The Project Gutenberg eBook of Höxter und Corvey: Erzählung

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Title: Höxter und Corvey: Erzählung

Author: Wilhelm Raabe

Release date: November 13, 2015 [eBook #50444]

Language: German

Credits: Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna, Jens Sadowski,
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HÖXTER UND CORVEY: ERZÄHLUNG ***

Wilhelm Raabe
Bücherei
Erste Reihe
Band 11

Wilhelm Raabe
Bücherei

Erste Reihe:
Kleinere
Erzählungen

Elfter Band

Berlin-Grunewald
Verlagsanstalt für Litteratur und
Kunst / Hermann Klemm

Wilhelm Raabe

Höxter
und
Corvey

Erzählung

Dritte Auflage
11.-16. Tausend

Berlin-Grunewald
Verlagsanstalt für Litteratur und
Kunst / Hermann Klemm

Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig
Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz
Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig

Höxter und Corvey

Erstes Kapitel.

Wir haben unsern Lesern immer gern die Tageszeit geboten, aber so schwer wie diesmal ist uns das noch nie gemacht worden. In der Stadt Höxter waren die Turmuhren sämtlicher Kirchen in Unordnung. St. Peter und St. Kilian zeigten falsch, St. Nikolaus schlug falsch und bei den Brüdern stand das Werk ganz still; nur auf Stift Corvey, eine Viertelstunde abwärts am Fluß, befand es sich noch in geziemlicher Ordnung und hatte sich auch eine Hand gefunden, die es darin erhielt und es zur rechten Zeit aufzog. Es schlug vier Uhr am Nachmittage auf dem Turme der Abtei.

So viel für die Tageszeit. Was die Zeit sonst anbetraf, so schrieb man den 1. Dezember im Jahre 1673: am 23. November 1873 beginnen wir unsere Erzählung; es sind also gerade ungefähr zweihundert Jahre seit jenem Wintertage vergangen. Maurer, Zimmerleute, Tischler, Schlosser, Glaser und, vor allen Dingen, Uhrmacher sind am Werke gewesen, haben die Mauern wieder aufgebaut, die Pfosten zurecht gerückt, die Türen eingehängt, neue Fenster vorgeschoben und dafür gesorgt, daß auch die Turmuhren wieder die richtige Zeit anzeigen. Es hatte viele Arbeit und große Geduld gekostet; — wehe dem, welcher von neuem frevelhaft die Hand bietet, die Wände abermals einzustoßen, die Dächer abermals abzudecken und die Türen und Fensterscheiben von neuem zu zertrümmern. Der Gegenwart sei bemerkt, daß das Wiederaufbauen, das Auf- und Einrichten zu allem übrigen stets auch viel Geld kostet.

Es war ein winterlicher, feuchtkalter Tag. Schweres Regen- und Schneegewölk wälzte sich über den Solling. Die geschwollene, stets hastige und übereilige Weser rollte ihre erbsengelben Fluten in anscheinend völlig breiartigen Wirbeln aus den Bergen zwischen Fürstenberg und Godelheim und Meigadessen her, quirlte durch das kahle Weidengebüsch und das welke Röhricht der Ufer und ärgerte sich heftig über jeden Widerstand, der ihr auf ihrem Wege aufstieß.

Solch einen Widerstand fand sie unter den Mauern der Stadt Höxter; denn da traf sie nicht nur auf die Eisbrecher, sondern auch auf die Pfeilertrümmer des uralten Völkerübergangs: die Brücke selber fand sie wieder einmal, wie so häufig, nicht. Grimmig schäumte und kochte sie empor an den bis auf den Wasserspiegel abgebrochenen Pfeilern und Stützen; aber es war auch etwas wie ein Triumphjubel in ihrem Rauschen:

„Hoho, Menschenwerk! Menschennarretei! Hoho, drüber weg und weiter, dem Weltmeer zu, und mitgenommen, was zu greifen ist! Das alte Spiel durch die Jahrtausende — Triumph!“

Die gelben Wellen der Weser mochten wohl höhnisch brausen. Sie hatten die Brücken des Drusus und des Tiberius, des Königs Chlotar und des großen Karl auf ihrem Nacken getragen an dieser Stelle; — jedes Jahrhundert fast hatte ein halb Dutzend Male für Krieg und Frieden hier eine neue Brücke gebaut; — Triumph! wo trieben heute die Balken und Bohlen der letzten, die vor drei Jahren neu geschlagen wurde, und die vorgestern Monsieur de Fougerais, der französische Kommandant von Höxter, vor dem Abmarsche, seinem Feldmarschall Monsieur de Turenne nach, hatte umstürzen lassen?

Vorgestern war Monsieur de Fougerais dem Marschall nach gen Wesel zu abmarschiert. Ihre Hochfürstlichen Gnaden Christoph Bernhard von Galen, Bischof zu Münster, Administrator zu Corvey, Burggraf zu Stromberg und Herr zu Bordelohe, hatten Kaiser und Reich, sowie der Republik Holland ihren französischen Trumpf ausgespielt: der Franzmann hatte es sich bequem gemacht, wie der Deutsche es gewollt hatte; und, wie gesagt, die Uhrwerke auf den Türmen vom Rhein bis zur Weser waren darob wieder einmal in Unordnung geraten und zeigten die unrichtige Stunde oder standen ganz still. Was die westfälischen Glocken anbetraf, so waren deren eine ziemliche Menge von dem hohen Bundesgenossen des biedern Reichsstandes mitgenommen worden, um in französische Geschützläufe für die Reunionskriege, den Überfall von Straßburg und den spanischen Erbfolgekrieg umgegossen zu werden.

Weiteres zu seiner Zeit. Vom Stift her wissen wir, was die Glocke geschlagen hat; Christoph Bernhard hat dafür gesorgt. Es ist vier Uhr nachmittags, und wir stehen im Bruckfelde am rechten Ufer des Flusses, der zertrümmerten Brücke gegenüber und warten auf die Fähre, die man nach dem Abzuge der wüsten gerufen-ungerufenen Gäste und Bundesgenossen aus dem Westen eingerichtet hat.

Wir warten auf einige Leute, die da kommen werden, um sich nach Huxar übersetzen zu lassen, und sie kommen auch, einer nach dem andern.

Der erste ist ein Mönch aus der Abtei, der unter dem dunkelziehenden Gewölk von dem Landwehrturm unter dem Walde, dem Solling, auf dem Feldwege her der Weser zuschreitet. Es ist der Bruder Henricus, vordem in der Weltlichkeit ein Herr von Herstelle; sein Prior, Nikolaus, vordem im Säkulum ein Herr von Zitzewitz, hat ihn vor acht Tagen mit einem Briefe an den herzoglich braunschweigischen Vogt auf dem fürstlichen Amtshause zu Wickensen abgesendet, und er hat den Brief hingetragen und kann sonderbare Sachen erzählen.

An Stelle des Vogtes hat er auf dem Amtshause Seine Fürstlichen Gnaden den Herzog Rudolf August selber vorgefunden und zwar in bester Laune, den Vorgängen und dem französischen Trubel am linken Weserufer zum Trotz. Der Herzog hatte den wohlpetschierten Brief des Herrn Priors von Corvey erbrochen, und es ist ein anderes Schreiben — französisch abgefaßt und adressiert — herausgefallen, welches die Fürstlichen Gnaden zuerst gelesen haben, zu einem Drittel mit Stirnrunzeln und für den Rest mit einem Lachen und Spott.

„Ihr tragt gewichtige Sachen im Lande Germanien um, ohne es zu wissen, Bruder,“ hat der Herzog gesagt. „Sintemalen wir nunmehro im Jahre einundsiebenzig mit Gottes Hülfe und unserer Vettern Liebden Beistand und freundlicher Handreichung unsere nunmehro zuletzt getreue Landesstadt Braunschweig mit Waffengewalt und gutem Wort uns zu Willen und Gehorsam gebracht haben, so danken wir dem Herrn Bischof von Münster, sowie den Herren Prioren, Kanzlern und Räten von Corvey, wie imgleichen dem Herrn Marschall von Turenne für freundliches Erbieten und gedenken fernerhin, wie es uns zukommt, unserer Pflicht und fürstlichen Eidleistung gegen Kaiser und Reich. Wünschen dagegen dem Herrn Marschall eine glückliche Reise gen Wesel und haben Euch, ehrwürdiger Bruder, augenblicklich nichts mitzuteilen, als daß Ihr, so lange es Euch belieben mag, unser lieber Gast sein mögt; wie wir es gleichfalls in Euer Belieben setzen werden, Euch in der Gegend umzusehen. Da uns das Stift und das königliche Hauptquartier zu Höxter aber in Eurer Person einen Mann geschickt haben, der nicht immer die Kutte trug, sondern vordem auch den Harnisch und den Kürasserhelm, so verlassen wir uns darauf, daß Ihr uns zu Hause in re militari loben und den Herren zu Huxar und Corvey nach bester Kenntnisnahme empfehlen werdet.“

Da nun der Bruder Henricus außer seinem Schreiben willig auch den mündlichen Auftrag mitgenommen hatte, sich in der Gegend rechts von der Weser umzusehen, so machte er Gebrauch von der Einladung des Herzogs. Er sah sich um, und jetzt kam er zurück, nachdem er sich umgesehen hatte. Sehen wir uns ihn jetzt vor allen Dingen selber ein wenig genauer an.

Da stand er, auf seinen Wanderstock gestützt, im Bruckfelde an dem mürrischen Strome und wartete geduldig, bis es dem Fährmann drüben am Brucktor zu Höxter gefiel, ihn herüber zu holen. Und er sah trotz seinem geistlichen Gewande wahrlich aus wie ein Mann, der wohl befähigt war, seinen Vorgesetzten über die militärischen Zurüstungen und Vorkehrungen Seiner Herzoglichen Gnaden zu Wickensen Bericht abzustatten, und zwar einen sach- und fachgemäßen. Der Bruder Henricus von Herstelle trug sein Benediktinergewand würdig und stattlich genug, doch mußte es auch dem gänzlich Unbefangenen gar nicht unglaubwürdig erscheinen, daß von dieser breiten Brust und diesen derben Schultern seiner Zeit der eiserne Panzer ohne alle Beschwerden getragen worden sei. Daß die runzlige, aber immer noch kräftige Faust vor Zeiten etwas anderes umschlossen habe als den harmlosen Stab von Weißdorn, konnte dann einem irgend aufmerksamen Betrachter auch weiter nicht zweifelhaft bleiben. Der Bruder Henricus trug dem winterlichen Tage ins Gesicht die Kapuze zurückgeschlagen und bot die Tonsur dem Wind, den vereinzelten Schneeflocken und den scharfen Schauern seines Regens frei hin. Ein Kranz grauer, ein wenig borstiger Haare umgab den runden wohlgeformten Schädel, und eine Narbe auf der Stirn sprach von anderem und wilderem Zusammentreffen als mit den Brüdern und Vätern in Gott und Jesu Christ bei der Hora und Mette. Der Junker Heinrich von Herstelle war jetzt ein alter Mann, doch jung und frisch auf den Beinen. Sein Räuspern selbst und sein Niesen klang kräftig und mannhaft, und man konnte es dem Vater Adelhardus, dem Stiftskellner, vordem ein Herr von Bruch, gar nicht verdenken, wenn er die Freundschaft und gute Kameradschaft gerade dieses ehrwürdigen Bruders jeglicher andern innerhalb der Mauern der Abtei vorzog.

„Wo die Brücke geblieben ist, kann ich mir schon deuten,“ sagte der Bruder Henricus kopfschüttelnd. „Ein Ärgernis ist es aber doch!“ fügte er hinzu, die Hand über die Augen legend und nach der Fähre ausschauend. Er hatte noch zu warten, denn der Fährmann drüben zu Höxter beeilte sich des einzelnen Fahrgastes wegen nicht. Faul hingestreckt lag er neben der Wölbung des Brückentors auf seiner Bank und wartete auch; nämlich auf die Ansammlung mehrerer Leute drüben am braunschweigischen Ufer.

Endlich kam der zweite Fahrgast. Diesmal ein altes Weibchen, das auf dem Schifferpfade von Lüchtringen her heranhumpelte, keuchend unter einem schweren Bündel; — ein altes Judenweib, unter dem Namen Kröppel-Leah dem Pöbel zu Huxar wohlbekannt, doch hochangesehen bei ihren Glaubensgenossen; — wegmatt, zeitmatt, kriegszerzaust und kriegerisch, ja kriegerisch unter ihrem Packen trotz ihrem Alter und ihrer Müdigkeit anzuschauen.

Mit tiefen Knixen und schüchternen Verbeugungen näherte sich die Greisin dem greisen Benediktinermönch, der aber neigte das Haupt, winkte mit der Hand und sagte:

„Der Gott Abrahams knöpfe dem Schlingel da drüben die Ohren auf. Tretet heran, Frau: werft Euer Bündel ab und setzet Euch. Um uns beide rührt sich der lüderliche Bursch fürs erste noch nicht.“

„Ich danke Euch, guter ehrwürdiger Herr,“ erwiderte die Greisin. „Alte Knochen, müde Füße, schweres Herz —, ich kann wohl in Geduldigkeit warten.“

„Ich auch!“ sprach der Mönch, und dann, mit einem Blick auf die durch die Wirbel des Flusses vorragenden Trümmer der Brückenpfeiler, fragte er: „Wisset Ihr, Mutter, vielleicht genauer, was das nun wieder zu sagen hat? Wenn man sich auch das Seinige zurechtlegt, so hört man doch gern eines andern Bericht. Als ich abging von Corvey, schritt ich noch trocknen Fußes über die Weser.“

Die Greisin schüttelte den Kopf:

„Ich kann es nicht sagen, ehrwürdiger Herr. Anno Siebenzig am siebenzehnten Januar hat es der Fluß selber getan. Vordem Anno Sechsundvierzig tat es der Herr Feldzeugmeister von Wrangel; vordem taten es Herr Kaspar Pflugk und die Herren Liguisten, — vordem Herr Christian von Braunschweig, den sie den tollen Herzog nannten. Dazwischen dann wieder immer der Strom selber. Ja, wer hat’s heute getan?“

Der Bruder Henricus lächelte ein wenig.

„Was Ihr mir da eben ableiert, Frau, kann ich in seiner Richtigkeit für mehr als einen Axthieb in persona bezeugen. Wo kommt Ihr denn her, Frau?“

„Von Gronau, im Fürstentum Hildesheim. Da ist meiner Schwester Sohn gestorben. Er war der letzte Mann in meinem Hause. Ich hab’ ihn sterben sehen und mir die Erbschaft geholt nach Höxter.“

„Hm!“ murmelte der Bruder Henricus und sah auf das Bündel, auf dem die Alte zusammengekauert hockte, und von dem sie aus scheu und furchtsam zu ihm seitwärts aufblickte.

Zweites Kapitel.

Um einen Mönch und ein altes Weib tu ich keinen Zug am Seil,“ brummte Hans Vogedes, der Fährmann, und räkelte sich auf seiner Bank von der linken auf die rechte Seite; und die Bürgerwacht unter dem Torbogen lachte in choro und stimmte ihm ganz und gar bei.

Es war eine wunderliche Wachtmannschaft, in deren Zusammensetzung sich die ganze Verwirrung des Gemeinwesens aussprach. Zwei Münstrisch-Corveysche Infanteristen schulterten da ihre Musketen; ein Schuster, ein Zimmermann und zwei Schneider aus dem überwiegenden lutherischen Teile der Stadtbevölkerung vom Rat aufgeboten, hatten sich sonderlich gewappnet mit Helm und Harnisch aus der Liguisten- und Schwedenzeit und lehnten martialisch an ihren Spießen und Stangen. Den Oberkommandanten des Ganzen aber, Korporal Barthold Polhenne, hatte die katholische Bürgerschaft aus ihrer Mitte unter Beistand des Stiftes und der Minoritenbrüder in der Stadt gestellt: die Ordnung, die er hielt, und die Autorität, deren er sich rühmen durfte, waren denn auch danach.

Niedergetreten vom schweren Stiefelabsatz des Herrn von Turenne, mit Kontributionen bis zum letzten ausgesogen vom Herrn von Fougerais; von der welschen Besatzung in den Häusern und auf den Gassen bis zum äußersten in alles Elend und alle Wut hineingequält — widerspenstige Untertanen Seiner bischöflichen Gnaden von Münster, hungrige Bürger der guten „Munizipalstadt Höxar“, — kurz, armes, notdürftiges, geplagtes, verwirrtes, deutsches Volkswesen, wie es aus dem Trümmerschutt des Religionskrieges aufwuchs, gleich den Wurzelsprossen um einen gefällten Baum — es sah eben böse aus in Höxter nach dem Abmarsch der hohen französischen Alliierten!

Drüben am rechten Ufer der Weser stand der Mönch bewegungslos auf seinen Stock gelehnt, und Kröppel-Leah saß auf dem Bündel mit dem Nachlaß des Schwestersohnes. Sie warteten ruhig ab, daß das Schicksal ihnen den dritten Mann sende, um den Hans Vogedes vielleicht wohl fahren mochte; und dieser dritte Mann erschien jetzt wirklich. Er kam durch das niedere Feld und die Allerwiese vom Dorfe Boffzen her, — auch ein alter Mensch, hochgewachsen, dürr, im schwarzen Rock und Untergewand, weitbeinig und energisch-eilig — Ehrn Helmrich Vollbort, der Pfarrherr der lutherischen Kilianikirche zu Höxter. Es schien ihm gut zu dünken, bald nach Hause zu kommen, denn die Witterung wurde nicht freundlicher, und die Dämmerung nahm immer mehr zu. Ob der Pastor auch noch andere Gründe für seine Hast hatte, werden wir ja wohl erfahren; fürs erste, als er die stattliche Gestalt des Benediktiners an der Fährstelle zu Gesicht bekam, mäßigte er seinen Schritt; jedoch nur für die kürzeste Weile, denn sofort trat er um so kräftiger auf und heran und grüßte kurz und schweigend.

Höflich erwiderte der Bruder Henricus den Gruß; die Judenfrau erhob sich mühsam von ihrem Sitze und knixte. Es war eine seltsame Gruppe, die unter dem stürmischen, dunklen Himmel, vor den gelben grollenden, wild hinstürzenden Wassern auf das Höxtersche Fährschiff zu warten hatte; der Mönch von Corvey aber war der erste, dem das Schweigen peinlich wurde, und der also auch zuerst den Mund auftat. Wahrhaftig, es ist zweihundert Jahre her, aber auch der Bruder Heinrich von Herstelle begann mit einer Bemerkung über das Wetter, und sie hatte dieselbe Wirkung wie heutzutage.

„Es ist freilich ein rauher Tag,“ erwiderte Ehrn Helmrich Vollbort, der Pfarrherr zu Sankt Kilian, nach der Stadt hinüber und auf die zertrümmerte Brücke sehend. „Ein Tag oder Abend, wie er wohl für Ort und Zeit paßt.“

„Sie haben das richtige Wort gesprochen, Herr Pastor,“ sagte der Mönch. „Obgleich ich vom Hause abwesend war, so nehm’ ich gern jede Anmerkung, die hier und heute tempora et mores in ein Gleichnis bringt, vollgeltend hin.“

Die jüdische Greisin, die sich wieder auf ihr Bündel niedergekauert hatte, bedeckte das Gesicht mit der rechten Hand und seufzte schwer und nickte verstohlen gleichfalls.

„Sie befanden sich nicht beim französischen Abmarsch im Stift, mein Pater?“ fragte der Pfarrherr.

„Ich trug einen Brief zum Herrn Herzog Rudolfus Augustus, — nämlich ich traf ihn mit Heeresmacht zu Wickensen, auf seinem Amtshause, — ich traf ihn mit Heeresmacht dort im Walde, im Solling.“

„Ei!“ murmelte der Prediger von Sankt Kilian, hoch aufhorchend. „Die Herren zu Corvey waren sich dessen vermutend? Hat der welsche Holofer —“

Er brach ab und schloß — seinerseits mit einem schweren Seufzer: „Es ist gleich; wir bleiben, wie wir sind, in der Not. Der Wille des Herrn geschehe, jetzt und immerdar.“

„Amen!“ sagte der Bruder Henricus.

Das Fährschiff ließ noch immer auf sich warten; aber das Gespräch auf dem rechten Weserufer war in Gang gekommen. Der Mönch fragte höflich und der lutherische geistliche Hirt antwortete ebenso höflich, wenngleich viel finsterer oder, sozusagen, verdrossener. Sie erfuhren beide mancherlei voneinander, was ihnen wissenswert sein mußte. Was den Bruder Henricus im besonderen anbetraf, so erfuhr der nunmehr ganz genau, in welcher Weise diesmal die Höxtersche Brücke stromab geschwommen sei und wie drüben, wieder einmal, das Haus wandlos und dachlos stehe, jedem Regen- und Sturmstoß preisgegeben. Die jüdische Greisin murmelte eintönig ihre Gebete vor sich hin, der schmutzige Fluß rauschte mürrisch, und am Brucktor von Huxar rüstete Hans Vogedes sich endlich zur Fahrt. Die sonderbare Wachtgesellschaft unter dem Tor hatte sich um einen sonderbaren Menschen vermehrt, und dieser war’s auch, der den faulen Schiffer an sein Amt trieb.

Er war die Straße herabgekommen, die Hände in den Taschen, den Hut schief auf den verwilderten Lockenkopf gedrückt, in abgetragenes gelehrtes Schwarz gekleidet, eine kurze, gestopfte, doch nicht brennende Tonpfeife im Munde, sein einziges Eigentum in dieser lustigen Welt, Quinti Horatii Flacci poemata in einem abgegriffenen Schweinslederbande im Sack und — seine eigene Version des römischen Poeten zwischen den Zähnen:

„Nun herrschet mit lockeren Flammen im Herzen

Die Thrakerin Chloe zu Lachen und Scherzen,

Nun singt sie, nun schlägt sie die Laute mir fein;

Zu doppeln ihr Leben setz’ meines ich ein.“

Da wir mehr mit dem jungen Mann zu tun haben werden, so wollen wir sofort sagen, wie er hieß, wer er war, und wie es mit ihm stand.

Mit Namen hieß er Lambertus Tewes, er war der Schwestersohn Ehrn Helmrich Vollborts, des Predigers zu Sankt Kilian, und seines Zeichens war er leider ein vor acht Tagen von der berühmten Universität, der Julia Karolina zu Helmstedt, relegierter Studiosus der Jurisprudenz. Sein Alter belief sich auf neunzehn Jahre und vielleicht ein halbes drüber; sonsten war er heute wahrscheinlich der einzige Mensch vergnügten, wohlwollenden und unbesorgten Gemütes in der Stadt Höxter an der Weser, und der sich auch dergestalt natürlich gab. Zu der schmauchenden Wachtmannschaft trat er heran, um sich Feuer auf seinen Tabak geben zu lassen; zu versäumen hatte er sonst nichts und sah es gern, wenn man ihm irgendwo, wie zum Exempel hier, augenblicklich Platz auf der Bank machte.

„Rück zu, Schulkamerad, wenn du nichts Besseres vor hast,“ rief einer von der lutherischen Wacht, der mit dem Studenten vordem dem Höxterschen Scholarchen durch die Hände gelaufen war. „Willst du aber über die Weser, so wird dich Hans Vogedes sogleich mitnehmen und sogar umsonst, das heißt, für ein Stück Latein aus deinem Tröster, während er das Schiff löst. Nicht wahr, der Handel gilt?“

„Nicht wahr? Ei so!“ lachte der verwilderte Helmstedter Bursch. „Du fielst der alten Mutter Philosophia freilich eher aus der vielgeflickten Schürze, als sie dich in den römischen und griechischen Topf schütteln konnte! Nun, du hättest den Höxteranischen gelehrten Sauerkohl auch nicht fetter gemacht.“

„Meister Polhenne, er fängt an, die Gemütlichkeit zu stören, sowie er kommt. Man kennt deine Redensarten, du Träbernfresser.“

„Ruhe auf der Wacht. Magister Lambert, haltet den Mund; und Ihr, Schuster Kappes, das Maul! Sonsten aber stimme ich auch für ein Stück aus dem alten Heiden,“ brummte der Korporal Polhenne.

„Gefällt Euch der alte Heide so gut, Korporal?“

„Hier am Ort ist niemand, der es da Euch gleich tut. Das Latein kommt immer mehr ab in der Welt. Jesus, wenn ich an meine Jugendzeit denke, und wie sie da es uns von den Kanzeln an die Köpfe warfen!“

O nata mecum consule Manlio,“ summte der Student, aber brach sogleich ab, um seine Perlen nicht vor die Säue zu werfen, klopfte den Korporal auf die Schulter und rief: „Lasset nur das Latein, Polhenne —

Corvinus vermahnt uns

Bedachtvoll und klug,

Das Faß aufzuwinden,

Zu heben den Krug.

Wie Sokrates redet,

Doch trinkt auch wie er!

So klingt schon beim Alten,

Beim Cato die Lehr.

Sagt, Jungen, was gibt es denn zu trinken am Ufer

des gelben Tibers — will sagen, der gelben Weser?

Was hat euch der falsche Punier, der grimmige Unhold

Hannibal für euren und meinen Durst übrig gelassen?“

„Wenn Ihr den Fougerais meint, Magister — da! da läuft es!“ schrie wie ein Mann wütend die Wacht am Brucktor zu Huxar, auf den Weserstrom deutend.

