußen unsere weiteren Befehle ab!« Fossano verbeugte sich und ging.

»Der Mann ist sofort auf acht Tage nach Spandau zu senden!« sagte Friedrich dann zum Intendanten. »Direkt von der Oper aus! Wenn wir im Felde sind, zahle Er ihm dreihundert Taler aus und schicke ihn unter sicherer Bewachung über die Grenze!«

[375]

»Zu Befehl!«

»Wer war's, der die Dame Barberina von der Bühne trug?«

»Der Sohn des Großkanzlers, der Geheime Rat Cocceji!«

»Dem Geheimen Rat ist zu bedeuten, daß er sich in die Angelegenheiten unserer Oper nicht zu melieren hat! Auf unserer Bühne haben nur unsere Komödianten zu agieren, unsere Geheimen Räte nicht! — Gute Nacht, lieber Sweerts! Er braucht uns nicht an den Wagen zu geleiten!«


22

In seinem Schlafzimmer in Sanssouci saß der König am Schreibtisch. Er war allein. Die Morgenarbeit war beendigt, die Post erledigt, die täglichen Empfänge desgleichen.

Die Vorhänge des Alkovens hinter der Balustrade waren zugezogen. Durch die hohen, bis zum Fußboden reichenden Fenster fiel grell die Frühlingssonne und zeichnete die Konturen der Fensterrahmen auf den Teppich. Die Tür nach der Terrasse stand offen und ließ die Düfte der Gärten und das betäubende Vogelgezwitscher herein. Die Schritte des Wachtpostens draußen auf der Terrasse knarrten auf dem Kies, verloren sich in der Ferne und kamen wieder näher, mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks.

Auf dem Tisch vor dem König lag ein Brief, den er bei der Erledigung der Post weder geöffnet noch fortgeworfen hatte. Die Schrift war ihm wohlbekannt, der Inhalt sicherlich nicht geeignet, ihn in gute Laune zu versetzen. Er nahm ihn, drehte ihn um, besah wieder genau Schrift und Siegel und warf ihn wieder hin. Stand dann auf, pfiff den Hunden und ging in die nach Norden gelegene lange Bildergalerie, um das Modell eines Denkmals, [376] das er dem Andenken des »Alten Dessauers« errichten wollte, zu besichtigen.

Er ging ein paarmal hin und her durch den langen, schmalen Raum, besah sich einige neugekaufte französische Gemälde und die antiken Skulpturen, die er mit großen Kosten angeschafft hatte.

Schließlich blieb er vor dem Modell des Denkmals stehen, das man an einem Fenster aufgestellt hatte. Er schüttelte den Kopf.

Gut gemacht! — Aber der alte Trotzkopf war das nicht, dessen Widerborstigkeit ihm im letzten Kriege mehr Mühe gemacht hatte als die Österreicher und die Sachsen!

Er hatte seine liebe Not mit ihm gehabt!

War der alte Herr bei den Beratungen schwierig gewesen, so hatte er sich in der Ausführung der ihm gegebenen Ordres ebenso saumselig wie eigensinnig gezeigt. Er wollte alles besser wissen als sein junger Herr und Gebieter und gefährdete geradezu den ganzen Feldzug!

Da half nur eins: seine Eigenliebe in rücksichtslosester Weise zu kitzeln!

»Ich kann nicht leugnen«, hatte Friedrich ihm schreiben müssen, »daß ich gar übel von Ihro Durchlaucht Manövres zufrieden bin! Sie gehen so langsam, als wenn Sie sich vorgenommen hätten, mich aus meiner Avantage zu setzen. Weil diese Sachen ernsthaft sind, so rate ich Ihnen, solche mit mehr Vigeur zu tractieren, meine Ordres ponctueller zu executieren, sonsten ich mir gezwungen sehe, zu Extremitäten zu schreiten, die ich gern evitieren wollte!«

Das brachte den alten Haudegen ganz aus der Haut! Er zog vom Leder und hieb los, als gälte es, nicht nur die Sachsen, sondern auch Himmel und Hölle in die Pfanne zu hauen. In solcher Berserkerwut, wie er war, schien ihm nicht einmal der Herr der himmlischen Heerscharen geheuer! — »Besser, der hält sich neutral!« [377] dachte er und rief ihm vor Beginn der Schlacht laut die Parole zu: »Hilf mir heute — und tust du's nicht, so hilf auch nicht dem Feind, dem Schurken, sondern sieh zu, wie's kommt

Und dann schlug er seinen Schlag mit Wucht, erfocht bei Kesselsdorf den größten und schönsten Sieg seines Lebens und gewann seinem König den Feldzug!

Jetzt war er längst ins Jenseits alles Heldentums eingezogen und sollte für seine Heldentat sein Denkmal haben. Aber — und das hatte sich Fritz vorgenommen — auch für seinen Eigensinn!

»Der Bildhauer taugt nichts!« entschied Friedrich und kehrte dem Denkmal den Rücken. »Um den Querkopf richtig zu treffen, müßte er so viele Renkontres mit ihm gehabt haben wie wir!«

Er ging in das Schlafzimmer zurück, nahm den Brief vom Tisch und begab sich dann in die danebenliegende kreisrunde Bibliothek, setzte sich in das Sofa hinter dem Schreibtisch und ließ die Blicke durch das gegenüberliegende Fenster schweifen. Vom Fenster gerade hinaus streckte sich eine von Schlingpflanzen überwucherte Pergola mit einem durch die Sonne grell beleuchteten Rondell abschließend, dessen Mitte ein betender Knabe in Bronze einnahm.

Eine Weile saß der König da, die Ruhe und die absolute Stille genießend. Die endlose Perspektive, in die er hineinblickte, wirkte hypnotisierend auf ihn. Die hin und her wogenden Gedanken legten sich zur Ruhe. Der vom Sonnenschein beleuchtete dunkle Körper des bronzenen Adoranten mit den nach oben gerichteten Blicken und Händen zwang mechanisch auch das Sehnen und Trachten des Beschauers mit hinauf zur Quelle des Lebens! Licht, Klarheit, Wärme brauchte auch er — wie alles Lebende — und Anregung von außen, um den Geist geschmeidig zu erhalten und ihn fähig zu machen, selbst zu geben.

Er war aber allein. Von Freunden umgeben, die nur [378] von ihm empfingen, aber ihm wenig zu geben hatten, außer höfischer Schmeichelei und leerem Adorantentum! Der eine, der ihm an Geist gleichkam, an dem er deshalb mit begeisterter Hingabe hing, war nicht zu bewegen, zu ihm zu kommen! Eine Einladung nach der anderen hatte er an Voltaire geschickt. Aber dieser fand von seiner Egeria in Cirey nicht fort und verschob sein Kommen unter allerlei Ausreden. Er stellte auch Bedingungen materieller Natur, die Friedrich übrigens anstandslos bewilligte. Geld, Orden, Hofamt — alles wurde ihm zugesagt. Aber — er machte sich trotzdem rar und war unerschöpflich in Ausreden! So mußte auch die bevorstehende Niederkunft der Marquise du Châtelet zu dem Zweck herhalten.

Friedrich schrieb ihm: »Sie sind keine Hebamme, also kann die Marquise ihre Niederkunft ohne Sie abhalten!« — Und dann: »Wahrscheinlich befiehlt Ihnen Apollon, als Gott der Medizin bei der Niederkunft der Marquise zugegen zu sein.« Und: »Da Madame du Châtelet Bücher verfertigt, so wird sie aus Zerstreutheit niederkommen. Sagen Sie ihr, daß sie sich etwas beeilt, denn ich muß Sie bald sehen. Ich fühle, daß ich Ihrer sehr bedarf, und daß Sie mir großen Beistand leisten werden!«

Nichts half. Voltaire blieb, bis das große Ereignis, an dem er, nebenbei gesagt, keinerlei persönliche Schuld hatte, eingetreten war. Und als die Dame seines Herzens jäh daran starb, kam er wieder nicht, sondern richtete sich in Paris häuslich ein, nach der Gnade der Pompadour schielend und von ihrer Protektion mehr erhoffend als von der des Königs von Preußen.

Da griff Friedrich zu seiner alten, bewährten Methode, die er seinerzeit beim Alten Dessauer so erfolgreich erprobt hatte, und packte Voltaire bei der Eitelkeit!

Er sandte nicht ihm, sondern einem jungen, ihm von Voltaire als Sekretär empfohlenen Dichter eine Einladung nach Berlin, nebst einem Gedicht, worin er Voltaire als [379] die untergehende — ihn aber als eine aufgehende Sonne bezeichnete. Das half!

Voltaire, grün vor Eifersucht und Wut, machte endlich Ernst. Heute war ein Brief von ihm eingegangen, worin er seine Bereitwilligkeit aussprach, sofort nach Potsdam zu kommen, wenn der König ihm noch viertausend Taler, die er unumgänglich zur Reise benötige, schicken wollte.

Friedrich hatte nichts anderes von ihm erwartet, konnte aber nicht umhin, ihn zu verspotten.

Er nahm den Gänsekiel und schrieb — wie sich's für einen Jünger Apolls gebührte — die Antwort in Versen:

»Für eine wunderschöne Jungfrau,
Die seine wilden Sinne reizte,
Verstand es Jupiter, mit Würde
Aus reicher Hand zu schenken!
Da regnet's Gold, das magisch wirkt

Auf dich soll auch ein goldner Regen strömen,
Wie einst auf Danae — — — —

Aber, da der Herr Mettra einen Wechsel in Versen zurückweisen könnte, so lasse ich einen förmlichen durch seinen Korrespondenten abgehen; derselbe wird mehr ausrichten als mein Geschwätz. Sie gleichen dem Horaz; Sie vereinen gern das Nützliche mit dem Angenehmen. Ich bin der Meinung, daß man das Vergnügen nicht hoch genug bezahlen kann, und ich glaube einen sehr vorteilhaften Handel zu schließen. Ich bezahle eine Mark Geist nach Verhältnis wie der Wechsel steigt.« Dies und noch mehr schrieb er, faltete den Brief zusammen und versiegelte ihn eigenhändig.