„Dieses Faß wird Euch so leicht nicht auslaufen, Herr Doktor!“ brummte einer der Münsterschen Musketierer über die Schulter; der Student aber schüttelte sich:

„Brr! — er ist zuletzt abmarschiert, seinem Meister Turennius nach; — ultimo scabies, die Krätze auf den Letzten. Bei den unsterblichen Göttern, ihr Herren, da mag selbst dem Gutherzigsten der Germanen sein kimmerischer Tag allzu grau werden, um den Horaz zu zitieren. Gebt mir Feuer auf meine Pfeife.“

Das geschah, und in dem nämlichen Augenblick kam von drüben her über den Fluß ein heiserer Ruf, und ein schwarzer Mann winkte durch die Abenddämmerung mit seinem weißen Sacktuch. Herr Lambert Tewes, der sich zweier Augen von Falkenart rühmte, sagte:

„Ich hab’ ihn zu Hause gesucht, um noch einmal kläglich vor ihm zu tun. Doch chère tante, ehe sie mir die Haustür vor der Nase zuschlug und verriegelte, tat mir kund, der Herr Oheim sei nicht zu Hause, sei über die Weser zum Herrn Amtsbruder in Boffzen. Ecce vir excellentissimusavunculus divinus ac singularis, — und siehe ein Mönch und ein alt Weib in den Handel! Hinüber, Fährmann, und holt mir den Herrn Oheim, ich brauche ihn notwendiger, als ihr euch vorstellen möget, ihr Herren und guten Freunde.“

„Ich hab’ es dir schon lange gesagt, daß du dich endlich aufmachest, Hans,“ fiel einer der Spießträger bei. „Es ist unser Herr Pastore, der zuletzt ungeduldig geworden ist.“

Das wirkte. Der Fährmann stand auf, reckte sich, gähnte, stieg in sein Schiff und griff nach dem Seil. Seinen Platz auf der Bank nahm, wie gesagt, der Student ein.

Schwer arbeitete sich der Schiffer mit seinem Kahn, gegen die mächtig drängenden, winterlich geschwollenen Fluten an, hinüber zum anderen Ufer. Die Wacht sah ihm mit behaglich-träger Anteilnehmung nach, und Herr Lambert Tewes, den Rauch aus seiner kurzen Tonpfeife blasend, summte:

„Mit Gleichmut nimm, was frommt, was dreut,

Die Welt fleußt gleich dem Strome her,

Der sanft in seinem Bette heut

Abgleitet zum Etruskermeer;

Doch morgen in Empörung schwillt,

Aus seinen Ufern überquillt,

Gesteine schiebt,

Den Wald zerstiebt,

Die Herde schluckt in seinen Bauch,

Den Hirten und die Hütte auch;

Wenn Jupiter der Menschheit grollt

Und schwarz Gewölk vom Pol her rollt.“

Drittes Kapitel.

Der Student hatte sich eben in solcher Weise die Ode seines römischen Poeten an den Gönner Mäcenas mundgerecht gemacht, als das Fährschiff das jenseitige Ufer der Weser erreichte. Mit einer höflichen Mützabnehmung und mit einem Kratzfuß lud Hans Vogedes den lutherischen Geistlichen ein, einzusteigen. Den Mönch von Corvey, den Bruder Henricus, grüßte er auch, doch um ein bedeutendes formloser. Was die alte Jüdin anbetraf, so machte er selbstverständlich Miene, vom Lande wieder abzustoßen, ohne sie mit nach Höxter hinüberzunehmen.

Der Mönch aber hatte ihr für ihr Geld zu ihrem Rechte verholfen, zu einem Sitze im Kahn, und auch der Prediger von Sankt Kilian war zugerückt, um ihrem Bündel Platz zu machen.

Nun schwamm die Fähre von neuem der Stadt zu. Die beiden geistlichen Herren saßen still, die Jüdin zusammengeduckt gleichfalls: der rohe Fährmann murrte bei seiner freilich nicht leichten Arbeit immerfort leise Schimpfworte vor sich hin und warf von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick auf den Sack, der die Erbschaft der Kröppel-Leah enthielt. In der Mitte des Stromes fragte der Mönch:

„Wie geht es Euch da — zu Hause, Schiffsmann, seit das fremde Volk Abschied genommen hat?“

„Der Teufel hat sein Hauptquartier da behalten, Pater,“ lautete die Antwort. „In Corvey war groß Jubilieren — sie werden auch Euch das Essen warm gestellt haben. Höxar hungert und kaut Wut; Ihr werdet dort wenige Hauswände finden, durch die der Wind nicht pfeift. Sacré, wie die französischen Hunde sagten, ich pfeife auch darauf, ich hab’ wenigstens nicht Weib und Kind zu versorgen. Um ein wenig besser Handgeld wär’ ich auch mit dem Fougerais abgezogen.“

Der Bruder Henricus seufzte: auch der Pastor Helmrich Vollbort seufzte und schlug mit der Faust auf den Rand des schwerfälligen Fahrzeuges.

Der Pastor sagte dann:

„Der Mann spricht Ihnen die Wahrheit, Herr Pater, wie ich schon vorhin sie sagte. Es sieht übel aus in der armen Stadt; der Herr bewahre uns vor weiterem Schaden.“

Der wilde Fluß wand sich unter dem Kahn gleich einem bösen Tier.

„Die Welt ist gleich dem Strom,“ fuhr der Pastor fort, „sie gehet bedeckt mit Trümmern; aber der Herr wandelt dennoch auf den Wassern. Er wird’s wohl zwingen.“

„Amen!“ erwiderte der Bruder Henricus, und dann wurde nichts weiter gesprochen, bis der Kahn unter der Höxterschen ruinierten Stadtmauer ans Ufer stieß. In demselben Augenblick schon sprang der Student von seiner Bank am Brucktor auf und an den Rand der Fähre, zog den Hut zierlich, bot dem Pfarrherrn von Sankt Kilian die Hand zum Aussteigen und sprach:

„Ehrwürden Herr Onkel, ich hab’ mir vorhin wieder einmal die Ehre gegeben, Ihnen in Ihrer Behausung aufwarten zu wollen. Die Frau Tante hat mich hierher gewiesen ab ostio ad Ostiam, von der Tür — die sie mir leider vor der Nase verschloß — nach Ostia, will sagen an den Hafen. Ich mache mein Kompliment, Herr Oheim.“

„Und ich habe Euch nichts weiter zu sagen, Herr! Was stellt Ihr Euch immer von neuem mir in den Weg?“

„Heraus, Alte! marsch, — her den Fährlohn und fort mit dir, du Hexe!“ schrie der Fährmann die Jüdin an.

„Gott Abrahams, gleich, lieber Mann!“ rief die Greisin. „O, Erbarmen, werdet nicht böse — da, da!“

Sie reichte mit zitternder Hand die schlechten Pfennige hin und stolperte und fiel, als sie mit ihrem Bündel über den Bord des Kahnes stieg. Die von der Wacht lachten alle über das alte Weib.

Von dem Mönch nahm der Schiffer seinen Lohn, ohne weiter etwas zu bemerken; aber die beiden Münsterschen Kriegsleute und der Bürgerkorporal Polhenne hielten die Hüte in der Hand. Mit einem stummen Gruße für alle und mit einem Kopfneigen für seine Glaubensgenossen schritt der Bruder Henricus durch das Brucktor, den übrigen voran.

Die Kröppel-Leah trieb einer der wachthaltenden Schneider spaßhafterweise mit dem Spießende zum eiligeren Forthumpeln an. Ihr sah der Fährmann am nachdenklichsten jetzo nach und nahm einen und den andern Kumpan aus dem Volk, das sich sonst noch an der Fährstelle angesammelt hatte, zu einem Geflüster beiseite.

Der Student Meister Lambert Tewes hatte nach der kurzen und derben Abweisung seines ehrwürdigen Verwandten den Hut wieder aufgesetzt; aber als ein braver Bursch, der mit den Philistern umzugehen weiß, ließ er so leicht nicht locker. Wenn er vorhin vom Etruskermeer gesungen hatte, so begab er sich jetzt auf ein ander Gewässer, griff rückwärts nach dem Horaz in seiner Tasche, um sich zu vergewissern, daß dieser Trostbringer noch vorhanden sei, und summte, was voreinst dem Aelius Lamia vorgepfiffen worden war, dem unwirschen Onkel Helmrich von Sankt Kilian hin:

Musis amicus, tristitiam et metus

Tradam protervis in mare Creticum

Portare ventis

er sang es aber deutsch in absonderlicher Umschreibung:

„Der Wind pfeift hin zur Kreterflut,

Verdruß und Wut

Und Grämlichkeit

Fährt mit ihm weit!

Dem Musensohn kommt’s närrisch vor,

Kratzt sich der Philosoph am Ohr;

es würde mir das Herz abdrücken, Ehrwürden Herr Oheim, wann ich als Eurer Frauen Schwestersohn Euch so leichthin, ohne nochmals Eure Kniee umfaßt zu haben, Eures Weges in Übelgewogenheit gehen ließe. Es ist wohl wahr, sie haben mir Consilium abeundi gegeben, aber —“

„Und ich und meine Hausfrau haben desgleichen getan!“ rief der Pastor zornig. „Herr, haltet mich nicht länger auf; ich und mein Haus haben nichts mehr mit Euch zu schaffen.“

Der Prediger ging schneller zu; aber der Neffe hielt sich hartnäckig an seiner Seite.

„Bei den Penaten Eures Herdes, Herr Oheim —“

Er kam mit seiner Rede wiederum nicht zu Ende. Plötzlich stand der alte, strenge Herr still und rief:

„Was wollt Ihr eigentlich noch, Monsieur, nachdem ich Euch meine Meinung so deutlich gesagt habe? Ist das eine Zeit für Narrenteiding? Sehet Euch um, ist das ein Schauspiel dem Auge, um dabei den Horatius abzuleiern? Sehet mir in das Herz; — in dem Hause Gottes haben die Fremden ihre Rosse gestallt; in meiner Kirchen haben sie ihre Bacchanalia gehalten! O rufet nur Evoë, Evoë, und lobet den Bacchus und die Venus, die —; greifet Euch doch in das eigene Herz; ist denn das Volk der Teutschen, das arme elende Volk — hauslos und dachlos hier und an so mancher anderen Statt — in der Lust und Begierde, des römischen Poeten geile Reime an sein schmerzend Ohr klingen zu hören?! Sehet um Euch, Mensch, und gehet und lasset mich meines Weges gehen; was hülfe es Euch, daß Ihr mit mir kämet? Auch bei mir würdet Ihr eine verwüstete Heimstätte und einen kalten Herd finden.“

Der geistliche Herr hatte eine Handbewegung um sich her gemacht, und was diese harte, magere, knochige Hand andeutete, das sah freilich trostlos genug aus.

Sturm auf Sturm war seit dem Jahre 1618 über das Höxtersche Weichbild hingefahren. Kein Chronist hat noch gezählt, wie oft dieser Ort, die Fährstelle und Brücke am großen Völkerübergang zwischen Ost und Westen dem Schwert und der Brandfackel anheimgefallen war. Aber die Ruinen, die wüsten Stellen, die Ärmlichkeit der wenigen wieder aufgerichteten Menschenwohnungen und diese in ihrer allerneuesten Verwüstung zeugten davon. Gleich einem verwesenden Körper lag die Stadt Huxar in dem grauen Abendlicht des Dezembers da, und die alten schwarzen Kirchen ragten wie das Knochengerüst aus dem zerfallenen Fleische der Stadt. Und die Gasse war voll des zerstampften Strohs, des Schutts, der Asche und Trümmer und stank auch sonst dem Heer des allerchristlichsten Königs übel nach; der Student hielt sich die Nase zu, schob den Hut von einem Ohr zum anderen und nickte:

„Bei den Göttern, es ist ein Elend!“

Das war es; aber das Laster saß eben doch zu tief im Blut. Herr Lambert zitierte wieder; wenngleich mit kläglichster Miene:

„Wem klagt das Volk des Reiches Fall,

Wen ruft es an mit Seufzerschwall?

Wen schickt uns Zeus als Rächer her,

Wem legt er in die Hand die Wehr?

Dein Licht verhüllt, schwing nieder dich,

Augur Apoll errette mich, —

ad Augustum Caesarem ist die Ode überschrieben, Herr Oheim.“

„Den Herrn sollt Ihr anrufen; sein Name ist Zebaoth! Emanuel ist sein heiliger Name!“ sprach der Pfarrherr, die drohende Hand erhebend und weiter schreitend. Jetzt ließ der Student und Neffe ihn ziehen und stand still und sah ihm nach und dann noch einmal sich um in Höxter.

Viertes Kapitel.

Die Vetternschaft und zärtliche Verwandtschaft hätten wir demnach also vergeblich begrüßet!“ sagte der in die Wildnis ausgetriebene Bürger und ungeratene Sohn der erlauchten und erleuchteten Mutter Julia Karolina. „Sie haben mir immer meinen Weichmut vorgeworfen; aber hier habe ich es wahrlich nicht an Hartnäckigkeit fehlen lassen. Da hab’ ich doch getan und versucht, was meine seligen Eltern nur verlangen konnten. Ein anderer wär’ längst grob geworden und hätte der lieben Frau Tante und dem Herrn Onkel den Stuhl vor die Tür geschoben; nur solch ein gutherziger Gesell wie ich läßt sich dreimal aus ihr herauswerfen, ohne auf die ihm von früher Jugend an eingebläute Pietas den Teufel herabzubeschwören. Alle Höllengeister, erlöset mich von dem weichen Gemüte!“

Er kratzte sich bedenklich am Krauskopf, obgleich er vor zehn Minuten noch jeden Weltweisen, der dergleichen tun würde, arg in gebundener Rede gelästert hatte. Dann griff er von neuem hinterwärts in den Sack, traf aber auch diesmal auf wenig mehr drin als auf den Günstling des Mäcenas, den Liebhaber Glycerens, den Freund des Varus, — auf den alten sonnigen Schäker, den Flaccus. So stand er in der beginnenden deutschen Winternacht, als plötzlich der weiße Benediktinermönch, der Bruder Henricus, abermals an ihm vorbeiging. Der Frater hatte noch einen Besuch bei dem Minoritenprediger, den der Fürstbischof Bernhard von Galen der katholischen Kirche in Höxter als Hirten vorgesetzt, abgestattet, hatte ihn jedoch nicht zu Hause angetroffen und war, vom Küster zu Sankt Peter beschieden, ihm nach dem Hause des Bürgermeisters Thönis Merz nachgegangen. Er hatte seinen Minoriten richtig gefunden und sein Wort mit ihm ausgetauscht, und nun war er auf dem Wege zum Corveytor.

Salve Domine!“ sagte der Student recht freundlich; und der Mönch schreckte auf, wie es schien, aus recht unbehaglichem Gedankenspiel. Er grüßte aber auch freundlich mit einer Verneigung und wollte damit ruhig an dem jungen Gelehrten vorüber; aber so glatt ging dieses doch nicht. Herr Lambert Tewes ging sofort mit ihm und führte die Unterhaltung weiter.

„Sie gehen nach Hause, ehrwürdiger Herr Pater?“

„Ich gehe nach einer langen, mühsamen Wanderung durch die arge Welt heim in meine Zelle.“

„Und Sie wissen also wohl gar nicht, wie gut Sie es haben, mein Pater?“

Trotz seiner Verstimmung mußte der Alte doch lächeln, und seinen Schritt mäßigend, fragte er:

„Sie gehen bei diesem üblen Wetter noch nicht heim, gelehrter Herr Studiosus?“

„Wie gerne!“ seufzte der Student; „aber haben Sie auch einmal, Herr Pater, einen Onkel und eine Tante gehabt? O heiliger Kilianus, in welche Hände ist dein Haus übergegangen! Ich hatte so sicher da auf eine Abendmahlzeit und einen Strohsack unter dem Schutze deines Marterzeugs gezählt! Ehrwürdiger Herr, sehet hier; als sie mich von Helmstedt wegtrieben, ließ ich ihnen meine Schulden und nahm ihnen diesen Göttersohn in Schweinsleder aus ihrer Bibliotheka mit. Den werde ich nun bei dieser lieblichen Witterung die Nacht über in einer dieser Höxterischen Ruinen an einem eingefallenen Herde als Kopfkissen nehmen müssen. Was meinen Sie aber, mein Pater, wenn Sie ihn mir abhandelten um ein Billiges? Wenn Phöbus nicht längst diesem niederträchtigen Erdenwinkel den Rücken gewendet hätte, würde ich das Volum Ihnen gern zur genauen Besichtigung ad oculos rücken. Es ist eine treffliche Edition — Amstelodami, ex officina Henrici et Theodori Boom — mit einem Frontispizium vom berühmten Maler und Kupferstecher Romyn de Hooghe; he?!“

„Ich war ein Reitersmann in meiner Jungheit und habe schon und leider als Junker Heinrich von Herstelle meines Informators Latein an den Büschen hängen lassen,“ erwiderte der Mönch. „Ich danke Euch herzlich, mein lieber junger Freund, und befehle Euch dem Schutze des Allerhöchsten. Sonsten haben wir auch zu Corvey eine mächtige, fürtreffliche Bücherei, und sie würden mich weidlich auslachen, wenn ich von der Reise dergleichen ihnen mitbrächte und zutrüge.“

„Eulen nach Athen,“ murmelte der Student. „Ich will’s aus Höflichkeit glauben; also — vergnügliche gute Nacht, mein Pater.“

Der Mönch verneigte sich abermals und ging; der Helmstedtsche Studiosus blieb und rief, als der Bruder Henricus ihm aus Gehörweite entfernt zu sein schien:

„Also wiederum abgeblitzt! Da lohnte es sich in Wahrheit, seinen Musquedonner oder seine Schnapphahnflinte zu laden! Pulver und Blei! Palsambleu! mille millions tonnerres! kein Fluch in teutscher Zunge kann da ausreichen, um einem Menschenkind Luft zu machen. Da nimmt der Pfaff meinen warmen Sitz am Corveyschen Stiftsküchenfeuer in seiner Kutte mit hin; aber — das ist die Zeit, so ist die Zeit! so sind sie alle — gleichviel ob katholisch oder lutherisch aufgewichst! o du heiliger Simson von der Kollegienkirche! o ihr Fleischtöpfe der alma mater Julia! o du lange Burschenbank im Ducksteinkeller! — Und solch einem Böotier hab’ ich meinen Lauriger für ein Nachtessen angeboten?! Schäme dich, Lambertus, und geh in dich! Bei den Unsterblichen, es bleibt also bei einem Nachtquartier in den Ruderibus des Herrn Feldzeugmeisters von Wrangel. Gesegnet sei sein Angedenken! gesegnet sei sein Durchmarsch nach dem Allgäu zum Bregenzer Sturm! Gesegnet seien seine Kartaunen und Bombarden von Anno Sechsundvierzig! Da kriegte man doch wahrlich Lust, selbst den Tilly und den Generalfeldmarschall von Gleen und das Jahr Vierunddreißig mit seinem ‚Salzkotter Quartier!‘ hochleben zu lassen. Was finge nun heute unsereiner an ohne die Ruinen vom Höxterschen Blutbad?!“

Ei ja, aber wer hatte sonst in dieser Nacht ein ruhig, warmes Quartier, ein sicheres und behagliches Kopfkissen und Deckbett in Huxar an der Weser? Eigentlich niemand. Es kam keiner zu einem gesunden Schlaf, außer den gesunden Kindern. Es war eben in der Woche nach der Sündflut, und wie die übriggebliebene Familie Noah sehr bald in Gezänk und Hohn gegeneinander ihrem Unbehagen in der verwüsteten Welt Raum gab, so lag die Höxtersche Bürgerschaft jetzt schon im Hader untereinander und sich im Haar.

Sie hatten sich — beide, Katholiken wie Lutheraner, — manches von der fremdländischen Besatzung gefallen lassen müssen, von dem Herrn von Turenne und dem Herrn von Fougerais. Nun waren die Franzosen abgezogen, aber das Gift in den Herzen und Köpfen war geblieben. Ein jeglicher suchte nach jemand, an dem er seine Galle, gestraft oder ungestraft — freilich am liebsten in letzterer Weise — los werden konnte, und beim rechten Lichte besehen, war niemand vorhanden, der sich hätte anmaßen dürfen, den Wächter über die kochenden Leidenschaften zu spielen und den Deckel überzustülpen. Sie waren alle Partei! Und der, welcher die stärkste Hand hätte haben können, nämlich Herr Christoph Bernhard, der Bischof zu Münster, führte Krieg mit den Herren Generalstaaten, pfiff auf das Deutsche Reich, versah sich nichts Gutes von dem Herzog Rudolfus Augustus auf dem Amthause Wickensen und wußte zu allem übrigen, daß seine „gute Munizipalstadt“, nämlich die Stadt Höxter, der Mehrzahl ihrer Eingesessenen nach, gleichfalls nach Wickensen ausschaute, jedoch aus einem ganz anderen Grunde als er, der Bischof.

„Laufe schnell mal einer nach dem Bürgermeister!“ heißt es sonst wohl in einem gutgeordneten Gemeinwesen; aber auch das war leider Gottes hier und diesmal von wenig Nutzen. Auch der Bürgermeister von Höxter, Herr Thönis Merz, war Partei. Man hatte von katholischer Seite, um ihn und seine „arme gute Stadt“ unter die Botmäßigkeit des Stiftes und des Herrn Fürstbischofs zu bringen, ihm und ihr mit Schikanen und sogar auch Handgreiflichkeiten arg zugesetzt. Seine Berichte und Klageschriften an den Schutzherrn zu Wickensen schrien laut genug darob.

Wie lange war es her zum Exempel, daß man ihn, den hochedlen Bürgermeister, samt seinem ehrbaren Rat auf die Sperlingsjagd geschickt hatte? War das keine Schikane, daß man von Corvey aus der guten und glorreichen Stadt Huxar wie der geringsten Bauernschaft der Umgegend auferlegte, ihr Quantum Sperlingsköpfe im Stiftshofe abzuliefern, vorzuzählen und aufzuschütten?!

Per vulnera Christi hatte die Stadt zum Herzog Rudolfus Augustus um Hülfe geschrien, und der Bruder Henricus konnte darüber aussagen, wie die herzoglichen Gnaden über den Fall dachten.

Ja, ja, wie sich der Bischof und der Herzog über die Weser mit Briefen und von braunschweigischer Seite vor kurzem auch mit einigen Kompagnien Fußvolks und stattlichen Reiterzügen unter die Nase rückten und jahrelang hin- und herzogen, das steht auf manchem Blatte zu lesen, das gelb und muffig aus jener Zeit zu uns herabgekommen ist.

„Die gute, uralte Stadt Höxar, welche umb ihrer Gerechtsamen und ihrer heiligen Religion halber Leib, Gut und Blut verloren, wird nunmehr als das geringste Dorf gehalten. Ihre Schlüssel sind ihr benommen, in ihrem guten Rechte, sich selber einen Scharfrichter zu halten, ist sie turbiret. Selbst das Judengeleit, so die Stadt doch vor und nach Anno 1624 gehabt, ist ihr auch wieder weggenommen, daß anitzo ein Hauffen Juden alle in bürgerlichen Häusern allda wohnen, ihren Wucher treiben und dennoch der Stadt nichts geben!“

So schrie die lutherische Bürgerschaft.

„Wir werden Euch lehren, so anzäpfliche Worte ohngescheut auszusprengen!“ grollte der katholische Teil der Bevölkerung; und von Corvey aus ließen sich die bischöflichen Gnaden vernehmen:

„Mit sonderbarer Milde und Clementz haben wir bis dato Euch ungeratene, widerspänstige Leute zu Huxar traktiret. Unser landesfürstliches Recht haben wir gewahret: wie reimet sich dann, was Ihr zur Bemantelung des Braunschweigischen feindlichen Einfalls hervorbringet?“

„Sind nicht schon Bürgermeistern Johann Wildenhorern deswegen, daß er vor 16 Jahren bey weyland Herrn Abts Arnolden Zeiten in damaligen seinem Bürgermeister-Ampte für der Stadt Jura gestrebet, allererst vor drei Jahren, wie itztermeldeten Herrn Abts Fürstliche Gnaden schon todt gewesen, Früchte weggenommen?“ klang’s vom Rathause.

„Und wer war Schuld daran,“ klang’s zurück, „daß unserm Fürstlich Münsterischen Hauptmann Meyer, welcher mit zwanzig Mann bei Euch lag, das Trommelspiel, womit derselbe durch seinen Tambour die gewöhnliche Reveli, Scharwacht und Zapfenstreich schlagen lassen, gewaltthätig weggenommen und zu der Braunschweigischen Munition unterm Rathhaus hingebracht wurde?“

„Seid Ihr nicht in dieser anhängigen Sache gleichsam Judex, pars et advocatus?“ schrie die Stadt.

„Mit nichten! Von Gottes Gnaden sind Wir, Christoph Bernhard, Bischof zu Münster, Administrator zu Corvey, Eueres heillosen, rebellischen Municipii eingesetzter und gesalbter Landesherr!“ schallte es zurück.

„Hm, Euer Liebden,“ kam’s vom jenseitigen Ufer der Weser schriftlich herüber, „ohne Euer Liebden in Ihrer unstreitigen Gerechtsame und Landes-Fürstlicher Hoheit zu nahe zu treten, so haben wir doch als Erb-Schutz-Herr wegen unseres Fürstlichen Hauses Interesse dahin zu sehen, daß die arme Stadt in solchem desperaten Zustande nicht gleichsam vor unsern Augen zu Grunde gehen muge.“ Signatum: „Rudolff Augustus“ „An den Herrn Bischoffen von Münster.“

In der gehörigen Zeit nach diesem freundnachbarlichen Schreiben war — eben der Herr von Turenne in Höxter eingerückt. Eine verständlichere Antwort auf den herzoglichen Brief hatte Herr Christoph Bernhard von Galen nicht zu geben gewußt, daß aber der gute Nachbar auf dem Amtshause Wickensen sie sofort verstanden hatte, wird uns deutlich werden, wenn der alte Reiter Heinrich von Herstelle zu Corvey Kunde davon gibt, was er im Solling sah.