Dabei fiel ihm der am Morgen eingegangene, ungeöffnete Brief, der noch dalag, wieder in die Hand. Ungeduldig riß er ihn auf und entfaltete ihn.

[380]

Der Brief war unterzeichnet: »Barberina von Cocceji« und enthielt einen Appell an die Gnade und »die väterliche Güte« des Königs und die Bitte an ihn, befehlen zu wollen, daß alle Verfolgungen wegen ihrer Heirat eingestellt werden möchten. Nebenbei auch die Mitteilung, daß sie bald »den Staaten« Seiner Majestät einen Untertan zu schenken hoffte!

Der Brief stellte den vorläufigen Abschluß eines Romans dar, der mit der Vorstellung in der Oper angefangen hatte, wo der von seiner Leidenschaft hingerissene junge Cocceji auf die Bühne stürzte und die Ohnmächtige forttrug. — Ein Roman, der dem König viel Ärger und Verdruß einbrachte und ihm, da er nicht umhin konnte, tätig in ihn einzugreifen, auch die Erkenntnis gab, wo die Grenze seiner Macht lag.

Die Leidenschaft des jungen Cocceji war unbezwinglich. Ebenso der Eigensinn Barberinas, die sich vorgenommen hatte, in der Gesellschaft Berlins eine Rolle zu spielen, und, da sie nicht die Erste sein konnte, wenigstens an zweiter Stelle, als Schwiegertochter des Großkanzlers, glänzen wollte!

Der König hatte nichts unversucht gelassen, um die Heirat zu hintertreiben. Er entließ die »perfide und verführerische Kreatur« sofort ihres Dienstes und bedeutete ihr, daß sie wohl daran tun würde, seine Lande zu »quittieren«, da sie »durch ihre Conduite sich seiner Protektion ganz unwürdig gemacht« hätte! Um zu verhindern, daß der liebestolle junge Cocceji ihr außer Landes folgte, um sie zu heiraten, befahl Friedrich gleichzeitig dem Kommandanten von Berlin, den »gedachten jungen Cocceji« unter gute Aufsicht zu nehmen, um »seinen würdigen Eltern dergleichen Chagrin und seiner Familie sothane Prostitution« zu ersparen — ihn nötigenfalls zu arretieren und »wohlverwahrt zu halten, damit er nicht »echappieren« oder »einigen Connex« mit der Barberina haben könnte! Das sollte so lange dauern, bis der junge [381] Herr sein »ohnvernünftiges Betragen erkenne« oder sich der »ihm so sehr unanständigen Passion entschlagen« haben würde!

Ein wenig spielte wohl das Rachegefühl dem bevorzugten Nebenbuhler gegenüber mit sowie die Freude, dies Gefühl mit einem Schein von Recht, wegen der Rücksicht auf die»würdigen Eltern«, unter Zuhilfenahme der königlichen Gewalt befriedigen zu können.

Wer verliebt ist, ist nicht der Mann, darin ein »ohnvernünftiges Betragen« zu erkennen.

»Gedachter« junger Cocceji wurde also »gantz in der Stille« arretiert und weggebracht und mußte anderthalb Jahre als unfreiwilliger Gast auf einem der entlegensten königlichen Schlösser verbringen.

Als er endlich freikam, quittierte er für die königliche »Gastfreundschaft« dadurch, daß er Barberina, die inzwischen von einem längeren Ausflug nach England zurückgekehrt war, aufsuchte und sich sofort mit ihr trauen ließ.

Jetzt lag als Abschluß der jahrelangen Kampagne der Brief Barberinas da vor dem König auf dem Tische und teilte ihm die Tatsache mit, sowie, daß sein eifrigster und längster Feldzug auf dem amourösen Gebiet mit einer Niederlage geendigt hatte.

»Wird nicht beantwortet!« sagte er halblaut und warf den Brief hin. »Unterfängt sie sich, gegen meinen Willen zu tun, so wird eben der Generalfiskal scharf mit ihr verfahren!«

Er klingelte und befahl den Hoftresorier vorzulassen.

Fredersdorff kam. Der König übergab ihm den Brief an Voltaire.

»Sofort zu bestellen!« befahl er. »Du sollst ihm einen Wechsel über viertausend Taler senden! Der Herr de Voltaire tritt jetzo in unsere Dienste! Du sollst ihm aus unserer Privatschatulle ein Jahresgehalt von fünftausend Talern bereit halten! Er wird im Schlosse wohnen, freie [382] Tafel, Dienerschaft, Equipage und alles nötige haben! Das Patent als Kammerherr und Ritter des Ordens Pour le mérite nimmst du für ihn in Empfang! Er bekommt die Auszeichnungen erst, wenn er hier ist! — Folge mir in den Garten, da können wir das Weitere besprechen!«

Fredersdorff verbeugte sich schweigend, meldete dann, daß das Gemälde Pesnes, Pygmalion und Galathée darstellend, eingetroffen und im Musikzimmer aufgestellt wäre, um vom König besichtigt zu werden.

Friedrich machte eine ungeduldige Gebärde. Die Darstellung Pesnes der Pygmalionlegende mißfiel ihm ebensosehr wie deren Aufführung in der Oper! Immer wieder hatte er etwas daran auszusetzen gehabt. Immer wieder wanderte das Bild in das Atelier des Meisters zurück, wo es den größten Teil der Zeit verbrachte, die der Liebesroman Barberinas mit dem jungen Cocceji dauerte.

Jetzt war es wieder so weit, vom König besichtigt und dann refüsiert zu werden. Der Brief Barberinas genügte dem König aber für heute.

»Man soll uns mit jener perfiden Kreatur nicht mehr behelligen!« rief er unmutig.

»Befehlen Eure Majestät also, das Bild zu entfernen?«

Friedrich dachte einen Augenblick nach.

»Wegen Pesnes werden wir es wohl — nachher erst ansehen müssen! Er ist ein großer Künstler und hat uns treu gedient! Vor ihre Cochonnerien kann er nicht! — Vorerst wollen wir aber das schöne Frühlingswetter genießen!« Er ließ sich den Krückstock geben — den Hut hatte er stets auf — und, von Fredersdorff gefolgt und von den Windspielen umwedelt, trat er auf die Terrasse hinaus.

Die Hunde schnupperten und kläfften und schienen etwas Ungehöriges zu wittern. Der König gab nicht acht darauf, sondern ging langsam auf der Terrasse auf und [383] ab. Er vertiefte sich schließlich in den von modisch gestutzten Hecken und Bäumen beschatteten Garten und gab seinem getreuen Fredersdorff alle möglichen Verhaltungsmaßregeln wegen der Reise Voltaires und seines Empfanges.

Plötzlich blieb er stehen. An der Biegung des Weges vor ihm tauchte eine weibliche Gestalt auf, eine alte, dicke, auffallend ausgeputzte Matrone, die beim Anblick des Königs ein so tiefes Kompliment machte, daß sie halb in die Erde zu versinken schien.

»Ridicule!« rief Friedrich ungehalten und stieß wiederholt mit dem Krückstock auf die Erde. »Heute passiert es uns schon zum dritten Male! Sooft wir an Voltaire denken oder von ihm reden, muß uns das alte Weib über den Weg laufen! Man frage sie, wer sie ist, und warum sie in unseren Gärten marodiert!«

Fredersdorff ging zu der alten Frau hin und kehrte mit dem Bescheid zurück, es wäre die Mutter Barberinas, die Signora Campanini. Und sie bäte um die Gnade, den König sprechen zu dürfen.

Friedrich konnte die Alte nicht leiden. Sie war ihm widerwärtig, und er hatte sie nie der Ehre einer Ansprache gewürdigt. Jetzt war es ihm recht, an ihr seine Galle auszulassen. Er ging rasch auf sie zu, beachtete ihren Gruß nicht, stieß heftig mit dem Krückstock auf den Boden und rief ihr in ärgerlichem Ton zu:

»Sie hat ihre Tochter schlecht erzogen, Signora! Sie ist eine schlechte Mutter gewesen! Ihre Tochter ist eine ungehorsame und undankbare Kreatur! Unser Generalfiskal wird aber die renitente Canaille schon zur Räson zu bringen wissen!«

Die Alte stammelte eine demütige Bitte, er möge Gnade walten lassen und von rigourösen Maßnahmen Abstand nehmen.

»Was sie gefehlt hat, soll sie büßen!« sagte Friedrich kurz.

[384]

»Wenn sie auch das Unglück gehabt hat, Eure Majestät zu erzürnen«, sagte die Alte, die allmählich den Mut wiederfand, »ein strafwürdiges Verbrechen war es nicht, dem Gebot ihres Herzens zu folgen!«

»Ihre Tochter hat kein Herz! Sie ist lauter Koketterie und kalte Berechnung! Bei uns aber sind ihre Manövers mißlungen! Die Ehe mit dem Geheimen Rat Cocceji wird ihr weder Freude noch Ehren bringen — dafür wollen wir sorgen! Unerlaubte Ehen estimieren wir nicht!«

»Die Ehe ist in aller Ordnung geschlossen, Sire!«

»So wird sie auch in aller Ordnung gelöst werden! Wir dulden nicht, daß eine hergelaufene Person die Köpfe der jungen Leute verdreht, sie zu Ungehorsam gegen ihre Eltern verleitet und uns die ersten Familien des Landes prostituieret. Machen Sie sich darauf gefaßt, mitsamt Ihrer sauberen Tochter von unserer Polizei über die Grenze spedieret zu werden, falls Sie sich nicht bescheidet und gutwillig unsere Lande quittiert! Gehe Sie!«

Die Mama machte einen noch tieferen Knicks als vorher, ging aber nicht, sondern sagte mit siegesgewissem Grinsen:

»Meine Tochter hat ein großes Vermögen nach Preußen gebracht! In die Hunderttausende geht es! Wollen Eure Majestät verantworten, die schöne Summe Geldes außer Landes gehen zu lassen?«

»Wir wollen von dem Schürzengeld Ihrer Tochter nichts wissen!« rief Friedrich noch heftiger. »Gehe Sie sofort!«

Aber die Alte ging nicht. Die Gelegenheit, den König persönlich zu attackieren, kam nie wieder, und sie hatte noch einen Pfeil im Köcher.