Was die Judenschaft anbetraf, über deren in Wegfall gekommenes „Geleitsrecht“ die Bürgerschaft von Höxter gleichfalls so sehr erbost war, so hielt sie sich verständigerweise so still als möglich, ohne daß es ihr viel half. — —

Und nun hatte der Herr von Fougerais am Tage vor der Heimkehr des Bruders Henricus, nach Wesel abmarschierend, die gute Stadt des Fürstbischofs von Münster verlassen und — nicht ohne seine Gründe, vorher die Brücke, die auf das rechte Weserufer überführte, abgebrochen. Christoph Bernhard mit seiner Macht stand weit in der Ferne gegen Holland: für eine Zeit waren Höxter und Corvey sich selber anheimgegeben, und wild und wüst wie in den Häusern und Gassen sah es in den Gemütern aus.

Der Helmstedter konsiliierte Studente, der, seinem Worte wenigstens nach, eben im Begriff war, ein Nachtquartier in irgendeiner Ruine früheren Wohlstandes zu suchen, konnte da vielleicht unter Umständen den ruhigsten und behaglichsten Platz in ganz Huxar finden. Es war jetzt ganz Nacht und viel zu dunkel, um den Horatius hervorzuholen und, mit dem Zeigefinger zwischen die Blätter greifend, sich ein Vaticinium aus ihm herauszulangen, wie man früher desgleichen sich aus dem Virgilius holte. Herr Lambert ging deshalb einfach wie jedes andere Menschenkind, wie das Schicksal ihn führte; und bis jetzt hatte dasselbe ihn, wo nicht immer behaglich, so doch stets recht vergnüglich durch die arge Welt geleitet.

Fünftes Kapitel.

Wir sind allesamt in dieser argen Welt gleich Kindern, denen das Schreiben gelehrt und vom Meister die Hand geführt wird. Nun gingen wir nur allzu gern sofort dem Bruder Henricus nach; allein schon hat man uns auf die Schulter geklopft und nach einer anderen Richtung hingedeutet.

Wie die beiden anderen, die mit ihr den wilden Strom überschifft hatten, war die Kröppel-Leah nach Hause gegangen. Und wenn der Pfarrherr von St. Kilian hinter der vor dem Neffen verriegelten Tür sein Weib am warmen Ofen, wenn der Mönch von Corvey seine Zelle fand, so fand die Greisin ihre Heimat in Ordnung — wie die Zeitläufte es erlaubten. Fünfzig Mann von einem pikardischen Musketierregimente hatten in ihrem Hause gelegen und es sich darin während ihrer Abwesenheit behaglich gemacht! Die Haustür war halb aus den Angeln gerissen, der größte Teil der Fensterscheiben auch hier zertrümmert. Sämtliches Gerät war in Stücke zerschlagen worden. Die Wände waren vom Rauch geschwärzt und sonst besudelt und mit Namen und wüsten Zeichnungen versaut: die fremden Gäste hatten nicht alle schreiben können, aber sie hatten sämtlich zu zeichnen verstanden — und wie!

Die fünfzig französischen Kriegsmänner hatten das Judenhaus für sich allein gehabt; aber noch am Tage ihres Abzuges mit dem Herrn von Fougerais oder vielmehr am Abende dieses Tages hatte sich jemand eingefunden, der eine Weile starr mit gefalteten Händen und unterdrücktem Schluchzen ob der Wüstenei dastand, bis er in ein lautes Weinen ausbrach; und dieser Jemand war ein kleines Mädchen von vierzehn Jahren, der Greisin letzte Enkelin, gewesen. Wo das Kind sich während der letzten wilden Wochen verborgen gehalten hatte, war dem Stift und der Stadt gleichgültig; wenn auch uns nicht. Jetzt war es wieder da und weinte auf den Trümmern des Hauses seiner Großmutter gerade so laut und bitterlich wie weiland der Prophet Jeremias auf den Trümmern der großen Stadt Jerusalem.

Doch das Kind hatte sich gefaßt. Es war eben auch ein Sprößling jenes tapfersten aller Völker, das sich auf jedem Brandschutt seines Glückes schier noch hartnäckiger als das deutsche Volk mit seinen Wurzelfasern wieder anzuheften wußte. Vor allen Dingen hatte das Kind aus dem Hause der Glaubensgenossen, in welchem es von der Barmherzigkeit aufgenommen worden war, ein Lämpchen geholt und mit diesem in der Hand seine schwere Arbeit angefangen. Das kleine Judenmädchen hatte das Haus gereinigt!

Mit seinem Lämpchen in der armen, winzigen, zitternden Hand suchte es das verwüstete Haus ab vom Keller bis zum Boden, und häufig stöhnte es und rief den Gott seines Volkes an, wenn es wieder ein schlau und sicher angelegtes Versteck von der in diesen Angelegenheiten noch schlaueren, auch auf dergleichen ausstudierten Soldateska des Herrn Marschalls von Turenne aufgefunden und ausgestöbert fand. Und das Kind war ganz allein in seiner Not gewesen. Niemand hatte sich darum gekümmert in Höxter, wenn der Schimmer der kleinen Lampe bald hier, bald dort an einer der leeren, schwarzen Fensteröffnungen vorüberflimmerte. Der Volks- und Glaubensgenosse Meister Samuel hatte die Lampe hergeliehen; sein Weib Siphra hatte einen Handkorb mit einem schwarzen Brot, einem schlechten Messer ohne Griff, einen irdenen Krug und einen mit Draht umflochtenen Kochtopf dazugetan:

„Wir würden dir die Taschen mit Gold und Silber füllen und dir eine Herde von Zicklein und Böcklein voraufgehen und dir einen Wagen voll Mehl und Honig und Öl und Gewürz nachfahren lassen, wenn wir’s könnten; aber wir können’s nicht, Simeath!“ hatte man in Meister Samuels Hause gesagt.

„Da hast du noch einen Besen; es ist wohl der schlechteste, aber wir brauchen alle übrigen selber,“ hatte die Frau Siphra hinzugefügt, und so war das Kind mit herzlichem Dank und überströmenden Dankestränen gegangen und hatte es dem König Louis, dem Bischof von Münster, dem Herrn von Turenne, dem Herrn von Fougerais, dem Stift und der Stadt zum Trotz möglich gemacht, sich einzurichten, bis die Großmutter heimkehrte.

Nach dem Hofe zu gelegen, befand sich im oberen Stockwerke des Hauses ein enges, dunkles Gemach, in welchem monsieur le Sergeant mit seiner Zuhälterin, einer dicken Champenoise aus Troyes, sein Quartier aufgeschlagen gehabt hatte und das demnach nicht ganz so ruiniert worden war als die übrigen Räume. In dieser Kammer stand noch das Bett aufrecht, sowie auch ein Tisch, dem nicht mehr als ein Bein abgeschlagen worden war. Zwei oder drei noch sitzgerechte Schemel waren auch dem scherzhaften Mutwillen des abziehenden Heeres entgangen. Schlimm genug sah es freilich auch hier auf dem Estrich, in den Winkeln und an den Wänden aus, und das Bettzeug warf Simeath sofort mit Schaudern in den Hof hinunter. Jedoch da war der Besen und die fleißige, harte, kleine Hand! Um Mitternacht war das Stübchen gekehrt, der Tisch festgestellt und vom nächsten verlassenen Kavallerieposten in der Gasse ein zurückgelassenes Bund Stroh in die Bettstelle der Mamzelle Genevion heraufgeschleppt: eine Viertelstunde nach Mitternacht lag Simeath in diesem Stroh und schlief der Heimkunft der Großmutter entgegen.

Wie das Kind erwachte — vielleicht aus einem glücklichen Traume! — wie es aufrecht saß und sich verstört zum Bewußtsein kommend, in der Scheußlichkeit rings umher umsah; wie es den Tag bis zur abermaligen Dämmerung des Abends hinbrachte, wollen wir auch nicht beschreiben. Wir sahen die Großmutter mit ihrem Bündel, von dem Spott und den bösen Blicken der Wachtmannschaft an der Weserfähre verfolgt, humpelnd ihren Weg nach ihrer Behausung zu nehmen. Wir malen uns in der Phantasie aus, wie sie vor dem Hause stand und nach den zerbrochenen Scheiben hinaufstarrte, wie sie dann über die zertrümmerte Schwelle durch die türlose Pforte trat, und wie ihre Enkelin aufschreiend und mit ausgebreiteten Armen ihr entgegenlief und umherdeutete:

„Sieh! sieh! — Alles hin! nichts heil; — alles voll Ekel und Graus; — alles wüste, alles von den schlechten, wilden Menschen zugrunde gerichtet!“

Nachher hat die Greisin das Haupt gesenkt und einen Spruch in der Sprache ihrer Väter gesagt. Nachher hat das kleine Mädchen die alte Mutter die Treppe hinaufgeleitet und sie in das gereinigte Stübchen geführt. Nachher ist es wieder ganz Nacht geworden; die kleine Lampe aus dem Hause des Meisters Samuel und der guten Frau Siphra brennt auf dem Tische, der von Simeath so künstlich zum Stehen gebracht wurde. Großmutter und Enkelin sitzen an diesem Tisch einander gegenüber. Das Bündel mit der Erbschaft aus Gronau im Fürstentum Hildesheim liegt unter dem Tische.

„Mein gut Kind, wie oft hat der Feind oder das böse Volk in der Stadt dieses Haus umgestürzt, seit ich Atem ziehe? Wer so weit herkommt aus der Zeit wie ich; wer den tollen Christian und den Tilly, den Herrn von Gleen, die Herzogin von Hessen, den Feldmarschall Holzappel, den Wrangel und so viele kleinere wilde Heeresführer vorüberreiten oder über sich wegtreten ließ, der macht sich wenig mehr aus dem Herrn von Turenne und dem Herrn von Fougerais! Ich sehe nur wieder, was ich schon ein Dutzend Male sah. Es ist eine Zeit, in welcher der Mensch das Schlimmste als das Gewöhnlichste hinnimmt. Weine nicht, mein liebes Herzchen, du bist jung und magst noch in eine reinlichere, bessere Zeit hineinleben!“

So hatte die Kröppel-Leah getröstet, und währenddessen hatte der Pastor zu St. Kilian in der bekannten Weise seinem Neffen eine recht gute Nacht gewünscht; währenddessen hatte der Student seinen Tröster im Jammer, den Horatius, dem Bruder Henricus zum Kauf oder für ein Abendessen und Nachtquartier hingehalten; währenddessen — war von der Erbschaft der alten Jüdin an einem Orte, den wir jetzt erst betreten, die Rede.

Am Corveytor in einer Schenke, die im Schild als Zeichen einen Mann führte, welcher in einem Ölkessel tanzte, in der Kneipe „zum heiligen Vitus“, wurde von dem Bündel der Kröppel-Leah gesprochen.

Der Student, Herr Lambert Tewes, war dreimal in das zerbrochene Mauerwerk früheren städtischen Wohlbehagens hineingetappt und hatte sich nach den Ruderibus der Herdstellen hingetastet:

„Brr,“ hatte er jedesmal geächzt, und zum vierten Male wiederholte er den Versuch, sich ein Nachtlager unter den Ruinen des Dreißigjährigen Krieges in Höxter zu suchen, nicht.

Basolamano, messieurs, meine hochgünstigen Herren!“ sagte er höflich beim Eintritt in die Kneipe zu Sankt Veit am Corveytor; ein heller Jubel und lautstimmiges Halloh begrüßten ihn dagegen.

Bis auf den Stadtkorporal Polhenne waren sie allesamt wieder vorhanden und noch einige ihres Gelichters dazu. Eine saubere Gesellschaft, meistenteils auch bereits halb angetrunken und zu jeglichem Schabernack und Unfug bereit! Da war auch der Schulkamerad Wigand Säuberlich, mit dem die Höxterianischen Scholarchen ihren gelehrten Kohl nicht hatten schmalzen können; und dieser, nämlich der Säuberlich, war’s auch hier, der den Studenten zuerst wieder am Knopfe faßte, ihm mit einem schäumenden Bierkrug unter den Bart trat und schrie:

„Da haben wir ihn! Kerl, wo hast du gesteckt? Seit einer Stunde sehnen wir uns nach dir wie eine alte Jungfer nach dem Hochzeiter. Juchhe, jetzt ist der Ofen geheizt und der Braten fertig! Tragt auf, gute Gesellen; Messer und Gabel heraus! Du gehst doch mit uns, Lambert?“

„Wohin, Signor Strillone?“

„Keine fremden Zungen jetzo, Alter! Wir verbitten uns das. Du gehst mit uns, wohin wir dich führen werden.“

„Schlecht Wetter draußen —“

„Aber gut genug, um eine lustige Nacht daraus zu machen in Höxter! Sämtliche gegenwärtige, ehrbare und fröhliche Kumpanei, Mann für Mann, geht mit.“

„Aber zuerst will ich doch wissen, was es gibt, Gevattern.“

„Hunger und Wut, Herr Doktor!“ schrie’s aus dem Haufen. „Alles, was die Franzosen uns gelassen haben.“

„Und einen elenden Durst dazu!“

„Ja saufen könnt Ihr, aber es ist das letzte vom Faß, und kein allerletztes gibt es offenkundig in Höxter! Gerade deshalb wollen wir die Kellerschlüssel holen. Die Lutherischen fallen auf die Katholiken und umgekehrt. Daß wir deinem Onkel auch in der Vergadderung einen Besuch machen, wirst du sicherlich nicht übelnehmen, Lambert.“

Scabies capiat — der Teufel hole meinen Herrn Onkel!“ rief der Student; doch jetzt nahm ihn Hans Vogedes am Arm und flüsterte ihm zu, um, wie er meinte, sein letztes Schwanken und Überlegen triumphvoll zu besiegen:

„Und nachher oder darzwischen fallen wir auch den Juden auf die Köpfe! Was? He? Was sagt Ihr?“

Der Student sah den Verführer einen langen Augenblick an, und dann sagte er:

„Ihr seid eben aus Merxhausen, Fährmann!“ Als worauf beinahe schon jetzt der allgemeine Judenprügel hier in der Kneipe zum heiligen Veit losgegangen wäre. Um aber die Erwiderung des Studenten und die Erbosung des Biedermannes Hans Vogedes vollkommen zu würdigen, bedarf es einer kurzen Erläuterung des Wortes.

Als nämlich der böse Feind, der Versucher, unsern Herrn Jesus Christus auf die Zinne des Tempels führte, sprach er zu ihm — nach einer Tradition, die sich an der Weser erhalten hat —: „Wenn du niederfällst und mich anbetest, soll dir dieses alles gehören, bis — bis auf Merxhausen und Sievershausen dort im Solling; — die beiden Dörfer behalte ich mir vor.“

„Aus Sievershausen bist du nicht, Tewes,“ brüllte Hans der Schiffer mit erhobener Faust, „aber deiner Ehrbarkeit wegen haben sie dich auch in Helmstedt nicht mit Fußtritten aus dem Tor gejagt. Du aufgeblasener Windsack, du Holzbock, willst hier und in jetziger Stunde einem braven Kerl aufmucken? Wahre deinen lateinischen Schädel, du Bettelstudent!“

Von oben bis unten betrachtete Meister Lambert sich den wütenden Strolch von neuem; dann trat er gleichmütig einen Schritt weiter an den Tisch, ergriff den ersten besten Krug, hob ihn an den Mund, ließ den Inhalt bedächtig die Gurgel herniederlaufen, seufzte, stieß das leere Gefäß mit einem Krach auf die Platte nieder und deklamierte mit vollem Pathos:

„Wie Lamm und Wolf befehden sich

Von Anfang an, so hass’ ich dich.

Denk du an den Ibererstrick

Und an die Striemen im Genick,

Item am Bein der Schellenring,

Monsieur, war ein beschwerlich Ding!

Ist das der Weg, auf dem du mich mit dir nehmen willst, o Menas?“

„Kreuz und alle Donner!“ schrie der Fährmann, mit dem Schaume vor dem Mund auf den Studenten losstürzend; aber Wigand Säuberlich warf sich ihm vor und fing seinen Arm auf:

„Halt, halt! Es steht im Buche!“

„Steht das so im Buche? Steht das so in seinem Buche?“ schrie die übrige Kompagneia. „Heraus damit, er soll’s beweisen, der Lambert, daß das so über den Hans gedruckt ist!“

„Es steht in meinem Buch, ihr Herren!“ lachte der Helmstedter, „haltet ihn mir nur noch einen kurzen Augenblick vom Leibe; ich trete den Beweis der Wahrheit an, und nachher gebt jedem ein Rapier; — auf die Faust laß ich mich nicht ein mit ihm!“

Er hatte seinen Horatius hervorgezogen und las und jetzo mit dem allerhöchsten Pathos:

Lupis et agnis quanta sortito obtigit,

Tecum mihi discordia est,

Ibericis peruste funibus latus

Et crura dura compede!

„Sackerment!“ stöhnte die ganze hochlöbliche Gesellschaft und kratzte sich hinter den Ohren. „Gib dich zufrieden, Hans Vogedes, dagegen kommst du nicht auf! Das ist die Zunge, in der sie Urtel und Recht sprechen. Das verfluchte welsche Galgenlateinisch könnte einem den ganzen Spaß von vornherein verleiden. Man sieht dabei ordentlich den grünen Tisch mit seinem Behängsel von Graubärten und geifernden Rat-, Richter- und Advokaten-Schnauzen vor sich! Na, wer geht nun noch mit ins Pläsier?“

Sie gingen dem „Galgenlateinisch“ zum Trotze alle bis auf den Studenten; dieser aber hielt noch eine kleine Rede.

„Bin ich deshalb der erlauchten Mutter Julia, der göttlichen Karoline durchgebrannt, um einem armen Judenweib und seinem Packen schiele Blicke nachzuwerfen?! Apage, apage — weiche von mir, das heißt, ihr Herren, was kümmert’s mich! Macht, was ihr wollt; aber mich laßt damit ungeschoren. Ich werde das Haus hier hüten und die Bank für euch warm halten.“

Es ging noch ein Murren durch den schlimmen Kreis, doch Lambert ließ sich das wenig anfechten. Er rückte behaglich am obern Teil des Tisches neben dem Ofen in die Reihe der noch Sitzenden, indem er das eine Bein über die Bank schwang.

„Bruderherz, bedenke dich noch einmal,“ sprach ihm Wigand Säuberlich zu.

„Bruderherz, das tu’ ich auch; aber sieh mal, Herzbruder, wer sollte denn die Historie eurer glorreichen Heldentaten auf die Nachwelt bringen, wenn einer eurer Knüppel mir im Durcheinander das Hirn ausschlüge?“

„Also ohne dich! Marsch, ihr Brüder! En avant, wie der Herr Kommandante, der Hund, der Fougerais, zum Abschied schrie. Es ist eben eine Zeit, in der jeder seinen eigenen Willen haben muß. Unsere Väter haben es uns nicht anders gelehrt!“

„Bei den unsterblichen Göttern, so ist’s!“ schrie der Student, als aber die Rotte hinausgestürmt war, sprang er von der Bank auf und auf den Tisch und jauchzte:

„Höxter und Corvey!“

So rufen sie dort auf der Kegelbahn, wenn alle Neune fallen.

Sechstes Kapitel.

Das wird eine schöne Katzbalgerei werden! Na, Wirt, bist du für Stift oder Stadt?“

„Alle beide sollen verrecken! Komm aber erst herunter vom Tisch, und vertritt mir das Geschirr nicht, ’s ist das letzte, was mir die Welschen heil gelassen haben.“

„Da gilt’s freilich Vorsicht für den Rest, Alter,“ sprach der Student und kam dem mürrischen Worte des Wirtes zum heiligen Vitus nach. Er stieg herunter von der Tafel, reckte und dehnte sich behaglich, streckte sich sodann lang auf der langen Bank aus, zog die qualmende Lampe näher zu sich heran und schob seinen Lauriger jetzt als Ruhekissen unter den Kopf. Dann schlug er die Hände gleichfalls unter dem Hinterkopfe zusammen und sah so halb schläfrig und ganz gleichgültig dem leise vor sich hinbrummenden Hospes zu, der die Gläser und Krüge abräumte und von Zeit zu Zeit an das niedere Fenster oder vor die Tür seiner Spelunke trat, um in die Nacht hinaus- und seinen liebenswerten Stammgästen nachzuhorchen. Aus der Tiefe des Hauses ertönte gedämpft das Krächzen eines Säuglings, dazwischen die singende Stimme der Wirtin zum heiligen Veit. Auch den Wind vernahm man und von Zeit zu Zeit das Niederrauschen eines Regenschauers. Bei allem diesem Getön entschlummerte nach den geistigen und körperlichen Strapazen des Tages Herr Lambert Tewes sanft und schlief eine halbe Stunde besser als vielleicht sonst irgendein Mensch in Höxter.

Nach einer halben Stunde aber fuhr er wieder in die Höhe und starrte verbiestert um sich und nicht ohne Grund.

Die Sturmglocken waren noch nicht ruiniert in Höxter: man läutete Sturm auf St. Kilian und man läutete Sturm auf St. Niklas!

„Was will uns dieser Tummel doch?

Schlagt in den Erdball mir kein Loch!

Hallo, da sind sie aneinander! Juchhe, Höxter und Corvey! Höxter und Corvey!“ schrie der Student jubelnd, und wir — halten uns beide Ohren zu und gehen nunmehr den Weg, den vorhin der gute Mönch, Bruder Heinrich von Herstelle, nach Hause gegangen war.

Heute führt eine schöne Kastanienallee von der Stadt nach der Abtei, und wir wissen von mehr als einem wolkenlosen Sommertage her ihren Schatten zu würdigen. Damals zog sich der Pfad, vom Kriege kahl gefressen, die Weser entlang, nur daß hier und da ein dickköpfiger Weidenstrunk gespenstisch aus dem niedern Ufergebüsch aufragte. Die Nacht und das Winterwetter hatten den Weg für sich; der Bruder Henricus zog die Kapuze über den Schädel und sah nicht nach rechts und links; er stolperte selbst für seine Geduld auf dem durch Rosseshuf und Räderspur aufgewühlten und durchfurchten Boden allzu häufig.

„Dem Herrn sei Lob!“ ächzte er, als er endlich vor dem Tor von Corvey stand und nach der Glocke des Pförtners tastete; allein seine Geduld sollte nunmehr noch auf die höchste Probe gestellt werden. Er hätte ebensogut vor das schlafende Schloß der Prinzeß Dornröschen kommen können.

Er läutete, und er läutete vergeblich.

Sie schliefen alle, vom Herrn Prior, Niklas von Zitzewitz, an bis zum Bruder Pförtner. Kein Lichtstrahl fiel aus irgendeinem Fenster; — wenn Vater Adelhardus, der Kellermeister, noch Licht hatte, so half das Bruder Henricus fürs erste nichts, denn das Gemach des Pater Kellners war gen Osten, dem Flusse zu gelegen und der müde Wanderer kam von Westen vor dem Tor an.

„All ihr Heiligen, was hat der Böse ihnen in den Schlaftrunk gemischt?!“ stöhnte der Bruder Henricus nach zehn Minuten unablässigen Pochens, Rufens und Schellens. Nun hing er sich noch einmal an die Glocke, und nimmer hatte er dieselbe im Kirchenturme so brünstig zur Hora oder Mette gezogen.

„Endlich!“ rief er grimmig, als sich dann das Fenster neben der Pforte auftat und der Pförtner die Frage tat, wer da Einlaß begehre?

Das wurde gesagt und der Bruder Henricus eingelassen. In früheren Jahren würde er jetzo den Torhüter an der Gurgel genommen haben; als alter Mann und demütiger, sanfter Diszipul des heiligen Benediktus aber begnügte er sich mit der unwirschen Frage:

„Nun sagt nur, was ist denn eigentlich hier vorgegangen, daß zu dieser frühen Abendzeit das ganze Stift daliegt wie ein Hamsternest im Januar?“

„Wohlleben und Jubilation, ehrwürdiger Herr,“ erwiderte der schlaftrunkene, kaum auf den Füßen sich haltende und zwischen jeglichen zwei Worten gähnende Pförtner. „Offenes Haus — seit Eurer Abfahrt — wochenlang — die französische Generalität bei Tag und Nacht! — O, wir haben uns als freundliche Wirte erwiesen, mein Frater — wie es uns zukam, mein Frater; — und die französischen Herren waren auch sehr zufrieden mit uns. Wir haben ein gutes Gedüfte von uns mit ihnen in die Ferne entlassen.“

„So, so, hm, hm,“ brummte der Bruder Heinrich von Herstelle, „und derweilen mußte unsereiner im unwegsamen Solling umhervagieren und mit des verdrießlichen Braunschweigers kalter Küche und lackem Kofent vorlieb nehmen! Ei, ei, und ich bringe doch auch Botschaft vom Gange — wichtige Nachrichten! Ist denn niemand von den Vätern noch wach, daß er sie mir abnehme und mich der Responsabilität erledige?“

„Keiner! Wir sind alle zu Bett in der großen Müdigkeit; — wenn — nicht vielleicht der ehrwürdige Vater Adelhard —“

„Aha!“ brummte der Bruder Henricus. „Saget nichts weiter, mein lieber Sohn! Ich danke Euch, daß Ihr mir das Tor geöffnet habt; nun leget Euch wieder, und Sankt Benediktus versorge Euch mit einem heilsamen und frommen Traum.“

„Euch desgleichen, mein Frater,“ erwiderte der Bruder Pförtner und zog sich zurück in seine Zelle; der Bruder Henricus fand seinen Weg schon allein.