»So wollen Eure Majestät auch nichts von Allerhöchst Dero eigenen Briefen an meine Tochter wissen?! Wenn man sie draußen in der Welt zu lesen bekommt und von dem strengen Gericht über sie wegen ihrer Liebe zu einem [385] anderen hört, so wird man sich schon den Vers darauf machen! Sie sind — in sicherem Gewahrsam!«

Friedrich blickte sie, wutentbrannt über solche Keckheit, an. Dann winkte er Fredersdorff.

»Man schaffe uns das Frauenzimmer aus den Augen«, rief er. »Wir haben hier kein Konventikelhaus für alte Weiber gebauet! Das sage Er mir dem Hofgärtner! Und daß er auf Wasser und Brot nach Spandau kommt, wenn er uns noch von denen losen Schürzen in die Gärten läßt!«

Worauf er ihr den Rücken drehte und wieder nach dem Schloß zurückging. Die Treppen der Terrassen waren aber viele und wurden trotz seiner Wut nicht weniger. Als er sie hinaufgestiegen war, war der Zorn verraucht. Und als er in sein Arbeitszimmer eintrat, lachte er über die Szene.

»Wir haben an Wichtigeres zu denken!« sagte er schließlich. »Mag die Dirne laufen! Sie soll ihren Willen haben! Viel Freude wird sie in der Ehe mit jenem Brausekopf nicht haben! Das mag ihr zur Strafe gereichen! Sie hat's selbst so gewollt!«

Er klingelte, ließ den Privatsekretär kommen, übergab ihm den Brief Barberinas und diktierte ihm einige Zeilen an den Generalfiskal, worin er »resolvierte« und ihm befahl, nicht weiter »wider gedachte Barberina zu agieren«, sondern die Sache »gäntzlich fallen zu lassen«!

Dagegen sollte der Fiskal herauszubringen suchen, wer der Geistliche gewesen war, der sich unterstanden hatte, die Liebenden zu kopulieren! Das wurde jetzt die Hauptsache.

Dem Pfaffen wollte Friedrich »recht scharf zu Halse gehen und à la rigeur« sein Verbrechen untersuchen! Denn er sei »intentionieret, denen Geistlichen nachdrücklich zu deklarieren«, daß sie, wenn sie sich unterfingen, »ohne vorherige Approbation« Leute heimlich zu kopulieren, [386] »auf Lebenszeit nach einer Festung gebracht und bei Wasser und Brot gehalten werden sollten«!

»Den Brief an den Generalfiskal überbringst du ihm persönlich und sagst ihm noch mündlich von uns: Er möge sehen, unsere Briefe an jene Person in seine Hände zu bekommen und ihr bedeuten, das sei die Bedingung, gegen die wir uns dahin resolvieret haben, Gnade vor Recht gehen zu lassen!«

Der Sekretär ging, um die Briefe auszufertigen. Der Kammerdiener trat ein und meldete, daß der Großkanzler von Cocceji draußen warte und dringend um Audienz bitten lasse.

»Laß ihn vor!« sagte Friedrich, der darauf gefaßt war, auch seine Suppliken in jener heiklen Angelegenheit anhören zu müssen.

»Haben wir uns damit inkommodieret, der Mutter der einen Partei den Kopf zu waschen, so müssen wir wohl — von Rechts wegen — dem Vater der anderen Partei dieselbe Gnade erweisen!«

Der Großkanzler trat ein, das Gesicht von unermeßlichem Gram durchfurcht, verbeugte sich tief und fing in ehrerbietiger und wohlgesetzter Rede sein häusliches Unglück zu bejammern an.

Friedrich hörte geduldig zu, ließ die Klage des alten Herrn über die Passion »seines unglücklichen Sohnes mit der berüchtigten Barberina« über sich ergehen, wegen deren»übler Conduite« der König, wie der Großkanzler sagte, ja selbst »Höchstdero Indignation« mit wohlverdient scharfen »Expressions« bereits verschiedentlich »bezeigt« hatte!

Er gab dem König zu bedenken, daß er es ihm nicht verübeln könne, wenn er seine durch den König »fundierte« Familie vor Schaden zu sichern bestrebt sei, da der König geruht hätte, ihn »zu hohen Ehrenämtern zu erheben«; und erbat sich die Erlaubnis, die Sache durch den »Weg Rechtens« auszumachen, um so die Ehe, die [387] ohne seine väterliche Erlaubnis geschlossen war, rückgängig zu machen, oder, wenn der König besondere Ursachen hätte, sein diesbezügliches Gesuch nicht zu deferieren, ihm wenigstens die Gnade zu erweisen, »jene Leute an einen anderen Ort zu versetzen«!

»Ich habe«, schloß er, »diesen Sohn alle Tage vor Augen, wenn ich in den Geheimbden Rat gehe, und kann ihn ohne Alteration nicht mehr ansehen. Eure Majestät werden nicht zugeben, daß ich meine grauen Haare mit Herzeleid in die Grube trage!«

Friedrich antwortete ihm nach kurzer Überlegung, daß er in eine Versetzung seines Sohnes einwillige, jedoch auf eine billige Art und so, daß er dabei weder verliere noch gewinne. Er betonte aber ausdrücklich, daß es nur aus »Faiblesse« gegen den Großkanzler geschehe! Denn sein Sohn hätte in königlichen Diensten nichts versehen und wäre also nicht zu bestrafen, da dessen »unbesonnene Heirat« eigentlich »den Dienst nicht affiziere«! Diesbezügliche Vorschläge könne ihm der Großkanzler selbst machen.

»Wir haben«, schloß der König, »zur Verhinderung jener Eheschließung bereits so viel getan, daß kein Mensch sagen kann, wir hätten unsere gewesene Liaison durch Einheiratung in eine hochangesehene Familie entschädigen und mit einem vornehmen Namen ausstatten wollen. Wenn wir aber noch weitergehen, würde man denken können, wir würdigten uns so weit herab, wegen einer hergelaufenen Tänzerin jaloux zu sein! Deshalb bleibt die Ehe, die ja recte geschlossen wurde, bestehen! Er wird sich wohl mit der Zeit darüber hinwegsetzen können! Sowohl Er wie wir haben an Wichtigeres zu denken! Das Leben hat uns andere und höhere Ziele gegeben, hinter denen unsere persönlichen Wünsche verschwinden müssen! Gehe Er, und sei Er unserer königlichen Gewogenheit gewiß, jetzo wie immer!«

Er reichte ihm die Hand. Der Großkanzler küßte sie [388] schweigend, verbeugte sich und entfernte sich, wie er gekommen war, in gemessener Würde.

Dann ging der König in das Musikzimmer hinaus und besichtigte das Gemälde Pesnes. Er blieb lange davor stehen.

»Das, was wir wollten, ist's immer noch nicht! Am Ende wollten wir etwas Verkehrtes! Wir ließen uns von einem unerfüllbaren Traum leiten! Die antike Legende stellte die Sache auf den Kopf! Die Tat Pygmalions war nichts als eine schöne Phantasmagorie! Das Leben macht's umgekehrt: Nicht der Stein wird zu Fleisch — das Fleisch wird zu Stein; so ist's gewesen, und so hat's Meister Pesne auch ganz richtig hingepinselt!« Er rief seinen Kammerdiener.

»Hänge Er mir die Mamsell an den Nagel!« befahl er. Und so schloß auch der Liebesroman Friedrichs des Großen — der letzte seines Lebens!

Er hatte andere und höhere Ziele als sein persönliches Glück. — Wie er aber in harter Arbeit mit eiserner Energie das ihm anvertraute Amt erfüllte und den Staat aufbaute, als dessen erster Diener er sich stets fühlte — wie er diesen Staat vergrößerte und dessen Großmachtstellung gegen den Ansturm einer ganzen Welt von Feinden verteidigte und ruhmvoll behauptete — seine Großtat, auf der die heutige Größe Deutschlands beruht, das gehört der Geschichte als heiligstes Vermächtnis an und hat im Roman keinen Platz!


[389]

Fünftes Buch
Virtuti Asylum


[391]

23

Die Ehe Barberinas war nicht glücklich, dauerte aber um so länger — trotz der häufigen Unregelmäßigkeiten, die sich der Herr Gemahl in puncto Treue gestattete. Man nahm es ja nicht so genau mit derartigen Dingen. Und die Hauptsache — die gesellschaftliche Position — hatte sie ja erreicht, wenn auch nur in der Provinz. Sie war da als Gattin des Regierungspräsidenten immerhin die erste Dame. Sie war an sich reich und insofern von ihrem Mann unabhängig; sie durfte sich auch den Luxus leisten, ein Schloß zu kaufen, wohin sie sich zur Erholung von den Strapazen der ehelichen Langeweile zurückziehen konnte.

Nach zwanzigjähriger Ehe unternahm sie einmal zur Kräftigung ihrer Gesundheit eine Reise nach den böhmischen Bädern.

In einem kleinen Ort wurde die Reise behufs Wechsels der Pferde unterbrochen. Sie benutzte die Zeit, einen Spaziergang zu unternehmen und sah sich dabei die Vorstellung einer Zigeunergesellschaft an.