Er tappte die Gänge und Zellen entlang, und hinter mancher eichenen Tür hervor vernahm er das sonore Schnarchen der Brüder und Väter im Herrn.

„Wie die Engel schlafen sie,“ brummte der Bruder Henricus, fügte aber sonderbarerweise an: „Na, na!“

So kam er vor der Pforte des Stiftskellners Adelhardus von Bruch an und klopfte.

Domi!“ klang es im tiefen Baß — domi, das heißt „Bin zu Hause! Bin drin!“

„Gott sei Dank,“ murmelte Bruder Heinrich und trat ein mit dem durch die Ordensregel des heiligen Benedikts vorgeschriebenen Gruße. Wer aber nicht die Responsen darauf sang, das war der Vater Adelhardus. Der war wirklich drinnen; er saß breit im bequemen Stuhle vor dem Eichentisch, und wenn das, was da vor ihm stand, die letzten Überbleibsel vom französischen Feste waren, so war’s freilich hoch hergegangen zu Corvey, aber auch noch mancherlei übrig geblieben.

Eine Schüssel mit einem zur Hälfte leider vertilgten gekochten Schinken! Eine Schüssel mit dem Gerippe eines Truthahnes! Ein Brot wie ein halbes Wagenrad und eine Reihe von Erdkrügen und Glasflaschen nebst einem Humpen, der an und für sich, das heißt durch seine äußere Erscheinung, schon das Auge erfreute, was auch der Inhalt sein mochte!

Non confido oculis meis, ich traue meinen Augen nicht!“ rief der Vater Adelhardus, ein wenig lallend. „Bist du es, mein Sohn Heinrich?“

„Ich bin es, und was ich sehe, gefällt mir wohl,“ erwiderte der brave, alte Reitersmann und gute Bruder von Corvey, Heinrich von Herstelle.

Cor meum prae gaudio exultat, das Herz hüpfet mir vor Freude. Soll ich aufstehen, mein Sohn, dir entgegenzueilen? Desiste, stehe ab davon — setze dich lieber selber, denn ich weiß, daß man dich auf einen mühseligen Gang hinausgesendet hat ad paganos, zu den Heiden — in die Wüsten, per deserta ac solitudines. Ich habe dich sehr vermisset, mein Sohn, in dem Drangsal der letzten Zeiten.“

Der Bruder Henricus stellte seinen Stab im Winkel ab und kam und sah hin über den Tisch, und froh, gutmütig und heimisch-behaglich lächelnd auf den Kellner im Weinberge des Herrn.

„Ich bin gewandert und habe gesehen. Ich bin zurückgekommen mit Nachricht aus der Wüste und dem wilden Wald. Wollen Sie den Herrn Priorem wecken, mein Pater, daß ich berichte, was ich sah und erkundete?“

Non sum hebes nec stupidus, da müßte ich ein Esel oder ein Schafskopf sein. Setze dich, mein lieber Sohn, und erzähle fürs erste mir, was du sahest — für die andern hat’s Zeit bis morgen.“

„Der Herr Prior hat mir aber bei seiner Seele anbefohlen, nach meiner Rückkehr sogleich vor ihm zu erscheinen, sei es bei Tage, sei’s bei Nacht.“

„Halt!“ rief der Vater Adelhard, beide weiche und breite Hände auf die Lehnen seines Sessels stützend und sich also mühesam erhebend: „Er erboset uns auch, so oft er kann; ärgern wir ihn desgleichen! Komm mit mir, mein Sohn Heinrich; ich wecke ihn dir.“

Sie weckten ihn wirklich, den Prior von Corvey, Herrn Nikolaus von Zitzewitz, und er nahm ihren Eifer auf, wie es sich gebührte.

Der Kellermeister ging zu ihm hinein, nachdem er dem Bruder Henricus heimtückisch-schalkhaft den Ellenbogen in die Seite gestoßen hatte. Der Bruder Henricus wartete vor der Tür; aber er hatte gar nicht lange zu warten.

„Seine Hochwürden lassen dich grüßen, mein Sohn, und geben dir ihren Segen —“

„Und?“

„Er hätte mir beinahe das erste, was ihm unter seiner Bettstatt zuhanden kam, an den Kopf geworfen. Morgen bei guter Zeit will er mit dir reden und dich anhören, mein Sohn. Wünschest du nun vielleicht, daß wir auch zum Bruder von dem Felde, dem Vater Florentius, dem Herrn Subprior, uns verfügen?“

„Ich denke, wir lassen es hiermit bewenden,“ meinte der Bruder Henricus ein wenig kläglich und verdrossen.

„Oder zum Vater Metternich, unserm guten Probst Ferdinandus?“

Der Bruder Henricus schüttelte nur den Kopf.

„Dann komme du wieder mit mir! Ich bin der einzige im Stift, der dir noch ein Nachtessen und einen Trunk verschafft.“

Der Vater Adelhardus legte traulich seinen Arm in den seines greisen Sohnes: „Ich sagte es dir ja; die Mühe hätten wir uns ersparen können,“ sagte er, als sie wieder in seinem Gemache vor dem Schinken und dem Truthahn saßen, und der Bruder Henricus den vorbemeldeten Humpen nach einem langen, langen Zuge, — wiederum seufzend, aber diesmal ganz behaglich — seinem — besten Freunde im Stift Corvey zum ersten Mal zurückschob, nämlich zu neuer Füllung aus einem der ungeheuerlichen grauen Steinkrüge mit dem in Blau gemalten Wappen der Abtei.

Siebentes Kapitel.

Daß in Corvey die Mauern noch heil und die Türen nicht ausgehoben oder eingeschlagen waren, wissen wir jetzt; in der Beziehung hatte das Stift es besser als die Stadt; sonst aber ließen die Zustände nach dem Abzug der hohen Bundesgenossen auch bei den guten Benediktinern vieles zu wünschen übrig.

Der Pater Adelhardus gab nunmehr dem Bruder Henricus ausführlichen Bericht darüber.

„Ich rate dir, mein Sohn,“ sprach er, „halte dich an die Knochen; ich habe einen harten Kampf gefochten, ehe ich sie hier im Klosett in Sicherheit hatte. O gula, gula hominum! Ach, über der Menschen Freßgierigkeit! es war nicht einer, nicht ein einziger unter der Brüderschaft, der mir die schmalen Bissen gönnte. Aber sie sollen es verspüren beim nächsten Bräu; Cellarius sum, ich bin der Kellermeister! Halte du dich an mich und nimm vorlieb mit dem Schinkenbein; an den Puterhahn hab’ ich mich gehalten; doch nur weil seine Besitzergreifung mir die größesten Ängste und Nöte verursacht hat. Wahrlich, sie bliesen alle selber die Kämme auf und waren hinter mir drein mit kalekutischem Gekoller, sed palmam reportavi, ich habe obgesieget!“

„So schlimm steht es hier bei Euch, Vater Adelhard?“

„Woui, mon fils. Ehe sie uns nicht neues Schlachtvieh aus den obern Dörfern zutreiben, ist freilich Hunger der beste Koch zu Corvey. An den Geflügelhof mag ich gar nicht gedenken. Halte dich an den Schinken, Sohn Heinrich: Buchweizen heißt es morgen, und Buchweizen wird es auch übermorgen heißen. Buchweizen, Buchweizen, eine gesunde Zukost; aber ich liebe dich, Henrice, und bin nicht wie die anderen: ich gönne dir den Schinken und sehe zur Seite, während du speisest.“

Er sah wirklich weg, wenngleich tief seufzend.

Und es blieb freilich von dem Schinken wenig für den andern Tag übrig. Seit langer Zeit hatte kein Corveyscher Mönch sich mit so gutem Rechte zu seiner „Palme“ eine Märtyrerkrone verdient, wie der Vater Adelhard von Bruch an diesem Abend.

Jetzo aber schlug der mächtige Knochen wie Holz auf den Teller; der Bruder Henricus war gesättigt, und der Humpen nahm seinen Weg zwischen den beiden braven alten Gesellen wieder auf.

„Du hättest doch zu Hause sein sollen,“ sprach der Cellarius. „Wie es bei uns herging, als der Herr von Turenne sein Hauptquartier in Höxter nahm, weißt du noch; aber wie freundlich noch zu guter Letzt der Kommandante, den Turennius uns zurückließ, der Herr von Fougerais, war, das ist dir nun leider entgangen. Hoch ging’s her, bei Tage und bei Nacht. Sie konnten nicht von uns lassen, und es wäre auch dumm von ihnen gewesen, denn wir trugen ihnen auf, daß die Tische knackten — o, du hättest die Brüder sehen sollen. Das ging so hin — unser griechischgelehrter Vater Agapetus hat es uns aus dem Homero verdeutschet — weißt du, Sohn Heinrich, wie, wie — im Schlosse des Königs Odixus; und das Stift war die Königin Penelope, und die Franzmänner waren die ambitores, die proci, die Freier! Ebibe! trink aus, mein Sohn; deposuimus eos vino, wir haben sie häufig genug zu Boden getrunken; aber sie standen immer am andern Morgen wieder auf. Seine fürstlichen Gnaden von Münster, unser Herr Administrator, können es uns nimmer vergessen, was wir alles angestellt haben, um hochdero Verbündeten den Aufenthalt bei uns kommode zu machen; ob sie uns freilich die Auslagen wieder ersetzen werden, das stehet wohl dahin. Man hat so glorreiche Alliierte eben nicht um ein Stück Haferbrot und einen Trunk aus der Schelpe, was sonst ein gar kühles und gesundes Wasser sein soll!“

„Das meinte der Braunschweiger hohngrienig auch,“ sagte der Bruder Henricus.

„Davon nachher. Jetzt laß dir weiter erzählen. Siehe — da liegt der Schinken — knochen! Wir hatten sie zu Hunderten in der Rauchkammer, einen bei dem andern; vordem ein Anblick des Ergötzens, nunc lugubris et tristis memoria! Weg sind sie! Ja, ja, mein Sohn, via ad coelum nonnisi lacrymis struitur — der Weg zum Himmel gehet durch ein Tränental. Wir hatten sie, Gallos, meine ich, auf dem Tische und bei Tische. Weg sind sie, galli et Galli. Die einen in die Mägen der andern; und wie es den Hennen zu Höxter ergangen ist, das werden die nächsten neun Monden ausweisen. Da waren sie sich alle gleich, die aus dem Languedoc und die aus der Bretagne, die aus der Normandie und die aus der Pikardie, und ihr Haupthahn war nicht besser als sein Volk. Diabolus accipiat animam ejus, der Böse nehme ihn beim Kragen auf seinem Wege nach Wesel. Na, mein Sohn, du rittest mit dem Tilly in deiner Jugend, du weißt Bescheid —“

„Sprechen Sie jetzo das Gratias, mein Pater,“ seufzte der Bruder Henricus. „Grade weil ich mit dem Tilly ritt, will das mir in diesem Momento nicht anstehen. Nachher wollen wir uns schlafen legen.“

„Das wollen wir mit nichten,“ rief der Pater Adelhardus. „Omnia tempestive, alles zu seiner Zeit. Habe ich mich deinethalben so heiser gesprochen, so berichte mir nun auch, was du uns Gutes mitbringst vom Herzog Rudolfus Augustus.“

„Das mögt Ihr nun nehmen, wie Ihr wollt,“ flüsterte der Bruder Henricus. „Er hatte den Wald, den Solling, gewaltig verrammelt. Er stand mit Geschütz, Reitern und Fußvolk vom Idth her bis an den Fluß. Bis hieher und nicht weiter! sprach er, nachdem er mir seine Rüstung hatte vorweisen lassen. Es wäre selbst für den Turennius ein harter Marsch durch den wilden Forst und die Weserberge gewesen.“

„Deshalb blieb er auch confortabiliter bei uns und zeigte den Huxarienses, den Höxternschen, und uns seine und unseres Herrn Bischofen und Administratoren Macht und Gewalt!“

„Nachher fand ich heute die Weserbruck abgebrochen.“

Der Cellarius von Corvey neigte bedächtig das Haupt:

„Es hat alles seine Gründe in dieser Welt. Diesmal sind wir in Holland in Not, sonsten wäre es uns noch länger ganz wohl zu Corvey gewesen; — nicht wahr, messieurs? — Uns? uns! lieber alter Sohn Heinrich, wir leben in einer bittern, verworrenen Zeit. Haben wir die Pikenierer und Musketierer des Braunschweigers hier gehabt, so könnten wir wohl auch noch einmal seine Artolleria über den Fluß rücken sehen. Der Herr von Fougerais war ein kluger Mann und marschierte mit dem Bart auf der Schulter ab. Sohn Heinrich, weißt du, was mir ein Himmelstrost ist in diesen schlimmen Tagen?“

„Nun, mein Pater?“

„Daß ich nur Kellermeister zu Corvey bin und nicht Herr Christoph Bernhard von Galen, Bischof zu Münster; und daß nach unseres guten Abts Arnolden seligem Abscheiden Er Administrator vom Stift und von hochberühmter Abtei geworden ist, und ich nicht Abt. Jetzo können wir zu Bette gehen, mein Sohn!“

Das konnten sie freilich; sie kamen nur fürs erste noch nicht dazu. Sie hörten die nämlichen Glocken, von denen der Helmstedter Student, Herr Lambert Tewes, in der Schenke zum heiligen Veit erweckt wurde aus seinem Schlummer.

„St. Vitus, was ist dieses?“ rief der Bruder Henricus, die Hand hinters Ohr legend.

„Hörst du etwas, Henrice?“

„Es klingt wie Sturm.“

„So summt es mir schon tagelang im Kopfe; — ich meine, es liegt in der Corveyschen Luft. Collusio Diaboli, Täuscherei und Blendwerk des Teufels! Wir wollen schlafen gehen.“

„Nein, nein, das ist keine Gaukelei der Luftgeister. Sie läuten Sturm zu Höxter!“ rief der Bruder Henricus. Er war zu dem hohen Fenster mit den kleinen runden Glasscheiben getreten und hatte einen Flügel geöffnet.

„Hören Sie, mein Vater?“

„Sohn Heinrich, du hast wieder einmal recht. Hilf mir auf; o, über die Heringskrämer, sie werden wohl auch einen Brand zu löschen haben! Sehen wir, ob der Himmel im Westen rot wird.“

Auf den Bruder Henricus gestützt, wackelte der brave Vater Adelhardus durch den langen Korridor in den westlichen Flügel des Gebäudes, und beide Alte sahen neugierig nach der Stadt hin. Das Himmelsgewölbe war und blieb aber dort dunkel; und es war gleich schwarze Nacht im Morgen und im Abend.

„Dann ist es etwas anderes; und nun werden der Herr Prior, samt Subprior und Probst doch wohl aus den warmen Nestern herfürmüssen,“ brummte der Cellarius, zwischen Schadenfreude und eigener Unbehaglichkeit schwankend.

„Ich habe es mir wohl gedacht; es sah böse aus in Höxter, als ich heute abend von der Fähre kam. Die Gassen gefielen mir nicht, und was darin geredet und geflüstert wurde, gefiel mir noch weniger.“

„Rebellion? Tumult in der Stadt? Seditio ante portas?

„Unsern teuren Brüdern zu St. Niklas war’s auch nicht wohl zumute.“

„Also das alte Spiel! Trumpf Luther, — Trumpf Papst! der Herr schütze uns, Schellenkönig — Eckerdaus! Stich Münster — Stich Braunschweig! — zieht Ihr die Lärmglocke von Corvey, Frater Henricus; treibt mir die Klostermannschaft in die Hosen; ich will die Väter und Brüder hervorpochen. O Herr von Zitzewitz, ach Herr von Metternich, der Herr gibt es den Seinen im Traum. Ho, ho, heraus! heraus! all’ arme! all’ arme! Huxar im Aufstande!!!“ —

Nun war es doch spaßig, in diesem Moment in diesem Korridor der großen Abtei Corvey zu stehen und darauf zu achten, wie auf den Waffenruf das sonore Schnarchgetön hinter den Zellentüren plötzlich stille stand — als ob ein Mühlwerk angehalten wurde. Dann aber polterte und grummelte es hinter diesen Türen, dann öffneten sich die ersten derselben — dann wimmelte es hervor und zwar aus allen.

„St. Veit und Benediktus, was gibt es denn nun schon wieder?“

Der Vater Adelhardus ließ sich auf keine Antwort ein; er weckte den Herrn Prior zum andern Mal. Der Bruder Heinrich von Herstelle aber, ein Mann, dem es ganz gleichgültig war, ob in seiner Abtei die fünf ersten Bücher der Annalen des Tacitus wiedergefunden worden waren, verstand es dagegen noch ganz trefflich, eine Lärmglocke zu ziehen und eine Wachtmannschaft in den Harnisch und an die Spieße zu bringen.

Corvey lief durcheinander:

„St. Veit, die Braunschweiger sind über den Fluß! St. Benedikt, der Fougerais ist umgekehrt. Sie sind im Handgemenge in Höxter! Aus den Betten für das Stift! Auf für Christoph Bernhard, — auf für Corvey!“

Die ältesten Greise wankten hervor. Der Propst Ferdinand von Metternich kam; es kam der Subprior Florentius von dem Felde, und zuletzt kam auch der Herr Prior Nikolaus von Zitzewitz.

„Das war mir eine schwere Mühe,“ erzählte nachher der Vater Adelhardus. „Elinguis stabat, gleich einem Ölgötz, gleich einem Stocke stand er und rieb sich die Augen. Vae turbatori; wer auch die Schuld davon tragen mag, — mir vergißt er die Molestierung in seinem Leben nicht.“

Dem sei nun, wie ihm wolle, — so kam Corvey auf die Beine! ... Höxter und Corvey!

Achtes Kapitel.

Was uns anbetrifft, so kamen wir von den Beinen noch gar nicht herunter. Verfügen wir uns zurück nach Höxter, und zwar mit kühler Stirn und gelassenem Gemüt: es ist uns beides vonnöten, und des letzteren rühmen wir uns vor allem. Der große Autor der Dasselschen Chronik Meister Hans Letzner, natürlich schnöde zubenamset der Fabelhans, konnte nicht kritisch-ruhiger in den Wirrwarr seiner Tage oder insbesondere in das Getümmel des St. Vitus-Festes hineingucken, als wir in diese Höxtersche Lärmnacht nach dem Abmarsch des Marschalls von Turenne und des Herrn von Fougerais.

In der Stadt war längst alles auf den Beinen! Der Grimm mußte heraus, und jetzt hatte eben die Gärung den Zapfen aus dem Spundloch getrieben: sinnverwirrend ergoß sich die trübe Flut, und da wir von Corvey kommen und also wissen, wie es dort aussieht, so wissen wir auch, daß fürs erste niemand vorhanden war, der den Ölzweig über diese schlimmen Wasser hintragen oder noch besser das Öl selber in sie hineingießen konnte. Auch die Frauen befanden sich in den Gassen, und das war das Allerschlimmste. Sie, die Weiber, hatten auch von der französischen Einquartierung zu leiden, und zwar in mehr als einer Weise, und wahrhaftig mehr als die Männer. In welchen Winkeln hatten sie sich mit ihren heulenden hungernden Kindern verkriechen müssen! Glücklich noch, wenn sie nicht daraus hervorgezogen wurden, um die tägliche und nächtliche Lustbarkeit durch ihre Gegenwart zu verschönen. Nun kamen sie von ihren leeren Speiseschränken, versudelten Betten, verschweinigelten Fußböden und suchten ihrerseits die geeigneten Persönlichkeiten und Zustände, an denen sie ihren Grimm und Groll auslassen konnten. Katholikinnen wie Lutheranerinnen waren sich darin einig, daß mehreres gesagt und getan werden müsse, ehe es wieder Ruhe und Anstand in Höxter geben könne, und an ihnen — den Höxterschen „Dames“ — hatte der Helmstedter Relegatus, Herr Lambert Tewes, vor allem sein Vergnügen.

Meister Lambert, von seinem harten Lager in der Schenke zum heiligen Veit auffahrend, wie beschrieben, schob den Horatius, der ihm als Kopfkissen gedient hatte, in die Tasche und sprang vor die Tür der Schenke. Wir haben auch bereits dem Leser mitgeteilt, daß diese Kneipe am Corveytor, also ein wenig entfernt vom Mittelpunkte der Stadt, lag. Demnach war es still in der Umgegend; der ausgebrochene Tumult wütete mehr in der Mitte der Stadt, und weitbeinig verfügte sich der Student dorthin.

„Was würde mir nun das beste Federbett nebst Schlafrock und Pantuffeln geholfen haben? Was hilft es nunmehro dem Herrn Oheim, daß er die Zipfelkappe über die edlen Ohren zog? Muß er nicht auch heraus? Er muß! Ja, ja, wieder hat es sich gezeigt, daß die Bank das einzig richtige Lager für die Zeitumstände ist. Paratus sum! und hinein mit Lust und Mut in des Säkulums Pläsier und Jokosität. Ein einziger Jammer ist es nur, daß man hier nicht rufen kann: Bursche ’raus! wie unter den Fittichen der hochgelobten Julia Karolina.“

Es ging auch ohne das. Von einem heftigen Zulauf des Pöbels mitgezogen, tauchte er, natürlich mit dem altbekannten Quo, quo scelesti ruitis, jedoch ohne das diesmal in deutsche Reime zu bringen, zuerst vor der lutherischen Pfarrei aus dem wüsten Schwall auf und schwang sich auf einen Prellstein; natürlich nur, um besser sehen zu können, was man eigentlich mit den lieben Verwandten im Sinne habe.

„Sieh, sieh!“ sagte er, und die Szene war in der Tat recht kuriös zu betrachten. Die katholischen Huxarienses stürmten die lutherische Pfarrei und waren natürlich zuerst auf die Frau Pastorin gestoßen, die von der Pforte ihres Hauses aus, mit dem Besen in der Hand, den tollen Haufen fürs erste noch mit merkwürdigem Erfolg bekämpfte. Über sein Weib weg sprach der ehrwürdige Herr mit hocherhobenen Armen Vernunft und dieses ganz vergeblich; — sein Küster war’s, der im Turm von St. Kilian am Glockenseil hing und für die Augsburgische Konfession um Hülfe läutete, während von St. Nikolaus herüber das Geläut kam, das für den zehnten Klemens — Altieri — sich an die städtischen Auktoritäten, das Stift Corvey, den Bischof von Münster und den dunkeln, stürmischen Nachthimmel wandte.

Sie hatten Fackeln mitgebracht, die Tumultuanten, um ja an keinen Stein auf ihrem Wege zu stoßen. Bei dem flackernden Lichtschein beobachtete der Student alles ganz genau, hielt sich jedoch seinerseits vorsichtig so viel als möglich im Schatten.

Coraggio, chère tante,“ jauchzte er. „Siehest du, Freund Säuberlich, das heißt man eine treffliche Quart. Pariere den! ... Hui, der saß wieder, gerade auf dem Schnabel. Siehst du, mein Sohn, da hast du dein Maul voll von dem französischen Nachlaß in den Gossen von Höxter! O papae, schlägt die Papissa eine gute Klinge oder besser einen saftigen Besen!“

Das tat sie; allein zuletzt half es doch wenig gegen den übermächtigen Andrang. Sie wich, und wäre die Päpstin Johanna an ihrer Stelle gewesen, so würde die auch gewichen sein. Der Student auf seinem Steine drückte die Faust auf die Milz:

„Was fällt er ihr denn in die Parade? Soll das Wort hie mehr helfen als die Tat der Heldin? Retro retrorsum, Domine Pastor, halten Sie sich nicht auf! Herr Onkel, — da, da!“

Es war ungefähr so. Der würdige Herr von St. Kilian hatte eingesehen, daß hier sein Wort von so schlechtem Nutzen sei als der Besen seines Ehegesponses. Er hatte den Arm der Gattin erfaßt und zog sie rückwärts die Treppenstufen hinauf in die Pforte des Hauses. Hinter ihnen drein brüllte der Haufen, hinter ihnen drein lachte der schadenfrohe Neffe:

„Holla, es ist nicht das erste Mal heute, daß Ihr sie einem vor der Nase zuschlagt und den Riegel vorschiebt! So habt Ihr es denn, wie Ihr es gewollt habt!“

Contra aegida Palladis ruere, mit dem Kopf gegen die Schürze der Weisheit stoßen, nannte er’s dann, als die Vordersten der erbosten Bande, von den Hintersten geschoben, mit den Stirnen gegen die verrammelte Pforte anrannten. Das Höxter des Jahres 1673 ließ die Knüppel fallen und griff zu den Steinen.

Es flog der erste gegen die lutherische Pfarrei, ihm folgte das erste Dutzend. Noch einen kurzen Augenblick zeigte sich Dominus Helmrich Vollbort am Fenster, dann verschwand er im Innern des Hauses. Die geistliche Frau hielt sich einen Augenblick länger; jedoch die Ochsenaugen zersplitterten um sie her. Sie verschwand gleicherweise, während, wie der Pater Adelhardus sich ausgedrückt haben würde, die infestatio cum bombardis, das Bombardieren fortdauerte. Und in dem Augenblicke, wo die Not am größesten wurde, verstummte der angstvolle Hülferuf vom Turm; eine Handvoll biederer Höxteranischer Stadtinsassen hatte die Tür des heiligen Kilianus, durch welche der Küster eingeschlüpft war, erbrochen, hatte den Küster am Werk und am Seil gefunden, und — jetzt läutete er nicht mehr, sondern aber es wurde auf ihm geläutet; er bekam Prügel, entsetzliche Prügel.

Zerreißen, um an zwei Orten zugleich sein zu können, konnten wir uns leider nicht, aber daß die Katzenmusik, welche die lutherischen Huxarienser zu Ehren des französischen Abmarsches den Minoriten bei St. Niklas besorgten, nicht geringer ausfiel als die bei St. Kilian, das können wir auf unser Wort und unsere Ehre versichern! Die katholische Pfarrei litt nicht weniger von den Freunden unseres Freunds Lambert Tewes als die lutherische; das Schauspiel war das nämliche dort wie hier. Es fiel in Wort und Werk nichts daneben, und der einzige Trost für die Herren bei St. Niklas am Klaustor lag einzig und allein in dieser bösen Nacht darin, daß es den „Herren von der andern Seite“ gerade so ergehe: ein leidiger Trost ist eben auch ein Trost.

Wäre es nunmehr nicht unsere Pflicht, nach dem Burgemeister zu laufen? Durchaus nicht, denn er kommt am letzten Ende doch immer ganz von selber, und so auch jetzt, und zwar begleitet von den Ältesten und Würdigsten der Gemeinde.

Ächzend kam er, Thönis Merz der Bürgermeister, und mit ihm die andern: Kaspar Albrecht der Senator und Jobs Tielemann und Heinrich Kreckler und Hans Jakob zum Dahle, und Hans Freisen und Hans Sievers und Hans Tropen und Hans Heinrich Wulf und Heinrich Voßkuhl und Adam Sievers, die Dechanten von den Gilden und Konrad Kahlfuß der Gemeinheit Meister! Sie erschienen, um Ordnung zu stiften, und etwas Großes war das auch gar nicht, wenigstens an dem Orte, an welchem sie jeweilig auftraten.

„De Burgemester!“ krächzte eine Stimme im Haufen, und sofort kam ein Schwanken und dann ein Erstarren in die wogende Flut. Kopfüber stürzten die Angreifer von den Treppenstufen des Pfarrhauses hinunter, auseinander stob der Pöbel, und der Konsul stieß dem Senator den Ellenbogen in die Seite und sprach:

„Gevatter, was habe ich gesagt?!“

Ob es aber mehr darauf, was er gesagt hatte, oder was der Herr Pfarrer und die Frau Pfarrerin jetzo sagten, ankam, das wollen wir dahingestellt sein lassen. Wer da sagt: Racha! der ist des Rats schuldig; und es wurde dergleichen ausgerufen; — sehen wir zu, wo derweilen unser Helmstedter geblieben ist. —

Wenn das erboste katholische Volk bei St. Kilian auseinander gelaufen war, so war’s danach freilich noch nicht ruhig nach Hause und ins Stroh gegangen, sondern im Lauf durch die Gassen St. Niklas zu.

Leichtfüßig war der Student von seinem Eckstein heruntergesprungen. Er hatte alles hier in Obacht genommen, was ihn interessieren konnte, doch die Blüte des Spaßes pflückte er nun erst ab.

Der Platz vor der Pfarrerwohnung war leer. In der wieder geöffneten Tür standen heftig gestikulierend der Onkel und die Tante, auf den Treppenstufen der Bürgermeister mit der Hand auf der Brust, am Fuße der Treppe in einem Halbkreis der Chor der Senatoren, Patrizier, Tribunen und Gilden-Hauptleute. Gravitätisch schritt jetzt Herr Lambert Tewes aus der Dunkelheit hervor, in das Licht der Laterne, die der Gemeinheit Meister Konrad Kahlfuß trug, hinein, zog höflich den Hut, verbeugte sich tief und richtete an die Herrschaften das, was achtzig Jahre später die Literaturbriefe, wenn sie Herrn Dusch vornahmen, „mit unsern galanten Briefstellern die Courtoisie nennen.“ Dann schritt er langsam querüber in die nächste Gasse und lief, sobald er der entrüsteten Auctoritas aus den Augen war, so schnell ihn die Füße trugen, dem Tumult bei St. Nikolaus zu:

„Wer fürchtet des Skythen, des Parthiers Wut,

Wer scheuet Germaniens greuliche Brut?

Nun sitzt man geruhig beim fröhlichen Schmaus,

Es schändet kein Frevler des Biedermanns Haus!“

Hiemit, das heißt mit diesem heitern, wenn auch nicht völlig zutreffenden Zitat aus der fünften Ode des vierten Buches der Lieder des Quintus Horatius Flaccus kam er an bei den Minoriten am Klaustor und wiederum ganz im richtigen Augenblick.

Neuntes Kapitel.

Ganz zur richtigen Zeit, denn eben schwieg die katholische Sturmglocke, und bekam der katholische Küster gleichfalls Prügel. In ganz Höxter aber hatte Lambertus keinen bessern Bekannten als Jordan Hunger, den katholischen Küster; dieser ging noch über den Fährmann Hans Vogedes, den Korporal Polhenne und Seine Hochedelgeboren Herrn Wigand Säuberlich, der mit dem Studenten dem Onkel Vollbort durch die Schule gelaufen war und wie er, Meister Tewes, auf keiner Seite Partei nahm, sondern auf jeder nur sein Vergnügen.

Dieses Vergnügen war nunmehr vor der Pfarrwohnung der von Christoph Bernhard bei St. Nikolaus eingesetzten Minoriten im vollen Gange. Der von St. Kilian herströmende katholische Haufen fiel dem lutherischen beim heiligen Niklas nicht in den Arm, sondern in die Arme. Im letzten Grunde hatten sie alle nur den einzigen Zweck, Unheil zu stiften, und das verrichteten sie denn auch, und zwar ohne jegliche Courtoisie. Das Steinbombardement auf die Fenster der katholischen Herren wurde ebenso kräftig unterhalten, wie das auf die Fenster des Onkels Vollbort.

„Sieh, sieh!“ sagte auch hier wieder der Studente fröhlich; doch eben, als er sich von neuem auf den Prellstein schwingen wollte, faßte ihn ein Weib am Rockschoß, zog ihn zurück und zeterte:

„Um Jesu Christi willen, Herr Magister, sie haben meinen Mann totgeschlagen! Er liegt unter den Glocken, und sie tanzen auf ihm herum!“

O mon dieu!“ rief der Consiliatus. „Ist Sie es, Gevatterin? Mon dieu, und er war doch so gut Freund mit dem Fougerais bei unserm letzten Disput!“

„Dafür haben sie ihn auch windelweich geschlagen, und er liegt unter seinem Seil. O Lambert, kommt und helft mir, laßt Euren besten Kameraden nicht umkommen. Sie sagen, das Stift sei auf dem Wege hierher; aber was hilft das mir, wenn sie mir meinen Mann vorher zunichte gemacht haben. Das leiden wir nun um Corvey!“

„Höxter und Corvey!“ jauchzte der Student, und dann ließ er sich von der Küsterin den Glocken von Sankt Nikolaus nur zu gern zu ziehen. Der Spaß war ihm in dieser Nacht eben überall in Huxar.

Weggelaufen war der unglückselige Monsieur Jordan nicht aus seinem Turmgewölbe während der Zeit, daß sein Weib hingegangen war, die barbarische Welt um Hülfe anzuschreien. Er lag unter seinem baumelnden Seile noch da, wie ihn seine nichtswürdigen Feinde und seine brave Gattin verlassen hatten, mit der Nase im Staube. Seine Schultern zuckten, er zappelte mit den Füßen und ächzte jämmerlich.

Mit der Nase im Staube! und der Student wußte sofort ein Zitat aus dem Horaz und trug natürlich dasselbe dem Unglücklichen, Geschlagenen erst lateinisch und sodann in freier deutscher Übersetzung vor:

„So stürzet der Tannbaum mit donnerndem Hall,

So liegt nun der Küster nach furchtbarem Fall!

Im Blachfeld des Teukrers, dem Feinde zum Raub,

Druckt itzt Don Bravatscho die Nas’ in den Staub!“

„Hu,“ winselte der Küster von Sankt Niklas, „bist du’s, Lambert? Ist meine Frau auch da? Hu, dreht mich um — um Gottes Barmherzigkeit sachte! vorsichtig, sachte. Die Teukrer, oder wie das Dorf heißt, waren es nicht; der Teufel vergelte es den Höxterschen Bösewichtern, die mich um der Kirche willen so greulich zugerichtet haben. O, o, o, das ist viel schlimmer als die letzte Schlacht um die Bosseborner Laterne — weißt du, Lambert, die vor drei Jahren, in der du auch einen Prügel führtest, obgleich es dich als lutherschen Ketzer gar nichts anging.“

Der Student hatte den Armen weich und vorsichtig unter den Armen gefaßt, während die Frau Küsterin die Füße gehoben hatte, um den halb Geräderten auf den Rücken zu legen; aber der Küster hatte zu seinem Schaden sein letztes Wort hervorgestöhnt.

Als Herr Lambert Tewes von der letzten Bosseborner Laternenschlacht hörte, ließ er sofort los und streckte, um einem ganz andern Gefühl als seinem Mitgefühl Luft zu machen, die ausgespreiteten Hände hoch in die Luft.

Mit einem lauten Aufschrei fiel der Küster wieder auf das Gesicht; doch lustkreischend schrie der Student:

„Bei den unsterblichen Göttern, die Bosseborner Laternenschlacht! Ei freilich, Jordan, von dorther bist du’s schon gewohnt, den Mund voll der ernährenden Erde zu nehmen. Du kriegtest wahrlich dein gut Teil ab von der Prügelsuppe in der Küsterschlacht.“

„Aber es war doch eben eine Küsterschlacht!“ winselte Jordan Hunger, „eine katholische Küsterschlacht! wir schlugen uns doch nur unter uns selber um die Ehre Gottes; aber diesmal —“

Er vermochte es nicht, seinen Satz zu Ende zu bringen; jedoch der Student nahm ihm das Wort tröstend ab:

„Sei nur still, Alter, das Martyrtum ist auch um so größer.“

„Hu, das brauchst du mir wahrlich nicht zu sagen,“ stöhnte der Märtyrer, und während man ihn von neuem umwendet und fürs erste mühsam in eine sitzende Stellung bringt, können wir unseren Lesern mitteilen, was es mit der Bosseborner Laterne auf sich hat.

Heute geht das Ding als eine Sage um, mit welcher sie Die von Bosseborn vom Dorfvorsteher bis zum letzten Kossaten bei jeglicher passenden Gelegenheit bis aufs Blut, wie die eine Redensart, oder bis zum Schwarzwerden, wie die andere heißt, ärgern. Sie, die Bosseborner nämlich, sollen, von einer Hochzeit nach Hause ziehend, ihren Weg durchaus nicht mehr gefunden haben, sondern arg in Gestrüpp, Sumpf und Moor verloren gegangen sein. Da soll denn der Küster, der Nüchternste in der Gemeine (Sokrates beim Symposion Platonis!) ihnen geleuchtet haben, und zwar auf absonderliche Art. Man sagt, er habe einen Einfall gehabt, selber ein Licht unter den Umständen; er habe den Hemdenschwanz hinten aus den Hosen gezogen und niederhängen lassen, und der habe hell genug durch die Nacht geschienen, um der Bauernschaft als Laterne zu nützen. So sei der Küster von Bosseborn vorangeschwanket, ihm nach der Vorsteher, dem nach der Gemeinderat und dem wieder die torkelnde gemeine Bauernschar, im Gänsemarsche alles — einer hinter dem andern — ein ewig memorabler Zug bis ins Dorf hinein.

Die Geschichte ist gut; wenn ihr nur so wäre! Aber die Sache hat einen ganz andern und viel ernsthaftern Angang.

„Wann kompt in Sommer Sanktus Veit,

So endert sich beid Tag und Zeit.

Dem schlaff geht zu, dem Wachen ab,

Wie sich das alter neigt zum Grab,

Und wer dan hat der pfenning viel,

Der mach sich auff zu diesem ziel,

Und wander hin wol nach Sankt Veit,

Ihr kann man werden leichtlich queid —“

singt bei Hans Letzner ein „rechter erfahrener Landtkündiger“; und von der großen Prozession nach Corvey auf Sankt-Vitus-Tag stammt die Laternenfrage her, sowie jede Schlacht, die an dem Tage darum geschlagen wurde; vorzüglich aber die des Jahres Siebenzig, welche eine der hartnäckigsten und blutigsten war, infolge der Indulgenz, die Seine Heiligkeit Papst Clemens IX. kurz vor seinem seligen Abscheiden auf den Tag für dasmal gelegt hatte.

Nun war es aber ein alt Herkommen, daß die jüngste Pfarrei den feierlichen Zug eröffne, — das Ältere und Würdigere folgte, der Reihe nach; und also — sollten Die von Bosseborn voran „mit der Laterne“ und wollten’s natürlich den Ovenhäusern zuschieben, die ihnen folgten: hinc illae lacrimae! Denen von Ovenhausen gingen nach Die von Fürstenau, diesen die Boedexer, diesen die Amelunger, diesen Die von Wehrden und Jakobsberge. Dann zogen Ottbergen und Bruchhausen, nachher kam das Dorf Stahle, nachher Die von Albaxen, Brenckhausen, Lüchtringen und Godelheim. Zuletzt aber kam dicht vor den Reliquien des Heiligen die Stadt Höxter mit ihrer Stadtmusik, zusammen mit den Corveyern. Noch hinter dem heiligen Veit zog das Kapitel auf, sowie der braunschweigische Gesandte mit einem kleinen Abtsstab in der mit einem Velum bedeckten Hand (auch nach der Reformation und als Protestant!), er wurde geleitet vom Corveyer Marschall. Den Beschluß machte das Venerabile unter einem Baldachin, den die Höxternschen Nobiles trugen, — und Jordan Hunger, der Küster von Sankt Nikolaus, war im Jahre 1670 Küster zu Bosseborn gewesen und hatte die Bosseborner Laterne, d. h. die Kirchenfahne seines Dorfes tragen sollen — —

„Wie mancher kompt gar weis’ und klug,

Im Heimgehn er einen Narren trug.

Mancher kompt daher ganz Sinnreich,

Und geht weg ganz bös und grimmich.

Ihr viel da kommen frisch und gesundt,

Da gehn sie heim in Todt verwundt,

Oder sonst gefallen, geschlagen —“

singt der erfahrene „Landtkündiger“ weiter, und so war es. Sie schlugen sich jedesmal wacker um die Bosseborner Laterne; und wenn Bosseborn und Ovenhausen zwischen sich den Streit begannen, so war kein Dorf, das zurückbleiben wollte, sondern sie fielen alle drein und aufeinander. Ohne das gab es kein Sankt-Vitus-Fest zu Corvey, und weder das Kapitel noch der braunschweigische Gesandte konnten das geringste da tun, außer daß sie es abermals fertig brachten, daß auch das nächste Mal Bosseborn wieder die „Bosseborner Laterne“ trug.

Doch während wir hier das Krumme gerade machten und der Wahrheit zu ihrem Rechte verhalfen, tobt der Mutwillen viehisch fort in Höxter, wird der zerschlagene Meister Jordan Hunger von seinem heulenden Weib und vergnügten Freunde nach seinem Bette geschleift und — — zieht eine andere Prozession langsam heran. Letzterer wenden wir uns jetzt zu und treffen sie auf dem Wege, den vorhin der Bruder Henricus zur Abtei beschritten hatte. Der Bruder Henricus maß diesen Weg jetzt zurück, er befand sich mit an der Spitze dieses Zuges, der von Corvey kam. Er war ein Kriegsmann gewesen in seiner Jugend, und sein Prior, Herr Nikolaus von Zitzewitz, hielt sich an ihm und ließ ihn nicht von seiner Seite. Dicht hinter ihm hielt sich der Subprior Florentius von dem Felde und der Probst Ferdinandus von Metternich. Den guten Vater Adelhard, den Cellarius, hatte man seiner Unbehülflichkeit halben in diesen gefährlichen Nöten zu Hause gelassen, um dort Ordnung zu halten.

Die Abtei zog heldenhaft nach der Stadt, um sich selber Nachricht über die Vorfälle dort zu holen, da „impie et nefarie“ ruchloser- und leichtfertigerweise niemand gekommen war, um ihr solche zu bringen.

Aber Corvey konnte nicht anders; Corvey mußte auf den Plan! Die Abtei, eben in ihren „Rechten“ durch den fremdländischen Helfer, den größesten der französischen Feldherren, gegenüber der rebellischen Bürgerschaft von Huxar und dem braunschweigischen Schutzherrn gekräftigt, mußte alles daran setzen, daß ihr die soeben nach langem Streite endlich einmal wieder fester gepackte Obergewalt nicht von neuem aus den Händen gleite. Es galt, Höxter gegen jeglichen Feind oder Aufrührer festzuhalten, und so zog das Stift in Waffen gegen die Munizipalstadt. Unter Umständen verstand es Herr Christoph Bernhard von Galen, merkwürdig böse Gesichter zu schneiden, und Corvey wußte das und kannte das.

Die Lärmglocke, die Bruder Heinrich von Herstelle gezogen hatte, war gehört worden. Die Klostermannschaft war in die Rüstung gefahren, die Herren Benediktiner hatten sich taliter qualiter selber gewaffnet, und die waffenfähige Mannschaft des nächst, aber am andern Ufer der Weser gelegenen Dorfes Lüchtringen war in Kähnen über den Fluß gekommen, um der Abtei zu Hülfe zu eilen. Die Prioren und sonstigen Vorgesetzten gingen natürlich nur im geistlichen Habit, doch manch rüstiger Frater und Pater hatte mutig und freiwillig die Büchse oder Halbpike auf die Schulter genommen und vermaß sich, Heldentaten zu tun, von denen der Chronist von Corvey noch nach Jahrhunderten zu erzählen haben sollte. Der Kriegerischste aber in der ganzen geistlich-weltlichen Heerschar war doch Bruder Henricus, der sicher und männlich, trotz seinem hohen Alter, mit einem gewaltigen Schwerte ging, das wahrscheinlich beim Übergang der Hussiten über die Weser im Kloster stehen geblieben war; — der Zug sah mehr auf ihn als auf die im Fackelschein voranflatternde Sturmfahne mit dem Bilde des heiligen Dionys. Der heilige Patron trug seinen Kopf nur unterm Arm, der Bruder Heinrich dagegen den seinigen noch wacker auf den Schultern.

„Meinen Segen nimmst du mit, mein Sohn; komme mir aber auch ja gesund und vergnügt wieder,“ hatte beim Abschied am Klostertor der Vater Adelhardus zu ihm gesprochen und ihn dabei ganz zärtlich auf die Schulter geklopft.

Nun waren sie auf dem zerfahrenen und zerwühlten Wege, den wir vorhin geschildert haben, mit der Parole: Sankt Vitus! und dem Feldgeschrei: Abbatia urbi imperat! Corvey über Höxter! Nun gerieten sie in die Sümpfe, die Löcher und unter die harten Feldsteine, — nun hielten sie, um Atem zu schöpfen — und nun ächzten sie wieder weiter.

„Bruder von Metternich, das ist eine Nacht, um Anathema zu sagen!“ stöhnte der Prior einmal über das andere. „Was ist deine Meinung?“

„Der Gerechte siehet vor seine Füße und gehet den Weg, den ihn der Herr schickt.“

Bene, bene! Wie dunkel aber die Nacht ist! Hätten wir doch ein jeglicher eine Laterne anstatt der Fackeln mit uns genommen! Nun hört auch das Stürmen vom Turm gar auf, Henrice.“

„Es ist vielleicht doch nur ein schlechter Gassenlärm gewesen, und die Tummelanten haben des Spaßes genug und gehen zu Bett.“

„Und wir sind heraus und hier mitten im Felde? O corpus Christi, der Bann auf ihre Häupter! — Fort, voran, ihr alle, wahrlich, man soll Corvey nicht ungestraft hohnnecken; abbatia urbi imperat, da ist das Corveytor! Ruft: Sankt Vitus! und laßt uns einziehen!“

Nach einem mehr als halbstündigen Marsche waren sie jetzt wirklich vor diesem Tore von Höxter angelangt; allein das Einziehen ging so leicht nicht. Fürs erste fand das Stift die Tür verschlossen, obgleich es selber die Schlüssel dazu hatte — freilich in den Händen seines tapfern, oben schon benannten Hauptmanns Meyer, den wir ebenfalls von Person kennen lernen werden.

„Lasset uns anpochen,“ sprach der Subprior.

„Das wird viel helfen, der Graben ist dazwischen,“ murmelte der Propst.

„So lasset den Zinkenisten von Corvey hertreten, Sohn Heinrich! Er soll sich den Hals zersprengen; aber uns den Pförtner auf die Mauer schaffen. Das ist eine scheußliche Nacht!“ grollte der Prior.

Das alte Stift hatte seinen Trompeter mitgebracht, und er blies, — er blies und blies sich halb die Lunge heraus, bis sein Blasen von der gewünschten Wirkung war.

Endlich, endlich flimmerten Laternen auf der Mauer, und dann rasselte die Brücke unter dem alten Torturm herunter; mit dem Hute in der Hand, von seinen Laternenträgern begleitet, wackelte der Hauptmann Meyer eilfertig und atemlos hervor, den Prior und das Stift zu begrüßen: ein freundlicher, ältlicher Herr, rötlichen Angesichts, breitbäuchig und behäglich, auch einer der besten Freunde des Pater Cellarius, Adelhardus von Bruch.

Höchst verdrießlich empfingen ihn für diesmal die übrigen Würdenträger des Stiftes.

„Sie sind wirklich mit Degen und Feldbinde da, Monsieur?“ schrie der Prior. „Weshalb kommen Sie nicht auch im Schlafrock und denen Pantuffeln, mein Herr Hauptmann? Aus dem Bett kommen Sie ja doch! Bei Sankt Veit, Herr, es geht lustig zu in Höxter. Die Sturmglocke bringt das ganze Land in Aufruhr, und der Herr Kapitän drehen sich auf die andere Seite und geruhen weiter zu ruhen. Wo steckt Ihr mit Euren Leuten, Meyer? Hat man Euch dazu der Stadt Obhut zum zweiten Male anvertrauet?“

Der bischöflich Münstersche Befehlshaber ließ dieses und noch eine Reihe ähnlicher Vorwürfe und Fragen wie das Hochwasser aus einem aufgezogenen Schütt über sich hingehen. Erst als der Prior von Corvey mit seinem Atem zu Ende war, verantwortete er sich oder fing wenigstens an, sich zu verantworten.

„Aus dem warmen Bett komme ich nicht, Hochwürden, sondern von den Wesermauern am Brucktor, allwo ich seit angehobenem Tumult auf den Noht gepasset habe nach meinem Eid und meiner Pflicht.“

„Auf den Noht?!“

„Ja, Hochwürden, auf des Herzogen Rudolf Augusten Oberstwachtmeister Noht!“

„Sankt Veit und Corvey, aber weshalb denn gerade auf den?“

„Wer anders hat uns denn diesen Aufruhr angerichtet als der? Aber beim Teufel, hat er mir einmal meine Trommel genommen, zum zweiten Male soll er sie nicht in die Tatzen kriegen, und wenn er sich noch so verstohlen über die Weser schliche!“

Bei Fackelschein und Laternenlicht sah sich der Prior, Herr Nikolaus von Zitzewitz, verzweiflungsvoll und zweifelnd auf den Gesichtern seines Gefolges um. Sie grinsten alle, und Bruder Heinrich von Herstelle lachte sogar. Es blieb dem Prior von Corvey nichts anderes übrig, als sich fußstampfend von neuem an den biedern Hauptmann zu wenden.

„Aber um Gottes willen, was läuteten sie denn Sturm? wer zog die Glocken und warum?“

„Ja, sehet, Herr Prior,“ sagte der tapfere Kapitän gemütlich, „da treten Sie doch näher und sehen selber! Was uns betrifft, so sind wir, seit der Lärm anging, unter den Waffen und auf der Mauer. In das Handgemenge habe ich den Korporal Polhenne hineingeschickt, doch der kann auch nichts ausrichten. Es geht eben wieder einmal durcheinander, Ratz, Katz und Ketzer, und unsere sind auch dabei. In allen Pfarreien haben sie zu Ehren des hohen französischen Abmarsches die Fenster eingeschmissen, und alle Küster haben sie ganz oder halb totgeschlagen. Doch damit sind sie auch zu Ende, und eben gehen sie, Ketzer und Katholiken, in christlicher Eintracht über die Juden.“

„Und dabei steht der Mensch, lehnt sich auf die Ellenbogen und guckt vom Brucktor aus in die Nacht und über die Weser nach dem Oberstwachtmeister Noht aus!“ ächzte der Prior, die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend. „Seine Trommel?! seine Trommel! Herrgott und Sankt Veit, sollte man da nicht wünschen, daß zehn Jahre lang die Trommel auf ihm selber geschlagen würde?“

„Ich rate nun doch, daß wir schleunigst in Höxter einrücken,“ meinte jetzo Bruder Heinrich von Herstelle, und der Prior, ganz und gar nicht wie ein geistlicher Hirt, Vater und Berater kommandierte wütend:

„Marsch!“

So zog das Stift in die Stadt und nahm auch seinen Hauptmann wieder mit hinein.

Zehntes Kapitel.

Nun auf die Juden!“ Wer bei Sankt Niklas das Wort zuerst in die durcheinander tobende und im Unheil gemeinschaftliche Sache und Brüderschaft machende katholische und lutherische Menge warf, ist niemals historisch klar geworden. Wir haben unseren Freund, den Fährmann Hans Vogedes, im Verdacht. Gegen die Juden ging es; — hier war das tertium comparationis, wie der Helmstedter relegierte junge Weltweise sich ausdrückte, richtig gefunden. Der Pöbel hatte sich zuerst gegen das Haus des Meisters Samuel gewälzt, und Lambert Tewes war ihm selbstverständlich auch dorthin gefolgt.