Unter den Tänzerinnen, Taschenspielern und Jongleuren war einer, der durch sein sonderbares Benehmen auffiel. Ernst und schweigsam übte er sein Amt als Spaßmacher. Ohne eine Miene zu verziehen, parodierte er Tänzer und Tänzerinnen mit einer Gewandtheit, die seine Vorbilder in jeder Beziehung übertraf und auf eine weit über dem Durchschnitt stehende Kunstfertigkeit hindeutete, aber zugleich mit einem ans grotesk Schauerliche grenzenden Ernst, der den Späßen eine ans Herz greifende [392] Wehmütigkeit verlieh und Barberina aufs höchste erschütterte. Voll Mitleid entnahm sie ihrer Börse ein Goldstück und warf es ihm, als er vor ihr stand, in das Tamburin. Ein Zittern durchfuhr ihn, er flüsterte: »Mille grazie, signora« und machte seine eleganteste Verbeugung. Und — da erkannte sie — trotz der Schminke und der ganzen Verkommenheit — Fossano! Sie dachte an jene längst verflossene Zeit, wo sie, ein junges Mädchen, auf der Straße in Parma dem Tanz der Zigeunerin zugesehen hatte und er, der reiche, übermütige, vom Glück verwöhnte Künstler, ihre Gedanken und Wünsche erratend, ein Goldstück über ihre Schulter der Tänzerin in ihr Tamburin geworfen hatte! Und es blitzte in ihren Augen auf.

Durch jenes leicht hingeworfene Goldstück war sie damals seine Schuldnerin geworden. Das hatte die erste Verknüpfung ihres Schicksals mit dem seinen gegeben. Seitdem besaß er ein gewisses, wohlerworbenes Recht auf sie. Aber jetzt erst fiel es ihr ein, daß sie gerade durch jene Zahlung in seine Gewalt geraten war. Ohne daß sie noch er sich dessen bewußt waren, hatte er dadurch ihre Seele gekauft und war ihr Herr und Meister geworden!

Und nun hatte das Schicksal es so gefügt, daß sie es ihm ohne Absicht in der gleichen Weise hatte zurückzahlen können. Das letzte Band, das sie noch miteinander verknüpfte, war gerissen. — »Du bist es, Fossano?« sagte sie halblaut.

Er verbeugte sich schweigend. In seinen Blicken war aber etwas wie eine Bitte, seinem Elend die Larve nicht vom Gesicht zu reißen. Er schämte sich seiner Verkommenheit.

»Erinnerst du dich noch, wie du einst für mich in derselben Weise zahltest?«

Er nickte.

»Jetzt sind wir also quitt!« sagte sie, und um ihre Lippen zuckte es scharf.

Er seufzte und blieb noch vor ihr stehen. In diesem [393] Seufzer lag mehr als eine verschämte Bitte. Der Blick, mit dem er den Seufzer begleitete, gab ihm den Charakter einer Mahnung, die er nicht laut zu äußern wagte, aber die doch ihre Berechtigung zum Ausdruck brachte.

Sie verstand ihn wohl. Als er alles und sie nichts war, hatte er sich ihrer angenommen und ihr den Weg geebnet — aus Eigennutz oder nicht, aber er hatte es getan! Jetzt waren die Rollen vertauscht — sie auf der Höhe des Lebens und er in der Gosse. Jetzt war's an ihr, Schicksal zu spielen. Es war aber auch die Gelegenheit da, sich zu rächen, und sie ließ sie nicht ungenutzt vorübergehen. Hilflos, von Schmach bedeckt, stand er vor ihr, und sie rächte sich, indem sie ihm Hilfe schenkte — weniger aus gutem Herzen als aus der grausamen Lust, ihn wieder mit Füßen zu treten. Sie warf ihm noch ein Goldstück in das Tamburin.

»Das erste hat meine Schuld an dich getilgt«, sagte sie. »Dies Goldstück macht dich zu meinem Schuldner. Nimmst du es an, so bist du mir verpflichtet wie ich bis jetzt dir.«

Er nahm es.

»Signora befehlen?« fragte er unterwürfig.

»Unsere Kunst, die du mich heilig zu halten lehrtest, will ich nicht von dir durch die Gosse geschleift wissen«, sagte sie, und er zuckte unter ihren Worten wie unter einem Peitschenhieb zusammen. — »Ziehe die Bajazzotracht aus! Und wenn du umgekleidet bist, komm in das Gasthaus und hole dir meine Befehle, sofern du gedenkst, dich unter meine Botmäßigkeit zu begeben!« Sie winkte ihrer Begleiterin und ging.

Als er nach einer halben Stunde in seinen zerschlissenen Kleidern vor ihr erschien, das von Entbehrungen und vom jahrelangen Lotterleben durchfurchte Gesicht von Schminke und Malerei befreit, da stand ihr Entschluß fest.

Sie brauchte seine Lebensgeschichte seit der Zeit, da sie ihn das letztemal gesehen hatte, nicht in allen Einzelheiten [394] zu hören — ein paar Worte genügten, um ihr darzutun, wie er, als Spion geächtet, als Spieler verrufen, von Stufe zu Stufe gesunken war. Nachdem seine Ersparnisse verzehrt waren, hatte er sich den Zigeunern anschließen müssen, um da als Faktotum und Spaßmacher bei den Vorstellungen kümmerlich sein Leben zu fristen. An ein erneutes Hochkommen war bei ihm nicht zu denken. Selbständig würde er sich kaum einige Tage halten können, ohne zu verbummeln. Aber er konnte ihr nützlich werden. Er hatte ja Erziehung, Gewandtheit, Manieren, hatte Sprachkenntnisse und war mit dem Leben und den Menschen vertraut. Und vor allem: er kannte sie und würde ihr, wenn er wollte, ohne weiteres jeden Wunsch vom Gesicht ablesen können.

Barberina bot ihm an, ihr Haushofmeister zu werden und sie sofort auf der Reise zu begleiten. Und er nahm an, ohne mit den Wimpern zu zucken. Eine Börse, die sie ihm spendete, setzte ihn in die Lage, sich gleich mit dem nötigsten an Kleidung zu versehen und sich von den Zigeunern frei zu machen. Und so begleitete er sie auf der Reise und zurück nach ihrem Schlosse Barschau in Schlesien. Ein besonderes Vergnügen machte es ihr dabei, daß Friedrich ihn des Landes verwiesen hatte. Denn erstens war er so ganz von ihrer Gnade abhängig und sicher nur, solange sie sein Inkognito bewahrte! Außerdem konnte sie so dem König, wenn auch ohne dessen Wissen, ein Schnippchen schlagen! Jahraus, jahrein waltete Fossano also seines Amtes, ohne auch nur durch eine Miene zu zeigen, daß er früher andere Beziehungen zu ihr gehabt hatte — aufmerksam, korrekt und in strengster Beobachtung der übernommenen Pflichten.

Bis sie sich endlich, müde der schiefen Stellung, in die die Mätressenwirtschaft ihres Mannes sie gebracht hatte, entschloß, die Ehe, die schon lange kein Zusammenleben mehr gewesen war, nach achtunddreißigjähriger Dauer auch formell zu trennen.

[395]

Sie residierte, wie fast immer in den letzten Jahren, allein auf ihrem Schlosse Barschau, als die Nachricht von der endlich vollzogenen Scheidung, die ihr Rang und Namen auch ferner sicherte, bei ihr eintraf.

Sie ließ ihren Freunden und Bekannten unter dem schlesischen Adel einen Tag ansagen, an dem sie bereit wäre, Glückwunschbesuche zu empfangen.

Am frühen Morgen dieses Tages gratulierte ihr die gesamte Dienerschaft.

In feierlichem Aufzug zogen sie an ihr vorbei: Zofen, Kammerjungfern, Türsteher, Lakaien, Köche und Gärtner machten ihre tiefsten Reverenzen und brachten ihr Blumen aus dem Garten. Zuletzt der Haushofmeister, dem als einzigem die Gnade zuteil wurde, ihr die Hand zu küssen.

Er tat es mit vollendeter Eleganz, richtete sich dann in voller Würde auf, gab ein Zeichen, und die feierlich geschmückte Schar entfernte sich. Auf steifen Beinen trat er dann nochmals vor, nahm seiner Gebieterin die Blumen ab und begann sie in Vasen zu ordnen.

»Achtunddreißig Jahre ist es nun her«, sagte er dabei mehr für sich selbst. »Achtunddreißig Jahre! Und heute erst —« Er seufzte.

»Ja, heute erst —« wiederholte die Baronin, ebenfalls seufzend, aber auch sie vollendete den Satz nicht.

»Hja«, sagte der Hofmeister und steckte noch eine langstielige Rose in die Mitte des Buketts. »Das Glück der heiligen Ehe haben Madame reichlich genossen!«

Sie blickte ihn nicht an, sie kniff nur die dünnen Lippen zusammen und sagte kurz:

»Gut, daß es vorbei ist!«

»Es wäre besser schon vor zehn Jahren vorbei gewesen!«

»Meinst du?« »Mit Erlaubnis, ja! Madame haben viel Geduld gezeigt. [396] Viel zuviel für ein kurzes Menschenleben. Was nützt Madame jetzt noch die Freiheit?«

»Was hätte sein können, interessiert uns nicht. Was sein wird, ist wichtiger. Nun haben wir die Scheidung und sind eines unerträglichen Zustandes ledig!«

»Es ist aber nicht, was es hätte sein können«, sagte der Haushofmeister eigensinnig. »Vor Jahren, als der Präsident, Dero Gemahl, anfing, Madame offen seine Mißachtung zu zeigen und seine Mätresse in die Gesellschaft einführte und bevorzugte, da hätten Madame die Scheidung selbst beantragen müssen, statt abzuwarten, bis er es tat, um jene Dame ehelichen zu können. Dann hätte es wenigstens den Anschein gehabt, als wünsche Madame das Leben noch zu genießen — und nicht, wie jetzt, als sei Madame verstoßen!«

»Du bist dreist!« sagte die Baronin und stand auf. »Kümmere dich um das, was deines Amtes ist! Wir werden viel Gäste haben. Der ganze Adel wird sich jetzt wohl bei mir sehen lassen!«

»Ich fürchte, die werden ihre Glückwünsche lieber in Glogau bei der neuen Frau Präsidentin des gleichen Namens vorbringen! Madame werden nicht zu viele Gratulanten empfangen! Eine verstoßene Ehefrau ist den Leuten keiner Beachtung wert!«

Sie blickte ihn scharf an.