„Ein unsterblich heroisch Poem werde ich schreiben und Professor der Eloquenz in Helmstedt werden. Bei Venus und Mars, die alten Perücken dort sollen mir nicht ohne Strafe das Consilium gegeben haben; als ein kaiserlich gekröneter Dichter will ich sterben! Diese trojanische Blutnacht haben mir die Götter eigens zubereitet. Es sei ihnen Dank gesagt!“

So schrie er, und sein Horaz schlug ihm im Laufen an die Schenkel. Wir wenden uns und sehen, wie die Kröppel-Leah und die kleine Simeath diese heroische trojanische Nacht bis jetzt hingebracht haben.

Sie hatten kurz vor Anfang des Lärms beide todmüde in das Bett des Sergeanten und das französische Kavalleriestroh kriechen wollen und waren natürlich nicht dazu gekommen. Mit einem Angstruf hatte das Kind den Fuß vom Bettrande wieder zurückgezogen:

„Horch, horch, was ist das, Großmutter?“

Es waren die Höxteraner vor der Pfarrkirche von Sankt Kilian.

„Laß sie rasaunen! Komm, Töchterlein, wir wollen uns wieder an den Tisch setzen. Lege deinen Kopf an mich. Wir wollen die Decke warm um uns schlagen, und ich will dir erzählen wieder von der alten Zeit,“ sagte die Großmutter, und die Enkelin kam. Sie kauerten von neuem zusammen vor der kleinen Lampe in dem kalten verwüsteten Stübchen.

„Unsere Könige waren Hirten in den Zeiten der Ehren. Aber die Herden weideten unter den Palmenbäumen — die Sonne des Herrn leuchtete, das Land unserer Väter duftete nach Myrrhen und Weihrauch. Sie waren große Krieger in glänzenden Panzern und schlugen Schlachten — sie fürchteten niemand — sie waren tapferer als jetzt irgendein Heerfürst —“

Es ging nicht. Sie mußten zu genau auf den Tumult vor der zerbrochenen Tür, vor den zerschlagenen Fenstern horchen. Auch die Greisin, die so viel Brand und Blut in ihrem Leben gesehen hatte, mußte horchen. Das stärkste und geprüfteste Herz lernt da nicht zu Ende.

„Sie werden auch auf uns wieder hereinbrechen!“ jammerte Simeath.

„Sie werden uns nichts nehmen können. Sei still, Liebchen, habe Mut! Ja, wenn noch der Riegel vorgeschoben wäre und das Haus reich, da wäre Grund zur Angst. Wenn das Haus noch wäre wie zu deines Urgroßvaters, meines Vaters, Zeiten, unscheinbar von außen, doch voll Güter drinnen, so möchten wir eher Furcht haben. Was wollen sie uns heute nehmen, da wir nichts weiter haben als unser Elend?“

„Sie haben jetzt auch nur noch das ihrige, Großmutter,“ sagte das Kind klug. „Weil sie diesmal so schlimm daran sind wie wir, sind sie so wild; und sie werden um so grausamer sein gegen uns, je weniger sie finden.“

„Der Herr Gott, der Gott unserer Väter, ist unser Schutz von der Welt Anfang an. Er wird seine Hand auch in dieser Nacht über uns halten, wie er sie seit fünftausend Jahren über sein armes Volk in der Prüfung gehalten hat. Wir sind dem Herrn zu Ehren noch immer da, was sie auch mit Marter und Bosheit gegen uns ausgeübt haben. Horch — es ist Triumph! Sie wüten jetzt gegeneinander! Sei still, Kind, es geht heute Nacht nicht gegen Israel!“

„Aber, Großmutter, sie haben dich nach Hause gehen sehen mit deinem großen Bündel. Du hast ihnen gesprochen von deiner Erbschaft, Großmutter,“ flüsterte die verständige Simeath.

„Die armen Lappen!“ rief die Alte, ihr Bündel unter dem Tische näher an sich heranziehend. „Wir sind gewickelt in die Decke von dem letzten Lager deines Oheims. Das ist aber das Köstlichste von der Erbschaft.“

„Wenn sie es glauben wollten, wären wir wohl glücklich, Großmutter,“ seufzte die Kleine, und — so war es, wie sie sagte.

Von Sankt Kilian gegen Sankt Niklas und von dort vorerst zum Hause des Meisters Samuel und seines frommen Weibes Siphra! Sie brachen ein und stahlen, sie schlugen den Hausherrn zu Boden und drückten seine Ehefrau gegen die Wand; sie schlugen auch seine jungen Kinder, da kein Küster mehr zu mißhandeln war, und alles ging drunter und drüber. Vergeblich wehrten Ratmannswachen und der Korporal Polhenne; — wie wir wissen, gab währenddessen der Stadthauptmann Meyer genau darauf acht, daß ihm seine Trommel nicht zum zweiten Male vom Braunschweigischen Oberstwachtmeister Noht abgenommen werde. Sie legten jetzo auch die erste Brandfackel an, und in dem Moment, als der letzte Mann vom Zuzuge des Stiftes Corvey in das Corveytor zog, schlug die Flamme aus den Fenstern, sprang der rote Hahn aufs Dach, reckte sich, schlug mit den Flügeln und krähte wild hinaus:

„Feuer! Feuerjo!“

Jetzt sah der Vater Adelhardus am hohen Bogenfenster im Korridor der Abtei den Himmel rot werden über Höxter.

„O die Incendiarii! O, die ruchlosen Mordbrenner!“ sprach er. „Haben die Bärenhäuter der Dächer noch zu viel über den gottverlassenen Köpfen? Nun, ich habe den guten Heinrich gewarnt, daß er sich nicht die Finger verbrenne. Der Herr Prior und die übrigen werden sich wohl schon selber zu hüten wissen und nicht zu nahe daran gehen.“

Darauf ließ er sich von einem Laienbruder einen Sessel und Fußschemel an das Bogenfenster rücken, schickte einen zweiten Laienbruder in den Keller nach einer Flasche vom Besseren „gegen den Zorn“ und stellte diese Flasche mit dem Glase handgerecht in die Fensterbank. Da saß er dann, faltete die Hände über dem Bäuchlein und hörte durchaus nicht, wie die ältesten Herren Patres ihn hinter seinem Rücken mit dem grausamen Kaiser Nero beim Brande Roms verglichen. In der Stummerigengasse aber vor dem nun lichterloh flammenden Hause des Juden Samuel wurde es unserm Freunde, Herrn Lambert Tewes, jetzo doch gar übel zumute.

Er lachte nicht mehr, sondern biß die Zähne aufeinander. Die Lust zum Zitieren des Horatius war ihm völlig vergangen.

„Was zu viel ist, das ist zu viel!“ ächzte er. „Und dies ist eine Bestialität. Hierosolyma perdita? Auf für Jerusalem! Nieder mit den mordbrennerischen Halunken! Und der Monsieur Samuel ist der einzige in ganz Huxar, der auf ein dankbar Herz bei mir rechnet. Und jetzt stehlen sie mir meines Vaters Taschenuhr in seinem Verschluß! Himmel, Hölle und alle Teufel, zu Boden mit dir, du Vieh!“

Das letzte Wort war, begleitet von einem Faustschlag, an einen der Tumultuanten gerichtet. Der Kerl lag sofort am Boden, allein im selbigen Augenblicke war auch schon dem Studenten der Hut über Stirn, Augen und Ohren hinabgeschlagen, und er bekam einen Fußtritt in die Rippen, der ihm für mehrere Minuten den Atem benahm. Als er den Hut endlich wieder in die Höhe bekommen hatte, fand er sich zum zweiten Male in dieser Nacht Aug in Auge mit dem Bruder Heinrich von Herstelle, und der Bruder packte sofort zu, griff ihm an die Brust und donnerte dem Hauptmann Meyer zu:

„Fort mit dem! Ins Gewahrsam! Wenn einer in dieser Nacht mitgewürfelt hat, so ist’s dieser! Ins Prison mit ihm!“

„Holla!“ rief der Student lachend, „wenn einer in dieser Nacht in Höxter auf Ordnung, Sitte und Tugend geachtet hat, so bin ich’s! Meyer, Ihr kennt mich und wißt die Unschuld zu ästimieren. Nehmt lieber meine Hülfe an, domine — allein kriegt Ihr die Schlingel doch nicht herunter.“

Prioren, Probst und sämtlicher Zuzug von Corvey sahen zweifelnd beim roten Schein der Feuersbrunst; doch der Hauptmann Meyer sagte, sich hinterm Ohr krauend:

„Was ich sagen soll, weiß ich nicht; aber, ehrwürdige Herren, ich kenne ihn freilich, und das Nutzbarste wär’s, wir rollierten ihn ein in unsere Musterrolle.“

„Dann vorwärts und Sturm!“ kommandierte der Bruder Henricus, seinen Flamberg erhebend; und mit der linken Schulter voran, Piken, Hellebarden, Halbpiken und hainbüchene Knüppel vorgestreckt und in der Luft, warf sich die bewaffnete Macht von Corvey auf die Huxarienses, um den Schutzjuden des Stiftes wenigstens das noch zu retten, was von ihrem Leben noch übrig geblieben war. Zwei nackte Kinder trug Lambert Tewes aus dem brennenden Hause, die Siphra errettete vor weiterer Unbill der Bruder Heinrich; den Freund Säuberlich nahm der Hauptmann Meyer mit Hülfe des Korporals Polhenne beim Kragen. Die Herren von Metternich und von Zitzewitz stellten sich ritterlich und trieben jeglichen Corveyschen Hintersassen, der Lust bezeigte, sich nach Hause zu schleichen, mutig in die Schlacht zurück. Es kamen überhaupt jetzt die ersten Regungen der Besinnung in der Bevölkerung wieder zum Vorschein, und Höxter fing an, sich zu schämen. Bürgermeister Thönis Merz und sein Rat fingen an, ihrerseits einzugreifen. Die Mordbrenner und Plünderer wurden überwältigt oder flohen nach allen Seiten; es wurde Raum in der Gasse, und da jetzt, gegen Mitternacht, der Wind sich legte, so brannte das Haus des Meisters Samuel ruhig und ohne weitere Gefahr nieder. Man ließ es brennen.

Elftes Kapitel.

In die wollene Decke vom letzten Bett des Schwestersohnes zu Gronau im Fürstentum Hildesheim gewickelt, hatten währenddessen die Kröppel-Leah und Simeath mit Schauder und Schrecken gehorcht. Der rote Schein der Feuersbrunst, der in die leeren Fensteröffnungen und die Tür fiel, hatte auch den Mut der Alten gebrochen.

„Siehst du, Großmutter, es geht doch wieder gegen uns, sie haben Vater Samuels Haus in Brand gesteckt; — sollen wir nicht fort? Wir können über den Hof schleichen und in des Nachbars Garten; Herr Jakob zum Dahle wird nicht zu schlimm sich stellen, wenn er uns morgen früh in seinem Stalle findet.“

„Ja, ja, Kind,“ stöhnte die Greisin. „Leise, leise — da ist mein Bündel — hilf’s mir wieder auf! Du hast recht, wir müssen hinaus — sie kommen, und sie kennen kein Erbarmen.“

Sie versuchte es, aufzustehen, allein es ging nicht an. Der Weg von Gronau her war dem alten Weibchen doch zu viel gewesen. Sie fiel zurück auf den Stuhl, legte die Arme auf den Tisch und das Gesicht auf die Arme.

„Großmutter, Großmutter,“ jammerte das junge Mädchen. „Besinne dich — wach auf, laß mich deinen Sack tragen! Laß ihnen den Sack, laß uns nur laufen — Barmherzigkeit, sie kommen — da sind sie!“

Nun kreischte die alte Jüdin noch lauter als die junge. Sie kamen, sie polterten die Treppe herauf — sie waren da — nur drei Mann, aber die Bösesten in Höxter — Hans Vogedes, der Fährmann, mit einer Axt den beiden anderen vorauf. In dem Augenblick, als das Stift anrückte und Lambert Tewes seinen Freund Wigand Säuberlich zu Boden schlug, hatten sie sich aus dem Getümmel vor dem Hause des Meisters Samuel weggeschlichen, und sie machten von vornherein gar kein Hehl daraus, daß sie dem Geruche von der Gronauschen Erbschaft nachgegangen seien.

Fünf Minuten später, nachdem sie die zertrümmerte Schwelle überschritten hatten, durchschnitt von dem Hause der Kröppel-Leah her ein so fürchterliches und schrilles Jammergeschrei die Nacht, daß es allen sonstigen Lärm in der Stummerigenstraße übertönte und jedermann den Kopf aufwarf und mit jähem Schrecken horchte.

An der Brandstätte hatte die Szenerie sich aber bereits verschoben. Im Ornate war Ehrn Helmrich Vollbort unter den Mönchen und städtischen Beamten aufgetreten und hatte scharf geredet, sowohl gegen den dunkeln Nachthimmel, wie gegen den Herrn Prior von Corvey, Herrn Nikolaus von Zitzewitz, und gegen den Münsterschen Gubernator und Stadthauptmann Herrn Meyer.

Er hatte um Rache für sein beleidigt Haus und seinen geprügelten Küster geschrien, und über die Schulter des Bruders Henricus hatte der Neffe seine rechte Freude an dem Oheim gehabt.

„Sie haben ja unseren Küster bei Sankt Niklas gleicherweise windelweich und blitzblau geschlagen, ehrwürdiger Herr,“ hatte der Prior eingeworfen. „Da ist doch wahrlich die vollkommene Parität vorhanden gewesen — was sollen wir in dieser Nacht bei solchen Umständen Ihnen noch zugute tun?“

„Stift und Fürstliche Gnaden von Münster haben immer nach Vernunft mit sich reden lassen,“ hatte Herr Florentius von dem Felde begütigend hinzugesetzt, „und —“

„Schlagt ihm vor, daß Ihr mich vor seiner Tür hängen lassen wollt,“ hatte der tolle Helmstedter dem Bruder Heinrich von Herstelle ins Ohr geflüstert.

Der Bruder Heinrich hatte das nicht vorgeschlagen, denn nunmehr hatte Herr Ferdinandus von Metternich, der Propst von Corvey, Vernunft gesprochen und wirklich verständige Dinge gesagt.

Es sei eine üble Nacht, hatte er gemeint. Niemand wisse, wie er daran sei. Morgen sei wieder ein Tag — totgeschlagen sei gottlob und mit Hülfe des heiligen Veit bis jetzt keiner; — die Übeltäter habe man auf dem Stroh im Prison, und selbst die Juden seien noch mit dem Leben davongekommen, soviel man wisse. Wer am meisten bei der greulichen Unruhe gelitten habe, das sei doch wohl das Stift Corvey, das nun auch noch zu allem übrigen den schlimmen Marsch nach Hause vor sich habe. Er — der Propst — hatte zum Schluß seiner Rede geraten, jetzt vor allen Dingen wieder zu Bett zu gehen und für alle Fälle vielleicht eine Salveguardia, gemischt aus Corveyscher Mannschaft und Bürgerwachten, in der Stummerigenstraße zurückzulassen.

„So soll es sein!“ hatte der Prior geschlossen, und zehn Minuten nach seiner Ankunft vor dem Hause des Meisters Samuel befand sich das Stift bereits wieder im eiligen Rückmarsche nach den warmen Betten.

„Hoffentlich hat uns der Vater Adelhardus, während wir die Philister schlugen, ein gutes Warmbier zugerichtet,“ flüsterte der Subprior dem Propst unter dem Corveytor zu.

Dem mochte nun sein, wie ihm wolle; zornigen Herzens schritt doch noch der Pfarrherr von Sankt Kilian im eifrigen Gespräch mit dem Bürgermeister Thönis Merz auf und ab und warf finstere Blicke auf den guten Bruder Henricus. Diesen letzteren nebst einigen handfesten Klosterknechten hatte die Abtei zurückgelassen, um sich von ihnen bei möglichen ferneren Ereignissen kriegstüchtig vertreten zu lassen; und während der lutherische Pastor aufgeregt hin- und widerschritt, stand der greise Mönch in dieser Stummerigenstraße im Lichte der Feuersbrunst nachdenklich auf sein hussitisch Schlachtschwert gestützt und gedachte früherer Tage. Der Student hielt sich zu ihm und zog ihn jetzt am Ärmel seiner Kutte.

„In so tiefen Gedanken auf der heiligen Straße, mein Pater? Ich hab’ Ihnen vorhin den Lauriger angeboten, um einen Sitz am warmen Herde; nun hat uns das Fatum einen noch wärmeren Ofen geheizt. Was, mit Erlaubnis zu fragen, lassen Sie die Ohren hängen, mein Pater?“

Der alte Mönch blickte auf und murmelte:

„O, Just von Burlebecke!“

„Sie sollten ein Wort zu mir sprechen, Ehrwürdiger“ meinte der Student zutunlich. „Sie gefallen mir, und es wäre mir lieb, wenn auch ich Ihnen gefiele. Haben Sie mich am Abend schnöd abfahren lassen, so haben wir doch jetzo Schulter an Schulter gefochten, und — schon den grimmigen Blicken meines Herrn Onkels da drüben zu Liebe solltet Ihr meinen Arm nehmen und die Wacht suaviter mit mir verschwatzen. Mit dem Morgen bin ich auf dem Wege nach Wittenberg, allwo sie schon längst mit Herzspann sich nach mir sehnen, und Ihr bekommt mich nimmer wieder zu Gesicht, alter Hahn.“

„Sie sind ein Narr, mein Herr Studente,“ sagte der Bruder Henricus, wider Willen über den Schelmen lachend. „Wäre Just von Burlebecke nicht, ich brächte dich auf der Stelle ungesegnet auf den Weg nach Wittenberg. Aber so war Just auch zu seiner Zeit, und ich stehe eben nie in der Stummerigenstraße, ohne mit betrübtem Sinn der alten Zeit und an Just von Burlebecke zu gedenken.“

„So sagen Sie mir, wer Just von Burlebecke war, mein Pater, und ich werde gern mich mit Ihnen über ihn betrüben.“

„Da,“ sprach der Mönch, gegen das Stummerigentor hindeutend, „im Sommer Zweiundzwanzig nahm er mit zwanzig Reitern Höxter im Sturm. Er ritt für den tollen Christian, ich mit dem Tilly. Mit zwölftausend zu Fuß und neuntausend Reitern ging der Christian hier bei Höxter über die Weser, und ich ihm und dem wilden Just nach als ein Fähnrich im Regiment Baumgarten. Auf dem Felde bei Stadtloo ist Just von Burlebecke unter den Toutpourelleschen eingescharrt. Ich hab’ ihn unter den Toten gesehen, und er war mein allerbester Herzfreund.“

„Das war der große Krieg, und Ihr seid heute ein Benediktinermönch zu Corvey, mein Vater!“ rief der Student.

„Ja!“ sagte der gute Greis ruhig und schüttelte nur noch einmal den Kopf, die Stummerigenstraße hinaufschauend.

„Er jagte ihnen lachend ins Tor und fiel über die Spießbürger gleich dem Blitz aus dem Sonnenschein; ich muß heute noch darüber lachen! Ach, hättet Ihr den tollen Christian und seine Reiter gekannt, so würdet Ihr auch Just von Burlebecke zu wiegen wissen, Herr Studente. Sie saßen vor ihren Türen und ließen sich die Sonne in die Mäuler scheinen, da schlug er ein aus dem blauen Himmel, und ehe sie sich besannen, hatte er mit seinen zwanzig Gesellen Höxter in der Hand wie der Junge das Vogelnest, dem Stift und der liguistischen Armada vor der Nasen; freilich nur auf ein Viertelstündlein, doch das gerade war der Spaß.“

Der Alte hatte jetzt wirklich den Arm Lamberts genommen und schritt mit ihm langsam die Stummerigenstraße hinauf bis zu dem Hause der Kröppel-Leah.

„Hier, gerade hier auf dieser Stelle hieß es denn: Simson, Philister über dir! Weshalb erzähle ich Euch aber das alles, anstatt Euch, wie es sich gehörte, zur Sittsamkeit zu vermahnen und an Eure Bücher zu schicken?“

„Weil ich nur allzu lange und zu sittsam über den Büchern gesessen habe, Herr Pater. O, Sie werden mir doch noch meinen Horaz abhandeln; ich habe ihn allgemach so fest im Kopfe, daß er mich nur noch dumm macht! Amsterdamer Ausgabe, Frontispiz von Romyn —“

Der Mönch winkte abwehrend mit der Hand.

„Nein,“ sagte er, „ich rede zu Euch, weil Ihr eben noch ein törichter Knabe seid, und es dem Alter so gut tut, die Jugend bei sich zu haben, wenn es der Jugendtollheit gedenkt. Wie war es denn? Ja, als sie sich besonnen hatten um des kleinen Häufleins, das mit Just von Burlebecke jubilierend die Hand auf sie legte, da bliesen sie Alarm. Damals war Höxter auch noch ein volkreicher Ort, voll Handels und Gewerbe, und es gab keine Ruinen und wüste Stätten in den Ringmauern. An den tollen Christian dachten sie nicht, sie sahen nur auf Just und seine zwanzig Reiter. So griffen sie denn nach den Spießen und Büchsen. Es ist ein lustig Schlagen gewesen; aber hier auf dieser Stelle erschossen sie dem Herzbruder den Gaul, und so kam er zu Boden unter den Gaul und die Fäuste von Huxar. Seinen Gesellen ging’s dann natürlich auch nicht anders; zu Hunderten schwärmten sie um den Trupp, holten sich ihrerseits manchen blutigen Kopf, aber schlugen doch auch wacker zu und rissen die Eroberer mit Haken und Stangen von den Pferden. Das ist denn ein Gezerr gewesen, bis die alten und verständigen Leute es möglich machten, sich durch das Getümmel zu zwängen und Vernunft zu sprechen. Da nahm der Stadtschreiber das Protokoll über den Fall zu Papier, und als sie es auf dem Papiere hatten, da ging ihnen das richtige Licht auf, und sie kriegten ein Grauen über ihre eigene heldenmütige Tapferkeit und das, was sie sich durch dieselbige eingebrockt hatten.“

„Sie überlegten sich, daß der Christian dem guten Ritter Just nachtrabe und nicht bloß mit zwanzig Mann,“ lachte der Student.

„Mit neuntausend zu Roß und zwölftausend zu Fuß, wie ich es Euch schon sagte. Als ich nachher mit den Liguisten dem Administrator nachritt, hörte ich die ganze Historia. Ei ja, es war von da an für Rat und Bürgerschaft an diesem schlimmen Flußübergang ein beschwerlich Ding, sich durch die Zeiten und Parteien zu winden.“

„Und heute ist’s schier noch nicht besser,“ meinte Herr Lambert; doch der Mönch erwiderte:

„Hättet Ihr das Höxtersche Blutbad erlebt, auch selber eine Pike an der Mauer geführt, Ihr würdet wohl anders sprechen. Seht Euch um danach und hütet Euch fernerhin, Eure Hand zu bieten, noch mehr der Ruinen zu machen.“

Dann fuhr er in seiner Erzählung fort:

„Sie lachten auch in des Tilly Hauptquartier allhier zu Höxter; Merode lachte, Dem von Piccolomini wackelte der Bauch, und der Savelli schüttelte sich unter seiner großen Perücke. Es gefiel ihnen allen die Art, wie Just von Burlebecke die Stadt genommen hatte. Ich lag damals bei dem Stadtschreiber und hab’ sein Protokoll mir zeigen lassen. Es war ein erbärmlich Gekritzel und Gekratz, gerad ob als die rote Ruhr mit dem Hasenfuß bei seinem Federkunststück am Tische gesessen habe. Und Just als ein wackerer Kavalier hatte auch seinen Namen darauf gehauen, und der ging über die halbe Seite und jede Überschrift von Bürgermeister und Ratmannen dick und schwarz weg wie ein Kürassierregiment durch ein Erbsenfeld. Einen ganzen Abend hat mir der Stadtschreiber von dem Rittmeister Just erzählen müssen; — wie sie ihn unter dem Gaule vorzogen, wie sie ihm den Rock bürsteten, wie der eine mit dem Pistol kam, das er dem Gemeindemeister an den Kopf geworfen hatte, wie der zweite den Degen brachte, der ihm im letzten Ringen abhanden gekommen war, und wie der Hader und das Blutvergießen in eine Festivität auf dem Rathause auslief. Ja, den ganzen Tag hat man getafelt und getrunken zu Ehren Justs von Burlebecke und seiner Reiter — den tollen Christian eingeschlossen! Da haben sie Brüderschaft gemacht und sich mit tränenden Augen in den Armen gelegen, der Bürgermeister von Höxter und Just von Burlebecke, und am Abend hat man der Stadt Judenschaft angehalten, den guten Kavalieren eine Reiterzehrung zu zahlen, und sie mit Triumph, der Stadt Musici vorauf, vor das Tor gebracht und sie mit einem höflichen Complimentum an die Fürstlichen Gnaden von Halberstadt ihres Weges reiten lassen, und nicht einer hat sich um diese Stunde so fest auf dem Gaule gehalten wie am Morgen beim Einsturm ins Stummerigentor.“

„Ich hab’ doch auch schon manche Tür im Sturme genommen, aber so galant hat mich noch nie ein hochedler Senat oder Magistrat darob traktiert,“ sagte der Student lustig-kläglich; und in diesem Augenblick erscholl das erbarmungswürdige Weibergeschrei aus dem Hause, vor welchem vordem Just von Burlebecke unter den Fäusten von Huxar an der Weser gelegen hatte. Wir wissen, wer da schrie.

Zwölftes Kapitel.

Sie stutzten alle in der Gasse, vor allen übrigen jedoch der Mönch und der Student.

„Sankt Veit,“ rief der Bruder Henricus, „will die Mordnacht nie zu Ende gehen? Hier, hier Corvey!“

Er eilte gegen das Haus, aus welchem der Schrei hervordrang, und von den Klosterknechten sprangen auch schon einige von der Brandstelle her.

Der französische nachgelassene Unrat lag vor der Tür der Kröppel-Leah in höheren Haufen als sonst irgendwo in Höxter, und ehe der Bruder Studio dem Bruder Heinrich von Herstelle mit einem Sprung über den Unflat nachfolgte, schwang er natürlich den Hut in die Luft und jauchzte:

„Itzt, römscher Jüngling, zuck dein Schwert

Und sei der edlen Eltern wert;

Färb rot die See mit Pönerblut,

Verlach, verlach des Pyrrhus Wut;

Wirf nieder den Antiochum,

Sein syrisch Königreich stürz um;

Und mit Kanon und Flintenknall

Scheuch fort den grausen Hannibal!“

Das alles war nun gerade nicht nötig; allein Eile tat nichtsdestoweniger not. Herr Lambert sprang und überholte infolge seiner Sprünge den watenden Benediktiner um einen Schritt auf der Treppe. Von allen, die auf den neuen Notschrei herzuliefen, befanden sich der Bruder Henricus und der Student auf dem Schauplatze des Jammers und im Handgemenge mit den Unheilstiftern, ehe ihnen irgend jemand von der Abtei und der Stadt Hülfeleistung und Handreichung tun konnte. Keine gesperrte Tür hielt sie ja auf; und dem Mönche voran sprang der Bruder Studio ein in das Quartier des Sergeanten vom Regiment Fougerais und der lustigen Mamsell Genevion von dem nämlichen Regimente.

Sie kamen zur richtigen Zeit, wenngleich nicht für die drei Höxterschen Ruffiane. Der brave Fährmann Hans Vogedes hielt eben die Greisin auf dem Boden, ihr die Gurgel zusammendrückend, sein einer Raubgenosse zog mit groben Fäusten die zeternde Simeath an den Haarflechten durch das Kämmerchen, der andere der Halunken hatte bereits das armselige Bündel mit der Gronauschen Erbschaft unter dem Tische hervorgezerrt, kniete gierig wühlend und verstreute fluchend den Inhalt um sich her auf dem schmutzigen Boden. Die Lampe des armen Vaters Samuel und das flammende Haus desselben verbreiteten ihren Schein über diese häßliche Szene, wie sie Callot so gern zeichnete und malte in dem scheußlichen Jahrhundert, dem alle Gegenwärtigen angehörten. Sechzehnhundert solcher Bilder hat Maitre Jacques gefertigt bis zum Jahre 1635, und der einzige Trost für uns liegt darin, daß seine Erbin zuletzt doch das Kupfer sämtlicher Platten dieser misères et malheurs de la guerre in Küchengeschirr verwandelte und ihre Suppen darin kochte.

Ecce iterum Crispinus!“ schrie der Student, gegen den die Kehle der Greisin freilassenden Hans Vogedes losstürzend. Im weit ausholenden Schwung warf er ihm zuerst den steifen Schweinslederband seines Flaccus auf die Nase, daß sofort das Blut hervorströmte.

„Da hast du dein Recht auf römisch, du Mauskopf!“

Und schon hatte er ihn selber an der Gurgel und auf dem Boden, ehe der Fährmann sein Mordbeil aufgreifen konnte. Mit beiden Fäusten aber erhob der Bruder Heinrich von Herstelle sein mächtig Schlachtschwert und ließ es flach auf den Schädel des Strolches fallen, der die Simeath bedrängte. Der dritte der Raubbrüder ließ feige das Bündel der Alten im Stiche, sprang empor und wollte mit einem Satz über den niedergestreckten Leib seines Kameraden die Tür, die Treppe und die Gasse gewinnen, fiel aber auf der Treppe den heraufpolternden Klosterleuten und dem ihnen nachkeuchenden tapfern und weisen Hauptmann und Gubernator Meyer in die Arme. Sie fingen ihn zärtlich auf und drückten ihm fast die Seele aus dem Leibe, und ganz gutwillig ließ er sich in der Stummerigenstraße die Hände auf dem Rücken zusammenschnüren. So war die Schlacht hier denn fast eher beendigt, als sie begonnen hatte, und neben den beiden auf der Erde zappelnden Besiegten stehend, blickten die zwei Sieger, Bruder Mönch und Bruder Studio, einander sogar ein wenig verwundert darob an.

Doch jetzo trat der Herr Hauptmann Meyer herein und sah sich seinerseits ein wenig in dem Gemache der Kröppel-Leah um.

Militärisch grüßend und auf den Fährmann und seinen Gesellen deutend, fragte er dann:

„Mit Permission, mein Pater, wie ist es nun mit der Gerichtsbarkeit in Höxter? Hier haben wir den Casum von neuem, behalten wir von Stifts wegen die beiden Lümmel, oder schicken wir sie dem Bürgermeister Merz? Hängen wird sie ja doch wohl Corvey in Anbetracht, daß Bischöfliche Gnaden der Stadt das Blutgericht genommen haben?!“

Zweifelnd krauelte sich der Bruder Henricus am Ohr; doch der Student nahm ihm das Wort vom Munde:

„Einen schönen Gruß von mir und einen Handkuß desgleichen an den alten E—, an die hochehrbare Exzellenz von Huxar, Herrn Thönis Merz, und ich — Lambert Tewes, schicke ihm hier was und erbitte mir dafür morgen ein Viatikum auf den Weg nach Wittenberg von wegen geleisteter Dienste fürs gemeine Wesen. Macht keine langen Worte, behaltet nur ein einziges Mal Eure Weisheit und sesquipedalia — Eure sechs Fuß langen Bedenklichkeiten — für Euch. Den Hans da empfehle ich Euch und dem Bürgermeister besonders, Centurio. Gebt es ihm mit der Weinrebengerte gleichfalls mit einem Kompliment von mir.“

Der Hauptmann sah höchst verdrießlich auf den seine Würde so wenig achtenden Redner, doch der Bruder Henricus meinte lächelnd:

„Für diese Nacht wird’s wohl das beste sein, daß wir tun, wie der Tollkopf vorschlägt, Herr Kapitän. Sagen Sie auch meinen Gruß dem Herrn Bürgermeister. Des Stiftes Rechte zu wahren, stellen Sie zwei Mann zu der Ratmannswacht vor den Turm.“

Der Hauptmann hob wiederum martialisch den Hut; die zwei blutenden Hausfriedenbrecher wurden hinaus- und die Treppe hinuntergeschleift, und der Bruder Heinrich sowie der Student fanden nunmehr die erste Muße, sich nach den beiden armen Frauenzimmern umzusehen, die sie in so tapferer Weise aus den Klauen der ihrer französischen Einquartierung, dem Herrn von Turenne und dem Herrn von Fougerais, nachtumultuierenden Huxarienses errettet hatten.

Das junge Mädchen kniete auf dem Boden und hielt den Kopf der alten Frau im Schoße.

„O, Großmutter, Großmutter,“ schluchzte es, „sag doch was, sprich doch nur ein Wort, wir leben noch, sie haben ihren Willen nicht vollführen können! Die guten Herren haben uns von ihren Griffen erlöst, dem hohen Gott sei Dank! — — Ach, Großmutter, besinne dich!“

Die Greisin zuckte fürs erste nur mit den Armen und krampfte die Finger auf und zusammen; der Benediktiner beugte sich zu ihr herab und leuchtete ihr mit der kleinen Lampe ins Gesicht.

„Der Bösewicht hat sie arg gewürgt. Helft mir, Herr Student, wir wollen sie auf das Bett tragen. Es ist ein Jammer, daß wir den arzneikundigen Bruder Briccius hier nicht vorhanden haben. Der würde sie uns in einem Augenzwinkern wieder aufrecht hinsetzen.“

Herr Lambert Tewes hatte bereits den Kopf der Alten der Simeath aus den Armen genommen; der Mönch faßte sie an den Füßen, und so trugen die beiden sie auf das Bett des Sergeanten; der Student mit einem verstohlenen Seitenblick auf das hübsche zerzauste Judenmädchen.

„Trockne deine Tränen, schwarzlockige Neära,“ sagte er gutmütig. „Tu’s mir zu Liebe — das alte Mütterchen hat in seinem langen Dasein mehr ausgehalten als solch ein Katzengekrall; — eure Patriarchen und Patriarchinnen haben ein verflucht zähes Leben, und Großmutter kommt diesmal noch sicher darüber weg auch ohne den Bruder Briccius.“

„Ich will es dem edlen Herrn nie vergessen!“ rief Simeath nur noch lauter weinend; und dann beugte sie sich, griff nach der Hand des wilden Scholaren und wollte eben die Lippen darauf drücken, als Meister Lambert ihr seine Pfote rasch entzog und ihr einen laut schallenden Kuß auf den Mund gab.

„So steht’s geschrieben in den Legibus der Julia Karolina, und Herr Mynsinger von Frundeck, der Kanzler, wußte wohl, was er tat, als er den Paragraphum einschob.“

Errötend trat das junge Kind gegen das Lager der Greisin zurück; der Mönch hatte wohl ein wenig die Stirn gerunzelt, doch er hatte allzu viel um die allmählich wieder ins Bewußtsein zurückkommende Kröppel-Leah zu tun, um allzu genau auf die sonstigen Vorgänge in seiner Umgebung achten zu können. Mit dem Wasser aus dem Kruge des Vaters Samuel rieb er der Alten die Schläfen; — da nieste sie endlich und stieß einen heiseren Schrei aus, und dann saß sie wirklich aufrecht auf dem Stroh und sah aus stieren Augen umher. Der rote Schein der niedersinkenden Feuersbrunst leuchtete noch immer in das Gemach.

„Salzkotter Quartier. Die Liguisten in der Stadt!“ stöhnte sie und fiel zurück, die Hände über die Augen schlagend.

„Sie ist noch nicht ganz bei sich — das Feuer wirrt sie,“ murmelte der Bruder Henricus gegen den Studenten gewendet. „Sie sieht wieder den Gründonnerstag von 1634. Wir gaben kein Quartier, weil in Salzkotten uns keines gegeben worden war.“

Und der Greis legte auch die eine Hand auf die Stirn und stützte sich mit der anderen gegen die Wand mit den unzüchtigen Zeichnungen des Regiments Fougerais:

„Herr, Herr, mein Gott, wann kommt der Frieden in deine arme Welt?!“ —

Lambert Tewes stand nun ernst genug mit untergeschlagenen Armen da.

„Höxter und Corvey!“ sagte er finster. „Meine lutherischen Väter standen für Stadt und Stift. Die Liga war’s, die Höxter in Trümmer legte und Sankt Viti Sarkophagen zerbrach. Eure fremdländischen Obersten und Kavaliers waren es, die die Gebeine unter sich verteilten, welche der Kaiser Ludwig hierher an die Weser getragen hatte.“

„So ist es,“ sagte Heinrich von Herstelle. „Das ist die Historia von Höxter, und ich — bin Mönch zu Corvey! Ich zog für die Liga; für den Winterkönig, die schöne Elisabeth und den tollen Christian ritt Just von Burlebecke, der mit mir aufgewachsen und von meiner Mutter mit mir erzogen war.“

„Just von Burlebecke!“ klang es wie ein Echo von dem Bette her, und unterstützt von der Enkelin deutete die Greisin mit zitternder, schwankender Hand auf den Erdboden, wo ihre Erbschaft zerstreut lag.

Dreizehntes Kapitel.

Der Student griff eben seinen Horaz, den er diesmal zum ersten Male in dieser Historie als unwiderlegbares Argument gebraucht hatte, auf. Das Buch lag mitten zwischen dem von der Diebeshand zerwühlten Trödel, und Lambert, drüber hinblickend, rief:

„Bei Merkur und Radamanth, ist das der Köder, der das Geschmeiß anzog? Mutter Leah, das habt Ihr aus dem Fürstentum Hildesheim auf Eurem alten Buckel nach Höxter geschleppt? O Moses und all ihr Propheten, wenn der Titus nicht mehr aus Jerusalem mit sich geführt hätte, so würde das spolium, der Plunder, wahrlich nicht der Mühe gelohnt haben.“

Das war richtig, und einen erfreulichen Eindruck machte die Schaustellung, die jetzt der Zufall und die Räubertatze bewerkstelligt hatten, nicht; armselige Wäschestücke, wohlfeile zinnerne oder bleierne Schaumünzen auf alle möglichen Ereignisse, kaiserliche, schwedische und französische Viktorien und Niederlagen — ein halbverbranntes hebräisches Gebetbuch mit silbernen Beschlägen und sieben Stück schlechter Löffel! Eine Halskette von böhmischen Glasperlen mit einem kupfernen Kreuz und ein zusammengedrückter winziger silberner Becher waren die wertvollsten Gegenstände, eine kupferne Pfanne und ein kleiner eiserner Kochtopf die umfangreichsten, bis auf die Decke von dem Sterbelager des Gronauschen jüdischen Mannes.

„Was weißt aber du von Just von Burlebecke, Weib?“ rief der Bruder Henricus bewegt, die Hand der Greisin fassend.

„Ich hielt seinen blutigen Kopf in meinem Schoß hier vor meines Vaters Tür,“ sagte die alte Leah, mit Mühe die Worte hervorstoßend. „Sie hatten ihm das Roß erschossen, und niemand wollte den schlimmen Feind im Anfang aufheben. Ach und doch hub damals der Krieg erst an! Da — da, sucht; er gab mir ein Angedenken, das ist aus einer Hand bei uns dann in die andere gekommen. In Gronau hab’ ich es wiedergefunden.“

Die Kröppel-Leah fiel wieder zurück auf das Stroh, der Student hielt dem Benediktiner sein Buch noch einmal hin:

„Was meint Ihr, Reverendissime, jetzt werfe ich’s zum übrigen, und wir fangen das Trödlergeschäft in Kompagnie an. Was leget Ihr aber in den Handel ein?“

Der greise Mönch stieß ihn nunmehr wirklich von sich; er kniete schon und suchte auf dem Boden. Mit unsicherer Hand warf er die Lumpen und Lappen hin und wider und ließ das Küchengeschirr und die erbärmlichen Raritäten und Kostbarkeiten untereinander erklingen.

„Beim heiligen Vitus,“ rief er plötzlich, „das ist meiner seligen Mutter Werk! Sie gab die Handschuh ihm, als er vor mir auszog. Sie war im Herzen für die neue Lehre; ich ging für meinen Vater zu den Kaiserlichen! Das ist Justs Handschuh mit meiner Mutter Spruch: Geh grad! — O Frau, o Leah, meine Mutter hat mit ihrer guten Hand die Goldfäden gezogen!“

Der Bruder Henricus hielt einen Reiterhandschuh, der mit verblaßtem Golde gestickt war, und nahm hastig, doch gerührt, von neuem die fieberhafte Hand der alten Jüdin:

„Das hat er Euch gegeben, Leah?“

Die Greisin strich die weißen, durch das Ringen mit dem Räuber gelösten Haare aus der Stirn und sagte:

„Ich verstehe den gnädigen Herrn Abt nicht.“

Sie war noch immer nicht ganz bei sich, oder die Betäubung trat doch immer noch von neuem ein.

„Des tollen Herzogs toller Reiter, Just von Burlebecke!“ rief der Bruder Heinrich, sich wieder an den Studenten und die kleine Simeath wendend. „Er hat noch ein gut und lustig Jahr gehabt; dann ist er bei Stadtloo im Ernst erschossen, und niemand hat sein blutend Haupt mitleidig in den Schoß genommen, Leah!“

„Wie war denn das?“ murmelte die Alte. „Es ist soviel nachher gekommen — der Herr Feldmarschall von Tilly und im Jahre Neunundzwanzig der Herr Schwede Baudissin — nein, Neunundzwanzig war’s der Tilly wieder und der Herr von Pappenheim. Der General Graf Baudissin erstürmte Zweiunddreißig die Stadt. — — Dann war der blutige Gründonnerstag — Vierunddreißig. Anno Vierzig berannten Seine Exzellenz der Feldzeugmeister Piccolomini Höxter. Die kamen mit Akkord herein, aber Sechsundvierzig stürmte wieder der Herr Feldzeugmeister Wrangel; — wer redete da von dem Herzog Christian und Just von Burlebecke? Welch ein Jahr schreiben wir heut, Simeath?“

Das junge Mädchen nannte leise die Zahl, und die fiebernde Greisin flüsterte mit geschlossenen Augen:

„Gott Abrahams! der Herr ist der Herr der Heeresscharen; Zebaoth ist sein furchtbarer Name.“

„Das sagte mein Oheim vorhin auch,“ meinte der Student, im schaudernden Unbehagen die Schultern in die Höhe ziehend.

Der Bruder Henricus hatte den Schemel an das traurige Bett der Kröppel-Leah gerückt und saß nun da nieder, sein rostiges Schwert zu seinen Füßen.

„Ja, ja,“ sagte die Greisin, in ihrem verwirrten Sinn sich zurückdenkend, „ich erinnere mich wohl. Wir waren jung, und der Krieg kam eben erst aus dem Böhmerlande zu uns herüber. Mein Vater war der einzige Jüd, der in Höxter wohnen durfte, und ich ein jung Mädchen, Simeath. Wir freuten uns noch des Sommers, und der junge Kavalier ritt mit Lachen in das Stummerigentor. Was trieb mich aus dem Haus? Es ist einerlei — ich trocknete ihm mit meinem Sacktüchlein das Blut von der Stirn. Seine Kriegsgesellen schlugen sich noch mit der Bürgerschaft; er aber sah mich an und sagte: Merci, mademoiselle! er wußte ja nicht, daß ich ein jüdisch Mädchen war. Dann kam der Herr Bürgermeister, und mich zog mein Vater ins Haus, und meine Mutter schlug mich. Sie hörten in der Stadt, mit wie großer Macht der Herzog Christian im Anzuge sei, und da pokulierten sie zusammen auf dem Rathause. Ja, ja, und am Abend, ehe sie ihn vors Tor geleiteten, kam er auf dem edlen Pferd, das ihm die Stadt gegeben hatte, vor meines Vaters Haus, und ich saß am Fenster, und er warf mir seinen Handschuh zu und eine Kußhand und rief: ‚Denkt an Just von Burlebecke, Fräulein; er wird Eurer immer lieb gedenken!‘ Und doch wußte er da schon, daß ich eine Jüdin sei — er war aber ein guter Ritter, und ich habe seiner wirklich oft gedacht. Meine Mutter schlug mich noch einmal am Abend und mein Vater dazu: denn der Rat hatte die Reiterzehrung, die er dem guten Ritter verehrte, auf den jüdischen Mann gelegt. Den Handschuh hab’ ich heimlich versteckt, sonst hätten sie ihn mir mit einem Fluche vor der Nase verbrannt. Dann haben meine Kinder damit gespielt; es ist ein Wunder, daß er noch da ist; — meine Kinder sind tot, dreimal hat mein Haus im Schutt gelegen. Ja, ich hab’ des tapfern Ritters Handschuh von Gronau mitgebracht, o ehrwürdiger Herr, nehmet ihn und lasset es die Simeath nicht entgelten, daß Ihr ihn bei uns fandet. Helfet dem unschuldigen Kinde, der kleinen Simeath, durch diese Nacht!“ —

Das alles war mehr geröchelt als gesprochen worden. Die Greisin schwieg jetzt und atmete im Halbschlaf schwer weiter. Der Greis sprach:

„So ist es, Mutter; wir beide denken noch zurück an die Zeiten des Friedens. Als meine Mutter diesen Handschuh dem Just aufs Pferd reichte, da vermeinte freilich noch niemand, daß länger denn ein Menschenalter durch das deutsche Volk durch einen See von Blut waten werde unter einem Himmel rot und qualmig von den brennenden Städten!“

„Was kümmert’s mich?“ schrie die Kröppel-Leah scharf und schrill aus ihrem Traum heraus. „Meine Väter haben nie Frieden gehabt seit dem Kaiser Titus. Was kümmert’s uns, was ihr gemacht habt aus eurem Lande? Ich ängste mich um Luft; der Schubjack hat mir die Brust zerschlagen, doch ich wollte singen in dieser Nacht, wenn die Simeath nicht wäre.“

„Die Großmutter hat recht mit dem guten Kaiser Titus,“ flüsterte der Student dem Kinde zu. „Nun bin ich auch ein Römer — civis Romanus sum, und kenne mein Latein, Jungfräulein; aber für uns beide soll das kein Grund sein, uns die Gesichter zu zerkratzen.“

„O, freundlicher Herr, scherzet jetzt nicht!“ rief Simeath, die der Greisin eben wieder den Wasserkrug an die Lippen setzte.

Leah trank gierig und lange; dann stieß sie den Krug zurück und setzte sich wieder kräftig auf. Sie wachte nunmehr vollständig und sah hell umher.

„Laß ihn, Kind! Er tut wohl, daß er sich lachend in die Welt schickt. Die Zeit schwingt und schwingt; — auch seine Stunde wird kommen, wo er mit gerunzelter Stirn auf den schweren Pendul sieht. Ehrwürdiger Herr Mönch, Sie waren ein Reiter, nun sind Sie ein Bruder zu Corvey — Ihr seid auch ein alter Mann; habt Ihr den Frieden gefunden in den Mauern der großen Abtei?“

Der Bruder Heinrich von Herstelle hatte, die Stirn mit der Hand stützend, in tiefen Gedanken gesessen, auf die Frage fuhr er auf und wiederholte sie:

„Den Frieden?“

Er zog wie im Spiel den Handschuh Justs von Burlebecke an; dann sprach er:

„Den Frieden? — Geh grad! — Den Frieden? Weshalb sollt’ ich auch den Frieden zu finden wünschen? Ich bin kein gelehrter Mann, wie hier der Herr Student, der den heidnischen Philosophum, den Horatius, auswendig weiß; ich kann’s nicht sagen, wie’s mir zumute ist. In meiner Jugend habe ich Freude gehabt am bunten Leben; — hab’ ich denn den Frieden suchen wollen, als ich ein Mönch wurde? Ja, ja, — denn bei Sankt Veit, es wird wohl so sein! Ei ja, dann hab’ ich ihn gefunden. Ich bin freilich ein alter Gesell, und da hab’ ich mein Genügen zu Corvey; aber — geh grad! — die Zeiten haben mich gelassen, wie ich war, als ich anfing, mich zu besinnen in der Welt. Was Blut und Feuer?! Da das uns vom Herrgott bestimmt war, so mag auch Er — sein Name sei gepriesen — die Rechnung beschließen. Sie wird wohl stimmen, sowohl für ihn als für uns.“

Die Alte lachte rauh:

„Da seid Ihr also auch auf dem Trost, der uns gesungen wird seit den Tagen des Königs Nebukadnezar. Die Stolzen beugen sich, und der Herr lacht über sie — — — —“

„Und dieses alles, weil gestern der Lump, der Monsieur Fougerais, von Höxter abmarschiert ist!“ rief jetzt der Student ungeduldig dazwischen. „Zum Teufel, den Frieden haben wir erst dann, wenn niemand mehr sofort nach dem Prügel im Winkel greift, wenn er sich darauf gespitzt hat zu hören: Vivat Doktor Luther! und es ihm vom andern Tisch herkrächzt: Vivat Clemens der Zehnte — oder umgekehrt! Der Fougerais ist fort — —

Nunc est bibendum, nunc pede libero

Pulsanda tellus

das Lied vom Trinken und Tanzen ist zwar schon nach der Schlacht bei Aktium gesungen und auf den Niederfall der Königin Kleopatra von Ägypten gemünzt; aber ich münze es häufig auf was anderes, und tausend Jahre nach mir wird man’s auch so halten. Item, man hat Jerusalem mehr als einmal wieder aufgebaut, Mutter Leah.“

„Doch die Fremden hausen auf der Wohnstätte des Samen Abrahams, junger Herr. Die Kinder von Juda und Israel irren als ein Spott und Spuk zerstreut; sie haben keinen Ort mehr, da sie Herren ihres Hauses und Leibes sind. Auch für Euch ist noch keine Zeit, den Siegestanz zu tanzen, junger Herr. Wollt Ihr wirklich dem Herrn von Fougerais und dem großen Marschall Turenne nachsingen und tanzen? Sie haben Höxter leer genug gemacht.“

„Meines hochwürdigsten Herrn zu Münster glorreiche Verbündete!“ murmelte der Bruder Henricus. „Lasset das Tanzen noch eine Weile, Herr Studente.“

In diesem Augenblicke erfüllte von neuem ein heftiges Getöse die Gasse und näherte sich dem Hause der Kröppel-Leah.

Vierzehntes Kapitel.

Wann die Hochwasser sich verlaufen haben, dann hängt der Schlamm noch für lange Zeit an den Büschen und überdeckt Wiesen und Felder, und es bedarf mehr als eines klaren Regens und heitern Sonnenscheins, um das Land der Wüstenei wieder zu entledigen. Und wenn die Flut gar in die Städte und Stuben der Menschen drang, dann ist das, was sie hineintrug und zurückließ, gleichfalls nicht so bald ausgekehrt und vor die Tore abgefahren.

In diesen schlechten und stinkenden Tagen sieht aber der Herr mit Vorliebe auf solche leichte, unverwüstliche Gesellen, die lachend über den Schmutz weghüpfen und ihre Hand zur Hülfeleistung gern und lachend da anbieten, wo sich mancher Ehrbare, Wohlweise und Hochansehnliche mit Ekel und Unlust abwendet und die Sache sich selber überläßt. Der Herr der Heerscharen hatte nach dem französischen Abzug in Höxter seine Freude an dem relegierten Helmstedter, Herrn Lambert Tewes.