»Sie werden wohl nicht — wie du — übersehen, daß er der schuldige Teil war!«

»Sie werden Madame zum mindesten für mitschuldig halten. Und auch denken, daß Madame sich reichlich lange Zeit zur Überlegung gegönnt hätten, um Dero Einwilligung zur Scheidung zu geben!«

»Man verzichtet nicht vorschnell auf Rang und Einfluß — das werden sie alle wissen. Als Präsidentin von Cocceji war ich die erste Dame der Provinz — der ganze steifnackige Adel hatte sich mir zu beugen.«

Der Haushofmeister seufzte. — »Die erste Dame der [397] Provinz! Wenn ich das höre und bedenke, daß Madame die erste Dame des Königreichs hätten sein können — wenn —«

»Wenn?« wiederholte sie und nahm dabei eine Haltung an, die jeden anderen als Fossano sofort zum Schweigen gebracht hätte.

»Wenn Madame selbst gewollt hätten«, sagte er, ohne sich im geringsten einschüchtern zu lassen. »Wenn Madame geruht hätten, sich im entscheidenden Augenblicke etwas weniger gehen zu lassen!«

»Wer, wie du, in jenem entscheidenden Moment mitgeholfen hat, mich um die Besinnung zu bringen, sollte mir nicht auch noch das sagen! Du bist aber ein boshafter Mensch, voll Schadenfreude und Scheelsucht! Du bist ein Undankbarer! Du vergißt, daß ich dich aus dem Elend herausgezogen habe, in dem du versunken warst! Du schätzt es zu gering ein, daß ich dir zu einem ruhigen Alter verholfen habe!«

»Soll ich Madame so verstehen, daß ich mich durch meine Worte um meinen Posten in Dero Dienst gebracht hätte?« fragte der Alte, und es leuchtete unheimlich in seinen Augen auf.

»Das könnte so kommen, wenn du dich nicht in acht nimmst«, sagte sie hart und setzte sich an ihren Sekretär. »Geh jetzt und sorge dafür, daß alles bereit ist, wenn die Gäste kommen!«

»Zu Befehl!«

Der Haushofmeister stellte die Vase mit den Blumen vor ihr auf den Schreibtisch. Er blickte seine Gebieterin furchtlos an und nahm noch einmal das Wort:

»Auch auf die Gefahr hin, fortgejagt zu werden, werde ich meine Pflicht tun und Madame meine Meinung sagen, wenn es not tut!« Und hiermit machte er kehrt, ohne die Wirkung seiner Worte abzuwarten. Gerade und steifbeinig stelzte er hinaus. Sie blickte ihm erstaunt nach.

Seitdem sie ihn in Dienst genommen hatte, war dies [398] das erstemal, daß er sich etwas gegen sie herausnahm. Stets aufmerksam, zuvorkommend, wortkarg und pflichtbewußt durch die ganzen Jahre, dankbar für die ihm erwiesenen Wohltaten, hatte er sich streng innerhalb der Grenzen seines Amtes gehalten. Und heute kehrte er wieder den Lehrmeister heraus und sah sie mit jenem überlegenen spöttischen Blick an, der sie früher immer in Harnisch gebracht hatte. Und in seiner Stimme zitterte wieder jener verächtlich überlegene Ton des Meisters, der sich herabließ, seiner Schülerin eine Lektion zu geben!

Sie lachte laut auf! Ihr altes, steifbeiniges, verknöchertes Faktotum, schon fast abgestorben vor Entbehrungen und Gebresten des Alters, maßte sich an, wieder aufzuleben und noch einmal den eleganten, verwöhnten Weltmann und Menschenverächter herauszukehren! Das konnte noch sehr belustigend werden!

Sie ging zum Spiegel und blickte hinein. Ein volles, reifes Frauengesicht, in das die Jahre ihre Falten gegraben hatten — die Augen schwarz und stechend, die Figur mehr als üppig, nichts mehr von der übermütigen Tänzerin, die einer ganzen Welt ein Schnippchen geschlagen hatte. Eine große Dame, an Wohlleben, Behaglichkeit und Ruhe gewöhnt, und ohne Drang zu Abenteuern! Sie brauchte wahrlich weder Führung noch Schutz! Sie war frei, unabhängig, reich; und die Tage, die ihr noch beschieden waren, würde sie hier auf ihrem schönen Landschloß in vertrautem Verkehr mit lieb gewordenen Standesgenossen verleben!

Aber die Standesgenossen kamen nicht! Sie war mit der Ehescheidung aus ihrem Kreise getreten; der Kreis schloß sich wieder — um ihre Nachfolgerin, die ihren Namen und ihre Stellung geerbt hatte. Sie war jetzt draußen und wurde ignoriert. Das hatte sie nicht erwartet. Trotz ihrer Oberflächlichkeit hatte sie an die Echtheit der Gefühle geglaubt, die man ihr zeigte, und wurde jetzt bitter enttäuscht!

[399]

Sie ließ es sich aber nicht anmerken. Sie wahrte die Würde und behielt ihrer Umgebung gegenüber die Haltung. Nur den Hofmeister blickte sie ein paarmal fragend an, als er das Mittagessen servierte. Er aber tat, als merke er nichts, war korrekt bis in die Fingerspitzen, versah seinen Dienst und wartete, bis er gefragt wurde.

Lange brauchte er nicht zu warten.

»Du freust dich wohl?« sagte sie plötzlich und blickte von ihrem Teller auf. »Du freust dich wohl, weil du recht behalten hast?«

»Wie meinen Madame?«

»Sagtest du nicht heute früh, daß, nach deiner Meinung, meine Freunde es vorziehen würden, statt hier bei mir im Hause meines ehemaligen Mannes zu gratulieren?«

»Ja. Ich nahm an, sie würden nicht anders sein, als die Menschen meistens sind. Aber ich für meine Person gestatte mir keinesfalls, irgendwelche Meinung zu äußern — weder Freude noch Schadenfreude!«

»Ich schätze es, daß du dich auf deinem Platze hältst. Aber — wir kennen uns zu lange — der Anteil, den du früher an meinem Leben genommen hattest, war zu einschneidend, als daß ich an eine gänzliche Teilnahmslosigkeit denken könnte!«

»Der Anteil, den ich an Dero Leben zu nehmen die Ehre hatte, gehört der Erinnerung an und ist längst von dickem Staub bedeckt, so daß ich ihn nicht mehr ohne weiteres zu sehen vermag. Es wird Madame nicht anders gehen! Ein >Interesse< habe ich nur noch für meinen Dienst! Und zu meinem Dienst gehört es nicht, mich mit dem Abstauben der Nippes und Bijouterien aus Dero Vergangenheit zu befassen! — Wenn aber Madame es mir ausdrücklich befehlen, weigere ich mich nicht, behilflich zu sein, sie aus den Behältern von Dero Gedächtnis hervorsuchen zu helfen, wenn es auch Madame keine besondere Freude bereiten dürfte!«

[400]

»Du bist frech!« sagte Barberina gereizt. »Du nimmst dir einen Ton heraus, der deutlich zeigt, daß ich auch für dich von heute ab weiter nichts bin als die ehemalige Tänzerin Barberina!«

»Von heute erst?! Pardon, wenn ich da zu widersprechen wage! Das sind Madame von dem Augenblick an gewesen, als Madame den Geheimen Rat und jetzigen Regierungspräsidenten von Cocceji ehelichten! Da hörte die Barberina auf zu sein! Da war die Laufbahn ihres Gestirns unter den Horizont gesunken! Jetzt könnte es wieder emporsteigen!«

»Du meinst, daß ich jetzt noch die unterbrochene Laufbahn fortsetzen könnte? Du siehst das Silber, das sich schon in meine Haare schleicht, siehst, daß auch die Jugend längst eine Erinnerung ist — und redest noch von einem neuen Aufstieg meines Gestirns? Du nimmst dir heraus, mich zum besten zu halten!«

»Durchaus nicht! Ich bin so frei, der Ansicht zu sein, daß der Aufstieg zu dem glanzvollen Abschluß eines einzig dastehenden Schicksals jetzt zu beginnen hätte!«

»Wie meinst du das?«

Er schüttelte den Kopf.

»Meines Amtes ist es nicht, Schicksalsfragen zu enträtseln! Wenn Madame mir aber befehlen, das, was war, wieder ins rechte Licht zu rücken, damit Madame selbst sehen können, dann wollen Madame nur auf den betreffenden Gegenstand des hohen Erinnerns deuten! Und wenn ihn der Staub der Zeit zu dicht bedecken sollte, ich helfe gern, ihn zu entfernen!«

Barberina blickte die alte, dürre Gestalt an, die kerzengerade vor ihr stand, ohne einen anderen Ausdruck im Gesicht als den der gehorsamsten Pflichterfüllung, und zuckte mit den Schultern.

»Nun, so sag mir deine Meinung über die Rolle, die ich am Hofe des verstorbenen Königs hätte spielen können [401] — wenn ich es nicht verpaßt hätte!«

»Dieselbe Rolle wie überall und in jedem Abschnitt des Lebens! Madame tanzten um die Krone herum — und verschmähten es im rechten Augenblick, nach ihr zu greifen!«

Sie lächelte.

»Ich hätte das verpaßt?«

»Zu Befehl, ja!«

»Wann denn?«

»Eben das letztemal, als wir einander auf der Bühne gegenüberstanden als Pygmalion und Galathée!«

Sie stand auf, heftig bewegt.

»Du wagst es, mich daran zu erinnern?«

»Ich hatte den gnädigsten Befehl! Keinesfalls wollte ich die Rolle meiner Wenigkeit dabei in Erinnerung bringen!«

»Du hättest allen Anlaß, das zu vermeiden; denn du bist schuld an dem, was sich damals zutrug!«

»Schuld an seinem Schicksal kann der Mensch nur selbst haben. Hätten Madame bei jener Gelegenheit die Geistesgegenwart bewahrt — wer weiß, wie es dann gekommen wäre —«

»Wie denn, meinst du?«

»Ich meine, daß bei der Gelegenheit Madame der Krone so nahe waren wie nie wieder in Dero Leben. Sie schwebte dicht über Ihrem Haupte, aber Madame sahen es nicht, Madame empfanden nicht, daß der König nichts sehnlicher suchte als die selbstlose Hingabe eines anderen Menschen an sein Wollen. Er wollte immer nur seine große Sache und glaubte damals noch der schöpferisch empfangenden Liebe eines gleichempfindenden Menschen zu bedürfen — er wünschte sie zu gewinnen und neigte sehr zu der Annahme, sie bei Madame finden zu können. Er ahnte die Möglichkeit, erkannte aber auch die Unmöglichkeit, als Madame bei der entscheidenden Probe ihrem persönlichen Temperament die Zügel [402] ließen und alles andere darüber vergaßen. Ich sollte ihm helfen, Madame die Maske vom Gesicht zu reißen.«

»Ja, du warst stets bereit, mich bloßzustellen!«

»Wer das weiß und sich doch Blößen gibt, darf keinem als sich selber Vorwürfe machen! Ich hatte nicht die Macht, Zwang auszuüben, damals ebensowenig wie jetzt. Als aber die Maske fiel und das wahre Gesicht unverhült zur Schau trat — aber in leidenschaftlichster Aufwallung verzerrt —, da sah jener suchende Blick aus der königlichen Loge wohl, daß das, was er suchte, wirklich da, wo er's ahnte, zu finden gewesen wäre — wäre es nicht bereits verlorengegangen!«

»Durch wen?« fragte Barberina stechenden Blickes.

»Madame verzeihen, wenn ich mit einer Gegenfrage antworte. Wer bahnte Ihnen den Weg, wer führte Sie zu jenen Höhen, wo es die Gelegenheit gab, Großes zu leisten?«

»Wer verführte mich auf Abwege, solltest du lieber fragen!«

»Führen und verführen sind kaum auseinander zu halten! Es kommt darauf an, der Führung zu folgen und der Verführung zu widerstehn! Danach gestaltet sich der Weg des Lebens! — Madame ließen in jenem höchsten Moment von Dero Laufbahn sich wiederum zu sehr gehen, und das entschied! Das Spiel um die Krone war verloren! Was dann folgte, war ein eigenwilliges Einsargen des eigenen Lebens — ein jahrzehntelanges Modern bei lebendigem Leibe im Grabe der Ehe. Jetzt hat sich das Grab aufgetan. Madame sind wieder draußen.«

»Und was da draußen Wert hatte, ist tot! Wozu uns darüber aufhalten? Laß uns weitergehen!«

»Wohin befehlen Madame?«

»Finde du den Weg!«

»Immer noch?« sagte Fossano kopfschüttelnd. »Das Ziel soll sich der Mensch selbst stecken. Madame ließen [403] sich aber stets vom Zufall überraschen und von anderen führen!«

»Von anderen als von dir, meinst du wohl? Denn du wolltest stets die treibende Kraft sein und merktest nicht, daß du selbst dabei getrieben wurdest! Am meisten da, wo du glaubtest, am mächtigsten in mein Leben eingreifen zu können — in Paris! Leider aber gehen einem immer erst die Augen auf, wenn's zu spät ist.«

»Das ist der Lauf der Welt. Das schönste Porzellan bekommt bei unachtsamer Handhabung Sprünge! Man merkt's nicht gleich; man stellt es aus der Hand! Nachher, beim Abstauben, kommt der Schaden an den Tag, und man sieht, wie schön es hätte sein können — wenn es nicht kaputt gegangen wäre! — Paris hätte märchenhaft schön sein können! Madame hätten dort im Reiche der Grazie und der Schönheit aus dem vollen schöpfen können — Madame hätten geherrscht — —«

»Ohne >selbstlose Hingabe an das Wollen< eines Herrschers?«

»So war's! Madame hätten die Allgewalt gehabt — wenn sich Madame nicht voreilig meiner Führung entzogen hätten, um sich Leuten anzuvertrauen, deren Übereifer alles verdarb. Das gab dem Ganzen, das sich so märchenhaft zu gestalten begann, gleich zu Anfang einen Riß! Die Geschichte bekam einen Schönheitsflecken — die Krone Frankreichs glitt in andere Hände, die gierig danach griffen!

Und so war's bei jedem Königreich, das sich Madame auftat! Die Gelegenheit war stets da und war immer günstig — aber immer wurde sie verpaßt!«

»Auch in England?«

»In England hätten Madame unbeschränkt gebieten können, wären Madame nicht so naiv gewesen, gerade da Dero Herz die Hauptrolle spielen zu lassen. Das Herz Englands ist aber der Geldsack! Der regiert unumschränkt! Und der lag Madame schon offen zu Füßen!«

[404]

»Gottlob, daß ich meinem Herzen folgte und ihn liegenließ! So habe ich wenigstens etwas vom Leben gehabt!«

Der Haushofmeister seufzte.

»Madame haben viel vom Leben gehabt! Liebe, Haß, Ehren, Verleumdungen, Reichtum, Armut! Fast alles! Es bleibt nur noch — die Tugend!«

Sie blickte ihn groß an. »Du — sagst mir das?!«

»Ein anderer würde genau dasselbe sagen! Es ist ein eigen Ding um die Tugend! Man hat sie, man verliert sie— man gewinnt sie wieder!«

»Gewinnt sie wieder?! Das war mir neu!«

Sie lachte laut auf.

Er aber verzog keine Miene und verharrte in demselben trockenen, fast geschäftsmäßigen Ton.

»Das ist die Karriere!« sagte er. Und sie lachte noch toller.

»Es ist mein Ernst, Madame«, sagte er dann, ohne sich von ihrer Munterkeit anstecken zu lassen. »Nichts ist unwiederbringlich! Das Leben neigt sich immer wieder seinem Anfang zu, wenn es die Mittagshöhe überschritten hat, und da findet sich so manches verloren geglaubte Gut aufs neue am Wege!«

»Auch die Tugend?!«

»Die vor allem! Man findet sie — bei anderen und hütet die neuen Besitzer vor dem Schaden, den man selbst erlitt! Das ist die größte Tugend!«

»Du wirst mich noch fromm machen wollen!«

»Madame waren als Kind sehr zur Frömmigkeit geneigt. Das Alter pflegt sich gemäß der Kindheit zu gestalten. Das fügt sich ohne eigenes Zutun, noch das anderer Leute!«

»Gott sei Dank! Sonst müßte ich noch befürchten, daß du mich dazu bringen willst, ein Tugendasyl zu errichten!«

»Das Geld dazu hätten Madame! Und woher stammt es? Zweckmäßiger könnte es nicht verwendet werden als zur Verstopfung seiner Quellen!«

[405]

Sie stand auf.

»Du wirst dreist!« sagte sie und ging an ihren Schreibtisch. »Es ist aber gut, daß du mich an das Geld erinnerst; denn dafür muß noch beizeiten gesorgt werden.«

»Madame wollen es doch nicht Dero geschiedenem Gatten vermachen?«

»Weder habe ich Lust dazu, noch würde er es brauchen! Als herrenloses Gut will ich es aber auch nicht hinterlassen.«

»Würden Madame es dann nicht wenigstens so nutzbringend anlegen, daß Ihnen daraus noch bei Lebzeiten ein Vorteil erwachsen könnte?«

»Wie meinst du das?«

»Ich denke, Madame könnte es zu irgendeinem wohltätigen Zweck zur Verfügung stellen und daran Bedingungen knüpfen, die für Dero Person die Folge hätten, die ehemalige Tänzerin und die geschiedene Frau Präsidentin Cocceji vergessen zu machen, indem sie, in den Augen der Welt, nicht nur rehabilitiert, sondern sogar erhöht würde!«

»Du denkst an eine Standeserhöhung!«

»Ganz recht, und an eine damit verbundene Namensänderung!«

Sie überlegte es sich einen Augenblick.

»Und denkst du, der König könnte dazu seine Einwilligung geben?«

»Wenn das Gesuch in Beziehung zu Dero Vermögen gebracht und in ziemlicher Weise als gute Tat dargestellt wird, wird er es wohl tun!«

»Er kennt mich aber kaum noch!«

»Als Thronfolger hatte er reichlich Gelegenheit, Madame bewundern zu lernen. Bei Dero großen Verdiensten um die Majestät des verstorbenen Königs haben Madame auch wohl begründete Ansprüche, vom jetzigen König estimieret zu werden — wenn sich Madame, wie ich vorzuschlagen [406] die Ehre hatte, bei ihm in Erinnerung zu bringen verstehen!«

»Wie meinst du es?«

»Der König ist galant. Er gefällt sich in der Rolle eines Beschützers des schönen Geschlechts! Er wird infolgedessen auch als verschwenderisch angesehen! Geben ihm Madame die Gelegenheit, seine schützende Hand über Dero Haupt zu halten, aber so, daß er auch dem Ruf, er sei ein Verschwender, wirksam entgegentreten kann, indem er die Gelegenheit wahrnimmt, dem Staate das große Vermögen, über das Madame disponieret, zu erhalten, oder wenigstens zu verhindern, daß es außer Landes geht! Stellen wir es für irgendeinen vom König zu bestimmenden wohltätigen Zweck zur Verfügung!«

»Mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß es nicht, wie du anzudeuten die Dreistigkeit hattest, zur Errichtung eines Tugendasyls verwendet werde!« sagte Barberina energisch.

»Ich verstehe und würdige Madames Aversion, den ausgetretenen Weg alternder galanter Damen zu gehen«, sagte Fossano. »Wenn aber Madame jenen Wunsch zur Bedingung machen, müßten Madame es sich versagen, andere Bedingungen zu stellen, um nicht zu riskieren, als unbescheiden eine Zurückweisung zu erhalten!«

»An was für eine >andere< Bedingung denkst du?«

»An die hauptsächliche — an die Verbesserung von Dero gesellschaftlicher Stellung, damit Madame Dero früherem Bekanntenkreis gegenüber wieder den nötigen Rückhalt gewinnen!«

»Die Standeserhöhung also?«

»Eben das! Belieben Madame vom Könige nichts zu erbitten als die Erhebung zur Gräfin und das Prädikat Exzellenz, und im übrigen seiner Gnade die Verfügung über das Vermögen zu irgendeinem Seiner Majestät genehmen wohltätigen Zweck anheimzustellen!«

Sie sann ein wenig nach.