„Inkommodieren sich Euere exzellenten Liebden nicht,“ rief der Student. „Redet das Beste hinter meinem Rücken von mir; ich werde mich erkundigen, was für einen neuen Unfug da die alte Bosheit, Meister Beelzebub, in Huxar ausgebrütet hat. Hab’ ich es nicht ein Dutzend Mal gesagt: — neque tectum neque lectum, das ist die einzig stichhaltige Devise für diese Nacht!“

Er sprang hinaus, doch die diesmaligen Hausfriedensbrecher kamen ihm bereits an der offenen Pforte entgegen, an ihrer Spitze sein Oheim Ehrn Helmrich Vollbort, der Pfarrherr bei St. Kilian.

Der, Ehrn Helmrich, hatte, während am Bett der Kröppel-Leah über den Handschuh Justs von Burlebecke gehandelt wurde, in der Stummerigenstraße sein Zwiegespräch mit dem Bürgermeister Thönis Merz eifrig fortgesetzt und willige Horcher im erbosten gemeinen Wesen von Huxar gefunden.

„So haben sie wiederum der Stadt Negotien nach ihrem Willen geordnet, die Herren von Corvey,“ hatte er zornig gesprochen. „Wird sich lutherische Bürgerschaft auch diesmal wieder den Maulkorb selber überhängen? Lutherisches Kirchenamt wird reden und sich nicht den Mund verbieten lassen!“

„Wir haben doch auch geredet, Ehrwürden; — aber was hilft’s?“ meinte der Bürgermeister.

„Was es hilft? O ihr närrischen Leute, klingt es euch denn noch nicht genug in die Ohren von dem Gnaden- und Segen-Rezeß, den euch der von Galen, so sich Bischof von Münster und euer Landesherr nennt, über dieselbigen gleich einer Schlafhaube ziehen wird? Behaltet nur das Wort in der Kehle und die Faust im Sack nach eurer faulen Art und wartet das nächste Jahr ab. Den Hechtsfang und sonstige schnöde Nichtigkeiten wird man euch wohl lassen; aber eure Kirchen und Schulen wird man euch vor den Nasen schließen; dann sehet, ob ihr die Schlüssel mit euren Netzen wieder auffischen werdet aus dem Fluß.“

„Was sollen wir tun?“ rief der Bürgermeister, und — „Was sollen wir tun, Ehrwürden?“ klang es im Haufen zornig und weinerlich nach.

„Der Herzog —“ wollte Herr Thönis Merz schwachmütig von neuem beginnen, doch der alte eifrige Prediger unterbrach ihn sogleich:

„Redet mir nicht von dem Braunschweiger. Der rückt euch nicht mehr über die Weser zur Hülfe. Ihr krochet vor ihm, wie ihr vor dem Münsterer krochet, und sie lachten hinter eurem Rücken über euch. Greifet selber an und zu, wie und wo ihr könnt, weichet nur zollbreit, rücket immer wieder zu, Artikul für Artikul; lasset euch das Geringste als das Höchste sein. Was wollt ihr noch viel verlieren?“

„Das weiß der liebe Gott!“ ächzte die lutherische Bürgerschaft von Höxter.

„Der weiß es und hilft denen, die sich selber helfen wollen,“ sprach Ehrn Helmrich Vollbort feierlich. „Lasset diese Nacht nicht vergehen, ohne daß ihr euch rührt gegen Corvey. Sie sind heimgezogen und zu Bett, wir aber sind wachgeblieben. Werfet Panier auf gegen das Stift; fordert mit heller Stimme, sei es, was es sei; lasset den Kampf nicht schlafen gehen, wie die Mönche schlafen gegangen sind. Bei Sankt Veit schwören sie, wir aber rufen den allmächtigen Gott, — voran gegen Corvey!“

„Sie haben uns der Jüden Geleit genommen; wir aber haben es auf dem Papier,“ meinte zaghaft der Bürgermeister.

„Lasset den Tag nicht dämmern, ohne daß die Abtei sich einem neuen Factum, Actum et Gestum gegenüber finde; wir sind in dem Kriege, den sie wollen, und den letzten Frieden wird Gott der Herr machen.“

„Die Jüden aus der Stadt!“ schrie gell eine Stimme aus dem Haufen, und hundertstimmig folgte der Ruf: „Fort mit den Jüden aus Höxter! Unser Recht! unser Recht! unser Recht!“

Schon drängten sich wütend die Weiber vor:

„Sie standen mit den Franzosen auf du und du! Sehet ihre Häuser, — sie blieben unversehrt, während in unseren kein Stuhl und keine Bank heil blieb! — Sie zahlten dem Turenne! sie zahlten dem Schandkerl, dem Fougerais — sie konnten sich loskaufen, und die hohen Offiziere lagen bei ihnen und ließen bei uns ihr wüstes Volk nach Belieben hausen. Die Jüden, die Jüden aus der Stadt! Weg mit den Jüden aus Höxter!“

Nun stehen auch wir abermals einem Faktum gegenüber: das Wort, das in der lutherischen Bürgerschaft fiel, fand seinen vollen Widerhall in der katholischen. Zum zweiten Mal in dieser Nacht stürzte sich ganz Höxter auf seine Juden, und selbst der Gubernator, der Herr Hauptmann Meyer, ging mit, — widerwillig freilich; aber sie zogen ihn freundlich, an jedem Arm einer — rechts die katholische, links die evangelische Kirche.

Den Meister Samuel samt seiner Familie nahmen sie von der Gasse vor seinem brennenden Hause, die zwei oder drei anderen Familien holten sie zusammen, und so kamen sie im greulichen Gedränge, das elende jammernde Häuflein halbnackter Menschen in ihrer Mitte, und hielten mit ohrzerreißendem Lärmen vor dem Hause der Kröppel-Leah, um auch die mit ihrem Enkelkinde abzurufen und mit den übrigen, Corvey zum Trutz, vor das Tor zu führen.

Der Mönch war aufgestanden von seinem Schemel und hatte auch das hussitische Schwert vom Boden wieder aufgegriffen; der Student aber trat den eindringenden Höxterschen Würdenträgern im Vorgemach entgegen, kümmerte sich um den Bürgermeister und den Hauptmann gar nicht, nahm dafür jedoch den Pfarrherrn von Sankt Kilian mit zärtlicher Unverschämtheit in die Arme und rief:

Mon Dieu, der Herr Onkel — nach zwei Uhr morgens noch in der schädlichen Winterluft! Was verschafft mir die Ehre in meinem schlechten Quartier?“

„Fort, Narrenspiel!“ sagte der Alte, mit kräftiger Faust den Neffen vor die Brust schlagend und ihn von sich stoßend.

„Was wünschen die Herren?“ fragte der Bruder Henricus von der Schwelle der Kammer des Sergeanten; und der Gubernator Meyer trat geduckt vor, mit dem Federhute in der Hand, und stotterte:

„Ehrwürdiger Pater, das Haus und die Gasse ist voll von ihnen — von den Unsrigen und Ihrigen. Sie kommen und fordern alle dasselbige. Sie kommen Arm in Arm gegen die Jüden und wollen sie in dieser Nacht noch vor die Mauer setzen.“

„Und wir nehmen nur unser Recht, ehrwürdigster Herr Pater,“ rief der Bürgermeister. „Wir haben der Juden Geleit gehabt vor und nach dem Jahre Vierundzwanzig und sind durch den Frieden auch in specie dieses Punktes ganz und gar restituieret. Das weiß man zu Münster wie zu Corvey, und zu Höxter ist da kein Unterschied des Glaubens. Wir kommen alle um unser Recht.“

Der Pfarrherr von Sankt Kilian stand mit untergeschlagenen Armen und sah finster auf den Mönch; der Bruder Henricus aber sah einzig und allein auf ihn.

„Sie stehen in einem schlimmen Schein, Herr Pastore,“ sprach der Mönch. „Die Flamme des Brandes züngelt noch hinter Ihrem Rücken; hatte dieses nicht Zeit, bis die Asche und der Schutt dieser Nacht kalt geworden waren?“

„Ich komme mit den Leuten, die mir in dieser selbigen Nacht das friedliche Haus stürmten und mit Steinen auf mich und mein Weib warfen. Ändert es, Herr; — das ist Höxter und Corvey!“

Es hatte sich während dieses Gesprächs immer mehr des Volkes in das Gemach eingeschoben. Schrill rief eine Weiberstimme den Namen Leahs und auf der Straße schrien Hunderte ihn nach. Der Bruder Henricus hatte den Stadthauptmann zornig am Arm gepackt und schüttelte ihn: „Wo sind Eure Leute — sendet einen Boten nach Corvey — o Sankt Veit und — Kreuz Element, bei meiner Reiterehre, der erste, der einen Schritt voran tut, liegt mit blutiger Platte am Boden! Hier für Corvey! Münster und Corvey!“

„Höxter und Corvey! Her mit den Jüden! Weg mit den Jüden! Höxter und Corvey!“ schallte es zurück; und nun tat der Student einen Satz fast bis an die schwarze Decke des Zimmers:

„Höxter und Corvey! Kann ich den Ozean still brüllen und sollte Huxar nicht stillen?! Bei meiner Burschenehre, wer im Tummel kennt mich als guten Kameraden und den einzigen Höxteraner mit Grütze im Hirnkasten? Wollt ihr nun Vernunft annehmen oder nicht? He Wigand — Wigand Säuberlich, tu’s mir zuliebe und bring mir die Zeter-Liese da vor dir zur Räson und nach Hause. An die Kröppel-Leah wollt ihr? Et tu Brute, mein Sohn Hans Rehkop?! Donner und Teufel, seid ihr für Höxter und Corvey, so bin ich, Lambert Tewes, diesmal für Juda und Israel. Helmstedt gab mir consilium abeundi, — Höxter relegatio in perpetuum, nicht wahr, Herr Onkel? Aber Jerusalem hat mich seit Jahren ernähret, getränket und gekleidet; — hier für Juda und Israel, und wer’s gut meint mit Höxter und Corvey, der schreie mit: Vivat Hierosolyma!

Nun hatte er die Lacher auf seiner Seite und damit ein Großes gewonnen. Schon aber hatte er sich im engeren Kreise umher gewandt, und da schlug er den Bruder Henricus auf die Schulter:

„Wissen Sie noch ein und aus in Höxter, Herr Pater?“

„Sankt Veit!“ rief der Mönch, ratlos nach der Decke aufschauend.

„Ihr, Herr Burgemeister?“

„O je, o gütiger Himmel!“ ächzte Herr Thönis Merz.

„Ihr, Herr Gubernator?“

„Du hast mich gekannt, ehe mir der braunschweigische Algierer, der Noht, die Trommel abnahm, Lambert; das ist mein Trost und meine Reputation. Jetzo gehe ich nur, wie man mich schiebt.“

„So gehet Euren Weg, Herr Oheim,“ sprach der Student zu dem Prediger bei Sankt Kilian, und —

„Ja!“ antwortete Ehrn Helmrich Vollbort und trat über die Schwelle in das Kämmerchen der alten Jüdin.

Vernunft? Wer ist eine Stunde nach der Sündflut imstande, Vernunft anzunehmen?!

Fünfzehntes Kapitel.

Auf das „Ja“ des Predigers hatte der Bruder Henricus die Achseln gezuckt, aber er war zur Seite getreten und hatte ihm weiter kein Hindernis in den Weg gelegt. Der Student sagte:

„Nicht einmal ein Citatum aus dem Flacco fällt einem ein.“

Am Bette der Großmutter saß Simeath und blickte angstvoll zu dem finstern Mann im schwarzen Chorrock auf:

„Großmutter ist eingeschlafen!“

Ehrn Helmrich Vollbort beugte sich über das Stroh und das kümmerliche Kleiderbündel darauf; dann nahm er die Lampe des Meisters Samuel vom Tische und ließ den Schein auf das Bett fallen:

„Erhebe dich, Weib. Willst du in dieser elenden Stadt die einzige sein, die da schläft in dieser Nacht?“

Wahrlich, das war so: die Kröppel-Leah schlief! Da hielt der Bruder Heinrich von Herstelle die übrigen nicht mehr; — sie drangen in das Gemach, so viel ihrer es halten wollte. Lambert Tewes schlug den Arm um die zitternde Simeath:

„Fürchte dich nicht, Juda hat seit der Makkabäer Zeit keinen bessern Kavalier gehabt als mich. Das Stift ist zu Bett; treiben sie es noch weiter, so können auch noch andere Leute als der luthersche und päpstliche Küster Sturm in Höxter läuten. Machen sie es allzu bunt, so steht der Besen immer in der Ecke, und wir kehren und fegen mit den Juden auch Höxter wie Corvey doch noch in die Weser!“

Das war ein freches Wort; aber es war Wahrheit dahinter. Es wurde gelacht im Haufen, und eine haarige Faust hob einen ansehnlichen Knotenstock gegen die Decke:

„Immer mit dem Zaunpfahl, Bruder Lambert! Gib du das Feldgeschrei, du Sakermenter. Es sind genug vorhanden, die endlich Ruhe in der Wirtschaft haben wollen. Höxter und Corvey in die Weser, und — Vivat der heilige Veit am Corveytor! Nimm du das Kommando, Lambert!“

Vernunft!? — —

Sie machten ein großes Geschrei und schüttelten das schlafende alte Judenweib an der Schulter. Sie hob noch einmal den Arm, als wolle sie das Gesicht gegen einen Schlag schützen; aber dann fiel der Kopf schwer zurück und auch der Arm wieder herab, der Leib streckte sich, und der, welcher sie an der Schulter gerüttelt hatte, trat betroffen zurück und rief:

„Zum Donner, die weckt keiner mehr in Höxter und Corvey!“

Da stieß das Kind einen Jammerruf aus und warf sich über die Großmutter, doch die Großmutter konnte auch auf die arme Simeath nicht mehr achten.

„Sie hat nun freilich die Stadt verlassen, und es war nicht nötig, daß wir mit Stangen und Schießgewehr kamen, sie zu holen,“ sagte der Bruder Henricus gegen Herrn Helmrich Vollbort gewendet. „Es sind nur Minuten, da fragte sie mich, ob ich den Frieden gefunden habe.“

Der Pfarrherr von Sankt Kilian antwortete nichts, aber der Bürgermeister murmelte:

„Selbst Herr Christoph von Galen müßte sie jetzo liegen lassen, wie sie liegt. Herr Pastore, lasset uns zu den Bürgern sprechen und morgen auf dem Rathause ein weiteres bereden. Ihr Leute, wer von euch will diese Leiche vor die Mauer schaffen?“

Da ging ein Murren durch die rohe Gesellschaft in der Schlafkammer des Sergeanten vom Regiment Fougerais, und es kam die verdrossene Entgegnung:

„Dazu ruft die Gildemeister auf oder ladet sie Euch selber auf den Buckel.“

Es wurde Raum im Gemach und Platz auf der Treppe; vergeblich hatte sich schon seit einiger Zeit der Bruder Heinrich von Herstelle nach seinem Studenten umgesehen. Im richtigen Augenblicke erschien dieser wieder auf der Schwelle, des Meisters Samuel zitterndes Weib, die Siphra, vor sich herschiebend:

„Jetzt laßt das Heulen, Mutter. Die Kinder schaffe ich Euch auch, und wenn’s den Trost vollkommen macht, den Alten gleichfalls. Da, hebt das arme Mädchen auf und sprecht zu ihr. Euer Haus liegt nieder, also nehmt hier Quartier und richtet Euch ein; es wird Euch niemand mehr stören. Höxter geht zuletzt doch auch zu Bett, also haltet Eure Totenwacht.“

Vernunft! — Wenn einer in dieser Nacht in Höxter an der Weser Vernunft gesprochen hatte, so war das der Tod gewesen.

Die gute Munizipalstadt Huxar benutzte in dieser Nacht nicht mehr ihre Judenschaft, um einen politischen Widerhaken in das Fleisch des Stiftes Corvey und des Bistums Münster zu schlagen. Wir wären vollkommen zu Ende, wenn wir nicht aus vielfacher Erfahrung wüßten, daß der hochgünstige Leser deutschen Geblütes sich so leicht nicht zufrieden gibt.

Im großen Refektorium der berühmten Benediktiner-Abtei Corvey sah’s um diese frühe Morgenzeit wunderlich aus. Nachdem der Vater Adelhardus von Bruch von seinem Bogenfenster aus den Feuerschein über Höxter zur Genüge beobachtet und glossiert hatte, täuschte er das Vertrauen des Subpriors Herrn Florentius von dem Felde nicht. Behaglich schaudernd hatte er an seine geistlichen Brüder in der rauhen Winternacht gedacht, und bei der Heimkehr hatte des Stiftes Armada wirklich ihr Warmbier in den dampfenden Krügen auf den langen Eichentafeln aufgetischt gefunden; dazu die Öfen in Glühhitze und den Cellarius item und bereit, jegliches Lob von Prior und Probst bescheidentlich, aber seines Wertes bewußt, entgegenzunehmen.

Nun lag die Abtei zum zweiten Male in den Federn, aber der Vater Adelhardus hatte sich noch größer erzeigt: er war nicht mit den andern zu Bett gestiegen; einsam und allein hatte er inmitten der Halle, gerade unter der großen Kupferlampe, Stand gehalten und auf seinen Sohn Heinrich gewartet.

„In ihrer Selbstsucht sind sie hingegangen, nach genossenem Guten; mich aber soll er finden, so er labente lingua, mit lechzender Zunge, anlangt!“ Und der Bruder Henricus hatte seinen geistlichen Vater auf seinem Posten gefunden, nachdem er mit seiner Schar den Pförtner zum zweiten Male herausgeschellt hatte; und jetzo wollten wir, wir hätten des weißen Papieres noch so viel vor uns als zu Anfang dieser echten und rechten Geschichte, denn mit dem Bruder Henricus kam nun doch der Bruder Studio gen Corvey, und sie schüttelten einander die Hände über dem Tisch, der Pater Kellermeister und Meister Lambert Tewes.

Erst um fünf Uhr morgens dann hatte der Cellarius geseufzt:

Molliter, molliter! sachte, o sachte, mein Kind!“ und die Warnung war vonnöten gewesen, denn es war eben der Studente, der ihn zu Bette brachte; — und an des Kellermeisters Tür küßten sie einander, und der Vater Adelhard schluchzte:

„Nach Wittenberg willt du, mein Junge? Junge, was willt du in Wittenberg? — Bleibe bei mir — eine Bi-bli-ooo-thek haben wir auch, — ich will sie dir morgen zeigen; — bleibe du in Corvey, mein braves Kind — ich zeige dir auch den Keller.“

„Na, alter Bursch, dieses wollen wir beschlafen. Seht Ihr aber, Pater Henrice, so haben uns die Götter nach ihrem Ratschluß, dem Ihr schnöde ins Angesicht sprangt, doch diesen Hafen zubereitet!“

Der Bruder Heinrich von Herstelle aber hatte das Haupt geschüttelt, als er vor seiner Zellentür sein hussitisch Schwert gegen die Wand lehnte:

„Es ist nur eine gewesen, die den Hafen in dieser Nacht in Höxter oder in Corvey erreicht hat.“

Der gute alte Mönch trug noch immer den Handschuh Justs von Burlebecke an seiner linken Hand; jetzt zog er ihn ab und schlang ihn in den Griff der Hussitenwaffe; er nahm das alte Angedenken nicht mit in seine Zelle. Dem Studenten wies er ein Bett an, und zehn Minuten später sägte, sang und raspelte Lambert, wie im Wettkampf mit ganz Corvey, Horen und Metten zu gleicher Zeit. Da raschelte es im Abteihofe in einem Reisighaufen; fürsichtig schob sich ein scharfbeschnäbeltes, rotkämmig Haupt hervor, der eine Hahn, den der Gallier übriggelassen, das heißt, der dem Küchenmesser sich entzogen hatte, wagte sich halb verhungert zum ersten Mal aus seinem Versteck, schwang sich auf die Höhe des Reisigs und krähete: Da horchte der Vater Adelhardus im tiefen Schlafe auf, — und es war [eine>>ein] neuer Tag geworden, gerade so grau und winterlich stürmisch wie der letztvergangene.

In Höxter hielt das hebräische Völklein der toten Leah die Leichenwacht, und die Weiber sangen den Trauergesang und sprachen der Simeath Trost zu. Der Meister Samuel aber hatte noch ein anderes zu schaffen. Er war mit Hammer, Säge und Axt beschäftigt, die Tür des Hauses der Kröppel-Leah wieder einzurichten. Der Herd war bereits notdürftig in Ordnung gebracht, und es flackerte auch schon ein Feuerchen darauf und sang das Wasser in einem Kesselchen. Durch die Fenster zog freilich noch immer der Wind; wenn jemand im siebenzehnten Jahrhundert in Deutschland schwer zu beschaffen war, so war das der Glaser.

Ehrn Helmrich Vollbort saß eingeschlossen in seinem Studierstüblein, welches nach dem Garten zu gelegen war und seine Scheiben noch unversehrt hatte. Wahrlich ein Mann, so saß der Pfarrherr von Sankt Kilian inmitten seines Rüstzeugs und spitzte scharfe Keile zum Eintreiben in die Paragraphen und Fugen des drohenden Gnaden- und Segen-Rezesses Christoph Bernhards von Galen, Bischofs zu Münster und Administrators von Corvey, der eben mit dem französischen Louis Krieg gegen Holland führte und gern das Seinige tat und riet, so beiläufig Kolmar französisch zu machen. — Der Bürgermeister von Höxter aber hub eben an, die Gassen seiner Stadt nach dem französischen Abmarsch zu kehren: — er, Herr Thönis Merz, hatte des guten Exempels halber selber einen Besen genommen und den zweiten Herrn Wigand Säuberlich höflich in die Hand genötigt.

Nach Mittag inspizierte der Corveysche Gubernator und bischöflich Münstersche Hauptmann Herr Meyer wieder einmal die Wacht am Brucktore und warf spähende, argwöhnische Blicke über den Fluß nach dem verdächtigen, nebeligen jenseitigen Ufer; er traute dem Oberstwachtmeister Noht immer noch nicht, und dieser heimtückische Nebel war ihm äußerst unbehaglich. Der alte Fluß rauschte und grollte wie gestern über die zertrümmerte Brücke fort; doch ein neuer Fährmann war bestellt worden und zwängte seinen Weg, keuchend, wie gestern Hans Vogedes den Wassern ab.

Der Fährkahn schwamm auf der Weser, und in ihm stand, mit einer Scholarenzehrung des Stifts Corvey in der Tasche und seinen Horaz unter dem Arm, der Student Lambert Tewes und schwang den Hut dem Bruder Henricus zu, der dem tollen Lateiner wohlwollend nachwinkte. Der Student ging doch nach Wittenberg, obgleich er den Keller des Vaters Adelhardus kennen gelernt hatte.

Nun trat eben der Hauptmann zu dem Bruder Heinrich von Herstelle, ihn zu begrüßen; und der Bruder wendete sich zu ihm und sagte:

„Über Sie ist noch geredet im Konvent, Herr Gubernator. Man wird Sie bei erster passender Gelegenheit Seiner fürstlichen Gnaden von Münster zur Promotion vorschlagen, zum Avancement.“

Da lächelte der Hauptmann gerührt und meinte:

„Ein Gnadengehalt, vielleicht mit dem Titul Major, wäre mir wohl das Annehmlichste. Ich bin und bleibe ein halber Mensch seit der verfluchten Trommelgeschichte.“

Der alte, tapfere Mönch zuckte die Achseln und blickte wieder seinem Freunde Herrn Lambert nach.

Zu dem sagte eben, als der Kahn drüben ans Ufer stieß, der Fährmann:

„Du willst also doch nochmalen in das gelehrte Wesen hinein, Tewes? Tu’s nicht; laß dir raten, bleib in Höxter. Wir stehen alle zu dir und machen dich seinerzeit zum Burgemeister, du passest uns ganz und gar auf den Leib.“

Da lachte der Student und zitierte noch einmal den Flaccus, doch jetzt nicht in schlechten Reimen, sondern, wie er meinte, in guter poetischer Prosa, selber verwundert ob des klassisch-melodischen Tonfalls:

„Unsinn trieb ich lange genug und tappte im Irrsal; ging um die Kirche herum, ein Verächter der Götter und Menschen. Doch nun wend’ ich das Segel und rückwärts steur’ ich bedenklich.“

„Na, noch ist’s Zeit,“ brummte der Fährmann, „besinn dich, Lambert. Es ist nichts Kleines, Bürgermeister von Höxter!“

„Für heute lassen wir den alten Merz in Ruhe auf seinem kurulischen Lehnstuhl, Jochen,“ rief der Student, dem Schiffer die Hand drückend, „dem Herrn Onkel und der Frau Tante möchte ich freilich schon das Vergnügen und die Überraschung gönnen. Weißt du was? — Ich komme wieder!“

Damit sprang er ans Ufer und ging raschen Schrittes auf Lüchtringen zu.

Ich komme wieder! das wird oft und leicht gesagt. Dieser Helmstedter Studiosus der Rechtsgelahrtheit ist zwei Jahre nach der Krönung des ersten Königs in Preußen als Professor der Beredsamkeit zu Halle gestorben, und sein Horatius soll sich in den vierziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts in der Bibliothek des ersten Professors der Ästhetik, Alexander Gottlieb Baumgarten, wiedergefunden haben.

Anmerkungen zur Transkription

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Fremdsprachige Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden in einem anderen Schriftstil markiert.

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