[407]

»Ich werde mir den Vorschlag überlegen«, sagte sie dann. »Nun geh! Ich bedarf für heute deiner Dienste nicht mehr!«

Fossano verbeugte sich und ging.

Barberina nahm ein Blatt Papier aus dem Schubfach ihres Sekretärs und schrieb, ohne viel nachzudenken, folgenden Brief:

»Sire!

Eine arme, alte Fremde, die das Glück hat, Eure Untertanin geworden zu sein, wirft sich zu Euren Füßen, Euch anzuflehen, mir in der Verlassenheit, in die mein Gatte mich gestoßen, die Gnade zu erteilen, einen anderen Namen tragen zu dürfen als den, welchen ich bis jetzt hatte. Ich wage es sogar, so kühn zu sein, Eure Majestät zu bitten, mir den Rang einer Gräfin verleihen zu wollen.

Da ich keine Kinder habe und meinem Leben wohl nur noch wenige Tage beschieden sind, hoffe ich, daß Eure Majestät meine untertänigste Bitte erfüllen werden. Mein Mann hat auf mein ganzes Vermögen verzichtet, so daß ich darüber disponieren kann, wie es mir gefällt. Da ich aber keine Verwandten in Italien habe, ist es meine Absicht, ein Institut für die Armen Schlesiens zu gründen, und ich würde glücklich sein, wenn dieser Plan Eurer Majestät wohlgefallen würde.

Ich bin in tiefster Ergebenheit, Sire, Eurer Majestät sehr untertänige und gehorsame Dienerin

Barberina de Cocceji.
   

Barschau, 6. August 1789.«

Sie las das Schreiben durch und verschloß es in ihrem Portefeuille.

Am folgenden Tage versiegelte sie es und übergab es Fossano mit dem Befehl, für die sofortige Beförderung zu sorgen.


[408]

24

Friedrich Wilhelm der Zweite sprach — und aus der Tänzerin Barberina wurde eine Gräfin Campanini. Das Prädikat »Hochwohlgeboren« wurde ihr ausdrücklich zugestanden, und die Stempelgebühren wurden ihr in Gnaden erlassen. Das Diplom bekam sie aber auf ausdrückliche Anordnung des Königs erst ausgeliefert, nachdem sie alles zur »vorgebenden Errichtung des Armen-Fräulein-Stifts Erforderliche völlig in Richtigkeit« hatte. Denn die Errichtung eines solchen Stiftes wurde ihr vom König zur Bedingung gemacht und von ihr widerspruchslos angenommen.

Der neugebackenen Gräfin wurde ein wunderschönes Wappen, »nur selbiges solange Sie lebt zu führen«, zugeteilt, mit grünen Myrtenkränzen, »italienisch quer geteiltem« Herzschild, goldenen Glocken mit Klöppeln, springenden Pferden, Kranichen mit Edelsteinen in den erhobenen Krallen, mit himmelblauer Farbe, Turnierhelmen und allerlei daran baumelnden Kleinodien und, was die Hauptsache war, einem am Wappenschild hängenden achteckigen Kreuz, zwischen dessen Spitzen vier schwarze schlesische Adler zu sehen waren, und daran in goldenen Lettern die Devise: »Virtuti Asylum«.

Friedrich Wilhelm wußte, was sich gehörte. Und nolens volens mußte also die Barberina auf ihre alten Tage den Weg alles sündigen Fleisches gehen und die Maske der Frömmigkeit anlegen. Sie wurde selbst die erste Äbtissin ihres »Schlesischen adeligen Fräuleinstiftes« und trug als solche auf ihrer Brust eine Nachbildung des an ihrem adeligen Wappen baumelnden Kreuzes, auf dem die Devise »Virtuti Asylum« von Brillanten umgeben prangte. Die Brillanten entnahm sie den von ihren Liebhabern ihr so reichlich gespendeten Schätzen und wurde dabei von ihrem dienstbeflissenen Haushofmeister und Begleiter [409] durch alle Wirrsale des Lebens, Fossano, getreulich beraten.

Bei dieser Gelegenheit hatte sie auch die Gnade, ihn mit dem Statut der Stiftung bekannt zu machen.

Er bekam also zu wissen, daß das Stift achtzehn adlige Fräulein, nicht unter sechzehn Jahre alt, und eine Superiorin, sämtliche aus dem schlesischen Adel, neun von römisch-katholischer und neun von protestantischer Religion, unterhalten sollte. Dazu wurden die sämtlichen Güter Barberinas hergegeben.

»Die Herrschaften, die die geschiedene Baronin Cocceji mieden, werden wohl nicht umhin können, den Weg zu der von der königlichen Gnade umstrahlten Äbtissin Gräfin Campanini zu finden«, sagte er gelassen. »Insofern hätten Madame ihr Ziel erreicht!«

Barberina blickte ihn über die Schulter an.

»Sie werden zu Kreuze kriechen, darin hast du recht. Sie werden nicht umhin können, einer Dame, in deren Obhut sie ihre Töchter geben, mit der gebührenden Auszeichnung zu behandeln!«

»Der Gedanke an das Schicksal ihrer Töchter wird ihnen dabei sicherlich nicht allzu lästig werden«, sagte Fossano.

»Meinst du?«

»Ich bin so frei. Wer die Führung seiner Kinder auf dem Pfade der Tugend und der guten Sitte fremden Händen anvertraut, denkt wohl an nicht viel mehr, als daß er selbst die Last und die Verantwortung los sein will. Um so größer ist die Verantwortung, die Madame auf sich nehmen!«

Sie sah ihn wieder scharf an. »Meinst du, ich wäre nicht imstande, diese Verantwortung zu tragen?«

»Oh«, beeilte er sich zu antworten, »vor dem Straucheln werden Madame die Fräulein besser als irgendeine bewahren können. Ich wüßte nicht, wo man ein größeres [410] Sachverständnis in dem, worum es sich hier handelt, finden könnte!«

Sie biß sich auf die Lippen, antwortete aber nicht. Kühn geworden, fuhr Fossano fort:

»Die Herrschaften werden keinesfalls nach so schwerwiegenden Gründen suchen, um wieder der Gastfreundschaft von Madame genießen zu können. Sind sie nach der Scheidung ausgeblieben, so geschah es, weil die Schicklichkeit es gebot. Die passende Gelegenheit, zurückzukehren und zu tun, als wäre gar keine Trübung der guten Beziehungen eingetreten, haben Madame den Leuten gegeben. Sie werden auch neugierig sein. Sie werden auf das Vergnügen nicht verzichten wollen, die ehemalige Tänzerin in der klösterlichen Tracht einer Äbtissin bewundern zu dürfen. Die Tracht wird Madame übrigens vorzüglich stehen!«

»Meinst du?«

»Ich bin so frei! Nur die Farbe gefällt mir nicht recht. Das Aschgrau erinnert zu sehr an Buße. Und was für ein Grund zur Buße liegt denn darin, daß man gelebt hat? Seine Majestät der König, der dem Leben huldigt, kann doch unmöglich — —«

»Ich selbst habe die Farbe gewählt!« sagte sie kurz. »Lassen wir das! Ich mache dich mit dem Statut nicht bekannt, um deine Ansicht zu hören, sondern nur, damit du deine Obliegenheiten kennenlernst!«

»Madame hatten also die Gnade, meiner Wenigkeit einen Platz in Dero Heiligtum einzuräumen?« fragte er einigermaßen überrascht.

»Der dir gebührende Platz im Rahmen des Ganzen ist vorgesehen. Dessen sei gewiß. Du wirst es gleich sehen. Erst aber höre, was die Statuten im wesentlichen weiter bestimmen, damit du siehst, welche Aufgaben dir erwachsen. Jede, die in das Stift aufgenommen werden will, muß feierlich versprechen und angeloben, sowohl innerhalb [411] als außerhalb des Stiftes ein tugendhaftes, regelmäßiges und anständiges Leben zu führen!« Fossano räusperte sich.

»Das werden sicherlich alle geloben und versprechen«, sagte er. »Aber, Hand aufs Herz — geben Madame wirklich etwas auf Versprechungen in solchen Dingen?«

Sie biß sich auf die Lippen — ihm schien es fast so, als wolle sie ein Lachen verbergen.

»Ich gebe ein Statut«, sagte sie dann kurz. »Und das Statut bestimmt sofortige Ausschließung eines jeden Fräuleins, das sein Versprechen durch ausschweifendes Leben verletzt.«

»Eine ganz überflüssige Bestimmung«, sagte Fossano. »Ich bin bald achtzig Jahre, ich habe viel vom Leben gesehen — noch niemals aber ist mir eine Dame vorgekommen, der man die Verletzung ihres Tugendgelübdes nachweisen konnte. Wir Männer waren immer galant genug, ihnen das zu besorgen und ihnen jede Schuld abzunehmen. Und wir leisten gewiß keinen Meineid, wenn wir darauf schwören, daß die holden Schönen am unschuldigsten sind — wenn sie's nicht mehr sind!«

Barberina verbiß sich wieder ein Lachen. Fossano sah es.

»Das ist das erste Gebot der Galanterie!« sagte er.

»Der Galanterie wird im Rahmen meiner Stiftung kein Spielraum gegeben«, sagte Barberina, »wir haben dem einen Riegel vorgeschoben!«

»Vorgeschobene Riegel lassen sich gewöhnlich auch zurückschieben«, entgegnete Fossano.

»Hör nur zu! Das Statut verbietet den Stiftsdamen ausdrücklich, ohne Erlaubnis der Äbtissin auszugehen und Besuche anzunehmen, insbesondere heimliche Besuche von Mannspersonen!«

»Pardon«, sagte Fossano, »wenn ich mir eine Frage gestatte, hat der König das sanktioniert?«

»Du siehst seine Unterschrift!«

»Ja, es hat seine Richtigkeit«, sagte er dann kopfschüttelnd. [412] »Genau, wie ich dachte!« Er wiederholte leise: »Das Statut verbietet, ohne Erlaubnis der Äbtissin heimliche Besuche von Mannspersonen anzunehmen! — Mit Erlaubnis der Äbtissin wären also solche heimlichen Besuche gestattet!«

Sie schlug auf den Tisch. Er ließ sich aber nicht erschrecken.

»Madame haben da eine bequeme Hintertür offengelassen — Madame haben es sich leicht gemacht, unter Umständen auch menschlich zu sein. Die Stiftsdamen werden nicht klagen können!«

»Darüber zu befinden ist nicht deines Amtes!«

»Pardon, wenn ich danach frage — aber was wäre denn im Rahmen des Ganzen mein Amt?«

»Nur Geduld! Wir kommen jetzt zu den Domestiken!«

»Domestiken?!«

Er fuhr zurück. Sie sah, daß der Hieb saß, freute sich sehr und fuhr in gelassenem Ton fort: »Das Statut sieht von männlichen Domestiken vor: einen Koch, einen Gärtner, einen Förster und einen Bedienten, der schreiben und rechnen kann. — Du kannst ja vorzüglich schreiben und rechnen!«

»Pardon«, sagte er scharf und richtete sich auf. »Madame wollen mich wohl zum besten halten? Es kann nicht Dero Ernst sein, mir diese Stellung eines Bedienten — «

»Es ist mein Ernst, dir diese Stellung zu geben. Eine andere ist im Institut nicht vorhanden. Und schließlich, was wäre dagegen einzuwenden? Du hast dein ruhiges Leben, wirst ausreichend bezahlt; ob du dich dabei Hofmeister oder Bedienter nennen darfst — das ändert an der Sache nicht das geringste! Um Titel warst du ja nie besorgt. Und schließlich — eine Schar der entzückendsten jungen Damen zu bedienen, das muß dir doch zusagen; du hast ja immer so viel für galantes Wesen übrig gehabt!«

»Ich danke«, sagte er kurz; »um mich mit jungen [413] Mädchen abzugeben, bin ich zu alt. Möge Madame sich da andere Helfershelfer suchen. Ich bin nicht dafür zu haben! Ich gehe.«

»Du gehst von mir fort?«

»Ja — meine Rolle bei Madame ist ja sowieso ausgespielt! Ich hatte hier nur noch eine wesentliche Pflicht zu erfüllen!«

»Nicht, daß ich wüßte!«

»Eine Pflicht, die mir das Leben auferlegt hat — nicht du«, sagte er und duzte sie zum erstenmal wieder. — »Ich hatte dich verführt, ich hatte dich von der Bahn der Tugend abgebracht — jetzt habe ich dich der Tugend wiedergegeben, so gut es ging — ich habe meine Schuld bezahlt! Ich gehe!«

»Du willst doch nicht zum Bettelstab greifen, jetzt noch?«

»Das habe ich nicht nötig. Ich habe Ersparnisse gemacht. Und — wenn ich noch in Dienst wollte — an Anerbietungen von sehr exzellenter Seite fehlt es mir nicht! Madame brauchen sich darüber keine Sorge zu machen!«

Er ging nach der Tür. Dort wandte er sich noch einmal um, und in seinen Augen leuchtete es teuflisch, als er ihr den letzten Hieb versetzte, mit dem er sich für all die Jahre der Schmach rächen wollte, in denen sie ihn mit Füßen getreten hatte.

»Pardon«, sagte er kurz und ganz von oben herab, »fast hatte ich vergessen — der Kammerdiener Seiner Exzellenz des Staatsministers Grafen Hoym schrieb mir gestern über die Antwort des Königs auf das Gesuch von Madame, Dero Gräfinnentitel das Prädikat >Exzellenz< hinzufügen zu dürfen!«

»Du brauchst dir keine Mühe zu machen — der Staatsminister hat mir selbst darüber geschrieben!«

»Der Staatsminister ist galant und hat es wohl verstanden, die bittere Pille zu überzuckern, wie ich aus seinem [414] Briefe ersehen konnte, als ich den gnädigen Papierkorb leerte, wohin Madame ihn in Höchstdero Ärger geworfen hatten. — Der Bescheid des Königs war aber nicht so höflich!«

Sie starrte ihn mit offenen Augen an.

»Der König schrieb geradeheraus: >Ich bin nicht geneigt, ihr den Titel Exzellenz zuzugestehen, weil ich es ridicule finde, daß eine gewesene Theatertänzerin dieses Prädikat führe!< So schrieb der König. Und nun wissen Madame, daß die >gewesene Theatertänzerin< noch nicht ausgetanzt hat, trotz Gräfinnenprädikat, Tugendasyl und in frommen Stiftungen angelegtem Sündengeld. Ich tanze aber nicht mehr mit!«

»Wenn du denkst, daß ich es tue, irrst du dich!« rief Barberina zornig. »Ich werfe lieber alles hin! Wenn der König so undankbar ist, mache ich die ganze Schenkung wieder rückgängig!«

Fossano, der sich gar keine Mühe gab, seine Schadenfreude zu verbergen, sagte: »Ich glaube schon, daß Madame das möchten! Ich weiß aber auch, daß es zu spät ist. Was der Fiskus einmal hat, das behält er. Wovon wollten Madame leben? Jugend, Schönheit, Talent — das ganze vom Leben mitgebrachte Kapital ist verbraucht oder wird zum mindesten nichts mehr abwerfen. Den bisherigen Ertrag haben Madame unwiederbringlich auf dem Altar der Tugend geopfert! Madame sind eben auf Lebenszeit der Tugend verfallen und sitzen nun fest! Daran ist nichts zu ändern! Aber — das ist ja nicht so tragisch zu nehmen! Die Bequemlichkeit hat ja was für sich, wenn man über die Jahre der Aufregungen hinaus ist. Und — schließlich haben Madame sich ja so geschickt eine Hintertür offengelassen! Votre serviteur!«

Er verbeugte sich mit ausgesuchter Galanterie, machte kehrt und ging, hoch aufgerichtet, auf alterssteifen Beinen, aber mit der ganzen Grandezza des ehemaligen Tänzers, hinaus. Sie sah ihn nicht wieder.


[415]

25

Ihr blieb Zeit genug, sich des Besitzes der wohlerworbenen Tugend zu erfreuen. In der Stille und Ruhe des Landlebens vergingen ihre letzten Jahre ohne erhebliche Erlebnisse, aber auch ohne Aufregungen.

Eines schönen Sommernachmittags — zehn Jahre, nachdem sie ihr Amt als Äbtissin angetreten hatte — fand man sie tot auf einem der Wege im Park ihres Schlosses. Man sagt — — —

Aber — was sagt man nicht alles beim Tode einer Berühmtheit!? Mit rechten Dingen geht's dabei ja niemals zu.

Eine getreue Schilderung der letzten Todesminute müßte zum mindesten die bekannte Pendüle vorführen, die gerade, als sie starb, stehenblieb — einige »letzte Worte« prägen, oder meinetwegen auch, nach Art der beliebten mittelalterlichen Darstellung, zeigen, wie Leib und Seele voneinander scheiden und nicht nur die Engel Gottes, sondern auch die Teufel dabei fleißig sind!

Angenommen, sie hätte dabei getanzt — sie hätte beim letzten Spaziergang im Park zu dem vom Sonnenuntergang rosig gefärbten Himmel emporgeblickt, und hoch oben, wie Sommerblüten in den Wolken, alle die seligen Gestalten Correggios gesehen, die ihr winkten und sie zu sich hinaufriefen, wie damals in ihrer Kindheit im Dome zu Parma! Und Psyche wäre der Abstieg geglückt, die Todeszuckungen ihrer sterblichen Hülle hätten sich in eine Art Tarantella umgesetzt! Schauerlich schön, wenn auch grotesk, wäre es ja, hier darzustellen, wie die alte Matrone plötzlich angefangen hätte, draußen in der Abenddämmerung zu tanzen, die Arme hoch gen Himmel gestreckt, so daß die Enden der grauen Schleier sich wie riesengroße Flügel ausgebreitet hätten. Dann ein Hin-und Herflattern hinter den Gebüschen, wie wenn ein zu Tode getroffener Riesenvogel noch mit dem Element [416] kämpft, das ihn bis jetzt willig trug, und sich mit Aufbietung seiner letzten Kraft müht, aufwärts zu kommen, ehe er für immer kraftlos zur Erde sinkt und erstarrt ...

Hinauf zu wollen, aber unten bleiben zu müssen — das ist auch in der Todesminute der Tanz des Lebens. Über Höhen, durch Niederungen führt er zum Gipfel des Glücks und wieder hinab zur bitteren Entsagung, im Rausch der Bewegung hier wie dort, niemals aber zu voller Befriedigung des innewohnenden Dranges. Bis der Tanz für immer aus ist. Da gelingt der Abflug. Und unten bleibt, was an den Boden fesselte, sinkt in den Staub und zerfällt, bis kaum noch die Erinnerung dessen übrigbleibt, was war.

Fährt dann der Wind des Lebens darüber hinweg, dann kann es sein, daß er den Staub der Vergangenheit zum Tanz aufwirbelt und ihn wieder zu Gebilden fügt, die der suchenden Ahnung das längst Verblichene, im Spiel der Phantasie, vorgaukeln und es zu neuem Leben erwecken.

Über den Tod hinaus zu wollen, hieße denn — die Erzählung wieder von vorn anfangen. Da schließt sich also der Ring des Geschehens.


[417]


Notizen des Bearbeiters:

Eingefügt: Inhaltsverzeichnis am Beginn des Buches.

Unterschiedliche Schreibweisen des Originaltextes wurden beibehalten.

Kleinere orthographische Korrekturen wurden stillschweigend vorgenommen.

Die Antiqua-Schrift des Originals wird hier durch serifenlose Kursivschrift dargestellt.

Korrektur von: 'auf dem vielumstrittenen' zu 'auf den vielumstrittenen'.

Das Inhaltsverzeichnis wurde an den Anfang des Buches verschoben.